Von Treysa 1945 bis Eisenach 1948: Zur Geschichte der Grundordnung der Evangelischen Kirche in Deutschland 9783666557095, 3525557094, 9783525557099


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Von Treysa 1945 bis Eisenach 1948: Zur Geschichte der Grundordnung der Evangelischen Kirche in Deutschland
 9783666557095, 3525557094, 9783525557099

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ARBEITEN ZUR KIRCHLICHEN ZEITGESCHICHTE REIHE B: DARSTELLUNGEN · BAND 9

ARBEITEN ZUR KIRCHLICHEN ZEITGESCHICHTE Herausgegeben im Auftrag der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für kirchliche Zeitgeschichte von Georg Kretschmar und Klaus Scholder

REIHE B: DARSTELLUNGEN

Band 9

Annemarie Smith-von Osten Von Treysa 1945 bis Eisenach 1948

; GÖTTINGEN • VANDENHOECK & RUPRECHT

1980

Von Treysa 1945 bis Eisenach 1948 Zur Geschichte der Grundordnung der Evangelischen Kirche in Deutschland von Annemarie Smith-von Osten

GÖTTINGEN VANDENHOECK & RUPRECHT · 1980

R e d a k t i o n e l l e B e t r e u u n g dieses B a n d e s : Carsten Nicolaisen

CIP-Kurztitelaufnähme

der Deutschen

Bibliothek

Smith-von Osten, Annemarie: Von Treysa 1945 [neunzehnhundertfünfund vierzig] bis Eisenach 1948 [neuzehnhunderachtundvierzig]: zur Geschichte d. Grundordnung d. Evang. Kirche in Deutschland / von Annemarie Smith-von Osten. - Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1980. (Arbeiten zur kirchlichen Zeitgeschichte: Reihe B, Darst.; Bd. 9) ISBN 3-525-55709-4 Smith-von Osten, Annemarie

© Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1980. - Printed in Germany. Alle Rechte vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus auf foto- oder akustomechanischem Wege zu vervielfältigen. - Satz und Druck: Guide-Druck, Tübingen. - Bindearbeit: Hubert & Co., Göttingen.

INHALTSVERZEICHNIS

Vorwort

11

Abkürzungen

13

Einleitung

15

Kapitel 1 Richtlinien der Alliierten für ihre Kirchenpolitik im besetzten Deutschland

19

Prinzipien der amerikanischen Besatzungspolitik Der Sonderstatus der Kirchen

20 22

Kapitel 2 Erste Aktionen von kirchlicher Seite zur Bildung einer vorläufigen Kirchenleitung der Deutschen Evangelischen Kirche

25

Brunotte - Kirchenkanzlei der D E K Marahrens - Kirchenführerkonferenz Wurm - Einigungswerk

25 28 30

Kapitel 3 Die Vorbereitungen für die Konferenz von Treysa

37

Martin Niemöllers Kritik am Einladungsschreiben und an der Tagesordnung Niemöllers Festhalten am Notrecht Wurms Stellung zwischen Barmen und Dahlem Die Beteiligung der Bruderräte an der Neuordnung der Kirche Das Verhältnis des Bruderrates zum Einigungswerk Wurms

37 40 41 43 46

Kapitel 4 Vorstellungen und Beschlüsse des Bruderrats zum Neuaufbau der Evangelischen Kirche in Deutschland

48

Die Vorbereitung der Bruderratstagung in Frankfurt Niemöllers Referat Verhandlungsgegenstände Der Beschluß zur Neuordnung der Evangelischen Kirche Deutschlands . . Die Entscheidung für den Weg seit 1943 Motive für die Entscheidung des Bruderrates Die Neuordnung der Bekennenden Kirche

48 50 55 56 61 64 67

6

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 5 Zur Rechtslage der Deutschen Evangelischen Kirche

70

Die Frage nach der Rechtskontinuität Gruppierungen vor Treysa Die Meinungsbildung vor der Kirchenkonferenz von Treysa Anknüpfen an die Verfassung von 1933 Anknüpfen an ein Bekenntnisrecht nach Art. 1 der Verfassung der DEK . Wiedererlangte Selbständigkeit der Landeskirchen?

70 71 73 73 74 76

Kapitel 6 Eriks Wolfs Gutachten und seine Beziehungen zur „Konvention von Treysa"

81

Die Mitverantwortung der bruderrätlichen Organe Das Wächteramt der Bekennenden Kirche Modelle für eine Kirchenleitung Ubergangsorgane Liermanns Auseinandersetzung mit dem Gutachten Wolfs

82 83 85 87 89

Kapitel 7 Die Tagung des Lutherrates in Treysa vom 24. bis 26. August 1945 92 Die Vorbereitung zu der Lutherratstagung Wurms Haltung Ergebnisse der Tagung Die Erklärung des Lutherrates vom 27. August 1945 Kapitel 8 Die Kirchenkonferenz in Treysa vom 27. bis 31. August 1945

93 96 98 99

102

Der Begriff „Kirchenführer"-Konferenz Der Fall Marahrens Karl Barth Der äußere Rahmen der Konferenz - Ort, Zeit, Teilnehmer, Tagesordnung Programmatische Äußerungen

102 103 105 107 110

Kapitel 9 Die Bildung der vorläufigen Kirchenleitung in Treysa

115

Ausgangsposition Zusammensetzung der Kirchenversammlung Die kirchenregimentlichen Ansprüche der BK „Machtergreifung" durch die BK Die Vorstellungen des Lutherrates Der Kompromiß Personalfragen

115 116 118 120 123 124 126

7

Inhaltsverzeichnis

Erik Wolfs Einfluß in Treysa Analyse des Rates der EKD

128 130

Kapitel 10 Die Beschlüsse der Konferenz von Treysa

135

Das Wort an die Gemeinden Das Wort an die Pfarrer

135 137

Kapitel 11 Berichte und Urteile über die Konferenz von Treysa und ihre Ergebnisse Die offiziellen Berichte von Niemöller, Wurm und Meiser Reaktionen auf die bayerische Version der Vorgänge und Entscheidungen von Treysa - Beginn der Auseinandersetzungen zwischen dem Bruderrat der EKD und den VELKD-Lutheranern um die Gestalt der EKD Die Kontroverse um Treysa 1945 im „Kirchenblatt für die Reformierte Schweiz" Kritische zeitgenössische Urteile über die kirchenrechtlichen Entscheidungen von Treysa Motive für die Kompromißbereitschaft des Bruderrates und die Frage nach der Alternative

141 141

149 154 156 159

Kapitel 12 Rechtssetzung der Evangelischen Kirche in Deutschland in den Jahren 1945 und 1946

165

Amtsstellen der EKD Die EKD als Rechtsnachfolgerin der DEK Verhältnis EKD - Landeskirchen

165 167 169

Kapitel 13 Die Arbeit an der Verfassung der V E L K D - Dezember 1945 bis Mai 1946

173

Die Rolle der württembergischen Landeskirche Der Verfassungsentwurf vom 20. Mai 1946

173 176

Kapitel 14 Christian Stoll: „ D i e Lage der Lutherischen Kirche innerhalb des deutschen Gesamtprotestantismus"

181

Die Lage der Lutherischen Kirche innerhalb des deutschen Gesamtprotestantismus Die Entgegnungen Iwands und Niemöllers

182 184

Kapitel 15 D e r Rat der E K D und der lutherische Zusammenschluß

189

Erste Phase: Ratsinterne Diskussion der konfessionellen Problematik

...

189

8

Inhaltsverzeichnis

Asmussen: Der Kurs der EKD Zweite Phase: Aktionen einzelner Ratsmitglieder gegen die VELKDPläne Das „Wort zur Lage" vom 30. Juni 1946 Der Plan einer Kirchenversammlung für den August 1946

193 196 200

Kapitel 16 Der Bruderrat der EKD und der lutherische Zusammenschluß

202

Zur Vorgeschichte der Neuendettelsauer Gespräche Das erste Neuendettelsauer Gespräch Der Beschluß des Bruderrates zum Weg der Bekennenden Kirche

202 205 207

Kapitel 17 Gliedkirchen der EKD und der lutherische Zusammenschluß

209

Die Haltung der Ostkirchen zum Verfassungsentwurf der VELKD Stellungnahme des Ev. Oberkirchenrates in Stuttgart zum VELKDEntwurf vom 10. Juli 1946 Die Tagung des Lutherrates am 12. und 13. September 1946 in Göttingen Die württembergische Landeskirche und die VELKD im Herbst 1946 ein Tiefpunkt in ihren Beziehungen

191

209 212 216 220

Kapitel 18 Kirchengemeinschaft - Biblische Unität Alternativmodelle zur Aporie in der EKD

225

Mochalskis Gutachten „Die Gestalt der EKD" Die Antwort Württembergs Eine lutherische Antwort Biblische Unität Der Begriff der Kirchengemeinschaft in der neueren Diskussion

225 226 228 229 234

Kapitel 19 Der Entwurf des Bruderrates vom März 1947 für eine Ordnung der EKD

236

Das zweite Neuendettelsauer Gespräch Vorarbeiten zum Ordnungsentwurf des Bruderrates Entwurf einer Ordnung der EKiD vom 27. März 1947 Änderungen zum Entwurf durch Beschluß des Bruderrates vom 6. Juli 1947 Kapitel 20 Die Vorbereitungen für eine Kirchenversammlung der EKD DerRatsbeschlußvomlO./ll. Oktober 1946 Asmussens Umfrage zur Kirchenversammlung Verordnung über eine Kirchenversammlung der EKD vom 24. Januar 1947

237 240 247 249 251 251 252 256

Inhaltsverzeichnis

9

Die theologische Vorklärung Die ungeklärten Fragen innerhalb der EKD Die Gesprächsrunden

259 261 262

Kapitel 21 Die Ergebnisse der konfessionellen Gespräche

265

Der Lutherrat und „Barmen" Entschließung des Moderamen des Reformierten Bundes vom 14. März 1947 „Zum Entwurf der Verfassung der VELKD" Die Position der unierten Kirchen Die Haltung des Bruderrates zu dem konfessionellen Gespräch Die Detmolder Beschlüsse

268 270 272 274

Kapitel 22 Die Kirchenversammlung in Treysa vom 5. u n d 6. Juni 1947

277

Wurms Ansprache zur Eröffnung der Kirchenversammlung in Treysa am 5. Juni 1947 Die Stimme der Laien Bericht Hans Asmussens über die Arbeit des Rates der EKD Das Referat Kinders zur „konfessionellen Frage" Die Entschließung des Lutherrates zum Verfassungsentwurf der VELKD vom 4. Juni 1947 Die Entschließung zur innerkirchlichen Lage Kapitel 23 Antworten auf die Ubereinkunft von Treysa II Zur Interpretation des Satzes 2 in Ziffer 2 des Wortes „Zur innerkirchlichen Lage" Beschluß des Reformierten Bundes für Deutschland zu dem „erfreulichen Ergebnis" der Kirchenversammlung von Treysa Stellungnahme des Bruderrates vom 8. August 1947 „Zur Auswertung der Beschlüsse von Treysa 1947" durch Ernst Kinder . Die bayerisch-lutherische Opposition gegen die Ubereinkunft von Treysa II

265

278 279 281 285 287 291

294 295 297 297 298 300

Kapitel 24 Die Auseinandersetzungen um die verfassunggebende Kirchenversammlung - Grundsatzfragen im Vorfeld der Grundordnungsdebatte

309

Chronologische Ubersicht Verordnung über die verfassunggebende Kirchenversammlung der EKD . Stellungnahme des Lutherrates zu dem Entwurf Die Denkschrift „Synode und Kirchenregiment" Der Auftrag an den Verfassungsausschuß der EKD

309 311 312 316 319

10

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 25 Der Entwurf I der Grundordnung vom 29. August 1947 bzw. 21. September 1947

322

Methodische Vorentscheidungen des Verfassungsausschusses Brunottes Entwurf für eine Grundordnung der EKD in der Beurteilung durch den Lutherrat Die Erstellung des ersten Grundordnungsentwurfes Exkurs: Entwürfe für eine Verfassung der EKD

322 323 326 327

Kapitel 26 Stellungnahmen, Änderungswünsche und Forderungen zum Entwurf I der Grundordnung der EKD

333

Das Moderamen des Reformierten Bundes Der Bruderrat Die Tagung des Lutherrates in Fulda am 15./16. Oktober 1947 Ein lutherischer Gegenentwurf zum Grundordnungsentwurf I Aktivitäten des Detmolder Kreises Asmussen und der Detmolder Kreis

333 334 335 337 341 347

Kapitel 27 Die zweite Fassung des Grundordnungsentwurfes vom 8. März 1948 und ihre Revisionen

354

Lutherratssitzung in Darmstadt am 11./12. März 1948 Besprechung in Karlsruhe am 10. und 11. April 1948

356 359

Kapitel 28 Die Kirchenversammlung von Eisenach vom 9. bis zum 13. Juli 1948

364

Vorbereitungen Anträge an die Kirchenversammlung Lesung und Annahme der Grundordnung Entschließungen der Kirchenversammlung Die Einführung der Grundordnung Die Zustimmungserklärungen der Landeskirchen zur Grundordnung . . .

364 366 369 375 377 380

Quellen- und Literaturverzeichnis

383

Index

391

VORWORT

Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 1977 vom Fachbereich I Evangelische Theologie an der Eberhard-Karls-Universität in Tübingen als Dissertation angenommen. Für die Drucklegung wurde sie geringfügig gekürzt und in formaler Hinsicht nach den für die „Arbeiten zur kirchlichen Zeitgeschichte" geltenden Richtlinien überarbeitet. Die Arbeit basiert fast ausschließlich auf unveröffentlichten Dokumenten aus kirchlichen Archiven. Daher bin ich allen denen zu Dank verpflichtet, die mir diese Dokumente zugänglich gemacht haben. Auch denen danke ich, die in Gesprächen und Briefen bereit waren, mit ihren Erinnerungen an die in der Arbeit behandelten Ereignisse bei Einzelfragen klärend zu helfen. Mein Dank gilt ferner Herrn Dr. Carsten Nicolaisen in München für die redaktionelle Betreuung der Arbeit im Zusammenhang mit ihrer Publikation, insbesondere für seine Hilfe bei der Zusammenstellung der biographischen Anmerkungen; den Herausgebern der Reihe, Herrn Prof. D. Georg Kretschmar in München und Herrn Prof. Dr. Klaus Scholder in Tübingen, danke ich dafür, daß sie meine Arbeit in diese Publikationsreihe aufgenommen haben. Darüber hinaus bin ich Herrn Prof. Scholder für die Ermutigung und Unterstützung während aller Phasen der Erarbeitung des Themas dankbar. Stuttgart, im September 1980

Annemarie Smith-von Osten

ABKÜRZUNGEN Abi Abs. AEKD AGK APU Art. AT Aufl. Bd. betr. BK BR BRD bzw. CA D. DC DDR DEK d. h. DVO EK(i)D ELKZ EO(K) Ev., ev., evang. EvTh gef. Geistl., geistl. Gen. Generalsup. GO GVR Hg. Hl. i. R. JK KKA KonsRat KZ

Amtsblatt Absatz Archiv der Evangelischen Kirche in Deutschland, Berlin Arbeiten zur Geschichte des Kirchenkampfes Altpreußische Union Artikel Altes Testament Auflage Band betrifft Bekennende Kirche, bekenntniskirchlich Bruderrat Bundesrepublik Deutschland beziehungsweise Confessio Augustana Doktor der Theologie ehrenhalber Deutsche Christen, deutschchristliche Deutsche Demokratische Republik Deutsche Evangelische Kirche das heißt Durchführungsordnung Evangelische Kirche (in) Deutschland Evangelisch-Lutherische Kirchenzeitung Evangelischer Oberkirchenrat Berlin evangelisch Evangelische Theologie gefällig geistlich Generalia Generalsuperintendent Grundordnung Geistlicher Vertrauensrat Herausgeber Heilig in Ruhe Junge Kirche Archiv für die Geschichte des Kirchenkampfes an der Kirchlichen Hochschule Berlin (jetzt im Ev. Zentralarchiv Berlin) Konsistorialrat Konzentrationslager

14

LB Lie. LKA LKA Darmstadt LKAmt Luth., luth. m. E. Nr. NT 0(B)LKR o. D. ÖRK OKR OKonsRat P. Pfr. Prof. Ref., ref. Reg. RBR Stellv. Stadtsup. Sup. TO Treysa I Treysa II u. U. US VELK(D) Verf. vgl. V(K)L VjZ VONB1 ZevKR ZKG

Abkürzungen

Landesbischof Lizentiat Landeskirchliches Archiv Zentralarchiv der Εν. Kirche in Hessen und Nassau, Darmstadt Landeskirchenamt lutherisch meines Erachtens Nummer Neues Testament Oberlandeskirchenrat ohne Datum ökumenischer Rat der Kirchen Genf Oberkirchenrat Oberkonsistorialrat Pastor Pfarrer Professor reformiert Registratur Reichsbruderrat stellvertretend Stadtsuperintendent Superintendent Tagesordnung Kirchen Versammlung von Treysa 1945 Kirchenversammlung von Treysa 1947 unter Umständen United States Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche (Deutschlands) Verfasser vergleiche Vorläufige (Kirchen-)Leitung Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte Verordnungs- und Nachrichtenblatt Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht Zeitschrift für Kirchengeschichte

EINLEITUNG

Der Gegenstand der

Untersuchung

Die vorliegende Arbeit sucht die Grundordnung der Evangelischen Kirche in Deutschland in den Phasen ihrer Entstehung nachzuzeichnen und richtet ihre Aufmerksamkeit damit auf eine der dringlichsten Aufgaben der evangelischen Kirche in der Nachkriegszeit. Schon die ersten Aktionen von kirchlicher Seite im Frühjahr 1945 galten - neben der Linderung der akuten Not und dem Aufbau des Hilfswerkes - den Bemühungen um eine Neuordnung der „zerstörten" Kirchen: der Deutschen Evangelischen Kirche und derjenigen Landeskirchen, die von Deutschen Christen regiert worden waren. Der auf der Kirchenversammlung in Treysa im August 1945 konstituierten vorläufigen Kirchenleitung (Rat) der EKD, deren unmittelbare Funktion es war, die Gesamtkirche den Besatzungsmächten und der Ökumene gegenüber zu vertreten, wurde die „Vorbereitung einer endgültigen Ordnung" als Hauptaufgabe übertragen. Die Umrisse einer solchen endgültigen Ordnung sollten in den in Treysa gemachten grundsätzlichen Äußerungen zur „Gestalt" der EKD bereits vorgezeichnet werden. Bis zur Verabschiedung einer Grundordnung der EKD in Eisenach im Juli 1948 beschäftigte die Grundordnungsfrage dann nicht nur die offiziellen Gremien der EKD, sondern ebenso die kirchlichen Gruppen, die über den Zusammenbruch hinaus das Geschick der evangelischen Kirche mitbestimmen wollten. Das Bild dieser drei Jahre zwischen Treysa und Eisenach zeichnet sich als ein beständiges Ringen um Wesen und Aufgabe einer evangelischen Kirche nach den Erfahrungen des Kirchenkampfes inmitten einer zerrütteten Christenheit. Hauptträger der Auseinandersetzung um die Grundordnung waren der Bruderrat der EKD als Organ der Bekennenden Kirche und diejenigen Mitglieder des Lutherrates, die die Bildung einer Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche anstrebten oder förderten. In der Schärfe der Auseinandersetzung zeigte sich, daß die im Einigungswerk Bischof Wurms seit 1941 angebahnte Gemeinsamkeit, die in der „Vorläufigen Ordnung" von Treysa sogar als „kirchlich gegründete innere Einheit" angeführt wurde, nach dem Untergang des gemeinsamen Gegners doch nicht die erhoffte tragende Grundlage war. So ist in der Darstellung der Entwicklung der Kirche zur EKD hin zugleich eine Darstellung der Bekennenden Kirche und der VELKD mitenthalten, soweit in der

16

Einleitung

Grundordnungsdebatte auch das Selbstverständnis und die Z u k u n f t der Bekennenden Kirche sowie die Gestalt und die Rolle der V E L K D innerhalb des Gesamtprotestantismus in Deutschland entschieden wurden. Die Entstehung der Grundordnung der E K D ist demnach keine rein kirchenamtliche Angelegenheit gewesen, aber sie ist durch amtliche Beschlüsse veranlaßt und beendet worden, und diese Beschlüsse - von Treysa und Eisenach - geben einen zeitlichen Rahmen ab für die Behandlung ihrer Geschichte. Die historisch-deskriptive Analyse der auf die Grundordnung zielenden Entscheidungsprozesse zwischen Mai 1945 und Juli 1948 berücksichtigt gleichermaßen kirchenrechtliche, kirchenpolitische, theologische, ekklesiologische, sozialpsychologische und biographische Momente. Die Arbeit will damit einen Beitrag zur kirchlichen Zeitgeschichte liefern. Sie knüpft an die Arbeit von Jörg Thierfelder über das Kirchliche Einigungswerk des württembergischen Landesbischofs Theophil Wurm an und wendet sich den Einigungsbestrebungen über den Zusammenbruch 1945 hinaus zu. Die Behandlung einiger wichtiger Probleme wird durch die Themenstellung erschwert und deshalb ausgeklammert, nämlich: 1. Schuldfrage (a. Stuttgarter Erklärung vom 18. 10. 1945; b. die „Schuld der Anderen" - Deutsche N o t , Entnazifizierung-); 2. Rezeption der Ost-"West Problematik durch kirchliche Kreise, Ostpfarrer-, Ostkirchenfrage; 3. Hilfswerk; 4. Entwicklungen in der Ö k u m e n e und deren Einfluß auf die deutschen Verhältnisse; 5. Darstellungen einzelner Gruppen wie des Bruderrats, des Lutherrats oder des Detmolder Kreises als eigenständige Größen. Die Ausklammerung dieser Bereiche soll nicht so verstanden werden, daß diese ohne Bedeutung für die Grundordnungsdebatte gewesen seien. Aber aus der Durchsicht der Dokumente ergibt sich doch das Bild, daß die Auseinandersetzungen um die Gestalt der E K D eine Art von Eigengesetzlichkeit entwickelten, die sie von den übrigen Problemen der Kirche und der Zeit isolierte, eine Tendenz, die schon zwischen 1945 und 1948 von Beteiligten kritisiert und als Versäumnisschuld empfunden wurde.

Z«r

Gliederung

Die Darstellung orientiert sich an der Chronologie der Ereignisse zwischen 1945 und 1948. Die wichtigsten sind dabei die Kirchenversammlungen von Treysa 1945 (Treysa I), von Treysa 1947 (Treysa II) und von Eisenach 1948. Ratssitzungen, Bruderratssitzungen, Lutherratssitzungen, Zusammenkünfte zwischen den einzelnen Grup-

Einleitung

17

pen, offene Briefe, grundsätzliche Artikel, Entwürfe, Resolutionen und Stellungnahmen lassen sich in etwa in dieses chronologische Grobschema einordnen, da sie zumeist entweder als Vorbereitung oder als Reaktion auf die eine oder andere jener Kirchenversammlungen zu beziehen sind.

2ur

Quellenlage

Grundlage der Untersuchung bildet vor allem Archivmaterial aus folgenden Archiven: Archiv der E K D , Berlin; Landeskirchliches Archiv Stuttgart (Wurm-Nachlaß); Landeskirchliches Archiv Nürnberg (Meiser-Nachlaß); Zentralarchiv der Hessen-Nassauischen Kirche Darmstadt (Bruderratsakten, Private Akten M. Niemöller); Registratur des Evangelischen Oberkirchenrats in Württemberg. Das Archivmaterial umfaßt sowohl Verhandlungs- als auch Ergebnisprotokolle, dann Lageberichte, Gutachten, Rundschreiben, Referate, Aktennotizen, Einladungsschreiben und vor allem Briefe, welche häufig persönlichen Charakter tragen und in denen die Konflikte am deutlichsten thematisiert wurden. Weitere für die Arbeit relevante Quellengruppen sind zeitgenössische Zeitschriften und Kleinliteratur, Dokumentensammlungen (Kirchliches Jahrbuch 1945-1948; Treysa 1945, hrsg. von F. Söhlmann; Eisenach 1948, hrsg. von der Kirchenkanzlei der EKD), Biographien und Autobiographien und neuere Forschungsliteratur. Eine Gesamtdarstellung liegt nicht vor. In Heinz Brunottes Arbeit ,,Die Evangelische Kirche in Deutschland. Geschichte, Organisation und Gestalt der E K D " nimmt die Zeit zwischen 1945 und 1948 nur etwa zehn Seiten ein. Außerdem zeichnet Brunotte ein sehr harmonisches Bild von der kirchlichen Entwicklung. Seine Arbeit vermittelt den Eindruck, als ob die Entwicklung der evangelischen Kirche nach dem Krieg mehr oder weniger selbstverständlich, unangefochten und gradlinig auf Eisenach zulief.

Ergebnisse der

Untersuchung

Das Kirchliche Einigungswerk Wurms kann als Ausgangspunkt der E K D gewertet werden. Dabei spielt das Programm des Einigungswerkes (,,13 Sätze über Auftrag und Dienst der Kirche") keine Rolle, vielmehr sind die persönlichen Kontakte, die Atmosphäre der Versöhnungsbereitschaft, die Autorität Wurms und der weitgefaßte Rahmen für die am kirchlichen Aufbau zu beteiligenden Gruppen für die Phase nach dem Krieg entscheidend.

18

Einleitung

Mit der Feststellung dieser Kontinuität zwischen dem Einigungswerk und der E K D ist zugleich die Vorstellung zurückgewiesen, als ob es einen Neuaufbau und einen Neubeginn im Sinne eines voraussetzungslosen, schöpferischen Neuen gegeben hätte. Es gab 1945 keinen Zusammenbruch der evangelischen Kirche, es gab für die Kirche keine Stunde Null. Vielmehr erwies sich die Kirche in ihren landeskirchlichen Institutionen als der stabilste Faktor in der unmittelbaren Nachkriegszeit. Die Kooperationsbereitschaft auch der radikalen Bekennenden Kirche und das konstruktive Engagement der Bruderräte sowohl in den Landeskirchen als auch für die E K D im Ganzen ist herauszustreichen. Der gesamte Bruderrat der E K D unterstützte die im Sinne des Einigungswerkes in Treysa 1945 geschaffene E K D und hielt es trotz vieler Rückschläge durch, in der E K D die Nachfolgerin der Bekennenden Kirche zu sehen und zu akzeptieren. Die Distanz der württembergischen Landeskirche den Bestrebungen anderer lutherischer Kirchen gegenüber und die Verweigerung der Mitarbeit an der V E L K D sowie die aktive Unterstützung der E K D auch in theologischer Hinsicht durch das Konzept der „biblischen Unität" als Einheitskriterium für die E K D haben möglicherweise die E K D , wie sie dann in Eisenach konstituiert worden ist, erst ermöglicht. Demgegenüber hat sich in der Grundordnungsdebatte der 70er Jahre die Funktion der württembergischen Kirche genau umgekehrt. Daran haben auch die Erinnerungen an die besondere Tradition der Landeskirche und die Mahnungen an die daraus sich ergebenden Verpflichtungen während der Beratungen der württembergischen Synode über den Entwurf der neuen Grundordnung nichts geändert. Die Ablehnung der Grundordnung von 1974 gerade durch die württembergische Landeskirche erscheint im Vergleich mit der Zeit zwischen 1945 und 1948 besonders schmerzlich, in der die württembergische Kirche im Zusammenspiel mit ihrem Landesbischof, der damals auch zugleich Ratsvorsitzender der E K D war, die Evangelische Kirche in Deutschland ganz wesentlich unterstützte und förderte.

Kapitel 1 R I C H T L I N I E N DER ALLIIERTEN FÜR I H R E K I R C H E N POLITIK IM BESETZTEN D E U T S C H L A N D

Durch die Gesamtkapitulation am 9. Mai 1945 endete der Zweite Weltkrieg. Am 23. Mai wurde die Regierung Dönitz durch die vier Siegermächte abgesetzt. Am 5. Juni unterzeichneten die vier Besatzungsmächte in Berlin die Deklaration, welche die Übernahme der obersten Gewalt nach Aufhören einer Regierungsgewalt in Deutschland durch die vier verbündeten Regierungen verkündete 1 . Für die Kirchen bedeutet dies, daß sie mit einer neuen Obrigkeit zu rechnen und möglicherweise sich mit ihr auseinanderzusetzen hatten. Es ist daher geboten, in einer Untersuchung über kirchengeschichtliche Entwicklungen nach 1945 in Deutschland mit einem kurzen Uberblick über Vorstellungen, Ziele und Richtlinien der Besatzungsmächte in bezug auf ihre Kirchenpolitik zu beginnen. Schon vorneweg sei dabei bemerkt, daß auf gesamtkirchlicher Ebene von seiten der Besatzungsmächte den Kirchen keine Restriktionen auferlegt worden sind. Im Gegenteil: Durch einen Vertrauensvorschuß konnten die Kirchen sehr bald Verhandlungen untereinander aufnehmen und selbständige Entscheidungen auf personalpolitischer Ebene treffen. Die Schwierigkeiten also bei den innerkirchlichen Verhandlungen oder der Umstand, daß die evangelischen Kirchen drei Jahre Zeit brauchten, eine Grundordnung zu erarbeiten und zu verabschieden, kann nicht zu Lasten der Politik der Besatzungsmächte gerechnet werden. Auch der ab 1947 immer deutlicher werdende Ost-West-Konflikt hat für die Grundordnungsdebatte keine hemmende Rolle gespielt. Der konfessionelle Gegensatz zwischen Lutherrat und Bruderrat der EKD, dann zwischen VELKD und EKD, hatte keinen Bezug zu diesem konkreten politischen Konflikt. Die Terminverschiebungen (außer der von Eisenach wegen der Währungsreform am 20. Juni 1948), Sondersitzungen und immer erneute Revisionen einzelner Artikel wurden nicht durch politische Ereignisse verursacht, sondern hatten ihre Begründung im Internen. In den Plänen der Alliierten für die Behandlung Deutschlands nach der Kapitulation wurde zwar das Verhältnis Staat - Kirche mitberücksichtigt, aber nur an untergeord1

Außerdem wurden die Aufteilung Deutschlands in vier Zonen, die Besetzung GroßBerlins durch alle vier Siegermächte und die Organisation des Kontrollrats festgelegt.

20

Richtlinien der Alliierten

neter Stelle. Die darunter fallenden Bestimmungen sind zudem in sehr allgemein gehaltenen Formulierungen abgefaßt und durch übergeordnete Grundsätze eingeschränkt. Solche Zugeständnisse an die Kirchen 2 sind bemerkenswert, wenn man bedenkt, daß diese auch einen Teil, durch ihre vielfältigen Beziehungen zum Staat als „established churches" 3 sogar einen wesentlichen Teil des „besiegten Feindstaates" 4 ausmachten. In den Bestimmungen des Potsdamer Abkommens der drei Alliierten vom 2. August 1945 über Deutschland heißt es unter Abschnitt A, Politische Grundsätze, Ziffer 10: „ U n t e r Berücksichtigung der N o t wendigkeit zur Erhaltung der militärischen Sicherheit wird die Freiheit der Rede, der Presse und der Religion gewährt. Die Religiösen Einrichtungen sollen respektiert werden. Der Schaffung Freier Gewerkschaften gleichfalls unter Berücksichtigung der Notwendigkeit der Erhaltung der militärischen Sicherheit wird gewährt werden." 5 Die Bestimmungen sind so allgemein gehalten, daß der konkrete Freiheitsraum völlig abhängig ist von der Toleranzbreite des ihm vorgeordneten Prinzips.

Prinzipien der amerikanischen

Besatzungspolitik

Auf die Politik der amerikanischen Besatzungsmacht muß an dieser Stelle eingegangen werden, da die E K D von dieser Besatzungszone aus „regiert" wurde: Landesbischof W u r m , der Ratsvorsitzende, wohnte in Stuttgart, die Kirchenkanzlei der E K D hatte ihren Sitz in Schwäbisch G m ü n d , die meisten Ratssitzungen und Konferenzen fanden innerhalb der amerikanischen Zone statt (Frankfurt, Treysa, Darmstadt, Kassel). Die amerikanische Besatzungspolitik deckte sich in der Frage der Behandlung der Kirchen mit den Potsdamer Bestimmungen. Die Direktive 1067 der Joint Chiefs of Staff (JCS), die bis zum Sommer 1947 offizielle Grundlage der amerikanischen Politik für Deutschland war, lag bereits im April 1945 vor. Am 21. Mai wurde sie den Obersten Befehlshabern bekanntgegeben, blieb aber weiterhin als „ t o p secret" eingestuft und wurde erst am 17. Oktober veröffentlicht 6 . In dieser Anweisung „ A n den Oberkommandierenden der Okkupationstruppen der Verei2 Vgl. das Urteil von H . ZINK: „Despite their generally primitive charakter, both JCS 1067 and the Potsdam Agreement took a fairly liberal attitude toward the churches. In general, they were given freedom in handling their own affairs without undue interference on the part of the occupying forces" (United States, S. 320). 3

M . KNAPPEN, P e a c e , S. 4 8 .

4

E . - U . H U S T E R U. a . , D e t e r m i n a n t e n , S. 2 8 4 .

5

E . - U . H U S T E R U. a . , D e t e r m i n a n t e n , S. 2 7 9 .

6

L . D . CLAY, D e c i s i o n , S . 16 f . ; Α . BOYENS, K i r c h e n p o l i t i k .

Prinzipien der amerikanischen Besatzungspolitik

21

nigten Staaten hinsichtlich der Militärregierung für Deutschland" werden Rede-, Presse- und Religionsfreiheit gewährt, soweit diese militärische Interessen nicht beeinträchtigen und nicht gegen die Beschränkungen verstoßen, die für politische Tätigkeiten gelten sollen (ζ. B . keine Verbreitung von nazistischen, militaristischen oder pangermanistischen Lehren, keine „deutschen Aufmärsche militärischer, politischer, ziviler oder sportlicher A r t " ) . Weiter heißt es, daß alle religiösen Einrichtungen geduldet würden, soweit dies mit den militärischen Erfordernissen zu vereinbaren sei 7 . Die Durchsetzung der Besatzungspolitk erforderte ein weitverzweigtes und dichtes Verwaltungssystem. In der amerikanischen .Besatzungszone war dies in 13 Hauptabteilungen (branches) eingeteilt, die jeweils wieder in mehrere Unterabteilungen (divisions) gegliedert waren. Dem „Branch of Public Health und Weifare" unterstand die „Division of Education and Religion". Auf lokaler Ebene waren der Erziehungs- und Kirchensektor oft in einer Behörde mit nur einem verantwortlichen Offizier zusammengefaßt, wobei die Probleme auf dem Schulsektor als weitaus wichtiger angesehen wurden und die Aufmerksamkeit und Mittel der Behörden fast gänzlich in Anspruch nahmen 8 . Auf Länderebene waren die beiden Bereiche getrennt, und den Abteilungen für „Religious Affairs" stand ein eigener Mitarbeiterstab zur Verfügung, der auf spezielle Wünsche der Kirchen eingehen konnte. Die Hauptaufgabe der Abteilungen für Kirchenfragen war in allen Zonen die der Überwachung unter Wahrung des Prinzips der Nichteinmischung 9 . Die amerikanischen Richtlinien speziell für die Behandlung der Kirchen während der Besatzungszeit waren schon 1944 federführend von Major Marshall Knappen 1 0 aufgestellt worden. Sie wurden dann direkt in die Direktive J C S 1143 übernommen und durch General Eisenhower im April 1945 als offizielle Politik verkündet 1 1 . Die grundlegenden Prinzipien dieser Direktive sind die freie Religionsausübung (freedom of worship), die gleiche Behandlung aller religiösen Gruppen und Garantien für ein gerechtes Austragen verschiedener miteinander konkurrierender Interessen sowie die Achtung vor allen Kirchen und religiösen Institutionen. Letzteres impliziert auch Nicht7

E . - U . H U S T E R U. a . , D e t e r m i n a n t e n , S . 2 8 9 .

8

Vgl. die Kritik zu diesem Punkt bei ST. HERMAN, Rebirth, S. 109.

9

Β . R . MCCLASKEY, H i s t o r y , S. 18; ST. HERMAN, Rebirth, S. 109.

Μ. Knappen reiste gleich nach Kriegsende durch Deutschland und schrieb seine Erfahrungen in seinem Buch „And call it peace" nieder, das eine kritische Auseinandersetzung mit der amerikanischen Besatzungspraxis ist. Marshall M. Knappen (geb. 1901), Theologe, 1939 Prof. of History and Political Science Michigan State College, 1944—1947 Leiter des Referats für religiöse Angelegenheiten der US-Besatzungsarmee bzw. der Militärregierung. 10

11

M . KNAPPEN, P e a c e , S. 5 8 f . ; B . R . M C C L A S K E Y , H i s t o r y , S. 1 6 f .

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Richtlinien der Alliierten

einmischung in kirchliche Aufbauarbeiten und die Respektierung traditioneller Beziehungen von Staat und Kirche sowie die daraus sich ergebenden Verpflichtungen wie ζ. B . die Einziehung von Kirchensteuern durch den Staat. Daß dies alles nicht selbstverständlich war, zeigt die folgende Bemerkung von Knappen: „Although many American officers felt that established churches were undemocratic, on balance it seemed best for the military government not to attempt to disturb the traditional adjustment of church-state relations in G e r m a n y . " 1 2 Begründet wurde diese Haltung ausdrücklich durch die Stellung der Kirchen dem nationalsozialistischen Staat gegenüber 13 . Obwohl die Direktive J C S 1143 eigentlich nur als Ubergangsregelung gedacht war, blieb sie weiterhin gültig, da sie alles Wesentliche enthielt und wegen der wenig spezifischen Formulierung ihrer Prinzipien leichte Kursveränderungen erlaubte. Im August 1946 wurde die S W N C C (State-War-Navy Coordination Comittee) Direktive Nr. 269 bekanntgegeben, in der alle Bereiche einer geistigen Umorientierung in der amerikanischen Besatzungszone behandelt wurden. Den Kirchen fiel hierbei eine wichtige Rolle zu, und sie gewannen entsprechend an Ansehen und Freiheit. Die Kirchen sollten nun mithelfen, eine Atmosphäre zu schaffen, in der Moral und Gerechtigkeit wieder als Werte anerkannt würden und in der der Einzelne sich ermutigt fühlen würde, soziale und politische Verantwortung auf sich zu nehmen. Zur Erfüllung dieser Aufgaben wurden den Kirchen jetzt auch Aktivitäten auf weltlichem Gebiet erlaubt 1 4 .

Der Sonderstatus der Kirchen Die in Potsdam beschlossenen Richtlinien wurden in allen Besatzungszonen durchgeführt. Noch auf der Kirchenversammlung in Eisenach vom 9. bis zum 13. Juli 1948 waren Vertreter aller Besatzungsmächte anwesend, um dem Gründungsakt der Evangelischen Kirche in Deutschland beizuwohnen 1 5 . Daß sich dennoch innerhalb des im Potsdamer Abkommen gezogenen Rahmens in den vier Zonen, d. h. in den 12

M . KNAPPEN, Peace, S. 4 8 .

13

„ T h e G e r m a n churches, while not uncontaminated b y naziism, did o n the w h o l e

have a respectable r e c o r d of a n t i - N a z i activity, which certainly entitled t h e m to s o m e consideration. It was therefore decided that after the removal of N a z i abuses the traditional pattern of c h u r c h - s t a t e relations should be preserved until such time as the G e r m a n people might freely decide whether o r n o t they wished t o make a c h a n g e " (ebd., S. 4 8 / 4 9 ) . 14

B . R . MCCLASKEY, H i s t o r y S. 17.

is W e l c h e politischen E r w a r t u n g e n die B e s a t z u n g s m ä c h t e zu diesem Zeitpunkt ( W ä h rungsreform, B e r l i n - B l o c k a d e ) an die Konstituierung einer gesamtdeutschen evangelischen K i r c h e stellten, kann hier nicht untersucht werden.

Sonderstatus der Kirchen

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drei Westzonen und in der Ostzone, allmählich zwischen den Kirchen einerseits und den Besatzungsbehörden bzw. den deutschen Behörden andererseits ein unterschiedliches Verhältnis ausbildete, war von den durch sie vertretenen politischen Systemen her gesehen kaum anders zu erwarten. Eine gewisse Rolle spielten aber zwischen 1945 und 1949 1 6 die verschiedenen Erwartungshaltungen der Kirchen den Besatzungsmächten und ihren Maßnahmen gegenüber. Bedingt sind diese u. a. durch den traditionellen Antikommunismus der Kirchen und die damit eng verbundene Gleichsetzung von bürgerlichen und christlichen Werten. In dieser Arbeit kann solchen Unterschiedlichkeiten und den sie mitbedingenden Faktoren nicht weiter nachgegangen werden, zumal die Schwierigkeiten innerhalb der E K D zwischen 1945 und 1948 ja nicht maßgeblich durch die Ost-West-Gegensätze bedingt waren. Die Hindernisse, die sich kirchlichen Vertretern in den Weg stellten beim Versuch, Kontakt miteinander aufzunehmen, diesen Kontakt durch Versammlungen und Zusammenkünfte zu stärken und durch Briefe und Schriften ein zuverlässiges Kommunikationssystem aufzubauen, waren typische Nachkriegshindernisse, die für alle galten: kein Benzin, keine Transportmittel, keine Postverbindungen, kein Papier und langwierige Formalitäten für Passierscheine. In vielen Briefen und Protokollen werden diese Behinderungen erwähnt. O f t werden sie als schwerwiegend empfunden, und immer wieder geben sie Anlaß zu Mißverständnissen und Verdächtigungen in der innerkirchlichen Diskussion. Hiervon abgesehen aber gab es, außer in den Entnazifizierungsfragen 1 7 in den Westzonen, keine ernsthaften Störungen im Verkehr der Besatzungsbehörden mit den Kirchenbehörden. Und General Clay konnte rückblickend mit Recht sagen: „ I n general the co-operation of church leaders with Military Government has been genuine and helpful."18 Im Urteil der Besatzungsbehörden hatten die Kirchen anderen Institutionen, Interessengruppen und Vereinigungen einiges Positives voraus: den Ruf, gegen Hitler und den Nationalsozialismus Widerstand geleistet zu haben, das Glück, noch über eine intakte Verwaltung zu verfügen und vielfältige, aus den ersten beiden Punkten sich herleitende Möglichkeiten, der Bevölkerung Orientierungshilfen und Halt zu geben. 1 6 Nach der Gründung der D D R begannen die systematischen antikirchlichen Vorstöße des Staates (vgl. BUND DER Ev. KIRCHEN IN DER D D R , S. 12 f.; H . - G . KOCH, Staat und Kirche, S. 45 ff.). 1 7 Allerdings sind die hiermit verbundenen Konflikte nicht als gering einzuschätzen, denn das Entnazifizierungsprogramm war zeitweise das Hauptanliegen amerikanischer Politik (vgl. H . ZINK, United States, S. 151). 1 8 L. D. CLAY, Decision, S. 304.

24

Richtlinien der Alliierten

Diese bevorzugte Stellung der Kirchen zu Beginn der Besatzungszeit wird in vielen Untersuchungen über diesen Zeitraum betont 1 9 . Auch in der zeitgenössischen kirchlichen Korrespondenz wird das Wohlwollen der Besatzungsmächte ausdrücklich erwähnt 2 0 .

19

W.

JOCHMANN,

Kirche,

S.

549;

Ο. H.

VON DER G A B L E N T Z ,

Reform,

S.

26;

J . FÜRSTENAU, E n t n a z i f i z i e r u n g , S . 3 5 ; D . K A H N , O f f i z i e r e , S . 8 4 , 9 3 ; ST. HERMAN, S . 1 0 6 ; H U S T E R U. a . , D e t e r m i n a n t e n , S . 2 1 6 . 2 0 Meiser an Steckelmann, Göttingen, vom 21. 7. 1945: „Wir haben hier zu der amerikanischen Militärregierung ein sehr gutes Verhältnis und erfahren durch sie viele freundliche Förderung unserer Arbeit" ( L K A NÜRNBERG, Meiser 120); Dibelius an Wurm vom 12. 6. 1945 über die Lage in Berlin: „Bisher sind auch von den Russen erstaunlich wenig Schwierigkeiten gekommen" ( O K R STUTTGART, Reg. Gen. 115 b); Wurm an alle Teilnehmer der Kirchenführertagung in Treysa vom 6. 8. 1945: „Sie können sich darauf berufen, daß Herr Botschafter Murphy im Hauptquartier in Frankfurt a. M. bei einem Empfang am 23. Juni ds. Js. mir in sehr freundlicher Weise die Hilfe und Unterstützung der amerikanischen Behörden für die Durchführung der Konferenz zugesagt hat" ( L K A

STUTTGART, D 1 / 2 0 9 ) .

Hans Meiser (1881-1956), 1933-1945 Landesbischof der Ev.-luth. Landeskirche in Bayern; 1945-1955 Mitglied des Rates der E K D , 1949-1955 Leitender Bischof der VELKD. Gustav Steckelmann (geb. 1906), Dr. jur., 1934 Mitarbeiter im Konsistorium Münster, 1940 OKonsRat, 1942 E O K Berlin, 1947 O L K R , 1949 O K R und hauptamtliches Mitglied der Kirchenleitung der Ev. Kirche von Westfalen. Otto Dibelius (1880-1967), Dr. phil, Lie. theol., 1925 Generalsup. der Kurmark, 1933 suspendiert, 1934-1945 Pfr. im Dienste der B K , 1945-1966 Bischof von Berlin, 1945 Mitglied und 1949-1961 Vorsitzender des Rates der E K D . Theophil Wurm (1868-1853), 1929 Kirchenpräsident und 1933-1949 Landesbischof der Ev.-luth. Landeskirche in Württemberg, 1945-1949 Vorsitzender des Rates der E K D .

Kapitel 2 E R S T E A K T I O N E N V O N K I R C H L I C H E R SEITE Z U R BILDUNG EINER VORLÄUFIGEN KIRCHENLEITUNG DER DEUTSCHEN EVANGELISCHEN KIRCHE

Gleich nach Kriegsende versuchten führende kirchliche Persönlichkeiten miteinander Kontakt aufzunehmen, um sich über eine vorläufige Kirchenleitung der D E K zu verständigen. Dabei sprachen diese nicht nur in ihrem eigenen Namen, sondern als Vertreter eines kirchlichen Amtes oder einer Institution. Den Quellen zufolge waren es Oberkonsistorialrat Brunotte von der Kirchenkanzlei der D E K , Landesbischof Marahrens, Hannover, und der württembergische Landesbischof Wurm, die aktiv und mit konkreten Vorstellungen für eine Ubergangslösung in der DEK-Kirchenleitungsfrage auftraten. Die vorliegenden Dokumente sind persönliche, durch Kurier überbrachte Briefe zwischen diesen Personen. Diese Briefe sollen im Hinblick auf folgende Fragen untersucht werden: 1. Wie wird die rechtliche Lage der D E K beurteilt? 2. Welche kirchlichen Aufgaben werden in der gegebenen Situation für vordringlich gehalten? 3. Welche Personen werden für kirchenleitende Funktionen vorgeschlagen?

Brunotte - Kirchenkanzlei der DEK Erste Initiativen gingen schon Ende April von der Kirchenkanzlei in der Person Brunottes aus. Unter dem 27. April 1945 richtete Brunotte von Stolberg aus, wo sich die Kirchenkanzlei der D E K seit Februar 1944 befand, ein Schreiben an die Militärregierung 1 . Er stellt darin die Kirchenkanzlei als arbeitsfähiges, gesäubertes2 Organ vor, das im Besitz 1 Brief, als Konzept bezeichnet, mit englischer Ubersetzung (AEKD, 047). Heinz Brunotte (geb. 1896), 1927 P. Hoyershausen, 1936 OKonsRat in der Kirchenkanzlei der D E K , 1946 O L K R im LKAmt Hannover, 1949-1965 Präsident der Kirchenkanzlei der EKD, bis 1963 zugleich Präsident des Lutherischen Kirchenamtes der VELKD. 2 „Den vom nationalsozialistischen Staate bestellten Kommissar für die kirchlichen

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Erste Aktionen von kirchlicher Seite

von wichtigen Akten aus der Zeit seit 1933 sei und über die Kasse der D E K verfüge. Außerdem führe die Kanzlei die Verwaltungsgeschäfte der D E K in Verbindung mit dem ζ. Z. unter der Leitung von Landesbischof D . Marahrens-Hannover stehenden „Geistlichen Vertrauensrat." Brunotte empfiehlt die Kirchenkanzlei und den Geistlichen Vertrauensrat somit als legitime Gesprächspartner für die Militärregierung: „ D a ich annehme, daß für die Fragen der zukünftigen Leitung der evangelischen Kirchen ein Beauftragter der Militärregierung eingesetzt ist, teile ich vorstehende Tatsachen mit und bitte um eine Besprechung mit dem Beauftragten." Diese Bitte wiederholt Brunotte in einem zweiten Brief vom 11. Juni 3 . Er fragt weiter an, ob eine neue Leitung für die D E K gebildet worden sei oder demnächst gebildet werden sollte und macht auf Wurm, Bodelschwingh und Marahrens als die „führenden Männer" der Kirche aufmerksam. Daß Brunotte sich die Bildung einer Kirchenleitung durch die Militärregierung vorstellen konnte, wird bestätigt durch einen Brief an Marahrens vom 23. Mai 1945, wo Brunotte davon spricht, daß eine provisorische Leitung der D E K auch durch „Bevollmächtigte der Militärregierung" gebildet werden könnte 4 . Die gewünschte Besprechung mit dem Beauftragten für kirchliche Angelegenheiten hat am 18. Juni mit Colonel Edward L. R. Elson, dem Chief-Chaplain der I X . Armee, stattgefunden 5 . In dem Gespräch ist von einer Absicht der Militärregierung, auch nur im mindesten aktiv in die Überlegungen zur Neubildung der Kirchenleitung einzugreifen oder gar selbst initiativ zu werden, nicht die Rede. Beides hätte den in der Direktive J C S 1143 dargelegten Prinzipien klar widersprochen. Die Besatzungsmacht beschränkte sich darauf, Bischof Wurms Vorbereitungen für die Kirchenkonferenz von Treysa durch Beschaffung eines Autos und Benzins und durch die Ausstellung von Passierscheinen zu ermöglichen 6 . Finanzen, D r . Cölle, Leiter der sog. ,Finanzabteilung', habe ich am 1.6. April 1945 seines Amtes enthoben und die einstweilige Verwaltung der Finanzen dem Oberkonsistorialrat D r . Steckelmann in Stolberg/Harz übertragen" ( A E K D , 047). Georg Cölle (geb. 1901) D r . jur., 1943 Leiter der Finanzabteilung der D E K . 3 A E K D , 047. 4 Ebd. Friedrich von Bodelschwingh (1877-1946), 1910 Leiter der Bodelschwinghschen Anstalten in Bethel, Mai/Juni 1933 Reichsbischof, führend in der B K . August Marahrens (1875-1950), 1925-1947 Landesbischof der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers. 5 H . BRUNOTTE, Grundordnung, S. 4. 6 H . BRUNOTTE formuliert als Ergebnis der Besprechung mit Reverend Elson: „ E i n e Kirchenführerkonferenz wurde in Aussicht gestellt, sobald das technisch möglich sein w ü r d e " (Kurs, S. 53).

Brunotte - Kirchenkanzlei der D E K

27

Die gesamtkirchliche Rechtslage stellt sich in den Briefen Brunottes vom Mai und Juni 1945 folgendermaßen dar: Da die 17. Durchführungsverordnung des Gesetzes zur Sicherung der Deutschen Evangelischen Kirche vom 10. Dezember 1937, durch die der damalige Reichskirchenminister die Leitung der D E K dem Leiter der Deutschen Evangelischen Kirchenkanzlei übertragen hatte, faktisch nicht mehr als geltendes Recht angesehen werden konnte, obwohl sie noch nicht aufgehoben war, waren auch die durch sie geschaffenen Organe und Ämter nicht mehr anzuerkennen. Der Geistliche Vertrauensrat fiel damit auch unter das Verdikt der nationalsozialistischen „Errungenschaften", da er ja von D r . Werner 7 berufen worden war. Aber auch wegen seiner Zusammensetzung war der Geistliche Vertrauensrat nach Brunottes Meinung nicht mehr tragbar. In dem erwähnten Schreiben vom 23. Mai 1945 bat er deshalb auch Marahrens, von seinem Plan, eine Sitzung des Geistlichen Vertrauensrats einzuberufen, Abstand zu nehmen. Damit war einzig die Kirchenkanzlei als gesamtkirchliche Behörde erhalten. Die Geschäfte hatte Brunotte vorläufig selbst in die Hand genommen. Da die Kirchenkanzlei nur Verwaltungsstelle war, blieb die möglichst schnelle Bildung einer Kirchenleitung für die D E K das vordringliche Ziel. Neben dem schon erwähnten Vorschlag, durch Bevollmächtigte der Militärregierung eine provisorische Kirchenleitung bilden zu lassen 8 , stand die Erwägung, die Leitungen der noch bestehenden Landeskirchen zusammenzurufen, um durch sie eine neue Leitung für die Übergangszeit wählen zu lassen. Allerdings meinte Brunotte, daß auch maßgebliche Kreise der Bekennenden Kirche beteiligt sein würden. O b diese mit Recht beteiligt sein würden und mit welchem Recht, bleibt in dem Schreiben vom 23. Mai offen. Wer aber als maßgebliche Kreise der Bekennenden Kirche gemeint war, wird aus dem darauf folgenden Satz deutlich: „Damit auch nach dieser Richtung etwas möglichst Brauchbares zustande kommt, würde es sehr nützlich sein, wenn H o c h 7 Friedrich Werner (1897-1955), Dr. jur., Rechtsanwalt, 1933 DC-Präsident des E O K Berlin, Präses der Generalsynode und des Kirchensenats der Ev. Kirche der APU, 1937 Präsident der Kirchenkanzlei der D E K . 8 1954 schrieb H. BRUNOTTE über diesen Zusammenhang: „Auch die immerhin naheliegende Möglichkeit, eine Ermächtigung einiger führender Kirchenmänner durch die Besatzungsmächte herbeizuführen, wurde von Anfang an abgewiesen . . . Nach den schweren Eingriffen des NS-Staates nach 1933 mußte die evangelische Kirche doppelt sorgfältig sein, um auch den Schein zu vermeiden, als habe eine deutsche oder nun gar ausländische staatliche Macht das Recht, kirchliche Ordnung zu setzen. Eine Bemühung der Besatzungsmächte hätte bei deren wohlwollender Grundhaltung zur Kirche im Jahre 1945 durchaus Erfolg versprochen. Es ist aber zu begrüßen, daß die Kirche damals dieser Versuchung nicht erlegen ist und damit auch für einen kommenden deutschen Staat eindeutig an ihrer in der Reichsverfassung von Weimar 1919 festgelegten Autonomie festgehalten hat" (Grundordnung, S. 16).

Erste Aktionen von kirchlicher Seite

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würden möglichst bald Fühlung aufnehmen könnten mit Herrn Landesbischof Wurm einerseits und Herrn Pastor D. Bodelschwingh oder Herrn Präses D. Koch in Westfalen." 9 Die bruderrätliche Bekennende Kirche und damit das auf der Bekenntnissynode der D E K in Dahlem 1934 proklamierte kirchliche Notrecht spielten demnach in Brunottes Überlegungen zur Rechtslage der D E K keine Rolle.

Marahrens -

Kirchenführerkonferenz

Sicherlich durch Brunottes Bitte bestärkt, richtete Marahrens am 31. Mai 1945 als dienstältester Landesbischof ein Schreiben an seine Amtsbrüder 10 . In einem Abschnitt über das „Geschick der D E K " teilt er die Maßnahmen Brunottes in der Kirchenkanzlei mit. Auch in der Beurteilung der Rechtslage schließt er sich an Brunotte an. Dem Geistlichen Vertrauensrat, den Marahrens vorher noch als legitimes DEK-Organ angesehen hatte, bescheinigt er jetzt, daß er „ins Besondere wegen seiner Berufung durch Dr. Werner auch nicht weiter in Betracht kommt". Er schlägt daher vor, die neue Leitung der D E K , soweit möglich, in Anlehnung an die Bestimmungen der Verfassung vom 11. Juli 1933 zu schaffen 11 . Danach wäre die Konferenz der im leitenden Amt stehenden Landeskirchenführer das zuständige Organ 1 2 . „In meiner Eigenschaft Brief an Marahrens vom 23. 5. 1945 ( A E K D , 047). Karl Koch (1876-1951), 1927 Sup. des Kirchenkreises Vlotho in Bad Oeynhausen und Präses der westfälischen Provinzialsynode, nach 1934 Präses der westfälischen, der altpreußischen und der Bekenntnissynode der D E K , 1945-1949 Vorsitzender der Kirchenleitung der Ev. Kirche von Westfalen. 9

10

L K A STUTTGART, D

1/208.

Vgl. auch den Lagebericht Kloppenburgs an Wurm vom 4. 7. 1945: „ I n der vorigen Woche war Marahrens hier. In Hannover ist offenbar alles so geblieben wie es war. Die Kirchenkanzlei steht unter Leitung von Brunotte und ist in Göttingen. Gegen Marahrens' Vorschlag der Neubildung der D E K habe ich stärkste Bedenken bei ihm selber angemeldet. Wenn man die Dinge so restaurativ macht, wird das Erbe der Bekennenden Kirche einfach vertan" ( L K A STUTTGART, D 1/209). 11

Heinz Kloppenburg (geb. 1903), 1932 Pfr. Wilhelmshaven, nach 1933 in leitenden Ämtern der B K , 1944-1953 O K R Oldenburg. 1 2 In der Verfassung der D E K vom 11. Juli 1933 ist eine Konferenz der im leitenden Amt stehenden Kirchenführer nicht vorgesehen. Es ist lediglich davon die Rede, daß sich der Reichsbischof in bestimmten Fragen mit den „führenden Amtsträgern der Landeskirchen" zu beraten habe. Marahrens' Hinweis auf die Vorschriften der Verfassung bezieht sich, wie aus dem Zusammenhang deutlich wird, auf die Entscheidung der nicht deutschchristlichen Kirchenführer vom 2./3. 4. 1937, als sich in Abwehr gegen die Bestimmungen der 13. D V O vom 10. 3. 1937 die Führer „der auf dem Boden des Artikel 1 der Verfassung der Deutschen Evangelischen Kirche [das heißt der Grundlage des Evangeliums von Jesus Christus] stehenden Landeskirchen" zusammengeschlossen hatten (H. HERMELINK, Kirche S. 393).

Marahrens - Kirchenführerkonferenz

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als dienstältester Landesbischof fühle ich mich verpflichtet, für das Zustandekommen einer solchen provisorischen Leitung der D E K durch alsbaldige Einberufung der Kirchenführerkonferenz die erforderliche Mithilfe zu leisten. Es darf nicht um Personen, sondern in dieser Stunde allein um die Sache gehen." Da es in der derzeitigen politischen Situation unmöglich schien, alle Kirchenführer zusammenzubringen, sollte der engere Ausschuß (Wurm, Hollweg, Marahrens als Vorsitzender) 1 3 zusammenkommen, um Vorschläge für eine Kirchenleitung zu beraten, die dann den Mitgliedern der Kirchenführerkonferenz zur schriftlichen Abstimmung zugeleitet werden sollten. Marahrens' eigener Vorschlag für eine Kirchenleitung war ein Fünfergremium, bestehend aus Wurm als dem dem Lebensalter nach ältestem Bischof, Hollweg als dem Vertreter der reformierten Kirchen, Meiser als dem Vorsitzenden des Lutherrates, Mitzenheim aus Eisenach (P. Beste aus Neubukow) und einem „jüngeren Bruder" aus Westfalen ,,auf Grund einer Berufung durch Präses D . Koch und D . von Bodelschwingh" 1 4 . Bei den letzten beiden Vorschlägen begründete Marahrens seine Wahl nicht. Zu vermuten ist, daß Mitzenheim bzw. Beste als Vertreter der Kirchen in der Ostzone und der „jüngere Bruder" aus Westfalen als Vertreter der Bruderräte der Bekennenden Kirche ausgewählt wurden. Zu beachten ist aber im letzten Fall die Einschränkung, die in der Berufung durch Koch und Bodelschwingh liegt. O b w o h l die Kriterien für die Auswahl der fünf Männer nicht ganz einsichtig gemacht sind, scheinen sie immerhin einem kirchenpolitischen Proporzdenken verpflichtet zu sein, unter Ausschaltung der eigentlichen Organe der Bekennenden Kirche. In Marahrens' eigenen Worten sollten allerdings allein theologische Kriterien bei der Bildung einer Kirchenlei-

1 3 Am 3 . 4 . 1937 war von der Kirchenführerkonferenz gleich ein bevollmächtigter Ausschuß gebildet worden, bestehend aus Landesbischof Wurm, Präses ZimmermannBerlin (Mitglied des altpreußischen Landeskirchenausschusses), Landessuperintendent der Ev.-reformierten Landeskirche der Provinz Hannover D. Dr. Hollweg und Landesbischof Marahrens, der den Vorsitz innehatte (vgl. ebd.; KJ 1933-1944, S. 176).

Walter Hollweg (1883-1974), Dr. phil., 1927-1951 Landessup. der Ev.-ref. Kirche in Nordwestdeutschland, 1939 zugleich Präsident des Ev.-ref. Landeskirchenrats Aurich. Richard Zimmermann (1877-1945), 1921 Vereinsgeistlicher der Inneren Mission Berlin, 1927 Sup. Berlin, 1936 Präses der Berliner Stadtsynode. 1 4 Niklot Beste (geb. 1901), 1932 Pfr. für Volksmission Schwerin, 1933 Pfr. Neubukow, 1933-1945 Vorsitzender des Bruderrates der BK Mecklenburgs, 1946-1971 Landesbischof der Ev.-Luth. Landeskirche Mecklenburgs, 1961-1967 Mitglied des Rates der E K D , 1968-1969 Vorsitzender der Konferenz der evangelischen Kirchenleitungen in der DDR, 1968-1971 Leitender Bischof der V E L K / D D R . Moritz Mitzenheim (1891-1977), 1945-1970 Landesbischof der Ev.-luth. Landeskirche in Thüringen, 1955-1960 Mitglied des Rates der EKD.

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Erste Aktionen von kirchlicher Seite

tung maßgeblich sein, denn er schließt seinen Brief mit der Hoffnung, daß die provisorische Leitung „das Vertrauen aller derer findet, die im Laufe der letzten Jahre - sei es in der Leitung der Kirchen, sei es in der Opposition gegen bekenntniswidrige Kirchenleitungen - das Anliegen der echten Kirche vertreten haben". Marahrens bezieht Verpflichtung und Legitimation seines Handelns aus einer recht widersprüchlichen Abwehrreaktion der „intakten" Kirchen vom April 1937. Durch die 13. Durchführungsverordnung des Reichskirchenministers vom 20. März 1937, die den Kirchenleitungen nur noch das Recht zur Führung der laufenden Geschäfte zuerkannt hatte, war allen Kirchenleitungen die kirchliche Handlungsfreiheit beschnitten worden. Die Kirchenführer der drei großen Kirchen von Bayern, Hannover und Württemberg hatten sich zusammen mit einigen kleinen Landeskirchen durch diesen Angriff auf ihre Rechtmäßigkeit veranlaßt gesehen, sich zur gemeinsamen Abwehr dieser Verordnung zusammenzuschließen. Als Gegenmaßnahme zu der durch die 13. Durchführungsverordnung verfügten Beauftragung des Präsidenten der Kirchenkanzlei mit der Bearbeitung der laufenden Verwaltungsangelegenheiten der D E K wurde von den Kirchenführern ein Ausschuß gebildet, der als kirchenleitendes Gremium der D E K mit einem eigenen Sekretariat in Berlin fungieren sollte. Man begriff den Zusammenschluß und die Einsetzung des Ausschusses als notrechtliche Maßnahme, zu der man sich durch Artikel 1 der Verfassung verpflichtet fühlte. Bedenklich ist an dieser „Notkonstruktion" 1 5 unter anderem, daß Mitglieder von Landeskirchenausschüssen beteiligt waren, die ihr Amt gerade auf Grund staatlicher Rechtssetzung und staatlicher Berufung innehatten 16 . Während Marahrens sich auf sein Dienstalter und eine rein formale Autorität berufen mußte, konnte Wurm bei seinen Schritten sich ganz auf seine persönliche Autorität stützen.

Wurm -

Einigungswerk

Als Landesbischof Wurm am 28. Juni in einem Schreiben „ A n die Leitungen der evangelischen Landeskirchen in Deutschland" 1 7 von sei-

1 5 Terminus von Wurm in seinem Schreiben an Marahrens vom 8. 7. 1945 (vgl. unten Anm. 26). 1 6 Die Wahrung der Legalität war für die Kirchenführerkonferenz ein besonderes Anliegen. Bruderräte waren ausgeschlossen. Trotz dieses Entgegenkommens erhielt das Gremium keine staatliche Anerkennung. 1 7 L K A STUTTGART, D 1/208 (Abschrift).

Wurm - Einigungswerk

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ner Reise nach Bethel berichtete 18 und den Vorschlag unterbreitete, bald eine „Zusammenkunft der Kirchenführer und der wichtigsten Sachbearbeiter der Landeskirchenämter" einzuberufen, konnte er sich nicht nur auf eine breite Basis der Zustimmung innerhalb der evangelischen Kirche stützen 1 9 , sondern ebenso auf das Einigungswerk 20 . Wurm stellt seinem Reisebericht zwei ihn legitimierende Faktoren und eine Liste derjenigen Männer voran, die sein Unternehmen ausdrücklich billigen: „Als der dem Lebensalter nach älteste Bischof zugleich im Namen des vor drei Jahren begonnenen kirchlichen Eini1 8 An der Vorbereitung der Reise waren die Brüder Eberhard und Bernhard Müller maßgeblich beteiligt (vgl. auch A. BOYENS, Kirchenpolitik, S. 90). Bernhard Müller, der 11 Jahre in den Vereinigten Staaten gelebt hatte, war aufgrund seiner Sprachkenntnisse als Kontaktmann zu den Alliierten besonders geeignet. Als es ihm und seinem Bruder Eberhard Müller gelungen war, in der Angelegenheit der Kriegsgefangenenseelsorge ins Alliierte Hauptquartier in Frankfurt vorzustoßen, nahmen sie die Gelegenheit wahr und beantragten für Bischof Wurm zwei Autos, um diesem eine Reise durch einige Landeskirchen zu ermöglichen. Da die Brüder Müller zu diesem Schritt nicht ausdrücklich von Wurm aufgefordert worden waren, mußten sie nachträglich das offizielle Einverständnis von Wurm einholen. Als Motiv für diese Initiative gab Eberhard Müller in einem Brief an die Verf. vom 10. 8. 1973 an: „ W i r wußten vielmehr, daß Bischof Wurm als der Vorsitzende der Vorläufigen Leitung der Bekennenden Kirche nach Wegen suchte, wie er mit anderen Landeskirchen in Verbindung kommen könnte. Es gab ja bis zum Herbst 1945 keinerlei Kommunikationsmöglichkeit unter Deutschen, weder Post, noch Telegramm noch Telefon." In den zwei Autos, die Wurm zur Verfügung gestellt worden waren, fuhren außer Wurm und seiner Frau Oberkirchenrat Pressel, H . Thielicke, Eberhard Müller und Manfred Müller mit. - In einem Gespräch mit der Verf. am 10. 3. 1976 konnte sich Manfred Müller nicht mehr erinnern, inwieweit die Kirchenkonferenz schon auf der Hinreise nach Bethel von Wurm konzipiert worden war, meinte aber, daß erst das Gespräch mit Bodelschwingh hier zu Entscheidungen geführt habe.

Eberhard Müller (geb. 1906), Dr. theol., 1938 Studentenpfr. Tübingen, 1945 Gründer und bis 1971 Leiter der Ev. Akademie Bad Boll. Manfred Müller (geb. 1903), Dr. phil., 1934 Landesjugendpfr. in Württemberg, 1947 O K R Stuttgart. Wilhelm Pressel (geb. 1895), 1933-1945 O K R Stuttgart, 1945 Leiter des Hilfswerks der E K D in Württemberg, 1950-1960 Krankenhauspfr. Stuttgart. Helmut Thielicke (geb. 1908), Dr. theol., Dr. phil., 1936 Privatdozent Erlangen, 1940 Pfr. Ravensburg, 1942-1945 Leiter des Theol. Amtes der Ev.-luth. Landeskirche in Württemberg, 1945 Prof. für Systematische Theologie Tübingen, 1954 Hamburg. 1 9 Kloppenburg an Wurm vom 4. 7. 1945: „ U n d lassen Sie mich am Anfang dieses Briefes das aussprechen, was mich in den letzten Monaten immer bewegt hat: die große Hoffnung, daß Gott Sie persönlich und Ihre Kirche so durch die Erschütterungen der letzten Monate geführt hat und Sie vor allem Übel bewahrt hat, daß Ihr bischöfliches Amt für Ihre Kirche und für die ganze Christenheit in Deutschland sich nun voll entfalten kann" ( L K A STUTTGART, D 1/209). 2 0 Am 9. 6. 1945 hatte Bodelschwingh Wurm gebeten, doch bald den noch erreichbaren Teil der Männer und Frauen seines Einigungswerkes um sich zu versammeln, um an einem stillen Ort und in Ruhe die Zukunft der D E K zu besprechen, die „unter völlig veränderten Verhältnissen" an den Neuaufbau ihrer kirchlichen Arbeit gehen müsse ( L K A STUTTGART, D 1/208).

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Erste Aktionen von kirchlicher Seite

gungswerkes, zuletzt noch ausdrücklich aufgefordert von den Brüdern von Bodelschwingh 21 und Präses Koch 2 2 und unter Zustimmung von Pastor Asmussen 23 habe ich in den letzten Tagen versucht, zunächst einmal die Fühlung zwischen den Kirchen herzustellen, die in dem von den Westmächten besetzten Gebiete liegen." Das Einigungswerk war zwar während des Dritten Reiches nicht zum Ziel gekommen und damit eigentlich gescheitert, steht aber dennoch für den Versuch, mit einem kirchlich verantwortlichen, wenn auch sehr weit gefaßten Programm eine gesamtkirchliche Einheit zu schaffen; alle maßgeblichen Gruppen innerhalb der Bekennenden Kirche haben dieses "Werk auch unterstützt. Hinzukommt, daß Wurm, als er nach 1941 immer deutlicher öffentlich gegen die nationalsozialistische Politik auftrat, dies auch als Führer des Einigungswerkes tat und damit seiner Einigungsaktion im kirchenpolitischen System der 40er Jahre einen Stellenwert zuwies, der die Abkehr der Kirche von ihrer unmittelbaren Vergangenheit beinhaltete. Wurm hält sich in dem Schreiben an die Kirchenführer vom 28. Juni mit Äußerungen über Neuordnungsvorstellungen zurück, denn seine Aufgabe sei es lediglich, Fühlung zwischen den Kirchen aufzunehmen und eine Konferenz vorzubereiten. Erst diese Konferenz kann der Ort sein, wo ,,in gemeinsamer Besinnung" die zukünftige Ordnung der DEK geklärt und Entscheidungen getroffen werden. Die durch die Auswahl der Konferenzteilnehmer schon vorweggenommene Entscheidung wird hier von Wurm wohl nicht als Problem gesehen. Eine für die rechtliche Lage der Kirche entscheidende Frage sei 21 Bodelschwingh war neben Wurm die kirchliche Persönlichkeit mit dem größten Ansehen. Nicht umsonst wurde er, genau wie Wurm, von Laien und Theologen dazu aufgefordert, ein kirchliches Wort zur Lage des Volkes zu sprechen. Vgl. ζ. B. in dem Brief O . Webers an Brunotte vom 7. 9. 1945 den Entwurf von Weber „ z u r Bitte an Pastor D. von Bodelschwingh", in dem Weber die wesentlichen inhaltlichen Momente eines solchen richtungsweisenden Wortes skizziert, das „ein Wort der Buße" sein müsse. Zur Begründung folgen dann Punkte, die im Stuttgarter Schuldbekenntnis ganz ähnlich wiederkehren (AEKD, 047). O t t o Weber (1902-1966), Dr. theol., 1930 Direktor der Theol. Schule Elberfeld, 1933 ref. Mitglied des Geistl. Ministeriums der DEK, 1934 Prof. für Reformierte Theologie in Göttingen. 22 Koch war zu dieser Zeit schon wieder Präses der Vorläufigen Kirchenleitung von Westfalen. In dem Titel klingt sein Amt als Präses der vier Bekenntnissynoden der DEK an. 23 Hans Asmussen war stellvertretender Vorsitzender der Konferenz der Landesbruderräte, die während des Krieges unter Kloppenburgs Vorsitz die Funktion des Reichsbruderrates übernommen hatte. Hans Asmussen (1898-1968), 1932 Pfr. Altona, 1933 suspendiert, 1934-1945 Mitarbeiter in den Leitungsgremien der BK, 1945-1948 Präsident der Kirchenkanzlei der EKD, 1948-1955 Propst Kiel; 1945-1949 Mitglied des Rates der EKD.

Wurm - Einigungswerk

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allerdings durch den „ G a n g der Ereignisse" bereits entschieden, nämlich die Frage der Befreiung der Kirche von staatlicher Bevormundung. Wurm spricht zu dieser Zeit sogar von einem Freiheitsraum, den die Kirche vorher in Deutschland nie in vollem Umfang gehabt habe. Wenn eine solche Aussage eines führenden Kirchenmannes nur wenige Wochen nach der totalen Niederlage und der Besetzung Deutschlands durch die Siegermächte etwas seltsam anmutet, so muß man bedenken, daß die Potsdamer Beschlüsse erst im August 1945 gefaßt wurden und daß keine offiziellen Richtlinien bekannt waren außer der Direktive J C S 1143 der Amerikaner, die ja Freiheit für die Kirchen garantierte. Wahrscheinlich stützte Wurm sich ganz allgemein auf die alliierte Kriegspropaganda, auf Gespräche mit Offizieren der Kirchenabteilungen und auf die Erfahrungen der vorangegangenen Wochen. Denn in mehreren Kirchengebieten, sowohl in der Ostzone als auch in den Westzonen, waren ohne Einmischung der Besatzungsbehörden die deutsch-christlichen Kirchenleitungen durch bekenntnisbestimmte Leitungen ersetzt worden 2 4 . Auch für die Gesamtheit der evangelischen Kirche gelte es nun, so Wurm, die Verpflichtungen aus der neugeschenkten Freiheit einzulösen, nämlich „sich eine Ordnung zu geben, die einzig und allein durch den ihr gegebenen Auftrag bestimmt ist". Die Kirche habe „alles so einzurichten, daß es dem Auftrag dient, das in Christus uns geschenkte Heil der Welt in Wort und Tat zu verkündigen". Wurm bezieht sich hier in seiner Betonung der Abhängigkeit der Ordnung vom Auftrag der Kirche auf zentrale Aussagen der Bekenntnissynode von Barmen 1934 2 5 . Am 8. Juli 1945 beantwortete Wurm Marahrens' Schreiben vom 31. Mai 2 6 . D a es sich hier um einen persönlichen Brief handelte, konnte Wurm ohne Einschränkungen seine eigenen Gedanken zur Neuordnung der D E K aussprechen. Außerdem enthielt Marahrens' Brief viele Äußerungen über die rechtliche Lage, die Antwort und Klarstellung verlangten. Wurm lehnt Marahrens' Ansatzpunkt, von der Verfassung der D E K 2 4 Vgl. den Brief Freudenbergs an Jannasch vom 25. 7. 1945 über seine Reise durch Deutschland: „Überall in allen Zonen, wohl auch in der russischen lassen die Besatzungsmächte den Kirchen zunächst volle Freiheit ihre Angelegenheiten zu ordnen und auch die Säuberung vorzunehmen" (Kopie des Briefes von W . Niemöller). Adolf Freudenberg (1894-1977), Dr. jur., 1939-1947 Sekretär des ökumenischen Komittees für Flüchtlingsdienst beim Ö R K , 1948-1960 Pfr. Bad Vilbel-Heilsberg. Wilhelm Jannasch (1888-1966), Dr. theol., 1922 Hauptpastor Lübeck, 1934 Zwangspensionierung, 1936-1945 Pfr. im Dienst der BK, 1945 Mitglied der Kirchenleitung der Ev. Kirche Berlin-Brandenburg, 1946-1956 Prof. für Praktische Theologie Mainz. 2 5 Vgl. ζ. B. These 3 der Theologischen Erklärung und Satz 3 der Erklärung zur Rechtslage. 2 6 Von Wurm selbst korrigierter Entwurf des Schreibens ( O K R STUTTGART, Reg. Gen. 115 b).

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Erste Aktionen von kirchlicher Seite

auszugehen, gänzlich ab. Er ist vielmehr der Ansicht, man solle die Verfassung der DEK behandeln, als ob sie nicht mehr in Kraft sei. Die offizielle Rücknahme durch die Landeskirchen sei sicher keine Schwierigkeit. Zu viele Bestimmungen dieser Verfassung seien entweder rechtsungültig, unzulänglich oder in der Zwischenzeit als untragbar erkannt. Statt einer weitgehenden Revision werde es besser sein, „wenn wir uns nun auch einmal als Kirche ,im rechtsfreien Raum stehend' betrachten, wenn wir die zum erstenmal seit 400 Jahren der evangelischen Kirche gegebene Möglichkeit, ohne Bindung durch staatliche Vorschriften und staatliche Mächte kirchliches Recht zu schaffen rein aus den Bedürfnissen und Notwendigkeiten evangelischer Kirchengestaltung heraus entschieden und gewissenhaft wahrnehmen" 2 7 . Drei Punkte führt Wurm noch an, die nach seiner Meinung bei der Schaffung einer Kirchenleitung beachtet werden sollten: 1. Der neue Zusammenschluß sollte einen mehr föderativen Charakter tragen, was aber schon dadurch gegeben sei, daß der Zusammenschluß der bekenntnisgleichen und bekenntnisverwandten Kirchen ermöglicht werde. 2. Trotz dieser föderalistischen Struktur sollte aber, mindestens für die Ubergangszeit, die Leitung der Kirche mit gewissen Vollmachten ausgestattet werden, Vollmachten vor allem im Verhältnis zum Staat 28 . 3. Die entscheidende Voraussetzung aber für ein einträgliches Verhältnis der Kirche zum Staat sei, daß wir „keinen Zweifel darüber lassen, daß wir uns als Kirche von Schwächen und Fehlern der Vergangenheit völlig frei gemacht haben". Wurm nennt dann zwei Äußerungen, die von Marahrens mitabgegeben wurden und die in einem „Wort der Buße" berücksichtigt werden müßten, nämlich die „unglückselige Erklärung im Sommer 1939" und „ I h r Eintreten für eine von allen Sentimentalitäten freie totale Kriegs-

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In einem Brief an Brunotte vom 21. 7. 1945 schrieb Meiser über den künftigen Zusammenschluß, der von ganz neuer Art sein werde, da die Landeskirchen durch den Wegfall der D E K ihre Selbständigkeit wiedergewonnen hätten: „ E s wird nur schwierig sein, eine Form des Zusammenschlusses zu finden, welche die Fehler der Verfassung der DEK von 1933 vermeidet und doch den Zusammenschluß zu einem wirksamen macht. Auf jeden Fall werden wir von Seiten der lutherischen Kirche verlangen müssen, daß der Bekenntnisfrage ein größeres Gewicht für die Gestaltung des Zusammenschlusses beigelegt wird, als es in der Verfassung von 1933 der Fall ist" (LKA NÜRNBERG, Meiser 120). 28 In einem Brief an Beckmann vom 24. 7. 1945 begründete Wurm diese Notwendigkeit von Vollmachten: ,,. . . besonders auch im Blick auf die uns versprochene Hilfsaktion des kirchlichen Auslands, auch im Blick auf solche Landeskirchen, die zu sehr in Restaurationsgedanken sich bewegen" (LKA STUTTGART, D 1/209). Joachim Beckmann (geb. 1901), Dr. phil, 1933 Pfr. Düsseldorf, 1933-1945 in leitenden Ämtern der BK, 1945 Mitglied der Kirchenleitung, 1958-1971 Präses der Ev. Kirche im Rheinland, 1951 Prof. Kirchl. Hochschule Wuppertal, 1961 Honorarprof. Bonn, 1967-1972 Mitglied des Rates der Ε KD.

Wurm - Einigungswerk

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führung" 2 9 . Wurm bittet Marahrens, noch vor dem Zusammentritt der Konferenz oder wenigstens während dieser, eine entsprechende Erklärung abzugeben, da ein solcher Schritt „den weiteren Gang der Dinge sicherlich fördern" würde 3 0 . Adressaten einer solchen „Schulderklärung" sind aber nicht nur das Ausland und die Kirchen des Auslandes, sondern auch bestimmte Gruppen innerhalb der Deutschen Evangelischen Kirche, ζ. B. die Bekennende Kirche und die württembergische Sozietät: „Es kommt jetzt viel darauf an, daß das, was ich schon lang versuchte, verwirklicht wird und die BK in ihren verantwortlichen Vertretern mit in die Leitung der kirchlichen Dinge eintritt. Sie ist dazu auch bereit, auch Niemöller, der uns bei dem unverhofften Zusammentreffen in Frankfurt einen ruhigen abgeklärten Eindruck machte." Der Sozietät gegenüber, „die sich schon wieder kräftig regt", verfolgt Wurm das Ziel, ihr keinen Anlaß zur Kritik zu bieten. Deshalb müsse man alles unterlassen, was diese Opposition in ihrem Argument bestärkt, es würde „alte Kirche" gebaut, es ginge lediglich um Restauration. Wurm denkt hier sicherlich nur an eine persönliche Schulderklärung von Marahrens, allerdings mit der Konsequenz des Rücktritts verbunden 3 1 . Die in dem Brief erwähnte Bereitschaft Martin Niemöllers 32 , „mit in 2 9 Gemeint sind die Godesberger Erklärung in neuer Fassung vom 26. 5. 1939, unterschrieben von Marahrens, Bischof Johnsen, Pfarrer Happich (vgl. H . HERMELINK, Kirche, S. 478; KJ 1933-1944, S. 290 ff. und der Wochenbrief Marahrens' vom 20. 7. 1943: „Wir stehen in einem unseren ganzen Einsatz fordernden Krieg, und dieser Krieg muß in unbeirrbarer Hingabe frei von aller Sentimentalität geführt werden" (G. SCHÄFER, Wurm, S. 325). Friedrich Happich (1883-1951), 1923-1951 Vorsteher des Brüderhauses und Direktor der Anstalten Hephata in Treysa, 1935 Vorsitzender des Landeskirchenausschusses der Ev. Kirche von Kurhessen-Waldeck. Helmut Johnsen (1891-1947), Dr. phil., 1929 Hauptpastor Lübeck, 1934 DC-Landesbischof der Braunschweigischen Ev.-luth. Landeskirche. 30 Wurm schickte eine Abschrift dieses Briefes an Meiser und fügte auf dem Briefkopf handschriftlich hinzu: „Herrn Landesbischof D. Meiser zur Kenntnisnahme und mit der Bitte, in derselben Richtung auf M. einzuwirken" (LKA NÜRNBERG, Meiser 121). 3 1 Vgl. auch den Brief Freudenbergs an Jannasch vom 25. 7. 1945 (vgl. Anm. 24): „Ich war auch mit D. Wurm zusammen und froh zu sehen, wie er sich für den Neuaufbau der D.E.K, verantwortlich weiß. So war er sich ganz darüber klar, daß Marahrens verschwinden müsse, natürlich auch Heckel (über den doch die Akten geschlossen sein dürften). Marahrens' baldiger Sturz ist für die Glaubwürdigkeit der Deutschen Evangelischen Kirche von gerade/u ökumenischer Bedeutung." Zum Fall Marahrens s. u. S. 103f. Theodor Heckel (1894-1967), 1928 OKonsRat im Kirchenbundesamt, 1934-1945 Leiter des Kirchlichen Außenamtes der DEK (Bischof), 1939 Leiter des Ev. Hilfswerks für Kriegsgefangene und Internierte, 1950 Dekan in München. 32 Martin Niemöller (geb. 1892), 1931 Pfr. Berlin-Dahlem, 1933 Gründer des Pfarrernotbundes und bis 1937 führend in der BK, 1938-1945 in KZ-Haft, 1945-1956 Mitglied des

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Erste Aktionen von kirchlicher Seite

die Leitung der kirchlichen Dinge" einzutreten, war sicherlich ebenso unbestreitbar wie Wurms Uberzeugung, daß der Bekennenden Kirche diese Aufgabe zustehe, was ihn durchaus von anderen Männern in vergleichbaren Ämtern unterschied. Wie diese Leitung gebildet und wer an ihr beteiligt werden sollte, waren allerdings noch offene Fragen. Da Wurm dabei von seinen Erfahrungen im Einigungswerk ausging, Niemöller dagegen von den Entscheidungen der Bekenntnissynode in Dahlem 1934, brachen die Gegensätze an dieser Frage zwischen Wurm und Niemöller noch vor der Konferenz von Treysa auf. Niemöller kritisierte den Stil der Vorbereitungen, bestimmte Formulierungen des Einladungsschreibens, das Zustandekommen der Tagesordnung, die Auswahl der Redner und die Bezeichnung der Konferenz. Die Auseinandersetzungen weiteten sich aus zu einer grundsätzlichen Diskussion über den Weg der Deutschen Evangelischen Kirche.

Rates der EKD und Leiter des Kirchl. Außenamtes, 1947-1964 Kirchenpräsident der Ev. Kirche in Hessen und Nassau.

Kapitel 3 DIE VORBEREITUNGEN FÜR DIE K O N F E R E N Z V O N TREYSA

Martin Niemöllers Kritik am Einladungsschreiben Tagesordnung

und an der

Am 25. Juli 1945 verschickte 1 Wurm als Landesbischof der württembergischen Landeskirche von Stuttgart aus die Einladungen zur „ K o n f e renz der evangelischen Kirchenführer" in Treysa bei Kassel 2 . Wie aus der Bezeichnung der Konferenz als „Kirchenführerkonferenz" hervorgeht, ist diese Einladung an die Leitungen der Landeskirchen gerichtet. Wurm selbst wird als der älteste evangelische Bischof und als der Führer des Einigungswerks den Vorsitz bei dieser Konferenz führen. Die Einladung geht von ihm aus „ i m Einverständnis mit Herrn Landesbischof D . Meiser, Pastor D. von Bodelschwingh, Präses Koch und anderen führenden Männern und Brüdern in der Evangelischen Kirche in Deutschland". In dem Brief aus Bethel vom 28. Juni hatte Wurm Asmussen noch namentlich mitangeführt. Jetzt ist der Name Asmussen wohl unter die „anderen führenden Männer und Brüder" subsumiert worden, was so viel wie gestrichen bedeutet. Warum gerade Asmussens Name? Weil hinter ihm weder eine Landeskirche noch eine vergleichbare, anerkannte Größe stand? Ist Asmussen als einfacher Pastor und nur mit Ämtern der bruderrätlichen Bekennenden Kirche ausgestattet, nicht repräsentativ genug und nicht berechtigt, Kirchenführer miteinzuladen? Wenn Asmussens Name bewußt nicht wieder in die Liste der Einladenden aufgenommen wurde, dann wird damit Niemöllers Verdacht der Ausschaltung der Bekennenden Kirche gestützt; geschah die Streichung zufällig, dann liegt darin eine Mißachtung der Vergangenheit und eine unentschuldbare Gedankenlosigkeit. Den Hauptteil des Einladungsschreibens nehmen die Anweisungen 1

Die Einladungen wurden von Bernhard Müller ausgetragen. Dieser machte Ende Juli eine Informationsreise zur Erkundung der wirtschaftlichen Lage in den westlichen Zonen bis nach Kiel hinauf und verteilte bei dieser Gelegenheit neben anderer Post Einladungsschreiben mit dem Vermerk „Persönlich" an etwa ein Dutzend führender Kirchenmänner (Information während eines Gespräches mit der Verf. am 10. 3. 1976). 2

L K A STUTTGART, D 1 / 2 0 9 .

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Vorbereitungen für die Konferenz von Treysa

für die technische Durchführung der Anreise und Anmeldung ein: Pässe, Zulassung für ein Auto, Benzin, Adressen der zuständigen Militärbehörden. Als Beilage ist dem Schreiben die „Vorläufige Tagesordnung" zugefügt. Vorläufig, da einmal die Berichterstatter noch nicht endgültig feststehen und da zweitens „wichtige Anträge irgendwelcher A r t " Wurm noch zugeleitet werden können. Das Zustandekommen der Tagesordnung ist unklar, sowohl in bezug auf die Auswahl der Redner als auch in bezug auf die Auswahl der „Gegenstände der Beratung". Niemöller ist jedenfalls nicht gefragt worden, ob er bereit sei, den Eröffnungsgottesdienst am Montagabend, den 27. August zu halten, wie aus seinem Brief an Wurm vom 5. August 1945 hervorgeht 3 . D a die Redner hauptsächlich aus dem Bereich der württembergischen Landeskirche kommen 4 , kann man annehmen, daß Wurm von Stuttgart aus mit den erreichbaren Männern den Ablauf der Konferenz besprochen hatte 5 . Sowohl diese Tagesordnung als auch die Formulierungen des Einladungsschreibens wurden von Niemöller scharf kritisiert. Er interpretierte sie nicht als Formfehler, sondern sah in ihnen Programmpunkte der zukünftigen evangelischen Kirche in Deutschland. Sie waren für ihn der Anstoß, den Reichsbruderrat nach Frankfurt zusammenzurufen, um die, wie er meinte, neue Lage zu diskutieren. Durch Pfarrer Fricke, Frankfurt, ließ er Ende Juli 1945 die Einladungen zu einer „ T a g u n g der Bekennenden Kirche" in der Zeit vom 21. bis zum 23. August versenden 6 . Diese Entscheidung Niemöllers ist von Wurm, und er ist hier Hauptbeteiligter und auch Hauptverantwortlicher, da er die Einladung nach Treysa unterschrieben hatte, als berechtigte Maßnahme akzeptiert worden. Denn Wurm anerkannte die Forderung nach maßgeblicher Beteiligung der Bekennenden Kirche - wenn auch unter unterschiedlichen L K A STUTTGART, D 1/225 (Abschrift). Thielicke und Pressel stehen jeweils zweimal auf der Liste. 5 Wurm in seiner Einführung in Treysa: „ W e n n das Programm nicht überall befriedigt, wenn es insbesondere den Eindruck macht, daß bei der Auswahl der Referenten N o r d deutschland und die B K im engeren Sinn zu wenig berücksichtigt sei, so bitte ich zu bedenken, daß in einer Zeit, wo man am Anfang August Briefe von Anfang Juli bekommt, die Gewinnung von Referenten in weiterer Entfernung recht schwierig ist, daß viele Voraussetzungen, die früher bei der Vorbereitung solcher Veranstaltungen selbstverständlich waren, heute fehlen. Irgend eine Tendenz liegt nicht dahinter" (F. SÖHLMANN, Treysa, S. 15). 3

4

6 Zu dieser Tagung vgl. unten S. 48 ff. Otto Fricke (1902-1955), 1926 Pfr. Frankfurt a. M . , 1936 Mitglied der 2. V K L der B K , 1945 Bevollmächtigter des Hilfswerks der E K D in Hessen und N a s s a u .

Niemöllers Kritik

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rechtlichen Voraussetzungen - , was seine Handlungen vor Treysa und in Treysa zeigen. Deswegen scheute er sich auch nicht, auf einem Pfarrkonvent am 4. September 1945 7 in seinem Bericht über Treysa die beiden Briefe 8 , die in dieser Angelegenheit zwischen Niemöller und ihm ausgetauscht wurden, vorzulesen. In Niemöllers Brief vom 5. August wird die ursächliche Verkettung der Einladung nach Treysa mit der Einladung nach Frankfurt in sehr dramatischen Worten geschildert: „ B e i dieser Sachlage traf mich die Einladung nach Treysa, die ich in Frankfurt vor zwei Wochen fand, wie ein Blitzschlag, zumal ich auf dem ganzen Programm außer meinem eigenen Namen nur noch den von D r . Mensing aus dem Kreise der Bekennenden Kirche fand. Ich konnte daraus keinen anderen Eindruck gewinnen, als daß durch die äußerst bedauerliche Voranstellung meines Namens der Eindruck erweckt werden sollte, als ob ich mich mit dem Personenkreis der Referenten zum mindesten in dem Verhältnis einer freundschaftlichen sachlichen Zusammenarbeit befände. Dies ist nicht der Fall. Eine Bestimmung des Weges der Kirche durch die .Neutralen' oder gar durch positive Vertreter der Kerrl'schen Kirchenausschuß-Politik wie Gerstenmayer [sie!]) scheint mir völlig unmöglich und würde das Ende alles dessen bedeuten, wofür die Evangelische Kirche 12 Jahre hindurch Opfer an Gut und Leben gebracht hat. Da ich keine Möglichkeit hatte, die Empfänger dieser Einladung von dem unterlaufenen Fehler in Kenntnis zu setzen, blieben mir nur zwei Wege übrig, nämlich die Amerikaner zu bitten, mir den Rundfunk zu einer Klarstellung zur Verfügung zu stellen, oder aber Vertreter der Bekennenden Kirche vor dem 27. August zu einer klärenden Aussprache über die grunsätzlichen Fragen zusammenzubitten. U m eine vielleicht überflüssige Beunruhigung der evangelischen Christenheit in Deutschland zu vermeiden (es könnte ja sein, daß ich mit meiner grundsätzlichen Einstellung ein längst überholter Anachronismus bin), habe ich zunächst den letzten Weg gewählt und mit Billigung der Besatzungsbehörden und mit Hilfe von Bruder Fricke zu einer Konferenz auf den 17. August - 21. August eingeladen. Als ich am 2. August von Frankfurt zurückfuhr, waren die Dinge im L a u f . " 9 Ein Teil der grundsätzlichen Einwände Niemöllers gegen das Unternehmen von Treysa gehen aus dem zitierten Abschnitt klar hervor: die Vgl. unten S. 143 f. Niemöller an Wurm vom 5. 8. 1945 ( L K A STUTTGART, D 1/225); Wurm an Niemöller vom 10. 8. 1945 (ebd.). 9 Eugen Gerstenmaier (geb. 1906), Dr. theol., 1942 KonsRat im Kirchl. Außenamt der D E K , 1945 Begründer und Leiter des Hilfswerks der EKD, 1954-1969 Präsident des Deutschen Bundestages. Carl Mensing (1876-1953), Rechtsanwalt, nach 1933 Rechtsbeistand der BK im Rheinland, 1945 Mitglied der Kirchenleitung der Ev. Kirche im Rheinland. 7

8

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Vorbereitungen für die Konferenz von Treysa

Bekennende Kirche war lediglich durch zwei Referenten vertreten, Namen aus dem Kreis der Neutralen herrschten vor. Zu dem Begriff Kirchenführer meint Niemöller: „ I c h gehöre nicht zu den Kirchenführern im Sinne der in Treysa vertretenen Kreise; und wenn der Ausdruck in der Einladung versehentlich anstelle von ,Führenden Persönlichkeiten der Evangelischen Kirche' gebraucht worden ist, so fehlen mir unter den Referenten doch eben alle Vertreter der Kirche, in der ich auf eine solche Bezeichnung Anpruch erheben darf." Die Bekennende Kirche war also weder in ihren Organen noch durch einzelne Personen vertreten. Niemöller stellt weiter die Frage, ob der eingeladene Kreis für die Fragen der Tagesordnung überhaupt zuständig sei.

Niemöllers Festhalten am Notrecht Diese vielen Einwände haben für Niemöller ihren Grund in einer Einstellung, die bei dem Projekt Treysa nicht beachtet worden ist. „Meine grundsätzliche Haltung ist immer die gewesen und geblieben, daß die Evangelische Kirche in Deutschland seit 1935 rechtmäßig nur durch die Bekennende Kirche vertreten wird . . . Die Durchführung dieses Anspruches ist von den Nazis mit Gewalt verhindert worden, der Staat ist mit den Kirchen seinen Weg gegangen, und diejenigen kirchlichen Gruppen und landeskirchlichen Führungen, die sich dem Machtanspruch gebeugt haben, haben dies unter dem Druck weltlicher Macht getan. Die Hemmungen durch das Naziregime sind jetzt fortgefallen; der Verwirklichung von Barmen usw. steht keine weltliche Macht mehr im Wege. Die Bekennende Kirche hat bisher keine Gelegenheit gehabt, sich zu der Frage zu äußern, ob sie den feierlich von Gott übernommenen Anspruch nunmehr durchführen will oder nicht." Was Niemöller anstelle von Treysa also fordert, ist eine Bekenntnissynode 1 0 , die erst beschließen müßte, ob sie einen Weg wie den in Treysa geplanten gehen wolle oder nicht. Niemöller knüpft bei seiner Beurteilung der rechtlichen Lage, in der sich die D E K befindet, an die Beschlüsse der Kirche ,,in Barmen und auf den übrigen Bekenntnissynoden" an, d. h. an das kirchliche Notrecht von Dahlem mit seiner Abänderung und Aufweichung durch Augsburg und der abbröckelnden Unterstützung durch lutherische Kreise in Oeynhausen 1 1 . 1 0 Niemöller übersieht bei diesem Vorschlag die Problematik, unter der schon die 4. Bekenntnissynode der D E K 1936 in Bad Oeynhausen gestanden hat. 1 1 Es ist deutlich, daß Niemöller bei dem ganzen Abschnitt die Folgen der Spaltung der BK verdrängt und sich allein an der bruderrätlichen BK orientiert.

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W u r m s Stellung zwischen B a r m e n und D a h l e m

Damit sind für ihn weder die Verfassung von 1933 (wie für Marahrens) noch das Einigungswerk (wie für Wurm) maßgebend. Allerdings ist er sich dessen wohl bewußt, daß diese seine „grundsätzliche Haltung" nicht selbstverständlich ist und möglicherweise nicht einmal mehr von allen alten Freunden gutgeheißen wird. Anders kann seine Bemerkung über den möglichen Anachronismus seiner Einstellung hier nicht verstanden werden. In dieser Bemerkung steckt ein großer Teil der persönlichen Problematik Niemöllers im Sommer 1945. Tatsächlich sind ja seine Vorstellungen als überholt angesehen worden, und zwar über den Kreis derjenigen hinaus, die sie schon während des Kirchenkampfes ablehnten. Niemöller hat unter dem Gefühl sehr gelitten, nicht mehr hineinzupassen in das gegenwärtige System von Anschauungen und Haltungen. Er sah nirgends einen Ansatzpunkt für eine künftige Arbeit 1 2 . Besonders die Zeit vor der Bruderratssitzung war nach seinen Tagebuchaufzeichnungen angefüllt mit einer steigenden Unruhe, Angst und Hoffnungslosigkeit 13 . Ganz abgesehen von der sachlichen Berechtigung, den Reichsbruderrat zusammenzurufen, war es für Niemöller persönlich wichtig, sich seiner selbst und seiner Anschauung in einem Kreis von Freunden zu vergewissern.

Wurms Stellung zwischen Barmen und

Dahlem

Wurm stimmte Niemöller in seinem Antwortbrief vom 10. August 1945 zu, daß die „Erkenntnisse und Lehrsätze der Barmer Synode nun in der Kirche praktiziert werden können und müssen". Die Schwierigkeiten beginnen nach Wurms Meinung erst mit den Beschlüssen von Dahlem, d. h. mit der Frage, „ o b die Organe des damals ausgerufenen Notregiments unverändert auch heute fortbestehen und von jedem, der sich zur Bekennenden Kirche rechnet, anerkannt werden müssen". Die

12

„ B e s o n d e r s belastend war zu jener Zeit, daß m a n für eine geregelte, endgültige und in

sich geschlossene Arbeit keine Möglichkeit sah . . . Verbindungen in die britisch besetzte Z o n e o d e r gar Berlin können nicht hergestellt werden,

und so bewegt sich

Martin

Niemöller im G r u n d e d o c h wie in einem fremden L a n d , das offensichtlich w e d e r willens noch in der L a g e ist, ihm eine kirchliche Arbeit anzutragen oder zuzuweisen. D i e F r a g e nach der Zukunft und nach d e m Auftrag wird i m m e r drängender und, wie es scheint, i m m e r aussichtsloser" ( W . NIEMÖLLER, N e u a n f a n g , S. 3 6 ) . 13

„ S c h l i m m e r als die Einengung der Wirksamkeit und der unbefriedigende G e s u n d -

heitszustand war für Martin N i e m ö l l e r , daß er erleben m u ß t e , wie er keineswegs mit Begeisterung in der Freiheit begrüßt w u r d e . E s hatte sich nur ereignet, daß er von einer namenlosen achtjährigen

Einsamkeit in eine unabsehbare anders geartete

g e k o m m e n w a r " (ebd., S. 56).

Einsamkeit

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Vorbereitungen für die Konferenz von Treysa

zweite Frage ist, ob „die Haltung, die dem Regiment Müller-Jäger 1 4 gegenüber geboten war, auch den von den schlimmsten Elementen gesäuberten Kirchenregierungen gegenüber eingenommen werden und gilt sie auch den Kirchenregierungen gegenüber, die einer in Bekenntnis und Verfassung nicht zerstörten Landeskirche vorstehen, wie der bayerischen, der hannoverschen, der württembergischen?" Wurm selbst hat beide Fragen gleich nach Dahlem verneint, was seine Mitarbeit im Lutherrat, in der Kirchenführerkonferenz und seine Zusammenarbeit mit dem Reichskirchenausschuß zeigt. Auch sein 1941 begonnenes Einigungswerk beachtete wohl die in Barmen ausgesprochene Scheidung der D E K von den Deutschen Christen, hielt sich aber nicht an die Entscheidung von Dahlem 1 5 . Die überwiegende Mehrheit aus der Bekennenden Kirche war dieser Entscheidung Wurms gefolgt, indem sie erstens das Einigungswerk unterstützte 1 6 und zweitens ganz im Sinne des Einigungswerkes gleich nach der Kapitulation den Aufbau neuer vorläufiger Kirchenleitungen in einigen zerstörten Landeskirchen einleitete und sich selbst an diesen Kirchenleitungen beteiligte 17 .

1 4 Ludwig Müller (1883-1945), 1926 Wehrkreispfr. Königsberg, 1933-1945 Reichsbischof der D E K , seit 1935 ohne Befugnisse. August Jäger (1887-1949), Dr. jur., 1921 Landgerichtsrat Wiesbaden, 1933 Ministeraldirektor im preußischen Kultusministerium, 1934 rechtkundiges Mitglied des Geistl. Ministeriums der D E K („Rechtswalter"), 1934 Senatspräsident Kammergericht Berlin, 1939 Stellvertreter des Reichsstatthalters im Warthegau. 1 5 Vgl. Wurms Schreiben „ A n die evangelischen Pfarrer in Deutschland" vom Dezember 1941: „Gottes Gnade hat uns - das darf ich gewiß im Namen von vielen sagen - die Kraft geschenkt, einer Überfremdung der Botschaft der Kirche zu widerstehen, aber wir vermochten bisher nicht, innere Spannungen auch unter denen, die im Glauben eins sind, zu überwinden". Ebenso in dem Wort „An die Pfarrer und Gemeinden in der Deutschen Evangelischen Kirche" Ostern 1943: „Wir hoffen, daß nun allenthalben die Brüder, die bisher durch mancherlei Unterschiede in der Beurteilung kirchlicher Fragen getrennt waren, sich auf Grund dieser Sätze zusammenfinden . . . " ( K J 1933-1944, S. 423 f). Die Beschlüsse der Bekenntnissynode werden hier als zweitrangige kirchliche oder kirchenpolitische Entscheidungen gegenüber den glaubensmäßigen gewertet. Vgl. auch Wurms Brief an Niemöller vom 10. 8. 1945, wo Wurm versucht, die Intention des Einigungswerkes darzulegen: „ D i e deutschen Christen waren für uns längst keine Gesprächspartner mehr. Die Absicht war rein darauf gerichtet, die, die glaubensmäßig und weithin auch theologisch zusammengehören, aber kirchenpolitisch getrennt sind, zu gemeinsamem Handeln zusammenzubringen" (vgl. Anm. 8).

Vgl. J . THIERFELDER, Einigungswerk, S. 161 f. Ζ. B. Beckmann und Held in der rheinischen Kirche, Kloppenburg in der oldenburgischen, Lücking in Westfalen, Fricke in Frankfurt. Heinrich Held (1897-1957), 1930 Pfr. Essen-Rüttenscheid, Mitbegründer der B K im Rheinland, Mitglied des altpreußischen Bruderrats, 1948 Präses der Ev. Kirche im Rheinland, 1954-1949 Mitglied des Rates der E K D . Karl Lücking (1893-1976), 1929 Pfr. Dortmund, 1933-1945 in leitenden Ämtern der B K , 1945 Sup. Minden, 1949-1960 theol. Vizepräsident des LKAmtes Bielefeld. 16

17

Beteiligung der Bruderräte an der Neuordnung

Die Beteiligung der Bruderräte an der Neuordnung

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der Kirche

Wurm betonte die Vorläufigkeit aller seiner jetzigen Maßnahmen ebenso wie die Vorläufigkeit, der auch die Beschlüsse von Treysa unterliegen sollten. In diesem Ubergangsstadium müsse man aber das Nebeneinander von intakten Landeskirchen, von nach Prinzipien des Einigungswerks erneuerten Kirchenleitungen und von Bruderräten akzeptieren. Daß nicht einmal dieses Nebeneinander in dem Einladungsschreiben für Treysa gewahrt wurde, kann man mit Recht Wurm vorwerfen, vor allem deshalb, weil er hätte wissen müssen, daß einflußreiche Kreise in der DEK nicht einmal seine Theorie des Nebeneinander anerkannten und somit die Beschränkung der Einladenden und Eingeladenen auf „Kirchenführer" als der rechtlichen Lage entsprechend ansahen 18 . Wurms Versicherung, daß für ihn die Teilnahme der Bruderräte in Treysa selbstverständlich gewesen sei, muß man ihm glauben 19 . Dennoch hätte das rechtzeitige, deutliche und öffentliche Aussprechen dieser Selbstverständlichkeit falsche Erwartungen vor und während der Konferenz abgebaut. Die Diskussion über die Teilnahmeberechtigung einzelner Personen und Gruppen an der Konferenz von Treysa und damit an den Entscheidungen von Treysa wird noch im Frühjahr 1947 geführt und als Zündstoff in der Auseinandersetzung Bruderrat - VELKD verwendet 20 . Wurm hat zwar einerseits recht mit seinem Hinweis, daß die Bruderräte „vertreten wären durch die Brüder, die inzwischen in die Leitung einer ganzen Reihe von Landeskirchen und Provinzialkirchen in dem Zuge des Einigungswerks" eingezogen seien. Andererseits habe er 18

P. FLEISCH in seinen Erinnerungen „Erlebte Kirchengeschichte, S. 301: „ M a n war ζ. T. sehr entrüstet, daß der gesamte Reichsbruderrat teilnehmen wollte. Ich sah darin nur die Wiederholung der Taktik von Kassel und war froh, daß ich an dieser Tagung nicht teilzunehmen brauchte, die nach meinen Rechtsbegriffen keinerlei Legitimation besaß, die Deutsche Evangelische Kirche zu vertreten. Gewiß waren von der Organisation der Deutschen Evangelischen Kirche nur kümmerliche Reste vorhanden. Immerhin bestand noch so etwas wie die Deutsche Evangelische Kirchenkanzlei, insbesondere durch Brunotte . . . Im übrigen waren auch die Landeskirchen da, vertreten durch ihre ordentlichen Organe. Wohl gab es ein kirchliches Notrecht, und niemand hatte eifriger als ich den Satz vertreten können, daß nach den lutherischen Bekenntnisschriften einem häretischen Kirchenregiment gegenüber das Notrecht Platz greife. Aber inzwischen waren die deutschchristlichen Kirchenregierungen verschwunden und, wenigstens in den lutherischen Kirchen, durch bekenntnisgebundene Kirchenregierungen ersetzt. Da noch den Notkirchenorganen eine rechtliche Befugnis einzuräumen, war für mich unkirchlich und unrechtlich gedacht." 19 So in seinem Bericht vor dem Pfarrkonvent am 4. 9.1945 (OKR STUTTGART, Reg. Gen. 115 b). 20 Vgl. unten S. 154 ff.

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Vorbereitungen für die Konferenz von Treysa

„übersehen", wie er selbst zugibt, „die Bruderrratskirche in ihren eigentlichen Organen einzuladen" 21 . Man wird diesen Unterschied nicht einfach als ein „Ubersehen" beiseiteschieben können, denn hinter beiden Einladungsmodi stehen völlig andere Rechtsauffassungen. Einmal wird von der kirchlichen Gesamtsituation ausgegangen, wie sie sich in den Kriegsjahren entwickelt hatte: Eine Bruderratskirche als Institution mit eigenen Organen bestehe nicht mehr; diese habe sich vielmehr nach den Vorbereitungen durch das Einigungswerk in die neugebildeten Kirchenleitungen hinein aufgelöst. Die Gegenposition greift zurück auf die Anfänge der Bekennenden Kirche, als sich auf Grund des kirchlichen Notrechts die Organe der Bekennenden Kirche konstituierten und spart damit bewußt die kirchengeschichtliche Entwicklung aus. Als Wurm Ende Juli die Einladungen zur Kirchenkonferenz von Treysa zusammenstellte, ging er ganz selbstverständlich und mit gutem Recht von der ersten Auffassung aus. Als dann Niemöller die Gegenposition so scharf formulierte, war Wurm allerdings bereit, hier Niemöller ein Stück entgegenzukommen: er akzeptierte bruderrätliche Organe, nämlich den Reichsbruderrat, als vollberechtigte Teilnehmer der Treysaer Konferenz. Andererseits akzeptierte Niemöller, nachdem er in Frankfurt auf der Bruderratstagung wieder Kontakt mit den Brüdern aus der Bekennenden Kirche hatte aufnehmen können, das Einigungswerk als Basis für die Neuordnung der Kirche. Treysa gab dann dem Kompromiß zwischen den beiden unterschiedlichen Rechtsauffassungen in der Konstituierung des Rates der EKD und durch die Annahme der vorläufigen Ordnung der EKD einen sichtbaren Ausdruck. Da Wurm in seinem Pfarrkonventbericht gerade diesen Kompromiß als glückliche Entscheidung für die evangelische Kirche vor den Pfarrern seiner Landeskirche herausstreichen wollte, ist es verständlich, daß er auch die Zeit vor Treysa in einem eher harmonischen Bild zeichnet. Ohne Zweifel war Wurm selbst aufrichtig bemüht, dem Anliegen der Bekennenden Kirche Rechnung zu tragen. Seine Zustimmung zu Niemöllers Schritt, den Reichsbruderrat zusammenzurufen, und sein Einverständnis, eine Delegation des Reichsbruderrates unter Teilnahme von Karl Barth an der Konferenz in Treysa mitwirken zu lassen, legen sogar eine Ubereinstimmung mit Niemöllers Vorstellungen nahe. Niemöller ging davon aus, daß trotz aller persönlicher Hochachtung, die ihn und Wurm zu dieser Zeit verband, beide die „Angelegenheit der Kirche" verschieden sahen. So schrieb er am 5. August an Wurm: „In dieser Hinsicht ist es zwischen uns bislang noch zu keiner Aussprache, 21

Vgl. oben Anm. 19.

Beteiligung der Bruderräte an der Neuordnung

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geschweige denn zu einer Klärung gekommen. Und leider habe ich nicht die Uberzeugung, daß eine solche Klärung in einem kurzen Gespräch von höchstens einigen Stunden zu erreichen sein wird. Das ist für mich keine neue Erkenntnis, sondern das Bewußtsein, mit dem ich bereits aus meiner Gefangenschaft nach Hause gekommen b i n . " 2 2 Mit Niemöller trat nicht nur eine entscheidende Persönlichkeit aus den Anfängen des Kirchenkampfes und ein Symbol in aller Welt für den christlichen Widerstand gegen Hitler wieder in das kirchliche Aktionsfeld ein, sondern eine Sicht von der Rechtslage der D E K , die sich von allen bisher angeführten grundsätzlich unterscheidet. Diese besagt, daß die rechtmäßige D E K allein die Bekennende Kirche sei, wie dies kirchlich und theologisch begründet in den Bekenntnissynoden ausgesprochen worden war. Mit jenem Schritt habe sich die D E K ihr eigenes Recht gesetzt, das kirchliche Notrecht, welches sich nicht dadurch aufheben läßt, daß unter Bedrängnis und politischen Entwicklungen oder konfessionellen Bedenken einige Gruppen davon Abstand nehmen. Es darf auch dann nicht als aufgehoben gelten, wenn die kirchlichen Behörden, gegen welche dieses Notrecht proklamiert worden ist, nicht mehr existieren; es sei denn, die Beteiligten selbst hätten das Notrecht lediglich als ein taktisches kirchenpolitisches Manöver angesehen. Diese ζ. B . von Paul Fleisch vertretene Meinung 2 3 übersieht völlig, daß kirchliches Notrecht immer eine Antwort auf einen Notstand ist, der durch das geltende Recht nicht verhindert werden konnte, d. h. das Notrecht deckt die Mängel und Schwächen des bisher praktizierten Rechts auf und fordert zwangsläufig seine Revision, auch wenn der akute Notstand beendet ist, besonders wenn dies durch politische Ereignisse geschehen ist. Einfache Rückkehr zum vorherigen Zustand verkennt eine wesentliche Bestimmung des kirchlichen Notrechts, ihre kritische nämlich. Niemöllers Schritt, den Reichsbruderrat zusammenzurufen, galt also einmal seiner eigenen Orientierung (Uberprüfung des mutmaßlichen Anachronismus seiner Einstellung), sollte aber auch zur Klärung innerhalb der Bruderratskreise beitragen. Zugleich war es ein deutliches Zeichen dafür, daß man die Deutsche Evangelische Kirche nicht allein durch Landeskirchenführer vertreten sehen wollte. Niemöllers Entscheidung wurde von Wurm und dem bayerischen Landesbischof Meiser dann auch in diesem Sinne verstanden. Meiser sprach in einem Brief an Wurm am 16. August 1945 in diesem Zusammenhang von der Gefahr, die aus Frankfurt drohe 2 4 , und Wurm bat Niemöller in dem Brief vom 10. August 1945 2 5 , dieser möge aus der Sitzung des Reichsbruderrats 22 23 24

Vgl. oben Anm. 8. Vgl. oben Anm. 18. L K A STUTTGART, D 1/209.

2S

Vgl. oben Anm. 8.

46

Vorbereitungen für die Konferenz von Treysa

nicht eine Gegensynode, sondern allenfalls eine Vorsynode zu Treysa machen.

Das Verhältnis des Bruderrats zum Einigungswerk

Wurms

Es beunruhigten Niemöller vor allem zwei Fragen: Inwieweit fühlten sich die Brüder der Bekennenden Kirchen noch an die Beschlüsse der Bekenntnissynoden gebunden, d. h. inwiefern teilten sie Niemöllers Sicht der rechtlichen Lage der DEK? Und: Wie war das Verhältnis der Bruderräte zum Einigungswerk zu verstehen, auf welches Wurm sich immer wieder bezog? Was hatte es zu bedeuten, daß Held und Kloppenburg im Namen der Konferenz der Landesbrudersräte im Zusammenhang mit dem Einigungswerk Wurm baten, „nicht bloß in der Kirchenführerkonferenz, sondern auch von nun an dem Staat gegenüber als Sprecher der Bekennenden Kirche im Ganzen aufzutreten" 2 6 ? Meiser, der Niemöller dann doch noch in seinem damaligen Aufenthaltsort in Leoni am Starnberger See aufsuchte, schrieb gleich nach diesem Besuch am 16. August 1945 einen recht alarmierenden Brief an Wurm. Meiser teilte unter anderem 27 als Ergebnis der mehrstündigen Aussprache („die im übrigen durchaus freundschaftlich verlief") mit, daß Niemöller als Zweck der nach Frankfurt einberufenen Tagung angegeben habe, er wolle von den Brüdern erfahren, „inwieweit die .Bekennende Kirche' den Weg der Bekenntnissynoden der Jahre 1933 bis 1936 eingehalten habe. Er wolle weiter feststellen, in welchem Sinne sich die Bruderräte Dir als dem Führer des ,EinigungsWerkes' unterstellt haben; soweit er bis jetzt unterrichtet sei, hätte die Unterstellung nur den Sinn gehabt, in Dir ein Sprachrohr zum Staat zu haben, der die Bruderräte selbst nicht mehr gehört hat. Nachdem diese nach dieser Seite gehende staatliche Behinderung in Wegfall gekommen ist, sei eine neue Situation gegeben." Niemöller wollte also wissen, ob die Bruderräte irgendwelche Vollmachten an Wurm abgegeben hatten, d. h., ob durch das Einigungswerk kirchenrechtlich eine neue Lage (gegenüber den Jahren 1934 bis 1936) entstanden sei, die für die Bekennende Kirche von 1945 verbindliche Zusagen enthalte. Es ging Niemöller in all seinen Äußerungen zu dieser Zeit darum, herauszufinden, welches Recht in der Kirche Geltung haben solle, wobei das Kirchenrecht von einer Theologie, einer Ekklesiologie Ebd. „Niemöller wird nicht nach Treysa kommen. Es widerstrebt ihm, im Hause eines Mannes zu Gast zu sein, gegen dessen weiteres Verbleiben in A m t er ernstlichen Widerspruch anmeldet. Auch ist ihm die Situation, die er in Treysa vorzufinden befürchtet, zu ungeklärt" (vgl. oben A n m . 24). 26

27

Verhältnis des Bruderrates z u m Einigungswerk

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und damit einer bestimmten Kirchenstruktur nicht zu trennen war. U n d Meiser hatte Niemöller gewiß in der Unterredung am 16. August 1945 richtig verstanden, wenn er Wurm gegenüber vermutete, daß Niemöller „ i n der Organisation der ,Bekennenden Kirche' - so glaubte ich ihn wenigstens verstehen zu müssen - das tragende Gerüst für den zukünftigen Neuaufbau der D E K " sehe. „ E r könnte es sich denken, daß sie einmal die Organisation der Landeskirchen ablöst und in freikirchlicher Form nach amerikanischem Muster weiterbesteht." 2 8 Soweit Niemöllers Sicht von der Lage der Gesamtkirche, wie sie in den genannten Dokumenten im Sommer 1945 vor den Konferenzen von Frankfurt und Treysa zum Ausdruck kommt. Daß diese Sicht nicht von allen Brüdern geteilt werden würde, darüber war sich Niemöller sicherlich im klaren. Entsprechend ist auch die Einladung zur „ T a g u n g der Bekennenden Kirche" in Frankfurt formuliert: „ D i e gegenwärtige Lage der Kirche macht es dringend notwendig, daß eine verantwortliche Vertretung der Bekfennenden] Kirche zusammentritt, um Wege und Ziele der Bekennenden] Kirche in unserer Zeit zu beraten und Ubereinstimmung in den schwebenden Fragen herbeizuführen." 2 9 Die Ergebnisse der Frankfurter Tagung sind als Antwort der Bekennenden Kirche auf Niemöllers Fragen zu werten. An den Beschlüssen und an den Äußerungen aus dem Protokoll 3 0 kann man ablesen, ob Niemöller mit seiner Sicht der Kirche „anachronistisch" war oder ob seine Meinung der der anderen Bruderratsmitglieder entsprach. Zum anderen sind die Beschlüsse die verbindliche und gemeinsame Antwort eines Organs der Bekennenden Kirche selbst auf die Frage nach dem Weg und dem Ziel der Bekennenden Kirche im Sommer 1945.

2 8 D a s Problem ist, daß sich die B K seit der Bestätigung durch die Synode von Augsburg organisatorisch aus zwei verschiedenen Kirchentypen zusammensetzt, einmal aus Bruderräten mit freikirchlichen Aspekten, aber mit volkskirchlichen Ansprüchen, z u m anderen aus intakten Landeskirchen. Niemöller scheint sich vorzustellen, daß das B K Modell aus den zerstörten Kirchen auf die intakten Kirchen zu übertragen sei. 2 9 L K A STUTTGART, D 1/208. 3 0 L K A DARMSTADT, 36/22.

Kapitel 4 V O R S T E L L U N G E N U N D B E S C H L Ü S S E DES B R U D E R R A T S ZUM N E U A U F B A U D E R E V A N G E L I S C H E N K I R C H E IN D E U T S C H L A N D

Die Vorbereitung der Bruderratstagung in Frankfurt Es kostete Martin Niemöller persönlich viel Mühe und Einsatz, die Bruderratstagung überhaupt zustande zu bringen. In einem Brief an Η. B. Gisevius vom 24. Juli 1945 berichtet er resigniert von einem weiteren mißglückten Versuch, zum Hauptquartier der Amerikaner in Frankfurt durchzudringen: „So habe ich die Zwischenzeit benutzt, um eine Bruderratssitzung der Bekennenden Kirche vorzubereiten, da die Nachrichten aus den Einzelkirchen immer verheerender werden: überall sind die alten ,Neutralen' am Ruder, die schon früher nie eine klare Linie steuern konnten noch wollten, Leute, die mit Hitler gekonnt haben und nun auch mit den Besatzungsmächten ,können'. - Aber heute, nach einwöchigen Bemühungen, die erst gar nicht aussichtslos erschienen, stehe ich wieder genau da, wo ich zu Anfang stand, nur daß ich in der Zwischenzeit wieder ein gutes Stück meiner Reserven an körperlichen wie seelischen Kräften eingebüßt habe. - Als man mir dann heute früh zumutete, mit den Vorschlägen für die erforderlichen Pässe, die laut Vereinbarung vom Mil[itary] G[overnment] ausgestellt werden sollten, wieder zum Hauptquartier zu gehen, weil doch eben das die Sachen machen müsse, da lief der Eimer über, und nun habe ich erklärt, daß ich nach Hause, d. h. irgendwie zu meiner Familie gehen wolle und nun nicht eher wieder auftauchen würde, als bis man mit einem klaren Ruf an mich heranträte." 1 Niemöller hatte zur Begründung seines Antrags auf Durchführung einer Bruderratstagung ein Memorandum verfaßt, das an die Hauptquartiere aller vier Besatzungsmächte und an den Kontrollrat in Berlin geschickt werden sollte. Die englische Fassung des Memorandums trägt den Titel „The Position and Prospects of the Evangelical Church" und 1

Kopie des Briefes von W . Niemöller.

Hans Bernd Gisevius ( 1 9 0 4 - 1 9 7 4 ) , Jurist und politischer Schriftsteller, 1933 Assessor im preußischen Innenministerium, 1935 im preußischen Landeskriminalamt, 1940 Vizekonsul in Zürich, 1944 amtsenthoben wegen Beteiligung am politischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus.

Vorbereitung der Bruderratstagung in Frankfurt

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ist auf den 20. Juli 1945 datiert 2 . Das Memorandum gibt zuerst einen kurzen Uberblick über den Kirchenkampf, um die Entwicklung zu den unterschiedlichen gegenwärtigen Kirchentypen und kirchlichen Gruppen zu erklären: „intakte" Kirchen, „zerstörte" Kirchen, Bekennende Kirche, Deutsche Christen und die Mittelpartei der Neutralen. Niemöller stellt dann die Neutralen als die gefährlichsten Gegner einer echten geistigen Neubesinnung und Wiedergeburt in Deutschland heraus, weil sie nach dem Prinzp der Anpassung immer den Weg des geringsten Widerstandes gingen und sich dabei durch jeden Wechsel hindurch „rein" erhielten. „ O n e can work with honourable opponents who change their opinions, but never with people who seek for security at all costs. Under such a neutral leading the Evangelical Church will become an organization that will lay hold on special questions and try to keep in step with other social organizations (Trade Unions, social welfare) but it will never seriously be able to bring about a spiritual reconstruction of our nation on the basis of the Gospel of Jesus Christ, as all these neutrals are not believed in by Church people." Eben diese Neutralen bestimmten auch im Augenblick das kirchliche Leben. Da sie nie Parteimitglieder waren, seien sie in ihren Ämtern ungefährdet und zusätzlich geschützt durch die Politik der Nichteinmischung der Besatzungsmächte. Mit den intakten kirchlichen Bürokratien würden sie gleichzeitig auch das kirchliche Informationssystem beherrschen und über die finanziellen Mittel verfügen. Deswegen fiele es ihnen auch nicht schwer, gerade jetzt eine Kirchenführerkonferenz zu organisieren 3 . Niemöller selbst dagegen, als einfacher Pastor, dazu noch ohne Gemeinde, habe keine Möglichkeiten, den Bruderrat um sich zu versammeln. „ I t is also impossible for him to summon the leaders of the Confessional Church, as he has no car, and can offer his friends no means of transport. N o r can he write circular letters to the Church communities as the neutral church leaders can. He also has no financial means, of holding a Conference or Synod as for four months he has not been able to receive even his private salar." Diese Situation berge große Gefahren in sich, weil das Kirchenvolk, das in seinem aktiven Teil der Bekennenden Kirche angehöre, den Eindruck bekomme, die Besatzungsmächte förderten die Neutralen. Niemöller forderte dann von den Besatzungsbehörden, eine Zusammenkunft des Reichsbruderrates zu ermöglichen, Möglichkeiten zum Druck der Botschaften und Resolutionen der Bekennenden Kirche zu schaffen, die Entlassung der jüngeren BK-Brüder aus der Gefangenschaft zu 2

L K A DARMSTADT, 62/3367. Niemöller rechnet die Leiter der intakten Kirchen auch zu den Neutralen, wobei er Wurms persönliches Engagement gegen den Hitlerstaat immer wieder betont. 3

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Vorstellungen und Beschlüsse des Bruderrats

beschleunigen, um dadurch die Bekennende Kirche personell zu stärken, einen Ausgleich für die finanziellen Mittel der Bekennenden Kirche, die v o m Staat beschlagnahmt worden waren, zu schaffen, und die Vorbereitung von Kirchenwahlen durch die Bekennende Kirche zu gewährleisten. Was schließlich dazu geführt hat, daß die Tagung in Frankfurt genehmigt worden ist, geht aus den Dokumenten nicht hervor. Im Einladungsschreiben heißt es nur: „ I n der Anlage erhalten die Brüder Abschrift eines Schreibens des hiesigen Military Governments. Dieses Schreiben soll lediglich dazu dienen, bei den örtlichen Stellen der deutschen Zivilverwaltung und der Besatzungsmacht Schwierigkeiten hinsichtlich der Paßfragen und des Transports zu beseitigen. Eine andere Bedeutung hat es nicht." 4

Niemöllers

Referat

Der Einladung nach Frankfurt waren etwa 30 Mitglieder des Reichsbruderrates und der Landes- und Provinzialbruderräte gefolgt. Aus dem Protokoll ergibt sich auf G r u n d der Teilnahme an den Diskussionen folgende Namensliste: H a n s Asmussen, Karl Barth, Eberhard Bethge, Peter Brunner, Theodor Dipper, Karl D ü r r , H a n s Encke, O t t o Fricke, H a n s Bernd Gisevius, Rudolf Goethe, H u g o H a h n , Oskar Hammelsbeck, Hermann-Albert H e s s e , Franz-Reinhold Hildebrandt, Heinrich Held, Hans-Joachim Iwand, Martin Niemöller, Wilhelm Niesei, Harmannus Obendiek, Karl Bernhard Ritter, Gerhard Ritter, Julius R u m p f , Johannes Schlingensiepen, Paul Schmidt (Württemberg), Erik W o l f 4 3 .

4

L K A STUTTGART, D 1 / 2 0 8 .

Karl Barth (1886-1968), 1921 Prof. für Reformierte Theologie Göttingen, 1925 Münster, 1930 Bonn, 1935 Basel. Eberhard Bethge (geb. 1909), 1937 Studieninspektor am Predigerseminar der B K Finkenwalde, 1945 Pfr. Berlin, 1953 London, 1961-1975 Leiter des Pastoralkollegs der Ev. Kirche im Rheinland Rengsdorf, 1969 Honorarprof. Bonn. Peter Brunner (geb. 1900), Dr. Theol., 1927 Privatdozent für Systematische Theologie Glessen, 1936 Entzug der Lehrerlaubnis, Dozent Theologische Schule Elberfeld, 1947 Professor Heidelberg. Theodor Dipper, (1903-1969), 1930-1945 Prf. in Württemberg, 1945 Dekan Nürtingen und 1959 Ludwigsburg. Karl Düjrr (geb. 1892), 1925-1945 Pfarrer in Baden, 1945-1958 O K R Karlsruhe. Hans Encke (1896-1976), 1925 Pfr. Köln-Nippes, 1946-1966 Stadtsup. Köln. Rudolf Goethe (1880-1965), 1934-1944 Pfr. in Offenbach, 1946 in Roßdorf, Mitglied des hessischen Landesbruderrats; 1946 Oberregierungsrat und Referent im hessischen Kultusministerium; 1950 konvertiert. Hugo Hahn (1886-1957), 1930 Pfr. und Sup. Dresden, von 1933 an in leitenden Ämtern 4a

Niemöllers Referat

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Die Tagung begann am Dienstag, den 21. August um neun Uhr mit einem Referat von Niemöller 5 . Daran schloß sich eine Aussprache an, auf Grund derer dann vier Themen für den Verlauf der Tagung beschlossen wurden. Das neunseitige Referat trägt das Datum vom 19. August 1945, den Zusatz ,,R[eichs] B[ruder] R[at]" und die Anrede „Meine lieben Brüder" 6 . Es faßt noch einmal zusammen, was Niemöller in Briefen vorher an Gedanken, Befürchtungen und Kritik geäußert hat. Allerdings ist er hier dem Zuhörerkreis (Brüder) und dem Zweck des Vortrags entsprechend, nämlich Antworten auf ganz bestimmte Fragen zu erhalten, deutlicher und klarer. So formuliert Niemöller bei den entscheidenden Fragen die möglichen unterschiedlichen Antworten gleich mit. Dabei spricht er unmißverständlich aus, was er persönlich für die richtige der B K , 1938 aus Sachsen ausgewiesen, Pfr. in Württemberg, 1947-1953 Landesbischof der Ev.-luth. Landeskirche Sachsens, 1945-1955 Mitglied des Rates der E K D . Oskar Hammelsbeck (1899-1975), Dr. phil., Lehrer, 1944 Pfr. Falkenhagen, 1946-1959 Rektor der Pädagogischen Akademie Wuppertal, 1946-1954 Vorsitzender der Kammer für Erziehung und Unterweisung beim Rat der E K D . Hermann-Albert Hesse (1877-1957), 1929 Direktor des Ref. Predigerseminars Elberfeld, ab 1934 in leitenden Ämtern der B K , 1934-1946 Moderator des Ref. Bundes. Franz-Reinhold Hildebrandt (geb. 1906), 1933 Pfr. Goldap/Ostpreußen, Pfr. im Dienste der B K , 1946 Propst Halberstadt und Quedlinburg, 1952 Präsident der Kirchenkanzlei der E K U Ost-Berlin. Hans-Joachim Iwand (1899-1960), Dr. theol., 1935 Direktor des Predigerseminars der B K Bloestau/Ostpreußen, 1937 Pfr. Dortmund, 1945 Prof. für Systematische Theologie Göttingen, 1952 Bonn. Wilhelm Niesei (geb. 1903), Lie. theol., 1935 Dozent für Systematische Theologie Kirchl. Hochschule Berlin, in leitenden Ämtern der B K , 1946-1973 Präses und Moderator des Ref. Bundes, 1945-1972 Mitglied des Rates der E K D . Harmannus Obendiek (1894-1954), 1931-1954 Pfr. Barmen-Gemarke, 1932-1941 Dozent Theol. Schule Elberfeld, 1945-1954 Prof. für Praktische Theologie Kirchl. Hochschule Wuppertal. Gerhard Ritter (1888-1967), Dr. phil., 1924 Prof. für Geschichte Hamburg, 1925 Freiburg. Karl Bernhard Ritter (1890-1968), Dr. phil., 1925-1945 Studentenpfr. Marburg, 1931 Stifter der Ev. Michaelsbruderschaft, 1952 Dekan des Kirchenkreises Marburg, Julius Rumpf (1874-1948), seit 1921 Pfr. Wiesbaden. Johannes Schlingensiepen (1898-1980), 1930-1950 Pfr. Wuppertal, in leitenden Ämtern der B K im Rheinland, 1945 Sup. des Kirchenkreises Barmen, 1950 Mitglied der Kirchenleitung der Ev. Kirche im Rheinland. Paul Schmidt (1893-1973), 1928-1959 Pfr. Esslingen. Erik Wolf (1902-1977), Dr. jur., 1928 Prof. für Rechtsphilosophie und Kirchenrecht Rostock, 1930 Kiel, dann Freiburg. 5 Tagebuch Martin Niemöller: „ 2 1 . August-Dienstag 8V2 früh zum Bruderrat (Diakonissenhaus) Referat. - . . . " (Kopie von W. Niemöller). Im Protokoll der Bruderratsakten wird eine Zusammenfassung dieses Referates fälschlicherweise als Bericht Asmussens bezeichnet. 6 Kopie des Referates von W . Niemöller.

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Vorstellungen und Beschlüsse des Bruderrats

Antwort ansieht, räumt aber ein, daß die Brüder aus guten Gründen nur eine alternative Lösung für möglich halten. Niemöller bleibt dabei immer der Fragende, und zwar deshalb der Fragende, weil er „für mehr als 8 Jahre außerhalb des kirchlichen Geschehens" hat stehen müssen. Er formuliert diese seine Ausnahmesituation später noch drastischer: „Es kann durchaus sein, daß ich heute in Ihrer Mitte als ein Anachronismus stehe, als eine Art zum Leben zurückgekehrter Leichnam." Die Entscheidungen, die der Bruderrat in Frankfurt in bezug auf die Neuordnung der evangelischen Kirche und die Aufgabe der Bekennenden Kirche traf, zeigen, daß der Bruderrat in seiner Mehrheit nur den Weg des Kompromisses für gangbar hielt und damit Niemöller eine andere Antwort als die von ihm erhoffte gab. Das Referat beginnt mit einer kurzen Charakterisierung der gegenwärtigen kirchlichen Lage als verwirrend und „voller Widersprüche". Daraus ergeben sich für Niemöller Auftrag des Bruderrates und Sinn der Zusammenkunft, nämlich „uns erneut miteinander auf unseren Auftrag [zu] besinnen und dann vielleicht, wenn uns ein klarer gemeinsamer Blick geschenkt wird, erneut miteinander zur Tat [zu] schreiten". Die notwendige Tat ist, wie aus dem Folgenden hervorgeht, die rechte Predigt und Verkündigung, denn „der Mann, der dieses Mal unter die Mörder gefallen ist, braucht mehr als etwas ö l und Wein für seine Wunden, er braucht vor allem den barmherzigen Samariter selbst, den Herrn und Heiland Jesus Christus, der ihm die Vergebung seiner Sünden bringt, der ihm die Möglichkeit zu einem neuen Leben schenkt und der ihm die Tür zur Seligkeit der Gotteskindschaft auftut". Deshalb sei eine Bekennende Kirche, die sich von ihrem „zentralen Standort und ihrem zentralen Auftrag nicht um Haaresbreite abdrängen läßt", nie so lebensnotwendig gewesen wie jetzt. Kann aber die Kirche diesen Auftrag erfüllen? In dieser Frage sind die Fragen: Wer ist die Kirche? Wie ist sie neu zu ordnen? mitenthalten. Als Einleitung zu seiner eigenen Antwort zitiert Niemöller einen Brief von Otto Dibelius 63 vom 17. Juli 1945, der auf die personelle Schwäche der Bekennenden Kirche aufmerksam macht und deswegen für Versöhnlichkeit, d. h. für Kompromisse plädiert: „Die Bekennende Kirche ist dem elfjährigen Zermürbungskrieg weithin erlegen, äußerlich und innerlich. Was uns geblieben ist, ist die aufrechte Schar der illegalen jungen Brüder aus dem Rheinland und aus Brandenburg - ob und wann wir das wackere Häuflein aus Ostpreußen und Schlesien Wiedersehen werden, weiß Gott allein - und ein sehr kleiner 6 a Otto Dibelius (1880-1967), Dr. phil. Lie. theol., 1925 Generalsup. der Kurmark, 1933 suspendiert, 1934-1945 Pfarrer im Dienste der BK, 1945-1966 Bischof von Berlin, 1945 Mitglied und 1949-1961 Vorsitzender des Rates der EKD.

Niemöllers Referat

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Kreis von klar sehenden älteren Männern und Frauen, ebenfalls aus den genannten Provinzen . . . Dieser Kreis hat jetzt die kirchliche Leitung, muß aber darauf bedacht sein, das Neue, das ihm geschenkt ist, in Versöhnlichkeit gegenüber den andern, die aus Mangel an Opferbereitschaft in die konsistoriale Linie eingelenkt waren, zu verwirklichen. Die alleinige Verantwortung zu tragen, dazu ist der Kreis zu klein und hat viel zu wenig Persönlichkeiten mit geistlicher Führerqualität." Niemöller kritisiert Dibelius' Ansatz und damit auch die in manchen Kirchengebieten neu gebildeten Leitungen aus Neutralen und Bruderratsmitgliedern. Diese Kritik bedeutet nicht, daß nicht auch Niemöller zur Versöhnlichkeit bereit gewesen wäre, nur die Verbindung von Verzeihen und Übernahme eines kirchenleitenden Amtes lehnt er ab: „Ist wirklich die zweifellos notwenige Versöhnung mit den ,Neutralen' von gestern nicht durch einen Akt der brüderlichen Aussprache und notfalls der Kirchenzucht einzuleiten, sondern statt dessen in der Weise zu betreiben, daß man diese Kreise an der Führung der Kirche verantwortlich und ζ. T . maßgeblich beteiligt?" Diese Frage ist nach 1945 von der Bekennenden Kirche ziemlich durchgängig - im Gegensatz zu Niemöller und etwa zu Hermann D i e m 6 b - negativ beantwortet worden, wobei es schwer ist zu entscheiden, inwieweit die reale Notwendigkeit, wegen der Personalnot auf die Neutralen zurückzugreifen, sich mit dem theologischen Argument der Versöhnungsbereitschaft verbunden hat. Abgesehen von seiner eigenen Antwort ist Niemöller sich darüber im klaren, daß die Frage bleibt, „ o b denn die Bekennende Kirche überhaupt in der Lage sei, mit ihren eigenen Kräften die Leitung der Kirche zu übernehmen und zu bestreiten? Aber ich selber kann auf diese Frage keine klare Antwort finden, weil ich nun einmal für mehr als 8 Jahre außerhalb des kirchlichen Geschehens habe stehen müssen. Ist es tatsächlich an dem, daß uns die persönlichen Kräfte für diese Aufgabe fehlen; sind wir wirklich so arm und schwach geworden, wie es die Äußerung von Dibelius behauptet, daß wir gar nicht ohne Kompromiß denn darum geht es doch - leben können"? Niemöller selbst glaubt nicht an diesen Mangel, aber er weiß, daß diese Frage nur hier von den Brüdern beantwortet werden kann. Er weiß auch, daß dieser Frage eine Schlüsselfunktion zukommt, denn er fährt fort: „Sie scheint mir die eigentliche Hauptfrage zu sein, über die wir uns zu Beginn klarwerden müssen, ehe wir noch ein Wort zur künftigen Aufgabe der kirchlichen Verkündigung und zur kirchlichen Neuordnung werden sagen k ö n n e n . " Niemöller erinnert daran, daß eine Kompromißlösung aber nicht nur 6 b Hermann Diem (1900- 1975), 1934-1956 Pfr. Ebersbach, 1955 Prof. für Systematische Theologie Tübingen.

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Vorstellungen und Beschlüsse des Bruderrats

aus einer Notlage, sondern auch aus einer bestimmten Rechtsauffassung heraus zu begründen sein müsse. Hat die Bekennende Kirche überhaupt ein Recht, „jetzt die Führung der Kirche zu beanspruchen und zu übernehmen"? Niemöller kommt dann auf das Einigungswerk zu sprechen und speziell auf die Frage, welche Bedeutung die Übertragung von bestimmten Funktionen des Reichsbruderrats auf Landesbischof Wurm heute noch habe. Grundsätzlich, meint Niemöller, könne die Befugnisübertragung niemals bedeuten, daß die Bekennende Kirche damit auf die ihr von den Bekenntnissynoden übertragene Leitung der evangelischen Kirche verzichtet habe. Niemöller geht in seinem Rechtsdenken von dem Jahr 1934 aus, d. h. von den Bekenntnissynoden in Barmen und Dahlem. Oeynhausen ist für ihn der Punkt, zu dem man zurückkehren muß, um die dort begonnene „Zweigleisigkeit" zu korrigieren, und zwar so, daß „ d i e sogenannten ,intakten' Kirchen nunmehr erklären, daß sie, nachdem der staatliche Zwang, dem sie damals ausgewichen sind, hinfällig geworden ist, nunmehr wieder in die von ihnen bis dahin vertretene gemeinsame Linie der B K zurückschwenken . . . " Aber auch der Bruderrat habe Selbstbesinnung und Uberprüfung seiner Praxis und seines Wollens nötig. Gilt noch, was man 1934 bekannt hat, oder läßt man es fallen, weil es ohnehin nur eine „kirchenpolitische Zweckaussage" war? Wenn aber die versammelten Bruderräte sich zu 1934 bekennen, dann müssen sie „zunächst wohl wieder eine aktionsfähige Kirchenleitung, wieder eine V K L einsetzen und sodann zusehen, daß alle jene Schritte in die Wege geleitet werden, die den Wiederaufbau einer gemeindlichen und synodalen Ordnung in der Kirche bewirken sollen. Mit anderen Worten, wir brauchen alsbaldige Vorbereitungen für allgemeine Kirchen wählen". Daß die Vorläufige Kirchenleitung nicht allein durch Bruderräte gebildet werden sollte, sondern durchaus wie die erste V K L zusammen mit Vertretern der intakten Landeskirchen, räumt Niemöller ein. Dabei müssen aber wie für die erste V K L auch diesmal als Grundlage die Aussagen der Bekenntnissynoden von Barmen und Dahlem gelten. Es folgen dann kritische Äußerungen zu der Neuschaffung von Bischofsämtern in den norddeutschen Kirchen, die für Niemöller deswegen Verstöße gegen die Barmer Erklärung sind, weil sie eine Herrschaft aufrichten und die Gemeinde entmündigen. Abschließend stellt Niemöller den Bruderrat noch einmal vor die Alternative, die nach seiner Meinung lautet: „Brauchen wir heute eine Bekennende Kirche oder brauchen wir heute eine befriedete Kirche? Ich kann den Weg seit 1934 nur als einen Irrweg anschauen . . . " Die Beschlüsse von Frankfurt zeigen, daß der Bruderrat diesen „Irrw e g " weitergegangen ist, daß er die Intentionen des Einigungswerkes

Verhandlungsgegenstände

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fortgeführt hat. Da Niemöller diese Entscheidungen mitgefaßt hat, muß man annehmen, daß ihm im Gespräch mit den Bruderratsmitgliedern klar geworden ist, daß ein anderer Weg keine reale Chance hatte.

Verhandlungsgegenstände Yerhandlungsgegenstände waren: 1. Rolle der Landes- und Provinzialbruderräte bei der Neuordnung der Landeskirchen, 2. Aufgabe und Bedeutung des Reichsbruderrates heute, 3. Bedeutung von Barmen, Dahlem und Oeynhausen für die Bekennende Kirche heute. 4. Wort an die christlichen Gemeinden in Deutschland und Wort an die Ökumene. Am Nachmittag wurden alle vier Themen kurz andiskutiert. Daraufhin wurden Kommissionen gebildet, die zu jedem Thema eine Vorlage für einen Beschluß ausarbeiten sollten. Den Auftrag, ein Wort über die Landesbruderräte zu verfassen, bekamen Gerhard Ritter, Rudolf Goethe und Theodor Dipper. Zum Thema „Reichsbruderrat heute" äußerte sich Hans Amsussen in vier Thesen. Niemöller fügte noch Bemerkungen über die Konferenz der Bruderräte, das Einigungswerk, die 13 Sätze und Wurm hinzu. Er selbst, Heinrich Held, Erik Wolf, Julius Rumpf, Hugo Hahn und Wilhelm Niesei übernahmen es, zu diesem Thema einen Entwurf auszuarbeiten. Die Diskussion zu Punkt 3 konzentrierte sich auf das Verhältnis von Bekenntnis-Kirche und Bekennender Kirche. Karl Bernhard Ritter, Harmannus Obendiek, Karl Dürr und Peter Brunner wurden der Arbeitsgruppe, die sich mit einem Wort zu dieser Frage beschäftigen sollten, zugewiesen. Asmussen übernahm es, ein Wort an die Gemeinden zu entwerfen. Aufgrund seines Entwurfs kam es später zu einer längeren Diskussion, und die Kritik an dem Entwurf führte zu der Entscheidung, zwei getrennte Worte zu verfassen: eines an die Pfarrer und eines an die Gemeinden. Beide wurden später der Konferenz in Treysa zur Annahme vorgelegt. Der Plan eines Wortes an die Ökumene wurde fallengelassen. Man entschied sich dafür, zuerst einmal persönliche Gespräche mit Vertretern ausländischer Kirchen zu suchen. Um den Neuaufbau der Kirche im eigentlichen Sinne ging es in den Beratungsgegenständen von Punkt 1 und 2. Die Ergebnisse des Meinungsaustausches zu diesen Punkten gingen in die Kommissionsentwürfe ein, die wiederum die Grundlage bildeten für den Beschluß des Reichsbruderrats zur Neuordnung der Kirche, der Wurm als dem Vorsitzenden der Konferenz von Treysa vorgelegt wurde und der für die „Konvention" von Treysa wesentliche Voraussetzungen schaffte.

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Obwohl beide Fragen nur an das Selbstverständnis der bruderrätlichen Organe gerichtet waren, entwickelten sich aus ihrer Diskussion Neuordnungsvorstellungen für die gesamte DEK. Das war natürlich kein Zufall. Niemöllers Vorstellungen entsprechend, daß die Bekennende Kirche die rechtmäßige DEK sei, wie der von den Bekenntnissynoden ausgesprochene Anspruch lautete, war eine Gleichsetzung ohnehin nur folgerichtig7. Aber auch einer weniger in dieser Ausschließlichkeit argumentierenden Richtung mußte es darauf ankommen, die bruderrätliche Bekennende Kirche als einen wesentlichen Träger einer erneuerten Gesamtkirche zu konzipieren. Für alle in Frankfurt Versammelten war das Selbstverständnis der Bekennenden Kirche nicht zu trennen vom Selbstverständnis der evangelischen Kirche. Wie der Beschluß zur Neuordnung der EKD zeigt, hat sich die Richtung im Bruderrat durchgesetzt, die neben den Bruderräten Organe kirchlicher Leitung anerkennt, die während des Kirchenkampfes entweder deutsch-christliche Ubergriffe abwehren konnten (intakte Landeskirchen) oder sich im Widerspruch zu deutsch-christlichen Ansprüchen, aber teilweise auch zu Ansprüchen der Bekennenden Kirche herausbildeten, wie ζ. B. die Kirchenführerkonferenz. Held führte in Frankfurt aus, als er den Entwurf „Über die Neuordnung der Bekennenden Kirche" zur Beratung stellte: „Die Vorlage soll Antwort geben auf die Frage: was hat die Bekennende Kirche jetzt selbst über sich zu sagen? Worin sieht sie heute ihre Verantwortung und Pflichten? Was bedeutet sie darum heute für die Leitung der gesamten deutschen evangelischen Kirche? Es geht bei dem Entwurf ihrer Neuordnung darum, die Zwangseinrichtung der Reichskirche ebenso wie den lockeren Zusammenschluß eines YÄrc\iznbundes zu vermeiden und darum in der Landeskirchenführerkonferenz auch die Bekennende Kirche als Trägerin der neuen Entwicklung zur Geltung zu bringen." 8

Der Beschluß zur Neuordnung der Evangelischen Kirche

Deutschlands

Der Beschluß zur „Wiederherstellung einer bekenntnisgebundenen Zusammenfassung der Evangelischen Kirchen Deutschlands"9 zerfällt in zwei Abschnitte. Im ersten Abschnitt wird über die Landesbruderräte und ihr Verhältnis zu den Landeskirchen unter folgenden Aspekten 7 Zu bedenken ist, daß während der Diskussion nur von Barmen, Dahlem und Oeynhausen die Rede ist. Im Beschluß zur Neuordnung der Kirche wird pauschal von den Bekenntnissynoden gesprochen, während in der Konvention von Treysa bezeichnenderweise Barmen, Dahlem und Augsburg angeführt werden. 8 Protokoll vom 22. 8. 1945, nachmittags (LKA DARMSTADT, 36/22). 9

K J 1 9 4 5 - 1 9 4 8 , S. 2 - 4 ; F . SÖHLMANN, T r e y s a , S. 1 7 5 / 7 6 .

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gesprochen: die Entstehung der Landesbruderräte und ihre damalige Aufgabe, die unmittelbaren Aufgaben der Landesbruderräte 1945 bei der Neubildung von Landeskirchenleitungen und die bleibenden Aufgaben der Landesbruderräte. Der zweite Abschnitt befaßt sich in sechs Punkten mit der Lage der Gesamtkirche und kommt zu dem Ergebnis, daß neben den ΒK-Organen auch die Landeskirchenführerkonferenz anerkannt wird. Im folgenden soll der Beschluß in bezug auf kirchliche Rechtsauffassungen und Urteile über die Entscheidungen während des Dritten Reiches genauer untersucht werden: Im ersten Abschnitt heißt es zu den Landesbruderräten: „Die Landesbruderräte sind kraft kirchlichen Notrechtes als Organe der an das Evangelium gebundenen Kirchen gebildet worden." Ihre Aufgabe war während des Kirchenkampfes eine vierfache gewesen: das Kirchenregiment wahrnehmen, das Wächteramt üben, rechte Verkündigung des Evangeliums, Sammlung der Gemeinde 10 . Dieser Aufgabenkatalog erscheint nun in abgewandelter Form wieder in dem Abschnitt über die Aufgaben der Landesbruderräte heute. Die von den Bekenntnissynoden übertragenen kirchenleitenden Befugnisse sollen nun auf die neuen vorläufigen Kirchenleitungen übergehen, an deren Aufstellung sich die Bruderräte maßgeblich beteiligten. Als bruderrätlichem Organ bleibe ihnen dann noch die Aufgabe, sich diesen Kirchenleitungen „ratend und helfend zur Seite zu stellen". Gemeint ist also, daß einzelne Bruderratsmitglieder in die überkommene Form der Landeskirchenleitungen mit ein treten; von einer Umwandlung ihrer Strukturen ist keine Rede. Mit diesem Beschluß wird durch den Reichsbruderrat in Frankfurt genau das bestätigt, was durch Bruderräte in einzelnen Landeskirchen bereits geschehen war, wie ζ. B. in Oldenburg, in der rheinischen Kirche und in Frankfurt. Da nur in einigen Landeskirchen - im Text heißt es „wo erforderlich", eine Formulierung, die für verschiedene Interpretationen offen ist - neue Kirchenleitungen aus einer Koalition von Bruderratsmitgliedern und Kirchenmännern, die nicht den Deutschen Christen zuzurechnen sind, gebildet werden, alle intakten Kirchen aber ohne jede Veränderung bestehen bleiben sollten, sind die Einflußmöglichkeiten der Bruderräte in kirchenregimentlichen Fragen als sehr gering einzuschätzen. Zu den aktuellen Aufgaben gehören weiter die Vorbereitung von kirchlichen Neuwahlen in der Pfarrerschaft und in den Gemeinden und damit wohl zusammenhängend die Abwehr einer kirchlichen Restauration. 10 Diese Aufgabenaufteilung reflektiert die tatsächliche Situation der Bruderräte während der NS-Zeit. In vielen Kirchengebieten konnte nur eine der Aufgaben wahrgenommen werden, teils wegen staatlicher Behinderung, teils wegen der Gleichgültigkeit der Gemeinden (vgl. K.D. SCHMIDT, Fragen, S. 219 f.).

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Vorstellungen und Beschlüsse des Bruderrats

Als bleibende Aufgabe von „lebendig tätigen" Bruderräten in den Landeskirchen wird dann genannt, „auch weiterhin den Erkenntnissen der Bekennenden Kirche bei den weitreichenden Entscheidungen über die aktuellen kirchlichen Fragen Geltung zu verschaffen". Aus dem Protokoll geht hervor, daß hier sowohl an theologische Arbeit als auch an „Evangelisation" gedacht wurde. In diesem Zusammenhang werden auch die zwei Begriffe in die Diskussion eingeführt, die immer wieder zur Rechtfertigung des Fortbestehens der Bekennenden Kirche nach 1945 herangezogen werden: die Bekennende Kirche habe als „Geistliche Reformbewegung" das „Wächteramt" bleibend auszuüben 11 . Nachdem die Bruderräte in Frankfurt beschlossen hatten, die ihnen von den Bekenntnissynoden übertragenen kirchenregimentlichen Befugnisse auf die Landeskirchenleitungen zu übertragen, für deren Zusammensetzung sie mitverantwortlich sind, und die im Amt befindlichen Kirchenleitungen zu akzeptieren, konnten sie auch im Ernst keine anderen Ansprüche mehr stellen und auch kein anderes Selbstverständnis propagieren. Dennoch wird in den Voten von Karl Bernhard Ritter, Peter Brunner, Karl Dürr und Heinrich Held die Gefahr beschworen, es könne der Eindruck entstehen, als ob in dem Beschluß einer doppelt nebeneinanderstehenden Kirchenleitung das Wort geredet würde. Deshalb wird von ihnen gefordert, daß sich die Bekennende Kirche einmal nach der Neuordnung als „überflüssig" bezeichnen müsse. Die Erkenntnisse der Bekennenden Kirche, die zu Beginn des Kirchenkampfes vor allem noch zu strukturellen Veränderungen innerhalb des kirchlichen Aufbaus beigetragen hatten und die Organe der Bekennenden Kirche aus dem kirchlichen Notrecht entwickeln halfen, sind hier nur noch Ideen, Einsichten, Vorstellungen, die sich bestenfalls innerhalb alter vorgegebener Strukturen auswirken konnten. Man sah offensichtlich in Frankfurt eher einen Zusammenhang zwischen kirchlicher Restauration und bestimmten Personen als einen Zusammenhang zwischen Restauration und bestimmten Ämtern, bestimmten Strukturen. Somit beschränkten sich auch im Kreise der bruderrätlichen Bekennenden Kirche die Vorstellungen über die Neuordnung der Kirche nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches auf personelle Veränderungen in bestimmten Kirchenleitungen. Ein Nebeneinander von Altem und Neuem, wobei das Alte durch seine institutionelle Verankerung in den Landeskirchen von vornherein die Ubermacht hat, findet sich auch im zweiten Abschnitt des Beschlus11 Vgl. dazu unten S. 83 f. das Gutachten Erik Wolfs vom Sommer 1945 und die Denkschrift Jacobis vom 1 . 2 . 1942. Gerhard Jacobi (1891-1971), 1930 Pfr. Berlin, nach 1933 in leitenden Ämtern der BK, 1946 Generalsup. Berlin, 1954-1967 Bischof der Ev.-Luth. Kirche Oldenburg.

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ses, der sich mit der Gesamtkirche beschäftigt. Allerdings sind hier die Forderungen des Reichsbruderrates weitgehender und eindeutiger. Das hängt wohl damit zusammen, daß die gesamtkirchliche Rechtslage weniger definiert ist und offener für einen Aufbau von neuen Organen. Der erste Satz heißt dementsprechend auch: „Die Versammelten stimmen darin überein, daß die 1933 geschaffene Reichskirche 12 nicht mehr besteht und ihre Ämter fortgefallen sind." 1 3 Diese Meinung vertraten auch Wurm und Meiser. Ebenso ist der erste Teil des zweiten Satzes, daß „eine gemeinsame Vertretung der Evangelischen Landeskirchen Deutschlands" eine Notwenigkeit sei, bereits von vielen Seiten ausgesprochen worden. Der zweite Teil des Satzes ist allerdings nicht mehr allgemeine Meinung, sondern eine Forderung, die nur gegen Widerstände durchzusetzen sein würde. „Sie muß in ihrer sachlichen Arbeit und ihrer personellen Zusammensetzung nach den Bekenntnissen der Kirche, wie sie in der theologischen Erklärung von Barmen aufs neue als bindend bezeugt worden sind, ausgerichtet sein." In Satz 3 werden die Leitungsorgane der Bekennenden Kirche als noch bestehende rechtmäßige Träger kirchlicher Verantwortung und Pflichten aufgeführt. Als weiteres gesamtkirchliches Organ wird in Satz 4 die Konferenz der Landeskirchenführer erwähnt; da sie in Satz 6 als die Institution bezeichnet wird, die zusammen mit den BK-Organen die „Zusammenfassung der Landeskirchen" auf einer Konferenz beraten und beschließen soll, versucht man in wenig überzeugenden und ausgeführten Formulierungen die Landeskirchenführerkonferenz als kirchlich akzeptable Einrichtung zu retten. So wird ihr bescheinigt, daß sie sich bemüht habe, das in der Verfassung der DEK von 1933 begründete Anliegen einer gemeinsamen Vertretung wahrzunehmen, wozu sie als Zusammenschluß von im Amt befindlichen Kirchenleitungen berechtigt war. Außer dieser Rechtsgrundlage aber wird der Konferenz als Ganzer nichts bescheinigt, was sie vor dem Bekenntnis als rechtmäßig ausweisen könnte. Daß einzelne Mitglieder der Konferenz durchaus in ihrem Reden und Handeln bekenntnismäßig ausgerichtet waren, schließt dieses Urteil nicht aus. Vom Reichsbruderrat wird hier zweierlei Recht in der Kirche anerkannt 14 , obwohl es nach einem eigenen Urteil in den vergangenen Jahren 12 Vgl. zu dieser Wortwahl E. WOLF, Entstehung, S. 10: ,,. . . mit welchem Ausdruck nicht die ,Deutsche Evangelische Kirche', sondern ihre 1933 übereilt ,gemachte', den politischen Begriffen des Nationalsozialismus angepaßte, wenn nicht nachgeformte Organisation gemeint war." 13 Zur Diskussion um Rechtsidentität, Rechtskontinuität, rechtsfreiem Raum vgl. unten S. 70 ff. 14 Notrecht, bekenntnisgebundenes Recht, Legitimität stehen dem positiven Recht, der Legalität gegenüber, eine Tatsache, die seit Bildung der 1. VKL die Bekennende Kirche

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vielfach in Opposition zueinander stand oder sich weitgehend ausschloß. Die oft grundsätzlich verschiedenen Entscheidungen der Bruderräte und der intakten Kirchen seit der Synode von Oeynhausen, die teilweise sogar als Scheidungen der Kirche von der Nicht-Kirche gesehen wurden, werden jetzt lediglich als „mancherlei Schwierigkeiten" interpretiert 15 . N o c h überraschender ist, daß gesagt wird, diese Schwierigkeiten seien „fortgefallen". Begründet wird diese lapidare Behauptung leider nicht. Mögliche Gründe könnten in politischen, militärischen oder kirchlichen Ereignissen gesehen werden, d. h. in der zunehmenden Demaskierung des Charakters des Dritten Reiches ( „ E n d l ö s u n g " , Kirchenpolitik im Warthegau, Euthanasieprogramm), in der Kapitulation und Besetzung durch die Siegermächte oder im Einigungswerk Wurms. Die Wahl des Wortes „fortgefallen" legt es allerdings nahe, die Begründung im Untergang des Hitlerstaates, dem gegenüber die Bekennende Kirche und die Landeskirchenführer verschiedene Haltungen einnahmen, zu sehen. Daß dieser Satz die Probleme nur verdeckt und aufschiebt, ist klar. Möglicherweise war dies sogar den Autoren selbst klar. Denn gleich hinter dem „sind fortgefallen" beginnt der neue Satz mit fast beschwörender Geste: „ N u n m e h r ist es geboten . . . " ; also Abkehr von der Vergangenheit, dem Gebot der Stunde gehorchen, und das heißt: „ i n allen Landeskirchen zu Leitungen zu kommen, die an das Bekenntnis gebunden ihr kirchliches Reden und Handeln eindeutig vom Bekenntnis bestimmt sein lassen. Alsdann bedarf es einer im gleichen Sinn gebundenen und bestimmten Zusammenfassung der Landeskirchen." Mit dem Bekenntnis wird neben dem Rechtsbegriff ein weiterer Sachverhalt in dem Text angesprochen, der auch vom Kirchenkampf her mit Unklarheiten, Kontroversen und Ressentiments belastet ist und der diese ungebrochen an die „ n e u e " Zeit weitergibt. Die Auseinandersetzung um das rechte Verständnis von Bekenntnis und dessen Bedeutung als kirchestiftender Faktor hat die Diskussion um die Grundordnung der E K D maßgeblich bestimmt. Die folgende Feststellung von Ernst Wolf ist deswegen auch auf die Zeit zwischen 1945 und 1948 zu beziehen: „ D a s später den Kampf belastende Neben- und Gegeneinander von belastet hat. Durch die Synode von Augsburg wurden die zwei Rechtsformen vorübergehend verbunden, um dann in und nach Oeynhausen immer mehr in Gegensatz zueinander zu geraten. Eine erneute Versöhnung strebte Wurm mit seinem Einigungswerk an, das unter dem Eindruck des Krieges und der Kirchenpolitik im Warthegau gefördert wurde. Auch bei den Verhandlungen in Treysa geht es um die Frage der Legalität versus Legitimität. 1 5 Vgl. dazu die Formulierungen Wurms zu diesem Sachverhalt in seinen Briefen an Pfarrer und Gemeinden vom Dezember 1941 und Ostern 1943 ( K J 1933-44, S. 423 ff.).

Entscheidung für den Weg seit 1943

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Bekennender Kirche und bekennender Bekenntniskirche, von wagender Gewinnung des Neuen und bevorzugter Bewahrung des Alten kündigt sich hier [Erklärung zur Rechtslage in Barmen] an. Denn schon hier zeigt sich ein doppeltes Verständnis von ,Bekenntnis', bei dem u. U . auch der formale Bekenntnisstand, nicht allein das aktuale Christusbekenntnis, über ,Bekenntnisgemäßheit' von Ordnung und Handeln entscheiden soll." 1 6

Die Entscheidung für den Weg seit 1943 Man fragt sich angesichts des Befundes, was mit Niemöllers Vorstellungen, die er vorher in Briefen und vor allem in seinem Referat geäußert hatte, geschehen ist. Bei dem Gespräch in Leoni hatte Niemöller Meiser gegenüber noch davon gesprochen, daß die Organisationsform der Bekennenden Kirche als Muster für den Neuaufbau der D E K anzusehen sei; Wurm schreibt in dem schon zitierten Brief an Niemöller vom 10. August 1945 im Zusammenhang mit dem Einigungswerk und der nach der Kapitulation im Sinne des Einigungswerks erfolgten Neubildung von Kirchenleitungen: „Wenn ich Sie recht verstehe, hätten dort und überall ausschließlich die Bruderräte sich als Kirchenregiment erklären sollen. Sie haben es sicherlich aus wohlerwogenen Gründen nicht getan . . . " 1 7 Auch Niemöllers Weigerung, ausgerechnet im Hause von Happich an einer Konferenz teilzunehmen, an der dazu auch noch Marahrens beteiligt ist, ist durch den Beschluß von Frankfurt hinfällig geworden. Damit ist auch Niemöllers in diesem Zusammenhang geäußerte Befürchtung, daß die Opfer an Gut und Leben der letzten zwölf Jahre sich als umsonst herausstellen könnten, mindestens halbwegs bestätigt. Es ist wohl in Frankfurt das eingetreten, was Wurm erhoffte, wie seine Antwort auf Meisers Bericht von dem Besuch bei Niemöller zeigt: „Herzlich danke ich Dir dafür, daß Du in Leoni warst und mit Niemöller gesprochen hast. Ich hoffe doch, daß auch seine Freunde einsehen werden, daß sie ihm einen guten Dienst tun, wenn sie ihm raten, den Weg des Einigungswerkes nicht zu sabotieren." 1 8 Problem, S. 7. L K A STUTTGART, D 1/225 (vgl. auch oben S. 41 f. 1 8 Wurm an Meiser, o. D . ; Antwort auf Meisers Brief vom 16. 8. 1945 ( L K A NÜRNBERG, Meiser 121). Meiser hatte in seinem Brief nach den Ausführungen über Niemöllers Absichten angefügt: „ E s tut mir namentlich für Dich außerordentlich leid, daß Deine jahrelangen Bemühungen um die Einigung innerhalb der D E K im entscheidenden Augenblick in Frage gestellt zu werden drohen. Zu befürchten war es von Anfang an. Aber vielleicht schenkt Gott doch die Gnade, daß Treysa uns nicht in neue N o t hineinführt, 16 17

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Vorstellungen und Beschlüsse des Bruderrats

Die Neuordnungsvorstellungen der Frankfurter Tagung folgen tatsächlich dem Weg des Einigungswerkes. Dadurch konnten die Bruderratsmitglieder, die das Einigungswerk von Anfang an unterstützt hatten, ebenso ihre Entscheidung als legitim ansehen wie diejenigen, die nach 1945 mit Vertretern der Mitte vorläufige Kirchenleitungen gebildet haben 1 9 . Aus dem Protokoll geht nicht hervor, wer Niemöller umgestimmt hat und mit welchen Argumenten dies geschah. In Niemöllers Tagebuch finden sich zu der Bruderratssitzung nur positive Äußerungen zum Klima und zum Verlauf, wie ζ. B . folgende Eintragungen zeigen: am 21. August „schöne Verhandl[un]g", am 22. August „Sachen laufen gut", am 24. August „Schwere Arbeit; schöne Aussprachen." Niemöller hatte ja als eine „schwebende Frage" ausdrücklich das Verhältnis Bruderräte-Wurm-Einigungswerk für die Tagung in Frankfurt auf die vorläufige Tagesordnung gesetzt. Im Protokoll wird zu dieser Frage nur eine Bemerkung von Niemöller wiedergegeben: „ D a s Verhältnis zu dem Einigungswerk wird sich von selbst regeln." Diese Annahme Niemöllers ist nach den in Frankfurt gefallenen Entscheidungen zur Kirchenordnung mehr als berechtigt. Denn der Bruderrat hatte die Ziele des Einigungswerkes teilweise schon von sich aus in seine Beschlüsse von Frankfurt integriert. In Treysa wurden sie mit Zustimmung des Bruderrats durch die Zusammensetzung des Rates und durch die Annahme der Vorläufigen Ordnung der E K D zu Ende geführt. So wird dann auch in dieser Vorläufigen Ordnung, jedenfalls verbal, die Einigung gepriesen. Auffallend ist in diesem Dokument die Häufung von Begriffen wie Einheit, Einigung, vereinigen und Gemeinsamkeit. Aus dem Verhandlungsabiauf in Treysa und aus der Geschichte der E K D bis zum Sommer 1948 wird allerdings deutlich, daß diese Vokabeln nicht die Realität wiedergeben, sondern vielmehr die Funktion erfüllen, die fehlende Einigkeit zu beschwören oder gar zu ersetzen. Die 13 Sätze des Kirchlichen Einigungswerkes lehnt Niemöller allerdings als Grundlage für weiteres kirchliches Handeln ab. An der Barmer sondern uns ein Stück zu dem von Dir und uns allen erstrebten Ziele weiter hinbringt." Am 11. 8. hatte Meiser bereits die Einladungen zur lutherischen Bischofskonferenz in Treysa verschickt, und am 30. 7. teilte Fleisch Meiser schon mit, daß er einen Entwurf „für einen festeren Zusammenschluß" herstellen werde. Meiser konnte doch nicht im Ernst behaupten, daß das Ziel des Einigungswerkes die lutherische deutsche Kirche war. 1 9 Held und Dibelius waren im Beirat des EinigungsWerkes; die 13 Sätze hatten Asmussen, Böhm, Dibelius, Held, Kloppenburg, Hahn und Albertz unterschrieben. Martin Albertz (1883-1956), Lie., 1931 Sup. Spandau, 1933 suspendiert, 1934-1945 in leitenden Ämtern der BK, 1945 Prof. für Reformierte Theologie und Neues Testament an der Universität und Kirchlichen Hochschule Berlin. Hans Böhm (1899-1962), Dr. phil., 1934 Pfr. Berlin, 1936 Mitglied der 2. VKL, 1945-1959 Propst Berlin, 1949-1959 zugleich Geistl. Leiter des Berliner Konsistoriums.

Entscheidung für den Weg seit 1943

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Theologischen Erklärung kann für ihn der Neuaufbau der Kirche auf keinen Fall vorbeigehen; ein Entgegenkommen in bezug auf personale Entscheidungen bedeutet nicht die Aufgabe von unaufgebbaren Positionen, sondern es ist ein Akt der gebotenen Versöhnung 2 0 . H u g o Hahns Bemerkung, die 13 Sätze „als ausgestreckte Hand zu manchen Brüdern außerhalb der B K , die jetzt nicht wieder zurückgezogen werden darf" nicht abzuwerten, stehen zu Niemöllers Intentionen nicht im Widerspruch, denn sie berühren auch den Bereich der Versöhnung. Unbestritten anerkannt ist die Person und die Autorität Wurms. Seine Bevollmächtigung durch die Konferenz der Landesbruderräte wird ausdrücklich bestätigt. Und seine im Einigungswerk bewährte Fähigkeit, zwischen auseinanderstrebenden Gruppen zu vermitteln, soll jetzt der Bewahrung der durch die lutherischen Konfessionalisten bedrohten Einheit der D E K dienen. Der Bruderrat weiß, daß der Lutherrat noch vor der Kirchenführerkonferenz in Treysa tagen wird und vermutet mit Recht, daß dahinter der Plan einer vereinigten lutherischen Kirche steht. Er schätzt auch die tatsächlichen Machtverhältnisse innerhalb des Lutherrates richtig ein, wenn er meint, diesen Lutherblock schwächen zu können, indem man Wurm zur Bekennenden Kirche hinüberzieht und ihn auf die Ziele der Bekennenden Kirche verpflichtet, was in diesem Zusammenhang bedeutet, die Einheit der evangelischen Kirche den Einigungsbestrebungen einer Konfessionskirche vorzuordnen 2 1 . Daß Wurm dann in Treysa tatsächlich diese Funktion erfüllt, hängt zusätzlich noch mit besonderen Traditionen der württembergischen Landeskirche zusammen 2 2 . Ohne den Rückhalt in seiner Landeskirche hätte Wurm sich vielleicht auf die Dauer den Forderungen der Lutheraner nicht widersetzen können. U m Wurm in dieser Abwehrhaltung rechtzeitig zu stützen, beschließen die Bruderratsmitglieder, ihm anzubieten, „ i m Reichsbruderrat oder in der Reichsbekenntnissynode mitzumachen". Einen Tag später wählen sie ihn dann in einen neugebildeten „ R a t der Bekennenden Kirche" 2 3 . 2 0 Vgl. auch Niemöllers Schreiben an Wurm vom 5. 8.1945: „Steht aber die Bekennende Kirche zu ihrem Bekenntnis und zu ihrer Verpflichtung von 1934, so sähe ich meine Aufgabe darin, die Versöhnung mit all denjenigen chistlichen Kreisen in der Evangelischen Kirche wiederherzustellen zu versuchen, die sich vom Wege der Bekennenden Kirche aus Schwachheit oder Berechnung getrennt haben" ( L K A STUTTGART, D 1/225; vgl. auch oben S. 61). Wurm drückt in seinem Antwortbrief die besondere Freude über diesen Satz aus. Vgl. auch Niemöllers Aussagen über Versöhnung und Amtsübernahme in seinem Einleitungsreferat zu der Tagung in Frankfurt (oben S. 53). 2 1 P. FLEISCH, V E L K D S. 43: „ D a s Einigungswerk zeigte, daß Württembergs Interesse sich vom lutherischen wieder auf den gesamtevangelischen Bereich zu verlagern begann." 2 2 Vgl. Wurm in seiner Eröffnungsrede der Kirchenkonferenz von Eisenach (EISENACH,

S. 68). 23

Vgl. unten S. 67f.

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Vorstellungen und Beschlüsse des Bruderrats

Der Beschluß in Frankfurt war aber auch eine bewußte, der konkreten Lage entsprechende Entscheidung. Held sagte während der Beratungen in Treysa am 29. August zu dem Beschluß: „Unsere Vorlage soll ein Angebot zum Frieden sein." 2 4 In diesem Sinne verstand Wurm das Anliegen des Bruderrats, das damit ganz seinen eigenen Vorstellungen von Versöhnung und Ausgleich entsprach. Er konnte deswegen sofort die Wünsche des Bruderrats für Treysa akzeptieren, sich für sie in der Versammlung einsetzen und sie unterstützen. Er kämpfte somit in Treysa gleichzeitig für die Fortsetzung seines Einigungswerkes und die Annahme der vom Bruderrat der Bekennenden Kirche gemachten Vorschläge für eine Vorläufige Kirchenleitung der evangelischen Kirche.

Motive

für die Entscheidung

des

Bruderrates

Was hat die in Frankfurt Versammelten nun neben der Tatsache des Einigungswerkes und der dadurch vollzogenen Entscheidungen, Annäherungen und Veränderungen des kirchlichen Klimas dazu bewogen, ein eindeutiges BK-Konzept nicht vorzulegen? Die Gründe sind folgende: 1. Sachliche Schwierigkeiten, eben ein solches eindeutiges Konzept darzulegen, da es dieses nie gegeben hatte 25 . Durch die extremen historischen Bedingungen war die Bekennende Kirche verstärkt dazu gezwungen worden, sowohl auf direkte Angriffe des Staates als auch auf Eingriffe der staatlichen Kirchenbehörden zu reagieren. Die dadurch ständig veränderte Situation verhinderte einmal ein einheitliches Vorgehen, behinderte aber auch die Ausarbeitung eines einheitlichen Konzeptes 26 . 2. Hinzu kamen die interkonfessionellen Auseinandersetzungen um die Verbindlichkeit der Bekenntnissynoden und der von ihnen verkündeten Grundsätze und beschlossenen Maßnahmen und um die Rechtmäßigkeit der von ihnen eingesetzten Organe mit kirchenleitenden Funktionen. Nicht nur wegen des staatlichen, sondern auch wegen des innerkirchlichen Widerstandes hatte sich das Dahlemer Notrecht nie 24

Handschriftliche Notizen Meisers (LKA NÜRNBERG, Meiser 121). „Die Durchleuchtung der Entstehungsgeschichte der BK unter der Frage ihrer Struktur ergab auf jeden Fall aber, daß von Beginn bis zum Schluß des Kampfes schon die Konzeption der BK nicht einheitlich war. Der Anspruch, daß sie die rechtmäßige DEK sei, stand in Barmen, wie in Dahlem, wie nachher einem Verständnis gegenüber, das sie nur als eine innerkirchliche Gemeinschaft wollte. Auch die Praxis verwirklichte beide Intentio25

n e n " (K. D . SCHMIDT, Fragen, S. 220). 26

193).

Vgl. auch im Gutachten von Erik Wolf das Kapitel VII (F. SÖHLMANN, Treysa, S.

Motive für die Entscheidung

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durchsetzen lassen, was seiner überzeugenden theologischen Konzeption allerdings keinen Abbruch tut. 3. Die Tatsache, daß es bestehende Landeskirchenleitungen gab, die nicht als unkirchlich bezeichnet werden konnten 27 . 4. Der in Treysa drohende lutherische Zusammenschluß, der es notwendig machte, durch ein Friedensangebot Partner zu gewinnen. 5. Die Notwendigkeit, sich mit den Kirchenführern zu arrangieren, da die Gemeinde in der damaligen Situation als Entscheidungsfaktor nicht in Betracht kam. Die Bevölkerung war physisch und psychisch völlig erschöpft; durch den Flüchtlingsstrom wurden noch erhalten gebliebene Gemeindestrukturen aufgelöst. Der Zustrom zur Kirche war zwar zu dieser Zeit besonders stark, aber das Interesse galt dem Gottesdienst als einer vertrauten Form mit tröstender und wegweisender Funktion. Andere kirchliche Angebote wurden wegen ihres Gemeinschaftscharakters in Anspruch genommen. Aber als Stätte der Auseinandersetzung hätte die Kirche die Gemeinde überfordert, wie die Aufnahme der Stuttgarter Erklärung in weiten Teilen der evangelischen Bevölkerung zeigte 28 . 6. Die Personalnot innerhalb der Bekennenden Kirche, wie sie in dem Brief von Dibelius, den Niemöller in seinem Referat zitiert, angesprochen wird und wie Niemöller selbst in dem Memorandum vom 20. Juli 1945 an die Besatzungsmächte ausführt. 7. Psychologische Momente, die man auch bei den in Frankfurt tagenden Mitgliedern nicht übersehen darf; nämlich Erschöpfung durch den Krieg, durch Haft und durch die Arbeit in der Illegalität und Angst vor erneuter Isolierung; die Gefahr einer ghettohaften Existenz taucht immer wieder in den Diskussionen des Bruderrats auf. 8. Besondere Bedeutung hat ohne Zweifel die Tatsache gehabt, daß es nur eine vorläufige Neuordnung mit vorläufigen Ämtern und vorläufi2 7 E. WOLF führte zu dieser Frankfurter Entscheidung aus: „Maßgeblich war vielmehr der sachliche, materiell-kirchliche Grund, daß in den .intakten' Kirchen bekenntnismäßige Leitungen bestanden, die sich (auch nach 1945) als legitime Vertreter ihrer Landeskirchen betrachten durften und verhalten konnten" (Entstehung, S. 10). 2 8 H . - J . BENEDICT urteilte 1969 in einem Aufsatz über die Zeit nach 1945: „Es hätte zwar anders aber keineswegs völlig anders kommen können, weil es simpel gesagt, an dem Potential für einen wirklichen Neuanfang fehlte . . . Und um Karl Barths in Christengemeinde und Bürgergemeinde' entwickeltes Modell einer exemplarisch und diakonisch nach außen wirkenden Kirche zu realisieren, hätte es eben einer aktiven Gemeindekirche bedurft. Da es aber vor allem intakte lutherische Landeskirchen gab, stand die Restauration der Volkskirche so gut wie fest. Es ist zu einfach, über die restaurative Rolle der V E L K D zu klagen (E. Wolf, Diem), schon in Treysa hätten die Männer der BK den Lutheranern ihr Programm aufzwingen sollen, falls sie eines hatten" (Forderung, S. 331). So richtig Benedicts Analyse ist, so zweifelhaft sind seine Handlungsanweisungen, die zudem die Schwierigkeiten der damaligen Situation einfach übergehen.

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Vorstellungen und Beschlüsse des Bruderrats

gen Personalentscheidungen war. Dieses Argument übersieht freilich, daß vorläufige Lösungen, vor allem wenn sie sich auf Überliefertes, Standfestes in einer Zeit der völligen Haltlosigkeit, Unsicherheit und extremen materiellen Notzeit stützen, Vorentscheidungen für endgültige Lösungen sind, die nur schwer zu revidieren sind. Dennoch hat Niemöller wohl gehofft, etwas Neues sei möglich. Darauf weist eine Äußerung von ihm, die sonst gar nicht in das Bild paßt: „ B e i der möglichen Entwicklung der Kirche zur Freikirche würden die Bruderräte ohnehin die einzigen Leitungsorgane bleiben." 2 9 Während der Verhandlungen in Treysa betonen dann sowohl Niemöller als auch Asmussen die Vorläufigkeit ihrer Beschlüsse. Dies soll den Lutherrat zu Zugeständnissen veranlassen, die der Bruderrat bereits gebracht hat 3 0 . Asmussen sagt: ,,Dem R[eichs] Β [ruder] Rat geht es um Provisorien, in keiner Weise um endgültige Entscheidungen (vorher allgemeine Wahlen)." Niemöller führt im gleichen Sinne aus: „ E s geht für uns darum, ob wir feststellen können, daß wir den Weg der Interimszeit auf einer Linie und in einer Richtung zu marschieren in der Lage sind. Unter diesem Gesichtspunkt stand die Tagung in Frankf u r t . " 3 1 So bot die Interimslösung den verschiedenen Richtungen Trost. Zu diesem Zeitpunkt nicht durchsetzbare Positionen mußten scheinbar nicht aufgegeben, sondern nur verschoben werden. Die Lutheraner hofften trotz Treysa auf eine V E L K D , die Mehrheit des Bruderrates hoffte darauf, mit Unterstützung der Gemeinde die Kirchenleitungen zu durchdringen 3 2 , und Niemöller hoffte, daß in den Landeskirchen, die im Zuge der politischen Entwicklung sich notwendig den neuen Aufgaben als nicht gewachsen erweisen würden, das bruderrätlich-synodale Modell die Kirchenleitungen ersetzen würde 3 3 . So heißt es in den Erläuterungen zu der Konvention von Treysa in Punkt 3: „ D i e vorläufige Ordnung bedeutet nicht eine Vorwegnahme der endgültigen Gestalt der E K D . "

Protokoll der Frankfurter Tagung ( L K A DARMSTADT, 36/22). In seinem Frankfurter Referat hatte M. Niemöller sich noch heftig dagegen gewehrt, mit dem Hinweis auf die „Ubergangszeit" sich mit Kompromissen zu begnügen. 3 1 Meisers handschriftliche Notizen (vgl. oben Anm. 24). 3 2 „ D e s weiteren wollte man nur ,vorläufig' ordnen, um einem organischen Zusammenwachsen der Landeskirchenleitungen mit den Landesbruderräten (das damals noch erhofft werden konnte) nicht vorzugreifen" (E. WOLF, Entstehung, S. 12). 3 3 Niemöller in seiner Rede in Treysa: „ U n d wer weiß, wie bald die Landeskirchen unter den gegenwärtigen Erschütterungen und in der hin- und herwogenden Menschenund Flüchtlingsflut in unserem Vaterland untergehen und zerbrechen werden müssen?" 29

30

( F . SÖHLMANN, T r e y s a , S . 2 4 / 2 5 ) .

Neuordnung der Bekennenden Kirche

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Die Neuordnung der Bekennenden Kirche Das zweite große Vorhaben der Tagung des Bruderrats in Frankfurt war die Neuordnung der Bekennenden Kirche. Wie man am Fall Wurm sieht, ist sie nicht ohne Folgen für den Verlauf und das Ergebnis der Konferenz von Treysa geblieben. Sie bestimmte einmal die Zusammensetzung der Delegation, legte teilweise die in Treysa anzuwendende Verhandlungsführung fest und traf personelle Vorentscheidungen für die Vorläufige Kirchenleitung der D E K . Die Neuordnung der Bekennenden Kirche umfaßte mehrere Aspekte: Die Neubesetzung und Ergänzung der Organe, das Aufstellen von Regeln für die zukünftige Ergänzung und die Verabschiedung einer Geschäftsordnung. In einen „ R a t der Bekennenden Kirche" wurden folgende Männer gewählt: Wurm, Asmussen, Kloppenburg, Lilje (lutherisch) 34 ; Niemöller, Dibelius, Held (uniert); Albertz, Niesei (reformiert). Zu Sprechern wurden Wurm, Niemöller und Dibelius bestimmt. Sie bildeten zugleich das Gremium, das der Reichsbruderrat in Treysa als die zu konstituierende Vorläufige Kirchenleitung vorschlagen wollte. Niemöller hatte schon am ersten Tag von der Versammlung in Frankfurt gefordert, für die Kirchenkonferenz in Treysa einen Vorschlag für eine Vorläufige Kirchenleitung auszuarbeiten, diesen in Treysa Meiser und Wurm vorzulegen, um ihn dann nach der Billigung durch die Bischöfe endgültig vom Reichsbruderrat beschließen zu lassen. Wurm schreibt dazu in seinen Erinnerungen: „Niemöller berichtete mir, der Reichsbruderrat werde ein Dreimännerkollegium zur vorläufigen Leitung vorschlagen, mich als Vorsitzenden, Niemöller als meinen Stellvertreter und Dibelius. Als ich bemerkte, daß unbedingt ein ausgesprochener Lutheraner hinzugewählt werden müsse, war er sofort einverstanden. Wir dachten an Bogner, Augsburg oder Lilje, H a n n o v e r . " 3 5 Während einer Krisensituation in Treysa gab Wurm dann am 30. August um 16 U h r eine Erklärung ab, in der sich Niemöller, Dibelius und er selbst aus eigener Vollmacht zur vorläufigen Kirchenleitung ernannten; Bitten der Brüder und die Lage, „aus der sich kein Ausweg gezeigt hat", drängten sie zu dieser „Bereitschaftserklärung". Wie aus Meisers Notizen hervorgeht, wurde dieser Vorschlag abgelehnt 36 . 3 4 Hanns Lilje (1899-1977), Dr., 1927-1936 Generalsekretär der Deutschen Christlichen Studentenvereinigung, 1936-1944 Mitarbeiter im Lutherrat Berlin, 1945-1947 O L K R Hannover, 1947-1971 Landesbischof der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers; 1945-1973 Mitglied des Rates der EKD, 1955-1966 Leitender Bischof der V E L K D . 3 5 Erinnerungen, S. 180. Wilhelm Bogner (1897-1946), 1933 Pfr. und 1939 Dekan Augsburg, 1945 O K R München. 3 6 L K A NÜRNBERG, Meiser 121.

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Vorstellungen und Beschlüsse des Bruderrats

Der „Rat der Bekennenden Kirche" hat keine Funktionen wahrgenommen. So wurde er auch am 15. und 16. Oktober 1947 durch Beschluß des Bruderrates aufgelöst und seine Mitglieder zu Mitgliedern des Bruderrates erklärt 37 . Bei der Wahl der Delegation des Reichsbruderrates in Treysa schieden die Bruderratsmitglieder aus, die direkt von Landesbischof Wurm auf Grund eines Amtes eingeladen worden waren, nämlich Held, Asmussen, Lücking, Albertz, Böhm, Fricke und Hahn. Als Vertreter des Reichsbruderrates wurden G. Ritter, Erik Wolf, Iwand, Ehlers 38 , Hammelsbeck, Niesei und Hildebrandt bestimmt; Niemöller wurde „mit vollem Vertrauen der Versammelten" zum Sprecher und Vorsitzenden der Delegation gewährt. Im Auftrag von Asmussen wurden Barth und Gisevius als Gäste mit in die Delegation aufgenommen. Als weitere wichtige Vorarbeiten für die Konferenz von Treysa wurden von der Bruderratstagung die Entwürfe für ein Wort an die Pfarrer und ein Wort an die Gemeinden verabschiedet. Das Letztere wurde ohne Änderung von der Kirchenversammlung übernommen, das Wort an die Pfarrer wurde dem neugebildeten Rat der EKD zur Überarbeitung überwiesen. Auch der Frankfurter Beschluß zur Schulfrage wurde im Wesentlichen in dem Beschluß zur Schulfrage von Treysa verarbeitet. Der vom Bruderrat gebildete Ausschuß, der für alle mit der Evakuierung der Pfarrer aus den Ostgebieten im Zusammenhang stehenden Fragen verantwortlich sein sollte, ist in Treysa in dieser Konzeption akzeptiert worden und hat gleich praktische Aufgaben in Angriff genommen. Der Bruderrat hatte als Ausschußmitglieder folgende Brüder bestimmt: Niemöller, Iwand, Staemmler, Niesei, Ehlers, Hildebrandt, Gehlhoff und einen Vertreter für Schlesien. In Treysa bildeten folgende Männer den Ausschuß: Niemöller, Hardt, Iwand, Konrad, Gehlhoff, Pressel und Brunotte 39 . Protokoll der Tagung (LKA DARMSTADT, 36/23). Hermann Ehlers (1904-1954), Dr. jur., Rechtsanwalt, 1934-1945 Mitarbeiter in der BK, 1945 O K R Oldenburg, 1950-1954 Präsident des Deutschen Bundestags. 3 9 Gerhard Gehlhoff (1896-1954), Dr. phil., 1934-1945 Pfr. Lupow, nach 1945 Beauftragter für Heimatvertriebene in der Ev. Kirche in Westfalen. Rudolf Hardt (1900-1959), 1939 KonsRat Münster, 1946 Leiter der Bodelschwinghschen Anstalten Bethel und Vorsitzender des Provinzialverbandes der Inneren Mission in Westfalen. Joachim Könrad (1903-1979), Dr. phil., Dr. theol., 1933 Privatdozent Breslau, 1935 abgesetzt, Mitarbeiter der BK in Schlesien, 1940 Pfr. Breslau, 1946 Prof. für Praktische Theologie und Systematische Theologie Münster, 1950 Ministerialrat im nordrheinwestfälischen Kultusministerium, 1954-1968 Prof. Bonn. Wolfgang Staemmler (1889-1970), 1931-1933 Direktor des Predigerseminars Frankfurt/ Oder, 1934 Pfr. Großkugel, im Dienst der BK, 1945-1963 Propst Wittenberg und bis 1950 Studiendirektor des Predigerseminars Wittenberg. 37 38

Neuordnung der Bekennenden Kirche

69

Somit war die Frankfurter Sitzung tatsächlich, wie Wurm es gehofft hatte, zu einer Yorsynode für die Konferenz in Treysa geworden, und zwar sowohl in bezug auf die Themen und das Material als auch in der Tendenz der Beschlüsse zur Neuordnung der Kirche.

Kapitel 5 ZUR R E C H T S L A G E DER D E U T S C H E N E V A N G E L I S C H E N KIRCHE

Die Frage nach der

Rechtskontinuität

„Die große Schwierigkeit für die Treysaer Konferenz bestand darin, trotz mangelnder Vorbereitung und fehlenden Gedankenaustausches eine gemeinsame Grundlinie für die kirchenrechtliche Beurteilung des vorliegenden Tatbestandes zu gewinnen, auf Grund derer eine Neugestaltung angefaßt werden konnte. Man war sich in den elementarsten Grundfragen nicht einig. Es ging um die Frage, ob überhaupt eine Rechtskontinuität vom Gestern zum Heute bestehe oder ob aus einem absoluten Nichts neu begonnen werden müsse." 1 Brunotte ist mit diesem Urteil recht zu geben, nur verdeckt er mit dem, was er als die entscheidende Frage formuliert, die wirklichen Probleme in diesem Zusammenhang: 1. Der Begriff der Rechtskontinuität ist in sich problematisch, weil sich eben verschiedene Rechtsformen im Gestern entwikkelt haben und damit verschiedene Rechtsauffassungen; 2. die Alternative mit dem „absoluten Nichts" ist mißverständlich, denn das Landeskirchenrecht bot auf jeden Fall einen Anknüpfungspunkt. Die Frage nach der Rechtskontinuität ist müßig, solange nicht geklärt ist, welches Recht gemeint ist. Und dies wiederum nur juristisch klären zu wollen, ist jedenfalls im Raum der Kirche nicht möglich, d. h. es sollte seit Barmen nicht mehr möglich sein. Denn kirchliche Rechtsauffassungen sind unlösbar verbunden mit bestimmten theologischen und ekklesiologischen Überzeugungen. Im Sommer 1945 waren rechtliche Begriffe zusätzlich belastet durch Kontroversen aus dem Kirchenkampf und bestimmt durch unterschiedliche Erfahrungen der vorangegangenen Jahre und unterschiedliche Auswertung gemeinsamer Erfahrungen. Welche Sicht der Rechtslage die größere Durchsetzungskraft besitzen sollte, war darüber hinaus wesentlich von den kirchenpolitischen Machtverhältnissen abhängig.

1

H . BRUNOTTE, G r u n d o r d n u n g , S. 6.

Gruppierungen vor Treysa

71

Gruppierungen vor Treysa Wie sahen nun die kirchenpolitischen Machtverhältnisse aus? Die entscheidenden Gruppierungen auf der Kirchenkonferenz in Treysa waren der Lutherrat unter der Führung von Landesbischof Meiser, das Einigungswerk unter der Führung von Landesbischof Wurm und der Bruderrat unter der Führung von Martin Niemöller. In jeder der drei Gruppen hatte es vor der Konferenz Gespräche gegeben: der Lutherrat tagte in Treysa zwei Tage vor der Kirchenkonferenz, Wurms Reise nach Bethel hatte der Verständigung innerhalb des Einigungswerkes gedient, und der Bruderrat hatte sich eine Woche vor Treysa in Frankfurt versammelt. Die seit 1937 bestehende ,,Kirchenführerkonferenz" trat nicht als festgefügte Gruppierung auf. Diese Einteilung täuscht allerdings Einheitlichkeit im Vorgehen und Einigkeit in den Zielen nur vor; denn die Gruppen können nicht so scharf getrennt voneinander gesehen werden. Zwischen dem Einigungswerk und dem Bruderrat gab es ebenso Beziehungen wie zwischen dem Einigungswerk und dem Lutherrat. Die Kirchenführerkonferenz war wiederum ein Gremium, das durch Personalunion sowohl mit dem Lutherrat als auch mit dem Einigungswerk verbunden war. Hinzu kommt, daß einzelne Persönlichkeiten unabhängig von ihrer Funktion als Vertreter einer Gruppierung gesehen werden müssen, wie ζ. B . Wurm. Er gehörte zum Lutherrat, zur Kirchenführerkonferenz, zum Einigungswerk und hatte gleichzeitig besondere Beziehungen zu den Bruderräten. Die Lutherratspolitik lehnte er ab, weil sie für ihn eine Bedrohung der evangelischen Kirche darstellte, die Kirchenführerkonferenz sah er als eine zeitbedingte Notkonstruktion an, deren Vorsitzender Marahrens zudem dem Staat gegenüber eine Haltung eingenommen hatte, die er nicht gutheißen konnte, und einigen Forderungen des Bruderrates begegnete er mit dem Hinweis auf Verpflichtungen aus dem Einigungswerk. Die Einheitlichkeit innerhalb der Gruppen war aber vor allem dadurch erschüttert, daß die politische und kirchliche Situation gegenüber ihrer jeweiligen Entstehungszeit völlig verändert war und damit eine Überprüfung der Zielsetzung forderte. Ein Lutherrat als Zusammenfassung lutherischer Landeskirchen und Bruderräte gegen die deutschchristliche Kirchenregierung in einem nationalsozialistischen Staat ist ζ. B . eine andere Sache als die Errichtung einer Vereinigten lutherischen Kirche in Deutschland vier Monate nach dem totalen Zusammenbruch von Staat und Gesellschaft. Der Anspruch des Lutherrates, die Reinheit des lutherischen Bekenntnisses zu wahren, und zwar nicht nur gegen die Deutschen Christen, sondern auch und vor

72

Z u r Rechtslage der D E K

allem gegen unionistische Bestrebungen, erlaubten ihm allerdings, seine Frontstellung auch in der veränderten Situation aufrechtzuerhalten. Eindeutig zeitbedingt in seiner Entstehungsursache, seiner Zielsetzung und seinem Programm war das Einigungswerk. Eine Analyse der Unterschriftenliste zeigt deutlich, daß von einer Einigung im Geiste keine Rede sein konnte, sondern daß lediglich der gemeinsame Feind als Einigungsformel gedient hatte. Die durch das Einigungswerk erreichte Gesprächsbereitschaft innerhalb der gesamten evangelischen Kirche verliert durch diese Feststellung allerdings nichts an ihrem Wert. Die Zeitbedingtheit des Programms kann man auch daran ablesen, daß von den ,,13 Sätzen" nach 1945 nicht mehr die Rede war, auch nicht bei ihren ursprünglichen Autoren und Verfechtern 2 . Schließlich hat Wurm selbst in den Ergebnissen der Kirchenkonferenz von Treysa das Ziel des Einigungswerkes als erreicht gesehen. Auch die durch das Dahlemer Notrecht geschaffenen Organe, die Landes- und Provinzialbruderräte, der Reichsbruderrat und die Vorläufige Kirchenleitung, von denen die letzten beiden wegen Verfolgung und Verhaftung ihrer Mitglieder ihre Aufgaben über viele Jahre hinweg nicht mehr erfüllen konnten, waren von der Diskussion um die Zeitbedingtheit ihrer Ansprüche und Ziele nicht ausgenommen. U n d nicht nur Außenstehende wie Brunotte und Fleisch 3 sahen diese als selbstverständlich an, sondern auch im Kreise der Bruderräte gab es Stimmen, die mit dem Ende des Kirchenkampfes auch das Ende der Bekennenden Kirche als Organisationsform gekommen sahen. Tatsächlich setzt dieser Auflösungsprozeß mit dem Kompromiß in Treysa ein, durchläuft konsequent weitere Stadien, bis der Bruderrat 1948 in Eisenach seine Ziele als in der Grundordnung verwirklichte und bewahrte anerkennen muß.

2 Eine A u s n a h m e bildet der Brief von O K R Sautter v o m 11. Juli 1946 an A s m u s s e n . Anlaß des Schreibens war das Gutachten „ D i e Gestalt der E K D " v o n H . Mochalski, in d e m dieser unter anderem feststellte: „ W e n n das Kennzeichen einer Kirche ihr Bekenntnis ist, dann ist die E K D keine Kirche, da sie kein Bekenntnis h a t . " Sautter war über diese A u s s a g e ,.tief e r s c h r o c k e n " , denn „ d i e 13 P u n k t e sind das aus d e m K a m p f geborene u n d im K a m p f erprobte - man kann nicht anders sagen als - Bekenntnis der E K D . " Sautter fuhr f o r t : „ D e s h a l b habe ich 1945 die 13 Sätze, allerdings unter W e g l a s s u n g der Unterschriften, drucken lassen und wieder in Männerkreisen d a r ü b e r gesprochen . . . " ( A E K D , 00 B d . I ) .

H e r b e r t Mochalski (geb. 1910), von 1935 an P f r . im D i e n s t e der B K , 1948-1951 G e s c h ä f t s f ü h r e r des Reichsbruderrats D a r m s t a d t , 1951-1961 Studentenpfr. F r a n k f u r t a. M . Reinhold Sautter (1888-1971), 1928 Religionslehrer Stuttgart, 1936 Kirchenrat u n d 1937-1953 O K R Stuttgart. 3 Paul Fleisch (1878-1962), D r . theol., 1932 Geistl. Vizepräsident des L K A m t e s H a n n o ver, 1933 zwangspensioniert, 1937 rehabilitiert, 1936 Stellv. Vorsitzender des Lutherrats, 1950 Prior des Klosters L o c c u m .

Anknüpfung an die Verfassung von 1933

73

Die Meinungsbildung vor der Kirchenkonferenz von Treysa Die Vorläufige Ordnung der E K D war ein erstes Ergebnis der vielfältigen und gegensätzlichen Meinungen und Erwartungen innerhalb der evangelischen Kirche. Diese sind vielfach in Rechtsgutachten, die speziell zur Orientierung der jeweiligen Kirchenführer angefertigt wurden, niedergelegt. Erik Wolf legte im Sommer 1945 ein Gutachten für Landesbischof Wurm vor. Auch Landesbischof Meiser ließ sich von bayerischen Kirchenjuristen beraten; aus der Zeit vor der Kirchenkonferenz stammen Gutachten von Hans Meinzolt und von Johannes Heckel, aus der Zeit danach eine Auseinandersetzung Hans Liermanns 4 mit dem Wolfschen Gutachten. Die Diskussion um die Rechtslage der E K D war durch die Konvention von Treysa natürlich nicht abgeschlossen, denn einmal ließ diese viele Fragen offen, zum anderen wurde durch Ausführungsbestimmungen jeweils die Rechtslage verändert. Aus der Argumentation der Rechtsgutachten ergeben sich folgende Teilfragen: 1. Besteht die D E K als Körperschaft des öffentlichen Rechts weiter? 2. Gilt die Verfassung von 1933 noch? 3. Bestehen noch Organe der D E K ? 4. Ist die Gesetzgebung der D E K noch gültig? 5. Welche Beurteilung erfährt das kirchliche Notrecht? 6. Wird die Selbständigkeit der Landeskirchen betont? 7. Auf welchem Wege gelangt man zur Neuordnung, d. h. a. zu einer Ubergangsordnung, zu einer vorläufigen Leitung, sowie b. zu einem verfassunggebenden Organ (d. h. welches Ubergangsorgan soll eine endgültige Ordnung beschließen)? In engem Zusammenhang mit der Beantwortung dieser Fragen steht die Einschätzung des zu dieser Zeit so häufig verwendeten Begriffs der Neuordnung, wobei neu durchaus qualitativ verstanden wird, nicht nur im Sinne einer Wiederholung. Ein wichtiges Kriterium wäre, in welchem Maße bei den Neuordnungsvorstellungen für die E K D an das Recht der D E K angeknüpft wird, d. h. inwieweit die alten Zustände wiederhergestellt werden sollen, inwieweit lediglich restauriert wird.

Anknüpfen

an die Verfassung von 1933

Brunotte und Marahrens sind hier an erster Stelle zu nennen, sie sind in ihren Vorstellungen einer Restauration am nächsten. Das hängt 4 Johannes Heckel (1889-1963), Dr. jur., 1928 Prof. für öffentliches Recht Bonn, 1934 München. [Fortsetzung S. 74],

74

Zur Rechtslage der D E K

sicherlich damit zusammen, daß beide hohe Ämter in DEK-Organen innehatten, so daß das Anknüpfen an diese Organe gleichzeitig die Funktion einer Selbstrechtfertigung erfüllte. Otto Weber, der als reformierter Vertreter an den Tagungen des Geistlichen Vertrauensrates teilgenommen hatte, schrieb am 7. Juni 1945 an Brunotte: „Ich habe angeregt, daß baldigst, etwa in Northeim eine Sitzung des G V R sei (wohl ohne Schultz, der schwerlich zu erreichen sein wird). Der G V R muß mindestens dies tun, daß er seine Zuständigkeiten geordnet abgibt, m. E. am besten an die Kirchenführerkonferenz Marahrens, die nach Lage der Dinge wohl gut tun wird, ihren Vorsitz an Wurm abzugeben und Vertreter der B K zuzuziehen." 5 Weber sah zwar den Geistlichen Vertrauensrat noch als legales Gremium an, war sich aber zugleich darüber im klaren, daß die kirchenpolitische Lage eine Umorientierung verlangte: nämlich Rücktritt des Geistlichen Vertrauensrates, Verzicht Marahrens' auf eine leitende Funktion und die Einbeziehung von Vertretern der Bekennenden Kirche 6 . So kommt Weber auf Umwegen mit diesem Vorschlag den Intentionen Wurms, wie sie in seinem Brief aus Bethel ausgesprochen werden, ziemlich nahe.

Anknüpfen

an ein Bekenntnisrecht

nach Art. 1 der Verfassung der DEK

Während Marahrens' Neuordnungsvorstellungen durch die Bestimmungen der Verfassung von 1933 begrenzt sind, will Wurm gerade ohne diese Begrenzungen mit dem Neuaufbau beginnen. Denn die Verfassung als Ganzes hatte sich nach Wurms Meinung als ein wenig wirksames Instrument zur Abwehr des Angriffes durch die Deutschen Christen erwiesen, ihre Organe waren entweder nie verfassungsmäßig besetzt oder durch die Amtsführung der DC-Kirchenregierung heillos zerstört worden. Wurm weist weiter auf ihre zentralistischen Tendenzen hin, die im Raum der Kirche keine Berechtigung hätten. Mit der Verwerfung ihrer Verfassung sei aber nicht automatisch die D E K als Rechtsgebilde untergegangen, denn als ein solches habe sie schon vor 1933 bestanden.

Hans Liermann (1893-1976), Dr. jur., 1929-1961 Prof. für Kirchenrecht Erlangen. Hans Meinzolt (1887-1967), Dr. jur., 1933-1945 O K R und Vizepräsident des Landeskirchenrats München, 1945-1946 und 1954-1957 Staatssekretär im bayerischen Kultusministerium. 5 A E K D , 047. Walter Schultz (1900-1957), 1933 „Landeskirchenführer" und 1934-1945 DC-Landesbischof der Ev.-luth. Landeskirche Mecklenburgs, 1952-1957 Pfr. Schnackenburg/Elbe. 6 H. LILJE zählt in seinen Erinnerungen den Geistlichen Vertrauensrat sogar zu den in Treysa vertretenen Gruppen und bedauert, daß er dort gar nicht zum Zuge kam (Memorabilia, S. 160).

A n k n ü p f u n g an A r t . 1 der V e r f a s s u n g der D E K

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Aber irgendwelche staatlichen Vorschriften, die die Kirche binden, bestünden nicht mehr. Dieser Gedanke wurde von Wurm schon in seinem Brief vom 28. Juni 1945 aus Bethel betont: „ A b e r sie hat durch den Gang der Geschichte eines wiedergewonnen, was sie in Deutschland nie in vollem Umfang gehabt hat: Die Freiheit, sich eine Ordnung zu geben, die einzig und allein durch den ihr gegebenen Auftrag bestimmt ist." 7 Wurms Beurteilung der rechtlichen Lage läßt eine gewisse Unsicherheit oder Unschlüssigkeit erkennen 8 . Aber deutlich ist, daß seine Interpretation zwei Punkte betonen möchte: einerseits die Freiheit der Kirche von allen alten DEK-Bindungen, andererseits das Festhalten an der Einheit der evangelischen Kirche und an den Verpflichtungen der Landeskirchen dieser Einheit gegenüber. Vorgegeben ist diese Spannung in dem Gutachten zur Rechtslage, das Erik Wolf für Wurm im Sommer 1945 anfertigte. In dem Gutachten heißt es: „ D i e ,Deutsche Evangelische Kirche' (auch ,Reichskirche' genannt), . . . besteht im Rechtssinne nicht mehr." 9 U n d im Frankfurter Beschluß des Reichsbruderrates beginnt der Abschnitt II mit dem Satz: „ D i e Versammelten stimmen darin überein, daß die 1933 geschaffene Reichskirche nicht mehr besteht und ihre Ämter fortgefallen s i n d . " 1 0 Aus dem Zusammenhang, in dem beide Aussagen stehen, aus den Folgerungen, die in beiden Dokumenten aus der bestehenden Lage gezogen werden, und aus den Vorschlägen, die für eine Ordnung gemacht werden, ist ersichtlich, daß nicht von einem rechtsfreien Raum ausgegangen wird. Denn in beiden Texten wird auf gesamtkirchliche Rechtsformen zurückgegriffen, nämlich auf die durch das Notrecht geschaffenen Organe und auf Zusammenschlüsse der intakten Landeskirchen. Im formal-positivistischen Sinne ist damit die Rechtskontinuität natürlich nicht gewahrt. Schon die Bekenntnissynode von Dahlem hatte in ihrer Botschaft festgestellt, daß die Verfassung der D E K „zerschlagen" sei, daß ihre „rechtmäßigen Organe" nicht mehr bestünden, und dennoch hat die Bekennende Kirche an der Grundlage der Verfassung festgehalten, ja an dieser Grundlage, dem Artikel 1, die Reichskirchenregierung gemessen und ihr die Christlichkeit ihres Handelns aberkannt. Zur Kirchenführerkonferenz hatten sich 1937 diejenigen Landeskirchenführer zusammengeschlossen, die „auf dem Boden von Artikel 1 der Verfassung der D E K vom 1 1 . 7 . 1933" standen. Daß diese Konfe-

7

L K A STUTTGART, D 1/208 (vgl. auch o b e n S. 3 0 f f . ) .

D i e s e Unsicherheit finden wir über T r e y s a I hinaus in den V o t e n des Rates der E K D (vgl. unten S. 167f.). 8

9 10

F . SÖHLMANN, T r e y s a , S. 181. Z u d e m Gutachten vgl. auch unten S. 81 ff. E b d . , S. 175.

76

Zur Rechtslage der D E K

renz gleichzeitig versuchte, ihre Leitungsgremien in Anlehnung an Bestimmungen der Verfassung zu bilden und auch sonst darauf bedacht war, ihre „Legalität" zu wahren, indem sie ζ. B. keine Bruderräte aufnahm, ist zwar inkonsequent und in sich widersprüchlich, wertet aber den auch in diesem Kreis vollzogenen Rückbezug auf die Bekenntnisgrundlagen nicht ab. Erik Wolf stellt seinem Gutachten, um allen Mißverständnissen vorzubeugen, einige Gedanken zur Beurteilung von Rechtsfragen in der Kirche voran: „ D i e Frage, wie wir zu einer rechtmäßigen Neuordnung unserer leitenden Ämter kommen könnten, ist zwar eine Rechtsfrage, aber eine kirchliche Rechtsfrage. Damit ist gesagt, daß sie nur im Geist der Kirche, die an Schrift, Bekenntnis und Gewissen gebunden ist, gestellt werden kann und nur in diesem Geist beantwortet werden darf. Die juristischen Gründe einer solchen Antwort sind zwar wesentlich, aber nicht das Wichtigste. Eine Kirchenordnung kann juristisch intakt und dabei doch rechtlich fragwürdig sein, ja geistlich Not leiden." 1 1 Die berechtigte Forderung nach Rechtskontinuität kann sich deshalb in der Kirche nie, besonders in einer Zeit des Kirchenkampfes und in einer Zeit, die Ursachen und die Ergebnisse dieses Kampfes auszuwerten hat, damit begnügen, die formale Ubereinstimmung zwischen dem Gestern und dem Heute zu überprüfen. Das Argument der bloßen Legalität ist hinfällig, wo sich eben diese Legalität als Feind der Kirche erwiesen hat.

Wiedererlangte

Selbständigkeit der

Landeskirchen12

Wurm betonte in seinem Brief an Marahrens vom 8. Juli 1945, daß Meiser seine Meinung über die Rechtslage der Kirche teile; ebenso versicherte Meiser in seinem Brief vom 21. Juli 1945 an Brunotte, daß Wurm mit ihm übereinstimme. Tatsächlich sehen beide die D E K als nicht mehr existierend an. Aber die Folgerungen, die sie aus der Lage ziehen, sind in charakteristischer Weise unterschiedlich. Meiser schreibt an Brunotte: „Wir sind der Meinung (auch Meinzolt), daß die D E K als Gebilde dahingefallen und infolgedessen in bezug auf sie der kirchliche Notstand eingetreten ist. Die erste Aufgabe der Ebd., S. 181. „In einigen Kirchen wurde aus dem Zusammenbruch des .Dritten Reiches' und der in ihm geschaffenen einheitlichen Ordnung der Deutschen Evangelischen Kirche die Folgerung gezogen, daß die Landeskirchen ihre Selbständigkeit nun wieder erlangt hätten und daß eine Deutsche Evangelische Kirche nicht mehr bestehe, jedenfalls kein Recht mehr gegenüber den Gliedkirchen geltend machen könne. Besonders die Bayerische Kirche vertrat auf Grund eines Liermannschen Gutachtens diesen Standpunkt" (H. EHLERS, Aufbau, S. 609). 11

12

Wiedererlangte Selbstständigkeit der Landeskirchen?

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Landeskirchen, die auf diese Weise ihre Selbständigkeit wiedergewonnen haben, wird es sein, eine neue Art des Zusammenschlusses zu planen, da es ja wohl bei allen Beteiligten als selbstverständlich gilt, daß wir auf einen solchen Zusammenschluß gerade im gegenwärtigen Augenblick nicht verzichten können . . . Es wird nur schwierig sein, eine Form des Zusammenschlusses zu finden, welche die Fehler der Verfassung der DEK von 33 vermeidet und doch den Zusammenschluß zu einem wirksamen macht. Auf jeden Fall werden wir von Seiten der lutherischen Kirche verlangen müssen, daß der Bekenntnisfrage ein größeres Gewicht für die Gestaltung des Zusammenschlusses beigelegt wird als es in der Verfassung von 1933 der Fall ist." 1 3 Das Interesse Meisers, jegliche Rechtsform einer DEK für erloschen zu erklären, zielt also auf die Selbständigkeit der Landeskirchen. Diese war nämlich die Voraussetzung dafür, Zusammenschlußformen beschließen zu können, die einen ganz neuen Charakter hätten, wie ζ. B. eine Deutsche Lutherische Kirche, die einer Deutschen Evangelischen Kirche vorgeordnet wäre. Ob aber ein Zusammenschluß in der Form, in welcher er Meiser vorschwebte, den Erfordernissen der damaligen Lage gerecht worden wäre, wurde von vielen bezweifelt. Hätte doch die Bildung einer lutherischen Kirche die Herauslösung der lutherischen Gemeinden aus der Altpreußischen Union miteinschließen können und damit in diese ohnehin geschwächte Kirche Spaltung und Unsicherheit hineingetragen. Gerade die Teilung Deutschlands in vier Zonen, die Vertreibung der ostdeutschen Bevölkerung und die damit notwendige konfessionelle Offenheit verboten jede Lösung, die partikularistische Tendenzen verfolgte. Gerade die reale Heimatlosigkeit so vieler Christen verpflichtete die Kirche dazu, an jedem Ort für jeden geistliche Heimat zu sein und konfessionelle Bedenken nicht zu Schranken aufzubauen. Die konfessionelle Vermischung der Bevölkerung durch den Flüchtlingsstrom und die ab 1947 drohende Teilung Deutschlands haben später, als es um die endgültige Formulierung der Grundordnung ging, immer wieder als Argument für eine Evangelische Kirche in Deutschland in der Diskussion eine Rolle gespielt. In dem oben zitierten Brief beruft sich Meiser auch auf Meinzolt als einen Vertreter für die These vom völligen Aufhören der DEK. Allerdings ist in Meinzolts Gutachten ,,Zur Rechtslage der Deutschen Evangelischen Kirche ( D E K ) " vom 22. August 1945 14 gerade davon nicht die Rede. Meinzolt behandelt das Thema zuerst aus staatsrechtlicher und dann 13 14

L K A NÜRNBERG, Meiser 120. L K A NÜRNBERG, Meiser 121.

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Zur Rechtslage der D E K

aus kirchenrechtlicher Sicht. Dabei kommt er zu dem Ergebnis, „daß die Deutsche Evangelische Kirche heute noch besteht", denn die „ L a n deskirchen schlossen sich im Frühjahr 1933 in freier Vereinbarung gemäß Artikel 137, Absatz 5, Satz 3 der - niemals aufgehobenen Weimarer Verfassung zur Deutschen Evangelischen Kirche zusammen. Damit wurde die D E K eine Körperschaft des öffentlichen Rechtes". Die Verkündigung durch das Reichsgesetz vom 15. Juli 1933 hatte dagegen nur deklaratorischen Charakter. D a dieser Zusammenschluß der Kirchen den Grundlagen der augenblicklichen Machthaber in Deutschland nicht widerspreche, bleibe er nach den anerkannten Grundsätzen des Völkerrechtes bestehen. Zur kirchenrechtlichen Lage führt Meinzolt dann aus: „ D i e D E K verdankt, wie oben gezeigt, ihre Entstehung einer Vereinbarung der Landeskirchen. Durch diese Vereinbarung ist ein neues Rechtsgebilde entstanden. Keine Landeskirche kann für sich allein - ohne revolutionären Akt - aus der D E K austreten; das gleiche gilt für eine etwaige Abmachung mehrerer Landeskirchen." Dies scheint eine deutliche Absage an Meisers Auffassung und die daraus abgeleiteten Pläne zu sein. Der letzte Teilsatz mag sich vielleicht sogar direkt auf den Lutherrat beziehen, der ja bereits in seinen Grundbestimmungen vom 21. Oktober 1937 den Plan einer Lutherischen Kirche in Deutschland beschlossen hatte. Die in der Verfassung der D E K vorgesehenen Organe müssen als „ r u h e n d " gelten, da sie durch die politische Situation zur Untätigkeit verurteilt seien. D a aber ein Körper ( D E K ) ohne Organe nicht lebensfähig sei, können sie auch auf dem Wege von Notmaßnahmen „sowohl der Art als auch der Zuständigkeit und der personellen Besetzung nach neu gebildet werden. Diese Neubildung der Organe berührt das Bestehen der D E K selbst nicht". Meinzolt erwägt die Neubildung von Organen nach grundlegend anderen Kriterien wohl deswegen, weil er die Möglichkeit, die ruhenden Organe der Verfassung einfach zu aktivieren, von vornherein ausschließen möchte, denn sie „litten schon in der Zeit vor dem Kriege N o t " . Meinzolt plädiert dann für eine Neubildung der Verfassung, da die Verfassung der D E K schon vor dem Kriege weithin zerstört war und durch die geänderten Verhältnisse gänzlich überholt ist. Diesem Schritt steht nach Meinzolt „kein grundsätzliches rechtliches oder tatsächliches Hindernis entgegen, da es sich darum handelt, durch eine solche Neufassung der D E K selbst das Leben zu erhalten". Abschließend macht Meinzolt Vorschläge, wie die D E K zu einer neuen Verfassung kommen könne. D a für die Verfassunggebung nach evangelischem Kirchenrecht die Kirche selbst zuständig sei, müsse eine Synode gebildet werden. „ D i e im Jahre 1933 gebildete Generalsynode ist als von der damaligen politischen Gewalt gewährte Vertretung zu betrachten und deshalb nach

Wiedererlangte Selbstständigkeit der Landeskirchen?

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der grundsätzlichen Anordnung der amerikanischen Militärregierung, aber auch sonst aus Rechts- und Billigkeitserwägungen, als ungültig zu betrachten." D a die Existenz einer Bekennenden Kirche in dem Gutachten völlig übergangen wird, ist es nicht verwunderlich, daß Meinzolt auf der Suche nach Vorbildern für eine Synode bis zum Kirchenbund von 1922 zurückgeht: „Zweckmäßig wird die neue Generalsynode nach den Grundsätzen zu bilden sein, nach denen seinerzeit der Kirchenbundesausschuß gebildet wurde, da an diese Einrichtung am besten angeknüpft wird." In dieser Synode wären die landeskirchlichen Amtsträger gegenüber den Gemeindevertretern in einem deutlichen Ubergewicht. Eine weitere Korrektur der Meiserschen Vorstellungen noch im August bieten die Äußerungen von Johannes Heckel, die sich mit der Uberschrift „ Z u r Rechtslage innerhalb der D E K " im Meiser-Nachlaß befinden 1 5 . Sie sind wohl nach einem Gespräch mit Heckel für Meiser niedergeschrieben worden. In einem ersten Abschnitt geht es auch hier um die Klärung der völkerrechtlichen und staatsrechtlichen Situation. Auch Heckel betont, daß die D E K „durch einen schöpferischen Akt der beteiligten Landeskirchen kraft autonomen Kirchenrechts" gebildet worden sei, also nicht im Auftrage des Staates. Damit sei die D E K niemals eine Einrichtung des nationalsozialistischen Staates gewesen und somit auch nicht mit diesem untergegangen. Die D E K bestehe als Körperschaft des öffentlichen Rechts fort. Die kirchenrechtliche Frage sei unabhängig von den Veränderungen im staatlichen Bereich zu betrachten, denn das Kirchenrecht sei in jedem Fall ein eigenständiges Recht. „ N u n ist die Organisation der D E K innerlich in größtem Umfang lückenhaft. Ein Neubau ist notwendig." Die Entscheidung, wer für diesen Neubau zuständig ist, überläßt Heckel dann den Kirchenpolitikern. Juristisch hält er zwei Wege für möglich: „Wenn die bisherige Linie fortgesetzt werden soll", dann wären die Landeskirchen berufen, den Neubau auszuführen; so wäre auch die Rechtskontinuität gewahrt. Die bisherige Linie ist die über den Kirchenbund zur D E K , wo immer die Landeskirchen vertragschließende Partner waren. „ E s müßte also der deutsche Gesamtprotestantismus, vertreten durch seine Landeskirchen, beteiligt werden." Uber den zweiten Weg macht Heckel keine weiteren Angaben, außer der einen sehr entscheidenden, daß „ i m anderen Fall ohne Rechtsbruch nicht auszukommen wäre." Dieser andere Fall kann nach Lage der Dinge wohl nur eintreten, wenn die bruderrätlichen Organe die Neuordnung übernehmen oder mitbestimmen. Daß die Bekennende 15

Ebd.

80

Zur Rechtslage der D E K

Kirche sich auch auf Rechtssetzungen stützen kann, also auch eine Rechtskontinuität wahren würde, übersieht Heckel. Mit seinem Urteil des Rechtsbruches überschreitet er seine vorher dargelegte juristische Neutralität und bezieht tatsächlich gegen die Bekennende Kirche Stellung.

Kapitel 6 ERIK WOLFS G U T A C H T E N U N D SEINE B E Z I E H U N G E N Z U R „ K O N V E N T I O N V O N TREYSA"

Erik Wolfs „Gutachten über die rechtmäßige Neuordnung der Leitung der Evangelischen Kirche in Deutschland" 1 hat die Entscheidungen des Bruderrates in Frankfurt beeinflußt und damit auch die Vorläufige Ordnung der EKD von Treysa. Ein Vergleich aller drei Texte zeigt dies deutlich. In dem Gutachten wird klar der Anspruch des kirchlichen Notrechts ausgesprochen und damit auch den nach ihm gebildeten Organen der Bekennenden Kirche eine Aufgabe beim Neuaufbau der Kirche zugewiesen. Wolfs Gutachten bildet damit das einzige Gegengewicht gegen die bisher erörterten Rechtsauffassungen. Es ist sehr ausführlich und umfaßt in sieben Abschnitten weit mehr Teilaspekte als alle anderen behandelten Gutachten. Die Abschnitte 1 bis 4 befassen sich mit der gegenwärtigen rechtlichen Lage der evangelischen Kirche, wobei die fortbestehende Geltung des Notrechts betont wird. Einleitend stellt Wolf fest: „Die ,Deutsche Evangelische Kirche' (auch ,Reichskirche' genannt), durch eine Verfassung verbrieft, . . . besteht im Rechtssinne nicht mehr." Wir haben schon darauf hingewiesen, daß Wolf damit nicht jede gesamtkirchliche Rechtsform als erloschen erklären wollte, sondern eine Verpflichtung gegenüber der Reichskirche, d. h. der zentralistisch angelegten, dem Führerprinzip nicht widerstehenden DEK von 1933 ausschließen will 2 . Nicht außer Kraft getreten sei das „Vorläufige Kirchenregiment", das die Bekenntnisgemeinschaft 3 als aktiver Kern der DEK am 20. Oktober 1934 in Dahlem kraft des in Barmen proklamierten Notrechts errichtet hatte. Seine Organe bestehen noch. Da diese nicht eingesetzt wurden, um die Verfassung und die Reichskirche zu stützen, sondern um „die mit der Verfassung von 1933 begründete Einheit der Evangelischen Kirche in Deutschland zu erhalten", ziehe der Wegfall der Verfassung keineswegs den Untergang der Vorläufigen Kirchenleitung nach sich 4 . 1

2

A b g e d r u c k t b e i F . SÖHLMANN, T r e y s a , S . 1 8 1 - 1 9 5 .

Vgl. oben S. 75. 3 Die Vermeidung des Ausdrucks „Bekennende Kirche" zeigt Wolfs vorsichtiges Vorgehen und seine Tendenz, Alleinansprüche zu vermeiden. 4 Wolf unterscheidet zwischen der D E K , der seit 1933 verfaßten Kirche, und der schon

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Eriks Wolfs Gutachten und die „Konvention von Treysa"

Die Wahrung der Einheit der evangelischen Kirche unabhängig oder sogar gegen die D E K war auch die Begründung der Kirchenführerkonferenz f ü r ihre Konstituierung. In dem Beschluß des Bruderrates zur Neuordnung der Kirche wird unter II, 4 eben diese von der Kirchenführerkonferenz wahrgenommene Verantwortung - oder das Bemühen darum - als positive und kirchliche Haltung herausgestellt: „ D i e in der Konferenz der Landeskirchenführer zusammengetretenen leitenden Männer von Landeskirchen haben sich bemüht, das in der Verfassung der Deutschen Evangelischen Kirche von 1933 begründete Anliegen einer gemeinsamen Vertretung wahrzunehmen." 5

Die Mitverantwortung

der bruderrätlicben

Organe

Die gegenwärtige Aufgabe des Reichsbruderrates und der Vorläufigen Kirchenleitung sei es, darüber zu wachen, daß in den Landeskirchen die bekenntniswidrigen Zustände beseitigt werden und daß der neue Zusammenschluß der Landeskirchen bekenntnismäßig ausgerichtet wird ,,im Sinne der Synoden von Barmen, Dahlem und Augsburg" 6 . Folgenreich ist, daß Wolf nur diese drei Bekenntnissynoden erwähnt; aus seinem Konzept heraus ist dies allerdings notwendig. Barmen und Dahlem sind die Garanten des Notrechts und damit der bruderrätlichen Organe. Augsburg bestätigte die Bildung der Vorläufigen Kirchenleitung aus Vertretern des Reichsbruderrats und der intakten Landeskirchen. U n d gerade diese Linie der Gemeinsamkeit zwischen dem Notrecht und dem positiven Recht, zwischen der Legitimität und der Legalität, zwischen dem bruderrätlich-synodalen Aufbauprinzip und der in den Landeskirchen praktizierten Mischform aus konsistorialen, episkopalen und synodalen Elementen wünscht Wolf fortzusetzen, und zwar auf allen Ebenen der für die Ubergangszeit zu schaffenden Einrichtungen, wie noch zu zeigen sein wird. Die Synode von Oeynhausen, die zur endgültigen Spaltung innerhalb der Bekennenden Kirche führte und den Gegensatz zwischen den Bruderräten und den intakten Landeskirchen durch die Bildung der 2. Vorläufigen Kirchenleitung und des Lutherrates institutionalisierte, wird hier als störender Faktor übergangen. Statt dessen zieht Wolf weitere auf der Linie des Ausgleichs entstandene Zusammenschlußformen für die Aufgabe der Neuordnung heran. ,,Die seit etwa 3 Jahren

länger bestehenden Gemeinschaft der evangelischen Kirche in Deutschland, die dann in Treysa offiziell EKiD genannt wird. 5

F . SÖHLMANN, T r e y s a , S. 1 7 5 .

6

Vgl. unten S. 90 Liermanns Kritik.

Mitverantwortung der bruderrätlichen Organe

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begründete Arbeitsgemeinschaft zwischen den Organen der Bekennenden Kirche und von den DC-Leitungen frei gebliebenen Landeskirchen, sowie die in jüngster Zeit entstandenen Verbindungsausschüsse zwischen Landeskirchen, die in Ersetzung untergegangener DC-Leitungen vorläufig gebildet worden sind, bestehen zu Recht. Sie sind gleichfalls berufen, in engster Verbindung mit den vorgenannten Organen der Leitung die künftige Gesamtordnung der Evangelischen Kirche Deutschlands vorzubereiten." Mit der Arbeitsgemeinschaft ist eindeutig das Einigungswerk gemeint. Ob Wolf bei den Verbindungsausschüssen an die in den zerstörten Landeskirchen vorläufig gebildeten Kirchenleitungen aus Mitgliedern der Bekennenden Kirche und solchen Personen, die nicht unter der Kirchenregierung der Deutschen Christen im Amt waren, denkt, ist nicht klar, liegt aber nahe. Einen Verbindungsausschuß zwischen evangelischen Landeskirchen gab es zu dieser Zeit nur im Bereich der späteren Hessen-Nassauischen Kirche, die ihre unter der Herrschaft der Deutschen Christen erzwungene Zusammenlegung wieder löste, um dann allerdings sofort durch einen Verbindungsausschuß den Zusammenschluß der drei Kirchen von Hessen-Darmstadt, Frankfurt und Nassau vorzubereiten. Wie wir schon gesagt haben, übernimmt der Bruderrat in seinem Beschluß dieses hier von Wolf ausgeführte vermittelnde Konzept. Das kann man unter anderem auch daran ablesen, daß in dem Beschluß von den Bekenntnissynoden nur Barmen ausdrücklich als verpflichtend erwähnt wird, Dahlem nur indirekt und Oeynhausen als ein Stadium, das nun überwunden sei. In der Vorrede zu der Konvention von Treysa wird auch die von Wolf in seinem Gutachten herausgearbeitete Einheit betont: „Diese Einheit ist zuerst auf den Bekenntnissynoden in Barmen, Dahlem und Augsburg sichtbar geworden." In diesem Zusammenhang dann von einer „Machtergreifung" der bruderrätlichen Bekennenden Kirche in Treysa zu sprechen, dürfte eine Fehlinterpretation der Zusammenhänge sein 7 .

Das Wächteramt der Bekennenden

Kirche

Im Abschnitt V geht Wolf dann auf die rechtlichen Verhältnisse in den Landeskirchen ein und die in ihnen anzustrebende Neuordnung. Die vor 1933 verkündeten Landeskirchen Verfassungen sind nach Wolf gültig und daher der Rechtsgrund, von dem bei Neubildungen ausgegangen werden muß. Alle kirchlichen Parteien, Fraktionen und Gruppen dagegen bestehen nicht mehr. Alleinige Qualifikation für ein Amt sei 7

Vgl. dazu unten S. 120 ff.

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Eriks Wolfs Gutachten und die „ K o n v e n t i o n von T r e y s a "

eine „kirchliche Gesinnung", wie sie „ i n den Bekenntnissynoden von Barmen, Dahlem und Augsburg hervorgetreten ist". Daß der Neuaufbau auch tatsächlich nach diesen Grundsätzen vorgenommen werde, soll von den Organen der Bekennenden Kirche überwacht werden, „ d i e ja niemals kirchliche Partei oder bloße Gruppe gewesen ist, sondern den geistlichen Kern der Gemeinden und die bekenntnismäßige Führung der Landeskirchen - auch als Opposition - repräsentiert hat". Wolf sieht dieses Wächteramt für die Bekennende Kirche zeitlich begrenzt „ b i s zur geschehenen Neuordnung". Damit bestätigt er das, was Hans Böhm schon 1942 in seiner Erwiderung auf die Thesen von Gerhard Jacobi 8 ausgesprochen hatte: „ S i e [die B K ] hat freilich niemals einen Zweifel darüber gelassen, daß die Organe der Bruderräte Notorgane sind, die ihr Amt wahrnehmen bis zur Herstellung einer solchen Ordnung vom Wesen der Kirche her. Mit allen, die guten Willens sind, zur Herbeiführung einer solchen Ordnung zusammenzuarbeiten, ist immer wieder von der B K ausgesprochen und durch die Tat bezeugt worden." 9 Jacobi hatte in seiner vielbeachteten Denkschrift vom Februar 1942 die These vertreten, daß die Glaubwürdigkeit und Uberzeugungskraft der Bekennenden Kirche daran leide, daß zwischen ihrem Anspruch, das Kirchenregiment auszuüben, und der kirchlichen Praxis ein großer Widerspruch bestehe, und daß dieser Anspruch nicht mehr aufrecht erhalten werden könne, da der kirchliche Gegner von 1934 nicht mehr existiere. Anstatt sich in dieser widersprüchlichen Situation immer mehr zu verstricken und „unnötige und schädliche Zäune zwischen den neutralen Brüdern" und der Bekennenden Kirche stehen zu lassen, sollte diese ihre Energien frei machen für eine „Wendung zum Wesentlichen hin", d. h. „ z u m Uransatz der B K " . Einige Seiten später füllt Jacobi diese Formel inhaltlich: „ D i e B K hat von Anfang an und heute verschiedene Aufgaben, die in dem Wächteramt der Kirche zusammenlaufen. Sie wacht darüber, daß in geistlichen Dingen und in Dingen der Kirchenordnung alles christlich zugeht, und daß die Kirche ihrer eigentlichen Aufgabe dient." Auf die Problematik des hier von Jacobi verwendeten Begriffes des Wächteramtes als einer Funktion, die im Gegensatz zur kirchenregimentlichen steht, hatte schon Böhm hingewiesen 10 . Jacobis Folgerung aus seiner Situationsanalyse 1942 war, das Kirchenregiment dem Evangelischen Oberkirchenrat in Berlin zu überlassen, der sich ohnehin bemühe, dieses in kirchlicher Weise auszuüben. Wenn im Sommer 1945 in Bruderratskreisen der Gedanke an das 8 „ D i e Bekennende Kirche heute, Gedanken von Pfarrer D . D . J a c o b i " (Hektographie der Denkschrift L K A STUTTGART, D 1/177). 9 H a n s B ö h m , „ D a s Ringen der Kirche um ihre O r d n u n g " , S. 11 ( K K A , 567/37 ff.). 1 0 „ W e n n Jacobi aber diese Aufgabe der B K zuweist, so überantwortet er ihr eine der wichtigsten Funktionen des Kirchenregiments" (ebd., S. 9).

Modelle für eine Kirchenleitung

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Wächteramt der Bekennenden Kirche wiederauftaucht, so hat er jetzt einen anderen Stellenwert. Man geht nämlich davon aus, daß in allen Landeskirchen und damit in der Evangelischen Kirche Deutschlands eine Neuordnung „vom Wesen der Kirche her" durchgeführt werden wird. Das wäre dann wirklich das Ende des Notrechts, und die Notorgane müßten ihrem Selbstverständnis entsprechend ihre kirchenregimentlichen Befugnisse auf die neuen Organe übertragen. Erik Wolf spricht von dem Wächteramt der Bekennenden Kirche dann auch nur noch für die Zeit des Übergangs von der alten zur neuen Ordnung. Im Beschluß des Bruderrates wird allerdings diese zeitliche Begrenzung nicht mitvollzogen. Die Bruderräte haben „bleibende" Aufgaben in der Kirche, die aber vorwiegend als helfende und dienende definiert werden. Damit ist der Begriff des Wächteramtes der neuen Lage entsprechend gegenüber der Kirchenkampfzeit inhaltlich neu gefüllt. So gesehen, hätte der Verdacht eigentlich nicht aufkommen können, daß der Bruderrat eine Konkurrenz zur offiziellen Kirchenleitung anstrebe.

Modelle für eine

Kirchenleitung

„ V o n diesem Standort fragen wir nach der rechtlichen Lage der Leitung der Evangelischen Kirche Deutschlands im gegenwärtigen Zeitpunkt", so die Uberschrift zum VI. Abschnitt des Gutachtens. Wolf zeigt dann die „Entwicklung der Rechtsgestalt der zentralen Leitung unserer Evangelischen Kirche" an den Organen des Kirchenbundes und der D E K auf, wobei er die zentralistische Umgestaltung durch die Verfassung von 1933 herausstreicht. Die Instanzen, die tatsächlich und dann auch rechtlich die D E K leiteten, waren der Reichskirchenminister, der Reichskirchenausschuß und nach dessen Rücktritt der Leiter der Kirchenkanzlei. Da auch das letzte Amt untrennbar mit dem nationalsozialistischen Staat verbunden war, sind seine Zuständigkeiten erloschen. Damit sind nach Wolf von der „Reichskirche" her keine Anknüpfungspunkte vorhanden, nicht einmal unter formal-juristischen Aspekten. Was ist aber mit den Rechtsformen, die neben der Reichskirche und gegen die Reichskirche entstanden sind? „Wir erkennen an, daß eine unanfechtbare Legitimität und lückenlose Kontinuität der Rechtsformen innerhalb der Evangelischen Kirche Deutschlands in einer von politischen Geschehnissen größten Ausmaßes und radikaler Gegensätzlichkeit erfüllten Zeit nicht behauptet werden kann, und auch nicht beansprucht werden darf." Aus diesem Sachverhalt die Konsequenz eines Kompromißmodelles zu ziehen, wie Wolf es tut, ist aber nicht zwingend. Möglich wäre etwa gewesen, die Rechtsformen mit der am wenigsten anfechtbaren Legitimität mit der Verantwortung für den kirchlichen

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Eriks Wolfs Gutachten und die „Konvention von Treysa"

Aufbau zu betrauen. D a hier aber eine Entscheidung vorliegt, die ohnehin von den kirchenpolitischen Machtverhältnissen abhängig ist, wie schon zu Anfang des Kapitels ausgeführt wurde, ist sie mit dem Kriterium der Legitimität allein nicht zu lösen. Die Formulierungen, die Wolf für diesen entscheidenden Satz wählt, zeigen auch deutlich, daß es wesentlich um Interpretation eines Sachverhaltes geht: „ E s kann nicht behauptet werden, es darf nicht beansprucht werden, wir erkennen a n " diese Formulierungen implizieren eher ein Sich-Fügen in eine Notwendigkeit als das Ergebnis eines Erkenntnisprozesses. D a Wolf möglichst an bestehendes Recht anknüpfen und „bewährte Einrichtungen" nicht ohne weiteres übergehen möchte, überprüft er nacheinander, was an gesamtkirchlichen Leitungsorganen zu übernehmen wäre oder was als Modell dienen könnte. Eine Rückkehr zu den Einrichtungen des Kirchenbundes lehnt Wolf ab, weil er die Formen für zu zeitbedingt, zu schwerfällig und zu kostspielig hält. Gegen die Übernahme der Leitungsformen, wie die Bekennende Kirche sie gefunden und ausgebaut hat, spricht nach Wolf die Tatsache, daß erstens nicht in allen Landeskirchen die verfassungsmäßigen Organe zerstört und zweitens diese auch für die kirchliche Aufbauarbeit nicht untauglich seien. Das heißt, daß das Vorhandensein von intakten Kirchen es verbietet, in den zerstörten Kirchen und für die gesamtkirchliche Organisation die bruderrätlichen Organisationsformen zu übernehmen. Dieses Argument ist in sich weder logisch noch kirchlich notwendig. Dahinter steht wieder die Frage der kirchenpolitischen Machtverhältnisse. Denn die intakten Kirchen von Hannover, Bayern und Württemberg sind neben der Altpreußischen Union die größten Landeskirchen. N u n , da die Kirche der Altpreußischen Union wegen der politischen Verhältnisse in verschiedenen Zonen liegt, von denen die polnisch besetzten Gebiete schon damals als verloren galten, ist das Ubergewicht der drei westlichen Landeskirchen noch größer. Durch die Zerstückelung der Altpreußischen Union ist aber auch und vor allem das lutherische Element innerhalb der evangelischen Kirchen gestärkt 1 1 . Wenn man sich die Verfassungsentwürfe für eine Vereinigte Evangelische-Lutherische

11 Daß die Lutheraner aus der durch die politischen Verhältnisse veränderten kirchlichen Lage Kapital schlagen wollten, wird von ihnen selbst zugegeben, vgl. das Schreiben Marahrens' an Meiser vom 4. Juni 1945: „ D e r E O ist im Augenblick nicht imstande, seine alten Pläne, die bisher einer Verwirklichung unserer Pläne immer im Wege standen, durchzuführen . . . Lassen Sie uns alles versuchen, daß wir jetzt nicht ins Hintertreffen kommen" ( L K A NÜRNBERG, Meiser 121); Die Bekenntnisgemeinschaft der ev. luth. Landeskirche Hannovers schreibt am 5. Juni 1945 an Meiser: „ E s scheint uns jetzt der Zeitpunkt gekommen zu sein, daß mit der Konstituierung der luth. Kirche ernst gemacht werden muß. Für längere Zeit werden die Hindernisse wegfallen, die aus dem Schwergewicht der A P U sich immer wieder geltend machten" (ebd.).

Ubergangsorgane

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Kirche Deutschlands ansieht, angefangen bei dem Entwurf, den Paul Fleisch der Lutherratstagung in Treysa im August 1945 vorlegte, dann ist es deutlich, daß die Lutheraner, einmal von ihrem Plan einer Vereinigten Kirche abgesehen, eine synodal-bruderrätliche Kirchenleitung niemals akzeptieren würden und von ihrem Kirchen- und Amtsverständnis her nicht akzeptieren konnten. In der Vorläufigen O r d n u n g der E K D wurde dann die Entscheidung, die von der Bekennenden Kirche erprobten Leitungsformen nicht zu übernehmen, sogar damit begründet, daß zwischen der Bekennenden Kirche und den im Amt befindlichen Kirchenleitungen eine wachsende Gemeinsamkeit bestehe. In Betracht käme schließlich auch eine „neue Form föderativen Zusammenschlusses" nach dem Vorbild des Einigungswerkes, allerdings in Ubereinstimmung mit dem Reichsbruderrat und durch Bevollmächtigte der Vorläufigen Kirchenleitung. Wolf trägt mit diesem Vorschlag der Tatsache Rechnung, daß die Zustimmung der Bruderräte zu dem Einigungswerk nur auf bestimmte Aufgaben begrenzt war und zu dem Zeitpunkt nur durch ein Gremium abgegeben werden konnte, das dazu nicht die letzte Vollmacht hatte. Die Vorläufige Leitung und der Reichsbruderrat, die nun wieder zusammentreten könnten, da die staatliche Verfolgung aufgehoben und ihre Mitglieder wieder frei seien, müßten sich jetzt selbst zu dem hier vorgeschlagenen Weg äußern. Daß Erik Wolf diese dritte Möglichkeit als die zu wählende Lösung ansieht, geht einmal aus der Gesamttendenz seines Gutachtens hervor, zum anderen aus der nachfolgenden genauen Beschreibung der einzelnen Schritte, die zu der „Organisation dieses Bundes der , Evangelischen Kirche Deutschlands* ( E K D ) " führen.

Übergangsorgane Ebenso wie Meinzolt ist Wolf der Meinung, daß eine Synode in jeder reformatorischen Kirche für die Neubildung einer Leitung zuständig zu sein habe. Er schlägt vor, als Ausgangspunkt die Bekenntnissynode der D E K 1 2 zu nehmen, was „ d e m Wesen der Kirche gemäß ist und auch dem Rechtsgedanken Genüge tut". Die Zusammensetzung der Synode soll nach Wolf in folgenden Schritten erfolgen: Die noch lebenden Mitglieder der Bekenntnissynode bilden den Kern der neuen Synode, die Landeskirchenleitungen benennen im Einvernehmen mit den Landesbruderräten weitere, im Höchstfalle fünf Mitglieder, und Bischof Wurm, als Vertrauenspersönlichkeit der evangelischen Kirche, bestimmt 12

Vgl. dazu auch S. 90 f. Liermanns Einwände.

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Eriks Wolfs Gutachten und die „Konvention von Treysa"

in Einvernehmen mit den übrigen Vertrauensmännern des Einigungswerkes nach geistlichem Ermessen noch weitere zehn Mitglieder. Bis zum Zusammentritt der Synode, zweckmäßig in Frankfurt, solle ein Leitender Rat, der von der Kirchenführerkonferenz in Treysa zu bestimmen ist, die Geschäfte führen. Diesem Leitenden Rat bliebe vor seiner Seihstauflösung dann noch eine Aufgabe, nämlich den von der Synode vorgeschlagenen Bischof der EKD zu ernennen. Dieser Bischof habe dann aus Mitgliedern der Synode und der Landeskirchenleitungen den endgültigen Leitenden Rat der EKD zu berufen. Aufgabe der Synode wäre es, durch ihren Verfassungsausschuß ein „Grundgesetz zu entwerfen, das die Richtschnuren der kirchlichen Lebensordnung festlegt, ohne in Nachahmung politischer Formen des Verfassungslebens oder in die Auflösung pneumatischer Schwärmerei zu verfallen". Von Wolfs in seinem Gutachten vorgeschlagenen Schritten zur Bildung einer endgültigen Kirchenleitung und zur Erarbeitung einer endgültigen Verfassung ist dann nur der erste übernommen worden, nämlich durch die Kirchenführerkonferenz in Treysa einen vorläufigen Rat zu bilden. Weitere Schritte sind in Treysa gar nicht diskutiert worden, weil man alle Zeit und Energien damit verbrauchte, sich über die personelle Zusammensetzung des Rates zu einigen. Es wäre sicherlich nach der Lage der Dinge in Treysa auch unmöglich gewesen, noch ein weiteres sehr kontroverses Thema wie das der Synode zu behandeln. So wurde diese heikle Aufgabe erst einmal dem Rat übertragen. In dem Aufgabenkatalog des Rates erscheint als letzter Punkt: ,,Die Vorbereitung einer endgültigen Ordnung." Daß der Rat damit überfordert war, zeigte sich bald. Einmal kam es zu keinen Entscheidungen oder Aktionen in dieser Richtung, weil im Rat selbst die Spannungen zu groß waren; zum anderen konnte der Rat die Situation innerhalb der EKD nicht mehr allein klären und regulieren 13 . Schon im Juni 1946 berief die Kirchenkanzlei im Auftrage des Vorsitzenden des Rates die „Rechtsträger von Treysa" zu einer Versammlung ein. Die Begründung für diesen Schritt lautete: „Was wir von der Versammlung in Treysa erhoffen, ist die Bestätigung des Weges, den der Rat der EKD im Auftrag der Kirchenversammlung von Treysa im hinter uns liegenden Jahre beschritten hat und eine Beratung darüber, wie der Auftrag zum gewünschten Ende zu führen sei." 14 Diese Kirchenversammlung fand 13

E. WOLF urteilt rückblickend über die Verfassungsvorbereitung: „Sie blieb lange gehemmt durch inzwischen wieder aufgelebte, an die Lage von 1935-1936 erinnernde kirchenpolitische Gegensätze; jetzt zwischen dem Rat der EKD und dem Bruderrat der EKD einerseits, dem neu gefestigten Lutherrat und dem Rat der EKD andererseits" (ORDNUNG, S. 4 5 1 ) . 14 Schreiben der Kanzlei der EKD vom 10. 7. 1946 an die Ratsmitglieder (AEKD, 046.).

Liermanns Auseinandersetzung mit dem Gutachten

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nicht, wie vorgesehen, am 14. und 15. August 1946 statt, sondern erst Anfang Juni 1947. Auch solche extremen Terminverschiebungen sind ein Ausdruck der starken Spannungen innerhalb der E K D . Nach der Kirchenversammlung von Treysa 1947, die dem Rat der E K D konkrete Maßnahmen zur Herstellung einer endgültigen O r d n u n g empfohlen hatte, begann eine heftige, vom Lutherrat ausgelöste Kontroverse um die Zusammensetzung und die Zuständigkeiten einer verfassunggebenden Kirchenversammlung oder Synode.

Liermanns Auseinandersetzung (Dezember

mit dem Gutachten 1945)15

Wolfs

In einer Vorrede spricht Hans Liermann seine grundsätzliche Zustimmung zu den Ausführungen Wolfs aus: „ D e m Gutachten von Professor D r . Erik Wolf ,Die rechtmäßige Neuordnung der Leitung der Evangelischen Kirche in Deutschland' trete ich in seinen grundsätzlichen Ausführungen aus voller Uberzeugung bei. Der Weg, den Wolf gezeigt hat, um zu einer neuen verfassungsmäßigen O r d n u n g des evangelischen Kirchenwesens in Deutschland zu gelangen, ist auch nach meiner Auffassung der einzig richtige und mögliche. N u r eine bündische Verfassung auf der Grundlage des in der Zeit des Kirchenkampfes unter schwersten Opfern mutiger Zeugen verteidigten Bekenntnisses kann die zukünftige Rechtsform des deutschen Gesamtprotestantismus bilden. Seit der Abfassung des Rechtsgutachtens von Professor Wolf ist durch die in Treysa am 31. August 1945 beschlossene Vorläufige O r d n u n g der Evangelischen Kirche in Deutschland bereits ein erster Schritt zur praktischen Verwirklichung der Verfassungspläne in der von dem Gutachten gewiesenen Richtung unternommen w o r d e n . " Man sieht an dieser Beurteilung die für lutherische Interpretationen typische Blickrichtung: das bündische, föderative Element wird allein betont, während darüber hinausgehende Tendenzen verschwiegen werden. Liermann greift dann drei Punkte heraus, die nach seiner Meinung von grundsätzlicher Bedeutung sind und einer Revision bedürfen. Es sind diese das Erlöschen der D E K im Rechtssinne, das Bekenntnis der zukünftigen Evangelischen Kirche und die Synode. Liermann weist die Auffassung zurück, daß die D E K als Körperschaft des öffentlichen Rechtes nicht mehr bestehe. In seine Argumentation kann Liermann schon Entwicklungen einbeziehen, die sich in Treysa und nach Treysa abgezeichnet haben. So hat z. B. die 1. Ausführungsverordnung zur Vorläufigen O r d n u n g der E K D vom 19. Oktober 1945 15

LKA NÜRNBERG, Meiser 121.

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Eriks Wolfs Gutachten und die „Konvention von Treysa"

festgestellt, daß der Rat der EKD Rechte und Pflichten der bisherigen verfassungsmäßigen Organe der DEK auf sich vereinigte, daß das Recht der DEK gültig sei, soweit es nicht vom Rat ausdrücklich außer Geltung gesetzt wird. Liermann stellt dazu zusammenfassend fest: „Sie [die EKD] hat damit den Mantel der einstigen Reichskirche angezogen und wird ihn schon aus praktischen Gründen weiter tragen müssen. Denn es wird für sie praktisch unmöglich sein, sich von allen den Rechten und Pflichten - man denke nur an die finanziellen Beziehungen - zu lösen, in die der deutsche Gesamtprotestantismus als Körperschaft des öffentlichen Rechts seit Jahrzehnten verstrickt ist." In bezug auf das Bekenntnisrecht der zukünftigen Evangelischen Kirche in Deutschland bemängelt Liermann, daß Wolf nur die bekenntnismäßige Ausrichtung der EKD im Sinne der Synoden von Barmen, Dahlem und Augsburg erwähnt, „ohne der historischen und zugleich heute noch in lebendiger Geltung stehenden Bekenntnisse der Reformation zu gedenken". U m ganz klar zu machen, daß die EKD nur als Bund und niemals als Unionskirche gebaut werden solle, dürfe nicht nur „das Einigende der bekennenden Haltung der Synoden von Barmen, Dahlem und Augsburg hervorgehoben werden, die aus der geschlossenen Abwehr gegen einen widerchristlichen Einbruch des Säkularen in die Kirche herausgewachsen ist", sondern müsse auch „das Trennende der reformatorischen Bekenntnisse" berücksichtigt werden. Liermann stellt dann die Forderung auf, daß nicht nur Landeskirchen die EKD konstituieren, sondern daß auch verschiedene Bekenntnisse in ihr nebeneinander wohnen sollten. Eine Berücksichtigung der konfessionellen Gliederung beim Bau der EKD widerspricht aber klar der Konvention von Treysa. Wegen dieser bayerischen Sonderstellung hat es im Sommer 1946 innerhalb des Rates der EKD starke Auseinandersetzungen gegeben, die dann zu einem Appell des Ratsvorsitzenden an die kirchliche Öffentlichkeit in dem „ W o r t zur Lage" führten. In diesem Zusammenhang spricht Liermann dann auch folgerichtig von einer „irgendwie gearteten Dreisäulentheorie", die man beim Verfassungsneubau nicht unberücksichtigt lassen dürfe. Die Dreisäulentheorie impliziert den Zusammenschluß bekenntnisgleicher Kirchen, den Liermann dann auch ausdrücklich fordert. Darüber hinaus müsse Gewähr dafür geboten sein, daß die Bekenntnisse „ihre ökumenischen Beziehungen frei pflegen und gestalten dürfen". Einige kritische Punkte im Verhältnis VELKD-EKD sind damit hier schon genannt. Liermanns Auseinandersetzung mit Wolfs Vorschlag für die Bildung einer verfassunggebenden Synode hat insofern nur theoretischen Wert, als an einen dem Wolfschen Vorschlag auch nur annähernd vergleichbaren Weg überhaupt nicht gedacht werden konnte. Allein das Wort

Liermanns Auseinandersetzung mit dem Gutachten

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Synode entwickelte sich in den Auseinandersetzungen um die Grundordnung zu einem Reizwort ersten Ranges. Liermanns Konzept, das im Vergleich zu den späteren lutherischen Vorstellungen sehr entgegenkommend ist, lautet dann, neben den Notorganen die intakt gebliebenen Landeskirchen bei der Verfassunggebung zu beteiligen. In Wolfs Vorschlag, die alte Bekenntnissynode durch Kooptation aufzufüllen, sieht Liermann die Gefahr, daß einer der legalen Rechtskreise (eben die Bekennende Kirche) schon bei der Verfassungsbildung den anderen (eben die Landeskirchen) aufsauge. Liermann schließt seine Ausführungen mit dem Hinweis auf die schwierige Situation, in der heute die Verfassungsbildung zu geschehen habe: Es müsse „Schutt weggeräumt" werden, d. h. es müsse eine Revolution liquidiert werden. Zugleich müsse mit den „übriggebliebenen brauchbaren Resten" Wiederaufbauarbeit geleistet werden. Es komme also darauf an, die „Erfahrungen der Revolutionszeit" zu verwerten und „ m i t dem Alten zu einer harmonischen Einheit" zu verschmelzen. Liermann faßt zusammen: „ D a s ist das Schicksal jeder Restaurationsgesetzgebung." Der evangelischen Kirche stünden heute die „unzerstörten Bestandteile kirchlichen Rechts aus der Zeit vor 1933 zur Verfügung, die durch die reformatorischen Bekenntnisse und die intakt gebliebenen Landeskirchen repräsentiert werden". Die Erfahrungen aus der Zeit des Kampfes hätten ihren Niederschlag in „Bekenntnis und Notrecht der bekennenden Kirche gefunden. N u r beides zusammen kann den Anforderungen einer sinnvollen Restauration gerecht werden. Auch unter diesem Gesichtspunkt gilt es, jede Einseitigkeit beim zukünftigen Verfassungswerk zu vermeiden und eine verfassunggebende Synode ins Leben zu rufen, die Restaurationsarbeit im besten Sinne leisten kann". An der unbefangenen Verwendung des Begriffes der Restauration erkennt man, daß für Liermann das kirchliche Recht aus der Zeit vor 1933 und das sich durch die Zeit des Kirchenkampfes hindurchgerettete intakte Kirchenrecht tatsächlich unproblematisch positive Qualität besitzen. O b der „widerchristliche Einbruch des Säkularen in die Kirche" durch das geltende Kirchenrecht etwa gefördert, gestützt oder doch wenigstens nicht verhindert wurde, fragt Liermann nicht. Das Geschehen wird konstatiert, aber nicht nach seinen Ursachen befragt. Hier, in der Art der Vergangenheitsanalyse, wird der krasse Unterschied zwischen Teilen des Bruderrates, der württembergischen Sozietät oder Karl Barth und weiten Teilen landeskirchlicher Amtsinhaber ganz deutlich 16 . 1 6 Vgl. aber Wurms Eröffnungsrede in Treysa, in der er die Versammlung aufforderte, Buße zu tun, „ f ü r alle Sünden der protestantischen Vergangenheit". Er nannte dann vor allem die falsche Innerlichkeit und die Staatsgläubigkeit (F. SÖHLMANN, Treysa, S. 17).

Kapitel 7 DIE TAGUNG DES LUTHERRATES IN TREYSA VOM 24. BIS 26. AUGUST 1945 Mit diesem Datum begannen die lutherischen Pläne der Errichtung einer Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands in ein neues Stadium zu treten. Sowohl die Freiheit der Kirche von jeder staatlichen Bevormundung als auch die durch die politischen Verhältnisse entstandene „glückliche" Lage in kirchenpolitischer Hinsicht ließen es den entschieden lutherischen Kräften, vor allem in Bayern und Hannover, als günstig erscheinen, konkret an den Aufbau der Vereinigten Kirche zu gehen. Daß dann die Verfassung der VELKD auch erst im Sommer 1948 verabschiedet wurde, hing mit den innerkirchlichen Problemen zusammen, die sich während der drei Jahre sowohl hemmend auf die Fortentwicklung der EKD als auch der VELKD ausgewirkt hatten. Die sich schließlich ergebende zeitliche Parallelität in der Verabschiedung und Annahme der Grundordnung und der VELKDVerfassung war eine Forderung der kritischen VELKD-Befürworter gewesen, die die Bezogenheit des lutherischen Zusammenschlusses auf die EKD auch äußerlich deutlich machen sollte. Alle Fragen, die mit der Konstituierung der Vereinigten Kirche zusammenhängen, können hier nicht erörtert werden. Diese Arbeit muß sich auf die Aspekte beschränken, die unmittelbar die EKD betreffen. Die Auseinandersetzungen zwischen der württembergischen Landeskirche und dem Lutherrat spielten hier eine wichtige Rolle und werden deshalb ausführlicher dargestellt. Die Weigerung Württembergs, diese VELKD zu dieser Zeit anzuerkennen, verunsicherte einmal die übrigen Lutherratsmitglieder, stützte die Kritiker im Lutherrat und stärkte außerhalb des Lutherrates die grundsätzliche Opposition gegen die lutherischen Pläne. Württembergische Stellungnahmen galten dabei weitgehend als Argumentationshilfen. Es wird zu zeigen sein, wie einmal das Interesse an der VELKD die Fortentwicklung einer EKD-Grundordnung hemmte, wie andererseits aber die Pläne der Lutheraner zu beschleunigten Gegenaktionen anregten. Die hemmenden Momente machten sich dabei vor allem im Rat der EKD geltend, wo Vertreter von widerstrebenden Tendenzen zusammensaßen mit dem Auftrag, gemeinsame Beschlüsse zu fassen. Der Rat der EKD, in sich uneins und ohne Initiative, geriet immer mehr zwi-

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Vorbereitung

sehen die Fronten und mußte das Gesetz des Handelns an andere Gruppen abgeben. Aktivierend und provozierend wirkten die lutherischen Sonderunternehmungen dagegen auf den Bruderrat, auf einzelne Ratsmitglieder, auf evangelische Laiengruppen und den Oberkirchenrat in Stuttgart.

Die Vorbereitungen

zu der

Lutherratstagung

Bereits am 12. Mai 1945, also nur eine Woche nach der Kapitulation, schrieb Dekan Christian Stoll an Landesbischof Meiser, um ihm einige Anregungen für wichtige lutherische Aktivitäten zu geben. Aktueller Anlaß dieses Briefes war der Besuch des amerikanischen Militärpfarrers der 7. Armee, Schellhase, bei Stoll. „Schellhase ist Lutheraner. Ich nahm das als gutes Zeichen." 1 Wieso Stoll die Konfession von amerikanischen Besatzungsoffizieren und Personal für wichtig hielt, geht aus dem Folgenden hervor: „Unsere amerikanischen Glaubensbrüder müssen erkennen, daß die Union keine lutherische Kirche ist und ihren kirchlichen Einfluß dahin geltend machen, daß endlich das lutherische Bekenntnis maßgebend wird." Neben dem staatskirchenrechtlichen Vakuum in Deutschland und der geschwächten Position der Evangelischen Kirche der Altpreußischen Union wurde hier versucht, zusätzlich aus der Tatsache der Besatzung durch amerikanisches Militär lutherische Vergünstigungen zu erlangen. Daß die amerikanischen Lutheraner tatsächlich versuchten, auf die Entwicklung in Deutschland Einfluß zu nehmen, kann man an vielen verstreuten Bemerkungen ablesen 2 . Daß dieser Einfluß von lutherischen Kreisen in Deutschland gewünscht wurde, legt sich nahe. 1 L K A NÜRNBERG, Meiser 121. Christian Stoll (1903-1946), 1933 theol. Hilfsreferent Landeskirchenrat München, 1936 Referent Lutherrat Berlin, 1938-1940 Pfr. Katzwang und Schwabach, 1946 O K R München. 2 Auf zwei Wegen konnten sich die deutschen Lutheraner Unterstützung durch die amerikanischen Lutheraner vorstellen, einmal als direkte Hilfe beim Aufbau der V E L K D , zum anderen als Hilfe bei der Durchsetzung des lutherischen Konzeptes für die E K D als eines ganz begrenzten Kirchenbundes. Die Hilfe für den Aufbau der V E L K D wurde bereits Ende des Jahres 1945 unmißverständlich von den amerikanischen Lutheranern abgelehnt, und zwar aus Rücksichtnahme auf die nordischen Lutheraner, mit denen die Amerikaner den lutherischen Weltkonvent wieder zum Leben erwecken wollten. Die Lutheraner Skandinaviens hatten aber nach den Erlebnissen der letzten Jahre kein Interesse daran, deutsche lutherische Positionen in irgendeiner Weise zu stärken.

Die Möglichkeit, über die Ökumene Einfluß auf die Gestaltung der E K D zu nehmen und damit die lutherische Position zu stärken, wurde dagegen von den amerikanischen Lutheranern noch mehrfach erprobt, und zwar über die Frage, ob die Delegierten im ökumenischen Rat der Kirchen nach regionalen (nationalen, geographischen) oder nach

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Tagung des Lutherrates in Treysa vom 24. bis 26. 8. 1945

Stolls Vorschläge beziehen sich dann konkret auf die Zusammenfassung der lutherischen Kirche und auf eine gewisse lutherische Selbstreikonfessionellen (denominationeilen) Gesichtspunkten bestimmt werden sollten. In der in Utrecht 1938 gebilligten Verfassung für die Organisation des ökumenischen Rates war eindeutig das regionale Prinzip bei der Vertretung grundlegend. Nach dem Krieg versuchten die amerikanischen Lutheraner hier eine Änderung zu erreichen, wobei sie große finanzielle und personelle Reserven einsetzen konnten. Visser't Hooft dagegen war ein ausgesprochener Verfechter des regionalen Prinzips, nicht zuletzt im Blick auf die deutschen Verhältnisse. Aber im Sommer 1946 einigte sich der Vorbereitungsausschuß des Ö R K für die 1. Vollversammlung auf einen Kompromiß; das regionale und konfessionelle Prinzip wurden so kombiniert, daß die Sitze den Mitgliedskirchen unter Berücksichtigung ihrer Größe, angemessener konfessioneller Vertretung und geographischer Lage zugeteilt werden sollten. In einer Untersuchung, auf die sich die oben gemachten Angaben teilweise stützen, stellt A. BOYENS dar, daß zwischen Fry, einem führenden Vertreter der amerikanischen Lutheraner, und Visser't Hooft in Bezug auf die E K D eine Art Stillhalteabkommen geschlossen wurde: „Man beschloß, die Entwicklung in der E K D abzuwarten und die Entscheidung über die Frage Kirche oder Kirchenbund den deutschen Kirchenführern zu überlassen" (Luthertum, S. 271). Auf seiner Sitzung am 13. und 14. 12. 1945 diskutierte der Rat der E K D bereits die Frage des Beitritts der E K D zum ökumenischen Rat und legte dabei die speziellen deutschen Probleme offen. Die E K D war von Treysa her sowohl Kirche als auch Kirchenbund, d. h. weder das regionale noch das konfessionelle Vertretungsprinzip traf für sie zu. Ein weiteres Problem bildeten die unierten Kirchen, die bei einer konfessionellen Vertretung ganz herausgefallen wären, worauf Held bei dieser Ratsdiskussion aufmerksam machte. Dibelius gab zu bedenken, warum eine Entscheidung in der ökumenischen Angelegenheit in der augenblicklichen Situation für die E K D nicht möglich sei: „Wir haben zwar einen föderativen Charakter, aber wenn wir uns festlegen, machen wir uns die Entwicklungen für die Zukunft schwierig. In Treysa sind wir bei dem Ausdruck ,Kirche' geblieben, haben aber hinzugefügt: Diese Kirche ist keine Kirche. Wenn sie uns erreichen wollen, dann können sie sich nur an uns, den Rat der EKiD wenden. Eine Vertretung nach konfessionellem Prinzip ist zu schwierig" (Protokoll A E K D , 046). Niemöller an Wurm vom 21. 1. 1946 über die lutherischen VELKD-Pläne: ,,. . . Daß wir uns dabei irgendwie von dem völlig rückständigen Luthertum der Amerikaner vorwärts treiben lassen dürften, leuchtet mir nicht ein" (LKA STUTTGART, D 1/225). Asmussen in seinem Bericht „Der Kurs der E K D " auf der Tagung des Rates mit Vertretern der Landeskirchenregierungen am 1./2. Mai 1946: „Die konfessionelle Frage tritt uns mit besonderer Betonung entgegen, da sie zugleich eine ökumenische Frage ist. Die Lutheraner Nordamerikas fordern von uns kategorisch die Ordnung unserer konfessionellen Belange, wobei aber nicht übersehen werden kann, daß sie diese Angelegenheit sehr viel anders sehen als die deutschen oder die nordischen Lutheraner. Wir nehmen ihre Forderung an uns aufrichtig hörend entgegen, ohne jedoch uns an den besonderen Aufgaben irre machen zu lassen, die uns in unserem Räume gestellt sind (AEKD, 046). Visser't Hooft überbrachte der Kirchenversammlung in Treysa vom Juni 1947 durch einen Vertreter ein Gruß wort und eine Mitteilung, in der er aussprach, daß die Kirchenversammlung auch aus ökumenischer Sicht eine große Bedeutung habe. „Die ökumenische Bewegung ist nur stark, wenn die Einheit auch national zum Ausdruck kommt" (AEKD, 042). Die Richtung, in die der Generalsekretär die Entwicklung in Deutschland, auch als Modellfall für die ökumenische Bewegung, gerne gehen sehen wollte, ist deutlich. Vgl. auch H. GRÜBER, Erinnerungen, S. 282/283. Grüber berichtet über die lutherischen Sonderbestrebungen in der Flüchtlingshilfe, die diese dann auch aufgrund ihrer Geldmittel durchsetzen konnten.

Vorbereitung

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nigung mit Blick auf die Ökumene und das Ausland. Die Führung der nicht-nationalsozialistischen lutherischen Kirchen möge jetzt Meiser übernehmen. Zu distanzieren habe man sich von Marahrens und Theodor Heckel, soweit sie Träger von ökumenischen und gesamtkirchlichen Ämtern sind. ,,D. Heckel muß gehindert werden, seine Firma wieder aufzumachen." 3 Bei Marahrens geht es um seine Führungsstellung im Lutherischen Weltkonvent und in der Allgemeinen Evangelisch-Lutherischen Konferenz 4 . Auch aus der hannoverschen Landeskirche wurde an Meiser die Forderung herangetragen, die Einrichtung einer lutherischen Kirche jetzt in Angriff zu nehmen. Marahrens schrieb am 4. Juni 1945 an Meiser: „Heute schreibe ich wegen der lutherischen Kirche. Auch D. Fleisch wollte Ihnen schreiben. Wir glauben, daß jetzt der Zeitpunkt naht, an dem wir mit dem Vorschlag der Bildung einer Lutherischen Kirche heraustreten können. Es wird geschehen müssen, solange die Probleme der DEK nicht entschieden sind." 5 Es folgt dann der Hinweis auf die günstige Schwäche der Altpreußischen Union. Ubereinstimmend mit Marahrens argumentierte die Bekenntnisgemeinschaft der Landeskirche Hannovers, die unter dem 5. Juni an Meiser die Bitte richtete, den augenblicklichen Zeitpunkt zu nützen, um mit der „Konstituierung der lutherischen Kirche" ernst zu machen: „ F ü r längere Zeit werden die Hindernisse wegfallen, die aus dem Schwergewicht der APU sich immer wieder geltend machten." 6 Meiser ergriff dann tatsächlich die Initiative und bat Paul Fleisch, der bis zuletzt Leiter des Sekretariats des Lutherrates war, zu einer Lutherratsversammlung in Treysa vor der Kirchenversammlung einzuladen. Am 30. Juli teilte Fleisch Meiser mit, daß er dem ihm durch Lilje überbrachten Auftrag entsprochen hätte, und daß er auch „einen Entwurf für einen festeren Zusammenschluß" herstellen werde 7 . Ein Einladungsschreiben, allerdings von Meiser unterzeichnet und mit dem 11. August datiert, befindet sich im Meiser-Nachlaß. Möglich ist, daß Meiser im süddeutschen und Fleisch im norddeutschen Raum für die Einladungen verantwortlich waren. Der Postverkehr 3 Bereits am 17. 8. 1945 schrieb Eberhard Müller an Wurm, „daß Herr Bischof Heckel sich nach wie vor als im Amt befindlich betrachtet und als einzigen und zur Zeit populärsten Zweig seiner Arbeit im größeren Stil Kriegsgefangenenarbeit betreibt. Er scheint noch über größere Geldbeträge zu verfügen und die ganzen Einrichtungen der Reichskirche nach wie vor als bestehend zu betrachten." Müller riet Wurm dann, sich rechtzeitig auf diese Tatsache einzustellen, denn „wenn er, was ich durchaus für möglich halte, in Treysa einfach im Gefolge des Herrn Bischofs Meiser erscheint, wird es nicht so leicht sein, ihm die Tür zu weisen" (LKA STUTTGART, D 1/209). 4 Noch 1945 wurde Marahrens als Präsident des Lutherischen Weltkonventes von Erling Eidem, dem Erzbischof von Uppsala, abgelöst. 5

L K A NÜRNBERG, M e i s e r 1 2 1 .

6

Ebd.

7

Ebd.

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Tagung des Lutherrates in Treysa vom 24. bis 26. 8. 1945

funktionierte noch gar nicht, und alle Informationen mußten über Kuriere weitergegeben werden. Meiser lud die dem Rat angeschlossenen Kirchen zu einer „Lutherischen Bischofskonferenz" ein, die von Samstag, den 25. August bis Montag, den 27. August, stattfinden sollte 8 . Fleisch hatte in seinem Einladungsschreiben den 24. August als Anreisetag angegeben9. Da Meiser und Wurm erst am Nachmittag des 25. August eintrafen, tagten die Vertreter aus Hannover, Braunschweig, Hamburg, Lübeck, Schaumburg-Lippe und aus der lutherischen Klasse Lippe während des Vormittags allein.

Wurms

Haltung

Fleisch erhielt aus dem oben erwähnten „kleinen Kreis" Zustimmung sowohl zu seinem Verfassungsentwurf als auch zu seiner Ubergangsordnung 10 . Verständlich ist nach dieser erfolgreichen Vorbereitungsphase Fleischs „großer Zorn", als Wurm dann am Abend des 25. August in der eigentlichen Sitzung der „Ausrufung der Evang-Lutherfischen] Kirche Deutschlands" nicht zustimmte. Fleisch sah mögliche Gründe für Wurms Verhalten in den württembergischen Sondertraditionen, die es Wurm, „auch wenn er gewollt hätte", nicht erlaubten, zuzustimmen, denn weder in seinem Oberkirchenrat noch in seiner Landeskirche hätte er Verständnis für die lutherische Sache gewinnen können 11 . Sicher ist, daß auch Wurm persönlich nicht wollte. Denn - wie Fleisch an anderer Stelle selbst erkannte 12 - das Engagement Wurms für das 8

Ebd.

9

P . FLEISCH, K i r c h e n g e s c h i c h t e , S. 3 0 0 .

1 0 Vgl. auch den Bericht vom 6. 9. 1945, den Brunotte noch in seiner Eigenschaft als komissarischer Leiter der Kirchenkanzlei verfaßte (=Brunotte-Bericht), S. 2: „Fleisch legte 3 Entwürfe vor, die der Bildung einer lutherischen Kirche innerhalb der DEK dienen sollten. Der erste Entwurf sah eine vorläufige Regelung vor, die sofort vorgenommen werden konnte: die Bildung eines luth[erischen] Bundes." Hierbei wird es sich um den von Fleisch als Ubergangsordnung bezeichneten Entwurf handeln. Brunotte berichtet weiter, daß man sich einigte, daß eine „interimistische Lösung" nicht erstrebt werden solle und daß dieser erste Entwurf deswegen abgelehnt wurde. Nach Brunotte wurde der 2. Entwurf dagegen als „Grundlage für die späteren Verfassungsarbeiten" angenommen. Brunotte fügt hinzu, daß dieser „bei der Neubildung der Verfassung der DEK endgültig zu verwirklichen sein würde" (AEKD, 047). Damit gibt er gewiß nicht die Absicht von Fleisch und Meiser wieder. Denn in Treysa sollte die Vereinigte Kirche ausgerufen werden; die DEK hätte mit diesem „fait accompli" (so Wurm in seinem Bericht auf dem Pfarrkonvent am 4. 9. 1945; O K R STUTTGART, Reg. Gen. 115 b) zu rechnen gehabt.Von einer Abstimmung von DEK-Verfassung und VELKD-Verfassung war ursprünglich nicht die Rede. Erst die Kräfteverhältnisse in der EKD führten dazu, daß die VELKD in gewisser Hinsicht auf die Grundordnungsvorbereitungen Rücksicht nehmen mußte. 11 12

Kirchengeschichte, S. 301. VELKD, S. 43.

Wurms Haltung

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Einigungswerk war, abgesehen von dessen sachlich-zeitbedingter Struktur und persönlich-zeitbedingter Ausgangsbasis, doch ein Votum für eine evangelische Kirche in Deutschland. Ein weiterer Grund wäre in dem Gespräch mit Martin Niemöller zu suchen, von welchem Wurm gerade gekommen war. Die beiden hatten sich am 25. August um 16 Uhr im Diakonissenhaus in Frankfurt getroffen. Diese Unterredung zwischen Wurm und Niemöller war sehr wichtig. Denn Niemöller konnte Wurm das Ergebnis der Bruderratstagung mitteilen, insbesondere den Beschluß zur Neuordnung der Kirche und die personellen Vorentscheidungen für eine Kirchenleitung der DEK. Da der Bruderrat sich in Frankfurt ganz auf die Linie des Einigungswerkes begeben hatte, was wegen der Äußerungen Niemöllers Anfang August gar nicht sicher war, konnte Wurm nur noch seine Unterstützung zusagen. Wurm bemerkte dann auch in seinen Erinnerungen, daß die Unterredung mit Niemöller, entgegen seinen Erwartungen, „befriedigend" verlief. Er betonte auch die weitere Kompromißbereitschaft Niemöllers, der „sofort einverstanden" war mit Wurms Vorschlag, in die zukünftige Kirchenleitung einen „ausgesprochenen Lutheraner" hineinzuwählen 13 . Ubereinstimmend dachten beide dabei nicht an Meiser, so daß eines der Hauptprobleme auf der Kirchenkonferenz, die Mitgliedschaft Meisers im Rat, von ihnen nicht antizipiert werden konnte. Das Treffen mit Niemöller hatte Wurm gezeigt, daß die bruderrätliche Bekennende Kirche bereit war, bei einer befriedigenden Neuordnung die Kriterien waren dafür nicht allzu streng - ihre kirchenregimentlichen Ansprüche aufzugeben, daß sie bereit war, mit ehemaligen kirchenpolitischen Gegnern einen neuen Anfang zu machen und alle Kräfte für diese Aufgabe einzusetzen. Der Beschluß zur Kirchenordnung und zur Schulfrage und die vorbereiteten Worte an Pfarrer und Gemeinden zeigten darüber hinaus die sorgfältige, ausgewogene und weitgespannte Ausgangsbasis des Bruderrates 14 . Als ein Gegenbild muß Wurm die Situation des Lutherrates in Treysa erschienen sein; das zeigt nicht nur seine Weigerung, die lutherischen Pläne zu unterstützen, sondern auch der bissige Stil, in dem er die Versammelten beschreibt: „Als wir am Sonntagnachmittag in Treysa eintrafen, war schon der ganze lutherische Rat einschließlich Marahrens und seines getreuen Schildknappen Vizepräsident Fleisch beieinander 13

T H . W U R M , E r i n n e r u n g e n , S. 1 8 0 .

14

Wurm urteilte in seinem Bericht vor dem Pfarrkonvent am 4. 9. 1945: „ D a z u hatte Niemöller einen Plan für eine vorläufige Leitung mit N a m e n fertiggestellt; er hatte sehr gut v o r g e a r b e i t e t " ( O K R STUTTGART, R e g . G e n . 1 1 5 b ) .

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Tagung des Lutherrates in Treysa vom 24. bis 26. 8. 1945

und im Begriff, die lutherische Kirche in Deutschland zu etablieren." 1 5 Im Gegensatz zum Bruderrat in Frankfurt hatte man sich im Lutherrat keine Gedanken gemacht, wie man mit den beiden Lagern innerhalb der evangelischen Kirche in Deutschland gemeinsam zu einer Lösung kommen könne, ja, man war sogar dabei, ohne vorherige Aussprache die eigene, fertige Lösung durchzusetzen. Den exklusiven, kompromißlosen und in gewisser Weise unbußfertigen Alleingang konnte Wurm, besonders nach seinen Erfahrungen mit dem Bruderrat im Einigungswerk und jetzt in Frankfurt, nicht gutheißen. Seine Entfremdung Meiser gegenüber begann hier 1 6 : „ E s war mir besonders leid, daß ich zu meinem treuen Kampfgenossen Meiser den Weg nicht mehr finden konnte. Aber es war mir unmöglich, an der Seite der Hannoveraner, die so oft ein Bleigewicht gebildet hatten, zu kämpfen gegen die beweglicheren und aktivistischen Brüder aus Westfalen und Rheinland." 1 7 Hier deuten sich schon die Fronten an, die später zwischen den Lutheranern der V E L K D einerseits und Wurm, Mitgliedern des Rates der E K D , Mitgliedern des Bruderrates und Teilen des Detmolder Kreises andererseits verlaufen sollten.

Ergebnisse der

Tagung

Aus der Tagesordnung, die dem Einladungsschreiben Meisers beigefügt war, ging übrigens nicht hervor, daß über die Konstituierung einer Vereinigten Kirche verhandelt und beschlossen werden sollte; eher ließen die vier Punkte eine allgemeine Bestandsaufnahme vermuten 1 8 . Inwieweit die Tagesordnung behandelt wurde, geht aus den vorliegenden Berichten nicht hervor 1 9 . Wahrscheinlich ist, daß die Diskussion um die V E L K D und die Vorbereitung für die Kirchenversammlung alle Zeit in Anspruch nahmen. TH. WURM, Erinnerungen, S. 180. Niemöller wies während einer Diskussion im Bruderrat über die Rolle der B K , die er in der „Antithese zum Konfessionalismus" sah, darauf hin, daß sie diese Rolle, wenn auch unwissentlich gleich 1945 gespielt hätte: „ I n Treysa 1945 haben wir, ohne zu ahnen, die Ausrufung einer lutherischen Kirche verhindert" (Protokoll der Bruderratssitzung vom 5 . / 6 . Juli 1947; L K A DARMSTADT, 36/23). 15 16

TH. WURM, Erinnerungen, S. 180/181. „ 1 . Bericht über die Lage der luth. Kirche; 2. Unterstützung der Arbeit des Rates der Evangl.-Luth. Kirche Deutschlands; 3. Behandlung einzelner kirchlicher Arbeitsgebiete (Unterricht, Jugendarbeit, theol. Studien, Kirchenzucht, Innere Mission, Besoldungsfragen); 4. ökumenische Fragen." 1 9 Brunotte-Bericht, S. 3: „ A m 27. 8. vormittags wurden im Kreise des luth. Rates auch andere Fragen für die Treysaer Konferenz vorbesprochen, ζ. B. Pressewesen, politische Tätigkeit und Kirche, Versorgung der Ostgeistlichen u. a . " ( A E K D , 047). 17

18

Erklärung des Lutherrates vom 27. 8. 1945

99

Wie sahen nun die von Fleisch erarbeiteten Verfassungsentwürfe aus? Unter den EKD-Akten befindet sich ein Entwurf für eine „Vorläufige Ordnung" der „Deutschen lutherischen Kirche" mit dem Datum: Treysa, 25. August 1945, und der handschriftlichen Bemerkung: ,,I. Fassung, zurückgegangen." 2 0 Man kann wohl davon ausgehen, daß es sich um die Fleisch'sche Ubergangsordnung handelt. Sie enthält in komprimierter Form all die Elemente, die auch der angenommene Verfassungsentwurf enthält: leitender Bischof, Vollversammlung aus Mitgliedern der Kirchenleitungen; keinerlei Bezug auf Barmen, auf den Kirchenkampf, auf die Existenz anderer evangelischer Kirchen in Deutschland; Verpflichtung innerhalb der Ökumene nur lutherischen Kirchen gegenüber. Auf den Verfassungsentwurf bzw. seine überarbeitete Fassung wird im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen zwischen dem württembergischen Oberkirchenrat und dem Lutherrat noch eingegangen. Die Annahme des Verfassungsentwurfes wurde vorerst nicht beschlossen, weil die württembergischen Vertreter ihm nicht zustimmen konnten. Es wurde aber ein Verfassungsausschuß gebildet aus Fleisch, Lilje, Herntrich, Schlatter, Bogner und Merz 2 1 . Weiter wurde eine allgemein gehaltene Erklärung 2 2 verabschiedet, in der Selbstverständnis und Ziele des Lutherrates kurz dargelegt wurden.

Die Erklärung

des Lutherrates vom 27. August 1945

Der veröffentlichte Text dieser Erklärung stimmt im Wortlaut nicht mit dem überein, der sich im Archiv der E K D befindet 2 3 . Letzterer, als Abschrift bezeichnet und mit dem handschriftlichen Vermerk „ I L Fassung angenommen" versehen 24 , ist sicherlich der Entwurf zu der Erklärung, da er in seiner Tendenz viel lutherischer ist und zukünftige Pläne A E K D , 012 Bd. I. Brunotte-Bericht, S. 3 (AEKD, 047). Volkmar Herntrich (1908-1958), Dr. theol., 1934-1939 Dozent Kirchliche Hochschule Bethel, 1942 Hauptpastor Hamburg, 1946 Leiter der Alsterdorfer Anstalten Hamburg, 1949 Prof. für Altes Testament Kirchl. Hochschule Hamburg, 1956 Landesbischof der Ev.-luth. Kirche im Hamburgischen Staate, 1959 Mitglied des Rates der EKD. Georg Merz (1892-1959), 1930 Dozent Theol. Schule und 1939 Pfr. Bethel, 1946-1957 Rektor des Pastoralkollegs und der Kirchl. Hochschule Neuendettelsau. Theodor Schlatter (1885-1971), 1934 Dekan Esslingen, 1937-1955 Prälat Ludwigsburg, 1943 Stellvertreter des Landesbischofs für geistliche Angelegenheiten. 2 2 KJ 1945-1948, S. 7/8; F. SÖHLMANN, Treysa, S. 180. 2 3 A E K D , 012 Bd. I. 2 4 Dieser handschriftliche Vermerk weist wohl darauf hin, daß dieser Text zu den von Fleisch vorbereiteten Materialien gehörte. Brunotte spricht ja von drei Entwürfen, die Fleisch mit nach Treysa gebracht habe (Brunotte-Bericht, S. 2; AEKD, 047). 20 21

100

Tagung des Lutherrates in Treysa vom 24. bis 26. 8. 1945

deutlicher ausspricht. Der gedruckte Text könnte eine veränderte Fassung dieses Entwurfes sein. Diese Vermutung legt sich nahe, wenn man die drei Sätze, die in die veröffentlichte Fassung nicht übernommen wurden, genauer ansieht: 1. Der zweite Abschnitt der Erklärung enthielt ursprünglich folgenden Zusatz: „ S i e glauben, daß die Lehre der lutherischen Reformation unserem Volke am besten den Weg zum seligmachenden Worte Gottes zu zeigen vermag." Dieser lutherische Absolutheitsanspruch fehlt in dem veröffentlichten Text. 2. Im fünften Abschnitt war angegeben, daß der den angeschlossenen Kirchen vorgelegte Entwurf einer Verfassung bereits „bei der nächsten Sitzung beraten und angenommen werden soll". Terminfragen werden dann im offiziellen Text ganz weggelassen, so daß die Vorstellung entstehen konnte, daß die Lutheraner erst einmal die Entwicklung in der E K D abwarten wollten. Der Aufsatz von Christian Stoll „ D i e Lage der lutherischen Kirche innerhalb des deutschen Gesamtprotestantismus" vom 18. Mai 1946 erregte, abgesehen von seinen inhaltlichen Aussagen, auch deshalb die kirchliche Öffentlichkeit so sehr, da man hier lediglich nebenbei erfuhr, daß bereits eine Verfassung der V E L K D zur Beschlußfassung fertiggestellt sei. 3. Dem sechsten Abschnitt war ursprünglich ein Satz vorangestellt, der noch einmal die innerlutherische Solidarität betonte, was einmal bei dem Ton der Erklärung überflüssig ist und zum anderen den einzigen Abschnitt, in dem die anderen reformatorischen Kirchen erwähnt werden, in seiner Bedeutung abwertet. Der im offiziellen Text gestrichene Satz lautet: „ I n der Einheit der evang.-luth. Kirche Deutschlands bleiben sie mit allen lutherischen Kirchen auf deutschem Boden verbund e n . " Auf eine weitere Änderung, die über redaktionelle Verbesserungen hinausgeht, ist noch einzugehen. Der dritte Abschnitt im Entwurf lautet: „ D a m i t bejahen sie zugleich die Entscheidungen, die die bekenntnisbestimmten Kirchenleitungen und Bruderräte in den vergangenen 10 Jahren gegen die Entstellung und Überfremdung der reformatorischen Lehre und gegen die Zerstörung der kirchlichen Ordnung getroffen haben." Wenn man diesen mit dem entsprechenden Satz in der veröffentlichten Fassung vergleicht, sieht man, daß ein umgekehrter Prozeß stattgefunden hat, die Verschärfung ist in den offiziellen Text eingefügt. N u r der Widerstand gegen die Kirchenregierungen der Deutschen Christen, der „ a u f Grund des lutherischen Bekenntnisses" geleistet worden ist, kann jetzt vom Lutherrat bejaht werden. Zusammen mit dem ersten Abschnitt der Erklärung, der ohne jede Einschränkung davon spricht, daß die im Lutherrat zusammengeschlossenen Kirchen „ i n dem vergangenen Jahrzehnt im Gehorsam gegen das Bekenntnis der lutherischen Reformation den Irrlehren der Zeit, beson-

Erklärung des Lutherrates vom 27. 8. 1945

101

ders der Deutschen Christen, widerstanden" haben, wird hier eine Sicht der Vergangenheit deutlich, die von einer gewissen Selbstgerechtigkeit geprägt ist und eine inhaltliche Erneuerung in der eigenen Kirche sowie ein Zusammengehen mit den anderen reformatorischen Kirchen in Deutschland auch nach den Erfahrungen des Kirchenkampfes nicht zwingend macht.

Kapitel 8 DIE K I R C H E N K O N F E R E N Z I N TREYSA VOM 27. BIS 31. AUGUST 1945

Der

Begriff,,Kirchenführer"-Konferenz

Fritz Söhlmann wählte für seine halbamtliche Dokumentensammlung1 „Treysa 1945 - Die Konferenz der Evangelischen Kirchenführer" die Bezeichnung, die sowohl mit dem offiziellen Einladungsschreiben Wurms vom 25. Juli 1945 übereinstimmt als auch mit den Uberschriften auf der Teilnehmerliste und der Tagesordnung. Wurm und Meiser sprechen beide in ihren amtlichen Berichten vor dem Pfarrkonvent bzw. an die Dekante von der ,, Kirchenführerkonferenz". Die heftige Kritik Martin Niemöllers an dieser Wortwahl hat demnach keine Auswirkungen gehabt. Allerdings verwendet Brunotte in seinem Bericht für die Kirchenkanzlei den neutralen Namen „Kirchenkonferenz" 2 , und der Evangelische Oberkirchenrat in Stuttgart spricht in seinem Bericht an die Dekanate von der „Konferenz führender Männer der Evangelischen Kirche in Deutschland" 3 , was etwa Niemöllers Gegenvorschlag entspräche. Als Söhlmann 1946 die „Zusammenstellung der wichtigsten Ansprachen, Vorträge und Entschließungen von Treysa" herausgab, setzte er sich in dem Vorwort des Herausgebers ausdrücklich mit dem „Notbegriff" Kirchenführer auseinander: „Das Wort ,Kirchenführer' ist kein gutes Wort. Es stammt aus einer Zeit, aus der es viele bittere Erinnerungen für die evangelische Kirche in Deutschland gibt. Es entstand als Sammelbegriff, um einen Namen zu haben für die vielen Namen, unter denen damals infolge des Rechtswirrwarrs, welchen die ,Deutschen Christen' und das nationalsozialistische Regime angerichtet hatten, Kirchenleitung in Deutschland ausgeübt wurde. Es gab damals Bischöfe, Leiter von Räten und Bruderräten, Kirchenpräsidenten usw." 4 Söhlmanns Erklärungs- und Rechtfertigungsversuch ist wenig überzeugend, da sachlich falsch. Kirchenführer nannten sich eben nur bestimmte 1 Sie entspricht nicht den Anforderungen einer Dokumentation, da zwischen den Dokumenten und dem eigenen Bericht oder Kommentar nicht klar geschieden wird. 2 Brunotte-Bericht ( A E K D , 047). 3 L K A STUTTGART, D 1/209. 4 Treysa, S. 7.

Fall Marahrens

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Personen, und nur bestimmte Gremien wählten dieses Wort zur Selbstbezeichnung 5 . Und da diese Kirchenführer die Kontinuität kirchlichen Handelns über den Zusammenbruch hinaus zu bewahren dachten, ist die Übernahme des Begriffes von ihrer Absicht her folgerichtig, wenn auch von einer anderen Position her angreifbar. Warum Söhlmann versuchte, dieses „unkirchliche" Wort 6 , wofür er keine Verantwortung trug, zu retten, anstatt die Urheber und deren Interessen zu nennen, ist wohl mit der Gesamttendenz des Söhlmannberichtes zu erklären, die Armin Boyens richtig als harmonisierend charakterisiert 7 .

Der Fall Marahrens Die Kirchenkonferenz von Treysa stand von Anfang an unter starken Spannungen. Sachliche Gegensätze, persönliche Animositäten, Mißtrauen und Angst prägten die Atmosphäre 8 . Karl Barth und Bischof Marahrens waren dafür die jeweiligen extremen Kristallisationspunkte. Für den Bruderrat war die Gegenwart von Marahrens eine nur schwer zu akzeptierende Tatsache 9 . Aber auch Wurm hatte Bedenken gegen Marahrens' Erscheinen, wie er diesem selbst in dem Brief vom 8. Juli 1945 dargelegt hatte. Der Fall Marahrens ist dann in Treysa - so schien es wenigstens - bereinigt worden. Es kam zu einem Gespräch zwischen Niemöller und Marahrens und zu einem „offenen Bußbekenntnis" des hannoverschen Bischofs 1 0 . 5 Wohl in Anlehnung an den Sprachgebrauch der Verfassung der D E K von 1933, in der von den „im leitenden Amt stehenden Führern der Landeskirchen" gesprochen wird. 6 Treysa, S. 7. 7 Treysa 1945, S. 30. 8 Vgl. H . LILJES drastische und zugleich blumige Sprache in seinen Erinnerungen. Er vergleicht die Verhandlungen in Treysa mit einem „bunten" oder „wogenden Schlachtfeld" (Memorabilia, S. 161 u. 163). 9 In einem Brief vom 29. 3. 1974 schreibt M . Niemöller an die Verf. über das Treffen Wurm/Niemöller in Frankfurt am 25. 8. 1945: „Vielleicht habe ich auch bereits meine in Treysa sehr scharf geäußerten Bedenken gegenüber Marahrens und den von Wurm ins ,Einigungswerk' hineingenommenen ,unsicheren Kantonisten' (Dietrich, Johnsen etc.) zur Sprache gebracht."

Ernst Ludwig Dietrich (1897-1974), Lie. D r . , 1929 Pfr. Wiesbaden, 1934-1945, D C Landesbischof der Ev. Landeskirche Nassau-Hessen, 1945-1967 Pfr. Wiesbaden. 1 0 Wurm in seinem Bericht auf dem Pfarrkonvent vom 4. 9. 1945: „Aber es ist auch dieser Fall von innen her in sauberer Weise erledigt worden. Das ist mit das Verdienst von Bodelschwingh, der sich wieder als ein wirklicher Pontifex erwiesen hat: er brachte eine persönliche Aussprache zwischen Marahrens und Niemöller zustande und Marahrens hat dann meinen Wunsch erfüllt und ein offenes Bußbekenntnis abgelegt und so ist man auch darüber auf brüderliche Weise hinweggekommen" ( O K R STUTTGART, Reg. Gen. 115 b). Was unter diesem „offenen Bußbekenntnis" zu verstehen ist, bleibt unklar. In Meisers Notizen findet sich folgender Hinweis zu der geschlossenen Sitzung von Kirchenführer

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Kirchenkonferenz in Treysa vom 27. bis 31. 8. 1945

Entscheidenden Anteil an dieser Entwicklung hatte die Zurückhaltung Niemöllers und die Vermittlerrolle Friedrich von Bodelschwinghs. Am 25. September 1945 schreibt Wurm an Niemöller: „Ich war Ihnen herzlich dankbar, daß es Ihnen möglich war einen Zusammenstoß im Plenum der Konferenz zu vermeiden. Z. e) [Ziffer e] der Aufgaben des Rats gibt uns das Recht, die Lage in Hannover einer Prüfung zu unterziehen und entsprechende Schritte zu beschließen. Wenn Sie einverstanden sind, werde ich dies für die T[ages]0[rdnung] der Sitzung am 18. Oktober vormerken." 1 1 Aus dem Tagebuch Martin Niemöllers geht hervor, wann und in welchem inneren Zusammenhang das Gespräch zwischen ihm und Marahrens und Bodelschwingh stattfand: ,,28. August - Dienstag Andacht: Bodelschwingh. Beginn Wurm und ich (Bußruf). Bericht von Schönfeld - Gespräch mit Marahrens u[nd] Bodelschwingh] 15 h -17 h , Wort an die Gemfeinden] u[nd] Pfarrer . . , " 1 2 Die Andacht Bodelschwinghs wird übereinstimmend in den Erinnerungen der Teilnehmer als ein wegweisendes Wort für die Verhandlungen gewertet 1 3 . Bodelschwinghs hier ausgesprochene Mahnung, die Stunde unter der „goldenen Decke des Friedens Gottes" zu nutzen 1 4 , und Niemöllers eigener Ruf zur Buße haben sicherlich die Atmosphäre einer Versöhnung vorbereitet. Niemöller hatte außerdem schon Anfang August in einem Brief an Wurm ausgesprochen, daß er eine seiner und Beirat am 29. 8. 15 Uhr: „Erklärung Marahrens: erklärt niemals Nationalsozialist gewesen zu sein. Darauf Asmussen: Das Gespräch über Godesberger Variata will ich nicht fortsetzen" ( L K A NÜRNBERG, Meiser 121). H . BRUNOTTE schreibt 1970 in einem Zeitungsartikel zur Kichenkonferenz von Treysa zu dem Konflikt Niemöller-Marahrens: „ A m Vorabend zogen Wolken am Konferenzhorizont herauf. Alte Gegensätze brachen wieder auf, persönliche und kirchenpolitische. Niemöller kündigte an, er werde die Tagung verlassen, wenn Landesbischof Marahrens von Hannover im Saal bleibe. Spät abends berieten Hanns Lilje, Fritz von Bodelschwingh und ich, was zu tun sei. Bodelschwingh sagte: ,Da gibt es doch unter christlichen Brüdern nur eins: die beiden müssen sich aussprechen.' So sahen wir dann am anderen Morgen beim Frühstück, wie Marahrens zu Niemöllers Tisch ging und ihm die Hand auf die Schulter legte. Beide verließen alsbald den Saal. Als sie aus dem Garten zurückkehrten - solche Sondergespräche mußten aus Raummangel wiederholt im Freien geführt werden! - konnte die Konferenz beginnen. Später erfuhren wir, daß Marahrens erklärt hatte, er werde sein Amt der ersten.neu gewählten, ordentlichen Landessynode zur Verfügung stellen. Niemöller hatte das akzeptiert" (Turbulenter Start). 1 1 L K A STUTTGART, D 1/225; der Fall Marahrens wurde erst auf der Ratssitzung am 13. 12. 1945 verhandelt (s. u. S. 170f.). 1 2 Tagebuch, S. 58 (Kopie von W . Niemöller) Hans Schönfeld (1900-1954), 1928 Mitarbeiter am Internationalen Sozialwissenschaftlichen Institut Genf, 1933 Direktor der Studienabteilung des ökumenischen Rates für Praktisches Christentum. 1 3 Vgl. unten S. l l l f . 1 4 F. SÖHLMANN, Treysa, S. 33.

Karl Barth

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Aufgaben darin sähe, die Versöhnung mit all denen zu erreichen, die sich vom "Weg der Bekennenden Kirche getrennt hätten 1 5 . Daß eine persönliche Aussöhnung nicht davon befreit, für den Bereich der kirchlichen Öffentlichkeit Konsequenzen aus den Fehlentscheidungen der Vergangenheit zu ziehen, sollte klar sein. In Treysa selbst hat sich Marahrens dementsprechend wohl auch zurückgehalten 1 6 . Als hannoverscher Landesbischof ist er am 16. April 1947 zurückgetreten, nachdem die erste ordnungsmäßig gebildete Landessynode zusammengetreten war.

Karl Barth Ein weit größeres Ärgernis für viele war Karl Barth. Die Nachricht von der Anwesenheit Barths als eines Mitglieds der Bruderratsdelegation hätte fast die Konferenz schon vor ihrem Beginn gesprengt. ,,Es war sogar von Abreisen die Rede", faßt Wurm in seinen Erinnerungen die Reaktion des Lutherrates zusammen 1 7 . In seinem Bericht vor dem württembergischen Pfarrkonvent im September 1945 umschrieb Wurm das Verhalten der Lutheraner sehr offen mit folgendem Bild: „Als ich mitteilte, daß Karl Barth kommen werde, war vollends Feuer unter dem D a c h . " U n d vorausgesehen habe er schon, daß wohl vor allem bei Bischof Meiser die Nachricht von Barths Kommen „wie eine Atombombe wirken würde". Da Barth in Treysa in keiner Weise öffentlich in Erscheinung trat, weder das Wort 1 8 ergriff noch abstimmte und so die Erwartungen seiner Gegner nicht erfüllte 1 9 , diese aber aus ihrem vorurteilsbefangenen Denken nicht herauskommen konnten, verdächtigten sie ihn, als Agent der Alliierten gekommen zu sein 20 . Wurms Haltung Barth gegenüber setzte sich dagegen in ihrer Fairneß und Bereitschaft, neu zuzuhören, positiv ab. Sicherlich waren die theo15

16

L K A STUTTGART, D 1 / 2 2 5 ( A b s c h r i f t ) .

E. Bethge, Bericht über Treysa: „ D i e Anwesenheit von Karl Barth und von Marahrens (der bei der Beschlußfassung aber nicht mit abstimmte), macht deutlich, welche Spannungen die Konferenz zum Nachdenken zwangen" (Kopie vom Verfasser). 17 TH. WURM, Erinnerungen, S. 180. 18 „Auch in Treysa hat er nie das Wort ergriffen, hat nie abgestimmt und sich dann sehr herzlich von mir verabschiedet: er habe vieles gehört und gelernt" (OKR STUTTGART, Reg. Gen. 115 b). 19 „Viele Leute - wenigstens außerhalb der BK - hielten es für unangebracht, daß Karl Barth, der in den entscheidenden Jahren an der äußeren und inneren N o t unseres Volkes keinen persönlichen Anteil gehabt hatte, nun als erbetener oder unerbetener Lehrmeister auftreten sollte" (W. STÄHLIN, Via Vitae, S. 502). 20 „Dabei hatten viele den Verdacht gehabt, Karl Barth sei als eine Art Oberinspektor der alliierten Armee nach Treysa gekommen. Es ist schauderhaft, welche Rolle das Mißtrauen spielt in allen kirchlichen Kreisen und Konferenzen" (Wurm, Pfarrkonventbericht; vgl. oben Anm. 18).

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Kirchenkonferenz in Treysa vom 27. bis 31. 8. 1945

logischen und politischen Welten Wurms und Barths genau so getrennt wie die Barths und Meisers; Wurm aber konnte sie als sachliche Differenzen sehen, die nicht zu persönlichen Diffamierungen führen müssen. Noch der Formulierung Wurms in seinen Erinnerungen über den Auftritt Barths in Treysa merkt man an, daß es nicht selbstverständlich war, für Barth zu sprechen: „Gerne hebe ich auch hervor, daß Karl Barth die etwas prekäre Situation, in der er sich befand, erfaßte und sich völlig zurückhielt." 21 In seinem „Bericht über eine Deutschlandreise, 19. August - 4. September 1945, erstattet an die Organisation der amerikanischen Armee in Deutschland" 2 2 , befaßte sich Barth in einem ersten Teil mit der Tagung des Reichsbruderrates in Frankfurt, in einem zweiten Teil mit der Konferenz von Treysa, und in einem dritten Teil gab er Meinungen der deutschen Bevölkerung über die amerikanische Besatzungspolitik wieder 23 . Dem dritten Abschnitt setzte Barth folgende Einleitung voran: „Ich wurde ausdrücklich aufgefordert, mich auch über das zu äußern, was im Verlauf meiner Reise von deutscher Seite mir gegenüber über die Politik und das Verhalten der amerikanischen Besatzungsarmee geäußert wurde. Das Folgende ist als bloßes Referat zu lesen, zu dessen Inhalten ich hier nicht Stellung zu nehmen habe." Man darf diese Sätze nicht als Ergebenheitserklärung an seine Auftraggeber interpretieren. Im Gegenteil, am Ton des Referates und an der Auswahl der Gewährsleute merkt man deutlich, daß Barth die Meinung seiner Gewährsleute teilte. Außerdem hat er in seinem eigenen Bericht nicht mit Kritik an amerikanischen Praktiken und Einstellungen gespart 24 . Zugleich nutzte er die Möglichkeiten des Berichtes aus, um um Vertrauen für die deutsche Kirche zu werben und damit ihre Arbeit zu erleichtern: „Wenn das durch den Kanal dieses Berichtes möglich sein sollte, so bitte ich hiermit die verantwortlichen Kommandostellen der alliierten Besatzungstruppen, 21

T H . WURM, E r i n n e r u n g e n , S. 181.

22

L K A STUTTGART, D

1/208.

Vgl. auch: „ I m Herbst desselben Jahres konnte ich unter der geschickten Betreuung einer amerikanischen Spezialorganisation eine ausgiebige erste Reise durch Deutschland unternehmen, auf der ich in Frankfurt a. Main an der Rekonstituierung des ,Bruderrates der Bekennenden' und nachher in Treysa an derjenigen der offiziellen ,Evangelischen Kirche in Deutschland' teilgenommen habe" (K. BARTH, Götze, S. 195). 2 4 Im Zusammenhang mit der Frage nach dem Demokratieverständnis deutscher Bürger führt Barth aus, das Problem sei hier, daß Demokratie immer als „amerikanische Demokratie" verstanden werde, „von deren Schönheit bisher noch nicht die praktischen Eindrücke empfangen" worden seien. Ebenso ironisch äußert sich Barth später zu der Vorläufigkeit der Abmachungen in Treysa: „ M a n bemerkte, daß die ganze Regelung vorläufig ist, d. h. daß sie später, wenn Gott und die Alliierten es erlauben werden, durch eine auf Grund von Urwahlen zu bildende deutsche Synode - und also demokratisch'! bestätigt bzw. revidiert werden muß" (Bericht über eine Deutschlandreise; vgl. Anm. 22). 23

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Äußerer Rahmen

der evangelischen Kirche Deutschlands u. insbesondere ihrer in Treysa bestellten vorläufigen Leitung vorläufig! - ebenfalls Vertrauen entgegenzubringen und ihr die nötigen Erleichterungen für ihre wichtigen Funktionen zu gewähren." Auf der 3. Sitzung des Rates der E K D am 13. Dezember 1945 begründete Wurm seinen Vorschlag, Karl Barth möge die Belange der E K D bei der Ökumene solange wahrnehmen, bis Niemöller selbst in die Schweiz reisen dürfe, ausdrücklich mit Barths „warmer Haltung" zu Deutschland, mit der er in der Schweiz eine Bresche geschlagen habe 2 5 . Wilhelm Stählin dagegen äußerte noch 1967 bei Abfassung seiner Erinnerungen sein Mißtrauen Karl Barth gegegenüber, dem er „persönlichen Anteil" an der inneren und äußeren Not des deutschen Volkes nicht zugestehen mochte, weil offensichtlich Anteilnahme „örtlich" gebunden ist. Stählin argumentiert hier noch ganz aus den typischen Ressentiments der Nachkriegszeit gegen „Ausländer" oder „Emigranten" 2 6 .

Der äußere Rahmen der Konferenz - Ort, Zeit, Tagesordnung

Teilnehmer,

Die Konferenz fand statt in der hessischen Pflege- und Brüderanstalt Hephata in Treysa, deren Leiter Präses Happich war. Nach einer Teilnehmerliste im Wurm-Nachlaß waren etwa 40 Teilnehmer vorgesehen. Diese Liste kann nur eine vorläufige gewesen sein, denn es fehlen auf ihr ζ. B. die Namen von Bruderratsmitgliedern, die Wurm kraft ihres Amtes eingeladen hatte. Daß sich die Teilnehmerzahl auf über 100 erhöhte, wie Brunotte bemerkte 2 7 , ist nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, daß vom Reichsbruderrat eine Delegation von zehn Vertretern hinzukam, außerdem einzelne Kirchenführer Begleiter mitbrachten und schließlich sich kirchlich Interessierte einfanden, die einfach dabei sein wollten, als sich die evangelische Kirche nach den langen Jahren der Unterdrückung zum ersten Mal wieder in Freiheit versammelte. Trotz der vielen Spannungen, die über dieser ersten Konferenz lagen, darf man nicht vergessen, daß es für viele auch ein Ereignis voller Freude war, nämlich Freude darüber, einander endlich wiederzusehen. Als Vertreter der Alliierten waren anwesend: Major Crumm, Referent für Religion und Erziehung beim Amerikanischen Hauptquartier in Frankfurt, Oberleutnant Lapp vom Kontrollrat in Berlin und Oberst Sedgwick vom Englischen Hauptquartier 2 8 . Aus Genf waren Stewart 25 26 27 28

Protokoll (AEKD, 046). Via Vitae, S. 502. Brunotte-Bericht, S. 1 (AEKD, 047). F . SÖHLMANN, T r e y s a , S . 1 1 .

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Kirchenkonferenz in Treysa vom 27. bis 31. 8. 1945

Herman, Vertreter der lutherischen Kirchen Amerikas beim ö k u m e n i schen Rat, und Hans Schönfeld und E. Waetjen vom ökumenischen Hilfswerk erschienen 29 . Die Konferenz begann am Montag, den 27. August, abends mit einem Gottesdienst, der ursprünglich von M. Niemöller gehalten werden sollte. Prälat Theodor Schlatter aus Ludwigsburg predigte statt seiner. Bei Söhlmann ist Schlatters Predigt nicht abgedruckt. Am Dienstag, den 28. August, begann der offizielle Teil der Konferenz mit der ersten Vollversammlung um 9 Uhr, die Bischof Wurm mit einer kurzen Begrüßungsansprache eröffnete. Ein Vergleich der vorläufigen Tagesordnung, die bereits Ende Juli mit den Einladungen verschickt worden war, mit der für die Konferenz verbindlichen, wobei natürlich auch hier Änderungen vorbehalten waren 3 0 , zeigt, daß Wurm als verantwortlicher Organisator der Konferenz die tatsächlichen kirchlichen Verhältnisse und die Wünsche der verschiedenen Gruppen nun besser einzuschätzen wußte. Gleich am ersten Verhandlungstag war eine „geschlossene Aussprache zwischen den Vertretern der Landeskirche, des Reichsbruderrates und dem Beirat des Einigungswerkes" vorgesehen. Der dritte Tag war ohne genauere Festlegung für die „ N e u o r d n u n g der D E K " und der vierte vollständig für „Anträge und Entschließungen" reserviert. Auffallend ist, daß Wurm für die ersten beiden Tage Referate und Aussprachen zu den dringendsten Aufgaben der Kirche in der gegenwärtigen Situation vorgesehen hatte, über deren gemeinsame Verantwortung es in den sonst so unterschiedlichen Gremien wohl kaum zu Konflikten kommen würde. Daß Wurm die Möglichkeit, über die Tagesordnung den Verhandlungsablauf zu steuern, bewußt in Anspruch genommen hat, geht aus einem Schreiben hervor, daß der damalige Tübinger Studentenpfarrer Eberhard Müller am 17. August 1945 an Wurm sandte: „ N u n höre ich aber, daß Sie die Absicht haben, in Treysa die sachlichen Brunotte-Bericht. S. 1 ( A E K D , 047). Stewart W. Herman (geb. 1909), 1936-1941 Pfr. der amerikanischen Gemeinde Berlin, 1945 Stellv. Direktor der Wiederaufbauabteilung des Ö R K , 1948-1952 Direktor der Flüchtlingshilfe des Luth. Weltbundes. 3 0 So die Bemerkung unten auf der Tagesordnung ( L K A STUTTGART, D 1/209). Bogners Vorwurf in seinem Brief an Niemöller vom 15. 3. 1946, der Reichsbruderrat hätte es durchgesetzt, „ d a ß nicht die Tagesordnung, die für Treysa festgesetzt und den Teilnehmern zugestellt war, behandelt wurde, sondern unter deren Hintanstellung die Vorlagen, die der gastweise teilnehmende B R aus Frankfurt mitgebracht hatte", ist nicht haltbar ( L K A NÜRNBERG, Meiser 121). Einmal war die Tagesordnung änderbar, zum anderen ist lediglich der von Schlink geplante Vortrag über die „ V o r b i l d u n g für das geistliche A m t " gestrichen worden. 29

Edmund Schlink (geb. 1903), D r . phil., D r . theol., 1934 Dozent Theol. Schule Bethel, 1945 Direktor des Predigerseminars der Ev. Kirche in Westfalen, 1946 Prof. für Systematische Theologie Heidelberg.

Äußerer Rahmen

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Fragen doch stärker in den Vordergrund zu schieben, damit das Verbindende der gemeinsamen Arbeit ins Gewicht fällt gegenüber dem Trennenden der verschiedenen Theorien und Programme." 3 1 Wurm plante also, dem „Verbindenden" dadurch ein Ubergewicht zu geben, indem er es massiv während der ersten beiden Tage den verantwortlichen kirchlichen Vertretern vor Augen führte. Für den Dienstag waren neben Wurms Einführungsreferat über die deutschen evangelischen Landeskirchen in der Gegenwart ein Bericht über die Ökumene von Schönfeld und von Merz und Kleßmann 3 1 " Ausführungen zur Schulfrage vorgesehen. Für Mittwoch daran anschließend ein Referat von Schlink über die Vorbildung für das geistliche Amt und Thesen von Manfred Müller 3 1 b zur Jugendarbeit. Neben diesen wichtigen Bereichen der Erziehung, der Orientierung und Hilfestellung für die Jugend trat dann am Nachmittag der materielle Aspekt der N o t : „Hilfswerk der D E K " , „Versorgung und Unterbringung der verdrängten Pfarrer u s w . " , „Flüchtlingsfürsorge". Außer dem Referat von Schlink sind diese Tagesordnungspunkte alle in Treysa behandelt und durch Beschlüsse und die Bildung von Ausschüssen auch in den zukünftigen Aufgabenkatalog der E K D und der Landeskirchen übernommen worden 3 2 . Die Ubereinstimmung in diesen Fragen hat aber das Trennende nicht mildern können 3 3 . Die Gegensätze in bezug auf die zukünftige Gestalt und damit auch auf den zukünftigen Weg der evangelischen Kirche waren zeitweise so verschärft, daß eine Einigung nicht mehr für möglich gehalten wurde. Auch die säuberliche Trennung von Praxis und Theorie, die Wurm vorgesehen hatte, ließ sich nicht durchhalten. Schon am Mittwoch, dem zweiten Verhandlungstag, tagten immer wieder zwischendurch die einzelnen Gruppen, um über die Kirchenleitung und Personalfragen zu beraten. Aus dem BrunotteBericht geht diese Hektik nicht hervor; umso deutlicher dagegen aus Meisers Notizen und aus Niemöllers Tagebuchaufzeichnungen. Der erste Tag verlief noch wie geplant, bis auf die Rede Niemöllers, 31

L K A STUTTGART, D

1/209.

Ernst Kleßmann (geb. 1899), Dr. phil., 1935-1953 Pfr. Jöllenbeck/Bielefeld, 1953-1964 Leiter des Katechetischen Amtes der Ev. Kirche von Westfalen. 3 1 b Manfred Müller (geb. 1903), Dr. phil., 1935 Landesjugendpfr. in Württemberg, 1947 O K R Stuttgart. 3 2 Vgl. die Referate bei F. SÖHLMANN, Treysa, S. 49 ff. 3 3 Vgl. Niemöllers Schreiben an die Landesbruderräte über Treysa vom 3. 9. 1945: „ S o war es nicht schwer, die allgemein drängenden Fragen des Kirchlichen Hilfswerkes und der Fürsorge für die östlichen Kirchengebiete zu besprechen, die nichts anderes verlangen als ein entschlossenes Zupacken hic et nunc. Aber im Hintergrund stand doch immer die Frage, welches wird das Wesen der Kirche in der Zukunft sein und in was für einem Gesicht wird dies Wesen seinen Ausdruck finden" (Abschrift; L K A DARMSTADT, 62/ 313

3367).

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Kirchenkonferenz in Treysa vom 27. bis 31. 8. 1945

die er gleich anschließend an Wurms Bericht hielt, und in der er sich gezwungen sah, „einen T o n anzuschlagen, der in allem, was wir bisher gehört haben, zweifellos zu kurz gekommen i s t " 3 4 . Nicht von einer allgemeinen Schuld sollte geredet werden, sondern von der Schuld der Kirche, von ihrer notwendigen Buße und davon, wie diese Buße konkret im Neuaufbau der Kirche sich auszuwirken hätte. Damit hatte Niemöller das entscheidende Thema des Reichsbruderrates für die Konferenz ausgesprochen. Wenn man es den vorangegangenen Äußerungen des Lutherrates gegenüberstellt, ist nur zu klar, daß es zu Konflikten kommen mußte und zu Aktivitäten, die den geplanten Rahmen der Konferenz sprengen würden.

Programmatische

Äußerungen

Die während der ersten Vollversammlung der Konferenz gehaltenen Reden, verlesenen Botschaften und abgegebenen Erklärungen können als programmatische Äußerungen interpretiert werden. Wurm und Niemöller kamen zu Wort, die Zusagen und Erwartungen der Alliierten wurden dargelegt, und die Haltung der Ökumene, insbesondere der lutherischen Kirchen in Nordamerika, wurde angedeutet. Wegen der bedeutenden Persönlichkeit Bodelschwinghs und seiner wichtigen Vermittlerrolle in Treysa muß auch seine Morgenandacht unter dem Aspekt betrachtet werden, was an Themen, Mahnungen und wegweisenden Worten in ihr enthalten ist. Innerhalb seiner sehr kurzen Begrüßungsansprache verlas Wurm die Botschaft von D r . Michelfelder, dem Vertreter der Amerikanischen Sektion des Lutherischen Weltkonvents beim ökumenischen Rat der Kirchen. Diese „Botschaft an die Kirche in Deutschland" 3 5 vom 27. Juli 1945 geht zuerst auf die materiellen und seelischen Leiden in Deutschland ein und verspricht reiche Hilfe, sobald die Beschränkungen der Besatzungsbehörde gelockert werden. Das Gedenken an die, die Verfolgung, Gefangenschaft und Tod um ihres Glaubens willen erlitten haben, verbindet sich mit der Hoffnung, „daß sich im Lande der Reformation eine stärkere Kirche aus diesen Trümmern erheben wird." Die vorsichtige Aufforderung, Irrtümer und Verfehlungen einzugestehen, ist umrahmt von zwei theologischen Sätzen über „Sünde an 34

F . SÖHLMANN, T r e y s a , S. 2 3 .

Ebd., S. 43-45. Sylvester Clarence Michelfelder (1889-1951), Pfr., 1945 Commissioner of the American Section of the Lutheran Convention beim Ö R K , 1946 Direktor der Material Aid Division in der Wiederaufbauabteilung, Generalsekretär des Exekutivkomittees des Luth. Weltconvents, 1947 des Luth. Weltbundes. 35

Programmatische Äußerungen

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sich", wobei der abschließende Satz die spezifisch deutsche Sünde noch weiter relativiert: „ V o r Gottes Thron haben wir alle gesündigt und sind auf Irrwegen gegangen." Bemerkenswert ist, wie hier zu einem so frühen Zeitpunkt von einem amerikanischen Lutheraner typisch deutsch-lutherische Gefühle, Wünsche und Vorstellungen ausgesprochen werden, die in den folgenden Jahren immer wieder die Kritik der Gegenseite, und das heißt vor allem des Bruderrates der E K D hervorgerufen haben 3 6 . Anschließend an die Verlesung der Botschaft von Michelfelder sprach Major Crumm einige wenige, aber deutliche Worte zur Begrüßung 3 7 . Einmal sicherte er „religiöse Freiheit für alle Kirchen und Sekten" zu, dann mahnte er die Versammlung, die einmalige Chance der Kirche in der augenblicklichen Situation, „nämlich die moralische Integrität Ihres Volkes zu sichern", nicht zu verpassen. „Sie müssen als geschlossene Einheit handeln, um dieses Werk gut zu t u n . " Er wies weiter darauf hin, daß man in den Vereinigten Staaten sehr stark an der Konferenz interessiert sei. Meiser notierte alle diese Punkte, und er hat auch das Hauptanliegen Crumms richtig herausgehört, wenn er schreibt: „Mahnt zur Einheit."38 „Mahnung zur Einheit" könnte man auch als Titel über Bodelschwinghs Morgenandacht setzen 3 9 . Ausgehend von Apostelgeschichte 9, 31 stellte Bodelschwingh die Leitfrage: „ W a s tut eine Kirche, der nach einer Zeit der Verfolgung und des Druckes Frieden geschenkt worden ist?" Dabei führte er ausführlich aus, was die Kirche damals tat; die Parallelen zur Gegenwart sind dabei überdeutlich. Die Kirche nutzte die Ruhepause, um sich zu sammeln, sich zu organisieren, um zu arbeiten und zu missionieren. O b w o h l drei Landesoder Provinzialkirchen da waren (Judäa, Samaria, Galiläa), die durch alte Traditionen sehr verschieden waren, werde von Streit, Mißtrauen und Machtkämpfen nichts berichtet. Auch Titel, Würden, Ämter spielten keine Rolle. „ I n einer ernsthaft arbeitenden Kirche haben Ehrgeiz und Eifersucht keinen R a u m . " 3 6 Hinzuweisen ist auf die innerkirchliche Diskussion um die Stuttgarter Schulderklärung und auf die Kritik an der Errichtung einer V E L K D , die als ein Akt unchristlicher Selbstbehauptung verstanden wurde. Vgl. auch das Gutachten des Oberkirchenrats in Stuttgart zu dem Verfassungsentwurf der V E L K D vom 10. 6. 1946, wo es unter „Grundsätzliches" heißt: „Der erste Eindruck dieses Entwurfes ist ohne Zweifel der: So könnte eine V E L K D aussehen, wenn sie in den Augen der deutschen Öffentlichkeit und nicht zuletzt auch vor dem Forum des Weltluthertums bestehen sollte" (AEKD, 012). 37

F. SÖHLMANN, Treysa, S. 11/12.

38

L K A NÜRNBERG, Meiser 121.

3 9 F. SÖHLMANN, Treysa, S. 32-35. - F. Söhlmann und E. Kleßmann sprechen von einer Abendandacht; St. Herman und Niemöller von einer Morgenandacht. Den Tagebuchaufzeichnungen Niemöllers ist hier der Vorzug zu geben (Kopie von Wilhelm Niemöller).

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Kirchenkonferenz in Treysa vom 27. bis 31. 8. 1945

Bodelschwingh ging dann auf die Versuchungen der gegenwärtigen Situation ein, die er darin sah, sich aus Müdigkeit und Resignation gehen zu lassen, zurückzublicken, an der Vergangenheit zu haften und damit die Zukunft und die Gegenwart zu verpassen. Als wandernde Kirche habe die Kirche aber den „mahnenden und tröstenden Zuspruch des heiligen Geistes". Das sollte ihr Mut machen, auch die „scheinbar unlöslichen Fragen" in Angriff zu nehmen. „Sehr viele Augen schauen im Geiste her nach Treysa. Sehr viele Ohren lauschen gespannt auf den Ton, der von hier aus erklingen w i r d . " Bodelschwingh Schloß mit der Mahnung: „ E i n ernster Freudenton soll die Botschaft von Treysa werden." 4 0 In seinem Bericht über die kirchliche Entwicklung der letzten zwölf Jahre 4 1 sprach Wurm vor allem von den Stadien der Spaltung und mißlungenen Einigungsversuche innerhalb der evangelischen Kirche bis zu dem neuen Abschnitt, der 1941 mit seinem persönlichen Engagement im Einigungswerk begann. Zwar sei auch diesem Werk wegen der innerkirchlichen Gegensätze und des Widerstandes des Staates kein endgültiger Erfolg beschieden gewesen, aber nach Ende des Krieges habe sich doch gezeigt, daß das Einigungswerk innerlich an Boden gewonnen hatte: Es bildeten sich in den zerstörten Kirchen neue vorläufige Kirchenleitungen im Sinne des Einigungswerkes. Diese erfreuliche Tatsache und ein Brief von Bodelschwingh hätten ihn ermutigt, die Reise nach Bethel zu unternehmen und die Konferenz in Treysa vorzubereiten. Wurm ging dann noch einmal auf die Einwände Niemöllers in bezug auf die Tagesordnung, die Auswahl der Redner und den Einladungsmodus der Bekennenden Kirche ein, ohne dabei Niemöl-

4 0 TH. WURM schreibt über die Andacht v. Bodelschwinghs: „ E r hatte schon mit der Andacht, die er am ersten Tag hielt, den rechten T o n angeschlagen. Als Text hatte er gewählt Apostelgeschichte 9.31, jenes Wort von der Ruhepause, die der Urgemeinde geschenkt war, nachdem der durch Saulus entfachte Verfolgungssturm sich gelegt hatte. Mit tiefem Ernst mahnte er uns, die uns geschenkte Stunde zu nützen und nicht zu vergessen, daß für die Kirche immer wieder Zeiten kommen, in denen sie sich zu bewähren hätte" (Erinnerungen, S. 181). Ebenso äußert sich ST. HERMAN: „ I n short, G o d had heard the stirring call uttered in the first matins service by greathearted Pastor von Bodelschwingh, whose death within six months was to grieve the Christian world, , G o d grant us one step f o r w a r d ' " (Rebirth, S. 148). Im Bericht von Ε. Kleßmann heißt es übereinstimmend: „Hingewiesen sei nur auf die auch in dem gedruckten Bericht gekürzt wiedergegebene Abendandacht v. Bodelschwinghs am 28. August, in der er seiner homiletischen Praxis entsprechend den Text so auslegte, daß sich besonders die leitenden Kirchenmänner mit ihren Gruppen darin wiedererkennen konnten. Es gelang ihm, diese Männer in einer kritischen Stunde der Kirchengeschichte mit solcher parresia, in solchem Ernst und mit einem geradezu entwaffnenden H u m o r anzureden, daß man dieses Wort als eine Tat seelsorgerlicher Leitung wird bezeichnen m ü s s e n " (W. BRANDT, Bodelschwingh, S. 247). 41

F. SÖHLMANN, Treysa, S. 12-22.

Programmatische Äußerungen

113

lers Namen zu nennen. Anschließend begrüßte er die Mitarbeit der offiziellen BK-Delegation. In bezug auf die Neuordnung der Kirche betonte Wurm, daß diese nur gemeinsam zu leisten sei. Sowohl die Restauration der Zustände von vor 1933 sei abzulehnen wie die „Losung der Kompromißlosigkeit und der revolutionären Geschichtslosigkeit", d. h. eine Lösung ohne jede Kontinuität und Tradition. Wurms konkreter Vorschlag lautete, eine Vorläufige Leitung nach dem Vorbild von 1934 zu bilden, in der Bruderräte und Landeskirchen zusammenwirkten. Das Mißlingen einer Einigung nannte Wurm „einfach katstrophal, eine Versündigung an der evangelischen Christenheit und am Herrn der Kirche". Er wies dann eindringlich auf die Verantwortung der Kirche dem Vertrauen des Volkes gegenüber hin. Entzweiung und öffentlicher Streit über Union oder Konfession, über episkopale oder synodale Ordnung könne im Augenblick nur eine Verwirrung der Gemeinde bedeuten. Zum ersten Mal seit der Reformation sei die Möglichkeit gegeben, daß sich die Kirche ein Regiment durch Vertrauensmänner der lebendigen bekennenden Gemeinde gebe. Indem sie diese Möglichkeit nutze, tue sie zugleich Buße für die Sünden der protestantischen Vergangenheit: für die falsche Innerlichkeit, für die falsche Äußerlichkeit einer intolerenten Selbstbehauptung und für die Staatsgläubigkeit. Aufgaben der Konferenz waren nach Wurm: die Gewinnung eines Uberblicks über die kirchliche Lage 42 , eine Verständigung über aktuelle Probleme und Aufgaben wie die Ostpfarrerfrage, die Schulfrage, die Kirchenzucht, die Maßnahmen der Besatzungsmächte und die politischen Neuorientierungen und die Bildung einer vorläufigen Kirchenleitung. Uber deren Zusammensetzung hatte Wurm sich schon geäußert; so zählte er nun die Aufgaben dieser Vorläufigen Kirchenleitung auf: 1. Kirchenkanzlei und Außenamt weiterführen 43 , 2. Vertretung gegenüber der Ökumene und den Besatzungsmächten, 3. Vorarbeiten für eine 4 2 Vgl. die Berichte zur Lage am 28. August von Dibelius über Berlin und den Osten und von Stadtdekan Dr. Konrad über Schlesien, am 31. August Richter über Sachsen (übereinstimmend im Brunotte-Bericht und in Meisers Notizen belegt).

Martin Richter (1886-1954), Arbeiter und Sozialfürsorger, 1933-1945 Mitarbeiter der B K Sachsens, nach 1945 zeitweise zweiter Bürgermeister von Dresden. 4 3 Brunotte war von Wurm ausdrücklich eingeladen worden. Ein Entwurf dieser Einladung hatte gelautet: „ I c h lade Sie als Vertreter und derzeitigen Leiter der Kirchenkanzlei zur Teilnahme an dieser Konferenz ein." Für Pressel fügte Wurm hinzu: „ E s fällt mir nicht leicht Brunotte einzuladen, aber ihn nur in die Nähe zu bestellen und nach Bedarf kommen zu lassen geht in Blick auf die Verkehrsverhältnisse auch nicht. Es muß zu Beginn der Konferenz deutlich der Unterschied gemacht werden zwischen] eigentlichen Mitgliedern und Sachbearbeitern. Pressel schlug dann für die Einladung die Formulierung vor: „ . . . als bisherigen Sachbearbeiter der früheren Kirchenkanzlei . . . " ( O K R STUTTGART, R e g . G e n . 115 b).

114

Kirchenkonferenz in Treysa vom 27. bis 31. 8. 1945

Verfassungsrevision oder eine neue Verfassung, 4. Aussprache über die Rechtslage. Als wesentliche Aufgabe der Kirche in der Gegenwart sah Wurm die Predigt des Evangeliums von der Rechtfertigung des Sünders aus der Solidarität mit der Schuld des Volkes und mit der Not des Volkes. Die Schuld wurde nach alttestamentlichem Vorbild als Abfall von Gott und Christus gesehen; zur Not des Volkes wurde einmal auf die Entnazifizierung, zum anderen auf die Vorgänge im Osten hingewiesen. Die westlichen Alliierten wurden auf ihre Verantwortung angesprochen und gemahnt, nicht nach den Prinzipien der Vergeltung ihre Entscheidungen zu treffen. Wurm Schloß mit einem Aufruf an die Kirche, ihre Predigtaufgabe in rechter Weise wahrzunehmen: es gehe um die Frage: Selbstrechtfertigung oder Rechtfertigung durch Gott? „Unsere Kirche hat keine größere Aufgabe, als die rechte Antwort auf diese Frage für sich und unser Volk zu finden." Martin Niemöller sah seine Rede über die Schuld der Kirche 44 als Ergänzung zu Wurms Ausführungen an, da dieser wichtige Bereich noch nicht genügend angesprochen worden sei. Die besondere Schuld der Kirche lag für ihn darin, daß die Kirche Maßstäbe und Kriterien hatte, nach denen sie beurteilen konnte, daß der Weg Hitlers zum Verderben führen mußte: „Und hier trägt die Bekennende Kirche ein besonders großes Maß von Schuld; denn sie sah am klarsten, was vor sich ging und was sich entwickelte; sie hat sogar dazu gesprochen und ist dann doch müde geworden und hat sich vor Menschen mehr gefürchtet als vor dem lebendigen Gott." Es habe sich also nicht um einzelne Unterlassungssünden gehandelt, sondern um ein grundsätzliches Versagen: „Wir haben grundsätzlich das uns aufgetragene Amt im Ungehorsam versäumt und sind damit schuldig geworden." Buße und Umkehr müßten ein zweifaches beinhalten: Analyse der Vergangenheit, d. h. Frage nach den strukturellen Ursachen des Versagens, da dieses wegen seines Ausmaßes nicht mehr als persönliche Schwäche einzelner Menschen gedeutet werden könne und die Folgerungen daraus für „die Kirche der Zukunft." Diese müsse Gemeindekirche sein, glaubwürdige Personen an führender Stellung haben und die öffentliche Verantwortung der Kirche neu überdenken.

44

F. SÖHLMANN, Treysa, S. 22-27.

Kapitel 9 DIE BILDUNG DER VORLÄUFIGEN KIRCHENLEITUNG IN TREYSA

A usgangsp osition „Als wir uns in Treysa trafen, wußten wir: die Gesamtkirche ist da! Es galt nur, ihr wieder eine Form zu geben und die rechten Männer an die Leitung zu stellen." 1 Aber gerade das zweite stellte sich als eine fast unlösbare Aufgabe heraus; die Verhandlungen über die personelle Besetzung des Rates waren die schwierigsten und hätten fast zum Bruch in Treysa geführt. Aber schon Dibelius' erste Behauptung von der Existenz der Gesamtkirche enthält viele Fragen: Wer ist die Gesamtkirche? Wer ist befugt, sie zu vertreten, und das heißt bezogen auf die einzusetzende Kirchenleitung: Welche Gruppen tragen und verantworten die Kirchenleitung? Wer nominiert und stellt die Ratsmitglieder? Wem soll die Vorläufige Kirchenleitung verantwortlich sein? Auch vor der Aufgabe der erneuten ,,Form-Gebung" dieser Gesamtkirchen ist das,,nur" keineswegs angebracht; im Gegenteil, die zukünftige Form der E K D - ihre Verfassung oder Grundordnung - , über deren wesentliche Merkmale die Vorläufige Ordnung bewußt nichts aussagt, wird gleich nach Treysa in den verschiedenen Interpretationen der Beschlüsse von Treysa zu einem zentralen Punkt der Auseinandersetzung, der innerhalb der E K D immer mehr an Bedeutung gewinnt. Nur über die Form der Kirchenleitung gab es offensichtlich keine Auseinandersetzungen. Der ,,Rat der E K D " mit seinen Implikationen einer brüderlichen Leitung ist den Diskussionen in Treysa wie selbstverständlich vorgegeben. Die Probleme dieser Konstruktion zeigten sich dann allerdings sehr bald in den jeweiligen Arbeitssituationen des Rates. Die Umbenennung der „Deutschen Evangelischen Kirche" ( D E K ) in „Evangelische Kirche in Deutschland" ( E K i D = E K D ) bereitete ebenfalls keine Schwierigkeiten. Hinter der Umbenennung stand nicht nur das Abgrenzungsbedürfnis gegenüber der Vergangenheit, sondern eine theologische Aussage. „ E s sollte klar sein, daß das, was an dieser Kirche deutsch ist, nicht ihr Wesen ausmacht. Ihrem Wesen nach ist sie Kirche Jesu Christi; Deutschland ist der Raum, in dem diese Kirche existiert." 2 1

O. DIBELIUS, Ein Christ, S. 258.

2

Ebd.

116

Bildung der vorläufigen Kirchenleitung in Treysa

Zusammensetzung

der

Kirchenversammlung

Wie stellte sich die Gesamtkirche in Treysa dar? Welche Gruppen waren anwesend? Woher nahmen sie ihren Anspruch, ein Teil der Gesamtkirche zu sein oder gar die Gesamtkirche zu vertreten? Darüber, daß in Treysa Gruppen miteinander verhandelten und Gruppeninteressen sich durchzusetzen suchten, bestanden bei den Beteiligten keine Meinungsverschiedenheiten. Unterschiedlich war allerdings die Rezeption des Gruppengeschehens und damit auch die Analyse der Vorgänge und die Wertung der Ergebnisse. Wurm definierte in seiner Begrüßungsansprache die Zusammensetzung der Kirchenversammlung folgendermaßen: „ W i r sind eine Zusammenkunft der an der Spitze der einzelnen Landeskirchen stehenden Männer mit Vertretern der Bruderräte und des Einigungwerkes." 3 Da das Einigungswerk eine Arbeitsgemeinschaft der oben genannten Gremien war und eben mit dem Zusammenführen dieser beiden Gremien zum Zwecke einer Ubereinkunft über eine Ordnung der Kirche das sich selbst gesetzte Ziel erreicht hatte, sprach Wurm im weiteren Verlauf nicht mehr von ihm. Die neu zu konstituierende Kirchenleitung sollte durch die Landeskirchen und die Bruderräte eingesetzt werden. Ernst Kleßmann, der Bodelschwingh zu der Kirchenkonferenz begleitete, charakterisierte die kämpfenden Gruppen in Treysa als „Lutheraner - Unionisten - Bruderräte", ohne diese weiter zu bestimmen oder einzuordnen 4 . Wilhelm Stählin spricht in seinen Erinnerungen von zwei Machtblökken, die in Treysa das Bild bestimmten. Da war einmal der Bruderrat und der Führung von Martin Niemöller, der zu Stählins „ehrlichem Erschrecken" gerade vorher in Frankfurt getagt hatte 5 . „ I h m stand als zweiter Block der von Hans Meiser geführte „Lutherrat" gegenüber, und es fanden dann fast alle entscheidenden Beratungen innerhalb dieser beiden Gruppen - Lutherrat und Bruderrat, in Treysa mit der Abkürzung Lura und Brura bezeichnet - statt. Wer wie ich weder zu Lura noch zu Brura gehörte, war praktisch von den Beratungen ausgeschlossen und mußte sich freuen, daß das gute Wetter ihm Spaziergänge gestattete, weil die Versammlungsräume durch Brura und Lura okkupiert waren." 6 Hanns Lilje greift drei Gruppierungen heraus aus dem im übrigen „komplizierten Bild bei dem Restbestand der Kirche, der noch vorhanden w a r " 7 . Diese drei Gruppen waren der Reichsbruderrat, der Geistli3

F . S Ö H L M A N N , T r e y s a , S. 1 0 .

4

W . B R A N D T , B o d e l s c h w i n g h , S. 2 4 7 .

5

Via Vitae, S. 501. Ebd., S. 502. Memorabilia, S. 159.

6 7

Zusammensetzung der Kirchenversammlung

117

che Vertrauensrat und die in Grundzügen gebildete „Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands", die von Landesbischof Meiser vertreten wurde. „Auch andere Gruppierungen traten auf diesem bunten Schlachtfeld auf. Die Berneuchener, die Sydower und andere bruderschaftliche Zusammenschlüsse, die nun freilich in der Tat seit langem an der Frage der Neugestaltung der Kirche gearbeitet hatten, waren auch gekommen; aber angesichts der größeren Gruppierungen von anderer Seite kamen sie nicht in der Weise, wie sie sich vorgestellt hatten, zum Einsatz. Es war wirklich ein verworrenes und verwirrendes Bild, die verschiedenen Strömungen zu beobachten, die aufeinanderstießen." 8 Otto Dibelius stellt zunächst die Zusammensetzung und Besetzung des Rates der E K D , sowohl was die Zahl als auch die Personen angeht, ganz unter dem Blickwinkel völlig unproblematischer Personalfragen dar. Gruppeninteressen werden erst in einem zweiten Abschnitt erörtert. Nur für den, der „tiefer blickte", stand schon damals nach Dibelius das ganze Unternehmen in Treysa in einer inneren Zwiespältigkeit: „Es war dieselbe Zwiespältigkeit, die schon im Jahre 1936 in Oeynhausen zum Bruch innerhalb der Bekennenden Kirche geführt hatte." 9 Mit diesem Hinweis auf Oeynhausen sind auch die Gruppen genannt: die Bruderräte oder vielmehr die „Bruderrätlichen" und die ehemals „Intakten" 1 0 . Daß sich die Spannungen zwischen diesen beiden Gruppen schon bei der Besetzung des Rates offen zeigten, übergeht Dibelius. Ob sein Interesse, die Ratsbesetzung so sehr aus dem Problemzusammenhang und aus den Streitereien herauszuhalten, damit zusammenhängt, daß seine eigene Person dabei betroffen ist, ist nicht klar. Es könnte auch der Versuch sein, den Rat als das entscheidende E K D Organ von vornherein als jenseits von allen Gruppeninteressen stehend zu definieren. Bei Dibelius läuft die Ratsbesetzung in organischen Stadien ab: „Mit den Personen - das ging glatt." Neben den „alten Vater Wurm" mußte „natürlich" Niemöller als „Juniorpartner" treten. „Darüber gab es nur eine Meinung." Dibelius selbst folgte als „Bischof von Berlin" und damit als Vertreter der östlichen Gebiete. Meiser als dem „führenden lutherischen Bischof einen Platz in der Leitung zu verweigern", wäre „untunlich" gewesen. Dann meldeten die Reformier8 Ebd., S. 160/161. Lilje muß gewußt haben, daß nicht einmal mehr die Mitglieder des Geistlichen Vertrauensrates daran dachten, als solche in Treysa aufzutreten. So macht der ganze Abschnitt auch mehr den Eindruck einer nachträglichen „Ehrenrettung" von Marahrens und seiner Arbeit im Geistlichen Vertrauensrat: „ E r war als ein Niedersachse, der das Recht liebte, mit der Vorstellung nach Treysa gekommen, daß er dieser Versammlung in geordneter Weise sein Amt zur Verfügung stellen würde."

Ein Christ, S. 261. Ebd., S. 262. Dibelius übersieht, daß die „Intakten" keine einheitliche Gruppe mehr darstellten. Wurm ζ. B. vertrat andere Ziele. 9

10

118

Bildung der vorläufigen Kirchenleitung in Treysa

ten ihre Ansprüche an, „ u n d dann kam weiter einer nach dem anderen. Schließlich waren wir z w ö l f ! " 1 1 Die wesentlichen, schon aus dem Kirchenkampf stammenden Unterschiede zwischen den beiden in Treysa entscheidenden Gruppen versucht Dibelius an ihren jeweiligen gegensätzlichen Haltungen zu einigen grundsätzlichen und zugleich aktuellen Problemen zu erklären. Aber durch diese Schematisierung, die notwendig vergröbert, werden bestehende Urteile und Vorurteile lediglich festgeschrieben, anstatt zu einem differenzierteren Meinungsbild beizutragen. Mit ,,bruderrätlich" bezeichnet Dibelius den sozusagen harten Kern der Bruderräte, der nach 1945 und das heißt für Dibelius, nachdem der Kampf vorbei war, weiter zu den einmal erkannten Grundsätzen stand. Diese Gruppe der Bruderrätlichen komme theologisch von Barth her, zeige also einen reformierten Einschlag, halte die Barmer Theologische Erklärung für wichtiger als die Bekenntnisschriften des 16. Jahrhunderts, kenne keine vaterländischen Gefühle und bringe allem, was Staat, Amt und Behörde heißt, Mißtrauen entgegen. Von Bischöfen halte sie nicht viel, und auch die landeskirchlichen Grenzen würden nicht anerkannt. Der anderen Seite, den ehemals Intakten, bescheinigt Dibelius zu allen oben aufgezählten Punkten entsprechend eine positive Einstellung 1 2 . Niemöller spricht in seinem Rundbrief an die Landesbruderräte vom 3. September 1945 ganz offen von der Verschiedenartigkeit der in Treysa verhandelnden Gruppen: „ D i e Verschiedenheit der beteiligten Kreise machte sich von vornherein geltend: Kirchenführer, Beirat des Einigungswerkes und Bekennende Kirche, außerdem in steigendem Maße der Lutherische Rat.'* 1 3 Aus Meisers handschriftlichen Notizen 1 4 , die er in Treysa während der Verhandlungen machte, und aus Niemöllers Tagebuchaufzeichnungen 1 5 geht deutlich hervor, welche Gruppen in welcher Zusammensetzung, Reihenfolge und Häufigkeit getagt haben. Dabei ergänzen sich die Aufzeichnungen von Meiser und Niemöller insofern, da beide jeweils einem der Hauptgremien angehörten.

Die kirchenregimentlichen

Ansprüche der Bekennenden

Kirche

A m Mittwoch, den 29. August, dem zweiten Verhandlungstag, ging es um die Frage, ob der Reichsbruderrat ein Recht habe, an der 11

Ebd., S. 259.

13

L K A DARMSTADT, 6 2 / 3 3 6 7 .

14 15

LKA NÜRNBERG, Meiser 121. Kopie von Wilhelm Niemöller.

12

Ebd., S. 261/262.

Kirchenregimentliche Ansprüche der Bk

119

Neuordnung der Kirche beteiligt zu werden. Personalfragen wurden erst am Donnerstag erörtert. Sie spitzten sich sehr schnell zu, und die Verhandlungen allgemein erreichten damit den Höhepunkt der Krise 16 . In Martin Niemöllers Tagebuch finden sich zu Mittwoch, den 29. August, folgende Bemerkungen: „ 7 h auf. Andacht Schöffel16®. Einzelsitzungen betr. Kirchenleit[un]g. Gespräche mit Korrespondenten. Gegen Mittag Ohnmachtsanfall; zu Bett gelegen, Arzt usw. Später im Bruderrat; . . ." Meiser zeichnete drei Gesprächsrunden auf, eben diejenigen, an denen er selbst teilgenommen hatte: ,,11 Uhr Kirchenführerkonferenz, 14 U h r Lutherrat, geschlossene Sitzung: Kirchenführer-Beirat." Zusätzlich vermerkte er, daß ein privates Gespräch mit Wurm am Morgen über „Fortführung der Konferenz" stattgefunden habe. Meisers Aufzeichnungen sind selbstverständlich keine objektive Quelle; zwar fehlen alle persönlichen Meinungsäußerungen und Kommentare, aber auch ohne diese betont persönlichen Urteile sind die aufgezeichneten Äußerungen eine von Meiser in der jeweiligen Situation getroffene Auswahl. Als Redner bei der Kirchenführerkonferenz vermerkte Meiser: Wurm, Meiser, Held, Gerhard Ritter, Asmussen, Schreiner 16b . Held, Asmussen und Ritter argumentierten vom Standpunkt der Bekennenden Kirche aus, während Wurm eine vermittelnde Position einnahm. Es ging um die ,,kirchenamtlichen" Befugnisse der Bruderräte, d. h. hier in Treysa konkret: soll der Bruderrat als Organ Träger der neuen Ordnung sein, soll er gleichberechtigt neben den Landeskirchen stehen, soll er offizieller Mitunterzeichner der zu treffenden Abmachungen sein. Dabei ging es nicht um die personelle Beteiligung einzelner Bruderratsmitglieder an der Kirchenleitung; dagegen hatte grundsätzlich kein Kirchenführer etwas einzuwenden. Wurm eröffnete die Sitzung mit der Bekanntgabe des Beschlusses des Reichsbruderrates von Frankfurt über das Fortbestehen der Bruderräte und die damit verbundenen Leitungsansprüche. Meiser hatte wohl dagegen mit dem autonomen Recht der Landeskirchen argumentiert, denn es heißt in seinen Aufzeichnungen: „ W u r m stimmt bei, daß es Sache der 16 OKR Pressel erinnerte sich in einem Gespräch mit der Verf. am 21. 10. 1974, daß sowohl Meiser als auch Bodelschwingh ihre Koffer bereits gepackt hatten, weil die Situation hoffnungslos erschien. Nach Pressel war es Wurms nachgiebige Haltung den „Dahlemiten" gegenüber, die Meiser und Bodelschwingh zu diesem Schritt veranlaßt habe. Hinzu sei gekommen, daß in der Perzeption beider Karl Barth der große Drahtzieher im Hintergrund war. 16a Simon Schöffel (1880-1959), 1933-1934 und 1946-1954 Landesbischof der Ev.-luth. Landeskirche im Hamburgischen Staate. 16b Helmuth Schreiner (1893-1962), Dr. theol., 1931-1937 Prof. für Praktische Theologie Rostock, 1946-1957 Münster, 1938-1955 Vorstand der Ev. Diakonissenanstalt Münster.

120

Bildung der vorläufigen Kirchenleitung in Treysa

Landeskirchen ist, rechtsgültige Beschlüsse zu fassen und eine rechtmäßige Leitung zu schaffen." „ A b e r " , so Wurm, „ w i r werden gemeinsam mit dem B[ruderrat] eine Vorläufige] L[eitung] schaffen." Der Widerspruch tritt klar hervor: einerseits konfessionell bestimmte Landeskirchen mit größter Selbständigkeit, andererseits der die Landeskirchenund Konfessionsgrenzen übergreifende Bruderrat. Das, was sich ausschließt, sollte dennoch miteinander in Einklang gebracht werden. Für Wurm persönlich, war dieser Widerspruch wohl nicht unüberwindlich, da er, wenn auch nicht den Landeskirchen, so doch konfessionellen Abgrenzungswünschen gegenüber kritisch eingestellt war. In diesem Punkt konnte er mit der Ausgangslage und mit den Zielen des Bruderrates übereinstimmen. Aber für die jeweiligen entschiedenen Positionen im Lutherrat und im Reichsbruderrat waren konfessionell bestimmte Landeskirchen und eine bruderrätlich organisierte Bekennende Kirche sich ausschließende Gemeinschaftsformen. Für die lutherischen Kirchen, die eine V E L K D anstrebten, war dieser Vorbehalt in den Jahren 1945 bis 1948 ein prinzipieller, da er durch ihr Verständis der Bekenntnisschriften und damit durch eine Gewissensbindung gefordert war. Für den Reichsbruderrat war ein konfessioneller Ausschließlichkeitsanspruch - und so verstand er die lutherischen Bestrebungen in der damaligen Situation - letztlich unschriftgemäß und der Versuch, diesen durchzusetzen, Ungehorsam gegen den Herrn der Kirche. Aber der Bruderrat war sich dessen bewußt, daß die traditionellen kirchlichen Organisationsformen innerhalb des deutschen Protestantismus seinem Modell entgegenstanden und deswegen an eine völlige Durchsetzung dieses Modells nicht zu denken war. Vorauszusehen war in Treysa allerdings noch nicht, daß es schließlich nur noch darum gehen konnte, das Schlimmste in der Entwicklung der E K D zu verhindern 1 7 .

„ Machtergreifung"

durch die Bekennende

Kirche

Bei dieser ersten Aussprache warnte Asmussen Meiser davor, allein die Legalität als Maßstab für den kirchlichen Neuaufbau einzusetzen. Bisher sei dieser Punkt von den Bruderräten bewußt nicht angesprochen

1 7 Lücking auf der Bruderratssitzung am 19./20. 1. 1947: „Wir müssen dem V E L K D Entwurf die Giftzähne ziehen" (Protokoll; L K A DARMSTADT, 36/23). Dieser Ausspruch charakterisiert die defensive Position treffend. Denn ein EKD-Verfassungentwurf lag noch nicht vor, dagegen war eine VELKD-Verfassung bereits vom Lutherrat verabschiedet, der von seiner Anlage her ganz ohne einen Blick auf die Gesamtkirche konzipiert worden war. „Giftzähne" galt es herauszubrechen, um dadurch wenigstens einige Nahtstellen zu schaffen für ein Ineinandergreifen von E K D und V E L K D .

„Machtergreifung" durch die Β Κ

121

worden. Wenn aber jetzt von den Kirchenführern die Legalität als die „eigentliche kirchliche Wirklichkeit" angesehen werde, dann entstünde eine neue Lage. Der Bruderrat sei nicht gewillt, die Frage der Legitimität einfach durch die Frage der Legalität zu ersetzen. „Es hat niemand ein Interesse daran, daß außerhalb Treysa durchgepaukt wird, welche Bedeutung die Bruderräte haben." Dieser Satz Asmussens veranlaßte Prof. Schreiner, sich gegen die „Drohungen von Seiten der Bruderräte" auszusprechen. Meiser hat nachträglich in seinen Notizen an dieser Stelle das Wort „Nazimethoden" eingetragen. O b dies Meisers Meinung war, oder ob Schreiner in einem Privatgespräch diesen Begriff verwendet hat, ist nicht mehr zu klären. Offensichtlich ist aber mit dem Begriff „Nazimethoden" in Bayern gegen die Bruderräte im Zusammenhang mit den Ergebnissen von Treysa Propaganda betrieben worden 1 8 . Hier ist auch der Ort, wo der Vorwurf von der „Machtergreifung" der Bekennenden Kirche, der in der Literatur immer wieder gegen die Bruderräte angeführt wird, seinen Ursprung hat. So verteidigt Emil Brunner in einem Artikel „ Z u r kirchlichen Lage in Deutschland", veröffentlicht im „Kirchenblatt für die Reformierte Schweiz" vom 29. Mai 1947, die „konfessionalistische Bewegung der lutherischen Bischöfe" mit dem Hinweis auf die Machtergreifung der Bekennenden Kirche in Treysa: „Sie [die konf. Bewegung] kann nur als Reaktion verstanden werden, und zwar nicht als politisch-nationale, sondern als kirchliche. Sie ist, in allererster Linie, Reaktion auf jenen Vorgang vom August 1945, den man als die ,Machtergreifung der radikalen Bekennenden Kirche in Treysa' bezeichnen kann." Da Brunner diesen Bericht ausdrücklich als Ergebnis einer Informationsreise durch Deutschland ausgibt, kann man hinter seinen Äußerungen die Sicht einer bestimmten kirchlichen Schicht in Deutschland vermuten. Der Prozeß der Verdächtigungen war im Frühsommer 1947 so weit fortgeschritten, daß historische Abfolgen schlicht umgekehrt wurden. Auch Hanns Lilje kolportiert noch 1973 in seinen Erinnerungen diesen Vorwurf: „Die erste Sitzung des neugewählten Rates hat dann das Bild von der .Machtübernahme' noch einmal deutlich gemacht." 1 9 Daneben steht aber bei Lilje die Aussage, daß dem Reichsbruderrat, „der nicht daran dachte, sich aufzulösen", trotz der guten Vorbereitung in Frankfurt „ein entscheidender Einfluß auf den weiteren Gang der Dinge nicht möglich gewesen ist" 2 0 . Dieser Widerspruch scheint seinen Grund darin zu haben, daß Lilje einmal bemüht ist, die Sache der bruderrätlichen Bekennenden Kirche abzuwerten, was sich durchgängig 18 19 20

Vgl. dazu unten S. 149. Memorabilia, S. 164. Ebd., S. 160.

122

Bildung der vorläufigen Kirchenleitung in Treysa

in seinem Buch nachweisen ließe, andererseits aber Vorurteile gegen die Bruderräte nur zu gerne weitergibt 21 . Was ohne die Machtbeteiligungsansprüche des Reichsbruderrates in Treysa geschehen wäre, kann man ermessen, wenn man sich die lutherischen Pläne für Treysa ansieht. Der Lutherrat kam mit dem Entschluß nach Treysa, eine V E L K D zu bilden und möglicherweise in diesem Prozeß die lutherischen Gemeinden aus den Verwaltungsunionen herauszulösen, um dann dieser V E L K D eventuell eine reformierte und eine unierte Sektion beizuordnen. Landeskirchenführer und lutherischer Block kamen in dem Glauben nach Treysa, die Bruderräte hätten ihre Zeit gehabt. Stählins Aussage ist symptomatisch: „Meine Hoffnung, daß sich nun die bruderrätlich organisierte ,Bekennende Kirche', nachdem sie ihre geschichtliche Aufgabe erfüllt hatte, zugunsten des von Wurm inaugurierten ,Einigungswerkes' auflösen würde, erwies sich als ein schlimmer Irrtum." 2 2 In Treysa wurde entgegen diesen Hoffnungen der Reichsbruderrat als ein Träger der neuen Ordnung anerkannt, was dem Einigungswerk durchaus nicht widersprach; weiter wurde der Reichsbruderrat in seinen kirchenregimentlichen Ansprüchen bestätigt, deren Übertragung auf das neue Leitungsgremium sonst unsinnig gewesen wäre; und schließlich wurde eine Organisation der E K D nach konfessionellen Gesichtspunkten vermieden. Für die weitere Entwicklung der E K D bis Eisenach wurde der letzte dieser Punkte der entscheidende. Zusammen mit der württembergischen Landeskirche konnte der Bruderrat auch weiterhin die gänzliche konfessionelle Aufspaltung der E K D verhindern. Daß andere Ziele, die eine stärkere Kirchwerdung der E K D bedeutet hätten, nicht durchgesetzt werden konnten, wie ζ. B. die Mitgliedschaft einzelner Gemeinden oder Christen in der E K D , hängt mit der dominierenden Rolle der Landeskirchen im deutschen Protestantismus zusammen. Deswegen fand der Bruderrat auch keine Bundesgenossen in dem Versuch, landeskirchliche Rechte zugunsten gesamtkirchlicher Kompetenzen zu beschneiden. Aus den Erwiderungen G. Ritters und Heids auf den Vorwurf der Machtergreifung geht hervor, in welch beschränktem Sinne das Anliegen 2 1 Vgl. ζ. B. ebd., S. 159:,,. . . und unter der Führung des aus der Schweiz herbeigeeilten Karl Barth trat der Bruderrat als verhältnismäßig geschlossene Gruppe in Treysa auf." Barth war Gast der Delegation des Bruderrates und hielt sich in Treysa völlig zurück, von einer Führungsrolle kann also keine Rede sein. Ebenso unpassend ist die Umschreibung „des aus der Schweiz herbeigeeilten Karl Barth", denn Lilje mußte aus der Kenntnis der damaligen Situation heraus wissen, daß auch Karl Barth den Reisebeschränkungen unterlag. Zu den Tendenzen in Liljes Erinnerungen vgl. W. NIEMÖLLER, Barmen 1934-1974, S. 208 ff. 2 2 Via Vitae, S. 501.

Vorstellungen des Lutherrats

123

der Bekennenden Kirche von der Gegenseite interpretiert wurde. Der Gedanke an eine Machtergreifung in diesem Zusammenhang entlarvt diejenigen, die ihn vertreten, in ihrem Verständnis der jüngsten Vergangenheit. Es blieb Held vorbehalten, darauf hinzuweisen, daß es nicht um einen Machtwechsel gehe, sondern um die Veränderung kirchlicher Strukturen. „Es handelt sich nicht um eine Machtergreifung. Es handelt sich darum, daß unsere Kirche eine einheitliche bekenntnismäßige Fundamentierung b e k o m m t . " Es ging also darum, die Versäumnisse des Kirchenkampfes anzuerkennen und die Erkenntnisse des Kirchenkampfes zur Wirkung kommen zu lassen. Daß der Reichsbruderrat dabei seine eigenen Vorstellungen nicht völlig durchsetzen konnte, war ihm klar, wie der Beschluß in Frankfurt zeigt. Daher betonte Held mit Recht: „Unsere Vorlage soll ein Angebot zum Frieden sein." Wurm unterstützte die Kompromißbereitschaft des Reichsbruderrates mit seiner Bemerkung: „ E s ist der Wille des B[ruder]R[ats], der Zweigleisigkeit ein Ende zu machen." Der Reichsbruderrat konnte seine ihm von den Bekenntnissynoden übertragenen kirchenregimentlichen Befugnisse aber nur den Landeskirchenregierungen übertragen, wenn diese sich verpflichteten, das Anliegen der Bekennenden Kirche zu wahren. Daß das leichter und überzeugender geschehen konnte, wenn bestimmte Kreise keinen Einfluß mehr hatten und stattdessen bestimmte andere Kreise ihre Funktionen übernahmen, ist verständlich. U n d nur insofern ist das Anliegen des Reichsbruderrates auch gleichzeitig eine Personalfrage, und zwar sowohl in negativer als auch in positiver Hinsicht. Eine personelle Beteiligung der Bekennenden Kirche mußte als ein Teil der Garantie dafür angesehen werden, daß in den Vorläufigen Kirchenleitungen, und nur um die ging es in Treysa, nicht alles beim alten blieb und damit den Weg für neue Wege verbaute.

Die Vorstellungen des

Lutherrates

U m 14 U h r fand eine Tagung des Lutherrates statt. Dieser beschloß: „Herausstellung eines Dreierkollegiums. Nominierung nur durch die legalen Landeskirchen." 2 3 Diese interne Entscheidung zeigt, daß der Lutherrat nicht bereit war, den Reichsbruderrat als amtliches Organ anzuerkennen. Damit wurde gleichzeitig der Auftrag der Bekenntnissynoden nicht ernst genommen und letztlich das Recht der Synoden, verbindliche Entscheidungen zu treffen, bestritten. Da man aber auch im Lutherrat wußte, daß es völlig unmöglich sein würde, vor allem wohl 23 Handschriftliche Notizen Meisers (LKA NÜRNBERG, Meiser 121). Ebd. auch das folgende Zitat.

124

Bildung der vorläufigen Kirchenleitung in Treysa

der Ökumene, dem Ausland allgemein und den Besatzungsbehörden gegenüber, auf Martin Niemöller in der Kirchenleitung zu verzichten, wurde sein N a m e für die Personalliste vorgeschlagen. Neben Niemöller standen die Namen: Wurm, Meiser, Dibelius, Hahn und ein Reformierter. D a vorher von einem Dreierkollegium die Rede war, ist nicht klar, warum dann sechs Namen genannt werden.

Der Kompromiß Zu der geschlossenen Sitzung Kirchenführer und Beirat zeichnete Meiser im wesentlichen zwei Aussagen Asmussens auf, die deswegen wichtig sind, weil sie eine Kompromißmöglichkeit anzeigten und damit die festgefahrene Diskussion weiterbrachten: „ D e r R[eichs]B[ruder]R[at] hält es nicht für nötig, daß Bruderräte bestehen bleiben, wenn bekenntnisgebundene Organe gebildet sind . . . Dem R[eichs]B[ruder]R[at] geht es um Provisorien, in keiner Weise um endgültige Entscheidungen (vorher allgemeine Wahlen)." Provisorische Gremien, die die Willenserklärung abgeben, bekenntnisgebundene Organe zu bilden, verpflichten den Reichsbruderrat, von seinem eigenen Verständnis her, vorläufig seine kirchenregimentlichen Befugnisse abzugeben. Für den Konflikt in Treysa heißt das: Während einer Ubergangszeit ist der Reichsbruderrat faktisch ausgeschaltet, was den landeskirchlichen Ansprüchen entgegenkommt. Mit dieser Lösung kann aber auch der Reichsbruderrat sein Gesicht und seinen Rechtsanspruch wahren: D a er seine kirchenregimentlichen Befugnisse nur vorläufig aufgegeben hat, sind sie nicht erloschen, sondern sie ruhen nur und können jederzeit wieder aktiviert werden, wenn die Vorbedingungen nicht erfüllt werden. Parallel zu den Verhandlungen in den einzelnen Gremien arbeitete eine Kommission aus den Kirchenrechtlern Ehlers, Mensing, Smend und Erik Wolf zusammen mit dem theologischen Sachverständigen Heinrich Frick (Marburg) an einer „Vorläufigen Ordnung". Diese wurde am 30. August vormittags um 10 Uhr durch Mensing als dem Berichterstatter der Kommission in der Vollversammlung vorgetragen. A m Nachmittag wurde die Ordnung durch Erik Wolf begründet und erläutert 24 . Sie enthält viele Punkte, die für strittige Fragen eine „ L ö s u n g " enthalten. Vgl. E . WOLF, Entstehung, S. 11. Heinrich Frick (1893-1952), D r . theol., 1924 Prof. für Praktische und 1926 für Systematische Theologie Gießen, 1929 Marburg. Rudolf Smend (1882-1975), D r . jur., 1909 Prof. für öffentliches Recht und Kirchenrecht Greifswald, 1911 Tübingen, 1915 Bonn, 1922 Berlin, 1935-1950 Göttingen; 1945-1955 Mitglied des Rates der E K D , 1945-1969 Leiter des Kirchenrechtlichen Instituts der E K D . 24

Kompromiß

125

Als ein Beispiel sei die Begründung für die Ablehnung der Übernahme von BK-Leitungsformen herangezogen. Es ist nicht mehr die Existenz von verfassungsmäßigen Kirchenleitungen, die eine Bestätigung der Notorgane der Bekennenden Kirche verbietet, sondern es ist die „zwischen der Bekennenden Kirche und den im Amt befindlichen Kirchenleitungen wachsende Gemeinsamkeit." Diese Aussage kann sich Ende August ganz konkret auf die inzwischen neubesetzten Kirchenleitungen in einigen Landeskirchen beziehen, wo Bruderratsmitglieder sich an dieser Umbesetzung beteiligten und zum Teil führende Ämter angenommen hatten. Diese neuen Kirchenleitungen demonstrierten damit sogar die Gemeinsamkeit innerhalb ihrer Gremien, was Bischof Wurm zu dem Trugschluß verführt hatte, daß Einladungen an diese Kirchenleitungen die Bekennende Kirche genügend berücksichtigen würden. Die Formulierung in der Vorläufigen Ordnung gibt ihm rückblickend fast recht, denn sie bleibt bewußt vage in dem, was hier unter Bekennender Kirche verstanden wird. Auch paßt das Bild von der „wachsenden Gemeinsamkeit" weit besser auf einen Verständigungsprozeß zwischen Personen in bezug auf Meinungen und Einsichten, die auch unverbindlich bleiben können als auf tatsächliche Umstrukturierungsvorgänge. Der Verdacht, daß hier „Bekennende Kirche" nur noch als Synonym für eine bestimmte Einstellung verwendet wird, legt sich weiter nahe durch die ganz andere Konkretheit und Bestimmtheit, mit der das Gegenüber zur Bekennenden Kirche benannt wird: im Amt befindliche Kirchenleitungen. Damit wird die Ebene der Organisation, der Strukturen, der Funktions- und Machtverteilung betreten. Hinzu kommt noch, daß der Begriff „Bekennende Kirche" ohne weitere Differenzierung verschieden weit gefaßt werden kann; einmal kann er alle diejenigen Gruppen mit einschließen, die in Barmen dabei waren oder die das Einigungswerk unterstützten, andererseits kann er sich nur auf die bruderrätliche Bekennende Kirche, d. h. die „radikale" Bekennende Kirche oder die „Dahlemiten" beziehen. Diese Unklarheit ist sicherlich nicht zufällig, sondern vielleicht sogar notwendig. Denn die Spannungen in Treysa konnten nur so „verdeckt" werden, daß man sie verbal als überwunden hinstellte. Hermann Diem vertrat gleich nach Treysa die Meinung, daß die offizielle Begründung für den hier behandelten kritischen Satz aus der Vorläufigen Ordnung unter II, c die Tatsachen nicht nur vertusche, sondern verdrehe: „ D i e entgegengesetzte Begründung wäre freilich für die meisten Kirchenleitungen zutreffender gewesen, daß deren unüberwindliches Mißtrauen gegen die Organe der Bekennenden Kirche eine Anerkennung derselben nie zugelassen hätte." 2 5 Auch Heinz Brunotte wendet sich kritisch 25

Problematik, S. 21.

126

Bildung der vorläufigen Kirchenleitung in Treysa

gegen die Begründung in der Vorläufigen O r d n u n g und charakterisiert sie als „ein zwar sehr berechtigtes, aber doch noch recht ungreifbares Wunschbild" 2 6 .

Personalfragen O b w o h l in der Vorläufigen O r d n u n g erleichternde Bestimmungen für die personelle Besetzung des Rates nach konfessionellem Schlüssel enthalten waren, waren die Auseinandersetzungen um Personalfragen überaus heftig. Meiser berichtet für Donnerstag, den 30. August von einer Lutherratssitzung um 9 U h r , in der es um „Personalvorschläge" ging; bis zum Abend folgten dann noch dreimal Verhandlungen über Personalvorschläge. Niemöller vermerkt ebenfalls in seinem Tagebuch für den Vormittag des Donnerstag: „Reichsbruderratssitzungen usw . . . Mittags mit Wurm und Dibelius gesessen! . . . Schwere Verhandlungen usw. . . ." Kleßmann berichtet über den Donnerstagnachmittag: „ A m dritten Verhandlungstag nachmittags waren die Spannungen derart, daß zu befürchten war, die Versammlung würde zur Bildung einer Leitung der Evangelischen Kirche in Deutschland den erforderlichen Konsens nicht finden . . . Der casus belli war zuletzt vor allem der, ob Hans Meiser dem Rat der Zwölf angehören sollte, der gebildet wurde, um eine Evangelische Kirche in Deutschland, wie sie jetzt statt früher Deutsche Evangelische Kirche heißen sollte, und ihre Leitung zu konstituieren. Die Lutheraner bestanden darauf, daß Meiser dem Rat der Zwölf angehören müsse, während der Bruderrat dieses mit mindestens gleicher Beharrlichkeit ablehnte. Durch v. Bodelschwinghs Vermittlung kam es zu einer Einigung: Meiser sollte dem Rat angehören." 2 7 Dieser Einigung, die dann schließlich nach 20 U h r zustande kam, ging ein „Alleingang" Bischof Wurms voraus. Der Text 2 8 von Wurms Erklärung, den er für den Beginn der öffentlichen Sitzung am Donnerstag um 16 U h r vorbereitet hatte, enthält folgende Gedanken: Es ist notwendig und entspricht dem allgemeinen Wunsch, daß hier auf der Tagung in Treysa eine „Gesamtvertretung der Evangelischen Kirche in Deutschland sichtbar herausgestellt wird". Hierüber ist bis auf die Frage, „wie der engere 26

Grundordnung, S. 25.

27

W . BRANDT, B o d e l s c h w i n g h , S . 2 4 7 / 2 4 8 .

28

„Erklärung, die Landesbischof D. Wurm am Donnerstag, den 30. August 1945, nachm. 4 U h r bei Beginn der öffentlichen Sitzung abgeben wollte" (LKA NÜRNBERG, Meiser 121). Aus Meisers Notizen (ebd.) geht hervor, daß Wurm die Erklärung abgegeben hat. Sie könnte ein Ergebnis des Gespräches zwischen Niemöller, Wurm und Dibelius vom Mittag desselben Tages gewesen sein (vgl. Tagebuch M. Niemöller).

Personalfragen

127

Kreis der verantwortlichen Sprecher der Evangelischen Kirche ausgeweitet oder begrenzt werden muß", in vielen Einzelbesprechungen weitgehend Ubereinstimmung hergestellt worden. „ I n dieser Lage, aus der sich kein Ausweg gezeigt hat, trete ich vor diese Versammlung mit folgender Erklärung: Otto Dibelius, Martin Niemöller und ich haben uns aus eigenem Entschluß, nachdem eine solche Bitte aus dem Kreise der Brüder an uns herangetragen ist, dafür verantwortlich geglaubt, daß wir nunmehr diese Vertretung der Evangelischen Kirche in Deutschland darstellen müssen und daß wir deshalb einstweilen die Aufgaben zu übernehmen haben, die nach der heute mitgeteilten Vorlage dem ,Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland' zugedacht sind. - Wir sind gewillt, weitere 9 Brüder, über deren Namen auch schon eine weitgehende Ubereinstimmung vorhanden ist, an unsere Seite zu rufen. Wir möchten damit auch dem Gedanken des synodalen Aufbaus unserer Kirche Rechnung tragen und sind gewillt, alle Fragen von größerer Bedeutung in brüderlicher Verständigung mit ihnen zu lösen. Wir bitten die Versammlung, unsere Bereitschaftserklärung anzunehmen, uns dadurch die Arbeit zu ermöglichen und unsern Dienst auf ihre Verantwortung und auf ihr Gebet zu nehmen." Meiser vermerkt zu diesem Vorgang 29 in seinen Notizen: ,,16.30 Uhr wird ein Versuch gemacht, die Kirchenleitung in eigener Vollmacht zu übernehmen (Wurm, Niemöller, Dibelius). Lutherische, reformierte und unierte Kirchen erklärten, daß sie dazu Stellung nehmen und keinen Vertreter in den vorgesehenen Beirat senden würden." Damit war dieser Lösungsversuch abgelehnt, denn ohne Unterstützung der Landeskirchen wäre eine Leitung der EKD eine Farce gewesen. Nach weiteren Verhandlungen konnte endlich am Abend die Vorläufige Leitung herausgestellt werden. Außer den Laienmitgliedern waren alle Ratsmitglieder schon namentlich festgelegt. Auch die Zweiteilung des Rates in eine Leitung im engeren Sinne von sieben Personen und in einen Beirat 30 war hier schon beschlossen. Im offiziellen Text der „Vorläufigen Ordnung" ist als besondere Funktion für die ersten sieben Ratsmitglieder die „Vertretung des Rates" vorgesehen. Brunotte sagt zu dieser Regelung: „Was die Beauftragung der ersten 7 Mitglieder mit einer , Vertretung' des Rates eigentlich bedeuten sollte, ist niemals richtig klargeworden. Praktiziert ist diese .Vertretung' jedenfalls von 1945 bis 1949 nicht." 3 1 Liljes Erklärung, daß diese „mysteriöse Bestimmung" lediglich die Bedeutung hatte, gerade Asmussen nicht als unmittelbaren 29

Uber diesen Vorgang wird sonst nirgends in der Literatur berichtet. Handschriftliche Notizen Meisers: „ D a z u ein Beirat; Leitung: Asmussen, Hahn, ein luth. und ref. Laie" (LKA NÜRNBERG, Meiser 121). 31 Grundordnung, S. 18 f. 30

128

Bildung der vorläufigen Kirchenleitung in Treysa

Vertreter der Evangelischen Kirche in Deutschland zu haben 3 2 , kann durch weitere Belege aus dem Quellenmaterial nicht gestützt werden. Die Auseinandersetzungen um Asmussen begannen erst später, und die Angriffe kamen dann gerade aus den Reihen seiner alten BK-Freunde. Das Nachgeben des Reichsbruderrates in der Frage ,,Meiser" ist möglicherweise erreicht worden durch die Zusage, daß Niemöller stellvertretender Vorsitzender würde. Denn Meiser notiert in seiner Mitschrift, daß für die Annahme dieses Leitungsgremiums „Voraussetzung ist, daß Stellvertreter des Vorsitzenden Niemöller wird" 3 3 . Danach wurde die Entscheidung ohne Diskussion angenommen. Abschließend wurde festgestellt, daß mit der Einsetzung der neuen Leitung die letzte Vorläufige Kirchenleitung erloschen sei und daß der Reichsbruderrat seine Befugnisse auf die neue Leitung übertragen habe 3 4 . Schon Erik Wolf hatte sich in diesem Sinne in seinem Gutachten geäußert 3 5 . Die exakte Formulierung findet sich in den Erläuterungen zu der Vorläufigen O r d n u n g unter Punkt 1. Hier wird sowohl die Vorläufigkeit der Übertragung als auch die Spezifizierung auf die kirchenregimentlichen Funktionen unmißverständlich angegeben 36 . Deswegen hätte der Satz „ D i e 1936 eingesetzte V[orläufige]L[eitung] und der R[eichs]B[ruder]R[at] bestehen nicht mehr", so nicht in Meisers Dekanatsbericht gelangen dürfen 3 7 .

Erik Wolfs Einfluß in Treysa Lilje widmet in seinen Lebenserinnerungen der Kirchenkonferenz von Treysa beträchtliche Aufmerksamkeit. Leider unterlaufen ihm dabei einige Fehlurteile. Hier soll nur eines herausgegriffen werden, welches in unseren unmittelbaren Zusammenhang gehört. Es geht um die Bedeutung, die Erik Wolf für das Zustandekommen der Konvention von Treysa zuzuschreiben ist. Bei Lilje heißt es: „Erik Wolf, Kirchenrecht32

Memorabilia, S. 164. Vgl. auch M. Niemöllers Brief vom 22. Juni 1946 an Assmussen: „ D u weißt, daß ich mich in Treysa gegen meine bessere Überzeugung zum Eintritt in den Rat durch die Brüder habe breitschlagen lassen" (Abschrift; LKA STUTTGART, D 1/225). 34 So die ungenaue Formulierung bei Meiser. Ähnlich auch Bogner in einem Brief an Niemöller vom 15. 3. 46: „ N a c h den bekannten leidvollen Verhandlungen im beauftragten kleinen Kreis unter Vorsitz Pastor v. Bodelschwinghs vom 29. 8. und 30. 8. wurde am 30. 8. abends 9 U h r in öffentlicher Versammlung ohne Widerspruch von irgendwelcher Seite festgestellt: a) die VL ist erloschen b) die Befugnisse des RBR sind auf das neugewählte Zwölfer-Kollegium übergegangen" (LKA NÜRNBERG, Meiser 121). 33

35

F . SÖHLMANN, T r e y s a , S. 183 I I , 2 , a u n d b .

36

Ebd., S. 98.

37

D e k a n a t s b e r i c h t v o m 3 0 . 9 . 1 9 4 5 ( O K R STUTTGART, R e g . G e n . 1 1 5 b ) .

129

E r i k W o l f s Einfluß in T r e y s a

ler aus Freiburg, hatte zuerst eine verhältnismäßig große Rolle gespielt und mit einer nicht geringen Fülle perfekter Pläne sich in die Arena begeben. Die Tatsache, daß er sich doch nur verhältnismäßig wenig durchzusetzen vermochte, ist vor allem darauf zurückzuführen, daß er das geschichtliche Gewicht der Institutionen offenbar zu leicht einschätzte." 3 8 Eher das Gegenteil ist richtig. Ein Vergleich des Gutachtens Wolfs vom Sommer 1945 für Wurm mit der Treysaer Konvention gibt darüber deutlich Aufschluß. Außerdem befindet sich unter den Akten der Kirchenkanzlei ein Exemplar einer „Vorlage zur vorläufigen Ordnung der Ev. Kirche in Deutschland" 3 9 , welches fast wörtlich dem endgültigen Text entspricht und als „Entwurf W o l f " gekennzeichnet ist. Die Unterschiede zwischen diesem Entwurf und der angenommenen Konvention sind außer redaktionellen Änderungen folgende: Im Abschnitt I I I des Entwurfes berufen die „Konferenz der Landeskirchenführer und der Bruderrat der Ev. Kirche in Deutschland, in Treysa versammelt" gemeinsam einen Rat. In der endgültigen Fassung sind es die Landeskirchenführerkonferenz, der Beirat des Einigungswerkes und eine Abordnung des Bruderrates der Bekennenden Kirche in Deutschland. Mit der Hinzufügung des Beirates wurde einmal Wurms unbestreitbares Verdienst an der Vorbereitung einer Einigung gewürdigt, aber auch ein weiteres Gremium als Gegengewicht zum Bruderrat geschaffen. Denn im Einigungswerk und entsprechend im Beirat waren die Vertreter der bruderrätlichen Bekennenden Kirche in der Minderheit 4 0 . Der Entwurf hatte dem Rat noch die Leitung der E K D zugesprochen, in der Vorläufigen Ordnung ist nur noch von einer Vertretung die Rede. 38

Memorabilia, S. 163. D e r letzte Satz des Zitats ist insofern richtig, als E r i k W o l f in

seinem G u t a c h t e n n o c h davon ausgegangen w a r , daß die D E K im Rechtssinne nicht m e h r bestehe, während in der T r e y s a e r K o n v e n t i o n eine solche Festlegung v o n Rechtspositionen bewußt vermieden

wird. Allerdings erwecken die Erläuterungen

zu der

vorläufigen

O r d n u n g der E K i D eher den E i n d r u c k , daß die E K D als Rechtsnachfolgerin der D E K zu betrachten sei. 3

» A E K D , 0 0 B d . I.

40

Mitglieder des Beirates waren W u r m , Dibelius, H e l d , H e r n t r i c h , Hartenstein, Lilje,

Meiser und Riehl.

„ D a b e i vertraten Dibelius und H e l d die ,bruderrätliche',

Wurm,

Meiser, Hartenstein und Lilje die b i s c h ö f l i c h e ' Bekennende Kirche, während H e r n t r i c h für die kirchlichen

Werke

stand

und

Riehl

für die Pfarrvereine

und

die

„Mitte"

( J . THIERFELDER, Einigungswerk, S. 1 2 6 ) . Karl Hartenstein ( 1 8 9 4 - 1 9 5 2 ) , D r . t h e o l . , 1 9 2 6 - 1 9 3 9 D i r e k t o r der Basler Mission, 1941 Prälat Stuttgart und Stellvertreter des Landesbischofs, 1 9 4 9 - 1 9 5 2 Mitglied des Rates der EKD. O t t o Riehl ( 1 8 7 9 - ? ) , 1923 P . F r a n k f u r t / O d e r , preußischen Pfarrervereine.

1932 Sup. C r o s s e n , Vorsitzender der

130

Bildung der vorläufigen Kirchenleitung in Treysa

Im Gegensatz zum Entwurf sind in der Vorläufigen Ordnung die Zahlenverhältnisse für die konfessionelle Gliederung des Rates bereits eingetragen, nämlich sechs lutherische, vier unierte und zwei reformierte Vertreter. Ebenso ist die Zahl sieben für die „Sprecher" (so im Entwurf) bzw. „Vertreter" (so in der Vorläufigen Ordnung) des Rates erst im endgültigen Text erfolgt.

Analyse des Rates der

EKD41

Sowohl die Zusammensetzung als auch die Konstruktion des Rates haben sich im folgenden als nicht sehr effektiv und gelungen erwiesen, so bestechend im ersten Moment für die Öffentlichkeit sein Bild in der Zusammenfassung der vorhandenen Kräfte gewesen sein mag. Die personelle Zusammensetzung des Rates läßt sich nach verschiedenen Aspekten aufschlüsseln: a. nach konfessionellem Proporz: Wurm, Meiser, Lilje, Hahn, Asmussen, Meyer (Lutheraner); Heinemann, Dibelius, Held, Niemöller (Unierte); Smend, Niesei (Refomierte). b. Verhältnis Pastoren/Laien: 9 zu 3. Diese Relation verschob sich auch nicht, als Oberstudiendirektor Peter Meyer aus Hamburg-Altona seine Mitgliedschaft im Rat aufgab 42 und Landeshauptmann Eberhard Hagemann aus Celle für ihn nachgewählt wurde. c. Inhaber eines landeskirchlichen Amtes: die Landesbischöfe Wurm, Meiser und Dibelius; Oberkirchenrat Lilje und die Superintendenten Held und Hahn. Ohne landeskirchliche Hausmacht waren Asmussen, Niemöller und Niesei. d. Von den Ratsmitgliedern hatten Wurm, Meiser, Dibelius, Lilje, Hahn, Held und Asmussen die „13 Sätze über Auftrag und Dienst der Kirche" unterschrieben; Wurm, Meiser, Dibelius, Held und Lilje waren Mitglieder im Beirat des Einigungswerkes. Der Konstruktionsfehler des Rates war sein eigenes ungeklärtes Verhältnis zu den Landeskirchen. So spielte der Gegensatz Rat der E K D und Landeskirchen von Anfang an eine große Rolle in dem EntscheiVgl. dazu unten S. 191 ff. Am 13. 12. 1945 richtete Meyer die Bitte an den Rat, seine Mitgliedschaft wegen der verkehrstechnisch ungünstigen Lage Hamburgs an jemand anderen zu übergeben, am 18. 1. 1946 erneuerte er die Bitte, vom Rat dispensiert zu werden. Am 8. 2. 1946 wurde dieser Bitte entsprochen, und am 1./2. 5. 1946 erfolgte die Nachwahl des Celler Landeshauptmanns Eberhard Hagemann (AEKD, 046). Gustav Heinemann (1899-1976), Dr. jur., Dr. rer. pol., Rechtsanwalt, 1933-1945 Mitarbeiter in der BK, 1946-1949 Oberbürgermeister von Essen, 1949-1953 Bundesinnenminister, 1966-1969 Bundesjustizminister, 1969-1974 Bundespräsident; 1945-1967 Mitglied des Rates der E K D , 1949-1955 Präses der Synode der EKD. 41

42

Analyse des Rates der E K D

131

dungsfindungsprozeß des Rates. Die Schwierigkeiten in diesem Verhältnis sind angelegt in der Konvention von Treysa, Abschnitt I I I : „Besondere Aufgaben des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland sind: . . . Die Vertretung der Evangelischen Kirche in Deutschland in ihren gemeinsamen Anliegen. Dabei bleibt die Selbständigkeit der Landeskirchen unberührt . . . " Schon auf der dritten Sitzung des Rates am 13./14. Dezember 1945 in Frankfurt wurde die Frage nach der Kompetenz des Rates ausführlich erörtert. Dibelius: , , D e r ganze Rat hängt mit seiner Existenz daran, daß er von dem freudigen Vertrauen der L[andes]K[irchen] getragen ist." Er schlug dann sogar vor, die Kirchenkanzlei ,,an einen bestimmten landeskirchlichen Organismus" anzulehnen, wie ζ. B . den Oberkirchenrat in Stuttgart. Asmussen betonte daraufhin, daß die Interessen der E K D nicht identisch mit denen einer Landeskirche seien, ja, daß von Treysa her die E K D nicht allein von den Landeskirchen ausgehend konzipiert worden sei 4 3 : „ D i e Konstruktion von Treysa birgt einige sachliche Schwierigkeiten in sich, weil wir aus einer Doppelheit hervorgegangen sind ( B K - intakte Kirchen). Ich habe meine Existenz in der Kanzlei als Brücke angesehen." Die Doppelheit, die Asmussen angesprochen hatte, wurde durch den Beschluß 4 3 * des Rates übergangen, denn er bedeutete eine einseitige Stützung des landeskirchlichen Elements gegenüber dem BK-Element, das landeskirchlich nicht gebunden war, vielmehr landeskirchliches Denken in Frage stellte. Nach einer Aktennotiz des Crailsheimer Dekans an den Oberkirchenrat in Stuttgart soll Niemöller dort in einer Rede am 17. Juni 1946 im Zusammenhang mit der Frage, ob der Rat Restauration oder Renovation wolle, gesagt haben: „ D e r Rat ist 1 0 0 % auf meiner Linie. Aber die Landeskirchenleitungen wollen nicht auf der Linie des Rats mitmachen."44 Auf der Tagung des Lutherrates am 12./13. September 1946 in Göttingen wurde im Zusammenhang mit der Erörterung der Lage innerhalb der E K D auch Kritik an der Geschäftsführung des Rates geübt. In einem Bericht über die Tagung heißt es: „ D i e Spannungen von Treysa seien nicht überwunden, sondern verschärft. Der Konstruktionsfehler in der Grundlage des Rates der E K D räche sich, daß die Landeskirchen hier

43

„ A u ß e r d e m ist der W e g v o n B r u d e r Dibelius bei kirchlichen Entscheidungen gefähr-

lich. D i e Interessen der E K D dürfen nicht in die H ä n d e einer bestimmten L [ a n d e s ] K [ i r c h e ] gegeben w e r d e n " ( A E K D , 0 4 6 ) . 438

„ Z w e i m a l im J a h r sollen zwei T a g e der Ratssitzung zu einer gemeinsamen Sitzung

mit den Landeskirchenregierungen erweitert w e r d e n " (ebd.). Vgl. dazu auch unten S. 171 f. 44

L K A STUTTGART, D 1 / 2 2 5 .

132

Bildung der vorläufigen Kirchenleitung in Treysa

zusammengespannt seien mit den Einzelpersönlichkeiten ,ohne kirchliche Hausmacht' aus der Bekenntnisbewegung." 45 Eine weitere Schwierigkeit bildete die Ämterhäufung von einzelnen Ratsmitgliedern. Diese waren nämlich nicht nur durch ein Amt in einer Landeskirche weithin gebunden, sondern gelangten durch noch weitere Ämter in Interessenkonflikte. Auf der Ratssitzung am 14. Dezember 1945 sprach Dibelius sich gegen den Vorschlag aus, Ratsmitglieder zur „Wahrung des Beratungsgeheimnisses" zu verpflichten: „Das ist für uns nicht ganz einfach durchzuführen, da wir zugleich anderen Gremien angehören, denen wir einen Bericht schuldig sind. Man müßte es unserem Verantwortungsbewußtsein überlassen, zu entscheiden, was wir weitergeben oder nicht." 4 6 Wurms Stellung als Ratsvorsitzender mit besonderen Befugnissen deckte sich völlig mit seiner persönlichen echten Autorität. Seine Amtsführung hat nie Anlaß zur Kritik gegeben. Auch seine Aufgaben als Landesbischof von Württemberg und seine spätere Mitarbeit im Detmolder Kreis haben ihn nicht in Konflikte mit seinem EKD-Amt gebracht. In der Detmolder Arbeit hat er sich sehr zurückgehalten, und die Beziehungen zum Lutherrat hat Wurm ausschließlich durch Prälat Schlatter aufrechterhalten. Außer in Treysa hat Wurm an keiner Lutherratstagung mehr teilgenommen. Meisers bedeutende Rolle im Rat der EKD - Tagesordnungspunkte und Sitzungen wurden seinetwegen verschoben - verdankte er seinem Amt als Vorsitzender des Lutherrates. Zwischen 1945 und 1948 bedeutete dieses Amt, Wortführer zu sein für alle lutherischen Landeskirchen außer Württemberg und Oldenburg. Dibelius' Stimme hatte besonderes Gewicht, da er als einziges Ratsmitglied aus einer Kirche der Ostzone kam und damit die Ostkirchenkonferenz im Rat zunächst nur durch ihn vertreten war. Dies änderte sich erst, als das Ratsmitglied Hugo Hahn im Oktober 1947 zum Landesbischof von Sachsen gewählt wurde 4 7 . Schon am 8. August 1946 teilte Dibelius der Kirchenkanzleit mit, daß er von russischer Seite bedrängt würde, etwas gegen die untragbare Situation zu tun, daß in der obersten Leitung der evangelischen Kirche die russische Zone nur durch eine einzige Person vertreten sei: „Sie empfinden das als Mißachtung ihrer Zone und ihrer selbst." 48 Dibelius 45

46

L K A STUTTGART, D 1 / 2 1 3 .

A E K D , 046. 47 Hugo Hahn war von 1939 nach seiner Ausweisung aus Sachsen bis 1947 als Pfarrer in der württembergischen Landeskirche, zuletzt in Zuffenhausen, tätig. In der Liste der Ratsmitglieder wird er mit dem Titel Superintendent geführt, da er bis 1939 Superintendent von Dresden-Land war. 48 AEKD, 046.

Analyse des Rates der E K D

133

meinte zu diesem Anliegen, daß es sachlich wohl nicht unberechtigt wäre, eine stärkere Vertretung des Ostens in der E K D zu verlangen, aber natürlich habe niemand an die Verteilung auf Zonen gedacht, „als wir den Rat in jener Bedrängtheit bildeten, die uns allen noch lebhaft in Erinnerung ist." Asmussen teilte Dibelius daraufhin mit, daß diese Frage auf der nächsten Ratssitzung zu verhandeln sei, d. h. am 10./11. Oktober 1946 4 9 . Am 12. November 1946 teilte Dibelius der Kanzlei der E K D in Schwäbisch Gmünd die Entschließung der Ostkirchenkonferenz vom 6. November mit, in der eine Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen Ost und West begrüßt wurde: „Die Konferenz der östlichen Kirchenleitungen hat mit Dank davon Kenntnis genommen, daß der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland künftig zu seinen Sitzungen weitere Vertreter der östlichen Kirchen hinzuziehen w i r d . " 5 0 Es wurde der Wunsch ausgesprochen, der Rat möge künftig abwechselnd in der östlichen und in den westlichen Besatzungszonen tagen. Der Rat der E K D hat nur einmal eine Tagung in Berlin abgehalten, am 12./13. Mai 1947; die Entscheidung, die verfassunggebende Kirchenversammlung in Eisenach abzuhalten, ist aber in diesem Zusammenhang zu sehen. Niemöller hatte zwei Ämter in der E K D inne, das des stellvertretenden Ratsvorsitzenden und das des Leiters des Kirchlichen Außenamtes. Die Besetzung beider Ämter mit Niemöller war zum Teil Ergebnis eines Machtverteilungskampfes, zum Teil mit Blick auf die Ökumene geschehen 5 1 . Im Rat hatte Niemöllers Stimme vor allem Gewicht wegen seines Schreiben vom 23. 8. 1946 (ebd.). Ebd. 5 1 Vgl. den Brief von Gisevius an Niemöller vom 3. 10. 1945: „Zu meiner großen Freude ist das Ergebnis von Treysa, was die B K und besonders Deine Person betrifft, in Genf mit großer Genugtuung aufgenommen worden" (Kopie des Briefes v. W. Niemöller). In einem Brief von Niemöller an Asmussen vom 22. 6. 1946, der aber innerhalb weiter Kreise der E K D bekannt wurde, führte Niemöller im Zusammenhang mit einer Art Rückblick über das vergangene Jahr („Ich habe mir damals das vor uns liegende Jahr wesentlich anders gedacht") über seine Ämter in der E K D aus: „ D i e Erfahrungen seit Treysa haben mir gezeigt, daß der .stellvertretende Vorsitzende im Rat' im Grunde nichts anderes bedeuten sollte, als mich auch von Seiten der E K i D auf ein totes Gleis zu schieben. Weder Wurm noch die Kanzlei haben je den geringsten Versuch gemacht, mich an der Arbeit der E K i D wirklich zu beteiligen, obgleich ich zweimal von mir aus nach Schwäb i s c h ] Gmünd gefahren bin, um die Verbindung zu suchen . . . Auch meine Beauftragu n g mit den Aufgaben des Kirchlichen Außenamtes und der ökumenischen Vertretung der E K i D ist bei jeder Gelegenheit und in erheblichem Umfange sabotiert worden, so daß ich mich fragen muß, ob nicht auch dieser Auftrag lediglich als eine Formsache angesehen wird" (Abschrift; L K A STUTTGART, D 1/225). Wurm antwortete am 1. 7. 1946 auf diesen Brief: „Wenn ich recht sehe, so hat Ihr Unbehagen seinen objektiven Grund nicht in Unterlassungen von Seiten der Kanzlei oder des Vorsitzenden des Rates der E K D . . . Wir haben Ihnen alle Chancen gegeben, und es lag völlig in Ihren Händen, das neue Amt nach Ihren Wünschen zu gestalten . . . Die Schwierigkeit lag vielmehr darin, daß Sie zweierlei 49

50

134

Bildung der vorläufigen Kirchenleitung in Treysa

Ansehens im Ausland, seiner Beziehungen zum Ausland und wegen seiner führenden Position im Reichsbruderrat. Asmussen sollte nach Liljes Aussage in die zweite Garnitur der Ratsmitglieder abgeschoben werden, tatsächlich wurde er aber durch seine zusätzliche Stellung als Präsident der Kirchenkanzlei sehr einflußreich und mächtig 5 2 . Wegen der räumlichen Nähe von Schwäbisch Gmünd und Stuttgart wurden viele Entscheidungen von Wurm und Asmussen ohne Rücksprache mit dem Rat gefällt. Auch kam es vor, daß die Kirchenkanzlei allein entschied, was Wurm zwar nachträglich deckte, was aber dennoch immer häufiger die Kritik der übrigen Ratsmitglieder herausforderte 53 . Diese Alleingänge und die kirchenpolitischen Aktivitäten Ausmussens, die mit seinem neutralen Amt als ausführendes Organ des Rates als nicht vereinbar angesehen wurden 5 4 , führten dazu, daß er am 3. Mai 1948 durch Wurm aufgefordert wurde, sich beurlauben zu lassen, da das erforderliche Vertrauensverhältnis zwischen dem Rat und dem Kanzleipräsidenten nicht mehr bestehe 55 . zu vereinigen suchten, die Leitung des Außenamtes und eine intensive Predigt- und Vortragstätigkeit. Ich verstehe wahrlich sehr gut, daß Ihnen das Zweite besonders am Herzen lag, daß Sie sich zu der Predigt von Buße und Glauben besonders beauftragt und berufen fühlten. Aber dann hätte die geregelte Fortführung der Geschäfte des Außenamtes zunächst in die Hände eines Mannes wie Wahl gelegt werden müssen . . . " (ebd). In einer N o t i z Presseis an Wurm in Treysa vom 31. 8. 1945 heißt es zur Besetzung der Stelle des Außenamtes: „ I c h beantrage, im Einvernehmen mit Vertretern des luth. Rates und des Beirates Herrn O B L K R . D r . Lilje zu beauftragen mit der Führung der Geschäfte des bisherigen Außenamtes" ( L K A STUTTGART, D 1/209). Hans Wahl (1900-1946), D r . jur., 1930 Mitarbeiter im Kirchenbundesamt, 1934 O K R im Kirchl. Außenamt, 1938 O K o n s R a t . 5 2 Vgl. H . LILJE, Memorabilia, S. 164. Asmussen wurde durch Ratsbeschluß vom 31. 8. 1945 zum Präsidenten der Kirchenkanzlei ernannt ( L K A STUTTGART, D 1/208). 5 3 So stellte sich Wurm nachträglich hinter die Schreiben Asmussens an Landesbischof Marahrens (Protokoll der Ratssitzung vom 13. 12. 1945; A E K D , 046) und an General Clay ( „ E i n e n Auftrag habe ich ihm nicht gegeben, fand es aber hinterher in Ordnung, daß er sie geschrieben h a t " , so W u r m zur Entschuldigung in einem Brief an Niemöller vom 1. 7. 1946; L K A STUTTGART, D 1/225). Nach der Suspension des Ratsbeschlusses, zur Moskauer Konferenz ein Wort an die Gemeinden herauszugeben, durch die Kirchenkanzlei, teilte Dibelius Asmussen zu diesem Vorgang als Beschluß des Rates vom 12. 5. 1947 mit: „Beschlüsse des Rates können nur von dem Vorsitzenden selbst, nicht aber von der Kirchenkanzlei unter Zustimmung des Vorsitzenden sistiert werden" ( A E K D , 046).

Lucius D . Clay ( 1 8 9 7 - 1 9 7 8 ) , 1945 stellvertretender Oberbefehlshaber der amerikanischen Landstreitkräfte in Europa, 1947-1949 Militärgouverneur der US-Besatzungszone Deutschlands. 5 4 Auf der außerordentlichen Ratssitzung am 14. 1. 1948 in Frankfurt stellte der Rat fest, daß die umstrittene Flensburger Rede Asmussens seine „persönliche Auffassung" wiedergebe. Gleichzeitig wurde Wurm gebeten, mit Asmussen zu sprechen, um ihm eine gewisse Zurückhaltung entsprechend seiner Stellung nahezulegen ( L K A STUTTGART, D 1/ 216). 55

Vgl. dazu unten S. 347 ff.

Kapitel 10 DIE BESCHLÜSSE DER KONFERENZ V O N TREYSA

Zu unserem Gesamtthema „Neuordnung der Evangelischen Kirche nach 1945" gehören auch Beschlüsse der Kirchenkonferenz, die sich nicht ausdrücklich mit dieser Frage befassen, aber ihren Adressaten dadurch etwas über den zukünftigen Weg der Kirche in Deutschland mitteilen, indem sie die Vergangenheit zu erhellen versuchen. Dabei ist schon die unterschiedliche Behandlung und Rezeption dieser Beschlüsse ein Stück der Geschichte dieses zukünftigen Weges.

Das Wort an die

Gemeinden1

Nach der Tagesordnung war für den 28. August nachmittags eine „Geschlossene Aussprache zwischen den Vertretern der Landeskirchen, des Reichsbruderrates und dem Beirat des Einigungswerkes" vorgesehen. Meiser hat zu dieser Sitzung um 15 Uhr einige Notizen gemacht. Als Vertreter des Reichsbruderrates zählt er folgende Namen auf: Niemöller, Ritter, Hammelsbeck, Barth, Gisevius. Wer die anderen beiden Gremien vertreten hat, geht aus den Notizen nicht hervor. Lediglich Wurm wird als Redner vermerkt. Verhandelt wurden das „Wort an die Gemeinden" und das „Wort an die Pfarrer". Uber den Verlauf der Beratungen macht Meiser keine Mitteilungen. Da aber das „Wort an die Gemeinden" als Beschluß der Kirchenkonferenz verabschiedet wurde, kann man annehmen, daß Wurm und Meiser für ihre Gremien zustimmen konnten. Daß auch das „Wort an die Pfarrer", wenn auch nicht verabschiedet, so doch zur Überarbeitung an den Rat der E K D weitergeleitet wurde, weist darauf hin, daß es nicht völlig unannehmbar erschien. Damit hätten sich Niemöllers einleitende Worte, die Meiser notierte, durch den Gang und durch das Ergebnis der Diskussion für diesen Bereich bewahrheitet: „ E s geht für uns darum, ob wir feststellen können, daß wir den Weg der Interimszeit auf einer Linie und in einer Richtung zu marschieren in der Lage sind. Unter diesem Gesichtspunkt stand die Tagung in Frankfurt. Ist ihr Weg unser Weg, dann sind wir an den Klippen vorbei." 2 1

F. SÖHLMANN, Treysa, S. 87/88.

2

LKA NÜRNBERG, Meiser 121.

136

Beschlüsse der Konferenz von Treysa

Daß die Vorlage der beiden schon in Frankfurt behandelten Worte vom Reichsbruderrat als Testfall für die Einschätzung der Stimmung in der Konferenz angesehen wurden, sagte Niemöller ganz offen in seinem Brief an die Landesbruderräte vom 3. September 1945 3 . N u r derjenige, der nicht bedenkt, daß das Ergebnis von Frankfurt schon ein Kompromiß war zwischen den Wünschen der Bekennenden Kirche und den Erwartungen der Landeskirchen, kann in den Worten Niemöllers eine anmaßende Forderung sehen, die auf einen alleinigen Machtanspruch der Bekennenden Kirche hinausläuft. Es ging darum, die gemeinsame Marschroute für die Ubergangszeit festzulegen. Das „ W o r t an die Gemeinden" und das „ W o r t an die Pfarrer" waren dabei wichtige Marksteine; dienten sie doch dazu, der Gemeinde und den Pfarrern bei der Verarbeitung der Vergangenheit Hilfe zu leisten und einen Weg in die Zukunft zu weisen. Beide Worte sind bei Söhlmann unter dem Abschnitt V: Beschlüsse der Konferenz abgedruckt. Diese Zuordnung ist aber nicht richtig, da nur das „ W o r t an die Gemeinden" von der Kirchenkonferenz als ihr eigenes Votum übernommen wurde. Auch der Zusatz Söhlmanns zum Wort an die Pfarrer „ N i c h t einstimmig angenommen" 4 ist irreführend, denn es wurde gar nicht angenommen, sondern dem Rat der E K D zur weiteren Behandlung übergeben 5 . Es ist auch später, etwa nach einer Befassung und Überarbeitung durch den Rat, nicht mehr als ein Wort der gesamten verantwortlichen E K D hinausgegangen. In Treysa war beschlossen worden zu versuchen, das „ W o r t an die Gemeinden" durch den Rundfunk bekanntzugeben 6 . In der württembergischen Landeskirche ist dies durchgeführt worden. Am 5. September 1945 hat Bischof Wurm persönlich das Wort im Stuttgarter Rundfunkverlesen 7 . Am 17. September verschickte der Oberkirchenrat Stuttgart zusätzlich das Wort an alle Pfarrämter, mit der Aufforderung, es am Erntedankfest (7. Oktober) oder am Kirchweihfest (21. Oktober) im Gottesdienst feierlich zu verlesen 8 . Bereits am 4. September hatte Wurm in seinem Bericht vor dem Pfarrkonvent auf die beiden vom Bruderrat 3 „ W i r haben unser Wort an die Gemeinden gleich zu Anfang eingebracht, um festzustellen, ob wir überhaupt auf eine wie immer geartete Einmütigkeit hoffen durf-

ten . . . " ( L K . A DARMSTADT, 6 2 / 3 3 6 7 ) .

Treysa, S. 89. Niemöller bemerkt in dem Brief an die Landesbruderräte z u m Abstimmungsverfahren in Treysa: „ D a die Frage des Abstimmungsmodus unlösbar war und grundsätzlich jeder Bruch vermieden werden sollte, kam es praktisch darauf hinaus, daß Beschlüsse nur mit unbezweifelter Einmütigkeit der Versammlung gefaßt werden konnten . . . " (vgl. A n m . 4

5

3)· 6 7 8

Brunotte-Bericht, S. 11 ( A E K D , 047). Aktennotiz ( O K R STUTTGART, Reg. Gen. 115 b). Ebd.

Wort an die Pfarrer

137

eingebrach ten Worte hingewiesen: „ D a n n wurden die Anträge des RBR vorgetragen. Zunächst das ,Wort an die Gemeinden', das mit ganz minimalen Änderungen angenommen wurde. Das ,Wort an die Pfarrer' unterlag größeren Bedenken und ist noch nicht hinausgegangen." 9 In dem Dekanatsbericht Meisers wurde dagegen das „ W o r t an die Gemeinden" überhaupt nicht erwähnt und auch nicht als eine der sechs Beilagen mitverschickt, und das, obwohl vorausgeschickt wird, daß der „nachstehende Bericht samt Anlagen . . ." eine Ubersicht über den Verlauf und die Ergebnisse der Beratungen von Treysa bringen sollte 10 .

Das Wort an die

Pfarrer11

Auf der ersten Ratssitzung in Treysa am Nachmittag des 31. August, gleich anschließend an die Kirchenkonferenz, wurde das „ W o r t an die Gemeinden" vom Rat der E K D übernommen. In dem Ergebnisprotokoll von dieser Ratssitzung wird unter Ziffer 6 ausdrücklich vermerkt: „ W o r t an die Pfarrer vom Rat nicht beschlossen. Meinungsverschiedenheiten Niemöller - Meiser, sollen diese durch Aussprache beseitigen . . ." 1 2 . Niemöller notiert dazu in seinem Tagebuch unter dem 31. August nach dem Vermerk, daß die Sitzung der neuen Leitung, d. h. des Rates der E K D , stattgefunden habe: „ W o r t an die Pfarrer. Meiser: Kommen Sie bei mir vorbei!" Am 25. September 1945 schreibt Wurm an Niemöller zu dem Wort an die Pfarrer: „ A u c h ich bedaure sehr, daß an diesem Punkt Einwände erhoben wurden. Dagegen, daß es nun als Wort des Reichsbruderrates hinausgegeben werde, hatten wir, Asmussen und ich, doch Bedenken, weil es einen Schritt zurück hinter Treysa bedeuten würde. Ich überlegte, ob ich es nicht an die Pfarrer der württembergischen Landeskirche hinausgeben sollte mit der Bemerkung, daß darüber keine volle Einmütigkeit erzielt worden sei, daß wir es aber gerne verwerten möchten. Hiergegen bestanden nun bei unserem Oberkirchenrat Bedenken, weil dies zu deutlich die Meinungsverschiedenheiten erkennen lasse. In der Sitzung vom 18. Oktober muß aber unbedingt eine Annahme des Wortes durchgesetzt werden." 1 3 Das „ W o r t an die Pfarrer" ist weder am 18. Oktober noch auf einer späteren Ratssitzung verhandelt worden. Die zweite Tagung des Rates der E K D in Stuttgart war ganz ausgefüllt von dem Besuch der ökumenischen Delegation und von der Diskussion um die „Stuttgarter Schulder9

Ebd.

10

Ebd.

11

F . SÖHLMANN, T r e y s a , S. 8 9 - 9 3 .

12

Ergebnisprotokoll, Ziffer 5 (LKA STUTTGART, D 1/208).

13

L K A STUTTGART, D 1 / 2 2 5 .

138

Beschlüsse der Konferenz von Treysa

klärung". Einige Anliegen des Wortes an die Pfarrer wurden von der Stuttgarter Erklärung übernommen, so daß eine unmittelbare Notwendigkeit, den „Hirtenbrief" 1 4 an die Pfarrer zu verabschieden, für den Rat der E K D nicht mehr bestand. Im Kirchlichen Jahrbuch für die Jahre 1945 bis 1948 ist auf Seite 4 das „Wort an die Pfarrer" korrekt als Kundgebung des Reichsbruderrates mit dem Datum: Frankfurt a . M . 21./24. August 1945 veröffentlicht. Was machte das „ W o r t an die Gemeinden" im Gegensatz zu dem „ W o r t an die Pfarrer" für Meiser, und d. h. für den Lutherrat, akzeptabel? Wo liegen die Unterschiede, die die unterschiedliche Aufnahme und Behandlung der Botschaften erklären könnten? Das „ W o r t an die Gemeinden" ist kurz, übersichtlich in sechs Abschnitte unterteilt und in allgemeinen, bekannten theologischen Formulierungen abgefaßt. Es beginnt mit einer Deutung der augenblicklichen N o t in rein theologischen Dimensionen als Zorngericht Gottes. Versäumnisse, Schuld, Lüge, Feigheit und Ungehorsam von Volk und Kirche gingen diesem Zorngericht voraus (Längst ehe . . .). U n d obwohl es einleitend heißt: „ H e u t e bekennen w i r " . . . sind diejenigen, die gefehlt, gelogen, gemordet haben, dann nicht wiederum wir, sondern verallgemeinernd wird umschrieben: man, er, wer . . ., der, wessen . . ., dem. Hingewiesen wird dann auf den Widerstand in allen „Bekenntnissen, Schichten und Parteien". Im Zusammenhang mit dem Widerstand werden nun auch die Taten des Unrechtsstaates unverwechselbar genannt: Konzentrationslager, Ausrottung der Juden, Euthanasie. Die Antwort des Staates war das Abdrängen der Kirche ins Ghetto. Dieses Ghetto hat sich nun geöffnet, das Planen und Beten in der Stille hat ein Ende. Es folgt der Ruf an Gemeinden und Pastoren zur „Erneuerung der Kirche", der Ruf an das Volk zur Rückkehr zu Gott. Das Wort schließt mit der tröstenden Zusage des Friedens Gottes an alle Leidenden und mit der Mahnung, in den zwischenmenschlichen Beziehungen die christlichen Tugenden der Barmherzigkeit, Geduld, Liebe und Vergebung walten zu lassen und ein J a zum Leben zu sagen. Das „ W o r t an die Gemeinden" ist dem Inhalt und der Diktion nach ein geistliches Wort. Maßgebend für die Verfasser und Absender des Wortes war sicherlich die Absicht, der Verzweiflung der einzelnen Gemeindemitglieder zu wehren. Daher die vertrauten Vokabeln, das Ubergewicht an Trost gegenüber der Anklage, der Hinweis auf Aufgaben der Gegenwart, die zu meistern seien durch schlichte Menschlichkeit. Dem „ W o r t an die Gemeinden" liegt der Text der „Botschaft der 14

F . SÖHLMANN, T r e y s a , S . 1 7 6 .

Wort an die Pfarrer

139

Spandauer Synode" vom 31. Juli 1945 zugrunde 1 5 . Auf der Bruderratstagung in Frankfurt war diese Botschaft der Synode der Bekennenden Kirche von Berlin durch Bethge, Dürr, Ehlers, Iwand, Niemöller und Schmidt so verändert worden, daß sie von einer heterogenen Versammlung wie der in Treysa verabschiedet werden konnte. So wurde in Abschnitt III und IV die Bezeichnung „Bekennende Kirche" durch „Kirche" ersetzt, und die Selbstaussagen über die Bekennende Kirche wurden getilgt, die für die Versammlung in Treysa eine Uberforderung bedeutet hätten. Der Hinweis, daß „Barmen" den Widerstand ermöglichte, ist ebenso gestrichen worden wie der Satz, daß „zum ersten mal nun die Bekennende Kirche leitende Ämter in der Gesamtkirche wahrnehmen" könne 1 6 . Das „Wort an die Pfarrer" hatte schon in Frankfurt mehrere Umarbeitungsphasen durchlaufen. Im ersten Entwurf war es Teil eines Wortes der Bekennenden Kirche an die evangelischen Gemeinden in Deutschland gewesen, welches Asmussen im Auftrag der Versammlung verfaßt hatte. Während der Diskussion über diesen Entwurf wurde den Teilnehmern der Bruderratstagung zunehmend klar, daß Gemeinden und Pfarrer nicht mit demselben Wort und in demselben Ton angeredet werden könnten. Es wurde daraufhin eine Kommission gebildet, bestehend aus Asmussen, Brunner, Held, Obendiek, K.B. Ritter und Erik Wolf, die den Auftrag erhielt, ein Wort speziell an die Pfarrer zu entwerfen. Für das „ W o r t an die Gemeinden" übernahm man dann die Spandauer Vorlage. Der von der Kommission vorgelegte Entwurf wurde als zu klerikal und zu magisch (Dämonenglaube) abgelehnt. Außerdem wurde die Uberbetonung des Sakraments an Stelle von Christus kritisiert und gefordert, daß nicht die Schuld der Besatzungsmächte, sondern unsere Schuld ausgesprochen werde, und daß die Buße sich in der politischen Verantwortung zu konkretisieren habe. Karl Barth lehnte diesen Entwurf rundweg ab mit dem Argument: „So ist das Wort unannehmbar für das, was ich als Bekennende Kirche gekannt habe." 1 7 Er fand aber keine Unterstützung für seine grundsätzliche Ablehnung; stattdessen wurde der Entwurf an Held zur erneuten Umarbeitung gegeben. Am 24. August 1945, nach der Kaffeepause, wurde der neue Text einstimmig angenommen. O b Barths Stimme in diesem „einstimmig" enthalten i s t , ist nicht mehr nachzuprüfen. Allerdings ist seine Kritik an dem dämonisch-magischen Geschichtsbild nicht voll akzeptiert wor15 16 17

Ebd., S. 137. Ebd., S. 138. Protokoll vom 24. 8. 1945, vormittags 10.30 U h r (LKA DARMSTADT, 36/22).

140

Beschlüsse der Konferenz von Treysa

den 18 , denn die Vergangenheit wird in dem Pfarrerwort immer noch als Dämonenherrschaft, als apokalyptisches Ereignis interpretiert. Diesem Rahmen entsprechend wird auch die Schuld als nicht mehr mit „moralischen Maßstäben" erfaßbar verstanden, was in diesem Zusammenhang entlastend wirkt, anstatt den Blick auf angemessenere Erklärungsversuche als solche durch die Moral zu lenken. Von irgendeiner Schuld der anderen und von der Bedeutung der Sakramente ist dagegen nicht mehr die Rede. Die Erlösungstat Christi steht klar im Mittelpunkt. Dreiviertel des Textes sind der Neuordnung der Kirche und des sozialen Lebens gewidmet, wobei Kriterien dieser Neuordnung mehr oder weniger konkret angegeben werden. Dafür, um wirklich wirkungsvoll zu sein, ist das „ W o r t an die Pfarrer" sicherlich zu lang, zu weitschweifig und mit zu vielen Aspekten belastet. Aber wohl nicht an Stilfragen ist die Verabschiedung des Wortes in der Kirchenversammlung oder im Rat der EKD gescheitert, sondern an inhaltlichen Momenten. Aus den späteren Kontroversen zwischen den VELKD-Anhängern unter der Führung Meisers und dem Bruderrat der EKD kann man auf folgende anstößige und unannehmbare Punkte schließen: die Betonung des Ausmaßes der Schuld, die Verquickung von Gericht Gottes und Neuordnung der Kirche, die Betonung der christlichen Verantwortung im Zusammenhang mit der politischen und sozialen Neuordnung sowie die Strukturelemente der Neuordnung, die die Verpflichtung „Barmen" gegenüber, die Annäherung der Konfessionen, den Aufbau der Kirche von der Gemeinde her und den Abbau bürokratischer Kirchenleitung voraussetzen. Stewart Herman, der in Treysa anwesend war, sagt in seinem sonst sehr wohlwollenden Bericht über die Konferenz zu der Ablehnung des Pfarrerwortes: „But the Fraternal Council's ,Word to Pastors' was not passed by the Treysa Conference in its unaltered form, indicating that there were many persons present who obviously did not relish the sort of radical regeneration proposed by the confessing church and would have been much happier discussing the Schulfrage (school question) than the Schuldfrage (guilt question)." 1 9

18 Vgl. Barths durchgängige Kritik an dem Dämonenglauben weiter Kreise in der evangelischen Kirche in Deutschland, die er als ein Ausweichen vor der Analyse interpretiert und angreift. 19 Rebirth, S. 149.

Kapitel 11 BERICHTE U N D URTEILE UBER DIE KONFERENZ V O N TREYSA U N D IHRE ERGEBNISSE

Die offiziellen Berichte von Niemöller,

Wurm und Meiser

Diese unmittelbar nach der Konferenz von den drei führend an den Auseinandersetzungen beteiligten Persönlichkeiten erstatteten Berichte sollen hier unter folgenden Aspekten untersucht werden: der Tenor des Berichtes, die abgegebenen Urteile, Einzelheiten, die betont und Beschlüsse, die mitgeteilt werden. Niemöllers Bericht an die Landesbruderräte der Bekennenden Kirche stammt bereits vom 3. September 1945 1 . Das Schreiben ist sehr sachlich und ohne jede Polemik abgefaßt. Außer Wurms Namen werden keine Namen genannt, alle Einzelheiten fehlen, und nur hinter allgemeinen Formulierungen werden Kritikpunkte sichtbar. Auch die ungeheuren Spannungen und persönlichen Belastungen während dieser Konferenz bleiben ausgeklammert. Dennoch werden weder die Probleme vertuscht, noch wird das Bild einer nicht vorhandenen Harmonie gezeichnet 2 . Im Ganzen wird aber die Konferenz sehr positiv beurteilt: „ E s hat den Anschein, daß wir auf dem Wege zur Neugestaltung unserer evangelischen Kirche in Deutschland einen ersten Schritt vorwärts getan haben, und soviel scheint gewiß zu sein, daß der künftige Weg der Gesamtkirche kein anderer sein kann und wird als der Weg, auf den wir mit der Barmer Synode im Jahre 1934 geführt worden sind. Das ist ein Grund zu großer Dankbarkeit, wenn auch viele Wünsche und Hoffnungen vorerst noch unerfüllt bleiben mußten." Der Schluß des eben zitierten Satzes mit seiner Formulierung „vorerst noch unerfüllt bleiben mußten" zeigt, daß Niemöller für Nichterreichtes objektive Zwänge verantwortlich macht, die durch die Zeit gegeben sind, und damit die Ergebnisse von Treysa aus dem Bereich

1

A b s c h r i f t ( L K A DARMSTADT, 6 2 / 3 3 6 7 ) .

„Hier wehte von Anbeginn eine wesentlich andere Luft. Wir standen nicht mehr in jener unbezweifelten letzten Geraeinsamkeit, die uns in Frankfurt erquickt und gestärkt hatte. Die Verschiedenheit der beteiligten Kreise machte sich von vornherein geltend: Kirchenführer, Beirat des Einigungswerkes und Bekennende Kirche, außerdem in steigendem Maße der Lutherische Rat" (ebd.). 2

142

Berichte und Urteile über die Konferenz von Treysa

des subjektiven Wollens der Beteiligten herauslöst 3 . Diese Einsicht in die historische Situation erleichtert es ihm dann auch, Kompromisse zu akzeptieren und positiv zu bewerten: ,,. . . naturgemäß trägt diese Lösung Zeichen des Kompromisses; aber wir haben geglaubt, es wagen zu dürfen und zu müssen, um im gegenwärtigen Augenblick die Gesamtkirche nicht ohne allgemein anerkannte Leitung zu lassen." Die weiteren Verhandlungsthemen werden nur aufgezählt, ebenso die Beschlüsse zum Hilfswerk, zum Außenamt und zur „Neuordnung in Altpreußen, die eine starke Verselbständigung von Westfalen und der Rheinprovinz bedeutet, aber nicht etwa im Sinne einer beginnenden Auflösung der Altpreußischen Union." Das „Wort an die Gemeinden" wird als Wort der Konferenz, das „Wort an die Pfarrer" als Wort des Reichsbruderrates bezeichnet. Besonders erwähnt wird lediglich die Rolle, die Landesbischof Wurm für das Zustandekommen der Konvention von Treysa gespielt hat: „Wir können Gott nicht genug danken, daß Landesbischof Wurm ganz klar in die Linie von Barmen zurückgefunden hat und daß er in seiner Leitung darüber auch nicht den allergeringsten Zweifel ließ, daß es keine andere Lösung als die im Sinne der BK geben könne. Aus der Versammlung kam auch kein Widerspruch, der irgendwie laut geworden wäre, obwohl sehr heterogene Persönlichkeiten anwesend waren." Diese überaus positive Beurteilung Wurms durch Niemöller entspricht einer ebenso positiven Beurteilung Niemöllers durch Wurm in seinem Bericht über die Konferenz von Treysa. Angesichts der kommenden Entwicklung, die Niemöller und Wurm zeitweise sehr weit voneinander entfernte - was ihren tatsächlichen theologischen, kirchenpolitischen und politischen Einstellungen weit mehr entsprach - , könnte man geneigt sein, die hier geäußerten Urteile wenig ernst zu nehmen. Dies hieße jedoch eine Erfahrung abzuwerten, die die besondere Situation von Treysa mit sich brachte. Wurms und Niemöllers Berichte sind beide nur einige Tage nach der Konferenz verfaßt worden, und sie spiegeln daher ungebrochen ihre damalige Auffassungen. Schon zwei Monate später äußerte sich Niemöller in einem Brief ganz anders über Treysa. Sowohl der andere Zusammenhang - die Schuldfrage - als auch der zeitliche Abstand, der für weitere Ereignisse Raum bot, 3 Vgl. M. Niemöller an Verf. v o m 29. 3. 1974: „ D a s Kernproblem in und nach Treysa bestand eben darin, daß f ü r die Bekennende Kirche eine Lösung in ihrem Sinne nicht mehr möglich war. Durch Treysa wurde es gleichfalls unmöglich, eine absolute Restitution bzw. Reaktion durchzuführen. - Auch in der ,Kirchenpolitik' ist diese Politik ,die Kunst des Möglichen.' Es mußte also irgendwie ein Kompromiß gesucht und gefunden werden, wenn man nicht von Seiten der Bekennenden Kirche den (revolutionären) Weg in die Freikirche - der ja schon zu Hitler's Zeiten erheblich diskutiert worden war - gehen wollte."

Offizielle Berichte von Niemöller, Wurm und Meiser

143

sind dafür entscheidend. Der Brief Niemöllers an „Sehr verehrte Frau . . . " vom 10. November 1945 ist die Antwort auf eine Frage dieser Frau nach Niemöllers Einstellung zur Schuldfrage 4 . Anlaß ihres Briefes sind Zeitungsberichte und Artikel über Niemöller und die Schuldfrage bzw. Niemöllers angebliche These von der Kollektivschuld der Deutschen. Zwischen Niemöllers Brief an die Landesbruderräte und diesem Brief liegt die Kampagne in Bayern gegen den Reichsbruderrat, bzw. Niemöller persönlich, ausgelöst durch Meisers Dekanatsbericht vom 30. September 1945, liegt die zweite Ratssitzung in Stuttgart am 18./19. Oktober mit der Erklärung vor den ökumenischen Gästen, liegen die Verleumdungen Niemöllers durch Presseberichte, die sich vor allem auf seine Schuldpredigten und seine angeblichen Äußerungen über die Demokratie konzentrierten 5 . Sehr bitter ist jetzt in Niemöllers Brief vom 10. November die Charakterisierung der Vorgänge in Treysa: „Sie hätten diese selbstzufriedene Kirche in Treysa mal sehen sollen: Wir haben das Volk richtig geführt, die Kirche hat nicht versagt, wir haben die reine Lehre gepredigt und sind nicht die deutsch-christlichen Irrwege gegangen . . . Da reden die Leute von Hilfsaktionen und beruhigen sich, wenn sie wieder mal einen Tropfen auf einen heißen Stein geträufelt haben, da reden sie von der einzig reinen Lehre des Luthertums und von der Notwendigkeit, daß man sich von den Calvinisten scheide und ähnliche Gotteslästerungen, und das Messer Gottes sitzt ihnen an der Kehle, aber sie wollen's nicht wahrhaben." Wurm berichtete auf dem württembergischen Pfarrkonvent am 4. September 1945 ausführlich über die Kirchenführerkonferenz in Treysa. Sein Bericht 6 ist abwägend und um Objektivität bemüht, läßt aber doch leicht erschließen, wo Wurms Sympathien liegen. Er nimmt immer wieder Stellung für die Bruderräte, was auch in scheinbar nebensächlichen Bemerkungen deutlich wird 7 , äußert sich kritisch zum Fall Marahrens und findet lobende Worte über Karl Barth. Auch seine ausführliche Darstellung der Vorgeschichte von Treysa, wobei er die 4

V e r v i e l f ä l t i g t e s E x e m p l a r ( L K A DARMSTADT, 6 2 / 3 3 6 7 ) .

5

Auf der 3. Bruderratssitzung am 5./6. Mai 1946 stellte Ehlers den Antrag, die Einrichtung einer eigenen Presseagentur der E K D zu fordern, um entstellende Presseberichte, vor allem über Niemöller zu verhindern (Protokoll; LKA DARMSTADT, 36/22). 6

7

L K A STUTTGART, R e g . G e n . 1 1 5 b .

Im Zusammenhang mit den Treysaer Berichten zur Lage der Kirche im Osten führte Wurm ζ. B. aus: „Die Mitteilungen waren sehr ernst: die Kirche kann arbeiten, aber die Stellung der russischen Besatzungsmacht ist schon nicht mehr so wie am Anfang. Viele Gemeinden sind verlassen. Das muß man zum Ruhm des scharfen Flügels sagen, daß gerade diese Leute fast allein zurückgeblieben sind, während die Kirchenregimente alle geflohen sind" (ebd.).

144

Berichte und Urteile über die Konferenz von Treysa

entscheidenden Briefe zwischen sich und Niemöller sogar vollständig zitiert, dient dazu, mit Vorurteilen und Falschmeldungen aufzuräumen. Wurm gibt dabei auch seine eigenen Fehler auf Grund falscher Annahmen freimütig zu. Gleichzeitig soll die Kenntnis der Vorgeschichte dazu beitragen, die Ergebnisse von Treysa realistisch zu beurteilen: „ I c h möchte ganz kurz die Vorgeschichte von Treysa erwähnen, weil man das wissen muß, um die Bedeutung dessen, was geschehen ist, richtig zu prüfen." Diese Prüfung schließe sowohl zu großen Optimismus als auch Geringschätzung des Erreichten aus; Wurm spricht dies gleich zu Anfang seines Berichtes aus: „Wir wollen aus dem, was geschehen ist, ja nicht zu viel machen. Es werden in der Praxis, in der Wirklichkeit noch manche Hindernisse zu übersteigen sein. Aber darin hat unser lieber Herr Vorsitzender 8 recht, daß hier doch wirklich etwas geschehen ist, was wir nur selten wahrnehmen, eine Wirkung des H[ei]l[igen] Geistes in der Kirche, ein Werk, das nicht Menschen erdacht und gemacht haben, das nur erfleht werden konnte und das uns nun geschehen ist." Das „ W o r t an die Gemeinden" und das „ W o r t an die Pfarrer" werden als Anträge des Reichsbruderrates an die Kirchenkonferenz vorgestellt, wobei Wurm auf die unterschiedliche Aufnahme der beiden Botschaften hinweist. Auch das Hilfswerk und die positiven Beziehungen zur Ökumene werden nur kurz erwähnt. Uber die Altpreußische Union verliert Wurm kein Wort, was angemessen ist, da diese Entscheidung die E K D nur indirekt berührte. Als zentralen Verhandlungsgegenstand kennzeichnet Wurm richtig die Schaffung einer vorläufigen Leitung, wobei er die „ g u t e Arbeit" der Kirchenjuristen, vor allem Erik Wolfs betont. Auch sagt er freimütig, wo das Hauptproblem bei der Bildung des Rates der E K D lag: „ V o r allem aber war man einig, daß man eine vorläufige Leitung schaffen wolle. Darüber gab es viele Verhandlungen; vor allem wie die lutherische Kirche vertreten sein sollte, hat viel N o t gemacht, aber ist dann doch glücklich geleistet worden." Daß die Vertretung der lutherischen Kirche in der E K D auch weiterhin das Problem bleiben sollte, hat Wurm trotz seiner Erfahrungen in Treysa nicht antizipiert. Denn nicht in den konfessionellen Gegensätzen sieht er die zu überwindenden Fronten, sondern in einem recht vagen Gegensatz von Alt und N e u , von Tradition und Bewegung. Gleichzeitig personalisiert er diese Prinzipien und läßt ihre Versöhnung in der Freundschaft zwischen sich und Niemöller bereits Wirklichkeit werden 9 . Nicht erst rückblickend ist dieser Ausblick als Illusion und Wunschdenken zu bezeichnen. 8

Es war nicht möglich, herauszufinden, wer der Vorsitzende dieses Pfarrkonventes

war. 9

„ I c h habe in allen den schwierigen Stadien immer wieder betont, das Entscheidende

Offizielle Berichte von Niemöller, Wurm und Meiser

145

Am 30. September 1945 verschickte Meiser im Namen des Evangelisch-lutherischen Landeskirchenrats in München einen Bericht über die „Kirchlichen Tagungen in Treysa vom 2 6 . - 3 1 . 8. 1945" an sämtliche Dekanate der Landeskirche 10 . Dem Schreiben sind sechs Anlagen beigefügt. Die Formulierung der Überschrift des Berichtes macht die Lutherratstagung vom 26. und 27. August und die Kirchenkonferenz vom 28. bis 31. August zu einem Gesamtunternehmen und erweckt dadurch den Eindruck, als ob Verhandlungsgegenstände, Zweck und Ziel der beiden Tagungen sich entsprochen hätten. Dabei war doch eher das Gegenteil der Fall. Am auffallendsten an Meisers Bericht ist die äußerst eigenwillige Auswahl, die er aus den Ereignissen trifft: Akzente werden falsch gesetzt, Beschlüsse unterdrückt und Texte werden eigenwillig uminterpretiert. Bezeichnend ist schon die Zusammenstellung der Anlagen: 1. Erklärung des Rates der Evang.-Lutherischen Kirche Deutschlands vom 27. August 1945 1 1 ; sei, daß in der Leitung der Kirche beide vereinigt seien: die Kirche der Tradition und Institution und die Kirche der Bewegung und Erneuerung. Beide müssen sich gegenseitig durchdringen und ergänzen und deshalb kommt es darauf an, daß die Namen Wurm und Niemöller nebeneinander stehen und es war auch hier in Stuttgart zu verspüren, als ich am Sonntag Abend in der Versammlung der Evang. Woche den Namen Niemöller nannte, ging ein Rauschen durch den Saal: das hatte man erwartet, daß sie sich auch zusammenfinden und vor der Öffentlichkeit einen Bund schließen. Das ist Gott sei Dank erreicht worden. Es wird noch manche Schwierigkeiten geben, aber das Verhältnis zwischen Niemöller und mir ist ein so herzliches, daß ich glaube, wir werden auch diese Schwierigkeiten überwinden, weil wir beide nicht das unsere wollen, sondern die Ehre des Herrn, der uns berufen hat." 1 0 O K R STUTTGART, Reg. Gen. 115 b. Der erste Teil des Berichts, der sich auf die Tagung des Lutherrates bezieht, auch bei F . SÖHLMANN, Treysa, S. 179. In diesem Teil werden vor allem die lutherische Tradition und Zukunft beschworen, daneben wird in bedenklicher Weise auf die „ U n i o n " Bezug genommen. Zwar verwendet Meiser diesen Begriff unbestimmt, aber der Zusammenhang legt nahe, , , U n i o n " als etwas Kirchenzerstörendes, Bekenntniswidriges und Unwahrhaftiges anzusehen. Dabei wird zwischen den Gleichschaltungsversuchen der Deutschen Christen, die Meiser hier eigentlich meint, und den Anklängen an die Unionsbildung in Preußen im 19. Jahrhundert nicht differenziert. Zu Meisers Einschätzung der Union vgl. H . BAIER (Landeskirche, S. 65): „ D i e von Partei und Staat und den mit ihr verbündeten D C erstrebten Ziele sah er jedoch nicht klar; er ahnte sie vielleicht. An eine derartige Zielsetzung der Zerschlagung der Kirchen, wie sie sich in den folgenden Jahren herausstellte, konnte er als anständiger Mensch einfach nicht glauben und besaß gar nicht die Möglichkeit, sie zu erkennen. Für ihn zeichnete sich eine andere Linie ,ganz klar' ab: ,Man will unter Aufhebung der Selbständigkeit der Landeskirchen eine große Nationalkirche mit einheitlichem Bekenntnis und Kultus schaffen, also die Union der altpreußischen Kirche auf das ganze Gebiet der D E K ausdehnen.' An seiner Angst vor der Union war nur die Vision einer Nationalkirche richtig. Es ging aber längst nicht mehr um die Durchsetzung des einen oder anderen Bekenntnisses oder der Union, sondern um die Existenz der Kirche überhaupt." 11

F . SÖHLMANN, T r e y s a , S. 1 8 0 .

146

Berichte und Urteile über die Konferenz von Treysa

2. Gruß wort des Lutherischen Weltkonventes durch Reverend Michelfelder 12 ; 3. Grußwort des Landrates des Kreises Ziegenhain 13 ; 4. Vorläufige Ordnung der EKD; 5. Urkunde über die „Auflösung" der Altpreußischen Union und deren „Umbildung in einen Bund bekenntnisbestimmter Provinzialkirchen". Da das „Wort an die Gemeinden" auch im Bericht nicht erwähnt wird, muß man feststellen, daß Meiser hier eine Botschaft der Kirchenkonferenz unterdrückt, was mit der Absicht seines Berichtes, wie er selbst in der Einleitung ausführt, nämlich Information der Geistlichen und verantwortlichen Männer in den Gemeinden, nicht zu vereinbaren ist. Die weiteren Themen der Konferenz werden lediglich aneinandergereiht, wobei das Problem, das am meisten Zeit und Nerven gekostet hat, mit dem Satz: „Verfassungsfragen nahmen einen breiten Raum ein" abgetan wird. Statt dessen wird die Erklärung über die Altpreußische Union in den Mittelpunkt gerückt und damit zu einem Thema der Kirchenkonferenz gemacht, was den Tatsachen in keiner Weise entspricht. Vielmehr hatten Vertreter des Bruderrates der Evangelischen Kirche der Altpreußischen Union 14 und Vertreter der in den Kirchenprovinzen bereits neu gebildeten Kirchenleitungen 15 , die zur Kirchenkonferenz nach Treysa gekommen waren, angesichts des Notstandes der Altpreußischen Union folgende zwei wesentliche Punkte beschlossen: 1. die Kirchenleitung durch die Konsistorien hat aufgehört; es sind statt dessen „bekenntnisgebundene Leitungen" gebildet worden oder noch zu bilden; 2. die bekenntnisgebundenen Kirchenleitungen der Provinzen üben das Kirchenregiment für ihren Bereich selbständig aus 16 . Diese Neuregelung innerhalb der Altpreußischen Union war daraufhin der Kirchenkonferenz mitgeteilt worden, stellt aber keinen Beschluß dar, der in ihre Befugnisse gefallen wäre 17 . Ebd. S. 43 f. Ebd., S. 46. 14 Niemöller, Niesei, Held, Lücking, Hildebrandt, Ehlers. 1 5 Rheinprovinz: Stoltenhoff, Beckmann, Harney, Mensing; Westfalen: Koch, Hardt, Kleßmann, Schlink; Berlin-Brandenburg: Dibelius, Böhm; Schlesien: Konrad, Milde. Rudolf Harney (1880-1965), 1912-1945 Pfr., 1945-1950 O K R Düsseldorf. Kurt Milde (1901-1969), Ingenieur, 1931-1945 Kirchenältester in Breslau, Mitarbeiter der Bekennenden Kirche in Schlesien, 1945-1948 Mitglied der schlesischen Kirchenleitung. Ernst Stoltenhoff (1879-1953), 1928-1949 Generalsup. der Kirchenprovinz Rheinland. 12 13

16

Vgl. J . SÖHLMANN, Treysa, S. 99.

Brunotte-Bericht S. 11: „Präses D. Koch verliest eine Urkunde über die Kirche der altpreußischen Union. In diesem Beschluß wird die Einheit der altpreußischen Kirche grundsätzlich aufrecht erhalten; praktisch werden die Kirchenprovinzen im westlich besetzten Gebiet weitgehend verselbständigt" (AEKD, 047). [Fortsetzung S. 147]. 17

Offizielle Berichte von Niemöller, Wurm und Meiser

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Meiser macht den „Beschluß der vertretenen Provinzialkirchen in der Altpreußischen Union" vom 31. August 194518 zu einem „Ereignis von kirchengeschichtlichem Ausmaß", indem er die Bildung von „bekenntnisgebundenen Leitungen" in den Provinzialkirchen als Umbildung der Altpreußischen Union in einen „Bund bekenntnisbestimmter Provinzialkirchen" interpretiert oder einfach ändert. Daß Meiser „bekenntnisbestimmt" oder „bekenntnisgebunden" dabei als an ein Bekenntnis der Reformation und d. h. an das lutherische oder das reformierte Bekenntnis gebunden versteht, ist deutlich; daß damit die Auflösung der Union in greifbare Nähe rückt, ist ebenso deutlich: „Somit wird eine Neugestaltung der Dinge angestrebt, die den Gedanken der Konsensus-Union ausdrücklich ablehnt und für die einzelnen Kirchenprovinzen die Möglichkeit eröffnet, sich als Ganzes, sowohl in ihren Gemeinden als auch in ihrer Leitung, auf eine klare lutherische oder reformierte Bekennntnisgrundlage zu stellen und in ein nahes Verhältnis zu Kirchen gleichen Bekenntnisses außerhalb Preußens zu treten. So scheint sich die Aussicht anzubahnen, daß leidvolle Irrwege des 19. Jahrhunderts zu Ende gehen und nicht mehr eine künstliche und erzwungene, sondern eine echte, weil aus der Wahrheit und Wahrhaftigkeit geborene, Gemeinschaft der lutherischen und reformierten Kirchen in Deutschland entstehen kann." Wie der bayerische Landeskirchenrat zu dieser fatalen Auslegung kommen konnte, ist nicht nachvollziehbar. Denn aus dem Text des Beschlusses geht eindeutig hervor, daß „bekenntnisgebunden" nicht im konfessionellen Sinne verstanden werden durfte, sondern nur im „bruderrätlichen" d. h. gebunden an das Bekenntnis, wie es durch die Theologische Erklärung von Barmen neu ausgesprochen und wie es von den Bruderräten in die Praxis umzusetzen versucht worden ist. Eindeutig wird das Wort „bekenntnisgebunden" im Text auf den Bruderrat zurückbezogen: „Vertreter des Bruderrates der Evangelischen Kirche der APU als desjenigen Organs der Leitung, das, berufen von der Bekenntnissynode der APU, in deren Auftrag bekenntnisgebundene Kirchenleitung ausgeübt hat." Außerdem ist durch den Hinweis auf die inzwischen bereits gebildeten bekenntnisgebundenen Leitungen, die in O . DIBELIUS schreibt in seinen Erinnerungen zu diesem Vorgang: „ D a überreichte mir plötzlich am letzten Nachmittag ein Kreis von Freunden der Bekennenden Kirche einen Beschluß, fix und fertig in Paragraphen verfaßt, unterschrieben von den Bruderräten von Rheinland und Westfalen, Berlin, Görlitz. Es war ein Verfassungsentwurf für die Evangelische Kirche der altpreußischen Union, und zwar ein Entwurf, der diese Kirche, so wie sie gewesen war, einfach zerschlug. Keine einheitliche Verwaltung mehr, keine einheitliche Finanzwirtschaft mehr, kein Oberkirchenrat mehr. Jede Gliedkirche selbständig . . . Und die geheime Uberschrift hieß: Los von Berlin" (Ein Christ, S. 215/216). 18 So die Uberschrift bei F. SÖHLMANN, Treysa, S. 98; der offizielle Titel lautet: „Vorläufige Ordnung der Evang. Kirche der Altpreußischen U n i o n " (drei vervielfältigte Exemplare mit dem Datum: Treysa 31. August 1945 im LKA STUTTGART, D 1/209).

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Berichte und Urteile über die Konferenz von Treysa

einigen Kirchenprovinzen die Konsistorien schon ersetzt haben, klar, in welcher Art die Umbildung in der Praxis aussieht. Uber die Bildung und Zusammensetzung der vorläufigen Kirchenleitungen in Westfalen, Rheinland, Berlin-Brandenburg und Schlesien sollte die bayerische Kirchenleitung zu diesem Zeitpunkt hinreichend informiert gewesen sein. Der so eindeutig falsch ausgelegte Beschluß wird dann noch zusätzlich von Meiser in einen Zusammenhang mit der Erklärung des Lutherrates von Treysa gebracht, so daß die lutherischen Provinzialkirchen der Altpreußischen Union schon als Teil der Vereinigten lutherischen Kirche Deutschlands in den Blickwinkel geraten: „ W e n n man diesen Vorgang zusammenhält mit dem Treysaer Beschluß des ,Rates der Evang.Luth. Kirche Deutschlands', so darf man wohl schon von hier aus mit Dank gegen Gott auf diese Konferenz zurückblicken. Wenn nicht alles trügt, so kommen allmählich Entwicklungen zur Reife, um die, nicht erst in unserer Generation, in Gebet und Arbeit heiß gerungen worden ist, lange Zeit hindurch scheinbar vergeblich, und doch nicht vergeblich! 1. Kor. 1 5 , 5 8 . " Die konstruktiven Vorarbeiten des Reichsbruderrates in Frankfurt für die Konferenz, wie ζ. B . für die Schulfrage oder für die Ostpfarrerfrage, ganz abgesehen von dem Wort an die Gemeinden und die Pfarrer, werden nicht erwähnt. Auch wird in keiner Weise der engagierten Teilnahme der Bruderratsmitglieder in Treysa gedacht. Lediglich negative Aspekte werden noch einmal vorgetragen: Niemöller habe die an ihn ergangene Einladung zunächst abgelehnt, sei aber dann doch, dazu noch mit einer Delegation, der auch Karl Barth angehörte, erschienen. Wie schon in der Uberschrift des Dekanatsberichtes wird auch in der Zusammenstellung der Ergebnisse die unzulässige Zusammenfassung der beiden Tagungen deutlich. Lutherratsentscheidungen, gesamtkirchliche Belange und landeskirchliche Neuregelungen werden unter den „Ergebnissen von Treysa" subsumiert: 1. „ D i e Vereinigung der lutherischen Kirchen ist in die Wege geleitet." 2. „ D e r Zusammenschluß der Landeskirchen, der 1933 in der D E K erfolgte, ist in der Neugestaltung begriffen. Es scheint Einmütigkeit darüber zu bestehen, daß ein neuer Zusammenschluß nur in bündischer Form erfolgen kann." 3. Einsetzung eines Rates der E K D , Schaffung einer vorläufigen Ordnung. „ D i e 1936 eingesetzte V L und der R B R bestehen nicht mehr." 4. Auflösung der Altpreußischen Union, Rückkehr zu den „Bekenntnisgrundlagen der Reformation." 5. Gründung des Hilfswerkes. 6. Kontakte zur Ökumene.

Reaktionen auf die bayerische Version

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Die Aussagen in Punkt 2 über die Gestalt der E K D mußten in ihrer Einseitigkeit Widerspruch erregen; fehlen doch in beiden Sätzen entscheidende Ergänzungen, die erst das Bild der in Treysa konzipierten E K D in seiner Ganzheit zeichnen. Einmal fehlt der Hinweis, daß der neue Zusammenschluß nicht mehr nur einer von Landeskirchen ist, sondern daß als zusätzlicher Rechtsträger der neuen Ordnung der Bruderrat der E K D bestätigt wurde. Zum zweiten gehört ausdrücklich zur vollständigen Charakterisierung der E K D neben der Feststellung ihrer bündischen Form die im Vorspruch der Konvention betonte kirchlich gegründete innere Einheit. Auch die unter Punkt 3 aufgestellte Behauptung über die B K - O r g a n e ist falsch, da Hintergründe, Voraussetzungen und Bedingungen der mitgeteilten Regelung fehlen.

Reaktionen auf die bayerische Version der Vorgänge und Entscheidungen von Treysa - Beginn der Auseinandersetzungen zwischen dem Bruderrat der EKD und den VΕLKD-Lutheranern um die Gestalt der EKD Als Vorsitzender des Bruderrates der E K D schreibt Asmussen am 3. November 1945 an Landesbischof Meiser, um über die in Bayern kursierenden Berichte über die Vorgänge in Treysa Aufklärung zu erlangen: „Aus bayerischen Pfarrkreisen geht mir die nachstehende Nachricht zu: ,Eine N o t zwingt mich, mich an Sie zu wenden. Wir hatten . . . eine größere Konferenz, auf der Herr Oberkirchenrat Bogner über die Konferenz in Treysa berichtete. Nun kamen bei diesem Bericht die ,Bruderrätler' sehr schlecht weg. Sie hätten in Treysa gewissermaßen ,Nazimethoden' angewendet und die Konferenz einfach vor die Frage gestellt, ob sie ihre Vorschläge annehmen wolle oder nicht. Die Vertreter der Bruderräte hätten zuerst die Einladung nach Treysa abgelehnt, seien aber dann doch plötzlich erschienen und hätten gewissermaßen mit ihrem Programm die ganze Konferenz vergewaltigt.'" Asmussen fügt hinzu: „Leider muß ich annehmen, daß der Bericht auf Tatsachen beruht, wenn ich ihn mit dem mir zugegangenen Bericht des bayerischen Landeskirchenamtes vergleiche. Denn auch dieser bringt die Tatsachen so lückenhaft, daß ein falsches Bild entstehen m u ß . " 1 9 Diese Charakterisierung des bayerischen Berichtes vom 30. September 1945 durch Assmussen ist äußerst zurückhaltend, was die Analyse des Textes und der Vergleich mit den Berichten Niemöllers und Wurms und den protokollartigen Aufzeichnungen über die Konferenz gezeigt haben dürfte: Aus Niemöllers persönlichem Boykott der Konferenz war in der Nachricht aus Bayern schon eine allgemeine Ablehnung durch „Vertre19

L K A NÜRNBERG, M e i s e r 1 2 1 .

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Berichte und Urteile über die Konferenz von Treysa

ter der Bruderräte" geworden. Impliziert ist also, daß tatsächlich „Vertreter" der Bruderräte eingeladen worden seien, deren Absage und deren plötzliches Erscheinen dann wie eine Laune oder ein abgekartetes Spiel erscheinen mußte. Was in Bayern offensichtlich bewußt unterschlagen wurde, ist die Vorgeschichte von Treysa. Deshalb ist Asmussens Frage an Meiser, ob man das Verlangen heraufbeschwören solle, „daß nunmehr die ganze Vorgeschichte von Treysa amtlich dargestellt wird?", in diesem Zusammenhang berechtigt. Denn dann würde an die Öffentlichkeit gelangen müssen, „daß in den Vorbereitungen von Treysa der Versuch gemacht wurde, die Bruderräte ganz auszuschalten". Zur Vorgeschichte von Treysa gehöre aber „ n o c h manches andere". Asmussen führt dann nicht aus, was er zu diesen weiteren Informationen rechnen würde. Aber zum amtlichen Material der Vorgeschichte gehört sicherlich der Frankfurter Beschluß des Reichsbruderrates zur Neuordnung der Kirche, der auf der Linie des Einigungswerkes lag und daher die weitgehende Ubereinstimmung zwischen Bischof Wurm und dem Bruderrat begründete. Weiter gehört dazu der Alleingang des Lutherrates vor 2 0 der Konferenz von Treysa mit dem Ziel der Errichtung einer vereinigten lutherischen Kirche. Erst die Kenntnis dieser Vorgeschichte hätte das in Bayern gezeichnete Bild vom Bruderrat als einer kleinen, aber radikalen, keine Methoden scheuenden Minderheit korrigieren können, einer Minderheit, die ohne Rückhalt in der Versammlung dennoch ihre vorher festgelegten Ziele durch raffinierte Manipulation durchsetzen konnte. Die Frage bleibt, wieso in Bayern solche Berichte über Treysa an die kirchliche Öffentlichkeit weitergegeben werden konnten. Was veranlaßte die bayerischen Vertreter, die Dinge so zu sehen, so selektiv die Wirklichkeit aufzubereiten und in einer derart verfälschenden Terminologie darzustellen? Mögliche Gründe für diese Sichtweise sind unter anderen sicherlich Ressentiments aus der Kirchenkampfzeit, das Barmen-Trauma als jüngste Schicht des älteren Unions-Traumas, lutherische Erwartungen in der eigenen Landeskirche und Erwartungen der lutherischen Freikirchen und lutherischen Auslandsgemeinden. Asmussen hat das Dilemma der bayerischen Kirchenleitung erfaßt, wenn er schreibt: „Entweder stehen wir zu dem, was in Treysa geworden ist. Dann müßten wir doch wohl ganz dazu stehen. Oder wir meinen es anders, dann ist es besser, daß wir ganz voneinander gehen wie weiland Abraham und L o t . " Diese Konsequenz ist aber nicht zu leisten, wenn man gleichzeitig gegensätzliche Erwartungen von verschie2 0 Meiser betonte in seinem Dekanatsbericht, daß der Bruderrat sich in Frankfurt „ ( a l s o noch vor der Konferenz von T r e y s a ) " getroffen habe, was wohl als besonders verdächtig beurteilt werden sollte.

Reaktionen auf die bayerische Version

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denen Seiten erfüllen will. Die Folge ist vielmehr eine ständige Uberforderung, die wiederum Angst und Unsicherheit hervorruft und die unklare Haltung stabilisiert 2 1 . Die berechtigten theologischen Anliegen der Lutheraner und ihr immer wiederkehrender Hinweis auf ihre Gewissensbindung sind selbstverständlich zu akzeptieren und ernstzunehmen. Hier geht es lediglich darum, ein in dieser Situation so merkwürdig in einer Richtung verzerrtes Wirklichkeitsbild zu erklären. Auf dem Brief von Asmussen steht der handschriftliche Vermerk: „ H e r r n O K R Bogner z[ur] K[enn]t[ni]s u[nd] allenfallsigen Beantwortung 9. 11. 45 gez. D . Meiser." Ein Antwortschreiben Bogners an Asmussen ist in den Akten nicht vorhanden. Aber es gibt eine Antwort Bogners an Niemöller vom 15. März 1946 2 2 auf dessen Brief an Meiser vom 21. Dezember 1945, in dem Niemöller genau wie Asmussen zu der Berichterstattung über Treysa Aufklärung verlangt. Meiser hat damit in beiden Fällen die Reaktion auf die Beschwerden aus Bruderratskreisen an Bogner übertragen, der nicht nur Teilnehmer an der Konferenz von Treysa, sondern auch Vertreter Bayerns im Bruderrat der E K D war. Niemöllers Schreiben an Meiser 2 3 beginnt folgendermaßen: ,,Seit etwa 1 V2 Monaten erhalte ich Anfragen aus dem Bereich der bayerischen Landeskirche mit der Bitte, mich zu meiner Haltung in Treysa zu äußern. Die Begründung dieses Ansuchens wechselt von dem Wunsch, .besser informiert zu werden, als es durch den Landeskirchenrat geschah', bis zu der Andeutung, daß ich nach der Darstellung des Landeskirchenrats bzw. eines Vertreters des Landeskirchenrats ,in Treysa eine seltsame Rolle gespielt hätte'. - Ich war bislang auf solche Anfragen wegen Mangel an Zeit, Interesse und Unterlagen nicht eingegangen; aber nun erhalte ich durch Zufall einen Durchschlag des Rundschreibens an die Dekanate vom 30. 9. 1945 ,Evang. Luth. Landeskirchenrat N r . 3277*. Dazu zu schweigen ist mir freilich nicht mehr möglich." 2 1 Vgl. M. Niemöller am 29. 3. 1974 an die Verf.: „Unser eigentlicher Gegner war nicht Wurm und auch nicht etwa Asmussen, der mir vielmehr ,dogmatisch' leicht zu extrem vorkam, sondern der ,Führer' der Bayerischen Landeskirche, Meiser, der mir zwar dogmatisch extrem, im übrigen aber ängstlich und kompromißbereit schien." Auf der Bruderratstagung am 19./20. 1. 1947 berichteten Dipper und Schlink von dem 2. Neuendettelsauer Gespräch, wobei sie übereinstimmend die Absichten der Lutheraner von einer Position der „ausgesprochenen Ängstlichkeit" her interpretierten (LKA DARMSTADT, 36/ 23). 2 2 L K A NÜRNBERG, 101/121. Niemöllers Brief war erst Ende Januar 1946 in München eingetroffen, wie Bogner zur Erklärung der späten Antwort anführt. 2 3 Abschrift (LKA STUTTGART, D 1/209); vervielfältigtes Exemplar mit dem Vermerk: „Für den Dienstgebrauch der evangelischen Pfarrer in der Mark" (LKA DARMSTADT, 62/

3367).

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Berichte und Urteile über die Konferenz von Treysa

Niemöller geht nur auf zwei Punkte in dem Abschnitt über die Altpreußische Union genauer ein. Er weist auf die Verwechslung von „bekenntnisgebundenen Leitungen" und „bekenntnisbestimmten Provinzialkirchen" hin, die in dem Rundschreiben unterlaufen sei. Vor allem aber kritisiert er die Überschrift, die man in Bayern über den als Anlage 5 versandten Text gesetzt habe. „Dazu trägt die Anlage 5 die Uberschrift ,Urkunde über die Umbildung der Evangfelischen] Kirche der Altpreußfischen] Union in einen Bund bekenntnisgebundener Kirchen'. - Der gemeinte Treysaer Beschluß des Preußischen Bruderrates, der in gemeinsamer Beratung mit Vertretern der neugebildeten provinziellen Kirchenleitungen gefaßt wurde, trägt die Uberschrift nicht; diese lautet vielmehr: ,Vorläufige Ordnung der Evangfelischen] Kirche der Altpreußfischen] Union.' Ich habe daraufhin sowohl D. Dibelius wie auch D. Koch interpelliert. Beide lehnen es entschieden ab, von einer Auflösung der APU auch nur mündlich irgendwie etwas gesagt zu haben, und beide verneinen ebenso entschieden, daß sie irgendetwas mit der von Bayern veröffentlichten Uberschrift des Treysaer Dokumentes zu tun haben . . , 2 4 . Es handelt sich vielmehr, wie das auch aus dem Protokoll von Treysa eindeutig hervorgeht, um eine vorläufige, auf Grund der gegenwärtigen Notstände und Schwierigkeiten erforderlich gewordenen Regelung." Niemöller setzt sich dann mit der Behauptung des bayerischen Berichtes auseinander, „die größte Unionskirche in Deutschland . . . hat feierlich erklärt, zu den Bekenntnisgrundlagen der Reformation zurückkehren zu wollen" und weist die in dieser Aussage enthaltene Unterstellung zurück, die Preußische Union sei nicht auf den Bekenntnisgrundlagen der Reformation gebildet worden. Er erinnert daran, daß diese in ihrem Verfassungvorspruch ausdrücklich anerkannt worden seien. Aber das hier anstehende Problem sei ohnehin nicht eines, das im Bereich schriftlich fixierter Artikel zu fassen sei. Vielmehr gehe es hier um kirchliche Praxis. „Dagegen hat sich die Preußfische] Kirchenleitung de fakto von diesen Grundlagen gelöst und wir sind nunmehr durch Anerkennung der Barmer Erklärung zu diesen Grundlagen zurückgekehrt, d.h. wir Preußfischen] Lutheraner vertreten nicht nur in der Theorie, sondern nunmehr auch in der Praxis den Grundsatz, daß eine Berufung auf das lutherische Bekenntnis so lange unverbindlich bleibt, als diese Grundlage nicht durch die Anerkennung der Sätze von Barmen effektiv wird." 2 4 O. DIBELIUS kritisierte zwar die Methode der Überrumpelung, aber grundsätzlich war er mit der Vorläufigen Ordnung einverstanden. Sie schien ihm nur nicht genügend durchdacht. Und ihn schmerzte die Entmachtung des Ev. Oberkirchenrates; mit konfessionellen Fragen hatte das aber nichts zu tun (Ein Christ, S. 216).

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In bezug auf die Teilnahme des Reichsbruderrates in Treysa und alle damit zusammenhängenden immer wieder erörterten Fragen wiederholt Bogner in seiner Antwort an Niemöller vom 15. März 194 6 2 5 noch einmal die bayerische Version der Vorgänge; damit hat weder Asmussens noch Niemöllers Schreiben eine Korrektur zu veranlassen vermocht. Im Zusammenhang mit dem zweiten Streitpunkt - der Beschluß zur Altpreußischen Union - geht Bogner auf den Vorwurf, in Bayern sei dieser mit falschem und irreleitendem Titel verbreitet worden, gar nicht ein; zur Verteidigung der bayerischen Interpretation führt er dagegen Äußerungen von „nicht unmaßgeblichen Männern" oder von „maßgebenster Seite" an, die in der Tendenz eine Auflösung der Altpreußischen Union, wenn auch erst in der Zukunft, nicht ausgeschlossen hätten. Dieser Rechtfertigungsversuch Bogners gibt allerdings keine Aufklärung über die Sache, denn dazu ist er zu vage und die Gewährsmänner bleiben anonym, sondern eher über den Mechanismus des Wunschdenkens. Bogner gibt dann zu, daß der Ausdruck „bekenntnisgebundene Leitung" nicht ganz eindeutig sei, meint aber doch, daß „der schlichte Wortsinn" auf die Bekenntnisgrundlagen der Reformation deute und nicht auf eine Bindung an Barmen. Hier wird ein grundlegender hermeneutischer Fehler sichtbar, denn es wird ein schlichter Wortsinn zum Maßstab erhoben und damit der Textzusammenhang mißachtet. Dies trifft auch auf Bogners Verständnis des Wortes „selbständig" zu, das nicht, wie Bogner meint, nur als Hinweis auf eine Auflösung der Altpreußischen Union oder eine Umbildung in einen Bund bekenntnisgebundener Kirchen verstanden werden könne; der Zusammenhang macht vielmehr deutlich, daß es sich um eine Selbständigkeit gegenüber der Zentrale in Berlin handelt. Sicherlich wird man nicht sagen können, daß die führenden kirchlichen Persönlichkeiten in Bayern „ein Interesse oder eine Freude daran haben, Mißtrauen zu säen oder Verwirrung zu stiften", wie Bogner am Schluß seiner Ausführungen in einer Frage formuliert 26 , aber objektiv erfüllten ihre Berichte diese Funktion. Diese im Sinne der Wahrheitsfindung fruchtlose Auseinandersetzung zwischen Vertretern der Bekennenden Kirche und Vertretern der bayerischen Lutheraner hat in ihrem Ton, in ihren Motiven und ihrer Themenauswahl exemplarischen Charakter. Im Jahre 1947 wiederholte sie sich „öffentlich" im „Kirchenblatt für die Reformierte Schweiz". Vgl. A n m . 22. „Trauen Sie es uns, trauen Sie es mir persönlich im Ernste zu, daß ich ein Interesse oder eine Freude daran habe, Mißtrauen zu säen oder Verwirrung zu stiften? Ich stelle mit ganzer Getrostheit alles Dem anheim, der da recht richtet" (ebd.). 25 26

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Berichte und Urteile über die Konferenz von Treysa

Die Kontroverse um Treysa 1945 im „Kirchenblatt für die Reformierte Schweiz" Am 29. Mai 1947 erschien in Nr. 11 des Kirchenblattes Emil Brunners 27 Aufsatz „Zur Kirchlichen Lage in Deutschland". Als Zweck seines Berichtes gibt Brunner an, daß er nach seinem Besuch in Deutschland das in der Schweiz vorherrschende Bild von der deutschen evangelischen Kirche korrigieren und ergänzen möchte, das durch die einseitige Berichterstattung der „Schweizer Stimme" und des schweizerischen Evangelischen Pressedienstes entstanden sei. Beide Presseorgane würden nur die Sicht einer „bestimmten, relativ kleinen Gruppe von deutschen Theologen und Kirchenmännern" wiedergeben. Brunner spielt hier auf die persönlichen Beziehungen zwischen Hermann Diem (Sozietät, Bruderrat), Karl Barth und Arthur Frey (Herausgeber des schweizerischen Evangelischen Pressedienstes) an. Brunner, der sich ganz der Sicht der bayerischen Lutheraner anschließt, wiederholt die alten Vorwürfe, allerdings mit neuen, durch die inzwischen eingetretenen Entwicklungen angereicherten Interpretationen. Aus seinem umfangreichen Themenkatalog interessieren hier nur die Aussagen über Treysa 1945 und die konfessionalistische Bewegung der lutherischen Bischöfe, für die Brunner um Verständnis werben möchte. Er charakterisiert diese Bewegung folgendermaßen: „Sie kann nur als Reaktion verstanden werden, und zwar nicht als politischnationale, sondern als kirchliche. Sie ist, in allererster Linie, Reaktion auf jenen Vorgang vom August 1945, den man als die Machtergreifung der radikalen Bekennenden Kirche in Treysa' bezeichnen kann. Schon mehrere Jahre vor Kriegsende hatte Bischof Wurm in klarer Vorausschau des baldigen Zusammenbruchs des Hitlerreiches eine neue Kirchenverfassung ausgearbeitet, der heimlich bereits alle Landeskirchen zugestimmt hatten. In Treysa aber sollte, nun, da der Krieg vorüber war, diese neue Ordnung in Kraft gesetzt werden. Da geschah das völlig Unerwartete, daß uneingeladen eine große Delegation der radikalen Bekennenden Kirche erschien und einen Kompromiß zu ihren Gunsten erzwang. Die Bischöfe fühlten sich überrumpelt und vergewaltigt; aber es blieb ihnen nur die Wahl, entweder es zu einem offenen Bruch kommen zu lassen und also der Welt das betrübliche Schauspiel einer auch nach Kriegsende ungeeinten Kirche zu bieten, oder aber den Forderungen der Bekennenden Kirche weithin entgegenzukommen und also das vorbereitete Einigungswerk fallen zu lassen. Sie entschlossen sich für das letztere; aber die Bitterkeit über die Überrumpelung und 27 Emil Brunner (1889-1966), Dr. theol., seit 1924 Prof. für Systematische Theologie Zürich.

Kontroverse im „Kirchenblatt für die Reformierte Schweiz"

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Vergewaltigung wirkte weiter und war das treibende Motiv bei der Bewegung zum Zusammenschluß der bischöflich-landeskirchlichen Lutheraner." Einige faktische Irrtümer sind besonders auffallend: Eine von Wurm vorbereitete neue Kirchenverfassung gab es nicht. Das Einigungswerk war eine Sammlungsbewegung, ohne jede „Ordnung", der heimlich alle Landeskirchen hätten zustimmen können oder die gar in Treysa verkündet werden sollte 28 . Demnach konnte ein „vorbereitetes Einigungswerk" auch nicht auf Druck der Bekennenden Kirche hin fallengelassen werden. Die Behauptung, die lutherische Einigungsbewegung sei eine Reaktion auf die Kirchenversammlung von Treysa, übersieht, daß die Bildung einer VELKD auf der Lutherratstagung vor der Kirchenversammlung beschlossen und schon seit langem vorbereitet worden war. Neben den alten Vorwürfen des völlig unerwarteten uneingeladenen Erscheinens der Vertreter der Bekennenden Kirche und der von ihnen betriebenen Überrumpelung und Vergewaltigung tritt neu die Version von den Bischöfen oder den bischöflich-landeskirchlichen Lutheranern. Weder in Treysa gab es diese geschlossene Gruppe, noch stimmten alle lutherischen Bischöfe so undifferenziert einem Zusammenschluß zu. Gerade Wurms Entfremdung von Meiser in Treysa zu Gunsten einer weitgehenden Ubereinstimmung mit den Vorschlägen des Reichsbruderrates, die wiederum den dem Einigungswerk zugrundeliegenden Tendenzen angeglichen waren, wird verschwiegen, da sie das Schwarz-Weiß-Schema in Brunners Überblick gestört hätte. Zwei Nummern später, am 26. Juni 1947, druckte das „Kirchenblatt für die Reformierte Schweiz" eine „Berichtigung" zu Brunners Artikel von Eduard Thurneysen 29 ab. Thurneysen geht vor allem auf die Vorwürfe Brunners gegen die Bekennende Kirche ein, wobei er nicht Brunner selbst für die Falschmeldungen verantwortlich macht, sondern diejenigen, die ihn informiert haben. Thurneysen meint, diese Information in der württembergischen Kirche vermuten zu müssen, da Namen und Einrichtungen in Brunners Artikel allesamt aus dem Bereich dieser Landeskirche stammten (Wurm, Gerstenmaier, Asmussen, Hilfswerk, Ev. Akademie Bad Boll). Diese Vermutung ist aber falsch, denn weder die Tatsachen noch der Ton in Brunners Bericht stimmen mit württembergischen Verlautbarungen überein. Sie sind vielmehr dem Bereich der bayerischen Landeskirche zuzuordnen. Auch in Thurneysens „Berichtigung", die die BK-Position verteidigen möchte, fehlt die nötige Differenzierung in der Zeichnung der 2 8 „Es ging also nicht, wie Herr Professor Brunner meint, um den Entwurf einer Verfassung für eine künftig wieder geeinte Kirche, sondern um ein Arbeits- und Kampfprogramm" (TH. WURM, Treysa, S. 162). 2 9 Eduard Thurneysen (1888-1974), Dr. theol., 1935 Prof. für Praktische Theologie Basel.

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Berichte und Urteile über die Konferenz von Treysa

Gruppen, Fronten oder Fraktionen, was wohl auch auf die Voreingenommenheit seiner Informanten hinweist. In bezug auf die Vorgänge in Treysa ist aber Thurneysens Berichtigung der historischen "Wahrheit näher. Am 11. September 1947 erschien dann in N r . 18 des Kirchenblattes Wurms Artikel „Treysa und seine Vorgeschichte". Der Artikel beginnt mit den Worten: ,,Es sei mir als dem Einberufer der Treysaer Konferenz gestattet, den Hergang und die Hintergründe der ersten Kirchenversammlung in Deutschland nach dem Zusammenbruch des Hitlerrreiches so zu schildern, wie sie wirklich gewesen sind. Es ist dabei unumgänglich, auch weiter zurückzugreifen und Darstellungen des Kirchenkampfes, wie sie in manchen Schriften (. . .) verbreitet werden, zu berichtigen." Wurm geht also von der Fiktion aus, die Kontroverse zwischen Brunner und Thurneysen und im weiteren Sinne auch diejenige zwischen ihm und Barth oder Diem über den Kirchenkampf hätte etwas mit einem unterschiedlichen „Wissensstand" zu tun. Im Einzelfall mögen korrigierbare Mißverständnisse oder mangelnde Information eine Rolle spielen, so daß durch Tatsachenbelehrung eine Änderung des Geschichtsbildes eintreten kann. Aber für die Mehrzahl der Fälle gilt Hermann Diems Feststellung, die er seiner Antwort an Wurm vorausschickt: „Es kann unter diesen Umständen kaum genügen, möglichst viele Tatsachen anzuführen, um dadurch die andere Sicht der Dinge zu widerlegen, wie Dr. Wurm das versucht, weil es eben auf die Interpretation dieser Tatsachen ankommt, wie ich an ein paar Beispielen zeigen möchte." 3 0 Eins dieser Beispiele ist auch das Ergebnis der Kirchenkonferenz von Treysa. Diem stimmt dabei mit Wurm völlig überein, daß die Konvention von Treysa ganz auf der Linie des Einigungswerkes liege, aber er interpretiert gerade diese Tatsache als etwas Negatives. Denn schon die Gesichtspunkte, die dem Einigungswerk zugrunde lagen, hatte Diem abgelehnt. So wie er während des Kirchenkampfes alle Versuche, die Pluralität innerhalb der Kirche zu wahren, als heimliche Liquidation der Bekennenden Kirche abgelehnt hatte, so lehnt er konsequenterweise die Beteiligung des Bruderrates an der Ubereinkunft von Treysa als Selbstauflösung der Bekennenden Kirche ab 31 .

Kritische zeitgenössische Urteile über die kirchenrechtlichen Entscheidungen von Treysa Mit Hermann Diem ist der entschiedendste Gegner und konsequenteste Kritiker der Konvention von Treysa genannt. Schon im Oktober des 30

Kontroverse, S. 325.

31

Problematik, S. 23.

Kritische zeitgenössische Urteile

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Jahres 1946 formulierte er auf der Arbeitstagung der kirchlich-theologischen Sozietät in Württemberg, Sektion Süddeutschland, in Bad Boll abschließend seine Einwände in seinem Beitrag „Die Problematik der Konvention von Treysa". Seine Analyse der Hintergründe, Motive und grundlegenden Mängel des Einigungswerkes ist klar und überzeugend. Da er die in Treysa beschlossene EKD als Erbe des Einigungswerkes ansieht, gelten seine Einwände gegen das Einigungswerk jetzt ebenso uneingeschränkt für die EKD. In beiden Fällen argumentiert Diem von einem bestimmten Standpunkt aus, d. h. daß er seine theologischen und ekklesiologischen Maßstäbe aus der „Erklärung von Barmen" ableitet. Da sowohl das Einigungswerk als auch die Konvention von Treysa den „Entscheidungen von Barmen" und den daraus sich ergebenden Konsequenzen für die Ordnung der Kirche ausgewichen seien, fallen sie unter dasselbe Verdikt: Uberbrückungsversuche an Stelle von wirklichen Einigungsversuchen, oberflächliche Scheinlösungen aus Selbsttäuschung an Stelle von nüchterner Klärung der entscheidenden Frage nach dem letzten Grund der Spannungen. In beiden Fällen habe auch das Vertrauen zu den führenden Personen eine große Rolle gespielt. Wurm sei für die Beteiligung der Bruderräte an dem Einigungswerk als Garant echt kirchlicher Ziele eine wichtige Voraussetzung gewesen. Ebenso wurde nach Treysa das Amt Wurms als Ratsvorsitzender und das Niemöllers als Stellvertreter, je nach dem Standpunkt des Betrachters, als Garantie für die Bewahrung der Tradition oder als Entscheidung für eine Neuordnung gewertet. Das, was Diem als Gesamtcharakterisierung über das Einigungswerk aussagt, gilt auch für das Unternehmen von Treysa und sollte seine Gültigkeit in zunehmendem Maße erweisen: „Seine Methoden waren die, welche man in der Kirchengeschichte immer dann anwandte, wenn man an Stelle einer nicht vorhandenen Einheit im Glauben eine aus anderen Gründen wünschbare Einigkeit demonstrieren wollte: Man machte die Türen möglichst weit auf und vermied es, die Theologische Erklärung von Barmen mit ihren Abgrenzungen der Einigung zugrunde zu legen; vielmehr einigte man sich auf ein neues Programm, das unter Zurückstellung des ,Trennenden* das ,Gemeinsame' betonte." 3 2 Die Brüchigkeit der Ubereinkunft zeigte sich, wie wir gesehen haben, bereits in der ersten Phase seiner Geschichte, nämlich bei seiner Bekanntmachung in den Landeskirchen, wo das „Trennende" der alten Fronten die Auslegung der Ubereinkunft bestimmte. „Als die Konferenz von Treysa dieses ,Einigungswerk' zur Fortsetzung übernahm, mußte sie auch alle seine Belastungen auf sich nehmen. Diese haben sich in dem inzwischen 32

Ebd.

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Berichte und Urteile über die K o n f e r e n z von Treysa

verflossenen Jahr so ausgewirkt, daß nicht nur der in Treysa beschlossene Ausbau der Ordnung der E K D um keinen Schritt weitergebracht werden konnte, sondern daß auch das wieder in Frage gestellt ist, was man dort schon erreicht zu haben glaubte. So ziemlich alle latent vorhandenen Spannungen aus der inneren Geschichte der B K sind wieder akut geworden. Dabei hat sich die Sache durch den halben Sieg der B K nach dem Zusammenbruch insofern noch kompliziert, als die Fronten noch unübersichtlicher geworden sind als vorher und keineswegs eindeutig zwischen Kirchenführerkonferenz und Reichsbruderrat verlaufen." 3 3 Diese Frontenverschiebung wird ζ. B. deutlich an den Auseinandersetzungen zwischen Asmussen und Niemöller. Das, was Diem hier als den „halben Sieg" der Bekennenden Kirche bezeichnet, ist die Beteiligung von Bruderratsmitgliedern an den vorläufigen Kirchenleitungen in den zerstörten Kirchen und an dem Rat der E K D . Es ist der Vorgang, der von den Gegnern der Bekennenden Kirche immer wieder als „Machtergreifung" bezeichnet wurde 3 4 . Diem distanziert sich aber sogleich von diesem „halben Sieg", da er die diesem Urteil zugrundeliegende Sehweise nicht teilt, die sich an einem personellen Verteilungsschema orientiert. Vielmehr sei dieser Sieg die endgültige Niederlage, denn die Organe der Bekennenden Kirche hätten zugunsten der neuen „Koalitionsregierungen" ihre kirchenregimentlichen Befugnisse aufgegeben, so daß ihre Ansprüche allein durch Einzelpersonen vertreten würden, die dazu noch auf ihre Koalitionspartner Rücksicht nehmen müßten und, was noch schwerer wiege, nur innerhalb der übernommenen Strukturen durchgesetzt werden könnten. „ D i e Vertreter der B K haben mit ihrem Eintritt in die Konsistorien die bestehende kirchliche Ordnung in ihrem durch den Kirchenkampf nicht berührten Zustand übernommen. Sie haben sich damit selbst an die rechtliche Kontinuität in den Landeskirchen bzw. Kirchenprovinzen gebunden." 3 5

Ebd. Ehlers äußert sich ganz wie Diera zu den Gefahren einer solchen Machtergreifung: „ E s besteht meines Erachtens das allergrößte Interesse daran, bei einer N e u o r d n u n g der E K i D sichtbar zu machen, daß es sich nicht handelt u m eine Art Machtübernahme der B K oder u m das Bestreben, einige Mitglieder der B K in führende Positionen der Kirche zu bringen. Wenn nur dies erreicht würde, wäre der Kirchenkampf, soweit er sich auf die O r d n u n g der Kirche bezogen hat, vergeblich g e k ä m p f t w o r d e n . " Zitiert aus einem Rundbrief des H a r z b u r g e r Arbeitskreises für Kirchenrecht v o m 8. 4. 1946 bei E . WOLF, Entstehung, S. 12. 33 34

35

H . DIEM, Problematik S. 23.

Kompromißbereitschaft des Bruderrates

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Motive für die Kompromißbereitschaft des Bruderrates und die Frage nach der Alternative Auch wenn man Diem in seiner Bestandsaufnahme zustimmen muß, bleibt doch die Frage nach der Alternative, und zwar nach einer „realistischen" Alternative. Offensichtlich haben die Bruderratsmitglieder, die sich an den Koalitionsregierungen in den Landeskirchen beteiligt haben und die in Frankfurt und in Treysa den immer weitergehenden Kompromissen zugestimmt haben, keine andere Möglichkeit gesehen, die in der gegebenen Situation zu verantworten war. Man sollte diese Entscheidungen und die dahinterstehenden Motive ernst nehmen. Denn neben den ohne Zweifel bestehenden objektiven Zwängen wurden die Beteiligten auch durch spezifische subjektive Beweggründe gedrängt, sich so zu entscheiden. Einmal standen alle unter einem zeitlichen Druck. Ehe die Besatzungsmächte eingreifen konnten, mußten handlungsfähige Organe der Kirche vorhanden sein 36 . Da die Kirche in den Augen der Besatzungsmächte eine Vorzugsstellung unter den deutschen Institutionen einnahm und sie daher die Rolle des Anwaltes für die materiellen und geistigen Nöte des deutschen Volkes übernehmen konnte, mußte sie Einigkeit und Intaktheit demonstrieren, um unangreifbar zu sein 37 . Vielfach ist diese Einigkeit sicherlich beim Anblick der ungeheuren Not schnell in den Vordergrund getreten. 3 6 Freudenberg schreibt am 25. 7. 1945 an Jannasch über die vorläufigen Kirchenregierungen in Hessen, Nassau und Frankfurt: „Man wollte rasch eine vorläufige] Leitung ohne Zutun der Besatzungsbehörden haben, auch haben die B . K . Brüder die Neigung, den Anschein einer .Machtergreifung' zu vermeiden" (Kopie W. Niemöller). 3 7 Vgl. dazu das Schreiben Dibelius' an Asmussen vom 8. 7. 1946 als Antwort auf Niemöllers Vorwurf, Dibelius habe sich selbst „zum Bischof aller Reußen" ernannt: „Wohl weiß ich, daß manche Brüder ein anderes Vorgehen gewünscht hätten - etwa so, daß die Bruderräte von Berlin und Brandenburg einfach die Kirchenleitung an sich genommen und Konsistorium und Oberkirchenrat kurzerhand abgetan hätten. Und ich bin noch heute der Ansicht, daß ein solches Vorgehen ausgeschlossen war. Schon aus äußerlichen Gründen. Vor allem aber hätte uns ein solches Vorgehen in die schwerste rechtliche Verwirrung und in scharfe innere Kämpfe gestürzt. Denn die alten Gewalten in der Kirche waren anfänglich keineswegs gewillt, ihre Ämter aus der Hand zu geben. Hätten wir anders gehandelt, so hätten wir die Entscheidung darüber, wer die evangelische Kirche in Berlin und Brandenburg zu regieren habe, in die Hände der russischen Generäle gelegt. Wir haben diese Entscheidung bei der Kirche gehalten. Und ich denke, das war richtig s o " ( L K A STUTTGART, D 1/212). Ferner: „Zu den Beratungen in der Inselstraße wurde als Rechtsberater der nachmalige Kultusminister Schütz hinzugezogen. Er stellte nachdrücklich heraus, daß bei der Bildung einer vorläufigen] Kirchenleitung unter allen Umständen ,ein In-die-Erscheinung-treten verschiedener Richtungen oder Gruppenbildungen und ein Herausstellen entgegengesetzter Ansprüche auf Führung in kirch[lichen] Angelegenheiten zu vermeiden' sei, und das nicht zuletzt auch im Blick auf ein sonst mögliches Eingreifen der Militärregierung" (J. SCHLINGENSIEPEN, Der 15. Mai, S. 173).

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Berichte und Urteile über die Konferenz von Treysa

Johannes Schlingensiepen gibt in einem Aufsatz 3 8 die Überlegungen wieder, die ihn und andere Vertreter der Ev. Bekenntnissynode im Rheinland 1945 bewogen haben, sich an einer Koalitionsregierung zu beteiligen und sie sogar aktiv zu betreiben. Da diese Überlegungen exemplarischen Charakter haben, wie ζ. B. die zitierten Bemerkungen Freudenbergs und Dibelius' zeigen, sollen sie hier kurz dargestellt werden. Die Entscheidung der „Neutralen", sich der Bekennenden Kirche fernzuhalten, interpretiert Schlingensiepen vorrangig als durch ihr abweichendes Obrigkeitsverständnis motiviert: „Die Bekennende Kirche hatte sich zu keiner Zeit der Einsicht verschlossen, daß viele rheinische Gemeinden und Pfarrer, die nichts oder nicht mehr mit der Irrlehre der Deutschen Christen zu tun haben wollten, sich letztlich nur aufgrund ihres Obrigkeitsverständnisses der Teilnahme am Kirchenkampf versagt hatten. Sie waren der irrigen Meinung, am Bekenntnis der Kirche festhalten zu können und gleichzeitig dem NS-Staat samt seinen der Kirche aufgezwungenen Organen Gehorsam schuldig zu sein, selbst wenn deren Unrechtshandeln am Tage lag." 3 9 Aus dieser Voraussetzung ergibt sich für Schlingensiepen folgerichtig die Erwägung, „ o b der status confessionis nach dem Fortfall der nationalsozialistischen Herrschaft noch der gleiche sein würde wie vorher". War die Bekennende Kirche berechtigt, „die Trennung von ihnen auch dann noch aufrecht zu erhalten, wenn der Unrechtsstaat, dem zu widerstehen sie nicht vermocht hatten, zugrunde gegangen war? So wahr Bekennen und Gehorchen nicht voneinander zu scheiden sind, mußte doch gefragt werden,ob ein Versagen der Neutralen in der Vergangenheit eine zukünftige Zusammenarbeit mit ihnen unmöglich machen würde" 4 0 . Schlingensiepen verneint dann beide Fragen und begründet diese Verneinung mit individualethischen Überlegungen: „ H i e r galt es, aller Selbstgerechtigkeit zu wehren und die eigene Vergangenheit dem Urteil Gottes zu unterwerfen." Indem man beginnt, das eigene Tun unter dem Aspekt „göttlicher Forderungen" zu betrachten, kommt man zwangsläufig zu der Einsicht des eigenen Versagens. „ J e mehr sich die Erkenntnis des eigenen Versagens vertiefte - wie es später im Stuttgarter Schuldbekenntnis öffentlich zum Ausdruck kam - , desto größer wurde innerhalb der Bekennenden Kirche im Rheinland die Bereitschaft, auf ihren alleinigen Leitungsanspruch zu verzichten, sobald es den NS-Staat nicht mehr geben würde und die Gehorsamsfrage ihm gegenüber nicht mehr gestellt w a r . " 4 1 Als Rechfertigung für die Zusammensetzung der Vorläufigen Kirchenleitung gibt Schlingensiepen an: „ I m Bewußtsein unseres eige-

38 40

Ebd., S. 167 ff. Ebd., S. 169.

39 41

Ebd., S. 168. Ebd., S. 170.

Kompromißbereitschaft des Bruderrates

161

nen Versagens möchten wir der Gefahr entgehen, Bekenntnisdiktatore zu werden, . . . " 4 2 Wenn man die Vorentscheidung, daß die „ N e u t r a l e n " aus politischen Gründen sich nicht an der Bekennenden Kirche beteiligt haben, akzeptiert und nicht mehr die während des Kirchenkampfes errungenen theologischen und ekklesiologischen Einsichten zum Maßstab macht, sondern das eigene Verhalten, das zwar immer an den Entscheidungen von Barmen und Dahlem sich zu orientieren versuchte, aber dennoch widerspruchsvoll, ängstlich und schuldhaft war, dann sind die von Schlingensiepen vorgetragenen Überlegungen in sich stimmig. Eine Betrachtungsweise, die sich vorrangig an subjektiven Einsichten und dem Wollen von Personen orientiert, ohne die sich daraus ergebenden objektiven Tatbestände in Betracht zu ziehen, muß zu den oben aufgezeigten Ergebnissen kommen 4 3 . Daran schließt sich dann nahtlos die Uberzeugung an, daß durch eine personelle Neubesetzung von Kirchenbehörden deren Änderung möglich wäre. Hermann Diem geht dagegen von anderen Voraussetzungen aus und kommt damit zu anderen Maßstäben und Forderungen. So mißtraut er ζ. B. dem Vertrauen zu führenden Persönlichkeiten, weil er ihre Machtlosigkeit gegenüber den vorgegebenen Vorschriften, Instanzwegen etc. sieht 4 4 , und er beurteilt die Entscheidungen der Bekennenden Kirche nach Kriegsende nicht nach ihrem menschlichen Versagen während der vergangenen Jahre, sondern nach ihrem „früheren Selbstverständnis" und nach „ihren Bekenntnissen" 4 5 . Wie immer man auch die Chancen beurteilt, durch einen Austausch der leitenden Personen in den oberen Kirchenbehörden eine Änderung der kirchlichen Praxis zu erreichen, so ist der wirklich kritische Punkt in diesem Zusammenhang noch gar nicht angesprochen, nämlich Einsichten und Verhalten der Pfarrer und Gemeinden. Hier sind ebenfalls E b d . , S. 181. Zum „ F a l l Stoltenhoff" schreibt Schlingensiepen ζ. B. folgendes: „Stoltenhoff lag daran, den Männern der B K deutlich zu machen, aus welchen Gründen er sich nicht bereit gefunden hatte, seinen Dienst als Generalsuperintendent im Rahmen der B K auszuüben. In dem Gespräch gab er der Überzeugung Ausdruck, alle Schritte, die er unternommen habe, vor Gott verantworten zu können. Als Pfarrer Held ihm entgegnete, daß keiner von den Gliedern der B K dies von sich sagen könne, war das Eis gebrochen und der Weg zu vertrauensvoller Zusammenarbeit frei" (ebd., S. 171/172). 42 43

4 4 „Weithin begnügt man sich, wie bei jenem .Einigungswerk', mit dem Vertrauen zu den leitenden Personen, ohne zu sehen, welches Übergewicht die Herrschaft des formalen Kirchenrechts, die Bürokratie, ihrem Wesen nach auch über das beste geistliche Wollen ihrer ausführenden Organe hat. Dieses unselige Vertrauen auf den guten Willen achtbarer christlicher Persönlichkeiten, das sich in der Geschichte der B K so leidvoll ausgewirkt hat, stand auch hinter dieser voreiligen .Machtergreifung' durch die B K " (Problematik, S. 24). 45

E b d . , S. 23.

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Berichte und Urteile über die Konferenz von Treysa

erhebliche Widerstände und Hemmnisse einzuplanen 46 . Die Frage nach einer gemeindlichen Praxis für kompromißlose Entscheidungen im Sinne der Bekennenden Kirche ist in den Kreisen der Bruderräte immer wieder gestellt worden. Und da man nüchtern und realistisch einschätzte, daß es eine tragfähige Mehrheit von BK-Gemeinden nicht einmal in den zerstörten Kirchen gebe, hat man ζ. B. in Frankfurt in dem „Beschluß zur Neuordnung der Kirche" von sich aus ein Kompromiß-Modell entwikkelt. In bezug auf die Mitarbeit und Unterstützung der Pfarrer war die Bekennende Kirche von vornherein dadurch benachteiligt, daß eine große Zahl gerade der jungen Pfarrer, die sich zu ihr rechneten, im Krieg getötet worden waren oder in Gefangenschaft zurückgehalten wurden 47 . Die einzige echte Alternative wäre nur der Weg in die Freikirche gewesen. Noch nach 30 Jahren urteilt Martin Niemöller 48 : „Das Kernproblem in und nach Treysa bestand eben darin, daß für die Bekennende Kirche eine Lösung in ihrem Sinne nicht mehr möglich war 4 9 . Durch Treysa wurde es gleichfalls unmöglich, eine absolute Restitution bzw. Reaktion durchzuführen. - Auch in der ,Kirchenpolitik' ist diese Politik ,die Kunst des Möglichen*. Es mußte also irgendwie ein Kompromiß gesucht und gefunden werde, wenn man nicht von Seiten der Bekennenden Kirche den (revolutionären) Weg in die Freikirche — der ja schon zu Hitlers Zeiten erheblich diskutiert worden war - gehen wollte." In Niemöllers Einschätzung der Situation sind natürlich die in den 30 Jahren gemachten Erfahrungen miteingegangen, was ζ. B. die Wendung von der absoluten Restitution zeigt, denn gehofft hatte man im Sommer 1945 noch, wenigstens eine relative Restitution verhindern zu können. Daß Diem als Alternative für die in Treysa geschaffene E K D , wenn auch nicht die Freikirche, so doch eine entschiedene „Scheidung" sah, machen seine Vorschläge für eine Änderung der unbefriedigenden Situation deutlich: „Darum muß sich hier der Bruderrat einschalten als das 4 6 „Wieweit sie in der Lage sind, diese Rechtskontinuität weiterzuentwickeln zu einer an Barmen und Dahlem gebundenen Kirchenordnung, hängt neben ihrem eigenen Willen nicht nur von ihren Partnern im Konsistorium ab, die sie mitübernommen haben, sondern mindestens ebensosehr von den ebenfalls mitübernommenen Pfarrern und Gemeinden, die sich von den Entscheidungen der BK ferngehalten hatten" (ebd.). 4 7 So Niemöller Ende Juli 1945 in dem Memorandum an die Besatzungsmächte: „The Confessional Church was the Church of the young generation and it was precisely these whom the Nazis sent to the Front als soldiers whereas the older clergy, most of whom belonged to the neutral .Middle Party', remained at home, and are now becoming Church

l e a d e r s " ( L K A DARMSTADT,

62/3367).

Brief an Verf. vom 29. 3. 1974. 4 9 Es ist aus dem Zusammenhang deutlich, daß Niemöller hier „möglich" in einem kirchenpolitisch-praktischen Sinne verwendet; K. SCHOLDERS Urteil, daß eine Neuordnung im Sinne der BK nach dem Kriege „theologisch jedenfalls möglich gewesen" wäre, steht dazu nicht im Widerspruch, da es auf eine andere Ebene bezogen ist (Ergebnisse, S. 48

267).

Kompromißbereitschaft des Bruderrates

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für die Beschlüsse der Bekenntnissynoden verantwortliche Organ, und sämtliche Landeskirchen und Gemeinden, die der Vereinigung von Treysa beigetreten sind oder noch beitreten wollen, vor die Entscheidung von Barmen stellen. Eine echte Entscheidung gibt es nur dort, wo man ja oder nein sagen kann. Es müßte also durchaus die Möglichkeit offen bleiben, daß manche Kirchen nein sagen und der EKD fernbleiben . . . Soll die Sammlung der EKD echt sein, dann wird sie auch die Scheidung nicht fürchten dürfen." 5 0 Da die Bekennende Kirche den gegebenen Machtverhältnissen entsprechend ihre Ansprüche nicht durchzusetzen vermochte, sie aber auch den Weg in die Freikirche und damit in eine beträchtliche Bedeutungslosigkeit nicht gehen wollte und dies auch nicht in der damaligen politischen Sitation verantworten zu können meinte, blieb ihr sowohl auf landeskirchlicher als auch auf gesamtkirchlicher Ebene nichts anderes übrig, als ihre eine Restauration „hemmende" Funktion so weit wie möglich auszubauen. Wieweit das in den einzelnen Landeskirchen gelungen ist, kann hier nicht untersucht werden. Wenn man aber die nach 1945 verabschiedeten Kirchenordnungen ansieht, so ist das Ergebnis einigermaßen düster 51 . Daß sich die Immobilität innerhalb der Landeskirchen und das überwiegende Zurückgreifen auf Modelle der Zeit vor 1933 unmittelbar auf die Entwicklung der EKD auswirkte, ist bei der Struktur der EKD und der Zusammensetzung des Rates der EKD selbstverständlich. Dennoch war in der interimistischen Lösung, die die Kirchenversammlung in Treysa für die EKD beschloß, eine eigene Chance angelegt. In der Vorläufigen Ordnung wurden die Synodalbeschlüsse von Barmen, Dahlem und Augsburg anerkannt, und der Reichsbruderrat konnte seine kirchenregimentlichen Funktionen auf die neue Kirchenleitung übertragen, da in der Vorläufigen Ordnung und in der „Idee" des Rates die Kontinuität mit dem Notkirchenregiment der Bekennenden Kirche gewahrt war. Wehrhahn spricht deswegen von der „Gleichheit der Entwicklungschancen der beiden Kräftegruppen" oder von der „gleich50

Problematik, S. 29/30. „ I n der Praxis der Landeskirchen ist es bisher durchweg bei den 1920-22 geschaffenen Kirchenverfassungen geblieben. N u r in zwei Landeskirchen sind Anläufe zu einer Neuordnung gemacht worden, in denen versucht wurde, die neuen kirchenrechtlichen Erkenntnisse zu verarbeiten, in Oldenburg und in Nassau-Hessen" (H. WEHRHAHN, Ergebnisse, S. 321). „ D i e Denkschriften zur Kirchenverfassungsfrage, die sich an die Barmer Erklärung angeschlossen haben, also die Denkschrift des preußischen Bruderrats von 1943 ,Von rechter Kirchenordnung' und die Denkschrift des Bruderrats der Bekennenden Kirche zur Kirchenverfassung von 1945, haben sich, sieht man von Oldenburg und der evangelischen Kirche in Hessen und Nassau ab, in der Ausgestaltung evangelischer Kirchenverfassungen nach 1945 nicht oder doch nur in geringem Umfang niedergeschla51

g e n " ( W . H U B E R , B a r m e n , S. 5 3 f . ) .

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Berichte und Urteile über die Konferenz von Treysa

gewichtigen Offenhaltung aller Entwicklungsmöglichkeiten", die in dieser Konzeption enthalten sei 5 2 . Allerdings sind gleich durch die ersten Beschlüsse des Rates die Gewichte zugunsten der landeskirchlichen und des legalintakten Kirchentums verschoben worden. Der Rat der E K D hat Schritt für Schritt sein Verhältnis zu den Landeskichen geregelt und seine Beziehungen zu dem im staatsrechtlichen Sinn Vorläufer der E K D , der D E K , geklärt. Dabei geschah nichts dergleichen in bezug auf die Notorgane, deren Rechtsnachfolger die E K D nach ihren eigenen Aussagen auch sein wollte. Schon in der Entwicklung der ersten Monate wurde deutlich, daß innerhalb der offiziellen E K D niemand daran dachte, wieder an Dahlem anzuknüpfen. Der Rat der E K D , auf den der Reichsbruderrat in Treysa seine kirchenregimentlichen Befugnisse übertragen hatte, hat sich dieser seiner Herkunft kein einziges Mal erinnert. Diese Tendenz soll im Folgenden durch eine Zusammenstellung der wichtigsten Verordnungen und Richtlinien des Rates, vornehmlich aus den Jahren 1945 und 1946, nachgewiesen werden.

52

H . WEHRHAHN, Ergebnisse, S. 322/23.

Kapitel 12 RECHTSETZUNG DER EVANGELISCHEN KIRCHE I N D E U T S C H L A N D I N D E N J A H R E N 1945 U N D 1946 1

Amtsstellen der EKD Schon in Treysa muß man sich im Zusammenhang mit den Überlegungen zu einer Vorläufigen Kirchenleitung für die E K D darüber einig gewesen sein, daß außer dem Rat der E K D keine weiteren Organe zur Leitung und Verwaltung der E K D eingesetzt werden sollten. Kirchenkanzlei und Außenamt sollten der Verantwortung des Rates unterstellt werden, was durch die Besetzung der Leiterstellen mit Ratsmitgliedern optisch noch unterstrichen wurde. Bereits auf der ersten Sitzung des Rates der E K D am 31. August 1945 in Treysa wurden die beiden Amtsstellen des Rates durch die Ratsmitglieder Asmussen und Niemöller besetzt. Asmussen wurde Leiter der Kirchenkanzlei 2 , Niemöller übernahm die Leitung des Außenamtes. Verordnungsmäßig wurden beide Entscheidungen erst im Mai 1946 festgestellt. Auch die Schaffung einer Berliner Stelle der Kirchenkanzlei wurde schon auf der ersten Ratssitzung erwogen. Auf der zweiten Sitzung des Rates, am 19. Oktober 1945 in Stuttgart, wurde die Zweitstelle Ost der Kirchenkanzlei durch Beschluß des Rates gegründet. Auch hier sollte ein Ratsmitglied die Leitung übernehmen. Dieses konnte nach Lage der Dinge nur Dibelius sein, da er das einzige Ratsmitglied aus einer östlichen Kirche war, und daher den Verkehrsbehinderungen nicht unterlag, die den unmittelbaren Anlaß für die Gründung der Zweitstelle darstellten. In der Verordnung über die Kanzlei der E K D vom 2. Mai 1946 heißt es in § 2 , 2 : „Die für die Dauer der Verkehrsschwierigkeiten vorübergehend eingerichtete Berliner Stelle der Kanzlei wird von einem Mitglied des Rates geleitet." Durch die erste Ausführungsverordnung zur Vorläufigen Ordnung Vgl. die Zusammenstellung in: VONB1 Nr. 38/39, 1946. Asmussen teilte am 24. 10.1945 aus Göttingen mit: „ A m 23. und 24. Oktober 1945 fand die Übernahme der Deutschen Evangelischen Kirchenkanzlei durch den Unterzeichneten statt. Der Rat der EKiD hat den Unterzeichneten zum Leiter der Kanzlei der EKiD bestimmt und ihm damit die Führung dieser Behörde übertragen" (OKR STUTTGART, Reg. Gen. 115 b). 1

2

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Rechtsetzung der E K D 1945 und 1946

der E K D vom 19. Oktober 1945 wurde dem Leiter der Berliner Stelle auf einem Gebiet gleiche Vollmacht wie dem Ratsvorsitzenden eingeräumt. § 3 bestimmt: „ D e r Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland ist befugt, einzelne Gesetze oder Bestimmungen des bisherigen Rechts der Deutschen Evangelischen Kirche in Deutschland einstweilen außer Geltung zu setzen. Der Leiter der Berliner Stelle der Deutschen Evangelischen Kirchenkanzlei hat für den Bereich der russischen Besatzungszone das gleiche R e c h t . " In der Ubergangsordnung der E K D vom 22. März 1946 heißt es zur Stellung des Rates in § 2: „ D a s einzige verfassungsmäßige Organ der E K D ist bis auf weiteres der Rat der E K D " , und in § 3: „ D e r Rat leitet und verwaltet die E K D . Er vereinigt insoweit die Rechte und Pflichten der früheren verfassungsmäßigen Organe der D E K in seiner H a n d . " Zum Status der Kirchenkanzlei der E K D heißt es in der Ubergansordnung § 6, in der Geschäftsordnung des Rates § 2 und in der Verordnung über die Kanzlei § 1 übereinstimmend: „ D i e Kanzlei der E K D führt im Auftrag des Rates der E K D die laufenden Geschäfte der E K D , bereitet die Verhandlungen des Rates vor und führt dessen Beschlüsse aus." § 2, 1 der Verordnung über die Kanzlei legt fest, daß die Kanzlei von einem Mitglied des Rates geleitet wird. Ebenso wie die Kanzlei wird auch das Außenamt eindeutig als Amtsstelle des Rates definiert, wobei auch hier die Verantwortlichkeit des Rates durch die Besetzung der Leiterstelle mit einem Ratsmitglied rechtlich verankert wird (§ 3 der Verordnung über die Kanzlei). Die Verordnung über die Kanzlei der Evangelischen Kirche in Deutschland, die am 2. Mai 1946 vom Rat verabschiedet wurde, enthält weiter vor allem solche Bestimmungen, „die einen Abbau des früheren Beamtenapparates (§ 4 und 5) sowie eine Reinigung des Apparates von kirchenfremden Einflüssen (§ 5 und 6) ermöglichen sollten" 3 . Die ebenfalls am 2. Mai 1946 verabschiedete Geschäftsordnung des Rates enthält nach dem Urteil Brunottes „die in Geschäftsordnungen üblichen Bestimmungen" 4 . Allerdings bemerkt Brunotte, daß die Einschaltung der Kanzlei in die Geschäfte des Rates auffallend stark sei. Dies wird deutlich an den Paragraphen 2, 3, 6, 8, 10. Auffallend ist aber auch, daß eine besondere Verantwortung des Stellvertretenden Vorsitzenden nirgends verankert ist 5 . Ebenso wie die Entscheidung, das Leitungsgremium der E K D als Rat von gleichberechtigten Brüdern zu konzipieren, ist auch in der Unterordnung der Kanzlei und des Außenamtes unter den Rat eine Orientierung an Ordnungsvorstellungen der

3

H . BRUNOTTE, G r u n d o r d n u n g , S . 3 4 .

4

Ebd., S. 33. Vgl. dazu oben S. 133 f.

5

EKD als Rechtsnachfolgerin der DEK

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Bekennenden Kirche zu sehen. Auf kirchenrechtlichem Gebiet war es eine zentrale Erkenntnis des Kirchenkampfes gewesen, daß die Ordnung der Kirche am Bekenntnis ausgerichtet werden müsse, daß die äußere Ordnung und Verwaltung einer Kirche nicht von der geistlichen Leitung zu trennen sei. Die Errichtung von Behörden als Amtsstellen des Rates und die Besetzung der Leitung der Behörden mit Ratsmitgliedern gab dem oben angedeuteten kirchenrechtlichen Grundsatz sichtbaren Ausdruck.

Die EKD ah Rechtsnachfolgerin der DEK In den Erläuterungen zu der „Vorläufigen O r d n u n g " heißt es in Satz 2 indirekt, daß die Verfassungseinrichtung der D E K weggefallen sei, nicht aber das Recht, das durch die D E K seit 1933 gesetzt wurde. An beide Aussagen wurde in den folgenden Monaten wieder angeknüpft. Uber die Gültigkeit der durch die D E K gesetzten Rechtsnormen sagt die 1. Ausführungsverordnung vom 19. Oktober 1945: ,,§ 2. Das von der Deutschen Evangelischen Kirche gesetzte Recht gilt vorbehaltlich einer vom Rat eingeleiteten Uberprüfung." Schon in den Erläuterungen zu der Vorläufigen Ordnung von Treysa war angekündigt worden, daß der Rat einen Sachverständigenausschuß bilden wolle, „ d e r zu prüfen und zu entscheiden hat, welche Rechtsnormen eine bekenntnismäßig geordnete E K D nicht anzuerkennen vermag." Auf der dritten Sitzung des Rates am 13./14. Dezember 1945 stellte Prof. Smend den Antrag, eine „juristisch-theologische Untersuchungsstelle zur Uberprüfung des gültigen Kirchenrechtes" einzurichten. Dem Antrag wurde entsprochen, und in Göttingen wurde die „Untersuchungsstelle zur Uberprüfung des Rechtes und der Gesetzgebung der E K i D " aufgebaut 6 . Durch die „Verordnung über die Aufhebung und Abänderung von Gesetzen der Deutschen Evangelischen Kirche" vom 2. Mai 1946 gab dann der Rat selbst bekannt, welche Gesetze und Verordnungen als rechtsunwirksam angesehen und welche aufgehoben werden sollten. Erklärungen über die Ungültigkeit der Verfassung einerseits und Bestimmungen, die an eben diese Verfassung anknüpfen, halten sich im Folgenden die Waage. In der 1. Ausführungsverordnung heißt es in § 1: „ D e r Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland leitet und verwaltet bis auf weiteres die Evangelische Kirche in Deutschland. Er vereinigt insoweit die

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Beschlüsse des Rates ( L K A STUTTGART, D 1/208).

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Rechtsetzung der E K D 1945 und 1946

Rechte und Pflichten der bisherigen verfassungsmäßigen Organe der Deutschen Evangelischen Kirche in seiner H a n d . " In der Ubergangsordnung vom 22. März 1946 wurde in § 3 dieser Sachverhalt noch einmal wiederholt. In der Zwischenzeit hatte aber der Rat dem Alliierten Kontrollrat durch ein Schreiben vom 10. Oktober 1945 mitgeteilt, daß die Kirchenversammlung in Treysa beschlossen habe, „die Verfassung der deutschen Evangelischen Kirche vom 11. Juli 1933, die durch Staatsgesetz vom 14. Juli 1933 anerkannt worden ist, als ungültig zu erklären." 7 In seiner Antwort vom 18. Dezember 1945 teilte der Alliierte Kontrollrat seinerseits dem Ratsvorsitzenden mit, daß er beschlossen habe, „die Außerkraftsetzung der Verfassung der Deutschen Evangelischen Kirche vom 11. Juli 1933, welche durch Staatsgesetz am 14. Juli 1933 anerkannt worden war, amtlich zu bestätigen." Außerdem teilte er mit, daß er die notwendigen Schritte unternehmen würde, „ u m diese Beschlüsse zu verkündigen und rechtskräftig zu machen." Am 31. Januar 1946 schickte der Rat eine Erwiderung an die Alliierte Kontrollbehörde, in der versucht wird, den in dem Briefwechsel verhandelten Rechtszusammenhang zu klären. Der Rat der EKD erklärt, „daß die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) dieselbe kirchliche Körperschaft darstellt, wie die bisher durch die Verfassung vom 11. Juli 1933 geordnete Deutsche Evangelische Kirche (DEK). Die Organe dieser Deutschen Evangelischen Kirche (DEK) sind mit dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Staates endgültig fortgefallen. An die Stelle dieser Organe ist nach dem Beschluß der Kirchenversammlung der von Herrn Landesbischof D. Wurm geleitete Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) getreten. Dies bringt die Ausführungsverordnung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) vom 19. Oktober 1945 zum Ausdruck, von der wir Abschrift beilegen. Alle Rechte, einschließlich der Vermögensrechte, sowie alle Pflichten, einschließlich der Schulden der Deutschen Evangelischen Kirche (DEK), werden von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) fortgeführt und durch den Rat wahrgenommen." Der letzte Satz zeigt, daß die Klärung des Rechtsverhältnisses von DEK und EKD vor allem praktische Bedeutung hatte. Die Unklarheit aber, die schon in den Äußerungen vor Treysa, und zwar sowohl von Kirchenmännern als auch von Juristen, zu Tage getreten war, herrscht hier noch immer. Mit der Außerkraftsetzung einer Verfassung geht nicht automatisch eine Kirche unter. Die Frage ist aber, welche Verpflichtungen der alten Körperschaft gegenüber erhalten bleiben. Für Bayern blieb das Verhältnis von EKD und Landeskirchen in rechtlicher Hinsicht von 7

Veröffentlichung des Briefwechsels in: VONB1 N r . 9, 1946.

Verhältnis E K D - Landeskirchen

169

der obigen Frage ausgehend über Treysa I hinaus ein Problem, wie Meisers Äußerungen während der Diskussion der Übergangsordnung zeigen. Die Ubergangsordnung der E K D , oder Notordnung, wie sie im Arbeitstitel hieß, wurde vom Rat am 22. März 1946 verabschiedet. In der vorausgehenden Diskussion wurde die Widersprüchlichkeit in den eigenen Aussagen des Rates zur Verfassung der D E K noch einmal thematisiert 8 . Held: „ I n Treysa ist deshalb an die Verfassung von 1933 angeknüpft worden, damit die Rechtskontinuität gewahrt bleibt. Die Verfassung von 1933 ist nicht aufgehoben. Sie darf natürlich nicht zentralistisch mißbraucht werden." Meiser: „ W i r können nicht bei dieser Verfassung bleiben, da ihre Aufhebung dem Alliierten Kontrollrat von uns angezeigt wurde. Wir müssen bei der Abmachung von Treysa bleiben." Niemöller: „Aber auch in Treysa ist auf die Verfassung Bezug genommen. Wir werden also in der Notordnung weder Bestand noch die Aufhebung der Verfassung erwähnen." U m den Alliierten diesen schwierigen Sachverhalt erklären zu können, schlug Dibelius vor, die Ubergangsordnung beim Alliierten Kontrollrat persönlich zu überreichen. Dann könnten in mündlichen Verhandlungen alle Einzelheiten geklärt werden. Durch Ratsbeschluß bekam Dibelius den Auftrag, diese Aufgabe zu übernehmen. Die Ubergangsordnung der Evangelischen Kirche in Deutschland vom 22. März 1946 9 ist in rechtlicher Hinsicht eine Zusammenfassung der Vorläufigen Ordnung in Treysa und der Ausführungsverordnungen. Allerdings ist von einem Anknüpfen der E K D an das Notrecht oder an notrechtliche Organe wie den Bruderrat oder eine Synode wie noch in der Vorläufigen Ordnung nicht mehr die Rede. In dem Schreiben des Rates an den Alliierten Kontrollrat vom 10. Oktober 1945 wurde noch festgestellt, daß die mitgeteilten Beschlüsse der Kirchenversammlung in Treysa auch von Bruderräten der Bekennenden Kirche mitgefaßt worden seien; ebenso wurde als dritter Beschluß Wurms Wahl zum Vorsitzenden des Rates und Niemöllers Wahl zum stellvertretenden Vorsitzenden bekannt gegeben.

Verhältnis EKD -

Landeskirchen

Während der Diskussion um die Ubergangsordnung betonte Meiser die Vorläufigkeit der in Treysa getroffenen Vereinbarungen wohl in dem Sinne, daß sie keine allzu großen Verpflichtungen bedeuten. Denn Held 8 9

Protokoll der 5. Ratssitzung am 22. 3. 1946 (AEKD, 046). KJ 1945-1948, S. 67/68.

170

Rechtsetzung der EKD 1945 und 1946

erwiderte darauf: „Der Zusammenhang der Landeskirchen mit der EKD ist keine freiwillige Abmachung. Die Freiwilligkeit würde einen Zustand der Rechtlosigkeit bedeuten." Um die Rechtskontinuität zu wahren, habe man aber gerade in Treysa an die Verfassung von 1933 angeknüpft. Meiser: „Ich habe nie behauptet, daß die Landeskirchen bindungslos gegenüber der EKD dastünden." Etwas später fügte er hinzu, daß über die Abmachungen in Treysa hinausgehend kein Rechtszustand durch die Ubergangsordnung gesetzt werden dürfe. In einem einstimmig angenommenen Protokollvermerk heißt es dann abschließend: „Der Rat ist dahin einig, daß die rechtliche Bindung der Landeskirchen gegenüber der EKD durch die Vorläufige] Ordnung in Treysa in ihren rechtlichen Grundlagen wesentlich verändert, aber nicht aufgehoben ist." Der Hinweis auf die weiterhin geltende Vorläufigkeit aller Rechtssetzungen wurde vom Rat aufgenommen und führte auch zu der Entscheidung, die Notordnung in Ubergangsordnung umzubenennen. Dibelius sollte in dem mündlichen Gespräch dem Alliierten Kontrollrat auch diesen Sachverhalt deutlich machen: Endgültige Rechtssetzungen könnten erst durch eine endgültige Verfassung der EKD geschaffen werden. Das Problem des Verhältnisses der Landeskirchen zur EKD wurde schon auf der Ratssitzung am 13./14. Dezember 1945 in Frankfurt a. M. ausführlich erörtert. Als ein Modellfall für das schwierige Verhältnis der EKD zu den Landeskirchen kann hier die „hannoversche Frage" herangezogen werden. Für den Abend des 13. Dezember 1945 stand diese auf der Tagesordnung. Aus dem Protokoll 1 0 der Sitzung geht hervor, daß Bodelschwingh bereits in Treysa den Auftrag hatte, Marahrens davon zu überzeugen, daß es besser sei, wenn er sein Amt als Landesbischof aufgebe. Asmussen antwortete nämlich auf Dibelius' Vorschlag, Marahrens den Rücktritt nahezulegen: „Das ist schon in Treysa geschehen." Auf Asmussens Drängen, daß der Rat offiziell an Marahrens herantreten müsse, erwiderte Meiser: „Wie ich Marahrens kenne, stärkt es ihn, wenn gewünscht wird, daß er geht." Darauf Dibelius: „Stimmt das wirklich?" Niesei antwortete: „Man kann nicht annehmen, daß Bodelschwingh in so verkehrter Weise mit Marahrens gesprochen haben sollte." Wurm: „Wenn wir nicht handeln, handelt die Militärregierung." Asmussen stellte dann offiziell den Antrag an den Rat, „sich mit der Person Marahrens befassen zu wollen. Es vergeht fast kein Besuch der Ökumene, ohne daß man wegen des Rücktritts von Marahrens angegangen wird. - Die hannoversche Bekenntnisgemeinschaft hat sich wirklich zu schwach gezeigt. Mir ist mein Name dazu zu schade, Marahrens zu 10

AEKD, 046.

Verhältnis E K D - Landeskirchen

171

stützen. Der Rat muß sich damit befassen." Dibelius: „ E s bedeutete eine Erleichterung der gesamtkirchlichen Situation, wenn Marahrens zurücktreten würde." Er schlägt vor, durch die brüderliche Form des Gesprächs die Bitte auszusprechen, „der Gesamtkirche diesen Dienst zu erweisen." Asmussen: „ D a s ist in Treysa schon geschehen." Dibelius: „Geschah es schon im Rahmen des Rates?" Meiser: „ E i n dahingehender Beschluß wird den notwendigen Entschluß nur erschweren. Und was tut der Rat dann, wenn Marahrens dennoch bleibt?" Asmussen: „ A u f jeden Fall kann der Rat dadurch das Vertrauen der Β Κ und des Auslandes erhalten." Held: „Asmussen liegt daran, daß keine private Angelegenheit daraus gemacht wird. An der privaten Person von Marahrens haben wir kein Interesse, es handelt sich nicht um eine private Aktion, sondern wir stehen in allgemeiner Verantwortung." Dennoch wurde beschlossen, sich auf eine private Aktion zu beschränken und „die weitere Verfolgung in die Hände des Vorsitzenden" zu legen, „der bei nächster Gelegenheit das nötige Gespräch führen w i r d " 1 1 . Den Hintergrund für diesen Beschluß bildete einmal die Sorge, die noch wenig erprobten Beziehungen zwischen einer Landeskirche und der E K D nicht zu überfordern, zum anderen die Angst, bei der voraussehbaren Erfolglosigkeit die Autorität des Rates aufs Spiel zu setzen. Als eine Verbesserung des Verhältnisses der E K D zu den Landeskirchen von mehr grundsätzlicher Art wurde den Anträgen von Held und Dibelius zugestimmt, der Rat der E K D möge viertel- oder halbjährlich mit den Kirchenleitungen zu Beratungen zusammenkommen. Solche Beratungen des Rates der E K D mit „Kirchenführerkonferenz e n " fanden am 1./2. Mai 1946, am 2 2 . / 2 3 . Januar 1947 und am 12. Mai 1948 statt. In einem Brief an den Reichsbruderrat vom 8. Juli 1946, der eigentlich als Antwort auf die Fragen, die Asmussen in einem Schreiben vom 29. Juni 1946 an den Reichsbruderrat zur Situation innerhalb der E K D gestellt hatte, gedacht war, gab Niemöller gleichzeitig sein Urteil zu der oben beschlossenen Entwicklung ab. Als direkte Erwiderung auf Asmussens Frage ( „ I s t der Bruderrat willens, auf der Konvention von Treysa zu bleiben und ihr stärkster Träger zu sein, oder glaubt er, diese Konvention kündigen zu müssen?") schreibt Niemöller: „Das hier gestellte Entweder-Oder braucht nicht echt zu sein. Es gibt vielleicht auch noch andere Möglichkeiten, als die des Jasagens zur Konvention von Treysa oder ihrer Kündigung. V o r allem bitte ich sich nicht blenden zu lassen durch die Aussicht, .stärkster Träger zu sein'. Die Erfahrungen 1 1 Beschluß 6: „Die kirchliche Lage in Hannover kommt zur Besprechung. Der Vorsitzende des Rates wird gebeten, die Sache nach eigenem Ermessen mit Landesbischof Marahrens zu besprechen" (ebd.).

172

Rechtsetzung der EKD 1945 und 1946

mit der Arbeit des Rates weisen einen durchaus anderen Weg. Die letzte Zusammenkunft in Treysa bedeutet ja wohl, daß der Rat auf Antrag von Pfarrer Asmussen die mit der Konvention von Treysa hinfällig gewordene Kirchenführerkonferenz als offizielles Organ wieder aufleben zu lassen versucht, während der Reichsbruderrat dann an den folgenden Tagen als inoffizielles Organ ohne Teilnahme des Rates eine Tagung halten durfte. Der Reichsbruderrat ist heute eben nicht mehr der stärkste Träger jener Konvention." 1 2 Niemöllers Antwort ist stichhaltig. Sie spricht aus, was durch den Rat selbst systematisch in den Monaten seit Treysa durch Verordnungen und amtliche Äußerungen geschaffen worden war. In der Grundordnung von Eisenach ist dieser Entwicklung durch die Institutionalisierung einer Kirchenkonferenz Rechnung getragen. Die einseitige Bevorzugung der Landeskirchen wird auch deutlich in den Verordnungen über die Kirchenversammlungen der EKD. In ihnen haben die Landeskirchen Anspruch auf Vertretung, die Notorgane dagegen nicht. Bruderratsmitglieder können expressis verbis nur unter den 20 Synodalen sein, die der Rat der EKD zusätzlich berufen kann 1 3 .

12

13

L K A STUTTGART, D 1 / 2 2 4 .

Vgl. ζ. B. die Verordnung über eine Kirchenversammlung der EKD vom 24. 1. 1947 (KJ 1945-1948, S. 80).

Kapitel 13 D I E ARBEIT A N D E R V E R F A S S U N G D E R V E L K D D E Z E M B E R 1945 - MAI 1946

Die Rolle der württembergischen

Landeskirche

Die Auseinandersetzung zwischen der württembergischen Landeskirche und dem Lutherrat um die V E L K D werden deswegen gesondert behandelt, da sie für die E K D im Ganzen Bedeutung haben: 1. Württemberg ist eine der bedeutenden großen lutherischen Landeskirchen; durch den Kirchenkampf zudem mit der bayerischen Kirche besonders eng verbunden. 2. W u r m , der württembergische Landesbischof, ist als Ratsvorsitzender Leitbild und Vorbild innerhalb der gesamten E K D . 3. Württembergische Entscheidungen gelten für andere lutherische Kirchen wie ζ. B. Oldenburg und Lübeck als Orientierungshilfen. 4. Ebenso stärken sie die Position der Lutheraner in der Altpreußischen Union, so daß es zu der Arbeitsgemeinschaft im Detmolder Kreis kommt, die ein Gegengewicht zur V E L K D bildet. 5. Durch die Weigerung Württembergs, sich an der V E L K D zu beteiligen, wird diese weniger ein Block innerhalb der E K D als befürchtet. Auf der Lutherratstagung in Treysa hatte Württemberg die Errichtung einer Vereinigten lutherischen Kirche abgelehnt, aber einem Zusammenschluß der lutherischen Krichen grundsätzlich zugestimmt. So war auch Prälat Schlatter in den Verfassungsausschuß gewählt worden. Schlatter stellte noch im Dezember 1945 die Kontakte zwischen dem Lutherrat und dem Stuttgarter Oberkirchenrat wieder her. Ende Dezember fand eine Besprechung zwischen Bogner und dem Kollegium in Stuttgart statt, die Schlatter angeregt hatte. Dies geht aus einer Aktennotiz vom 9. Februar 1946 hervor, nach der Lempp bei Pressel anfragt, ob irgendwelche Beschlüsse gefaßt worden seien und ob sich das Kollegium wieder mit dem Thema befassen solle. In der Notiz heißt es weiter: „ O d e r befaßt sich der Rat der EKiD z. Zt. mit dem geplanten, scheinbar stark betriebenen Zusammenschluß der ev[angelisch] luthferischen] Landeskirchen und soll zunächst ein Ergebnis dieser Beratungen abgewartet werden. Für Aufschluß wäre ich dankbar." 1 In 1

O K R STUTTGART, R e g . G e n . 119 e. [Fortsetzung S. 174].

174

Arbeit an der Verfassung der VELKD

seiner Antwort vom 15. Februar 1946 faßte Pressel das Ergebnis der Besprechung von Ende Dezember folgendermaßen zusammen: „Sie ergab große Unklarheiten und Differenzen im Kollegium, für und wider ein Zusammengehen mit den lutherischen Kirchen in einer Vereinigten ev[an]g[e]l[isch] luthferischen] Kirche in Deutschland. Bedenken bestanden vor allem gegen die Verpflichtung auf die Invariata. Eine gemeinsame Stellungnahme kam nicht zustande. Man wurde sich aber einig, daß eine fruchtbare Aussprache und Klärung erst erfolgen könne, wenn die Kollegiums-] Mitglieder die Entwürfe in den Händen hätten. Daraufhin habe ich, als bisheriger Referent, die Vervielfältigungen veranlaßt u[nd] den einzelnen Herren zugeleitet." 2 Die Abschriften der zwei Verfassungsentwürfe tragen den Zusatz: Streng vertraulich! Einer ist als bayerischer Entwurf, der andere als Entwurf aus Hannover bezeichnet. Da in dem letzteren noch von einem Erzbischof 3 die Rede ist, ist dieser wohl eine veränderte Fassung des Entwurfes von Fleisch für die Lutherratstagung in Treysa. Am 22. Februar 1946 bedankte sich Prälat Schlatter bei Meiser für die Einladung zu den Beratungen des Verfassungsausschusses der Lutherischen Kirche. Schlatter sagte zu, fügte aber als Bitte an: „Wenn der endgültige Entwurf einer Vereinigten ev[an]g[e]l[isch] luthferischen] Kirche uns bald zugestellt werden könnte, wären wir gerade in Württemberg dafür sehr dankbar, weil für uns, wie O K R Bogner Ihnen berichtet haben wird, die Frage unserer Beteiligung an der Lutherischen Kirche Deutschlands sowohl nach der theologischen wie nach der rechtlichen Seite eigentümlich schwierig liegt." 4 Wie aus einem Aktenvermerk Lempps vom 28. Februar 1946 hervorgeht, war auf einer Kollegiumssitzung vom 10. Februar beschlossen worden, daß Schlatter um die Zusendung eines gültigen Verfassungsentwurfes bitten solle, und „daß Herr Prälat Schlatter nach dem Eintreffen des Verfassungsentwurfes von München ohne Verzug mit den Herren Hartenstein, Pressel und Haug 5 zur Vorbereitung zusammentreten und das Ergebnis dieser BeraWilfried Lempp (1889-1967), 1935 Pfr. Stuttgart, 1945-1959 Prälat des Sprengeis Heilbronn. 2 Ebd. 3 A. BOYENS charakterisiert den Entwurf Fleischs folgendermaßen: „Bereits 1941 hatte das Sekretariat des Lutherrates die Grundzüge einer Verfassung für eine lutherische Sonderkirche ausgearbeitet. Sie hieß damals die ,Lutherische Kirche Großdeutschlands'. An ihrer Spitze sollte ein Erzbischof stehen. Diesen .Erzbischof' hatte P. Fleisch in seinem Entwurf für 1945 beibehalten. N u r ,Großdeutschland' hatte er gestrichen. Sonst bestanden bis in Einzelheiten hinein starke Ähnlichkeiten zwischen beiden Entwürfen" (Kirchenkampf, S. 260). 4

5

O K R STUTTGART, R e g . G e n . 1 1 9 e.

Presseis Name ist mit Bleistift gestrichen. In einer handschriftlichen Notiz vom 18. 4. 1946 fragte Schlatter bei Wurm und Lempp an, ob nicht sein Name als Vertreter

Rolle der württembergischen Landeskirche

175

tungen so bald wie möglich dem Herrn Landesbischof behufs Herbeiführung der Beschlußfassung im Kollegium zuleiten soll." 6 Die Abschrift eines Verfassungsentwurfes liegt vor, die die handschriftliche Bemerkung enthält: „Dieser Entwurf wurde Herrn Prälat Schlatter von L[andes] B[ischof] Meiser zugesandt und dann vervielfältigt als Unterlage für die Kom[missions] Sitzung am 13. 3. 4 6 . " 6 a Zu diesem Verfassungsentwurf arbeitete Rudolf Weeber eine Stellungnahme aus, die das Datum vom 15. März 1946 trägt. Weeber lehnte den Entwurf ab. Da aber Teile seiner Argumentation in die offizielle Stellungnahme der württemgergischen Landeskirche vom 10. Juli 1946 zu dem am 20. Mai vom Lutherrat versandten Verfassungsentwurf eingegangen sind, sollen sie hier kurz dargestellt werden. Weeber argumentiert in seinem ersten Teil historisch, überprüft Württembergs Beteiligung am Lutherischen Rat, betont dabei die Vorbehalte, die Württemberg immer wieder angemeldet habe in Bezug auf die Grundbestimmungen und bemerkt, ,,daß eine bestimmte Umgrenzung des lutherischen Bekenntnisses, wie es im Verfassungsentwurf der luthferischen] Kirche in Deutschland (Art. 1) vorgesehen ist, in den Grundbestimmungen des lutherischen Rats nirgends vermerkt i s t . " Gegenüber der weit offeneren Konzeption des Lutherischen Rates könne man bei der V E L K D nicht mehr sagen, daß es sich „ u m eine organische Fortentwicklung (vgl. O K R Vorbehalt vom 14. 12. 1936 N r . 14411) des durch die Schaffung des luthferischen] Rats begonnenen Sammlungswerks handelt." Weeber kritisiert vor allem „ d a s völlige Absehen vom Bestehen einer E K D und vom tatsächlichen Erfolg des kirchlichen Einigungswerkes in der Deutschen ev[an]g[elischen] Kirche", sowie die in Art. 1 erstmalig formulierte „starke Hervorhebung einer bekenntnismäßigen Abgrenzung." Weeber stellt eine „grundsätzliche E n g e " fest, die den ganzen Entwurf beherrsche und es deswegen der württembergischen Landeskirche unmöglich mache, auf dieser Grundlage mitzugehen. „ D i e Uberordnung der Schrift über die Bekenntnisschriften der Reformation ist in Württemberg allgemein anerkannt, ebenso ist Abendmahlsgemeinschaft mit Unierten und Reformierten in Württemberg] rechtens. Ferner bestehen gegen das Taufverständnis der invariata grundsätzlich biblisch begründete Bedenken." 7 Württembergs gegenüber der V E L K D nach München gemeldet werden solle, da er durch einen Beschluß vom 6. 3. als Nachfolger von Pressel, der ausgeschieden sei, bestimmt worden sei (ebd.). Martin H a u g (geb. 1895), 1935 Direktor des Ev. Predigerseminars Stuttgart, 1943 O K R , 1946 Prälat und Stellvertreter des Landesbischofs, 1949-1962 Landesbischof der Ev.-luth. Landeskirche in Württemberg, 1952-1966 Mitglied des Rates der E K D . 6

6a

O K R STUTTGART, R e g . G e n . 119 e.

Ebd.

7

Ebd. [Fortsetzung S. 176].

Arbeit an der Verfassung der V E L K D

176

Auf der Sitzung des Verfassungssausschusses der Lutherischen Kirche in Neuendettelsau vom 18./19. März 1946 wurde der Verfassungsentwurf aufgrund der württembergischen Kritik überarbeitet. Dieser Entwurf von Neuendettelsau wurde vom Lutherrat am 17. April 1946 an die dem Rat angeschlossenen Kirchen versandt, mit dem Zusatz: „ N o c h streng vertraulich!" 8 Auf der Vollsitzung des Lutherrates in Treysa am 30. April 1946 wurde der Neuendettelsauer Text noch einmal beraten und im wesentlichen gutgeheißen 9 . Eine neue Vorlage, die die geringen in Treysa geäußerten Änderungswünsche berücksichtigt, wurde dann am 20. Mai 1946 an die Kirchenleitungen der dem Lutherrat angeschlossenen Kirchen mit der Bitte um eine Stellungnahme versandt 1 0 .

Der Verfassungsentwurf

vom 20. Mai 1946

Dieser erste amtliche Entwurf soll mit seinen Vorentwürfen verglichen werden, und zwar in Bezug auf die Aussagen über die Bekenntnisgrundlage, die Abendmahlsgemeinschaft, die Beziehungen zur E K D sowie zur Ökumene und über die Organe der geplanten vereinigten Kirche; Aussagen also mit einer unmittelbaren Bedeutung für die E K D , die deswegen auch von vielen Seiten immer wieder kritisiert worden sind. Zur Bekenntnisgrundlage heißt es in Artikel I des Entwurfes aus Hannover: „Unantastbare Grundlage der V E L K D ist das Evangelium von Jesus Christus nach dem in der ungeänderten Augsburgischen Konfession und den übrigen lutherischen Bekenntnisschriften bezeugten reformatorischen Verständnis." Ebenso Artikel II, 2: „ D i e Geltung der ungeänderten Augsburgischen Konfession ist unerläßliche Voraussetzung zur Zugehörigkeit für die V E L K D . " Der bayerische Entwurf stellte in Artikel I, 1 fest: „ D i e V E L K D ist eine Vereinigung von selbständigen Landeskirchen, die sich zur Ungeänderten Augsburgischen Konfession als der schriftgemäßen N o r m für die Verkündigung und die Sakramentsverwaltung der Kirche bekennen und den Willen haben, diese Bekenntnisbindung insbesondere auch für das Kirchenregiment und sein Handeln ernst zu nehmen." Rudolf Weeber (geb. 1906) Dr., 1944 OKR, 1955 Vizepräsident Ev. Oberkirchenrat Stuttgart, 1974-1977 Vorsitzender des Gemeinschaftswerks der Ev. Publizistik, 1967-1972 Mitglied des Rates der EKD. 8

O K R STUTTGART, R e g . G e n . 1 1 9 e.

Vgl. Aktennotiz von Schlatter für Lempp und Wurm vom 2. 5. 1946. Schlatter schlug vor, mit dem Landesbruderrat eine Aussprache herbeizuführen, sobald der Text von Treysa verfügbar sei (ebd.). 9

10

A b s c h r i f t ( L K A STUTTGART, D 1 / 2 2 9 ) . A b g e d r u c k t i n : F Ü R ARBEIT UND BESINNUNG

1, 1 9 4 7 , S . 78

ff.

Verfassungsentwurf v o m 20. 5. 1946

177

Auch der an Schlatter übermittelte Entwurf lautete in seinem 1. Artikel: „ D i e V E L K D ist eine Vereinigung von Kirchen, die sich zu den Bekenntnissen der evang.-lutherischen Kirche, insbesondere zur Ungeänderten Augsburgischen Konfesssion als der schriftgemäßen N o r m für die Verkündigung und Sakramentsverwaltung der Kirche bekennen und den Willen haben, die Bekenntnisbindung, insbesondere auch für das Kirchenregiment und sein Handeln ernst zu nehmen." Im Entwurf von Neuendettelsau nun die entscheidende Änderung, die auch im amtlichen Entwurf beibehalten wurde: Grundlage ist das Evangelium von Jesus Christus, nun aber, „ w i e es in der Heiligen Schrift Alten und Neuen Testaments gegeben ist und in der Augsburgischen Konfession, sowie den übrigen lutherischen Bekenntnisschriften bezeugt ist." Die ungeänderte C A ist gestrichen und die Schrift ist den Bekenntnisschriften wenigstens nebengeordnet 1 1 . Ubereinstimmend wurde in allen Entwürfen volle Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft vorgeschlagen. Die Abendmahlsregelung wurde besonders heftig kritisiert, da sie exklusiv verstanden wurde und damit für die E K D die Möglichkeit des Kircheseins ausgeschlossen war, was besonders im Blick auf die konfessionelle Umschichtung durch die Flüchtlinge als großer Mangel empfunden wurde. In dem Entwurf aus Hannover regelt der Artikel III, 2 die Zusammenarbeit mit den anderen Kirchen: „ M i t der Evangelisch-Refomierten und der Evangelisch-Unierten Kirche in Deutschland fühlt sie sich durch die geschichtlich gewordene Lebensgemeinschaft aller deutschen evangelischen Kirchen verbunden. Sie arbeitet mit ihnen an den gemeinsamen Aufgaben auf den Gebieten des Rechtslebens, der Schule und Erziehung, der Liebestätigkeit und sozialen Arbeit und des bekenntnismäßig nicht gebundenen Vereinswesens und hilft an ihrem Teile die gemeinsamen Interessen des deutschen Protestantismus vertreten." Dieser Entwurf geht als Aufbauprinzip für die E K D von der konfessionellen Drei-Säulen-Theorie aus: die Lutherische, die Unierte und die Reformierte Kirche arbeiten in einem Zweckverband zusammen, wobei etwa 80 Prozent des deutschen Protestantismus in der Lutherischen Kirche organisiert wäre. 1 1 Vgl. die Kritik W e e b e r s ; auf der Lutherratssitzung in F u l d a am 15. u n d 16. 10. 1947 (vgl. unten S. 3 3 5 f . ) w u r d e aber schon korrigiert: „ I n der seit einiger Zeit schon von mehreren Seiten angeschnittenen Frage, o b mit der A u g s b u r g i s c h e n K o n f e s s i o n in A r t . 1, 1 des V e r f a s s u n g s e n t w u r f e s der V E L K D die C o n f e s s i o n A u g u s t a n a invariata gemeint sei oder nicht, w u r d e v o m Lutherrat eindeutig festgestellt, daß etwas anderes nie infrage g e k o m m e n sei, und daß im endgültigen T e x t der V e r f a s s u n g der V E L K D auf jeden Fall die C . A . invariata von 1530 ausdrücklich genannt werden m ü s s e " ( O K R STUTTGART, R e g . G e n . 119 e).

178

Arbeit an der Verfassung der VELKD

Auch der bayerische Entwurf geht von der Drei-Säulen-Theorie aus. Er formuliert in Artikel VI ganz ähnlich wie der Hannoveraner Entwurf. Eine Neuerung bringt die Formulierung in dem von Meiser übersandten Entwurf: „Sie hat in enger Gemeinschaft mit den Evangelisch-Reformierten und Evangelisch-Unierten Kirchen in Deutschland die geschichtlich gewordene Lebensgemeinschaft aller deutschen evangelischen Kirchen zu pflegen, an den gemeinsamen Aufgaben mitzuarbeiten sowie die gemeinsamen Interessen des deutschen Gesamtprotestantismus vertreten zu helfen." Hier wird nicht mehr von konfessionellen Blöcken ausgegangen, sondern richtig von reformierten und unierten Kirchen. Gemeinsame Interessen und gemeinsame Aufgaben bleiben Undefiniert, wodurch die gesamte Bestimmung viel offener bleibt. Artikel V, 8 der Neuendettelsauer Fassung lautet: „Sie pflegt mit den ev[angelisch]-reform[ierten] und evang[elisch]-unierten Kirchen in Deutschland die ihr im Kampf um das Bekenntnis geschenkte Gemeinschaft aller deutschen evangelischen Kirchen und arbeitet an den gemeinsamen Aufgaben mit." Diese Fassung ist gegenüber den früheren Fassungen konkreter in ihrer Aussage über den Charakter der besonderen Gemeinschaft der evangelischen Kirchen. Die entscheidende Phase für das Zuammenwachsen der Kirchen, der Kirchenkampf, wird immerhin genannt 12 . In dem amtlichen Text wurde dann zum ersten Mal der Bezug zur EKD deutlich hergestellt durch den Zusatz: ,,. . . und in der Erklärung von Treysa bestätigte Gemeinschaft . . .". Auf der Vollsitzung des Lutherrates in Treysa wird dieser Zusatz von denjenigen lutherischen Bischöfen gefordert worden sein, die einen engeren Bezug zwischen VELKD und EKD wünschten. Im Entwurf aus Hannover lautet der Artikel III, 1: „Mit den lutherischen Kirchen der Welt pflegt die VELKD Gemeinschaft im Lutherischen Weltkonvent." Artikel III, 3: „ I n der ökumenischen Arbeit der gesamten Christenheit beteiligt sich die VELKD auf dem Grunde des lutherischen Bekenntnisses." Der bayerische Entwurf formuliert ganz ähnlich; die Arbeit im lutherischen Weltkonvent wird zuerst betont, dann folgt der Blick auf die gesamte Christenheit, an deren Arbeit die VELKD sich aber nur „auf dem Grunde des lutherischen Bekenntnisses" beteiligt. Diese Einschränkung fehlt dann aber schon im Entwurf von Meiser an Schlatter, wo es heißt: „Sie wird mit den anderen luth. Kirchen der Welt im luth. 12

Vgl. die offizielle ,.Begründung" zu dem Entwurf von Neuendettelsau: „ A r t . V ist vorwiegend programmatisch. Dabei gibt er in Z[iffer] 8 den Willen der VELK kund, in der EKiD mit den reformierten und unierten Kirchen zusammenzuarbeiten. Der Ausdruck EKiD ist nur vermieden, weil dieser Name noch nicht endgültig feststeht" (LKA STUTTGART, D

1/229).

Verfassungsentwurf v o m 2 0 . 5. 1 9 4 6

179

Weltkonvent zusammenarbeiten und sich an der ökumenischen Arbeit der gesamten Christenheit beteiligen." Im Neuendettelsauer Entwurf und im amtlichen Text ist dann auch noch die Einschränkung in Bezug auf die Zusammenarbeit mit den lutherischen Kirchen der Welt gestrichen; sie ist nicht mehr auf den lutherischen Weltkonvent allein bezogen. Die Beziehungen sowohl der V E L K D als auch der E K D zu den ökumenischen Organisationen waren zu dieser Zeit sehr schwierig, da beide Kirchenvereinigungen noch Undefiniert waren. Ebenso war noch nicht geklärt, nach welchem Modus der ökumenische Rat Mitglieder aufnehmen würde. In bezug auf die V E L K D ging es darum, ob nur die V E L K D Lutheraner in den lutherischen Weltorganisationen vertreten sein sollten, ober ob auch die Lutheraner aus der Altpreußischen Union (Detmolder Kreis) ein Mitgliedsrecht besäßen. So kam es auch bei der Auswahl der Delegation für die Tagung des Lutherischen Weltkonvents in Lund im Juli 1947 zu einer Auseinandersetzung zwischen Meiser und Asmussen. Asmussen verlangte als Sprecher des Detmolder Kreises auch für die nicht in der V E L K D organisierten deutschen Lutheraner eine Vertretungsmöglichkeit. Meiser und Lilje hatten ursprünglich nur die Kirchen bedacht, die sich der V E L K D anzuschließen gedachten, nahmen dann aber, durch Asmussens Aktion veranlaßt, auch Verteter anderer lutherischer Kirchen und Gemeinden in die Delegation auf 1 3 . Der Entwurf aus Hannover hatte als Organe den lutherischen Erzbischof, den Rat der lutherischen Kirchen (Rat), die lutherische Bischofskonferenz ( B K ) , die lutherische Kirchenkanzlei ( L K K ) und die deutsche lutherische Synode (Synode) vorgesehen. Der bayerische Entwurf beschränkte sich auf vier Organe. Die gesetzgebenden sind die Bischofskonferenz und die Generalsynode, die vollziehenden der leitende Bischof und das Oberkonsistorium 1 4 . Die Fassung von Neuendettelsau enthält eine Mischung aus hannover13

Vgl.

den Brief v o m 4 . 2.

1947,

in d e m Asmussen Stählin auf den

Tatbestand

aufmerksam m a c h t und ihn auffordert, etwas gegen die Diskriminierung v o n Seiten der V E L K D zu u n t e r n e h m e n : „ I c h bitte die Oldenburgische Landeskirche zu erwägen, o b nicht auch sie im lutherischen W e l t k o n v e n t vertreten sein müsse, und auf welche Weise sie dieses zu erreichen gedenkt . . . " Asmussen weist dann darauf hin, daß die Klärung der lutherischen F r a g e dringend sei. Sie k ö n n t e bedeutungsvoll für die E K D sein: „ D a ß sie die ökumenischen Beziehungen in zwingender W e i s e tangiert, dürfte auf der H a n d liegen" ( A E K D , 0 1 2 B d . II). 14

„ D i e bischöfliche Verfassung ist nicht G e s e t z , wird aber als die unserer Kirche a m

besten angemessene Verfassung festgehalten, mit einem guten Nebeneinander v o n episkopalem und synodalem E l e m e n t . Bischofskonferenz und Generalsynode als gesetzgebende, E r z b i s c h o f o d e r Primas o d e r leitender B i s c h o f und Kirchenkanzlei oder O b e r k o n s i s t o r i u m als vollziehende O r g a n e gewährleisten einen klaren A u f b a u " ( C H R . STOLL, L a g e , S. 6).

180

Arbeit an der Verfassung der V E L K D

sehen und bayerischen Vorstellungen: lutherische Bischofskonferenz, leitender Bischof als der Primas, lutherische Kirchenkanzlei, Generalsynode, der ständige Ausschuß der Generalsynode. Im letzten amtlichen Text ist der Primas wieder gestrichen, der offensichtlich sowieso von Stoll und Liermann eigenmächtig eingeführt worden war 1 5 . Zusammenfassend kann man feststellen, daß die ursprünglichen Entwürfe aus Hannover und Bayern durch Überarbeitungen des Verfassungsausschusses und Änderungswünsche der Vollsitzung des Lutherrates weniger lutherisch exklusiven Charakter annahmen. Auffallend ist die herausragende Stellung des Bischofsamtes in allen Entwürfen. An diesem Punkt wird ein wichtiger Unterschied zur E K D - O r d n u n g deutlich. In Treysa 1945 war nie die Rede von einem leitenden Bischof für die E K D , und auch in der Grundordnung von 1948 kommt das Wort Bischof nicht vor. Die Lutheraner konnten einem brüderlichen Leitungsorgan für die E K D sicherlich nur zustimmen, weil dieses in allen entscheidenden, das Bekenntnis betreffenden Fragen ohnehin keine Befugnisse hatte und dadurch das lutherische Amtsverständnis nicht zu unterminieren vermochte.

15 Vgl. die Aktennotiz Schlatters an Landesbischof Wurm und Lempp vom 2. 5. 1946: „ I n der Sitzung des Lutherischen Rates in Treysa am 30. April 1946 wurde erneut die Verfassung einer V E L K D durchberaten. Die Vorlage, wie sie auf Grund der Beratungen in Neuendettelsau vom 19. März gestaltet war (in einigen Punkten haben die letzten Bearbeiter, O K R Stoll und Prof. Liermann, Erlangen, von sich aus einen neuen Text geschaffen, ζ. B . darin, daß sie dem leitenden Bischof den Titel,Primas' beilegten), wurde im Wesentlichen gutgeheißen; an einigen Stellen wurden Änderungen gewünscht' ( O K R

STUTTGART, R e g . G e n . 1 1 9 e ) .

Kapitel 14 C H R I S T I A N STOLL: „ D I E LAGE D E R L U T H E R I S C H E N KIRCHE I N N E R H A L B DES D E U T S C H E N GESAMTPROTESTANTISMUS"

Die allgemeinen und öffentlichen Auseinandersetzungen um die VELKD begannen mit der Veröffentlichung des Aufsatzes von Oberkirchenrat Christian Stoll am 18. Mai 1946 1 , genau zwei Tage bevor der Lutherrat den Verfassungsentwurf für die V E L K D an die dem Lutherrat angeschlossenen Kirchen verschickte. Zwar wurde von lutherischer Seite versucht, die Wirkung des Aufsatzes abzumildern durch den Hinweis auf den Privatcharakter der Arbeit 2 , aber selbst Georg Merz nannte noch am 4. September 1946 in einem Brief an Wurm die Veröffentlichung des Aufsatzes von Stoll einen „katastrophalen Zwischenfall", der nicht unwesentlich zu den Schwierigkeiten innerhalb der EKD beigetragen habe 3 . 1 In: Nachrichtenblatt für die Ev.-Luth. Geistlichen in Bayern N r . 3, hg. im Auftrag des Evang.-Luth. Landeskirchenrates vom Ev. Presseverband für Bayern. 2 Vgl. den Bericht Beckmanns über das 1. Neuendettelsauer Gespräch: „ D e r Artikel von Stoll wurde in diesem Zusammenhang eingehend erörtert und auch seine Formulierungen richtig gestellt . . . Es wurde übrigens festgestellt, daß es sich bei dieser Arbeit um keine offizielle Äußerung des luth. Rats gehandelt habe, sondern um einen persönlichen Bericht auf Grund eines Vortrags" (LKA DARMSTADT, 36/22). Vgl. dazu die Notiz im

INFORMATIONSDIENST DER E V A N G . - L U T H . K I R C H E v o m 1 5 . 1. 1 9 4 6 : , , L B M e i s e r h a t t e i n

Neuendettelsau für den 17./18. 12. 1945 bayerische Theologen zusammengerufen, um aktuelle Fragen zu erörtern. In Referaten und Koreferaten wurden folgende Themen behandelt: ,Die Lage der lutherischen Kirche innerhalb des deutschen Gesamtprotestantismus' (Dekan Stoll - Pfarrer Lie. Fror)." Als bewußt eingesetzten Test ordnete Asmussen auf der Bruderratstagung am 16./17. 7. 1946 die Veröffentlichung ein: „ D e r Artikel von Stoll ist so verstanden worden, daß er eine offiziöse Arbeit vorstellt, um daraus zu lernen und zu sehen, wie wohl die Zustimmung innerhalb der E K D angesichts der Pläne des Lutherrates ist" (Protokoll; LKA DARMSTADT, 36/22). Stoll schrieb am 1. 7. 1946 an Iwand über die Hintergründe der Veröffentlichung seines Aufsatzes: „Meinen so aufregenden Artikel, der ein von mir erstattetes Referat in einem amtsbrüderlichen Kreis wiedergibt, habe ich auf Wunsch zum Druck zur Verfügung gestellt, ohne die Spur des Willens zum R u m o r " (AEKD, 012 Bd. I). Kurt Fror (1905-1980), Dr. theol., 1936 Pfr. München, 1948 Beauftragter für kirchliche Unterweisung in der bayerischen Landeskirche, 1952 Prof. für Pädagogik und Didaktik Erlangen. 3 „Als eine mir schwer begreifliche Voreiligkeit erscheint mir die Veröffentlichung des kleinen Aufsatzes von Christian Stoll. Er hat dann die Gegenwirkungen zur Folge gehabt,

182

Stoll: „ D i e Lage der Lutherischen Kirche"

Der Aufsatz Stolls und die Entgegnungen Iwands und Niemöllers haben eine weite Verbreitung gefunden4. Iwands Antwort lautete: „Ende der E K i D ? " , die von Niemöller trägt den Titel: „Vor einer neuen Aufspaltung der evangelischen Christenheit in Deutschland?" Alle drei Texte wurden ζ. B. zusammen als Aufsatzreihe mit dem Titel „ E K i D oder nicht?" vom Evangelischen Vortragsdienst in der Mark herausgegeben 5 .

,,Die Lage der Lutherischen Kirche innerhalb des deutschen Gesamtprotestantismus" Stolls Aufsatz beginnt mit einem Uberblick über den Weg der lutherischen Kirche in Deutschland, der mit der bedauernden Feststellung endet, daß eine „einheitliche lutherische Kirche unter einem Primas in Deutschland" nicht habe entstehen können. Das Hauptanliegen dieses geschichtlichen Teils ist es, den Gegner des Luthertums, nämlich die Union, herauszustellen: sie sei verantwortlich für den Verfall des Luthertums, sie hindere den lutherischen Zusammenschluß. Und der „Geist der Union" breite sich weiter aus, ζ. B. besonders durch die Fakultäten 6 . Ebenso wird die Bekennende Kirche ganz in der Nachfolge der Union gesehen, denn beide leben unter einer faktischen Bekenntnislosigkeit" 7 . Daran ändere in Bezug auf die Bekennende Kirche auch der Hinweis auf Barmen nichts; sie habe als Basis doch nur das „gemeinsame Kampferlebnis" und eine „allgemeine geistliche Verbundenheit." die nun in der ablehnenden Haltung Württembergs ihre vorläufige Zusammenfassung gefunden h a t " ( L K A STUTTGART, D 1/213). 4 Vgl. den Bericht im Kirchenblatt für die Reformierte Schweiz, N r . 16 vom 15. 8. 1946 mit dem Titel: „Separationsbestrebungen der Lutheraner in Deutschland", in dem Niemöllers Entgegnung positiv gewürdigt wird. Am 25. 5. 1946 schreibt die Kirchenkanzlei der E K D an Marcel Sturm: „Gestern habe ich mir erlaubt, Ihnen u. a. das Bayerische Kirchliche Nachrichtenblatt mit einem Artikel Oberkirchenrat Stolls zu übergeben. U m der Sache willen ist es notwendig, Ihnen in Kürze einige Ausführungen zur Kenntnis zu bringen, die zur Kritik dieses Artikels ebenfalls aus der Bayerischen Landeskirche stammen" ( A E K D , 012 Bd. I). Marcel Sturm (geb. 1905), Pfr., 1945 ref. Feldbischof der französischen Besatzungsarmee in Deutschland. 5 Evangelischer Vortragsdienst in der Mark, Dortmund-Hombruch, Löttringhauserstr. 74; zitiert wird nach dieser Zusammenstellung. 6 Diese Ausführungen veranlaßten Niemöller zu der Bemerkung, daß es dem Verfasser noch einmal darauf ankomme, zu beweisen, „daß nämlich alles Unheil von der Union und aller Segen vom Luthertum h e r k o m m t " ( E K i D oder nicht?, S. 16). 7 Iwand bemerkt zu dieser Parallelität: „ A b e r auch dann, wenn nun wirklich das Unrecht der Union nicht ruhen soll, müßte man uns wenigstens soviel Gerechtigkeit widerfahren lassen, als Bekennende Kirche nicht in den Farben der Union von 1817 - man faßt sich wirklich an den K o p f - den Lesern vor Augen gemalt zu werden" (ebd., S. 11).

Lage der Lutherischen Kirche

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Mitten in diesen Bedrohungen biete sich heute vielleicht zum letzten Mal die „occasio" für einen lutherischen Zusammenschluß, denn von Seiten des Staates lägen keine Hemmnisse mehr vor. Stoll spricht in diesem Zusammenhang nicht von der Schwäche der Altpreußischen Union, aber aus anderen lutherischen Äußerungen ist diese als Kriterium für die „occasio" bekannt. Der lutherische Zusammenschluß bedeute aber nicht nur die Schaffung einer Verfassung, sondern auch die Durchdringung des gesamten kirchlichen Lebens, „also ζ. B. in ihrer Kirchenordnung, in ihrer gesamten kirchlichen Praxis." Stoll betont, wie nötig gerade diese Erneuerung sei, denn es sei zu lange ein Luthertum geduldet worden, „das durch seine theologische und kirchliche Haltung mitgeholfen hat, uns dahin zu bringen, wo wir uns nun vorfinden." Asmussen anerkannte in einem sonst kritischen Brief vom 17. Juni 1946 an Stoll gerade die hier von Stoll geleistete Differenzierung, und er würdigte dessen Bekenntnis zur Mitschuld an lutherischen Fehlleistungen 8 . Die lutherischen Gemeinden in der Altpreußischen Union werden von Stoll aufgefordert, sich auf ihren Bekenntnisstand zu besinnen und sich der Vereinigten lutherischen Kirche anzuschließen 9 . Diese VELKD werde dann mit den reformierten und unierten Kirchen in der EKD als Bund, als Föderation, zusammenbleiben. Mehr könne die EKD für die Lutheraner nicht sein, für die der Kirchenbegriff nach CA VII unbedingt gelte. Als Strukturelemente des bereits vorliegenden Verfassungsentwurfs nennt Stoll Bischofskonferenz und Generalsynode, Primas oder leitenden Bischof, Kirchenkanzlei oder Oberkonsistorium. Um klare Verhältnisse in der EKD zu schaffen, fordert Stoll von den Reformierten, sich wie die Lutheraner zu ordnen und von den Unierten, sich entweder aufzugliedern oder sich ein Unionsbekenntnis zu geben. Dann erst könnten sich die zwei oder drei Kirchen zu einem Bund zusammenschließen 10 . Da der Abendmahlsartikel das Fundament einer Kirche 8 „Zunächst lassen Sie mich dafür danken, daß Sie auf Seite 12 rechts unten sich abzusetzen versuchen von denen, die in den letzten Jahren nach Luther gerufen und Hitler gemeint haben. Uber diese Frage muß noch ausführlich gesprochen werden; denn was im Zusammenhang mit ihr zu sagen ist, das steht noch unausgesprochen zwischen uns" (AEKD, 012 Bd. I). 9 Vgl. Beckmanns Bericht über Neuendettelsau für den Bruderrat: „Ferner wurde ausdrücklich von D. Meiser erklärt, es seien keinerlei Eingriffe in den Status der Unionskirchen geplant und darum auch in dem Verfassungsentwurf vorgesehen, daß keine luth. Gemeinde, die unter einem anderen Kirchenregiment steht, sich der luth. Kirche anschlie-

ß e n k ö n n t e " ( L K A DARMSTADT, 36/22). 1 0 Asmussen auf der Bruderratstagung vom 16./17. 7. 1946: „Der Artikel von Stoll gefiel in der These, daß die Bildung der lutherischen Kirchen unter der Voraussetzung geschah, daß vor allem die Unierte Kirche keine Kirche sei. Die Brüder haben sich überall

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Stoll: „ D i e Lage der Lutherischen K i r c h e "

betreffe und darin keine Einigkeit zwischen Reformierten und Lutheranern bestehe, gelte zwischen ihnen noch das Gebot der Kirchentrennung.

Die Entgegnungen

Iwands und

Niemöllers

Iwand und Niemöller gingen mit verschiedenen Akzentuierungen in ihren Entgegnungen auf alle fünf Punkte Stolls ein. Dabei konzentrierte sich Iwand darauf herauszuarbeiten, daß mit der lutherischen Lösung die Bekennende Kirche und die Evangelische Kirche in Deutschland bedroht seien, wie seine Uberschrift „Ende der E K i D ? " schon sagt, und er versuchte, gegen Stolls lehrmäßigen bekenntnisgebundenen Kirchenbegriff das Kirche-sein der Bekennenden Kirche und damit auch der E K D aus anderen Quellen zu begründen und durch andere Kriterien zu umschreiben. Niemöller kritisierte vor allem die „Methode der Durchführung" an dem lutherischen Projekt, wobei diese natürlich nicht ohne Bezug auf die Inhalte zu sehen ist. So zieht Niemöller, indem er die Geheimhaltungspolitik und das ,frischfröhliche Konstruieren" anprangert, immer wieder Rückschlüsse auf die dahinterliegenden „eigenmächtigen gewählten Wünsche, Zwecke und Pläne", auf ein Vorgehen also, das schon in der Barmer Erklärung als falsche Lehre aufgedeckt und verworfen wurde. Bereits der erste Satz in Iwands Entgegnung 11 zeigt deutlich die Erschütterung, die Stolls Aufsatz auslöste: „ I m Nachrichtenblatt für die Evang.-Luth. Geistlichen in Bayern veröffentlicht unter dem 18. Mai d. J . Herr Oberkirchenrat Stoll einen Artikel über die ,Lage der lutherischen Kirche innerhalb des deutschen Protestantismus', der so bedeutsame und sensationelle Zielsetzungen für die künftige Gestaltung der Evangelischen Kirche in Deutschland und die kirchenpolitische Taktik der Lutheraner gegenüber den Kirchen, die sich ihnen nicht anschließen wollen, enthält, daß er weit über Bayern hinaus Beachtung finden wird und Beachtung verdient. Er geht die ganze evangelische

gefragt, ob nicht mit Notwendigkeit aus dieser These folge, daß nicht einmal ein Kirchenbund möglich sei innerhalb der E K D , denn man kann ja einen Kirchenbund nur mit Kirchen schließen. Wenn aber die unierten Kirchen keine Kirchen sind, dann kann es keinen Kirchenbund geben" (ebd.). 1 1 S. 8 - 1 5 in der Aufsatzreihe „ E K i D oder nicht?" Iwand hatte seine Entgegnung als Rundschreiben verschickt. A m 1. 7. 1946 bedankte sich Stoll für die Zusendung ( A E K D , 012 Bd. I). Vgl. dazu auch Asmussen auf der Bruderratstagung v o m 1 6 . / 1 7 . Juli 1946: „ F ü r die Wirkung, die dieser Artikel von Stoll hatte, ist bezeichnend ein Schreiben von Prof. Iwand, das weit verbreitet worden ist, , E n d e der E K D ? ' . "

Entgegnungen Iwands und Niemöllers

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Christenheit in Deutschland und die Bekennende Kirche im besonderen an. Er greift ein Thema auf, das über kurz oder lang entschieden werden muß, wenn der Weg der Evangelischen Kirche klar und offen sein soll, und zu dem die verantwortlichen Männer in den einzelnen evangelischen Landeskirchen maßgeblich werden Stellung nehmen müssen." Iwand selbst sieht in der Durchführung der lutherischen Pläne den „ T o d e s s t o ß " für die Bekennende Kirche, damit aber auch für die E K D , so wie sie in Treysa beschlossen worden ist. Denn für die Einheit der E K D sei die Einheit der Bekennenden Kirche die Basis, wie es in der Vorrede der vorläufigen Ordnung formuliert worden sei. Deswegen sind auch die Vertragspartner von Treysa aufgerufen, die in Treysa unter bestimmten Voraussetzungen gebildete E K D neu zu überdenken. Käme nämlich die von Stoll angekündigte Organisation zur Durchführung, dann wäre das das „Ende jener auf gegenseitiger Gleichberechtigung beruhenden Einheit der verschiedenen im Rat der E K i D zusammengeschlossenen deutschen evangelischen Kirchen." Iwand interpretiert Stolls Aufsatz als „das kirchenamtliche Signal zur Retirade", als Rückzug in die Stellungen des 16. und des 19. Jahrhunderts. Aus diesen Positionen heraus solle jetzt schnell, ehe die günstige Stunde vorbeigehen könnte 1 2 , die lutherische Kirche gebaut werden, und zwar von oben, ohne vorher für ein tragfähiges Fundament gesorgt zu haben, wie Stoll selbst zugebe. Mit dem Argument der „ o c c a s i o " , der günstigen Gelegenheit, verstoßen die Lutheraner, wie Iwand meint, gegen ihre in Barmen feierlich abgelegte Verpflichtung, es Gott zu überlassen, was aus der bezeugten Einheit des Glaubens und Bekennens werden würde. In der V E L K D kann Iwand nur eine Kirche der menschlichen Machtbedürfnisse sehen. Iwand nimmt Stolls Polemik gegen die Bekennende Kirche auf und versucht aus ihren Kennzeichen das Bild einer Kirche zu zeichnen, die unter Kämpfen und Leiden gewachsen ist und heute in der E K D geglaubt und gelebt wird. Mit traditionellen Maßstäben sei sie allerdings nicht zu messen, und deswegen könne sie nicht „das Gesicht tragen, das nach der unfehlbaren Meinung der Konfessionellen dafür apriori festgelegt ist". Im Gegenteil, sie mache die Grenzen des Konfessionalismus sichtbar. „Darum ist die Bekennende Kirche keine Sache, die man lediglich mit dem Maßstab des traditionellen Luthertums oder Refor1 2 Iwand rechnete dazu auch das Interesse der amerikanischen Lutheraner, die in der Nachkriegssituation politische und finanzielle Wirkungsmöglichkeiten hatten. Besonders den Stollschen Geschichtsrevisionismus schätzt er als „das zugkräftigste Mittel für die Werbung diesseits und jenseits des großen Wassers" ein. Zum Geschichtsrevisionismus hat E m s t Wolf eine längere Anmerkung an Iwands Aufsatz angefügt.

Ernst W o l f ( 1 9 0 2 - 1 9 7 1 ) , D r . theol., 1931 Prof. für Kirchengeschichte B o n n , 1935 Halle, 1945 Göttingen.

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Stoll: „ D i e Lage der Lutherischen Kirche"

miertentums wird begreifen können, wir sind nicht mehr die, die wir waren, wir sind es weder kirchlich noch politisch. Herausgerufen aus unserem ,Vaterland* sind wir in Marsch gesetzt und müssen nun auf dem "Wege bleiben." Iwand ist durchaus der Meinung, daß eine „engere Verbindung der lutherischen Kirchen, des lutherischen Bekenntnisses und der lutherischen O r d n u n g " zu bejahen sei, wenn zwei Grenzen beachtet werden: 1. „Wir können die Abendmahlsgemeinschaft mit den reformierten Brüdern nicht mehr aufgeben . . . Wir haben nicht darüber zu entscheiden, ob Luther und Zwingli sich einigen konnten, sondern wir haben von der Freiheit des Glaubens Gebrauch zu machen, wenn eine neue Situation solche Abendmahlsgemeinschaft mit unseren reformierten Brüdern möglich macht." 2. Wir können „ d i e Einheit der evangelischen Kirche nicht eintauschen gegen die Aufspaltung derselben in drei Kirchen, in eine lutherische, reformierte und eine dritte, freilich für diese beiden anderen zur Aufteilung bestimmte, unierte." Damit hat Iwand die beiden Punkte genannt, die dann im Zusammenhang mit der Grundordnung der E K D am heftigsten umstritten waren. Die Abendmahlsgemeinschaft konnte 1948 noch nicht positiv und verbindlich für die E K D formuliert werden, während das Drei-SäulenSystem als Aufbauprinzip der E K D abgewendet werden konnte. Der Bruderrat hat dann in Eisenach dieser Lösung dennoch zugestimmt, nicht leichten Herzens, aber der Einsicht folgend, daß etwas anderes zu dem Zeitpunkt nicht möglich war. Iwand konnte im Juli 1946 noch sagen, daß nur von einer Einheit her, die die oben genannten Merkmale erfülle, die Evangelische Kirche ein „echter Kirchenbund" sein könne; „wer sie nicht zum Ausgangspunkt der Neuregelung macht, wird über eine lose Föderation nicht hinauskommen." Die Grundordnung von 1948 ist dann auch ein Gebilde zwischen einem „echten Kirchenbund" und einer Föderation geworden. Erst die neue Grundordnung von 1974 versucht, innerhalb der E K D einen echten Kirchenbund zu verwirklichen. Iwands Konzept des echten Kirchenbundes, das die Kirchen der Reformation bestehen läßt, aber die ehemals kirchentrennenden Artikel als solche nicht mehr anerkennt und damit die Abendmahlsgemeinschaft ermöglicht, steht dem heute in der Ökumene diskutierten Konzept der Kirchengemeinschaft nahe 1 3 . 1 3 Vgl. dazu auch unten S. 225 f. über das Memorandum Mochalskis vom Februar 1946, in dem das „Wesen der E K D " ähnlich wie bei Iwand umschrieben wird. Bei den Lutheranern stieß das Memorandum auf totales Unverständnis.

Entgegnungen Iwands und Niemöllers

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Hier wäre schon 1946 für einige lutherische Kirchen ein Ansatzpunkt gewesen, in eine konstruktive Auseinandersetzung über die Ordnung der EKD einzutreten, anstatt das, was nicht ihrem eigenen Kirchenverständnis entsprach, sogleich als „unionistisch" abzulehnen. Symptomatisch ist Stolls Frage am Schluß seines Aufsatzes, nachdem er dargelegt hat, daß die EKD nur als Bund konstituiert werden könne, ob denn etwa „der Kirchenbegriff der k[öni]gl[ich] preußischen Union' zum gültigen erhoben" werden solle? 14 . Auch Niemöller sieht in Stolls Aufsatz ein kirchenamtliches Zeugnis, hinter dem die offizielle Politik der bayerischen Landeskirche, des Ratsmitgliedes Meiser und des Lutherrates stehen. Er sagt: „Man könnte diesen Artikel zu einer Reihe von ähnlichen legen und auf sich beruhen lassen, wenn er sich nicht mit deutlicher Polemik gegen den Weg der Bekennenden Kirche in den vergangenen Jahren richtete und eine Linie fortsetzte, die bereits mit der Berichterstattung des ,Evang.Luth. Landeskirchenrats' vom 30. 9. 1945 über die Kirchenführerkonferenz in Treysa begonnen wurde und wenn nicht aus einer zweckbestimmten Schau der vorangegangenen Entwicklung Schlüsse gezogen würden, die eben eine neue Aufspaltung der evangelischen Christenheit in Deutschland befürchten lassen." 15 Die Geheimhaltungspolitik des Lutherrates analysiert Niemöller sowohl von ihren Motiven als auch von ihrer Zielrichtung her. Da das Hauptargument für den lutherischen Zusammenschluß ganz wesentlich die „occasio" sei, die Angst, „man könnte zu spät kommen und heute etwas unterlassen, was zu tun morgen schon nicht mehr möglich sein könnte", also Zeitdruck und menschliche Vorsorge Motive des Handelns sind, sieht Niemöller hier den Grund für die „lange und sorgfältige Geheimhaltung dieser ganzen Bestrebungen." Verständlich sei, so meint Niemöller, aus der Sicht der Lutheraner, daß man diese Geheimhaltung vor den Unions-Lutheranern praktiziere, „die man allenfalls der ,weiteren Bekennenden Kirche' noch zurechnet, denen man aber als Lutheranern nicht traut, weil sie sich weigern, das Bekenntnis der Väter an die Stelle von Gottes Wort zu setzen, die darum das Lutherische Bekenntnis nicht als goldenes Kalb anzubeten gewillt sind, sondern immer wieder nach der Rechtfertigung des Bekenntnisses vor dem Worte Gottes fragen, und die es für durchaus möglich halten, daß das Lutherische Bekenntnis heute nicht mehr ausreichen könnte zur Fest14 Asmussen schrieb schon am 26. 10. 1945 an Meiser, um seine Bedenken als „lutherischer Pfarrer" gegen den so geplanten Zusammenschluß der lutherischen Kirche, unter Nichtbeachtung der fundamentalsten Voraussetzungen, auszusprechen: ,,Wer mich als ,Unionisten' zu erledigen versucht, macht sich die Sache zu leicht, vorausgesetzt, daß seine Polemik ihn überhaupt noch ehrlich bleiben läßt" (AEKD, 012 Bd. I). 15 Aufsatzreihe, S. 16-19.

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Stoll: „ D i e Lage der Lutherischen Kirche"

Stellung des consensus wie des dissensus de doctrina und daß gar die Bekenntnisunterschiede gar nicht echten kirchentrennenden Charakter haben könnten?!" Unverständlich sei dagegen, warum man diese Pläne ebenfalls vor den „eigenen lutherischen Gemeinden" verheimliche. Sollten sie ebenso „unzuverlässig" sein? Sollte es zu schwierig sein, den Gemeinden klarzumachen, warum man „jetzt, da das Gespräch unter uns allen begonnen hat und weitergehen müßte", erneut mit der Trennung ernstmachen muß? Und damit kommt Niemöller zum Zentrum seiner Kritik. Er fordert von den Befürwortern der VELKD, den Beweis anzutreten, warum es heute und jetzt „um Jesu Christi willen" und um der „Seelen Seligkeit willen" geboten sei, die Kirchentrennung zu propagieren und die Gemeinschaft der evangelischen Christen am Tisch des Herrn zu unterbinden. Niemöller sieht überall „vorläufige Werte und Maßstäbe" an der Arbeit, aber „was eigentlich der Herr seiner Kirche zu sagen hat", danach werde nicht gefragt. Gegen die Abendmahlsgemeinschaft argumentiere man mit 1529, aber man sollte mit dem Worte Gottes argumentieren. „Und man soll uns so mit dem Worte Gottes kommen, daß wir es merken können, daß es denen, die uns so lehren, wirklich eine Herzensnot ist, daß sie es uns nicht glauben erlauben zu dürfen um ihrer und unserer Seelen Seligkeit willen!" Durch das Gespräch zwischen Vertretern des Bruderrates und des Lutherrates in Neuendettelsau am 25. Juni 1946 trat beim Bruderrat eine Beruhigung wegen der lutherischen Pläne ein. Denn einzelne Aussagen in Stolls Aufsatz wurden korrigiert und der Ansatz im Ganzen relativiert, so daß die VELKD weit weniger bedrohlich erschien, als man auf Grund von den Gerüchten und Andeutungen angenommen hatte. Noch am 16./17. Juli gab Iwand, einer der Gesprächsteilnehmer in Neuendettelsau, auf der Bruderratssitzung eine positive Würdigung der Ergebnisse der Aussprache 16 . Ein zweiter wichtiger Aspekt, der zur Beruhigung über den lutherischen Zusammenschluß beitrug, war die offizielle Antwort des Oberkirchenrats in Stuttgart vom 10. Juli 1946 an den Lutherrat, in der die ablehnende Haltung der württembergischen Landeskirche der VELKD gegenüber deutlich ausgesprochen wurde 1 7 .

1 6 Vgl. auch Stolls Brief an Iwand v o m 1. 7. 1946, in dem Stoll sich mit Iwands Angriffen auseinandersetzt. Sachlich bringt Stoll keine neuen Aspekte, er schließt aber: „Ich möchte annehmen, daß unsere Besprechung in Neuendettelsau, die uns seit Jahren zum ersten Mal wieder zueinandergeführt hat, die Dinge, die uns bewegen, ins rechte Licht rückte und ein neues gedeihliches Zusammenarbeiten einleitet, bei dem in voller Offenheit miteinander geredet werden kann" ( A E K D , 012 Bd. I). 17

Vgl. dazu unten S. 2 1 2 ff.

Kapitel 15 DER RAT DER EKD U N D DER LUTHERISCHE ZUSAMMENSCHLUSS

Erste Phase: Ratsinterne Diskussion der konfessionellen

Problematik

Während der Verfassungsausschuß des Lutherrates in eingehenden Beratungen einen ersten amtlichen Entwurf für eine V E L K D fertigstellte, wurde im Rat der E K D die konfessionelle Frage noch sehr allgemein und grundsätzlich diskutiert. Deshalb bestimmten die Pläne zur Bildung einer lutherischen Kirche in Deutschland, die schon in Treysa am 27. August 1945 in der Erklärung des Lutherrates verkündet worden waren, die Aktivitäten in den offiziellen Gremien der E K D nur indirekt. Das hing vor allem damit zusammen, daß man nicht wußte, wie intensiv an der Verfassung gearbeitet wurde, wie fortgeschritten die Arbeit bereits war und in welche Richtung die Verfassungsarbeit sich entwickelte 1 . Außerdem glaubte man wohl, daß ohnehin zuerst die Ordnung der E K D diskutiert und beschlossen werden würde, wie folgende Formulierung, die eine Vorordnung der E K D vor der V E L K D implizierte, in der Erklärung des Lutherrates vom 27. August 1945 nahelegte: „Bei der Neuordnung der D E K die Lutherische Kirche Deutschlands zur Darstellung zu bringen, betrachten sie als ihre vornehmste Aufgabe." 2 Diese Illusion wurde weiter genährt durch die ausgesprochene Geheimhaltungspolitik des Lutherrates in Bezug auf die Inhalte der Arbeit seines Verfassungsausschusses. Zwar wurde bereits am 31. Januar 1946 auf der Ratssitzung über das Thema „Konfession und U n i o n " , zu dem Meiser ein einführendes Referat hielt, diskutiert, aber wie die Formulierung des Themas zeigt, auf einer allgemeinen, theoretischen Ebene 3 . 1 Vgl. dazu Asmussens Brief an Stoll vom 17. 6. 1946: „Ich will auch nicht verschweigen, daß es mich schwer belastet, daß bis zum heutigen Tage weder der Rat noch die Kanzlei etwas vom Fortgang der Verhandlungen über die Vereinigte Lutherische Kirche Deutschlands weiß. Wir sitzen mit Bischof Meiser zusammen im Rat und mit Hanns Lilje. Wir sitzen mit Bogner und Schmidt respektive Ihnen zusammen im Reichsbruderrat. Wir heißen uns Brüder. Ich glaube nicht, daß die Art des Vorgehens und der Heimlichhaltung wirklich wohl getan ist" (AEKD, 012 Bd. I). 2

F . SÖHLMANN, T r e y s a , S. 1 8 0 .

3

Außerdem standen weitere 12 Tagungsordnungspunkte auf dem Programm.

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Rat der E K D und lutherischer Zusammenschluß

Auch das Ergebnis dieser ratsinternen Diskussion, die Erklärung des Rates der E K D vom 31. Januar 1946, zeigt in seinen Bestimmungen, wie unbefangen und zuversichtlich man noch über das Verhältnis von Einheit der E K D und landeskirchlichen Zusammenschlüssen reden konnte. Die Punkte 2 und 3 dieser Erklärung lauten nämlich: „2. Das Recht der Landeskirchen, sich untereinander enger zusammenzuschließen, bleibt unbestrittten. 3. Es besteht Einmütigkeit darüber, daß durch solche Zusammenschlüsse die Einheit der E K D nicht preisgegeben werden soll." 4 Dem Protokoll 5 der Ratssitzung entsprechend waren nach dem Referat Meisers die Absichten des Lutherrates so vage geblieben, daß Bedenken zwar vorgebracht wurden, aber doch ohne Schärfe, da die konkreten Bezugspunkte fehlten. Eine wirkliche Bedrohung der Einheit der E K D wurde nicht gesehen, was ζ. B. durch den Umfang der vorgebrachten Wünsche deutlich wird. So wollte Wurm wissen, wie es um die „Schaffung eines einheitlichen Gesangbuches" und um die „Abendmahlsgemeinschaft" bestellt sei. Auch Meisers Zusagen sind so gehalten, daß sie eine große Offenheit vermuten lassen: „Wir haben schon in Treysa ausdrücklich bezeugt, und ich erkläre es hiermit nochmals, daß wir keine Sprengung des Zusammenstehens des Gesamt-Protestantismus in Deutschland wollen. Wir haben von Gott dieses Pfund anvertraut bekommen. Haben wir das Recht, uns dieser Aufgabe zu entziehen?" Held, Niesei, Asmussen und Niemöller warnten vor dem geplanten Wege der Lutheraner, und zwar mit dem Hinweis, was eine E K D überhaupt noch für eine Bedeutung haben solle, wenn die lutherische Reichskirche etwa acht Zehntel der gesamten E K D umfassen würde. Auf die Erklärung des Rates der E K D vom 31. Januar 1946 wurde in den folgenden Jahren immer wieder hingewiesen, und zwar je nach kirchenpolitischem Standpunkt entweder auf den Punkt 2 oder den Punkt 3. Dadurch, daß Punkt 2 und Punkt 3 jeweils nur eine Seite des Spannungsverhältnisses betonen, ohne eine Lösung im Sinne einer Integration anzubieten, ist die Erklärung einzuordnen in die Reihe der vielen „zweideutigen" 6 Beschlüsse, die auf Kirchenversammlungen, Ratssitzungen oder anderen Zusammenkünften gefaßt wurden. Diese Zweideutigkeit der Rede darf nicht als subjektive Unredlichkeit der Redenden angesehen werden, sondern muß als entsprechender Ausdruck der objektiven Lage der E K D akzeptiert werden. Die Rede Asmussens am 1. Mai 1946 in Treysa über den Kurs der E K D wird dies belegen.

4 5 6

VONB1. Nr. 7, Februar 1946. AEKD, 046. Vgl. dazu auch unten S. 304 f.

Asmussen: Kurs der EKD

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Asmussen: Der Kurs der EKD Während der gemeinsamen Tagung des Rates mit Vertetern der Landeskirchenregierungen am 1. und 2. Mai 1946 stand der lutherische Zusammenschluß nicht zur Diskussion. Zwar trug Asmussen unter dem Titel „ D e r Kurs der E K D " 7 ausführliche Gedanken zur konfessionellen Problematik innerhalb der EKD vor, aber eine Aussprache darüber fand nicht statt, „da dringende praktische Fragen zur Erledigung kommen müssen." 8 Asmussens Ausführungen, die man besser mit dem Titel „Das Dilemma des Rates der E K D " versehen sollte, müssen zusammengesehen werden mit einigen Bemerkungen, die Wurm in seiner kurzen Begrüßungsansprache machte: „Die EKD befindet sich noch in einem Ubergangszustand, dessen Beendigung die Aufgabe des Rates ist. Es muß eine Synode geschaffen werden, die alle Kirchen umfaßt und aus der ein ständiges Kirchenregiment hervorgehen muß." Wurms Ruf nach einer Synode ist die notwendige Konsequenz aus der Analyse des Rates, die Asmussen hier den Landeskirchen vortrug. Tatsächlich ist die Konstruktion des Rates so beschaffen, daß dieser sich ständig selbst im Wege ist: Denn einerseits sind dem Rat Aufgaben aufgetragen, die er andererseits nicht angehen darf. Einheit der EKD und Selbständigkeit der Landeskirchen stehen nach der Treysaer Konvention in so einem Verhältnis zueinander, daß jede Aussage über die eine Größe sogleich durch eine Aussage über die andere Größe aufgehoben werden kann. Asmussens Bericht ist in all seiner Länge nichts anderes als eine Illustration dieses Sachverhaltes. Typisch dafür ist die Fülle von paradoxen Formulierungen in seinem Referat: Die EKD ist eine Einheit, aber zugleich sind die Landeskirchen selbständig. Die EKD kann sich nur endgültig ordnen, wenn alle Landeskirchen endgültig geordnet sind. Diese Ordnungsaufgabe der Landeskirchen darf der Rat selbstverständlich nicht beeinflussen, zugleich muß er aber ein Interesse daran haben, da er sonst die ihm von der Kirchenversammlung in Treysa aufgetragene Aufgabe, nämlich die Vorbereitung einer endgültigen Ordnung der EKD, nicht leisten kann. Die Landeskirchen sind selbständig, sie sind aber zugleich durch die Beschlüsse von Treysa in das Ganze der EKD eingebunden: „Die Landeskirchen sind selbständig, aber sie sind keine Größen, die für sich selbst da sein könnten."

7

Anstatt eines Arbeitsberichtes, 10 Seiten (AEKD, 046). Vgl. VONB1 N r . 16, Mai 1946: Richtlinien zur Durchführung der Selbstreinigung der Kirche, Geschäftsordnung des Rates der E K D und drei weitere Verordnungen. 8

192

Rat der E K D und lutherischer Zusammenschluß

Der Rat der E K D hat in seinem Verhältnis zu den Landeskirchen in der Praxis das Problem zu lösen, ,,daß die E K D im Sinne des 16. Jahrhunderts nicht Kirche ist, daß sie aber dennoch eine Reihe von Arbeiten zu leisten hat, wie sie nur von einer Kirche geleistet werden können. Ich sehe noch keine Lösung dieser Schwierigkeit. Alles, was bisher als Lösung vorgeschlagen ist, ist nach meiner Erkenntnis nur eine Verlagerung des Problems." Aber nicht nur die Landeskirchen sind der E K D gegenüber selbständig, sondern auch die Konfessionen: „Der Rat und die Behörde des Rates, die Kanzlei, können nur wollen, daß die verschiedenen Konfessionen ihrem inneren Gesetz entsprechen . . . Aber wir lassen auch darüber nicht aus den Augen, daß die E K D ein Körper ist mit so einheitlichen Aufgaben, daß sich jeder in schwere Schuld verstricken würde, der diese Einheit zu Fall bringt." Und an die Adresse der Lutheraner gerichtet, fährt Asmussen fort: „Wir tragen ζ. B. schwer daran, daß wir noch nichts davon wissen, wie weit die Verhandlungen um die lutherische Kirche in Deutschland gediehen sind." Seinem Tenor des Sowohl-als-auch entsprechend, fügt er hinzu „Wir tragen auch schwer daran, daß viele Theologen und Kirchenmänner in Deutschlandzu denen ich mich selbst auch rechne - das geistliche Anliegen in diesem konfessionellen Wollen kaum zu hören vermögen." Die Kräfte, die die E K D auseinanderzureißen drohen, sind nach Asmussen neben den Landeskirchen und den Konfessionen noch Bestrebungen und Zielvorstellungen innerhalb des Bruderrates und die Probleme, die sich aus der Tatsache der vier Besatzungszonen ergeben. „Unsere Einheit ist aber nicht nur eine Forderung, nicht nur ein Ideal, das vor uns steht, sie ist auch eine Gabe, aus der uns täglich Aufgaben zuwachsen." Deshalb fordert Asmussen eine einheitliche Vertretung der gesamten E K D in folgenden Bereichen: 1. Verhandlungen mit den Besatzungsmächten; 2. geistliche Ansprachen an die politischen Mächte; 3. Predigt und Verkündigung aus der Verantwortung für das gesamte Volk; 4. Aufgaben der Ökumene gegenüber; 5. gesamtkirchliche Arbeiten, die unaufschiebbar sind und ohne Initiative der E K D von anderen freien Kräften übernommen werden, und zwar auf folgenden Gebieten: Flüchtlingsfürsorge, Pastoration der Kriegsgefangenen, deutsche Auslandsgemeinden, liturgische Arbeit, Jugendarbeit. „Ich sehe gar keine andere Möglichkeit, als diese Arbeit zentral anzufassen, ohne damit in die Rechte der Landeskirchen auch nur im geringsten einzugreifen oder kommenden Entwicklungen vorzugreifen." Diese abschließende Bemerkung Asmussens zeigt noch einmal in aller Deutlichkeit, in welch unsinniger Lage sich der Rat der E K D befand. Der politischen und kirchlichen Situation entsprechend, stand er unter einem gewissen Handlungszwang; auch sind ihm in Treysa weit-

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Zweite Phase: Aktionen gegen die VELKD-Pläne

reichende Aufgaben aufgetragen oder zugeschoben worden. Zugleich verurteilte ihn die verlangte Vorsicht gegenüber den Landeskirchen und gegenüber allen Schritten, die Konsequenzen für die Zukunft haben könnten, zur Passivität. So sind die Entscheidungen über den Kurs der E K D auch nicht im Rat, sondern in anderen Gremien gefallen. Zwar haben einzelne Ratsmitglieder oder auch der Ratsvorsitzende immer wieder die Initiative ergriffen, aber diese war beschränkt auf Warnungen, Vermittlungen und Versuche, zu klären und zu korrigieren. Vor allem Wurm bot sich immer häufiger als neutrale Instanz für Aussprachen und Gesprächsrunden an. Er tat dies nicht im Namen des Rates oder seines Amtes, sondern kraft seiner Autorität und Integrität, die seinem Amt vorgeordnet waren. Zweite Phase: Aktionen einzelner Ratsmitglieder die VELKD-Pläne

gegen

Auf der Sitzung des Rates am 2. Mai 1946, gleich anschließend an die gemeinsame Tagung mit den Landeskirchenvertretern, wurde beschlossen, die nächste Ratssitzung am 21. und 22. Juni in Speyer abzuhalten. Diese Sitzung sollte in erster Linie der brüderlichen Aussprache unter den Ratsmitgliedern dienen; deswegen wurde ausdrücklich auf Protokollführer und Referenten verzichtet. So wurden auch nur Beschlüsse dieser Ratssitzung von der Kirchenkanzlei vervielfältigt und verschickt. Unter den 10 Beschlüssen bezieht sich nur Punkt 9 auf das Problem V E L K D - E K D : ,,Es wird ein Ausschuß eingesetzt, der zur nächsten Sitzung eine Skizze für den Entwurf der Verfassung der E K D vorlegen soll. Die Mitglieder des Ausschusses sind: Oberlandeskirchenrat D . Lilje, Professor D. Iwand, Professor D . Smend." 9 Auf der Bruderratstagung am 16. und 17. Juli berichtete Asmussen kurz über die Sitzung in Speyer. Durch die Veröffentlichung des Aufsatzes von Stoll hatte sich das Thema V E L K D - E K D notwendig in den Vordergrund geschoben: „Das ist es auch gewesen, was uns in der letzten Ratssitzung in Speyer bewegt hat." Nach Asmussen waren es vor allem die Geheimhaltungspolitik der Lutheraner und die Aussage Stolls, daß die E K D nicht einmal Kirchenbund sein könne, da ja die Unionen nicht als Kirche anerkannt werden könnten, die die Debatte bestimmt hatten: „ O h n e meine Schweigepflicht zu verletzen, darf ich sagen, daß wir über diese Frage mit Landesbischof Meiser und D. Lilje gesprochen haben. Das Ergebnis dieser Tagung war, daß nachher Bruder Held, Heinemann, Niesei und Smend Herrn Landesbischof D. Wurm baten, 9

AEKD, 046.

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Rat der E K D und lutherischer Zusammenschluß

einen Brief an die lutherischen Brüder zu richten, in welchem eine Reihe von Fragen geltend gemacht wurden, die wir glaubten geltend machen zu müssen. Dieses Schreiben ist dann so nicht abgegangen. Sein Inhalt ist fixiert und versandt worden." Zwei Entwürfe für einen solchen Brief liegen vor 10 . Das in beiden Entwürfen enthaltene Anliegen ist eingeflossen in das ,,Wort zur Lage" vom 30. Juni 1946, unterzeichnet von Wurm und Asmussen. Auf dieses Wort bezieht sich Asmussens obige Aussage. Der Briefentwurf I ist sehr kurz; es fehlen Datum, Titel und Unterschrift. Er ist mit handschriftlichen Zusätzen von Frau Schwarzhaupt 10 ® aus der Kirchenkanzlei versehen. Der Entwurf II ist viel ausführlicher, enthält Anrede und Angabe der Autoren, dazu den handschriftlichen Vermerk von Jensen aus der Kirchenkanzlei: ,,So nicht abgesandt, z[u]d[en]A[kten] 2/7." Dieser an Meiser als den Vorsitzenden des Lutherrates gerichtete Briefentwurf 11 beginnt mit einer Aufzählung der Autoren: „Die Mitglieder des Rates der EKD Superintendent Held, Lie. Niesei, Dr. Dr. Heinemann, Prof. D. Smend und Pastor Asmussen bitten den Unterzeichneten, dem Lutherischen Rate Nachstehendes zu ernster und geneigter Erwägung nahe zu legen." Aus Asmussens Bericht auf der Bruderratstagung ist klar, daß mit dem Unterzeichneten Wurm gemeint ist; am Schluß des Entwurfes steht außerdem die Bemerkung: ,,Der Unterzeichnete schließt sich den vorgebrachten Bedenken an." Die Ratsmitglieder sprechen ausdrücklich aus ihrer Verantwortung heraus, die sie in Treysa übernommen haben. Aus den Äußerungen, die Meiser auf der Ratssitzung in Speyer über die Verfassung der geplanten lutherischen Kirche getan habe, glauben sie entnehmen zu müssen, daß diese „mit den Beschlüssen der Kirchenversammlung von Treysa nicht vereinbar" sei und die Grundlagen der EKD somit verändere. Von zwei Seiten sehen sie die Vereinbarung von Treysa bedroht: 1. Die EKD ist in Treysa unzweifelhaft als Zusammenschluß vieler einzelner Landeskirchen beschlossen worden, und zwar dem Bestand entsprechend, den diese im August 1945 hatten. „Wenn nun auch die genannten Ratsmitglieder über die Einzelheiten des geplanten Zusammenschlusses der dem Lutherrat angehörenden Kirchen nicht unterrichtet sind, so zeigen die Äußerungen des Herrn Landesbischof D. Meiser doch deutlich, daß eine weitgehende Bestandsveränderung der EKD 10

Ebd., 012 Bd. I. Elisabeth Schwarzhaupt (geb. 1901), Dr. jur., 1936 Referentin in der Kirchenkanzlei der DEK, 1948-1958 im Kirchl. Außenamt, 1961-1969 Bundesministerin für Gesundheitswesen. 11 In einem Nachsatz wird gesagt, daß wegen des „Gewichts der Angelegenheit" eine Abschrift an alle Unterzeichner der Treysaer Konvention gehen solle. 10a

Zweite Phase: Aktionen gegen die VELKD-Pläne

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beabsichtigt ist", und zwar dergestalt, daß die lutherische Kirche als eine Einheit in der EKD vertreten sei. Damit träte ein neues Aufbauprinzip hinzu, nämlich eines nach Konfessionen. Eine so weitgehende Veränderung der Struktur der EKD sei aber durch den Beschluß des Rates vom 31. Januar 1946 - Gliedkirchen hätten das Recht zum Zusammenschluß nicht legitimiert 12 . 2. Die Struktur der EKD sei aber nicht nur dadurch bestimmt, daß in ihr einzelne Landeskirchen zusamengeschlossen sind, sondern auch dadurch, daß die Bekennende Kirche, die in allen Landeskirchen in Erscheinung tritt, ein Vertragspartner ist. Die Einbeziehung dieser Größe in die Struktur der EKD geschah in der Voraussetzung, „daß in den kirchengeschichtlichen Ereignissen der letzten 15 Jahre nicht nur die Landeskirchen, sondern auch die BK als Träger kirchlichen Rechtes in Erscheinung getreten sei. Es wurde damit in Treysa ein Umbruch der kirchlichen Struktur der EKD und ihrer Gliedkirchen anerkannt, der vielleicht noch nicht abgeschlossen ist, aber doch schon soweit in Erscheinung trat, daß rechtliche Folgerungen aus ihm gezogen werden konnten und mußten." Die Autoren fürchten, daß der geplante lutherische Zusammenschluß der oben gezeichneten Struktur der EKD „abträglich sein muß und soll", wie die Äußerungen des Lutherratsvorsitzenden selbst und seiner engsten Mitarbeiter in jüngster Zeit zeigten. Da sich die Ratsmitglieder durch die Übernahme ihres Amtes verpflichtet fühlten, die in Treysa vereinbarte Gestalt der EKD zu erhalten und zu fördern, bis eine Kirchenversammlung andere Beschlüsse fasse, bitten sie den lutherischen Rat den vorgebrachten Bedenken „brüderliche Erwägung zu widmen und ihre Pläne an diesen Bedenken ernsthaft zu prüfen." Der kurze Entwurf I enthält nur die Argumentation zu dem Punkt: EKD als Zusammenschluß von Landeskirchen. Von der Bekennenden Kirche als Strukturelement der EKD ist keine Rede. Damit ist der 12 Vgl. auch den Brief Heinemanns an die Kirchenkanzlei vom 8. 7. 1946: „Meine Bemerkung in Speyer, daß eine Vereinigte lutherische Kirche schwerlich als Körperschaft des öffentlichen Rechtes anerkannt werden würde, bezog sich in erster Linie auf das Schreiben des Interalliierten Kontrollrates vom 18. 12. 1945, in dessen Schlußsatz es heißt: Die Rechte und Pflichten der evangelischen Landeskirchen innerhalb ihrer Gebiete dürfen ohne Zustimmung der Interalliierten Kontrollbehörden weder abgeändert noch außer Kraft gesetzt werden . . . " Heinemann erinnerte dann daran, daß der Rat dagegen keinen Widerspruch eingelegt hätte. „Meine Fragestellung ist nun ganz einfach folgende: Glaubt man zu einer Zeit, wo das frühere politische und verwaltungsmäßige Ubergewicht des Landes Preußen zerschlagen und eine irgendwie geartete bundesstaatliche Auflockerung des deutschen Reiches angestrebt wird, erreichen zu können, daß die 4 Besatzungsmächte eine durch alle 4 Zonen hindurchgreifende einheitliche kirchliche Körperschaft mit starkem Ubergewicht gegenüber den weiteren Gliedern der E K D zulassen werden?" (AEKD, 012 Bd. I).

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Rat der E K D und lutherischer Zusammenschluß

Sachverhalt nicht angesprochen, der schon früher verschieden interpretiert wurde. Beide Entwürfe aber weisen darauf hin, daß nur die Rechtsträger der Konvention von Treysa entscheiden können, ob sie angesichts so grundlegender Veränderung in der E K D immer noch den Zusammenschluß sehen können, dem sie in Treysa zugestimmt haben. Damit erheben beide Entwürfe indirekt die Forderung, erneut eine Kirchenversammlung einzuberufen.

Das ,,Wort zur Lage" vom 30. Juni 194613 Dieses Wort ist an alle Ratsmitglieder, an die Bischöfe, an die Vorsitzenden der landeskirchlichen Verwaltungen, an den Reichsbruderrat und die Landesbruderräte gerichtet. Wurm und Asmussen haben es unterzeichnet und damit verantwortet, die Kirchenkanzlei verschickte es. In einem zusätzlichen Schreiben an die Mitglieder des Rates vom 10. Juli 1946 erklärte Asmussen das eigenmächtige Vorgehen des Ratsvorsitzenden und der Kanzlei in dieser Angelegenheit. Er schreibt: „Beide waren der Uberzeugung, es müsse eilig gehandelt werden." 1 4 Ausgangspunkt für die dreieinhalbseitige Erklärung von Wurm und Asmussen ist die „ L a g e innerhalb der E K D " ; innere Motivation ist die Verpflichtung gegenüber den in Treysa übernommenen Aufgaben und der Glaube, in ihnen Gottes Willen zu vollziehen: ,, Wir geben diese Erklärung ab in dem Willen, mit Gottes Hilfe das in Treysa begonnene Werk zu vollenden. Wir sind des Glaubens, daß dieses Werk von Gott ist, und daß Gott in den hinter uns liegenden Monaten auf dieses Werk eine Fülle unverdienten Segens ausgegossen hat. Uns treibt die Liebe zu den Brüdern, mit der wir alle diejenigen umfassen möchten, die den Herrn Christus unverrückt lieb haben und gewillt sind, zu lernen, und offen zu sein für Gottes Führung." Der letzte Satz dieses geistlichen Einleitungswortes enthält programmatische Aussagen über die Grundlagen der E K D , wie sie von Wurm und Asmussen gesehen werden: Zentrum ist der Glaube an Christus. Dabei sind nicht mehr die Erkenntnisse des 16. Jahrhunderts Maßstab, sondern heutige Erfahrungen und Einsichten, die durch Gottes Führung möglich wurden. In dem ersten Teil der Erklärung wird, von der Treysaer Konvention ausgehend, die besondere Struktur der E K D nachgezogen, die von den Plänen einer V E L K D in zwei elementaren Aufbauprinzipien bedroht sei: 1. Aufbauprinzip nach Gliedkirchen und nicht nach konfessionellen 13 14

L K A STUTTGART, D 1/212. A E K D , 046.

„ W o r t z u r L a g e " v o m 3 0 . 6. 1 9 4 6

197

Blöcken oder Säulen; 2. die Bekennende Kirche als rechtskräftiger Partner. Dabei wird ausdrücklich auf die Ratssitzung in Speyer verwiesen, auf der „ein kleiner Kreis von Ratsmitgliedern" den Vorsitzenden des Rates gebeten habe, dem Lutherischen Rate diese zwei Erwägungen nahezulegen. Die Erklärung hat einen zweiten Teil, der in den Entwürfen nicht vorgebildet und auch in den Initiativen der Ratsmitglieder nicht intendiert war. Dieser zweite Teil handelt von der Barmer Erklärung und ihrer Bedeutung für die E K D , wobei einmal ihre die Landeskirchen verpflichtende Rolle betont wird, zum anderen die kritische Funktion gegenüber unberechtigten Ansprüchen aus der Bekennenden Kirche den lutherischen Landeskirchen gegenüber hervorgehoben wird 15 . Abschließend werden sowohl die konfessionellen Eigenwege als auch die unberechtigten Eingriffe in Ordnung und Struktur der Landeskirchen durch die Bekennende Kirche als Bedrohungen für die Einheit der E K D und als Versuch der Aufspaltung zurückgewiesen. Die Ordnung der E K D könne nur in einem ausgewogenen Kräfteverhältnis eine Zukunft haben. ,,Daß jede Stimme in den ihr von Gott gesetzten Grenzen ihre Freiheit hat, dafür werden wir alle Kraft einsetzen", lautet der Schlußsatz. Den Darlegungen geht die Beteuerung voraus, daß sich die Ratsmitglieder ihrem eigenen Beschluß vom 31. Januar 1946 gegenüber verpflichtet fühlten, der den Landeskirchen die Freiheit des Zusammenschlusses innerhalb der Grenzen der E K D gewähre. Dabei sei man sich dessen bewußt, daß hier eine starke Spannung herrsche, und daß es „eines hohen Maßes von Weisheit" bedürfe, um „beide Anliegen miteinander zu vereinen." Im Teil I folgt die Argumentation im wesentlichen der des Entwurfes. Neu sind Illustrationen, um die praktischen Konsequenzen für die Arbeit der E K D mit einem Lutherblock deutlich zu machen; Stichworte sind: Fraktionszwang, Filter einer zwischengeschalteten Instanz, Verlust von Reichtum und Vielfalt der Uberlieferungen. Auch auf die politische Lage wird verwiesen, die es ζ. Β notwendig mache, daß die 15

Vgl. Niemöllers Brief an W u r m v o m 8. Juli 1 9 4 6 : „ I n z w i s c h e n ist mir die Erklärung,

die Sie gemeinsam mit Pfarrer A s m u s s e n unter dem 3 0 . J u n i abgegeben haben, zu H ä n d e n g e k o m m e n , und ich m u ß dazu sagen: E s geht nicht an, die Versuche der Aufspaltung durch die lutherische Reichskirche mit den Versuchen der Bekennenden Kirche, B a r m e n Geltung zu verschaffen, auf eine Linie zu stellen. Bei unseren Versuchen, B a r m e n Geltung zu verschaffen,

sind wir in aller Öffentlichkeit und Brüderlichkeit vorgegangen

und

niemals der brüderlichen Aussprache in irgendeiner W e i s e ausgewichen. Die Vorbereitungen für die lutherische Kirche sind in der Verborgenheit nicht nur v o r den Gemeinden, sondern auch v o r den kirchenleitenden B r ü d e r n der B K v o n statten gegangen und haben sich bis auf den glücklicherweise endlich erschienenen Artikel v o n Stoll in der V e r b o r g e n heit abgespielt" ( L K A STUTTGART, D 1 / 2 2 5 ) .

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Rat der E K D und lutherischer Zusammenschluß

lutherischen Kirchen des Ostens direkt mit den Berliner kirchlichen Stellen verkehren können. Schließlich wird noch auf den Modellcharakter der Evangelischen Kirche in Deutschland für die Ökumene hingewiesen, der darin bestehe, daß „Kirchengebilde verschiedener Art miteinander in einer Lebensgemeinschaft stehen." Im Zusammenhang mit dem Hinweis auf die rechtliche und theologische Rolle der Bekennenden Kirche innerhalb der E K D , die durch Treysa anerkannt wurde, wird dann ganz plötzlich taktisch und kirchenpolitisch argumentiert. Die Lutheraner werden aufgefordert, so vorzugehen, daß das in Treysa Gewonnene erhalten bleibe: „ D a s ist darum umso mehr notwendig, weil jeder Versuch, hinter Treysa zurückzugehen und die E K D wiederum nur auf rechtlich verfaßte Kirchen aufzubauen, eine Reaktion der Bekennenden Kirche herbeiführen würde, welche dem Frieden und den Interessen des Ganzen nicht förderlich sein könnte. Man sollte denken, daß auch gerade die im Lutherischen Rat zusammengeschlossenen Kirchen alles Interesse daran haben, eine solche Reaktion zu vermeiden." Der Teil II des Wortes, der sich an Hand der Barmer Erklärung sowohl mit landeskirchlichen Restaurationsbestrebungen als auch mit unberechtigten Angriffen der Bekennenden Kirche gegen die Landeskirchen auseinandersetzt, beginnt mit der vorsichtigen Formulierung: „ I n der Kirchenversammlung von Treysa 1945 spielte die Barmer Erklärung eine bedeutsame Rolle." Sie sei selbstverständlich nicht in demselben Sinne Bekenntnis für die E K D wie die reformatorischen Bekenntnisschriften für die jeweilige Gliedkirche, aber sie sei doch „eine der wenigen theologischen Aussagen, durch welche das Wesen der E K D seinen Ausdruck in Worten findet. Denn die Geschichte und der Kampf, mit denen die Barmer Erklärung verbunden ist, sind nun einmal von der Entstehung der E K D unabtrennlich." Damit sei weder die Gültigkeit der alten Bekenntnisse aufgehoben, noch die Existenz von Landeskirchen in Frage gestellt. Dennoch bedeute der Rückbezug der Treysaer Konvention auf die Barmer Erklärung ein Angriff auf „bestimmte Erscheinungen, welche nach bisherigen Begriffen mit einer Landeskirche verbunden sind. Die Barmer Erklärung ist und bleibt eine Kampfansage gegen alle Restauration, gegen alle Versuche, nach den unruhigen Jahren wieder zu der gefährlichen Ruhe einer Behördenkirche zurückzukehren, eine Kampfansage gegen alle Neigungen, des Bekenntnisses mächtig zu werden, so daß man es ,hat' und sich in Verkündigung und Ordnung vom Bekenntnis nicht mehr fragen lassen muß, und es auch nicht mehr nötig hat, das Bekenntnis von der Heiligen Schrift her dauernd zu fragen." Äußerungen allerdings, die darauf abzielten, „ d i e kirchlichen Verwaltungsbehörden überhaupt abzuschaffen, das Bischofsamt zu liquidieren

„Wort zur Lage" vom 30. 6. 1946

199

o d e r verächtlich z u m a c h e n , die kirchlichen A u t o r i t ä t e n i m A n s e h e n h e r a b z u s e t z e n , anstatt sie in ihrer A r b e i t z u f ö r d e r n u n d z u f e s t i g e n " 1 6 , seien d u r c h den K a m p f c h a r a k t e r der B a r m e r E r k l ä r u n g n i c h t g e d e c k t . I m G e g e n t e i l , sie w ü r d e n d u r c h den V o r s p r u c h der B a r m e r E r k l ä r u n g a u s d r ü c k l i c h ins U n r e c h t g e s e t z t . „ D i e s e r V o r s p r u c h setzt n u n zweifelsfrei v o r a u s , daß jede der h e u t e n o c h in der E K D bestehenden L a n d e s k i r chen n a c h i h r e m B e k e n n t n i s s o w o h l wie n a c h ihrer O r d n u n g g r u n d s ä t z lich ihr R e c h t h a t . " D i e E r k l ä r u n g schließt dann m i t der M a h n u n g , A u f s p a l t u n g s -

und

S t ö r a k t i o n e n zu unterlassen. 1 6 Vgl. Martin Niemöllers Brief an W. Niemöller vom 10. 11. 1945: „Das Haupthindernis liegt bei den sogenannten lutherischen Landeskirchen, und es ist kein Zufall, daß gerade diese ernstlich versuchen, die Gemeinde und damit die Stimme der christlichen Laien aus dem kirchlichen Leben auszuschalten und statt dessen ein Bischofsamt zu propagieren, das die Entmündigung der Gemeinde für die Zukunft sichern soll. . . . und es ist wohl auch kein Zufall, daß unter allen neuen Bischöfen, die jetzt bei der vorläufigen Neuordnung hier und da ernannt worden sind (und zwar ohne Befragung der Gemeinden) kein einziger ist, den die bekennende Gemeinde auch nur dem Namen nach gekannt hätte" (M. NIEMÖLLER, Reden 1945-1954, S. 56 ff.). Vgl. auch Niemöllers Vortrag „Das Christusbekenntnis der Kirche vor der Welt und die Bekenntnisse der Reformation", gehalten im Dezember 1945: „Und es tauchen nun überall nagelneue lutherische Bischöfe auf" (ebd., S. 74).

Einige Aufregung verursachte Niemöllers Rede in Crailsheim, die er am 17. 6. 1946 auf Einladung von Pfarrer Schenkel vor Geistlichen des Kirchenbezirkes über die Kirchengeschichte der Jahre 1945 und 1946 hielt. Darüber schickte Dekan Matthes an den OKR in Stuttgart einen Bericht, da er glaubte, den Oberkirchenrat unterrichten zu müssen, „sowohl über die sehr scharfen Urteile über die landeskirchlichen Kirchenleitungen, insbesondere über den Zusammenschluß der lutherischen Landeskirchen als über die Ankündigung der baldigen Ausrufung einer .lutherischen Reichskirche' und die Drohung mit der Sammlung einer ,Freikirche' aus allen Landeskirchen, aus der Mehrzahl der wirklichen Christen und aus Millionen von, in den Landeskirchen noch nicht heimisch gewordenen Flüchtlingen." Niemöller hätte auch gesagt, daß in Stuttgart alles beim Alten sei, „im Widerspruch zu D. Wurm." Niemöller sandte an Dekan Matthes am 23. 6. 1946 eine Art Korrektur zu seinem Bericht, die Matthes als Abschrift an Wurm weiterleitete. Niemöller schreibt an Dekan Matthes: „Ich hoffe, Sie haben mich recht verstanden, daß ich die Freikirche nicht herbeiführen will, sie aber unausweichlich kommen sehe, wenn der landeskirchliche Selbsterhaltungstrieb ernstlich den Versuch zur Aufspaltung der evangelischen] Christenheit in Deutschland macht" (LKA STUTTGART, D 1/225). Vgl. auch Niemöllers Brief an Asmussen vom 22. 6. 1946: „In den Landeskirchen herrscht überall eine kaum noch zu verbergende Politik der Restauration und Reaktion, nicht das Wort Gottes und seine kräftige Hervorhebung in der Verkündigung und Ordnung der Kirche stehen im eigentlichen Mittelpunkt, sondern Bestrebungen, die ,Heimatkirche', die rechtüch verfaßte Kirche von vorgestern, die konfessionalistische Eigenbrödelei und hierarchisch-liturgische Romantik zu entscheidenden Gesichtspunkten zu machen." Dieser Brief wurde vervielfältigt und der gesamten Bekennenden Kirche zugänglich gemacht (ebd.). Otto Matthes (1880-1961), 1932-1950 Dekan Crailsheim. Gotthilf Schenkel (1889-1960), 1934 Pfr. Unterdeufstetten, 1951-1953 württ. Kultminister.

1947 Obereßlingen,

Rat der EKD und lutherischer Zusammenschluß

200

Der Plan einer Kirchenversammlung

für den August 1946

Schon in den Entwürfen zu „dem Wort zur Lage" war darauf hingewiesen worden, daß nur eine Kirchenversammlung befugt sei, die sich innerhalb der EKD anbahnenden grundlegenden Veränderungen gutzuheißen oder abzulehnen. So ging bereits am 3. Juli 1946 von der Kirchenkanzlei ein Schreiben heraus, das die „Landeskirchenregierungen und Mitglieder des Reichsbruderrates" zu einer Versammlung einlud: „Der Vorsitzende des Rates der EKD, Herr L[andes]B[ischof] Wurm, hat mich beauftragt für Mittwoch, den 14. und Donnerstag, den 15. August diejenigen kirchlichen Stellen zu einer Versammlung einzuberufen, welche für das Zustandekommen der Treysaer Konvention die Verantwortung tragen. Es wird dann beinahe ein Jahr sein, daß die Beschlüsse von Treysa wirksam wurden. Der Rat der EKD und seine Mitglieder haben so schwere Verantwortungen auf sich nehmen müssen, daß es geboten scheint, vor den Auftraggebern Rechenschaft zu erstatten und über die kirchliche Entwicklung mit ihnen Rats zu pflegen." 17 Am 10. Juli 1946 versandte die Kirchenkanzlei zwei weitere Schreiben, eins an die „Herren Mitglieder des Rates" 18 , das andere an die „Landeskirchenregierungen" 19 . Das Schreiben an die Ratsmitglieder verfolgt vor allem den Zweck, vorläufig Wurms und Asmussens Aktionen zu erklären: „Die Gründe für beide Schritte sind nicht schriftlich dargelegt worden, sie werden mündlich besprochen werden. Was wir von der Versammlung in Treysa erhoffen, ist die Bestätigung des Weges, den der Rat der EKD im Auftrag der Kirchenversammlung von Treysa im hinter uns liegenden Jahre beschritten hat und eine Beratung darüber, wie der Auftrag zum gewünschten Ende zu führen sei. Jede Modifikation dieses Weges dürfte allein Angelegenheit unserer Auftraggeber sein. Die Versammlung in Treysa, zu der nunmehr eingeladen worden ist, soll unseren Auftraggebern Gelegenheit geben, sich dazu zu äußern, ob sie eine solche Modifikation für nötig hält. Zu einer Vorbesprechung über die Lage und über die Tagung selbst werden die Herren Mitglieder des Rates auf Dienstag, den 13. 8., abends um 19 Uhr in Treysa gebeten." Das Schreiben der Kanzlei an die Landeskirchenregierungen enthält folgende Erklärung über den Sinn der Versammlung: „Gegenstand der Beratungen in Treysa wird die Lage der EKD sein. Im einzelnen wird es um den Auftrag gehen, welcher dem Rat der EKD durch die Kirchenversammlung von Treysa im August 1945 gegebenworden ist. In der 17

O K R STUTTGART, R e g . G e n . 115 b .

18

AEKD, 046.

19

Ebd.

Plan einer Kirchenversammlung

201

Ausführung dieses Auftrages haben sich gewisse Schwierigkeiten ergeben, welche zu beheben der Rat alleine nicht befugt ist. Damit der Rat den ihm erteilten Auftrag ausführen kann, muß der Auftraggeber Gelegenheit haben, sich zu äußern und notfalls den erteilten Auftrag zu modifizieren." 20 Durch ein Telegramm der Kirchenkanzlei wurde die Versammlung in Treysa am 18. Juli 1946 abgesagt 21 . Gründe wurden nicht angegeben. Terminschwierigkeiten könnten aber eine Rolle gespielt haben. Niemöller war ζ. B. von Mitte Juli bis Ende August auf einer Reise nach Genf und England.

20 Vgl. Niemöllers heftige Kritik an der ganzen Konzeption der Versammlung in einem Brief an Wurm vom 10. 7. 1946: „Ich erhebe Einspruch dagegen, daß Pfarrer Asmussen in Ihrem Auftrage für den 14./15. August 1946 eine Versammlung einberufen hat, in der diejenigen kirchlichen Stellen', ,welche für das Zustandekommen der Treysaer Konvention die Verantwortung tragen', einen Rechenschaftsbericht entgegennehmen sollen." Niemöller hat an 4 Punkten Einwände zu machen: 1. „Mein Einspruch richtet sich zunächst gegen die grundsätzliche Konzeption, die hier in die Erscheinung tritt, als wären die ,Kirchenführer' von damals .Auftraggeber', denen der Rat Rechenschaft schuldig sei, während er tatsächlich den evangelischen Gemeinden in Deutschland Rechenschaft schuldig ist, und nicht den Herren Marahrens, Friedrich, Hollweg usw". 2. kritisiert Niemöller „die Adresse der Einladung". Nicht Landeskirchenregierungen, sondern allenfalls „Kirchenführer" seien die Auftraggeber; auch nicht der Reichsbruderrat als solcher sei anzusprechen, sondern die Mitglieder der damaligen Delegation. 3. „Einen weiteren Einwand erhebe ich dagegen, daß eine solche entscheidend wichtige Zusammenkunft, mit deren Stattfinden allein schon eine Vorentscheidung gefällt ist, ohne Anhörung des Rates durch den Leiter der Kanzlei im Auftrag des Vorsitzenden geschieht, kurze Zeit nachdem der Rat in Speyer getagt hat." Der vierte Einwand richtet sich gegen den Termin (LKA STUTT-

GART, D

1/224).

O t t o Friedrich (1883-1978), Dr. jur., 1925 O K R Karlsruhe, 1933 Lehrauftrag für Kirchenrecht Heidelberg, 1937-1945 suspendiert. 21 A E K D , 046.

Kapitel 16 DER BRUDERRAT DER EKD UND DER LUTHERISCHE ZUSAMMENSCHLUSS

7.ur Vorgeschichte

der Neuendettelsauer

Gespräche

Auf der dritten Sitzung des Bruderrates in Treysa am 5./6. Mai 1946 wurde im Zusammenhang mit der Diskussion um die endgültige Ordnung der EKD und dem Wunsch nach einer Bekenntnissynode beschlossen, direkte Verhandlungen mit dem Lutherrat zu suchen. Ein erstes Gespräch zwischen Vertretern beider Gremien fand dann bereits am 25. Juni 1946 in Neuendettelsau statt. Das zweite Gespräch folgte erst im Dezember 1946. Der Bruderrat hatte sich schon auf seiner Tagung am 19./20. März in Darmstadt mit der Frage einer Bekenntnissynode beschäftigt 1 , und zwar im Zusammenhang mit der Diskussion um das Selbstverständnis der Bekennenden Kirche und ihrer Beziehung zur EKD, und er hatte das Ergebnis thesenartig in dem „Hauptbeschluß des Bruderrates der EKD am 20. 3. 1946" formuliert 2 . Der Punkt VII des Beschlusses spricht von der Notwendigkeit einer „synodalen Vertretung und durchgängigen Ordnung" für die EKD, ,,die es ihr ermöglicht, die dringlichen Aufgaben der evangelischen Christenheit in Deutschland zu erfüllen." Es ist kein Zufall, daß gerade der Bruderrat das Thema der Synode aufgreift und zur Diskussion stellt. Einmal ist das Selbstverständnis des Bruderrates eng mit der Synode verbunden, denn von der Synode ist er beauftragt und damit ihr über alle seine Schritte Rechenschaft schuldig. Zum anderen ist in seinem Kirchenverständnis die Synode, aus der eine echte Leitung hervorgeht, ein konstituierendes Element. Es ist ebenfalls kein Zufall, daß der Bruderrat in dieser Frage zuerst eine Vorklärung mit dem Lutherrat beschließt, denn von diesem Gremium muß er mit Recht mit den meisten Widerständen rechnen. Der aktuelle Anlaß für den Bruderrat, sich seiner Mitverantwortung für die EKD von Treysa her zu erinnern, ist die Sorge, daß durch die lutherischen Pläne Tatsachen 1 Vgl. Protokoll der Sitzung; auf der Tagesordnung standen 4 Themen, die jeweils von einer Kommission bearbeitet wurden: 1. Verkündigung; 2. Ordnung und Synode; 3. Geistliche Ordnung des Pfarrerstandes; 4. Politische Fragen (LKA DARMSTADT, 36/22). 2 Veröffentlicht in: VONB1 Nr. 13, April 1946.

Vorgeschichte der Neuendettelsauer Gespräche

203

geschaffen werden, die die Entwicklungsmöglichkeiten der EKD zur Einheit hin blockieren 3 . Auf der Sitzung des Bruderrates am 5. Mai wurde die Diskussion zu dem Tagesordnungspunkt „Die Ordnung der Kirche" durch kurze Referate von Beckmann und Held eingeleitet 4 . Aus diesen Referaten und aus den Diskussionsbeiträgen ergeben sich vier Hauptgesichtspunkte: 1. Da der Reichsbruderrat seine Legitimität nicht durch sich selbst habe, sollte die Bekenntnissynode einberufen werden, um die Entscheidungen des Reichsbruderrates von Treysa zu bestätigen 5 . 2. Angesichts der lutherischen Pläne, die eine neue Lage schufen, müßten die Abmachungen von Treysa neu überdacht werden 6 . Die EKD brauche eine Synode, die hier verbindlich sprechen könne. So wie die Bekenntnissynode die Einheit der Kirche zur Zeit des Kirchenkampfes bewahrt habe, so sei es auch heute ihre Aufgabe, gegen die konfessionalistischen Bestrebungen für die Einheit der Kirche einzutreten. 3. Der EKD fehle das synodale Organ zum einen, um eine endgültige Ordnung beschließen zu können, zum anderen, um als echte Kirche aufzutreten. Da es nicht der Auftrag des Reichsbruderrates sei, Ämter zu besetzen, sondern die Sache der Bekennenden Kirche durchzusetzen, sei es seine Aufgabe, bei der Schaffung einer Synode der EKD mitzuhelfen. 4. Wenn die Bekennende Kirche völlig in die EKD integriert werden solle, dann müsse eine Synode der EKD existieren, an die die Bekenntnissynode ihre Funktionen abgeben könne, so wie der Bruderrat dies schon dem Rat der EKD gegenüber getan habe. Nach einer kurzen Diskussion beschloß der Bruderrat, sich bei der Zusammensetzung der Synode an der letzten Synode der DEK in Oeynhausen zu orientieren. Daneben wurde aber auch von einem zweiten Organ, nämlich von einem Kirchentag gesprochen. Für die Aufgabenverteilung zwischen Synode und Kirchentag wurden drei Möglichkeiten erwogen: 1. Es wird ein Kirchentag mit dem Thema „ O r d n u n g und Kirche" abgehalten, in dessen Rahmen eine Tagung der Synodalen von Oeynhausen stattfindet. 3 Niemöller betonte auf der Sitzung am 5. 5. 1946: „Es ist ein Faktum, daß fortgeschrittene Pläne zu einer Lutherischen Kirche vorliegen. Die Gemeinden in Deutschland wollen kein Auseinanderreißen in konfessionelle Sektoren" (vgl. Anm. 4). 4 Sitzungsprotokoll (LKA DARMSTADT, 36/22); Bericht über die Tagung des Bruderra-

tes der E K D a m 5. u n d 6. 5. 1 9 4 6 ( L K A STUTTGART, D 5

1/224).

Kloppenburg: „Wir haben uns in dem, was wir in Treysa als Reichsbruderrat getan haben vor dem Gremium, das uns beauftragt hat, zu verantworten. Nämlich vor der Bekenntnissynode." 6 Held: „Die Bekennende Kirche ist maßgebend beteiligt als ein Partner mit bestimmter Haltung an dem Zustandekommen der EKD."

204

Bruderrat der E K D und lutherischer Zusammenschluß

2. Die Synode tritt zusammen, um die Entscheidung von Treysa zu legalisieren; danach löst sie sich auf. Anschließend findet ein Kirchentag statt, der sich mit der Ordnung der Kirche befaßt. 3. Die Bekenntnissynode legalisiert Treysa und beschließt als solche die Ordnung der Kirche. Der Bruderrat entschied sich selbst für die dritte Möglichkeit, d. h., daß er bei der Frage der Synode der E K D noch einmal an notrechtliche Bestimmungen anknüpfen möchte. Auf Antrag Dippers wurde beschlossen, mit dem Plan einer Synode nicht an die Öffentlichkeit zu treten, ohne vorher mit dem Lutherrat geklärt zu haben, „ o b das lutherische Projekt innerhalb der E K D möglich ist." Dahinter stand wohl die Befürchtung, daß sich ohne eine Vorklärung die Situation von Oeynhausen wiederholen könnte. Asmussen wurde beauftragt, einen Brief an den Vorsitzenden des Lutherrates zu schreiben; Beckmann, Iwand und Dipper wurden als Vertreter des Bruderrates für die Verhandlungskommision mit dem Lutherrat bestimmt. Gleichzeitig wurde eine Verfassungskommission, bestehend aus Mensing, Held und Ehlers, eingesetzt, die einen Entwurf für die künftige Verfassung der E K D erstellen sollte. Erik Wolf sollte in diese Beratungen miteinbezogen werden. Am 9. Mai 1946 schrieb Asmussen als Vorsitzender des Bruderrates der E K D an Meiser, den Vorsitzenden des Lutherrates, daß der Bruderrat sich mit der „ Z u k u n f t der Evangfelischen] Kirche in Deutschland befaßt" habe und dabei die Frage aufgetaucht sei, ob eine Bekenntnissynode, und zwar auf der Basis der Synode von Oeynhausen, einzuberufen sei 7 . Diese Synode hätte einmal die in Treysa getroffenen Entscheidungen zu bestätigen und zum zweiten ein „ V o t u m über die zukünftige Gestaltung der E K D " abzugeben, das dann dem Rat der E K D vorzulegen sei. Weiter heißt es in dem Brief: „ I m Verlauf der Beratungen über diese Gegenstände wurde beschlossen, vor Einberufung der Synode mit dem Lutherischen Rate Fühlung zu nehmen, um alle innerhalb unserer Reihen vorhandenen Spannungsmomente möglichst zu neutralisieren." Am 18. Mai 1946 übersandte Meiser den dem Lutherrat angeschlossenen Kirchen eine Abschrift des Briefes von Asmussen mit der Bitte um eine Stellungnahme 8 . Seine persönliche Meinung zu beiden Punkten teilte Meiser mit. Er befürworte zwar das gewünschte Gespräch, lehne aber die Einberufung einer Synode ab, da er „ v o n der Zwischenschaltung eines in der Vorläufigen Ordnung der E K D nicht vorgesehenen Organes nur neue Verwicklungen befürchte." Außerdem könne er diesem Organ „eine legale Zuständigkeit" nicht zugestehen. 7 8

O K R STUTTGART, Reg. Gen. 115 b (Abschrift). Ebd.

Erstes Neuendettelsauer Gespräch

205

Die württembergische Kirchenleitung gab die gewünschte Stellungnahme am 29. Juni 1946 an den Lutherrat weiter 9 . Die Kontaktaufnahme zwischen Lutherrat und Bruderrat wird hierin aufs wärmste begrüßt, und als Gesprächspartner von Seiten des Lutherrates werden Lilje, Bogner und Schlatter vorgeschlagen. Zur Bekenntnissynode wird nur gesagt, daß die württembergische Kirchenleitung „ z u n ä c h s t " gegen diesen Plan „erhebliche Bedenken" habe. Aus einer schriftlichen Meinungsäußerung Schlatters, die er als Gesprächsunterlage für die Diskussion innerhalb des Oberkirchenrates angefertigt hatte, geht hervor, welcher Art diese Bedenken waren 1 0 . Schlatter sieht in der Einberufung einer Bekenntnissynode durch den Reichsbruderrat einen kirchenregimentlichen Akt, zu dem aber der Reichsbruderrat seit Treysa nicht mehr berechtigt sei. Prälat Haug beschränkte sich in seinem Kommentar zu Schlatters Äußerung darauf, vor einer Bekenntnissynode „ i m jetzigen Stadium der Entwicklung" zu warnen. „ E s könnte ein neues Oeynhausen werden!" 1 1 Nach der Kirchenkonferenz von Treysa im Juni 1947 wurde das Problem einer Synode der E K D noch einmal erörtert. Diesmal ging der Anstoß dazu vom Lutherrat aus, der in großer Besorgnis wegen der in Treysa beschlossenen verfassunggebenden Kirchenversammlung ein Memorandum herausgab mit dem Titel „Synode und Kirchenregiment" und dieses am 21. Juli 1947 an die dem Lutherrat angeschlossenen Kirchen verschickte. Die Reaktion auf diese Ausführungen von Seiten Württembergs war eine totale Ablehnung und Empörung. Die Grundhaltung des Memorandums wurde als Verrat an Treysa II angesehen und als eine empfindliche Störung der Atmosphäre innerhalb der E K D betrachtet.

Das erste Neuendettelsauer

Gespräch

A m 25. Juni 1946 fand in Neuendettelsau die Besprechung zwischen Vertretern des Reichsbruderrates und des Lutherrates statt. Anwesend waren Iwand, Dipper und Beckmann vom Bruderrat; Meiser, Merz, Lilje, Bogner und Stoll vom Lutherrat. Am 6. Juli 1946 schickte Beckmann an Asmussen einen Bericht über das Gespräch zur Vorbereitung der Tagung des Bruderrates am 16. Juli 1946, den er ausdrücklich als „persönlichen Bericht" im Gegensatz zum Protokoll charakterisierte 12 . Der Berichtcharakter ist dadurch gewahrt, daß Beckmann sehr 9 10

Ebd. (Entwurf des Antwortschreibens). Ebd.

11

Ebd.

12

L K A DARMSTADT, 3 6 / 2 2 .

206

Bruderrat der E K D und lutherischer Zusammenschluß

sachlich schreibt und sich jeder Meinungsäußerung und jeden Kommentars enthält. Dipper dagegen, der ebenfalls einen Bericht über das Gespräch an Asmussen als den Vorsitzenden des Bruderrates schickte, sparte nicht mit Kritik und eigenen Eindrücken 13 . Zu Beginn des Gespräches formulierte Beckmann drei Fragen, die vor allem geklärt werden sollten: 1. „Wie steht es mit der Zugehörigkeit zur Bekenntnissynode der EKD?" 2. „Was ist der Sinn des Zusammenschlusses der vereinigten evangelisch lutherischen Kirche?" 3. „Wie soll die endgültige Ordnung der EKD aussehen?" Bogner antwortete in einem Referat, in dem er herausstellte, daß eine Vereinigung der lutherischen Kirchen schon auf den Bekenntnissynoden der DEK gefordert worden sei und daß der Rat der EKD in seiner Erklärung über das Recht von Landeskirchen, sich zusammenzuschließen 14 , dies für die EKD bestätigt habe. Das Gespräch konzentrierte sich dann hauptsächlich auf die Frage des Verhältnisses der Vereinigten lutherischen Kirche zur EKD. Zwei Punkte aus dieser Diskussion sind besonders wichtig, da sie im weiteren Verlauf der Auseinandersetzungen immer wieder Unklarheiten verursachten. Hinsichtlich des Verhältnisses der Vereinigten lutherischen Kirche zu den Unionskirchen wurde von Meiser ausdrücklich erklärt, daß „keinerlei Eingriffe in den Status der Unionskirchen geplant" seien und deswegen im Verfassungsentwurf nicht vorgesehen sei, daß eine ,,luth[erische] Gemeinde, die unter einem anderen Kirchenregiment steht, sich der luth[erischen] Kirche anschließen könnte." 1 5 Als Antwort auf die Bedenken, daß angesichts eines so starken Lutherblockes die EKD bedeutungslos sein würde, wurde versichert: „ A n eine ausgesprochene Blockbildung der luth[erischen] Kirchen in der EKD sei nicht gedacht, sondern die verschiedenen luth[erischen] Kirchen sollten ihre selbständige Vertretung in den Organen der EKD haben." 1 6 13

Ebd. Erklärung des Rates der E K D vom 13. 1. 1946 (VONB1 N r . 7, Februar 1946). 15 Vgl. dagegen die Aussagen von Stoll in seinem Artikel vom 18. 5. 1946 (vgl. oben S. 183). 16 Dipper schreibt in seinem Bericht vom 6. 7. 1946 an Asmussen: „ N a c h meiner Rückkehr ist es mir nun bei der Durchsicht des Verfassungsentwurfes der Vereinigten evang[elisch]lutherischen Kirche Deutschlands, der unserer Kirchenleitung nunmehr zugeleitet wurde, sehr fraglich geworden, inwieweit die Herren vom Lutherischen Rat die Möglichkeit zu einem solchen Entgegenkommen hatten, denn dieser Verfassungsentwurf ist sehr zentralistisch. Es handelt sich um eine Vereinigung zu einheitlicher Kirche, in der die einzelnen Kirchen der Föderation nur noch als Gliedkirchen erscheinen, die in jeder Hinsicht in ihrer Selbständigkeit begrenzt sind und keine eigene Außenpolitik treiben können. Wird der Entwurf so durchgeführt, so handelt es sich nicht nur um eine Blockbildung, sondern geradezu um eine Fusion. Es wäre zweifellos richtiger gewesen, wenn die Herren vom Lutherrat uns über die Grundzüge des Verfassungsentwurfes 14

207

Beschluß des Bruderrats zum Weg der Bekennenden Kirche

In bezug auf die Einheit der E K D wurde beteuert, daß man an ihr „unbedingt festhalten wolle", wobei drei Einschränkungen zu gelten hätten: keine Union, kein zentrales Kirchenregiment, keine Synode im Sinne des reformierten Bekenntnisses. Das Ergebnis der Besprechung wurde schließlich von Iwand und Merz formuliert und von den Beteiligten „einmütig" als „Erklärung von Neuendettelsau vom 25. Juni 1946" gebilligt. In der Frage einer Veröffentlichung wurde festgestellt, daß sie „für gut gehalten" werde, sobald der Bruderrat die Erklärung bestätigt habe. Dies geschah auf der Sitzung vom 17. Juli 1946 17 .

Der Beschluß des Bruderrates zum Weg der Bekennenden

Kirche

Auf seiner Tagung am 16./17. Juli 1946 befaßte sich der Bruderrat unter Anwesenheit von Landesbischof Wurm mit den Ergebnissen des Neuendettelsauer Gespräches, beschloß dessen Fortsetzung und bejahte die in Neuendettelsau gefaßte Erklärung 18 . Diese positive Reaktion muß man im Zusammenhang sehen mit den Berichten der Teilnehmer und ihren Eindrücken 19 . Selbst Iwand erklärte z . B . während der Berichterstattung, daß er für ein „einmütiges Ja zu den Plänen der V E L K D " plädiere aufgrund der Versicherung, daß „die Mitgliedschaft der lutherischen Kirchen bei der E K D eine Einzelmitgliedschaft bleibt und daß es zu keiner Blockbildung innerhalb der EKD kommt und daß das Gesamtgefüge nicht tangiert wird" 2 0 . Iwand stützte sich zusätzlich auf das Votum Württembergs zu dem Verfassungsentwurf der V E L K D , das auch klar herausstelle, daß "die E K D die „vorgeordnete Einheit" sein müsse. Die Haltung Württembergs wird also gewissermaßen als Garantie für eine akzeptable Weiterentwicklung der V E L K D angesehen21. Klarheit gegeben hätten. Es kann der Eindruck entstehen, als hätten sie uns mit freundlichen Worten an der Sache vorbeiführen wollen" (vgl. oben Anm. 12). 1 7 Veröffentlichung des Textes in: V O N B 1 N r . 31, 1946. 1 8 Mit kurzer Einleitung und einem Nachsatz vervielfältigt und verschickt als „Beschluß des Bruderrates der Evang. Kirche in Deutschland vom 17. Juli 1 9 4 6 " ( L K A STUTTGART, D 1/224). 1 9 Asmussen: „Die Berichte, die ich bisher bekommen habe, lauten sehr günstig." (Sitzungsprotokoll vom 16./17. 7. 1946; L K A DARMSTADT, 36/22). 2 0 Held fügte hinzu: „ I n der Bildung der V E L K D soll das Evangelische wirklich dem Lutherischen vorgestellt sein" (ebd.). 2 1 Vgl. Dipper in seinem Bericht an Asmussen: „ D e r Entwurf wird zweifellos innerhalb der lutherischen Kirchen selbst großen Widerständen begegnen, von Württemberg wird er abgelehnt werden. Ein sehr präziser diesbezüglicher Entwurf ist bereits ausgearbeitet. Die Herren werden beschworen, zunächst mit ihrem Projekt einmal zu warten, bis die Verfassung der E K D greifbare Gestalt gewonnen habe. So wird man also abwarten können, wie die Sache innerhalb des Luthertums sich weiterentwickelt, und wir können

B r u d e r r a t der E K D und lutherischer Z u s a m m e n s c h l u ß

208

Der Bruderrat verabschiedete am 17. Juli noch eine eigene Erklärung zur Neuordnung der Kirche 2 2 . Dieser Beschluß des Bruderrates zum Weg der Bekennenden Kirche ist in seinen Formulierungen direkt auf die Aussagen der Neuendettelsauer Erklärung zu beziehen. In beiden Texten wird die Einheit der evangelischen Kirche übereinstimmend qualifiziert: sie wurde durch den Kirchenkampf gewonnen und durch die Konvention von Treysa bejaht. Diese Einheit nicht gefährden zu wollen, sagten die Lutheraner in der Neuendettelsauer Erklärung zu. Die Bitte des Bruderrates, sie nicht nur nicht zu gefährden, sondern sie zu stärken und zu vertiefen, knüpft hier an. Es wird dann konkret hinzugefügt, wo diese Vertiefung und Stärkung der Einheit einzusetzen habe, nämlich bei der Gemeinde; d. h. daß bei der Neuordnung der Kirche die Organe, die die Gemeinde beruft, also die synodalen Vertretungen, das entscheidende Wort zu reden haben 23 . Diese wörtliche Ubereinstimmung im allgemeinen Teil beider Erklärungen ist trügerisch, da wieder nur Begriffe verwendet werden, ohne sie zu konkretisieren. Da die in Treysa gemeinte Einheit schon bald von den Vertragspartnern verschieden ausgelegt worden war, ist es eigentlich unverständlich, daß an einen so ungeklärten und kontroversen Begriff wieder angeknüpft wurde. Auch hätte klar sein sollen, daß über die „Früchte des Kirchenkampfes" kaum ein Konsensus bestand. Beim zweiten Neuendettelsauer Gespräch wurde dann auch als erstes von beiden Seiten beklagt, daß die Erklärung so wenig Erfolg gehabt habe und keineswegs zum Abbau von MißVerständnissen und Spannungen beigetragen hätte. Beide Seiten warfen sich vor, die gegenseitigen Abmachungen nicht ernst zu nehmen, anders zu reden als zu denken und zu handeln und dem Gesprächspartner nicht wirklich zu glauben. Es wurde von beiden Seiten die Frage gestellt, ob es da überhaupt noch einen Sinn hätte, weiter zusammenzukommen. Das zweite Gespräch blieb auch ohne Ergebnis. Eine Fortsetzung wurde nicht beschlossen.

auf der Linie der in Neuendettelsau

niedergelegten

Entschließung einstweilen

ruhig

f o r t f a h r e n " (vgl. oben A n m . 16). 22

Bericht über die T a g u n g in: V O N B 1 N r . 2 5 , 15. 8. 1 9 4 6 ; teilweiser A b d r u c k des

Beschlusses. 23

D i e letzten Sätze des Beschlusses, die im V O N B 1 fehlen, beziehen sich auf inner-

kirchliche Auseinandersetzungsmethoden, die der Hauptgegenstand der B e r a t u n g e n am 16. und 17. 7. waren, ebenso wie auf „ b ü r o k r a t i s c h e s " , „ u n b r ü d e r l i c h e s " Verhalten in E K D - O r g a n e n . „ A u s diesen E r w ä g u n g e n heraus bittet der B r u d e r r a t der E K D den R a t der E K D , in seiner eigenen Mitte den gleichen Gefahren zu begegnen und seine Entschließungen nach brüderlicher Beratung zu fassen . . . " ( L K A DARMSTADT, 3 6 / 2 2 ) .

Kapitel 17 GLIEDKIRCHEN DER EKD U N D DER LUTHERISCHE ZUSAMMENSCHLUSS

Am 20. Mai 1946 verschickte der Lutherrat an die ihm angeschlossenen Kirchenleitungen den Verfassungsentwurf der Vereinigten Ev.Luth. Kirche Deutschlands, der auf der Vollsitzung in Treysa gebilligt worden war, mit der Aufforderung, dazu bis zum 1. Juli Stellung zu nehmen 1 . In dem Begleitbrief teilte Meiser auch das weitere Verfahren mit, das zu einer möglichst schnellen Konstituierung der V E L K D führen sollte 2 . Zwei Reaktionen, die bedeutsam für die gesamte E K D sind, sollen hier kurz dargestellt werden: die Haltung der lutherischen Kirchen in der russischen Besatzungszone, der sog. Ostkirchen, wie sie aus einem Brief von Landessuperintendent Lau an Wurm und einem Brief von Dibelius an Lilje ersichtlich ist; dann die amtliche Stellungnahme zum Verfassungsentwurf der V E L K D des Oberkirchenrates der Evangelischen Landeskirche in Württemberg.

Die Haltung der Ostkirchen zum Verfassungsentwurf

der

VELKD

Am 7. August 1946 schrieb Landessuperintendent Lau von der sächsischen Kirche an Wurm, um ihm „Rechenschaft" abzugeben über die Haltung der eigenen Landeskirche und damit auch in Grenzen über die L K A STUTTGART, D 1/229 (Abschrift). Vgl. dazu auch oben S. 176ff. „Nach längeren sorgsamen Vorbereitungen übersenden wir anliegend den fertiggestellten Verfassungsentwurf, wie er die Billigung der Vollsitzung in Treysa gefunden hat, zur Stellungnahme, die wir baldigst, spätestens bis 1. Juli d. J . , erbitten. Es wird dann allerdings nicht möglich sein, die verschiedenen Äußerungen wieder allen Kirchen zuzuleiten. So wäre ein Ergebnis der Verhandlungen nicht abzusehen. Wir müssen deshalb für die Kanzlei bzw. den Verfassungsausschuß um die Vollmacht bitten, auf Grund der eingehenden Äußerungen die Verfassung endgültig fertigzustellen und dabei Änderungen, die etwa von der überwiegenden Mehrzahl gleicherweise vorgeschlagen wurden, und überzeugend einleuchtende Verbesserungen noch aufzunehmen, andere Vorschläge dagegen unberücksichtigt zu lassen. Die auf solche Weise endgültig festgestellte Verfassung wird alsdann mit möglichster Beschleunigung den Kirchenleitungen zur Annahme durch die gesetzgebenden Körperschaften zugeleitet werden. Bis dahin ist der Verfassungsentwurf noch streng vertraulich zu behandeln" ( L K A STUTTGART, D 1/229). 1 2

210

Gliedkirchen der EKD und lutherischer Zusammenschluß

Haltung der übrigen lutherischen Kirchen im Osten 3 . Und zwar verdiene Wurm diese Rechenschaftsabgabe in zweierlei Hinsicht: einmal in seiner Funktion als lutherischer Bischof, zum anderen als „ H a u p t der E K D " 4 . U n d diese doppelte Verpflichtung - einerseits dem Luthertum, andererseits der gesamten E K D , besonders ihrer im Ostraum gebotenen Gemeinschaft gegenüber - durchzieht das gesamte Schreiben: „ S i e werden gewiß gehört haben, daß auch die lutherischen Landeskirchen der östlichen Zone sich intensiv befaßt haben mit dem Entwurf einer Verfassung der lutherischen Kirche und damit überhaupt mit dem Fragenkomplex der lutherischen Einigung. Daß die sächsische Landeskirche sich nicht hat entschließen können, einfach ,ja' zu sagen zu dem Verfassungswerk, an dem jetzt gebaut wird, wird Ihnen ebenfalls bekannt geworden sein. Sie erlauben mir bitte, daß ich Ihnen die Motive, die uns zu solcher Entschließung veranlaßt haben, schreibe; ja, daß ich überhaupt versuche, Ihnen zu sagen, wie wir die Dinge sehen." Lau betont die grundsätzliche Bereitschaft seiner Kirche zur Mitarbeit an der V E L K D , bemängelt aber die Methode, mit der man diese vereinigte Kirche schaffen wolle; anstatt erst „ d i e Lebensformen der einzelnen Kirchen aufeinander" abzustimmen, stülpe man von oben ein Verfassungswerk über sie. Lau meint, eine Verfassung sollte das Ergebnis einer Zusammenarbeit sein: „ D a s Erste darf aber solche Verfassung schwerlich sein." Wichtiger aber noch sind für Lau die möglichen Gefahren, die der lutherische Zusammenschluß für die Kirchen in der Ostzone haben könnte: „ V o r allem aber liegt uns - dafür muß ich um besonderes Verständnis bitten im Blick auf die Eigenart unseres Lebens in der Ostzone - ganz besonders am Herzen, das rechte Verhältnis aller Kirchen der Ostzone zueinander. Es könnte sich verhängnisvoll auswirken, wenn durch eine ungeschickte Gruppenbildung und vor allem gruppenmäßige Verfestigung einzelner Landes- oder Provinzialkirchen im Ostraum nach außenhin der Schein entstünde, als wäre die Kirche des Ostraums zerteilt." Lau weist dann auf die bis jetzt geleistete gute Zusammenarbeit der Ostkirche hin, die dadurch erleichtert werde, daß die unierten Kirchen eine „lutherische Grundhaltung" hätten. Neben dieser Zusammenarbeit 3

O K R STUTTGART, R e g . G e n . 119 e.

Franz Lau (1907-1973), Lie. theol., 1936 Direktor des Predigerseminars Lückendorf, 1940 Pfr. und 1946 Sup. Dresden, 1945 Landessup. und vorläufiger geistlicher Leiter der Ev.-luth. Landeskirche Sachsens, 1947 Prof. für Kirchengeschichte Leipzig. 4 ,,Zunächst liegt mir aber vor allem daran, Ihnen einfach ganz schlicht Rechenschaft zu geben über unsere Stellung und Haltung, also Sie, der Sie lutherischer Bischof sind, des Bewußtseins unserer Lutherischen Verpflichtung zu versichern, aber auch Ihnen in Ihrer Eigenschaft als Haupt der EKD zu sagen, daß wir von demselben inneren Anliegen uns bedrängt fühlen, daß Sie, an der Spitze der ganzen EKD stehend, vertreten müssen" (vgl. Anm. 3).

Haltung der Ostkirchen

211

bestehe das Bemühen weiter, unter den lutherischen Kirchen ,,den Rhythmus des inneren Lebens aufeinander abzustimmen." Aber seinen schon oben angeführten Bedenken entsprechend schränkt Lau sogleich ein: „ A b e r wir möchten jetzt nicht Rechtsformen entstehen sehen, mit denen im gegenwärtigen Augenblick, wenn auch ungewollt, so doch tatsächlich Schranken zwischen den Kirchen des Ostraumes aufgerichtet werden." Schon am 4. Juli 1946 hatte Dibelius in einem Brief an Lilje 5 von der Aufnahme des Verfassungsentwurfes bei den Ostkirchen berichtet. Der Kreis der Ostkirchen sei gerade wieder in Berlin zusammengekommen, und die Wirkung der lutherischen Pläne sei ein Hauptthema gewesen: „ D i e Dinge liegen hier so, daß Mecklenburg bedingungslos den Weg Meisers mitgeht. Thüringen und Sachsen haben lebhafte Bedenken." Dibelius selbst ist der Meinung, daß eine V E L K D „ d e n Rahmen der evangelischen Kirche sprengen muß" und lehnt sie deshalb ab. Entscheidend ist aber für Dibelius, daß eine Aufspaltung der E K D für den Ostraum besondere Probleme aufwirft, da sich die Kirchen eine doppelte Vertretung gegenüber dem Staat nicht leisten könnten: „Thüringen und Sachsen haben dem sofort zugestimmt. Mecklenburg zögerte sehr, war aber zuletzt doch bereit, sich auf eine dauernde Zusammenarbeit mit der altpreußischen Kirche festzulegen. Das geschah dann in der Weise, daß wir einen Beirat für die Berliner Stelle der Kirchenkanzlei gebildet haben." Dibelius deutet an, daß die Verhandlungen sehr schwierig waren und daß er weitgehende Zugeständnisse habe machen müssen. U m ein neues Oeynhausen zu vermeiden, habe er den Lutheranern „ d e n begründenden Satz konzediert: .Nachdem Bischof Dibelius die Erklärung abgegeben hat, daß die Arbeit der altpreußischen Provinzen entsprechend der Herkunft der meisten Gemeinden nach dem lutherischen Bekenntnis ausgerichtet ist'." Dibelius fügt hinzu, daß er sich dessen wohl bewußt sei, daß das „manchem unserer Freunde zu weit gehen" wird, aber die „Verhaftung der lutherischen Kirchen des Ostens in unsere Gemeinschaft schien mir diesen Preis zu rechtfertigen." Der von Dibelius erwähnte Beirat setzte sich zusammen aus den geistlichen Leitern der Kirchenregierungen der lutherischen Landeskirchen und der altpreußischen Provinzialkirchen. Diese Ostkirchenkonferenz 6 hatte in der Berliner Kirchenkanzlei ihre zentrale Stelle für alle kirchlichen Arbeiten. Von den lutherischen Kirchen wurde Walter

5 L K A SUTTGART, D 1/212 (Abschrift); der Brief trägt als Anrede: „Mein lieber Hans!" Da es sich bei dem Angeredeten um ein Ratsmitglied handelt, Hans Meiser und Hans Asmussen aber durch Aussagen im Brief selbst ausgeschlossen werden, kann hier nur Hanns Lilje gemeint sein. 6 Vgl. dazu W. ZIMMERMANN, Luthertum.

212

Gliedkirchen der E K D und lutherischer Zusammenschluß

Zimmermann als hauptamtlicher Theologe zur Mitarbeit in die Kirchenkanzlei entsandt, um das lutherische Anliegen zu wahren7. In seinem Aufsatz „Das Luthertum der Ostzone und die konfessionelle Frage" urteilt Walter Zimmermann über die Arbeit der Kirchenkanzlei: „Die Kirchenkanzlei der Ostzone wird wie bisher . . . im Auftrage sämtlicher evangelischen Kirchen der Ostzone als eine Art Kirchenbundesamt die zentrale Stelle für alle kirchliche Arbeit sein, nicht im Sinne eines kirchlichen Machtfaktors, sondern um einen sehr selbstlosen Dienst zu tun." 8 Die Entscheidung der lutherischen Kirchen der Ostzone im Sommer 1946, die aus der besonderen politischen Situation heraus notwendig war, mit den altpreußischen Provinzialkirchen in einer Ostkirchenkonferenz zusammenzuarbeiten und eine gemeinsame Kirchenkanzlei zu unterhalten, war in demselben Maße, wie sie eine Entscheidung für die E K D war, eine Entscheidung gegen eine im bestimmten Sinne strukturierte V E L K D . Die Gefahr, eine zentrale lutherische Kirchenleitung als Zwischeninstanz zwischen den einzelnen Landeskirchen und dem Rat, bzw. der Kanzlei der E K D zu etablieren, ist damit gebannt. Ebenso ist die konfessionelle Säulentheorie als Aufbauprinzip für die E K D abgelehnt. Stellungnahme

des Ev. Oberkirchenrates in Stuttgart zum Entwurf vom 10. Juli 1946

VELKD-

In die von Wurm unterzeichnete Stellungnahme9 ist die intensive Diskussion eingegangen, die im Kollegium des Stuttgarter Oberkirchenrates seit Dezember 1945 geführt worden war. Hingewiesen wurde schon auf Weebers Kommentar zum VELKD-Entwurf vom Februar 1946; seine Kritik und Argumentation ist in der Vorrede zur Stellungnahme verarbeitet worden, die vor allem historisches Material anführt. In der Vorrede wird mit Dankbarkeit der fruchtbaren Arbeit im Lutherrat gedacht und diese Arbeitsgemeinschaft weiterhin bejaht. Es wird daran erinnert, daß die württembergische Kirche in Verantwortung gegenüber ihrer besonderen geschichtlichen Führung von Anfang an diese Arbeit im Blick auf die ganze evangelische Kirche in Deutschland geleistet habe. Und eben diese Verpflichtung gegenüber der Gesamtheit 7 Vgl. Beschlüsse der Ratstagung vom 1 0 . / I I . Oktober 1946: „10. Personalien der Kirchenkanzlei und des Kirchlichen Außenamtes. Auf Vorschlag von Bischof Dibelius Berufung von Pastor Zimmermann als hauptamtlicher Theologe an die Zweitstelle der Kirchenkanzlei . . . " (AEKD, 046). 8 E L K Z 1, 1947, S. 23. 9 A E K D , 012. Walter Zimmermann (1902-1972), 1927-1945 Stiftspfr. in Altenburg, führendes Mitglied des thür. Landesbruderrats.

Stellungnahme des Εν. Oberkirchenrates Stuttgart

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der evangelischen Kirchen in Deutschland mache es ihr unmöglich, sich in der vorgesehenen Form an einem engeren Zusammenschluß der lutherischen Kirchen zu beteiligen. „Durch diese Verfassung würde die gesunde Entwicklung einer Evangelischen Kirche in Deutschland gefährdet werden." 1 0 Der Abschnitt „Grundsätzliches" ist sehr wirkungsvoll komponiert und lebt durch die Gegenüberstellung von der V E L K D als „einem stattlichen lutherischen D o m " und der Wirklichkeit der E K D als einer „notvollen Gemeinschaft" von Kirchen und Christen in Deutschland. Nach Meinung des Oberkirchenrates verwirkliche sich der Gehorsam Christi im jetzigen Augenblick jedoch nicht im Bau einer lutherischen Kirche, die mit Bischofskonferenz und Primas durchaus „imponierend" und „eindrucksvoll" dastehen würde, womit er der in der Präambel zur Verfassung ausgesprochenen Uberzeugung widerspricht. Er sehe vielmehr gemeinsames Bekennen und gemeinsames Handeln heute in erster Linie als Aufgabe der E K D an: „Nur so werden wir der Wirklichkeit gerecht, wie sie uns entgegentritt in der Lage unseres Volkes, in der Lage der E K D im Ganzen, in der Lage der einzelnen Kirchen und in der Situation der Ökumene." Die Lage des Volkes sei durch zwei einschneidende Maßnahmen bestimmt: Das deutsche Volk ist zerrissen durch Besatzungszonen, gespalten in einen westlichen und einen östlichen Teil und von Flüchtlingsströmen überflutet. Für die Kirche ergeben sich daraus zwei Konsequenzen. Einmal ein kulturpolitischer Aspekt: die Kirche müsse als letztes „geistiges Band der Einheit" erhalten bleiben, zweitens ein seelsorgerlicher Aspekt: die Kirche sei für viele als einzige Heimat erhalten geblieben. Sie könne aber diese Heimat nur sein, wenn sie an jedem Ort für jeden da sei, ohne konfessionelle Schranken aufzurichten: „Wir gehen an der Wirklichkeit der Lage unseres Volkes vorüber, die wir als Gericht Gottes anerkennen müssen, wenn wir nicht den Ruf zu 1 0 Vgl. den Aktenvermerk vom 26. 6. 1946: „Auf der Kollegialsitzung vom 25. 6. 1946 wurden Herr Prälat Dr. Hartenstein und Herr Oberkirchenrat Dr. Metzger beauftragt, einen Entwurf für die Antwort an den Rat der Ev.-Luth. Kirche Deutschlands zu machen. In der Sitzung kam einmütig zum Ausdruck, daß der Plan der Schaffung einer Ev.-luth. Kirche Deutschlands besonders im gegenwärtigen Zeitpunkt geeignet sei, die Gemeinsamkeit der E K D aufs Schwerste zu gefährden und daß die Württ. Landeskirche deshalb bei ihrer Stellungnahme zu der Vorlage des Lutherrates sich ihrer Verantwortung für das Gesamte der EKD in besonderer Weise bewußt sein müsse" ( O K R STUTTGART, Reg. Gen. 119 e).

Aktenvermerk von Weeber vom 29. 6. 1946: „In der Sitzung des Landeskirchentages am 28. 6. 1946 kam Pfr. Esche mit Dekan Dipper auf den Plan der luth. Kirche zu sprechen. Der Herr Landesbischof antwortete und versicherte, daß unsererseits nichts geschehen werde, was die Einheit der E K D gefährden könnte" ( O K R STUTTGART, Reg. Gen. 119 e). Wolfgang Metzger (geb. 1899), Dr. theol., 1935 Hg. des Ev. Kirchenblatts für Württemberg, 1946 OKR und Prälat Stuttgart.

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Gliedkirchen der E K D und lutherischer Zusammenschluß

einer Einigung der Evangelischen Kirchen in Deutschland auf dem Boden einer echten, biblischen Unität hören und beantworten." Die zentralistische Verfassung der V E L K D bedrohe die Einheit der E K D , da sie durch ihre weitgehenden Kompetenzen Aufgabenbereiche der E K D übernehme und damit deren Handlungsmöglichkeiten aushöhle: „Sie sprengt die von den Kirchen und Gemeinden, von den Pfarrern und Laien ersehnte, als Frucht des Kirchenkampfes erwartete Zusammenfassung einer E K D zu einer echten Kirchengemeinschaft." Es folgt dann eine kurze Zusammenstellung der gemeinschaftsstiftenden Ereignisse wie Ulm, Barmen, Dahlem, Augsburg, nach dem Bruch von Oeynhausen dann ab 1941 das Einigungswerk und schließlich die Konvention von Treysa, wo sich im gemeinsamen Bekennen „echte biblische Unität" verwirklicht habe. „Daß die Frage der Bekenntnisbestimmtheit dieser E K D schwer zu lösen ist", weiß auch der Oberkirchenrat. Aber er argumentiert dagegen mit der diese Schwierigkeit relativierenden Gegenwart Christi, die innerhalb der E K D gemeinsames Wollen und gemeinsames Handeln ermögliche. Aus denselben Erwägungen heraus stößt der Artikel 1,5 der Verfassung, der die Abendmahlsgemeinschaft innerhalb der E K D ausschließt, auf heftigen Widerstand. Im Blick auf die unierten Kirchen wird der Sorge Ausdruck gegeben, daß trotz der in der Verfassung eingebauten Sicherungen sich einzelne Gemeinden von einem unierten Kirchenregiment lösen könnten und damit Aufspaltung in ihre Kirche hineintragen. Ausführlich wird dann auf die Lage der württembergischen Kirche eingegangen, d. h. auf den besonderen Frömmigkeitscharakter der Gemeinden und Pfarrer. Dazu gehören ζ. B. die Verbindungen zur Basler Mission, ein Mißtrauen gegen konfessionelle Tendenzen und ganz generell ein Festhalten an der „biblischen Unität". Für einen Anschluß an die V E L K D gäbe es daher mit Sicherheit keine zustimmende Basis 1 1 . In Bezug auf die Lage der Ökumene wird davor gewarnt, wie in der Vergangenheit mit konkurrierenden Stimmen aus Deutschland aufzutre-

1 1 Vgl. auch den Brief Hartensteins an Asmussen vom 2 0 . 5. 1946, in dem dieser seine Sorgen wegen des Entstehens der lutherischen Kirche ausdrückt. Hartenstein sieht in ihr eine Bedrohung für die Kirchen des Rheinlands, Westfalens und Württembergs. E r bittet Asmussen, die Arbeit an der Verfassung der E K D voranzutreiben, damit nicht durch den lutherischen Zusammenschluß Tatsachen geschaffen werden: „ I c h weiß mich in dieser Bitte mit den allermeisten unserer lebendigen jungen Pfarrer verbunden. Ich weiß, daß ich im Namen des allergrößten Teils unserer Gemeinden spreche, die nicht das geringste Verständnis dafür haben, daß Württemberg an eine lutherische Kirche angeschlossen werden sollte oder daß die von uns allen und von unserem Bischof in schwersten Jahren erbetene, erlittene und erhoffte Einheit der Kirche Christi in Deutschland im letzten Augenblick zum Scheitern verdammt ist" ( A E K D , 00 Bd. I).

Stellungnahme des Εν. Oberkirchenrates Stuttgart

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ten. „Stuttgart" habe gezeigt, daß die Kirchen nur aus der Einheit heraus mit Vollmacht sprechen könnten. Zusammenfassend heißt es: „Die Frage, um die es in Deutschland heute geht, ist nicht die konfessionelle Frage. Es geht vielmehr um das schlichte Entweder-Oder: Für Christus oder wider Christus." Dies habe der Kirchenkampf deutlich gezeigt, und gemeinsam habe man in Barmen das Bekenntnis zu Christus abgelegt: ,,Der Neubau der Kirche in Deutschland hat an diesem Punkte einzusetzen, wenn wir nicht an der Wirklichkeit, die uns heute gegeben ist, vorübergehen und gegen die Führung des Herrn der Kirche ungehorsam sein wollen." Die württembergische Kirche könne in dem Verfassungsentwurf der V E L K D nicht das Wort sehen, das hier weiterhelfe. Darum könne sie sich auch an einer Weiterentwicklung nicht beteiligen. Ihre erste Verpflichtung gelte der „Darstellung der Evangelischen Kirche in Deutschland"; danach erst wäre die Arbeit an einem vertieften lutherischen Verständnis der Verkündigung, des liturgischen Lebens oder der Ordnung in einer „Lutherischen Arbeitsgemeinschaft" möglich, erwünscht und ohne Zweifel fruchtbar. Die in dieser Erklärung ausgesprochene Haltung der württembergischen Kirche war auf der Tagung des Lutherrates in Göttingen das Hauptthema; sie rief dort vielfache Reaktionen hervor. So wurden vom Lutherrat drei theologische Gutachten zu der württembergischen Stellungnahme in Auftrag gegeben, die wiederum eine Antwort Württembergs herausforderten. Die Stellungnahme Württembergs zur V E L K D wurde Anfang 1947 von mehreren Seiten zur eigenen Orientierung und zur Information weiterer Kreise angefordert 12 ; sie hatte damit Bedeutung für die Formulierung eines Anti-VELKD-Konsensus, der über die spezielle Beziehung Württemberg-VELKD bzw. Lutherrat hinausging.

12 Die Kirchenkanzlei der E K D bat am 30. 1. 1947, „nachdem die württfembergische] Landessynode den Beitritt zur V E L K D abgelehnt hat", darum, die Begründung vom 10. 6. für eigene Verhandlungen kennenzulernen. Am 15. 2. 1947 wurden vom Oberkirchenrat für die Kirchenkanzlei der E K D und für die Rheinische Kirchenleitung (Mensing) vervielfältigte Exemplare verschickt. Am 15. 3. 1947 bat Superintendent Heuner aus Dortmund um 70 Exemplare der Stellungnahme, um sie an alle Pfarrer zu verteilen. Der Oberkirchenrat schickte am 18. 3. 1947 ein Exemplar an Heuner persönlich (alle Dokumente O K R STUTTGART, Reg. Gen. 119 e).

Fritz Heuner (1891-1962), 1935-1961 Pfr. und Sup. Dortmund.

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Gliedkirchen der EKD und lutherischer Zusammenschluß

Die Tagung des Lutherrates am 12. und 13. September 1946 in Göttingen Bereits am 24. Juli 1946 waren die Einladungen an die angeschlossenen Kirchen zu dieser Tagung ergangen 13 , in deren Mittelpunkt die Erörterung des VELKD-Verfassungsentwurfs stehen sollte. Am 13. August 1946 wurde durch Eilboten bekanntgegeben, daß die Tagung am 29./30. August in Neuendettelsau stattfinden werde 14 . Hinzugefügt ist: „ U m der Wichtigkeit der Sache willen bitten wir, unter allen Umständen die Teilnahme eines bevollmächtigten Vertreters jeder angeschlossenen Kirche zu ermöglichen." Endgültig wurde dann die Tagung auf den 12./13. September nach Göttingen verlegt. Am 2. September 1946 teilte Schlatter, der württembergische Vertreter beim Lutherrat, dem Oberkirchenrat in Stuttgart mit, daß er an Gesichtsrose erkrankt sei und nicht nach Göttingen fahren könne. Dies tue ihm deswegen besonders leid, da er habe versuchen wollen, mit dem Entwurf einer Verfassung der EKD, die Prof. Feine auf seinen Wunsch hin angefertigt habe, ,,auf eine geeinigte Kirche Deutschlands hinzuarbeiten, in der das Luthertum die führende Stellung hat." Schlatter legte seinem Schreiben den Feine-Entwurf bei, in dem er „eine wohlerwogene Arbeit mit guten Vorschlägen " sah 15 . Als Vertreter für Schlatter nahm Oberkirchenrat Metzger an der Tagung des Lutherrates in Göttingen teil. Sein Bericht an den Oberkirchenrat in Stuttgart vom 18. September 1946 dient uns hier als Quelle. Wie aus dem achtseitigen Bericht 16 Metzgers hervorgeht, war die Aufnahme des Verfassungsentwurfes der VELKD bei den angeschlossenen Kirchen und das sich daraus ergebende weitere Vorgehen das Hauptthema der Tagung. Entsprechend konnte die Ablehnung Württembergs die größte Aufregung verursachen. In der Versammlung fühlte man sich von Württemberg verraten und hintergangen. Deswegen löste die Stellungnahme auch keinen Denkprozeß aus, sondern eher eine Gegenreaktion, die sich als starres Festhalten am eingeschlagenen Weg manifestierte. Die Ostkirchen hatten keine Vertreter zur Tagung schicken können; ihre Stellungnahmen sind aber aus den bereits erwähnten Briefen von 13

O K R STUTTGART, R e g . G e n . 1 1 9 e.

Ebd. Ebd. Der Feine-Entwurf wurde am 21. 4. 1947 in einer Synopse zusammen mit dem VELKD-Entwurf und dem EKD-Entwurf des Bruderrates von der Kirchenkanzlei an alle Ratsmitglieder versandt. Für die Arbeit des Verfassungsausschusses wurde er nicht herangezogen. Vgl. dazu auch unten S. 327 ff. Hans-Erich Feine (1890-1965), Dr. jur., 1931-1958 Prof. für Rechtsgeschichte, Handelsund Kirchenrecht Tübingen. 14

15

16

L K A STUTTGART, D 1/213 (Abschrift).

Tagung des Lutherrates am 12. / 13. 9. 1946

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Lau und Dibelius bekannt. Aus Bayern waren Meiser, Bogner und Stoll anwesend, aus Hannover Marahrens, Fleisch, Lilje und Mahner 1 7 3 , aus Braunschweig Seebass und Erdmann, aus Schaumburg-Lippe Henke, aus Lippe-Detmold Ohnesorge, aus Hamburg Schöffel und aus Lübeck Pautke 1 7 a . Oldenburg war nicht vertreten. Metzger schreibt: „Nach dem Urteil D. Meisers ist man dort auf dem Wege zum Anglo-Katholizismus." Von den großen lutherischen Kirchen stimmten Bayern und Hannover dem Verfassungsentwurf zu; Lübeck und Württemberg lehnten ihn ab, während Hamburg, Schleswig-Holstein und Braunschweig Bedenken äußerten, die sich vor allem auf das Verhältnis E K D - V E L K D bezogen. Bis zur Klärung dieses Verhältnisses wollten diese Kirchen mit ihrem Votum warten. „Die Haltung Württembergs ruft eine 3-stündige bewegte Aussprache hervor. Die grundsätzliche Erklärung des Württ[embergischen] Ev. Oberkirchenrats wird verlesen; sie ruft Bestürzung, Staunen und Trauer hervor." Die Versammlung sah in der Argumentation der Stellungnahme keine Kontinuität zu früher vertretenen Zielen, sondern eine völlige Änderung: Schaffung einer biblischen Unität und Aufgabe des Bekenntnisstandes zugunsten eines Biblizismus. Damit stehe Württemberg in totalem Widerspruch zum Programm des Lutherrates. Es erhebe sich die Frage, ob Württemberg überhaupt noch Mitglied sein könne. Spekuliert wurde weiter, ob man in Stuttgart etwa schon immer so gedacht habe, d. h. ob man jahrelang ein falsches Spiel gespielt habe. Besonders die Bayern fühlten sich betrogen; die Stellungnahme war für sie die Absage der ehemals engen Verbindung zwischen den beiden süddeutschen Kirchen. Aus der Aussprache ergaben sich einige Fragen an Württemberg. Im Bereich von Theologie- und Kirchenverständnis wurde der Stellungnahme, wenn auch in fragender Form, eine Reihe von Zielen und Wertvorstellungen unterstellt, die dann jeweils mit einem positiven Wert konfrontiert wurden: Situationstheologie - Wahrheitsfrage; Biblische Unität=Lehrindifferentismus - Kirche mit scharfem Profil; der schwankende Boden der biblischen Unität - fester Boden der geschichtlichen

1 7 Metzger bemerkt zu der Delegation: „Auffällig war, daß die Hannoversche Opposition (Brunotte) gar nicht zugegen war." Wilhelm Mahner (1901-1957), 1929 Pfr. Oberg/Kreis Peine, nach 1933 führend in der BK in Hannover, nach 1945 O L K R im LKAmt Hannover. 1 7 a Martin Erdmann (1896-1977), 1924 Pfr. im Lande Braunschweig, 1945 Landeskirchenpräsident und 1947 Landesbischof der Braunschweigischen ev.-luth. Landeskirche. Wilhelm Henke (geb. 1897), 1933 Landessup. und Präsident des Landeskirchenrats und 1948-1966 Landesbischof der Ev.-luth. Landeskirche von Schaumburg-Lippe. Johannes Pautke (1888-1955), 1914 Pfr. Lübeck, 1945 Propst und 1948 Bischof der Ev.luth. Kirche in Lübeck. Hans-Eduard Seebaß (1894-1957), 1930-1957 Pfr. und 1936-1957 O K R Braunschweig.

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Gliedkirchen der E K D und lutherischer Zusammenschluß

Konfession; utopische Hoffnung - Politik des Erreichbaren. Als Fazit der Bemühungen Württembergs konnte die Versammlung nur folgende Fragen stellen: „Zerreißt man hier nicht wegen eines reformierten Splitters die Kirche Luthers?" In der Beurteilung der kirchlichen Lage wurde die Flüchtlingsfrage vom Lutherrat weniger dramatisch gesehen; man ging davon aus, daß der überwiegende Teil der Flüchtlinge ohnehin „lutherisch" und deswegen leicht zu integrieren sei. „Ist die Lage in der E K D richtig gesehen? Handelt es sich nicht einfach dort um den Versuch der Union (andere Lesart: der BK), die Herrschaft an sich zu reißen? Warum mißt man mit zweierlei Maß, indem man zwar den Lutheranern das Recht des konfessionellen Zusammenschlusses streitig macht, andererseits aber keine Einwendungen erhebt, wenn etwa die Reformierten innerhalb der Union einen eigenen Moderamen errichten?" 1 8 Es gehe schließlich den Lutheranern nicht darum, zu imponieren, sondern „das Erreichbare zu erreichen und eine Ordnungszelle im Chaos der E K D zu schaffen" 1 9 . Die wirkliche Bedrohung der Einheit der E K D gehe nicht von den Lutheranern aus, sondern von anderen Stellen. Nach dieser Wiedergabe von Meinungsäußerungen berichtet Metzger, daß er außer durch Lübeck aus der Versammlung heraus keinerlei Unterstützung für die Bedenken fand. Auch die Vertreter der 18 Die Aufzeichnung Metzgers zeigt einige typische Merkmale in der lutherischen Argumentationskette. Voraussetzung ist immer noch und immer wieder die „Überzeugung", daß die „ U n i o n " (in wechselnder Verkleidung) im Vormarsch ist. Dazu kommt das Bewußtsein, ungerecht beurteilt zu werden, welches aus dem Unvermögen zu differenzieren, ständig gespeist wird. Den Lutheranern wird das Recht des konfessionellen Zusammenschlusses an sich nicht streitig gemacht; es geht lediglich um das Wie. Und eben dieses Wie des Zusammenschlusses unterscheidet die geplante V E L K D von den reformierten Einigungsbestrebungen (vgl. dazu R . STEINER, Weg, besonders Abschnitt V I : Die Aufgaben der Reformierten nach dem Kriege). Niesei, der im Oktober 1946 zum Moderator gewählt wurde, wies schon auf der 4. Sitzung des Rates der E K D am 30./31. 1. 1946 darauf hin, „daß im Anschluß an Treysa zwischen den reformierten Kreisen Deutschlands, dem reformierten Kirchenausschuß und dem reformierten Bund, Fühlung aufgenommen worden ist, die zur Vereinbarung geführt hat, daß diese beiden Gremien künftig aufs engste zusammenarbeiten wollen. Sie haben einen Sechser-Ausschuß herausgestellt, der die beiden reformierten Mitglieder des Rates beraten soll. Wir wollen auch unsere reformierten Gemeinden und Kirchen pflegen, aber man kann das auf sehr verschiedene Weise wollen . . . " (Protokoll; A E K D , 046). 1 9 Angst vor Unruhe, d. h. ein starkes Sicherheitsbedürfnis ist ein durchgängiges Motiv für die Hauptakteure des lutherischen Zusammenschlusses. In vielen Protokollen über Gespräche mit lutherischen Teilnehmern wird das Argument einer notwendigen Ordnung im Chaos angeführt. Gerade in der Nachkriegszeit und nach den traumatischen Erfahrungen während der Hitlerzeit darf man den Ruf nach Ordnung als Folge einer psychischen Grundstruktur und zugleich als ihre Nahrung in seiner Anziehungskraft nicht unterbewerten.

Tagung des Lutherrates am 12. / 13. 9. 1946

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lutherischen Kirchen, die grundlegende Einwände in ihren Voten formuliert hatten, hielten sich zurück. So sei sein Vorschlag, sich zuerst um eine Ordnung der E K D zu bemühen, in die dann eine lutherische Kirche einzugliedern wäre, „genau so unwirksam" geblieben wie alles, was er zu sagen versucht habe. Die Versammlung beschloß dann "(ohne Abstimmung im einzelnen)" folgende sechs Schritte: 1. Das württembergische Votum durch drei theologische Gutachten von Universitätslehrern zu beantworten; 2. „Diese Gutachten zusammen mit dem sonstigen Schriftwechsel und dem Verfassungsentwurf in einem Weißbuch zu veröffentlichen, sofern die Antwort Württembergs nicht ein anderes Vorgehen möglich mache." 3. Den Verfassungsentwurf in letzter Lesung zu verabschieden, nachdem redaktionelle Änderungen vorgenommen worden seien. So wurde ζ. B. der Primas zugunsten eines „leitenden Bischofs" gestrichen. 4. Fleisch wird beauftragt, eine Begründung für den Entwurf zu erarbeiten. 5. „Den Weg dieses Entwurfes stimmungsmäßig vorzubereiten durch ein Wort an die Pfarrerschaft und Gemeinden." 6. Den Entwurf mit der Begründung den Synoden der angeschlossenen Kirchen vorzulegen. Als weitere Tagesordnungspunkte wurden die Lage in der E K D und das Verhältnis des deutschen Luthertums zur Ökumene und zu den lutherischen Freikirchen erörtert. Die Ergebnisse dieser Erörterung sind wichtig, da sie den Hintergrund abgeben für das Festhalten des Lutherrates am eingeschlagenen Weg. Die Lage in der E K D wird als chaotisch empfunden, sowohl was die Geschäftsführung des Rates als auch das Auftreten einzelner Ratsmitglieder angeht. Vor allem Niemöller und Asmussen werden in diesem Zusammenhang genannt. Als weiterer Faktor der Unruhe wird der Reichsbruderrat eingeordnet. Dem düsteren Bild „von der Verworrenheit der kirchlichen Lage in Deutschland, von der Kraftlosigkeit der Einigungstendenzen und von dem Auseinander und Widereinander der zentrifugalen Kräfte" wird als Ordnungsfaktor die lutherische Konzentration gegenübergestellt, die sich auch in vielen Einzelmaßnahmen in der Öffentlichkeit darstellen solle, so ζ. B. in einer Kirchenzeitung, der lutherischen Theologie, lutherischen Kirchentagen, Luther-Akademien etc. Bogner berichtete dann über die laufenden Verhandlungen einer Vereinigung der lutherischen Freikirchen Deutschlands, die allerdings überall noch auf Schwierigkeiten stoßen. „Die luth[erischen] Freikirchen sind das drohende Gespenst am Rande des deutschen Luthertums; wenn das landeskirchliche Luthertum Deutschlands einen Kurs steuere, der

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Gliedkirchen der EKD und lutherischer Zusammenschluß

unionsverdächtig sei (Biblische Unität?), drohe die Gefahr, daß die bewußten lutherischen Glieder aus den Landeskirchen zu den Freikirchen übergingen", faßt Metzger dieses Thema zusammen.

Die württembergische Landeskirche und die VELKD im Herbst 1946 ein Tiefpunkt in ihren Beziehungen Mit einem Schreiben an den Ev. Oberkirchenrat in Stuttgart kündigte der Lutherrat am 19. September 1946 als Antwort auf die Stellungnahme zur VELKD die theologischen Gutachten an: „Das Schreiben des Evang. Oberkirchenrats wurde am 13. des M[ona]ts der Vollversammlung des Rates der Evang.-Luth. Kirche Deutschlands in Göttingen zur Kenntnis gebracht. Die Vollversammlung nahm gleichzeitig Kenntnis von den Gutachten zu dem Schreiben des Evang. Oberkirchenrats, die von drei Lehrern der Theologie erstattet wurden, und beschloß, diese Gutachten dem Evang. Oberkirchenrat mit dem Ersuchen zuzuleiten, seine Stellungnahme anhand dieser Gutachten zu überprüfen und das Ergebnis dieser Überprüfung dem Rate in Bälde mitzuteilen, damit das Verhältnis der Württembergischen Landeskirche zu den im Rate verbundenen Kirchen geklärt werden kann." 2 0 Ohne die angekündigten Gutachten abzuwarten, reagierte der Oberkirchenrat sogleich auf die Vorgänge während der Göttinger Tagung. Vom 23. September liegt ein Entwurf eines Schreibens an den Lutherrat vor; am 1. Oktober wurde das Schreiben nach einer Besprechung im Kollegium abgeschickt 21 . Es hatte die Aufgabe, noch einmal in aller Kürze die württembergische Position darzustellen, die einerseits engere lutherische Beziehungen aufrecht erhalten will, andererseits aber die Gemeinschaft in der EKD als vorgeordnetes Ziel ansehen muß. Der Oberkirchenrat betonte, um allen Mißverständnissen vorzubeugen, daß die württembergische Kirche sich als lutherische Kirche verstehe, „wenn sie auch in der Froh-Botschaft der Bibel bewußt die Grundlage der Kirche sieht und die Bekenntnisschriften der Reformationszeit als das wiedergeschenkte Zeugnis eben der biblischen Wahrheit ehrt." Auch die Bekenntnisgrundlage der VELKD, wie sie der Verfassungsentwurf bestimme 22 , „entspricht völlig der Prägung unserer Landeskirche." Auf dem Entwurf des Schreibens ist unter dem 28. September von 20

21

O K R STUTTGART, R e g . G e n . 1 1 9 e .

Ebd. In diesem Verfassungsentwurf sind noch die Augsburgische Konfession sowie andere lutherische Bekenntnisschriften genannt; erst durch Beschluß des Lutherrates in Fulda am 16. 10. 1947 wurde festgestellt, daß eindeutig die CA invariata gemeint sei (vgl. unten S. 335f.). 22

Württembergische Landeskirche und V E L K D im Herbst 1946

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Schlatter vermerkt, daß die drei Gutachten eingetroffen seien. Da diese von ihren Verfassern nicht unterzeichnet waren, wurde in dem Brief vom 1. Oktober darum gebeten, die Autoren der Gutachten zu nennen, da „die Namen der Verfasser offenbar versehentlich weggeblieben sind." Am 8. November 1946 antwortete der Lutherrat auf diese spezielle Frage: „Die Namen der Verfasser der theologischen Gutachten wurden zunächst auf ausdrücklichen Wunsch der Verfasser nicht genannt, damit der Inhalt in den Gutachten vollkommen sachlich gewürdigt werden möchte." 2 3 Das Gutachten I 2 4 beginnt damit, die Ubereinstimmungen zwischen dem Lutherrat und Stuttgart herauszustellen: beide wollen die EKD, beide sind Mitglieder des Lutherrates, beide sind dem lutherischen Bekenntnis verpflichtet. Aber trotz dieser Gemeinsamkeit sei eine Einigung nicht erfolgt, da die Differenzen überwiegen und sich auf grundsätzliche Fragen beziehen. Der Lutherrat sehe in dem Bekenntnis das verpflichtende Kriterium für eine Vereinigung von Kirchen. Stuttgart dagegen ordne dem Bekenntnis die Verantwortung der Wirklichkeit, der Stunde, der Lage gegenüber über. Das Bekenntnis werde außerdem aufgelöst zugunsten einer biblischen Unität. Daraus ergibt sich für das Gutachten folgende Konsequenz: „Indem er [der Oberkirchenrat] die .konfessionelle Frage' bei dem Einigungsvorgang ausgeschaltet wissen will und die grundlegende Gemeinsamkeit auf eine „echt biblische Unität' beschränkt, verlangt er das Aufgehen der lutherischen Einzelkirchen in eine volle Union mit den Einzelkirchen anderer Bekenntnisse in Deutschland unter einer unierten Kirchenleitung." Gegen das württembergische Argument, die augenblickliche Lage verlange nicht eine so gestaltete VELKD, sondern eine EKD, wird angeführt: Wenn man der Lage die Priorität einräume, könne man leicht gefährlichen Täuschungen erliegen. Außerdem werde gerade dies Argument bevorzugt von den Gegnern der Kirche angeführt, wie ζ. B. von den Deutschen Christen. Läßt man aber die Lage als wichtiges Kriterium gelten, dann bleibt die Frage, ob der Oberkirchenrat diese richtig beurteile oder ob er sie nicht unbewußt „durch einen schon vorher gefaßten Lageplan überdeckt." Das württembergische Konzept einer biblischen Unität wird in dem Gutachten als Schritt zur Union abgelehnt: „ D e r Stuttgarter EOK hat für die ,echte Kirchengemeinschaft', die er selbst in der EKD angestrebt wissen will und die er durch die vom Rat der ELKD angestrebte Vereinigte Lutherische Kirche Deutschlands bedroht sieht (Einl. Abs. 5, III, 6) die Bezeichnung Union oder unierte Kirche vermieden. Es kann 23

O K R STUTTGART, Reg. Gen. 119 e.

24

Ebd. (alle Gutachten).

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Gliedkirchen der EKD und lutherischer Zusammenschluß

aber nicht bezweifelt werden, daß die von ihm angestrebte EKiD tatsächlich eine Übertragung der Ordnung und des Bekenntnisstandes der bisherigen Kirche der altpreußischen Union auf die Gesamtheit der EKiD und damit auf die bisher nicht unierten Kirchen bedeutet. Der Begriff der ,echt biblischen Unität' kann nicht anders als im Sinne der Konsensusunion verstanden werden." Die Frage nach der Dogmengeschichte ergibt sich aus dem Schluß der württembergischen Stellungnahme, in dem die These aufgestellt ist, es ging heute nicht um lutherisch oder reformiert, sondern um das Für und Wider Christus, womit indirekt gesagt ist, daß die konfessionellen Schranken zwischen den reformatorischen Kirchen aufgehoben sind, jedenfalls keine kirchentrennende Funktionen mehr haben. In dieser Deduktion sieht das Gutachten die theologische Begründung für das Streben nach der Union. Die Frage, die hier berührt sei, ist die „Frage nach dem Verhältnis der Kirche zu ihrer eigenen Geschichte, insbesondere zu ihrer Dogmengeschichte." Der „konservierenden" Stellung der lutherischen Kirchen zu ihrer Tradition wird die „utopische" der reformierten Kirchen gegenübergestellt, die letztere mit dem Schwärmertum teilten. Die württembergische Landeskirche ist nicht ausgenommen aus diesem Urteil, wie das folgende Zitat zeigt: „Das formelle Kriterium der utopischen ist immer der Versuch, in der Kirchengestaltung unter Negation der Kirchengeschichte das Urchristentum zu kopieren und Lehrdifferenzen durch Ächtung der dogmatischen Formeln, in denen sie sich ausdrückten und durch vermeintliche Beschränkung auf ,echt biblische' Ausdrücke, also unter Negation der Dogmengeschichte zu beseitigen." Der Schlußabschnitt erwägt die Praxis nach Einführung einer EKD im Sinne der württembergischen Vorstellungen. Wie wird man sich denjenigen gegenüber verhalten, die aus Gewissensgründen eine Abendmahlsgemeinschaft mit Konfessionsfremden, außer im Notfall, verweigern? Wird es in der EKD auf diesem Gebiet zu einem kirchlichen Nötigungsrecht kommen? Aus dem zweiten Gutachten soll nur die Auseinandersetzung mit dem Begriff der biblischen Unität wiedergegeben werden, in dem ein neues kirchliches Programm gesehen wurde, das über Bestimmungen der DEK von 1933 und über Aussagen der Bekenntnissynoden hinausgehe und auch nicht mehr dem entspreche, „was auf der für die kirchliche Neuordnung grundlegenden Tagung 1945 vereinbart worden ist. Neu an diesem Satz ist die Forderung, die EKD in eine Unionskirche umzuwandeln . . ." „Denn weder die Wiederbelebung des alten Wortes unitas, noch der neue Sprachgebrauch des Wortes ,Kirchengemeinschaft' in einem der theologischen Sprache bisher fremden Sinne - unter Kirchengemeinschaft verstand die Theologie bisher die communicatio in sacris,

Württembergische Landeskirche und V E L K D im Herbst 1946

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jetzt soll damit ein Mittelding zwischen Föderation und Union gemeint sein - kann darüber hinwegtäuschen, daß hier die alte Forderung neu erhoben wird, die Konfessionsgrenzen zwischen der lutherischen und der reformierten Kirche aufzuheben und beide in einer ,neubelebten, evangelischen Kirche' aufgehen zu lassen, wie es in seiner Art schon der königliche Stifter der preußischen Union wollte." Im dritten Gutachten wiederholen sich noch einmal die Anschuldigungen. Ausgegangen wird von der Feststellung, das württembergische Votum verdunkle die der Kirche im Kirchenkampf geschenkte Einsicht, nämlich das Ernstnehmen des Bekenntnisses. Entgegen den Bekenntnissynoden, die das Bekenntnis betonten, würde Württemberg jetzt die „biblische Unität" und die „Kirchengemeinschaft" in den Vordergrund stellen und damit wieder die Sprache beleben, die die Unionsfreunde und Vermittlungstheologen im 19. Jahrhundert verwendet hätten. Das, was Württemberg jetzt vorschlage, sei eine „synkretistische U n i o n " . Die Antwort Württembergs auf diese drei Gutachten des Lutherrates erging am 23. November 1946 2 5 . Sie ist von Wurm unterzeichnet und konstatiert als erstes, daß die Gutachten in eindrucksvollen Ausführungen bemüht seien, das Recht des lutherischen Zusammenschlusses zu erweisen, ein Recht, das aber sowieso niemand bestritten habe. Die Gutachten würden insofern völlig am württembergischen Anliegen vorbeiargumentieren. Dessen Bedenken bezögen sich nämlich auf die Form und den Zeitpunkt des Zusammenschlusses. Auf die vielfach variierte Behauptung in den Gutachten, Württemberg wolle die Union nach preußischem Muster, wird klugerweise gar nicht eingegangen. Es heißt dazu lediglich: „ N u r kurz möchten wir darauf hinweisen, daß die Denkschriften mannigfach unser Wollen in Wendungen beschreiben, in denen unser Anliegen uns mißverstanden und mißdeutet scheint." Mit dem Hinweis auf den EKD-Verfassungsentwurf Feines der vom Oberkirchenrat in Auftrag gegeben worden war, betont die Antwort noch einmal, daß Württemberg eine E K D wolle, die lutherisch bestimmt sei, in der aber gemeinsames Bekennen möglich sei, aufgrund einer vertieften Besinnung, „auf die Bibel und auf die Mitte der Bibel, das Evangelium von Jesus Christus . . . Das Zeugnis von Gottes Gnade in Christus, das Bekenntnis zu dem ganzen Wort Gottes als dem alleinigen Grund der Kirche, der Wille, in allem Leben und Handeln der Kirche damit ernst zu machen, daß Christus der Herr der Kirche ist, fordern und ermöglichen echte Bruderschaft gläubiger Lutheraner und Reformierter und Unierter." U n d ein solches Bekennen sei möglich „ o h n e Verleugnung konfessionellen Sondergutes." 25

Ebd.

224

Gliedkirchen der EKD und lutherischer Zusammenschluß

Im weiteren geht die Antwort auf die Ausführungen im ersten Gutachten zum Verhältnis von Kirche und Dogmengeschichte ein. Dabei werden die auch hier entstellenden Vereinfachungen in der Denkschrift übergangen und die eigenen Positionen ohne Polemik dargelegt. Das Verhältnis der württembergischen Kirche zu ihrer eigenen Dogmengeschichte sei geprägt durch den Grundsatz, daß hier keine Gesetzlichkeit herrschen dürfe; vielmehr müsse auch hier das Gesetz der Geschichte anerkannt werden: auch Formulierungen und Sätze der Bekenntnisschriften sind zeitgebunden und damit vergänglich. Daher tue immer neue Uberprüfung an der Heiligen Schrift not. Abschließend heißt es: „Das Band der Einheit in der Kirche ist nicht eine Einheitlichkeit der Lehrformulierungen, sondern der Glaube an den Christus der Schrift, den Herrn der Kirche. Wie in der Kirche des Neuen Testamentes deutlich starke Unterschiede der Lehrformulierungen ertragen wurden, so kann auch unter uns die Voraussetzung eines kirchlichen Zusammenschlusses nicht darin gesucht werden, daß in allen Einzelfragen völlige Übereinstimmung der Lehre gegeben sein müsse." Das Antwortschreiben schließt mit der Feststellung, daß die Gutachten den Oberkirchenrat nicht überzeugen konnten.

Kapitel 18 K I R C H E N G E M E I N S C H A F T - BIBLISCHE U N I T Ä T ALTERNATIVMODELLE ZUR APORIE IN DER EKD

Gleich nach der Kirchenversammlung in Treysa 1945 hatte sich gezeigt, daß das in sich spannungsreiche Gebilde „ E K D " ganz gegensätzlichen Auslegungen unterworfen wurde. Auf eine Formel gebracht, die leider auch von den Beteiligten selbst so verwendet wurde, ging es dabei um die E K D als „Kirche" oder „Kirchenbund". Beide Auffassungen haben eine Reihe von Konsequenzen in Bezug auf Abendmahlsgemeinschaft, auf das Mitgliedschaftsrecht für Kirchen, Gemeinden oder gar einzelne Christen und auf die Rolle und Befugnisse der synodalen Organe. Dieser Gegensatz war von Anfang an kein theoretischer, sondern ganz im Gegenteil ein sehr praktischer, der zudem in zunehmendem Maße wegen der fortschreitenden Pläne der V E L K D , in der viele Lutheraner allein ihre Kirche sehen konnten, heftige Polemiken auslöste. Ein erster Anstoß zur innerkirchlichen Diskussion über diese grundsätzlichen Fragen in der E K D kam aus Kreisen des Bruderrates.

Mochalskis Gutachten ,,Die Gestalt der EKD" Am 22. Februar 1946 schickte Asmussen als Vorsitzender des Bruderrates der E K D an die „ H e r r e n Bischöfe, Landeskirchenregierungen, Landesbruderräte, Bruderrat der E K D " ein Gutachten Herbert Mochalskis mit dem Thema „ D i e Gestalt der E K D " , „ u m eine Besprechung über diesen Gegenstand zu fördern", der, wie es in der Vorrede heißt, im Inland wie im Ausland viele bewege und beschäftige 1 . Das Gutachten beginnt mit einer Bestandsaufnahme: „ D u r c h die landeskirchliche und konfessionelle Gliederung konnte die Evangelische] Kirche bisher nur als Kirchenbund angesehen werden, dessen Organe die gemeinsamen Interessen der einzelnen Landeskirchen wahrnehmen." In den beiden letzten Jahrzehnten sei hier eine Wandlung durch eine lebendige, organische Entwicklung eingetreten. Als einzelne Elemente 1

LKA STUTTGART, D 1/224 (Abschrift des Schreibens mit dem Gutachten).

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Kirchengemeinschaft - Biblische Unität

dieser Wandlung zählt Mochalski dann im Bereich des Kultus das „einheitliche deutsche Evangelische Gesangbuch", die „Bibellese mit Jahreslosung, Monatssprüchen und Monatsliedern" und das „Kirchenbuch mit seinen Lesungen, Wochensprüchen und Wochenliedern" auf. Im Bereich des Bekenntnisses habe Barmen gezeigt, „daß das lutherische wie das reformierte und unierte Bekenntnis keine Schranken mehr für ein gemeinsames Zeugnis einer Evang. Kirche in Deutschland bedeuten, sondern vielmehr zum Beitrag eines gemeinsamen Ringens um die Einheit der Kirche geworden sind." Diese Einheit konkretisierte sich zuerst in gemeinsamer Abwehr, dann in der Abendmahlsgemeinschaft. Drittens habe sich durch den Flüchtlingsstrom die Struktur der westlichen Landeskirchen, „die bisher durch völkische Grenzen und Eigenarten und durch traditionsgebundene Gebräuche mitbestimmt waren", bereits geändert und werde dies in zunehmendem Maße weiter tun. Aus dieser bereits vorhandenen, von Gott geschenkten Einheit müßten für den Aufbau der E K D Konsequenzen gezogen werden. Mochalski stellt fest, daß diese Einheit noch nicht ausreiche, um die E K D als „ K i r c h e " zu konstituieren, daß sie aber die Grenzen eines Kirchenbundes sprenge 2 . Er führt deshalb zur Erfassung dieses Zwischenzustandes den Begriff der „Kirchengemeinschaft" ein, den er folgendermaßen umschreibt: „Wenn das Kennzeichen einer Kirchengemeinschaft die Bemühung um die Einheit von der Grundlage der verschiedenen Bekenntnisse aus durch ein gemeinsames Bekennen und eine gemeinsame geistliche Ordnung und Gestaltung der Kirche ist, dann ist die E K D eine Kirchengemeinschaft." In der Praxis würde die Anerkennung der E K D als Kirchengemeinschaft bedeuten, daß sie gegenüber der Ökumene als Einheit auftritt, daß die Landeskirchen bestimmte Aufgaben der E K D übertragen und daß die Leitung der E K D in diesen erweiterten Zuständigkeitsbereichen den Landeskirchen verbindliche Richtlinien geben kann.

Die Antwort

Württembergs

Die württembergische Kirchenleitung schickte erst am 13. August 1946 eine Antwort auf das Gutachten an den Bruderrat; ein Entwurf lag allerdings bereits am 10. Juni vor 3 . Die lange Frist ist teilweise zu erklären durch einen ausführlichen Gedankenaustausch innerhalb der Theologischen Kommission des Oberkirchenrates, der sich in Stellung2 Vgl. S. 186 Iwands Terminus „echter Kirchenbund" für denselben Tatbestand in seiner Auseinandersetzung mit Stoll. 3

O R K STUTTGART, R e g . G e n . 115 b .

Antwort Württembergs

227

nahmen der Kommissionsmitglieder Schlatter, Lempp, Haug und Weeber niederschlägt. Hier sollen nur die Voten Schlatters und Lempps herangezogen werden, da sie zwei gegensätzliche Reaktionsweisen auf das von Mochalski angeschnittene Thema zeigen. Bereits am 9. März 1946 bat Lempp Schlatter als den zuständigen Berichterstatter darum, „geeignete Anträge an das Kollegium zur Förderung des Gegenstandes von Seiten unserer Landeskirche zu stellen" 4 . Schlatter legte am 8. April einige Gedanken zu dem Gutachten Pfarrer Mochalskis über die Gestalt der EKD vor 5 . Er anerkennt Mochalskis Versuch, durch Einführung eines neuen Begriffes neue Wege zu öffnen. Er bejaht mit ihm die angeführten einheitsfördernden Momente im Kultus und im Bekenntnis. Allerdings macht er in Bezug auf „Barmen" eine berechtigte Einschränkung: „Doch darf nicht übersehen werden, daß diese Einheit des Bekennens und Handelns nicht bewahrt blieb." Auch kann Schlatter Mochalskis Folgerungen nicht zustimmen, denn eben die im Gutachten herausgestellte „glaubende, bekennende und betende Gemeinde durch ganz Deutschland hin" gab es auch in der DEK: „Wie aber dadurch die DEK nicht zu einer Kirchengemeinschaft wurde, so auch die EKD noch nicht." Abschließend weist Schlatter darauf hin, daß die EKD in Treysa als ein Kirchenbund gegründet worden sei und daß nur die beteiligten Kirchen eine Änderung dieser Rechtsform beschließen könnten. Schlatter erliegt hier einer einseitigen Interpretation, denn die EKD von Treysa ist auch „kirchlich gegründete innere Einheit". Schlatters Fazit lautet: „Die Feststellung, daß die EKD eine Kirchengemeinschaft sei, ist zum mindesten verfrüht." Prälat Lempps Antwort auf Schlatters Stellungnahme trägt das Datum vom 15. April 19466. Auf das Gutachten Mochalskis geht er gar nicht mehr ein, da eine völlige Ubereinstimmung zwischen ihm und dem Gutachten herrscht. Ihm kommt es vor allem darauf an, die württembergische Kirchenleitung dahingehend zu beeinflussen, in dieser Sache positive Schritte zu unternehmen. Lempp geht in seiner Argumentation ganz von eigenen Erfahrungen, von Wünschbarem und Notwendigem aus: „Daß längst eine Kirchengemeinschaft durch ganz Deutschland hin besteht", das lehre jede Reise durch die verschiedenen Landeskirchen. In echt württembergischer Tradition weist er darauf hin, daß neben gemeinsamem Liedgut schließlich allen „gemeinsam als Grundlage die Bibel alten und neuen Testaments" diene. Mochalskis Hinweis auf die Flüchtlingsfrage, die Schlatter übergeht, greift Lempp auf und fordert, 4

Bemerkung auf dem Exemplar des Gutachtens (LKA STUTTGART, D 1/224).

5

O K R STUTTGART, R e g . G e n . 1 1 5 b .

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Ebd.

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Kirchengemeinschaft - Biblische U n i t ä t

daß man aus der hoffentlich selbstverständlichen Tatsache, daß die Vertriebenen „in unserer Kirche voll und ganz heimatberechtigt sind", die Konsequenzen ziehe und die tatsächlich bestehende Kirchengemeinschaft endlich auch statuiere: „ W i r sollten also hier wirklich nicht zurückbremsen, sondern mit aller Macht vorwärts zu kommen suchen." Lempp schließt mit einem fast beschwörenden Appell an die ganz besondere Verantwortung der Württemberger in dieser Sache: „ U n d ich betone immer wieder, wir in Württemberg haben durch unsere Berührung mit den Schweizern eine uns von Gott aufgetragene Mission, der wir uns nicht entziehen dürfen." Württemberg nahm sehr bald diese Verantwortung wahr und förderte die Sache der E K D mehr als jede andere kirchenpolitische Kraft, und zwar auf zweifache Weise: durch das Eintreten für die E K D und wohl noch mehr durch den Widerstand gegen die V E L K D . Die offizielle Antwort der württembergischen Kirchenleitung vom 13. August 1946 auf das Gutachten Mochalskis folgte allerdings noch ganz der Argumentation Schlatters. Die Denkweise und die Sicht Lempps setzten sich aber bald durch und kamen ζ. B . in dem Gutachten des Oberkirchenrats zur V E L K D zum Tragen. Das Bekanntwerden des V E L K D - E n t w u r f e s , der eine unerwartete lutherische Eigenregelung enthüllte, hat die Rückbesinnung auf gesamtevangelische Traditionen und den damit verbundenen Auftrag gefördert. Im Gegenüber zur V E L K D entwickelte sich eine lebhafte Diskussion um die Frage der Kirchengemeinschaft und der „biblischen U n i t ä t " in der gesamten württembergischen Kirche.

Eine lutherische

Antwort

Von entschieden lutherischer Seite liegt eine Antwort aus der Feder von Paul Fleisch vor 7 . D a für Fleisch die Frage nach der Gestalt der E K D keine echte Frage ist, weil er die Antwort ohnehin kennt, ist für ihn eine Auseinandersetzung mit Mochalski sehr einfach. Zu den von Mochalski geltend gemachten Einheitsbestrebungen im Bereich des Kultus heißt es bei Fleisch zusammenfassend: Es „wird also zuviel behauptet und darum nichts bewiesen." 7

L K A STUTTGART, D 1 / 2 2 4 , o h n e D a t u m . Vgl. dazu auch das Schreiben Stolls an

Iwand v o m 1. 7. 1 9 4 6 : Stoll w e h r t e sich dagegen, schon v o n der Einheit der E K D zu sprechen, da n o c h gewichtige F r a g e n der L e h r e zu klären seien: „ E s geht ja nun nicht an, diese N o t durch Begriffe beseitigen zu wollen, wie etwa in den Thesen

Mochalskis.

D a n a c h sei die E K D z w a r n o c h keine Kirche, aber auch kein Kirchenbund m e h r , sondern Kirchengemeinschaft. Als ob Kirchengemeinschaft nicht Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft sei, also Lehreinheit v o r a u s s e t z e " ( A E K D , 0 1 2 Bd. 1).

Biblische Unität

229

Alles, was im Gutachten über Wandlungen im Bekenntnisbereich gesagt wird, ist nach Fleisch ,,ein Trugschluß". Daß der Flüchtlingsstrom Strukturveränderungen bewirken könnte, räumt Fleisch ein, aber gerade in Bezug auf den Bekenntnisstand der einzelnen Kirchen sieht er diese als gering an, denn die meisten Ostflüchtlinge seien im kleinen Katechismus Luthers unterrichtet und damit „ohne weiteres in den luth[erischen] Landeskirchen Lutheraner." Den Begriff Kirchengemeinschaft und die damit gemeinte Sache nennt Fleisch schlicht „unverständlich", womit er sich jede Auseinandersetzung spart. Fleisch ist mit dieser Haltung dem Neuen gegenüber aber nicht untypisch, wie andere A n t w o r t e n aus lutherischen Kreisen auf abweichende Vorschläge zeigen.

Biblische

Unität

Mochalskis Versuch, durch Einführung eines neuen Modells dem neuen Selbstverständnis der Evangelischen Kirche in Deutschland nach dem Kirchenkampf, wie es in der Treysaer Konvention niedergelegt ist, Rechnung zu tragen und einen Weg aus der Sackgasse zu weisen, in die die Alternative „ K i r c h e " oder „Kirchenbund" führen mußte, war auf keine produktive Reaktion gestoßen. A b e r die Sache, um deren Klärung Mochalski sich in seinem Gutachten mühte, ist der Stachel der E K D geblieben, sogar bis über die Verabschiedung der Grundordnung hinaus 8 . 8 Die Wahl Brunottes zum Präsidenten der Kirchenkanzlei der EKD, nachdem dieser gerade vorher zum Präsidenten des Lutherischen Kirchenamtes ernannt worden war, veranlaßte den Landeskirchenvorstand der Evang.-reformierten Kirche in Nordwestdeutschland zu einem förmlichen Protest. Die Entscheidung, eine Personalunion in diesen zwei Ämtern, die in einer gewissen Interessenskollision stehen sollten, zu akzeptieren, wurde als eine Auslieferung der EKD an die VELKD verstanden, und damit - in der Sprache der Grundordnung - als ein Aufgeben der Verpflichtung gegenüber Artikel 1, Satz 2 (die EKD als bestehende Gemeinschaft der deutschen evangelischen Christenheit) zugunsten von Artikel 1, Satz 1 (EKD als Bund lutherischer, reformierter und unierter Kirchen). In der Protesterklärung der Reformierten Kirche Nordwestdeutschlands vom 16. 5. 1949 (JK 10, 1949, S. 336/337) wird dann auch die Mißachtung der Bestimmungen des Artikels 1 der Grundordnung durch die Organe der EKD in den Mittelpunkt gestellt. Seinen Protest bekräftigte der Landeskirchenvorstand mit der Entscheidung, nicht eher wieder an den Tagungen der Synode und der Kirchenkonferenz der EKD teilzunehmen, bis in den höchsten Gremien der EKD selbst die Grundordnung in ihrer doppelten Bestimmung der EKD als Kirchenbund und Kirche ernst genommen werden würde. Dieser Kritik an der inneren Entwicklung der EKD Schloß sich das Moderamen des Reformierten Bundes an. Auch die Kirchenleitung von Westfalen erklärte, daß sie die Sicht der Lage teile (JK 10, 1949, S. 465). Eine wesentliche Passage der Erklärung lautet: „Die am 3. Dezember 1948 verkündete Grundordnung der EKD enthält ohne genügende Verbindung zwei Linien. Sie läßt sich

230

Kirchengemeinschaft - Biblische Unität

Im Jahre

1 9 4 6 m a c h t e die w ü r t t e m b e r g i s c h e

Kirchenleitung

noch

einmal, ähnlich wie M o c h a l s k i , den V e r s u c h , die Sache a u c h begrifflich z u erfassen. A b e r e b e n s o w i e der B e g r i f f „ K i r c h e n g e m e i n s c h a f t " w u r d e der B e g r i f f „ b i b l i s c h e U n i t ä t " v o n den L u t h e r a n e r n in den traditionellen V e r s t e h e n s m u s t e r n a u f g e n o m m e n u n d als U n i o n b z w . s c h w ä r m e r i s c h e r Biblizismus v e r d ä c h t i g t u n d abgelehnt. N o c h in der A u s e i n a n d e r s e t z u n g u m die einzelnen E n t w ü r f e für die G r u n d o r d n u n g der E K D w u r d e der bereits festgelegten D e f i n i t i o n der E K D als B u n d v o n B e k e n n t n i s k i r c h e n g e g e n ü b e r i m m e r w i e d e r v e r s u c h t , das „ M e h r " , das „ ü b e r den B u n d Hinausgehende" zu retten. In d e r G e g e n ü b e r s t e l l u n g v o n K i r c h e = U n i o n s k i r c h e u n d K i r c h e n bund =

Z w e c k v e r b a n d w u r d e dieser neuralgische P u n k t der E K D v o r

allem d a n n v o n den V E L K D - L u t h e r a n e r n ins G e s p r ä c h g e b r a c h t , w e n n diese m i t einem n e u e n M o d e l l für die E K D k o n f r o n t i e r t w u r d e n . Sehr k r a ß t r a t dies z u t a g e in der innerlutherischen F e h d e z w i s c h e n

dem

einerseits verstehen als Ruf an die in der EKD zusammengeschlossenen Kirchen, in Gemeinschaft des Glaubens, Liebens und Hoffens bekennende Kirche zu sein und so auf dem Wege zu bleiben, der seinerzeit auf der Barmer Bekenntnissynode gemeinsam betreten worden ist. Sie bietet andererseits eine Handhabe, die bestehende Gemeinschaft der deutschen evangelischen Christenheit auf eine Reihe von Äußerlichkeiten zu beschränken und innerhalb der EKD in erster Linie das Leben konfessioneller Kirchentümer zu pflegen . . . Darum halten wir es für erforderlich, daß die von der Grundordnung nicht ausgeschlossene Tendenz einer kirchenpolitischen Orientierung nach rückwärts durch eine einmütige und kraftvolle Betonung derjenigen ihrer Grundbestimmungen überwunden wird, die das Erbe des Kirchenkampfes bejahen und die daraus sich ergebende Verpflichtung anerkennen." Nach einem Gespräch am 5. 9. 1949 mit den Ratsmitgliedern Meiser, Herntrich und Kreyssig veröffentlichte der Landeskirchenvorstand eine zweite Erklärung, um sein Grundanliegen deutlich zu machen: „Die Grundordnung der EKD kann nur dann richtig ausgelegt und angewandt werden, wenn Art. 1, Abs. 1 und 2 miteinander voll zur Geltung kommen und die hier wahrnehmbare Spannung als für die EKD wesentlich anerkannt wird." Das bedeutet konkret, „daß wir die EKD ungeachtet ihrer gültigen Rechtsform als einen noch im Werden begriffenen Leib zu betrachten haben, in dem um ein echtes biblisches Selbstverständnis gerungen werden muß . . . Wenn bislang innerhalb der EKD immer wieder versucht wird, die .kirchliche' Linie der Grundordnung hinter einem äußerlich verstandenen Kirchenbund zurücktreten zu lassen, so ist dies für uns ein Anlaß zu verschärfter Aufmerksamkeit" (JK 11, 1950, S. 141-143). Nachdem der Rat der EKD am 18. 1. 1950 in Halle einen Beschluß verabschiedet hatte, in dem anerkannt wurde, daß „die mit Artikel 1 der Grundordnung gegebene Spannung für die in der Evangelischen Kirche in Deutschland bestehende Gemeinschaft wesentlich ist und daß daher die Grundordnung nur dann richtig ausgelegt werden kann, wenn Absatz 1 und Absatz 2 des Artikels 1 miteinander voll zur Geltung kommen" (JK 11, 1950, S. 143/ 144), brach der Landeskirchenvorstand der Reformierten Kirche in Nordwestdeutschland seinen Streik ab und beteiligte sich wieder an den Zusammenkünften der Synode und der Kirchenkonferenz. Lothar Kreyssig (geb. 1898), Dr. jur., 1937 Amtsrichter in Brandenburg, 1948 Präses der Synode der Kirchenprovinz Sachsen und der EKU, 1949-1961 Mitglied des Rates der EKD, 1958 Gründer der „Aktion Sühnezeichen".

Biblische Unität

231

Lutherrat und der württembergischen Kirchenleitung. Aber das Beharren auf einem Kirchenbund als Ziel für die E K D mußte auf breite Ablehnung stoßen, widersprach es doch dem Treysaer Dokument, der kirchlichen Praxis, dem Bewußtsein weitester Laienkreise und den Erfahrungen der vergangenen zwölf Jahre. Schließlich stieß es auch auf theologische Bedenken des Bruderrates und der württembergischen Kirche. Der Begriff „biblische Unität" wurde von Landesbischof Wurm selbst geprägt, allerdings zur Erfassung einer Sache, die genuine württembergische kirchliche Tradition war 9 . Eine umfassende und zugleich exakte, abgrenzende Definition des Begriffes fehlt, aber die inhaltliche Füllung geht deutlich aus vielen württembergischen Voten hervor, die sich mit der V E L K D und der E K D befassen 10 . Daß der Begriff „biblische Unität" relativ ungeschützt blieb und eher tastend an die Sache heranging, darüber war man sich in der württembergischen Kirche durchaus klar. So bat der Landesbruderrat, nachdem er am 27. September 1946 auf einer Tagung von Metzger über die Vorgänge in Göttingen informiert worden war, den Oberkirchenrat, eine Theologische Kammer zu bilden, die unter anderem auch den Begriff der „biblischen Unität" theologisch klären und untermauern sollte 11 . Metzger berichtet Schlatter am 27. September 1946 von diesem Beschluß des Landesbruderrates: „Außerdem empfand der Landesbruderrat die Notwendigkeit, den von uns angewandten, vom Herrn Landesbischof selbst geprägten Begriff der ,Biblischen Unität' theologisch noch zu klären und zu untermauern. Es droht ihm offensichtlich die Gefahr, als Auflösung des Bekenntnisses oder zum mindesten als Abwehr vom Bekenntnis verstanden zu werden, während er doch in Wirklichkeit, wie ich auch in Göttingen zu sagen versuchte, die dem Bekenntnis selbst innewohnende Tendenz zur Bibel hin fruchtbar machen will." 1 2 In dem Schreiben des Landesbruderrates an den Oberkirchenrat vom 18. September 1946, in dem er die oben genannte Bitte vortrug, wurde das Thema bereits in drei Fragen aufgegliedert, in Fragen, die sich zum Teil in Wurms Gesprächsrunden zur Vorbereitung der Kirchenversammlung von Treysa wiederfinden: 1. Welche Bedeutung hat das formulierte Bekenntnis neben der Bibel in der Kirche? 2. Sind die Lehrunterschiede zwischen der lutherischen und reformierten Kirche kirchentrennend? 3. In welcher Weise kann eine Unität zwischen Kirchen lutherischer und reformierter Prägung gefördert werden? 9 10

Vgl. den unten Anm. 12 zitierten Brief Metzgers. Vgl. dazu auch oben S. 212 f.

11

O K R STUTTGART, R e g . G e n . 1 1 9 e.

12

Ebd.

232

Kirchengemeinschaft - Biblische Unität

Unter dem Vorsitz von Hartenstein wurde eine Theologische Kammer aus den Herren Lempp, Metzger, Köberle, Thielicke, Dipper, Fausel und Lamparter gebildet 123 . Der Auftrag an die Theologische Kammer wurde durch ein Schreiben des Oberkirchenrats vom 8. Januar 1947 über alle Dekanatämter an die Pfarrer der Landeskirche weitergegeben 13 . Es wurde die Anregung ausgesprochen, auf den Pfarrkonventen des Jahres 1947 das Thema „Kirche" zu behandeln und auf diese Weise die Pfarrerschaft mit in die Vorbereitungen für die Grundordnung der EKD einzubeziehen. Vor allem vier Themenbereiche wurden für die Behandlung empfohlen: 1. Bedeutung von Schrift und Bekenntnis für die Kirche; 2. Sind die Lehrunterschiede zwischen lutherischer und reformierter Kirche kirchentrennend? 3. Wie kann der Begriff einer Biblischen Unität theologisch als Grundlage der EKD begründet werden? 4. Kirche und Kirchen, Weltkirchenrat etc. Das Bemühen der württembergischen Kirche, eine tragfähige Grundlage für die EKD zu finden und diese durch den Begriff der „biblischen Unität" zu umschreiben, wurde allen Kirchenleitungen durch die Kirchenkanzlei der EKD nahegebracht. Diese verschickte am 1. März 1947 an alle Kirchenleitungen eine kleine Abhandlung Metzgers zur Ordnung der EKD, die dieser Asmussen am 1. Februar 1947 mitgeteilt hatte 14 . Metzger schreibt: „Soll die EKD nicht bloß ein Kirchenbund sein, dem der Charakter einer Kirche im Vollsinn abgesprochen werden kann, sondern eine wirkliche Kirche im Geiste biblischer Unität, so liegt alles an der sorgsamen Gestaltung des grundlegenden Bekenntnisparagraphen. Für diesen werden folgende Gesichtspunkte von Bedeutung sein: Die EKD sammelt sich nicht in erster Linie um ein ,Es', sondern um einen ,Er'. Es ist das proton pseudos, aus dem alle anderen Schwierigkeiten notwendig herauswachsen, wenn die EKD definiert wird als eine Gemeinschaft, die sich nicht um eine Person, sondern um eine Sache 12a

Heinrich Fausel (1900-1967), Dr. theol., 1927 Pfr. Heimsheim, 1946 Ephorus des Ev.-Theol. Seminars Maulbronn, 1957 Lehrbeauftragter und 1963 Honorarprof. für Kirchengeschichte Tübingen. Adolf Köberle (geb. 1898), Dr. theol., 1939 Prof. für Systematische Theologie Tübingen. Helmut Lamparter (geb. 1912), 1943 Pfr. Mittelstadt bei Reutlingen, 1955 am Pädagogischen Institut Stuttgart, 1962-1977 Prof. Pädagogische Hochschule Stuttgart bzw. Ludwigsburg. 13 AEKD, 012. 14 LKA STUTTGART, D 1/214; das Schreiben Metzgers an Asmussen ging in einer Abschrift auch an Landesbischof Wurm. Vgl. Nieseis Argumentation für die Uberwindung der konfessionellen Spaltung in seinem Aufsatz „Was soll aus der Bekennenden Kirche werden?": „Sie bittet Gott um ihre völlige Überwindung und weiß sich mit solcher Bitte auf neutestamentlichem Boden. Sie freut sich der echten ,Unität', die in dem Kampfe um eine christushörige Kirche geworden ist" (ABlEKD N r . 7 vom 15. 3. 1947).

Biblische Unität

233

sammelt, und wäre es ein noch so ehrwürdiges Bekenntnis, und wäre es gar die Heilige Schrift, und wäre es ,Das Evangelium' selber. Biblische Unität, als Ziel der kirchlichen Gemeinschaft, bedeutet nicht den Versuch, ein neues ,Es', ein neues Bekenntnis, neue Sätze (und beständen sie auch aus biblischen Formeln) als Grundlage der EKD zu schaffen; biblische Unität bedeutet vielmehr das Ernstnehmen mit dem die Bibel beherrschenden Willen, eins zu sein in ,1hm' und zwischen die Gemeinde der Glaubenden und den Herrn Christus nichts Zwischeneinkommen zu lassen, keine Formel, keine Begrifflichkeit, kein Stück Papier. Biblische Unität ist nichts anderes als die Sammlung der Kirche um ihren Herrn; Jesus Christus (und nicht ,das Bekenntnis von Jesus Christus' oder irgend eine andere Mittelbarkeit) ist der Grund der Kirche, der gelegt ist, neben dem kein anderer mehr gelegt werden kann und darf. Wird dies richtig ausgesprochen, so ist das primäre Anliegen in Ordnung, und alles Weitere mag uns dann zufallen." Weitere Punkte in dem Bekenntnisparagraphen sind in „Abstufung der Dignität" die Nennung der Bibel Alten und Neuen Testaments, das Augsburgische Bekenntnis von 153015 und die Theologische Erklärung von Barmen. Metzger will dabei „Barmen" nicht als neues Bekenntnis verstanden wissen („wir dürfen die Lutherischen Brüder hier nicht vergewaltigen"), sondern als „Erklärung im Dienste der Aktualisierung des reformatorischen Bekenntnisses". Metzger skizziert selbst am Schluß seines Schreibens eine mögliche Fassung eines Bekenntnisparagraphen der EKD nach den oben genannten Gesichtspunkten: „Die evangelischen Landeskirchen Deutschlands schließen sich zusammen zur Evangfelischen] Kirche in Deutschland. In der Mannigfaltigkeit und Verschiedenheit ihrer Glieder hat die EKD ihre Einheit in Jesus Christus. Mit der ganzen Christenheit auf Erden ist sie berufen, durch ihre Verkündigung und ihr Handeln ihm zu dienen als dem alleinigen Herrn. Unantastbare Grundlage und verbindliche Richtschnur dieses Dienstes ist der EKD die Heilige Schrift Alten und Neuen Testaments, deren rechtes Verständnis durch die Reformation ans Licht getreten und in der Augsburgischen Konfession von 1530 öffentlich bekannt worden ist. Die EKD weiß sich verpflichtet, dieses Bekenntnis ihrer Väter in der Gegenwart neu zu vollziehen, wie dies im Kampf der Bekennenden Kirche durch die Theologische Erklärung von Barmen bezeugt worden ist."

15

Zur Frage der CA als Grundlage der E K D vgl. unten S. 271 Anm. 23.

234

Kirchengemeinschaft - Biblische Unität

Der Begriff der Kirchengemeinschaft

in der neueren Diskussion

Die damalige Unfähigkeit streng lutherischer Kreise, neue Möglichkeiten zu erwägen oder sich wenigstens hypothetisch darauf einzulassen, hat alle Kräfte in der EKD viel Energien gekostet. Und das zu einer Zeit, wo die ungeheuren materiellen, geistigen und geistlichen Nöte der Nachkriegsjahre völlig andere Fragen an die Kirchen stellten 16 . Nicht nur rückblickend muß man hier von einem gewissen Realitätsverlust und von einem Versäumnis sprechen. Die Gemeinden haben die Kirchengemeinschaft und das heißt konkret die Abendmahlsgemeinschaft dennoch praktiziert. Heute, wo man dieser Tatsache in einer neuen Grundordnung der EKD endlich Rechnung tragen will, erscheint dieser Entschluß fast anachronistisch. In den Jahren 1946/1947 wäre diese Entscheidung noch eine wahrhaft befreiende, Verkrampfungen lösende Tat gewesen, heute jedoch, wo durch den geringen Gottesdienstbesuch auch der Gang zum Abendmahl seine Bedeutung verloren hat, ist sie wenigstens auf der praktischen Ebene nur ein nachholender Schritt. Inzwischen hat sich die Vorstellung von der Kirchengemeinschaft als einem möglichen Leitbild für die Ordnung der Kirche als das zukunftsweisende Konzept für die Ökumene und für die Evangelische Kirche in Deutschland erwiesen. So urteilt Konrad Raiser über diesen Zusammenhang: „Die nicht völlig unbeabsichtigte Koinzidenz der Vorlage des Leuenberger Konkordienentwurfes mit der ersten Beratung der neuen Grundordnung der EKD hat zur Folge gehabt, daß der Leuenberger Text im Bereich der Kirchen in der Bundesrepublik eine kirchenpolitische Schlüsselstellung bekam. Er hat nicht nur die im Mai 1970 vorgelegten ,Thesen zur Kirchengemeinschaft' weitgehend ersetzt, sondern häufig war von der .Schubkraft' die Rede, welche der Konkordienentwurf dem Vorhaben der Reform der EKD gegeben habe. Bereits Anfang Oktober 1971 hat die Generalsynode der VELKD empfohlen, ,den Entwurf sofort in die deutschen Verhandlungen um Bekenntnis und Kirchengemeinschaft einzubeziehen'." 17 Sowohl in den „Thesen zur Kirchengemeinschaft" vom 4. Mai 1970, die das Ergebnis von Gesprächen zwischen lutherischen, reformierten und unierten Kirchen in der Bundesrepublik sind 18 , als auch in der 16

Vgl. auch Niemöllers Votum auf der Bruderratstagung am 6. 7. 1947 während der Vorbereitung zum sog. „Darmstädter W o r t " : „Wir sind seit 1945 dazu verdammt worden, uns um Kirchenordnung und Verfassung zu kümmern. Es wäre ganz anders, wenn wir in den Fragen der rechten Verkündigung hätten arbeiten können" (Protokoll, L K A DARMSTADT, 3 6 / 2 3 ) . 17

Geistliche Zollunion? S. 132.

18

E K D STRUKTUR- UND VERFASSUNGSREFORM, S. 1 5 3 - 1 5 5 .

Begriff der Kirchengemeinschaft in der neueren Diskussion

235

Leuenberger Konkordie, die von den reformatorischen Kirchen Europas erarbeitet wurde 1 9 , ist die Kirchengemeinschaft der zentrale Begriff. Auf die Definitionsschwierigkeiten, denen dieser Begriff wegen seines Geschehnischarakters unterliegt, weist Raiser in seinem Aufsatz hin; deutlich ist aber auf jeden Fall, ,,daß es bei der Kirchengemeinschaft um ein spezifisches Modell kirchlicher Einheit geht, das sich von den traditionellen Modellen klar unterscheidet. Ihm stehen gegenüber das Modell der römischen Einheitskirche, die liturgisch-eucharistische Einheit der Orthodoxie, die im Bekenntnis gegründete Zusammengehörigkeit der anglikanischen oder lutherischen Konfessionsfamilien und vor allem das Modell der organischen Kirchenunion." 2 0 Die Beschränkung der VELKD-Lutheraner auf die beiden zuletzt genannten traditionellen Modelle, einmal als Leitbild und einmal als Feindbild, verhinderte zwischen 1945 und 1948 eine schnellere, reibungslosere Verständigung, die zugleich der damaligen Situation angemessener gewesen wäre und im praktischen Vollzug ein Stück Zukunft vorweggenommen hätte 21 .

19

Ebd., S. 145-152. Geistliche Zollunion? S. 133. 21 Vgl. dazu auch die (nicht angenommene) Grundordnung der EKD vom 7. 11. 1974, wo in den Grundbestimmungen Art. 1, 2 und 3 die Kirchengemeinschaft im Sinne der Leuenberger Konkordie für das Verhältnis der Gliedkirchen innerhalb der EKD bestimmend ist. 20

Kapitel 19 D E R E N T W U R F DES B R U D E R R A T E S V O M MÄRZ 1947 FÜR EINE ORDNUNG DER EKD

Der unbefriedigende Verlauf des zweiten Neuendettelsauer Gesprächs zwischen dem Bruderrat und dem Lutherrat im Dezember 1946 ist als eine Voraussetzung für den Entschluß des Bruderrates zu werten, von sich aus einen Entwurf für eine Ordnung der E K D zu erarbeiten. Um die unterschiedliche Atmosphäre während und nach dem ersten bzw. zweiten Neuendettelsauer Gespräch recht beurteilen zu können, muß man sich vor Augen halten, was in den dazwischenliegenden Monaten geschehen war. Im Juli herrschte in Bruderratskreisen noch Zuversicht und Optimismus in Bezug auf ein einheitliches Konzept für die E K D . Vor allem setzte man große Hoffnungen auf die Wirkung des württembergischen Widerstandes gegen den vorgelegten Verfassungsentwurf für die VELKD. Während Bruderrat und Rat der E K D den ganzen Sommer des Jahres 1946 über nicht ein einziges Mal tagten und auch die für August geplante Kirchenversammlung abgesagt wurde, betrieb der Lutherrat mit großer Eile den Fortgang seiner eigenen Verfassungsangelegenheit. Am 12./13. September 1946 wurde in Göttingen der Verfassungsentwurf verabschiedet und beschlossen, diesen an die synodalen Organe der angeschlossenen Kirchen weiterzuleiten. Damit war von lutherischer Seite das Gespräch über das Verhältnis von V E L K D und E K D erstmal beendet. So jedenfalls wurde das Vorgehen durch den Bruderrat interpretiert, da von lutherischer Seite ohne Absprache Fakten geschaffen worden waren, die die E K D in wesentlichen Punkten tangierten. Vom Lutherrat dagegen wurde jede Anti-EKD-Tendenz im eigenen Vorgehen abgestritten; vielmehr wurde dieses als Hilfe für die E K D hingestellt, nämlich als ein, V o r angehen", das zur Klärung der Situation beitrage 1 .

1

So Meiser an Schlink vom 18. 4. 1947 ( L K A NÜRNBERG, Meiser 122).

Zweites Neuendettelsauer Gespräch

Das zweite Neuendettelsauer

237

Gespräch

Das Gespräch fand am 18. Dezember 1946 statt und stand von Anfang an „unter einem gewissen Unstern" 2 . Iwand und Beckmann waren nicht anwesend, so daß Dipper und Schlink allein nicht als autorisierte Sprecher des Bruderrates auftreten konnten. Von seiten des Lutherrates fehlten Bogner und Stoll, die bisher für die Verbindung mit dem Bruderrat verantwortlich waren und auch an der vorhergehenden Bruderratssitzung teilgenommen hatten. Auf der Rückfahrt von der Bruderratssitzung in Darmstadt am 5./6. Dezember waren sie tödlich verunglückt 3 . Da auch Lilje nicht anwesend war, führten Meiser, Merz, Oberkirchenrat Schmidt und Prof. Kinder3® die Verhandlungen. Von Kinder stammt ein elfseitiger Bericht über das Gespräch, der bereits am 19. Dezember vom Lutherrat vervielfältigt und verschickt wurde 4 . Dieser Bericht dient, trotz der kritischen Bemerkungen dazu von Schlink5, als Grundlage für die nun folgende Darstellung, allerdings ergänzt und korrigiert durch die Berichte von Dipper und Schlink6. Kinder nennt als Punkte der Aussprache: 1. Allgemeine Charakterisierung der gegenwärtigen Lage; 2. Grundsätzliches zur Frage: Union und Confession; 2 So Dipper in seinem Bericht über das Gespräch auf der Bruderrats-Tagung am 19./ 20. 1. 1947 (Protokoll; L K A DARMSTADT, 36/23). 3 Dipper in seinem Bericht: „Über die Verhandlungen im einzelnen wäre zu berichten, daß auf Seiten der Bayern eine gewisse Animosität herrschte. Sie haben aus dem zerstörten Wagen heraus das Notizbuch von Bogner gefunden. Dort waren alle die Äußerungen beieinander, die kritisch wirken konnten, während nicht daraus hervorging, daß das Gespräch sich in einer brüderlichen Form vollzogen hatte" (vgl. Anm. 2). 3 a Ernst Kinder (1910-1970), Dr. theol., 1938 Hilfsreferent beim Lutherrat Berlin, 1939-1946 Kriegsdienst und Gefangenschaft, 1947 Prof. Kirchl. Hochschule Neuendettelsau, 1953 Münster. Wilhelm Ferdinand Schmidt (1899-1980), Lie. theol., 1936 theol. Hilfsreferent Landeskirchenrat München, 1945 Dekan Regensburg, 1946-1969 O K R München. 4

L K A STUTTGART, D

1/229.

Schlink an Meiser vom 25. 1. 1947: „Soeben empfange ich den Bericht über das zweite Neuendettelsauer Gespräch. Da dieses kein offizielles Gespräch mit einem offiziell fixierten Ergebnis war, und der Bericht auch nicht dem Gesprächsgang folgt, sondern nur ausgewählte Voten der Teilnehmer in einer systematischen Ordnung mitteilt, scheint es mir richtig, wenn die Verbreitung dieses Berichtes im Wesentlichen auf den Kreis der Beteiligten beschränkt bleibt und nicht in die Öffentlichkeit hinaus erfolgt, an die sich Ihr Informationsdienst wendet. Dazu sind manche Berichtaussagen ohne nähere Kenntnis des gesamten damaligen Gesprächszusammenhangs zu mißverständlich. Aber vielleicht erübrigt sich diese meine Bitte. Denn Ihren damaligen Auftrag an Bruder Kinder verstand ich bereits so, daß Sie den Bericht lediglich für sich selbst bzw. für den Lutherrat haben wollten" ( L K A NÜRNBERG, Meiser 122). 5

6 Vgl. auch den ausführlichen Bericht von K. Hutten in: FÜR ARBEIT UND BESINNUNG 1, 1947, S. 75 ff.

238

Entwurf des Bruderrates v o m März 1947

3. 4. 5. 6. 7. 8.

Grundsätzliches zur Frage: Schrift und Bekenntnis; Uber das Selbstverständnis der EKD; Das Verhältnis der VELKD zur EKD; Das Verhältnis der VELKD zum Luthertum in der Union; Zur Frage der Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft; Abschließende Feststellungen. Aus der Sicht des Lutherrates war die Lage geprägt durch Mißtrauen, Beschuldigungen 7 und durch Angriffe von seiten des Bruderrates, und dies alles trotz der Neuendettelsauer Erklärung vom 25. Juni 1946. Man beschuldigte den Bruderrat, die gegenseitigen Abmachungen nicht ernst zu nehmen, wie ζ. B. die Barmer Erklärung zur Rechtslage, den Beschluß des Rates der EKD vom Januar 1946 über das Recht der Landeskirchen zum Zusammenschluß und die Erklärung von Neuendettelsau. Merz faßte zusammen: „Die anderen glauben nicht, daß die Lutheraner wirklich die EKiD wollen; sie legen in die EKiD mehr hinein, als in Treysa gemeint war." Dipper wies darauf hin, daß inzwischen von Seiten des Lutherrates, und zwar ohne Absprache und in großer Heimlichkeit, ein fertig formulierter Verfassungsentwurf geschaffen worden sei, der die Situation qualitativ verändert habe: „Bei der ersten Besprechung in Neuendettelsau war nicht klar, wie der Zusammenschluß der lutherischen Kirchen gemeint war . . . ,Die Erklärung von Neuendettelsau' war nur eine grundsätzliche Vereinbarung. Nun wird sie so ausgelegt, als enthalte sie die Zustimmung zu dieser konkreten Verfassung." Zu den Fragen von Union und Konfession sowie von Schrift und Bekenntnis wurden nur noch einmal die schon bekannten Argumente ausgetauscht. Meiser stellte zum Selbstverständnis der EKD fest, daß zwei unterschiedliche Auffassungen über die EKD bestünden. Die andere Seite habe einen „unionistischen Begriff" von der EKD, sie wolle eine EKD mit kirchenregimentlichen Befugnissen, die auch Lehrentscheidungen fällen solle. Meiser fragte an, ob dieser Konzeption als Einheitsidee „geographische Gesichtspunkte" oder die „Antithese" zugrundegelegt worden sei? Im Zusammenhang mit dem Verhältnis von EKD und VELKD ent-

7 Als Beispiele wurden genannt: Niemöllers Reden; die ständige Einmischung des Schweizerischen Pressedienstes durch anitlutherische Hetze; Barths Ruf nach ordnenden Eingriffen der Welt in die Kirche, wenn diese ihre Angelegenheiten nicht selbst regeln könne. Dipper führte dazu v o r dem Bruderrat im Zusammenhang mit den Beweggründen f ü r das lutherische Projekt aus: „Ein weiterer Punkt, der ihr Verhalten erklärt, ist die persönliche Auseinandersetzung mit Niemöller. Die Folge ist, daß sie mit ihrer Sache zurückhaltend und geradezu ängstlich geworden sind. A u s diesem Grunde erfolgte auch nicht die Weitergabe des Verfassungsentwurfes an den Rat der E K D " (vgl. A n m . 2).

Zweites Neuendettelsauer Gespräch

239

wickelte Schlink einige Kriterien für eine Ordnung der EKD 8 . Dabei ging er von der kirchlichen Wirklichkeit aus, die eine „doppelte Bewegung" erfordere: 1. es gelte, in neuer Weise von den reformatorischen Bekenntnisschriften zu lernen, auch von ihren Unterschieden; 2. in Fortsetzung von „Barmen" müssen alle in der E K D zum gemeinsamen Bekennen kommen; nur wenn beide Ziele angestrebt werden, könnten die drohenden Gefahren der „neu-protestantischen Auflösung" und des „antichristlichen Säkularismus" bestanden werden. Wegen dieser doppelten Bewegung wäre es eine Schwäche, von der EKD nur als von einem Bund zu reden; ebenso sei aber die Bezeichnung „Kirche" auch nicht möglich. Schlink kritisierte an der VELKD-Verfassung, daß jeder Bezug zur EKD fehle: „Dies wird sich als ungeheure Befremdung auswirken." Die Nahtstellen zwischen VELKD und EKD müßten sichtbar werden. Meiser antwortete mit dem Argument, daß man erst einmal die eigenen Angelegenheiten regeln müsse. Aber man sei zu Gesprächen bereit und habe bereits Asmussen gebeten, einen kleinen Kreis von Kirchenführern und Vertretern der Konfessionen einzuladen 9 . Schlink definierte abschließend, was die EKD über einen Bund hinausgehend darstellen müsse und dürfe, nachdem man „den Bruder in der anderen Konfession als Zeugen desselben Evangeliums" wiederentdeckt habe: „Es soll keine Union sein, aber es muß kirchenordnungsmäßig sicher gestellt werden, daß keiner für sich bleiben, sondern auf den anderen hören und mit ihm zu einem Maximum der Gemeinsamkeit kommen will." Merz wehrte diese Forderung als zu weitgehend ab: „Man muß unterscheiden, was ethische Forderung und was kirchenordnend-rechtliches Prinzip ist." Meiser erklärte, daß man sich bewußt für die klein-lutherische Lösung entschieden habe, um nicht als Zerstörer der Union zu gelten. Außerdem gebe es Klarheit ohnehin nur in den Lutherratskirchen 10 . Zum Abschluß stellte Merz vier Ordnungsmodelle für die EKD nebeneinander, so wie sie sich für den Lutherrat darstellten: 1. Martin Niemöller: Eine große Unionskirche, in der es die Konfes8 Vgl. „Gedanken zur Ordnung der E K D " , veröffentlicht in: FLUGBLÄTTER DER BK N r . 4, 1947. 9 Wurms Gesprächsrunden sind unter anderem auch eine Antwort auf diesen Wunsch. 10 Dipper vor dem Bruderrat: „ D a s Unionsproblem wird von Meiser sehr vorsichtig behandelt. Sie fürchten, Probleme in der E K D wachzurufen, die man ihnen als Machtpolitik vorwerfen könnte. Sie schränken das, was sie positiv wollen, auf ihren Kreis ein, von dem sie den Eindruck haben, hier können wir handeln. Ein weiterer Punkt ist die Frage der lutherischen Freikirchen. Von dort wird ihnen zugesetzt, so daß sie in einem Kreuzfeuer stehen." Schlink vor dem Bruderrat: „ D e r Plan der V E L K D geht nicht um eine Machtergreifung. Das geht daraus hervor, daß der Plan ohne Fühlung mit den Lutheranern der

240

Entwurf des Bruderrates vom März 1947

sionen als verschiedene theologische Richtungen gebe 11 ; oder Karl Barth: Die EkiD sei eine limitierte Konsensusunion mit dem Recht verschiedener theologischer Schulbildungen in ihr. 2. Die Drei-Säulen-Theorie: Die E K D als „Bundeskirche", in der die lutherische, reformierte und unierte Abteilung unter einer gemeinsamen Regierung stehen. Die Verwaltungsunion würde hier nur in der Spitze bestehen. 3. Vorschlag des Lutherrates: Die lutherischen Landeskirchen schließen sich zusammen in der Erwartung, daß andere lutherische Gemeinden und Synoden dazu stoßen, und daß die anderen Konfessionen sich ihrerseits auch ordnen werden. Die E K D also als ein „Kirchenbund". 4. Die groß lutherische Lösung (Wurm): Die E K D als Ganze ist eine lutherische Kirche, was allerdings nur im Sinne der Variata möglich wäre, der die Minderheit der Reformierten als „Klasse" angehängt wäre. Man trennte sich, nachdem beide Seiten ihre grundsätzlichen Anfragen an die andere Seite formuliert hatten. Meiser: „Welche Gewähr gibt der R B R , daß das Anliegen des Bekenntnisses in der EKiD gewahrt bleibt? Diese Hauptfrage ist zu lösen." Schlink: „Die Verfassung der V E L K D ist mit Richtlinien zu versehen, wie diese innerhalb der EKiD zu arbeiten gedenkt, damit nicht mehr Mißdeutungen entstehen." Dipper: „Diese Richtlinien müßten mehr sein als Versicherungen, sie müßten schon praktische und konkrete Hinweise enthalten." Vorarbeiten zum Ordnungsentwurf

des Bruderrates

Auf die Berichte Dippers und Schlinks über das Gespräch mit dem Lutherrat in Neuendettelsau, die die festgefahrene Situation deutlich machten, reagierte der Bruderrat auf seiner Tagung am 19./20. Januar 1947 mit Resignation und Schuldgefühlen wegen der eigenen Versäumnisse, aber auch mit neuem Verantwortungsbewußtsein. Das führte zu der Entscheidung, nicht länger nur auf die Beschlüsse und Schritte des Lutherrates zu reagieren, sondern selbst aktiv zu werden, d. h. dem Bild der Lutheraner von der E K D , das in dem VELKD-Entwurf mitenthalten war, ein Gegenbild in aller Konkretheit entgegenzusetzen. Die von Schlink auf der Bruderratstagung am 17./18. Oktober 1946 vorgetragenen Gedanken über Verkündigung und Ordnung 1 2 , die aufgrund der Union gemacht wurde. Der Plan kommt aus der Angst, daß das Luthertum in Deutschland verschwinden wird (vgl. Anm. 2). 1 1 Auf Dippers Einwand, daß Niemöller dieses Modell nicht vertrete, antwortete Schlink nach Kinders Bericht: „Die Ordnung von Nassau-Hessen zeigt, daß das doch der Fall ist. Der Zusammenschluß der drei konfessionell verschiedenen Kirchen (Darmstadt, Nassau, Frankfurt) zeigt, daß die konfessionellen Unterschiede ganz außer Betracht bleiben. Niemöller sieht darin ein Modell für die E K D " (vgl. Anm. 4). 12

FLUGBLÄTTER DER B K , N r . 4 ; v g l . a u c h E . SCHLINK, E r t r a g .

Vorarbeiten zum Entwurf des Bruderrates

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ausführlichen Diskussion im Bruderrat überarbeitet worden waren, sollten jetzt als „Gedanken zur Ordnung der E K D " im Namen des Bruderrates veröffentlicht werden 1 3 und einem Ordnungsausschuß 1 4 als Grundlage für die Arbeit an einer Ordnung für· die E K D dienen. Hier einige Stimmen aus der Diskussion während der Tagung, die programmatische Bedeutung haben. Lücking: „ A u c h wir tragen Schuld an der Entwicklung, weil wir nicht gesagt haben, wie wir uns die E K D denken . . . " Dipper: „Wir müssen Schlinks Ausführungen über eine Gliederung der E K D als Positivum dem luth[erischen] Projekt entgegenstellen." Schlink machte deutlich, daß es nicht ausreiche, die Bekennende Kirche „ f ü r sich zu usurpieren" oder einen Unierten-Block als Gegengewicht zur V E L K D zu bilden: „Allein würde Eindruck machen, daß man vom luthferischen] Bekenntnis her argumentiert. Wenn man diesen Plan der V E L K D ändern will, muß man handeln." Es gelte, den Nachweis zu erbringen, daß vom Bekenntnis her eine lutherische Kirche möglich sei, „die sich mit Unierten und Reformierten versteht." Iwand plädierte für einen kompromißlosen Oppositionskurs: „ E s ist unmöglich, mit den Vätern dieses Entwurfes zu verhandeln. Sie haben ihre bestimmten Pläne, die werden durchgeführt mit allen Schikanen, die dabei angewandt werden können. Eine Abweichung ihrer Zielsetzung ist in keiner Hinsicht zu erhoffen. Es gibt für die Väter dieses Entwurfes keine Evang. Kirche. Wenn die E K D von uns aufgegeben wird, können wir uns mit den Lutheranern verständigen. Die Väter dieses Entwurfes sind entschlossen, keine Reformation zu wollen. Bei ihnen wird das Evangelium der Konfession unterstellt. Wir vom Bruderrat aus müssen uns mit ihnen auseinandersetzen. Die jungen Brüder wollen über die V E L K D aufgeklärt sein. Es muß eine Stelle da sein, die sagt: hier sammelt sich alles, was diesen Weg nicht gehen will. Diese Stelle kann der Reichsbruderrat sein, diese Sammlung kann nur im Rahmen der E K D erfolgen." Im Verlauf der Tagung wurden sowohl Schlinks vermittelnde Position als auch Iwands radikalerer Standpunkt akzeptiert. Iwand wurde nämlich beauftragt, einen Entwurf für die Stellungnahme an den Lutherrat 1 3 „ D i e von Prof. Schlink vorgelegten Folgerungen aus seinem Vortrag ,Verkündigung und Ordnung' werden nach dieser Aussprache und nach den in ihr zutagegetretenen Grundlinien gemeinsam überarbeitet. Der Bruderrat beschließt, sie als ,Gedanken zur Ordnung der E K D ' herauszugeben" (Protokoll; L K A DARMSTADT, 36/26). Vgl. auch unten S. 244 und Anm. 20. 1 4 A d a m , B ö h m , Ehlers (Vorsitzender), Held, Fokken, Mensing, Schlink, Erik Wolf. Alfred A d a m (1899-1975), D r . theol., 1931 Pfr. Frankfurt a. M . , 1949 Dozent für Kirchengeschichte Marburg, 1955 Prof. Kirchl. Hochschule Bethel. Berthold Fokken, D r . jur., Präsident des Landeskirchenrats der Ev.-Ref. Kirche in Nordwestdeutschland.

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Entwurf des Bruderrates v o m M ä r z 1947

und die ihm angeschlossenen Kirchen vorzulegen. Dieser Iwandsche Entwurf, der eine totale Ablehnung des eingeschlagenen lutherischen Weges beinhaltet, wurde ohne Änderungen von der Versammlung angenommen und als Stellungnahme des Bruderrates zur V E L K D vom 19./20. Januar 1947 veröffentlicht 15 . In diesem Beschluß zur V E L K D wurde im letzten Abschnitt angekündigt, daß vom Bruderrat noch ein „Wort über eine bekenntnismäßige Ordnung der E K D " erarbeitet werden würde, sowie von einigen lutherischen Mitgliedern des Bruderrates (Beckmann, Iwand, Lücking, Dipper) eine „eingehende Stellungnahme" zum Verfassungsentwurf der V E L K D . Wie wichtig es dem Bruderrat war, seiner Ablehnung der V E L K D gleichzeitig etwas Positives entgegenzusetzen, also nicht als destruktiv, sondern als konstruktiv dazustehen, geht aus dem Bericht Mochalskis hervor, den dieser über die Tagung für die nicht anwesenden Bruderratsmitglieder 16 verfaßte: „Zusammenfassend sei noch einmal darauf hingewiesen, daß schon aus der Aufeinanderfolge und dem inneren Zusammenhang beider Beratungsgegenstände - Grundlinien für eine Ordnung der E K D ; Stellungnahme zum Verfassungsentwurf der V E L K D nach diesen Grundlinien - deutlich wird, daß die Haltung des Bruderrates nicht aus einer Negation kommt, sondern den anderen und sich selbst bei jener Gemeinschaft behaften und immer wieder aufs Neue in sie rufen möchte, die Gott uns in den vergangenen Jahren geschenkt hat und in der wir ,miteinander bekannt, gestritten und gelitten haben'." 1 7 Die fortgeschrittene Prozedur in der Bildung der V E L K D veranlaßte den Bruderrat der E K D „in letzter Stunde", am 19./20. Januar 1947, seine Stellungnahme zu diesem Projekt bekanntzugeben 18 . Die inhaltlichen Einwendungen konzentrieren sich auf zwei Punkte, die Verpflich-

1 5 Vgl. unten A n m . 19. - Schlink schrieb am 25. 1. 1947 an Meiser über sein B e m ü h e n , die lutherische Sache vor d e m Bruderrat zu vertreten: „ T r o t z d e m erfüllte sich meine schon in Neuendettelsau ausgesprochene B e s o r g n i s , daß Ihr Verfassungsentwurf stärkstes B e f r e m d e n auslöste, zumal er die Z u o r d n u n g von V E L K D u n d E K D nicht deutlich werden läßt u n d unter U m g e h e n des Rates u n d des Bruderrates der E K D durch die L a n d e s s y n o d e n in Kraft gesetzt werden soll. D a s Mißtrauen und die S p a n n u n g ist dadurch sehr gewachsen . . . D a ich selbst nicht Mitglied des R B R , sondern nur seines theologischen Beirates bin, konnte ich die Ihnen inzwischen bekannt g e w o r d e n e völlige A b l e h n u n g des Entwurfes durch den R B R und z w a r auch durch die Lutheraner desselben (außer B r u d e r H a h n ) nicht h i n d e r n " ( L K A NÜRNBERG, Meiser 122). 1 6 A m Schluß ist vermerkt: „ D e n Mitgliedern des Rates der E K D und den Landeskirchenregierungen zur gef. K e n n t n i s n a h m e " , d. h. es war gleichzeitig die maßgebende kirchliche Öffentlichkeit angeredet. 17 18

141.

L K A DARMSTADT, 3 6 / 2 3 . E b d . ; L K A STUTTGART, D 1/224; vgl. auch FÜR ARBEIT UND BESINNUNG 1 , 1 9 4 7 , S.

Vorarbeiten zum Entwurf des Bruderrates

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tung gegenüber „ B a r m e n " und den Status der lutherischen Kirchen in der E K D . Der Kritik geht mit Bezug auf den Ratsbeschluß über die Freiheit von Landeskirchen sich zusammenzuschließen, die Versicherung voraus, daß nicht gegen eine V E L K D an sich, sondern gegen die in dem vorliegenden Verfassungsentwurf konzipierte Protest angemeldet würde: „Mit diesem Entwurf ist eine Entwicklung eingeleitet, die zwangsläufig zur Aufspaltung der Evangelischen Kirche in Deutschland führt. Hier ist in keiner Weise mehr darauf Rücksicht genommen, daß die Kirchen, die sich hier zusammenschließen, Gliedkirchen der E K D sind. Der Zusammenschluß der lutherischen Kirchen kann nur dann von Segen sein, wenn die Einheit der E K D dadurch nicht gefährdet wird. Außerdem finden wir in dem Entwurf keinen Hinweis auf die verpflichtende Bedeutung der im Kirchenkampf gewonnenen und dort bezeugten Erkenntnisse. Es besteht die große Gefahr, daß die hier eingeschlagene Entwicklung die Trennung, die auf der Synode von Oeynhausen eintrat, verfestigt, während wir doch vielmehr Mittel und Wege suchen sollten, in jene Einheit zurückzukehren, in der wir bis dahin miteinander bekannt, gestritten und gelitten haben. Dazu ist notwendig, daß die in Barmen gefallenen Entscheidungen beachtet und für verbindlich erklärt werden. Wir können deshalb in letzter Stunde alle Beteiligten nur auf das dringendste bitten, dem Entwurf in dieser Form nicht zuzustimmen." 1 9 1 9 Im gleichen Tenor wie der Beschluß des Bruderrates zur V E L K D ist eine Entschließung gehalten, die die Vertrauensleute der Württembergischen Bekenntnisgemeinschaft zusammen mit zahlreichen Amtsbrüdern und Gemeindegliedern auf einer Tagung am 28. 1. 1947 verabschiedeten. Im Dokument heißt es, daß die sich im Kirchenkampf herausgebildete und bewährte „geistliche Einheit" in der deutschen evangelischen Kirche es verbiete, den Weg der V E L K D gutzuheißen. Der vorliegende Verfassungsentwurf sei „unvereinbar" mit der kirchlichen Gemeinschaft in der E K D , denn er lasse in keiner Weise erkennen, wie mit den übrigen Kirchen Gemeinschaft ermöglicht werden könne. Im Gegenteil: „ D i e geplante Lutherische Kirche ist eine in sich abgeschlossen Einheit, die für sich allein lehrt, leitet, ordnet, Zucht übt und ihr Verhältnis nach außen regelt." Konkret wird dann der fehlende Bezug zur Barmer Theologischen Erklärung kritisiert; denn gerade diese sollte es weiterhin unmöglich machen, daß in der Kirche je wieder „jene verhängnisvolle Theologie der Ordnungen Geltung erhält, welche den Widerstand gegen die widergöttlichen Mächte dieser Welt so folgenschwer geschwächt hat." Weiterhin wird die episkopale Konzeption abgelehnt, die zusammen mit einem starken Zentralismus die Gemeinde entmündigt. Gerade die letzten beiden Punkte aber behinderten nicht nur die Gemeinschaft in der E K D , sondern sie erschwerten zusätzlich das Zusammengehen mit den lutherischen Kirchen und Gemeinden, die der V E L K D nicht angehören wollten.

Das Recht auf einen Zusammenschluß wird auch von diesem Gremium den lutherischen Kirchen nicht bestritten, aber „der Charakter der einzelnen Kirchen als Gliedkirchen der Evang. Kirche Deutschlands" müsse dabei gewahrt werden. Die Schwierigkeiten beim Aufbau der E K D rechtfertigten nicht, den „alten Plan einer Sonderorganisation des Luthertums in Deutschland heute zu verfolgen." Die Entschließung endet mit dem Hinweis auf die Bedürfnisse der Gemeinden, die Einheit und Frieden wollten, aber keine Zertrennung. [Fortsetzung S. 244].

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Entwurf des Bruderrates vom März 1947

Die „Gedanken zur Ordnung der Evangelischen Kirche in Deutschland" 2 0 sind in zwei Abschnitte unterteilt, die jeweils mit einer zentralen Frage eingeleitet werden. 1. "Wo hat die Neuordnung der EKD einzusetzen? Dem Neuen Testament und dem reformatorischen Ansatz entsprechend „im Ereignis der gottesdienstlichen Versammlung". Drei Aufgaben stünden dabei an erster Stelle, nämlich nach den Verwüstungen des Kirchenkampfes und des Krieges die Klärung von Lehre und Bekenntnisbindung der Kirche, die Neuordnung des Gottesdienstes mit Einschluß des Herrenmahles und die Neuordnung des kirchlichen Amtes. Die Schwierigkeiten, dies für die gesamte EKD zu leisten, lägen in den unterschiedlichen Traditionen, Sitten, landschaftlichen Ausprägungen und vor allem in den konfessionellen Unterschieden. Da diese aber nicht mehr exklusiv, sondern von einer kirchlichen Gemeinsamkeit umschlossen zu sehen seien, sei eine Lösung möglich. Diese kirchliche Gemeinsamkeit habe ihren Rückhalt in den Erfahrungen des Kirchenkampfes, vor allem in der „uns im Innersten überführenden Entdeckung von Brüdern in Christo inmitten der anderen evangelischen Konfessionskirchen . . ." Diese Gemeinsamkeit sei „in keiner Weise ausreichend geklärt oder gar in Sätzen der Lehre formuliert", sie sei auch nicht gänzlich „kirchlich anerkannt", aber dennoch als eindeutig kirchliche Gemeinsamkeit vorhanden. 2. Wie ist dieser eigenartige Tatbestand kirchlich zu ordnen? Auszugehen sei von den Erkenntnissen und Erfahrungen des Kirchenkampfes, d. h. einer doppelten Bewegung ist Rechnung zu tragen: einerseits das erneute Hören auf die Bekenntnisschriften und die sich daraus ergebenden Folgerungen für die Ordnung der Kirche, andererseits die neue Gemeinsamkeit, die als gemeinsame Beugung unter Gottes Wort begann. An vier Bereichen wird dann exemplifiziert, was die Realisierung des obigen Grundsatzes für die EKD konkret bedeuten würde: a. Freiheit aller Gemeinden und Landeskirchen, sich nach ihrem Bekenntnisstand zu ordnen und sich mit bekenntnisgleichen Kirchengebieten „als Glieder der E K D " zusammenzuschließen. Der Zusam-

Die Entschließung ist unterzeichnet von Dipper (Nürtingen), Lang (Stuttgart) und Esche (Waiblingen); veröffentlicht wurde sie als Beilage zu FLUGBLÄTTER DER BK Nr. 4 vom Februar 1947, nachdem sie vom Bruderrat am 5. 2. 1947 als Rundschreiben an die Mitglieder des Bruderrats und an die Geschäftsstellen der Landesbruderräte verschickt worden war (LKA STUTTGART, D 1/229). Hans Ulrich Esche (1905-1974), 1935 Pfr. Grafenberg/Nürtingen, 1946 Waiblingen, 1951 Dekan Calw, 1961-1970 Dakan Leonberg. Heinrich Lang (1900-1976), 1929 Pfr. Reutlingen, 1945 Stuttgart, 1955-1966 Dekan Schwäbisch Gmünd. 20 KJ 1945-1948, S. 73-79.

Vorarbeiten zum Entwurf des Bruderrates

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menschluß sollte innerhalb der E K D erfolgen, d. h. durch den Zusammenschluß dürfen keine konfessionellen Blöcke entstehen. b. „ D i e Möglichkeit gemeinsamen Lehrens und Handelns der Kirchen innerhalb der Evangelischen Kirche in Deutschland muß durch die Kirchenordnung gesichert und das Aufeinanderhören muß zur Pflicht gemacht werden." In der Praxis würde das bedeuten, daß zwischen den entscheidenden Gremien aller Kirchen Querverbindungen geschaffen werden, die einen optimalen Informationsfluß und damit die Inanspruchnahme der „beratenden Stimme des anderen Bekenntnisses" gewähren. c. Eine nach diesen Grundsätzen geordnete E K D wäre ein Bund von bekenntnisbestimmten evangelischen Kirchen. Diese begriffliche Paradoxic müsse ertragen und akzeptiert werden, weil die sie tragende Wirklichkeit dies verlange. Dementsprechend solle auch die allgemein üblich gewordene Abendmahlspraxis innerhalb der E K D durch eine „grundsätzliche Erklärung bekräftigt werden", ohne damit die Regel, daß lutherische Christen sich nach lutherischer Ordnung und reformierte Christen sich nach reformierter Ordnung zum Abendmahl versammeln, aufzuheben. d. Bekenntnismäßige Gliederung der Union ist da zu fordern, wo Gemeinden und Kirchengebiete ihren Bekenntnisstand bewahrt haben. D a die Gemeinschaft in diesen Gebieten zwischen Lutheranern und Reformierten sehr stark sei, würde „eine klare, bekenntnisgebundene Gliederung in Ordination, Pfarrstellenbesetzung und Visitation, in Kirchenregiment und Synode zu keiner Spaltung führen." Zugleich wäre damit für die E K D ein Modell geschaffen, das das Konfessionsproblem in beispielhafter Weise gelöst hätte. Uber die „Gedanken zur Ordnung der Evangelischen Kirche in Deutschland" wechselten Schlink und Meiser Briefe. Schlink berichtete Meiser in einem Brief vom 25. Januar 1947 über die Tagung des Bruderrates und die dort gefaßten Beschlüsse 2 1 . Zu der Annahme der Grundsätze für die Ordnung der E K D durch den Bruderrat schreibt er: „ E s wurde auf der Reichsbruderrats-Sitzung deutlich, daß in der Sache einer bekenntnisbestimmten Ordnung der Evangelischen Kirche in Deutschland die Differenzen zwischen Reichsbruderrat und Lutherrat bei weitem nicht so groß sind, wie es oft schien und wie es auf beiden Seiten oft nicht ohne Grund angenommen wurde. Der Reichsbruderrat hat sich für die weitere Arbeit an der Neuordnung auf bestimmte Gedanken festgelegt, die die von Ihnen befürchtete Verwandlung des Kirchenbundes der E K D in eine Unionskirche vom Stil der alten preußischen oder gar der badischen Union bzw. in eine Barmer Unionskirche 21

L K A NÜRNBERG, Meiser 122. Vgl. auch oben Anm. 15.

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Entwurf des Bruderrates vom März 1947

ablehnen, indem hier nicht nur dem Zusammenschluß bekenntnisgleicher Kirchengebiete innerhalb der EKD Freiheit gegeben, sondern zugleich die Jurisdiktion bekenntnisfremder Instanzen der Kirchenleitung abgelehnt wird. Als ich die Vorlage für diesen Beschluß auszuarbeiten hatte, habe ich ständig Ihre Anliegen im Auge gehabt, so wie ich sie vom lutherischen Bekenntnis her verstehe. Die Vorlage ist mit einigen Abänderungen, aber in allem Wesentlichen (zu meiner Überraschung bis hin zur Aufgliederung der Union) angenommen worden, und ich meine, daß im Rahmen dieser beschlossenen Richtlinien eine bekenntnistreue Evangelische Kirche lutherischen Bekenntnisses innerhalb der EKD als einem Bund bekenntnisbestimmter Kirchen durchaus möglich ist." Am Ende des Briefes fügt Schlink in Bezug auf die Gedanken zur Ordnung der EKD hinzu: „Gestatten Sie, hochverehrter Herr Bischof, mir die Frage, ob sie den in der Anlage beigefügten Gedanken zur Ordnung der EKD als einer neuen Gesprächsbasis zustimmen können?" Meiser antwortete erst am 18. April auf diesen Brief. In der Zwischenzeit aber hatte der Bruderrat seinen Entwurf für eine Grundordnung der EKD mit der Definition der EKD als einem Bund von bekenntnisbestimmten Kirchen verabschiedet und veröffentlicht, Wurm hatte seine Gesprächsrunden zur Vorbereitung der Kirchenversammlung durchgeführt, und der Detmolder Kreis hatte sich konstituiert. Durch die persönlichen Gespräche und Kontakte war eine gewisse Entspannung eingetreten, und die Kirchenversammlung in Treysa versprach weitere Fortschritte auf eine Einigung hin. Schlink hatte in seinem Brief vor einem neuen ,,Nach-Oeynhausen" 2 2 gewarnt und Meiser gebeten, die VELKD-Pläne erst einmal zurückzustellen, bis in der EKD eine Einigung erreicht sei, um dann EKD- und VELKD-Verfassungen aufeinander abzustimmen. Zu dieser Mahnung und Bitte sagt Meiser in seinem Antwortbrief vom 18. April: „Jedenfalls hat mich das Anliegen, das Sie in Ihrem Brief so ernst und so eindringlich vertreten, bei all den 22 „So ist die Gefahr groß, daß ein offener Kampf in der E K D ausbricht, ähnlich dem nach der Oeynhausener Synode, wobei nur jetzt der Bruderrat eine stärkere Position hat als damals und das Luthertum in Deutschland leider in mancher Hinsicht als belastet aus dem „Dritten Reich" hervorgegangen ist, (auch wenn diese Belastung in der Propaganda bestimmter ausländischer Kreise weit übertrieben ist). Dieser Kampf wäre um so tragischer, als im Reichsbruderrat heute eine größere Offenheit für die vom Bekenntnis her bestimmten Anliegen der lutherischen Kirchen besteht, als je zuvor. Diesen Kampf kann sich weder die werdende lutherische Kirche noch die bekennende E K D leisten, und zwar weder gegenüber dem Kirchenvolk noch gegenüber der Welt." - In einem Brief vom 10. 2. 1947 bat Schlink Wurm, um einen Kampf wie den nach der Synode von Oeynhausen zu verhindern, einen Verfassungsausschuß aus Mitgliedern des Rates der EKD, des Lutherrates und des RBR zu berufen, der „mit aller Intensität und größter Beschleunigung einen Verfassungsentwurf der EKiD auszuarbeiten hätte. N u r wenn die V E L K D von vornherein eingebettet wird in eine neugeordnete EKD, läßt sich die drohende Spaltung vermeiden" (LKA STUTTGART, D 1/214).

Entwurf einer Ordnung der EKiD vom 27. 3. 1947

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verschiedenen Verhandlungen seither ständig begleitet und meine Entschlüsse stark mitbestimmt." 23 . Meiser stellte weiter dankbar fest, „daß von Seiten der EKD und des Bruderrates ein allgemeiner, ungebrochener Unionismus so nicht mehr zu befürchten ist", was er dem Einfluß von Schlink zuschreibe und was zu Hoffnungen auf ein tragbares Einvernehmen berechtige. Aber: „Die große praktische Frage heute, die auch die Frage zwischen Ihnen und mir ist, sehr verehrter Herr Professor, ist nun die, ob wir die Verwirklichung unseres Zusammenschlusses in der ,Vereinigten Evang.-Luth. Kirche Deutschlands' von der Klärung und Realisierung eines diesbezüglichen Selbstbewußtseins der Gesamt-EKD abhängig machen, bzw. damit so lange warten sollen, bis dies soweit ist. Hier bin ich nach reiflichem Uberlegen und aus langer Erfahrung heraus der Ansicht, daß wir, um aus den schier endlosen Debatten einmal herauszukommen, voranschreiten sollten. Es soll dies aber wirklich ganz bewußt ein Vorangehen sein, so daß wir für das Nachkommen der anderen Teile durchaus offen bleiben. Ich denke, daß hier durch unsere Verfassung nichts verbaut ist."

Entwurf einer Ordnung der EKiD vom 27. März 1947 Auf der Sitzung des Bruderrates in Darmstadt vom 26. bis zum 27. März lautete der erste Tagesordnungspunkt: „Durcharbeitung des Entwurfes einer Ordnung der EKD, hergestellt vom Ordnungs-Ausschuß in Detmold." Das Protokoll vermerkt lediglich, daß der Entwurf durchgesprochen wurde, ohne Einzelheiten mitzuteilen. Am 26. März wurden zwei Ausschüsse eingesetzt, um die Änderungswünsche des Gremiums in den Entwurf einzutragen. Am 27. März wurde dann die Ordnung zur zweiten Lesung vorgelegt: „Es wird beschlossen, daß OKR Beckmann zur Ordnung der EKD Erläuterungen aufstellt, die zusammen mit dem Entwurf der Ordnung der EKD an die Öffentlichkeit gegeben werden." 24 Mit der Veröffentlichung wurde gemäß des Beschlusses vom 27. März 1947 der Ordnungsentwurf „den Gemeinden, Pfarrern und Kirchenleitungen zur Prüfung vorgelegt" 25 . Der Bruderratsentwurf hat für die Ordnung der EKD, die schließlich in Eisenach beschlossen wurde, entscheidende Bedeutung gehabt. Brunotte würdigte in seinem Referat bei den Vorberatungen am 9. und 10. Juli 1948 in Eisenach im Zusammenhang mit der Frage nach dem Kirche-Sein der EKD diese Tatsache mit den Worten: „Hier liegt das 23

24

L K A NÜRNBERG, M e i s e r 121.

Sitzungsprotokoll (LKA DARMSTADT, 36/23); die Erläuterungen Beckmanns sind zusammen mit dem Entwurf in FLUGBLÄTTER DER BK N r . 6, 1947 veröffentlicht. 25 Ebd.; vgl. auch H . BRUNOTTE, Grundordnung, S. 316 ff.

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Entwurf des Bruderrates vom März 1947

bleibende Verdienst des Reichsbruderrates, der im März 1947 in seinem allerersten Entwurf zur Grundordnung zum erstenmal die Formel prägte: ,Die Evangelische Kirche in Deutschland ist ein Bund lutherischer, reformierter und unierter Kirchen.' Das ist eine Erkenntnis, die uns allen gemeinsam geworden ist." 2 6 Tatsächlich hat diese Formel, die den Artikel II des Entwurfes einleitete, mit zur Einigung in Treysa beigetragen und dadurch die Einberufung des Verfassungsausschusses ermöglicht. Weiterhin hatte der Verfassungsausschuß der EKD den Bruderratsentwurf aus den vorliegenden Entwürfen für eine EKD 2 7 als Grundlage für die eigenen Arbeiten ausgewählt, und zwar sowohl in formaler Hinsicht als auch nach inhaltlichen Momenten, was durch die synoptische Ubersicht über die Entwurfsstadien bei Brunotte leicht deutlich wird 28 . Im Folgenden soll nur an zwei Punkten ein Vergleich zwischen dem Bruderratsentwurf und der Grundordnung von 1948 durchgeführt werden. 1. Im Vorspruch der Grundordnung sind entscheidende Aussagen aus dem Artikel I des Bruderrats-Entwurfes übernommen worden: a. die Aussagen über die gemeinsame biblische Grundlage der EKD; b. der viel umstrittene Satz von dem Bekennen der EKD („bekennt sie sich zu dem Einen Herrn der einen heiligen allgemeinen apostolischen Kirche"), der schließlich auf lutherischen Druck hin in der Fassung vom 28. April 1948 gestrichen worden war, dann aber von der Kirchenversammlung in der Formulierung des Bruderrats-Entwurfes wieder in die Grundordnung aufgenommen wurde 2 9 . 2. Der Verfassungsausschuß hatte in seinem ersten Entwurf in Artikel 2 vom Bruderrat (Artikel II) die doppelte Aussage über die EKD als Bund von Kirchen einerseits und als Kirche andererseits übernommen. Diese Paradoxie, die aber das Wesen der EKD ausmacht, ist in der endgültigen Fassung von Eisenach in Artikel 1, Satz 1 und 2 erhalten geblieben. Was Beckmann in seinen Erläuterungen zum BruderratsEntwurf über den Artikel II sagt, gilt somit auch für die Grundordnung: „Die EKD ist Kirche als Bund von Kirchen verschiedener reformatorischer Bekenntnisse. Es ist ihre Eigentümlichkeit, beides zugleich zu

26

EISENACH 1 9 4 8 , S . 18.

27

Mensing/Wehrhahn vom Mai 1946, Feine vom September 1946, Fleisch von 1947 (vgl. dazu unten S. 327ff.). Herbert Werhahn (geb. 1910), Dr. jur., 1952 Dozent für Staats- und Staatskirchenrecht Tübingen, 1957 Prof. Saarbrücken. 28

H . BRUNOTTE, G r u n d o r d n u n g .

29

EISENACH 1 9 4 8 , S. 9 5 / 9 6 u n d S. 1 4 2 .

Änderung zum Entwurf vom 6. 7. 1947

249

sein, ohne daß eins das andere aufhebt. Dieser Tatsache wird in den beiden Sätzen dieses Artikels Rechnung zu tragen versucht." 3 0

Änderungen

zum Entwurf durch Beschluß des Bruderrates vom 6. Juli 1947

Am 5./6. Juli 1947 tagte der Bruderrat zusammen mit seinem Theologischen Ausschuß in Darmstadt. Karl Barth, Mitglied des Theologischen Ausschusses des Bruderrates, war seit der Tagung im August 1945 in Frankfurt zum ersten Mal wieder bei einer Bruderratstagung anwesend. Sein Vortrag „ D i e Kirche - die lebendige Gemeinde des lebendigen H e r r n Jesus Christus" 3 1 stand im Mittelpunkt der Tagung. Er führte zu einer Neubesinnung des Bruderrates über seinen Entwurf für die O r d nung der E K D : „ I n Verfolg des Vortrages und der sich ihm anschließenden Aussprache überprüfte der Bruderrat noch einmal seinen Entwurf einer O r d n u n g der E K D , wobei er zu dem in der Anlage beigefügten Ergebnis k a m . " So Mochalski in seinem Bericht vom 16. Juli 1947 an die Bruderratsmitglieder 3 2 . Aus dem Protokoll der Sitzung geht hervor, daß am Abend des 5. Juli eine kleine Kommission gebildet wurde, „ u m mit Prof. Barth den Entwurf des Bruderrates zur O r d n u n g der E K D neu durchzuarbeiten." Als ein Ergebnis wurde festgestellt: „ I m allgemeinen war bei dem Verfassungsentwurf die Bindung durch überkommene Formulierungen zu stark, wogegen das Verständnis von der Kirche als ein Ereignis zu stark zurücktrat." 3 3 Weiter beschloß man Änderungen, die sich auf Artikel 1 bis 4 des Entwurfes beziehen; diese wurden als Beschluß des Bruderrates dem Verfassungsausschuß bekanntgegeben. Neben dem Vortrag von Barth war ein weiterer Anlaß für die Revision des Entwurfes die Stellungnahme der Vertretertagung der „Kirchlichtheologischen Arbeitsgemeinschaft f ü r Deutschland" in Herbronn am 15./16. April 1947 zu den „Gedanken zur O r d n u n g der E K i D " 3 4 . Beide 30

FLUGBLÄTTER DER B K N r . 6, 1947.

31

„Dieser Vortrag ist eine Arbeit, die Prof. Barth als Mitglied einer Kommission des ökumenischen Rates diesem für die ökumenische Tagung 1948 vorlegt" (Bericht M o c h a l s k i v o m 16. 7. 1947; L K A DARMSTADT, 3 6 / 2 3 ) . 32

Ebd. Ebd. 34 Die Stellungnahme besteht aus einer vierseitigen Denkschrift, die den Ansatz des Bruderrates in den „Gedanken zur Ordnung der E K i D " als zu wenig radikal, d . h . zu wenig von der Gemeinde her gedacht kritisiert. Entsprechend wird in ihr eine EKD entworfen, die ein Zusammenschluß von einzelnen Gemeinden ist, und zwar von Gemeinden, in denen die „bekennntnismäßige Selbstbekundung der Kirche" geleistet worden ist 33

( L K A STUTTGART, D 1 / 2 1 4 ) .

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Entwurf des Bruderrates vom März 1947

Faktoren wurden ausdrücklich einleitend in dem Schreiben genannt, mit dem Mochalski im Auftrage des Bruderrates dem Verfassungsausschuß über die Kanzlei 35 die Änderungswünsche des Bruderrates als Material übergab. Artikel I und II wurden in der Neuformulierung vorgelegt; zu Artikel III wurde gesagt, daß eine Neuformulierung als notwendig angesehen werde und Artikel IV sollte entweder auch umformuliert oder ganz gestrichen werden. Der Verfassungsausschuß hat diese ihm als Material übergebenen Änderungen nicht für seine eigene Arbeit verwendet. Er konnte dies auch nicht, da es seinem sich selbst gesetzten Grundsatz widersprochen hätte, bei der Grundordnung kein konfessionelles Kirchenordnungsprinzip zu favorisieren. Der neue Artikel I tendierte aber mit seiner Betonung der Gemeinde und seiner Voranstellung eines „Bekenntnisses" der EKD zum reformierten Kirchenverständnis. Artikel I lautete in der neuen Fassung: „Die EKiD bekennt sich zu dem einen Herrn der einen heiligen allgemeinen und apostolischen Kirche. In ihr sammeln sich die in der Reformation des 16. Jarhunderts durch Gottes Wort erneuerten Gemeinden in Deutschland. Ihre Grundlage ist das Evangelium von Jesus Christus, wie es in der Heiligen Schrift Alten und Neuen Testamentes bezeugt ist, in den Bekenntnissen der Reformation als bindend wieder ans Licht getreten und in der Barmer Theologischen Erklärung aufs neue als verpflichtend bekannt ist." Der Artikel II hatte sich insofern geändert, als der Satz 2 jetzt an die Stelle von Satz 1 gerückt war, d. h. die Aussagen über die Gemeinschaft innerhalb der EKD wurden an die erste Stelle gesetzt. Außerdem hatte man die wichtige Formel: „Die EKiD ist ein Bund lutherischer, reformierter und unierter Kirchen" abzuschwächen versucht durch die Aussage: „Die EKiD versteht sich als einen Bund lutherischer, reformierter und unierter Kirchen." 3 6 Man wollte also die Feststellung „ist ein Bund" durch eine Interpretationsaussage „versteht sich als" ersetzen.

35

Handschriftliche Bemerkung auf dem Schreiben: „Kanzlei-Ehlers gesandt 8. 7. 47/ Mfochalski]" (LKA DARMSTADT, 36/23). 36 Ebd.

Kapitel 20 DIE VORBEREITUNGEN FÜR EINE KIRCHENVERSAMMLUNG DER EKD

Der Ratsbescbluß vom 10./II.

Oktober 1946

Nach einer langen Sommerpause traf sich der Rat der E K D zum ersten Mal wieder am 10./11. Oktober 1946 in Frankfurt. In Speyer, auf der letzten Sitzung, hatten die Ratsmitglieder noch eine Sitzung in Göttingen für den 15./16. August geplant. Aber ebenso, wie die für August geplante Kirchenversammlung nicht durchgeführt wurde, kam es auch zu keiner Ratssitzung. Die Gründe hierfür werden nirgends explizit angegeben. Ein Grund ist sicherlich in anderen Verpflichtungen von Ratsmitgliedern, so ζ. B. in Auslandsreisen zu sehen. Vielleicht waren auch die Spannungen zwischen und innerhalb der verschiedenen Gremien zu stark; innerhalb des Reichsbruderrates zwischen Niemöller und Asmussen, innerhalb des Rates zwischen den lutherischen und den bruderrätlichen Mitgliedern, zwischen Ratsmitgliedern und der Kanzlei wegen der Geschäftsführung durch Asmussen und schließlich zwischen der bayerischen und württembergischen Kirchenleitung wegen der VELKD. Auch der Bruderrat trat erst am 17./18. Oktober wieder in Darmstadt zusammen. So tagte als offizielles Gremium nur der Lutherrat im September in Göttingen, wo dazu noch so weitreichende Entschlüsse gefaßt wurden, nämlich die Ubergabe der Verfassung an die synodalen Organe der angeschlossenen Kirchen. Damit war klar, daß der Lutherrat zielstrebig und ohne Rücksicht auf seine EKD-Umgebung die Konstituierung der V E L K D abschließen wollte 1 . 1 Vgl. dazu oben S. 2 1 6 f. Wieweit dies auch ohne die entsprechende Information geschehen sollte, zeigt ein Brief Nieseis an Asmussen vom 7. 1. 1947, in dem er für die nächste Ratssitzung als Tagesordnungspunkt fordert: „Bericht über die Verfassung und den Stand der Verwirklichung einer luth[erischen] Kirche Deutschlands. Gleich, nachdem wir neulich uns in Frankfurt voneinander verabschiedet hatten, wurde bekannt, daß der Verfassungsentwurf für die lutherische Kirche Deutschlands schon an die Synodalen Bayerns und Hannovers versandt wurde, also bereits an die Öffentlichkeit gelangt sei. In der Tat aber ist bis heute der Rat darüber noch nicht informiert! Das ist ein ganz unmögliches Verhalten der führenden Männer des lutherischen R a t e s " ( A E K D , 046).

252

Vorbereitungen für eine Kirchenversammlung der E K D

Auf der Sitzung des Rates der E K D am 10./11. Oktober 1946 in Frankfurt wurde erneut die Einberufung einer Kirchenversammlung beschlossen, diesmal aber mit sorgfältigerer Vorbereitung und ausreichender Zeitspanne. Punkt 9 der Beschlüsse des Rates mit der Uberschrift „Verfassung der E K D " lautet: „1. Im Frühjahr 1947 soll eine Vorläufige Kirchenversammlung der E K D einberufen werden. 2. Mit der Vorbereitung der Kirchenversammlung werden Prof. D . Dr. Smend, Landesbischof D. Meiser und Präsident Asmussen D . D. beauftragt. Oberlandeskirchenrat Dr. Lilje kann dabei Landesbischof Meiser vertreten." 2 Damit hatte der Rat selbst sein früheres Konzept durch ein anderes ersetzt. Der Auftrag des Rates an Smend, Iwand, Lilje vom 22. Juni 1946, eine Skizze zu einem Entwurf für eine Verfassung der E K D vorzulegen, wurde damit fallengelassen3. Aus einem Brief Asmussens vom 24. Oktober 1946 geht hervor, was den Rat zur Änderung seines Vorgehens veranlaßt hatte: „Der Rat der E K D hat sich bei seiner letzten Sitzung eingehend mit der zukünftigen Verfassung der E K D befaßt. In einer brüderlichen Aussprache herrschte Einmütigkeit darüber, daß die Zeit für eine Erarbeitung und Einführung der Verfassung der E K D noch nicht reif sei. Die Gründe dafür sind zu suchen einmal darin, daß kirchlich-theologische Entwicklungen noch nicht ausgereift erscheinen, aber auch die äußere politische Entwicklung noch nicht so weit gediehen ist, daß die E K D sich feste Formen geben kann." 4 Stattdessen habe der Rat beschlossen, die Anstrengungen darauf zu konzentrieren, die Verbindung zwischen dem Rat der E K D „und denen, denen er dienen soll" 5 zu festigen und den Gedanken- und Informationsaustausch zu intensivieren. Als geeignete Form dieses Gedankenaustausches mit Kirchenleitungen, Pfarrern, Gemeinden und Laienvertretungen wurde für die Ubergangszeit eine Kirchenversammlung gewählt.

Asmussens Umfrage zur

Kirchenversammlung

Als Teil seines Auftrages, an der Vorbereitung der Kirchenversammlung mitzuarbeiten, richtete Asmussen den oben erwähnten Brief an zwanzig kirchliche Persönlichkeiten. Schon am 14. Oktober 1946 hatte 2 „Beschlüsse des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland in der Sitzung vom 10. und 11. Oktober 1 9 4 6 " in 17 Punkten; 9 Seiten, vervielfältigtes Exemplar (ebd.). 3 Beschluß des Rates der E K D vom 2 1 . / 2 2 . Juni 1946 in Speyer, Punkt 9 (ebd.). Vgl. dazu auch oben S. 193. 4

A E K D , 042.

5

Ebd.

Asmussens Umfrage

253

er Smend mitgeteilt, daß er hinsichtlich der Kirchenversammlung privatvertraulich an einige Kirchenmänner und Theologen schreiben wolle 6 . So wie Asmussen seinen Brief ausdrücklich als „Privatbrief" kennzeichnete, so versicherte er auch seinen Briefpartnern, ihre Antworten als solche zu behandeln. Dadurch solle gewährleistet sein, daß die anstehenden Fragen in vertraulich-brüderlichem Gespräch geklärt werden können, ohne Angst vor einer vorschnellen Festlegung in der Öffentlichkeit. Aus einer handschriftlichen Bemerkung auf dem Briefentwurf Asmussens geht allerdings hervor, daß die bereits eingetroffenen Antworten auf der Ratssitzung am 27./28. November besprochen wurden 7 . Auf dem Antwortbrief von Georg Merz ist dies ausdrücklich vermerkt 8 . Asmussens Fragen in dem Brief beziehen sich auf die Funktion und die Zusammensetzung der Kirchenversammlung. Zur Wahl des Begriffes „Kirchenversammlung" erklärte Asmussen, er habe bei der Aussprache viel Sympathie gefunden, weil er eine Reihe schwebender Fragen nicht präjudiziere, wie ζ. B . die Frage nach einer Synode der E K D , deren Klärung von vornherein belastend gewesen wäre für das notwendige Gespräch zwischen denjenigen, „die von den Bruderräten herkommen" und denjenigen, „denen an einer konfessionellen Aufgliederung liegt." Weiter fragt Asmussen: 1. Welche Funktion kann eine Kirchenversammlung haben, auch wenn ihr irgendeine Legislative nicht zusteht? 2. Die Kirchenversammlung darf aus 100 Mitgliedern bestehen; wie sollen sich diese zusammensetzen? d. h. 3. Welche Kräfte sollen vertreten sein? Drei Modelle, die aber nicht alternativ zu betrachten sind, werden zur Beantwortung dieser Frage gleich mitgegeben: a. Entsendung durch die „gemeine evangelische Christenheit"? b. Entsendung durch die Gliedkirchen? c. Wie soll der Rat in der Kirchenversammlung vertreten sein? beratend? mit Stimme? allein durch von ihm berufene Teilnehmer? 4. Wie kann man die gewünschte Beteiligung und Teilnahme von Pfarrern und Gemeinden optimal erreichen? Durch Urwahl? Die eingegangenen Antworten zeigen, daß sich die erste Frage Asmussens als unproblematisch erwies. Übereinstimmend wird eine Kirchenversammlung als Forum für die brüderliche Aussprache, als beratendes Gremium für den Rat und als unterstützende Basis für die Öffentlichkeitsarbeit des Rates begrüßt. Auch die Möglichkeit einer Kirchenver6

Ebd.

7

„ 2 8 . 11. Uber die Antworten wurde in der Ratssitzung vom 2 6 . / 2 7 . 11. berichtet"

(ebd.). 8 „ 2 8 . 11. 46. A m . 26. 11. im Rat besprochen" (ebd.).

254

Vorbereitungen für eine Kirchenversammlung der EKD

Sammlung, die Einheit der evangelischen Christenheit sichtbar darzustellen und dadurch die Gewissen der Gliedkirchen wachzuhalten, wird betont. Erdmann und Kloppenburg weisen in ihren Antworten darauf hin, daß der EKD eine verfassunggebende Kirchenversammlung not tue; ,,. . . den Luxus einer unverbindlichen Zusammenkunft können wir uns nicht leisten" 9 . Die Fragen zwei und drei beziehen sich auf ein und dasselbe Problem, nämlich auf das Problem der EKD: wer konstituiert die EKD? Es ist dieselbe Frage, die schon in Treysa 1945 anstand. In der Vorläufigen Ordnung der EKD war zwar die Mitverantwortung des Bruderrates festgelegt worden, dadurch aber dennoch nicht geklärt. Denn die Ubertragung seiner kirchenregimentlichen Funktionen auf den Rat der EKD wurde unterschiedlich interpretiert, so daß die Berechtigung von bruderrätlichen Aktionen ständig ein Streitpunkt war. So ist auch in den Antworten die Frage der Zusammensetzung am unterschiedlichsten und am ausführlichsten behandelt. Problematisiert wird dabei einmal die Auffächerung der EKD in Landeskirchen und kirchliche Interessengruppen, zum anderen in Amtsträger und gemeine Christenheit. Man weist darauf hin, daß gewisse kirchliche Gruppen sich mit der gemeinen evangelischen Christenheit deckungsgleich sehen. So wandte sich ζ. B. Landesbischof Bender in seiner Antwort gegen die Aufteilung der EKD in Gliedkirchen und gemeine evangelische Christenheit mit dem Argument: „Wenn Kirche wirklich in unseren Kirchen zeltet, kann man die Christenheit nicht wieder aus diesen Kirchen herausziehen. Hier liegt das Problem Kirche=Gliedkirche Bekennende Kirche. Diese Frage ist für die EKD die brennendste." 1 0 Auch Moritz Mitzenheim fragte an, wie außer den Landeskirchen noch eine gemeine evangelische Christenheit in Deutschland vertreten sein solle. Wenn damit etwa die Bekennende Kirche gemeint sei, so könne er nur betonen, daß diese in Thüringen in der Führung der Landeskirche sei. Uberhaupt habe die Auseinandersetzung mit der Bekennenden Kirche in den Landeskirchen stattzufinden, wo diese die Führung zu übernehmen habe. Und über die Landeskirchen wirke sie sich dann in der EKD aus. Eine etwas andere Position nahm Bischof Halfmann 1 0 3 ein, der die Kirchenversammlung auch nur aus Amtsträgern zusammengesetzt 9

Zitat aus Kloppenburgs Antwort vom 30. 11. 1946 (AEKD, 042; ebd. auch die weiteren Antworten). 10 Julius Bender (1893-1966), 1928 Vorsteher des Diakonissenhauses Nonnenweier, 1946-1964 Landesbischof der Ev. Landeskirche in Baden. 101 Wilhelm Halfmann (1896-1964), 1933 Pfr. Flensburg, 1936 geistl. Leiter der BK in Schleswig-Holstein, 1946 Bischof für Holstein und Vorsitzender der Kirchenleitung der Ev.-luth. Landeskirche Schleswig-Holsteins.

Asmussens Umfrage

255

wünschte, aber an dem Problem des Bruderrates nicht vorbeigehen konnte. Um einer rechtlichen Festlegung auszuweichen, schlug er als Lösung vor: „Zu einer praktischen Lösung käme man vielleicht durch die Überlegung, daß der Rat der E K D diejenige Instanz ist, die in ihrer Konstituierung unter Mitwirkung des Reichsbruderrates entstanden ist. So hätte diese Instanz durch das Mittel der persönlichen Berufung Recht und Pflicht, den Bruderräten die gebührenden Plätze zu sichern. Abgesehen davon würden auch die Gliedkirchen für eine angemessene Vertretung der Bruderräte sorgen." Eine ausgleichende Berufungsmöglichkeit durch den Rat wurde auch von Heinz Brunotte empfohlen. Er gestand dem Rat der E K D zu, bei einer Teilnehmerzahl von 100 Personen 21 zu berufen. Das starke Ubergewicht der Landeskirchen - und zwar sollten 50 Prozent der Teilnehmer durch die Kirchenleitungen und 50 Prozent durch die Synoden bestimmt werden - begründete Brunotte folgendermaßen: „Die Landeskirchen sind nächst dem Rat der E K D (wahrscheinlich sogar vor ihm!) die wichtigsten Rechtsträger innerhalb der E K D . Ihre staatskirchenrechtliche Legalität kann in keinem Falle angezweifelt werden und ihre kirchliche Legalität steht 15 Monate nach ,Treysa 1945' auch wohl überall soweit fest, daß man die Landeskirchen in ihrer Gesamtheit für berechtigt ansehen kann, die Stimme der E K D darstellen und verstärken zu helfen." Nur Dürr und Kloppenburg plädierten dafür, kirchliche Interessengruppen explizit zuzulassen. Kloppenburg wünschte Ratsmitglieder und Vertreter der Landeskirchenleitungen und des Reichsbruderrates gleichberechtigt in der Kirchenversammlung zu sehen. Dürr schlug folgende Zusammensetzung vor: 12 Plätze für den Rat der E K D , je 10 für den Lutherrat und den Bruderrat, 8 für die kirchlichen Werke, der Rest für die Landeskirchen, die ihre Vertreter durch die Synodalorgane bestimmen lassen sollten. Die eigenwilligste Lösung bot Georg Merz an: Die Kirchenversammlung soll allein durch Berufung des Rates gebildet werden. Jedes Ratsmitglied schlägt sechs Vertreter vor, die von den anderen Ratsmitgliedern akzeptiert werden müssen. Der Rest der Stimmen wird gleichmäßig auf Vertreter des Lehramtes, der Mission und Diakonie und auf „Männer, die die Kirche im öffentlichen Leben der Nation mit Gewicht vertreten", verteilt. Asmussens einleitende Erklärung, daß es sich bei der geplanten Kirchenversammlung nicht um eine Synode handele, hätte seine letzte Frage eigentlich erübrigt. Denn Urwahlen oder Direktwahlen sind für Synoden vorbehalten; auch die gewünschte Beteiligung von Pfarrern, Gemeinden und von der „gemeinen evangelischen Christenheit" ist damit ausgeschlossen. Entsprechend ist die Reaktion aller seiner Brief-

256

Vorbereitungen für eine Kirchenversammlung der E K D

partner, die den Gedanken einer Synode erst gar nicht diskutieren. Dürrs Äußerung kann hier als Beispiel für das allgemeine Bewußtsein angeführt werden: „Denn die Frage oder gar Forderung nach einer Synode aufwerfen, hieße das Gespräch beenden, ehe es begonnen hat." Da parallel zu Asmussens Initiative bereits der von Smend erarbeitete offizielle Entwurf des Rates für eine Verordnung über eine Kirchenversammlung der E K D in einigen Gremien diskutiert wurde, konnte Asmussens Meinungsumfrage von vornherein nicht mehr als das private Erstellen eines Stimmungsbildes sein. Denn der Entwurf Smends zeigt deutlich, daß im Rat die Frage nach der Funktion und der Zusammensetzung der Kirchenversammlung grundsätzlich schon vorentschieden war.

Verordnung über eine Kirchenversammlung vom 24. Januar 194711

der EKD

Rudolf Smend hatte den Entwurf 12 für eine Verordnung über eine Kirchenversammlung im Rahmen seines Auftrages angefertigt, zusammen mit Asmussen und Meiser (bzw. Lilje) zur Vorbereitung der Kirchenversammlung beizutragen. Bereits am 8. November 1946 verschickte Stoll im Auftrage des Lutherrates den Entwurf an die angeschlossenen Kirchen mit der Bitte um eine Stellungnahme 13 . Aus den eingegangenen Voten sollte dann vom Lutherrat eine gemeinsame Stellungnahme erarbeitet werden. Stoll fügte als Hintergrundwissen zur Beurteilung des Entwurfes hinzu: „Bei der letzten Tagung des Rates wurden drei Mitglieder beauftragt, einen Entwurf über eine erweiterte Vertretung der in der E K D verbundenen Kirchen baldmöglichst vorzulegen, da das Bedürfnis bestand, dem Rat eine umfassendere Grundlage zu geben." Der Entwurf gliedert sich in 11 Paragraphen. § 1 sagt deutlich, daß sich die Kirchenversammlung aus Vertretern der Gliedkirchen zusammensetzt, und zwar sowohl aus Mitgliedern der Kirchenleitungen als auch der Synoden (§ 2). Die Paragraphen 3 und 4 machen Vorschläge für die genaue Anzahl der zu entsendenden Vertreter aus den einzelnen Gliedkirchen und bestimmen auch das Verhältnis von Geistlichen und Laien. § 6 weist auf die Möglichkeit hin, Sonderberatungen für die Bekenntnisse einzuberufen und § 10 gibt an, welche Einflußmöglichkeiten ein Bekenntniskonvent haben könnte. Schließlich werden in § 9 die Rechte der Kirchenversammlung aufge11 12 13

AB1EKD N r . 4 vom 1. 2. 1947. A E K D , 042. O K R STUTTGART, Reg. Gen. 115 b.

Verordnung vom 24. 1. 1947

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führt, nämlich dem Rat der EKD Vorschläge zu machen, Anregungen zu geben und Rat zu erteilen, „insbesondere bei der Vorbereitung einer endgültigen Ordnung der E K D . " Auf seiner Sitzung am 26.121. November 1946 beschloß der Rat der EKD, den Entwurf für eine Verordnung über die Kirchenversammlung auf der nächsten Sitzung noch einmal zu beraten 14 . Da in der Zwischenzeit, am 9. Januar 1947, das Votum des Lutherrates eingegangen war, konnte dies in die endgültige Fassung vom 24. Januar noch eingearbeitet werden. Am 9. Januar 1947 sandte Meiser als Vorsitzender des Lutherrates an die Kirchenkanzlei in Schwäbisch Gmünd eine Zusammenstellung der bei ihm eingegangenen Reaktionen der angeschlossenen Kirchen auf den Smendschen Entwurf: „Ich überreiche in der Anlage aus den mir zugegangenen Antworten das Wichtigste in kurzen Auszügen. Das eingegangene Material zu einer Gesamtstellungnahme zu verarbeiten, verbieten mir unsere augenblicklichen Zeitverhältnisse. Ich hoffe, daß der Kanzlei aber auch mit dem Kurzbericht ein Dienst geschieht." 15 In der Zusammenstellung wurden einmal ein Uberblick über die Stellungnahmen gegeben, dann grundsätzliche Einwände und schließlich Änderungswünsche zu einzelnen Paragraphen zusammengestellt. 1. Vorbehaltlose Zustimmung zu dem Entwurf kam von Württemberg und Schleswig-Holstein; grundsätzliche Ablehnung wurde durch Sachsen und Mecklenburg ausgesprochen. Bedingte Zustimmung - d. h. mit Änderungswünschen - kam aus Hannover, Bayern, Braunschweig, Eutin und Lippe. Thüringen, Lübeck und Schaumburg-Lippe äußerten sich gar nicht. 2. Sachsen und Mecklenburg begründeten ihre grundsätzliche Ablehnung dadurch, daß sie dem Rat das Recht absprachen, sich eine Kirchenversammlung zuzuordnen. Denn Rechtsträger innerhalb der EKD seien nur die Gliedkirchen. Die Einberufung einer Kirchenversammlung könne deswegen nur „durch eine Vereinbarung der Gliedkirchen geschehen." Wenn nun bei der mangelnden rechtlichen Fundierung des Rates 16 dieser eine Kirchenversammlung einberufe, dann würde die „rechtlose" Situation in der EKD lediglich perpetuiert und verfestigt, 14

Beschlüsse, Ziffer 16 (AEKD, 046). A E K D , 042; handschriftliche Notiz von Schwarzhaupt: „2. 2. Der Inhalt der Anlage ist in der Sitzung des Rates der EKD am 24. 1. in Treysa vorgelegt worden". 16 Vgl. dazu Brunottes Äußerungen in seiner Antwort auf Asmussens Fragen: „Die Kirchenversammlung würde nach meinem Urteil den Sinn haben, die immerhin noch beträchtliche Übergangszeit überbrücken zu helfen. Der Rat wird die ihm in Treysa gegebene Basis mit Recht als reichlich schmal empfinden. Ich hatte schon damals das Gefühl, daß wir von Anfang an reichlich viel von der auch im Rechtssinne vorhandenen Einheit der E K D aufgegeben haben. Das läßt sich nun für die Zwischenzeit rechtlich nicht wieder einbringen" (AEKD, 042). 15

258

Vorbereitungen für eine Kirchenversammlung der EKD

anstatt sie durch Vorbereitung einer endgültigen Ordnung zu beseitigen17. 3. Außer für § 10, der die Frage der Konvente regelt, waren die Änderungswünsche geringfügig; sie bezogen sich hauptsächlich auf den Verteilungsschlüssel und auf die Zusammenlegung kleiner Kirchen zum Zweck der gemeinsamen Vertretung (vgl. § 3 und § 4). Im Entwurf von Smend enthielt § 5 noch die Auflage, daß der Rat „mindestens 5 von den 20 von ihm zu benennenden Mitgliedern auf Vorschlag der Vertretungen der ehemaligen Ostkirchen" zu berufen habe. Hannover kritisierte diesen Paragraphen und schlug als Änderung vor: „Da von aus dem Osten vertriebenen Kirchen und deren Vertretungen nicht geredet werden könne, wird folgende Fassung vorgeschlagen: ,Der Rat beruft fünf von den zwanzig von ihm zu benennenden Mitgliedern aus der Zahl der aus dem Osten vertriebenen Geistlichen'." In der endgültigen Fassung der Verordnung ist dann dieses Thema ganz gestrichen18. § 10 des Entwurfes stimmt mit dem der endgültigen Fassung bis auf den letzten Satz überein. Im Entwurf lautete der letzte Satz: „Die Kirchenversammlung setzt die Behandlung der Vorlage bis zur Erstattung des Berichts über die Sonderberatung aus." Hannover merkte dazu an, daß es „unmöglich" sei, „daß die Kirchenversammlung ohne Mitwirkung des widersprechenden Konventes darüber entscheiden soll, ob dem Einspruch dieses Konventes stattgegeben werden soll." Gefordert wurde stattdessen, daß bei Widerspruch einer Bekenntnisgruppe der Beschluß als abgelehnt gelte. In diesem Sinne ist dann auch der Schlußsatz des § 10 in der Verordnung formuliert: „Bestätigt der Konvent die erhobenen Bedenken, so kommt kein Beschluß zustande." Sachsen lehnte § 10 im Ganzen ab: „Diese Vorschrift kann überhaupt nicht zur Zuständigkeit einer Kirchenversammlung gehören, die über Fragen des Kultus und Bekenntnisses nicht zu entscheiden hat." 19 1 7 Auch Kloppenburg hatte in seiner Antwort auf Asmussens Fragen eine bindende Ubereinkunft gefordert, wenigstens über „einige Grundordnungen". Alles andere sei „Luxus", den man sich nicht mehr leisten könne, jetzt, mit der drohenden VELKD im Hintergrund. „Es mag sein, daß man im Augenblick eine Verfassung der EKD noch nicht einbringen kann. Das hindert die Lutheraner nicht, ihre Verfassung unter Dach zu bringen und es besteht durchaus die Möglichkeit, daß es in einigen Wochen eine funktionierende Vereinigte luthferische] Kirche gibt, während die EKD weiter nebelhaft verschwommen ist" (ebd.). 1 8 Die Hintergründe dazu wären zu untersuchen im Zusammenhang mit der gesamten Ostkirchen-Problematik nach 1945. 1 9 Vgl. auch Brunotte in seiner Antwort auf Asmussens Fragen: „Dadurch, daß die Kirchenversammlung ungegliedert erscheint, wird nach außen deutlich dokumentiert, daß sie keine Synode sein soll. Es liegt gar nicht in den Befugnissen der Kirchenversammlung, Beschlüsse zu fassen, welche die bekenntnismäßig geordneten Landeskirchen binden. Wird in der Kirchenversammlung von irgend einer Seite geltend gemacht, daß in einer

Theologische Vorklärung

259

Kurz vor der Kirchenversammlung war die Frage der Konvente noch nicht endgültig geklärt. So fragte Asmussen am 17. Mai 1947 bei allen Ratsmitgliedern an, ob bei der Kirchenversammlung beim Auseinandertreten in Konvente zwei lutherische Konvente gebildet werden sollten, und zwar einer für die VELKD-Lutheraner und einer für die NichtVELKD-Lutheraner, die sich zu diesem Zeitpunkt schon als Detmolder Arbeitskreis zusammengefunden hatten. „Angesichts der tatsächlichen Lage in der Evangelischen Kirche wäre dies angebracht", fügte Asmussen hinzu 2 0 . Am 28. Mai teilte Asmussen den Ratsmitgliedern mit, daß der Rat vor der Kirchenversammlung abends zusammentreten müsse, um die Frage der Konvente zu klären. Seine schriftliche Umfrage hätte nur widersprüchliche Antworten erbracht 2 1 . Während der Kirchenversammlung kam es dann, trotz einiger Krisen, nie zu dem Punkt, an dem ein Auseinandertreten in Konvente gefordert worden wäre oder Hilfe versprochen hätte; die Auseinandersetzungen berührten eine andere Ebene. Die theologische

Vorklärung

Der Rat der E K D hatte mit der Erarbeitung und Bekanntgabe der Verordnung über eine Kirchenversammlung der E K D vom 24. Januar 1947 den ihm zustehenden Beitrag zur Vorbereitung der Kirchenversammlung geleistet; in die inhaltlich-theologische Auseinandersetzung konnte er sich seinem Status entsprechend nicht einmischen. Das zentrale Problem der E K D , die konfessionelle Frage, mußte zwischen den unmittelbar betroffenen Gruppen ausgehandelt werden. Der Rat konnte hier nur abwarten 2 2 . Ebenso sollte auch die Kirchenversammlung keine Sache Bekenntnis und Kultus berührt werden, so steht nichts im Wege, im Einzelfall vorbereitende Sondersitzungen der Abgeordneten zu halten, die nach dem Bekenntnisstand gegliedert werden" (AEKD, 042). 20 Ebd. 21 Ebd. 22 Vgl. zur Kirchenversammlung einen Brief von OKR Schwarzhaupt an Kirchenpräsident Erdmann, Wolfenbüttel, vom 20. 1. 1947: „Das zentrale Verfassungsproblem der EKD, die Konfessionsfrage, ist z. Zt. noch nicht so weit gelöst, daß eine der möglichen Kirchenordnungen mit einer Billigung einer einigermaßen breiten kirchlichen Öffentlichkeit rechnen könnte. Eine der Vorfragen ist die der lutherischen Kirchen. Solange wir nicht wissen, ob die VELKD in der geplanten Form zustande kommt und welchen Kreis von Landeskirchen sie umfaßt, ist es kaum möglich, die EKD verfassungsmäßig zu ordnen. Es muß auch beachtet werden, daß die BK auf ganz andere Lösungen des Konfessionsproblems zielt. Der Rat hat weder den Wunsch noch die Möglichkeit, den Landeskirchen irgendeine Kirchenordnung für die EKD aufzuzwingen und muß deshalb zunächst einmal abwarten, welche Ergebnisse die Auseinandersetzungen zwischen den luth[erischen] Kirchen und der BK bringt. Um diese Zeit des Abwartens zu überbrücken, soll die Kirchenversammlung einberufen werden . . ." (ebd.).

260

Vorbereitungen für eine Kirchenversammlung der E K D

Entscheidungen treffen; sie konnte aber den Informationsstand des Rates erweitern helfen und möglicherweise den Rahmen bilden für verantwortliche und verbindliche Aussagen der entscheidenden Gruppen. U m ein fruchtbares Gespräch zwischen diesen Guppen zu ermöglichen, ergriff Wurm persönlich Anfang Februar 1947 die Initiative, indem er nacheinander die Vertreter einer Konfessionsgruppe zu einer Aussprache zu sich einlud: den Lutherrat, die Lutheraner außerhalb der V E L K D , die Unierten und die Reformierten. Der unmittelbare Anlaß dazu war die Tatsache, daß der Verfassungsentwurf für die V E L K D bekanntgeworden war. Mit dem Zusammenschluß lutherischer Kirchen war ein Faktum für die evangelische Kirche gesetzt, das es einerseits zu akzeptieren galt, das aber andererseits eine Neuorientierung verlangte. Obwohl Wurm die Gefahrenmomente, die in dem raschen und eigenmächtigen Voranschreiten der Lutheraner zur V E L K D lagen, nicht übersah, war sein selbstverständliches und sogar positives Akzeptieren dieser Tatsache erstaunlich. Maßgeblich dafür waren wohl eine gewisse Ohnmacht, eine Versöhnungsbereitschaft, die vor der Öffentlichkeit beispielhaft wirken sollte, und eine taktische Klugheit dem zukünftigen Gesprächspartner gegenüber. Wurm geht dabei sogar so weit, den Lutheranern zu konzedieren, daß ihre Verfassungsarbeit ein Teil der gesamtkirchlichen sei: „ D i e Ordnung der E K D scheint ihrer Verwirklichung einen Schritt näher zu kommen. Der Verfassungsentwurf der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands ist bekannt geworden. Nunmehr können alle Beteiligten an die Arbeit gehen, um die Folgerungen zu ziehen aus den Plänen, welche unsere lutherischen Brüder haben." 2 3 Begründung, Ziel und Thema seiner Gesprächsrunden gab Wurm selbst bekannt in seinem Wort „ A n die Evangelische Christenheit in Deutschland", veröffentlicht im Amtsblatt der E K D vom 15. Februar 1947, dem die Einladungsschreiben und die Fragen an den Lutherrat und die Kirchenleitungen, „deren Kirchen entweder selbst Augsburgischen Bekenntnisses sind oder in deren Kirchen Gemeinden und Pfarrer Augsburgischer Konfession zusammengefaßt sind", als Anlagen beigegeben sind. Die im Amtsblatt abgedruckten Schreiben waren schon am 1. Februar 1947 von der Kirchenkanzlei, mit einer zusätzlichen Einleitung versehen, an die Landeskirchenregierungen verschickt worden 2 4 . In diesem einleitenden Vorwort von Asmussen wurden die zwei anderen Gruppen genannt, die Wurm einzuladen gedachte: „Besprechungen mit den 23 24

A B 1 E K D N r . 5 vom 15. 2. 1947. A E K D , 012 Bd. II.

Ungeklärte Fragen innerhalb der EKD

261

ausgesprochenen Unierten und den ausgesprochenen Reformierten sind in Aussicht genommen." Wurms Aktion war natürlich nicht zu trennen von seinem Amt als Vorsitzender des Rates der EKD, von seinem damit verbundenen Ansehen und Einfluß und seiner Autorität. Aber daß sie als Privatinitiative bewertet werden sollte, zeigt ζ. B. die Unterschrift Wurms ohne Titelangabe und die Auswahl des Ortes für das erste Gespräch, nämlich Wurms Privatwohnung in Stuttgart. Am 17. Februar 1947 berichtete Asmussen den Ratsmitgliedern von den Ergebnissen des Gespräches in Stuttgart. Dabei betonte er: „Es versteht sich von selbst, daß der Vorsitzende des Rates dem Lutherrat keinerlei verbindliche Zusagen im Namen des Rates machen konnte, sondern daß es sich nur um die Klärung der Lage handeln konnte." 2 5 Die Ziele der Gesprächsrunden waren, nach Wurms und Asmussens Erklärungen zu den Einladungen, folgende: 1. Schaffung einer „brüderlichen Atmosphäre" bei der kommenden Auseinandersetzung 26 ; brüderlicher Gesprächsstil als sichtbares Zeichen der Einheit der EKD; 2. „Verantwortliche Besprechung", deren Ergebnis es Wurm ermöglichen würde, als Ratsvorsitzender die Diskussion über eine Ordnung der EKD im Rat zu leiten und damit eine der Hauptaufgaben des Rates, die Schaffung einer endgültigen Ordnung der EKD, zu fördern 27 .

Die ungeklärten

Fragen innerhalb der EKD

Ebenfalls am 1. Februar 1947, als Parallele zu Wurms Initiative, bat Asmussen als Präsident der Kirchenkanzlei in einem Schreiben an die Evangelisch-Theologischen Fakultäten der Universitäten Tübingen, Göttingen, Leipzig, Bonn und an die Kirchliche Hochschule in Berlin um ein Gutachten zur „konfessionellen Lage innerhalb der EKD" 28 . Als Anlaß wird wieder das Bekanntwerden des Verfassungsentwurfes der VELKD angegeben, aus dem sich „für Ordnung und Gestaltung der EKD eine Reihe weittragender Folgen" ergebe: „Es ist notwendig, daß alles getan wird, um die theologische Situation möglichst zu klären, Ebd. In seinem Vorwort in dem Schreiben an die Landeskirchen ist Asmussen deutlicher; er spricht von der Gefahr eines „verantwortungslosen Debattierens" und zügellosen sich Auseinanderredens. In dem Gespräch mit dem Lutherrat spricht Asmussen von der Gefahr, „daß nun Propaganda in den Gemeinden und Pfarrerschaften getrieben wird" (Protokoll von Kinder; AEKD, 012). 2 7 So Asmussen in dem Einladungsschreiben an den Lutherrat (AB1EKD Nr. 6 vom 25

26

1. 3. 1 9 4 7 ) . 28

L K A STUTTGART, D 1 / 2 1 4 .

262

Vorbereitungen für eine Kirchenversammlung der E K D

damit in dem nun anhebenden Gespräch die Fronten möglichst echt sind." Zur Eingrenzung des Themas gab Asmussen die drei Problembereiche an, die im „Brennpunkte des kirchlichen Gesprächs im Augenblick eine besondere Klärung erheischen." Sie berühren sich eng mit denjenigen, die in den Fragen Wurms angesprochen sind. Auch in Asmussens Bericht „Stand des Gespräches" im Amtsblatt vom 1. März 1947 wurden sie noch einmal ausgeführt. Daß sich in allen drei Texten die Formulierungen der verschiedenen Adressaten entsprechend unterscheiden und die Akzente verschieden gesetzt werden, ist selbstverständlich. Aber als zentrale Anliegen ergeben sich: 1. Die Bedeutung von Bekenntnissen bzw. Bekenntnisschriften für eine Kirche 2 9 ; 2. die heutige Auslegung des Damnamus in den lutherischen Bekenntnisschriften 30 ; 3. die Bedeutung der Barmer Theologischen Erklärung für die E K D 3 1 . Der Einfluß der Gutachten läßt sich nur schwer bestimmen. Asmussen hatte in seinem Brief um fünf Exemplare gebeten, was darauf hinweist, daß nur ein kleiner Kreis von Lesern vorgesehen war. Als Abgabetermin war Mitte April angegeben worden, d. h. daß Asmussen die Gutachten als zusätzliches Material für die Vorbereitung der Kirchenversammlung verwenden wollte. Nun fuhr aber Asmussen selbst im März 1947 nach Amerika 32 , und einige der Gutachten wurden nicht termingerecht eingereicht 33 .

Die

Gesprächsrunden

Wurm war bei der Idee, zu Gesprächen einzuladen, davon bewegt, den konfessionellen Gruppierungen die Möglichkeit zu geben, sich offen und frei zu bestimmten Fragen, die die Einheit und Gestalt der E K D 2 9 Asmussen, Stand des Gespräches, Abschnitt V und VIII (ABlEKD Nr. 6 vom 1. 3. 1947). 3 0 Ebd., Abschnitt VII. 3 1 Ebd., Abschnitt VI. 3 2 Brief Asmussens an die Ratsmitglieder vom 9. 3. 1947; Bemerkung seiner Sekretärin: „ A m 10. 3. bereits abgereist" (AEKD, 012 Bd. II). 3 3 So schreibt Iwand noch am 20. 3. 1947 an Asmussen: „Wir werden von der Fakultät aus möglichst bald ein Gutachten zu der Angelegenheit Dir zusenden" (AEKD, 012 Bd. III). Und am 21. 8. 1947 erklärt Iwand in einem Schreiben an Asmussen zu dem Göttinger Gutachten: „Zunächst etwas zu den Thesen: Sie sind schnell hingeworfen . . . " (ebd.). Das Gutachten selbst war bei den EKD-Akten nicht auffindbar. Das Gutachten der Kirchlichen Hochschule Berlin trägt das Datum vom 12. 8. 1947 (ebd.). Es wurde 1948 in der Schriftenfolge der Kirchlichen Hochschule Berlin „Der Anfang" veröffentlicht. Das Gutachten der Leipziger Fakultät wurde allerdings bereits Anfang 1947 veröffentlicht ( E L K 2 1, 1947, S. 2 ff.; S. 16 ff.). Gutachten aus Bonn (AEKD, 012 Bd. III; O K R

STUTTGART, R e g . G e n . 1 1 5 b).

Gesprächsrunden

263

betrafen, zu äußern. Er wollte damit sowohl den Stil der Auseinandersetzungen bestimmen als auch dazu beitragen, daß auf der Kirchenversammlung doch verbindliche Beschlüsse gefaßt werden könnten, die die Arbeit an der Verfassung der EKD beschleunigen würden. Das Letztere jedenfalls ist ihm gelungen. Auf der Kirchenversammlung in Treysa im Juni 1947 standen vier Referate auf der Tagesordnung, die jeweils vom Standpunkt einer Konfessionsgruppe aus die Beurteilung der Lage der EKD zum Thema hatten 34 . Das erste Gespräch fand am 14. Februar 1947 vormittags in Stuttgart zwischen Wurm und Vertretern des Lutherrates statt. Vom Lutherrat waren Meiser, Lilje und Kinder anwesend, vom Oberkirchenrat in Stuttgart Schlatter und Metzger, von der Kirchenkanzlei Asmussen und Friedrich Merzyn. Durch ein Protokoll von Kinder und Berichte von Asmussen an die Ratsmitglieder und den Bruderrat ist das Gespräch ausreichend belegt. Von ihm führt eine Linie über das Referat von Kinder auf der Kirchenversammlung zu der Entschließung des Lutherrates vom 4. Juni 1947, die auf der Kirchenversammlung bekanntgegeben wurde. Am 9. und 10. April trafen sich in Detmold die Vertreter der Kirchen, die selbst Augsburgischen Bekenntnisses sind oder Gemeinden mit dem entsprechenden Bekenntnisstand verwalten. Anwesend waren lutherische 35 Vertreter aus den Kirchen von Württemberg, Hessen Frankfurt/M., Nassau, Rheinland, Westfalen, Kurhessen, Bremen, Oldenburg, Pommern, Berlin-Brandenburg und Kirchenprovinz Sachsen. Es wurde eine Erklärung zur konfessionellen Lage der EKD verabschiedet, die ζ. T. Antworten auf die Fragen Wurms enthielt 36 . Außerdem wurde ein Arbeitsausschuß dieser Kirchen gegründet, der als „Detmolder Kreis" an die Öffentlichkeit trat. Er hat weiterhin einige Bedeutung gehabt, bildete er doch ein Gegengewicht zur VELKD, und zwar sowohl innerhalb der EKD als auch in der Ökumene. Nur ein lutherisches Gremium konnte für die VELKD eine Provokation sein. Besonders das Argument der VELKD-Befürworter, ihr Gewissen verlange den Zusammenschluß, konnte nur durch Lutheraner hinterfragt werden 37 . 3 4 Vgl. in diesem Zusammenhang Beckmanns Einleitung zu dem Wort „Zur innerkirchlichen Lage" in: K J 1945-1948, S. 84: „In den beiden Tagen des 5. und 6. Juni fand das konfessionelle Gespräch der vergangenen Jahre einen offiziellen Austrag, indem vor dem Forum der Kirchenversammlung die maßgebenden Vertreter der verschiedenen Standpunkte zu Wort kamen. Das Reden miteinander war nicht fruchtlos." 3 5 „Es waren solche Vertreter dieser Kirchen geladen, die an das lutherische Bekenntnis gebunden sind" (Detmolder Erklärung; K J 1945-1948, S. 83). 3 6 AB1EKD Nr. 11 vom 15. 5. 1947; K J 1945-1948, S. 82-84. 3 7 Asmussen, Stand des Gespräches: , .Wenn nämlich der lutherische Zusammenschluß einem Gewissensanliegen Rechnung trägt, dann bedeutet er, daß alle Glieder der Augsbur-

264

Vorbereitungen f ü r eine Kirchenversammlung der E K D

Ein Gespräch mit den Reformierten kam nicht zustande. Niesei erklärte später auf der Kirchenversammlung in Treysa, die Reformierten hätten sich an dem von der Kirchenkanzlei eingeleiteten Konfessionsgespräch nicht beteiligt, da sie ein „direktes Gespräch mit dem Partner suchen", wozu die Kirchenversammlung das geeignete Forum sei 38 . Allerdings hatte das Moderamen des Reformierten Bundes schon am 14. März 1947 in zwei Beschlüssen zu den anstehenden Fragen Stellung genommen, was dann auch von Asmussen und Meiser als unbrüderliche Verfahrensweise kritisiert wurde und als ein Ausweichen vor der Gesprächssituation gewertet wurde 39 . Am 6. Mai 1947 fand in Stuttgart unter der Leitung von Asmussen das Gespräch mit Wurm und Vertretern der konsensusunierten Kirchen statt. Einladungen dazu waren am 21. April 1947 von der Kirchenkanzlei aus an die Kirchenleitungen von Baden, Pfalz, Rheinland, Westfalen, Nassau, Hessen-Darmstadt, Frankfurt und Kurhessen-Waldeck ergangen 40 . Zu der Auswahl der Kirchen erklärte die Kirchenkanzlei: „ D i e Vertreter aus Kirchen mit einem gemischten konfessionellen Bestand (Rheinland, Westfalen, Kurhessen, Frankfurt, Nassau und HessenDarmstadt) sollten sich als konsensusuniert verstehen." 41 Als wünschenswertes Ergebnis des Gespräches wurde eine klare Stellungnahme der Konsensus-Unierten zu dem Detmolder Protokoll 42 angesehen.

gischen K o n f e s s i o n s o oder ähnlich handeln m ü s s e n , wie jetzt die lutherischen B r ü d e r h a n d e l n " (vgl. oben A n m . 29). 3 8 Protokoll v o m 5. 6. 1947 vormittags ( A E K D , 042, Beiheft 2). 3 9 Meiser an den Reformierten B u n d v o m 11. 4. 1947: „ W ä h r e n d der Lutherrat . . . den Einladungen, die von d e m Vorsitzenden des Rates der E K i D d a z u ergingen, bereit u n d in Verantwortung f ü r das G a n z e der E K i D n a c h g e k o m m e n ist, tritt der R e f o r m i e r t e B u n d hier, ohne ein G e s p r ä c h abzuwarten, mit fixierten Entschließungen an die Ö f f e n t l i c h k e i t " ( A E K D , 012 B d . III). A E K D , 012. Vertreter aus dem Rheinland u n d aus Westfalen nahmen an d e m G e s p r ä c h nicht teil, da sie diese Definition ihres Bekenntnisstandes ablehnten. Sie teilten der Kanzlei telegrafisch mit, daß die Entsendung eines konsensus-unierten Vertreters unmöglich sei. A u s d e m O s t e n , w o nur Berlin in F r a g e g e k o m m e n wäre, kamen keine Vertreter, da man auf eine Einladung, wegen der großen O p f e r , verzichtet hatte (so A s m u s s e n in seinem Bericht v o m 7. 5. 1947; L K A STUTTGART, D 1/214). 40

41

42

Vgl. d a z u unten S. 274 f.

Kapitel 21 DIE ERGEBNISSE DER K O N F E S S I O N E L L E N GESPRÄCHE

Der Lutherrat und ,, Barmen" Schon während des Gespräches mit dem Lutherrat am 14. Februar 1947 beurteilte Asmussen einige Aussagen als so positiv, daß er sie als ein „offizielles Wort des Lutherrates" für geeignet hielt, zur „Entgiftung der Situation" beizutragen 1 . Und noch in einem Brief an Meiser vom 6. März 1947 sprach er von dem Eindruck „des wegweisenden Vorwärtsführens", den die Stuttgarter Besprechung auf ihn gemacht hätte 2 . In den schriftlichen Berichten Asmussens an die Ratsmitglieder und an den Bruderrat, die beide am 17. Februar 1947 verfaßt wurden, gab Asmussen übereinstimmend zwei Ergebnisse des Gespräches an: „Auf der einen Seite der feste Wille, die Bildung der VELKD weiterzutreiben, auf der anderen Seite der feste Wille, in der Gemeinsamkeit der EKD zu verharren." 3 Beide Aussagen waren gleichermaßen nichtssagend, da jede inhatliche Füllung fehlte. Unklar blieben weiterhin Struktur und Aufbau der VELKD, unklar blieb der Grad der Gemeinsamkeit. Damit konnten diese Ergebnisse nicht als Beitrag zur Klärung und als Schritt vorwärts gewertet werden. Und die auf der Kirchenversammlung mit Ungeduld vorgetragenen Forderungen an den Lutherrat, endlich konkret zu werden, waren voll berechtigt. Aus dem Protokoll geht hervor, daß das Gespräch auf zwei Themen konzentriert war: auf die Theologische Erklärung von Barmen 1934 und die Verwerfungen der Reformationszeit (Damnamus). Sein Zögern, einen Hinweis auf „Barmen" in die Verfassung der VELKD aufzunehmen, begründete der Lutherrat damit, daß einmal noch kein Konsens über die Auslegung und die Funktion der Erklärung bestehe und zum anderen ständig Mißbrauch mit ihr betrieben werde, indem „nachträglich durch Überspitzung aus ,Barmen' etwas gemacht wurde, was es ursprünglich nicht sein wollte." „Barmen" würde nämlich als neues Bekenntnis angesehen, dem man kirchengründende Kraft zuschreibe,

1 2 3

Protokoll der Stuttgarter Besprechung, angefertigt von Kinder (AEKD, 012). Ebd. Asmussen an die Ratsmitglieder (AEKD, 012 Bd. II); Asmussen an den Bruderrat

( L K A STUTTGART, D

1/224).

266

Ergebnisse der konfessionellen G e s p r ä c h e

und zwar für eine „neue Unionskirche", und das hieß für den Lutherrat in dieser Situation: für die E K D . Das lutherische Verständnis von „Barmen" war lediglich auf die Abwehrfunktion der Erklärung beschränkt; die Entscheidung von Barmen war damit Negation, aber sie enthielt keine positiven Aussagen; sie war „die gemeinsame Abwehr, die über das gegenseitige Verhältnis derjenigen, die in dieser Abwehr zusammenstanden, an sich noch gar nichts aussagt" 4 . Entsprechend wurde die Barmer Erklärung in ihren Verwerfungen bejaht: „Für uns gilt das Ja zu ,Barmen', solange diese verworfenen Lehren noch da sind." 5 In der Entschließung des Lutherrates vom 4. Juni 1947 wurden unter Punkt 2 „Zur Theologischen Erklärung von Barmen" dann auch die in Barmen beschlossenen, „sachlichen Entscheidungen" bejaht: „Die dort ausgesprochenen Verwerfungen bleiben in ihrer Auslegung durch das lutherische Bekenntnis für unser kirchliches Handeln maßgebend." 6 Auf der Kirchenversammlung in Treysa wurde versucht, diese Auslegung nach der positiven Seite hin zu verbreitern, aber wie die Formulierung im Wort „Zur innerkirchlichen Lage" zeigt, ist dies nicht gelungen; die Aussagen über „Barmen" sind eher noch vorsichtiger, noch allgemeiner 7 . Auf die Frage an den Lutherrat, ob die in den lutherischen Bekenntnisschriften enthaltenen Verwerfungen der Reformierten nach Form und Inhalt aufrecht erhalten blieben, antwortete Lilje bei der Stuttgarter Besprechung: „ J a - aber was meint dann das ,damnamus'? Es ist keine moralische Abwertung oder ein Absprechen der ewigen Seligkeit, sondern die Feststellung der Unmöglichkeit der Kircheneinheit, wobei 4

Aussage v o n Meiser in Stuttgart ( P r o t o k o l l ; A E K D , 0 1 2 ) .

5

So Lilje in Stuttgart; vgl. zu dieser Auslegung auch die „ E r k l ä r u n g des Theologischen

Konvents

der Bekenntnisgemeinschaft

der E v . - l u t h .

6 . 2 . 1 9 4 7 , die in 6 Sätzen zu „ B a r m e n "

Landeskirche

Stellung n a h m .

Hannovers"

D i e Erklärung w u r d e

vom am

1 1 . 4 . 1 9 4 7 v o n der Kirchenkanzlei an Ratsmitglieder, an die Kirchenregierungen und an den B r u d e r r a t verschickt. Satz 1 und 2 lauten: „ M i t der B a r m e r Theologischen E r k l ä r u n g ist der evangelischen Christenheit in Deutschland in einer Stunde kirchengeschichtlicher Entscheidung z u r A b w e h r schwerer B e d r o h u n g der Kirche ein W o r t geschenkt w o r d e n , das die lutherischen Kirchen gemeinsam mit den reformierten und unierten haben sprechen können. W i r bezeugen, dass w i r uns an die in B a r m e n vollzogene Entscheidung gebunden wissen, da sie durch das lutherische Bekenntnis gefordert w a r und da die d o r t bekämpfte Irrlehre n o c h nicht überwunden i s t " ( O K R STUTTGART, R e g . G e n . 115 b). I w a n d kritisierte ganz allgemein die hier vorgetragene H a l t u n g in einem Brief v o m 2 0 . 3. 1 9 4 7 an A s m u s s e n : „ D e r Fehler, den Meiser m a c h t , u n d den auch B r u n o t t e , auch M e r z , in den Erklärungen, die mir zugänglich w u r d e n , übernehmen, liegt darin, daß er im K i r c h e n kampf n u r eine A b w e h r v o n Irrlehren sieht, als o b uns nur H i t l e r und nicht in W a h r h e i t das Bekenntnis zu Christus geeint h ä t t e " ( A E K D , 0 1 2 B d . II). 6

H . BRUNOTTE, G r u n d o r d n u n g , S. 3 0 5 .

7

K J 1 9 4 5 - 1 9 4 8 , S. 8 5 .

Lutherrat und „ B a r m e n "

267

offen bleibt, daß man durch gemeinsame Bemühungen weiter kommen kann." 8 Da Lilje gleichzeitig in der E K D gemeinsame öffentliche Vertretung, Zusammenarbeit in den kirchlichen Werken und - eingeschränkt gemeinsame ökumenische Beziehungen für möglich hielt, stellte Wurm Liljes „ J a " zum damnamus in Frage: „Ist die Aufrechterhaltung des , damnamus' in dem Sinne von Lilje vereinbar mit der von ihm für möglich gehaltenen Zusammenarbeit in den kirchlichen Werken? Muß nicht von daher das ,damnamus* abgemildert werden?" 9 Asmussen kam knapp einen Monat nach dem Gespräch noch einmal auf diesen Sachverhalt zurück, als er von Meiser einige Klarstellungen zu den in Stuttgart gemachten Aussagen erbat 10 . Anlaß seines Schreibens waren Ausführungen von Paul Fleisch zu der Frage drei, deren „Tenor" Asmussen „völlig anders" als in Stuttgart erschien. Dieser Widerspruch innerhalb des Lutherrates veranlaßte Asmussen, darauf hinzweisen, daß ein Aspekt bisher noch nicht genügend durchdacht worden sei: „Selbst wenn man das Damnamus der Bekenntnisschriften in Vollumfange aufrecht erhält, muß deutlich werden, ob man es in demselben Sinne versteht, wie die in Barmen vollzogene Verwerfung des politischen Messianismus." Fleisch hatte mit seinen Ausführungen diese Meinung vertreten. Wenn er damit einem lutherischen Konsens Ausdruck gegeben habe, dann, so Asmussen, „würde ich sehr schwarz sehen für die Zukunft der E K D . Denn diejenigen, von denen wir uns in Barmen getrennt haben, könnte ich nicht einbauen in eine E K D , und jede Form kirchlicher Gemeinschaft mit ihnen müßte ich ablehnen." Da ja die tatsächliche Haltung aller Gliedkirchen der E K D mit ihm an diesem Punkt übereinstimme, verlange er, so Asmussen, vom Lutherrat keine Änderung von dessen Haltung, sondern lediglich die verbindliche Feststellung der Grundsätze der eigenen Praxis. Es müsse in der augenblicklichen Situation die „Anerkennung der ökumenischen Gemeinschaft mit den Reformierten und mit den Unierten" betont werden, wenn von dem Damnamus gesprochen werde. Dieser ganze Problemzusammenhang blieb vorerst ungeklärt. Weder in der Entschließung des Lutherrates vom 4. Juni noch in dem Wort zur innerkirchlichen Lage der Kirchenversammlung wurde er angesprochen. Allerdings war er implizit in allen Aussagen über Abendmahlsgemeinschaft oder kirchliche Gemeinschaft der E K D enthalten. Und so ist 8 9

Vgl. oben Anm. 1. Ebd.

1 0 „ E s ist mir eindrücklich gewesen, wie vorbehaltlos Lilje in der Stuttgarter Besprechung sich zu dem Damnamus der Bekenntnisschriften bekannte. Aber daß gerade er es tut, läßt ja doch deutlich erkennen, daß dieses Damnamus innerhalb bestimmter Grenzen ausgesprochen wird. Denn alle Welt weiß, daß Lilje eine Gemeinschaft des Gebetes und eine Gemeinschaft der Verkündigung mit denen, denen dies Damnamus gilt, in der ökumenischen Arbeit aufrecht erhält" (Brief vom 6. 3. 1 9 4 7 ; A E K D 012).

268

Ergebnisse der konfessionellen Gespräche

letztlich der Widerstand der VELKD-Lutheraner gegen die Aufnahme des Abendmahlsartikels in die Grundordnung in dem Damnamus gegründet 11 .

Entschließung des Moderamen des Reformierten Bundes vom 14. März 1947 „Zum Entwurf der Verfassung der VELKD"12 Alle Argumente, die zur Ablehnung der VELKD in diesem Dokument zusammengetragen wurden, sind zugleich ein Votum für die EKD, d. h. daß die VELKD im Gegensatz zu dem steht, was der Reformierte Bund als Wesen der EKD ansieht. Kritisiert wird das Fehlen eines jeglichen Bezuges zur Barmer Theologischen Erklärung im Verfassungsentwurf. Diese werde nicht nur nicht angeführt, sondern in keinem Punkte sei die Verfassung nach ihren Grundsätzen ausgerichtet. Als Beispiel wird die Ämterhierarchie des Verfassungsentwurfes herausgegriffen: die Machtfülle des leitenden Bischofs und die damit verbundene Entmündigung der Gemeinde stünden in klarem Gegensatz zu Satz 4 der Barmer Erklärung. Durch den fehlenden Bezug auf Barmen stelle sich die VELKD außerhalb der EKD 1 3 , deren „unumgängliche theologische Grundlage" eben die Barmer Erklärung sei. Inhaltlich wird diese Grundlage als das in Barmen gesprochene Bekenntnis zu Jesus Christus als dem einen Wort Gottes qualifiziert. „Damit ist das eine Band sichtbar geworden, das die Evangelische Kirche in Deutschland als Bund der Bekenntniskirchen zusammenhält." Der Unterschied zum Lutherrat in der Interpretation von Barmen wird hier sehr deutlich: Barmen ist nicht nur Abwehr, sondern Bekenntnis zum Christus allein. 11 Sommerlath als Vertreter des Lutherrates neben Meiser äußerte sich bei der Karlsruher Besprechung am 10. und 11. 4. 1948 ζ. B. folgendermaßen: „Ich bin überzeugt, daß nur die lutherische Kirche Kirche im Sinne des Neuen Testamentes ist, daß man das gleiche aber nicht von der reformierten Kirche sagen kann . . . Ich glaube, das lutherische Abendmahl ist das Abendmahl des Neuen Testamentes. Die lutherische Kirche hat den Schatz, den sie preisgeben würde, wenn sie auch ein anderes Verständnis des Abendmahls anerkennen würde. Den anderen stehe ich mit dem Wunsch gegenüber, daß alle an meinem Schatz teilnehmen möchten, daß sie auch das glauben möchten, was ich glaube. Für mich gilt deshalb das damnamus gegenüber den Reformierten" (Niederschrift der Besprechung; AEKD, 00 Bd. V). Ernst Sommerlath (geb. 1889), Dr. theol., 1926-1959 Prof. für Systematische Theologie Leipzig. 12

13

L K A STUTTGART, D 1 / 2 1 4 .

Dies wird als ein Weg bezeichnet, der „wider Gottes Wort ist." Ähnlich hatte der O K R in Stuttgart in seinem Votum zur V E L K D vom 10.7. 1946 festgestellt: „Allein der Oberkirchenrat fragt sich, ob der Preis, der dafür gezahlt werden muß, nicht zu hoch ist, ja, ob der Weg, der hier eingeschlagen werden will, im Gehorsam Christi im jetzigen Augenblick erlaubt ist" (vgl. oben S. 213).

Entschließung des Reformierten Bundes vom 14. 3. 1974

269

Die Definition der E K D als „Bund der Bekenntniskirchen" in einem reformierten Dokument war für die Ermöglichung des gemeinsamen Wortes zur innerkirchlichen Lage in Treysa wichtig. Da auch der Bruderrat in seinem Verfassungsentwurf für eine Ordnung der E K D vom März 1947 in Artikel II davon spricht, daß die E K D „ein Bund lutherischer, reformierter und unierter Kirchen" sei, brauchte von der Kirchenversammlung nur noch die „Übereinstimmung" darüber festgestellt werden. Allerdings war, wie bei so vielen Sätzen in der Übereinkunft der Kirchenversammlung, auch diese Übereinstimmung nur auf die Formulierung zu beziehen, nicht aber auf inhaltliche Momente, Voraussetzungen, Grenzen und Implikationen. Am 5. April 1947 schickte Asmussen eine kurze Erwiderung auf die Entschließung an den Reformierten Bund 1 4 . Formal kritisierte er den Schritt an die Öffentlichkeit, während zur gleichen Zeit Gesprächsangebote vorlägen. Asmussens inhaltliche Kritik geht in beiden Punkten über seine Vorlage hinaus und gibt eher Aufschluß über seine Position als über den Standpunkt des Reformierten Bundes. 1. Den Vorwurf der Entschließung, die Lutheraner umgingen in ihrem Verfassungsentwurf die Entscheidungen von Barmen, glaubt Asmussen durch den Hinweis auf Barths Äußerungen über Christentum und Demokratie entkräften zu können 1 5 . Diese Methode, kritische Anfragen der Reformierten oder des Bruderrates mit dem Stichwort „Karl Barth" abzuwehren, wurde von Asmussen und auch vom Lutherrat immer wieder angewendet 16 . 2. Der Kritik der Reformierten an der Ämterstruktur in der V E L K D A E K D , 012 Bd. II. „Nachdem auch Karl Barth sich weitgehend von der Barmer Erklärung gelöst hat, dürfte man nicht mehr so unbeschwert den Eindruck erwecken, als ob nur die Lutheraner Barmen gefährden würden . . . " . Nichtbeachtung von Barmen führte nicht nur zu einem deutsch-christlichen Irrtum, sondern ebenso zu einem demokratisch-christlichen Irrtum, dem nach Asmussen „viele reformierte Brüder" verfallen seien: „Wer ganz harmlos in der Schweizer Bundesverfassung einen Widerschein der Auferstehung Jesu Christi sieht, der ist nicht berechtigt, vor einer Neuaufrichtung der deutsch-christlichen Irrlehre zu warnen" (vgl. Anm. 14). 14 15

1 6 So gehörten zu den Bedenken des Lutherrates dem Bruderrat gegenüber, die Asmussen in seinem Brief vom 17. 2. 1947 an diesen weitergab, unter anderem Barths Taufverständnis und seine Lehre von Gesetz und Evangelium. Als Begründung dafür, daß man den Bruderrat auf Äußerungen von Barth anspreche, wurde angegeben: „ I m Blick auf das große Ansehen, welches Karl Barth in der Bekennenden Kirche genießt, werden verständlicherweise seine Äußerungen mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt" (LKA DARMSTADT, 36/23). Auf der Bruderratstagung am 26. 3. 1947 wies Held diese Unterstellung zurück: „ D e r Bruderrat hätte Veranlassung zu fragen, warum wir gefragt werden, ob wir auf einer unbekannten Seite eines uns unbekannten Buches von Karl Barth gelesen haben, was seine Tauflehre ist und wie wir zu dieser stehen." Ebenso Niesei: „Jetzt, weil Karl Barth eine Schrift über die Taufe geschrieben hat, sollen der Bruderrat und die Reformierten sich dazu äussern. Wir denken nicht daran" (ebd.).

270

Ergebnisse der konfessionellen Gespräche

Verfassung hält Asmussen das Argument entgegen, daß auch der Moderator des Reformierten Bundes in der Gefahr stehe, „eine Herrschaft in der Kirche aufzurichten." Daraus zu schließen, daß jedes System in gleichem Maße diese Gefahr in sich enthalte, ist aber falsch. Es gibt ebenso systembedingte Widerstände als auch systembedingte fördernde Aspekte für den Ausbau einer persönlichen Machtposition. Und Asmussens Verständnis von der 4. Barmer These ist zumindest Verengt, wenn er schreibt: „Satz 4 der Barmer Erklärung ist nicht so sehr eine Frage an das System, als eine Frage an die christliche Haltung." 1 7 Der Lutherrat hatte eine gemeinsame Stellungnahme der dem Rat angeschlossenen Kirchen zu dem Votum des Reformierten Bundes geplant. Diese „sachliche Stellungnahme" war von Meiser in seinem Brief an das Moderamen vom 11. April 1947 angekündigt worden 18 . Am 25. April 1947 mahnte Meiser die angeschlossenen Kirchen, ihre Stellungnahme zu der Entschließung des Reformierten Bundes einzusenden 19 . Die an den Oberkirchenrat in Stuttgart gerichtete Kopie dieses Schreibens enthält Bemerkungen von Schlatter und Haug zu dieser Forderung. Beide hielten aber eine „Einmischung" in dieser Sache nicht für nötig. Haug forderte stattdessen: „Dagegen sollten wir uns zu dem Vorschlag des R[eiches]B[ruder]R[ates] (Schlink) wohl bald äußern. Er scheint mir sehr beachtlich." 2 0 Diese Bemerkung bezieht sich auf den Entwurf des Bruderrates für eine Ordnung der E K D , an dessen Vorarbeiten Schlink maßgeblich beteiligt war. Eine ähnliche Haltung zu den innerkirchlichen Querelen wie Haug nahm auch der Bruderrat ein, als er beschloß, die Fragen des Lutherrates, die Asmussen überbrachte, unbeantwortet zu lassen. Um Zeit und Energien produktiver einzusetzen, beschloß er, die Arbeit an der Grundordnung der E K D voranzutreiben.

Die Position der linierten Kirchen Das Ergebnis des Gespräches vom 6. Mai faßte Asmussen in einem Bericht vom 7. Mai 1947 an die „Herren Bischöfe" zusammen 21 : 1. Die Anwesenden wollen weiter unter dem Vorsitz von Wurm in 17 Vgl. auch H . DIEMS Polemik gegen das „unselige Vertrauen auf den guten Willen achtbarer christlicher Persönlichkeiten" (Problematik, S. 24). 1 8 AEKD, 012 Bd. III. 1 9 Auf der Tagung des Lutherrates in Fulda am 15./16. 10. 1947 wurde die Frage kurz behandelt. Noch fehlten die Gutachten von Sommerlath und Schumann, die Sache sollte aber doch weiter verfolgt werden (Protokoll; O K R STUTTGART, Reg. Gen. 119 e). Friedrich Karl Schumann (1886-1960), Dr. phil., 1928 Prof. für Systematische Theologie Tübingen, 1929 Gießen, 1932 Halle, 1951-1953 Münster. 20 21

O K R STUTTGART, R e g . G e n . 1 1 9 e. L K A STUTTGART, D

1/214.

Position der unierten Kirchen

271

einem freien Arbeitsausschuß zusammenbleiben, ähnlich wie dem der Detmolder: „Irgendeine Agressivität lag dem Beschluß nicht zugrunde." 2. „Die versammelten Vertreter verstanden die von ihnen vertretenen Kirchen und Gemeinden als solche, welche glauben, daß Jesus Christus in ihrem Abendmahl wahrhaft gegenwärtig ist." 2 2 3. Die Augustana kann nicht als gemeinsame Grundlage der E K D angesehen werden 23 . 4. „Gerade aus den unierten Kirchen wurden Stimmen laut, welche die Notwendigkeit der Barmer Erklärung stark in den Vordergrund stellten. Man erblickte in der Barmer Erklärung den Anfang eines Weges, welcher alle deutschen Kirchen weiterhin zum gemeinsamen Bekennen führen könnte und also die evangelischen Kirchen in Deutschland in einem gemeinsamen Bekennen vereinigen müßte. Eine Aufgliederung konsensus-unierter Kirchen und Gemeinden erscheint nicht möglich." 5. „Bei einigen Kirchen wurde eine besondere Vergenz zum reformierten Kirchentypus sichtbar." Asmussen stellte zusammenfassend fest, daß sich in der E K D die Tendenz abzeichne, daß vier Gruppierungen in ihr vertreten sein würden: die Lutherrat-Kirchen, die Reformierten, die eigentlich unierten Kirchen und Gemeinden sowie die nicht im Lutherrat vertretenen lutherischen Kirchen. Es müsse nun erwogen werden, ob und in welcher Form dieser Tatbestand seinen Ausdruck zu finden verdiene in der Ordnung der EKD. Der in Stuttgart gegründete Arbeitsausschuß trat weiterhin nicht mehr 22 Vgl. Punkt 3 der Detmolder Erklärung, wo die „Gegenwart Christi in der Verkündigung des Wortes und der Verwaltung der Sakramente" als Voraussetzung einer Abendmahlsgemeinschaft in der EKD genannt wird (KJ 1945-1948, S. 83). 23 Das Moderamen des Reformierten Bundes für Deutschland faßte am 14. 3. 1947 einen Beschluß zu den „neuerlichen Bemühungen, die Einheit der EKD auf die Augsburgische Konfession zu gründen." Der Reformierte Bund lehnte diese Grundlage aus zweierlei Gründen ab: 1. „Die Augsburgische Konfession ist in wichtigen Teilen der Reformierten Kirche in Deutschland nie gültig gewesen." Sie bildete zwar den Rahmen für die staatskirchenrechtliche Behandlung aller evangelischen Kirchen und Territorien, aber „innerkirchlich erwies sie sich nicht als hinlänglich." 2. Das Zurückgreifen auf die CA sei geeignet, die Tatsache zu verdunkeln, daß die Einheit der Kirche „von jetzt in der EKD verbundenen Bekenntniskirchen verbindlich bezeugt worden" sei, und zwar in der Erklärung von Barmen (LKA STUTTGART, D 1/214). Der Lutherrat lehnte die CA als Basis für die EKD als „zu schmal" ab. Auf Metzgers Frage, ob die EKD Kirche sei, wenn sie die CA zur Grundlage hätte, antwortete Meiser: „Wenn die CA Invariata und der Katechismus zur verpflichtenden Norm erhoben werden, dann besteht die Möglichkeit einer wirklichen .großlutherischen Kirche.' Dann könnte diese Kirche echte kirchliche] Entscheidungen treffen" (Protokoll der Stuttgarter Besprechung am 14. 2. 1947; AEKD 012).

272

Ergebnisse der konfessionellen Gespräche

in Erscheinung. Versuche in der praktizierte sie Gemeinden und

Eine unierte Position stellte kein Problem dar für die E K D , in ihr eine Kirchengemeinschaft zu realisieren, doch seit langem sogar die Kircheneinheit in ihren Kirchen.

Die Haltung des Bruderrates zu dem konfessionellen Gespräch Der Bruderrat war zwar nicht als einer der Gesprächspartner direkt angesprochen, aber seine Meinung konnte selbstverständlich nicht übergangen werden. Bei dem Gespräch mit dem Lutherrat war er sogar der eigentliche, wenn auch nicht anwesende Gesprächspartner. Der Brief von Asmussen an den Bruderrat vom 17. Februar 1947 sagt dann auch, daß Information und Einbeziehung des Bruderrates in das Gespräch das Ziel sei: „Es entspricht durchaus der Intention des Vorsitzenden des Rates der E K D , auch den Bruderrat und seine Anliegen im Vollmaß zu Geltung kommen zu lassen." 2 4 Dieser Brief, der außer einem Bericht über das Gespräch vor allem die Fragen des Lutherrates an die Mitglieder des Bruderrates enthält, wurde auf der Tagung des Bruderrates am 26.127. März in Darmstadt verlesen und diskutiert. Die Fragen an den Bruderrat oder vielmehr die Besorgnisse des Lutherrates in Bezug auf die Haltung des Bruderrates können knapp zusammengefaßt werden: die Sorge, daß der Bruderrat die E K D als Unionskirche bauen wolle; daß sich die Bekennende Kirche von außen in die Ordnung der Gliedkirchen einmischen wolle und daß der Bruderrat mit Karl Barth übereinstimme. In seinem Bericht über das Gespräch mit dem Lutherrat in Stuttgart vor dem Bruderrat ist Asmussen weit weniger optimistisch als in seinen für die Öffentlichkeit bestimmten Äußerungen. Im Vergleich mit dem Ausgangspunkt des Gespräches müsse man, so Asmussen, allein die Tatsache, daß man miteinander gesprochen habe, als ein Positivum werten: „Ich muß dazu aussprechen, daß es zunächst sehr schwer war, dies Gespräch in Gang zu bringen. Denn es bestand sowohl eine starke Verärgerung, als auch ein Mißtrauen, wie auch ein Fertigsein mit den anderen." Als tatsächliches Ergebnis konnte Asmussen dann auch nur anführen, daß auf der organisatorischen Ebene zwischen E K D und V E L K D noch vieles unentschieden sei und daß grundsätzlich „an eine Änderung des Zustandes zu Ungunsten der E K D " nicht gedacht werde. Aber was die theologische und ekklesiologische Fragestellung betreffe, so scheine man in verschiedenen Welten zu leben: „Wir können uns nicht vorstellen, wie fern wir uns tatsächlich sind. Das meine ich so, wir 24

L K A DARMSTADT, 3 6 / 2 3 .

H a l t u n g des Bruderrates

273

können uns nicht genug Mühe geben, dem anderen deutlich zu machen, was wir selber denken. Was er denkt, ist uns fremd, was wir denken, ist ihm fremd." Amussens pessimistisches Urteil wurde durchaus vom Bruderrat geteilt. Form und Inhalt der an ihn gerichteten Fragen würden genau diesen Sachverhalt bestätigen: sie werden über einen Dritten gestellt und betreffen Äußerungen eines Dritten (K. Barth) oder gründen sich auf vage Eindrücke und Vermutungen 25 . Held plädierte deswegen dafür, auf diese Fragen gar nicht zu reagieren und stattdessen das direkte Gespräch, wie in den Neuendettelsauer Gesprächen, weiterzuführen. An der konfessionellen Gesprächsrunde Wurms kritisierte Held nicht nur die Zwischenschaltung einer dritten Instanz, sondern er lehnte vor allem den Ausgangspunkt ab: das selbstverständliche Akzeptieren der V E L K D als vorgegebenes Faktum 2 6 . Böhm unterstützte Held, indem er darauf hinwies, daß Gespräche nur noch Alibifunktion haben könnten, wenn der Gesprächsgegenstand nicht mehr veränderbar sei 2 7 : „Die Gesprächspartner, die Asmussen uns nennt, führen ein Scheingefecht. Das ist Kirchenpolitik und Kirchenpolitik, die unsauber ist." Böhm forderte den Bruderrat auf, sich aus dem allem herauszuhalten und stattdessen an der Ordnung der E K D weiterzuarbeiten. Das wäre der einzig sinnvolle Beitrag zum Gespräch. Der Bruderrat ist dann dem Vorschlag von Böhm gefolgt und hat am 27. März 1947 den Entwurf für eine Ordnung der E K D in zweiter Lesung verabschiedet. Beckmann wurde zusätzlich beauftragt, Erläuterungen zum Entwurf zu verfassen 28 . Ein interessanter Vorschlag von Iwand blieb auf diese Weise ohne Konsequenzen. Iwand hatte, von seinen Erfahrungen bei den Neuendettelsauer Gesprächen ausgehend, auch für den Abbruch der Diskussion um die V E L K D gestimmt: „Die Gespräche waren ermüdend, weil an neuen Argumenten nichts zum Vorschein kam." Aber sein persönliches Engagement für das lutherische Bekenntnis ließ ihn nach einem Weg suchen, dieses vor der totalen Korrumpierung durch die lutherischen 25

Vgl. dazu auch o b e n S. 2 7 2 .

26

„ B e i d e m v o n Asmussen eingeleiteten Gespräch wird etwas, was n o c h nicht da ist,

nämlich die V E L K D , als Ausgangspunkt, als etwas Vorhandenes angesehen. E s ist nun nicht s o , daß der L u t h e r r a t so tun k ö n n t e : wir sind fertig mit unserer Verfassung, nun fragen w i r euch, wie ihr euch die E K D d e n k t . " D i p p e r b e t o n t e : „ D i e Sache läuft s o : W i r m a c h e n unseren L a d e n , u n b e k ü m m e r t u m E u c h . D i e E K D sieht so aus, wie wir sie bestimmen, w i r brauchen kein Gespräch, w i r fangen an z u h a n d e l n " ( L K A DARMSTADT, 36/23). 27

„ . . . und dabei ist der P a r t n e r völlig sicher seiner Sache schon im H a n d e l n und ist

auch nicht gewillt, davon abzulassen. U n s ist nicht einmal offiziell bekannt, was da verhandelt w i r d " (ebd.). 28

Vgl. FLUGBLÄTTER DER B K N r . 6 , M ä r z 1 9 4 7 .

274

Ergebnisse der konfessionellen Gespräche

Landesbischöfe zu bewahren 29 . Er schlug den Bruderrat als den Ort vor, an dem sich die Lutheraner, die den Weg der V E L K D nicht mitgehen können, sammeln, um eine lutherische Alternative zu erarbeiten und darzustellen, die einen neuen Weg aufweist. Durch die Konstituierung des Detmolder Kreises wird die von Iwand aufgezeigte Möglichkeit unterlaufen. Es gibt theologische, persönliche und praktische Gründe, warum Asmussen Iwands Idee nicht weiter verfolgte. Die theologischen lassen sich aus den Detmolder Beschlüssen ablesen; die persönlichen sind vor allem auf Asmussens Aversion gegen Karl Barth und damit gegen die reformierte Theologie an sich rückzubeziehen 30 ; die praktischen ergeben sich aus dem Vorbelastetsein des Bruderrates. Tatsächlich hätte wohl der Bruderrat in der angespannten und festgefahrenen Situation 31 eine neue Funktion nicht mit Erfolg übernehmen können.

Die Detmolder Beschlüsse In seinem Bericht „Stand des Gespräches" im Amtsblatt der E K D vom 1. März 1947 hatte Asmussen neben der Betonung, daß gerade die Kirche Augsburgischer Konfession außerhalb der V E L K D sich zur V E L K D zu äußern habe, bedauert, daß diese bisher noch keinerlei Vertretung habe, was eine gemeinsame Meinungsäußerung erschwere. Durch die Gründung der Arbeitsgemeinschaft am 10. April 1947 in Detmold war diesem mehr äußerlichen Mangel abgeholfen. Die Beurteilung der konfessionellen Lage wurde in der Detmolder Erklärung (Detmolder Protokoll) formuliert; sie enthält zugleich das kirchenpolitische Programm für die E K D , das unter dem Begriff der „ökumenischen Einheit" zusammengefaßt werden kann 3 2 . ökumenische Einheit innerhalb der E K D bedeutet demnach: 1. Die Einheit der E K D ist gegründet in der „objektiven Gegenwart Christi", die in allen in der E K D verbundenen bekenntnisbestimmten Kirchen

2 9 „Für mich ist es so schwer, weil ich fürchte, daß, wenn die V E L K D kommt, es ein weiterer Schritt sein wird, zu dem Ruin des luthferischen] Bekenntnisses in Deutschland überhaupt. Die Landesbischöfe von Bayern und Hannover führen das Luthertum seinem Ende zu" (Protokoll; L K A DARMSTADT, 36/23). 3 0 Auf der Sitzung des Bruderrats am 27. 3. 1947 sagte Asmussen ζ. B . , daß er in der reformierten Theologie „eine Gefahr für die E K D " sehe (ebd.). Eigentlich meint er aber reformierte Politik = politische Theologie = Unterstützung von Sozialismus/Kommunismus. 3 1 Böhm: „ D i e Situation, in der wir uns befinden, ist sehr ernst. Ich habe den Eindruck, dal5 die Lage sehr ähnlich der Lage in Oeynhausen ist" (ebd.). 3 2 K J 1945-1948, S. 82-84; AB1EKD Nr. 11 vom 15. 5. 1947.

Detmolder Beschlüsse

275

gegeben ist 33 . 2. Als Ausdruck der gegenseitigen Anerkennung der Gegenwart Christi in diesen Kirchen wird gefordert, „den Tisch des Herrn für Angehörige aller evangelischen Bekenntnisse offen zu halten." In einem Entwurf 3 4 zu dem Detmolder Protokoll hatte es noch zur Abendmahlsfrage geheißen: „Als Ausdruck der gegenseitigen Anerkennung der Gegenwart Christi in der Verkündigung des Wortes und der Verwaltung der Sakramente halten wir die Abendmahlsgemeinschaft für geboten." Diese Formulierung ist viel weitgehender als der endgültige Text, da sie in dem „geboten" eine gesetzliche Regelung des Sachverhaltes impliziert. Der endgültige Text läßt sich im Sinne eines Ausnahmerechts interpretieren, das im Zusammenhang mit der geistlichen Versorgung der Flüchtlinge als seelsorgerliche Rücksichtnahme auch vom Lutherrat bejaht wurde. Auch in den Aussagen zur Barmer Erklärung ist der veröffentlichte Text des Protokolls im Vergleich zu dem Entwurf einer „lutherischen" Position angeglichen worden. Im Entwurf hatte man die „entschlossene Beachtung" der Erkenntnisse und Erfahrungen gefordert, „die uns in der Bekennenden Kirche" geschenkt worden sind. Im endgültigen Text wurde hinzugefügt: „Die Kirche ist gehalten, ihr Bekenntnis gegenüber den jeweiligen Irrtümern anzuwenden." Die Betonung der Abwehrfunktion des Bekenntnisses bringt diese Aussage in die Nähe der VELKD-Position. Die Kirchenversammlung in Treysa hat sich dann auf die allgemeine Formulierung „der in Barmen getroffenen Entscheidungen" zurückgezogen, wobei diese als positive Bekenntnisse oder nur Verwerfungen verstanden werden können. Abschließend wird in dem Protokoll die Forderung nach Klärung des Bekenntnisstandes aller Gemeinden erhoben, und zwar im Sinne der historischen reformatorischen Bekenntnisse 35 . Bis auf die Forderung nach Abendmahlsgemeinschaft in der EKD, die aber so vorsichtig formuliert worden ist, daß sowohl eine extensive als auch eine intensive Auslegung möglich ist, kann man nach diesen Beschlüssen eine weitgehende Ubereinstimmung mit den VELKD33 Vgl. auch Asmussens Bericht vor der Treysaer Kirchenversammlung über die konfessionellen Gespräche: „ W u r d e doch in Detmold als das letzte wesentliche Kennzeichen einer wahren Kirche dies herausgestellt, daß Jesus Christus in ihr gegenwärtig ist" (AEKD, 042 Beiheft 2). 34

L K A STUTTGART, D

1/228.

35

In einem Vortrag vor dem Bruderrat in Berlin am 8. 5. 1947 über „Theologische Fragen der gegenwärtigen kirchlichen Auseinandersetzung" führte Iwand zum konfessionellen Problem unter anderem aus: „Selbstverständlich wird es Lutherische und Reformierte geben, aber beide müssen wissen, daß das Erbe ist. Das Wort Gottes, das uns heute begegnet, ist nicht konfessionell bestimmt. Die Gemeinden begreifen den konfessionellen Kampf nicht mehr als einen Kampf um ihr Heil" (Bericht über die Tagung von Mochalski; ( L K A DARMSTADT, 3 6 / 2 3 ) .

276

Ergebnisse der konfessionellen Gespräche

Lutheranern feststellen. Zugleich liegt in der Anerkennung der Voraussetzung für die Abendmahlsgemeinschaft - eine Ubereinstimmung in dem, was Kirche zur Kirche macht, nämlich rechte Verkündigung und rechte Sakramentsverwaltung - ein Unterschied zu den theologischen Verstehensmöglichkeiten des Lutherrates. Hier wird deutlich, warum die Detmolder mit ihrem „dritten Weg" 3 6 zwischen die Fronten geraten mußten. Das konnte um so leichter geschehen, da, wenigstens von Asmussen aus gesehen, von Anfang an kirchenpolitische Motive die Arbeit im Detmolder Kreis mitbestimmten. Schon Asmussens Ansatzpunkt, die Lutheraner außerhalb der VELKD brauchten ein Gremium, in dem sie sich gemeinsam und dadurch machtvoller artikulieren könnten, zeigt diese Tendenz. Wichtig war für Asmussen auch, ein Mitspracherecht in der lutherischen Ö k u mene für die Detmolder behaupten zu können.

36 Formulierung von Asmussen in seinem Bericht vor der Kirchenversammlung (AEKD, 042 Beiheft 2).

Kapitel 22 DIE KIRCHENVERSAMMLUNG IN TREYSA V O M 5. U N D 6. J U N I 1947

Mit der Verordnung über eine Kirchenversammlung der E K D vom 24. Januar 1947 hatte der Rat der E K D einen ersten Schritt getan, um nach fast zwei Jahren in verantwortlicher und öffentlicher Weise mit der Gesamtheit der in der E K D verbundenen Kirchen und Gruppen die anstehenden Probleme zu erörtern und dadurch den Weg für eine endgültige Ordnung der E K D frei zu machen. Gleichzeitig genügte er damit seinem Hauptauftrag der Kirchenversammlung in Treysa 1945. Auf der Ratssitzung am 27./28. März 1947 wurde der endgültige Termin für die Kirchenversammlung festgelegt; außerdem wurde zu diesem Anlaß ein Kirchengebet beschlossen 1 . Anfang April ergingen telegraphische Einladungen an die Landeskirchenregierungen 2 , an die Direktion der Evangelischen Bruderunität in Herrnhut und an den Bund Evangelisch-Reformierter Kirchen Deutschlands in Göttingen. Letztere wurden gebeten, einen leitenden Amtsträger bzw. einen Ältesten zu entsenden. In einem erläuternden Schreiben an dieselben Adressaten wurde noch einmal betont, daß wegen der Nahrungsmittel- und Quartierknappheit nur die 120 Teilnehmer (Delegierte und Ratsmitglieder) Aufnahme finden könnten 3 . Auf der Ratssitzung am 12. und 13. Mai 1947, die unter der Leitung von Dibelius in Berlin stattfand, wurde die Tagesordnung für die Kirchenversammlung beschlossen und Einigung über die vom Rat zu berufenden Mitglieder erzielt 4 . Die Tagesordnung sah für den 5. Juni vormittags vor: Eröffnung durch Wurm, Bericht Niemöllers über seine Amerikareise, Bericht Asmussens über die Arbeit des Rates der E K D ; 1

L K A STUTTGART, D 1 / 2 1 4 . - A m 2 7 . 5. 1 9 4 7 beklagte sich Paul L e c h l e r , Synodaler der

württembergischen K i r c h e , bei L e m p p über die mangelnde Vorbereitung der K i r c h e n v e r s a m m l u n g : „ W i e ich höre, sind die Pfarrer aufgefordert, im G e b e t fürbittend der K i r c h e n versammlung in T r e y s a zu gedenken. K a n n m a n dies mit ruhigem Gewissen tun, w e n n m a n gleichzeitig das Gefühl hat, daß es sich dabei u m menschliche Versäumnisse h a n d e l t ? " ( O K R STUTTGART, R e g . G e n . 115 b). 2

M i t der Bitte,

die Vertreter der Kirchenleitung sowie die synodalen

Mitglieder

namentlich bis z u m 5. Mai der Kirchenkanzlei zu melden (Telegramm v o m 5. 4 . 1 9 4 7 an den O K R in Stuttgart; ebd.). 3

A E K D , 042.

4

L K A STUTTGART, D 1 / 2 1 4 .

278

Kirchenversammlung in Treysa vom 5. und 6. 6. 1947

für den 5. Juni nachmittags: Referate zur konfessionellen Frage aus der Sicht des Lutherrates (Kinder in Vertretung von Lilje), der Lutheraner in der Union (Vogel), der Reformierten (Obendiek) und der Konsensusunierten (Dürr); für den 5. Juni abends: Referat über die Ordnung der EKD (Smend mit Ergänzungen durch Erik Wolf und Künneth). Für den 6. Juni vormittags waren vorgesehen: Aussprachen, verschiedene Anträge, Entschließung des Lutherrates zu dem. Entwurf der Verfassung der V E L K D vom 12. September 1946 und Antrag Württembergs an die Kirchenversammlung der EKD in Treysa über die Schaffung einer endgültigen Ordnung der E K D ; für den 6. Juni nachmittags: Referat von Christian Berg über das Hilfswerk und Beschlüsse der Kirchenversammlung: 1. Zur innerkirchlichen Lage, 2. zur allgemeinen Lage und 3. zum einheitlichen Gesangbuch für die EKD 5 .

Wurms Ansprache zur Eröffnung der Kirchenversammlung am 5. Juni 19476

in Treysa

Wurm begann mit dem Ausdruck der Freude, daß nicht nur Vertreter der Kirchenleitungen anwesend seien, sondern auch Vertreter der Gemeinden, und dies nicht nur aus den westlichen Kirchen, sondern auch aus den Kirchen der Ostzone. Dann folgte eine Begründung dafür, warum der Rat der E K D das Provisorium von Treysa 1945 nicht eher beenden konnte: „Die Verzögerung hat ihren Grund einerseits in der allgemeinen Lage, in den Verkehrshemmungen, in den Zonengrenzen und allem, was damit zusammenhängt, andererseits auch - das sei offen gesagt - in inneren Spannungen, in Meinungsverschiedenheiten über die künftige Gestaltung der Evangelischen Kirche, besonders über die Einordnung der einzelnen Bekenntnisse in das Ganze der Kirche." Die Kirchenversammlung sei vom Rat nicht einberufen worden, um Gesetze zu beschließen, sondern „um aufeinander zu hören und das Gefühl der Verbundenheit und der gegenseitigen Verpflichtung gegeneinander und 5

2).

Zusammengestellt nach dem Protokoll der Kirchenversammlung (AEKD, 042 Beiheft

Christian Berg (geb. 1908), 1933 Pfr. Basse/Mecklenburg, 1945 Mitarbeiter und von 1946 an in leitenden Ämtern des Hilfswerks der E K D , 1962-1972 Direktor der GossnerMission. Walter Künneth (geb. 1901), Dr. theol., Dr. phil., 1927-1937 Dozent und Leiter der Apologetischen Zentrale Berlin, 1938 Pfr. Starnberg, 1944 Dekan Erlangen, 1946 Prof. für Systematische Theologie Erlangen. Heinrich Vogel (geb. 1902), Dr., 1935 Dozent und 1946-1972 Prof. für Systematische Theologie Kirchl. Hochschule Berlin, 1946-1973 zugleich an der Humboldt-Universität Ost-Berlin. 6 A E K D , 042 Beiheft 2.

Stimme der Laien

279

gegen das Ganze zu stärken." Wurm betonte noch einmal, daß der Rat vor allem die Sorgen der Gemeinden zu hören wünsche. Tatsächlich hat die Stimme der Gemeinde während dieser Kirchenversammlung eine nicht unbeträchtliche Rolle gespielt. Laien meldeten sich immer wieder zu Wort, und kirchliche Amtsträger wiesen auf die Erwartungen ihrer Gemeinden, in die sie zurückkehren müßten, hin. Damit war gegenüber der ersten Kirchenversammlung in Treysa ein neuer Ton in die kirchlichen Auseinandersetzungen gelangt. Wurm nannte dann selbst einige Probleme, die seines Wissens die Gemeinden bedrückten: 1. das Verhältnis zur katholischen Kirche; die durch die Not und Flüchtlingsfürsorge notwendige Zusammenarbeit dürfe nicht als kirchliche Angleichung mißverstanden werden; 2. die Lage des Volkes, welches sich in einer schweren inneren und äußeren Krise befinde. Die innere Krise sei gekennzeichnet durch die Entnazifizierung und durch das Umerziehungsprogramm, dessen Ziele nur im Diesseitigen verankert seien. Wurm Schloß mit einem Dank an die ausländischen Kirchen für deren außerordentliche Hilfsbereitschaft.

Die Stimme der Laien Die Anwesenheit und die Beteiligung von Laien, vor allem am zweiten Tag der Kirchenversammlung während der Aussprache, hat auf den Stil der Diskussion und wohl auch auf das Ergebnis der Versammlung eine positive Wirkung gehabt. Das Unverständnis der Laien für die konfessionellen Fragen und ihr Drängen auf Einheit, auf sichtbare Einheit in der Abendmahlsfeier hat, jedenfalls während der Versammlung, relativierend auf die konfessionellen Gegensätze gewirkt. In der Atmosphäre lag ein gewisser Zwang zur Einigung und damit zu Zugeständnissen, vor allem von Seiten der Lutheraner7. Aus diesem Zwang entlassen, wurden die Aussagen von Treysa allerdings eingeschränkt und damit teilweise zurückgenommen. Die Spannungen während der Kirchenversammlung waren, ähnlich wie in Treysa im August 1945, sehr stark 73 . Bei den Akten der Kirchenkanzlei findet sich ζ. B. eine kleine Notiz von Asmussen mit den 7 Vgl. das Grußwort Visser't Hoofts an die Kirchenversammlung, das zur Stärkung der Ökumene die Hoffnung „ a u f engeres Zusammenarbeiten der Kirchen und Konfessionen innerhalb der E K i D " aussprach (ebd.).

Willem Adolf Visser't H o o f t (geb. 1900), 1931 Generalsekretär des Christlichen Studentenweltbundes, 1938 des Ö R K . 7 a So stellte Hahn die „konkrete Bitte an die ganze Versammlung, die Beifallskundgebungen zu den Reden zu unterlassen," weil das zur Entspannung beitragen würde (ebd.).

280

Kirchenversammlung in Treysa v o m 5. und 6. 6. 1947

Worten: „ W e n n die beiden Extreme es wirklich zur Katastrophe treiben, dann müssen wir energisch werden und zur Sammlung rufen. Ich glaube nicht, daß es so weit kommt, aber wir müssen bereit sein. Dies zu den Akten des Kirchentages! Geschrieben in einem Augenblick, als alles zu platzen drohte." 8 Die Laien standen sowohl den inhaltlichen Momenten dieser Spannungen als auch den unbrüderlichen Methoden ihrer Austragung mit Unverstand und leisem Entsetzen gegenüber. So mahnte Hugo Hahn am zweiten Tag vormittags die Versammlung: „ I c h habe mich mit einigen Leuten gestern ausgesprochen und habe gemerkt, wie die Laien gequält sind durch unsere gestrige Verhandlung. Die Art, wie wir in unserem Dissensus verhandeln und die Unbußfertigkeit den anderen zu hören, waren nicht aus dem Heiligen Geist. Wir müssen, ehe wir heute beginnen, Buße t u n . " Dieser R u f zur Buße wurde durch den Synodalen Halstenbach 8 3 aufgenommen und durch eine Bemerkung in einen weiteren Bereich der Versäumnisse gestellt: „ I c h spreche als Laie aus der Schau der Gemeinde. Gemeinde ist die um den Tisch des Herrn sich versammelnde Schar der Gläubigen in der ganzen Kirche. Diese Gemeinde lebt in völliger Unkenntnis der Hintergründe, die zu dem Ringen um die Konfessionsfrage geführt haben. Die Schriften des Neuen Testamentes wissen nichts von einem Bekenntnisstand, wohl aber haben sie sehr viel zu sagen von dem Glaubensstand der Gemeinde. Wir sollten Buße tun, daß das erwartete neue Leben nach dem Kriege in den Gemeinden nicht zum Durchbruch gekommen i s t . " Die Wechselbeziehung zwischen lebendiger Gemeinde und sichtbarer Einheit der deutschen evangelischen Christenheit wurde auch in weiteren Voten betont, so bei Wilhelm Stählin, dem Landesbischof von Oldenburg, und bei Erik Wolf, dem Kirchenrechtler aus der badischen Kirche. Stählin: „ M i c h bewegt ständig die Frage, was wir von der Kirchenversammlung aus unseren hungernden und nach dem Evangelium dürstenden Menschen zu sagen haben. Das ist zweifellos nicht die Stellungnahme zu konfessionellen Problemen und ihrer Ordnung in der E K D . . . O b wir in unserem Ringen weiterkommen, hängt davon ab, daß wir ernsthaft uns fragen, mit welcher Botschaft wir aus der Kirchenversammlung zu den Menschen gehen wollen, die uns bei unserer Rückkehr nach dem Ergebnis der Kirchenversammlung von Treysa fragen werden." Stählins Mahnung,

die Bezogenheit

aller Überlegungen

auf die

8 Zu dem „ W i r " vgl. Asmussens Ausführungen in seinem Bericht über die dritte Kraft, die Universalisten, in der E K D ; konkret steht dahinter der Detmolder Kreis. Vgl. Beckmanns Hinweis auf Asmussens Engagement für den „dritten W e g " ( K J 1 9 4 5 - 1 9 4 8 , S. 82). 8a

Willy H a t t e n b a c h , Fabrikant in Barmen, Mitarbeiter in der B K .

Bericht Hans Asmussens

281

Gemeinde nicht zu vergessen und die darin liegende seelsorgerliche Verpflichtung zu erkennen, wurde von Erik Wolf konkret als Frage nach dem Verständnis der EKD als Kirche und nach der Abendmahlsgemeinschaft an den Lutherrat weitergegeben: ,,Es ist hier von theologischer Seite wiederholt gesagt worden, daß es der E K D daran fehlt, daß sie zwar ,Kirche' sei, aber nicht im ,Vollsinn' des Wortes. Es müßte aber auch gesagt werden und zwar so, daß es der Nichttheologe, in dessen Bewußtsein die Einheit der deutschen evangelischen Kirche problemlos lebt, verstehen kann, was denn der EKD zur Kirche im vollen Sinn fehlt . . . Dazu das gemeinsame, verbindende, zweifellösende Wort zu hören erwarten unsere Gemeinden draußen von Treysa. Ohne dieses Wort gesagt zu haben, dürften wir nicht auseinander und zurück in unsere Gemeinden gehen." Auch Ernst Kinder ging in seinem grundlegenden Referat vorwegnehmend auf die Argumente von Laienseite ein: „Hält man uns aber vor: ,Was macht ihr euch für Sorgen um die kirchliche Gestaltung, wo doch heute ganz andere Aufgaben brennend nach Erfüllung schreien!' - so dürfte man dieses Argument ja nicht nur gegen einen Weg der kirchlichen Neuordnung geltend machen, sondern müßte damit das ganze Bemühen um die Ordnung der E K D verwerfen und bei den Landeskirchen bleiben! . . . Es ist wohl kein Zufall, daß Gott der Kirche in der gleichen Zeit die Sorge um ihr eigenes Haus aufgetragen hat, wo der arme Lazarus vor ihrer Tür liegt.." 9 Als am 6. Juni nachmittags der Bildhauer Wilhelm Groß 1 0 eine gemeinsame Feier des Heiligen Abendmahles am Schluß der Kirchenversammlung vorschlug, mußte ausgerechnet Niemöller in realistischer Einschätzung der Situation dies mit den Worten zurückweisen: „Wir müssen zunächst wohl noch warten bis Gott uns die Stunde hierfür schenkt."

Bericht Hans Asmussens über die Arbeit des Rates der EKD Dieser zwölf Seiten lange Bericht 11 ist geprägt von der persönlichen Sicht Asmussens, was ζ. B. seine Ausführungen über die dritte Kraft in 9 Kinder verkennt, daß der lutherische W e g der Neuordnung in der gegebenen Situation durch seine Enge und Ausschließlichkeit so viel Verwirrung stiftete und Anstoß und Widerstand erregte, daß die Ordnungsdebatte sich zeitraubend in den Mittelpunkt kirchlichen Interesses schieben konnte und alle Energien besetzte. 10

Wilhelm Groß (gest. 1974), Bildhauer in Oranienburg, Mitarbeiter in der B K .

A E K D , 042 Beiheft 2. - In der Verordnung über eine Kirchenversammlung der E K D v o m 2 4 . 1. 1947 war in § 9 festgestellt, daß der Rat der E K D der Kirchenversammlung mindestens einmal im Jahr einen Bericht über seine Amtsführung vorlegt ( A B 1 E K D N r . 4 vom 1. 2. 1947). 11

282

Kirchenversammlung in Treysa vom 5. und 6. 6. 1947

der E K D zeigen. Die persönliche Sicht Asmussens ist bestimmt durch seine wichtige Funktion, durch seine damit gegebene Nähe zu Wurm, durch seine Entfremdung dem Bruderrat gegenüber und sein Engagement für die Detmolder Arbeit. Der Rechenschaftsbericht gliedert sich in neun Abschnitte: 1. Grundlage der E K D ; 2. die Kräfte, die seit 1945 die E K D bestimmen; 3. Einheit der E K D ; 4. die konfessionelle Frage: Gesprächsrunden des Ratsvorsitzenden; 5. Bedeutung der ungeklärten politischen Situation für die Einheit der E K D ; 6. äußere und innere Hemmnisse für die endgültige Ordnung der E K D ; 7. Stand der Neuordnung in den Landeskirchen; 8. Erfahrungen aus der Arbeit in der Kanzlei; 9. „die Begleitung des deutschen Volkes mit dem Wort". Zu 1.: Die personelle und theologische Grundlage der E K D sei die in Dahlem ausgesprochene Scheidung. Innerhalb der durch Dahlem gezogenen Grenze herrsche das Pluralitätsprinzip, d. h. konkret, daß Ausschließlichkeitsansprüche und geistige Intoleranz keinen Platz mehr hätten: „Mit der Konvention von Treysa war der Kirchenkampf beendet." Wer auch anschließend von den Richtlinien des Rates zur Selbstreinigung der Kirche nicht betroffen worden sei, sei gleichberechtigt zum Bestand der E K D zu rechnen. Asmussen räumte ein, daß diese Grenzziehung im Einzelfall unbefriedigend sein mochte, aber, so fügte er hinzu: „Man sehe wohl zu, ob sie unbefriedigend ist um der geistlichen Schlamperei willen oder um der göttlichen Barmherzigkeit willen." Zu 2.: Seit Treysa I bestimmten zwei Gruppen hauptsächlich „die Schicksale der E K D " : der Lutherrat und die Bekennende Kirche. Beide Gruppen seien sehr verschiedene Größen, was zur Undurchsichtigkeit innerhalb der E K D beitrüge; außerdem würden sie sich personell überschneiden. Der Lutherrat bestehe aus Kirchen, während die Bekennende Kirche sich aus Kirchen und aus Einzelpersönlichkeiten zusammensetze. Die Leitung der E K D müsse beide Faktoren „im Vollmaße anerkennen", da „beide Kräftegruppen nicht nur de facto, sondern auch de jure unerläßlich dem Bestände der E K D zuzurechnen sind." Dennoch seien in Bezug auf das Ganze der E K D die Grenzen beider Gruppen leicht erkennbar, und die Frage deshalb nötig, ob es einen Standort gebe, der es erlaube, „das Wollen beider zu vertreten und zu fördern." Da für Asmussen trotz dieser Flügelkämpfe die Einheit der E K D eine reale Größe mit beschreibbaren Merkmalen ist, kann er diese Frage bejahen: „Gibt es diesen Standort nicht, dann ist der Rat der E K D eine innerlich unmögliche Angelegenheit. Daß er trotz seiner Schwäche noch existiert und tatsächlich eine Autorität darstellt, die man ja nicht unterschätzen sollte, läßt darauf schließen, daß es diesen Ort gibt." 1 2 1 2 Abschnitt 2 enthält sachliche Ungenauigkeiten, die aber der nachträglichen Interpretation zuzuschreiben sind. Aus den Erfahrungen der letzten Jahre, wo tatsächlich der

Bericht Hans Asmussens

283

Zu 3.: Garant der Einheit der E K D zu sein, bedeute weder die E K D als Unionskirche zu wollen noch als reine Verwaltungseinheit aufzubauen, um damit der kirchlichen Reaktion und der alten Kirche Vorschub zu leisten. Garant der Einheit der E K D zu sein, bedeute vielmehr, Raum für die Anerkennung der verschiedenen Standpunkte zu schaffen, aber die totalitäre Durchsetzung eines zu verhindern, bedeute, „universal" und „ökumenisch" zu denken und zu glauben: „Wer universal denkt, will Karl Barth und Hermann Sasse 13 in der E K D haben." Nach Asmussen sind diese Kräfte der Universalität in der E K D bereits wirksam, wenn ihre Haltung auch als zweideutige mißtrauisch beobachtet wird: „Sie tragen es, wenn man sie der Richtungslosigkeit beschuldigt, denn sie verstehen das Erstaunen, welches aufbrechen muß, sobald sichtbar wird, daß es außer den alten Fronten noch andere Standorte gibt. Diese Gruppe ist nicht besser als die anderen. Aber sie ist da. Und für die Sache, die sie vertritt, ist es wert, für sie zu fallen." Die Einheit der E K D bestehe für sie darin, „daß es unter Anerkennung und voller Würdigung ihrer vielfältigen Verschiedenheiten ein einheitliches Wollen, ein weithin einheitliches Verkündigen und ein in wesentlichen Punkten einheitliches Beten in der E K D gibt. Wie dieses Einheitliche in theologischen Ausdrücken zu bestimmen ist, darüber herrscht noch keine Klarheit, und da wir keine Schwärmer sind, tragen wir diese Unklarheit und bejahen zusammen mit der Einheitlichkeit der E K D die in ihr vorhandenen Unterschiedlichkeiten." Zu 4.: In dem Bericht über die konfessionellen Gespräche äußerte Asmussen sich noch einmal zu dem Problem der E K D als Kirche. Die Lösung, die er anbietet, ist genau wie in dem oberen Zitat für die Situation unangemessen, denn es kommt nicht darauf an, das Wesen der E K D umschreibend zu erfassen, sondern möglichst eindeutige Begriffe anzubieten, die ζ. B. in einer Entschließung übernommen werden können. Asmussen konstatiert als erstes, daß die Frage, ob die E K D Kirche sei, falsch gestellt sei, weil es auf den Standpunkt ankomme: „Im Blick auf die Bekenntnisse der Reformationszeit lassen sich sehr schwerwiegende Momente geltend machen, welche dafür sprechen, daß die E K D keine Kirche ist. Aber noch niemand ist mir begegnet, der zu behaupten Lutherrat äußerst aktiv gewesen war und durch seine VELKD-Pläne Vorentscheidungen für die gesamte E K D getroffen hatte, erklärt sich leicht die Aussage, daß dieser auch de jure zum Bestand der E K D gehöre. In der Treysaer Konvention von 1945 ist aber vom Lutherrat keine Rede, sondern nur von den Landeskirchen und der BK. Und auch der Rat der E K D ist ausdrücklich nach den drei vorgegebenen Konfessionen zusammengesetzt worden; daß er die Polarisierung innerhalb der E K D getreulich wiederspiegelt, ist selbstverständlich und widerlegt Asmussens Meinung, im Rat sei die Einheit der E K D „aufgehoben". 1 3 Hermann Sasse (1895-1976), Dr. theol., 1928 Pfr. Berlin, 1933 Prof. für Kirchengeschichte Erlangen, 1949 North Adelaide/Australien.

284

Kirchenversammlung in Treysa v o m 5. und 6. 6. 1947

wagte, der E K D würden alle wesentlichen Momente mangeln, die vom Neuen Testament der Kirche zugesprochen werden. Und so ist es in der Tat: Theologisch gesehen ist die E K D weniger Kirche als etwa die Bayerische Landeskirche, aber sie ist theologisch gesehen mehr Kirche als das World Council of Churches." 1 4 Im Weiteren soll nur noch auf den Abschnitt 6 etwas näher eingegangen werden. Dabei stellt Asmussen der negativen Bilanz in Bezug auf die Ordnungsarbeit das positive Bild eines „organischen Lebensprozesses" innerhalb der E K D gegenüber. Für das zögernde Weiterkommen in der Verfassungsfrage seien vor allem zwei Fragenkreise verantwortlich, über die unterschiedliche Auffassungen herrschten: die Frage nach Amt und Gemeinde und die konfessionelle Frage. Aber trotz dieses schwerwiegenden Dissens sei „lebensmäßig" sehr viel geschehen. Asmussen kann dann auch ganz am Schluß seiner Ausführungen, als Fazit seiner Rückschau, die geradezu emphatische Feststellung treffen: „Die Einheit der E K D ist noch niemals in der Geschichte der evangelischen Kirche in Deutschland so wirksam gewesen wie jetzt." Dieses Fazit mußte natürlich Gegenstimmen hervorrufen. Oskar Hammelsbeck widersprach als erster: „Ich spreche für die Laien der Bekennenden Kirche, die in den 2 Jahren seit Treysa 1945 über die kirchliche Entwicklung mehr geseufzt haben als in den 12 Jahren des Kirchenkampfes. Worum es uns in der kirchlichen Aufbauarbeit immer zu tun war und heute erst recht zu tun ist, kam in dem Bericht von Bruder Asmussen nur in dem letzten der 9 Punkte und sehr summarisch zum Ausdruck. Das ist ein betrübliches Zeichen dafür, wie sehr die konfessionellen Probleme die eigentlichen Aufgaben der Kirche aufgefressen haben . . . Das konfessionelle Problem ist wichtig. Aber wichtiger ist, daß das deutsche Volk vom Worte Gottes überhaupt erreicht wird." Auch Hans Joachim Iwand und Erik Wolf betonen, daß sie vor zwei Jahren an diesem Ort mit mehr Hoffnung erfüllt waren 15 . 1 4 Schon während des Gespräches mit dem Lutherrat in Stuttgart am 14. 2. 1947 hatte Meiser im Zusammenhang mit der zweiten an ihn gerichteten Frage darauf hingewiesen, daß hier zwei Kirchenbegriffe vermengt wurden: „ D a s Schillern des Kirchenbegriffes! In der Frage ist von der Kirche im Sinne des 3. Artikels die Rede. Jetzt aber geht es um die Frage der geordneten Kirche! Im Sinne des 3. Artikels ist dort sicher Kirche vorhanden, wie auch bei Katholiken und Methodisten. Aber lehrhaft normiert geordnete, in ihrer Leitung auf die Lehre verpflichtete Kirche nicht" (Protokoll Kinders; A E K D , 012). 1 5 Iwand: „ D e r Zustand der evangelischen Kirche ist nicht so tröstlich wie er hingestellt wurde. U n s bewegt die große Sorge, daß es zwar in der Öffentlichkeitsgeltung besser geworden ist, daß es aber darunter faul ist . . . V o r zwei Jahren waren wir von der Freude getragen, daß wir hier in Treysa Freunde wiederfanden, von denen wir nicht wußten, ob wir sie jemals Wiedersehen würden, - daß nun das Evangelium wieder ungehindert verkündet werden durfte und daß wir Grund hatten zu der Zuversicht, die brüderliche Einheit würde ein leichtes sein. So ist es nicht gewesen. Die Schwierigkeiten waren zu

Referat Kinders zur „konfessionellen F r a g e "

Das Referat Kinders zur ,,konfessionellen

285

Frage"

Von den Referaten zur Konfessionsfrage soll hier nur das von Kinder näher untersucht werden. Denn zu diesem Zeitpunkt war klar, daß nur die Stimme der VELKD-Lutheraner noch Klärung bringen konnte. Wieweit die Reformierten, die Lutheraner in der Union und die konsensusunierten Kirchen in bezug auf die Einheit der E K D gehen konnten, war bekannt. Von den Lutheranern war eine amtliche verbindliche Aufklärung nötig. Es sollen nur die programmatischen Äußerungen des Referates wiedergegeben werden, denn sie sind, in zum Teil wörtlicher Ubereinstimmung, der Hintergrund für die Entschließung des Lutherrates vom 4. Juni. Eine Betonung der Verantwortung für das Ganze der E K D durchzieht das Referat. Der Lutherrat sei sich in dieser Verantwortung mit der anderen entschiedenen Kraft in der E K D einig: bei verschiedenen Ausgangspunkten haben beide das Ganze im Blick. Die Lutheraner gingen von der Bekenntnisbestimmtheit aus 1 6 , während die Bekennende Kirche von der Einheit ausgehe. Eine weitere Gemeinsamkeit sei, daß beide vom Kirchenkampf her kämen. Kinder betont, daß die Lutheraner im Kirchenkampf neu gelernt hätten, daß die Ordnung der Kirche von ihrem Bekenntnis her geschaffen werden müsse. In Kinders Ausführungen über das Verhältnis von Bekenntnisschrift und Heiliger Schrift liegt eine unausgesprochene Absetzung gegen reformierte Vorstellungen vor: „Niemand betont die Schriftmäßigkeit stärker und ernster als das lutherische Bekenntnis. Aber es will nicht nur das

groß, als daß wir sie meistern k o n n t e n . " Erik Wolf: „ I c h gestehe offen, heute an dieser Stelle mit schwererem Herzen zu sprechen als vor zwei Jahren . . . Damals lebten wir in der freudigen Erwartung, es würde alsbald ein Ordnungsausschuß der E K D zusammentreten. Wir hofften, es würde in einigen Monaten brüderlicher Beratung gelingen, die damals hier von uns allen einhellig bezeugte Einheit der E K D in einer Verfassung zum Ausdruck zu bringen" ( A E K D , 012 Beiheft 2). 1 6 D ü r r knüpfte in seinem Referat „ D i e Konsensus- und Bekenntnisunierten Kirchen und ihr Anliegen für die Neuordnung der Evang. Kirche in Deutschland" an diesem Punkt an: „ W i r anerkennen von unserer Union her die Forderung, daß keine Kirche ohne Bekenntnis sein k a n n . " Daraus ergebe sich, „ d a ß die E K D keine Kirche im Vollsinn des Wortes ist oder vorläufig sein kann, weil ihr eine einheitliche und eindeutige Bekenntnisgrundlage fehlt." D a aber „Bekenntnisunion" möglich sei, d. h. die Alternative reformiert oder lutherisch nicht gerechtfertigt sei, „ w e n n anders wir die Bekenntnisse von der Schrift her normieren lassen und den Unterschied von Bekenntnis und Theologie nicht verwischen", könne die E K D mehr werden „ a l s ein Zweckverband von Kirchen, die sich in Lehre, Bekenntnis und Gottesdienst voneinander absetzen, ohne sich gegenseitig zu dienen" ( A E K D , 042 Beiheft 2); gedruckt in: FÜR ARBEIT UND BESINNUNG 1, 1947, S. 240-246 und S. 271-274).

286

Kirchenversammlung in Treysa vom 5. und 6. 6. 1947

allgemeine ,daß', sondern auch das konkrete ,wie und was' bei Schriftgemäßheit herausstellen."17 Kinder betont, daß die Ordnung der Kirche in erster Linie von ihrem Bekenntnis ausgehen müsse: „Alle sonstigen Gesichtspunkte, die für die kirchliche Neuordnung vorgeschlagen werden, können, so ernst sie auch gemeint sind, diese Aufgabe nicht erfüllen." Kinder führt dann drei Modelle an, die alle von Gesichtspunkten ausgehen, die für einen Lutheraner unannehmbar sind: 1. „biblische Unität" als Neuordnungsprinzip, „also die nur empfundene, nicht klar ausgesprochene Einheit in der Schriftauffassung." Dies ist ein Votum gegen württembergische Vorstellungen. 2. Hier wiederholt Kinder noch einmal, was Stoll schon in seinem Aufsatz über die kirchliche Haltung der Bekennenden Kirche glaubte sagen zu dürfen, nämlich „die gemeinsame Abwehrfront oder das gemeinsame Erlebnis des Neuaufbruchs lebendigen Glaubens" zum kirchenordnenden Maßstab zu machen. 3. „Auch geographische oder nationale Begrenzungen dürfen nicht maßgebendes Einheitsband für die Kirche sein, als ob etwa das, was in Deutschland an evangelischem Kirchentum vorhanden ist, unbedingt eine Einheitskirche sein müßte." In zweiter Linie erst sei bei der Neuordnung der Kirche die Gemeinschaft zu wahren mit denen, „mit denen Gott uns durch eine weithin gemeinsame Kirchengeschichte zusammengeführt hat, mit denen wir manche gemeinsame theologische Erkenntnisse gewinnen durften und mit denen wir im Kirchenkampf zusammenstanden." Diese Gemeinschaft sei aber nicht einfach ein Gemeinschaftsgefühl, „sondern die echte, positive, geistlich begründete Gemeinschaft, von den Erwekkungsbewegungen und den gemeinsamen kirchlichen Werken an über den Kirchenkampf bis zum Stuttgarter Schuldbekenntnis." Daß die Gemeinschaft der evangelischen Kirchen für die Lutheraner eine echte Verpflichtung sei, zeige ihre aktive Beteiligung an der „Ausrufung der E K D " in Treysa 1945: „Hier unterscheiden wir uns von der Haltung der lutherischen Freikirchen, die wohl anerkennen, daß wir die Kirche nach der Konfession ordnen wollen, die es aber nicht verstehen, daß wir damit in die EKD hineingehen, und die uns deswegen ζ. T. des Verrates an dem Erbe der lutherischen Reformation zeihen. So erscheint unser Weg, der manchen als zu sehr konfessionell gilt, diesen als zu wenig konfessionell." Diese letzte Bemerkung zeigt, daß man die Kritik der lutherischen Freikirchen und die Drohung lutherischer Kreise, sich 1 7 Obendiek stellte in seinem Referat „Zur Frage der Konfessionen ,vom reformierten Standpunkt aus'" einführend fest: ,,,Der reformierte Standpunkt' - immer nur in Anführungszeichen! - kann kein anderer sein als der, daß wir in allen Fragen, also auch in der Frage der Konfessionen, auf die heilige Schrift hören" (AEKD, 042 Beiheft 2).

287

Entschließung des Lutherrates vom 4. 6. 1947

diesen Freikirchen anzuschließen, als Motiv für ein immer weiteres Abrücken der VELKD-Lutheraner von Einheitsformeln für die EKD nicht zu niedrig ansetzen darf. Kinder schließt sein Referat mit der Uberzeugung, daß die Neuordnung der Kirche bald geschehen müsse. Das kirchliche Leben leide Not, während von außen ein gutorganisierter Katholizismus, ein antichristlicher Säkularismus und ein „Großangriff der Sekten" drohe. Da für die lutherische Neuordnung bereits eine feste Basis vorhanden sei, würden die lutherischen Landeskirchen in der Neuordnung vorangehen: „Wir tun es aber so, daß damit keine Tür zugeschlagen wird, sondern daß von da aus durchaus weiter geredet werden kann und das Ganze dadurch ein gesundes ,Gefälle' bekommt. Eine Möglichkeit, die EKD zu ordnen, haben wir dadurch allerdings verbaut, nämlich die einer allgemeinen Union des deutschen Protestantismus."

Die Entschließung des Lutherrates zum Verfassungsentwurf vom 4. Juni 194718

der

VELKD

Am zweiten Tag der Kirchenversammlung herrschte eine Atmosphäre der Resignation und Verbitterung. Symptomatisch ist der Satz Stoltenhoffs: „Ich glaube, wir sind in eine Sackgasse geraten." Erst die von Meiser wenig später verlesene Entschließung des Lutherrates zur VELKD-Verfassung, die dieser am 4. Juni auf seiner der Kirchenversammlung vorangehenden Tagung beschlossen hatte, wirkte im Zusammenhang mit den Erläuterungen von Brunotte entspannend19. Endlich eine amtliche Erklärung, an die man anknüpfen konnte! Held schlug auch sofort die Bildung eines Ausschusses vor, der eine Empfehlung an den Rat der EKD ausarbeiten sollte, um die Punkte der Ubereinstimmung festzuhalten. Böhm hatte vorher noch einmal in aller Deutlichkeit verlangt, daß der Lutherrat jetzt nach all der Arbeit in der Stille endlich öffentlich und verbindlich der hier versammelten Kirchenversammlung Rechenschaft schuldig sei über sein Wollen. Der VELKD-Entwurf sei den Gremien der E K D als Faktum vorgesetzt worden, das es zu akzeptieren gelte. Aber drei Fragenkreise müßten geklärt werden, bevor an eine Weiterarbeit zu denken sei: 1. die Beziehung zwischen V E L K D und E K D ; 2. die Frage nach der Abendmahlsgemeinschaft; konkret: ist die Aussage im VELKD-Entwurf „ausschließend" gemeint? Bis jetzt hätte es darüber „beruhigende Erklärungen" gegeben, eine amtliche Abgedruckt bei H. BRUNOTTE, Grundordnung, S. 305-307. „Die Aussprache bewegte sich in scharfen Gegensätzlichkeiten und litt offensichtlich darunter, daß die Entschließung der lutherischen Kirchen vom 4. Juni den Teilnehmern noch nicht bekanntgegeben war" (ebd., S. 46). 18

19

288

Kirchenversammlung in Treysa v o m 5. und 6. 6. 1947

Stellungnahme aber fehle; 3. die Bedeutung von „Barmen" für die VELKD. Böhm wiederholte damit, was von verschiedenen Seiten am VELKD-Entwurf kritisiert worden war und was auch in dem konfessionellen Gespräch angesprochen worden war. Die Entschließung geht dann auch gerade auf diese Punkte ein. Meiser sagte einleitend, daß der Lutherrat diese „erläuternde Entschließung" herausgegeben habe, damit in Zukunft die Kritik, die „vielfach hervorgerufen war durch allerlei Mißdeutungen des Entwurfes oder durch Hineintragungen in ihn, die nicht berechtigt waren", keine Anhaltspunkte mehr habe. Die in der Entschließung einleitend gemachten Aussagen vom Festhalten der VELKD an der „brüderlichen Gemeinschaft" innerhalb der EKD und von ihrer Mitverantwortung für das gesamte evangelische Kirchentum in Deutschland wurden in der Versammlung mit Erleichterung aufgenommen. Allerdings sind es wieder Versicherungen, die allgemein, vage und formelhaft gehalten sind und dadurch die notwendige Eindeutigkeit vermissen lassen, die für verfassungsrechtliche Übereinkünfte notwendig sind. In Bezug auf die Theologische Erklärung von Barmen wird noch einmal der bekannte Standpunkt des Lutherrates wiederholt: volle Ubereinstimmung mit den Verwerfungen, aber keine Verpflichtungen gegenüber den positiven Aussagen, da deren Auslegung zu kontrovers gehandhabt wird. Zwei Aussagen zum Thema „Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft" sind folgenreich gewesen. So wurde der Schlußsatz dieses Abschnittes, nämlich die Bereitschaftserklärung, „im theologischen Gespräch die Möglichkeiten einer Abendmahlsgemeinschaft über den Kreis der VELKD hinaus zu klären", im Punkt fünf der „Entschließung zur innerkirchlichen Lage" aufgenommen und als Bitte der Kirchenversammlung an den Rat der EKD weitergegeben. Das offizielle Abendmahlsgespräch innerhalb der EKD, das hier begann, hat als erstes Ergebnis 1958 die „Arnoldshainer Abendmahlsthesen" erbracht und schließlich, wenn auch über Umwegen, zu den „Thesen zur Kirchengemeinschaft" vom Mai 1970 geführt 20 . Die zweite Aussage zu diesem Thema hat nicht einigende Wirkung gehabt, sondern erneut Entfremdung geschaffen und damit die Grundordnungsdebatte bis nach Eisenach hin erschwert. Es handelt sich um die Formulierung, evangelischen Christen aus nichtlutherischen Kirchen, „die als Gäste an einem lutherischen Abendmahl teilnehmen möchten", diesen Wunsch nicht zu versagen. Die Wahl des Wortes „Gäste" an dieser Stelle ist in der Tat fatal - und das hob in Treysa auch 20

Vgl. KJ 1958, S. 134 ff.; KJ 1970, S. 47 f.

Entschließung des Lutherrates vom 4. 6. 1947

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Martin Niemöller hervor wird doch der Eindruck erweckt, als ob Lutheraner nicht Gäste, nicht Geladene des Herrn beim Abendmahl seien, sondern vielmehr die Gastgeber. Abschließend wird ausgeführt, daß der Lutherrat die V E L K D bewußt als einen Zusammenschluß von lutherischen Kirchen und nicht etwa auch von Gemeinden geplant habe, „ u m den Vorwurf zu vermeiden, er betreibe eine Aufspaltung der Unionskirchen." Anschließend an die Verlesung der Entschließung gab Meiser seine persönliche Stellungnahme dazu ab, die sich aber darauf beschränkte sich in negativen Äußerungen gegen die Ziele des Bruderrates abzugrenzen. Brunotte erst vermochte es, durch seine Erläuterungen zu der Entschließung zu einer gewissen Entspannung20®1 beizutragen, indem er Ansatzpunkte aufwies und darauf drängte, von der Kirchenversammlung aus ein Wort an den Rat zu übergeben, das zur Schaffung einer Ordnung der E K D aufforderte. Brunotte gab die Versäumnisse, die in dem Vorgehen des Lutherrates beschlossen sind, zu und bat, „positiv zu werten, was wir in der Erklärung gesagt haben, vor allem auch über die Abendmahlsgemeinschaft. Dabei läßt sich über das Wort ,Gäste' sprechen . . . In unserer hiesigen Kirchenversammlung will, wie ich glaube feststellen zu können, niemand eine ,unionistische' E K D . Wir wollen nicht streiten über den Begriff Kirche und Kirchenbund. Es genügt uns, wenn an einer Stelle aus Gründen des Kirchenrechts gesagt wird, daß die E K D ein Kirchenbund ist. Dann aber sollte man nur von der E K D sprechen. Denn sie ist die geglaubte Kirche des dritten Artikels." Bevor Held dann den Vorsitzenden aufforderte, den Ausschuß zu berufen, faßte er zusammen, was etwa der Inhalt eines Wortes der Kirchenversammlung sein müßte: 1. Die Entschließung des Lutherrates soll daraufhin geprüft werden, was aus ihr als gemeinsame Empfehlung an den Rat gewonnen werden kann, wie ζ. B. ein verbindliches theologisches Gespräch über die Abendmahlsfrage. 2. „Zweitens würde die Frage der praktischen, jetzt schon möglichen Abendmahlsgemeinschaft so formuliert werden müssen, daß das eben angerührte Mißverständnis nicht dabei Geltung hat." 2 1 2 0 a „ D e r allgemeine Eindruck war demgemäß nicht der der erhofften Entspannung, und die Mehrzahl der Teilnehmer sah kaum noch eine Möglichkeit des Zusammenkommens. D a r u m ergriff, nachdem D . Niemöller eine versöhnliche Rede gehalten hatte, auf Wunsch aus einigen lutherischen Kirchen Oberlandeskirchenrat Brunotte das Wort, um eindringlich zu zeigen, daß die lutherische Entschließung ein bedeutsamer und aufrichtiger Beweis guten Willens sei, der eine ganze Reihe von Möglichkeiten eröffne" ( H . BRUNOTTE, Grundordnung, S. 46/47). 2 1 Es geht um die Formulierung in der Entschließung des Lutherrates, evangelische Christen aus nicht-lutherischen Kirchen als Gäste an einem lutherischen Abendmahl gerne zuzulassen.

290

Kirchenversammlung in Treysa vom 5. und 6. 6. 1947

3. Es müßte festgelegt werden, daß die Verfassung der VELKD und der EKD gleichzeitig „zum offiziellen Abschluß und vor die deutsche Öffentlichkeit kommen". 4. Die Ordnung muß bald zu einem Ende gebracht werden. „Wir dürfen nicht länger über die Frage der Ordnung all unsere Kräfte verbrauchen". Eine verfassunggebende Kirchenversammlung mit starker Beteiligung der Gemeinde sollte schnell vorbereitet werden. Wurm nannte dann die Namen der Ausschußmitglieder, die sich sogleich zur Beratung zurückzogen und am Nachmittag ihren Entwurf zu dem Wort „Zur innerkirchlichen Lage" vorlegten: Beckmann, Beste, Böhm, Brunotte, Iwand, Künneth, Middendorf 22 , Stählin, Erik Wolf. Iwand übernahm die Aufgabe des Berichterstatters. Neben den Forderungen Heids wurde dem Ausschuß als weitere Grundlage für das zu erarbeitende Wort die „Begründung" aus einem Antrag Württembergs an die „Kirchenversammlung der EKD in Treysa - Juni 1947 - über die Schaffung einer endgültigen Ordnung der EKD" übergeben. Der Antrag selbst wurde von der Versammlung angenommen, womit der vierten Forderung Heids entsprochen war, denn der Antrag lautete: „Die Kirchenversammlung wolle dem Rat der EKD vorschlagen, alsbald eine Kommisssion zu bilden mit dem Auftrag, den Entwurf einer endgültigen Ordnung der EKD zu fertigen, der den Leitungen der in der EKD zusammengeschlossenen Kirchen zur Stellungnahme übersandt werden soll. Zugleich wird der Rat der EKD gebeten, tunlichst bald eine Verordnung über die Einberufung der verfassunggebenden Kirchenversammlung der EKD zu erlassen." Die sehr viel längere „Begründung" enthält schon konkrete Vorschläge für die Verfassung der EKD, vor allem über die Kompetenzen der EKD, ihre Organe und Zuständigkeiten und über den föderativen Charakter der EKD, der aber die „in den zurückliegenden Jahren entstandene Gemeinsamkeit" sichtbar machen müsse. Am Nachmittag des 6. Juni 1947 wurden zum Abschluß der Kirchenversammlung ein Wort zur allgemeinen Lage verabschiedet und zwei Entschließungen zur Weiterleitung an den Rat angenommen. Das Wort der Kirchenversammlung „Zur allgemeinen Lage" das für die Öffentlichkeit bestimmt war, war von Dibelius erarbeitet worden. Es ist eine Antwort auf die vielen Stimmen in der Kirchenversammlung, die die Befürchtung geäußert hatten, daß durch die Diskussion der Ordnung die Kirche ihre anderen, dringenderen Aufgaben versäume 23 . 2 2 Friedrich Middendorf (1883-1973), 1926 Pfr. Schüttorf, 1934-1945 in leitenden Ämtern der BK, 1946 Kirchenpräsident der Ev.-ref. Landeskirche Hannover. 2 3 Vgl. AB1EKD Nr. 14 vom 1. 7. 1947; K J 1945-1948, S. 85/86; Asmussen in seinem Bericht über Treysa: „Die Kirchenversammlung hat ein Wort zur Lage beschlossen.

291

Entschließung zur innerkirchlichen Lage

Die von einem Ausschuß erarbeitete Vorlage für eine Entschließung der Kirchenversammlung bezüglich eines einheitlichen evangelischen Gesangbuches24, geht auf einen Antrag Prälat Schlatters zurück, die Kirchenversammlung möge die Schaffung eines einheitlichen evangelischen Gesangbuches unterstützen und die Kirchenleitungen, den Rat der EKD und das Hilfswerk bitten, bei all ihren Bemühungen auf diesem Gebiet das Ziel eines einheitlichen Gesangbuches vor Augen zu haben. Begründet wurde die Notwendigkeit unter anderem mit der „starken Mischung der Gemeinden" durch die Flüchtlinge25.

Die Entschließung zur innerkirchlichen

Lage26

Das Wort über die bekenntnismäßigen Voraussetzungen der Ordnung der EKD, in Parallelität zum Wort zur allgemeinen Lage mit dem Titel „Zur innerkirchlichen Lage" versehen, ist als das Ergebnis von Treysa II verstanden und gewertet worden. Schon auf der Kirchenversammlung war die Möglichkeit eines gemeinsamen Wortes dankbar als Gnadenerweis Gottes verstanden worden27. Und dankbar wurde auch die Ubereinkunft in antwortenden Entschließungen verschiedener Gruppen aufgenommen28. Brunotte urteilt: „Das positive Ergebnis von ,Treysa II' ist ebenso hoch zu werten wie das von .Treysa Γ 1945, auch wenn mit den sieben Ziffern der gefaßten Entschließung keineswegs alle Probleme wirklich gelöst waren." 29 Trotz der späteren Zurücknahme einiger Aussagen durch den Lutherrat ist die Entschließung als die Voraussetzung zu werten, die zur Grundordnung der EKD geführt hat. Noch am 6. Juni auf der Ratssit-

Dieses Wort ist bereits im amtlichen Teile des Amtsblattes veröffentlicht worden. Dies Wort ist ein Bekenntnis dazu, daß die E K D ihre Aufgabe, gegenwärtig zu bekennen, bejaht. Man wird gespannt sein dürfen, wie weit die Landeskirchen darauf drängen werden, daß dieses Wort in die Gemeinden kommt" (AB1EKD Nr. 15 vom 15. 7. 1947). 2 4 A E K D , 042 Beiheft 2. 2 5 Das starke Interesse Württembergs an einem einheitlichen Gesangbuch als Ausdruck der Einheit der EKD wurde auf der Ratssitzuung vom 3 0 . / 3 1 . 1. 1946 schon deutlich, als Wurm als Anfrage an die V E L K D die Notwendigkeit der Schaffung eines einheitlichen Gesangbuches betonte (Protokoll; A E K D , 046). 2 6 Abgedruckt bei H. BRUNOTTE, Grundordnung, S. 308; KJ 1945-1948, S. 84/85. 2 7 Mochalski in seinem Bericht für die Bruderräte: „So können wir auch von der Kirchenverammlung in Treysa mit großem Dank gegen den Herrn der Kirche sagen, daß uns in der entscheidenden kritischen Situation eine Gemeinsamkeit geschenkt wurde, wie sie uns wohl seit Oeynhausen 1936 erst einmal wieder 1945 in Treysa gegeben war" (AEKD, 042 Beiheft 2). 2 8 Reformierter Bund vom 27. 6. 1947; Bruderrat vom 8. 8. 1947. 2 9 Grundordnung, S. 48.

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Kirchenversammlung in Treysa vom 5. und 6. 6. 1947

zung nach der Kirchenversammlung berief der Rat einen Verfassungsausschuß, bestehend aus Brunotte, Ehlers und Erik Wolf, der den offiziellen Auftrag erhielt, dem Rat einen Verfassungsentwurf vorzulegen 30 . Das Wort zur innerkirchlichen Lage nimmt die wesentlichen Aussagen aus der Entschließung des Lutherrates auf. So wird gleich in Punkt 1 das Bekenntnis des Lutherrates zur Gemeinschaft innerhalb der E K D aus der Entschließung zitiert. Punkt 2 knüpft an an die Aussage der Entschließung, daß die V E L K D eine EKD-Ordnung „im Sinne eines Bundes von Bekenntniskirchen" unterstützen werde. Auch die württembergische Kirche hatte sich in der „Begründung" zu ihrem Antrag an die Kirchenversammlung auf diese Grundlage beschränkt; damit mehr den Realitäten entsprechend als den eigenen Wünschen 3 1 . Punkt 3 ist zu beziehen auf Ziffer 2 der Entschließung des Lutherrates. Allerdings fehlt der lutherische Zusatz, daß die Bejahung von „Barmen" vor allem auf die Verwerfung zu beziehen ist 3 2 . Die allgemeine Formulierung geht zurück auf Ergebnisse der von Wurm geführten konfessionellen Gespräche, wie sie ζ. B. im Detmolder Protokoll vom April oder im Protokoll über die Stuttgarter Besprechung am 14. Februar 1947 fixiert wurden 3 3 . Punkt 4 unternimmt den Versuch, die Übereinstimmung über die Abendmahlsfrage zu formulieren. Das anstößige Wort „ G ä s t e " ist nicht aus dem lutherischen Dokument übernommen worden, nachdem Niemöller auf die Unmöglichkeit dieser Wortwahl hingewiesen hatte und Brunotte eine Revision versprochen hatte. Der 1. Grundordnungsentwurf übernimmt dann in Artikel 5, 4 3 0 Schreiben der Kirchenkanzlei vom 22. 7. 1947 an die Leitungen der deutschen evangelischen Landeskirchen (LKA STUTTGART, D 1/215). 3 1 „Die in den letzten Jahren geführten Verhandlungen und Gespräche haben ergeben, daß die EKD zur Zeit nicht anders als auf föderativer Grundlage geordnet werden kann. Eine Ordnung der EKD als eines Bundes bekenntnisbestimmter Kirchen verdient den Vorzug vor dem gegenwärtigen Zustand, dessen Entwicklungsrichtung keineswegs die Gewähr in sich birgt, daß er einer stärkeren Einheit der Kirche überwiegend förderlich wäre" (AEKD, 042 Beiheft 2). 3 2 Held während der Kirchenversammlung: „Die Formulierung des Ausschusses nimmt die Formulierung der Entschließung des Rates der VELKD in Punkt 2 auf, ohne die dort ausgesprochene Limitierung auf die Verwerfungen der Barmer Theologischen Erklärung aufzunehmen. Es bleibt daher die Klärung der theologischen und kirchlichen Bedeutung der gesamten Entscheidung von Barmen frei" (Protokoll; ebd.). 3 3 Vgl. dazu oben S. 266 - Gerade die von Held festgestellte Auslegbarkeit nach beiden Seiten hin veranlaßt den Lutherrat, einen anders formulierten Bezug auf Barmen in die Grundordnung einzubringen. So lautet der Vorschlag in der Neuformulierung der Fassung II: „ . . . die insbesondere im Kirchenkampf gewachsene und in Barmen 1934 bezeugte Verbundenheit" (AEKD, 00 Bd. IV). Der Verfassungsausschuß beließ es bei der ursprünglichen Formulierung, und die Kirchenversammlung in Eisenach bestätigte durch ihr Votum, daß die EKD die in Barmen getroffenen Entscheidungen bejahte (Grundordnung, Artikel 1,2).

Entschließung zur innerkirchlichen Lage

293

die Formulierung aus dieser Treysaer Übereinkunft. Als später von Seiten des Lutherrates gerade dieser Artikel immer mehr eingeschränkt wurde und im April 1948 in Karlsruhe, auf der letzten Besprechnung zwischen den Gruppen vor der Kirchenversammlung in Eisenach von lutherischer Seite wieder das Wort „Gäste" verlangt wurde, bekannte Erik Wolf: „Für mich persönlich muß ich bekennen, daß ich den Auftrag zur Mitarbeit an einer Verfassung der E K D ohne die Entschließung von Treysa II zur innerkirchlichen Lage nicht angenommen hätte." 3 4 Die Bitte der Kirchenversammlung in Punkt 5 gründet sich auf die Bereitschaftserklärung des Lutherrates, in eine verbindliche Diskussion über die Abendmahlsfrage einzutreten. Zu Punkt 6 merkt Niemöller an, daß es eine Verbesserung wäre, „wenn der Lutherrat sich zu einer Uberprüfung seines Verfassungsentwurfes ausdrücklich bereit erklären würde" 3 5 . Punkt 7 entspricht dem Antrag Württembergs auf baldige Schaffung einer Ordnung der E K D .

34

Protokoll der Karlsruher Besprechung ( A E K D , 0 0 Bd. V).

Brunotte hatte in seinem entscheidenden Beitrag ausgeführt: „ D i e Verfassung der V E L K D kann zwar im Entwurf nicht mehr geändert werden, weil zwei Kirchen bereits auf dieser Basis den Beitritt zur lutherischen Kirche vollzogen haben. Deswegen haben wir gesagt, daß auf der ersten Generalsynode der lutherischen Kirche die Verfassung überprüft wird, und zwar vor allem überall dort, wo die Fäden gezogen werden zu den Organen der E K D " ( A E K D , 042 Beiheft 2). Im Oktober 1947 beschloß der Lutherrat in Fulda (vgl. unten S. 335 f.), den Beitritt zur V E L K D von der Annahme der Verfassung zu trennen, und erst der Generalsynode im Juli 1948 wurde der durch die bayerische Synode veränderte Verfassungsentwurf zur Diskussion vorgelegt. Damit hatte der Lutherrat aus innerlutherischen Gründen sein ursprüngliches Verfahren tatsächlich ändern müssen. 35

Kapitel 23 ANTWORTEN AUF DIE ÜBEREINKUNFT V O N TREYSA II Joachim Beckmann urteilt über die Kirchenversammlung in Treysa: „Die Aussprache über die Entschließung der Treysaer Kirchenversammlung zeigte, daß die Formulierungen von Treysa keineswegs das Ende der Auseinandersetzung in der EKD bedeuteten. Die Akzente, die man den Worten gab, wiesen darauf hin, daß die Probleme nicht gelöst waren, ja vielleicht überhaupt nicht in einer eindeutigen Formel lösbar waren. Es blieb weiterhin fraglich, ob der Weg wirklich frei war für die Konstituierung der EKD in einer Grundordnung." 1 Am 9. Oktober 1947 teilte Meiser Asmussen seine Verhinderung bei der Ratssitzung am 4./5. November mit, was er um so mehr bedauere, da wichtige Dinge auf der Tagesordnung stünden und außerdem „eine ganze Reihe von grundsätzlichen Fragen" zu klären seien, wie ζ. B. „die vielfach den Tatsachen nicht entsprechende Auswertung von Treysa, die bei uns gewisse Kreise ganz hinter die Hand gebracht habe" 2 . Wie aus der nun folgenden Grundordnungsdebatte zu ersehen ist, drehte sich die Auseinandersetzung um „Barmen" (Ziffer 3 der Treysaer Entschließung „zur innerkirchlichen Lage"), um die Abendmahlsfrage (Ziffer 4) und um die „Gemeinsamkeit" innerhalb der EKD (Ziffer 2). Die Auseinandersetzung konzentrierte sich um die Interpretation des Wortes „verwirklicht" in Satz 2 von Ziffer 2. Die Frage war, ob dieses präsentisch oder futurisch zu verstehen sei. Brunotte stellt fest, daß das positive Ergebnis von Treysa II ebenso hoch zu werten sei wie das von Treysa I 3 ; die Parallelität ist aber noch zu erweitern: ebenso wie nach der Konvention von Treysa 1945 begann auch nach dem Bekanntwerden des Wortes „Zur innerkirchlichen Lage" ein Streit um den Sinn des Gesagten, der die alten Fronten wieder aufdeckte und die Arbeit an der Verfassung gefährdete und erschwerte.

1 2 3

K J 1945-1948, S. 88. AEKD, 046. Grundordnung, S. 48.

Zu Satz 2 in Ziffer 2 des Wortes „Zur innerkirchlichen Lage"

295

Zur Interpretation des Satzes 2 in Ziffer 2 des Wortes ,,Zur innerkirchlichen Lage" Dieser Satz lautet: „Wir vertrauen darauf, daß sich in diesem Bund im gemeinsamen Hören auf das Wort Gottes Kirche im Sinne des Neuen Testamentes verwirklicht". Im Amtsblatt der EKD vom 15. Juli 1947 veröffentlichte Asmussen einen „Bericht über die Kirchenversammlung in Treysa am 5. und 6. Juni 1947". Es handelt sich nicht um einen Bericht im eigentlichen Sinne, sondern um eine Interpretation der Beschlüsse und um einen Ausblick auf die offenen Fragen, die noch geklärt werden müßten 4 . Zu Ziffer 2, 2 führte Asmussen hier aus: „Es soll sich Kirche verwirklichen'. Uber diesen Ausdruck werden wir noch viel nachdenken müssen. Er ist in der Kirchensprache neu. Er soll bedeuten, daß wir nicht darum die EKD lieb haben, weil wir in ihr irgendwie eine unsichtbare Kirche glauben, sondern darum, weil wir leidenschaftlich darauf warten, daß unter dem gemeinsamen Hören auf das Wort Gottes Kirche, die man glaubt, sichtbar und erfahrbar wird, so daß man sie ordnen kann." Asmussen interpretiert das „verwirklichen" also im futurischen Sinne, d. h. er hofft, daß die EKD einmal auch als Kirche zu ordnen sein wird. Am 26. Juli 1947 fragte Asmussen bei Iwand an, wie denn im Ausschuß, der das Wort „Zur innerkirchlichen Lage" vorbereitet hatte, der Satz 2 in Ziffer 2 verstanden worden sei. Anlaß seiner Anfrage sei ein Rundschreiben der hannoverschen Bekenntnisgemeinschaft vom 23. Juni, das eine Erläuterung zu der Entschließung der Kirchenversammlung aus der Feder Brunottes enthalte: „Hier wird zum zweiten Satz der Entschließung ausgeführt, der erste Satz von These 2 - daß die EKD ein Bund von Kirchen ist - sei ,bewußtermaßen eine kirchenrechtliche Aussage.' Der zweite Satz von These 2, daß sich in diesem Bund durch gemeinsames Hören ,Kirche' verwirklichen soll, sei keine kirchenrechtliche, sondern eine Glaubensaussage. Ausdrücklich wird die Hoffnung abgewiesen, daß die Bundeskirche zu einem späteren Zeitpunkt einmal Einheitskirche werden möge." 5 Diese Erläuterungen zur Treysaer Entschließung 6 sind eine Privatarbeit Brunottes und nicht etwa ein gemeinsames offizielles Votum aller Ausschußmitglieder. Insofern ist Brunottes Urteil über diese Erläuterungen einzuschränken: „Die beste Auslegung der Entschließung sind die unter dem frischen Eindruck der Kirchenversammlung geschriebe4 Brunotte urteilt richtig: „Dieser Bericht gibt aber mehr eine Würdigung der Probleme von Treysa II, wie Asmussen sie sieht, als eine Darstellung des Verlaufs der Tagung" (ebd.,

S. 4 4 ) . 5

AEKD, 00 Bd. II.

6

A b g e d r u c k t bei H . BRUNOTTE, G r u n d o r d n u n g , S. 4 8 - 5 1 .

296

Antworten auf die Übereinkunft von Treysa II

nen Erläuterungen zur Treysaer Entschließung . . . " 7 Bereits am 9. Juni 1947 hatte Brunotte diese Erläuterungen an die Kirchenkanzlei geschickt mit dem erklärenden Zusatz: „Erläuterungen verfaßt, aufgrund der Verständigung im Ausschuß der K[irchen]V[ersammlung]." 8 Es ist zweifelhaft, ob tatsächlich schon in Treysa die Zweideutigkeit der Formulierung „verwirklicht" bewußt gewesen ist oder ob nicht jeder stillschweigend seine Auslegung darin abgedeckt sah 9 . Brunottes wiederholte Beteuerung, daß die Lutheraner den Satz „eindeutig &\spräsentische Aussage verstanden", hat somit in einem Konfliktfall keinen Beweischarakter. Allerdings muß man zur Unterstützung der Auslegung durch Brunotte dessen Äußerung während der Kirchenversammlung und zwar bevor der Ausschuß sich zurückzog, heranziehen: „Wir wollen nicht streiten über den Begriff Kirche und Kirchenbund. Es genügt uns, wenn an einer Stelle aus Gründen des Kirchenrechts gesagt wird, daß die E K D ein Kirchenbund ist. Dann aber sollte man nur von der E K D sprechen. Denn sie ist die geglaubte Kirche des dritten Artikels." 1 0 Entsprechend formulierte er in seinen Erläuterungen zu 2: „Der erste Satz von These 2 ist bewußtermaßen eine kirchenrechtliche Aussage, die die soziologische, verfaßte Kirche meint. Als solche ist die E K D ein Bund . . . Der zweite Satz von These 2 ist entgegen dem ersten nicht eine kirchenrechtliche, sondern eine Glaubensaussage. Diese Aussage bezieht sich darauf, daß nach unserer Hoffnung sich in dem Kirchenbund, der sich E K D nennt, Kirche im Sinne des N[euen]T[estamentes] bzw. des Dritten Glaubensartikels verwirklicht, und zwar im gemeinsamen Hören auf das Wort Gottes. Der 2. Satz bezieht sich also nicht darauf, daß etwa die Bundeskirche zu einem späteren Zeitpunkt einmal Einheitskirche im vollen Sinne des Wortes werden möge. Wir beten nach Joh. 17, 21 für die Una sancta, nicht für die Union." Wenn man in diesem Zusammenhang die Äußerungen Meisers auf der Besprechung zwischen Wurm und dem Lutherrat in Stuttgart am 14. Februar 1947 heranzieht, daß Kirche im Sinne des Neuen Testamentes oder des 3. Glaubensartikels auch in der katholischen Kirche oder bei den Methodisten verwirklicht sei, dann ist eben diese Qualifizierung in einem Dokument der E K D banal, weil überflüssig; es sei denn, sie hat tatsächlich eine weitergehende Bedeutung, d. h. in der E K D ist mehr Kirche sichtbar als etwa bei den Methodisten oder den Katholiken. Vor diesem Hintergrund ist dann auch verständlich, daß von nicht-lutherischer Seite eben dieses „ M e h r " an Kirche, dieses

Ebd., S. 48. A E K D , 042 Beiheft 2. 9 Im Protokoll findet sich kein Hinweis auf eine Diskussion über diesen Sachverhalt. 1 0 Protokoll (AEKD, 042 Beiheft 2).

7 8

Stellungnahme des Bruderrates vom 8. 8. 1947

297

größere Maß an kirchlicher Gemeinschaft in dem Satz 2 von These 2 gesehen wurde.

Beschluß des Reformierten Bundes für Deutschland zu dem ,, erfreulichen Ergebnis" der Kirchenversammlung von Treysa Am 27. Juni 1947 schickte Niesei als Moderator des Reformierten Bundes den Beschluß an den Rat der EKD 1 1 . Die Aussagen von These 2, 2 sind auch hier Ausgangspunkt für das Votum: „Das Moderamen ist dankbar dafür, daß die Kirchenversammlung, wenn sie die EKD als einen Bund von Bekenntniskirchen bezeichnet, zugleich ausspricht, daß in diesem Bunde alle gemeinsam auf das Wort Gottes zu hören haben und daß, wenn dies geschieht, in der EKD als solcher ,Kirche im Sinne des Neuen Testaments' sich verwirklicht." Im Weiteren wird, ausgehend vom „gemeinsamen Hören auf das Wort Gottes", d. h. des Gottesdienstes in der Gemeinde, die darin enthaltene Erkenntnis begrüßt, „daß die Gemeinde der O r t ist, in der ,die Kirche im Sinne des Neuen Testamentes sich verwirklicht'." Folgerichtig bittet das Moderamen, in der Ordnung der EKD zum Ausdruck zu bringen, „daß die EKD unbeschadet ihrer Eigenschaft als eines Bundes von Kirchen Gemeindekirche ist" 1 2 . Dies ist eine Illustration zu dem anfangs zitierten Hinweis Beckmanns, daß die Akzente, die man den Worten von Treysa gab, zeigen, daß die Probleme nicht gelöst waren; die Reformierten finden Ansatzpunkte für ihr Kirchenbild, indem sie den Ton auf das „gemeinsame H ö r e n " als gottesdienstliches Hören legen. Die lutherische Interpretation stützt sich vor allem auf den Bundescharakter der EKD und ordnet die darüberhinausgehenden Aussagen diesem unter anstatt sie ihm nebenzuordnen. Diejenigen, die die EKD als Kirchengemeinschaft und spätere Einheitskirche wünschen, verstehen das „verwirklichen" als Zusage einer künftigen Regelung.

Stellungnahme

des Bruderrates vom 8. August 1947

Diese Stellungnahme ist als ein Wort an die „Brüder" gerichtet 13 . Im ersten Abschnitt wird die Entschließung der Kirchenversammlung in ihrer Betonung der Gemeinsamkeit innerhalb der EKD als „Fortfüh11

A E K D , 00 Bd. II. „Wegen dieser konkreten Bitte geht eine Abschrift des Beschlusses an die drei Mitglieder des Verfassungsausschusses der E K D " (Zusatz zum Beschluß). 13 Abgedruckt KJ 1945-1948, S. 87; Entwurf des Wortes LKA DARMSTADT, 36/23. 12

298

Antworten auf die Ubereinkunft von Treysa II

rung des Weges der Bekennenden Kirche" bezeichnet. Unter Anerkennung und Wahrung der konfessionellen Bestimmtheiten wird die E K D als Gemeinde Jesu Christi verstanden, die sich um das Wort Gottes sammelt und von diesem Wort aus auf den Bruder aus der anderen Konfession hört. Die Gemeinsamkeit wird dann im Weiteren konsequent als „Gemeinschaft des Dienstes" interpretiert, und zwar sowohl untereinander als auch der Welt gegenüber. Diese Zielrichtung verbiete alle „eigenen Wege", seien es kirchenpolitische oder solche aus politischen Erwägungen heraus 14 ; sie weise vielmehr dahin, sich denjenigen Aufgaben „in Gehorsam zuzuwenden, die uns gegeben sind", d. h. Predigt und Verkündigung des Evangeliums mitten in Neid, Vergeltungsdrang, Haß und Verzweiflung. Nachdem der Bruderrat in dieser Stellungnahme festgestellt hatte, daß die E K D , der er in Treysa 1945 seine kirchenregimentlichen Funktionen übertragen hatte, durch die Erklärung zur innerkirchlichen Lage von Treysa 1947 immer noch die legitime Wahrerin der Ziele und Erkenntnisse der Bekennenden Kirche sei, ist es folgerichtig, daß er sich für seine Arbeit auf geistliche Aufgaben konzentriert, eben auf die bleibende geistliche Verantwortung, die unter dem Begriff „Wächteramt der Bekennenden Kirche" zusammengefaßt wurde. Auch in Mochalskis Bericht über die Kirchenversammlung an die Bruderräte wird betont, daß durch die „Klarstellung des konfessionellen Problems" die Kirche nun ihre eigentliche Aufgabe, die sie als Kirche des Evangeliums heute habe, wahrnehmen könne 1 5 .

„Zur Auswertung der Beschlüsse von Treysa 1947" durch Ernst

Kinder16

In einem Artikel vom Oktober 1947 stellte Kinder die Beziehungen zwischen der Erklärung des Lutherrates und dem Wort zur innerkirchlichen Lage in den Mittelpunkt. Wie aus dem Titel des Artikels hervorgeht, faßte Kinder das Wort des Lutherrates und das Wort der Kirchenversammlung zu den „Beschlüssen von Treysa 1947" zusammen, ohne

1 4 Interessant ist, daß hier v o m Bruderrat schon mit einer „deutschen Ostkirche" gerechnet wird, die sich in irgendeiner Weise von der E K D separieren wird. 1 5 „ A u f diese Aufgabe der Evangfelischen] Kirche wurde immer wieder, gerade auch von Seiten der ,Laien', hingewiesen. V o r unsere Tür ist der arme Lazarus gelegt. Die geistliche, geistige und moralische N o t unseres geschlagenen, verarmten, zu Millionen heimat- und besitzlos und innerlich müde gewordenen Volkes bedarf einer vollen Hingabe der Kirche des Evangeliums, wenn sie nicht als der reiche Mann erfunden werden will, der die entscheidende Hilfe, die ihm zu leisten aufgegeben ist, versagt und unterläßt" ( A E K D , 042 Beiheft 2). 16

E L K Z 1, 1947, S. 1 f.

Stellungnahme des Bruderrates vom 8. 8. 1947

299

nach den beschließenden Gremien zu differenzieren17. Kinders Bericht ist ausdrücklich als Korrektur gedacht zu anderen Berichten über Treysa, die den Zusammenhang zwischen der Einigung über die konfessionellen Voraussetzungen der EKD und der Entschließung des Lutherrates verschwiegen hätten. Dieser Vorwurf ist unbegründet, denn der folgende Satz Kinders hatte in anderen Berichten durchaus seine Entsprechungen: „Für alle, die an der Kirchenversammlung mit ihrem ζ. T. spannungsvollen Ringen, ihren ernsten Beratungen und ihrem Willen zu brüderlicher Einmütigkeit teilgenommen haben, muß es feststehen, daß sie ohne dies Entschließung des Lutherrates nicht zu dem Ergebnis ihrer 7 Feststellungen gekommen wäre." Hinzuzufügen wäre allerdings noch, daß erst die Interpretation der Entschließung durch Brunotte den Weg zu dem gemeinsamen Wort eröffnete. Kinder wertete dann im Weiteren die Entschließung des Lutherrates nicht mehr nur als Voraussetzung zum Wort der Kirchenversammlung, sondern er behauptete eine inhaltliche Abhängigkeit, die sogar so weit geht, in der Entschließung des Lutherrates den offiziellen Kommentar zu den „7 Punkten" zu sehen. Die 5 Punkte der Entschließung sind es, so behauptete Kinder, „nach denen jene 7 Punkte zu verstehen und zu interpretieren sind. Es ist grundsätzlich das gleiche Verhältnis - was die Dinge der Kirchenordnung betrifft - wie das zwischen der Barmer Theologischen Erklärung und der Erklärung zur Rechtslage. Durch die Zusammenschau hier wie dort bleibt gewahrt, daß die Ordnung der EKD als eines ehrlichen Bundes von Bekenntniskirchen (nicht von Landeskirchen!) wirklich von wesentlich kirchlichen Gesichtspunkten aus erreicht wird und nicht aus dem Kurzschluß stimmungsmäßiger Momente heraus. Es ist gut, dies im Blick auf die in Treysa angeregten theologischen Vorschläge klar zu sehen, damit der Auftakt zu der durch Treysa 1947 eingeleiteten neuen Etappe auf dem Wege zur Ordnung der EKD ein verheißungsvoller sei." Hier wird noch einmal in einem lutherischen Text die Behauptung aufgestellt, die EKD sei als Bund von Bekenntniskirchen konstituiert worden. Diese Behauptung widerspricht klar der Konvention von Treysa und ebenso dem Wort zur innerkirchlichen Lage; in ihm ist ausdrücklich von bekenntnisbestimmten Kirchen die Rede 18 .

17 Vgl. zu dieser Methode den Dekanatsbericht Meisers über die Kirchenversammlung von Treysa 1945, in dem auch der Beschluß des Lutherrates als ein Teil der Entscheidungen der Kirchenversammlung gewertet wurde (vgl. oben S. 145). 18 Vgl. zu diesem „MißVerständnis" die Diskussion im Rat der EKD, die zum , ,Wort zur Lage" vom Juni 1946 geführt hatte (oben S. 196).

300

Antworten auf die Übereinkunft von Treysa II

Die bayerisch-lutherische Opposition gegen die Übereinkunft von Treysa Aus einem Brief von Meiser an Asmussen vom 23. Juli 1947 geht hervor, daß der Widerstand gegen die E K D in Bayern durch Treysa II eher verstärkt worden war. Meiser schreibt: „ I m Augenblick habe ich in Bayern mit einer heftigen Opposition betont lutherischer Kreise zu rechnen, die teils die Sasse'schen Einwände gegen die Beschlüsse von Treysa aufgenommen haben, teils aus eigenen Überlegungen ernste Bedenken anmelden. Man darf deshalb die Schwierigkeiten der zu lösenden Probleme nicht unterschätzen." 1 9 Die Einwände Hermann Sasses sind niedergelegt in einem offenen Brief „an die Brüder Christo, versammelt in Lund in Schweden zur Lutherischen Weltföderation 1947, die sich mit uns zur Ungeänderten Augsburgischen Konfession bekennen als der unaufgebbaren Bekenntnisgrundlage der Evangelisch-Lutherischen K i r c h e " 2 0 . Der Brief trägt das Datum: „Erlangen, den 17. Juni 1 9 4 7 " und ist von Sasse „ i m Namen eines Kreises lutherischer Theologen in verschiedenen Landeskirchen Deutschlands" unterzeichnet. In der Vorrede wird die Form des offenen Briefes damit begründet, daß die Stimme der Unterzeichner offiziell in Lund nicht vertreten sei und ihr auch keine eigene Zeitschrift zur Verfügung stände. D e r Brief sei zu werten als Zeugnis bedrängter Gewissen, die auch heute noch an die großen „Lehrentscheidungen der Konkordienformel über das rechte Verständnis der Augustana vor allem in der Frage der Ablehnung des Kryptokalvinismus im Artikel vom Abendmahl" gebunden seien. Es folgt ein historischer Abriß protestantischer Einigungsversuche bis zur Konstituierung der D E K im Jahre 1933. Auch diese konnte für Sasse nur eine weitere Form unionistischer Zusammenschlüsse sein, weil auch hier der 7. Artikel der Augustana über die wahre Einheit der Kirche umgangen worden sei. Die Barmer Synode habe den Bundescharakter der D E K mißachtet, indem sie keine itio in partes durchführte. Die anschließende „Leidensgeschichte der D E K " zeigte den Verfassern, daß sie mit ihrem ursprünglichen Protest gegen dieses Kirchengebilde recht gehabt hätten. Uber die jüngste Vergangenheit heißt es dann: „ M i t dem Zusammenbruch des Dritten Reiches 1945 fiel auch die D E K von 1933 dahin." Die Verfasser weisen darauf hin, daß sie Meiser bereits im Juli 1945 Entwürfe für eine V E L K D und für einen Kirchenbund, in den die D E K nun endlich und ehrlicherweise umgewandelt werden sollte, vorgelegt hätten. In Treysa sei dann aber kein Rat der Evangelischen Kirche«, sondern ein „ R a t der Evangelischen Kirchs in Deutschland" ausgerufen und dem Alliierten 19

A E K D , 012, Bd. III.

20

Ebd.

Bayerisch-lutherische Opposition

301

Kontrollrat als Nachfolgeorganisation der D E K angezeigt worden: „Damit wurde freiwillig der Schritt wiederholt, den man 1933 auf staatlichen Befehl hatte tun müssen." Es sei zwar eine V E L K D angestrebt worden, aber nicht als autonome Kirche, sondern als Gliedkirche der E K D . Zwar sei die Verfassung der E K D noch nicht endgültig formuliert, aber die Grundzüge seien festgelegt: „Sie liegen vor in den sieben Sätzen der Kirchenversammlung von Treysa vom Juni 1947." Gegenüber vier Aussagen und Zusagen von Seiten der lutherischen Landeskirchen wird dann im Folgenden schärfster Protest erhoben. 1. Wenn die E K D wirklich der Bund von Kirchen sein solle, wie in dem Dokument behauptet wird, dann müsse das auch im Namen eindeutig deutlich werden; sonst werde Mißbrauch mit dem Namen Kirche getrieben und die Gemeinde werde irregeführt. 2. „Wir erklären des weiteren, daß wir nicht ,auf dem Boden der in Barmen getroffenen Entscheidungen' stehen . . . " Diese Synode konnte keine Lehrentscheidungen für eine lutherische Kirche treffen; es werde immer wieder versucht, die Erklärung als Einheitsbekenntnis durchzusetzen; die Erklärung widerspreche aber den Lehrentscheidungen der Ungeänderten Augsburgischen Konfession und der Konkordienformel. 3. Ablehnung der Abendmahlsgemeinschaft. 4. Nicht die V E L K D habe sich der E K D anzupassen, sondern umgekehrt die E K D den bekenntnisgebundenen Verfassungen von Bekenntniskirchen. Der Kampf gegen die E K D nach den Treysaer Beschlüssen wird von den Verfassern als Fortsetzung ihres Kampfes gegen die Irrlehre der Deutschen Christen bezeichnet. Denn deren Grundgedanke, „der Aufbau der Kirche nach nationalen Gesichtspunkten", werde „von den Beschlüssen von Treysa in zeitgemäßer Form erneuert." Der Kampf gegen die E K D gelte demnach einer falschen Nationalkirche, „auch wenn sie heute in Gestalt einer deutschen Kirche Barmer Bekenntnisses erscheint." Die Verfasser bezeugen dann, daß sie selbstverständlich die Solidarität mit den Kampfgenossen aus der NS-Zeit nicht verleugnen wollten, daß diese aber nur in strenger Wahrhaftigkeit geübt werden könnte. Das gleiche Prinzip gelte für alle ökumenischen Beziehungen. Der offene Brief endet mit der Bitte an die „lieben Glaubensbrüder", keine Beschlüsse zu fassen, „die uns, die wir an der Entscheidung der Konkordienformel festhalten, vom Luthertum der Welt trennen" 2 1 . 21

In einem Bericht von Georg Merz über die Tagung in Lund heißt es im Zusammen-

hang mit einer Bemerkung über Liljes erfolgreiches Auftreten über den „Offenen Brief" von Sasse: „ D e n Anlaß gab die Verlesung eines Briefes von D . Sasse, der ohne Verständigung der deutschen Delegation den Kongreß aufrief, sich gegen die Bestrebungen von D .

Antworten auf die Übereinkunft von Treysa II

302

W e r n e r E i e r t a r g u m e n t i e r t in seinem „ P r o m e m o r i a ü b e r das I n t e r i m 2 2 v o n T r e y s a v o m 5 . / 6 . J u n i 1 9 4 7 " 2 3 v o n einem v e r g l e i c h b a r e n Standp u n k t aus, ist aber in seiner K r i t i k weitaus scharfsinniger u n d treffender, da er sich die M ü h e m a c h t ,

einzelne F o r m u l i e r u n g e n

der

Treysaer

U b e r e i n k u n f t auf ihre Stimmigkeit u n d K o n s e q u e n z z u u n t e r s u c h e n . E i e r t leitet seine D e n k s c h r i f t v o m 3 0 . A u g u s t 1 9 4 7 m i t e i n e m U r t e i l d e r r e f o r m i e r t e n K i r c h e n z e i t u n g , , D e H e v o r m d e K e r k " ü b e r T r e y s a II ein, w e l c h e s in der U b e r e i n k u n f t v o n T r e y s a d e n A b s c h l u ß einer K i r c h e n u n i o n sieht, die die p r e u ß i s c h e n i c h t n u r an U m f a n g , s o n d e r n a u c h an F o l g e r i c h t i g k e i t

übertreffe.

Eiert

zitiert

aus d e r Z e i t u n g :

„Was

F r i e d r i c h W i l h e l m I I I . 1 8 1 7 für P r e u ß e n nicht erreicht hat, das ist jetzt f ü r g a n z D e u t s c h l a n d z u r T a t s a c h e g e w o r d e n . " E i e r t bejaht diese r e f o r m i e r t e T h e s e u n d v e r s u c h t , sie in seiner A b h a n d l u n g m i t Beispielen zu u n t e r m a u e r n . D a m i t stellt er zugleich die B e m ü h u n g e n u m eine V E L K D als H e u c h e l e i hin, solange diese V E L K D sich an die T r e y s a e r B e s c h l ü s s e binde. E i e r t geht hier z u e r s t ausführlich auf T h e s e 2 , Satz 2 d e r T r e y s a e r U b e r e i n k u n f t ein, w o v o n K i r c h e i m Sinne des N e u e n gesprochen

wird.

D i e s e z u u n t e r s c h e i d e n v o n der

Testamentes

Kirche,

die

das

Meiser zu wenden, damit nicht die lutherische Kirche der Reformation im Unionismus unterginge" (ELKZ 1, 1947, S. 7). Sasse ließ eine auf den 25. 10. 1947 datierte Erklärung veröffentlichen, in der er den Vorwurf, er habe seinen Landesbischof angreifen wollen, strikt ablehnte. Es sei allein um die Sache gegangen: „Der deutschen Delegation allerdings konnte ich nicht zumuten, den an die Lehrentscheidungen der Konkordienformel als rechte Auslegung der Augustana invariata gewissensmäßig gebundenen deutschen Lutheranern Gehör zu verschaffen, nachdem sie es bewußt vermieden hatte, solche Lutheraner in ihre Mitte aufzunehmen, obwohl ihr eine Reihe tüchtiger Theologen und Kirchenmänner, die sich in ihren kirchlichen Entscheidungen in diesem Sinne bestimmen lassen, zur Verfügung stand, während sie Bischöfen und Theologen aus nichtlutherischen, sogar konsensusunierten Kirchen mit Unionskatechismus ohne weiteres Gastrecht gewährte" (ebd., S. 52). 2 2 Daß Eiert mit der Wahl des Begriffes „Interim" für die Ergebnisse der Kirchenkonferenz von Treysa II über den gängigen Sprachgebrauch als einer vorläufigen Regelung hinaus an reformatorische Geschichte und Erfahrungen erinnern wollte, legen der Tenor und die Argumentation seiner Denkschrift nahe. Einmal sieht Eiert sicherlich Parallelen zum Augsburger Interim vom 30. Juni 1548 in der Art, wie die Treysaer Beschlüsse zustandegekommen sind, nämlich aufgrund von Entscheidungen völlig Unbefugter. Aber auch inhaltliche Parallelen ergeben sich aus seiner Sicht der Dinge; das zeigen seine Ausführungen über die Zweideutigkeit der Rede. So wie im Augsburger Interim ein Ausgleich zwischen den katholischen und den protestantischen Reichsständen - unter humanistischem Vorzeichen - durch das Aufgeben religiöser Uberzeugung erreicht werden sollte, so versteht Eiert Treysa II als ein Aufgeben lutherischer Wahrheiten über das Wesen der Kirche und des Abendmahls zugunsten einer Union zwischen Lutheranern und Reformierten.

Werner Eiert (1885-1954), Dr. theol., Dr. phil., 1923 Prof. für Historische und 1932 auch für Systematische Theologie Erlangen. 23

L K A NÜRNBERG, M e i s e r 1 2 4 .

Bayerisch-lutherische Opposition

303

lutherische Bekenntnis meint, ist nach Eiert „bekenntniswidrig". Denn die lutherische Reformation habe ja gerade diese eine Kirche wiederhergestellt, die an der reinen Lehre und der entsprechenden Sakramentsverwaltung ihre deutlichen Kennzeichen hat: „Sie sind in der Kirche lutherischen Bekenntnisses und als ausschließlich geltende notae nur in ihr vorhanden." Der Satz 2 verleugne aber noch an einem weiteren Punkt in „flagranter Weise das lutherische Verständnis der Kirche, denn er vertritt die Meinung, daß sich die Kirche des Ν. T. auch verwirklicht, wo kein consentire de doctrina vorhanden ist." Wenn das „Hören" als Mittel der Verwirklichung von Kirche unter Übergehung von Lehre und Sakrament behauptet werde, dann liege hier ein schwärmerischer Kirchenbegriff vor. Wenn das „Hören" zum Kriterium erhoben werde, dann sei eine Abgrenzung gegen Sekten oder die katholische Kirche nicht mehr möglich. Rechtes Hören sei dagegen nur möglich, wo recht verkündet wird: „Infolgedessen kann sich die Kirche auch nur bei reiner Verkündigung verwirklichen." Der Satz 2 widerspreche letztlich dem Neuen Testament selbst. Denn hier verwirliche sich Kirche nicht, indem die Apostel nur hören, sondern indem sie lehren und taufen: „Selbstverständlich bedarf es auch des Hörens, aber das Lehren hat stets die logische und chronologische Priorität vor dem Hören." Aus dem allem folgt: „Der Satz ist nur verständlich, wenn er von Theologen der reformierten Kirche oder von schwärmerischen Sektierern oder mit Rücksicht auf sie formuliert wurde, denn diese behaupten die reine Internität der ,wahren' Kirche . . . Wenn trotzdem lutherische Theologen glauben, auch das Kirchenverständnis ihres Bekenntnisses darin wiederfinden zu können, so beweist das die Zweideutigkeit der in diesem Satz angewandten Rede . . . oder, wenn sie den Gegensatz für irrelevant ansehen, die Absicht, durch Verschweigen der Wahrheit eine Union mit Anderslehrenden zu ermöglichen." Im folgenden geht Eiert dann auf Satz 4 der Treysaer Vereinbarung ein, in dem die Zulassung zum Abendmahl innerhalb der E K D geregelt ist. Eiert legt ausführlich dar, warum eine Abendmahlsgemeinschaft mit den Reformierten für einen Lutheraner, und zwar über den äußersten Notfall hinausgehend, nicht möglich sei. Abschließend heißt es: „Es kann in den reformierten und unierten Kirchen nicht unbekannt sein, daß in der lutherischen Kirche theologische, glaubens- und bekenntnismäßige Einwände gegen die Abendmahlsgemeinschaft mit Dissentierenden bestehen. Das unaußiörliche Drängen zu einer das Gewissen verletzenden Gewährung der Abendmahlsgemeinschaft bezeugt eine unbrüderliche, lieblose, und herrschsüchtige Gesinnung, die den Abbruch jeder Art von Bündnisverhandlungen von lutherischer Seite zur Folge haben sollte."

304

Antworten auf die Ubereinkunft von Treysa II

Aus dem Satz 5 der Treysaer Ubereinkunft, der Aufforderung an den Rat der E K D , „sich darum zu bemühen, daß ein verbindliches theologisches Gespräch über die Lehre vom heiligen Abendmahl im Hinblick auf die kirchliche Gemeinschaft zustande kommt", greift Eiert den Terminus „verbindlich" heraus und stellt drei in der Kirche mögliche „Verbindlichkeiten" nebeneinander, über die aber die Kirchenversammlung in Treysa in keinem Fall hätte entscheiden können: Die Verbindlichkeit von „Schriftaussagen, insbesondere der Stiftungsmaßnahmen und anderer Willenskundgebungen Christi", könne durch keinerlei Gespräche berührt werden. Des weiteren könne die Verbindlichkeit menschlicher Kirchenordnungen, ihre Abänderungen oder Aufhebung nur durch „Gesetzgebung der zuständigen kirchlichen Körperschaften beschlossen werden". Die Verbindlichkeit der Bekenntnisse schließlich, zu denen auch das Abendmahl gehört, durch Gespräche zu hinterfragen, stehe nur der Kirche als Ganzes zu, d. h. eine zuständige Instanz wäre kaum auszumachen. Würde diese sich aber der Irrlehre überführt erklären, müßten sich alle dieser Uberzeugung anschließen, oder es käme zur Scheidung, weil dann die Ubereinstimmung in der Lehre nicht mehr vorhanden sei. Eiert faßt demnach zusammen: ,J)ie präsumptive Anerkennung der Verbindlichkeit eines Lehrgespräches schließt demnach die unweigerliche Zusicherung ein, alle, die sich dem Ergebnis nicht unterwerfen, zu exkommunizieren. Wegen dieser Folgen waren die lutherischen Teilnehmer an der Versammlung von Treysa nicht befugt, ein verbindliches Gespräch über das hl. Abendmahl in Aussicht zu stellen." Um seine Kritik an der „Zweideutigkeit der Rede" entfalten zu können, greift Eiert wieder eine Formulierung aus dem 5. Satz des Treysaer Dokumentes heraus, und zwar die Formulierung, daß das Lehrgespräch über das Abendmahl „im Hinblick auf die kirchliche Gemeinschaft" stattfinden solle. Da aber nach Eiert Lehrgespräche nur der Wahrheit zu dienen hätten, müsse es notwendig zu Kompromißformeln kommen, wenn der Wahrheitswille durch andere Motive ersetzt werde. Charakteristisch für Kompromißformeln ist nach Eiert die Tendenz, „nur das vermeintlich oder wirklich Gemeinsame" auszusprechen, das Trennende aber zu unterschlagen oder zu bagatellisieren. Demnach verrate sich eine Kompromißformel immer durch ihre Zweideutigkeit. Eiert macht für die zunehmende Neigung zur zweideutigen Rede die „dialektische Methode" verantwortlich, die ja wegen ihrer Lehre von der „Gebrochenheit" und „Vorläufigkeit" aller menschlichen Rede, überhaupt keine „abschließenden Sätze theologischen Inhalts" mehr kenne: „In dieser dialektischen Methode hat die protestantische Union den ihr angemessenen theologischen Ausdruck gefunden." Die Union ist nach Eiert nicht die Folge einer Ubereinstimmung

Bayerisch-lutherische Opposition

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in wesentlichen Fragen, sondern ein konstantes Gespräch zwischen zwei gleichberechtigten Partnern, wobei aber die Wahrheit immer zwischen ihnen bleibe. Gemeinsamkeit könne sich deswegen in der Praxis auch nur durch „aktuelle Ereignisse, die ein gemeinsames Hören auf das Wort Gottes' verlangen", manifestieren. Die hierbei herausgehenden gemeinsamen Kundgebungen könnten nur Kompromißformeln sein, die neben dem Bekennen zugleich ein Verleugnen enthalten. Die Barmer Theologische Erklärung ist für Eiert das schlimmste Beispiel dieses Vorgehens aus der jüngsten Geschichte: „Die Zweideutigkeit der Barmer Erklärung wird aber noch überboten durch den Satz 3 des Treysaer Interims, der besagt, daß die ,EKD auf dem Boden der in Barmen getroffenen Entscheidungen steht.' Nach den inzwischen bekannt gewordenen, völlig divergenten ,Auslegungen' dieses Satzes ist jeder weitere Beweis für diesen Vorwurf überflüssig." Zum Schluß stellt Eiert Überlegungen über die kirchlichen Folgerungen an. Da er in seiner Denkschrift die Ubereinkunft von Treysa durchgängig als „Interim" bezeichnet, sind die von ihm vorausgesagten notwendigen Folgen noch alle in der Möglichkeitsform ausgedrückt: „Sollte aber die im Aufbau befindliche VELKD tatsächlich durch ihre befugten Organe dem Interim zustimmen, so wären sowohl sie selbst wie die ihr angeschlossenen Gliedkirchen damit zu unierten Kirchen geworden." Daraus ergebe sich logischerweise die Notwendigkeit der Bildung einer lutherischen Freikirche, die als echte bekenntnistreue lutherische Kirche die Rechtsnachfolge der jetzigen evangelischlutherischen Kirche in Bayern antreten würde. Abschließend folgt ein Katalog von Bedingungen, deren Erfüllung die bedrohlichen kirchlichen Folgerungen verhindern könnte. „ I n der Verfassung der EKD ist ausdrücklich festzulegen, 1. daß die Bundesleitung keine kirchenregimentlichen Befugnisse hat, 2. daß sie keine Lehrbefugnisse hat, 3. daß jede ihrer Handlungen, die dem lutherischen Bekenntnis widerspricht, ipso facto die Auflösung des Bundes zur Folge hat." Besonders der zum Schluß in der Denkschrift erwogene Schritt zur Konstituierung einer bekenntnistreuen Gegenkirche mag erklären, wie sehr sich Meiser durch die Oppositionsbewegung in seiner Landeskirche unter Druck gesetzt fühlte. Ein dritter Angriff kam von Seiten des „Schwabacher Konventes". Bischof Wurm sah in seinen Erinnerungen diese Opposition als wesentlichen Faktor dafür an, daß Meiser eine immer starrere Haltung einnahm, zunehmend konfessionalistischer argumentierte und einmal gemachte Zugeständnisse wieder zurücknahm. Wurm selbst hatte in der Kirchenversammlung von Treysa einen so großen Fortschritt gesehen, „daß eine Einigung auch über heikle Fragen wie die Abendmahlsgemeinschaft in die Nähe gerückt schien. Aber dann kam ein Rückschlag.

306

Antworten auf die Ubereinkunft von Treysa II

Der sogenannte Schwabacher Kreis, eine Gruppe bayerischer Theologen, bestimmte Bischof Meiser, einige Zugeständnisse in bezug auf die gemeinsame Abendmahlsfeier zurückzunehmen, und dies verschärfte wieder die Kampfstellung des Niemöllerschen Kreises gegen die Lutheraner" 2 4 . Der Schwabacher Konvent im Lutherischen Einigungswerk hatte bereits am 1. Juli 1947 in einer Erklärung festgestellt, daß ,,für die lutherischen Landeskirchen der Weg von Treysa eine Verletzung ihres Bekenntnisses bedeutet und deshalb denen schwerste Gewissensnot verursachen muß, die diesen Weg als bekenntniswidrig erkannt haben." Zwei Punkte wurden vor allem als belastend herausgestrichen: 1. die Bindung der E K D an Barmen; 2. alle Aussagen, die darauf hinweisen, daß die E K D , zwar ein Bund, dennoch danach strebe, eine einige Kirche zu werden 25 . Am 15. Oktober 1947 übersandte Pfarrer Friedrich Wilhelm Hopf als Leiter des Schwabacher Konventes eine Petition an die bayerische Landessynode 26 . Die Petition enthält fünf Beschlüsse des Schwabacher Kreises, die in Form von Anträgen der Herbsttagung der Landessynode vorgelegt werden sollten. Alle fünf Beschlüsse sind bezogen auf die kritischen Punkte im Verhältnis der E K D zur V E L K D : Bundescharakter der E K D , „Barmen" und die Abendmahlsgemeinschaft. Hinzu kommen zwei innerlutherische Probleme: die Bekenntnisgrundlage der V E L K D , das Verhältnis der zukünftigen V E L K D zu den lutherischen Freikirchen. I. Vorlage für einen „Beschluß zur Vereinigung der EvangelischLutherischen Kirchen in Deutschland". Gewünscht wird die Zustimmung der Landessynode zur VELKD-Verfassung, nachdem klargestellt worden ist, daß ihre Grundlage die Ungeänderte Augsburgische Konfession sein wird. II. Vorlage für einen „Beschluß zur Frage nach dem Ertrag des Kirchenkampfes". Die in den Jahren des Kirchenkampfes gewonnenen Erkenntnisse, Erfahrungen und Entscheidungen sollten von der lutherischen Kirche in Gegenwart und Zukunft festgehalten werden. Die Gemeinsamkeit des Kampfes mit den anderen evangelischen Kirchen dürfe aber nicht als Einheit im Bekenntnis gedeutet werden. III. Vorlage für einen „Beschluß zur Frage nach der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKiD)". Die gemeinsame Verantwortung der

24

TH. WURM, Erinnerungen S. 191.

25

F Ü R A R B E I T UND BESINNUNG 2 , 1 9 4 8 , S . 4 0 5 .

Exemplar an die Kirchenkanzlei der E K D in Schwäbisch Gmünd (AEKD, 012 Bd. III). Friedrich Wilhelm Hopf (geb. 1910), 1936 Pfr. Mühlhausen/Oberfranken, 1951 Missionsinspektor und bis 1978 Leiter der Mission ev.-luth. Freikirchen Bleckmar. 26

Bayerisch-lutherische Opposition

307

drei evangelischen Kirchen verlange gemeinsames Handeln. Die einzige mögliche Form für diese Zusammenarbeit sei aber ein Kirchenbund. Um den Bundescharakter zu wahren, müsse die EKD drei Bedingungen erfüllen: der irreführende Name „Evangelische Kirche in Deutschland" müsse ersetzt werden durch „Bund der Evangelischen Kirchen in Deutschland"; der Bund müsse auf alle Organe verzichten, die allein einer bekenntnisgebundenen Kirche zustehen; der Bund habe allen angeschlossenen Kirchen volle Freiheit im Bekenntnis, Kultus und Kirchenregiment zu gewähren „sowie das Recht des Zusammenschlusses der Kirchen gleichen Bekenntnisses" und das Austrittsrecht. IV. Vorlage für einen „Beschluß zur Frage nach der Abendmahlsgemeinschaft". Hier wird eine ganz kompromißlose Haltung vertreten, nicht einmal gastweise Zulassung aus seelsorgerlichen Gründen ist vorgesehen, d. h. daß die Schwabacher mit ihren Forderungen hinter die Praxis zurückgehen wollen. V. Vorlage für einen „Beschluß über das Verhältnis zu den lutherischen Freikirchen". Die Landessynode wird aufgefordert, die Beteiligung der lutherischen Freikirchen an der VELKD zu ermöglichen und zu unterstützen. An den dann folgenden Revisionsvorschlägen des Lutherrates zu der Grundordnung der EKD und an den Gegenentwürfen des Lutherrates sind die Forderungen der bayerischen Opposition abzulesen; d. h. daß sich der Lutherrat zunehmend diesem Druck gebeugt hat und versucht hat, deren Position in der Grundordnungsdebatte durchzusetzen. Widerstand gegen diese Tendenz kam von den lutherischen Kirchen, die mit ihrem Beitritt zur VELKD bis zum letzten Moment zögerten und von den Synodalen in Eisenach, die einige lutherische Formulierungen ablehnten. Die lutherischen Freikirchen dagegen sahen schon allein die Diskussion um die EKD als bekenntniswidrig an und hoben deshalb die Kirchengemeinschaft mit den Kirchen des Lutherrates auf. Diesen Druck, der von zwei unterschiedlichen Seiten auf Meiser als dem Leiter des Lutherrates ausgeübt wurde, muß man in der Zeit nach Treysa II immer im Auge behalten, wenn man den Entscheidungen Meisers nachgeht und ihm gerecht werden will. Wurm sprach in Eisenach von den „Ultras" im lutherischen Lager, die eine Einigung unmöglich machen würden 2 7 . Aber eben diese Gruppen drohten, sich den lutherischen Freikirchen anzuschließen, die bereits die Kirchengemeinschaft mit den lutherischen Landeskirchen aufgekündigt hatten 28 . 27

28

EISENACH 1 9 4 8 , S. 5 8 .

Nachdem die 24. Generalsynode der Evgl.-Luth. Kirche im früheren Altpreußen grundsätzlich die Kirchengemeinschaft mit den Kirchen des Lutherrates aufgehoben hatte, trafen sich Vertreter des Lutherrates mit Vertretern der Freikirchen am 13. 4. 1948 in Berlin. Auf die Bitte des Lutherrates hin, mit endgültigen Beschlüssen zu warten, bis die

308

Antworten auf die Ubereinkunft von Treysa II

Pfarrer Hopf, der Vorsitzende des Schwabacher Konventes, bezichtigte nach Eisenach die bayerische Landessynode wegen ihres Beitritts zur EKD des „bekenntniswidrigen Handelns und Bruches der Kirchenverfassung" und forderte, daß alle Pfarrer und Gemeindemitglieder die Möglichkeit erhielten, sich unter eigener bekenntnisgebundener Leitung zusammenzuschließen. Mit Wirkung vom 18.Mai 1949 wurde Pfarrer Hopf durch eine Verordnung des ev.-luth. Landeskirchenrats in München in den Wartestand versetzt 29 . Offensichtlich war das Drohen und Liebäugeln mit Kirchenspaltung nach der Konstituierung der EKD und der VELKD nicht mehr opportun und wurde disziplinarisch bestraft.

Grundordnung verabschiedet sei, setzten die Freikirchen ihren Beschluß bis zu diesem Term i n aus (FÜR ARBEIT UND BESINNUNG 2 , 1 9 4 8 , S. 4 0 6 ) . 29

Vgl. JK 10, 1949, Sp. 555.

Kapitel 24 DIE AUSEINANDERSETZUNGEN UM DIE VERFASSUNGGEBENDE KIRCHENVERSAMMLUNG G R U N D S A T Z F R A G E N IM V O R F E L D D E R GRUNDORDNUNGSDEBATTE

Chronologische Übersicht In seinem Aufsatz „Eisenach 1948" aus dem Jahre 1954 1 stellte Peter Brunner fest, daß man zur rechten Beurteilung der Grundordnung wissen müsse, was in der Zeit zwischen November 1947 und Mai 1948 an Diskussionen um die Grundordnung stattgefunden habe, denn in dieser Zeitspanne seien die Änderungen am Verfassungsentwurf vorgenommen worden: „Wer die Entstehungsgeschichte der Eisenacher Grundordnung schreiben wollte, müßte vor allem die Vorgänge studieren, die sich in diesen fünf Monaten abgespielt haben. Die Veröffentlichung der Kirchenkanzlei,Eisenach 1948' bringt keine Dokumente aus dieser Zeit. Es ist aber dringend zu wünschen, daß die Niederschriften über die Verhandlungen dieser Monate, so weit sie sich auf die Entstehung der Grundordnung beziehen, zugänglich gemacht werden. Die Entstehungsgeschichte einer Verfassung wird stets ein wichtiges Hilfsmittel für ihre Interpretation sein." 2 Die von Brunner als entscheidend für die endgültige Konzeption der Grundordnung angenommene Periode umfaßt den Zeitraum von der Veröffentlichung des ersten Entwurfes einer Grundordnung nach dem Beschluß des Rates der E K D vom 19. November 1947 bis zur Entscheidung des Rates der E K D am 27. April 1948, die letzte vom Verfassungsausschuß empfohlene Fassung der Grundordnung der Kirchenversammlung in Eisenach vorzulegen. Brunner hat mit seiner These völlig recht, nur beginnt die Entstehungsgeschichte der Grundordnung im engeren Sinne bereits gleich nach Treysa II, d. h. mit der unterschiedlichen Interpretation der Treysaer Beschlüsse, mit der Ablehnung der von der Kirchenkanzlei vorgelegten Verordnung über das Zustandekommen einer verfassunggebenden Kirchenversammlung durch den Lutherrat, mit der gleichzeitigen Verbreitung der Denkschrift „Synode und Kirchenregiment" und mit den 1

ZevKR 3, 1954, S. 126 ff.

2

Ebd.

310

Auseinandersetzung um die verfassunggebende Kirchenversammlung

Verhandlungen zwischen dem lutherischen Mitglied des Verfassungsausschusses, Brunotte, und dem Lutherrat schon vor der Erstellung des ersten Entwurfs der Grundordnung. Und auch das „Gefälle", welches Brunner richtig mit einem Zitat von Hermann Ehlers als eine schrittweise Aufgabe von Einheitsmomenten in den Verfassungsentwürfen kennzeichnete 3 , war schon in den lutherischen Äußerungen zu Treysa I angelegt, um dann in den Voten zu der Frage nach der ordnungsgebenden Kirchenversammlung der E K D , die aber vor allem innerhalb der Lutherratskirchen verbreitet wurden, in aller Kraßheit aufzutreten, so kraß, daß ζ. B. für Württemberg nur eine totale Ablehnung dieser Position möglich war. Jedem Verfassungsentwurf setzte der Lutherrat Widerstand entgegen, und zwar einen Widerstand, der sich in seinen Grundlagen immer weiter von den Zusagen von Treysa II und damit auch von Treysa I entfernte. Bereits am 16. Oktober 1947 hatte der Lutherrat dem Entwurf I der Grundordnung gegenüber, der zu diesem Zeitpunkt nur einigen Gremien zur Vorberatung zugegangen war, schwere Bedenken geäußert. Auf der Lutherratstagung am 28. Januar 1948 in Darmstadt wurden diese Bedenken konkretisiert durch einen Katalog von Änderungsvorschlägen. Gleichzeitig beauftragte der Lutherrat eine Verfassungskommission damit, einen eigenen lutherischen Entwurf für eine Verfassung der E K D auszuarbeiten. Diese legte bereits im Februar den sogenannten „Berliner Entwurf" vor. Aufgrund der Änderungswünsche des Lutherrates und der Landeskirchen stellte der Verfassungsausschuß am 8./9. März 1948 den Entwurf II der Grundordnung her, der am 9. März vom Rat der E K D weitgehend gebilligt wurde. Am 11. März aber lehnte der Lutherrat diese Fassung völlig ab und legte seinerseits eine Neuformulierung vor. Der Verfassungsausschuß sah sich nun mit Recht in eine Sackgasse gedrängt, und der Rat der E K D befürwortete deswegen die Aussprache zwischen dem Verfassungsausschuß und den entscheidenden Gremien in Karlsruhe am 11. April 1948. Nach Karlsruhe empfahl der Verfassungsausschuß dem Rat der E K D einen überarbeiteten Entwurf II; dieser wurde dann vom Rat als Grundlage für die Beratungen in Eisenach verabschiedet und bekanntgegeben.

3 „Offenbar haben gerade in jenen Monaten die vorbereitenden Besprechungen der Grundordnung jenes Gefälle gegeben, das Oberkirchenrat D r . Ehlers in der Vorberatung am 9. 7. so kennzeichnete: ,Ein Gefälle, das dann und wann dahin ging, durch Formulierungen, durch Paragraphen oder Tatsachen das Bewußtsein der unter uns gewachsenen Einheit möglichst stark zurücktreten zu lassen!'" (ebd., S. 142).

Verordnung über die verfassunggebende Kirchenversammlung

Verordnung über die verfassunggebende Kirchenversammlung

311

der EKD

Das „Wort zur innerkirchlichen Lage" der Kirchenversammlung in Treysa 1947 wurde vom Rat der EKD und seiner Amtsstelle, der Kirchenkanzlei, als Grundlage dafür genommen, die von der Kirchenversammlung in Treysa 1945 aufgetragene Hauptaufgabe, die Schaffung einer endgültigen Ordnung der E K D , in Angriff zu nehmen. Auf seiner Sitzung gleich nach der Kirchenversammlung am 6. Juni 1947 beschloß der Rat, einen Verfassungsausschuß einzusetzen und Brunotte, Ehlers und Erik Wolf als Mitglieder in diesen Ausschuß zu berufen4. Die Kirchenkanzlei erarbeitete einen Entwurf für eine „Verordnung über die ordnungsgebende Kirchenversammlung der E K D " , der bereits am 19. Juni den Ratsmitgliedern zugeschickt werden konnte. In die gleiche Phase der Aktivität und des Optimismus fiel auch der Beschluß, die Kirchenversammlung noch im Dezember 1947 abzuhalten5. Am 22. Juli 1947 erging eine entsprechende Mitteilung der Kirchenkanzlei an die „Leitungen der deutschen evangelischen Landeskirchen" mit der Bitte, ihre Vertreter rechtzeitig von den Synoden wählen zu lassen6. Ende Juli war allerdings bereits abzusehen, daß der geplante Termin nicht würde eingehalten werden können, da vom Lutherrat wieder einmal grundsätzliche Bedenken gegen den Weg der E K D geltend gemacht wurden 7 , die sich an dem Entwurf der Kirchenkanzlei vom 19. Juni für eine Verordnung über die ordnungsgebende Kirchenversammlung entzündet hatten. Der Entwurf der Kirchenkanzlei8 umfaßt nur acht Paragraphen. § 1 gibt als Rechtsgrundlage für eine Kirchenversammlung die Bestimmungen der Konvention von Treysa 1945 an: „Gemäß Abschnitt II f der vorläufigen Ordnung von Treysa wird eine Kirchenversammlung gebildet mit der Aufgabe, über die Kirchenordnung der E K D zu beschließen." Auch die dann am 14. Januar 1948 vom Rat der E K D erlassene „Verordnung über das Zustandekommen einer Grundordnung der E K D " gründet sich auf diese Rechtsgrundlage. 4 Vgl. den Brief Schwarzhaupts an Niemöller vom 13. 6. 1947, in dem dieser auf Veranlassung von Asmussen über die Vorarbeiten zur Ordnung der E K D informiert wird: „Durch ein Telegramm vom 12. 6. wurden die Herren Professoren Erik Wolf, Oberlandeskirchenrat Brunotte und Hermann Ehlers gebeten, an der Vorbereitung einer Ordnung der E K D mitzuarbeiten . . . " (AEKD, 042). 5 „ I n Treysa wurde angefragt, ob die Anstalt im November oder Dezember eine Kirchenversammlung von etwa 150 Personen für etwa 3 Tage aufnehmen kann" (ebd.). 6

L K A STUTTGART, D

1/215.

Vgl. den Kommentar Weebers auf dem Exemplar der Mitteilung der Kirchenkanzlei vom 27. 7. 1947 an die württembergische Kirche: „Zudem scheint die Zeitangabe (oben) angesichts der Bedenken, die vom Lutherrat gegen die vorgesehene Ordnung neuerdings geltend gemacht werden, verfrüht" ( O K R STUTTGART, Reg. Gen. 115 b). 8 Ebd. 7

312

Auseinandersetzung um die verfassunggebende Kirchenversammlung

§ 2 regelt die Zusammensetzung der Kirchenversammlung: Rat der E K D , Vertreter der Kirchenleitungen (je 1), Synodale aus den Landeskirchen, vom Rat berufene Synodale (20). § 4 gibt den Schlüssel für die Verteilung der landeskirchlichen Synodalen an. Wichtig ist noch § 7, der die Frage der Bekenntniskonvente anschneidet und auf besonders heftige Kritik von Seiten des Lutherrates stieß. Er lautet: „ W o sich die Notwendigkeit ergibt, Fragen unter konfessionellen Gesichtspunkten zu entscheiden, wird die Kirchenversammlung entscheiden, in welcher Weise die Bekenntniskonvente zu beraten und zu beschließen haben." Am 18. Juni stellte Asmussen den Entwurf der Kirchenkanzlei in einer Besprechung mit dem Ratsvorsitzenden Wurm und seinem Stellvertreter Niemöller vor 9 . Daraufhin wurde dieser am 19. Juni von der Kanzlei an die Ratsmitglieder verschickt. Der Entwurf war nämlich als Grundlage gedacht für die Beratungen des Rates auf seiner nächsten Sitzung im August. Asmussen fügte aber in seinem Begleitschreiben hinzu: „Sollten die Herren bereits jetzt wesentliche Bedenken an diesem Entwurf geltend machen, bin ich gerne bereit, sie schon vorher in einem zweiten Entwurf zu verarbeiten." 10 Für die württembergische Kirche vermerkte Schlatter am 15. Juli auf einem Umlauf an die übrigen Kollegiumsmitglieder, daß er mit den „Grundlinien für eine ordnungsgebende Versammlung der E K D einverstanden sein könnte" 1 1 . Die Bedenken des Lutherrates waren aber so grundlegend, daß ap eine Umarbeitung des Entwurfes nicht gedacht werden konnte; vielmehr mußte der Entwurf gänzlich zurückgenommen werden.

Stellungnahme des Lutherrates zu dem

Entwurf12

Der Lutherrat verschickte am 22. Juli 1947 den Entwurf der Kirchenkanzlei an die dem Rat angeschlossenen Kirchen 13 . Beigefügt wurde eine „Stellungnahme", die Meiser in Auftrag gegeben hatte. Von den angeschlossenen Kirchen erwartete der Lutherrat eine Reaktion auf die „Stellungnahme" sowie Äußerungen zu den „rechtstechnischen Einzelheiten" des Kanzlei-Entwurfes, wie etwa „Zahl der Verteilung der ,Synodalen', Verhältnis von Geistlichen und Weltlichen usw." Weiterhin schlug der Lutherrat eine Zusammenkunft vor, weil die Fragen, die 9 Vgl. Brief Schwarzhaupt an Niemöller vom 13. 6. 1947 (vgl. oben Anm. 4); Schreiben der Kirchenkanzlei an die Ratsmitglieder vom 19. 6. 1947 ( O K R STUTTGART, Reg. Gen. 115 b). 1 0 Ebd. 1 1 Ebd. 1 2 Ebd. 1 3 Ebd.

Stellungnahme des Lutherrates

313

durch den Entwurf der Verordnung angeschnitten worden wären, „ v o n so grundsätzlicher Bedeutung" seien, daß eine mündliche Aussprache notwendig sei. Der Oberkirchenrat in Stuttgart erklärte sein Einverständnis, an einer solchen Tagung teilzunehmen. Gleichzeitig beschloß die württembergische Kirchenleitung, eine Kommission einzusetzen, „ i n welcher die Instruktion für die Vertreter Württembergs beim Lutherrat für die obige Frage erarbeitet werden soll" 1 4 . Die lutherische „Stellungnahme" geht aus von dem Ziel einer ordnungsgebenden Kirchenversammlung mit dem Ziel der Schaffung einer Ordnung der E K D „als eines Bundes bekenntnisbestimmter Kirchen". Diese schon bekannte lutherische Beschränkung auf einen Aspekt der Wesensbestimmung der E K D leitet die Argumentation des fünfseitigen Dokumentes. Daß aber in Treysa 1945 durch die Vorläufige Ordnung der Rat der E K D , und d. h. ein Organ der Gesamtkirche, den Auftrag erhalten hat, diese Ordnung zu schaffen, wird verschwiegen, ebenso wie die Feststellung der Kirchenversammlung von Treysa 1947, daß die E K D als Bund bekenntnisbestimmter Kirchen zugleich Ausdruck einer weitergehenden kirchlich gegründeten Einheit unter den deutschen evangelischen Kirchen sei 1 5 . Zu Beginn werden in der Denkschrift zwei verschiedene Wege dargestellt, auf denen ein Bund geschlossen werden könne, nämlich der föderalistische Weg, bei dem die künftigen Bundesglieder die konstituierenden Faktoren sind, und der unitarische Weg, bei dem ein Organ des Gesamtgebildes der konstituierende Faktor ist. Auf die E K D übertragen hieße das, daß beim ersten Weg die Landeskirchen die Grundordnung beschließen, beim zweiten Weg eine Kirchenversammlung bzw. eine Synode diese Funktion zugesprochen 14 Handschriftliche Bemerkung auf dem Exemplar des Briefes des Lutherrates vom 22. Juli an den O K R in Stuttgart (ebd.). 1 5 Smend äußerte sich in einem Brief vom 16. 8. 1947 an Meiser zu der „Stellungnahme", die dieser ihm „vertraulich" überlassen hatte. Smend kritisierte den Grundansatz der Stellungnahme, nämlich die streng alternative Auffassung von Kirche und Bund, die der kirchlichen Situation in Deutschland nicht angemessen sei: „ D i e Rechtslage, die 1945 geschaffen ist, ist mit einfachen Artbegriffen wie ,Bund' oder ,Kirche' nicht zu erfassen, so sehr das Element des Bundes darin aktuell, das der Kirche etwa im Visser't Hooftschen Sinne potentiell darin enthalten ist - zu dieser Verwicklung hinzu ist in der Bekennenden Kirche ein nicht leicht faßbarer Partner in die Konstellation der Träger des Ganzen eingetreten. Diese Elemente alle sorgfältig je zu ihrem Rechte kommen lassen, scheint mir die Aufgabe pflichtgemäßiger Treue gegen 1945 zu sein, und ich bin überzeugt, daß ruhige und gewissenhafte Verständigung hier zu einer auch für Sie befriedigenden Lösung führen wird. Allerdings muß dabei m. E. von einem gedanklichen Monismus wie dem der .Stellungnahme' abgegangen und das zum reinen Bunde Zusätzliche, das seit 1945 in großer Schwäche und Fragwürdigkeit und oft mit bedenklichen Prätensionen da ist, in seinen Grenzen sorgfältig geprüft und anerkannt werden" ( L K A NÜRNBERG, Meiser 122).

314

Auseinandersetzung um die verfassunggebende Kirchenversammlung

bekäme. Da .aber eine Kirchenversammlung souverän sei, Einheitstendenzen favorisiere und so die „partikularistischen Wünsche" einzelner Gruppen mißachte, würde die Kirchenversammlung der EKD mit Entscheidungsbefugnissen notwendig das unverbrüchliche Eigenrecht der Landeskirchen übergehen. Damit sei der zweite Weg für die EKD nicht gangbar. Möglich sei aber eine Mischung beider Wege, wenn deutlich werde, welchen Kräften die Führung zustehe. Zu vereinbaren mit dem föderalistischen Grundgedanken wäre z.B. „daß die Landeskirchen ihren Entwurf des Bundesvertrages einer verfassungs^eraieradera Kirchenversammlung vorlegen und deren Anträge bei dem endgültigen Abschluß des Verfassungswerkes berücksichtigen." In dem Entwurf der Kanzlei seien zwar föderalistische Elemente enthalten, aber das Entscheidungsrecht liege bei der Synode, in der die Vertreter der Kirchenleitungen nur als Abgeordnete integriert seien, dazu noch als unbedeutende Minderheit. Der Entwurf vertrete also lediglich einen „Schein-Föderalismus". Charakteristisch für ihn sei vielmehr ein „synodaler Monismus", was auch in der flüchtigen Behandlung der Frage nach den Bekennntniskonventen deutlich werde: „Der Grundirrtum der Verordnung ist nicht dadurch zu beheben, daß man an dem Verhältnis der regiminalen und synodalen Stimmen herumbessert, sondern daß man den Landeskirchen die Stellung von konstituierenden Faktoren des Bundes im Zusammenwirken mit einer beratenden Kirchenversammlung sichert." Abschließend ist das Ergebnis in drei Punkten zusammengefaßt: „1. Der Vorschlag, die Verfassung der EKD durch eine verfassunggebende Kirchenversammlung verabschieden zu lassen, ist mit der Stellung der Landeskirchen im Bund unvereinbar. 2. In Betracht kommen kann nur ein Zusammenwirken der Landeskirchen als konstituierende Faktoren mit einer beratenden Kirchenversammlung. 3. Der Entwurf einer ordnungsgebenden Kirchenversammlung kann nicht angenommen werden. a. Der Einbau der föderativen Vertretung in die Kirchenversammlung führt zu einer capitis deminutio der Landeskirchen und hat für den Bund wie für sie selbst sehr unerwünschte Folgen. b. Der Vorbehalt des Bekenntnisses und Kultus zugunsten der Landeskirchen ist in dem Entwurf nicht gesichert. c. Selbst der Name der Kirchenversammlung ist kirchengeschichtlich und rechtstechnisch mißverständlich und deshalb abzulehnen." Die gründliche Vorbereitung Württembergs für die Diskussion im Lutherrat ist einmal zu erklären aus der Opposition gegen diesen erneuten Versuch von Seiten der VELKD-Lutheraner, die Sache der EKD zu hindern, zum anderen aber auch aus der Sorge heraus um das

Stellungnahme des Lutherrates

315

Luthertum in Deutschland. Beide Motive gehen aus einer Aktennotiz hervor, in der Schlatter für die übrigen Kollegiumsmitglieder seine Gedanken zu der „Stellungnahme" kurz niederlegte: „Es fällt mir nicht leicht, nach kurzer Überlegung zu den von München vorgelegten Uberlegungen Stellung zu nehmen. Der unangenehme Gesamteindruck ist: Von lutherischer Seite weicht man hier grundsätzlich von dem in Treysa 1947 einmütig gefaßten Beschluß, der Rat der EKD solle eine Verfassung der EKD bearbeiten lassen und eine ordnungsgebende Kirchenversammlung einberufen. Man zieht sich zurück in einen Föderalismus, der sich die EKD nur als eine Konvention von Landeskirchen denken kann. Ich bin geneigt zu sagen: es mag im Einzelnen dieses und jenes richtig gesehen sein - die Gesamtlinie ist falsch. Dieser Föderalismus fällt zurück hinter das, was wir in Treysa 1945 wollten und was das Einigungswerk seit 1941 erprobte." Im weiteren stimmte Schlatter dem Votum des Lutherrates insofern zu, daß auch er in dem vorherrschenden bruderrätlich-reformierten Denken eine Gefahr für das Luthertum in Deutschland sah. Er schlug deshalb vor, von lutherischer Seite eine EKD-Verfassung zu entwerfen, deren Grundzüge er so skizzierte: „Ich denke mir als Organ der EKD eine deutsche Synode, in die die Synoden der Landeskirchen nach bestimmtem Schlüssel ihre Abgeordneten entsenden, und eine Kirchenleitung der EKD, an der die Leitungen der einzelnen Kirchen anteilmäßig beteiligt sind, vielleicht in der Form einer ,Bischofskonferenz', die etwa vierteljährlich zusammentritt, und einer Verwaltungsbehörde, über allem als leitender Mann einen lutherischen Bischof, der von Bischofskonferenz und Synode miteinander zu wählen wäre." 1 6 In einem Brief vom 28. Juli 1947 riet Brunotte Meiser, die Verordnung der Kirchenkanzlei auf keinen Fall Anfang August durch den Rat der EKD verabschieden zu lassen. Als Alternative schlug Brunotte einen eigenen „modus procedendi" für die Schaffung einer Ordnung der EKD vor, der dann vom Verfassungsausschuß auch so realisiert wurde. Brunottes Vorschlag lautete: Der Verfassungsausschuß legt dem Rat der EKD einen Verfassungsentwurf vor, den dieser, wenn er ihn in Grundzügen zu billigen vermag, den „hauptsächlichsten kirchenpolitischen Beteiligten" vorlegt, „also: Lutherrat, Reichsbruderrat, Reformiertes] Moderamen." Läßt sich in diesen Gruppen ein allgemeiner Konsens erzielen, dann geht der Entwurf offiziell zu den Landeskirchen, nicht zu den Synoden. „Ergibt sich aus dem allen die Möglichkeit einer Ubereinkunft, dann erst kann man die verfassunggebende Kirchenversammlung der E K D einberufen. Sie darf nur eine sanktionierende Bedeutung haben." Brunotte fügt aber hinzu, „daß als Stelle, die die Verfassung 16

O K R STUTTGART, R e g . G e n . 115 b .

316

Auseinandersetzung um die verfassunggebende Kirchenversammlung

beschließt, wirklich nur eine Kirchenversammlung der EKD in Betracht kommt. Ein erneuter Pakt der Landeskirchen kommt nach meinem Urteil (gegen Herrn Gehfeim] Rat Kotte!) nicht in Frage. Wir haben seit Treysa 1945 eine EKD; und diese hat eine (vorläufige) Ordnung und ein (vorläufiges) Organ, den Rat der EKD, der nach Treysa 1945, III f. den Auftrag hat, eine endgültige Ordnung vorzubereiten" 17 . Wie die am 14. Januar 1948 vom Rat der EKD erlassene „Verordnung über das Zustandekommen einer Grundordnung der E K D " zeigt, konnte sich Brunotte mit seinem Konzept durchsetzen. Der Lutherrat akzeptierte eine Kirchenversammlung, nachdem die entsprechenden Sicherungen eingebaut worden waren, wie ζ. B. in § 8 eine genaue Regelung zur Frage der Bekenntniskonvente und in § 9 die Bestimmung, daß der Rat der EKD den Entwurf einer Grundordnung erst nach der Fühlungnahme mit den Leitungen der Gliedkirchen der Kirchenversammlung vorlegen könne 18 . Damit hat sich der Lutherrat in seiner einseitigen Ausrichtung auf einen „Bund von Landeskirchen" nicht behaupten können. Er mußte stattdessen die Grundlagen von Treysa 1945 und Treysa 1947 anerkennen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, daß die Kirchenversammlung in Eisenach tatsächlich noch Entscheidungen fällen konnte, und zwar in den Fällen, in denen zwischen dem Verfassungsausschuß und dem Lutherrat keine Einigung erzielt werden konnte, d. h. in durchaus wesentlichen Fragen.

Die Denkschrift,,Synode

und

Kirchenregiment"

Gleichzeitig mit der „Stellungnahme" zu dem Entwurf einer Verordnung über die ordnungsgebende Kirchenversammlung der Kirchenkanzlei verschickte der Lutherrat am 21. Juli eine Denkschrift zu dem Thema „Synode und Kirchenregiment" an die ihm angeschlossenen Kirchen. „Von sachkundiger Seite haben wir Ausführungen zur Frage ,Synode und Kirchenregiment' erhalten, die uns heute, wo die Diskussion in verstärktem Maße um die Verfassung der EKD und zunächst vor allem um den Ordnungsentwurf für eine verfassunggebende Kirchenversammlung geht, von grundsätzlicher Bedeutung zu sein scheint." So formu-

17

L K A NÜRNBERG, Meiser 1 2 2 .

Erich Kotte (1886-1961), 1920 jur. Mitarbeiter im Landeskonsistorium und 1945-1957 Leiter des LKAmtes Dresden, 1948 Mitglied der Kirchenleitung der VELKD. 1 8 KJ 1945-1948, S. 91 ff.

Denkschrift „ S y n o d e und Kirchenregiment"

317

lierte Meiser in seinem Begleitbrief 19 . Der Verfasser dieser Denkschrift bleibt ungenannt. Bereits am 29. Juli äußerte sich Schlatter als Sachbearbeiter für Lutherratsfragen zu der Denkschrift und machte Vorschläge für eine angemessene Reaktion des Oberkirchenrats: „Bei erster Prüfung der vom Lutherrat übersandten Denkschrift , Synode und Kirchenregiment' scheinen mir die Ausführungen sehr unglücklich zu sein; ich bin versucht, das böse Wort reaktionär zu gebrauchen. Schade, daß nach der Erklärung des Lutherrates, die in Treysa die Lage entspannte und rettete, dieser Ton hörbar wird." 2 0 Schlatter Schloß sich dann dem Vorschlag von Oberkirchenrat Weeber an, die Denkschrift der „Theologischen Kammer" zur Prüfung zu übergeben. Die Mitglieder der Theologischen Kammer der württembergischen Kirche 21 wurden für den 11. September 1947 nach Stuttgart eingeladen. Professor Köberle, Tübingen, und Fausel, der Ephorus von Maulbronn, wurden um einleitende Referate gebeten. Der Inhalt der Denkschrift sei folgendermaßen wiedergegeben: „Die Bekenntnisschriften der lutherischen Kirche kennen im Leben einer christlichen Gemeinde zwei Bereiche, die sie mit großer Schärfe voneinander scheiden. Beide haben verschiedene Aufgaben und sehr verschiedene Rechtsqualität", so lautet der erste Satz der Denkschrift. Im ersten Bereich herrsche göttliches Recht, er umfasse die Kirche als die „rein geistliche Gemeinschaft", deren einer Ausschnitt das Amt sei, d. h. nach der Terminologie der Bekenntnisschriften das Kirchenregiment. Der zweite Bereich sei auf die Ordnung des Gemeindelebens zu beziehen. Er sei menschlichem Rechtsdenken und damit der Zweckmäßigkeit verpflichtet, und er sei auf das Amt, auf das Kirchenregiment, auf die göttliche Rechtssetzung also nur insofern zu beziehen, als die Ordnung der Gemeinde die freie Ausübung des Amtes ermöglichen müsse. Eine Synode sei dem zweiten Bereich zuzurechnen; dadurch sei ihre Funktion und ihre Kompetenz hinreichend charakterisiert: a. In Lehrfragen würden die „Diener am Wort" entscheiden, die „übrigen Mitglieder der Synode bezeugen ihrerseits die Schriftgemäßheit jener Entscheidung des Lehramts." b. In Bezug auf die äußere Ordnung der Kirche sei die Trennung zwischen Lehramt und Laien nicht so streng zu ziehen, und die Synode könne als ein „Hilfsorgan der christlichen Gemeinde zur Ausübung ihres Satzungswillens" bezeichnet werden. Vom 30. September 1947 stammt die von Wurm unterzeichnete 15

O K R STUTTGART, R e g . G e n . 1 1 5 b .

Ebd. Prof. Thielicke, Tübingen; Dekan Dipper, Nürtingen; Lamparter, Mittelstadt; Fausel; Köberle; O K R Metzger; O K R Weeber; Prälat Lempp; Prälat Haug; Prälat Schlatter. 20 21

318

Auseinandersetzung um die verfassunggebende Kirchenversammlung

„Antwort des Ev. Oberkirchenrats im Stuttgart auf das vom Rat der ev. lutherischen Kirche am 21. Juli 1947 versandte V o t u m " 2 2 . Sie ist in zwei Hauptabschnitte gegliedert, nämlich einmal eine Kritik am Votum vom Neuen Testament (I), zum anderen von den lutherischen Bekenntnisschriften her (II). Zu I.: „ D a s Votum überrascht durch den vollständigen Verzicht auf die neutestamentliche Begründung. Es ist ein in der lutherischen Kirche nicht zu rechtfertigender Vorgang, bei der norma normata stehen zu bleiben und aus dem Buchstaben der Bekenntnisschriften eine Satzung abzuleiten, die begründende Gewalt in der Kirche haben soll. Die Vergewisserung über die norma normans hätte es verhindern können, daß den Aussagen der lutherischen Bekenntnisschriften eine Deutung gegeben wurde, die zwar an einzelne gelegentlich vorkommende Randbegriffe anknüpft, die eigentliche Meinung der Bekenntnisschriften aber verkennt und ein schon vorher feststehendes Ergebnis in sie hineinliest." Dies der einleitende Satz der württembergischen Antwort. Vom neu testamentlichen Befund her wird dem Votum folgender Sachverhalt entgegengehalten: Die Gemeinde und die Kirche würden in ihrer Gesamtheit von Christus regiert durch sein Wort. „ N e b e n dieser Vorordnung des Wortes gegenüber allen Instanzen als der eigentlich kirchenregimentlichen Gewalt ist im Neuen Testament die Unterscheidung zwischen Gliedern der Gemeinde, denen ein Amt nicht übertragen ist, und Gliedern der Gemeinde, die ein solches Amt haben, sekundär." Zwar gebe es die Gliederung der Gemeinde von Anfang an, aber sie sei eine Gliederung in Dienste. Kein Amt begründe eine Herrschaft über die anderen: „ A n diesem Sachverhalt ändert sich auch unter der Herrschaft des erhöhten Herrn nichts: Die Gemeinde bleibt als ganze hörende Gemeinde, und sie ruft einzelne zum Dienst." Zu II.: „ E s ist von vorherein anzunehmen, daß die lutherischen Bekenntnisschriften sich diesem doppelten neutestamentlichen Tatbestand nicht, wie man vom Inhalt des Votums aus vermuten könnte, entzogen haben, sondern die Linie des Neuen Testamentes in der Gefolgschaft Luthers eingehalten haben und, sofern irgendwo ein einzelner Wortlaut zweifelhaft sein könnte, von dorther ausgelegt werden müssen. Diese Annahme bestätigt sich durch die Einzeluntersuchung der Bekenntnisschriften." Ergebnis solcher Einzeluntersuchungen sei, daß in den Bekenntnisschriften die „ T r e u e " zu der Vorordnung des Wortes durchgängig erhalten sei. „ G e h o r s a m gegen das mandatum des Wortes" verpflichte sowohl die Gemeinde als Ganze als auch ein Generalkonzil als Ganzes und zwar sowohl in Fragen der Lehre als auch in Fragen der Ordnung. 22

O K R STUTTGART, R e g . G e n . 115 b .

Auftrag an den Verfassungsausschuß der EKD

319

„Das Votum, das vom Rat der ev. lutherischen Kirche vorgelegt wurde, verzeichnet aber den oben geschilderten Sachverhalt reformatorischen Denkens in den Bekenntnisschriften in entscheidender Weise an 3 Stellen." 1. „Zwischen das Wort und die dem Wort hörige Gesamt-Gemeinde (einschließlich ihrer berufenen Amtsträger) wird als Hypostase der Begriff des jus divinum geschoben, der in den Bekenntnisschriften zwar in der Auseinandersetzung mit dem Gegner am Rande auftaucht, dabei aber in Wirklichkeit in seinem genuinen scholastischen Sinn umgedeutet und entmächtigt ist." 2. „Ganz unmöglich ist es, die scholastische Unterscheidung zwischen jus divinum und jus humanum so, wie das Votum es tut, auf das Verhältnis von Kirchenregiment und Synode zu übertragen . . . Es geht nicht an, aus dem ,Kirchenregiment', zu dem die ganze Gemeinde berufen ist, das Privileg eines ordo zu machen, der nach der Meinung des Votums im Unterschied von der ihn berufenden Gemeinde göttlichen Rechts sein soll." 3. Amt und Synode seien beide Hilfsorgane der Gemeinde und zwar in Bezug auf die Lehre und die Ordnungen, „denn beide unterstehen in beiden Bereichen dem einen Christuswort." Die Antwort schließt mit der Feststellung: .„Gemeinde' und ,Amt' dürfen nicht als selbständige Größen einander gegenüber gestellt werden; beide sind nur Teile der Gesamtgemeinde, über die Christus selbst mit seinem Worte regiert, und dieses Wortes Herr ist weder die Synode noch das Amt, sondern Synode und Amt sind beide für die Kirchenleitung in inneren und äußeren Dingen dem einen Herrn verantwortlich."

Der Auftrag an den Verfassungsausschuß

der EKD

Auf der Tagesordnung der Sitzung des Rates der E K D am 5./6. August 1947 in Frankfurt stand als Punkt 1: Ordnung der E K D und Kirchenversammlung. Die Niederschrift über die Ratssitzung ist sehr spärlich. Sie vermerkt zum 1. Tagesordnungspunkt lediglich, daß Präsident Asmussen über den Stand der Bemühungen um eine Verfassung der E K D berichtet habe 2 3 . Was etwa der Inhalt des Berichtes gewesen sein könnte, läßt sich aus einem Brief ablesen, den Asmussen am 1. August 1947 zur Vorbereitung für die Ratssitzung am 5./6. August als „vertrauliche" Information wohl für die Ratsmitglieder 24 verfaßte. Asmussen 23 24

A E K D , 046. A E K D , 00 Bd II (Entwurf des Briefes ohne Briefkopf).

320

Auseinandersetzung um die verfassunggebende Kirchenversammlung

macht in diesem Schreiben auf vier Entwicklungsmöglichkeiten innerhalb der EKD aufmerksam, „die sich am Horizont abzeichnen": 1. das lutherische Geltendmachen des Amtes; 2. Kongregationalismus beim Bruderrat, bei Barth und der Sozietät. Da die oben genannten Tendenzen in Widerspruch zueinander stünden, liege hier viel Konfliktpotential; 3. Weltkirchenkonferenz in Amsterdam mit der anstehenden Entscheidung über die Mitgliedschaft von Kirchen nach konfessionellen oder nach geographischen Gesichtspunkten; 4. Verhältnis Detmolder Kreis-VELKD. Der Rat der EKD beschloß in Frankfurt, daß der Verfassungsausschuß der EKD nicht nur eine Verfassung zu erarbeiten habe, sondern ebenfalls einen Entwurf für eine Verordnung über die Zusammensetzung und die Zuständigkeiten einer verfassunggebenden Kirchenversammlung 25 . Auf der 1. Sitzung des Verfassungsausschusses der EKD am 27. bis zum 29. August in Frankfurt, an der als Vertreter der Kirchenkanzlei Frau Schwarzhaupt und Oberkirchenrat Benn (Kirchenkanzlei Ost) 2 6 teilnahmen, wurde bereits dieser Entwurf für eine Verordnung fertiggestellt und dem Rat übergeben. Dieser leitete ihn zur Stellungnahme an die Landes- und Provinzialkirchen sowie an den Bruderrat weiter. Am 14. Januar 1948 wurde die Verordnung durch den Rat erlassen und im Amtsblatt vom 1. Februar 1948 veröffentlicht 27 . Daß der Ratsbeschluß, dem Verfassungsausschuß auch die Verantwortung für die Erstellung der Verordnung zu übertragen, nicht leicht war, - bedeutete er doch eine beträchtliche Verzögerung der gesamten Prozedur - zeigt Wurms Bemerkung in einem Brief an Heinemann vom 30. August 1947: „Ich gestehe, daß ich nach der letzten Sitzung des Rates recht mutlos war. Meiser hat wieder einmal Prügel in den Weg geworfen. Aber man darf ihn nicht allein beschuldigen. Ich habe immer das Gefühl, es müßte noch einmal zu einer gründlichen Aussprache auch über das Vergangene kommen; es sind da auf beiden Seiten unerledigte Reste zurückgeblieben . . ." 2 8 Die Verordnung über das Zustandekommen einer Grundordnung der Evangelischen Kirche in Deutschland vom 14. Januar 1948, im Verlauf deren Vorgeschichte eine so ausgedehnte und prinzipielle Kontroverse zwischen dem Lutherrat und der württembergischen Landeskirche und 25

26

L K A STUTTGART, D

1/215.

Ernst Viktor Benn (geb. 1898), Dr. jur., 1930 KonsRat beim E O K Berlin, 1934 O K R im Reichskirchenausschuß der D E K , 1936 OKonsRat und Mitglied des E O K Berlin, 1951 Leiter der Kirchenkanzlei der E K D (Berliner Stelle), 1952 Präsident des LKAmtes Hannover. 27 KJ 1945-1948, S. 91-94. 28 Abschrift (LKA STUTTGART, D 1/215).

Auftrag an den Verfassungsausschuß der EKD

321

damit der wichtigsten Stimme für eine einige E K D stattgefunden hat, unterscheidet sich von dem Kanzleientwurf vor allem durch die § 8 und

29

Vgl. oben S. 316.

Kapitel 25 DER ENTWURF I DER G R U N D O R D N U N G VOM 29. AUGUST 1947 BZW. 21. SEPTEMBER 1947

Methodische

Vorentscheidungen

des

Verfassungsausschusses

Der Verfassungsausschuß tagte zum ersten Mal vom 27. bis zum 29. August in Frankfurt. Anwesend waren die vom Rat berufenen Mitglieder Erik Wolf, Ehlers und Brunotte; außerdem Schwarzhaupt und Benn als Referenten der Kirchenkanzlei. Vor diesem ersten Zusammentritt hatten die Verfassungsausschußmitglieder sich untereinander bereits schriftlich verständigt, indem sie ihre jeweiligen Verfassungsentwürfe austauschten. Ehlers hatte keinen eigenen Entwurf erarbeitet, da er sich mit dem Entwurf des Bruderrates identifizieren konnte. Brunotte und Wolf hatten eigene Entwürfe mit ausführlichen Kommentaren vorgelegt1. Eine grundlegende Diskussion über die vorliegenden Entwürfe ergab, daß man bei der Grundordnung der EKD davon absehen müsse, „die EKD konsequent nach reformierten bzw. lutherischen Gesichtspunkten zu ordnen." Da eine eindeutige bekenntnisbestimmte Verfassungsform auf die EKD nicht anwendbar sei, müsse man sich darauf beschränken, „der EKD die Ordnungen und die Organe zu geben, die sich zur Erfüllung des Zweckes der EKD als am Geeignetsten erwiesen" 2 . Daher beschloß der Verfassungsausschuß während seiner ersten Sitzungsperiode in Frankfurt, bei allen weiteren Beratungen den Entwurf des Bruderrates zugrunde zu legen, da dieser dem obigen Grundsatz am meisten entsprach. Der Verzicht, die Grundordnung nach einem durchgehenden bekenntnisbestimmten Prinzip zu ordnen, verdeckt kaum die Notlage des Verfassungsausschusses, eine EKD „ordnen" zu sollen, über deren Wesen, Realität oder Zweck keine Einigkeit bestand. Erik Wolf hatte in seinen Ausführungen in Treysa am 5. Juni 1947 abends in seinen Gedanken zu einer Verfassung der EKD klar die 1 Exemplar des Entwurfes von Wolf mit Begründung, verfaßt für die Beratungen im Verfassungsausschuß (AEKD, 00 Bd. II). Vgl. auch die Charakterisierung des Entwurfes durch H . BRUNOTTE (Grundordnung, S. 55-59). 2 Ebd., S. 59; vgl. auch die methodischen Vorbemerkungen Brunottes, die vom Verfassungsausschuß weitgehend akzeptiert worden sind (ebd., S. 53-54).

Brunottes Entwurf in der Beurteilung durch den Lutherrat

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Alternativen aufgewiesen: „Entweder glaubt man an die Realität der E K D , dann ist daraus eine eigenständige Ordnungsidee zu entwickeln oder man tut es eben nicht, dann gibt es nur eine Verwaltungsgemeinschaft . . . " 3 Daß das Letztere eindeutig das Ziel des Lutherrates war, hatte Brunotte gerade vor der Sitzung des Verfassungsausschusses bei einer Besprechung in München erfahren. Trotz dieser Situation, die einer geistlichen Bankrotterklärung gleichkam, hat sich der Verfassungsausschuß redlich bemüht, in die „Zweckgemeinschaft E K D " doch einige Aspekte einer echten Kirchengemeinschaft einzubringen. Diese wurden dann allerdings nach und nach aus der Grundordnung getilgt. Brunottes Entwurf für eine Grundordnung der EKD in der durch den Lutherrat

Beurteilung

Obwohl Brunottes Entwurf offiziell nicht in die Arbeit des Verfassungsausschusses eingegangen ist, ist die kurze Erörterung seiner Grundlinien und der Reaktion darauf von seiten des Lutherrates an dieser Stelle angebracht, da unterschiedliche lutherische Positionen deutlich werden: in diesem Fall zwischen dem Vertreter des Lutherrates im Verfassungsausschuß und dem Vorsitzenden des Lutherrates. Aus einem Brief Brunottes an Meiser vom 28. Juli 1947 und aus einem Protokoll über eine Besprechung in München bei Meiser am 22. August 1947 geht hervor, welche Absichten und Ziele Brunotte mit seinem Entwurf hatte. Brunotte teilte Meiser mit: „Meinen Urlaub habe ich dazu benutzt, für den Ausschuß der E K D . . . meinerseits einen Verfassungsentwurf der E K D auszuarbeiten . . . Ich habe mich in meinem Entwurf an den 3 Der größere Zusammenhang lautet: „ S o wenig die E K D ein Mischmasch aus Elementen aller Bekenntnisse ist, sondern eine eigene geistliche Wirklichkeit, so wenig läßt sich ihre Ordnung durch ein Verkoppeln historisch gewachsener Kirchenrechtssysteme herstellen. Wenn man den Versuch macht, lutherischen Episkopalismus, reformierten Synodalismus und landeskirchlichen Konsistorialismus sorgfältig zu mischen, damit jeder gleichsam ein vertrautes Stück Heimatkirche in der E K D wiederfindet, gibt es ein Nebeneinander, das später einmal zum Gegeneinander werden muß. Ich bin deshalb nicht für eine Verbindung von .synodaler' Kirchenversammlung, .episkopaler' Struktur des Rates und ,konsistorialer' Kirchenleiter-Konferenz. Im Grunde wäre dieser Trialismus nur neuer Ausdruck der säkularen Gewaltenteilungsidee, die doch nur sinnvoll als Funktionsverteilung ist. Hier dünkt mich die klare Entscheidung unumgänglich: entweder glaubt man an die Realität der E K D , dann ist daraus eine eigenständige Ordnungsidee zu entwickeln oder man tut es eben nicht, dann gibt es nur eine Verwaltungsgemeinschaft nach dem Sprichwort: ein Schelm gibt mehr, als er hat. Freilich ist dieser Glaube an die Realität der E K D und die Möglichkeit einer echten Ordnung dieser unserer Kirche nur dort möglich, wo sie eine wahre Gemeinschaft Christi ist. Das ist sie aber nicht nur als Wortgemeinschaft und Taufgemeinschaft, sondern auch als Abendmahlsgemeinschaft. Ohne diese ist keine Kirchenordnung denkbar, denn auf ihr muß sie aufgebaut werden" ( A E K D , 042 Beiheft 2).

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äußeren Aufriß des Reichsbruderrates angeschlossen und hier und da Formulierungen übernommen. Im übrigen habe ich zwei Dinge unternommen: 1. Ich habe entschlossen die bekenntnismäßige Gliederung des ,Bundes' durchgeführt, auf der Grundlage der Liermann'schen Thesen, die ich Ihrer Freundlichkeit verdanke; Glieder der EKD sind Kirchen, nicht Gemeinden oder einzelne Christen. 2. Ich habe versucht, bis ins Einzelne hinein die Befugnisse der EKD und der bekenntnisgebundenen Gliedkirchen (bzw. ihrer Zusammenschlüsse) gegeneinander abzugrenzen, unter Aufzählung konkreter Einzelpunkte . . . Ich glaube, den Versuch eines eigenen Entwurfes deswegen einmal machen zu sollen, weil man a. bestimmte Probleme nur klar bekommt, wenn man ihre Durchführung bis ins Einzelne praktisch versucht, und weil wir b. im Nachteil sind, wenn die Anderen Entwürfe haben, die alle Welt diskutieren kann, wir aber nichts haben, sondern immer nur Nein zu dem bisher Vorgelegten sagen können." Brunotte versicherte, daß er sich bemüht habe, eine Lösung ,,im luth[erischen] Sinne" anzustreben. Dennoch hielte er eine Prüfung seines Entwurfes, „ o b er den Linien des Luth[er] Rates entspricht - was ich glauben möchte! - " , vor der Bekanntgabe im Verfassungsausschuß für erwünscht 4 . Die oben erwähnte Zusammenkunft bei Meiser am 22. August war eine Vorbesprechung zu der Besprechung mit Brunotte, die für den 25. August angesetzt war; sie sollte ein klares Urteil über Brunottes Verfassungsentwurf ergeben. Außer Meiser waren die Oberkirchenräte Bezzel und Riedel, Bankdirektor D. Dr. Wilhelm Eichhorn (Präsident der Landessynode), Prof. Heckel, Pfarrer Katterfeld und Oberkirchenanwalt Dr. Vischer anwesend 5 . Heckel referierte über die vorherrschenden Tendenzen in den vorliegenden Verfassungsentwürfen für die EKD, wobei er Brunottes Entwurf grundsätzlich ablehnte und einen eigenen Entwurf vorstellte. Heckel führte im einzelnen aus: ,,Ιη Treysa 1947 ist die EKiD klar als Bund von bekenntnisbestimmten Kirchen deklariert worden. Trotzdem erleben wir auch heute noch zwei Richtungen, in denen sich die Versuche zur Ordnung der EKiD bewegen: 1. man kann die EKiD von den Landeskirchen her ordnen; 2. man kann sie von den Gemeinden her als eine Kongregationskirche ordnen (vgl. Vortrag von Karl Barth vor dem 4

LKA NÜRNBERG, Meiser 121. Otto Bezzel (1893-1967), 1935 Pfr. Augsburg, 1937 Kreisdekan des Kirchenkreises Bayreuth und O K R , 1947 O K R München und Vertreter des Landesbischofs. Hagen Katterfeld (1916-1964), 1945 Stadtvikar Nürnberg, 1947 Hilfsreferent Landeskirchenrat München, 1948 Leiter des Sekretariats des Leitenden Bischofs der VELKD. Heinrich Riedel (geb. 1903), 1943 Dekan Kulmbach, 1947-1972 O K R München, 1955-1967 Mitglied des Rates der EKD. Gustav Adolf Vischer (geb. 1899), Dr. jur., 1947 Oberkirchenanwalt, 1950-1967 O K R München. 5

Brunottes Entwurf in der Beurteilung durch den Lutherrat

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Reichsbruderrat). In dieser Richtung bewegen sich die Verfassungsentwürfe a. des Reichsbruderrates und b. in nicht so krasser Weise von Prof. D r . jur. Feine. Als vermittelnd zwischen den beiden Richtungen stellt sich der Entwurf Brunotte dar, der . . . die konfessionelle Gliederung der E K i D konsequent zu wahren versucht, der aber doch der unitarischen Einheitskirche große Konzessionen macht." 6 Konkret wird an dem Entwurf Brunottes bemängelt, daß er die Bekenntnisfrage nicht konsequent durchziehe und deswegen ζ. B. nirgends ein „kirchliches Widerstandsrecht der Landeskirchen" vorsehe: „ E i n solches ist einfach aus Glaubensgründen zu fordern als Möglichkeit der Demonstration, der Renitenz und schließlich auch des Austritts. Einen unlösbaren Bund kann es nicht geben, wenn es um Bekenntnisfragen geht." Bemängelt wird weiter Brunottes unklarer Sprachgebrauch von „ K i r che", sein Hinweis auf die Barmer Theologische Erklärung und das Ubergewicht an gesamtkirchlichen Organen und Kompetenzen. Das Ergebnis der Aussprache gibt das Protokoll in der Zusammenfassung Meisers wieder: „ 1 . Der Verfassungsentwurf von O L K R Brunotte entspricht nicht den Forderungen, die an eine Verfassung einer Bundeskirche zu stellen sind, auch aus allerlei durch Prof. Heckel hervorgehobenen formalen Gründen ist sie als nicht glücklich zu bezeichnen. 2. Es wäre daher geraten, daß Brunotte seinen Entwurf auf der Sitzung des Verfassungsausschusses in Frankfurt gar nicht vorlegen würde; in diese Richtung müßten also die Bemühungen in der Montagsbesprechung gehen 7 . 3. Schließlich müßte ein luth[erischer] Verfassungsausschuß gebildet werden, der einen Verfassungsentwurf vorlegen müßte, um endlich auch die lutherischen Gedanken über die E K D verfassungsmäßig herauszustellen." Die unter 3. erhobene Forderung zeigt, daß der Entwurf, den Heckel vorlegte, in diesem Gremium als noch nicht genügend angesehen wurde. Immerhin wird aber im Protokoll auf bestimmte Artikel des HeckelEntwurfes verwiesen, die vorbildlichen Charakter hätten. Diese betreffen einmal das Austrittsrecht der Landeskirchen, zum anderen die überall eingebauten Klauseln zur Wahrung von landeskirchlicher Selbständigkeit und landeskirchlichem Recht. So wird ζ. B. der Artikel 6, Abschnitt 4 im Entwurf Heckeis als die Hauptbestimmung des Entwurfes hervorgehoben. Dieser Artikel 6 enthält Bestimmungen über den Rat L K A NÜRNBERG, Meiser 121. Aus den Unterlagen ist nicht ersichtlich, ob H . BRUNOTTE sich an diese Empfehlung gehalten hat. Nach seiner eigenen Darstellung ist sein Entwurf vom Verfassungsausschuß beraten worden, dann aber wegen seiner Ausführlichkeit abgelehnt worden (Grundordnung, S. 60). 6 7

326

Entfwurf I der Grundordnung vom 29. 8. bzw. 21. 9. 1947

der E K D , der zur Hälfte von den Kirchenleitungen nach konfessionellem Schlüssel besetzt werden sollte; Abschnitt 4 regelt die Beschlußfassung des Rates. Dazu heißt es unter anderem: „Vorlagen, welche die Verfassung oder in deren Rahmen die Rechtsstellung der Landeskirchen in der E K D zu ändern geeignet sind, sind nur auf einmütigen Antrag der Vertreter der Kirchenleitungen zu behandeln." 8

Die Erstellung des ersten

Grundordnungsentwurfes

Der Entwurf, der vom Verfassungsausschuß auf seiner ersten Sitzung in Frankfurt erarbeitet worden war, wurde auf der zweiten Sitzung in Berlin am 21. September noch einmal beraten. Diese Sitzung fand in der Wohnung von Oberkirchenrat Benn statt, der auch die Änderungswünsche Erik Wolfs vortrug, der an der Sitzung nicht teilnehmen konnte. Es wurde eine Vorlage für den Rat der E K D beschlossen, die in 30 Exemplaren hergestellt wurde und bis zur Bekanntgabe durch den Rat streng vertraulich behandelt werden sollte 9 . Der Verfassungsausschß schlug sogar vor, vor dem Rat der E K D den Lutherrat und den Bruderrat mit der Vorlage vertraut zu machen. Diesen Vorschlag teilte Asmussen am 22. September 1947 in einem Schreiben allen Ratsmitgliedern mit. Seiner Meinung nach spräche gegen diesen Vorschlag, daß der Rat sich damit selbst entmündigt, dafür allerdings, daß im Lutherrat und im Bruderrat mächtige Gruppen vertreten seien 10 . Da die Mehrheit der Ratsmitglieder mit dem Vorschlag des Verfassungsausschusses einverstanden war, wurde so verfahren. Bereits am 8. September 1947 hatte die Kirchenkanzlei durch Rundschreiben alle Kirchenleitungen davon benachrichtigt, daß der Verfassungsausschuß sich bereits über den Inhalt einer Verfassung grundsätzlich geeinigt habe, ebenso über das Zustandekommen dieser Verfassung. Da die Landeskirchen an beiden Entscheidungsprozessen beteiligt werden sollten, werde die Kirchenversammlung nicht vor April 1948 stattfinden können 1 1 . 8

L K A NÜRNBERG, M e i s e r 122.

9

Kurzer Bericht über die Sitzung (AEKD, 00 Bd. II). H . BRUNOTTE, Grundordnung, S. 60: „Das Ergebnis der Sitzung vom 27.-29. August 1947 war ein erster vorläufiger Arbeitsentwurf des Verfassungsausschusses, der den Mitgliedern und Referenten, die in Frankfurt teilgenommen hatten, zur nochmaligen stilistischen und sachlichen Überprüfung zuging. Eine ausführlichere schriftliche Kritik an der Arbeit von Frankfurt übten besonders die Herren Benn und Brunotte, ohne an der Grundkonzeption des ersten Entwurfes viel zu ändern. Es kam im wesentlichen auf einen Ausgleich von noch vorhandenen Unebenheiten hinaus." 10 A E K D , 00 Bd. II. 11

L K A STUTTGART, D

1/215.

Exkurs: Entwürfe für eine Verfassung der E K D

327

Mit einem offiziellen Schreiben vom 23. September an die Kirchenkanzlei übergaben die Mitglieder des Verfassungsausschusses ihren Entwurf für eine Grundordnung der E K D den Ratsmitgliedern. Gleichzeitig erklärten sie sich bereit, vor dem Rat den Entwurf zu erläutern 12 . Aus einem Brief Wurms an die Ratsmitglieder vom 2. Oktober 1947 geht hervor, daß Benn als Berichterstatter bei der nächsten Ratssitzung anwesend sein werde. In diesem Schreiben, mit dem Wurm als Ratsvorsitzender den Entwurf I, der offiziell das Datum vom 29. August 1947 trägt, weiterleitete, informierte er auch über weitere Termine und Absprachen: „ D e r Termin für die nächste Ratssitzung ist entsprechend einer Anregung des Verfassungsausschusses so angesetzt worden, daß diejenigen Mitglieder des Rats, die den Entwurf vor einer Stellungnahme im Rat mit den ihnen nahestehenden Gremien vorbesprechen wollen, dazu Gelegenheit haben. Ich bitte aber, für eine vertrauliche Behandlung des Entwurfes dringend Sorge zu tragen. Ich habe keine Bedenken, wenn der Entwurf den Mitgliedern der an den Vorbesprechungen beteiligten Gremien zur Kenntnis gebracht wird. Es darf aber kein Exemplar des Entwurfes in der Hand anderer Personen als der Mitglieder des Rates bleiben, solange der Rat sich nicht über eine Fassung des Entwurfes, die den Landeskichen zur Stellungnahme zugesandt werden soll, einig geworden ist." 1 3 Vorbesprechungen fanden statt im Lutherrat am 16. Oktober in Fulda, im Bruderrat am 16. Oktober in Detmold. Der Bruderrat stimmte dem Entwurf grundsätzlich zu, der Lutherrat äußerte schwere Bedenken. Er bevollmächtigte aber seine Mitglieder, die im Rat der E K D vertreten waren, in der Ratssitzung am 18. und 19. November in Darmstadt dafür zu stimmen, den Entwurf I ohne Diskussion im Rat an die Landeskirchen weiterzuleiten, damit diese bis zum 1. März 1948 sich ihrerseits zu dem Entwurf äußern könnten 1 4 . Gleichzeitig mit der Ubergabe an die Landes- und Provinzialkirchenleitung wurde der Entwurf I im Amtsblatt der E K D vom 15. November 1947 veröffentlicht.

Exkurs: Entwürfe für eine Verfassung der EKD Am 21. April 1947 verschickte die Kirchenkanzlei an die Ratsmitglieder eine kommentierte synoptische Ubersicht über die derzeit vorliegenA E K D , 00 Bd. II. Ebd. 14 Mit Rundschreiben des Ratsvorsitzenden an die Leitungen der deutschen evangelischen Landes- und Provinzialkirchen vom 18. 11. 1947 wurde neben dem Entwurf I auch der Entwurf für eine Verordnung über das Zustandekommen einer Grundordnung der E K D verschickt mit der Bitte um Stellungnahme ( L K A STUTTGART, D 1/215). 12

13

328

Entfwurf I der Grundordnung vom 29. 8. bzw. 21. 9. 1947

den Entwürfe für eine Verfassung der E K D 1 5 . Es sind dies der Bruderratsentwurf und ein Entwurf von Professor Feine, Tübingen, den dieser im Auftrag des Oberkirchenrats Stuttgart bereits im September 1946 erarbeitet hatte. Beiden Entwürfen ist in der Ubersicht der V E L K D Entwurf gegenübergestellt, um deutlich zu machen, welche Aspekte der Ordnung einer E K D bereits durch eine V E L K D präjudiziert wären, wenn diese sich konstituieren würde. Die Ubersicht ist exemplarisch an vier Punkten durchgeführt: 1. Bekenntnisgrundlage; 2. Verhältnis der Bekenntnisse innerhalb der E K D untereinander; 3. Verhältnis zu den Gliedkirchen; 4. Aufbau der Organe. Zu 1.: Ubereinstimmend wird in allen drei Entwürfen das Evangelium von Jesus Christus, wie es in der Heiligen Schrift Alten und Neuen Testamentes sowie in den Bekenntnissen der Reformation bezeugt ist, als Bekenntnisgrundlage angeführt. Feine gibt noch die Bekenntnisse der Alten Kirche an, der Bruderratsentwurf die Barmer Theologische Erklärung, und der VELKD-Entwurf präzisiert die Bekenntnisse der Reformation dahin, daß er die Augsburgische Konfession sowie die übrigen lutherischen Bekenntnisschriften nennt. Feine fügt noch den Satz hinzu: ,,Die Ev. Kirche in D[eu]tschl[an]d trägt dem Ursprung und Werdegang des deutschen Kirchentums entsprechend luth[erisches] Gepräge." Zu 2.: Der Bruderratsentwurf stellt die drei in der E K D bestehenden Bekenntnisse gleichberechtigt nebeneinander. Ihre Verpflichtung zur Gemeinsamkeit wird durch die Abendmahlsgemeinschaft konkretisiert. Im VELKD-Entwurf wird ausgesprochen, daß die in Treysa geschenkte Gemeinschaft mit den anderen Kirchen gepflegt werden sollte, konkret wird dann aber nur das Verältnis der lutherischen Kirchen untereinander geordnet. Feine geht von dem Vorrang des lutherischen Bekenntnisses aus, garantiert aber die volle Freiheit für die anderen Konfessionen. Feine nennt die E K D eine „Bundeskirche", die sich aus Landeskirchen aufbaut. Zu 3.: Die Kompetenzen der EKD-Organe sind bei Feine sehr weitgehend. Er kennt sogar die Unbedenklichkeitserklärung der landeskirchlichen Gesetzgebung durch die E K D . Ansonsten entsprechen die Gemeinschaftsaufgaben der E K D denen im Bruderratsentwurf. Zu 4.: Im Bruderratsentwurf liegt die Leitung der E K D bei dem Rat der E K D , der durch die Kirchenversammlung, das synodale Organ, gewählt wird. Die Kirchenversammlung hat das Gesetzgebungsrecht. Die Konferenz der Kirchenleitungen tritt ihr gegenüber als beratendes Organ zurück. Die Verwaltung liegt bei der Kirchenkanzlei. Feine schlägt einen von der Generalsynode gewählten Bischof als

15

A E K D , 00 Bd. II.

Exkurs: Entwürfe für eine Verfassung der EKD

329

Geistliche Leitung der EKD vor. Die Generalsynode hat das Gesetzgebungsrecht. Allerdings gibt es eine Kirchenregierung, deren Vorsitz der Bischof führt, die aber durch den „Rat der Kirchenführer", das föderative Organ, berufen wird. Die Kirchenregierung hat ein Vetorecht gegenüber den Gesetzen der Synode und ein eigenes Notverordnungsrecht. Die Befugnisse der Synode werden also durch die Kirchenregierung stark begrenzt. Die Einschätzung des Feine-Entwurfes durch den Lutherrat geht aus dem Protokoll über die Besprechung in München am 22. August 1947 deutlich hervor. Er wurde rundweg abgelehnt. Schlatter dagegen setzte sich immer wieder für den Feine-Entwurf ein, da er ihn als Grundlage für eine Ordnungsdebatte überaus positiv einschätzte. Ein weiterer Entwurf war von Karl Mensing und Herbert Wehrhahn ausgearbeitet worden; er ist auf den 8. Mai 1946 datiert 16 . Wieweit er innerhalb der EKD bekannt war, läßt sich nicht mehr ausmachen. In der Kirchenkanzlei ist er von den Referenten Schwarzhaupt und Merzyn durchgearbeitet worden, wie aus handschriftlichen Bemerkungen auf dem Exemplar der Kirchenkanzlei hervorgeht. Auch war er dem Lutherrat bekannt. In dem Brief Brunottes an Meiser vom 28. Juli 1947, in dem dieser seinen eigenen Entwurf für eine Ordnung der EKD ankündigte, heißt es als Antwort auf eine Anfrage Meisers zu kirchenrechtlichen Vorstellungen von Mensing: „Die Notiz über Herrn Dr. Mensing braucht man m. E. nicht tragisch zu nehmen. Sein ,Auftrag' ist nicht neu, sondern stammt nach meiner Erinnerung schon aus dem Anfang 1946, wenn nicht Ende 1945. Herr Dr. Mensing hat uns schon im Oktober 1946 in Assenheim bei der Tagung des Disziplinarrechtsausschusses der Kirchenkanzlei einmal seinen ,Entwurf' vorgelegt. Der war aber so kindlich, daß er nicht ernsthaft in Betracht kommt. Es war ein rein zentralistischer presbyterial-synodaler Aufzug des Ganzen, und wir haben schon damals Herrn Mensing, der ja ein ausgesprochen netter (und frommer) Mann ist, gesagt, daß man so der konfessionellen Frage nicht Herr werde. Zurzeit hat Herr Mensing m. E. keinen Auftrag von der EKD. Den hat zurzeit unser Ausschuß mit Ehlers u[nd] Erik Wolf allein." 17 Dieser Entwurf soll etwas genauer vorgestellt werden, weil er eine konsequente Alternative nach reformiertem Kirchenverständnis gegenüber den Kompromiß-Konzeptionen entwickelt. Der Entwurf beginnt mit einer „Vorbemerkung", gliedert dann seine kirchenrechtlichen Aussagen in 29 Punkten und fügt einige „Bemerkungen" an.

16

Abschrift des achtseitigen Entwurfes (ebd.).

17

L K A NÜRNBERG, M e i s e r 122.

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Entfwurf I der Grundordnung vom 29. 8. bzw. 21. 9. 1947

Die Vorbemerkung enthält zwei grundlegende und einschränkende Aussagen: 1. Der Entwurf sei das Werk von Juristen, ohne die Mitwirkung von Theologen erstellt. Das sei ein eindeutiger Mangel des Entwurfes, aber gleichzeitig ein getreues Abbild der Situation in der EKD. Denn zwei theologische Vorarbeiten fehlten: „Die Formulierung des .gemeinsamen' der reformatorischen Bekenntnisse . . . und die Darlegung des lutherischen und reformierten Verständnisses der Barmer theologischen Erklärung. N u r beide zusammen werden das theologische Fundament für eine als Kirche verstandene EKD ergeben." 2. Wegen der oben festgestellten Grenzen könne der Entwurf nur eine Anregung sein: „ D e r Entwurf sollte vertraulich behandelt werden, solange die theologischen Vorarbeiten noch nicht vorliegen. Denn die Frage ,Kirche oder Bund' berührt so starke Spannungen, daß das kommentarische Auftauchen dieses Entwurfes von den Konfessionalisten als eine Herausforderung betrachtet werden und schwere Rückwirkungen auf die kirchenpolitische Lage insgesamt haben würde." Ziffer 1 und 2 sprechen über die Bekenntnisgrundlage der EKD und die daraus folgenden Strukturen. Ziffer 3 widmet sich kurz dem Verhältnis von EKD und Gliedkirchen, die Ziffern 5-7 zählen die Aufgaben und Kompetenzen der EKD auf. Ziffer 8 bis Ziffer 22 regeln alle die Synode betreffenden Fragen; aus dieser Menge der Bestimmungen ist schon zu ersehen, welche Bedeutung die Synode in diesem Entwurf hat. Die Ziffern 23 bis 26 beziehen sich auf den Rat der EKD und die Ziffer 27 auf die Kanzlei. Ziffer 28 und 29 betreffen finanzielle Fragen. Der Entwurf beginnt mit einer Wesensbestimmung der EKD: „Die EKD ist die der evangelischen Christenheit in Deutschland, unbeschadet ihrer bekenntnismäßigen Besonderheiten, geschenkte Gemeinschaft derer, die sich zu Jesus Christus, wie er in der H[ei]l[igen] Schrift Α. T. und Ν . T. bezeugt wird, als dem einen Wort Gottes bekennen." In Ziffer 2 wird zur Bekenntnisgrundlage präzisiert, daß die Heilige Schrift „im Verständnis der Bekenntnisschriften der Reformation und der Barmer Theologischen] Erklärung" zu verstehen sei. Die Theologische Erklärung der Bekenntnissynode von Barmen vom 31. Mai 1934 ist sogar „als Anlage beigefügt und bildet einen Bestandteil dieser Verfassung." Aus der Wesensbestimmung der EKD ergibt sich konsequent die Abendmahlsgemeinschaft und die Mitgliedschaft des einzelnen Christen über seine Gemeinde in der EKD: „Aus den Gemeinden baut sich, unbeschadet ihres Zusammenschlusses zu Landeskirchen, die EKD auf; die Gemeinden sind berufen, die Organe zu bilden, deren die EKD zu ihrer Auferbauung bedarf." Gesamtkirchliche Organe sind die Synode, der Rat der E K D und die

Exkurs: Entwürfe für eine Verfassung der EKD

331

Kanzlei. Die Leitung der EKD liegt bei der Synode (Ziffer 8). Die Synodalen, die durch die landeskirchliche Synode bestellt werden, müssen bereit sein, „ihren Entscheidungen in einem Amte der EKD das gemeinsame der in der EKD anerkannten Bekenntnisse zugrunde zu legen." Ziffer 15 macht einen Vorschlag für ein Gelübde, das die Synodalen in die Hand des Präses ablegen sollten; bei Verweigerung des Gelübdes ist auf das EKD-Amt zu verzichten: „Das Gelübde sollte sich auf drei Punkte erstrecken: a. Bindung an Gottes Wort und die Bekenntnisse, b. Absage an irdische Herrschaft und Macht, c. Einheit der EKD." In den „Bemerkungen" gehen die Autoren noch auf das Problem der Notorgane der Bekennenden Kirche ein. Bei der Arbeit am Entwurf habe sich die Frage gestellt, ob die in der Treysaer Konvention festgeschriebene Doppelgleisigkeit - Landeskirchen und Bekennende Kirche in der endgültigen Verfassung erhalten bleiben solle. Einerseits sei man sich darüber einig gewesen, daß der Einfluß der Bekennenden Kirche gerade wegen des Ubergewichts der Landeskirchen und ihrer restaurativen behördlichen Politik dringend notwendig sei, zum anderen könnten aber auch andere kirchliche Gruppen einen Anspruch auf Vertretung in einer künftigen Verfassung der EKD fordern. Der Verzicht der Autoren, die Notorgane in die Verfassung einzubauen, bedeute nicht, wie sie selbst aussprechen, daß man ihre Rechte als erledigt ansehe. Hier zeigt sich wieder das Dilemma, das schon in der Vorbemerkung angesprochen wurde. Notwendige theologische Entscheidungen standen noch aus, auf deren Basis erst eine Verfassungsarbeit möglich und sinnvoll gewesen wäre. Das Verhältnis von EKD und Bekennender Kirche hätte eine theologische und ekklesiologische Vorklärung erfordert, aus der sich dann verfassungsrechtliche Bestimmungen hätten ableiten lassen können. Ein weiterer Entwurf für eine Verfassung der EKD stammt von Paul Fleisch; der Lutherrat verschickte am 4. Juli 1947 diesen Entwurf an die angeschlossenen Kirchen 18 . In einem Begleitbrief wird darauf hingewiesen, daß dieser Entwurf noch eine Privatarbeit sei, daß aber an ihm deutlich werde, „wie etwa VELKD und EKD organisatorisch verbunden werden können." Er sei damit eine Antwort auf die vielerorts geäußerte Befürchtung, die VELKD sprenge die EKD. Wenn man diesen Entwurf mit dem von Mensing/Wehrhahn vergleicht, dann wird deutlich, welch unterschiedliche Erwartungen innerhalb der EKD vorhanden waren. Dabei kann man nicht einmal die Vorstellungen Fleischs als die einer kleinen Minderheit werten. Zwar 18

AEKD, 012 Bd. III.

332

Entfwurf I der Grundordnung vom 29. 8. bzw. 21. 9. 1947

sprach er nicht für den Lutherrat im Ganzen, aber doch für eine starke Gruppe unter der Führung von Meiser. Fleisch geht eindeutig von der Drei-Säulen-Theorie als Aufbauprinzip aus. Neben der YELKD sollten der EKD als einem Bund von Bekenntniskirchen „die deutsche reformierte Kirche und die deutsche unierte Kirche" angehören (die es zu diesem Zeitpunkt gar nicht gab). Immerhin rechnet Fleisch in diesem Entwurf damit, daß es in Deutschland evangelische Kirchen geben könnte, die einem der drei konfessionellen Blöcke nicht angeschlossen seien. So könnnten sich dem Kirchenbund auch einzelne Landeskirchen anschließen. Als Gemeinschaftsaufgaben werden Vertretung nach außen und Wahrung des gemeinsamen Erbes genannt. Ebenso wie im Einleitungssatz, der den Willen zu einer EKD von Treysa 1945 herleitet, ist auch im Zusammenhang mit der „im Kampf um das Bekenntnis geschenkten Gemeinschaft" von Barmen oder einer Bekenntnissynode keine Rede. Leitende Organe der EKD sind der Rat der EKD, die Kanzlei der EKD, der Deutsche Evangelische Kirchentag. Der Rat setzt sich zusammen aus den obersten leitenden Amtsträgern der drei Bekenntniskirchen, aus den Leitern der drei Kanzleien und aus sechs weiteren von den Bekenntniskirchen bestimmten Mitgliedern. Die Kanzlei besteht aus den Kanzleien der drei Bekenntniskirchen. Von Zeit zu Zeit treten die Leiter einer jeden Kanzlei zusammen, um zu erarbeiten, „was dem Rat zur allgemeinen Anordnung vorgeschlagen werden kann." Auffallend ist die starke Eigenständigkeit der Kirchenbehörden, sowie die völlige Trennung des Rates von einem synodalen Organ. Der Deutsche Evangelische Kirchentag „besteht aus den Synoden der drei Bekenntniskirchen", d. h. nach einem bestimmten Schlüssel sind die Sitze im Kirchentag auf die Synodalen der Bekenntniskirchen verteilt. Der Kirchentag beschließt zusammen mit dem Rat die Kirchengesetze. Außerdem setzt er den Haushaltsplan fest, und er „kann über alle Fragen des kirchlichen Lebens beraten." Diesem Entwurf Fleischs fehlt jede geistliche Dimension. Die EKD ist ein relativ aufwendiger bürokratischer Apparat, zu dem sich drei Interessengruppen zusammenschließen, die eigentlich gar nichts miteinander zu tun haben und zu tun haben wollen. Neben diesem Vorschlag Fleischs ist die Grundordnung der EKD, die in Eisenach verabschiedet wurde, wirklich die Grundordnung einer evangelischen Kirche.

Kapitel 26 STELLUNGNAHMEN, ÄNDERUNGSWÜNSCHE U N D F O R D E R U N G E N ZUM E N T W U R F I DER G R U N D O R D N U N G DER EKD

Das Moderamen des Reformierten

Bundes

Die Stellungnahme1 beginnt mit einer Kritik an der Grundtendenz des Entwurfes, um dann einzelne Abänderungen zu fordern oder anzuregen. Zum Entwurf im Ganzen heißt es: Das Moderamen „kann nicht verschweigen, daß ihm der Entwurf im Ganzen nicht den Eindruck macht, als weise er den Weg der E K D nach vorwärts. Der Weg nach vorwärts kann nur der Weg des Wortes Gottes sein, der die Kirche in Bewegung setzt." Als Belege für diese Kritik werden die Betonung des Bekenntnisses im Artikel 1, die negative Fassung des Abendmahlsartikels und die beschränkten Zuständigkeiten für die E K D angeführt. Die Änderungen, die für „unbedingt erforderlich" gehalten werden, beziehen sich auf den Artikel 5, für den die unbeschränkte Abendmahlsgemeinschaft erstrebt wird, und auf alle Bestimmungen über die Synode, deren Stärkung gefordert und in mehreren Artikeln durchgeführt wird. An zwei Punkten wird exemplarisch gezeigt, wie die Forderung nach dem Wort Gottes als Richtmaß in der Ordnung der E K D konkretisiert werden könne. Der Änderungsvorschlag für Artikel 5, 4 lautet: „Alle zum Abendmahl zugelassenen Gemeindemitglieder dürfen sich in jeder Gemeinde an der Feier des Heiligen Abendmahles beteiligen. Der Ausschuß aus Gründen der kirchlichen Zucht darf nicht auf das abweichende Bekenntnis gestützt werden." Zu Artikel 27, der die Frage der Konvente regelt, heißt es: „Eine bloße Berufung auf die Formulierung einer Bekenntnisschrift oder auf eine konfessionelle Tradition kann in der Kirche des Wortes nicht genügen." Der vom Verfassungsausschuß erstrebte Kompromiß zwischen den engen lutherischen Zugeständnissen und den weitergehenden BK-Forderungen konnte in der damaligen Situation niemals in Richtung auf reformiertes Kirchenverständnis ausgeweitet werden. So mußten die 1

Ohne Datum (AEKD, 00 Bd. II).

334

Stellungnahme, Änderungswünsche und Forderungen

Wünsche des Reformierten Bundes unberücksichtigt bleiben. Der Verfassungsausschuß war hinreichend damit beschäftigt, gegen lutherische Forderungen ( E K D als Bund) in seinen Entwürfen zäh einige Elemente zu erhalten, die die E K D als Bund und doch Kirche ausweisen konnten.

Der

Bruderrat

Der Bruderrat tagte am 15. und 16. Oktober 1947 in Detmold. Tagesordnungspunkt 3 2 befaßte sich mit dem Verfassungsentwurf für die E K D . Im Protokoll der Sitzung heißt es dazu: „Anschließend verliest Pfarrer Niemöller den vom Rat der E K D erarbeiteten Verfassungsentwurf einer Ordnung der E K D , der auf Wunsch des Vorsitzenden des Rates der E K D einer vertraulichen Durchsicht des Bruderrates unterzogen wurde. Der Bruderrat konnte sich mit dem Ganzen des Entwurfes einverstanden erklären, wobei er Abänderungswünsche in den Einzelheiten die ihm zugehörigen Mitglieder des Rates wissen ließ." 3 Auf seiner Tagung am 7./8. Januar 1948 in Kassel, auf der Ehlers den Entwurf I vor dem Bruderrat erläuterte, faßte der Bruderrat Entschlüsse, die in sechs Punkten konkrete Änderungen des Entwurfes vorsahen: 1. Der Entwurf ist eine geeignetete Grundlage für eine Beratung; er gibt dem Ausdruck, was heute, nach Treysa II, da ist. 2. Durcharbeitung von Artikel 1 ist notwendig. 3. Artikel 2, Ziffer 1 enthält folgende Ergänzung: „Aufgrund der Koalition von Treysa ist der Bruderrat der E K i D als Vertreter der B K für die Wahrnehmung dieser Gemeinschaft und Verpflichtung mitverantwortlich." 4 4. Artikel 21, Ziffer 2 streichen. 5. Zwei Mitglieder des Rates sollten hauptamtlich tätig sein. 6. Der Vorsitzende des Rates ist durch die Synode zu wählen. Die in Punkt 3 bis 6 enthaltenen Forderungen wurden in dem Entwurf II nicht berücksichtigt. Vielmehr hat das Ansinnen des Bruderrates, in der Grundordnung als mitverantwortliche Kraft genannt zu werden, alte Ängste und Vorurteile geweckt. Dies zeigt ein Bericht von Landesbischof Schöffel über die Situation innerhalb der hamburgischen Pfarrer2 Hauptberatungsgegenstand auf der Sitzung waren die Reaktionen auf das „ W o r t z u m politischen Weg unseres V o l k e s " , das sog. „ D a r m s t ä d t e r W o r t " v o m 8. 8. 1947 (vgl. K J 1945-1948, S. 220 ff.). 3 L K A DARMSTADT, 36/23. 4 A s m u s s e n sagt in seiner Stellungnahme z u m Entwurf I v o m 6. 3. 1948 zu dieser Forderung des Bruderrates: [Fortsetzung S. 335],

335

Tagung des Lutherrates in Fulda am 15./16. 10. 1947

schaft, den er in einem Brief an Wurm vom 16. März 1948 abgibt: „So wird von der linken Seite her das Gutachten von Prof. Dr. Eiert, Erlangen, benutzt, um die VELKD abzulehnen: man will eine Kirche mit dieser pura doctrina nicht. Andere wieder sehen den Vorstoß des Reichsbruderrates mit seinem Verlangen, irgendwie amtlich in die Verantwortung für die EKD eingeschaltet zu werden, als einfach untragbar an, weil das für die EKD keine andere Form ergeben könnte, als die des 3. Reiches. Man hat eine Obrigkeit, aber die Parteileitung entscheidet." 5

Die Tagung des Lutherrates

in Fulda am 15.116. Oktober

19476

Die unter dem Tagesordnungspunkt 2 angesetzte Aussprache über den EKD-Entwurf war nur ein Thema unter vielen anderen. Brunotte stellte den Verfassungsentwurf vor. Dann war die Frage zu klären, welches Urteil des Lutherrates die lutherischen Mitglieder des Rates der EKD bei der nächsten Ratssitzung vertreten sollten und was die gravamina gegen den Entwurf seien. Bei der Aussprache standen Kirchenverständnis und Abendmahl im Mittelpunkt. Widerstand gegen den Entwurf wurde vor allem von Sommerlath, Eiert, Breit6® und Meiser vorgebracht, während Brunotte und Schlatter zu vermitteln suchten und andere Verständnismöglichkeiten einzelner Bestimmungen aufzeigten 7 . Meiser stellte fest, daß der Entwurf zwar in vielen Aussagen „maßvoll" sei, aber dennoch unana) Alle Organe der E K D müssen sich nach ihrer Herkunft und nach ihrer Beauftragung ausweisen können. Diese Eigenschaft hat der Bruderrat der E K D nicht. b) Alle Organe der E K D müssen zur Rechenschaft gezogen werden können, so daß sie von Zeit zu Zeit der Möglichkeit einer Neuwahl unterworfen sind. Dies gilt bisher für den Bruderrat der EKD nicht. c) Die verschiedenen Organe der E K D bedürfen einer Abgrenzung ihrer Funktionen gegeneinander. Es ist nicht einsichtig, wie der Bruderrat der E K D in seinen Funktionen abgegrenzt werden soll, gegen den Kirchentag, die Kirchenführerkonferenz und den Rat. d) Es gehört zu den grundlegenden Vereinbarungen von Treysa I, daß der Bruderrat nur bis zur Neuordnung der E K D eine gewisse Sicherheitsfunktion noch ausübt (AEKD, 00 Bd. III). 5

6

L K A STUTTGART, D

1/228.

Verkürztes Protokoll der Sitzung, angefertigt von Katterfeld (OKR STUTTGART, Reg. Gen. 119 e). Vgl. auch den Bericht von Ernst Kinder „Evangelisch-Lutherische Kirche innerhalb des Kirchenbundes in der Evangelischen Kirche in Deutschland - Zur Auswertung der Beschlüsse von Treysa 1947" (ELKZ 1, 1947, S. 1 f.). 6a Thomas Breit (1880-1966), 1933-1945 O K R München, 1934-1936 Mitglied der 1. VKL der BK, 1936-1938 Geschäftsführer des Lutherrats. 7 Ζ. B. Seebaß (Braunschweig): „Darf ich meinen Konfirmanden in einer solchen E K D noch sagen: Ihr dürft nicht zu einem reformierten Abendmahl gehen?" Schlatter: „Ich darf meinen Konfirmanden sagen, daß sie im reformierten Gebiet am Abendmahl teilnehmen dürfen."

336

Stellungnahme, Änderungswünsche und Forderungen

nehmbar. Er faßte die grundsätzlichen Bedenken in vier Punkten zusammen: 1. CA VII steht noch da - gegen diesen Entwurf. 2. Eine einige evangelische Kirche müßte die Einheit der Lehre zur Voraussetzung haben. 3. Ersatzgrundlagen der EKD müssen klar abgewehrt werden, auch das vieldeutige „Erlebnis der Kirche". 4. Die E K D kann nicht in höherem Maße Verwirklichung der una sancta sein, wie es jede lutherische Kirche sein will. Brunotte wies darauf hin, daß die Ablehnung dieses Entwurfes erfordern würde, einen eigenen Entwurf vorzulegen. Seine Anfrage, ob der Lutherrat dazu in der Lage sei, wurde von Lilje aufgenommen und noch weitergehend problematisiert: „Wenn wir die E K D bloß als Agentur wollen oder wenn wir nur eine V E L K D und gar keine E K D wollen, müssen wir es auch aussprechen. Dabei wäre aber zu bedenken: 1. wir übersehen wohl nicht die tatsächliche Reaktion, die so eine Darstellung der EKD auch in unseren Kirchen haben würde; 2. die theologische und kirchenrechtliche Substanz des Verfassungsentwurfes ist dieselbe wie 1922 und 1933. Warum sind wir jetzt dagegen? Unsere Schwierigkeiten auch für die VELKD hängen mit diesem Punkt zusammen." Dieser Hinweis Liljes wurde - nach dem Protokoll - nicht aufgenommen und diskutiert. Wenn Lilje Recht hat, dann erhebt sich die Frage, was zwischen 1933 und 1947 geschehen ist, das eine starrere Haltung des Lutherrates rechtfertigen könnte. Sicherlich hat Lilje zentrale Ängste angesprochen: das lutherische Unionstrauma war reaktiviert worden durch die Barmen-Auseinandersetzung und durch die Existenz der Bekennenden Kirche. Hinzu kam die Bedrohung durch den Katholizismus und durch Sekten, durch den Säkularismus und die vorherrschende Stellung des Calvinismus in der Universitätstheologie. Schließlich fürchtete man den Einfluß der Ökumene in Genf 8 . 8 Vgl. Protokoll der Bruderratssitzung vom 19./20. Januar 1947, in dem Schlinks Eindrücke nach dem 2. Neuendettelsauer Gespräch über lutherische Motive und Ängste wiedergegeben werden: „ E r nannte einige Motive, die die Lutheraner zur Gründung der V E L K D veranlaßten und teilte mit, daß man in den Kreisen um Meiser herum alles mit größter Genauigkeit beobachte, so ζ. B . , daß die Lehrstühle an den Universitäten zunehmend mit Reformierten besetzt werden. Eine weitere Sorge ist, daß die E K D in eine Kirche der A P U verwandelt wird. Ferner der Vormarsch der röm[isch]kath[olischen] Kirche. Außerdem sollen in Amerika bereits hunderte von Missionaren der Sekten bereitstehen, um nach Deutschland zu kommen. Meiser rechnet mit einer Aktivität der Sekten und vertritt den Standpunkt, daß man zu einer Ordnung des Kirchentums in Deutschland kommen muß. Ein weiterer Punkt ist die Verantwortung der Luth[erischen]Kirche in Deutschland für die Luth[erischen]Kirchen der Welt. Die Luth[erischen]Kirchen der Welt sind von der deutschen Theologie abhängig. Meiser sagte, daß Niemöller auf der Ratsversammlung erklärt habe, die Ordnung der E K i D eile nicht, er aber auf dem Standpunkt stehe, daß hier keine Zeit verloren werden darf" ( L K A DARMSTADT, 36/23).

Lutherischer Gegenentwurf zum Grundordnungsentwurf I

337

Da der Lutherrat Ende 1947 keinen positiven Gegenvorschlag zur E K D - O r d n u n g vorlegen konnte (Meiser: „Deshalb ist ein positives Wort nötig, das wir noch nicht haben"), war die Möglichkeit, dem Entwurf vorläufig nicht zuzustimmen, ausgeschlossen. Deshalb wurde Brunottes Antrag, die lutherischen Glieder des Rates zu der Zustimmung zu ermächtigen, daß der Rat der E K D den Verfassungsentwurf ohne Empfehlung an die Landeskirchen weitergebe, angenommen. U m aber die theologischen Grundlagen einer E K D zu klären, die lutherischen Bedenken zu systematisieren und positiv darzustellen, wie der Lutherrat sich die E K D denke, wurde ein theologischer Ausschuß aus den Herren Sommerlath, Eiert, Künneth und Herntrich gebildet. In einem Brief vom 10. November 1947 an "Wurm bat Meiser ,,im Namen des Lutherrates und zugleich als Glied des Rates der E K D " darum, genügend Zeit zu erhalten, damit die „grundlegenden Fragen nach dem Wesen der Kirche, der E K D , der Kirchlichen Zusammenschlüsse u s w . " in allen Kreisen gründlich erörtert werden könnten. Meiser teilte Wurm weiter mit, daß in Fulda ein theologischer Ausschuß eingesetzt worden sei, der sich mit den „schweren Bedenken" gegen den Verfassungsentwurf intensiv beschäftigen solle. Die Ergebnisse des Ausschusses sollten den angeschlossenen Kirchen mitgeteilt werden, die ihrerseits dazu ihre Voten abgeben sollten, so daß dann der Lutherrat daraus seine amtliche Antwort formulieren könne 9 .

Ein lutherischer Gegenentwurf

zum Grundordnungsentwurf

I

Hauptverhandlungspunkt der Lutherratstagung am 28. Januar 1948 in Darmstadt war die Stellungnahme des Lutherrates zu dem Grundordnungsentwurf vom 29. August 1947 10 . Oberkirchenrat Bezzel gab die Stellungnahme des Landeskirchenrates in München bekannt, deren Argumentation sich der Lutherrat im Ganzen anschloß, wie ein Vergleich der Voten beider Gremien zeigt 11 . Hauptthese der Stellungnahme ist: „ D i e Einheit der Kirche ist gegeben in der Einheit der Lehre und in einheitlichem Gebrauch der Sakramente. Die Bekenntnisbindung der Kirche umfaßt auch ihr ganzes Handeln und bestimmt ihre Ordnung, Leitung und Verwaltung." Bis auf Brunotte, Schlatter und Herntrich wurde der vorliegende Entwurf I von allen abgelehnt mit dem Argument, daß er auf die

9

L K A STUTTGART, D

1/215.

10

Sitzungsprotokoll von Katterfeld und ein Sonderprotokoll (OKR STUTTGART, Reg. Gen. 119 e). 11

L K A NÜRNBERG, Meiser 122.

338

Stellungnahme, Änderungswünsche und Forderungen

Einheitskirche hinziele, also ein unionistisches Gefalle habe 1 2 . Als grundlegende Änderungen wurden gefordert: Änderung des Namens in „Evangelischer Kirchenbund", klare Vorrangstellung der Landeskirchen, Entscheidungsbefugnisse der Kirchenkonferenz, bekenntnismäßige Durchgliederung aller Organe, keine Formulierungen, die als Einheitsbekenntnis ausgelegt werden können und keine Formulierungen, die im Abendmahlsartikel über Ausnahmeregelungen hinausgehen. Nur Herntrich, Schlatter und Brunotte wiesen darauf hin, daß die E K D mehr sei als ein Kirchenbund und daß dieses „ M e h r " auch in der Grundordnung in Erscheinung treten müsse. Von der Gegenseite wurde dieses Argument mit dem Hinweis auf Wunschdenken abqualifiziert. In Bezug auf Verfahrensfragen einigte man sich aber folgendermaßen: 1. Bitte an den Ratsvorsitzenden, den Termin für die Stellungnahmen der Landeskirchen bis zum 1. April zu verlängern; 2. den Termin der Kirchenversammlung zu verschieben, da vor der Kirchenversammlung die synodalen Organe der Landeskirchen sich mit dem Grundordnungsentwurf befassen sollten, und ein „wenigstens annähernder Consensus zwischen den zunächst beteiligten und verantwortlichen Kreisen erzielt" werden könne; 3. eine Kommission tritt am 17./18. Februar in Berlin zusammen, formuliert die Bedenken des Lutherrates 1 3 und macht positive Gegenvorschläge, Kommissionsmitglieder: Brunotte, Mitzenheim, Herntrich, Sommerlath, Zimmermann, Beste. Als Arbeitsgrundlage für diese Kommission werden Materialien zusammengetellt, die in einem Sonderprotokoll festgehalten sind. Die wichtigsten inhaltlichen Bedenken des Sonderprotokolls sind folgendermaßen zusammenzufassen: 1 2 Vgl. auch Kinder in seinem Bericht „Zur Sitzung des Lutherrats in Darmstadt": „ D e r Entwurf hat einen schillernden Charakter. Er stellt offensichtlich einen Kompromiß dar zwischen der Gestalt einer unionistischen Einheitskirche und einem Kirchenbund, und zwar mit praktisch deutlichem Gefalle zum ersten hin" ( E L K Z 2, 1948, S. 30). 13 Vgl. die Zusammenstellung der Bedenken in: INFORMATIONSDIENST DER EVANG.-

L U T H . K I R C H E D E U T S C H L A N D S , 1. F o l g e , 1 0 . 2 . 1 9 4 8 :

1. Der Entwurf stellt nicht genügend klar heraus, daß die E K D rechtlich die Form eines Kircheni>«rc