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German Pages 798 [797] Year 2012
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© 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557709 — ISBN E-Book: 9783647557700
Arbeiten zur Kirchlichen Zeitgeschichte Herausgegeben im Auftrag der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte von Siegfried Hermle und Harry Oelke
Reihe B: Darstellungen Band 53
Vandenhoeck & Ruprecht
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Gisa Bauer
Evangelikale Bewegung und evangelische Kirche in der Bundesrepublik Deutschland Geschichte eines Grundsatzkonflikts (1945 bis 1989)
Vandenhoeck & Ruprecht
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-525-55770-9 ISBN 978-3-647-55770-0 (E-Book)
© 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen/ Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U. S. A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Gesamtherstellung: H Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.
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wenn die Bücher aufgetan werden wenn sich herausstellen wird dass sie niemals geführt worden sind: weder gedankenprotokolle noch sündenregister weder mikrofilme noch computerkarteien wenn die bücher aufgetan werden und siehe! auf seite eins: „habt ihr mich für einen eckenspäher und schnüffler gehalten?“ und siehe! auf seite zwei: „der grosse aufpasser oder unbruder: eure erfindung!“ und siehe! auf seite drei: „nicht eure sünden waren zu gross – eure lebendigkeit war zu klein!“ wenn die bücher aufgetan werden
Kurt Marti abendland (1980)
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Danksagung Die vorliegende Habilitationsschrift basiert im Wesentlichen auf Archivalien, die in 18 Archiven erschlossen wurden. Ohne die hochprofessionelle Hilfe der Mitarbeiter/-innen dieser Archive wäre diese Arbeit nicht in der Form entstanden, in der sie nun gedruckt vorliegt. Ihnen gilt mein erster Dank. Für die Archivrecherchen war eine ausgedehnte Reise nötig, die sich vom Sommer 2008 bis Frühjahr 2009 erstreckte. Diese Archivreise wurde durch die finanzielle Unterstützung der Fritz Thyssen Stiftung für Wissenschaftsförderung ermöglicht. Für die Reisekostenbeihilfe bedanke ich mich vielmals. Dass ich die Reise in ihrer zeitlichen und örtlichen Ausdehnung im nötigen Maße durchführen konnte, verdanke ich darüber hinaus vielen Menschen, die mir kostengünstige oder kostenfreie Unterkünfte zur Verfügung stellten bzw. vermittelten. Ihnen bin ich für ihre Gastfreundschaft zu großem Dank verpflichtet. Besonders dankbar bin ich für die vielen informativen, innovativen und weiterführenden Gespräche über das Thema „Evangelikale und Landeskirchen“. Diese Gespräche flossen nicht direkt in diese Untersuchung ein, halfen mir aber als Hintergrundinformationen, den Rahmen für die Arbeit abzustecken, für eine Fülle von Details sensibilisiert zu werden sowie das Thema von verschiedenen Seiten zu beleuchten und zu sondieren. Für Gespräche, Hinweise und Tipps danke ich herzlich Herrn Werner Beyer (der mich außerdem in den Archiven des Gnadauer Verbandes und der Deutschen Evangelischen Allianz unterstützte und mir uneingeschränkt die Nutzung der umfangreichen Bibliothek der Evangelischen Allianz in Bad Blankenburg gestattete), dem Leiter der Zentralen Schriftgutverwaltung Herrn Johannes Bökenkamp vom Landeskirchenamt Detmold, Frau Claudia Brack vom Archiv der Evangelischen Kirche von Westfalen, Prof. Karl-Christoph Epting, dem Leiter des Archivs der Evangelischen Kirche im Rheinland Dr. Stefan Flesch, Landessuperintendent i.R. Dr. Ako Haarbeck, Dr. Martin Hamel, der Leiterin des Archivs der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche in Braunschweig Frau Birgit Hoffmann, der Leiterin des Archivs der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Oldenburg Frau Karen Jens, dem Historiker und Mitarbeiter des Archivs der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche Dr. Stefan Linck, Frau Magdalene und Pfr. i.R. Bernd Lunkenheimer, Prof. Elisabeth Moltmann-Wendel und Prof. Jürgen Moltmann, der Historikerin und Mitarbeiterin der Historischen Projekte der
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Danksagung
Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau Frau Anette Neff, Frau Karin Oehlmann, Frau Ruth Pabst vom Evangelischen Zentralarchiv in Berlin, Oberamtsrat im Kirchendienst Arnold Pölker vom Landeskirchenamt Detmold, dem ehemaligen OLKR im hannoverschen Landeskirchenamt Herrn Hans-Joachim Rauer, der Leiterin des Archivs der lippischen Landeskirche Frau Maja Schneider, dem Generalsekretär des Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverbandes Herrn Theo Schneider, Herrn Michael Stahl, dem Generalsekretär der Deutschen Evangelischen Allianz Herrn Hartmut Steeb, LKR Dr. Wilfried Theilemann vom Landeskirchenamt in Wolfenbüttel, Herrn Sebastian Tripp sowie der DFG-Forschergruppe 621 „Transformationen der Religion in der Moderne“ an der Ruhr-Universität Bochum, in deren Kolloquium ich im Juli 2009 meine Arbeit vorstellen und diskutieren lassen konnte sowie Herrn Karl Heinz Voigt und Prof. Peter Zimmerling. Ganz herzlich danke ich Prof. Klaus Fitschen für die jahrelange Unterstützung und Begleitung der Arbeit und die unterhaltsamen Kommentare zum Sujet der Untersuchung. Den beiden weiteren Gutachter/-innen der Arbeit PD Dr. Katharina Kunter und Prof. Matthias Petzoldt bin ich sehr dankbar für ihre Anfragen und Hinweise, die in die Druckfassung einflossen. Den Herausgebern der Reihe „Arbeiten zur Kirchlichen Zeitgeschichte“ danke ich für die Aufnahme meiner Untersuchung in diese renommierte Reihe. Der „Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte“, der Calwer Verlagstiftung und der VELKD danke ich vielmals für die großzügigen Druckkostenzuschüsse. Felicitas Gräf gilt mein herzlicher Dank für das Korrekturlesen der Arbeit und ihre stilistischen Verbesserungsvorschläge, Frau Yvonne Zeuner und Herrn Matthias Schwarzer für die Hilfe beim Erstellen des Personenregisters. Meinen Freundinnen und Freunden, ganz besonders Katrin Lunkenheimer, danke ich für ihre Unterstützung, Freundschaft, Liebe und Zugewandtheit. Dieses Buch wäre ohne sie ein anderes oder gar nicht erst geschrieben worden, in „hauptsächlichem Maße“.
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Inhalt 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 1.1 Methodische Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.1 Ziel und Teilziele der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.2 Fokussierung und Abgrenzung des Themas . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.3 Die geschichtswissenschaftlich-methodologische Sonderform „Zeitgeschichtsschreibung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15 16 19
1.2 Begriffsklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1 Der Terminus „evangelikal“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.2 Der Terminus „evangelikale Bewegung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.3 Die evangelikale Bewegung und die „neuen sozialen Bewegungen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
28 28 31
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1.3 Gliederung der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 1.4 Forschungsüberblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 1.5 Quellenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 1.6 Hinweise zu Formalia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 2. Evangelikalismus phänomenologisch – eine Annäherung an das Thema
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2.1 Die Definition von „evangelikal“ angesichts der Inhomogenität des Evangelikalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Evangelikale Frömmigkeitsschwerpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Das Problem der evangelikalen Ausdifferenzierung . . . . . . . . . . . . 2.1.3 Evangelikale Ethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.4 Klassifikation evangelikaler Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.5 Die homogene Außenwirkung der evangelikalen Bewegung . . . .
46 46 48 52 55 57
2.2 Das evangelikale Bibelverständnis vor dem Hintergrund der historischen antitheologischen Attitüde des Evangelikalismus . . . . . . . . 65 2.2.1 Kategorien evangelikaler Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65
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Inhalt
2.2.2 Das aversive Verhältnis von Evangelikalismus und Theologie . . . 66 2.2.3 Evangelikales Bibelverständnis – die „andere“ Theologie . . . . . . . 72 2.2.4 Die drei „Chicago-Erklärungen“ von 1978, 1982 und 1986 . . . . 78 2.3 Die Abgrenzung des Evangelikalismus von der institutionalisierten evangelischen Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 2.3.1 Evangelikalismus und Politik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 2.4 Evangelikalismus und Fundamentalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1 Die historische Entwicklung des christlichen Fundamentalismus 2.4.2 Christlicher Fundamentalismus und Evangelikalismus – eine Problemanzeige zu der gegenwärtigen Debatte . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.3 Definitionen des christlichen Fundamentalismus . . . . . . . . . . . . . 2.4.4 Fundamentalismus als politisierte Religion . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.5 Die Außenwahrnehmung evangelikaler oder fundamentalistischer Haltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.6 Religionspsychologische und -soziologische Aspekte . . . . . . . . . . . 2.4.7 Die „fundamentalistische Tendenz“ in „neuen sozialen Bewegungen“ und ihre Bedeutung für die evangelikale Bewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
91 92 98 101 103 105 109
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3. Die Vorgeschichte des evangelikalen Konfliktes 1945 bis 1966: Evangelikale Trägergruppen und die Landeskirchen . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 3.1 Die Gemeinschaftsbewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1. Die Anfänge und die Ausrichtung der Gemeinschaftsbewegung 3.1.2 Interne Diskrepanzen: Die Inhomogenität der Gemeinschaftsbewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.3 Die Gemeinschaftsbewegung und die Pfingstbewegung . . . . . . . . 3.1.4 Das Verhältnis von Landeskirchen und Gemeinschaftsbewegung im freikirchlichen Spannungsfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.5 Verhältnis von Gemeinschaftsbewegung und Landeskirchen in den „Gesprächen zwischen Gemeinschaftsbewegung/Pietismus und Kirche“ Ende der 1940er Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
117 118 120 132 139
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3.2 Die Evangelisationsbewegung in den Landeskirchen . . . . . . . . . . . . . . . 166 3.2.1 Innere Mission und Volksmission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 3.2.2 Die Evangelisationswelle in Deutschland in den 1940er und 1950er Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178
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Inhalt
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3.2.3 Evangelisation und soziales Engagement der evangelistischen Bewegung vor dem Hintergrund von Endzeiterwartungen . . . . . 181 3.2.4 Freie Evangelisten und evangelistische Verbände . . . . . . . . . . . . . 185 3.2.5 Billy Grahams Evangelisationen in Deutschland von 1954 bis 1963 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 3.3 Die Deutsche Evangelische Allianz und die ökumenische Bewegung . . 3.3.1 Die Absorption der Evangelischen Allianz durch den nordamerikanischen Evangelikalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Die Evangelische Allianz und ökumenische Bewegung . . . . . . . . 3.3.3 Der Gnadauer Gemeinschaftsverband und die ökumenische Bewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.4 Die Auseinandersetzung um Allianz und Ökumene zwischen Erich Eichele und Gerhard Bergmann 1964 . . . . . . . . . . . . . . . . .
221 222 232 249 250
4. Die Vorgeschichte des evangelikalen Konfliktes 1945 bis 1966: Die Bultmannkontroverse und ihre Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 4.1 Der Kontext der Bultmannkontroverse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1 Die Bedeutung von Geschichte als dem „Gewesenem“ für die Bultmannkritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2 Die Bedeutung des „Faktischen“ für die Bultmannkritik . . . . . . . 4.1.3 Die fehlende Klärung der Denkvoraussetzungen in der Bultmannkritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.4 Der kirchengeschichtliche Vorlauf und Hintergrund der Bultmannkontroverse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
261 263 265 267 268
4.2 Die erste Phase der Bultmannkontroverse 1947 bis 1953 und ihre Hoch-Zeit um 1950/51 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 4.3 Die zweite Phase der Bultmannkontroverse 1961 bis 1963 . . . . . . . . . . 4.3.1 Otto Rodenbergs Bultmannkritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2 Die Gespräche zwischen dem Rat der EKD und Bultmannkritikern 1962 und 1963 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.3 Die Situation in Württemberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.4 Paul Tegtmeyers „Hirtenbrief“ von 1963 . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
321 340 350 356 358
4.4 Missions- und Bibelschulen – die Alternative zur universitären Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360
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Inhalt
4.4.1 Missionsschulen und evangelikale Missionstätigkeit . . . . . . . . . . . 361 4.4.2 Bibelschulen und evangelikale theologische Ausbildungsstätten . 364 4.5 Der Bethelkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.1 Die Pfarrer-Gebets-Bruderschaft und der Bethelkreis . . . . . . . . . . 4.5.2 Der Gnadauer Verband und die Evangelische Allianz im Verhältnis zum Bethelkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.3 Die Koalition zwischen pietistisch geprägten Vertretern der Gemeinschaftsbewegung und Lutheranern . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.4 Die Gründung der Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“ als regionale Arbeitsgruppe des Bethelkreises . . . . .
389 391 402 408 414
5. Die evangelikale Bewegung als innerprotestantische „neue soziale Bewegung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 424 6. Die evangelikale Bewegung im Konflikt mit den Landeskirchen . . . . . . . 437 6.1 Der evangelikale Protest 1966 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.1 Der Dortmunder Bekenntnistag am 6. März 1966 . . . . . . . . . . . . 6.1.2 Stellungnahmen der Landeskirchenleitungen zur Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“ . . . . . . . . . . . . 6.1.3 Die Situation in der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche in Braunschweig und die „Braunschweiger Thesen“ . . . . . . . . . . . . . 6.1.4 Stellungnahmen überlandeskirchlicher kirchenleitender Gremien 6.1.5 Reaktionen auf den evangelikalen Protest seitens der Theologieprofessorenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.6 Die Haltung evangelikaler Trägergruppen zur Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“ . . . . . . . . . . . . 6.1.7 Die Freikirchen und die Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
437 437 444 481 490 504 509 511
6.2 Gründungen von evangelikalen Trägergruppen und Auseinandersetzungen mit den Landeskirchenleitungen 1966 bis 1970 513 6.2.1 Regionalgruppen der Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 514 6.2.2 Kommunikationselemente in den Debatten zwischen evangelikaler Bewegung und Kirchenleitungen . . . . . . . . . . . . . . . 530
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Inhalt
6.2.3 Der Eklat in der württembergischen Landeskirche um den Rücktritt des Präsidenten der Landessynode Oskar Klumpp 1968 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.4 Regionale „Kirchliche Sammlungen um Bibel und Bekenntnis“ . 6.2.5 Die Auseinandersetzung um die „Leuenberger Konkordie“ . . . . . 6.2.6 Regionale „Evangelische Sammlungen um Bibel und Bekenntnis“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.7 Die „Notgemeinschaft evangelischer Deutscher“ . . . . . . . . . . . . . 6.2.8 Die „Offensive Junger Christen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Evangelikale Arbeitsschwerpunkte 1970 bis 1980 . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.1 Die „Konferenz der bekennenden Gemeinschaften in den evangelischen Kirchen in Deutschland“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.2 Die Auseinandersetzungen in Bezug auf sozialethische Fragen . . 6.3.3 Evangelikale Missiologie in Auseinandersetzung mit der ökumenischen Bewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.4 Die evangelikale Auseinandersetzung mit dem Deutschen Evangelischen Kirchentag und die Gründung des „Gemeindetages unter dem Wort“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4 Evangelikale Ausdifferenzierung 1980 bis 1989 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.1 Die zunehmende Pluralisierung der evangelikalen Bewegung in den 1980er Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.2 Die Deutsche Evangelische Allianz als das „Sammelbecken der Evangelikalen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.3 Der „Informationsdienst der Evangelischen Allianz“ . . . . . . . . . . 6.4.4 Entwicklungen im Gnadauer Verband . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13
534 541 555 557 568 582 591 591 593 603
610 637 637 642 644 648
7. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 661 Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 675 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 677 Archivalische Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 677 Gedruckte Quellen und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 683 Biogramme/Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 719
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1. Einleitung
1.1 Methodische Vorüberlegungen Im Oktober 2005 fand in der Evangelischen Akademie Tutzing eine von der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte veranstaltete Tagung statt, die erstmalig für den protestantischen Bereich das Jahr 1968, seine Vorgeschichte und seine Wirkung auf evangelische Kirche und Theologie in den Fokus wissenschaftlicher Betrachtung stellte. Wolf-Dieter Hauschild prägte auf dieser Tagung in Bezug auf eine kirchenhistoriographische Gesamtschau der 1960er, 1970er Jahre in der Bundesrepublik Deutschland den pointierten Satz, man sehe zwar lauter Bäume, aber keinen Wald, und führte das folgendermaßen aus: „Noch nicht einmal hinsichtlich der Periodisierung bzw. der chronologischen Akzentuierung besteht irgendein Konsens. Und die seit jeher notorische Unbestimmtheit, wer oder was konkret ‚die evangelische Kirche‘ ausmache oder für diese gegenüber der Öffentlichkeit spreche (Institutionen, Organisationen, Gruppen, Führungsgestalten, Einzelpersonen), gilt verstärkt für die Zeit nach 1955, weil seitdem das Pluralismusproblem in der Praxis wie in der deutenden Wahrnehmung zunehmend an Gewicht gewonnen hat. Wir wissen nicht, welche der vielerlei praktischen Probleme, kirchenpolitischen Konflikte und theologischen Diskussionsthemen als repräsentative Teilstücke berücksichtigt und wie sie dann systematisch gewichtet und in ein Gesamtbild eingeordnet werden müssen. Wir wissen darum auch nicht, wie wir die Bedeutung der sog. neuen sozialen Bewegungen in den sechziger und siebziger Jahren für die evangelische Kirche und Theologie bestimmen sollen. Es bleibt insgesamt nur eine vorläufige, stückweise Annäherung möglich.“1
Vor dem Hintergrund dieses noch fehlenden Gesamtbildes eines kirchengeschichtlichen „Waldes“ der 1960er, 1970er Jahre stellt die vorliegende Arbeit den Versuch dar, ein spezielles Biotop dieses Waldes zu untersuchen. Um im 1
HAUSCHILD, Evangelische Kirche in der Bundesrepublik, 51. In der Zwischenzeit erschienen mit dem ebenfalls auf eine Tagung der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte zurückgehenden Sammelband „Die Politisierung des Protestantismus. Entwicklungen in der Bundesrepublik Deutschland während der 1960er und 70er Jahre“ sowie Martin Greschats „Protestantismus im Kalten Krieg. Kirche, Politik und Gesellschaft im geteilten Deutschland 1945–1963“ zwei weitere neuere Untersuchungen, die sich der Kirchengeschichte nach 1945 widmen.
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Einleitung
Bilde zu bleiben: es geht darum, den frömmigkeitsrelevanten Bodenbewuchs zwischen den theologischen oder kirchenpolitischen Bäumen und seine Beziehung zum Wald als Ganzem herzustellen. Die so genannten Evangelikalen2 bieten nicht nur ein selbstständiges, auch für die gegenwärtige Diskussion um Kirche, Christentum und christlichen Fundamentalismus historiographisch aufzuarbeitendes Feld, sondern widerspiegeln durch ihre An- und Eingebundenheit in die „evangelische Kirche“, wie die vorliegende Arbeit zeigt, die Kirchengeschichte des 20. Jahrhunderts ganz unmittelbar. In den letzten Jahren ist verschiedentlich auf die Notwendigkeit hingewiesen worden, die „konservativen“, d. h. auf Vereinheitlichung ausgerichteten Gegenbewegungen zur sich ausdifferenzierenden Kirche im 20. Jahrhundert zu untersuchen. Das soll an dieser Stelle geschehen, allerdings nicht nur als eine Geschichte der evangelikalen Bewegung, sondern als eine Geschichte des Verhältnisses zwischen der evangelikalen Bewegung und der „evangelischen Kirche“. Es war und ist in erster Linie die Geschichte der Wechselwirkung mit der Kirche, so eine These der vorliegenden Arbeit, die die Geschichte der evangelikalen Bewegung in Deutschland grundsätzlich bestimmte. 1.1.1 Ziel und Teilziele der Arbeit Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, eine kirchenhistorische Darstellung einer zeitgeschichtlichen, innerprotestantischen Auseinandersetzung zu bieten, der sich die evangelische Kirche seit 1945 ausgesetzt sah und der sie immer noch ausgesetzt ist. Prinzipiell zieht sich diese Auseinandersetzung seit der Entstehungszeit des Pietismus durch die Kirchengeschichte. Bei der Betrachtung einer solchen longue durée vom 17. Jahrhundert bis ins 21. Jahrhundert wäre nach Typen von Frömmigkeit zu fragen, die sich im „pietistischen“ und im „orthodoxen“, aber auch im „aufklärerischen“ Prototypus niederschlagen. Allerdings sprengt eine tiefere Analyse dieser Konstellationen, die keineswegs nur individuell-biographisch zu verorten sind und sich möglicherweise auch nicht in einem Frömmigkeitsstil per se, sondern einer Haltung anderen Frömmigkeitsstilen gegenüber ausdrücken, den Rahmen der vorliegenden Arbeit. Die vorliegende Darstellung nähert sich als zeitgeschichtliche Untersuchung der bisher bei Weitem noch nicht ausgeleuchteten westdeutschen Kirchengeschichte nach 1945 und konkretisiert historiographisch einen Teilaspekt dieser Geschichte. Dabei werden mehrere damit in Zusammenhang stehende Themen aufgenommen und entsprechend der Zielsetzung der Untersuchung bearbeitet:
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Zur Begriffsklärung vgl. Kap. 1. 2. 1, S. 28–31.
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Methodische Vorüberlegungen
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1. Die bisher noch nicht in einem zusammenhängenden Kontext beschriebene Vorgeschichte und Geschichte der evangelikalen Bewegung in Westdeutschland wird hier ausführlich beleuchtet. Die Entstehung der deutschen evangelikalen Bewegung kann, wie im Folgenden dargestellt wird, weniger in internationale Zusammenhänge denn in die Geschichte der deutschen Gemeinschaftsbewegung und der „Deutschen Evangelischen Allianz“ (DEA) eingeordnet werden. Gerade die ausführliche Untersuchung der Vorgeschichte des Evangelikalismus in Deutschland wird verdeutlichen, was eigentlich unter „evangelikal“ verstanden werden muss. 2. Der deutsche Evangelikalismus ist in seinen Abgrenzungstendenzen wesentlich stärker auf die „evangelische Kirche“ als auf „die Welt“ oder „die Gesellschaft“ fokussiert. Diese Frontstellung, aber auch die machtpolitische Überhöhung der Bedeutung von „Kirche“ zieht Implikationen für das Selbstverständnis der deutschen evangelikalen Bewegung nach sich, die zu untersuchen sind. Das gesamte Themenfeld Evangelikalismus als Protestbewegung nicht nur innerhalb des Protestantismus, sondern auch in Selbstbehauptung gegen die traditionell-institutionelle Kirche ist samt den Ursachen für diese Protesthaltung bisher nicht bearbeitet worden. 3. Die Untersuchung stellt Verhaltensmotive und -optionen von evangelikalen Gruppen gegenüber der evangelischen Kirche einerseits und von der Kirche gegenüber evangelikalen Positionen andererseits dar. Das liefert Rückschlüsse auf gegenwärtige Positionsbestimmungen und Selbstwahrnehmungen in beiden Bereichen, die sich nicht unmittelbar aus den aktuellen Verlautbarungen o. ä. entnehmen lassen, sondern sich aus der Analyse eines Diskussionsverhaltens ergeben, das eine jahrzehntelange Tradition aufweist. 4. Die vorliegende Studie differenziert das evangelikale Lager im Gegensatz zu den vereinheitlichenden Abrissen seiner Geschichte. Es werden die thematischen und historischen Kumulationspunkte einzelner Gruppen herausgearbeitet, die zu den Trägergruppen der evangelikalen Bewegung gehören. 5. Trotz der Binnendifferenzierung ähneln sich Kernprobleme der einzelnen Landeskirchen mit Evangelikalen und die Kritikpunkte verschiedener evangelikaler Gruppen an den Landeskirchen, und zwar über alle regionalen Mentalitäts- und Frömmigkeitsausprägungen hinweg. Damit zeigt die vorliegende Arbeit ein Gesamtverständnis von evangelischer Kirche in Westdeutschland im 20. Jahrhundert auf, und zwar nicht nur auf der Ebene der Organisation, sondern derjenigen einer relativ einheitlichen Kirchenauffassung bei ihren maßgeblichen Protagonisten. Ebenso zeigt die Untersuchung, dass der westdeutsche Evangelikalismus trotz seiner disparaten Gruppen- und Vertreterlage durchaus ab einem bestimmten Zeitpunkt den Begriff „Bewegung“ als eine geschlossene Strömung verdient. Um diese Bewegung zu charakterisieren, wird als Ver-
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Einleitung
gleichsrahmen die Beschreibung der „neuen sozialen Bewegung“ aus der soziologischen Bewegungsforschung herangezogen. Kernziel der Arbeit ist es, in Form einer Makro- oder Breitenuntersuchung die beiden Vorstellungskomplexe evangelikale Bewegung und institutionell verfasste Landeskirchen zueinander ins Verhältnis zu setzen, und zwar im Hinblick auf ihre Auseinandersetzungen. 6. Die in der allgemeinen Geschichtsschreibung als „Reformzeit“ bezeichnete Phase der deutschen Geschichte von 1961/65 bis 1974 bzw. der Vorlauf, die Hochphase und der Nachklang der „1968er Jahre“ erfahren anhand eines Teilaspektes der neuesten Kirchengeschichte eine Konkretisierung, ohne dass sich dieser Teilaspekt vordergründig oder unmittelbar auf gesamtgesellschaftliche Entwicklungen bezieht. Die Geschichte der evangelikalen Bewegung spiegelt vielmehr indirekt die Anpassungsleistung der Kirche an die bzw. die Selbstpositionierung der Kirche in den rasanten Veränderungen der westdeutschen Gesellschaft von 1945 bis 1989 wider, ohne aber selbst zu dem Motor dieser Veränderung in einem direkten Bezug zu stehen. „Die Kirche“ bildet hier gewissermaßen eine Pufferzone in der evangelikalen Betrachtung „der Welt“. Von daher ist die Geschichte der evangelikalen Bewegung eine innerprotestantisch relativ abgegrenzte Geschichte, die kaum Anknüpfungspunkte an die Allgemeingeschichte aufweist. Diese Sonderstellung der evangelikalen Bewegung ist in Bezug auf das Hauptziel der Arbeit zu beachten: der Untersuchung eines Sektors der evangelischen Kirche in Westdeutschland, der gleichermaßen sowohl selbst Geschichte schrieb als auch die „evangelische Kirche“ in ihrer Historie spiegelt. Auf dieser Grundlage können weiterführende Untersuchungen zur westdeutschen Kirchengeschichte nach 1945 erfolgen. 7. Die vorliegende Untersuchung trägt zu der aktuell hochbrisanten Fundamentalismusdebatte bei, indem sie den Blick auf eine den christlichen Fundamentalismus begleitende, korrigierende, aber auch befördernde Parallelströmung richtet. Auf die Konstellation christlicher Fundamentalismus versus Evangelikalismus wird in Kap. 2.4 in Form einer Problemanzeige direkt eingegangen werden. In dem historischen Hauptteil spielt dieser Themenkomplex aus zwei Gründen keine Rolle: Erstens kamen erst in den 1980er Jahren, d. h. gegen Ende des in dieser Arbeit fokussierten zeitlichen Rahmens überhaupt Debatten über christlichen Fundamentalismus auf und zweitens hat in den letzten zehn Jahren ein so grundsätzlicher Wandel des Nachdenkens sowie eine Verschärfung der Fundamentalismuszuschreibungen stattgefunden, dass eine Untersuchung über Vernetzungen von Fundamentalismus und Evangelikalismus in Deutschland derzeit eher unter phänomenologischem denn historiographischem Zugriff sinnvoll ist. Trotzdem ebnet die vorliegende Arbeit zukünftigen Untersuchungen zu Zusammenhängen und Unterschieden von Evangelikalismus und Fundamentalismus insofern die Bahn, als dass hier die historische
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Verortung des Evangelikalismus außerhalb christlich-fundamentalistischer Strömungen nachgewiesen wird – was nicht heißen soll, dass es an bestimmten Punkten in den letzten Jahrzehnten nicht zu Annäherungen zwischen beiden Bewegungen gekommen wäre. 1.1.2 Fokussierung und Abgrenzung des Themas Die Untersuchungsebene der vorliegenden Arbeit ist die des Verhältnisses zwischen evangelikalen Gruppen sowie Protagonisten der evangelikalen Bewegung und den Landeskirchenleitungen. Hier sind die Auseinandersetzungen, die die signifikanten Kernpunkte des Verhältnisses darstellen, in Form von öffentlichen Verlautbarungen sowie Korrespondenzen und Gesprächs- und Sitzungsprotokollen am deutlichsten zu fassen. Beschwerdebriefe evangelikaler Gruppen gingen beispielsweise zum Großteil zuerst bei den Landesbischöfen ein, erst in zweiter Instanz bei der EKD. Das hängt sicher mit der über einen langen Zeitraum problematischen Stellung der EKD zusammen,3 der bei ihrer Gründung „wenig Befugnisse gegenüber ihren Gliedkirchen eingeräumt waren“, so dass „es zu einer Renaissance des Landeskirchentums“4 kam. Die Landeskirchen waren demnach in stärkerem Maße als die EKD Ansprechpartner für den Evangelikalismus. Zu der „territorialen Bindung des Bekenntnisstandes“ in den Landeskirchen, d. h. der divergierenden unierten, reformierten oder lutherischen Bekenntnisbindung bzw. der verschiedenen Varianten ihrer organisatorischen Vernetzung innerhalb einzelner Landeskirchen kommen die territorialen Ausprägungen des Evangelikalismus hinzu, die, obwohl sie in dieser Arbeit nicht im Vordergrund stehen, nicht losgelöst voneinander betrachtet werden können. Von daher ist die Gegenüberstellung von Landeskirchenleitungen und evangelikalen Gruppen sinnvoll. An der Basis stellt sich die Gruppenlage äußerst kompliziert dar, weil, ausgehend von der Thematik der Arbeit, die hier fokussierten Evangelikalen zugleich Kirchenmitglieder waren, zu einem Teil sogar Pfarrer. Diese Situation stellt die vorliegende Arbeit vor eine doppelte Ausgangslage: Auf institutioneller Ebene handelt es sich bei den Landeskirchen und den evangelikalen Vereinigungen5 3 Vgl. HAUSCHILD, Evangelische Kirche in Deutschland, 656–677, besonders Abschnitt 6 „Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) 1945–1948“ und Abschnitt 7 „Organisationsstruktur und Wirksamkeit der EKD seit 1948“. 4 WALLMANN, Kirchengeschichte, 282. 5 Es sei hier kurz angemerkt, dass die evangelikale Bewegung trotz ihres gebrochenen Verhältnisses zur Institutionalität und ihres starken Engagements Einzelner im Laufe der Jahre institutionelle Selbstorganisationsformen aufbaute, wie z. B. die evangelikale „Konferenz bekennender Gemeinschaften in den evangelischen Kirchen Deutschlands“ (KBG). Der Grad der Institutionali-
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Einleitung
sowohl um zwei getrennte als auch um ein und dasselbe Phänomen, nämlich dasjenige der evangelischen Kirche. Es sei an dieser Stelle angemerkt, dass in der Arbeit der Begriff „evangelische Kirche“ in Bezug auf die institutionelle Seite des Protestantismus – in diesem Falle vor allem der Landeskirchenämter und der Landesbischöfe – gebraucht wird, auch wenn dabei weitergehende ekklesiologische Aspekte und Fragen außer Acht gelassen werden.6 „Kirche“ ist hier in erster Linie als die Gesamtheit der Landeskirchen zu verstehen, und zwar vor dem Hintergrund der gemeinsamen Frontbildung gegen „die Kirche“ seitens evangelikaler Kirchenkritiker, aber auch der ähnlichen Reaktionen der einzelnen Landeskirchenleitungen auf das Phänomen Evangelikalismus. Damit soll keineswegs unterschlagen werden, dass die einzelnen Landeskirchen in ihrer Geschichte und spezifischen Frömmigkeitsausprägung bis hin zu den konfessionellen Differenzen und Zugehörigkeiten zu unterschiedlichen Zusammenschlüssen ausgesprochen selbstständige Gebilde darstellen, die getrennt zu betrachten sind. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass sich in Bezug auf die Erforschung der Geschichte der einzelnen Landeskirchen nach 1945 in kausalem Zusammenhang ebensolche großflächigen Lücken zeigen, wie sie in der Erforschung des Protestantismus nach 1945 generell vorhanden sind.7 Vor diesem Hintergrund gestaltet es sierung ist bei der evangelikalen Bewegung allerdings deutlich weniger stark ausgeprägt als in der evangelischen Kirche bzw. den Landeskirchen in Deutschland. 6 Eine andere oder erweiterte Deutung innerhalb einer Untersuchung, die im Bereich von Institutionen- und Mentalitätsgeschichte operiert, ist nicht sinnvoll. Allerdings geht es bei der Kritik der evangelikalen Bewegung an „der Kirche“ – ohne dass dieser Kritik ein einheitliches ekklesiologisches Modell zugrunde liegen würde – oftmals um eben den institutionellen Charakter der Kirche, die nicht mehr „Gemeinschaft der Heiligen“ sei. Hier zeigt sich eine polare Spannung zwischen Institution und Vorstellung von „Ekklesia“, die die gesamte Kirchengeschichte durchzieht und im 20. Jahrhundert nicht zuletzt in den Debatten um das Selbstverständnis der EKD zwischen „Bund“ und „Kirche“ (vgl. HAUSCHILD, Evangelische Kirche in Deutschland, 670) zum Ausdruck kam. 7 Derzeit sind verschiedene Forschungsprojekte im Bereich der regional fokussierten kirchlichen Zeitgeschichte im Entstehen begriffen oder vor kurzem beendet worden. Hingewiesen sei an dieser Stelle auf: die 2010 publizierte kirchenhistorische Dissertation „Ein Jahrzehnt der Hoffnungen. Reformgruppen in der bayerischen Landeskirche 1966–1976“ von Angela Hager; die 2008 in Tübingen eingereichte und voraussichtlich 2011 im Druck erscheinende geschichtswissenschaftliche Dissertation von Claudius Kienzle „Wahrnehmung, Mentalität, Generation. Evangelische Pfarrer und der gesellschaftliche Wandel in einer württembergischen Wachstumsregion der frühen Bundesrepublik“; das Dissertationsvorhaben von Karin Oehlmann unter der Mentorenschaft von Siegfried Hermle zur württembergischen Landeskirche um 1968; das von Michael Stahl bearbeitete und Jochen-Christoph Kaiser betreute Projekt „Zum Werden der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck nach 1945 – am Beispiel Adolf Wüstemanns“. Den Promovendinnen und Promovenden danke ich herzlich für Gespräche, Hinweise bzw. die Möglichkeit, Einsicht in die schon eingereichten, aber noch nicht gedruckten Arbeiten zu nehmen.
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sich momentan schwierig, die evangelikalen Entwicklungen in den einzelnen Landeskirchen unter regionalspezifischen Gesichtspunkten aufzugreifen. Aber die „Demarkationslinie“ zwischen „Amtskirche“ und evangelikalen Gruppen durchzieht, wenn auch jeweils etwas verschoben, alle Landeskirchen. Dieses gemeinsame Problemfeld legitimiert dazu, mentalitäts- und frömmigkeitsgeschichtliche Ausprägungen der einzelnen Landeskirchen nachrangig zu behandeln und primär die weitestgehend gleichartigen Auseinandersetzungen zu fokussieren. Jedes landeskirchliche Leitungsgremium war spätestens ab Mitte der 1960er Jahre gezwungen, in den Debatten um die von evangelikaler Seite stereotyp als „modernistisch“ oder „modern“ bezeichnete Theologie, um geforderte Lehrzucht und letztlich im Hinblick auf ihr Selbstverständnis als Kirche öffentlich Stellung zu beziehen. Diese Stellungnahmen fielen durchaus unterschiedlich aus, waren aber im Kern, selbst bei vereinzelter starker Kritik theologischer Ansätze, getragen von einer apologetischen bzw. protektiven Haltung gegenüber der Theologie. Es gab gemeinsame Konstanten in allen Landeskirchen, die die Debatte mit der evangelikalen Bewegung und ihren Trägergruppen prägte. Auch im Hinblick auf die Gemengelage des deutschen Evangelikalismus ist zu konstatieren, dass dieser im Zusammenhang mit regionalen Ausprägungen, in erster Linie mit der Erweckungs- und Gemeinschaftsbewegung des 19. Jahrhunderts steht: Wo starke und traditionsreiche Gemeinschaftsverbände existierten,8 ergaben sich im 20. Jahrhundert evangelikale Kumulationspunkte. Eine Gesamtschau des westdeutschen Evangelikalismus weist aber auch eine ganze Reihe von Aspekten auf, die dieser monolinearen Kausalität nicht folgen und im Zusammenhang mit der Wirkung von überregionalen Medien wie Rundfunk, Zeitschriften oder von Massenereignissen wie Großevangelisationen stehen, aber auch der Mobilität der Evangelisationsbewegung geschuldet sind, die die regionale Verhaftung aufbrach. Auch dieser Umstand berechtigt zu einer Hintanstellung der Analyse regionaler Vernetzungen und historischer Entwicklungen zugunsten der Breitenstudie, auch wenn diese Spezifika keineswegs unterschlagen werden sollen und können. Nicht unproblematisch ist die Gegenüberstellung von evangelischer Kirche und dem Evangelikalismus in methodischer Hinsicht, da ein institutionelles Phänomen, die evangelischen Landeskirchen, ins Verhältnis zu einer nur gering institutionalisierten und stark personenzentrierten Bewegung gesetzt wird.
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Zu den regionalen Ausprägungen der Erweckungsbewegung im 19. Jahrhundert vgl. BENErweckung, 150–271.
RATH,
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Einleitung
Dementsprechend stellt die vorliegende Untersuchung eine Analyse im Schnittbereich von Institutionen-, Bewegungs- und Mentalitätshistoriographie dar. Auf Grund des thematischen Umfanges wurden in der vorliegenden Untersuchung einige prinzipielle Einschränkungen vorgenommen: Die erste Einschränkung betrifft die evangelikale Bewegung: Nicht berücksichtigt werden sämtliche evangelikale Gruppen, die pfingstlerisch-charismatisch geprägt sind.9 Die bis zum Ende des 20. Jahrhunderts dauernden innerevangelikalen Auseinandersetzungen zwischen „Geist- und Wortevangelikalen“, d. h. denen, die sich auf den Heiligen Geist und denen, die sich auf die Bibel als primäres Offenbarungsmedium bezogen, erleichtern hier eine Abgrenzung im Sinne der historischen Ereignisse und Phänomene. Die Schärfe der gegenseitigen Verwerfungen ließe sich, in freier Verwendung eines Begriffs von Mario M. Lepsius aus der Partei- und Milieuforschung des 19. Jahrhunderts, am ehesten mit dem Begriff „Ekelschranken“ bezeichnen.10 Auch die in den 1980er Jahren beginnende und sich erst in den 1990er Jahren vertiefende Annäherung von evangelikaler und charismatischer Bewegung gestaltete sich nicht geradlinig und harmonisch. Mit beiden Glaubensströmungen prallen tief sitzende konträre Konzepte von Glauben und Heil aufeinander. Es wäre ein lohnenswertes Unterfangen, diese Auseinandersetzung historiografisch zu verfolgen, allerdings kann das in der vorliegenden Arbeit nicht geleistet werden. Auf Grund des in Grenzen zu haltenden Umfanges der Arbeit war es nötig, eine Entscheidung zu treffen, ob die Fokussierung eher auf dem so genannten Wort- bzw. Bekenntnisevangelikalismus oder auf pfingstlerisch-charismatischen Evangelikalismus gerichtet sein sollte. Ausschlaggebend für die Exklusion des letzteren ist die höhere Bedeutung der Auseinandersetzungen des Bekenntnisevangelikalismus mit der Kirche in (West)Deutschland in dem anvisierten Zeitrahmen, sowohl für den Evangelikalismus selbst als auch für die evangelische Kirche. Der pfingstlerisch-charismatische Evangelikalismus ist allerdings keineswegs ein zu unterschätzendes Phänomen – neuere Untersuchungen gehen davon aus, dass hier die Zukunft des Evangelikalismus liegen wird.11 In den lateinamerikanischen und afrikanischen Kirchen ist seine Bedeutung bereits sehr groß, aber auch in Europa nimmt diese Ausprägung des Evangelikalismus zu. 9 Aus der neueren Literatur zum pfingstlerisch-charismatischen Evangelikalismus sei beispielhaft genannt: BERGUNDER / HAUSTEIN, Migration; EISENLÖFFEL, Pfingstbewegung; GEMEINHARDT, Pfingstbewegung; GROSSMANN, Charismatische Erneuerung; KIRCHNER, Charismatische Erneuerung; SPORNHAUER, Die charismatische Bewegung; ZIMMERLING, Charismatische Bewegungen; ZIMMERLING, Geistliche Kampfführung. 10 LEPSIUS, Parteiensystem, 56–79. 11 JOHNSTON, Evangelikale Theologie, 1701; HEMPELMANN, Evangelikalismus und Fundamentalismus, 9f.
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Ebenfalls nicht berücksichtigt werden in der vorliegenden Untersuchung evangelikale Christen, die Angehörige von Freikirchen sind oder Freikirchen, die dezidiert zur evangelikalen Bewegung zählen. Der Anteil von Evangelikalen in den Freikirchen ist prozentual höher als der in der evangelischen Kirche – dazu liegen allerdings bisher auch keine grundlegenden Untersuchungen vor – und von daher wäre es für das Generalthema „Evangelikalismus“ erhellend, die Zusammenhänge, Vernetzungen und die Auseinandersetzungen auch innerhalb der Freikirchen zu beleuchten. Außerdem kann durch die freikirchliche Affinität des Evangelikalismus selbst kein scharfer Ausschluss des Themas „Freikirchlichkeit“ im Rahmen der vorliegenden Untersuchung erfolgen. Aber der Fokus der Arbeit ist auf den Evangelikalismus innerhalb der Landeskirchen gerichtet und von daher gelangen Freikirchen oder freikirchliche Gemeinschaften nur peripher in den Betrachtungshorizont. Die Konzentration auf Westdeutschland schließt weiterhin einen direkten Vergleich mit der Situation des Verhältnisses von evangelikalen Gruppen und den Landeskirchen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR aus, da die politischen Vorzeichen im Sinne der SED-Diktatur vollkommen anders gelagert waren und sich die Kirche in der DDR – sowie alle mit ihr korrelierenden Bereiche, sofern sie überhaupt ausdifferenziert existieren konnten – in einer gänzlich anderen Situation als die Kirche in Westdeutschland befand. Im November 1970 gründete sich mit der „Arbeitsgemeinschaft Kirche und Bekenntnis“ zwar auch auf ostdeutschem Gebiet eine „Bekenntnisbewegung“,12 aber eine Breitenwirkung wie in den westdeutschen Landeskirchen wurde hier nicht erreicht – ein offensiver „evangelikaler Protest“ gegen die Kirchen erfolgte nicht. Die evangelische Kirche in der DDR war auf Grund des äußeren politischen Drucks zu homogenisiert, als dass es zu weit reichenden Differenzen in den eigenen Reihen gekommen wäre. So begegnete man der Gründung der Arbeitsgemeinschaft seitens der Landeskirchenleitungen mit deutlicher Zurückhaltung, da sowohl die von der Arbeitsgemeinschaft konstatierte Krise in Kirche und Theologie so nicht gesehen und eine von der Sache her nicht gerechtfertigte Spaltung der 12 BEKENNTNISBEWEGUNG JETZT AUCH IN DER DDR, 26. Die Gründung ging auf eine Initiative des Lutherischen Konvents Sachsens zurück. An den Vorgesprächen zu diesem Zusammenschluss waren beteiligt: der Landesverband landeskirchlicher Gemeinschaften in Sachsen, die Arbeitsgemeinschaft Evangelischer Kirchenmusiker Sachsens, die Bekennende Evangelisch-Lutherische Kirche Sachsens, die Sächsische Pfarrbruderschaft, die Pfarrergebetsbruderschaft, der Volksmissionskreis Sachsen, die Volksmission und Evangelisation sowie die dem Lutherischen Einigungswerk angeschlossenen Vereinigungen, u. a. der schon genannte Lutherische Konvent, die EvangelischLutherische Gebetsbruderschaft und die Augustana-Konferenz Karl-Marx-Stadt. Leiter der Arbeitsgemeinschaft wurden der Meißener Superintendent Hermann Klemm, der Leisniger Superintendent Gottfried Merz sowie der Theologiedozent an den kirchlichen Ausbildungsstätte Leipzig Christoph Michael Haufe und der Moritzburger Pfarrer Helmut Appel.
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Kirche zu befürchtet wurde. Wie gern die staatlichen Behörden der DDR die vom Evangelikalismus ausgehende Form der innerkirchlichen Zersplitterung begrüßt hätten, geht aus einer Dienstbesprechung beim Staatssekretär für Kirchenfragen im Mai 1968 hervor, auf der die westdeutsche Situation reflektiert und die Forderung erhoben wurde, alle „politischen Mitarbeiter“ sollten sich „ein Mindestmaß an Wissen auf dem Gebiete der ‚modernen Theologie‘ aneignen“. Der Staatssekretär verwies in dem Zusammenhang nachdrücklich auf die Auseinandersetzungen, „die in den Kirchen und bei den Theologen verstärkt in Gang gekommen sind“, besonders durch die „westdeutsche kirchlich-theologische Bewegung ‚Kein anderes Evangelium‘“. Schließlich hob er hervor, der „Zersetzungsprozeß innerhalb der westdeutschen Kirchen“ müsse genau beobachtet „und für unsere Differenzierungspolitik genutzt werden.“13 1.1.3 Die geschichtswissenschaftlich-methodologische Sonderform „Zeitgeschichtsschreibung“ Erschwerend kommt zu dem Problem der „weißen Flecken“ in der Kirchengeschichtsschreibung des 20. Jahrhunderts die methodologische Besonderheit der Zeitgeschichtsschreibung hinzu, die ganz eigenen Problemkonstellationen unterworfen ist.14 Zeithistorische Arbeiten verarbeiten historiographisch Phänomene, die unmittelbar in die Gegenwart hineinreichen und deren Wertung nicht zuletzt von den bearbeiteten Phänomenen selbst geprägt und gesteuert sind. Auf Grund der zeitlichen Nähe zwischen zu analysierendem Sujet und dem Beobachter stellt die Zeitgeschichtsschreibung Kirchenhistoriker stärker vor die Herausforderung einer deutlichen Reflexion der eigenen Position. Im Gegensatz zur Behandlung anderer historischer Epochen erscheint bei der Thematik der Zeitgeschichtsschreibung die Notwendigkeit des Fällens von sittlichen Urteilen und des Standortbeziehens über die Kenntnisnahme des Faktischen hinaus „noch bedrängender und unabweisbarer“, so der kirchliche Neuzeithistoriker Martin Greschat.15 Aus systematisch-theologischer Sicht hat dies der Fundamentaltheologe Matthias Petzoldt in einer Erörterung zum Fundamentalismus, der im Zusammenhang mit Evangelikalismus in dieser Arbeit nur eine untergeordnete Rolle spie-
13 Protokoll der Dienstbesprechung beim Staatssekretär [für Kirchenfragen der DDR Hans Seigewasser] am Freitag, den 31. Mai 1968. 2. 7. 1968. Maschinenschriftl., 7f. (BArch DO 4/ 400). Für den Hinweis auf dieses Dokument danke ich Frau Cornelia von Ruthendorf-Przewoski. 14 DOERING-MANTEUFFEL / NOWAK, Kirchliche Zeitgeschichte; GRESCHAT, Anmerkungen; MEHLHAUSEN, Zur Methode; MEIER, Kirchliche Zeitgeschichte; SIEGELE-WENSCHKEWITZ, Probleme. 15 GRESCHAT, Christliche Zeitgeschichte, 18.
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len wird, zusammengefasst. Das „zirkuläre Vorgehen bei Analyse und Verwendung des Ausdrucks ‚Fundamentalismus‘“, so Petzoldt, ermögliche Erkenntnisgewinn nur unter Berücksichtigung des Aspektes, dass sich „der kritische Beobachter“ seines eigenen Vorverständnisses und der eigenen Betroffenheit bewusst sei, die er in die Behandlung des Phänomens mit einbringe.16 Diese Überlegung gilt gleichermaßen für das Phänomen „Evangelikalismus“. Greschat fährt in seinen Überlegungen fort, der Zeithistoriker stehe angesichts seines Forschungsfeldes besonders „in der Gefahr, als Ankläger, Richter und vielleicht sogar auch noch als Vollstrecker des Urteils aufzutreten.“17 Im Hinblick auf die vorliegende Arbeit ergeben sich vor diesem Hintergrund zwei konkrete, methodisch problematische Kumulationspunkte, die letztlich nicht völlig aufgelöst werden können. Zum einen stellen die Quellen der vorliegenden Untersuchung, und dies sind in erster Linie Schriften evangelikaler Autoren, zu einem großen Teil auch die Sekundärliteratur dar, auf der die Studie aufbaut. Zum anderen bildet der Umstand, dass die historisch bedingte Frontstellung evangelikaler Haltung gegenüber der akademischen Theologie in einer theologischen Qualifikationsschrift untersucht wird, einen Widerspruch in sich. An der problembehafteten Stelle der Untrennbarkeit von Quellen und Sekundärliteratur wurde versucht, nach den Kriterien wissenschaftlicher Arbeit Wertungen von Autoren, die gleichermaßen als zeitgenössische Akteure fungierten, zwar aufzunehmen, aber auch kritisch zu hinterfragen, und zwar auch im Blick auf die Kritik dieser Autoren an der evangelikalen Bewegung selbst. Es ist evident, dass eine neutrale Geschichtsschreibung für keine Epoche möglich ist, aber da die Zeitgeschichtsschreibung, wie oben beschrieben, bedeutend stärker in zeitgenössische Urteile involviert ist, trifft das sowohl für die Autoren zu, mit denen sich im Folgenden auseinander gesetzt wird, als auch für die marginale Literatur aus der Feder von Kirchenhistorikern und Theologen zu dem Thema. Die Quellengrundlage der vorliegenden Arbeit bildet zum überwiegenden Teil Schriftgut. Auf Zeitzeugeninterviews wurde verzichtet, allerdings nicht auf Gespräche, die als Gesprächsprotokolle vorliegen und die Texte und Korrespondenzen ergänzen. Damit sind die subjektiven Befindlichkeiten natürlich keineswegs reduziert, die in den häufig in polemischer Abarbeitung geführten Debatten zum Ausdruck kommen. Da das Verhältnis zwischen Kirche und evangelikalen Gruppen als eine kontinuierliche Auseinandersetzung zu verstehen ist, sind die meisten Quellen generell als höchst subjektiv einzustufen, auch in ihrer schriftlichen Form. Allerdings bieten an dieser Stelle die große zeitliche Nähe zum Betrachtungssujet sowie die Vielfalt der noch erhaltenen Dokumente und 16 17
PETZOLDT, Fundamentalismus, 31f. GRESCHAT, Christliche Zeitgeschichte, 20.
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Korrespondenzen auch einen wesentlichen Vorteil, nämlich denjenigen, die Gemengelagen differenziert analysieren zu können. Gerade nachträgliche Bedeutungszuschreibungen von Ereignissen und Interpretationen im Nachhinein, die zum betreffenden Zeitpunkt anders gelagert waren, können in ihrer Veränderung wahrgenommen werden, und daraus wiederum Schlüsse auf die Dynamik und die Richtungsänderungen von historischen Phänomenen und ihrer Akteure gezogen werden. Warum sich die konträre, und damit nicht mehr weitestgehend Distanz aufbauende Positionierung vom Beobachter gegenüber dem Sujet im vorliegenden Falle auch strukturell nicht aufheben lässt, wird bei der Betrachtung folgenden Umstandes deutlich, der das zweite methodische Problem dieser Arbeit als einer zeitgeschichtlichen Arbeit darstellt: die historisch bedingte Frontstellung evangelikaler Haltung gegenüber der akademischen Theologie. Die Theologie hat, nicht zuletzt als Teil der universitas litterarum, den Anspruch einer methodisch strukturierten Wissenschaft. Dem zu folgen ist der mindeste Maßstab, der an eine kirchengeschichtliche Untersuchung gelegt werden kann. Der Konflikt seitens erwecklicher, evangelistisch-missionarischer und seit 1966 evangelikaler Gruppen mit der Theologie bezieht sich zwar in erster Linie auf die exegetischen Fächer, weniger auf die Kirchengeschichte, aber letztlich stehen in dieser Auseinandersetzung nicht theologische Methoden im Einzelnen, sondern ihre Anbindung an die zeitgenössischen Wissenschaftsparadigmen zur Disposition. Die Theologie wird hier in ihrem wissenschaftlichen Prinzip kritisiert. So ist es selbst unter der Wahrung methodischer Klarheit, dem bewussten Ausschluss von Werturteilen und der größtmöglichen Reflexion über die eigene Position in dieser Gemengelage schlechterdings nicht möglich, eine Untersuchung zum Thema Kirche und evangelikale Gruppen vorzunehmen, die vor dem Hintergrund dieser Konstellation nicht polarisiert, und zwar einfach dadurch, dass sie theologisch ist, d. h. wissenschaftlich argumentiert. Da die evangelikale Kritik an der Theologie im Kern Kritik an der historisch-kritischen Methode, an Exegese und Hermeneutik, d. h. an Schriftauslegung ist, berührt eine kirchengeschichtliche Arbeit oberflächlich betrachtet diesen Problemhorizont kaum. Hinsichtlich der praktischen Bearbeitung des Themas in dieser Untersuchung fällt dieser Umstand, zumindest aus der Sicht der wissenschaftlichen Bearbeiterin, kaum ins Gewicht, aber als Problemanzeige muss er auf theoretischer Ebene genannt sein. Denn darüber hinaus gehört zu den evangelikalen Spezifika auch eine ausgesprochene ahistorische Einstellung gegenüber der eigenen Bewegung. In der „evangelikale[n] Tradition der Traditionslosigkeit“18 werden die eigenen Wur-
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HOCHGESCHWENDER, Amerikanische Religion, 132.
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zeln und Entwicklungen kaum reflektiert, so dass historische Arbeiten allein durch ihre Geschichtsfokussierung aus dem Rahmen des evangelikalen Selbstverständnisses fallen und sich damit phänomenologisch vom Sujet ihrer Beobachtung eher entfernen als dass sie sich ihm nähern. Allerdings birgt das Spezifikum der Zeitgeschichtsschreibung auch die eminente Chance einer unmittelbaren Vergleichbarkeit von eigener Haltung und „Fremd“-Positionen. Nach Greschat ist ein Signum der Zeitgeschichtsschreibung die „Überschreitung der eigenen konfessionellen Grenzen“: „Nicht nur aus Gründen der Wissenschaft, sondern der Eigenart dieses Christentums entsprechend darf der Standort innerhalb der eigenen christlichen Prägung und Konfession [und theologischen Perspektive] also lediglich den Ausgangspunkt, aber niemals die Grenze der kirchlichen Zeitgeschichte bilden. Ein solches Vorgehen wirkt aufklärend, aber auch relativierend. Doch darum müssen nicht alle Katzen grau sein und kein Urteil mehr eindeutig. Wirklich vergleichen kann nur, wer über einen eigenen Standpunkt verfügt.“19
In dieser Hinsicht ist das Thema der Arbeit, die Verhältnisbestimmung von Positionen von Landeskirchen und evangelikalen Gruppen, besonders ergiebig, da hier unmittelbar eine Komparatistik von landeskirchlichem und evangelikalem Handeln in dem Zeitrahmen 1945 bis 1989 erfolgt. Weiterhin bietet die Kirchliche Zeitgeschichte die Möglichkeit der fachübergreifenden und interdisziplinären Zusammenarbeit, nicht nur innerhalb des theologischen Fächerkanons, sondern auch in Zusammenarbeit mit der Geschichtswissenschaft, den Kulturwissenschaften und der Soziologie. Dieses Charakteristikum der Kirchlichen Zeitgeschichtsschreibung als „Kooperationswissenschaft“20 geht über die Vernetzungsmöglichkeiten der Kirchengeschichtsschreibung im Allgemeinen hinaus. In der vorliegenden Arbeit wird mit der Erörterung der evangelikalen Bewegung als „neue soziale Bewegung“ besonders der Brückenschlag zur soziologischen Bewegungsforschung forciert.
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GRESCHAT, Christliche Zeitgeschichte, 22. So Wolf-Dieter Hauschild in der Gastvorlesung „Was ist ‚Kirchliche Zeitgeschichte‘? Wissenschaftstheoretische Überlegungen zur Aktualität der Kirchengeschichte“ an der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig am 7. April 2003 (HAUSCHILD, Was ist „Kirchliche Zeitgeschichte“?, 3). 20
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1.2 Begriffsklärungen 1.2.1 Der Terminus „evangelikal“ Der Begriff „evangelikal“ stammt aus dem Englischen, wo der Terminus schon im 16. Jahrhundert vorkommt und schlicht „evangelisch“ bedeutet. Es liege, so Erich Geldbach in seinem Versuch einer historischen Typologie des Evangelikalismus, der „eigenartige sprachliche Tatbestand vor, daß evangelisch im Englischen mit evangelical wiedergegeben werden kann, daß dieses englische Wort aber nun mit einem ‚k‘ als evangelikal eingedeutscht worden ist und dann nicht mehr einfach nur evangelisch heißt.“21 Darüber hinaus hat „evangelical“ allerdings im englischsprachigem Raum eine weite Verbreitung im Zuge der bzw. im Hinblick auf die (methodistische) Erweckungsbewegungen im Unterschied zu dem gängigen „protestant“ erfahren und zeigt damit schon die Richtung der Begriffsdeutung an.22 Bis in die 1960er Jahre fand der Begriff „evangelical“, d. h. also „evangelikal“, im deutschen Sprachgebrauch lediglich vereinzelt Verwendung im Hinblick auf die nordamerikanische Erweckungsbewegung und im Hinblick auf diese amerikanische Frömmigkeitsbewegung erfolgte wahrscheinlich die Übernahme in den deutschen Sprachraum. Um 1965 erschien der Terminus in deutschen kirchlichen Medien, wobei Friedhelm Jung, einer der wenigen Autoren einer Geschichte der deutschen evangelikalen Bewegung, veranschlagt, das sei „wohl erstmalig im Jahre 1965 [in der Juliausgabe] im Ev. Allianzblatt, dem damaligen Organ der Deutschen Evangelischen Allianz“23 der Fall gewesen. Allerdings findet sich schon in der Ausgabe vom 10. Februar 1965 des Evangelischen Pressedienstes (epd) in einem Kurzbericht der Begriff „evangelikal“. Wie der epd berichtete, warnte der Geschäftsführer der „Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in Deutschland“ (ACK), OKR Dr. Hanfried Krüger, in einem Beitrag des Hessischen Rundfunks davor, die Gespräche mit den „sogenannten ‚evangelikalen Kreise[n]‘“ zugunsten der ökumenischen Bemühungen mit Rom zu vernachlässigen. In dem epd-Artikel heißt es weiter, Krüger habe nachdrücklich auf die Empfehlung des Zentralausschusses des Ökumenischen Rates von Enugu verwiesen, nämlich dass „die Mitgliedskirchen, zur gegenseitigen Berichtigung und Stärkung’ den Beitrag dieser ‚konservativen Evangelikalen‘“ benötigten.24 Der Begriff ist somit als eine Fremd- und 21 GELDBACH, Evangelikalismus, 52. Auf eine (vereinzelte) frühe Verwendung von „evangelikal“ im 19. Jahrhundert bei Christian Gottlob Barth verweist HERMLE, Die Evangelikalen, 325. 22 Vgl. JUNG, Die deutsche Evangelikale Bewegung, 24. 23 EBD. 24 MEHR DIALOG. Im nigerianischen Enugu fand im Januar 1965 die Konferenz des Zentralkomitees des ÖRK statt.
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Begriffsklärungen
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nicht Selbstbezeichnung eingeführt worden, und zwar aus dem Bereich der ökumenischen Arbeit. Möglicherweise ist aber der ursprüngliche Moment des Eindringens von „evangelikal“ in den deutschen Sprachgebrauch noch früher anzusetzen. Peter Schneider, der Dolmetscher Billy Grahams, damals Mitarbeiter der Berliner Stadtmission und später Generalsekretär des CVJM, nimmt für sich die „Erfindung“ des Begriffs „evangelikal“ bei seiner ersten Simultanübersetzung der Evangelisationen von Graham 1960 in Anspruch: Graham bat diejenigen, die in seiner Evangelisation „nach vorn“ gekommen waren und sich bekehrt hatten, sich einer „evangelical church“ anzuschließen. Sprachlich korrekt wäre es gewesen, „evangelische Kirche“ zu übersetzen. Aber Schneider entschied sich dagegen, weil das vor dem Hintergrund der deutschen Situation seiner Meinung nach zu schnell mit „Landeskirche“ assoziiert werden konnte und sich unter den Zuhörern viele freikirchliche Christen befanden. Er dolmetschte, die Bekehrten sollten sich einer „evangelikalen Gemeinde“ anschließen und führte nach eigener Auffassung damit den Begriff in den deutschen Sprachraum ein.25 Das ist insofern nicht unwahrscheinlich, da in Übersetzungen von Reden und Evangelisationen Grahams vor 1960 der Terminus im Deutschen nicht erscheint und das von Graham gebrauchte „evangelical“ mit „evangelisch“ übersetzt wurde.26 Seit 1966 ist „eine langsame, aber stetige Zunahme des Terminus ‚evangelikal‘ in deutschsprachigen Veröffentlichungen zu beobachten“27. Jung geht im Anschluss an eine These des Missionswissenschaftlers und langjährigen Vorsitzenden des „Theologischen Konventes der Konferenz bekennender Gemeinschaften in den evangelischen Kirchen in Deutschland“, Peter Beyerhaus, davon aus, dass das Wort „evangelikal“ seit dem Berliner Weltkongress für Evangelisation 1966 in Deutschland in Anwendung gebracht wurde: „Daher ist anzunehmen, daß die amerikanischen Evangelikalen um Billy Graham während des Berliner Kongresses unbeabsichtigt die deutschen (aus dem Bereich der Ev. Allianz kommenden) Konferenzteilnehmer anregten, sich selbst als in evangelikaler Tradition stehend zu erkennen und durch Übernahme dieses Begriffes auch terminologisch den Anschluß an die im angelsächsischen Raum schon zu einem breiten Strom angeschwollene E[vangelikale] B[ewegung] zu vollziehen.“28 25
Gespräch mit dem Generalsekretär der DEA Hartmut Steeb am 8. Oktober 2008. Vgl. z. B. DIE BOTSCHAFT. Hier wird an keiner Stelle von „evangelikal“ oder „evangelikalen Gemeinden“ gesprochen, sondern stets von „evangelischer Kirche“. 27 JUNG, Die deutsche Evangelikale Bewegung, 25. 28 EBD. Nicht zu trennen von der Begriffsgeschichte des Terminus „evangelikal“ ist die Geschichte der zunehmenden Selbstwahrnehmung der Deutschen Evangelischen Allianz als „evangelikale Bewegung“. 26
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Einleitung
Vorreiter dieser Wortadaption war das Evangelische Allianzblatt, später nahm der „Informationsdienst der Evangelischen Allianz“, heute „idea – Evangelischer Nachrichtendienst (auf der Basis der Evangelischen Allianz)“, den Terminus als Sammelbegriff auf und bürgerte ihn erfolgreich als Selbstbezeichnung ein.29 Mit der 1972 erschienenen Schrift Fritz Laubachs, von 1984 bis 1991 1. Vorsitzender der DEA, „Aufbruch der Evangelikalen“, wurde der Begriff ebenfalls popularisiert. Seit Mitte der 1960er Jahre begann sich also der Begriff „evangelikal“ in Deutschland durchzusetzen und zwar, wie Erich Geldbach vermerkt, einerseits als „ein kirchenpolitisches Kampfwort innerhalb der deutschen Landeskirchen“, das „eine bestimmte Richtung“ meine, andererseits als „Bezeichnung für eine Frömmigkeitshaltung des erwecklichen Typs, die Kirchengrenzen überschreitet.“30 Diese beiden Begriffskonnotationen, die eine kirchenpolitisch-polemisch, die andere frömmigkeitsgeschichtlich-phänomenologisch, hängen unmittelbar miteinander zusammen. Sie umreißen einen Prozess, in dem sich verschiedene Gruppen als Vertreter diverser Frömmigkeitsausprägungen mit unterschiedlichen kritischen Anfragen an die Landeskirchenleitungen bzw. die EKD wandten und sich Mitte der 1960er Jahre zu einer „Kampffront“ zusammenfanden gegen ein „verfälschtes Evangelium“, wie es vermeintlich von der „modernistischen Theologie“ mit Unterstützung der Kirchen verbreitet wurde. Der Kern dieser Kampffront, die Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“ (B KAE), übernahm relativ rasch den Begriff „evangelikal“ als Selbstbezeichnung. So heißt es in einem Artikel in ihrem Informationsbrief Ende 1967: „Nicht nur in Deutschland, sondern auch in Holland, beginnt sich eine umfassende Bekenntnisbewegung ‚Kein anderes Evangelium‘ zu bilden. Ähnliche Bestrebungen gibt es seit längerem auch in den USA und in der Schweiz, Sie bezeichnen sich bis jetzt als ‚evangelikale‘ Gruppe, d. h. als solche, welche das wahre Evangelium wollen. Die modernistische ‚Theologie‘ wird noch an vielen Stellen solche Bewegungen zur Erneuerung der Kirche hervorrufen.“31
Seit spätestens 1966, dem Jahr des „evangelikalen Protestes“, kann von „evangelikal“ als einer Sammlungsbewegung, die sich innerhalb der Kirchen gegen die Kirchen richtete, gesprochen werden. 1970 erhielt diese Kampffront in der „Konferenz bekennender Gemeinschaften in den evangelischen Kirchen Deutschlands“ (KBG) eine organisatorische Plattform. Der Begriff „evangelikal“ 29 JUNG, Die deutsche Evangelikale Bewegung, 25. Auch an diesem Punkt ist das herausragende Bemühen von „idea“ um Einigkeit bis hin zur Sammelbegriffsfindung und -einbürgerung zu beobachten. 30 GELDBACH, Evangelikalismus, 53f. 31 AUF DEM WEGE, 11.
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ist somit ein dynamischer Entwicklungsbegriff. Weder vor noch nach Mitte der 1960er Jahre präsentieren sich einzelne Trägergruppen des Evangelikalismus per se als „evangelikal“ – die Gesamtheit der Bewegung kann allerdings, besonders geeint in ihrem kirchenkritischen Impetus, als „evangelikal“ bezeichnet werden. Die einzelnen Trägergruppen behielten ihre Eigenständigkeit und eigene Charakteristik bei. 1.2.2 Der Terminus „evangelikale Bewegung“ Spätestens mit der Gründung der KBG am 7. Oktober 1970 verfügten die Gruppen, die sich als „bekennend“ bezeichneten auch organisatorisch über eine gemeinsame Plattform, der sie zwei Jahrzehnte nahezu ausnahmslos angehörten. Auf Grund der bereits erwähnten Diversität der Trägergruppen ist es allerdings nicht unproblematisch, von „evangelikaler Bewegung“ zu sprechen. Roger J. Busch geht in seiner 1995 gedruckten Dissertation „Einzug in die festen Burgen? Ein kritischer Versuch, die Bekennenden Christen zu verstehen“ davon aus, dass mit dem Begriff „evangelikale Bewegung“ von Evangelikalen selbst ein Integrationsbegriff geschaffen wurde, der in erster Linie eine kirchenpolitische Funktion hatte, nicht aber die Realität abbildete. Diesem ideologisierenden Vereinheitlichungsimpetus setzt Busch die Verweigerung der Annahme einer „evangelikalen Bewegung“ entgegen, vor allem mit dem Hinweis auf die Diversität der Trägergruppen. Dieses Vorgehen schüttet allerdings das Kind mit dem Bade aus. Man muss Buschs Untersuchung, die detailgetreu evangelikale Kommunikationsstrukturen im Bereich der Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“ analysiert, Hochachtung in Bezug auf die beachtlichen Ergebnisse hinsichtlich der Darstellung von Grenzen evangelikaler Diskussionsfähigkeit zollen, aber auf Grund der Fokussierung der Arbeit beschäftigt er sich nur mit einem Ausschnitt von 25 Jahren in den historischen Entwicklungen und kann dadurch die in der historischen Perspektive erkennbaren neuralgischen Punkte einer langen Zeitspanne nicht aufnehmen und verarbeiten. Gegen seine These, es habe letztlich keine „evangelikale Bewegung“ existiert und existiere auch heute nicht, ist festzustellen, dass es ab 1966 eine historisch ganz reale Zusammenführung diverser kirchenkritischer Gruppen zu einer „evangelikalen“ Kampffront gab, die nicht nur kirchenpolitisch-polemisch kommuniziert wurde. Ausgehend von den Gruppen, die sich in dieser Kampffront sowohl inhaltlich verbunden fühlten als auch organisatorisch verbunden waren, wird in der vorliegenden Arbeit von „evangelikalen Trägergruppen“ – durchaus mit darüber hinausgehenden eigenen Identitäten und Arbeitszielen – gesprochen. Dazu gehören Großverbände wie der „Evangelische Gnadauer Gemeinschaftsverband“ und die „Deutsche Evangelische Allianz“ (DEA), regional bedeutsame
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Einleitung
Verbände wie die „Ludwig-Hofacker-Vereinigung“ bzw. die „Lebendige Gemeinde“ in Württemberg, die regionalen „Kirchlichen Sammlungen um Bibel und Bekenntnis“ sowie die Bundesvereinigung „Kirchliche Sammlung um Bibel und Bekenntnis“ (KS), Bibel- und Missionsschulen, evangelistische Vereinigungen sowie Einzelpersonen. Die Gesamtheit der Aktivitäten dieser „Kampffront“, das Zusammenspiel der Trägergruppen und ihr Agieren gegenüber der Kirche bilden die „evangelikale Bewegung“, so wie sie in dieser Untersuchung verstanden wird. Mag die evangelikale Bewegung auch eine zahlenmäßig kleinere Partizipation aktiver Mitglieder aufweisen, als die Intensität der von ihr angestoßenen innerkirchlichen Auseinandersetzung implizierte, so existierte sie doch als physisch-empirisch fassbares Phänomen. Im Gegensatz zu der zwischen Mitte und Ende der 1960er Jahre viel häufiger gebrauchten Bezeichnung „Bekenntnisbewegung“ für den deutschen Evangelikalismus erscheint mir der Terminus „evangelikale Bewegung“ frei von der Irritation, die durch eine Verwechslung mit der B KAE entstehen kann. Die B KAE war ein Teil – zugegebenermaßen in den 1960er Jahren ein wesentlicher Teil und Motor der Entwicklungen – des deutschen Evangelikalismus, aber die Wucht der Ereignisse kann bei einem ausschließlichen Bezug auf die B KAE nicht richtig eingeschätzt werden, da zu dieser Trägergruppe unabdingbar die Kräfte des zahlenmäßig ungleich gewichtigeren traditionsreichen Gnadauer Verbandes sowie die Intentionen evangelistischer und missionarischer Vereine hinzukamen. 1.2.3 Die evangelikale Bewegung und die „neuen sozialen Bewegungen“ Die evangelikale Bewegung wird zum derzeitigen Forschungsstand als eine Gegenbewegung zu den „neuen sozialen Bewegungen“ innerhalb der evangelischen Kirche verstanden.32 Diese Klassifikation ist insofern richtig, als die evangelikale Bewegung inhaltlich im wahrsten Sinne des Wortes keine „soziale“ Bewegung ist, und zwar vor dem Hintergrund ihrer Ablehnung jedweder anthropologischen Zuspitzung oder Grundlegung ihres Denkens und Handelns. Im Gegensatz zu Strömungen der Erweckungsbewegung in England und den USA im 18., 19. Jahrhundert oder auch in Deutschland im 19. Jahrhundert ist der deutsche Evangelikalismus kaum sozial engagiert. Die grundlegende Aversion gegen Sozialutopien und Kommunismus, die sich besonders in den 1960er, 1970er Jahren zeigte, schlägt sich insofern massiv nieder, als dass allein schon andere „soziale Bewegungen“ der Zeit als „links“ und „kommunistisch“ diskre32
OELKE, Einleitung, 29.
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ditiert und von einem Sozialengagement oder einer sozialen Kritik an Staat und Gesellschaft von vornherein abgesehen wurde. Dieses Verhalten repräsentiert eine innere Distanz zur öffentlichen Sphäre oder der Parteienpolitik, die ihre Ursache in der Politikaversion der Gemeinschaftsbewegung hat. Selbst bei einer relativ großen Interpretationsweite des Politischen oder einem ausgedehnten Politikbegriff kann der Evangelikalismus nicht als „politische Subkultur“ bezeichnet werden,33 auch wenn er hin und wieder das Thema politischer Debatten ist. Da sozialen Bewegungen aber die Gesellschaftskritik und das politische Agieren inhärent ist,34 kann die evangelikale Bewegung nicht zu den sozialen Bewegungen gezählt werden. Allerdings, und das steht einer völligen Verwerfung der Klassifikation „soziale Bewegung“ für die evangelikale entgegen, sprechen die formalen im Gegensatz zu den inhaltsbezogenen Kriterien durchaus dafür, Evangelikale als eine „soziale Bewegung“ zu verstehen. Als „Systemprotestler“ stellen sie nämlich im Prinzip eine Form kirchenpolitischer Subkultur dar. Der Netzwerkcharakter und die kollektive Identität der evangelikalen Bewegung sowie der „Protest“ selbst, der sich stark gegen „die Kirche“ richtet oder auf Veränderungen in ihr drängt, sprechen dafür, dass die evangelikale Bewegung wie eine „soziale Bewegung“ funktioniert.35 Spezifizierungen wie die, dass ein wesentliches Merkmal von sozialen Bewegungen „die Kraft zur Veränderung“ sei, „zumindest der Versuch, Einfluss auf sozialen Wandel zu nehmen: fördernd oder bremsend, revolutionär, reformerisch oder restaurativ“36, können unter Weglassung des „sozial“ ebenso gut für die evangelikale Bewegung in Anschlag gebracht werden. Auch in der Typologie der Entwicklungsphasen von sozialen Bewegungen spiegelt sich die evangelikale wider: erste Auseinandersetzungen mit dem Problem und Thematisierung, vor allem in Form der Ablehnung, Formierung von losen Gruppen und Vereinen, auch in Form von Allianzen, offene informelle Organisationsstrukturen, demonstrative, symbolträchtige und konkrete Aktionen, Versuche der Etablierung im Alltag, flankiert mit dem Ausbrechen von offenen Gegnerschaften, Aufspaltungen oder auch Generationenkonflikten innerhalb der Bewegung, und schließlich langsame Auflösung,
So formuliert bereits im Titel Michael Zwick in seiner Dissertation „Neue soziale Bewegungen als politische Subkultur“ das Anliegen, soziale Bewegungen als politische Subkultur anzusehen. 34 ROTH / RUCHT, Die sozialen Bewegungen; RUCHT, Soziale Bewegungen; SÄCHSISCHEN LANDESZENTRALE FÜR POLITISCHE BILDUNG, Soziale Ideen. 35 Allerdings ist, laut Roland Roth und Dieter Rucht in ihrer Einleitung in das „Handbuch“ sozialer Bewegungen, auch „nicht jeder Protest [. . .] Ausdruck sozialer Bewegungen.“ (ROTH / RUCHT, Einleitung, 13). 36 EBD. 33
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Einleitung
weil das eingeklagte Problem gelöst oder gesellschaftlich integriert wurde. Über diese Auflösung hinaus bleiben gegründete institutionelle Formen weiter bestehen und wirken auch weiterhin. Beim Eintritt in die Realpolitik – so bei den sozialen Bewegungen, hinsichtlich der evangelikalen Bewegung bei Eintritt in Kirchenstrukturen – geht visionäres Potential verloren, Kompromisse werden geschlossen, die eigenen Ziele auf die „Realpolitik“ hin orientiert.37 Diese strukturell-formalen Kriterien charakterisieren präzise die evangelikale Bewegung in Deutschland, wie in der vorliegenden Arbeit ausführlich dargestellt wird. Vor diesem Hintergrund ist es angemessen, die evangelikale Bewegung als „Protestbewegung innerhalb der Kirche“ zu bezeichnen, die in weiten Teilen den formalen Kriterien einer „sozialen Bewegung“ entspricht, ohne deren sozialkritischen politischen Impetus zu teilen. Eine direkte Zuordnung zu den herkömmlichen „neuen sozialen Bewegungen“ wie der Friedens-, Studenten- oder Antiatomkraftbewegung, dem Feminismus, der Ökologiebewegung, dem Rechtsextremismus oder dem Linksradikalismus verbietet sich aber, da das den Begriff „neue soziale Bewegung“ überstrapaziert oder die inhaltlichen Anliegen der Evangelikalen verkennt. Die evangelikale Bewegung ist eine innerprotestantische „neue soziale Bewegung“. 1.3 Gliederung der Arbeit Zur Verdeutlichung der Gliederung der vorliegenden Arbeit soll an dieser Stelle bereits ein skizzenhafter, sehr kurzer historischer Überblick über die Phasen des Verhältnisses von evangelikalen Trägergruppen, evangelikaler Bewegung und evangelischer Kirche in Westdeutschland geboten werden: Der Zusammenschluss evangelikaler Trägergruppen hat eine Vorlaufphase, die unmittelbar nach Kriegsende begann, zu einem gewissen Teil – vgl. die Darstellung der „Bultmannkontroverse“ in Kap. 4 – auch schon in der Zeit des Nationalsozialismus. In dieser Vorlaufphase erfolgten die Weichenstellungen hin zu dem ausbrechenden „evangelikalen Protest“ 1966 und zwar sämtlich in Bezug auf das Verhältnis diverser innerkirchlicher und interkonfessioneller Gruppen und Vereinigungen zur Theologie und zur Kirche. Dementsprechend sind die in der vorliegenden Arbeit dargestellten wesentlichsten Kumulationspunkte dieser Vorlaufphase die Beziehung der Gemeinschaftsbewegung, des „Pietismus“ des 20. Jahrhunderts sowie der Missions- und Evangelisationsbewegung und der Deutschen Evangelischen Allianz zu der evangelischen Kirche, im
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EBD., besonders 20–29.
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Gliederung der Arbeit
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letzteren Fall besonders das Verhältnis zur ökumenischen Bewegung, sowie die massive Kontroverse über die Theologie Rudolf Bultmanns bis hin zu den Auseinandersetzungen über die „moderne Theologie“ im Allgemeinen. Diese Vorlaufphase mündete um 1961 in dem Zusammenschluss des „Betheler Kreises“, mit dem die unmittelbare Vorgeschichte der evangelikalen Bewegung als Phase der Sammlung bzw. Konzentration zuerst theologie-, später kirchenkritischer Kreise begann. Die Geburtsstunde der „evangelikalen Bewegung“ in Deutschland war markiert durch den „evangelikalen Protest“ auf dem Bekenntnistag in Dortmund im März 1966. Der Bekenntnistag 1966 war gekennzeichnet durch eine bisher nicht erreichte Öffentlichkeitswirksamkeit und, daraus folgend, nahezu in allen westdeutschen Landeskirchen rasche öffentliche Reaktionen und Stellungnahmen der Kirchenleitungen. 1966 kann als das Jahr der „Revolte“ des Evangelikalismus in Deutschland und somit als dessen Beginn gelten. In den Jahren von 1966 bis 1970 kam es zu einer beispiellosen Prosperität evangelikaler Vereinsgründungen – mit divergierenden Arbeitsschwerpunkten und frömmigkeitsgeschichtlichen Prägungen –, die diesen Protest in vorerst einfache institutionelle Bahnen lenkten. 1970 erhöhte sich der Institutionalisierungsgrad der evangelikalen Bewegung mit der Gründung des Dachverbandes des Evangelikalismus, der KBG. Es ist bezeichnend, dass dieses Forum selbst weniger fulminant in ihrer öffentlichen Kirchenkritik auftrat als andere Trägergruppen, z. B. die B KAE oder der „Theologische Konvent“ der B KAE, und auch nicht als stete oder ausschließliche Gesprächspartnerin der Kirchen fungierte. Die „Konferenz“ agierte zwar im engeren Sinne als evangelikale Organisation, aber sie stellte im Wesentlichen die Tatsache und das Symbol der Zusammenfindung von bekennenden, pietistischen, erwecklichen, missionarischen und konservativen Gruppen zu einer evangelikalen Bewegung dar. Nahezu zeitgleich zu dieser Institutionalisierung der evangelikalen Bewegung erfolgte mit der Gründung des „Informationsdienstes der Evangelischen Allianz“ (idea), aus dem die evangelikale Zeitschrift schlechthin, „ideaSpektrum“, hervorging, der Beginn des evangelikalen medialen Diskurses. Das Jahr 1970 markiert also nicht nur die offizielle Zusammenführung der evangelikalen Bewegung unter dem Dach der KBG, sondern auch das Jahr, in dem die Gründung von „idea“ als Alternative zum epd durch die DEA beschlossen wurde (die erste Ausgabe des Pressedienstes von „idea“ erfolgte um 1972, die erste Ausgabe von „ideaSpektrum“ 1979). Damit zeichnete sich das Jahr 1970 für den deutschen Evangelikalismus als ein Jahr der Stabilisierung der evangelikalen Bewegung in zweierlei Hinsicht aus: einmal in Bezug auf die Festigung des evangelikalen Protestes in einer Dachorganisation und andererseits in Bezug auf die Absicherung des evangelikalen Diskurses, der in der Zeit der zunehmenden Zersplitterung der evangelikalen Bewegung in den 1980er Jahren den Evangeli-
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Einleitung
kalismus auf der medialen und virtuellen Ebene einte. In der Phaseneinteilung der evangelikalen Bewegung ist die Zeit von 1966 bis 1970 geprägt von dem „evangelikalen Protest“ und den daraus erwachsenden Zusammenschlüssen zu einer Vielzahl von protestierenden Gruppen, die Zeit von 1970 an eine Zeit der Konsolidierung, die in den 1980er Jahren in eine Phase der Pluralisierung des Evangelikalismus überging. Die Zusammenarbeit der evangelikalen Trägergruppen in der evangelikalen Bewegung in der Zeit von 1966 bis 1989 war in Bezug auf das Verhältnis von evangelikaler Bewegung und evangelischer Kirche bestimmt durch eine Vielzahl von Themen, deren Grundlage kirchliche Reaktionen auf gesellschaftliche Entwicklungen (Ökumene, Sozialethik, politisches Engagement) oder aber innerkirchliche Neuformierungen (Umsetzung der zeitgenössischen Theologie, Leuenberger Konkordie) darstellten. Diese kirchlichen Aktionen wurden in der evangelikalen Reaktion mehr oder weniger kritisiert. Ein basales Element in diesen Debatten ist dabei die 1966 mit dem Bekenntnistag und der Gründung der B KAE sowie den Auseinandersetzungen um den Deutschen Evangelischen Kirchentag (DEKT) 1977 besonders virulent gewordene Frage einer Abspaltung der evangelikalen Bewegung von der Kirche unter dem Stichwort „drohende Kirchenspaltung“. Diese „Kirchenspaltung“ fand letztlich in großem Stile – vereinzelte Gemeinden gingen in dieser Zeit tatsächlich in den Bereich der Freikirchen über – nicht statt. Seit den 1980er Jahren zeichneten sich statt dessen die Annäherungstendenzen evangelikaler Trägergruppen, besonders der Gemeinschaftsbewegung, an die Kirche ab – in den 1990er Jahren wurde diese Tendenz, einhergehend mit der Loslösung von der KBG unübersehbar. Im Hinblick auf die evangelische Kirche ist die Zeit von Ende der 1970er Jahre bis 1989 geprägt von einer zunehmenden Sicherheit im Umgang mit „ihren Evangelikalen“. Seit den 1970er, verstärkt seit den 1980er Jahren ist ein Kampf der evangelikalen Bewegung zu beobachten, an verschiedenen Punkten innerhalb der kirchlichen Strukturen Fuß zu fassen, z. B. bei der Frage der Anerkennung von evangelikalen Ausbildungsstätten. Gleichzeitig kommen erste Tendenzen wachsender Pluralisierung in den Reihen der Evangelikalen zum Tragen. Die Diskussionsthemen mit den Landeskirchenleitungen und der EKD verlagerte sich weg von der massiven Theologiekritik hin zu sozial-ethischen Fragestellungen, z. B. um die Stellung der Frau in der Kirche oder der feministischen Theologie. Die Jahrtausendwende markiert nochmals einen wichtigen Einschnitt in der Zusammenarbeit von evangelikalen Gruppen untereinander: die nahezu verheerenden Auseinandersetzungen der B KAE mit der Leitung der DEA und anderen führenden Evangelikalen. Da der Untersuchungsrahmen der vorliegenden Arbeit 1989 mit der äußeren politischen Zäsur endet – nach 1989 traten dann ganz neue Probleme, aber auch Chancen an die evangelikale Bewegung
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Gliederung der Arbeit
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heran, bedingt durch die Angliederung der ehemaligen DDR und ihrer Kirchen an Westdeutschland –, kann auch dies nur als Ausblick angemerkt werden. Somit ergibt sich auf Grund der Phaseneinteilung der Geschichte der evangelikalen Bewegung, die gleichzeitig die Geschichte der evangelikalen Auseinandersetzung mit der evangelischen Kirche ist, folgende Gliederung der vorliegenden Untersuchung: 1. Vorlaufphase der evangelikalen Bewegung von 1945 bis 1966, die zunehmende Problemfelder zwischen evangelikalen Trägergruppen und den Landeskirchen aufweist, besonders die Bultmannkontroverse als zentraler Konfliktherd 2. 1966 als Jahr des „evangelikalen Protestes“ sowie rasche und öffentlichkeitswirksame Reaktionen der Landeskirchenleitungen 3. 1966 bis 1970 Phase der evangelikalen Vereinsgründungen und 1970 als Jahr der Bündelung evangelikaler Kräfte in der KBG 4. 1970 bis 1980 Phase der evangelikalen Konsolidierung gegenüber der Kirche 5. 1980 bis 1989 zunehmende Zersplitterungserscheinungen innerhalb der evangelikalen Bewegung auf Grund der Loslösung der Bewegung von dem zentralen Kern B KAE, aber auch eine stärkere Konzentration auf Evangelisation und Mission als einigendes Thema der Bewegung sowie um „ideaSpektrum“ als einigendes Medium.
1.4 Forschungsüberblick Die Geschichte der evangelikalen Bewegung in Deutschland ist bisher nur in sehr wenigen Einzelstudien und darüber hinausgehend randständig in Publikationen zu dem Thema Evangelikalismus behandelt worden. Die Monografien sind mit Friedhelm Jungs bereits erwähnter Studie „Die deutsche Evangelikale Bewegung. Grundlinien ihrer Geschichte und Theologie“, Fritz Laubachs 1972 erschienenem Buch „Aufbruch der Evangelikalen“ und Hartmut Stratmanns Materialsammlung „Kein anderes Evangelium. Geist und Geschichte der neuen Bekenntnisbewegung“ bereits genannt. Als Quellensammlung sei weiterhin die zweibändige Dokumentation „Weg und Zeugnis“ der B KAE erwähnt, die neben ausgewählten edierten Archivalien auch Erklärungen aus der Perspektive der Bekenntnisbewegung bietet. Hinzu kommen die historiografischen Abschnitte in Reinhard Scheerers „Bekennende Christen in den evangelischen Kirchen Deutschlands 1966–1991. Geschichte und Gestalt eines konservativevangelikalen Aufbruchs“ und in Roger J. Buschs Dissertation „Einzug in die
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Einleitung
festen Burgen? Ein kritischer Versuch, die Bekennenden Christen zu verstehen“. Des weiteren reiht sich in die Arbeiten zur Geschichte der evangelikalen Bewegung auch die historiografisch datenreiche und fundierte Arbeit von Stephan Holthaus ein,38 die insofern originell hervorsticht, als dass Holthaus, selbst früherer Dozent für Kirchengeschichte an der Bibelschule Brake, derzeitiger Dekan und Dozent für Ethik an der Freien Theologischen Akademie/Hochschule Gießen (FTA/H Gießen)39 und Diakon einer freikirchlichen Gemeinde, alle dem Evangelikalismus zuzurechnenden Erscheinungsbilder als, im positiven Sinn gemeint, „fundamentalistisch“ einstuft und so den Fundamentalismusbegriff für den deutschen Evangelikalismus fruchtbar machen möchte. Zu diesen Untersuchungen mit zumindest teilweise historischem Blick gesellen sich Studien zu spezifischen Gesichtspunkten des Evangelikalismus40 sowie seiner generellen41 und globalen42 bzw. nordamerikanischen Erscheinungsform43, wobei Erörterungen zu dem Thema Evangelikalismus generell oft mehr oder weniger deutlich Exkurse zum speziell nordamerikanischen Evangelikalismus darstellen.44 Des Weiteren bilden kleinere Untersuchungen zum Kernbereich des deutschen Evangelikalismus in den 1960er bis 1980er Jahren, der B KAE, eine Grundlage der vorliegenden Arbeit.45 Weiterhin zu nennen sind Lexikaartikel und Beiträge in Sammelbänden zu dem Thema „Evangelikalismus“. Innerhalb dieser nun eher mageren Ausbeute an Literatur zur Geschichte der deutschen evangelikalen Bewegung zeichnen sich wiederum zwei Schwerpunktsetzungen bei der Verortung der deutschen Evangelikalen ab: Einmal die Untersuchungen, die den Evangelikalismus in Deutschland in einer Traditionslinie mit Pietismus und Erweckungsbewegung sehen und ihn auf die Formierung der Bekenntnisbewegung zulaufen lassen und zum anderen diejenigen, die die Einflüsse des internationalen, speziell des nordamerikanischen Evangelikalis38
HOLTHAUS, Fundamentalismus in Deutschland. Die Freie theologische Akademie Gießen wurde im Mai 2008 vom Deutschen Wissenschaftsrat für die folgenden fünf Jahre als staatlich anerkannte Hochschule akkreditiert, worauf das Hessische Wissenschaftsministerium im Oktober 2008 der Akademie für fünf Jahre die Hochschulanerkennung verlieh. Auf Grund der zeitlich begrenzten Akkreditierung wird die Freie theologische Akademie Gießen, die sich seit 2008 Freie Theologische Hochschule Gießen nennt, mit dem Kürzel FTA/H bezeichnet. 40 HAUSIN, Staat. 41 GELDBACH, Evangelikalismus; HOLTHAUS, Die Evangelikalen. 42 GRESCHAT, Bedeutung. 43 HOCHGESCHWENDER, Amerikanische Religion; NOLL, Evangelikalismus. 44 So z. B. ELLINGSEN, The Evangelical Movement; TIDBALL, Reizwort Evangelikal. 45 HERMLE, Die Evangelikalen; BUSCH, Pietismus in Deutschland (zur „Bekenntnisbewegung“ 538–543); BEYERHAUS, Bekenntnisbewegung. 39
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Forschungsüberblick
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mus, der wiederum vom europäischen Pietismus und der europäischen Erweckungsbewegung beeinflusst ist, als bedeutsamer für die Entwicklung des deutschen Evangelikalismus veranschlagen. Die Annahme einer solchen unmittelbaren Korrelation zwischen US-amerikanischem Evangelikalismus und der Entstehung der deutschen evangelikalen Bewegung, so sehr sie sich bei einer oberflächlichen Betrachtung aufdrängt, ist irreführend. Trotz des gleichen Namens entwickelten sich der Evangelikalismus in den USA und der in (West) Deutschland weitgehend unabhängig voneinander. Im Hinblick auf den so genannten „Wortevangelikalismus“, der unter Ausblendung des pfingstlerischcharismatischen Evangelikalismus in der vorliegenden Arbeit untersucht wird, sind direkte Einflüsse lediglich punktuell im Bereich der Evangelisationsarbeit auszumachen, wie z. B. durch die Großevangelisationen von Billy Graham in Deutschland oder der außereuropäischen Vernetzung der Deutschen Evangelischen Allianz, die sich aber erst in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre der evangelikalen Internationale anschloss oder bei der Übernahme amerikanischer Dozenten in deutschen Bibelschulen.46 Der deutsche pfingstlerisch-charismatische Evangelikalismus ist dagegen viel stärker von den USA beeinflusst. An dieser Stelle zeigt sich sowohl der Nachteil als auch der Vorteil der Beschränkung auf den Wort- bzw. Bekenntnisevangelikalismus innerhalb der vorliegenden Arbeit: Nachteilig wirkt sich die Begrenzung auf eine ausgewogene Einschätzung der internationalen oder nordamerikanischen Beeinflussung des Evangelikalismus generell aus, von Vorteil ist, dass bei dieser Anlage der Arbeit sehr deutlich wird, dass der Bekenntnisevangelikalismus, der in Deutschland die maßgebliche Rolle spielte, in seiner Geschichte eben kaum eine Verbindung zu den USA bzw. eine internationale Anbindung aufweist. Im Prinzip stellen sich der US-amerikanische und deutsche Evangelikalismus als zwar parallele, aber doch inhaltlich sehr unterschiedliche Erscheinungsformen dar, mit je ganz eigenen Entwicklungen. Ein Indiz dafür ist unter anderem die massive Teilhabe des US-amerikanischen Evangelikalismus an der Politik,47 die im deutschen Evan46 Internationale Einflüsse auf die evangelikale Bewegung in Deutschland lassen sich punktuell darüber hinausgehend an Stellen ausmachen, die bisher nicht nennenswert aufgearbeitet wurden, z. B. der unmittelbaren Vorbildwirkung schwedischer Entwicklungen auf die Bildung der deutschen regionalen Verbände und des Bundesverbandes der KS. 47 Dies gilt nicht für den gesamten Evangelikalismus in den USA. Historisch erwuchsen aus der relativ homogenen Bewegung des Evangelikalismus gegen Ende des 19. Jahrhunderts im nordamerikanischen Bereich drei Strömungen, die „derart unterschiedliche Wege ein[schlugen], dass von einem Auseinanderbrechen des Evangelikalismus gesprochen werden muss“: die Social-Gospel-Bewegung, die sich sozial-politisch engagierte und damit das im angloamerikanischen Raum stark ausgeprägte evangelikale Erbe der sozialen Verantwortung fortführte, die Heiligungsbewegung, aus der u. a. die Pfingstbewegung hervorging und der Dispensationalismus, der die baldige Wiederkunft Christi proklamierte, damit eine „Flucht aus der Gegenwart in die Zukunft“ vollzog
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Einleitung
gelikalismus in dieser Form fehlt. Für den US-amerikanischen Evangelikalismus trifft die Aussage, er habe im Gegensatz zum Fundamentalismus keine politischen Ambitionen, nicht zu – auf dieses Thema wird in Kap. 2. 4. 4 eingegangen. Zunehmende internationale Kontakte führender Evangelikaler seit den 1970er Jahren bis Ende der 1980er Jahre als eine generelle Internationalisierung des deutschen Evangelikalismus zu interpretieren, stellt eine Überspannung der Sachlage dar. Die These von der Entstehung des deutschen Evangelikalismus aus dem USamerikanischen Evangelikalismus entbehrt jeder historisch verifizierbaren Grundlage. Sie zeugt eher von der internationalen (meist freikirchlich oder allianzgeprägten) Einstellung der Verfasser solcher Untersuchungen selbst, denn von den historischen Ereignisfolgen. An diesem Punkt zeigt sich besonders die Verquickung von Zeitgeschichte und Zeitgeschichtsschreibung: wie in den Kap. 3.3 und 6. 4. 2 dargestellt wird, begann die DEA seit spätestens Anfang der 1970er Jahre die evangelikale Bewegung für sich zu vereinnahmen. Das schlägt sich auch im Tenor der Untersuchungen über die evangelikale Bewegung nieder, die die internationale Vernetzung der evangelikalen Bewegung stark betonen: hier wird aus der DEA die evangelikale Bewegung. Die historische Darstellung der Vorgeschichte und der Geschichte des deutschen Evangelikalismus in der vorliegenden Arbeit basiert auf einer Quellenanalyse, die folgendermaßen zusammengefasst werden kann: der deutsche Evangelikalismus speist sich aus vier verschiedenen Strömungen, die selbst als Bewegungen verstanden werden müssen. Zum ersten aus der deutschen Gemeinschaftsbewegung, organisiert im Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverband, zum zweiten aus der Evangelisten- und Missionsbewegung (die sich mit dem Gnadauer Verband überschneidet und in Vereinen wie der Deutschen Evangelistenkonferenz organisiert ist), zum dritten aus den Missionsund Bibelschulen (ebenfalls teilweise in Überschneidung mit dem Gnadauer Verband), und viertens aus der DEA, in der Vertreter all dieser genannten Gemeinschaften präsent waren. Die personellen Überschneidungen zwischen all den genannten Gruppen sind mitunter so eng, dass teilweise unklar bleiben muss bzw. nur aus einer biographischen Tiefenanalyse hervorgeht, in welcher der vier Strömungen einzelne Vertreter primär anzusiedeln sind. Zumindest kann konstatiert werden, dass der deutsche Evangelikalismus seine Entstehung der Kumulation mehrerer innerdeutscher kirchengeschichtlicher Probleme in seiner Vorgeschichte verdankt. Diese lassen sich mit vier Themenfeldern beschreiben, die in Kap. 3 und 4 im Einzelnen betrachtet werden: und dem Fundamentalismus in seinem Kampf gegen die Moderne Vorschub leistete (GÄBLER, Geschichte).
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Forschungsüberblick
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1. Die evangelistische Bewegung, die sich stark aus dem missionarischen Engagement der Erweckungs- und Gemeinschaftsbewegung speiste, geriet mit dem Aufkommen eines kirchlichen Bewusstseins für die Notwendigkeit der Inneren Mission (19. Jahrhundert) und Volksmission (Anfang des 20. Jahrhundert) in eine Spannung mit der landeskirchlichen Evangelisationstätigkeit. Diese Konkurrenzsituation wurde umso prekärer, als sich nach 1945 auf Grund von ökonomischen Zwängen, Umsiedlung und Pfarrernotstand sowie der Wahrnehmung von zunehmender Entkirchlichung ein sprunghafter Anstieg von Evangelisationstätigkeit in Deutschland generell verzeichnen lässt. 2. Die bereits in den Konflikten auf dem Feld der Evangelisation deutlich werdende Spannung zwischen Kirchenleitungen und Gemeinden sowie den landeskirchlichen Gemeinschaften und den von ihr geprägten Organisationen verschärfte sich. Dieses Feld der Auseinandersetzungen durchzieht die Kirchengeschichte in Deutschland letztlich seit der Entstehung des Pietismus über die Geschichte der Erweckungs- und Gemeinschaftsbewegung des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart und weist ein weites Spektrum von harmonisch-ergänzendem Miteinander bis zu aggressiven Konflikten und Kirchenaustritten auf. Es waren unter anderem diese schwelenden gegenseitigen Verwerfungen, die Mitte der 1960er Jahre in der Genese der evangelikalen Bewegung einen eruptiven Ausdruck fanden. 3. Die DEA, vor allem ihre Führung, suchte in der Zeit nach 1945 bis Ende der 1960er Jahre unter dem zunehmenden Konkurrenzdruck durch die ökumenische Bewegung nach Identität und Orientierung. 4. Die sich seit 1948 bis 1966 hinziehende Kontroverse um die Theologie Rudolf Bultmanns, speziell um sein Konzept der „Entmythologisierung“ und in diesem Gefolge um „moderne“ oder „modernistische Theologie“ generell war somit nicht das einzige Konfliktfeld, aber doch dasjenige, auf dem am hitzigsten gestritten wurde und damit das oberflächlich betrachtet bedeutsamste. Von daher wird die so genannte „Bultmanndebatte“ oder „Bultmannkontroverse“ gegenwärtig von den meisten Historikern und Kirchenhistorikern, die sich mit dem Thema Evangelikalismus beschäftigen, als auslösender Moment für die Formierung des Evangelikalismus in Deutschland angesehen. Allerdings ist es die Verdichtung aller vier Problemkreise im Laufe der 1950er und Anfang der 1960er Jahre, die die Vehemenz der Kirchenkritik des evangelikalen Protestes von 1966 ausmachen. Darüber hinaus wird in Kap. 4.4 ein Problemfeld angesprochen, das unmittelbar aus den Konflikten der Vorgeschichte der evangelikalen Bewegung hervorging: die evangelikalen Ausbildungsstätten als Alternative zu den theologischen Fakultäten
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Einleitung
Bei alledem kommen internationale Einflüsse so gut wie nicht zum Tragen, sieht man von der Wirkung der ökumenischen Bewegung auf die Arbeit der Evangelischen Allianz ab, die allerdings nicht in den Themenbereich einer Beförderung des deutschen Evangelikalismus durch den internationalen Evangelikalismus fällt. Von daher wird die These einer Stimulierung von außen, die sich in den meisten Publikationen zum deutschen Evangelikalismus findet, durch die vorliegende Arbeit und ihre Darstellung der innerdeutschen Entwicklungen widerlegt, was nicht darüber hinwegtäuschen soll, dass sich parallel dazu in den meisten europäischen und nordamerikanischen Ländern vergleichbare evangelikale Aufbrüche mit ähnlichen, als Initialzündungen zu verstehenden Konfliktthemen verzeichnen lassen.
1.5 Quellenlage Die Grundlage der vorliegenden Arbeit bildet nahezu ausschließlich der archivalische Quellenbestand, insbesondere von 14 westdeutschen landeskirchlichen Archiven. Für die Untersuchung wurde in den Archiven folgender Landeskirchen recherchiert: der Evangelischen Landeskirche in Baden, der EvangelischLutherischen Kirche in Bayern, der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburgschlesische Oberlausitz, der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche in Braunschweig, der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannovers, der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, der Lippischen Landeskirche, der Nordelbischen EvangelischLutherischen Kirche, der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Oldenburg, der Evangelischen Kirche der Pfalz, der Evangelischen Kirche im Rheinland, der Evangelischen Kirche von Westfalen und der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. Damit wurden alle großen Landeskirchen Westdeutschlands berücksichtigt. Die Archive der flächenmäßig sehr kleinen Landeskirchen wie die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Schaumburg-Lippe oder die Bremische Evangelische Kirche wurden nicht mit in die Untersuchung einbezogen, wobei Teile dieser Archive in anderen landeskirchlichen Archiven untergebracht sind und verwaltet werden. Hinzu kommen zu den landeskirchlichen Archiven das Archiv der DEA in Bad Blankenburg, das Archiv des Diakonischen Werkes der EKD in Berlin, das Archiv des Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverbandes in Kassel sowie das Evangelische Zentralarchiv in Berlin. Schwerpunkte der Archivrecherche bildeten die Themen Evangelisationstätigkeit sowie die Beziehungen zwischen Landeskirchenleitungen und landeskirchlichen Gemeinschaften, Gemeinschaften der Evangelischen Allianz und
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Quellenlage
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einzelnen Bibel- und Missionsschulen auf dem Gebiet der jeweiligen Landeskirche. Darüber hinaus wurden sämtliche verfügbaren Dokumente zur B KAE, zu den KS und den „Evangelischen Sammlungen“ bzw. zu den „Evangelischen Vereinigungen um Bibel und Bekenntnis“ durchgesehen und verwendet, ebenso wie Korrespondenzen von Landesbischöfen mit führenden Vertretern der evangelikalen Bewegung bzw. ihrer Trägergruppen. Spezifische inhaltliche Schwerpunkte ergaben sich durch die Dokumentensammlungen zur „Offensive Junger Christen“ (OJC) im Zentralarchiv der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau in Darmstadt, zu Pfarrer Jens Motschmann und dem „Rotbuch Kirche“ sowie zu der Bundesvereinigung der KS im Nordelbischen Kirchenarchiv in Kiel, zu den jeweiligen Arbeitskreisen bzw. Synodalgruppen „Lebendigen Gemeinde“ in den Landeskirchlichen Archiven der Evangelischen Landeskirche in Württemberg und der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, zur Stellung der EKD zum Evangelikalismus im Evangelischen Zentralarchiv in Berlin, zur Arbeit der Volksmissionarischen Ämter und der „Arbeitsgemeinschaft missionarische Dienste“ (AMD) im Archiv des Diakonischen Werkes der EKD, zur „Notgemeinschaft evangelischer Deutscher“ im Archiv der Lippischen Landeskirche, zum so genannten „Bethelkreis“, der Vorläuferorganisation der B KAE im Archiv des Gnadauer Gemeinschaftsverbandes in Kassel sowie zum „Berliner Kirchenstreit“, der Kontroverse um den Berliner Bischof Kurt Scharf, im Evangelischen Landeskirchenarchiv in Berlin. Eine weitere Quellengattung, die in der vorliegenden Arbeit zur Geltung kommt, sind gedruckte oder hektographisch vervielfältigte Periodika wie Rundschreiben, Informationsblätter und Zeitschriften der evangelikalen Bewegung und ihrer Trägergruppen wie der Informationsbrief der B KAE,48 der gedruckte Rundbrief „Offensive“ (später „Salzkorn“) der Kommunität „Offensive Junger Christen“ OJC, die Zeitschrift des „Theologischen Konventes“ der KBG, „Diakrisis. Hilfe zur Unterscheidung von Geistesströmungen in Kirche und Welt“ und die evangelikale Zeitschrift „ideaSpektrum“. 1.6 Hinweise zu Formalia In der Arbeit werden bei der Erstnennung von Namen stets auch die Vornamen genannt. Ist dies nicht der Fall, konnten sie nicht ermittelt werden. Lebensdaten zu erwähnten Personen finden sich, sofern sie zu ermitteln waren, in den Biogrammen am Schluss der Arbeit. 48 Für die handliche Bereitstellung des „Informationsbriefes“ der B KAE von 1966 bis 1998 auf CD-ROM danke ich herzlich Dr. Martin Hamel.
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Einleitung
Runde Klammern in Textzitaten sind original, eckige Klammern markieren Einfügungen der Verfasserin. Bei Zitaten aus Quellen wurde die ursprüngliche Rechtschreibung beibehalten, ebenso wie sprachliche Eigenheiten. Fehler wurden nicht berichtigt, Kursiv- und Fettschreibung sowie Unterstreichungen folgen dem Original. Für die Arbeit gilt die sprachliche Regelung, dass die maskuline Form die feminine mit einschließt. Es ist darüber hinaus aber dezidiert darauf hinzuweisen, dass bei den hier dargestellten Phänomenen, nämlich den evangelikalen Trägergruppen und der evangelikalen Bewegung sowie den Kirchenleitungen, im wesentlichen Teil des behandelten Zeitraums, zumindest bis weit in die 1970er Jahre hinein, eine solche Inklusivität nicht gedacht werden muss, denn sie existierte auf der realen historischen Ebene nicht. Die behandelten Gruppen, Strömungen und Institutionen zeichneten sich durch einen weitgehenden Ausschluss von Frauen aus.
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2. Evangelikalismus phänomenologisch – eine Annäherung an das Thema
Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit ist, dass keine definitorischen Aussagen über den Evangelikalismus in Deutschland getroffen werden können, ohne eine historische Analyse seiner Genese durchzuführen. Bisher kommt der historische Blickwinkel bei Untersuchungen und Aussagen zu diesem Phänomen wesentlich zu kurz. Die meisten Studien oder Stellungnahmen der letzten 50 Jahre zu dem Thema, auch aus der Feder von Evangelikalen, versuchen sich dem Untersuchungsobjekt eher von einer systematisierenden oder phänomenologischen Seite zu nähern – historische Entwicklungen stellen dafür in den meisten Fällen nur ein Vorspiel dar. Es kann nicht von der Hand gewiesen werden, dass Systematisierungen zu Erkenntnisgewinnen geführt haben, aber eine Analyse des Evangelikalismus ohne historische Tiefenschärfe lässt zentrale Fragen offen, ohne deren Beantwortung eine präzise Definition unmöglich ist. Gerade die Genese der evangelikalen Bewegung aus dem Zusammenschluss von evangelikalen Trägergruppen mit ihrer je eigenen Identität, die Konfliktfelder dieser Trägergruppen innerhalb der evangelischen Landeskirchen vor 1966 mit Theologie und Kirche, die Entwicklungen von dem „evangelikalen Protest“, dem Dortmunder Bekenntnistag 1966 bis hin zu der organisatorischen Formierung in der „Konferenz bekennender Gemeinschaften in den evangelischen Kirchen Deutschlands“, der weitere historische Werdegang der auseinanderdriftenden evangelikalen Bewegung unter dem einigenden Dach eines evangelikalen Diskurses – diese beispielhaft genannten historischen Aspekte sind von elementarer Bedeutung für eine Charakterisierung des deutschen Evangelikalismus. Eine Verortung, Charakterisierung oder Definition desselben ohne Wahrnehmung seiner Vernetzung mit den Landeskirchen, ohne Blick für das sich stets in einem dynamischen Prozess befindliche Verhältnis von evangelikalen Gruppen und den Landeskirchen, ist prinzipiell unmöglich. Im Folgenden soll dies an vier Kumulationspunkten der aktuellen Debatten um Evangelikalismus nachgewiesen werden, und zwar a) an der Definition von „evangelikal“ angesichts der Inhomogenität des Evangelikalismus, b) an dem evangelikalen Bibelverständnis vor dem Hintergrund seiner (historisch gewachsenen) antitheologischen Attitüde, c) an der Abgrenzung des Evangelikalismus von der traditionellen und institutionalisierten evangelischen Kirche in Form der Landeskirchen und der EKD sowie d) an dem Zusammenhang und der
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Evangelikalismus phänomenologisch – eine Annäherung an das Thema
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Differenz von Evangelikalismus und Fundamentalismus. Diese Aspekte decken bei weitem nicht das gesamte Feld der aktuellen Debatten um den Evangelikalismus ab, stellen aber wichtige der gegenwärtig brisanten Themenkomplexe dar. Gleichzeitig führen sie in die systematisch-phänomenologische Diskussion um den Evangelikalismus ein. Alle in Betracht kommenden Schwerpunkte lassen sich nur vollständig in Kenntnis ihrer Entwicklungsgeschichte erfassen. Daher werden bereits im Folgenden punktuell einige historische Entwicklungen hin zum jetzigen Stand der Diskussion benannt, die im Hauptteil der Arbeit zur ausführlichen Darstellung kommen. Um Redundanzen zu vermeiden, sind diese historiographischen Anmerkungen auf das Wesentliche beschränkt. 2.1 Die Definition von „evangelikal“ angesichts der Inhomogenität des Evangelikalismus 2.1.1 Evangelikale Frömmigkeitsschwerpunkte Im „Handbuch der evangelistisch-missionarischen Werke“ werden folgende spezifische Merkmale für den Evangelikalismus angeführt: Mit der Betonung der persönlichen Glaubenserfahrung gehe die Notwendigkeit der individuellen Buße, der Bekehrung bzw. Wiedergeburt und der Heiligung einher sowie die Suche nach Heils- und Glaubensgewissheit. Zentrum der Heiligen Schrift sei die Erlösungstat Christi am Kreuz, die Einzigartigkeit Jesu werde hervorgehoben, der zweite Glaubensartikel betont. Die Lebensführung in der Frömmigkeit und der Nachfolge beinhalte wesentlich Gebet und Zeugendienst. Die Kirche werde von ihrem Missionsauftrag her verstanden, die Ethik aus den Ordnungen Gottes entwickelt, so wie sie vor dem Hintergrund der eigenen Frömmigkeit interpretiert werden, und von der aktiven Erwartung des Reiches Gottes flankiert. Sakramentale Frömmigkeit versinke im Evangelikalismus zur Bedeutungslosigkeit.1 Fritz Laubach gibt in seinem 1972 erschienenen Buch „Aufbruch der Evangelikalen“ folgende Merkmale für den Begriff „evangelikal“ an: Bekehrung und Heilsgewissheit, die Gemeinschaft untereinander, Mission und Evangelisation sowie Vertrauen in das durch die Bibel gegebene Wort Gottes.2 Stephan Holthaus schreibt in seinem Buch „Die Evangelikalen. Fakten und Perspektiven“ unter der Überschrift „Was Evangelikale glauben“, signifikant evangelikal sei der Bibelglaube und damit einhergehend die Betonung des „sola 1 2
HEMPELMANN, Handbuch, 132. LAUBACH, Aufbruch, 83.
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„Evangelikal“ angesichts der Inhomogenität des Evangelikalismus
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scriptura“ der Reformation, die Einsicht in die Erlösungsbedürftigkeit des Menschen und das daraus folgende „Muss“ der persönlichen Bekehrung, die Gemeindebindung und das Engagement für Gemeindewachstum, das in enger Verbindung mit dem ausgeprägten Missionsbewusstsein stehe.3 Alle ausführlicheren Definitionen benennen diese oder davon abgeleitete Schwerpunkte als für den Evangelikalismus typisch. Bereits hier muss auf historische Veränderungen hingewiesen werden, die schon bei der Schwerpunktsetzung innerhalb dieses Spektrums der Charakteristika zu verzeichnen sind. So bezeichnete der der Brüderbewegung4 zugehörige langjährige Leiter der Bibelschule Wiedenest Ernst Schrupp 1977 in einem Vortrag über „Wesen und Wollen der Evangelikalen und ihre Allianz“ – gemeint ist die DEA – an erster Stelle das Gründen „auf die unbedingte Autorität der Hlg. Schrift“5 als signifikantes Merkmal für evangelikale Frömmigkeit. Dagegen wird in gegenwärtigen Verlautbarungen der DEA stets die Evangelisation als zentrales Moment des Wirkens der Allianz hervorgehoben.6 Diese Verschiebung in der Betonung der Wesensmerkmale ist weniger in den jeweiligen individuellen Zugängen zur Allianzarbeit zu sehen7 als vielmehr in der historisch gewandelten Situation der evangelikalen Bewegung.
3
HOLTHAUS, Die Evangelikalen, 57–69. Die Brüderbewegung ist eine in der Mitte des 19. Jahrhunderts entstandene freikirchliche Versammlungsbewegung. Sie ging von Wuppertal-Elberfeld und den Aktivitäten des Lehrers Carl Brockhaus aus. Starken Wert legte man in der Brüderbewegung auf Evangelisation und Mission, heute engagiert sich die Brüderbewegung vornehmlich in den von ihr getragenen diakonischen Einrichtungen (vgl. HOLTHAUS, 150 Jahre Brüderbewegung). 5 Schrupp, Ernst: Wesen und Wollen der Evangelikalen und ihre Allianz. Referat auf dem Empfang des Hauptvorstandes der Deutschen Evangelischen Allianz am 7. 9. 1977 in Siegen. Maschinenschriftl., 5 S. (LkA EKvW Best. 0.10 Nr. 432). 6 So z. B. der Generalsekretär der DEA Hartmut Steeb in einem Vortrag „Standortbestimmung der Evangelikalen“ von 1994: Die „Evangelikalen möchten, dass die Hauptsache die Hauptsache bleibt, nämlich die Verkündigung des Evangeliums als dem Hauptauftrag Jesu an seine Jünger. Deshalb findet ihre erste Aufmerksamkeit die Evangelisation, die Weitergabe des Glaubens.“ (STEEB, Standortbestimmung, 1). Rolf Hille, ehemaliger Generalsekretär der Studentenmission in Deutschland, langjähriger Rektor des Albrecht-Bengel-Hauses, Vorsitzender des Arbeitskreises für evangelikale Theologie und von 1994 bis 2000 1. Vorsitzender der DEA hebt ganz analog hervor, dass evangelikale Theologie missionarische Theologie sei – da „der Evangelikalismus vor allen Dingen eine evangelistisch und missionarisch orientierte Bewegung in den christlichen Kirchen darstellt, ergibt sich schon aus diesem Ansatz die missionarische Grundorientierung der evangelikalen Theologie.“ (HILLE, Umbruch, 136). 7 Individuelle Versuche, den Evangelikalismus durchaus auch mit historischem Rückgriff zu erschließen, sind ebenfalls zu verzeichnen. So sieht z. B. der methodistische Theologe Christoph Raedel in der „Erweckung“ das verbindende Element traditioneller methodistischer und evangelikaler Frömmigkeit (RAEDEL, Heart). 4
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Evangelikalismus phänomenologisch – eine Annäherung an das Thema
Aber auch bei einer lediglich phänomenologischen Betrachtung der genannten Charakteristika des Evangelikalismus ist zu erkennen, dass einzelne dieser Haltungen und Anschauungen nicht signifikant für die evangelikale Attitüde sind, da sie sich andernorts ebenso finden lassen bzw. in mehr oder weniger abgeschwächter Form charakteristisch für den Protestantismus generell sind. Nur die Betonung und Anhäufung davon kann eine gewisse Rahmenerklärung für „evangelikal“ bieten.8 Damit ist die Begriffsdefinition „evangelikal“ im Bereich des Vagen bzw. der Gewichtungen angesiedelt – ein Indiz dafür, dass es sich hier eher um eine Mentalitätskonstellation, um eine Bewegung im wahrsten Sinne des Wortes als um eine bestimmte abgegrenzte Frömmigkeitsrichtung handelt. Das leitet über zu der Inhomogenität der evangelikalen Bewegung auf Grund ihrer verschiedenartigen Zusammensetzung. 2.1.2 Das Problem der evangelikalen Ausdifferenzierung Ein Schlaglicht auf die gegenwärtigen Konstellationen eines ausdifferenzierten Evangelikalismus wirft die 2004 in Wetzlar abgehaltene Podiumsdiskussion zwischen Vertretern verschiedener evangelikaler Gruppen anlässlich des 25jährigen Bestehens von „ideaSpektrum“, die sich dem Thema widmete „Wo steht die evangelikale Bewegung heute?“ Unter den geladenen Podiumsteilnehmern waren der Generalsekretär der DEA, Hartmut Steeb, der CVJM-Generalsekretär, Evangelist und Leiter der evangelistischen Projektarbeit „ProChrist“ Ulrich Parzany, der Präses des Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverbandes Dr. Christoph Morgner, die Präsidentin der Synode der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens und EKD-Ratsmitglied Gudrun Lindner, der Braunschweiger Pastor, Vorsitzende des Kreises Charismatischer Leiter in Deutschland und der „Geistlichen Gemeindeerneuerung im Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden“ Dr. Heinrich Christian Rust, der Schriftführer der KBG Wolfgang Sickinger, der ehemalige Bundesfinanz- und Bundesverteidigungsminister, Autor mehrerer Bücher zu Werte-, Gesellschafts- und Kirchenverfall und Honorarprofessor an der Universität Rostock Dr. Hans Apel sowie der Journalist, damalige Hauptstadtkorrespondent des MDR und ehemalige „idea“-Praktikant Markus Spieker. Auf dieser Podiumsdiskussion wurde eine Bandbreite evangelikaler Positionen deutlich, wie sie Mitte der 1960er Jahre, als die Frontstellung der Evangelikalen und damit die evangelikale Bewegung überhaupt begann, nahezu undenkbar war. Noch ausdifferenzierter präsentieren sich evangelikale Ansätze in dem von „pro“, dem „Christlichen Medienmaga8 Nicht unpassend ist vor diesem Hintergrund die Selbstbezeichnung durch Hartmut Steeb, „evangelikal“ meine „radikal evangelisch“ (WO STEHT DIE EVANGELIKALE BEWEGUNG, 8).
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„Evangelikal“ angesichts der Inhomogenität des Evangelikalismus
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zin“ 2007 herausgegebenen Themenheft „Evangelikale. Wer sind sie – Was ihnen wichtig ist“. Der heutige evangelikale Pluralismus aber ist ohne eine Betrachtung seiner Entwicklung lediglich irritierend. Vor allem angesichts der ausdifferenzierten evangelischen Frömmigkeit generell scheinen Abgrenzungen kaum möglich. Paradigmatisch deutlich wird das an einer Anekdote von Hans Apel in der genannten Podiumsrunde im Jahr 2004. Apel war zu diesem Zeitpunkt bereits auf Grund des seiner Meinung nach ausufernden Modernismus und wertelosen Pluralismus in der Kirche aus der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche ausgetreten und in die SELK eingetreten. Noch nicht abzusehen war zu diesem Zeitpunkt die medienwirksame Anzeige Apels 2008 gegen den Frankfurter Pfarrer Hans Christoph Stoodt wegen dessen Vorwurfs, Apel bewege sich im rechtsnationalen Milieu, die Apel kurz vor Prozessbeginn zurückzog, sowie Apels Unterzeichnung der Erklärung „Für Freiheit und Selbstbestimmung – gegen totalitäre Bestrebungen der Lesben- und Schwulenverbände“ im Vorfeld des von den Homosexuellenvereinigungen stark kritisierten 6. Internationalen Kongresses Psychiatrie und Seelsorge im Frühjahr 2009. Allerdings war Apel bereits mit seinem auflagenstarken Buch „Volkskirche ohne Volk. Der Niedergang der Landeskirchen“ an die Öffentlichkeit getreten, für das er 2004 den „Walter-Künneth-Preis“ der „Kirchlichen Sammlung um Bibel und Bekenntnis“ (KS) in Bayern erhielt. In Apels Bericht auf der Podiumsdiskussion in Wetzlar über die Schwierigkeit einer definitorischen Festlegung seiner eigenen Position und seines Wirkens werden signifikant die Probleme deutlich, die sich einer Systematisierung des Phänomens Evangelikalismus entgegen stellen: „Im Juni hab ich zum ersten Mal und, wie es so aussieht, auch zum letzten Mal bei einer Evangelischen Akademie reden können. In Goslar. Und nachdem ich dort meine Überzeugungen dargetan hatte, stand einer auf und sagte: ‚Sie sind ein Fundamentalist.‘ Und alle nickten. Und als Politiker hat man ja ein bisschen was gelernt [. . .], da hab ich natürlich nun nicht angefangen zu reden, sondern ich hab gesagt: ‚Wenn ich Fundamentalist bin und Sie das hier so überzeugend gesagt haben, dann definieren Sie mir doch bitte mal, was ein Fundamentalist ist.‘ Und da war Schweigen im Walde. Denn das einzige, was sie hätten sagen können, diese guten Christen, daß ich an Jesus Christus glaube, an seine Kreuzigung, an seine Auferstehung, an die Vergebung der Sünden. Und wenn sie gesagt hätten: Fundamentalisten glauben so was (ich glaub das), dann hätten sie ja einigermaßen blöd ausgesehen. Also haben sie nix gesagt. Das ist ja manchmal auch das beste. [. . .] Nun hab ich dann versucht in Vorbereitung auf dieses Treffen, mal zu ergründen, was denn evangelikal sein könnte. Da hat Rainer Präborius [gemeint ist Rainer Prätorius] im letzten Jahr ein Buch geschrieben: In God we trust (es ist aber ein deutsches Buch, Religion und Politik in den USA). Er entwickelt vier Kriterien. Und wenn man drei für sich übernimmt, ist man ein Evangelikaler. Um die Antwort vorwegzunehmen: Ich bin keiner. Aber ich
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Evangelikalismus phänomenologisch – eine Annäherung an das Thema
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bin Ihnen natürlich diese vier Kriterien schuldig: 1. Jesus ist für uns gestorben und vergibt uns unsere Sünden. Er ist Gottes Sohn. – Das ist meine Überzeugung. 2. Die Bibel ist Gottes Wort, und sie muß uns Wort für Wort leiten. – Das ist meine Überzeugung nicht. Im moralisch-menschlichen Bereich ja. Zehn Gebote und insbesondere das, was der Apostel Paulus im Römerbrief gesagt hat. Aber ansonsten sehe ich mich nicht in der Lage, zum Beispiel unseren demokratischen Staat mit biblischen Maßstäben zu messen. Dann kommt das 3. Kriterium: Ich habe mein Leben Christus geweiht, ich bin umgewandelt und neugeboren. – Ja. Und nun entscheidet das 4. Kriterium, denn ich muß ja drei erfüllen, ob ich evangelikal bin. Und das heißt: Ich muß, ich muß (!) Nichtchristen zum Heil bringen. Das kann ich nicht unterschreiben. Also bin ich kein amerikanischer Evangelikaler. Bush ist einer, führt Präborius aus. Und dann bin ich wiederum ganz froh, daß ich keiner bin.“9
Selbst wenn man Apels Vermutung zu dem ihm gegenüber geäußerten Fundamentalismusvorwurf nicht teilt und Prätorius’ Klassifikationsschema eben die nordamerikanischen Verhältnisse im Blick hat,10 läuft diese Darstellung darauf hinaus: in der Außenwahrnehmung ein Fundamentalist, in der Innenwahrnehmung „nicht einmal“ ein Evangelikaler. Es stellt sich die Frage, ob angesichts eines solchen Befundes Definitionen überhaupt noch tragfähig sind, oder ob man nicht mit dem Journalisten Gernot Facius, Autor von Beiträgen für „Die Welt“, konstatieren muss, „dass es ‚die‘ Evangelikalen nicht gibt.“ Zu diesem Schluss kann man bei einem Querschnitt durch die evangelikale Bewegung durchaus kommen – lässt man ihre Geschichte außer Acht. Facius selbst fügt an, dass der evangelikale Strang protestantischer Frömmigkeit vom württembergischen Pietismus bis hin zu den „neuen“ Charismatikern reiche und nicht immer Eintracht unter dem gemeinsamen Dach herrsche.11 Auch im Verlauf der Diskussion im Frühjahr 2004 in Wetzlar wurde die innerevangelikale Ausdifferenzierung deutlich: während Apel indirekt für eine Befreiung „von verkopften Theologen“ plädierte,12 strich Markus Spieker heraus, der „Skandal des evangelikalen Intellekts“ sei, dass es „so wenig davon gibt“. Er wünsche sich, die Evangelikalen würden „diskursfähiger“ und „Leute hervorbringen, die in den öffentlichen Arenen mitdebattieren können.“13 Der Elan des Allianzgeneralsekretärs Hartmut Steeb, die evangelikale „SelbsthilfeBewegung“14 habe auch im Hinblick auf die Bewältigung unerledigter „Hausaufgaben“, z. B. der Klärung des Verhältnisses der evangelikalen zur charismati-
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EBD., 16. PRÄTORIUS, In God. 11 VOM LEID DER FORMELN, 15. 12 WO STEHT DIE EVANGELIKALE BEWEGUNG, 16. 13 EBD., 20. 14 EBD., 8. 10
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schen Bewegung, noch viel vor sich,15 wurde konterkariert durch die Zukunftsprognose des baptistischen Charismatikers Rust, der anklingen ließ, die evangelikale Bewegung existiere in zehn Jahren möglicherweise gar nicht mehr, zumindest vermute er, sie bilde dann keine Einheit.16 Der Vertreter der KBG, Wolfgang Sickinger, war noch sichtlich gezeichnet von dem Schock der massiven Zerrüttungen, die von 1999 bis 2001 ihren Höhepunkt innerhalb der KBG bzw. unter führenden Persönlichkeiten und ganzen Gruppen der evangelikalen Bewegung erreichten,17 unter anderem auch wegen Differenzen im Umgang mit der charismatischen Bewegung, während Christoph Morgner das Problem der innerhalb des Gnadauer Verbandes bestehenden Abspaltungstendenzen im Blick hatte, die auf eine Loslösung von den Landeskirchen bis hin zur Freikirchenbildung zielten.18 Demzufolge trafen sich die Teilnehmer vor allem in dem steten Aufruf zu mehr Einigkeit und Geschlossenheit unter den Evangelikalen. Bei einer oberflächlichen Betrachtung scheinen es besonders die Ausdifferenzierungen des Evangelikalismus in den letzten Jahrzehnten vor dem Hintergrund gesellschaftlicher und kirchlicher Veränderungen zu sein, die die Inhomogenität des Evangelikalismus hervorriefen. Ähnlich der Ausdifferenzierung in der Kirche selbst oder der Gesellschaft insgesamt ist der Evangelikalismus von dem Prozess der Pluralisierung betroffen. Seine divergenten Gemengelagen und die oft von persönlichen Auseinandersetzungen geprägte Geschichte widerspiegeln deutlich die These der zunehmenden Pluralisierung und Individualisierung innerhalb des protestantischen Milieus.19 Obwohl die evangelikale Bewegung eine unmittelbare Reaktion auf die funktionale Differenzierung innerhalb der evangelischen Kirche mit dem Einklagen von Einheitlichkeit bis hin zur Forderung eines evangelischen Lehramtes darstellt, weist sie selbst, verstärkt durch fehlende traditionelle Organisationsstrukturen, ein hohes Maß an Pluralisierung und auch Individualisierung auf.20 Damit trägt die evangelikale Bewegung nicht 15
EBD., 9. EBD., 20 und 22. 17 EBD., 14f. In der an die Podiumsdiskussion anschließenden offenen Diskussion wurde die von der KBG getragene Auseinandersetzung auch von dem Osnabrücker Pfarrer und ehemaligen Vorsitzenden der KBG Burghard Affeld angesprochen (EBD., 22f.). 18 WO STEHT DIE EVANGELIKALE BEWEGUNG, 11. 19 Zu funktionaler Differenzierung, Individualisierung und Pluralisierung im deutschen Protestantismus in den 1960er und 1970er Jahren vgl. Detlef Pollack in: SCHLUSSDISKUSSION, 365– 367. 20 Vgl. dazu auch BUSCH, Einzug, 96–98, 100 u. ö. Die evangelikale Bewegung durchlief in ihrer Geschichte Phasen verstärkter Pluralisierung und stärkerer Individualisierung. So kann z. B. die Zeit, in der die B KAE als Speerspitze der evangelikalen Bewegung fungierte, auf Grund der starken Fokussierung auf einzelne Führerpersönlichkeiten als Individualisierungsphase, die Zeit der DEA als Dachverband der evangelikalen Bewegung als Pluralisierungsphase bezeichnet werden, wobei stringente Abgrenzungen hierbei nicht möglich sind. 16
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nur zur Pluralisierung des protestantischen Milieus bei, sondern sie kämpft auch gegen die Pluralisierung in den eigenen Reihen bzw. muss sich mit Pluralisierung auseinandersetzen. In diesem Sinne ist die evangelikale Bewegung in Deutschland im 20. Jahrhundert ein Mikrokosmos der evangelischen Kirche, in dem ähnliche Problemkonstellationen aufscheinen und gleiche Prozesse ablaufen wie in der Kirche selbst, allerdings teilweise zeitversetzt. Diese Feststellung trifft nicht nur auf die evangelikale Bewegung der 1970er Jahre bis heute zu, sondern auch auf die Vor- und Anfangsgeschichte der evangelikalen Bewegung. Hier zeigt sich, dass der deutsche Evangelikalismus aus einem Zusammenschluss verschiedener Gruppen und Verbände mit je divergierenden Zielorientierungen und Mentalitäten hervorging, die sich im Hinblick auf bestimmte Themenfelder trafen. Der Einfluss der verschiedenen Charakteristika und Arbeitsfelder dieser divergenten „evangelikalen Trägergruppen“ ist in der evangelikalen Bewegung zu erkennen und verleiht ihr eine inhomogene Gebrochenheit. 2.1.3 Evangelikale Ethik Die Podiumsdiskussionsrunde in Wetzlar einte ein sozialpolitisch-ethisches Thema, das während der Zusammenkunft 2004 nicht angesprochen wurde, aber dennoch gegen Ende des ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts eine stark verbindende Wirkung auf die evangelikale Bewegung besitzt: Der mehr oder weniger starke Einsatz gegen die Aktivität von Homosexuellenverbänden und für die Homosexuellen-Heilungsbewegung, die im Kern vom „Deutschen Institut für Jugend und Gesellschaft“ getragen wird, dem „Studien- und Forschungszentrum“ der „Offensive Junger Christen“ (OJC).21 Dieser Einsatz richtet sich unter anderem gegen EKD-Beschlüsse und kirchliche Verlautbarungen, die empfehlen, homosexuellen Menschen „Zuspruch und Anspruch Gottes nahe zu bringen und die Annahme des Menschen durch den barmherzigen Gott zu bezeugen“, wie in der Orientierungshilfe des Rates der EKD von 1996 „Mit Spannungen leben“ dargelegt ist. Damit ist ein Aspekt angeschnitten, mit dem Evangelikale immer wieder öffentlichkeitswirksam auftreten: ihre Proklamation konservativer sozialethischer Positionen. Seit spätestens den 1980er Jahren beinhalten diese die kritische Haltung gegenüber dem kirchlichen Umgang mit Homosexuellen und den kirchlichen Verlautbarungen zu Homosexualität, besonders in der Diskussion um die Frage der Segnung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften seit der Jahrtausendwende. In den 1970er Jahren begann der evangelikale Einsatz gegen den § 218, in den 1980er Jahren derjenige gegen die 21
Zur „Offensive Junger Christen“ (OJC) vgl. die ausführliche Darstellung in Kap. 6. 2. 8.
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feministische Theologie – um nur einige Beispiele für den Kampf gegen die „sittliche Unterwanderung“ von Kirche und Gesellschaft zu nennen, und damit, so die evangelikale Argumentation, gegen den „Ausverkauf des Glaubens“.22 Hinsichtlich der Wandelbarkeit der sozialethischen Themen der evangelikalen Bewegung fördert der historische Blick einiges zutage. So erfolgt die aktive Bezugnahme auf gesellschaftliche und politische Fragen in der Geschichte der evangelikalen Bewegung erst in einem sekundären Schritt seit Anfang der 1970er Jahre unter besonderem Einfluss der B KAE bzw. der KBG.23 Dabei fehlt eine stringente theologische Ethik als Grundlage der Handlungsoptionen – in Parallelität zum Fehlen einer stringenten politischen Haltung –, phänomenologisch nicht zuletzt erklärbar mit dem evangelikalen uneinheitlichen Schriftverständnis, auf das noch einzugehen ist. Wie eingangs unter den Schwerpunkten evangelikaler Frömmigkeit genannt, wird evangelikale Ethik aus den vor dem Hintergrund der eigenen Frömmigkeit interpretierten Ordnungen Gottes entwickelt und ist damit in einem hohen Maße subjektiv und eklektisch. Der größte Teil des evangelikalen sozialen Engagements habe stets „ohne eine reflektierte theologische Basis“ stattgefunden,24 konstatiert der ehemalige Studienleiter des Geistlichen Rüstzentrums Krelingen, der heutige theologische Referent für Missionarische Dienste und Sonderseelsorge der EKD und Generalsekretär der „Arbeitsgemeinschaft Missionarische Dienste“ (AMD) Erhard Berneburg. Das Problem sei auf Grund der Tatsache gegeben, dass sich die Antworten auf die globalen Herausforderungen und die gesellschaftlichen Entwicklungen nicht aus der Bibel unmittelbar ableiten ließen und die biblische Basis für sozialethische Entscheidungen, die der modernen Welt angemessen sind, sehr gering sei.25 Berneburg zitiert im Weiteren den langjährigen Dozent für Dogmatik und Ethik am Predigerseminar St. Chrischona bei Basel und späteren Professor für Systematische Theologie am Regent College in Vancouver (Canada) Klaus Bockmühl. Bockmühl kommt zu dem Schluss, dass eine fehlende evangelikale Sozialethik zwangsläufig nach sich ziehe, die „verspürte soziale Verantwortung“ bei Evangelikalen „mit anderen sich gegenwärtig anbietenden Modellen zu begründen.“26 22
So die in evangelikalen Kreisen auf Grund ihrer konservativen Ansichten zu Ehe und Familie bis heute geschätzte, 1987 zum Katholizismus konvertierte „Psychagogin“ Christa Meves 2006 in einem Leserbrief an die FAZ (MEVES, Darüber wurde gesprochen, 8). 23 Eine passive Bezugnahme auf den so wahr genommenen Gesellschafts- und Werteverfall in Form des steten Konstatierens von Untergangsszenarien ist allerdings schon in den frühen Schriften zu verzeichnen. 24 BERNEBURG, Verhältnis, 256. 25 EBD. 26 Zitiert nach: EBD., 257.
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Diese Modelle, denen sich ohne tiefere Reflexion angeschlossen wird, sind nun in der Tat politische, ethisch-konservative Konzepte, die in einem zweiten Schritt „biblisch“ legitimiert werden. Hinsichtlich der evangelikalen Sozialethik trügt der Eindruck nicht, es handle sich hier um rein säkulare Konzepte, die im Nachgang „vertheologisiert“ werden. Auffällig ist dabei, dass sich evangelikale Stellungnahmen zu sozialethischen Problemen bis Ende des Untersuchungszeitraums fast ausschließlich auf die Stellungnahmen der Kirche zu den entsprechenden Themen beziehen, kaum auf gesellschaftliche Entwicklungen oder politische Gesetzgebungen. Das ist auf die Rolle sowohl der Kirche als auch der Politik in der evangelikalen Vorstellungswelt zurückzuführen, wie sie im Folgenden ausführlich dargestellt wird. Besonders im Hinblick auf politische Bewusstseinsbildung haben sich in den letzten 10 bis 20 Jahren Veränderungen in der evangelikalen Bewegung vollzogen, die nun stärker dahin tendieren, sich mit ihren Anliegen unmittelbar an politische Gremien zu wenden. Allerdings ist die Haltung des deutschen Evangelikalismus in Bezug auf Politik entweder zwiespältig oder einseitig – beides Aspekte, die einer tendenziell unpolitischen Haltung entsprechen und fehlender politischer Reflexion geschuldet sind. Die evangelikale Attitüde in Bezug auf die diversen sozialethischen Themenkreise ist mitunter sehr instabil und Wandlungen unterworfen, wie die anfängliche Ablehnung der Frauenordination und die spätere weitgehende Akzeptanz von Frauen in kirchlichen Leitungsämtern zeigt.27 Die resignierte Feststellung des Bundespfarrers des Jugendverbandes „Entschieden für Christus“ (EC) Rudolf Westerheide auf dem Hauptamtlichen-Kongress des Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverbands 2007, die Gemeinschaftsbewegung habe viele kirchliche und gesellschaftliche Trends mit Verzögerung übernommen und mache in Bezug auf sozialethische Fragen „alles so wie alle anderen auch, nur 20 Jahre später“, ist nicht ganz von der Hand zu weisen.28 Bei einer Betrachtung der Traditionslinien des Evangelikalismus, der stark von der Mentalität „des Pietismus“, d. h. von der Gemeinschaftsbewegung geprägt ist,29 verwundert allerdings das unsichere bzw. konservative bis ultrakonservative Verhalten gegenüber sozialen und politischen Belangen keineswegs: Hier ist es nämlich historisch bereits angelegt.
27 Zur Ablehnung der Frauenordination durch evangelikale Trägergruppen vgl. ausführlich Kap. 6. 2. 4. 28 SEGNEN IN 20 JAHREN. 29 Zur Politikaversion der Gemeinschaftsbewegung vgl. die Darstellung in Kap. 3. 1. 1.
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2.1.4 Klassifikation evangelikaler Gruppen Nicht nur bei der Betrachtung von Frömmigkeitsstilen und inhaltlichen Arbeitsschwerpunkten, auch bei dem Blick auf einzelne Gruppen, die heute der evangelikalen Bewegung zugeordnet werden, erhält man ein äußerst „bunte[s] Bild der Evangelikalen“30. Reinhard Hempelmann, Leiter der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen der EKD, strukturiert diese Gruppenbildungen in verschiedene Typen des Evangelikalismus. So werden von ihm unterschieden: 1. der „klassische Typ“, der Hauptstrom der evangelikalen Bewegung, der sich auf die Evangelische Allianzarbeit stütze, 2. der „fundamentalistische Typ“, der im Sinne der Chicago-Erklärung von der Unfehlbarkeit und absoluten Irrtumslosigkeit der Bibel „in jeder Hinsicht“ ausgehe und der stärker auf Abgrenzung setze als der „klassische Typ“, 3. der „bekenntnisorientierte Typ“, wie er sich in der „Bekenntnisbewegung ‚Kein anderes Evangelium‘“ (B KAE) und der KBG präsentiere, 4. der „missionarisch-diakonisch orientierte Typ“, der Evangelisation und soziales Engagement zusammenführe und bei den „social concerned evangelicals“ verbreitet, im deutschen Raum aber eher unterrepräsentiert sei sowie 5. der „pfingstlerisch-charismatische Typ“, dessen Frömmigkeit auf den Heiligen Geist und die Charismen bezogen sei.31 Holthaus unterscheidet „Allianz-Evangelikale“, „charismatische Evangelikale“ und „Bekenntnis-Evangelikale“.32 Diese Systematisierung ist nahezu deckungsgleich mit derjenigen, die Friedhelm Jung vorschlägt. Jung ist einer der wenigen, der sich bisher einer Geschichte der evangelikalen Bewegung in Deutschland angenommen hat und selbst seine theologische Ausbildung in der Missionsschule St. Chrischona bei Basel erhielt, 1991 an der Universität Marburg promovierte und verschiedene Dozenturen an freien, d. h. zumeist evangelikalen Ausbildungsstätten innehatte. Er unterteilt in: 1. die „Deutsche Evangelische Allianz“ (DEA) und die ihr verbundenen Gruppen, 2. die Bekenntnisbewegung, 3. die Pfingst- und die Charismatische Bewegung und 4. die unabhängigen Evangelikalen.33 Es ist deutlich, dass sich die Klassifizierung bei allen Autoren dahingehend deckt, dass die Strömungen der Allianz-, der Bekenntnis- und der pfingstlerisch-charismatischen Bewegung unterschieden werden. Ausnahmen bilden die bei Hempelmann genannte Gruppe der missionarisch-diakonischen Evangelikalen, deren Verbreitungsgebiet im Wesentlichen außerhalb Europas liegt, und
30 31 32 33
Kapitelüberschrift bei HOLTHAUS, Die Evangelikalen, 44. HEMPELMANN, Evangelikalismus und Fundamentalismus, 11f. HOLTHAUS, Die Evangelikalen, 44–50. JUNG, Die deutsche Evangelikale Bewegung, 50–173.
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der „fundamentalistische Typ“, der in bemerkenswerter Weise bei den evangelikalen Forschern wegfällt. Die genannte Klassifizierung geht auf Kurt Heimbucher, den Präses des Gnadauer Gemeinschaftsverbandes von 1970 bis 1988 zurück, der 1988 in einem epd-Interview diese Einteilung des evangelikalen Lagers präsentierte, die im Anschluss stark von „idea“ propagiert wurde.34 Allein die „Strömungen“ weisen – sowohl untereinander als auch innerhalb ihrer eigenen Gruppierung – große Unterschiede in ihrem speziellen Anliegen bzw. ihren Ansichten über die Umsetzung dieser Anliegen auf. Historisch betrachtet ist die eben vorgestellte Klassifikation ausgesprochen problematisch: So ist es in chronologischer Hinsicht nicht in erster, sondern erst in zweiter Linie die DEA, die den „klassischen Typ“ des Evangelikalismus präsentiert. Dieser steht ursprünglich vielmehr in der Tradition einer Bewegung, die sich in den letzten Jahrzehnten immer stärker von der Selbstbezeichnung „evangelikal“ verabschiedete: der Gemeinschaftsbewegung. Allein die Vereinnahmung der evangelikalen Bewegung durch die DEA stellt eine historisch höchst bemerkenswerte Entwicklung dar. Nun liegt es durchaus im Auge des Betrachters, inwieweit man die Evangelische Allianz und die Gemeinschaftsbewegung derart verbunden wahrnimmt, dass der evangelikale „Allianztyp“ gleichzeitig auch der „Gemeinschaftstyp“ ist. Allerdings müsste dieses In-Eins-Setzen dann zumindest benannt werden. Unter historischem Blickwinkel ebenfalls äußerst problematisch ist die nicht hinterfragte Aufnahme des Begriffs „Bekenntnisevangelikale“. Mit dem Impetus des „Bekennens“ begann die evangelikale Bewegung: Ende der 1960er Jahre gab es keine anderen Evangelikalen als die „Bekenntnisevangelikalen“, die aber keineswegs alle der B KAE angehörten. Auf das Problematische an einer Synonymisierung von B KAE (als „Bekenntnisbewegung“) und evangelikaler Bewegung wurde schon eingegangen. Generell zu konstatieren ist, dass die historischen Wandlungen der Trägergruppen des Evangelikalismus das „bunte Bild der Evangelikalen“ noch zusätzlich bereichern. Es ist nahezu unüberschaubar, welche Gruppen in welchen Strömungen aufgingen, welche Verbände oder welche Einzelpersonen welche Entwicklungen anstießen und beeinflussten – und von welchen Entwicklungen sie sich zurückzogen. Um nur ein Beispiel aus dieser Fülle herauszugreifen und damit zu exemplifizieren, wie vielfältig und mehrdimensional die historischen Zusammenhänge zwischen Strömungen und Gruppen im evangelikalen Bereich sein können, sei die Entwicklung des „musikalisch kreativen Arbeitszweiges“
34 So der Generalsekretär des Gnadauer Verbandes Theo Schneider in einem Gespräch am 28. August 2008.
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des CVJM „Ten Sing“ aus einer Initiative der „Moralischen Aufrüstung“ (heute „Initiatives of Change“) genannt. Die „Moralische Aufrüstung“ (MRA), eine ursprünglich in England beheimatete, später in Caux in der Schweiz niedergelassene Frömmigkeitsbewegung, die sich der moralischen Veränderung ganzer Völker verschrieben hatte und Ende der 1960er Jahre einen Einfluss auf verschiedene evangelikale Trägergruppen in Deutschland ausübte – besonders auf die OJC –35 kreierte 1966 das musikalische Programm, „Sing out `66“ (später „Up with People“). Mit „Sing out `66“ zog die Jugendformation der „Moralischen Aufrüstung“ durch Deutschland und begeisterte nicht nur Jugendliche.36 An einem Konzert in Hamburg nahm auch der damalige hauptamtliche YMCA-Leiter im norwegischen Bergen, Kjell Grønner teil. Er war begeistert und lud „Sing out `66“ nach Bergen ein, wo im Mai 1966 ein Konzert stattfand. Grønner wollte diesen musikalischen Elan in Norwegen etablieren, allerdings mit einer deutlicheren christlichen Botschaft als „Sing out `66“ sie nach seinem Dafürhalten verkündete, und begründete „Ten Sing“ als eine Initiative des YMCA, die 1986 auch in Deutschland Fuß fasste.37 Im Hinblick auf die beiden ältesten und zahlenmäßig größten Trägergruppen des deutschen Evangelikalismus, dem Gnadauer Gemeinschaftsverband und der DEA, kommt hinzu, dass beide selbst Sammelbecken verschiedener Konfessionen und Kirchen (Allianz) oder regionaler pietistischer Frömmigkeitsausprägungen (Gnadauer Verband) sind und von daher auch innerhalb dieser Trägergruppen keine Homogenität gegeben ist. Darüber hinaus prägten die Konflikte mit den in freikirchliche Bereiche abdriftenden pietistischen Gruppen und die Auseinandersetzungen um eine Positionsbestimmung gegenüber der charismatischen Bewegung, um nur zwei Beispiele zu nennen, die jeweils individuelle Geschichte dieser Verbände in einem viel stärkeren Maße, als dies von außen im Allgemeinen wahrgenommen wird. 2.1.5 Die homogene Außenwirkung der evangelikalen Bewegung Wie kommt es aber zu dem homogenen Bild „der Evangelikalen“ in der Außenwahrnehmung? Auch diese Frage lässt sich mit dem Gang durch die Geschichte der evangelikalen Bewegung beantworten. Hier ist zuerst und am wesentlichsten die gemeinsame Zielsetzung der evangelikalen Front gegen die Verkündigung eines „anderen Evangeliums“ Ende der 1960er Jahre zu nennen. Damit in
35 Auf die „Moralische Aufrüstung“ und die „Offensive Junger Christen“ wird ausführlich in Kap. 6. 2. 8 eingegangen. 36 HERMANN, Von keuschem Leben. 37 HINTERGRÜNDE.
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Zusammenhang stehend führten die personellen Verquickungen in den Leitungsgremien der der evangelikalen Bewegung zugeordneten Gruppen zu einer Vereinheitlichung in der Außenperspektive. Und im Weiteren entwickelte sich seit den 1970er Jahren der „Informationsdienst der Evangelischen Allianz“, „idea“, zu einem homogenisierenden Faktor der evangelikalen Bewegung.38 Als ein klassisches Beispiel der Adaption der medialen Moderne durch Evangelikale wirkte „idea“ zuerst in Form eines Pressedienstes in Alternative zum „Evangelischen Pressedienst“ (epd), seit 1979 durch die Wochenzeitschrift „ideaSpektrum“ und die Broschüren „ideaDokumentation“.39 Im Zusammenhang mit der wachsenden medialen Monopolstellung von „idea“ ist seit Ende der 1970er Jahre ein Prozess im Hinblick auf die evangelikale Bewegung zu beobachten, der in der Zuspitzung eines „evangelikalen Diskurses“ mündet, d. h. in der zunehmenden Ablösung der kommunizierten Themen, der Tragweite und Intensität von den jeweiligen physisch existenten Trägern dieses Diskurses. Das bedeutete nicht nur, dass Themen mit einer (medialen) Wucht ventiliert wurden (und werden), die keineswegs in Relation zu der sie vertretenden sozialen Masse steht, sondern auch eine evozierte Homogenität des Evangelikalismus. Für die evangelikale Bewegung ist weiterhin in sozialhistorischer Hinsicht die schon frühe und prägnante Feststellung von Ulrich Betz, freikirchlicher Mitarbeiter an mehreren evangelikalen Publikationsprojekten, relevant, der deutsche Evangelikalismus werde im Wesentlichen von Personen getragen, weniger von Organisationen.40 Das bedeutet, dass öffentlichkeitswirksame Themen durchaus lediglich von Einzelpersonen initiiert werden können, die bestenfalls durch Unterschriftensammlungen legitimiert werden. Diese Unterschriftensammlungen sagen wenig über die spezielle Haltung der Unterstützerinnen und Unterstützer zu der Art und Weise des Auftritts ihrer inhaltlich fokussierten Anliegen aus. Bei genauerer Betrachtung der evangelikalen Bewegung in Deutschland erscheint es auffällig, dass ein relativ begrenzter Kreis von Personen aus der Leitungsebene immer wieder in den Vordergrund rückt. Personelle Verquickungen der Einzelgruppen und -vereine ist ein stets wiederkehrendes Faktum, d. h. dieselben Personen geben immer wieder neu ihre Meinung als Vertreter von verschiedenen evangelikalen Gruppen kund. Hier kann eine gewisse strukturell 38 Vgl. zu dem Aspekt der Homogenisierung durch „idea“ auch BUSCH, Einzug, 132, 98, Fußnote 121 u. ö. sowie Kap. 6. 4. 3 der vorliegenden Arbeit. 39 Die progressive Aufnahme der modernen Medien und Technologien und Integration in die eigene Arbeit wird in erster Linie dem christlichen Fundamentalismus attestiert, gilt aber ebenso für weite Kreise des Evangelikalismus (vgl. STEEB, Standortbestimmung, 1). Die Gründung von „idea“ kann als eine der wirkungsmächtigsten progressiven medialen Adaptionen der Moderne seitens deutscher Evangelikaler angesehen werden. 40 BETZ, Evangelikale, 314.
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angelegte Diskrepanz von evangelikaler Führung und evangelikaler Basis konstatiert werden, die zugespitzt formuliert darauf hinauslaufen kann, dass auch für die evangelikalen Führer die so genannten „Stillen im Lande“ still sind. Diese Gemengelage unterstützt eine Beobachtung aus der soziologischen Bewegungsforschung, dass „neue soziale Bewegungen“ stets eine Diskrepanz der Leitungsgruppe bzw. der „Aktivisten“ gegenüber der durch sie vertretenen „Referenzgruppe“ aufweisen.41 Dieser Umstand steht in Parallelität zu der diskursanalytischen These, der öffentliche Diskurs, in diesem Falle der „evangelikale Diskurs“, trete losgelöst von seinen Trägergruppen zutage,42 über die er letztlich wenig aussagt. Die Tatsache, dass die evangelikalen Akteure, die soziologisch eine Interessengruppe bilden, den evangelikalen Diskurs anstoßen, der wiederum als homogen wahrgenommen wird, erweckt in der Außenwahrnehmung einen doppelten Eindruck evangelikaler Einheit. In der vorliegenden Arbeit ist der evangelikale Diskurs selbst nicht Untersuchungsobjekt, sondern einzelne Konfliktthemen werden in ihrem chronologischen Verlauf und in ihrem Kontext dargestellt. Damit bewegt sich die Untersuchung im traditionellen Bereich der historischen Forschung. Das lohnenswerte Thema der Untersuchung des Evangelikalismus unter diskursanalytischer Perspektive müsste in einer Arbeit erörtert werden, die sich speziell mit den medialen Auftritten, Debatten und den Publikationen der evangelikalen Bewegung beschäftigt. Eine Kommunikations- und Konfliktanalyse von evangelikalem Verhalten liegt mit Roger J. Buschs Dissertation „Einzug in die festen Burgen?“ bereits vor. Busch hinterfragt den Begriff „Evangelikale“ kritisch, da dieser Terminus als „Selbstbezeichnung [. . .] eine deutlich kirchenpolitisch-strategische Intention“43 habe, nämlich diejenige, stärker, geschlossener und zahlenmäßig mehr zu erscheinen als realiter, wenn nicht gar, so Busch, der übergeordnete Begriff „Evangelikale“ das Phänomen und seine Entstehung maßgeblich beein41
Zu dieser Diskrepanz vgl. die ausführliche Darstellung in Kap. 5. Eine signifikante Diskrepanz zwischen Führung und Basis der evangelikalen Bewegung zeigte sich beispielhaft 1977 im Umgang mit dem DEKT und dem „Gemeindetag unter dem Wort“, vgl. dazu die ausführliche Erörterung in Kap. 6. 3. 4. 42 So vermerkt Achim Landwehr in seiner „historischen Diskursanalyse“: „Gegenüber der Diskursanalyse wird immer wieder der Vorwurf erhoben, sie erhebe den Diskurs zum eigentlichen Subjekt der Geschichte zu Ungunsten der historischen Akteure. Und in der Tat liegt ein solcher Gedanke nahe, wenn beispielsweise [. . .] die Rede davon ist, dass Diskurse dieses oder jenes täten oder dass Diskurse bestimmte Effekte erzielten. Der Vorwurf entbehrt also nicht gänzlich der Grundlage, da der Diskurs tatsächlich als überindividuelle Wirklichkeit konzipiert wird, welche die Vorstellung eines autonomen Subjekts nicht mehr zulässt.“ (LANDWEHR, Historische Diskursanalyse, 93). 43 BUSCH, Einzug, 98.
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flusse und nicht nur dessen Abbildung bzw. Darstellung sei.44 Um sich gegen eine Verwendung von „evangelikal“ in dem Sinne, „was z. B. in idea als ‚evangelikal‘ bezeichnet wird“45 abzugrenzen, stellt Busch dem unreflektierten Gebrauch von „die Evangelikalen“ das „Meta-Profil evangelikal“ gegenüber, d. h. die Reflexion darüber, dass es sich bei „evangelikal“ um ein verallgemeinerndes Vorstellungsbild, ein Ideal oder ein Feindbild handelt, nicht um eine reale Größe.46 Damit problematisiert Busch bereits signifikante Aspekte eines „evangelikalen Diskurses“. Wie die evangelikale Situation seit Anfang der 1980er Jahre beschrieben werden kann, als sich die vereinheitlichte und vereinheitlichende Kampffront der den Evangelikalismus tragenden Gruppen auf Grund interner Differenzen stark zu pluralisieren begann, wird in Kap. 6.4 der vorliegenden Arbeit dargelegt. Von einer letztendlichen Auflösung der evangelikalen Bewegung kann dabei aber nicht die Rede sein. Ein stärkerer medialer Überbau und damit eine virtuelle Vereinheitlichung der evangelikalen Bewegung spielte aber auf jeden Fall eine wesentliche Rolle, ebenso wie die verstärkte Tendenz der DEA, das Namens- und Deutungsmonopol von „evangelikal“ an ihre Organisation zu binden. Andere Frömmigkeitsrichtungen, die ebenso am Entstehen der evangelikalen Bewegung, wenn nicht gar im stärkeren Maße als die DEA beteiligt waren, wie z. B. die landeskirchlichen Gemeinschaften oder streng konfessionelle Lutheraner, meiden den Begriff „evangelikal“ als Selbstbezeichnung. Im Hinblick auf die Selbstbezeichnungen tritt zudem das Problem auf, dass die den Evangelikalismus tragenden Gruppen und Zusammenschlüsse ihre ursprüngliche Identität behielten und bewahren und somit ihre Mitglieder in der Tat beides gleichzeitig sein können: „Evangelikale“ und „Gnadauer“, „Evangelikale“ und „württember44 45
EBD., 69. So seine Kritik an Friedhelm Jungs „Die deutsche Evangelikale Bewegung“ (BUSCH, Einzug,
100).
46 „Der Begriff Meta-Profil hat Index-Charakter. Er macht dem Hörer/Nutzer bewusst, daß nicht reale Entitäten subsumierend benannt werden, sondern zugleich ein Programm in nuce mitartikuliert ist.“ (EBD., 69). Gleichwohl bemerkt Busch auch eine „Aporie der Meta-Profile“: „Wir haben uns an die verallgemeinernden Begrifflichkeit [in Bezug auf das Sprechen von „evangelikal“] gewöhnt und kommen ohne sie wohl auch nicht aus. Aber wir wissen wenigstens, daß wir in actu eloquendi verallgemeinern. Wahrhaft problematisch wird es, wenn wir uns dessen nicht mehr bewusst sind. Und eben dieser Verkürzung geistiger Bewusstheit leisten die Meta-Profile Vorschub. Man verwendet sie als Darstellung von Realität, ohne zu realisieren, daß sie eben dies nicht sind! Meta-Profile sind nicht einfach nur Allgemeinbegriffe. Meta-Profile sind strategisch genutzte Verallgemeinerungen, sie verschleiern das zu Sagende eher als es zu klären. Da sie aber mit dem impliziten Anspruch angewendet werden, Disparates zu ordnen, kommt ihre kommentarlose Verwendung einem Etikettenschwindel gleich.“ (EBD., 153).
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gische Pietisten“, „Evangelikale“ und „Lutheraner“, „Evangelikale“ und „ECler“ usw. Wann und unter welchen Umständen welche Selbstbezeichnung benutzt oder abgelehnt wird, ist durchaus ganz im Bereich des Subjektiven angesiedelt. Eine weitere Homogenisierung der evangelikalen Bewegung erfolgt durch Versuche ihrer zahlenmäßigen Erfassung. Im Allgemeinen wird die Zahl der Evangelikalen für Deutschland mit 1,3 bis 1,8 Millionen angegeben, eine Menge, die sich aus der geschätzten Mitgliederzahl der DEA (sowohl innerhalb der Landeskirchen als auch innerhalb der Freikirchen) ergibt. Hartmut Steeb, der Generalsekretär der DEA räumt ein, dass im Hinblick auf die Mitgliederschar der DEA diese Zahl „so eine fiktive Größe“ sei, die man nicht unter Beweis stellen könne, denn die DEA habe keine Mitglieder im statistischen Sinne. Die Mitgliederzahl beruhe lediglich auf Annahmen, die wiederum auf Grund von „manchen Beobachtungen“ gemacht worden seien.47 Es scheint also zumindest gewagt, von der sowieso nur geschätzten Mitgliederzahl der DEA nun auch noch auf die Anzahl der Evangelikalen generell in Deutschland zu schließen, allzumal „evangelikal“ und „allianzchristlich“ keineswegs deckungsgleich sein müssen. Eine gewisse Annäherung bieten religionssoziologische Statistiken, die religiöse Haltungen in ihre Analysen aufnehmen, wie z. B. der „Religionsmonitor“ der Bertelsmann-Stiftung. Ausgehend von dem starken missionarischen Impetus und der Annahme der Ausschließlichkeit des Heilszuganges durch die Erlösungstat Christi in der evangelikalen Frömmigkeit betreffen diese beiden Handlungs- und Glaubensoptionen das evangelikale Feld noch recht unmittelbar. Im Bericht des Religionsmonitors 2008 wurde für Deutschland festgehalten, dass von den 25 Millionen Mitgliedern der evangelischen Kirchen (d. h. Landesund Freikirchen) etwa 10% einen missionarischen oder einen starken missionarischen Auftrag im Christentum verankert sehen (drei Viertel der Befragten lehnen einen solchen für sich strikt ab), und dass zugleich etwa 10% der Protestanten der Ansicht sind, nur das Christentum und keine andere Religion führe zum Heil.48 Auf der Basis dieser Herleitung sind maximal 10%, d. h. 2,5 Millionen Menschen in Deutschland als Evangelikale zu bezeichnen, wobei ein gewisses Gefälle zwischen Landes- und Freikirchen in Rechnung zu stellen ist, da der evangelikale Anteil in den Freikirchen höher zu veranschlagen ist als derjenige in den Landeskirchen. Allerdings gibt es auch dazu keine statistischen Untersuchungen.
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WO STEHT DIE EVANGELIKALE BEWEGUNG, 9. RELIGION IST DEUTSCHEN PROTESTANTEN WICHTIG.
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Nun ist aber die Ableitung einer Zugehörigkeit zur evangelikalen Bewegung von der jeweiligen Haltung zu den Fragen des missionarischen Auftrages und des alleinigen Wahrheitsanspruches der eigenen Religion nicht unproblematisch.49 Wie die bisherigen religionssoziologischen Auswertungen des Bertelsmann-„Religionsmonitors“ zeigen, vor allem zu den „Hoch-Religiösen“ im Gegensatz zu den „Religiösen“,50 sind die individuellen Zugänge zu den jeweiligen Glaubensaussagen überraschend ausdifferenziert und nicht monokausal.51 Die Einteilungen in und von „evangelikal“ stellen häufig lediglich systematisierende Konstrukte dar, die ein Konglomerat aus Verknüpfungen innerlicher und äußerlicher Art zu trennen und vice versa auch historisch divergente Gruppen, Interessen- und Mentalitätslagen zu vereinheitlichen suchen. Vor dem Hintergrund des Ansatzes der vorliegenden Arbeit muss auf ein weiteres Moment der Homogenität hingewiesen werden, das in der Anlage der Arbeit begründet ist: Da der Typus des pfingstlerisch-charismatischen Evangelikalen nicht mit in den Untersuchungsrahmen aufgenommen wurde, wird in dieser Arbeit eine evangelikale Homogenität konstruiert. Unter Hinzuziehung dieser Strömung in die Betrachtung würde eine weitere Ausdifferenzierung des Evangelikalismus sichtbar werden. Der Kontext der evangelikalen Bewegung Insgesamt präsentiert sich die evangelikale Bewegung sowohl als inhomogen als auch homogen. Einem häufig einheitlichen Bild nach außen steht die inhomogene Gemengelage der Gruppen, Strömungen und Einzelinteressen gegenüber, die auch in ihren Anschauungen in den letzten 50 Jahren Veränderungen und Verschiebungen in den Zielsetzungen erlebten. Zu dieser Problematik gesellt sich nun auch der sich in Veränderung befindliche Kontext der evangelikalen Bewegung, der Auswirkungen auf Entscheidungen und Handlungsoptionen der evangelikalen Bewegung hat. Dazu gehört, 49 Die diesbezüglichen Fragen des „Religionsmonitors“ lauten „Ich versuche möglichst viele Menschen für meine Religion zu gewinnen“, „Ich bin davon überzeugt, dass in religiösen Fragen vor allem meine eigene Religion Recht hat und andere Religionen eher Unrecht haben“ und „Ich bin davon überzeugt, dass vor allem die Mitglieder meiner eigenen Religion zum Heil gelangen“. 50 Vgl. besonders die als Download auf der Religionsmonitor-Seite der Bertelsmann-Stiftung einsehbaren Aufsätze: HUBER / KLEIN, Religionsmonitor; KRECH, Exklusivität. 51 Spannend bleibt auch die unklare Diskrepanz von 4% zwischen den mit 14% angegebenen „Hochreligiösen“ und den auf Grund der vorliegenden Eruierung ermittelten 10% der missionarisch und exklusiv argumentierenden Christen in Deutschland. Offensichtlich gibt es Hochreligiöse, die nicht missionarisch und exklusiv ihren Glauben leben – immerhin nahezu die Hälfte der (evangelikalen) Christen, die missionarisch und mit Exklusivitätsanspruch auftreten. Das Profil dieser dezidiert nicht evangelikalen Hochreligiösen liegt bisher völlig im Dunklen.
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dass die evangelische Kirche, d. h. die Landeskirchen und die EKD, ihre Haltung in den letzten 50 Jahren sowohl im Umgang mit Evangelikalen selbst als auch im Hinblick auf die die evangelikale Bewegung stark tangierenden Themen wie Mission und Evangelisation veränderte. Ein in den letzten Jahren gestiegenes öffentliches Interesse an Religion und deren Ausformungen, auch am christlichen Fundamentalismus, markiert schließlich eine Veränderung im gesellschaftlichen Bereich, die nicht ohne Auswirkung auf die Wahrnehmung von „den Evangelikalen“ bleibt. Den aktuellen Hintergrund für die Frage „Was ist evangelikal?“ fasst Holthaus 2007 in dem Themenheft „Evangelikale. Wer sie sind – Was ihnen wichtig ist“ des „Christlichen Medienmagazins pro“ wie folgt zusammen: „Seit Monaten geistern durch deutsche Zeitungen, Nachrichtenmagazine und Illustrierte Artikel über ‚Evangelikale‘ und ‚christliche Fundamentalisten‘. Ob F.A.Z., Welt, Die Zeit, Focus oder Spiegel – jeder hat sie im Visier. Selbst die Fernsehkanäle ARTE und 3sat, die Tagesthemen oder das ‚Auslandsjournal‘ – die konservativen Christen sind ein Thema. Amerikanische Megagemeinden und ‚Kreationisten‘, Schulverweigerer und Anti-Abtreibungs-Organisationen, Evangelische Bekenntnisschulen und freie theologische Akademien, Gegner der Homosexualität, evangelikale Jugendbewegungen und charismatische Lobpreisveranstaltungen – alle werden in einen Topf geworfen und verunglimpft. Die Evangelikalen gelten als Feinde der offenen Gesellschaft, intolerant, gefährlich. Angst macht sich breit. Die Gründe für das Interesse an den Frommen sind klar. Der allgemeine religiöse Grundwasserspiegel steigt. Religion boomt. Atheismus ist scheinbar ‚Out‘. Als Kehrseite wächst aber auch die Angst vor religiösem Extremismus, so in Form des bombenlegenden ‚Islamismus‘. Das hat sich herumgesprochen. Nun sucht man auch bei den christlichen Kirchen nach ‚Fundamentalisten‘. Und meint, man habe sie bei den ‚Evangelikalen‘ gefunden.“52
Wie Holthaus richtig anmerkt, hat sich die öffentliche Wahrnehmung von Religion und auch von religiösem Fundamentalismus in den letzten Jahren geändert. Ob es lediglich am „steigenden religiösen Grundwasserspiel“ liegt oder auch der nur ein Ausdruck des Traumas der Terroranschläge des 11. September 2001 und den daraus folgenden Entwicklungen ist, kann dahingestellt bleiben. Das Interesse an Religion ist gewachsen, nicht nur in der Wissenschaft,53 sondern in allen gesellschaftlichen Bereichen. Gleichzeitig ist auf Grund der massiven negativen Konnotation, die religiösem Fundamentalismus seit 2001 generell beigegeben ist, die Abgrenzungsneigung gegenüber fundamentalistischen
52
HOLTHAUS, Die Evangelikalen. Plädoyer, 4. Signifikant ist hierfür der „religious turn“ in den Geisteswissenschaften, vgl. NEHRING / VALENTIN, Religious Turns. 53
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Gruppen gestiegen, ebenso wie der Versuch, Identifikationsmuster für religiösen Fundamentalismus zu finden. Eine Differenzierung von christlichen Fundamentalisten und Evangelikalen fällt dabei oft schwer bzw. häufig ganz weg. Auf das Verhältnis von christlichem Fundamentalismus und Evangelikalismus wird im Folgenden noch ausführlich eingegangen werden, allerdings sei an dieser Stelle schon angemerkt: Die Evangelikalen, die lange Zeit die Selbstbezeichnung als Fundamentalisten im Sinne des „Stehens auf dem Fundament“ positiv annahmen, legen nun, ohne sich öffentlich vom christlichen Fundamentalismus zu distanzieren, gesteigerten Wert auf Differenzierungen. Das zeigt sich beispielsweise bei der evangelikalen Kritik an den Äußerungen des Präsidenten der Bundeszentrale für politische Bildung, Thomas Krüger, der im Dezember 2008 in einem Begleitbrief zu der Schülerzeitung „Q-Rage“ evangelikale und islamistische Gruppen in einem Atemzug nannte. Die nachfolgende Diskussion, sowohl in der linken und der konservativen Presse als auch in den evangelikalen Medien selbst, zeigte allerdings auch die immense Sprachverwirrung auf diesem Feld: Während Krügers eigentlicher faux pas, nämlich Evangelikale und Islamisten als zugehörig zu Gruppen zu bezeichnen, die die Grundrechte gefährden, in den Hintergrund geriet, konzentrierte sich die Diskussion innerhalb kürzester Zeit darauf, ob Evangelikale nun Fundamentalisten seien oder nicht.54 Da Evangelikale selbst keine scharfe Trennung zwischen Evangelikalismus und christlichem Fundamentalismus vornehmen – wohl aber naheliegenderweise zwischen Evangelikalismus und Islamismus – führte diese Debatte, zu einem nicht geringen Teil auf Grund von Uninformiertheit und Unkenntnis auch unter Evangelikalen selbst, ins Leere. Einerseits geraten die Evangelikalen durch die Nähe des Evangelikalismus zum christlichen Fundamentalismus, sowohl inhaltlich als auch historisch, in das Kreuzfeuer von medialer, oft auch pauschaler Kritik, andererseits rückt das geschärfte gesellschaftliche Bewusstsein für Religion und ihre Äußerungsformen, auch eine „neue Angst vorm Christentum“55, beide Phänomene enger zusammen – die mediale Tendenz zur Polarisierung bewirkt ein übriges. Resümierend betrachtet kann eine Untersuchung des deutschen Evangelikalismus auf der Ebene zusammenfassender Definitionen lediglich ein Standbild sowohl der ihn umgebenden Mentalitätskonstellationen als auch seiner momentanen Ausrichtung sein. Das wird aber kaum dem Panorama einer sich vor dem zeitgenössischen Kontext und mit ihm wandelnden frömmigkeitsgeschichtli54
Vgl. zu der Debatte unter anderem GRAW, Bundeszentrale; TRENKAMP, Heiliger Zorn; PROVERLEUMDUNGEN. 55 So die Autoren Andreas Dippel und Jörn Schumacher in der Maiausgabe 2006 des Christlichen Medienmagazins „pro“ (DIPPEL / SCHUMACHER, Angst)
TEST GEGEN
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chen Bewegung, die sich von vornherein aus verschiedenen Strömungen speiste, gerecht.
2.2 Das evangelikale Bibelverständnis vor dem Hintergrund der historischen antitheologischen Attitüde des Evangelikalismus 2. 2. 1 Kategorien evangelikaler Theologie Die evangelikale Theologie scheint angesichts ihrer vielfältigen Traditionen, ihrer Glaubensformen und der aktuellen Ausrichtung nicht mehr zu sein als ein „theologischer Flickenteppich“. Wer das annehme, verfalle allerdings einer Fehleinschätzung, konstatiert Robert Johnston in seinem RGG-Artikel „Evangelikale Theologie“. Der „verbindende Strang des Evangelikalismus, seine gemeinsamen Glaubensinhalte und Verhaltensweisen“ sollten nicht unterschätzt werden. Der „verbindende Strang des Evangelikalismus“ sind nach Johnston vier Grundoptionen evangelikaler Theologie, nämlich 1. die „grundlegende Bedeutung der Erlösung durch den persönlichen Glauben an Christus als den Herrn“, 2. die „letztgültige Autorität der Schrift für den Glauben und das Leben“, 3. die „Lebensführung der Frömmigkeit und Nachfolge“ und 4. das aktive „Engagement für Evangelisation und Dienst am Nächsten.“56 Bereits in dieser kurzen Aufzählung tritt indirekt ein Widerspruch zutage: Unter der Überschrift „Evangelikale Theologie“ wird dezidiert auf „Glaubensinhalte“ und „Verhaltensweisen“ rekurriert, d. h. auf Phänomene, die zwar im Zusammenhang mit theologischem Denken stehen, aber nicht dessen Inhalt sind.57 Prinzipiell sind aus jeder der vier „Grundoptionen“ theologische Argumentationen und Überlegungen in einem breiten Spektrum ableitbar, aber die Implikation, diese vier „Grundoptionen“ selbst seien theologische Ansätze, führt an einem konstitutiven Element des Evangelikalismus vorbei, nämlich dem Selbstanspruch, zu „wirken“ und nicht zu „theologisieren“. 56
JOHNSTON, Evangelikale Theologie, 1699. „Theologie“ wird im Folgenden als die wissenschaftliche Reflexion des Christentums über seine (Glaubens)Inhalte verstanden. Erweiterungen des Begriffs, wie z. B. von Julius Schniewind vertreten, evangelisches Christentum generell sei Theologie, „weil es Lehre ist“ (zitiert nach BEREWINKEL, Theologie der Gemeinschaftsbewegung, 96), ziehen das Problem nach sich, dass sie andere, in Korrelation mit „Theologie“ stehende Begriffe verwässern oder falsch einordnen, in diesem Falle das „evangelische Christentum“, das keinesfalls auf „Lehre“ reduziert werden bzw. „Lehre“, die nicht synonym zu „Christentum“ gesetzt werden kann. Allerdings dient eine solche Begriffserweiterung dem konkreten Zweck, nämlich, wie in Berewinkels Aufsatz deutlich wird, die Arbeit der sich selbst als theologiefern bezeichnenden Gemeinschaftsbewegung bzw. der frühen evangelikalen Bewegung doch als Theologie definieren zu können. 57
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2.2.2 Das aversive Verhältnis von Evangelikalismus und Theologie Das schwierige Verhältnis von Evangelikalismus und Theologie wird bei einem Gang durch die Geschichte und Vorgeschichte dieser Bewegung nicht nur anhand einzelner Ereignisse deutlich, sondern es erklärt sich ganz elementar dadurch, dass der Evangelikalismus in Deutschland maßgeblich erst durch ein massives Unbehagen an der Theologie entstand. Ähnlich wie die Erweckungsbewegung des 19. Jahrhunderts oder der Pietismus des 17. und 18. Jahrhunderts, die in frömmigkeitsgeschichtlicher Hinsicht tragende Wurzeln der evangelikalen Bewegung darstellen, ist der Evangelikalismus eine theologie- und kirchenkritische Bewegung, die ihren Fokus auf die praxis pietatis und das Priestertum aller Gläubigen richtet.58 Ebenso wie in Pietismus und Erwekkungsbewegung ist die Verbindung des Evangelikalismus zur Theologie, insbesondere zu ihrem exegetischen und systematisch-theologischen Flügel, gebrochen. Im speziellen Fall des deutschen Evangelikalismus kann der Moment des Bruchs historisch relativ präzise gefasst werden, ohne dabei die grundlegende Aversion gegenüber Theologie in Pietismus und Erweckungsbewegung als historischen Vorlauf und Identitätsbestandteil zu ignorieren: Er lag seit Ende der 1940er Jahre in der Wahrnehmung einer Gefährdung der Gemeinden durch die Theologie Rudolf Bultmanns. Vor diesem Entwicklungshintergrund erst wird vollends verständlich, warum evangelikale Gruppen bis heute ein gespaltenes Verhältnis zur akademischen Theologie haben, die, offen ausgesprochen oder indirekt vorausgesetzt, als „modernistische“ oder „bibelkritische“ Theologie gilt, da sie das Wort Gottes kritisiere, den menschlichen Verstand Gott überordne und damit den Glauben auflöse. Der menschliche Verstand wird seitens des Evangelikalismus nicht selten als eine Wurzelsünde gleich der menschlichen Hybris oder als den Glauben zerstörend angesehen bzw. als unmittelbar mit der Sündhaftigkeit des Menschen verbunden gedeutet. So konstatiert Friedhelm Jung, die Evangelikalen führten das Unvermögen, die Bibel mit der menschlichen Vernunft zu verstehen, „in Übereinstimmung mit den Bekenntnisschriften der Reformation“, auf die Macht der Sünde zurück. Diese werde durch die Erneuerung des Menschen durch Gottes Geist durchbrochen und dadurch „öffnen sich ihm auch die Heiligen Schriften“.59 Es ist anzumerken, dass dieser pneumatologische hermeneu58
Vgl. dazu OHLEMACHER, Gemeinschaftschristentum. JUNG, Die deutsche Evangelikale Bewegung, 178. Dass sich an dieser Stelle ein Einfallstor für Zirkelschlüsse und unreflektierte hermeneutische Konklusionen eröffnet, versucht Jung zu entkräften: „Es geht bei dieser theologia regenitorum allerdings nicht um eine einseitige hermeneutische Festlegung. Jene Ausleger, die den Heiligen Geist als notwendig für das rechte Verstehen der Bibel betrachten, bedienen sich durchaus geordneter exegetischer Methoden.“ (EBD.) 59
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tische Ansatz durchaus auch in den Reihen der Evangelikalen kritisch betrachtet wird, nicht zuletzt, wenn es um die Abgrenzung zur charismatischen Bewegung geht. Die Herausforderung, die die evangelikale Theologie bewältigen musste, bestand darin, von der steten Kritik der „modernen Theologie“, in ihr werde das menschliche Denken dem „Wort Gottes“ vorausgesetzt und damit übergeordnet, zu einer Position zu gelangen, die das Treiben von Theologie trotzdem legitimiert. Diese Herausforderung erwies und erweist sich als schwierig, ja nahezu unmöglich. Etwas von dieser Schwierigkeit klingt in der Untersuchung Reinhard Scheerers „Bekennende Christen in den evangelischen Kirchen Deutschlands 1966–1991“ an, wenn er schreibt, die Kritik der Evangelikalen an der Existentialtheologie falle weit einhelliger und überzeugender aus als die Versuche einer eigenen theologischen Positionsbestimmung.60 Vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung wird deutlich, welch immenser Widerspruch an dieser Stelle von Evangelikalen überwunden werden musste und bis heute im Kern nicht wirklich gelöst ist, zumindest nicht fundamentaltheologisch und dogmatisch. Auf anderen Ebenen arrangierten sich evangelikale Theologen mit der Situation in mehrerer Hinsicht. Im Folgenden sollen einige Beispiele für evangelikale Verhaltensoptionen angesichts der historisch generierten Gebrochenheit gegenüber „der Theologie“ angeführt werden. Die Vermeidung des Terminus „Theologie“ Friedhelm Jung stellt in seinem Buch „Die deutsche Evangelikale Bewegung“ unter der Kapitelüberschrift „Grundpositionen Evangelikaler Theologie“ die „Stellung der Evangelikalen zu Schrift und Bekenntnis“, das „Missionsverständnis der Evangelikalen“, „Eschatologie in der Evangelikalen Bewegung“ und „Ethische Grundpositionen der Evangelikalen“ dar. Was sich in diesen Überschriften andeutet, wird im Text offensichtlich: Das Wort „Theologie“ kommt nicht vor. Die „Position“ der Evangelikalen ist deren „Theologie“. Termini wie „Theologie“ oder „theologische Position“ oder „theologische Überlegungen“ usw. werden einfach vermieden. Der entstehende Eindruck ist derjenige der konsequenten Vermeidung von „Theologie“ auf der sprachlichen Ebene – die inhaltlichen Schwierigkeiten mit Theologie sind durchaus komplexer. Die „Deutung“ des „Wortes Gottes“ ist „biblizistisch“61 – Jung unterscheidet funda-
60
EBD., 43. Vgl. auch Berewinkel, der die theologische „Grundrichtung“ der Gemeinschaftsbewegung in Biblizismus und „Gemeindetheologie“ verortet (BEREWINKEL, Theologie der Gemeinschaftsbewegung, 101 und 103). 61
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mentalen und gemäßigten Biblizismus –, aber sie ist bei ihm keine Form theologischer Exegese und vor allem kein Beispiel theologischer Hermeneutik. Eine solche Herangehensweise ist symptomatisch für das evangelikale Unbehagen an Theologie. Die Kritik der akademischen Theologie Nun blieb und bleibt die Konstellation, einerseits zu betonen, man betreibe keine Theologie, andererseits aber auf diesem Feld in gewisser Weise tätig zu sein, nicht ohne Folgen für den Umgang mit der jeweilig zeitgenössischen akademischen Theologie: Deren Ergebnisse wurden und werden entweder gar nicht oder nur selektiv wahrgenommen bzw. in das eigene Denken integriert. Eklektizismus, Pauschalisierungen und Verzerrungen in der Darstellung von theologischen Ansätzen waren seit den 1950er Jahren an der Tagesordnung und sind es auch heute teilweise, ebenso das Übersehen von theologischen Ansätzen, die tragfähig für eine evangelikale Theologie wären.62 Diskussionen mit Vertretern akademischer Theologie verliefen, wenn sie überhaupt geführt wurden, häufig nicht auf der theologischen Sachebene – der Vorwurf an Theologen, zu den „Ungläubigen“ zu gehören, ist eben keine sachliche Ebene mehr –63, auch wenn zu vermuten ist, dass dies den Vertretern der evangelikalen Bewegung oft gar nicht bewusst war. Diese Grundlinie im Verhältnis zur akademischen Theologie ist trotz der situativen und personellen Verschiedenartigkeiten immer wieder offen oder latent auszumachen. Der geschichtliche Rückblick zeigt, dass es an dieser Stelle zu kurz gegriffen ist, auf Schuldzuweisungen zu reagieren: Die evangelikale Bewegung ist aus der Theologiekritik hervorgegangen und demzufolge in ihrem Kern generell und nicht
62 Ein pointiertes Beispiel für sowohl die Ignoranz gegenüber einem gesamten systematischtheologischen Modell als auch für einen eklektischen Fehlgriff zeigt sich an folgender Episode: Der Fundamentaltheologe Wolfhart Pannenberg wurde von evangelikaler Seite so gut wie nie rezipiert, erörtert oder auch kritisiert. Pannenbergs Kritik an theologischen Erörterungen, die sich von der historischen Tatsache des leeren Grabes wegbewegen (z. B. in seiner Auseinandersetzung mit Gerd Lüdemann), dürften allerdings u. a. einen direkten Anschlusspunkt evangelikaler Überlegungen bilden. Allerdings fand lediglich einer seiner randständigen Aufsätze zur christlichen Ethik, in dem er Homosexualität als nicht schriftgemäß verurteilte, 1993 nicht nur Aufnahme in „ideaSpektrum“ und als Flugblatt der „Sammlung Bekennender Evangelischer Frauen“, sondern gleich in die zweibändige Dokumentation von Texten der Bekenntnisgemeinschaften „Weg und Zeugnis“ (PANNENBERG, Maßstäbe). Damit fand Pannenberg mit einer Schrift, die nicht repräsentativ für sein fundamentaltheologisches Werk ist, Aufnahme in die Edition von dezidierten Verlautbarungen der „Bekenntnisbewegung“. 63 Vgl. dazu die Zitatauswahl bei BROER, Schriftverständnis, 401f.
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nur punktuell theologiekritisch – nicht hinsichtlich einzelner theologischer Optionen, sondern der Theologie als Wissenschaft überhaupt. Die Kritik an der historisch-kritischen Methode Die generelle Theologiekritik kann sich auch als Kritik an der historisch-kritischen Methode äußern, die teilweise als Synonym für „akademische Theologie“ gebraucht wird. Als Interpretationsmethode von Texten dient die historisch-kritische Methode dazu, auch für andere Wissenschaftszweige methodisch nachvollziehbar den Sinn eines Textes herauszuarbeiten, den die Autoren im historischen Kontext ihrer Zeit zum Ausdruck brachten, im Gegensatz zu dem Sinn, den spätere Leserkreise diesem Text zusprachen.64 In diesem Sinne heißt die Methode „historisch“, „kritisch“ meint nach allgemeinen „Kriterien“ arbeitend. Herausgebildet hat sich diese Auslegungsform, die nicht nur in der biblischen Exegese, sondern generell in der Textanalyse Fuß fasste, in der Zeit der Aufklärung, was sie auf Grund des Paradigmas der Aufklärung als „Sündenfall“ der Moderne aus evangelikaler Perspektive per se kritikwürdig macht. Heute wird die historisch-kritische Methode teilweise von ahistorischen Methoden wie literarwissenschaftlichen oder erfahrungsbezogenen Methoden flankiert, die die Sinnbestimmung eines Textes nicht mehr in der Rekonstruktion seiner historischen Ursprungsaussage sehen. Bereits in den Thesen, die 1963 zu einem internen Gespräch zwischen Vertretern des so genannten Bethelkreises, einer Vorform der B KAE, mit Mitgliedern des Rates der EKD vorgelegt wurden, hieß es: „Wir bestreiten der autonomen Erkenntnis und der von ihr bestimmten historischkritischen Methode die Kompetenz zur Erfassung der göttlichen Offenbahrung im Fleische in der Sendung des Sohnes vom Vater. [. . .] Wir lehren in Uebereinstimmung mit der Schrift und der res ipsa der reformatorischen Theologie SERVUM INTELLECTUM, dass die autonome Vernunft und die von ihr bestimmte historisch-kritische Methode nichts sei.“65
1970 prognostizierte Gerhard Maier, langjähriger Studienleiter und Rektor des Albrecht-Bengel-Hauses in Tübingen, Prälat von Ulm, späterer Landesbischof der Evangelischen Landeskirche in Württemberg und Gastdozent an der 64 Zum Geltungsanspruch der historisch-kritischen Methode in ausgewählten systematischtheologischen Ansätzen vgl. KLINGER, Status; zur theologischen Standortbestimmung der historisch-kritischen Exegese vgl. HECKL, Der biblische Kanon. 65 Thesen zum 29. Januar 1963 in Hannover-Herrenhausen. Maschinenschriftl., 3 S. (AEGGK, II: Dienste und Mitarbeit, 6. Betheler Kreis, Nr. 261: Geschichtliches Werden).
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„Staatsunabhängigen Theologischen Hochschule Basel“ (STH Basel) mit seiner Kritik an der historisch-kritischen Methode das „Ende der historisch-kritischen Methode“.66 Derzeit präsentieren Aufsätze wie der 1998 in der Festschrift zum 25jährigen Bestehen des Ausbildungszentrums Krelingen publizierte Artikel des Krelinger Dozenten Hans-Jürgen Peters die evangelikale Ansicht, die historischkritische Methode sei überholt und halte ihren eigenen Zielvorgaben nicht stand.67 Hier bietet das Urteil Jörg Ohlemachers über die Kritik der historischkritischen Methode in den Gemeinschaftskreisen des 19. Jahrhunderts ein Déjà-vu: Mit dem Wegfallen der historischen Methoden der Bibelauslegung verband sich als logische Folge eine „eingeschränkte Sichtweise auf die gegenwärtigen Verhältnisse.“68 Die Kritik an den theologischen Fakultäten und die evangelikalen Ausbildungsstätten Ein weiteres Synonym für die „Theologie“ wurde schon frühzeitig der Begriff „theologische Fakultäten“, was sich, nicht zuletzt durch die strukturelle Konkurrenzsituation von freien und staatlichen Ausbildungsstätten, verschärfte. An den theologischen Fakultäten werde der Glaube von Theologiestudenten, „wenn sie denn einen haben, systematisch untergraben“69, weiß der Professor für Mittelaltergeschichte am Historischen Institut der Fakultät für Kulturwissenschaften der Universität Paderborn und gleichzeitig Dozent für historische Theologie an der FTA/H Gießen Lutz von Padberg in einem Vortrag auf dem Bibelbundkongress 1998 über den horriblen Verfall der deutschen Gesellschaft und Kirchlichkeit im Zuge der 1968er Studentenrevolte zu berichten. Mit dieser Meinung ventiliert er ein durchgängiges Verdikt von evangelikaler Seite gegenüber den theologischen Fakultäten, das sich anhand unzähliger Belege
66
Bis 1984 erlebte Maiers Abhandlung fünf Auflagen. Maier wird von Jung wiederholt als Repräsentant eines gemäßigten Biblizismus im Sinne einer „historisch-biblischen Methode“ der Schriftauslegung zitiert (JUNG, Die deutsche Evangelikale Bewegung, 178). 67 Vgl. z. B. PETERS, Der Ertrag; so im Übrigen auch schon MAIER, Das Ende, 5f. u. ö. 68 OHLEMACHER, Gemeinschaftschristentum, 425. Bemerkenswert ist, dass das Wegfallen des historischen in der „historisch-kritischen Methode“ seitens evangelikaler Kritik kaum gewünscht wurde, sondern stets das „kritisch“ als „überheblich“ gegenüber Gott im Mittelpunkt stand, ohne dass dabei beachtet wurde, dass „kritisch“ in diesem Falle, wie oben genannt, „gemäß allgemeiner Kriterien“ bedeutete. Allerdings ist auch der Umstand, die Bibel nach „allgemeinen Kriterien“ zu lesen, bereits ein weiterer evangelikaler Kritikpunkt, der, wie die historische Darstellung zeigen wird, teilweise mit der Vorstellung des Lesens durch den bzw. mit dem Heiligen Geist kompensiert wurde und wird. 69 PADBERG, 1968–1998.
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nachweisen ließe.70 Die indirekten Auseinandersetzungen zwischen Bibelschulen und theologischen Fakultäten haben sich in den letzten 20 Jahren verschärft. Da dieser Zeitraum nicht mehr in den Untersuchungsrahmen der vorliegenden Arbeit fällt, kann dieses Faktum hier nur angedeutet werden, ebenso ein weiterer Umstand: der seit den 1990er Jahren zunehmende Einfluss USamerikanischer Theologie auf diese deutschen Ausbildungszentren, der noch einmal eine ganz neue Entwicklung und eine vordem nur punktuell ausgeprägte internationale Dimension in die Gemengelage einbringt. Der Ökumeniker und ehemalige Mitarbeiter am Konfessionskundlichen Institut der EKD in Bensheim, Erich Geldbach, konstatiert sogar, heute spielten die freien Akademien, Bibel- und Bekenntnisschulen eine zentrale Rolle bei der fundamentalistischen Vereinnahmung des deutschen Evangelikalismus.71 Er sieht hier eines der wichtigsten Einfallstore für christlichen Fundamentalismus, wie er in einem Vortrag im September 2007 auf der Herbsttagung der Katholischen Hochschulpastoral in Münster detailliert ausführte.72 Friedhelm Jung benennt dezidiert als Ursache für zunehmenden Fundamentalismus, d. h. die Annahme der Unfehlbarkeit der Bibel, besonders unter jüngeren Pastoren, den Einfluss der STH Basel und der FTA/H Gießen als „fundamentalistische Ausbildungsstätten“.73 In den Kap. 2.4 und 4.4 der vorliegenden Arbeit wird versucht, sich diesem Themenkomplex mit Hilfe der historiografischen Untersuchung der Genese des christlichen Fundamentalismus einerseits sowie der Bibelschulen andererseits zu nähern. Signifikant für den evangelikalen Umgang mit Theologie an diesen Ausbildungsstätten ist der Anspruch, eine „andere“ Theologie zu betreiben, d. h. „gründliche theologische Arbeit ohne [. . .] Bibelkritik [zu] leisten“74, persönliche Glaubenserfahrungen in den Mittelpunkt zu stellen, Schwerpunkte in Bereichen zu setzen, die an den herkömmlichen theologischen Fakultäten vernachlässigt werden (z. B. Missionswissenschaft), auf Bereiche der praktisch angewandten Ethik auszuweichen oder aber theologische Ansätze des 19. JahrUm nur zwei Beispiele aus einer unübersehbaren Fülle zu nennen: „christliche Dekadenz [. . .] kommt aus der Mitte der Kirche, aus dem Zentrum der Theologie“ (ROHRMOSER, Christliche Dekadenz, 6); „die Wurzel des Übels liegt [. . .] nämlich in der Universitätstheologie und der Ausbildung der Pfarrer an staatlichen Fakultäten“ (STADELMANN, Bekenntnisbewegung und Kirche, 25). 71 GELDBACH, Protestantischer Fundamentalismus, 132–134. Zu einem ähnlichen Schluss kommt der Systematiker Hans Schwarz: „Zahlenmäßig ist dieser Fundamentalismus amerikanischer Prägung bei uns eine Marginalerscheinung. Er konzentriert sich weitgehend auf das Erziehungs- und Verlagswesen. So ist er dabei, bibeltreue Ausbildungsstätten zu schaffen, die oft in der Ausrichtung und vom Personal her an den USA orientiert sind.“ (SCHWARZ, Frömmer?, 11). 72 GELDBACH, Kriterien. 73 JUNG, Die deutsche Evangelikale Bewegung, 182. 74 „IdeaSpektrum“ (1980) zitiert nach: JUNG, Die deutsche Evangelikale Bewegung, 182. 70
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hunderts, die vor der „modernen Theologie“ liegen, aufzugreifen und auszubauen. Die permanente Kritik aber, der theologische Fakultäten durch Vertreter von freien Akademien und Bibelschulen ausgesetzt sind, bis hin zu den Warnungen der Studierenden vor den glaubenszerstörenden Lehren an staatlichen Ausbildungsstätten, widerspiegelt nicht nur eine Konkurrenzsituation, sondern den Umstand, dass am Bild der theologische Fakultäten immer wieder die Entstehungsgeschichte des Evangelikalismus wiederholt und bestätigt werden muss. Solange aber diese Entstehungsgeschichte nicht bis ins letzte ausgeleuchtet ist, bleibt diese Projektion verborgen. 2.2.3 Evangelikales Bibelverständnis – die „andere“ Theologie Es gilt auch bei der Frage nach einem evangelikalen Bibelverständnis den immer wieder in Anschlag zu bringenden Faktor der ausgesprochenen Inhomogenität evangelikaler Gruppen und Strömungen und auch die der Ausbildungsstätten untereinander nicht aus dem Blick zu verlieren, ebenso wenig wie die historische Genese und Entwicklung im Bereich des evangelikalen Umgangs mit der Bibel. Da aber die Bibel, so die evangelikale Betonung, im Glaubenszentrum evangelikaler Frömmigkeit stehe – eine Implikation, die dieses Merkmal anderen Frömmigkeitsrichtungen oder Spielarten des Protestantismus abspricht –, scheint die Divergenz der evangelikalen Wortauslegung besonders prekär. Das lutherische „sola scriptura“ wird zwar einhellig betont, dann aber verliert sich die Auslegung, ihre Methoden, ihre Hermeneutik im Diffusen oder in individuellen Interpretationen. Die Dozentin für Islamwissenschaft an der FTA/H Gießen, Christine Schirrmacher, fasst die aktuelle Lage der evangelikalen Auslegung des Wortes Gottes wie folgt zusammen: „Die Bibel ist Evangelikalen zwar oberste Autorität, aber in ihrer Auslegung ergeben sich Unterschiede. Evangelikale verstehen nicht alles und können nicht alles erklären. Gerade weil sie überzeugt sind, dass Jesus lebt und ihnen heute Antwort gibt, bleiben Fragen offen. Auch der, der glaubt, dass die Bibel oberste Autorität ist, muss zugeben, dass er manche Passagen des Textes (noch) nicht versteht und nicht auf alles eine Antwort hat. Daher revidieren auch Evangelikale manche ihrer Auffassungen im Laufe der Zeit – durchaus kein Zeichen der Schwäche, sondern der Korrekturbereitschaft. Evangelikale glauben an den lebendigen Gott und sein zuverlässiges Wort, aber nicht an ihre unfehlbare Auslegung und Erkenntnis.“75
Noch etwas zugespitzter resümiert der Charismatiker und Baptist Heinrich Christian Rust, die evangelikale Bewegung in Deutschland vertrete seiner 75
SCHIRRMACHER, Korrekturbereit, 11.
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Ansicht nach weder ein einheitliches Schriftverständnis noch eine einheitliche Hermeneutik.76 Vor dem Hintergrund dieser Feststellungen der evangelikalen Uneinheitlichkeit verwundert es nahezu, dass die innerevangelikalen Auseinandersetzungen um theologische Sachverhalte an Vehemenz und gegenseitiger Verurteilung in nichts den Verwerfungen der „modernen“ oder „bibelkritischen“ Theologie nachstehen. Allerdings ist natürlich die Tatsache, dass für Evangelikale das „Wort Gottes“ in der Selbstwahrnehmung viel stärker im Mittelpunkt des Lebens steht als bei anderen Christen, auch für eben diese Vehemenz verantwortlich, wird doch hier ein immenses Identitätsmoment verhandelt. Als im März 2003 der Hauptvorstand der DEA vorsichtig davor warnte, „die Inspirationslehre der ‚Chicago Erklärung [zur Irrtumslosigkeit der Heiligen Schrift]‘ zum entscheidenden Maßstab der Bibeltreue zu erheben“, löste das seitens des Bibelbundes und der „Konferenz bibeltreuer Ausbildungsstätten“ (KBA), die für sich die Chicago-Erklärung von 1978 als „Bekenntnisgrundlage“ bezeichnen, große Empörung aus.77 Die Distanznahme der DEA stellte dabei keineswegs eine Überraschung dar. Schon seit den Anfängen der DEA gehört zu ihrem Charakteristikum eine gewisse Abgrenzung gegenüber „fundamentalistischen“, die Irrtumslosigkeit der Bibel proklamierenden Gruppen, wie die ursprüngliche Verweigerung des Beitritts zur „World Evangelical Fellowship“ (WEF) zeigt, die in Kap. 3. 3. 1 ausführlich dargestellt werden wird. 1964 erklärte der Pfarrer, Evangelist, langjährige Leiter der Zeltmission und Mitglied des Hauptvorstandes der DEA, Gerhard Bergmann, die Bibel sei „irrtumsfrei in ihrer Mitte“, d. h. in Bezug auf die Bezeugung des Heilshandelns Gottes, aber ein Lexikon stelle die Bibel dabei nicht dar.78 Nach Friedhelm Jung vertreten „Teile der Freikirchen, der Bekenntnisbewegung, des Gnadauer Verbandes und der Evangelischen Allianz“ einen gemäßigten Biblizismus.79 Die evangelikale Kritik an der Haltung der DEA gegenüber der Chicago-Erklärung zeigt, dass sich Evangelikale über historische Traditionen ihrer Trägergruppen nicht bis ins letzte klar sind. Der Kampagne des Bibelbundes 2003 gegenüber der DEA ging bereits eine Diskussion innerhalb der KBA um den Begriff „bibeltreu“ voraus, die Aufruhr in das mit den Worten Jungs gesprochen „streng biblizistische“ bzw. „fundamentalistische“ evangelikale Lager brachte: Der Seminardirektor des Theologi76
WO STEHT DIE EVANGELIKALE BEWEGUNG, 22. ALLIANZ-KREISE GEHEN AUF DISTANZ. Zur Selbstdarstellung des Bibelbundes vgl. BIBEL GEMEINDE (1994). 78 BERGMANN, Geheimnis, 16. 79 JUNG, Die deutsche Evangelikale Bewegung, 179. 77
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UND
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schen Seminars Bad Liebenzell, Heinzpeter Hempelmann, geriet im Mai 2002 durch Helge Stadelmann, Rektor der FTA/H Gießen, durch den Vorwurf unter Druck, es sei in Liebenzell Praxis, „gängige bibelkritische Positionen“ zu lehren.80 Auf der Tagung der KBA im November 2001 hatte Hempelmann Stadelmann erläutert, er trete dafür ein, Bibelkritik nicht zuzulassen, sondern „bibeltreu“ zu sein. Und – für Außenstehende eine etwas überraschende Argumentation – wenn sich jemand dazu bekenne, die Bibel sei Gottes irrtumsloses Wort, dann sei das nicht bibeltreu, sondern rationalistisch.81 Stadelmann zeigte sich in Folge dieser Auseinandersetzung dankbar für eine zunehmende Anzahl von Ausbildungsstätten, die dafür votierten, dass diejenigen, die die Unfehlbarkeit der Bibel in dem Sinne verstehen würden, dass die Bibel auch Fehler habe und nicht in allen Dingen wahr wäre, doch aus der KBA austreten sollten.82 Dieses Beispiel illustriert, dass sich die Debatten zwischen evangelikalen Theologen in ihrer verwirrenden Argumentation und den punktuellen Spitzfindigkeiten eben doch kaum von manchen ihrer akademischen Kollegen unterscheiden – ein immer wiederkehrender Vorwurf an akademische Theologie seitens Evangelikaler lautet, man würde sich in dem Dschungel der Hypothesen
DIE AKTUELLE DISKUSSION UM DEN BEGRIFF „BIBELTREU“. Vgl. zu der Auseinandersetzung auch GELDBACH, Theologische Ausbildungsstätten, 29–32. 81 Zu Hempelmanns Position vgl. auch HEMPELMANN, Gemeinsame Liebe. Dieser schmale Band von Hempelmann ist wiederum Teil eines publizistischen Gesprächs, und zwar mit Thomas Schirrmacher, Rektor des Martin-Bucer-Seminars, der 2001 das Buch „Irrtumslosigkeit der Schrift oder Hermeneutik der Demut? Ein Gespräch unter solchen, die mit Ernst Bibeltreue sein wollen“ veröffentlichte, auf das Hempelmanns Schrift die Replik seitens eines Kritikers der Chicago-Erklärung darstellt. Hempelmann betont in der Einleitung, es sei „ein echtes Gespräch unter uns in Gang gekommen, das sich durch Fairness und Aufeinander-Hören-Wollen auszeichnet.“ (HEMPELMANN, Gemeinsame Liebe, 9). Nichtsdestotrotz vertritt er die Ansicht, dass eine „Hermeneutik und Schriftlehre [. . .] nur dann bibeltreu sein können [wird], wenn sie von dem spezifisch biblischen Zeugnis über den lebendigen Gott und sein Reden ihren Ausgang nimmt und dieses Reden Gottes als das begreift, was der Bibel Gestalt und Wesen gibt“ (EBD., 102), wobei die Bibel ein „von Gott so gewolltes, nicht perfektes, aber vollkommenes Buch“ (EBD., 93f.) ist. Vor diesem Hintergrund sei eine „Hermeneutik der Irrtumslosigkeit [wie von der Chicago-Erklärung von 1978 intendiert] nicht nur einem mathematisch-naturwissenschaftlichen Denkstil verpflichtet. Sie sucht eben auch in gut rationalistischer Tradition ihren Gegenstand mit ihrer Vernunft zu umgreifen und zu begreifen, um sich so ein Urteil über ihn zu bilden. [. . .] Wir müssen versuchen, die Wahrheit, die völlige Vertrauenswürdigkeit und völlige Glaubwürdigkeit der Bibel anders zu sagen. Es gibt hier offenbar ein paar philosophische, aussagenlogische und wissenschaftstheoretische Probleme, die die Verfasser der Chicago-Erklärung entweder nicht gesehen oder nicht ernst genug genommen haben, deren Nicht-Beachtung aber die Chicago-Erklärung als unterbestimmt und zu wenig reflektiert erscheinen lassen. Wir bitten um Verständnis dafür, dass wir – bei aller Wertschätzung der Ziele – ein solches Dokument nicht unterstützen können und wollen.“ (EBD., 89). 82 DIE AKTUELLE DISKUSSION UM DEN BEGRIFF „BIBELTREU“. 80
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kaum noch zurecht finden.83 Aber davon abgesehen stellt sich angesichts der stets wiederkehrenden Schlagworte „bibeltreu“, „Unfehlbarkeit“ bzw. „Irrtumslosigkeit der Bibel“, „Wahrheit und Fehlerlosigkeit der Schrift“, die von vornherein äußerst unklar sind, die Frage, was damit konkret gemeint ist. Und auch hier sind die Positionen ausdifferenziert: Mit dem Bekenntnis zur Unfehlbarkeit der Bibel würden aktuell Standpunkte von der festen Überzeugung der Irrtumslosigkeit bis zu nahezu radikaler Bibelkritik verbunden, monierte 2008 der stellvertretende Vorsitzende des Bibelbundes, Thomas Jeising.84 Nicht jeder Evangelikale kann auf die Frage, was denn nun im speziellen „bibeltreu“ bedeute und was unter den „gängigen bibelkritischen Positionen“ zu verstehen sei, wie der Informationsdienst des „Bibelbundes“ lapidar antworten: „Was in Deutschland unter dem Begriff ‚bibeltreu‘ zu verstehen ist, scheint nicht mehr klar zu sein. In unzähligen Zeitschriften-Artikeln, in Büchern und auf etlichen Kongressen wurde in den letzten Wochen und Monaten kämpferisch diskutiert, was für die bibeltreuen Evangelischen lange Zeit ein Selbstverständlichkeit war. Der Begriff ‚bibeltreu‘ stand für die Unfehlbarkeit, Wahrheit, Fehlerlosigkeit und Widerspruchslosigkeit von GOTTES WORT. Auch, was unter ‚gemäßigter Bibelkritik‘ zu verstehen ist, davon hatten Bibeltreue eine Ahnung: Wenn die Entstehung biblischer Texte in eine andere Zeit verlegt wurde, als die biblischen Schriften es bezeugen, oder andere Verfasser für die Texte genannt wurden, als es die Bibel selbst vorgibt, gingen die ‚roten Lampen‘ an. Doch diese Sicherheit scheint dahin zu sein.“85
Jung unterscheidet in seiner Abhandlung „Die deutsche Evangelikale Bewegung“ zwei Hauptströmungen der evangelikalen Bibelauslegung: Neben der fundamentalistischen Verbalinspirationslehre werde ein gemäßigter Biblizismus betrieben, der eine „Sachkritik an der Bibel für unverzichtbar oder wenigstens für möglich“ hält.86 Diese Form der Bibelauslegung lehnt sich zu einem großen Teil an die Vorstellung der Inspiration der Heiligen Schrift von Adolf Schlatter an, wobei sich die Tradition, Schlatter jeder Form von „moderner“ oder „liberaler“ Theologie entgegenzustellen, seit dem Ende des 19. Jahrhunderts durch die Erweckungs- und Gemeinschaftsbewegung zieht.87 Der Begriff „Irrtumslosig-
83 So z. B. PETERS, Ertrag, 99 in Bezug auf „die Ergebnisse historisch-kritischer Forschung“, die heute „wie ein verwirrender Hypothesen-Dschungel sind, in dem sich kaum noch einer zurechtfindet.“ 84 JEISING, Irrtumslos, 7. 85 DIE AKTUELLE DISKUSSION UM DEN BEGRIFF „BIBELTREU“. 86 JUNG, Die deutsche Evangelikale Bewegung, 176. 87 Angesichts der Tatsache, dass Adolf Schlatter 1893 in Berlin als „Gegenkandidat“ zu dem Liberalen Adolf von Harnack die „positive“ Professur antrat, mag das Interesse an Schlatter in pietistischen und evangelikalen Kreisen wenig überraschen. Allerdings mutet es durchaus erstaunlich an, dass hier nicht nur ein etwa 100 Jahre alter theologischer Ansatz für die eigene Theologie
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keit der Schrift“ wird versucht zu vermeiden, da man ein bestimmtes „Inspirationsdogma“ ablehnt.88 Der historisch-kritischen Methode, mit der durchaus einige der gemäßigten Biblizisten arbeiten, wird die historisch-biblische Methode gegenüber gestellt, die sich insofern von der historisch-kritischen Methode unterscheide, als dass in der praktischen Anwendung die Literaturkritik, Formgeschichte und redaktionsgeschichtliche Analyse anders angewendet werde, die textkritische Arbeit aber nach historisch-kritischen Maßstäben verlaufe.89 Dieser gemäßigte Biblizismus wurde bereits in den Anfängen der evangelikalen Bewegung von einzelnen Gruppenvertretern proklamiert. So betonte Fritz Grünzweig, der geistliche Vorsteher der Brüdergemeinde Korntal, im Oktober 1966 auf einer Versammlung der „Bekenntnisbewegung ‚Kein anderes Evangelium‘ Raum Hohenlohe“ in Künzelsau, es sei durchaus Forschungsarbeit in Bezug auf die Bibel notwendig, so z. B. bei der Eruierung der politischen, sozialen und religiösen Umweltverhältnisse der Zeit des Alten und Neuen Testaments oder hinsichtlich linguistischer Fragen. Für solche Untersuchungen sei man auch dankbar. Allerdings werde diese Forschungsarbeit „falsch“, wenn der alles beherrschende Faktor bei der Entstehung der Heiligen Schrift außer Acht gelassen werde: der lebendige Gott und der Geist Gottes. Gott allein sei der Grund menschlicher Gewissheit im Blick auf die Bibel. Durch Menschen, die vom Geist beseelt waren, sei Gott bei der Entstehung der Heiligen Schrift an sein Ziel gekommen. Gegen jegliches Reden von der Schrift und gegen jeden Umgang mit ihr, die das Wirken Gottes und seines Geistes bei der Entstehung der Bibel sowie beim Lesen heute ignorierten, müsse sich abgegrenzt werden: Die Bibel sei keine „geschichtliche Urkunde aus dem Altertum, ebenso wie viele andere“.90 Der Neutestamentler Ingo Broer hat 2004 in einem Festschriftaufsatz mit dem Titel „Das Schriftverständnis bei christlichen Fundamentalisten“ den Versuch unternommen, die 1999 stattgefundene Auseinandersetzung zwischen seinem Kollegen Andreas Lindemann, Professor für Neues Testament in Bielefeld,
herangezogen wird, sondern Schlatter durchaus nicht für Biblizismus oder „unkritische“ Bibellektüre steht. Die Verbalinspirationslehre lehnte er ab, theologische Differenzen trennten ihn vom zeitgenössischen Pietismus, wie er ihn in der Zeit in Tübingen erlebte (NEUER, Adolf Schlatter, besonders 428–440). Zum Versuch, die Theologie Schlatters und den Pietismus zu verbinden vgl. ZEILINGER, Synthese. 88 JUNG, Die deutsche Evangelikale Bewegung, 176. 89 EBD., 178. 90 Grünzweig, Fritz: Unsere Gewissheit in der theologischen Verwirrung unserer Tage. Maschinenschriftl., hektograph., 10 S., hier 2 (LKAS A 126, Nr. 741, 108–112).
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und dem „evangelikalen Bibelinterpreten D. Baum“91, d. h. Dr. Armin Daniel Baum, Dozent für Neues Testament und Fachbereichsleiter an der FTA/H Gießen, um sachgemäße Bibelauslegung zu analysieren. Nach Broer gehen die Ansichten Lindemanns und Baums besonders extrem bei der Frage auseinander, ob die „Evangelisten die Absicht hatten, in ihren Werken Fakten zu berichten“ oder ob „es ihnen um die Bezeugung ihres Glaubens ging“92. Das wiederholt sich in der Debatte über die Historizität der Jesusreden. Broer fügt hier an, es sei nicht verantwortbar, „die Irrtumslosigkeit der Schrift einfach mit heutigem historischen Verständnis zu vermischen.“93 Das berührt einen zentralen Punkt der evangelikalen Bibelauslegung, und zwar schon in der Zeit der Vorgeschichte der evangelikalen Bewegung: den der Historizität und „historischen Tatsache“ zugesprochenen Absolutheitsanspruch. Die Vereinnahmung von Historizität als Maßstab des „Wirklichen“ seit der Debatte über Bultmanns Entmythologisierungskonzept ist symptomatisch für eine Weltsicht, die an wesentlichen Punkten unmittelbar dem Extrem der Aufklärung, dem Rationalismus, zu entspringen scheint und sich nicht, wie zu erwarten wäre, auf das Erbe des Pietismus stützt. Seitens der Vertreter der evangelikalen Trägergruppen wurde Bultmanns Theologie massiv abgelehnt, die in der Intention der zeitgemäßen Sprache auch die Unmittelbarkeit des persönlichen Ergriffenseins von Gott ganz stark fokussierte. Damit stand Bultmann der ursprünglichen pietistischen Frömmigkeit durchaus nahe. Aber in der Situation der beginnenden zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verkehrten sich die frömmigkeitsgeschichtlichen Pole – ein Umstand, der in dieser Arbeit aus historiografischem Blickwinkel ausführlich dargestellt werden wird. Die Ausblendung des hermeneutischen Zirkels bzw. der Ablehnung jedweder Reflexion über die Form menschlichen Verstehens von Texten mit dem Argument, das sei ein inakzeptabler, weil anthropologischer Ansatz, führt im evangelikalen Bereich unter Umständen zu extremen Simplifikationen. 1992 erklärte beispielsweise der Ulmer Regionalbischof, EKD-Synodale, Vorsitzende der Ludwig-Hofacker-Vereinigung und Vorsitzende des Trägerkreises des „Gemeindetages unter dem Wort“ Rolf Scheffbuch auf dem „Gemeindetag unter dem Wort“, es sei nicht nötig, die Bibel mit Hilfe von „neuen Zugängen“ auf Brauchbares für die Gegenwart abzuklopfen, denn „wir haben keine Meinung über die Bibel als die, daß uns die Bibel die Meinung sagen darf.“94
91 92 93 94
BROER, Schriftverständnis, 404. EBD. EBD., 407. DIE BIBEL WILL.
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Dagegen steht das Argument, das seit den 1950er Jahren unzählige Male gegen eine solche vereinfachende Sicht auf das Bibelverständnis vorgebracht wurde, nämlich dass Fakten „nicht aus sich selbst und nicht für sich selbst“ sprechen, sondern „auf Interpretationen angewiesen“ seien und „vielen unterschiedlichen Interpretationen“ offen stehen.95 Es ist ungeklärt, ob Rolf Scheffbuch diesem Satz zustimmen würde. Allerdings bejahte ihn 1959 sinngemäß kein geringerer als Billy Graham in einem Gespräch mit dem liberalen Theologen Nels Ferré.96 Evangelikale seien im Gegensatz zu christlichen Fundamentalisten im Wesentlichen keine Anhänger der Verbalinspirationslehre, so Wilfried Joest in seinem TRE-Artikel „Fundamentalismus“.97 Das wird von Friedhelm Jung prinzipiell bestätigt, der in der Bibelauslegung neben dem gemäßigten Biblizismus den strengen Biblizismus erwähnt – eine Form, die von der Verbalinspiration oder Irrtumslosigkeit der Bibel ausgeht und die Jung auch den „fundamentalistischen Ansatz“ nennt. 2.2.4 Die drei „Chicago-Erklärungen“ von 1978, 1982 und 1986 Der „fundamentalistische Ansatz“ der Bibelauslegung kommt in der „ChicagoErklärung zur Irrtumslosigkeit der Heiligen Schrift“ von 1978 zum Tragen, die den fundamentalistischen Ansatz der Bibelauslegung weit verbreitete und inzwischen die „Bekenntnisgrundlage“ einer ganzen Reihe von evangelikalen Akademien und Bibelschulen darstellt, die in der KBA zusammengeschlossen sind.98 Die Erklärung, die wie die beiden nachfolgenden „Chicago-Erklärungen“ mit dem rhetorischen Stilmittel „Wir bekennen – wir verwerfen“ unmittelbar an protestantische Bekenntnisschriften anknüpft, legt in 19 Artikeln dar, dass die Bibel in ihrer Gesamtheit „von Gott gegebene Offenbarung“ und weder nur
95
In diesem Falle formuliert von BROER, Schriftverständnis, 412. Die Darstellung des „Gespräches“ zwischen Graham und Ferré erfolgt auf S. 204–206 der vorliegenden Untersuchung. 97 JOEST, Fundamentalismus, 732. 98 Es wäre allerdings ein Irrtum anzunehmen, alle in der KBA vertretenen Bibelschulen würden in der Praxis tatsächlich den von den Chicago-Erklärungen proklamierten Inhalt wortgetreu vertreten. Die Liebenzeller Mission hat z. B. theologisch, wie oben beschrieben, einen anderen Weg eingeschlagen. Die Bibelschule Wiedenest „unterschreibt etwa von ihrer brüdergemeindlichen Tradition her überhaupt keine Bekenntnistexte“ (SCHIRRMACHER, Einführung, 12), d. h. sie gehört zwar der Konferenz an, hat deren „Bekenntnisgrundlage“ aber formal nicht unterzeichnet. Diese Beispiele zeigen wiederholt die im evangelikalen Bereich ständig zu beobachtende Inhomogenität der Gruppen hinter dem Anschein der Homogenität, in diesem Falle evoziert durch die KBA mit ihrem gemeinsamen „Bekenntnis“. 96
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ein Zeugnis der Offenbarung noch in ihrer Gültigkeit „von menschlicher Aufnahme“ abhängig sei.99 In der „Kurzen Erklärung“ wird das zusammenfassend ausgeführt: „1. Gott, der selbst die Wahrheit ist und nur die Wahrheit spricht, hat die Heilige Schrift inspiriert, um sich damit selbst der verlorenen Menschheit durch Jesus Christus als Schöpfer und Herr, Erlöser und Richter zu offenbaren. Die Heilige Schrift ist Gottes Zeugnis von seiner eigenen Person. 2. Die Heilige Schrift hat als Gottes eigenes Wort, das von Menschen geschrieben wurde, die vom Heiligen Geist zugerüstet und geleitet wurden, in allen Fragen, die sie anspricht, unfehlbare göttliche Autorität: Ihr muß als Gottes Unterweisung in allem geglaubt werden, was sie bekennt; ihr muß als Gottes Gebot gehorcht werden, in allem, was sie fordert; sie muß als Gottes Unterpfand in allem ergriffen werden, was sie verheißt. 3. Der Heilige Geist, der göttliche Autor der Schrift, beglaubigt sie sowohl durch sein inneres Zeugnis, als auch, indem er unseren Verstand erleuchtet, um ihre Botschaft zu verstehen. 4. Da die Schrift vollständig und wörtlich von Gott gegeben wurde, ist sie in allem, was sie lehrt, ohne Irrtum oder Fehler. Dies gilt nicht weniger für das, was sie über Gottes Handeln in der Schöpfung, über die Ereignisse der Weltgeschichte und über ihre eigene literarische Herkunft unter Gott aussagt, als für ihr Zeugnis von Gottes rettender Gnade im Leben einzelner. 5. Die Autorität der Schrift wird unausweichlich beeinträchtigt, wenn diese völlige göttliche Inspiration in irgendeiner Weise begrenzt oder mißachtet oder durch eine Sicht der Wahrheit, die der Sicht der Bibel von sich selbst widerspricht, relativiert wird. Solche Abweichungen führen zu ernsthaften Verlusten sowohl für den einzelnen, wie auch für die Kirche.“100
Noch bedeutsamer für die hermeneutische Position des strengen Biblizismus ist die „Chicago-Erklärung zur Biblischen Hermeneutik“ von 1982, die ebenso wie die „Erklärung zur Irrtumslosigkeit der Heiligen Schrift“ und die „ChicagoErklärung zur biblischen Anwendung“ von 1986 vom „International Council on Biblical Inerrancy“ (Internationaler Rat für biblische Irrtumslosigkeit), der sich von 1977 bis 1988 zusammenfand, verabschiedet wurde. In der „ChicagoErklärung zur Biblischen Hermeneutik“ wird, um einige Auszüge exemplarisch zu nennen, in Art. V das Verständnis der Schrift von der Erleuchtung durch den Heiligen Geistes abhängig gemacht, in Art. VII festgelegt, dass die von jedem biblischen Text ausgedrückte „Bedeutung“ eine „einzige, bestimmte und unabänderliche Bedeutung“ sei und in Art. XV postuliert, dass die Bibel einzig im Wortsinn, d. h. im grammatisch-historischen Sinn, ausgelegt werden darf, wobei, so Art. XVII, die Schrift selbst ihr eigener und bester Ausleger sei. Wohl eher die Auslegung im „grammatisch-historischen Sinn“ denn das lutherische sacra scriptura sui ipsius interpres führt in Art. XXII zu der Aussage, dass 1. 99 100
ARTIKEL III, 370. BIBELTREUE IN DER OFFENSIVE, 19.
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Mose 1–11 ebenso ein „Tatsachenbericht“ sei wie der Rest des Buches. Allerdings wird auch in Art. XXIII die Auffassung verworfen, dass alle Abschnitte der Bibel „gleichermaßen klar seien oder von gleicher Bedeutung für die Botschaft von der Erlösung“.101 In der dritten Chicago-Erklärung zur biblischen Anwendung werden die sozialethischen Implikationen der Schriftauslegung unter folgenden Aspekten entfaltet, ohne dass die exegetischen und hermeneutischen Vorüberlegungen explizit ausgeführt werden: „Der lebendige Gott“ (Art. I), „Der Retter und sein Werk“ (Art. II), „Der Heilige Geist und sein Werk“ (Art. III), „Die Kirche und ihre Mission“ (Art. IV), „Die Heiligkeit des menschlichen Lebens“ (Art. V), „Ehe und Familie“ (Art. VI), „Scheidung und Wiederheirat“ (Art. VII), „Sexuelle Verirrungen“ (Art. VIII), „Der Staat unter Gott“ (Art. IX), „Gesetz und Gerechtigkeit“ (Art. X), „Krieg“ (Art. XI), „Diskriminierung und Menschenrechte“ (Art. XII), „Wirtschaft“ (Art. XIII), „Arbeit und Ruhe“ (Art. XIV), „Reichtum und Armut“ (Art. XV), „Die Verwaltung der Umwelt“ (Art. XVI).102 Die Entwicklung der drei Chicago-Erklärungen ist eine Geschichte evangelikalen theologischen Nachdenkens en miniature: War man 1978 noch der Meinung, das Proklamieren der Irrtumslosigkeit des Wortes Gottes reiche aus für eine fundierte Position, wurde in den nachfolgenden Jahren klar, dass es weiterer Konkretisierung bedurfte, besonders im Hinblick auf Hermeneutik und schließlich Ethik.103 Mit allen drei Erklärungen wurde versucht, immerhin schon Ende der 1970er Jahre und in den 1980er Jahren, der zunehmenden Unterminierung der Inspirationslehre im evangelikalen (!) Bereich Einhalt zu gebieten.104 Thomas Schirrmacher, Rektor des Martin Bucer Seminars in Bonn, einer der gegenwärtig herausragenden Gestalten im Bereich evangelikaler Ethik und diesbezüglich Mitarbeiter in einer ganzen Reihe von Gremien, u. a. der Internationalen Evangelischen Allianz, legte 1993 die Übersetzung und Einleitung in alle drei Erklärungen in dem Buch „Bibeltreue in der Offensive“ vor, 2005 erschien das Buch in der zweiten Auflage. Obwohl es bereits zuvor Einzelübersetzungen gab, spielen seitdem die Chicago-Erklärungen eine größere Rolle in der deutschen evangelikalen Bewegung, hinsichtlich ihrer Ausdifferenzierung, aber auch der Zunahme eines „fundamentalistischen Ansatzes“. Aber auch dieser Ansatz hat historisch eine lange Vorlaufzeit: Schon in den 1960er Jahren polemisierte 101 102 103 104
EBD., 37–44. EBD., 69–87. Vgl. DIE CHICAGO-ERKLÄRUNG ZUR ANWENDUNG DER BIBEL, 59f. SCHIRRMACHER, Einführung, 14.
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der Chrischona-Dozent, Redakteur der Bibelbundzeitschrift und spätere Mitarbeiter an den Chicago-Erklärungen, Samuel Külling, gegen jedwede „Bibelkritik“.105 Er reihte unter die Vertreter der „gemäßigt-kritischen Strömung“ – der gefährlicheren, „weil man viel unmerklicher von ihr mitgerissen wird“106 – fast alle deutschen (Theologie)Professoren,107 darüber hinaus namentlich benannt Karl Barth und Emil Brunner, Helmut Thielicke, Gerhard Bergmann, die Autoren der Calwer-Verlags-Schriften108 und, etwas überraschend für Außenstehende, die B KAE. Wie könnten, so Külling, „diese lieben Brüder“ der Bibelkritik mit Autorität entgegentreten, wenn „sie selbst in ihren Reihen Kritik üben oder dulden“?109 Heute wird der Bibelbund zwar den „fundamentalistischen“ Gruppen zugeordnet,110 aber er spielt in den evangelikalen Debatten, z. B. um die Bibelauslegung nach wie vor eine nicht zu unterschätzende Rolle, wie das oben genannte Beispiel der Kritik an der DEA zeigt. Und auch organisatorisch ist er als Mitglied der KBG eingebunden in das evangelikale Lager. Resümierend ist festzuhalten, dass es in der Geschichte der evangelikalen Bewegung neben den Differenzen in Fragen der Präsentation nach außen vorrangig das Gebiet der Theologie und der theologischen Interpretation der Bibel gewesen ist, das Evangelikale in interne Auseinandersetzungen und Abspaltungen trieb. Dabei ähneln die Dispute durchaus denen in der akademischen Theologie, aber durch das Fehlen verbindlicher Organisationsstrukturen endeten Auseinandersetzungen im evangelikalen Bereich wesentlich schneller in Ausschlüssen. Das ist ein Signum nicht nur der evangelikalen Theologie, sondern des evangelikalen Handelns überhaupt. In Bezug auf die Theologie ergeben sich besondere Schwierigkeiten, da der Aspekt „wissenschaftliche Theologie“ in der Geschichte und Vorgeschichte der evangelikalen Bewegung ein heikles Feld ist. Die gemeinsame evangelikale Stoßkraft z. B. in der Frage der Mission und Evangelisation wird an diesem konstituierenden Punkt für die Verkündigung unterwandert.111 Dem steht bemerkenswerterweise diametral der Sachverhalt gegenüber, dass trotz aller internen Differenzen die gemeinsame 105
KÜLLING, Übel. EBD., 263. 107 Külling konstatiert in Bezug auf das Procedere an theologischen Fakultäten: „Um salonfähig (d. h. wahlfähig) zu sein, muß jeder, der die Absicht hat, eine akademische Laufbahn in der Theologie zu ergreifen, sich hierin [in einer „kritischen Bibelhaltung“] ausweisen.“ (EBD., 259). 108 EBD., 259–261. 109 EBD., 265. 110 In die Nähe des Fundamentalismus bzw. ihm zugehörig sieht den Bibelbund z. B. VEENHOF, Orthodoxie, 16, Fußnote 24. 111 Vgl. dazu auch BRECHT, Landeskirche. Brecht weist dezidiert darauf hin, dass „missionari106
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Frontstellung gegen die vermeintliche Bibelkritik an den theologischen Fakultäten oder an der historisch-kritischen Methode die evangelikalen Gruppen miteinander verbindet. So konstatierte Stephan Holthaus 2004, dass die Ablehnung der historisch-kritischen Auslegung der Bibel eine der wesentlichen Motive für Studierende sei, ein Theologiestudium an der FTA/H Gießen aufzunehmen.112 Außerdem ist in der Frage der Bibelauslegung, wie bereits angedeutet, die Nähe von Evangelikalismus und Fundamentalismus mitunter recht groß.113
2.3 Die Abgrenzung des Evangelikalismus von der institutionalisierten evangelischen Kirche Es ist ein erstaunlicher Umstand, dass in den Definitionen des Evangelikalismus durchgängig ein Element fehlt, das grundsätzlich zur Identität des deutschen Evangelikalismus gehört: die Kritik der traditionellen und institutionellen evangelischen Kirche. Auf dieses Faktum wird am Rande von Untersuchungen zum Evangelikalismus zwar hingewiesen, aber die elementare Bedeutung der evangelikalen Abgrenzung gegenüber der Kirche, damit einhergehend das stete Suchen nach einem modus vivendi mit der Kirche, wird offenbar in seiner konstituierenden und identitätsbildenden Dimension nicht als Charakteristikum des Evangelikalismus erkannt. Dies ist umso erstaunlicher, als dass sich die Relevanz dieser Thematik bei weitem nicht nur bei den den Landeskirchen zugehörigen Evangelikalen beobachten lässt, sondern sich auch in Freikirchen ähnliche Frontstellungen abspielen bzw. freie Gemeinschaften regelmäßig gegen die Verfehlungen der „evangelischen Kirche“ polemisieren. Bei der Analyse von Verlautbarungen aus den Reihen der Evangelikalen drängt sich der Eindruck auf, in dem gemeinsamen Kampf gegen ein Feindoder zumindest Kritikbild von „der Kirche“ würde Identität gewonnen. Das ist scher Aufbruch“ ekklesiologische Klarheit als Voraussetzung benötige (EBD., besonders 100–102), ekklesiologische Klarheit wiederum ergebe sich aber nur aus einer vertieften theologischen Arbeit. 112 HOLTHAUS, Bibeltreues Schriftverständnis, 39. Holthaus’ konstatiert darüber hinaus, dass etwa 43% der 160 Studierenden aus „klassischen Freikirchen“ stammen, die sich bewusst gegen ein Theologiestudium an den eigenen Predigerseminaren entschieden. Die beiden dafür genannten Gründe seien, dass diese Studierenden entweder kaum konfessionelles Bewusstsein vorwiesen oder aber gegen die auch an freikirchlichen Ausbildungsstätten praktizierte „kritische“ Bibelauslegung Ressentiments hätten. Die zweitgrößte Gruppe der Studierenden in Gießen setze sich aus Mitgliedern „freier Gemeinden“ zusammen, die „überhaupt keine Bindungen an existierende Freikirchenverbünde haben“ (EBD.). Das lässt den Schluss eines kausalen Zusammenhanges von abnehmendem Bewusstsein für traditionell-historische Zusammenhänge bzw. für den eigenen Bekenntnisstand und zunehmendem Bibelverständnis im Sinne der Verbalinspiration zu. 113 So auch BROER, Schriftverständnis, 400.
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Abgrenzung des Evangelikalismus
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unter historischem Blickwinkel keineswegs verwunderlich, ist doch nach der Theologiekritik die Kirchenkritik der zentrale Aspekt gewesen, an dem sich die evangelikale Bewegung überhaupt erst bildete. Es geht zu weit, anzunehmen, theologisch defizitäre Felder würden mit der Abwehrhaltung nach außen kompensiert, aber die Wirkung dieser Abwehrhaltung auf die innere Konstitution der evangelikalen Bewegung und einzelner Gruppen ist keineswegs zu unterschätzen. So resümiert Johnston, die evangelikale Theologie verdanke, aus historischer Perspektive, „einen Großteil ihrer Geschlossenheit ihrer gemeinsamen oppositionellen Haltung“.114 Der Kirchenhistoriker Martin Greschat hebt hervor, dass die Unterscheidung zwischen der eigenen, der evangelikalen Gruppe und „den anderen“ ganz wesentlich zum evangelikalen Selbstverständnis gehöre: „Man redet auch nicht nur über diese Demarkationslinie, sondern lebt mit ihr. Insofern ist die säkulare, die rationalistische, pluralistische und gottlose Welt stets präsent – möglicherweise als Versuchung, als Bedrohung, auch als Bestätigung – aber auf jeden Fall als das Andersartige und wesenhaft Verschiedene, gegenüber dem man sich selbst definieren muß. Die evangelikale Gemeinde und der einzelne evangelikale Christ können sich von dieser Realität nicht lösen, weil diese die dunkle Folie für das eigene Selbstbewusstsein liefert. Denn nur so macht die Aussage Sinn: Wir haben die Wahrheit – und nicht sie. [. . .] Und diese permanente Ab- und Ausgrenzung fördert im gleichen Maß den inneren Zusammenhalt der Gruppe, stärkt ihre Solidarität.“115
Das feindliche bzw. kritisierte Gegenüber kann dabei, so suggerieren Definitionen des globalen Evangelikalismus, die „Welt“ sein, die Politik, die Wissenschaft, die universitäre Theologie, der (protestantische) Liberalismus, der menschliche Verstand und anderes mehr. In Deutschland werden alle diese gesellschaftlichen Subsysteme, Positionen und Phänomene hauptsächlich auf „die Kirche“ projeziert, die als (vermeintliche) Vertreterin dieser Haltungen, Gruppen, Institutionen gesehen wird – das ist die zentrale These sowie auch das zentrale Ergebnis der vorliegenden Arbeit. Die evangelikale Bewegung werde in Deutschland vergleichsweise stark durch ihr „Gegenüber zur pluralen Volkskirche“ charakterisiert, heißt es im Handbuch der „Evangelistisch-missionarischen Werke, Einrichtungen und Gemeinden“, und zwar speziell durch die Kritik an „kirchlichen Fehlentwicklungen“, durch die „Abwehr ‚modernistischer Theologie‘“ sowie die Positionierung gegen die so wahrgenommene „linkslastige[. . .] Politisierung der Kirche“.116 Diese Formulierung klingt nahezu euphemistisch angesichts der zentra114 115 116
JOHNSTON, Evangelikale Theologie, 1700. GRESCHAT, Bedeutung, 184f. HEMPELMANN, Handbuch, 133.
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len Stellung der Konfrontationen zwischen den beiden Polen „evangelische Kirche“ und „Evangelikale in den Kirchen“ in Deutschland. Es existiert, auch das steht im Zusammenhang mit der zentralen These der Arbeit, in Deutschland letztlich kein Evangelikalismus ohne die großen christlichen Kirchen, gegen die sich der Evangelikalismus im Spannungsbogen von kritischem Engagement für die Kirchen bis hin zu manifesten Drohgebärden und Verweigerungshaltungen richtet. Vor diesem Hintergrund ist die in dieser Arbeit thematisierte Schlüsselstellung des Verhältnisses von evangelikaler Bewegung zu evangelischer Kirche einerseits als wesentlicher Sektor der Identität des deutschen Evangelikalismus und damit seiner Geschichte zu sehen, andererseits als ein Teil der innerkirchlichen Dynamik und v. a. der innerkirchlichen Spiegelung der evangelischen Kirche und ihrer Geschichte. Seit der Ausrufung des „status confessionis“ in den 1950er Jahren angesichts der Bultmannschen Theologie und der Forderung, die Kirche solle „ungläubige“ Theologen von der Arbeit in der Lehre ausschließen, oder die „bekennenden Christen“ träten aus der Kirche aus, zieht sich das Thema der Abspaltung von der verfassten Kirche durch die Debatten. 1977 stellten die Auseinandersetzungen um den „Deutschen Evangelischen Kirchentag“ (DEKT) eine Wegmarke dieser Drohung dar. In den 1990er Jahren beschäftigten sich zwei „ideaDokumentationen“ mit der Frage, ob Evangelikale in der Kirche bleiben oder austreten sollten.117 Dabei ist die Frage der Abspaltung von der Kirche nur die Spitze des Eisberges der Auseinandersetzungen der evangelikalen Bewegung mit der Kirche. Der gesamten Problematik liegt die bereits im 19. Jahrhundert mit der Entstehung der Gemeinschaftsbewegung virulent gewordene Frage des Verhältnisses von Kirche und Pietismus zugrunde. Dieses Verhältnis wurde von dem Bonner Professor für Praktische Theologie Theodor Christlieb, einem der Initiatoren der Gnadauer Pfingstkonferenz 1888, mit den Worten beschrieben: „Wir Gnadauer wollen sein in der Kirche, wenn möglich mit der Kirche, aber nicht unter der Kirche.“118 Dieser oft zitierte Satz deutet in dem gesamten Spektrum seiner Deutungsvarianten bereits an, dass das Verhältnis von Kirche und Gemeinschaftsbewegung von Anfang an ein dynamisches, nicht konfliktfreies war. Hinzu kommen die sich daraus ergebenden Schwierigkeiten, dass die Gemeinschaftsbewegung keine einheitliche Ekklesiologie vertrat und vertritt und sich damit auch schwer selbst ekklesiologisch verorten kann.119 Diese Aspekte erstrecken sich bis in die evangelikale Bewegung hinein, da der Gnadauer Gemeinschaftsverband eine der großen Trägergruppen des Evangelikalis117 118 119
SOLLEN PIETISTEN IN DER KIRCHE BLEIBEN; IN DER EVANGELISCHEN KIRCHE BLEIBEN. LANGE, Geschichte, 19. BRECHT, Landeskirche, besonders 15, 32 u. ö.
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mus war und ist. Für die andere große Trägergruppe des Evangelikalismus, die DEA, ist der christliche Einheitsgedanke von zentraler Bedeutung, sowohl in internationaler als auch in überkonfessioneller Hinsicht. Eine Auseinandersetzung mit der Kirche um die zugrunde liegende Ekklesiologie findet hier im Prinzip nicht statt, ebenso wenig wie mit den einzelnen Freikirchen, deren Mitglieder der Allianz angehören. Der ekklesiologische Ausgangspunkt der DEA beruht auf dem Gedanken grundlegender Gemeinsamkeiten von Christen über alle politischen und konfessionellen Grenzen hinweg – eine Kirche wollte die DEA von Anfang an nicht sein –, sieht man von einigen Überlegungen dieser Art im Zusammenhang mit Kirchenabspaltungsbekundungen der evangelikalen Bewegung ab. Diese beiden Konzepte treffen nun in der evangelikalen Bewegung aufeinander und potenzieren sich insofern, als dass die ekklesiologische Frage weit in den Hintergrund rückt. Die evangelikale Bewegung weist ebenso wenig ein ekklesiologisches Konzept auf wie die Gnadauer Gemeinschaftsbewegung und die DEA. Die sich regelmäßig wiederholenden Debatten innerhalb des Evangelikalismus über das Für und Wider des volkskirchlichen Konzeptes oder gar die seit Jahrzehnten unverdrossen geäußerten Ankündigungen des bevorstehenden Zusammenbruchs der Volkskirche120 sind unter anderem Ausdruck der ekklesiologischen Unklarheiten in den eigenen Reihen.121 Trotzdem verbindet beide, in den 1970er Jahren deutlicher als heute, die Kirchenkritik. 1994 wurde im Referat für Weltanschauungsfragen der katholischen Kirche in Wien resümiert, aus Sicht der etablierten evangelischen Kirche wären die Evangelikalen „eine Herausforderung oder ein Ärgernis“, aus evangelikaler Perspektive stellten die Kirchen „eher ein Ärgernis als eine Herausforderung“ dar.122 Dieser Behauptung historiographisch nachzugehen ist zentrales Anliegen dieser Untersuchung. 2.3.1 Evangelikalismus und Politik Michael Hausin bestätigt in seiner ungedruckten Dissertation von 1999 über „Staat, Verfassung und Politik aus der Sicht der Evangelikalen Bewegung innerhalb des deutschen Protestantismus“, dass der deutsche Evangelikalismus keinen direkten Bezug zur Politik aufweise und ihm der Drang nach politischer Macht fehle, so wie er beim christlichen Fundamentalismus und US-amerikani120
Vgl. z .B. WORAUF KOMMT ES IN DER KIRCHE AN, besonders 2; FÜR ANDERE GEMEINDESTRUK-
TUREN.
121 So z. B. Helge Stadelmann in seinem Diskussionsbeitrag in dem „ideaDokumentation“Heft „In der evangelischen Kirche bleiben oder austreten?“ (STADELMANN, Bekenntnisbewegung, 26). 122 MAYR, Entwicklung, 3.
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schen Evangelikalismus konstatiert werden kann. Der evangelikale modus vivandi in politischen Belangen zeichne sich aus, so Hausin, durch das Lavieren zwischen Quietismus und Aktivismus, Abstinenz von Parteibindung und langfristig angelegtem politischem Taktieren, durch lediglich äußere Anstöße seitens der internationalen Gemeinschaft der Evangelikalen zu politischem Handeln oder aber durch das Engagement Einzelner.123 Evangelikale Parteigründungen wie die „Partei Bibeltreuer Christen“ und die „Christliche Partei Deutschlands“ seien erst seit Mitte der 1990er Jahre zu beobachten.124 Anzufügen ist, dass seit der Jahrtausendwende innerhalb evangelikaler Kreise verstärkt darauf hingewiesen wird, dass Christen die Demokratie als politische Ordnung unterstützen sollten. Diese genannten Aspekte markieren einen Wandlungsprozess der evangelikalen Bewegung gegenüber der Politik. Der politische Impetus der Evangelikalen in den 1970er Jahren war bedeutend schwächer als gegenwärtig und bezog sich nur punktuell auf die „sozialen Verfehlungen“ im Bereich der Ethik, die von der Kirche, d. h. den Landeskirchen und der EKD, adaptiert wurden. So lange die EKD bzw. einzelne Kirchengremien im Sinne der Evangelikalen christliche Stellungnahmen verlautbarten und die Einhaltung von christlichen Gesichtspunkten einforderte sowie deren Missachtung kritisierte, gab es keinen Bedarf, sich eigenständig zur Politik zu äußern, stellt Hausin fest.125 Hinzu kam, dass sich Evangelikale lange Zeit von der Parteienpolitik der CDU/CSU vertreten sahen – nicht zufällig vor dem Hintergrund, dass die CDU seit 1965 ihre Wende von einer katholischen Volkspartei zum konservativen Protestantismus vollzog.126 Durch diese Vertreterstellung durch eine politische Partei sahen sich Evangelikale kaum zum politischen Handeln gezwungen. Erst gegen Ende der 1980er Jahre begann man sich, so Hausin, von der CDU im Stich gelassen zu fühlen.127 Bei einer Betrachtung längerer historischer Entwicklungslinien ist diese Feststellung allerdings zu verkürzt, denn die traditionelle pietistische Abneigung gegenüber Politik zieht sich bis zur zweiten Hälfte des 20. Jahrhun-
123
HAUSIN, Staat, 94. EBD., 108. 125 EBD., 104. 126 SPOTTS, Kirchen und Politik, 276f. 127 Vgl. die Stellungnahmen verschiedener Persönlichkeiten des evangelikalen Lagers bei HAUSIN, Staat, 295–298, besonders Fußnoten 101–120. Es ist allerdings gegen Hausin anzumerken, dass die evangelikalen Negativbeurteilungen der CDU allesamt spätere und im Rückblick erfolgte Bewertungen darstellen. In den 1980er Jahren dürfte man in evangelikalen Kreisen noch von einer Übereinstimmung der Zielsetzung der CDU mit den eigenen Interessenlagen ausgegangen sein – vor allem vor dem Hintergrund, dass von CDU-Politikern mindestens in internen Gesprächen signalisiert wurde, man stehe den evangelikalen Anliegen positiv gegenüber. Ob dies aus taktischem Kalkül geäußert wurde oder echtem Anliegen geschuldet war, muss dahin gestellt bleiben. 124
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derts in die evangelikale Bewegung hinein. Die evangelikale Politik-Aversion, die Evangelikale seit Ende der 1960er Jahre bewog, das „politische Mandat“ auf die evangelische Kirche zu übertragen, ist vor diesem Hintergrund ein Konglomerat aus der Wahrnehmung der Kirche als politischer und Politik gestaltender (homogener) Macht und der stillschweigenden Voraussetzung einer „Gewaltenteilung“ innerhalb dieser Kirche, zu der man sich dezidiert zugehörig fühlte und die die eigene Unfähigkeit zum politischen Engagement ausbalancieren sollte. Die Kirche stellte bei aller Weltdistanz eine Verbindung zur „Welt“ dar – die Kirchenkritik bemaß sich daran, wie eng „Welt“ und Kirche in der Wahrnehmung zusammenrückten. In der teilweise vehementen Kritik in den 1960er, 1970er Jahren an der Kirche kommt auch das evangelikale Empfinden zum Ausdruck, die Kirche mische sich zu sehr in das politische Tagesgeschehen ein, z. B. durch die Kirchentage und die dort vertretene Theologie und Frömmigkeit oder aber durch die Solidarisierung des ÖRK – und der ihn unterstützenden Kirchen – mit Befreiungsbewegungen in Afrika und Lateinamerika.128 Bemerkenswert ist die langsame Zuwendung zur Politik in den letzten zehn Jahren in den evangelikalen Reihen insofern, als dass die als Bedrohung des demokratischen Rechtsstaates wahrgenommene Einflussnahme des Islam in der Welt inzwischen tatsächlich zu Initiativen politischer Bewusstseinsbildung führten. „Der Spiegel“ zitierte in einem Beitrag in der Ausgabe vom 28. April 2008 Hartmut Steeb, der 2005 in dem Magazin der DEA „Eins“ dafür plädierte, Evangelikale sollten in Parteien mitarbeiten und dort biblisch-ethische Maßstäbe einbringen und sich zur „christlichen Leitkultur“ stellen, da gerade die „werteungebundene Toleranz“ Deutschland zum „gefundenen Fressen“ eines expansiven Islam mit Gottes-Staat-Ideologie mache.129 Ob derartige Äußerungen nun den „Plan“ für den großen Griff nach der Macht repräsentieren, wie Spiegel-Autor Wensierski in einem Beitrag unterstellt, dessen düster-apokalyptischer Tenor in Bezug der Vision einer entsäkularisierten Welt unter der Dominanz sämtlicher freikirchlicher christlicher Gruppen von der SELK bis zu amerikanischen Baptisten gewisse Parallelen zu manchem evangelikalen Endzeitszenario aufweist, kann bezweifelt werden. Der evangelikalen Partizipation an Politik ist natürlich ein Gefahrenmoment inhärent, welches auf der inhaltlichen Vernetzung von Fundamentalismus und Evangelikalismus basiert, da politische Religiosität in Fundamentalismus abdriften kann. Allerdings ist diese Gefahr bei der evangelikalen Bewegung in Deutschland weniger gegeben – hier könnte
128
Zu der evangelikalen Attitüde gegen den ÖRK vgl. die ausführliche Darstellung in Kap.
6. 6. 3. 129
WENSIERSKI, Aufschwung Jesu, 38.
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eine politische Bewusstseinsbildung vielmehr positive Wirkungen in Bezug auf eine evangelikale Abgrenzung gegen rechtspopulistische Parteien zeitigen. Bereits 1994 hieß es in einer Stellungnahme der DEA: „Gebt der Demokratie, was der Demokratie entspricht“, 2003 wurde der „Arbeitskreis Politik“ der DEA gegründet, 2005 erschien die Broschüre „Christ und Politik“ als Band von „ideaDokumentation“. In diesem Heft werden neue, für die 1960er und 1970er Jahre nahezu unvorstellbare Töne angeschlagen: „Politik, wie sie hier verstanden wird, ordnet das öffentliche Leben einer Gesellschaft. Alles, was nicht nur mich persönlich, sondern auch die anderen – die Öffentlichkeit oder Allgemeinheit angeht, ist Politik. In der Politik geht es um das gemeinsame Leben, um den Nächsten, um das allgemeine Wohlergehen einer Volkesgemeinschaft. In diesem Sinn ist Eigennutz oder Egoismus das Gegenteil von politischem Engagement. Politik geht uns alle an, weil wir Teil einer Gemeinschaft und Gottes Geschöpfe sind. Der antike griechische Philosoph Aristoteles nannte den Menschen zu recht ein ‚politisches Wesen‘. [. . .] Christen und ihre Gemeinden sollten für ihre wichtige Tätigkeit alles Interesse an geordneten und stabilen politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen haben. Das kann man leicht vergessen, wenn es einem Land längere Zeit gut gegangen ist. Vielleicht würde es helfen, einen Blick über den Tellerrand zu wagen, wo christliche Gemeinden in verarmten, korrupten Ländern mit chaotischen, anarchistischen oder totalitären politischen Verhältnissen und unter permanenter Verfolgung leben und arbeiten müssen. Die vergleichsweise stabilen und rechtsstaatlichen Verhältnisse, die Freiheitsrechte sowie der Wohlstand für die Allermeisten in unserem Land sind das Resultat der Umsetzung von christlichen Werten.“130
Vor dem Hintergrund evangelikalen Politikunwohlseins markieren Spitzensätze wie: „Jesus Christus war hochgradig politisch“,131 „Gerade der Missionsbefehl schliesst politische Arbeit ein“,132 oder: „Gelebte Demokratie ist wahrscheinlich diejenige Staatsform, die dem Menschen als Ebenbild Gottes am meisten entspricht“133 eine beachtliche Kehrtwende – im Übrigen in Bezug auf die inhaltliche Stoßrichtung nahezu identisch mit der Demokratiedenkschrift der EKD von 1985. Auch an diesem Punkt tritt nach knapp 20 Jahren eine Angleichung an die Haltung der evangelischen Kirche ein. Die Kehrtwende gegenüber der pietistischen Politik-Aversion wird in der Broschüre der DEA direkt angesprochen. Das Heft ist so aufgebaut, dass gegen die als „typisch evangelikal“ zu identifizierenden Einwände das politische Engagement verteidigt wird. Die gesamte Broschüre argumentiert gegen die Politik130 131 132 133
DERRON / SCHIRRMACHER / SUTER / WÄFLER, Christ und Politik, 9 und 35. EBD., 13. EBD., 31. EBD., 17. Im Original fett gedruckt.
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distanz des Evangelikalismus, gegen Einwürfe, Politik sei „schmutzig“, Christen seien „nicht von dieser Welt“ und sollten sich nicht mit weltlichen Dingen beschäftigen, Mission und Gemeindebau sei wichtiger als Politik, Gott wolle Seelen retten und nicht politische Systeme, der Untergang der Welt stehe bevor, angesichts dessen man nicht noch politisieren müsse, oder christliche Politik sei zu komplex für eine praktische Umsetzung. Diese Einwürfe verweisen deutlich auf die Wurzeln des Evangelikalismus in Deutschland, die Erweckungs- und Gemeinschaftsbewegung, die in nahezu identischer Art ihre unpolitische Haltung im 19. Jahrhundert und in den ersten vier Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts begründete.134 Dass diese unpolitische Haltung letztlich keineswegs unpolitisch, sondern, durch die ihren Akteuren verdeckten Wirkungsmechanismen, umso fatalere politische Konsequenzen zeitigte, war (und ist) innerhalb des Evangelikalismus unklar. Die für die Zeit des 1. Weltkrieges für den deutschen Pietismus veranschlagte „Staatstreue“, die die Weltferne kompensierte,135 gilt auch heute noch in Teilen des Evangelikalismus. Die sozial-ethisch restaurative Komponente, die vom Evangelikalismus präsentiert wird, findet natürlich im politischen Bereich seine Entsprechung, und die fehlende evangelikale Selbstreflexion über das eigene Involviert-Sein in politische Zusammenhänge führt mitunter dazu, dass relativ blind Partner in der Politik gesucht und gefunden werden, die mehr als nur „Staatstreue“ verkörpern. Es ist generell zu konstatieren, dass der Evangelikalismus sich in der Hauptsache von dem rechten politischen Parteienspektrum angezogen fühlt – die FDP, die SPD, die Grünen oder die Linkspartei üben auf die evangelikale Mentalität offenbar kaum einen Reiz aus. Die Aversionen gegenüber den linken Parteien sind besonders in den Auseinandersetzungen um „linke Theologiestudenten“ und „linke Theologen“ und der vermeintlichen und realen Adaption von marxistischen Ideen in kirchlichen Jugendgruppen Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre augenscheinlich.136 Die CDU/CSU und punktuell auch das ultrarechte politische Lager werden dagegen unterstützt, teilweise sogar unter der verzerrten Annahme, dass ein solches Zusammengehen keine Politik sei. Wirkmechanismen dieser Art werden im historischen Rückblick an einigen Stellen der vorliegenden Arbeit deutlich. Es ist auffällig, dass „Politisierung der Kirchen“ stets nur im Zusammenhang mit linker Politisierung, aber zu keinem Zeitpunkt im Hinblick auf die Adaption konservativer politischer Ziele innerhalb der Kirchen wahrgenommen, geschweige denn diskutiert wurde. Zuge134
Vgl. THADDEN, Pietismus. EBD., 647. 136 Dieses Thema wird punktuell in den Kap. 6. 2. 6 bis 6. 2. 8., S. 561–591 der vorliegenden Arbeit behandelt. 135
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spitzt gesagt ist für die evangelikale Bewegung bis 1989 Politik „linke Politik“ gewesen, und wenn von einer Politisierung der Kirche gesprochen wurde, handelte es sich stets um kirchliche Tendenzen zu sozialdemokratischen, linken oder zu – so empfundenen – marxistischen Positionen. Vor dem Hintergrund der steten Kritik an der Kirche, sie betreibe Politisierung und damit ihre eigene „Verweltlichung“ oder, mit den Worten des Evangelisten Gerhard Bergmann, sie sei die große Hure aus Offb. 17, da huren bedeute, mit politischer Macht zu liebäugeln und sich ihr hinzugeben,137 mutet dies ausgesprochen naiv im Hinblick auf das Verstehen politischer Zusammenhänge an. Die vermeintlich unpolitische Haltung zeigt an solchen signifikanten Punkten ihr wahres Gesicht: die fehlende Selbstreflexion bezüglich der eigenen Involvierung in Politik und ihre Wirkmechanismen. Im Hinblick auf Politik und politisches Handeln der Kirche gerät häufig die 1966 gegründete „Notgemeinschaft evangelischer Deutscher“, heute „Evangelische Notgemeinschaft in Deutschland“, als Trägergruppe der evangelikalen Bewegung in den Fokus der Aufmerksamkeit. Ihre Gründung erfolgte aus Protest gegen die 1965 von der EKD verabschiedete Denkschrift „Die Lage der Vertriebenen und das Verhältnis des deutschen Volkes zu seinen östlichen Nachbarn“, die so genannte „Ostdenkschrift“. Diese Gruppierung verbindet das evangelikale Anliegen dezidiert mit politischer Agitation, und zwar in Anschluss an den rechten bis ultrarechten Parteienrand in Deutschland und durchaus in Verbindungen mit nationalbewussten bis nationalistischen politischen Gruppen und Publikationsorganen.138 Allerdings ist die mehr oder minder enge Vernetzung von einzelnen Personen aus dem Leitungsgremium der „Notgemeinschaft“ mit nationalistischen Parteien wie der NPD nicht allein repräsentativ für den deutschen Evangelikalismus, zu dem die „Notgemeinschaft“ zwar als eine evangelikale Trägergruppe gehört, dessen politische Haltung allerdings nicht auf das Handeln der „Notgemeinschaft“ reduziert werden kann. Ein wesentlicher formaler Aspekt der Abgrenzung des zeitgenössischen evangelikalen Mainstream gegenüber der „Notgemeinschaft“ bestand in der jahrelang verweigerten Aufnahme in die KBG, obwohl die „Notgemeinschaft“ stark darauf drängte, in die Reihen der evangelikalen Bewegung integriert zu werden. Dieser Umstand kann nur unter historischer Perspektive wahrgenommen werden. Gerät er aber aus dem Blick, zieht das fatale Konsequenzen für die Charakteristik der evangelikalen Bewegung nach sich, die nicht per se natio-
137 BERGMANN, Fragen, 35. Zu dem Gespräch zwischen „Ökumene und Allianz“, als deren Vertreter Erich Eichele und Gerhard Bergmann fungierten, vgl. Kap. 3. 3. 4. 138 Vgl. KLEINE ANFRAGE DER ABGEORDNETEN.
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nalistisch eingestellt ist, sich aber rasch zu Anschlüssen an die ultrakonservative Sozial- und Familienpolitik dieser Gruppen und Parteien bereit erklärt – ohne dass die daraus folgenden Implikationen bedacht würden. Die Diskussionen um einen Beitritt der „Notgemeinschaft“ zur KBG zeigen, dass man sich in den Reihen der Evangelikalen zumindest bewusst darüber war, mit einem Einzug der Notgemeinschaft dann doch der so vehement geschmähten Politisierung der Kirchen in den eigenen Reihen Tor und Tür zu öffnen. Der Frage, ob die „Notgemeinschaft“ möglicherweise unhaltbare politische Positionen vertrat, ging man allerdings nicht nach.139 Es kann, trotz vereinzelter evangelikaler Kontakte mit Parteipolitikern und punktuellem Bemühen um politische Einflussnahme, insgesamt von einem eher unpolitischen Impetus der evangelikalen Bewegung in Deutschland bis 1989 ausgegangen werden. Die oben genannten neuesten Entwicklungen der Leitung der DEA hin zu einer politischen Bewusstseinsbildung sind in ihren Auswirkungen abzuwarten – die Beharrungskraft der in der Gemeinschaftsbewegung versammelten Kräfte, Politisches eher zu meiden, sich nicht „einzumischen“140 (auch wenn dies, wie gesagt, in Bezug auf konservative politische Positionen nicht konsequent gelingt), dürfte einem offenen, der Welt zugewandten Umgang mit Politik in Teilen der evangelikalen Bewegung durchaus auch weiterhin im Wege stehen. Letztlich aber wird das Problem des Umgangs mit Politik in den Reihen der evangelikalen Bewegung solange nicht grundsätzlich geklärt werden können, solange es keine stringente evangelikale Sozialethik und im Zusammenhang damit auch keine umfassende theologische anthropologische Bestimmung gibt. Beides, Politik und christliche Sozialethik, hängen aus christlicher Perspektive aufs engste miteinander zusammen – Unklarheiten auf der einen Seite ziehen zwangsläufig Unsicherheiten auf der anderen Seite nach sich. 2.4 Evangelikalismus und Fundamentalismus Aus den bisherigen Darlegungen geht deutlich hervor, dass es sowohl phänomenologisch als auch hermeneutisch immer wieder zu Überschneidungen von Evangelikalismus und christlichen Fundamentalismus kommt. In den gegen-
Die „Notgemeinschaft“ kommt in Kap. 6. 2. 7 zur ausführlichen Darstellung. Die „Theologie des Einmischens“, so der Präses des Gnadauer Gemeinschaftsverbandes Christoph Morgner in einem Grußwort der Festschrift der OJC, gehöre so gut wie nicht zur pietistischen Mentalität (IM RINGEN, 114). 139 140
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wärtigen öffentlichen Debatten um Evangelkalismus steht die Frage nach dem fundamentalistischen Gehalt einzelner evangelikaler Gruppen bis hin zur evangelikalen Bewegung generell stets im Hintergrund. Die nachfolgende Darstellung und Erörterung von christlichem Fundamentalismus und dem Verhältnis von Evangelikalismus und Fundamentalismus wird im Hauptteil der vorliegenden Arbeit nicht noch einmal aufgenommen, da die Reflexion über Fundamentalismus in dem Zeitraum, den diese Untersuchung behandelt, nicht die Rolle spielte, die ihr aktuell zukommt. Allerdings verweist die Erörterung zu Evangelikalismus und Fundamentalismus auf das zentrale Untersuchungsergebnis der vorliegenden Arbeit: auf die Charakteristik der evangelikalen Bewegung als „neue soziale Bewegung“. Generell können die so genannten neuen sozialen Bewegungen auf Grund ihres Separatismus und ihrer Protesthaltung bestimmten gesellschaftlichen Institutionen, Gruppen oder Phänomenen gegenüber fundamentalistische Tendenzen aufweisen. Eine ausführliche Analyse der evangelikalen Bewegung als neue soziale Bewegung erfolgt in Kap. 5. Im Folgenden wird nach der einleitenden Darstellung der Geschichte des nordamerikanischen Fundamentalismus, des gegenwärtigen Standes der Fundamentalismusdebatte sowie der Erörterung ihrer Probleme auf die Fundamentalismustendenz in neuen sozialen Bewegungen eingegangen. 2.4.1 Die historische Entwicklung des christlichen Fundamentalismus Der Begriff des christlichen Fundamentalismus stammt aus einer Richtung der amerikanischen Erweckungsbewegung des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts, deren Sympathisanten sich in Abgrenzung zu dem liberalen Sozialprotestantismus – der ebenfalls in einer Linie mit der amerikanischen Erweckungsbewegung stand –, selbst als „Fundamentalisten“ bezeichneten. Sie verstanden sich als Christen, die sich auf die „fundamentals“ des Glaubens bezogen und schlossen sich 1919 zur „World’s Christian Fundamentals Association“ zusammen.141 Der Beginn der historischen Entwicklung des Fundamentalismus war mit der Publikation der zwölfbändigen Heftreihe „The Fundamentals: A Testimony to the Truth“ markiert, die zwischen 1910 und 1915 veröffentlicht wurde. In dieser Reihe brachten Theologen verschiedener Denominationen ihre Überlegungen zu den „fundamentals“ des Glaubens zu Papier.142 Die Themenauswahl der einzelnen Hefte folgte dabei keinem stringenten inneren Zusam-
141
KIENZLER, Fundamentalismus, 17f. GELDBACH, Protestantischer Fundamentalismus, 48–64; JOEST, Fundamentalismus, 732. Die folgende Darstellung fußt auf GELDBACH, Protestantischer Fundamentalismus, besonders 62f. 142
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menhang, die Überlegungen insgesamt aber können, so Geldbach, durchaus als Versuch gesehen werden, „mit der modernen Naturwissenschaft und der Theologie in einen vorsichtigen Dialog zu treten, auch wenn Position gegen Position zu stehen kommt. Viele Verfasser, die in der Schriftenreihe zu Wort kommen, gehen auf Argumente ein, wägen sie ab und bewerten sie dann. Dieser Eindruck kann aber nur deshalb entstehen, weil die Schriftenreihe die ‚harten‘ Themen des Fundamentalismus weitgehend auslässt. Die Grundvoraussetzungen in Gestalt der Verbalinspirationslehre und der Geschichtsschau des Dispensationalismus erscheinen in moderater Form, sonst würde man die Argumente der Gegner auch auf den Fundamentalismus selbst anwenden können.“143
Es entbehrt in der Tat nicht einer gewissen Ironie, dass der Fundamentalismus seinen Namen von einer Schriftenreihe erhielt, in der man weder „endzeitliche Themen noch gar eine Explikation oder dauernde Wiederholung der fundamentals findet“144, wie Erich Geldbach feststellt. Durchgesetzt und etabliert hat sich, in historisch verzerrendem Rückgriff, die Vorstellung, die fünf „unaufgebbaren Grundsätze“ der „Fundamentals“ seien die Irrtumslosigkeit der Bibel, die Geburt Christi durch eine Jungfrau sowie seine Gottheit, sein stellvertretendes Sühneopfer und seine leibliche Auferstehung und Wiederkunft. Diese fünf Glaubenspunkte waren aber nicht, so sehr sie später von Fundamentalisten strapaziert wurden, die Grundlage der Schriftenreihe „The Fundamentals“, sondern stellen, in etwas modifizierter Form, einen 1910 von der Generalversammlung der Presbyterianer verabschiedeten Glaubenstest für Absolventen des „Union Theological Seminary“ in New York dar.145 Während die 12 Fundamentals-Bändchen kaum Beachtung fanden, erregte 1925 der berühmte „Affenprozess von Tennessee“ Aufsehen, als ein Lehrer, der in seinen Klassen trotz des staatlichen Verbots den Darwinismus lehrte, sich vor Gericht verantworten musste. Zwischen 1921 und 1929 waren in 31 Bundesstaaten Gesetzesvorlagen gegen das Lehren der Evolutionstheorie an Schulen eingebracht worden.146 Im Falle des Lehrers John T. Scopes entwickelte sich aus diesem Verbotsübertritt jedoch ein öffentlichwirksames Spektakel, da Scopes von einem der führenden Anwälte der damaligen Zeit, dem Bürgerrechtler Clarence Darrow, verteidigt wurde, während der Anklage einer der bekanntesten Kreationisten, William Jennings Bryan, zur Seite stand. Höhepunkt des Prozesses war das Kreuzverhör von Bryan durch Darrow, in dem sich Bryan 143 144 145 146
EBD. EBD., 62. EBD., 75. HEMMINGER, Fundamentalismus und Wissenschaft, 170.
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bezüglich der biblischen Bestimmbarkeit des Erdalters in offenkundige Widersprüche verstrickte.147 1929 gründeten zwei presbyterianische Theologen, J. Gresham Machen und Robert Dick Wilson, das fundamentalistische Westminster Theological Seminary. 1936 wurde von Machen, J. Oliver Buswell und Carl McIntire, der Galionsfigur des US-amerikanischen Fundamentalismus, die „Presbyterian Church of America“ ins Leben gerufen.148 Bereits ein Jahr später spaltete sich diese Kirche in die „Orthodox Presbyterian Church“ und die „Bible Presbyterian Church“. Ende der 1920er und in den 1930er Jahren nahm die Kritik am Fundamentalismus in den USA zu und seine Bedeutung ab. Das lag vor allem daran, dass sich das theologische und kirchliche Klima verändert hatte, da unter dem Einfluss von Karl Barth und Emil Brunner der Liberalismus zurückgedrängt wurde und sich die „Neo-Orthodoxie“, der US-amerikanische Evangelikalismus herausbildete, der ebenso wie der Fundamentalismus die Erlösungsbedürftigkeit und Sündhaftigkeit des Menschen betonte. Allerdings verschwand der Begriff „Fundamentalismus“ nie ganz aus der Diskussion, und vor allem im angelsächsischen Bereich war im Hinblick auf die „stärker werdende evangelikale Bewegung, die mit den Evangelisations-Veranstaltungen von Billy Graham verbunden war, von ‚Fundamentalismus‘ die Rede.“149 Organisatorisch hatte sich der Fundamentalismus 1941 mit der Fusion der „Bible Protestant Church“, der früheren „Methodist Protestant Church“, und McIntires „Bible Presbyterian Church“ zum „American Council of Churches“ (ACC) konsolidiert. In der Präambel der Verfassung des ACC wurden als „Fundamentals“ des Glaubens die bereits erwähnten und fälschlicherweise der Heftchenreihe „The Fundamentals“ zugeschriebenen fünf Schwerpunkte des Fundamentalismus festgelegt: Irrtumslosigkeit der Bibel, Jungfrauengeburt, Gottheit Jesu Christi und sein stellvertretendes Sühneopfer sowie seine leibliche Auferstehung und leibliche Wiederkunft. Wie Otmar Schulz bereits 1966 in seiner kurzen Abhandlung zum christlichen Fundamentalismus im Rahmen der Informationsbroschüren der EZW hervorhob, konkretisierte sich der Fundamentalismus nicht so sehr durch das „Was“ seiner theologischen Substanz als vielmehr durch das „Wie“ seiner Standortbestimmung und -vertretung: „Die Fundamentalisten haben nämlich, das geht aus der Konstitution des ACC von 1941 her147 Zu dem Prozess vgl. das 1998 erschienene und mit dem Pulitzer-Preis für historische Arbeiten ausgezeichnete Buch von Edward J. Larson „Summer for the Gods. The scopes trial and America’s continuing debate over science and religion“. 148 Die folgenden Angaben stützen sich auf SCHULZ, Fundamentalismus. 149 SCHNABEL, Sind Evangelikale Fundamentalisten, 14.
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vor, den Grundsatz des Ausschliesslichen, des Exklusiven und des Separatistischen angenommen.“150 Mitglied im ACC durften z. B. nur Kirchen werden, die nicht dem „National Council of Churches (of Christ)“ (NCC), dem 1950 gegründeten Nationalen Kirchenrat der USA,151 angeschlossen waren und sich explizit gegen den NCC und den „Modernismus“ aussprachen. McIntire war jahrzehntelang erster Präsident des ACC und prägte dessen separatistischen Kurs. Carl McIntires Wirken dürfte eines der an Kirchenabspaltungen und Denominationstrennungen reichsten im 20. Jahrhundert sein. Die Zahl der von ihm gegründeten fundamentalistisch orientierten Kirchen auf Grund von Differenzen mit den vorigen Denominations ist hoch und zieht sich durch sein gesamtes Lebenswerk. Das spiegelt ein generelles Grundproblem des (christlichen) Fundamentalismus wider: den Hang zur Zersplitterung auf Grund des hohen Individualisierungsgrades in seinen Reihen. Nur einen Monat nach Gründung des ACC bildete sich im Herbst 1941 „ein zweites fundamentalistisches Lager, das auch mit dem Liberalismus brechen“, es aber vermeiden wollte, als „reaktionär, negativ, destruktiv“ zu gelten152: die „National Association of Evangelicals“ (NAE). Die „Evangelikalen“ oder „Neo-Orthodoxen“ versuchten eine „‚Neuauflage‘ fundamentalistischer Theologie“ zu schaffen, ohne in reine Apologetik zu verfallen. Sie nahmen die Ergebnisse der wissenschaftlichen Theologie auf, legten Bibelstellen nicht im naturwissenschaftlichen Sinne wörtlich aus, sondern versuchten sie von ihrem historischen Kontext aus zu verstehen. Dementsprechend wurden die Evangelikalen von den Fundamentalisten immer wieder angegriffen und kritisiert. Das „Schibboleth der Konservativen“ hieß nun nicht mehr „‚Irrtumslosigkeit und Unfehlbarkeit der Schrift‘, sondern [. . .] ‚Personales Verhältnis zu Gott in Jesus Christus durch den Heiligen Geist‘. [. . .] Die Veränderung gegenüber dem Standpunkt der Fundamentalisten ist also nicht nur im ‚Wie‘ der Lehre und Selbstdarstellung festzustellen – dort vor allen Dingen! –, sondern auch im ‚Was‘.“153 Schon in dieser Anfangsphase des nordamerikanischen Evangelikalismus zeigte sich, dass dieser letztlich nicht nur eine Abwehrbewegung gegen die als zu liberal empfundenen Denominationen in den USA oder aber gegen „die Welt“ gerichtet war, sondern gleichzeitig eine Abwehrbewegung gegen den Fundamentalismus darstellte. Damit war und ist der Evangelikalismus ein Phä150
SCHULZ, Fundamentalismus, 4f. Die Vorgängerorganisation des NCC war das „Federal Council of Churches (of Christ)“ (FCC), das 1908 ins Leben gerufen wurde. 152 SCHULZ, Fundamentalismus, 5. 153 EBD., 9. 151
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nomen, das sich stets zwischen zwei Polen bewegt, sich je nach äußeren Gegebenheiten einem Pol mehr oder weniger annähert und vor allem immer wieder in der Gefahr steht, an dieser Stelle zerrieben zu werden. Im Hinblick auf die Argumentationsvarianten einer evangelikalen Theologie ergeben sich daraus schwerwiegende Implikationen: Von vornherein kann man sich einerseits nicht auf die „moderne Theologie“ einlassen, andererseits aber den Radikalismus der Verbalinspiration nicht bis zum Ende durchhalten. Damit sind die theologischen Denkoptionen per se stark beschnitten. 1948 gründete McIntire den „International Council of Christian Churches“ (ICCC) als Gegenbewegung zum ÖRK. 1954 kam es auf Grund des separatistischen Kurses und betrügerischer Aktivitäten von McIntire zum Eklat innerhalb des ACC. 1955 beschloss die „Bible Presbyterian Church“, deren Oberhaupt McIntire war, ihren Austritt aus dem ACC. Er gründete daraufhin – um weiterhin Präsident des ACC bleiben zu können – eine eigene neue Vereinigung, die „Bible Presbyterian Church Association“. Im deutschen Raum erschien die Zuschreibung „fundamentalistisch“ in den Auseinandersetzungen um die B KAE in den 1960er Jahren bzw. im Zusammenhang mit Billy Grahams Evangelisationsveranstaltungen in Deutschland, wobei Graham eher den „Neo-Orthodoxen“ bzw. eben den „Evangelikalen“ in den USA zuzurechnen ist. In den USA begann Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre der christliche Fundamentalismus – relativ überraschend für die kirchliche und gesellschaftliche Öffentlichkeit – wieder aufzuleben. Die Gründe dafür sind nicht bis ins Letzte klar. Michael Hochgeschwender schlägt in seiner jüngsten Studie zur amerikanischen Religiosität vor, die in den 1960er Jahren in den USA zunehmende Suburbanisierung und die damit verbundene Ansiedlung (konservativer) Landbevölkerung in den Vororten großer Städte als Ursache für diesen Aufschwung ins Auge zu fassen: „Die Vororte [entwickelten sich] zu Hochburgen der neofundamentalistischen Erweckungswelle des ausgehenden 20. Jahrhunderts.“ Daran schließt sich Hochgeschwenders Feststellung an, es gebe einen Zusammenhang von „Neofundamentalismus und anderen evangelikalen Strömungen“ und kultureller Marginalisierung.154 Zwischen Fundamentalismus und kultureller Abkopplung bzw. Bildungsdefiziten gibt es eine unmittelbare Korrelation. Diese Wechselwirkung ist auch auf die Entstehung des deutschen Evangelikalismus, wie besonders in Kap. 4. 1. 4 deutlich wird, übertragbar. Das Aufleben des Fundamentalismus in den USA in den 1960er, 1970er Jahren wurde von einer intensiven Nutzung der Massenmedien durch seine
154
HOCHGESCHWENDER, Amerikanische Religion, 169.
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Vertreter begleitet. So trug das „Phänomen der ‚elektronischen Kirche‘ [. . .] ganz wesentlich dazu bei[. . .], einen neuen Fundamentalismus zu errichten“155, konstatiert Erich Geldbach. Im Hinblick auf Massenkommunikationsmittel könne man den Fundamentalismus nahezu als „Förderer der ‚Moderne‘“156 bezeichnen. Die Adaption von modernen Medien und moderner Technologie im „Aufstand gegen die Moderne“157 ist als widersprüchliches, aber markantes Element des Fundamentalismus generell zu konstatieren, aber auch, bis zu einem gewissen Grad, des Evangelikalismus. Zugespitzt formuliert bringt die Moderne nicht nur die sie bekämpfenden antimodernen Bewegungen wie den Fundamentalismus hervor, sondern sie liefert ihnen auch die Waffen für diesen Kampf. Ebenfalls auffällig ist die Gründungswelle von Bibelschulen und fundamentalistischen Bildungseinrichtungen in den 1970er und 1980er Jahren in den USA. Die Hinwendung zu alternativen Bildungsangeboten, nicht nur den theologischen und christlich-religiösen Bereich im engeren Sinne betreffend, bis hin zur Genese eines eigenen Bildungssystems ist symptomatisch für den Fundamentalismus. In dem bereits angesprochenen Kontext der „kulturellen Marginalisierung“ und Unterversorgung mit (sinnstiftenden) religiösen Bildungsinhalten spielt die Kreation eigener Bildungsangebote eine eminente Rolle, allzumal Schulen und freie Akademien als Multiplikatoren der Bildung einen weiter reichenden Einfluss auf gesellschaftliche Kreise, und in Deutschland auf die evangelische Kirche, ermöglichen als andere Institutionen. Es wird in der Forschung davon ausgegangen, dass der christliche Fundamentalismus in Deutschland bisher keine einflussreiche Größe darstellte –158 der von den US-amerikanischen Fundamentalismusforschern Martin Marty und Scott Appleby proklamierte globale „fundamentalismus-schwache Gürtel“ Kanada-Japan-Europa umfasst auch Deutschland.159 Dennoch, so auch diese beiden Autoren, ist der Fundamentalismus in allen Teilen der Welt auf dem Vormarsch.160 Geht man davon aus, dass christlicher Fundamentalismus unter historiographischen Gesichtspunkten als eine Strömung oder Kategorie des Evangelikalismus angesehen werden kann,161 die wiederum den Evangelikalismus prägt, wird die These einer „Grundverschiedenheit“ beider Phänomene 155
GELDBACH, Protestantischer Fundamentalismus, 91. EBD., 100. 157 So der Untertitel Thomas Meyers Grundlagenwerk „Fundamentalismus“ von 1989. 158 HEMPELMANN, Handbuch, 180; HEMPELMANN, Evangelikalismus und Fundamentalismus, 7; SCHWARZ, Frömmer, 5. 159 MARTY / APPLEBY, Herausforderung, 214. 160 EBD. 161 Ursprünglich bei David Barratt in der „World Christian Encyclopädia“, zitiert nach GELD156
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unhaltbar. Die stete „Gefährdung des Evangelikalismus“162 durch den Fundamentalismus gewinnt an Brisanz. In den USA glichen die Ziele und Argumentationen des Fundamentalismus der 1970er, 1980er Jahre denjenigen, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts formuliert wurden. Und wie bereits in der Anfangsphase lässt sich auch in den 1970er und 1980er Jahren beobachten, dass „es zwei Gruppen innerhalb des Fundamentalismus gibt: einerseits die strengen, auf Separation ausgerichteten Kreise und andererseits solche, die mit einem starken Sendungsbewusstsein auftreten und in Politik und Gesellschaft präsent sein möchten. Allerdings sind die Grenzen fließend.“163 Es stellt einen interessanten Umstand dar, dass sich diese Fraktionsbildung auch in der evangelikalen Bewegung finden lässt. 2.4.2 Christlicher Fundamentalismus und Evangelikalismus – eine Problemanzeige zu der gegenwärtigen Debatte Die Verwendung des Terminus „fundamentalistisch“ für Vertreter der evangelikalen Bewegung und von diesen selbst als Eigenbezeichnung von den 1960er bis in die 1980er Jahre ist aus heutiger Sicht als naiv und weitestgehend unreflektiert zu bezeichnen. Dabei ist in Rechnung zu stellen, dass sich seither der Fundamentalismus, sowohl als Begriff als auch als Phänomen (in der öffentlichen Wahrnehmung) massiv gewandelt hat. Der unkritische Umgang damit in den 1960er bis 1980er Jahren kann somit lediglich konstatiert und muss nicht weitergehend problematisiert werden. Ein treffendes Beispiel für eine unreflektierte und unbedarfte Vermischung von Evangelikalismus und christlichem Fundamentalismus weist die Theologische Realenzyklopädie in dem fünften Band von 1980 auf: Darin wird zwar ein Beitrag zum Stichwort „Fundamentalismus“ geboten, aber keiner zu „Evangelikalismus“, „Evangelikale Bewegung“ o. ä. Dafür allerdings erscheint unter dem Lemma „Bekenntnisbewegung“ der knappe Verweis auf den Artikel „Fundamentalismus“.164 In dem zweiten Band der Dokumentensammlung der Bekenntnisgemeinschaften „Weg und Zeugnis“ von 1998 wird die implizite lapidare Argumentation der TRE, Bekenntnisbewegung und Fundamentalismus seien identisch, inhaltlich zu Recht, aber ohne Beachtung ihrer Historizität, scharf kritisiert.165
BACH,
Protestantischer Fundamentalismus, 14; HEMPELMANN, Evangelikalismus und Fundamentalismus, 5. 162 EBD., 13. 163 GELDBACH, Protestantischer Fundamentalismus, 91. 164 TRE 5 (1980), 487. 165 WEG UND ZEUGNIS, Bd. 2, 20.
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Bei einer Durchsicht der Literatur zu Evangelikalismus und Fundamentalismus fällt auf, dass entweder der Schwerpunkt darauf gelegt wird, dass Evangelikalismus und christlicher Fundamentalismus nahezu identisch sind bzw. beides wird stillschweigend in eins gesetzt, oder aber es wird vorausgesetzt, dass Evangelikalismus und Fundamentalismus in jedem Fall verschiedene Phänomene bilden. Bemerkenswert sind die Versuche, beide Optionen zu vereinen, z. B. der Vorschlag, auf Grund der Sprachverwirrung eine der beiden Strömungen verbal zu eliminieren.166 Signifikant für die Unsicherheit im Umgang mit den Phänomenen und Definitionen „Evangelikalismus“ und „christlicher Fundamentalismus“ sind jedoch diejenigen Publikationen, die unter dem einen oder anderen Schlagwort auftreten, dann aber Besonderheiten des jeweilig anderen Phänomens für sich beanspruchen, ohne dies kenntlich zu machen. Speziell trifft das auf Publikationen zu, die sich mit dem amerikanischen Fundamentalismus oder Evangelikalismus beschäftigen: Hier wird sehr schnell aus zweien eins.167 Aber auch in der Literatur zum deutschen Evangelikalismus oder Fundamentalismus vermischen sich beide Phänomene rasch. Das ist besonders an den Stellen der Fall, wo entweder (aus evangelikaler Perspektive) zwar der Fundamentalismus abgelehnt, aber der „fundamentalistische“ Rückbezug auf Glaubensfundamente positiv gewertet wird.168 Gerade deshalb schafft der von Fun-
166 So bei dem sich selbst als evangelikal bezeichnenden und an der Trinity Evangelical Divinity School in Deerfield lehrenden Neutestamentler Eckart J. Schnabel, der in der Broschüre „Sind Evangelikale Fundamentalisten?“ in Rückgriff auf Manfred Spieker bemerkt, angesichts der Weite heutiger Fundamentalismusdefinitionen seien auch Jesus, Petrus und Paulus Fundamentalisten gewesen (SCHNABEL, Sind Evangelikale Fundamentalisten, 31). Er plädiert im Weiteren dafür, den Begriff „Fundamentalismus“ aus den Diskussionen generell herauszuhalten, eröffnet aber indirekt auch die Option, Evangelikale könnten sich je nach Situation und Kontext entweder als Fundamentalisten oder Evangelikale bezeichnen. 167 Beispielsweise gliedert die Journalistin Barbara Victor ihr Buch über den christlichen Fundamentalismus in den USA in drei Teile, von denen eines sich mit der „Geburt des evangelikalen Christentums“ und ein anderes mit den „Evangelikalen und Israel“ beschäftigt (VICTOR, Beten [Hervorheb. durch d. Verf.]). Die Austauschbarkeit der Begriffe, für die Victor lediglich ein Beispiel bildet, ist ein Symptom der aktuellen Debatten um den Fundamentalismus und um den Evangelikalismus. 168 So z. B. SCHWARZ, Frömmer. Schwarz betont zwar die Enge und Wissenschaftsfeindlichkeit des amerikanischen Fundamentalismus, aber „[s]oweit sich der deutsche Fundamentalismus im Bereich der konservativ evangelikalen Christen bewegt und oftmals mit ‚evangelikal‘ und ‚religiöskonservativ‘ gleichgesetzt wird, ist er für den deutschen Protestantismus eine dringende Notwenigkeit.“ (EBD., 12). Ähnlich kann der Versuch von Stephan Holthaus gewertet werden, mit seiner 1993 publizierten Arbeit „Fundamentalismus in Deutschland“ den Begriff „Fundamentalismus“ für den Evangelikalismus fruchtbar zu machen. 2004 musste Holthaus allerdings resignativ konstatieren, der Begriff „Fundamentalismus“ sei inzwischen „nicht mehr zu retten“ (HOLTHAUS, Bibeltreues Schriftverständnis, 37, Fußnote 3)
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damentalismusforschern vorgeschlagene Rückbezug auf Selbstbezeichnungen von fundamentalistisch bzw. evangelikal operierenden Christen keine Klärung im Definitionsrahmen.169 Besonders kompliziert ist die Faktenlage im Hinblick auf die Uneinigkeit bezüglich der Selbstbezeichnung innerhalb des evangelikalen Lagers, deren Gruppenzusammenhänge für Außenstehende oft nicht transparent sind.170 Es fehlen bisher ganz klare Abgrenzungen der evangelikalen Leitungsgremien vom christlichen Fundamentalismus. Sie werden auch zukünftig nicht zu erwarten sein, denn sie sind letztlich nicht möglich, da einerseits Evangelikalismus und Fundamentalismus personell und organisatorisch an den Randzonen vernetzt sind und andererseits evangelikales Schriftgut immer wieder neu darauf hinweist, dass der Fundamentalismus, das „Stehen auf Glaubensfundamenten“ eine positiv zu wertende Haltung sei.171 Die von wissenschaftlicher oder kirchenleitender Seite in den letzten Jahren immer wieder neu beschworene Aussage, Evangelikale seien keine Fundamentalisten, ist vor diesem Hintergrund weniger dem historischen Bezug geschuldet, sondern eher als Schutzreflex zu werten – und zwar nicht zum Schutz der Evangelikalen vor ihrer Umwelt, sondern der Evangelikalen vor sich selbst und ihren fundamentalistischen Nachbarn. Diese verteidigende Haltung kirchenleitender Gremien bis hin zum Rat der EKD gegenüber den Evangelikalen ist zu einem nicht geringen Teil durch die Wahr-
169 Kienzler zählt diese Definitionsvariante auf, nimmt sie allerdings nicht auf (KIENZLER, Fundamentalismus, 15). 170 Um ein Beispiel aus der Fülle von Fluktuationen innerhalb der evangelikalen Bewegung sowie vom Evangelikalismus hin zum Fundamentalismus zu nennen: In einem Beitrag in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift „Der schmale Weg“ polemisierte der Gründer des „Christlichen Gemeinde-Dienstes“ innerhalb der unabhängigen Gemeinde „Christen in Pforzheim“ Lothar Gassmann im Februar 2009 gegen die Distanzierung führender Evangelikaler vom Fundamentalismus, den man damit „ans Messer liefere“ (GASSMANN, Christentum). Gassmanns Internethomepage offeriert eindeutig eine fundamentalistische Haltung, flankiert von endzeitlichen Naherwartungsvorstellungen, wobei er selbst offen lässt, welche Bezeichnung, außer dem obligatorischen „bibeltreu“, er für seine Glaubenshaltung in Anwendung bringen möchte: christlich-fundamentalistisch oder evangelikal. Auf dem Internetportal „Wikipedia“ wird er als „evangelikaler Theologe und Publizist“ geführt. Seine lange Zusammenarbeit mit und Anstellung in evangelikalen Werken suggeriert ebenfalls, es handle sich bei der Meinung, nur die „weichgespülten Evangelikalen“ distanzierten sich vom Fundamentalismus, um die Äußerung eines Evangelikalen selbst. Die Verworrenheit auf diesem Feld ist immens und wird durch das Aufeinanderprallen von öffentlicher Selbstpräsentation und Außenzuschreibung noch verschärft, wie das Beispiel von Helge Stadelmann zeigt, der von Erich Geldbach als signifikanter Vertreter des neuen Fundamentalismus in Deutschland bezeichnet wird, aber Bücher zum evangelikalen Schriftverständnis und zur evangelikalen Predigtlehre veröffentlicht. Hier legt sich nahe, eine enge Verknüpfung von Evangelikalismus und „neuem Fundamentalismus“ anzunehmen. 171 So z. B. HOLTHAUS, Wir brauchen Fundamente.
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nehmung der evangelikalen Bewegung als ein wichtiger Bestandteil kirchlicher Arbeit motiviert. Ein Abdriften der evangelikalen Bewegung in den christlichen Fundamentalismus hätte für die evangelische Kirche ungünstige Auswirkungen. Ein anderes Bild bietet sich bei der Betrachtung der Freikirchen mit ihrer Verbindung zum Evangelikalismus. Am 24. November 2005 gab die „Vereinigung Evangelischer Freikirchen“ ein „Wort zu Religionsfreiheit, Toleranz und Gewaltverzicht“ heraus, das weniger für die allgemeine und kirchliche Öffentlichkeit bestimmt, sondern „zuerst und vor allem in die eigenen Reihen hinein gesprochen“ wurde. Dort nämlich herrsche ein „ambivalentes Verhältnis zu Religionsfreiheit und Toleranz“ vor.172 Besonders fließend erscheint der Übergang zwischen Fundamentalismus und Evangelikalismus in Darstellungen des praktischen Erlebens fundamentalistischer bzw. evangelikaler Verhaltensweisen durch Außenstehende. Sobald inhaltliche Schwerpunkte, theologische Grundlagen, historische Entwicklungslinien und theoretische Überlegungen beiseite gelassen und lediglich Kommunikations- und Gruppenstrukturen, Haltungen und Außenwirkung betrachtet werden, gibt es nur noch Fundamentalismus – oder eben „Nicht-Fundamentalismus“. Der Evangelikalismus verschwindet dabei förmlich aus dem semantischen Feld und ordnet sich dem einen oder anderen Lager zu.173 2.4.3 Definitionen des christlichen Fundamentalismus Zu den Merkmalen des christlichen Fundamentalismus werden im Allgemeinen folgende Aspekte gezählt: 1. das rigorose Vertreten der Verbalinspirationslehre und die Annnahme der absoluten Unfehlbarkeit und Irrtumslosigkeit der Bibel in jeder Hinsicht, 2. die Betonung des wiederhergestellten Lebens vor dem christlichen Horizont, sowohl im Individuellen als auch im Gemeinschaftlichen, 3. die Annahme des unmittelbaren göttlichen Handelns, 4. die Proklamation von und Ausrichtung auf hierarchische Ordnungen, 5. das Versprechen eines geheilten und erfolgreichen Lebens, 6. die Annahme, Gott greifen zu können und verfügbar zu haben, ebenso wie die Mächte des Bösen, 7. die Voraussetzung eines dualistischen Weltbildes sowie Endzeiterwartung, 8. elitäres und intolerantes Selbst- und Wahrheitsbewusstsein, Ausgrenzung Andersdenkender und Abgrenzung von der Außenwelt.174 Eine solche Charakterisierung impliziert für die folgende Überlegung zwei wesentliche Aspekte: Zum ersten wird
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PÖHLER, Freiheit, 377. So z. B. bei ZIMMERLING, Protestantischer Fundamentalismus; KLÄUI, Polarisierungen; GEISTER, Ich war Fundamentalist; KEUPP, Suche, besonders 34–36. 174 HEMPELMANN, Handbuch, 180. 173
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christlicher Fundamentalismus austauschbar mit „religiösem Fundamentalismus“, wenn man die entsprechenden Gottes- und Schriftbezeichnungen verändert. Damit zeigt sich die verbindende und grundsätzliche Gemeinsamkeit von Fundamentalismus verschiedener religiöser Anhänglichkeit. Das entspricht dem Ansatz des Politikwissenschaftlers Thomas Meyer, der sich in Deutschland als einer der ersten in den 1980er Jahren mit dem Phänomen zu beschäftigen begann. Für Meyer wird „Fundamentalismus“ letztlich nicht durch „ein[en] bestimmte[n] Inhalt grundlegender Gewißheitsansprüche, Ethik- und Rechtsvorstellungen oder politischer Ordnungsentwürfe“ charakterisiert, sondern durch „die Form und die Konsequenzen“ der Handhabung dieser Gewissheitsansprüche und Ordnungsvorstellungen, „als allem Zweifel entzogen und daher außerhalb des offenen Dialogs und der Infragestellung angesiedelt.“ Es sei, so Meyer weiter, „die Haltung der unbedingten Gewissheit und alles, was aus ihr wie von selbst dann folgt“,175 bzw. „das Streben nach absoluter Sicherheit – Sicherheit in Zeiten voller Unsicherheit“176, die den Fundamentalismus ausmache. Diese Feststellung verortet den religiösen Fundamentalismus allgemein und lässt inhaltliche Spezifika weitestgehend außer Acht. Zum anderen benennt die o. g. Charakterisierung von christlichem Fundamentalismus mehr oder weniger Aspekte, die auch auf den Evangelikalismus zutreffen können. Zuordnungen wie diejenige, dass Evangelikale einen „gemäßigten Biblizismus“ und Fundamentalisten die „Verbalinspirationslehre“ vertreten, sind kaum präzise durchzuhalten,177 nicht zuletzt deshalb, weil Gruppierungen eher fundamentalistischer Ausrichtung mit Gruppen evangelikaler Prägung organisatorisch vernetzt sind. Damit verdichtet sich das Unschärfeproblem einer definitorischen Abgrenzung von Fundamentalismus und Evangelikalismus. Allerdings scheint mit der in den USA gegebenen Politisierung des Fundamentalismus ein Unterscheidungskriterium gegeben. Um, so Reinhard Hempelmann, „in historischer Perspektive von Fundamentalismus im engeren Sinne“ sprechen zu können, reiche das Charakteristikum der Annahme der wörtlichen Inspiriertheit und Unfehlbarkeit der Bibel nicht aus, sondern es müsse die politisch konservative Gesinnung hinzukommen bzw. der Wille, religiös als wahr bezeichnete Überzeugungen politisch durchzusetzen. Die Verbin-
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MEYER, Politisierung, 53. VEENHOF, Orthodoxie, 17. 177 Vgl. MÖLLER, Fundamentalismus. Möller geht davon aus, dass sich die Evangelikalen von christlichen Fundamentalisten in theologischer Hinsicht gar nicht unterscheiden, lediglich in Bezug auf ihre Vorstellungen von Gemeindezusammenarbeit, Evangelisation und der Bedeutung von Kultur und Bildung für Christen (EBD., 3). 176
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dung von Religion und Politik charakterisiere zusätzlich zu theologisch signifikanten Annahmen den christlichen Fundamentalismus, wobei das Interesse darauf gerichtet sei „die Ausdifferenzierung der Gesellschaft in Recht, Politik, Ethos, Wissenschaft und Religion im Namen der Religionen zurückzunehmen.“178 Das deckt sich mit der Grundaussage Meyers, Fundamentalismus sei „eine politische Ideologie des 20. Jahrhunderts mit ethisch-religiösem Begründungs- und eindeutig politischem Machtanspruch.“179 2.4.4 Fundamentalismus als politisierte Religion In den 1960er und 1970er Jahren erlebten die USA wirtschaftliche, politische und militärische Krisen, die den Glauben besonders der jungen Amerikaner an die Führungsrolle ihres Vaterlandes ebenso wie an eine gesicherte Zukunft nachhaltig erschütterten, konstatiert der Psychoanalytiker Martin Odermatt. Das habe der fundamentalistischen Bewegung in den USA, die „von manchen schon tot geglaubt wurde“ wieder zu neuer Virulenz verholfen. „Sie formierte sich erstmals auch als politische Kraft in der New Religious Right oder New Christian Right.“180 Die „Geschichte der neueren Fundamentalismen, die uns heute so aufregt, [begann] bereits in der zweiten Hälfte der 70er Jahre“, so der Fundamentaltheologe Klaus Kienzler.181 Kienzler nennt als Schlüsselereignisse dieser Geschichte die politische Rechtswende 1977 in Israel, die Wahl Karol Wojtyłas zum Papst 1978, die Ausrufung der Islamischen Republik im Iran 1979 und die Wahl Ronald Reagens zum amerikanischen Präsidenten 1980.182 Alle diese Ereignisse seien gefärbt von einer Vermischung politischer und religiöser Ambitionen fundamentalistischer Kreise. Aus geschichtlicher Perspektive, so die Historiker Thomas Kolnberger und Clemens Six, sei der religiöse Fundamentalismus „keine nahtlose Fortsetzung antiker oder mittelalterlicher Formen extremistischer Religionsausübung, sondern eine völlig neue Qualität politisierter Religion mit einem gesamtgesellschaftlichen Geltungsanspruch.“183 Meyer beschreibt den Fundamentalismus als „beispielloses Erfolgsrezept der Politisierung kultureller Differenz“184. Gerade diesem Umstand verdankt der christliche Fundamentalismus seine Verortung im nordamerikanischen Bereich: Christlicher Fundamentalismus mit 178 179 180 181 182 183 184
HEMPELMANN, Evangelikalismus und Fundamentalismus, 7. MEYER, Fundamentalismustheorien, 4. ODERMATT, Fundamentalismus, 15. KIENZLER, Fundamentalismus, 9; ebenso KEPEL, Rache, 19–24. KIENZLER, Fundamentalismus, 9f. KOLNBERGER / SIX, Einleitung, 8. MEYER, Politisierung.
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politischen Ambitionen sei typisch für die USA – der deutsche Evangelikalismus, selbst in seinen fundamentalistischen Ausprägungen, weise solche politisierenden Tendenzen nicht auf. Die Annahme des Fundamentalismus als politisierter Religion wirft im Hinblick auf den Evangelikalismus ein grundsätzliches Problem auf: Davon ausgehend, dass dem Evangelikalismus die Kritik der Kirche als identitätsstiftendes Moment inhärent ist, während Fundamentalismus Kirchenkritik ausblende und nur die Moderne insgesamt in Frage stelle,185 ist zu überlegen, ob sich hier nicht zwei parallele Charakteristika zeigen. In beiden Fällen setzt man sich kritisch mit „der Welt“ auseinander – im Fundamentalismus direkt, im Evangelikalismus indirekt über die Kirchen.186 In beiden Fällen spielen Machtfragen eine Rolle – im Fundamentalismus in politischer,187 im Evanglikalismus in kirchenpolitischer Hinsicht.188 Insofern ist die Kirchenkritik deutscher Evangelikaler durchaus als äquivalent zur Politikkritik im nordamerikanischen Raum zu betrachten. Der Unterschied besteht lediglich in der unterschiedlichen Entwicklung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche in Deutschland und Europa sowie in den USA, die eine jeweils andere gesellschaftliche Bedeutung traditioneller Kirchen nach sich zog. Die Tatsache, dass der Kirche in Deutschland seitens der Evangelikalen soviel Machtkumulation zugeschrieben wird, dass sie, nicht die Politik, als der Schlüssel zu Veränderungspotential gesehen wird, kann kein Garant für eine Unterscheidung von Evangelikalismus und christlichem Fundamentalismus sein, denn Definitionen auf dieser Basis wären lediglich dem zufällig historisch anders gearteten Werdegang des Kontextes geschuldet, nicht einem genuinen Charakteristikum. Auch hier stößt die definitorische Abgrenzung des Fundamentalismus vom Evangelikalismus an eine Grenze. In anderer Hinsicht widerspricht der Soziologe Martin Riesebrodt der Wahrnehmung von Fundamentalismus lediglich als politisierter Form von Religion:
185
WIETZKE, Missionarische Kirche, 14. Wobei hier anzumerken ist, dass auch der Fundamentalismus zumindest seine Ursprünge in der Kirchenkritik hat: Bevor „sie die Bühne der politischen Öffentlichkeit betreten, nehmen fundamentalistische Bewegungen ihren Ausgang von innerkirchlichen Konflikten.“ (Riesebrodt zitiert nach: HEINS, Religiöser Protest, 136). Wiederum ist zumindest für den nordamerikanischen Evangelikalismus Politikabstinenz kein Charakteristikum (vgl. PALLY, Die neuen Evangelikalen). 187 Vgl. die eindrückliche Darstellung von Martin E. Marty und R. Scott Appleby in „Herausforderung Fundamentalismus“ (MARTY / APPLEBY, Herausforderung, besonders das Kap. „Der Wille zur Herrschaft“, 37–40). 188 Allein die Selbstdarstellung der evangelikalen Bewegung (unter starkem Einfluss der Gemeinschaftsbewegung), das „Wächteramt der Kirche“ (über die Kirche) wahrzunehmen, impliziert einen enormen Machtanspruch. 186
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Fundamentalistische Bewegungen überdauerten durchaus „Phasen erfolgloser Politisierung“ und seien in der Regel keineswegs politisch in dem Sinne zu verstehen, daß sie „die Macht im Staate anstrebten und subversiv oder gar gewalttätig agierten“.189 Riesebrodt plädiert dafür, die „religiöse Natur“ des fundamentalistischen Engagements ernst zu nehmen und verortet Fundamentalismus als Resultat von spezifischen Konstellationen in „Kulturmilieus“.190 Gegner dieser fundamentalistischen Kulturmilieus seien die „politischen Agenten des Wandels“ in gesellschaftlichen Umbruchzeiten sowie die „ökonomischen wie kulturellen Gewinner dieser Umstrukturierungsprozesse“.191 An diesem Punkt gleichen die von Riesebrodt beschriebenen Konstellationen, die die Herausbildung von Fundamentalismus bewirken den im Hauptteil dieser Arbeit dargestellten Faktoren, die zur Genese der evangelikalen Bewegung in Westdeutschland führten. Dabei spielen die akademische Theologie und die evangelische Kirche als „Agenten des Wandels“ (und auch als so wahrgenommene Gewinner des Wandels) die zentrale Rolle. Das wirft die wiederkehrende Frage auf: Sind Evangelikalismus und Fundamentalismus letztlich doch identisch? 2.4.5 Die Außenwahrnehmung evangelikaler und fundamentalistischer Haltungen Die Wahrnehmung sowohl des Evangelikalismus als auch des Fundamentalismus von außen scheint in hohem Maße nicht von den proklamierten Inhalten, sondern von der Rhetorik und verwendeten Metaphorik, dem Auftreten, der praktizierten Kommunikationsform, letztlich der Attitüde abzuhängen. Vor diesem Hintergrund ist es in der Praxis hilfreich und legitim, die evangelikale oder fundamentalistische Haltung von den konkreten Inhalten des Glaubens getrennt zu betrachten. D. h. nicht, dass beides letztlich voneinander losgelöst werden kann, aber das Empfinden von Grenzüberschreitung und Übergriffigkeit in der Attitüde kann durchaus als Indikator für eine fundamentalistische Haltung gelten.192 Es geht hier keineswegs darum, konsequente christliche Meinungen als
189 RIESEBRODT, Rückkehr, 55. An anderer Stelle hat Riesebrodt den Fundamentalismus als patriarchale Protestbewegung charakterisiert und hervorgehoben, dass sich der radikale Traditionalismus fundamentalistischer Bewegungen ganz konkret auf die Rolle der Frau in der Gesellschaft, speziell den sexuellen Aspekten des weiblichen Körpers, beziehe (RIESEBRODT, Fundamentalismus als patriarchalische Protestbewegung, besonders 217f.). 190 RIESEBRODT, Rückkehr, 59–93. 191 EBD., 87. 192 Vgl. dazu besonders KLÄUI, Polarisierungen; GEISTER, Ich war Fundamentalist.
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fundamentalistisch abzuqualifizieren – ein Vorwurf, der seitens evangelikaler oder fundamentalistischer Gruppen ihrer Umwelt in den letzten Jahren verstärkt gemacht wird –, sondern Argumentationsfähigkeit und Dialogbereitschaft auf den Prüfstand zu stellen. Bei allen inhaltlichen Unterschieden zwischen Fundamentalismus und Evangelikalismus ist immer noch George Masdens Bonmot, ein „fundamentalist is an evangelical who is angry about something“193 einer der am meisten zutreffenden Sätze zu dem ganzen Themenkomplex in der Praxis kirchlichen und christlichen Lebens. Pointiert vermerkt der Praktische Theologe Peter Zimmerling in einem Aufsatz, der sich mit den wesentlichen Verhärtungen bei einseitiger Frömmigkeitshaltung in fundamentalistischen, evangelikalen und pietistischen Gruppen auseinandersetzt: „Die Liebe des erbarmenden Gottes, wie sie an Jesus Christus sichtbar geworden ist, wird wohl theoretisch geglaubt und verkündigt. Die Anwendung dieser Botschaft auf den Alltag fehlt jedoch oft. Das hängt mit einem theologisch fragwürdigen Heiligungsbegriff zusammen. Man macht nicht ernst mit der reformatorischen Erkenntnis, daß ‚Christus nicht für erdichtete oder gemalte Sünden, sondern für wirkliche Sünden, nicht für kleine, sondern sehr große, nicht für die eine oder andere, sondern für alle, nicht für überwundene. . ., sondern für unüberwundene Sünden sich hingegeben hat.‘ Ein Hang zu Perfektionismus prägt viele fundamentalistische Gruppen und ist ein wesentlicher Grund dafür, warum man sich vor einer ehrlichen Wahrnehmung der eigenen Wirklichkeit und einer offenen Auseinandersetzung mit der nichtchristlichen ‚Welt‘ scheut.“194
Die Grenzen zwischen Evangelikalismus und Fundamentalismus sind bei der Überbetonung der Sündhaftigkeit des Menschen in der Tat besonders dünn. So gehört laut „Handbuch der Evangelistisch-missionarischen Werke“ zu den gegenwärtigen Konfliktbereichen „im Umkreis fundamentalistischer Orientierungen“, dass ein „Grundprinzip solcher Fehlentwicklungen [. . .] das Prinzip der Übertreibung [ist]. An sich richtige geistliche Einsichten werden so übertrieben, daß sie das christliche Zeugnis verdunkeln, ja verkehren. [. . .] Orientiert man die Begriffsbestimmung von ‚fundamentalistisch‘ nicht primär historisch, sondern geht von gegenwärtigen Konflikten und ihrer öffentlichen Diskussion aus, so tritt die dunkle Seite christlicher Erweckungsfrömmigkeit ins Blickfeld. Der Fundamentalismusbegriff dient dann nicht als Beschreibungsbegriff für ein bestimmtes Schriftverständnis und den sich mit
193
MARSDEN, Understanding, 1. ZIMMERLING, Protestantischer Fundamentalismus, 103f. Dieser Aufsatz ist ein Beispiel für die oben genannte ungünstige Verwendung des Begriffes Fundamentalismus nicht nur für christlich-fundamentalistische, sondern auch Gruppen pietistischer und evangelikaler Prägung. 194
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ihm verbindenden Frömmigkeitsformen, sondern als Wertungsbegriff für Fehlentwicklungen christlicher Frömmigkeit, die keineswegs nur von außen, sondern auch von innen, von Vertretern erwecklicher Frömmigkeitsformen selbst wahrgenommen werden.“195
Die heute als solche zu bezeichnende Übergangshaltung des Evangelikalismus zum Fundamentalismus ist an Punkten wie der Überbetonung der Sündhaftigkeit des Menschen oder dem Konkurrieren mit Bekehrungserlebnissen in Abgrenzung zu „der Welt“ oder auch zu der als zu liberal verstandenen Kirche seit jeher ein problematischer Bestandteil des Evangelikalismus gewesen, wie der Blick in die Geschichte zeigt. Dies hängt mit der Betonung der Sündhaftigkeit des Menschen gegenüber einer Abwertung oder Negierung des „sola gratia“, des göttlichen Gnadenhandelns zusammen, das sich wie dargestellt in den Texten aus diesen Kreisen seit jeher stets aufs Neue findet, wobei hier der Zusammenhang mit der evangelikalen Wahrnehmung der Kirche – als zu stark auf Ethik oder soziales Handeln fixiert – nicht zu übersehen ist. Das führte dann zu einer spezifischen theologischen Schwerpunktsetzung, wie eine Schrift des rheinischen Arbeitskreises der B KAE von 1967 deutlich macht: „Das allgemeine Gerede von einem barmherzigen Gott und einer darauf gerichteten Hoffnung für den Menschen ist verführerisch. Eine Gnadenpredigt ohne die Predigt von Gottes Gerechtigkeit und Gericht, das ist doch wohl ein Widerspruch in sich selbst. Von Gnade kann doch nur da die Rede sein, wo ein Schuldiger und ein Verurteilter begnadigt wird.“196 Es ist unter anderem die Übergewichtung der Sündhaftigkeit des Menschen in Teilen der evangelikalen Bewegung, die den Evangelikalismus in der Außenwahrnehmung, sowohl bei Christen als Kirchenfernen, in die Nähe des Fundamentalismus rückt. Theologisch problematisch ist allerdings, dass aus dem übermächtigen Sündenbewusstsein ein übermächtiges Ringen um das Heil erwachsen kann, das Züge einer Werksgerechtigkeit bekommt. Die Geschichte der evangelikalen Bewegung und auch die Geschichte der Trägergruppen des Evangelikalismus offeriert eine ganze Anzahl von Ereignissen solcher Art. Die evangelikale Selbstkritik an der eigenen Verfassung und der eigenen Geschichte ist in dieser Hinsicht in steigendem Maße dort zu verzeichnen, wo man sich selbst von einem solchen Verhalten deutlich absetzen kann. Seit etwa zwei Jahrzehnten, so Stephan Holthaus 2004, habe man es mit einer „neuen Generation
195
HEMPELMANN, Handbuch, 180f. Rheinischer Arbeitskreises der Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“: Was hat uns die „Barmer Erklärung“ von 1934 heute zu sagen? [1967]. Maschinenschriftl., vervielfältigt, 15 S., hier 15 (AEKR Düsseldorf 7NL 032 Nachlass Pfr. Heinrich Hörstgen). 196
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von ‚Bibeltreuen‘“ zu tun, die ihre Positionen konstruktiv einbringen, sich nicht als Querulanten verstehen und gut ausgebildet seien. Die Schwächen des „Clubs“ der Bibeltreuen, nämlich die „Tendenzen einer dualistischen Weltsicht, einer gesetzlichen Frömmigkeit, eines prinzipiellen Misstrauens gegenüber der akademischen Theologie, einer pharisäerhaften Verdächtigungsmentalität und einer ungeheueren Humorlosigkeit“197 scheinen damit der Vergangenheit anzugehören und ein Problem der älteren Generation zu sein. Bei der Betrachtung dieser Vergangenheit stößt man allerdings in der Tat auf so manche Episode, die die Überbetonung der Sündenpredigt, die skeptische Haltung gegenüber der göttlichen Gnade, die Überschätzung des Gerechtfertigtsein allein aus eigener Reue- und Bußfertigkeit und die nur mühsam unterdrückte Kirchenkritik widerspiegelt und damit zu einer Außenwahrnehmung des Evangelikalismus als christlicher Fundamentalismus führen kann. Paradigmatisch für viele andere kann hier ein Gesprächsprotokoll stehen, das der Vikar der Gemeinde Schramberg in Württemberg, Karl Tramer, späterer Dekan des Kirchenbezirks Künzelsau, im Nachgang einer Diskussion mit dem ehemaligen württembergischen Pfarrer und später der Philadelphia-Gemeinde zugehörigen „freien Evangelist“ B. Friedrich im Juli 1953 verfasst hat: „Herr Friedrich griff die Predigt an. Aber nicht speziell die eben gehörte, sondern allgemein die Predigt der Kirche überhaupt: ‚Gnade! Ja! Gnade!! Aber erst meine Reue! Erst meine Buße! Gnade? Ja! Aber nur, wenn ich auf den Knieen liege. . .‘ Dies sind fast wörtlich seine leidenschaftlichen Ausrufe. Auf meine Frage, ob er sich denn dann noch der Gnade Gottes gewiß sei; ob er es noch wage, unter diesen Umständen auf die Gnade Gottes zu hoffen, da sie ja nach seiner Meinung von dem Maße seiner Reue und Buße abhänge, antwortete er: ‚Ja. Ich habe genug bereut. Ja! Ich habe genug Buße getan!‘ In der Antwort habe ich zum Ausdruck gebracht, daß es das nicht gibt: ‚Gnade-aber‘; daß seine Haltung vor Gott entsetzlich eingebildet sei; blasphemisch sei. Gottes Gnade, nämlich seine barmherzige Tat für uns Menschen, sei nicht von unserer mehr oder weniger sündlosen Haltung abhängig. Man könne die Gnade in Demut und Reue annehmen oder in Verblendung ablehnen, aber niemals durch eigene Leistungen verdienen oder sich ihrer durch genügend Reue vergewissern. Herr Friedrich versuchte, über dieses Thema sehr unsachlich zu diskutieren, worauf ich aber nicht einging, da solche Debatten fruchtlos sind (und außerdem gleich der Kindergottesdienst anfing!). [. . .] Seine letzten Worte waren: ‚Ha, wie bereue ich es, daß ich mich durch ein Versprechen an Bender gebunden habe [gemeint ist der badische Landesbischof Julius Bender, der allerdings der württembergischen Kirchenleitung bereits mitgeteilt hatte, dass er Friedrich in keiner Weise unterstütze]. Denn eigentlich will ich gegen die Kirche randalieren!‘ Hierauf habe ich ihn festegelgt [sic!]: Er würde eigentlich gerne randalieren. Was er also sage, sei alles somit im Grunde un-
197
HOLTHAUS, Bibeltreues Schriftverständnis, 37.
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eigentlich. Denn eigentlich wolle er ja etwas Anderes sagen. Ich könne mir nicht denken, wie er da noch ehrlich im Dienste Jesu stehen könne.“198
2.4.6 Religionspsychologische und -soziologische Aspekte Typisch für den christlichen Fundamentalismus jeder Ausprägung ist die letztendliche Verweigerungshaltung gegenüber der Moderne, die als Bedrohung erlebt wird und von der sich dementsprechend distanziert wird oder die verändert werden soll. Die empfundene Bedrohung kann tatsächlich von außen gegeben sein, z. B. in der Überforderung durch zunehmend plurale oder immer stärker Veränderung erfordernde soziale Strukturen, durch Leistungsdenken und die damit verbundenen wirtschaftlich-sozialen Abstiegsängste,199 durch die im Globalisierungsprozess zusammengezogene Welt mit ihrem Aufeinanderprallen eigener und fremder Kulturen und Religionen,200 durch das verstärkte Empfinden des „Fremden“,201 kurz: durch die „Risiken der Moderne“202. Die empfundene Bedrohung kann aber auch der eigenen Wahrnehmung eines reduzierten Ichs im Verhältnis von Ich und „Welt“ entspringen, z. B. auf Grund von vermindertem Selbstwertgefühl oder starken Ängsten.203 Ist man vor diesem Hintergrund geneigt, das gesamte Themenfeld Fundamentalismus und auch Evangelikalismus wenigstens teilweise der Religionspsychologie zu überlassen, so zeigen sich aber auch hier, trotz des teilweisen Erkenntnisgewinns, äußerst verwickelte Facetten zur Frage von Religiosität überhaupt. Die Religionspsychologie steht vor einem Problem, wenn die inhaltlichen Glaubensaspekte (Glaube an die Autorität Gottes, Glaube an die Hölle und das Jüngste Gericht, Glaube an die Sündhaftigkeit des Menschen, Glaube 198 Beilage zum Bericht des Evangel. Pfarramtes Schramberg über die Zeltevangelisation eines „Pastor“ Friedrich in Schramberg vom 21. Juli bis 9. August 1953, gez. Karl Tramer, Vikar. Maschinenschriftl., 2 S. (LKAS A 126, Nr. 1830, 005f.). 199 Zur Evidenz von wirtschaftlichen Krisen oder sozialen Entwicklungsabbrüchen für die Genese von Fundamentalismus vgl. MEYER, Politisierung, 65. 200 Meyer verortet den Fundamentalismus als Bewältigungsstrategie „kultureller Differenz“ durch Politisierung. 201 Zum Problem der Externalisierung des „Fremden“ in uns auf die Außenwelt sowie der daraus folgenden „politischen Konsequenz“ der Abgrenzung vgl. GRUEN, Fremde. 202 So Martin Riesebrodt in seinem Aufsatz „Fundamentalismus, Säkularisierung und die Risiken der Moderne“. 203 Die in den USA betriebene Metastudie „Political Conservatism as Motivated Social Cognition“ zeigt, dass Voraussetzungen und Motive für die Herausbildung einer politisch „konservativen“ Haltung nicht nur eine gewisse Übersichtlichkeit des Denkens und der Wunsch nach Ordnung und Sicherheit sind, sondern auch niedriges Selbstwertgefühl, Wut und Aggression, verschiedene Ängste wie Verlust- und Todesangst, Pessimismus, Ekel und Verachtung (BROER, Schriftverständnis, 414).
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an die leibliche Auferstehung Jesu usw.) zugunsten der Frage nach der fundamentalistischen Glaubenshaltung, die Aspekte der inneren Stabilität, der Möglichkeit des Vertrauens und damit auch Glaubens sowie der sozialen Potenz umfasst, hintangestellt werden. Der religionspsychologische Umgang mit statistischen Faktoren wie z. B. „Bekehrung“, der für die vorliegende Thematik durchaus Relevanz hat, gestaltet sich in dieser Hinsicht noch ausgesprochen abgrenzbar und zieht dementsprechend eine fachinterne Diskussionsbreite nach sich.204 Sobald aber die Ebene der soziologischen Faktizität oder der Individualpsychologie verlassen wird, kommt sehr schnell die Frage auf, ob Religion nicht per se zumindest eine „fundamentalistische Tendenz“ inhärent ist, wie der Religionssoziologe und -psychologe Stefan Huber vermerkt, „nämlich immer dann, wenn sie zum zentralen Persönlichkeitssystem eines Menschen wird und ihn ganz durchdringt.“205 Unter theologischem Blickwinkel ist diese Aussage äußerst brisant, geht es ja christlicher Religion im Kern immer darum, den ganzen Menschen zu ergreifen. Mit dieser religionspsychologischen Vorlage wären einerseits genau die Aussagen von Fundamentalisten (und Evangelikalen) bestätigt, die sich als die „wahren“ Christen proklamieren, andererseits stünde sehr rasch das gesamte Christentum unter dem Verdacht der psychopathologischen Prägung. Wie wenig Kriterien darüber hinaus die Religionspsychologie für eine Abgrenzung zwischen Fundamentalismus und Evangelikalismus zur Verfügung stellen kann, da die Übergänge zwischen beiden Phänomenen fließend sind, zeigen die Ausführungen des Psychotherapeuten Günther Montag in dem The204 Vgl. POPP-BAIER, Bekehrung. Die Ergebnisse dieser Forschungen zeigen, dass Konversionen keineswegs unüberlegte, durch äußere Einflüsse bestimmte Positionsbestimmungen darstellen, sondern vielmehr Ausdruck einer Suche nach dem Platz in der pluralen Gesellschaft, verbunden mit dem Wunsch nach befriedigenden sozialen Beziehungen sind. Dabei folgt der Anschluss an bestimmte religiöse Gruppen oft gerade nicht auf Grund einer Bekehrung zu deren Weltbild, sondern auf Grund des Interesses an Lebensstil und Rollenangebot, das durch diese Gruppe vermittelt wird. Der weitere Verbleib in diesen Gruppen hängt von der sozialen Integration und den ökonomischen Erwägungen ab (EBD., 109). 205 HUBER / KELLER, Fundamentalistische Kritik, 33. Stefan Huber, Initiator und Leiter des „Religionsmonitors“ der Bertelsmann-Stiftung in Deutschland, nimmt die „Zentralität von Religion“ als übergeordnetes, alle Lebensbereiche einer Person durchdringendes Element in seinem Versuch auf, latenten im Gegensatz zu manifesten Fundamentalismus zu bestimmen. Manifester Fundamentalismus ist in diesem Zusammenhang weniger eine bestimmte Form des Fundamentalismus denn eine Methode, die die Glaubensinhalte erfasst, wohingegen latenter Fundamentalismus auf Grund der Glaubenshaltung eruiert wird. Allerdings ist die Verquickung von Haltung und Inhalt auch hier sehr eng: Huber betont, dass die religiösen Inhalte die „Richtung“ der Religion bestimmten und erhebt demzufolge neben Zentralität, von der „die Deutlichkeit der psychologischen Effekte der Religion abhängt“, Exklusivismus, Ablehnung eines pluralistischen Wahrheitsverständnisses und religiöser Dualismus als Erfassungskriterien.
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menheft von „ideaDokumentation“ „Persönlichkeitsstörungen und religiöser Fanatismus“. Die „Neigung, Mitteilungen, den Glauben betreffend, in affirmativer Weise zu formulieren“206 bzw. die Abwehr wissenschaftlicher Erkenntnisse (und der diese vertretenden Kirche) kann bei der „dogmatischen Persönlichkeit“207 nahtlos in eine pathologische Wahrnehmung der Umwelt und der eigenen Person übergehen. Letztlich ist die empirische Grundlage zu schmal, um ein „Psychogramm der evangelikalen Persönlichkeit“ zu erheben.208 Daher entfällt auch eine religionspsychologische Vergleichbarkeit von fundamentalistischer und evangelikaler Haltung, obwohl darauf hinzuweisen ist, dass der Evangelikalismus zumindest in seinen Wirkungen durchaus psychopathologische Züge tragen kann, wie Evangelikale selbst hin und wieder zugestehen – oder massiv leugnen.209 Auf einen für das Thema relevanten und bisher kaum berücksichtigten Aspekt der Entwicklungspsychologie sei an dieser Stelle noch hingewiesen: Es besteht bei Teilaspekten evangelikaler Frömmigkeit ein Anreiz für Jugendliche, die besonders in der Zeit der Pubertät anfällig sind für hierarchische Strukturen, enge Gruppenbindung, die Beeinflussbarkeit von Vorbildern und für idealistisches enthusiastisches Engagement. Wie Erik H. Erikson in seinem bekannten Stufenmodell der psychosozialen Entwicklung feststellte, zeichnet sich die Pubertät als eine Zeit der Identitätsbildung durch Elemente aus, von denen einige, unter speziellen Bedingungen, durchaus mit Evangelikalismus korrelie-
206
BUSCH, Einzug, 121. EBD., 121–123. Busch nimmt den Terminus in Anlehnung an die Weiterführung von Milton Rokeach durch Peter Hennig und Reinhard Sell auf (EBD., 122), aber es lassen sich zweifelsohne auch Kategorien anderer Autoren in Anwendung bringen, z. B. die des „Klerikers“ von Eugen Drewermann oder des extrinsischen Typus der Glaubensorientierung nach Gordon W. Allport, dargestellt und weiterentwickelt u. a. von Ulrich Schnabel (SCHNABEL, Die Vermessung des Glaubens, 143–145). 208 BUSCH, Einzug, 121. 209 In der der eingangs geschilderten Podiumsdiskussion anlässlich des 25jährigen Bestehens von „ideaSpektrum“ 2004 in Wetzlar folgenden Diskussion des Auditoriums warf der methodistische Pastor und Direktor der Klinik Hohenfreudenstadt in Freudenstadt in Baden-Württemberg, Uwe Saßnowski, in die Runde ein: „Ich hab als Gemeindepastor über viele Jahre immer wieder erlebt und erfahren müssen, daß viele Menschen in den Gemeinden, aber dann auch außerhalb der Gemeinden unter dem, was in früheren Jahren auch unter der evangelikalen Bewegung an Angst verursacht wurde, verletzt worden sind. Und das wünsche ich mir: daß wir bekennen, fröhlich, ohne daß wir anderen Menschen Angst machen müssen.“ (WO STEHT DIE EVANGELIKALE BEWEGUNG, 21). Hans Apel antwortete darauf, indem er das brisante Problem ignorierte und abwertete: Er habe nur Angst, dass St. Pauli aus der Regionalliga absteige und dass sich die evangelikale Bewegung bequem zurücklehne und sage: Jesus wird uns schon helfen, der macht das schon (EBD.). 207
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ren: Eine Rolle spielen die starke Gruppenbezogenheit,210 die Stereotypisierung von Idealen und Feinden,211 eine Identifizierung mit den Helden von Cliquen oder Massen,212 die Intoleranz gegenüber „anderen“ als Form der Abwehr eines Gefühls der Identitätsdiffusion,213 Führungspolarisation als Form von Abwehr des Gefühls der Autoritätsdiffussion und ideologische Polarisation in Abwehr von Diffusion der Ideale,214 die Schwierigkeit, sich in Systemen zurechtzufinden, die eine „selbstgemachte“ Identität verlangen,215 d. h. also im gesellschaftlichen und auch kirchlichen Pluralismus. Angesichts dieses in der individuellen Entwicklung gegebenen psychischen Einfallstors für starken Idealismus, für Zusammengehörigkeitsgefühl in Gruppen und Abwehr von anderen Meinungen, für Identifikation mit Vorbildern und das Festhalten an ideologisch polarisierenden, vorgegebenen Meinungen, mag das verstärkte Engagement gerade Jugendlicher für Missionierung und Evangelisation (dem „heldenhaften“ Eintreten für die „gute Sache“) und für Schwarz-Weiß-Polarisierung (von „richtiger“ und „falscher“ Lehre bis hin zu „richtigem“ und „falschem“ Glauben) kaum verwundern. Das Gegenüberstellen und gegenseitige Ausspielen von Vernunft und Glaube widerspiegelt in diesem Zusammenhang die Fragmentierung des Ichs, das sich noch nicht zu einer integrativen Identität herausgebildet hat. Wiederum wird das theologisch-philosophische Denkmodell solcher Fragmentierungen besonders bei Jugendlichen Anklang finden, die hier ihre innerpsychischen Befindlichkeiten in der „Lehre“ bestätigt sehen. Gerade evangelikale Ausbildungsstätten zehren von diesem Entwicklungsstadium der menschlichen Persönlichkeit. Der starke Hang zur Gruppenbindung im Jugendalter wird durch ein enges Miteinander in den jeweiligen Gruppen bedient, ebenso wie die klare Vorbildwirkung ihrer Leiter. Evangelikale Ausbildungsstätten profitieren z. B. gegenüber Theologischen Fakultäten von einem Umstand, der den Fakultäten meist schon rein strukturell verwehrt ist: von der engen Gemeinschaft, dem Miteinander von und den Gesprächen zwischen Dozierenden und Studierenden auf Grund der übersichtlichen Zahlen.216
210
ERIKSON, Wachstum, 111. EBD. 212 EBD., 110. 213 EBD. 214 ERIKSON, Problem, 151. 215 ERIKSON, Wachstum, 112. 216 Die größte evangelikale Ausbildungsstätte im deutschsprachigen Raum ist die FTA/H Gießen mit derzeit 120 Vollzeitstudierenden. 2003 waren in den der KBA angeschlossenen evangelikalen Ausbildungsstätten insgesamt 1700 Studierende eingeschrieben (HOLTHAUS, Bibeltreues Schriftverständnis, 39). Vergleicht man den Dozenten-Studierenden-Schlüssel an Theologischen Fakultäten mit dem an freien Akademien und Bibelschulen, so fällt die Zahl, selbst bei personell 211
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Einen weiteren religionspsychologisch relevanten Aspekt im Hinblick auf Evangelikalismus im Jugendalter erörtern die niederländischen Theologen Didier Pollefeyt und Reimund Bieringer. Da Kinder die Bibel nahezu ausschließlich in einem literalen Sinn verstehen können, kann es, bei fehlender Hinführung zu dem kritisch-hinterfragenden Lesen der Bibel des Erwachsenen, im Jugendalter dazu kommen, dass das kindliche Verständnis im Sinne der Literaldeutung nahtlos in ein wortwörtliches, und damit fundamentalistisches Verstehen der Bibel übergeht. Damit ist Fundamentalismus im Jugendalter Resultat eines nicht überwundenen kindlichen Bibelverständnisses.217 Dies steht in Parallelität zu der genannten Abwehr von Ideendiffusion (und Glaubensdiffusion) im Jugendalter. Die Übergänge von Evangelikalismus und Fundamentalismus sind in diesem Bereich der entwicklungsbedingten Hinwendung zu dem „Einsatz für Christus“ derartig fließend, dass es müßig ist, an dieser Stelle Unterschiede ausmachen zu wollen, die vielmehr im Fortgang der weiteren individuellen psychischen Entwicklung verankert sind. 2.4.7 Die „fundamentalistische Tendenz“ in „neuen sozialen Bewegungen“ und ihre Bedeutung für die evangelikale Bewegung Aus allen bisher genannten und dargestellten Problemkreisen scheint die Schwierigkeit einer Abgrenzung von Evangelikalismus und christlichem Fundamentalismus evident auf, auch wenn verschiedene Aspekte darauf hindeuten, dass beide Phänomene nicht in eins zu setzen sind. Doch wie lässt sich eine konkrete Abgrenzung fassen und beschreiben? In Kap. 5 der vorliegenden Arbeit wird nachgewiesen, dass die evangelikale Bewegung analog zu den so genannten „neuen sozialen Bewegungen“ funktioniert und strukturell wie diese aufgebaut ist. Die bei „neuen sozialen Bewegun-
noch relativ gut bestückten Theologischen Fakultäten in Deutschland, in jedem Falle zuungunsten der akademischen Theologie aus – und damit natürlich zuungunsten einer intensiven Betreuung der Studierenden, die sich unter anderem auch darin niederschlägt, dass Studierenden die Vorbildwirkung, die Kenntnis des Glaubenslebens ihrer Dozenten, die Gemeinschaft und damit die Orientierung in persönlichen Glaubensfragen an theologischen Fakultäten weitestgehend fehlt. Dies zu bieten ist zwar nicht das primäre Ziel einer wissenschaftlichen theologischen Ausbildung, aber es würde die theologische Bildung von angehenden Pfarrerinnen und Pfarrern im weiteren Sinne befördern – auch in der Klärung von evangelikaler Theologiekritik –, wenn mehr Möglichkeiten individueller Kommunikation an den Theologischen Fakultäten gegeben wären, nicht nur durch Dozentinnen und Dozenten, sondern z. B. durch speziell von den Landeskirchen in den Fakultäten angesiedelten Seelsorgern oder Studiumsbegleitern. 217 POLLEFEYT / BIERINGER, Research Report, besonders 120f.
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gen“ und der evangelikalen Bewegung fokussierten inhaltlichen Themen sind dabei evident verschieden, da die „neuen sozialen Bewegungen“ gesellschaftspolitische und im weitesten Sinne soziale Ziele verfolgen, die evangelikale Bewegung dagegen besondere Formen protestantischer Frömmigkeit verkörpert. Die Details dazu sind ebenfalls in Kap. 5 ausgeführt. An dieser Stelle ist in Vorwegnahme der Ausführungen zur evangelikalen Bewegung als „neue soziale Bewegung“ festzuhalten, dass die evangelikale Bewegung die innerprotestantische Variante einer „neuen sozialen Bewegung“ ist. „Neue soziale Bewegungen“ wiederum zeichnen sich generell auf Grund ihrer teilweise fulminanten Protestaktionen, des öffentlichkeitswirksamen und mitunter aggressiven Auftretens und durch ihren Separatismus als „Bewegungen mit fundamentalistischen Tendenzen“ aus. Über den konkreten Zusammenhang von Fundamentalismus und „neuen sozialen Bewegungen“ ist bisher relativ wenig geforscht worden. 1995 legte der Freiburger Neuzeithistoriker Wolfgang Reinhard mit dem Sammelband zu „Partikularistischen Bewegungen der Gegenwart“ einen Zugang zum Thema „fundamentalistische Tendenzen“ in neuen sozialen Bewegungen vor.218 In dem Band werden zum größten Teil ethnische Minderheiten in ehemaligen Kolonialgebieten und ihr Kampf um Anerkennung und ihre Suche nach Identität vorgestellt. Die Stoßrichtung der Aufsatzsammlung geht hauptsächlich in die Richtung der Frage, wie diese Gruppen ihre eigene Geschichte schreiben und deuten. Es wird aber gleichzeitig die Problematik des gruppeninhärenten Fundamentalismus diskutiert, denn bei der Suche und der Stärkung ihrer Identität weisen diese Gruppen, so Reinhard in der Einleitung, „fundamentalistische Tendenzen“ auf.219 Bemerkenswert ist, dass neben außereuropäischen Bewegungen auch eine dezidiert europäische bzw. deutsche „neue soziale Bewegung“ in dem Band Aufnahme findet: die Frauenbewegung.220 Leider wird in dem Aufsatz von Anne Conrad das Thema „fundamentalistischen Tendenzen“ nicht aufgenommen – deutlich ist aber durch den Kontext, dass auch diese „neue soziale Bewegung“ fundamentalistische Züge trägt. Die „fundamentalistischen Tendenzen“ der „neuen sozialen Bewegungen“ kristallisieren sich durch Reinhards Auflistung der Spezifika von (außereuropäischen) Gruppen, die um ihre Identität kämpfen, deutlich heraus und überschneiden sich mit den generellen Charakteristika von „neuen sozialen Bewegungen“:221 der Wille, Macht über Sprache und über Sprache Macht auszuüben sowie die Deutungshoheit über 218 219 220 221
REINHARD, Die fundamentalistische Revolution. REINHARD, Einleitung, 14 u. ö. CONRAD, Hälfte. Zu den „neuen sozialen Bewegungen“ vgl. ausführlich Kap. 5.
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die Geschichte zu erlangen,222 die Emotionalisierung von Konflikten,223 die Arbeit an einer „postmodernen Gegengesellschaft“,224 der Separatismus, dem etwas „von einer Sekte anhaften“ kann,225 der Kampf gegen den Modernisierungsdruck und den Staat, von dem dieser Druck ausgeht.226 Nach Reinhard sind „neue soziale Bewegungen“ deshalb „revolutionär“ (und damit tendenziell fundamentalistisch), weil sie „den modernen Staat partikularistisch [. . .] dekonstruieren“ wollen. Insgesamt wird hier eine ganze Fülle von Charakteristika des Fundamentalismus benannt, allerdings kommen sie, so das Resümee, das aus den Beiträgen gezogen werden kann, in „neuen sozialen Bewegungen“ nicht vollständig, sondern tendenziell zum Zuge. Eine weitere Verbindung von Fundamentalismus und „neuen sozialen Bewegungen“ ist über die „neuen religiösen Bewegungen“ gegeben.227 Das weite Spektrum der „neuen religiösen Bewegungen“ lässt Deutungen im Hinblick auf Fundamentalismus und fundamentalistische Tendenzen ebenso zu228 wie auf ihren Bewegungscharakter in Analogie zu gesellschaftlichen sozialen Bewegungen. Auch die Begriffsgeschichte von „Fundamentalismus“ im deutschen Sprachraum deutet auf eine innere Verknüpfung von Fundamentalismus und „neuen sozialen Bewegungen“. Die erste große Ausweitungswelle des Terminus „Fundamentalismus“ fiel in die Zeit der 1970er, 1980er Jahre, als unter „Fundamentalisten“ islamische und islamistische Gruppierungen, politische Bewegungen und Parteien, jüdische Glaubensgemeinschaften und lateinamerikanische Befreiungsbewegungen verstanden wurden, und zwar weniger vor dem Hintergrund einer fest umrissenen Fundamentalismusdefinition, sondern stärker auf Grund des Eindrucks des Auftretens dieser Gruppen. Besonders durch die Partei der Grünen, die aus der zweiten Umweltbewegung der 1970er, 1980er Jahre hervorging und deren radikaler Flügel sich selbst als „Fundis“ bezeichnete, erfuhr der Terminus weite öffentliche Verbreitung. Auch für Vertreterinnen der feministischen Bewegung, für die Vertreter der Öko-Bewegung und für die Atomkraftgegner wurde der Begriff „Fundamentalisten“ gebraucht. Es ist auffällig, dass es sich hier um Strömungen handelt, die alle den „neuen sozialen Bewegungen“ zugeordnet werden. 222
REINHARD, Einleitung, 11f., 37–41. EBD., 36 u. ö. 224 EBD., 30. 225 EBD., 32. 226 EBD., 33. 227 Zu den „neuen religiösen Bewegungen“ vgl. die Erörterung in Kap. 7, S. 672f. 228 Eine Verknüpfung von Fundamentalismus und „neuen religiösen Bewegungen“ stellt WIETZKE, Missionarische Kirche, 9 in einer Randbemerkung her. 223
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Evangelikalismus phänomenologisch – eine Annäherung an das Thema
Vor dem Hintergrund dieser Beobachtungen ergibt sich ein neuer Zugang zu der Abgrenzung von Fundamentalismus und Evangelikalismus: Ebenso wie in den äquivalenten gesellschaftlichen „neuen sozialen Bewegungen“ weist auch die evangelikale Bewegung „fundamentalistische Tendenzen“ auf. Das hat in erster Linie nichts mit einem Übergang des Evangelikalismus in den Fundamentalismus zu tun, sondern ist genuiner Bestandteil dieser innerprotestantischen Bewegung im Sinne der Charakteristika einer „neuen sozialen Bewegung“. Allerdings steht darüber hinaus die evangelikale Bewegung tatsächlich stets in der Gefahr, vom christlichen Fundamentalismus adaptiert zu werden (andererseits ebenso wie vom protestantisch-volkskirchlichen Milieu). Das allerdings würde bedeuten, dass sie ihre Identität als innerprotestantische und vor allem als innerkirchliche Protestbewegung zu Gunsten einer religiösen Protestbewegung im gesellschaftlichen Raum aufgibt. Die Wahrscheinlichkeit, dass dies geschieht, ist als nicht sehr hoch einzustufen. Der „permanente Kirchenkampf“ der Evangelikalen ist weniger generell fundamentalistisch,229 sondern Ausdruck des innerprotestantischen evangelikalen Kirchenprotests und damit als eine fundamentalistische Tendenz zu verstehen, wie sie charakteristisch für „neue soziale Bewegungen“ ist. Und der Rückschlag mit dem Fundamentalismusvorwurf ist dabei nahezu vorprogrammiert: In der schon erwähnten Rede von Rolf Scheffbuch auf dem „Gemeindetag unter dem Wort“ 1992 rief der württembergische Prälat die „Interpretation der Heiligen Schrift als reines Menschenwort“ als „anmaßenden modernistischen Fundamentalismus“ aus.230
229 So Michael Weinrich, der den „permanente Kirchenkampf“ der Evangelikalen als fundamentalistisch einstuft (WEINRICH, Fundamentalismus, 103–106). 230 DIE BIBEL WILL DIE SELBSTSICHERHEIT, 10.
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3. Die Vorgeschichte des evangelikalen Konfliktes 1945 bis 1966: Evangelikale Trägergruppen und die Landeskirchen
3.1 Die Gemeinschaftsbewegung Neben der DEA ist die traditionsreichste und deutlichste Trägergruppe der späteren evangelikalen Bewegung in Deutschland die Gemeinschaftsbewegung,1 die aus dem Pietismus, der deutschen Erweckungsbewegung des 19. Jahrhunderts sowie Strömungen der angelsächsischen Erweckung in Form der Evangelisations- und Heiligungsbewegung hervorging.2 Ob man die Reformation als eine Wurzel der Gemeinschaftsbewegung bezeichnen sollte, wie von Joachim Cochlovius, langjährigem Studienleiter des Geistlichen Rüstzentrums Krelingen und seit 1996 Vorsitzendem des „Gemeindehilfsbundes“ in seinem TRE-Artikel „Gemeinschaftsbewegung“ veranschlagt, erscheint angesichts der Weite dieser Definition fragwürdig. Mit der Aussage, in der Gemeinschaftsbewegung orientiere man sich an „sola scriptura, sola gratia und allgemeine[m] Priestertum der Gläubigen“3 ist lediglich zum Ausdruck gebracht, dass es sich um eine evangelische Strömung im Gegensatz zu einer katholischen handelt. Das Spezifikum der Gemeinschaftsbewegung, Bibel- und Hauskreise, „konnte und wollte“ Luther „noch nicht“, so Cochlovius, und wurde erst durch den Pietismus eingeführt. Die Benennung der Reformation als historische Wurzel der Gemeinschaftsbewegung steht vielmehr ganz im Zeichen der historischen Konstruktion der evangelikalen Bewegung – als deren Vertreter Cochlovius angesehen werden kann –, die in den 1960er, 1970er Jahren die Rückführung der eigenen Haltung auf „die Bekenntnisse“ vornahm und die Kirchengeschichte für die eigenen Ziele, in Apologie und Polemik gegenüber der evangelischen Kirche, zu 1 Zum Gnadauer Verband und der Gemeinschaftsbewegung vgl. HEIMBUCHER, Dem Auftrag verpflichtet; PUN 15; OHLEMACHER, Gemeinschaftschristentum; LANGE, Bewegung bricht sich Bahn; SCHÖPWINKEL, Geschichte der Erweckung; mit stark hagiographischer Tendenz: SCHMITT, Gnade. Zu den Mitgliedern des Vorstandes in den 1960er Jahren bzw. zu der Gemeinschaftsbewegung nahe stehenden Persönlichkeiten vgl. PAGEL, Sie wiesen auf Jesus. Anzumerken ist, dass im Folgenden die Gemeinschaftsbewegung als evangelikale Trägergruppe bezeichnet wird, prinzipiell allerdings als eine Bewegung zu verstehen ist und lediglich in ihrer organisierten Form unter dem Dach des Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverbandes eine formelle Gruppe darstellt. 2 COCHLOVIUS, Gemeinschaftsbewegung, 356. 3 EBD.
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Die Vorgeschichte: Evangelikale Trägergruppen und die Landeskirchen
vereinnahmen suchte. In dem vom Präses des Gnadauer Verbandes, Kurt Heimbucher, zum 100jährigen Jubiläum der ersten Pfingstkonferenz der Gemeinschaftsbewegung herausgegebenen Sammelband „Dem Auftrag verpflichtet“ konstatiert Dieter Lange in seinem Beitrag zu den Anfängen der Gemeinschaftsbewegung nüchtern, sie gehe zurück auf die altpietistischen Konventikel.4 Die Erforschung der äußerst komplexen Verknüpfung von Pietismus und Erweckungsbewegung und ihrer Abgrenzung voneinander steht noch in den Anfängen, ebenso wie die Untersuchung der Entwicklung der Erweckungsbewegung von ihren Anfängen bis zum Ende des 19. Jahrhunderts und die Analyse der Kräfte des Konfessionalismus, die die Entwicklung der Gemeinschaftsbewegung vorantrieben und förderten.5 3.1.1 Die Anfänge und die Ausrichtung der Gemeinschaftsbewegung Vom 22. bis 24. Mai 1888 versammelten sich in Gnadau bei Magdeburg 142 führende Vertreter der Gemeinschaftsbewegung und mit ihr sympathisierende Theologen zur ersten Pfingstkonferenz. Von dieser ersten Pfingstkonferenz gingen stark belebende Impulse auf die Gemeinschaftsbewegung aus. 1897 wurde aus diesen Pfingstkonferenzen heraus der „Deutsche Verband für Gemeinschaftspflege und Evangelisation (Gnadauer Verband)“, heute „Evangelischer Gnadauer Gemeinschaftsverband“ oder kurz „Gnadauer Verband“ gegründet. Die beiden primären und einzigen Ziele des Gnadauer Verbandes, in der Selbstreflexion wahrgenommen als „Gabe und Aufgabe, die Gott selbst Gnadau gegeben hat, und [die] von dort her geprägt“6 wird, waren und sind der „Doppelauftrag der Gemeinschaftspflege und Evangelisation“, d. h. die „Betreuung, Förderung und Vertiefung gläubiger und erweckter Gemeindeglieder durch Wortbetrachtung und Gebet“ im Sinne der pietistischen Konvertikelbildung und, unmittelbar damit verbunden, die Weitergabe des „volkstümliche[n] Zeugnis[sses] erfahrener Gnade an die von Christus Entfremdeten“.7 Vor diesem Hintergrund sei das Ansinnen des Gnadauer Verbandes keineswegs eine Separation von der evangelischen Kirche – dieser wolle man im Gegenteil vorbeugen –, sondern Arbeit zum Wohle der ganzen Kirche.8 Kirchenrechtlich seien die „landeskirchlichen Gemeinschaften [. . .] ein Werk der Evangelischen 4 5
LANGE, Geschichte der Gnadauer Gemeinschaftsbewegung, 15. Vgl. LEHMANN, Charakterisierung; BENRATH, Erweckung, 155f.; ASENDORF, Konfessionstreue,
41. 6 7 8
HAARBECK, Dienst Gnadaus, 3. EBD., 13. EBD.
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Die Gemeinschaftsbewegung
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Kirche in Deutschland“, die „mit der Kirchenleitung in enger organischer Verbindung“ stehen. Die Aufgabe dieses Werkes der evangelischen Kirche bestehe darin, so hieß es 1946 in einer offiziellen Bestätigung des Verbandes, „diejenigen Gemeindeglieder, die mit Ernst Christen sein wollen, auf dem Boden der Heiligen Schrift und der reformatorischen Bekenntnisse zu vertiefen [sic!] und zu gemeinsamer Betätigung des christlichen Glaubens zusammenzufassen.“ Es seien, so heißt es weiter, „ausschließlich und unmittelbar kirchliche Zwecke, die die landeskirchlichen Gemeinschaften verfolgen“9. „Bis heute hat die Gemeinschaftsbewegung der Versuchung widerstanden, Freikirche zu werden“10, konstatierte 1988 der Präses des Gnadauer Verbandes, Kurt Heimbucher. Der interne Kampf und das Widerstehen gegen diese „Versuchung“ ist in seiner Bedeutung für die Kirche nicht zu unterschätzen, auch nicht das kommunikative und taktische Geschick in der Leitung des Gnadauer Verbandes und in den Gemeinschaften vor Ort, die hinter dieser Kontinuität der Anbindung an die evangelische Kirche stehen. Dies ist die eine Seite des Verhältnisses des Gnadauer Verbandes bzw. der Gemeinschaftsbewegung zur Kirche. Die andere Seite dieser Beziehung stellt die praktische, an der Gemeindebasis stattfindende Reibung dar, die mit dieser Konstellation von „Bewegung in der Kirche“ gegeben war. Schon bevor 1888 die erste Pfingstkonferenz stattfand oder 1894 der Gnadauer Verband gegründet wurde, stand das praktische Verhältnis der Gemeinschaftsbewegung zu den Landeskirchen zur Debatte und wurde oft mit dem Theodor Christlieb zugeschriebenen Schlagwort „In der Kirche, wenn möglich mit der Kirche, aber nicht unter der Kirche“ zu markieren versucht.11 Schon allein diese Charakterisierung eröffnet je nach Nuancierung der Auslegung das Spannungsfeld, in dem die organisierte Gemeinschaftsbewegung und die evangelische Kirche seit dem 19. Jahrhundert standen und stehen. Es ist allerdings auch, neben bereits genannten und noch zu beschreibenden Aspekten dieses Verhältnis, das seit den 1960er Jahren in die Wechselwirkung zwischen evangelikaler Bewegung und Kirche einfloss und diese prägte. Aus diesem Grund lohnt sich eine tiefgehende Betrachtung sowohl der Gemeinschaftsbewegung als evangelikaler Trägergruppe sowie der Vernetzung von Gemeinschaftsbewegung und evangelischer Kirche seit 1945.
9 Kopie [der Bestätigung] des Evangelischen Bischofs von Berlin, gez. D. D. [Otto] Dibelius, vom 10. 7. 1946. Maschinenschriftl., 1 S. (AEGGK, II: Verhältnis Gnadaus zur Evang. Kirche, Nr. 111: Kirchenkampf – Beurteilung). 10 HEIMBUCHER, Kirche und Gemeinschaft, 418. 11 Zu dem Verhältnis von Gnadauer Verband und Kirche aus Sicht der Gemeinschaftsbewegung vgl. HEIMBUCHER, Kirche und Gemeinschaft; NIEKE / SCHAAL, Verhältnis.
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Um aber das Verhältnis der Landeskirchen zu der Gemeinschaftsbewegung erfassen zu können, sind vorab drei Problemkreise zu thematisieren, die zum Charakteristikum der Gemeinschaftsbewegung gehören und die als Hintergrund der landeskirchlich-gemeinschaftlichen Konnexion eine Rolle spielen: einmal die Inhomogenität der Gemeinschaftsbewegung selbst, zum zweiten das elementare Problem der Pfingstbewegung für die Gemeinschaftsbewegung und zum dritten das Verhältnis der Gemeinschaftsbewegung zu den Freikirchen. 3.1.2 Interne Diskrepanzen: Die Inhomogenität der Gemeinschaftsbewegung 1965 schrieb der amtierende Präses des Gnadauer Verbandes Hermann Haarbeck an Erich Rüppel, den Verfasser einer Untersuchung über den Gnadauer Verband in der Zeit des Nationalsozialismus, „das Schwierige“ der Gnadauer Gemeinschaftsbewegung liege darin, „daß es sich nicht um einen geschlossenen einheitlichen Verband handelt, sondern um einen sehr losen Zusammenschluß sehr verschiedenartiger und sehr selbständiger Verbände.“ Das sei schon immer so gewesen und mache das Amt des Gnadauer Praeses wenig begehrenswert.12 Die Auseinandersetzungen an der Basis zwischen den „sehr verschiedenenartigen und sehr selbständigen Verbänden“ war schon ohne das Spannungsfeld, das sich zwischen diesen Verbänden und den landeskirchlichen Gemeinden ergab, mitunter derartig komplex und so raschen Wandlungen unterzogen, dass eine generelle Verortung der Positionen nur schwer auszumachen ist. Regionalverbände bestanden mehr oder weniger gegenüber den ihnen übergeordneten Landsverbänden und diese wiederum gegenüber dem Gnadauer Dachverband auf Eigenständigkeit.13 Noch komplizierter konnten aber die persönlichen Auseinandersetzungen innerhalb einzelner Verbände oder Werke werden. Um einen Eindruck von diesem Geflecht an Befindlichkeiten und der Auswirkung von Konflikten, die mitunter in Bezug auf die eigene Arbeit eher kontraproduktiv gelöst wurden, zu vermitteln, sei das Beispiel einer Auseinandersetzung in der Leitung der Liebenzeller Mission, eines dem Gnadauer Verband angeschlossenen Werks in den 1950er Jahren angeführt. Hier handelte es sich nicht um einen Konflikt mit der Landeskirche, sondern um eine gemeinschaftsinterne Konfrontation. Relativ typisch für interne Konflikte, die sich in dieser Form auch in der evangelikalen Bewegung wiederholten, sind die kontraproduktive 12 Briefdurchschlag von [Hermann Haarbeck] an Erich Rüppel vom 23. 12. 1965. Maschinenschriftl., 1 S. (AEGGK, II: Verhältnis Gnadaus zur Evang. Kirche, Nr. 113: Gnadau im Kirchenkampf). 13 Kurz und anschaulich die Darstellung von Claudia Brack zum Verhältnis des Sauerländischen Gemeinschaftsverbandes gegenüber dem Westfälischen Gemeinschaftsverband und dem Gnadauer Dachverband (BRACK, 100 Jahre, 18).
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Kommunikation, der Gebrauch von „Totschlagargumenten“, die Bewertung einer aversiven Haltung zu Kirche und Theologie als Kriterium der Wahrheit und damit der Rechtgläubigkeit,14 das wirkungslose Intervenieren der Leitung sowie das Überhandnehmen persönlicher Befindlichkeiten und auch Profilierungsbedürfnisse, die die Sach- oder Faktenebene der Diskussionen überlagerten. Im Juli 1950 vermeldete der theologische Leiter der Liebenzeller Bibelschule Max Loeser seinen Rücktritt und denjenigen des Leiters der Liebenzeller Mission Paul Gerhardt Möller an den OKR in Württemberg und Karlsruhe. Diese Rücktritte markierten den Schlusspunkt einer kontroversen Entwicklung innerhalb der Liebenzeller Mission, die 1899 von Heinrich Coerper als „Deutscher Zweig der China-Inland-Mission“ gegründet wurde, 1902 von Hamburg nach Bad Liebenzell in Württemberg umsiedelte, dort zunächst als Konkurrenzunternehmen zur Basler Mission empfunden wurde, sich aber im Laufe der Jahre zunehmender Beliebtheit erfreuen konnte. Loeser, der selbst aus dem kirchlichen Dienst in den missionarischen übergegangen und von daher kein dezidierter Vertreter der Landeskirche war, berichtete von den Vorgängen in Bad Liebenzell ausführlich an den OKR. Die Schilderung der Ereignisse, die aus der Feder Loesers eine relativ ausgewogene Darstellung bieten und durch die Beilage verschiedener Zeitungsausschnitte und Korrespondenzen und die Bestätigung durch den Liebenzeller Pfarrer Laiblin erhärtet wurde, soll auf Grund der exemplarischen Signifikanz für derartige, in den Reihen der Gemeinschaftsbewegung nicht selten vorkommende Konflikte wiedergegeben werden.15 Von Anfang an war die Besetzung der Leitung des Missionswerkes durch Paul Gerhardt Möller auf Grund von Differenzen in der theologischen Ausrichtung des Vorstandes und Möllers nicht unproblematisch gewesen. So berichtet Loeser, seit 1940 habe sich der 1934 vom Gründer der Mission Heinrich Coerper nach Liebenzell berufene Pfarrer i. R. Ernst Buddeberg nach einem Nachfolger umgesehen und dabei den Pfarrer Paul Gerhardt Möller ins Auge gefasst. Dieser sei aber von dem Vorstand der Liebenzeller Mission abgelehnt worden. Schon Buddeberg war „dauernden Angriffen von Seiten des Vorstandes der LM
14 Zu der zeitgleichen Auseinandersetzung der Gemeinschaftsverbände mit der Theologie, speziell des theologischen Ansatzes der „Entmythologisierung“ Bultmanns, vgl. Kap. 4.1 bis 4.3. 15 Anlage zum Brief der Liebenzeller Mission, gez. Loeser, Betr.: Vorgänge innerhalb der Liebenzeller Mission, an den Evangelischen Oberkirchenrat Karlsruhe vom 15. 7. 1950: Briefkopie Liebenzeller Mission, gez. Loeser, an den evangelischen Oberkirchenrat Stuttgart vom 15. 7. 1950. Maschinenschriftl., 8 S.; Abschrift des Briefes von Pfarramt I, Bad Liebenzell, gez. Laiblin, an den Evangelischen Oberkirchenrat Stuttgart Betr.: Beibericht zu den Vorgängen in der Liebenzeller Mission, vom 16. 7. 1950. Maschinenschriftl., 2 S. (LKA KA GA 6071 b).
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[Liebenzeller Mission] und einer Missionarsgruppe ausgesetzt [gewesen], wobei [ihm] immer wieder das Verlassen der ‚Linien der LM‘ und die Verkirchlichung der Mission zum Vorwurf gemacht wurde.“ 1946 wurde die Berufung Möllers schließlich nach Überredung der Missionsinspektoren Heinrich Hertel und Rudolf Bitterhof – Bitterhof war seit Mai 1950 als Pfarrer auf Probe an der Landesstrafanstalt Ludwigsburg angestellt –, die sich gegen Möller aussprachen, ermöglicht. Möller dagegen hatte „von vorn herein zu verstehen gegeben, daß er nicht in die ‚Liebenzeller Jacke‘ passe und daß er auch keine ‚Liebenzeller Theologie‘ habe“. Wegen „der großen Not, in der sich das Werk wegen der Direktorsfrage befand“, sah man darüber hinweg und war letztlich froh, einen neuen und jungen Direktor gewonnen zu haben. Aber schon im Dezember 1947 reichte Möller seine Kündigung ein, da „er den Eindruck gewonnen hatte, nie zum Liebenzeller Werk zu passen“. Nun wurde Möller vom Vorstand gedrängt, seinen Posten nicht zu verlassen und die Arbeit weiter auszuführen, was er, auf rechtlich völlig ungeklärter Grundlage, weiterhin tat. Die Kündigung nahm er während der ganzen Zeit nicht zurück. Zu der eigentümlichen Regelung, dass der Leiter der Liebenzeller Mission trotz Kündigung jahrelang weiter in seinem Amt tätig war, kamen nun ähnliche Probleme bei der Stellenbesetzung des Leiters der Liebenzeller Bibelschule mit Max Loeser auf. Möller machte seinen ganzen Einfluss geltend, Loeser als theologischen Leiter des inzwischen stark angewachsenen Missionsseminars und der Schwesternbibelschule zu gewinnen und drohte mit seinem Fortgang, sollte der Vorstand sich weigern, Loeser einzustellen. Auch Loeser passte nach eigener Auskunft nicht in die „Liebenzeller Jacke“ und wusste auch nichts „von ‚Liebenzeller Theologie‘ [. . .] (falls es eine solche tatsächlich geben könnte)“. Schon vor der Berufung Loesers, die offiziell „einmütig“ erfolgte, kam es „unter den allermeisten Liebenzeller Predigern, Volksmissionaren und Missionaren, auch unter einigen der Vorstandsmitglieder“ zu einem latenten Widerstand gegen diese Neuberufung, teilweise auch durch solche, die Loeser gar nicht persönlich kannten. Diese oppositionelle Haltung, von der Loeser nichts ahnte, äußerte sich in Befürchtungen wie diese: „Möchte mit dieser Wahl Pfarrer Loesers nicht das Wort Gottes zu kurz kommen. . .Theologen gibt es reichlich, die brauchen wir nicht zu werden. . . Nun heißt es noch mehr für das Werk beten.“ Besonders kritisiert wurde die vermeintliche „Verkirchlichung der Mission (die man darin sah, daß in Liebenzell kirchen-ordnungsmäßige Gottesdienste im Talar stattfinden u. ä.), das Verlassen der ‚Glaubenslinien‘ der LM, die Gemeinschaftsmission mittels der Grundsätze der englischen China-Inland-Mission bleiben müsse“ sowie „die Theologie als solche[..], die genau so wie im Rahmen anderer Missionsgesellschaften, aber längst noch nicht mit den dortigen sprachlichen Anforderungen, gelehrt wurde“. Schon die Tatsache, dass „Fächer wie
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‚Theologie des A und NT‘“ gelehrt wurden, erregten das Missfallen besonders der älteren Liebenzeller Missionare und Prediger. Neutestamentliches Griechisch war schon bei der Eröffnung des Seminars durch Möller Pflichtunterrichtsfach geworden. Auch darin sah man „die Gefahr des Hochmuts“ und in diesem Zusammenhang kam schon bald „das Schlagwort ‚Bibelkritik‘ auf.“ Aber nicht nur die Theologiekritik, sondern auch eine kaum verhohlene Kirchenaversion spielte in dem schwelenden Konflikt eine Rolle: So wurde nach dem 50jährigen Jubiläum der Liebenzeller Mission im November 1949 moniert, dass bei den Feierlichkeiten fast ausschließlich nur „die Kirche [. . .] zu Wort gekommen sei“. Es kursierte ein privater Rundbrief des württembergischen Pfarrers i. R. Christoph Schulz, der schließlich von dem freikirchlichen Organ „Der Gärtner“ publiziert wurde. Darin kritisierte Schulz heftig das Liebenzeller Missionswerk in seiner aktuellen Struktur: „Die LM sei der Kirchenleitung unterstellt worden, die eigentliche Struktur des Werkes sei verändert worden, die Segenslinien verlassen, vom ‚schlichten Studium der Bibel‘ sei man zu ‚wissenschaftlichem Bibelstudium‘ übergegangen, besonders durch Erlernung des Griechischen (das übrigens unter Coerper direkt verboten war).“ Selbst das Intervenieren des Präses des Gnadauer Verbandes, dessen Mitglied die Liebenzeller Mission war, verschärfte die Situation eher, als dass es sie beruhigte,16 da man aus Michaelis’ Artikel, ebenfalls im „Gärtner“, „einen Tadel an Heinrich Coerper heraushörte wegen dessen unklarer Haltung zur Pfingstbewegung.“ Es kam zu einer Gegendarstellung des Evangelisten Ernst Krupka im gleichen Blatt, in dem „neue und alte Kampfworte“ aufgenommen wurden, wie: „Möller kein Gemeinschaftsmann, Loeser noch weniger, gebrochene Stellung zur Schrift, Bibelkritik.“ Kupka rief im gleichen Atemzug dazu auf, dass „künftig die Versagung von Missionsgaben an ‚das neue Liebenzell‘ erfolgen sollte.“ Die Angriffe wurden nun schärfer und unverblümter ausgesprochen. Die Opposition formierte sich, der Konflikt spitzte sich zu, wie der Bericht von Loeser erkennen lässt: „Geheimkonferenzen von Liebenzeller Missionaren [fanden] statt, und zwar an verschiedenen Orten. Rundbriefe wurden geschrieben. Einer der Freunde jener opponenten Gruppe, Jugendpfarrer Kurt E. Koch, Mannheim, [. . .] erhebt als theol. Vorwürfe Möller gegenüber besonders: Akzentverschiebung vom persönlichen Heilsstand zum theol. Wissen und zur konfessionellen Korrektheit bei der Ausbildung, Hinwendung zur Volkskirche, am gefährlichsten sei die Entwicklung des Werkes in der Frage
16 Der Vorstand des Gnadauer Verbandes ist nicht nur der Vorsitz einer Dachorganisation, sondern wirkt gleichzeitig als „Brüderrat“, der in geistlichen Fragen helfen und beraten will.
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der Kindertaufe und der Wiedergeburt, wobei sich Koch gegen den Missbrauch der Kindertaufe wenden will (‚Und dieser Missbrauch schreit gen Himmel‘ – so Koch wörtlich). Durchschläge dieses Briefes wurden wiederum an andere Missionare und Prediger versandt. Ein Dekan Hans Schmidt, Lauterecken/Pfalz, richtet an Möller direkt die Anfrage – ebenfalls als einer, der hinter der Opponentengruppe steht –: ‚Wird negative Bibelkritik geduldet? Wie steht man zu den 5 Büchern Mosis, wie zu Daniel, Jesaja? Macht man der modernen Theologie und damit Wellhausen Zugeständnisse? Gehören die Lehrer ungebrochen zu den Fundamentalisten??? Steht man bezüglich des AT rückhaltlos zu dem verdienstvollen Apologeten Lic. MöllerRackith? Stehen Sie oder der erwähnte Br. Loeser nicht so, dann ist Ihr Platz nicht in Liebenzell oder Sie machen sich des Eindringens in ein fremdes Amt und Werk schuldig, Sie wollen scheiden, wo Sie nicht gesät haben. Sie würden bestimmt sehr gut nach Basel oder Barmen passen und hier an der rechten Stelle sein. Aber wenn Sie an die Grundlinien von Liebenzell rütteln wollen, dann passen Sie nicht nach dort. Sie vergeuden nur Ihre Kraft und Zeit.‘“
Innerhalb der badischen und württembergischen Liebenzeller Gemeinschaften und auf der Gnadauer Gemeinschaftsverbands-Sitzung Anfang Juni 1950 wurde die „Krisis der Liebenzeller Mission“ heftig diskutiert. Von den Vorstandsmitgliedern Missionsinspektor Heinrich Hertel und Pfarrer W. Grünewald in Dinglingen bei Lahr, dem Schwiegersohn Coerpers, beides Vertreter der Verbalinspirationslehre, wurde die Einberufung der höchsten Instanz des Liebenzeller Missionswerkes, des Hauptkomitees, gefordert. Dieses tagte im Juni 1950. Es wurde, so Loeser, „endlos über Verbalinspiration, Theologie und Glaube, Wort Gottes u. ä. disputiert, wobei Missionsdirektor Möller, Pfarrer Laiblin von Bad Liebenzell (ebenfalls Vorstandsmitglied) und ich den Eindruck hatten, daß keinerlei Verständnis für diese theologischen Fragen, wie sie uns bewegen vorhanden sei.“ Eine Einigung wurde nicht erzielt. Auf der einen Monat später stattfindenden Sitzung des Hauptvorstandes wurde das Sachthema ebenfalls nicht diskutiert. Die gegen Möller, Loeser und deren Unterstützer Pfarrer Laiblin aus Bad Liebenzell und Vorstandsmitglied Missionsinspektor Adolf Witt eingestellte Fraktion, „die sich als Verwalterin und Vollstreckerin des Willens des [sic!] Missionsgemeinde fühlte und das auch ausdrücklich betonte“, traf sich einen Tag vor der Sitzung in Liebenzell. Man war sich „hier in allen Lehrfragen völlig einig und wusste von vorn herein, daß man die Überzahl war. Die Erwägung [. . .] vielleicht fremde Beisitzer zu diesem Schiedsgericht herbeizurufen (etwa D. Michaelis oder Glieder des deutschen Missionsrates), war [. . .] sofort fallen gelassen worden, weil es eine ‚interne‘ Sache sei.“ Die Leitung der Verhandlung am 12. Juli wurde dem Missionsarzt Dr. Herr aus Tübingen übertragen, der seinen Vorsitz nicht als unparteiische Leitungsfunktion auffasste, sondern der sich „ausschließlich in der Gruppe der Opposition [bewegte]. Er hat seine Nichteignung für die Verhandlungsführung
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hinterher selbst eingestanden.“ Die Sitzung begann mit einer Andacht von Möller, nach der Herr ausführte, die „Weisung für das weitere Handeln bekommen zu haben, daß man nämlich Gott mehr gehorchen müsse, denn Menschen, daß ‚wir es ja nicht lassen können‘, die Wahrheit zu sagen. In ähnlicher Weise wurde die Tageslosung des 12.7. aus dem Losungsbüchlein als Fingerzeig Gottes gedeutet: ‚Machet Bahn, machet Bahn! Räumet den Weg, hebet die Anstöße aus dem Wege meines Volkes!‘ Jes.57, 14. Solcherlei ‚Handhabung‘ der Bibel wurde ausdrücklich noch ausgesprochen! Herr führte zunächst folgendes aus: Aus der Kritik am jetzigen Kurs der LM spreche die Stimme der Missionsgemeinde. Sie seien die Vertreter dieser Gemeinde. Ihr Anliegen sei ein grundsätzliches: es handle sich um die geistlichen Grundlagen des Werkes. Das sei für sie (nämlich die Opponentengruppe) ein Gewissensanliegen – so wie bei den Aposteln (laut Morgenandacht). Diese Krise gehe zurück auf eine Entwicklung innerhalb der Leitung.“
Herr betonte, Möller selbst habe von Anfang an zugegeben, kein „Liebenzeller Theologe“ zu sein. Die „Liebenzeller Theologie“ sei aber auf die „volle wörtliche Inspiration der Schrift“ ausgerichtet – „das sei für die LM nicht bloß eine Formalität, sondern die innerste Kernfrage überhaupt.“ Hierin müsse man Gott mehr gehorchen als Menschen. Jesus habe jeden „Tüttel am Gesetz“ verteidigt. Darin komme die von den Liebenzellern geforderte „ungebrochene Stellung zur ganzen Schrift“ zum Ausdruck. Die „theol[ogische] Vernunft müsse man gefangennehmen unter den Gehorsam Christi.“ Man sei an keine theologische Lehrmeinung gebunden, so die Liebenzeller Fraktion, die bei Möller und Loeser diese „unbedingte Grundlage der Liebenzeller Mission“ verlassen sah. Auf der Sitzung des Hauptkomitees einen Monat zuvor habe sich gezeigt, dass es keine Verständigung über diese Fragen mehr gebe. Missionsarzt Herr forderte darum Möller und Loeser auf, die Sitzung zu verlassen und den Vorstand zur Weiterverhandlung der Fragen allein zu lassen. Der Bad Liebenzeller Pfarrer Laiblin widersprach. Er machte darauf aufmerksam, dass erst „in voller Freiheit über die Fragen gesprochen werden [müssten], wobei eben die Frage der Verbalinspiration die Grundlage für alles zu sein scheine und das sei einfach unmöglich. Es gehe hier um die Wahrheit.“ Dagegen stellte Pfarrer i. R. Eduard Kühn ausdrücklich die „Verbalinspiration als Grundlage“ fest, „zwar nicht die der Altprotestanten, aber eben doch Verbalinspiration“. Außerdem sei die Liebenzeller Mission „Gemeinschaftsmission“ und nicht „kirchliche Mission“. Pfarrer Grünewald aus Dinglingen an der Lahr betonte, dass Möller bereits vor Jahren gekündigt habe und nun dazu stehen solle und dass von Möller und Loeser die grundsätzliche theologische Linie der Liebenzeller Mission verlassen worden sei. In dem Zusammenhang wurde kritisiert, dass „Loeser das Hohelied nicht auf Christus deute, sondern es als weltliches Liebeslied verstehe“. Grünewald kon-
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statierte, dass die Liebenzeller Mission in ihrer Schriftauffassung „eine geschichtliche Berufung von Gott habe“ und dass Gott mehr zu gehorchen sei als den Menschen. Eine weitere Verhandlung sei zwecklos – für Liebenzell sei die Meinung von Möller und Loeser nicht tragbar. Daraufhin wandte Laiblin ein, man müsse von der Wahrheitsfrage her an die Auffassung von der Verbalinspiration herangehen und verwies auf die Haltung des Neupietismus in der Zeit des Kirchenkampfes, als dieser mit der Verbalinspiration im Rücken fatale Fehler begangen habe, die man nicht wiederholen solle. Laiblins Äußerungen riefen einen Sturm der Empörung hervor, der nach heftigen Selbstrechtfertigungen in verschiedensten Vorwürfen und Stellungnahmen kumulierte: „Pfarrer i. R. Roos, Bad Kreuznach, ein alter Freund Coerpers (der vor der Berufung Buddebergs als Nachfolger Coerpers ausersehen war), stellt mit erhobener Stimme fest, daß es sich bei Möller und Loeser einfach um Volkskirche, aber nicht um Gemeinde Jesu handele. Bei ‚meinem lieben Vater Coerper‘ war das Wichtigste die Kraft des Blutes Jesu, die Kraft des ungebrochenen Wortes Gottes, die Kraft des heiligenden Geistes. Diese Verkündigung Coerpers sei eindeutig heute nicht mehr in Liebenzell. ‚Und dagegen müssen wir uns wenden.‘ [. . .] Weil dauernd die Rede von den Lehrgrundlagen der LM war, fragte Miss.Insp. Adolf Witt als einer, der bald 50 Jahre zur LM gehört: Welches sind denn die Lehrgrundlagen der LM? Ich kenne sie nicht. Gehört dazu vielleicht auch die Taufwiederholung, wie sie der Miss.Insp. Heinrich Hertel vollzog? – Hertel hat dann sehr erregt geantwortet und es als persönliche Anrempelung aufgefaßt.“
Schließlich verließen Möller und Loeser nach dem Verlesen von Loesers Kündigung den Raum. In Loesers Bericht heißt es weiter, dass es zu einer namentlichen Abstimmung über die Kündigungen und einer Neuordnung der Liebenzeller Mission kam, nachdem die Worte fielen, es müsse endlich ein Schlussstrich gezogen werden, „da man wieder einen Bruder im Freibad habe eine Zigarette rauchen sehen (was für die Ohren der meisten Zurückgebliebenen [im Raum] etwas Ungeheuerliches war).“ Für Möllers und Loeser Ausscheiden stimmten zehn Personen, dagegen stellte sich neben Laiblin und Adolf Witt auch Missionssuperintendent i. R. Heinrich Witt aus Böblingen. Nach dieser Abstimmung wurde sofort ein „Dreimännerkollegium“, bestehend aus Hertel, Herr und Grünewald, als geschäftsführende Leitung einberufen. Die Seminaristen an der Bibelschule nahmen die Verkündung des Leiterwechsels in „sehr erregter Widerspruchsstimmung“ auf und forderten Rede und Antwort, die ihnen aber nicht gewährt wurde. Die Schwesternschaft legte geschlossen Protest ein, der ebenfalls nicht gehört wurde. Von allen Seiten wurde erklärt, man wolle aus der Liebenzeller Mission austreten. Zweifel an der Zuständigkeit und Kompetenz des „Dreimännerkollegiums“ wurden laut. „Sobald einzelne Leute der ‚neuen Leitung‘ ansichtig wurden, stellte man sie zur Rechenschaft, die aber
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immer bloß Ausflucht zu Gottes Willen und zu Bibelsprüchen wurde“, konstatiert Loeser in seinem Bericht. Zwei Tage nach der Vorstandssitzung sprachen Herr und Hertel bei Loeser vor, der ihnen scharfe Vorwürfe machte, „daß ja alles abgekartet gewesen sei und nicht lauter geführt wurde, was dann auch mit irgendwelchen Ausreden, daß man so zu handeln gehalten war, quittiert wurde, immerhin wurde auch gesagt, daß man den 12. Juli gerne ungeschehen machen würde.“ Hertel und Herr nahmen alle Schuld an den Vorkommnissen auf sich, besonders aber, dass sie Möller und Loeser überhaupt berufen hätten. Als Loeser daran erinnerte, dass sachlich dieselbe Kritik auch schon zu Lebzeiten gegenüber Buddeberg geäußert worden war und dann wohl schon die Berufung Buddebergs 1934 eine Fehlentscheidung gewesen sei, „wurde dies ohne weiteres zugegeben“, ebenso wie Loesers Vorwurf, „daß schreckliche Unlauterkeiten, Ohrenbläsereien, Hetzereien unter den Predigern, in den Gemeinschaften, innerhalb des Inspektorenkreises die Unsauberkeit aller Machenschaften zur Genüge erwiesen“ wären, unumwunden bestätigt wurde. Aber, so Hertel und Herr, „man wolle sich über alle Versäumnisse und Unaufrichtigkeit beugen.“ Die württembergische Landeskirche reagierte auf Loesers Bericht mit einem Anschreiben an alle Dekanate, in dem die „schwere Krise“ der Liebenzeller Mission dargestellt und betont wurde, man befürchte „schwere Rückwirkungen für die Stellung des Neupietismus zur Landeskirche und ihrem Dienst.“ Man bat die Dekanatämter speziell darauf zu achten, „in welcher Weise die Vorgänge in Liebenzell sich auf die Haltung der einzelnen Liebenzeller Gemeinschaften und der Jugendbünde für entschiedenes Christentum auswirken“17. Diese Sorge war keineswegs übertrieben, hatte doch der Bundesdirektor des EC, Otto Kaiser, selbst in der Hauptvorstandssitzung teilgenommen und gegen Möller und Loeser gestimmt und kam es doch immer wieder auch zu Übertritten von Regionalgruppen des größten der dem Gnadauer Dachverband angegliederten Verbände und in Württemberg maßgeblichen Gemeinschaftsbundes, des Altpietistischen Gemeinschaftsverbandes, zum Liebenzeller Gemeinschaftsverband.18 In der badischen Landeskirche stieß die Bekanntgabe auf eine schwierige Gesamtsituation, da es Ende der 1940er Jahre wiederholt Probleme in den Gemeinden mit Vertretern der Liebenzeller Mission gegeben hatte, die im Tauberkreis, im Landkreis Bruchsal und dem Gebiet der Hardt in offener 17 Evangelischer Oberkirchenrat Stuttgart, Nr. A.9502/13 an alle Dekanatämter Betr.: Liebenzeller Mission, vom 19. 7. 1950. Maschinenschriftl., hektograph., 2 S., hier 2 (LKA KA GA 6071 b). 18 So z. B. 1951 in Neckarweihingen (Aktennotiz [OKR Wolfgang] Metzger vom 28. 2. 1951. Maschinenschriftl., 1 S. [LKAS A 126, Nr. 1177, 049]).
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Konkurrenz zu den dort ansässigen Gemeinschaften des Evangelischen Vereins für Innere Mission Augsburgischen Bekenntnisses (A.B.-Gemeinschaften) und der Evangelischen Gemeinschaft missionierten.19 Die „starke Tätigkeit in freikirchlichem Sinne“ der Liebenzeller Mission führte 1950 auf einer Bezirkssynode in Baden zur Erörterung der Frage, ob man die Liebenzeller Mission durch das Bereitstellen von Gemeinderäumen überhaupt unterstützen solle.20 So dürfte es der württembergischen Landeskirchenleitung durchaus entgegen gekommen sein, dass die nun führerlose Liebenzeller Mission, in der offensichtlich erst nach der Entlassung von Möller und Loeser die Tragweite des Problems personeller Vakanzen klar wurde, sich ausgerechnet an die württembergische Landeskirche mit der Bitte um Entsendung eines theologischen Lehrers wandte. Dieser Bitte kam der OKR durch Abordnung eines Pfarrvikars für ein halbes Jahr nach.21 Nachdem die durch Liebenzell forcierte Berufung des Salzwedeler Superintendenten Hans von Sauberzweig auf die Direktorenstelle an dessen Rücknahme seiner ursprünglichen Zusage scheiterte,22 berief man 1963 den Pfarrer der badischen Landeskirche Lienhard Pflaum zum Direktor, der für diesen Dienst im Zweijahresrhythmus von der Landeskirchenleitung beurlaubt wurde.23 Im Mai 1966 wurde Pflaum, der in der späteren evangelikalen Bewegung ebenfalls eine Rolle spielen sollte, Vorsitzender des Vorstandes der Lieben-
19 Vgl. Brief des Pfarramtes Schweigern [Dekanat Boxberg], gez. Kauf, Pfr., an den Evangelischen Oberkirchenrat Karlsruhe vom 26. 6. 1947. Maschinenschriftl., 1 S.; Aktennotiz Pfr. Haag vom 1. 7. 1947. Handschriftl., 1 S.; Briefkonzept des Evangelischen Oberkirchenrates Karlsruhe an das Ev. Pfarramt Schweigern vom 15. 7. 1947. Maschinenschriftl., 1 S.; Brief des Ev. Pfarramtes Heidelsheim, Nr. 67, Betr. Verhältnis der Liebenzeller Mission zur Kirchgemeinde, vom 9. 6. 1949. Maschinenschriftl., 1 S. (LKA KA GA 6071 b). Weitere Unterlagen zur Abwerbung von Mitgliedern der A.B.-Gemeinschaft durch die Liebenzeller Mission in Wössingen im Kraichgau 1947, in Liedolsheim 1946 bis 1950, zur Nichtabsprache mit den Pfarrern im Vorfeld von Liebenzeller Zeltmissionen im Mai 1953 und im April/Mai 1965 in Linkenheim und Müllheim sowie zur Debatte um die Nutzung eines Gemeindesaales durch die Liebenzeller Mission in Karlsruhe-Mühlburg September bis November 1966 in Akte LKA KA GA 6071 b. 20 Anlage VI. Antrag der Pfarrer Heuser – Mack – Maurer von der Bezirkssynode 1950 angenommen, zu Bericht über die Tätigkeit der Liebenzeller Gemeinschaft in Liedolsheim, gez. Mauer. Maschinenschriftl., 1 S. (LKA KA GA 6071 b). 21 Brief der Liebenzeller Mission, gez. E[duard] Kühn und H[einrich] Hertel, an Landesbischof [Julius] Bender vom 8. 11. 1950. Maschinenschriftl., 1 S. (LKA KA GA 6071 b). 22 Brief der Liebenzeller Mission, gez. E[duard] Kühn, an Landesbischof Dr. [Julius] Bender vom 20. 12. 1950. Maschinenschriftl., 2 S. (LKA KA GA 6071 b). 23 Vgl. Durchschlag LKR-Sitzung vom 20. 9. 1962, Evangelischer Oberkirchenrat Az. PA – 16039/62. Maschinenschriftl., 1 S., Briefkopie des Evangelischen Oberkirchenrates, Az. PA – 1596/65, gez. Dr. Wendt, an Pfarrer Lienhard Pflaum vom 26. 2. 1965. Maschinenschriftl., 1 S., Durchschlag LKR-Sitzung vom 25. 4. 1967, Evangelischer Oberkirchenrat Az. PA – 6943/67, gez. Dr. Wendt, 8. 5. 1967. Maschinenschriftl., 1 S. (LKA KA GA 6071 b).
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zeller Mission.24 1963 verfasste er in Erweiterung einer Vorlage, die von der Gnadauer Verbandsleitung entwickelt worden war eine Schrift, die rhetorisch im Stile der Barmer Theologischen Erklärung gehalten war und Bibelvers, Bekenntniswort und Verwerfung enthielt. Die Schrift wandte sich sowohl gegen die „falsche Lehre“, die von der Bibel bezeugten und in den Bekenntnissen und der Kirche bekannten „Heilstatsachen“ seien nicht historisch, „sondern nur in ihrer Bedeutsamkeit zu verstehen“ als auch gegen die „diesen falschen Lehren zugrunde liegende Gottesvorstellung, als sei Gott an den Bereich gebunden, den unsere menschliche Vernunft erfassen kann“.25 Damit nahm Pflaum die zu dieser Zeit gängigen Aspekte der Kritik an der Theologie Bultmanns und dessen Schülern auf. Dass die Frage der Schriftauslegung schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts innerhalb der Liebenzeller Mission ein Dauerthema war, zeigen die oben dargestellten Ereignisse im Zusammenhang mit der „Krisis der Liebenzeller Mission“. Angesichts der Auseinandersetzungen, die 1950 in der Absetzung Möllers und Loesers mündeten, auf Grund des Vorwurfs, unter ihrer Regie sei die „Linie der von Coerper begründeten Gemeinschaftsmission verlassen und die lutherisch-kirchliche Linie immer stärker betont“ sowie „zersetzende Bibelkritik geübt“ worden, wie Laiblin in seinem Bericht an den württenbergischen OKR die Anwürfe zusammenfasste,26 ist hier eine Traditionslinie in der Schriftauslegung bzw. –handhabung auszumachen, die lange vor den Konflikten Ende der 1960er Jahre begann. Möller selbst hatte 1950 in einem Rundschreiben versichert, weder er noch Loeser hätten jemals „ein Stück aus der hl. Schrift herausgebrochen“, wie ihnen vorgeworfen worden sei. Allerdings hätten auch sie es mit ihrer Bibelauslegung ernst gemeint, und zwar ausgehend von der Annahme, „dass ‚die heiligen Menschen Gottes geredet haben, getrieben vom heiligen Geist‘ (2.Petr.1, 21).“ Denn, so Möller weiter, der Satz „Das Wort ward Fleisch“ gelte „nicht nur von der irdischen Gestalt des Menschensohnes Jesus, in dem die Fülle der Gottheit leibhaftig wohnte, sondern auch von dem geschriebenen Bibelwort.“ Wenn man sich an diesem Bekenntnis nicht genügen lasse, so beweise man, dass 24 Brief der Liebenzeller Mission, gez. F. Walter – Missions-Inspektor und 1. stellv. Vorsitzender des Vorstands –, an den Evang. Oberkirchentag [sic!] Betr. Neuwahl des Vorsitzenden des Vorstands der Liebenzeller Mission e.V. vom 6. 6. 1966. Maschinenschriftl., vervielf., 1 S. (LKA KA GA 6071 b). 25 [Pflaum, Lienhard]: Entwurf eines Leitwortes. Anhang zu Brief von Evangelischem Dekanat Mannheim, Nr. 3457, an Landesbischof [Julius] Bender, vom 5. 12. 1963. Maschinenschriftl., hektograph., 2 S., hier 2 (LKA KA GA 6071 b). 26 Abschrift des Briefes von Pfarramt I, Bad Liebenzell, gez. Laiblin, an den Evangelischen Oberkirchenrat Stuttgart Betr.: Beibericht zu den Vorgängen in der Liebenzeller Mission, vom 16. 7. 1950. Maschinenschriftl., 2 S., hier 1 (LKA KA GA 6071 b).
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„Lehrunterschiede“ lediglich ein Vorwand seien, um „vorgefasste Meinungen und abgekartete Pläne durchzusetzen“.“27 In der Tat ist Moellers Verständnis der Offenbarung in Jesus Christus und in der Bibel ein theologischer Ansatz, der über die Verbalinspirationslehre hinausging, allerdings positionierte er sich damit keineswegs extrem, sondern nahm eine gängige Mittelposition in der zeitgenössischen Theologie ein. Sein Vorwurf, man benutze die Frage der Schriftauslegung nur als Legitimation für die Durchsetzung anderer Zwecke, mag dahingestellt bleiben, da dies durchaus nicht bewusst erfolgt sein muss. Wichtig ist im Zusammenhang mit dem Thema der vorliegenden Arbeit, dass die Frage der Schriftauslegung ebenso innerhalb der Gemeinschaftsbewegung eine abgrenzende Funktion hatte, wie sie zur Abgrenzung gegenüber der Theologie und auch den Landeskirchen verwendet wurde. Allerdings lassen sich innerhalb der Gemeinschaftsbewegung nicht nur in theologischer Hinsicht Differenzen ausmachen. Ein anderes Problem stellte sich, wenn es zu lokalen Überschneidungen von Gruppen der Gemeinschaftsbewegung kam, die sich in der Arbeit in ihrem Einzugsgebiet gegenseitig behinderten. Solche Konfrontationen waren ähnlich gelagert wie die Konflikte, die im Zusammenhang mit der Evangelisationstätigkeit in Deutschland in Kap. 3.2 beschrieben werden. Ein Beispiel dieser Art ist die Auseinandersetzung des Lippischen Gemeinschaftsbundes mit der „Evangelischen Gesellschaft“, die auf dem Gebiet der lippischen Landeskirche tätig war. 1924 hatte der Rittergutsbesitzer Otto von Reden den Lippischen Gemeinschaftsbund gegründet,28 der in der Landeskirche gut verankert war und von ihr auch finanziell unterstützt wurde.29 1960 protestierte der Gemeinschaftsbund beim lippischen Landeskirchenamt dagegen, dass die „Evangelische Gesellschaft“ finanzielle Zuwendungen von der Landeskirche erhalte. In der Begründung hieß es, der Gemeinschaftsbund würde vor Ort arbeiten, die „Evangelische Gesellschaft“ nicht.30 Die „Evangelische Gesellschaft (für Deutschland)“ war 1848 als Missionsgesellschaft in Wuppertal von dem Elberfelder Pfarrer Ludwig Feldner gegründet worden.31 Nach 1945 bestimmte jahrzehntelang Heinrich Jochums, Gründer der Bibelschule Wuppertal und 1963 der „Konferenz bibeltreuer Ausbildungs27 Rundbrief Missionsdirektor Moeller an die Brüder und Schwestern der Liebenzelle Mission vom 29. 7. 1950. Maschinenschriftl., hektograph., 2 S., hier 2 (LKA KA GA 6071 b). 28 HOUWALD, Otto von Reden. 29 Diverse Akten und Schreiben LLKA Dt 234–30, Bd. 1 und Bd. 2. 30 Brief des Lippischen Gemeinschaftsbundes e.V., gez. F[ritz] Döldissen, an das Lippische Landeskirchenamt, Betrifft: Zuschüsse, vom 8. 5. 1960. Maschinenschriftl., 2 S. (LLKA Dt 234– 30, Bd. 1). 31 Seit 1997 ist das Zentrum der „Evangelischen Gesellschaft“ Radevormwald bei Remscheid.
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stätten“ (KBA), als Direktor die Geschicke der „Evangelischen Gesellschaft“, die wie der Lippische Gemeinschaftsbund dem Gnadauer Verband angehörte. Als der Lippische Gemeinschaftsbund 1960 sein Veto gegen landeskirchliche Gelder an die „Evangelische Gesellschaft“ einlegte, ging diese zum Gegenprotest über, da sie „seit 112 Jahren ihren Dienst stets bewusst im engen Einvernehmen mit den Landeskirchen und den kirchlichen Amtsträgern“ verrichtet habe.32 Das Landeskirchenamt erbat sich in Folge von dem hauptamtlichen Prediger der Detmolder Gemeinschaft und Vertreter des Lippischen Gemeinschaftsbundes im Gnadauer Verband, Adolf Wesner, Aufklärung über die internen Zusammenhänge. Wesner berichtete, dass das Arbeitgebiet der „Evangelischen Gesellschaft“ Nord-Lippe/Rinteln sei, d. h. von Rinteln bis Bösingfeld reiche und früher „Br[uder] Fuhrmann“ unterstellt war. Um 1950 kam der ehemalige EC-Jugendwart des Kreisverbandes Lippe, Erich Kindsvater, als Vertreter der „Evangelischen Gesellschaft“ nach Heidelbeck und habe, so Wesner, gegen den Lippischen Gemeinschaftsbund gearbeitet. 1955 verließ Kindsvater die „Evangelische Gesellschaft“ und wurde Bundeswart im Landesverband MindenRavensberg-Lippe des EC.33 Sein Nachfolger wurde der in Chrischona ausgebildete Horst Caspari. Wesner beschrieb Caspari als „gute[n] Nachbar[n]“, der allerdings die Kinderstunde in Tevenhausen am Sonntag in die Zeit des Gottesdienstes lege. Generell verstehe sich der Lippische Gemeinschaftsbund regional beschränkt, die „Evangelische Gesellschaft“ dagegen wirke deutschlandweit. In der Verkündigung bestünden allerdings keine Unterschiede. Der Lippische Gemeinschaftsbund, so Wesner, wirke mit seiner Arbeit „in der Gemeinde für die Gemeinde“, um die Gemeinden lebendig zu halten, und ermahne seine Mitglieder zur Treue gegenüber der Kirche.34 Da die „Evangelische Gesellschaft“ in den letzten zehn Jahren ihre Prediger in Lippe „stationiert“ habe, sei ein Ausbreiten der „Evangelischen Gesellschaft“ in Lippe festzustellen. Der Lippische Gemeinschaftsbund sehe es aber nicht gern, „wenn andere Verbände in sein Land eindringen“. Fritz Döldissen, seit 1951 Nachfolger Otto von Redens
32
Brief der Evangelischen Gesellschaft für Deutschland, gez. Direktor Pastor Heinrich Jochums, an das Landeskirchenamt Detmold/Lippe, Betrifft: Zuschuß für die landeskirchlichen Gemeinschaften, vom 14. 5. 1960. Maschinenschriftl., 2 S., hier 1 (LLKA Dt 234–30, Bd. 1). Nur am Rande sei vermerkt, dass Jochums um 1973 der Ausspruch zugeschrieben wird: „Wir sollten gegebenenfalls auch bereit sein, sogenannte Amtshandlungen selbst zu vollziehen.“ (GESCHICHTE. Homepage der Evangelischen Gesellschaft). 33 Kindsvater wurde später sogar 1. Vorsitzender des Lippischen Gemeinschaftsbundes vgl. [Einlegblatt] Lippisches Landeskirchenamt Aktz.: 234–30 (1/1) Pö, gez. Dr. von Hanstein, 4. 1. 1978. Maschinenschriftl., 1 S. (LLKA Dt 234–30, Bd. 2). 34 Brief von A[dolf] Wesner, Prediger, Detmold, [an Landessuperintendent Udo Smidt], vom 28. 5. 1960. Maschinenschriftl., 3 S., hier 2 (LLKA Dt 234–30, Bd. 1).
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im Amt des Vorsitzenden des Lippischen Gemeinschaftsbundes, habe „keine besondere Freude“ hinsichtlich einer Aussprache mit dem Vorsitzenden der „Evangelischen Gesellschaft“, Heinrich Jochums. Wesner schlug dem lippischen Landeskirchenamt vor, in dieser Angelegenheit frei zu entscheiden, d. h. ohne klärende oder vermittelnde Gespräche.35 Daraufhin unterbreitete der seit 1958 amtierende lippische Landessuperintendent Udo Smidt Jochums den Vorschlag, wenn die „Evangelische Gesellschaft“ in finanziellen Engpässen stecke, könnten ihre Gemeinden in Lippe doch vom Lippischen Gemeinschaftsbund übernommen werden – in der Verkündigung bestehe ja kein Unterschied.36 Eine Antwort Jochums ist nicht erhalten. Die Auseinandersetzungen innerhalb der Gruppen oder zwischen verschiedenen Vereinigungen der Gemeinschaftsbewegung machen deutlich, dass innerhalb der Gemeinschaftsbewegung weder stete Einigkeit herrschte noch von vornherein eine kooperative Zusammenarbeit gegeben war. Auch zwischen der Leitung des Gnadauer Verbandes und den Vertretern einzelner angegliederter Verbände traten Diskrepanzen auf. Durch den niedrigen Organisierungsgrad der Gemeinschaftsbewegung und die Autonomie einzelner Verbände und Vereinigungen stellte sich die Gemeinschaftsbewegung dementsprechend stets als ein inhomogenes Gebilde dar, das in sich Konfliktpotential trug, welches erst mit dem evangelikalen Zusammenschluss in der Abwehr nach außen, der Theologie- und Kirchenkritik, für kurze Zeit gebündelt wurde. 3.1.3 Die Gemeinschaftsbewegung und die Pfingstbewegung Nicht nur in der Führung einer Gruppe oder zwischen zwei Verbänden innerhalb des Gnadauer Verbandes kam es zu Auseinandersetzungen. Die von dem Gnadauer Gemeinschaftsverband am stärksten wahrgenommene Gefährdung, die „schwerste Belastungsprobe“37 in ihrer Geschichte, war durch die zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den USA aufkommende und sich rasch nach Europa ausweitende Pfingstbewegung gegeben. Durch die Auseinandersetzung mit ihr erfuhr die anfängliche Begeisterung innerhalb der Gemeinschaftsbewegung für den Gedanken der Allianz mit den Freikirchen Anfang des 20. Jahrhunderts „einen empfindlichen Dämpfer“38. 35
EBD., 3. Briefdurchschlag [des Lippischen Landeskirchenamtes], 234–30 4793, gez. S[midt], an die Evangelische Gesellschaft für Deutschland z. Hd. Herrn Direktor Pastor Heinrich Jochums, Betr.: Zuschuß für die Ev. Gesellschaft für Deutschland, vom 20. 6. 1960. Maschinenschriftl., 2 S. (LLKA Dt 234–30, Bd. 1). 37 COCHLOVIUS, Gemeinschaftsbewegung, 361. 38 BRACK, 100 Jahre, 17. 36
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Dabei war man ursprünglich in den Kreisen der Gemeinschaftsbewegung durchaus sehr angetan von dem pfingstlerischen Aufbruch. Jonathan Paul, später einer der führenden Gestalten der Pfingstbewegung und Vertreter der Vorstellung von der irdischen Sündlosigkeit des Menschen, war Anfang des 20. Jahrhunderts Vorstandsmitglied des Gnadauer Gemeinschaftsverbandes. Angesichts der starken Betonung des Geistes in der Pfingstbewegung und einer Vernachlässigung des Sündenbewusstseins wurde das Verhältnis zwischen Gemeinschafts- und Pfingstbewegung jedoch immer problematischer. Als es 1907 zu den so genannten „Kasseler Vorgängen“, tumultartigen Zuständen in Versammlungen mit ekstatischen Erscheinungen kam, zog der Gnadauer Gemeinschaftsverband die Konsequenz und distanzierte sich mit der 1909 verabschiedeten „Berliner Erklärung“ offen von der Pfingstbewegung. Die „Berliner Erklärung“, von 56 Vertretern der DEA unterzeichnet, darunter 31 aus der Gemeinschaftsbewegung, von denen wiederum elf der Mitgliederversammlung des Gnadauer Verbandes angehörten, verurteilte die Pfingstbewegung als „perfektionistisch“, „von unten“, d. h. vom Satan inspiriert und unter dem Einfluss von Dämonen in einer Linie mit dem Spiritismus stehend.39 Über Jahrzehnte hinweg wurde durch sie, trotz der unmittelbar folgenden „Mühlheimer Erklärung“, die vermittelnd wirken sollte, die offene Feindschaft der Gemeinschaftsbewegung gegenüber der Pfingstbewegung markiert – in dieser scharfen Form weltweit einmalig, da in keinem anderen Land eine solche Trennung vollzogen wurde. Seitens der Gemeinschaftsbewegung wurde an der Pfingst- und charismatischen Bewegung folgendes kritisiert: die „schwarmgeistigen“ Tendenzen aller Art, das Leben „von Höhepunkt zu Höhepunkt“, die fehlende Inangriffnahme realer Gemeindeprobleme, die Glorifizierung der Gabenträger, die Überbetonung bestimmter Gaben wie Krankenheilung, Zungenreden, prophetische Rede, die Werbung und Missionierung mit bestimmten Gaben, das Verkümmern christlicher Religion zu einer „Gesundheitsreligion“, das Wecken hoher und manchmal trügerischer Erwartungen bei kranken Menschen, das „fromme Scharlatanerie“ sei, das Auseinanderbrechen von Wort und Geist in der Subjektivität der Ich-Form prophetischer Rede, das Modell eines mehrstufigen Christseins, das das „noch nicht“ des Heils, den eschatologischen Vorbehalt, leugne und eine totale Heiligung verspreche, die Lehre vom „perfektionistischen“ Christsein und das Bestreiten der Erlösungsbedürftigkeit des Menschen und – last but not least – die Tatsache, dass manche dieser „Gruppen unsre Gemeinschaften als ihr Missionsfeld betrachten und entsprechend bearbeiten“,
39
Vgl. MORGNER, Herausforderungen, 5.
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was die Frage aufwerfe, ob das „Heil, das wir verkünden, minderen Ranges“ sei.40 Die „erste Welle“ der Pfingstbewegung ist in Deutschland seit etwa 1907 anzusetzen, die „zweite Welle“, im Zuge derer sich die charismatische Bewegung aus der traditionellen Pfingstbewegung heraus besonders in den traditionellen protestantischen sowie der katholischen Kirche entwickelte, in den 1960er Jahren und die „dritte Welle“, die eng mit der „Gemeindewachstumsbewegung“ verbunden ist, in den 1980er Jahren.41 Alle drei „Wellen“ der Pfingstbzw. charismatischen Bewegung hatten ihren Ursprung in den USA. Im Zuge der dritten Welle der charismatischen Bewegung, die sich mit großem Erfolg unter den Schlagworten „gesunder Aufbruch“ oder „power evangelism“ von Kalifornien ausgehend in Deutschland ausbreitete, kam es zu punktuellen, vorsichtigen Öffnungen der evangelikalen Bewegung gegenüber der charismatischen. Mit der Kasseler Erklärung von 1996, in der sich der „Bund Freikirchlicher Pfingstgemeinden“ uneingeschränkt zur Basis der DEA bekannte und in der die Allianz die Gnadengaben des Heiligen Geistes, so wie sie in der Bibel bezeugt sind, befürwortete – wenn sie sie auch nicht höher bewertete als andere Dienste, z. B. Evangelisation – fand dieser Prozess der schwierigen Annäherung einen ersten formalen Ausdruck. Das in den 1980er Jahren sowohl bei der DEA und der Gemeinschaftsbewegung einsetzende Interesse an der charismatischen Bewegung bzw. an von ihr verkörperten Aspekten, hing aufs engste mit der Krise des so genannten „Wortevangelikalismus“ zusammen, d. h. der Krise, in der die evangelikale Bewegung gegen Ende der 1970er Jahre auf Grund einer gewissen inneren Erstarrung und auf Grund ihrer zunehmenden Pluralisierung geriet. Allerdings war jeder Schritt der Annährung auch von ambivalenten Gefühlen geprägt. Der Präses des Gnadauer Gemeinschaftsverbandes, Christoph Morgner, resümierte 1996 über die Ereignisse der 1980er Jahre: „Diese ‚Dritte Welle‘ kommt mit großem Anspruch und hoher Sicht der eigenen Sendung daher. Hierbei wird zugleich spürbar, daß es den führenden Persönlichkei40 EBD., 8–15. Die kirchliche Kritik gegenüber der Pfingstbewegung war in den 1940er, 1950er Jahren allerdings ganz ähnlich gelagert. So warnte z. B. im August 1947 der württembergische Landesbruderrat vor den „Schwärmern“, die das sola gratia vernachlässigten bzw. sich darüber erheben würden, und bei denen die Rechtfertigungslehre ihre Schlüsselstellung verliere, weil sie nicht „bei der Gemeinde der Sünder bleiben [wollen], die im Bekenntnis ihrer Schuld unter dem Kreuz Christi steht und allein von seiner Gnade und seinem Opfer lebt. Sie wollen über das Kreuz hinaus. Die Lehre von der Heiligung wird in perfektionistischer Weise missverstanden.“ (DIPPER, Abwehr, 69). 41 ZIMMERLING, Charismatische Bewegungen, 15–21; MORGNER, Herausforderungen, 6; MORGNER, Herausgefordert, 10.
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ten aus den USA außerordentlich schwer fällt, falls überhaupt ein diesbezüglicher Wille vorhanden sein sollte, sich in die theologische und volkskirchliche Situation unsres Landes hineinzudenken. Einen Respekt vor gewachsenen und von Gott gesegneten Strukturen vermag ich kaum erkennen. Vielmehr werden amerikanische Gegebenheiten frank und frei auf unsre deutschen Verhältnisse übertragen. Dabei wird davon ausgegangen, daß wir in Deutschland hier entsprechend nachzuziehen hätten, so u. a. in der viel diskutierten Frage von Gründungen neuer Gemeinden.“42
Durch die Form des Christlich-Charismatischen wurde die Gemeinschaftsbewegung mit Aspekten konfrontiert, die eigentlich der evangelikalen Bewegung seitens ihrer Kritiker vorgeworfen wurde, nämlich mit einem „geradezu anmaßende[n] Stil“, wie es der württembergische evangelikale Rolf Scheffbuch formulierte und dem offenen oder versteckten Insistieren darauf, dass der gemeinschaftlichen Frömmigkeit „Entscheidendes fehle“, nach dem Motto „Die Kirche ist [. . .] entweder charismatisch oder sie ist tot“.43 Weitaus problematischer jedoch war der Erfolgszug der charismatischen Bewegung und ihrer Einzelströmungen, die die Gemeinschaftsbewegung, ebenso die DEA, immer wieder, auch schon vor den 1980er Jahren, in den eigenen Reihen zu spüren bekam.44 In den 1980er Jahren spitzte sich das Problem dadurch zu, dass die Gemeinschaftsbewegung signifikant vor einem Generationenwechsel und damit verbunden vor Nachwuchsproblemen stand. Evangelische Jugendliche fühlten sich stärker von der jugendnahen Verkündigung charismatischer Strömungen oder aber von Bewegungen an der Schnittstelle zwischen Landeskirchen, Freikirchen und charismatischen Gruppen angezogen
42
EBD., 10f. EBD., 23. 44 So wurde z. B. 1959 und 1960 sowohl in der DEA zwischen Paul Deitenbeck, Vorsitzender der DEA, und Alexander Müller, Mitarbeiter eines regionalen Gemeinschaftsverbandes, sowie innerhalb des Vorstandes des Gnadauer Verbandes die Frage diskutiert, ob der pfingstlerisch ausgerichtete „Mülheimer Verband“, der durchaus Sympathisanten in der DEA und Gemeinschaftskreisen hatte, in die DEA aufgenommen werden sollte. Haarbeck sprach sich strikt gegen eine solche Verbindung aus, in der DEA war man von weiteren Gesprächen mit dem „Mülheimer Verband“ nicht abgeneigt (Briefdurchschlag [von Alexander Müller] an P[aul] Deitenbeck vom 22. 5. 1959. Maschinenschriftl., 2 S.; Briefdurchschlag [von Alexander Müller] an Paul Deitenbeck vom 12. 10. 1959. Maschinenschriftl., 1 S.; Brief des Deutschen Verbandes für Gemeinschaftspflege und Evangelisation e.V. an [Alexander] Müller vom 4. 1. 1960. Maschinenschriftl., 1 S.; Rundbrief des Gnadauer Gemeinschaftsverbandes, Praeses P. [Hermann] Haarbeck an [Hermann] Schöpwinkel, [Paul] Wißwede, [Heinrich] Uloth, [Richard] Saur, [Arno] Pagel, [Erich] von Eicken vom 4. 1. 1960. Maschinenschriftl., vervielf., 3 S.; Müller, Alexander: Evangelische Allianz und Mühlheimer Gemeinschaftsverband. Maschinenschriftl., 3 S.; Briefdurchschlag [von Alexander Müller] an Dr. theol. Thorleif Boman, Oslo, vom 16. 1. 1960. Maschinenschriftl., 2 S. [NEKArchiv, 35. 01. 01 Nr. 6 c]). 43
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– z. B. Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre von den „Jesus-People“45 –, als von den traditionellen Bibelarbeiten der Gemeinschaftsbewegung. Dadurch erfolgte Anfang der 1970er Jahre eine Verlagerung in die evangelikale Jugendarbeit: Mit „Jesus-Festivals“, Evangelisationen im Stile von Rockund Popevents oder der Berliner „Jesus-Bewegung“ unter Leitung von Volkhard Spitzer kam es nicht nur zu einem Zulauf der Jesus-Bewegung aus dem Bereich kirchenferner Gruppen, sondern auch aus der evangelikalen Jugendarbeit selbst, d. h. aus dem CVJM und dem EC.46 Die „Jesus-People-Bewegung“
45 Die „Jesus-Bewegung“ oder „Jesus-People-Bewegung“ entstand Ende der 1960er Jahre an der amerikanischen Westküste als eine Form der „Hippie-Bewegung“. Ideologische Grundaussagen der Flower-Power-Bewegung wurden umgeformt zu einer, ebenfalls auf Kommunenleben – auf Grund der Vorstellungen vom kommunitären Leben der urchristlichen Gemeinden – basierenden Weltanschauung, die im Gegensatz zur „freien Liebe“ nun Nächstenliebe und Gottesliebe verkündete. In Deutschland forcierte die „Jesus-People-Bewegung“ bis etwa Mitte der 1970er Jahre die kirchliche Jugendarbeit, besonders die Jugendevangelisationen. Gegen Ende der 1970er Jahre verlor die „Jesus-People-Bewegung“ an Bedeutung, wurde aber 1995 mit Gründung der „Jesus-Freaks“ durch den, auf dem Anskar-Kolleg der Hamburgischen Anskar-Gemeinde ausgebildeten freikirchlichen Pastor Martin Dreyer wieder belebt. Zur „Jesus-People-Bewegung“ existiert ausschließlich zeitgenössische Literatur von Beginn der 1970er Jahre – später wurde das Phänomen kaum noch beachtet. Auszugsweise sei genannt: ADLER, Die Jesus-Bewegung; DIE JESUS PEOPLE; ENROTH / ERICSON / PETERS, The Jesus People; FRIELINGHAUS, Sie wissen; GEPPERT, Wir Gotteskinder; GRAHAM, Generation; HERMANNS, Kennst Du; JESUS-GENERATION; KLEMPNAUER, Brandstiftung; KROLL, Jesus kommt!; KROLL, Jesus People Report; LOJEWSKI, Jesus People; PEDERSON / OWEN, Jesus People; PLOWMAN, Jesus Movement; SCHULTE, Jesus-Bewegung. 46 Mit seinem 1963 erstmals in Deutschland veröffentlichten Buch „Das Kreuz und die Messerhelden“, das bis 1991 in 30 Auflagen erschien, hatte der amerikanische Evangelist und Gründer der Drogenrehabilitationsorganisation „Teen Challange“ David Wilkerson einen Abbau der Ressentiments gegenüber der Pfingst- bzw. charismatischen Bewegung in verschiedenen evangelischen Kreisen bis hin zu den Landeskirchenleitungen bewirkt (ANNÄHERUNG). Davon, dass Wilkerson der Gemeinschaftsbewegung „zu schaffen“ mache, schrieb im Januar 1968 der ehemalige Generalsekretär des Gnadauer Verbandes, Hermann Schöpwinkel, an den Präses des Gnadauer Verbandes Hermann Haarbeck. Der Gnadauer Verband dürfe keinen „Kurswechsel“ vornehmen, so das Votum Schöpwinkels (Brief von Hermann Schöpwinkel an Hermann Haarbeck vom 15. 1. 1968. Maschinenschriftl., 2 S. [AEGGK, Gnadauer Vorstand 1968, Nr. 2/68: Nauheim]). Im Februar 1968 wandte sich Schöpwinkel erneut an Haarbeck: „Ich bin wirklich in innerer Not im Blick auf unser liebes Gnadau. Denn ich sehe deutlich, was alles neu auf uns zukommt.“ (Brief von Hermann Schöpwinkel an Hermann Haarbeck vom 6. 2. 1968. Maschinenschriftl., 1 S. [AEGGK, Gnadauer Vorstand 1968, Nr. 2/68: Nauheim]). In einem „persönlichen Wort an meine Gnadauer Brüder“ zeigte sich Schöpwinkel beunruhigt über die Aktivitäten der Marienschwestern (zu den Marienschwestern vgl. Kap. 6. 2. 8, speziell S. 583f.) und warnte generell vor der Pfingstbewegung, die überall einziehe, auch bei dem EC und der Studentenmission: „Der Vertreter der Studentenmission hält unsere Gemeinschaftsbewegung für überholt.“ Der Gnadauer Verband gerate so „ungewollt und von den meisten ungesehen in die Nähe eines unheimlichen Strudels des Schwarmgeistes“ (Schöpwinkel, Hermann: Persönliches Wort an meine Gnadauer Brüder. [Februar 1968]. Maschinenschriftl., Durchschlag, 4 S. [AEGGK, Gnadauer Vorstand 1968, Nr. 2/68:
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brachte als Teil der charismatischen Bewegung eine andere Art des „JugendEvangelikalismus“ in die deutsche evangelikale Frömmigkeitslandschaft ein. Zwar ließ die Wucht dieser christlich-charismatischen Jugendbewegung im Laufe der 1970er Jahre nach, aber angesichts der Nachwuchsprobleme in den eigenen Reihen konnte weder von der Gemeinschaftsbewegung noch von der DEA ignoriert werden, dass die charismatische Bewegung über Arbeitselemente verfügte, die Jugendliche stark anzogen. Das führte zu einer Adaption von jugendnahen Verkündigungselementen. So ging der 1976 erstmalig stattfindende Jugendkongress „Christival“ unmittelbar aus der „Jesus-People-Bewegung“ hervor. 1976 wurde der „Kongress für Mitarbeiter“, dessen Ziel die Profilierung der Jugendarbeit als Zusammenführung von missionarischem Anliegen und Bibelarbeit war, von der „Arbeitsgemeinschaft Jugendevangelisation“ und dem „Arbeitskreis für evangelistische Aktionen“ getragen47, das nächste „Christival“ 1988 in Nürnberg bereits von dem „Christival e. V.“ der DEA. Die Zuwendung der DEA zur charismatischen Bewegung, nicht zuletzt auch auf Grund des Druckes der internationalen Allianz, für die die deutsche Trennung der Bewegungen nicht nachvollziehbar war, führte neben der Problematik der neu zu justierenden Jugendarbeit in den Kreisen der Gemeinschaftsbewegung zu einem Überdenken der eigenen Position gegenüber der charismatischen Bewegung, da man seitens des Gnadauer Verbandes die „Geschwister vor Ort nicht allein lassen“ wollte.48 Neben der Jugendarbeit der Gemeinschaftsbe-
Nauheim]). 1971 fand in Herne das erste „Jesus-Festival“ in Deutschland mit tausenden von Besuchern statt (PFLÄSTERER, Rock und Pop). Volkhard Spitzer arbeitete seit Ende der 1960er Jahre als Pastor am „Christlichen Zentrum Berlin“ und baute dort eine Drogenpräventions- und -rehabilitatiosarbeit in Anlehnung an Wilkersons „Teen Challange“ auf. 1979 organisierte er in Berlin den „1. Charismatischen Kongress“ und 1981 die „Berliner Bekenntnistage“ im Olympiastadion mit immensem Zulauf. Seine Aktivitäten wurden sowohl von der Berlin-brandenburgischen Kirchenleitung als auch der evangelikalen Bewegung teilweise äußerst kritisch beurteilt. 47 1973 konstatierte der „Verein zur Förderung der Volksmission e. V.“ und die AMD, dass die „Wellen der Jesus-Bewegung“ noch keineswegs verebbt seinen, sondern weiter wirkten, Jugendevangelisationen erfreuten sich steigender Nachfrage. Deshalb sei die Bildung einer „Arbeitsgemeinschaft Jugendevangelisation“ in Zusammenarbeit mit dem Ausschuss für evangelistische Jugendarbeit in der „Arbeitsgemeinschaft Evangelische Jugendarbeit“ angeraten (Protokoll der Mitglieder-Versammlung des „Vereins zur Förderung der Volksmission e. V.“, zugleich Bruderrat-Sitzung [des AMD] am 26./27. März 1973 in Berlin, gez. [Erwin] Haberer, stellvertr. Vorsitzender und Dr. [Heinrich-Hermann] Ulrich, Generalsekretär. Maschinenschriftl., vervielf., 10 S., hier 7 [AEKR Düsseldorf 2LR 004, Nr. 84: Arbeitsgemeinschaft Missionarische Dienste, Bd. II]). Diese beiden Arbeitsgemeinschaften waren 1976 Trägerinnen des „Christival“, dessen Programm von einem über hundert Teilnehmer umfassenden Exekutiv-Komitee erarbeitet wurde. 48 BLICK ÜBER DIE GRENZE, 7. Generell insistierte Heimbucher in diesem Bericht von 1980 stark darauf, den „Blick über den Tellerrand“ auf die asiatische, afrikanische und lateinamerikanische Welt zu richten, da dort die entscheidenden geistlichen Prozesse abliefen (EBD., 6f.).
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wegung und der DEA war besonders die evangelistische Bewegung in Deutschland von dem charismatischen Evangelisationspotential betroffen. Auch hier begann in den 1980er Jahren ein vorsichtiges Umdenken in Bezug auf die charismatische Bewegung. So sprach sich 1987 der Leiter der Rheinischen Pfarrerarbeitskreise für evangelistische Verkündigung Jürgen Blunck auf der Jahrestagung der Evangelistenkonferenz gegen eine generelle Abgrenzung gegenüber der charismatischen Bewegung aus: es gelte, auch deren positive Impulse aufzunehmen.49 Diese Entwicklung der evangelikalen Bewegung und ihrer Trägergruppen hin zu einer teilweisen Rezeption oder Aufnahme der charismatischen Bewegung in die eigenen Reihen verlief allerdings keineswegs linear und ohne Brüche. So veröffentlichte z. B. „ideaSpektrum“ 1987 in der Ausgabe von Ende September in einem Heft zwei Artikel, in denen zur charismatischen Bewegung Stellung genommen wurde: einmal ein Beitrag, in dem die B KAE und die DEA die Heilungsbewegung, speziell die Massenheilungen, scharf ablehnten,50 zum anderen die Wiedergabe eines Referates des Bundeswartes des CVJMWestbundes, in dem dieser betonte, es gelte, die Defizite, die durch die charismatische Bewegung aufgezeigt würden, „als Herausforderung anzunehmen und zugleich ‚auf die leisen Töne des Heiligen Geistes zu achten.‘“51 Die biblische Unterweisung wäre zwar nach wie vor die zentrale Aufgabe des CVJM, aber es seien auch kreative Betätigungsfelder für Jugendliche über die herkömmliche Gruppenarbeit hinaus gefragt. Sehr guten Anklang finde z. B. die aus Norwegen stammende Ten-Sing-Chorarbeit, die weiter ausgebaut werde. Seit den 1990er Jahren verbindet die beiden deutschen Strömungen Gemeinschaftsbewegung und Pfingst- bzw. charismatische Bewegung in der Praxis „ProChrist“ in einem Veranstaltungsrahmen. „ProChrist“ wurde wegen dieser Verbindung von Anfang an – 1993 fand die Großevangelisationsveranstaltung erstmalig in Essen statt – von der B KAE scharf kritisiert und führte um die Jahrtausendwende zum offenen Bruch zwischen DEA und der KBG bzw. der B KAE. Für den größten Zeitraum des 20. Jahrhunderts allerdings war mit der „Berliner Erklärung“ ein tiefer Graben zwischen Gemeinschaftsbewegung und Pfingstbewegung (und damit auch einzelnen Freikirchen) geschaffen worden, der die Gemeinschaftsbewegung in Deutschland einem zusätzlichen Konkurrenzdruck aussetzte. Besonders geprägt von diesen Konflikten im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts war der zu diesem Zeitpunkt amtierende Präses des Gnadauer Gemeinschaftsverbandes Walter Michaelis, der in seinen Lebenserin49 50 51
DEUTSCHE EVANGELISTEN, 4. HEILT GOTT. BUNDESWART, 8.
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nerungen ausführlich über die „Auseinandersetzung mit dem Schwarmgeist“ berichtete.52 Darüber hinaus nahm jeder der nachfolgenden Präsides zu diesem Thema in Verlautbarungen Stellung. 3.1.4 Das Verhältnis von Landeskirchen und Gemeinschaftsbewegung im freikirchlichen Spannungsfeld Die Gemeinschaftsbewegung zeigte „sich von jeher für die Idee der evangelischen Allianz empfänglich [. . .] und zur Mitarbeit bereit“.53 Damit rückte sie in unmittelbare Nähe zu den traditionellen Freikirchen und freikirchlichen Gruppen, deren Mitglieder in der Allianzarbeit mitwirkten. Sowohl die Gemeinschaftsbewegung als auch die Evangelische Allianz haben ihre Wurzeln in Strömungen der europäischen Erweckungsbewegungen des 18. und 19. Jahrhunderts. Gerade im missionarischen und evangelistischen Anliegen trafen sich beide Sammlungsbewegungen elementar. Aus diesem Grund sind personelle Überschneidungen zwischen Gemeinschaftsbewegung und DEA, sowohl an der Basis in den Gemeinden als auch auf Leitungsebene, relativ häufig anzutreffen. Der markanteste Unterschied besteht zwischen beiden Großorganisationen in der Stellung zu den evangelischen Landeskirchen und zu den Freikirchen: Während der Gnadauer Verband als ein freies Werk der EKD sich in seinen Regionalvereinen stets den jeweiligen Landeskirchen zugeordnet sieht, ist die DEA eine Plattform überkonfessioneller Art, deren Mitglieder sich sowohl aus den Landes- als auch aus den Freikirchen rekrutierten. Durch die Freikirchen wiederum ist eine deutliche Abgrenzung zu den Landeskirchen markiert, die der Gemeinschaftsbewegung von ihrer Struktur her nicht inhärent ist und die in der DEA etwas entschärft wird. Im 19. Jahrhundert kam durch die Freikirchen aus dem englischsprachigen Raum die ehemals pietistische Kirchenkritik wieder nach Deutschland.54 Über diese Geschichte des Transfers von Kirchenkritik aus dem englischsprachigen Raum gibt es bisher kaum Untersuchungen. Für die vorliegende Arbeit aber ist dieser Umstand, der auf Grund der fehlenden Erforschung nur angerissen werden kann, von nicht zu unterschätzender Bedeutung und spielt neben der Gemeinschaftsbewegung in ihrer pietistisch-erwecklichen Traditionslinie immanenten Kirchenkritik eine immense Rolle: Durch die DEA und die Gemeinschaftsbewegung, deren Mitglieder teilweise in der DEA aktiv waren, wurden freikirchliche kirchenkritische Positionen in die Landeskirchen hineintransportiert. Angemerkt werden muss in diesem Zusammenhang, 52 53 54
MICHAELIS, Erkenntnisse, 219–251. MELLE, Bedeutung, 43. BEYREUTHER, Rückwirkung, 251f.
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dass die Haltung von Freikirchen zur DEA und v. a. gegenüber deren Wandlungen im 20. Jahrhundert durchaus auch von Zurückhaltung und Kritik geprägt war, da manche Freikirchen von den durch die DEA evozierten Spannungen in ihrem Selbstverständnis empfindlich getroffen wurden.55 Insgesamt aber förderte die Gemengelage von evangelischen Freikirchen, evangelischer Kirche, DEA und Gemeinschaftsbewegung Ende der 1960er Jahre die starke Kirchenkritik der evangelikalen Bewegung. 1941 hatte die Leitung des Gnadauer Gemeinschaftsverbandes beschlossen, Doppelmitgliedschaften in den Gemeinschaftsverbänden und in Freikirchen zu verbieten. Diese Ablehnung wurde an der Gemeindebasis jedoch immer wieder recht weit ausgelegt bzw. wissentlich oder unwissentlich ignoriert. Es kam immer wieder vor, dass Prediger der Gemeinschaftsbewegung ihre Gemeinden Freikirchen zuführten oder in freie Gemeinden umwandelten.56 Auffällig ist, dass häufig Gemeinschaftsprediger wenig über das formale Verhältnis des Gnadauer Verbandes zur evangelischen Kirche wussten. Ein markantes Problem der genannten Art präsentierte 1941 der im Johanneum ausgebildete Prediger und Vorsteher der landeskirchlichen Gemeinschaft in München, Karl Merz, der sich mit der Sorge, er werde auf Dauer den Münchener Gemeinschaftskreis organisatorisch nicht selbstständig halten können, mit der Bitte an die bayerische Landeskirche herantrat, ein irgendwie geartetes organisatorisches Verhältnis herzustellen, welches die Gemeinschaft schützen und stützen könne. In der Landeskirchenleitung wurde diese Anfrage auf die lange Bank geschoben, da man keinen Präzedenzfall schaffen wollte. Merz trat deshalb im Sommer 1941 mit seiner Gemeinschaft in die methodistische Kirche ein.57 Daraufhin distanzierten sich die Leitung des Gnadauer Verbandes sowie die Leitung der Vereinigten
55 Über die Zerrissenheit in den Freikirchen bereits Ende des 19. Jahrhunderts zwischen international orientierten Ökumenikern, die sich zu dem Zeitpunkt noch in der EA sammelten, und den sich den landeskirchlichen Gemeinschaften verpflichtet fühlenden Mitgliedern berichtet VOIGT, Freikirchen, 140. Später wurden die historisch gewachsenen Freikirchen von der Entwicklung der DEA zur evangelikalen Plattform überrollt – teilweise wurde diese Entwicklung mitgetragen, teilweise abgelehnt. Hier ist eine große Spannbreite der freikirchlichen Positionen zu verzeichnen. 56 Briefabschrift Deutscher Verband für Gemeinschaftspflege und Evangelisation, gez. D.W. Michaelis – Vorsitzender –, an Herrn Landesbischof D. [Hans] Meiser vom 4. 8. 1941. Maschinenschriftl., 3 S., hier 1 (LAELKB Nürnberg, KrD München 191). Weitere Fälle aus den meisten Landeskirchen ließen sich zahlreich aufführen. Für Kurhessen-Waldeck vgl. beispielsweise die Akten LKArchiv Kassel C 3. 5. 1 Landeskirchenamt Generalakten, Nr. 3124: Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, Sektenwesen, Evangelische Freikirchen, Bd. 1. 1947–1955 und C 3. 5. 1 Landeskirchenamt Generalakten, Nr. 3125: Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, Sektenwesen, Bd. 2. 1956–1966. 57 Diverse Schreiben April bis August 1941 in Akte LAELKB Nürnberg, KrD München 191.
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Gemeinschaftsverbände Ansbach-Nürnberg-Hof von Merz. Pfarrer Thauer, Vorsitzender des regionalen Gemeinschaftsverbandes, betonte in einem Brief an den Landeskirchenrat, für ihn komme ein Anschluss an eine Freikirche „niemals in Betracht“. Die Erfahrungen, die er mit Freikirchen im Kirchenkampf gemacht habe, speziell mit der „ganzen kirchenpolitischen Haltung der Freikirchen überhaupt und bestimmter Mitglieder des Allianzkomitées im besonderen“, hätten zur Folge habt, dass er trotz intensiver Bitten, zu bleiben, aus dem bayerischen Allianz-Komitée ausgetreten sei.58 Solche Vorfälle, die sich mit weiteren Fällen aus den meisten Landeskirchen erweitern ließe, sorgten in den Ortsgemeinden und bei den landeskirchlichen Pfarrern für Irritation und leisteten dem Vorurteil Vorschub, die Gemeinschaftsbewegung stünde den Freikirchen sehr nahe. Dazu kam, dass selbst auf Leitungsebene in den Landeskirchen bis in die 1950er Jahre teilweise Unklarheit vorherrschte, welche Gruppen zur Gemeinschaftsbewegung zu zählen seien und dem Gnadauer Verband angeschlossen und welche als freikirchlich einzuordnen waren.59 Claudius Kienzle vermerkt in seiner historischen Dissertation
58 Briefabschrift, gez. Thauer – 1. Vorsitzender der Vereinigten Gemeinschaftsverbände Ansbach-Nürnberg-Hof – an den Evang.-Luth. Landeskirchenrat, Betreff: Das organisatorische Verhältnis zwischen der Evang.-Luth. Kirche in Bayern und den vereinigten Gemeinschaftsverbänden Ansbach-Nürnberg-Hof vom 19. 4. 1941. Maschinenschriftl., 1 S. (LAELKB Nürnberg, KrD München 191). 59 Besondere terminologische Unklarheiten herrschten bei dem Begriff „Evangelische Gemeinschaft“. So wurden als „Evangelische Gemeinschaft“ teilweise Gruppen der Gemeinschaftsbewegung bezeichnet, aber auch, im korrekten Sinne, die methodistische Evangelische Gemeinschaft. Die Evangelische Gemeinschaft wurde mit ihrer Verfassung vom 9. September 1920 eingetragene Religionsgemeinschaft im Vereinsregister Berlin-Mitte und beantragte 1922 mit einer erweiterten Verfassung die Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts vgl. Lehre und Verfassung der Evangelischen Gemeinschaft [Erweiterte Verfassung]. Abschrift [1922]. Maschinenschriftl., 7 S. (LLKA Dt Kons.-Reg. II/10/10 [Nr. 258]). Noch 1922 vermutete (!) das lippische Landeskirchenamt, unter „Evangelische Gemeinschaft“ seien wahrscheinlich „die Methodisten“ zu verstehen vgl. Handschriftl. Notiz auf Brief der Lippischen Regierung, Nr. 9914, an das Konsistorium hiers. vom 26. 5. 1922. Maschinenschriftl., 1 S.; (LLKA Dt Kons.-Reg. II/10/10 [Nr. 258]). Das Verhältnis von landeskirchlichen Gemeinden und Evangelischer Gemeinschaft in der lippischen Landeskirche war in den nächsten Jahrzehnten problembehaftet. Pfarrer empfanden die Eingriffe in das Gemeindeleben als unbrüderlich, es war immer wieder die Rede davon, dass diese Freikirche landeskirchliche Gemeinden als Missionsgebiet ansehe. Am 31. Oktober 1932 fand eine Besprechung zwischen freikirchlichen Vertretern und Pfarrern in Gerstkamp statt, zu dem auch vier Vertreter der landeskirchlichen Gemeinschaft geladen waren, u. a. auch der Gründer des Lippischen Gemeinschaftsbundes, Otto von Reden. Weitere Gespräche folgten. Am 30. November 1932 erging eine Rundverfügung des Landeskirchenrates, dass lippische Pfarrer keine inoffiziellen Besprechungen mit freikirchlichen Predigern über die Zusammenarbeit abhalten durften. Im Januar 1933 bat der Klassenkonvent Brake die Landeskirchenleitung, sich gegen die Propagandatätigkeit der Freikirchen zu wenden. Von mehreren Seiten wurde immer stärker darauf gedrungen,
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über den Wahrnehmungs-, Mentalitäts- und Generationenwandel in einer württembergischen Wachstumsregion in der frühen Bundesrepublik, dadurch, „dass der landeskirchlich orientierte Pietismus auch abweichende Religiosität band, bezog er diese in die landeskirchlichen Strukturen ein und sorgte so für erhebliche Unschärfe der dogmatischen Positionen innerhalb des Milieus.“60 1949 begann die VELKD, sich der Regelung des Verhältnisses von Landeskirchen und Freikirchen anzunehmen. Im Zuge dessen fragten die Landeskirchenleitungen in den einzelnen Gemeinden an, wie sich das Verhältnis vor Ort gestalte, ob Räume für Sekten oder Freikirchen von den Gemeinden gestellt würden, besonders für Kindergottesdienste oder Religionsunterricht, aber auch für Evangelisationen.61 Am 21. September 1953 fand in München ein erstes
ein offizielles Abkommen von Freikirche und Landeskirche zu schließen. Vorbild dafür war die Vereinbarung von 1928 zwischen der württembergischen Landeskirche und den dortigen Freikirchen. Das lippische Landeskirchenamt fragte in Württemberg an, wie sich dieses Übereinkommen in der Praxis ausgewirkt habe (diverse Schreiben von Oktober 1932 bis Februar 1933 in Akte LLKA Dt Kons.-Reg. II/10/10 [Nr. 258]). Die Antwort aus Stuttgart lautete, die Vereinbarung habe sich „nach der Richtung bewährt, dass bezüglich der Vornahme kirchlicher Amtshandlungen (Taufe, Konfirmation, Trauung, Bestattung) Eingriffe in die Zuständigkeit der Landeskirche hintan gehalten und die betreffenden Bestimmungen (§ 1 Ziff. 2 der Vereinbarung) von einzelnen Ausnahmen abgesehen, durchgeführt wurden. Auch haben sich durch die Teilnahme von Schülern der Evang. Gemeinschaft am Schulreligionsunterricht kaum Anstände ergeben. Schwierigkeiten haben sich in einzelnen Fällen dadurch eingestellt, dass durch die Berufung auf die Vereinbarung in manchen Kreisen der Eindruck erweckt werden konnte, dass das Verhältnis zwischen Landeskirche und Evang. Gemeinschaft ein durchaus friedliches sei, während die Evang. Gemeinschaft dann doch gegebenenfalls Glieder der Landeskirche abspenstig zu machen sucht, um sie für ihre Kreise zu gewinnen. So werden trotz der Vereinbarung von manchen Predigern der Ev. Gemeinschaft Hausbesuche zu Werbezwecken auch in landeskirchlichen Familien gemacht, und Freundeskreise ohne formellen Austritt von Gliedern der Landeskirche gesammelt. Ganz besonderer Nachdruck aber wird gelegt auf die Gewinnung von Kindern landeskirchlicher Familien zu den Kindergottesdiensten der Evang. Gemeinschaft. Die Klagen über das Vorgehen einzelner Prediger haben daher nicht aufgehört, während mit der Landesleitung immer wieder eine friedliche Aussprache möglich war, wenngleich sie unter Berufung auf ihre Missionsaufgabe auch Gliedern der Landeskirche gegenüber in den zuletzt genanten Punkten, die durch die Vereinbarung nicht geregelt sind, nur zu geringem Entgegenkommen bereit war. Ein abschliessendes Urteil über die Bewährung der Vereinbarung ist zur Zeit noch nicht möglich.“ Brief des Evangelischen Oberkirchenrates, Nr. A. 8356, an das Lippische Landeskirchenamt, auf das Schreiben vom 7. d. Mts. Nr. 3490 vom 15. 12. 1932. Maschinenschriftl., 2 S., hier 1f. (LLKA Dt Kons.-Reg. II/10/10 [Nr. 258]). 60 KIENZLE, Wahrnehmung, 475. Außerdem habe die „Abschottungsstrategie“ des Pietismus vor seiner „Revitalisierung durch die evangelikale Bewegung“ dazu geführt, dass er „in der Wahrnehmung vieler Geistlicher an den ausgefransten Rand des Milieus“ wanderte (EBD., 476). 61 Ev.luth. Propstei, Nr. 698, an die Herren Vorsitzenden der Kirchenvorstände der Gemeinden des Stadtkirchenverbandes Braunschweig, gez. [Otto] Jürgens, vom 6. 10. 1949. Maschinenschriftl., hektograph., 1 S. (LAW, Pa BS AL 74).
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Gespräch zwischen Vertretern der VELKD und der evangelisch-lutherischen Freikirchen statt, am 29. September 1953 befasste sich die Leitung der VELKD in Tutzing mit den Ergebnissen des Gespräches. Es sei an dieser Stelle angemerkt, dass die VELKD nahezu zeitgleich die Diskussion über das Verhältnis zu den „Sekten“ – gemeint waren sowohl Freikirchen als auch Gruppen, die später als „religiöse Sondergemeinschaften“ definiert wurden – anstieß, da sich auch in dieser Hinsicht große Problemfelder und Informationsbedarf in den Landeskirchen und den Gemeinden ergaben.62 Ziel der Gespräche mit den Freikirchen war die Verbesserung des Verhältnisses zu ihnen auf Kirchenleitungsebene sowie in Einzelfragen. Abschließende Verlautbarungen wurden nicht verabschiedet, sondern die Bitte an die Kirchenleitungen gerichtet, sie sollten sich überlegen, welche nächsten Schritte sie für eine Annäherung zwischen Freikirchen und Landeskirchen in Betracht ziehen würden.63 Beschlussfreudiger zeigten sich die bereits Anfang September in Bad Boll zusammengekommenen Teilnehmer der „Ökumenischen Tagung ‚Landeskirchen und Freikirchen‘“, die eine Resolution verfasst hatten, in der auch Doppelmitgliedschaften in Landes- und Freikirchen in Erwägung gezogen wurden und die in Einzelfragen eine größere Nähe erzielen sollte.64 Selbst in der württembergischen Landeskirche, in der Doppelmitgliedschaften in Landeskirche und Evangelischer Gemeinschaft gestattet waren, stieß diese Resolution auf Widerstand.65 Die Gespräche der VELKD mit den Freikirchen waren erste Versuche, die in der Praxis häufig unklaren Verhältnisse zu bereinigen. Mitte der 1970er Jahre begann die rheinische Landeskirche mit einem Vorstoß, die Beziehung zu den Freikirchen zu intensivieren. Direkter Auslöser dazu war das so genannte „Kirchenpapier“ der FDP, das 1974 als Erklärung „Freie Kirche im Freien
62 Vgl. FITSCHEN, Franz Lau. Aus der Arbeit des 1952 gebildeten Theologischen Ausschusses“ der Generalsynode der VELKD ging 1966 das „Handbuch zu Freikirchen und Sekten“ hervor. Der Ausschuss selbst war gebildet worden, als immer häufiger Anfragen der Landeskirchen bei der VELKD eingingen, wie mit einzelnen Sekten und Freikirchen umzugehen sei. 63 Rundbrief des Leitenden Bischofs der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands an die Kirchenleitungen der Gliedkirchen der Vereinigten Evang.-Luth. Kirche Deutschlands vom 14. 1. 1954, gez. D. Meiser D.D. Maschinenschriftl., hektograph., 2 S., hier 2 (LAW, LKA 528). 64 Resolution der ökumenischen Tagung „Landeskirchen und Freikirchen“, Bad Boll 31. August bis 3. September 1953, Beilage 1 zum Schreiben des Ev. OKR Stuttgart an die westdeutschen Landeskirchenämter und das Ev. Konsistorium Berlin-Brandenburg vom 21. 11. 1955. Maschinenschriftl., hektograph., 2 S. (LKAS A 126, Nr. 1215, 077). 65 Äußerung zu der Boller Resolution vom 3. September 1953 betreffend Fragen zwischen Landeskirchen und Freikirchen, Karlsruhe/Stuttgart 19. 9. 1955, Beilage 2 zum Schreiben des Ev. OKR Stuttgart an die westdeutschen Landeskirchenämter und das Ev. Konsistorium Berlin-Brandenburg vom 21. 11. 1955. Maschinenschriftl., hektograph., 2 S. (LKAS A 126, Nr. 1215, 078).
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Staat“ verabschiedet und in dem im Sinne einer stärkeren Trennung von Staat und Kirche unter anderem die Gleichbehandlung von Großkirchen und Religionsgemeinschaften und die Abschaffung von Sonderrechten gefordert wurde.66 Die rheinische Kirchenleitung verschickte im Sommer 1974 ein Proponendum an die Gemeinden, Kirchenkreise, Presbyterien und Arbeitsgruppen, in dem darum gebeten wurde, zu der Frage des Verhältnisses der Kirche zu den Freikirchen Stellung zu nehmen. In den Kreissynoden wurde daraufhin über diese Frage ausgiebig diskutiert.67 Unter anderem wurde mehrfach festgestellt, dass die Bedeutung der „Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland“ in den Gemeinden vor Ort kaum Beachtung erfuhr und intensiviert werden müsse. Am 9. Oktober 1975 beriet die Landessynode über eine Vorlage des „Ökumenischen Ausschusses“ und nahm sie als „Beschluss 28“ einstimmig an. In dieser Vorlage „Evangelische Freikirchen im Gespräch oder in Zusammenarbeit mit der Landeskirche“ wurden ausführlich Gemeinsamkeiten, Unterschiede und die Arbeitsbereiche dargestellt, in denen eine engere Zusammenarbeit mit den Freikirchen anzustreben sei.68 Seit 1981 kam es zu Treffen zwischen Vertretern der EKD und der Freikirchen, ebenso wie zu Gesprächen in den 1980er Jahren zwischen Vertretern der VELKD und der Arnoldshainer Konferenz sowie der Evangelisch-methodistischen Kirche bezüglich der Kanzelund Abendmahlsgemeinschaft. Der Dialog hatte im Mai 1977 zwischen Vertretern des Lutherischen Weltbundes und des Weltrates Methodistischer Kirchen
66 Das vieldiskutierte, angefeindete und letztlich wirkungslos gebliebene „Kirchenpapier“ entzündete unter anderem eine Debatte um Kirchenaustritte, Mitgliederzahlen und die Frage, wie dem Kirchenmitgliedschwund entgegen gewirkt werden könne. In diesem Zusammenhang plädierte die rheinische Landeskirche für eine verstärkte Zusammenarbeit mit den Freikirchen. Dazu vgl. z. B. die Argumentationen in den Referaten auf der Kreissynode des Kirchenkreises Jülich im Oktober 1974 (Verhandlungen der ordentlichen Kreissynode Jülich. Birkesdorf – Düren 26. Oktober 1974. Maschinenschriftl., hektograph., 61 S. [AEKR Düsseldorf]); zu dem FDP-Kirchenpapier CZERMAK, Religions- und Weltanschauungsrecht, 52. 67 1975 konstatierte der Präses der rheinischen Landeskirche Karl Immer in dem „Bericht zur Lage der Kirche“ vor der Landessynode, durch das Proponendum sei das Verhältnis zu den Freikirchen „weiter befestigt worden“ und in den Diskussionen auf den Kreissynoden sei deutlich geworden, „daß es uns nicht mehr erlaubt ist, als Landeskirche keine Verbindung zu halten mit den Brüdern und Schwestern aus den freikirchlichen Gemeinden und Gemeinschaften. Wir haben nach Jahrzehnten des Ignorierens zu lernen, daß neben uns Gemeinden existieren, die in gelebter Gemeinschaft der Gemeindeglieder uns vieles voraushaben [. . .].“ (Immer, Karl: Bericht zur Lage der Kirche, in: Verhandlungen der 23. ordentlichen rheinischen Landessynode. Tagung vom 19. bis 24. Januar 1975 in Bad Neuenahr. Mühlheim an der Ruhr [1975], 106–126 [AEKR Düsseldorf]). 68 Verhandlungen der 24. außerordentlichen rheinischen Landessynode. Tagung vom 11. bis 16. Januar 1976 in Bad Neuenahr, 79–85 (AEKR Düsseldorf).
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begonnen.69 Am 20. Mai 1985 wurde von der Kirchenleitung der VELKD die „Erklärung zur Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft“ verabschiedet, die Generalsynode der VELKD beschloss die Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft am 21. Oktober 1986. Die Arnoldshainer Konferenz bat mit Beschluss vom 17. April 1986 die ihr angeschlossenen Kirchen, die Einladung zur Kanzelund Abendmahlsgemeinschaft anzunehmen und auszusprechen. Diese Entwicklung war durch die Vorarbeiten zur „Konkordie der reformatorischen Kirchen in Europa“, der am 16. März 1973 verabschiedeten „Leuenberger Konkordie“, forciert worden.70 Der Gnadauer Gemeinschaftsverband suchte seit Mitte der 1950er Jahre die Nähe von Freikirchen. Im Februar 1955 vermerkte der Vorstand, man würde sich in Gnadau freuen, wenn „Bruder Bauer (Freikirchen)“ – der nicht konkreter benannt wurde und im weiteren Verlauf in dem Zusammenhang nicht in Erscheinung trat – „engere Fühlung mit Gnadau suchen“ wollte.71 Zu diesem Zwecke wurden speziell die freikirchlichen Brüder auf die Pfingstkonferenz in Frankfurt eingeladen, auf der die Themen Heilige Schrift, Heiliger Geist und Heil behandelt wurden,72 d. h. zentrale theologische Inhalte der Pfingst- und charismatischen Bewegung. Es kann hier nur vermutet werden, dass man in der Gemeinschaftsbewegung eben genau an dem trennenden Punkt der Bewertung des Heils und des Heilens mit den Freikirchen ins Gespräch kommen und evtl. einen Schulterschluss herstellen wollte. Größerer Erfolg war diesen Gesprächsversuchen allerdings nicht beschieden. 3.1.5 Das Verhältnis von Gemeinschaftsbewegung und Landeskirchen in den „Gesprächen zwischen Gemeinschaftsbewegung/Pietismus und Kirche“ Ende der 1940er Jahre Wie bereits angedeutet, war das Verhältnis der Gemeinschaftsbewegung innerhalb der Landeskirchen zu den Gemeinden vor Ort nicht immer frei von dem Problem, das schon in der Darstellung der Evangelisationen in den 1940er bis 1960er Jahren erörtert wurde: dem „Werben“, der Konkurrenz um die Gemeindeglieder. Allerdings traten die Probleme im Wesentlichen im Zusammenhang mit Veränderungen auf, seien es personelle Wechsel oder das Eintre69
DIE KIRCHE. GEMEINSCHAFT, 6. Vgl. diverse Dokumente in A.OKR.Ol OKR Generalia 1958–1988, Nr. 320–2, Bd. 01. 71 Briefdurchschlag von Hermann Haarbeck an [Wilhelm] Brauer vom 23. 3. 1955. Maschinenschriftl., 1 S. (AEGGK, IX: Evangelische Allianz, 4. Evangelisation, Nr. 994: Billy Graham 1955). 72 Vgl. auch die Schrift „Heil und Heiligung“ in der Reihe „Gnadauer Hefte“, die offensichtlich aus einem Referat auf der Pfingstkonferenz hervorging (GIESEN, Heil). 70
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ten neuer oder fremder Gemeinschaftsgruppen in das Gebiet alteingesessener Gemeinschaften bzw. dem der landeskirchlichen Gemeinden.73 Von der Kooperationsbereitschaft der Ortspfarrer und Prediger hing ebenfalls eine gute Beziehung zwischen Gemeinschaft und landeskirchlichen Gemeinden ab. Insgesamt war das Verhältnis zwischen den Leitungen der regionalen Gemeinschaftsverbände und der Kirchen einvernehmlich. In den meisten Fällen finanzierten die Landeskirchen bereitwillig Projekte der Gemeinschaften. Für die Zeit von 1945 bis Mitte der 1960er Jahre wurde in der Gemeinschaftsbewegung „nicht sonderlich viel Interesse seitens der Kirchen an ihren Aktivitäten verzeichnet“.74 Das Interesse und die Unterstützung bzw. Partizipation an Veranstaltungen der Gemeinschaftsbewegung durch die Kirchenleitungen sind in der Tat nicht durchgängig zu verzeichnen und hingen, auch hier wieder, von dem individuellen Interesse führender Kirchenvertreter ab. Ein allgemeines Desinteresse der Kirche an der Gemeinschaftsbewegung aber ist keineswegs zu konstatieren: 1947 begannen die so genannten „Gespräche zwischen Gemeinschaftsbewegung/Pietismus und Kirche“ in den evangelischen Akademien und in den Landeskirchenämtern Süddeutschlands und, mit etwas 73 Um nur einige Beispiele zu nennen: Im württembergischen Meßstetten war eine Gemeinschaft des Altpietistischen Gemeinschaftsbundes ansässig. 1950/51 kam eine Gemeinschaft des zu dieser Zeit gegründeten Süddeutschen Gemeinschaftsbundes hinzu, der 1956 eine Ortsgruppe des EC ins Leben rief. 1961 zog der Kirchengemeinderat seine Unterstützung dieser Jugendgruppe auf Grund der „immer wieder auftretende[n] zeitliche[n] und personelle[n] Überschneidungen“ zurück (Evang. Kirchengemeinde Meßstetten, Dekanat Balingen. Auszug aus dem Verhandlungsbuch des Kirchengemeinderats Bd. VI, S. 289. Verhandelt am 19. Mai 1961, gez. Bock, 6. 6. 1961. Maschinenschriftl., 2 S., hier 1 [LKAS A 126, Nr. 1177, 164]). Im badischen Bezirk Bretten und im Hochschwarzwald wurden 1956, in der Zeit der Vakanz der Stelle des Landeswartes für Gemeindejugend, vom CVJM „systematische Besuche auch bei solchen Jugendkreisen durchgeführt [. . .], die nicht Mitglieder dieses Verbandes sind, sondern sich als Gemeindejugend verstehen“ (Protokoll des Landesarbeitskreises der Gemeindejugend vom 27. Oktober 1956 im Landesjugendpfarramt, Karlsruhe, Blumenstr. 1. Beginn der Sitzung: 14.10 Uhr, gez. Erhard Gramit. Maschinenschriftl., 2 S., hier 1 [LKA KA GA 7925]). In Hannover-Wülfel bzw. HannoverMittelfeld kam es 1956 zu Verstimmungen zwischen Gemeinde und landeskirchlicher Gemeinschaft, als die landeskirchliche Gemeinschaft beschloss, ein eigenes Gemeinschaftshaus zu bauen und sich damit von der Nutzung der Gemeinderäume unabhängig zu machen (Abschrift eines Briefes der Ev.-luth. Gnadenkirche zum Heiligen Kreuz, Hannover-Wülfel, an die Leiter der landeskirchlichen Gemeinschaft „Im Mittelfelde“ Herrn Ernst Pribbenow und Herrn Jacke, vom 3. 5. 1956. Maschinenschriftl., 2 S. [LkAH, Best. B 1/ 841, Bd. I: Gemeinschaftsbewegung, Bd. 1]). 74 NIEKE/ SCHAAL, Verhältnis, 406. Vgl. auch den Jahresbericht 1956 von Präses Hermann Haarbeck, in dem es heißt, man lebe eben „nicht in Erweckungszeiten, sondern in der Zeit der kleinen Dinge“ (HAARBECK, Erhebet, 44). Aus kirchlichen Kreisen werde der Gemeinschaftsbewegung immer wieder vorgehalten: „Eure Zeit ist vorbei, ihr waret einmal Erweckungsbewegung, jetzt seid ihr festgefahren und ohne sittliche und missionarische Kraft. Darum fehlt euch die Existenzberechtigung, ihr solltet abtreten!“ (EBD., 43).
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zeitlicher Verzögerung, Mitteldeutschlands. Es ist aber ein nicht zu unterschätzendes Faktum, dass man innerhalb der Gemeinschaftsbewegung das Empfinden hatte, die Kirche zeige „nicht sonderlich viel Interesse“ an dem eigenen Wirken, und damit den eigenen Standort innerhalb der Kirche als defensiv beschrieb. Die Frage der Abgrenzung des Begriffs „Pietismus“ Bezeichnenderweise wurden die Dialoge, die Ende der 1940er und in den 1950er Jahren bis in die 1960er Jahre zwischen Vertretern der Landeskirchenleitungen und der Gemeinschaftsbewegung in Deutschland geführt wurden, stets kurz und von beiden Seiten als „Gespräche zwischen Kirche und Gemeinschaftsbewegung“ akzeptiert oder, hauptsächlich in Württemberg, als „Gespräche zwischen Kirche und Pietismus“ bezeichnet. Diese knappe Formulierung beinhaltet unausgesprochene Voraussetzungen, die kurz bedacht werden müssen. Ein grundsätzliches Problem stellt sich im Zusammenhang mit der Frage, was der Begriff „Pietismus“ im 20. Jahrhundert eigentlich meint. In der kirchenhistorischen Forschung wird im Allgemeinen die Epoche des Pietismus – wenn der Terminus als Epochenbegriff verwendet wird – bis Ende des 18., Anfang des 19. Jahrhunderts angesetzt. Der Pietismus als protestantische Frömmigkeitsform geht dann in die Erweckungsbewegung über. Allerdings stellte sich in den letzten 15 Jahren die Frage nach den (zeitlichen und räumlichen) Grenzen des Pietismus im Zusammenhang mit dem Erscheinen der vierbändigen Ausgabe der „Geschichte des Pietismus“ neu. Bereits seit den 1970er Jahren hatte Johannes Wallmann einen „weiten“ und „engen“ Pietismusbegriff vorgeschlagen und erörtert. Dabei ging es bei einer „weiten“ Definition von Pietismus um die Vorgeschichte des Pietismus, weniger um seine Ausdehnung in das 19. oder 20. Jahrhundert. Neue Aufmerksamkeit wurde dem Problem mit der zwischen Wallmann, Martin Brecht und Hartmut Lehmann in den Bänden des Jahrbuchs zur Geschichte des neueren Protestantismus „Pietismus und Neuzeit“ zwischen 1994 und 2005 erfolgten Diskussion zuteil.75 Während Wallmanns Anliegen zugespitzt das ist, man müsse sich „zum wissenschaftlichen Verständnis [von Pietismus] von allem fernhalten [. . .], was sich gegenwärtig pietistisch nennt“76, verteidigt Lehmann die Bezeichnung u. a. der Erweckungsbewegung und der evangelikalen Bewegung als „pietistisch“, wie es der dritte und vierte 75 WALLMANN, Fehlstart; BRECHT, Konzeption; WALLMANN, Geschichte; LEHMANN, Pietismusbegriff; WALLMANN, Epochenbegriff; LEHMANN, Aufgaben. 76 WALLMANN, Epochenbegriff, 204.
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Band der „Geschichte des Pietismus“ implizieren. Ein im Zusammenhang der Frage, wie lange der Epochenbegriff „Pietismus“ auszudehnen sei, auftretendes Problem ist die Typologisierung der pietistischen Frömmigkeit, die keineswegs so klar ist, wie es auf den ersten Blick erscheint.77 Wallmann sieht in dem Versuch Lehmanns, in dem dritten Band der Geschichte alle „Frommen“ zum Pietismus zu zählen, eine Engführung der Debatte und stellt u. a. den Vorwurf in den Raum, Lehmann führe eine „Württembergisierung“ der Geschichte ein.78 Die Tatsache, dass nach 1945 sowohl Gemeinschaftsvertreter als auch die Kirchenleitungen – allerdings auch hier vornehmlich in Württemberg –, von „dem Pietismus“ als Synonym für die Gemeinschaftsbewegung sprechen und unter diesem Titel auch die Akten archivalisch abgelegt wurden, spricht sehr für einen „erweiterten Pietismusbegriff“ oder aber für einen typologisierenden Pietismusbegriff im Gegensatz zum historischen Epochenbegriff, wie er in der „Geschichte des Pietismus“ Anwendung findet. Allerdings ist dazu anzumerken, dass in der historischen Phase des Übergangs von Gemeinschafts- zur evangelikalen Bewegung bzw. von der Gemeinschaftsbewegung im 20. Jahrhundert als evangelikaler Trägergruppe genuine Topoi des historischen Pietismus abgelehnt werden. Das wird besonders bei den Argumentationen im Zusammenhang mit der Bultmanndebatte, wie Kap. 4.1 zeigt, deutlich. Nicht umsonst wird in der spärlichen Literatur zur Bekenntnisbewegung, die nicht von Vertretern der Bekenntnisbewegung verfasst wurde, die Überlegung laut, dass sie inhaltlich starke Verbindungslinien zur altlutherischen Orthodoxie aufweise. Da nach wie vor die Frage, was denn nun jenseits der gegenseitigen Zuschreibungen den historischen Pietismus und die lutherische Orthodoxie voneinander geschieden hat, bis heute nicht endgültig geklärt ist, ebenso wie die Typologisierung protestantischer Frömmigkeit nach wie vor einer substantiellen Erforschung harrt, lässt sich auch auf Grund dieser Ungeklärtheit der Voraussetzungen die Frage, wo die evangelikalen Wurzeln liegen, nämlich eher in der Orthodoxie oder eher im Pietismus, nur schwer beantworten. Zumindest kann davon ausgegangen werden, dass Frömmigkeitsstrukturen der Gemeinschaftsbewegung als evangelikaler Trägergruppe wie Bibel- und Hauskreise deutlich Elemente des historischen Pietismus aufnehmen – ein Aspekt, dem in der evangelikalen Bewegung im Übrigen deutlich weniger Aufmerksamkeit zuteil wird –, fehlendes Sozialund Gesellschaftsengagement ein genuin deutsches Phänomen der Erweckungsbewegung Ende des 19. Jahrhunderts darstellt und theologische Topoi wie die Absolutstellung der „historischen Tatsache“ auf die lutherische Orthodoxie 77 So im Ansatz bei LEHMANN, Pietismusbegriff, 25, ausführlich aber bei WALLMANN, Epochenbegriff. 78 Ebd., 215.
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bzw. auch die Strömung des Rationalismus der Aufklärung als historischer Epoche hinweisen. Vor diesem Hintergrund ist es sicher trotzdem möglich, evangelikale Trägergruppen als pietistisch zu bezeichnen – historiographisch eloquent ist es allerdings nicht. Man wird in Rechnung stellen müssen, dass hier im Hinblick auf Glaubenstopoi umwälzende Veränderungen gegenüber dem Pietismus des 17., 18. Jahrhunderts vorliegen, im Übrigen auch zur deutschen Erweckungsbewegung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Man wird weiterhin im Auge behalten müssen, dass die Selbst- wie die Fremdbezeichnung „Pietist“ auch im 20. Jahrhundert einen apologetischen und damit nicht inhalts- sondern kirchenpolitisch motivierten Hintergrund hat. Besonders die Verschiebung der ursprünglichen Konnotation pietistisch sei „frömmelnd“ oder „frömmlerisch“ hin zu einem pauschalen „fromm“, zeigt die apologetischen Inszenierungen allein auf der Ebene der Begriffsgeschichte: Ursprünglich wurden Pietisten mit dieser Bezeichnung von ihren Gegnern als in Glaubensdingen verbohrt etc. abgeurteilt, später sahen sich die Pietisten als die „Frommen“, d. h. „Gläubigen“. Wer nicht Pietist war, gehörte demzufolge mehr oder weniger zu den „Ungläubigen“. Eben diese Apologetik verbirgt sich auch hinter der aktuellen evangelikalen Argumentation, Evangelikale seien „gläubige Christen“ – was sie sicher sind und zwar ebenso wie Christen anderer Frömmigkeitsstile. Die in den gegenwärtigen Mediendebatten von evangelikaler Seite immer deutlicher werdende Tendenz, Angriffe auf Evangelikale als Angriffe gegen „Christen“ zu generalisieren, zeigt, wie parallel apologetische Argumentationsstrukturen verlaufen: Pietisten gleich „Fromme“, Evangelikale gleich „die Christen“. Sicher ist ein solches Vorgehen als Teil kirchenpolitischer Machtkämpfe üblich, aber wenn statt der Aufarbeitung der Genese solcher Machtkämpfe und Konstellationen die unhinterfragte Übernahme der Selbstbilder in die historische Forschung erfolgt, kann sich das nur als fatal erweisen. Darüber hinaus impliziert die Annahme eines „Gesprächs zwischen Kirche und Gemeinschaft/Pietismus“, dass beides, evangelische Kirche und Gemeinschaftsbewegung, homogene und relativ gut abgrenzbare Phänomene sind sowie dass die Kirche nicht zur Gemeinschaftsbewegung/dem Pietismus und die Gemeinschaftsbewegung/der Pietismus nicht zur Kirche gehören. Beide Aspekte sind letztlich falsch und lassen sich nur als Simplifizierungen verstehen, allerdings als Simplifizierungen, die bereits auf Konstellationen hindeuteten, die in der evangelikalen Bewegung in den scharfen Debatten um eine Abspaltung von der Kirche ihren Höhepunkt fanden. Es stellt sich bezüglich des Mottos „Gespräch zwischen Gemeinschaftsbewegung und Kirche“ durchaus die Frage, inwiefern „die Kirche“ die Gemeinschaftsbewegung letztlich als einen von ihr getrennten evangelischen „Sonderfall“ behandelte. Oder aber vice versa, inwieweit sich die Gemeinschaftsbewegung auf Grund der Konflikte mit den Orts-
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pfarrern und Kirchenleitungen und des jahrzehntelangen Unterlegenheitsgefühls besonders „der Theologie“ gegenüber selbst für einen solchen hielt. Zumindest bei den „Gesprächen zwischen Gemeinschaftsbewegung und Kirche“ wurde stillschweigend von beiden Seiten davon ausgegangen, dass die Gemeinschaftsbewegung und die Landeskirchen zwei getrennte Entitäten der evangelischen Kirche darstellen. Bei der folgenden Schilderung der Ereignisse wurde eine methodische Entscheidung getroffen: Die „Gespräche zwischen Gemeinschaftsbewegung/Pietismus und Kirche“ zogen sich bis in die 1960er Jahre und gingen dann in die Gespräche mit den Evangelikalen über. In diesem Kapitel werden nur die Treffen und Tagungen dargestellt, die das genuine Verhältnis zwischen Gemeinschaftsbewegung und Kirche behandelten, nicht aber die Theologie Bultmanns. Um 1950 brach in die „Gespräche“ das Thema Bultmann und dessen Theologie ein. Einerseits erreichte die Bultmannkontroverse zu diesem Zeitpunkt ihren ersten Höhepunkt, andererseits veröffentlichte 1951 der Vorstand des Gnadauer Verbandes eine Erklärung zu Bultmann, in der er alle kirchlichen Entscheidungsträger und Theologen bat, die „Entmythologisierung“ abzulehnen. Es waren um 1950 vor allem die Kreise der Gemeinschaftsbewegung, die die „Bultmannsche Häresie“ vehement zurückwiesen. Im 4. Kap. wird auf die Bultmanndebatte ausführlich eingegangen werden, auch auf die sich daraus ergebenden Differenzen zwischen Kirchenleitungen und Gnadauer Verband. In diesem Sinne begann Anfang der 1950er Jahre das Verhältnis der Gemeinschaftsbewegung zur Kirche in ein ganz eigenes Konfliktfeld zu geraten. Am Rande sei hier noch angemerkt, dass die Gespräche zwischen Kirchenleitungen und Gemeinschaftsverbänden im Wesentlichen von den landeskirchlichen Gemeinschaften initiiert und getragen waren, d. h. von den unmittelbar in die Landeskirchen integrierten Gemeinschaften regionaler Prägung. Den Anstoß für die Aufnahme der Bultmannkontroverse in diese Gespräche gab allerdings die Leitung des Gnadauer Verbandes – auch wenn durch die Relevanz die Debatte recht schnell Thema in den Einzelverbänden wurde. Zumindest kann hier, wenn auch nuanciert, eine Prägung der Zielsetzungen der einzelnen Gemeinschaften vor Ort durch die Leitung der Gemeinschaftsbewegung wahrgenommen werden. Treffen zwischen Kirchenleitungen, Vertretern des „Pietismus“, d. h. zwischen der Gemeinschaftsbewegungsgruppen und vereinzelt Theologen gab es schon im Januar, Juni und Oktober 1942. Eine Wiederholung wurde bereits damals angestrebt, konnte aber nicht umgesetzt werden.79 Nach Kriegsende
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Die Treffen 1942 hatten zwischen Theophil Wurm, Hans Meiser und dem Präses des Gna-
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war es der Leiter der im September 1945 in Bad Boll gegründeten ersten deutschen Evangelischen Akademie, Eberhard Müller, der sich darum bemühte, in das prinzipiell eher wirtschaftsethisch und sozialpolitisch ausgerichtete Programm der Akademie80 den Kontakt zwischen Gemeinschaftsbewegungsführern und Kirchenleitungsvertretern zu integrieren. Müller nahm das zentrale Anliegen der Akademien, nämlich Förderung von Dialog, Diskurs und Vernetzung an einem durchaus heiklen Punkt auf und plante zusammen mit dem Leiter der Missionsschule der Bahnauer Bruderschaft in Unterweissach, dem Vertreter des Gnadauer Gemeinschaftsverbandes in der „Arbeitsgemeinschaft für Volksmission“ und späterem Mitarbeiter in der Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“, Max Fischer, eine Zusammenkunft dieser Art. Der Präses des Gnadauer Gemeinschaftsverbandes, Walter Michaelis, zeigte sich dem Vorhaben gegenüber eher skeptisch,81 der Bundesdirektor des EC, Otto Kaiser, stand
dauer Gemeinschaftsverbandes stattgefunden mit je drei Begleitern sowie den Referenten für Gemeinschaftswesen und einem, namentlich nicht genannten Professor der Landesuniversität Tübingen. „Die Fortsetzung dieser Zusammenkünfte wurde besonders immer von einzelnen Männern der Kirche gewünscht wie z. B. Künneth.“ (Durchschlag eines Briefes von [Walter Michaelis] an Eberhard Müller vom 5. 12. 1946. Maschinenschriftl., 2 S. [AEGGK, II: Dienst und Mitarbeit, 5. Gespräche Pietismus – Theologie, Nr. 251: Bad Boll 1947–1953]). 80 Zu den Evangelischen Akademien in Deutschland vgl. TREIDEL, Akademien, zur Ausrichtung der Evangelischen Akademie Bad Boll unter Eberhard Müller besonders 63–77. Ebenfalls zu Müllers Rolle bei der Entstehung der Evangelischen Akademien RELKE, Politische Bildung, 190f. Einen Grobüberblick über die Arbeit der evangelischen Akademien bieten KOPP/ FALLET, Sinn für Neues. 81 Michaelis argumentierte Müller gegenüber, dass mit jemandem, der den Pietismus von vornherein ablehne, keine gute Disputation möglich sei (Durchschlag eines Briefes von [Walter Michaelis] an Eberhard Müller vom 5. 12. 1946. Maschinenschriftl., 2 S., hier 2 [AEGGK, II: Dienst und Mitarbeit, 5. Gespräche Pietismus – Theologie, Nr. 251: Bad Boll 1947–1953]). Zwei Tage später schlug Michaelis in einem Brief an Max Fischer vor, den für ein Referat anvisierten Göttinger, später Bonner Systematiker Hans Joachim Iwand nicht zu dem Gespräch hinzuzuziehen, weil Iwand „schier jede Gelegenheit wahr[nimmt], dem Pietismus einen Schlag zu versetzen. Er mag dies für seine besondere Aufgabe halten, denn im persönlichen Gespräch unter vier oder sechs Augen soll er auch wieder ganz andere Töne anschlagen.“ Eine Predigt von Iwand, die er gehört hatte, fand Michaelis rednerisch und theologisch hervorragend, aber ganz und gar „auf der objektiven Linie“: „Diese Theologen scheinen eine unüberwindliche Abneigung gegen das Betreten des Gebietes der persönlichen Erfahrungen zu haben.“ (Durchschlag eines Briefes von [Walter Michaelis] an Max Fischer vom 7. 12. 1946. Maschinenschriftl., 2 S., hier 1 [AEGGK, II: Dienst und Mitarbeit, 5. Gespräche Pietismus – Theologie, Nr. 251: Bad Boll 1947–1953]). Iwand wurde von Fischer trotzdem eingeladen, da Iwand laut Fischer ein Korrektiv bzw. einen Anschluss brauche und außerdem „doch irgendwie eine Brücke zu den zu der dialektischen Theologie gehörenden Leuten“ sei (Brief von Max Fischer an Doktor [Walter Michaelis] vom 8. 1. 1947. Maschinenschriftl., 2 S., hier 2 [AEGGK, II: Dienst und Mitarbeit, 5. Gespräche Pietismus – Theologie, Nr. 251: Bad Boll 1947–1953]). Iwand sagte letztendlich selbst seine Teilnahme ab. Ihn verband mit Fischer die Herausgabe des kleinen Büchleins „Wie wir uns fanden! Ein Wort zur Begegnung
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dem Plan sehr aufgeschlossen gegenüber, da er sich schon seit Jahren „ernste Gedanken“ über „das große Abwandern der Theologen aus unserer Gemeinschaftsbewegung“ gemacht und sich wiederholt die Frage gestellt habe, worauf das zurückzuführen sei. Kaiser erhoffte sich von der Tagung ein größeres Verständnis für die Gemeinschaftsbewegung.82 Die Sorge bezüglich eines konstruktiven Gespräches – die sich allerdings dann als grundlos erwies – war auf der Seite der Gemeinschaftsbewegung geprägt durch die Annahme einer Antihaltung der jungen Pfarrer und Theologen gegenüber Pietismus und Gemeinschaftsbewegung. Diese sah man durch die Theologie Karl Barths und dessen kritischen Äußerungen gegenüber dem Pietismus in den 1920er Jahren den Studierenden aufoktroyiert.83 Die Auswirkung der Haltung Karl Barths gegenüber dem Pietismus auf die Gemeinschaftsbewegung Der Pietismus litt in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts unter dem Verdikt, das der reformierte Theologe Karl Barth in seinem Römerbriefkommentar von 1919 und, mit abgewandelter Begründung und in moderaterem Ton in der Zweitauflage von 1922 über ihn gefällt hatte.84 So sprach Barth in der Erstauvon Kirche und Gemeinschaft“, das 1947 erschien und 1948 eine Zweitauflage erlebte und in dem beide Autoren die Annäherung von Kirche und Theologie an die Gemeinschaftsbewegung und vice versa beschrieben. 82 Brief von Otto Kaiser, Bundesdirektor des Deutschen Verbandes der Jugendbünde für entschiedenes Christentum (e. V.) an Max Fischer vom 27. 1. 1947. Maschinenschriftl., 2 S., hier 1 (AEGGK, II: Dienst und Mitarbeit, 5. Gespräche Pietismus – Theologie, Nr. 251: Bad Boll 1947–1953). Die Äußerung von Kaiser ist insofern erstaunlich, als dass er einer derjenigen war, der in dem Eklat innerhalb der Liebenzeller Mission (s. o.) für eine Entlassung des theologisch argumentierenden Direktors des Missionswerkes Möller und des theologischen Leiters der Bibelschule Loeser gestimmt hatte und damit für die Anerkennung einer in theologischer Hinsicht opaken Auffassung von der Verbalinspiration. 83 So z. B. im Brief von Max Fischer an Doktor [Walter Michaelis] vom 8. 1. 1947. Maschinenschriftl., 2 S., hier 1 (AEGGK, II: Dienst und Mitarbeit, 5. Gespräche Pietismus – Theologie, Nr. 251: Bad Boll 1947–1953). Von den „unliebsamen Überraschungen“, die dem Pietismus immer wieder durch Theologen bereitet wurde berichtet BOCKMÜHL, Aktualität, 39f. 84 BARTH, Römerbrief, 204–217. Zu dem Verhältnis von Barth zum Pietismus und der Argumentationsverschiebung in dessen Pietismuskritik von der Erstauflage des Römerbriefkommentars zur zweiten Auflage vgl. BUSCH, Barth. Während in der Erstausgabe des „Römerbriefes“ 1919 der Pietismus als „religiöser Individualismus“ oder Separatismus, dessen Frömmigkeit eine „gemachte und gekünstelte“ und damit Abfall von Gott sei und darüber hinaus dem Liberalismus nahe stehe, von Barth gebrandmarkt wurde (BUSCH, Barth, 50–63), so zielte die Kritik in der 1922 publizierten Zweitauflage darauf ab, der Pietismus sehe in seinem „asketischen“ Charakterzug, der Negation aller „Werke“, ein „Weg zum Heil“, um des Göttlichen habhaft zu werden, was zu einem Pharisäismus führen könne, der fürchterlicher als jeder zuvor sei, da er selbstgerecht und demütig in einem sei (BUSCH, Barth, 102–116).
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flage des Römerbriefkommentars vom „Inferno des Pietismus, wo die Dämonen ihr Wesen treiben“85 und vom pietistischen „eigenherrliche[n] Bemühen um Gott“86: „Wie sollte der Pietist etwas zu sagen oder zu tun wissen gegen Mammon, Krieg, Krankheit, Schicksal, Tod, wo sein tiefstes Wesen in demselben Abfall von Gott besteht, wie das Wesen jener Mächte? Er begegnet in der Welt überall der gleichen Eigenherrlichkeit, deren er sich selber schuldig weiß, und so kann er sich kraft seines besseren Wissens und Wollens wohl in Gegensatz stellen zu ihrer religiösen Oberflächlichkeit und zu ihrem moralischen Leichtsinn, aber niemals kraft seines besseren Tuns hindurchbrechen durch die Naturgesetze ihres Daseins. Denn dieses bessere Tun fehlt ihm sowohl wie ihr. Auch bei ihm raucht es nur, aber es brennt nicht.“87
Nach Eberhard Busch, der Barths Pietismuskritik ausführlich untersuchte, stellten die Spitzensätze Barths „Lieber mit der Weltkirche in der Hölle, als mit dem Pietismus niederer oder höherer Ordnung, älterer oder modernerer Observanz im Himmel! Der Christus ist in diesem Fall mit uns in der Hölle“88, die mit anderer Stoßrichtung auch in der Zweitauflage des Römerbriefkommentars zu finden sind, einen massiven Affront gegen die pietistischen Kreise der 1920er Jahre dar. Auch wenn Barth selbst Anfang der 1930er Jahre hinsichtlich des Pietismus „irenisch-kritisch“89 wurde, so war doch noch über 20 Jahre später in der Gemeinschaftsbewegung die Verletzung durch sein Urteil lebendig: 1947 vermerkte Max Fischer gegenüber Walter Michaelis, durch den Einfluss Barths bestehe in der jungen Pfarrerschaft und der Studierendenschaft „die Gefahr einer radikalen Abwendung vom Pietismus und der Gemeinschaftsbewegung. Hier möchten wir [durch das in Bad Boll anvisierte Gespräch zwischen Pietismus und Kirche] helfend eingreifen [. . .].“90 Michaelis teilte diese Sicht der Dinge, wie aus einem Brief vom Dezember 1947 an den Züricher Neutestamentler Gottlob Schrenk hervorgeht, in dem Michaelis monierte, dass „in Deutschland ein förmliches Kesseltreiben gegen den Pietismus im Gange ist.“ Es gebe viele Barthianer, die noch radikaler als Barth selbst seien „und unentwegt Sturm laufen gegen den Pietismus.“ Daneben seien die Rezipienten „Vilmars und seines Amts- und Kirchenbegriffes“ am Werke. Es wäre viel gewonnen, wenn auf einer solchen Zusammenkunft wie in 85
BARTH, Römerbrief, 216. EBD., 215. 87 EBD., 214f. 88 BUSCH, Barth, 107. 89 EBD., 301. 90 Brief von Max Fischer an Doktor [Walter Michaelis] vom 8. 1. 1947. Maschinenschriftl., 2 S., hier 1 (AEGGK, II: Dienst und Mitarbeit, 5. Gespräche Pietismus – Theologie, Nr. 251: Bad Boll 1947–1953). 86
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Bad Boll 1948, wo Schrenk den Hauptvortrag halten sollte, den er allerdings zurückzog, „diese gegnerische Doppelfront einmal durchstossen würde.“91 Ende der 1950er Jahre kam es zu Gesprächen zwischen Barth und Vertretern des württembergischen Arbeitskreises „Pietismus und Theologie“ unter maßgeblicher Leitung von Max Fischer, die Barth offensichtlich zu einer Überarbeitung der Passagen über den Pietismus in der Kirchlichen Dogmatik IV, 3, 2. Hälfte veranlassten.92 Die Konfrontation des Pietismus mit derartig scharfer Kritik, wie sie Karl Barth, ein im Übrigen von Gemeinschaftsvertretern geschätzter Theologe, in den 1920er Jahren äußerte, dürfte die Sensibilität und auch das Misstrauen der Gemeinschaftsbewegung gegenüber der Theologie generell befördert und damit unter anderem eine Ausgangslage geschaffen haben, auf der sich seit den 1950er Jahren eine ungehemmte Kritik an Bultmann und der theologischen Forschung aufbaute. Die „Gespräche zwischen Pietismus und Kirche“ in der württembergischen und badischen Landeskirche Das erste „Gespräch zwischen Pietismus und Kirche“ im Nachkriegsdeutschland, das vom 7. bis 12. Mai 1947 in Bad Boll stattfand, wurde von beiden Seiten im Nachgang positiv bewertet. Referenten waren Theophil Wurm, der 91 Briefdurchschlag von [Walter] Michaelis an [Gottlob] Schrenk vom 20. 12. 1947. Maschinenschriftl., 2 S. (AEGGK, II: Dienst und Mitarbeit, 5. Gespräche Pietismus – Theologie, Nr. 251: Bad Boll 1947–1953). 92 Am 6. Oktober 1958 hatte in Basel ein Vorgespräch zwischen Vertretern der Gemeinschaftsbewegung unter Leitung Fischers und Barth stattgefunden. Man vereinbarte, dass die Gemeinschaftsvertreter eine Vorlage für ein weiteres Gespräch vorbereiten sollten, in der Stellung zu Barths Passagen in der „Kirchlichen Dogmatik“ IV, 2 über den Pietismus genommen werden sollte. Im September 1959 kam es dann zu einem weiteren Treffen, an dem 25 Vertreter der Gemeinschaftskreise teilnahmen und das „sehr rege“ war. Es habe „aber auch eine Offenheit hüben und drüben geholfen, daß man auf den andern hörte. Karl Barth selber unterrichtete uns davon, daß in dem nächsten Band IV, 3, 2. Hälfte, eine neue Stellungnahme zum Pietismus erscheinen wird. Wir glauben, daß dieses neue Wort auch eine Frucht unserer Bemühungen um ein Gespräch gewesen ist.“ So kommentierte Fischer gegenüber Haarbeck das Gespräch (Brief von Max Fischer an [Hermann] Haarbeck vom 24. 11. 1959. Maschinenschriftl., 1 S. [AEGGK, II: Verhältnis Gnadaus zur Evang. Kirche, Nr. 111: Kirchenkampf – Beurteilung]). Zwei Jahre später wies Fischer gegenüber dem württembergischen Landesbischof auf das Gespräch mit Barth als Modellfall für die Diskussion zwischen Pietismus und Theologie hin (Rundbrief des Leiters der Bahnauer Bruderschaft, Pfr. M[ax] Fischer, an die Freunde der Arbeitstagungen Pietismus und Theologie vom Januar 1959. Maschinenschriftl., hektograph., 2 S. und Brief des Leiters der Bahnauer Missions-Bruderschaft, Pfarrer M[ax] Fischer, an Landesbischof [Martin Haug] vom 6. 2. 1961. Maschinenschriftl., 3 S., hier 3 [LKAS A 126, Nr. 1177, 137 und 144f.]; HAARBECK, Kaufet, 32f.)
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württembergischen Landesbischof und Ratsvorsitzenden der sich etablierenden EKD, Hans Asmussen, der Leiter der Kirchenkanzlei der EKD, Max Fischer, Leiter der Bahnauer Bruderschaft, der Ulmer Pfarrer und ehemalige Schweriner Domprediger Henning Fahrenheim, der Ordinarius für Neutestamentliche Theologie Otto Schmitz, der Stuttgarter OKR und spätere Referent der württembergischen Kirchenleitung für apologetische Fragen, Manfred Müller, der Evangelist, ehemalige Berliner Stadtmissionsinspektor und Pfarrer in Großalmerode bei Kassel, Erich Schnepel, Rudolf Alexander Schröder aus Traunstein, der Prälat und spätere Nachfolger Theophil Wurms als württembergischer Landesbischof Martin Haug sowie der Pfarrer, Übersetzer der Barthschen Werke ins Französische und seit 1950 Präsident des Nationalen Rats der Église Réformée de France, der Reformierten Kirche Frankreichs, Pierre Maury.93 Den Gottesdienst am Sonntag hielt Eberhard Müller. Walter Michaelis hatte aus gesundheitlichen Gründen kurzfristig absagen müssen.94 In der gemeinsamen Presserklärung im Nachgang des Gespräches wurde festgehalten, dass sich vor allem durch die persönlichen Begegnung in kleineren Arbeitskreisen herausstellte, „daß wir näher beieinander sind, als wir dachten und [. . .] es sich lohnt, das Gespräch fortzusetzen.“95 Das Signal, das von dieser Tagung ausging, war, wie es in einem offiziellen Resümee des Ratsvorsitzenden der EKD Theophil Wurm hieß, „daß Kirche und Gemeinschaftsbewegung, die in den vergangenen Jahrzehnten mancherorts in erheblicher innerer Spannung zueinander standen, heute in neuer Weise miteinander reden können.“ Neben dem Kirchenkampf hätten die generellen theologischen und kirchlichen Entwicklungen dazu geführt, dass auf beiden Seiten eine neue Bereitschaft gewachsen sei, „aufeinander zu hören und die Zusammenarbeit zu suchen.“96
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Die Referate selbst sind nicht erhalten. Michaelis erhielt von Max Fischer kurz nach dem Gespräch ein Feedback, in dem Fischer selbstkritisch schrieb: „Die Brüder der Gemeinschaftsbewegung erwiesen sich keineswegs als die besseren Theologen, womit nicht gesagt sein soll, daß die Männer der Kirche mit ihrer Auffassung immer das Rechte trafen. Ich war doch manchmal überrascht, daß Vertreter des Gnadauer Verbandes die Namen und Erfahrung haben, in der Tauffrage so unklar sind und offenbar das was Sie verehrter Herr Doktor darüber geschrieben haben entweder nicht kennen oder nicht vertreten. (Vertraulich gesagt die Ausführungen von Br. Kaiser in diesem Punkt waren mehr befremdlich als biblisch).“ (Max Fischer an [Walter Michaelis] vom 26. 8. 1947. Maschinenschriftl., 3 S., hier 2 [AEGGK, II: Dienst und Mitarbeit, 5. Gespräche Pietismus – Theologie, Nr. 251: Bad Boll 1947–1953]). 95 „Aussprache zwischen Kirche und Gemeinschaftsbewegung in Bad Boll“. Maschinenschriftl., hektograph., 1 S. (AEGGK, II: Dienst und Mitarbeit, 5. Gespräche Pietismus – Theologie, Nr. 251: Bad Boll 1947–1953). 96 Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland, der Vorsitzende, an Vertreter der kirchlichen Ämter und der Gemeinschaftsbewegung in Deutschland, gez. Wurm, Stuttgart, März 1948. 94
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Aus landeskirchlicher Sicht gehörte zu der neuen theologischen und kirchlichen Entwicklung „allerlei sektiererische Bestrebungen, die heute wieder stärker lebendig werden“ und vor deren Hintergrund es „von besonderer Wichtigkeit [sei], dass die Kirche mit dem gesunden Teil der Gemeinschaftsbewegung in der rechten geistlichen Verbindung“ stehe, wie Wurm an anderer Stelle feststellte.97 Es wurde darauf gedrungen, auch in anderen Gremien und auf anderen Organisationsebenen solche Gespräche zu führen.98 Im November 1947 fand im Landeskirchenamt in Karlsruhe zwischen Vertretern der Landeskirche, der A.B.-Gemeinschaft, der Hahnschen Gemeinschaft und der Liebenzeller Mission ein Treffen statt.99 Bei diesem Gespräch stand die in Bad Boll nicht zur Sprache gekommene „Not der unbekehrten Verkündiger des Evangeliums“ in den Reihen der landeskirchlichen Pfarrer,100 die unklaren und gefährlichen Vorstellungen seitens der Gemeinschaften bezüglich der Sakramentslehre, der Eschatologie und der Wiederbringungslehre zur Debatte,101 hauptsächlich aber die Frage des Verhältnisses zur Allianz, zu Allianzen im weitesten Sinne und der „unechte[n] Konkurrenzen“102 zwischen Kirche und Gemeinschaften. Das zweite „Gespräch zwischen Pietismus und Kirche“ in der Evangelischen Akademie Bad Boll vom 28. April bis 3. Mai 1948, zu dem Wurm unter dem Motto „Luther, Orthodoxie und Pietismus“ eingeladen hatte, war geprägt von einem vorsichtigen Umgang miteinander, der zwar evozierte, dass ein Austausch im Gange war, der allerdings die heiklen Punkte zugunsten von Harmonisierungsbestrebungen aussparte.103 Lediglich Otto Kaiser monierte im Nachgang,
Drucksache, 1 S. (AEGGK, II: Dienst und Mitarbeit, 5. Gespräche Pietismus – Theologie, Nr. 251: Bad Boll 1947–1953). 97 Brief vom Rat der Evang. Kirche in Deutschland – der Vorsitzende –, gez. Landesbischof Wurm, an die Leitungen der Evangelischen Kirchen in Deutschland vom 12. 1. 1948. Maschinenschriftl., hektograph., 1 S. (LKA KA GA 11029). 98 „Aussprache zwischen Kirche und Gemeinschaftsbewegung in Bad Boll“. Maschinenschriftl., hektograph., 1 S. (AEGGK, II: Dienst und Mitarbeit, 5. Gespräche Pietismus – Theologie, Nr. 251: Bad Boll 1947–1953). 99 [Protokoll der] Besprechung zwischen Kirche und Gemeinschaften am 7. November 1947 in Karlsruhe, Blumenstr. 1. Maschinenschriftl., 12 S. (LKA KA GA 11029). 100 EBD., 6. 101 EBD., 10f. 102 EBD., 10. 103 Max Fischer plante für 1948 sogar, entweder Karl Barth selbst oder Gerhard Ebeling einzuladen. Von Barth riet wiederum Michaelis ab, damit nicht, falls „einer was gar nicht so schlimmes sagt“ und Barth „gleich explodiert“, die Beziehungen wieder getrübt würden (Briefdurchschlag [von Walter Michaelis] an Max Fischer vom 19. 12. 1947. Maschinenschriftl., 2 S., hier 2
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seitens der Kirchenvertreter sei nicht zu erkennen gewesen, dass diese von der Gemeinschaftsbewegung lernen wollten, so wie sie es umgekehrt von der Gemeinschaftsbewegung forderten.104 Walter Michaelis hielt in seinem Rückblick fest, die Tagung in guter Atmosphäre habe gezeigt, dass der Pietismus nicht mehr der „Prügeljunge“ sei, aber sie habe keine weiteren Entwicklungen angestoßen bzw. Neues zutage gebracht, was nicht schon auf der ersten Tagung in Bad Boll angesprochen worden wäre.105 Die „Gespräche zwischen Gemeinschaft und Kirche“ in der bayerischen Landeskirche Eine wesentlich konfrontativere, aber auch authentischere Begegnung zwischen Gemeinschafts- und Kirchenvertretern fand einen Monat später vom 7. bis 10. Juni 1948 in der Evangelischen Akademie der bayerischen Landeskirche in Tutzing statt.106 Hier versammelten sich 42 Teilnehmer und einige Teilnehmerin[AEGGK, II: Dienst und Mitarbeit, 5. Gespräche Pietismus – Theologie, Nr. 251: Bad Boll 1947–1953]). 104 Brief vom Bundesdirektor des Deutschen Verbandes der Jugendbünde für entschiedenes Christentum (e. V.), Otto Kaiser, an Pastor D. Michaelis vom 12. 5. 1948. Maschinenschriftl., 2 S. (AEGGK, II: Dienst und Mitarbeit, 5. Gespräche Pietismus – Theologie, Nr. 251: Bad Boll 1947–1953). Kaiser schrieb im Nachgang an Michaelis: „Man musste es als eine stillschweigende Voraussetzung der kirchlichen Brüder ansehen, daß die Gemeinschaftsbewegung von der Kirche zu lernen habe! – Dieses wurde mir auch von einem in Bad Boll anwesenden Kirchenführer bestätigt. Auf meinen Einwand, es müsste doch wohl die Kirche auch von der Gemeinschaftsbewegung lernen, erklärte man mir, das habe sie bereits getan. Sie habe Bibelstunden, Evangelisationen usw. übernommen; die Gemeinschaftsbewegung sollte aber von der Theologie der Kirche lernen. Die überaus große Bereitwilligkeit einzelnen Gnadauer Brüder, kirchliche Theologie zu übernehmen, heißt nichts anderes, als die Theologie der Gemeinschaftsbewegung verachten oder doch gering zu schätzen. Ich glaube bestimmt, daß von der Bibel aus gesehen die Stärke nicht bei den kirchlichen, sondern bei den Gemeinschaftsbrüdern lag. Wenn die Kirche glaubt, daß sie in der Theologie von der Gemeinschaftsbewegung nichts zu lernen habe, dann verurteilt sie m. E. diese Tagung von vornherein zur Zwecklosigkeit.“ 105 Michaelis, W[alter]: Bad Boll II. Maschinenschriftl., 3 S., hier 3 (AEGGK, II: Dienst und Mitarbeit, 5. Gespräche Pietismus – Theologie, Nr. 251: Bad Boll 1947–1953). 106 Im Vorfeld stieß diese Veranstaltung nicht nur auf Zustimmung. So legte z. B. der zu dem Referat „Fragen an den Pietismus vom Bekenntnis unserer Kirche aus“ gebetene Pfarrer Friedrich Wilhelm Hopf aus Mühlhausen (Oberfranken) bei Bamberg in seiner Absage an die Landeskirchenleitung seine grundsätzlichen Bedenken dar: „Ich habe leider Grund zu der Annahme, dass die Vertreter der ‚Kirche‘ bei diesem Gespräch zunächst einmal unter sich über diese Fragen und ihre Verantwortung einig werden müssten, wenn sie nicht der Gegenseite ein persönliches Schauspiel bieten wollen. Sie wissen, dass ich hier seit 12 Jahren der Hensoltshöher Gemeinschaft gegenüberstehe. Ich habe immer wieder feststellen müssen, dass die meisten der uns bedrängenden örtlichen Nöte ihren Grund darin haben, dass vonseiten der Landeskirche aus niemals bezeugt worden ist, ob der 14. Artikel der Augsburgischen Konfession tatsächlich als gültiger Maßstab anerkannt und gehandhabt wird oder nicht. Ebenso bedrückt es mich seit Jahren, dass offenkundig in weiten
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nen zu einem ersten Gespräch in Bayern. Repräsentiert wurden neben der Landeskirche die landeskirchlichen Gemeinschaften „Ansbach-Hof, Hensoltshöhe, Liebenzell, Gruppenbewegung, Stadtmission, Altfreunde der Studentengemeinden, CVJM, Welt für Christus, ökumenischer Christusdienst, Pfarrbruderschaft, Lutheraner, Flüchtlingspfarrer“107. Die Diskussionen und Themen der Referate waren breit angelegt und reichten von der Darstellung der Anliegen der Kirche und der Gemeinschaftsbewegungsgruppen über einen Beitrag über das englische Lied versus lutherischen Choral, das Verhältnis von Taufe und Wiedergeburt, zeitgenössischen Enthusiasmus in der Gruppenbewegung, bis hin zu aktuellen theologischen Problemen, bei denen bereits die Kontroverse über die Theologie Rudolf Bultmanns Thema war. Höhepunkt der Debatten waren selbstkritische Überlegungen der Vertreter der Gemeinschaftsbewegung und der Kirche. Hierbei kamen Aspekte zur Sprache, die das Verhältnis von beiden Organisationen bereits in seiner gesamten Geschichte getrübt hatten und die sich in der evangelikalen Auseinandersetzung mit der Kirche wiederholen sollten. Kirchenvertreter kritisierten, die offizielle Kirche hinke den geistlichen Bewegungen in ihren Randzonen hinterher, kümmere sich kaum, allerdings ebenso wenig wie die Gemeinschaften, um die kirchenferne Arbeiterschaft, erwarte von dem Gespräch mit den Gemeinschaften keine wirkliche
Kreisen der landeskirchlichen Pfarrerschaft über die Lehre von der hl. Taufe als dem Bad der Wiedergeburt eine verhängnisvolle Unklarheit und Unsicherheit herrscht. [. . .] Dass ein Pfarrer, der sich im vorigen Jahr in Leonberg wiedertaufen liess, nach einem vorübergehenden Krankenhausaufenthalt zur Nervenbehandlung in sein Pfarramt zurückkehren durfte, ist zwar bisher nur als Gerücht zu mir gedrungen, aber ich halte es nach allem, was sonst möglich ist, für durchaus wahrscheinlich. Nun frage ich mich: wie sollen wir angesichts solcher Verhältnisse fähig sein, mit den Gemeinschaftsleuten vom Bekenntnis unserer Kirche aus zu reden?“ Weiterhin klagte Hopf über das rücksichtslose Vorgehen der Hensoltshöher gegenüber den örtlichen Pfarrern, aber auch über die fehlende Transparenz der Absprachen zwischen Landeskirchenleitung und Hensoltshöher Gemeinschaft, vgl. Brief von Friedrich Wilhelm Hopf – Pfarrer – an OKR Riedel, vom 23. 2. 1948. Maschinenschriftl., 3 S., hier 1f. (LAELKB Nürnberg, LKR z V 846 g [Kirche und Gemeinschaft], Bd. I). 107 Bericht über die Tagung „Kirche u. Gemeinschaft“ vom 7. bis 10. Juni 1948, Leitung: Herr Oberkirchenrat Riedel, gez. Dr. med. August Knorr. Maschinenschriftl., 22 S., hier 1 (LAELKB Nürnberg, LKR z V 846 g [Kirche und Gemeinschaft], Bd. I). In den 1920er Jahren hatte sich die bayerische Gemeinschaftsbewegung in die Strömung der Hensoltshöhe und die Ansbacher, später Puschendorfer Gemeinschaft (Wuppertal) aufgespaltet. Aus der Hensoltshöher Gemeinschaft ging der Marburger Verbund hervor, der sich 1937 wiederum in eine deutschchristliche und eine gegen die DC gerichtete Gruppe teilte. Zentrum der Puschendorfer Gemeinschaft wurde Elberfeld bzw. die Ausbildungsstätte und Missionsschule Johanneum. Beide Strömungen, die Hensoltshöher und die Puschendorfer Gemeinschaft prägen heute noch die Gemeinschaftsbewegung in Bayern (vgl. MEHL, Reich-Gottes-Arbeit, besonders Teil A, Kap. III „Mitarbeiter des Reiches Gottes – Die Gemeinschaftsbewegung im Kaiserreich“, 37–52).
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Erneuerung und müsse sich Stagnation vorwerfen. Innerhalb der Pfarrerschaft sei „viel unchristliches Denken“ verbreitet. Man stehe ständig in der Gefahr, die Bibel für sich, statt gegen sich auszulegen. „Alles Taktische und Unwahrhaftige zerstört die Gemeinschaft zwischen Kirche und Pietismus. Hier soll ein neuer Anfang geschehen“, betonten Pfarrer und Vertreter der Kirchenleitungen. Seitens der versammelten Gemeinschaftsverbände wurde selbstkritisch konstatiert, im Grunde sei die „Gemeinschaft gegen die Kirche“ und eine „Freikirche neben der Kirche“. Man habe veraltete Sichtweisen, praktiziere „mechanische Methoden“ und predige oft mehr Gesetz denn Evangelium. Häufig gebe es Spaltungen, da der Gemeinschaft eben oft nicht gedient werde. Man habe sich auf „dogmatischem und rechtlichem Gebiet vergangen“ und sei „zu stolz geworden. Wir gingen bisher aneinander vorbei oder gingen uns aus dem Weg. Wir müssen immer wieder aufeinander zugehen.“108 Diesen selbstkritischen Überlegungen schloss sich eine vom Landesbischof angestoßene Aussprache „Warum liebe ich meine Kirche?“ an, die wiederum versöhnliche Aspekte zum Tragen brachte. Im Nachgang wurde diese Tagung von allen Teilnehmern ausgesprochen positiv bewertet. Es habe „harte persönliche Auseinandersetzungen“ und „schmerzende Angriffe“ gegeben und einige der Tagungsteilnehmer wollten eher abreisen. Dem diplomatischen und seelsorgerlichen Agieren des Leiters der Tagung, Landesjugendpfarrer OKR Heinrich Riedel, war es aber zu verdanken, dass die Beteiligten immer wieder zu persönlichen Aussprachen zusammengebracht wurden und Missverständnisse bereinigt werden konnten. „Als besonders eigenartiges Erlebnis“, so im Protokoll, habe sich bei den Diskussionen herausgestellt, „daß die anfänglichen Fronten: Hie Kirche, hie Gemeinschaft, hie Orthodoxie, hie Pietismus sich nicht halten ließen, daß mancher dann auch selbst nicht wusste, wo er stand oder gerade hingehörte.“ Es sei für manche betrüblich und für andere befreiend gewesen zu beobachten, „daß die Theologen in der Kirche keine feste Lehreinheit darstellen konnten, daß auch die Auslegung der Bekenntnisse verschieden war.“ Resümierend wurde festgestellt, „daß in dieser ersten Tagung uns mehr geschenkt wurde, als wir alle erwarteten und zwar nicht nur an theologischer Klärung und praktischen Arbeitsausblicken, sondern auch an persönlicher Erschütterung und Wandlung.“109 Zu einer derartigen Annäherung und zu solchen persönlichen „Wandlungen“ sollte es in den Gesprächen zwischen Kirchenleitungen und Gemeinschaftsvert108 Bericht über die Tagung „Kirche u. Gemeinschaft“ vom 7. bis 10. Juni 1948, Leitung: Herr Oberkirchenrat Riedel, gez. Dr. med. August Knorr. Maschinenschriftl., 22 S., hier 10f. (LAELKB Nürnberg, LKR z V 846 g [Kirche und Gemeinschaft], Bd. I). 109 EBD., 21f.
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retern bis in die 1980er Jahre hinein kaum jemals wieder kommen. Die meisten der in der selbstkritischen Reflexion angesprochenen Aspekte spielten auch in den 1960er, 1970er Jahren eine Rolle bei den Auseinandersetzungen zwischen Kirche und evangelikaler Bewegung. Die fortlaufende Dynamik dieser Topoi spricht für eine Typologie, die hinter „Gemeinschaft“ und hinter „Kirche“ steht. Sie verdeutlicht allerdings auch die Begrenztheit solcher Gespräche, die letztlich nicht über das selbstkritische Reden hinaus- und zu verändertem Handeln übergingen. Das zweite „Gespräch zwischen Kirche und Gemeinschaftsbewegung“, zu dem die bayerische Landeskirche einlud, fand vom 28. April bis 3. Mai 1949 in der Diakonieanstalt Rummelsberg mit 80 Teilnehmern statt.110 Dieses Zusammentreffen vermittelte schon nicht mehr einen solch starken Eindruck wie das erste und endete mit einem Missklang: Die anwesenden Vertreter der Neuendettelsauer Diakonie, geprägt von Wilhelm Löhes neulutherischem Konfessionalismus, verweigerten das gemeinsame Abendmahl mit den Gemeinschaftsvertretern, da es sich beim Abendmahl um einen Bekenntnisakt handle und bevor dieser nicht geklärt sei, sich ein gemeinsames Abendmahl erübrige.111 Dieser Affront wurde von der Landeskirchenleitung sehr kritisch und nicht als „eine spezielle Frage zwischen Kirche und Gemeinschaft, sondern [als] eine gesamt-grundsätzliche Angelegenheit“ gesehen.112 Die Gespräche 1950/51 in der kurhessen-waldeckschen, bayerischen und braunschweigischen Landeskirche 1950 fand in der Evangelischen Akademie der kurhessisch-waldeckschen Landeskirche in Guntershausen das erste Gespräch zwischen Vertretern der Gemeinschaftsbewegung und der Kirchenleitung statt,113 1951 nahm neben der bayerischen Landeskirche im dritten Gespräch in Rummelsberg auch die Evangelisch-Lutherische Landeskirche in Braunschweig das Gespräch mit den 110
SCHABERT, Kirche, 234f. Hier wiederholte sich gewissermaßen Löhes Gegnerschaft zum Pietismus (dazu BENRATH, Erweckung, 242). 112 Brief von Karl Ziegler, Pfarrer, an den Evang.-Luth. Landeskirchenrat, z. H. von Herrn Oberkirchenrat Riedel, vom 25. 5. 1949. Maschinenschriftl., 1 S.; Briefkonzept von Oberkirchenrat Riedel, Nr. 6827, Betreff: Tagung in Rummelsberg: Gespräch zwischen Kirche und Gemeinschaft, an Herrn Pfarrer Karl Ziegler vom 11. 6. 1949. Maschinenschriftl., 3 S., hier 2 (LAELKB Nürnberg, LKR z V 846 g [Kirche und Gemeinschaft], Bd. II). 113 Geß, Johannes / Freudenstein, Erich: Einleitung, in: Einladung zur geschlossenen Tagung „Pia Desideria heute. Ein Gespräch über Kirche und Pietismus“ im Auftrag der Kirchenleitung in der Ev. Akademie Hofgeismar vom 12.–14. 2. 1962. Faltblatt, gedr., unpagn. (LKArchiv Kassel SB Wüstemann, Nr. 50: Kirchliche Fragen 1957–1962). 111
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Gemeinschaftsvertretern auf. Am 19. Juni 1951 kam es in Braunschweig zum ersten Zusammentreffen von Pfarrern und Angehörigen der landeskirchlichen Gemeinschaften. Einer der Wortführer unter den Vertretern des Landeskirchenamtes war Hermann Heinrich Ulrich, der bis zu seinem Amtsantritt 1956 im Diakonischen Werk als Pfarrer im Dienst der braunschweigischen Kirche stand. Das Treffen diente einer ersten Fühlungnahme zwischen den Gemeinden des Stadtkirchenverbandes und den der Landeskirche angehörenden Gemeinschaften. Die Intention des Landeskirchenamtes war, zuerst klärende Gespräche mit der Gemeinschaftsbewegung zu führen und diese dann auf die Evangelische Allianz auszudehnen, wobei das Gespräch, wie sich im Folgenden zeigen wird, bereits maßgeblich das Verhältnis der Landeskirche zur Evangelischen Allianz zum Thema hatte. Voraussetzung von Gesprächen dieser Art sei, so die Kirchenleitung, die Befürwortung der Ökumene. Keine Seite dürfe sich als die allein selig machende verstehen, wie es z. B. der Standpunkt der katholischen Kirche sei, sondern müsse erkennen, dass in jeder Form des geschichtlichen Werdegangs der Kirche auch Irrtum und Schuld involviert seien.114 KR Walter Staats gab als ältester Pfarrer einen Überblick über die geschichtliche Entwicklung des Verhältnisses von Landeskirche und Allianz in der Stadt Braunschweig. Die Zusammenarbeit sei vor 1933 sehr gut gewesen, v. a. bei der volksmissionarischen Arbeit. Auch während der nationalsozialistischen Zeit gestaltete sich das Verhältnis unproblematisch. Es wurde die Frage laut, warum sich die Beziehungen zwischen Landeskirche und Allianz danach abgekühlt hätten. Als mögliche Ursachen wurden die „Zurückhaltung“ des Predigers Radtke von der landeskirchlichen Gemeinschaft sowie die Distanznahme vieler Gemeinschaftsmitglieder von der Arbeit und dem Leben der Kirchengemeinden diskutiert. Pastor Johann Heinrich Wicke, seit 1943 erster Pfarrer der Braunschweiger St. Magni Gemeinde, erläuterte, ein Beschluss des Geistlichen Ministeriums sei Ursache für die Ablehnung der gemeinsamen Evangelisationsarbeit seitens des Stadtkirchenverbandes gewesen. In dieser Verlautbarung hieß es, Baptisten wären Irrlehrer, und man dürfe mit Irrlehrern keine gemeinsame Sache machen, ebenso wenig mit denen, die mit Irrlehrern zusammenarbeiteten. Als weiterer Komplikationspunkt wurde seitens der Landeskirchenleitung angeführt, dass ausgerechnet ein aus der Landeskirche ausgetretener Prediger, Pastor Hermann, derzeit den Vorsitz der regionalen Allianz inne habe. Von allen Seiten wurde die 114 Protokoll über die erste Zusammenkunft zwischen Pfarrern der Landeskirche und Angehörigen der landeskirchlichen Gemeinschaften am 19. 6. 1951 in Braunschweig, gez. [Walter] Staats, [Johann Heinrich] Wicke, [Wilhelm] Wedekind, [Hermann-Heinrich] Ulrich, [Paul] Schwidurski (landeskirchliche Gemeinschaft), i. V. Schwester Elisabeth (Stadtmission). Maschinenschriftl., hektograph., 2 S., hier 1 (LAW, LKA 2159).
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„Notwendigkeit eines neuen Anfangs mit einander betont“. Voraussetzung dafür sei die „Bereitschaft, die Vorurteile und Ressentiments gegeneinander aufzugeben. Die Kirche dürfe die Glieder der Allianz nicht ohne Weiteres als Sektierer und Schwärmer bezeichnen, zumal diese Glieder im Weltkirchenrat zusammenarbeiten; umgekehrt dürften die Gemeinschaften und Freikirchen nicht in der Kirche das große Babel sehen.“ Lobend wurde die Evangelisationsarbeit des Marburger Pfarrers, Zeltmissionars und Bibelübersetzers Hans Bruns, hervorgehoben, der sowohl im Sinne der Landeskirche als auch der Allianz im Mai in Braunschweig gewirkt hatte. Wicke gab zu bedenken, dem Geistlichen Ministeriums die Bitte vorzulegen, die gegenseitige Annäherung von Landeskirche und Allianz zu bedenken und zu unterstützen. Darüber hinaus allerdings wurde konstatiert, dass die Bereitschaft, miteinander zu arbeiten „nicht bedeuten könne, daß man seine Glaubensüberzeugung bezw. sein Bekenntnis verleugnet. KR Staats hob hervor, daß wir mit dem gemeinsamen Handeln nicht den Anschein erwecken dürfen, als ob unsere lutherische Glaubensüberzeugung uns gleichgültig wäre.“ Ulrich und Wicke führten aus, dass die Verschiedenheiten in Struktur und Zielsetzung als „Gabe des Herrn“ angesehen werden müssten, durch die jeder „besondere Möglichkeiten“ habe, und nur „durch die Mannigfaltigkeit der Möglichkeiten“ werde „die große Masse der Gleichgültigen und Entfremdeten erreicht“. Es wurde „der Grundsatz vertreten“, dass man sich „nicht gegenseitig als ‚Missionsobjekte‘ ansehen“ dürfe und dass „die Zusammenarbeit keineswegs die unerfreulichen Begleiterscheinungen zeitigen dürfe, daß der eine dem andern die Leute ausspanne“. Es müsse klar sein, dass „alle gemeinsam eine Aufgabe hätten, an denen, die ‚draußen‘ stehen, und diese Zahl sei in Braunschweig besonders hoch.“115 Auch hier zeigte sich die wiederholt angesprochene Konkurrenzsituation in der evangelistischen Tätigkeit sowie der Umstand, wie eng Gemeinschaftsbewegung und Evangelische Allianz in verschiedenen Regionen gesehen wurden, bis hin zu einer Synonymisierung beider Strömungen. Zusammenfassend wurde auf der Braunschweiger Tagung festgehalten, dass als Grundlage eines guten Verhältnisses zwischen Landeskirche und Allianz zu gelten habe: 1. einander anerkennen, 2. aufeinander hören, 3. miteinander arbeiten.116 Drei Monate später, vom 8. bis 10. Oktober 1951, fand in Rummelsberg das dritte und vorerst letzte Gespräch zwischen den bayerischen landeskirchlichen Vertretern und den Repräsentanten der Gemeinschaftsbewegungsgruppen statt. Der auf 40 Teilnehmer beschränkte Kreis tagte zum Thema „Der 3. Glau-
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bensartikel: Gemeinschaft und Kirche gehören zusammen“ und hinterließ keine größere Resonanz.117 Damit endeten die „Gespräche zwischen Gemeinschaftsbewegung/Pietismus und Kirche“, die ihr gegenseitiges Verhältnis zum Thema hatten. Der Übergang der „Gespräche“ in die Bultmannkontroverse und die Wiederaufnahme der Gespräche Einen Appendix kirchlich-bürokratischer Art zogen diese Gespräche nach sich, die wie gesagt 1951 nahtlos in „Gespräche des Pietismus mit der Theologie“, „Gespräche über die Entmythologisierung“ u. ä. übergingen, als 1954 die EKD zu der Frage des Verhältnisses von Gemeinschaftsbewegung und Kirche vorstieß, allerdings an einem formalen Punkt und zwar der Frage nach der Berechtigung der Abendmahlsfeiern der landeskirchlichen Gemeinschaften. Ausgangspunkt der Entwicklung war ein Anschreiben des Konsistoriums der Kirchenprovinz Sachsen an die östlichen Landeskirchen, das „aus einem konkreten Anlass“ eine Umfrage gestartet hatte, „wie in den einzelnen Kirchengebieten das Verhältnis zwischen Kirche und landskirchlicher Gemeinschaft ist, besonders aber, wie die Kirchenleitungen zu der Praxis der Gemeinschaft stehen, außer den durch landeskirchlich ordinierte Pfarrer durchgeführten Abendmahlsfeiern für die Gemeinschaftskreise auch solche durch Organe der Landeskirchengemeinschaften selbst durchzuführen.“118 Die Landeskirchenleitungen Ostdeutschlands hatten erklärt, dass solche Abendmahlsfeiern „nicht die Billigung der Kirchenleitung finden können“. Daraufhin regte das Magdeburger Konsistorium an, „dass auf zentraler Ebene Verhandlungen zwischen der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Leitung der landeskirchlichen Gemeinschaft in dieser Frage aufgenommen werden.“119 Die Kirchenkanzlei wandte sich nun erst einmal an die Landeskirchenleitungen der westdeutschen Landeskirchen, „ob die gleiche Frage auch für die westlichen Gliedkirchen von Bedeutung ist und ob es für erwünscht gehalten wird, dass Verhandlungen durch die Kirchenkanzlei aufgenommen wird.“120 Die Erörterung dieser Frage
Rundbrief des Evang.-Luth. Landeskirchenrats – Oberkirchenrat Riedel – an alle bisherigen Teilnehmer des Gespräches „Kirche und Gemeinschaft“, Betreff: Gespräch „Kirche und Gemeinschaft“ vom 4. 8. 1951. Maschinenschriftl., hektograph., 2 S., hier 1 (LAELKB Nürnberg, KrD München 191). 118 Rundbrief der Kirchenkanzlei der EKD, Tagebuch-Nr. 12 486. V., gez. von Harling, an die Leitungen der deutschen evangelischen Landeskirchen in Westdeutschland, vom 19. 6. 1954. Maschinenschriftl., hektograph., 1 S. (LKA KA GA 11029). 119 EBD. 120 EBD. 117
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auf EKD-Ebene verlief letztlich im Sande, da die Landeskirchen dieses Problem vorerst selbst zu regeln suchten.121 Ähnlich wie die EKD begann sich 1954 der „Ausschuss für Fragen des gemeindlichen Lebens“ der VELKD mit dem Problem des Verhältnisses von Kirchenleitungen und landeskirchlichen Gemeinschaften und seiner formalen Verankerung auseinanderzusetzen. Im Januar 1955 ging ein Rundschreiben an die Evangelisch-Lutherischen Kirchen Deutschlands – bis auf die beiden der VELKD nicht angehörenden lutherischen Landeskirchen Württemberg und Oldenburg – mit einem Thesenpapier „Leitsätze für ein Gespräch“ zwischen landeskirchlichen Gemeinschaften und Kirchenleitungen.122 Wie bereits erwähnt, befand sich die Gemeinschaftsbewegung Ende der 1940er Jahre gegenüber den Landeskirchenleitungen in der eigenen Wahrnehmung in einer defensiven Position. Dass die Landeskirchen die Gespräche mit den Gemeinschaften forcierten, scheint dieses Problem nicht entschärft zu haben. Bevor es jedoch dazu kam, dass Grundsatzfragen des Verhältnisses und 121 Z. B. reagierte die württembergische Landeskirchenleitung auf das EKD-Rundschreiben, indem am 11. Februar und 13. Juli die Vertreter der landeskirchlichen Gemeinschaften zu Gesprächen über dieses Problem in den Oberkirchenrat nach Stuttgart eingeladen wurden. Erstaunt stellte man fest, dass es in der Tat „Sonderabendmahlsfeiern“ in einigen der Gemeinschaften gab – gegen die Verordnungen von 1921 und 1924, die das Spenden des Abendmahls durch nichtordinierte Pfarrer verboten. Allerdings waren sich die einzelnen Gemeinschaften nicht einig über die Berechtigung solcher Abendmahlsfeiern. So meldete z. B. der Leiter der Bahnauer Bruderschaft, Max Fischer, schwere Bedenken gegen ein solches Vorgehen in anderen Gemeinschaften an. Nachdem die Frage im Oberkirchenrat erörtert worden war, wurde beschlossen, die Verordnungen von 1921 und 1924 zu überarbeiten und sich einem Kompromiss anzunähern, nämlich speziell ausgewählten Gemeinschaftspredigern zu gestatten, das Abendmahl zu spenden, unter der steten Vorsicht, damit nicht der „Schwärmerei“ Tor und Tür zu öffnen (Besprechung mit den Vertretern der Gemeinschaften im Sitzungssaal des Ev. Oberkirchenrats am 11. Februar 1955, gez. Pfizenmaier. Maschinenschriftl., 2 S.; [Aktennotizen] vom 9. 3. 1955 und 11. März 1955, gez. M [etzger], gez. Pf[izenmaier]. Maschinenschriftl., 1 S.; Äusserung von BE 11 zur Frage der Sonderabendmahlsfeiern, gez. M[etzger], 1. 6. 1955. Maschinenschriftl., 3 S.; Stellungnahme von BE. 8 zur Frage der Sonderabendmahlsfeiern, gez. May[er]. Maschinenschriftl., 2 S.; Niederschrift über die Aussprache mit Vertretern der Gemeinschaftsverbände am 13. Juli 1955, gez. [Wolfgang] Metzger, 18. 7. 1955. Maschinenschriftl., 6 S. [LKAS A 126, Nr. 1177, 107–110, 112–117]). Zu diesem Zeitpunkt waren derartig moderate Überlegungen, wie sie in Württemberg angestellt wurden, in anderen Landeskirchenleitungen nicht denkbar. Allerdings ist es bezeichnend, dass im Laufe der nächsten Jahrzehnte immer mehr Landeskirchen zu einer solchen „Sonderregelung“ tendierten und sich Informationen von Württemberg einholten. 122 [Rundbrief] an die Mitglieder der Kirchenleitungen der Vereinigten Ev.-Luth. Kirche Deutschlands vom Vorsitzenden des Ausschuss für Fragen des gemeindlichen Lebens der Vereinigten Ev.-Luth. Kirche Deutschlands vom 26. 1. 1955. Maschinenschriftl., hektograph., 3 S.; „Verhältnis von Kirche und Gemeinschaftsbewegung. Leitsätze für ein Gespräch von Superintendent Dr. Klemm – Meißen“. Maschinenschriftl., hektograph., 25 S. (LKAS A 126, Nr. 1177, 078– 106).
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Die Gemeinschaftsbewegung
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gegenseitigen Verhaltens geklärt werden konnten, eröffnete sich mit der Bultmannkontroverse und der damit einhergehenden Empörung in der Gemeinschaftsbewegung über die Akzeptanz der Bultmannschen Theologie in den Kirchen ein neues Konfliktfeld im Verhältnis von Gemeinschaftsbewegung und Landeskirchen. Die Gespräche der Gemeinschaftsbewegung und der Landeskirchen endeten in der ersten Hälfte der 1960er Jahre. Bezeichnenderweise setzten sie Anfang der 1980er Jahre wieder ein, nahezu in unmittelbarem Anschluss bzw. parallel zu dem Zeitpunkt, als sich der Gnadauer Gemeinschaftsverband von der evangelikalen Plattform KBG bzw. der B KAE langsam zu distanzieren begann. Zugespitzt formuliert gibt es in der Geschichte der Gemeinschaftsbewegung im 20. Jahrhundert eine „evangelikale Phase“ – ohne dass sich Gemeinschaftsgruppen letztlich ganz und gar von der evangelikalen Bewegung lösten –, aus der die Gemeinschaftsbewegung gestärkt und mit neuem Selbstbewusstsein hervorging. Das ist kein Phänomen, das sich lediglich mit einem speziellen theologischen Ansatz erklären lässt bzw. den Differenzen darüber, sondern stellt eine grundsätzliche Identitäts- und Profilschärfung dar. Die in den beiden großen evangelikalen Trägergruppen, dem Gnadauer Verband und der DEA, vorherrschende Ambivalenz, sowohl die eigene Arbeit stärker in die kirchliche Arbeit integriert sehen zu wollen, als auch ein klareres eigenes Profil aufzubauen, konnte bis Mitte der 1960er Jahre hinein nicht zufrieden stellend gelöst werden. Allerdings kristallisierte sich immer deutlicher heraus, dass mit Abgrenzung und Kritik – in der DEA gegenüber der Ökumene, in der Gemeinschaftsbewegung gegenüber der Theologie Bultmanns und rasch gegenüber der „modernen Theologie“, auch eine Profilbildung möglich war, und zwar innerhalb der Kirche und im Fokus der kirchlichen Aufmerksamkeit. Es soll keineswegs die Ernsthaftigkeit der Sorge um eine Auflösung von Theologie oder einem verfehltem Handeln der Ökumene in Abrede gestellt werden, die sich bei der Gemeinschaftsbewegung und bei der DEA finden und schließlich im evangelikalen Protest münden. Aber es kann auch nicht vernachlässigt werden, dass sich mit dieser Kritik eine Profilbildung ergab, die – im Übrigen bis heute erfolgreich – die Möglichkeit eröffnete, nicht von den sich zunehmend pluralisierenden und ausweitenden Kirchenprofilen, ganz besonders im Hinblick auf die für beide Trägergruppen so elementare evangelistische Tätigkeit, vereinnahmt zu werden. Bisher ist in der Forschung nur der Konflikt über die Theologie Bultmanns als Auslöser des evangelikalen Protestes Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre benannt worden. Auf der Diskussions- und Kommunikationsebene ist das auch vollkommen richtig. Allerdings gab es durchaus daneben Mentalitätskonstellationen und Befindlichkeiten, die auf tiefer liegenden Ebenen den Motor der Entwicklungen darstellen. Dazu gehört ganz
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wesentlich das Empfinden von einer Kränkung durch die Kirche und die Pietismuskritik Barths sowie eine gewisse Orientierungslosigkeit angesichts wegfallender Wirkungsbereiche in den 1950er Jahren sowohl in der Gemeinschaftsbewegung als auch der DEA.
3.2 Die Evangelisationsbewegung in den Landeskirchen Die Evangelisationsbewegung nach 1945 bildete in Deutschland zum einen durch einzelne Persönlichkeiten, die im evangelistischen Bereich tätig waren, eine Trägergruppe des späteren Evangelikalismus, zum anderen bildete sie ein Themenfeld ab, das dem Evangelikalismus entgegen kam, denn ein wesentliches Spezifikum evangelikaler Aktivität stellen Mission und Evangelisation dar. Möglicherweise sind dies sogar die einzigen identitätsstiftenden Elemente des Evangelikalismus, die ihm inhärent sind und nicht durch die Abgrenzung nach außen konstituiert werden. So konstatiert Hans Kasdorf in der von der „Arbeitsgemeinschaft für evangelikale Missiologie e. V.“ (AfeM) und der Freien Hochschule für Mission Korntal herausgegebenen Zeitschrift „Evangelikale Missiologie“, die Evangelikalen konnten sich zumindest um die Weltmission scharen, auch wenn sie sich noch nie ganz einig in ihrer Theologie gewesen seien.123 Dieser Traditionsstrang geht auf die deutsche Erweckungsbewegung und damit auf die Gemeinschaftsbewegung zurück, für die schon im 19. Jahrhundert Evangelisation in den Gemeinden und die außereuropäische Missionsarbeit ein wesentliches, wenn nicht gar das wichtigste Arbeitsfeld waren. Ihrem Wesen nach ist die Gemeinschaftsbewegung eine Laienpredigerbewegung und damit in erster Linie eine Evangelisations- und Verkündigungsbewegung. „Die Gemeinschaftsbewegung versteht sich als Evangelisationsbewegung“124, konstatierte Kurt Heimbucher, Präses des Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverbandes 1988. Hier deutet sich bereits ein Umstand an, der sich im Weiteren noch stärker herauskristallisieren wird: der innere Zusammenhang von Gemeinschaftsbewegung und späterem Evangelikalismus in Deutschland. Eine schon frühzeitig erkennbare Komplikation zwischen Gemeinschaftsbewegung und ihr nahe stehender Kreise sowie der Kirche und den Ortsgemeinden ergab sich aus der Parallelexistenz von evangelistischen und missionarischen Unternehmungen auf beiden Seiten. Im Folgenden soll diese Gemengelage und das dynamische Verhältnis zwischen den kirchlichen und den aus der Erwe123 124
KASDORF, Stand der Missiologie, 102. HEIMBUCHER, Evangelisation, 330.
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ckungs- und Gemeinschaftsbewegung entstandenen Missionskonzepten und -praktiken kurz dargestellt werden. 3.2.1 Innere Mission und Volksmission Im 19. Jahrhundert hatte Johann Hinrich Wichern mit seinem Konzept der „Inneren Mission“ Verkündigung und sozialpolitisches Engagement zusammengeführt, ein Anliegen, das in Folge der „Central-Ausschuss für Innere Mission“ vertrat. Eine Breitenwirkung konnte der Central-Ausschuss aber nicht entfalten. 1899 stellte der Heilbronner Stadtpfarrer Paul Wurster auf dem 30. Kongress für Innere Mission in Straßburg fest, die direkte Volksmission habe die Innere Mission nicht energisch und nicht rechtzeitig genug in Angriff genommen.125 Evangelisation und Volksmission waren, trotz vereinzelten individuellen Engagements und diverser Mahnworte von Theologen und Pfarrern letztlich den regionalen Gemeinschaftsverbänden überlassen worden. Das Wirken des ersten „hauptamtlichen Evangelisten“126 Elias Schrenk und des Professors für Praktische Theologie Theodor Christlieb hatte nicht nur zur Gründung des „Deutschen Evangelisationsvereins“ im April 1886 geführt, sondern auch zu einer Stimulation der Gemeinschaftsbewegung, die bis dato eher aus lose in Kontakt stehenden evangelistischen Vereinen bestand.127 Durch die Gründung des „Deutschen Evangelistenvereins“ kam es zu einer Bündelung der evangelistischen Aktionsfelder, die in die erste Gnadauer Pfingstkonferenz 1888 mündete und schließlich 1897 zur Gründung des „Deutschen Verbandes für evangelische Gemeinschaftspflege und Evangelisation“, des Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverbandes, führte. Christlieb war von 1858 bis 1865 Pfarrer der deutschen Gemeinde in London gewesen und brachte nicht nur seine Erfahrungen und sein Wissen über die englische Erweckungs- und Evangelisationsbewegung nach Deutschland, sondern auch seine Kontakte zur Evangelischen Allianz. Von 1877 bis 1889 war er Vorsitzender der „Westdeutschen Evangelischen Allianz“, die später in der DEA aufging. In seiner Person, aber auch in den von ihm angestoßenen Entwicklungen, zeigt sich evident der ursprüngliche Zusammenhang von Evangelisationsanliegen, Gemeinschaftsbewegung und Evangelischer Allianz schon im 19. Jahrhundert. Auch ein anderes Element, das seine Relevanz bis ins 21. Jahrhundert nicht verlieren sollte, wurde von Christlieb in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
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SCHARPFF, Geschichte, 291f. LANGE, Geschichte der Gnadauer Gemeinschaftsbewegung, 16. SCHARPFF, Geschichte, 232–239.
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Die Vorgeschichte: Evangelikale Trägergruppen und die Landeskirchen
angesprochen: das nicht unproblematische Verhältnis von institutioneller Kirche und den losen landeskirchlichen Gemeinschaften. Er stellte erste grundsätzliche Überlegungen dazu an, wie sich die Evangelisationsbewegung zur institutionellen Kirche stellen sollte. In einem Referat im März 1884 auf einer den „Evangelisationsverein“ vorbereitenden Sitzung des „Evangelisten-Komitees“ in der von ihm gegründeten Evangelistenschule „Johanneum“ in Bonn (später Wuppertal) sprach er über „Die Stellung der Evangelisten zu den Organen der Landeskirche und die Auswahl der Orte“.128 Christlieb betonte darin, da es das Ziel des Vereins sei, die zwar nominellen, aber der Kirche entfremdeten Massen zurückzugewinnen, könne man auf eine Zusammenarbeit mit den Geistlichen nicht verzichten, auch wenn der anvisierte Verein ein „freier“, kein offiziell „kirchenregimentlicher“ sei. Da Vorurteile bezüglich der Predigt von Laien und Befürchtungen hinsichtlich separatistischer Tendenzen zu erwarten seien, wäre es wünschenswert, dass jeder Evangelist eine Legitimation durch das „Evangelisten-Komitee“ erhalte sowie durch die örtlichen Superintendenten autorisiert werde.129 All die von Christlieb genannten Elemente sollten nach 1945, als die Tätigkeit „freier“ und landeskirchlich unterstützter Evangelisten rapide anstieg, eine wesentliche Rolle spielen. Neben dem evangelistischen Impetus der Gemeinschaftsbewegung bzw. der ihr zugeordneten regionalen Gruppen und Vereine entwickelte der „CentralVerein für Innere Mission“, trotz seiner um 1900 eher pessimistischen Selbstschau, während der Zeit des 1. Weltkrieges ein reges Engagement für das Erstarken der Evangelisationsbewegung in Deutschland. 1916 war der Pfarrer Gerhard Füllkrug zum geschäftsführenden Direktor des Central-Ausschusses berufen worden. Füllkrug veröffentlichte 1919 ein Standardwerk der Volksmission, das „Handbuch zur Volksmission“, in dem er Wichern als den Pionier der Volksmission verortet, aber kritisch die Versäumnisse auf dem Feld der Volksmission einräumt. 1916 lud er den Rostocker Theologen Gerhard Hilbert für einen Vortrag zu der Novemberkonferenz des Central-Ausschusses ein. Hilberts Referat wurde unter dem Titel „Kirchliche Volksmission“ veröffentlicht und wirkte „wie ein Posaunenstoß“.130 Für Hilbert war klar, dass die gängige kirchliche Praxis mit Seelsorge, Predigt, Konfirmanden- und Religionsunterricht nicht ausreiche, ebenso wenig wie die sozialen und diakonischen Werke der „Inneren Mission“, die „entkirchlichten Massen“ wieder zurückzugewinnen. Er plädierte dafür, „Apologetik“ und „Evangelisation“ in das pfarramtliche Handeln und das
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VOIGT, Christlieb, 101. EBD., 101f. SCHARPFF, Geschichte, 309.
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Die Evangelisationsbewegung in den Landeskirchen
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kirchliche Leben so selbstverständlich wie den Gottesdienst aufzunehmen und zu fördern.131 Apologetik müsse „vor allem erweisen, daß keine Wissenschaft die letzten entscheidenden Fragen des persönlichen Lebens zu lösen vermag, daß andererseits die wirklichen Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung sehr wohl mit dem vereinbar sind, was der Glaube erlebt und bekennt. Es hat der Kirche sehr viel Schaden gebracht, im Urteil zumal der Gebildeten, daß sie sich unter dem Einfluß der Kantischen Philosophie der öffentlichen Auseinandersetzung mit den gegnerischen Weltanschauungen entschlug. Dadurch mußte der Eindruck erweckt werden, als ließe das Christentum sich überhaupt nicht theoretisch rechtfertigen, als hätte man nur die Wahl zwischen ihm und der Wissenschaft, als sei das Christentum wider die Wahrheit.“132
Evangelisation, so Hilbert weiter, solle nichts „Treiberisches oder Methodistisches“ anhaften, ihre Eigenart sei die „Missionspredigt“, die, entsprechend der biblischen Intention, diejenigen ins Auge fasse, die noch nicht „im Glauben stehen“. Evangelisation wolle „erwecken“ und „Seelen gewinnen“, indem sie „den Willen zum Glauben“ zu wecken versuche. Es gelte, die „Fernstehenden“ zu begeistern und zu gewinnen.133 Dabei seien Nacharbeit, Bibelstunden, wie sie die Gemeinschaftsbewegung praktizierte, und religiöse Bildung im Sinne populärwissenschaftlicher theologischer und dogmatischer Aufklärung dringend vonnöten, damit sich die Evangelisation nicht als ein „Schlag ins Wasser“ entpuppe. Die „Wichern-Vereinigung“ forderte in Folge der Hilbertschen Ausführungen ihren Central-Ausschuss auf, eine eigene Kommission „Volksmission“ zu bilden.134 Gedacht war an eine Behörde, die mit der „Wichern-Vereinigung“ und den Kirchengremien zusammen arbeiten sollte. Im Sommer 1917 wurde diese Kommission gegründet und auf der Sitzung des Central-Ausschusses am 18. Dezember 1917 wurde beschlossen, die Arbeit auf zwei Gebieten zu betreiben: der Evangelisation und der Apologetik. Als im November 1918 neben anderen Kommissionen, z. B. der „Kommission für Evangelisation und Apologetik“, der „Kirchliche Volksdienst 1918“ konstituiert wurde, aus dem der „Ausschuss für Evangelisation“ hervorging, wurden als Leiter Friedrich Albert Spiecker und Gerhard Füllkrug eingesetzt. Der Central-Ausschuss übernahm
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HILBERT, Kirchliche Volksmission. EBD., 411. 133 EBD., 413. 134 Die nachfolgenden Ausführungen stützen sich auf: Vorwort. Geschichte des Registraturbildners, in: Archiv des Diakonischen Werkes der EKD. Bestand Central-Ausschuß für Innere Mission der deutschen evangelischen Kirche – Evangelistische Abteilung –. [Berlin], o. J., II-VIII (ADW). 132
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Die Vorgeschichte: Evangelikale Trägergruppen und die Landeskirchen
die Leitung dieses Ausschusses und entwickelte ihn im Winter 1918/19 zu einer eigenständigen Abteilung „Volksmission“, die Füllkrug unterstand. Es wurden auch hier eine evangelistische und eine apologetische Kommission eingerichtet, weil man gegenüber der Evangelisation der Gemeinschaftsbewegungen bewusst kirchlich und apologetisch arbeiten wollte. Ein illustratives und auch für die spätere Situation signifikantes Bild für die sich schon sehr rasch abzeichnenden Komplikationen zwischen Gemeinschaftsbewegung und Volksmission aus der Sicht der Gemeinschaften liefert ein Brief des Leiters der Diakonissenanstalt Salem-Köslin, Evers. Evers reagierte Anfang 1921 auf einen in der „Brüderlichen Handreichung“, der Zeitschrift der Pfarrer-Gebets-Bruderschaft (PGB), publizierten Vortrag von Füllkrug und schrieb, er kenne „diese abwartende Stellung hüben und drüben“, d. h. bei Volksmission und Gemeinschaftsbewegung, „und verstehe sie: Den Kirchlichen geht die Volksmission zu weit und den Gemeinschaften nicht weit genug.“ Allerdings widersprach Evers Füllkrugs Überlegung, die Gemeinschaften hielten sich „aus Bitterkeit und einem gewissen Neid von der Volksmission zurück“. Auch bei der Volksmission seien die Probleme offenkundig, die die Evangelisation der Gemeinschaftsbewegung beträfen, nämlich „dass die Nacharbeit dann oft schwierig sei, und dass auch Missgriffe in der Wahl der Redner vorgekommen seien. [. . .] Wie die Evangelisations- und Gemeinschaftsbewegung schwere Fehler gemacht hat und durch manche innere Krisen hindurchgegangen ist, wird auch die Volksmission von Fehlern und Krisen nicht freibleiben.“ Das allerdings beunruhige ihn nicht wesentlich. Fraglich erscheine ihm eher, warum gerade jetzt „vielfach der Evangelisation abgeneigte Amtsbrüder die Volksmission“ begehren würden. Sei der Grund nicht derjenige, wie es im Allgemeinen heiße, „um die Kirche, die Vereine, die Kollekten zu füllen, und gute statistische Zahlen aufweisen zu können“? Man sehe, dass die Gemeinschaften oft großen Andrang hätten, die eigene Kirche aber schwach besucht sei und das Vereinswesen nicht blühe. Evers schlussfolgerte: „Man sieht also, dass man die Kirche füllen und die Jugend gewinnen kann, und darum ruft man nach der Volksmission, liebt aber im tiefsten Grunde klare Entscheidung und Bekehrung nicht, sondern hält sie für Schwärmerei. Man möchte eben etwas haben und doch nicht den vollen klaren Schluss ziehen, den uns das Neue Testament an die Hand gibt. Gewiss verfolgen Volksmission und Evangelisation mit Gemeinschaft ganz verschiedene Arbeitsmethoden und Ziele. Die Volksmission möchte die Menschen unter den Schall des Wortes Gottes bringen und wieder zu kirchlichem Leben heranziehen, Evangelisation und Gemeinschaft dagegen gehen den entgegengesetzten Weg, statt von aussen nach innen den von innen nach aussen, d. h. sie suchen durch Evangelisationen und stille Werbearbeit bei Hausbesuchen und unter vier Augen wirkliche echte Bekehrung zu erzielen, schliessen sich zu gegen-
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seitiger Förderung des Glaubenslebens zusammen, und wo solche Gemeinschaften gut geleitet werden, sucht man jedes Glied als Salz und Licht in seiner Umgebung zur Mitarbeit auszubilden und heranzuziehen.“
Und nun, so Evers weiter, würden diese Gläubigen „Helfer- und Schlepperdienste“ leisten, ihre Sonntagsgäste mit in die Kirche bringen und im stillen Vor- und Nacharbeit, während es den „Kirchlichen [. . .] meist an brennender Liebe zum Herrn oder an Glaubensklarheit“ fehle und sie deshalb nicht in der Lage seien, auf andere mit Erfolg einzuwirken. „Und die besten und einigsten unter ihnen fürchten sich, ihre ‚Perlen vor die Säue zu werfen‘, wenn sie anderen einen Einblick in ihr reiches, seliges Innenleben gewähren. Aus diesem Grunde halten diese sich von Gemeinschaften fern [. . .].“ An dem Punkt des Versagens der Verkündigung liege eine Schuld der Kirche vor. Man predige auch hinsichtlich der Eschatologie „nicht den vollen Ratschluss Gottes“ und nun verstünden weder Pastoren noch Gemeinden die Gegenwart richtig, sondern gingen davon aus, dass „durch allmählich tiefere Durchdringung der Völker mit dem Sauerteig des Evangeliums die allmähliche Heraufführung des Friedensreiches Jesu zu bewirken“ sei. Nach Evangelisationen gebe es nach Evers Beobachtung, wieder nur Bibelstunden, „in denen der Pastor vortragender Rat ist, und die andern schweigsame Zuhörer bleiben. Oder es gibt Bibelbesprechstunden, in denen der Text ausgelegt und besprochen wird, ohne dass die einzelnen Teilnehmer die nötige seelsorgerliche Pflege empfangen.“ Und das angesichts der Tatsache, dass einem überall „der Schrei nach Seelsorgern und seelsorgerlicher Predigt entgegen“ trete. „Was reichlich besprochen wird in den Predigten sind wissenschaftliche Fragen und Zweifel; darauf sind wir geschult.“ Aber echte Seelsorge könne nur der betreiben, „wer selbst für seine Seele gesorgt hat und zur Heilsgewissheit auf Grund eigenen Erlebens hindurchgedrungen ist“. Das seien, so das Resümee Evers’, nur wenige von den sehr vielen Amtsbrüdern, die er kenne. Die Laien aber würden den Unterschied zwischen den Pfarrern sehr wohl empfinden, wüssten aber selten, worin er bestehe. „Wer aus dem Schatz seines ‚verborgenen Lebens mit Christo in Gott‘ Altes und Neues bringt, wirkt natürlich völlig anders, als ein Referent. Darum ist es eine der wichtigsten Aufgaben der Gegenwart, wie Sie schreiben, Vertiefung der Pastoren oder, wie wir im Stillen sagen, Bekehrung der Pastoren.“ Solche Kurse seien in Evers Einzugsgebiet schon gehalten worden und hätten tiefe Einblicke „in die Seelen der Brüder“ gegeben. Diese Pfarrer, die nun die Nacharbeit der Evangelisationen übernehmen müssten, seien oft „zur Pflege [der durch Evangelisationen für das Christentum Gewonnen] unfähig“. Die durch Evangelisationen Angeregten würden „einige Zeit eifrig die Gottesdienste, etwaige Bibelstunden oder Vereinsstunden besuchen, und wenn sie dann keine rechte Nah-
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Die Vorgeschichte: Evangelikale Trägergruppen und die Landeskirchen
rung für ihre Seele finden, [. . .] sich erfahrungsgemäss zurückziehen und alles verlieren oder eine Beute der Denominationen werden.“ Dieser Misserfolg aber werde dann den Evangelisationen angelastet: „Der Amtsbruder wird rund heraus erklären, alle Frucht der Evangelisation sei Schaum und die ganze Bewegung, auch die Gemeinschaften, nichts anderes als Schwärmerei und Treiberei! Das ist’s, was die Gemeinschaften und uns, die in der Gemeinschaft stehenden Amtsbrüder, mit Sorge und Kummer erfüllt.“ Abschließend gab Evers zu bedenken, dass diese Gedanken „einmal in breiterer Öffentlichkeit zu besprechen [wären], und zwar sowohl im Interesse der Amtsbrüder, die Volksmission begehren, wie zur Klärung des Verhältnisses von Volksmission zur Evangelisation. Ich fürchte, dass sonst durch die Volksmission eher Unheil als Heil gewirkt wird.“135 Füllkrug bestätigte in seinem Antwortschreiben, dass eine gründliche Aussprache „über diese Fragen, besonders auch die Arbeitsmethoden der Gemeinschaft und unsere, in kleinem brüderlichem Kreise [. . .] dringend nötig“ sei und bat Evers um einen Aufsatz in der Zeitschrift „Die Volksmission“, um darüber eine Debatte anzustoßen.136 Dazu kam es letztlich aber nicht, obwohl die von Evers angesprochenen Probleme weiterhin die Stimmung zwischen den Gemeinschaften und der Kirche vor Ort prägten. 1921 formierte der Central-Ausschuss die apologetische Kommission zu einer selbständigen Abteilung, der „Apologetischen Centrale“,137 der zunächst der Theologe und Philosoph Carl Gunther Schweitzer und seit 1932 der spätere Erlanger Professor für Systematische Theologie Walter Künneth vorstand. Die „Apologetische Centrale“ wurde 1937 aufgelöst und an ihrer Statt am 1. April 1960 die „Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen“ (EZW) gegründet, deren Leiter bis 1967 Kurt Hutten war.138 Die volksmissionarische Arbeit des Central-Ausschusses wurde in den 1922 in Spandau angeregten und 1926 gegründeten „Deutschen Evangelischen Verbandes für Volksmission“ übergeleitet. An die Stelle des „Deutschen Evangelischen Verbandes für Volksmission“ trat 1946 die „Arbeitsgemeinschaft für Volksmission“, die sich zugleich als Nachfolgerin der 1934 gegründeten „Arbeitsgemeinschaft deutscher Volksmissionare“ verstand. Die praktische volksmissionarische Arbeit ging nach 135 Brief der Diakonissenanstalt Salem, gez. Evers, P[astor], an Bruder [Gerhard Füllkrug] vom 9. 2. 1921. Maschinenschriftl., 3 Bl. (ADW, CA/EvA 4). 136 Briefdurchschlag an Pastor Evers, Köslin, gez. [Gerhard] F[üllkrug], vom 16. 2. 1921. Maschinenschriftl., 2 Bl. (ADW, CA/EvA 4). 137 Zur Apologetischen Centrale vgl. PÖHLMANN, Kampf. 138 BEYREUTHER, Kirche, 261. Im Januar 1970 wurde Hutten zum Beauftragten der EKD für religiöse Minderheiten berufen (AUS DER WELT DER SEKTEN, WELTANSCHAUUNGEN UND RELIGIONEN. BEAUFTRAGTER FÜR RELIGIÖSE MINDERHEITEN).
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Die Evangelisationsbewegung in den Landeskirchen
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dem 2. Weltkrieg auf die kirchlichen „Ämter für Volksmission“ über bzw. auf die den Landeskirchenämtern und Oberkirchenräten angegliederten Stadtmissionen, Gemeindedienste, Jugendwerke, Frauenverbände oder Männerarbeitsabteilungen. Wie aus Erich Beyreuthers „Geschichte der Evangelisation und Volksmission“ hervorgeht, hatte eine Reihe von Landeskirchen schon seit dem Kirchenkampf Ämter für Volksmission oder Gemeindedienst eingerichtet. In Bayern, Hannover, Württemberg, Mecklenburg waren diese mit hauptamtlichen Mitarbeitern besetzt. Andere Landeskirchen, z. B. Baden, Hessen-Nassau, Rheinland, Westfalen beauftragten Gemeindepfarrer im Nebenamt mit der Leitung der Volksmission. Wiederum andere wie Schleswig-Holstein, Hamburg, Braunschweig, Kurhessen, Brandenburg, Sachsen ließen den volksmissionarischen Dienst durch die Innere Mission versehen.139 Die Volksmissionarischen Ämter sollten in der Folgezeit ausgewiesene Pufferzonen zwischen den Landeskirchenleitungen und der sich formierenden evangelikalen Bewegung werden. Allein ihre personelle Besetzung war entscheidend für die Zusammenarbeit mit den Evangelikalen seit dem Ende der 1960er Jahre. Das Selbstverständnis der Volksmissionarischen Ämter und die Auffassung ihrer Aufgabe waren in den einzelnen Landeskirchen durchaus nicht einheitlich.140
139
BEYREUTHER, Kirche, 260. Einen kleinen Einblick in die Divergenzen gibt das Protokoll der Konferenz der Leiter der Volksmissionarischen Ämter im Mai 1973. Unter dem Besprechungspunkt „Kirchliche Bindung und Freiheit“ wurde im Protokoll festgehalten: „Die Ämter für VM stehen in einer gewissen Zwittersituation. Auf der einen Seite sind sie Einrichtungen der verfassten Landeskirchen und damit gebunden. Auf der anderen Seite müssen sie den vorhandenen Gaben (Charismen) den nötigen Spielraum zur freien Entfaltung sichern.“ Der Leiter des Volksmissionarischen Amtes der badischen Landeskirche, KR Albert Zeilinger, monierte auf der Leiterkonferenz die unvollkommene Integration der Ämter in die Kirchen, insofern sie kaum über die Möglichkeit verfügten, „bei Entscheidungsprozessen der Kirchenleitung die notwendigen missionarischen Gesichtspunkte aus der Erfahrung ihrer Arbeit einzubringen. Die Freiheit der Entfaltung würde zwar nicht behindert, aber es seien doch auch deutliche Grenzen gesetzt, weshalb es in Baden Vertreter der Auffassung gebe, die VM sollte möglichst unabhängig von der Kirche sein.“ Pfarrer Arthur Stephan aus der rheinischen Landeskirche schloss sich diesem Votum an und spitzte es mit der Frage zu, was zu tun sei, „wenn die Freiheit eines VM-Amtes bedroht sei.“ Der Vertreter der Volksmission der westfälischen Landeskirche, Pfarrer Herbert Demmer, sah die Problematik gelassener: Seiner Meinung nach seien die Volksmissionarischen Ämter – so jedenfalls in Westfalen – weder Teil der „Behörde“ noch der Synode und diesen nicht ausgeliefert. Von daher könne man kirchliche Integration und Freiheit durchaus zusammenbringen (Arbeitsgemeinschaft Missionarische Dienste, Konferenz der Leiter der VM-Ämter 21.–23. Mai 1973, „Bernhäuser Forst“, PROTOKOLL vom 27. 7. 1973, gez. Ulrich. Maschinenschriftl., vervielfältigt, 13 S., hier 2f. [AEKR Düsseldorf 2LR 004, Nr. 84: Arbeitsgemeinschaft Missionarische Dienste, Bd. II]). 140
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Die Vorgeschichte: Evangelikale Trägergruppen und die Landeskirchen
Ursprüngliches Anliegen der kirchlichen Volksmission war die Gewinnung der der Kirche Entfremdeten gewesen.141 Die Umsetzbarkeit dieses Ziels wurde im Laufe der Zeit allerdings immer fraglicher. 1954 konstatierte der nebenamtliche Geschäftsführer der „Arbeitsgemeinschaft für Volksmission“ und ehemalige Leiter des Volksmissionarischen Amtes der Braunschweigschen Landeskirche, Heinrich Hermann Ulrich, in seinem Entwurf eines Berichtes über „Evangelisation in Deutschland“ für den ÖRK, dass die Volksmission bisher ihr eigentliches Ziel, nämlich die Erreichung der Entfremdeten, verfehlt habe, aber am Ziel vorbei eine andere Aufgabe übernommen habe: die „Durcharbeitung der Gemeinde“142. Darüber hinaus „gewöhne“ die Volksmission die Kirche daran, missionarische Aufgaben in ihren Tätigkeitsbereich einzubeziehen und werde so zur Wegbereiterin für eine missionarische Grundhaltung der Kirche.143 Die Zielsetzung der Volksmission sollte sich in den kommenden Jahren immer weiter in Richtung des „missionarischen Gemeindeaufbaus“ verschieben, d. h. sich mehr und mehr der Vorstellung einer auf Mission ausgerichteten Gemeinde annähern, bei der evangelistisches Handeln in das Gemeindeleben integriert und nicht mehr unabhängig davon betrieben wurde.144 In den 1960er Jahren erscheinen die ersten Schriften zu dem Thema „missionarischer Gemeindeaufbau“, das in den 1980er Jahren für Furore sorgte.145 Vor dem Hintergrund des Verhältnisses von evangelikaler Bewegung und evangelischer Kirche ist zu konstatieren, dass bereits in der Vorgeschichte der evangelikalen Bewegung durch das Konzept integrativer Volksmission Trägergruppen des Evangelikalismus wie die Gemeinschaftsbewegung oder die Evangelistenbewegung unter dem Dach der DEA in ihrem Aktionsradius empfindlich tangiert und in ihrem Selbstverständnis angefragt wurden. Im Hinblick auf die sich 1986 mit Vehemenz entfaltende Debatte über evangelikale Parallelstrukturen innerhalb der Kirche ist es von nicht zu unterschätzender Bedeutung, dass die evangelische Kirche in den 1950er, 1960er Jahren begann, in gewisser Weise
141
So z. B. FISCHER, Ort der Volksmission, besonders 193. Fischer vermerkt, dass der Gottesdienst bekennende Gemeinde voraussetze, d. h. Kenntnisse bezüglich des christlichen Glaubens, während die Volksmission bei den „Ahnungslosen“ ansetzen wolle. Somit müsse man unterscheiden in Verkündigung nach innen und nach draußen. 142 Ulrich, Heinrich Hermann: [Entwurf für den] Bericht „Evangelisation in Deutschland“ im Juni 1954 für den ÖRK. Maschinenschriftl., 98 S., hier 14 (LKAS A 126, Nr. 1824, 171–219). 143 EBD., 16. 144 Letztlich ist die Problematik der additiven und nicht integrativen Stellung von Mission gegenüber von Gemeinden und Kirche, die „ekklesiologische Lücke“, bis heute nicht aufgelöst (vgl. TESCHNER, Volksmission, 270). 145 EBD., 268.
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Die Evangelisationsbewegung in den Landeskirchen
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Parallelstrukturen zu dem missionarischen Handeln der Gemeinschaftsbewegung aufzubauen, indem sie Bereiche besetzte, die von der Gemeinschaftsbewegung als ihr ureigenstes Terrain verstanden wurden. Das „Durchwirken der Gemeinde“ mit evangelistisch geprägten Frömmigkeitsformen ist das Spezifikum der landeskirchlichen Gemeinschaften, die sich nun durch die kirchlichen volksmissionarischen Ansätze zumindest herausgefordert sahen. Dieser Umstand wurde in den Kreisen der Gemeinschaftsbewegung nicht in dem Sinne diskutiert, dass er als Affront aufgefasst wurde – eher im Gegenteil: Das verstärkte missionarische Handeln der Kirche kam den eigenen Vorstellungen eines steten evangelistischen Zuges des Christentums oberflächlich betrachtet eher entgegen und die Zusammenarbeit mit der „Arbeitsgemeinschaft für Volksmission“, die Vereine sowohl der Landes- als auch Freikirchen unter ihrem Dach versammelte, gestaltete sich durchaus einvernehmlich, allzumal die gemeindemissionarische Intention der landeskirchlichen Volksmission die evangelisierenden Gemeinschaftskreise in ihre Vorstellungen unmittelbar einbezog und kaum Abgrenzungen markierte. Carl Gunther Schweitzer, Direktor des „Central-Ausschusses der Inneren Mission“, der nebenamtliche Vorsitzende der „Arbeitsgemeinschaft für Volksmission“ und Leiter der Evangelischen Sozialakademie in Friedewald bei Siegen/Westfalen, bemerkte 1950: „Täuscht nicht alles, so stehen wir in Deutschland an den Anfängen einer echten Laien-Bewegung in der evangelischen Kirche. Die Einsicht, dass die Zeit der Pastorenkirche mit ihrem ungesunden Monopolanspruch auf alles Christliche zu Ende geht, ist im Wachsen. (Vergleiche z. B. die Laienbewegung in Schleswig-Holstein, den evangelischen Kirchentag, die Laienschule in Ellierode in Hannover und in Friedewald für die EKiD.) Damit taucht ein ganz neuer Kirchenbegriff auf, die Kirche wirklich der Leib Christi auf Erden, jedes Glied, nicht nur die dafür besoldeten Pfarrer, verantwortlich für die Neugewinnung anderer, ihrer Nächsten aus der Masse, Mission wie in der Urkirche durch die Missionierten.“146
Schweitzers Überlegungen gingen bereits 1950 in Richtung einer „missionarischen Kirche“, wie dem Schlusspassus zu entnehmen ist. Allerdings lässt er bei seiner Analyse der Anfänge einer „echten Laien-Bewegung“ außer Acht, dass es gerade nicht missionarische Gemeinden waren, die die Evangelisation von innen heraus trugen, sondern missionierende Laien, die den „zu missionierenden“ Laien gegenüberstanden. Damit handelte es sich zwar auch um eine Laienbewegung, aber eine, die den Gemeinden teilweise gegenüberstand, denn über die Gemeinden brach neben erbaulichen Veranstaltungen auch eine Woge ver146 Schweitzer, C[arl] G[unther]: Volksmission bzw. Evangelisation in Deutschland. (In Stichworten). Maschinenschriftl., 3 S., hier 3. Anlage zu Brief von D. Dr. C[arl] G[unther] Schweitzer an Prof. D. [Johannes Christiaan] Hoekendijk vom 20. 4. 1950 (ADW, HGSt 4987).
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Die Vorgeschichte: Evangelikale Trägergruppen und die Landeskirchen
schiedenster theologischer Botschaften herein. Auf dieses Problem wird noch einzugehen sein, aber an dieser Stelle sei auf die fließenden Übergänge der landeskirchlich angebundenen Evangelisation zum missionarischen Engagement der Landeskirchlichen Gemeinschaften bis hin zu freikirchlichen evangelistischen Veranstaltungen hingewiesen. „So haben sich in der Praxis Volksmission und Evangelisation oft nahe berührt“147, resümierte Walter Michaelis, von 1906 bis 1911 und von 1919 bis 1952 Präses des Gnadauer Gemeinschaftsverbandes, in seinen Lebenserinnerungen. Die „Arbeitsgemeinschaft für Volksmission“ engagierte sich darüber hinaus für genuine Anliegen der Gemeinschaftsbewegung. So unterzeichnete z. B. der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Heinrich Rendtorff 1956 ein Bruderwort des damaligen Präses des Gnadauer Verbandes, Hermann Haarbeck gegen „Schwarmgeisterei“,148 d. h. pfingstlerische Aufbrüche. Pfinstlerisch-charismatische Frömmigkeit war während des gesamten 20. Jahrhunderts ein eminentes Problem der Gemeinschaftsbewegung, sowohl in den eigenen Reihen als auch in dem Wettstreit hinsichtlich der „Durchdringung der Gemeinden“.149 Resümierend ist allerdings festzustellen, dass die Idee des „missionarischen Gemeindeaufbaus“ innerhalb der Kirche über Jahrzehnte hinweg neben den intensiven freikirchlichen Evangelisationsbemühungen eine Konkurrenz zu dem evangelistischen Bestreben der Gemeinschaftsbewegung und sämtlichen Missionsunternehmungen der evangelikalen Trägergruppen darstellte. Schon 1947 wurde in einer Besprechung zwischen Vertretern der badischen Landeskirche und der örtlichen Landeskirchlichen Gemeinschaften von letzteren in Bezug auf Evangelisation festgehalten, dass ein „Teil der heutigen Spannung“ zwischen Kirche und Gemeinschaften wohl daher komme, „daß Aufgaben, die bisher ausschließlich Sache der Gemeinschaft waren, nun von der Kirche übernommen werden.“ Dieses Abgeben von Arbeiten sei schmerzlich für die landeskirchlichen Gemeinschaften, denn „die volle Demut“ für ein solches Abtreten von Arbeitsfeldern sei eben nicht vorhanden. Landesbischof Julius Bender entgegnete darauf, er höre „mit Bewegung“, daß die Gemeinschaften „Stück um Stück ihre Arbeit abgeben“ müssten und fuhr fort: „Da gilt es zu lernen: Er [Christus] muss wachsen, ich aber abnehmen. Früher war man bekümmert,
147 MICHAELIS, Erkenntnisse, 136. Zu Michaelis vgl. DIENER, Kurshalten; KAISER, Walter Michaelis. 148 Briefdurchschlag Arbeitsgemeinschaft für Volksmission an Präses Pastor [Hermann] Haarbeck, gez. [Heinrich] Rendtorff, vom 5. 5. 1956. Maschinenschriftl., 1 S. (ADW, HGSt 857). 149 Zu dem problematischen Verhältnis von Gemeinschafts- und Pfingstbewegung vgl. Kap. 3. 1. 3.
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weil die Kirche diese Arbeit nicht tat. Jetzt ist die Kirche erwacht und es ist wieder nicht recht.“150 Während an der Basis in den Volksmissionarischen Ämtern die personelle Besetzung über das Selbstverständnis und damit die Zusammenarbeit der Kirche mit der späteren evangelikalen Bewegung am Punkt der Evangelisation und Volksmission entschied, spiegelte die Geschichte der Inneren Mission, aus der die „Arbeitsgemeinschaft für Volksmission“ hervorging, die Problematik der innerkirchlichen Diskrepanzen um die theologische Verortung von sozialem und missionarischem Engagement wider: 1957 wurden die „Innere Mission“ und das rein als Wohlfahrtsverband operierende, 1945 gegründete „Evangelische Hilfswerk“ zum „Diakonischen Werk“ zusammengeführt. In der Folge ergaben sich innerhalb des „Diakonischen Werkes“ immer wieder Auseinandersetzungen um die Frage, inwieweit der Aufgabenbereich rein karitative oder missionarische Aspekte umfassen solle. Die Doppelspitze des Diakonischen Werkes mit zwei Direktoren für die Abteilung I, die Innere Mission, und für Abteilung II, das Hilfswerk, legen beredtes Zeugnis für diese innerkirchliche Unklarheit ab.151 Langjähriger Direktor der Theologischen Abteilung der Hauptgeschäftsstelle des Werkes Innere Mission und Hilfswerk der EKD war Heinrich Hermann Ulrich, der gleichzeitig von 1951 bis 1981 die Geschäftsführung der „Arbeitsgemeinschaft für Volksmission (West)“, seit 1965 „Arbeitsgemeinschaft für missionarische Dienste“ (AMD), innehatte.152 Die AMD ist Fachverband im Diakonischen Werk der EKD. Sie fungiert als Dachverband für deutsche missionarische Werke und Verbände, teilweise freikirchlicher Natur, teilweise evangelikaler Ausrichtung.153 Damit ist der Umstand gegeben, dass die Arbeitsgemeinschaft „kirchlich gebundener [ist] als andere der ihr verbundenen Arbeiten“154. Diese organisatorische Aufstellung widerspiegelt einerseits deutlich die Verwobenheit und Zusammenarbeit von freikirchlichen, kirchlichen und evangelikalen Verbänden auf dem Feld der Mission, andererseits aber auch die Pluralität der in diesem Dachverband der EKD zusammengeführten, von der theologischen Ausrichtung her vollkommen disparaten Gruppen. Im Hinblick auf Missionsanliegen waren im 20. Jahrhundert sowohl die EKD als auch die Landeskirchen und die Pfarrer vor Ort von der Ambivalenz geprägt, die Missionsarbeit an Gruppen zu delegieren, die primär das evan-
150 [Protokoll der] Besprechung zwischen Kirche und Gemeinschaften am 7. November 1947 in Karlsruhe, Blumenstr. 1. Maschinenschriftl., 12 S., hier 3 (LKA KA GA 11029). 151 Vgl. REITZ-DINSE, Theologie; WISCHNATH, Kirche. 152 EBD., 474. 153 MITEINANDER UNTERWEGS. 154 BÄREND, Geschichte.
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Die Vorgeschichte: Evangelikale Trägergruppen und die Landeskirchen
gelistische Anliegen vertraten (bis hin zur Inkorporation freikirchlicher Verbände in die eigene Missionsarbeit), als auch letztlich die Kontrolle über die Verkündigung zu behalten. Diese Ambivalenz, angereichert mit dem Arbeitsansatz der die Volksmission stark betreibenden Gemeinschaftsbewegung, zwar weitgehend mit der Kirche, aber „nicht unter der Kirche“ zu wirken, ergab ein Konfliktpotential, das sich auch in der Formierung der evangelikalen Bewegung entlud. Hinzu kamen die teilweise landeskirchenunabhängigen missionarischen Bestrebungen der bis in die 1980er Jahre hinein eher freikirchlich dominierten DEA. 3.2.2 Die Evangelisationswelle in Deutschland in den 1940er und 1950er Jahren Die Bandbreite der Gruppen, die sich missionarisch und evangelistisch engagierten, ergab ein überaus vielfältiges und teilweise kaum zu überschauendes Bild. Neben der Inneren Mission und ihren Fachverbänden widmeten sich der Evangelisation, so Erich Beyreuther, die Gemeinschaftsbewegung, die DEA, der CVJM, der EC, die Bibelschule für Frauen- und Mädchenbibelkreise Bad Salzuflen, die Bahnauer Bruderschaft, die ursprünglich aus Ostpreußen stammend in Unterweißach in Württemberg eine Missionsschule gründete sowie das „Johanneum“ in Wuppertal und die deutsche Zeltmission.155 Nicht genannt sind hier die aus der Bekennenden Kirche hervorgegangenen kirchlich-evangelistischen Aktionen wie der Deutsche Evangelische Kirchentag,156 die Bibelwochen, deren Handreichung die „Arbeitsgemeinschaft für Volksmission“ herausgab, Aktivitäten wie die „Geistliche Woche“ in Baden, die auf ganz Süddeutschland ausstrahlte,157 landeskirchliche Missionsunternehmungen wie „Kirche unterwegs“ oder Bibelmissionsvertriebe sowie die bunte Vielfalt der „freien Evangelisten“, die entweder Einzelgruppen oder Freikirchen 155
BEYREUTHER, Kirche, 260f. Allein die Situation der Berliner Bibelwochen verdeutlich das Ausmaß der Bibelwochen im Rahmen der Volksmission: Zwischen 1954, dem Beginn der Veranstaltung von Bibelwochen in Berlin bis Ende 1974 fanden 347 Tagungen der Berliner Bibelwoche mit ca. 9 200 Teilnehmern statt (20 Jahre Berliner Bibelwochen der EKU. Maschinenschriftl., hektograph., 5 S., hier 3 [LLKA Dt 222–2, Bd. 4]). 156 MORITZEN, Evangelisation, 1703. Der „Deutsche evangelische Kirchentag“, der von Reinold von Thadden-Trieglaff aus der „evangelischen Woche“ entwickelt wurde und 1949 erstmalig als deutschlandweites Treffen stattfand, stellte seit Ende der 1960er Jahre eines der von der evangelikalen Bewegung am stärksten kritisierte Unterfangen der evangelischen Kirche dar (vgl. dazu die ausführliche Darstellung in Kap. 6. 3. 4). Die Vorgeschichte des Konkurrenzverhältnisses von Kirchentag und evangelistischen Aktivitäten der Gemeinschaftsbewegung und der evangelistischen Bewegung begann allerdings schon in den 1950er Jahren, hier aber nicht als offener Konflikt. 157 WENNEMUTH, Geschichte, besonders 565.
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zugeordnet werden können oder aber selbstständig in Sachen Mission unterwegs waren. Die Freikirchen entfalteten nach 1945 eine vornehmlich von der DEA unterstützte und getragene hohe Aktivität bei Missionsveranstaltungen.158 Aber auch landeskirchlich verankerte Pfarrer und leitende Persönlichkeiten der Landeskirchenleitungen, wie z. B. der Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannovers, Hanns Lilje, oder der Berliner Bischof Otto Dibelius engagierten sich auf dem Feld der Evangelisation.159 Vorträge von Theologen und das Wirken in den Evangelischen Akademien wurden als Evangelisation verstanden. Des Weiteren traten ehemalige Missionare der Äußeren Mission, z. B. der Baseler Mission in Süddeutschland, auf, Evangelisten der Gemeinschaftsverbände und Jugendverbände, z. B. des EC. Carl Gunther Schweitzer charakterisierte die Volksmission um 1950 dahingehend, „dass fast alle möglichen Methoden [. . .] gleichzeitig nebeneinander versucht werden: a) die alten Formen der Massenevangelisation mehr oder weniger pietistischer Prägung. Man kann kaum sagen, dass sich diese Methode völlig überholt hätte. Die starke Teilnahme z. B. bei der Zeltmission, zeigt, dass es Menschen gibt, die sich auch heute auf diese Weise ansprechen lassen. Die Frage bleibt offen, ob so der Kirche fern stehende wirklich in grösserem Masse erreicht werden. Aber auch die Stärkung der Getreuen ist nicht zu unterschätzen sowie der Eindruck in der Öffentlichkeit, dass die Kirche überhaupt noch Massen zusammenbringt. [. . .] Vielversprechende Versuche, eine Großstadt im Stile der englischen Campaigns zu evangelisieren. b) Andererseits liegen die Grenzen dieser Methode auf der Hand: Trommelfeuer mit christlichen Worten bringt die Gefahr der Abstumpfung, ja Verstockung mit sich. Die plötzlichen Bekehrungen erweisen sich nur zu oft als suggestive Scheinbekehrungen. Die meisten Menschen von heute sind garnicht darauf vorbereitet und im Stande christliche Worte ernst zu nehmen, d. h. auf ihre konkrete Situation zu beziehen. Die etwa Neugewonnenen fühlen sich in den ‚Christlichen Gemeinden‘ heimatlos. Das zeigt sich besonders bei Heimkehrern, die in Kriegsgefangenen- oder Internierungslagern für Christus gewonnen worden sind und dort ein intensives Gemeindeleben kennengelernt haben. 5. Daneben stehen die Versuche: a) ganz persönlich von Mensch zu Mensch in einem (seelsorgerlichen) Gespräch Fühlung zu bekommen, cf. Berliner Stadtmission. [. . .] b) Namentlich bei Jugendlichen hat sich, z. B. in Hannover, die Form des Forums bewährt. Die Jugend fragt und ein Kreis von Christen [. . .] antwortet. c) Standesmission, z. B. Vertiefung bei den Pfarrern, um sie zu Missionaren zu machen (Pfarr-Bruderschaften), oder an ehemaligen Offizieren. Bädermission für Kur- und Badegäste und dergleichen. d) Die mannigfaltigs-
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VOIGT, Freikirchen, 234f. In den meisten Landeskirchen galt in den 1940er, 1950er Jahren die Regel, dass sich interessierte Pfarrer eine Woche von ihrer Gemeindearbeit freistellen lassen konnten, um andernorts Evangelisationen abzuhalten. Diese Regelung war schon in der Zeit des Nationalsozialismus gültig. 159
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ten Wege werden beschritten unter Benutzung moderner Technik, z. B. Posaunenmission, Kantoreien, die mit guten Liedern eine Volksmission vorbereiten, Laienspiele. Eine besondere Form, die schon vor dem Kriege in Brandenburg geübt worden ist, ist die Wagenmission [. . .]. Die Arbeit an den Kindern bildet meistens die Brücke zu den Erwachsenen. e) Statt dem Ein-Mann-System bürgert sich nach dem Vorbild der Oxfordgruppe mehr und mehr das team-System ein. [. . .]. 6. f) Es zeigt sich immer mehr, dass das ‚Wort allein‘, das isolierte Wort es nicht mehr schafft, cf. die Inflation aller, auch der frommen Worte zumal in Deutschland nach so vielen Jahren hohler Propaganda. Die christlichen und auch die biblischen Worte gilt es in die Sprache des heutigen Menschen zu übersetzen. [. . .] 7.) Darum haben alle christlichen Lebenszentren, in denen der Glaube gelebt und echte Gemeinschaft aus der Liebe Christi praktiziert wird, heute erhöhte missionarische Bedeutung, also die Stätten der Inneren Mission wie Bethel, Siedlungen wie Pilbel oder die der Gossner Mission, aber auch Frei- und Rüstzeitarbeit, in den evangelischen Akademien, die Arbeit in Haus Friedewald usw., d. h. alle Arbeit, durch die die Verkündigung des Wortes durch Beispiel glaubwürdig gemacht wird.“160
In den Jahren nach 1945 bis Anfang der 1960er Jahre waren alle deutschen Landeskirchen von dem Phänomen der Evangelisationen verschiedenster Art betroffen, in manchen Landeskirchen wie z. B. der württembergischen, nahm diese Evangelisationswelle nahezu spektakuläre Ausmaße an. Die auslösenden Momente dieser Evangelisationseuphorie sind mehrschichtig: die Lage der Kirche nach der Zeit des Nationalsozialismus wurde als desolat empfunden, der Grad an Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit, Entsittlichung, Wurzellosigkeit von Missionaren als extrem hoch eingestuft,161 eine Aversion gegen politische Belange und damit der Rückzug in das „Private“, das Glaubensleben, war ebenso wie eine starke Endzeiterwartung verbreitet. Friedrich Heitmüller, Evangelist und Prediger in Hamburg, der 1933/34 mit seiner Gemeinde „Holstenwall“, der „Christlichen Gemeinschaft Philadelphia“ und dem angeschlossenen Diakoniewerk „Elim“ aus dem Gnadauer Verband aus- und in den „Bund Freier evangelischer Gemeinden Deutschlands“ eingetreten und seit 1952 Präsident des „Internationalen Bundes Freier evangelischer Gemeinden“ war,162
160 Schweitzer, C[arl] G[unther]: Volksmission bzw. Evangelisation in Deutschland. (In Stichworten). Maschinenschriftl., 3 S., hier 1–3. Anlage zu Brief von D. Dr. C[arl] G[unther] Schweitzer an Prof. D. [Johannes Christiaan] Hoekendijk vom 20. 4. 1950 (ADW, HGSt 4987). 161 Vgl. HAUSS, Wege. 162 Friedrich Heitmüller war in Kreisen der evangelikalen Trägergruppen umstritten. Zu Leben und Werk von Friedrich Heitmüller vgl. BAUTZ, Heitmüller; BETZ, Leuchtfeuer; zu der Auseinandersetzung von Walter Michaelis und Heitmüller um die Frage der Loslösung von der Kirche vgl. LANGE, Bewegung bricht sich Bahn, 258–262; neu das Lebensbild Friedrich Heitmüllers von Ulrike Heitmüller mit Schwerpunkt auf den Antisemitismus ihres Großvaters: HEITMÜLLER, Großvater.
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Die Evangelisationsbewegung in den Landeskirchen
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schrieb in seinen Lebenserinnerungen, mit dem Ende des Nationalsozialismus sei „uns“ eine „Atempause“ geschenkt worden, die missionarisch-evangelistisch genutzt werden müsse.163 Diese „Atempause“ meine die Frist bis zum Gericht über die Welt. Mit jedem Schritt gerieten wir „tiefer hinein in die Nacht des endzeitlichen Antichristentums“ und das, was „wir in der jüngsten Vergangenheit erlebt und erlitten haben“ komme wieder, zwar nicht als Nationalsozialismus – diesen Gedanken solle man „weder diesseits noch jenseits unserer Grenzen denken“ –, aber keine Macht oder „Machtzusammenballung in der Welt (Uno)“ sei imstande, „die auf uns zukommende finstere Nacht des Antichristentums zu bannen.“164 3.2.3 Evangelisation und soziales Engagement der evangelistischen Bewegung vor dem Hintergrund von Endzeiterwartungen Diese Sichtweise, die nicht nur von Heitmüller vertreten wurde, wies in ihrem endzeitlichen Pessimismus gegenüber „der Welt“ eine deutliche Affinität zum generellen Rückzug aus politischem und gesellschaftlichem Engagement auf. Dieser wiederum ordnete sich in den größeren Zusammenhang der Entwicklungsphasen der Geschichte der Evangelisation in Europa und Nordamerika ein. Während im 18. und 19. Jahrhundert Evangelisation sowohl im Abendland als auch der Neuen Welt unter progressivem gesellschaftspolitischem Engagement vorangetrieben wurde, verschwand bei den amerikanischen Evangelisten, ebenso wie etwas später bei den süddeutschen Altpietisten, der gesellschaftspolitische Aspekt. Evangelisation wurde nun als rein religiöse Angelegenheit behandelt. Die Gründe für diesen Umschlag seien bisher „noch nicht genügend erforscht“165, konstatiert Walter Hollenweger in dem Artikel zu „Evangelisation“ in der TRE. Dementsprechend problematisch war die Haltung vieler Evangelisten im Dritten Reich, die sich mit ihrer vermeintlichen unpolitischen Attitüde unreflektiert in das Fahrwasser der herrschenden Ideologie begaben.166 Dieses (vermeintlich) „unpolitische“ Handeln zeichnete Evangelisation in Deutschland lange Zeit aus und ähnelt der US-amerikanischen „Church Growth“-Strategie, bei der Evangelisation als ein Vorgang begriffen wird, „der möglichst viele Menschen für ihre eigene Frömmigkeitsform gewinnen will, selbst wenn dies den Verzicht auf ein Minimum an prophetischer Gesellschaftskritik bedingt.“167 Ein typischer Vertreter dieser unpolitischen, auf Wachstum 163 164 165 166 167
HEITMÜLLER, Dienst, 225. EBD., 227f. HOLLENWEGER, Evangelisation, 637. Vgl. EBD., 638. EBD.
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Die Vorgeschichte: Evangelikale Trägergruppen und die Landeskirchen
ausgerichteten Form von Evangelisation war Billy Graham, auf den im Folgenden noch ausführlich eingegangen werden wird. Die Church-Growth-Strategie erfuhr schon in den 1960er Jahren Kritik aus evangelikalen Kreisen, die auf dem Feld der Evangelisation in den „Dritte-Welt“-Ländern wirkten. Deren Evangelisationsverständnis nährte sich dem Konzept des ÖRK der „Menschwerdung des Menschen“ sowie der Praxis lateinamerikanischer katholischer Basisgruppen an.168 Zu einem ersten Missklang kam es 1974 auf dem Kongress für Weltevangelisation in Lausanne, der von deutschen Evangelikalen zwar besucht und stark rezipiert wurde, allerdings ohne die Implikationen für die außerdeutsche evangelikale Theologie zu bedenken.169 Dieses unpolitische, auf Gemeindewachstum im Sinne der „kolonialen Evangelisation“ konzentrierte Evangelisations- und Missionsverständnis, das „das Evangelium als einen vom Evangelisten gewussten Inhalt [sieht], der an die zu Evangelisierenden weiterzugeben ist“ und sowohl die internationalen evangelikalen Diskussionen um einen diakonischen Ansatz in der Mission als auch die eigenen Traditionen weitgehend ignorierte, herrschte in Deutschland bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts in den evangelistischen Kreisen vor und ist heute noch anzutreffen. Klaus Bockmühl benennt die „Hingabe an das Werk der Evangelisation“ als eine der zentralen Gefahren der genuin diakonischen Lebensäußerung des Pietismus.170 Eine nicht zu unterschätzende Rolle in diesem Zusammenhang stellt der bisher wenig erforschte Umstand der latenten Endzeiterwartung in der deutschen Gemeinschaftsbewegung dar, der sich ungebrochen in die evangelistische Bewegung hinein verlängerte. Diese Endzeiterwartungen sind ebenso in der späteren evangelikalen Bewegung anzutreffen und stellen vermutlich ein zentrales retardierendes Element bei der Beschäftigung mit politischen und sozialen Problemen dar. In seiner Untersuchung zum Fundamentalismus in Deutschland zeigt Stephan Holthaus Endzeiterwartungen im 19. und 20. Jahrhundert in Deutschland anhand ausgewählter Vertreter der Gemeinschaftsbewegung und der Theologie der Erweckungsbewegung auf.171 Er kommt zu dem Schluss, dass der US-amerikanische Dispensionalismus durch die Übersetzung und Publikation von englischsprachigen Büchern einen gewissen Einfluss auf die deutsche Brüderbewegung hatte und der Prämillenniarismus innerhalb der Gemeinschaftsbewegung und der Freikirchen am deutlichsten vorherrschte, „ohne daß 168 169 170 171
EBD., 639. EBD. BOCKMÜHL, Aktualität, 44f. HOLTHAUS, Fundamentalismus, 373–451.
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Die Evangelisationsbewegung in den Landeskirchen
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es dabei zu einer geschlossenen Bewegung gekommen wäre“172. Da die futuristische Offenbarungsauslegung in Deutschland keinen Einfluss auf die akademische Theologie hatte, konnte sich insgesamt keine geschlossene prophetische Bewegung wie in den USA bilden.173 Allerdings, so Holthaus, hängen Prämillenniarismus und Überzeugung der Irrtumslosigkeit der Bibel unmittelbar zusammen, so dass die evangelikale (nach Holthaus „fundamentalistische“) Bewegung in Deutschland sich stets in einer gewissen Tendenz hin zu Endzeiterwartung und auch berechnung befindet. Allerdings schlägt sich dieses Phänomen schriftlich nicht in dem Maße nieder, in dem es in der Vorstellungswelt Evangelikaler eine praktische Rolle spielte und spielt. Wenn allerdings der Informationsbrief der Bekenntnisbewegung 1968 in seiner Septemberausgabe in dem Titelbeitrag auf vier Seiten bejahend der Frage nachgeht „Leben wir in der Endzeit?“174 oder Rudolf Bäumer, einer der herausragenden Gestalten der evangelikalen Bewegung, 1971 apodiktisch feststellte „Es ist Endzeit“175, muss man von einer verstärkten „Endzeitstimmung“ im evangelikalen Lager Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre ausgehen. Der ehemalige Mitarbeiter des Leitungskreises der OJC, Peter Zimmerling, vermerkt, dass sich nach seinem Eindruck um 1967 und 1968, besonders mit dem 6-Tage-Krieg im Juni 1967, weite Kreise der DEA und der Gemeinschaftsbewegung, die führenden Männer der B KAE und ebenso manche Vertreter der Kommunitäten in einem Zustand akuter Endzeiterwartung befanden.176 Im Informationsbrief der B KAE häuften sich die Aussagen zur endzeitlichen Situation in den Jahren 1968 und 1969 signifikant im Gegensatz zu der folgenden Zeit, wobei bis heute eine Tendenz in den evangelikalen Reihen hin zur Beschwörung von Endzeitszenarien festzustellen ist.177 Das 1961 erstmalig veröffentlichte Büchlein „Leben wir in der End-
172
EBD., 449. EBD., 450. Zu dem auf John Nelson Darby zurückgehenden Dispensationalismus und dessen bedeutenden Einfluss auf den christlichen Fundamentalismus vgl. GELDBACH, Dispensationalismus. 174 MOSIMANN, Leben. 175 BÄUMER, Prüfet, 20. 176 Gespräch mit Peter Zimmerling am 3. Juni 2009. Der Zusammenhang zwischen Endzeiterwartung und dem 6-Tage-Krieg wird auch durch Bergmanns Buch „Leben wir in der Endzeit?“ bestätigt. Darin führt Bergmann aus, wie die Geschichte Israels im 20. Jahrhundert in der Bibel gespiegelt und vorhergesagt würde und sich an den Entwicklungen im Nahen Osten der Endzeitcharakter der Gegenwart ablesen lasse. 177 Zwei herausragende Vertreter der evangelikalen Bewegung beschäftigten sich in den letzten Jahren publizistisch mit dem Thema der akut bevorstehenden oder bereits angebrochenen Endzeit: 2006 veröffentlichte Fritz Laubach das Büchlein „Christen in der Endzeit“, das 2007 schon in der dritten Auflage erschien. Im Berichtsband der Osterakademie 2008 des katholischen Kardinal-von-Galen-Kreises, einer 173
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Die Vorgeschichte: Evangelikale Trägergruppen und die Landeskirchen
zeit?“ von Gerhard Bergmann, der vor allem durch seine zahlreichen evangelistischen Schriften bekannt wurde, erlebte bis 1970 sechs Auflagen und bis in die 1980er Jahre zahlreiche Nachdrucke. Endzeitstimmung verbreitete sich in den 1960er Jahren auch durch US-amerikanische Evangelikale wie Billy Graham. Er erging sich in seinem 1965 in den USA und 1966 in Deutschland veröffentlichtem Buch „World aflame“ in düsteren apokalyptischen Beschwörungen.178 Eine solche Haltung hat eine lange Tradition und war Teil der evangelistischen Verkündigung in Deutschland. In ihrer historischen Entwicklung ist sie bisher jedoch noch nicht genügend untersucht worden, um Phasen oder Höhepunkte dieser Genese ausmachen zu können. Eine Erforschung dieses Phänomens erscheint aber umso dringlicher, als dass evident zentrale Themen wie evangelikales Sozialengagement und ethische Grundlegungen, Weltzugewandtheit und nicht zuletzt der Umgang mit Politik durchaus stärker von der endzeitlichen Fokussierung beeinflusst sein könnten, als das auf den ersten Blick der Fall zu sein scheint. Darüber hinausgehend kam es in der Geschichte des 20. Jahrhunderts phasenweise auch unter der Gesamtbevölkerung in Deutschland zu „Weltuntergangsvorstellungen“. Für 1950 und die Folgejahre kann auf Grund des sich zuspitzenden Kalten Krieges – sichtbar im Koreakrieg vom Juni 1950 bis Juli 1953 sowie der sich verschärfenden Konfrontation zwischen Ost- und Westdeutschland – und der dazu parallelen dynamischen Atombombenforschung ganz allgemein eine Weltuntergangsstimmung in Deutschland ausgemacht werden, die in den 1970er Jahren in Westdeutschland auf Grund der sich
Aktionsgemeinschaft katholischer Laien und Priester, die sich für „Bekenntnistreue“ und „Unterscheidung der Geister“ einsetzt – Schlagworte, die auch im evangelikalen Raum Breitenwirkung haben – ist u. a. der Beitrag von Peter Beyerhaus publiziert „,Weil die Gesetzlosigkeit überhandnimmt, wird die Liebe in vielen erkalten’. Erfüllung der Prophetie im New Age?“ Nur kurz sei an dieser Stelle angemerkt, dass Beyerhaus einer der ersten Evangelikalen war, der in den 1970er Jahren Kontakt zu konservativen katholischen Klerikern und Theologen aufnahm und damit eine im evangelikalen Lager nicht unumstrittene evangelikale Ökumene befördern wollte. Die konservative katholische Zeitschrift „Der Fels“ resümierte über Beyerhaus’ Ausführungen in Kevelaer: „[. . .] so scheint dieser [von Beyerhaus beschworene] Antichrist in unserer Zeit bedenklich nah zu sein – einer Zeit, in der eben die Gesetzlosigkeit überhandnimmt und die Liebe erkaltet. Man darf für diese Hilfe zur Unterscheidung der Geister durch Professor Beyerhaus sehr dankbar sein.“ (FOBES, Christ, 182). Bei der Schlusspassage der Beyerhausschen Ausführungen, die sich nicht mehr mit New Age im engeren Sinne beschäftigt, sondern eine Analogie der in der Offenbahrung für die Endzeit prophezeiten Christenverfolgungen mit gegenwärtigen Tendenzen der Diskreditierung von „Christen mit Zivilcourage“ ausgerechnet am Beispiel von Eva Herman nachzuweisen suchen (BEYERHAUS, Gesetzlosigkeit, 28), fällt einmal mehr der Zusammenhang von simplifizierter Ethik (sowie politischer und historischer Kurzsichtigkeit) und einer starken Endzeiterwartung auf. 178 GRAHAM, Welt.
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abzeichnenden ökologischen Krise erneut einen Höhepunkt erreichte.179 Auch diese allgemeingesellschaftlichen historischen Kumulationspunkte von Weltuntergangsängsten sind bisher kaum aufgearbeitet und von daher noch nicht in einen Zusammenhang mit den evangelikalen und präevangelikalen Endzeiterwartungen gestellt worden. 3.2.4 Freie Evangelisten und evangelistische Verbände Für die Evangelisationswelle seit 1945 bis Anfang der 1960er Jahre in Deutschland spielten über die genannten inhaltlichen Faktoren hinaus Gründe eine Rolle, die mit der Situation der Flüchtlinge aus den (ehemaligen) deutschen Ostgebieten zu tun hatten. So wirkte z. B. manch einer der aus den Ostgebieten vertriebenen Pfarrer und besonders Diakonen in den folgenden Jahren in seiner neuen Heimat zunächst als Evangelist.180 Ebenso wurde die unübersichtliche Evangelisationswelle verstärkt durch das Problem der Verkündigung des Evangeliums unter den Flüchtlingen, die, aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten und Ostdeutschland kommend, teilweise in eigenen Siedlungen Aufnahme fanden und ohne Kirche und Pfarrer betreut werden mussten. Diese Aufgabe oblag den Landeskirchen selbst. Teilweise wurden die Ortspfarrer mit dieser Aufgabe betraut, daneben aber in hohem Maße landskirchliche Evangelisten und die Mitarbeiter der Volksmissionarischen Ämter. Die konfessionelle Mischung in Deutschland der Nachkriegszeit, die sich aus der Aufnahme von Flüchtlingen und Vertriebenen ergab, ist unter frömmigkeits- und mentalitätsgeschichtlichen Gesichtspunkten noch zu wenig erforscht worden,181 als dass sich ein Zusammenhang von Umsiedlung, konfessioneller Vermischung und protestantisch-kirchlicher Integrationsleistung Ende der 1940er und in den 1950er Jahren und dem sich Ende der 1960er Jahre in Westdeutschland entfaltenden Evangelikalismus zum jetzigen Zeitpunkt fundiert nachweisen lässt. Zumindest kann vermutet werden, dass die innerhalb 179
SCHLOEMANN, Apfelbäumchen, 61f., 189 u. ö. Auf eine Dekanatsanfrage, wie man sich bezüglich „vertriebener diakonischer Kräfte um Einräumung von Kirchen zu freier Wortverkündigung verhalten“ solle, ließ der württembergische Oberkirchenrat 1947 verlauten, der „Oberkirchenrat bemüht sich daher, auch die in dem Gebiet der Landeskirche eintreffenden Diakonen durch Übertragung von Diakonen- und Katechetenstellen sachgemäss und ordnungsgemäss einzusetzen, und hält es andererseits nicht für wünschenswert, wenn sie sich als freie Evangelisten betätigen und ein eigenes ‚Missionsfeld‘ schaffen, ohne sich der Bindung an eine Kirche zu unterziehen.“ (Erlass [des Evangelischen Oberkirchenrates] an das Dekanatamt Blaufelden auf die Anfrage vom 13. Januar 1947. Betr.: Volksmissionarische Bibelarbeit von Fr. Deusing Neunstetten vom 20. Januar 1947. Maschinenschriftl., 1 S. [LKAS A 126, Nr. 1819, 025]). 181 Vgl. zu dem Thema RUDOLPH, Vertriebene, Bd. I. u. II. 180
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kürzester Zeit erzwungene Nähe einheimischer Gemeinden mit Gruppen anderer christlicher und protestantischer Konfessionen und Frömmigkeitsrichtungen, die sich in das neue Umfeld erst einfinden mussten, auf beiden Seiten sowohl einen Reflex der Abwehr des Fremden als auch die Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner evozierte. Das könnte einen verstärkten Rückgriff auf die Bibel unter Zurückstellung der traditionell protestantischen Bekenntnisse, konfessionellen Spezifika und auch der eigenen frömmigkeitsgeschichtlich gewachsenen Mentalität befördert haben. Zumindest punktuell lassen sich lokale Übereinstimmungen der Flüchtlingsansiedlungsproblematik und Vorstufen des Evangelikalismus und der evangelikalen Bewegung beobachten. So waren z. B. der Odenwald in Hessen oder die Lüneburger Heide in Nordrhein-Westfalen hinsichtlich der Mischung von Frömmigkeitsmentalitäten durch die massenhafte Ansiedlung von Flüchtlingen Problemgebiete und gleichzeitig Regionen, in der sich der Widerstand gegen die Theologie Bultmanns (Odenwald) oder aber ein erweckliches missionarisches Bedürfnis (Ahlden/Krelingen) stark regten. Darüber hinaus sind auch personelle Koinzidenzien auszumachen, so z. B. bei Rudolf Bäumer, der führenden Figur der evangelikalen Bewegung in den 1960er und 1970er Jahren, der jahrzehntelang Leiter des „Ludwig-Steil-Hofes“ in Espelkamp war, einer diakonischen Einrichtung, die 1948 auf maßgebliches Betreiben von Eugen Gerstenmaier vom „Evangelischen Hilfswerk“ und mit Unterstützung der westfälischen Kirche als Flüchtlingsauffanglager gegründet wurde. Espelkamp wiederum war eine Plansiedlung für Kriegsflüchtlinge, Vertriebene und Immigranten. Ein weiteres Kriterium für die Evangelisationswelle Ende der 1940er und in den 1950er Jahren stellt die Tatsache dar, dass auf Grund der zerstörten und sich in den Anfangsjahren erst neu etablierenden Kirchenstrukturen sowohl die prosperierenden religiösen Sondergemeinschaften –182 sie wurden zu dem Zeit182 1947 bat Kurt Hutten, der spätere Leiter der EZW in dem Organ „Für Arbeit und Besinnung“ darum, bei der Bestandsaufnahme der Tätigkeit von Sekten und Religionsgemeinschaften mitzuhelfen. „Nach übereinstimmenden Berichten ist allenthalben eine starke Zunahme in der Tätigkeit von Sekten und freien Religionsgemeinschaften zu beobachten. Neben den alten treten auch neue sektiererische Kreise auf. Teilweise haben sie sich noch nicht scharf von der Kirche abgegrenzt oder sind nur auf einzelne Gemeinden beschränkt. Wir werden diese Entwicklung mit aller Aufmerksamkeit verfolgen müssen.“ Hutten zählt dann neben den Adventisten und Anthroposophen die „Evangelisten oder auch ‚James Jardine‘, ‚Christliche Gemeinschaft‘, ‚Christliche Konferenz‘, ‚Namenlose Sekte‘ genannt“, „Freie christliche Mission“, „Freie evangelische Gemeinde“, „Freikirchliche Vereinigung (Christian Rapp)“, „Göttliche Allianz“, „Internationale Volksmission für entschiedenes Christentum (Bruder Keck und Schwester Paula)“, „Pfingstbewegung“ u. a. auf (HUTTEN, Längsschnitt). Für das Gebiet der badischen Landeskirche ist beispielsweise die Rede davon, dass nach 1945 die „Not der Zeit [. . .] naturgemäß eine Fülle von religiösen ‚Suchbewegungen‘“ hervorbrachte (DIE EVANGELISCHE LANDESKIRCHE IN BADEN IM DRITTEN REICH,
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punkt noch größtenteils unter dem Namen „Sekten“ geführt – als auch freikirchliche oder vollkommen „freie“ Evangelisten ein nahezu unbegrenztes Wirkungsfeld vorfanden. Zwar hielten die Landeskirchenämter und Oberkirchenräte strikt an aus der Zeit vor dem Dritten Reich stammenden Verordnungen fest, laut denen für eine Evangelisationsveranstaltung die Genehmigung der Landeskirchenleitung eingeholt werden musste und die Pfarrer waren angehalten, nach jeder Evangelisation einen Bericht einzureichen, der unter Umständen zu einer landeskirchlich beglaubigten Ernennung zum „Evangelisten“ führen konnte. Aber das verhinderte nicht, dass es zu theologisch-homiletisch problematischen Evangelisationsveranstaltungen kam. Die pfarramtlichen Berichte über solche Evangelisationsveranstaltungen spiegeln das breite Spektrum wider, in welchem das Evangelium in den 1950er Jahren in Deutschland außerhalb der regulären Gottesdienste verkündet wurde. Von Evangelisten, die sehr gute Veranstaltungen anboten, ist die Rede, von tendenziell pfingstlerisch (dem „Schwarmgeist“ anhängenden), von nationalsozialistisch und von sektiererisch geprägten Evangelisten,183 von finanziellen Problemen im Nachgang von Evangelisationsveranstaltungen,184 von vereinzelt psy267). Dazu gehörten in erster Linie die „Zeugen Jehovas“, die „Adventisten“ und die „Neuapostolischen“ (EBD., 268f.). 183 Ein Beispiel unter vielen für die auftretenden Konfusionen stellte der Stadtpfarrer von Stuttgart und Mitglied des Ausschusses der örtlichen Evangelischen Allianz, Gottlob Lang, 1946 dem Evangelischen Oberkirchenrat von Württemberg dar: „Ein Prediger Wertsch, Strohbergstr. 18 hat unter dem 2. Januar 46 vom Evangelischen Oberkirchenrat eine Empfehlung auch an die Militärregierung bekommen, da er im Sinn christlicher Allianz für das konfessionelle Einigungswerk tätig sei. Wertsch hat mit der Evang. Allianz gar keine Fühlung; sein Mitarbeiter [. . .] ‚beweist‘, daß der Segen Jakobs nicht erloschen sei, sondern die Söhne Jakobs die einzelnen Völker darstellen. Mit dieser Empfehlung hat er den Saal des CVJM Furtbachstr. 6 samt Kohlenheizung! sich zu beschaffen gewusst u. es werden seine Darbietungen, zu denen durch die Plakatsäulen eingeladen wird wahrscheinlich der Evang. Allianz zur Last gelegt werden. Der CVJM versucht übrigens die Sache rückgängig zu machen. In Kreisen der Evang. Allianz hat diese Empfehlung Befremden erregt; u. wir bitten in solchen Fällen doch vorher um Rückfrage, damit die Vertrauenswürdigkeit am Ort geprüft werden kann.“ (Brief von Stadtpfarrer [Gottlob] Lang an den Evangelischen Oberkirchenrat vom 10. 1. 1946 [LKAS A 126, Nr. 1818, 087]). Handschriftlich ist auf diesem Schreiben, offensichtlich von kirchenleitender Stelle, vermerkt: „Wertsch war Sommer 45 mehrmals bei der Dienststelle, hat aber keinerlei Empfehlung bekommen, da er ein Wirrkopf ist [. . .].“ In Folge ging ein Erlass des OKR an alle Dekanatämter, in dem vor den „Umtrieben eines ‚Predigers‘ Wertsch“ „dringend“ gewarnt wurde (Erlass an sämtliche Dekanatämter Betr.: Prediger Wertsch, Stuttgart, Strohbergstr. 18, vom 5. Februar 1946 [LKAS A 126, Nr. 1818, 088 und A 126, Nr. 1823, 116]). Wertsch gehörte, wie sich später herausstellte, dem „Bund Religiöse Erneuerung“ an (LKAS A 126, Nr. 1818, 156, 161–163, 167–169f. und A 126, Nr. 1819, 005, 009, 016). 184 Besonders die Arbeit der Zeltmission stand vor dem Problem, finanziell teilweise durch die
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chisch kranken und sozial gestörten evangelisierenden Laien, von „Sensationsmache“ bei der Evangelisationsarbeit und, immer wieder sehr brisant, von Predigern, die Gemeindeglieder in ihre Gruppen abzogen. Die württembergische Landeskirche, in der wie „in keinem [anderen] Bundesland [. . .] evangelisiert“185 wurde, ist für die Evangelisationsumtriebe dieser Zeit ein illustratives Gebiet,186 allerdings traten die genannten Probleme auf Grund der Evangelisationsbewegung je nach Region divergierend in allen Landeskirchen auf. So standen sich mancherorts freikirchliche Gruppen, landeskirchliche Gemeinschaften und Pfarrer der Landeskirche in offenen Konkurrenzkonflikten gegenüber, die sowohl das Verhältnis von Landeskirchlichen Gemeinschaften und freikirchlichen Gruppen, von Landeskirchenleitungen und Freikirchen und zwischen Landeskirchlichen Gemeinschaften und landeskirchlichen Gemeinden stark trübten.187 Die Problemfelder reichten dabei vom Ignorieren kirchlicher Bevollmächtigungen für den Predigtdienst, freiem Spenden der Sakramente und der Wiedertaufe über innergemeinschaftliche Absplitterungen, die sich in der Evangelisation niederschlugen188 bis hin zu pragmatischen Fragen, wie derjenigen, Landeskirchen abgedeckt werden zu müssen. Kritik gab es dann an der Praxis, dass Opfergaben von den Initiatoren frei verwendet wurden (so z. B. Brief des Evangelischen Dekanatamtes Heilbronn an den Evangelischen OKR Stuttgart, Betr.: Zeltmissionsarbeit, vom 11. 1. 1952 [LKAS A 126, Nr. 1823, 116]). 185 Brief von Joachim Braun an Prälat D. [OKR für Gemeinde und Ökumene Wolfgang] Metzger vom 25. 10. 1962. Maschinenschriftl., 1 S. (LKAS A 126, Nr. 1832, 021). 186 Vgl. dazu beispielhaft die Akten LKAS A 126, Nr. 1818 und 1819. 187 So ist z. B. 1950 in Württemberg von der „derzeit etwas angespannten[n] Gesamtlage zwischen Landeskirche und Evangelischer Gemeinschaft“ die Rede, die es momentan nicht zulasse, dass der OKR gemeinsame Evangelisationen bewillige (Briefkonzept des OKR an Herrn KR Ströbel, Herrn Pfarrer Gaiser, an das Dekanatamt Crailsheim auf die Randvorlage vom 16. Januar 1950 Betr.: Evangelisation in Onolzheim vom 25. 1. 1950 [LKAS A 126, Nr. 1822, 004]). Hinzu kamen 1952 Probleme mit Methodisten vor Ort durch unlauteres Konkurrenzverhalten bei Evangelisationen (Durchschlag eines Briefes des Evangelischen OKR an das Dekanat Freudenstadt Auf die Vorlage vom 31. Januar 1951 und auf den Nachbericht vom 9. Februar 1951 Betr.: Methodisten-Evangelisation in Lombach, vom 22. 2. 1951, gez. Weber [LKAS A 126, Nr. 1822, 146]), wobei aber seitens der Landeskirchenleitung stets um ein Ausbalancieren der Situation gerungen wurde: Ein Pfarrer, der „die Arbeit der Methodistenkirche als sektiererisch an[griff]“, wurde vom OKR gerügt und ihm angeraten, anstelle eines Gegeneinanders das Nebeneinander und Miteinander zu sehen (Abschrift eines Briefes von OKR Metzger an die Leitung der Methodistenkirche z. Hd. von Herrn Superintendent Haug vom 5. 4. 1951 [LKAS A 126, Nr. 1822, 166]). Auch die durch Evangelisationen hervorgerufenen pfingstlerischen Aufbrüche waren ein Thema in den Gemeinden (Brief des Evangelischen Dekanatamtes Reutlingen an den Ev. OKR Stuttgart Betr.: Schulleiter und Evangelist Becker, vom 14. 11. 1951 [LKAS A 126, Nr. 1823, 022]; Brief des Evangelischen Dekanatamtes Böblingen an den Evangelischen OKR Betr.: Bericht des Pfarramts Holzgerlingen über Evangelist Rolf Binder, vom 20. 6. 1956 [LKAS A 126, Nr. 1828, 006]). 188 So zeigte 1949 die „Liebenzeller Mission“ der Landeskirchenleitung zwei namentlich genannte Evangelisten an, die in Berufung auf die Liebenzeller missionierten, aber realiter nicht in
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inwieweit Kasualien für freikirchliche Gemeindemitglieder, die gleichzeitig Mitglieder Landeskirchlicher Gemeinschaften – und damit der evangelischen Kirche – waren, durch Pfarrer vollzogen werden durften oder nicht. Vollends verwirrend wurde es, wenn nicht mehr klar war, wer eigentlich zu welcher Fraktion gehörte, wie es häufig bei Doppelmitgliedschaften in der Landeskirche und freien Gemeinden der Fall war oder sich Evangelisten, die im Dienst der Landeskirche standen, von frei vagabundierenden missionarischen Gruppen missbrauchen ließen, indem sie unter deren Namen auftraten.189 Dieses bunte und nahezu ungeregelte Feld der Evangelisation trieb manche exotische Blüte, unter denen sich auch einige hochgradig brisante Fälle wie derjenige des Begründers der Philadelphia-Gemeinde in Leonberg in Württemberg Christian Röckle und seines Schülers, des Schreiners Hermann Lutz befanden,190 die in Schwimmhallen Massenwiedertaufen organisierten.191
Verbindung mit ihnen standen und keinen Verkündigungsauftrag von ihnen hatten (Rundbrief des Evangelischen Oberkirchenrates an sämtliche Dekanatämter Betr.: Bekanntmachung der Liebenzeller Mission vom 15. 2. 1949, gez. Lempp [LKAS A 126, Nr. 1820, 045]). Aber auch Absplitterungen von landeskirchlich unterstützter Mission traten häufig auf. So war z. B. in Hamburg die Straßenbahnplakatmission Hamburg-Marmsdorf des Privatunternehmers Martin dem Christlichen Plakatdienst ein Dorn im Auge, nachdem sich Martin mit seinem Plakatdienst von dem Christlichen Plakatdienst, den er selbst gegründet hatte und in dem Vertreter der der Landeskirche und der Freikirchen zusammenarbeiteten, 1958 abgesetzt worden, nachdem sein „vielfach sehr eigenwilliges und gegen die Beschlüsse des Vorstandes verstoßendes Handeln als untragbar angesehen wurde und verschiedene Mitglieder des Vorstandes ihr Amt niedergelegt hätten, wenn nicht Herr Martin die Konsequenz des Austritts dem Vorstand gezogen hätte.“ In Folge arbeitete Martin auf Spendenbasis allein weiter. Das Hamburger LKA ging zwar nicht so weit, vor „sektiererischen Tendenzen“ Martins zu warnen, verweigerte ihm aber jedwede Unterstützung, „da in Hamburg ein rechtmäßig geleiteter Christlicher Plakatdienst vorhanden ist und man auf die Tätigkeit von Herrn Martins, der mitunter auch zur Schwärmerei neigt, keinen Einfluß hat.“ (Brief des Landeskirchenamtes der Evang.-luth. Kirche im Hamburgischen Staate an den Landesbischof der Evang. Kirche in Baden Herrn D Bender Betr.: Plakatmission, vom 15. 3. 1962. Maschinenschriftl., 2 S. [LKA KA Registratur 71/134]). 189 So z. B. im Fall des Evangelisten Hermann Dittert, der von der württembergischen Landeskirchenleitung geschätzt wurde, aber auf dessen Evangelisationen die „Volksmission entschiedener Christen“, eine zur Abspaltung von der Landeskirche tendierende Gruppe, Nebenveranstaltungen abhielt (Beurteilung von Evangelist Hermann Dittert, eingegangen am 18. 6. 1955 [LKAS A 126, Nr. 1829, 006]; Brief des Evangelischen Pfarramtes Truchtelfingen an den Evangelischen OKR Betr.: Evangelisation in Truchtelfingen, vom 7. 9. 1956, gez. [Pfarrer] R. Funk [LKAS A 126, Nr. 1829, 011]; Brief von Evangelist Hermann Dittert an [Pfarrer Rudolf Funk, Truchtelfingen] vom 8. 8. 1956 [LKAS A 126, Nr. 1829, 009]; Brief [vom Evangelischen OKR] an Hermann Dittert, Berlin-Tempelhof, vom [25. 2. 1957]. [LKAS A 126, Nr. 1829, 020f.]). 190 Vgl. diverse Dokumente in LKAS A 126, Nr. 1818; zu Christian Röckle und der „Philadelphia-Gemeinde“ vgl. auch HAHN, Kirche Jesu Christi, 80–109. 191 Niederschrift über die Besprechung mit Herrn Missionar Röckle in Leonberg am 8. Januar 1953 [von Dekan Karl Koch und Pfarrer Lang] (LKAS A 126, Nr. 1830, 007–009).
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In Kurhessen-Waldeck löste der einem privaten Missionsunternehmen vorstehende Werner Heukelbach192 zu Pfingsten 1961 einen Eklat aus, als er ein Flugzeug charterte, das mit dem Spruchband „Auch du brauchst Jesus“ über Kassel flog. Als sich Bischof Adolf Wüstemann vehement (und am 18. Juli 1961 unter der Schlagzeile „Falscher Eifer“ in der „Bild“-Zeitung zitiert) gegen derartige Evangelisationsmethoden aussprach, unter anderem mit dem Argument, Jesus, der Freund der Sünder, habe sich von denen abgesetzt, „die wegen ihrer Frömmigkeit den Glauben an Gott verlieren“, zog das Kritik von Gemeindegliedern an Wüstemann nach sich, die sich nicht mehr nur auf die Methode, sondern auf das Prinzip des „Muss“ der Mission bezogen.193 Bereits 1958 war Heukelbach neben der aus den USA stammenden Evangelisationsbewegung „Jugend für Christus“194 Thema auf der Bruderratssitzung der „Arbeitsgemeinschaft für Volksmission“: Auf Grund vielfacher Anfragen wurde beschlossen, ein Rundschreiben an die Landeskirchen zu richten, um Erfahrungsberichte über beide evangelistischen Aktionen einzuholen.195 Hier zeigt sich, wie unsicher man sich seitens der Landeskirchen noch Ende der 1950er Jahre über die Einschätzung und Zuordnung einzelner Evangelisationsbewegungen und Evangelisten war. Einen prekären Fall ganz anderer Natur stellte der des Schweizer Evangelisten Josef Schmid dar, der Anfang der 1960er Jahre auch in Württemberg missionierte. Schmid, der als unabhängiger Evangelist tätig war, keine Berechtigung hatte, innerhalb der Schweizer Kirche zu predigen,196 und von seinem Bekenntnisstand in die Nähe der „Gemeinde Gottes“ zu verorten ist, evangelisierte im 192
Vgl. EGGENBERGER, Verkündigungs-Großunternehmen. Vgl. Wüstemann, Adolf: „Herr, lehre uns beten. . .“. Sind Gebete Telefongespräche mit dem lieben Gott? Maschinenschriftl., 3 S.; Brief des Bischofs der Evangelischen Landeskirche von Kurhessen-Waldeck [Adolf Wüstemann] an Herrn Landespfarrer [für Innere Mission KR Erich] Freudenstein vom 27. 6. 1961. Maschinenschriftl., 1 S.; Brief von Harald Bisten an Bischof [Adolf Wüstemann] vom 22. 7. 1961. Handschriftl., 2 S.; Brief von Bischof der Evangelischen Landeskirche von Kurhessen-Waldeck Waldeck [Adolf Wüstemann] an Harald Bisten vom 1. 8. 1961. Maschinenschriftl., 1 S.; Brief von Ingeborg Klewe an Bischof [Adolf] Wüstemann vom 20. 7. 1961. Maschinenschriftl., 2 S. (LKArchiv Kassel SB Wüstemann, Nr. 224: Andachten – Aufsätze a1 1. 1. 1958–). 194 „Youth for Christ“ wurde 1943 in Indianapolis gegründet und kam 1945 durch die USamerikanische Besatzerarmee nach Deutschland. Einer der prominentesten Vertreter von „Youth for Christ“ war Billy Graham, der in den 1940er Jahren Generalsekretär dieser Evangelisationsbewegung war (SCHARPFF, Geschichte, 357). 195 Protokoll der Bruderrats-Sitzung [der Arbeitsgemeinschaft für Volksmission] am 26. 2. 1958 in Berlin-Schwanenwerder, gez. der Geschäftsführer [Heinrich-Hermann Ulrich], vom 14. 4. 1958. Maschinenschriftl., hektograph., 5 S., hier 2 (ADW, HGSt 4987). 196 Brief des Reformierten Kirchenrates des Kantons Aargau an den EOKR Stuttgart vom 9. 3. 1962 (LKAS A 126, Nr. 1851, 002). 193
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Frühjahr 1962 im Dekanat Aalen und im Januar 1963 in Stuttgart. Im Frühjahr 1963 verließ ein junges Ehepaar aus dem Dekanat Aalen seinen Heimatort, um nach Biberstein zu gehen.197 1964 hieß es in einem Brief des OKR, es sei gerüchteweise bekannt, dass „vom Erholungsheim“ von Josef Schmid „sehr schwierige Seelsorgefälle auf Crischona zugekommen“ seien, „Fälle, die an religiösen Wahnsinn grenzen“198. Als 1963 die Stelle des Leiters der Zellerschen Anstalten in Männedorf (zugehörig zum Bahnauer Werk in Unterweissach) neu besetzt werden sollte und Schmid in die engere Auswahl kam – er hatte in der Liebenzeller Mission viele Anhänger und wurde in seiner rhetorischen Begabung und charismatischen Ausstrahlung sogar mit Billy Graham verglichen –, erklärte die Anstalt die letztendliche Ablehnung Schmids dem Stuttgarter OKR mit der Begründung, dass sich Schmid dergestalt „‚vom Herrn leiten lasse‘, dass er auf keinen Menschen mehr höre.“ Er sei in der Schweiz umstritten und in „seiner Bibelschule habe auch die Polizei schon nachsehen müssen.“199 Am 22. April 1966 wurde der 40jährige schließlich von der aargauischen Kantonspolizei festgenommen. Die Durchsuchung des Gebäudes der Missionsschule ergab, dass die Kellerräume als Gefängniszellen ausgebaut worden waren, in denen Angehörige des Missionsdienstes ans Bett gefesselt, in Zwangsjacken gesteckt oder mit Kaltwasserduschen gequält wurden. Schmid wurde im Juni 1967 zu vier Jahren und sechs Monaten Zuchthaus verurteilt. Ihm wurden „einfache und qualifizierte Freiheitsberaubung, wiederholte Unzucht mit Schwachsinnigen, wiederholte Unzucht mit Kindern, wiederholte und fortgesetzte Unzucht mit Pflegebefohlenen von mehr als 16 Jahren, Beihilfe zur fortgesetzten widernatürlichen Unzucht und Ungehorsam gegen amtliche Verfügungen“ vorgeworfen.200 Die Verhaftung Schmids sorgte trotz der jahrelangen „Gerüchte“ in evangelistischen Kreisen für Fassungslosigkeit, denn Josef Schmid galt, so der „Materialdienst der EZW“, „unter der Schar seiner Gläubigen als ‚Erhabener‘, seine Predigten wurden auf Schallplatten und in Traktaten verbreitet und insbesondere den Insassen seiner Bibelschule zu Gemüte geführt.“ Innerhalb weniger Jahre hatte der ehemalige Kaufmann aus St. Gallen das „Missionswerk Freundes-Dienst“ zu einem florierenden Evangelisationsunternehmen entwickelt, mit der angegliederten Bibelschule in Biberstein und einem „Freundes-Dienst197
Brief von Dekanatamt an den OKR Stuttgart vom 31. 5. 1963 (LKAS A 126, Nr. 1851,
012). 198 Kopie des Schreibens [des OKR Stuttgart] an das Dekanatamt Herrenberg vom 2. 3. 1964. Maschinenschriftl., 2 S., hier 2 (LKAS A 126, Nr. 1851, 013f.). 199 Brief von Pfarrer Walter Schmid aus Allmersbach im Tal an Prälat [Wolfgang] Metzger vom 25. 2. 1964. Maschinenschriftl., 2 S., hier 1 (LKAS A 126, Nr. 1851, 015f.). 200 AUS DER WELT DER SEKTEN, WELTANSCHAUUNGEN UND RELIGIONEN. BESTRAFUNG VON JOSEF SCHMID, 162f.
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Heim“ für Tagungen, Wochenbibelkurse, Ferien- und Erholungsaufenthalte, mit einem eigenen Verlag, dem „Freundes-Dienst“ für die Bibel-, Schriftenund Schallplattenverbreitung sowie einer eigenen Druckerei und Buchbinderei zur Herstellung von Bibeln, Traktaten und erwecklichen Schriften, der Radiomission in Europa (Radio Luxemburg), Südamerika, Kanada und Haiti, einer eigenen Schallplatten- und Tonbandmission sowie einer Fülle von Evangelisationsaktionen, Vorträgen und „Siegeszügen für Christus“. Außerdem war Schmids Missionswerk tatsächlich ein Stützpunkt der äußeren Mission und unterhielt Missionsstationen in Europa und Übersee, Zweigstellen in europäischen Ländern, in Tunesien, Algerien, Syrien, Libanon, Kongo, Indien und Argentinien. Das Missionswerk wurde von Spenden getragen und setzte sich „aus bibelgläubigen Christen der Landes- und Freikirchen“ zusammen. Die Schülerinnen in Schmids Missionsschule, die dort zu Missionsschwestern ausgebildet werden sollten, stammten größtenteils aus Deutschland.201 Am 12. Mai 1966 richtete das „Missionswerk Freundes-Dienst“ ein Rundschreiben an seinen Freundeskreis, in dem es hieß: „Wie sehr schmerzt uns das Geschehene! Viele Ungläubige spotten nun vermehrt über den Namen Jesu, und manche Kinder Gottes sind in große innere Not gekommen. Auch wenn wir das Geschehene in keiner Weise verharmlosen wollen, so stellen wir uns doch alle unter Joh. 8, 7: ‚Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein. . .‘ Am 2. Mai hat Josef Schmid den vorbehaltlosen Rücktritt als Präsident der Stiftung Freundes-Dienst erklärt. [. . .] Selbstverständlich zwingen uns diese neuen Verhältnisse zu einigen Umstellungen. So sind die Radiosendungen von Josef Schmid eingestellt worden. Dessen Traktate und Schriften können nicht mehr verbreitet und das Buch ‚Jesus für Dich‘ kann nicht mehr fertiggestellt werden. Auch die bisherigen Schallplatten (ausgenommen Nr. 606: Liederplatte) und Tonbänder werden nicht mehr verkauft. Wir prüfen ferner zur Zeit, ob die Stiftung Freundes-Dienst mit Rücksicht auf verschiedene Verunglimpfungen in den Zeitungen nicht umbenannt werden sollte. Die Radiosendungen jedenfalls werden ab 31. Mai 1966 unter einem neuen Namen ausgestrahlt.“202
Nach der Verhaftung Schmids hatten in der Tat süffisante Zeitungsberichte über die Umtriebe in der Schmidschen Missionsanstalt eingesetzt. So vermeldete die Stuttgarter Zeitung vom 28. April 1966, Stimmen aus der Bevölkerung hätten schon seit längerem darauf hingewiesen, „daß der Prediger Schmid das Motto seines Heimes ‚Freundesdienst‘ wahrscheinlich zu großzügig auslege“.
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AUS DER WELT DER SEKTEN, WELTANSCHAUUNGEN UND RELIGIONEN. UNTER DEM VERDACHT,
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Geglaubt habe das aber letztlich niemand, angesichts der religiösen Reputation Schmids.203 Die geringe Neigung des Vorstandes der Missionsanstalt, sich scharf von Schmid abzugrenzen erweckt den Eindruck eines insgesamt recht geringen Schuld- und Unrechtsbewusstseins im Kreis des Missionsdienstes gegenüber den Opfern „der Mission“ und einer ausbleibenden Reflexion, wie es dazu kommen konnte, dass sich ein Missionar innerhalb der Evangelisationsbewegung mit einem Doppelleben, das „gerüchteweise bekannt“ war, derartig etablieren konnte. Ohne Schmids Verbrechen in die Nähe evangelistischer Inhalte zu stellen – denn die Inhalte der Verkündigungen spielen bei sektiererisch abgegrenzten Gemeinschaften in Bezug auf Gruppendynamik und Machtverteilung letztlich keine Rolle – sei hier angemerkt, dass durch die sich teilweise bis zur Selbstghettoisierung erstreckenden Abgrenzungsstrukturen Missions- und Bibelschulen mitunter einer Kontrolle von Außen so sehr entzogen sind, dass dadurch Allmachtsinszenierungen von Leitern solcher Schulen von vornherein Vorschub geleistet wird. Aber auch ungeachtet der ungewöhnlichen Fälle innerhalb der regen evangelistischen Tätigkeit in den 1950er Jahren wurde um 1950 in den Landeskirchen bereits vom „Wildwuchs der Evangelisationen“ gesprochen, von „unverantwortlicher“ „Inflationen der Zeltmissionen“, und der „wilden Evangelisation“, die dringend einer ordnenden Hand bedürfte.204 Die Landeskirchen waren bei dieser Ordnungsaufgabe vorerst auf sich gestellt. Der Informationsaustausch nahm zwischen den einzelnen Landeskirchenämtern und Oberkirchenräten im Laufe der Jahre allerdings zu: Man holte gegenseitige Erkundigungen über die Erfahrungen mit Evangelisten und evangelistischen Gruppen ein. Im Januar 1965 gab die EZW nach zwei Jahren Vorarbeit an die Landeskirchenleitungen eine vertrauliche Studie „Freie Evangelisten“ heraus. Im Anhang war eine Auflistung sämtlicher bekannter Institutionen und Gruppen, die sich mit Evangelisation beschäftigten, angefügt, wobei über 700 namentlich bekannte Einzelevangelisten, die entweder frei und in loser Verbindung mit Gruppen standen und „Verwirrung stiften“, nicht erfasst wurden. Die Studie entstand im Auftrag der „Arbeitsgemeinschaft für Volksmission“ und die EZW 203
PREDIGER UND SITTENSTROLCH, 24. 1951 schrieb vor dem Hintergrund der 37 Zeltmissionen, die 1950 allein in Württemberg abgehalten wurden, sogar der Leiter der (Missionsschule der) Bahnauer Bruderschaft in Unterweissach und Vertreter des Gnadauer Gemeinschaftsverbandes in der „Arbeitsgemeinschaft für Volksmission“ Max Fischer an den OKR, „[a]n einer Ordnung des Plans [der Zeltmissionen] muss dem Oberkirchenrat meines Erachtens viel liegen, denn die Praxis ist sehr viel rauer als die Versicherungen und Vereinbarungen schriftlicher Art.“ (Brief von Pfarrer Max Fischer an den Prälat [Dr. Karl Hartenstein] vom 14. 11. 1951. Maschinenschriftl., 3 S. [LKAS A 126, Nr. 1823, 029f.]). 204
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bat um die weitere Zuarbeit von kirchenamtlichen Stellen, um die Studie aktualisierend fortführen zu können. In den Vorbemerkungen wird zu der Situation in den deutschen Landeskirchen prägnant formuliert: „1. Der Begriff ‚freier Evangelist‘ erweist sich bei näherem Hinsehen bald als zu ungenau und zu eng. Er verweist freilich auf Phänomene, die sich tatsächlich einer genaueren kirchenkundlichen Definierung, oft bewusst, entziehen. 2. Wir haben es mit einer großen Vielfalt zu tun: Einzelgänger und Gruppen, Gelegenheitsevangelisten und Hauptberufliche, Schriftenmission, Radiomission, Bibelschulen, ‚Erholungsheime‘ und so fort. Die Arbeitsformen tauchen in jeder möglichen Kombination auf. Es ist daher notwendig, die evangelistisch tätigen Personen, Gruppen und Institutionen nach Möglichkeit in der ganzen vorkommenden Breite zu erfassen. 3. Es handelt sich zum Teil um Gruppen und Institutionen, bei denen der Übergang von Kirche zur Sekte fließend erscheint. Personelle Querverbindungen zwischen Hüben und Drüben sind überaus häufig. Es lässt sich vom Namen einer Institution her in der Regel darüber wenig erschließen. Es war daher notwendig, auch solche Institutionen und Gruppen in die Erhebung mit einzubeziehen, die an sich eindeutig (landes) kirchlich akkreditiert sind. (Was in einer Landeskirche angesehen und anerkannt ist, ist oft in anderen unbekannt und erscheint suspekt, solange keine genügende Auskunft erteilt werden kann). Ebenso mussten zum Teil Gruppen berücksichtigt werden, die einigermaßen eindeutig sektiererisch sind, von denen das jedoch nicht jedermann weiß. 4. Vielfach ist eine klare denominationelle Ortsbestimmung überhaupt nicht möglich. Das hängt wesentlich damit zusammen, daß freie evangelistische Unternehmungen oft überhaupt keine positiv beschreibbare Glaubenslehre und Ekklesiologie vertreten. Eben dies ist aber auch der Grund dafür, daß sie häufig nicht nur erwecklich wirken, sondern in die Gemeinden auch Verwirrung und Spaltung tragen. Eine bewusste Zusammenarbeit mit den vorhandenen kirchlichen Körperschaften ist seltener zu beobachten. 5. Vielfach bestehen enge Verbindungen zu vergleichbaren Aktivitäten in der Schweiz, in England und den USA etc. Es wurden deshalb bei der Erhebung auch eine Reihe von ausländischen Institutionen einbezogen. [. . .] Es hat den Anschein, als sei unser Land zu einem Eldorado für freie Unternehmer in Sachen Evangelium und Religion geworden. Dies wirft zahlreiche theologische, seelsorgerliche und auch kirchenpolitische bis kirchenrechtliche Fragen auf. [. . .] An diesen Fragen zu arbeiten ist Sache der ganzen Kirche. Die Zentralstelle hat, um an einer wichtigen Stelle schon jetzt ein Stück solcher Klärung anzuregen, vor einigen Wochen die ‚Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in Deutschland‘ gebeten, sie möge ein Gespräch über die kirchliche und theologische Basis der ‚Evangelischen Allianz‘ herbeiführen. Das Kuratorium der Zentralstelle und die Konferenz der landeskirchlichen Beauftragten für apologetische Fragen haben diesen Wunsch ausdrücklich unterstützt.“205
205 Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen an die Gliedkirchen der EKD in der Bundesrepublik und Westberlin, an die Landeskirchlichen Beauftragten für apologetische Fragen, an die Volksmissionarischen Ämter der Landeskirche Betr.: „Freie Evangelisten“. Evangelistisch
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Am 12. November 1965 wurde dementsprechend unter der Oberhoheit der 1948 gegründeten ACK, dem ökumenischen Nationalen Kirchenrat Deutschlands, eine Kommission gebildet, die sich mit dem Problem der „freien Evangelisten“ beschäftigte und Vertreter der EZW, der „Arbeitsgemeinschaft für Volksmission“, der DEA und der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen vereinte. Den Vorsitz hatte der Landessuperintendent der lippischen Landeskirche, Udo Smidt, inne.206 1967 ging aus der Arbeit dieser Kommission die von der ACK herausgegebene Broschüre „Evangelisation heute“ hervor. Allein am Aufbau dieser Ausarbeitung werden die Diskrepanzen innerhalb der Kommission bezüglich der Stellung und Aufgabe von Evangelisation deutlich: Unter A stellte man die Gemeinsamkeiten und Verschiedenheiten in der Konzeption von Evangelisation in der Evangelisationsbewegung heraus, im Teil B kamen die gegenseitigen Anfragen und Anregungen zur Sprache. In der Broschüre wurden des Weiteren die differenzierten Haltungen hinsichtlich des sozialpolitischen Engagements in der deutschen Evangelisationsbewegung thematisiert. Einige Gruppen vertraten die Meinung, „daß weltliches Engagement der Christen sowie Gesellschaftsdiakonie der Kirchen eine eminente evangelistische Bedeutung“ hätten, andere wiederum meinten, „daß dies eine unzulässige Ausweitung der Evangelisation sei und daß aus dem Evangelium keine eindeutigen Folgerungen für ein politisches oder soziales Engagement der Christen abzuleiten seien.“ Resümierend heißt es, der „Ermessensspielraum“ sei in dieser Hinsicht viel zu groß, „als daß Aussagen gemacht werden könnten, die gewissensbindende und zeugnishafte Kraft haben.“207 In der Kommissionssitzung vom 22. April 1966 hielt der Generalsekretär der DEA, Peter Schneider, ein Referat, in dem er das Thema des Sozialengagements von Christen unter der Überschrift „Was ist Evangelisation nicht?“ anschnitt und betonte, Evangelisation sei weder Ausübung der Nächstenliebe – wäre sie das, wäre Christi Tod nicht nötig gewesen –, noch gehe es Evangelisation darum, „nur Lebenshilfen [zu] geben oder sozialpolitische Massnahmen [zu] ergreifen.“ Es gehe um mehr: um die Erneuerung des Einzelnen und der
tätige Institutionen und Gruppen in Deutschland, vertraulich, vom 8. Januar 1965, gez. [Siegfried] Kortzfleisch. Maschinenschriftl., hektograph., 5 S., hier 1–4; Anhang „Evangelisation – Institutionen und Gruppen“. Maschinenschriftl., hektograph., 7 S. (AEKR Düsseldorf 2LR 004, Nr. 205: Arbeitsgemeinschaft für Volksmission I, Bd. II). 206 Arbeitsgemeinschaft für Volksmission. Geschäftsbericht 1965/66 des Geschäftsführers Dr. Heinrich-Hermann Ulrich, Stuttgart 15. 9. 1966. Maschinenschriftl., hektograph., 12 S., hier 2 (ADW, HGSt/AGVM, R 628). 207 Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in Deutschland: Evangelisation heute. Sonderdruck aus Ökumenische Rundschau 2 (1967), 3–11. 11 S., hier 6f. (EZA 180/60).
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Gemeinschaft. „Erst von Gott erneuerte Menschen können neue Verhältnisse schaffen“208, so Schneiders Argumentation. Diese Erneuerung des Menschen wurde innerhalb der DEA unterschiedlich charakterisiert. So reichten die Anschauungen diesbezüglich „von der Überzeugung, daß zum Charakter des Christenstandes eine einmalig vollzogene Aneignung des Heils gehört, die in eine starke Heilsgewißheit mündet, bis zu der Anschauung, daß der Christenstand immer wieder angefochten ist und ständig neu der Aneignung und Vergewisserung bedarf.“209 Gegen derartige „heilsorientierte“ Schwerpunktsetzungen bei der Aufgabendefinition von Evangelisation standen innerhalb der Kommission Meinungen wie diejenige Heinrich Hermann Ulrichs, Evangelisation müsse ein Gefälle zur Welt hin haben in dem Sinne, dass sie zwar nicht von der Welt sei, sich aber in der Welt und für die Welt verstehe, oder diejenige Siegfried von Kortzfleischs, des Vertreters der EZW, Evangelisation könne nur vor dem Hintergrund der Wahrnehmung des Menschen als Glied der Gesellschaft ansetzen und sei daher stark mit der Berücksichtigung und Bearbeitung gesellschaftlicher Problemfelder verknüpft.210 In der Abarbeitung an der Grundsatzfrage, was Evangelisation sei, zeigt sich der bereits an anderer Stelle erwähnte Vorbehalt evangelikaler Trägergruppenkreise gegenüber dem Sozialengagement. Diese „apolitische“ Haltung des überwiegenden Teils der evangelistischen Bewegung sowie der Gemeinschaftsbewegung bildete den Grundstock der politischen Zurückhaltung der späteren evangelikalen Bewegung. Aus dieser politischen Zurückhaltung speiste sich das anfängliche Desinteresse und der spätere Umgang mit sozialen und gesellschaftlichen Problemen in der evangelikalen Bewegung, die zwar oberflächlich betrachtet wertkonservative Meinungen mit Bibelzitaten begründete – auch das erweckliche progressive und gesellschaftspolitische Engagement im 18. Jahrhundert (John Wesley) und im 19. Jahrhundert (SocialGospel-Bewegung) wurde mit der Heiligen Schrift begründet –, die aber auf theologischer Ebene über keine Argumentationsmuster zur Untermauerung der dem gesellschaftlichen Konservatismus entlehnten Meinungen verfügte. Die Prägung der Gemeinden durch die Evangelisationswelle in den 1950er Jahren in den (west)deutschen Landeskirchen ist bisher noch nicht genügend 208 Protokoll der 2. Sitzung der Kommission für das theologische Grundsatzgespräch zwischen der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in Deutschland und der Evangelischen Allianz, 22. April 1966, Frankfurt/Main, 10 Uhr. Maschinenschriftl., 7 Bl.; hier 2 (EZA 180/60). 209 Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in Deutschland: Evangelisation heute. Sonderdruck aus Ökumenische Rundschau 2 (1967), 3–11. 11 S., hier 6 (EZA 180/60). 210 Protokoll der 2. Sitzung der Kommission für das theologische Grundsatzgespräch zwischen der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in Deutschland und der Evangelischen Allianz, 22. April 1966, Frankfurt/Main, 10 Uhr. Maschinenschriftl., 7 Bl., hier 4f. (EZA 180/60).
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erforscht, um definitive Aussagen zu ihrer Vorgeschichte und ihren auslösenden Faktoren machen zu können. Mindestens kann davon ausgegangen werden, dass die massenhaften Evangelisationen vor dem Hintergrund einer schon bzw. gerade im Nationalsozialismus heraufgezogenen „allgemeinen geistlichen Unkenntnis“ an der Kirchenbasis über Inhalt und Wesen des christlichen Glaubens, wie es Helmut Thielicke 1943 ausdrückte,211 ganz abgesehen von der durch die Evangelisationsflut gegebenen „Gefahr maßloser Zersplitterung aus frommer Rechthaberei heraus [. . .] außerhalb und leider auch innerhalb der Kirche“,212 den Grundstock christlicher Bildung in den Gemeinden kaum befördern konnte, sondern eher einer weiteren Verwirrung diente. Dies ist relevant bei der zeitgleich gegebenen massiven Kritik an der Theologie Rudolf Bultmanns, auf die an anderer Stelle ausführlich eingegangen wird. Inwieweit die Evangelisationswelle das kirchliche Laienengagement wirklich nachhaltig anregte und förderte, muss vor diesem Hintergrund eher bezweifelt werden. Für die spätere evangelikale Bewegung allerdings ist bedeutsam, dass sich unter dieser bunten Melange von Evangelisten viele ihrer späteren führenden Köpfe befanden, so z. B. Paul Deitenbeck, der an der Seite Rudolf Bäumers 1966 die B KAE gründete und von 1958 bis 1979 einer der beiden Vorsitzenden der Westdeutschen Evangelischen Allianz war.213 Deitenbeck begründete 211
Thielicke betonte dies in einem Brief an den württenbergischen OKR und konstatierte für die Gemeinden: „ein Hunger nach einfacher sachlicher Aufklärung über Wesen und Inhalt des christlichen Glaubens [ist] zu erkennen [. . .]. Weder die Predigt noch die Volksmission können hier zusätzliche Aufgaben übernehmen, ohne in ihrer Eigenständigkeit verändert zu werden. Die Predigt wäre der Gefahr ausgesetzt, lehrhafter Vortrag zu werden. Die Volksmission dagegen hat die ausgesprochene Aufgabe, eine bereits unterrichtete Gemeinde geistlich zu beleben und mit neuen Impulsen zu versehen. Diese Aufgabe hat sie ja auch – im Gegensatz zu ihrer ursprünglichen, aber nie verwirklichten Intention – auf die engere Gemeinde beschränkt und kaum missionarisch nach außen treten lassen.“ Thielicke schlug einen besonderen „Unterricht in der christlichen Religion“ für Erwachsene vor, und zwar in Form von Vortragsreihen, die sich über ein Vierteljahr erstrecken, und für die sorgfältig Werbung gemacht werden müsste, um die „Randsiedler“ zu erreichen (Brief von Lic. Dr. Helmut Thielicke, Stuttgart, an den Herrn Landesbischof [Theophil Wurm], Stuttgart, vom 20. März 1943. Maschinenschriftl., 3 S. [LKAS A 126, Nr. 1818, 023f.]). 212 So äußerte sich 1950 Landesbischof Martin Haug in einem Brief an eine Frau, deren Familienzusammenhalt durch den Übertritt einiger ihrer Kinder in die Viebahnsche Gemeinschaft zerstört wurde. Haug fuhr in dem Brief fort: „Es ist besonders schmerzlich, wenn gerade die Menschen, denen eine geistliche Erkenntnis geschenkt worden ist, diese nicht in geistliches Leben – und das heißt: in Liebe – umsetzen, sondern in Hochmut und gar Fanatismus gegenüber anderen.“ (Entwurf eines Briefes von Landesbischof Dr. Martin Haug an Frau Frida Dose, StuttgartRiedenberg, vom 16. 2. 1952. Maschinenschriftl., 2 S. [LKAS A 126, Nr. 1177, 056]). 213 Zu Leben und Wirken von Paul Deitenbeck vgl. Findbuch Nachlass von Paul Deitenbeck/ Landeskirchliches Archiv der Ev. Kirche von Westfalen. Bielefeld 2002. Ungedr., IIf. (LkA EKvW); BUSCH, Einzug, 371–375; DEITENBECK, Gott.
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u. a. 1954 die Fabrikmission und war von 1957 bis 1987 Vorsitzender der Deutschen Zeltmission. Ebenso engagierte sich Gerhard Bergmann in der Evangelisationsbewegung, der sich 1962 mit seinem Büchlein „Alarm um die Bibel“, das bis 1965 in vier Auflagen erschien und ins Englische übersetzt wurde, direkt in die präevangelikale Bultmanndebatte einschaltete. Bergmann wurde in der Zeit des Dritten Reichs in St. Chrischona ausgebildet, in Münster promoviert und stand im Dienst der rheinischen und später der Oldenburgischen Landeskirche als Vikar bzw. Pfarrer. Parallel dazu wirkte er als Evangelist der Zeltmission, so z. B. bei der Aktion „Feldzug für Christus“. 1959 wurde er hauptberuflicher Mitarbeiter der Zeltmission. Seit Anfang der 1960er Jahre erlangte Bergmann darüber hinaus durch seine in hohen Auflagen publizierten Evangelisationsbücher Bekanntheit.214 Auch der hannoversche Pfarrer der Gemeinde Ahlden bei Walsrode, Heinrich Kemner,215 evangelisierte in den 1960er Jahren in verschiedenen Landeskirchen, im Übrigen landeskirchlich nicht unumstritten.216 Kemner rief um 1950 den „Ahldener Jugendtag“ als Evangelisationsgroßveranstaltung ins Leben,217 gründete 1952 die „Ahldener Bruderschaft“ und Anfang der 1970er Jahre das Geistliche Rüstzentrum Krelingen. Ende der 1950er Jahre stieß er durch eine Evangelisation in Adelshofen die Gründung der Adelshofener Bibelschule durch Otto Riecker an.218 Kemner
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EBER, Bergmann. Zu Heinrich Kemner vgl. REUTER, „. . .nicht vergeblich. . .“. 216 Kemner evangelisierte z. B. im Rahmen der Zeltmissionen im August 1960 und Februar 1966 in der lippischen Landeskirche (Brief von A[dolf] Wesner, Prediger, Detmold, an Herrn Landessuperintendent [Udo] Smidt, vom 31. 5. 1960; LLKA Dt 234–30, Bd. 1 und Briefdurchschlag [des Lippischen Landeskirchenamtes Nr.] 18/48 – 1/1 an den Kirchenvorstand der evangelisch-reformierten Gemeinde Heidenoldendorf vom 26. 1. 1966 [LLKA Dt 222–3, Bd. 1]). In Württemberg beschwerte sich 1963 der Dekan von Bad Cannstadt bei dem Heilbronner Prälaten und theologischen Stellvertreter des Landesbischofs Albrecht Hege über Pfarrer Kemner aus Ahlden/ Hannover, der nach erfolgter Evangelisation in Bad Cannstadt und Lauffen auf Beschluss des Kirchengemeinderates nicht wieder eingeladen werden soll, denn „Form und Inhalt der Evangelisation begegneten im Kirchengemeinderat fast einmütiger Kritik. Man vermochte in den Vorträgen die Substanz und die Praxis der neutestamentlichen Evangeliumsverkündigung schwer wieder zu erkennen. [. . .] Was in der Verkündigung von Herrn Pfarrer Kemner auf uns zukommt, ist fremder Geist, weit weg von dem, was wir in der Schule der Reformation glauben gelernt zu haben. Wo so die Erfahrungen des frommen Ich zum Gegenstand der Verkündigung werden und so auf Emotion hingearbeitet wird, befinden wir uns in der Nachbarschaft zur Schwärmerei.“ (Brief vom Evangelischen Dekanatamt Stuttgart-Bad Cannstatt an Prälat Dr. [Albrecht] Hege vom 27. 3. 1963. Maschinenschriftl., 2 S., hier 1 [LKAS A 126, Nr. 1860, 001]). 217 Vgl. KEMNER, Brennpunkt, 98–101; GEISTLICHES RÜSTZENTRUM KRELINGEN, Ahldener Jugendtag. 218 Zur Gründung der Bibelschule Adelshofen vgl. die Darstellung in Kap. 4.4, S. 364f. 215
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war jahrzehntelang Mittel- und Anziehungspunkt des Ahldener Jugendtages sowie Vorsitzender der niedersächsischen Regionalgruppe der B KAE. Hochgelobt wurde er von Wilhelm Busch, Jugendpfarrer in Essen und Leiter des Weigle-Hauses, der Kemner attestierte, er wüsste „in unseren Tagen unter den deutschen Evangelisten kaum einen zu nennen, den Gott so deutlich legitimiert.“219 Busch war einer der bedeutendsten Evangelisten seiner Zeit,220 publizierte eine Fülle evangelistischer Schriften und hatte starken Einfluss auf die zweite Generation innerhalb der evangelikalen Bewegung, wie z. B. Ulrich Parzany, der nach eigener Aussage durch Busch zum Glauben fand,221 später Jugendpfarrer in Essen und Leiter des Weigle-Hauses wurde und seit den 1990er Jahren Leiter der Projektarbeit „ProChrist“ war. Parzanys Lehrer und Mentor Wilhelm Busch trat kurz vor seinem Tod 1966 dem Arbeitskreis der B KAE bei.222 Organisiert waren die meisten der „freien“ Evangelisten – ebenso wie einige landeskirchliche – in der 1949 von fünf Evangelisten gegründeten „Deutschen Evangelisten-Konferenz“,223 die sich in Absprache mit der „Arbeitsgemeinschaft für Volksmission“ und der Deutschen Zeltmission formierte224 und sich auch als „Arbeitsgemeinschaft der Zeltmission“ bezeichnete. Die Deutsche Zeltmission geht zurück auf die Initiative von Jakob Vetter, einem Mitglied der Chrischona-Gemeinschaft, der auf Grund der Eindrücke, die er durch die englische Zeltmission gewonnen hatte, 1902 mit dem ersten Zelt in Deutschland auf Missionsreise ging. 1921 begann auch der EC mit Zeltmissionen. Zentrum der Zeltmission wurde das Erholungsheim „Patmos“ bei Geiswein, unweit von Siegen in Westfalen, wo auch die Treffen der „Evangelisten-Konferenz“ stattfanden.225 Die „Deutsche Evangelisten-Konferenz“ umfasste Evangelisten und evangelistisch tätige Prediger aus den Landes- und Freikirchen226 und war im Sinne der DEA überkonfessionell ausgerichtet. Lang219 Abschrift eines Briefes von Wilhelm Busch an Pfarrer Dr. H[ans] Schönweiß vom 2. 3. 1963. Maschinenschriftl., 1 S. (LKAS A 126, Nr. 1860, 004). 220 Zu Leben und Wirken Wilhelm Buschs vgl. PARZANY, Einsatz. 221 PARZANY, Keine Biographie, 8. 222 Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“. Arbeitskreis [Mitgliederliste]. Drucksache, 4 S. (AEGGK, II: Dienste und Mitarbeit, 6. Betheler Kreis, Nr. 261: Geschichtliches Werden). 223 Mitteilungen der Deutschen Evangelistenkonferenz. Arbeitsgemeinschaft für Zeltmission – Vertrauensrat (1973). Drucksache, unpag. (LLKA Dt 222–3, Bd. 1). 224 BEYREUTHER, Kirche, 261. 225 SCHARPFF, Geschichte, 278f. 226 Brief von Roosenhaus. Stadtmission in der Ev.-Luth. Landeskirche (Bezirk Winterhude), gez. W[erner] Huhnke – Pfarrdiakon –, an Herrn Landessuperintendent Dr. Fritz Viering, vom 19. 7. 1973. Maschinenschriftl., 1 S. (LLKA Dt 222–3, Bd. 1). An den jährlich stattfindenden
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jähriger Vorsitzender der „Evangelisten-Konferenz“ war der Berliner Stadtmissionsdirektor Wilhelm Brauer. Das Verhältnis zwischen der „Arbeitsgemeinschaft für Volksmission“ und der „Deutschen Evangelisten-Konferenz“ war davon geprägt, dass die Einflussmöglichkeiten der „Evangelisten-Konferenz“ auf das kirchenleitende Handeln kaum gegeben waren, wie folgende Anfrage zeigt: 1951 schickte die „Evangelisten-Konferenz“ ein Schreiben an die „Arbeitsgemeinschaft für Volksmission“, in dem nahezu verzweifelt darauf hingewiesen wurde, dass die „geistliche Zerrüttung unseres Volkes so groß und die ihr geschenkte Gnadenfrist wahrscheinlich so befristet“ wäre, dass man nicht länger tatenlos zusehen dürfe, „wie die einen Gebiete unseres Vaterlandes mit Evangelisationen überschwemmt und überfüttert werden, während andere Gebiete (z. B. Ostholstein) von krassem Heidentum beherrscht sind, ohne von Evangelisationen erreicht zu werden.“227 Hier könne nur „ein planmäßiger Einsatz der vorhandenen evangelistischen Kräfte erfolgen“. Der aber sei nicht möglich ohne „die Initiative und maßgebliche Beteiligung der leitenden Organe der Kirchen und Verbände.“ Die „Evangelisten-Konferenz“ bat deshalb die Arbeitsgemeinschaft, eine „Gesamtplanung der Evangelisierung Deutschlands“ ins Visier zu nehmen und das Anliegen „an die Kirchenleitungen und die Spitzenverbände innerhalb des ‚Deutschen Zweiges der evangelischen Allianz‘ so heranzutragen, daß es baldigst zu gemeinsamer Beratung, Beschlussfassung und Einsatzlenkung kommt.“ Eine weiterreichende Wirkung zeitigte diese Bitte der „EvangelistenKonferenz“ nicht. Die „Arbeitsgemeinschaft für Volksmission“ stand der „Evangelisten-Konferenz“ wohlwollend, wenn auch theologisch nicht vorbehaltlos zustimmend gegenüber. 1958 ergab sich auf der Tagung der Leiter der der Arbeitsgemeinschaft angeschlossenen Werke und Vereine eine längere Aussprache über das Verhältnis der „Arbeitsgemeinschaft für Volksmission“ zum „‚Patmos‘-Kreis“, d. h. der Evangelisten-Konferenz. Manfred Müller, der Referent für apologetische Fragen beim württembergischen OKR betonte die Bedeutung einer engeren Verbindung. Der Leiter des rheinländischen Amtes für Evangelisation und Volksmission Fritz Schindelin hob die hinter dem Verhältnis der beiden Arbeitsgruppen stehende „theologische Frage nach dem Pietismus“ hervor, was
Konferenzen nahmen Anfang der 1950er Jahre kaum mehr als 100 Personen teil, so wies z. B. die Konferenz im Oktober 1951 70 Teilnehmer auf („Mit der Bitte um frdl. Aufnahme in die christl. Blätter!“/ Deutsche Evangelistenkonferenz, gez. Evangelist Theodor Müller-Dillenburg. Maschinenschriftl., hektograph., 2 S., hier 1 [ADW, HGSt 857]). 227 Abschrift eines Briefes der Deutschen Evangelistenkonferenz, gez. Wilhelm Brauer, an die Arbeitsgemeinschaft für Volksmission vom 11. 10. 1951. Maschinenschriftl., 1 S. (ADW, HGSt 857).
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auch andere Teilnehmer der Leiter-Tagung so sahen, aber auch darauf verwiesen, dass „im ‚Patmos‘-Kreis sehr verschiedene Strömungen vertreten sind.“ Carl Gunther Schweitzer wiederum plädierte dafür, aus der Geschichte zu lernen, „vor den Freikirchen keine Sorge zu haben“. Heinrich Rendtorff resümierte, „oekumenische Weite und theologische Klarheit dürften nicht auseinanderfallen.“228 3.2.5 Billy Grahams Evangelisationen in Deutschland von 1954 bis 1963 Am Ende der ersten Hälfte der 1950er Jahre zeichnete sich eine Wende in der Evangelisationswelle in Deutschland ab. Bereits um 1953 wurde in Württemberg ein Rückgang der Besucherzahlen bei Evangelisationen in Gemeinden konstatiert,229 1954 schrieb eine Gemeinde der lippischen Landeskirche an das Landeskirchenamt in Detmold, man könne sich des Eindrucks nicht erwehren, „dass die Kirche langsam ‚evangelisationsmüde‘ geworden ist, während die Freien Gemeinden hemmungslos weiter evangelisieren.“ Sowohl Gemeinden als auch Pfarrer seien wohl enttäuscht von den ausbleibenden Erfolgen der Evangelisationsarbeit. Aber solange „die Freien Gemeinden hemmungslos evangelisieren, während die Kirchengemeinden dieser Arbeit heute misstrauisch gegenüberstehen, kann uns die Evangelisationsarbeit der Freien Gemeinden gefährlich werden.“230 Im Gegensatz zu den Gemeindeevangelisationen begannen sich nun Großevangelisationen zunehmender Teilnehmerzahlen zu erfreuen, hauptsächlich die der Zeltmission, die eine große Zahl von Menschen zusammenbringen konnte. So fand z. B. im Mai 1963 in Frankfurt am Main eine Zeltmissionsveranstaltung mit dem größten Zelt, das über 2 000 Sitzplätze verfügte, statt. Konkur228 Arbeitsgemeinschaft für Volksmission, der Geschäftsführer, Protokoll über die Besprechung der Leiter der angeschl. Ämter, Werke und Verbände am 30. 9. 1957 anläßl. der Herbsttagung auf dem Hesselberg, vom 6. 2. 1958. Maschinenschriftl., hektograph., 3 S., hier 2 (ADW, HGSt 4987). 229 Z. B. in dem Bericht über die Zelt-Evangelisation eines ‚Pastor‘ Friedrich in Schramberg vom 21. Juli bis 9. August 1953, gez. Schneeweiß. Maschinenschriftl., 2 S., hier 1 (LKAS A 126, Nr. 1830, 003f.). 230 Brief des Kirchenvorstandes Bösingfeld, Tgb.Nr. 81, an das Landeskirchenamt Detmold, vom 1. 2. 1954. Maschinenschriftl., 2 S., hier 1f. (LLKA Dt 222–3, Bd. 1). Das lippische Landeskirchenamt antwortete, die Fragen bezüglich Evangelisation würden demnächst auf einer Superintendentenkonferenz erörtert. Darüber hinaus halte man immer noch die „Auslassungen in der Verordnung vom 16. März 1925 (Bd. II S. 237) [. . .] auch heute noch wesentlich und beachtenswert.“ Gemeint ist die Verordnung, dass Evangelisationen beim Landeskirchenamt gemeldet, von ihm genehmigt und ihm anschließend ein Bericht der Evangelisationsveranstaltung vorgelegt werden müsse (Briefdurchschlag [des Lippischen Landeskircheamtes Nr.] 222–3/882 an den Kirchenvorstand in Bösingfeld vom 6. 2. 1954. Maschinenschriftl., 1 S. [LLKA Dt 222–3, Bd. 1]).
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renzlos blieb Ende der 1950er und in den 1960er Jahren allerdings eine Massenevangelisation, die nicht genuin aus Deutschland stammte: Billy Grahams „Kreuzzüge für Christus“. 1954 war der US-amerikanische baptistische Prediger und ursprünglich hauptamtliche Mitarbeiter der Bewegung „Youth for Christ“, der 1949 in den USA seinen Durchbruch mit Großevangelisationen erlebte, zum ersten Mal in Deutschland.231 Die Einladung ging vom Vertrauensrat der Vereinigung der Zeltmissionen aus, d. h. von der Leitung der „Evangelisten-Konferenz“, unter Zustimmung von Heinrich Rendtorff als Vorsitzendem der „Arbeitsgemeinschaft für Volksmission“.232 Dies widerspricht der stets wiederkehrenden Verkürzung, ursprünglich habe die DEA Graham nach Deutschland eingeladen. Allerdings war die DEA seit 1955, dem zweiten Deutschlandbesuch Grahams, maßgeblich in die Organisation der Evangelisationen, d. h. in die Konstituierung und Arbeit des „Zentralkomitees für Billy-Graham-Evangelisation“ involviert. Erich Beyreuther vertritt in seiner Geschichte der DEA die Meinung, die Allianz sei „mit den Großevangelisationen Billy Grahams zu einem neuen Angriff“ gegen eine Theologie angetreten, die lediglich einseitig kritisch hinterfrage, klaren Antworten ausweiche und weder zum Leben noch Sterben die Hilfe anbiete, die mit dem Zeugnis Jesu Christi gegeben sei, sprich: gegen die „moderne Theologie“.233 Davon war in den zeitgenössischen Gesprächsprotokollen und Korrespondenzen bezüglich einer Einladung Grahams allerdings
231 Erich Beyreuther nennt in seiner Untersuchung „Der Weg der Evangelischen Allianz in Deutschland“ fälschlicherweise 1953 als Datum des erstmaligen Deutschlandaufenthaltes von Graham (BEYREUTHER, Weg, 127). Das wird auch von Friedhelm Jung in der „Geschichte der deutschen Evangelikalen Bewegung“ so aufgenommen (JUNG, Geschichte, 56). Von 1954 spricht Graham selbst (GRAHAM, So wie ich bin, 254 u. ö.) sowie die „Billy Graham Evangelistic Association“ auf ihrer homepage (CRUSADE CITIES). Zu Graham vgl. auch POLLOCK, Billy Graham. 232 Protokoll der gemeinsamen Sitzung 1. des Zentralausschusses für Billy-Graham-Evangelisationen in Deutschland und 2. des Vorstandes der Deutschen Evangelischen Allianz am Mittwoch, 27. April 1955, im Hause Patmos in Geisweid bei Siegen, gez. Wilhelm Brauer – Vorsitzender der Evangelistenkonferenz –, gez. Walther Zilz – Vorsitzender der Deutschen Evgl. Allianz –, gez. Fr [iedrich] Müller – Schriftführer –. Maschinenschriftl., 5 S., hier 2 (AEGGK, IX: Evangelische Allianz, 4. Evangelisation, Nr. 994: Billy Graham 1955). Inwieweit diese erste Einladung direkt auf das Engagement von Wilhelm Brauer zurückging, dem Vorsitzenden der „Evangelisten-Konferenz“, der sich auch in der Folge energisch für Graham einsetzte, oder durch eine Anfrage von Grahams Missionsorganisation, der „Billy Graham Evangelistic Association“, bei der Europäischen Evangelischen Allianz in Vorbereitung des „Kreuzzugs“ Grahams durch Europa (so z. B. bei GRAHAM, So wie ich bin, 249), muss im Dunklen bleiben. 233 BEYREUTHER, Weg, 127. Beyreuthers Buch erschien 1969 und steht selbst im Zeichen der Hochphase der evangelikalen Formierung, in deren Verlauf die DEA ihre Organisation als Plattform für die Bewegung anbot. Beyreuthers Studie ist vor diesem Hintergrund weniger eine historiographische denn historisierende Darstellung.
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nicht die Rede. Als Motivation, Graham für die Evangelisation in Deutschland heranzuziehen, dürfte eher das in Anschlag zu bringen sein, was Friedrich Heitmüller in seiner kleinen Schrift „Die heutige Evangelisationspraxis“ nach dem vierten Evangelisationszug Grahams in Deutschland 1963 beschreibt: Evangelisation war in Deutschland inzwischen negativ bzw. überholt konnotiert, und in Graham sah man eine neue Ära für die evangelistische Tätigkeit anbrechen, um nicht nur volkskirchlich zu wirken, sondern auch die nichtchristlichen Menschen zu erreichen. Von daher waren teilweise auch Evangelisten der älteren Generation Graham sehr zugeneigt.234 Graham sprach im Juni 1954 in Frankfurt am Main vor Angehörigen der US-amerikanischen Militärbasis, dann im Düsseldorfer Eislaufstadion vor 25 000 Menschen und abschließend im Olympiastadion in Berlin vor 80 000 Zuhörern. Schon im Vorfeld sorgte sein Auftreten, sowohl in Deutschland als auch in Europa – Graham trat 1954 auch erstmalig in Kopenhagen, Helsinki, Stockholm, Amsterdam, Paris und London auf – für Pressewirbel. So widmete ihm „Der Spiegel“ die Titelstory seiner Ausgabe vom 23. Juni, am 25. Oktober 1954 zierte sein Konterfei die Ausgabe der „Times“. In Bezug auf die evangelische Kirche in Deutschland war von Bedeutung, dass der baptistische Prediger seine Zuhörer stets dazu aufrief, in den eigenen Heimatgemeinden zu wirken und zu bleiben und die Kirchen nicht in als Abspaltungsgruppen zu verlassen. Bei dem Aufruf zur sofortigen Entscheidung, „vor Christus zu treten“ und ein Bekenntnis vor dem Auditorium abzulegen, in den die Evangelisationsveranstaltungen Grahams mündeten, fügte Graham an: „Aber nur solche bitten wir, die nicht an Gott glauben.“235 Grahams Sorge, dass ihm der Vorwurf des Sektierertums oder des Richtens über Gruppen und Kirchen gemacht werden könnte, nahm im Laufe seiner Evangelisationserfahrungen in verschiedenen Ländern in den 1950er Jahren noch zu.236 So wurden in Deutschland für die öffentlich Bekehrten Helfer eingesetzt, die Karten mit Personalien ausfüllten, die dann den entsprechenden Pfarrämtern zugeleitet wurden, damit die Pfarrer die weitere seelsorgerliche Betreuung übernehmen und die Erweckten in das Gemeindeleben aufnehmen konnten. Graham ging in seinen Evangelisationsreden in den 1950er und 1960er Jahre auch nicht konkret gegen die „moderne Theologie“, geschweige denn einzelne
234 Heitmüller, Friedrich: Die heutige Evangelisationspraxis. Eine kritische Betrachtung nach 1. Thessalonicher 5, 21. Drucksache, 15 S., besonders 1 (LkAH, Best. L 3 III Nr. 1267). 235 GK., Billy Graham, 9. 236 Aktennotiz Betr.: Besprechung mit Charlie Riggs über Seelsorge und Nacharbeit am 8. 12. 59 in Berlin, vom 10. Dezember 1959, gez. Peter Schneider. Maschinenschriftl., 4 S., hier 1 (LkAH, Best. L 3 III Nr. 1266).
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Theologen, vor. Seine Botschaft vom Festhalten am Wort Gottes, dem Beugen unter dem Kreuz und der akut anstehenden Bekehrungsentscheidung kann zwar als Abgrenzung zu anderen theologischen Ansätzen interpretiert werden – und wurde in deutschen evangelikalen Trägergruppen spätestens seit der 1960er Evangelisation auch so verstanden –, allerdings lag der theologische Schwerpunkt Grahams weniger auf dem Polemisieren „gegen“,237 sondern dem Evangelisieren „für“. Damit unterschied er sich, bei aller inhaltlichen Übereinstimmung, von den Anfängen der späteren evangelikalen Bewegung in Deutschland. Grahams eigentliche Polemik bestand auf einer anderen als der theologiegeschichtlich verortbaren Ebene. Wie Uta Andrea Balbier nachgewiesen hat, ist Grahams Wirken viel stärker als politische Kampagne vor dem Hintergrund des Kalten Krieges zu verstehen, denn als protestantisches Evangelisationsereignis: „His crusades were as much orchestrations of the imagined community of the West as they were revival meetings“.238 Obwohl Grahams Evangelisationen in Deutschland durchaus Anhänger und Befürworter fanden, schreckten sowohl landeskirchliche Gemeinschaften als auch die Landeskirchenleitungen vor der relativ unverhohlenen politischen antikommunistischen Attitüde – trotz Grahams verbalen Proklamation einer eigenen apolitischen Haltung – sowie der durch ihn praktizierten Nutzung von Massenmedien und der Bedienung eines modernen religiösen Werbe- und Konsumverhaltens vorerst zurück. Weniger zurückhaltend im Hinblick auf Graham war die DEA, wohl durch ihre freikirchlichen Mitglieder, die wiederum durch intensive internationale Kontakte von dieser Art der Evangeliumsverkündigung weit weniger überrascht waren als die traditionellen deutschen Evangelisationsereinigungen und –gruppen. In Bezug auf Billy Grahams Schriftverständnis ist ein Gespräch zwischen Graham und dem liberalen Theologen Nels Ferré aufschlussreich, dem ursprünglich ein fiktiver Dialog zugrunde lag, den Wallace Gray, Professor für Englische Literatur der Columbia University und renommierter Autor von Theaterstücken und Drehbüchern, entwickelt hatte. Die beiden Gesprächspartner, Graham und Ferré, hatten einen Disput geplant, der jedoch letztlich nicht
Auch bei Graham findet sich Polemik gegen „Rationalismus“ und „Liberalismus“, seine Kritik an der „modernen Theologie“ aber hielt sich bis Ende der 1960er Jahre vergleichsweise in Grenzen. Allerdings scheint es bei ihm in dieser Hinsicht, wohl im Zuge seines Engagements für die weltweite evangelikale Mission, seit Ende der 1960er Jahre, spätestens im Zusammenhang mit der Lausanner Weltmissionskonferenz 1974 zu einer schärferen Haltung gegenüber der Theologie gekommen zu sein. 238 BALBIER, Billy Graham, 12. 237
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zustande kam. Beide lasen den Entwurf Grays, versahen ihn mit ihren Anmerkungen und autorisierten ihn. Der Dialog erschien 1959 in der Zeitschrift „Religion in Life“. Graham insistierte zu Beginn der Debatte darauf, dass der „wahre Christ [. . .] keinen Teil der Bibel“ leugne, worauf Ferré entgegnete, die „eindeutige“ Lehre könne dazu gebraucht werden, das volle Evangelium zu verdunkeln: „Ihr Evangelisten könnt tatsächlich dazu beitragen, unsere Arbeit als Theologen [. . .] schwieriger zu machen, als sie sein sollte, nur durch eure Vereinfachungen biblischer Probleme.“239 Graham hielt dagegen, es sei „gefährlich [. . .], irgendeinen Teil der Bibel abzulehnen nur auf Grund unserer subjektiven Schwierigkeiten. Läuft derjenige, der dies tut, nicht Gefahr, in bezug auf die Bibel ein völliger Skeptiker zu werden?“ Graham fragte Ferré, ob er wirklich denke, dass der Heilige Geist, der die Männer, die die Bibel schrieben, leitete, irren könne und sich nicht vielmehr der Meinung anschließe, „dass der Heilige Geist sowohl die zum Ausdruck gebrachten Gedanken wie auch die von den Propheten und Aposteln benutzten Worte inspirierte?“ Ferré antwortete, er sei nicht dieser Ansicht und sich nicht einmal sicher, ob Graham selbst sie konsequent vertrete. Paulus sage eindeutig, „dass wir den Schatz Christi in irdenen Gefässen haben.“ Aber, so Graham, „auch Christus kam in dem Gefäss des irdischen Fleisches, aber er war sündlos.“ Und im Übrigen, so der Evangelist weiter, stärke „wahre Religion [. . .] den Intellekt, anstatt dass sie ihn auslöscht.“240 Für Ferré war das „schön zu hören“, denn er habe den Eindruck, dass Grahams „besondre Einstellung zur Bibel dazu neigt, das Denken eher zu hindern als zu fördern.“ Graham erzeuge „in dem Neubekehrten oder in dem wiedererweckten Christen ein Vorurteil gegen eine forschende und doch ehrerbietige Haltung gegenüber den ernsten Problemen und aufregenden Möglichkeiten, die in der Bibelwissenschaft liegen.“ Graham warf daraufhin mit Emphase ein: „Ich hoffe, dass Sie mit dieser Kritik im Unrecht sind!“, worauf Ferré Graham zitierte, die Bibel bedürfe „keiner besonderen Interpretation“ und anfügte, es sei richtig, „dass in bezug auf das Hauptthema der Bibel – Gottes Erlösungshandeln – keine besondere Interpretation nötig ist.“ Aber man benötige eine sehr gut fundierte „Interpretation, um die Konsequenzen dieses Themas herauszuarbeiten und um diejenigen Stellen, die in Wirklichkeit oder dem Schein nach nicht mit ihm harmonieren, verständlich zu machen.“ Dem stimmte Graham vorsichtig zu: „Wenn ich den gemeinten Sinn richtig verstehe, kann ich Ihnen zustimmen.“ Und: „Es ist eine Erleichterung, zu etwas Gemeinsamen zurückzufin239 Gray, Wallace: Probleme der heutigen Evangelisation. Billy Graham trifft Nels Ferré, in: Religion in Life. 1959. Übersetzung und Abschrift, hektograph., 14 S., hier 5 (LKAS A 126, Nr. 1832, 003–009). 240 EBD., 6.
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den.“ Ferré versuchte ebenfalls diplomatisch zu harmonisieren: „Wenn Sie sagen, dass Sie traurig sind über Menschen, die Gott vorsichtig aus dem Weg gehen, gefällt mir Ihr Ton besser, als wenn Sie von Gottes Lachen über die widerspenstigen Sünder sprechen.“241 Letzteres erklärte Graham damit, dass nach seinem Empfinden gerade Gottes Gericht seine Gnade so groß mache, „denn die Alternative für die Gnade ist so schrecklich.“242 Auf Grund des positiven Eindrucks,243 den Graham 1954 mit seinen Eintagesevangelisationen hinterließ, gegen manche Vorbehalte, die noch 1953 seitens der Landeskirchen und „auch aus anderen Kreisen“ über die Graham-Evangelisationen laut wurden,244 entschloss sich die „Evangelisten-Konferenz“ mit „verantwortlicher Zustimmung des Vorstandes der Deutschen Evangelischen Allianz“245, Billy Graham für eine längere Evangelisation nach Deutschland einzuladen. Wilhelm Brauer gründete einen „Zentralausschuss für Billy GrahamEvangelisationen in Deutschland“, der in Zusammenarbeit mit Grahams Missionswerk „Billy Graham Evangelistic Association“ Grahams Evangelisationen organisieren sollte. An diesem Ausschuss drohte das für 1955 ins Auge gefasste Unterfangen fast zu scheitern. Von amerikanischer Seite, speziell dem Europabeauftragten in Grahams Koordinationsteam Robert P. Evans, wurde dieser Organisationsausschuss vehement abgelehnt – man wolle mit den „Gemeinden“ vor Ort über die organisatorischen Modalitäten verhandeln. Brauer löste daraufhin seinen Ausschuss wieder auf,246 aber inzwischen war man auf deutscher
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EBD., 7. EBD., 9. Kurz erwähnt werden soll an dieser Stelle, dass Graham im Kontext dieser Passage den Halbsatz äußerte „In meiner Theologie – wenn man es so nennen kann – [. . .]“ (EBD.), d. h. selbst unsicher war, inwiefern seine Verkündigung eigentlich einen theologischen Hintergrund hat. Das verweist auf das in Kap. 2. 2. 2 erörterte Problem, inwiefern evangelikale Frömmigkeit als „Theologie“ bezeichnet werden kann, v. a. auch vor dem Hintergrund der Selbstzuschreibung, keine Theologie zu betreiben. 243 Allerdings ist im Nachgang auch von Missverständnissen im Hinblick auf die finanzielle Seite der Berliner Evangelisationsveranstaltung die Rede (Rundbrief an die Brüder, gez. Pastor [Walther] Zilz vom 24. 5. 1955. Maschinenschriftl., hektograph., 3 S., hier 2 [AEGGK, IX: Evangelische Allianz, 4. Evangelisation, Nr. 994: Billy Graham 1955]). 244 Protokoll der gemeinsamen Sitzung 1. des Zentralausschusses für Billy-Graham-Evangelisationen in Deutschland und 2. des Vorstandes der Deutschen Evangelischen Allianz am Mittwoch, 27. April 1955, im Hause Patmos in Geisweid bei Siegen, gez. Wilhelm Brauer – Vorsitzender der Evangelistenkonferenz –, gez. Walther Zilz – Vorsitzender der Deutschen Evgl. Allianz –, gez. Fr [iedrich] Müller – Schriftführer –. Maschinenschriftl., 5 S., hier 2 (AEGGK, IX: Evangelische Allianz, 4. Evangelisation, Nr. 994: Billy Graham 1955). 245 EBD. 246 Rundbrief an die Brüder, gez. Pastor [Walther] Zilz vom 24. 5. 1955. Maschinenschriftl., hektograph., 3 S., hier 2 (AEGGK, IX: Evangelische Allianz, 4. Evangelisation, Nr. 994: Billy Graham 1955). 242
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Seite derartig von der Person und dem sowohl diktatorischen als auch stark an quantitativen Erfolgen orientiertem Wesen Evans’,247 der zudem in kürzester Zeit ohne Absprache mit deutschen Gremien in eigener Regie in Bensheim eine Bibelschule gegründet hatte,248 abgestoßen, dass feststand, es kämen entweder die Verhandlungen mit Graham selbst zustande oder man verzichtete auf eine weitere Zusammenarbeit.249 Ohne dass es in den Protokollen und Korrespondenzen direkt angesprochen wurde, scheint in dem Aufeinanderprallen von
247 Allerdings spielte das Bemessen des „Erfolges“ einer Evangelisation anhand der Zahl der „nach vorn getretenen“ „Bekehrten“ durchaus auch bei Graham selbst eine wesentliche Rolle. Erst Ende der 1950er Jahre löste er sich von diesem Gedanken und wendete sich der reformatorischen Auffassung zu, er sei nur Verkünder der frohen Botschaft – das Aufgehen der Saat im Herzen seiner Hörer könne nur der Heilige Geist bewirken (Aktennotiz Betr.: Besprechung mit Jerry Beavan und Charlie Riggs in Berlin, Hamburg und Essen am 3. bis 5. 12. 1959, vom 8. 12. 1959, gez. Peter Schneider. Maschinenschriftl., 5 S., hier 2 [LkAH, Best. L 3 III Nr. 1266]). 248 Evans war nicht nur Mitarbeiter von Grahams „Evangelistic Association“, sondern auch Leiter einer eigenen Missionswerkes, der „Greater Europe Mission“. Richtig erkannten die Vertreter der „Deutschen Evangelisten-Konferenz“ und der Vorstand der DEA, dass Evans seine „Doppelstellung“ ausnutzte, „um Brückenköpfe zu bilden für Bibelschulen und Missionszentren der ‚Greater European Mission‘.“ (Protokoll der gemeinsamen Sitzung 1. des Zentralausschusses für Billy-Graham-Evangelisationen in Deutschland und 2. des Vorstandes der Deutschen Evangelischen Allianz am Mittwoch, 27. April 1955, im Hause Patmos in Geisweid bei Siegen, gez. Wilhelm Brauer – Vorsitzender der Evangelistenkonferenz –, gez. Walther Zilz – Vorsitzender der Deutschen Evgl. Allianz –, gez. Fr[iedrich] Müller – Schriftführer –. Maschinenschriftl., 5 S., hier 2 [AEGGK, IX: Evangelische Allianz, 4. Evangelisation, Nr. 994: Billy Graham 1955]). Die Gründung der Bibelschule in Bensheim, die 1959 nach Seeheim umzog, und Vorgängerinstitution der heutigen Bibelschule Brake war, geschah auf Betreiben Evans, der John Parschauer als Leiter einsetzte und die Schule „Deutsche Allianz-Bibelschule“ nennen wollte, ohne mit der DEA verbunden zu sein oder um Zustimmung gebeten zu haben (Rundbrief an die Brüder des Vorstandes der Deutschen Evangelischen Allianz, gez. Pastor [Walther] Zilz vom 9. 5. 1955. Maschinenschriftl., hektograph., 3 S., hier 2 [AEGGK, IX: Evangelische Allianz, 4. Evangelisation, Nr. 994: Billy Graham 1955]). Das wurde, wohl auf Betreiben von Grahams Sekretär Jerry Beavan, dem gegenüber der Generalsekretär der DEA Walther Zilz seinen Unmut äußerte, letztlich verhindert (Rundbrief an die Brüder, gez. Pastor [Walther] Zilz vom 24. 5. 1955. Maschinenschriftl., hektograph., 3 S., hier 2 [AEGGK, IX: Evangelische Allianz, 4. Evangelisation, Nr. 994: Billy Graham 1955]). Obwohl Graham einen Zusammenhang seines Missionswerkes mit Evans Gründung von sich wies, wurde die Missionsschule landeskirchlicherseits in unmittelbare Nähe zu Grahams Arbeit gerückt, vgl. Kap. 4. 4. 2, S. 372. 249 Protokoll der gemeinsamen Sitzung 1. des Zentralausschusses für Billy-Graham-Evangelisationen in Deutschland und 2. des Vorstandes der Deutschen Evangelischen Allianz am Mittwoch, 27. April 1955, im Hause Patmos in Geisweid bei Siegen, gez. Wilhelm Brauer – Vorsitzender der Evangelistenkonferenz –, gez. Walther Zilz – Vorsitzender der Deutschen Evgl. Allianz –, gez. Fr [iedrich] Müller – Schriftführer –. Maschinenschriftl., 5 S., 2–5; Rundbrief an die Brüder des Vorstandes der Deutschen Evangelischen Allianz, gez. Pastor [Walther] Zilz vom 9. 5. 1955. Maschinenschriftl., hektograph., 3 S. (AEGGK, IX: Evangelische Allianz, 4. Evangelisation, Nr. 994: Billy Graham 1955).
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deutschem landesweiten Organisationsausschuss und amerikanischem Zugehen auf die Einzelgemeinden ein Missverständnis vorzuliegen, das den unterschiedlichen kirchlichen Strukturen in den USA und Deutschland geschuldet war. Die „Deutsche Evangelisten-Konferenz“ bzw. die Leitung der DEA waren sich darüber klar, dass es sich bei den Ansprechpartnern Grahams vor Ort um die örtlichen Allianzgemeinschaften oder um kleinere evangelistisch interessierte und engagierte Gruppen handeln würde, die die Aufgabe der Organisation einer Massenevangelisation selbst unter Mitwirkung des Graham-Komitees kaum bewältigen konnten. Außerdem war abzusehen, dass diese kleinen Ortsgruppen zuwenig Einfluss haben würden, um gegen die amerikanischen Vorstellungen hinsichtlich der Art und Weise der Evangelisation und der Werbung dafür die deutschen Verhältnisse anbringen und ihnen den ganzen Feldzug anpassen zu können. Des Weiteren konnte die von der DEA angestrebte Verbindung zu den Landeskirchen und kirchlichen Stellen über diese kleinen Regionalgruppen nicht bewerkstelligt werden. Von daher war die Gründung einer größeren Kommission, die Grahams Aufenthalt sowohl in Bezug auf die Abläufe als auch auf die finanziellen Aspekte koordinierte und darüber hinaus auch in den Landeskirchen werben konnte, ausgesprochen sinnvoll. Graham bzw. sein amerikanisches Team dagegen waren, ausgehend von der denominationalen Situation in den USA, offensichtlich nicht darüber im Bilde, dass sie mit den Allianzkreisen als „Ortsgemeinden“ nicht automatisch die „evangelische Kirche“ vor sich hatten und sahen in dem Zentralausschuss eine direkte Konkurrenz zu der „Billy Graham Evangelistic Association“.250 Erst im Vorfeld der organisatorisch auf hohem Niveau mit einer neunmonatigen Vorbereitungszeit durchgeführten Evangelisationen 1960 kam es zu einer Abklärung eben dieser Aspekte.251 Seit
250 Rundbrief an die Brüder, gez. Pastor [Walther] Zilz vom 24. 5. 1955. Maschinenschriftl., hektograph., 3 S., hier 1f. (AEGGK, IX: Evangelische Allianz, 4. Evangelisation, Nr. 994: Billy Graham 1955). Zilz berichtet, die „Brüder des Graham-Komitees lehnen keinen Kreis von führenden deutschen Brüdern ab, die für die breite Öffentlichkeit eine Art ‚Vertrauensrat‘ im Blick auf Grahams Dienst in Deutschland bilden möchten. Aber sie lehnen ein Komitee oder einen Vorstand ab, der von sich aus in Deutschland über die Dienste Grahams bestimmt. Hier wollen sie allein mit den örtlichen Allianzen der Städte verhandeln, in die Graham kommt.“ 251 Schon 1955 hatten die „Evangelisten-Konferenz“ und der Vorstand der DEA in einem Brief an Graham in „brüderlicher Weise [. . .] die deutsche Situation geschildert, die das Bestehen eines Zentralausschusses unbedingt erforderlich macht.“ (Protokoll der gemeinsamen Sitzung 1. des Zentralausschusses für Billy-Graham-Evangelisationen in Deutschland und 2. des Vorstandes der Deutschen Evangelischen Allianz am Mittwoch, 27. April 1955, im Hause Patmos in Geisweid bei Siegen, gez. Wilhelm Brauer – Vorsitzender der Evangelistenkonferenz –, gez. Walther Zilz – Vorsitzender der Deutschen Evgl. Allianz –, gez. Fr[iedrich] Müller – Schriftführer –. Maschinenschriftl., 5 S., hier 2 [AEGGK, IX: Evangelische Allianz, 4. Evangelisation, Nr. 994: Billy Graham 1955]).
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1960 arbeitete im Vorfeld, während und in der Nacharbeitung von Grahams Evangelisationen stets ein deutscher Ausschuss für Grahams Evangelisationen, in dem auch landeskirchenamtliche Mitarbeiter und Bischöfe mitwirkten und die Verbindung zu den Landeskirchen herstellten, die sich prinzipiell eher abwartend und passiv Graham gegenüber verhielten. 1955 kam es nach einem vermittelnden Gespräch zwischen Grahams persönlichem Sekretär Jerry Beavan und Walther Zilz im Mai in London252 zu fünf Evangelisationen an je einem Abend in Deutschland: in Frankfurt am Main am 21. Juni, in Mannheim am 23., in Stuttgart am 25. im Neckarstadion, in Nürnberg am 26., in Dortmund in der Westfalenhalle am 28. Juni sowie, auf ausdrücklichen Wunsch Grahams, zu einem Vortrag in der Heidelberger Universität. Diese Veranstaltungen wurden ohne Zentralausschuss, mit Zustimmung der DEA in Zusammenarbeit mit den Regionalgruppen der Allianz ausgerichtet. Trotz teilweise kritischer Presseberichte war die Resonanz auf Grahams Evangelisationen so gut, dass für 1960 erneut die Planung eines Evangelisationszuges in Angriff genommen wurde, der diesmal sehr sorgfältig auf die deutschen Verhältnisse eingestellt wurde: Der Nachbetreuung wurde große Aufmerksamkeit gewidmet,253 auch der Frage, wie man mit der deutschen kirchlichen Situation umgehen könne. Seitens der Landeskirchen wurde Graham zunehmend freundlicher beurteilt: In Württemberg überlegte man 1959 im Oberkirchenrat, Graham direkt in die württembergische Landeskirche einzuladen.254 Der hannoversche Landesbischof Hanns Lilje und der Berliner 252 Rundbrief an die Brüder, gez. Pastor [Walther] Zilz vom 24. 5. 1955. Maschinenschriftl., hektograph., 3 S. (AEGGK, IX: Evangelische Allianz, 4. Evangelisation, Nr. 994: Billy Graham 1955). 253 Vgl. Aktennotiz Betr.: Besprechung mit Jerry Beavan und Charlie Riggs in Berlin, Hamburg und Essen am 3. bis 5. 12. 59, vom 8. 12. 1959, gez. Peter Schneider. Maschinenschriftl., 5 S., besonders 3f. (LkAH, Best. L 3 III Nr. 1266). 254 Diese Überlegung wurde letztlich verworfen, da man durch die sensationellen Großveranstaltungen „das schlichte Brot der Sonntagspredigt im Gemeindegottesdienst [. . .] abgewertet“ sah (Entwurf eines Briefes vom 19. 2. 1959 von [OKR Württemberg] an Landesbischof und Bischof D. Dr. [Friedrich] Wunderlich. Maschinenschriftl., 1 Bl. [LKAS A 126, Nr. 1832, 001]). Die landeskirchlichen Haltungen waren in Bezug auf Graham allerdings auch ambivalent: So lehnte Württemberg es 1960 ab, einen Beitrag zur Errichtung eines Evangeliumszeltes in Berlin beizusteuern (Auszug aus der Niederschrift über die Kollegialsitzung am 28. 6. 1960. Maschinenschriftl., 1 Bl. [LKAS A 126, Nr. 1832, 010]), andererseits beschloss man, dem Antrag der DEA, die stark daran interessiert war, gemeinsam mit den Landeskirchen eine Einladung an Graham auszusprechen und dessen Arbeit damit zu legitimieren, 1962 Graham nach Württemberg einzuladen, allerdings ohne in größerem Maße Mitarbeiter aus den Gemeinden, z. B. für die Nachbetreuung, heranzuziehen (diverse Dokumente von November 1960 bis Januar 1961 LKAS A 126, Nr. 1832). Auch 1962 wurde aus der direkten Einladung seitens der württembergischen Landeskirche nichts.
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Die Vorgeschichte: Evangelikale Trägergruppen und die Landeskirchen
Bischof Otto Dibelius warben 1960 für die Graham-Evangelisationen,255 die jeweils einwöchig in Großzelten in Berlin, Essen und Hamburg stattfanden und von deutscher Seite von der DEA „im Einvernehmen mit der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen und der Vereinigung Evangelischer Freikirchen“ getragen wurden.256 Die „Deutsche Evangelisten-Konferenz“ konnte die Trägerschaft allein nicht mehr stellen, so dass sich im Herbst 1959 der Bischof der Methodistenkirche Friedrich Wunderlich im Namen der DEA mit Graham in Verbindung setzte. Der Zentralausschuss der Graham-Evangelisation betonte in seiner Novembersitzung, die Evangelisationen seien auf Allianzbasis unter der Beteiligung der Landeskirchen und der „Arbeitsgemeinschaft für Volksmission“ durchzuführen.257 Das Bemühen der DEA, die Landeskirchen in die Trägerschaft der GrahamEvangelisationen einzubinden, war sehr deutlich258 – ebenso die Zurückhaltung der Landeskirchen, diese Veranstaltungen formal und personell mit zu verant255
Dibelius hatte sich schon 1954 für die Berliner Evangelisation Grahams eingesetzt (GRASo wie ich bin, 255) und richtete im April 1960 ein Rundschreiben an die Geistlichen Berlins, mit dem Aufruf, Grahams Arbeit zu unterstützen und Helfer für die Evangelisationswoche in den Gemeinden zu rekrutieren (Abschrift eines Briefes des evangelischen Bischofs von Berlin, gez. Dibelius, an die Herren Geistlichen in Berlin, vom 9. 4. 1960. Maschinenschriftl., 1 S. [LkAH, Best. L 3 III Nr. 1266]). 256 Brief von Paul Schmidt, Vorsitzender der DEA, an Hermann Haarbeck, Präses, Wuppertal, betr.: Besuch und Dienst von Billy Graham in Deutschland, vom 4. 7. 1959. Maschinenschriftl., 1 S. (AEGGK, IX: Evangelische Allianz, 4. Evangelisation, Nr. 943: Billy Graham 1960). 257 Protokoll der ersten Sitzung des Zentralausschusses für geplante Groß-Evangelisationen mit Billy Graham am Freitag, 6. Nov. 1959, gez. Paul Schmidt (Vorsitzender) und Fr. Müller (Schriftführer). Maschinenschriftl., hektograph., 10 S., hier 3 (AEGGK, IX: Evangelische Allianz, 4. Evangelisation, Nr. 943: Billy Graham 1960). 258 Im Dezember 1959 schrieb der Berliner Stadtmissionsdirektor Wilhelm Brauer an Lilje: „Mein Anliegen ist, besonders unter dem Eindruck unseres letzten Gespräches, ganz energisch dafür zu sorgen, daß über kurz oder lang Billy Graham noch einmal zu einer von unserer Evangelischen Kirche getragenen Großevangelisation – vielleicht nach Hannover? kommen möchte. Um dessentwillen bitte ich Sie herzlich, im direkten Kontakt und Gespräch mit Billy Graham zu bleiben.“ (Brief des Berliner Vereins für Stadtmission, gez. Wilhelm Brauer, an Landesbischof D. Dr. Lilje, vom 1. 12. 1959. Maschinenschriftl., 2 S., hier 1 [LkAH, Best. L 3 III Nr. 1266]). Brauer hatte sich schon im Vorfeld des Deutschen Evangelischen Kirchentages 1956 in Frankfurt am Main massiv dafür eingesetzt, dass Graham auf dem Kirchentag sprechen dürfe, war aber mit seinem Engagement auf Ablehnung gestoßen (Brief von Pastor Wilhelm Brauer an Landesbischof D. Lilje vom 20. 6. 1961. Maschinenschriftl., 1 S. [LkAH, Best. L 3 III Nr. 1266]). Lilje machte Brauer im November 1960 nachdrücklich darauf aufmerksam, „daß es für die Landeskirche Hannovers sehr schwierig sein wird, eine Evangelisation Billy Grahams im nächsten Jahre mitzutragen, da schon jetzt feststeht, daß eine Fülle von gesamtkirchlichen Veranstaltungen, einschließlich der Weltkirchenkonferenz in New Delhi, auf unsere Landeskirche wartet.“ (Briefkonzept, gez. L[ilje], an Direktor Pastor Wilhelm Brauer vom 26. 11. 1960. Maschinenschriftl., 1 S. [LkAH, Best. L 3 III Nr. 1266]). HAM,
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worten. Der Gnadauer Gemeinschaftsverband betrieb zwar Werbung für die Evangelisationen,259 war aber bis auf einige personelle Überschneidungen ebenfalls nicht in die Organisation eingebunden. In einem Vorgespräch der 1960er Evangelisation stellten Peter Schneider, der seit April 1960 hauptamtlicher Generalsekretär des Zentralausschusses und Schulungsleiter der Mitarbeiter wurde, und der Leiter der Billy Graham Evangelistic Association Charlie Riggs in Bezug auf die kirchliche Situation fest, dass in Deutschland im Unterschied zu den USA der überwiegende Teil der evangelischen Bevölkerung zu den Landeskirchen gehörten und die zwar sehr lebendigen Freikirchen und freien Gemeinden nur einen kleinen Protzentsatz ausmachen und man deshalb bei den Evangelisationen „mit der dominierenden Volkskirche zu rechnen“ habe, die wiederum ihre offizielle Unterstützung versagt habe „und mithin wohl auch nicht damit rechnen kann, daß wir sie zur Mitarbeit heranziehen.“ Schneider gab zu bedenken, dass Graham für gewöhnlich die zu Betreuenden angeben lasse, „welches die ‚Kirche ihrer Wahl‘ sei“ und dass sich diese Frage unter der Mehrheit der evangelischen Christen in Deutschland nicht stelle, „weil man bereits durch die Taufe in die Volkskirche aufgenommen wird, bevor man überhaupt zu einer persönlichen Wahl fähig ist. Eine spätere, andersgeartete Entscheidung kommt dann immer einem Austritt aus der Volkskirche gleich, was diese notwendigerweise als ‚feindseligen Akt‘ oder als Ergebnis von Abwerbung empfinden muß.“ In Anbetracht dieser spezifischen Situation in Deutschland schlug Riggs vor, erst einmal in jedem Falle die Gemeinden zu benachrichtigen „zu welcher der zu Betreuende gehört, – ganz gleich, ob er sich dort wohlfühlt oder nicht.“ In höflicher Form solle der jeweilige Pfarrer gebeten werden, „um eine rechte, verantwortliche Betreuung Sorge zu tragen.“ Dabei aber wolle man auf den Umstand setzen, „daß die meisten Pfarrer zu einer solchen Betreuung nicht in der Lage sein werden (und wäre es allein wegen der Größe der landeskirchlichen Gemeinden)“ und das „Hauptgewicht der Nacharbeit“ darauf legen, selbst Seelsorgehelfer auszubilden, die sich im Nachgang um die Bekehrten kümmern, „durch Hausbesuche, durch gemeinsame Gottesdienstbesuche, durch Korrespondenz und durch gelegentlichen Telefonanruf usw.“, solange, bis der Betreffende „mehr oder weniger selbständig geworden ist.“ Diesen Seelsorgehelfern müsste klar gemacht werden, daß ihre Verantwortung nicht in dem Gespräch in der Nachversammlung aufhört, sondern daß sie vor Gott dafür verantwortlich sind, daß die Menschen, die ihnen der Herr bei ihrem 259 So z. B. auf der Gnadauer Pfingstkonferenz in Frankfurt am Main vom 7. bis 10. Juni 1960 (Brief von Paul Schmidt an Hermann Haarbeck vom 7. 5. 1960 und Briefdurchschlag von Hermann Haarbeck an Paul Schmidt vom 14. 5. 1960. Maschinenschriftl., je 1 S. [AEGGK, IX: Evangelische Allianz, 4. Evangelisation, Nr. 942: Billy Graham 1963, Zentralkomitee]).
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seelsorgerlichen Dienst in den Weg geführt hat, auch persönlich im Glauben weitergeführt werden und wachsen, ganz gleich, ob sie sich in einer lebendigen Gemeinde befinden oder nicht.“ Für besondere gesellschaftliche oder Berufsgruppen „wie z. B. Oberschüler, Studenten, Ärzte, Lehrer usw.“ sollten Seelsorgehelfer gewonnen werden, die selbst aus diesen Gruppen stammen.260 Schon 1960 standen bei Graham spätere bedeutende Figuren der evangelikalen Bewegung im Dienst: Da sich 1960 die Evangelisationen erstmalig mit verschiedenen Veranstaltungsangeboten über jeweils eine Woche an einem Veranstaltungsort hinzogen, waren nun auch deutsche Evangelisten aufgerufen, im Rahmen von Grahams Evangelisationskreuzzug zu sprechen, unter anderen Gerhard Bergmann und Paul Deitenbeck, die in allen drei Städten evangelisierten.261 Für die theologische Aussprache auf den Evangelisationen stand an Grahams Seite Carl H. Henry, einer der führenden Köpfe der New-Evangelicals in den USA, Autor mehrerer Schriften fundamentalistischer Ausrichtung und Herausgeber von „Christianity Today“.262 Den Einsatz Henrys monierte im Nachgang der Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Lübeck, Heinrich Meyer: „I do not think that Dr. Henry was a good choise [sic!] for that particular part of your work. American fundamentalost theology will not reach a German pastor who comes 260
Aktennotiz Betr.: Besprechung mit Charlie Riggs über Seelsorge und Nacharbeit am 8. 12. 59 in Berlin, vom 10. Dezember 1959, gez. Peter Schneider. Maschinenschriftl., 4 S., 2f. (LkAH, Best. L 3 III Nr. 1266). 1960 offerierte das Graham Team erstmalig das Konzept des so genannten Andreasplans, d. h. einer Werbe- und Schulungsinitiative, die darauf abzielte, dass jeder Besucher und jede Besucherin der Evangelisation einen dem Christentum fern stehenden Freund, Verwandten o. ä. mitbringen solle (Aktennotiz Betr.: Besprechung mit Jerry Beavan und Charlie Riggs in Berlin, Hamburg und Essen am 3. bis 5. 12. 59, vom 8. 12. 1959, gez. Peter Schneider. Maschinenschriftl., 5 S., hier 3 [LkAH, Best. L 3 III Nr. 1266]). Diese Strategie zielte direkt gegen die immer wieder aufkommende Kritik, sowohl in der Presse als auch seitens der Landeskirchen, dass auch bei Grahams Veranstaltungen „kaum jemand dabei war, der nicht schon längst mit einem Pfarramt seiner Kirche Fühlung hatte“ (Entwurf eines Briefes vom 19. 2. 1959 von [OKR Württemberg] an Landesbischof und Bischof D. Dr. [Friedrich] Wunderlich. Maschinenschriftl., 1 Bl. [LKAS A 126, Nr. 1832, 001]). Damit kam der Nachbetreuung nochmals besonderes Gewicht zu. Dafür wurde 1960 ein fulminanter Organisationsapparat unter Führung von Peter Schneider, seit 1960 der Dolmetscher Grahams in Deutschland, eingesetzt. 261 Bericht an das Zentralkomitee über die Evangelisationen Billy Grahams in Deutschland, gez. Paul Schmidt. Maschinenschriftl., 6 S., hier 3 (AEGGK, IX: Evangelische Allianz, 4. Evangelisation, Nr. 943: Billy Graham 1960). 262 Henry gab in jeder Stadt „theologische Seminare“, die den Kontakt zur deutschen Theologie herstellen und die Evangelisationen biblisch begründen sollten (EBD., 4). Ob dieses Unterfangen auf größere Resonanz stieß, geht aus den Akten nicht hervor. 1994 exemplifizierte der ehemalige Bischof der SELK, Jobst Schöne, in einem Aufsatz seine Überlegungen zur „Irrlehre des Fundamentalismus im Gegensatz zum lutherischen Schriftverständnis“ am Beispiel von Carl H. Henrys fundamentalistischen Auffassungen (SCHÖNE, Irrlehre, besonders 175–180).
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from a very different theological background and education. [. . .] We can however not overlook the fact that the German theologians have been confronted with the problem of history and God’s relevation in history by Bultmann and his disciples in such a way that the easy solution of American fundamentalism does not solve his problem.“263
Stellte schon der Lübecker Bischof den Zusammenhang zwischen Grahams Auftreten und der in Deutschland tobenden Bultmanndebatte her, so taten das umso deutlicher verschiedene Evangelisten und Mitglieder späterer Trägergruppen der evangelikalen Bewegung. Im Nachgang des 1960er Evangelisationszuges erfolgten zunehmend Vereinnahmungen Grahams gegen die „moderne Theologie“. So vermerkte Paul Schmidt, seit 1958 Nachfolger von Walther Zilz als Vorsitzender des Vorstandes der DEA, in seinem Bericht über die Evangelisation, Graham habe die Bibel „als göttliche Offenbarung [. . .] voll in Anspruch genommen, ohne jede Kritik, ohne jede Einschränkung. Ein kritisches Textproblem entstand überhaupt nicht.“264 Noch begeisterter formulierte Friedrich Heitmüller in seinem Rückblick auf die Veranstaltungen, Graham habe gegen Bultmann sogar die Jungfrauengeburt verkündet und stehe „fest auf dem Boden der ganzen Bibel als der Offenbarung Gottes.“ Graham wisse sehr wohl um die beklagenswerte „Aufklärungswelle“, die die protestantische Theologie gegenwärtig in Deutschland erlebe, und kenne unter anderem „die Theologie Bultmanns und seiner Schule, die die vom Geist Gottes inspirierte Bibel wie ein Gebäude auf Abbruch behandelt. Aber alle diese grundstürzenden theologischen Versuche fechten ihn nicht an, und noch viel weniger erschüttern sie ihn.“265 Dieser Aufbau Grahams als Bollwerk gegen die Theologie sollte bei den nachfolgenden Evangelisationen 1963 und 1966 in Deutschland zunehmen. Spätestens seit seiner Evangelisation 1966, die zumindest in der Außenwahrnehmung in einen engen Zusammenhang mit der zeitgleich in Berlin stattfindenden Weltkonferenz für Evangelisation gerückt wurde, aber auch auf seiner größten evangelistischen Veranstaltung in Deutschland, der „Euro `70“, galt Graham als der Vertreter der deutschen Evangelikalen im Kampf gegen
263
Abschrift des Briefes der Kirchenleitung der ev.-luth. Kirche zu Lübeck, der Bischof, gez. Heinrich Meyer, an Dr. Billy Graham, vom 29. 5. 1961. Maschinenschriftl., 3 S., hier 2 (LkAH, Best. L 3 III Nr. 1266). 264 Bericht an das Zentralkomitee über die Evangelisationen Billy Grahams in Deutschland, gez. Paul Schmidt. Maschinenschriftl., 6 S., hier 4 (AEGGK, IX: Evangelische Allianz, 4. Evangelisation, Nr. 943: Billy Graham 1960). 265 Heitmüller, Friedrich: Ein Rückblick auf die Groß-Evangelisation mit Dr. Billy Graham in Hamburg. Drucksache, 9 S., hier 3 (AEGGK, IX: Evangelische Allianz, 4. Evangelisation, Nr. 943: Billy Graham 1960).
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„moderne Theologie“ und die von ihr vermeintlich unterwanderte liberale Kirche. Die Vorbereitungen des Evangeliumskreuzzuges 1963, für den Graham schon unmittelbar im Anschluss an seine Evangelisationen 1960 vom Vorstand der DEA eingeladen wurde, standen 1961 landeskirchlicherseits unter dem Vorzeichen von Überlegungen, ob und inwiefern man sich nun in die Trägerschaft der nächsten Evangelisation involvieren sollte. Die VELKD fasste das Projekt einer Einladung Grahams ins Auge,266 scheiterte aber an der passiven Haltung Grahams, der davon ausging, durch die Mitgliedschaft einiger Landesbischöfe im Evangelisations-Vorbereitungskomitee sei der Verbindung zu den Landeskirchen Genüge getan.267 Der Ratsvorsitzende der EKD, Kurt Scharf, leitete die Anfrage der DEA, ob er die Evangelisation von Graham unterstütze, die bereits zwischen der Billy Graham Evangelistic Association und der DEA vereinbart war, an die württembergische und bayerische Landeskirche weiter, auf deren Territorien die Evangelisationen stattfinden sollten. Trotz der offiziellen Anfrage hegte der Vorstand der DEA Bedenken, die Landeskirchen oder die EKD zu sehr einzuschalten, „wegen der theologischen Haltung vieler Pastoren und Theologen“268. Diese widersprüchliche Haltung, die Kirche gleichzeitig in die eigene Arbeit einbinden und ausschließen zu wollen, deutet auf das nicht unproblematische Verhältnis der Gemeinschaftsbewegung zur evangelischen Kirche, aber auch auf ein später in der evangelikalen Bewegung grundlegendes Problem. Die Spannung in diesem Verhältnis besteht darin, sowohl mit der Kirche (durch die ständigen Arbeitsfeldüberschneidungen und der sich daraus ergebenden Konkurrenzsituation) als auch ohne sie (dann ergäbe sich die Konkurrenz mit den freien evange-
266 Vgl. Brief von Pastor Wilhelm Brauer an Landesbischof D. Lilje vom 20. 6. 1961; Briefkonzept, gez. L[ilje] an Wilhelm Brauer vom 26. 6. 1961; Brief von Wilhelm Brauer an Landesbischof D. Dr. Lilje vom 10. 7. 1961; Brief von Wilhelm Brauer an die Herren: Landesbischof D. Lilje-Hannover, Missionsdirektor D. Pörksen-Hamburg, Exekutivsekretär Dr. Hans Jochen Margull-Genf, Hauptpastor Dr. H.H. Harms-Hamburg vom 10. 7. 1961; Briefkopie von The Billy Graham Greater Philadelphia Crusade, gez. Jerry Beaven, vom 15. 9. 1961; Briefkopie von Billy Graham an Wilhelm Brauer vom 22. 9. 1961; Brief von Wilhelm Brauer an Jerry Beavan vom 28. 9. 1961; Brief von Wilhelm Brauer an Bischof D. Dr. H. Meyer vom 1. 11. 1961; Brief von Wilhelm Brauer an Bischof Lilje vom 2. 11. 1961 (LkAH, Best. L 3 III Nr. 1266). Wilhelm Brauer, der inzwischen von der Berliner Stadtmission in die Dienste der Lübecker Kirche gewechselt und Pfarrer der St. Lorenz-Kirche war, setzte sich vehement für eine Einladung Grahams durch die VELKD bei Lilje ein. 267 Briefkonzept, gez. L[ilje] an Pastor Wilhelm Brauer vom 26. 2. 1963. Maschinenschriftl., 1 S. (LkAH, Best. L 3 III Nr. 1266). 268 Brief von Wilhelm Brauer an Bischof Lilje vom 2. 11. 1961. Maschinenschriftl., 1 S. (LkAH, Best. L 3 III Nr. 1266).
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lischen Gemeinden und evangelischen Sondergemeinschaften) in der eigenen evangelikalen Existenz angefragt zu sein, und damit einen Balanceakt zwischen Abgrenzung und Zusammenarbeit mit den Landeskirchen, zwischen eigener Profilbildung und Engagement für die evangelische Kirche vollführen zu müssen. 1963 stimmten die württembergische und die bayerische Landeskirche schließlich nach Rücksprache mit den betroffenen Dekanaten einer Unterstützung der Grahamschen Evangelisation zu, in Württemberg unter anderem auf Grund der Empfehlung des Leiters des Volksmissionarischen Amtes und seit 1965 im Vorstand der württembergischen Ludwig-Hofacker-Vereinigung tätigen Joachim Braun.269 Allerdings war man im Vorfeld nach Informationen über Grahams unwirsches Auftreten auf der 3. Vollversammlung des ÖRK in Neu Delhi vom 19. November bis 5. Dezember 1961 etwas ernüchtert: Graham war vorzeitig aus Neu Delhi mit dem offenen Protest abgereist, die Versammlung habe zu wenig gebetet und der World Council of Churches (WCC) zeige zu geringe Aktivität für Evangelisation.270 Auf die evangelikale Kritik bzw. diejenige der Evangelischen Allianz an dem in Neu Delhi vollzogenen „Zusammenschluss von Kirche und Mission“ durch die Vereinigung von ÖRK und Weltmissionskonferenz wird noch in Kap. 3. 3. 2 eingegangen werden, hier sei nur angemerkt, dass Grahams Reaktion Befremden bei den anwesenden deutschen Kirchenleitern auslöste. Der württembergische Landesbischof Haug fragte sorgenvoll bei Scharf an, „ob das anscheinend etwas sonderbare Auftreten u. Abtreten von Billy Graham in Neu-Delhi eine positive Antwort unserer Landeskirche auf das Angebot der Allianz nach Ihrer Meinung erschwert“, worauf Scharf antwortete: „Ich meine: doch wohl nicht! Es würde eine Ablehnung unser Verhältnis zur Allianz doch wohl ungut belasten.“271 Die beiden Landeskirchen stellten sich letztlich mit empfehlenden Rundschreiben hinter die Evangelisation. In Württemberg geschah dies mit der kirchenpolitisch-taktischen Überlegung, angesichts der Tatsache, dass die Veranstaltung von der DEA getragen werde und damit die „Freikirchen sich als die eigentlichen Träger füh269 Zu Joachim Braun vgl. EHMER / KAMMERER, Handbuch, 103. Laut Braun wäre es gut, wenn sich die Landeskirche trotz mancher Bedenken hinter die Arbeit von Graham stellen würde, denn es würden „wohl nicht ohne Grund die Sektierer im Blick auf Billy Graham unruhig werden und auf alle Weise versuchen, zu stören oder hinterher die Arbeit aufzufangen (s. Thommy Hicks).“ (Brief von Joachim Braun an Prälat D. [OKR für Gemeinde und Ökumene Wolfgang] Metzger vom 25. 10. 1962. Maschinenschriftl., 1 S. [LKAS A 126, Nr. 1832, 021]). 270 Handschriftl. Anmerkungen [von Martin Haug und Kurt Scharf] auf Brief, im Auftrag von Kurt Scharf an die Ev. Landeskirche in Württemberg vom 18. 12. 1961. Maschinenschriftl., 1 S. (LKAS A 126, Nr. 1832, 017). 271 EBD.
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len, die auch die Frucht einzuheimsen gedenken“, solle ein landeskirchliches „allgemein empfehlendes Ausschreiben“ ein Zeichen dafür sein, „dass die Allianz nicht nur eine freikirchliche Angelegenheit ist.“272 Die Frage einer finanziellen Unterstützung der Evangelisation mit Opferund Kollektengeld wurde den einzelnen Gemeinden überlassen.273 Der Gnadauer Gemeinschaftsverband lehnte als Dachverband eine Spende ebenfalls ab und verwies ebenfalls auf seine angegliederten Einzelverbände.274 Im Zentralkomitee der Graham-Evangelisation waren der hannoversche Landesbischof Hanns Lilje, der hessen-nassauische Kirchenpräsident Martin Niemöller und der Berliner Bischof Otto Dibelius vertreten. Die 1963er Evangelisation Grahams in Deutschland, die jeweils eine Woche in Stuttgart und eine Woche in Nürnberg stattfand, stand unter keinem guten Stern: im Frühjahr erkrankte Billy Graham, und die für Berlin geplante Evangelisation musste kurzfristig ausfallen.275 Die Veranstalter verzeichneten nach Abschluss der Evangelisation 52 000 DM Schulden, die von den Landeskirchen beglichen wurden.276 Die Kritik der Presse,277 der Gemeinden und Dekanate 272 [Landeskirchenamtlich internes Rundschreiben], Vorlage zu Nr. A 14326, betrifft: Ausschreiben betr. Großevangelisation Billy Graham am 10. Mai 1963. Maschinenschriftl., 1 S. (LKAS A 126, Nr. 1832, 061). 273 Diverse Briefe und Notizen Januar bis Oktober 1962; LKAS A 126, Nr. 1832, 018–020. 274 Durchschlag eines Briefes des Gnadauer Gemeinschaftsverbandes – Kassenstelle – an Direktor P[aul] Schmidt, Berlin, vom 10. 12. 1962. Maschinenschriftl., 1 S. (AEGGK, IX: Evangelische Allianz, 4. Evangelisation, Nr. 942: Billy Graham 1963, Zentralkomitee). 275 Der Informationsbrief der Graham-Evangelisation kommentierte in Bezug auf Grahams Lungeninfektion und die ausgefallene Veranstaltung mit der Argumentation: „Es ist weder unsere Aufgabe, noch liegt es im Bereich unserer Möglichkeiten, nach dem Warum zu fragen. Nur eine Frage sollten wir uns vielleicht stellen: Haben wir genug gebetet? Oder haben wir uns nur mit dem Empfang der Informationsbriefe und einem allgemeinen Interesse begnügt? Haben wir auch wirklich nach dem Mass des Segens Gottes geopfert für diese Evangelisation? Oder haben wir auch dazu lediglich ein kleines Almosen beigetragen?“ (An alle Freunde der Billy-Graham-Evangelisationsarbeit. Informationsbrief Nr. 4, Berlin März 1963. Hektograph., 1 Bl. [LKAS A 126, Nr. 1832, 048]). Die Informationsbriefe der Graham-Evangelisation bieten insgesamt einen interessanten Einblick in einen Bereich der evangelistischen Argumentationen der Zeit. So wird im Informationsbrief des Zentral-Komitees vom Mai 1963 davon berichtet, wie Gott eine Evangelisation von Graham in Paraguay schützte, indem er einen Sturm aufkommen ließ, der den „Aufmarsch der Gegner völlig auseinander blies“ und die Flugzeuge für eine Anti-Graham-FlugblattAktion zerstörte (An alle Freunde der Billy-Graham-Evangelisationsarbeit. Informationsbrief Nr. 5, Berlin Mai 1963. Hektograph., 2 Bl., hier 1 [LKAS A 126, Nr. 1832, 062]). 276 Briefe vom 28. 11. 1962 und 3. 1. 1963 zwischen Zentral-Komitee der Großevangelisation und OKR Stuttgart und Sitzungsniederschriftauszug vom 11. 12. 1962, diverse Briefe zwischen Jeuther vom Zentral-Komitee und Ortskomitee und OKR Stuttgart, Rechnungsbelege sowie Zahlungsanweisung, vom 7. 8. 1963 bis 10. 1. 1964 (LKAS A 126, Nr. 1832, 025f., 031, 033, 035, 073–087). 277 Die „Evangelische Gesellschaft“ schrieb im Juli 1963 eine Beschwerde an den württember-
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vor Ort278 fiel schärfer aus als zuvor. Wesentlich aber war die interne Missbilligung einzelner wichtiger Aspekte der Veranstaltung. So habe die zentrale Leitung von Berlin aus für manche Schwierigkeit vor Ort gesorgt, räumte Peter Schneider in seinem Bericht vor dem Zentralkomitee ein.279 Das Auftreten von Gerhard Bergmann und Paul Deitenbeck in Stuttgart und Nürnberg stieß auf offene Ablehnung bei der württembergischen Allianz. In der Nachberatung des Stuttgarter Ortskomitees kamen die verschiedenen Kritikpunkte, die vor allem mit regionalen Mentalitätsunterschieden, aber auch einer nicht zu ignorierenden Hybris der Veranstalter zu tun hatten und sich v. a. an den Einleitungen von Deitenbeck (Freitag) und Bergmann (Sonnabend) festmachten, zur Sprache: „Aber was sich Br[uder] Bergmann am Samstag geleistet hat, das war eine Katastrophe. Als er in dieser grossen Versammlung seine Witze machte über Paul den VI., VII., und VIII. fragte man sich entsetzt: Hast du eigentlich vergessen, wo du bist. Dazu kam die Begrüssung von Frau Billy Graham, die von seiten Grahams ja ganz unerwünscht war. Eine weitere Kalamität war die Fernsehaufnahme des SWF am gischen Landesbischof – seit 1962 Erich Eichele –, dass sich „kirchliche Publikationsorgane“ so undifferenziert und hämisch über die Evangelisation äußerten: „Durch diese intellektuelle Überheblichkeit werden die durch die Evangelisation Angesprochenen offensichtlich in eine soziologische Gruppe von Minderwertigen und Einfältigen eingestuft.“ Seitens Eicheles wurde darauf hingewiesen, dass die Medien, die sich kritisch geäußert hatten, nämlich „Christ und Welt“ und ebenso „der Rundfunk“ im allgemeinen, nicht zur „kirchlichen Presse“ zu zählen seien (Diverse Briefe und Schreiben vom Juli 1963 von Ev. Gesellschaft an Landesbischof und Landesbischof an Ev. Gesellschaft sowie landeskirchenamtlich intern [LKAS A 126, Nr. 1832, 070–072]). Der beanstandete Artikel in „Christ und Welt“ stammte von Siegfried von Kortzfleisch, der die Frage aufwarf, „welche Funktion ein Mann wie Graham im religiösen Haushalt der Gegenwart“ habe und sogleich mit „keine“ beantwortete. Es sei, so Kortzfleisch, nicht als missionarischer Erfolg zu verbuchen, wenn die so genannten „Frommen“ zu den Veranstaltungen kämen, besonders da Stuttgart und Nürnberg sowieso die „Bastionen der Frömmigkeit“ seien. Studien in Schottland hätten ergeben, dass der Kirchenbesuch vor und nach einer Graham-Evangelisation dieselben Zahlen aufweise, die „quantitative Wirkung war praktisch gleich Null“. Und so, resümierte der Autor, hätten „alle evangelistischen Versuche der Nachkriegszeit nur geholfen, den kirchlichen Bestand zu wahren, mehr nicht.“ (Kortzfleisch, Siegfried von: Die Bekehrung der Gläubigen. Analyse der Technik und des Erfolgs von Billy Graham, in: Kirche [= Christ] und Welt vom 28. 6. 1963, Zeitungsausschnitt [AEGGK, IX: Evangelische Allianz, 4. Evangelisation, Nr. 943: Billy Graham 1960]). 278 Protokoll der Sitzung des Ortskomitees für die Grossevangelisation mit Billy Graham vom 26. 2. 1963. Hektograph., 4 S., hier 1; Protokoll der Sitzung des Ortskomitees für die Grossevangelisation mit Billy Graham vom 7. 5. 1963. Hektograph., 4 S., hier 1 (LKAS A 126, Nr. 1832, 042 und 063). Ein Kritikpunkt war, dass sich Graham nicht der vereinbarten Aussprache mit den Pfarrern der Gemeinden vor Ort stellte. 279 Der Bericht des Geschäftsführers [Peter Schneider] vor dem Zentral-Komitee [undatiert]. Hektograph., 7 S., hier 2 (AEGGK, IX: Evangelische Allianz, 4. Evangelisation, Nr. 942: Billy Graham 1963, Zentralkomitee).
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Samstag. Vielleicht sind die Amerikaner an dieser Stelle weniger empfindlich. Aber es muß doch die Frage gestellt werden, ob es richtig ist, in diesem Rahmen eine solche Evangelisation gewissermassen nur für das Fernsehen zu veranstalten. [. . .] Br. J[oachim] Braun berichtet, daß er an Deitenbeck geschrieben und auf die Entgleisungen hingewiesen habe. Man dürfe sich nicht bei einer solchen Evangelisationsversammlung als Conférencier durch die Massen hochspielen lassen. Deitenbeck habe aber sein Schreiben nicht ernst genommen. Er wisse, daß auch Billy Graham durch diese lange Einleitung nicht erfreut gewesen sei. Es war eigentlich ausgemacht, daß er gleich nach seinem Kommen mit dem Sprechen beginnen solle. Aber die Brüder vom Hauptvorstand sagten: Wir tragen die Hauptverantwortung für die Evangelisation, deshalb wollen wir auch zu Wort kommen. Es zeigte sich aber, daß die norddeutschen Brüder die Stuttgarter Situation nicht erfasst hatten. Stuttgart ist auch nicht wie Nürnberg. Die Briefe, die vorgelesen wurden im Zusammenhang mit der Bitte um Kollekte, haben mehr negativ gewirkt. Wenn die Kollekte trotzdem nicht schlecht war, so kam das nicht von der Ankündigung her, sondern von der Tatsache, daß die schlichte Art Billy Grahams dann doch diese Schäden ausgemerzt hat. Das Auftreten von Bergmann hat so katastrophal gewirkt, daß die Bläser sagten: Wenn der nocheinmal auftritt, blasen wir sofort.“280
Im Zentral-Komitee dagegen beschäftigte man sich im Nachgang nicht mit den regionalen Befindlichkeiten, sondern plante perspektivisch. Hermann Haarbeck, Präses des Gnadauer Gemeinschaftsverbandes, überlegte auf der abschließenden Sitzung, ob die in Deutschland übliche Verkündigung eigentlich genüge und nicht „etwa Billy Grahams Methode des Aufrufs zur Entscheidung jetzt und hier nachgeeifert werden [solle], ohne ihn deswegen zu imitieren?“ Das sei eine Frage, die viele junge Gemeinschaftsprediger bewege, gerade im Anschluss an Grahams Evangelisation. Hinsichtlich der Nachbetreuung der Bekehrten wurde im Zentralkomitee erörtert, „wie eine aufbauende seelsorgerliche Betreuung seitens der Gemeinden im Anschluß an den evangelistischen Dienst gewährleistet werden kann.“ Zwar gebe es eine ganze Reihe landeskirchlicher Pfarrer, die die Nachbetreuung ablehnten „oder durch einseitig negative Kritik an der Methode Billy Grahams gefährden“, aber niemand sei in der Lage und befugt, „von vornherein Pfarrer im Blick auf die Organisation der Nacharbeit zu qualifizieren oder zu disqualifizieren.“ Peter Schneiders Vorschlag, „dieser Schwierigkeit aus dem Wege zu gehen, indem man die Gemeinden gar nicht benachrichtigt, wird die Möglichkeit einer Gefahr gegenübergestellt, daß dann evtl. ‚Allianz-Gemeinden‘ entstehen könnten.“ Das wäre dann nicht im Sinne Grahams. Auf Grund der Tatsache, dass sich dieser Fragekomplex zu groß und ausufernd für das Zentralkomitee darstellte, beschloss man, „der Deutschen 280 Protokoll der Sitzung des Ortskomitees [Stuttgart] für die Grossevangelisation mit Billy Graham vom 9. 7. 1963. Hektograph., 6 S., hier 1f. (LKAS A 126, Nr. 1832, 067).
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Die Evangelisationsbewegung in den Landeskirchen
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Evangelischen Allianz die Bildung eines Arbeitsausschusses für Evangelisation und Nacharbeit [. . .] vorzuschlagen, der möglichst bald zusammentreten und dadurch künftige Evangelisationen dieses Stils vorbereiten soll.“ Als Mitglieder dieses Arbeitsausschusses wurden u. a. Gerhard Bergmann, Hermann Haarbeck, Paul Schmidt, Peter Schneider, Rudolf Thaut und Heinrich Hermann Ulrich benannt.281 Eine Planung anderer Art nahm der unermüdlich um die Integration von Evangelisation in die Landeskirchen bemühte Vorsitzende der „EvangelistenKonferenz“ und Lübecker Pfarrer Wilhelm Brauer im Nachgang der 1963er Evangelisation in Angriff. Brauer verwies immer wieder auf die Übernahme der Graham-Evangelisationen aus der Hand der „Evangelisten-Konferenz“ durch die DEA und versuchte dem entgegenzusteuern. Im Dezember 1963 wandte er sich erneut an Hanns Lilje, um angesichts der „wundervollen Beschlüsse“ von Neu-Delhi und Liljes eigenem Insistieren auf eine „missionierende Kirche“ diesen dazu zu bewegen, die hannoversche Landeskirche als Gastgeber für Grahams nächste Evangelisation zu gewinnen.282 Lilje konferierte in dieser Angelegenheit mit dem Landessuperintendenten des Sprengels Stadt Hannover – seit 1970 Sprengel Hannover – und Leiter des Theologischen Konventes der Bekenntnisgemeinschaft der Hannoverschen Landeskirche, Eberhard Klügel, und dem Stadtsuperintendent Hannover-Mitte und gleichzeitig Vorsitzendem der Hannoverschen Allianz, Rufus Flügge, von denen er sich jeweils eine Empfehlung vorlegen ließ. Klügel befürwortete das Unternehmen trotz der finanziellen Vorveranschlagung von Brauer über 250 000 bis 300 000 DM283 für eine sechstägige Evangelisation und trotz der, wie ihm aus den bayerischen Dekanaten bekannt geworden war, zu erwartenden relativ geringen Resonanz im Nachgang, da es ihm wichtig und durch Graham auch möglich erschien, die Stadt 281 Protokoll über die dritte und letzte Sitzung des Zentralkomitees am Dienstag, dem 1. Oktober 1963, gez. Peter Schneider. Hektograph., 4. S., hier 2f. (AEGGK, IX: Evangelische Allianz, 4. Evangelisation, Nr. 942: Billy Graham 1963, Zentralkomitee). 282 Deutsche Evangelistenkonferenz, Tgb.-Nr. BG 64, gez. Wilhelm Brauer, an Landesbischof D. Hanns Lilje vom 20. 12. 1963. Maschinenschriftl., 2 S. (LkAH, Best. L 3 III Nr. 1267). Brauer betonte, er und der Lübecksche Bischof Meyer hätten den Eindruck, „daß diese Großveranstaltungen zwar ein missionarisches Zeichen für die betreffende Stadt, in der seine [Grahams] Vorträge stattfinden, sind, aber daß dabei doch die einzelne Gemeinde und Landeskirche zu kurz kommt. Es geschieht kein eigentlicher Gemeindeaufbau.“ Inzwischen habe auch Billy Graham „begriffen“, dass die wesentliche größere christliche Klientel in Deutschland in den Landeskirchen beheimatet sei und erwarte nun eine Einladung seitens eines Landesbischofs. Brauer war darüber hinaus wichtig, „daß Billy Graham evtl. ein Pastoralkolleg über die heute besonders aktuelle Frage der Evangelisation vor Amtsbrüdern in Loccum oder bei uns auf der Bäk/Ratzeburg hielte.“ (EBD., 2). 283 Brief von Pastor Wilhelm Brauer an Landesbischof D. Dr. H[anns] Lilje vom 23. 1. 1964. Maschinenschriftl., 1 S. (LkAH, Best. L 3 III Nr. 1267).
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Die Vorgeschichte: Evangelikale Trägergruppen und die Landeskirchen
Hannover „aus ihrem temperierten Verhältnis zur Kirche und zur evangelischen Verkündigung“ herauszuheben.284 Flügge hingegen, der auch als Vertreter der örtlichen Allianz argumentierte, sprach sich gegen eine Einladung Grahams aus. Die Gefahr bestünde, dass das Heft bei der Organisation und Abwicklung der Veranstaltung der Landeskirche durch Grahams Mitarbeiterstab aus der Hand genommen würde, der Landeskirche dürfte insgesamt „die Art der Darbietung wohl ein wenig fremdartig sein“ und es sei nicht zu befürworten, nach den in den letzten Jahren entwickelten Formen der Volksmission wie kirchliche Wochen, Kirchentage und berufsständische Mission nun „ein ganzes Jahr vor den Augen der Öffentlichkeit mit höchster Anspannung aller Kräfte eine völlig andere Methode“285 anzuwenden. Flügges Ablehnung der Grahamschen Evangelisation zeigt, dass es an der Basis der DEA, in den Ortsgruppen, durchaus ganz andere Stimmen und Arbeitsintentionen gab, als der Weg der Leitung der DEA suggerierte. Im Auftrag von Lilje schrieb Pfarrer Wolfgang Helbig, Hilfssachbearbeiter in der Kanzlei des Bischofs, Brauer im April 1964, es scheine leider „im Augenblick nicht möglich zu sein, Billy Graham durch die hannoversche Landeskirche zu einer Evangelisation nach Hannover einzuladen.“ Man sei durch die Messe-Evangelisationen, die jedes Jahr stattfinde, „zurzeit so sehr beansprucht, daß wir zur Vorbereitung einer solchen Großveranstaltung nicht genügend Kräfte frei haben.“ Diese Absage sei aber keine Absage prinzipieller Natur: „Vielleicht wird es möglich sein, zu einem späteren Zeitpunkt eine solche Veranstaltung für Hannover vorzusehen.“286 Im Zuge der 1960er Evangelisation hatte Graham den deutschen Evangelisten ans Herz gelegt, Deutschland müsse durch Deutsche evangelisiert werden, und die DEA solle sich für Großevangelisationen einsetzen. 1962 erfolgten dann vier Großevangelisationen der Zeltmission unter der Leitung der DEA mit den Evangelisten Friedrich Brinkert und Gerhard Bergmann.287 Diese Veranstaltungen stießen auf gute Resonanz und hohe Besucherzahlen, so dass sich die deutsche Evangelisationsbewegung in den folgenden Jahren immer stärker auf Großevangelisationen konzentrierte. Der evangelikale Dortmunder 284 Brief der Ev. Luth. Landeskirche Hannovers, der Landessuperintendent für den Sprengel Stadt Hannover, gez. [Eberhard] Klügel, an Landesbischof D. Dr. [Hanns] Lilje, vom 10. 2. 1964. Maschinenschriftl., 3 S. (LkAH, Best. L 3 III Nr. 1267). 285 Brief des Stadtsuperintendenten, Tgb. Nr.: 173 – F./S., gez. [Rufus] Flügge, an Landesbischof D. Dr. [Hanns] Lilje, vom 13. 3. 1964. Maschinenschriftl., 2 S. (LkAH, Best. L 3 III Nr. 1267). 286 Brief der Kanzlei des Landesbischofs Hannover, gez. Helbig, Pastor, an die Deutsche Evangelistenkonferenz z. Hd. von Herrn Pastor Wilhelm Brauer vom 20. 4. 1964. Maschinenschriftl., 1 S. (LkAH, Best. L 3 III Nr. 1267). 287 BEYREUTHER, Weg, 135f.
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Die Evangelisationsbewegung in den Landeskirchen
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Bekenntnistag vom März 1966 basierte in dieser Hinsicht schon auf den Erfahrungen mit evangelistischen Großveranstaltungen. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass mit der Evangelisationsbewegung in Deutschland, insbesondere der Protektion der Billy-Graham-Evangelisationen, der DEA eine wachsende Bedeutung im Rahmen der Gruppen, die die evangelikale Bewegung beförderten, zukam. Grahams Evangelisationen hatten für die Kirche und die Gemeindebasis im engeren Sinne kaum eine nachhaltige Bedeutung, ebenso wenig wie er einen unmittelbaren Einfluss auf die Genese der evangelikalen Bewegung ausübte. Relevanz dagegen bekam die Arbeit der DEA, die Graham unterstützte, möglicherweise besonders durch die freikirchliche Euphorie für Graham, die sich in der DEA niederschlug. Die Relevanz der DEA aber war von großer Bedeutung für die Geschichte der evangelikalen Bewegung. Während das genuine Arbeitsfeld der EA, die Sammlung konfessionell verschieden geprägter Christen, seit dem zunehmenden Erstarken der ökumenischen Bewegung von dieser übernommen wurde – ausführlich wird darauf in Kap. 3. 3. 2 eingegangen – weitete sich das Wirkungsgebiet der DEA auf Großevangelisationen aus, da die DEA freien Evangelisten und damit dem größten Teil der deutschen Evangelisationsbewegung sowie den Evangelisationen von Billy Graham in Deutschland eine organisatorische Plattform bot, die die Landeskirchen nicht bereit waren zur Verfügung zu stellen. Insgesamt aber wurden evangelistische Aktionen der Gemeinschaftsbewegung durch kirchliche Initiativen wie die Volksmission, Bibelwochen und, mit immer stärker werdender Anziehungskraft, die Deutschen Evangelischen Kirchentage, in eine Konkurrenzsituation gestellt, wie sie sie am Ende des 19. Jahrhunderts nicht gegeben war. Die Kreise der Gemeinschaftsbewegung in enger Zusammenarbeit und Vernetzung mit der DEA und die Landeskirchen standen in Bezug auf die Evangelisation in Deutschland in einem spannungsgeladenen Verhältnis, das das Potential für weitere Konflikte in sich trug.
3.3 Die Deutsche Evangelische Allianz und die ökumenische Bewegung Das Engagement der DEA auf dem Gebiet der Evangelisation, vornehmlich in Form der Unterstützung der Grahamschen Großevangelisationen, ist in der Geschichte der Allianz in Deutschland ein Faktor unter mehreren im Prozess des Aufgehens der Allianz im Evangelikalismus. Neben der deutschen Gemeinschaftsbewegung, die sich unter dem Dach des Gnadauer Verbandes sammelt, war und ist die DEA eine der großen und traditionsreichsten Trägergruppen der evangelikalen Bewegung in Deutschland. Ihre Geschichte der Unterstützung der evangelikalen Bewegung ist allerdings nicht, anders als diejenige der
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Gemeinschaftsbewegung, von einer relativ stringenten Einbindung der Frömmigkeitsmentalität in den Evangelikalismus gekennzeichnet, sondern durch eine veränderte Stoßrichtung der Ziele innerhalb der DEA im Laufe des 20. Jahrhunderts. So ist auffällig, in welcher Spannung die Arbeitsintention der EA bei ihrer Gründung gegenüber der heutigen Selbstcharakterisierung steht. War 1846 für die in London versammelten Christen, die die EA gründeten, die Zusammenführung der konfessionell zersplitterten Christenheit wesentlich, die „Einheit in der Vielfalt“, wie der Titel einer Broschüre zum 150jährigem Bestehen der EA lautet,288 so ist die DEA heute in ihrer Selbstwahrnehmung und der Außenwahrnehmung „das Sammelbecken der Evangelikalen“, eine Bezeichnung, die mit der Fokussierung auf „die Evangelikalen“ ein Abrücken vom Pluralismus innerhalb der eigenen Reihen impliziert – wobei anzumerken ist, dass auch „die Evangelikalen“ eine pluralisierte Gemeinschaft darstellen. Die Umwandlung der „Deutschen evangelischen Allianz“ in eine „Deutsche evangelikale Allianz“ stellt durchaus einen Umbruch in der ursprünglichen „Brückenbauerbewegung“289 dar und rief seit Mitte der 1960er Jahre die immer wieder neu belebte Diskussion hervor, ob die Allianz auf dem Weg zu einer eigenen Kirchenbildung sei.290 Die Entwicklung der EA in Deutschland hin zu einer Trägergruppe des Evangelikalismus ist dabei von zwei wesentlichen Aspekten geprägt: Zum einen von der Annäherung der Weltweiten EA an den nordamerikanischen Evangelikalismus seit den 1940er Jahren, zum anderen von der inneren Umorientierung, die auf Grund des Außendrucks durch die erstarkte ökumenische Bewegung erfolgte. 3.3.1 Die Absorption der Evangelischen Allianz durch den nordamerikanischen Evangelikalismus Prinzipiell klangen bereits auf der Gründungsveranstaltung der EA vom 19. August bis 2. September 1846 in London, die 920 Teilnehmer – darunter 13 aus Deutschland – verzeichnete, Töne an, die mit dem späteren Evangelikalismus harmonierten bzw. mit ihm in Harmonie gebracht werden konnten. Der Teilnehmerkreis versammelte sich, um die Einheit der Kirche sichtbar zu gestalten und entwickelte neun Lehrsätze, die die „Basis“ der Allianzarbeit darstellen sollten: 1. die göttliche Eingebung, Autorität (Ansehen) und die Zulänglichkeit 288
BEYER, Einheit. BEYER, Kirche, 20. 290 Vgl. BUSCH, Einzug, 111, gegen JUNG, Die deutsche Evangelikale Bewegung, 215. Aus zeitgenössischer freikirchlicher Sicht monierte 1975 Karl Heinz Voigt den tief greifenden Traditionsabbruch der Allianz (VOIGT, Wohin führt der Weg). 289
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(Allgenügsamkeit) der Heiligen Schrift, 2. die Einheit der Gottheit und die Dreieinigkeit der Personen in derselben, 3. die „gänzliche Verderbtheit“ der menschlichen Natur infolge des Sündenfalls, 4. die Menschwerdung des Sohnes Gottes, sein Erlösungswerk für die sündige Menschheit und sein Mittleramt als Fürsprecher und König, 5. die Rechtfertigung des Sünders durch den Glauben allein, 6. das Werk des Heiligen Geistes in der Bekehrung und Heiligung des Sünders, 7. das Recht und die Pflicht des eigenen Urteils in der Erklärung der Heiligen Schrift, 8. die göttliche Einsetzung des christlichen Predigtamtes und die Autorität und Dauer der Stiftung der Taufe und des Abendmahls, 9. die Unsterblichkeit der Seele, die leibliche Auferstehung, das Weltgericht durch Jesus Christus mit der ewigen Seligkeit der Gerechten und der ewigen Verdammnis der Ungerechten.291 Wie Joachim Cochlovius in einem Artikel über die Unterschiede der Basis der Allianz von 1846 und der überarbeiteten „Basis“ von 1972 feststellt, weichen diese neun Lehrsätze an drei Punkten von der Confessio Augustana ab: erstens in der Vorordnung der Autorität der Heiligen Schrift vor alle übrigen Lehrgegenstände,292 zweitens in der Betonung der Bekehrung und Heiligung als Werk des Heiligen Geistes bei der Rechtfertigung des Sünders, drittens in der Eigenständigkeit des Urteils in der Schriftauslegung.293 Es sind eben diese Aspekte, die in der evangelikalen Bewegung des 20. Jahrhunderts zur Abgrenzung gegen die Theologie und die evangelische Kirche angeführt wurden. Vor dem zeitgenössischen Kontext in der Mitte des 19. Jahrhunderts im englischsprachigen Raum stellen sie allerdings erst einmal nur Reaktionen auf aktuelle kirchenpolitische und theologische Probleme dar: Sie waren gegen die Bibelkritik von Johann Salomo Semler und David Friedrich Strauß gerichtet, nahmen die von der Erweckungsbewegungen ausgehende Vorstellung der Bedeutsamkeit individueller Bekehrung auf und richteten sich gegen die erstarkende katholische Kirche in England, speziell gegen die katholische Lehrautorität.294 Kern der Gründungsintention war, deutlich zu machen, „daß ein lebendiges und einigendes Band alle wahrhaft Gläubigen miteinander verbindet in der Gemeinschaft der Kirche Christi“, und damit, den konfessionellen Trennungen und der „Erkaltung der Liebe“ entgegenzuwirken.295 In den folgenden Jahrzehnten gründeten sich in verschiedenen Ländern nationale 291
Zitiert nach: COCHLOVIUS, Evangelische Allianz, 651. Das ist insofern diskussionswürdig, als dass auch in der CA der Bibel höchste Autorität zukommt. 293 COCHLOVIUS, Selbstverständnis, 160. 294 Die aktuell häufig anzutreffende Aussage, die Gründung der EA habe sich gegen den Pluralismus in den Kirchen und eine Verwässerung biblischer Aussagen in derselben gerichtet, ist von daher falsch. 295 Zitiert nach COCHLOVIUS, Selbstverständnis, 157. 292
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Allianzvereine: 1846 der „britische Zweig der Evangelischen Allianz“, 1847 der französische und der US-amerikanische. Bis zum 1. Weltkrieg hatten sich in Australien, Brasilien, China, Dänemark, Holland, Italien, Japan, Kanada, Mexiko, Österreich und Schweden landesweite Allianzverbände konstituiert. Auf der 1851 in London stattfindenden ersten internationalen Hauptversammlung der EA wurde die Gründung eines „Deutschen Zweiges der Evangelischen Allianz“ beschlossen. Dieser Beschluss wurde allerdings erst mit der 1857 auf der 3. Internationalen Hauptkonferenz in Berlin erfolgten Gründung eines „Deutschen Zentralkomitees“, d. h. des „Deutschen Zweigs der Evangelischen Allianz“ sowie 1880 durch die Bildung der „Westdeutschen Evangelischen Allianz“, deren Vorsitz Theodor Christlieb innehatte, in die Tat umgesetzt. Parallel dazu wirkten die 1886 von Anna von Weling begründeten Blankenburger Konferenzen im Sinne der Allianz, wobei die Blankenburger Konferenzen eher ein Anlaufpunkt der freikirchlichen Kreise waren, während das Zentralkomitee den Landeskirchen nahe stand.296 1952 wurden die Blankenburger Konferenzen, die Westdeutsche Evangelische Allianz, weitere Regionalallianzen und das Zentralkomitee, ohne ihre eigene Arbeit einzustellen, zur „Deutschen Evangelischen Allianz“ (DEA) zusammengeführt.297 Ihr erster Vorsitzender wurde Walther Zilz,298 Pastor des Diakonissenmutterhauses „Friedenshort“, das 1945 nach der Vertreibung aus Oberschlesien in Freudenberg angesiedelt wurde. Zilz war darüber hinaus Vorsitzender des Schlesischen Gemeinschaftsverbandes und Mitglied des engeren Vorstandes des Gnadauer Verbandes und der Deutschen Zeltmission. Nach dem Tod von Zilz übernahm 1957 der baptistische Theologe und Vorstandsmitglied der „Vereinigung evangelischer Freikirchen“ Paul Schmidt, den Vorsitz der DEA, 2. Vorsitzender wurde Paul Deitenbeck. Die Betonung der Evangelisationsarbeit in den Reihen der Allianz führte zu den Gründungen der Missionsschulen „Johanneum“ in Wuppertal (1886) und der 1919 nach Wiedenest in der Nähe von Köln umgesiedelten Bibelschule in Berlin-Steglitz (1905)299 sowie zu der personellen Überschneidung mit der Evangelisationsbewegung, deren führende Persönlichkeiten in der Allianzarbeit mitwirkten. So leitete z. B. der Evangelist und Essener Pfarrer Wilhelm Busch
296
Die vorangegangenen Ausführungen basieren auf COCHLOVIUS, Evangelische Allianz, 651–
653. 297 VIELE GLIEDER, 371. Zu der Vorgeschichte und dem Nebeneinander der Arbeit von Blankenburger Konferenz und „Deutschem Zweig der Evangelischen Allianz“, die schon bald durch die deutsch-deutsche Trennung wieder auseinander gerissen wurde, vgl. die teilweise hagiographische Darstellung von BEYREUTHER, Weg, 114–126. 298 Zu Zilz vgl. BRANDT, Zilz. 299 COCHLOVIUS, Evangelische Allianz, 653.
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die erste Allianzkonferenz der „Westdeutschen Allianz“ nach Kriegsende im Oktober 1945.300 Auf internationaler Ebene zeichnete sich Anfang der 1950er Jahre eine organisatorisch unterfütterte Hinwendung zum US-amerikanischen Evangelikalismus ab: 1951 hatte sich der „Britische Zweig der Evangelischen Allianz“ der 1941 in den USA gegründeten „National Association of Evangelicals“ (NAE) angeschlossen.301 Dem waren verschiedene Gespräche und Publikationen vorausgegangen, u. a. die 1947 veröffentlichte Schrift des Generalsekretärs des „Britischen Zweiges“ und späteren australischen Erzbischofs, Hugh R. Gough, „One Great Evangelical Fellowship“, in der dieser im Hinblick auf die ökumenische Bewegung verstärkt auf die anzustrebende geistliche Einheit der Allianzchristen hinwies.302 Die Verschmelzung der englischen Nationalallianz mit dem NAE 1951 brachte die „World Evangelical Fellowship“ (WEF) hervor, die sich auf ein heute noch gültiges Glaubensbekenntnis einigte. Dieses Bekenntnis umfasst in sieben Punkten folgende Aspekte: den Glauben an 1. the Holy Scriptures as originally given by God, divinely inspired, infallible, entirely trustworthy; and the supreme authority in all matters of faith and conduct, 2. One God, eternally existent in three persons, Father, Son, and Holy Spirit, 3. our Lord Jesus Christ, God manifest in the flesh, His virgin birth, His sinless human life, His divine miracles, His vicarious and atoning death, His bodily resurrection, His ascension, His mediatorial work, and His personal return in power and glory, 4. the Salvation of lost and sinful man through the shed blood of the Lord Jesus Christ by faith apart from works, and regeneration by the Holy Spirit, 5. the Holy Spirit, by whose indwelling the believer is enabled to live a holy life, to witness and work for the Lord Jesus Christ. 6. the Unity of the Spirit of all true believers, the Church, the Body of Christ. 7. the Resurrection of both the saved and the lost; they that are saved unto the resurrection of 300
BEYER, Ein Leib, 53. Cochlovius gibt in seinem TRE-Artikel zur EA als Gründungsdatum der NAE fälschlicherweise 1843 an und bezeichnet diese Vereinigung „als Art Nachfolgeorganisation des eingeschlafenen Allianzzweiges“ in den USA (COCHLOVIUS, Evangelische Allianz, 653). Inwieweit die NAE tatsächlich als Allianzorganisation zu bezeichnen ist, muss auf Grund der defizitären Forschungslage offen bleiben. Es ist nicht zu übersehen, dass Cochlovius’ Intention in dem TRE-Artikel und in seinem Aufsatz im freikirchlichen Jahrbuch „Freikirchen-Forschung“ dahin geht, den Zusammenhang von Evangelischer Allianz und Evangelikalismus seit ihren Anfängen mehr oder weniger offen zu belegen – ein Interesse, das die Selbstrepräsentation der DEA seit der Entstehung der evangelikalen Bewegung bis heute begleitet, allerdings die komplexen Entwicklungen der DEA hin zu einer Trägergruppe des Evangelikalismus und ihrer ursprünglichen Zielsetzungen ignoriert. Faktisch belegbar ist, dass die NAE als Gegenorganisation zu der christlich-fundamentalistischen ACC gegründet wurde (vgl. dazu auch die Darstellung in Kap. 2. 4. 1, S. 95f.). 302 COCHLOVIUS, Evangelische Allianz, 653. 301
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Die Vorgeschichte: Evangelikale Trägergruppen und die Landeskirchen
life, they are lost unto the resurrection of damnation.303 Auffällig im Gegensatz zu der Glaubensbasis der Allianz von 1846 ist hier die detaillierte Schilderung und Charakterisierung des Lebens und Wirkens von Jesus Christus aus dem ganz speziellen theologischen Blickwinkel der wörtlichen Bibelauslegung, d. h. der praktischen Ausführung der unter Punkt 1 genannten Auffassung der Heiligen Schrift als „originally given by God, divinely inspired, infallible, entirely trustworthy“ in Bezug auf das Verständnis von Jesus Christus. Darüber hinaus unterscheidet sich dieses Glaubensbekenntnis von der „Basis“ der EA darin, dass die Sündhaftigkeit des Menschen als einzelner Punkt nicht mehr erscheint, dafür aber die Einheit der Christenheit speziell betont wird sowie das „Recht und die Pflicht des eigenen Urteils“ bei der Schriftauslegung eliminiert ist. Als im Frühjahr 1952 die meisten der der EA angeschlossenen Ländergruppen Europas, d. h. auch die deutsche, den Anschluss an die WEF ablehnten, geschah das deshalb, weil bei dieser Bewegung ein stark „stark fundamentalistisches Gepräge“ ausgemacht wurde und sie den ÖRK ablehnend gegenüber stand. Das „fundamentalistische Gepräge“ wurde daran festgemacht, dass laut den Satzungen die Gemeinschaft mit denjenigen Christen abgelehnt wurde, die nicht die Verbalinspirationslehre vertraten.304 Dagegen wurde noch im Herbst desselben Jahres durch die deutschen, schweizerischen, dänischen, norwegischen und schwedischen Allianzzweige das „Europäische Komitee der Evangelischen Allianz“ bzw. die „Europäische Evangelische Allianz“ (EEA) gegründet. 1968 traten die DEA und die meisten europäischen Allianzen der WEF schließlich doch bei, als der WEF das Charakteristikum der Heiligen Schrift „infallible“ in seiner Glaubensbasis strich und lediglich „entirely trustworthy“ beibehielt.305 Die Unterscheidung zwischen „unfehlbar“ und „absolut vertrauenswürdig“ oder „absolut wahr“ spielte stets eine zentrale Rolle in den evangelikalen Debatten um die Bibelauslegung. Der Beitritt der DEA zur WEF 1968 ist in unmittelbarem Zusammenhang mit den Entwicklungen der Debatten um die „Bibelkritik“ zu sehen und widerspiegelt die zunehmende Polarisierung in diesen Auseinandersetzungen. Schon 1965 hatte die EEA ein Wort zum Schriftverständnis „Unser Bekenntnis zur Heiligen Schrift“ herausgegeben, 303
Zitiert nach: EBD., 654. VIELE GLIEDER, 371. Das bestätigt auch Cochlovius, der vermerkt, die Beitrittsverhandlungen 1951 in Holland hätten sich als schwierig erwiesen, da verschiedene europäische Delegierte „den Amerikanern in ihrer Ablehnung der ökumenischen Bewegung und in ihrem Schriftverständnis – die Bibel ist ‚infallible‘ – nicht ganz folgen“ wollten (COCHLOVIUS, Evangelische Allianz, 654). Erst 1967/68, so der Kommentar Cochlovius’, „konnte dieser Bruch behoben werden“ (EBD.). 305 EBD. 304
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Die Deutsche Evangelische Allianz und die ökumenische Bewegung
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aus „Sorge über den zunehmenden Einfluß ‚unsachgemäßer Bibelkritik‘“306. Von der westfälischen Arbeitsgemeinschaft „Kirche und Bekenntnis“ wurde das „Bekenntnis zur Heiligen Schrift“ der EEA als „theologische[r] Mutterboden der Bekenntnisbewegung ‚Kein anderes Evangelium‘“307 bezeichnet. Damit näherte sich die EEA durch die in der Debatte um moderne Theologie aufbrechenden Einseitigkeiten und enggeführten Gegengewichtungen der Organisation an, von der sie sich ursprünglich distanziert hatte, der WEF. Heute ist die EEA Mitglied der WEF. Die DEA war von diesen Entwicklungen gleichermaßen betroffen und neigte sich zunehmend stärker der Seite der Kritik an der „Bibelkritik“ zu. Hier waren vor allem Gerhard Bergmann und Paul Deitenbeck, nach dem Tod von Paul Schmidt zusammen mit dem freikirchlichen Wilhelm Gilbert Vorsitzender der DEA, die treibenden Kräfte, da beide sowohl in der B KAE als auch in der DEA wirkten. Im September 1966 ging von der Allianzgruppe Düsseldorf ein Schreiben an den Hauptvorstand, in dem davor gewarnt wurde, sich an die Bekenntnisbewegung zu binden, da die DEA ein Bruderbund wäre, zu dem alle Christusgläubigen, wie auch immer sie zur Bekenntnisbewegung stünden, gehörten. Der Superintendent von Düsseldorf Samuel Henrichs und der Prediger der freien evangelischen Gemeinde Walter Arnold308 forderten in dem achtseitigen Brief an den Hauptvorstand, Gerhard Bergmann solle deutlich machen, dass seine öffentlichen Äußerungen als private Meinung zu verstehen und nicht im Auftrag der Allianz erfolgt seien. Zudem baten sie darum, die Entwicklungen in der Theologie mit Sachkenntnis wahrzunehmen und wiederzugeben, 306 EBD., 655. Diese Erklärung ist im Zusammenhang zu sehen mit zwei Konferenzen, die ebenfalls 1965 stattfanden: einmal der europäischen Allianzkonferenz in Zürich, auf der Otto Rodenberg und Samuel Külling als deutsche Vertreter über ihre Ablehnung der vermeintlichen Bibelkritik der Theologie und der historisch-kritischen Methode sprachen sowie zum zweiten der „Konferenz der ‚Evangelikalen‘“ in London, auf der erstmalig über die Gründung einer „Kirche der Evangelikalen“ debattiert wurde (HAARBECK, Wachsen, 7f.). 307 STELLUNGNAHME ZUM „BEKENNTNIS DER HEILIGEN SCHRIFT“, 283. 308 Henrichs und Arnold gehörten 1972 zu den Unterzeichnern eines Briefes von Pfarrern und Superintendenten der Kirche im Rheinland sowie Pastoren der rheinischen Freikirchen an den Hauptvorstand der DEA, in dem inständig darum gebeten wurde, nicht wie die B KAE die Mitarbeit am DEKT zu verweigern (Abschrift des Briefes, gez. von Stadtsuperintendent Dr. Erich Dietrich, Superintendent i. R. S[amuel] Henrichs, Pfarrer Hans-Gerhard Mielke [Synodalbeauftragter für Volksmission des Kirchenkreises Düsseldorf-Oberkassel], Oberstudiendirektor Dr. Ernst Busch, Pastor Richard Scheu [Volksmissionarisches Amt]; für die Ev. Freikirchen gez. Oberstudienrat Manfred Fermor, Pastor Rudolf Piller, Prediger Dr. Ulrich Betz, Prediger Walter Arnold, Pastor Horst Borkowski, an den Hauptvorstand der Deutschen Evangelischen Allianz, z. Hd. der Vorsitzenden W[ilhelm] Gilbert und P[aul] Deitenbeck vom 5. 9. 1972. Maschinenschriftl., 2 S. [AEKR Düsseldorf 2LR 004, Nr. 124: Kirchentag Düsseldorf 1973, Bd. V]), dazu ausführlich Kap. 6. 3. 4, S. 618–620.
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sich vor Pauschalurteilen zu hüten und den Kampf um die Wahrheit im Geist der Liebe zu führen, dankbar für die Freiheit der Verkündigung und der theologischen Forschung zu sein sowie die Allianz als Bruderbund in ihrer Brückenbauerfunktion zu erhalten und sich nicht der Bekenntnisbewegung anzuschließen.309 Unter anderem durch die enge personelle Vernetzung von Bekenntnisbewegung und Allianz, z. B. Gerhard Bergmann und Paul Deitenbeck, ließ sich diese Entwicklung allerdings nicht aufhalten. In den Informationsbriefen der B KAE aus den Jahren 1966 bis 1970 wird deutlich, wie eng die Verbindungen waren, wie stark Bergmann und Deitenbeck in der Öffentlichkeit durch ihr Wirken den Eindruck der Übereinstimmung zwischen B KAE und DEA erweckten und wie sie jeweils im Auftrag der einen Organisation für die andere warben. Beispielhaft sei an dieser Stelle eine Episode aus der Frühzeit der evangelikalen Bewegung genannt: Im Herbst 1966 proklamierte Paul Deitenbeck auf der Jahrestagung der DEA eine kaum überbietbare Polarisierung, indem er verlauten ließ, ein Christ habe heutzutage zu wählen „zwischen theologischem Intellektualismus und biblischem Realismus. Einen Kompromiß gebe es nicht.“310 Diese Äußerung stellt kein Gedankengut mehr aus der Tradition der EA dar, sondern ist ein genuin evangelikaler Topos, der zu dieser Zeit in der B KAE ventiliert wurde. Wie der Brief von Henrichs und Arnold zeigt, stieß diese Entwicklung auf Widerspruch an der Basis der Allianz. 1967 wurde im Hannoverschen Landeskirchenamt in einem Aktenvermerk festgestellt, dass in der Allianz auf Leitungsund Ortsgruppenebene „verschiedene Kräfte“ zu wirken schienen. Speziell angesprochen wurde die geteilte Meinung hinsichtlich der Stellungnahme gegen die „moderne Theologie“, die an der Basis offensichtlich viel differenzierter beurteilt wurde. Außerdem würden auf der „oberen Ebene“ die Tendenzen in Richtung „Institutionalisierung“ gehen, während man eben dies auf Ortsebene zu vermeiden suche.311 Gegen diese Positionen aus der Basis der DEA wurde spätestens 1968 durch den Beitritt der EEA und damit der DEA zur WEF die Geschichte der EA als Trägergruppe des Evangelikalismus auf internationaler Ebene fortgeschrieben.
309 Brief der Evangelischen Allianz Düsseldorf, Superintendent S[amuel] Henrichs, Prediger W[alter] Arnold, an den Hauptvorstand der Evangelischen Allianz z. H. der Brüder P[aul] Deitenbeck, P[aul] Schmidt und P.[sic! = Erich] Walenski vom 22. 9. 1966. Maschinenschriftl., 8 S. (AEGGK, II: Dienste und Mitarbeit, 6. Betheler Kreis, Nr. 261: Geschichtliches Werden). 310 ALLIANZ-TAGUNG. 311 Dez. 23: Vermerk vom 24. 10. 1967, Anlage zu DEUTSCHE EVANGELISCHE ALLIANZ. 3. Allianztag in Siegen am 7. September 1967, gez. Peter Schneider. Maschinenschriftl., 1 S. (LkAH, Best. B 1/ 81316, Bd. I: Evangelische Allianz, Bd. 1).
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Für eine Gesamtschau des Prozesses sei hier kurz der weitere Entwicklungsweg der DEA über 1966 hinaus skizziert: Während sich die DEA noch 1966 mit „Rücksicht auf die unterschiedliche theologische und kirchliche Prägung“ nicht mit der Bekenntnisbewegung „identifizierte“,312 schloss sie sich im Februar 1971, d. h. drei Jahre nach dem Anschluss an die WEF, erstmalig einem Unterfangen an, das primär von der B KAE und der KBG betrieben wurde, nämlich der Stellungnahme gegen die durch den Bundestag geplante Strafrechtsreform im Hinblick auf § 184, die dazu dienen sollte zu klären, was nun eigentlich als „Pornographie“ zu bezeichnen sei und was nicht, allerdings im evangelikalen Lager unter dem Stichwort „Teilfreigabe der Pornographie“ firmierte. Im Januar 1971 setzte sich die KBG in einem Brief an die Bundestagsabgeordneten gegen diese vermeintliche „Teilfreigabe“ ein, im Februar wurde ein nahezu identischer Brief der DEA in Umlauf gebracht.313 Ein Jahr später publizierte Fritz Laubach, der spätere Vorsitzende der DEA und seit 1965 Nachfolger von Friedrich Heitmüller als Pastor der Freien Evangelischen Gemeinde „Holstenwall“ in Hamburg das schon mehrfach erwähnte Buch „Aufbruch der Evangelikalen“, in dem er für eine Sammlung der Evangelikalen unter dem Dach der DEA warb: „Die Evangelische Allianz bietet mit ihrer Glaubensgrundlage eine Basis für solche Christus-Nachfolger, die sich als Erben und weiterführende Kräfte früherer Erweckungsbewegungen verstehen“314, nicht zuletzt deshalb, so Laubach, weil schon die 1846 in London gegründete „Evangelical Alliance“, eine „Gemeinschaft aller Evangelikalen“315 gewesen sei. 312 So der Präses des Gnadauer Verbandes, Hermann Haarbeck, in seinem Jahresbericht für 1966 (HAARBECK, Herr, 16). 313 Zu den Auseinandersetzungen um die „Teilfreigabe der Pornographie“ vgl. Kap. 6. 3. 2, zu dem Votum der DEA in Anschluss an die B KAE S. 596. 314 LAUBACH, Aufbruch, 86. 315 EBD., 14. Diese Gleichsetzung des englischen „evangelical“ mit dem deutschen „evangelikal“ umgeht ebenso elegant wie unrichtig einige historiografische und sprachliche Probleme. Die stark von der englischen Erweckungsfrömmigkeit geprägte „Evangelische Allianz“ hat mit der evangelikalen Bewegung des 20. Jahrhunderts in Deutschland allein vom zeitlichen Rahmen her nichts zu tun. In Bezug auf die Entwicklungslinien konstituierte sich der spätere Evangelikalismus keineswegs ausschließlich aus der Gruppe der Allianzchristen. In sachlicher Hinsicht ist es nicht statthaft, die „Evangelical Allianz“ als „Evangelikale Allianz“ zu beschreiben, da diese sich eben als „Evangelische Allianz“ versteht. Linguistisch ist die Übersetzung von „evangelical“ mit „evangelikal“ nur teilweise richtig, da „evangelical“ ursprünglich einfach „evangelisch“ bedeutete und neben „protestant“ auch heute noch in der Form, wenn auch eher selten, gebraucht wird. So verweist z. B. JUNG, Die deutsche Evangelikale Bewegung, 24, darauf, dass das „Oxford Dictionary of the Christian Church“ „Evangelische Kirche Deutschlands“ mit „Evangelical Church in Germany“ übersetzt – ein Umstand, der, entspräche er der Logik Laubachs, einige Probleme mehr – sicher auch einige weniger – nach sich ziehen würde als nur die Erübrigung des vorliegenden Untersuchungsthemas. Zu der Begriffsgeschichte von „evangelikal“ vgl. ausführlich Kap. 1. 2. 1.
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1974 wurde Laubachs Anliegen von dem Vorsitzenden der DEA, Wilhelm Gilbert, aufgenommen, der ebenso die DEA als den Bereich beschwor, „aus dem heraus sich die verschiedenen evangelikalen Gruppen zu gemeinsamer evangelistischer Arbeit in der Bundesrepublik Deutschland und in West-Berlin finden könnten, um die vom Internationalen Kongreß für Weltevangelisation in Lausanne ausgegangenen Anregungen auszuwerten und in die Praxis umzusetzen.“316 1989 waren „Evangelikale“ und „Allianz“ bereits derart zusammengerückt (worden), dass sogar der Titel eines von Laubach und Helge Stadelmann, ehemals Dozent an den Bibelschulen Brake und Wiedenest, später an der FTA/H Gießen und seit 1994 deren Rektor, herausgegebenen Buches dieses In-EinsSetzen widerspiegelt: „Was Evangelikale glauben. Die Glaubensbasis der Evangelischen Allianz erklärt“. Inzwischen ist es durchgängiger Sprachgebrauch, die DEA als das „Sammelbecken der Evangelikalen“317 zu bezeichnen, nicht zuletzt durch den „Informationsdienst der Evangelischen Allianz“, „idea“, auf den noch ausführlich eingegangen werden wird. Am 6. April 1972 nahm der Hauptvorstand der DEA die 1970 vom „Evangelical Alliance Council“ beschlossene Glaubensbasis an.318 Im Gegensatz zu der Allianzbasis von 1846 tendiert die 1972 verabschiedete Basis in ihren Aussagen zu dem oben erörterten 1951 von der WEF verabschiedeten Glaubensbekenntnis: Auch hier wurde das Wirken Christi ausführlicher als 1846 im Sinne der Verbalinspirationsauslegung dargestellt, ebenso das Wirken des Heiligen Geistes. Das „Recht und die Pflicht eines persönlichen Urteils“ in Bezug auf Auslegungsfragen und die Verbindlichkeit und die Beständigkeit von Taufe und Abendmahl waren ersatzlos gestrichen worden. Busch kommentiert diese Verschiebung der Inhalte mit der Feststellung, die Allianz sei 1846 in ihrem Anspruch an den einzelnen Christen „bescheidener“ aufgetreten: „Man wollte keinerlei Druck auf die einzelnen Glieder ausüben, alle sollten frei bleiben, ihre Glaubensüberzeugungen nach wie vor aufrechtzuerhalten und zu vertreten
316
DEUTSCHE EVANGELISCHE ALLIANZ ALS AUSGANGSBASIS. Das wird besonders von der Leitung der DEA proklamiert und von den Medien aufgenommen (so z. B. von WENSIERSKI, Aufschwung Jesu, 38). Auf das Problematische dieser Handhabung, da nicht alle Allianzchristen Evangelikale seien und die DEA mit diesem Vorgehen ein „Harmonisierungskonzept“ verfolge, verweist BUSCH, Einzug, 101f., 126–130 u. ö. Erstmalige Verwendung erfuhr die Bezeichnung der DEA als „Sammelbecken der Evangelikalen“ in einer Schrift von Ernst Schrupp 1977 (Schrupp, Ernst: Evangelische Allianz – Sammelbecken der Evangelikalen. Sonderbeilage zum Evangelischen Allianzbrief Nr. 13 [1977]. Drucksache, 4 S. [LkA EKvW Best. 0.10 Nr. 432]). 318 Zu den Unterschieden der englischen Glaubensbasis von 1970 und der 1972 von der DEA beschlossenen, die sich vorrangig in der Wortwahl äußern, sowie den zu vermutenden Gründen hierfür vgl. die ausführliche Erörterung von BUSCH, Einzug, 103–109. 317
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mit der nötigen Nachsicht und brüderlichen Liebe’. 1972 wird dieses Anliegen gewissermaßen ‚exklusiver‘ vertreten: Das logisch Vorausbestehende ist hier die Allianz, nicht das einzelne Glied! Auch die Betonung der Haltung, keine der christlichen Kirchen ‚stören‘ zu wollen, fehlt 1970 und 1972 – kein Wunder angesichts des praktizierten Vorsatzes, heilsame Unruhe in den Kirchen stiften zu wollen. Insbesondere an diesem Punkt lässt sich [. . .] eine Veränderung des Selbstverständnisses der Allianz spüren, genauer gesagt: des praktizierten Selbstverständnisses im Unterschied zum formulierten Selbstverständnis! Die Ansicht von F[riedhelm] Jung, ihrem Selbstverständnis nach könne die Allianz gar nicht zu einer eigenständigen Kirche werden wollen, ist angesichts unserer Beobachtungen fragwürdig. Ohne dies hier im einzelnen weiter zu vertiefen, trifft es zu, daß es das ‚evangelikale‘ Element in der Allianz ist, das die Allianz von einer Komplementärstruktur in Richtung auf eine Konkurrenzstruktur zu verwandeln sucht.“319
Diese, von Busch nicht „im einzelnen weiter zu vertiefende“ Feststellung trifft präzise den Befund, dass sich die EA im Laufe fast eines Jahrhunderts bis Ende der 1960er Jahre deutlich wandelte, und zwar in die Richtung der Anliegen der evangelikalen Bewegung.320 Die allerdings etwas mysteriös als „evangelikales Element“ bezeichnete Ingredienz dieser Manifestierung kann sich bei historischer Betrachtung schärfer definieren lassen: Durch die ökumenische Bewegung wurde die EA, im Kern getroffen, aus ihrer Komplementärstruktur in eine Gegenposition zur Kirche gedrängt und geriet somit von einer Konkurrenzsituation in die andere. Auch die Frage, warum sich die evangelikale Bewegung in Deutschland Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre in derartig massiver Form gegen den ÖRK stellte, ist nur ausreichend zu beantworten, wenn die lange Vorgeschichte des problematischen Verhältnisses von Ökumene und EA in Rechnung gestellt wird. Es ist zu betonen, dass im Hinblick auf diese Konstellation der Terminus „Konkurrenz“ nicht eine feindselige Auseinandersetzung meint, sondern die schlichte Tatsache, dass zwei Großorganisationen auf demselben bzw. auf sehr ähnlich gelagertem Arbeitsfeld tätig waren und sich in ihrem Wirken zwangsläufig Überschneidungen ergeben mussten. Inwiefern sich diese Konkurrenz im Laufe von zwei Jahrzehnten tatsächlich in eine konfronta319
EBD., 111. Auch Cochlovius betont den „stärker herausgestellte[n] Bekenntnischarakter“ der Basis von 1972 (COCHLOVIUS, Selbstverständnis, 165), mahnt aber in Bezug auf die Gegenwart an, die DEA müsse dieses Bekenntnis angesichts der „Gefahren des modernen Lehrpluralismus“ gegenüber der EKD und ihren Gliedkirchen viel stärker in Anwendung bringen (EBD., 166). Hinter dieser Kritik steht der Umstand, dass sich seit den 1980er Jahren, besonders aber in den Jahren nach 1989, wiederum eine Annäherung der DEA an die EKD und landeskirchlichen Leitungen vollzogen hat, eine Entwicklung, die im Zusammenhang mit der zunehmenden Zersplitterung der evangelikalen Bewegung zu sehen ist. Zu den Entwicklungen der evangelikalen Bewegung in den 1980er Jahren vgl. die ausführliche Darstellung in Kap. 6.4. 320
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tive Auseinandersetzung umwandelte und wie sich diese äußerte, wird im Weiteren dargestellt. 3.3.2 Die Evangelische Allianz und ökumenische Bewegung Erstaunlicherweise beschäftigte man sich bisher weder in der Forschung noch in der EA mit dem recht offensichtlichen Umstand, dass die ökumenische Bewegung schon in der prinzipiellen Anlage als Einheitsbewegung eine elementare Konkurrenzsituation für die EA schuf. In den wenigen Darstellungen zur Geschichte der Allianz fällt auf, dass das Verhältnis zur ökumenischen Bewegung sehr kurz abgehandelt wird und die Parallelität des Arbeitsfeldes, die die Ökumene bot, nicht offen benannt wird. Eher das Gegenteil ist der Fall, nämlich die Betonung der Divergenz in der Ausrichtung auf die disparate Klientel von Ökumene und Allianz. Während die Ökumene Kirchen und Großorganisationen unter ihrem Dach sammle, sei die Allianz von jeher eine Gemeinschaft Einzelner, ein „Bruderbund“ unter Nichtbeachtung der Kirchenmitgliedschaft gewesen.321 Dieses Argument ist vollkommen richtig, allerdings ein äußerst brüchiges, wie sich zeigen wird. Die Darstellungen der Geschichte der EA spiegeln in ihren Formulierungen und im Tenor das Unbehagen an dem Thema des Verhältnisses wider. Bei Erich Beyreuther wird das Thema innerhalb der 176 Seiten seines Buches „Weg der Evangelischen Allianz in Deutschland“ in einem der insgesamt nur zwei Passus über das Verhältnis von Ökumene und Allianz folgendermaßen behandelt: Beyreuther zitiert aus einem Grußwort der gerade neu berufenen beiden Vorsitzenden der DEA, Paul Schmidt und Paul Deitenbeck aus dem Jahr 1958, die Allianz sei eine Einheitsbewegung aller Christen, die ökumenische Bewegung dagegen eine der verschiedenen Kirchen und Freikirchen. Das kommentiert er mit den Worten, er befinde sich mit sei321 So auch in den wenigen Abhandlungen zu dem Verhältnis von Ökumene und Allianz: RENKEWITZ, Allianz; LIEDHOLZ, Allianz. Die verschiedene ökumenische Ausrichtung von Allianz und ökumenischer Bewegung resultiert in erster Linie daraus, dass die EA stark freikirchlich geprägt war und hier größtenteils das Gemeinde- und Bruderschaftsmodell an Stelle des Kirchenkonzepts stand und steht (VOIGT, Evangelische Allianz, 132–134). So formulierte 1951 der württembergische Prälat Karl Hartenstein auf der Stuttgarter Allianzkonferenz, „die Allianz komme von der Freikirche bzw. Pietismus her, die Ökumene gehe aus von der sichtbaren Kirche, sei aber nicht nur eine Summierung der vorhandenen Kirchen, sondern wolle ein Gefäß sein zum Dienst an der einen heiligen Kirche auf dem Wege zur Einheit. [. . .] Allianz und Ökumene hätten auch eine verschiedene Auffassung von der Gemeinde: die Allianz habe eine Tendenz zur Herstellung der reinen Gemeinde hin [. . .]. Vor allem aber hätten sie eine verschiedene Stellung zur Welt: die Allianz neige zur Separation, die Ökumene habe die Aufgabe, die Kondeszendenz, d. h. das ganze Sich-Herabneigen Gottes zu verwirklichen und sei deshalb den diakonischen Dienst und ein prophetisches Zeugnis von der Gerechtigkeit und den Geboten Gottes schuldig.“ (ALLIANZ UND ÖKUMENE, 693).
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ner Darstellung nun in der Gegenwart, wo „Zurückhaltung“ geboten sei. Nur soviel sei gesagt: „Vordringlich erschien eine Aufgabe: Die radikale Wendung einer bestimmten modernen Richtung innerhalb der Theologie wurde vielen zu einem echten Ärgernis.“322 Die nur angedeuteten Aussagen Beyreuthers implizieren einen hintergründigen inneren Zusammenhang: Das Verhältnis zur Ökumene war trotz der vordergründigen verschiedenen Zielsetzung zu problematisch, als dass offen darüber gesprochen werden konnte und – fast zum Glück – eröffnete sich mit der Theologiekritik ein neues Aufgabenfeld für die Allianz. Etwas deutlicher, aber immer noch verbrämt ausgedrückt, werden die Probleme in dem sechs Jahre später erschienenen Heft zur Geschichte der Blankenburger Konferenzen benannt: „Zusammenstöße ereignen sich sehr leicht im Nebel, weil die Sicht fehlt. Damit spielen wir auf Anstöße an, die sich zwischen Vertretern der Allianz und Ökumene gelegentlich ergeben können. Vielleicht sind es reine Mißverständnisse. Wir brauchen eben nicht nur ein weites Herz, sondern auch weite Sicht. Wir brauchen Kenntnisse, wenn wir urteilen wollen, ohne Unrecht zu tun. Diese Zeilen sollen einen kleinen Beitrag zur Information liefern. Es kommt auch zu Zusammenstößen, wenn sich eines der Schiffe auf dem Strom quer legt. Ohne Bild: die verschiedenen Einigungsgruppen stehen leicht in der Gefahr, sich selbst untreu zu werden, sich eignsüchtig zu entwickeln. Statt immer wieder den Bruder zu suchen, sind sie versucht, die Vergrößerung ihres eigenen Bestandes oder Einflusses, die Durchsetzung ihres Stiles zu verfolgen. Das traurige Endergebnis wäre: An die Stelle der sich befehdenden Konfessionen treten die sich befehdenden Einigungsbewegungen.“323
Dabei ist die EA die Organisation, die „viel dazu beigetragen [hat], ein ökumenisches Bewußtsein in der Christenheit zu wecken“324. Die Gründungsversammlung vom 19. August bis 2. September 1846 in London kann als ein „Urakt“ der Ökumene bezeichnet werden. Die EA verkörperte bis spätestens zu ihrer Selbstdefinition als evangelikale Bewegung eine ökumenische Bewegung.325 In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entfaltete sich die Arbeit der Allianz in verschiedenen Richtungen: 1855 wurde auf der Hauptversammlung in Paris die „Young Men’s Christian Association“ gegründet, der Zusammenschluss verschiedener christlicher Jungmännerbünde, die „Jesus Christus nach der Heiligen Schrift als Gott und Heiland anerkennen“, zum YMCA bzw. CVJM. In Deutschland erfolgte der Zusammenschluss regionaler Jünglingsbünde 1882 in 322
BEYREUTHER, Weg, 126. POHL, Evangelische Allianz, 12f. 324 RENKEWITZ, Allianz, 13. 325 Karl Heinz Voigt weist detailliert auf die Ökumenizität der Evangelischen Allianz hin (VOIGT, Evangelische Allianz). 323
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Detmold. Aus diesem Zusammenschluss entwickelte sich der heutige CVJMGesamtverband (seit 1985 umbenannt in „Christlicher Verein junger Menschen“).326 Der CVJM ist heute ein eigenständiges Werk, das schon auf Grund seiner historischen Entwicklung der EA nahe steht. Auf der Grundlage der „Basis der EA“ erfolgte 1894 die Gründung des Weltverbandes der Christlichen Vereine junger Mädchen, der World YWCA. Im selben Jahr schlossen sich Jugendverbände, die seit 1881 aus der Jugendarbeit von Francis Clark in Portland hervorgegangen waren, zur „Christian Endeavour Society“ zusammen, ebenfalls auf der Grundlage der Allianz-„Basis“. In Deutschland fand diese Jugendarbeit ihren Ausdruck in der Gründung des ersten EC am 7. Oktober 1894.327 1903 schlossen sich die inzwischen entstandenen Landesverbände zu einem nationalen Verband zusammen. Der EC ist ebenfalls ein freies Werk innerhalb der EKD, steht aber der Gemeinschaftsbewegung nahe und wird auch als Jugendarbeit der Gemeinschaftsbewegung bezeichnet. Ebenfalls unter Rückbezug auf die Allianz„Basis“ wurde 1895 die „World Student Christian Federation“ (WSCF), der „Christliche Studenten-Weltbund“ gegründet, der sich die wenige Tage zuvor gebildete „Christliche Studentenvereinigung in Deutschland“ anschloss.328 In Deutschland spielte nach dem Ende des 2. Weltkrieges die 1949 auf Initiative des freikirchlichen Leiters der Bibelschule Wiedenest, Ernst Schrupp, gegründete Nachfolgeorganisation des DCSV, die „Studentenmission in Deutschland“ (SMD), eine Vorbildrolle für die DEA in Bezug auf ihre evangelikale Umorientierung.329 Die SMD weiß sich nicht nur auf der Grundlage der „Basis“ der EA mit dieser verbunden, sondern war darüber hinaus von Beginn an Mitglied der 1947 in Boston gegründeten „International Fellowship of Evangelical Students“ (IFES) und ließ damit schon rasch eine anders gelagerte Stoßrichtung in der eigenen Arbeit erkennen, als dies bei der EA der Fall war. 1972 betonte Laubach in seinem Buch „Aufbruch der Evangelikalen“, „wir“ [die Allianz] müssen der „evangelikale [n] Bewegung“ SMD „in Zukunft vermehrte Beachtung“ schenken.330 326
Zur Geschichte des CVJM in Deutschland liegen bisher nur Regionalstudien vor. Darüber hinaus liefert Informationen die Darstellung von Lebensbildern PARZANY, Die Basis trägt. 327 Zur Geschichte des EC Ende des 19. Jahrhunderts und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vgl. PAGEL, Jugendbund; zur internationalen Geschichte des EC: PAGEL, EC weltweit. 328 Vgl. HONG, Studenten-Vereinigung, besonders 34f. 329 Die internationale EA hatte schon zur Zeit der Jahrhundertwende mit christlich fundamentalistischer und evangelikaler Vereinnahmung zu kämpfen (RAILTON, Zu biblisch). 330 LAUBACH, Aufbruch, 94. Zu der Problematik, wie nahe zeitweise die SMD US-amerikanischem kreationistischem Gedankengut durch ihren Vorsitzenden, den Maschinenbauingenieur und Professor für Betriebswirtschaft Theodor Ellinger stand, der 1979 die SMD verließ, um mit dem Ingenieur und Pfarrer Horst W. Beck die bedeutendste deutschsprachige Vereinigung für Kreationismus, die Studiengemeinschaft „Wort und Wissen“ zu gründen vgl. HEMMINGER, Kreationismus, 167.
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All die genannten Gründungen weltweiter Verbände stellen ökumenische Zusammenschlüsse dar, die wiederum die Weltmissionskonferenz 1910 in Edinburgh, die Gründung des „Weltbundes für internationale Freundschaftsarbeit der Kirchen“ 1914 sowie den Zusammenschluss des „Internationalen Missionsrates“ beeinflussten.331 Die ökumenische Bewegung nahm von diesen Stichdaten her ihren Lauf. Im Sommer 1925 fand die Weltkonferenz für Praktisches Christentum („Life and Work“) in Stockholm statt, zwei Jahre später tagte die Kommission für Glauben und Kirchenverfassung „Faith and Order“ des Weltkirchenrates in Lausanne. Aus diesen Konferenzen ging der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK), hervor, dessen Gründung 1938 in Utrecht beschlossen und im August 1948 in Amsterdam vollzogen wurde und die „Einheit aller Christen weltweit“ zum Ziel hatte.332 Mit dem ÖRK begann die „beispiellose Erfolgsgeschichte“ der ökumenischen Bewegung. Ein Arbeitsgebiet des ÖRK war in den 1950er Jahren die Evangelisation. In einem der Vorbereitungshefte der 1954 in Evanston tagenden Vollversammlung heißt es: „Evangelisation ist das ökumenische Thema par excellence.“333 1959 erschien das umfangreiche Buch des ÖRK-Mitarbeiters in Genf und späteren Ordinarius für Missions- und Ökumenewissenschaft in Hamburg, Hans Jochen Margull, „Theologie der missionarischen Verkündigung. Evangelisation als ökumenisches Problem“. Margull bot in seiner Untersuchung einen Überblick über die bisherigen Ansätze der Ökumene zu Evangelisation und Mission und sprach dasjenige deutlich aus, was in Evanston 1954 bereits angedacht und auf der ökumenischen Konsultativkonferenz über Evangelisation in Bossey 1960 unterstrichen wurde: dass Evangelisation auch in die gesellschaftlichen Zusammenhänge der Nationen hineinwirke.334 So zitierte Margull aus dem Referat des Heidelberger Theologen Edmund Schlink, das dieser am 15. August 1954 auf der Weltkirchenkonferenz in Evanston hielt: „Die Evangelisation steht nicht im Dienst dieser Welt, wohl aber steht die gerechte Ordnung dieser Welt im
331 Dazu kommt das „ökumenische“ Engagement der Allianz durch die Veranstaltung internationaler Tagungen, kleinerer Zusammenkünften, durch Zeitschriften, Publikationen, Gesangbücher, der Einsatz für verfolgte Dissidenten und vieles mehr, vgl. ausführlich RENKEWITZ, Allianz, 13f. 332 Es ist zumindest auffällig, allerdings in den Zusammenhängen bisher noch nicht erforscht, dass der Zusammenschluss der EA und der US-amerikanischen Nationalversammlung der Evangelikalen 1951 drei Jahre nach Gründung des ÖRK stattfand. Beim jetzigen Stand der historischen Forschung kann lediglich nur vermutet werden, dass die Entstehung der WEF auch eine Reaktion auf den zunehmenden Einfluss und die organisatorische Zusammenführung der ökumenischen Bewegung darstellte. 333 Zitiert nach SCHARPFF, Geschichte, 312. 334 EBD., 313.
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Dienst der Evangelisation.“335 Dieser Ansatz lässt bereits etwas von dem Gesellschafts- und Politikbewusstsein des ÖRK Ende der 1960er Jahre erkennen, das wiederum von der evangelikalen Bewegung scharf kritisiert wurde. Für das vorliegende Thema ist darüber hinausgehend wesentlich, dass Margull unter anderem die ihm vorliegenden Betrachtungen und Konzeptionen der ökumenischen Mission zusammenfasste, und zwar als Absage a) an die Propaganda, b) an die Kirchenpflanzung als Ziel der Mission und c) an das Rechnen mit Erfolg, d. h. er erteilte eine Absage an wesentliche Aspekte der erwecklichen, aber auch der kirchlichen Mission.336 Während die Landeskirchen in Deutschland innerhalb kürzester Zeit versuchten, ihre Missionskonzepte am ÖRK auszurichten – mit mehr oder weniger großem Erfolg –, traten die pietistisch-erwecklichen Missionskreise in (Teil)Opposition zu dem ökumenischen Ansatz. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die sich zur gleichen Zeit abzeichnende Tendenz des Gnadauer Verbandes, sich den „sogenannten Glaubensmissionen“ zuzuwenden. Diese strebten „unter Zurückstellung aller sozialen, politischen und kulturellen Probleme mit großer Einseitigkeit und nach ihrem Verständnis der Schrift die Bekehrung des Einzelnen“ an, „um so die Gemeinde zuzubereiten auf die nahe bevorstehende Wiederkunft des Herrn“, so die Beschreibung durch Präses Hermann Haarbeck, der von dem Erfolg und der „ungeheuere[n] Ausbreitung“ der Glaubensmission fasziniert war.337 Drei Jahre zuvor noch hatte Haarbeck mit warmen Worten über die „ausgebreitete ökumenische Sozial- und Hilfsarbeit“ gesprochen und davon, dass „der Einsatz [des ÖRK] für den Frieden und für die Achtung der Rassen untereinander unentwegt weitergehen und viel Segen stiften.“338 Diese Entwicklungen in den 1950er Jahren schufen bereits die Grundlage für die Diskrepanz im Missionsverständnis der evangelikalen Bewegung und der dem ÖRK zugeneigten Landeskirchen in Deutschland in den 1970er Jahren. Die Konzeption von sozialem Engagement, von Diakonie und der Lösung von politischen Problemen als Bestandteil von Mission, die vom ÖRK vertreten wurde, geriet in Deutschland in massive Kritik der evangelikalen Bewegung.339 Zwischen evangelischer Kirche und ÖRK kann in Deutschland eine grundsätzliche Nähe konstatiert werden, auch wenn der ÖRK wiederholt Kritik am deutschen „Volkskirchenmodell“ übte.
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SCHLINK, Christus, 44; MARGULL, Theologie, 63 MARGULL, Theologie, 70–74. 337 HAARBECK, Kaufet, 16. 338 HAARBECK, Erhebet, 21. 339 Eine ausführliche Darstellung der Auseinandersetzung der evangelikalen Bewegung mit der ökumenischen Bewegung in den 1970er Jahren erfolgt in Kap. 6. 3. 3. 336
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Zu beachten ist, dass die ökumenische Bewegung sowohl in ihrer Existenz als Einheitsbewegung als auch durch die Wirkungsbereiche Evangelisation und Mission schon in den 1950er Jahren das Engagement des EA und der Evangelisationsbewegung zumindest tangierte und letztlich zu einer Profilierung provozierte. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass es nur das Ende einer längeren Entwicklung darstellt, wenn sich in den 1960er Jahren innerhalb der DEA eine Positionsbestimmung durch den Evangelikalismus und in der Evangelisationsarbeit eine Polarisierung auf Grund der rigorosen Absage an jedes politische Engagement herausbildete. Ein markanter Punkt der weiteren Entwicklung des Verhältnisses von EA und Ökumene wurde die Integration von Mission in die Kirche, organisatorisch vollzogen auf der 3. Vollversammlung des ÖRK in Neu Delhi vom 19. November bis 5. Dezember 1961 durch den Zusammenschluss des „Internationalen Missionsrates“ (IMR) und des ÖRK.340 Die Missionsräte des IMR wurden zu angegliederten Räten der ÖRK-Kommission für Weltmission und Evangelisation, zu der „Commission of World Mission and Evangelism“ (CWME), die die Verantwortung für die Arbeit und die Aufgaben des IMR übernahm. Der IMR wurde aufgelöst. Ein Ziel dieses Zusammenschlusses war, die Mission sowohl in die Arbeit des ÖRK zu integrieren, als auch in diejenige der angeschlossenen Kirchen, bis hinein auf die landeskirchliche und Gemeindeebene. Nachdem sich der ÖRK bereits als Organ verstand, das die Evangelisation zentral unterstützte, kam nun ebenso zentral die Mission hinzu, die traditionell in den Händen der von der Erweckungsbewegung ausgehenden Allianz und in Deutschland in denjenigen der Gemeinschaftsbewegung lag. Auch im Hinblick auf die angestrebte Bewusstseinsbildung für das ökumenische und missionarische Anliegen bis in die Gemeinden hinein341 tangierte die ökumenische Bewegung empfindlich das Selbstverständnis der Allianz, die sich bisher als Gemeinschaft der Einzelnen im Gegensatz zu der Kircheneinheitsbewegung Ökumene verstanden hatte. Es entstand der Eindruck, auch die ökumenische Bewegung umfasse nicht nur die Großorganisationen, sondern widme sich den einzelnen Gemeinde- und Kirchenmitgliedern. Hinzu kam, dass in Neu Delhi orthodoxe Kirchen und zwei Pfingstkirchen in die ökumenische Gemeinschaft aufgenommen wurden. Das massive Problem der Gemeinschaftsbewegung bzw. des Gnadauer Verbandes mit der Pfingstbewegung wurde bereits an anderer Stelle erörtert – hier sei darauf hingewiesen, dass die Aufnahme der orthodoxen Kirchen in Allianzkreisen sofort eine vermeintliche Annäherung an die katholische Kir-
340 341
Zur Vollversammlung des ÖRK in Neu Delhi vgl. u. a. KOSLOWSKI, Einheit, 63–65. EBD., 65.
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che evozierte und die Aufnahme der ersten Pfingstkirchen ebenfalls ein Unbehagen in der Allianz hervorrief. Die aufkommende Sorge, die ökumenische Bewegung entwickle sich zu einer „Superkirche“, rührte unter anderem von Bedenken her, die sich im Zuge des II. Vaticanum und dessen ökumenischer Öffnung ergaben, nämlich dass es zu einer zu starken Annäherung von evangelischer und katholischer Kirche kommen könnte bzw. zu einer „Übernahme“ der evangelischen Kirchen durch die katholische.342 Die sich 1963 auf der 4. Weltkonferenz für Glauben und Kirchenverfassung in Montreal offen zeigende ökumenische Annäherung bestätigte diese Wahrnehmung innerhalb der EA noch einmal. Es kann hier nur kurz erwähnt werden, dass sich bemerkenswerterweise in Reaktion auf das II. Vaticanum bzw. der Umsetzung seiner Beschlüsse um 1968 in der katholischen Kirche ein Äquivalent zu der evangelikalen Bewegung zu formieren begann, z. B. mit Marcel Levebvres Pius-Bruderschaft.343 Generell ist festzuhalten, dass mit dem Zusammenschluss von missionarischen und ökumenischen Vorstellungen und der Intention, dies in den Einzelgemeinden durchzusetzen, seit der Vollversammlung 1961 in Neu Delhi ein ureigenes Terrain der EA durch die ökumenische Bewegung besetzt wurde. Aber bereits bei der Einführung der seit 1846 stattfindenden Allianzgebetswochen nach Kriegsende in Deutschland hatte die DEA die ökumenische Konkurrenz zu spüren bekommen. Die ökumenische Gebetswoche, die seit 1920, initiiert von einer Vorbereitungsgruppe von „Faith and Order“, zunächst in der Woche vor Pfingsten stattfand und dann, ganz im ökumenischen Sinne des gemeinsamen Betens, 1941 auf die Zeit der katholischen Gebetsoktav für die 342 BERGMANN, Fragen der Allianz, 19f. Auch in den Reihen des Gnadauer Verbandes herrschte in Bezug auf die katholischen ökumenischen Tendenzen im Zuge des II. Vaticanums die latente Sorge, die evangelische Kirche könne absorbiert werden (vgl. HAARBECK, Kaufet, 21). 343 Auch hier fehlen bisher grundlegende Forschungen, die die zeitliche und argumentative Parallelität – z. B. im Hinblick auf die vermeintliche Auflösung der Gesellschaft im Zuge der Aufklärung oder die apokalyptischen Weltendzeitdeutungen – der traditionalistischen Bewegung in der katholischen Kirche und der evangelikalen Bewegung in der evangelischen Kirche in den Blick nehmen. Zur den Entwicklungen und dem Kontext der Entstehung der Pius-Bruderschaft sowie einigen Überlegungen zur Einordnung der Pius-Brüder in die „Fundamentalismen“ des 20. Jahrhunderts vgl. DAMBERG, Piusbruderschaft; zu den innerkatholischen Konflikten zwischen „Progressiven“ und „Traditionalisten“ um 1969/70 in Westdeutschland vgl. AUS DER WELT DER SEKTEN, WELTANSCHAUUNGEN UND RELIGIONEN. DROHEN ABSPALTUNGEN; zum „Marsch nach Rom“ katholischer Traditionalisten im Juni 1970 AUS DER WELT DER SEKTEN, WELTANSCHAUUNGEN UND RELIGIONEN. TRADITIONALISTEN. Außerdem sei in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass sich in der späteren evangelikalen Bewegung bis auf wenige Ausnahmen stets ein antikatholischer Zug feststellen lässt. Die prominenteste Persönlichkeit unter diesen Ausnahmen stellte der Missionswissenschaftler und Vorsitzende des „Theologischen Konventes der KBG“ Peter Beyerhaus dar. Zu seinem Engagement, mit katholischen Konservativen zusammenzuarbeiten vgl. Kap. 6. 3. 3, S. 608.
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Einheit der Christen in die zweite Januarhälfte gelegt wurde, stellte eine unmittelbare „Gebetskonkurrenz“ zu der älteren Allianzgebetswoche dar. Obwohl vielerorts in den landeskirchlichen Gemeinden seit 1946 die Allianzgebetswoche zusammen mit den freikirchlichen Gemeinden vor Ort begangen wurde, fehlte bis in die 1950er Jahre hinein eine offizielle Empfehlung der Landeskirchenleitungen für die Durchführung der Gebetswoche. Die Haltung der einzelnen Landeskirchenleitungen zu der Allianzgebetswoche war Ende der 1940er Jahre eher distanziert. Dies steht in Zusammenhang mit der Haltung der Landeskirchen zu den Allianzortsgemeinden, die von Ambivalenzen geprägt war, ebenso wie diejenige gegenüber den landeskirchlichen Gemeinschaften. Einen Einblick in eine reservierte Attitüde bietet die Aktenlage der Oldenburgischen Landeskirche. Anfragen von Gemeindepfarrern an den Oldenburgischen Oberkirchenrat, ob sie sich in die bereits stattfindenden Gebetswochen der Allianz in den Freikirchen (Baptisten, Methodisten) einschalten dürften, wurden 1948 noch abschlägig beschieden.344 Allerdings führten zu diesem Zeitpunkt einzelne Gemeinden bereits eine Allianzgebetswoche gemeinsam mit den Freikirchen durch. Im November 1949 nahm als Vertreter von Bischof Wilhelm Stählin OKR Hans Schmidt an einer der ersten größeren Veranstaltungen der Oldenburger Allianz über „Gottes Offenbarung“ teil. Er berichtete äußerst kritisch, diese Allianz-„Unternehmungen“ hätten seiner Meinung nach „keine Verheissung“, sie gestalteten sich theologisch ohne Präzision und bis auf Pfarrer Herbert Goltzen habe keiner der beteiligten Pastoren, zumeist Methodisten- und Baptistenprediger eine fundierte Exegese als Grundlage der Bibelarbeit geboten. Er empfehle, diesem „kleinbürgerlich gewordenen Christentum“ keine „allzugrosse Aufmerksamkeit zu schenken.“ Weiter beschrieb Schmidt, die Befürworter der Allianz seien „zum Teil sehr hingenommen von dem Auftrag, den sie zu haben meinen. Vielleicht sollte man sie ihren Weg ruhig gehen lassen, aber versuchen, sie in ihrer eigenen Kirche viel stärker zu engagieren, als das bisher geschehen ist.“345 Nur wenige Tage nach Eingang von Schmidts Bericht lehnte der OKR auch für die 1950er Gebetswoche eine Mitarbeit ab.346 Der Pfarrer Herbert Goltzen, 1933 Mitbegründer des „Pfarrernotbundes“, schrieb ebenfalls in den folgenden Jahren mehrere Berichte zu seinen Erfahrun-
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Auszug aus dem S[itzungs]B[uch] des OKR vom 21. 12. 1948. Maschinenschriftl., Durchschlag, geklebt, 1 S. (A.OKR.Ol, OKR Generalia 1849–1958, A LVI, Nr. 221). 345 Umlauf Oberkirchenrat. Bericht über die Versammlung der Evangelischen Allianz am 21. November 1949 20 Uhr in der Friedenskirche. Thema: Gottes Offenbahrung, gez. Schmidt. Maschinenschriftl., hektograph., 1 S. (A.OKR.Ol, OKR Generalia 1849–1958, A LVI, Nr. 221). 346 Auszug aus dem Sitzungsprotokoll des Oberkirchenrats vom 6. Dez. 1949. Maschinenschriftl., Durchschlag, geklebt, 1 S. (A.OKR.Ol, OKR Generalia 1849–1958, A LVI, Nr. 221).
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gen mit den Allianzgebetswochen und generell mit der Oldenburgischen Allianzgruppe. Im Januar 1951 teilte er dem OKR mit, er habe auf Grund verschiedener Erfahrungen mit Allianzveranstaltungen, insbesondere mit Evangelisationsveranstaltungen unter dem Dach der Allianz, starke Bedenken gegen die Unternehmungen der Allianz entwickelt. So werde der Bischof „als Dekoration zur Eröffnungsversammlung mit eingesetzt“, der Rest der Veranstaltungen werde zumeist von Baptistenpredigern bestritten. Manche Bibelstunden von Zeltmissionaren seien zwar „gehaltvoll“ und böten „eine im allgemeinen sachliche Auslegung“, aber andere Vorträge „arbeiteten mit krassen sensationellen Mitteln und griffen den Menschen psychisch an Nerven und Nieren an“. Angesichts dieser Art und Weise der Evangeliumsvermittlung erscheine ihm, Goltzen, der „Ablasshandel Tetzels [. . .] als eine dezente Seelsorge“ und „Seelenbetrug unangenehmsten Stils“. Er kenne Kirchenmitglieder, die er nur knapp vom Kirchenaustritt abhalten konnte, nachdem sie solche Veranstaltungen erlebt hätten. Die unkirchliche Masse werde nicht erreicht, sondern „was hier gewonnen wird, geht zweifellos in die Sekte und nicht in die Kirche.“ Die Zusammensetzung der Versammelten war ihm fremd, die „Freikirchler überwogen sichtlich. Es ist mir sehr fraglich, was der Ertrag solcher sektiererischer Veranstaltungen in unserer Kirche sein soll. [. . .] Der gegenseitigen Achtung innerhalb der Oekumene wird durch synkretistische Gottesdienste nicht gedient.“ Bemerkenswert ist Goltzens Analyse der „neupietistischen Denominationen“, die „alle Zerfallsprodukte des Calvinismus“ seien. Insgesamt, so Goltzen, könne man von dem Eifer, der Opferwilligkeit und dem „Zusammenhalt der kleinen Denominationen“ nur beschämt sein und habe in der Hinsicht „viel zu lernen. Aber das heisst noch nicht, dass wir durch unser Mittun die tiefgehenden Glaubensunterschiede nivellieren dürfen.“347 Auf Grund dieses Berichtes führte der OKR 1951 ein Gespräch mit den freikirchlichen Pastoren durch, die „die Beanstandungen voll anerkannt[en]“. Nachdem „bestimmte Vorkehrungen getroffen“ wurden, die dazu führen sollten, dass sich solches Agieren unter dem Dach der evangelischen Kirchen nicht wiederhole, wurde der „Antrag des Kirchenrats Oldenburg auf Freigabe der Kirchen für Prediger der Allianz positiv beantwortet.“348 In dem Gespräch kamen mehrere Aspekte der zeitgenössischen Situation zur Sprache, z. B. dass „die Lage in den verschiedenen Gemeinden auch
347 Brief von Herbert Goltzen, Oldenburg – Pastor – an den Evang.-Luth. Oberkirchenrat in Oldenburg betr. Allianz-Veranstaltungen, vom 24. 1. 1951. Maschinenschriftl., 2 S., hier 2 (A. OKR.Ol, OKR Generalia 1849–1958, A LVI, Nr. 221). 348 Briefdurchschlag HK/LS, gez. [OKR Heinrich] K[loppenburg] an Pfarrer H[erbert] Goltzen vom 2. 1. 1952. Maschinenschriftl., 2 S., hier 1f. (A.OKR.Ol, OKR Generalia 1849–1958, A LVI, Nr. 221).
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durchaus unterschiedlich sei.“ So käme es in manchen Gemeinden kaum zu gemeinsamer Arbeit und in anderen zu starken Spannungen, z. B. in Varel zwischen Baptisten und der lutherischen Ortsgemeinde auf Grund der Tatsache, „daß die Ortsgemeinde es nicht versteht, daß die Baptisten Leute, die zu ihnen übertreten, noch einmal taufen.“349 Im Dezember 1953 schrieb Goltzen, inzwischen emeritiert, noch einmal einen Brief an den OKR, in dem er das verschiedene Taufverständnis von Baptisten und Landeskirche und die Diskreditierung der landeskirchlichen Taufe durch Baptisten als „Säuglingsbesprengung“ monierte. Vor diesem Hintergrund scheine es ihm bedenklich, „dass sich seit einigen Jahren bei uns der usus eingebürgert hat, bei ‚Allianzveranstaltungen‘ gemeinsame Gottesdienste zu halten“. „Es muss“, so Goltzen weiter, „zu einer verwirrenden Unklarheit bei den Gemeindegliedern führen, wenn in der Kirche ein Prediger einer Gemeinschaft predigt, die auf Grund ihrer falschen Lehre von der Taufe nur als Sekte angesehen werden kann.“ Goltzen schlug vor, dass „zur Stärkung der oekumenischen Verbindungen in einer gemeinsamen Gebetswoche die Gemeindeglieder aufgefordert werden, einmal als Gäste Gottesdienste der andern Gemeinschaften zu besuchen.“ Die Abhaltung von „gemischten Gottesdiensten durch Amtsträger derart verschiedener Bekenntnishaltung“ sollte allerdings vermieden werden. Er bitte den OKR „um eine gewissenklärende Auslegung von Confessio Augustana IX, soweit sich von diesem Artikel aus eine Weisung über solche Allianzveranstaltungen ergibt.“350 Da Goltzens Brief gerade in die Zeit der so genannten „Bischofskrise“ 1952/53 in Oldenburg fiel,351 erteilte ihm erst im Dezember 1954 der Interimsverwalter des Bischofsamtes Johannes Rühe mit, dass Goltzens Bedenken „vom Oberkirchenrat durchaus geteilt“ würden und „dass es für uns nicht möglich ist, unsere eigene Gottesdienstordnung in der Wochenschlussandacht nach den Wünschen der Allianz umzugestalten“, so wie es in der Praxis nach Goltzens Schilderung vorkam. Aber, so Rühe weiter, da „es sich [. . .] bei der Allianz um die Gemeinschaft mit solchen Kirchen handelt, die zur
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Aktenvermerk über eine Besprechung mit den Pastoren Brandt [Baptistenkirche], Lein [Methodistenkirche] und Wien [Kirchengemeinde Oldenburg] am Mittwoch, dem 12. 12. 1951 wegen der Allianzwoche, gez. [Heinrich] Kloppenburg. Maschinenschriftl., 2 S., hier 1 (A.OKR. Ol, OKR Generalia 1849–1958, A LVI, Nr. 221). 350 Brief von [Herbert] Goltzen, P., an den Evangelisch-lutherischen Oberkirchenrat vom 2. 12. 1953. Maschinenschriftl., 2 S., hier 2 (A.OKR.Ol, OKR Generalia 1849–1958, A LVI, Nr. 221). 351 Die Oldenburger „Bischofskrise“ bezeichnete die Komplikationen um die Amtsniederlegung Wilhelm Stählins als Bischof und die Bischofswahl der Kandidaten Heinrich Kloppenburg und Wilhelm Hahn im Juni 1952, aus der Hahn als gewählter Bischof hervorging, sein Amt aber im November 1952 zurückwies (vgl. dazu RITTNER, Kirche in Oldenburg, besonders 773–778).
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Ökumene gehören, können wir gemeinsame Gottesdienste mit diesen Freikirchen kaum ablehnen.“ Es sei für dieses Jahr die Regelung getroffen worden, „dass die wieder in der Garnisonkirche vorgesehene Feier nicht auf den Sonnabend, sondern in den Anfang der Woche fällt, damit unsere Wochenschlussandacht in der gewohnten Weise stattfinden kann.“352 Ein Jahr später teilte der OKR der Oldenburgischen Landeskirche mit, „dass für Allianztagungen in Zukunft ein Hauptgottesdienst in einer unserer Kirchen nicht mehr zur Verfügung gestellt werden kann.“353. Im Gegensatz zu den Oldenburgischen Auseinandersetzungen mit den Freikirchen wurden in Hannover, wo bis 1952 die Allianzgebetswoche den Gemeinden von der Kirchenleitung ebenfalls nicht empfohlen wurde, Überlegungen angestellt, ob die Gebetswoche nicht ganz anders und neu geregelt werden sollte. Man wollte das innerhalb der VEKLD besprechen,354 aber zu größeren Umstellungen kam es hier letztlich nicht. Bei den Debatten um die Gebetswoche wurde deutlich, dass das durch die Allianz aufgeworfene „ökumenische“ Problem an der Gemeindebasis wesentlich schwierigere Implikationen nach sich zog, als das in offiziellen Verlautbarungen deutlich wurde. Brisant war das unmittelbare Aufeinandertreffen von freikirchlichen und landeskirchlichen theologischen Grundlegungen in der Praxis, z. B. die Positionen zu und der Umgang mit den Sakramenten und Kasualien, aber auch die bereits mehrfach erläuterte evangelistische Konkurrenz, die seitens der Landeskirchen schlicht als freikirchliche Abwerbung von Gemeindegliedern verstanden wurde. In einem Schreiben des württembergischen OKR an den Stuttgarter Stadtpfarrer und Mitarbeiter der örtlichen Allianz hieß es 1952, der OKR habe die Leitungen der drei Zeltmissionen, „die in Württemberg 1952 arbeiten wollen (Deutsche Zeltmission, Rathlef, Liebenzell) darum gebeten, neben den von den betreffenden Zeltmissionen selbst gestellten Evangelisten einen von der Landeskirche zu beauftragenden Evangelisten zu stellen, um auf diese Weise die im Einvernehmen mit der Landeskirche geschehende Zeltmissionsarbeit dabei klar abzuheben von der auf Allianzboden geschehenden frei-
352 Briefdurchschlag Evang. luth. Oberkirchenrat Rü/Kr., gez. [Johannes] Rühe – Kirchenrat –, an Pastor [Herbert] Goltzen vom 8. 12. 1954. Maschinenschriftl., 1 S. (A.OKR.Ol, OKR Generalia 1849–1958, A LVI, Nr. 221). 353 Briefdurchschlag Evang. luth. Oberkirchenrat Rü/Kr., gez. Rühe – Oberkirchenrat –, an Konsistorialrat [Johannes] Wien vom 7. 12. 1955. Maschinenschriftl., 1 S. (A.OKR.Ol, OKR Generalia 1849–1958, A LVI, Nr. 221). 354 Rundbrief der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands – Lutherisches Kirchenamt –, gez. Dr. F. Hübner, an die Kirchenleitungen der Gliedkirchen der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands vom 15. 11. 1952. Maschinenschriftl., hektograph., 1 S. (LAW, LKA 2159).
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kirchlichen Zeltarbeit und durch die Umgrenzung dieser befreundeten Gruppen ein klare Scheidelinie zu ziehen gegenüber allen wilden Zeltmissionsarbeiten, wie sie auf dem Boden der Internationalen Zeltmission, von der Philadelphia-Gemeinde und von sonstigen Pfingstbewegungen aus unternommen werden.“355
Die Grenzziehung zwischen landeskirchlicher Evangelisation gegenüber den „befreundeten“ Allianzinitiativen und letztlich der „freien“ Evangelisationstätigkeit gestaltete sich keineswegs problemlos und warf immer wieder Schatten auf die Zusammenarbeit von Landeskirchen und den Allianzgemeinden vor Ort. Hinzu kam im Hinblick auf Allianz und Ökumene, dass die Freikirchen gegenüber der Ökumene ambivalent bis ablehnend eingestellt waren und in der Allianz ihre Alternative zur ökumenischen Bewegung sahen. 1951 kommentierte die freikirchliche Zeitung „Der Gärtner“ das bereits erwähnte Stuttgarter Gespräch zwischen der Ökumene, vertreten durch Prälat Hartenstein, und dem Hauptvorstand der Allianz, natürlich sei „ein Gespräch besser als keins“, auch wenn auf Grund des „Fehlens eines klaren Gemeindebegriffes“ viel aneinander vorbei geredet worden sei. Aus Sicht des „Gärtners“ könne man sich aber für die „Ökumene“ „nicht erwärmen, weil sie ein vieldeutiger organisatorischer Begriff ist, ohne jede Abgrenzung der gläubigen Gemeinde gegenüber der ungläubigen religiösen Welt“. Deshalb könne der freikirchliche Platz „nicht bei der weltlichen Ökumene sein, sondern nur innerhalb der Evang. Allianz, die klar und biblisch umgrenzt das Einssein der Christusgläubigen herausstellt, nicht die Einheit der christlichen Organisationen.“356 Karl Heinz Voigt konstatiert in seiner Darstellung der Freikirchen in Deutschland, die ökumenische Bewegung habe auf das Verhältnis von Landeskirchen und Freikirchen einen positiven Effekt gehabt, da sie zu verstärkter Kooperation führte. Gleichzeitig aber löste die „wachsende Akzeptanz [. . .] bei den Freikirchen eine Identitätskrise aus, bei einigen mehr, bei anderen weniger“357. Die sich entwickelnde Nähe der ehemaligen „Protestkirchen“ zu den Landeskirchen sorgte für freikirchliche Verunsicherung. Und, so Voigt weiter: „Die ökumenischen Kontakte haben die Minderheitenkirchen stärker verändert als die Mehrheitskirchen.“358 Wohl auch aus diesem Grund war die Haltung zur Ökumene in den Freikirchen eine ambivalente: Vor Ort arbeite man häufig ökumenisch zusammen, vom ÖRK distanzierte man sich. Kurz nachdem sich im Sommer 1965 Vertreter der EA zu einem Gespräch in Genf mit Vertretern 355 Abschrift eines Briefes des Ev. OKR an Herrn Pfarrer Lang, Stuttgart, Abschrift an Herrn Pfarrer Fischer, Unterweißach, vom 2. 2. 1952 (LKAS A 126, Nr. 1823, 123). 356 Zitiert nach ALLIANZ UND ÖKUMENE, 693. 357 VOIGT, Freikirchen, 249. 358 EBD.
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des ÖRK getroffen hatten, fand unter der Regie der ACK im Juni 1965 eine erste Beratung zwischen der EKD und den Freikirchen statt, die dem Antiökumenismus der Freikirchen entgegen wirken sollte,359 der aber kein großer Erfolg beschieden war. Das freikirchliche Schwergewicht in der DEA sorgte also zusätzlich für einen Aufbau der Allianz als Gegen-Ökumene. Im Dezember 1947 bat Walther Zilz die Landeskirchen im Namen des „Deutschen Zweiges der Evangelischen Allianz“ bzw. des Zentralkomitees in einem Rundschreiben, parallel zu einem Rundschreiben der „World Evangelical Alliance“360, ab Januar 1948 die Allianzgebetswoche einzuführen, zu bewerben und zu unterstützen.361 Prinzipiell war man in den Landeskirchen an einer Gebetswoche durchaus interessiert. Im September 1947 hatte der württembergische Landesbischof Theophil Wurm in einem Schreiben an die Landesbischöfe in Deutschland bereits eine landeskirchliche Gebetswoche angeregt: „Die unbeschreibliche Not“, so Wurm in seinem Rundbrief, fordere „besondere kirchliche Maßnahmen“, allzumal er glaube, dass Gottes Zorn schwer über die Christenheit entbrannt sei. Deshalb solle man „eine besondere Gebetswoche oder durch einige Wochen hindurch an einem der Wochentage einen besonderen Gebetsgottesdienst“ abhalten, um „in geeigneter Form um Erweckung wahrer Buße und um Abwendung der schweren Strafe“ zu beten, die „Gott über uns verhängt hat.“362 Im Frühjahr 1948 konstatierte die Kanzlei der EKD, die Bekanntgabe der World Evangelical Alliance einer jährlich stattfindenden Gebetswoche habe in den verschiedenen Landeskirchen verschiedene Reaktionen hervorgerufen, aber soweit es der Aktenlage zu entnehmen sei, würden die Landeskirchen überwiegen, „die sich grundsätzlich einer solchen Gebetswoche gerne anschliessen möchten.“ Das Problem dabei seien in erster Linie die Terminschwierigkeiten.363 Aber erst als die ACK 1951 „wärmstens“ die Zusammenlegung der Allianzgebetswoche mit der Weltgebetswoche der „Kommission für Glauben 359
Briefkopie [ohne Name] an Hans Jochen Margull vom 29. 12. 1964. Maschinenschriftl., 1 S.; EZA 180/60. 360 Rundbrief der World’s Evangelical Alliance, gez. H. M[artyn] Gooch – General Sekretary –, Dezember 1947. Maschinenschriftl., hektograph., 1 S. (A.OKR.Ol, OKR Generalia 1849– 1958, A LVI, Nr. 221). 361 Rundbriefe des Deutschen Zweiges der Evangelischen Allianz, Pastor Walter Zilz – Vorsitzender –, an die vorläufige Leitung der Evangelischen Landeskirche Nassau, Wiesbaden, und das Landeskirchenamt Hessen, Darmstadt, vom 9. 12. 1947. Maschinenschriftl., 2 S. (ZA EKHN, Best. 155, Nr. 511). 362 ANREGUNG VON GEBETSWOCHEN. 363 Rundbrief der Kanzlei der Evangelischen Kirche in Deutschland 18/48, gez. [Hans] Asmussen, an die Leitungen der deutschen evangelischen Landeskirchen, vom 16. 3. 1948. Maschinenschriftl., hektograph., 1 S. (ZA EKHN, Best. 155, Nr. 511).
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und Kirchenverfassung“ „unter dem Namen ‚Gebetswoche der Allianz und Ökumene‘“364 für 1952 empfahl, begann ein Umdenken in den Kirchenleitungen hin zu einer grundsätzlichen Akzeptanz der Allianzgebetswochen. Die Gebetswoche wurde nach und nach in den 1950er Jahren eingeführt, entweder in direkter Verschmelzung mit der ökumenischen Gebetswoche365 oder durch gegenseitigen Besuch der bzw. gegenseitige Werbung für die im zeitlichen Anschluss erfolgenden Gebetswochen. Ende der 1950er Jahre waren die Gebetwochen in den meisten deutschen Landeskirchen bereits zu einer Gebetswoche zusammengefasst worden. Torpediert wurde diese Entwicklung 1959, als die englische EA vorschlug, die Allianzgebetswoche auf die Woche vor Pfingsten zu legen. „While“, so Gilbert Kirby, der Generalsekretär der britischen Allianz, „the aim of this newer ‚Week‘ [die ökumenische Gebetswoche] is quite different from that of the Universal Week of Prayer [die Allianzgebetswoche] there has, nevertheless, been confusion of thought in some cases“366, die mit einer zeitlichen Verlegung ausgeräumt werden sollte. Dieser Vorschlag wurde in Deutschland sowohl von der DEA und der ACK als auch der VELKD und den deutschen Mitarbeitern in der ÖRK-Kommission für Glaube und Kirchenverfassung abgelehnt,367 da sich die Allianzgebetswoche inzwischen in der ersten Januarwoche verankert hatte. In dem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen,
364 Empfehlungen der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in Deutschland zum Verhältnis der Gebetswochen der Allianz und Ökumene. (Entwurf). Maschinenschriftl., 4. S., hier 4 (LkAH, Best. L 3 III Nr. 1266). 365 Bereits ab 1951 wurde in Hessen-Nassau die ökumenische Gebetswoche für die Einheit der Christenheit mit der Allianzgebetswoche zusammengelegt. Allerdings zeigte sich hier, dass dies auch im Hinblick einer Zusammenführung der Gestaltung schwierig war, da die Allianzgebetswoche eine eher freie Form hatte, die ökumenische eine eher kirchlich-liturgische (Brief der Evangelischen Allianz, Deutscher Zweig, gez. Walther Zilz, Pastor, an die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau z. Hd. von Kirchenpräsident Herrn D. [Martin] Niemöller, 5. 12. 1951. Maschinenschriftl., 1 S. [ZA EKHN, Best. 155, Nr. 511]). 366 Rundbrief der Evangeliacal Alliance, London, gez. Gilbert Kirby – General Secretary – [betr.] Universal Week of Prayer 1960, Juli 1959. Maschinenschriftl., 2 S., hier 1 (LkAH, Best. L 3 III Nr. 1266). 367 Bemerkenswerterweise fand dieser Vorschlag in dem Hannoverschen Landesbischof Hanns Lilje einen Unterstützer, der mit einer Verlegung einen „ausgezeichneten Ausweg“ sah, um „Überschneidungen“ zu vermeiden (Briefkonzept des Landesbischofs, gez. [Hanns] L[ilje] an die OKR Dr. Hübner, Dr. Krüger und Dr. Harms vom 15. 6. 1959. Maschinenschriftl., 1 S. [LkAH, Best. L 3 III Nr. 1266]). Sowohl Hans Heinrich Harms von der Kommission „Faith and Order“ des ÖRK und spätere Bischof der Oldenburgischen Landeskirche als auch Dr. Günter Wieske in Vertretung von Hanfried Krüger von der ACK und Hübner im Auftrag des Ökumenischen Ausschusses der VELKD rieten Lilje von einer Unterstützung dieser Terminverschiebung ab, da sich die Gebetswoche inzwischen gut etabliert habe und von den Gemeinden angenommen sei (diverse Briefe von Juli und September 1959 in Akte LkAH, Best. L 3 III Nr. 1266).
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dass sich hier die Tendenz seitens der Kirchenleitungen zeigt, die Allianzarbeit in die eigenen Aktivitäten einzubinden. Dieser integrierende Umgang mit Gruppen spezifischer Frömmigkeitshaltung sollte später im Zusammenhang mit der evangelikalen Bewegung immer wieder die kirchlichen Handlungsoptionen bestimmen. Verstärkt wurde dieses Zusammengehen unter anderem seitens der Allianzkreise, die an finanziellen landeskirchlichen Unterstützungen interessiert waren. So ist z. B. im Protokoll der Nachbesprechung der Soester Allianzwoche im Januar 1965 vermerkt, es werde ins Auge gefasst, „an die Gemeinden und den Gesamtverband der Evangelischen Kirchengemeinden heranzutreten mit der Bitte um einen angemessenen Beitrag für die Durchführung der örtlichen Allianz-Arbeit“, um auf jeden Fall zu vermeiden, dass im folgenden Jahr die Unkosten aus den Kollekten bestritten werden müssten.368 Was sich hier im Kleinen andeutet, sollte auch in den nächsten Jahren im größeren Rahmen immer wieder eine Rolle spielen: die landeskirchlichen finanziellen Zuwendungen für die Tätigkeit der Allianz bzw. später der evangelikalen Gruppen. Die ökonomische Vernetzung von Landeskirchen und Landeskirchenkritikern wurde öffentlich nicht thematisiert und stellt bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt ein historiographisches Forschungsdefizit dar, das das Verhältnis von evangelischer Kirche und Evangelikalismus zentral betrifft, in der vorliegenden Arbeit allerdings auf Grund des Umfangs dieses Themas nicht bearbeitet wird. Allerdings deutet diese Problematik auf eine mögliche Grundkonstante des Verhältnisses von evangelikaler Bewegung und Landeskirchen hin, denn Teile der DEA wurden durch finanzielle Unterstützungen enger an die Landeskirchen gebunden und dadurch die Entwicklung der späteren evangelikalen Bewegung zu einem Phänomen innerhalb der evangelischen Landeskirchen und der EKD und nicht zu einer freikirchlichen Bewegung gefördert. Während sich in den 1950er Jahren die Allianzgebetswoche und die ökumenische Gebetswoche als gemeinsames Unternehmen durchsetzte, und die Allianz auch in dieser Hinsicht kein von der Ökumene uneingeschränktes Wirkungsfeld aufbauen konnte – selbst wenn zu konstatieren war, dass diese Gebetswoche an der Gemeindebasis eher als eine Allianzinitiative wahrgenommen wurde – begann Ende der 1950er Jahre für die DEA eine Zeit der Umorientierung. Relativ neue Töne klingen in der kleinen Schrift „Stehen wir in der Allianz noch in vorderster Linie?“ zum Jahreswechsel 1958/59 an. Darin
368 Nachbesprechung der Gebetswoche der Evangelischen Allianz in Soest 1965. Protokoll der Sitzung [der Evangelischen Allianz Soest] vom 28. 1. 1965, 17.38 Uhr bis 19 Uhr, gez. Ruhtenberg, gez. Dr. Delfs. Maschinenschriftl., 3 Bl., hier 3 (EZA 162/228).
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ist selbstkritisch die Rede davon, man habe bei allem Reden und Argumentieren „die Direktheit der Verkündigung“ vergessen und müsse zurückfinden zur „Verkündigung und Seelsorge durch die Zone der Gesprächsführung“, die „keilförmig auf das Gewissen der Menschen“ zu zielen habe. Das seelsorgerliche Ziel, durch Gottes Gnade, müsse „die Bekehrung des Menschen, seine Bewährung im neuen Leben und der Aufbau von mündiger, heimatlicher und missionsbereiter Gemeinde“ sein, „erweckliche Verkündigung und erweckliches Lied mit der klaren Aussage über Himmel und Hölle, über Gerettetwerden und Verlorengehen“369 seien vonnöten. Es werden zwei Zitate angeführt, einmal von Theodor Christlieb, dem Initiator der Gnadauer Pfingstkonferenz von 1888: „Christum liebhaben ist viel besser als alles Wissen“, und von Bernhard von Clairvaux: „Glühen ist wichtiger als Wissen“.370 „Wir müssen“, so der Aufruf, „der Politisierung in der christlichen Gemeinde wehren. Das gefährliche Wort von der politischen Predigt hat an vielen Orten dazu geführt, daß die Botschaft Christi mit politischen Stellungnahmen vermischt wurde. Wir haben unverrückt beim Thema 1 der Kirche Christi zu bleiben.“ Das allerdings schließe „die politische Verantwortung der Christen nicht aus.“ Weiterhin werde durch „Überbetonung des Konfessionalismus [. . .] kein müde gewordenes Gemeindeleben“ überwunden.371 Außerdem müsse die Allianz „klar Front machen gegen alle unbiblischen Schwarmbewegungen, durch die leitende Menschen ungöttlich verehrt werden und die Rangordnung der biblischen Gnadengaben verkehrt wird.“372 In dieser kleinen Schrift wird eine Annäherung an Positionen der Gemeinschafts- und Evangelisationsbewegung sowie eine Vorwegnahme von Anliegen, die ein Jahrzehnt später als evangelikal galten, deutlich, letztlich aber auch ein Abrücken von der ökumenischen Bewegung: Die Betonung von keilförmiger „Verkündigung“ und „Seelsorge“, die Polarisierung von Glauben und Wissen, die Abkehr von politischem – und damit von sozialem – Engagement sowie die Frontstellung gegenüber der Pfingstbewegung entsprechen nicht den genuinen Anliegen der EA. Die pessimistische Selbstwahrnehmung, die aus den Überlegungen der DEA zur Jahreswende 1958/59 spricht, sollte sich schon bald ändern, und zwar durch die zunehmende Unterstützung der Evangelisationsbewegung, zuerst
369
Deutsche Evangelische Allianz: Stehen wir in der Allianz noch in vorderster Linie? Jahreswende 1958/59. Drucksache, unpagn., 4 Bl., hier 1 (EZA 162/228). 370 Bei Clairvaux hieß es in der Tradition der mittelalterlichen Mystik: „Glühen ist mehr als Wissen“ (vgl. VORLÄNDER, Geschichte, 327). 371 Deutsche Evangelische Allianz: Stehen wir in der Allianz noch in vorderster Linie? Jahreswende 1958/59. Drucksache, unpagn., 4 Bl., hier 2 (EZA 162/228). 372 EBD., 3.
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durch die Protektion und Integration der Evangelisten-Konferenz und seit 1960 durch die direkte Unterstützung Billy Grahams.373 Die DEA konnte hier erneut ihren Fokus auf ein ihr genuin verbundenes Arbeitsfeld, die Evangelisation, legen und nicht zuletzt ihr Selbstbewusstsein stärken. In seinem „Bericht zur Lage über das Jahr 1961“ äußerte sich der Präses des Gnadauer Verbandes, Hermann Haarbeck, im Februar 1962 über das erhöhte „Sendungsbewusstsein“ und die verstärkte „Aktivität“ der DEA, aus dem „losen Zusammenschluß gläubiger Geschwister aus Kirche und Freikirche“ werde „mehr und mehr eine fester zusammengeschlossene Dienst- und Zeugnisgemeinschaft mit zielbewusstem Einsatz“. Wenn jetzt die Geschichte der DEA geschrieben werde, so erhielten „die vergangenen beiden Jahre gewiß einen besonderen Platz in dieser Geschichte“374. Vernetzt mit dieser Stärkung des Selbstbildes durch neue Evangelisationsaufgaben, die dem Bereich des US-amerikanischen Evangelikalismus entstammten, war die zunehmende Dynamik in dem Verhältnis von Allianz und ökumenischer Bewegung. Im Mai 1963 kamen in Pesinge bei Genf Vertreter des Sekretariats des ÖRK und des Präsidiums der Europäischen Allianz zusammen und diskutierten über Fragen von Einheit der Christenheit, Bekehrung, Bibelkritik und gegenseitiger Wahrnehmung. Die Allianz stellte zu diesen Punkten fest, dass sie 1. in der Einheitsfrage in Auslegung von Joh. 17 eine andere Richtung als die Ökumene einschlage und die „Einigkeit im Geist“ (Eph. 4,3) und die Bruderschaft im Glauben als Voraussetzung einer organisatorischen Vereinheitlichung sehe, 2. nicht ohne weiteres alle Getauften als Glieder der wahren Kirche ansehe, die von Jesus Christus selbst durch Wort und Geist geschützt und im rechten Glauben erhalten werde, sondern nur die „zu lebendigem Glauben Wiedergeborenen“, 3. an dem in der „Basis“ der Allianz ausgesprochenem Wort über die Inspiration der Heiligen Schrift durch den Heiligen Geist festhalte und sich jeder „zersetzenden Bibelkritik“ verweigere, ebenso wie die Ökumene der Bibelkritik
373 In Hamburg musste sich 1959 die örtliche Allianz gegenüber der städtischen Regierung gegen den Vorwurf wehren, eine Sekte zu sein. Um zu verdeutlichen, dass dies nicht der Fall und die Allianzarbeit von „übergeordnetem Interesse“ auch für die Stadt Hamburg selbst sei, wurde neben den unmittelbaren Verbindungen zur Landeskirche auch auf die 1960 stattfindende Evangelisation von Graham in Hamburg verwiesen (Briefdurchschlag des Vorstandes der Evangelischen Allianz an den Senat der Freien und Hansestadt Hamburg, Amt für Bezirksverwaltung, vom 5. 5. 1959. Maschinenschriftl., 2 S.; Briefdurchschlag des Vorstandes der Evangelischen Allianz an Herrn Dr. Herbert Samuel und Herrn Dr. Wilhelm Imhoff vom 26. 5. 1959. Maschinenschriftl., 1 S. [NEK-Archiv, 35. 01. 01 Nr. 6 c]). 374 HAARBECK, Gott, 43.
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nicht die Tür öffnen solle, 4. in ihren Reihen sowohl Befürworter als Gegner der Ökumene Platz einräume.375 Im Sommer 1963 monierte der Pastor der Freien evangelischen Gemeinde Wuppertal-Barmen August Jung im Allianzblatt, das „geschichtliche Überholtworden-Sein“ der Allianz durch die Ökumene habe die DEA „in doppelter Weise betroffen, so scheint es uns: einmal – nach rückwärts – ist sie in ihrer Resignierung jener Tage steckengeblieben, ohne die neuen Möglichkeiten einer ‚ökumenischen Zeit‘ zu achten; zum anderen – nach vorwärts – hat sie über ihrem allgemeinen ‚Nein‘ zur Ökumenischen Bewegung versäumt, sich ihrer Väter ‚Ja‘ zur sichtbaren Einheit der von Christus Geeinten wiederzugewinnen.“376 Jung fragte an: „‚Kein Ausruhen‘, sondern ‚Bewegung zur Einheit‘, das ist die eigentliche Aufgabe der Evangelischen Allianz. Wer lässt sich mitbewegen?“377 Ende der 1970er Jahre stand fest: die Evangelikalen ließen sich zur evangelikalen Einheitsbewegung mitbewegen und Laubachs Einladung an die evangelikale Bewegung, sich doch des Dachverbandes DEA zu bedienen, die schon immer „evangelikal“ gewesen sei, markierte den Beginn dieses Zusammenschlusses von evangelikaler Bewegung und DEA. 3.3.3 Der Gnadauer Gemeinschaftsverband und die ökumenische Bewegung Während der Druck, sich gegenüber der ökumenischen Bewegung zu positionieren, in den Reihen der DEA immer stärker wurde, verhielt sich die Leitung des Gnadauer Gemeinschaftsverbandes, der durch die ökumenische Bewegung in seinem Selbstverständnis und seinen Zielen nicht angefragt wurde, in Bezug auf den ÖRK zunächst positiv gestimmt bis neutral. 1951 kommentierte das „Gnadauer Gemeinschaftsblatt“ selbstbewusst das „Gespräch über Allianz und Ökumene“ auf der Stuttgarter Allianzkonferenz, man müsse „mit großem Schmerz feststellen, daß sich in den Kirchenleitungen und in der Theologenschaft ein neuer Konfessionalismus breitmacht, der die alten Gegensätze des 16. Jahrhunderts wieder lebendig werden lässt, obwohl das schlichte Gemeindeglied dafür keinerlei Verständnis mehr hat und die gemeinsame Frontstellung in der Zeit des Kirchenkampfes diesen Gegensatz längst als untergeordnet erscheinen ließ.“ In „besonderer Weise“ sei die Gemeinschaftsbewegung dazu berufen, diese Gegensätze „innerlich zu überwinden“, denn „ihr war die Einheit aller Gläubigen, die Jesus Christus als ihren einzigen Herrn anerkennen, von Anfang an ein besonderes Anliegen.“ Das sei v. a. 375 376 377
HAARBECK, Herrn, 31. JUNG, Aufgabe der Evangelischen Allianz, 168. EBD., 170.
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dadurch deutlich, dass die Gemeinschaftsbewegung „Trägerin des Allianzgedankens war, der nun auch durch die ökumenische Bewegung nicht überholt oder abgelöst ist, da es sich in dieser nur um eine organisatorische Zusammenfassung der kirchlichen Spitzen handelt.“378 In der ersten Hälfte der 1960er Jahre wurden vom Präses des Gnadauer Verbandes, Hermann Haarbeck wiederholt vier Aspekte hinsichtlich des Verhältnisses zur Ökumene angesprochen, die eher Anfragen, denn Mahnungen darstellten: 1. die Ökumene dürfe nicht als Überkirche angesehen werden, da das nicht ihrer Intention entspreche – dementsprechend dürfe die kirchliche Presse in ihrer Berichterstattung nicht das Bild der „Einheitskirche“ heraufbeschwören, 2. die Ökumene bedürfe einer klareren Bekenntnisgrundlage, wenn die ihr angeschlossenen Kirchen „miteinander Zeugnis ablegen und Mission treiben“ wollten, 3. daraus folgend sei es fraglich, inwieweit das Zusammengehen von Ökumene und Mission der Mission förderlich sei, die ja in allererster Linie durch „wahren Glauben“ getragen werde, 4. man werde weiter darauf achten müssen, dass die Ökumene nicht in einen Religionssynkretismus abdrifte, wenn sie nicht „nach den klaren Linien der Schrift auch klare Grenzen zieht zur Irrlehre und zum Unglauben hin“. „Aufs Ganze gesehen“ aber, so Haarbeck im Februar 1962, „nehmen wir Gemeinschaftsleute aus diesem ökumenischen Geschehen mit Dankbarkeit das an, was durch Gottes Wort und Geist Brüdern ganz anderer Führung, anderer Art und anderen Denkens gegeben wurde.“ Die Tatsache, dass „Jesus auch in der Ökumene am Werk ist, das macht uns froh und lässt uns hoffen.“379 Punktuell zeigte sich an der Basis des Gnadauer Verbandes, in diametraler Abkehr von den Verlautbarungen der Leitung, auch eine Aversion gegen die Ökumene. So gehörte z. B. für die Hahnsche Gemeinschaft, eine württembergische evangelische Gemeinschaft, die dem Gnadauer Verband angegliedert ist, zu den Zeichen und Wundern der falschen Propheten der Endzeit „Staat Israel, Ökumene und Massen-Evangelisation, Weltraumforschungen“.380
378
Zitiert nach ALLIANZ UND ÖKUMENE, 694. HAARBECK, Gott, 22f. Ganz ähnlich die Ausführungen in der 1962 von der Leitung des Gnadauer Verbandes veröffentlichten vierseitigen Drucksache „Ein helfendes Wort Gnadaus zur Frage nach der Ökumenischen Bewegung“ (Eicken, E[rich] von/ Haarbeck, H[ermann]: Einhelfendes Wort Gnadaus zur Frage nach der Ökumenischen Bewegung. Gedruckt, 4 S. [AEGGK, II: Verhältnis Gnadaus zur Evang. Kirche, Nr. 111: Kirchenkampf – Beurteilung]); vgl. auch COCHLOVIUS, Gemeinschaftsbewegung, 365. 380 [Informationsheft] M. Hahn’sche Gemeinschaft e. V., Nr. 52, vom 7. 9. 1964. Vertraulich. Drucksache, 32 S., hier 15 (LKAS A 126, Nr. 1177, 196). 379
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3.3.4 Die Auseinandersetzung um Allianz und Ökumene zwischen Erich Eichele und Gerhard Bergmann 1964 Im Oktober 1964 fand in der Evangelischen Akademie der hessen-nassauischen Kirche in Arnoldshain eine Tagung unter dem Thema „Ökumene und Allianz“ unter der Leitung von Hanfried Krüger statt, zu der als Hauptreferenten der württembergische Landesbischof Erich Eichele und der Evangelist Gerhard Bergmann geladen waren. Die Referate sowie ein abschließender Beitrag von Bergmann wurden 1965 auf Bergmanns Initiative hin unter dem Titel „Ökumene – wohin gehst du? Gespräch unter Brüdern“ veröffentlicht.381 In ihren Referaten stellten Eichele und Bergmann jeweils Fragen an die Gegenseite, die den aktuellen Stand der Debatten wiedergeben. Bergmanns Position382 markierte drei Schwerpunkte, aus denen sich seine Anfragen ableiteten. Unter dem Stichwort „Einheit“ handelte er den Kirchenbegriff der Allianz ab, der sich von dem Begriff des personalen Glaubens ableitete: Glaube kennzeichne Kirchenzugehörigkeit und damit auch die Einheit der Gläubigen. Seit der Konstantinischen Wende sei die Kirche zur „Jedermannskirche“ geworden, seit der Einführung des Christentums unter Theodosius zur „Zwangskirche“. Das Sakramentale habe über das Personale gesiegt und nicht der individuelle Glaube, sondern die (Kinder)Taufe entscheide über die Kirchenmitgliedschaft. Bergmanns erste Frage an die Ökumene lautete, ob dies auch so in der ökumenischen Bewegung gesehen werde und wenn ja, welche Konsequenzen daraus gezogen würden. Durch die ökumenischen Interessen der katholischen Kirche wachse die Sorge, der ÖRK könne sich zu einer „Weltkirche“ entwickeln, die durch die katholische sakramentale und institutionelle Überbetonung vom Katholizismus vereinnahmt würde. Die daraus folgenden Fragen waren, ob die Ökumene Rom widerstehen könne und überhaupt das Streben nach äußerer Einheit dem Willen Gottes entspräche, zumindest ohne die Glaubenseinheit, dafür aber mit einem juristisch-institutionellen Übergewicht. Sicher sei die äußere Einheit der Kirchen in den gegenwärtigen Problemen der Welt – der Bedrohung durch den Weltkommunismus und Heidentum – ein anzustrebendes Ziel, aber die Situation in den USA zeige, dass trotz aller äußerlichen „Mannigfaltigkeit“ und einem Mindestmaß an Organisation die „missionarische Stoßkraft nach innen und außen“ ungebrochen stark sei. Dies ziehe die Frage nach sich, ob die Ökumene sich nicht in einer Akzentverschiebung befinde. Fraglich sei weiterhin,
381 Im Folgenden wird aus der eigenständigen Publikation „Ökumene – wohin gehst du? Gespräch unter Brüdern“ zitiert. Eine Erstveröffentlichung erfuhr dieses „Gespräch“ in der „Ökumenischen Rundschau“. 382 BERGMANN, Fragen der Allianz, 7–45.
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wie sich die Ökumene von der apokalyptischen Prophezeiung in Offb. 17 abgrenze und nicht zur endzeitlichen säkularisierten „Weltkirche“, zur „Hure Babylons“ werde. Dass gegenwärtig das Stadium der Endzeit erreicht sei, sei Konsens in den Reihen der EA. Unter dem Schlagwort „Zeugnis“ behandelte Bergmann die „Glaubensgrundlage“ des ÖRK. Diese Glaubensgrundlage, 1948 in Amsterdam beschlossen und 1961 um den Passus „gemäß der Heiligen Schrift“ erweitert, umfassen den einen Satz „Der ökumenische Rat der Kirchen ist eine Gemeinschaft von Kirchen, die den Herrn Jesus Christus gemäß der Heiligen Schrift als Gott und Heiland bekennen und darum gemeinsam zu erfüllen trachten, wozu sie berufen sind, zur Ehre Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.“383 Für Bergmann, der für die EA sprach, war diese „Glaubensgrundlage“ zu knapp gehalten. Seine Anfrage ging dahin, ob sie ausreichend sei und nicht nur eine „Minimaltheologie“ darstelle und ob sie vor „lehrmäßige[m] Synkretismus“ schütze. Es werde weder die „Bedeutung des Erlösungstodes Christi und die rettende Kraft seines Blutopfers“ noch „die zentrale Bedeutung seiner leiblichen Auferstehung“ erwähnt, die zu einem „soliden Bekenntnisfundament“ gehörten. Da schon Rudolf Bultmann und Ernst Käsemann die „biblizistische“ Arbeitsweise des ÖRK kritisiert hätten – ein „unfreiwilliges Lob“ der Ökumene, so Bergmann –, wolle man sich an diesem Punkt nicht zusätzlich beschweren, aber die zu knappe Bekenntnisgrundlage rufe „ernste Besorgnis“ in der Allianz hervor, da eben eine Auslegung „gemäß der Heiligen Schrift“ zu unklar formuliert sei. Außerdem stelle sich die Frage, inwiefern diese Glaubensgrundlage überhaupt verpflichtend sei. Nach Bergmann bestand „ein ganz wesentlicher“ Unterschied zwischen Allianz und Ökumene allerdings in der Akzeptanz oder Nicht-Akzeptanz „neurationalistischer Theologie“ in den eigenen Reihen. Wie stehe, so Bergmann, „die Ökumene zu der Theologie, die sich selbst als kerygmatische oder als Existenz-Theologie bezeichnet?“ „Mit brennender Sorge“384 beobachte man in den Reihen der Allianz, dass diese Theologie in der ökumenischen Bewegung auf dem Vormarsch
383
Zitiert nach EBD., 25. 1961 hatte Bergmann bereits in der von ihm und Paul Deitenbeck verfassten Postwurfsendung „An alle evangelischen Pfarrer in der Bundesrepublik und Westberlin“ (LKAS A 126, Nr. 742, 104) den Terminus „Mit brennender Sorge“ als Eingangsstatement verwendet (vgl. dazu auch Kap. 4.3, S. 333, Fußnote 215). Das verdeutlicht, wie eng der Zusammenhang seiner Antiökumenehaltung und seiner aversiven Attitüde gegenüber „der Theologie“ in der Bultmannkontroverse der 1960er Jahre zu sehen ist, allzumal vor dem Hintergrund dieser doppelten Verwendung auszuschließen ist, dass Bergmann rein zufällig die sprachliche Wendung gebrauchte, die den Titel der 1937 von Pius XI. verfassten Enzyklika darstellte. Für Bergmann stand die (evangelische) Kirche seit spätestens Anfang der 1960er Jahre in einer analogen Situation wie die (katholische) Kirche im Nationalsozialismus. 384
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sei. Wann schließe die Ökumene neurationalistische Theologen aus ihren Reihen aus und würde sie das überhaupt tun? Im weiteren ausgehend von der Frage, wer in der Ökumene überhaupt als „Zeuge“ gelte, stellt Bergmann fest, dass Kirche niemals nur deshalb Kirche sei, weil sie sich so nenne und durchaus zur „Unkirche und Nichtkirche“ werden könne. Zeuge könne nur jemand sein, „wenn ihm Jesus Christus zu einer erfahrenen Wirklichkeit seines Herzens und Lebens geworden“ sei. Und deshalb die weiterführende Frage Bergmanns, ob in der Ökumene „das Problem der Gleichheit von Kirchen- und Christuszugehörigkeit durchlitten“ würde. Unter dem dritten und letzten Aspekt des „Dienstes“ erörtert Bergmann den Themenkomplex, dass sich in der Zeit nach der Urgemeinde mit der Überbetonung des Institutionellen und des Sakramentalen auch das Amtsverständnis verschoben habe und der Gedanke des allgemeinen Priestertums vernachlässigt wurde.385 Inwiefern nun wende sich die Ökumene gegen eine Klerikalisierung und damit gegen eine Entfremdung vom neutestamentlichen Dienstverständnis in ihrem eigenen Wirken? Besonders durch den Beitritt der orthodoxen Kirchen in den ÖRK sehe man die Gefahr eines noch stärkeren Ausbaus des Priesteramtes, auch wenn zu begrüßen sei, dass durch die „erlebnistiefe Frömmigkeit der Ostkirche“ der „neurationalistische Siegeslauf“ gebremst werde. In dem Zusammenhang stellten sich zwei Fragen nach dem Verhältnis der Ökumene zur katholischen Kirche: Inwieweit sei man seitens des ÖRK geneigt zu glauben, die katholische Kirche würde ihre Dogmen preisgeben bzw. wenn die Ökumene die katholischen dogmatischen Grundlegungen ernst nehme, mit welchem Ziel würden dann überhaupt noch Gespräche geführt, denn das katholische Prinzip sei doch letztlich „Rückkehr in den allein seligmachenden Schoß der römisch-katholischen Kirche“? Könnte man sich durch die zunehmende Steigerung des Amtsdenkens in der ökumenischen Bewegung nicht doch mit dem Papstprimat anfreunden? Ausgehend von der, so die Sicht der Allianz, „Ausklammerung der theologischen Wahrheitsfragen“ beim ÖRK, ist unklar, wie sich die praktische Missionstätigkeit konkret gestalten sollte, und es schloss sich bei Bergmann die „sorgenvolle Frage“ an, die eine sich immer stärker herauskristallisierende Konkurrenzsituation deutlich macht: Wenn sich die Ökumene „immer mehr zu einem organisatorischen Machtfaktor entwickelt, besteht dann nicht die große Gefahr auf den Missionsfeldern, nur solche Missionare und Missionsgesellschaften zuzulassen, die der Ökumene genehm sind?“ Deshalb auch die stete Anfrage seitens der EA, was inwieweit die Ökumene hindere, eine „totale Kirche“ zu werden und wie sie „der Spannung
385 Bergmann vertrat das relativ prototypisch pietistisch-erweckliche Geschichtsbild des „Abfalls“ nach den ungetrübten Zeiten der „Urgemeinde“.
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zwischen persönlicher Freizügigkeit und institutionellem Zentralismus nicht [. . .] unterliege[. . .]“. Auch die Erklärung auf der 3. Vollversammlung in Neu Delhi gegen den Proselytismus, d. h. das Verbot, Mitglieder einer Kirche für eine andere Kirche zu evangelisieren und zu missionieren, stieß bei der Allianz auf Bedenken. Bergmann fragte an, ob diese Erklärung mit dem neuen Testament vereinbar wäre und ob hinter ihr nicht eine falsche Auffassung von Christsein stünde, nämlich eine sakrale und nicht personale. Die Allianz jedenfalls sehe ausgehend von ihrer Auffassung von Kirche, dass deren Mitglieder nicht durch Taufe, sondern durch personalen Glauben rekrutiert würden, die Erklärung gegen den Proselytismus als falsch an: „Darum bleibt der Missions- und Zeugenbefehl Jesu, den es im Gehorsam ihm gegenüber zu erfüllen gilt – auch gegenüber den getauften Massen der Volkskirche.“ Diese Aussage berührt zentral das Thema des vorangegangenen Kapitels über Evangelisationen. Es waren in Deutschland eben nicht in erster Linie die so genannten „Kirchenfernen“, die für den Glauben interessiert und die missioniert werden sollten, sondern die Glieder der Volkskirche, die das eigene Arbeitsfeld und damit die eigene Existenzberechtigung darstellten. Auf dieses Problem wird im Zusammenhang mit der evangelikalen Bewegung einzugehen sein, die bei ihren Bemühungen, den wahren Glauben durchzusetzen, ebenfalls stets die Kirchenmitglieder, keineswegs die religiös-christlich nicht Vorgebildeten, im Blick hatte – auch wenn sie sich diesen Umstand meist nicht verdeutlichte. Hier liegt die Ursache für eine Vielzahl von Missverständnissen und problematischen Entwicklungen, mindestens aber die Genese einer Schulter-an-Schulter-Situation mit den Kirchenleitungen und den Ortspfarrern, die sich per se mit den Gemeindegliedern der Volkskirche beschäftigten und Verantwortung für sie trugen. In diesem Zusammenhang ist der bereits angesprochene Umstand von Bedeutung, der naheliegenderweise die Haltung der DEA zur evangelischen Kirche prägte und prägt: Die EA versammelte unter ihrem Dach zu einem Großteil freikirchliche Christen, die in der Evangelisationsarbeit eher Gegner denn Befürworter der Landeskirchen repräsentierten. In der Schrift von 1965 fragte Bergmann die Ökumene, ob sie vorhabe, „sich von diesen Fesseln des gegenseitigen Missions- und Evangelisationsverbotes“ wieder zu befreien und wie die Erklärung [gegen den Proselytismus] mit „dem Recht auf Religions- und Gewissensfreiheit des einzelnen“ zu vereinbaren sei. Hier lag ein Protest auf der Grundlage des Eindrucks vor, mit dem Anliegen, faire Bedingungen für eine offene Konkurrenz einzuführen, richte man sich gegen ein „Kartell“. Bergmann bemerkte weiter, dass auf dem Gebiet der griechisch-orthodoxen Kirche evangelische Christen diskriminiert würden, unter anderem mit dem Vorwurf, die Protestanten lehnten die Dreieinigkeit Gottes und die Gottessohnschaft Christi ab, ein Indiz für die verheerenden Auswirkun-
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gen der „neurationalistischen Theologie“, die eben dies proklamiere. In einer seltsam anmutenden Wendung schloss Bergmann seine Ausführungen mit der Darstellung der Situation der DEA in den einzelnen Gemeinden, die nicht den Anlass gebe, froh gestimmt zu sein, da den Allianzvertretern „von zwei Seiten häufig Schwierigkeiten gemacht“ würden: „von Vertretern der Bultmannschen Theologie und von Vertretern eines übertriebenen Konfessionalismus. Es sollte“, so Bergmann weiter, zwar heute nicht mehr vorkommen, „daß mir ein evangelischer Pfarrer wegen eines Predigtdienstes bei unseren baptistischen Geschwistern in deren Gottesdienst Vorhaltungen macht und den Baptismus wegen seiner Glaubenstaufe als ‚Irrlehre‘ bezeichnet. Es sollte dies um so weniger vorkommen, als man im vorliegenden Fall trotzdem glaubte, guter Vertreter der Ökumene zu sein.“ Trotzdem aber scheine die Ökumene vom geistigen und praktischen Leben der Gemeinden so „weit fort zu sein, wie der Kaiser von Japan, mit dem ich deshalb auch gut Freund sein kann. Die praktische Bewährung vor Ort sieht dann leider ganz anders aus.“ Deshalb sei die Ökumene zu fragen, wie sie solcher Geisteshaltung konkret entgegen wirke und welche Sicherungen sie einbaue, um anderen gegenüber nicht „zur Diktatorin“ zu werden. Die daran anschließenden beiden letzten Fragen Bergmanns benannten schließlich präzise die zentrale Sorge der DEA: „Welches Ziel verfolgt eigentlich die Ökumene des deutschsprachigen Kulturraumes in bezug auf die Evangelische Allianz, die ja besonders den evangelischen Verkündigungsdienst unter Zusammenfassung aller evangelischen Kräfte in Landes- und Freikirchen bereits schon viele Jahrzehnte praktiziert? Sieht die Ökumene möglicherweise die Evangelische Allianz für überholt an, so daß sie gut täte, im großen Sammelbecken der Ökumene einzumünden?“
Wie im weiteren Verlauf der Darstellung deutlich werden wird, sind die von Bergmann im Namen der DEA angeführten inhaltlichen Monita gegen die Ökumene 1964/65 nur zu einem geringen Teil diejenigen, die in der evangelikalen Debatte nach der Vollversammlung des ÖRK 1968 in Uppsala, in der massiven Diskussion des ÖRK 1970 – hier ging es um die Ankündigung, mit einem „Antirassismusprogramm“ Befreiungsbewegungen unterstützen zu wollen – sowie in den Debatten auf der Weltmissionskonferenz 1972/73 in Bangkok um die sozialpolitischen Implikationen eine Rolle spielten. Umso deutlicher sticht hier die Angst vor einer Machtkumulation des ÖRK und einer sich verschärfenden Konkurrenz auf dem Gebiet der Mission ins Auge. Außerdem ist in der Diskussion um die ökumenische Bewegung 1964/65 bereits der starke Einfluss der Debatte um Bultmann und die „moderne Theologie“ auf die Argumentationen der EA für und wider die ökumenische Bewegung auffällig. Die Bultmanndebatte wird in den Kap. 4.1 bis 4.3 ausführlich dargestellt werden –
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an dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass Bergmanns Büchlein „Alarm um die Bibel“, eine der öffentlichkeitswirksamsten Abrechnungen mit der „modernen Theologie“, zwei Jahre vor seinem Gespräch mit Eichele in Arnoldshain, veröffentlicht wurde. 1964 überschnitten sich demnach bereits die Problemkreise der evangelikalen Trägergruppen mit der Kirche: Evangelisation, ökumenische Bewegung und „moderne Theologie“. Die Verdichtung dieser Problemfelder rief eine Dynamik hervor, aus der sich der Protest der Evangelikalen seit 1966 unmittelbar speiste. Das Referat des württembergischen Landesbischofs386 1964 in Arnoldshain begann mit einem kurzen geschichtlichen Abriss zur ökumenischen Bewegung, der in der wiederholten Betonung des „Ökumene fängt zu Hause an!“ mündete, d. h. der Vorstellung, die Ökumene könne nur ihre Kraft entfalten, wenn sie im Bewusstsein des Einzelnen und der Gemeinde vor Ort verwurzelt sei – eben das „heiße Eisen“ für die Allianz. Nach der Aufzählung der bereits erwähnten und in der Zeit gängigen Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Allianz und Ökumene kam Eichele zu seinen Fragen an die Allianz. Er fragte nach der Bereitschaft der Allianz, das Wirken der Ökumene generell zu bejahen – und zwar als ein biblisch begründetes, was zugleich eine Würdigung der geistlichen Triebkraft der Ökumene bedeuten würde –, nach dem Verständnis der Allianz für die Tatsache, dass die Ökumene eine breitere Basis, d. h. ein weiter aufgefächertes geistliches Spektrum als die Allianz benötige und er fragte nach der Kenntnis der Allianz davon, dass der Ökumene weder die Lasten der ihr angeschlossenen Kirchen noch das Ringen in diesen Kirchen um das richtige Bibelverständnis angerechnet werden dürfe. In dem Zusammenhang merkte Eichele an, dass die Allianz wiederholt darauf hingewiesen habe, „daß die christliche Wahrheit nicht bloß im Bereich eines intellektuellen Wissens zu suchen ist“ und gerade aus diesem Grund „ja auch das Einssein der Nachfolger Jesu Christi auf Erden nicht auf dem Weg einer einheitlichen Lehrmeinung“ gesucht habe. In dem theologischen Ringen der Gegenwart habe die Allianz aber „für sich selber eine feste Position bezogen.“ Dieses Recht stehe ihr selbstverständlich zu und werde ihr „allerletzt von der Ökumene streitig gemacht. Wenn sie aber so in den Kirchen, denen ihre Glieder angehören, ihr Zeugnis laut werden lässt, dann wird sie eben als Allianz sorgfältig darauf zu achten haben, daß dies nie im Ton einer ungeistlichen Polemik geschieht, die in unbrüderlicher Weise verunglimpft und herabsetzt [. . .].“ Weiterhin fragte Eichele die Allianz, ob sie erkenne, wie sehr die Ökumene durch die in ihr praktizierte Zusammenführung
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EICHELE, Fragen der Ökumene, 46–64.
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der Kirchen einen Beitrag zur Frage leisten könne, was Christusnachfolge bedeute und ob sie Verständnis dafür habe, dass die Ökumene auch offene Gespräche mit Rom als ihre Pflicht ansehe. Die siebente Frage Eicheles bezog sich auf das Verständnis der Allianz für den Tatbestand, dass die Ökumene es den ihr angeschlossenen Kirchen überlasse, sich eine freie Meinung darüber zu bilden, welchen Grad an Einheit in der Ökumene zwischen den Kirchen erreicht werden könne. In Bezug auf die einzelnen, dem ÖRK angeschlossenen Kirchen fragte der württembergische Landesbischof die Allianz, ob in ihren Reihen Klarheit darüber herrsche, dass die Ökumene ihren Weg zur Einigkeit nur dann für möglich halte, wenn eine innere Erneuerung der Kirchen durch Buße und Glauben stattfinde. Und schließlich, so Eichele weiter, stünden die Fragen im Raum, ob die Allianz zur Mitarbeit im ökumenischen Bemühen der Kirchen bereit sei und ob sie damit einverstanden sei, ihre Mithilfe der ökumenischen Bewegung vor Ort zukommen zu lassen. An dieser Stelle zitierte Eichele aus der „Evangelischen Charta“ des englischen Zweiges der Weltallianz von 1947, die EA plane im zweiten Jahrhundert ihres Bestehens „unter Gottes Führung eine große Vorwärtsbewegung“ und suche „mehr und mehr zu einem Mittelpunkt für die Wiedervereinigung aller evangelischen Kirchen und evangelischen Gesellschaften zu werden.“ Eichele fügte an dieses Zitat seine Schlusssätze an: „Könnte die Allianz das heute tun ohne oder gar gegen die Ökumene? Oder muß nicht zu den ersten Schritten der großen Vorwärtsbewegung, von der hier die Rede ist, dies gehören, daß die Allianz auf Gemeinde-Ebene in brüderlicher Zusammenarbeit mit der Ökumene in einem gleichzeitig von unten und von oben einwirkenden vereinten Bemühen nach Sichtbarmachung der Einheit in Christus den ökumenischen Gedanken so in den Boden der Gemeinden einsäen hilft, daß daraus gesegnete Frucht wachsen darf für die Ökumene am Ort wie für die Ökumene in der weiten Welt.“
In kurzer Zusammenfassung bedeutet dies: 1946 ging die EA davon aus, dass sie „der Mittelpunkt für die Wiedervereinigung aller evangelischen Kirchen“ werde, 1964 konnten die Vertreter der ökumenischen Bewegung in voller Überzeugung verkünden, eine solche Zielsetzung sei ohne oder gar gegen die Ökumene letztlich nicht denkbar und jedes Vorwärtsgehen der Allianz sei eine Hilfestellung für – die ökumenische Bewegung. Bergmanns Antworten auf Eicheles Fragen, die seine bereits beschriebene Haltung noch einmal verdeutlichten, fielen für die erste Hälfte des Fragenkataloges bejahend aus und wurden zum Ende hin immer bedenklicher. In Antwort auf die Frage Eicheles, ob die Allianz zur ökumenischen Mitarbeit vor Ort bereit sei, antwortete Bergmann mit der Gegenfrage, ob die Ökumene zur Mitarbeit an den örtlichen Allianzaktivitäten zur Verfügung stehe. Eine Zusam-
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Die Vorgeschichte: Evangelikale Trägergruppen und die Landeskirchen
menarbeit sei, so Bergmann weiter, nur bei den Gebetswochen möglich, bei Evangelisationen „mit klarem Ruf zur Entscheidung und zur Jüngerschaft“ und bei Aussprachekreisen. Die Allianz wurde zu diesem Zeitpunkt von ökumenischer Seite bereits als eine „zu ökumenisierende“ Organisation angesehen, keine, die selbst Ökumene betrieb. Das spiegelte sich in dem Votum Hanfried Krügers von der ACK wider, das bereits in der Einleitung zur Sprache kam und in dem erstmalig von „Evangelikalen“ die Rede ist. Der epd zitierte Krüger im Februar 1965 dahingehend, dass „stärkere ökumenische Bemühungen um die sogenannten ‚evangelikalen Kreise‘ wie Evangelische Allianz, Freikirchen und landeskirchliche Gemeinschaften“ vonnöten seien. In einem vom Hessischen Rundfunk verbreiteten Vortrag hatte Krüger davor gewarnt, die Gespräche mit diesen Christen gegenüber dem Dialog mit Rom zu vernachlässigen. Nachdrücklich verwies er auf die Empfehlung der Konferenz des Zentralkomitees des ÖRK, die im Januar 1965 in Enugu in Nigeria getagt hatte, dass die Mitgliedskirchen des ÖRK „zur gegenseitigen Berichtigung und Stärkung“ den Beitrag der „konservativen Evangelikalen“ brauchen würden, eben jene Gruppen, in denen sich „eine wachsende Zurückhaltung gegenüber dem Ökumenischen Rat der Kirchen bemerkbar“ mache, da man befürchte, „daß durch die enger gewordenen Kontakte mit Rom und den orthodoxen Kirchen die Heilige Schrift gegenüber dem hierarchischen Amt in den Hintergrund gedrängt werden könnte.“387 Der weitere Ereignisverlauf aber sollte zeigen – und er zeichnete sich 1965 schon ab –, dass die EA durchaus eine ökumenische Organisation und mehr als eine „Beiträgerin“ zur „Berichtigung und Stärkung“ der Mitgliedskirchen war, nur, da von diesem Platz verdrängt, anders als ursprünglich angelegt: Die Allianz wurde zur evangelikalen „Ökumene“ oder zum „Sammelbecken“ der Evangelikalen.
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MEHR DIALOG.
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4. Die Vorgeschichte des evangelikalen Konfliktes 1945 bis 1966: Die Bultmannkontroverse und ihre Auswirkungen
Wo die „Aufklärung“ entmythologisiert, ohne den Kern von mythischen Anschauungen in ihrem Sinn begriffen zu haben, dämmt sie den Fundamentalismus nicht ein, sondern im Gegenteil: sie stärkt ihn, konstatiert Martin Odermatt in seiner „psychologischen Reflexion“ über den Fundamentalismus.1 Historisch betrachtet, ist die Abwandlung dieser Bemerkung ebenso relevant: Wo die Aufklärung entmythologisiert, ohne – aus welchen Gründen auch immer – in ihrem Vorgehen verstanden zu werden, dämmt sie den Fundamentalismus, die Sehnsucht nach verbindlichen Fundamenten nicht ein, sondern verstärkt ihn. Das Nichtverstehen der Forderung des Theologen Rudolf Bultmann, das Neue Testament zu entmythologisieren, indem die neutestamentlichen Aussagen auf menschliche Existenziale zurückgeführt werden, war die hauptsächliche Grundlage der Kritik und der massiven Aversion gegen seine Theologie, die unter anderem den evangelikalen Protest 1966 auslöste. Dabei verwendete Bultmann den Terminus „Entmythologisierung“ in einem anderen Sinne als er gebräuchlich ist, z. B. in der oben genannten, von Odermatt genutzten Art: Bultmanns Ziel war es, mit der „Entmythologisierung“ eine Theologie zu schaffen, die die Verkündigung – die Evangelisation (!) Kirchenferner – erleichtern sollte, die den Spagat zwischen modernem Weltbild und den biblischen Aussagen meistern, die letztlich eine „Übersetzung“ leisten, die das unmittelbare Angesprochenwerden des Einzelnen von der Heiligen Schrift ermöglichen sollte. Dabei sollte der „Mythus“ nicht eliminiert, sondern seine grundsätzliche Bedeutung gefunden und beibehalten werden. Bultmann wurde von seinen Kritikern dahingehend verstanden, dass er die Theologie anthropologisiere, ganz und gar ins Reich des Menschlichen überführe und damit letztlich die Metaphysik im klassischen Sinne, eine letztliche Ontologie des Seins und des Transzendenten abschaffe.2 Der Ausgangspunkt Bultmanns, dass der moderne Mensch das mythologische Weltbild nicht mehr verstehe und angesichts dieses 1
ODERMATT, Fundamentalismus, 154. Dass es Martin Heidegger, auf dessen Philosophie Bultmann aufbaute, mit der Einführung der Kategorie der Existenzialien gerade um eine neue Ontologie, d. h. eine Annäherung an die im 19. Jahrhundert und Anfang des 20. Jahrhunderts in der Philosophie so verpönte Metaphysik ging – allerdings revidierte er später diesen Ansatz selbst als zu anthropozentrisch –, war in ihrer Neu2
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Die Vorgeschichte: Die Bultmannkontroverse und ihre Auswirkungen
Nicht-Verstehens eine andere Sprache gefunden werden müsse, die dennoch die zentralen Aussagen der biblischen Botschaft aufnehmen und ausdrücken sollte, erschien den Antagonisten als die pure Verfälschung des Evangeliums. Was von Bultmanns Entmythologisierung als existentialer Interpretation des Neuen Testaments von einem Teil der evangelischen Laien wahrgenommen wurde, war die Feststellung: Alles was Theologie ausmacht, ist das Zurechtbiegen der biblischen Botschaft auf die menschliche Verstehbarkeit. Wenn sich aber die Theologie nur noch innerweltlich verorten kann, dann löst sie sich selbst und damit jede auf sie bezogene Form des Glaubens auf. Im Vordergrund stand dabei die Frage nach dem historischen Jesus, den Bultmann für belanglos im Gegensatz zum Kerygma der Urgemeinde hielt, sowie die Frage, ob vor diesem Hintergrund die Wundergeschichten des Neuen Testaments, die Jungfrauengeburt, die leibliche Auferstehung Jesu als „Mythen“ – hier zeigt sich deutlich die Missverständlichkeit der Termini – abzutun seien. Letztlich zeigte sich in der Diskussion um Bultmanns theologisches Konzept die Problematik, wie man ein Vorverständnis des Bibellesers definieren könne – falls man das überhaupt müsse –, d. h. die Frage nach der Hermeneutik. Im Laufe der Bultmannkontroverse, die um 1947 bis 1953 in die erste Phase eintrat und dabei um 1950/51 einen Höhepunkt der Auseinandersetzungen und um 1961 bis 1963 eine zweite Kumulationsphase des Konfliktes erlebte, verschoben sich die Ansatzpunkte der Verurteilungen: Stand um 1950/51 Bultmann im Zentrum der Kritik, waren es um 1961 seine Schüler und davon ausgehend die gesamte „moderne Theologie“. In der Schule Bultmanns aber vollzog sich zwischen 1953 und 1961 – und darüber hinausgehend – eine Hinwendung zum historischen Jesus, die schließlich in der starken Betonung des Menschlichen bei Jesus, seiner ethischen und humanistischen Vorbildfunktion mündete. Diese theologischen Ansätze erfuhren ebenfalls eine scharfe Kritik seitens evangelikaler Trägergruppen, denn auch hier befürchtete man das völlige Aufgehen der Theologie in Anthropologie. Die kritischen Positionen gegenüber Bultmann und seinen Schülern sind, wie sich im Folgenden zeigen wird, in ihren Argumentationen nicht homogen. Sie spiegeln ein Spektrum von reinem Nicht-Verstehen bzw. grundsätzlichem Missverstehen des Bultmannschen Ansatzes wider bis hin zu einer Schwerpunktverschiebung innerhalb des Ansatzes. Wie die akademisch-theologische Diskussion um Bultmanns Entmythologisierungsthese zeigt, ist diese Interpretationsmethode des Neuen Testaments wiederum ausgesprochen verschieden
heit und Komplexität von Nicht-Philosophen und Nicht-Theologen kaum nachvollziehbar, allzumal philosophische Konzepte kaum Thema der allgemeinen Kommunikation und Existenz sind.
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interpretierbar, d. h. Schwerpunktverschiebungen in der Wahrnehmung dessen, was Bultmanns Anliegen war, markierten auch die Debatten der theologischen Fachkreise. Von daher war es weniger auffällig, dass es zu einer Interpretation des Bultmannschen Ansatzes seitens evangelikaler Trägergruppen kam, sondern es stellt sich vielmehr die Frage, in welche Richtung diese Interpretation ging, ob sie Bultmanns Anliegen zumindest noch zu einem Teil traf und schließlich, was sie abwehren sollte. Auf die letztgenannte Frage soll an dieser Stelle, noch vor der Darstellung der historischen Entwicklungen, in Form einer Überlegung zu mentalitäts- und frömmigkeitsgeschichtlichen Entwicklungen kurz eingegangen und damit in das Thema eingeleitet werden.
4.1 Der Kontext der Bultmannkontroverse Keine der an den Debatten um Bultmann beteiligten Gruppen hob derartig die Bedeutung der „historischen Tatsache“ für die Theologie und die vermeintliche Auflösung von Theologie in Anthropologie bei Bultmann und noch stärker bei Ernst Käsemann, Herbert Braun oder Ernst Fuchs hervor und kritisierte sie so massiv wie die Vertreter evangelikaler Trägergruppen. Die Frage nach der Historizität biblischer Personen und Aussagen ist ein zentrales Thema der Theologie, aber der Rückgriff auf die Argumentation, mit dem schlichten „GewesenSein“ Jesu stehe und falle der Glaube an den dreieinigen Gott, stellt sich relativ originär in der Diskussion dar. Markant ist darüber hinaus das nahezu vollkommene Fehlen einer Reflexion über die eigenen Denk- und Verstehensvoraussetzungen, d. h. das Ausblenden der hermeneutischen Frage bzw. des Problems des hermeneutischen Zirkels. Und weiterhin auffällig erscheint die stete Betonung, mit dem Wegfallen des „ganz anderen“ Gottes, dem Wegfallen einer Subjekt-Objekt-Trennung oder dem diametralen Gegenüber von Welt und Transzendenz löse sich Theologie in Anthropologie auf. Auf theologiegeschichtlicher Ebene sind hier kaum Anhaltspunkte für eine schon früher einsetzende und durchgängige Entwicklungslinie gegeben – im Gegenteil: Theologiegeschichtlich zeigt sich mit der Argumentation der evangelikalen Trägergruppen seit 1950 ein evidenter Bruch zu der pietististisch-erwecklichen Tradition einer Ausrichtung auf die individuelle Frömmigkeit, die Hochschätzung des eigenen Angesprochen-Seins durch Gott, die Bekehrung als heilsbringendes und biographisch individuell verortbares Ereignis. Gerade Bultmanns Intention, einen theologischen Ansatz zu schaffen, der Verkündigung fruchtbar macht und das unmittelbare Erfasst-Werden durch Gott neu formuliert, bot zumindest prinzipiell einen Ansatzpunkt für jede Form der theologischen Definition individueller Gottesbeziehung. Diese der Bultmannschen Theologie inhärente Nähe zur
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Die Vorgeschichte: Die Bultmannkontroverse und ihre Auswirkungen
pietistischen Frömmigkeit wurde allerdings von den Vertretern der Gemeinschaftsbewegung so gut wie nicht gesehen. Es stellte eine Wende in der Geschichte des – in diesem Falle zeitlich sehr weit gefassten – deutschen Pietismus dar, als in den 1950er und 1960er Jahren gegen Bultmann Argumente ins Feld geführt wurden, die der aufklärerischen Strömung des Rationalismus viel näher standen als den Kernaussagen des Pietismus des 18. Jahrhunderts – und zwar aus dem Munde der der Gemeinschaftsbewegung angehörenden bzw. ihr nahe stehenden Diskussionsteilnehmer. Das Insistieren auf die Geschichtlichkeit, des „historischen Gewesen-Seins“ der biblischen Berichte samt ihrer Protagonisten als Basis und Garant für den Glauben, der Rückzug auf die „Tatsachen“ und letztlich auch das neu aufflammende Interesse innerhalb einiger evangelikalen Trägergruppen an der Verbalinspirationslehre, weisen in ihrem theologiegeschichtlichen Bezug letztlich auf Gruppen und Strömungen, die ehemals vom Pietismus scharf kritisiert wurden: lutherische Orthodoxie, Teile der Aufklärung, Rationalismus.3 Aber wie ist dieser Wandel der Argumentationsinhalte zu erklären? Die erste Antwort auf diese Frage ist phänomenologischer Natur: Der „Pietismus“ als Frömmigkeitstypus wies von Beginn an Elemente auf, die der altlutherischen Orthodoxie verwandt waren. In verschiedenen Phasen seiner Entwicklung traten diese stärker oder schwächer hervor. Eine in ihrer Komplexität bisher unterschätzte Verquickung von Pietismus, später der Erweckungsbewegung und der Aufklärung ist bereits punktuell in der Aufklärungs- und Pietismusforschung konstatiert worden.4 Eberhard Busch fragt in seiner Analyse der Pietismuskritik bei Karl Barth mit Christian Märklin, ob entgegen der Proklamationen pietistischer Vertreter nicht eher das Fehlen eines deutlichen Widerspruchs zur Orthodoxie „gerade das eigentliche Wesen des (sc. kirchlichen) Pietismus“ sei.5 Damit stellt das Anführen rationalistisch-theologischer Argumente seitens evangelikaler Trägergruppen nach 1945 und schließlich der evangelikalen Bewegung keinen grundlegenden Umschwung dar, son3
Diese These favorisierte u. a. in den späten 1920er Jahren Karl Barth, der sowohl in Aufklärung als auch Pietismus den Vorlauf von Schleiermachers Theologie verortete (BUSCH, Barth, 285–292). 4 Vgl. BRECHT, Spätpietismus; KIRN, Spätaufklärung, besonders 11–25; GÄBLER, „Erweckung“. 5 BUSCH, Barth, 125f.; MÄRKLIN, Darstellung, 28. Busch verweist auf Friedrich Wilhelm Kantzenbach, der ebenfalls den Befund erhebe, dass sich Elemente des Denkens der altlutherischen Orthodoxie in der Erweckungsbewegung des 19. Jahrhunderts verstärkten. Von einer Verknüpfung der Erweckungsbewegung im 19. Jahrhundert mit Neo-Orthodoxie, lutherischem Konfessionalismus und politischem Konservatismus geht Martin Greschat aus (GRESCHAT, Erweckungsbewegung). Bisher sind diese Gemengelagen noch zu wenig erforscht, um präzise theologie- und ideengeschichtliche Aussagen treffen zu können. 1922 vertrat Barth in der zweiten Auflage des Römerbriefkommentars die These der inneren Nähe von Pietismus und Aufklärung, die durch ihre Vernetzung den Liberalismus hervorgebracht hätten (BUSCH, Barth, 287f. u. ö.).
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dern lediglich eine Akzentverschiebung innerhalb des Phänomens „Pietismus“. Damit ergibt sich die Frage, wie diese Akzentverschiebung zu charakterisieren ist und welche Frömmigkeitsmentalität sie zum Ausdruck bringt. 4.1.1 Die Bedeutung von Geschichte als dem „Gewesenem“ für die Bultmannkritik Der „Fall Bultmann“ zeigt, dass im Hinblick auf die Bibel „historischen Wahrheiten“ ein wesentlich größeres Sicherheitspotential in der Wahrnehmung evangelikaler Trägergruppen zukam als den „existentialen Wahrheiten“. Das ist insofern bemerkenswert, als dass ursprünglich die sich im 19. Jahrhundert durch die liberale Theologie beförderte Hinwendung zum Historischen, der Historismus generell, in den Kreisen der Erweckungsbewegung kritisiert wurde. Der Abschluss dieser Historisierung – in Bezug auf die Person Jesus Christus durch Albert Schweitzers Resümee der Leben-Jesu-Forschung schon 1913 erfolgt – schien in den 1950er, 1960er Jahren nicht nur in der Gemeinschaftsbewegung, sondern generell an der Kirchenbasis in den Gemeinden sowie bei manchen Pfarrern nahezu ausgeblendet zu werden: Man berief sich gerade auf die Autorität von Geschichte und akkurater Geschichtsschreibung als „Beweis“ für Christi und damit für Gottes Existenz. Dieser Umstand bildete die Hintergrundfolie für den Umgang mit der Bibel als „Wort Gottes“, die nicht oder nur untergeordnet als „gute Nachricht“, als Sammlung von Glaubenszeugnissen der Autoren oder als Ausdruck des göttlichen Logos in persona verstanden wurde, sondern als das buchstäbliche „Wort“, das historische Gegebenheiten „so wie es gewesen“ abbildet. Damit wurde Geschichte zu einem „Gegenüber“ in einem unthematisierten Schema Subjekt-Objekt, das prinzipiell sehr an aufklärerisches, nicht zuletzt Kantsches Denken gemahnt. Die Komplexität der Vernetzung des Menschen mit der Geschichte und in der Geschichte und seine jeweilige subjektive Interpretation von Geschichte wurden dabei ebenso übersehen wie die sich aus solchem Denken elementar ergebende Problematik des Auseinanderfallens von Geschichte und Eschatologie oder diejenige des Auseinanderfallens von geschichtlichen und übergeschichtlichen Ereignissen in der Person Jesu Christi. Damit entstand eine Gegenüberstellung von „Ich“ und „Heilstatsache“, die in ihren Ursprüngen ebenso in rationalistischen Ausprägungen der Aufklärung wurzelt wie die neuzeitliche Vorstellung von „Tatsache“ aufklärerischen Ursprungs ist. Die Annahme eines „historischen Faktums“ in dem Denken evangelikaler Trägergruppen stellt inhaltlich in gewisser Weise eine Tautologie dar, die auf das „absolut Sichere“ verweist: Das, was in der Geschichte geschehen ist, ist in seinem Geschehen-Sein nicht nur eine Wahrheit, sondern unverrückbar feststehender Grund des eigenen Glaubens und der eigenen Exis-
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tenz. Es kann hier nicht erörtert werden, welche problematischen Implikationen hinsichtlich einer Definition von Glauben das nach sich zieht, sondern es soll lediglich als das Streben nach maximaler Sicherheit und absoluter Verlässlichkeit in Glaubensdingen konstatiert werden – die im Übrigen Teil jeder Fundamentalismusdefinition ist. Vor diesem Horizont ist dann nicht das im Sinne der Aufklärung Historische bibelkritisch, sondern der Bultmannsche Ansatz: Die Vorstellung vom Menschen als ganz und gar geschichtlichem Wesen in seiner Subjektivität und analog dazu Jesus Christus als Mensch ganz und gar geschichtlich in aller Transzendenz, gipfelnd in der „existentialen Interpretation“, wurde als „glaubenszerstörend“ empfunden. Einer der profiliertesten Kritiker Bultmanns in der Vorgeschichte der evangelikalen Bewegung, der Pfarrer und Vorsitzende der Pfarrer-Gebets-Bruderschaft, Otto Rodenberg, fasste die Problematik des Historischen auf der Versammlung der B KAE 1966 in Kassel laut einem epd-Bericht wie folgt zusammen: Das Evangelium sei die „Nachricht von einem Ereignis“, und aus diesem Grunde dürfe die Historizität der biblischen Berichte an keiner Stelle in Frage gestellt werden. Ohne die Anerkennung der historischen Ereignisse in der Heilsbotschaft sei jede Verkündigung „kraftlos“. „Zum Wesen des Glaubens“ gehöre unabdingbar das „Fürwahrhalten der überlieferten Berichte.“6 Wie aktuell diese Problematik des Vorverständnisses von Geschichte bei exegetischen Überlegungen in der evangelikalen Bewegung heute noch ist und wie wenig sich letztlich seit der Bultmannkontroverse geändert hat, zeigt sich in dem bereits erwähnten Aufsatz des Neutestamentlers Ingo Broer „Das Schriftverständnis bei christlichen Fundamentalisten“, der die 1999 stattgefundene Auseinandersetzung zwischen Andreas Lindemann und Armin Daniel Baum nachzeichnet und in dem deutlich wird, dass auf evangelikaler Seite nach wie vor den „historischen Fakten“ die Autorität zukommt, den Glauben zu bestimmen. Die implizierte a priori-Annahme einer absoluten historischen Wahrheit führt dazu, dass sich für die evangelikalen Bibelausleger mit dem Wegfallen der Historizität der Glaube (letztlich auch Gott) in Luft auflösen. Folgerichtig ergibt sich daraus, dass die a priori-Annahme nicht als „Annahme“, sondern als ein a priori-„Faktum“ behandelt wird und dementsprechend nicht hinterfragt wird bzw. nicht untersucht werden darf, da jedwedes Hinterfragen dieses Faktum unsicher werden lassen könnte. Hier ist ein Aspekt der evangelikalen Abneigung gegen hermeneutische Reflexionen des eigenen Vorverständnisses gegeben.
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KIRCHE HAT NUR.
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4.1.2 Die Bedeutung des „Faktischen“ für die Bultmannkritik Analog zur Bedeutung des „Historischen“ ist die Bedeutung des „Faktischen“, d. h. der „Tatsachen“ in dem Vorverständnis evangelikaler Trägergruppen, die sich um 1950 in die Bultmannkontroverse einzuschalten begannen, nicht hoch genug einzuschätzen. Immer wieder ist von den „Tatsachen“ die Rede, ohne dass darauf eingegangen wird, was eine „Tatsache“ bedeute. Allerdings ist schon lange vor den 1950er Jahren eine theologiegeschichtliche Aufspaltung in „Tatsachen“ und dem „Nicht-Faktischen“ in den Denkvorstellungen besonders von Nicht-Theologen zu beobachten. Ein Beispiel dafür liefert der Brief, den Karl Barth 1924 erhielt und an Bultmann weiterleitete und in dem der Absender Barths Römerbriefkommentar unter anderem mit den Worten lobte, er sehe Barths Theologie „als theozentrisch, antiidealistisch [. . .], als eine Theologie, die den Mut findet, die Dinge so zu sehen, wie sie sind, d. h. Theologie der Tatsachen ist!“7 Vor dem Hintergrund einer solchen Verwendung der Begriffe „Tatsache“ und „Faktum“ ist die Erörterung bemerkenswert, die in der Phase des evangelikalen Protestes 1966 von dem damaligen Pfarrer in Wieda im Harz und späteren Kirchenhistoriker in Kiel, Reinhart Staats, in einer Leserzuschrift des „Sonntagsblattes“ ausgeführt wurde. Staats kritisierte den unreflektierten Gebrauch des Wortes „Tatsache“ oder „faktisch“ in den Debatten der B KAE über die „moderne Theologie“. Er verwies darauf, dass das Wort „Tatsache“ im Zusammenhang mit der Bibel nicht gebraucht werden könne und dürfe, da es eine Kreation des 18. Jahrhunderts sei. Schon seinem Erfinder Johann Spalding sei es darum gegangen, die Bibel mit seiner zeitgenössischen Welt zu versöhnen, „die gerade erwacht war zu jener Welt der naturwissenschaftlichen und historischen Tatsachen, die auch heute noch unsere Welt ist.“ Die Frage sei nun, so Staats, ob wir „in der Bibel Tatsachen suchen [dürfen], wenn sie keine kennt?“8 Nun kann man natürlich in der Bibel „Tatsachen“ suchen und finden, selbst wenn das theologisch nicht legitim erscheint. Allerdings läuft dieses Unterfangen letztlich auf reinen Rationalismus hinaus. Hans-Martin Kirn, der den Rationalismus in eine Argumentations- und eine Denkform unterteilt, charakterisiert die Denkform des Rationalismus als „Intellektualismus oder auch Vernunftdogmatismus“, der „die Vernunft dergestalt zur überlegenen oder ausschließlichen Vergewisserungsinstanz in Wahrheitsfragen macht, daß er sie von Empfindung und Willen sondert und so das Unpersönlich-Allgemeine zu ihrem
7 Brief von O. Urbach an Karl Barth, wahrscheinlich Juli 1924 (JASPERT, Karl Barth – Rudolf Bultmann, 216–218). 8 DIE FROMME, FALSCHE FRAGE; vgl. auch STAATS, Hintergrund.
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eigentlichen Gegenstand wird.“9 Diese die Ver-Rationalisierung wurde von den Vertretern evangelikaler Trägergruppen in der Bultmannkontroverse nicht reflektiert. Allerdings kann dieser Umstand den Versuch nicht delegitimieren, den Mechanismen dieser Nicht-Reflexion nachzugehen. Der starke Rückgriff auf den Begriff „Faktum“ erhellt die evangelikale oder präevangelikale Mentalität an zwei zentralen Punkten: der Bedeutung des Verlässlichen, das hinter dem „Faktum“ steht und mit „Fakt“ evoziert wird, und der „faktischen“ Differenz zwischen Gott und Mensch, die auf der Annahme von „Fakten“ ruht, und die sich in einem Subjekt-Objekt-Verhältnis ausdrückt. Es müsse eine Trennung von Gott und Mensch geben, damit „das Heilige [. . .], [die] heilige Ordnung [. . .] als Letztwert behauptet und ihrem superioren Geltungsanspruch möglichst rein zum Durchbruch verholfen werden“ kann, konstatiert der Freiburger Soziologe Michael Ebertz in seiner Definition von Fundamentalismus.10 Dahinter steht die „anthropologisch erzwungene“ Überhöhung des Göttlichen, welches noch größer und allmächtiger werden muss, um von dem strikt getrennten Jenseits her (noch eine Spaltung mehr!) dem menschlichen Dasein die größtmögliche Stabilität und Sicherheit zu verleihen. Ausgangspunkt einer solchen theologischen Verschiebung ist nicht die Geringschätzung des Göttlichen, sondern die massive Unsicherheit gegenüber dem menschlichen Dasein bzw. im eigenen Dasein. Gerade die vermeintliche Anthropologisierung der Theologie bei Bultmann und in Folge besonders durch die Theologie, die Bultmanns Ansatz weiterentwickelte, stellte nahezu ein UrUnbehagen in den evangelikalen Trägergruppen dar: das Zurückgeworfen-Sein des Menschen auf sich selbst ohne ein „objektives“ Gegenüber, an dem allein sich die Unsicherheit menschlicher Existenz stabilisiert. Es kann hier nur die Vermutung geäußert werden, dass sich die Subjekt-Objekt-Spaltung im Prinzip durch alle evangelikalen Theologumena, wenn man sie so nennen will, und alle evangelikalen Lebensbereiche zieht, und sich z. B. in der schon mehrmals angesprochenen Abgrenzungshaltung der Gemeinschaftsbewegungskreise Ende des 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gegenüber „der Welt“ niederschlägt. Die starke Tendenz in der Bultmannkontroverse, das biblische „Wort Gottes“ gegenüber dem fleischgewordenen Wort in Jesus Christus zu überhöhen (ohne die theologischen Implikationen zu bedenken) oder den übermittelten Inhalt des „Wortes Gottes“ von dem durch das Wort vollzogene Offenbarungsgeschehen zu trennen, sind signifikante Symptome der grundsätzlichen Spaltungs- oder Polarisierungsversuche innerhalb des Denkens, das in den
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KIRN, Spätaufklärung, 18. EBERTZ, Relativierung, 13.
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1950er und 1960er Jahren die evangelikale Bewegung vorbereitete. Ebenso dient in dem Denkkonstrukt Subjekt-Objekt die historisch-kritische Methode als eine Stabilisatorin in der Argumentation. In Vermeidung der Analyse der eigenen Voraussetzungen beim Verstehen der Bibel geht man bis zu der Argumentation, die Schrift dürfe nicht nach dem Maß menschlichen Verstandes gelesen werden, nicht den menschlichen Vorstellungen „angepasst“ und nicht mit wissenschaftlichen Methoden untersucht werden. Damit ist stets die historisch-kritische Methode gemeint, während sich die historisch-grammatikalische oder historisch-biblische Methode der Heiligen Schrift in einem gebührenden und nicht spezifizierten Respekt nähere. Schrift und Auslegungsmethode verhalten sich in diesem Denkansatz wie Subjekt zu Objekt, allerdings, so die evangelikale Kritik, sei der Subjektcharakter der Schrift bei der historisch-kritischen Methode in einen Objektcharakter verkehrt. 4.1.3 Die fehlende Klärung der eigenen Denkvoraussetzungen in der Bultmannkritik Die eigenen Denk- und Vorstellungsvoraussetzung wurden von so gut wie keinem Vertreter evangelikaler Trägergruppen in der Bultmanndebatte reflektiert, nicht zuletzt, um der „Auflösung“ der „Fakten“ durch Nachdenken vorzubeugen. Dass dies nun einen Kreislauf im rein Anthropologischen par excellence darstellte, blieb dabei weitestgehend verborgen, ebenso wie evangelikale Gruppen bis heute ein sehr schwieriges Verhältnis zu dem Satz haben, den Broer der evangelikalen Bibelexegese ins Stammbuch schreiben möchte: „Fakten sprechen nicht aus sich selbst und nicht für sich selbst, sie sind auf Interpretationen angewiesen und sind vielen unterschiedlichen Interpretationen zugänglich.“11 Diese Problematik wurde schon in den 1950er Jahren von Theologen erkannt. So widmete sich Bultmann in einem 1957 erschienen Artikel der Frage „Ist voraussetzungslose Exegese möglich?“12, Hans-Werner Bartsch erörterte in seiner Schrift 1955 erschienenen Schrift „Der gegenwärtige Stand der Entmythologisierungsdebatte“13 in jeweils einem Kapitel das Problem „Des historischen Jesus“ und in einem weiteren „Das hermeneutische Problem“ innerhalb der Auseinandersetzung um Bultmanns Theologie. Nun ist das Nachdenken über das eigene Nachdenken einer der schwierigen Aufgaben in der Theologie und die evangelikale Bewegung weist seit ihrer Vorgeschichte eine starke Tendenz zur Vereinfachung theologischer Sachverhalte 11 12 13
BROER, Schriftverständnis, 412. BULTMANN, Exegese. BARTSCH, Stand.
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auf. Auf die historischen Ursachen dieses Simplifizierungsstrebens im 20. Jahrhundert wird noch einzugehen sein, allerdings muss ein generelles Unbehagen des Pietismus bereits seit seinen Anfängen, stärker noch in der Erweckungsbewegung des 19. Jahrhunderts sowie der Gemeinschaftsbewegung an der wissenschaftlichen Theologie konstatiert werden. Von einem „gestörte[n] Verhältnis“ des „moderne[n] Pietismus“ zur Theologie, speziell auf Grund von „Misstrauen und Minderwertigkeitsgefühle[n]“ sprach 1985 ein prominenter Vertreter evangelikaler Theologie, Klaus Bockmühl. Dieses „gestörte Verhältnis“ habe, so Bockmühl, sowohl dem Pietismus als auch der Theologie, darüber hinaus aber auch „der Kirche als ganzer sehr zum Schaden gereicht.“14 Bekannt war die „ausgesprochene Abneigung und Interesselosigkeit gegenüber theologischen Sachfragen“15 seit Anfang des 20. Jahrhunderts innerhalb der Gemeinschaftsbewegung allerdings schon vor Bockmühls Schrift, wie dieser in seinem kurzen historischen Abriss zur Geschichte dieser Antipoden darstellt,16 besonders aber Dieter Lange in seiner Geschichte der Gemeinschaftsbewegung im 19. Jahrhundert und Anfang des 20. Jahrhunderts anschaulich erläutert.17 Vor diesem Hintergrund gewinnt das Unbehagen an der Annahme einer theologischen Verhaftung in menschlichen Denkvoraussetzungen, die nun wiederum die Theologie in die Anthropologie hinein ziehen und damit destabilisieren würden, ein eigenes Gewicht. 4.1.4 Der kirchengeschichtliche Vorlauf und Hintergrund der Bultmannkontroverse Die Diskussion um das Entmythologisierungsprogramm Bultmanns begann mit dem Vortrag des Marburger Neutestamentlers auf der Gesamttagung der „Gesellschaft für Evangelische Theologie“ vom 4. bis 6. Juni 1941 in Alpirsbach, der unter dem Titel „Neues Testament und Mythologie. Theologie als Wissenschaft“ stand.18 Die Zeit des Nationalsozialismus spielt also eine eminente Rolle bei einer Kontextualisierung der Bultmanndebatte, und zwar nicht nur für deren frühe Phase. Es lassen sich historische Linien erkennen, die nahtlos vom Nationalsozialismus in die westdeutsche Nachkriegszeit führen. Die 14 BOCKMÜHL, Aktualität, 38. Dieser Aussage Bockmühls schließt sich an: BRECHT, Landeskirche, 11, 14f. 15 LANGE, Bewegung bricht sich Bahn, 151. 16 BOCKMÜHL, Aktualität des Pietismus, 38–40; auch OHLEMACHER, Reich Gottes, besonders 193–198. 17 LANGE, Bewegung bricht sich Bahn, 133–161. 18 Zur Geschichte der „Gesellschaft für Evangelische Theologie“ vgl. STROHM, Chronik, zu Bultmanns Vortrag 7f.
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Annahme einer „Stunde Null“, einer massiven Zäsur 1945, ist bei dieser Betrachtung eher hinderlich. Die Reaktion auf Bultmanns Entmythologisierungsprogramm nach 1945 verdeutlichen drei Aspekte, die unmittelbar aus der Situation von Theologie und Kirche im Nationalsozialismus hervorgingen: erstens ein teilweise vorherrschendes Unvermögen von Pfarrern, theologische Erkenntnisse adäquat in ihre Verkündigung aufzunehmen sowie eine abnehmende theologische Grundbildung bei christlichen Laien, zweitens die Polarisierung innerhalb der Kirche in „Bekennende Christen“ und „Deutsche Christen“ bzw. mit dem Nationalsozialismus kooperierende Christen und drittens das generelle Bedürfnis nach Sicherheit in der Kriegs- und Nachkriegszeit. Die Diskrepanz zwischen theologischen Erkenntnissen und Verkündigung auf Grund der gesunkenen theologischen Bildung von Pfarrern und Gemeindegliedern Als in den 1960er Jahren seitens kirchenleitender Stellen die ersten Überlegungen darüber angestellt wurden, warum die Bultmannsche Theologie wie die sprichwörtliche Bombe in die kirchliche Landschaft Nachkriegsdeutschlands einschlagen konnte und ganz in diesem Sinne martialisch bekämpft wurde, gingen die Gedanken vor allem in die selbstkritische Richtung, nämlich dass man übersehen habe, wie groß die Kluft von Theologie und Gemeindeleben, von Exegese und Verkündigung geworden war. Der Neutestamentler Hans Conzelmann merkte 1959 vorwurfsvoll in einem Aufsatz im anlässlich des 75. Geburtstages Rudolf Bultmanns herausgegebenen Beiheft der „Zeitschrift für Theologie und Kirche“ an, die Kirche lebe „faktisch davon, daß die Ergebnisse der wissenschaftlichen Leben-Jesu-Forschung in ihr nicht publik sind!“19 Ernst Fuchs, Nachfolger Bultmanns auf dem Marburger Lehrstuhl für Neues Testament und selbst betroffen von einem kirchlichen Eingriff in sein Berufungsverfahren – darauf wird noch einzugehen sein – konstatierte 1966 gar, der Protestantismus befinde sich nicht in einer schweren Glaubenskrise, sondern in einer „Intelligenzkrise“. Es sei „nicht gelungen, in dieser Zeit tiefgreifender geistiger Umwälzungen im Bereich des Denkens eine gemeinsame Grundlage zu schaffen. Hilfsbedürftig“, so Fuchs’, „seien die Wissenschaftler, nicht die Kirche.“20 In dem Informationsheft der EZW mit dem Titel „Streit in der Kirche“ von 1971 führte Reinhold Lindner auf mehreren Seiten aus, dass die Ursache der aktuellen Auseinandersetzung zwischen „Konservativen“ und „Progressiven“ in 19 20
CONZELMANN, Methode, 8. PROF. FUCHS.
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der Kirche in dem „Bruch zwischen Studium und kirchlicher Praxis“ liege und zog das Fazit, es sei verwunderlich, „dass man sich bisher die Unvermeidbarkeit des Konflikts zwischen der herrschenden Theologie und der Gemeindefrömmigkeit kaum klargemacht hat.“21 Dabei ging es in erster Linie gar nicht mehr um die Erkenntnisse Bultmanns, sondern um Ergebnisse der historisch-kritischen Methode bzw. der Theologie generell, die man allerdings, so Lindners resigniertes Resümee, den Gemeindegliedern nicht nahe bringen könne. Man gehe fehl in der Annahme, bessere Informationen über theologische Methoden und Forschungsresultate beseitigten das „erkenntnismäßig bedingte[. . .] Misstrauen“ der Gemeinden gegen die Theologie: „Wirksamer sind pseudowissenschaftliche Ergüsse, wie sie Illustrierte und andere Publikationsmittel mit großem Erfolg verkaufen.“22 Da die primären Verbindungsglieder zwischen Theologie und Gemeinde die Pfarrer und wenigen Pfarrstellenvertreterinnen waren, spielen sie in dieser Gemengelage zumindest teilweise eine retardierende Rolle: „Zahlreiche Pfarrer, seit ihrem Studium mit historisch-kritischen Fragestellungen längst vertraut, hatten sich mit Rücksicht auf ihren Ruf der Rechtgläubigkeit gehütet, ihren Gemeinden etwas davon zu vermitteln, und lieber schlicht biblizistisch gepredigt. So traf das Stichwort Entmythologisierung die Gemeinden wie ein Schock“23, diagnostizierte Karl Herbert, von 1965 bis 1973 stellvertretender Kirchenpräsident in der Evangelischen Kirche von Hessen-Nassau, die Situation der Nachkriegsjahre in seinem 1989 erschienen Rückblick. Allerdings war wohl für Herbert die Sorge der Pfarrer um den „Ruf der Rechtgläubigkeit“ ein nicht ausreichendes Argument, um die fehlende Integration von theologischen Erkenntnissen in die Verkündigung zu erklären, denn einen Abschnitt weiter fügt er die Überlegung an, „mit dem Neuaufbruch der Theologie in den 20er Jahren war der alte Gegensatz von positiv und liberal hingeschwunden, und als der Einbruch der Irrlehren der DC zum Bekenntnis der christlichen Wahrheit gegen Menschenkult und Rassenvergötterung nötigte, schienen für viele die Fragestellungen einer kritischen Theologie überhaupt als nebensächlich abgetan.“24 Dieser Befund nähert sich den grundsätzlichen Problemen der Situation von Pfarrern in der Zeit des Nationalsozialismus und der Nachkriegszeit. Hier ist als erstes ein eklatanter Pfarrermangel zu nennen. In der Zeit des Nationalsozialismus ging die Zahl der Theologiestudenten dramatisch zurück. 1942 wollten im 21 22 23 24
LINDNER, Streit, 5. EBD. HERBERT, Kirche, 220. EBD., 221.
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gesamten Deutschen Reich 78 Abiturienten Theologie studieren, von denen wiederum 43 die Berechtigung dafür erhielten.25 Den nationalsozialistisch unterwanderten oder mindestens kontrollierten Theologischen Fakultäten standen mehr oder weniger illegale kirchliche Ausbildungsstätten gegenüber, an denen zu studieren ein riskantes Unternehmen darstellte, was ebenfalls nicht dazu beitrug, die Anwärterzahlen in die Höhe schnellen zu lassen. Zu dieser Situation des marginalen theologischen Nachwuchses kam der Umstand hinzu, dass durch die Zahl der im Krieg gefallenen Pfarrer und Theologen eine ganze Fülle von Pfarrstellen vakant waren, aber auch Stellen in der theologischen Ausbildung unbesetzt oder durch Interimsstelleninhaber besetzt waren. In Baden beispielsweise ist 1944 davon die Rede, dass 55% der Geistlichen im Heeresdienst standen –26 ähnliche Zahlen dürften sich auch für die anderen Landeskirchen erheben lassen. Schon während der Kriegszeit hatten die Kirchenleitungen versucht, mit dem Einsatz von Diakonen, Missionaren und Vikarinnen in Pfarrämtern sowie Gemeindezusammenlegungen und Amtszeiten bis weit über die Pensionierung hinaus das Problem der fehlenden Pfarrer zu kompensieren.27 Diese Situation änderte sich auch nach dem Mai 1945 nicht. In den meisten Gebieten Deutschlands waren oder wurden nach Kriegsende 10% der Pfarrstellen mit Nichttheologen besetzt, d. h. Predigern, Missionaren oder Diakonen. In manchen Regionen waren es bis zu 30%. Die Nachkriegszeit stellte Pfarrer ebenso wie die gesamte Bevölkerung vor die elementarsten Probleme des Überlebens: Essens- und Kleidungsbeschaffung, Linderung der Wohnungsnot. Durch die Flüchtlingsströme massiv anwachsende Gemeinden,28 eine Kircheneintrittswelle bis 1946 (die allerdings schon 1948 in einer Austrittswelle mündete) fehlende Arbeitsmaterialien und nicht mehr funktionierende kirchliche Strukturen führten zu einer völligen Überlastung der Pfarrer. Die Berichte aus dieser Zeit lassen erahnen, was es bedeutete, allein das tägliche Arbeitspensum zu schaffen. An eine vertiefte theologische Weiterbildung neben dem Dienst in den Gemeinden war nicht zu denken. Verdeutlicht man sich diese Situation, scheint es nahezu verwunderlich, dass theologische Schriften überhaupt von Pfarrern gelesen wurden. Im engsten Zusammenhang mit den katastrophalen Lebens- und Arbeitsbedingungen der Pfarrer und der gesunkenen theologischen 25
GRESCHAT, Christenheit, 70. Briefdurchschlag des Landesbischofs, gez. D. [Julius] Kühlewein, an Oberregierungsbaurat Kobe, Karlsruhe, vom 8. 5. 1944. Maschinenschriftl., 4 S., hier 1 (LKA KA GA 5906). 27 Diese Feststellung und die folgende Darstellung der kirchlichen Situation in der Nachkriegszeit basieren auf GRESCHAT, Christenheit, 68–71. 28 Zur Eingliederung von Pfarrern und Gemeindegliedern aus dem Osten in die kirchliche Landschaft Westdeutschlands und den damit verbundenen Problemen, z. B. der konfessionellen Vermischung vgl. RUDOLPH, Vertriebene, Bd. I. 26
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Grundbildung stand das niedrige geistliche Niveau: Predigten wurden als ausgesprochen substanz- und ideenlos empfunden, es trat eine „fragwürdige Einengung des Denkens und Tuns auf die einzelne Gemeinde und auf eine verinnerlichte, weltabgewandte Frömmigkeit“ ein.29 Die selbsttätige Beschäftigung in Laienkreisen mit der Bibel und Exegese war in den Kriegsjahren immer selbstverständlicher geworden, am Verständnis der Bibel veränderte sich in den bekennenden Kreisen in den 1930er, 1940er Jahren im Wesentlichen nichts. Vor dem Krieg aufgelegte Predigtlehren wurden unverändert nach dem Krieg gedruckt. Die Predigt war auf die „Kerngemeinde“ zugeschnitten.30 Es gelang nicht mehr, die Verkündigung auch in die säkulare Welt hinein zu übersetzen: „Biblische Begriffe wurden oft nur aneinandergereiht, dogmatische Sätze nicht selten lediglich wiederholt – oder Grundfragen mit frommen Worten zugedeckt.“31 In seinen Erinnerungen an die Zeit des Nationalsozialismus konstatierte der ehemalige Oldenburger Bischof Wilhelm Stählin 1970, bei allem Respekt vor den Opfern, die die Bekennenden Kirche im Nationalsozialismus erbrachte, habe ihn zu seinem Austritt aus der Bekennenden Kirche 1941 unter anderem bewogen, dass „hier kein echter Wille zu einem wirklichen Neuansatz in Theologie und Kirche vorhanden war; es war alles zu eng, zu kleinkariert, auch zu selbstsicher, auf bestimmte Prinzipien festgelegt [. . .].“32 Es hatte eine Verengung hin zu einem formalen Biblizismus eingesetzt, die „den Bezug zur irdischen Wirklichkeit in einem umfassenden Sinn zu verlieren“ begann, „nämlich im Blick auf das Denken und die Bildung der Zeit ebenso wie hinsichtlich der gesellschaftlichen Fragestellungen und Probleme“33. Das war das Resultat der Existenz von Kirche in einer Diktatur. Und auch nach 1945 ließen sich die Verengungen, Polarisierungen, theologischen Einseitigkeiten und gegenseitigen Vorurteile nicht einfach abbauen.34
29 GRESCHAT, Christenheit, 71f., Zitat 72. Zu den konservativen Kirchlichkeitsvorstellungen und der bibelzentrierten Frömmigkeit der Nachkriegszeit vgl. auch GRESCHAT, Protestantismus, 315–321. 30 GRESCHAT, Christenheit, 301. 31 EBD., 302. 32 Stählin, Wilhelm: 1945 als verpasste Chance. Vortrag im theologischen Konvent A[ugsburgischen] B[ekenntnisses] Berlin, 28. Sept. 1970. Maschinenschriftl., vervielf., 21 S., hier 21 (LKA KA GA 10780). 33 GRESCHAT, Christenheit, 303. 34 Stählin, Wilhelm: 1945 als verpasste Chance. Vortrag im theologischen Konvent A[ugsburgischen] B[ekenntnisses] Berlin, 28. Sept. 1970. Maschinenschriftl., vervielf., 21 S., hier 10f (LKA KA GA 10780).
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So bestätigten Pfarrer und Gemeinden sich gegenseitig in ihren Bedürfnissen nach Sicherheiten und geistlicher Abgrenzung gegenüber der Welt, die zu dieser Zeit in der Tat das Chaos verkörperte. Der geistigen Schlichtheit in Bezug auf theologische Fragestellungen konnten die Pfarrer auf Grund ihrer eigenen arbeitsüberlasteten Situation nicht entgegenwirken. Und selbst bei pfarramtlicher Wahrung eines Minimalstandards theologischer Grundbildung in den Gemeinden setzte an diesem Punkt ein bildungsretardierendes Element ein, das in Kap. 3. 2. 2 ausführlich dargestellt wurde: der Wildwuchs von evangelistischen Aktionen der Nachkriegszeit, der anfangs völlig unkontrolliert und später nur mühsam landeskirchlich domestiziert über die Gemeinden hereinbrach. Eine Förderung differenzierten theologischen Denkens unter den Laien erfolgte durch diese evangelistische Welle nicht. Man wird eher noch von einer weiteren Niveauabsenkung theologischer Grundbildung durch die Evangelisationen sprechen können. Es soll hier keineswegs jedem der damaligen Evangelisten Unkenntnis theologischer, kirchenhistorischer, bekenntnisschriftlicher oder konfessioneller Fragestellungen unterstellt werden, aber die breite Masse der Evangelisten war von einem Missions-, und nicht von einem theologischen Bildungsauftrag motiviert. Als 1978 der Landesbischof von Kurhessen-Waldeck, Hans-Gernot Jung, die Bildungsfeindlichkeit innerhalb der Kirche kritisierte, da sie in der Bildung „durch die damit verbundene Intellektualität eine ‚Gefahr für den Glauben‘ sehe“, vermutete er hinter diesem Phänomen die Nachwirkungen der Barthschen Kritik am Kulturprotestantismus.35 Dieser Entwicklungsaspekt dürfte durchaus eine Rolle gespielt haben, allerdings sind in viel höherem Maße die durch Nationalsozialismus, Krieg und Nachkriegszeit bedingten sozioökonomischen Faktoren und die sich daraus ergebenden geistig-geistlichen Engführungen für die Absenkung des Bildungsniveaus in Anschlag zu bringen. Gerade in den 1960er Jahren begann in der westdeutschen Gesellschaft die Reformdebatte um die „deutsche Bildungskatastrophe“, die durch die 1964 in „Christ und Welt“ publizierte Artikelserie und das daraus folgende gleichnamige Buch des Pädagogen, Heidelberger Religionsphilosophen und Leiters der Forschungsstelle der Evangelischen Studiengemeinschaft Georg Picht ausgelöst wurde. Ausgehend vom Befund einer verfehlten Bildungspolitik rief Picht den „Notstand des Bildungswesens“ aus.36 Ohne auf die ausführliche Debatte um die Berechtigung von Pichts Monita an dieser Stelle einzugehen,37 kann konstatiert
35 36 37
Jung, Hans-Gernot: Evangelische Erwachsenenbildung, zitiert nach: ZIEGERT, Kirche, 15. PICHT, Bildungskatastrophe. Zu der Kritik an Picht und besonders an den von ihm ausgelösten Bildungsreformen vgl.
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werden, dass der im protestantisch-kirchlichen Milieu zu beobachtende „Bildungsnotstand“ der 1950er Jahre Bezüge zur gesamtgesellschaftlichen Situation aufwies. Die Bildungsarbeit der Kirchen stellte sich zu dieser Zeit als wenig effizient dar: Pfarrer fielen aus den oben genannten Gründen als Bildungsmultiplikatoren weitgehend aus. Die kirchliche Bildungsarbeit wurde von den, u. a. zu diesem Zweck neu gegründeten Evangelischen Akademien geleistet, die allerdings trotz intensiven Wirkens dem Umfang der zu leistenden Arbeit keineswegs gewachsen waren. Die eigentlichen Bildungsträger in den Universitäten, die Theologen, nahmen die Vergrößerung des Abstandes zwischen Gemeindefrömmigkeit und Theologie so gut wie nicht wahr. Die Situation in Deutschland Ende der 1940er und in den 1950er Jahren, die ihre Auswirkungen bis in die 1960er Jahre zeitigte, weist eine auffällige Analogie zu dem Befund des Kulturhistorikers Michael Hochgeschwender auf, der in seiner jüngsten Studie zur amerikanischen Religiosität im Hinblick auf den US-amerikanischen Fundamentalismus in den 1960er Jahren konstatiert, es seien „keine sozial marginalisierten Modernisierungsverlierer“ gewesen, die sich in den 1970er Jahren in den USA „dem Neofundamentalismus und anderen evangelikalen Strömungen anschlossen, sondern kulturell Marginalisierte, [. . .] die auf Grund ihrer spezifischen, homogenisierten Lebensweise an dem traditionellen Wertehorizont der nunmehr idealisierten fünfziger Jahre festhielten.“38 In Deutschland ist das Phänomen der „kulturellen Marginalisierung“ in der kirchlichen Landschaft auf Grund der genannten Aspekte für die Anfänge des deutschen Evangelikalismus zu beobachten. Im Gegensatz zum US-amerikanischen Evangelikalismus, der um die Mitte des 19. Jahrhunderts aus dem Impetus heraus entstand, die sozialen Probleme der Zeit anzugehen – was wiederum eine gewisse Parallelität zu dem, nicht sonderlich ausgeprägten, deutschen sozialen Protestantismus und den sozial engagierten Kreisen der Erweckungsbewegung aufweist – ist die Genese des deutschen Evangelikalismus um die Mitte des 20. Jahrhunderts in Deutschland als eine Bewegung des Antiintellektualismus gegenüber der akademischen Theologie zu verstehen, auf Grund einer fundamental empfundenen Enttäuschung über die Theologie. Im einem der ersten „Informationsbriefe“ der B KAE hieß es 1966, bei den aktuellen Herausforderungen der Gemeinde gehe es „um die Überfremdung des Evangeliums durch einen theologischen Intellektualismus, der den Verstehenshorizont des modernen Menschen zum Maßstab der Bibelauslegung macht. [. . .] Aus dem Evange-
unter anderen SCHNUER, Bildungskatastrophe; zu der Wiederaufnahme des Begriffs „Bildungskatastrophe“ in den letzten Jahren BULLAN /FRACKMANN / SCHUR, Bildungskatastrophe. 38 HOCHGESCHWENDER, Amerikanische Religion, 169.
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lium droht ein Wasserkopf von theologischen Problemen zu werden, bei denen sich der schlichte Christ nicht mehr auskennt.“39 Evangelikalismus und Fundamentalismus erwachsen, allgemein gesprochen, aus der Verunsicherung in der Moderne, aber unter historischem Blickwinkel generieren sich beide Phänomene vor allem durch eine Form der Abkopplung von Bevölkerungsgruppen aus den intellektuellen und kulturellen und damit auch den theologischen Diskursen ihrer Zeit. Diese Abkopplung führt zu einer verminderten Fähigkeit, mit den Gegebenheiten der Moderne umgehen zu können und auf sie, auch in Konfrontation mit ihnen, vorbereitet zu sein. Aus der intellektuellen Abkopplung erwächst erst das Unbehagen an der Moderne.40 39
BÄUMER/ DEITENBECK, Brief. Es geht im Folgenden in erster Linie um das Defizit an theologischer Bildung, allerdings muss auch auf die „kulturelle Marginalisierung“ innerhalb von evangelikalen Trägergruppen hingewiesen werden. Ein Beispiel dafür stellt die öffentliche Bücherverbrennung durch die Düsseldorfer Ortsgruppe des EC im Oktober 1964 dar (vgl. SCHEITERHAUFEN). Bei diesem „missionarischen Einsatz“, zu der die etwa 25 Mitglieder des Jugendbundes im Alter von 17 bis 28 Jahren und zwei 30jährige Diakonissen vorher die städtische Genehmigung eingeholt hatten, wurden neben „Groschenheften, Magazinen und Pin-up-Fotos“ auch Bücher von Günter Grass, Albert Camus, Vladimir Nabukow und Emil Kästner mit je einem Verdammungsspruch coram publico in das Feuer am Rheinufer geworfen. Der Fall sorgte sowohl im In- und im Ausland für Entsetzen – der Bundespfarrer des EC Walter Lohrmann kommentierte, man hätte diese Aktion seitens der EC-Leitung unterbunden, wäre sie im Vorfeld bekannt gewesen. Anders äußerten sich Vertreter des CVJM von Nordrhein-Westfalen, Hessen, Rheinland-Pfalz und des Saarlandes in einer Erklärung, in der von einem „Akt christlicher Jugend in Notwehr“ angesichts der zunehmenden Entsittlichung der Gesellschaft gesprochen wurde (RANFT, Licht). Die Jugendlichen hatten den Plan dieser Bücherverbrennung in einer Besprechung von Apg. 19, 18f. selbst gefasst. Was das Spezifische dieser Aktion ausmachte, beschrieb die Wochenzeitschrift „Die Zeit“ folgendermaßen: „Die Reaktion der Öffentlichkeit hat den Düsseldorfer EC aus tiefer Ahnungslosigkeit aufgeschreckt. ‚Wir haben nicht an die nationalsozialistische Parallele gedacht‘ – ‚Keiner von uns hat gewußt, daß die Aktion von den Erwachsenen noch so empfunden, werden könnte‘, beteuern die jungen Leute und die beiden Diakonissen. Übereinstimmend versichern sie, daß sie in der Schule kaum etwas über die Geschicke des Dritten Reiches oder gar über Bücherverbrennungen erfahren hätten. Auch in den Gruppenstunden ist davon nie die Rede gewesen. Dazu Bundespfarrer Walter Lohrmann: ‚Ich glaube, das wird sicher vernachlässigt.‘ Wie wenig Gedanken sich die jungen Leute über die möglichen Auswirkungen ihrer Aktion gemacht haben, zeigt auch ihr Erschrecken über den Beifall, den sie von der falschen Seite bekamen. Im EC Jugendhaus in der Düsseldorfer Prinz-Georg- Straße gingen anonyme Telephonanrufe ein, die Glückwünsche zu der Bücherverbrennung mit wüsten antisemitischen Schmähungen verbanden. Die Mitglieder des Düsseldorfer Jugendbundes für Entschiedenes Christentum fühlen sich vor allem in ihrem missionarischen Eifer mißverstanden. [. . .] Was nun aber literarischer ‚Schmutz‘ sei, darüber haben sie sich dann doch noch nie Gedanken gemacht. Dazu Bundespfarrer Lohrmann: ‚Über moderne Literatur ist vorher nicht gesprochen worden.‘ Und ein Mitglied aus der Gruppe: ‚Wir beschäftigen uns nur mit der Bibel!‘“ (RANFT, Licht). Entgegen des ersten Eindruckes, den dieses Beispiel evoziert, ist es nicht eine politische Haltung, die in der Düsseldorfer Bücherverbrennung seitens der EC-Gruppe zum Ausdruck kam, 40
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Diese gesamte Sachlage verdeutlicht, warum es innerhalb kurzer Zeit in den evangelikalen Trägergruppen von einer Frontstellung gegenüber Bultmann im engeren Sinne zu einer Verwerfung der „modernen Theologie“ generell kommen konnte. An dieser bis heute andauernden Kritik an der Theologie ändern auch die verstreuten Beteuerungen seitens evangelikaler Autoren nichts, die theologische Forschung sei schon 1967 von der Bekenntnisbewegung bejaht worden – das wurde sie lediglich in speziellen Grenzen – bzw. auch in ihren Reihen seien namhafte Theologen zu verzeichnen und anders lautende Meinungen könnten unter „gegnerische Polemik“ gezählt werden, wie es in der Einleitung des 1998 erschienenen zweiten Dokumentbandes der Bekenntnisgemeinschaften „Weg und Zeugnis“ heißt.41 In der Zeit von 1945 bis 1989 gab es weder in den evangelikalen Trägergruppen noch in der evangelikalen Bewegung selbst Theologen, die die akademische theologische Diskussion in bemerkenswerter Art und Weise bestimmt oder vorangetrieben hätten – ein Umstand, der im Übrigen auch von evangelikaler Seite immer wieder beklagt wurde.42 Die bereits dargestellte Theologieaversion der Gemeinschaftsbewegung in pietistischer Tradition findet sich hier potenziert wieder – potenziert deshalb, weil das Theologieunverständnis in den Gemeinden, gefördert durch die Überlastung von Pfarrern, durch schlecht ausgebildete Vakanzvertretungen und evangelistisch tätige Aktivisten, Ende der 1940er und in den 1950er Jahren dieser Haltung einen neuen Nährboden verschaffte. Hand in Hand mit der geistlichen Verflachung in der Kriegs- und Nachkriegszeit ging allerdings auch eine andere Auswirkung des Kirchenkampfes: die Wahrnehmung der Kirche in einem polarisierten Schema. Die Polarisierung innerhalb der Kirche zwischen „Bekennenden Christen“ und „Deutschen Christen“ Die Situation der Kirche im Dritten Reich führte zu einer Polarisierung in der Wahrnehmung vieler Protagonisten der Bekennenden Kirche, die die Polarisierungen in der westdeutschen Kirchengeschichte seit Ende der 1960er Jahre zu einem großen Teil vorbereitete. In Adaption der Kirchenkampfwahrnehmung sondern ein äußerst geringes Bildungsniveau. Angesichts einer Beschäftigung „nur mit der Bibel“ gerieten die EC-Mitglieder in eine unbeabsichtigte Kollision mit historisch geprägten gesellschaftlichen Komponenten, die die „kulturelle Marginalisierung“ evident hervorheben, wobei nicht aus dem Blick verloren werden darf, inwieweit die historische Bildung an (west)deutschen Schulen zu diesem Zeitpunkt in Bezug auf die nationalsozialistische Vergangenheit noch weitgehend blinde Flecken aufwies. 41 Vgl. WEG UND ZEUGNIS, Bd. 2, 24f. 42 So z. B. BOCKMÜHL, Aktualität, 40.
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als Gegensatz von Bekennenden und Deutschen Christen bzw. allen den Nationalsozialismus in irgendeiner Form befürwortenden Christen wurde seit 1966 das evangelikale Weltbild konstruiert, das kaum einen Mittelbereich zwischen Schwarz und Weiß zuließ: „Bekennende Christen“ standen gegen „liberale“ oder „bibelkritische“ Christen. Vor diesem Hintergrund mag es kaum überraschen, dass in den 1960er, 1970er Jahren Theologen als Vertreter der historisch-kritischen Arbeit immer wieder in eine Reihe mit den „Deutschen Christen“ gestellt wurden und der Kampf gegen den vermeintlichen Liberalismus fast ausschließlich mit dem Kirchenkampf im Dritten Reich verglichen wurde. Der Evangelikalismus hat phänomenologisch betrachtet die starke Tendenz, sich von „der Welt“ abzugrenzen und, im Falle der deutschen Kirchengeschichte nach 1945, von der „Kirche“. Die Legitimation für diese Abgrenzung bildete eine Frontstellung, die die Situation der Kirche im Nationalsozialismus nahtlos auf die Situation der Kirche in der westdeutschen Demokratie applizierte. Der Hintergrund für diese bruchlose Übertragung dürfte mehrere Ursachen haben, die alle in der offenkundigen Unfähigkeit zusammenfließen, mit demokratischen Verhältnissen adäquat umzugehen, diese richtig zu bewerten und die strukturellen Prägungen durch die Diktatur hinter sich zu lassen. Stählin merkt in seinem bereits erwähnten Aufsatz zu dieser Problematik an, es stehe jede Polemik in der Gefahr, „daß der Protestierende oder Kämpfende, weit mehr als ihm selbst das bewusst sein kann, in innere Abhängigkeit gerät von dem, wogegen er sich wehrt.“ Es könne dazu kommen, so Stählin weiter, „daß in einer polemisch aufgeregten Zeit die Gefahr verzweifelt nahe liegt, aus den Notlösungen, die sich in einer bestimmten Situation anbieten, neue Prinzipien abzuleiten.“43 Diese Prinzipien werden dann in die Zeit nach der „polemisch aufgeregten“ Phase mit hinein getragen. In eben diesem Sinne kämpften ehemalige Mitglieder der Bekennenden Kirche – bei weitem nicht alle – auch nach 1945 gegen die „Deutschen Christen“ und alle, die dafür gehalten wurden, weiter. Hier zeigt sich einmal mehr, wie relevant die These vom schwierigen Verhältnis in Deutschland zur Demokratie auch nach 1945 ist. Allerdings steht die evangelikale Bewegung nun gerade nicht dafür, dass die deutsche Gesellschaft in den 1960er Jahren „in der Demokratie angekommen“ war, sondern für einen antidemokratischen Zug, und zwar weder im Sinne der Restauration noch des Nationalsozialismus, sondern im Sinne der Fortführung des kirchlichen Kampfes gegen den Nationalsozialismus ohne Wahrnehmung der inzwischen demokratischen gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen. Es ist eine 43 Stählin, Wilhelm: 1945 als verpasste Chance. Vortrag im theologischen Konvent A[ugsburgischen] B[ekenntnisses] Berlin, 28. Sept. 1970. Maschinenschriftl., vervielf., 21 S., hier 11f. (LKA KA GA 10780).
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brisante Frage, inwiefern den Vorformen des deutschen Evangelikalismus auf Grund seiner ursprünglich sehr engen ideengeschichtlichen Vernetzung mit dem Kampf gegen den Nationalsozialismus eine Demokratieabneigung inhärent ist, die sich schließlich in der Aversion gegen den „Pluralismus“ in Theologie und Kirche offenkundig niederschlug. Denn auf die „Deutschen Christen“, den „Kirchenkampf“, das „Dritte Reich“ bezog man sich stets ohne Wahrnehmung der völlig veränderten gesellschaftlichen Bedingungen – und erhielt damit die Legitimation der Abgrenzung von Theologie, Kirche und „Welt“ aufrecht: Von der eigenen Meinung abweichende, als „den Glauben zerstörend“ wahrgenommene Phänomene in der Kirche wurden in Analogie zum Deutschchristentum gestellt. Diese unreflektierte Projektion der eigenen Existenz im Nationalsozialismus galt zwar keineswegs für alle Mitglieder evangelikaler Trägergruppen, aber sie sollte besondere Brisanz bei einigen Protagonisten der evangelikalen Bewegung erlangen. Blickt man nun auf die reale Situation der Kirche im Nationalsozialismus, sind mehrere Aspekte für die Bildung dieser Gemengelage nach 1945 relevant. Zum ersten erfolgte die Ausbildung der Pfarrer der Bekennenden Kirche, die dann nach 1945 im Dienst standen, in teilweise illegalen kirchlichen Hochschulen, da die theologischen Fakultäten überwiegend – es gab auch Ausnahmen – von den DC unterwandert bzw. nationalsozialistisch ausgerichtet waren.44 Das allein bedeutete eine extreme Polarisierung zwischen den oppositionellen „bekennenden“ Studierenden und der staatstragenden theologischen Ausbildung. Eine Auswirkung der Repressionen im Dritten Reich, zu denen noch die Einschränkungen der Kriegszeit hinzukamen, bestand darin, dass theologische Diskussionen nicht in der Vielfalt und Differenziertheit geführt werden konnten, wie das in Friedenszeiten möglich war. Das stand in unmittelbarem Zusammenhang mit dem dargestellten Rückgang theologischer Bildung. Darüber hinaus aber ist zu konstatieren, dass es in der Diktatur in erster Linie theologische Konzepte der Abgrenzung gegen „die Welt“ waren, die für die mehr oder weniger subtile Opposition gegen das System Verwendung fanden. An der Stelle greift in der Tat Hans-Gernot Jungs Vermutung einer Dominanz der Barthschen Kritik gegenüber dem Kulturprotestantismus im Dritten Reich als der Grundlage einer kirchlichen Bildungsfeindlichkeit noch in den 1970er Jahren. Die massive Kritik an allen theologischen Haltungen, die ein Eingehen auf gesellschaftliche, politische und soziale „weltliche“ Belange evozierten, war in der nationalsozialistischen Diktatur Teil der kirchenpolitischen Abwehr des Systems. Dafür eigneten sich hervorragend die Barthsche Offenbarungstheolo-
44
Vgl. LUDWIG, Die „Illegalen“.
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Der Kontext der Bultmannkontroverse
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gie mit ihrer strikten Trennung von Gott und Welt sowie eine schlichte Rezeption der lutherischen Zwei-Reiche-Lehre. Die Diskreditierung der liberalen Theologie des 19. Jahrhunderts von Schleiermacher bis Harnack war eine nahezu logische Folge der Reflexion der politischen und kirchenpolitischen Situation von 1933 bis 1945 in den Kreisen der Bekennenden Kirche. Es kam in der Bekennenden Kirche kaum zur Resonanz theologischer Ansätze, bei denen explizite Überlegungen zur Konnexion von Transzendenz-Immanenz angestellt wurden: Gott „in“ der Welt, in welcher Form auch immer, hätte die Gefahr beinhaltet, in die Nähe der deutsch-christlichen Ideologie zu geraten. Diese Prägung theologischen Schwarz-Weiß-Denkens konnte von einem Teil der Christen und auch der Pfarrer der Bekennenden Kirche nach 1945 nicht relativiert werden. Es kam in einem Teil der Pfarrerschaft und der Laien, gewissermaßen in der Form einer unaufgearbeiteten Abarbeitung, zur selbst inszenierten, d. h. der Kirchenkampfmetaphorik und -rhetorik erlegenen Wiederholung der Polarisierungen der Kirche im Dritten Reich. Das Bedürfnis nach Sicherheit in der Kriegs- und Nachkriegszeit Wie eingangs ausführlich an Hand der Bedeutung von „Historizität“ und „Tatsache“ in der präevangelikalen Argumentation dargestellt, ist ein Spezifikum von Evangelikalismus ebenso wie von christlichem Fundamentalismus die (übermäßige) Sehnsucht nach sicheren, „wahren“ „Fundamenten“. Für die Kriegs- und Nachkriegszeit mit ihren erschütternden Auswirkungen auf die gesamte deutsche Gesellschaft und den Einzelnen innerhalb dieser Gesellschaft war der Wunsch nach Sicherheit in einem extrem hohen Maß vorhanden. Darum ist das Entstehen der evangelikalen Bewegung in den 1960er Jahren nicht nur daran gekoppelt, dass in bestimmten Gemeindekreisen ein gesteigertes Bedürfnis vorherrschte, das nach religiösen Sicherheiten in einer sich immer stärker pluralisierenden und damit unsicher werdenden Welt verlangte. Die Tatsache, dass schon in der Vorgeschichte der evangelikalen Bewegung, d. h. in den 1950er Jahren, sehr deutlich der Wille nach „Sicherheiten“ in der theologischen Lehre und Verkündigung laut wurde, spricht eher dafür, dass der sich hier abzeichnende evangelikale Protest nicht in erster Linie gegen die Pluralisierungstendenzen innerhalb der Kirche und damit indirekt gegen die Ausdifferenzierung der pluralen Gesellschaft gerichtet war, sondern eine Reaktion auf die nachwirkenden Verunsicherungen durch Diktatur, Krieg und Nachkriegszeit darstellte. Selbst die Entstehung der evangelikalen Bewegung im engeren Sinne 1966 war nicht der Wahrnehmung von Verunsicherungen durch die sich pluralisierende Gesellschaft der 1960er Jahre geschuldet, sondern nach wie vor der „Entmythologisierung“, die gleichbedeutend mit der „Zerstörung der Glaubens-
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fundamente“, d. h. der religiösen Sicherheit empfunden wurde. Bemerkenswerterweise taucht erst in den 1970er Jahren der Vorwurf auf, und zwar im Zusammenhang mit dem DEKT, die Kirche vertrete einen nicht akzeptablen „Meinungspluralismus“ – ein „Pluralismus“ der Gesellschaft war auch zu diesem Zeitpunkt nicht im innerevangelikalen Gespräch. Kurz gesagt: die Vorformen des Evangelikalismus und die später von ihm in Anwendung gebrachten Argumente gab es in Deutschland vor einer ausgeprägten Pluralisierung in Kirche und Gesellschaft. Von daher muss die Entstehung der evangelikalen Bewegung als eine verzögerte Reaktion auf die Lebenssituation der 1940er, Anfang der 1950er Jahre gedeutet werden, ohne dass dabei unterschlagen werden kann, dass die Geschichte der evangelikalen Bewegung seit 1966 einer Eigendynamik unterworfen war, die sich von dieser Ausgangslage entfernte.
4.2 Die erste Phase der Bultmannkontroverse 1947 bis 1953 und ihre HochZeit um 1950/5145 Schon die Reaktionen auf Bultmanns Alpirsbacher Vortrag von 1941 waren kontrovers – „gänzlich gespalten“ fiel das theologische und kirchliche Urteil nach der Veröffentlichung in den von Ernst Wolf herausgegebenen „Beiträgen zur evangelischen Theologie“ aus.46 Die Debatte um diesen Ansatz wurde in den nächsten Jahren allerdings vornehmlich in Theologenkreisen oder lediglich innerhalb der Bekennenden Kirche geführt.47 Der Hauptkritikpunkt seitens der Theologen war, dass Bultmann unmittelbar Theologie mit Philosophie verknüpft und ein philosophisches Konzept der Theologie vorausgesetzt hatte.48 Für andere, wie z. B. Dietrich Bonhoeffer, ging Bultmanns Vorstoß letztlich nicht weit genug: Er merkte an, man müsse letztlich alle religiösen Begriffe einer nicht-religiösen Interpretation unterziehen.49 1942 verlangten Vertreter der kurhessischen Bekennenden Kirche, Bultmanns Thesen öffentlich als bekenntniswidrig zurückzuweisen, wogegen sich massiv Hans von Soden wandte. In einem Brief vom Mai 1942 monierte von Soden, dass ihm die Reaktionen der Bekennenden Kirche auf Bultmanns Aufsatz Sorgen über die innere 45 Dokumente zu der Debatte sind gesammelt von BECKMANN, Kirchliche Zeitgeschichte, 185–221 und STRATMANN, Kein anderes Evangelium, 16–33. Zu Darstellungen der ersten Phase der Bultmanndebatte vgl. GRESCHAT, Protestantismus, 321–328; HERMLE, Die Evangelikalen, 327–329. 46 HAMANN, Bultmann, 313. 47 Zu den innerkirchlichen Debatten vor 1945 vgl. BARTSCH, Stand, 12–14. 48 So z. B. Karl Barth, vgl. JASPERT, Karl Barth – Rudolf Bultmann 49 Zitiert nach HAMANN, Bultmann, 316.
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Verfassung der Bekennenden Kirche bereite und er verlieh seiner Befürchtung Ausdruck, dass sie an diesem Problem nicht zum ersten Mal „geistig und geistlich versagen und darüber in Spaltungen geführt werden könnte. [. . .] Die BK ist in Gefahr, die theologische Unwahrhaftigkeit bzw. Wahrheitsscheu zu pflegen, die das Leben und Wirken unserer Landeskirchen innerlich ausgehöhlt hat.“50 Bultmanns Entmythologisierungskonzept scheint von Anfang an dem Umstand ausgesetzt gewesen zu sein, dass man sich darüber nur halbinformiert ein Urteil bildete. So legte Hans Asmussen, Vorsitzender des Berliner Bruderrats der Bekennenden Kirche, im Auftrag des Berliner Konvents des Bruderrats schärfsten Protest bei Wolf bezüglich des Druckes von Bultmanns Vortrag ein. Bemerkenswert ist, dass die meisten Konventsmitglieder den Aufsatz gar nicht gelesen hatten.51 Für Asmussen gab es nur eine Form des rechten Christentums: in Opposition zur Welt im Allgemeinen und zur von der Aufklärung geprägten Moderne im speziellen. So war für ihn klar, dass das Christentum ganz selbstverständlich im Gegensatz zu „Radio, Telephon und Flugzeug“ stehe,52 wobei er sich wahrscheinlich direkt auf Bultmanns Einleitung in seinem Aufsatz bezog, der geschrieben hatte, man könne nicht elektrisches Licht und Radioapparate sowie die moderne Medizin nutzen und gleichzeitig an die Geister- und Wunderwelt des Neuen Testaments glauben. 1947, ein Jahr bevor der Aufsatz Bultmanns ein zweites Mal gedruckt wurde, ertönte mit einer Initiative des Marburger Evangelisten Hans Bruns53 der erste Trompetenstoß der sich nun langsam auf die Gemeindeebene verlagernden 50
DINKLER / DINKLER-VON SCHUBERT, Theologie, 344. HAMANN, Bultmann, 314. 52 Zitiert nach: EBD. 53 Hans Bruns war Mitarbeiter des Deutschen Gemeinschafts-Diakonieverbandes in Marburg, Evangelist, insbesondere der Zeltmission, und Bibelübersetzer. Bis zu seinem Tod trat er mit gesellschaftskritisch-konservativen Anliegen in der Presse hervor, in denen er konservative Zeitkritik und Frömmigkeit in Eins setzte. So publizierte er z. B. im Dezember 1964 in der Zeitschrift „Das Wichtigste für unsere Zeit“ unter der Überschrift „Götzendienst mit Bettüchern“ einen Artikel, in dem er den Verkauf der Bettwäsche und der Handtücher, die von den „Beatles“ in zwei Hotels in Detroit und Kansas City benutzt worden waren, an Beatles-Fans als den Rückfall „ins gröbste Heidentum“ diagnostizierte: „Schon daß diese jungen Menschen solch ein Aufsehen machten und daß Tausende zusammenströmten, um sie auf Flugplätzen usw. zu empfangen, war und ist doch ein Zeichen der Zeit. Aber daß nun sogar ihr Bettzeug aufgekauft und verkauft wird, grenzt an Wahnsinn – oder zeigt uns, wie wir ins gröbste Heidentum zurückgesunken sind. Wir kennen die Menschen nicht, von denen das in USA gemeldet wird, wir wollen nicht über sie richten und den Stab brechen. Sie haben nichts Besseres, darum suchen sie ihre Befriedigung in solchen Verirrungen. Es mag uns aber die Augen öffnen, wozu wir Menschen fähig sind, und daß wir uns selbst vor ähnlichem Götzendienst hüten möchten – um so mehr aber dem lebendigen Gott in Jesus Christus vertrauen.“ (BRUNS, Götzendienst). Zu Bruns vgl. BRUNS, Hans Bruns. 51
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Bultmannkontroverse. Bruns richtete am 7. Mai 1947 eine Eingabe an den Rat der EKD, die Ausbildung der zukünftigen Pfarrer nicht mehr den Theologischen Fakultäten zu überlassen, da hier die Studierenden in die Irre geleitet würden. Von Marburg gehe der schädliche Einfluss Rudolf Bultmanns aus, der „heilsgeschichtliche Glaubenstatsachen“ leugne. Bruns schlug die alternative Eröffnung Kirchlicher Hochschulen vor.54 Der württembergische Landesbischof und Vorsitzende des vorläufigen Rates der EKD, Theophil Wurm, wandte sich daraufhin an Karl Barth um ein Gutachten zur Bultmannschen Theologie. Barth bescheinigte Bruns, er kenne „offenbar die entscheidenden Voraussetzungen der Theologie Bultmanns entweder gar nicht oder nur von weitem“55 und zeigte sich erfreut darüber, dass offenbar auch Wurm nicht der „Erneuerung der falschen Fronten und der unfruchtbaren Kampftaktik“56 die Hand zu bieten gedenke. Zugleich monierte Barth das „Verhängnis“ Bultmanns, philosophische Ontologie bzw. Anthropologie und Theologie zusammengeführt zu haben, wobei er anmerkte, er lehne mit den Voraussetzungen auch die Konklusionen Bultmanns ab, aber ihm „stehe auch nicht an, [. . .] sie für ‚häretisch‘, d. h. mit dem Bekenntnis der Kirche für unvereinbar“57 zu erklären. 1948 erschien der Aufsatz „Neues Testament und Mythologie“ in dem von Hans-Werner Bartsch herausgegebenen ersten Band von „Kerygma und Mythos“ zum zweiten Mal und verschärfte die Debatte. Allerdings dürften zwei Faktoren wesentlich stärker zu der Vehemenz und Ausbreitung der Diskussion beigetragen haben als die neuerliche Veröffentlichung: zum ersten das Auftreten von Pfarrern aus der Schule Bultmanns, die entweder Bultmanns Anliegen nicht bis ins letzte erfassten oder aber nicht adäquat kommunizierten und den Eindruck von einem völligen theologischen Umbruch in ihren Predigten ver54 Brief von Pastor Hans Bruns, an den Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland, z. Hd. Herrn Landesbischof Theophil Wurm vom 7. 5. 1947 (JASPERT, Karl Barth – Rudolf Bultmann, 268–270). 55 Brief von K. Barth an Landesbischof Theophil Wurm, zugleich im Durchschlag an R. Bultmann, vom 29. 5. 1947 (JASPERT, Karl Barth – Rudolf Bultmann, 276–285, Zitat 280). 56 EBD., 281. 57 EBD., 278. Auf diesen Brief Barth beriefen sich evangelikale Protagonisten wie der Leiter der rheinischen B KAE Heinrich Hörstgen noch in den 1980er Jahren in einer bezeichnenden Argumentationsfigur: wenn Barth, der Initiator der Barmer Theologischen Erklärung, Bultmanns Theologie als „Häresie“ bezeichnet habe, dann stehe „die Barmer Erklärung gegen die Bultmannsche Theologie und gerade gegen ihren Ansatz“ (Hörstgen, Heinrich: Wie wird sich der Kirchentag 1985 darstellen? Kritische Anmerkungen zu dem „Programmheft“. [Um 1984]. Maschinenschriftl., 6 S., hier 5 [AEKR Düsseldorf 7NL 032 Nachlass Pfr. Heinrich Hörstgen]). Das stellte eine der zahlreichen Legitimationen dar, den Kampf gegen Bultmann als einen Kirchenkampf wie im Dritten Reich zu proklamieren.
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mittelten,58 zum zweiten, und möglicherweise gravierender ins Gewicht fallend, die Warnungen evangelistischer und gemeinschaftlicher Kreise und vereinzelter Theologen vor Bultmanns Theologie. Innerhalb kürzester Zeit wurde ein immer stärker verzerrtes Bild der Bultmannschen Entmythologisierung weitergegeben. Die Form der Tradierung unterschied sich in manchen Phasen und Bereichen kaum noch von dem Kinderspiel „Stille Post“ und erfolgte sowohl auf dem Wege der „natürlichen“ Fehlinformationen – man las Bultmanns theologische Ausführungen nicht, sondern übernahm unkritisch die Kritik an ihm – als auch durch gesteuerte Irreführung bezüglich des Bultmannschen Anliegens. Darauf wird noch einzugehen sein. Neben Bultmann erhielten die Landeskirchenämter eine Flut von Briefen entsetzter, in manchen Fällen an Aufklärung interessierter, zum Großteil warnender Christen. So schrieb der Dekan des Kirchenbezirkes Lahr und spätere Leiter des Volksmissionarischen Amtes der Badischen Landeskirche, Albert Zeilinger, dem Badischen OKR, während einer theologischen Rüstzeit habe er den Tübinger Neutestamentler Otto Michel über Bultmanns Entmythologisierung sprechen hören und dabei „ist uns klar geworden, daß Bultmann eine ganz große Gefahr für unsere Kirche, für den theologischen Nachwuchs und für die Pfarrerschaft darstellt. [. . .] Hier muß die Kirche ein klares Anathema sprechen, um auch die Barmer Thesen zu konkretisieren.“59 In dem im Verlag des Bibelbundes gedruckten „Laienwort aus der Volkskirche zur Krise in der evangelischen Kirche“ zitiert der Verfasser Karl Kupfrian aus Waldböckelheim in Baden zuerst „einen Würdenträger der evangelischen Kirche“, der den Bultmannkritikern vorwarf, „daß sie noch nicht einmal eine Zeile von Bultmann gelesen haben, geschweige denn wissen, um was es sich bei der vielberufenen ‚Entmythologisierung‘ überhaupt handelt“, um darauf ebenso selbstbewusst wie ignorant zu antworten: „Haben aber diese Briefeschreiber, die wissenschaftlich nicht geschult waren, dennoch begriffen, worum es bei Bult58
Es ist ein schwieriges Unterfangen, abzuschätzen, inwiefern es Pfarrer gab, die ihre Gemeinden mit ihrer Bultmannrezeption vor den Kopf stießen. Diesbezügliche Äußerungen in der zeitgenössischen Literatur und den Quellen sind durchweg verhalten und operieren mit Vermutungen. So schreibt z. B. Hans-Werner Bartsch in seinem Abriss von 1955 zur kirchlichen Bedeutung der Bultmanndebatte: „Die Frage, ob die Theologie Bultmanns innerhalb der Kirche noch möglich sei, entstand erst nach dem Kriege. Sie mag hervorgerufen sein durch Missgriffe junger Schüler Bultmanns, die als Vikare und Pfarrer in Württemberg dadurch Ärgernis hervorriefen, daß sie angeblich in Unterricht und Predigten lehrten, Jesus sei nicht vom Tode erstanden und habe keine Wunder getan. (Ich habe diese Nachrichten leider nur aus mündlichen Berichten, halte sie jedoch zur Erklärung des württembergischen bischöflichen Wortes [von 1951] und des neuerlich dort entbrannten ‚Kirchenkampfes‘ für zutreffend.)“ (BARTSCH, Stand, 14). 59 Brief von Dekanat Lahr, gez. A[lbert] Zeilinger, an Landesbischof D. [Julius] Bender vom 11. 5. 1951. Maschinenschriftl., 2 S., hier 1 (LKA KA GA 8675).
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mann geht und mit vollem Recht sein Ausschalten gefordert? Sie hatten gut verstanden, was B. leugnet: die Kraft Gottes und die unumstößliche Wahrheit des Wortes. Matthäus 22, 29.“60 Ein typisches Beispiel für den häufig verworrenen Informationsfluss, der hinter den kirchengemeindlichen Aktionen gegen Bultmann stand, stellt folgende Episode aus der hessen-nassauischen Kirche dar: Am 17. Januar 1950 reichte die Dekanatssynode Grünberg bei der Kirchenleitung eine Eingabe auf Antrag des Synodalen Emil Ohnacker ein, zu erwägen, ob die Theologie Bultmanns für die Ausbildung des Pfarrernachwuchses tragbar sei, „da durch die Verkündigung dieser Theologie manche Beunruhigung in die Gemeinden gebracht“61 werde. Seitens der Kirchenleitung fragte man daraufhin bei dem amtierenden Dekan Thorn an, wer die Pfarrer seien, die eine Theologie Bultmanns verkündigten und damit „Beunruhigung in die Gemeinden“ brächten, damit mit diesen klärende Gespräche geführt werden könnten.62 Thorn gestand in seinem Antwortschreiben ein, „dass die Abfassung des Beschlusses unserer Dekanatssynode in der Formulierung nicht ganz eindeutig gewesen ist, sodass daraus der Schluss gezogen werden konnte, als hätte die Verkündigung einiger Pfarrer den Anlass zur Beunruhigung in den Gemeinden gegeben.“ Das jedoch träfe nicht zu. Anlass zu der Entschließung der Synode hätten die Sorgen des Synodalen Ohnacker gegeben, „der von der Theologie Bultmann allerlei erfahren hatte.“ Außerdem seien auf der Synode Äußerungen von evangelischen Religionslehrern bekannt geworden, die sich fragten, wie man angesichts der Bultmannschen Theologie noch biblische Geschichte unterrichten könne. Des Weiteren habe man Kenntnis von den „Auswirkung dieser Theologie auf die Einstellung einiger Theologiestudenten zu Schrift und Bekenntnis“ erhalten.63 Außerdem hatte Thorn einen Brief Ohnackers, in dem dieser seine Bedenken schilderte, als Anlage zu seinem eigenen an Martin Niemöller geschickt. Ohnacker erklärte 60 KUPFRIAN, Laienwort, 2. Dass hier die Bibel ausgerechnet mit der Aussage zitiert wird: „Ihr irrt, indem ihr die Schriften nicht kennt noch die Kraft Gottes“, verleiht der Argumentation nicht nur eine unfreiwillige pikante Zweideutigkeit, sondern verweist auch auf die immer wieder zu konstatierende Abstinenz von Reflexion über die Bandbreite der Interpretation biblischer Inhalte. 61 Brief des Ev. Dekanats Grünberg, gez. [Dekan] Thorn an die Evang. Kirche in Hessen und Nassau – Kirchenleitung – betr. Beschluss der Dekanatssynode des Dekanats Grünberg, vom 17. 1. 1950. Maschinenschriftl., 1 S. (ZA EKHN, Best. 155, Nr. 166). 62 Brief der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau – die Kirchenleitung –, Nr. 642, an das Evangelische Dekanat Grünberg z. Hd. v. Herrn Dekan Thorn vom 28. 1. 1950. Maschinenschriftl., 1 S. (ZA EKHN, Best. 155, Nr. 166). 63 Brief des Evang. Dekanats Grünberg, gez. Thorn, an die Evang. Kirche in Hessen und Nassau – Kirchenleitung – z. Hd. des Herrn Kirchenpräsidenten betr. Die Entschliessung der Dekanatssynode Grünberg betr. die Theologie Bultmann, zu Nr. 642, vom 7. 2. 1950. Maschinenschriftl., 1 S. (ZA EKHN, Best. 155, Nr. 166).
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darin, dass ihm die Debatte um Bultmann „nicht aus Predigten von Pfarrern des hiesigen Dekanats bekannt geworden“ sei, sondern „aus Unterhaltungen mit Pfarrern und einem Briefwechsel mit einem Pfarrer“. Die Theologie Bultmanns habe ihn „zutiefst erschrocken“, weil dadurch für ihn „unantastbare Wahrheiten der heiligen Schrift angegriffen, wenn nicht gar geleugnet“ würden. Sein Entsetzen habe sich noch gesteigert, als er hörte, dass Bultmann der Prüfungskommission der hessen-nassauischen Kirche angehöre. Er sehe darin „eine Gefahr für die innere Entwicklung unseres Pfarrernachwuchses“, die dadurch auch zu einer „Gefahr für unsere Gemeinden“ werde. Diese wirke sich insofern bereits bei ihm aus, „daß mir dauernd Bedenken kommen, ob ich, wenn in der Zukunft die heutigen Theologiestudenten ins Pfarramt kommen, und welche davon die Theologie Bultmanns vertreten, aus Gewissensbedenken dann noch in der evangelischen Kirche in Hessen und Nassau bleiben kann.“ Seine Bedenken träfen „auch auf eine Anzahl ernster Christen zu“, mit denen er „über das Problem Bultmann gesprochen habe.“64 Die Brisanz der Debatte, die sich innerhalb kürzester Zeit eröffnete, wurde von den Kirchenleitungen anfangs offensichtlich nicht erkannt. Die Aufgaben, vor denen die Landeskirchen um 1950 standen, waren derartig umfassend und weit gefächert – strukturelle Neu- und Umorganisation, die Koordination konfessioneller Ausrichtungen, Gründung und Richtungsbestimmung der EKD und vieles mehr –, so dass das Problem, wie man mit Bultmanns Theologie umgehen sollte, untergeordneten Stellenwert hatte. Großangelegte Bildungskampagnen bezüglich der Arbeit von Theologen, bezüglich theologischer Ansätze und deren Bedeutung waren nicht möglich. Die Bildungsarbeit, die im Rahmen des Machbaren lag, geschah vorerst in den Evangelischen Akademien. Briefe der Bischöfe auf private Anfragen fruchteten nicht in größerem Maße. Der Vorsitzende der Generalvisitation Nassau-Nord, Mitarbeiter des Leitenden Geistlichen Amtes der Evangelischen Kirche in Hessen-Nassau und spätere Stellvertretende Kirchenpräsident, Karl Herbert, warnte im Dezember 1949 die hessen-nassauische Kirchenleitung: „Die Angelegenheit ist von erheblicher grundsätzlicher Bedeutung und müsste zunächst [. . .] Gegenstand der Beratung im Leitenden Geistl. Amt sein. Ueberall dort, wo ‚Licht und Leben‘65 oder der freikirchl. ‚Gärtner‘ gelesen wird, d. h. also vorwiegend in Gemeinschaftskreisen, ist eine erhebliche Beunruhigung und ein starkes Befremden über die ‚unbegreifliche Haltung‘ der Kirchenleitung in der Frage Bult-
64 Brief von Emil Ohnacker, Nieder-Ohmen (Oberhessen) an Herrn Kirchenpräsident D. Martin Niemöller vom 6. 2. 1950. Handschriftl., 2 S., hier 1f. (ZA EKHN, Best. 155, Nr. 166). 65 „Licht und Leben“ stellte die Zeitschrift der „Evangelischen Gesellschaft“ dar. Langjähriger Schriftleiter war der Essener Evangelist Wilhelm Busch.
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mann festzustellen. Besonders stark ist mir das auf dem Westerwald begegnet, aber auch schon in anderen Dekanaten. Ich bin selbst bei der Dekanatssynode Marienberg anwesend gewesen und habe sofort zu der vorgebrachten Entschliessung von Fridolin Müller Stellung genommen. [. . .] Ich traf jedoch auf starke Ablehnung, auch unter den Amtsbrüdern. Ich hatte dringend gewarnt, die Frage in der Synode zu behandeln, bevor nicht im Kreis der Amtsbrüder eingehend theol. über die ganze Frage gearbeitet worden sei. Dass nun dennoch die ganze Sache in dieser Form der Kirchenleitung und sogar der Kirchensynode zugeleitet wird, kennzeichnet den Ernst der Lage. Es ist dringend notwendig, dass sowohl innerhalb unseres Kirchengebiets als auch in den kirchl. Blättern in geeigneter Weise zu der Frage Stellung genommen wird, bevor ein noch grösseres Feuer entsteht.“66
In einem Brief an den Stellvertreter des Kirchenpräsidenten, OKR Wilhelm Hahn, vom 20. Januar 1950 wiederholte Herbert die Dringlichkeit der ganzen Angelegenheit, denn ihm werde „im Gespräch mit Gemeinschaftsleuten [. . .] immer neu deutlich, dass die Frage weite Kreise zieht und wir unter allen Umständen ein Wort dazu sagen müssen, wenn nicht erhebliches Vertrauen zur Kirche und ihrer Leitung verschüttet gehen soll.“ Er habe „den etwas beunruhigenden Eindruck, dass nicht alle Brüder unter uns die Dringlichkeit dieser Sache ernst genug nehmen.“ Gerade dort, „wo die Stimme von Gemeinschaftsleuten oder auch von konfessionell gebundenen Brüdern sich erhebt“, müsse man alles tun, „um zur Klärung zu helfen.“67 Allerdings „gab es kaum eine deutsche Landeskirche, in der das Thema nicht diskutiert wurde“68, vermerkt der Bultmann-Biograf Konrad Hamann. Besonders auf Synoden wurde um 1950 über die Bultmannsche Theologie debattiert bzw. von Synodalen Anträge auf Diskussionen gestellt und von den Landeskirchenleitungen Stellungnahmen gefordert. Diese wiederum baten Theologische Fakultäten um Gutachten. Die Fülle des Aktenmaterials zu der Bultmannkontroverse und ihren Höhepunkten um 1950/51 und um 1961 ist nahezu unerschöpflich und kann hier nur zu einem kleinen Teil wiedergegeben werden. In Hessen-Nassau wurde Karl Herbert mit dem Verfassen einer Stellungnahme beauftragt, die am 13. November 1950 vom Kirchenpräsident der Kir-
Brief der Generalvisitation Nassau-Nord – der Vorsitzende –, gez. [Karl] Herbert, Br. B. Nr. 1127/49 der Kirchenleitung mit 2 Anlagen weitergereicht, vom 1. 12. 1949. Maschinenschriftl., 1 S. (ZA EKHN, Best. 155, Nr. 166). Am 10. November 1949 hatte der Dekanats- und Landessynodale Fridolin Müller im Namen der Dekanatssynode Marienberg eine Beschwerde an die Kirchenleitung gerichtet, verbunden mit der Bitte, Bultmann seines Lehrstuhles zu entheben. 67 Brief der Ev. Kirche in Hessen und Nassau – General-Visitation in Nassau-Nord – der Vorsitzende –, gez. [Karl] Herbert, Br. B. Nr. 76/50 an Herrn Oberkirchenrat [Wilhelm] Hahn, vom 20. 1. 1950. Maschinenschriftl., 2 S., hier 1f. (ZA EKHN, Best. 155, Nr. 166). 68 HAMANN, Bultmann, 423. 66
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che in Hessen-Nassau, Martin Niemöller als ein mit einem kurzen Vorwort versehenes Rundschreiben „Zur Frage der Entmythologisierung“ an alle Pfarrämter ging,69 Diese 16seitige Broschüre, die eine Apologie Bultmanns darstellte und auch von der rheinischen Landeskirche übernommen wurde,70 hob vor allem Bultmanns Verdienst um eine zeitgemäße Verkündigung des Evangeliums hervor und gab nur sehr verhalten Kritik an dem Entmythologisierungsprogramm zu bedenken. Im Gegensatz zu Kurhessen-Waldeck, wo sich die beiden Bultmannschüler Bischof Adolf Wüstemann und sein Geistlicher Vertreter Prälat Erich Vellmer, von 1963 bis 1978 Bischof der kurhessen-waldeckschen Kirche, konsequent hinter den Theologieprofessor und seine Theologie stellten, oder zu der hessen-nassauischen Kirche, in der Martin Niemöller Bultmanns Mitgliedschaft im Prüfungsamt verteidigte,71 ging man in anderen Landeskirchen während der ersten Phase der Bultmanndebatte kritischer und misstrauischer mit der Theologie Bultmanns oder derjenigen seiner Schüler um. So kam es in der rheinischen Landeskirche im „Fall Ernst Fuchs“72 zum Eklat, als der Bultmannschüler 1949 auf den Bonner Lehrstuhl für Neues Testament berufen werden
69 Zur Frage der Entmythologisierung. Evangelische Kirche in Hessen und Nassau. Der Kirchenpräsident. Wiesbaden, den 13. November 1950. Drucksache, 16 S. (ZA EKHN, Best. 155, Nr. 166). Bultmann selbst war von Herberts Schrift sehr angetan und schrieb einen Monat nach der Veröffentlichung an Wilhelm Hahn: „Es ist mir ein Bedürfnis zu sagen, dass mir das Verfahren Ihrer Kirchenleitung in dieser Angelegenheit als schlechthin vorbildlich erscheint, und ich möchte nur wünschen, dass andere Kirchen in der gleichen Weise verfahren und durch einen ebenso ausgezeichneten Aufsatz, wie der des Herrn Propstes, Pfarrers Herbert ist, ihre Pfarrer anleiten, das Problem der Entmythologisierung zu durchdenken und zu diskutieren.“ (Brief von Prof. D. R[udolf] Bultmann an Herrn Präs.Vikar Pfarrer [Wilhelm] Hahn vom 19. 12. 1950. Maschinenschriftl., 1 S. [ZA EKHN, Best. 155, Nr. 166]). Doch auch aus den Laienkreisen kam es zu befürwortenden Voten zu der Herbertschen Schrift. So schrieb der Psychologieprofessor an der Lüneburger Hochschule, Eduard Hapke, an die hessen-nassauische Kirchenleitung: „Mit meinem verbindlichstem Dank möchte ich Ihnen meine Freude darüber aussprechen, daß dieser wichtige Vorstoß Bultmanns mit solcher Aufgeschlossenheit in der Kirche diskutiert und den Gemeinden zu ähnlich aufgeschlossenem Besinnen nahegebracht wird. Ich bin sicher, daß nur aus einer solchen von dogmatischer Verfestigung freien Haltung der Blick auf das zentrale Anliegen des Christentums festgehalten werden kann. Auch in den Gemeinden kann das Verständnis für das, worum es im Glauben geht, wie ich meine, nur dann geweckt und vor der Verführung zum ‚Bildnis und Gleichnis‘ bewahrt werden, wenn diese offene Haltung das Leben bestimmt. Die Schwierigkeiten sind fast unüberwindlich, aber die Wirksamkeit der Kirche wird davon abhängen. – Gestatten Sie mir aufrichtig zu sagen, daß meine Hoffnung in dieser Richtung sehr klein ist. Umso dankenswerter ist dieser Versuch [Herberts Schrift], dem man nur mit ganzem Herzen Erfolg wünschen kann.“ (Brief von Professor Dr. [Eduard] Hapke an das Geistliche Amt der Evangelischen Kirche, Wiesbaden vom 10. 7. 1951. Maschinenschriftl., 1 S. [ZA EKHN, Best. 155, Nr. 166]). 70 HERBERT, Kirche, 369, Fußnote 6. 71 EBD., 221. 72 Vgl. zu der folgenden Darstellung des „Falls Ernst Fuchs“ KAMINSKY, Kirche, 204–206.
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sollte und die Landeskirchenleitung gegenüber dem Kultusministerium auf Grund von Bedenken gegen die Lehre und die vermeintliche Schriftwidrigkeit der Exegese von Fuchs Veto einlegte. Dieser Auffassung schlossen sich die westfälische und lippische Kirchenleitung an. Widerstand gegen diese Entscheidung erhob sich seitens der Tübinger und der Bonner Theologischen Fakultät. Es erhob sich eine Grundsatzdebatte über die Frage des Eingriffs der Kirche in die theologisch-wissenschaftlichen Leistungen von Theologieprofessoren. 1954 lenkte die rheinische Kirchenleitung ein, Fuchs wurde rehabilitiert. Aber auch in anderen Landeskirchen stand man Bultmann kritisch gegenüber: In Baden schrieb Julius Bender, der mehrfach den Rat der EKD um eine Stellungnahme zu Bultmann ersucht hatte, im September 1949 in einem Brief an den Heidelberger Systematiker Edmund Schlink, er sei sich bewusst, „wie schwer die theologische Auseinandersetzung mit Bultmann ist“, aber es sei doch nun einmal so, „dass Bultmann’s Lehre mit dem Glauben der Christenheit im entscheidenden Punkt in Widerspruch steht. Das ohne falsches Pathos und Überheblichkeit – vor allem angesichts des subjektiven Ernstes und wissenschaftlichen Qualität Bultmann’s – festzustellen“, halte er für die Pflicht der Kirche, besonders den künftigen Amtsträgern gegenüber.73 Dementsprechend ließ Bender auf der Landessynode im Herbst 1949 in Langensteinbach verlauten, es sei zwar nicht die Aufgabe der Synode, in die Auseinandersetzung um Bultmann einzutreten, denn das erfordere „eine gründliche, des Ernstes der von Bultmann gestellten Fragen würdige Arbeit“, aber, so Bender weiter, es müsse „zugleich mit aller Einfalt und Deutlichkeit ausgesprochen werden, dass Bultmann die aller theologischen Arbeit gezogenen Grenzen dort überschreitet, wo er zu Ergebnissen kommt, die die heilsgeschichtlichen Tatsachen auflösen.“ Wenn „das Ereignis der Auferstehung Christi“ in die Nähe „des Mythischen gerückt“ werde, so könne „die Gemeinde Jesu Christi dazu nur ein klares ‚Nein‘ sagen“74. Inhaltlich ähnlich wie der badische Landesbischof, allerdings weitaus ausführlicher, positionierte sich der Landesbischof der württembergischen Landeskirche, Martin Haug, in einem Rundschreiben an die württembergische Pfarrer-
73
Briefauszug Bischof, gez. [Julius] Bender an Professor D. Dr. E[duard] Schlink vom 28. 9. 1949. Maschinenschriftl., 1 S. (LKA KA GA 8675). 74 Wort des Herrn Landesbischofs auf der Synode in Langensteinbach [1949]. Maschinenschriftl., vervielf., 1 S. (LKA KA GA 8675). Zwei Jahre später riet Edmund Schlink Bender, auch namens des derzeitigen Dekans der Heidelberger Theologischen Fakultät, Günther Bornkamm, das Thema Entmythologisierung auf der Landessynode nicht zu thematisieren, damit nicht „alte liberale Fronten wieder entstehen und sich verhärten“ (Brief des Ökumenischen Instituts der Universität Heidelberg, gez. Prof. D. Dr. E[duard] Schlink an Landesbischof D. [Julius] Bender vom 13. 9. 1951. Maschinenschriftl., 1 S. [LKA KA GA 8675]).
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schaft Ende Januar 1951.75 Haug führte in dem zehnseitigen Rundbrief aus, „der Begriff des Mythus [. . .] ist innerhalb einer am Neuen Testament ausgerichteten Verkündigung einer verharmlosenden Anwendung nicht fähig; er ist dort eindeutig negativ geprägt durch den völligen Gegensatz zur Wahrheit und Wirklichkeit des Evangeliums“. Das Problem bestehe, so Haug, darin, dass bei Glauben und Verkündigung des Wortes Gottes etwas geglaubt und verkündigt werde, „was gänzlich unabhängig von uns da ist, was uns aber existentiell ergriffen hat: die zwar verhüllte, aber wahre und wirkliche Gegenwart Jesu Christi bei seiner Kirche, die sich nie und auf keine Weise mit dem Begriff des Mythus bezeichnen lässt, ohne dass sie in ihrem Wesen zerstört würde.“76 Mit Karl Herbert kann man fragen, „ob Bultmanns Anliegen hier nicht doch entstellt wurde“77, und zwar auf Grund des Missverständnisses des Begriffs „Mythus“, dessen Verwendung bei Bultmann auf eine vollkommen andere Ebene verwies, als der herkömmliche Gebrauch es nahe legte. Haug verurteile in seinem Rundbrief nicht die Theologie im Allgemeinen, deren Dienst es bedürfe, „um unseren Predigtauftrag in intellektueller Redlichkeit zu erfüllen“, sondern die „irrige [. . .] Ausführung“78 theologischer Arbeit bei Bultmann. Den Angriff auf dessen Entmythologisierungskonzept halte er für berechtigt, da die Kritik etwas davon „spürt, wie das Geheimnis der Person Jesu Christi und seines heilsgeschichtlichen Werkes verdünnt wird zu einem aus dem Existenzverständnis der ersten Christenheit geschaffenen Kerygma.“79 Es würden, so Haug später, „mit der an der Exegese sich anschliessenden entmythologisierenden Interpretation des Textes entscheidende Züge des neutestamentlichen Kerygmas eben nicht nur interpretiert, sondern in Wahrheit doch eliminiert werden.“ Der Kern der Irritation Haugs bestand darin, dass es für den Glauben seiner Ansicht nach – und damit sprach er vielen, wenn nicht den meisten Bultmannkritikern aus dem Herzen – unentbehrlich sei, dass eine Heilstatsache wie z. B. „für uns geboren“ eben „nicht bloss im Kerygma gesagt wird, sondern wirklich geschah,“80 oder die
75 [Rundbrief] Landesbischof D. Dr. Haug, Nr. A. 1451/11. an alle Pfarrer der Landeskirche vom 26. 1. 1951. Maschinenschriftl., hektograph., 10 S. (LKA KA GA 8675 und A.OKR.Ol, OKR Generalia 1849–1958, A LVI, Nr. 158). Drei Tage später äußerte sich Haug in seinem Jahresbericht vor dem Landeskirchentag ähnlich scharf gegen die Bultmannsche Theologie (HERMLE, Die Evangelikalen, 328). 76 [Rundbrief] Landesbischof D. Dr. Haug, Nr. A. 1451/11. an alle Pfarrer der Landeskirche vom 26. 1. 1951. Maschinenschriftl., hektograph., 10 S., hier 1 (LKA KA GA 8675). 77 HERBERT, Kirche, 222. 78 [Rundbrief] Landesbischof D. Dr. Haug, Nr. A. 1451/11. an alle Pfarrer der Landeskirche vom 26. 1. 1951. Maschinenschriftl., hektograph., 10 S., hier 2 (LKA KA GA 8675). 79 EBD., 3. 80 EBD., 6.
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Auferstehung nicht nur „mythologischer Ausdruck für die Bedeutsamkeit des Kreuzes Jesu“, sondern „das grundlegende göttliche Faktum“ sei. Denn wenn, so Haug weiter, „der Herr, dem wir gehören, nur ins Kerygma hinein auferstand und nur im Kerygma lebt, kann er logischerweise nicht, wie es doch der ‚Mythus‘ von ihm aussagt, für seine Gemeinde vor dem Thron des Vaters eintreten und ihr seinen Geist als Angeld der kommenden Welt senden.“81 Haugs Rundschreiben, in Kreisen der Gemeinschaftsbewegung deutlich begrüßt, vielfach rezipiert und noch in den 1980er Jahren in der evangelikalen Bewegung gelobt, stieß bei seinen landesbischöflichen Amtskollegen nicht auf ungeteilte Zustimmung, vor allem weil es in der Debatte nun als deutliches Argument gegen Bultmann in Anwendung gebracht wurde. So schaltete sich z. B. in einen Briefwechsel zwischen dem Landwirt Wilhelm Fuhr in Rimbach im Odenwald und Kirchenpräsident Martin Niemöller über die Bultmannsche Theologie – nach Fuhr eine „eine verteufelte Wissenschaft und Bibelkritik“, die Theologiestudenten vom Glauben abbringen würde –82 der Dekan des Dekanates Rimbach im Odenwald, Trautmann, ein, und hielt Niemöller die Stellungnahme Haugs vor, die auch in Hessen-Nassau „klärend, helfend und richtungsweisend wirken“ könnte. Niemöller wurde ebenso wie der Entschluss der hessen-nassauischen Landessynode von Ende Mai 195183 81
EBD., 7. Briefdurchschlag, gez. D. [Martin] Niemöller, an Landwirt Wilhelm Fuhr, Rimbach i. Odenwald, vom 19. 5. 1951. Maschinenschriftl., 1 S. (ZA EKHN, Best. 155, Nr. 166). 83 Auf der zweiten ordentlichen Tagung der Synode der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau vom 28. bis 31. Mai 1951 wurde „über die Auswirkungen der Theologie von Professor Bultmann/Marburg, der dem Prüfungsamt unserer Kirche angehört, verhandelt. Es wurde folgender Beschluß gefasst: ‚Der Theologische Ausschuß hat Verständnis dafür, dass manche Kreise unserer Gemeinden durch die Frage der Entmythologisierung, die Professor Bultmann aufgeworfen hat, beunruhigt werden. Die Unruhe ist dadurch gesteigert worden, dass diese schwerwiegenden theologischen Fragen nicht immer mit der nötigen Sachkenntnis und oft vergröbert und unzulässig vereinfacht in die Gemeinden getragen worden sind. Demgegenüber erklärt der Theologische Ausschuß, dass das Bemühen Professor Bultmanns, die biblische Botschaft von Jesus Christus aus der Sprache ihrer Zeit in die Sprache unserer Zeit zu übertragen, als berechtigt anerkannt werden muss. So gewiss das Wort in Jesus Christus Fleisch geworden ist, kann dieses Bemühen keiner ernsten Theologie und Predigt erspart werden. Denn es geht in der Verkündigung der Kirche immer um den lebendig gegenwärtigen Christus. Das bedeutet nicht, dass die Bultmannsche Methode und ihre Ergebnisse für die Kirche verbindlich wären und nicht ernsthafte Einwände gegen sie erhoben werden könnten. Die Evangelische Kirche darf um der Wahrheit willen die theologische Diskussion darüber nicht abschneiden. Weil Jesus Christus die Wahrheit ist, braucht die Kirche diese Auseinandersetzung nicht zu fürchten. Der Theologische Ausschuß sieht deshalb auch keinen Grund in der Zusammensetzung des Prüfungsamtes eine Änderung eintreten zu lassen.“ (Briefkopie 199, gez. [Wilhelm] H[ahn] – Präsidialvikar – an den Schweiz. Evang. Pressedienst vom 13. 1. 1954. Maschinenschriftl., 1 S. [ZA EKHN, Best. 155, Nr. 166]). Dieser Beschluss wurde mit 180 befürwortenden zu acht Nein-Stimmen (davon sieben Nichttheologen 82
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von Trautmann kritsiert: Der Kirchenpräsident habe Fuhr nicht in seiner „inneren Not geholfen“, „das bisher vorhandene Vertrauensverhältnis“ zur Kirchenleitung sei nicht vermehrt worden und ein „lebendiges Glied der Gemeinde wurde dadurch in Resignation getrieben.“84 In einem zweiten Schreiben an Niemöller betonte der Dekan, man vermisse in Niemöllers Briefen „das seelsorgerliche Eingehen auf die Gewissensnöte eines aufrechten, bibelgläubigen Christenmenschen im Blick auf B.Entmythologisierung“. Weiterhin hob Trautmann hervor, dass im „Blick auf die starken Gemeinschaftsgruppen unserer Dekanatsgemeinden, die erfreulicherweise nach 1945 den Weg zur Kirche und zur aktiven Mitarbeit in den Gemeinden zurückgefunden haben, [. . .] die Mitgliedschaft Bultmanns im theol. Prüfungsausschuß eine zu große Belastung“ sei.85 Gegen die Vermutung Niemöllers, Fuhr könne einer heute „sehr gebräuchlichen Propaganda zum Opfer gefallen“ sein, verwehre man sich. Niemöller solle ein „seelsorgerliches Wort an die Amtsbrüder u. an die Gemeinden“ richten, „ähnlich dem des Herrn Landesbischof Haug-Sttgt. [. . .] Ein solches Wort ist nach unserer Meinung durch den Grundartikel der Ordnung der EKHN notwendig gefordert, weil wir Bultmanns Theologie und die Aussagen des Grundartikels nicht miteinander in Einklang bringen können. Es will uns schließlich scheinen, daß man von den Deutschen Christen nichts gelernt hat. [. . .] Es kann nicht unsere Aufgabe sein, der Bibel mit unseren mancherlei Künsten aufzuhelfen.“86 Niemöller beendete die Diskussion mit einem Brief vom November 1951, in dem es hieß, er habe den Eindruck, „daß Sie und die übrigen Mitglieder des Synodalvorstandes den Brief des Herrn Wilhelm Fuhr an mich ebenso wenig kennen, wie dieser die Theologie Bultmanns kennt.“ Fuhr gebe nur die „dumme Polemik von ‚Licht und Leben‘ oder noch einfacher konstruierter Blätter“ wider und das sei „nicht eine Angelegenheit seelsorgerlicher Bemühungen, sondern eine Frage der allerprimitivsten Sauberkeit.“ Des Weiteren distanzierte sich Niemöller auch von Haug: und ein Pfarrer) durchgesetzt. (Briefdurchschlag Nr. 7139, gez. i. A. Heß – Oberkirchenrat –, an Herrn Direktor i. R. Karl Kupfrian vom 31. 7. 1951. Maschinenschriftl., 2 S. [ZA EKHN, Best. 155, Nr. 166]). 84 Brief des Evang. Dekanats Rimbach i. O., gez. i. A. des Synodalvorstandes Trautmann, an Herrn Kirchenpräsidenten D. Niemöller vom 21. 6. 1951. Maschinenschriftl., 1 S. (ZA EKHN, Best. 155, Nr. 166). Die Antwort von Niemöller erfolgte eine Woche später, vgl. Briefdurchschlag, Nr. 6295, von [Martin Niemöller] an Herrn Dekan Trautmann vom 27. 6. 1951. Maschinenschriftl., 2 S. (ZA EKHN, Best. 155, Nr. 166). 85 Handschriftlich kommentierte Niemöller am Rande des Briefes zu dieser Passage: „Nein, nur Angst der Pfarrer vor den Gemeinschaftsleuten!“ 86 Brief des Evang. Dekanats Rimbach i.O[denwald], gez. Trautmann, an Herrn Kirchenpräsidenten D. [Martin] Niemöller DD betr.: Ihr Schreiben vom 27. 6. 51. Nr.: 6295, vom 2. 8. 1951. Maschinenschriftl., 2 S., hier 1 (ZA EKHN, Best. 155, Nr. 166).
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„Worum es mir in der ganzen Bultmann’ Geschichte geht und was mich in dem Wort des Bischofs Haug einen schwer tragbaren Konzessionsschritt sehen lässt, ist die Forderung der absoluten Aufrichtigkeit: man kann nicht Argumenten, die aus der Bibel selbst entnommen werden, durch eine kurzschlüssige Replik auf Bekenntnis oder ähnliche Autoritäten zweiter Klasse begegnen. Und wenn Sie selber sich mit der ganzen Bultmann-Frage etwas intensiver beschäftigen würden, dann würden Sie sicher Bultmann, dem größten Vorkämpfer der theologia crucis und dem stärksten Bekämpfer jeder theologia gloriae nicht den Vorwurf machen, daß er sich dem Ärgernis des Kreuzes und d. h. der Niedrigkeit des Sohnes entziehen wolle! Jedenfalls höre ich diese Deutung der Haltung B.’s zum ersten Mal in meinem Leben und halte sie für genau um 180° falsch. – Zuletzt aber möchte ich Sie fragen, ob nach der christlichen Botschaft eigentlich das Wort Fleisch geworden ist in Jesus von Nazareth oder in der ‚Bibel‘. Luther hat uns da jedenfalls eine sehr eindeutige Antwort gegeben, indem er der Bibel immer nur den Rang der ‚Krippe‘ bzw. der ‚Windeln‘ zuzugestehen bereit gewesen ist. ‚Sie trennen uns ohn‘ alle Maß’, das scheint mir heute auf niemand so sehr zuzutreffen wie auf die selbstgerechten Frommen unserer Tage, die meinen, sie hätten die Wahrheit in Besitz, ohne daß es dazu des reformatorischen Glaubens noch der neutestamentlichen agape bedürfte. Hier – und nicht bei [. . .] Bultmann sehe ich die Gefahr für die evangelische Christenheit!“87
Die Landeskirchenleitungen standen sich in der Frage der Bultmannschen Theologie während der ersten Phase der Bultmanndebatte von 1947 bis etwa Mitte der 1950er Jahre und in deren Hoch-Zeit 1950/51 in ihrer Kritik und ihrer Apologie Bultmanns wesentlich ausdifferenzierter gegenüber, als das später der Fall war, wobei die Ablehnung, zumindest in den offiziellen Verlautbarungen, überwog.88 Hier scheint sich niederzuschlagen, dass die EKD, trotz mehrfacher Bitte um eine Stellungnahme, nicht reagierte. Der vorläufige Rat der EKD, dessen Amtszeit mit der ersten Synode der EKD im Januar 1949 in Bethel endete, wollte bzw. konnte eine solche Stellungnahme nicht geben,89 der neu gewählte Rat neigte zu der Auffassung, dass es sich um „um eine Lehrentscheidung handle, für die die EKD keine Zuständigkeit habe“ und die den einzelnen Landeskirchen überlassen werden solle. Auch müsse man sich überlegen, so 1949 der Präsident der Kirchenkanzlei der EKD Heinz Brunotte an den badischen Landesbischof Julius Bender, der den Rat der EKD um eine Stel-
87
Briefdurchschlag Nr. 7501, gez. [Martin] N[iemöller] an Herrn Dekan Trautmann vom 14. 11. 1951. Maschinenschriftl., 1 S. (ZA EKHN, Best. 155, Nr. 166). 88 GRESCHAT, Protestantismus, 327. 89 Die vorläufige EKD war zu diesem Zeitpunkt schlechterdings nicht in der Lage, in ihrer eigenen schwierigen Position gegenüber den Landeskirchen sowie der Frage der eigenen Ausrichtung und Definition, solche theologischen Stellungnahmen abzugeben (zur Gründung der EKD und ihrer Geschichte in den Anfangsjahren vgl. GRESCHAT, Christenheit, 359–370).
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lungnahme zu Bultmanns Theologie bat,90 nachdem ihm der Heidelberger Systematiker Edmund Schlink dazu geraten hatte,91 „ob es richtig ist, wie es in der öffentlichen Diskussion da und dort geschieht, die Auseinandersetzung auf einige aus dem Zusammenhang gerissene und einseitig zugespitzte Sätze Bultmanns zu beschränken.“92 Man war sich sowohl an der Spitze der evangelischen Kirche als auch in den einzelnen Landeskirchenleitungen zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar darüber, welchen Stellenwert die ganze Diskussion einnehmen würde und entschied sich eher für eine Hinhalte- und Beschwichtigungstaktik. Bis 1965 delegierte der Rat der EKD die Stellungnahme zu Bultmann und später zu seinem Schülerkreis bzw. zu einzelnen Aussagen der „modernen Theologie“ an die Landeskirchenleitungen. Als im März 1965 der Rat schließlich beschloss, eine Kommission mit der Erarbeitung einer theologisch begründeten Standortbestimmung zu beauftragen, zog sich allein die Kommissionsbildung ein Jahr lang und die Kommissionsarbeit bis 1971 hin. Sie mündete dann allerdings nicht in eine gemeinsame Stellungnahme von Theologen, Vertretern der evangelikalen Bewegung und der Kirchen, sondern in ein kaum beachtetes Heft mit mehreren, sich gegenseitig kritisierenden Stellungnahmen.93 Die einzige überlandeskirchliche Stellungnahme der 1950er Jahre bot am 30. September 1953 die Bischofskonferenz der VELKD unter der Leitung von Hans Meiser mit einer „Kundgebung an die Gemeinden zur Frage der Entmythologisierung des Neuen Testaments“. Dieser Kundgebung ging eine Entschließung der Generalsynode der VELKD vom 27. April 1952 in Flensburg voraus, in der die Bischofskonferenz um eine Stellungnahme gebeten wurde.94 90 Briefdurchschläge Landesbischof, gez. B[ender] an den Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bultmann’s Entmythologisierung des Christentums betr., vom 8. 5. 1948, 30. 9. 948 und 23. 3. 1949. Maschinenschriftl., je 1 S. (LKA KA GA 8675). 91 Brief von Edmund Schlink an Landesbischof D. [Julius] Bender vom 21. 4. 1948. Maschinenschriftl., 1 S. (LKA KA GA 8675). Schlink war Mitglied des 1947 auf Antrag von Bender ins Leben gerufenen „Theologischen Amtes der Badischen Landeskirche“ (Briefdurchschlag des Landesbischofs, gez. [Julius] Bender, an Prof. Dr. [Edmund] Schlink, Heidelberg, [. . .] vom 19. 2. 1947. Maschinenschriftl., 1 S. [LKA KA GA 8675]). Neben Schlink war u. a. Mitglied dieses „Theologischen Amtes“ auch der Leiter des badischen Volksmissionarischen Amtes, Friedrich Hauß, der sich stark für „schrift- und bekenntnisgebundene Theologie“ einsetzte, als Historiker der Erweckungsbewegung Publikationen vorlegte und der Evangelisationsbewegung angehörte (zu Hauß vgl. WER WAR FRIEDRICH HAUSS?). 92 Brief der Kanzlei der Evangelischen Kirche in Deutschland, gez. [Heinz] Brunotte, an Landesbischof D. [Julius] Bender vom 6. 7. 1949. Maschinenschriftl., 2 S., hier 1 (LKA KA GA 8675). 93 Zu dieser Stellungnahme der EKD vgl. ausführlich Kap. 6. 1. 4, S. 491–499. 94 Rundbrief der Bischofskonferenz der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands – der Vorsitzende –, gez. D. [Hans] Meiser an die Kirchenleitungen der Gliedkir-
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Diese Generalsynode markierte laut Bultmann-Biograf Hamann den „Tiefpunkt der gegen Bultmann sich richtenden Kampagnen“95. So war in Flensburg kein einziger Vertreter der Bultmannschule zugegen – dagegen sprach sich neben dem Neuendettelsauer Praktischen Theologen Georg Merz und dem Münsteraner Ethiker Heinz-Dietrich Wendland der Erlanger Systematiker Walter Künneth unter dem Beifall von vor allem Nichttheologen scharf gegen Bultmanns Zerstörung des kirchlichen Zeugnisses auf Grund seiner Philosophierezeption aus.96 Kurz zuvor hatte der Münsteraner Systematiker Ernst Kinder „Ein Wort lutherischer Theologie zur Entmythologisierung. Beiträge zur Auseinandersetzung mit dem theologischen Programm Rudolf Bultmanns“ herausgegeben. Darin hatte Künneth bereits unter dem Titel „Bultmanns Philosophie oder Heilswirklichkeit?“ den „status confessionis“ – gemeint war der „casus confessionis“ –97 festgestellt. In dem Sammelband übten neben Künneth die Neuendettelsauer Theologen Eduard Ellwein und der wie Künneth in Flensburg als Referent geladene Georg Merz, der Kreisdekan von Nürnberg Julius Schieder sowie Ernst Kinder in je eigenen Artikeln mit ähnlicher Stoßrichtung Kritik an Bultmann. Die Kritik zielte auf die vermeintliche Zertrümmerung „des synoptischen Evangeliums als einer Geschichtsquelle“ im Anschluss an Wrede,98 auf Bultmanns Ablehnung der „Auferstehung [als] objektiv feststellbares Factum“99, Bultmanns Verhaftung im Rationalismus der Aufklärung bzw. im „rationalen Prinzip“,100 auf die Tatsache, dass die Anziehungskraft seiner Theologie eher „psychologisch“ denn theologisch zu werten sei,101 die Ignoranz der Kirche bei Bultmann, „deren“ Buch die Bibel sei,102 die Reduzierung des Glaubens bei
chen der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands, Betr.: Kundgebung der Bischofskonferenz zur Frage der Entmythologisierung, vom 17. 10. 1953. Maschinenschriftl., hektograph. 5 S., hier 1f. (LkAH, Best. B 1/ 2670 B: Unterricht. der Geistlichen über Entmythologisierung, Bd. 1). 95 HAMANN, Bultmann, 242. 96 STRATMANN, Kein anderes Evangelium, 26. 97 KÜNNETH, Bultmanns Philosophie, 61. Zu der inhaltlich unangemessenen Verwendung des terminus technicus der evangelikalen Bewegung in den 1960er, 1970er Jahren „status confessionis“ als Bezeichnung für „Bekenntniskampf“ und der eigentlich präziseren Bezeichnung „casus confessionis“ vgl. STRATMANN, Kein anderes Evangelium, 47, Fußnote 25. Stratmann erörtert die Fehlbezeichnung im Anschluss an Hans Christoph von Hase. 98 EIN WORT, 12f. 99 EBD., 16, 95. 100 EBD., 35, 65. 101 EBD., 37. 102 EBD., 38–46.
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Bultmann durch die „Nicht-Historizität“ der Heilstatsachen103 und auf die „Vergewaltigung des Neuen Testaments“ durch „Strukturen und Normen“, die nicht dem NT, „sondern dem Standort und der Situation Fernstehender“104 entnommen seien. Angeklagt wurde die massive Zugrundelegung des „historischen Kritizismus“ und des „Historisch-Relativen“, das in der Feststellung der völligen mythologischen Überwucherung der biblischen Erzählung, die nicht nur gereinigt, sondern ganz eliminiert werde, münde, worin sich Bultmann als neue Blüte am alten Liberalismus erweise.105 Bultmann gehe aber sogar über den Liberalismus hinaus und wolle die Geschichte „von innen“ verstehen.106 Untragbar seien seine Projektion eines „mythischen“ Weltbildes des NT, mit dem sich Wunder und Dämonenvorstellungen erledigten,107 die Voraussetzung, der Glaube sei an ein bestimmtes Weltbild gebunden,108 die Fehleinschätzung Bultmanns, der moderne Mensch wende sich von den „mythischen Mächten“ ab – im Gegenteil, er sei am „Intellektualismus“ gescheitert und habe „Sehnsucht nach dem Irrationalen und Transzendenten“ –, die „unerträglich [. . .] schillernde Ausdrucksweise“ Bultmanns und dass bei ihm an die Stelle „der tatsächlichen Wirklichkeit [. . .] die subjektive Geltung und Deutung“ trete.109 Positiv formulierten die Autoren dagegen nur wenige eigene Standpunkte: Glaube habe immer einen „Geschehensgrund“ oder „objektive Fakta“,110 an denen er sich entzünde, für die Auslegung der Bibel dürften weltliche und menschliche Betrachtungsweisen nicht das Maß sein,111 „historisch“ meine im „einfachen Sinne“ „tatsächlich objektiv geschehen“112, Offenbarung sei nicht nur Anrede des Menschen, sondern „Mitteilung von einem Faktum“ und das „Faktum der Heilsoffenbarung“ sei „primäre Voraussetzung des sekundären Glaubens“113 sowie: Bultmanns Lehre sei Irrlehre.114 Künneth prägte das Diktum von der Voraussetzung der Theologie: „Die historische Fragestellung sowie die gesamte theologische Wissenschaft sind niemals voraussetzungslos.
103 104 105 106 107 108 109 110 111 112 113 114
EBD., 46–54. EBD., 57. EBD., 65–67, 94f. EBD., 68. EBD., 69. EBD., 76. EBD., 77–79. EBD., 23, 47. EBD., 33. EBD., 48. EBD., 78f. EBD., 96.
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Vorbedingung ist das Faktum der Auferstehung des Gekreuzigten, die ‚Theologie der Auferstehung‘.“115 Die Broschüre „Ein Wort lutherischer Theologie zur Entmythologisierung“ wurde von der bayrischen, der Hannoverschen, Hamburgischen und badischen Landeskirchenleitung an alle Geistlichen der vier Landeskirchen verschickt,116 was für Unmut und Verwirrung unter den Befürwortern der Bultmannschen Theologie und für entsprechende Reaktionen gegenüber den Landeskirchenleitungen sorgte.117 Auf publizistischer Ebene setzte sich Friedrich Gogarten kritisch mit der Broschüre Kinders auseinander.118
115
KÜNNETH, Bultmanns Philosophie, 88. Brief des Evangelischen Pressverbandes für Bayern, gez. R[obert] Geisendörfer, an das Evang.-Luth. Landeskirchenamt Hannover vom 18. 1. 1952. Maschinenschriftl., 1 S.; Rundverfügung G 9/52 des Landeskirchenamtes der Evang.-Luth. Landeskirche Hannovers an sämtliche Pfarrämter, gez. [Hanns] Lilje, vom 9. 5. 1952. Maschinenschriftl., 1 S.; Brief von Hans-Werner Bartsch an Landesbischof D. Dr. [Hanns] Lilje vom 12. 11. 1952. Maschinenschriftl., 1 S. (LkAH, Best. B 1/ 2670 B: Unterricht. der Geistlichen über Entmythologisierung, Bd. 1); Konzept eines Rundbriefes des Evang. OKR an sämtliche Dekanate, betr.: „Zur Entmythologisierung“, vom Juni 1952. Maschinenschriftl., 2 S. (LKA KA GA 8675). 117 Das Versenden dieser Schrift mit dem Hinweis, es enthalte „wertvolles Material“, wurde von verschiedenen Seiten sorgenvoll beanstandet. So schrieb der Verleger Herbert Reich an Lilje, es gehe das Gerücht einer „Anti-Bultmann-Hetze“ der Landeskirchenleitung auf Grund der Versendung der Kinder-Broschüre um. Reichs Votum war nicht ganz uneigennützig, empfahl er doch der Landeskirchenleitung stattdessen das Verschicken der in seinem Verlag erscheinenden Heftreihe „Kerygma und Mythos“ (Brief an Landesbischof D. Dr. Hanns Lilje, gez. Herbert Reich, vom 17. 11. 1952. Maschinenschriftl., 1 S. [LkAH, Best. B 1/ 2670 B: Unterricht. der Geistlichen über Entmythologisierung, Bd. 1]). Das Hospiz des Klosters Loccum beanstandete nicht nur das Versenden der Kinderbroschüre, sondern dass die VELKD die Theologie Bultmanns als „gefährlich für die Lehre und Verkündigung“ bezeichnen und damit die Freiheit der Verkündigung eingeengt werden könne. Die Mehrzahl der Hospites sei der Ansicht, „es würden durch die Theologie Bultmanns neue Wege zu einer schrift- und bekenntnisgemäßen Verkündigung an den heutigen Menschen gewiesen.“ (Brief des Hospiz’ des Klosters Loccum an das Landeskirchenamt der ev.luth. Landeskirche Hannovers, betrifft: Beschluß der Flensburger Generalsynode der VELKD betreffend die Theologie R. Bultmanns, vom 1. 7. 1952. Maschinensschriftl., 1 S. [LkAH, Best. B 1/ 2670 B: Unterricht. der Geistlichen über Entmythologisierung, Bd. 1]). Weitere Beschwerdebriefe liegen vor in Akte LkAH, Best. B 1/ 2670 B: Unterricht. der Geistlichen über Entmythologisierung, Bd. 1. 118 In der 1953 erschienen Broschüre „Entmythologisierung und Kirche“, und noch stärker im Vorwort der zweiten Auflage von 1954, griff Gogarten das Buch Kinders scharf an und warf der VELKD vor, sich mit ihrer Erklärung zu sehr auf das „Wort lutherischer Theologie zur Entmythologisierung“ berufen zu haben – im Übrigen der Grund, warum er sich überhaupt mit dieser Schrift auseinander setze (GOGARTEN, Entmythologisierung, 1953, 68–98; GOGARTEN, Entmythologisierung, 1954, 7–18). Gogartens Antwort auf seine rhetorischen Eingangsfrage, warum Bultmann in dem Büchlein dieser „lutherischen Theologen“ radikal abgelehnt werde, obwohl dessen exegetische Arbeiten von eben den Autoren als „meisterhaft“ gelobt würden, lautete: „Der Grund ist leider erschreckend einfach. Man wird nur dann von einem Gegner, auch dann, wenn man in 116
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Die Generalsynode der VELKD im April 1952 in Flensburg, die an diese schriftlichen und mündlichen Auseinandersetzungen anschloss und deren Verlauf wiederum in die Kritik geriet, gab in ihrem Beschluss „ihrer Sorge um die Zurückdrängung, Verflüchtigung und Preisgabe der Heilstaten Gottes Ausdruck und bat die Bischofskonferenz um eine Klärung“.119 In der zweiseitigen Kundgebung der Bischofskonferenz hieß es nun, bezüglich der „Predigt [. . .] von Tod und Auferstehung“ sei „in den letzten Jahren in der Kirche selbst begründete Besorgnis entstanden“. Denn, so die Bischofskonferenz weiter, einige „Lehrer der theologischen Wissenschaft“ stünden in der Gefahr, „bei ihrem Bemühen um eine ‚Entmythologisierung des Neuen Testaments‘, wie sie das nennen, den Inhalt der Verkündigung zu vermindern oder gar zu verlieren. Sie sehen, dass die Aussagen des Neuen Testaments das äußere Gewand der damaligen Denkweise tragen. Aber wir müssen sie fragen, ob sie darüber nicht
der Gegnerschaft ihm gegenüber verharrt, etwas lernen, und man wird auch nur dann etwas Stichhaltiges gegen ihn vorbringen können, wenn man ihn verstanden hat. Das aber hat von diesen Verfassern keiner getan.“ (GOGARTEN, Entmythologisierung, 1953, 72). Sodann prangerte Gogarten die „erstaunlich naive Selbstverständlichkeit“ an, mit der die Verfasser Begriffe der Philosophie einer vergangenen Epoche benutzten (EBD., 72f.). In der nachfolgenden Passage weist Gogarten den „lutherischen Theologen“ schlichte Unfähigkeit des Lesens nach (EBD., 73–80), „eine sehr dunkle und unbestimmte Vorstellung“ des Terminus „existential“ und die ständige Verwechslung der Philosophie Heideggers mit Satres Existentialismus (EBD., 80–83). Noch schlimmer aber, so Gogarten, als Bultmanns Theologie nicht zu verstehen, „was ja schließlich nicht so unbedingt nötig wäre; allerdings wäre es dann doch empfehlenswert, nicht über ihn zu schreiben“ (EBD., 86), seien die verhängnisvollen theologischen Implikationen der Fehlinterpretation von „Wort Gottes“ bei den Autoren. Indem Gottes Wort interpretationslose Tatsache sein solle und nicht über den unauflösbaren Zusammenhang von Wort und Tat bei Gott nachgedacht werde, sondern „Wort Gottes“ in Wort und mitgeteiltes „Faktum“ zerfalle, werde die „Ursünde“ lutherischer Theologie als „lutherische Theologie“ proklamiert (EBD., 87–93). Weiterhin erörtert Gogarten das für ihn äußerst problematische Verhältnis von „Kirche und Bibel“ bei den „lutherischen Theologen“ (EBD., 94–98), das insofern in gefährliche Nähe zum Katholizismus gerate, als dass die Kirche als Sicherung des Wortes Gottes verstanden werde. Im Vorwort der zweiten Auflage von Gogartens schmalem Buch kommen zu dieser grundsätzlichen Kritik noch Monita zur Sprache, die sich auf die Repliken Kinders auf Gogartens Erstauflage bezogen. Auch hier zeigt Gogarten an Hand einiger Beispiele auf, dass nun er nicht verstanden oder nicht gelesen wurde (GOGARTEN, Entmythologisierung, 1954, 7–18) und tadelt die Generalsynode der VELKD, die eine solche „lutherische“ Theologie als die ihre akzeptierte, sie publizieren und verschicken ließ und die Autoren als Referenten auf die Synode einlud: „Meine Polemik und ihre Schärfe haben ihren Grund nicht in einem sachlichen Gegensatz, sondern erstens in dem, was auch diese neue Schrift Kinders charakterisiert: in der schlechterdings unerlaubten Art seines Lesens. Und zweitens darin, daß die lutherischen Kirchenleitungen sich zur amtlichen Information über Bultmanns Theologie einer Berichterstattung bedienten, die auf einem solchen Lesen beruht, wie ich es in meinem Seminar keinem Studenten durchgehen ließe. Ich muß darum noch einmal sagen: Bei solchem Lesen verkommt die Theologie.“ (EBD., 16). 119 STRATMANN, Kein anderes Evangelium, 26.
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die Tatsachen verleugnen, die die Schrift bezeugt.“ Es sei dringende kirchliche Aufgabe, mit diesen Theologen die „Auseinandersetzung“ (nicht das Gespräch!) zu suchen, aber darüber hinaus „rufen wir unsere Gemeinden auf: Lasset uns festhalten an dem Bekenntnis zu Jesus Christus als dem menschgewordenen, gekreuzigten und auferstandenen Herrn, der zur Rechten des Vaters lebt und regiert und dereinst in Herrlichkeit wiederkommen wird.“120 Diese Kundgebung wurde auf Beschluss der Bischofskonferenz am letzten Sonntag im Kirchenjahr, am 22. November 1953, als Kanzelabkündigung den Gemeinden der der VELKD zugehörigen Kirchen verlesen,121 abgesehen von der Hannoverschen Landeskirche, deren Leitung, speziell Hanns Lilje, dieser Anordnung gegenüber „starke[. . .] Bedenken“ anmeldete. Da in den Gemeinden generell kaum eine Bereitschaft bestehe, im Gottesdienst „längere Kundgebungen mit schwierigen theologischen Gedankengängen so aufzunehmen, wie es um der Sache willen gewünscht sein muß“, darüber hinaus im Speziellen aber auch zur Entmythologisierung zu wenig Vorwissen unter den Laien herrsche, um die Notwendigkeit einer solchen Kundgebung zu rechtfertigen, lehne man in Hannover eine Verlesung im Gottesdienst ab. Vor allem aber rate man von der Kanzelabkündigung ab, heißt es in dem Schreiben des Hannoverschen LKA an den Vorsitzenden der Bischofskonferenz im November 1953, da die Kundgebung „dem Ernst des theologischen Bemühens nicht gerecht“ werde, „das hinter der Frage der Entmythologisierung“ stehe und besonders jüngeren Geistlichen als eine „Vereinfachung“ vorkommen werde und andere Pfarrer sich daraufhin möglicherweise gar nicht mehr theologisch mit dem Fragekomplex auseinandersetzten.122 Die Wirkung der Kundgebung der Bischofskonferenz war, soweit das zu beurteilen ist, nicht von großer Tragweite und löste eher im Lager der Bultmannfreunde und bei Bultmann Enttäuschung über das Missverständnis aus, 120 Kundgebung der Bischofskonferenz an die Gemeinden zur Frage der Entmythologisierung des Neuen Testaments, gez. D. [Hans] Meiser, Tutzing, den 30. 9. 1953. Maschinenschriftl., hektograph., 2 S., hier 2 (LkAH, Best. B 1/ 2670 B: Unterricht. der Geistlichen über Entmythologisierung, Bd. 1). 121 Rundbrief der Bischofskonferenz der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands – der Vorsitzende –, gez. D. [Hans] Meiser an die Kirchenleitungen der Gliedkirchen der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands, Betr.: Kundgebung der Bischofskonferenz zur Frage der Entmythologisierung, vom 17. 10. 1953. Maschinenschriftl., hektograph. 5 S., hier 4 (LkAH, Best. B 1/ 2670 B: Unterricht. der Geistlichen über Entmythologisierung, Bd. 1). 122 Briefentwurf des LKA [der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannovers], Nr. 9902 II 4 III 12, an den Vorsitzenden der Bischofskonferenz der Vereinigten Ev.-luth. Kirche Deutschlands Herrn Landesbischof D. Meiser vom 11. 11. 1953. Maschinenschriftl., 2 S. (LkAH, Best. B 1/ 2670 B: Unterricht. der Geistlichen über Entmythologisierung, Bd. 1).
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das die Stellungnahme charakterisierte,123 als dass sie im kirchlichen Bereich auf weitreichende Rezeption stieß. Im Mai 1972 sprach der Nachfolger Liljes, der Hannoversche Landesbischof Eduard Lohse, Bultmann anlässlich eines Besuches bei dem 88jährigen Theologen im Namen der Bischofskonferenz der VELKD „ein Wort des Bedauerns über die beschämenden Stellungnahmen [aus], die die Repräsentanten der lutherischen Kirche einst zu seiner Theologie abgegeben hatten.“124 Insgesamt kann resümiert werden, dass die ablehnenden Voten gegen die Theologie von Bultmann um 1950 vornehmlich und ursprünglich aus Laienkreisen, den Synoden und zu einem kleineren Teil aus den Kreisen der Pfarrer, Dekane oder Superintendenten kamen, hin und wieder auch aus den Reihen der Vertreter der Volksmission, z. B. dem Leiter des Amtes für Evangelisation und Volksmission der Kirche im Rheinland, Fritz Schindelin,125 oder vereinzelt von Theologen wie den schon genannten oder aber dem Betheler Dozenten für Altes Testament Hellmuth Frey, der 1950 einen Rundbrief an alle Landeskirchenleitungen in Deutschland verschickte, nachdem er bei der Vorbereitung
123
Vgl. BARTSCH, Stand, 11–21; HAMANN, Bultmann, 424–426. EBD., 432. 125 Fritz Schindelin, seit 1949 Leiter des rheinischen Amtes für Volksmission, setzte sich deutlich gegen Bultmann ein. In mehreren Briefen an Niemöller mahnte Schindelin beim Kirchenpräsidenten an, „das Vertrauen, das sich die Männer der neuen Kirchenleitungen durch ihr Verhalten im Kirchenkampf bei vielen Gemeindegliedern [. . .] erworben haben, ist drauf und dran, restlos verloren zu gehen, wie es zum Teil schon verloren gegangen ist. Sehen Sie das nicht, oder wollen Sie das nicht sehen? [. . .] Ich trete nicht für ‚Ketzerverbrennung‘ in irgend einer Art ein, aber für die Ausübung des Wächteramtes der KL, auch gegenüber der inneren Bedrohung der zum Wort sich haltenden Gemeinde.“ (Brief von Fritz Schindelin, Tgb.Nr. 627/50, an Kirchenpräsident D. D. [Martin] Niemöller vom 7. 7. 1950. Maschinenschriftl., 2 S., hier 2 [ZA EKHN, Best. 155, Nr. 166]). In ähnlichem Tenor drängte Schindelin in einem Brief vom 22. September 1950 Niemöller, so klar wie Bender auf der badischen Landessynode oder Joachim Beckmann im Fall Fuchs klar gegen Bultmann Stellung zu beziehen (Brief des Volksmissionarischen Amtes der evangel. Kirche im Rheinland, Tgb.Nr. 856/50, gez. Fr[itz] Schindelin, an Kirchenpräsident D. Martin Niemöller vom 22. 9. 1950. Maschinenschriftl., 2 S. [ZA EKHN, Best. 155, Nr. 166]). Bemerkenswert ist, dass auch der Leiter des Amtes für Evangelisation und Volksmission der rheinländischen Kirche von 1977 bis 1992, Klaus Teschner, ein Protagonist der nunmehr evangelikalen Bewegung war. Er habe die „Denkanstöße und Praxisprojekte des Pietismus“ in die Kirche einbringen wollen, ließ Teschner anlässlich des Empfangs zu seinem 65. Geburtstag 2003 im rheinischen Landeskirchenamt verlauten (TESCHNER, Kopf bis Fuß). 1977 gehörte Teschner zum Leitungskreis des „Gemeindetages unter dem Wort“, beteiligte sich 1985 am Kirchentag und, so schätzten es evangelikale Mitarbeiter ein, „machte[. . .] mit, obwohl [er] den Kirchentag geistlich genauso schlimm und gefährlich einschätz[te], wie es die Vertreter der Bekenntnisbewegung [KAE] auch tun“ (AFFELD, Kirchentag, 15f.). Anhand der Leitung des rheinischen Volksmissionarischen Amtes zeigt sich deutlich, dass Vertreter der Volksmission mitunter als Verbindungsglieder zwischen Landeskirchenleitung und evangelikaler Bewegung fungierten. 124
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auf die Osterpredigt dazu „den inneren Auftrag“ erhalten hatte.126 In dem Rundbrief Freys hieß es, dass Bultmanns Lehre „dem innerlich noch nicht voll überwundenen Liberalismus in unserer Kirche neue Lebenskraft zuführe“, und wenn sich unter anderem „eine nicht unbeträchtliche Zahl von jungen, nicht mehr durch die reifenden Jahre des Krieges gegangenen Brüdern sich gläubig der neuen ‚Vergeistigung‘ des Neuen Testaments aufschließen“ so sei das für die Zukunft der Kirche bedenklicher „als der manchmal nicht ganz geschickt vorgetragene Widerspruch gegen die Bultmannsche Lehre aus verschiedenen Lagern“. Frey betonte, eine Kirche, die es durch den Mund ihrer Diener zulasse, dass die „Person unseres Herrn Jesus Christus, seine Auferstehung angetastet“ werde, würde gemäß der Bibel „vom Herrn weggeräumt werden“. Wichtigere Aufgabe der Kirche als über Bultmanns Theologie zu debattieren sei, „vor der Gemeinschaft zu bezeugen, was sie glauben darf und verkündigen muß“, und zwar den „historischen Grund“ des Glaubens. Die Gemeinde, so Freys Wahrnehmung, schreie „heute nach einem schlichten und gültigen Wort, das ihr sagt, wo die Kirche steht und was sie von ihren Lehrern erwarten darf“. Aus diesem Grund fügte Frey seinem Anschreiben eine „Vorlage für eine Kanzelabkündigung zum Lehrstück von der Auferstehung des Herrn und der Toten“ bei, in dem das Nicäno-Konstantinopolitanum als wortwörtlich zu glaubende Bekenntnisgrundlage der Kirche proklamiert wurde und besonders die Ältesten der kirchlichen Presbyterien und Gemeindevertretungen aufgefordert wurden, „an Hand der Schrift und der Bekenntnisse unserer Väter alle Lehre zu prüfen.“127 Noch kritischer setzten sich Einzelvereine der landeskirchlichen Gemeinschaften und der Gnadauer Verband mit Bultmann auseinander. Nachdem schon 1950 verurteilende Artikel zu Bultmann im Gnadauer Gemeinschafts126 Frey, Hellmuth: Die Geschichte der Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“. Vortrag gehalten am 14. Juli 1966 auf der Pfarrerkonferenz in Bethel. Drucksache, 11 S., hier 4 (EZA 2/992). Zu Hellmuth Frey vgl. besonders HOLTHAUS, Fundamentalismus, 250f. Holthaus bemerkt, Frey habe trotz seiner in den 1950er, 1960er Jahren zu verzeichnenden massiv kritischen Haltung gegenüber der historisch-kritischen Methode deren Ergebnisse wie die beiden verschiedenen Schöpfungsberichte und ein Weltbild des AT, das auch religiöse Vorstellungen anderer Kulturen übernommen habe, „schon über dreißig Jahre vorher in seiner Auslegung des Alten Testaments [. . .] gerne rezipiert.“ (EBD., 250). 127 Abschrift des Briefes von Pastor Hellmuth Frey an die Leitung der Ev. Kirche in Hessen und Nassau z. Hd von Herrn Kirchenpräsident D. [Martin] Niemöller vom 8. 4. 1950. Maschinenschriftl., vervielf., 5 S. (ZA EKHN, Best. 155, Nr. 166). Frey erhielt kaum Reaktionen auf seinen Rundbrief. Der Rat der EKD beschied ihm durch den theologischen Referenten der Kirchenkanzlei, Edo Osterloh, dass das von Frey „aufgeworfene Problem [. . .] auf einer anderen Ebene und wahrscheinlich auch mit anderen Mitteln“ zu bearbeiten sei (zitiert nach HERMLE, Die Evangelikalen, 327).
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blatt erschienen waren, die wiederum Gläubige zu kritischen Anfragen an die Landeskirchenleitungen bewegten,128 nahm der Vorstand des Gnadauer Verbandes im Februar 1951 in einer „Erklärung“ Stellung „zu dem Streit um die Entmythologisierung des Neuen Testamentes“. In der von Walter Michaelis, dem Präses des Gnadauer Verbandes im Namen des Vorstandes unterzeichneten Erklärung hieß es, man achte alle Bestrebungen, „den entfremdeten Menschen von heute die Botschaft von unserem Herrn Jesus Christus so zu bringen, daß sie sich angesprochen und angelockt fühlen“ und widerspreche dem entschieden, „dies auf Kosten des Wahrheitszeugnisses des Neuen Testaments zu tun, um dadurch dem Anstoß, den der entfremdete Mensch an der Botschaft nimmt, wie man meint, gerecht zu werden.“ Besonders wende man sich dagegen, „die Mitte der Botschaft des Neuen Testaments, die vom Kreuz und der Auferstehung Christi, anzutasten und zu entleeren.“ Alle kirchlichen Führungspersönlichkeiten und „akademischen Lehrer der Theologie, die auf dem Bekenntnisgrund der Kirche stehen“ seien gebeten, „durch ein klares Zeugnis diese Entmythologisierung abzulehnen“129. Stellt man den zentralen „Bekenntnissatz“ dieser Erklärung, „[wir erheben unsere Stimme] im Namen Jesu und der Gemeinde aller Zeiten, deren Glaubensgrund der stellvertretende Sühntod des Sohnes Gottes und deren Kraftquelle und Hoffnung der aus dem Grabe Erweckte war und ist“, neben Aussagen von Bultmann in „Neues Testament und Mythologie“, ist erstaunlich, wie nahe sich die Erklärung des Gnadauer Vorstandes und Bultmanns theologischer Ansatz prinzipiell standen. Es stellt sich die Frage, wogegen sich eigentlich das „dagegen“ richtet, bis auf die, durch keine Argumentation gestützte Interpretation, durch Bultmann werde die Mitte der Botschaft des Neuen Testaments angetastet und dies spiegle den „theologischen Liberalismus einer vergangenen Generation“ wider. Diese Erklärung verdeutlicht unter anderem, wie stark bei der Bultmannkontroverse das Problem der divergierenden theologischen Vorkenntnisse zum Tragen kam. Dieser Umstand brachte in die Debatte stete Missverständnisse und sich daraus ergebend die emotionale Vehemenz ein. Die Vereinfachung der Bultmannschen Theologie auf Schlagworte wie „Antasten von Heilstatsachen“, „Auflösung der biblischen Aussagen“, „Verabschiedung von den kirchlichen Bekenntnissen“ usw. weist eine Simplifizierungstendenz innerhalb von christlichen Laienkreisen auf, bei der von einer Entkoppelung 128 So z. B. Brief von Walter Hofheinz, Vers. Inspektor a. D., Karlsruhe, an Herrn Landesbischof Dr. [Julius] Bender vom 18. 7. 1950. Maschinenschriftl., 2 S. (LKA KA GA 8675). 129 Erklärung. Zu dem Streit um die Entmythologisierung des Neuen Testaments erklären die Mitglieder des Gnadauer Vorstandes. I. A. W[alther] Michaelis. Bad Soden, den 15. Februar 1951. Drucksache, 1 S. (LKA KA GA 8675); STRATMANN, Kein anderes Evangelium, 20.
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von akademischer Theologie und Gemeindefrömmigkeit gesprochen werden muss. Dass diese Tendenz auch bewusst verstärkt wurde, zeigt die Entstehung eines wirkungsgeschichtlich bedeutsameren Dokuments als es die „Erklärung“ des Gnadauer Vorstandes darstellte, nämlich diejenige des 1951 verfassten und verbreiteten Flugblattes „Es geht um die Bibel. Ein Wort an alle bibelgläubigen Kreise unserer evangelischen Kirche“, das von 29 Vertretern des württembergischen Pietismus unter der Ägide des Leiters der Hahnschen Gemeinschaft, Julius Beck, unterzeichnet wurde. Beck hatte, „bestärkt durch die [. . .] Unterstützung seitens des Landesbischofs“ Haug mit seinem Rundbrief vom Januar 1951 eine „Evangelisch-Kirchliche Arbeitsgemeinschaft für Biblisches Christentum“ gegründet, dessen erstes Resultat die Flugschrift war.130 In dem Flugblatt wurde die Bultmannsche Theologie folgendermaßen dargestellt: „Was uns die Bibel als die zentralste Heilstatsache bezeugt, ist für Bultmann Mythe oder Legende. So kann er sagen: Erledigt ist die Legende von der Jungfrauengeburt. Erledigt ist die Tatsache, daß Jesus Gottes eingeborener Sohn ist! Erledigt sind die Wunder des Neuen Testaments. Erledigt ist der Geister- und Dämonenglaube. Erledigt ist die Geschichte von der Höllenfahrt Jesu. Erledigt ist die Auferstehung Jesu Christi als ein wirkliches und historisches Ereignis. Erledigt ist die Geschichte von der Himmelfahrt Jesu. Erledigt ist die ‚mythische Eschatologie‘, d. h. die Tatsache von der Wiederkunft Christi. Erledigt ist die Tatsache der wirklichen und wahrhaftigen Auferstehung. Erledigt ist die Tatsache eines neuen Himmels, einer neuen Erde, wo der Tod nicht mehr sein wird. Was bleibt nach solcher Entmythologisierung noch übrig? Ein Trümmerhaufen menschlicher Philosophie! [. . .] An allen evangelischen theologischen Fakultäten Deutschlands wird heute überwiegend die Meinung vertreten und gelehrt, daß das Wort der Bibel wohl Gottes Wort genannt, aber doch in dem Sinne verstanden wird, daß es Gottes Wort mit Menschenwort vermischt enthält. Wir halten es darum nicht mehr für tragbar, daß Männer ins Pfarramt kommen, die nicht auf dem Boden der vollen Inspiration stehen. Denn wo das nicht der Fall ist, ist der Offenbarungsglaube der Heiligen Schrift als der alleinigen Autorität geleugnet. [. . .] Die Vernunft des Menschen ist Maßstab und leitende Autorität, und nicht die Führung und Erleuchtung durch den Geist Gottes. Wenn die zukünftigen Pfarrer und Prediger auf das apostolische Glaubensbekenntnis unserer Väter verpflichtet werden, dann ist es unmöglich, daß sie gleichzeitig im Geiste der Bibelkritik das Amt führen. Wir geben ein solch ‚entmythologisiertes‘ Glaubensbekenntnis wieder, und zwar den 2. Glaubensartikel: Ich glaube an Jesus Christus, den eingeborenen Sohn Gottes, unsern Herrn; der empfangen ist vom heiligen Geist, geboren aus Maria, der Jungfrau. Der gelitten hat unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben, niedergefahren zur Hölle, am dritten Tage wieder auferstanden, aufgefahren gen Himmel, sitzend zur Rechten Gottes, von dannen er wiederkommen wird, zu richten die Lebendigen und die Toten. Wir kommen zu dem Ergebnis: Es
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HERMLE, Die Evangelikalen, 328.
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ist ganz untragbar, daß die Kirche Jesu Christi Diener am Wort unter sich hat, die entscheidende Heilstatsachen des Wortes Gottes leugnen. Hier muß etwas geschehen.“131
In der Folge der Verbreitung dieses Flugblattes geschah in der Tat einiges, z. B. ging aus dem Kreis der Verfasser der Flugschrift bzw. der „Evangelisch-Kirchlichen Arbeitsgemeinschaft für Biblisches Christentum“ die „Ludwig-HofackerVereinigung“ hervor,132 die in den kommenden Jahrzehnten maßgeblich als evangelikale Trägergruppe in Württemberg tätig war. Außerdem bewirkte das Flugblatt die kritische Bezugnahme auf den Pietismus in einem Absatz des 1952 von der Tübinger Theologischen Fakultät vorgelegten Gutachtens „Für und wider Bultmann“, was wiederum neue Kontroversen auslöste. Darauf wird an späterer Stelle eingegangen werden – hier ist vorerst bemerkenswert, vor welchem Eigenanspruch Becks dieses Flugblatt entstand. Dies stellte einer der Mitbegründer der „Ludwig-Hofacker-Vereinigung“, der Pfarrer Alfred Ringwald, in seinen Reminiszenzen zur Anfangszeit der Vereinigung dar: „In dem Flugblatt war der zweite Glaubensartikel abgedruckt und all das durchgestrichen, wovon Bultmann in seiner Schrift sagte, daß es ‚erledigt‘ sei [. . .]. Ich fragte Rektor Beck, warum er es so vereinfache; schließlich seien diese Fragen doch diffiziler. Darauf antwortete er: ‚Das weiß ich auch, aber so allein verstehen es unsere Brüder und Schwestern. Ich kann ihnen mit theologischen Subtilitäten und Spitzfindigkeiten nicht kommen. Ein Arzt muß bei seinem Kranken auch sein Latein zu Hause lassen und ihm klar sagen, daß er ein tödliches Geschwür hat, und daß nur eine Operation ihn am Leben erhalten kann.‘ Diese Antwort blieb mir unvergesslich, und ich verstand, daß zur Aufgabe des Wächters auch die des Dolmetschers und Seelsorgers gehört.“133
Hier wird deutlich, dass das es schon in der ersten Hoch-Zeit der Bultmanndebatte Personen und Kreise gab, die wussten, dass Bultmanns Theologie mehr (oder weniger) als die Auflösung von Bibelaussagen enthielt, diesen Umstand aber ebenso bewusst verschwiegen und oder verzerrt darstellten. Hier kann von bewusster Irreführung gesprochen werden, die weitgehend der Dynamik der Entstehung einer Protestbewegung geschuldet ist. Auf diese Dynamik wird in Kap. 5 ausführlich eingegangen werden. Weiterhin zeigen die Hintergründe der Flugschrift das Bewusstsein in Gemeinschaftskreisen, „Wächter“ von Theologie und Kirche zu sein. Dieses 131 Es geht um die Bibel. Ein Wort an alle bibelgläubigen Kreise unserer evangelischen Kirche (WEG UND ZEUGNIS, Bd. 1, 127–129). 132 Vgl. HOLTHAUS, Fundamenalismus, 258f.; WEG UND ZEUGNIS, Bd. 1, 126–129. 133 Ringwald, Alfred: Ludwig Hofackers Ruf einst und jetzt. Stuttgart 1969, zitiert nach: EBD., 126.
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Selbstverständnis entwickelte sich um 1950 in der ersten Phase der Bultmannkontroverse hin zu einem „Richter“amtsverständnis, ganz im Sinne des Arztes, dem es obliegt, tödliche Geschwüre zu diagnostizieren und zu entfernen – eine Selbstwahrnehmung, die die evangelikale Bewegung besonders in der Zeit von 1966 bis 1970 kennzeichnete und bis heute anhält. Das württembergische Flugblatt stellte in dieser Hinsicht keinen Einzelfall dar. Auch in der 1951 von Heinrich Jochums, dem Leiter der „Evangelischen Gesellschaft“, dem Kreisbruderrat der Bekennenden Kirche im Siegerland vorgelegten „Erklärung zur Lehre Bultmanns“ wurde das Richteramt in Anspruch genommen. Jochums bezeichnete Bultmann samt seinen Anhängern als „außerhalb der Jesus Christus bekennenden Kirche, ja, wider dieselbe“ agitierend und der Autorität der Heiligen Schrift „Kritik und Verachtung“ entgegenbringend und schloss die „Erklärung“ ohne Präsentation einer stichhaltigen Widerlegung Bultmanns oder einer eigenen theologischen Fundierung mit dem inquisitorischen Satz: „Deshalb haben Vertreter der Lehre Bultmanns im Dienste der Verkündigung und im Dienst der Ausbildung der Diener am Wort innerhalb der Jesus Christus bekennenden Kirche keinen Platz.“134 Die Selbstbestimmung als nunmehr „Wächter“ und „Richter“ in einem war nur unter den Bedingungen einer teilweise extremen Polarisierung und der damit einhergehenden Kampagne gegen theologische Bildung in den Gemeinden möglich. Das schien in manchen Teilen der evangelikalen Trägergruppen zunehmend nicht nur problemlos in Kauf genommen, sondern auch bewusst forciert zu werden, allzumal die eigene Positionsbestimmung gerade in den 1950er Jahren sowohl in der Gemeinschaftsbewegung als auch der DEA eher von Unsicherheiten bestimmt war. Allerdings war eine derart scharfe Haltung um 1950 noch keineswegs repräsentativ für den größten Teil der Gemeinschaftsbewegung. Wie sich im Folgenden zeigen wird, war die Wirkung des Flugblattes der württembergischen Pietisten unter Leitung Becks – der ja nicht den in Württemberg zahlenmäßig größten Altpietistischen Gemeinschaftsverband vertrat, sondern die schon seit jeher auch im Gnadauer Verband nicht unumstrittene Hahnsche Gemeinschaft – den Gemeinschaftsbewegungsvereinen zu einem Großteil gar nicht bewusst und der Präses des Gnadauer Verbandes äußerte gegenüber Jochums bzw. dessen separatistischem Kurs mehrmals intern Kritik. Ende der 1950er Jahre zeichnete sich eine Abspaltung der „Evangelischen Gesellschaft“ vom Gnadauer Gemeinschaftsverband ab, der letztlich aber nicht vollzogen wurde. Im Mai 1959 schrieb der Präses des Gnadauer Verbandes, Haarbeck, an Max Fischer, dass man mit Jochums noch einiges erleben könne und zwar in negativer Hinsicht.
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Jochums, Heinrich: Erklärung zur Lehre Bultmanns (EBD., 130–132).
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Haarbeck fügte an: „[. . .] und ich sehe mit einiger Sorge den Auseinandersetzungen im Gnadauer Vorstand entgegen, die wohl nicht ausbleiben werden.“135 Im Dezember 1959 vermeldete Haarbeck an Fischer, man stehe im Rheinland „jetzt kurz vor dem Bruch“. Haarbeck erwarte, „daß Br. Jochums in Bälde den Austritt der Evang. Gesellschaft aus dem Rheinischen Gemeinschaftsbund anmeldet. Das würde eine Verlagerung der Auseinandersetzung auf GesamtGnadau bedeuten, was mir insofern lieb ist, da ich dann der Unterstützung mancher Gnadauer Brüder gewiß sein darf.“136 Kurz zuvor ließ Fischer in einem Brief an Haarbeck einiges an Charakteristika Jochums’ durchblicken. In dem Brief berichtete Fischer hocherfreut von dem erfolgreich und „sehr rege“ verlaufenem Gespräch zwischen Vertretern des Pietismus und Karl Barth und schloss: „Jochums würde ja wahrscheinlich wieder schreiben ‚Mir kann nichts imponieren‘ und das imponiert mir auch nicht gerade.“137 Seit 1951 begann die Kontroverse über Bultmann in den „Gesprächen zwischen Gemeinschaftsbewegung und Kirche“ die zentrale Rolle zu spielen und löste die Tendenzen der gegenseitigen Verständigung in der unmittelbaren Nachkriegszeit in wachsendem Maße ab. Die Theologische Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen bot im Winter und Frühjahr 1951 den württembergischen Gemeinschaftsbewegungskreisen zweimal an, gemeinsam über Bultmann und seine Theologie ins Gespräch zu kommen. Der Stiftsprediger und Prälat in der württembergischen Kirchenleitung Karl Hartenstein verhielt sich zu diesem Angebot zögerlich und begründete seine Zurückhaltung damit, dass Bultmanns Anliegen, an das Zeugnis Jesu in den Evangelien grundsätzlich und primär von der urchristlichen Gemeinde her heranzukommen“ und den „den Sitz im Leben der Tradition in der urchristlichen Gemeinde der 2. u. 3.
135 Briefdurchschlag [von Hermann Haarbeck] an Max Fischer vom 6. 5. 1959. Maschinenschriftl., 2 S., hier 1 (AEGGK, II: Verhältnis Gnadaus zur Evang. Kirche, Nr. 111: Kirchenkampf – Beurteilung). 136 Briefdurchschlag [von Hermann Haarbeck] an Max Fischer vom 3. 12. 1959. Maschinenschriftl., 1 S. (AEGGK, II: Verhältnis Gnadaus zur Evang. Kirche, Nr. 111: Kirchenkampf – Beurteilung). 137 Brief von Max Fischer an [Hermann] Haarbeck vom 24. 11. 1959. Maschinenschriftl., 1 S. (AEGGK, II: Verhältnis Gnadaus zur Evang. Kirche, Nr. 111: Kirchenkampf – Beurteilung). Im Protokoll der Ludwig-Hofacker-Konferenz vom Juni 1961 klingen ebenfalls reservierte Untertöne gegenüber Jochums an, wenn es heißt, es sei am Schluss der Veranstaltung „etwas belastend [gewesen], dass er [Oberstudienrat Emil Schäf] ausser den trefflichen Büchern von Chambon auch die Schrift Jochums und die Hefte des Bibelbundes anbot.“ (Bericht über die Ludwig-Hofacker-Konferenz am 1. Juni 1961 in Stuttgart. Maschinenschriftl., 2 S., hier 2 [LKAS A 126, Nr. 1177, 148]).
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Generation“ zu sehen, mache es „den Gemeinschaften grundsätzlich unmöglich“, sich mit ihm zu verständigen. Es sei „unseren Gemeinschaften aller Schattierungen niemals beizubringen, daß es sich in den synoptischen und im johanneischen Zeugnis im Wesentlichen um das Kerygma der Urgemeinde handelt“. Er erwarte deshalb von einer Aussprache mit den Gemeinschaften um beider Seiten willen praktisch nichts“, sondern befürchte, dass das Gespräch dem Ansehen der Fakultät Schaden zufügen und „die Distanz noch [. . .] vergrößern“ würde und wollte es auf keinen Fall unter den „Auspizien“ des württembergischen Oberkirchenrates durchgeführt wissen.138 Ein Jahr später vermerkte der Prälat im Zusammenhang eines Konfliktes zwischen einem Pfarrer der Kirchgemeinde Beinstein und dem Prediger der Munderschen Gemeinschaften Paul Laipple, der in der örtlichen Jugendarbeit „Zweigleisigkeit“ betrieb, es sei auch an dieser Stelle sichtbar, „daß der Pietismus in seltsamer Weise glaubt, von der ungläubigen Kirche abrücken zu müssen. Ein Vorgang, den wir mit grossem Ernst verfolgen müssen.“139 Hartenstein konnte diese Vorgänge nicht mehr mitverfolgen – er starb am 1. Oktober 1952.140 Das Resümee des Stuttgarter OKR in der Angelegenheit in Beinstein aber verdeutlichte einmal mehr die große Unwissenheit gegenüber theologischen Fragen in Gemeinschaftskreisen: „Da die Unterredung ergab, dass die Leitung der ‚Landeskirchlichen Gemeinschaft‘ sich nicht bewusst ist, der Landeskirche gegenüber eine andere Stellung als seither einzunehmen“, würde es „sich nicht empfehlen, eine grundsätzliche Sache daraus zu machen.“141 Die von Hartenstein ursprünglich verfolgte Taktik, keine grundsätzlichen Debatten heraufzubeschwören, gelang nicht auf Dauer – dazu war die Kontroverse bereits in den theologischen, kirchlichen und Laienkreisen zu fortgeschritten. Im August 1951 fand in Bad Boll eine Theologentagung zur Theologie Bultmanns statt, auf der unter anderen Hellmuth Frey im Zusammenhang mit „Fragen der historischen Kritik und der Entmythologisierung“ über den Bultmannschen „Mythos“ und Ernst Kinder über „Historische Kritik und Entmy-
138
[Aktennotiz und handschriftliche Notizen], 11.4.–24. 7. 1951. Maschinenschriftl. und handschriftl, 1 Bl. (LKAS A 126, Nr. 1177, 051). 139 [Vermerk von Hartenstein vom 29. 4. 1952 auf] Brief des Ev. Dekanatamtes Waiblingen, gez. Zeller, an den Ev. OKR vom 2. 4. 1952. Maschinenschriftl., 1 Bl. (LKAS A 126, Nr. 1177, 062). 140 Zu Hartenstein vgl. Bautz, Friedrich Wilhelm: Hartenstein, Karl, in: BBKL 2 (1990), 572–574. 141 Briefkopie des Ev. OKR betr. Landeskirchliche Gemeinschaft in Beinstein an das Ev. Dekanatamt Waiblingen vom 10. 7. 1953. Maschinenschriftl., 2 S. (LKAS A 126, Nr. 1177, 071).
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thologisierung“ sprachen,142 im Januar 1952 eine ähnlich ausgerichtete in der Evangelischen Akademie der Badischen Landeskirche in Bad Herrenalb.143 Am 20. und 21. Dezember 1952 kamen auf Anregung der theologischen Fakultät Tübingen schließlich in kleiner Runde Vertreter der Fakultät und der Gemeinschaftsbewegung in der Evangelischen Akademie Bad Boll zusammen. Von allen Beteiligten wurde im Nachgang die konstruktive Atmosphäre dieser Tagung gelobt: „Es konnten alle Sorgen und Bedenken laut werden, die die Gemeinschaftskreise in Württemberg im Blick auf eine Theologie der Entmy-
142 Theologentagung Bad Boll 9.–15. 8. 1951. Thesen des Referates „Fragen der historischen Kritik und der Entmythologisierung“ von Dozent Dr. Hellmuth Frey, Bethel. Maschinenschriftl., 12 S. (LKA KA GA 8675). Gedruckt erschien der Vortrag von Frey 1952 unter dem Titel „Das Wort ward Fleisch“. Ernst Kinders Referat „Historische Kritik und Entmythologisierung“ fand in dem 1952 von ihm herausgegebenen „Ein Wort lutherischer Theologie zur Entmythologisierung“ Eingang. 143 Akademieleiter Dr. Hans Schomerus resümierte die Tagungsergebnisse nach dem Treffen in Bad Herrenalb anstelle eines Berichtes einen Rundbrief mit hohem „Maß von Subjektivität“, wie er selbst eingangs betonte, und umriss die Situation, in die die Bultmannsche Theologie die Gläubigen stelle, pointiert: „Die Atomphysik belehrt uns, dass z. B. ein Brieföffner, den wir zur Hand nehmen, nur nach dem Maß eines bestimmten Wirklichkeitsmodells ein realer Gegenstand ist. Selbstverständlich ist dieses Wirklichkeitsmodell gültig und man kann sich darauf verlassen, dass ein Brieföffner eben ein Brieföffner ist. Aber es gibt auch ein anderes Wirklichkeitsmodell, und nach dessen Maß ist der Brieföffner kein realer Gegenstand mehr sondern ein Geschehen. Nach den Maßstäben der atomaren Wirklichkeit ‚ist‘ er nur, weil er ‚sich ereignet‘. Man könnte überspitzt sagen ‚Ein Stern ist ein Stern, weil er .‘ Die Welt ist, weil sie weltet. Denn die Grundbegriffe der heutigen Physik und Biologie bezeichnen etwas rein Energetisches und Dynamisches [. . .]. Nun also wird – und das ist am Ende Bultmanns entscheidende Rolle – auch die Theologie in diesen geistesgeschichtlichen Prozeß einbezogen. Und hier beginnt der gläubige Christ sich zu verteidigen, denn er fühlt sich in seiner Existenz bedroht. Er verliert den Boden unter den Füßen. Dass Gott in Christus Mensch wurde, dass Christus leibhaftig auferstand, alle diese Fundamentaltatsachen des christlichen Glaubens geraten in den Strudel der Dynamisierung. Der Glaube kann sich nicht mehr an feststehenden Orientierungspunkten orientieren, er kann – nur noch glauben. Und es stellt sich heraus, dass wir uns alle das ‚allein aus dem Glauben‘ so nicht gedacht haben. [. . .] In einem gewissen Sinn ist der Existentialismus eine Konsequenz der Reformation.“ Trotzdem kam Schomerus zu dem Schluss, dass Bultmann „nicht mehr legitimer Interpret des modernen menschlichen Selbstverständnisses zu sein“ scheine, da Glauben stets „etwas Verläßliches zu Grunde“ liege, das „wir aber nach dem Maß unserer irdischen und zeitlichen Erkenntnis“ stückweise erfassten. Dieses „Verlässliche“, das an der Geschichte festhalte, gebe Bultmann in einer „fanatische[n] Überbetonung der Rechtfertigungslehre“ auf. Die Tagung habe zwar eine Ratlosigkeit hinterlassen, aber in der liege auch eine Verheißung, so Schomerus: die Theologie müsse und wolle hinein „in die Landschaft, in der nichts mehr zu stehen sondern alles zu fließen scheint. Aber wir sind in dieser Landschaft verloren, wenn wir nicht das Verläßliche unseres Glaubens mit hineinnehmen.“ Eine ganz neu durchdachte Inkarnationslehre von der Ontologie her entworfen, wäre, so der Akademieleiter, Ausweg aus dem Dilemma ([Rundbrief] Tagung „Entmythologisierung“ vom 18. bis 20. Januar 1952 in Herrenalb/Schwarzwald, gez. Hans Schomerus. Maschinenschriftl., hektograph., 4 S. [LKA KA GA 8675]).
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thologisierung auf dem Herzen tragen“. Gleichermaßen hätten die Vertreter der Tübinger Evangelisch-Theologischen Fakultät den anwesenden Brüdern zu zeigen vermocht, „dass es ihnen nicht um eine Zerstörung der Schrift und ihrer Vertrauenswürdigkeit zu tun ist, sondern um eine tief ehrfürchtige Erfassung und Vergegenwärtigung der biblischen Botschaft.“144 Der Direktor der Evangelischen Akademie Bad Boll, Eberhard Müller, konstatierte in einem Rundbrief, auf der Tagung in Bad Boll sei es besonders um die Frage gegangen, „ob Bultmann und seine Schüler als heretisch aus der Kirche auszuweisen sind oder ob – wie die Tübinger Fakultät es wünscht – die dadurch aufgeworfenen Fragen im wissenschaftlichen Gespräch weiter geklärt werden sollen. Das im Dezember stattgehabte Gespräch ist nach dem Eindruck aller Teilnehmer ausserordentlich fruchtbar verlaufen.“ Ein neues Treffen sei deshalb für das Frühjahr 1953 in Bad Boll geplant.145 Dieses „Gespräch zwischen Pietismus und Theologie“ vom 30. April bis 2. Mai 1953 in Bad Boll, bei dem auch der württembergische Landesbischof Martin Haug anwesend war, stand ganz unter dem Motto „Entmythologisierung“, und brachte, etwas überraschend angesichts der „fruchtbaren“ Sitzung viereinhalb Monate zuvor, schärfere Töne in die Diskussion. So monierten die Vertreter der württembergischen Gemeinschaftsverbände, die dieses Gespräch angestoßen hatten, explizit die Erklärung der Fakultät Tübingen „Für und wider Bultmann“, die nicht mehr nur unter dem Aspekt der fehlenden konsequenten Stellungnahme gegen Bultmann gesehen wurde, sondern in ihrem antipietistischen Tenor. Als beleidigend wurde seitens der Gemeinschaftsvertreter empfunden, dass in dem Gutachten zum Ausdruck käme, die Pietisten strebten die Alleinherrschaft in der Kirche an, und dass diese Aussage auf der Tagung 1953 in Bad Boll nicht zurückgenommen worden sei.146 144 Rundbrief Einladung nach Bad Boll an die Herren und Brüder, gez. Karl Fezer (Tübingen), Karl Flander (Winnenden), Kircher (Tübingen), Adolf Köberle (Tübingen), Kühn (Liebenzell), Immanuel Pfizenmaier (Stuttgart), Hanskarl Riedel (Esslingen), Martin Sayer (Stuttgart-Bad Cannstatt), von Ostern 1953. Maschinenschriftl., hektograph., 1 S. (AEGGK, II: Dienst und Mitarbeit, 5. Gespräche Pietismus – Theologie, Nr. 251: Bad Boll 1947–1953); vgl. auch den Bericht [über das Gespräch am Wochenende des 4. Advents 1952 zwischen Vertretern der Tübinger Fakultät und der württ. Gemeinschaftsbewegung in der evangelischen Akademie Bad Boll] vom 19. 12. 1952. Maschinenschriftl., 1 S. (AEGGK, II: Dienst und Mitarbeit, 5. Gespräche Pietismus – Theologie, Nr. 251: Bad Boll 1947–1953). 145 Rundbrief der Evangelischen Akademie, der Direktor [Eberhard Müller], an Pastor Harbeck [sic!], Leiter des Johanneums, Wuppertal-Barmen, [. . .] vom 6. 3. 1953. Maschinenschriftl., 2 S. (AEGGK, II: Dienst und Mitarbeit, 5. Gespräche Pietismus – Theologie, Nr. 251: Bad Boll 1947–1953). 146 Besprechung zwischen Mitgliedern der Tübinger Fakultät und Vertretern des schwäbischen Pietismus. Durchschlag, maschinenschriftl., 2 S., hier 1 (AEGGK, II: Dienst und Mitarbeit, 5.
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Das Gutachten „Für und wider die Theologie Bultmanns“ der Tübinger Theologischen Fakultät war auf Bitte des Stuttgarter OKR erstellt und am 11. März 1952 dem württembergischen Landeskirchentag vorgelegt worden. Im Wesentlichen wurde es von dem Kirchenhistoriker und Lutherforscher Hanns Rückert verfasst. Nahezu zeitgleich wurde auf Bitte der Westfälischen Kirchenleitung ein Gutachten der Theologischen Schule Bethel erstellt – die ebenfalls um ein Gutachten gebetene Theologische Fakultät der Münsteraner Universität reagierte nicht.147 Das Betheler Gutachten wandte sich ganz klar gegen Bultmann, da bei ihm das „Interpretieren [. . .] gegen seinen Willen zum Eliminieren“ werde.148 In der Tübinger Denkschrift hob der Verfasser Hanns Rückert eingangs hervor, dass die gegenwärtige „Krise der Theologie“ nicht von Bultmann hervorgerufen worden sei – seine Theologie stelle lediglich ihr Symptom dar.149 Er bilde insofern einen Sonderfall, als dass seine Theologie sich als Resultat der „noch nicht wirklich beantwortete[n] Fragen“ des Liberalismus des 19. Jahrhunderts ergebe sowie eine „Hinwendung zu Luther, die in der Zeit nach dem ersten Weltkrieg die Theologie auf eine neue Ebene hob“, darstelle.150 Zwischen diesen beiden Strömungen eine Balance gefunden zu haben, sei sowohl die Stärke als die Schwäche von Bultmann: „Bultmann“, so der Lutherforscher in dem Gutachten, „kann immer sowohl von seiner Herkunft aus dem Liberalismus als
Gespräche Pietismus – Theologie, Nr. 251: Bad Boll 1947–1953). Der von Eberhard Müller im Namen aller Teilnehmer verfasste Tagungsbericht lässt auch nicht an ein gelungenes Treffen denken. Nach einer kurzen Zusammenfassung der Referate resümierte Müller, dass „der Fortgang des Gesprächs“ gezeigt habe, „daß die Kirche Jesu sich ständig vor zwei Entstellungen in der Osterverkündigung hüten muß“: Einerseits vor dem unpersönlichen Konstatieren der Auferstehung, ohne sich dem Ruf des Auferstandenen zum Glauben und zur Nachfolge zu öffnen und andererseits der Leugnung der historischen Verankerung des Heilshandeln Gottes, das eben nicht nur eine innerpersönliche Angelegenheit sei. Von einem „fruchtbaren“ Gespräch o. ä. ist in Müllers Bericht an keiner Stelle die Rede. Allerdings endet er mit der beschwörenden Formel: „Aus diesem brüderlichen Gespräch wurde uns erneut klar, daß die Arbeit einer schriftgebundenen Theologie und das Zeugnis der glaubenden Gemeinde von Christus selbst zum Dienst aneinander gewiesen sind und daß wir darum nicht voneinander lassen dürfen.“ (Die Vertreter der Tübinger Theologischen Fakultät und des Pietismus gaben über ihr Treffen in Bad Boll einmütig folgenden Bericht heraus, gez. im Namen aller Teilnehmer Dr. Eberhard Müller, 2. 5. 1953. Maschinenschriftl., 1 S. [AEGGK, II: Dienst und Mitarbeit, 5. Gespräche Pietismus – Theologie, Nr. 251: Bad Boll 1947–1953]). 147 Frey, Hellmuth: Die Geschichte der Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“. Vortrag gehalten am 14. Juli 1966 auf der Pfarrerkonferenz in Bethel. Drucksache, 11 S., hier 5 (EZA 2/992). 148 STRATMANN, Kein anderes Evangelium, 27f. 149 RÜCKERT, Für und wider, 409. 150 EBD., 413.
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auch von seiner Herkunft aus der reformatorischen Theologie verstanden werden.“ Die Meinungen über Bultmann seien dementsprechend auch innerhalb der Tübinger Theologischen Fakultät disparat und das mache „eine einheitliche und abschließende Stellungnahme der Fakultät unmöglich“, und zwar nicht in dem Sinne, dass es eine Gruppe für und eine Gruppe gegen Bultmann gäbe, sondern eine Gruppe, die die Gefahren der Bultmannschen Theologie im Auge habe und eine andere Gruppe, die das Bultmannsche Anliegen stärker aufnehmen wolle.151 Hinsichtlich der Anbindung Bultmanns an die lutherische Theologie sei wesentlich, dass Bultmann ganz im Sinne Luthers für den Glauben eine Begründung biete, die durch „keine historische Kritik am Neuen Testament erschüttert werden kann“ – im Gegenteil: „deren reformatorische Spitze um so schärfer hervortritt, je rückhaltloser das Historische im Neuen Testament der Kritik ausgesetzt wird.“152 Selbst bei aller Kritik an einem Anschluss theologischer Systeme an die Philosophie – der allerdings kirchengeschichtlich zu allen Zeiten stattfand –153 könne Bultmann durch seinen Anschluss an die Existenz151 EBD., 415. Die Meinungen dieser beiden Fraktionen wurden von Rückert ausführlich dargestellt: einmal die, die bei Bultmann die Gefahr eines extremen Liberalismus bzw. Rationalismus sähen, der das moderne naturwissenschaftliche Weltbild an das NT herantrage und es passfähig mache (EBD., 421) und zum zweiten diejenigen, die besonders die Unterscheidungsfähigkeit des Bultmannschen Ansatzes zwischen Menschen- und Gotteswort hervorheben würden und deshalb die Entmythologisierung gerade als Ent-Rationalisierung würdigen könnten (EBD., 421f.). Wie man nun letztlich die Bultmannsche Entmythologisierung interpretiere, hänge nicht davon ab, wie Bultmann sie gemeint habe, sondern in welche Richtung sich die Theologie nach ihm formiere. Gegen eine Entwicklung in die erstgenannte Richtung wolle sich die Theologische Fakultät Tübingen – das verspreche sie der Kirche – mit allen Kräften wehren (EBD., 422). Die reale Fraktionierung innerhalb der Fakultät zeigte sich auch an zwei kritischen Stellungnahmen von Fakultätsangehörigen zu diesem Gutachten. Zum ersten intervenierte der Praktische Theologe Karl Fezer auf dem Landeskirchentag am 11. März, als das Gutachten verlesen wurde, und äußerte seine „grössere[n] Bedenken [. . .] als sie im Gutachten der Fakultät [. . .] zum Ausdruck kommen“ gegenüber der Bultmannschen Theologie, besonders hinsichtlich der Problematik, wie man mit Bultmann in Predigt und Seelsorge von der Auferstehung Christi sprechen könne (Ausführungen von Professor D. [Karl] Fezer zur Verlesung des Gutachtens der Evang. Theol. Fakultät Tübingen im Evangelischen Landeskirchentag in Stuttgart am 11. 3. 1952 [Auszug aus dem Protokoll des Evang. Landeskirchentages]. Maschinenschriftl., vervielf., 3 S., Zitat 1 [AEGGK, II: Dienst und Mitarbeit, 5. Gespräche Pietismus – Theologie, Nr. 251: Bad Boll 1947–1953]). Nahezu ein Jahr später meldete sich der Tübinger Neutestamentler Otto Michel mit einer kritischen Reflexion zu dem Gutachten zu Wort. Michel, späterer Mitbegründer des Albrecht-Bengel-Hauses und ein auch in evangelikalen Kreisen akzeptierter Exeget, fragte an, ob das „Gutachten nicht an einem sehr schwer erträglichen Harmonisierungsversuch“ leide und hier gegenwärtiger Relativismus und Skeptizismus Einzug hielten (Ein kritisches Wort zu einem Fakultätsgutachten, gez. Otto Michel, Tübingen, den 21. Januar 1953. Maschinenschriftl., vervielf., 3 S., Zitat 2 [AEGGK, II: Dienst und Mitarbeit, 5. Gespräche Pietismus – Theologie, Nr. 251: Bad Boll 1947–1953]). 152 RÜCKERT, Für und wider, 414. 153 EBD., 417.
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philosophie nicht die Absicht der Auflösung der Offenbarung Christi untergeschoben werden,154 denn er wache durchaus darüber, das „Evangelium nicht in das System der Existenzphilosophie eingehen zu lassen“. Kritisch allerdings sei zu konstatieren, dass sich bei Bultmann die Heilsgeschichte auf das Kreuz Christi reduziere – Geburt, Leben, Lehre und Auferstehung Christi verlören ihre „selbständige Heilsbedeutung“155, letztlich rückten alle Erlösungsmomente metaphysischer Art (Erlösung der gesamten Schöpfung, nicht nur des Menschen, Überwindung der Dämonenwelt und des Teufels usw.) bei ihm außerhalb des Blickwinkels. An dieser Stelle fragt Rückert in rhetorischer Wendung an, ob das nicht „eine ganz extreme Spiritualisierung und Subjektivierung der Verkündigung, in der sich Wesentliches verdünnt und verflüchtigt“, bedeute, „eine Verarmung, die man nur mit tiefer Sorge konstatieren“ könne, um darauf selbst zu antworten, diese vermeintliche Verkürzung bei Bultmann stelle eigentlich eine Reduzierung auf „das zentrale Thema des Neuen Testaments [dar]. Daß es so ist, darüber sollte in einer evangelischen Kirche kein Streit möglich sein. Das Ein und Alles ist ihm die Lehre von der Rechtfertigung allein durch den Glauben.“156 Auch Luthers Theologie sei im Gegensatz zur katholischen eine Verengung auf das zentrale Anliegen der Schrift: das „Nadelöhr der Rechtfertigungslehre“.157 „Wer das nur einen Augenblick vergißt“, so Rückert, „der jedenfalls hat kein Recht, innerhalb einer Kirche der Reformation Bultmann wegen Verkürzung des Evangeliums anzuklagen.“ Problematisch allerdings sei allein schon Bultmanns Terminologie: Das Wort „Entmythologisierung“ sei „nicht nur eine Sünde gegen die deutsche Sprache, sondern auch inhaltlich eine der unglücklichsten Schöpfungen Bultmanns“, da der Begriff „Mythos“ so ungeklärt bliebe und von vornherein nur Verwirrung stifte.158 Im Prinzip meine Bultmann mit Entmythologisierung eine „Binsenwahrheit“ der Theologie,159 nämlich die Unterscheidung von „Wort Gottes und dem geschichtlich bedingtem Menschenwort, in, mit und unter dem es sich in der Schrift bezeugt“160. Als besonders bemerkenswert hob Rückert die Strenge der durch Bultmann aufgeworfe154
EBD., 416. EBD., 418. 156 EBD., 419. 157 An der Stelle nahm Rückert eine Argumentation auf, die Bultmann selbst in dem 1952 erschienen Aufsatz „Zum Problem der Entmythologisierung“ thematisierte: Radikale Entmythologisierung sei die Parallele zur paulinisch-lutherischen Rechtfertigungslehre ohne Gesetzeswerke, allein durch Glauben. 158 RÜCKERT, Für und wider, 420. 159 EBD., 421. 160 EBD., 420. 155
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nen Frage hervor, was Glauben heiße und bedeute. Deshalb spitzten sich in den Diskussionen auch die Anwürfe gegen Bultmann an diesem Punkt zu: Glaube ohne Heilstatsachen, ohne historische Realität, die geglaubt werde, sei rein subjektiver Glaube und damit eine immanente, rein anthropologische Haltung. Allerdings müsse jeder, der am Gespräch mit Bultmann teilnehme, sich fragen lassen, ob „Begriffe wie objektiv und subjektiv, transzendentes Gegenüber und Immanenz, reale Wirklichkeit, geschichtliche Tatsache, Vergangenheit und Zukunft in ihrer Anwendung auf die Offenbarung so sachgemäß sind, wie es im allgemeinen als selbstverständlich vorausgesetzt wird. Gerade diese Selbstverständlichkeit bestreitet Bultmann“161. An dieser Stelle gingen die jeweiligen Vorverständnisse der Diskussionsteilnehmer besonders weit auseinander, so Rückert. Vor allem die gängige Vorstellung, man könne sich im subjektiven Glaubensakt objektiv gegebene Glaubensinhalte aneignen, verkehre den neutestamentlichen Glaubensbegriff vollkommen in sein Gegenteil: dass „der Glaube dasselbe, gegenwärtig an mir geschehende Werk Gottes ist wie sein in Christus ein für allemal für mich geschehenes Werk, das ist eine der Grundeinsichten der Reformation“. Die „Verklammerung der Heilstat Gottes in Jesus Christus und des Glaubens an Jesus Christus zu ein und demselben Heilsgeschehen“ verbiete es, ein Heilsgeschehen erst einmal als historisches Ereignis zu betrachten, „zu dem dann die Verkündigung davon und der Glaube daran als ein zweites und drittes hinzukommen“. Die „Eigenart des Heilsgeschehens [ist bei einer solchen Annahme] verfehlt.“ Glaube geschieht, und da sei Bultmann Recht zu geben, nicht im „Objekt-Subjekt-Schema“.162 Kritik äußerte Rückert an Bultmann hinsichtlich der Frage, ob Bultmanns „Redeform“ davon, dass der „Glaube ein neues Selbstverständnis des Menschen einschließt“, das alle Möglichkeiten des Menschen sprengenden „Überwältigtwerden von einem göttlichen Gegenüber“ im Glaubensakt nicht stark genug zum Ausdruck bringe und damit doch wieder der Zusammenhang von Offenbarung, Wort und Glauben verloren gehe.163 Aber selbst diese kritische Überlegung könne nicht davon ablenken, dass Bultmann nachweislich nicht das „Bekenntnis zu Jesus Christus als dem Auferstandenen“ streiche, wie ihm häufig „unterschoben“ werde: für Bultmann sind Kreuz und Auferstehung „von Gott her eine einzige unauflösbare Tat“. Denn wenn aus der Auferstehung „ein Tatsachenbeweis [wird], auf dessen Überzeugungskraft sich der Glaube stützen kann, so versteht man die Auferstehung schon nicht mehr als Tat Gottes, sondern sieht in ihr nur noch
161 162 163
EBD., 423. EBD., 424. EBD., 425.
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einen wunderhaften Naturvorgang. Damit wird aber zugleich der Glaube verkehrt in eine Haltung, die Garantien sucht außerhalb des Wortes [. . .].“164 Bultmann nun setze sich dem Verdacht aus, bei der biblisch und reformatorisch richtigen Verklammerung von Kreuz und Auferstehung die Auferstehung im Auferstehungsglauben völlig aufzulösen – das sei eine Folge der „bisher bestenfalls nur mangelhaft gelungenen“ Durchführung seiner „richtigen Anliegen“. Das Gespräch mit Bultmann, so festgehalten in der Denkschrift, dürfe keinesfalls abreißen, auch wenn der Wirklichkeitsbegriff Bultmanns ein anderer sei als der des „schlichte[n] gläubige[n] Christ[en]“, der sich eben darum in den Aussagen Bultmanns nicht wieder finde – was ein „sehr ernster Einwand gegen“ Bultmann sei, allerdings nicht das einzige Kriterium seiner Beurteilung. Die Theologie als Ganze stehe mitunter in dem Verdacht, „als wollte sie sich vom schlichten Glauben entfernen. Es gibt Situationen, in denen es nicht gelingt, diesen Verdacht völlig zu beseitigen.“ Dann bitte „die Theologie“ „die Gemeinde“, „nicht vorschnell zu richten im Wissen um die Grenzen der eigenen Glaubenserkenntnis.“165 Dem Vorwurf, Bultmann verwirre und verunsichere Theologiestudenten, und seine Theologie bringe für den Dienst ungeeignete Vikare hervor, begegnet die Denkschrift außerordentlich skeptisch: „Die Fakultät hat diese Beobachtungen mit ihren eigenen verglichen und muß auf Grund davon zunächst vor Übertreibungen, Verallgemeinerungen und Vereinfachungen der ursächlichen Zusammenhänge warnen.“ Die überwiegende Mehrheit der Bultmannschüler würde in der kirchlichen Öffentlichkeit gar nicht als solche auffallen. Problemfälle von gescheiterten oder „in der Krise stecken gebliebenen“ Studierenden würden quantitativ überbewertet. Es seien viele Fälle von Gerüchten über frivole Äußerungen von Vikaren im Umlauf gewesen, die sich bei Nachforschung kirchlicher Gremien als haltlos herausgestellt hätten. Die Studienabbrecherzahlen würden in der Theologie generell steigen und zwar auch bei denjenigen, die mit der Bultmannschen Theologie nichts zu tun hätten. Dieses Phänomen werde von der Fakultät mit Besorgnis wahrgenommen.166 Außerdem sei, wenn junge Vikare „grobe Ungeschicklichkeiten“ begingen oder „bedauernswerte Aussprüche“ verlauten ließen, neben ihrem jugendlichen Alter immer in Rechnung zu stellen, „daß der gegenwärtige Pfarrermangel die Kirchenleitung in die Notwendigkeit versetzt, die Vikare viel zu früh auf Stellen zu verwenden, wo sie in der Fülle der anfallenden Arbeit ertrinken.“ Der Übergang vom Studium zum Pfarramt müsse allmählich geschehen und Raum für die innerliche Verar164 165 166
EBD., 426. EBD., 427. EBD., 428.
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beitung des Studiums lassen. Dies sei momentan durch die äußeren Rahmenbedingungen nicht gegeben. Trotz all dieser Einwände gebe es tatsächlich gescheiterte Studierende im Umfeld Bultmanns oder durch dessen Theologie hervorgerufene Glaubenskrisen bei Studierenden.167 Allerdings hieße es „sich über den Sinn der Pfarrervorbildung sehr falsche Vorstellungen machen, wenn man ihr die Aufgabe zuweisen wollte, die Studenten der Theologie um jeden Preis vor solchen inneren Gefährdungen zu bewahren.“ Die „Bewährung“ in der „scharfen Luft [. . .], die da weht, wo um die Wahrheit gerungen wird“ sei ein „strenges, so doch notwendiges Mittel der Auslese [. . .]. Eine christliche Überlieferung, die sich durch den Einfluß der Theologie zerstören lässt, erweist eben dadurch, daß sie zu sehr nur Überlieferung war und zu wenig selbstständig erfahrener Glaube.“ Man werde niemals jemanden mutwillig in eine Krise hineinstoßen, aber auch nicht ihn künstlich davor bewahren wollen, da das hieße, „Gott in den Arm zu fallen“.168 Abschließend richtete die Theologische Fakultät Tübingen zwei Bitten an den Landeskirchentag. Die Fakultät lehne ein Verdammungsurteil gegen Bultmann aus den genannten Gründen ab und halte es für verhängnisvoll, sollte die Kirchenleitung ein solches vollziehen. Es gehe dabei nicht um die Freiheit der Wissenschaft, sondern darum, dass die Kirche eine „in eigenständiger Verantwortung in ihr arbeitende Theologie braucht.“ Denn wenn die Kirche sich gegen Kritik abschirme mit Reglements nach einer „Normaldogmatik und auf jede Spannung zwischen Theologie und Gemeindefrömmigkeit mit Abwehrmaßnahmen reagiert, da wird das Salz der Theologie und infolge davon auch das Salz der kirchlichen Verkündigung dumm.“ Die Theologische Fakultät erbitte sich von daher ein gewisses Maß von Vertrauen in ihre Arbeit, zumindest Vertrauen in die Kraft des Evangeliums: „Läßt man [. . .] die Arbeit an den von Bultmann aufgeworfenen Fragen ohne Eingriffe von außen nach ihren eigenen Notwendigkeiten weitergehen, so wird ganz von selbst das, was wahr ist, sich durchsetzen und das, was Irrtum ist, abfallen.“169 Die zweite Bitte der Theologischen Fakultät Tübingen und damit die letzte Passage des Gutachtens stellten den Teil der Denkschrift dar, der seitens der Gemeinschaftsbewegung am stärksten in die Kritik geriet:170 167
EBD., 429. EBD., 430. 169 EBD., 431. 170 Nicht nur auf der Bad Boller Tagung geriet dieser Passus in die Kritik. Im Mai 1952 wandte sich die Liebenzeller Mission brieflich an Rückert. Der Hauptvorstand namens Eduard Kühn und Wilhelm Grünewald – zu den Umständen ihres Amtsantritts vgl. ausführlich Kap. 3. 1. 2 – drückten ihr tiefes Bedauern darüber aus, dass das Anliegen der württembergischen Gemeinschaftskreise in dem Gutachten „höchst missverständlich dargestellt“ wurde: Das pietisti168
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„Die Fakultät will und kann es dem Landeskirchentag nicht verbergen, daß sie gewisse Entwicklungstendenzen in der württembergischen Landeskirche mit großer Sorge beobachtet, die im Zusammenhang mit der Diskussion um Bultmann bemerkbar werden. Es will uns scheinen, daß im württembergischen Pietismus eine Umformung im Gange ist, durch die sich die Richtung, in der er wirkt, nicht unerheblich verändert. Während in seiner ursprünglich und lange bewahrten Gestalt, hauptsächlich wohl durch das Verdienst Bengels, das Misstrauen gegen die wissenschaftliche Theologie relativ schwach hervortrat und er sich dadurch glücklich von anderen Ausprägungen des Pietismus unterschied, nimmt je länger, je mehr sein Verhältnis nach dieser Seite hin einen kriegerischen und aggressiven Zug an. In enger Verbindung damit und in einem eigentümlichen Gegensatz zu seinen Anfängen im 18. Jahrhundert identifiziert er sich mit einer Lehre von der Inspiration, die nicht mehr als eine Ausgestaltung des traditionellen Biblizismus, sondern als ein Bruch mit ihm angesprochen werden muß. Endlich und vor allem aber steigert sich sein kirchlicher Geltungsanspruch zu immer größerer Ausschließlichkeit. [. . .] Der Pietismus ist eine Gruppe und eine Kraft in der württembergischen Landeskirche, deren Bedeutung man sehr hoch einschätzen kann und der es auch unbenommen sein mag, von ihrem eigenen Auftrag sehr hoch zu denken. Aber er geht zu weit, wo er sich für die Kirche schlechthin erklärt, wo er durchblicken lässt, daß die nicht-pietistischen Kreise nur uneigentlich zur Kirche Jesu Christi gerechnet werden können, wo er es so meint, daß diejenigen ‚Ungläubige‘ sind, die nicht ins seinem Sinn, d. h. im Sinne der Verbalinspiration, ‚Bibelgläubige‘ sind, und wo er aus diesem Selbstbewusstsein heraus den Anspruch auf Herrschaft, womöglich auf Alleinherrschaft in der Kirche erhebt. In demselben Maß, wie der Pietismus auf dieser Linie weiterschreitet, führt er große Gefahren über die württembergische Kirche herauf. Diese wird es nie vergessen dürfen, daß sie die mütterliche Heimat der pietistischen und der nicht-pietistischen Christen in Württemberg ist.“171
Die Kritik pietistischer Kreise an dem Tübinger Gutachten konzentrierte sich auf eben diesen Passus. Hanns Rückert verteidigte diese Passage gegenüber Hermann Haarbeck, dem Direktor der Evangelistenschule Johanneum und seit Februar 1953 Präses des Gnadauer Verbandes in einem ausführlichen Brief im sche „Nein“ zu Bultmann habe nicht das Geringste „mit einem vermeintlichen kirchenpolitischen Streben zu tun“, sondern sei müsse „als Ausdruck des bibelgebundenen Glaubens verstanden werden, wie wir ihn auf Grund der Heiligen Schrift und als Erbe unserer pietistischen Väter glauben aussprechen zu müssen. Gleichzeitig ist unser ‚Nein‘ verbunden mit der ernsten Sorge um Lehre, Zeugnis und Verkündigung der Kirche, für die wir uns als Kirchenglieder vor Gott verantwortlich wissen.“ Die Stellung der Fakultät aber, so wie sie in dem Gutachten zum Ausdruck käme, führe „zahlreiche Familien unserer Gemeinschaftskreise in große, innere Nöte hinein, wenn sie sich entscheiden sollen, ihre Söhne zum Studium der Theologie auf eine deutsche Universität zu schicken.“ (Brief der Liebenzeller Mission, gez. E[duard] Kühn und W[ilhelm] Grünewald, an Evang.-theol. Fakultät, z. H. Herrn Prof. D. Rückert, vom 14. 5. 1952. Maschinenschriftl., 1 S. [LKA KA GA 8675]). 171 RÜCKERT, Für und wider, 432f.
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Mai 1953. Darin betonte er – wie schon in Bad Boll –, dass der Ausgangspunkt für seine Pietismuskritik die Flugschrift „Es geht um die Bibel. Ein Wort an alle bibelgläubigen Kreise unserer evangelischen Kirche“ und dessen „scharfe Angriffe gegen die Theologie der Fakultäten und insbesondere der Tübinger Fakultät“ gewesen war: „Wären diese Flugblätter nicht erschienen, so wäre der letzte Absatz der Denkschrift bestimmt nicht geschrieben worden. Er ist also als Verteidigung, nicht als Angriff gemeint.“ Dabei sehe er, Rückert, deutlich die Verdienste des Pietismus und auch, dass die Meinung der Flugschrift nicht alle württembergischen Pietisten teilten.172 Auf Seiten der Gemeinschaftsbewegung hatte die Tagung in Bad Boll 1953 eine unmittelbare Wirkung: Haarbeck konzentrierte sich nunmehr stark auf das Problem des fehlenden theologischen Nachwuchses in den Reihen der Gemeinschaftsbewegung. Kurz nach der Tagung schrieb er an den Tübinger Neutestamentler Otto Michel, einen Kritiker des Tübinger Gutachtens, sowie in Kopie an den Leiter der Bahnauer Bruderschaft, Max Fischer, er habe bezüglich einer geplanten „Arbeitsgemeinschaft zwischen schriftgebundener Theologie und Pietismus“ mit Professor Otto Schmitz gesprochen.173 Bisher sei die „theologische Ausrichtung“ des Gnadauer Gemeinschaftsverbandes nahezu ausschließlich durch Walter Michaelis erfolgt. Er selbst aber fühle sich „einer solchen Aufgabe in keiner Weise gewachsen“ und sehe sich „dringend und suchend nach Brüdern um[. . .]“, die im dabei zur Seite stehen könnten. Haarbeck fuhr fort: „Wir brauchen im Pietismus ganz unbedingt die Hilfe der schriftgebundenen Theologie, sogan [= sagen] wir klar: der theologischen Fach-Wissenschaftler, sonst verkümmern wir oder fallen immer mehr der Schwärmerei in die Hände.“ Für eine Arbeitsgemeinschaft „Pietismus und Theologie“ denke er stark an die Dozenten der Kirchliche Hochschule in Wuppertal, speziell an den Praktischen Theologen Harmannus Anton Obendiek, den Neutestamentler Friedrich Lang, den Kirchenhistoriker Erwin Mülhaupt und den Alttestamentler Hans Walter Wolff – die doch alle, laut Haarbeck, „wirklich ‚schriftgebunden‘ sind und die auch für den Pietismus Verständnis und Herz haben“ – sowie an Walter Tlach vom Missionsseminar der Rheinischen Mission in Wuppertal.174 Schmitz habe „es übernommen, hier die ersten Fühler auszustrecken“.175 Die Anregung Haar172 Brief von Professor D. Hanns Rückert an Herrn Pastor [Hermann] Haarbeck vom 15. 5. 1953. Maschinenschriftl., 2 S., hier 1f. (AEGGK, II: Dienst und Mitarbeit, 5. Gespräche Pietismus – Theologie, Nr. 251: Bad Boll 1947–1953). 173 Der Neutestamentler Otto Schmitz war vor Haarbeck Direktor des Johanneums. Zu Schmitz vgl. die Lebensskizze von Hans Walter Wolff in KIRCHHOFF, Theologie. 174 Walter Tlach war später Dekan des Dekanats Heidenreich und von 1970 bis 1978 der erste Studienleiter des Albrecht-Bengel-Hauses in Tübingen. 175 Briefdurchschlag [von Hermann Haarbeck] an Bruder [Otto] Michel vom 12. 5. 1953,
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becks gewann Gestalt in einer neuen Form von „Gesprächen zwischen Pietismus und Theologie“: Es handelte sich hier nicht mehr um einen Austausch zwischen Gemeinschaftsvertretern und Vertretern der Theologischen Fakultäten generell, sondern um „schriftgebundene“ Theologen. Der konstante innere Kern des Kreises dieser „schriftgebundenen“ Theologen war klein – im Prinzip bestand er aus Otto Michel und Otto Schmitz. 1955 wurde zu einem solchen Gespräch des Arbeitskreises „Theologie und Pietismus“ nach Frankfurt am Main eingeladen.176 1957 fiel die Sitzung der Arbeitsgruppe aus,177 im Oktober 1958 fand auf Grund des Todes des Förderers dieses kleinen Kreises, Otto Schmitz, eine größere Tagung in Unterweissach statt, auf der die Weiterführung der Arbeit in drei regionalen Arbeitskreisen beschlossen wurde: dem Arbeitskreis Norddeutschland (Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen, Hessen, Braunschweig) unter der Leitung von Paul Schwidurski, dem Arbeitskreis Rheinland-Westfalen unter der Leitung von Heinrich Jochums (unter Einbezug der Westfälischen Volksmission) und dem Arbeitskreis Süddeutschland (Baden-Württemberg, Bayern) unter der Leitung von Dr. Schönweiß.178 Man hoffe, so hieß es in dem Rundbrief Max Fischers nach der Tagung, „durch fleißige Arbeit in der Stille und auf den vorbereitenden Tagungen die Stellungnahme des Pietismus formulieren zu können“.179 Die Zeit von 1953 bis 1960 war im Hinblick auf die bultmannkritischen und evangelikalen Trägergruppen eine Zeit der stillen Auseinandersetzung mit Bultmann und der Theologie generell. Es bildeten sich verschiedentlich Arbeitsgruppen und Kreise, deren Geschichte bisher noch nicht aufgearbeitet ist und die sich teilweise auch schwer fassen lassen, da sie einerseits kaum archivalische Zeugnisse hinterließen, andererseits aber auch in fließendem Übergang standen
Kopie an Bruder [Max] Fischer. Maschinenschriftl., 1 S. (AEGGK, II: Dienst und Mitarbeit, 5. Gespräche Pietismus – Theologie, Nr. 251: Bad Boll 1947–1953). 176 Niederschrift über die Aussprache mit Vertretern der Gemeinschaftsverbände am 13. Juli 1955, gez. [Wolfgang] Metzger, 18. 7. 1955. Maschinenschriftl., 6 S., hier 6 (LKAS A 126, Nr. 1177, 112–117). Bei der Tagung 1955 handelte es sich offenbar um die 2. Tagung des Arbeitskreises. Hans Brandenburg, Mitglied des Vorstandes des Gnadauer Verbandes, hielt auf diesem Treffen ein Referat zur „Theologie der Gemeinschaftsbewegung“, das unter dem Titel „Macht Gottes Heilstat den Menschen passiv?“ als Heft 5 der „Gnadauer Hefte“ publiziert wurde. Brandenburg hob in seinem Aufsatz sowohl Evangelisation und Bekehrung als auch Bibeltreue als Signa der Gemeinschaftsbewegung heraus. 177 Brief an die Teilnehmer des Gespräches „Pietismus und Theologie“, gez. [Hermann Haarbeck], vom 31. 7. 1957. Maschinenschriftl., 1 S. (LKAS A 126, Nr. 1177, 129). 178 Brief des Leiters der Bahnauer Bruderschaft Pfr. M[ax] Fischer an die Freunde der Arbeitstagungen Pietismus und Theologie von Anfang Januar 1959. Maschinenschriftl., 2 S., hier 1 (LKAS A 126, Nr. 1177, 137). 179 EBD., 2.
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zu theologischen Arbeitsgruppen der landeskirchlichen Pfarrer, die sich in dieser Zeit ebenfalls gesteigert mit der zeitgenössischen Theologie auseinandersetzten und damit – wohl erstmalig seit 1945 – eine Intensivierung theologischer Bildung an der Basis beförderten. In der öffentlichen Debatte wurde es zugunsten der intensiven Beschäftigung mit den von Bultmann aufgeworfenen Fragen relativ still. Es ist auffällig, dass Landeskirchenleitungen den Bedarf an öffentlichen Diskussionen vermehrt mit dem Argument, die Bultmannsche Theologie sei zu schwierig, als dass sie Thema von kurzen Referaten oder zeitlich begrenzten Bildungsmaßnahmen sein könne, ablehnten.180 Gleichzeitig verschob sich in dieser Zeit der Atempause die Diskussion auf die publizistische Ebene. Eine ganze Fülle von theologischen Publikationen, sowohl aus der Schule Bultmanns als auch davon unabhängig, wurden veröffentlicht und darin sein Ansatz erklärt oder kritisch fortgeführt. Insbesondere die Frage der Historizität Jesu gewann nun an Gewicht – Jesus, der Mensch, wurde zunehmend Thema der Theologie.181 Bemerkenswert ist, dass die Publikationen auf der Seite der Vertreter 180 Als ein Beispiel sei folgende Episode aus der Hannoverschen Landeskirche genannt. Dort war vom Ständigen Ausschuss der Landessynode für 1952 eine Freizeit für Synodale zum Thema „Entmythologisierung“ geplant worden. Im Sitzungsprotokoll des Landeskirchenamtes vom 9. Oktober 1952 hieß es dann vorsichtig intervenierend: „Im Hinblick auf die Schwierigkeiten, in der vorgesehenen Freizeit für Synodale das Thema: Entmythologisierungs-Theologie von Bultmann zu behandeln, soll dem Ständigen Ausschuß geraten werden, der Freizeit noch ein zusätzliches weiteres Thema zu stellen.“ (Auszug aus Sitzungsprotokoll des LKA vom 9. 10. 1952. Maschinenschriftl., geklebt, 1 S.). Der Ständige Ausschuss blieb allerdings bei seinem Ansinnen: Die Freizeit über Fragen der Entmythologisierung sollte Mitte Dezember in Loccum abgehalten werden und als Referent sogar Bultmann gebeten werden, als Korreferent Karl Heinrich Rengstorf aus Münster, evtl. auch der Pfarrer und spätere Rektor des Pastoralkollegs der Hannoverschen Landeskirche in Loccum, Hans Wenschkewitz aus Osnabrück, oder Kinder aus Neuendettelsau. Und „falls die Durchführung des Entmythologisierungsthemas sich als schwierig erweist, sollen allgemeine Fragen der Bibelerforschung und Bibelkritik behandelt werden.“ (Schreiben an Herrn Präsidenten [des Landeskirchenamtes Gustav Ahlhorn], gez. [Eberhard] Kl[ügel] [über die Festlegungen auf der Sitzung des Ständigen Ausschusses am 14. Oktober d. J.]. Maschinenschriftl., 1 S.) Das Landeskirchenamt intervenierte wiederum. Auf der Sitzung am 6. November 1952 wurde beschlossen, dem Ständigen Ausschuss den Vorschlag zu unterbreiten, „anstelle der vorgesehenen Freizeit für Synodale über die Bultmann’sche Entmythologisierungstheologie das LKA. um Veranstaltung einer wissenschaftlichen Vortagung über das gleiche Thema vor einem beschränkten Kreis zu bitten.“ (Auszug aus Sitzungsprotokoll des LKA vom 6. 11. 1952. Maschinenschriftl., geklebt, 1 S.). Auf der Rückseite des Sitzungsprotokollauszuges ist dann schließlich vermerkt: „Mit dem ständigen Ausschuß ist vereinbart, daß die Frage der Bultmann’schen Entmythologisierungstheologie nicht mehr von der 14. sondern von der 15. Landessynode behandelt wird.“ (Vermerk Betr.: Freizeit für Synodale über die Bultmann’sche Entmythologisierungstheologie, Hannover, den 8. April 1953. Maschinenschriftl., 1 S. [LkAH, Best. B 1/ 2670 B: Unterricht. der Geistlichen über Entmythologisierung, Bd. 1]). 181 Ohne Anspruch auf Vollständigkeit seien genannt: die von Hans-Werner Bartsch herausgegebene Reihe „Kerygma und Mythos“, die mit Ergänzungsbänden und Beiheften erschien und
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evangelikaler Trägergruppen erst nach der zweiten Hoch-Zeit der Bultmannkontroverse 1961 anstiegen. Für die Landeskirchenleitungen entschärfte sich mit den theologischen Erklärungen und Neuansätzen aus akademischer Feder die auch sie bis etwa 1953 stark verunsichernde Frage des Umgangs mit der Bultmannschen Theologie. Dies führte zu einer größeren Gelassenheit und auch größeren Geschlossenheit der Kirchenleitungen beim Aufkommen der zweiten Welle der Bultmannkontroverse um 1961. Resümierend bleibt festzustellen, dass die erste Hoch-Zeit der Bultmannkontroverse ein noch relativ unfraktioniertes Bild der Diskussionsteilnehmer und sich in die Debatte einschaltenden Gruppen ergibt. Die Landesbischöfe, die von Bultmann geprägt waren, setzten sich für ihn ein, in den meisten Kirchenleitungen allerdings verhielt man sich eher skeptisch gegenüber der Bult-
deren einzelne Teilbände – bis 1961 bereits fünf Teilbände und ein Ergänzungsband – wiederum in rascher Folge mehrere Auflagen erlebten, weiterhin das 1954 von Günther Bornkamm, Rudolf Bultmann und Friedrich Karl Schumann veröffentlichte Buch „Die christliche Hoffnung und das Problem der Entmythologisierung“, die bereits erwähnte Broschüre Friedrich Gogartens „Entmythologisierung und Kirche“ von 1953, deren zweite Auflage 1954 erschien. 1955 wurde die Schrift ins Englische übersetzt und unter dem Titel „Demythologizing and History“ in London veröffentlicht. 1954 erschien das „Programm der Entmythologisierung“ von Ernst Fuchs, die zweite Auflage davon 1960, die dritte 1967. Hans-Werner Bartsch veröffentlichte 1955 die schon genannte Broschüre „Der gegenwärtige Stand der Entmythologisierungsdebatte“, deren zweite Auflage noch im selben Jahr erfolgte. Von Günther Bornkamm erschien 1956 „Jesus von Nazareth“, das allein bis 1960 fünf Auflagen erlebte. Gerhard Ebeling publizierte 1959 (in zweiter Auflage 1965, in dritter Auflage 1967, in vierter Auflage 1977) „Das Wesen des christlichen Glaubens“. Ebenfalls 1959 stand das Beiheft der „Zeitschrift für Theologie und Kirche“ ganz unter dem Thema „Die Frage nach dem historischen Jesus“. 1960 erschien, von Helmut Ristow und Karl Matthiae herausgegeben, der Sammelband „Der historische Jesus und der kerygmatische Christus“, in dem sich, Bultmann selbst eingeschlossen, 48 nationale und internationale Theologen (und mit Hanna Jursch sogar eine Theologin) in einer beeindruckenden Bandbreite dem Thema des Verhältnisses von Kerygma und Geschichte widmeten. Bereits ein Jahr später erschien die zweite, 1964 die dritte Auflage des Sammelbandes. Herbert Braun publizierte 1961 den Beitrag „Die Problematik einer Theologie des Neuen Testamentes“ in der „Zeitschrift für Theologie und Kirche“. Die wesentlichste Bedeutung aber in der Gefolgschaft von Bultmann kam dem Vortrag Ernst Käsemanns von 1953 zu, der 1954 in der „Zeitschrift für Theologie und Kirche“ veröffentlicht wurde: „Das Problem des historischen Jesus“. Mit diesem Aufsatz, der den geglaubten und den historischen Jesus wieder näher zusammenrückte, leitete Käsemann nicht nur eine theologiegeschichtliche Wende in der Mitte des 20. Jahrhunderts ein, sondern mit ihm war für zumindest diejenigen, die Käsemanns Ansatz wahrnahmen, der Kontroverse um Bultmanns Theologie die Schärfe genommen (so z. B. in einem Brief von P. Dr. [Hanns-Joachim] Maßner an Vizepräsident [der Kirchenkanzlei der EKD Gottfried] Niemeier vom 4. 8. 1966. Maschinenschriftl., 1 S. [EZA 2/ 996]). „Das Problem des historischen Jesus“ erschien ebenfalls im ersten Band von Käsemanns zweibändiger Aufsatzsammlung „Exegetische Versuche und Besinnungen“, die von 1960 bis 1970 in sechs Auflagen erschien. Zu der Entwicklung der Theologie im Zuge von Käsemanns „historischem Jesus“ auch FREY, Der historische Jesus, besonders 33–40.
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mannschen Entmythologisierung. In den evangelikalen Trägergruppen sind erste Tendenzen der Bildung von Wortführungsgruppen zu beobachten, die sich von den weiten Kreisen der durchaus auch beunruhigten, aber doch noch abwartenden oder aber sich in die Materie vertiefenden Gemeinschaftsbewegungsmitglieder abheben. Diese zunehmende Dynamik der Sammlung um Aktionszentren sollte sich in der zweiten Hoch-Zeit der Bultmannkontroverse noch verstärken. Was allerdings bereits um 1950/51 den Vertretern der Gemeinschaftsbewegung und des Pietismus, gleich welcher Handlungsausprägung, deutlich wurde, war das theologische Defizit in den eigenen Reihen. Dieses defizitäre Empfinden wurde noch dadurch gesteigert, dass sich in den sich mit theologischen Fragestellungen konkret auseinandersetzenden Gruppen sehr rasch eine Pluralität der Anschauungen herausbildete. Stephan Holthaus betont in seiner Arbeit über Fundamentalismus in Deutschland, dass der Gnadauer Gemeinschaftsverband seit 1945 kein einheitliches Schriftverständnis mehr aufweisen konnte. Dieser Umstand gewann in der Auseinandersetzung mit Bultmann, die eine eigene Standortbestimmung verlangte, an Brisanz. Besonders um die Frage der Verbalinspiration wurden innerhalb der evangelikalen Trägergruppen heftige Auseinandersetzungen geführt. Heinrich Jochums z. B. verteidigte diese strikt – sein enger Mitarbeiter Wilhelm Busch wies darauf hin, dass „diese Lehre aus der Orthodoxie, dem ‚Todfeind des Pietismus‘“ käme. Auf Grund dieser Differenzen kam es 1963 zum Bruch zwischen Jochums und Busch und daneben auch zum Eklat zwischen Busch und Gerhard Bergmann.182 Wie problematisch sich allerdings theologische Fragen immer wieder erwiesen, wenn es nicht darum ging, zu kritisieren und sich abzugrenzen, sondern einen eigenen Standpunkt zu entwickeln, zeigen nicht nur verschiedene Publikationen aus der Feder evangelikaler Vertreter,183 sondern auch die Geschichte des so genannten Bethelkreises, auf die noch einzugehen ist. 182
HOLTHAUS, Fundamentalismus, 243–246. Z. B. nahm Bergmann in Folge der Auseinandersetzung mit Jochums das Thema Verbalinspiration in seinem Buch „Alarm um die Bibel“ dergestalt auf, dass er behauptete, man könne über Verbalinspiration nur dialektisch denken, nämlich: „Es gibt Verbalinspiration. Es gibt keine Verbalinspiration.“ (BERGMANN, Alarm, 87). In seinen Ausführungen zu dieser etwas befremdlichen Dialektik kommt allerdings auch Bergmann zu dem Schluss einer „Mitte der Schrift“ und dem „wesensmäßige[n] Zusammenhang mit der Tatsache der Gesamtoffenbarung Gottes“ (EBD., 90f.). Hellmuth Frey, der sich Jahrzehnte seines Lebens mit der Kritik an der historisch-kritischen Methode beschäftigte, stellte 1971 als Ergebnis seiner Bemühungen dar, dass es letztlich keine Methode der Auslegung der Heiligen Schrift geben könne und dürfe und Exegese „auf allen ihren Stufen auf pneumatische Erleuchtung ihrer Erkenntnis angewiesen“ sei (FREY, Krise, 80). Der Heilige Geist aber wehe bekanntlich nur da, wo er wolle und sei für exegetische Überlegungen nicht verfügbar. Mit diesem Ansatz versuchte Frey die historisch-kritische Methode als „erledigt“ zu erklären. Letztlich aber stellte seine These die Selbstauflösung der Theologie als Wissenschaft dar. 183
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Das Ohnmachtempfinden gegenüber der als allmächtig und zerstörerisch empfundenen akademischen Theologie und die zunehmende Aversion gegen ihre zeitgenössischen Ausprägungen gekoppelt mit dem Fehlen eines eigenen, alternativen theologischen Standpunktes ließ überdies das Bedürfnis nach eigenen Ausbildungsstätten als Gegenpart zu den Theologischen Fakultäten sprunghaft ansteigen. Auf diese Entwicklung wird in Kap. 4.4 eingegangen. 4.3 Die zweite Phase der Bultmannkontroverse 1961 bis 1963 Die Hoch-Zeit der Bultmannkontroverse Anfang der 1960er Jahre wies eine andere Qualität auf als die erste Phase Anfang der 1950er Jahre. Die Interventionen seitens evangelikaler Trägergruppen richten sich jetzt weniger auf die Verdammung der Bultmannschen Theologie – diese wurde weiterhin betrieben –, sondern auf Forderungen an die Landeskirchenleitungen, eben dieses „damnatus est“ zu vollziehen. Die Angriffe gegenüber den kirchenleitenden Personen, insbesondere gegen Landesbischöfe, wurden schärfer.184 Des Weiteren waren die Auseinandersetzungen jetzt lokal konturierter und spielten sich vornehmlich in der württembergischen und westfälischen Landeskirche ab. Das erweckt den Eindruck eines Zusammenziehens der agierenden Kräfte, der von evangelikaler Seite proklamierten „Sammlung“. Diese Konzentration der Aktionsgruppen deutet nach den Entwicklungscharakteristika einer „sozialen Bewegung“ auf den Beginn des „Protestes“ hin, in diesem Falle der sich bildenden evangelikalen Bewegung. Auf die Analogie der evangelikalen Bewegung zu den „neuen sozialen Bewegungen“ wird in Kap. 5 ausführlich eingegangen werden. An dieser Stelle sei allerdings ein typisches Merkmal einer „neuen sozialen Bewegung“ genannt, das sich hier bereits in Anschlag bringen lässt: Der Umstand, dass sich zunehmend die Gruppe der Aktivisten von der Referenzgruppe – den mit der „modernen Theologie“ unzufriedenen Laien – abhob. Die Gruppen der Aktivisten und die Referenzgruppe überschnitten sich zwar weiterhin, aber es traten immer deutlicher die Personen und Aktionsnetzwerke hervor, die schließlich den evangelikalen Protest auslösten und vorantrieben.
184
So schilderte z. B. der württembergische Landesbischof Haug in seinem Jahresbericht 1961, er sei in einer „sich besonders fromm gebenden Zeitschrift innerhalb von 15 Zeilen ein ‚Verbrecher am Wort Gottes‘, ein ‚Heuchler‘ und ein ‚Anbeter der Wissenschaft‘ gescholten“ und auch in Briefen „scharf abgeurteilt und getadelt“ worden (Jahresbericht vor dem 6. Landeskirchentag am 1. Oktober 1961 im Hospitalhof Stuttgart von Landesbischof D. Dr. Haug. Maschinenschriftl., 31 S., hier 19f. [LKArchiv Kassel SB Wüstemann, Nr. 50: Kirchliche Fragen 1957– 1962]).
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Bei den meisten Vertretern evangelikaler Trägergruppen erfolgte, bewusst oder auf Grund fehlender Information, keine Reaktion auf die Theologie der Schüler Bultmanns, die den historischen Jesus nun stärker an den kerygmatischen Christus anzubinden suchten. In seinem 1963 erschienen und bis in die 1970er Jahre fünf Mal aufgelegten Buch „Alarm um die Bibel“ fasste der Evangelist Gerhard Bergmann die Erkenntnisse der Bultmannschule bezüglich der Historizität Jesu, die er am Beispiel von Gerhard Ebeling und Ernst Käsemann sogar lobend zu zitieren weiß, für seinen Leserkreis informativ in der Passage zusammen: „So, und auf einmal soll es nun wieder gehen? Komisch! Warum ging es denn vorher nicht? Und warum geht es bei Bultmann auch jetzt noch nicht? Man sprach doch so leicht und so gern von ‚wissenschaftlichen Ergebnissen‘. Gelten die denn jetzt nicht mehr? Oder hat sich gezeigt, daß es doch keine waren? ‚Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln‘. Trotzdem, wir freuen uns ehrlich über jede Korrektur.“185 Die Entwicklungen in der Theologie in den vergangenen acht Jahren wurden seitens der Vertreter evangelikaler Trägergruppen einfach als „Bultmannschule“ subsumiert. Ebenso wie durch Bultmann bewirke diese die Auflösung „zentraler Heilstatsachen“. Bemerkenswert ist dies vor allem aus dem Grund, dass in dieser Zeit gerade eine theologische Wende hin zu einer starken Beachtung der Historizität biblischer Gestalten gab, die den Forderungen der 1950er Jahre sehr entgegen kam.186 Aber da mit dieser Hinwendung zum historischen Jesus theologische Überlegungen Hand in Hand gingen, Jesus zunehmend in seiner menschlichen Dimension zu verstehen, wurde auch diese Theologie als massive Anthropologisierung abgelehnt. Angesichts mancher Zuspitzungen, Jesus ganz und gar als Mensch zu begreifen, dessen Vorbildwirkung als Sozialreformer und Humanist seiner Zeit für das zeitgenössische Christentum wegweisend sei, ist dieser Vorwurf verständlich. Eine der ersten und brisantesten Formulierungen dieser Art wurde 1963 von John A. T. Robinson, Bischof von Woolwich und Dekan des Trinity College in Cambridge, mit seinem Buch „Honest to God“
185
BERGMANN, Alarm, 51f. So fasste Gerhard Stephan 1965 in einer Analyse der Entwicklungen in der Bultmannschule in „Kirche in der Zeit“ die Positionen folgendermaßen zusammen: „Mit Käsemann verbindet Fuchs und Ebeling der Vorstoß gegen Bultmanns Behauptung, Ostern allein habe das christliche Kerygma begründet. Bleibt aber Käsemann mit guten Gründen bei der Dialektik von Ostern und irdischem Jesus stehen, indem er lediglich die These von Ostern als dem ausschließlichen Grund des Kerygmas bestreitet, so lösen Fuchs und Ebeling diese Dialektik auf, indem sie Bultmanns Ansatz umkehren und den historischen Jesus zum ausschließlichen Kriterium des Kerygmas machen, also Ostern als Auslegungskanon des historischen Jesus verlassen.“ (STEPHAN, Streit, 501). Damit ist zwar bei weitem die Komplexität der Diskussion nicht umrissen, aber wesentliches auf den Punkt gebracht. 186
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Die zweite Phase der Bultmannkontroverse
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vorgelegt, das in Deutschland unter dem Titel „Gott ist anders“ innerhalb von zwei Jahren zehn Auflagen erlebte.187 Der starke Anthropologisierungsschub in der Theologie seit Anfang der 1960er Jahre bildete die Grundlage für die theologischen und auch kirchlichen Entwicklungen seit der zweiten Hälfte der 1960er Jahre, im Zuge derer das Christentum stärker als je zuvor als politischer Akteur gesehen wurde, so z. B. in der Aktion „politisches Nachtgebet“, dem Themenfeld Christentum und Sozialismus, das sich im Rahmen der Studentenbewegung zur Frage Christentum und Marxismus auswuchs oder in der Aktionsrichtung der ökumenischen Bewegung, die zunehmend sozialethisch und schließlich auch politisch agierte. Allerdings wurden die Differenzen zwischen den einzelnen theologischen Ansätzen unter den evangelikalen Trägergruppen immer weniger bis gar nicht mehr wahrgenommen. Der in den 1950er Jahren erhobene Vorwurf gegen Bultmann stand nun zunehmend undiskutiert und unkommentiert auch für die aus seiner Schule stammenden und ihn teilweise gegenläufig weiter entwickelnden theologische Ansätze im Raum: „Auflösung des Glaubens“ unter dem „Diktat des Zeitgeistes“. Die Tendenz, diese apodiktische Feststellung zu begründen, verringerte sich bei den Kritikern deutlich. Das Holzschnittartige des Vorwurfes weist bereits deutlich auf Proklamationen der evangelikalen Bewegung hin. Allerdings ist nach wie vor festzustellen, dass es auch Stimmen in der Gemeinschaftsbewegung gab, die sich für einen konstruktiven Umgang mit der problematisch gewordenen Theologie einsetzten. Während der zweiten Phase der Bultmanndebatte kam es von kirchlichen Laien zwar immer noch zu kritischen Anfragen an die Landeskirchenämter, aber im Gegensatz zu der ersten Welle der Bultmannkontroverse ging die Anzahl dieser Anfragen auffällig zurück, auch wenn das Problem weiterhin virulent war. Deutlicher als zuvor aber verbreitete sich jetzt ein Klima der gegenseitigen „Bultmann-Verdächtigung“ bzw. der Befürchtung von Repressalien seitens der Landeskirchenleitungen im Falle der Befürwortung von Bultmann.188
187
Allerdings setzte man sich in den Reihen der präevangelikalen Kritiker auch mit Robinson nicht tiefer gehend auseinander. So geht z. B. die um 1965 erschienene Broschüre von Heinrich Kemner „Ist Gott anders?“, die mit ihrem Titel einen evidenten Bezug auf Robinson suggeriert, auf dessen Theologie an keiner Stelle ein. Kemner kommt darin lediglich zu demselben Schluss wie Robinson – wenn auch in diametral entgegen gesetzter Argumentation –, nämlich dass „Gott anders ist“. 188 Hier spielt wiederum die Frage eine Rolle, inwieweit Gerüchte, ähnlich wie in der ersten Phase der Bultmanndebatte, die Situation verschärften. Nun allerdings waren vor allem die Bultmann-Befürworter betroffen. Einen kleinen Einblick in die Situation liefert folgende Episode aus dem Verhältnis von Kirchenleitung und Studierendenschaft: im September 1960 schrieb der Vorsitzende des Fachverbandes Evangelische Theologie des Verbandes Deutscher Studentenschaften
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Die Vorgeschichte: Die Bultmannkontroverse und ihre Auswirkungen
Darüber hinaus kam es vereinzelt zu Anzeigen von Pfarrern bei den Landeskirchenleitungen. So beanstandete im Mai 1962 Pastor Johannes Rüppell, erster Pfarrer an der Christuskirche in Hannover, im Hannoverschen Landeskirchenamt, sein Amtskollege Detlef Lüderwaldt, zu dem Zeitpunkt beauftragter Hilfsgeistlicher auf der 2. Pfarrstelle Marienwerder, habe in einem Referat vor dem Konvent des Kirchenkreises am 9. Mai 1962 Jesus nur als vorbildlich in seiner Glaubens- und Lebenshaltung, aber nicht als Sohn Gottes dargestellt und fragte an, „inwiefern ein so denkender und so ehrender Geistlicher noch seine Bekenntnispflicht erfüllen“ könne. Nach Prüfung der Unterlagen sah man im Hannoverschen Landeskirchenamt von einem Lehrbeanstandungsverfahren ab und lud Rüppell und Lüderwaldt im Januar 1963 zu Einzelgesprächen zum
Hermann Jaeger aus Heidelberg an den Hannoverschen OKR Georg Fuhrmann, es halte sich unter den Theologiestudierenden das hartnäckige Gerücht, dass über Bultmann in der Hannoverschen Landeskirche ein Predigtverbot verhängt worden sei und ferner, dass den Hannoverschen Theologiestudierenden von ihrer Landeskirchenleitung nahe gelegt würde, sich theologisch nicht an Bultmann zu orientieren. Ob er, Fuhrmann, dazu Stellung nehmen könne? Fuhrmann antwortete nach einer zweiten Anfrage Jaegers Ende November, es könne keine Rede davon sein, dass Bultmann mit einem Predigtverbot belegt worden sei und es sei aus der Luft gegriffen, „daß den hannoverschen Theologiestudenten irgend eine Auflage oder gar Verpflichtung in ihrem Verhältnis zur Theologie Professor Bultmanns auferlegt wird“. Im Gegenteil lege man „großen Wert auf eine echte Auseinandersetzung mit den theologischen Erkenntnissen und geistigen Auseinandersetzungen unserer Zeit“ und auch die 15. Hannoversche Landessynode habe es „ausdrücklich abgelehnt [. . .], reglementierend in die akademische Freiheit des theologischen Studiums einzugreifen.“ (Briefdurchschlag Oberkirchenrat [Georg] Fuhrmann, 6744 II 4, an stud. Theol. Hermann Jaeger vom 29. 11. 1960. Maschinenschriftl., 2 S., hier 1f.). In einem zweiten Brief an Jaeger beklagte sich Fuhrmann dann allerdings darüber, dass Jaeger „ein bedauerliches Maß von Unkenntnis des Wesens und der Art der hannoverschen Landeskirche [zeige], andernfalls wären Sie wohl in der Lage gewesen, den geradezu absurden Gerüchten von sich aus entgegenzutreten.“ (Briefkonzept LKA, Nr. 8382 II 4, gez. [Georg] Fu[hrmann], an den 1. Vorsitzenden des Fachverbandes Ev. Theologie im Verband Deutscher Studentenschaften, Herrn [Hermann] Jaeger, Betr.: Stellung zur Theologie Professor Bultmanns, vom 18. 1. 1961. Maschinenschriftl., 1 S.). Darauf antwortete Jaeger, er habe noch keine Gelegenheit gehabt, „das Wesen und die Art der hannoverschen Landeskirche kennenzulernen“ und es sei eine Tatsache, „daß über einige Landeskirchen Gerüchte herumlaufen, die zwar sehr unerfreulichen Inhalts sind, aber wohl nie zu Ohren der zuständigen Herren in den Kirchenleitungen kommen. [. . .] Von vorneherein kann ich nicht beurteilen, ob ein Gerücht wahr ist oder nicht. Das kann ich auch deswegen nicht, weil mir von einem Angehörigen des Lehrkörpers einer theologischen Fakultät in der Bundesrepublik schriftlich eine ehrenrührige und die Studienfreiheit mindestens so stark bedrohende Äußerung eines Ausbildungsleiters einer ev. Landeskirche vorliegt wie das Ihnen vorgelegte Gerücht, das sich als Verleumdung entpuppt hat.“ (Brief des Verbandes Deutscher Studentenschaften, Fachverband Evangelische Theologie, gez. 1. Vorsitzender Hermann Jaeger, an Ev.-Luth. Landeskirche Hannovers – Landeskirchenamt – Herrn Oberkirchenrat Fuhrmann vom 23. 1. 1961. Maschinenschriftl., 2 S., hier 1f. [LkAH, Best. B 1/ 2670 B: Unterricht. der Geistlichen über Entmythologisierung, Bd. 1]).
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Landesbischof ein.189 Die Beanstandung Rüppells erfolgte über den Landessuperintendent für den Sprengel Stadt Hannover, Eberhard Klügel, der in seinem Begleitbrief an den Landesbischof bereits die Bedenken anmeldete, Rüppell überblicke die gesamte Problematik der gegenwärtigen theologischen Auseinandersetzung nicht und sei zu „verfestigt“ in seiner Haltung. Lüderwaldt halte an der Erlösung durch Christus und dessen Auferstehung entschieden fest, habe einen starken Bezug zum seiner Meinung nach zu wenig ausgeübten Sozialengagement der Kirche. Sein Referat sei allerdings in der Tat noch unausgereift. Klügel plädierte für geduldiges Umgehen mit den jüngeren Amtsbrüdern, deren Anliegen nicht missgedeutet werden sollten. Er selbst habe bereits zusammen mit dem zuständigen Superintendenten mit Lüderwaldt und einem ebenso theologisch orientierten jungen Pfarrer des Kirchenkreises gesprochen. OKR Georg Fuhrmann vom Dezernat 4 des Landeskirchenamtes schloss sich nach ausführlicher Analyse des schriftlich vorliegenden Referates von Lüderwaldt Klügels Votum an, und gab darüber hinaus zu bedenken, dass Lüderwaldt auch an manchen Stellen die von ihm zitierten Theologen nicht richtig verstanden habe. Auch Fuhrmann riet an, die Äußerungen Lüderwaldts nicht zum Anlass eines Lehrverfahrens zu nehmen, sondern sowohl mit Lüderwaldt als auch Rüppell ein Lehrgespräch zu führen. Lilje vermerkte zu diesen beiden Gesprächen, bei Lüderwaldt handele es sich „um einen jungen Theologen, der von der modernen Exegese, wie sie heute allgemein auf den Universitäten üblich ist, stark geprägt erscheint. Ich habe ihm zu zeigen versucht, daß die von ihm vorgetragene theologische Position nicht ausreicht, um einer Gemeinde den auferstandenen Herrn zu predigen.“ Lüderwaldt habe sich für das Gespräch aufgeschlossen gezeigt. Lilje plädierte dafür, „Geduld mit ihm [zu] haben und ihm Zeit [zu] lassen in der Hoffnung, daß sich seine theologischen Einsichten vertiefen und er durch seine Amtstätigkeit zu einem tieferen Verständnis der Heiligen Schrift geführt wird.“ Rüppell wiederum sei ihm, Lilje, „mit Dankbarkeit und Vertrauen“ begegnet und habe erklärt, dass „seine Beanstandung [. . .] nicht als ‚Anzeige‘ verstanden“ werden solle. Er bitte darum, sie als „Akt des Vertrauens zu seiner Kirchenleitung“ zu werten. Rüppell zeigte „Verständnis dafür, daß mit dem theologischen Nachwuchs, so wie er sich zurzeit entwickelt hat, Geduld“ geübt werden müsse und „ein disziplinäres Vorgehen falsch am Platze“ wäre. Ihm genügte die Mitteilung, daß Lilje mit Lüderwaldt „ein seelsorgerli189 Abschrift zu den Gen.-Akten Lehrbeanstandungen Nr. 105, Dez. 4, Vermerk betr.: Lehrbeanstandung, Hannover, 7. 5. 1963. Maschinenschriftl., Durchschlag, 2 S. (LkAH, Best. B 1/ 105 Bd. II: Lehrabweichung, Lehrzuchtverfahren, Spruchkammer, Bd. 1). Zu dem weiteren Verlauf vgl. diverse Dokumente in Akte LkAH, Best. B 1/ 105 Bd. II: Lehrabweichung, Lehrzuchtverfahren, Spruchkammer, Bd. 1.
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ches Gespräch geführt habe.“190 Auffällig ist der Generationenunterschied, der sich bei diesem Konflikt zeigte: Rüppell war zu dem Zeitpunkt 53 Jahre alt, Lüderwaldt 30 Jahre. Die neue Welle der „Bultmanndebatte“ – präziser allerdings eher der Debatte um die „moderne Theologie“ – brach mit mehreren Aktionen im Jahr 1961 wieder auf. Anfang 1961 ging beim Stuttgarter OKR ein von dem Leiter der „Evangelisch-Kirchlichen Arbeitsgemeinschaft für biblisches Christentum“, Emil Schäf verfasster „Offener Brief“ ein, der von „50 Männer[n], meist Laien aus dem Kreis des Württembergischen Pietismus“191 unterzeichnet war. In diesem „Offenen Brief“ dankte man für die „wertvolle, wirklich aufbauende Arbeit [. . .] so mancher Theologen“, ging dann aber zu einer scharfen Kritik über. Man verwies auf einen Aufsatz Wilhelm Buschs von 1958, der in dem Resümee mündete, er sei überzeugt, dass der „Grundschaden unserer Kirche die Ausbildung der Theologen auf der Universität ist“.192 Die „Gemeinde des Herrn [. . .] als der eigentliche und verantwortliche Träger des Evangeliums“ – als deren ausdrückliche Vertreter sich die Unterzeichner sahen – sei auf den Plan gerufen, um die Theologie zu fragen, ob sie nicht den tiefen Riss sehe, der sich zwischen Theologie und Gemeindeglauben auftue und warum sie ihre „Kritik“ nicht gegen sich selbst wende, angesichts der Tatsache, dass von ihrer Arbeit „solch geringer aufbauender Wert und oft sogar eine schädliche Einwirkung“ ausgehe. Das geoffenbarte Wort sei gemäß der Schrift Auftraggeber der Theologie, deren Aufgabe lediglich darin bestehe, „die Gemeinde durch das Wort Gottes zu stärken und in wahrem Sinne zu erbauen“. Wäre die Grundlage der Theologie aber das „Menschtum“, so sei sie „eine Wissenschaft wie andere auch, die von vornherein Gott ausklammern“. Der „kritische Verstand“ mache aus der Schrift eine „Sammlung von Mythen und Symbolen, von Märchen, Dichtungen und Sinnbildern, die [. . .] wunschgemäß zurechtgelegt werden.“ Dabei erhielten die Worte und Geschichten, die beibehalten würden, einen „ganz anderen Sinn und Inhalt“. Dies stehe in „derartig schroffem Widerspruch zum Geist und Wort Jesu Christi, daß eine solche Theologie aufs Entschiedenste zurückgewiesen werden muß.“ Diese „sogenannten ‚Ergebnisse‘“ der Theologie seien „etwas 190 Aktenvermerk, 5. 2. 1963, gez. D. [Hanns] Lilje, maschinenschriftl., 1 S.; dieses und weitere diverse Schreiben zu dem Fall „Rüppell – Lüderwaldt“ in Akte LkAH, Best. B 1/ 105 Bd. II: Lehrabweichung, Lehrzuchtverfahren, Spruchkammer, Bd. 1. 191 Frey, Hellmuth: Die Geschichte der Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“. Vortrag gehalten am 14. Juli 1966 auf der Pfarrerkonferenz in Bethel. Drucksache, 11 S., hier 7 (EZA 2/992). 192 Offener Brief an die Leitung der Evangelischen Landeskirche in Württemberg und an die Evang.-Theol. Fakultät in Tübingen (WEG UND ZEUGNIS, Bd. 1, 133–135, hier 133).
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ganz anderes als was gemeinhin unter wissenschaftlichen Feststellungen verstanden wird, weil dabei die oberste ‚Größe‘, der allmächtige, uneingeschränkte Gott, nicht beachtet wird, wodurch diese Ergebnisse ihren unsicheren, so sehr schwankenden Charakter bekommen, auch wenn sie noch so geistreich und selbstbewusst vorgetragen werden.“ Professoren der Theologie, „die vorwiegend Philosophen, Philologen oder Historiker sind, sollten ernsthaft daran denken, ihre theologischen Lehrstühle aufzugeben.“193 Nur der Heilige Geist könne bewirken, dass Menschen etwas vom „Wesen Gottes und seiner Offenbarung durch Jesus Christus“ erfassten und darum müsse bei der theologischen Arbeit „in allen Dingen vor den intellektuellen Bemühungen das Ringen um den Heiligen Geist an erster Stelle stehen, da fruchtbare Theologie nur betrieben werden kann, wenn zuerst die Herzen durch den Heiligen Geist erleuchtet sind.“194 Es sei demzufolge falsch, an die Stelle des Heiligen Geistes „menschliche Vernunft und Wissenschaft oder irgendwelche menschlichen Größen zu setzen“. Hier komme es zu den „tiefgreifende[n] Missverständnisse[n] und Irrtümer [n]“: Heiligung werde zur langweiligen Moral und pharisäischer Selbstgerechtigkeit, der Ernst des Gerichtes übertüncht mit billiger Gnade, Heilsgewißheit des Volkes werde zu Selbstgerechtigkeit, Bekehrung gelte als Schwärmerei und „Zucht des Geistes“ als Gesetzlichkeit, von den zukünftigen Dingen rede man nicht, die Frage der Geistesgaben überlasse man den Sekten, und man wisse nichts über die „Wirklichkeit der Widergeburt“. Es dürfe der Theologie nicht um „ein losgelöstes Kerygma (Botschaft)“ gehen, sondern „um die geistesmächtige Erfassung und Ausschöpfung der ganzen Heiligen Schrift“. Die Kirchenleitungen frage man an, inwiefern sie der seelsorgerlichen Betreuung der Theologiestudenten nachkämen und ob in erster Linie geistliche Faktoren neben den intellektuellen bei der Auswahl der Bewerber für den kirchlichen Dienst eine Rolle spielten. Weiterhin sei zu bedenken, dass an der ersten und zweiten Dienstprüfung „geeignete, von der Gemeinde bestimmte Vertreter“ teilnehmen sollten. Die gesamte Arbeit der Kirche solle „in viel stärkerer Weise auf das Ziel der Erweckung ausgerichtet werden.“ Aber noch weitere Fragen würden „die Gemeinde“ bewegen, z. B. wie es komme, „daß bei den zum Glück seltenen Lehrzuchtverfahren immer nur Leute betroffen werden, deren Denken in der Richtung anderer Glaubensgemeinschaften gegangen ist? Müßten nicht auch Leute, die den Glauben ihrer Gemeinde zerstören, zur Verantwortung gezogen werden?“ Es sei ein „untragbarer Widerspruch, in der Gemeinde um vollmächtige Zeugen des Evangeliums zu beten, deren Ausbildung aber an Stätten zu
193 194
EBD., 134. EBD., 134f.
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binden, in denen das Fundament des Glaubens planmäßig zerstört werden darf.“ Die gegenwärtige Not sei sehr groß, „nicht nur für die gläubige Gemeinde, sondern besonders auch im Blick auf unser Volk, das so hoffnungslos in die Irre geht und in dem die Salzkraft des Christenwesens so sehr mangelt.“ Aber, so in dem „Offenen Brief“ weiter, es gebe auch echte Hilfe in dieser Situation, denn „echter Glaube entstand zu allen Zeiten dort, wo das Gewissen erschüttert wurde und der Mensch zu Jesus, dem Sünderheiland, seine Zuflucht nahm. Echte Buße führt aus der Sünde des Glaubenszweifels wie der Übertretung von Gottes gebot zurück zum wahren Glauben.“195 Die Entstehungsgeschichte des „Offenen Briefes“ warf bereits ein Licht auf die Zuspitzung des am Horizont auftauchenden evangelikalen Protestes. In einem Bericht von Hans Lachenmann in den Lutherischen Monatsheften von 1964 vermerkte der damalige Pfarrer im württenbergischen Reubach und spätere Landesvorsitzende des Gesprächskreises „Evangelium und Kirche“, Emil Schäf, der Leiter der „Evangelisch-Kirchlichen Arbeitsgemeinschaft für biblisches Christentum“ in Reutlingen und Verfasser des „Offenen Briefes“ habe sich „nicht die Mühe gemacht, den Brief allen Mitunterzeichnern im Wortlaut vorzulegen, sondern sich teilweise begnügt, die Unterschrift telephonisch einzuholen, auch von Leuten, die den ganzen Inhalt und die Formulierungen im einzelnen nicht kannten.“196 Dass dieses Vorgehen in den Kreisen der Gemeinschaftsbewegung kritisch gesehen wurde, impliziert ein Brief von Schäf zwei Jahre später an Haarbeck, in dem sich Schäf offenbar gegen den Vorwurf Haarbecks verteidigt, zu wenig Rücksprache mit den Gemeinschaftsbewegungsvertretern gehalten zu haben: „Von Ihrem mehr oder weniger kritischen Brief an Br. Rienecker ist mir (jedenfalls heute) nichts bekannt. Rückblickend bedauer ich, daß Sie damals nicht irgendwie persönlich mit mir die Sache besprechen konnten. [. . .]Tatsächlich ist der O[ffene] Br[ief] auch einer Reihe von urteilsfähigen Leuten zur Beurteilung vorgelegt worden. Endlich freilich mußte ein Knopf daran gemacht werden. Das nur, um zu zeigen, daß wir damals nicht einfach wild drauf losgestürmt sind. Nun, die Sache gehört der Vergangenheit an. Der O[ffene] Brief hat seine Wirkung getan. Er war ein Posaunenstoß, der die Leute aufgeweckt hat.“197
Diese Vorgehensweise ist relativ typisch für Unterschriftensammlungen innerhalb der evangelikalen Bewegung und zeigt eine ganz evidente Parallele zu den 195
EBD., 135. Zitiert nach: STRATMANN, Kein anderes Evangelium, 34. 197 Brief von E[mil] Schäf an Direktor Pastor Haarbeck, Wuppertal, vom 43.[= 3.]9.1963. Maschinenschriftl., 2 S. (AEGGK, II: Dienste und Mitarbeit, 6. Betheler Kreis, Nr. 261: Geschichtliches Werden). 196
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Charakteristika der Aktionen innerhalb der „neuen sozialen Bewegungen“, die einerseits mit starkem Engagement das Erreichen von Quantität mit Hilfe der von ihnen repräsentierten Gruppen forcieren, andererseits aber durch die von diesen Gruppen abgehobene und relativ eigenständige Leiter- und Sprecherkreise teilweise undemokratisch agieren. Die Ambivalenz, dass die Führung der Bewegung zwar durchaus ein Anliegen einer spezifischen sozialen Gruppe vertritt, dies aber in einer von den Einzelmitgliedern dieser Gruppe nicht mitgetragenen Art und Weise geschieht, zeigte sich hier schon in deutlicher Ausformung, allerdings auch in Weiterführung des Aktionsansatzes von z. B. der württembergischen Flugschrift von 1951. Der württembergische Landesbischof Haug, der sich am 1. Februar zu einer Unterredung mit einem der führenden und auch diplomatischen Köpfe des württembergischen Pietismus, dem Leiter der Bahnauer Bruderschaft Max Fischer getroffen hatte,198 verwehrte sich in sei-
198 Haug hatte Fischer in dieser Unterredung gebeten, seine „Gedanken über das Verhältnis von Pietismus und Theologie bezw. über das Verhältnis von Landeskirche, Theologie und Pietismus“ schriftlich niederzulegen. Fischer legte allerdings in erster Linie dar, wie notwenig es ihm erschiene, dass die württembergische Landeskirche ein Institut gründen würde, „das sich mit der Situation der evang. Theologie in Deutschland (und darüber hinaus) eingehend beschäftigte und imstande wäre, eine Darstellung der Lage sowie auch eine Kritik der einzelnen Richtungen zu geben.“ In diesem Institut sollten sowohl bei den haupt- als auch den nebenamtlichen Mitarbeitern Repräsentanten des Pietismus vertreten sein, „die die Situation auch aus dem Blickwinkel des Pietismus her ersehen und mit ihren Kollegen entsprechenden Austausch halten könnten.“ Für den Pietismus in den Gemeinschaftsverbänden und im kirchlichen Raum sei es ein Gewinn, wenn dieses theologische Institut in Abständen ein Bericht über die Lage vorlegen würde „und wenn maßgebliche Vertreter des Pietismus Einsicht bekommen in das, was auf dem linken und rechten Flügel erarbeitet worden ist. Der Nutzen solcher Informationen würde auch darin bestehen“, so Fischer, „daß Vertreter des Pietismus dann nicht mit herausgegriffenen Beispielen aus Lehre und Praxis operieren müssten. Tatarennachrichten eignen sich wenig zur Einleitung kirchlicher Maßnahmen. Ein Gesamtüberblick öffnet den Unterrichtenden auch die Augen über die bestehenden Schwierigkeiten, die zu bewältigen sind und warnen vor kurzschlüssigen Urteilen und Anträgen (siehe Offener Brief).“ Außerdem sprach sich Fischer dafür aus, dass die Arbeitsgemeinschaft „Pietismus und Theologie“ aktiviert würde. In Zusammenarbeit mit dem skizzierten Institut „würde dann auch der Pietismus selber arbeitend an den Problemen beteiligt, sodaß er sich nicht immer als ein Gegenüber von Theologie und Kirche empfindet. Ganz wesentlich scheint mir die Möglichkeit zu sein, auch positive Ergebnisse theologischer Arbeit zur Kenntnis zu nehmen und weiterzuleiten. Die Frage des Fundamentalismus wird in dieser Arbeit eine große Rolle spielen. Es bedarf wahrscheinlich einer jahre- und jahrzehntelangen geduldigen Arbeit, um von einem fundamentalistischen Verständnis der Schrift zu einem echten überzuleiten. Theologie und Kirche sollten hier mit Geduld warten – und wo es sein kann – helfen, damit dieses schwierige Problem bewältigt werden kann.“ Es gäbe über den Kreis der Teilnehmer an der württembergischen Arbeitsgemeinschaft hinaus „eine ganze Reihe von Vertretern der Gemeinschaftsbewegung und der Fakultäten, die an einer [derartigen] Arbeit Interesse haben. [. . .] Ist der Pietismus in seinen Vertretern selber mit theologischen Arbeiten beschäftigt, dann steht er nicht müßig am Markt und lässt sich von schwärmerischen Theologien dingen. Man sollte hier ein ganzes Arbeitspro-
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nem Antwortschreiben vom 14. März 1961 gegen den Tenor des „Offenen Briefes“, man könne über den Heiligen Geist verfügen: der Heilige Geist stehe „nicht in der Verfügung des ‚weltlichen Menschen‘, auch nicht in der Verfügung des ‚frommen Menschen‘; nicht in der Verfügung wissenschaftlicher Methoden und nicht in der Verfügung kirchenrechtlicher Maßnahmen.“199 Außerdem sei es Unrecht, „wenn der ‚offene Brief‘ irgendeiner Lehrerpersönlichkeit unterstellt, sie habe die Absicht ‚das Fundament des Glaubens planmäßig zu zerstören‘.“ Deshalb stimme er „dem Gedanken nicht zu[. . .], der den Schreibern des ‚Offenen Briefes‘ vorzuschweben scheint, als könnte durch irgendeine Art von ‚Glaubensverhör‘ der Zugang zum Pfarramt gegen ‚Ungeeignete‘ abgeschirmt werden.“ In seinem Jahresbericht vor dem 6. Landeskirchentag am 1. Oktober 1961 in Stuttgart ging Haug im dritten Abschnitt ebenfalls auf die „Spannungen zwischen Pietismus und Theologie“ und den „Offenen Brief“ ein.200 Im Gegensatz zu seinem Rundbrief von 1951 erteilte Haug der „modernen Theologie“ keine gramm entwerfen und durchführen können.“ (Brief des Leiters der Bahnauer Bruderschaft Pfarrer M[ax] Fischer an den Landesbischof [Martin Haug] vom 6. 2. 1961. Maschinenschriftl., 3 S. [LKAS A 126, Nr. 1177, 144f.]). In dem Antwortschreiben des OKR vom April 1961 lehnte man die Gründung eines solchen Institutes ab, da eine „Produktion von weiteren Gutachten und Stellungnahmen, Berichten und Umfragen“ zum Thema Theologie und Pietismus nicht als sinnvoll erachtet wurde. Hingegen könne man sich vorstellen, einen „dem Pietismus verbundenen Theologen“ dafür einzusetzen, dass er „die Entwicklung einigermaßen planmäßig beobachtet und darüber auch gelegentlich [. . .] berichtet“. Handschriftlich waren auf dem Briefentwurf für diese Stellung vorgeschlagen: Pfarrer Scheffbuch aus Ulm, Pfarrer Rieß aus Korntal und Dekan Weismann aus Nagold. Wichtig erscheine dem OKR die intensive Pflege des Gesprächs, und zwar weniger auf „höchster Ebene, [denn dessen] Ergebnisse [kommen] so gut wie gar nicht ‚unten‘ an[. . .]“. Viel mehr bewege den OKR die Frage, wie man die „eigentlichen Gemeinschaftskreise [. . .], d. h. die redenden Brüder und die tragenden Glieder der Gemeinschaften“ erreichen könne. „In den Schriftleitungen der Gemeinschaftsblätter und in den Führungsgremien der Konferenzen und ebenso in den Schulungskursen sollten zuverlässige Leute am Werk sein, die ohne Ermüden fort und fort dasselbe mit immer neuen Worten sagen würden: dass wir nicht um der Heilen Schrift willen an Christus, sondern um Christi willen an die heilige Schrift gebunden sind, und dass wir darum und darin die Freiheit und die Bindung dem Buchstaben der Schrift gegenüber gleichzeitig empfangen. [. . .] Der eigentlich bedrohliche Gegner scheint uns nicht so sehr die Schwärmerei zu sein, die aufflackert und wieder in sich zusammensinkt. So gewiss sie unsere wachsame Aufmerksamkeit fordert, so gewiss ist für die Kirche der nomistische Fundamentalismus viel unmittelbarer bedrohlich. Er verschiebt Akzente an derjenigen Stelle, an der dann der Bruch zwischen Theologie und Gemeinde eintreten muss, wenn dem nicht gewehrt wird.“ (Briefentwurf Nr. A. 21116/11 [von Landesbischof Martin Haug an Max Fischer] vom 13. 4. 1961. Maschinen- u. handschriftl., 2 S. [LKAS A 126, Nr. 1177, 146]). 199 Brief des Evangelischen Oberkirchenrates, gez. D. [Martin] Haug, vom 14. 3. 1961, zitiert nach: STRATMANN, Kein anderes Evangelium, 36. 200 Jahresbericht vor dem 6. Landeskirchentag am 1. Oktober 1961 im Hospitalhof Stuttgart von Landesbischof D. Dr. Haug. Maschinenschriftl., 31 S. (LKArchiv Kassel SB Wüstemann,
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Abfuhr, sondern sah die Theologie auf denselben Grund gestellt wie Glaube und Kirche, als „Wissenschaft ohnegleichen“. 201 Die ganze Kontroverse, so Haug, sei nicht nur eine Belastung: Er freue sich, „dass der Streit in der Kirche bei uns wieder einmal – wie in den Tagen eines David Friedrich Strauß und eines Prälaten Kapff – um die Bibel, um ihre Geltung und ihre rechte Auslegung geht.“202 Der Landesbischof griff einige der aktuellen und auch der älteren theologischen Ansätze auf und versuchte ihre Problematik aus der Perspektive der „Gemeinde“ darzustellen, um dann drei Fragen an die Theologie zu stellen. Diese Fragen sollten keinesfalls als Ausdruck gewertet werden, dass „die wissenschaftliche Arbeit theologischer Lehrer und unserer Theologiestudierenden von aussen her [gestört werden solle] und die Freiheit der Wissenschaft in eine sachfremde Hörigkeit“ verwandelt würde, „sondern um der gemeinsamen Sache von Theologie und Kirche mit ihren Gaben zu dienen.“203 Die erste der drei Fragen, die in Umschreibung vorsichtige Mahnungen darstellten, bezog sich darauf, ob Theologen nicht in der Gefahr stünden, vor lauter Einzeluntersuchungen und Vorarbeiten „die Endstufe des neutestamentlichen Zeugnisses, wie sie uns jetzt vorliegt, nicht mehr voll zu nehmen“204, die zweite Frage sprach das Problem an, ob bei aller Erforschung der Mannigfaltigkeit der Heiligen Schrift noch die Einheit, die Mitte der Schrift im Blick sei,205 und die dritte Frage kreiste um den nach Haug in der theologischen Arbeit vernachlässigten Umstand, dass es nicht nur Menschen gewesen seien, die die einzelnen Texte der Bibel erstellten, sondern in allem auch „ein ganz Anderer am Werke war, der Meister dieser Werkstatt, der Heilige Geist“206 Ebenso indirekte Mahnungen erfolgten in den vier sich anschließenden Fragen „der Theologie“, d. h. der akademischen Theologie, an die Gemeinden, die den Umgang der Laien mit der Heiligen Schrift betrafen. Die Fragen zielten darauf, ob die Gemeinden die Bibel als Gottes Wort auch so lesen würden, „wie sie uns von Gott gegeben ist“, d. h. erstens in ihrer gesamten Geschichtlichkeit, zweitens in ihrem menschlichen Charakter, drittens in dem Reichtum ihrer „Polyphonie“,
Nr. 50: Kirchliche Fragen 1957–1962) (= 6. Evangelischer Landeskirchentag, Stuttgart, Sonntag, den 1. Oktober 1961, 10. Sitzung. Auszug aus Drucksache, 207–219 [EZA 2/992]). 201 Jahresbericht vor dem 6. Landeskirchentag am 1. Oktober 1961 im Hospitalhof Stuttgart von Landesbischof D. Dr. Haug. Maschinenschriftl., 31 S., hier 21 (LKArchiv Kassel SB Wüstemann, Nr. 50: Kirchliche Fragen 1957–1962). 202 EBD. 203 EBD., 25. 204 EBD., 26. 205 EBD. 206 EBD., 27.
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Verschiedenheit und Widersprüchlichkeit und viertens in den Schranken, die jedem einzelnen Schreiber durch seine Denkvoraussetzungen und zeitgenössischen Vorstellungen gesetzt waren. Der Ratschlag der Theologie an die Gemeinden, die die Bibel so nehmen wollten, „wie sie selbst genommen sein will“, sei, so Haug, aus ihr „kein Gesetz [zu machen], weder ein Denk- noch ein Glaubensgesetz, sondern [. . .] sie als ein Gnadenmittel [zu behandeln]“207. In Reaktion auf den „Offenen Brief“ antwortete die Tübinger Theologische Fakultät am 8. Juni 1961 – gegen die Darstellung von Frey, die Fakultät habe den Brief „überhaupt nicht beantwortet“208 –, sie schließe sich dem Votum der Kirchenleitung an, verweise auf ihr Gutachten von 1952 und sehe im Übrigen „den ‚Offenen Brief‘ nicht als Grundlage für eine sachliche Aussprache an[. . .]; denn die Unterstellung, die theologischen Fakultäten seien Stätten, ‚in denen das Fundament des Glaubens planmäßig zerstört werden darf‘, schließt eine Verständigung aus.“209 Sowohl inhaltlich als auch literarisch ein anderes Genre stellte des „Wort des Gnadauer Vorstandes“ „Von der Autorität der Heiligen Schrift“ vom 14. Februar 1961 dar.210 In fünf Bekenntnissätzen – ohne Verwerfungen – mit jeweils anschließender kurzen Auslegung wurde dargelegt, was in Bezug auf die Bibel vom Gnadauer Vorstand als Glaubensrichtlinie angesehen werde, nämlich dass: 1. Jesus Christus „in vollkommener und umfassender Weise Gottes Wort“ sei, 2. die ganze Bibel Gottes Worts darstelle, „gewirkt und durchweht vom Heiligen Geist und darum unbedingt WAHRHAFTIG und vertrauenswürdig“, 3. es ein gottgewolltes Verständnis der Bibel nur durch den Heiligen Geist gebe, 4. Gott durch die Verkündigung seines Wortes auch heute noch sein heilbringendes Werk an seiner Gemeinde und aller Welt betreibe und 5. das in der Heilsgeschichte geschehene, in der Bibel als Zeugnis niedergeschriebene und in der Evangeliumspredigt verkündigte Wort Gottes „eine GOTTGEWOLLTE, untrennbare Einheit bildet“. Die einzige kritische Abgrenzung in diesem „Wort“ richtete sich darauf, dass menschliche Vernunft göttliche Offenbarung nicht ersetzen könne. Deshalb sage man „ein eindeutiges ‚Nein‘ zu jeder Bibelkritik, welche die vernunftgemäße Erkenntnis über die Wahrheit der Schrift
207
EBD., 30. Frey, Hellmuth: Die Geschichte der Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“. Vortrag gehalten am 14. Juli 1966 auf der Pfarrerkonferenz in Bethel. Drucksache, 11 S., hier 7 (EZA 2/992). 209 Brief der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen vom 8. 6. 1961, zitiert nach STRATMANN, Kein anderes Evangelium, 36f. 210 Von der Autorität der Heiligen Schrift. Ein Wort des Gnadauer Vorstands im Februar 1961 (WEG UND ZEUGNIS, Bd. 1, 136f.). 208
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stellt und Teile der Schrift umdeutet oder sie als unglaubwürdige Mythen und Märchen abtut.“211 Von Ende 1960 bis März 1961 ergab sich ein weiteres Konglomerat der Auseinandersetzungen mit der Kontroverse zwischen Gerhard Bergmann und Paul Deitenbeck sowie Heinz Zahrnt.212 In der Ausgabe vom 25. Dezember 1960 hatte der theologische Schriftleiter des von Hanns Lilje herausgegebenen Hamburger „Deutschen Allgemeinen Sonntagsblattes“, Heinz Zahrnt, unter der Überschrift „Der Sohn und die Söhne“ erörtert, dass Jesus selbst für sich keine Hoheitstitel, z. B. „Gottessohn“, gebrauchte, die ihm erst von seinen Jüngern bzw. der Gemeinde verliehen wurden. Dies aber bedeute, so Zahrnt, dass Jesus nicht durch Zeugung, sondern durch den Willen des Vaters Gottes Sohn und letztlich nicht der einzige Sohn Gottes sei, sich aber in einer einzigartigen Position befinde, da er im Unterschied zu Gottes menschlichen Söhnen seinen Vater gekannt habe. Gegen diesen Aufsatz verfassten Gerhard Bergmann und Paul Deitenbeck einen Gegenartikel „Demontage der Christusbotschaft?“. Unter Aufnahme der Aussage Zahrnts, auch wir Menschen seien Gottes „Söhne“, zogen Deitenbeck und Bergmann den Schluss, Zahrnt und damit die „theologische Forschung“ überschreite die Grenze hin zu einem Angriff auf die Heilige Schrift und zu einer Veränderung der Substanz des biblischen Wortes.213 Nachdem Zahrnt abgelehnt hatte, den Artikel Bergmanns und Deitenbecks auf Grund seiner Länge von sechs Schreibmaschinenseiten in voller Länge zu drucken und statt dessen um einen gekürzten Leserbrief bat, was die Autoren „wegen der geradezu ungeheuren Tragweite der anstehenden Fragen“214 ablehnten, gaben Bergmann und Deitenbeck ihren Aufsatz als Postwurfsendung „An alle evangelischen Pfarrer in der Bundesrepublik und Westberlin“ heraus.215
211
EBD., 136. Vgl. dazu STRATMANN, Kein anderes Evangelium, 40–42, zu den Erweiterungen des Entwurfes des Aufsatzes für das „Sonntagsblatt“, die in die endgültige Druckfassung der Postwurfsendung einflossen EBD., 42. 213 An alle evangelischen Pfarrer in der Bundesrepublik und Westberlin. Postwurfsendung (LKAS A 126, Nr. 742, 104). 214 EBD.; vgl. auch STRATMANN, Kein anderes Evangelium, 41. 215 Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass die Postwurfsendung mit der Wendung „Mit brennender Sorge“ begann. Bereits in Kap. 3. 3. 4, S. 252, Fußnote 384, wurde darauf hingewiesen, dass dieser Titel der Enzyklika Papst Pius XI. von 1937, in der sich der Katholizismus vom Nationalsozialismus abgrenzte, von Bergmann auch 1965 in seinem Beitrag der Schrift „Ökumene – wohin gehst du?“ bemüht wurde. Diese Dopplung spricht gegen einen Zufall, wie ihn Stratmann, dem nur die Postwurfsendung vor Augen stand, in Erwägung zieht (STRATMANN, Kein anderes Evangelium, 42). Hier schien sich vielmehr offensiv das zunehmende in Eins-Setzen der Situation der Kirche in Westdeutschland mit der der Kirche im Nationalsozialismus zu vollziehen, aber auch indirekt die Inanspruchnahme eines eigenen Wächteramtes für die evangelische 212
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Die Vorgeschichte: Die Bultmannkontroverse und ihre Auswirkungen
Ein weiterer konzentrischer Kreis der Auseinandersetzungen bildete die Kampagne Paul Deitenbecks und Rudolf Bäumers gegen die Mitwirkung des Bultmannschülers Willi Marxsen im Prüfungsamt der westfälischen Landeskirche, wo dieser seit 1957 als Prüfungsamtsmitglied fungierte. Rudolf Bäumer war westfälischer Pfarrer in Espelkamp, Leiter des „Ludwig-Steil-Hofes“ für Aussiedler in Espelkamp und zweiter Vorsitzender des kirchlichen Blauen Kreuzes für Suchtgefährdete sowie Vorsitzender des westfälischen JungmädchenWerkes. 1960 richtete Deitenbeck in der Zeitschrift der „Evangelischen Gesellschaft“ „Licht und Leben“ einen „Offenen Brief“ an Marxsen, in dem „gegen jede Art von Bibelkritik“ „eindeutig nein“ gesagt wurde.216 Da dieser Brief bis auf Marxsens Antwort an Deitenbeck ohne Resonanz blieb und Marxsen in späteren Gesprächen mit Bäumer, in denen Bäumer ihn um seinen freiwilligen Rücktritt bat, dieses Ansinnen ablehnte, scharte Bäumer neben Deitenbeck den Bundeswart des CVJM-Westbundes, Karl Sundermeier, und die Vorsitzende der „Arbeitsgemeinschaft für Evangelische Frauen- und Mädchenbibelkreise“, Käte Kreling, um sich, um gemeinsam einen Brief an die Landeskirchenleitung aufzusetzen, in dem diese darum gebeten wurde, Marxsen von seiner Tätigkeit im Prüfungsamt zu entbinden. Der schon erwähnte Betheler Dozent Hellmuth Frey riet von einem solchen Brief ab.217 Stattdessen fand im Juni 1961 ein
Kirche in Analogie zum Papstamt in der katholischen Kirche. Wie bereits dargestellt kann die Bedeutung der Entwicklung der Selbstwahrnehmung als Wächter und Richter der Kirche bei einzelnen Personen und innerhalb von Gruppen, die später in die evangelikale Bewegung mündeten, für die 1950er bis 1960er Jahre kaum hoch genug eingeschätzt werden, da dadurch die Legitimation des eigenen Wirkens begründet wurde. Die auf den ersten Blick von einer nicht geringen Hybris zeugende Analogiestellung der Ökumeneschrift und der Postwurfsendung von 1961 mit einer Papstenzyklika deutet letztlich eher auf die Dringlichkeit, den Druck, aber auch die Ängste hin, die den evangelikalen Selbstlegitimationsprozess prägten. 216 Vgl. HOLTHAUS, Fundamentalismus, 249, Fußnote 624. Für sein „möglicherweise unkorrektes Verhalten“ bei der Publikation dieses Artikels, den Deitenbeck im Vorfeld an Marxsen geschickt, auf den Marxsen ausführlich geantwortet und nachgewiesen hatte, dass die Vorwürfe gegen ihn unbegründet waren, der aber trotzdem in der folgenden Nummer von „Licht und Leben“ erschienen war, entschuldigte sich Deitenbeck 1963 bei Marxsen (STRATMANN, Kein anderes Evangelium, 38f.). 217 In einer „Diskussionsgrundlage“ von 1965, die 1966 unter dem Titel „Die Frage nach dem Zeugnis von Jesus Christus heute“ gedruckt wurde, setzte sich Frey ausführlich mit Marxsen auseinander, dem er „Fremdheit gegenüber dem Neuen, das mit Jesus in die Welt gekommen ist“ attestierte. Diese Fremdheit führe „zur Blindheit für das Wunder der Versöhnung und Sühne, für das neue Leben und die Freude auf die Zukunft des Herrn.“ (FREY, Frage, 31). Marxsen selbst hatte 1965 die Broschüre „Der Streit um die Bibel“ als Replik auf Bergmanns „Alarm um die Bibel“ publiziert und darin versucht, laienverständlich die theologischen Probleme der Debatte um Bultmann bzw. die „moderne Theologie“ zu erläutern.
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Gespräch mit der Landeskirchenleitung statt, in dem diese sich hinter Marxsen stellte.218 Nun sammelten sich weitere Kritiker der „modernen Theologie“ um die in ihrem Kampf gegen Marxsen erfolglose Gruppe. Zu diesem losen Verbund, der sich nach dem Ort seiner Treffen „Bethelkreis“ nannte, gehörten schon bald Paul Tegtmeyer, der von 1923 bis 1954 das für den diakonische Dienst ausbildende Bruderhaus Nazareth in Bethel leitete, der westfälische Pastor und im Vorstand des Gnadauer Verbandes tätige August Spreen, der Evangelist Heinrich Kemner, der langjährige Leiter der Pfarrergebetsbruderschaft und Superintendent der lutherischen Klasse in der lippischen Landeskirche Theodor Brandt sowie der Neumünsteraner Pfarrer Sven Findeisen. Im Juli 1961 wandte sich diese Gruppe mit einer „Eingabe an die Kirchenleitungen“, die jeder Landeskirchenleitung und dem Rat der EKD zuging.219 Die Eingabe war von Brandt, Tegtmeyer und Frey verfasst worden, die auch den Begleitbrief unterzeichneten. In diesem Begleitbrief wandten sich die Unterzeichnenden mit „schwerer Sorge“ an die evangelische Kirche, da diese „kein Sprechsaal für die verschiedensten Meinungen“ sei. „Die ganze Gemeinde“ habe „das Wächteramt bekommen, aber in besonderer Weise ihre Hirten und Leiter“ und nun erhebe „die Gemeinde“ – vertreten von den Verfassern – „ihre Stimme, um ihre Mitbrüder, Hirten und Leiter zur Ausübung dieser Wächterpflicht zu ermutigen.“ Mit „Sorge und Betrübnis“ sehe man, „daß die Stimmen, die sich bisher erhoben haben, mitunter wegen ungeschickter Formulierung oder weil sie aus Laienkreisen kamen, nicht richtig eingeschätzt worden sind“ und wende sich „aufs entschiedenste gegen die Diskriminierung derer, die ihre mahnende Stimme erhoben, als ständen sie – oft im Dienste des Herrn bewährte Männer, – nicht im Gebet und in der Fürbitte für die Kirche und als wären ihre Worte bloß ‚Posaunenstöße der Bekenner‘.“ Die Verfasser hoben ihre Sorge darüber hervor, „daß der Rat Gamaliels, man müsse abwarten und darauf trauen, daß die Wahrheit sich selber durchsetze, hier und dort wieder laut wird. Wir hören mit Beunruhigung, daß Prediger, die die Hauptstücke der Botschaft des Neuen Testamentes [. . .] in Frage stellen oder aushöhlen und uminterpretieren, damit entschuldigt werden, daß sie formell die Gültigkeit des Bekenntnisses nicht antasten.“ Dies hänge mit der „neuen Losung“ zusammen, die laute „‚Interpretierung‘ der Schrift“. Mit dieser „Interpretierung“ aber vollziehe sich „die Änderung und Verfälschung der Schrift in ihrem Herzstück.“ Es sei zwar klar, dass Menschen Gott nicht verteidigen müssten und auch, dass „die Gemeinde“ immer bestehen 218 219
STRATMANN, Kein anderes Evangelium, 38. Zu der Eingabe und dem Begleitbrief und den Hintergründen der Abfassung vgl. EBD., 44–
48.
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bleibe, aber „wir wissen auch, daß die Hütte Gottes in Silo und Jerusalem, Wittenberg und Genf sehr wohl weggeräumt werden kann, und wenn es geschieht, wir dafür verantwortlich gemacht werden. [. . .] Wir wissen [. . .] auch, daß der Herr deswegen seine Kirchen, wenn sie irrten oder dem Irrtum Vorschub leisteten, nicht entschuldigt.“220 Die Eingabe stellt einen Markstein in der Vorgeschichte der evangelikalen Bewegung dar, da sie verdeutlicht, dass die „Sammlung“, die Konzentration von Trägergruppen um ein Aktionszentrum eine neue Stufe der Zusammenarbeit und Vernetzung erreicht hatte. Sie war von 32 Pfarrern und Laien unterzeichnet, unter anderen von Rudolf Bäumer und Paul Deitenbeck, von dem Direktor des „Johanneums“ in Wuppertal, Hermann Haarbeck, der zwei Jahre später Präses des Gnadauer Gemeinschaftsverbandes wurde, von den Evangelisten Heinrich Kemner, Hans Bruns und Wilhelm Busch, von dem Vorsitzenden der PGB Erich Schnepel,221 von dem Sittensener Pfarrer Peter Hartig in der Hannoverschen Landeskirche, der Ende der 1960er Jahre Vorsitzender der „Kirchlichen Sammlung um Bibel und Bekenntnis“ auf Bundesebene wurde, von Arno Haun, dem Direktor des dem Gnadauer Verband angehörigen Deutschen Gemeinschafts-Diakonieverbandes sowie von verschiedenen Missionsdirektoren wie Martin Pörksen (schleswig-holsteinische „Evangelisch-lutherische Missionsgesellschaft“ in Breklum), Gustav Weth („Rheinische Mission“) und Curt Ronicke („Bethel-Mission“). Der einzige Ordinarius, der die Eingabe unterschrieb, war der Vorsitzende der SMD, der Mainzer Mathematiker Hans Rohrbach, die einzige Frau Käte Kreling, die als Vikarin in Bad Salzuflen im „Bund der Deutschen Mädchenbibelkreise“ (MBK) tätig war.
220 Brief an die Leitung der Evangelischen Landeskirche von Kurhessen-Waldeck z. Hd. Herrn Bischof D. Wüstemann, gez. D. Theodor Brandt, Mg. Hellmuth Frey, D. Paul Tegtmeyer, o.D. [Eingangsstempel 2. 7. 1961]. Maschinenschriftl. 3 S., hier 2 (LKArchiv Kassel SB Wüstemann, Nr. 50: Kirchliche Fragen 1957–1962). 221 Die PGB, heute „Pfarrerinnen- und Pfarrer-Gebetsbund“, eine 1913 aus der Erweckungsbewegung hervorgegangene Gemeinschaft von Pfarrern, die sich zum gemeinsamen Bibelstudium, Gebet und Gespräch trafen, widmete sich seit 1960 zunehmend der Betreuung von Theologiestudierenden. In Form von Ferienseminaren wurde seit 1961 die theologische Arbeit parallel zum Studium intensiviert. Otto Michel, Hellmuth Frey und der Tübinger Neutestamentler Martin Hengel hielten unter anderen als Mitglieder der PGB Vorträge zur Abgrenzung von der Bultmannschen Theologie. Das Publikationsorgan der PGB war in den 1960er Jahren die „Brüderliche Handreichung“, die seit 1970 von den „Theologischen Beiträgen“ abgelöst wurde. Erich Schnepel, in den 1920er Jahren Direktor der Berliner Stadtmission und von 1945 bis 1955 als Pfarrer in Großalmerode bei Kassel wirkte (zu Schnepel vgl. die Autobiografie SCHNEPEL, Leben), war Vorsitzender der PGB, Otto Rodenberg, Schriftleiter der „Brüderlichen Handreichung“, einer maßgeblichen Theologen der PGB in den 1960er Jahren (vgl. STRATMANN, Kein anderes Evangelium, 43f., Fußnote 20; HOLTHAUS, Fundamentalismus, 251f.).
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In dieser Eingabe wurde in fünf Punkten den Kirchen nun ebenfalls die „schwere Sorge [. . .] um unsere Gemeinden, den theologischen Nachwuchs, um die Gemeinde- und Schuljugend“ vorgetragen. U. a. hieß es in der Eingabe, man sehe die „Aushöhlung in der Umdeutung der Christusbotschaft. Wir sehen, wie ein durch autonomen Verstand, mit Hilfe autonom gehandhabter wissenschaftlicher Methoden erarbeiteter ‚rechter Christus‘ an die Stelle des biblisch bezeugten Christus treten soll.“ Wenn aber, so in der Eingabe weiter, „Forschung und Lehre nicht mehr grundsätzlich als Funktion des Leibes Christi anerkannt werden, können die Resultate nur zur Auflösung der Schrift und des Bekenntnisses führen. Wir sehen nicht in der wissenschaftlichen Arbeit an der Schrift das Übel, sondern in ihrem falschen Ansatz und ihrer verfehlten Ausrichtung.“ Demzufolge frage man in großer Sorge „die Verantwortlichen in der Leitung unserer Kirche, was sie zu tun gedenken, und welchen Rat sie wissen, um der Auflösung der Kirche zu steuern, inmitten einer sich apokalyptisch zuspitzenden Zeit, als Erben eines verpflichtenden Bekenntniskampfes, nach Gerichten, aus denen uns nur Gottes Gnade einstweilen gerettet hat, in Verantwortung nicht zuletzt für die kommende Generation“, und bitte die Leitung der Kirche „um eine für jedermann fassliche Erklärung, ob die Kirche auch heute noch auf dem Bekenntnis der Väter steht, oder ob dieses von ihr als überlebt und der Uminterpretierung bedürftig angesehen wird, bzw. ob eine solche Umdeutung in das belieben des Einzelnen gegeben ist.“222 Die Tätigkeit von Persönlichkeiten in kirchlichen Prüfungskommissionen, die das Bekenntnis der Kirche uminterpretierten, wurde auf Grund ihrer Wirkung auf die Theologiestudenten kritisiert. Die Kirchenleitungen sollten nicht nur ihrer Fürsorgepflicht für den theologischen Nachwuchs nachkommen, sondern auch den Gemeinden ins Gedächtnis rufen, dass sie eine Verpflichtung zur Prüfung der Lehre bei der Bestellung von Pfarrern und Katecheten hätten. Die Gemeinden wiederum sollten in dieser Zeit der „begonnenen Zersetzung“ Fürbitte für ihre Lehrer halten. Der „Zersetzung“ könne man nicht mit kirchenregimentlichen Maßnahmen entgegen steuern, sondern durch innere Erneuerung des Glaubenslebens. Und so betonte man in der Eingabe: „Im Blick auf die heutige Ordnung der Kirche, auf das Ordinationsgelübde und die Bezeugung des Glaubensbekenntnisses im Gottesdienst halten wir den augenblicklichen Zustand für eine nicht mehr länger zu verantwortende Unwahrhaftigkeit, die 222 „Wir Unterzeichnenden werden nicht mehr in Ruhe gelassen. . .“. Anlage zum Brief an die Leitung der Evangelischen Landeskirche von Kurhessen-Waldeck z. Hd. Herrn Bischof D. Wüstemann, gez. D. Theodor Brandt, Mg. Hellmuth Frey, D. Paul Tegtmeyer, o.D. [Eingangsstempel 2. 7. 1961]. Maschinenschriftl. 3 S., hier 1 (LKArchiv Kassel SB Wüstemann, Nr. 50: Kirchliche Fragen 1957–1962).
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die Glaubwürdigkeit der Kirche vor Gott und Menschen zerstört. [. . .] Wir möchten alles zusammenfassen in dem Satz: wir sehen, daß der status confessionis eingetreten ist. Wenn der Bekenntniskampf, der hinter uns liegt, nicht ein politischer, sondern ein Kampf um die Glaubensgrundlage der Kirche gewesen ist, bedarf es seiner Fortsetzung in anderer Form, auch wenn es schmerzhafte Scheidung um Christi willen zur Folge hat.“223
Die Kirchenleitungen reagierten auf die Eingabe verhalten, manche auch überhaupt nicht. Es muss offen bleiben, warum es zu dieser defensiven Reaktion kam: Wollte man zuerst abwarten, was andere Kirchenleitungen zu der Eingabe äußern würden, wurde die Kritik als inzwischen überholt, das Thema als von den meisten Synoden und Kirchenleitungen genügend ventiliert betrachtet und damit nachrangig relevant eingestuft, oder stellten sich andere Probleme als dringlicher dar?224 Die westfälische Landeskirche ließ von dem Vorsteher der diakonischen Einrichtung Wittekindhof Johannes Klevinghaus ein Gutachten zu der Eingabe erarbeiten, das dieser im Januar 1962 Präses Ernst Wilm vorlegte. In dem fünfseitigen Schreiben setzte Klevinghaus den Schwerpunkt auf die Erörterung der westfälischen Kirchengrundordnung von 1953, in der die Bekenntnisbindung der westfälischen Kirche „besonders durchdacht und weise“225 ausgesprochen wurde, sowie die Ergebnisse der Landessynoden von 1954 und 1955. Deutlich hob Klevinghaus hervor, die Kirche teile zwar die Besorgnis der Autoren, es könne nicht immer und überall in der Verkündigung verantwortlich gehandelt worden sein, aber andererseits vermöge die Kirche auch nicht die Gemeinden vor den Fragen abzuschirmen, die die Theologie aufwerfe. Bei aller gemeinsamen Sorge sehe sich die Kirchenleitung nicht in der Lage, die in der Eingabe dargelegten Alternativen zu übernehmen. Außerdem, so Klevinghaus weiter, sei nicht auch der Pfarrer „berechtigt, bei den seine Verkündigung mit Recht prüfenden Gemeindegliedern seinerseits Rückfrage zu halten nach der Wahrhaftigkeit ihres Bekennens und Richtens? Ist der Punkt so leicht zu fixieren, an dem aus der Interpretation, ohne welche niemand die Schrift oder das Bekenntnis
223
EBD., 2. In den meisten Landeskirchen standen um 1960 andere und ebenso gewichtige Fragen auf der Tagesordnung. So war z. B. in vielen Landeskirchen die Stellung zur EKD noch nicht endgültig geklärt, das Staats-Kirche-Verhältnis stand immer noch zur Debatte, die Frage der atomaren Bewaffnung beschäftigten auch die Kirchen, Neuordnungen der Konfirmation waren im Gange, für die der Rat der EKD 1958 einen speziellen Ausschuss eingesetzt hatte, und seitdem Ende der 1950er Jahre die ersten Landeskirchen die Ordination von Frauen eingeführt hatten, stand auch diese Frage für die anderen Landeskirchen zur Diskussion. 225 Entwurf. Anlage zum Brief von Pastor Dr. Joh[annes] Klevinghaus an Präses [Ernst] Wilm vom 15. 1. 1962. Maschinenschriftl., 5 S., hier 1 (LkA EKvW Best. 3.6 Nr. 4). 224
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liest, die Uminterpretation wird gegen die Schrift und gegen das Bekenntnis?“226 Am Schluss seines Gutachtens verwies Klevinghaus auf die Ergebnisse des Ausschusses „Bekenntnis und Einheit der Kirche“, die vor zwei Jahren von der Landessynode entgegen genommen wurden: „Wo diese Vorlage zum Gegenstand der Arbeit gemacht wird, werden die von Ihnen und uns allen als so brennend empfundenen Fragen nicht nur nicht umgangen werden können; man wird für ihre Beantwortung auch von der Heiligen Schrift und von den Bekenntnissen der Väter her Hilfen bekommen.“227 Die lippische Landeskirche hatte mit dem Superintendenten Theodor Brandt eine unmittelbare Verbindung zum Bethelkreis. Am 16. Oktober 1961 kam es zu einem Gespräch zwischen Vertretern der Landeskirche, zu denen auch Brandt gehörte und der Theologischen Fakultät der Universität Münster, zu der der umstrittene Theologe Willi Marxsen gehörte.228 Im September 1961 hatte Adolf Wüstemann, Bischof der Landeskirche von Kurhessen-Waldeck,229 nahezu grob an die Verfasser des Briefes geschrieben, bevor er zu einer Aussprache bereit wäre, würde er gern wissen, ob man in den Kreisen der Unterzeichner die theologischen Arbeiten sowohl von Adolf Schlatter als auch die aktuellen von Gerhard Ebeling kenne und wahrgenommen habe und in die eigenen Überlegungen habe einfließen lassen.230 Auf den Brief Wüstemanns antwortete Brandt am 5. Oktober, man wisse sich mit der Arbeit Adolf Schlatters sehr verbunden, halte im Übrigen den „theologischen Fundamentalismus für einen Kurzschluß“ und Ebelings Veröffentlichungen seien ihm, Brandt, zum Teil bekannt, aber er sei der Meinung, man solle sich bei einem Gespräch nicht auf ihn beschränken.231 Ein solches erfolgte dann am 1. November 1961.232 Mitte Februar 1962 lud die Evangelische Akademie Hofgeismar im Auftrag der kurhessen-waldeckschen Kirchenleitung zu einer geschlossenen Tagung zum Thema „Pia Desideria heute. Ein Gespräch über Kirche und Pietismus“
226
EBD., 3. EBD., 5. 228 STRATMANN, Kein anderes Evangelium, 48, Fußnote 27. 229 1967 erfolgte die Umbenennung in „Kirche von Kurhessen-Waldeck“. 230 Briefdurchschlag des Bischofs der Evangelischen Landeskirche von Kurhessen-Waldeck an die Herren Superintendent D. Theodor Brandt, Bad Salzuflen, [. . .] vom 27. 9. 1961. Maschinenschriftl., 2 S. (LKArchiv Kassel SB Wüstemann, Nr. 50: Kirchliche Fragen 1957–1962). 231 Brief von Dr. Th[eodor] Brandt an Herrn Bischof D. [Adolf] Wüstemann vom 5. 10. 1961. Maschinenschriftl., 1 S. (LKArchiv Kassel SB Wüstemann, Nr. 50: Kirchliche Fragen 1957–1962). 232 Brief von Otto Rodenberg an Prälat [Erich] Vellmer vom 27. 2. 1962. Maschinenschriftl., 1 S. (LKArchiv Kassel SB Wüstemann, Nr. 50: Kirchliche Fragen 1957–1962). 227
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ein. Der Bischof und der Rat der Landeskirche hielten eine Fortsetzung der Gespräche zwischen „Pietismus und Kirche“ von 1950 für angebracht, hieß es in der Einladung.233 Die Vorträge auf der Tagung hielten unter anderem Pfarrer Karl Biskamp (Diakonische Gemeinschaft Hephata) zu dem Thema „Glaubwürdigkeit der Schrift“, Pfarrer Dr. Gebhardt (Eichenberg) zu „Die Gültigkeit der Auferstehung Jesu Christi“ sowie der Pfarrer im hessischen Großalmerode und maßgebliche Führer in der PGB Otto Rodenberg zum Thema „Die Erwecklichkeit der Verkündigung“. 4.3.1 Otto Rodenbergs Bultmannkritik Mit Rodenberg betrat einer der herausragendsten Kritiker Bultmanns in den 1960er Jahren die Bühne des Geschehens. Seine zahlreichen gegen die „existentiale Interpretation“ gerichteten Publikationen lassen erkennen, dass es ihm in der Tat um eine sachbezogene, nicht polemische Auseinandersetzung ging. Bemerkenswert an Rodenbergs theologischer Argumentation war, dass er zwar letztlich vehement seine Position der Kritik an Bultmann verteidigte, dies aber immer wieder in dem Versuch, die Argumente seiner Gegner bei deren Widerlegung zu nutzen. Damit stand er mit Bultmanns Theologie in Dialog, und zwar zu einem Zeitpunkt, zu dem andere Vertreter der Bultmannkritischen Fraktion diesen Dialog bereits abgebrochen hatten. Eher zufällig wurde er von dem Kreis um Brandt, Tegtmeyer und Frey „entdeckt“ und geriet mit diesem auch bald in einen Konflikt – dazu mehr im Kap. 4. 5. 1. Rodenbergs stete Mahnung gegenüber seinen Gesinnungsgenossen im Bethelkreis bzw. gegenüber den Gemeinschaftskreisen war, man müsse unter dem „Wort Gottes“ das in Jesus Christus fleischgewordene Wort verstehen, nicht die Bibel. Rodenbergs Publikationen wie „Existenziale Interpretation“, 1961 in der „Brüderlichen Handreichung“ erschienen, das Buch „Um die Wahrheit der Heiligen Schrift“ von 1962, das bis 1966 vier Auflagen erlebte, oder „Pietismus – quo vadis?“ von 1969 – die zweite Auflage erschien schon 1970 – fanden zu der Zeit einen starken Anklang. Obwohl Rodenberg noch Ende der 1960er Jahre in der evangelikalen Bewegung engagiert war, z. B. als Vorsitzender der hessischen B KAE, zog er sich in den 1970er Jahren aus dem evangelikalen Protest zurück und war dann nur noch in der PGB tätig. Heute ist er auch in der evangelikalen Bewegung nahezu vergessen, ein Umstand, der angesichts seiner 233 Johannes Geß, Propst, und Erich Freudenstein, Landespfarrer für Innere Mission, in der Einleitung des Faltblattes. Drucksache (LKArchiv Kassel SB Wüstemann, Nr. 50: Kirchliche Fragen 1957–1962).
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publizistischen zeitgenössischen Wirkung verwundern mag. Bei Rodenbergs Kritik an Bultmann – aus dessen Schule er ursprünglich kam und zu dessen glühenden Verfechtern er noch 1950 gehörte –234 spielten um 1961 zunächst noch die Aspekte die wesentlichere Rolle, die schon vor ihm von Vertretern evangelikaler Trägergruppen moniert worden waren. Nichtsdestotrotz wandte er sich schon 1961 deutlich gegen das starre Festhalten an der Heiligen Schrift als verbalinspiriert. In „Die existentiale Interpretation“, einem Aufsatz, der 1961 als Heft der „Brüderlichen Handreichung“, dem Organ der PGB, erschien, sprach sich Rodenberg gegen die Verbalinspiration aus und zog Martin Kählers Vortrag von 1892 „Der sogenannte historische Jesus und der geschichtliche, biblische Christus“ heran: „Da wird eindeutig eine aus Furcht geborene Sicherung der Schriftautorität durch das System der Verbalinspiration abgewiesen.“235 Rodenberg argumentierte weiter, das Neue Testament kenne „Beweisbarkeit“ bzw. den Begriff „Beweis“ nicht – „Beweise“ seien Produkt nachkantischen Denkens.236 „Nicht biographisches, sondern kerygmatisches Interesse leitet die Schreiber des N.T. Man wird das so sagen können, wenn man dann nicht eines gegen das andere ausspielt. Dies aber geschieht nun [bei den Theologen]“237, so Rodenberg. Dies zeige sich beispielhaft bei Käsemann, wenn dieser schreibe: „‚Die Evangelien sind nicht primär als Tatsachenbericht zu verstehen, weil sonst ihr Verkündigungscharakter ausgeschaltet wäre.‘ Diese unechte Alternative entstammt der Skepsis gegenüber Ereignissen, die normales menschliches Begreifen übersteigen.“238 Auch Rodenberg kam zu dem Schluss, dass „christliche Verkündigung [. . .] ohne vorausgegangenes Ereignis in der Geschichte unmöglich“ sei. Wolle man nun im Geschehen der Verkündigung das historische Ereignis sehen – um nicht in den Fehler der liberalen Theologie zurückzuverfallen, Verkündigung ganz ohne Ereignis als Kerygma zu proklamieren –, sei das auch nicht bibelgerecht, da die Bibel in Jesus Christus die fleischgewordene, d. h. historisch existente, Botschaft sehe, und nicht in der Verkündigung von ihm.239 Rodenberg schloss sich vorbehaltlos Barths Meinung über Bultmann an, der in „Rudolf Bultmann. Ein Versuch, ihn zu verstehen“ Bultmanns Entmythologisierungskonzept eine große Stärke hinsichtlich der Vereinigung praktischer und theoretischer Anliegen, der Konzentration und Vereinfachung der theologischen Aufgabe, des intensiveren Verständnisses von
234 235 236 237 238 239
Rodenberg, Interpretation, 21. EBD., 4. EBD., 6f. EBD., 7. EBD., 8. EBD., 9.
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Paulus und Johannes, der Nähe zu den ursprünglichen Konzeptionen Luthers und der Möglichkeit, als Theologe seiner Sache ganz neu treu zu sein und trotzdem mit beiden Beinen in der Realität zu stehen, bescheinigt hatte. Mit Deklamationen gegen die „Erledigungen“ durch Bultmann sei nichts getan, allerdings wäre die Theorie Bultmanns eben ein philosophischer und kein theologischer Zugang zur Verkündigung.240 Rodenberg diagnostizierte bei dem Ansatz Bultmanns grundsätzlich eine Skepsis gegenüber „Wahrheit“ – Bultmann intendiere, der Text sage nicht das, was er sagen will – und der „Geschichte“ – historische Ereignisse hätten für die Gegenwart keine Bedeutung. Diese Skepsis, so Rodenberg, bewirke „ein gebrochenes Verhältnis zur außerhalb meiner selbst liegenden Wirklichkeit und zur Geschichte, die wir [. . .] als die philosophische Hypothek des heutigen Denkens bezeichnen“. Das sei, so Rodenberg, „eine ernste Krankheits-, ja Zersetzungserscheinung unserer Zeit.“ Man glaube, nicht nur das „weltbildbedingte“, sondern das gesamte „an Tatsachen orientierte Denken“ abstreifen zu müssen.241 Im Zuge der Annahme von „Tatsachen“ ist auch für Rodenberg das „Interpretieren“ Bultmanns eher ein „Umdeuten“, da es von einem Vorverständnis ausgeht, das die zu interpretierenden Inhalte „nicht mehr als Tatsachen respektiert“.242 Wo Jesus verschwinde, müsse der Glaube als Dreh- und Angelpunkt herhalten und eine Aufgabe leisten, die er nicht leisten könne.243 Rodenberg konstatierte, dass es eine ganze Anzahl von Pietisten gäbe, die Bultmanns Ansatz großartig fänden, da es bei ihm um Anrede, Botschaft für den Einzelnen, und Entscheidung, im Hinblick auf den existentiellen Charakter zwischen einem historischen Jesus und einem gegenwärtigen Christus, gehe. Allerdings bemerkten sie nicht den Unterschied, der im Eintauschen des Glaubens gegen die Annahme der „Tatsachen“ bestünde. Nun „wäre die formale Ähnlichkeit und wahrhaftig auch eine Ablösung des Pietismus durch eine entsprechende Erweckungstheologie der Gegenwart nichts, worüber man klagen müsste“, so Rodenberg, aber erschütternd sei die „Preisgabe der persönlichen Beziehung zum lebendigen Herrn Jesus Christus, die als Mythologie und Menschenvergötterung bezeichnet wird.“244 Vor dem Hintergrund von Bultmanns Aussage, man habe wie Jesus sein Kreuz zu nehmen und sich mit ihm kreuzigen zu lassen, insistierte Rodenberg, man müsse es „wohl selbst erlebt und erlitten haben, um den grundlegenden 240 241 242 243 244
EBD., 11. EBD., 13. EBD., 14. EBD., 16. EBD., 17.
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Unterschied zwischen biblischer Erlösung und existentialer Eigentlichkeit in seinem ganzen Ausmaß zu sehen. Es gibt hier keinen Kompromiß, etwa mit der Begründung, es ginge bei der existentialen Interpretation doch auch um evangelische Verkündigung, oder mit dem nicht seltenen Argument, die moderne Theologie sei nur missverstanden.“ Es sei „bei aller begrifflichen Ähnlichkeit ein anderer Jesus“, von dem er und die „existentiale Interpretation“ spreche und „deshalb auch ein anderes Evangelium.“ Der „existentiale Ruf zur Entscheidung“ sei „ohne befreiende, erlösende Kraft, weil ihm die Wirklichkeit des lebendigen Herrn Jesu Christi und seines vollbrachten stellvertretenden und sühnenden Opfers“ fehle. Spreche man „ohne diese geschichtliche Wirklichkeit von der Rechtfertigung des Sünders, dann ist das ein Wort, dem die ‚Deckung‘ fehlt wie einem wertlos gewordenen Geldschein.“ Daran werde auch nichts geändert, „wenn durch eine entmythologisierende Interpretation unbestritten dem modernen Menschen Verstandesnöte erleichtert werden, ja er sogar vom vielgenannten ‚sacrificium intellectus‘ erlöst wird. Das ist gar keine wirkliche Erlösung, weil die Macht der Sünde viel tiefer sitzt als im Intellekt.“245 So sah Rodenberg die „Trost- und Kraftlosigkeit existentialer Selbsttäuschung“, die nicht mit den Nöten aufräumen könne, die „ein sündiger Mensch unter dem Zornesfluch des lebendigen Gottes“ habe.246 Rodenberg stand in regem brieflichem Austausch über die „existentiale Interpretation“ und zwar nicht nur mit Kritikern Bultmanns.247 1962 schrieb er einen umfangreichen Brief an seinen ehemaligen Lehrer, in dem er ihm seine Kritikpunkte an der Entmythologisierung darlegte, und den er mit der ersten Frage des „Heidelberger Katechismus“ einleitete: „Es geht doch um den Glaubensinhalt, und damit um den einigen Trost im Leben und Sterben. Wie sollte ich Ihnen da widersprechen, wo Sie die reformatorische Grunderkenntnis des ‚sola fide‘ vertreten. Ich weiß, daß es Ihnen in Ihren grundsätzlichen Aussagen ganz entscheidend um dieses sola fide geht. Aber was hilft eine Purifzierung des Glaubens, wenn der Glaubensbezug, der meines Erachtens gerade für reinen Glauben wichtiger ist als der Glaube als Akt selber, fraglich wird?“248 Bultmanns etwas kürzere Replik bezog sich im Wesentlichen auf das seiner Meinung nach falsche Auseinanderfallen des Historischen und des Glaubens: „Der entscheidende Punkt scheint mir nun der zu sein, daß Sie das Paradox ver-
245
EBD., 18. EBD., 21. 247 Vgl. dazu das Kapitel „Das Gespräch (aus dem Briefwechsel)“ in Rodenbergs Buch „Um die Wahrheit der Heiligen Schrift“ (RODENBERG, Wahrheit, 93–142). 248 Brief von Otto Rodenberg an Rudolf Bultmann vom Januar 1962 (RODENBERG, Wahrheit, 98–100, hier 99). 246
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kennen, das darin besteht, daß ein historisches Ereignis zugleich (nach christlichem Glauben) das eschatologische Ereignis ist. Wenn man dieses Paradox erfasst hat und bejaht, so kann doch nicht die Rede davon sein, daß der Glaube den Bezug auf das εφ’ ῾άπαξ des historischen Geschehens verliert. Damit, daß Sie das Paradox verkennen, hängt es zusammen, daß Sie meinen, das Ereignis des ῾ο λόγος σάρξ ᾿εγένετο (Joh. 1, 14) unterscheiden zu müssen von dem Wort, das es bekundet.“ Bultmann fuhr fort: „Selbstverständlich sagen Sie mit Recht, daß der Glaubensbezug wichtiger ist, als der Glaube als Akt selber. Aber in dieser Formulierung fassen Sie den Glauben als ein subjektives Verhalten auf, während der Glaube als Akt der Entscheidung, als Antwort auf das anredende Wort, doch nur in seinem Bezug auf seinen Grund wirklicher Glaube ist.“ Mindestens durch Gogarten sei klar, dass „das Subjekt-Objekt-Schema nicht das Wesen echter geschichtlicher Begegnung erfasst, geschweige denn die Begegnung mit dem verkündigten Wort.“249 Bis zu diesem Punkt war dieser theologische Disput nicht ungewöhnlich: Beide Seiten brachten zudem Argumente vor, die schon Jahre vorher ausgeführt worden waren. In gewisser Weise extraordinär war allerdings Rodenbergs Reaktion. In einem Aufsatz, der auf ein Referat vom April 1962 zurückging und im Juni in der „Brüderlichen Handreichung“ gedruckt wurde, betonte Rodenberg, dass das Problem des heutigen Zeitverständnisses in „Zeiträumen“ eine Vorstellung des griechischen Denkens sei und die hebräische, d. h. alttestamentliche Idee von Zeit die der Gleichzeitigkeit von ungleichzeitigen Phänomenen umfasse. Deshalb „hat der in und aus der Bibel lebende Mensch, gleich welche Sprache er spricht, in der Gleichzeitigkeit mit Gottes großen Taten nie ein Problem sehen können. Das Problem der Vergegenwärtigung entstammt der Weisheit der Philosophen.“250 Damit nun näherte sich Rodenberg sichtlich Bultmanns „Paradox“ an. Für Rodenberg stellte sein Aufsatz die „eigene[. . .] Kritik am Subjekt-ObjektSchema“ dar.251 Im Folgenden nun kritisierte Rodenberg scharf das SubjektObjekt-Schema des Auseinanderfallens von Theologie und Seelsorge als Folge der Fächerausdifferenzierung in der Theologie, die wiederum dem griechischphilosophischen Denken geschuldet sei. Seelsorge und Theologie aber seien wesenhaft aufeinander bezogen: Ein Bereich könne ohne den anderen nicht existieren. Damit stand Rodenberg wiederum auf dem Boden der Kritik an der
249
Brief von Rudolf Bultmann an Otto Rodenberg vom Januar 1962 (EBD., 100–102, hier
101). 250 251
RODENBERG, Biblische Lehre, 65. RODENBERG, Wahrheit, 102.
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Theologie, allerdings mit einem Vorwurf, der ihm von Bultmann an anderer Stelle gemacht worden war: seiner Fraktionierung des Glaubens in SubjektObjekt. Beeindruckend mutet nun Rodenbergs Rückgriff auf Harnack an, indem er argumentierte, wenn die existentiale Interpretation ihre Auslegungsmethode im Neuen Testament zu entdecken glaube, z. B. im Johannesevangelium, so sei das „wohl nichts anderes als biblische Denkweise im griechischen Gewand.“252 Damit erweise sich die existentiale Interpretation als philosophischer Schlüssel, der nicht die „Schatzkammer“ zu den biblischen Heilstatsachen öffnen könne. Dies bestätigte nun zwar wiederum Rodenbergs Ausgangsposition, nämlich diejenige, dass bei Bultmann der Sühnetod Christi etwas anderes bedeute als im Neuen Testament ausgesagt,253 allerdings mit einer beachtlichen, der Rezeption Bultmanns geschuldeten Wendung. Als Rodenberg 1962 auf der Tagung in Hofgeismar referierte, fasste er seinen Beitrag in drei Thesen zusammen: 1. Erweckliche Verkündigung wurzle in der personalen Beziehung zu Jesus bzw. führe dazu hin im Gegensatz zu der existentialen Interpretation, die die personale Beziehung bestreite, 2. Erweckliche Verkündigung könne durch den Sühneopfertod Jesu tatsächliche Erlösung vermitteln – existentiale Interpretation vermöge das nicht, da sie den Erlösungstod Christi um der vermeintlichen Verstandesnöte der Menschen willen leugne, 3. Erweckliche Verkündigung bezeuge das Geheimnis des lebendigen Herrn Jesus Christus, der lebendig mache, wen er wolle – die existentiale Interpretation rationalisiere dieses Geheimnis.254 Eine Stellungnahme zu Rodenbergs Referat übernahm der damalige Prälat der kurhessen-waldeckschen Landeskirche Erich Vellmer, der 1963 die Nachfolge Adolf Wüstemanns als Bischof antrat. Seine Position fasste Vellmer unter Bezugnahme auf Rodenbergs Vortrag in fünf Thesen zusammen: 1. Existentielles Verstehen sei, das werde oft völlig falsch verstanden, keine bloße intellektuelle Tätigkeit, sondern ein Lebensverhalten: Glaube an Jesus müsse eine bestimmte Form der Mitmenschlichkeit umfassen, sonst glaube man nicht. 2. Offenbarungsgeschehen und Anruf Gottes, der den Menschen im Kerygma treffe, seien ein und dasselbe: Der Anruf Gottes sei Ereigniswerdung der Offenbarung und Wiedergeburt durch den Heiligen Geist. Eine Sicherheit für den Glauben außerhalb des Wortes gebe es deshalb
252
RODENBERG, Biblische Lehre, 81. Von diesem Punkt der Kritik ließ Rodenberg Zeit seines Lebens nicht ab, obwohl er ihn letztendlich mit seinen „Erfahrungen“ (vgl. die Schlusspassage in „Die existentiale Interpretation“), denn mit einer logisch nachvollziehbaren theologischen Argumentation begründete. 254 Thesen von Pfr. [Otto] Rodenberg zum Thema „Erweckliche Verkündigung“. Maschinenschriftl., hektogr., 1 S. (LKArchiv Kassel SB Wüstemann, Nr. 50: Kirchliche Fragen 1957–1962). 253
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nicht. Auch das Wissen des Menschen um die eigene sündhafte Existenz erhalte er erst durch das Wort des Kerygmas.255 3. Der 2. Petrusbrief zeige, dass das Weitersagen der so genannten Heilstatsachen das Entscheidende außer Acht lassen könne, nämlich dass mit Jesus schon die Wende der Zeit gekommen ist. Es gebe einen Unterschied zwischen „Bericht“ und „Verkündigung/Euangelion“ (Predigt). Markus wollte nicht berichten, sondern predigen. Die Tatsache des leeren Grabes führe nicht zum Glauben an den Auferstandenen und sei auch keine Glaubensstütze.256 4. Die Annahme, das Evangelium sei mehr als eine Entscheidungsforderung, beruhe auf dem Missverständnis bezüglich dessen, was Evangelium sei: Die Liebe Gottes könne der Mensch nur annehmen, wenn er sich in seinem Denken und Tun dafür entscheide. Menschen aber seien keine Marionetten Gottes. Eine richtige Deutung des Evangeliums sei nur zu leisten von der Annahme her, dass Menschen sich unter der Liebe Gottes überhaupt erst einmal entscheiden könnten, während alles Tun des Menschen eine Entscheidung zum Tode sei. 5. Voraussetzung der Dogmatik sei Exegese, deren Arbeit unvoreingenommen getan werden müsse: „Und diese Arbeit kann für den Menschen, der von der Reformation herkommt, nur nach den Methoden der historisch-kritischen Forschung geleistet werden.“257 Die vorhandenen Widersprüche in der Bibel ließen nach dem Kerygma fragen, das gehört werden wolle und gehört werden müsse. „Daß auch diese Arbeit wie die Verkündigung der frohen Botschaft nicht ohne den Heiligen Geist möglich ist“, fügte Vellmer an, „sollte unter Theologen ebenso wenig betont werden müssen, wie es je von Bultmann bestritten worden ist.“258 Im Anschluss an die Tagung in Hofgeismar entwickelte sich zwischen Vellmer und Rodenberg ein Briefwechsel über die aktuellen kirchenpolitischen Fragen im Zusammenhang mit der Bultmannschen Theologie.259 So betonte Vell-
255 [Durchschlag der Thesen von Erich Vellmer in seiner Stellungnahme zu dem Vortrag von Pfarrer Otto Rodenberg]. O. D. Maschinenschriftl., 4 S., hier 1 (LKArchiv Kassel SB Wüstemann, Nr. 50: Kirchliche Fragen 1957–1962). 256 EBD., 2. 257 EBD., 3. 258 EBD., 4. 259 Ein weiterer brieflicher Kontakt ergab sich durch die Hofgeismarer Tagung zwischen Theodor Brandt und Adolf Wüstemann. Vor der Tagung schickte Brandt Wüstemann die Broschüre „Die existentiale Interpretation“ von Rodenberg (Brief von Theodor Brandt an Bischof Adolf Wüstemann vom 10. 1. 1962. Maschinenschriftl, 1 S. [LKArchiv Kassel SB Wüstemann, Nr. 50: Kirchliche Fragen 1957–1962]). Nach der Tagung schrieb Wüstemann an Brandt und zitierte aus einem Nachruf Gerhard Kittels auf Adolf Schlatter, für Schlatter seien Religiosität und damit auch Theologie Wahrnehmung der Wirklichkeit gewesen, so dass die Bejahung Gottes auch die Bejahung der Wirklichkeit bedeute. In diesem Sinne sei ein Merkmal unfrommen Verhaltens, „Tat-
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mer Rodenberg gegenüber, er wünsche sich weiterhin Gespräche, sei aber betroffen über Äußerungen auf der Tagung, z. B. dass der status confessionis durch ihn oder andere, die nicht „neupietistisch“ eingestellt wären, gegeben sei oder dass an der Zulässigkeit seiner Tätigkeit als Prüfer von Theologiestudenten gezweifelt werde. Nach Vellmers Meinung werde immer noch nicht wirklich auf Bultmann gehört. So sei es eine Fehlinterpretation, wenn man annehme, mit Kerygma meine Bultmann die „Predigt“. Es lohne sich durchaus, darüber nachzudenken, ob ein Ereignis, das vor 2000 Jahren geschah und nicht eschatologisches Ereignis war, Heilsbedeutung für uns heute habe. Um diese Frage zu beantworten, müsse man auch sein eigenes Vorverständnis in Frage stellen lassen. Nur unter diesen Bedingungen sei er zu weiteren Gesprächen bereit.260 Rodenberg bedauerte in seinem Antwortschreiben an Vellmer die unsachliche Infragestellung der Prüfertätigkeit des Prälaten und gab zum Ausdruck, dass er sich stellvertretend der „unsachlichen und lieblosen Polemik“ schäme. Der „status confessionis“ sei nicht in Vellmers Aussagen begründet, sondern in dem Sachverhalt, der erstmalig in dem Brief von Frey, Brandt und Tegtmeyer angesprochen wurde. Er selbst, Rodenberg, finde es sachlich legitim, vom status confessionis zu sprechen, versuche sich aber der Gefahr zu widersetzen, aus sächlichkeiten“ auszulöschen. Aber, so Wüstemann auch kirchenkritisch weiter: „Bei der heute gerade unter den sog. Erweckten verbreiteten Meinung, daß Wissenschaft und Glaube nur im Verhältnis des Widerspruchs zueinander ständen, daß deshalb echte Theologie, die ehrfurchtsvoll aber auch wahrheitsgemäß verfährt, von manchen Leuten nicht geduldet werden kann, liegt ein Versäumnis der Kirche zugrunde, die in der Verkündigung jeweils das gerade im Volke verbreitete Weltbild meinte anwenden zu müssen. Der Glaube an ein Weltbild, sei es nun wissenschaftlich oder volkstümlich oder altertümlich ist in keinem Falle Glaube an Gott. Wer sich darüber klar ist, wird den Weg Schlatters bejahen müssen.“ (Briefdurchschlag von Bischof [Adolf] Wüstemann an Superintendent Theodor Brandt, „mit der Bitte um Weitergabe an alle Unterzeichner Ihrer Eingabe, die den Status confessionis zwischen Kirche und Pietismus als gegeben ansehen“, vom 19. 2. 1962. Maschinenschriftl., 3 S., hier 2f. [LKArchiv Kassel SB Wüstemann, Nr. 50: Kirchliche Fragen 1957–1962]). Brandt legte seinem Antwortschreiben sein Buch „Begegnungen auf dem Wege“ bei und spielte auf eine Passage daraus an, indem er Wüstemann erzählte, er habe bei Schlatter noch Vorlesungen gehört und sei sehr beeindruckt von ihm gewesen. „Auch ich bin überzeugt“, so Brandt weiter, „daß uns im wissenschaftlichen Forschen die Erkenntnis der Wirklichkeit einen sollte, wiewohl die verschiedenen Hypothesen immer notvoll bleiben. In der Erkenntnis der Bibel geht es aber um das durch den heiligen Geist geöffnete Auge. Das will aber heute die autonom arbeitende Exegese weithin nicht mehr bejahen.“ Am Schluss des Briefes räumte Brandt aller Erkenntnis die Bruchstückhaftigkeit ein: „Wie wird es sein, wenn uns ‚am anderen Ufer‘ der Blick in das Geheimnis der Offenbarung ganz enthüllt wird.“ (Brief von [Theodor] Brandt an Landesbischof [Adolf] Wüstemann vom 9. 4. 1962. Maschinenschriftl., 1 S. [LKArchiv Kassel SB Wüstemann, Nr. 50: Kirchliche Fragen 1957–1962]). 260 Brief des LKA, Kassel, gez. [Erich] Vellmer, an Pfarrer [Otto] Rodenberg vom 5. 3. 1962. Maschinenschriftl., 2 S. (LKArchiv Kassel SB Wüstemann, Nr. 50: Kirchliche Fragen 1957– 1962).
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sachlichen Argumentationen persönliche Angriffe werden zu lassen.261 Er könne den Namen Bultmann „nur mit Hochachtung nennen“. Rodenberg plädierte mit Nachdruck für ein Gespräch. Die Infragestellung der eigenen Vorannahmen sei auch für ihn wesentlich und die Arbeiten Bultmanns und seiner Nachfolger wären ihm bekannt.262 Vellmer schlug Rodenberg daraufhin als Arbeitsgrundlage für weitere Gespräche die genaue Betrachtung und Erörterung der Auseinandersetzung Bultmanns mit seinen Schülern vor. Darüber hinaus lehne er, Vellmer, es ab, so rasch von status confessionis zu sprechen. Es sei „geistliche Anmaßung“, wenn man behaupte, durch Bultmanns Theologie sei der status confessionis gegeben, denn wer vom status confessionis spreche, setze voraus zu wissen, was echter Glaube sei. Dabei handle es sich aber meistens um eine „fides historica, die bekanntlich Luther auch dem Teufel nicht abgesprochen hat“.263 Am 15. Mai schrieb Erich Vellmer an Rodenberg, er habe gerade dessen Aufsatz „Was wir an der Bibel haben“ im Evangelischen Allianzblatt gelesen und sei sehr enttäuscht. Rodenbergs Ausführungen wie die Unterstellung, man würde seitens einer bestimmten Theologie, die „auf dem Wege nach Rom“ sei, bezweifeln, dass die Bibel ohne Fachgelehrsamkeit verstanden werden könne, zeigten einmal mehr, dass ein Gespräch mit dem „Neopietismus“ zum Scheitern verurteilt sei. Es gehöre nach Ansicht des kurhessen-waldeckschen Prälaten, „auch zur Verantwortung des Christen, daß man nicht die Position des Gegners verzerrt darstellt, um sie dann mit einer Handbewegung als nicht ernst zu nehmend abzutun und sie obendrein in übler Weise zu etikettieren.“ Man müsse schon in Frage stellen, ob ein Gemeindeglied Röm. 7 ohne weiteres verstehen könne, wie im Übrigen die Rechtfertigungslehre überhaupt.264 Vellmer fuhr fort, wer sich mit verharmlosenden Äußerungen über die Aussagen der Bibel begnüge, „bietet dem wirklich suchenden Menschen keine Hilfe, sondern gibt ihm auf seine ernstzunehmenden Fragen Steine statt Brot. Ganz gewiß ruft Jesus Christus durch sein Wort. Aber dieses Wort kommt nicht vom Himmel herab oder sonst woher zu uns, sondern es ist das durch Menschen verkündigte Wort. [. . .]. Damit ist aber die Notwendigkeit gegeben, daß die Botschaft von Jesus Christus dem jeweils lebenden Menschen in seiner Lebenssituation gesagt 261
Brief von [Otto] Rodenberg an Prälat E[rich] Vellmer vom 8. 3. 1962. Maschinenschriftl., 2 S., hier 1 (LKArchiv Kassel SB Wüstemann, Nr. 50: Kirchliche Fragen 1957–1962). 262 EBD., 2. 263 Briefdurchschlag von LKA, gez. [Erich] Vellmer, an Otto Rodenberg vom 12. 3. 1962. Maschinenschriftl., 1 S. (LKArchiv Kassel SB Wüstemann, Nr. 50: Kirchliche Fragen 1957– 1962). 264 Briefdurchschlag LKA, gez. [Erich] Vel[lmer], an Pfarrer [Otto] Rodenberg vom 15. 5. 1962. Maschinenschriftl., 2 S., hier 1 (LKArchiv Kassel SB Wüstemann, Nr. 50: Kirchliche Fragen 1957–1962).
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wird.“ Das wiederum bedeute, „daß das Weltbild der Bibel nicht ein Gegenstand des Glaubens für den Menschen von heute sein kann“ und damit sei die Frage aufgeworfen, „was die in einer gewissen Verschlüsselung uns überlieferten Christuszeugnisse der ersten Generation eigentlich einen. Daß diese Antwort vom Nichttheologen unmöglich erwartet werden kann, dürfte eine Binsenweisheit sein; vom Theologen aber muß sie gefordert werden.“ Rodenbergs Aussage, die Bibel lege sich selbst aus, sei „zugleich richtig und falsch, weil sie gerade keine allgemeingültigen Wahrheiten überliefert, sondern als Anrede sich zur Sprache bringen will.“ Von einem Theologen erwarte er mehr Kompetenz hinsichtlich der Frage, wie das Evangelium den Menschen der Gegenwart nahe gebracht werden könne.265 Rodenberg ließ sich Zeit mit seiner Antwort und verteidigte sein Vorgehen in einem ausführlichen Schreiben vom 20. August, in dem er zugleich Vellmer um die Freigabe des Briefwechsels zur Veröffentlichung in seinem Buch „Um die Wahrheit der Heiligen Schrift“ bat. Zu Vellmers Vorwurf, er stelle die Theologie so dar, als behaupte sie, die Bibel könne nicht von Laien verstanden werden, äußerte Rodenberg, es gäbe durchaus eine allgemeine Meinung, ohne Fachgelehrsamkeit könne man die Bibel nicht verstehen. Das behaupte z. B. der Wuppertaler Praktische Theologe Rudolf Bohren in Anlehnung an Willi Marxsen. Vellmer habe im September auf der [Landes]Synode gesagt: „Kein Buch ist schwerer zu lesen als die Bibel“ – was von der Gemeinde kaum so verstanden werde, wie es gemeint sei. Außerdem begegne ihm diese Ansicht in der Praxis oft selbst. Kähler habe die Hauptaufgabe der Theologie darin gesehen, das einfache Gemeindeglied zu einer unbefangenen Berührung mit der Bibel zu bringen. Das Problem, inwiefern Laien Röm 7 verstünden, werfe die Frage nach „rechter Theologie“ auf, denn gerade in Bezug auf Röm 7 gebe es schon einen theologiegeschichtlich verortbaren Dissens unter Theologen.266 Die Frage, wer nun wem Steine statt Brot reiche, ließe sich weder von ihm noch Vellmer letztendlich beantworten, da sich Jesus schwerlich darauf festlegen lasse, wie er Menschen berufe. Sein, Rodenbergs, Artikel im Allianzblatt gehöre in eine ganz spezielle Lesersituation – die Leser des Allianzblattes hätten die Diskussion um ein „Weltbild“ nicht im Blick, im Gegenteil: „Die Frage, zu der ich um einen Beitrag gebeten wurde, ist vielmehr gerade die Ihnen ja auch bekannte, in Gemeinschaftskreisen weitverbreitete ‚unkritische‘ Stellung zur Schrift. Daß wir, wie Kähler zitiert, ‚an die Bibel um Christi willen glauben‘, 265
EBD., 2. Durchschlag der Beilage zu Brief von [Otto] Rodenberg an Prälat E[rich] Vellmer vom 20. 8. 1962. Maschinenschriftl., 3 S., hier 2 (LKArchiv Kassel SB Wüstemann, Nr. 50: Kirchliche Fragen 1957–1962). 266
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nicht aber an den Bibelbuchstaben um seiner selbst willen, das stand mir als ‚geschichtlicher Ort‘, als Gegenüber meines Artikels vor Augen.“ Er sehe den Grundsatz, die Bibel lege sich selbst aus, mit Vellmers Entgegnung, diese sei „nicht allgemeine Wahrheiten, sondern jeweilige Anrede“ nicht entkräftet und verstehe den Satz „Die Bibel legt sich selbst aus“ als Maßstab der Interpretation nach Kornelis Heiko Miskottes „Biblischer Hermeneutik“, nämlich dass die biblische, d. h. schriftgemäße Hermeneutik die Form oder Logik der Exegese sei, die nicht nur auf die Schrift angewandt werde, sondern auch aus ihr entlehnt sei.267 Vellmers Antwort fiel kurz und kühl aus: er lehne eine Publikation seiner Briefe ab, da er persönliche Briefe prinzipiell nicht der Öffentlichkeit preisgebe, stehe aber „selbstverständlich“ zu seinen Aussagen.268 4.3.2 Die Gespräche zwischen dem Rat der EKD und Bultmannkritikern 1962 und 1963 Offensiv reagierte auf die Eingabe vom Sommer 1961 vor allem eine Institution, die bisher noch gar nicht in Erscheinung getreten war: die EKD. Am 12. März 1962 trafen sich in Hannover als Vertreter des Rates der EKD die Landesbischöfe Martin Haug, Hanns Lilje und Landessuperintendent Udo Smidt mit Theodor Brandt, Hellmuth Frey und Paul Tegtmeyer. Anwesend waren von der Kirchenkanzlei Präsident Heinz Brunotte und Vizepräsident Gottfried Niemeier.269 Seitens der Ratsvertreter wurde in diesem Gespräch hervorgehoben, dass man die Sorgen in Bezug auf die Predigtnot vieler jüngerer Pfarrer teile,270 dass es aber ungerecht sei, das nur als Verfehlung an den theologischen Fakultäten zu sehen: Die Kirche trage ein „erhebliches Mass von Schuld“ an dieser Situation, „indem sie gerade den denkenden Christen ein vollmächtiges Christuszeugnis schuldig blieb“. Darüber hinaus seien die von einzelnen Theologen vertretenen Ansätze derartig disparat, dass sie keine „schnelle[n] abschliessende[n] Urteile zuliesse[n]“. Die ohnehin mit Komplexen – „(Bischofskomplex, Pietis267
EBD., 3. Briefdurchschlag von LKA, gez. [Erich] Vellmer, an Otto Rodenberg vom 21. 8. 1962. Maschinenschriftl., 1 S. (LKArchiv Kassel SB Wüstemann, Nr. 50: Kirchliche Fragen 1957– 1962). 269 Niederschrift über den Ablauf des Gesprächs zu den Fragen der Schriftautorität und der Verbindlichkeit des Bekenntnisses am 12. März 1962 in Hannover. Anlage zu Brief der Evangelischen Kirche in Deutschland – Kirchenkanzlei –, Nr. 1441.III, gez. Dr. Dr. [Gottfried] Niemeier, an die Kirchenleitungen der evangelischen Landeskirchen vom 15. 8. 1962. Maschinenschriftl., hektograph., 5 S. (LkAH, Best. B 1/ 841, Bd. I: Gemeinschaftsbewegung, Bd. 1). 270 EBD., 1. 268
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tenkomplex, complexus antitheologicus)“ – überladene Situation werde mit falschem Denken in falschen Fronten noch zusätzlich gefährdet. „Despektierliches Reden von der Kirche und ihrer Lehrtradition und das Kokettieren mit häretisierenden Anschauungen ist der Gemeinde ebenso wenig dienlich und förderlich wie ein unkritischer, gedankenloser Fundamentalismus, der auf Kosten der intellektuellen Redlichkeit geht“271, so die Ratsvertreter. Die Kirche sei auf die Theologie angewiesen wie diese auf die Kirche, allerdings stelle sich die „Autorität der wissenschaftlichen Theologie [. . .] höchst relativ“ dar. Dass allerdings „etwas geschehen muss, ist unbestreitbar und unbestritten“, angesichts der Beunruhigung der Gemeinden durch die vergröbernden Darstellungen von Schülern mancher Theologen. Was allerdings nun geschehen solle, hänge von der Beurteilung der gegenwärtigen Situation und ihrer Einordnung in den „theologiegeschichtlichen Vollzug“ ab. In der Diskussion über die Einschätzung der Lage gingen nun die Meinungen weit auseinander. Seitens der Kirchenleitung wurde hervorgehoben, das traditionelle Denken im „Subjekt-ObjektSchema“ habe sich durch die Erkenntnisse der Naturwissenschaften überholt. Dem trage jetzt die Theologie Rechnung, der man deswegen nicht Verrat an der Sache vorwerfen könne. Von den Vertretern der Eingabe wurde dagegen gehalten, „es handle sich bei der heutigen Theologie um ein legitimes Kind der Aufklärung, um eine zweite Aufklärungswelle“272. Der Beweis für den aufklärerischen Charakter der Theologie zeige sich darin, „dass sie das schlichte Zutrauen zur Schrift untergräbt und dem Laien bestreitet, dass er von sich aus, ohne Zuhilfenahme wissenschaftlicher Methoden sich den Zugang zur Schrift erschliessen und den wirklichen Jesus zu Gesicht bekommen kann.“273 Bei der gegenwärtigen Theologie sei zu fragen, ob sie nicht Irrlehre sei. Sie schaffe letztendlich nur Zyniker. Da die Einschätzung der kirchlichen und theologischen Gegenwart zwischen den Gesprächsteilnehmern derartig auseinander ging, konnte auch die Frage, ob ein status confessionis gegeben sei oder nicht, nicht einhellig beantwortet werden. Schließlich einigte man sich darauf, weitere Gespräche auf allen Ebenen zu führen, das Gespräch mit den Hochschullehrern zu intensivieren und zu pflegen, denjenigen Dozenten, die sich als Anwälte der Laien verstehen, Mut zu machen, in Predigerseminaren und Pastoralkollegs die angesprochene Problematik stärker zu behandeln, bei den Besetzungen von Jugendpfarrstellen seitens
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EBD., 2. EBD., 3. EBD.
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der Kirche größere Sorgfalt walten zu lassen, die Evangelischen Akademien zu unterstützen, häufiger Tagungen zum Thema abzuhalten, einen Materialaustausch zwischen allen an dem Gespräch beteiligten Gremien einzuführen sowie in Predigten und Bibelstunden zum Selbststudium der Bibel anzuregen. Vor allem sei „die innere Wachsamkeit zu behalten und immer wieder zu beleben und echte Geduld und seelsorgerliche Weisheit zu üben.“274 Nicht empfehlenswert erschien „einem Teil der Gesprächsteilnehmer, dass Kirchenleitungen Warnungen vor bestimmten Fakultäten und bestimmten theologischen Lehrern aussprechen oder den Besuch einer Kirchlichen Hochschule zur Pflicht machen.“ Man könne Theologiestudierende „nicht auf die theologiegeschichtliche Situation von gestern anreden und darf dem mühseligen Ringen um die Wahrheit und ihre rechte Erkenntnis nicht ausweichen.“275 Das Protokoll der Sitzung, das später von Vertretern des Bethelkreises in Zweifel gezogen wurde, da es die Darstellung in einem eigenen Protokoll nicht berücksichtigt habe,276 wurde an alle Landeskirchenleitungen mit der Aufforderung verschickt, die Frage des Schriftverständnisses auf Synodaltagungen zu behandeln.277 Die EKD-Synode beauftragte im März 1965 den Rat der EKD, eine Kommission zu bilden, die die aufgebrochenen Fragen zum Bibelverständnis einer Klärung zuführen sollte. Diese Kommission kam im Oktober 1966 erstmalig zusammen.278 Der Rat der EKD nahm im Oktober 1964 in Fortführung der Gespräche mit den Vertretern der nun seitens der Kirchenleitungen so genannten „Gemeindetheologie“ das Gespräch mit Professoren der theologischen Fakultäten auf.279 Nur kurz sei an dieser Stelle auf eine wissenschaftliche Initia274
EBD., 4. EBD., 5. 276 STRATMANN, Kein anderes Evangelium, 50. 277 Brief der Evangelischen Kirche in Deutschland – Kirchenkanzlei –, Nr. 1441.III, gez. Dr. Dr. [Gottfried] Niemeier, an die Kirchenleitungen der evangelischen Landeskirchen vom 15. 8. 1962. Maschinenschriftl., hektograph., 1 S. (LkAH, Best. B 1/ 841, Bd. I: Gemeinschaftsbewegung, Bd. 1). 278 Zu der Kommissionsarbeit und der daraus resultierenden EKD-Schrift vgl. ausführlich 6. 1. 4, S. 491–499. 279 Auf dem Treffen der Vertreter der Rates der EKD und den Professoren Günther Bornkamm, Herbert Braun, Leonhard Goppelt, Ernst Käsemann und Walter Kreck wurde nach einem Eingangsreferat des Präses der rheinischen Kirche Joachim Beckmann als Ausgangspunkt der Diskussion die Lage in den Gemeinden und unter den Theologiestudierenden geschildert und erörtert: „Die Gemeinde heute ist in einem Maße in den geistesgeschichtlichen Ausverkauf einbezogen, dessen Umfang und Tiefe wir in der Regel unterschätzen. Andererseits hat die Gemeinde feste Schablonen dessen, was sie von der Predigt erwartet, und ist schockiert, wenn diese Erwartungen nicht erfüllt und die Schablonen gesprengt werden. Die Gemeinde weiss zu wenig von dem, was in der Theologie geschehen ist und geschieht, und das, was sie weiss, ist vielfach durch schemati275
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tive hingewiesen, die 1963 ihren Anfang mit einem Planungsgespräch zwischen Kurt Aland, Oskar Söhngen und Martin Schmidt nahm: die „Historische Kommission zur Erforschung des Pietismus“.280 Ganze Landeskirchen traten der Kommission bei und förderten die Erforschung des Pietismus finanziell. Das neu erwachte Interesse am Pietismus kam hier imposant zum Ausdruck. Die Kommission verband indirekt das reine Forschungsinteresse auch mit einem pädagogischen Ziel: Der gegenwärtig besonders bei „den treuen Gemeindegliedern gepflegte pietistische Biblizismus hat allzu leicht individualistische und kleinbürgerliche Züge, die in der Entschlossenheit gipfeln, sich den Heilsglauben nicht rauben zu lassen. Der alte Pietismus besaß ein größeres Konzept und
sche Vereinfachung und Popularisierung wissenschaftlicher Erkenntnisse und Hypothesen im Illustriertenstil an sie herangebracht worden. Die Einsicht, dass die theologische Wissenschaft ihr einen stellvertretenden Dienst leistet, der in seinen Methoden, Ergebnissen und Hypothesen nicht ohne weiteres und in allen Stücken popularisiert werden kann, ist der Gemeinde noch fremd und unvertraut. Das bricht nichts davon ab, dass in Religionsunterricht und Verkündigung mehr als bisher an echter Information geschehen muss und kann.“ (Verhandlungsniederschrift über das Gespräch des Rates mit Hochschullehrern der Theologie am 29. Oktober 1964 in Hannover, gez. Gottfried Niemeier. Maschinenschriftl., vervielf., 19 S., hier 8 [EZA 2/995]). Ebenso wurde festgehalten, das das, was hinter der Besorgnis unter den Pfarrern und innerhalb der Gemeinden stünde, die Tatsache sei, „dass die historisch-kritisch arbeitende Theologie theologische Ansprüche stellt; man befürchtet einen ‚Papat der Gelehrten‘ (Kähler) und eine Bevormundung der Predigt wie der Gemeinde durch die Wissenschaft.“ (EBD., 12). In Bezug auf die Theologiestudierenden wurde die Einmaligkeit der historischen Entwicklung festgehalten, dass die Studierenden einem Pluralismus bisher nicht da gewesenen Ausmaßes ausgesetzt seinen, und zwar nicht nur im Studium. Das sei eine immense Herausforderung, der nicht jeder gewachsen wäre. Trotzdem seien auch die „destruktiven Spitzen“ der Theologie zu bejahen. Was die Theologie selbst angehe, stelle sich ihre Lage „hoffnungsvoller als vor einem Jahrzehnt“ (EBD., 8) dar, da die einzelnen Schulen keine starren Größen mehr bildeten. Als nicht sachgemäß wurde von den Gesprächsteilnehmern angesehen, dass bei einem Gespräch mit der Theologie von der „Lebensnotwendigkeiten der Kirche“, selbst wenn diese durch die Theologie in Schwierigkeiten gerate, ausgegangen würde – Ausgangspunkt sei die Frage der Schriftauslegung (EBD., 9). Über diese entbrannte nun eine differenzierte Diskussion, die verdeutlichte, wie verschiedenen an einzelnen Punkten argumentiert wurde. Themen waren dabei, inwiefern Glaube und theologische Wissenschaft zusammenhingen, ob die existentiale Interpretation – nicht gleichzusetzen mit der historisch-kritischen Methode –, in die Verkündigungsbotschaft eingreife oder doch „Übersetzung“ sei, wie mit dem Problem des neutestamentlichen Kanons und der Vielfalt der Zeugnisse des Neuen Testaments umzugehen sei und inwiefern das Historische Relevanz im Glauben habe. Der Gewinn des Gespräches lag, wie resümierend von Lilje festgehalten wurde, in der Offenheit der Begegnung. Weitere Gespräche wurden anvisiert, von einem gemeinsamen Treffen mit den Vertretern der „Gemeindetheologie“ allerdings abgeraten. (EBD., 19). Alle an dem Gespräch beteiligten Professoren wurden später zu der vom Rat der EKD gebildeten Kommission „Lehre – Schrift – Verkündigung“ hinzugezogen. 280 Zur Geschichte der Historischen Kommission zur Erforschung des Pietismus vgl. SCHÄFER, Historische Kommission; Akten zur „Historischen Kommission zur Erforschung des Pietismus“ LkAH, Best. B 1/ 8435, Bde. I-IV: Historische Kommission zur Erforschung des Pietismus.
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war von weitergehenden Absichten geleitet. Es gilt gerade für Neupietisten, zu ihm hinaufzuwachsen und ihn wie sich selbst mit der Wiederentdeckung der biblischen Wahrheit in der Reformation zu konfrontieren“281, schrieb Martin Schmidt 1968 in einem Brief an die Kirchenleitung in Hannover, in dem er für den Beitritt der Hannoverschen Landeskirche zur Kommission dankte. Anfang Juli 1962 allerdings beschloss der Rat der EKD erst einmal, den Austausch mit dem Bethelkreis in einem erweiterten Gesprächsteilnehmerkreis fortzuführen und dem Gespräch Thesen zugrunde zu legen.282 Die Thesen, die die Vertreter der Eingabe von 1961 zu diesem Gespräch am 29. Januar 1963 vorlegten, waren schon im Januar 1962 verfasst, dem Bethelkreis zugeschickt und nun „hervorgeholt“283 worden. Verfasser war kein geringerer als Otto Rodenberg, der im Anschluss an „Die existentiale Interpretation“ die drei Thesen niedergeschrieben hatte. Es muss vorerst im Dunklen bleiben, warum er diese Thesen an den Bethelkreis schickte – keinesfalls auszuschließen ist die Motivation, die theologische Linie des Kreises zu korrigieren, denn Rodenberg nahm in den drei Thesen dezidiert zu dem „fleischgewordenen Wort Gottes“ Stellung, nicht zu dem in der Bibel niedergelegtem Wort Gottes. So heißt es in These I: „Wir bezeugen, dass allein die im heiligen Geist wirkende rettende Kraft des gekreuzigten und auferstandenen Herrn Jesu Christi befreit zum Vernehmen und zur denkerischen Entfaltung der göttlichen Offenbarung.“284 Gegen die „autonome Erkenntnis und der von ihr bestimmten historisch-kritischen Methode“ bestreite man die „Kompetenz zur Erfassung der göttlichen Offenbarung im Fleische in der Sendung des Sohnes vom Vater“. In These II verwarf Rodenberg die Gleichsetzung der Fleischwerdung des Wortes als göttliche Offenbarung mit dem Wortgeschehen im Neuen Testament bzw. der heutigen Verkündigung. Weiter betonte er – und das ist in direkter Abgrenzung zu der im Bethelkreis ventilierten Anschauung der Heiligen Schrift zu verstehen –, dass „wir“ lehren, Jesus von Nazareth ist „in Person das Fleischgewordene Wort des Vaters und von Ewigkeiten her als der Sohn seiner Liebe der Grund unseres
281 Brief von Martin Schmidt – Wiss. Vorsitzender der Historischen Kommission zur Erforschung des Pietismus – an die Kirchenleitung der Ev.-Luth. Landeskirche Hannovers, z. Hd. von Herrn Oberlandeskirchenrat Dr. [Kurt] Schmidt-Clausen vom 2. 4. 1968. Maschinenschriftl., 3 S., hier 2 (LkAH, Best. B 1/ 8435, Bd. I: Historische Kommission zur Erforschung des Pietismus). 282 STRATMANN, Kein anderes Evangelium, 50. 283 EBD., 50f., Fußnote 31. 284 Thesen zum 29. Januar 1963 in Hannover-Herrenhausen. Maschinenschriftl., hektograph., 3 S., hier 1 (AEGGK, II: Dienste und Mitarbeit, 6. Betheler Kreis, Nr. 261: Geschichtliches Werden).
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Glaubens“. Die „Lehre von der Schrift als medium salutis“ gehöre „mit gutem Grund nicht zum 2., sondern zum 3. Glaubensartikel.“285 In der III. These wurde jede Verstehensart der Bibel abgelehnt, die von einem „modernen Selbstverständnis“ ausgeht, denn erst dann werde „die Wirklichkeit des Menschen offenbar [. . .], wenn er sich unter dem Zornesfluch des lebendigen Gottes erkennt, welches nicht der Verstand, sondern das erschrockene Gewissen zu fassen imstande ist.“286 Den Thesen waren zwei Seiten Anmerkungen beigefügt, in denen Rodenberg Gerhard Ebeling, Ernst Fuchs, Herbert Braun, Hermann Diem und Rudolf Bultmann holzschnittartig zitierte und diese Aussagen als Grundlage seiner Gegenposition in den Thesen verwendete. Die Vorlage dieser Thesen zu dem Gespräch in Hannover im Januar 1963 sorgte für eine etwas konfusere Gesprächlage als das 1962er Treffen, wurde hier doch eine ganz andere theologische Linie verfolgt als in der Eingabe des Bethelkreises von 1961. Zwischen den Anwesenden entspann sich eine Diskussion, die vor allem auf Grund der Argumentation Rodenbergs die Vertreter von Rat und Kirchenleitungen in eine defensivere Position manövrierte als das ein Jahr zuvor der Fall gewesen war. Die Teilnehmer an dem Gespräch waren Landesbischof Lilje, Präses Ernst Wilm, Landessuperintendent Udo Smidt, die Kirchen- bzw. Oberkirchenräte Ernst Jansen und Konrad Gottschick aus der Lübecker und der württembergischen Kirchenleitung, der Präsident der Kirchenkanzlei Brunotte und der Vizepräsident Niemeier, der Erlanger Systematiker Wilfried Joest und der Schriftleiter des „Deutschen Allgemeinen Sonntagsblattes“, Heinz Zahrnt, sowie Theodor Brandt, Paul Tegtmeyer, Hellmuth Frey, Heinrich Kemner, Rudolf Bäumer, Sven Findeisen und der vom Bethelkreis hinzugezogene Otto Rodenberg. Erster Gesprächspunkt in der Diskussion war die Verwerfung der historischkritischen Methode als dem „autonomen“ Denken“ entstammend, wie es in der ersten These von Rodenberg angesprochen worden war. Nach längerer Debatte stimmte Joest, für die Vertreter der Kirchenleitungen offenbar etwas überraschend, der Verwerfung zu: Er sehe „‚das proton pseudos und das Häretische‘ der modernen Theologie am gleichen Punkte.“287 Auf Zahrnts Einwurf, man müsse von der Verkündigung her denken, konterte Rodenberg, es sei nicht Frage der Verkündigung, sondern des theologischen Ansatzes, welchen Gott 285
EBD. EBD. 287 Theologisches Gespräch mit dem Rat der EKD am Dienstag, den 29. 1. 1963 in Hannover von 10–14 Uhr (Inoffizielle Niederschrift für den Unterzeichnerkreis). Maschinenschriftl., 3 S., hier 1 (AEGGK, II: Dienste und Mitarbeit, 6. Betheler Kreis, Nr. 261: Geschichtliches Werden). 286
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man verkünde. Brunotte warf sich nun für die Theologie in die Bresche: In jede Auslegung werde das Vorverständnis des Auslegers mit eingebracht und man könne den Ansatz der Exegese nicht allein beim Heiligen Geist suchen. Frey antwortete, der Heilige Geist wehe nur unter dem Kreuz und nur in der Gemeinde und sei damit zwar unverfügbar, aber „etwas Vorgegebenes“. Exegese unter Absehung des Heiligen Geistes führe zu „Substanzverlust“. Zahrnt betonte, die aktuelle Theologie sei zuwenig mit der Verkündigung verbunden – wäre dieser Konnex enger, würden sich die meisten Fragen erledigen. Wiederholt wurde die Frage in den Raum gestellt – und von keiner Seite beantwortet –, wo Offenbarung heute geschehe. Schließlich schloss sich eine Debatte über Praxisbelange an. Die Vertreter des Bethelkreises klagten über das Scheitern „gläubiger“ Theologiestudenten an der Universität. „Auf einen Einwurf von Präses Wilm, daß dieses Scheitern seine Ursache in der falschen Theologie des Elternhauses haben könne, und von Bischof Lilje, daß manche Studenten durch die Feuerzone der Kritik hindurch müssten, um predigen zu können, antwortete Br. Kemner: wo das Hörvermögen geschwunden ist, da gerät man in den Bereich der Reflektion. Man merkt dann gar nicht, daß das Intellektuelle dämonisiert ist. Von dieser besonderen Stunde der Versuchung spreche Kierkegaard. ‚Da ist die Zündung kaputt‘. Das Leben liegt nicht in den Bereichen der Reflektion, sondern in andren Bereichen, die in der Beichte zur Sprache kommen. Wir müssen ‚unser Leben‘, auch das Leben in dieser Reflektion, verlieren, um das zu gewinnen, wovon auch Luther spricht. Das hätte nichts mehr mit Luther zu tun, was heute aus ihm gemacht würde. (Hier stimmte Prof. Joest nachdrücklich zu). Die jungen Leute suchten heute redlichst, sie suchen den Menschen, der glaubt, den Professor, der ihnen Seelsorger ist. [. . .] Prof. Joest sagte darauf, daß auch ihn der Schwund der Seelsorge beunruhige.“288
Nach kurzen Voten von Rodenberg, Brandt und Frey, die das bereits Gesagte oder in den Thesen Niedergelegte wiederholten, schloss der Ratsvorsitzende Bischof Lilje mit dem versöhnlichen Hinweis „daß sich alle Teilnehmer wohl näher gewesen seien als es scheinen könnte.“289 4.3.3 Die Situation in Württemberg Relativ unabhängig von den Gesprächen auf EKD-Ebene und von der Eingabe von 1961 berief der seit Februar 1962 amtierende württembergische Landesbischof Erich Eichele für den 24. Juni 1963 ein Gespräch zwischen Vertretern der württembergischen Gemeinschaftskreise und des Landeskirchenamtes ein. Eichele wollte damit an die Tradition der Gespräche zwischen Kirche und Pie288 289
EBD., 2f. EBD., 3.
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tismus anknüpfen.290 Bei diesem Gespräch zeigte sich deutlich, wie verhärtet die Front seitens der Gemeinschaftsbewegungen – der Hahnschen Gemeinschaft, des Altpietistischen Gemeinschaftsverbandes, der Liebenzeller Mission, des Brüderbundes und anderer – inzwischen geworden war.291 Die Theologie wurde von dieser Seite wiederholt als Irrlehre bezeichnet, die Kirche herausgefordert, zu der Irrlehre „Nein“ zu sagen. Vereinzelte Vertreter des württembergischen Pietismus, so z. B. der dem Altpietistischen Gemeinschaftsbund zugehörige Missionar Stöckle, schlugen etwas moderatere Töne an. Er berichtete von einem Gespräch mit Käsemann auf dem Pfarrkonvent Urach, bei dem sich Käsemann eindeutig zu der Wiederkunft Christi bekannt habe. Von einer „planmässigen Zerstörung des Glaubens könne nicht die Rede sein“292. Solche Einwürfe gingen allerdings in dem durchaus scharfen Diskussionsklima, in dem die Kirchenleitung stark unter Beschuss stand, eher unter. Diplomatisch versuchten die Vertreter des OKR darauf hinzuwirken, den „Offenen Brief“ Schäfs als ungerechtfertigt ins Bewusstsein zu rufen und neue Gespräche mit der Fakultät anzuregen. In den Kreisen der Gemeinschaftsvertreter sagte man zu, den „Offenen Brief“ noch einmal intern zur Debatte zu stellen. Zu Entschuldigungen allerdings zeigte sich keiner der Vertreter bereit. In ihren jeweiligen Berichterstattungen an Hermann Haarbeck über dieses Gespräch betonten Richard Saur vom altpietistischen Gemeinschaftsbund und Fritz Hubmer vom Brüderbund,293 das Gespräch sei positiv verlaufen: Man habe die Position des Pietismus schärfer vertreten, als das von der Landeskirchenleitung erwartet worden wäre (Hubmer) bzw. die Landeskirchenleitung sei erleichtert gewesen, dass die Gemeinschaften wenigstens die wissenschaftliche Arbeit an der Heiligen Schrift nicht rundweg ablehnten (Saur). Die Front gegen die „moderne Theologie“ verhärtete sich in Württemberg zusehends. Im Dezember 1965 kam es hier bei der Wahl der Landessynode zu dem ersten großen Wahlerfolg für Vertreter der Gemeinschaftsbewegung und des „württembergischen Pietismus“294 und
290 Rundbrief der Württembergischen Evangelischen Landeskirche, der Landesbischof, Nr. A 6729/11., Betr.: Gespräch zwischen Landeskirche und Gemeinschaften, vom 29. 4. 1963. Maschinenschriftl., hektograph., 2 S., hier 1 (LKAS A 126, Nr. 1177, 173). 291 [Protokoll des Gespräches zwischen Landeskirche und Gemeinschaften am 24. Juni 1963], gez. M[etzger]. 12. Juli 1963. Maschinenschriftl., vervielf., 5 S. (LKAS A 126, Nr. 1177, 176– 179). 292 EBD., 3f. 293 Brief des Gemeinschaftsverbandes: Württembergischer Brüderbund, gez. Fritz Hubmer, an Direktor Past[or Hermann] Haarbeck, Wuppertal, vom 25. 6. 1963. Maschinenschriftl., 2 S.; Brief von Richard Saur an Bruder [Hermann] Haarbeck vom 26. 6. 1963. Maschinenschriftl., 2 S. (AEGGK, II: Dienste und Mitarbeit, 6. Betheler Kreis, Nr. 261: Geschichtliches Werden). 294 Vgl. HERMLE, Die Evangelikalen, 339f.; STRATMANN, Kein anderes Evangelium, 65.
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damit, zu diesem Zeitpunkt, zu einer manifesten Etablierung der Theologiekritik. 4.3.4 Paul Tegtmeyers „Hirtenbrief“ von 1963 Aber nicht nur in Württemberg spitzte sich die Lage auf einen evangelikalen Protest zu: Im Juni 1963, fünf Monate nach dem Gespräch mit den EKD-Ratsvertretern und nach eigener Aussage vollkommen unabhängig von diesem Treffen, versandte der Bethelkreis einen von Paul Tegtmeyer verfassten „Hirtenbrief“, der in 70 000 Exemplaren gedruckt, verschickt und in verschiedenen Zeitschriften publiziert wurde.295 Der so genannte Hirtenbrief „Laß doch Dein Licht auslöschen nicht. Brief an die Gemeinde zur Lage!“ stellte in mehrerer Hinsicht ein Novum dar. Erstens war er nicht mehr an die Kirchenleitungen gerichtet, sondern direkt an die Gemeinden, d. h. die Gruppe der Aktivisten wandte sich jetzt an die eigene Referenzgruppe, deren Anliegen sie vertrat oder zu vertreten meinte. Zweitens wurde in dem Brief die Gegenwart als das (endzeitliche) Gottesgericht gedeutet, was in dieser Zentralität in den bisherigen Protestnoten nicht erfolgte. Und drittens trat in dem Brief ebenso deutlich eine bisher eher versteckt mitschwingende Vorstellung von Werkgerechtigkeit hervor: „die Gemeinde“ könne mit ihrem Handeln das „Gottesgericht“ abwenden. Auch dieser Brief wies eine Unterschriftenliste auf, diesmal von 63 Vertretern verschiedener evangelikaler Trägergruppen, wobei die meisten derer, die die Eingabe von 1961 unterschrieben hatte, wiederum zu den Unterzeichnenden gehörten. In dem Hirtenbrief konstatierte Tegtmeyer, die „moderne Theologie“ schaffe eine Krise der Glaubensverwirrung, und zwar in dem Ausmaß, „daß sie – wenn Gott sich nicht über uns erbarmt – eine Krise zum Tode werden kann.“296 Durch das Umdeuten von Schriftworten werde in der Theologie „die Person unsers Herrn und sein Heilswerk angetastet“. Die Theologie habe sich „grundsätzlich von der Leitung des Heiligen Geistes freigemacht“297 und proklamiere, dass zwischen dem heutigen Menschen und der biblischen Vorstellungswelt unüberbrückbare Schranken stünden, die es aus dem Weg zu räumen gelte. Was im biblischen Wort „dem heutigen, oft von einer bereits schon überholten Naturwissenschaft geleiteten Vernunftdenken widerspricht, wird für zeitgebunden oder veraltet erklärt.“298 295
Vgl. STRATMANN, Kein anderes Evangelium, 52. Laß doch Dein Licht auslöschen nicht. Brief an die Gemeinde zur Lage! Drucksache, 8 S. [unpag.], hier 2 (AEGGK, II: Dienste und Mitarbeit, 6. Betheler Kreis, Nr. 261: Geschichtliches Werden). 297 EBD., 2. 298 EBD., 3. 296
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Dann folgt im „Hirtenbrief“ eine Aufzählung der von der Theologie verbreiteten Ansichten: Jesus sei völlig und ausschließlich Mensch gewesen, nicht Gottes Sohn, er habe nicht die Menschheit erlöst, sei nicht leiblich auferstanden, sei nicht Herr einer neuen Schöpfung, habe nicht den Heiligen Geist gesandt, werde nicht am Ende aller Zeiten wiederkommen, habe nicht selbst Taufe und Abendmahl gestiftet. Gemäß der Theologie solle es keinen Glauben an Jesus mehr geben, sondern Glauben wie Jesus.299 Im Gegensatz zur heutigen Theologie seien die großen Theologen der Vergangenheit vom Heiligen Geist geleitet gewesen.300 Die durch die Theologie hereingebrochene Krise sei „ein Gottesgericht über uns alle“, an dem „wir alle“ Schuld trügen: „Haben wir selber aus der am Kreuz vollbrachten Erlösung und im persönlichen Umgang mit dem Auferstandenen gelebt? [. . .] Wir sind keine Verkläger der Brüder. Wir sollten anfangen im ganzen Lande, das Gericht Gottes anzuerkennen und rechtschaffene Buße zu suchen zur Vergebung unseres Abweichens vom Herrn, unserer Unterlassungen und unserer Versäumnisse.“301 Zum Abschluss gab Hans Rohrbach „dem Leser dieses Briefes sehr gute Ratschläge für das Verhalten schlichter Christen in Begegnung mit Anhängern dieser Theologie“, nämlich die Bejahung der Tatsache, „daß diese Not und Verwirrung vom Herrn kommt: als Gericht, als Anfechtung, als Zeichen der letzten Zeit. 2. Thess. 2, 11“, das Gebet „für die Vertreter der genannten Richtung in der modernen Theologie; für alle Theologiestudenten, Pfarrer, Religionslehrer, Gemeindeglieder. Ps. 119, 174–176“, dem Vertrauen auf Gott in der „entstandene[n] Verwirrung“ nach Ps. 46 und dem Zusammenschluss mit Brüdern und Schwestern, „die die Gefahr erkannt haben, zu gemeinsamen Gebet [. . .]. Apg. 4, 31“. Außerdem empfahl Rohrbach: „Wenn wir gegen Irrlehre auftreten müssen, wollen wir ein Zeugnis für Jesus Christus, den Gekreuzigten, den Auferstandenen, den Wiederkommenden ablegen, aber nicht gegen Menschen kämpfen oder uns in Diskussionen einlassen. 1. Tim. 2, 5.6.“ Weiterhin heißt es in den Empfehlungen: „Ein Zeugnis insbesondere gegenüber gelehrten Vertretern falscher Lehre geschieht am einfachsten mit dem Bekenntnis: ‚In meiner Bibel steht es anders. Dabei will ich bleiben.‘ Immer müsste solch eine Begegnung mit einem persönlichen Glaubenszeugnis schließen. Jes. 43, 21“302 Mit dem Konstatieren des „Gottesgerichtes“, dem schon in der Zeit des Pietismus und der Erweckungsbewegung virulenten Motivs der Endzeit als Entscheidungsschlacht zwischen Gut und Böse, war durch den „Hirtenbrief“ ein 299 300 301 302
EBD. EBD., 4. EBD., 4f. EBD., 8.
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ideologischer Grund gelegt, auf den die evangelikale Bewegung, deren Position sich hier schon deutlich abzeichnete, unmittelbar aufbauen konnte und auch aufbaute. Das durch – besser: wegen der Theologie hereingebrochene „Gottesgericht“ legitimierte mehrere spezifisch evangelikale Aspekte. Zum ersten wurde das „Bekennen“ zu einer existentiellen Entscheidung zwischen Leben und Tod. Zum zweiten waren damit Polarisierungen nicht nur gerechtfertigt – auch die bewusste Verzerrung der gegnerischen Position bis hin zum Lügen erhielt vor der existentiellen Situation eine gewisse Legitimation. Das erklärt auch die unproblematische und nahtlose Applikation des Kampfes der Bekennenden Kirche mit dem Nationalsozialismus auf die gegenwärtige Situation. Drittens konnte nun jede Form des Abgeschnitten-Seins von „der Welt“ als Martyrium im Endkampf gedeutet werden: Die typisch evangelikale und auch fundamentalistische Abgrenzung erfuhr hier ihre inhärente Logikzuschreibung, denn jedes Leiden an dieser Abgrenzung, jeder „weltliche“ Verzicht in welcher Form auch immer gehörte zu diesem Martyrium der Endzeit. Letztlich aber lief diese Herangehensweise an die reale Auseinandersetzung von vereinzelten Vertretern einer „Gemeindetheologie“ mit der „modernen Theologie“ auf einen einzigen, aber durchschlagenden, da identitätsstiftenden Aspekt hinaus: Der Kampf der Endzeit zwischen Gut und Böse hatte begonnen und man wusste nicht nur, wo man stand, sondern endlich das, was in den letzten beiden Jahrzehnten so unklar in den Reihen evangelikalen Trägergruppen gewesen war: Wer man war und welche Aufgabe man hatte. 4.4 Missions- und Bibelschulen – die alternative theologische Ausbildung Eine unmittelbare Auswirkung der Bultmanndebatte war die in den 1960er Jahren einsetzende Gründungswelle von Bibel- und Missionsschulen, die ihre Ausbildung auf die Kritik der „modernen Theologie“ ausrichteten und für die staatliche Bildungsvorgaben nicht den Stellenwert hatten wie für die theologischen Fakultäten.303 Diese Bibel- und Missionsschulen wurden für die Landeskirchen, besonders für die, auf deren Gebiet sie sich befanden, zu einem nicht unproblematischen Faktor. Die Schwierigkeiten waren verschiedenen ausgeprägt, konnten im Laufe der Zeit variieren und durchaus zeitweise in einem relativ harmonischen Nebeneinander münden. Prinzipiell ist hinsichtlich der Erforschung von Geschichte, Wirkung und theologischer Ausrichtung einzelner dieser Ausbildungsstätten, aber auch ihrer Historie im Kontext der zeitgenössi-
303
GELDBACH, Theologische Ausbildungsstätten, 1.
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schen kirchengeschichtlichen Entwicklungen weitgehend ein Defizit zu verzeichnen.304 Im Folgenden wird lediglich auf einige Bibel- und Missionsschulen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eingegangen, um die Gemeinsamkeiten in der Ausrichtung und das Spektrum der Arbeitsweise zu verdeutlichen. Das gesamte Phänomen der alternativen Ausbildungsstätten im Protestantismus ist damit nicht dargestellt. 4.4.1 Missionsschulen und evangelikale Missionstätigkeit Ein eigener Aspekt, der weitergehender Untersuchungen bedarf, ist der Umbruch in der Zielsetzung vieler bereits bestehender Missionsschulen seit der Mitte des 20. Jahrhunderts. Er vollzog sich von der im 19. Jahrhundert vorherrschenden Intention, in Ergänzung zu den Theologischen Fakultäten im Bereich der Ausbildung von Missionaren, Missionshelferinnen und Diakonissen einen Beitrag zum kirchlichen Leben leisten zu wollen, hin zu einem offensiven Alternativprogramm zu der an den Fakultäten gebotenen Ausbildung von Pfarrerinnen und Pfarrern. Dieser Umbruch ist ein ebenfalls nicht zu vernachlässigendes Kriterium in der Genese der deutschen evangelikalen Bewegung und ein unmittelbares Resultat der Theologiekritik der 1950er, 1960er Jahre. An alteingesessenen Missions- und Bibelschulen fand eine sukzessive Umformung der vermittelten theologischen Inhalte statt sowie Veränderungen im Hinblick auf die anvisierte Schülerklientel und deren zukünftige Berufslaufbahnen. Ein Beispiel dafür, dass die Frage der Schriftauslegung in Missionsschulen eine bedeutende Rolle spielte, ist die Auseinandersetzung innerhalb der Leitung der Liebenzeller Mission, wie sie in Kap. 3. 1. 2 dargestellt wurde. An Bibelschulen oder freien theologischen Akademien trat dieser Umbruch im Zusammenhang mit der Abwehr „Glauben auflösender moderner Theologie“ auf, an Ausbildungsstätten, die sich dezidiert der Mission widmeten, war der Umschwung in den 1950er Jahren zusätzlich gekennzeichnet von der sich für Missionsschulen aus pietistischer und erwecklicher Tradition ergebenden
304
Bis auf kleinere Selbstdarstellungen wurde das Thema von Erich Geldbach in dem Beitrag „Theologische Ausbildungsstätten des deutschsprachigen Protestantismus außerhalb der Universitäten“ im „Handbuch der Religionen“ von Michael Klöcker und Udo Tworuschka bearbeitet, wobei Geldbach eine Systematik der Bibelschulen aufstellt und sie Frömmigkeitsströmungen bzw. kirchlichen Bewegungen zuordnet. In dem Aufsatz „Kriterien zur Identifizierung christlich-fundamentalistischer Gruppierungen an der Hochschule“ wird das Problem von Bibelschulen unter der Fokussierung auf Gruppen fundamentalistischer Prägungen an den Universitäten von Geldbach ebenfalls gestreift. Eine historische Einordnung der Genese und Wirkung von alternativen theologischen Ausbildungsstätten fehlt allerdings bisher.
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Problematik der zunehmenden eigenen missionarischen Schwäche und der Inkorporation der äußeren Mission in die Ökumene.305 An diesen Punkten nun – der Kritik an der „Bibelkritik“ und einem veränderten Missionsbewusstsein –, traten durch die Auswirkungen der Debatte um die „moderne Theologie“ in den 1960er Jahren auch an alteingesessenen Missions- und Bibelschulen Veränderungen ein. Die Brüdergemeinde Korntal, die sich aus dem schwäbischen Pietismus heraus Anfang des 19. Jahrhundert zusammenfand und formal zu den Freikirchen zählt, bildete im 19. Jahrhundert einen Stützpunkt der Äußeren Mission in Deutschland.306 In seiner um 1957 erschienenen Darstellung der Geschichte der Brüdergemeinde betonte der geistliche Vorsteher Korntals und Leiter des altpietistischen Gemeinschaftsverbandes in Württemberg, Fritz Grünzweig, Johann Albrecht Bengel habe die theologische Methode der Orthodoxie, die Bibel als Belegstellensammlung zu verwenden, überwunden und die großen Zusammenhänge in der Schrift, nämlich das Heilshandeln Gottes erkannt. Und, so Grünzweig befürwortend weiter, wenn auch das Streben nach Heiligung seine Bedeutung und Berechtigung habe, sei nach Bengel „Anfang und Ende [. . .] die allgenugsame Gnade Gottes“.307 Aber auch Grünzweig engagierte sich seit 1966 in der B KAE und war von 1980 bis 1986 Vorsitzender der KBG, zwar in einer moderateren Haltung als andere, aber trotzdem mit deutlicher Kritik an der „modernen Theologie“. Dabei spielte es für Grünzweig, besonders in der Frage der theologischen Ausbildung eine Rolle, dass das Theologiestudium „gemeindebezogen“ ausgerichtet sein müsse, wie ihm das exemplarisch durch das Albrecht-Bengel-Haus in Tübingen gewährleistet würde.308 Hier zeigt sich, dass die Ausrichtung traditionsreicher Missionsschulen zwar durchaus eigene Positionen bei der Diskussion um die Theologie implizierte, sie aber durchaus auch als evangelikale Trägergruppen zur Konzentration und Verbreitung des evangelikalen Protestes dienten. Gegen Ende der 1960er Jahre und in den 1970er Jahren, als deutlich wurde, dass in der Praxis die Kirchen und der ÖRK das konventionelle missionarische Anliegen zugunsten des diakonischen Auftrages und der Entwicklungshilfe zurückstellten, begannen die Missionsschulen eigene Missionskonzepte und Ausbildungszentren aufzubauen. Die evangelikalen Missionsgesellschaften bzw. 305 Vgl. BOCKMÜHL, Aktualität, 31–34, WALLS, Mission, 52–54. Überblicke über die generelle Geschichte der Missionsgesellschaften und Missionsschulen, mit kurzen Bezügen auf das 20. Jahrhundert, bieten GENSICHEN, Missionsgesellschaften/Missionswerke; WELLENREUTHER, Pietismus. 306 Zur Brüdergemeinde Korntal vgl. GRÜNZWEIG, Brüdergemeinde Korntal. 307 GRÜNZWEIG, Weg – Wesen, 17. 308 Einige Punkte für das Gespräch zwischen Kirchenleitung und Pietismus auf dem Tafelberg am 4./5. März 1971, streng vertraulich. Maschinenschriftl., hektograph., 5. S., hier 3 (LKAS K2, Nr. 25).
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Missionarsausbildungszentren versuchten, die missionarischen Arbeitsdefizite der Kirchen aufzufangen. Während die Bibelschulen evangelikaler Trägergruppen oder der evangelikalen Bewegung den Weg in die Konkurrenz mit den Theologischen Fakultäten oder den kirchlichen Fachschulen antraten, kam es Ende der 1960er Jahre und in den 1970er Jahren zu einer Neubelebung der Missionsschulgründungen bzw. der Erweiterung der Arbeit von Missionsschulen. Nur kurz genannt seien die Bildung der „Freien Hochschule für Mission“, heute „Akademie für Weltmission“, und deren Angliederung an die Korntaler Ausbildungsstätten, die Ausweitung der Kurse für Missionare seit 1975 in Wiedenest, die Vernetzung des „Seminars für Missionarische Fortbildung“ in Monbachtal bei Bad Liebenzell mit US-amerikanischen Ausbildungsstätten seit 1979 und dessen Ausbau unter Aufsicht der „Arbeitsgemeinschaft Evangelikaler Missionen“ (AEM) zu einem Missionsausbildungszentrum. Die Verquickung von Bibel- und Missionsschulausbildung ist allerdings derartig vielfältig und von Wandlungen geprägt, dass Systematisierungen fast unmöglich sind. Da außerdem die konfessionelle Ausrichtung untergeordnete Bedeutung hat, erweist sich hier häufig ein ganzes Spektrum von Zuordnungspunkten. Die teilweise enge Verbindung zu diakonischen und kirchlichen Einrichtungen erschwert die Einordnung nach formalen Gesichtspunkten zusätzlich. So ist z. B. die AEM – heute ein Zusammenschluss von 90 evangelischen Missionsgesellschaften und Ausbildungsstätten aus dem Bereich der evangelischen Landeskirchen, der Landeskirchlichen Gemeinschaften und der Freikirchen – Mitglied der AMD, einem Fachverband des Diakonischen Werkes der EKD. Die AEM entstand aus der sich 1969 zusammenfindenden „Konferenz Evangelikaler Missionen“ und ist seit 1974 eingetragener Verein. Sämtliche evangelikale Missionsschulen sind Mitglied der Arbeitsgemeinschaft. Die AMD wiederum ist Mitglied des 1972 gegründeten und von der so genannten Lausanner Bewegung im Anschluss an den Weltkongress für Evangelisation 1974 in Lausanne stark befruchteten „Arbeitskreises für evangelistische Aktionen“. Die Vernetzungen und Kontakte zwischen evangelikaler und landeskirchlicher Missionsarbeit bzw. der der EKD direkt zugeordneten Werke sind auf diesem Feld eng geknüpft. Das betrifft teilweise auch die Missionsschulen. Am 6. Dezember 1971 erfolgte die Gründung der „Konferenz missionarischer Ausbildungsstätten“, die sich Anfang der 1970er Jahre auch „besonders der Frage der Curriculum-Gestaltung sowie der Klärung der Anerkennungs- und Berufsfragen“ widmete, hier auf dem Feld der Ausbildung in Missionsschulen.309 309 Protokoll der Mitglieder-Versammlung des „Vereins zur Förderung der Volksmission e. V.“, zugleich Bruderrat-Sitzung [des AMD] am 26./27. März 1973 in Berlin, gez. [Erwin] Haberer, stellvertr. Vorsitzender, und Dr. [Heinrich Hermann] Ulrich, Generalsekretär. Maschi-
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4.4.2 Bibelschulen und evangelikale theologische Ausbildungsstätten Signifikant für eine Abwehr der „modernen Theologie“ ist vor allem die Gründungswelle neuer Bibelschulen seit dem Ende der 1950er Jahre. Im Prinzip stand hinter der Neugründungswelle (der bei bereits etablierten Schulen eine Umstrukturierungswelle entsprach) eine vollkommen andere Vorstellung davon, was Theologie leisten könne und solle als diejenige, welche die akademische Theologie in ihrer Selbstwahrnehmung charakterisierte: Weder die Anleitung zum eigenständigen theologischen Denken noch das Agieren auf dem Feld der Forschung unter wissenschaftlichen, d. h. empirisch nachvollziehbaren methodischen Voraussetzungen war hier angestrebt, sondern die Anleitung zum Missions- und Evangelisationsdienst, die Stärkung im Glauben und die „Erweckung“. 1959 gründete der Pfarrer Otto Riecker in Adelshofen bei Eppingen auf dem Gebiet der badischen Landeskirche eine Bibelschule. Diese Gründung ging aus der „Erweckung“ im Zuge einer Evangelisation des Hannoverschen Pfarrers und Evangelisten Heinrich Kemner hervor. 1960 stellte Riecker vor der württembergischen PGB in einem Vortrag das Konzept seiner Bibelschule vor, das die prinzipiellen Zielsetzungen der alternativen Ausbildungsstätten der 1960er, 1970er Jahre widerspiegelte. Riecker berichtete in seinen Lebenserinnerungen rückblickend über diesen Vortrag: „Aus positiver Schau heraus sollte an der Neugründung vieles ‚anti-‘ sein: antiintellektualistisch, antiinstitutionell, antisekuristisch, antignostisch, antiorthodox. Ich nahm diese Fremdworte, um vor Theologen diese Dinge deutlich zu umreißen. Wir wollten nicht intellektualistisch-kritisch über die Bibel verfügen, sondern uns ihrer Realität und Zuverlässigkeit als Wort Gottes unterstellen. Wir wollten kein Lehrinstitut sein, sondern in einer Lebensgemeinschaft als Mannschaft aus der Stille heraus brüderlich lernen und arbeiten. Wir wollten nicht ein gesichertes Leben vorne hinstellen, sondern von Gott geführt sicherungslos den inneren und äußeren Glaubensweg gehen. Wir wollten nicht Erkenntnis um der Erkenntnis, Forschung um der Forschung willen betreiben, sondern missionarisch leben und hierfür die Erkenntnis nehmen. Wir wollten nicht in lehrhafter Kühle und Distanz die Dinge sehen und behandeln, sondern aus echter Buße, aus Glauben und Lebenshingabe, in gesunder Frische und Unmittelbarkeit, in Liebe zu Jesus und dem Bruder leben und dienen und unsere erwecklichen Lieder singen. Der christliche Geist sollte bestimmen, nicht der griechische. Ob sich Menschen bekehrten, sollte der Maßstab sein, nicht wie viel wir wüßten. Theologisch solid sollte die Ausbildung sein, aber geistgetragen. Wir waren und nenschriftl., vervielfältigt, 10 S., hier 6 (AEKR Düsseldorf 2LR 004, Nr. 84: Arbeitsgemeinschaft Missionarische Dienste, Bd. II). Zu den Entwicklungen in den 1970er, 1980er Jahren im Bereich der Missionsarbeit in Auseinandersetzung evangelikaler und kirchlicher Mission vgl. ausführlich Kap. 6. 3. 3.
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sind überzeugt, dass sich eine sehr gute Ausbildung aus dem christlichen Ansatz gewinnen lässt. Hier sollten Schritte in dieser Richtung getan werden. Nach dem Vortrag fragte ich einen Bruder, ob der ‚anti‘ nicht zuviel gewesen wären. ‚O nein‘, sagte er, ‚es waren herrliche anti!‘ Oft stellte ich mir im Pfarrhaus vor, dass oben bei der Baracke an einem Fahnenmast eine Flagge flatterte: Schön, blau das Tuch, ein weißgezacktes Kreuz, wie das der Malteser darin, Zeichen der Unabhängigkeit und Hingabe vor Gott. Unentwegt sollten ‚Jesus!‘ und ‚Erweckung‘ im Winde wehen.“310
Auch hier zeigten sich wieder die große Schärfe in der Kritik und die relative Unbestimmtheit in Bezug auf die eigenen inhaltlichen Schwerpunkte, bei denen Riecker hinsichtlich der Ausbildung nicht über ein „vom Geist getragen“ und aus „christlichem Ansatz“ hinauskam. An anderer Stelle stellte Riecker fest, wissenschaftliche Denkweisen erschwerten „das Erweckliche“.311 Rieckers Schilderung ist allerdings auch ein Elan und eine Begeisterung abzuspüren, die den Überdruss an kirchlich-institutionellen Strukturen und dem Verharren in bloßem theologischem Denken deutlich macht. Vor allem aber trat das Bedürfnis nach enger Gemeinschaft stark hervor, Gemeinschaft, die sich nicht hinsichtlich theologischer Grundsatzdebatten wieder entzweie. Im gleichen Jahr, in dem Riecker seinen Vortrag über die Grundlinien einer Bibelschule hielt, gründete Heinrich Jochums in Wuppertal das „Bibelseminar“, dem er mit dem „Wuppertaler Bekenntnis“ auch sofort eine Bekenntnisverpflichtung mit auf den Weg gab. Das Wuppertaler Bekenntnis ist ganz und gar im Stile der Barmer Theologischen Erklärung mit Bibelwort, Bekenntnis und Verwerfungssatz verfasst und tritt in seinen fünf Thesen gegen die – verzerrt wiedergegebene – Theologie und für eine bedingungslose Verbalinspirationslehre ein.312 Es kann vor diesem Hintergrund nicht verwundern, dass es Jochums war, der 1963 die 1975 in „KBA“ umbenannte „Konferenz bibelgläubiger Seminare und Lehrer“ ins Leben rief, deren Mitglieder sich später auf die „Chicago-Erklärung zur Irrtumslosigkeit der Heiligen Schrift“ von 1978 verpflichteten.313 Die Konferenz war ursprünglich der Zusammenschluss des Bibelseminars Wuppertal (heute Radevormwald), der Bibelschule Brake und der Bibelschule Hagen (heute das Bibel-Center Breckerfeld, das im Zuge der Diskussion 2004/05 um „Bibeltreue“ aus der KBA ausgetreten ist). Es wurde beschlossen, jährlich eine Konferenz abzuhalten, um diejenigen zu sammeln, 310
RIECKER, Mit sechzig, 178f. Riecker, Otto: Geistlich-erweckliches Ziel und intellektuell-lernende Betätigung der christlichen Ausbildungsstätten. Anhang zu Brief von Inlandmission und Bibelschule Adelshofen, gez. Dr. O[tto] Riecker, an den Evangelischen Oberkirchenrat, betr. Bibelschule Adelshofen, vom 26. 11. 1965. Maschinenschriftl., 10 S., hier 4 (LKA KA GA 5984). 312 Jochums, Heinrich: Das Wuppertaler Bekenntnis (WEG UND ZEUGNIS, Bd. 1, 138–143). 313 Zur KBA vgl. GELDBACH, Theologische Ausbildungsstätten, 4, 7–10; FAIX, Konferenz. 311
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die sich gegen die „Bibelkritik“ der Theologie wandten. Die erste Konferenz fand am 11. November 1964 statt, 1965 gab man sich den Namen „Konferenz bibelgläubiger Seminare und Lehrer“. Bis 1983 stand Jochums der Konferenz vor. Die Satzung der KBA vom September 1987 weist die Konferenz als einen Zusammenschluss von Einzelpersonen aus, deren Zweck in der persönlichen Begegnung und Information, der Förderung der Zusammenarbeit und der öffentlichen Vertretung der Interessen der bibeltreuen Ausbildung besteht. In § 4 „Theologische Basis und Zielbeschreibung“ heißt es, dass die Konferenz auf der Grundlage der Glaubensbasis der Evangelischen Allianz und Artikel 2 der Lausanner Verpflichtung arbeitet. Die Mitglieder treten ein für: 1. Förderung eines „ehrfürchtigen und vertrauensvollen Umgangs mit der Heiligen Schrift“, 2. Förderung von bibeltreuer Ausbildung und Forschung „in einer verbindlichen Glaubens- und Lebensgemeinschaft von Lehrenden und Lernenden“, 3. Förderung einer Ausbildung, „die der Gemeinde Jesu Christi, ihrer Mission und Evangelisation dient und auf eine in der Heiligen Schrift begründete Verkündigung, Seelsorge und Gemeindeleitung vorbereitet“, 4. „Förderung des Studiums der Heiligen Schrift in ihrer von Gott gegebenen Offenbarungseinheit, die darum in jeder Hinsicht Gottes vertrauenswürdiges Wort ist und deshalb auch in ihren Aussagen über Ursprung, Geschichte und Heilsziel des Menschen und der Welt verbindlich ist.“ Diese Ziele sollten dazu befähigen, „5. die Geister kritisch zu unterscheiden, 6. rationalistische und empiristische Methoden wie eine historisch und humanwissenschaftlich kritische Auslegung der Heiligen Schrift als unsachgemäß zu durchschauen und zu überwinden und 7. philosophisch-ideologischen und religiös-synkretistischen Denk- und Lebensweisen zu widerstehen.“ Mitglieder werden persönlich berufen, die Mitgliedschaft dauert zwei Jahre und kann verlängert werden. Organe sind Mitgliederversammlung und Vorstand. Vorstandsmitglieder können unabhängig voneinander die Konferenz nach außen vertreten.314 Im September 2000 wurde die Konferenz eingetragener Verein, um sich stärker vernetzen zu können.315 Im
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Satzung der Konferenz für bibeltreue Ausbildung im Hochschulbereich (KbAH), beschlossen am 12. 9. 1987 in Tübingen. Maschinenschriftl., vervielf., 3 S. (Archiv DEA, Akte „Konferenz für Bibeltreue Ausbildung im Hochschulbereich“). 315 Vorstandsmitglieder waren zu diesem Zeitpunkt Hartwig Schnurr (Leiter der Bibelschule Wiedenest [Bergneustadt]) als Vorsitzender, Wilhelm Faix (Theologisches Seminar Adelshofen), Doyle Klaassen (Bibelschule Brake), Reinhard Frische (Theologisches Seminar St. Chrischona), Stefan Holthaus (FTA/H Gießen) und Klaus Schmidt (Neues-Leben-Seminar Wölmersen). Gegenwärtig gehören der KBA an: die „Akademie für christliche Führungskräfte“ in Gummersbach, die „Akademie für Weltmission“ in Korntal, das „Albrecht-Bengel-Haus“ Tübingen, der „Bibelfernunterricht (BFU) e. V.“ in Worms, die Bibelschule „Brake“ in Lemgo, die Bibelschule Burgstädt, die Bibelschule Kirchberg, die Bibelschule „Wiedenest“ in Bergneustadt, das Bibelsemi-
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Dezember 2000 setzte sich der Generalsekretär der DEA, Hartmut Steeb, mit dem Vorsitzenden der KBA Hartwig Schnurr in Verbindung, um bei Interesse die KBA als Werk auf der Basis der Evangelischen Allianz (Kategorie II) aufzunehmen, was wiederum eine engere Zusammenarbeit bedeutete.316 Bis zu dem Zeitpunkt war die Konferenz kein Werk der DEA, obwohl zu ihrer Bekenntnisgrundlage die Basis der Allianz gehört. Ähnlich wie Jochums mit der KBA wandte sich der Dozent am Predigerseminar St. Chrischona in der Schweiz,317 langjähriger Vorsitzender des Bibelbundes und Gründer der FETA, Samuel Külling, mit seinem Konzept alternativer theologischer Ausbildungsstätten strikt gegen die akademische Theologie. 1965 initiierte Külling die Gründung der Freien Fakultät für Evangelische Theologie in Vaux-sur-Seine in Frankreich. Der Erlebnisbericht einer Theologiestudentin über das erste Ferienseminar des Bibelbundes in Vaux-sur-Seine verdeutlicht, welche Ausrichtung dem Unternehmen zugrunde lag: „Herr Pfarrer Dr. Külling“ habe die Studierenden „als Fachmann auf diesem Gebiet (vgl. seine Dissertation ‚Zur Datierung der ‘, Kampen, 1964)“ in klaren Worten mit der „verwirrenden Geschichte der Quellenscheidung und Problemen der Datierung bekannt“ gemacht. Diese kritische Analyse samt der Darstellung des „oft untheologischen Hintergrundes“ hätten den Studentinnen und Studenten einen Blick „hinter die Kulissen der sogenannten Wissenschaftlichkeit“ eröffnet und „dem weitverbreiteten Glauben an die Wissenschaftlichkeit
nar Bonn, das BibelSeminar Königsfeld in Ostfildern, die Christliche Bildungsstätte Fritzlar, die Fachschule für Evangelische Theologie „esra-seminar“ in Radevormwald, die FTA/H Gießen, die ICI University International Correspondence Institute GmbH in Aßlar-Berghausen, das Krelinger Studienzentrum, die Kurzbibelschule „Fackelträger“ in Oberhof/Lahn, das Martin Bucer Seminar in Bonn, das „Neues Leben-Seminar“ in Wölmersen, die Studiengemeinschaft „Wort und Wissen“ e.V. in Baiersbronn, das Theologische Seminar Adelshofen, das Theologische Seminar Aidlingen, das Theologische Seminar der Liebenzeller Mission in Bad Liebenzell, das Theologische Seminar „Tabor“ in Marburg sowie weitere Ausbildungsstätten in Belgien, der Schweiz und Österreich (VERZEICHNIS DER MITGLIEDSCHULEN). 316 Briefkopie von Hartmut Steeb an die Konferenz Bibeltreuer Ausbildungsstätten, Hartwig Schnurr, vom 8. 12. 2000. Maschinenschriftl., 1 S. (Archiv DEA, Akte „Konferenz für Bibeltreue Ausbildung im Hochschulbereich“). 317 Christian Friedrich Spittler, aus dem württembergischen Pietismus stammender Verwaltungsangestellter, gründete Anfang des 19. Jahrhunderts die Pilgermission St. Chrischona bei Basel. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts wurde an der Pilgermission „biblischer Unterricht“ erteilt. Anfang des 20. Jahrhunderts initiierte der damalige Leiter Carl Heinrich Rappart die Gründung einer Bibelschule für Frauen in St. Chrischona. Nach 1945 entwickelte sich die Pilgermission zu einer Bibelschule und Predigerseminar (SCHMID, Wenn Gottes Liebe). Die Ausbildungsstätte St. Chrischona ist heute mit dem Theologischen Seminar Tabor in Marburg und dem Theologischen Seminar der Liebenzeller Mission zu dem Konsortium „Chrischona – Tabor – Liebenzell (CTL)“ zusammengeschlossen (GELDBACH, Theologische Ausbildungsstätten, 24–27).
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einen heilsamen Stoß zu versetzen und das Vertrauen in die Bibel zu stärken“ vermocht.318 Külling plädierte 1966 in einem polemischen Aufsatz in der Zeitschrift des Bibelbundes für eine massive Einwirkung auf die Ausbildung von Theologen und schlug dafür mehrere Varianten vor: die Unterwanderung bestehender Theologischer Fakultäten mit bibeltreuen Akademikern, „schon um des Einflusses willen“,319 der Schaffung von privaten Professuren, deren Inhaber aber „durch das Sieb eines klaren Bibelbekenntnisses gegangen“ sein müssten,320 die Schaffung eines „Bibelzentrums“321 sowie einer Stiftung für Stipendien, Literaturförderung, Unterstützung bibeltreuer Rundfunksendungen usw.322 Die größte Aufmerksamkeit jedoch widmete Külling dem Plan der Installierung einer eigenen theologischen Fakultät auf der Basis eines Gemeinschaftswerkes.323 Sämtliche von Külling angeforderten Variationen im Kampf gegen die theologischen Fakultäten sollten in den folgenden Jahrzehnten mehr oder weniger verwirklicht werden. Eine weitere Bibelschulenneugründung stellte Anfang der 1970er Jahre das „Geistliche Rüstzentrum Krelingen“ in der Lüneburger Heide auf dem Gebiet der Hannoverschen Landeskirche dar. 1965 hatte Heinrich Kemner hier einen Bauernhof gekauft, der mit großem Engagement zu einem Geistlichen Rüstzentrum ausgebaut wurde, mit Bibelschule und Gästehäusern, landwirtschaftlichem Betrieb als Therapieplatz für Drogenabhängige, Seniorenwohnanlage, Tischlerei und Gärtnerei für seelisch kranke und drogenabhängige Rehabilitanden. Schon im Sommer 1969 fand das erste „Zwischensemester“ für Theologiestudenten unter der Ägide des Neumünsteraner Pfarrers Sven Findeisen statt. Findeisen war lange Jahre theologischer Leiter des Rüstzentrums, 2. Vorsitzender der B KAE, später Vorsitzender des Vorstandes der Studienstiftung „Kein anderes Evangelium“. Darüber hinaus wirkte Findeisen als Mitglied des Hauptvorstandes der DEA und des Leiterkreises der KBG.324 Ziel des Rüstzentrums 318
MÜLLER, Anfang, 294f. KÜLLING, Übel, 266f. 320 EBD., 267. Külling riet massive Vorsichtsmaßnahmen an, um jeden Zweifel über die geistliche Verfassung solcher Lehrstuhlinhaber auszuräumen. So reiche es als Anstellungsvoraussetzung beispielsweise keineswegs, aus pietistischen Kreisen zu kommen (EBD., 267f.). 321 EBD., 269. 322 EBD. 323 EBD., 270–274. 324 Zu Findeisen vgl. die Autobiografie FINDEISEN, Bogen. Darin beschreibt Findeisen unter anderem detailliert, wie er durch die „historisch-kritische Methode“ während seines Theologiestudiums in Bethel fast seinen Glauben verlor und sich im Zuge der permanenten Kritik an der Bibel vorkam wie ein in einem Netz gefangener Vogel. Als es ihm so „elend“ ging, dass er „kaum mehr glauben und denken konnte“, geschah etwas, das er sich „bis heute nicht erklären kann: Die Tür 319
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war, wie es Rudolf Bäumer als Vorsitzender der B KAE, die diesem Werk nahe stand, ausdrückte, „der heranwachsenden Mitarbeitergeneration Zurüstung in der glaubensmäßigen Verwirrung unserer Zeit“325 anzubieten, Träger war die von Heinrich Kemner ins Leben gerufene Ahldener Bruderschaft.326 Bewusst war keine landeskirchliche Stiftung als Trägerin gewählt worden, da man dezidiert die Erfahrung „mit einer Anzahl kirchlicher Stiftungen“ gemacht hatte, dass diese „durch die Einflüsse einer dem Evangelium entfremdeten theologischen Ausbildung“ ihre Stiftungsgrundsätze verließen und sie sogar gelegentlich in ihr Gegenteil verkehrten. Das sei eine „von den Herren im Landeskirchenamt ebenso wie von uns schmerzlich bedauerte Entwicklung. Aber nachdem Interpretation [der Bibel] jeglicher Form theologisch legitimiert worden ist, ist auch die Basis verloren gegeben, hier wirklich zu helfen.“327 Einen langjährigen Sympathisanten und Unterstützer fand das Rüstzentrum in dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht, der auch auf dem „Ahldener Jugendtag“ als Redner auftrat.328 meines Zimmers in der äußersten rechten Ecke des Jägerstiftes ging auf, ein kleiner Mann setzte sich mir gegenüber und sah mich still an. Dann fragte er nur: ‚Wie geht es Ihnen?‘ Ich war kaum zu einer Antwort fähig. Da sagte er nur: ‚Ist nicht alles, und in allem nur Jesus?‘ Dies wiederholte er langsam mehrmals. Danach verließ er das Zimmer so, wie er hereingekommen war. Ich war wie benommen. Ich verstand nichts. [. . .] Dieser Besucher war Hellmuth Frey, Dozent für Altes Testament an der Hochschule.“ (EBD., 103). Von mehreren solcher mysteriöser Begebenheiten abgesehen war es letztlich Karl Barth, der den jungen Findeisen während dessen Studienzeit in Basel mit dazu verhalf, Glauben und Denken in Einklang zu bringen (zu Findeisens Studienzeit vgl. EBD., 97–122). Der Kontakt zu Frey fand in der gemeinsamen Arbeit im Bethelkreis seine Fortsetzung. 325 BEKENNTNISBEWEGUNG BEGINNT MIT DEM ERSTEN ZWISCHENSEMESTER. 326 In ihrer Lebensordnung definiert sich die Ahldener Bruderschaft in § 1 als „ein Zusammenschluß von verantwortungsbewußten Personen, die sich zu Jesus Christus als ihrem Herrn bekennen und die bereit sind, im gehorsamen Hören auf Gottes Wort und die Führung des Heiligen Geistes ihr Leben und ihren Dienst so einzurichten, daß Jesus Christus als ihr persönlicher Herr und dem Evangelium entsprechend bezeugt wird. [. . .] Die Bruderschaft lebt aus der Gewissheit der Vergebung der Sünden und verwirklicht sich im Sinne von Apg. 2, 42: ‚Sie blieben aber beständig in der Apostel Lehre und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen und im Gebet.‘ [. . .] Die Bruderschaft übt den brüderlichen seelsorgerlichen Austausch und Zuspruch. Insbesondere gibt sie Gelegenheit zur Seelsorge, Aussprache und Privatbeichte mit dem Ziele des Freiwerdens und der immer neuen Ausrichtung für den bevollmächtigten Dienst. [. . .] Es sollte ein Anliegen jedes Mitglieds sein, täglich Fürbitte für die Bruderschaft zu tun. [. . .] In der Bruderschaft und auf ihren Tagungen gilt als äußeres Zeichen der brüderlichen Verbundenheit als Anrede das ‚Du‘. [. . .] Jeder Bruder trägt die Verantwortung für die innere und äußere Ordnung der Bruderschaft.“ (Lebensordnung der Ahldener Bruderschaft. Maschinenschriftl., vervielf., 1 S. [LkAH, Best. B 1/ 847, Bd. I: Geistl. Rüstzentrum Krelingen, Bd. 1]). 327 Brief der Ahldener Bruderschaft, gez. Sven Findeisen, an Herrn Oberkirchenrat Dr. jur. [Peter] v. Tilling vom 25. 2. 1972. Maschinenschriftl., 2 S., hier 1 (LkAH, Best. B 1/ 847, Bd. I: Geistl. Rüstzentrum Krelingen, Bd. 1). 328 ALBRECHT, Vorwort.
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Auf dem Gebiet der lippischen Landeskirche siedelte sich 1962 in Lemgo die Bibel- und Missionsschule von Kalkar an. Direktor war in den 1960 und 1970er Jahren der Kanadier John Parschauer, Geschäftsführer der kanadische Mennonit Ernest Klaassen. Die gesamte Leitung der Bibelschule war stark USamerikanisch-independentalistisch geprägt – ursprünglich beeinflusst durch die „Greater Europe Mission“, von der sich Parschauer und Klaassen allerdings schon Anfang der 1960er Jahre trennten. Von Beginn an distanzierten sich der Lippische Gemeinschaftsbund und der regionale EC von der Bibelschule, ebenso wie die örtlichen Allianzkreise und der schon erwähnte lippische Superintendent Theodor Brandt.329 Allerdings evangelisierten Mitarbeiter der Schule auf Zeltevangelisationen der „Jugend für Christus“. Zu der „Evangelischen Gesellschaft“ und Heinrich Jochums unterhielt die Bibelschule Brake engere Beziehungen. Nur vereinzelt unterrichteten Angehörige der Landeskirche an der Schule. Die Bibelschule grenzte sich deutlich gegen die Landeskirche ab. Problematisch war unter anderem die ausgesprochen lockere Haltung gegenüber den Sakramenten: Erwachsenentaufe wurde auch als Wiedertaufe praktiziert. Außerdem nahm die Bibelschule ohne konfessionelle Reflexionen auch katholische Christen auf. 1965 kam es sowohl mit dem Pfarrer Albert Klaassen als auch mit dem Superintendenten des Bezirkes Schötmar, Kurt Scheulen, zu massiven Auseinandersetzungen vor Ort, da die Bibelschule Gemeindeglieder zum Kirchenaustritt bewegte und dabei eine starre Verbalinspirationslehre vertrat. Von 1964 bis 1966 erfolgten intensive Gespräche der Landeskirchenleitung unter Vorsitz von Landessuperintendent Udo Smidt mit der Schulleitung. 1965 stellte Smidt, der der evangelistischen Arbeit keineswegs ablehnend gegenüberstand und z. B. einen von persönlichem Respekt geprägten guten Kontakt mit Paul Deitenbeck unterhielt,330 in einem Memorandum fest, man habe es hier wohl „mit einer bestimmt geformten Prägung des Fundamentalismus zu tun, der offiziell nicht unter ‚Kirchenbann‘ steht.“ Der Beweis der „Gläubigkeit“ der Mitglieder liege „im Zeugnis der persönlichen Bekehrung“ und die „subjektive Erfahrung der Entscheidung für Jesus“ sei bestimmend an der Bibelschule. Smidt fuhr fort, er hüte sich davor, „diese anthropozentrische Betonung sofort mit Pharisäismus zu verbinden.“ Aber man werde „nicht sorgfältig genug in diesem Zusammenhang die biblische Vertiefung ‚Von Gottes Gnade bin ich. . .‘ und das reformatorische ‚simul peccator – simul justus‘ gegenwärtig 329 Brief von Theodor Brandt [Bad Salzuflen] an Herrn Landessuperintendent D. Udo Smidt vom 25. 2. 1965. Maschinenschriftl., 2 S. (LLKA Dt 232–13, Bd. 1). 330 Brief des Volksmissionarischen Amtes der Evangelischen Kirche von Westfalen, Pastor Johannes Hansen, an Herrn Landessuperintendent Udo Smidt vom 14. 7. 1965. Maschinenschriftl., 2 S., hier 2 (LLKA Dt 232–13, Bd. 1).
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haben können.“331 Nichtsdestotrotz wurde die Arbeit der Bibelschule von vereinzelten Pfarrern der Landeskirche positiv gewürdigt, und zwar als Wirken gegen die „modernistische Theologie“. Die Bibelschule selbst klassifizierte Pfarrer in ihrem Einzugsgebiet als „gläubig“ und „ungläubig“. Den die landeskirchlichen Gottesdienste besuchenden Mitarbeitern der Bibelschule wurde nahe gelegt, die Schule zu verlassen. Obwohl die Bibelschule sich eindeutig von der Landeskirche distanzierte und freikirchliche Züge trug, gab es im Hinblick auf Evangelisationen auch hier Überschneidungen mit den Landeskirchen, z. B. indem Pfarrer anderer Landeskirchen mit evangelistischen Ambitionen, wie Rudolf Bäumer, Heinrich Kemner oder Sven Findeisen, in der Bibelschule Brake „mit dem Wort dienten“.332 Die lippische Landeskirche erkannte Ausbildungsabschlüsse der Bibelschule nicht an und informierte 1975 in einem Rundschreiben die Gliedkirchen der EKD darüber, dass die Landeskirche und die Bibelschule keine Verbindung hätten, die Ausbildung nicht anerkannt werde und es häufig Schwierigkeiten im wechselseitigen Verhältnis gebe.333 Auf der Landessynode 1974 wurde die Beziehung der lippischen Landeskirche zu der Bibelschule Brake so beschrieben, dass seitens der Landeskirche Einigkeit darüber herrsche, das Verhältnis „ökumenisch offen zu halten, gesprächsbereit zu bleiben und dogmatische Unterschiede klar herauszustellen. Die Übernahme von Schülern der Braker Bibelschule in den Dienst der Landeskirche könne aus Gründen, die der Landessuperintendent aufgezeigt hat, grundsätzlich nicht in Frage kommen.“334 Zur Vorgeschichte der Bibelschule Brake gehört die Bibelschule Bergstraße in Seeheim, heute BibelSeminar Königsfeld im Schwarzwald-Baar-Kreis in der badischen Landeskirche, die 1955 auf dem Gebiet der hessen-nassauischen Kirche gegründet wurde. Seit 1958 war die „Deutsch-Europäische Bibelschule“ in Bensheim ansässig und zog 1959 nach Seeheim. Sie entstand aus der Bewegung „Youth for Christ“ bzw. der „Greater Europe Mission“ unter Leitung von Parschauer und Klaassen. Die finanziellen Mittel kamen von Billy Grahams Evangelisationswerk.335 Seitens der Kirchenleitung hatte man Ende der 1950er Jahre 331 Kopie des Memorandums Betr.: Lippische Landeskirche und Bibel- und Missionsschule in Brake, gez. [Udo] Smidt, 20. 2. 1965. Maschinenschriftl., 3 S., hier 2f. (LLKA Dt 232–13, Bd. 1). 332 Zu dem Verhältnis der Bibelschule Brake und der lippischen Landeskirche in den 1960er Jahren vgl. Akte LLKA Dt 232–13, Bd. 1. 333 Vgl. dazu diverse Archivalien in LLKA Dt 232–13, Bd 2. 334 Auszug aus der Niederschrift über die Tagung der Landessynode vom 27./28. Nov. 1974, Betr.: Bericht des Landessuperintendenten mit Aussprache. Maschinenschriftl., 3 S., hier 1 (LLKA Dt 233–7, Bd. 2). 335 Auszug aus dem Protokoll des Leitenden Geistlichen Amtes, Nr. 10/58, vom 27. 2. 1958. Maschinenschriftl., kopiert, geklebt, 1 S. (ZA EKHN, Best. 155, Nr. 3004).
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„keine irgendwie geartete Fühlung“ mit der Bibelschule.336 Die Schulgründung erfolgte ohne Zustimmung der DEA, die auch im Hinblick über Zweck und Ausrichtung der Schule im Unklaren gelassen wurde. So monierte Walther Zilz auf der Sitzung des Zentralausschusses für Billy-Graham-Evangelisationen 1955, auf seine Frage an Parschauer, „woher er die Schüler erwarte, habe er geantwortet: ‚Das weiß ich noch nicht.‘ Für eine Beschäftigung nach der Ausbildung habe auch jeder selbst zu sorgen“337. 1959 richtete das Leitende Geistliche Amt Hessen-Nassau eine Anfrage an Pfarrer Dr. Siegfried Jacob in Bensheim, was es mit der Bibelschule in Seeheim auf sich habe und forderte einen Bericht an,338 da sich die Anfragen bezüglich der Bibelschule häuften. Jacob schrieb zurück: „Die Bibelschule steht im engsten Zusammenhang mit der Evangelisationstätigkeit von Billy Graham. Wenn ich recht unterrichtet bin, ist es der gleiche Missionskreis, der die Arbeit Billy Grahams und die Arbeit der Bibelschule trägt. Was man von Billy Graham sagen kann, gilt auch zur Charakterisierung der Bibelschule. Auf der einen Seite ist man sehr aufgeschlossen für jede Zusammenarbeit mit der Kirche; Billy Graham zieht bei seinen Evangelisationen bewusst immer Vertreter der Kirche mit heran. Auf der anderen Seite lässt sich der freikirchliche Charakter dieser Kreise nicht verleugnen. Billy Graham ist Baptist, und auch die zumeist aus Amerika stammenden Dozenten und Mitarbeiter der Bibelschule gehören fast ausnahmslos den Baptisten an. Die Baptisten arbeiten im allgemeinen im Rahmen der Allianz gut mit der Landeskirche zusammen. Sie sind auch in ihrer Verkündigung nicht weit von dem entfernt, was evangelische Glaubenslehre ist. Ein Gegensatz besteht nur in der Frage der Taufe. Sie wenden sich gegen die Kindertaufe und vertreten die Erwachsenentaufe. Das hat im Hinblick auf die Bibelschule auch schon zu einiger Kritik Anlass gegeben. Die in Deutschland geborenen Kinder der Dozenten wurden bis jetzt nicht getauft. Dagegen ist mir zu Ohren gekommen, dass man Schüler und Schülerinnen in der Bibelschule im Sinne der Erwachsenentaufe zu beeinflussen suchte. Es sollen auch solche Tauffeiern schon stattgefunden haben. Hier in Bensheim habe ich mit der Bibelschule zunächst sehr gut zusammengearbeitet. Die Dozenten der Bibelschule sprachen im Rahmen der Allianz-Gebetswoche und der Oekumenischen Gebetswoche zusammen mit den Gemeindepfarrern und Gemeinschaftspredigern. Die Schüler
336 Briefdurchschlag, gez. D. [Martin] Niemöller, an Herrn Pfarrer W[enz] Wacker, Heidelberg, vom 25. 7. 1958. Maschinenschriftl., 1 S. (ZA EKHN, Best. 155, Nr. 3004). 337 Protokoll der gemeinsamen Sitzung 1. des Zentralausschusses für Billy-Graham-Evangelisationen in Deutschland und 2. des Vorstandes der Deutschen Evangelischen Allianz am Mittwoch, 27. April 1955, im Hause Patmos in Geisweid bei Siegen, gez. Wilhelm Brauer – Vorsitzender der Evangelistenkonferenz –, gez. Walther Zilz – Vorsitzender der Deutschen Evgl. Allianz –, gez. Fr[iedrich] Müller – Schriftführer –. Maschinenschriftl., 5 S., hier 3f. (AEGGK, IX: Evangelische Allianz, 4. Evangelisation, Nr. 994: Billy Graham 1955). 338 Briefdurchschlag Stellvertreter, gez. [Wolfgang] S[ucker], an Pfarrer Dr. Siegfried Jacob, Bensheim, vom 5. 1. 1959. Maschinenschriftl., 1 S. (ZA EKHN, Best. 155, Nr. 3004).
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und Schülerinnen der Bibelschule beteiligten sich an dem Gebetskreis und im Kindergottesdienst. Im ersten Jahr geschah dies hundertprozentig. Es trat dann aber auf beiden Seiten eine spürbare Entfremdung ein. Die freikirchliche und die landeskirchliche Art traten im Gegensatz zueinander. Gewiss kamen einige Schüler und Schülerinnen der Bibelschule nach wie vor treu zur Gebetsgemeinschaft und arbeiteten weiterhin im Kindergottesdienst mit, aber es geschah dies nicht mehr so allgemein und wurde wohl auch nicht mehr von der Leitung der Bibelschule gewünscht und gefördert. Auf unserer Seite empfand man die Art der Verkündigung (Holzhammermethode und Seelenmassage) weithin als abstossend. Unsere Bensheimer Gemeinde hat je länger je mehr negativ reagiert, auch auf die grossangelegte Zeltmission. Neuerdings versucht man sehr stark Kinderkreise in allen Gemeinden zu begründen und Jugendmission durchzuführen. Wir sind uns auf unserer letzten Dekanatskonferenz darüber klar geworden, dass wir wohl die Bibelschüler nicht zurückweisen wollen und können, zumal es sich meist um sehr ordentliche, aus landeskirchlichen Kreisen kommende junge Menschen handelt (meist aus dem EC), wir aber doch eine Zurückhaltung zeigen sollen und müssen.“339
In einem Bericht des Ortspfarrers von 1960 hieß es, inzwischen sei in der Bibelschule eine Spaltung eingetreten. Die Leitung der Bibelschule sei bestrebt, „mehr wissenschaftlich und theologisch zu arbeiten, da man gemerkt habe, daß man mit dem, was man mitgebracht habe aus den verschiedenen Gruppen, doch nicht ganz auskomme.“ Die Schüler seien von ihren Persönlichkeiten her verschieden: „einige sind von einer Weite und fröhlichen Wärme, daß man sich rasch versteht, andere doch sehr eng pietistisch und von einer unlebendigen Starre der religiösen Aussage.“ Trotzdem liege „über ihrem Wesen eine gewisse Reserve; eine echte Mitarbeit von uns bei ihnen scheint nach wie vor nicht gewünscht. Das belastet natürlich ihr eifriges Angebot, bei uns mitzuhelfen mit einem gewissen Verdacht, Leute aus der Gemeinde dadurch an sich und also von uns wegzuziehen.“340 Ein interner Bericht der Kirchenverwaltung spricht davon, dass sich infolge der „Spaltung“ – gemeint ist wahrscheinlich die Trennung Parschauers und Klaassens von der Schule in Seeheim und ihre Neugründung in Kalkar, aus der die Ausbildungsstätte Brake hervorging – das Verhältnis zwischen der Leitung der Schule und der Landeskirche verbessert habe. Ein landeskirchlicher Pfarrer arbeite nun in der Bibelschule mit und habe erreicht, dass der erste Satz der „Glaubensgrundlage“ geändert wurde: „‚Wir glauben an die gesamte heilige
339 Brief von Pfarrer Dr. [Siegfried] Jacob an Oberkirchenrat D. [Wolfgang] Sucker vom 9. 1. 1959. Maschinenschriftl., 2 S., hier 1f. (ZA EKHN, Best. 155, Nr. 3004). 340 Brief des Evgl. Pfarramt, gez. Engel, an die Kirchenverwaltung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, betr.: Bibelschule Bergstraße zu Nr. 31 283 16. 9. 60, vom 28. 9. 1960. Maschinenschriftl., 2 S., hier 1f. (ZA EKHN, Best. 155, Nr. 3004).
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Die Vorgeschichte: Die Bultmannkontroverse und ihre Auswirkungen
Schrift als das inspirierte, unfehlbare und maßgebende Wort Gottes‘ – heißt jetzt: ‚Wir glauben auf Grund der gesamten Heiligen Schrift. . . an den ewigen. . . Gott. . .‘“ Ziel und Ausrichtung der Bibelschule sei es, „‚gottgeweihte junge Menschen für die Arbeit der inneren und äußeren Mission gründlich auszubilden‘“, und zwar „in 6 Semestern [in] der Bibel- und Missionsabteilung“ und „für größere Ansprüche in weiteren 4 Semestern“ durch den Besuch der „Theologische[n] Abteilung“, zu „deren Lehrplan auch Griechisch und Hebräisch gehört.“ Nach wie vor wurde hinsichtlich der Schüler konstatiert: „Die jungen Leute sind sehr verschiedenartig: eng fundamentalistisch aber auch weit und fröhlich und lebendig.“341 In der Folge kam es zu einer ganzen Fülle von Anfragen anderer Landeskirchen, da sich Absolventen der Bibelschule Seeheim in weiteren Gebieten Deutschlands um Gemeindehelferstellen bewarben.342 Erfreut war man über diese Entwicklung seitens der hessen-nassauischen Kirche nicht, wie ein Brief von OKR Heß an Konrad Gottschick in der württembergischen Kirchenleitung erkennen lässt: „Der Fundamentalismus, von dem Sie selber sprechen, macht den Schülern zum Teil erhebliche Not, da wir ihnen klipp und klar sagen müssen: so geht das nicht. Es ist mir unklar, für welche Bereiche die Bibelschule Seeheim junge Leute eigentlich auszubilden beabsichtigt. Ich habe stark den Eindruck, dass die Nutzniesser dieser Einrichtung allerlei Freikirchen bei uns in Deutschland sind.“343 Die hessen-nassauische Kirche hatte bis 1965 zweimal den Versuch unternommen, jeweils einen Absolventen in den kirchlichen katechetischen bzw. Gemeindehelferdienst zu übernehmen und musste schließlich feststellen, dass den Absolventen die Ausbildung für den kirchlichen Unterricht fehle.344 Seitdem wurden weitere Anfragen abgelehnt und anderen Landeskirchenleitungen abgeraten, Bibelschüler in kirchlichen Diensten anzustellen.345 1971 entwickelte der Mitarbeiter der Bibelschule Larry Sutherland den Bibelfernunterricht, der bis Anfang der 1990er Jahre ein Arbeitsgebiet der Bibelschule war. 1974 wurde unter Leitung des damaligen Bibelschuldirektors Cleon Rogers auf Grundlage der Erfahrungen der 1960 eingeführten „Theolo341
Kopie des [Aktenvermerks] Zu A. Bibelschule [ohne Unterschrift, o. D., um 1960]. Maschinenschriftl., 1 S. (ZA EKHN, Best. 155, Nr. 3004). 342 So z. B. in der pfälzischen und der württembergischen Landeskirche, vgl. diverse Dokumente in ZA EKHN, Best. 155, Nr. 3004. 343 Briefdurchschlag von OKR Heß an Oberkirchenrat Konrad Gottschick vom 22. 11. 1962. Maschinenschriftl., 1 S. (ZA EKHN, Best. 155, Nr. 3004). 344 Briefdurchschlag Oberkirchenrat D. Heß an Herrn Oberlandeskirchenrat Bunnemann, Hannover, vom 13. 7. 1965. Maschinenschriftl., 1 S. (ZA EKHN, Best. 155, Nr. 3004). 345 Diverse Dokumente in ZA EKHN, Best. 155, Nr. 3004.
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gischen Abteilung“ der Bibelschule Seeheim der Plan umgesetzt, eine Alternative zum „modernistischen“ akademischen Theologiestudium zu schaffen. Dies war die Geburtsstunde der „Freien Theologischen Akademie e.V.“, später FTA/H Gießen, die heute von evangelikaler Seite als die „führende evangelikale Ausbildungsstätte auf Hochschulniveau in Deutschland“346 beworben wird. In der braunschweigischen Landeskirche, deren Geschichte wenig Bezüge zum Pietismus, dafür in starkem Maße zur Aufklärungstheologie aufwies, gab es im Zusammenhang mit evangelisierenden Gruppen innerhalb der Landeskirche generell nur selten Probleme: Die Zusammenarbeit von Kirche und landeskirchlichen Gemeinschaften, die dem Hannoverschen Gemeinschaftsverband gehörten, erwies sich über Jahrzehnte hinweg als fruchtbar, Allianz- und Gemeinschaftsarbeit ging größtenteils ineinander über, Kristallisationspunkte für die Arbeit der landeskirchlichen Gemeinschaften in Braunschweig waren die Gemeinschafts-Mutterhäuser Salem-Lichtenrade in Bad Gandersheim und Kinderheil in Bad Harzburg.347 Allerdings gab es auch in Wolfenbüttel eine Bibelschule: das 1975 von der US-amerikanischen Organisation „Christ for the Nations“ gegründete, heute in Bad Gandersheim ansässige, charismatisch ausgerichtete „Glaubenszentrum Bad Gandersheim“. Über diese Bibelschule berichtete 1976 der Personaldezernent im braunschweigischen Landeskirchenamt, Henje Becker, die Bibelschule sei „getragen von einer amerikanischen Mission pietistisch-fundamentalistisch-erwecklicher Prägung. Als sie in Wolfenbüttel gegründet wurde, wurden keinerlei Kontakte zur Landeskirche gesucht. Sie entfalten hier eine rege Tätigkeit gerade auch unter der Jugend, werben in den Schulen usw.“ Berichten zufolge stehe die Bibelschule der Landeskirche nicht prinzipiell ablehnend gegenüber: „Mitarbeiter in der Bibelschule sind teilweise auch Gemeindehelferinnen.“ Insgesamt aber, so Becker, bestehe „kein Interesse an einer Zusammenarbeit mit landeskirchlichen Gemeinden.“348 Die Bibelschule Wiedenest auf dem Gebiet der rheinischen Landeskirche wurde 1905 als Bibelschule der EA, speziell der „Blankenburger“, gegründet. 1919 zog die Bibelschule nach Bergneustadt bei Wiedenest um. 1952 wurde ein Missionshaus angeschlossen. Von 1959 bis 1980 leitete Ernst Schrupp die
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FESTSCHRIFT 50 JAHRE. Briefdurchschlag, gez. Henje Becker, an Ev. Landeskirche in Württemberg, Oberkirchenrat, z. H. Herrn OKR Jetter, Betreff: Landeskirchliche Gemeinschaften, vom 9. 7. 1990. Computerausdruck, 1 S. (LKA Wolfenbüttel, Az.: 570.5–3092). 348 Brief von Henje Becker – Oberlandeskirchenrat – an Herrn Superintendent des Kirchenkreises Berlin-Schöneberg, [Reinhold] George, vom 30. 11. 1976. Maschinenschriftl., 1 S. (LAW, LKA 2660). 347
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Die Vorgeschichte: Die Bultmannkontroverse und ihre Auswirkungen
Schule. Heute heißen das Missionshaus und die Bibelschule Wiedenest „Forum Wiedenest e. V.“349 Für den süddeutschen Raum bedeutsam war die Entstehung der FETA, heute STH Basel, die im Februar 1970 gegründet und im Oktober 1970 eröffnet wurde und deren Absolventen in die württembergische und badische Landeskirche mit der Bitte um Anstellung drängten. Spiritus Rector der Gründung war Samuel Külling. Die Intention der Ausbildung war klar gegen jede Form akademischer Ausbildung gerichtet. Im September 1965 veröffentlichte die EZW ein Papier „Die fundamentalistischen Bibelschulen in Deutschland. Ein Modellbericht“, in dem die „sektiererische“ Arbeitsweise von Bibelschulen dargestellt wurde. In den meisten Fällen wurden solche Bibelschulen nach 1945 unter nordamerikanischem Einfluss gegründet, heißt es in der Studie der EZW. Namentlich genannt werden die Bibelschulen Beatenberg, Bergstrasse, Böblingen, Brake, Erzhausen, Gunten, Hachenhausen, Hagen, Heilbronn, Klostermühle, Wiedenest. Der religiöse Hintergrund sei entweder biblizistisch-fundamentalistisch oder pfingstlerischperfektionistisch. Als Beispiel für die Darstellung von Struktur und Arbeitsweise der Bibelschulen diente dem EZW die Bibel- und Missionsschule e. V. Brake. Die Verbindungen zu anderen Bibelschulen oder Glaubensgruppen werde hier „zwar nicht sonderlich gepflegt, dafür aber zu apologetischen Zwecken öfters erwähnt“.350 Diese Darstellung der EZW wurde an sämtliche Kirchenleitungen Deutschlands verschickt. Die meisten Bibelschulen gerieten nach der Phase anfänglicher Euphorie recht schnell an die Grenzen ihrer Arbeit, insbesondere hinsichtlich der Frage, wo und wie ihre Absolventen und Absolventinnen beruflich einsetzbar wären. Das nahe liegende Ziel „Pfarrer“ oder „Evangelist“ war angesichts der flächendeckenden Institutionalisierung der evangelischen Kirche in Deutschland letztlich illusorisch. Die Anerkennung von Ausbildungsleistungen als Teil kirchlicher Ausbildungen oder des akademischen Theologiestudiums stand immer drängender im Raum, da von der klaren und einigermaßen gesicherten Zukunftsperspektive auch die Zahlen der Bewerber und Bewerberinnen abhingen. Hier ergaben sich nun ganz verschiedene Wege: Manche Schulen, darunter das „Rüstzentrum Krelingen“, versuchten, sich die eigene Ausbildung oder
349 Zur Geschichte der Bibelschule Wiedenest vgl. SAUER, Geschichte. Sauer war von 1937 bis 1959 Leiter von Wiedenest und schrieb diesen Artikel 1955 anläßlich des 50jährigen Jubiläums der Schule. Weiterhin informiert differenziert zur Entstehungsgeschichte HOLTHAUS, Entstehung. 350 Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen: Die fundamentalistischen Bibelschulen in Deutschland. Ein Modellbericht. Sept. 1965. Maschinenschriftl., hektograph., 10 S., hier 3 (LLKA Dt 232–13, Bd. 1).
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Teile der Ausbildung in der Form eines „Vorstudiums“ als Bestandteil akademischer theologischer Ausbildung anerkennen zu lassen. Andere Schulen verlagerten ihre Ausbildung auf den Zielbereich evangelikaler Missionen, die seit den 1970er Jahren im Aufschwung waren. Wiederum andere versuchten, Teile der eigenen Ausbildung in die kirchliche Ausbildung der Gemeindehelfer und Diakone integrieren zu lassen. Keine dieser Bemühungen waren leicht umzusetzen, da sich die Bibel- und Missionsschulen auf dem Feld der institutionalisierten kirchlichen und diakonischen Ausbildung erst einmal einen Platz erobern mussten. Ein weiteres Problemfeld war die staatliche Anerkennung der Ausbildung als bezugsberechtigt nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BaföG), der jedoch die staatliche Anerkennung der Gleichwertigkeit der Abschlüsse vorausgehen musste. Im Dezember 1972 erarbeiteten die landeskirchlichen Beauftragten für Gemeindehelferinnen und Gemeindemitarbeiter auf zwei Tagungen Richtlinien der Anerkennung von alternativen Ausbildungsstätten. Fünf Punkte wurden dabei in Anschlag gebracht: 1. die staatliche Anerkennung gemäß dem Bundesausbildungsförderungsgesetz, 2. die Mitgliedschaft des Trägers der Ausbildungsstätte in der ACK, 3. die Mitwirkung der Landeskirche, auf deren Gebiet die Ausbildungsstätte liegt, an der Gestaltung von Studienplänen und -zielen, 4. die Beteiligung der jeweiligen Landeskirche an Leitungsfunktionen und in den Prüfungskommissionen der Ausbildungsstätte und 5. die Genehmigung von landeskirchlicher Weiter- und Fortbildung der Absolventen seitens der Ausbildungsstätten.351 In der Folge nahmen die Kirchenleitungen verstärkt das Gespräch mit „ihren“ Alternativausbildungsstätten auf, um die Eingliederung, zumindest von Teilen der Ausbildung, in das kirchliche Bildungssystem zu regeln. Dabei wurden auch die EKD-Empfehlungen leicht modifiziert. Während die Punkte 1 und 2 relativ problemlos von den Ausbildungsstätten akzeptiert wurden, rang man verbissen um den (möglichst geringen) Grad der Beteiligung der Landeskirchen an Prüfungen und Studieninhalten sowie der Fortund Weiterbildungsfrage. Die württembergische Landeskirchenleitung versuchte vermittelnd, die Kriterien auf den praktischen kirchlichen Dienst zu konzentrieren: Die Mitwirkung der Landeskirchen an Studienzielen sollte hinsichtlich der Tätigkeiten im kirchlichen Dienst erfolgen, an Prüfungen sollten die Landeskirche beteiligt sein, aber nicht mitwirken. Außerdem wollte die württembergische Kirchenleitung nicht die Zugehörigkeit zur ACK zum Anerkennungsmerkmal machen, sondern die Akzeptanz der Bekenntnisgrundlage 351 Rundbrief der Evangelischen Kirche in Deutschland – Kirchenkanzlei –, gez. [Walter] Hammer, Az. 2432/3.33, an die Leitungen der Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland vom 8. 2. 1973. Maschinenschriftl., hektograph., 2 S. (LKA KA GA 5984).
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der jeweiligen Landeskirche.352 Diese Modifikation wurde seitens der Bibelschulen begrüßt. Im Sommer 1973 erließ die rheinische Kirche „Koordinierungsrichtlinien“, in denen die Richtlinien von 1972 Grundlage der Anerkennung von Ausbildungsstätten waren.353 Der Rat der EKD empfahl am 9. Februar 1974 die Richtlinien der Ausbildungsdezernenten und Ausbildungsreferenten von 1972 den Gliedkirchen. Im November und Dezember 1974 beschäftigte sich die KBA eingehend mit dem Thema. Auch hier warf die anvisierte Mitarbeit der Landeskirchen an Studieninhalten und Prüfungen die meisten Fragen auf.354 Die Tendenz ging nun dahin, dass die Absolventen nach der Ausbildung noch bis zu mehreren Jahren kirchliche Fachschulen und Ausbildungsgänge durchliefen und die Ausbildung an den Bibelschulen somit in einer Art Vorausbildung bestand. Prüfungen, vor allem in den Fächern Katechetik und Religionspädagogik, mussten unter Anwesenheit von Kirchenvertretern abgenommen werden. Allerdings kam es immer wieder zu Einzelfragen im Rahmen der Anerkennungsproblematik. Insgesamt kämpften die Bibelschulen stets einerseits für einen hohen Grad formaler Akzeptanz ihrer Ausbildung, denn mit dieser Anerkennung ging auch der Anreiz für Auszubildende einher, an diesen Schulen zu studieren, andererseits aber auch um ihre Autonomie und Identität, die sich, wie sich zeigte, in ihrer Genese sehr an der Abgrenzung gegenüber der akademischen Theologie festmacht. Diese grundsätzlich aversive Haltung wurde durch die stete Argumentation verdeckt, die Gemeinden wünschten evangelikale, d. h. „bibeltreue“ Verkündiger, die es in den Reihen der Absolven352 Anhang zu Brief des Evangelischen Oberkirchenrates Stuttgart, Betr. Anerkennung von Bibelschulen, AZ 16.21–9 Nr. 7/74, an den Evang. Oberkirchenrat Karlsruhe vom 29. 1. 1975. Maschinenschriftl., hektograph. 1 S. (LKA KA GA 5984). Die interne Stellungnahme der badischen Landeskirche zu diesen, von der württembergischen Landeskirche aufgestellten Richtlinien, besonders zu Punkt 4, der Teilnahme, statt Mitwirkung der Landeskirche an den Prüfungen, ist recht erhellend: „Nr. 4 (Württemberg) sieht anstelle der Mitwirkung eine landeskirchliche Beteiligung an der Prüfung vor. Der sachliche Unterschied ist nur schwer erkennbar. Festzuhalten ist, dass über eine Mitwirkung eine Integration der freien Ausbildungsstätte in die Landeskirche nicht angestrebt werden darf. Der landeskirchliche Vertreter ist als Gast anwesend, ohne bei der Zeugnisgebung mitzuwirken.“ (Aktenvermerk. Wiedervorlageblatt AZ. 27/111, Bibelschulen. 10. 11. 1975. Maschinenschriftl., 3 S., hier 2 [LKA KA GA 5984]). 353 Richtlinien zur Koordinierung der Grundausbildung und Weiterbildung kirchlicher Mitarbeiter in der Verkündigung, Unterweisung, Seelsorge, Diakonie und in ähnlichen Diensten – 2. Fassung – (Koordinierungsrichtlinien II – KRL II). Nr. 17 389 Az. 13–18–5. Düsseldorf, 20. Juni 1973. Sonderdruck aus KABI. Nr. 6 (1973); 2 S. (LKA KA GA 13610). Die Mitwirkung der Landeskirchen an Gestaltung der Studienpläne, Festlegung der Studienziele und in den Prüfungskommissionen war hier zu einem Punkt zusammengefasst worden. 354 Vgl. Brief von Lebenszentrum Adelshofen, gez. Dr. O[tto] Riecker, an den Evangelischen Oberkirchenrat Karlsruhe, Betr.: Ausbildungsstätten, vom 25. 11. 1974. Maschinenschriftl., 2 S. (LKA KA GA 5984).
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ten der theologischen Fakultäten nicht mehr gebe. So drückte es beispielsweise 1975 die badische „Vereinigung für Bibel und Bekenntnis“ aus, verbunden mit der dringlichen Bitte an die Kirchenleitung, Abgänger der Baseler FETA als Pfarrer in Baden einzustellen, denn die „das eigentliche kirchliche Leben weithin tragenden Kreise suchen in der Verkündigung der Kirche zunächst vor allem Hilfe zum Glauben. Sie möchten erfahrungsgemäß die vielfach als ‚traditionell‘ bezeichnete Predigt“ und wünschten „in keinem Fall Abschwächungen oder Umdeutungen an ihrer Stelle zu hören, auch nicht in der Unterweisung ihrer Kinder. Diese zahlenmäßig sehr große Kreis, der nicht nur durch die ‚Gemeinschaft‘ und die erweckte Jugend dargestellt wird, ist nicht organisiert, steht aber zusammen in der inneren Übereinstimmung ihrer ‚evangelikalen‘ Schau von christlicher Botschaft und kirchlichem Dienst.“355 Seit 1945 wären durch die „Entwicklung an den theologischen Ausbildungsstätten [. . .] immer weniger Vertreter dieser in den Gemeinden erwünschten Theologie in die kirchlichen Dienste“ eingerückt und durch „einen fortschreitenden Austrocknungsprozeß erhalten die Gemeinden immer seltener Vertreter dieser Botschaft und einer entschiedenen christlichen Lebenseinstellung, wie sie aus der Erweckung herstammt.“ Es stünden immer weniger evangelikale Kirchendiener zur Verfügung, „obwohl die Gemeinde stark nach ihnen verlangt. Die Folge davon ist ein immer weiteres Auseinanderklaffen der inneren Haltung zwischen den Gemeinden und den theologischen Vertretern der Kirche.“ Bei einer Fortführung dieser Entwicklung käme es „zur weiteren glaubensmäßigen Ausdörrung der Gemeinden und der Jugend, zu immer weiterem Schwund an Substanz und an Arbeitskräften und zur Ohnmacht der Kirche bei radikaler Änderung ihrer öffentlichen Stellung und rechtlichen Lage“. Vor dem Hintergrund des evangelikalen Nachwuchsmangels „wird es immer unumgänglicher, dass neben den offiziellen theologischen Ausbildungsstätten auch solche anerkannt und gefördert werden, welche den Mitarbeiternachwuchs in dem von den Gemeinden gewünschten Sinn zurüsten.“ Die Gemeinden müssten „die Möglichkeit erhalten, hier ausgebildete Kräfte als hauptberufliche Mitarbeiter zu bekommen und zu berufen.356 [. . .] Möglichkeiten zur Weiterbildung werden sich wohl früher oder später auch an den oben genannten evangelikalen theologischen Ausbildungsstätten [FETA, Seeheim, Krelingen] finden, zumal weitere Ausbildungsstätten u. a. für Lehrer an theologischen und Bibelschulen bei uns und in Übersee im Werden sind. Hier wird eine ganze Generation von Verkündigern 355 Handschriftlich an dieser Stelle seitens Vertreter der Landeskirchenleitung angefügt: „Kirchengemeinde?! Ist also die ‚Vereinigung f[ür] B[ibel und] B[ekenntnis]‘ ihr Sprecher?!“ 356 „Zu berufen“ ist in dem Brief, offensichtlich von landeskirchlicher Seite, handschriftlich unterstrichen.
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und Seelsorgern heranwachsen, der sich die Kirche nur zu ihrem eigenen, schweren geistlichen Schaden wird verschließen können!“357 Diese Argumentationsfigur verfestigte sich im Laufe der Zeit unhinterfragt und ungeprüft. Noch 1986 berichtete Tielko Tilemann, Landessuperintendent des Sprengels Lüneburg von 1979 bis 1988, dem Hannoverschen Landeskirchenamt anlässlich der Tagung „Die Verantwortung der Gemeinde für die Theologenausbildung“, zu der der Theologische Konvent der KBG nach Krelingen eingeladen hatte,358 es gebe in Folge der „unbiblischen und untheologischen Methode in der Ausbildung“ auf Grund der „Festlegung auf die historisch-kritische Methode und auf die Seelsorgeausbildung mit Hilfe der Gruppenpädagogik“ und dem damit verbundenen „modernistischen Wirklichkeitsverständnis“ immer weniger „gläubige Pastoren, in der Mehrzahl jedoch ungläubige“. Die „‚gläubige Gemeinde‘ müsse daher Verantwortung für die Ausbildung der Theologen übernehmen. In diesem Sinne wurden alternative Ausbildungswege für die Theologenausbildung gefordert und die Anerkennung der dort ausgebildeten Theologen durch die Landeskirchen gewünscht, nein mehr noch gefordert.“ Höhepunkt des Ansinnens dieser Tagung im Jahr 1986 war eine Formulierung, die in den 1960er Jahren noch undenkbar für die evangelikale Diskussion gewesen wäre: „Wir fordern die Anerkennung des Pluralismus in der Theologenausbildung.“359
357 Diese Passage ist handschriftlich angestrichen und mit „Nein!“ kommentiert (Not und Recht der Gemeinden angesichts der kirchlich-theologischen Entwicklung, gez. O[tto] Braun, G. Hartmann, F[riedrich] Hauß, O[tto] Riecker, H[ans] Schäfer. Anhang zu Brief der Evangelischen Vereinigung für Bibel und Bekenntnis in Baden, gez. [Otto] Braun an den Herrn Landesbischof, Prof. Dr. [Hans-Wolfgang] Heidland, den Ev. Oberkirchenrat, den Ev. Landeskirchenrat, vom 24. 6. 1974. Maschinenschriftl., 5 S. [LKA KA GA 10983]). 358 Bemerkenswert an dieser Tagung ist, dass sie die Fraktionierung der evangelikalen Bewegung widerspiegelt, die nach außen hin kaum sichtbar wurde. Die Leitung des Krelinger Rüstzentrums war beunruhigt darüber, dass der Theologische Konvent nach Krelingen eingeladen hatte und damit den Eindruck erweckte, das Rüstzentrum identifiziere sich mit den im Programm ausgesprochenen Anliegen. Kemner und Cochlovius, der theologische Leiter Krelingens zu der Zeit, fürchteten im Vorfeld einen „Krelinger Appell“, der „Krelingen zu zwiespältig empfundener Popularität“ verhelfen würde. Cochlovius äußerte dem für die Theologenausbildung zuständigen OLKR Ernst Kampermann im Hannoverschen Landeskirchenamt gegenüber, auch er empfinde das Programm „als überladen, unausgewogen und Mißverständnisse möglicherweise verstärkend und nicht abbauend“. Sowohl Krelingen als auch der Theologische Konvent distanziere sich von der mit einladenden „Initiative für bibeltreue Hochschulen e. V.“, die in enger Zusammenarbeit mit der FETA und der Akademie in Gießen stehe ([Aktennotiz] Betr.: Tagung des Theologischen Konventes der „KBG“. Dez. 4 [OLKR Ernst Kampermann], Nr. 2204–2, Herrn Dez II, vom 24. 3. 1986. Maschinenschriftl., 2 S., hier 1 [LkAH, Best. B 1/ 2204–2 Bd. II: Studierendenwerk des Geistlichen Rüstzentrums Krelingen, Bd. 1]). 359 Brief des Landessuperintendenten für den Sprengel Lüneburg, gez. Tielko Tilemann, an
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In Krelingen ging man in der praktischen Arbeit zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr so weit, die Theologie an den Universitäten rundweg abzulehnen, denn hier wurde inzwischen die Position vertreten, studienbegleitende Arbeit im Sinne des Bengel-Hauses zu leisten.360 Seit Anfang der 1980er Jahre war ein erklärtes Ziel der Krelinger Studienarbeit, „als theologische Ausbildungsstätte besonderer Art von Staat und Kirche anerkannt zu werden; nicht als Alternative zu staatlichen Fakultäten und Kirchlichen Hochschulen, wohl aber als Ergänzung. Deswegen wird die Anerkennung einiger Semester als akademische Semester angestrebt.“361 Die Zielsetzung war allerdings durchaus auch Schwankungen unterworfen: 1994 tendierte man in Krelingen wieder zu einem „eigenen Studiengang“ Theologie, was in der Landeskirchenleitung auf starke Kritik stieß.362 In der Praxis stellte sich die alternative theologische Ausbildung als problematisch dar. Wiederholt bekundeten die den Krelinger Prüfungen beisitzenden Mitarbeiter anderer Ausbildungseinrichtungen Bedenken gegen Inhalte der Ausbildung. So äußerte sich beispielsweise 1991 Klaus-Peter Person, Griechischlehrer am Lüneburger Johanneum, Fachberater in der Bezirksregierung und Graecums-Prüfer der Krelinger Auszubildenden in einem Brief an den Landesuperintendenten für den Sprengel Lüneburg, Hans-Christian Drömann, nahezu entsetzt über den offenen „Fundamentalismus“ der Krelinger Schüler und seine Sorge darüber, diese Art von Christentum könne sich in der Landeskirche verbreiten.363 Vor diesem Hintergrund stellt sich die landeskirchliche Finanzierungspolitik, die solche Ausbildungsstätten in Einzelprojekten durchaus unterstützte und als Ausdruck der steten landeskirchlichen Bemühungen das Landeskirchenamt Hannover, z. Hd. OLKR [Ernst] Kampermann, Betr.: Tagung des Theologischen Konventes der Konferenz Bekennender Gemeinschaften vom 8.–11. April 1986 in Krelingen; hier: Kurzbericht, vom 14. 4. 1986. Maschinenschriftl., 5 S., hier 2 (LkAH, Best. B 1/ 2204– 2 Bd. II: Studierendenwerk des Geistlichen Rüstzentrums Krelingen, Bd. 1). 360 [Aktennotiz] Betr.: Tagung des Theologischen Konventes der „KBG“. Dez. 4 [OLKR Ernst Kampermann], Nr. 2204–2, Herrn Dez II, vom 24. 3. 1986. Maschinenschriftl., 2 S., hier 2 (LkAH, Best. B 1/ 2204–2 Bd. II: Studierendenwerk des Geistlichen Rüstzentrums Krelingen, Bd. 1). 361 Aktennotiz Dez. 4 [OLKR Ernst Kampermann], Nr. 847 – 1 II 4 an Herrn Präsidenten [Karl Wagenmann] vom 19. 10. 1982. Maschinenschriftl., 3 S., hier 1 (LkAH, Best. B 1/ 2204–2 Bd. II: Studierendenwerk des Geistlichen Rüstzentrums Krelingen, Bd. 1). 362 Brief der Ev.-Luth. Landeskirche Hannovers – das Landeskirchenamt – Oberlandeskirchenrat [Georg-Ferdinand] Berger – an das Geistliche Rüstzentrum Krelingen, Herrn Pastor Dr. Cochlovius, vom 8. 8. 1994. Computerschriftl., 2 S., hier 1 (LkAH, Best. B 1/ 2204–2 Bd. IV: Studierendenwerk des Geistlichen Rüstzentrums Krelingen). 363 Brief von K[laus] P[eter] Person [Lüneburg] an [Landessuperintendent Hans-Christian] Drömann, eingegangen am 5. 7. 1991. Maschinenschriftl., 1 S. (LkAH, Best. B 1/ 2204–2 Bd. IV: Studierendenwerk des Geistlichen Rüstzentrums Krelingen).
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um Integration der alternativen Ausbildung zu werten ist, als ein nicht unproblematisches Feld dar.364 Der polemische Blick auf die akademische theologische Ausbildung schlug sich natürlich in allererster Linie bei den Schülern nieder. 1983 fasste der ehemalige Student der FETA und heutige Dozent an der FTA/H Gießen, Thomas Schirrmacher, die Situation des Theologiestudierenden aus evangelikaler Sicht zusammen. Im selben Jahr war Schirrmacher in einem Brief von Rudolf Bäumer an Heinrich Hörstgen, dem Vorsitzenden des rheinischen Arbeitskreises der Bekenntnisbewegung empfohlen worden. Da es der B KAE zunehmend an Nachwuchs mangle, solle der „Prediger (von der E. G.) und stud. theol. Thomas Schirrmacher“, der beide Examen bei der FETA absolviert habe, „also Volltheologe – ohne kirchenamtl. Anerkennung“ sei, zu den Sitzungen des rheinischen Arbeitskreises eingeladen werden.365 Schirrmacher äußerte, dass ihn „1979 Rudolf Bäumer und Gerhard Bergmann noch im Studium als Mitglied des Bundesarbeitskreises der Bekenntnisbewegung als Vertreter der Studentenarbeit beriefen“ und dass ihm damals schon deutlich war, dass er „zum konservativen Flügel der Bekenntnisbewegung gehören würde“.366 In seinem Aufsatz über die Situation des universitären Theologiestudiums resümierte Schirrmacher, das Theologiestudium sei „kein Zuckerschlecken“, da kein „Denkensund Lebensbereich“ von der „Auseinandersetzung“ verschont bleibe. „Manch einer sollte es lieber lassen, anstatt umzukommen. Wer es dennoch wagt, braucht die klare Unterstützung einer Beterschar und einer bibelgläubigen Gemeinde, einen erfahrenen Seelsorger und die Bereitschaft, doppelt zu studieren: einmal an der Universität das Falsche und dann, leider oft im Selbststudium, die biblischen Grundlagen.“367 Kein Wunder also, dass das Theologiestudium in Schirrmachers Deutung von Eph. 6,10–19 ein Kampf mit den Mächten der Finsternis darstellte.368 Die inhaltlichen Schwerpunkte, die Schirrmacher in seinem Aufsatz von 1983 aufzählte und die seine Kritikpunkte am universitären Theologiestudium darstellten, deuten allerdings eher auf eine
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Z. B. erhielt das Geistliche Rüstzentrum Krelingen in der Zeit von 1978 bis 1987 von der Hannoverschen Landeskirche Zuschüsse in Höhe von etwas über einer Million DM ([Aktenvermerk] Nr. 847, betr.: Ahldener Bruderschaft e. V. – Geistliches Rüstzentrum Krelingen; hier: Aufstellung der bisher durch die Landeskirche finanziell geförderten Projekte, Hannover 16. 1. 1987. Maschinenschriftl., 2 S. [LkAH, Best. B 1/ 2204–2 Bd. IV: Studierendenwerk des Geistlichen Rüstzentrums Krelingen]). 365 Brief von [Rudolf] Bäumer an [Heinrich] Hörstgen vom 17. 9. 1983. Maschinenschriftl., 1 S. (AEKR Düsseldorf 7NL 032 Nachlass Pfr. Heinrich Hörstgen). 366 „SIND WIR ALLE ‚WEICH‘. 367 SCHIRRMACHER, Umzingelt, 17; zitiert ebenfalls bei SCHEERER, Bekennende Christen, 34. 368 SCHIRRMACHER, Umzingelt, 10.
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Überforderung der Studierenden durch die Fülle an Informationen denn auf eine unbiblische Ausrichtung hin. Wenig aussagekräftig ist die Betonung der Ideologie der Evolutionslehre, die in das Theologiestudium eingedrungen sei oder der für die inhaltliche Verflachung sämtlicher nichtexegetischer Fächer in Anschlag gebrachte „Substanzverlust der Dogmatik“. Die Kirchengeschichte sei, so Schirrmacher, zur Profangeschichte verkommen. Auffällig ist das Schlussvotum Schirrmachers, welches ein Defizit des akademischen Studiums aufgreift, nämlich das weitgehende Fehlen von studentischen Kreisen und Gruppen, die der Anonymisierung im Studium entgegen wirken: Der Theologiestudent, so Schirrmacher, brauche „den Zusammenschluß mit Gleichgesinnten vor Ort. Studentische Arbeitskreise für evangelikale Theologie werden zahlreicher. Der Bekenntnisbewegung ist dabei für ihre große Offenheit und Weitsicht zu danken, denn sie weiß, daß die Theologiestudenten alleine nicht zurechtkommen können.“369 In der Tat nahm seit den 1970er, in starkem Maße seit den 1980er Jahren die Betreuung der Theologiestudierenden durch die B KAE nicht nur an den eigenen Ausbildungsstätten, sondern auch an den Theologischen Fakultäten zu. Die erste der studiumbegleitenden Einrichtungen stellte das Albrecht-BengelStudienhaus in Tübingen dar. Der Trägerverein „Albrecht-Bengel-Haus“ wurde im Dezember 1969 auf Anregung des Gesprächskreises „Bibel und Bekenntnis“ auf der 7. Württembergischen Landessynode ins Leben gerufen. Ein Jahr später wurde das Bengel-Haus gegründet, das parallel zum Universitätsstudium Theologiestudenten die Möglichkeit nicht nur der Unterkunft, sondern auch der Weiterbildung in dem Sinne vermitteln sollte, „daß der geistgewirkte Charakter der Bibel als Schlüssel zu ihrem wahren Verstehen die Erleuchtung der Vernunft durch den Heiligen Geist voraussetzt.“ Weiter hieß es in der Grundordnung des Albrecht-Bengel-Hauses vom 22. Januar 1974: „Damit wird zugleich jeglicher Versuch verworfen, den inneren Zugang zur Schrift auf rein rationalem Wege zu suchen unter Zugrundelegung philosophischer, soziologischer oder anderer diesseitiger Erkenntniskriterien, die zur Bestreitung des Offenbarungsanspruches der Heiligen Schrift und ihrer inneren Einheit führen.“370 Es wurde hervorgehoben, dass die „wissenschaftliche Arbeit des Albrecht-BengelHauses [. . .] in helfender, kritischer und ergänzender Begleitung des normalen Studienganges im Rahmen des Lehrangebotes der Universität“ bestehe. „Es sollen [. . .] im Zusammenwirken mit externen Dozenten und Mitarbeitern veranstaltet werden: [. . .] Arbeitsgemeinschaften, in denen axiomkritisch die weltan369
EBD., 17. Grundordnung für ein theologisches Studienhaus auf schriftgebundener Grundlage. 22. 1. 74. Maschinenschriftl., hektograph., 3 S., hier 1 (EZA 650/316). 370
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schaulichen und existenziellen – in sich nicht beweisbaren – Voraussetzungen solcher Vorlesungen und Veröffentlichungen hinterfragt werden, die in scheinbar wissenschaftlicher Objektivität die Grundlage des offenbarungsbedingten Glaubens zu zerstören drohen.“371 Maßgebliches Anliegen des Studienhauses allerdings war es, Theologiestudenten und Missionsmitarbeiter „zu einer geistlichen Gemeinschaft des Lebens, Betens und Forschens zusammen[zu]führen“372. Der Gemeinschaftscharakter der Unternehmungen, die sich vom akademischen Theologiestudium abgrenzten, war und ist sehr ausgeprägt. Die Stärke, aber auch die Gefahr, bestand in dem Kommunitätscharakter solcher Konzepte, da sowohl der Geborgenheitswunsch – besonders in der am Anfang des Studiums neuen und fremden Welt der Universität – der Mitglieder der Gruppe befriedigt wurde als auch die Kontrolle der Gruppe über den Einzelnen gegeben war, die bis zu strengen Reglements des Privatlebens reichen konnte.373 Wurde der Balanceakt zwischen eigener Profilbildung und Offenheit zur Umwelt nicht bewältigt, drohten diesen Kommunitäten die meist nicht reflektierte Selbstghettoisierung, die wiederum letztlich nicht nur das christliche Anliegen torpedierte, sondern zu seelsorgerlich und psychologisch äußerst problematischen Situationen hinsichtlich des Drucks auf die eigenen Mitglieder führen konnte. Die umfangreichen Aktensammlungen der lippischen Landeskirche zur Bibelschule Brake oder der badischen Landeskirche zur Bibelschule und Lebenszentrum Adelshofen bieten einige Fälle, die sowohl seelsorgerlich als missionarisch in den Grenzbereich des Psychopathologischen fallen. Hinzu kamen die Reibungspunkte zwischen Gemeinden und den Bibelschulen vor Ort. Die zahlreichen Beschwerdebriefe von Pfarrern aus Gemeinden, die von der Mission dieser Schulen betroffen waren, sind ein Indiz für die komplikationsreichen Auseinandersetzungen an der Basis, in die die Landeskirchenleitungen zumeist schlich-
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EBD., 3. EBD., 1. 373 So ist in der Lebensordnung des Bengel-Hauses von 1974 festgehalten, es werde nicht nur „geschätzt, wenn sich [die Bewerber für die Aufnahme in das Studienhaus] als Glieder ihrer Gemeinde oder einer christlichen Gemeinschaft bewährt haben“, sondern es hieß auch, dass von „jedem Bewerber [. . .] ein Leben in Gehorsam gegen die Gebote Gottes erwartet [wird]. Dazu gehört Selbstzucht in jeder, auch in geschlechtlicher Beziehung.“ (EBD., 3). In der Form der Selbstverpflichtung von 2010 heißt es: „Wir halten an der Unantastbarkeit und Unauflöslichkeit der christlichen Ehe als einer von Gott gegebenen Lebensordnung fest und treten für ihre Bewahrung und ihren Schutz ein. Deshalb pflegen wir einen verantwortungsvollen Umgang zwischen Mann und Frau und warten mit dem Geschlechtsverkehr bis zur Eheschließung.“ (SELBSTVERPFLICHTUNG). 372
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tend eingriffen. Auch in den öffentlichen Fokus gerieten die Bibelschulen durch verschiedene selbstverschuldete Probleme.374 Trotzdem verstärkten sich seit Mitte der 1980er Jahre die Bemühungen innerhalb der evangelikalen Bewegung, die Studienbegleitung der Studierenden an den Theologischen Fakultäten zu intensivieren. 1981 war die „Studienstiftung ‚Kein anderes Evangelium‘“ auf Grund einer hohen Privatspende gegründet worden. Stifter war die B KAE, die das Kuratorium der Stiftung bestimmte. Roger J. Busch weist in seiner Arbeit über die B KAE dezidiert darauf hin, dass die Stiftung in Detmold als „weltliche“ Stiftung eingetragen wurde, um sie dem Zugriff der Kirche zu entziehen.375 Um 1986 begann die B KAE, nachdrücklich für die Stiftung zu werben und deren Arbeit zu unterstützen. Eine Schlüsselstellung hatte hier die schon erwähnte Tagung in Krelingen sowie ein Gespräch zwischen Vertretern der evangelikalen Bewegung und Verantwortlichen der Theologenausbildung im Juni 1986 in Stuttgart.376 Da in den 1980er Jahren zunehmend das Problem der Überalterung und des fehlenden Nachwuchses in den eigenen Reihen zutage trat, besonders in der Hauptträgergruppe der evangelikalen Bewegung B KAE, liegt die Vermutung nahe, dass es sich bei dem starken Engagement für die Theologiestudierenden im wesentlichen um einen Akt der eigenen Nachwuchsrekrutierung handelte. Dieser allerdings wurde nach wie vor mit dem Argument legitimiert, die Gemeinden litten unter einem Mangel an bibeltreuen Pfarrern bzw. einem Überhang an ungläubigen. In den süddeutschen Landeskirchen – das ist ohne empirische Grundlage allerdings nur unter Vorbehalt anzumerken – scheint es tatsächlich Laien gegeben zu haben, die dieses Argument bedienten. Allerdings ist hier die Sachlage schwierig herauszukristallisieren, da es sich oftmals um die nicht ungewöhnliche Kritik am neuen Pfarrstelleninhaber vor dem Hintergrund des geschätzten und gewohnten ausgeschiedenen Pfarrers handeln dürfte. Auf jeden Fall wurde diese 374 So z. B. 1994 das Geistliche Rüstzentrum Krelingen, dem auf Grund ausgesprochen unübersichtlicher Finanzbuchhaltung Steuerhinterziehung vorgeworfen wurde (WAHRE WUNDER). Der Vorwurf der Steuerhinterziehung wurde letztlich nicht aufrechterhalten, aber das finanzielle Missmanagement war in der Tat gegeben. Es ist generell ein bemerkenswerter Umstand, dass in relativ hohem Maße besonders in den jungen Trägergruppen der evangelikalen Bewegung der ökonomischen Planung und akkuraten Verwaltung der Finanzen keine besonders große Aufmerksamkeit gewidmet wurde, so dass es hin und wieder zu derartigen Unfällen und Krisen wie in Krelingen kam. Dieser Tatbestand spiegelt einmal mehr die Mentalität innerhalb der institutionell und organisatorisch ungebundenen Form der evangelikalen Bewegung wieder. Das Anliegen war nicht die Beschäftigung mit den basalen Elementen des Vereinslebens, sondern so idealistisch ausgerichtet, dass die „Belange der Welt“ mit ihren formalen und juristischen Aspekten vollkommen aus dem Blick geraten konnten. 375 BUSCH, Einzug, 233. 376 KOMMENTAR: NOTWENDIGE ALTERNATIVE, 4.
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vorausgesetzte Situation von Vertretern der evangelikalen Bewegung für die ganze Bundesrepublik veranschlagt. Im Sommer 1986 sorgte in der württembergischen Landeskirche ein Aufruf der „Studienstiftung ‚Kein anderes Evangelium‘“ für Aufsehen, in dem es eingangs hieß: „Wer wird unser Pfarrer werden? So fragen uns viele Gemeinden: ‚Können Sie uns einen Pfarrer vermitteln, der uns das biblische Evangelium verkündigt?‘ ‚Unsere Pfarrstelle wird bald frei. Bitte helfen Sie uns! Wir suchen einen Pfarrer, der uns klar und lebensnah Gottes Wort predigt.‘ ‚Was können wir tun, damit wir einen bibeltreuen Pfarrer bekommen?‘ Das sind brennende Fragen, denn [. . .] mit der Frage ‚Wer wird unser Pfarrer?‘ entscheidet es sich für viele Menschen: ‚Wird mir die Tür zur ewigen Rettung, zum Frieden mit Gott geöffnet – oder verschlossen?‘“377 Im Gegensatz zu früheren Zeiten sei es nun Sache der mündigen Christen, der Gemeinde Jesu, „Lehre und Leben an der Schrift zu prüfen“ und sich nach Eph. 4,11–16 nicht von jedem Wind der Lehre umtreiben und durch Namen und Titel irre machen zu lassen. Nicht jeder dürfe die Heilige Schrift auslegen, „wie er es will oder wie es der Modeströmung entspricht“: Richtschnur sei, „wie die Reformation in ihren Bekenntnisschriften die Bibel auslegte“.378 Auch die Landeskirchenämter, so hieß es, klagten über den Mangel an bibeltreuen Pfarrern. Die Ursache dafür liege im Studium: „Man sieht es an vielen jungen Leuten, die aus der Gemeinde ins Studium gingen. Als sie zurückkamen, waren sie oft kaum wiederzuerkennen. Sie waren verändert und suchten nun in die Gemeinde zu verändern. Was sie sagten, klang zwar noch fromm, aber dahinter standen andere Antworten und Ziele. Bald mußte man vor ihnen warnen, und schweres Leid kam oft in ihre Familien und in die Gemeinde.“379 Unter der Frage „Was läuft verkehrt?“ konstatierte der „Aufruf“, dass man in der „Ausbildung zum Pfarrer [. . .] die Schrift weithin nur als historischen Quellentext“ verstehe: „Man prüft und beurteilt sie so, wie es zur Zeit für richtig gehalten wird. Man stellt kritisch die Frage, wie es da steht, aber man läßt seine eigene Kritik an der Bibel nicht von der Bibel selbst in Frage stellen. [. . .] Die Kirchenleitung erkennt solche Ausbildung an“ und hoffe, „daß der Alltag der Gemeinde die verkehrte Einstellung aus dem Studium zum Guten verändert. Aber zu oft geschieht das Gegenteil: dies verändert die Gemeinde und bringt sie auf den falschen Kurs.“ Es sei klar, so die wei-
377 Aufruf. Studienstiftung „Kein anderes Evangelium“. Gez. der Vorstand: Pastor Sven Findeisen, Neumünster, Vorsitzender, Pastor Burghard Affeld, Osnabrück, Dozent Rolf Hille, Stuttgart, gez. für das Kuratorium: Pastor Rudolf Bäumer, Rahden, Vorsitzender. O. O., [Frühjahr 1986]. Drucksache, 11 S., hier 1f. (LKAS K2, Nr. 110). 378 EBD., 3. 379 EBD., 4.
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tere Information, dass man Glauben nicht auf der Universität lernen könne wie Physik und Mathematik, denn Glaube sei Gottes Geschenk. Aber man könne „Menschen zum Glauben weisen. Das sollte gerade in der Ausbildung an den Studenten geschehen, – auch auf der Universität. Aber wie dort ein Mensch zum Glauben gewiesen werden kann, so kann er auch vom Glauben abgebracht werden.“ Die „Lehrer“, die letzteres verursachten, wüssten oft nicht, was sie tun und wollten möglicherweise das Gegenteil, „aber wer das Wort Gottes durch die eigene kritische Brille liest, der wird bald zum blinden Blindenleiter.“ Trotzdem sei „es gut, wenn ein zukünftiger Pfarrer an der Universität, mitten im Brennpunkt der Anfechtung, ausgebildet wird und nicht abgeschirmt in einem ‚Treibhaus‘. Wenn er in der Anfechtung bewährt ist, kann er der Gemeinde zur Bewährung dienen.“380 Angesichts der „Schuld“ der „bibelkritischen Haltung“ rief nun die Studienstiftung zur Bildung eines Freundeskreises auf, der in Verbindung mit bereits erfolgten Initiativen wie dem Bengel-Haus, dem Rüstzentrum Krelingen, dem Theologischen Konvent der KBG und anderen die örtlichen und regionalen evangelikalen Trägerkreise der Studiumsbegleitung mit Spenden und Mitgliedsbeiträgen unterstützen solle.381 Da dieser Aufruf den Eindruck erweckte, die Studienstiftung vermittle im Gegensatz zu den Landeskirchenämtern „bibeltreue Pfarrer“ an die Gemeinden, richtete Johannes Georg Stockburger, Mitglied der Landessynode und Dekan des Kirchenbezirkes Neuenstadt am Kocher, zusammen mit zehn weiteren Unterzeichnern und Unterzeichnerinnen eine formelle Anfrage an den Oberkirchenrat, ob die Landeskirchenleitung keine bibeltreuen Pfarrer in ihren Dienst aufnehme, wie sie einer „Stellenvermittlung“ dieser Art entgegen zu treten gewillt sei und ob es dem Studienleiter des Pfarrseminars, Rolf Hille, der gleichzeitig Vorstandsmitglied der Studienstiftung war, gestattet sei, eine solche Stellenvermittlung zu betreiben.382 Darauf reagierte der württembergische Gesprächskreis „Lebendige Gemeinde“ mit einer Stellungnahme, in der hervorgehoben wurde, der „Aufruf“ der Studienstiftung spreche an keiner Stelle von einer Stellenvermittlung, die Frage nach bibeltreuen Pfarrern sei in nicht wenigen württembergischen Gemeinden virulent (und sei durchaus nicht von einem grundsätzlichen Misstrauen gegen Pfarrer geprägt, sondern oft ein Hinweis
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EBD., 4f. EBD., 6–11. 382 Brief von Johannes Georg Stockburger, Dekan, an den Evang. Oberkirchenrat, über den Herrn Präsidenten der Württ. Evang. Landessynode, Betr.: Förmliche Anfragen an den Oberkirchenrat bezüglich Pfarrstellenbesetzungsverfahren, vom 27. 5. 1986. Maschinenschriftl., 1 S. (LKAS K2, Nr. 110). 381
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darauf, dass der Amtsvorgänger die Gemeinde gut „zugerüstet“ habe) und Studienleiter Hille habe in seiner bisher zweijährigen Tätigkeit bewiesen, dass er „zu loyaler Zusammenarbeit im Dozentenkollegium und mit den Vikaren bereit“ sei.383 Diese Stellungnahme wurde von der Synode der württembergischen Landeskirche im Juni 1986 mit 44 zu 38 Stimmen als gemeinsame Stellungnahme angenommen.384 Im Kommentar zu diesen Ereignissen kritisierte „ideaSpektrum“ im August 1986 einmal mehr das Theologiestudium per se: Mit der historisch-kritischen Methode mache sich „der Theologe“ zu einem „richtenden Souverän über die Wahrheit Gottes und unterstellt sie seiner eigenen Kritik. Die Herrschaftshaltung des Theologen, der die historisch-kritische Methode anwendet, ist in jedem Fall überheblich (über das Wort Gottes), gleichgültig, ob er sie in einer radikalen Ausprägung (z. B. Leugnung des Erlösungstodes Christi und der biblisch bezeugten Heilstatsachen) oder in einer inzwischen abgemilderten Form der Beurteilung des biblischen Zeugnisses aus dem menschlichen Gegenwartsbewusstsein heraus (z. B. begrenzte Wunderkritik) anwendet.“ „Der Theologe“ habe die „‚Emanzipation‘ des aufklärerischen Menschen vollzogen“,385 so der „idea“-Beitrag weiter. Spätestens mit der Gründung des „Jungen Bruderrates“386 der B KAE ebenfalls im Jahr 1986 lasse sich erkennen, so Roger J. Busch, dass sich nun „das kirchenpolitische Engagement der Bekenntnisbewegung sich nicht mehr auf Auseinandersetzungen mit wissenschaftlicher Theologie und Kirchenleitung konzentrierte, sondern auf die gezielte Begleitung von gleichgesinnten Theologen.“387 Nachdem der Versuch einer eigenen theologischen Ausbildung sich als ein Engpass bzw. als ein mit großen Schwierigkeiten verbundenes Unterfangen herausstellte, begann man nun die Theologischen Fakultäten zu nutzen, indem dort eine entsprechende Begleitung der Studierenden installiert wurde. In dieser Hinsicht wirkt auch der mit der B KAE nicht unmittelbar vernetzte „Arbeitskreis geistliche Orientierungshilfe“ (AgO). Er entstand aus dem „Studentischen Beirat“ der Krelinger Ausbildungsstätte. Arbeitskonzept ist die Förderung der studentischen Eigeninitiative und die Orientierung in theologischen und Glaubensfragen auf der Grundlage von verbindlichen Formen wie Studien-
Stellungsnahme zur Anfrage des Synodalen Stockburger u. a. betr. „Pfarrstellenbesetzungsgesetz“. Gesprächskreis „Lebendige Gemeinde“. Stuttgart 13. 6. 1986. Maschinenschriftl., hektograph., 1 S. (LKAS K2, Nr. 110). 384 KRITIK AM AUFRUF. 385 KOMMENTAR: NOTWENDIGE ALTERNATIVE, 5. 386 Zu dem „Jungen Bruderrat“ vgl. BUSCH, Einzug, 233f. und NESTVOGEL, Von Studenten. 387 BUSCH, Einzug, 234. 383
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häusern und offenen Gruppenarbeiten, wie Freizeiten, Seminaren, Tagungen und „Theokreisen“.388 Der AgO ist keine feste Organisation, sondern zeichnet sich durch seinen Netzwerkcharakter und die Stärkung der studentischen Eigeninitiativen aus. Organ des AgO ist die 1985 ins Leben gerufene Zeitschrift „ICHTHYS“. Seit der Jahrtausendwende ist eine Initiative des AgO das Netzwerk AgOLA, das gezielt Theologiestudierende auf Lehramt ansprechen soll.389 Die hier in aller Kürze dargestellten Entwicklungen, die keineswegs alle auf dem Gebiet Westdeutschlands existierenden Bibel- und Missionsschulen umfassen, zeigen, wie stark die Bultmannkontroverse, die sich schon bald zur „Theologiekontroverse“ ausweitete, Ausgangspunkt der Gründung von Bibelschulen wurde. Darüber hinaus aber verstärkten diese alternativen Ausbildungsstätten zum universitären Theologiestudium einen Umgang mit Theologie, der die verhärteten Fronten zwischen „bibelgläubig“ und „historisch-kritisch“ bis heute erklärt. Dass diese Frontenbildung im Laufe der Entwicklung für die Identität und damit die Existenz und den Erhalt der alternativen Ausbildungsstätten selbst überlebensnotwendig wurde, ist einer der Umstände, allerdings nicht der einzige, der in dem Verhältnis von Theologischen Fakultäten und alternativen evangelikalen Ausbildungsstätten bis zum jetzigen Zeitpunkt keine Entspannung eintreten lässt.
4.5 Der Bethelkreis Die fünf Jahre währende Geschichte des so genannten Bethelkreises, der nahtlos in die Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“ (B KAE) überging, stellte eine der dynamischsten Phasen der Konzentration evangelikaler Trägergruppen in der Zeit seit 1945 dar, und zwar nahezu unbemerkt von den Landeskirchenleitungen und der EKD. Während man seitens der Führung der evangelischen Kirche sowie der Theologie seit spätestens 1963 ein Abflachen der Bultmannkontroverse konstatierte – ohne dass die theologischen Fragestellungen der Zeit an Relevanz einbüßten –390, und man sich im kirchlichen 388
EBD. PETERS, Leben, 6. 390 Für die 1960er Jahre ist im Gegenteil eine intensive Beschäftigung aller kirchenleitenden Gremien mit den theologischen Ansätzen dieser Zeit zu verzeichnen. Gerade die starke Historisierung und Ethisierung in der Christologie stellte die Kirchen vor Herausforderungen, die sich auch in einer viel stärkeren Hinwendung zur Sozialethik niederschlugen, als es vordem der Fall war, vgl. dazu STRATMANN, Kein anderes Evangelium, 59 und die von ihm genannten Berichte der „Kirchlichen Jahrbücher“ 1960 bis 1964 (STRATMANN, Kein anderes Evangelium, 59, Fußnote 54). Deutlichen Ausdruck fand diese Entwicklung in der Themenstellung und der Konzeption der DEKT, 389
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Leben den neuen Herausforderungen der immer stärker als säkularisiert empfundenen Gesellschaft zu stellen versuchte,391 sammelten sich um den Bethelkreis konzentrisch und in immer schnellerem Tempo alle innerkirchlichen theologiekritischen Gruppen der Zeit. Spätestens seit dem Jahr 1963 wurde der Gedanke einer Bekenntnissynode in Abgrenzung zur „modernen Theologie“ im Vorstand des Gnadauer Gemeinschaftsverbandes erwogen. Fritz Hubmer äußerte derartige Überlegungen in dem Gespräch mit der württembergischen Landeskirchenleitung im Juni 1963.392 Zugleich stand in diesem Gespräch die Absicht der Gemeinschaftsverbände im Raum, eine gemeinsame Bekenntniserklärung abzugeben.393 Um ein gemeinsames Bekenntnis wurde auch im Bethelkreis gerungen. Otto Rodenberg, Hellmuth Frey und Sven Findeisen waren von diesem Kreis mit dem Erstellen eines Bekenntnisses beauftragt worden. Allerdings blieben die Arbeiten schon bald auf Grund der verschiedenen Zielvorstellungen im Ansatz stecken.394 Rodenberg war derjenige, der hinsichtlich eines Bekenntnisses vor Absolutsetzungen warnte: „Ich bin überzeugt, daß das Bekenntnis, wie es heute einmal nötig werden könnte, nicht ein Summarium aller christlichen Lehren in sich zu enthalten hat, sondern in möglichster Konzentration die gefährdete Stelle zu markieren hat, an der Scheidung wirklich nötig ist. [. . .] Und für diese Stelle halte ich [. . .] die Christologie, und nicht anderes.“395
die sich nun nicht nur stärker „unterhaltenden“ Arbeitsmethoden im Gegensatz zu dem „Frontalunterricht“ der 1950er Jahre zuwandten, sondern mit den „Losungsstichworten ‚Konflikte, Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit‘ Themenstellungen [markierten], die auch explizit gesellschaftspolitisch gelesen werden können“ (SCHROETER-WITTKE, Kirchentag, 217). 391 Auf Grund der zunehmenden Wahrnehmung eines Anschlussverlustes der verfassten Kirche an die moderne Welt und eines Auseinanderklaffens von Kirche und Gesellschaft wurde seit Anfang der 1960er Jahre in den verschiedensten Gremien der westdeutschen evangelischen Landeskirchen verstärkt über Kirchenreformen debattiert und diese (teilweise schleppend) auch durchgesetzt (vgl. KAMINSKY, Reformversuch, 77). 392 [Protokoll des Gespräches zwischen Landeskirche und Gemeinschaften am 24. Juni 1963], gez. M[etzger]. 12. Juli 1963. Maschinenschriftl., vervielf., 5 S., hier 4 (LKAS A 126, Nr. 1177, 176–179). 393 EBD., 3. 394 Findeisen referierte in einem Brief an Tegtmeyer diese Probleme recht ausführlich und kam zu dem Resümee: „Das Schwerwiegendste scheint mir zu sein, daß ich den Eindruck habe, daß wir noch nicht so weit zur Erkenntnis der eigentlichen Scheidung des Geistes Gottes herangewachsen sind, wie es für ein Bekenntnis in unserer Stunde nötig ist.“ (Briefdurchschlag [Sven] Findeisen an Pastor Paul Tegtmeyer vom 2. 5. 1963. Maschinenschriftl., 3 S., hier 2 [AEGGK, II: Dienste und Mitarbeit, 6. Betheler Kreis, Nr. 261: Geschichtliches Werden]). 395 Briefdurchschlag von Otto Rodenberg an Helgo [Lindner] vom 9. 11. 1963. Maschinenschriftl., 6 S., hier 5 (AEGGK, II: Dienste und Mitarbeit, 6. Betheler Kreis, Nr. 261: Geschichtliches Werden).
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Der Bethelkreis
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Mit der stagnierenden Arbeit an der Formulierung eines Bekenntnisses trat eine gewisse Lähmung im Bethelkreis ein,396 die durch zwei Umstände aufgebrochen wurde: einerseits durch das Hinzustoßen weiterer Gruppen, vor allem des Gnadauer Gemeinschaftsverbandes zum Bethelkreis, andererseits durch das Ausscheiden der Pfarrer-Gebets-Bruderschaft (PGB), deren Vertreter von öffentlichkeitswirksamen Aktionen abrieten und die „stille“, kontinuierliche Arbeit an der eigenen theologischen Positionsbestimmung bevorzugten. Beide Ereignisse trieben die Entwicklung dynamisch in Richtung des evangelikalen Protestes, der sich 1966 entfalten sollte. Die Kriterien der „Sammlung“, d. h. der Konzentration der Protestierenden, sowie des Aktionismus vor der Öffentlichkeit als Spezifika einer sich bildenden Protestbewegung waren damit gegeben. Paul Tegtmeyer schrieb im Oktober 1963 an Wilhelm Busch, im Bethelkreis seien fünf Strömungen und Gruppen vertreten: 1. die Pfarrergebetsbruderschaft durch Hermann Risch und Otto Rodenberg, 2. der Gnadauer Verband durch Hermann Haarbeck, 3. die Evangelische Gesellschaft durch Heinrich Jochums, 4. die Gruppe um Gerhard Bergmann und Paul Deitenbeck, 5. Freikirchler wie Rolf Brockhaus und 6. Pietisten wie Wilhelm Busch oder Paul Tegtmeyer.397 Diese Aufzählung evoziert mehr Statik in der Zusammensetzung des Kreises, als in den Jahren 1961 bis 1964 vorherrschte. Hermann Haarbeck stand zwar in Kontakt mit Mitgliedern der Gruppe, suchte aber erst im Laufe des Jahres 1963 gezielt eine Anbindung an den Bethelkreis. Heinrich Jochums war äußerst umstritten in den Gemeinschaftskreisen und gehörte selbst zu keinem Zeitpunkt direkt zum Bethelkreis. Die PGB trat im Dezember 1963 aus dem Kreis aus, wobei hier eine gewisse Schwierigkeit in der Verallgemeinerung liegt: Einige Mitglieder des Bethelkreises, die auch weiterhin an vorderster Front den Kreis vertraten, waren Mitglieder, sogar im Vorstand der PGB, wie z. B. Hellmuth Frey. 4.5.1 Die Pfarrer-Gebets-Bruderschaft und der Bethelkreis Die Konflikte zwischen Otto Rodenberg und den führenden Köpfen des Bethelkreises, speziell mit Hellmuth Frey, spitzten sich im Sommer und Herbst 1963 zu. Im Dezember 1961 war Rodenberg das erste Mal zu einem Treffen des Bethelkreises in Bad Salzuflen eingeladen worden. Bereits bei diesem Tref396 Brief von Otto Rodenberg an die Brüder [Theodor] Brandt, [Hellmuth] Frey, [. . .] vom 15. 10. 1963. Maschinenschriftl., vervielf., 1 S. (AEGGK, II: Dienste und Mitarbeit, 6. Betheler Kreis, Nr. 261: Geschichtliches Werden). Rodenberg sah die Lösung darin, neue Mitglieder zum Bethelkreis hinzuzuziehen. 397 STRATMANN, Kein anderes Evangelium, 43f.
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fen konzentrierte sich die Diskussion um die Frage, die später zum Zerwürfnis von Rodenberg mit seinen Kampfgenossen im Bethelkreis führen sollte, ob mit der Offenbarung nun die Schrift oder der inkarnierte Christus gemeint sei.398 Rodenbergs drei Thesen wurden Grundlage des Gesprächs mit den Ratsvertretern im Januar 1963 in Hannover. Als Tegtmeyer aber das Konzept seines Hirtenbriefes im März 1963 dem Kreis und einigen weiteren Personen und Gruppen zur Diskussion vorlegte,399 stieß der Entwurf nicht nur bei jüngeren Mitgliedern des Jugendbundes für Entschiedenes Christentum (EC) auf Widerspruch,400 sondern vor allem bei Rodenberg. Auch der Vorstand des PGB, dessen Tätigkeitsschwerpunkt zu diesem Zeitpunkt stark auf der theologischen Arbeit mit Theologiestudierenden lag, sah den Brief kritisch, da er nur eine „Verhärtung der Fronten“ mit sich bringe.401 Allerdings reichte den Initiatoren des Briefes durchaus der Effekt, den der Brief erzielen konnte (und zwar gerade nicht bei seiner Adressatengruppe), wie Brandt in einem Brief an Arno Haun, dem Vorsitzenden des Deutschen Gemeinschafts-Diakonieverbandes und 2. Vorsitzenden des Gnadauer Gemeinschaftsverbandes, mitteilte: „Und wenn sich manche Theologen ärgern, werden sie hoffentlich erst recht zu einem offenen Gespräch kommen und nicht in ihrem Versteck verharren, wie das so häufig ist.“402
398 Briefdurchschlag von Otto Rodenberg an Helgo [Lindner] vom 9. 11. 1963. Maschinenschriftl., 6 S., hier 1 (AEGGK, II: Dienste und Mitarbeit, 6. Betheler Kreis, Nr. 261: Geschichtliches Werden). 399 [Tegtmeyer, Paul:] Ein Brief der Mahnung und Tröstung. . . Maschinenschriftl., vervielf., 6 S. (AEGGK, II: Dienste und Mitarbeit, 6. Betheler Kreis, Nr. 261: Geschichtliches Werden). 400 So wurde von einem namentlich nicht genannten, „jüngeren Theologen“, der „aus dem EC“ kam und „und die Hörbereitschaft der jüngeren Generation“ kannte, bemängelt, dass der Brief „einen pastoralen, bischöflichen Klang“ habe und versuche, „einen Hirtenbrief katholischer Prägung nachzuahmen“. Außerdem beklagte der ECler: „Wo ist denn der zuversichtliche Ton, ‚daß Jesus siegt, bleibt ewig ausgemacht?‘ Der Verfasser sieht die einzige Rettung bei uns selber, – dann, wenn wir es wieder richtig machen und nicht versagen. Hier aber steckt meines Erachtens ein gefährlicher Ansatzpunkt! Der Brief ist voller Mahnung, aber wo ist die versprochene Tröstung?“ Der Glaube werde hier wieder nur zum verfügbaren Mittel. Es gäbe doch „auf unserer pietistischen Seite eine objektive Darstellung und eine ernsthafte Resolution durch Brd. Rodenberg [. . .] – warum dann erneut solch eine Aktion mit Unterschriftensammlung?“ (Abschrift Betr.: Brief von Pastor Tegtmeyer. Anlage zu Brief des Direktors des DGD, gez. [Arno] Haun, an Pastor [Paul] Tegtmeyer vom 22. 5. 1963. Maschinenschriftl., 2 S. [AEGGK, II: Dienste und Mitarbeit, 6. Betheler Kreis, Nr. 261: Geschichtliches Werden]). 401 Briefdurchschlag des Direktors des DGD, gez. A[rno] Haun, an Herrn D. Theodor Brandt vom 24. 5. 1963. Maschinenschriftl., 1 S. (AEGGK, II: Dienste und Mitarbeit, 6. Betheler Kreis, Nr. 261: Geschichtliches Werden). 402 Briefabschrift D. Theodor Brandt an [Arno] Haun vom 1. 6. 1963. Maschinenschriftl., 1 S. (AEGGK, II: Dienste und Mitarbeit, 6. Betheler Kreis, Nr. 261: Geschichtliches Werden).
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Denjenigen, die den Brief nicht unterschrieben, da sie ihn als nicht hilfreich empfanden, hielt Brandt entgegen, es müsse auch Alleingänge geben, wenn nur alle das gleiche Ziel hätten: dass Jesus dabei gedient und sein Name bekannt würde.403 Im Sommer und Herbst 1963 kristallisierte sich Rodenbergs Position gegenüber Brandt, Frey und Tegtmeyer deutlicher heraus: Einerseits monierte Rodenberg regelmäßig den massiven „Wortfundamentalismus“ seiner Gesinnungsgenossen, andererseits rieten er und Erich Schnepel vor übereilten „Aktionen“ dringend ab. Der „Sammlung“ der Akteure stand Rodenberg anfangs zögerlich und letztlich ablehnend gegenüber. Seit dem Sommer 1963 bat ihn Wilhelm Busch darum, „das Zusammenrücken der ‚Theologen, die in der heutigen Notlage ein Wort zu sagen hätten‘, in die Wege zu leiten.“404 Rodenberg beschäftigte angesichts dieser Bitte die „brennende Frage“, „ob und in welchem Ausmaß eine solche Sammlung mit der ohnehin nötigen Erweiterung des Betheler Kreises [. . .] gleichläuft und ihr entspricht.“405 Im Bethelkreis erklärte man sich die Frontenbildung damit, dass Rodenberg, ebenso wie Erich Schnepel und Hermann Risch vom PGB, durch ihre Arbeit mit den Theologiestudierenden geprägt waren und von ihrer Wichtigkeit ausgingen und demzufolge ihr Engagement als dominierend gegenüber dem Wirken gegen die „Gewissens- und Glaubensnot der schlichten, ratlosen Laien“ empfänden.406 Diese Wahrnehmung hielt sich auch in der evangelikalen Memoria. So schrieb Hellmuth Frey in seiner kurzen Geschichte der Bekenntnisbewegung mit stark negativer Konnotation gegenüber seinem ehemaligen Kontrahenten Rodenberg, der Hirtenbrief Tegtmeyers sei heftig angegriffen worden „von denen, die zwar über Hermeneutik nachdenken, aber dabei die Übersetzung der theologischen Probleme in die Sprache der schlichten, glaubenden Gemeinde nicht in den Blick bekommen.“ Der Brief habe auch eine „Klärung innerhalb des Bethelkreises selber herbeigeführt und den Kurs von den ergebnislosen Gesprächen unter Theologen fort auf die Sammlung der zerstörten Gemeinde hingelenkt.“407 403
EBD. Brief von Otto Rodenberg an die Brüder [Theodor] Brandt, [Hellmuth] Frey, [. . .] vom 15. 10. 1963. Maschinenschriftl., vervielf., 1 S. (AEGGK, II: Dienste und Mitarbeit, 6. Betheler Kreis, Nr. 261: Geschichtliches Werden). 405 EBD. 406 So Paul Tegtmeyer in einem ausführlichen Brief zur internen Lage des Bethelkreises an Hermann Haarbeck (Brief, gez. Paul Tegtmeyer, an [Hermann] Haarbeck vom 20. 10. 1963. Handschriftl., 7 S., hier 1–3 [AEGGK, II: Dienste und Mitarbeit, 6. Betheler Kreis, Nr. 261: Geschichtliches Werden]). 407 Frey, Hellmuth: Die Geschichte der Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“. 404
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Angesichts des sich aus den Briefwechseln zwischen Rodenberg, Frey, Brandt und Findeisen ergebenden Befundes basierte der „sachliche Gegensatz“ aber keineswegs auf den verschiedenen Arbeitsgebieten der Antipoden, sondern er hatte zwei Ursachen: einmal die theologische Differenz und zum zweiten die verschiedenen Anschauungen über die weitere Arbeitsweise des Bethelkreises. In einem Brief vom 9. November 1963 an den mit ihm befreundeten Tübinger Assistenten Otto Michels, Helgo Lindner, nahm Rodenberg Stellung zu dem Grundsatzkonflikt, den er im Bethelkreis bei dem Verständnis von „Personund Wortfundament“ aufgebrochen sah. In dem Brief, den Rodenberg vervielfältigt an Frey, Brandt, Findeisen und auch an den Präses des Gnadauer Verbandes, der seit Anfang 1963 engeren Kontakt zum Bethelkreis suchte, weitersandte, äußerte Rodenberg, er sehe genau dieses theologische Problem virulent in dem Hirtenbrief von Tegtmeyer und der Eingabe an die Kirchenleitungen von 1961: stets bleibe völlig unklar, ob es sich bei der „Glaubensgrundlage“ der Autoren um den lebendigen Herrn, die Schrift oder gar das evangelische Bekenntnis handle. Er halte dieses ständige Lavieren zwischen diesen Positionen für wenig fruchtbar.408 Indirekt allerdings deute nahezu jede Verlautbarung darauf hin, dass das „Wortfundament“ der Bibel zuungunsten des „Personfundaments“ in Christus dem Kampf vorangestellt werde, d. h. man postuliere den Glauben an die Schrift, nicht den Glauben an Christus. Daraus folge aber, dass aus der Theologie eine Geheimwissenschaft und aus der Bibel ein Geheimdokument gemacht werde, was wiederum in Wechselwirkung zu dem mehr oder weniger offen ausgesprochenen Postulat stehe, nur Wiedergeborene dürften Theologie studieren. Da hätte auch Luther nicht Theologie studieren dürfen, so Rodenberg.409 Es sei der Schrift nicht zu entnehmen, dass darin nur unter Einwirkung des Heiligen Geistes gelesen werden dürfe, ebenso wenig wie die Aussage, die Schrift sei das eigentliche Glaubensfundament. Die Schrift fordere nicht dazu auf, Zeugen der Schrift, sondern Zeugen Jesu Christi zu sein. In dem Zusammenhang monierte Rodenberg: „Die ‚irdenen Gefäße‘ (2.Kor. 4,7) schließlich sind nicht, wie es immer völlig ungerechtfertigt gesagt wird, die biblischen Schriften oder Bücher, sondern die Zeugen Jesu.“ Ihm sei „nahezu unbegreiflich, wie ernstzunehmende Theologen diese Stelle für die sog. ‚Knechtsgestalt‘ der Bibel zitieren können – so etwa auf pietistischer Seite Otto
Vortrag gehalten am 14. Juli 1966 auf der Pfarrerkonferenz in Bethel. Drucksache, 11 S., hier 8 (EZA 2/992). 408 Briefdurchschlag von Otto Rodenberg an Helgo [Lindner] vom 9. 11. 1963. Maschinenschriftl., 6 S., hier 1 (AEGGK, II: Dienste und Mitarbeit, 6. Betheler Kreis, Nr. 261: Geschichtliches Werden). 409 EBD., 2.
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Schmitz in seiner These 22 über den ‚rechten Gebrauch der Bibel‘ oder die Erklärung des Gnadauer Vorstandes vom März 1961 zur Autorität der Heiligen Schrift.“ Bereits Iwand habe „eindringlich darauf hingewiesen, daß der Pietismus von dem Zeitpunkt an im Rückzug war, als er die Wahrheit der Schrift als eine nur dem Glauben zugängliche ansah [. . .]. Es geht dabei doch um die Frage, ob Glauben und Wissen aus verschiedenen Quellen schöpfen, anders ausgedrückt: ob es eine eigene Hermeneutik für die Bibel geben müsse.“ Mit dieser Frage, so Rodenberg, sei aufs engste die „Frage nach der Wissenschaft überhaupt“ verknüpft und an diesem Punkt sehe er „die Hauptnot des Pietismus, dass er diese Frage höchst bequem auf sich beruhen läßt und sich auf die Wahrung seiner Geheimwissenschaft zurückzieht – theologia regenitorum! [. . .] warum schreibe ich dazu so ausführlich? Weil ich hier die Richtung im Tegtmeyerbrief sowohl wie in den geplanten Bekenntnisaktionen sehe, die ich nicht mitgehen kann.“410 Weiterhin beklagte Rodenberg, dass die Fragen, die Ernst Käsemann in seinem Aufsatz „Zum Streit um die Schriftauslegung“ an den Pietismus stelle, ein Recht auf Antwort zukomme. Allerdings sehe die Situation so aus, dass noch am 14. Oktober 1963 bei einem Treffen des Bethelkreises deutlich wurde, „daß Käsemanns Aufsatz kaum bekannt war, und das in einem Kreis, der sich für berufen hält, den Pietismus in seiner heutigen Aufgabe zu vertreten. . .“411 Auch der Umgang mit der Bibel in Form des eklektischen Zitierens, wie er es in seinem Umfeld ständig erlebe, regte Rodenberg zu Kritik an: „Mir ist das am deutlichsten geworden, als ich einmal vom Tonband ein Referat Br. [Peter] Hartigs412 hörte, in welchem er durch Gen. 3 ‚bewies‘, daß die heutige Theologie vom Teufel sei, desgl. dann durch Matth. 4 und die Antithese Schriftgelehrter : Jünger Jesu. Die dann einzig mögliche Folgerung war, daß bereits jedes Gespräch verboten sei, wozu dann wieder Gal. 1, 6f und 2. Joh. 7–11 zitiert wurden.“ Im sei es nicht ärgerlich, dass eine „Analogie der heutigen Theologie zu satanischer Verführung aufgestellt“ werde, sondern „daß dies ohne sachliche Begründung geschieht, und damit die Bibelstelle dazu herhalten muß, die eigene Behauptung zu decken.“413
410
EBD., 3f. EBD., 4. 412 Zu Peter Hartig, Pfarrer in Sittensen und später in der St. Petri Gemeinde der Selk/SELK in Hannover tätig, seit 1968 Vorsitzender der Leiterkonferenz der KS vgl. auch Kap. 6. 2. 4, S. 553. 413 Briefdurchschlag von Otto Rodenberg an Helgo [Lindner] vom 9. 11. 1963. Maschinenschriftl., 6 S., hier 4f. (AEGGK, II: Dienste und Mitarbeit, 6. Betheler Kreis, Nr. 261: Geschichtliches Werden). 411
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Darüber hinaus äußerte Rodenberg seine Missbilligung über die zwischenmenschliche Situation im Bethelkreis, denn „gerade im Betheler Kreis“ habe er „wie selten sonst erlebt, daß Sachfragen nicht anders als qua Personenfragen zu lösen sind. Es ist der Mangel an Seelsorge untereinander gewesen, der auch die Klärung der Sachfragen so erschwert hat.“ Aber gerade das „Ringen um Menschen“ sei „gerade nicht als Verzicht auf Klärung der Sachfragen, sondern als die rechte Methode zu solcher Klärung zu sehen.“414 Die Antwortbriefe von Frey und Tegtmeyer – nur diese beiden antworteten – bezogen sich hauptsächlich auf Rodenbergs Kritik an der Verwischung bzw. dem Voranstellen der Schrift vor der Person Jesu Christi als Glaubensgrundlage. Tegtmeyer hob hervor, dass „Person“ und „Wort“ nicht dasselbe, aber untrennbar miteinander verbunden seien und stellte die Analogie auf, auch einer geliebten Person könne nur durch das Wort mitgeteilt werden, was sie für ihr Gegenüber bedeute. Die Verfasser der Bibel seien nicht Menschen wie alle anderen gewesen, sondern „Sonderbeauftragte“. Jesus identifiziere sich „ungeheuer eindrücklich“ mit dem Wort, das eben dadurch bedingt nur durch den „Heiligen Geist gehört, empfangen, verstanden, angenommen, weitergegeben, erklärt werden“ könne, „durch den und in dem es von den Menschen der Bibel gehört, erfasst, verkündet, niedergeschrieben wurde“.415 Deshalb verstehe es sich in der Praxis von selbst, das, was man in der Schrift nicht verstehe, nicht „gewaltsam aufzubrechen, wie ein törichtes Kind die Rosenknospe aufblättert und zerstört“, das nicht Verstandene zu „vergewaltige[n] [. . .] mit der-Sache-unangemessenenMethoden“, sondern still zu warten, „wann es Gott gefällt, mir das Unerkannte und Unbegriffene zu offenbaren“.416 „Jesus Christus“, so Tegtmeyer weiter, „ohne das vom Heiligen Geist bereitete und gelenkte Wort der Offenbarung und des Zeugnisses wäre für mich nur ein kleiner Abschnitt in einer Darstellung der allgemeinen Religionsgeschichte.“417 Hellmuth Frey, der mit der rhetorischen Wendung „wir (meine Freunde und ich)“ gegen Rodenberg argumentierte, hielt seinem theologischen Gegenpart eingangs vor, dieser fürchte ohne Grund, „dass der Glaube an Christus durch einen Glauben an die Schrift ersetzt werde“, denn „als nach dem Kriege der amerikanische Fundamentalismus daran war sich im deutschen und europäischen Pietismus autoritative Anerkennung zu erobern – da haben wir wider-
414
EBD., 6. Briefdurchschlag [von Paul Tegtmeyer] an [Otto] Rodenberg vom 26. 11. 1963. Maschinenschriftl. u. handschriftl., 4 S., hier 3 (AEGGK, II: Dienste und Mitarbeit, 6. Betheler Kreis, Nr. 261: Geschichtliches Werden). 416 EBD. 417 EBD., 4. 415
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standen unter der Devise: Wir glauben an Jesus und nicht an die Schrift. Die grosse Konzeption einer Einheit von europäischem und amerikanischem Pietismus ging an unserem Widerstand kaputt“ und die Allianz zwischen „den Engländern und Amerikanern auf der einen und den Europäern auf der andern Seite“ wäre damals an dieser Frage zerrissen.418 Rodenberg aber habe Luthers Vorstellung der „claritas der Schrift“ missverstanden, wenn er annehme, die Schrift lasse sich ohne den Heiligen Geist verstehen. Daran anschließend erläuterte Frey das lutherische Verständnis der „doppelten Dunkelheit und doppelten Klarheit“ der Schrift, um abzuschließen: „Aber nie und nirgends behauptet Luther die innere Klarheit der Schrift für den nicht wiedergeborenen Verstand. Luthers claritas der Schrift ist nicht die perspiquitas [sic!] der Orthodoxie. Diese aber läufst Du Gefahr, zu behaupten.“419 Ebenfalls gemäß der Lehre Luthers sei die Unterscheidung zwischen Person und Wort, Offenbarung und Offenbarungszeugnis, aber man dürfe beides nicht auseinanderreißen: „Wir wissen, dass wir die Offenbarung nur im Zeugnis von Ihm haben, Christus uns in der Schrift begegnet.“ Aber auch für Christus gelte dasselbe wie für die Schrift: nur durch den Heiligen Geist ist seine Herrlichkeit erkennbar. Als Kronzeugen für diese Argumentation führte Frey Gollwitzer an. Für Luther, so Frey weiter, „ist das Neue Testament apostolisches Zeugnis, seine Autorität von der Autorität der Apostel getragen [. . .].“420 Die Heilsgeschichte, die untrennbar mit der Schrift zusammenhänge, sei eingebettet in die Geschichte. Deshalb gehörten Geschichte, Geist und Wort Gottes unteilbar zusammen. In dem Sinne könne man auch Kerygma und „Fakten“ nicht auseinander reißen.421 Es sei „typisch für die dialektische und existenzialistische Theologie, das sie dies Geheimnis der Geschichte, der Heilsgeschichte nicht erfasst und darum auch sich gegen die Anwendung des Chalcedonense auf die Heilsgeschichte und das zu ihr gehörige Wort der Schrift wehrt. An diesem Punkt scheiden sich die Geister.“ Deshalb solle sich Rodenberg „aus diesem Kampf gegen die Anwendung des Chalcedonense heraushalten.“422
418 Briefdurchschlag [von Hellmuth Frey] an [Otto] Rodenberg vom 28. 11. 1963. Maschinenschriftl., 4 S., hier 1 (AEGGK, II: Dienste und Mitarbeit, 6. Betheler Kreis, Nr. 261: Geschichtliches Werden). Zu dem getrennten Weg der internationalen und der deutschen bzw. europäischen Evangelischen Allianz zwischen 1947 und 1968 vgl. ausführlich Kap. 3. 3. 1, S. 225–227. 419 Briefdurchschlag [von Hellmuth Frey] an [Otto] Rodenberg vom 28. 11. 1963. Maschinenschriftl., 4 S., hier 2 (AEGGK, II: Dienste und Mitarbeit, 6. Betheler Kreis, Nr. 261: Geschichtliches Werden). 420 EBD. 421 EBD., 3. 422 EBD., 4.
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In seinem Antwortbrief an Frey, den er wiederum Tegtmeyer, Brandt, Haarbeck und Findeisen zukommen ließ, stellte Rodenberg fest, Frey habe ihn in Bezug auf die Verwendung des Begriffs „claritas der Schrift“ bei Luther „nichts neues“ gesagt und im wesentlichen würde er Frey auch zustimmen. Besonderes Interesse habe bei ihm Freys Darstellung erweckt, „daß Ihr 1945ff. dem Einbruch des amerikan. Fundamentalismus widerstanden habt.“ Aber Frey müsste sich an dieser Stelle fragen lassen, „woher es kommen mag, daß einer, der wie ich diese damalige Etappe nicht mehr miterlebt hat, heute so wenig von dieser nötigen Scheidung bei Dir und deinen Freunden erkennen kann. Liegt das wirklich nur an mangelndem Erkennungsvermögen meinerseits? Ist die Redeweise vom ‚ungebrochenen Bibelglauben‘ [. . .] deutlich genug unterscheidbar von einem ‚Glauben an die Bibel‘, den Du doch mit mir ablehnst?“423 Kritisch hinterfragte Rodenberg Freys Aussage, Luther habe das „sola scripura“-Prinzip verteidigt – das sei ebenso ein Erzeugnis der Orthodoxie wie die perspicuitas der Schrift, von der er, Rodenberg, sich distanziere. Des Weiteren frage er, wieso Frey die Zweinaturenlehre in die Heilsgeschichte hineinziehe: „Das Personfundament ist allein Christus. Insofern gehört die Heilsgeschichte, d. h. die Geschichte der Zeugen innerlich zusammen mit der Geschichte der Bibel als des Zeugnisses. Und alles miteinander gehört zum 3. Artikel [des Glaubensbekenntnisses], nicht aber zum 2.“424 Natürlich wisse er, Rodenberg, dass man Christus nur im Wort begegne. Er wolle keineswegs Christus vom Wort trennen bzw. Christus und das biblische Wort in Alternative setzen. „Vielmehr ist in der von mir genannten Alternative gerade auf dem Wortteil ‚fundament‘ der Akzent gesetzt. Dies würde sofort deutlich, wenn man unter Fundament (des Glaubens) das versteht, an das man glaubt. Da gilt dann der Satz ‚Wir glauben an Jesus und nicht an die Schrift‘, den ich zu meiner Freude bei Dir finde. Genau das meint meine Alternative.“ Dass er diese Alternative überhaupt aufstelle, habe „seine Ursache darin, daß, wie oben gesagt, in unserem heutigen Ringen nicht deutlich genug wird, daß wir keine Fundamentalisten sind. Mit der Behauptung dessen ist es nicht getan.“425 Entschieden widersprach Rodenberg Freys Behauptung, die dialektische und existentialistische Theologie würden das Chalcedonense nicht auf die Heilsgeschichte anwenden: genau das Gegenteil sei der Fall. Der frühe Karl Barth hätte 423 Briefdurchschlag von Otto Rodenberg an [Hellmuth] Frey vom 6. 12. 1963. Maschinenschriftl., 3 S., hier 1 (AEGGK, II: Dienste und Mitarbeit, 6. Betheler Kreis, Nr. 261: Geschichtliches Werden). 424 EBD. 425 EBD., 2.
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ein solches Vorgehen „salonfähig“ gemacht, der Existentialismus sei davon voll, wie man bei Heinz Zahrnt und Gerhard Ebeling nachlesen könne. „Wenn wir hier zu einer Klärung und Abwehr der heutigen Bedrohung kommen wollen, ist die Anwendung der Inkarnation u. Zweinaturenlehre auf die Schrift ein untaugliches Mittel. Sie würde uns von der Gegenseite entgegengehalten als bei ihr vollzogen.“426 Resümierend blieb Rodenberg dabei, dass die theologischen Unterschiede in den eigenen Reihen auf die Frage „Wort- oder Personfundament“ hinausliefen: „Man mag von daher einmal vergleichen, wie völlig verschieden G. Bergmanns und meine Folgerungen im Umgang mit der ‚Gegenseite‘ sind. [. . .] Sollte das der Weg des Pietismus sein? Sollte der Pietismus sich lediglich um des gemeinsamen ‚Feindes‘ willen der Gemeinsamkeit mit der Orthodoxie freuen? Die Väter des Pietismus taten es nicht, die Väter des P.G.B. (Modersohn, Thimme u. a.) auch nicht. Ihr Anliegen war damals bei Gründung der PGB 1913, die ‚nur Positiven‘ fernzuhalten, denen man u. U. ferner stehe als den ‚Liberalen‘. . .! Unsere Aufgabe ist es, Jesus als den Christus als alleiniges Fundament des Glaubens zu bezeugen und den modernen Arianismus abzuwehren. Wird dieser Kampf auf die Bibel als Fundament verlagert, wird er verdorben. [. . .] Hier liegen m. E. entscheidende und folgenschwere Weichenstellungen für den weiteren Weg.“427
Die Richtung der Weichenstellung ließ sich schon fünf Tage, nachdem Rodenberg den Brief an Frey geschrieben hatte, deutlich ablesen. Am 11. Dezember 1963 tagte in Bethel der erweiterte Kreis, zu dem auch Hermann Haarbeck eingeladen war.428 Nach den Berichten zur Lage und zwei Analysen der Situation des Bethelkreises von Findeisen und Tegtmeyer kam es zu einer langen Aussprache, zu deren Beginn die bereits von Findeisen skizzierten Fronten innerhalb des Kreises aufbrachen. Hermann Haarbeck, Willi Hennes, Max Fischer, August Spreen, Wilhelm Mundle,429 Rudolf Bäumer und weitere „sahen in der Sammlung des Volkes Gottes unter verschiedener Akzentsetzung das Gebot der Stunde. Die Sammlung wurde bald als Bekenntnissynode (Haarbeck, Hennes u. a.), bald als evangelische Woche (Bäumer), von den Meisten in Gestalt von Glaubenskonferenzen (Tegtmeyer, Brandt, Fischer, Kemner u. a.) vorgestellt“, berichteten Brandt, Tegtmeyer und Frey in einem Rundbrief im Nachgang des 426
EBD. EBD., 3. 428 Das Ergebnis der Besprechungen vom 11. 12. 1963 in Bethel, gez. Sup.i. R. D.Th[eodor] Brandt, Pastor D. P[aul] Tegtmeyer, Pastor H[ellmuth] Frey. Maschinenschriftl., vervielf., 7 S. (AEGGK, II: Dienste und Mitarbeit, 6. Betheler Kreis, Nr. 261: Geschichtliches Werden). 429 Wilhelm Mundle hatte bis 1932 einen Lehrauftrag für Neutestamentliche Zeitgeschichte, Biblisches Griechisch und Textgeschichte an der Universität Marburg inne und wirkte bis 1962 als Pfarrer in Düsseldorf, Duisburg und Boppart am Rhein (MÜHLEK, Mundle). 427
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Treffens. Otto Rodenberg und Erich Schnepel allerdings „sprachen dem Betheler Kreis Daseinsberechtigung und Legitimation zum Handeln ab, warnten vor Defensiv- oder ‚Vermauerungstaktik‘ statt ‚Angriffsstrategie‘ (Fussball), vor Orthodoxie und Fundamentalismus, vor pharisäischer Selbstgerechtigkeit und Kirchenkampfmentalität.“430 Nach dem Mittagessen gab Schnepel eine am 4. Dezember in Marburg auf der Sitzung des PGB beschlossene Erklärung ab, in der der „aktivistische Kurs“ des Bethelkreises abgelehnt wurde. Auf Grund des hochgradigen Aktivismus, wie er sich auf diesem Treffen zeige, kündigte Schnepel die Mitgliedschaft des PGB im Bethelkreis auf. „Die Erklärung brachte eine starke Bewegung in die Versammlung.“431 Schnepel erklärte, dass in den Augen des PGB alle vorgeschlagenen und schon erfolgten Aktionen wie der Hirtenbrief mit Unterschriftensammlung, evangelische Wochen, Glaubenskonferenzen, Bekenntnissynoden usw. „frontbildenes Handeln“ in der Öffentlichkeit seien. Der PGB erachte dagegen die „Stille des seelsorgerlichen Gesprächs“ oder die „wissenschaftliche Diskussion und Schulungsarbeit“ für sinnvoll und sehe die „Gefahr eines neuen Bekenntniskampfes mit seinen notvollen Begleiterscheinungen heraufziehen.“ Dagegen versuchten die anderen Mitglieder des Bethelkreises, so in der Darstellung Brandts, Tegtmeyers und Freys, „zu zeigen, dass wir diese Gefahr erkennen und auf die Geistlichkeit der Waffen unserer Ritterschaft Acht haben wollen, dass aber Beschränkung auf Seelsorge und wissenschaftliche Diskussion uns durch die Verantwortung für die ausgelieferten Kinder verboten werde und wir der verführten Gemeinde ein Wort in der Öffentlichkeit schuldig wären. Wir wollten zwar keine fertigen Programme machen, die Gott vorgreifen. Wir dürfen aber auch nicht Gott im voraus verbieten, uns – wenn er will – auf den Weg in die Öffentlichkeit zu führen, wenn es sein muss und zu seiner Zeit auch zu einer Bekenntnissynode.“432 Im Nachgang zeigte man sich im Bethelkreis dankbar für die „Aufdeckung“ der bis dahin lähmenden Gegensätzlichkeit der Parteien, der „Bewahrung vor ungeistlichem Bruch“ und für die mit dem Austritt der PGB gegebene Möglichkeit der „Selbstbesinnung“. Diese Selbstbesinnung ging schon schnell über in die Frage, welche Aktivitäten man nun anvisieren solle, denn man könne doch nicht abwarten, bis sich nach Jahrzehnten die theologischen Probleme
430 Das Ergebnis der Besprechungen vom 11. 12. 1963 in Bethel, gez. Sup.i. R. D. Th[eodor] Brandt, Pastor D. P[aul] Tegtmeyer, Pastor H[ellmuth] Frey. Maschinenschriftl., vervielf., 7 S., hier 3 (AEGGK, II: Dienste und Mitarbeit, 6. Betheler Kreis, Nr. 261: Geschichtliches Werden). 431 EBD. 432 EBD., 4.
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vielleicht einmal geklärt hätten. In dem Bericht von Tegtmeyer, Frey und Brandt hieß es schon kurz nach der Sitzung Mitte Dezember 1963: Wie z. B. die Verfolgung der Juden im Dritten Reich ein öffentliches Wort der Kirche an Gemeinde und Volk erfordert habe, so verlange die „öffentliche Entstellung von Person, Wort und Werk Jesu von Seiten verantwortlicher Lehrer und Prediger der Kirche auch eine öffentliche Zurechtstellung vor der Gemeinde aus dem Munde ihrer ordinierten Amtsträger. [. . .] Wenn dies als Drang zu ‚Aktionen‘ bezeichnet würde, so würden wir mit Luther meinen, zu solchen Aktionen verpflichtet zu sein.“433 Auch wenn „die Fragen, wie sich Jesus, der lebendige Herr, zu dem papiernen Buche der Bibel verhält, unter uns nicht geklärt [sind]“434, wie Sven Findeisen feststellte, und auch wenn Hermann Risch Anfang 1964 in einem diplomatisch formulierten Brief an Hermann Haarbeck darauf hinwies, dass sich auf einer neuerlichen Tagung mit dem Bischof und mit Theologen in der Akademie Hofgeismar gezeigt habe, „daß nicht einmal die Christologie im ganzen, sondern die Frage nach der Heilsbedeutung des Kreuzes die Differenz am schärfsten [ausmache und somit] die Zeit der Gespräche mit den Kirchenleitungen und unserem theologischen Gegenüber noch keineswegs zu Ende ist [und diese Situation zu] großer Zurückhaltung bei einer in die breite gehenden Polemik [gemahne]“435, begann nun die Planung der öffentlichkeitswirksamen Kampagnen im Bethelkreis. Noch auf dem Treffen am 11. Dezember waren drei Aktionslinien aufgezeigt worden, die es weiter zu verfolgen gelte: 1. Schulungsarbeit an Studenten und Laien, 2. theologische Weiterarbeit an Glaubenssätzen und 3. „gehorsames Zusammenrücken des Volkes Gottes im Ausbau vor-
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EBD., 6. Findeisen, Sven: Kritischer Bericht über die theologische Lage in unserem Bethelkreis – im Blick auf den Weiterweg. O. D. [um den 9. 12. 1963]. Maschinenschriftl., 3 S., hier 3 (AEGGK, II: Dienste und Mitarbeit, 6. Betheler Kreis, Nr. 261: Geschichtliches Werden). 435 Brief von Hermann Risch an Herrn Direktor Hermann Haarbeck vom 10. 1. 1964. Maschinenschriftl., 1 S. (AEGGK, II: Dienste und Mitarbeit, 6. Betheler Kreis, Nr. 261: Geschichtliches Werden). In einem vertraulichen Brief der PGB an den Bethelkreis, der auf eine Besprechung des Vorstandes des PGB im Januar 1965 zurückging, erörterte die PGB nochmals, wie es aus ihrer Sicht zu dem Zerwürfnis mit dem Bethelkreis kommen konnte und betonte, man sehe die öffentlichkeitswirksame Arbeit aufs engste vernetzt mit der „theologischen Kleinarbeit“. Aber „ist der Weg der ‚Proklamation‘, des schriftlichen Aufrufes der richtige? Unsere Sorge ist die, daß wir es uns zu leicht machen könnten.“ Für gemeinsame Gespräche sei man aber jederzeit offen (Vertraulicher Brief der Pfarrergebetsbruderschaft, gez. Heß – Nürnberg, Müller – Düsseldorf, [Hermann] Risch – Großalmerode, [Otto] Rodenberg – Rengshausen, Th[eo] Schnepel – Marburg, an die leitenden Brüder des Betheler Kreises [. . .] vom 4. 2. 1965. Maschinenschriftl., vervielf., 2 S., hier 2 [AEGGK, II: Dienste und Mitarbeit, 6. Betheler Kreis, Nr. 261: Geschichtliches Werden]; vgl. auch STRATMANN, Kein anderes Evangelium, 54f., Fußnote 38). 434
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handener Glaubenskonferenzen und Veranstaltungen neuer, wo sich die Tür auftut.“436 Außerdem wurden die neuen Verbindungen, die man konkret im Blick hatte, benannt: die so genannten „Tersteegen-Ruh-Konferenzen“ (heute „Gerhard-Tersteegen-Konferenzen“), die Ahldener Bruderschaft, die niedersächsischen Lutheraner, die Ahldener Jugendtage.437 4.5.2 Der Gnadauer Verband und die Evangelische Allianz im Verhältnis zum Bethelkreis Im Februar 1963 schrieb Hans Brandenburg,438 Vorstandsmitglied des Gnadauer Verbandes, mit Rückendeckung von Präses Haarbeck an Theodor Brandt, dass man sich im Gnadauer Gemeinschaftsverband hinter die Thesen Rodenbergs bei dem Gespräch mit den Vertretern des Rates der EKD in Hannover stelle und darum bitte, diese „Thesen zur Grundlage eines Wortes an die Gemeinden zu machen und ihnen in einer ihnen verständlichen Sprache die Gefahr der neueren Theologie zu zeigen“439. Darüber hinaus halte man es für notwendig, „daß in absehbarer Zeit eine größere Bekenntnis-Synode einberufen werde, die zur Sammlung derer führen sollte, die am schriftgebundenen Glauben festhalten.“440 Haarbeck ließ diesen Brief in Auszügen für die Vorstandsmitglieder des Gnadauer Verbandes vervielfältigen. Am 23. September 1963 beschlossen die Vertreter der Gnadauer Verbände einstimmig, ein eigenes Aktionskomitee zur Auseinandersetzung mit der „modernen Theologie“ zu bilden. Diesem Aktionskomitee gehörten Lienhard Pflaum, Direktor der Liebenzeller Mission, Missionar Stöckle und Max Fischer an.441 Anfang September hatte Emil Schäf Haarbeck gegenüber geäußert, nachdem in Tübingen Gerhard Ebeling ohne Einsprache der Kirchenleitung Nachfolger von Adolf Köberle auf dem Lehrstuhl für Systematische Theologie gewor-
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Das Ergebnis der Besprechungen vom 11. 12. 1963 in Bethel, gez. Sup.i. R. D.Th[eodor] Brandt, Pastor D. P[aul] Tegtmeyer, Pastor H[ellmuth] Frey. Maschinenschriftl., vervielf., 7 S., hier 4 (AEGGK, II: Dienste und Mitarbeit, 6. Betheler Kreis, Nr. 261: Geschichtliches Werden). 437 EBD., 6. 438 Zu Brandenburg vgl. die Selbstdarstellung „Mein Weg zum Pietismus“. 439 Deutscher Verband für Gemeinschaftspflege und Evangelisation E. V. (Gnadauer Verband), Praeses: Dir. P. [Hermann] Haarbeck an die Teilnehmer der Gnadauer Vorstandssitzung im Februar 1963 auf St. Chrischona vom 18. 2. 1963. Maschinenschriftl., vervielf., 1 S. (AEGGK, II: Dienste und Mitarbeit, 6. Betheler Kreis, Nr. 261: Geschichtliches Werden). 440 EBD. 441 Brief des Leiters der Bahnauer Missions-Bruderschaft Pfarrer M[ax] Fischer an [Hermann] Haarbeck vom 25. 9. 1963. Maschinenschriftl., 1 S. (AEGGK, II: Dienste und Mitarbeit, 6. Betheler Kreis, Nr. 261: Geschichtliches Werden).
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den sei, müsse „nun endlich der Pietismus sein Wächteramt ergreifen und etwas tun [. . .], das Hand und Fuß hat.“442 Schäf schlug eine „pietistische Synode“ vor, die aus einem Kreis von Vertretern Gnadaus, der Studentenmission, der Inneren und Äußeren und der Volksmission bestehen solle. Diese Synode möge einen Arbeitsausschuss bestimmen, der sich mit der geistlichen Lage in Deutschland befasse.443 Haarbeck hielt zwar 442 Brief von E[mil] Schäf an Direktor Pastor Haarbeck, Wuppertal, vom 43.[= 3.]9.1963. Maschinenschriftl., 2 S., hier 1 (AEGGK, II: Dienste und Mitarbeit, 6. Betheler Kreis, Nr. 261: Geschichtliches Werden). Über die Besetzung des Tübinger Lehrstuhls mit Gerhard Ebeling und die Zustimmung der Landeskirchenleitung dazu richteten die württembergischen Gemeinschaften dem Landesbischof mündlich ihr Bedauern aus. In dem Zusammenhang wurde die Bitte einer Einrichtung eines „besonderen Lehrstuhls“ an der Tübinger Fakultät an die Landeskirchenleitung herangetragen, die diese abschlägig beurteilte. Daraufhin kristallisierten sich auch unter den württembergischen Gemeinschaften interne Forderungen heraus: die Schaffung eines theologisch gründlich erarbeiteten pietistischen Bekenntnisses, die stärkere Zusammenarbeit aller „pietistischen Kreise und Gruppen zusammen mit den Pfarrern, die treu zur Bibel stehen“, die Gründung einer eigenen Theologischen Hochschule, da leider „auch die theologische Schule in Bethel nicht mehr das zu sein [scheint], was der Gründer mit ihr bezwecken wollte“ sowie die Förderung „geeigneter junger Theologen (Promotion, Habilitation), um baldmöglichst genügenden akademischen Lehrernachwuchs aus den Reihen des Pietismus zu haben.“ (Brief von Lienhard Pflaum, Liebenzeller Mission, an Direktor [Hermann] Haarbeck vom 5. 10. 1963. Maschinenschriftl., 1 S. [AEGGK, II: Dienste und Mitarbeit, 6. Betheler Kreis, Nr. 261: Geschichtliches Werden]). Die beiden letzten Punkte mündeten letztlich in der Gründung des Albrecht-Bengel-Hauses in Tübingen. 443 Für diesen oder auch zwei zu bildende Arbeitsausschüsse, so Schäf, seien „Männer mit prophetischer Vollmacht zu wählen.“ Der oder die Arbeitsausschüsse hätten „klare Worte auszuarbeiten, wie einstens die Barmer Bekenntnissynode in der Hitlerzeit.“ Wenn er, so Schäf in seinem Brief an Haarbeck weiter, „von der geistlichen Lage und von zwei Ausschüssen rede, so habe ich nicht nur die so unwahrhaftige Theologie im Auge, sondern auch die Lage im Pietismus. [. . .] Wie viel frommes Gesäusel und wie wenig Kraft! [. . .] Aber es müssten diese unsere Fehler, ich wiederhole das Wort, mit prophetischer Kraft und Klarheit herausgestellt und bekämpft werden. Über die Zukunft des Pietismus entscheidet nicht die Theologie, obwohl sie – aus sehr durchsichtigen Gründen – mit allen Mitteln ihn madig zu machen sucht, sondern die Buße bzw. die Kraft Gottes, die darin zur Entfaltung kommt.“ (Brief von E[mil] Schäf an Direktor Pastor Haarbeck, Wuppertal, vom 43.[= 3.]9.1963. Maschinenschriftl., 2 S., hier 2 [AEGGK, II: Dienste und Mitarbeit, 6. Betheler Kreis, Nr. 261: Geschichtliches Werden]). Richard Saur vom Altpietistischen Gemeinschaftsverband, dem Haarbeck den Brief Schäfs weitergeleitet hatte, schrieb daraufhin an Haarbeck: „Es ist nicht unser Weg, durch Unterschriftensammlung und einer Synode unter Führung von Herrn Schäf [. . .] zu den Schwierigkeiten Stellung zu nehmen. Außerdem ist Herr Schäf Repräsentant dieser Arbeitsgemeinschaft [der Evangelisch-Kirchlichen Arbeitsgemeinschaft für biblisches Christentum] und nicht eines an Gnadau angeschlossenen Gemeinschaftsverbands. Wir sollten hier geistlich vorgehen, sonst verderben wir uns alle Chancen, denn die Herren vom Oberkirchenrat und von der Fakultät in Tübingen wissen genau, welche Stellung sie von den Gemeinschaften erwarten können.“ (Brief von Richard Saur an [Hermann] Haarbeck vom 11. 9. 1963. Maschinenschriftl., 1 S. [AEGGK, II: Dienste und Mitarbeit, 6. Betheler Kreis, Nr. 261: Geschichtliches Werden]).
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die Verbindung mit Schäf aufrecht, warnte ihn aber vor Aktionen wie Unterschriftensammlungen und teilte ihm mit, dass der Gnadauer Verband „zunächst Fühlung mit dem ‚Betheler Kreis‘“ aufnehmen wolle.444 Seitens des Bethelkreises reagierte man schnell und positiv auf diese Annäherung der Gnadauer. Für den 14. Oktober wurde ein Treffen anberaumt, zu dem Haarbeck eingeladen wurde und bei dem es um die nächsten Schritte in Richtung der Formulierung eines Bekenntnisses gehen sollte sowie um die Vorbereitung von Glaubenskonferenzen, die engere Vernetzung aller Interessierten, die weitere Verbreitung von Tegtmeyers Hirtenbrief, die Koordinierung der verschiedenen Aktionen, um Zersplitterungen zu vermeiden, und um die Frage, ob fundamentalistische Kreise wie derjenige um Jochums hinzugezogen werden sollten – d. h. es ging um die „Sammlung der Kinder Gottes in breiter Front“.445 Von Jochums und dem Wuppertaler Bekenntnis446 distanzierten sich zu dem Zeitpunkt weite Kreise der Gemeinschaftsbewegung.447 Erich von Eicken, Leiter der Bibelschule „Tabor“ in Marburg,448 schrieb im Oktober 1963 an Haarbeck, er habe in der letzten Zeit bereits dreimal einen Vortrag über die „Bibelkritik und ihre Grenzen“ gehalten und darin eine „Abgrenzung gegenüber der zersetzenden Bibelkritik auf der einen Seite, dem Fundamentalismus auf der anderen Seite [vorgenommen]. [. . .] Insofern sehe [= stehe] ich skeptisch in der Frage nach einem gemeinsamen Vorgehen mit Br. Jochums und verwandten Kreisen. Wir können die Entwicklung der letzten 200 Jahre nicht zurückdrehen.“449 Aber, so auch von Eicken, sei die „ganze Frage, die uns allen auf den Nägeln brennt, [. . .] so schwierig und folgenreich, daß wir nur aus einer großen Einmütigkeit heraus handeln dürfen. Spontane Einzelaktionen schaden nur. [. . .] Ein Hinzuziehen
444 Briefdurchschlag von [Hermann Haarbeck] an Oberstudien-Direktor E[mil] Schäf vom 25. 9. 1963. Maschinenschriftl., 1 S. (AEGGK, II: Dienste und Mitarbeit, 6. Betheler Kreis, Nr. 261: Geschichtliches Werden). 445 Brief von H[ellmuth] Frey an Pastor H[ermann] Haarbeck vom 30. 9. 1963. Maschinenschriftl., 1 S. (AEGGK, II: Dienste und Mitarbeit, 6. Betheler Kreis, Nr. 261: Geschichtliches Werden). 446 Zum Wuppertaler Bekenntnis Jochums vgl. Kap. 4. 4. 2, S. 365. 447 So z. B. Emil Schäf (Brief von E[mil] Schäf an Direktor Pastor Haarbeck, Wuppertal, vom 43.[= 3.]9.1963. Maschinenschriftl., 2 S., hier 2 [AEGGK, II: Dienste und Mitarbeit, 6. Betheler Kreis, Nr. 261: Geschichtliches Werden]). Über das Ausscheiden von Wilhelm Busch, Gerhard Bergmann und Karl Sundermeier aus dem Herausgeberkreis der Zeitschrift „Der feste Grund“, einem Organ der „Evangelischen Gesellschaft“, auf Grund von Zerwürfnissen mit Jochums berichtet HOLTHAUS, Fundamentalismus, 245. 448 Zu Eicken vgl. ZENTGRAF, Eicken. 449 Brief von Dr. theol. Erich von Eicken, Pfarrer, an Präses Direktor Pastor [Hermann] Haarbeck vom 6. 10. 1963. Maschinenschriftl., 2 S., hier 1 (AEGGK, II: Dienste und Mitarbeit, 6. Betheler Kreis, Nr. 261: Geschichtliches Werden).
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freikirchlicher Kreise ist schon wünschenswert und erweitert unser innerkirchliches Ringen zu einem Vorgehen auf der Basis der Allianz.“450 Hiermit liegt ein Dokument vor, in dem die Verbreiterung der Anliegen des Bethelkreises bzw. der theologiekritischen Gruppen in die EA hinein bereits 1963 angedacht wurde. Zumindest durch die Personalunion von Paul Deitenbeck als Mitglied des Bethelkreises und Vorsitzendem der DEA war diese Verbindung schon gegeben. Allerdings bedurfte der Zusammenschluss noch der Vertiefung und Erweiterung, die in den Jahren 1964 und 1965 erfolgte. Die Sitzung am 14. Oktober 1963 in Bethel erfüllte die in sie gesetzten Erwartungen nicht und brachte kaum Ergebnisse hervor, so dass man ein weiteres Treffen in größtmöglichem Kreise am 11. Dezember anvisierte.451 Diese Tagung nun verlief ebenfalls anders, als Haarbeck sich das erwartet haben dürfte: Hier kam es zu dem schon beschriebenen Eklat mit der PGB. Trotzdem lud Haarbeck Rodenberg zur Tagung des Vorstandes des Gnadauer Gemeinschaftsverbandes vom 11. bis 13. Februar 1964 ein, wo Rodenberg gleich zwei Referate hielt, einmal über „Zentralfragen der theologischen Lehrbildungen heute“ und über „Die Erkenntnis des Sohnes“. Wie stark Rodenberg der Ansprechpartner in theologischen Fragen für Haarbeck war, zeigt ein Brief des Präses des Gnadauer Verbandes an Rodenberg vom Oktober 1963, in dem er erstmalig die Einladung an Rodenberg aussprach, da er eine Annäherung von Gnadau und dem Bethelkreis „für beide Teile notwendig“ erachte: Einerseits müssten die Gnadauer „eingehender als es bisher geschehen konnte, über die wirkliche Lage der Theologie unterrichtet werden. ‚Alarm um die Bibel‘ genügt nicht. Bevor wir ernsthafte Schritte tun, müssen wir wissen, was wir zu tun haben.“ Andererseits hätten auch „die verantwortlichen und aktiven Brüder des Betheler Kreises [zu] ‚testen‘, wie weit die bei unserer Vorstandssitzung versammelten Vertreter des schlichten Gemeindeglaubens über ein einfältiges Zeugnis hinaus in der Lage sind, etwas zu bekennen, was irgendwie theologischen Charakter trägt und von dieser Seite ernst genommen werden kann.“ Haarbeck war der Meinung, „diese Konfrontierung zwischen einer positiven gläubigen und schriftgebundenen Theologie und den meist untheologischen Vertretern schlichten Gemeindeglaubens müsse einmal stattfinden, damit wir folgendes entscheiden können: a) kann, soll und darf der Betheler Kreis über den Rahmen schriftgebundener gläubiger Theologen hinausgehen, b) kann, soll und darf der
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EBD., 1f. Briefdurchschlag von [Hermann Haarbeck] an Pastor [Max] Fischer vom 15. 10. 1963. Maschinenschriftl., 1 S. (AEGGK, II: Dienste und Mitarbeit, 6. Betheler Kreis, Nr. 261: Geschichtliches Werden). 451
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Gnadauer Kreis in theologischen Dingen mitreden, von denen er zu wenig versteht?“452 Trotz der inzwischen eingetretenen Situation der offiziellen Trennung Rodenbergs vom Bethelkreis und obwohl Rodenberg auf der Gnadauer Sitzung Haarbeck davon abriet, den Gnadauer Verband enger an den Bethelkreis zu binden,453 setzte Haarbeck auf Grund des Insistierens von Max Fischer durch, dass ein theologischer Beirat des Gnadauer Vorstandes unter Federführung Fischers gebildet wurde, der unter anderem an den Bethelkreis mit der Bitte herantreten sollte, „einen größeren Kreis von Brüdern zusammenzurufen, um die Dinge zu verknüpfen, die im Betheler Kreis bereits durchdacht und beschlossen waren und die uns in Gnadau als Aufgabe gezeigt worden sind.“454 Im Frühjahr und Sommer 1964 wurde es still um den Bethelkreis. Mitte April 1964 erkundigte sich der 2. Vorsitzende des Gnadauer Verbandes Arno Haun sogar beim Vorsitzenden der PGB Erich Schnepel, ob er etwas Neues vom Betheler Kreis gehört hätte – ihn wunderte das lange Schweigen. Haun antwortete der Sohn Erich Schnepels, der Leiter des Diakonischen Mutterhaus Hebron Theo Schnepel, der allerdings auch nichts Genaues berichten konnte.455 Inzwischen kam es auch in einem anderen Lager zu Unmutsbekundungen über die „moderne Theologie“: auf der 14. Allianzkonferenz vom 11. bis 13.
452 Briefdurchschlag [von Hermann Haarbeck] an Pastor Otto Rodenberg vom 21. 10. 1963. Maschinenschriftl., 2 S., hier 1 (AEGGK, II: Dienste und Mitarbeit, 6. Betheler Kreis, Nr. 261: Geschichtliches Werden). 453 Dafür kam man auf der Vorstandssitzung der PGB Ende Februar 1964 überein, das Gespräch mit dem Gnadauer Gemeinschaftsverband aufzunehmen. Gerade Max Fischer wurde von Rodenberg hoch gelobt. Außerdem begann sich seit 1964 im PGB langsam die Erkenntnis durchzusetzen, die letztlich die generelle Frontstellung des PGB gegen die Theologie auflösen sollte, dass nämlich das Problem des Theologiestudiums für die Studierenden nicht in der falschen Lehre, sondern in der Spezialisierung der einzelnen Fächer bestehe, auf Grund derer die Studenten den Weg vom Text zur Predigt nicht mehr finden würden (Rundbrief von Hermann Risch an den Vorstand der Pfarrer-Gebets-Bruderschaft und Protokoll der Vorstandstagung der Pfarrer-GebetsBruderschaft 24.–26. 2. 1964 in Sonneck, Marburg-Wehrda, vom 21. 3. 1964. Maschinenschriftl., hektograph., 4 S., hier 3 [AEGGK, II: Dienste und Mitarbeit, 6. Betheler Kreis, Nr. 261: Geschichtliches Werden]). 454 Protokoll der Vorstandsitzung des Gnadauer Gemeinschaftsverbandes vom 11.– 13. 2. 1964. Hamburg-Altona, den 26. Februar 1964, gez. [Heinrich] Uloth. Maschinenschriftl., vervielf., 10 S. [im Original fehlen S. 1 u. 2], hier 7 (AEGGK, II: Dienste und Mitarbeit, 6. Betheler Kreis, Nr. 261: Geschichtliches Werden). 455 Abschrift des Briefes Diakonnissen-Mutterhaus „Hebron“, gez. Th[eo] Schnepel, an Direktor A[rno] Haun vom 17. 4. 1964. Maschinenschriftl., 1 S. (AEGGK, II: Dienste und Mitarbeit, 6. Betheler Kreis, Nr. 261: Geschichtliches Werden).
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September 1964 trat man entschlossen gegen „zersetzende Bibelkritik“ ein.456 Auch hier begann sich eine Vernetzung auf Grund des ähnlichen Unbehagens an der Theologie abzuzeichnen. Einen konkreten Schritt des Zusammengehens der Allianz mit den theologiekritischen Kreisen stellte das „Bekenntnis zur Heiligen Schrift“ der Europäischen Evangelischen Allianz von 1965 dar, in der gegen den „zunehmenden Einfluß ‚unsachgemäßer Bibelkritik‘“ Stellung bezogen wurde. Auf der Europäischen Allianzkonferenz in Zürich, auf der dieses Bekenntnis entstand, hatten unter anderen Rodenberg, aber auch Samuel Külling über die Problematik der „Bibelkritik“ bzw. der historisch-kritischen Methode referiert.457 Damit war der Wendepunkt der europäischen Allianz in ihrem Alleingang gegenüber der evangelikal dominierten internationalen Allianz markiert: In der Theologiekritik näherte man sich nun der WEF an. Das „Bekenntnis“ der europäischen Allianz wurde in Ermangelung eines zufrieden stellenden eigenen Bekenntnisses 1965 und 1966 als „Glaubensgrundlage“ in deutschen evangelikalen Kreisen häufig zitiert.458 Wie schon an anderer Stelle dargestellt, bezeichnete die westfälische Arbeitsgemeinschaft „Bibel und Bekenntnis“ diese Verlautbarung später als „theologische[n] Mutterboden der Bekenntnisbewegung ‚Kein anderes Evangelium‘“. Als der Bethelkreis mit einer Einladung zu einer Kommissionssitzung im kleinen Kreis am 5. Oktober und zu einer Sitzung in erweiterter Runde am 6. Oktober einlud,459 bot sich das Bild eines bemerkenswerten Schulterschlusses:
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EICHELE, Fragen der Ökumene, 59. HAARBECK, Wachsen, 7. 458 Dazu ist anzumerken, dass in präevangelikalen Kreisen prinzipiell kein Mangel an Bekenntnissen herrschte. Frey zählt in seiner kurzen Geschichte der Bekenntnisbewegung folgende „Bekenntnissätze“ auf: von Lienhard Pflaum für die Liebenzeller Mission, von Pfarrer Fritz Eichin, einem Mitarbeiter Friedrich Hauß’ in Baden, von Friedrich Schindelin, dem Leiter des volksmissionarischen Amtes in der rheinischen Landeskirche, das „Wuppertaler Bekenntnis“ von Heinrich Jochums, das „Wort des Gnadauer Vorstandes“ „Von der Autorität der Heiligen Schrift“ von 1961, von Wolfgang Lehmann im Zusammenhang mit dem losen Diskussionskreis „Frankfurter Gespräche“ (vgl. LEHMANN, Kirche) und 1966 die „Braunschweiger Thesen“ (zu den „Braunschweiger Thesen“ vgl. ausführlich Kap. 6. 1. 3., S. 481–489). Diese Aufzählung fasst recht pauschal sehr verschiedene Protestnoten als „Bekenntnissätze“ zusammen. Hinzu kommt, dass Frey tatsächlich auch ein Bekenntnis „im Bethelkreis (Pfarrer Rodenberg, Direktor Hansen, Pfarrer Findeisen)“ nennt, zu dem es, wie bereits dargestellt, nie kam (Frey, Hellmuth: Die Geschichte der Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“. Vortrag gehalten am 14. Juli 1966 auf der Pfarrerkonferenz in Bethel. Drucksache, 11 S., hier 8 [EZA 2/992]). Insgesamt dürften diese Voten allerdings nicht in vollem Umfang das Bedürfnis nach einem einigenden eigenen Bekenntnis in den evangelikalen Trägergruppen erfüllt haben. 459 Zu dem Treffen in kleiner Runde waren eingeladen: Ernst Achilles, Superintendent in Göttingen, Rudolf Bäumer, Paul Deitenbeck, Sven Findeisen, Max Fischer, Hermann Haarbeck, Peter Hartig, Heinrich Kemner, Wilhelm Mundle, Pfarrer Hans Schäfer aus Karlsruhe und August 457
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Man hatte Walter Künneth als Vertreter des lutherischen Protestantismus zu dem mehrheitlich von pietistisch-erwecklicher Mentalität geprägten Bethelkreis eingeladen und ihn gebeten, über Robinsons Buch „Gott ist anders“ bzw. über das Thema „Auferstehung“ zu sprechen. 4.5.3 Die Koalition zwischen pietistisch geprägten Vertretern der Gemeinschaftsbewegung und Lutheranern Mit seinem Auftritt am 12. Oktober 1964 in Sittensen zu einer öffentlichen Diskussion mit dem Theologen Ernst Fuchs im Rahmen des Evangelischen Lehrertages bestätigte Künneth, was schon im Vorfeld klar geworden war: Hier bestanden Verbindungen in der Haltung gegen die „moderne Theologie“, die eine weitere Koalitionsbildung ermöglichten. Schon 1963 fand der Evangelische Lehrertag in Sittensen mit Referaten von Vertretern der Kritik an der „modernen Theologie“ statt. Vortragende waren Walter Künneth, Otto Michel und der Mainzer Mathematiker Hans Rohrbach, der im Oktober 1962 in Mannheim die „Tage biblischer Besinnung“ mitgestaltet hatte460 und der seit 1967 ein Verbindungsglied zu der Aktion „Sorge um Deutschland“ der Darmstädter Marienschwestern war.461 In der Diskussion im Anschluss an die Referate kam es zu heftigen Auseinandersetzungen unter dem zahlreich erschienenen Publikum und es wurde die Forderung laut, im nächsten Jahr auch die Gegenseite, d. h. Theologieprofessoren zu dieser Veranstaltung heranzuziehen. Daraufhin boten Künneth und
Spreen. Diese Runde bildete 1966 der Kern des Arbeitskreises der B KAE. Es sollte bei dieser Besprechung vor allem um Personalfragen und die Umverteilung der Leitungsverantwortung gehen sowie um eine Aussprache über die internen Differenzen ([Rundschreibendurchschlag] an die Brüder Achilles, Bäumer, Deitenbeck [. . .], gez. Sup. i. R. D. Th[eodor] Brandt, Prof. H[ellmuth] Frey, Pastor D. P[aul] Tegtmeyer, vom 3. 8. 1964. Maschinenschriftl., 1 S. [AEGGK, II: Dienste und Mitarbeit, 6. Betheler Kreis, Nr. 261: Geschichtliches Werden]). Tegtmeyer lud Haarbeck noch einmal in einem persönlichen Schreiben ein, in dem er betonte, dass die Sitzung im kleinen Kreis am 5. Oktober auf jeden Fall „ohne Gäste“ stattfinden müsse, „weil die internen, so schwierigen Fragen unseres Kreises ‚unter uns‘ endlich so oder so zur Klärung kommen müssen. Es würde die Aussprache allzu sehr belasten oder gar fruchtlos machen, wenn ‚Gäste‘ ohne Vorkenntnisse dabei sein würden.“ Besonders bezog sich diese Ausladung auf die drei Vertreter der PGB Rodenberg, Risch und Schnepel, mit denen man in der Zwischenzeit zwar Kontakt pflegte, obwohl deren Austritt aus dem Bethelkreis nach wie vor ihre Gültigkeit hatte, die aber, so der erstgenannte Grund von Tegtmeyer, Rodenberg, Risch und Schnepel nicht dabei haben zu wollen, „fast immer gegen alles waren, was der Kreis unternehmen wollte oder übernahm“. (Brief, gez. Paul Tegtmeyer, an [Hermann] Haarbeck vom 3. 8. 1964. Handschriftl., 4 S., hier 2 [AEGGK, II: Dienste und Mitarbeit, 6. Betheler Kreis, Nr. 261: Geschichtliches Werden]). 460 WENNEMUTH, Geschichte, 575. 461 Zu den Marienschwestern vgl. Kap. 6. 2. 8, S. 583 f.
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Michel ein öffentliches Podiumsgespräch an, für das die Neutestamentler Hans Conzelmann und Ernst Fuchs angefragt wurden. Conzelmann lehnte relativ rasch ab, Fuchs sagte zu,462 so dass es im Oktober 1964 zu dem viel beachteten Gespräch von Fuchs und Künneth in Sittensen kam. Der Bethelkreis wollte sich in die vom Evangelischen Lehrertag organisierte Veranstaltung einbinden und sie mittragen. Wohl nicht zuletzt aus diesem Grund nahm man im Vorfeld Fühlung mit Künneth auf.463 Die Koalition zwischen den niedersächsischen Lutheranern, speziell einzelnen Vertretern der SELK wie Peter Hartig und nun auch Künneth, und dem eher pietistisch geprägtem Bethelkreis stellt eine der eigentümlichsten Vernetzungen im Vorfeld der evangelikalen Bewegung dar, die ohne eine Reduzierung theologischer Grundelemente beider Frömmigkeitsrichtungen zugunsten des gemeinsamen antitheologischen und teilweise antikirchlichen Aktionsbündnisses nicht denkbar gewesen wäre. Der Erlanger Systematiker Walter Künneth, der bis auf seinen Beitrag in der 1952 herausgegebenen Broschüre Ernst Kinders „Ein Wort lutherischer Theologie“ gegen Bultmanns Theologie bis 1964 in den Auseinandersetzungen um die „moderne Theologie“ kaum in Erscheinung getreten war, wie 1966 der Leiter des „Theologischen Ausschusses“ der EKU und spätere Landesuperinten-
462 Das Ergebnis der Besprechungen vom 11. 12. 1963 in Bethel, gez. Sup.i. R. D. Th[eodor] Brandt, Pastor D. P[aul] Tegtmeyer, Pastor H[ellmuth] Frey. Maschinenschriftl., vervielf., 7 S., hier 2 (AEGGK, II: Dienste und Mitarbeit, 6. Betheler Kreis, Nr. 261: Geschichtliches Werden). 463 Der Bethelkreis vertrat schon im Vorfeld der Veranstaltung die Meinung, dass das Gespräch von Fuchs und Künneth am 12. Oktober nicht nur Bedeutung für Niedersachsen habe, „sondern für die ganze Kirche. Unser Kreis ist im Besonderen zum Mittragen gerufen. Wir werden vorbesprechen müssen [auf der Tagung am 5./6.10.], in welcher Form wir diese Verantwortung wahrnehmen können.“ ([Rundschreibendurchschlag] an die Brüder Achilles, Bäumer, Deitenbeck [. . .], gez. Sup. i. R. D. Th[eodor] Brandt, Prof. H[ellmuth] Frey, Pastor D. P[aul] Tegtmeyer, vom 3. 8. 1964. Maschinenschriftl., 1 S. [AEGGK, II: Dienste und Mitarbeit, 6. Betheler Kreis, Nr. 261: Geschichtliches Werden]). In dem Brief an Haarbeck vom 3. August schrieb Tegtmeyer diesbezüglich: „Auf der Zusammenkunft des grossen Bethelkreises am Dienstag, 6. Okt. 64, wird Prof. Künneth mit einem zweiten Vortrag dabei sein. Er will dann über das Thema ‚Auferstehung‘ sprechen. Die öffentliche Disputation Künneth – Fuchs auf der Herbst-Lehrer/Pastoren-Tagung in Sittensen bei Bremen steht bald darauf an. Das ist eine für den ganzen ‚Bethelkreis‘ sehr wichtige Sache. Möglichst viele von uns sollten dabei sein. Und dazu will uns Künneth durch seinen Vortrag in Bethel rüsten. Denn über das Thema ‚Auferstehung‘ soll in Sittensen ‚disputiert‘ werden.“ (Brief, gez. Paul Tegtmeyer, an [Hermann] Haarbeck vom 3. 8. 1964. Handschriftl., 4 S., hier 1 [AEGGK, II: Dienste und Mitarbeit, 6. Betheler Kreis, Nr. 261: Geschichtliches Werden]). Offensichtlich versuchte der Bethelkreis in Kontakt mit Künneth zu kommen und sich damit nicht zuletzt die kritischen Stimmen aus dem Kreis der Lutheraner zu sichern. Zu dem Ablauf der Disputation am 12. Oktober 1964, den jeweiligen Thesen von Künneth und Fuchs und der problematischen Berichterstattung über dieses Ereignis vgl. STRATMANN, Kein anderes Evangelium, 58f.
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dent der lippischen Landeskirche, Fritz Viering, feststellte,464 sollte in den folgenden Jahrzehnten eine der führenden Personen der B KAE werden. Künneth war von 1932 bis 1937 Leiter der „Apologetischen Centrale“ in Berlin, engagierte sich in der Bekennenden Kirche465 und trat 1953 als Ordinarius für Systematische Theologie in Erlangen in die Fußstapfen von Werner Elert. 1969 wurde er Präsident des „Theologischen Konventes“ der B KAE, ein Amt, das er bis 1972 inne hatte und das er an seinen nicht minder einflussreichen Mitstreiter in der B KAE und theologischen Kollegen Peter Beyerhaus übergab. Beyerhaus, Professor für Missionswissenschaft und Ökumenische Theologie in Tübingen, spielte in der Vorgeschichte der evangelikalen Bewegung eine noch geringere Rolle als Künneth. Durch Beyerhaus aber erhielt die evangelikale Bewegung eine Speerspitze in der Konfrontation mit der ökumenischen Bewegung – Beyerhaus wirkte prägend bei der starken Ausrichtung der B KAE auf die Ökumenekritik in den 1970er Jahren. Künneth erhielt ein Jahrzehnt lang die Theologiekritik aufrecht, und zwar im Hinblick auf die Interpretation der Auferstehung Jesu. Er referierte die gesamten 1970er Jahre vornehmlich über das Thema „Auferstehung“, inhaltlich nahezu identisch mit seiner 1933 erstmalig publizierten „Theologie der Auferstehung“, die bis 1982 sechs Auflagen erlebte, und in der er die wortwörtlich zu deutende Auferstehung Jesu proklamierte. Jeder andere theologische Zugang zu dem Thema wurde von ihm massiv abgelehnt. Bei Künneth ist deutlich eine eigentümliche Verhaftung an theologische Positionen der Zeit des Dritten Reiches festzustellen, wie sich beispielsweise an seiner Argumentation gegen Bultmann in dem „Wort lutherischer Theologen“ von 1952 zeigt: Künneths Charakterisierung von Bultmanns „Mythos“-Begriff rückt hier in große Nähe zu Rosenbergs Schrift „Mythus des 20. Jahrhunderts“, gegen die Künneth 1935 eine Schrift mit dem Titel „Antwort auf den Mythus“466 verfasste. Abgesehen von Künneths einfacher lutherisch-theologischer Deutung der Auferstehung – die in der Nähe der Verbalinspirationslehre stand und damit eine Verknüpfung mit „wortgläubigen“ pietistischen Kreisen ermöglichte –, ergab sich ideengeschichtlich zwischen ihm und den eher pietistisch geprägten Vertretern der B KAE eine weitere Parallele: die 464
Bericht über die Arbeit des Theologischen Ausschusses vor dem Rat der Evangelischen Kirche der Union am 3. Mai 1966. [Handschriftl. vermerkt „von OKR Dr. [Fritz] Viering“]. Maschinenschriftl., hektograph., 9 S., hier 3 (EZA 2/996). 465 Künneth spielte im Kirchenkampf eine ambivalente Rolle: trotz seines Engagements in der Bekennenden Kirche (gekoppelt mit einem Schreib- und Redeverbot seit 1937) und der bis ins hohe Alter vertretenen Meinung, die Kirche dürfe keine Politik treiben, teilte er die nationalsozialistische Ideologie in der Frage des Antisemitismus derart, dass sich darüber Zeitgenossen entsetzt äußerten (vgl. GAILUS, Mir aber, 94f.). 466 KÜNNETH, Antwort.
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Abgrenzung gegenüber der Politik und die Kritik einer „politischen Kirche“. Diese hatte Künneth schon 1954 in seiner Schrift „Politik zwischen Dämon und Gott“ in die Schranken einer simplifizierten Zwei-Reiche-Lehre verwiesen: Die Verkündigung der Kirche bezeuge „in den Ordnungen des politischen Lebens eine ganz andere, der politischen Wirklichkeit transzendente Welt Gottes. [. . .] Durch diese ‚unpolitische Predigt‘ der Kirche, die nur die dreifaltige Offenbarung Gottes zum entscheidenden Inhalt und Kardinalthema hat, kommt es zu der so notwendigen Entpolitisierung des Menschen, der von dem ‚Einen, was not ist‘ erfährt und seine Seele nicht an die Mächte des alten Äons verlieren soll, und zu einer Überwölbung der politischen Atmosphäre durch den Anspruch des Reiches Gottes.“467 Dadurch, so Künneth weiter, werde die „unpolitische Predigt“ der Kirche „zu einer echten ‚politischen Predigt‘“, da sie „die politische Welt unter die Verkündigung der christozentrischen Gottesoffenbarung stellt. [. . .] Indem die Kirche Jesu der Welt uneingeschränkt Gottes Willen bezeugt, übt sie den Dienst des Hirten und Wächters, wird ihre Predigt zur ‚politischen Predigt‘.“468 Wie eine solche Theologie dann in der Praxis umgesetzt wurde, zeigt eine von Karl Herbert festgehaltene Episode von der vorzeitig einberufenen Synode der EKD im Sommer 1956, auf der es um die Haltung der EKD gegenüber der von der Bundesregierung anvisierten allgemeinen Wehrpflicht und damit indirekt um eine befürchtete Gefährdung der Wiedervereinigung ging. Künneth hatte im Rahmen der Diskussionen dafür votiert, es könne nicht Sache der Kirche sein, konkrete politische Entscheidungen zu treffen – Kirche müsse Kirche bleiben. Dieses Motto der Bekennenden Kirche gelte heute noch. Gleichzeitig argumentierte Künneth, ohne den Widerspruch zu erkennen, gegen einen Synodalantrag, sich generell gegen die allgemeine Wehrpflicht auszusprechen, denn wenn man dem zustimme, so der ehemalige Leiter der Apologetischen Centrale, sei das ein „glänzende[r] Sieg der Sowjetpolitik hier in der EKD“, was wohl keiner wolle.469 Während die Vorgeschichte der B KAE, so weit sie bislang historiographisch ausgelotet wurde, in der bisherigen Forschung die zutreffende Deutung als Resultat der Bultmannkontroverse erfuhr, ergab sich der Unmut von Teilen der konfessionell-lutherisch ausgerichteten Gegner der „modernen Theologie“, und damit einer weiteren Trägergruppe der evangelikalen Bewegung, aus dem Themenfeld Frauenordination. Das Engagement der seit 1966 gegründeten regionalen „Kirchlichen Sammlungen um Bibel und Bekenntnis“ (KS) gegen die 467 468 469
KÜNNETH, Politik, 574. EBD., 575. HERBERT, Kirche, 242f.
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Frauenordination zeigte deutlich, dass für sie weniger die durch Bultmann aufgeworfenen theologischen Fragen als die Ordination von Frauen Ursache eines Grundsatzkonflikts war. Daher müssen die KS ähnlich wie württembergischpietistische Gruppen als evangelikale Trägergruppen eingestuft werden, sind aber nicht identisch mit der evangelikalen Bewegung Ende der 1960er Jahre und in den 1970er Jahren. Schon seit den 1950er Jahren bildeten einzelne Landeskirchen in Vikarinnenseminaren Frauen aus, 1958 standen etwa 400 „Vikarinnen“ im kirchlichem Dienst, davon 57 in Pfarrstellen, 19 in Gemeinde leitender Funktion und 63 mit selbstständigen Spezialaufgaben.470 1957 wurde in Lübeck die erste Frau ordiniert, ein Jahr später war die Frauenordination in der Pfalz eingeführt. Bis 1991, als Schaumburg-Lippe als letzte deutsche Landeskirche die Frauenordination durchsetzte,471 zogen sich die Debatten um Frauen auf der Kanzel, um die damit verbundene ursprüngliche Zölibatsklausel und die Frage, ob genau 470
SCHATZ-HURSCHMANN, Kleider, 300. Die Verzögerung der Einführung der Frauenordination in Schaumburg-Lippe dürfte einer eigentümlichen Mischung regionaler Frömmigkeitsmentalität und der Haltung des langjährigen Bischofs der kleinsten deutschen Landeskirche geschuldet sein. Joachim Heubach, der 1977 nach Schaumburg-Lippe berufen wurde, nachdem der Kirchenkreis Lauenburg, dessen Landessuperintendent Heubach bis dahin war, erfolglos gegen die Abschaffung seiner Rechte im Zuge der Fusion der schleswig-holsteinischen, lübeckschen und hamburgischen Landeskirchen zur nordelbischen Landeskirche geklagt hatte, trat schon Anfang der 1960er Jahre gegen die Frauenordination ein. Seine in einer Stellungnahme im August 1963 geäußerten Bedenken gegen Frauen im Predigt- und Verkündigungsdienst auf Grund der Tatsache, dass es sich bei der Frauenordination nicht um eine „adiaphorische Frage“ der Kirche handle, sondern um eine grundsätzlich dogmatische (Abschrift der Stellungnahme des Studiendirektors Prof. Dr. Heubach zu der „Erklärung ev.luth. Pastoren zur Frage der Zulassung von Frauen zum Geistlichen Amt“. Eingang der Kirchenleitung Nr. 1098/63 vom 26. 8. 1963. Maschinenschriftl., 6 S. [NEK-Archiv, 98.001 Nr. 118]) räumte er bis zu seiner Emeritierung 1990 nicht aus. Zum Zeitpunkt seines Amtsantrittes in Schaumburg-Lippe gehörte die Ablehnung der Frauenordination zu den Einstellungsbedingungen eines dortigen Bischofs. Im Zusammenhang dieser konsequenten Ablehnung kam es immer wieder zu öffentlichkeitswirksamen Aktionen: 1984 berichtete die „Bild am Sonntag“ davon, dass sich Heubach weigere, in Schaumburg-Lippe Frauen auf die Kanzel zu lassen, da das unbiblisch sei und die Ökumene zwischen Katholiken und Protestanten belaste (DER BANNSTRAHL). 1990 sorgte für Aufruhr, dass die Begründerin einer kirchlichen Frauengruppe aus der Landessynode von Schaumburg-Lippe ausgeschlossen wurde. Nicht ohne gewisse Ironie ist der Umstand, dass 1990 Heubachs Tochter zur Pastorin der nordelbischen Kirche ordiniert wurde (BISCHOFSTOCHTER). Heubach, der seit 1963 Studiendirektor am Predigerseminar Preetz und seit Februar 1970 Landessuperintendent in Ratzeburg war, wies in den 1960er Jahren wiederholt auf die unbefriedigende Situation der Ausbildung als auch der negativen Haltung der Vikare gegenüber ihrem zukünftigen Amt hin (Briefdurchschlag Ev.-Luth. Predigerseminar, gez. [Joachim] H[eubach] an Bischof D. [Reinhard] Wester vom 10. 12. 1966. Maschinenschriftl., 1 S. [NEK-Archiv, 23.02 Nr. 59]). 1968 war Heubach Gründungsmitglied der Bundessammlung KS und bis Ende der 1980er Jahre einer der beiden Vorsitzenden der Bundessammlung (zu Heubach vgl. MEIER, Heubach). 471
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die nicht abgeschafft werden müsse, da dann Ehepaare auf gemeinsamen Pfarrstellen eingesetzt werden konnten, durch die kirchlichen Gremien. Die SELK lehnt Frauen als Pfarrerinnen bis heute ab. Das ist für das hier behandelte Thema insofern von Relevanz, als dass in den KS Pfarrer der SELK tätig waren, wie z. B. Peter Hartig, der Vorsitzende der Bundessammlung KS. Vorbild der KS war die schwedische „Kyrklig Samling kring Bibeln och Bekännelsen“, die in Schweden mit der Staatskirche in einen „Kirchenkampf“ eingetreten war, und zwar ursprünglich in Widerstand gegen die Frauenordination. 1960 waren in Schweden die ersten Frauen ordiniert worden. Dagegen wurde von den Kreisen um die sich bildende „Kyrklig Samling“ ein 17-PunktePapier vorgelegt und gegen die Ordination interveniert, allerdings wurde die Frage um die Pastorinnen als „wahre oder falsche Pastoren“ zugleich als „ein Glied in einem viel umfassenderen Abfall“ identifiziert.472 In den schwedischen kirchlichen Verhältnissen spielte der Kampf um eine Trennung von Staat und Kirche eine große Rolle – eine antikirchliche Haltung konnte in Schweden durchaus von einer Attitüde gegen die staatliche Reglementierung der Kirche motiviert sein. Dieser Umstand wurde von den Gründern und Vertretern der KS in Deutschland allerdings bei ihrer Aversion gegen die evangelische Kirche nicht in Rechnung gestellt. Die Verbindungen deutscher Pfarrer zur schwedischen „Kyrklig Samling“ waren punktuell durchaus eng und es ist an dieser Stelle von einer tatsächlichen Beeinflussung der deutschen evangelikalen Bewegung durch internationale Entwicklungen in ihren Anfangsjahren auszugehen. Allerdings floss die Strömung des Widerstandes gegen die Frauenordination in Deutschland von Anfang an in die sich formierende evangelikale Bewegung ein, so dass sie keine eigenen, inhaltlich weitreichenden Konzepte entwickelte, sondern sich eher an die allgemeine Attitüde gegen die Theologie anschloss – letztlich hatte diese, in der Wahrnehmung der Vertreter der KS, wesentlich zu der Liberalisierung der Kirche in Bezug auf die Ämterfrage für Frauen beigetragen. Die Gründungen der regionalen Gruppen der KS und 1968 des Bundesverbandes der KS stellten organisatorisch ein Äquivalent zur B KAE dar, das sich als speziell „lutherisch“ definierte.473 Im Dezember 1964 sandte Jürgen Diestelmann, damaliger Pfarrer der Heilig-Kreuz-Gemeinde in Salzgitter-Gebhardshagen und späterer Pfarrer von Brüdern (St. Ulrici) in Braunschweig, einen „Bericht von der Kirchlichen Sammlung um Bibel und Bekenntnis“ an seine 472 Rundbrief von J[ürgen] Diestelmann „Warum ‚Kirchliche Sammlung‘?“ vom März 1966. Übersetzung und Abschrift eines Artikels von Erik Petren aus „Kyrka och Folk“ vom Januar 1966. Maschinenschriftl., hektograph., 4 S., hier 4 (LAW, Pa GrD 292). 473 Zu den „Kirchlichen Sammlungen um Bibel und Bekenntnis“ vgl. die ausführliche Darstellung in Kap. 6. 2. 4.
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Amtsbrüder, in dem er unter anderem seine Teilnahme an der Jahresversammlung der „Kyrklig Samling“ im Oktober 1964 in Schweden erwähnte.474 Sowohl in dem gedruckten Bericht als auch in Diestelmanns Begleitbrief betonte er die aktuelle Dringlichkeit der „Sammlung all derer [. . .], die positiv zur Heiligen Schrift und zum Bekenntnis der Kirche stehen.“ In diesem Sinne wollte Diestelmann auch das Versenden seines „Berichtes“ verstanden wissen: „Nicht aus irgendwelchen persönlichen Motiven, sondern aus der ernsten Sorge um die Zukunft der Kirche, die man einmal die ‚Kirche des Wortes‘ genannt hat und in der das Wort GOTTes heute mehr denn je abgewertet wird, möchte ich dazu beitragen, daß die Besinnung, die in Schweden eingesetzt hat, auch bei uns Früchte trägt.“475 Als Mitgründer der KS in Braunschweig 1966 setzte sich Diestelmann dort in erster Linie gegen die Frauenordination ein, wechselte aber schon 1968, als die KS in Braunschweig nahezu in Bedeutungslosigkeit versank, in ihre Bundesversammlung. Der beginnende Kontakt zwischen Bethelkreis und Künneth im Jahr 1964 stellte in der Vorgeschichte der evangelikalen Bewegung allerdings den entscheidenden Schulterschluss zwischen den lutherischen und den pietistischen Kritikern der „modernen Theologie“ dar. 4.5.4 Die Gründung der Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“ als regionale Arbeitsgruppe des Bethelkreises Auf der Sitzung des Bethelkreises am 6. Oktober 1964 wurden die Personalentscheidungen, die auf der internen Sitzung am Abend vorher getroffen worden waren, bekannt gegeben: Die Leitung des Bethelkreises übernahmen Paul Tegtmeyer, Max Fischer, Rudolf Bäumer und Sven Findeisen.476 In der Diskussion über das Verhältnis zur PGB, das sich nicht klar definieren ließ, da im Bethelkreis auch weiterhin Mitglieder des Zentralen Arbeitskreises der PGB, d. h. dem Vorstand der PGB, mitwirkten, wurde deutlich, dass der Bethelkreis nicht mehr davon abzubringen war, den Weg „öffentlicher Aktionen“ einzuschlagen. Zunächst aber sollte der Bethelkreis zu einem „Informationszentrum“ entwickelt werden, das den Austausch zwischen verschiedenen Gruppen, Verbänden
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Diestelmann, Jürgen: Bericht von der Kirchlichen Sammlung um Bibel und Bekenntnis. Drucksache, 3 S. (AEGGK, II: Dienste und Mitarbeit, 6. Betheler Kreis, Nr. 261: Geschichtliches Werden). 475 Rundbrief von J[ürgen] Diestelmann, Pfarrer, [an Herrn Amtsbruder] von Ende Dezember 1964. Maschinenschriftl., vervielf., 1 S. (AEGGK, II: Dienste und Mitarbeit, 6. Betheler Kreis, Nr. 261: Geschichtliches Werden). 476 Bericht von der Sitzung des Betheler Kreises am 6. 10. 1964 in Bethel, gez. [Sven] Findeisen. Maschinenschriftl., vervielf., 5 S., hier 4 (AEGGK, II: Dienste und Mitarbeit, 6. Betheler Kreis, Nr. 261: Geschichtliches Werden).
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und Richtungen über die theologische Situation koordinierte. In diesem Zusammenhang wurde angesprochen, dass der Bethelkreis Verbindungen zu Bibelschulen und „Konferenzen“ aufnehmen müsse. Weiterhin seien „kleine Zellen gemeinsamer theologischer Arbeit zu bilden“. Der Gnadauer Verband erwartete vom Bethelkreis eine Anleitung für das Handeln im kleinen Rahmen.477 Aber nicht nur die Planung weitergehender Vernetzung wurde besprochen – inzwischen hatten die Verbindungen des Bethelkreises in der Tat schon zugenommen: „In den verschiedenen Teilen der Bundesrepublik haben sich bisher Brüder zur verantwortlichen Mitarbeit zur Verfügung gestellt. In jeder Landeskirche sollen einer oder zwei von ihnen als besondere Verbindungsmänner zum Betheler Kreis gelten.“478 Großen Raum nahm auf der Besprechung die Diskussion über einen Gottesdienst oder eine gottesdienstähnliche Kundgebung ein, die in Reaktion auf Künneths Erörterung von Robinsons Buch als dringlich angesehen wurde: Gegen „Gott ist anders“ wollte man mit einem Gottesdienst, in dem es zu einer „Kombination von Darstellung und Antwort“ kommen sollte, öffentlich Stellung beziehen.479 Der erste Gottesdienst dieser Art fand als „Bittgottesdienst“ am 3. Januar 1965 in Ahlden statt, d. h. unter der Regionalhoheit von Heinrich Kemner und der Ahldener Bruderschaft, die auch die Logistik des Unternehmens organisierten. Die Leitung des Gottesdienstes hatte Theodor Brandt inne, Kemner, Tegtmeyer, Fischer und Bäumer hielten jeweils 10minütige Reden, in denen unter anderem das persönliche Versagen im Kampf gegen die Irrlehre bekannt und Vergebung zugesprochen wurde.480 Weitere solche Gottesdienste wurden anvisiert, da man „angesichts der wachsenden Glaubensnot in Beugung und Bitte, in Zeugnis und Bekenntnis treuer wachen und beten“481 müsse. Dabei ging es laut dem Bericht über den Ahldener Gottesdienst in den Bittgottesdiensten „nicht um kämpferische Disputationen und Diskussionen.“ Diese müssten „an anderen Orten und Gelegenheiten auch geschehen. Wir alle bis zu den Kindern in den Schulen aller Art hin werden durch Presse und Rundfunk, in Zeitschrif477
EBD., 3. EBD., 4. 479 EBD., 5. 480 Der „Bethelkreis“: Bericht über den ersten Bittgottesdienst für die Glaubensnot in unserer evangelischen Kirche in Ahlden am 3. 1. 1965, gez. Paul Tegtmeyer, Januar 1965. Drucksache, 4 S., hier 1f. (AEGGK, II: Dienste und Mitarbeit, 6. Betheler Kreis, Nr. 261: Geschichtliches Werden). 481 Rundbrief von Paul Tegtmeyer [an die Brüder] vom Januar 1965. Drucksache, 1 S. (AEGGK, II: Dienste und Mitarbeit, 6. Betheler Kreis, Nr. 261: Geschichtliches Werden). 478
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ten und Sonntagsblättern, in vielen Predigten, Vorträgen, Bibelstunden für die heutige irrige Theologie aufklärerisch bearbeitet. Die Glaubensnot wächst von Tag zu Tag.“ Die Bittgottesdienste allerdings sollten die „Beugung vor Gott unter unser aller Schuld an dieser großen Not sein. Beugung der Herzen bahnt uns und anderen den Weg zu Jesus, der persönlich die Wahrheit und der Weg zum Leben ist. Beten um Erweckung in Kirche und Volk ist Teilhaben am Wirken des Heiligen Geistes, der das Tote zum Leben bringen will.“482 Eine ganz ähnliche „Bußhaltung“, die den Aufruf zu einem veränderten Verhalten implizierte, zeigte die DEA in ihrer Allianzgebetswoche „Ihr seid berufen!“ Anfang 1966. In dem anempfohlenen Schuldbekenntnis für den 3. Januar 1966 hieß es: „Wir bekennen uns schuldig, daß wir uns so oft haben genügen lassen an der Zugehörigkeit zu einer irdischen Organisationsform der Kirche und uns ausgeruht haben auf einer einst geschehenen Bekehrung und den Erfahrungen unserer Jüngerschaft. [. . .] Das Salz ist ‚dumm‘ geworden (Matthäus 5, 13).“483 Für das Schuldbekenntnis des 4. Januars wurde empfohlen: „Wir bekennen uns schuldig, daß wir und die Gemeinde, der wir zugehören, für den Gefährten unserer Ehe, für die junge Generation unserer Häuser und die Berufskollegen wenig anziehend gewesen sind. [. . .] Unsere Gemeinden und Kreise sind vielfach nur nach innen gewandt, statt offen gegenüber der Welt, der wir als zeugnisfrohe Gemeinden dienen sollten. Wir sind träge in der Verantwortung für Volk, Regierung und Weltkonflikte und lassen es an treuer Fürbitte fehlen.“484 Bemerkenswert ist, dass Hermann Haarbeck in seinem Rückblick auf das Jahr 1965 vor dem Hauptvorstand des Gnadauer Verbandes erstmalig von einem „zunehmenden und verwirrenden Pluralismus“ auf dem Gebiet der Theologie berichtete.485 Die Frage sei angesichts des Neben- und Gegeneinanders von Theologen und einzelnen theologischen Richtungen, wie sich die „Gemeinde Jesu in dem theologischen Pluralismus überhaupt noch zurecht[findet]“486, so Haarbeck. War zuvor die theologische Vielfalt auf einige fest umrissene Schlagworte reduziert worden, setzte sich nun langsam die Erkenntnis durch, dass dies eine Pauschalisierung gewesen war. Allerdings stellte der „theologische Pluralismus“ eine ganz ähnliche Herausforderung dar wie vordem die 482 Der „Bethelkreis“: Bericht über den ersten Bittgottesdienst für die Glaubensnot in unserer evangelischen Kirche in Ahlden am 3. 1. 1965, gez. Paul Tegtmeyer, Januar 1965. Drucksache, 4 S., hier 3 (AEGGK, II: Dienste und Mitarbeit, 6. Betheler Kreis, Nr. 261: Geschichtliches Werden). 483 Deutsche Evangelische Allianz: Allianzgebetswoche 1966. Drucksache, unpagn., [2]. 484 EBD., 2f. 485 HAARBECK, Wachsen, 9. 486 EBD., 10.
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„reduzierte Theologie“: Man bekam ihn nicht direkt zu fassen. So klang Haarbecks Fazit angesichts der neu wahrgenommenen Situation ganz ähnlich wie schon zuvor in der Konfrontation mit „der“ Theologie: Die Gemeinschaftsbewegung sei „keiner bestimmten theologischen Richtung verhaftet, aber wir sind gebunden an Gottes Wort. Grund und Inhalt unseres Glaubens ist nicht eine theologische Lehrmeinung, sondern allein Gottes Offenbarung. Daß wir aber Gottes Offenbarung recht erkennen und glauben, dazu bietet uns der theologische Pluralismus unserer heutigen Tage keine echte Hilfe, sondern bereitet uns im Gegenteil viel Not.“487 Es ist immer wieder darauf hinzuweisen, dass die ursprüngliche Unsicherheit der Gemeinschaftsbewegung sowie der Evangelisations- und Allianzbewegung auf Grund der ihr entzogenen Arbeitsgebiete massiv verstärkt wurde durch den Bruch mit der Theologie, die keine Grundlage mehr bot, auf der die Evangelisations- und Missionstätigkeit dieser Gruppen aufbauen konnte. Dass aus dieser Not ganz rasch eine Tugend konstruiert wurde, nämlich diejenige, auf der rechten Seite der Gläubigen zu stehen, ist ein Ergebnis der inneren Dynamik dieses Prozesses. Am 26. April 1965 bildeten die westfälischen Mitglieder des Bethelkreises eine eigene kleine Gruppe, um Spezialthemen ihrer Landeskirche besprechen zu können. Hellmuth Frey behauptet in seinen Erinnerungen, Anlass dieser Gründung seien die Ereignisse des Kirchentages in Köln 1965, speziell der Auftritt Dorothee Sölles gewesen – eine Feststellung, der sich die meisten gegenwärtigen Untersuchungen zur Geschichte der evangelikalen Bewegung, so z. B. die Friedhelm Jungs, anschließen.488 Allerdings leidet diese Geschichtsdarstellung unter dem Problem, dass der Kirchentag erst nach der Gründung des westfälischen Arbeitskreises stattfand, nämlich vom 28. Juli bis zum 1. August 1965. Es ist somit eine rückwirkende Geschichtsprojektion, den evangelikalen Unmut über die Kirchentage bereits so zeitig anzusetzen. Sölles Theologie, die auf das Schlagwort „Gott-ist-tot“ reduziert wurde (analog zu dem Schlagwort „Entmythologisierung“ bei Bultmann), geriet frühestens Ende 1965 bzw. 1966 ins Kreuzfeuer der evangelikalen Kritik. Der Kirchentag von 1965 unter dem Motto „In Freiheit bestehen“ war im wesentlichen geprägt von Überlegungen zu Kirchenreformen und stand im Sommer 1965 seitens der evangelikalen Trägergruppen noch nicht unter dem Verdikt, in der sich die Kirchentage gegen Ende der 1960er Jahre und in den 1970er Jahren befanden. Frey erwähnt in 487
EBD. Frey, Hellmuth: Die Geschichte der Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“. Vortrag gehalten am 14. Juli 1966 auf der Pfarrerkonferenz in Bethel. Drucksache, 11 S., hier 10 (EZA 2/992); JUNG, Die deutsche Evangelikale Bewegung, 98f. 488
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Die Vorgeschichte: Die Bultmannkontroverse und ihre Auswirkungen
der kurzen Geschichte der Bekenntnisbewegung, die auf einen Vortrag vom 14. Juli 1966 zurückgeht, als Auslöser der evangelikalen „Bewegung“ generell „die allmähliche Umgestaltung der Kirchentage aus einem Organ der glaubenden Gemeinde im Dienst der Sammlung der Christen und des missionarischen Zeugnisses vor der Welt zu einem Sprechsaal der pluralistischen religiösen Gesellschaft.“ Der Kirchentag in Köln, so Frey, habe „mit seinen Brecht-Abenden und den Vorträgen Frau Sölles über den Tod Gottes und Professor Kleins mit seiner chemischen Zersetzung der biblischen Beichte [. . .] zu einer Schockwirkung [geführt], die von vielen mit der Sportpalastkundgebung verglichen und als Aufstand gegen Gott empfunden wurde.“489 Dieser Darstellung Freys schlossen sich in Folge viele historiographische Überblicke aus evangelikaler Feder an – so z. B. in nahezu identischem Wortlaut Burghard Affeld und Lutz von Padberg in einer Untersuchung zu den Deutschen Evangelischen Kirchentagen von 1949 bis 1985.490 Auffällig ist, dass bis zu der Äußerung Freys im Sommer 1966 der Kirchentag von 1965 in archivalischen Dokumenten des Bethelkreises weder erwähnt noch kritisiert wurde. Künneth setzte sich schon 1965 mit Sölles Beitrag auf dem Kirchentag auseinander – durch ihn dürfte die generelle Kirchentagskritik in den Bethelkreis eingeflossen sein, und zwar nach dem Kirchentag.491 Die Einzigen, die bereits im Sommer 1965 dem Kirchentag auf Grund seiner „liberalen Grundausrichtung“ fernblieben,492 war eine Gruppe, die erst später mit der evangelikalen Bewegung in Kontakt kam und zu diesem Zeitpunkt mit dem Bethelkreis keine Berührung hatte: die Evangelische Marienschwesternschaft, die die Aktion „Sorge um Deutschland“ (SuD) gründete.493 Im Jahr 1965 trat die westfälische Arbeitsgruppe des Bethelkreises nicht nennenswert in Erscheinung. Ihre historische Bedeutung bestand darin, dass sie am 12. Januar 1966 auf Anregung Paul Deitenbecks den Namen „Bekenntnisbewegung ‚Kein anderes Evangelium‘“ (B KAE) erhielt, denn im Prinzip stellte diese Frey, Hellmuth: Die Geschichte der Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“. Vortrag gehalten am 14. Juli 1966 auf der Pfarrerkonferenz in Bethel. Drucksache, 11 S., hier 10 (EZA 2/992). Zu weiteren Erklärungsversuchen der Entstehung der evangelikalen Bewegung auf Grund von Ereignissen des Jahres 1965 vgl. STRATMANN, Kein anderes Evangelium, 63–66. Stratmann ist teilweise zuzustimmen, dass gegenüber kurzfristig argumentierenden Begründungsversuchen die „Planungen für eine Großkundgebung seit April 1965, also vor dem Kirchentag in Köln, vorangetrieben wurden“ (EBD., 65). Die bisher dargestellten Entwicklungen weisen allerdings darüber noch hinaus: Bereits vor April 1965 und der Gründung des westfälischen Arbeitskreises waren groß angelegte gottesdienstähnliche Aktionen im Bethelkreis angedacht. 490 AFFELD / PADBERG, Umstrittener Kirchentag, 40. 491 STRATMANN, Kein anderes Evangelium, 64, Fußnote 4. 492 BUES, Christwerden, 252f. 493 Zu den Marienschwestern und der Aktion SuD vgl. Kap. 6. 2. 8, S. 583f. 489
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Der Bethelkreis
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Namensgebung eine Umbenennung des Bethelkreises dar: Die Resonanz auf den markanten Namen „Bekenntnisbewegung ‚Kein anderes Evangelium‘“, der das Programm des Bethelkreises ebenso ideologisch präzise wie theologisch unscharf umfasste, war so durchschlagend, dass der Bethelkreis am 21. März 1966 den Namen B KAE annahm.494 Am 21. Januar 1966 lud der Bethelkreis zu einer „Kirchlichen Kundgebung“ in die Westfalenhalle nach Dortmund ein, nachdem Deitenbeck vorgeschlagen hatte, eine Mitarbeiterkundgebung, die für Bochum geplant war, in Dortmunder Westfalenhalle zu verlegen.495 Offensichtlich trug man sich mit der Sorge, das Unternehmen könne doch etwas zu groß angelegt sein, denn am 25. Januar wurden noch einmal Einladungen versandt,496 diesmal unter dem Namen B KAE. Die „Kirchliche Kundgebung“ wurde nun als „Bekenntnisversammlung“ ausgerufen und auf zahlreiches Erscheinen insistiert: „So sehr es uns am Herzen liegt, daß unsere Kirchen, Versammlungen und Zusammenkünfte der Jugend von vielen besucht werden, so sehr wünschen wir, daß die Westfalenhalle voll werde.“497 Am 3. März fand eine vorbereitende Gebetsversammlung in Dortmund im Evangelischen Gemeindehaus Reinoldinum statt. Für die Veranstaltung am 6. März hatte man für das „biblische Eingangswort“ den westfälischen Präses Ernst Wilm gewinnen können,498 für den Vortrag „Kreuz und Auferstehung Jesu
494 BETHELKREIS UND „BEKENNTNISBEWEGUNG“; Bäumer, Rudolf: Die Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“ (WEG UND ZEUGNIS, Bd. 1, 36–40, hier 37f.) 495 EBD., 38. Zu der „psychologischen Überlegung“, diese „Kirchliche Kundgebung“ räumlich zu groß wie möglich anzulegen, um nichts „weniger als kirchengeschichtliche Bedeutung“ zu erlangen, wie Gerhard Bergmann im Nachgang die Verlegung von der Bochumer Ruhrlandhalle auf die Dortmunder Westfalenhalle begründete, vgl. STRATMANN, Kein anderes Evangelium, 67, auch 66f., Fußnote 13. 496 Zu den Einladungsaktionen, die in mehreren Schüben erfolgten, vgl. EBD., 67–69. 497 Rundbrief an alle Gemeinschaften des Vereins für Reisepredigt e. V., an alle Vereine des Kreisverbandes der Siegerländer Jungmännervereine – CVJM, an alle Vereine des Kreisverbandes der Evang. Mädchenkreise im Siegerland, gez. Jokob Schmitt, Präses des Vereins für Reisepredigt e. V., Dr. h. c. Wilhelm Jung, Kreisverband der Siegerländer Jungmännervereine – CVJM, P. G[erhard] Linschmann, Kreisverband Ev. Mädchenkreise, vom 25. 1. 1966. Maschinenschriftl., hektograph., 1 S. (LkA EKvW Best. 0.1 Nr. 475). 498 Wilm hatte unter zwei Bedingungen zugesagt: Erstens, dass sein Auftreten in den Einladungen zu der Veranstaltung an keiner Stelle Anlass gebe zu der Vermutung, er sei Mitorganisator und zweitens, dass die Veranstaltung selbst „nicht polemisch, aber klar“ verlaufe. Rudolf Bäumer sagte Wilm dies zu (Brief Evangelische Martins-Kirchengemeinde Espelkamp, gez. R[udolf] Bäumer, an Präses D. [Ernst] Wilm vom 17. 1. 1966. Maschinenschriftl., 2 S., hier 1 [LkA EKvW Best. 0.1 Nr. 475]). Allerdings erhielt Wilm schon im Vorfeld der Veranstaltung von verschiedenen Seiten beunruhigte Anfragen, inwiefern sein „biblisches Eingangswort“ an der „Bekenntnisfront“ nicht ein falsches Zeichen setzen würde. Für Verwirrung sorgte dabei auch eine Falschmel-
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Die Vorgeschichte: Die Bultmannkontroverse und ihre Auswirkungen
Christi“ Walter Künneth und das „evangelistische Wort“ Paul Deitenbeck.499 Ursprünglich war für die Veranstaltung die Ausgabe von „Bekenner-Kärtchen“ geplant, die unterschrieben und an die Veranstalter zurückgegeben werden sollten, d. h. eine Unterschriftenaktion in größtmöglichem Ausmaß. Diese Aktion begann schon weit im Vorfeld der Veranstaltung im Januar 1966 und wurde auf dringliche Bitte von Ernst Wilm, der auf einer Superintendentenkonferenz am 26. Januar mit Bäumer und Deitenbeck sprach, aufgegeben.500 dung in der „Siegener Zeitung“, in der nicht von der „Bekenntnisbewegung“, sondern von einer „Bekenntniskirche“ die Rede war (Brief von Dr. h. c. Wilhelm Jung an Superintendent [Ernst] Achenbach vom 26. 1. 1966. Maschinenschriftl., vervielf., 1 S. [LkA EKvW Best. 0.1 Nr. 475]). Der westfälische Landesjugendpfarrer Herbert Rösener schrieb an Wilm, zwar sehe auch er bei den Theologen Herbert Braun und Manfred Mezger das Evangelium zu sehr auf Mitmenschlichkeit reduziert, aber in der Theologie sei gegenwärtig „alles im Fluß“ und selbst unter Anhängern von Käsemann und Bornkamm gebe es keine einheitliche Front. Bultmann selbst sei für ihn, Rösener, und seine Altersgenossen „teilweise schon Theologiegeschichte“. Die „Bekenntnisfront“ sei im Übrigen auch nicht einheitlich: „Der Erzlutheraner Künneth und der Erzpietist Deitenbeck – ich darf mich einmal so ausdrücken –, sie unterscheiden sich doch auch in vielen theologischen Aussagen und verbünden sich jetzt nur im Kampf gegen eine als Einheitsfront aufgespielte angeblich moderne Theologie.“ Das Problem bestehe Röseners Meinung nach in der Bildung von Blöcken, die „es so eigentlich gar nicht geben kann. Dadurch wird die ganze aufbauende kirchliche Arbeit, um die wir uns in der Gegenwart mühen, vergiftet. Viele der Unterzeichneten [. . .] weichen nun der wirklichen Auseinandersetzung, in die uns unsere säkulare Welt hineinstellt, aus und flüchten in einen innerkirchlichen Scheinkampf, den wir uns gerade angesichts der Herausforderungen unserer kirchengeschichtlichen Stunde nun wirklich nicht leisten können. [. . .] Das eigentlich beunruhigende an der jüngsten Entwicklung liegt aber in der bewussten Parallelsetzung zum Kirchenkampf, von der Bezeichnung ‚Bekenntnisbewegung‘ angefangen über den Veranstaltungsort Westfalenhalle bis hin zu der Aktion ‚Unterschriftenkarte‘. [. . .] [Ich sage entschieden] nein dazu, die besten Mannesjahre im Kleinkrieg mit der jetzigen Bekenntnisbewegung zu verbringen, zumal im Jugendsektor ein solcher Kampf besonders hart ausgetragen wird. (Deitenbeck sitzt im Vorstand des CVJM). Eine ungute Spaltung muß auf jeden Fall gerade im jetzigen theologiegeschichtlichen Stadium vermieden werden.“ Von einer Versammlung als „Bekenntnisbewegung“ sowie der Unterschriftenaktion solle der Präses dringend abraten und zumindest in Dortmund ganz gezielt gegen eine „Spaltung“ der Kirche sprechen (Brief von Herbert Rösener, Landjugendpfarrer, an Präses [Ernst] Wilm vom 26. 1. 1966. Maschinenschriftl., 3 S., langes Zitat 2 [LkA EKvW Best. 0.1, Nr. 475]). Wilm schrieb Rösener in deutlicher Stellungnahme für die Bekenntnisbewegung zurück: „Sie können den Menschen, die wegen des Zeugnisses von dem für uns Mensch gewordenen Gottessohn, dem für uns gekreuzigt und auferstandenen Heiland, in Unruhe und Sorge gekommen sind und nachdem sie lange gewartet haben, es nun einmal laut sagen uns [= und] sich zu diesem Zeugnis bekennen wollen, nicht vorwerfen, daß sie etwas Unrechtes tun und können sie an diesem Tun nicht hindern.“ (Briefdurchschlag an Herrn Pfarrer [Herbert] Rösener, gez. [Ernst] W[ilm], vom 31. 1. 1966. Maschinenschriftl., 2 S., hier 2 [LkA EKvW Best. 0.1 Nr. 475]). Zu Wilms Haltung zur B KAE und zu Bäumer im Speziellen vgl. ausführlich Kap. 6. 1. 2, S. 466–475. 499 Rundbrief, gez. Paul Tegtmeyer, an den Bethelkreis vom 21. 1. 1966. Maschinenschriftl., 1 S. (AEGGK, II: Dienste und Mitarbeit, 6. Betheler Kreis, Nr. 261: Geschichtliches Werden). 500 Rundschreiben Nr. 7 der Evangelische Kirche von Westfalen – Das Landeskirchenamt –
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Der Bethelkreis
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Gleichzeitig mit der Einladung zu der Veranstaltung und der Bitte um ein Grußwort am 6. März ging Wilm am 11. Januar 1966 eine von 44 Personen unterzeichnete Eingabe zu, den Neutestamentler Willi Marxsen von „seiner Mitwirkung an den theologischen Prüfungen zu entbinden“.501 Aus dem Begleitschreiben Bäumers an Wilm geht hervor, dass diese Eingabe mit Wissen Wilms, wenn nicht gar auf dessen Anregung hin verfasst wurde.502 Lediglich zu vermuten ist, dass Wilm diese Anregung 1961 bei dem ersten Gespräch der Landeskirchenleitung mit dem sich formierenden Bethelkreis über den Ausschluss Marxsens aus der Prüfungskommission formulierte. Damals hatte Frey einen „Offenen Brief“ Bäumers verhindert – für die Eingabe vom Januar 1966 lieferte Frey nun die theologische Grundlegung mit einem Referat, das er im April 1965 auf der Gründungstagung der westfälischen Arbeitsgruppe des Bethelkreises gehalten hatte und das 1966 unter dem Titel „Die Frage nach dem Zeugnis von Jesus Christus heute“ 1966 veröffentlicht wurde.503 Der Hauptvorwurf war hier wie da derjenige, dass Marxsen die Erlösungstat Christi ignoriere. Auf Grund dieser theologischen Absicherung Freys konnte Bäumer in seinem Beibrief an Wilm zusammenfassen: „Die völlige Pervertierung des biblischen Evangeliums in Marxsens Büchern ist eindeutig. Nur wer als oberstes Kriterium kirchlicher Verantwortung nicht mehr die Wahrheit der Lehre, sondern das Streben nach landeskirchlicher Einheit ansieht, wird
Aktz.: C 1 – C 4, gez. i. V. D. [Hans] Thimme, an die Superintendenten der Evangelischen Kirche von Westfalen vom 27. 1. 1966. Maschinenschriftl., vervielf., 1 S. (LkA EKvW Best. 0.1 Nr. 475). 501 Brief des Bethel-Kreises Westfalen an die Leitung der Evangelischen Kirche von Westfalen, z. Hd. Herrn Präses D. [Ernst] Wilm vom 11. 1. 1966. Maschinenschriftl., vervielf., 7 S., hier 1 (LkA EKvW Best. 0.1 Nr. 475). 502 S. u. Zitat aus dem Brief von Rudolf Bäumer an Ernst Wilm vom 11. Januar 1966. 503 FREY, Frage. Die zweite Auflage erfolgte bereits im selben Jahr. Man wird davon ausgehen können, dass Frey die Zeit von 1961 an genutzt hatte, sich intensiv in Marxsens Schriften einzuarbeiten. Das geht auch aus den Briefen an Rodenberg hervor, in denen Frey als Kronzeugen der „modernen Theologie“ immer wieder Marxsen heranzieht. 1967 wandte sich Frey in einem Brief an Wilm, der nun eher die Auseinandersetzung Freys mit Käsemann andeutet, den er als das „Zeichen“ des „neuen Kirchenkampfes“ zumindest für Württemberg sah. Zwar ziehe Käsemann anerkennenswerterweise „nicht in der intellektuellen oder rationalen Logik und Klarheit und kalten Unerbittlichkeit wie W. Marxsen die Konsequenzen aus den Ergebnissen der historisch-kritischen Forschung“, die nicht an sich kritische Forschung sei, sondern „unter dem Vorzeichen der Aufklärung gewordene kritische Forschung“, aber auch bei Käsemann müsse man sich fragen, ob Auferstehung und Kreuz noch dieselbe Bedeutung wie bei Paulus hätten, ob Jesus noch derselbe sei, wie ihn die Evangelien bezeugten und „die theologische Erkenntnis stattdessen der autonomen Ratio preisgegeben und diese zu einem Götzen gemacht ist“ (Brief von Pastor Hellmuth Frey an Landesbischof Hanns Lilje vom 31. 12. 1966. Maschinenschriftl., 3 S. [LkAH, Best. L 3 III Nr. 1796]).
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Die Vorgeschichte: Die Bultmannkontroverse und ihre Auswirkungen
Marxsen ertragen können. Wir sind als westfälische Kirche gefragt, ob wir von Christus allein die Erhaltung unserer Kirche erwarten (dann werden wir die Lossage von Marxsens um seiner Wahrheit willen ohne Menschenfurcht wagen) oder ob wir Angst vor der scheidenden Kraft des Wortes haben (dann werden wir die Irrlehre dulden). Du, lieber Bruder Wilm, hast Dich nicht gescheut, Dich in gänzlich unmodernistischer Weise zu Christi Kreuz zu bekennen. Wir danken Dir von Herzen für Deinen Mut! Ich denke besonders an Deinen Bericht auf der Landes-Synode in Münster 1963. Darum wissen wir, daß Du zum ‚Bethel-Kreis‘ gehörst, und möchten mit unserer Eingabe Dich auf Deinem Weg und in Deinem Amt unterstützen. Ich sagte neulich: Wenn unser Präses nicht selbst der Präses wer, würde er hier selbst unterschreiben! [. . .] Daß ich nicht mehr Unterschriften anfüge, ist in Deiner Antwort auf meine Frage begründet: ‚Einige reichen!‘ Das gab ich den Freunden weiter und fügte in Deinem Sinne hinzu, daß es nicht auf die arithmetische Menge ankomme.“504
Im Zuge dieser Eingabe wurde in Westfalen auf Beschluss der Kirchenleitung am 17. Februar der Arbeitsausschuss „Bibel und Bekenntnis“ gegründet, dem unter anderen Bäumer und Deitenbeck angehörten, und seit Ende 1966 – nach der Zusicherung von Präses Wilm an Marxsen, dass er „ihn als Glied unserer Kirche ansieht“ – auch Willi Marxsen.505 Am 3. März 1966 fand eine Pressekonferenz im Vorfeld der Großkundgebung statt, auf der die Initiatoren auf die „Umfälschung des Evangeliums durch Presse, Literatur, Funk und Fernsehen“ hinwiesen und betonten, konfessionelle Unterschiede seien weitaus weniger ausschlaggebend als die Unterschiede in der biblischen Begründung der Verkündigung. Die „Kirchliche Kundgebung“ am 6. März 1966, auch als „Bekenntnistag“ bezeichnet, wurde die öffentlichkeitswirksamste Aktion des Bethelkreises und der ihm angeschlossenen evangelikalen Trägergruppen. Durch die geschätzten 20 000 bis 25 000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurde eine Gemeinschaft geschaffen, die den evangelikalen Protest sowohl sichtbar machte als ihn auch forcierte. Man durchbrach mit dieser Aktion in breiter Front die Mauer der Abgrenzung und schuf eine Verbindung zur „Öffentlichkeit“, in die Bereiche der Medien Fernsehen und Zeitungen hinein.506 Der Bekenntnistag rief ein bis504 Brief von Rudolf Bäumer an Präses [Ernst] Wilm vom 11. 1. 1966. Maschinenschriftl., 2 S., hier 1f. (LkA EKvW Best. 0.1 Nr. 475). 505 Auszug aus dem Protokoll der Sitzung des Arbeitsausschusses „Bibel und Bekenntnis“ am 22. November 1966 im Landeskirchenamt. Maschinenschriftl., 1 S. (LkA EKvW Best. 3.6 Nr. 4). Zu der Arbeit des Ausschusses ausführlich STRATMANN, Kein anderes Evangelium, 104–106, zu der juristischen Unmöglichkeit der Absetzung von Theologieprofessoren aus universitären Ämtern seitens der Kirche am Beispiel von Westfalen vgl. EBD., 83f., Fußnote 57. 506 Ähnlich auch Frey in seiner Geschichte der B KAE: Durch die Versammlung in der Dortmunder Westfalenhalle habe sich „von Gott her Wesentliches“ ereignet: 1. Einzelne und Gruppen erlebten die „große Gemeinschaft des Volkes Gottes“, 2. das „Zeugnis der glaubenden Gemeinde
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Der Bethelkreis
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her nicht da gewesenes Echo unter den kirchenleitenden Gremien hervor. Darüber hinaus wirkte er als Initialzündung für die Gründung neuer theologiekritischer Gruppen und die weitere „Sammlung“ dieser Gruppen. Der Dortmunder „Bekenntnistag“ war der Ausdruck eines evangelikalen Protestes in der Protestform einer „neuen sozialen Bewegung“. Vor diesem Hintergrund ist er der signifikante Ausdruck dafür, dass es spätestens seit 1966 eine neue Bewegung im Bereich der evangelischen Kirche gab: die evangelikale Bewegung.507
durchbrach die ihr gezogenen Ghettomauern und drang in die über die Massenmedien von der modernistischen Theologie begonnene Öffentlichkeit“ ein, 3. die Verantwortlichen hätten den Schmerz, die Unruhe und die Sehnsucht der „in Aufbruch gekommenen Gemeinde“ gespürt, 4. „in der Erhörung ihrer Gebete“ erlebten die Veranstalter, „daß der Herr selbst am Werk war und Seine Sache führte“. (Frey, Hellmuth: Die Geschichte der Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“. Vortrag gehalten am 14. Juli 1966 auf der Pfarrerkonferenz in Bethel. Drucksache, 11 S., hier 10 [EZA 2/992]). Bei dem letztgenannten Punkt kommt nun ein typisches Merkmal für spezielle Formen protestantischer Frömmigkeit zum Tragen, das schon Max Weber für den Konnex von Kapitalismus und Protestantismus verantwortlich machte: Erfolg als das äußere Zeichen des Segens Gottes. 507 Es sei an dieser Stelle betont, dass die evangelikale Bewegung nicht gleichzusetzen ist mit der B KAE, auch wenn die Geburtsstunde der B KAE und der erste öffentlichkeitswirksame evangelikale Protest zeitlich nahezu identisch sind. Um die B KAE rankte sich die evangelikale Bewegung in ihren Anfangsjahren, aber letztere wird nicht durch eine Gruppe, sondern vielmehr durch die Vernetzung vieler verschiedener Gruppen auf der Grundlage der Übereinstimmung von abzulehnenden Aspekten des kirchlichen Lebens gekennzeichnet.
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5. Die evangelikale Bewegung als innerprotestantische „neue soziale Bewegung“
Die bisher geschilderten historischen Ereignisse, die 1966 zum evangelikalen Protest führten, zeigen eindeutig, dass es sich bei der „Sammlung“ von Theologiekritikern um die Genese einer innerprotestantischen Bewegung in Analogie zu einer „neuen sozialen Bewegung“ handelt. Die Wirkmechanismen der evangelikalen Bewegung lassen sich mit den Charakteristika einer „neuen sozialen Bewegung“ exakt erfassen. In den bisher marginalen Untersuchungen zum deutschen Evangelikalismus wurde zwar hin und wieder die Nähe zu diesen Bewegungen vermutet, dieser Frage aber an keiner Stelle detailliert nachgegangen. Bevor auf Grund dessen im Folgenden anhand der von dem Heidelberger Soziologen Thomas Kern in seinem Lehrbuch über „Soziale Bewegungen“ vorgestellten „Mechanismen der Mobilisierung“1 die Funktionsmechanismen „neuer sozialer Bewegungen“ auf die Vorgeschichte und Geschichte der evangelikalen Bewegung appliziert werden, erfolgt eine Erörterung der definitorischen Differenz von „sozialer“ und „neuer sozialer Bewegung“: In der Bewegungsforschung ist die Unterscheidung zwischen „sozialer“ und „neuer sozialer Bewegung“ nur schwach ausgeprägt. Im Allgemeinen wird davon ausgegangen, dass „soziale Bewegungen“ zeitlich vor den „neuen sozialen Bewegungen“ anzusiedeln sind, d. h. vor den 1970er Jahren, ihre Übergänge allerdings fließend sind. So stellt Michael Zwick in seiner Untersuchung über „Neue soziale Bewegungen als politische Subkultur“ fest, dass die Themen der Frauen-, Arbeiter- und Friedensbewegung im 19. Jahrhundert allesamt in den „neuen sozialen Bewegungen“, unter veränderten gesellschaftlichen Vorzeichen, wieder aufgenommen werden.2 Dieter Rucht bezeichnet die 1968er Bewegung als „soziale Bewegung“ und erst die aus ihr hervorgegangenen Bewegungen, ihre „Zerfallspro1
KERN, Bewegungen, Kap. 5: Mechanismen der Mobilisierung, 111–174. Zu den Mobilisierungskennzeichen vgl. auch RASCHKE, Bewegungen, Kap. 17: Zur Analyse der neuen sozialen Bewegungen, 411–436. 2 ZWICK, Bewegungen, 28–55. Auch im „Handbuch“ der sozialen Bewegungen von Roland Roth und Dieter Rucht wird keine durchgängige Unterscheidung zwischen „sozialen“ und „neuen sozialen Bewegungen“ vorgenommen, und in der Einleitung stellen die Herausgeber klar, dass „kaum ein Thema gegenwärtiger sozialer Bewegungen [. . .] wirklich neu“ sei, sondern sich die meisten Aspekte seit dem 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart durchzögen (ROTH / RUCHT, Einleitung, 21–23, Zitat 21).
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Die evangelikale Bewegung als innerprotestantische „neue soziale Bewegung“ 425
dukte“, als „neue soziale Bewegungen“.3 Zu dieser Schwäche der definitorischen Abgrenzung kommt hinzu, dass die Vorlaufgeschichte „neue sozialer Bewegungen“ weitaus länger zurückreicht, als ihre Entstehung in den 1970er und 1980er Jahren vermuten lässt. So gibt Zwick die Vorlaufphase der Anti-Atomkraft-Bewegung für die Zeit 1961 bis 1972, die der Friedensbewegung mit den Ostermärschen und der „Ohne-Mich“-Aktionen für die 1950er Jahre an,4 Rucht konstatiert für die 68er Bewegung eine Vorlaufzeit als loses Netzwerk im Umfeld der „Neuen Linken“, zu dem „erst seit 1965/66 das Moment des kollektiven öffentlichen Protests hinzu[kam]“5 und der Soziologe und Politikwissenschaftler Arno Klönne sieht Proteste und Keimformen künftiger Mobilisierungen von neuen sozialen Bewegungen schon in der Zeit von 1945 bis 1949 angelegt.6 Die Übertragung dieser Faktoren auf die evangelikale Bewegung legt nahe, den Begriff der „neuen sozialen Bewegung“ zu Grunde zu legen, mit einer Vorlaufzeit seit der zweiten Hälfte der 1940er Jahre. Die „Vorgeschichte“ kann letztlich nicht getrennt werden von der Geschichte der evangelikalen Bewegung, da auch in der Vorgeschichte bereits öffentlichwirksame Proteste erfolgten. Die evangelikale „Mobilisierungsphase“ Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre wiederum wiederholte sich in immer wiederkehrenden Schüben innerhalb der Geschichte der evangelikalen Bewegung bis heute. Betrachtet man die Konflikte der präevangelikalen Bewegung vom Standpunkt des evangelikalen Protestes 1966 aus, so erscheint durch die Bultmanndebatte auffällig eine zunehmende konzentrische Sammlung von Akteuren, die von dem Aktionsverlust der Evangelisations- und Gemeinschaftsbewegung sowie der Deutschen Evangelischen Allianz (DEA) betroffen waren. Bei den „neuen sozialen Bewegungen“ wird von der „Resonanzgruppe“, die aus den Sympathisanten der Bewegung besteht, die „primäre Trägergruppe“ der Bewegung unterschieden, d. h. die Gruppe der Aktiven bzw. der Akteure. Beide Gruppen sind – und das gilt auch in der Konstitutionsphase der Bewegung – zu unterscheiden.7 Innerhalb der Bultmanndebatte ist in der ersten Welle ein Aufflammen des Protestes gegen Bultmanns Theologie in verschiedenen Gruppen zu verzeichnen, die relativ unverbunden voneinander agierten. Damit wurde erst einmal das sich für eine Sammlung eignende Thema deutlich. Eine erste Konzentration von Akteuren bzw. Aktiven scheint erst in der zweiten 3 4 5 6 7
RUCHT, Ereignisse, 162. ZWICK, Bewegungen, 48–50. RUCHT, Ereignisse, 162. KLÖNNE, Nachkriegsjahre, 47–49. EBD., 414.
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426 Die evangelikale Bewegung als innerprotestantische „neue soziale Bewegung“ Hoch-Zeit der Debatte von 1961 bis 1963 gegeben gewesen zu sein. Diese relative Konzentration von Einzelaktivitäten verdichtete sich um den Bethelkreis, der anfangs ebenfalls nur eine Gruppe vernetzter Einzelpersonen war, sich dann aber zu einem eigenen Netzwerk ausbildete. Es kam zunehmend und in immer schnellerem Tempo zu einer Koalitionsbildung von Gruppen und Akteuren mit durchaus sehr verschiedenen eigenen Zielen und Interessen.8 Die Koalitionsbildung ist für „neue soziale Bewegungen“ die Voraussetzung für weitere Schritte hin zum Protest,9 „die Entstehung von Protestbewegungen [lässt sich] als Koalitionsbildungsprozess interpretieren“.10 Nicht unwesentlich für die evangelikale Koalitionsbildung war und ist, dass die führenden Köpfe verschiedene Ämter evangelikaler Trägergruppen in Personalunion innehatten. Eines der herausragenden Beispiele stellte der Pfarrer, Evangelist und Vorsitzende der Deutschen Zeltmission, Vorsitzende der DEA, Vorstandsmitglied des CVJMWestbundes und schließlich Mitbegründer der B KAE Paul Deitenbeck dar. Durch derartige Personalunionen von Ämtern erfolgte automatisch eine enge Vernetzung der Gruppen, die durch ein und dieselbe Person vertreten wurden. Im weiteren Verlauf der Bewegungsgeschichte verdichtete sich die Gruppe der Akteure, bis sie Hierarchien auszubilden begann, die Ende der 1970er Jahre zusammenzubrechen begannen und in den 1980er Jahren von neuen Akteurszentren abgelöst wurden. Der Bruch zwischen der B KAE-Führung, verschiedenen evangelikalen Trägergruppen und der medialen Übernahme der Bewegung durch „idea“ kennzeichnet diese Phase. Ein wesentlicher Aspekt der evangelikalen Koalitionsbildung war das Erreichen der „kritischen Masse“, und zwar der Resonanzgruppe bzw. derer, die von den Akteuren der Bewegung vertreten werden konnten. Dazu bot die Irritation durch die Bultmannsche Theologie in den Gemeinden den Ausgangspunkt. Diese „Resonanzgruppe“ der Kritiker der Entmythologisierung und sehr schnell der „modernen Theologie“ insgesamt, bildete eine nur vage bestimmbare soziologische Größe, die zum größten Teil überhaupt nicht in Erscheinung trat und für die lediglich ein allgemeines Unbehagen an der Kirche in ihrem Zusammenspiel mit der „modernen Theologie“, die nicht verstanden und den Mitgliedern Vor diesem Hintergrund – dies sei an dieser Stelle nochmals betont – ist Wert auf die Bezeichnung „evangelikale Trägergruppen“ zu legen, und zwar nicht in einem chronologischen Sinne, sondern im Hinblick auf die Doppelidentität dieser Gruppen: Einmal als Bestandteile der evangelikalen Bewegung und einmal in ihrer eigenen Gruppen- oder Bewegungsidentität. Von daher kann z. B. bei der Gemeinschaftsbewegung oder der Evangelisationsbewegung nicht von „evangelikalen Gruppen“ gesprochen werden – sie stellen lediglich „evangelikale Trägergruppen“ dar. 9 KERN, Bewegungen, 112–122. 10 EBD., 113. 8
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Die evangelikale Bewegung als innerprotestantische „neue soziale Bewegung“ 427
dieser Gruppe nicht transparent gemacht wurde, konstatiert werden kann. Zu der Frage, wie sich dieses Unbehagen letztlich im Einzelnen konstituierte, wurden in den Kap. 4.1 und 4.2 Erklärungsansätze auf Grund historischer Entwicklungen geboten. Bezeichnend an der Bultmanndebatte ist unter anderem auch das, was in den zeitgenössischen Diskussionen nicht angesprochen wurde: die von der Kirche zurückgedrängte Evangelisations- oder Gemeinschaftsarbeit oder die Konkurrenz, die die ökumenische Bewegung für die DEA darstellte – diese Aspekte, die in den 1950erJahren durchaus Konfliktpotential boten, kamen erst Jahre später innerhalb der evangelikalen Bewegung unter anderen Vorzeichen zur Sprache. Dies führt zum nächsten Aspekt der evangelikalen Mobilisierung: der Schaffung einer „kollektiven Identität“.11 Die Gruppe derer, die ein Unbehagen an der Kirche und an der Theologie verspürten, stellte die „kritische Masse“ für den evangelikalen Protest dar, aber darüber hinaus wurde über sie auch die „evangelikale Identität“ konstruiert, die hinter dem evangelikalen Protest stand. Eine Ergebnis der vorliegenden Arbeit ist, dass die kollektive evangelikale Identität, die über die Ablehnung der „modernen Theologie“ und die sie stützende Kirche geschaffen wurde, als Kompensation für die (zeitweilig) geschwundene oder geschwächte Identität in der Gemeinschaftsbewegung und der DEA diente. Die „kollektive Identität“ neuer sozialer Bewegungen ist im Wesentlichen eine „imaginäre Konstruktion“12 – das zeigt auch die von den Akteuren sowohl in den 1960er als auch 1970er Jahren ausgerufene gemeinsame Identität der „Gemeindefrömmigkeit“ oder „Gemeinde“ im Gegensatz zur „Theologie“, die so sogar in die Terminologie der Kirchenleitung aufgenommen wurde. Dass diese kollektive Identität der protestierenden „Gemeinde“ eine „imaginäre Konstruktion“ war, zeigt nicht zuletzt die Tatsache, dass es sich hier keinesfalls um die reale soziologische Größe der Gesamtheit der evangelischen Laien in allen Landeskirchen handelte. Die kollektive Identität der „Gemeinde“ als evangelikale Resonanzgruppe stellte lediglich den Versuch der Akteure dar, die „kritische Masse“ kommunikativ zu konstruieren. Allerdings ist diese Konstruktion insofern relevant: Aus den Gemeinden heraus konstituierte sich die evangelikale „kritische Masse“, während die Akteure im Wesentlichen aus dem Bereich des hauptamtlichen Verkündigungsdienstes, vornehmlich der Evangelisationsbewegung, aber auch des Pfarrdienstes kamen. Diese Akteure sammelten sich nun, forciert durch immer stärkere Vernetzung und Kontakte untereinander, in konzentrischen Kreisen. Trotz verschiedener Ausgangslagen und Eigeninteressen
11 12
EBD., 119–122. EBD., 119.
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428 Die evangelikale Bewegung als innerprotestantische „neue soziale Bewegung“ wurde durch die Bultmannkontroverse mit der Theologiekritik eine eigene kollektive Identität geschaffen. Durch eine kollektive Identität wird eine „neue soziale Bewegungen“ überhaupt erst handlungsfähig, wobei Identität und Verhalten in einer unmittelbaren Wechselwirkung stehen:13 Soziale Bewegungen lassen sich als Koalitionen mit geringem Organisationsgrad und einer abstrakten kollektiven Identität beschreiben.14 Die präevangelikale kollektive Identität lässt sich für die 1950er und 1960er Jahre mit einer starken Suche nach Sicherheit und Absicherung im Glaubensgeschehen bis hin zu „Beweisen“ beschreiben, die sich angesichts des „Ausfalles“ der Theologie als Sicherungselement in einem christlichen Antiintellektualismus niederschlug. Bezeichnend ist, dass diese kollektive Identität nicht durch eine theologische Differenz zu Ansätzen spezifischer Theologen entstand – wie von den Initiatoren der Protestnoten proklamiert –, sondern von einer grundsätzlich anderen Weltdeutung ausging, die wiederum den unterschiedlichen Bildungsebenen der Konfliktteilnehmer geschuldet war. An dieser Stelle zeigt sich besonders deutlich, dass die gesamte Konfliktsituation um Bultmann und die „moderne Theologie“ tatsächlich ein, und zwar ein relativ frühes Phänomen der sich pluralisierenden Gesellschaft des 20. Jahrhunderts war, insofern Pluralität unter anderem mit differenten Bildungsniveaus in Verbindung steht. Wenn auch aus theologischem Blickwinkel teilweise fragwürdig, aber doch in der Konfliktsituation als ausgesprochen originell muss nun die Kompensation des theologischen Bildungsvorsprungs der akademischen Theologie seitens der evangelikalen Trägergruppen bezeichnet werden: Dem Lesen und Verstehen der Bibel „via Vernunft“ wurde das Lesen und Verstehen der Bibel „via Heiligem Geist“ gegenübergestellt.15 Im Prinzip wurde hier der Versuch unternommen, die aus13
EBD., 120. EBD., 121. 15 Diese Gegenüberstellung ist schon in der gesamten Zeit der zweiten Welle der Bultmannkontroverse mehr oder weniger zu verzeichnen, stellte aber seit der zweiten Hälfte der 1960erJahre ein Stereotyp in den theologiekritischen Kreisen dar. So schrieb Fritz Mack, Schriftleiter des „Stuttgarter Sonntagsblattes“, im Sommer 1966 pointiert zu der Verlautbarung westfälischer Theologieprofessoren, Gemeindemitglieder würden entmündigt, wenn man ihnen nicht die neuesten Ergebnisse der theologischen Forschung verantwortlich weitergebe: „Wer das behauptet, muß sich freilich im klaren darüber sein, daß er praktisch das rechte Verständnis der Heiligen Schrift an die Voraussetzung theologischer Vorkenntnisse bindet und dem reformatorischen Grundsatz ‚Jedem seine Bibel‘ im Ergebnis bereits den Abschied gegeben hat. [. . .] ‚Entmündigung‘ der Gemeinde scheint mir jedenfalls eher dort vorzuliegen, wo man das rechte Bibelverständnis an die Wissenschaft bindet als dort, wo man jedem, der lesen will, eine Bibel in die Hand drückt in der Hoffnung, daß die ‚innere Klarheit‘ der Heiligen Schrift sich an ihm auch ohne gelehrte Zutaten, aber Kraft des Heiligen Geistes als mächtig erweisen wird.“ In dieser Ausgabe 14
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einanderklaffende Schere zwischen Gemeindefrömmigkeit und Theologie zu schließen – allerdings mit dem unbeabsichtigten Ergebnis, dass sich die Fronten dadurch erst recht aufbauten. Kernpunkt der präevangelikalen Frömmigkeitsdeutung allerdings, und das muss immer wieder festgehalten werden, ist das Moment der tiefen Verunsicherung: Gerade die Tatsache, dass die von Bultmann vorgeschlagene Radikalisierung des Glaubens als ein Vertrauensakt so vehement abgelehnt und umgedeutet wurde, lässt darauf schließen, dass hier mehr im Spiel war als ein intellektueller Minderwertigkeitskomplex. Auf Grund der Tatsache, dass in der akademischen Theologie der theologischen Arbeit ein anderes Wirklichkeits- und Weltverständnis zugrunde gelegt wurde als bei den Adressaten der theologischen Arbeit, deren Weltbild, wie in Kap. 4. 1. 4 dargestellt, sowieso zutiefst erschüttert war, stellte die grundlegende Ursache der so empfundenen „Haltlosigkeit“ der Theologie und damit eines weiteren Verunsicherungsschubes dar. Diese Verunsicherung äußerte sich in teilweise scharfen Angriffen, die den Konflikt heraufbeschworen bzw. verschärften. In Abgrenzung von Konflikttheorien, die den Machtaspekt in den Mittelpunkt stellen,16 ist hier zunächst einmal der Aspekt der Unsicherheit in den Mittelpunkt zu stellen, dem der Aspekt des Ringens um Macht erst folgte. Dieser Aspekt kam aber seit Ende der 1960er Jahre und der Konstituierung der B KAE stärker zum Tragen. Spätestens seit dem „Protest“ der evangelikalen Bewegung 1966 entwickelte die Bewegung eine Eigendynamik, die von einem massiven Ringen um die Deutungshoheiten gekennzeichnet war. Die präevangelikale Verunsicherung über die Bultmannsche Theologie in den Nachkriegsjahren war geprägt von der gesamtgesellschaftlichen mentalitätsgeschichtlichen Situation – die spätere evangelikale Bewegung war geprägt von den theologischen und sozialethischen Problemen, die die evangelische Kirche aufwarf. Die Konstruktion der „evangelikalen Identität“ war also gekennzeichnet von der Abgrenzung zur „modernen Theologie“, die eine Abgrenzung gegen die Kirche zwangsläufig nach sich ziehen musste, als diese keine Lehrzuchtverfahren einleitete bzw. Theologen suspendierte. Für die Probleme, die sich in den 1950er Jahren für Evangelisationsbewegung, Gemeinschaftsbewegung und DEA ergaben, war dies zwar kein unmittelbarer Lösungsansatz, aber die Gemeinsamkeit in der Theologie- und später Kirchenkritik bot nicht nur die gemeinsame Basis für die Konstruktion einer „kollektiven Identität“, sondern vor allem überhaupt eine Identität. Wie sich besonders im Falle der DEA zeigen sollte, boten sich darüber hinaus auch ganz neue Arbeitsfelder an – im Falle der des „Stuttgarter Sonntagsblattes“ erschien vor dem Artikel Macks ein Zitat Bengels: „Das Trachten nach der Gottseligkeit ist der sicherste Weg, wahre Bildung zu erlangen.“ (FM, Umschau). 16 Vgl. GIESEN, Konflikttheorie, besonders 95f.
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430 Die evangelikale Bewegung als innerprotestantische „neue soziale Bewegung“ DEA dasjenige als „Sammelbecken der Evangelikalen“. Letztlich blieb, auf Dauer gesehen, bei dieser Koalition die Gemeinschaftsbewegung in ihrer eigenen Identität am meisten unberührt: Die DEA vermochte es, mit der evangelikalen Bewegung so zu verschmelzen, dass sie deren Dachorganisation bildete und bildet. Die Evangelisationsbewegung ging in die mannigfachen missionarischen Aktionsgruppen und Unternehmungen der evangelischen Kirche und der evangelikalen Bewegung auf. Die Gemeinschaftsbewegung allerdings blieb der Tatsache, nicht nur evangelikale Trägergruppe, sondern auch Bewegung mit eigener über hundertjähriger Tradition zu sein, am treuesten und trat 1991 nach 10jährigen mehr oder weniger offenen Konfrontationen formal aus dem evangelikalen Bündnis aus – nicht ohne sich weiterhin Einzelzielen desselben verbunden zu fühlen. Das ist im Übrigen der Grund, weshalb die aktuelle Diskussion, ob man sich evangelikal oder pietistisch nennen solle, so vehement wie in keiner anderen evangelikalen Trägergruppe in den Kreisen der Gemeinschaftsbewegung geführt wird. Von der Koalitionsbildung bis zum evangelikalen Protest führte der nächste Schritt, identisch mit anderen „neuen sozialen Bewegungen“, nun auf die Handlungsebene zu den Aktionen und Kampagnen. Mobilisierungskampagnen „neuer sozialer Bewegungen“ arbeiten mit der Stimulation von starken Emotionen.17 Da die Relevanz von Protestbewegungen davon abhängt, inwieweit sie die mobilisierten Ressourcen wie Energie der Beteiligten, Menge der kritischen Masse, verfügbare Finanzen, Einflussmöglichkeiten usw. in kollektive Handlungen umsetzen, kommt der Bedeutung von Aktionen eine sehr hohe Bedeutung zu. Die Debatte im Bethelkreis um Aktion oder „stilles Wirken“ und die Entscheidung für die Aktion zeigte, in welchem Stadium, nämlich demjenigen der Mobilisierung, man Mitte der 1960er Jahre angelangt war. Die folgenden Jahrzehnte sollten von einer ganzen Aneinanderreihung von „Mobilisierungsphasen“ gekennzeichnet sein, die sich auf je verschiedene Themen, z. B. die Kirchentage oder die Haltung der ökumenischen Bewegung konzentrierten. Wie schon das Ausscheiden der auf „stilles Wirken“ und theologische Durchdringung der Probleme ausgerichteten Pfarrer-Gebets-Bruderschaft aus dem Bethelkreis und das Hinzustoßen des Gnadauer Gemeinschaftsverbandes, der vom Bethelkreis „Handlungsanweisungen“ erwartete, anzeigte, wurde die auf einer differenzierten theologischen gemeinsamen Basis beruhende „kollektive Identität“ zunehmend nebensächlicher zugunsten der generellen Aktionsdynamik und der Proteste gegenüber punktuellen Ereignissen. Ursprünglich lag diese Entwicklung nicht im Interesse mancher der Beteiligten, z. B. demjenigen Her-
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KERN, Bewegungen, 124.
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mann Haarbecks, der sich anfangs gerade mit der Bitte um theologische Unterstützung an den Bethelkreis gewandt hatte, dann allerdings den aktivistischen Kurs mit verfolgte. Es darf keinesfalls unterschätzt werden, dass der Gnadauer Gemeinschaftsverband als größte Laienbewegung innerhalb der evangelischen Kirche mit Mitgliederzahlen aufwarten konnte,18 die einer sich konstituierenden Protestbewegung auf einen Schlag die nötige „kritische Masse“ verschaffen konnte und von daher von großer Bedeutung für die Bewegung war, die sich hier bildete. Für das generelle Verständnis der evangelikalen Aktionen ist der Befund Kerns hinsichtlich der „neuen sozialen Bewegungen“ hilfreich: „Die Skandalisierung und Inszenierung von Problemen kennt [. . .] oftmals keine Grenzen.“19 Vor diesem Hintergrund bekommen Proklamationen des „Gottesgerichtes“ oder Endzeitproklamation in evangelikalen Verlautbarungen eine evidente strukturelle Nähe zu dem Slogan „5 vor 12“ der ökologischen Bewegung oder Weltuntergangsszenarien der Antiatomkraftbewegung. An dieser Stelle sei auf die bereits in Kap. 2. 4. 7 dargestellte „fundamentalistische Tendenz“ in „neuen sozialen Bewegungen“ und damit auch der evangelikalen Bewegung hingewiesen. Gerade die Skandalisierungen und Inszenierungen, um Mitglieder zu gewinnen und die von der Bewegung angesprochenen Probleme in der Diskussion und virulent zu halten, zeigen eine große Nähe zu fundamentalistischen Absolutheitsansprüchen, ohne sich mit grundsätzlichen Definitionen des Fundamentalismus zu decken. Es ist schlichtweg falsch, von einer „gründliche[n] theologische[n] Arbeit [. . .] [als] Voraussetzung aller weiteren Bemühungen“20 im Bethelkreis zu sprechen, wie es Rudolf Bäumer in seiner Geschichte der B KAE in dem Dokumentenband „Weg und Zeugnis“ äußerte, denn gerade die sich im Bethelkreis abzeichnende Dynamik hin zu einer Protestbewegung verbot nahezu die „gründliche theologische Arbeit“: Für die Konstruktion der kollektiven Identität mussten der kleinste theologische Nenner und für die öffentlichkeitswirksamen Aktionen die größtmögliche Handlungsfelder gefunden werden. Die Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner zeichnete auch die weitere Geschichte der evangelikalen Bewegung aus, wie sich z. B. an der sich verflachenden Diskussion um die Leuenberger Konkordie zeigt.
18 1981 ging man im in der Gnadauer Verbandsleitung von über 300 000 Mitgliedern aus und konnte auf 5 500 ehrenamtliche Mitarbeiter und 1 000 hauptamtliche Prediger verweisen (EKD-RATSVORSITZENDER LOHSE, 2). 19 KERN, Bewegungen, 125. 20 Bäumer, Rudolf: Die Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“ (WEG UND ZEUGNIS, Bd. 1, 37).
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432 Die evangelikale Bewegung als innerprotestantische „neue soziale Bewegung“ Dass sich Mobilisierungskampagnen der „neuen sozialen Bewegungen“ auf das System der Belohnung bzw. Bestrafung von Mitgliedern der Bewegung stützen,21 erklärt völlig säkular die Tendenz innerhalb präevangelikaler Gruppen und der evangelikalen Bewegung, die „Gläubigen“ und „Ungläubigen“ zu unterscheiden. Auch hier steht ein Belohnungs- und Bestrafungssystem im Hintergrund und zumindest der imaginäre Ausschluss aus der Gruppe der „Gläubigen“ dürfte ein wirksames Bestrafungsinstrumentarium dargestellt haben – von dem Verlust der Gemeinschaft ganz abgesehen. In der Entwicklung hin zum evangelikalen Protest sind die Entwicklungen der „Aktionen“ in Form der „Offenen Briefe“ interessant: Während sie sich bis 1961 appellativ an die Kirchenleitungen richteten – mit immer schärferer Verwerfung der Theologie, d. h. mit immer deutlicherer Konzentration auf die Schaffung der kollektiven Identität – wurde durch den Hirtenbrief von Tegtmeyer 1963 eine neue Kommunikationsebene beschritten: der Appell an die Resonanzgruppe „Gemeinde“. Dieser Appell zeichnete sich durch die schon genannte Besonderheit aus, dass die Gegenwartssituation in den Kontext des endzeitlichen Gottesgerichtes gestellt wurde. Es wurde dadurch nicht nur das Belohnungs- und Bestrafungssystem massiv verschärft, sondern nochmals die Einbindung der Resonanzgruppe als Trägergruppe der kollektiven Identität forciert, und zwar durch die Verknüpfung von individueller und kollektiver Identität, wie sie für die Mobilisierungsphase „neuer sozialer Bewegungen“ signifikant ist.22 Die Appelle an „die Gemeinde“ nahmen allerdings in der Folgezeit keinen größeren Raum ein – die Selbstdarstellungen in Form von „Bekennerschreiben“ spielten als literarisches Genre die bei weitem größte Rolle in der Geschichte der evangelikalen Bewegung. Diese „Bekenntnisse“ richteten sich zwar ganz allgemein auch an die Gemeinden, stellten aber eher sowohl eine Form der Werbung für die eigene Bewegung als auch Protestdokumente dar. Für die hier untersuchten Entwicklungen ist bedeutsam, dass die Koalitionsfindung, die Identitätskonstruktion und die Mobilisierungskampagnen weder in chronologischer Reihenfolge einmalig, sondern in mehreren Schüben vollzogen wurden. Ganz ähnlich wie in „neuen sozialen Bewegungen“ ist auch die Vorgeschichte und Geschichte der evangelikalen Bewegung von einem niedrigen
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KERN, Bewegungen, 127. EBD., 126. Bemerkenswert ist, dass Kern diese Verknüpfung von individueller und kollektiver Identität beispielhaft für das kollektive Handeln der Bekennenden Kirche im Nationalsozialismus nennt (EBD.). Dies führt zu dem eingangs genannten Phänomen, dass sich die Polarisierungen im Agieren der bekennenden Kirche im Nationalsozialismus – hier allerdings unter den Bedingungen der Diktatur –in die evangelikale Bewegung hinein fortsetzten. 22
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Organisierungsgrad gekennzeichnet, der eine föderale Struktur aufwies,23 d. h. in einem Geflecht von lokal relevanten Gruppen und Einrichtungen bestand. Elemente von Institutionalisierung lassen sich daneben allerdings auch finden. So stellen z. B. die Bibel- und Missionsschulen eine gewisse Form von Institutionalität dar, die allerdings besonders problematisch ist: Einerseits sollen diese Schulen die kollektive Identität der Abgrenzung von der Theologie bestätigen, andererseits fundiert theologisch arbeiten. Angesichts der Pluralität und Ausdifferenzierung der theologischen Forschung an den Theologischen Fakultäten ist es zudem kaum möglich, eine theologische Nische zu finden, die zu besetzen wäre. Da die Bibelschulen allerdings nicht nur Vereine, sondern eben Formen von Institutionen darstellen, können sie ihre eigenen Zielsetzungen und die eigene Existenzberechtigung, nämlich eine Alternative zu Theologischen Fakultäten zu sein, auch nicht ohne weiteres verändern oder neu justieren. Von daher ist das seit einem Jahrzehnt zu beobachtende verstärkte internationale Streben dieser Schulen, die Anbindung an die internationale evangelikale Bewegung und auch die Öffnung für fundamentalistische Einflüsse letztlich nur der Versuch eines Ausweges aus einem Grundsatzdilemma. Generell sind „neue soziale Bewegungen“ äußerst fragile Gebilde hinsichtlich der Gefahr des Auseinanderbrechens: Einerseits kann eine zu starke Zentralisierung zur Ablösung von Interessengruppen führen. Eben dies geschah Ende der 1970er Jahre durch die zu starke Zentralisierung durch die B KAE bzw. die KBG und eine zu starke Dominanz der Bewegung durch die Führungspersönlichkeiten.24 Andererseits kann auch das Anwachsen der Referenz- und Akteursgruppe, durch die neue Interessen und Ziele in die Bewegung einfließen, aber auch eine zu starke Konkurrenz anderer Bewegungen oder Organisationen, die auf einem ähnlichen Arbeitsfeld tätig sind, zu einem Zusammenbruch der Bewegung führen.25 Von daher ist die Beziehung „neuer sozialer Bewegungen“ zu den Organisationen außerhalb der Bewegung von entscheidender Bedeutung. Diese Beziehungen können in drei Formen gestaltet sein: 1. Austausch und Zusammenarbeit, wenn eine Seite von den Ressourcen der anderen Seite profitiert, 2. Wettbewerb und Konkurrenz, 3. gegenseitige Verwerfung.26 Über23
EBD., 129f. Die Rolle und Bedeutung von Führern einer sozialen Bewegung für deren Agieren ist bisher generell noch unzureichend erforscht, allzumal soziale Bewegungen sich durch eine flache Hierarchie auszeichnen bzw. den Anspruch haben, keine Hierarchien aufzubauen. Alexander Leistner hat im Hinblick auf die Bürgerrechtsbewegung der DDR eine Typologie der Führerpersönlichkeit entwickelt, die sich allerdings nicht nahtlos auf andere soziale Bewegungen, auch nicht auf die evangelikale Bewegung, übertragen läßt (LEISTNER, Sozialfiguren). 25 KERN, Bewegungen, 131. 26 EBD., 132f. 24
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434 Die evangelikale Bewegung als innerprotestantische „neue soziale Bewegung“ tragen auf das Verhältnis zwischen evangelikaler Bewegung und anderen Organisationen der evangelischen Kirche wird man seitens der evangelikalen Bewegung sowohl den zweiten als den dritten Punkt in Anwendung bringen können, seitens kirchlicher Organisationen den zweiten, vor allem aber den steten Versuch, den ersten Aspekt zur Geltung zu bringen. Kaum eine Aussage zieht sich derart durch die Geschichte des Verhältnisses der institutionellen Kirche zum Evangelikalismus wie diejenige von kirchenleitenden Funktionsträgern, dass man die Evangelikalen „halten“ müsse, da sie die Kerngemeinde oder die aktivsten Kirchenmitglieder darstellten. Diese Aussage ist Ausdruck einer gewünschten Zusammenarbeit, um an den Ressourcen der evangelikalen Bewegung, nämlich einem hohen Maß an Elan und christlichen Engagement, zu partizipieren. Diese Annahme deckt sich mit der Selbsteinschätzung der evangelikalen Bewegung in Aufnahme der traditionellen Aussage der Gemeinschaftsbewegung, die „Kerngemeinde“ der Kirche darzustellen. Da zurzeit zu dieser Frage keinerlei religionssoziologische Untersuchungen vorliegen, kann eine solche Verhältnisbestimmung weder verifiziert noch falsifiziert werden. Es muss aber darauf hingewiesen werden, dass sich derartige Aussagen auf der Ebene der Welt- bzw. Kirchendeutung bewegen und damit nicht den Anspruch der Faktizität erheben können. Das führt zu einem weiteren Aspekt der soziologischen Bewegungsforschung: der Untersuchung der Weltbilder, Geschichtskonstruktionen und Zukunftsprognosen innerhalb von „neuen sozialen Bewegungen“, die auch als „Framing-Ansatz“ bezeichnet wird. Als „framing“ werden Konstruktionen von Deutungsbildern innerhalb der Bewegung in Bezug auf die eigene Identität, Vergangenheit und vor allem die Umwelt und die Interaktionen der Bewegung mit der Umwelt benannt.27 Dabei werden zwischen diagnostic framing, den Problemdiagnosen, prognostic framing, den Lösungsstrategien, und motivational framing, den Motivationsstrategien für Sympathisanten unterschieden28 Durch „Framing-Strategien“ kann es wiederum zu Veränderungen dieser Deutungsmuster auf Grund äußerer oder bewegungsinterner Veränderungen kommen,29 während „master frames“ die Gesamtheit der framingProzesse zusammenhalten.30 Ein „diagnostic-frame“ der evangelikalen Bewegung wäre nun die Selbstwahrnehmung als „Kerngemeinde“ der evangelischen Kirche. Laut Kerns Darstellung sind soziale Bewegungen „nicht nur Träger von vorhandenen Bedeutungs- und Glaubenssystemen, sondern auch deren Produzenten. In dieser 27 28 29 30
EBD., 141f. EBD., 142–146. EBD., 146–149. EBD., 149–152.
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Funktion üben sie – gemeinsam mit anderen öffentlichen Akteuren und Medien – einen enormen Einfluss auf die ‚gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit‘ (Berger und Luckmann 1989) aus.“31 Vor dem Hintergrund dieses Umstandes der Wechselwirkung von Deutung und Schaffung der Realität ist einmal mehr zu fragen, inwiefern die oben genannte Aussage sowohl evangelikaler als auch kirchenleitender Vertreter eine funktionale Einheit bildet, die Realität schafft. Ein weiteres Deutungsmuster der evangelikalen Bewegung bezieht sich auf die eigene Vergangenheit und die Kreation einer kollektiven Erinnerung hauptsächlich in der Form „Wir sind aus der Bekennenden Kirche des Dritten Reiches hervorgegangen“. Auf die historische Fragwürdigkeit dieser Annahme wird im Folgenden noch ausführlich eingegangen.32 Eine Veränderung der „diagnostic frames“ kann im Hinblick auf die Geschichte des Evangelikalismus festgestellt werden: Begann die evangelikale Bewegung mit der Aussage, der Glaube werde von der Theologie unterhöhlt – allerdings in Adaption der schon vorhandenen Vorbehalte der Gemeinschaftsbewegung gegenüber der Theologie –, verschob sich dieses Deutungsmuster in den 1970er Jahren zu demjenigen, die pluralisierte, politisierte und humanisierte Kirche unterhöhle eine bibeltreue Verkündigung. In den 1980er Jahren wurde schließlich auch dieses frame überholt von der Deutung, die Kirche zerstöre mit ihrem sozialethischen Liberalismus, ihrer aufklärerischen Tradition und ihrem fehlenden missionarischen Eifer sich selbst. Als „master frame“ kann in allen Fällen aber die Konstruktion gelten, die Kirche stehe kurz vor ihrer Auflösung und man sei zum Kampf gegen diese Auflösung als Wächter und Ordner berufen. Ein typisches Merkmal der kollektiven Identitätsbildungen neuer sozialer Bewegungen besteht darin, eine Unterscheidung zwischen „rein“ und „unrein“, zwischen den Protestierenden und denen, gegen die sich der Protest richtet, aufzubauen: „Während die Protestierenden sich als Vertreter von Gemeinwohlinteressen inszenieren und dabei oft einen moralischen Überlegenheitsanspruch geltend machen, etikettieren sie ihre Gegner zumeist als ‚unrein‘ und unmoralisch.“33 Angesichts des grundsätzlichen und identitätsstablisierenden Moments der Abgrenzung von Kirche, Theologie und pluralisierter Welt der evangelikalen Bewegung wird man schwerlich eine andere Feststellung treffen können als diejenige, dass die evangelikale Bewegung die „neue soziale Bewegung“ der evangelischen Kirche des 20. und 21. Jahrhunderts bildet. 31 32 33
EBD., 141. Zu diesem Thema vgl. die ausführliche Erörterung in Kap. 6. 1. 2, S. 460–463. EBD., 165f.
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436 Die evangelikale Bewegung als innerprotestantische „neue soziale Bewegung“ Mobilisierungsphasen einer neuen sozialen Bewegung münden immer in einen Protest oder eine Protestwelle.34 Wie deutlich wurde, fanden kleinere Proteste schon in der Vorgeschichte der evangelikalen Bewegung statt. 1966 kam es zu dem größten Protest der evangelikalen Bewegung – im Übrigen sogar im Hinblick auf die folgenden Proteste und Protestaktionen. In einer Analyse, die von den Kriterien „neuer sozialer Bewegungen“ ausgeht, muss konstatiert werden, dass trotz der Wucht des evangelikalen Protestes 1966 und der in diesem Jahr stattfindenden Protestwelle der Bewegung sowie trotz der evangelikalen Zentrierung um die B KAE und die KBG sowie seit Ende der 1970er Jahre in der DEA kein langfristiger und durchschlagender Erfolg in dem Sinne einer Übernahme kirchenleitender Ämter in flächendeckendem Ausmaße – auch wenn vereinzelt Sympathisanten oder Vertreter der evangelikalen Bewegung Führungsämter in der evangelischen Kirche inne hatten – oder einer grundsätzliche Kurskorrektur der evangelischen Kirche, z. B. durch zahlreiche Lehrverfahren gegen Theologen und Pfarrer, zu verzeichnen ist. Diese skizzenhaften Überlegungen zur Charakterisierung der evangelikalen Bewegung als innerkirchlicher „Protestbewegung“ nach den strukturellen Formen einer „neuen sozialen Bewegung“ bilden nicht nur den Abschluss der vorangegangenen Darstellung der Sammlungsphase der evangelikalen Bewegung, sondern sind auch als Einführung in die kurz zu umreißende Geschichte der evangelikalen Bewegung selbst zu verstehen. Hier spielten sich die Schübe von Protestwellen ebenso ab, wie in der Vorgeschichte des evangelikalen Protestes 1966, hier finden sich die Vernetzungen ebenso wie die Auflösungen von Koalitionen in „neuen sozialen Bewegungen“.
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EBD., 134–141.
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6. Die evangelikale Bewegung im Konflikt mit den Landeskirchen
6.1 Der evangelikale Protest 1966 6.1.1 Der Dortmunder Bekenntnistag am 6. März 1966 Die Großkundgebung des Bethelkreises am 6. März 1966 in der Westfalenhalle in Dortmund fand vor geschätzten 20 000 bis 25 000 Zuhörerinnen und Zuhörern statt. Von ihnen bestand der der größte Teil aus Mitgliedern von Freikirchen und des CVJM,1 wobei der Schwerpunkt der regionalen Zuordnung hauptsächlich auf Westfalen und dem Rheinland lag, und weitere Gruppen aus Norddeutschland, Antwerpen und der Schweiz anreisten.2 Die Veranstaltung begann um 15.30 Uhr und dauerte drei Stunden. Zeitzeugen berichten von einer euphorischen, begeisterten Stimmung.3 Rudolf Bäumer zitierte in seiner Eröffnungsrede aus einem Aufsatz des ehemaligen Göttinger Studentenpfarrers und Religionspädagogen an der Pädagogischen Hochschule Ruhr in Dortmund, Walter Hartmann, in dem dieser schrieb „Jesus [war] Mensch und nichts als Mensch“, um die „Dringlichkeit der Lage“ darzustellen.4 Der westfälische Präses Ernst Wilm begann sein „biblisches Grußwort mit dem Versen Joh. 5,38–40: „Das Wort des Vaters habt ihr nicht in euch wohnen, denn ihr glaubt dem nicht, den er gesandt hat. Ihr suchet in der Schrift; denn ihr meinet, ihr habet das ewige Leben darin; und sie ist es, die von mir zeuget, aber ihr wollt nicht zu mir kommen, daß ihr das Leben hättet“, und fuhr fort, man könne und müsse also die Bibel lesen und studieren und doch blind für das Zeugnis von Jesus Christus sein.5 Nicht mit Wissen und Verstand verfügten Menschen über das Evangelium – nur Gott öffne mit seinem Geist die Augen, damit erkannt werden könne, dass Jesus um uns Men1
STRATMANN, Kein anderes Evangelium, 70. Süddeutsche Vertreter waren den Berichten zufolge kaum vertreten, vgl. diverse Dokumente LkA EKvW Best. 0.1 Nr. 476. 3 STRATMANN, Kein anderes Evangelium, 74. 4 EBD., 70. 5 Biblisches Grußwort des Präses der Landeskirche von Westfalen D. Ernst Wilm anlässlich der Dortmunder Bekenntniskundgebung am 6. März 1966. Maschinenschriftl., 7 S., hier 1 (AEKR Düsseldorf 1OB 017, Nr. 13–1-15: Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“, Bd. I). 2
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Die evangelikale Bewegung im Konflikt mit den Landeskirchen
schen willen und unserer Seligkeit willen vom Himmel kam, leibhaftig wurde durch den Heiligen Geist und die Jungfrau Maria, für uns am Kreuz starb und auferstand von den Toten. „Man kann also“, so Wilm weiter, „ein frommer und gläubiger Bibelleser sein, und doch mehr oder weniger in der Bibel nur sich selbst finden und seine eigenen Gedanken [. . .].“6 Dann zitierte Wilm ausführlich aus der Kirchenordnung der westfälischen Kirche und aus dem Wort der westfälischen Kirchenleitung vom Dezember 1950. Schon damals hieß es, durch „vorgetragene Ergebnisse der theologischen Arbeit“, besonders der „Forderung der Entmythologisierung des Neuen Testaments“, seien „manche Glieder unserer Gemeinden [. . .] sehr beunruhigt worden“. Man habe schon 1950 diese Beunruhigung sehr ernst genommen.7 In dem von Wilm zitierten Wort der Kirchenleitung von 1950 hieß es, nicht „in der Glaubenserkenntnis oder Glaubenskraft der Christen“ und „nicht in der Klugheit und in dem Wissen von Menschen“ liege eine „Gewähr für den Bestand der Kirche“, sondern einzig darin, „daß der erhöhte Herr gegenwärtig ist und seine Kirche nicht verläßt.“ Man verkenne „nicht, daß die Forscher, die die Fragen der sogenannten Entmythologisierung aufgeworfen haben, dies mit großem Ernst und in Sorge um die rechte Verkündigung des Wortes Gottes getan haben“, könne aber auch nicht übersehen, „daß nicht wenige Studierende der Theologie die Freude an der Verkündigung des Evangeliums verlieren, weil ihnen unter der Wirkung dieser theologischen Arbeit der Inhalt des Evangeliums unter den Händen zerrinnt.“8 Anschließend führte Wilm den Text Matth. 16,13–17, das Bekenntnis des Petrus, an und gab zu bedenken, „daß Gott im menschlichen Wort zu uns redet, aber dazu seinen Heiligen Geist verheißen hat. Wir können die Bibel nicht göttlicher machen als Gott sie selbst uns gegeben hat [. . .].“9 Schließlich verwies der Landesbischof auf den Text, den die westfälische Landessynode im Oktober 1961 über den „entscheidenden Inhalt der Verkündigung“ verabschiedet hatte und in dem es hieß, die Gemeinde lebe „nicht von den wechselnden Ergebnissen der theologischen Wissenschaft“, sondern von den „großen Taten Gottes, wie sie uns in der Schrift und in unserem Bekenntnis bezeugt sind.“ Deshalb sei es „unrecht, wenn ungesicherte Ergebnisse der Wissenschaft vor die Gemeinde gebracht werden mit dem Anspruch, letztgültige Wahrheit zu sein.“ Die Gemeinde dürfe „nicht lässig“ werden, die Heilige Schrift zu lesen, da Gott durch sie und nur durch sie mit den Menschen rede. Hier liege auch die „Begründung der Arbeit und Freiheit theologischer Forschung.“ Man müsse 6 7 8 9
EBD. EBD., 2. EBD., 3. EBD., 4.
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Der evangelikale Protest 1966
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den Theologen durch Fürbitte und geistliche Erkenntnis helfen, damit sie den lebendigen Herrn über ihrer wissenschaftlichen Arbeit nicht aus den Augen verlieren.10 Wilm betonte weiterhin, dass die Synode der EKD sowohl in Magdeburg als auch in Frankfurt am Main 1965 über das Thema „Wort Gottes und Heilige Schrift“ gearbeitet habe und eine Kommission zur Weiterarbeit einberufen habe. Auch die westfälische Kirchenleitung habe im Februar 1966 beschlossen, einen Arbeitskreis zu bilden, der sich mit Fragen der Theologie und Verkündigung, der Lehre der Theologie und des Bekenntnisses der Kirche beschäftigen solle.11 Nahezu in der Form eines Credo fügte Wilm fünf Schwerpunkte an, die er für wesentlich hielt: 1. die Kirche ist gegründet auf den Glauben an den Gekreuzigten und Auferstandenen, unseren Erlöser, 2. dieses und kein anderes Evangelium soll und darf in den Gemeinden verkündigt werden, 3. „wir“ haben über die lautere Verkündigung des Evangeliums zu wachen, 4. „wir“ dürfen von jedem die Schrift Auslegenden erwarten, dass er das redlich, sorgfältig und in Freiheit und Gehorsam gleichzeitig tut, 5. „wir“ haben das Evangelium nicht für uns allein empfangen, sondern um es allen Menschen zu bezeugen und zwar in deren Sprache.12 In einem sehr versöhnlichen Schlusswort versuchte Wilm jeder Form der Frontbildung entgegenzuwirken: die, die mit dieser Großkundgebung in der Westfalenhalle nicht einverstanden seien, dürften nicht sagen, die Veranstalter hätten ein „anderes Evangelium“. Denn diejenigen, die nach Dortmund gekommen seien, „wollen keine Front gegen eine andere Front sein, wollen keine Spaltung in die Kirche tragen, wollen auch nicht durch eine ‚Massendemonstration‘, wie es fälschlich genannt worden ist, das ‚eine Evangelium‘ gegen ein ‚anderes Evangelium‘ durchsetzen“, im Gegenteil, sie „wollen als ein ‚Gemeindetag unter dem Wort‘ sich fröhlich zu dem gekreuzigten und auferstandenen Herrn Jesus Christus bekennen und mithelfen, daß dieses Bekenntnis als ein einmütiges Bekenntnis bei uns bleibt.“ Gerade zu „einer solchen Versammlung – auch in der Dortmunder Westfalenhalle! – und zu einer solchen Aussage für das Evangelium“ habe „eine christliche Gemeinde ein legitimes Recht, das ihr von niemanden bestritten werden kann.“13 Stratmann bemerkt dazu pointiert, dass die nachfolgenden Grußworte von Sundermeier, Heimbucher und Busch zu erkennen gaben, dass diese Vorstellungen von Wilm „kaum geteilt“ wurden und zitiert Sundermeier und Busch, die die Kirchenleitungen aufforderten, aus ihren eigenen Worten die Konse10 11 12 13
EBD., 5. EBD., 6. EBD. EBD., 6f.
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quenz zu ziehen. Busch schlug seiner Zuhörerschaft vor, in der großen Verzweiflung an der Kirche und der Ohnmacht angesichts „all der schönen Worte von Synoden und Kirchenleitungen, die nichts gehindert haben an dem Vormarsch der Gottlosigkeit“ an ein tröstendes, „gewaltiges Wort“ der Bibel zu denken: „So spricht der Herr: Ich werde mich meiner Herde selbst annehmen.“14 Buschs Protest markierte eine Entwicklung, die sich in der Diskussion um die Kirchentage in den folgenden Jahren ganz deutlich abzeichnete: Die Kritik an der Theologie verlagerte sich langsam auf eine Kritik an „der Kirche“. Im Prinzip war diese Kontroverse bereits in der Bultmanndebatte absehbar, brach sich hier allerdings erstmalig in breiter Öffentlichkeit Bahn, pikanterweise im nahtlosen Anschluss an die dezidierte Stellungnahme eines Präses für die Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“ (B KAE). Wilms Versuch, die Fronten nicht aufbrechen zu lassen, indem er apodiktisch den Willen der B KAE zur Frontbildung leugnete, ist sicher auch als taktisches Vorgehen zu würdigen – und sollte als rhetorisches Stilmittel seitens der Kirchenleitungen in der Folgezeit immer häufiger in Anwendung gebracht werden –, zeugte allerdings davon, dass die Kirchenleitungen die Entwicklungen der „Sammlung“ und des „Aktionismus“ innerhalb des Bethelkreises und der sich ihm anschließenden Gruppen und Personen in den letzten Jahren, die zur Mobilisierung der evangelikalen Bewegung geführt hatten, nicht wahrgenommen hatten bzw. unterschätzten. Zu dem Zeitpunkt des offen ausbrechenden evangelikalen Protestes war die Identitätsbildung der evangelikalen Bewegung bereits derartig fortgeschritten, dass eben genau davon, dass „keine Rede von Spaltung und Massendemonstration sein könne“, keine Rede mehr sein konnte, da sich die evangelikale Bewegung über die Abgrenzung zur Theologie und nun auch beginnend zur Kirche sowie durch öffentlichkeitswirksame Aktionen überhaupt nur als „evangelikale Bewegung“ definieren und halten konnte. So hieß es in einem Brief von Rudolf Bäumer im Nachgang der Veranstaltung auch signifikant, bei der Dortmunder Kundgebung sei es nicht „primär“ um eine „theologische Kontroverse“ gegangen, sondern um das „Bekenntnis des einen unverkürzten Evangeliums“,15 wobei das „Bekenntnis“ als „unantastbar“ und damit nicht als Diskussionsgegenstand zu verhandeln angesehen wurde. Walter Künneths Hauptvortrag über „Kreuz und Auferstehung“ bot Künneths theologische Positionen, in Abgrenzung zur „modernistischen Theologie“, wie er sie schon mehrfach früher dargelegt hatte. Aus der „Vernebelung“, die 14
STRATMANN, Kein anderes Evangelium, 72. Brief von Rudolf Bäumer an Pfarrer [Karl-Heinz] Horstmann vom 24. 2. 1966. Maschinenschriftl., hektograph., 2 S., hier 2 (LkA EKvW Best. 4.22 Nr. 517). 15
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die Theologie betreibe, für die „zu Ostern gar nichts geschehen“ sei, schloss er die Notwendigkeit einer Bekenntnisbewegung wie „einst zur Zeit des Kirchenkampfes“, die „das unverkürzte, unveränderte Evangelium“ vertrete.16 Mit seinem „evangelistischen Wort“ im Anschluss „zeigte Deitenbeck [sich] als einen Mann, der auf der Klaviatur der Emotionen zu spielen“ wusste.17 Er forderte sein Auditorium eingangs auf, gemeinsam zu bekennen: „Der Herr ist auferstanden. Er ist wahrhaftig auferstanden.“ Danach sprach der profilierte Evangelist darüber, dass das Kreuz „die große göttliche Zahlstelle für zahlungsunfähige Sünder“ sei, die damit „unanklagbar bis in Ewigkeit [sind], obwohl alles im Licht der Gebote Gottes gegen mich spricht“.18 Den Abschluss bildeten ein Ausgangswort Bäumers und ein Gebet Tegtmeyers. Am Ende der Veranstaltung erhielten alle Besucher eine Selbstverpflichtungskarte, die in die eigene Bibel gelegt werden sollte, mit dem Text: „Ich versichere hiermit, daß ich unverkürzt zu Bibel und Bekenntnis stehe durch Fürbitte, Beispiel und Opferbereitschaft, wo immer es Gott von mir fordert.“19 Am Rande der Veranstaltung kam es zu kleineren Gegenprotesten. So berichtete Pfarrer Dieter Geister aus Neuß-Vogelsang, er habe beobachtet, wie Jugendlichen, die ein Plakat hielten, auf dem stand: „Ist gläubig gleich unkritisch?“ gesagt wurde, sie sollten doch gleich aus der Kirche austreten. Er hoffe, dass dies auch „nur Außenseiter der Bekenntnisbewegung“ gewesen seien.20 Aber nicht nur die Veranstaltung in Dortmund und ihre große Beteiligung markieren die Wende in dem „evangelikalen Aufbruch“, sondern auch die Reaktionen auf diese Kundgebung, die als „Bekenntnistag“ die Geschichte der evangelikalen Bewegung begründete. Das Presseecho war immens. Im März 1966 kam die junge evangelikale Bewegung mit ihrer Initiationsveranstaltung auch in der medialen Welt des 20. Jahrhunderts an und nutzte diese intensiv.21 „Der Spiegel“ widmete sich das
16
Zitiert nach STRATMANN, Kein anderes Evangelium, 72f. E. Hübner in „Kirche in der Zeit“ 1966, zitiert nach STRATMANN, Kein anderes Evangelium, 73, Fußnote 31. 18 Zitiert nach EBD., 73. 19 EBD., 74. 20 Geister, Dieter: Wir wollen zusammenbleiben! Drucksache, 1 S. (LAW, LBF 610). 21 In Bezug auf die mediale Wirkung reihte sich die Dortmunder Protestveranstaltung ein in Billy Grahams Großevangelisationen. Deren Höhepunkt war die „Euro `70“ vom 5. bis 12. April 1970 in Dortmund, die von geschätzten 840 000 Menschen in der Westfalenhalle und per Fernsehübertragung verfolgt wurde (Fazit Euro `70. Dokumentation und Auswertung der Billy-Graham-Evangelisation, in: Informationsdienst des Diakonischen Werkes. Missionarische Dienst Nr. 2 [1970]. Maschinenschriftl., hektograph., 36 S., hier 15 [AEKR Düsseldorf 2LR 004, Nr. 377: Billy-Graham-Evangelisation „Euro `70“, Dortmund 1969–1971]). 17
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ganze Frühjahr lang in Fortsetzungsfolgen religiösen Themen und Fragen.22 Am 28. Mai fand im ZDF eine Diskussionsrunde unter Leitung Heinz Zahrnts statt, an der folgende Personen teilnahmen: der Präses der Landeskirche im Rheinland, Joachim Beckmann, Paul Deitenbeck, die Theologen Werner Georg Kümmel und Dieter Georgi sowie Klaus Dessecker, der 1966 Gymnasialprofessor für Evangelischen Religionsunterricht am Freiburger Kepler-Gymnasium war und später Gründer und Direktor des Religionspädagogischen Instituts der Evangelischen Landeskirche in Baden. Die Diskussion stand unter dem Thema „Alarm um Jesus – Droht eine Spaltung der evangelischen Kirche?“23 Kontroverse Diskussionen zwischen Theologen und Vertretern der B KAE zogen sich durch ganze Folgen des „Deutschen Allgemeinen Sonntagsblattes“: Von März bis April 1966 wurde hier eine Diskussion zwischen Walter Hartmann und Paul Deitenbeck dokumentiert, in die sich schließlich noch Ernst Fuchs einschaltete, von Oktober bis Dezember eine Debatte zwischen dem Kieler Neutestamentler Günter Klein und Walter Künneth.24
22
Vgl. STRATMANN, Kein anderes Evangelium, 75f. EBD., 86. Diese Fernsehdiskussion löste eine ganze Welle von Reaktionen aus. Kurt Heimbucher, Mitbegründer der „Ersten Fränkischen Glaubenskonferenz“ in Nürnberg, seit 1967 Mitglied im Hauptvorstand der DEA und seit 1968 Vorsitzender der Evangelischen Allianz in Nürnberg, der 1970/71 Hermann Haarbeck als Präses des Gnadauer Verbandes ablöste, schrieb nach der Ausstrahlung der Sendung enttäuscht an Beckmann: „Es war bedrückend zu hören, wie stark Sie sich als Oberhaupt einer großen Landeskirche bei der ‚modernen Theologie‘ engagierten. Herr Dr. Zahrnt sagte am Ende des Gespräches, daß er in einer Kirche leben möchte, in der man frei atmen kann. Herr Präses, ich möchte in einer Kirche leben und sterben, die mir einen festen Grund unter die Füße gibt, in der ich geborgen bin und in der ich in einer fröhlichen Glaubensgewißheit, die gewiß nicht ohne Anfechtung ist, getrost meinen Weg gehen kann.“ (Brief von Pfarrer Kurt Heimbucher, Nürnberg, an Präses [Joachim Beckmann] vom 31. 5. 1966. Maschinenschriftl., 1 S. [AEKR Düsseldorf 1OB 017, Nr. 13–1-15: Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“, Bd. I]). Am 27. März 1967 fand eine weitere Diskussion im ZDF statt, diesmal zwischen dem Bochumer Praktischen Theologen Johannes Schreiber und Walter Künneth über die „Auferstehung Jesu“. Wie schon in seiner bisherigen Vorträgen und Veröffentlichungen betonte Künneth, die Auferstehung „sei ein Datum“, Widersprüchlichkeiten in den biblischen Auferstehungsberichten könnten mit den verschiedenen Standpunkten der Verfasser erklärt werden und den Hinweis auf die späte Datierung der Auferstehungsberichte konterte Künneth mit dem Verweis, dass „in diesen Worten ‚die Auswirkungen einer dahinterstehenden Weltanschauung, einer Philosophie oder derartiger Ideologien‘“ erkennbar seien (STRATMANN, Kein anderes Evangelium, 87). 24 Die „Hartmann-Deitenbeck-Debatte“ begann im „Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt“ in Nr. 12 vom 20. März 1966 und zog sich bis zur Nr. 17 vom 24. April 1966 hin. Die ersten beiden Beiträge erschienen als Sonderdruck (Die Wahrheit – nichts als die Wahrheit! Zwei persönliche Stellungnahmen zur Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“. Drucksache, 8 S. [LAW, Pa Har 31]). Welches Niveau die Auseinandersetzung inzwischen erreicht hatte und wel23
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Ein ganz eigenes Feld der Untersuchung stellen dabei die Reaktionen in den Leserzuschriften dar, die von Zustimmung der Anliegen der B KAE bis zur rigorosen Ablehnung reichten. So schrieb z. B. der Studentenpfarrer von Bremen: „Wir haben alle einmal auf ähnlichen Gleisen wie Herr Deitenbeck unsere ersten theologischen Gehversuche gemacht. Er ist im Gebiet der rheinisch-westfälischen Erweckung gelandet, wir unter den Menschen der modernen, säkularen Großstädte, von denen man nicht sagen kann, daß sie das Evangelium nicht glauben wollen, bei denen man vielmehr findet, daß sie der Botschaft der Bibel mit einer hilflosen Verständnislosigkeit gegenüberstehen.“ Deitenbeck verwende ein Vokabular, das „in der Tradition zweitausendjähriger innerkirchlicher Verketzerungen“ stehe und richte „sich damit selbst.“25 Rolf Trommershäuser, Hilfsassistent bei dem Praktischen Theologen HansEckehard Bahr in Bochum, wies auf das inzwischen schon zahlreich thematisierte Auseinanderdriften von Theologie und Gemeinden hin, nachdem er feststellte, dass die Bekenntnisbewegung nicht mit theologischen Kategorien zu
che Verhärtung der Fronten eingetreten war, verdeutlicht eine Äußerung Hartmanns in seinem dritten Beitrag: „Pastor Deitenbeck hat eine Lehre als ‚antichristlich‘ bezeichnet. Das finde ich nicht gut. So einfach wird doch nicht jeder kleine Professor – selbst wenn er eine völlig falsche Theologie vertritt – zum Antichristen. So sollten wir die großen Symbole der christlichen Überlieferung nicht in der Tagespolemik verschleudern!“ Er, Hartmann, verkünde Jesus nicht im Namen der „modernen Theologie“, sondern im Namen des dreieinigen Gottes: „Es geht hier um Bekenntnis gegen Bekenntnis. Ich muß darum schon bitten, auch mir zuzubilligen, daß ich Jesus nicht im Namen einer Theologie, sondern im Namen Gottes zu verkünden suche.“ (HARTMANN, Bitte um Dialog). Auf derselben Seite der Ausgabe des „Allgemeinen Sonntagsblattes“ war ein Artikel von Rudolf Bäumer der „Hartmann-Deitenbeck-Debatte“ zwischengeschaltet, in dem Bäumer Hartmann zu den vielen „falschen Propheten“ zählte, die kommen werden (Matth. 24,11; 1. Joh. 4,1), ihn als „antichristlich“ bezeichnete und dringend empfahl, Hartmann seines Amtes zu entheben und der Kirche zu verweisen (BÄUMER, Aufforderung). Ernst Fuchs und Deitenbeck gerieten Ende März in die Konfrontation (FUCHS, Nicht irgend jemand; DEITENBECK, Hat Gott gehungert?). Rudolf Bäumer, der Ernst Wilm gegenüber die Auseinandersetzung kommentierte, maß dem Beitrag von Fuchs kaum Beachtung zu: „Fuchs’ Angriff gegen Hartmann und Deitenbeck ist Theologen-Chinesisch (‚. . .glauben, wohin Jesus Gott übersetzt hat. . .‘); der Artikel wird kaum Bedeutung haben.“ Trotzdem zeigte er sich erfreut über Hartmanns Positionierung, denn endlich sagten „die Modernisten“ klar, „daß das Bekenntnis der Kirche geändert werden müßte.“ Hartmann habe in dieser Hinsicht der B KAE „den größten Dienst“ erwiesen, da er „die Gottheit Jesu strich“. Nun verstünden viele Amtsbrüder, „daß bei aller Differenzierung der Modernisten untereinander ihre Stoßrichtung die gleiche ist, auch wenn sie im Augenblick bei verschiedenen km-Steinen angelangt sind.“ (Brief von Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“, gez. R[udolf] Bäumer, an Präses D. [Ernst] Wilm vom 28. 3. 1966. Maschinenschriftl., 3 S., hier 1f. [LkA EKvW Best. 0.1 Nr. 476]). Die „Klein-Künneth-Debatte“ zog sich von Nr. 40 vom 2. Oktober 1966 bis Nr. 52 vom 25. Dezember 1966 durch das „Allgemeine Sonntagsblatt“ und wurde 1967 in Buchform unter dem Titel „Bekenntnis im Widerstreit“ veröffentlicht. 25 LESERZUSCHRIFT VON WALTER LÜCK.
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erfassen sei, denn „christlicher Glaube ist immer denkender Glaube gewesen“ und die Bekenntnisbewegung eher „eine sozial-psychiatrische Erscheinung im Sozialgefüge der Kirche“ als eine kirchliche Reformbewegung: „Der objektive Grund für den Dortmunder Protest ist nicht ein ‚anderer Christus‘, sondern die Unfähigkeit der modernen Theologie, ihre Erkenntnisse über eine befreiende Botschaft von Jesus Christus so in den gesellschaftlichen Bereich der Kirche umzusetzen, daß aus den Agenden und Religionsbüchern der Geist des Evangeliums strahlt und in der Kirche eine gesellschaftliche Atmosphäre entsteht, die keine Ansatzpunkte mehr für solche Erscheinungen wie die Kundgebung in Dortmund bietet.“26 Trommershäuser sollte in den folgenden Jahren selbst in nicht unerhebliche Kritik durch sein Engagement in der linken Theologiestudentenbewegung geraten. 6.1.2 Stellungnahmen der Landeskirchenleitungen zur Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“ Die Stellungnahmen der Landesbischöfe zu der B KAE und der massiv aufgebrochenen Frage nach dem Verhältnis Theologie und Gemeindefrömmigkeit kumulierten zur Pfingstzeit 1966 mit den „Pfingstworten an die Gemeinden“ und in den Berichten vor den Landessynoden im Sommer und Herbst 1966. Mitte April äußerte sich der Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche im Hamburgischen Staate, Hans-Otto Wölber, auf einer Tagung der Evangelischen Akademie Hamburg zum Thema „Kirchenreform“, wie er auch später das Schlagwort „Kirchenreform“ vor der Hamburgischen Synode aufnahm. Es gebe, so Wölber, keine Kirchenreform ohne Impulse der Frömmigkeit und im Zentrum der gottesdienstlichen Verlebendigung. Man müsse heute an die Kirche von 1976 denken: vielleicht bestehe die Kirche dann nur noch aus aktiven, lebendigen Gemeinden. Aber die Institution der Kirche sei jetzt zu bejahen und die Strukturen der Moderne auch in die Kirche zu übernehmen. Eine Reform des Theologiestudiums sei überfällig. Kirche benötige eine „Durchlässigkeit der Grenzen“.27 Vor der Synode erweiterte Wölber seinen Gedankengang noch: die gegenwärtige Spannung verleihe dem kirchlichen Wirken Antrieb. Theologie sei nicht „mit ein paar Schlagworten abzutun“, aber das Verdienst der B KAE bestehe darin, in Erinnerung gerufen zu haben, dass es nicht um Wissenschaft bei der Heilserkenntnis gehe. Außerdem werde sich der theologisch-kritische Ansatz, „wenn nicht alle Zeichen trügen [. . .], gegen die Theologie selbst wen26 27
LESERZUSCHRIFT VON ROLF TROMMERSHÄUSER. HAMBURGER THESEN ZUR KIRCHENREFORM.
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den.“28 Dann referierte Wölber in einer längeren Passage über das Problem des Verfügens über das Unverfügbare, sowohl mit Kritik als auch mit Befürwortung der existentialen Bibelinterpretation.29 Gehe die Theologie allerdings davon aus, dass Gott lediglich „Mitmenschlichkeit“ sei, dann stelle das einen Irrweg dar. Es empöre ihn, so Wölber weiter, wenn Theologen über „Innerlichkeit“, „Frömmigkeit“ und „Seelenpflege“ lästerten. Die EKD gebe in diesem ganzen Problem auch „nicht viel hilfreiche Impulse“.30 „Die theologische Einbahnstrasse ‚Bibelauslegung = Weltauslegung‘ ist natürlich auch der Grund für das Expertentrauma des gegenwärtigen Protestantismus. Man kann ja überhaupt nicht mehr richtig auf Gott hören, wenn man nicht zunächst immerzu Weltausleger befragt hat. Aber Gott ist grösser als unser Herz und unsere Expertisen.“31 Im Moment sei „Kirchenreform“ „Kirchenkrise“, und der einzige Weg, diese zu bewältigen seien nüchterne praktische kleine Schritte, bei denen Ballast abgeworfen werde im Sinne eines nun auch protestantischerseits zu vollziehenden „Aggiornamento“. Der seit 1964 amtierende badische Landesbischof Hans-Wolfgang Heidland äußerte sich am 29. Mai 1966 in einem Wort an die Gemeinden der badischen Landeskirche.32 Man dürfe, so Heidland, trotz der Beunruhigung über die moderne Theologie keine Fronten entstehen lassen. Es gebe in akademischen Diskussionen Äußerungen, „die dem Bekenntnis unserer Kirche widersprechen“, besonders wenn Jesus ausschließlich als Mensch dargestellt würde.33 Heidland zählte dann einige Beispiele auf bis hin zur „Gott-ist-tot-Theologie“, fügte aber an, dass es bei weitem nicht alle theologischen Professoren seien, die solche „fragwürdigen Auffassungen“ vertreten.34 Es sei „grobes Unrecht“, die „moderne Theologie in Bausch und Bogen zu verurteilen“. Auch die Gemeinden müssten einsehen, „daß es nicht von vornherein dem Geiste des Evangeliums widerspricht, wenn wir die Bibel mit Hilfe historischer und philologischer Methoden untersuchen.“35 Heidland rief auf, sich nicht vor der Forschung zu
28 Bischof Dr. Wölber: Bericht vor der Synode der Evang.-Luth. Kirche im Hamburgischen Staatsbezirk (Auszug). Anlage 7 des Rundbriefes an die Leitungen der Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland Betr.: Schrift, Lehre und Verkündigung, gez. [Gottfried] Niemeier, vom 6. 1. 1967. Maschinenschriftl., vervielf., 5 S., hier 2 (EZA 2/991). 29 EBD., 3. 30 EBD., 4. 31 EBD., 5. 32 [Heidland, Hans-Wolfgang]: Wort des Landesbischofs an die Gemeinden Pfingsten 1966. Drucksache, unpagn., 4 S. (LkA EKvW Best. 0.1 Nr. 476). 33 EBD., 1. 34 EBD., 2. 35 EBD., 2f.
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fürchten. Gläubige Gemeindeglieder und moderne Theologen verbinde eine große Gemeinsamkeit: Es gehe ihnen um die Wahrheit und um die Bibel und die Verkündigung. Gesprächskreise und Seminare müssten in den Gemeinden gebildet werden, in denen über die Theologie und die Erfahrungen des Glaubens im Alltag geredet werde. Theologie und Frömmigkeit gehörten zusammen und seien füreinander verantwortlich. Das Gespräch um die Bibel „kann ein neues Pfingsten werden“36, so Heidland. Ein besonderes Forum der Information in Sachen Theologie und Glaube boten die badische und die pfälzische Landeskirche mit einer gemeinsamen Veranstaltung an, den „Tagen der Besinnung“ in Mannheim und Ludwigshafen vom 30. September bis 2. Oktober 1966, die am 1. Oktober ganz im Zeichen der Diskussion über die historisch-kritische Wissenschaft, den christlichen Glauben und den historischen Jesus standen. Angefragt waren hierfür Wilfried Joest und der Bochumer Neutestamentler Erich Gräßer.37 Dezidiert zur B KAE äußerte sich in seinem Pfingstrundbrief an die Gemeinden seiner Landeskirche der Bischof der Landeskirche von Kurhessen-Waldeck, Erich Vellmer.38 Er leitete sein Pfingstwort mit dem Satz aus 2. Kor. 3,17 ein: „Der Herr ist der Geist; wo aber der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit.“ Diese Freiheit dürfe selbstredend nicht libertinistisch oder liberalistisch verstanden werden, betonte Vellmer, sie sei nur in Christus wirklich und keine Fähigkeit der religiös-sittlichen Persönlichkeit.39 Im Folgenden ging Vellmer auf Walter Künneths Vortrag in Dortmund ein und stellte die Frage, ob Künneth mit seinen Aussagen wirklich dem NT gerecht werde.40 Künneth übersehe, dass das Kreuz Jesu nicht nur von der Schuldenlast der Sünden befreie, sondern vor allem als Neuschöpfung des Menschen verstanden werden müsse, als Befreiung vom Zwang des Sündigen-Müssens. Insgesamt werde man, so Vellmer, „an die Veranstalter der Dortmunder Großkundgebung die Frage richten müssen, ob ihnen bei ihrem Interesse an einem handgreiflichen Fundamentalismus nicht eine bedauerliche Verkürzung des neutestamentlichen Kerygmas unterlaufen ist.“41 36
EBD., 4. RESÜMEE über den gegenwärtigen Stand der Vorbereitungen für die Veranstaltung vom 30.9. bis 2. 10. 1966. Mannheim, den 27. Juni 1966. Maschinenschriftl., hektograph., 3 S. (LKA KA GA 14139). 38 Rundbrief der Evangelischen Landeskirche von Kurhessen-Waldeck – der Bischof – an die Pröpste, Dekane, Pfarrer, Pfarrerinnen [. . .] vom 23. 5. 1966. Maschinenschriftl., 9 S. (LkA EKvW Best. 0.1 Nr. 476). 39 EBD., 1. 40 EBD., 2. 41 EBD., 3. 37
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In der Auseinandersetzung mit Deitenbeck im „Allgemeinen Sonntagsblatt“ habe Ernst Fuchs mit Recht darauf hingewiesen, dass der Gott, der alle Tatsachen schaffe, selbst nicht auf eine bloße Tatsache zu reduzieren sei. Besorgniserregend sei, dass in Folge der Veranstaltung in Dortmund der Theologe Willi Marxsen „als Mitglied der Prüfungskommission der westfälischen Landessynode nicht mehr tragbar erscheint.“42 Im Folgenden zitierte Vellmer im vollen Wortlaut die „Erklärung der westfälischen Theologieprofessoren“, auf die noch näher eingegangen wird. Dann ging Vellmer weiter zu der Frage der Ursachen für die Entstehung der B KAE und stellte fest, die Auflösung des Christentums ins Mitmenschliche, die Reduzierung von Jesus auf seine Vorbildfunktion, habe den Widerspruch und die Entstehung dieser Bewegung hervorgerufen. Aber, so Vellmer, Glaube, der sich auf das NT gründe, bekenne sich nicht zu einem toten Herrn, sondern zu dem bis in Ewigkeit wirkenden Kyrios. „Die Anthropologie darf infolgedessen nicht an die Stelle der Christologie treten.“43 Was diese „Entartungen“ in Theologie und Verkündigung anbelange, sei die Dortmunder Veranstaltung eine zwar unsachgemäße, aber begreifliche Reaktion gewesen. Es gebe nicht nur eine Theologie, sondern immer Theologien – schon in den Tagen des Paulus.44 Außerdem verschaffe keine Theologie Heil – das allein kann nur Gott. Aber das Anathema des Galaterbriefes 1, 8f. „Kein anderes Evangelium“ gelte nach dem Galaterbrief nur da, wo die Freiheit des Evangeliums in Gefahr sei. Die „Pia-desideria-heute-Gespräche“45 seien notwendig, da sie Missverständnisse abzubauen und eine gegenseitige Offenheit herzustellen helfen würden.46 „Zu diesem Offensein füreinander gehört auch die Bereitschaft, die Brüder aus dem Pietismus nicht einfach mit den Vertretern des Fundamentalismus zu identifizieren. Und auch der fundamentalistische Glaube hat unterschiedliche Ausprägungen.“47 Für das heutige theologische Denken war nach Vellmer das Wirklichkeitsverständnis ausschlaggebend: „Was meint der Begriff Wirklichkeit? Dasselbe wie Realität, also das tatsächliche, die Tatsache? Oder ist Wirklichkeit immer zugleich das dem Menschen Begegnende, ihn Ansprechende? Wie verhalten sich dann Wirklichkeit, Sprache, Vernehmen 42
EBD., 4. EBD., 6. 44 In einem Artikel in „Christ und Welt“ vom August 1966 äußerte Vellmer nochmals seine Ansicht, es könne nicht nur eine Theologie geben (VELLMER, Richtung). 45 In Kurhessen-Waldeck hießen die Gespräche zwischen Vertretern der Gemeinschaftsbewegung und der Kirchenleitung in den 1950er Jahren „Pia-desideria-Gespräche“. 46 Rundbrief der Evangelischen Landeskirche von Kurhessen-Waldeck – der Bischof – an die Pröpste, Dekane, Pfarrer, Pfarrerinnen [. . .] vom 23. 5. 1966. Maschinenschriftl., 9 S., hier 7 (LkA EKvW Best. 0.1 Nr. 476). 47 EBD., 8. 43
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und verstehen zueinander? Kann im echten Sinne von Gottes Wirklichkeit geredet werden, ohne daß zugleich von unserer Wirklichkeit geredet wird, und zwar so, daß unsere Wirklichkeit erhellt und zu sich selbst gebracht wird, d. h. zu dem gebracht wird, wozu sie bestimmt ist?“48 Das gegenwärtig so große Interesse am irdischen Jesus sei darin begründet, so Vellmer weiter, dass sich im irdischen Jesus göttliches und menschliches Verhalten entsprächen: in Jesus verwirkliche sich „die Entsprechung des menschlichen Verhaltens zu Gottes Tun als das dem Menschen verheißene neue Handeln Gottes selbst.“49 So konnte der kurhessen-waldecksche Bischof auch am Schluss seines Pfingstwortes sagen: „Denn durch die Verkündigung soll der Mensch verwirklicht werden. Durch das Wort des Evangeliums, das es heute neu zu sagen und nicht lediglich zu rezitieren gilt, soll der Hörer der ganzen Wahrheit seiner Wirklichkeit ausgeliefert werden.“50 Mit diesem skizzierten theologischen Ansatz feiere laut Vellmer „gerade nicht die ehemalige liberale Theologie ihre Urstände“.51 Es sei heute dringend erforderlich, die theologischen Begriffe zu klären, mit denen man operiere. Der Glaube, so schloss Vellmer, „ist kein Feind des Denkens, im Gegenteil, das Denken gehört zum Glauben.“52 Gleich mit einer ganzen Broschüre stieg der Präses der rheinischen Kirche, Joachim Beckmann, in die Diskussion ein. In dem „Wort an die Pfarrer, Presbyter und Mitarbeiter im kirchlichen Dienst: ‚Ein anderes Evangelium? Zur Frage der modernen Theologie“53 wandte sich Beckmann sowohl den bisherigen Verlautbarungen der Evangelischen Kirche im Rheinland zu. Dabei handelte es sich um die Ergebnisse des Ausschusses der Landessynode von 196254 und die von dem Berliner Theologen und Barthschüler Helmut Gollwitzer verfasste Erklärung der EKD-Synode, die 1965 in Frankfurt am Main und Magdeburg stattfand und die den Titel „Wort Gottes und Heilige Schrift“ trug. Sie war der Broschüre Beckmanns in vollem Wortlaut beigegeben.55 Trotz dieser 48
EBD. EBD. 50 EBD., 9. 51 EBD. 52 EBD. 53 Beckmann, Joachim: Wort an die Pfarrer, Presbyter und Mitarbeiter im kirchlichen Dienst ‚Ein anderes Evangelium? Zur Frage der modernen Theologie. Düsseldorf 1966. Drucksache, 24 S. (AEKR Düsseldorf 1OB 017, Nr. 13–1-15: Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“, Bd. I). 54 EBD., 3f. 55 Gollwitzer, Helmut: Wort Gottes und Heilige Schrift, in: Beckmann, Joachim: Wort an die Pfarrer, Presbyter und Mitarbeiter im kirchlichen Dienst ‚Ein anderes Evangelium? Zur Frage der modernen Theologie. Düsseldorf 1966. Drucksache, 24 S., hier 17–24 (AEKR Düsseldorf 1OB 017, Nr. 13–1-15: Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“, Bd. I). 49
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Verlautbarungen sei es, so Beckmann, offenbar nicht gelungen, die Beunruhigung in den Gemeinden über die gegenwärtige Theologie abzubauen. Demzufolge nahm der Präses dieses Thema nochmals auf und analysierte zuerst Geschichte und Denken des „Fundamentalismus“56, um dann festzustellen, dass es zur Zeit keine Brücke hin zur „modernen Theologie“ gebe, da diese in Form der „existenzialistischen Theologie“ von anderen Grundvoraussetzungen ausgehe.57 Beckmann äußerte „schwere Bedenken“ gegen die „Vorentscheidungen“ dieser Theologie.58 Mit ausführlichem Verweis auf den Grundartikel der 1952 verabschiedeten Kirchenordnung und die in Artikel 67 der Kirchenordnung enthaltene Amtsverpflichtung bei der Ordination sowie die Grundlegung der EKU-Synode zum Verfahren bei „Beanstandung der Lehre ordinierter Diener am Wort“ warf Beckmann die Frage nach dem „Lehramt“ in der evangelischen Kirche auf, das in Form eines Wächteramtes über die Lehre allen Christen zustehe. In der Grundlegung der EKU sei ausgeführt, dass ein Diener am Wort, „der in seiner Verkündigung und Lehre im Widerspruch zu dem entscheidenden Inhalt der Heiligen Schrift“59 stehe, aus dem Verkündigungsdienst entfernt werden müsse. Dies werfe die Frage auf, was unter „entscheidendem Inhalt der Heiligen Schrift“ zu verstehen sei. Beckmann versuchte sich dieser Frage zu nähern, indem er den ersten Artikel der Schmalkaldischen Artikel sowie Auszüge aus dem „Evangelischen Katechismus“ der rheinischen Landeskirche von 1962 zitierte.60 Daran zeige sich, dass jede Theologie daraufhin zu prüfen sei, ob in ihr der gekreuzigte und auferstandene Herr „zu Wort“ komme,61 und zwar sowohl im Blick auf die „modernen Theologen“ als auch im Blick auf die Vertreter der „Bekenntnisbewegung“. Die Kirche im Rheinland müsse sich weiterhin mit dieser Frage in Diskussionsrunden, Synoden und Gemeindeversammlungen beschäftigen. Es dürfe nicht die Gefahr einer Spaltung der Kirche heraufbeschworen werden – man müsse Geduld miteinander haben.62 In Gollwitzers Vorlage für die Frühjahrstagung der EKD-Synode im Vorjahr kommt bereits zum Ausdruck, dass nur die Heilige Schrift die Kirche regiere, 56 Beckmann, Joachim: Wort an die Pfarrer, Presbyter und Mitarbeiter im kirchlichen Dienst ‚Ein anderes Evangelium? Zur Frage der modernen Theologie. Düsseldorf 1966. Drucksache, 24 S., hier 6f. (AEKR Düsseldorf 1OB 017, Nr. 13–1-15: Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“, Bd. I). 57 EBD., 8. 58 EBD., 9. 59 EBD., 13. 60 EBD., 14f. 61 EBD., 15. 62 EBD., 16.
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Jesus Christus Gottes fleischgewordenes Wort an die Menschen sei und dass dieses Wort durch Menschenworte bezeugt wurde und damit geschichtlich verankert sei. Eine Auslegung der Schrift, so Gollwitzer, sei deshalb nötig, ebenso wie die Übersetzung in die heutige Zeit. „Weil aber immer die Gefahr besteht, daß wir beim Umgang mit der Bibel unsere vorgefaßte Meinungen mit hineintragen, ist die historische Erforschung der Bibel eine Hilfe zum sachgemäßen Verstehen der Heiligen Schrift.“63 Jede Erkenntnismethode der Wissenschaft, soweit sie sachgemäß angewendet werde, diene der Wahrheit, jede Wahrheit aber sei Wahrheit Gottes: „die Wahrheit des Evangeliums [hat] das Licht der Wissenschaft nicht zu scheuen.“64 Die Zuversicht, dass die Bibel nicht „untergehe“, wenn sie Gegenstand wissenschaftlicher Forschung wird, habe sich, so Gollwitzer, längst bewährt. Historisch-kritische Arbeit sei Einübung der Selbstkritik gegenüber dem eigenen Vorverständnis und schaffe damit eine Offenheit gegenüber dem, was die biblischen Zeugen uns sagen. Die Grenze der historischen Kritik bestehe darin, „daß historisches Urteil die Erkenntnis des Glaubens von Gottes Tat in Jesus Christus weder beweisen noch widerlegen“ könne. „Die Gefahr einer Verdunklung der biblischen Botschaft“ rühre, so Gollwitzer, „nicht von der Anwendung der historischen Methode als solcher, sie kommt vielmehr von vorgefaßten Meinungen, von eintragenden Deutungen, von der Verbindung der historischen Methode mit evangeliumsfremden Theorien; sie kann auch daher kommen, daß wir nicht bereit sind, unsere bisherige theologische Erkenntnis der Kritik mit dem Ziele besserer Erkenntnis auszusetzen.“ Die Gefahr einer solchen, mit der theologischen Arbeit stets einhergehenden Verdunklung könne nur überwunden werden durch „sowohl der freien und kritischen wissenschaftlichen Diskussion der Theologen“ als auch durch Gebete und Glaubenszeugnisse der Gemeinde.65 Da die Heilige Schrift eine Sammlung menschlicher Worte sei, in einer bestimmten historischen Situation entstanden, sei es erklärlich, „daß sie nicht in allen Teilen gleich deutlich und für uns gleich verständlich von Gottes Willen und Handeln spricht.“ Es müsse erwogen werden, dass Teile der Schrift andere Teile erklärten, und vor allem die Einheit und der gemeinsame Bezugspunkt herausgestellt werden. Die Kanonzusammenstellung, wie sie in der Alten Kirche erfolgte, sei nicht unfehlbar, aber es gehe heute nicht um die Bildung
63 Gollwitzer, Helmut: Wort Gottes und Heilige Schrift, in: Beckmann, Joachim: Wort an die Pfarrer, Presbyter und Mitarbeiter im kirchlichen Dienst ‚Ein anderes Evangelium? Zur Frage der modernen Theologie. Düsseldorf 1966. Drucksache, 24 S., hier 20 (AEKR Düsseldorf 1OB 017, Nr. 13–1-15: Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“, Bd. I). 64 EBD. 65 EBD., 21.
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eines neuen Kanons, sondern um das geduldige Bemühen zu hören, was jeder Teil des Kanons uns zu sagen habe. Zum Problem des Auseinanderklaffens von Theologie und Gemeindefrömmigkeit führte Gollwitzer aus, Theologie und Gemeinde könnten nicht ohne gegenseitigen Bezug existieren, sie müssten gegenseitig stärker das Gespräch suchen, um sich die Erkenntnisse sowohl im wissenschaftlichen wie im nichtwissenschaftlichen Umgang mit der Heiligen Schrift mitzuteilen.66 Joachim Beckmann erfuhr eine rege Resonanz auf seine Broschüre, die in mindestens 25 000 Exemplaren gedruckt wurde.67 Im November 1966 äußerte
66
EBD., 23f. Brief von [Joachim] Beckmann an Präses [Ernst] Wilm vom 22. 4. 1966. Maschinenschriftl., 1 S. (AEKR Düsseldorf 1OB 017, Nr. 13–1-15: Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“, Bd. I). Zu den Reaktionen auf Beckmanns Erörterungen vgl. diverse Schreiben in Akte AEKR Düsseldorf 1OB 017, Nr. 13–1-15: Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“, Bd. I. Mancher Brief an Beckmann zeugte dabei von wenig Kenntnis der Materie, dafür aber stärker von der grundsätzlichen Hilflosigkeit und Wut angesichts der Situation. So fragte z. B. ein pensionierter Ministerialrat den Präses, ob er glaube, die Kirche existiere heute noch, „wenn in den zurückliegenden 150 Jahren ständig Entmythologen [sic!] zum Sterben der Kirche beigetragen hätten? [. . .] Ich bin fest davon überzeugt, daß es anders sein würde [die zahlreichen Kirchenaustritte], wenn die Evangelische Kirche vom Staat getrennt wäre, denn dann würden die Entmythologen bald allein in den Gotteshäusern sein, ganz zu schweigen von den ihnen fehlenden Einnahmen.“ Angesichts der schlimmen, gegenwärtigen Situation „bleibt einem schlichten Laien nur übrig, Walter Künneth zu folgen und die NOTGEMEINSCHAFT EVANGELISCHER DEUTSCHER nach Kräften zu fördern.“ (Brief von Ministerialrat a. D. Dr. Hermann Bues an Präses [Joachim Beckmann] vom 29. 5. 1966 [AEKR Düsseldorf 1OB 017, Nr. 13–1-15: Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“, Bd. I]). Zur „Notgemeinschaft evangelischer Deutscher“ vgl. ausführlich Kap. 6. 2. 7. Ebenfalls kritisch, aber doch differenzierter setzte sich der Arbeitskreis der rheinischen PGB mit Beckmanns Verlautbarungen auseinander: „Es hat uns wohltuend berührt, dass Sie das Anliegen der ‚Bekenntnisbewegung: Kein anderes Evangelium‘ und ihrer Versammlung in Dortmund, über Einzelheiten hinwegsehend, ernst und wahrhaft brüderlich aufgenommen haben und zu Wort kommen lassen.“ Der entscheidende Einwand gegen Beckmanns Verlautbarung aber sei, dass Beckmann „die Lage der Verkündigung in unserer Kirche zu harmlos“ schildere. „Von der Bekenntnisbewegung ist die Substanz der Verkündigung trotz aller Fehler, die gewiss auch wir machen und auf die wir uns gern hinweisen lassen wollen, nicht angegriffen. Wohl aber von einer Theologie, von deren führendem Vertreter Karl Barth, auf den Sie sich wiederholt berufen, geurteilt hat: ‚Wenn Entmythologisierung bedeutet, was er unter der Voraussetzung seines Mythusbegriffes darunter versteht, dann kann ich das Evangelium des N.T. – ich will nicht sagen, gar nicht –, aber nur noch in den dunkelsten Umrissen wieder erkennen.‘ Sie wissen, dass gar nicht wenige aus dieser Schule noch weiter gehen als ihr so beurteilter Meister.“ Zwar sei man zu „jedem Gespräch bereit“, glaube aber nicht, „dass man etwa mit einem Kritiker der Dortmunder Versammlung, der im Liljeschen Sonntagsblatt den Anspruch erhebt, ‚er müsse Jesus gegen die Bekenntnisbewegung, die Jesus missverstehe und sich in Dortmund gegen ihn gewandt habe, verteidigen‘, sinnvoll sprechen kann und dass hier Geduld vor Gott erlaubt ist. Oder dass man mit einem Manne sprechen kann, der laut epd gesagt hat: ‚an die Vergebung der Sünden glauben, 67
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sich Beckmann in der „Rheinischen Post“ noch einmal im Rückblick über den Dortmunder Bekenntnistag und die B KAE: Er könne „die für ihn befriedigende Bilanz ziehen“, dass „keine Kirchenleitung“ die Thesen der B KAE akzeptiere. Bei dieser Strömung, die von Künneth theologisch repräsentiert werde, sei auffällig, dass sie „nur im Negativen, nicht aber im Positiven einig“ sei. „Im ganzen“, so die „Rheinische Post“ weiter, „erblickt Beckmann diese Bekenntnisbewegung nicht als Ansatz zu einer Spaltung, sondern wegen der damit verbundenen Streitgespräche als ‚Sauna‘, durch die der deutsche Protestantismus zur Gesundung komme. Nicht so leicht nimmt er hingegen die sogenannte Notgemeinschaft von Pfarrern, die der Kirche ‚Abfall vom Vaterland‘ vorwerfen. Ihre Äußerungen bezeichnete Beckmann als unseriös und als verhängnisvolle Luther-Interpretation auf völkischer Basis. Dies analog zu den in der Politik bemerkbaren ‚Rechts‘-Neigungen.“68 Eine ganze Reihe von Stellungnahmen und Diskussionsbeiträgen zu dem „evangelikalen Aufbruch“ wurde auf den Landessynoden erörtert. Am 1. Juni 1966 referierten vor der Landessynode der Oldenburger Landeskirche erstmalig mit Hans Conzelmann und Rudolf Bäumer zwei Vertreter der „modernen Theologie“ bzw. der B KAE. Am 7. Juni 1966 gab Udo Smidt, Landessuperintendent der lippischen Landeskirche, vor der 23. Ordentlichen Landessynode der lippischen Landeskirche einen Bericht,69 in dem er als Aufgabe angesichts der drohenden Spaltung in der Kirche eine „verbindliche und sachliche Orientierung“ forderte, denn jede „billige Vereinfachung“ einer Fragestellung verschiebe, verzerre oder verharmlose das Thema.70 Die zentrale Frage in der gegenwärtigen Debatte sei die nach dem Gehalt der Verkündigung. Dazu gehöre, dass Jesus Christus wahrer Mensch und wahrer Gott ist. Smidt zitierte Karl Barth aus einem Eröffnungsre-
heisst: der Mensch muss sich selbst annehmen, dass er sich nicht ärgert, dass er so ist, wie er ist.‘ Man sage uns nicht immer, das seien extreme Fälle.“ Man werde sich angesichts dieser Situation dafür einsetzen, „fremde Lehre zu verwerfen und alle verantwortlichen Stellen der Kirche aufzurufen, in den Grenzen des ihnen Möglichen nicht nur zu reden, sondern auch zu handeln.“ (Brief des Arbeitskreises der Rheinischen Pfarrer-Gebets-Bruderschaft, gez. Fritz Schindelin, gez. [unleserlich], Vorsitzender des Arbeitskreises der Rhein. Pfarrer-Gebetsbruderschaft, an Präses [Joachim Beckmann] vom Mai 1966. Maschinenschriftl., 3 Bl. [AEKR Düsseldorf 1OB 017, Nr. 13–1-15: Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“, Bd. I]). 68 G.R., Schule, 4. 69 Landessuperintendent D. Smidt. Bericht anlässlich der 23. ordentlichen Landessynode der Lippischen Landeskirche am 7. Juni 1966 (Auszug). Anlage 6 des Rundbriefes der Kirchenkanzlei der EKD, gez. [Gottfried] Niemeier, an die Leitungen der Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland Betr.: Schrift, Lehre und Verkündigung, vom 27. 6. 1966. Maschinenschriftl., hektograph., 4 S. (EZA 2/990). 70 EBD., 1.
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ferat der 2. Freien Reformierten Synode am 26. März 1935 in Siegen: man könne nur recht kämpfen „und schliesslich gekrönt werden“, wenn man alle Gottesbilder „vor allem auch die der Theologie“ von sich weise, um so frei zu werden für das Wort Gottes. Mit Barth forderte Smidt, sich durch eine „rechte Theologie auch von der Theologie [zu] befreien“, um ganz allein Diener Christi zu sein.71 Am 23. Juni 1966 hielt der Lübecker Bischof Heinrich Meyer vor der Lübeckischen Synode einen Vortrag zum Thema „Theologie und Gemeinde“.72 Meyer nahm eingangs die Frage auf, ob wirklich eine Kirchenspaltung zwischen Theologie, die den Glauben zerstöre, und Gemeinden, die Dinge glaube, die in der Theologie strittig seien, drohe. Das Problem sei, so Meyer, dass Theologische Fakultäten seit 1918 autonome Körperschaften seien und organisatorisch und rechtlich nur lose Verbindungen zu den Landeskirchen hätten.73 Die Landeskirchen würden den Fakultäten also ein nahezu unbegrenztes Vertrauen entgegenbringen oder entgegenbringen müssen. Dieses Vertrauen breche, wenn „die Person Jesu von Nazareth [. . .] in Zweifel gezogen und beliebig interpretiert“74 werde. Das könne die Kirche nicht hinnehmen. Nun stelle sich aber die Frage, ob jetzt der Zeitpunkt gekommen sei, dass sich Kirche und Theologie trennen müssten.75 Meyer verwies in seinem Versuch einer Annäherung an die Antwort darauf, dass 1. nicht alle Theologie „moderne Theologie“ sei, 2. die Vertreter der „modernen Theologie“ (d. h. die der Bultmannschule) teilweise weit auseinander gehende Meinungen vertreten würden, 3. die „moderne Theologie“ nicht identisch sei mit der historisch-kritischen Forschung: „Diese ist notwendig, weil die Offenbarung Gottes in Jesus Christus Offenbarung in der Geschichte und durch Dokumente bezeugt ist, die in der Geschichte entstanden und durch die Geschichte mitgeprägt sind.“76 Im Anschluss listete Meyer auf, in welchen Bezügen die Theologen Recht hätten und von der Kirche benötigt würden: a) Hinsichtlich Bultmanns Entmythologisierung sei ein berechtigtes Anliegen, die Begriffe und Vorstellungen der neutestamentlichen Zeit für die Gegenwart fruchtbar zu machen. b) Der Bultmannsche „Kerygma“-Begriff habe seine Berechtigung, da die Schriften des Alten und des Neuen Testaments 71
EBD., 4. Referat zur Frage Theologie und Gemeinde. Bischof Professor D. Meyer vor der Synode am 23. Juni 1966. Anlage 1 des Rundbriefes der Kirchenkanzlei der EKD, gez. [Gottfried] Niemeier, an die Leitungen der Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland Betr.: Schrift, Lehre und Verkündigung, vom 21. 9. 1966. Maschinenschriftl., hektograph., 14 S. (EZA 2/990). 73 EBD., 1f. 74 EBD., 2. 75 EBD., 3. 76 EBD. 72
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ein „Kerygma“, d. h. Verkündigung und Predigt, und keine „‚objektive‘, glaubenslose historische Dokumentation“ bieten wollen. c) Den Anliegen der Formgeschichte sei zuzustimmen, da jede Predigt durch den Ort und die Tradition bestimmt werde, an dem oder in der Verkündigung stattfinde. d) Die „existentiale Interpretation“ sei berechtigt, da das Wort Gottes uns betreffen und ergreifen müsse: „Eine Interpretation, die absieht von dem Interpretierenden und dem, was ihm widerfahren ist, als das Wort Gottes ihm widerfuhr, ist falsche, unsachgemäße Auslegung.“ Gerade „als Menschen, die aus der Zeit Karl Barth’s, eines missverstandenen Karl Barth kommen“, hätten wir, so Meyer, „viel Grund zu danken, daß die moderne Theologie hier ein besonderes Anliegen sowohl des Pietismus wie des Liberalismus wieder herausgestellt hat: Daß der Mensch, der durch das Wort Gottes angesprochen wird und es nun weitersagen soll, immer entscheidend mitbeteiligt ist in dem Prozeß des Angesprochen-werdens und des Weiter-sagens.“77 e) Für Gerhard Ebelings theologische Ausführungen zum „Wortgeschehen“ danke ihm besonders die lutherische Kirche, da hier das Wort Gottes in dem Geschehen zwischen Gott und Mensch zentral herausgearbeitet werde. f) Zudem sei „gut lutherisch“, dass es bei Bultmann und seinen Schülern um die Kategorie der Rechtfertigung des Sünders gehe: „Das Wort, das dem Menschen widerfährt, widerfährt einem sündigen Menschen, einem Menschen, der es von sich aus nicht wert ist, daß er von Gott angesprochen wird. In dem Sinne ist die moderne Theologie in der Tat Advokat der alten lutherischen Lehre des Articulus stantis et cadentis ecclesiae, des Artikels von der Rechtfertigung des Sünders aus Gnaden allein, durch Glauben allein.“78 g) Ihm, Meyer, sei als „altem Missionar“ wichtig, dass die moderne Theologie wieder bewusst gemacht habe, dass das Evangelium von Jesus Christus immer in die Situation, die Sprache und Denkform des Hörers übersetzt werden müsse und nicht in starren Formeln weitergegeben werden könne. h) In Aufnahme des theologischen Ansatzes von Herbert Braun sei zu sagen, dass jede Begegnung mit Jesus aufs engste mit der Begegnung mit Mitmenschen verbunden sei, allerdings seien beide Begegnungen nicht identisch. Nach dieser positiven Beurteilung kam Meyer nun zu den für ihn kritisch zu sehenden Aspekten und Auswirkungen der „modernen Theologie“. Dazu gehörten folgende Punkte: a) die Behauptung, die historische Person Jesu sei in dem „Wie“ seines Lebensvollzuges irrelevant, b) die „Vergeistigung und Verflüchtigung“ der Auferweckung Jesu, c) die Entmythologisierung von Sachverhalten in Bultmanns Entmythologisierungskonzept, die gar nicht mythischen Charakter
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EBD., 4f. EBD., 5.
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haben, z. B. die Zukunft des Reiches Gottes. Weiterhin forderte Meyer gegenüber solchen Tendenzen in der Theologie ein, dass d) Mitmenschlichkeit nicht zu einer „gottlosen Mitmenschlichkeit“ werden dürfe und e) die Aussage „Gottist-tot“ nur Berechtigung habe, wenn sie „Gottesbilder“ und „Vorstellungen“ meine, nicht Gott selbst. Weiterhin müsse man sich, so Meyer weiter, dort der „modernen Theologie“ in den Weg stellen, f) wo sie das „moderne Weltbild in dogmatischer Weise zur kritischen Norm“ auch für den Inhalt der neutestamentlichen Botschaft mache. Darüber hinaus habe die „moderne Theologie“ eine ganze Reihe von theologischen Aspekten vernachlässigt: das Faktum der Geschichte als Leben „in einer unumkehrbaren Zeit“ sowie die Tatsache, dass sich das Neue Testament selbst gegen Mythen und Fabeln wende. Des Weiteren habe man dem Umstand zu wenig Beachtung beigemessen, dass man eine Formgeschichte der biblischen Exegese nicht von der „heidnischen Formgeschichte“ ableiten könne, denn die Formgeschichte biblischer Schriften sei stärker von ihrem Inhalt her zu bestimmen. Vernachlässigt wurden darüber hinaus die Bedeutung des Kanons und die Entscheidungsfindung der Alten Kirche bezüglich der Kanonbildung sowie die Entmythologisierung, die neutestamentliche Autoren schon selbst vollzogen hätten.79 Danach wandte sich der Lübecker Bischof der B KAE zu und gab ihr vollkommen Recht in Bezug auf die Aussagen, Menschen seien nicht Herren über das Wort Gottes, Nachdenken über die Bibel sei von Gott gewirkt, am ganzen Kanon müsse festgehalten und jede substantielle Veränderung des Evangeliums abgelehnt werden sowie Jesus sei wahrer Mensch und wahrer Gott. Außerdem habe die B KAE Recht, wenn sie im Blick auf die Gemeinden frage, ob das, was Theologie treibe, noch sinnvoll in Bezug darauf sei, Glauben zu wecken, zu pflegen und zu erhalten.80 Aber auch an die B KAE seien einige kritische Anfragen zu richten: Erkenne man seitens der B KAE die positiven Beiträge der Theologie an? Sei man sich klar, dass mit einem „negativen“ Protest nichts gewonnen würde? Wolle man „um des eigenen Festhaltens an der Geschichtlichkeit der Offenbarung Gottes in Jesus [. . .] willen endlich die pauschale Verketzerung der historisch-kritischen Forschung“81 aufgeben und einem „ungeschichtlichen Fundamentalismus“ die Absage erteilen? Sei man, so Meyers Fragen an die B KAE weiter, bereit, auf Anfragen der „modernen Theologie“ „in solider, wissenschaftlicher Arbeit“ Antworten zu finden? Man müsse nämlich auf „viel breiterer Front“ die Kritik an der Theologie in Angriff nehmen, in „theologisch verantwortlicher Weise“. Wolle man sich in der B KAE an der gerade für die kirchlichen und missionari79 80 81
EBD., 6–9. EBD., 10. EBD., 11.
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schen Aufgaben dringend benötigten Übersetzungsarbeit des Evangeliums beteiligen?82 Im Anschluss an diesen Fragenkatalog stellte Meyer fest, nach seinem Dafürhalten sei die Zeit einer „Vertrauenskrise zwischen Theologie und Gemeinde“ in der Tat gekommen, aber er glaube nicht, dass der „status confessionis“ ausgerufen werden müsse. Die Kirche selbst sei jetzt gefordert, eine solidere Bewältigung der theologischen Aufgaben in Angriff zu nehmen, eine „demütigere Bemühung um die Übersetzung des alten Evangeliums von Jesus Christus in die Lebens- und Denkstrukturen unserer Zeit.“83 Des Weiteren müsse die Kirche mit den Theologischen Fakultäten „ein verbindliches Gespräch“ suchen, bei dem geklärt werden sollte, inwieweit die Lehrer der Theologie „ihr Amt als Lehramt der Kirche“ verstünden, inwiefern die Ordination von Theologiedozenten eine Hilfe bei der stärkeren Anbindung von Theologie an die Kirche sei, inwieweit Fakultäten nicht selbst Lehrzucht ausüben könnten und vor allem, wie eine engere Zusammenarbeit zwischen Fakultäten und Kirche gewährleistet werden könne. Solange diese Fragen noch nicht endgültig beantwortet und die damit zusammenhängenden Aufgaben noch nicht bearbeitet worden seien, könne er, Meyer, „der Synode nicht mit gutem Gewissen raten, den Bekenntnisnotstand auszurufen.“84 Der Vortrag Meyers wurde in den „Lutherischen Monatsheften“ im September 1966 publiziert und regte die B KAE zu einer Stellungnahme gegen Meyer an, die am 2. Januar 1967 der Bischofskonferenz der VELKD übergeben wurde.85 In der von Paul Tegtmeyer, Rudolf Bäumer, Paul Deitenbeck, Sven Findeisen, Max Fischer, dem Ingenieur Friedrich Alfringhaus und Bundesposaunenwart Richard Lörcher unterzeichneten Denkschrift gingen die Autoren auf die Anfragen Meyers ein, exemplarisch für die „Stellung vieler Kirchenleitungen, wie sie sich in jüngster Zeit in Hirtenbriefen und Synodalberichten gezeigt hat.“86 Nachdem die Auffassung Heinrich Meyers von Bultmanns Entmythologisierungskonzept kritisiert und seine Monita an der „modernen Theologie“ bestätigt worden waren, kam man in der Denkschrift an einen Punkt, den Meyer gar nicht angesprochen hatte, der aber, so die Verfasser, die „Uminterpretation“ des
82
EBD. EBD., 12. 84 EBD., 12–14. 85 AN DIE BISCHOFSKONFERENZ (= Maschinenschriftl., 27 S. [LkA EKvW Best. 0.1 Nr. 457]). Dem folgte im Mai 1967 eine „Stellungnahme zu den Fragen und Themen, die Bischof Dr. Meyer auf einer Lübecker Synode vorgetragen hat“, von Wilhelm Mundle (STELLUNGNAHME VON PROFESSOR LIC. W. MUNDLE). 86 AN DIE BISCHOFSKONFERENZ, 2. 83
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Christuszeugnisses in der existentialistischen Theologie am deutlichsten markiere: Die Auffassung vom Kreuz Christi. „Als Geschichte bleibt nur das in diesen mythischen Zügen bedeutete Handeln Gottes noch, welches am Kreuze Jesu die Liebe Gottes und das Gericht über die Welt enthüllt und uns lehrt, uns selbst als Gerichtete zu verstehen und das Kreuz des Christus als das eigene zu übernehmen. Wenn dann von einem fortgesetzten Handeln Gottes im Kerygma die Rede ist, das am Kreuz seinen Ausgang nimmt, und als eschatologisches Geschehen das Kreuz in den Sakramenten, im Lebensvollzug der Glaubenden und in der Übernahme seiner Leiden präsent werden läßt, das für die Zeitgenossen wohl, für uns aber nicht ehr an Person und kreuz Jesu gebunden ist, dann besteht nur noch eine scheinbare Übereinstimmung mit der biblischen Botschaft vom Kreuze Jesu. Was blieb von dem anbetungswürdigen Geheimnis der Herablassung des Gottessohnes aus der Herrlichkeit in die Schmach- und Schuldgemeinschaft mit uns? Was blieb von der Tiefe seines Leidens im Riß zwischen Gott und Menschheit, vom zeitenwendenden ephapax seiner Sühnetat, von der persönlichen Todes- und Auferstehungsgemeinschaft des Glaubens mit ihm und vom demütigen Leben aus seinem Siege? Zum Überfluß ist für uns auch noch die Verbindung des Kreuzes mit seiner Person gelöst. Ist dann nicht am Kreuz im Grunde oder fast nur noch der Märtyrertod eines Menschen gesehen, an dem sich als Kettenreaktion die Botschaft von der Liebe Gottes entzündet und das Verstehen von der Notwendigkeit der Entweltlichung und Hingabe – an wen? – aufbricht? [. . .] Hier scheiden sich zwei Welten. Hier steht das Heil der Welt auf dem Spiel. Hier wird der Gemeinde ihr einziger Trost im Leben und Sterben geraubt. [. . .] Kann eine Irrlehre noch tiefer an die Wurzeln der Kirche greifen? Kann es noch einen Punkt darüber hinaus geben, an dem erst der Status confessionis aufbräche?“87
Erst vor diesem Hintergrund könne man auf die Anfragen Meyers an die B KAE eingehen. Dieser bejahe die zentralen Anliegen der B KAE, ziehe aber andere Konsequenzen als die B KAE: „Die von ihm konstatierte Antastung der Substanz des Evangeliums bedingt für ihn nicht den Eintritt des Status confessionis. Hier müssen wir fragen: Befindet sich der Bischof damit noch in Übereinstimmung mit Paulus (Gal. 1,8), der Heiligen Schrift und den Reformatoren, die am Bekenntnis zu dem für unsere Sünde Gekreuzigten und Auferstandenen das Zeichen der Wegscheide aufgerichtet sahen?“ Aus diesem „Ausweichen“ vor der „Forderung Gottes“ erkläre sich möglicherweise „die Schärfe, mit der der Bischof nun seine Bedenken und Fragen an die Bekenntnisbewegung formuliert“,88 denn die Ausführungen Meyers zur Bekenntnisbewegung hätten „ultimativen Stil“, und während er eine differenzierte Auseinandersetzung mit der „modernen Theologie“ anrege, fordere er von der B KAE
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EBD., 5f. EBD., 7.
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eine pauschale und bedingungslose Verurteilung des Fundamentalismus. Keiner „von den führenden Brüdern der Bekenntnisbewegung huldigt einem solchen fundamentalistischen Prinzip“, ebenso wie keiner die historisch-kritische Methode verketzere.89 Bezüglich der der existentialistischen Theologie entgegengebrachten positiven Würdigung Meyers verstehe man den Bischof nicht, der diese ja ebenso kritisiere. Und auf die Frage an die B KAE nach der Bereitschaft zur soliden wissenschaftlichen Arbeit könne man antworten, das sei „für die in der wissenschaftlichen Arbeit stehenden Glieder unserer Bewegung selbstverständlich mit einem Ja zu beantworten.“ Wenn aber die Frage „an die Nichttheologen in unseren Reihen gestellt wird – und unsere Bewegung ist dankbar dafür, daß sie eine Laienbewegung geworden ist, dann muß der gestellten Frage an uns die Berechtigung abgesprochen werden. Für ihren Glauben bedarf es nicht der Orientierung in und an der Wissenschaft.“90 Im Folgenden wurde in der Denkschrift die gegenwärtige Situation charakterisiert, über die ganz offensichtlich anders als seitens der Kirchenleitungen geurteilt wurde: „Es geht heute nicht um den Kampf erstarrten Gemeindeglaubens gegen Wissenschaft und Fortschritt, sondern um das Ringen zweier Arten von Glauben, zweier Theologien miteinander. Die Avantgarde bildet auf der einen Seite eine Gruppe von existentialistischen Theologen. Auf der anderen Seite brach, in Fortsetzung des alten ‚Kirchenkampfes‘ unter dem Eindruck der Gerichte Gottes, innerhalb einer Erweckung,91 die in die Schule der Reformatoren ging, ein neues Verstehen des zentralen Inhaltes des Evangeliums auf und zugleich damit der Blick für eine ausgebrochene Generalkrise der Theologie. [. . .] Wir erkennen in dieser Generalkrise das Ende einer Bewegung, deren Anfänge bis in die Reformationszeit zurückreichen, die in der Auseinandersetzung zwischen Luther und Erasmus, Reformation und Humanismus ans Licht trat, in der Orthodoxie in der Lehre von der perspicuitas der Schrift ihre Spuren hinterließ, in der Aufklärung mit ihrem Dogma von der vernünftigen Religion und ihrer Entdeckung des ‚historischen Verstehens‘ zum Durchbruch kam, in Erweckung und Restauration nur scheinbar überwunden, heute noch weithin unser Denken in der historisch-kritischen Theologie bestimmt und unserer theologischen Forschung ihre Methoden diktiert. [..] Die dialektische Theologie überflog die Wurzel dieser Auflösung, ohne sie im Grunde zu heilen.“92
Die Wurzel der Auflösung der Grundlage von Kirche und Glauben sei der Versuch der Bemächtigung der Heiligen Schrift „vom denkenden Menschen her 89
EBD., 8. EBD., 9. 91 Gemeint waren die persönlichen Erweckungserlebnisse der Vertreter der B KAE, die im Anmerkungsteil der Denkschrift aufgelistet wurden (EBD., 18, Anm. 18). 92 EBD., 10f. 90
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unter grundsätzlicher Ausschaltung des Heiligen Geistes und ausschließlicher Zuhilfenahme des Erkenntnisvermögens des autonomen Menschen und seiner verabsolutierten, säkularen Wissenschaftsmethoden.“93 Das Verstehen der Schrift sei Nichtwiedergeborenen verschlossen, so die Autoren der Denkschrift unter Berufung auf Luther – nur durch die Erleuchtung des Heiligen Geistes könne der Inhalt der Schrift vernommen werden.94 Deshalb müsse die ganze Exegese und Theologie pneumatisch ausgerichtet werden, nicht in Form einer Methode, sondern durch „letzte Entnahme des Objektes der Exegese aus der Verfügbarkeit“95. Die Gemeinden aber könnten die Ergebnisse langwieriger theologischer Forschung nicht abwarten, da auf ihrem Rücken der Kampf ausgetragen würde. Man müsse damit rechnen, „daß das organisierte kirchliche Amt eine vorübergehende Erscheinung ist“ – jeder Tag eile und die Gefahr „unwiederbringlicher Verschuldung“ drohe. Die Kirchen seien zu einem klaren „scheidenden“ Wort aufgerufen, Verantwortung müsse wahrgenommen werden.96 Manche der gegenwärtigen Stellungnahmen der Kirchenleitungen stünden in Gefahr, durch die „gleiche Verteilung von Lob und Tadel auf Anhänger und Verfälscher des Bekenntnisses“ ihres „Realitätscharakters verlustig zu gehen“. So entstehe der „Eindruck der Sowohl-als-auch-Stellung auf Seiten der Kirchenleitungen [. . .], [die] der Irrlehre in der Kirche die Stellung der berechtigten Alternative zur bekenntnismäßigen Verkündigung einräumt.“97 Damit werde „eine wachsende Entfremdung zwischen bekenntnistreuer Gemeinde und offizieller Kirche angebahnt.“ Die Situation der Wegkreuzung, an der die Kirche momentan stehe, verlange „eine Weichenstellung“. Diese Denkschrift vom Januar 1967 markierte eine Wende in der Richtung der Kritik der B KAE, aber auch in ihrem Selbstverständnis. In der Schrift wurde nicht nur erstmalig öffentlich einem Bischof abgesprochen, auf dem Boden des Bekenntnisses zu stehen und damit die seit geraumer Zeit latent begonnene Wende von der Theologie- zur Kirchenkritik offen markiert,98 sondern das ehemalige Ohnmachtgefühl gegenüber der Theologie wich nun einer direkten Verweigerungshaltung ihr gegenüber. Die B KAE definierte sich als eine von der „Wissenschaft“, d. h. „der Theologie“, unabhängige Laienbewegung. Legitimation für diesen Umschwung wurde die schon erwähnte Kom-
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EBD., 11. EBD., 12. 95 EBD., 13. 96 EBD., 15. 97 EBD., 16. 98 Einen Vorläufer hierzu bildete Künneths Schrift „Lutherische Kirche am Scheideweg“ in den „Nachrichten der Evangelischen Lutherischen Kirche in Bayern“ im September 1966. 94
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pensation der „Vernunft“ mit dem „Heiligen Geist“, der von der „Laienbewegung“ – wie schon mehrfach erwähnt befanden sich im Akteurskreis der B KAE weniger Laien als Pfarrer und Evangelisten – für sich in Anspruch genommen wurde.99 Darüber hinaus konstruierte hier schon die junge evangelikale Bewegung ihre Geschichte, ihr „memorial framing“: von Luther über den Pietismus, die Erweckungsbewegung und die Bekennende Kirche im Dritten Reich in Gegnerschaft zu Erasmus, der Altprotestantischen Orthodoxie, der Aufklärung und dem Liberalismus. Diese historiographischen Ideologisierung ist ähnlich gelagert wie dasjenige der Rückführung der Gemeinschaftsbewegung (als die wahre Erbin) auf die Reformation. Hartmut Stratmann bemerkt, die Annahme von Vertretern der Bekenntnisbewegung, ihre Anliegen durch Kirchenkampf und Reformation empfangen zu haben, sei eher eine „psychologische als eine historische Tatsache“ und der Bezug auf die Reformation bleibe durch den Anspruch, ebenso die Reformatoren die „reine Lehre“ zu vertreten, „zu formal“.100 Auch die Proklamation der B KAE, unmittelbar aus der Bekennenden Kirche im Nationalsozialismus hervorgegangen zu sein,101 ist zu hinterfragen. In den Kirchenkampf im Dritten Reich waren ein großer Teil der in den 1960er Jahren im Amt stehenden Pfarrer und Kirchenleitungsvertreter involviert – die meisten davon wirkten in der Bekennenden Kirche mit. Allerdings ist die Gemengelage auf biografischer Ebene vollkommen disparat: Herausragende Gestalten der Bekennenden Kirche wie Martin Niemöller, der „persönliche Gefangene“ Hit99 Bäumer schrieb am 5. Januar 1967 an Wilm, ihn bewege schon „seit langem die Frage, wie denn nun die allein durch Gottes Geist mögliche Schriftauslegung (wie wir sie als einzig mögliche ansehen) und die von uns auch nicht abgelehnte wissenschaftliche Arbeit im notwendigen Miteinander zu praktizieren sind.“ (Brief der Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“, gez. R[udolf] Bäumer, an Präses D. [Ernst] Wilm vom 5. 1. 1967. Maschinenschriftl., 1 S. [LkA EKvW Best. 0.1 Nr. 457]). Diese zentrale theologische Frage war also zumindest den Evangelikalen bewusst, auch wenn dafür keine endgültige Lösung gefunden wurde. Vor diesem Hintergrund sind die Spannungen zwischen der evangelikalen Bewegung um die B KAE und der Pfingst- bzw. charismatischen Bewegung von besonderem Interesse: Von der charismatischen Bewegung wurde gerade der Heilige Geist als primärer Träger der Offenbarung angesehen. Soweit wollten sich die Evangelikalen um die B KAE dann aber doch nicht vorwagen und standen mit ihrer Theologie der Inanspruchnahme des Heiligen Geistes als Ausleger der Schrift vor diesem Hintergrund relativ schnell im Aus. 100 STRATMANN, Kein anderes Evangelium, 11, Fußnote 1. Ebenso ist der Rekurs auf die angelsächsische evangelikale Bewegung, nach Friedhelm Jung die „erste Wurzel der E[vangelikalen] B[ewegung]“ in Deutschland (JUNG, Die deutsche Evangelikale Bewegung, 39), als historischer Motor für den deutschen Evangelikalismus in Deutschland nicht überzeugend, wie die in den Kap. 3 und 4 dargestellte Vorgeschichte der evangelikalen Bewegung zeigt. 101 Zu dieser Argumentationsfigur der evangelikalen Bewegung vgl. HERMLE, Die Evangelikalen, 345–347.
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lers im Konzentrationslager Sachsenhausen, Hanns Lilje, Mitbegründer der „Jungreformatorischen Bewegung“ oder Kurt Scharf und Otto Dibelius, Mitarbeiter des Brandenburger Bruderrates der Bekennenden Kirche, die nach 1945 hohe kirchenleitende Ämter bekleideten, engagierten sich später weder in der B KAE noch der evangelikalen Bewegung und ihren Vorläufern. Von deren Vertretern wurden sie im Gegenteil für ihre Befürwortung der „modernen Theologie“ oder für ihr politisches Engagement scharf angegriffen. Auf der Ebene der Organisationen waren es nach 1945 nur noch die Bruderräte, die sich auf eine historisch legitime Traditionslinie zur Bekennenden Kirche im Dritten Reich berufen konnten. Der Reichsbruderrat der Bekennenden Kirche ging über in den Bruderrat der EKD und wurde 1952 auf Betreiben von landeskirchlichen Bruderräten aufgelöst, als sich um die Frage der Wiederbewaffnung Deutschlands unüberbrückbare interne Differenzen ergaben.102 Ende
102 Diverse Dokumente in Akte A.OKR.Ol, OKR Generalia 1849–1958, A LVI, Nr. 158. Die Frage um die Wiederbewaffnung wurde stark von Martin Niemöller forciert, der für sein politisches Engagement, z. B. den am 4. Oktober 1950 veröffentlichten „Offenen Brief“ an Konrad Adenauer, heftige Kritik erfuhr. Gegen ihn wandte sich ein Teil der Landesbruderräte, die schon in dem „Wort des Bruderrates der Evangelischen Kirche in Deutschland zur Frage der Wiederaufrüstung“ vom 29. September 1950 dafür votiert hatte, dass sich der Bruderrat der EKD in politischen Fragen nicht derartig engagieren sollte (diverse Dokumente in Akte A.OKR.Ol, OKR Generalia 1849–1958, A LVI, Nr. 158). Niemöllers politischer Einsatz gegen die Wiederbewaffnung führte letztlich 1956 zu seinem Ausscheiden aus dem Rat der EKD und zu seiner Absetzung als Leiter des Kirchlichen Außenamtes (HERBERT, Kirche, 230–236). Allerdings verhielt man sich in den Landesbruderräten nicht unreflektiert apolitisch. Der Theologische Konvent der Bekenntnisgemeinschaft der Hannoverschen Landeskirche bezog z. B. 1950 Stellung gegen eine Verurteilung der Wiederbewaffnung (Stellungnahme des Theol. Konvents der Bekenntnisgemeinschaft der ev.-luth. Landeskirche Hannovers zu der Flugschrift „An die Gewehre? Nein“, gez. Pastor Erwin Wilkens, Vöhrum über Peine. Maschinenschriftl., hektograph., 12 S. [A.OKR.Ol, OKR Generalia 1849–1958, A LVI, Nr. 158]). Im Februar 1958 legten zum Teil aus Landesbruderräten hervorgegangenen Gruppen, nämlich die Theologische Sozietät in Baden, der Evangelische Arbeitskreis „Unterwegs“ in Berlin-Brandenburg, die Kirchlich-Theologische Arbeitsgemeinschaft Niedersachsen in Göttingen, die kirchliche Bruderschaft in Hessen-Nassau, die kirchliche Bruderschaft in Nordwestdeutschland, die Kirchlich-Theologische Arbeitsgemeinschaft der Pfalz, die Leitung der Kirchlichen Bruderschaft im Rheinland, die Leitung der Kirchlichen Bruderschaft in Westfalen, die kirchliche Bruderschaft in Württemberg sowie Einzelpersonen, der EKD-Synode eine „Anfrage“ zur (ablehnenden) Haltung gegenüber Atomwaffen und Atomkrieg vor (Anfrage an die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland vom Februar 1958. Maschinenschriftl., hektograph., 5 S. [ZASP Abt. 150.120 Nr. 7]). Im Oktober 1958 arbeiteten die Vertreter Kirchlicher Bruderschaften eine „theologische Erklärung“ gegen atomare Massenvernichtungsmittel aus (Was heißt, JESUS CHRISTUS in der atomaren Bedrohung der Welt bekennen? Drucksache, unpagn. [ZASP Abt. 150.120 Nr. 7]). Die Tatsache, wie stark interessiert man sowohl an tagespolitischen Fragen als auch der grundsätzlichen Erörterung der Frage eines „politischen Mandates der Kirche“ im Bruderrat der EKD und in den Landesbruderräten nach 1945 war, spricht gegen eine ideengeschichtliche Verbindung mit
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der 1940er Jahre spielten die Bruderräte bei der Frage der Ausrichtung der EKD, als „Bekennende Kirche“ gewünscht, noch eine Rolle.103 Die meisten Landesbruderräte waren bis in die 1960er Jahre tätig, wurden nach und nach in theologische Arbeitskreise der Landeskirchen umstrukturiert oder aufgelöst.104 Die fehlende Verbindung der B KAE zu diesen Landesbruderräten oder später Theologischen Arbeitsgemeinschaften bzw. Kirchlichen Bruderräten zeigt, dass eine Berufung evangelikaler Trägergruppen in der Vorgeschichte der evangelikalen Bewegung sowie der B KAE auf die Bekennenden Kirche im Nationalsozialismus als Wurzel der eigenen Geschichte im Wesentlichen ideengeschichtli-
der B KAE in den 1960er Jahren – von der Theologieaversion der B KAE, die sich an keiner Stelle in den Landesbruderräten in den 1950er, 1960er Jahren findet, ganz abgesehen. 103 Beschluß 2, Bruderrat d. Evang. Kirche in Deutschland, gez. [Joachim] Beckmann – Vorsitzender –, an den Vorsitzenden des Rates der EKD Herrn Landesbischof D. [Theophil] Wurm, vom 16. 10. 1948. Maschinensschriftl., hektograph., 1 S.; Beschluß 1, Der Bruderrat der Evang. Kirche in Deutschland, Bad Boll, 16. Oktober 1948. Maschinensschriftl., hektograph., 1 S. (A.OKR.Ol, OKR Generalia 1849–1958, A LVI, Nr. 158). 104 So beendete beispielsweise im Mai 1963 der Landesbruderrat der Bekenntnisgemeinschaft in Hannover seine Arbeit in der bisherigen Form (Brief von [Rudolf] Herrfahrdt, Superintendent [des Aufsichtsbezirkes Osterode und stellvertretender Vorsitzender der Landessynode], an Herrn Landesbischof D. Dr. [Hanns] Lilje vom 9. 5. 1963. Maschinenschriftl., 1 S. [LkAH, Best. L 3 III Nr. 1373]). Aus dem „Theologischen Konvent der Bekenntnisgemeinschaft“ bildete sich ein freier theologischer Arbeitskreis von überwiegend jüngeren Mitgliedern, der in dem „Theologischen Konvent in der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannovers“ aufging. Zu den Konsequenzen der Umstrukturierung gehörte es, dass der Konvent seine Verbindung zur Bekenntnisgemeinschaft löste, die Arbeit des Konventes ordnete sich nun prinzipiell der „Arbeitsgemeinschaft Lutherischer Konferenzen und Konvente“ zu (Briefdurchschlag Tgb.-Nr.: 95 an Herrn Oberkirchenrat [Georg] Fuhrmann, Betr.: Theologischer Konvent in der Evang.-luth. Landeskirche Hannovers, vom 26. 2. 1963, gez. E[rwin] Wilkens. Maschinenschriftl., 4 S., Zitat 1f. [LkAH, Best. L 3 III Nr. 1374]). Die Bekenntnisgemeinschaften oder theologischen Arbeitsgemeinschaften, die sich aus den Landesbruderräten entwickelten, beschäftigten sich differenziert mit theologischen Problemen. So war z. B. 1964 das Thema der Pfingsttagung der Badischen Bekenntnisgemeinschaft ganz im Sinne der aktuellen theologischen Debatten „Bibelautorität und Bibelkritik“. Im Gegensatz zu den einseitigen Positionen, die zu diesem Zeitpunkt bereits den Bethelkreis als Vorläuferkreis der B KAE prägten, wurde hier ergebnisoffen diskutiert: Als Referenten waren geladen die Professoren Rolf Rendtorff und Paul Jacobs sowie Pfarrer Friedemann Merkel. Rendtorff war seit 1963 Professor für Alttestamentliche Theologie in Heidelberg und 1964 Dekan der dortigen Theologischen Fakultät, Jacobs hatte an der Theologischen Fakultät der Universität Münster den Lehrstuhl für Reformierte Theologie inne, Friedemann Merkel war 1964 Dozent am Predigerseminar der Evangelischen Kirche im Rheinland, wurde ein Jahr später Professor des Kirchlichen Lehramts an der Kirchlichen Hochschule Berlin und wirkte seit 1970 als Praktischer Theologe in Münster. Es ging der Bekenntnisgemeinschaft in Baden nicht um eine Kritik an der Kirche, sondern um „lebendigen Glauben und eine lebendige Kirche“ (Rundbrief der Badischen Bekenntnisgemeinschaft, der Vorsitzende, gez. E. Köhnlein, [an die Mitglieder der Badischen Bekenntnisgemeinschaft] vom 12. 4. 1964. Maschinenschriftl., 2 S. [LKA KA GA 8915]).
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che Relevanz hat, aber im Hinblick auf die historische Entwicklungen nur punktuell bei Einzelpersonen, aber keineswegs hinsichtlich der aus der Bekennenden Kirche im Nationalsozialismus hervorgegangen und nach 1945 weiter existierenden Gruppen verifizierbar ist. Die historiografische Argumentation, rechtmäßige Erbin der Bekennenden Kirche im Nationalsozialismus zu sein, verlor mit dem zunehmenden Eintritt der nächsten Generation in die evangelikale Bewegung in den 1980er Jahren an Bindungskraft und Bedeutung, allerdings gehört dazu auch die begriffliche Einbindung des Terminus „Bekennen“ in die eigene Identitätsbeschreibung: die „Bekenntnis“bewegung suggeriert schon mit der Namensgebung, das Verdikt über die kirchliche Umwelt, die einen Widerstand im Sinne des „Bekennens“ nötig mache.105 Somit gehört die Rückführung der eigenen Geschichte der jungen evangelikalen Bewegung in den Bereich des „memorial framing“ einer „neuen sozialen Bewegung“ und bildet die historische Faktenlage nur fragmentarisch und verzerrt ab. In der Hannoverschen Landeskirche beschloss die Landessynode am 9. Juni 1966 auf Grund eines Urantrages des Synodalen Dr. Korte, dass die Synode im Herbst 1966 zu einer Informationstagung „Bibel, Bekenntnis und Theologie“ zusammenzutreten solle, um ein „Klärendes Wort an die Gemeinden“ auszuarbeiten. In der Diskussion um diesen Beschluss wurde von einzelnen Synodalen darauf hingewiesen, dass sich die Synode nicht zum Richter über eine theologische Lehrmeinung erheben könne und das gegenwärtige Problem nicht durch ein „Bekenntnis“ zu lösen sei. Hervorgehoben wurde die Dringlichkeit von Information und Bildung in den Gemeinden, wozu es gute, laienverständliche theologische Literatur gebe.106 Hanns Lilje wandte sich im September 1966 in einem „Hirtenbrief“ bezüglich des Kirchentages 1967 an die Gemeinden der Hannoverschen Landeskirche, in dem er auch auf die gegenwärtige Situation einging, die zwar keine „Katastrophe“ sei, aber den großen Ernst der aufgeworfenen Fragen kennzeichne. Sowohl die Bemühungen der Theologen als auch die Frage der Gemeinden, welche Bedeutung die theologischen Erkenntnisse für den Glauben hätten, verdienten Verständnis. Und, so Lilje weiter, „Wem es an Geduld und an der intellektuellen Fähigkeit fehlt, auf diese Frage in einer
105 Eine fundierte dogmatische Erörterung von „Bekennen“ erfolgte in evangelikalen Kreisen jedoch nicht, ebenso wenig wie auf die häufig angeführten „Bekenntnisse der Kirche“ konkret inhaltlich Bezug genommen wurde. Zum Fehlverständnis des Terminus „Bekennens“ in der B KAE im Hinblick auf biblische und reformatorische Aussagen vgl. ausführlich BUSCH, Einzug, 155–225. 106 HANNOVERSCHE LANDESKIRCHE.
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würdigen und sachgemäßen Weise einzugehen, der dient der theologischen Diskussion der Gegenwart nicht.“ Die Gemeinde bestehe nun einmal „nicht nur aus rückständigen Fundamentalisten und individualistischen Pietisten“, sondern „aus vielen Menschen, die in der Gegenwart leben, die dem heutigen wissenschaftlichen Weltbilde aufgeschlossen sind und die in ihrer realen Existenz wissen wollen, welches der Inhalt ihres Glaubens ist.“ Lilje wies ebenfalls auf die Diskrepanz von Theologie und Gemeindefrömmigkeit hin: „Die Prediger aber müssen die Timidität überwinden, die vielfach daran schuld war, daß die Gemeinde vom Fortgang der theologischen Diskussion nicht ausreichend unterrichtet wurde. So ist es dazu gekommen, daß Gazetten aller Art die Aufgabe der Information übernommen haben und sie gewiß mehr schlecht als recht erfüllen.“107 Darüber, dass dadurch ein Gespräch in Gang gekommen wäre, müsse man aber nicht beunruhigt sein, sondern sich aufgefordert fühlen, mit Entschlossenheit, Disziplin, Wahrheitsstreben und „Ehrfurcht vor dem Faktum der Offenbarung, wie auch immer wir es verstehen müssen“, das Christuszeugnis in der Gegenwart weiterzusagen. Bereits Ende August hatte sich Lilje im „Sonntagsblatt“ zur Frage geäußert, wie sich die Kirchenleitungen in der gegenwärtigen Situation verhalten sollten.108 Lilje konstatierte, der Ruf nach der bisher immer so verpönten Lehrautorität werde jetzt laut, aber „wir würden unser gesamtes Verständnis von Kirche, vor allem im protestantischen Sinne, preisgeben, wenn wir in irgendeiner Form auf Zwang rekurrieren wollten. Mit den Mitteln äußerer Macht, auch den Mitteln subtiler Macht, ist hier nichts getan. Eine Kirche, die sich von der Reformation herleitet, hat es wesentlich schwerer als die römische Kirche mit ihrer stabilisierten Lehrautorität.“ Lilje sah hier zwei Möglichkeiten, „eine solche Lehrautorität zu entfalten, immer von der Voraussetzung ausgehend, daß nicht schlechterdings alles in der Kirche verkündigt werden kann, und daß ein hemmungsloser Relativismus der Tod einer wahren Kirche sein müsste“: 1. Alle in einem kirchenleitenden Amt Beschäftigten müssten sich darüber klar werden, „welchen Maßstab wir für die Beurteilung der Lehre und Verkündigung in der Kirche haben“ und jedem Pfarrer müsse ganz deutlich bewusst sein, wie hoch die Bedeutung dessen sei, was er auf der Kanzel verkünde, da ja er nach reformatorischem Verständnis an der Lehrautorität der Kirche beteiligt sei. 2. Das Gespräch zwischen den Fronten müsse unentwegt geführt werden. Gegen jede Seite, sowohl gegen die B KAE als auch gegen die Theologie, seien Vorbehalte anzumelden, jede Seite habe aber auch ihre berechtigten Anliegen. Man dürfe
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Zitiert nach STRATMANN, Kein anderes Evangelium, 110. LILJE, Verzicht.
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keinen falschen Respekt vor der Skepsis haben, denn diese sei „Ausdruck geistiger Gesundheit und Sauberkeit“, aber die Skepsis wiederum könne auch nicht der letzte Maßstab sein, sondern Gott, der den Menschen in Frage stellt. Friedrich Wunderlich, Bischof der Methodistenkirche in Deutschland, sprach Lilje für die „klaren Linien“ in seinen Ausführungen Dank aus, da er darin einen „ungemein wertvollen, konstruktiven Beitrag“ zu einer Problemkonstellation sah, die auch der methodistischen Kirche „aufgegeben“ sei.109 Einen sehr ausführlichen Bericht erstattete der westfälische Präses Ernst Wilm am 24. Oktober 1966 auf der Tagung der Landessynode der Evangelischen Landeskirche von Westfalen.110 Wilm zitierte in diesem Bericht eine ganze Fülle von Anfragen und Situationsbeschreibungen aus der westfälischen Landeskirche, ebenso wie Stellungnahmen anderer Landeskirchenleitungen zu dem Konflikt zwischen der B KAE und der „modernen Theologie“. Hinsichtlich der Positionierung von Wilm gegenüber der B KAE ist nicht zu verkennen, dass er deren Anliegen sehr nahe stand. Sein Grußwort auf dem Dortmunder „Bekenntnistag“ stellte dafür schon ein Indiz dar, allerdings drängte ihn eben dieses Grußwort vor dem Hintergrund der eher vermittelnden Positionen der anderen Kirchenleitungen in eine apologetische Haltung – nicht zuletzt auch auf Grund der zahlreichen sowohl positiven als auch kritischen Resonanz, die ihn im Nachhinein erreichte.111
109 Brief der Methodistenkirche in Deutschland, Bischof Dr. Friedrich Wunderlich, an Landesbischof D. Hanns Lilje, vom 14. 9. 1966. Maschinenschriftl., 1 S. (LkAH, Best. L 3 III Nr. 1267). Zu Friedrich Wunderlich vgl. VOIGT, Friedrich Wunderlich sowie die Ausgabe von „Der Evangelist“ vom 23. 1. 1966, die anlässlich seines 70. Geburtstages ganz Wunderlich gewidmet war. 110 Präses D. Wilm. Auszug aus dem mündlichen Bericht auf der Tagung der westfälischen Landessynode (erstattet am 24. Oktober 1966). Maschinenschriftl., vervielf., 49 S. (AEKR Düsseldorf 1OB 017, Nr. 13–1-15–1: Beiakte Sammlung „EKD-Erlasse“). 111 Vgl. diverse Briefe in der Akte LkA EKvW Best. 0.1 Nr. 476. So schrieb z. B. eine Frau aus Pullach an den Präses, es sei wunderbar, dass es endlich Männer gebe, die Mut hätten: „Ich weiss nicht, ob Ihnen in Ihrer Vorrangstellung zugetragen wird, wie betrübt zahllose Christen sind, weil das, was ihnen Quelle aller Weisheit, Licht ihres schweren Alltags, Freude trotz vieler Nöte, einzige Hilfe und Unterstützung bei der schweren Aufgabe der Kindererziehung – kurzum alles, was ihnen aus eigener Heilserfahrung kostbarste Erkenntnis geworden ist, zerfleddert und verächtlich gemacht wird durch moderne Menschen, die es nun endlich wirklich geschafft zu haben vorgeben: Klug zu sein wie Gott! Und diesen Intellektuellen nicht zu begegnen wissen – es sei denn, man bezeugt seinen Glauben durch Erfahrung und gilt bei ihnen als ‚armer Irrer‘. Welche Hilfe Gott den Christen gibt, indem Er Männer mit Mut ausrüstet, damit sie Seinen Gegnern klug und grade begegnen, können Sie kaum ermessen. Wir Christen brauchen Männer ‚i.Garnitur‘, wie es unter den leitenden Leuten der Kirche so schön heisst! Warum fehlte nur [in Dortmund] Thielecke, Lillje [sic!], u. a., von denen man denkt, dass sie das unverfälschte Evangelium meinen?“ Im weiteren Brief monierte die Absenderin des Briefes die „Steigbügel“-Haltung der Kirche in der Frage
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Präses Ernst Wilms Verhältnis zur Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“ Ernst Wilms Grußwort auf dem Dortmunder Bekenntnistag war von seinen Amtskollegen nicht kommentiert worden. Allerdings las Wilm an den verschiedenen Stellungnahmen anderer Bischöfe und Vertreter kirchenleitender Gremien ab, dass seine Haltung nuanciert protektionistischer gegenüber der B KAE ausfiel, als bei diesen. In den Jahren nach 1966 – 1968 trat Wilm in den Ruhestand, sein Nachfolger als Präses der westfälischen Kirche wurde Hans Thimme – ist immer wieder Wilms Bemühen erkennbar, die Anliegen der B KAE zu verteidigen, und das auch gegenüber Kirchenvertretern. Folgendes Beispiel illustriert diese Intention Wilms: Am 14. August 1966 hatte Erwin Wilkens in einem Beitrag des Norddeutschen Rundfunks „Zur gegenwärtigen Unruhe in der evangelischen Kirche“ Stellung genommen. Wilkens war als Mitarbeiter der Kirchenkanzlei der EKD – deren Vizepräsident er 1974 wurde – maßgeblich an der Erstellung der viel diskutierten so genannten „Ostdenkschrift“ der EKD „Die Lage der Vertriebenen und das Verhältnis des deutschen Volkes zu seinen östlichen Nachbarn“ von 1965 beteiligt. In seinem Rundfunkbeitrag nannte Wilkens einige gemeinsame Merkmale der der B KAE, der „Moralbewegung ‚Sorge um Deutschland‘“ und der „Notgemeinschaft evangelischer Deutscher“, die sich in Opposition zu der „Ostdenkschrift“ gegründet hatte: alle drei Gruppen seien Abwehrbewegungen, die Fraktionsbildungen in die Synoden hineintrügen und mit stark ausgeprägtem Wahrheitsanspruch zu unnötig festen Frontenbildungen führten.112 Allerdings, so Wilkens
der sexuellen Freiheit (Brief von Frau Irma Berning, Pullach, an Präses [Ernst] Wilm vom 22. 4. 1966. Maschinenschriftl., 2 S., Zitat 1 [LkA EKvW Best. 0.1 Nr. 457]). Es gab aber auch andere Reaktionen, wie z. B. die des emeritierten Pfarrers Erich Krüger, der Ende der 1960er Jahre in Broschüren und Pamphleten, die im Selbstverlag erschienen, eine Haltung massivster Kirchenkritik an den Tag legte, in beängstigender Form darauf hinwies, dass die Endzeit angebrochen sei und den Satan konkret verortete. Krüger bezichtigte Wilm der Doppelzüngigkeit und Lüge: Zwar hätte Wilm auf der Siegener Allianzkonferenz am 11. September 1966 einen „biblischen Vortrag“ gehalten, auch gegen „moderne Theologie“, befürworte aber in der EKD „politische Seelsorge und Diakonie“ und die „Vielfalt der Theologien“ als Bereicherung der Erkenntnis des Evangeliums auf der Landessynode. Damit sei er ein Heuchler und Lügner. In Karl Barth sah Krüger eine der Wurzeln des gegenwärtigen Übels, denn dieser habe ebenso wie andere theologische Kirchenlehrer das Wort Gottes unter einen „Normbegriff“ gestellt. Da aber „der Herr allezeit im Heiligen Geist redet, ist die Kirchenlehre [!] Karl Barths eine verhängnisvolle Irrlehre“ und falsche Prophetie“ (Briefe von Dr. theol. Erich Krüger, Pfarrer a. D., Kleve, an Herrn Präses D. Ernst Wilm vom 18. 10. 1966, maschinenschriftl., 4 S., und vom 25. 11. 1966, maschinenschriftl., 3 S. [LkA EKvW Best. 0.1 Nr. 457]). 112 Wilkens, Erwin: Zur gegenwärtigen Unruhe in der evangelischen Kirche. Manuskript des Rundfunkbeitrages zu den Kirchlichen Nachrichten NDR 14. August 1966 – 8.45 Uhr. Anlage
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weiter, würden alle drei Gruppen durchaus berechtigte Anliegen vertreten. Die B KAE richte sich gegen bestimmte Erscheinungen in der so genannten „modernen Theologie“: „Die wissenschaftliche Theologie hat in der evangelischen Kirche oft in der Gefahr gestanden, sich für das Ganze der Kirche zu halten und die Gemeinden für ihre durchaus wechselnden Erkenntnisse in Anspruch zu nehmen. Auf der anderen Seite tut die Theologie der Kirche einen unentbehrlichen Dienst [. . .].“113 Der „Moralbewegung ‚Sorge um Deutschland‘“ (SuD) sei anzurechnen, dass mit dem christlichen Glauben in der Tat bestimmte Forderungen christlicher Verantwortung verbunden seien, die nicht zu schnell gegenüber den Erfordernissen der modernen Welt preisgegeben werden dürften. „Auf der anderen Seite aber muß man sehr scharf unterscheiden können zwischen zeitgebundenen Moralvorstellungen und einem lebendigen christlichen Gehorsam, der nach dem Willen Gottes für heute fragt.“114 Der „Notgemeinschaft evangelischer Deutscher“ gehe es, so Wilkens, darum, „daß die sittliche Bindung an Volk und Vaterland in dem Ringen der evangelischen Kirche um ihre politische Verantwortung nicht zu kurz kommt.“ Es gebe niemanden in der deutschen evangelischen Kirche, der „dieses Anliegen nicht voll bejaht. Die Schwierigkeit liegt aber darin, daß mit dem Ja zu Volk und Vaterland über den entsprechenden sittlichen und politischen Inhalt noch nichts gesagt ist.“115 Bei allen drei Gruppierungen sei allerdings „vor verhärteten Frontbildungen und schnellen persönlichen Verurteilungen [zu] warnen.“116 Ernst Wilm schrieb nach dem Vortrag an Wilkens und kritisierte die gleichartige Bewertung dieser drei Bewegungen durch Wilkens, wobei Wilm nur der verkürzte epd-Bericht vorlag. Wilkens verteidigte sich in seinem Antwortschreiben, die Gleichartigkeit liege, wie er wohl wisse, eher im Formalen. Aber ihm sei bewusst, dass seine Sympathien durchaus im Text erkennbar wären. Er halte zu dem Brief der Evangelischen Kirche in Deutschland – Kirchenkanzlei – Oberkirchenrat [Erwin] Wilkens an Präses D. Ernst Wilm vom 25. 8. 1966. Maschinenschriftl., vervielf., 3 S., hier 2 (LkA EKvW Best. 0.1 Nr. 457). 113 EBD. 114 Wilkens, Erwin: Zur gegenwärtigen Unruhe in der evangelischen Kirche. Manuskript des Rundfunkbeitrages zu den Kirchlichen Nachrichten NDR 14. August 1966 – 8.45 Uhr. Anlage zu dem Brief der Evangelischen Kirche in Deutschland – Kirchenkanzlei – Oberkirchenrat [Erwin] Wilkens an Präses D. Ernst Wilm vom 25. 8. 1966. Maschinenschriftl., vervielf., 3 S., hier 2f. (LkA EKvW Best. 0.1 Nr. 457). 115 Wilkens, Erwin: Zur gegenwärtigen Unruhe in der evangelischen Kirche. Manuskript des Rundfunkbeitrages zu den Kirchlichen Nachrichten NDR 14. August 1966 – 8.45 Uhr. Anlage zu dem Brief der Evangelischen Kirche in Deutschland – Kirchenkanzlei – Oberkirchenrat [Erwin] Wilkens an Präses D. Ernst Wilm vom 25. 8. 1966. Maschinenschriftl., vervielf., 3 S., hier 3 (LkA EKvW Best. 0.1 Nr. 457). 116 EBD.
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„die Notgemeinschaft für eine so schlimme Erscheinung in unserer Kirche, daß wir hier doch wohl lauter unser kritisches Wort erheben müssten. [. . .] Mit diesen Leuten geht ein ungeprüfter Nationalismus in einer Weise durch, die erschreckend ist.“117 Er frage sich inzwischen, ob es angeraten sei, die „Notgemeinschaft“ so „vornehm“ zu behandeln, wie er es in seinem Beitrag getan habe.118 Aber über diese In-Schutz-Nahme der evangelikalen Bewegung durch Wilm hinaus war der westfälische Präses Berater der B KAE, vor allem Rudolf Bäumers, den Wilm von Oktober 1939 bis April 1940 als Hilfsprediger nach Mennighüffen berufen hatte,119 wo Wilm seine kirchliche Laufbahn begann. Beide kannten sich aus der Zeit des Kirchenkampfes und der Bekennenden Kirche in Westfalen.120 Man wird von einem Verhältnis gegenseitigen Respekts, wenn nicht gar einer Freundschaft ausgehen können. Bäumer hatte Wilm nach dessen Auftritt auf dem Dortmunder Bekenntnistag begeistert gedankt: „Viele Gemeindeglieder mißtrauten allmählich der Kirche überhaupt, weil die Proteste [gegen die Theologie] zu zaghaft und zu vereinzelt kamen. Sie mißtrauten auch der Bibel. Ich will hier nicht schon behaupten, daß Dortmund entscheidend gegen den Zweifel geholfen hätte. Wer könnte den geistlichen Pegel lesen? Aber viele Briefe schlichter Christen lassen ihre große Dankbarkeit erkennen. Dazu hat nun Dein ‚Bekenntnis‘ wesentlich geholfen: Der Präses glaubt! Die Dich kannten, wussten auch vorher, wie Du stehst. Daß Du es aber hier in dem Zusammenhang sagtest, ist hilfreich. Du hast es auch klar gesagt, bis hin zu jenen loci, die heute nicht mehr hoffähig erscheinen: geboren von der Jungfrau. [. . .] Ich persönlich bin der Meinung, [. . .] daß Du selbst, lieber Bruder Wilm, genügend bewiesen hast, tapfere Konsequenzen aus Deinem Glauben ziehen zu können!“121
117 Brief der Evangelischen Kirche in Deutschland – Kirchenkanzlei –, Oberkirchenrat [Erwin] Wilkens, an Präses D. Ernst Wilm vom 25. 8. 1966. Maschinenschriftl., 3 S., hier 2 (LkA EKvW Best. 0.1 Nr. 457). 118 EBD., 3. 119 BUSCH, Einzug, 369; Brief von Rudolf Bäumer an Pastor Wilhelm Niemöller vom 17. 8. 1971. Maschinenschriftl., 2 S., hier 1 (ZA EKHN, Best. 35, Nr. 414). 120 Bäumer war 1935/36 Schriftführer im Bruderrat der bekenntniskirchlichen Studentengruppe in Münster gewesen, bis Ostern 1937 Vikar der Bekennenden Kirche in Ibbenbüren und Münster, 1937 verwaltete er das Theologiestudentenamt der Bekennenden Kirche in Westfalen, wobei Ludwig Steil der Verbindungsmann zwischen Bäumer und dem Westfälischen Bruderrat war (EBD.). Diese Lebensstationen berichtete 1971 Bäumer dem Bruder Martin Niemöllers, Wilhelm Niemöller, mit dem Bäumer in einem losen Briefkontakt stand (vgl. weitere Briefe in Akte ZA EKHN, Best. 35, Nr. 414). 121 Brief von Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“, gez. R[udolf] Bäumer, an Präses D. [Ernst] Wilm vom 28. 3. 1966. Maschinenschriftl., 3 S., hier 2 (LkA EKvW Best. 0.1 Nr. 476).
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In erster Linie aber versuchte Ernst Wilm, Bäumer in seiner kritischen Haltung zu mäßigen. Als Bäumer im März 1966 positiv auf die massive Kirchenkritik von Fritz Braun, dem Leiter des „Missionsbundes Wortgemeinde e.V.“ und Herausgeber der „Rauschenberger Blätter. Gottes Wort in unserer Zeit“ reagierte, schritt Wilm ein. Die „Rauschenberger Blätter“, die von Braun nahezu allein betrieben wurden, stellten eine aggressive Verlängerung der Anliegen der evangelikalen Bewegung dar. So war im März 1966 davon die Rede, dass „die liberalen [. . .] Wortund Glaubenszerstörer unter satanischem Oberkommando“ stünden, Kirchenspaltung das einzige Mittel gegen die „liberale Verwüstung“ darstelle, liberale Professoren „sich heute wie das Ungeziefer“ vermehrten. Oder aber Braun rechnete ab mit Rudolf Bultmann, Herbert Braun, Ernst Fuchs, Ernst Käsemann, Gerhard Ebeling, mit der „fragwürdige[n] Gestalt eines Albert Schweitzer“, mit der „Moralischen Aufrüstung“ und „ihren bedenklichen Kompromissen“ und mit dem Minirock. Darüber hinaus stehe der Weltuntergang unmittelbar bevor.122 Braun, der 1970 aus der Kirche austrat – nicht ohne in einem „Offenen Brief“ an den Stuttgarter OKR auf 12 Seiten seine massive Kritik an der Kirche darzulegen, wobei er unter anderem der B KAE vorwarf, nicht energisch genug zu sein –123 hatte in einer der Märzausgaben der „Rauschenberger Blätter“ einen Briefwechsel zwischen ihm und Bäumer veröffentlicht. In seinem Brief beglückwünschte Braun Bäumer zum Bekenntnistag, denn die beste Antwort „auf das Krebsgeschwür der modernen Existential-Theologie und der Lauheit der Kirchenregierungen“ sei Dortmund gewesen. Heute „gehören zehn Luther her, die statt der Bannbulle des Papstes die Schriften sämtlicher liberaler und Christus leugnender Professoren öffentlich verbrennen sollten! Der Ablasshandel von einst ist doch eine Kleinigkeit verglichen mit der systematischen Zerstörung des Wortes Gottes durch die liberalen Professoren von heute.“124 Eigene Ausbildungsstätten für Prediger müssten her, so Braun weiter, und die Jugendlichen dürfen nicht mehr zum Studium an die Theologischen Fakultäten geschickt werden. Braun forderte Bäumer auf, er solle scharf schießen, „nicht nur mit Gewehren, sondern mit schweren Kalibern oder gar mit Atombombern! [. . .] Geben Sie eine Liste heraus, in der sämtliche untragbare Theologieprofessoren
122 FB., 123
Ich will mich. FRITZ BRAUN VERLIESS DIE KIRCHE. Braun hatte schon 1963 in Württemberg in Flugblättern gegen die „Zersetzungs-Theologie“ von Bultmann polemisiert. 124 Brief von Fritz Braun an Rudolf Bäumer [vom Februar oder März 1966] (RAUSCHENBERGER BLÄTTER Nr. 1, 14f., hier 14).
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namentlich aufgeführt sind und hinter jedem Namen ein Zitat aus seinen Veröffentlichungen, das beweiskräftig ist!“125 Darauf hatte Bäumer mit einem Brief geantwortet, der ebenfalls in den „Rauschenberger Blättern“ publiziert wurde: „Ihr Brief hat mich von Herzen gefreut! Haben Sie vielen Dank! [. . .] Ihre frische Sprache ist hilfreich. Wir sprechen auch klar und haben um Gespräche mit allen Kirchenleitungen gebeten, auch daß ein ‚Modernist‘ [gemeint war Willi Marxsen] aus der westfl. Prüfungskommission entlassen wird! – Es gibt noch über 3 000 Knie, die sich nicht vor Baal beugten!“126 Wilm stellte Bäumer daraufhin zur Rede. Er sei erschrocken über die Reaktion Bäumers, denn es „hätte doch ohne Frage eine ernste Zurückweisung der unguten und unsachlichen Angriffe gegen die Kirche und Kirchenleitungen erfolgen müssen. Wenn Ihr [die B KAE] Euch da nicht ganz eindeutig zwischen Scylla und Charybdis haltet, fahrt Ihr nicht richtig.“127 Bäumer antwortete Wilm einlenkend, Braun habe in seinem Brief „wohl nichts Falsches geschrieben; denn daß es laue Kirchenleitungen in Deutschland gibt, meinst Du ja auch. Damit ist nicht der Stab über alle gebrochen!“ Allerdings schienen ihm die „Rauschenberger [. . .] in manchen Dingen etwas extravagant zu sein. Aber wie sollte ich brieflich ihnen die Hohlwelt-Theorie widerlegen oder eine Ehrenrettung des Bubikopfes bei ihnen erreichen? Ich habe bis heute keine Vorstellung davon, was sie eigentlich machen.“128 Im April 1966 schrieb Bäumer dann noch einmal an Braun – auch diesmal keinesfalls kritisch, sondern sehr freundlich –, und nahm einige von Brauns Monita auf: Man setze sich in der B KAE dafür ein, dass Marxsen – der namentlich nicht genannt wurde – sein Amt nicht behalten dürfe und plane einen Arbeitskreis „Bekenntnis und modernistische Theologie“. Der Dortmunder Bekenntnistag trage viele gute Früchte, z. B. hätten sich Anhänger der existentialen Interpretation so darüber geärgert, dass sie jetzt viel ungeschützter sprächen. Präses Wilm und dessen Stellvertreter Hans Thimme allerdings stünden, so Bäumer, „auf dem Boden des Bekenntnisses“.129 125 126
EBD., 15. Brief von Rudolf Bäumer an Fritz Braun vom 2. 3. 1966 (RAUSCHENBERGER BLÄTTER Nr. 1,
15). 127
Briefdurchschlag, gez. [Ernst] W[ilm], an Pfarrer Rudolf Bäumer vom 22. 4. 1966. Maschinenschriftl., 1 S (LkA EKvW Best. 0.1 Nr. 476). 128 Brief der Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“, gez. R[udolf] Bäumer, an Präses D. [Ernst] Wilm vom 26. 4. 1966. Maschinenschriftl., 2 S. (LkA EKvW Best. 0.1 Nr. 476). 129 Briefdurchschlag von der Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“, gez. R[udolf] Bäumer, an Missionsdirektor F[ritz] Braun vom 26. 4. 1966. Maschinenschriftl., 2 S. (LkA EKvW Best. 0.1 Nr. 476).
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Im Januar 1967 warnte Wilm Bäumer, die B KAE solle nicht, wie es erwogen wurde, die „Notgemeinschaft evangelischer Deutscher“ als kooperatives Mitglied aufnehmen. Wilm hielt es für ein „großes Unglück“, wenn dies geschehe, denn die Bekenntnisbewegung bekäme dadurch, „ohne daß sie es selber will, eine andere Farbe“, die „ihr nur schaden könnte.“ Die Notgemeinschaft und die Bekenntnisbewegung seien „aus sehr unterschiedlichen Wurzeln gewachsen und betreiben ihre Sache auf ganz verschiedener Ebene. [. . .] Ich kann Euch nur bitten: Hände weg, von der Notgemeinschaft evangelischer Deutscher! Wenn Du schon etwa mit Pfarrer Evertz130 aus Dortmund zu tun haben solltest, muß ich noch mit Dir über ihn ausführlicher sprechen.“131 Bäumer antwortete Wilm: „Für Deinen ausführlichen Brief mit der Warnung vor der ‚Notgemeinschaft‘ danke ich Dir sehr! Ich hörte von jenen Ambitionen, wir wissen aber selbst um die Gefährlichkeit der von Dir genannten Ideen. Es wäre aber trotzdem gut, wenn Du uns gelegentlich Näheres sagtest. Jedenfalls kannst Du darin ohne Sorge sein.“132 Die Sorge von Wilm war nicht unberechtigt, denn es stand in der B KAE wiederholt zur Debatte, die Notgemeinschaft als Kooperationspartner anzuerkennen. Dieselben Diskussionen wiederholten sich 1970, als es darum ging, ob die KBG die „Notgemeinschaft evangelischer Deutscher“ in die Konferenz aufnehmen sollte oder nicht. Ernst Wilm war einer der leitenden Geistlichen in der EKD, die zumindest anfangs ganz deutlich hinter der B KAE standen und starke Bedenken gegenüber den so wahrgenommenen Auflösungserscheinungen durch die Theologie und auch gegen die vermeintlich unentschlossene Haltung diesbezüglich seitens der anderen Landeskirchenleitungen hatten. Interessant ist allerdings die weitere Entwicklung, sowohl hinsichtlich seiner eigenen Haltung gegenüber Bäumer und der B KAE als auch die von Rudolf Bäumer. Kurz vor seinem Tod 1993 wurde Rudolf Bäumer von Roger J. Busch im Zusammenhang mit dessen Dissertation „Einzug in die festen Burgen?“ interviewt. Busch war im Vorfeld klar, dass es eine Beziehung zwischen Ernst Wilm und Rudolf Bäumer gegeben haben musste und fragte Bäumer diesbezüglich. Aber, so Busch in seiner Studie, „über diese persönliche Verbindung zu Ernst Wilm spricht Bäumer nicht weiter. Wilm wird später immer wieder den Weg
Alexander Evertz war der Gründer und Vorsitzende der „Notgemeinschaft“. Briefdurchschlag, gez. [Ernst] W[ilm], an Pfarrer [Rudolf] Bäumer vom 5. 1. 1967. Maschinenschriftl., 1 S. (LkA EKvW Best. 0.1 Nr. 457). 132 Brief der Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“, gez. R[udolf] Bäumer, an Präses D. [Ernst] Wilm vom Epiphaniastag 1967. Maschinenschriftl., 1 S. (LkA EKvW Best. 0.1 Nr. 457). 130 131
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der entstehenden Bekenntnisbewegung kreuzen [. . .]. Wilm war auch Vorsitzender des Ludwig-Steil-Hofes in Espelkamp, den Bäumer 16 Jahre lang leitete. Auch hier gab es vielfältige Begegnungen, deren Charakter jedoch nirgends dokumentiert ist.“133 Wie erklärt sich Bäumers Schweigen über den Mann, der sich so aufopferungsvoll um den Fortgang der B KAE gesorgt hatte und dem er Jahrzehnte zuvor bescheinigt hatte, er habe „genügend bewiesen“, „tapfere Konsequenzen“ aus seinem Glauben ziehen zu können? Roger J. Busch ist insofern ein geringfügiger Irrtum unterlaufen, als dass der Verlauf der Beziehung von Bäumer und Wilm aus zwei Briefen Wilms in seinem Nachlass im Landeskirchlichen Archiv der Evangelischen Kirche von Westfalen rekonstruierbar und von daher doch dokumentiert ist. An dieser Stelle zeigt sich in exemplarischer Weise, wie sich Aktenmaterial und „OralHistory“ ergänzen können, denn aus diesen Briefen geht hervor, dass sich Bäumer aus gutem Grund über Wilm in Schweigen hüllte: Dieser hatte sich 1977 von der B KAE und, mit schwerwiegender Kritik, auch von Bäumer abgewandt. Diese Kehrtwende Wilms 1977 hatte allerdings einen langen Vorlauf. Schon 1968 war es zu einer ersten ernsten Auseinandersetzung gekommen, als Bäumer auf einer Großveranstaltung der B KAE in Essen im Oktober 1968 die Anhänger der B KAE aufgefordert hatte, zwischen Kirche und Kirchenleitung zu unterscheiden und sich von den Fehlentscheidungen letzterer zu distanzieren.134 Daraufhin äußerte Wilm in den „Nachrichten aus dem Evangelischen Pfarrerverein Westfalen“, eine solche Darstellung Bäumers sei eine Fehlinformation der Essener Zuhörer, habe „Vertrauen zerbrochen“ und einen schweren Schaden angerichtet.135 Es war nun bemerkenswerterweise nicht Bäumer, der sich an Wilm mit der Bitte um Klärung dieser Vorwürfe wandte, sondern Paul Deitenbeck.136 Ihm antwortete Wilm, seiner Meinung nach habe Bäumer „ein schweres Unrecht“ begangen, als er seine Zuhörer in Essen aufrief, zwischen Kirche und Kirchenleitung zu unterscheiden, sein eigenes Vertrauen zur B KAE und zu Bäumer im speziellen wäre „schwer zerstört“. Für Gespräche sei er aber nach wie vor offen.137 Offensichtlich fanden solche Gespräche statt, denn zum
133
BUSCH, Einzug, 369. Zu dieser Auseinandersetzung vgl. auch Kap. 6. 2. 1., S. 528f. 135 WILM, 20 Jahre, 55. 136 Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“, gez. Paul Deitenbeck, an Präses D. Ernst Wilm vom 12. 11. 1968. Maschinenschriftl., 1 S. (LkA EKvW Best. 3.2 Nr. 18). 137 Briefdurchschlag, gez. [Ernst] W[ilm], an Pfarrer [Paul] Deitenbeck vom 18. 11. 1968. Maschinenschriftl., 2 S. (LkA EKvW Best. 3.2 Nr. 389). 134
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Eklat kam es erst 1977. Im Frühjahr 1977 agitierte Rudolf Bäumer im Vorfeld des DEKT so scharf wie kaum zuvor gegen die Kirchentagsarbeit.138 Zwar stand der Kirchentag seit Ende der 1960er Jahre im Schussfeld der evangelikalen Kritik, die 1973 zu der Installation der evangelikalen Gegenveranstaltung „Gemeindetag unter dem Wort“ geführt hatte, aber 1977 eskalierte die Auseinandersetzung, unter anderem auf Grund des von Bäumer ausgerufenen „Unvereinbarkeitsbeschlusses“: Wer am „Gemeindetag“ teilnehme, dürfe nicht am „Kirchentag“ teilnehmen und umgekehrt. Die Situation spitzte sich außerdem zu, als Bäumer in einem Interview von einer drohenden Abspaltung von der Kirche sprach – die Medien nahmen dieses Stichwort auf und lösten damit eine breite und hitzige Debatte aus, die auch durch Bäumers Dementi der eigenen Aussage nicht mehr gebremst werden konnte. Des Weiteren waren zum Gemeindetag 1977 unter anderen Jens Motschmann, einer der Herausgeber des „Rotbuchs Kirche“, und eben Alexander Evertz, der Gründer und Leiter der „Notgemeinschaft evangelischer Deutscher“, eingeladen. Auch dieser Umstand war umstritten. Vor diesem Hintergrund geriet Bäumer in scharfe Kritik, unter anderem seitens des Superintendenten des Kirchenkreises Lübbecke, Helmut Begemann. Begemann war der Vorgesetzte Bäumers, der nach wie vor als Pfarrer in Espelkamp wirkte. Der Superintendent bat Bäumer in einem Brief, der als Kopie an alle Pfarrer des Kirchenkreises ging, stärker auf ein Engagement in der Landeskirche hinzuarbeiten, für die Bäumer ja tätig war.139 Sechs Tage zuvor aber hatte Begemann von dem ehemaligen Präses der westfälischen Kirche, der nach seiner Pensionierung im Kirchenkreis Lübbecke wohnte und die Probleme unmittelbar verfolgen konnte, einen Brief erhalten, in dem Wilm dem Superintendenten offen mitteilte: „Die Haltung von Br. Bäumer ist von einer fast krankhaften Starrheit, und es ist schwer erträglich, wenn er seine Argumente unter der Anrede ‚meine lieben Brüder‘ vorträgt. Ich glaube, daß seine Mitbrüder in der ‚Bekenntnisbewegung‘ nicht alle so radikal und stur sind wie er. Das soll sich doch auf der Lausanner Konferenz deutlich gezeigt haben, wo Bäumer ziemlich allein stand. Und ich habe auch bei früheren Gesprächen, die ich als Präses leitete, zwischen Professoren der Theologie und Vertretern der Bekenntnisbewegung festgestellt, daß z. B. Br. Deitenbeck nicht in derselben schroffen und hartgesetzlichen Art diskutierte wie Br. Bäumer. Es kann einmal dahin kommen, daß Br. Bäumer recht einsam dasteht, aber dann ist schon viel Schaden in den Gemeinden angerichtet. Daß sie jetzt mit den Herren Evertz und Motschmann 138
Zu den Debatten um den DEKT 1977 vgl. die ausführliche Darstellung in 6. 3. 4, S. 622–
632. 139 Briefkopie des Superintendenten des Kirchenkreises Lübbecke, gez. [Helmut] Begemann, an den Vorsitzenden des Präsidiums des Gemeindetages 1977 in Dortmund, Herrn Pfarrer Bäumer, vom 25. 4. 1977. Maschinenschriftl., 6 S., hier 4 (LkA EKvW Best. 3.2 Nr. 421).
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auch noch die fatale politische Komponente in ihre Sache mit hineinnehmen und die ‚Frommen‘ mit ihren antimarxistischen Parolen verwirren und auf ihre Seite zu ziehen versuchen, ist einfach schlecht. Man muß nur mal lesen, was Evertz schriftlich von sich gegeben hat, um schnell zu erkennen, was das für ein Unsinn und Geschmacklosigkeit ist. Es spricht wahrlich nicht für Br. Bäumer, daß er solche billige Polemik jetzt für seine Sache ‚der ganzen Wahrheit des Evangeliums‘ in seinen Gemeindetag mit hineinnimmt.“140
Bezüglich einer Anfrage der Posaunenchöre, ob auch für sie der „Unvereinbarkeitsbeschluss“ Bäumers gelte, bat Wilm Begemann, dahingehend auf die Chöre einzuwirken, „daß sie sowohl am Gemeindetag, als auch am Kirchentag teilnehmen – und wenn ihnen das zuviel sein sollte, nur am Kirchentag teilnehmen. Hier muß einfach einmal hart entschieden werden und dieser ‚Ausschließungstaktik‘ der Bekenntnisbewegung ein ‚Halt!‘ geboten werden. Dieses entweder GT oder KT ist einfach unmöglich.“ Außerdem praktiziere Bäumer keine Entscheidung nach einem „Unvereinbarkeitsbeschluss“, sondern steige als Pastor in Espelkamp „auf dieselbe Kanzel wie die anderen Brüder.“141 Im Oktober 1977 verlor Wilm endgültig die Geduld, und zwar in einer Angelegenheit des Ludwig-Steil-Hofes und der Kirchgemeinde St. Martin in Espelkamp. Bäumer hatte als Leiter des Ludwig-Steil-Hofes ohne die Zustimmung des Vorstandes, zu dem auch Wilm gehörte, sowie der des Presbyteriums der St. Martins-Gemeinde, auf deren Gebiet die diakonische Einrichtung lag, einen Allianz-Gottesdienst im Saal des Ludwig-Steil-Hofes organisiert. Wilm erfuhr davon aus den „Espelkamper Nachrichten“. Er schrieb daraufhin Bäumer einen Brief, aus dem hervorgeht, dass es bereits starke Spannungen zwischen Bäumer und dem Presbyterium der Martins-Gemeinde gab. Angesichts der von Bäumer initiierten Aktion ohne jede Rücksprache und unter Umgehung jeglicher formaler und personeller Absprachen fühlte Wilm sich, „glatt überfahren“ und klagte gegenüber Bäumer: „Dies ist wieder einer der Punkte, wo Du Unrecht getan hast. Wenn Du doch endlich einmal einsehen würdest, daß Du anderen Brüdern oder Schwestern Unrecht getan hast und sie deshalb um Vergebung bitten würdest, statt nur zu sagen, Du wärest bereit, denen zu vergeben, die Dir etwas angetan haben!“142 Bäumers Einladung zu der Allianzveranstaltung erörterte Wilm ausführlich. Aus seinen Worten geht hervor, dass Bäumer offensichtlich, ohne dass das an die Öffentlichkeit gedrungen war, Allianzmit-
140 Briefdurchschlag [von Ernst Wilm] an Superintendent Dr. [Helmut] Begemann vom 19. 4. 1977. Maschinenschriftl., 2 S., hier 1 (LkA EKvW Best. 3.2 Nr. 421). 141 EBD., 2. 142 Briefdurchschlag von Ernst Wilm, Präses i. R., an Pfarrer Rudolf Bäumer vom 11. 10. 1977. Maschinenschriftl., 3 S., hier 2 (LkA EKvW Best. 3.2 Nr. 421).
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glieder, die der ökumenischen Bewegung seiner Meinung nach zu positiv gegenüber standen, von der Allianzarbeit ausgeschlossen hatte. Die Tatsache, dass Bäumer öffentlich zu Allianzveranstaltungen einlud und intern ökumenefreundliche Mitglieder der Allianz ausschloss, kritisierte Wilm scharf als „ausgesprochen un-evangelisch“.143 Am Schluss dieses Briefes, der der letzte von Ernst Wilm an Rudolf Bäumer in Wilms Nachlass im Landeskirchlichen Archiv in Bielefeld ist, resümierte Wilm: „Was ich jetzt [. . .] schreibe, ist eine Erkenntnis, die ich persönlich gewonnen habe und die mir beim gründlichen Nachdenken über die Bekenntnisbewegung ‚Kein anderes Evangelium‘, was sie verkündigt und wie sie handelt – und hier stehst Du mir besonders vor Augen! – gekommen ist. Ich habe es noch nicht öffentlich ausgesprochen oder darüber geschrieben, aber ich werde es vielleicht tun, wenn ich mehr Stille dazu habe: nämlich daß gerade die Bekenntnisbewegung ‚das andere Evangelium‘ hat und vertritt, von dem der Apostel Paulus im Galaterbrief schreibt (Gal. 2, 6). Denn dieses andere Evangelium haben die, die aus dem Evangelium der Freiheit wieder ein Gesetz machen wollen und die den Menschen aus der Freiheit, zu der uns Christus befreit hat, in das Gefängnis ihrer gesetzlichen Frömmigkeit und Gläubigkeit – ja, es gibt auch eine ‚gesetzliche Schriftgläubigkeit‘, (s. Joh. 5, 39) – einsperren. Die Menschenkinder unter ein neues Joch bringen, unter dem sie nicht frei und fröhlich und selig werden können. ‚Zur Freiheit hat uns Christus befreit. So stehet nun fest und lasset euch nicht wiederum in das knechtische Joch fangen! (Gal. 5, 1). Mit herzlichem Gruß Dein, gez. Ernst Wilm“144
Der Werdegang Wilms von einem Befürworter der evangelikalen Bewegung, der in Bezug auf einzelne Aspekte seiner Haltung Ende der 1960 und in den 1970er Jahren als „Evangelikaler“ zu bezeichnen ist, hin zu einem Kritiker der B KAE verdeutlicht die Problematik, die sich auf biografischer Ebene bei einer Einordnung und Systematisierung der evangelikalen Bewegung ergibt. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass einzelne Personen kontinuierlich ein Leben lang Vertreter der evangelikalen Bewegung waren oder sind. Veränderungen in den eigenen Haltungen spielen hier eine nicht zu unterschätzende Rolle. Ebenso wie von evangelikalen Trägergruppen gesprochen werden muss, die in einzelnen Punkten mit der evangelikalen Bewegung übereinstimmten, aber auch ihre eigenen Zielsetzungen verfolgten, können „evangelikale Trägerpersonen“ ausgemacht werden, die punktuell thematisch oder punktuell zeitlich die evangelikale Bewegung prägten, ohne als dezidiert „evangelikal“ zu gelten. Diese Beobachtung spielt für den evangelikalen Protest 1966 und seine Vorlaufzeit in den 1960er Jahren insofern eine Rolle, als dass sich hier biografische Kumula-
143 144
EBD., 3. EBD.
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tionen hinsichtlich der Zustimmung zu dem evangelikalen Anliegen bei evangelikalen Trägerpersonen ergaben, der sich nach 1966 wieder auflösten bzw. verschoben. In dem auf der Landessynode verabschiedeten „Wort der Westfälischen Landessynode 1966 zu den theologischen Auseinandersetzungen in unserer Kirche“ dankte die Synode ihrer Kirchenleitung für das Bemühen um Gespräche, denn „alle Diffamierung, alles Reden in Schlagworten und Parolen, jede unsachgemäße Wiedergabe und Darstellung von schriftlichen und mündlichen Aussagen anderer sind unverantwortlich, von wem auch immer sie gemacht werden.“145 Für die Einsetzung der Arbeitsgruppe „Bibel und Bekenntnis“ äußerte sich die Synode dankbar, ebenso wie für die Existenz der B KAE – die darauf aufmerksam mache, dass manche Äußerungen von Theologen nicht bekenntnisgemäß seien – und für die „theologischen Lehrer“ und die durch sie vermittelten neuen Zugänge zur biblischen Botschaft.146 Hilfreich sei allerdings, wenn die „theologischen Lehrer“ selbst zum Ausdruck bringen würden, wo die Grenzen der theologischen Forschung liegen bzw. inwiefern sie unterschiedliche Meinungen vertreten würden und sich auf der Ebene der „Hypothesen“ bewegten. Die Gemeinden wurden von der Synode aufgerufen, sich nicht beirren zu lassen in ihrem Bemühen um Erkenntnis des Glaubens. Weiterbildung in Bibelstunden und –wochen, Hausandachten und dem Lesen von theologisch verständlichen Büchern wurde empfohlen. Dank galt auch den Pastoren der Landeskirche, die aufgerufen wurden, sich selbst zeitlebens theologisch fortzubilden.147 Theologiestudierende wiederum forderte die Synode auf, die Möglichkeiten zu nutzen, während des Studiums in Kontakt mit ihrer Landeskirche zu treten und „am Leben der Gemeinde“ teilzunehmen.148 Auf Ernst Wilm berief sich in der Diskussion nach der Berichterstattung des Landesbischofs Hans Eichele auf der Tagung der württembergischen Landessynode am 8. November 1966 Max Fischer. Eichele hatte in seinem Bericht die Frage gestellt, ob Massenversammlungen das beste Mittel seien, berechtigte Anliegen zu vertreten. Sowohl auf der 10. Ludwig-Hofacker-Konferenz im Juni 145 Wort der Westfälischen Landessynode 1966 zu den theologischen Auseinandersetzungen in unserer Kirche“. Maschinenschriftl., vervielf., 4 S., hier 1 (LkA EKvW Best. 0.1 Nr. 457) (= Erklärung der Landessynode 1966 der EVANGELISCHEN KIRCHE VON WESTFALEN. Anlage 4 zu Rundbrief der Evangelischen Kirche in Deutschland – Kirchenkanzlei –, gez. [Gottfried] Niemeier, an die Leitungen der Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland Betr.: Schrift, Lehre und Verkündigung, vom 6. 1. 1967. Maschinenschriftl., 4 S. [EZA 2/991]). 146 Wort der Westfälischen Landessynode 1966 zu den theologischen Auseinandersetzungen in unserer Kirche“. Maschinenschriftl., vervielf., 4 S., hier 2 (LkA EKvW Best. 0.1 Nr. 457). 147 EBD., 3. 148 EBD., 4.
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1966 als auch auf der 6. Deutschen Allianzkonferenz in Siegen habe man sich, so Eichele, zu den Anliegen der Bekenntnisbewegung bekannt, wollte aber „den Unterschied zwischen einer Glaubenskonferenz und einer Aktionsgemeinschaft gewahrt wissen“, da aus einer Aktionsbewegung leicht eine Kirchenpartei entstehen könne. Eine Kirchenpartei aber stehe immer in Gefahr, zu einer innerkirchlichen Frontenbildung beizutragen, die im anderen nur noch den zu bekämpfenden Bruder sieht.149 Eichele plädierte dafür, dass sich gerade diejenigen, die einen unabdingbaren Beitrag zur gegenwärtigen Verkündigung des Evangeliums beizutragen hätten, nicht von der Kirche und nicht vom Kirchentag distanzieren sollten.150 In Württemberg stelle sich die Frage nach „moderner Theologie und Gemeindefrömmigkeit“ besonders bedrängend und akut durch die pietistische Prägung der Landeskirche.151 Es sei falsch, dass es die württembergische Landeskirche an Stellungnahmen zu diesem Konflikt habe fehlen lassen. Eichele verwies auf den Rundbrief seines Amtsvorgängers Martin Haug vom 26. Januar 1951 an alle württembergischen Pfarrer, auf Haugs Rede vor dem Landeskirchentag am 29. Januar 1951, auf die Antwort der württembergischen Kirchenleitung vom 14. März 1961 auf den „Offenen Brief“ und die Rede Haugs vor dem 6. Landeskirchentag am 1. Oktober 1961.152 Man wolle aber auch in der ganzen Auseinandersetzung nicht kirchenregimentlich reglementieren, sondern Gespräche vermitteln. Es sei, so Eichele, zu kurz gegriffen, wenn man von der Herausforderung der Gemeindefrömmigkeit durch die moderne Theologie spreche, denn „in Wirklichkeit sind doch Gemeindfrömmigkeit und heutige Theologie ihrerseits miteinander in gleicher Weise herausgefordert durch die moderne Welt, die dem Glauben massiv auf den Leib gerückt ist.“153 Man dürfe deshalb nicht überrascht sein, wenn der moderne, säkulare Mensch bohrend nachfrage, sobald er aus dem „Kerker seines Immanenzdenkens“ befreit werde.154 „Die Theologie darf die, die so fragen, nicht wegschicken mit der Bemerkung, solche Fragen seien unstatthaft und dürften von der Theologie nicht beantwortet werden, weil Glauben und Denken nichts miteinander zu tun hätten. Täte die Theologie das [. . .] dann würde sie sich 149 Landesbischof D. Dr. Eichele: Bericht vor der 7. Landessynode der Evangelischen Landeskirche in Württemberg (Auszug). Anlage 1 des Rundbriefes der Evangelischen Kirche in Deutschland – Kirchenkanzlei –, gez. [Gottfried] Niemeier, an die Leitungen der Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland Betr.: Schrift, Lehre und Verkündigung, vom 6. 1. 1967. Maschinenschriftl., vervielf., 14 S., hier 3 (EZA 2/991). 150 EBD., 4. 151 EBD., 5. 152 EBD., 6. 153 EBD., 7. 154 EBD., 8.
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nicht nur an den Fragenden, sondern auch am Evangelium selber schuldig machen.“155 Eichele fragte in seinem Bericht weiter, ob man einer Theologie „misstrauisch gegenüberstehen“ dürfe, „die den aus menschlichem Nachdenken über die Bibel stammenden Fragen mit einer ebenfalls aus menschlicher Denkarbeit stammenden Antwort zu entgegnen weiss, die das, was an Bibel und Bekenntnis wissenschaftlich erforschbar ist, auch wissenschaftlich erforscht“ und antwortete mit: „Nein; denn hier hilft ja die Theologie der Gemeinde, der gemeinsamen Herausforderung durch die säkulare Welt gemeinsam zu begegnen.“156 Aber auch Eichele monierte an der „modernen Theologie“, es sei problematisch, wenn lediglich von einer sinnlich wahrnehmbaren Welt ausgegangen und damit Gottes Geheimnis angetastet werde – hier überschreite die Theologie die Grenzen, die ihr gesetzt seien.157 Es folgte in dem Bericht Eicheles eine Darlegung zu unaufgebbaren Glaubensaussagen sowie zu den Begriffen Entmythologisierung, Kerygma, Formgeschichte, existentiale Interpretation, Wortgeschehen, Mitmenschlichkeit. Ihnen komme ein „unbestreitbares Recht im christlichen Denken zu“, aber sie führten in die Irre, wenn sie „unter das Vorzeichen des säkularen Immanenzdenkens gestellt werden“.158 Zuletzt rief Eichele dazu auf, in der gegenwärtigen Situation immer wieder an die biblischen Worte über die Liebe zu denken, z. B. 1. Kor. 13,2. Max Fischer stellte sich in der anschließenden Diskussion kritisch zu dem Bericht seines Landesbischofs und verwies auf Ernst Wilms Synodenbericht, in dem dieser betont hatte, es könne der „angefochtenen Gemeinde“ nicht das Recht abgesprochen werden, sich zu versammeln. Außerdem wäre, auch wenn die Ludwig-Hofacker-Vereinigung die B KAE nicht „ausgerufen“ hätte, in Württemberg schon seit langem eine „Bekenntnisbewegung“ im Gange. Und in dieser sei man nicht der Meinung, dass Gespräche noch viel ausrichten würden.159 Fischer hatte mit seinem Hinweis, es gebe in Württemberg „schon seit langem eine ‚Bekenntnisbewegung‘“, vollkommen Recht. Ein Jahr zuvor hatte in der württembergischen Landeskirche die Wahl zur Landessynode stattgefunden, die mit einem fulminanten, in der Presse als „Erdrutschsieg der Pietisten“ bezeichneten Wahlerfolg für die württembergischen pietistischen Kreise endete. Nach dem „Offenen Brief“ von 1951 wirkte in Württemberg die „Evangelisch-
155
EBD., 9. EBD., 9f. 157 EBD., 10. 158 EBD., 11–13. 159 Stenogramm aus der Landessynode. 8. 11. 1966, 12.00 – 12.40 Uhr. Maschinenschriftl., 7 S., hier 3 und 5 (LkA EKvW Best. 0.1 Nr. 457). 156
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Kirchliche Arbeitsgemeinschaft für Biblisches Christentum“, die seit 1956 unter anderem bei der Organisation und Veranstaltung der von Walter Tlach, dem Leiter des württembergischen CVJM, angeregten Glaubenskonferenzen beteiligt waren. Dies waren die „Ludwig-Hofacker-Konferenzen“ auf dem Stuttgarter Killesberg, die sich zunehmender Beliebtheit erfreuten.160 Im Verlauf der 7. Landessynode von 1966 bis 1970 bildeten sich in Württemberg drei Synodalgruppen: „Evangelium und Kirche“, „Evangelische Erneuerung“ und „Bibel und Bekenntnis“.161 Letztere war geprägt von den württembergischen pietistischen Kreisen, die sich bereits um die „Evangelisch-Kirchliche Arbeitsgemeinschaft für Biblisches Christentum“ sammelten, die 1965, als Fritz Grünzweig neuer Leiter der Arbeitsgemeinschaft wurde, in „Ludwig-Hofacker-Vereinigung“ umbenannt wurde.162 Ebenfalls vor der Landessynode berichtete am 7. November 1966 der Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche der Pfalz, Theodor Schaller, und nahm Bezug auf die moderne Zeit, ihre Schnelllebigkeit, auf den Sinn der Predigt in dieser Zeit und wehrte sich gegen die Gegenwartsdeutung von Bäumer, der laut einem epd-Berichtes auf einer Tagung in der Pfalz gesagt habe: „Wir haben uns alle noch nicht von dem Schock erholt, wie es möglich war, dass in unsere so fest gefügte Kirche nach 1945 eine Irrlehre einbrechen und Dämme und Deiche einreissen konnte.“ Er, Schaller, glaube nicht, dass man so reden könne, da „von einem solchen Standort man die Fragen nur missverstehen muss. Abgesehen davon, dass unsere Kirche 1945 wahrhaftig nicht fest gefügt war, sondern ein kümmerlicher Haufen mühselig sich dahin mühender Menschen war.“163 Schaller hob hervor, dass, wenn die Fragen der modernen Theologie nicht aufträten, es ein Zeichen dafür sei, dass die Kirche abseits vom Leben der Menschen und ihrer Zeit stehe. Die theologischen Fragen seien nicht dem Übermut 160
HERMLE / OEHLMANN, Gruppen HERMLE, Die Evangelikalen, 340, Fußnote 105. Der synodale Gesprächskreis „Bibel und Bekenntnis“ existierte in der Vorform einer Arbeitsgemeinschaft schon 1966. Vor diesem „Informationskreis“ hielt am 28. Dezember 1966 in Unterweissach der Pfarrer Hermann Feghelm, ehemaliger Assistent bei Karl Fezer in Tübingen, ein Referat über historisch-kritische Methode und die existentiale Interpretation biblischer Texte, das der Vorbereitung der Klausurtagung der Landessynode im Frühjahr 1967 zum Thema „Theologie und Kirche“ diente (Feghelm, Hermann: Um die rechte Auslegung der Bibel. Liebenzeller Studienhefte 4. Faltblatt, unpagn. [4 S.], hier 2 [LKA KA Registratur 71/135]). 162 SCHEFFBUCH, Kirchliche Entwicklungen. 163 Kirchenpräsident Professor D. Schaller: Bewahren und Erneuern. Bericht vor der Landessynode am 7. Nov. 1966 (Auszug). Anlage 2 des Rundbriefes der Evangelischen Kirche in Deutschland – Kirchenkanzlei –, gez. [Gottfried] Niemeier, an die Leitungen der Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland Betr.: Schrift, Lehre und Verkündigung, vom 6. 1. 1967. Maschinenschriftl., vervielf., 7 S., hier 5 (EZA 2/991). 161
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entsprungen, auch nicht der bewussten Verachtung der Väter und Lehrer, „sondern aus dem Umbruch der Zeit des Denkens, des Lebensgefühls heraus, aus der Not, das überlieferte Evangelium so nicht mehr fassen zu können. [. . .] Damit ist angedeutet, dass hier nicht Fragen willkürlichen Streites zur Diskussion stehen, sondern Fragen, die hier wie dort für Menschen Existenzfragen sind. Es geht jetzt um weit mehr, als um das Recht und die Bedeutung der historisch-kritischen Schriftausbildung.“ Deren Recht sei längst nicht mehr bestritten, da sie nötig sei, „um das Wort, in dem unser Heil beschlossen ist, so deutlich wie nur möglich zu erfassen und zu verstehen.“ Zentral aber gehe es „um den Kerngehalt der christlichen Glaubensaussagen, um die Wahrheit des Bekenntnisses der Christenheit.“164 Die Kirche müsse jede aufkommende Theologie fragen, „ob in ihr Jesus Christus, der Gekreuzigte und auferstandene Herr, zu Wort kommt und sein Recht, seinen Anspruch, seine volle Geltung behält.“165 Von diesem Zentrum dürfe die Kirche nicht abrücken, aber das wiederum müsse hineingestellt werden in das Ringen um die Wahrheit. Theologie und Gemeinde, so Schaller, „brauchen einander. Theologie ohne Gemeinde verliert ihren Sinn und Gemeinde ohne Theologie verliert sich selbst, sei es in einem unfruchtbaren Beharren, sei es im Verschwimmen unklarer Träume. Was uns nottut, ist Geduld miteinander, viel Geduld, und auch ein Stücklein Liebe.“166 Im Dezember 1966 nahm die Landessynode der evangelischen Kirche in Hessen und Nassau eine Handreichung „Zu Grundartikel und Ordination“ an. Die hessen-nassauische Kirche ging damit einen Schritt in der Debatte weiter und verlagerte die Diskussion auf die regulative Ebene. In dieser synodalen Ausarbeitung wurde die Einheit der Kirche betont, ebenso die Anbindung von Predigt und Sakramentsverwaltung an die Heilige Schrift und die Unentbehrlichkeit der Theologie für die Kirche. Dabei dürfe „rechte theologische Arbeit [. . .] weder bloss vergangene Ereignisse wiedergeben, noch aus der biblischen Botschaft nur Verhaltensregeln im zwischenmenschlichen Umgang herleiten“. Die Theologie „will Zuspruch und Anspruch des in seinem Wort gegenwärtigen Herrn für die jeweilige Zeit deutlich machen. Ein Theologe, der sich nicht in der Lage sieht, der Verkündigung dieses Zuspruchs und Anspruchs Gottes in Jesus Christus zu dienen, befindet sich im Widerspruch zum Auftrag der Kirche.“167 Weiterhin wurde in der Handreichung betont, auch Bekenntnisse 164
EBD. EBD., 5f. 166 EBD., 6. 167 Kirchensynode der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau. Anlage 5 des Rundbriefes der Evangelischen Kirche in Deutschland – Kirchenkanzlei –, gez. [Gottfried] Niemeier, an die 165
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bedürften der neuen Auslegung des Gemeinten in der Gegenwart, die altkirchlichen Bekenntnisse wollten Menschen „nicht an den Buchstaben binden“, die Benennung der Confessio Augustana im Grundartikel der hessen-nassauischen Kirche meine nicht eine Festlegung auf jede ihrer Formulierungen, sondern auf die reformatorische Grunderkenntnis. „Alle Gemeinden und ihre Glieder, vor allem die zum Verkündigungsdienst berufenen Brüder und Schwestern, sollen sich davor hüten, alte wie neue Bekenntnisse zu totem Gedanken- und Lippenwerk werden zu lassen.“168 Die Ordinationsverpflichtung sei ebenfalls nicht als Buchstabenbindung an ein Lehrgesetz zu verstehen, „sondern [als] die Zusage, die uns in der Heiligen Schrift bezeugte Christusbotschaft im Sinn des Grundartikels unserer Kirche zu verkündigen, im aufmerksamen Achten auf die theologische Arbeit und zugleich in der Absage an alle Eigenmächtigkeit, die die Gemeinschaft des einen Glaubens an Jesus Christus, unsern Herrn, verlässt.“169 6.1.3 Die Situation in der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche in Braunschweig und die „Braunschweiger Thesen“ Die Kirchenleitung der braunschweigischen Landeskirche reagierte weniger auf den Dortmunder Bekenntnistag, sondern vielmehr auf eine Aktion der evangelikalen Bewegung in der eigenen Landeskirche. Zeitgleich und unabhängig von den Vorbereitungen des Dortmunder Bekenntnistages des Bethelkreises hatte sich nämlich in Braunschweig die „Kirchliche Sammlung: Aktionsgemeinschaft für Bibel und Bekenntnis in Braunschweig“ gebildet, ein Netzwerk von einigen Pfarrern,170 aus dem die „Kirchliche Sammlung um Bibel und Bekenntnis“ in Braunschweig hervorging, deren Arbeitsergebnis die „Braunschweiger Thesen zu Lehre und Auftrag der Kirche“ waren. Am 11. März 1966 wurden die
Leitungen der Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland Betr.: Schrift, Lehre und Verkündigung, vom 6. 1. 1967. Maschinenschriftl., vervielf., 3 S., hier 2 (EZA 2/991). 168 EBD., 3. 169 EBD. 170 Die Zahl der Akteure war auch hier nicht groß. Zu ihnen gehörten der Propst der Propstei Königslutter Walter Blümel, der auch der erste Vorsitzende der KS wurde, der Pfarrer von Harlingerode Joachim Walter, der Leiter des Amtes für Volksmission und Sozialarbeit in Wolfenbüttel Erich Warmers, der der 2. Pfarrer von Helmstedt St. Marienberg Wolfgang Büscher, Dr. Hellmut Lieberg, seit 1960 2. Pfarrer von St. Ulrici-Brüdern in Braunschweig sowie der schon genannte Pfarrer Jürgen Diestelmann, der zu der Zeit Pfarrer der Heilig-Kreuz-Gemeinde in SalzgitterGebhardshagen war und seit 1975 Pfarrer von Brüdern (St. Ulrici) in Braunschweig. Zur Entwicklung der KS in Braunschweig, die sich 1968 nur durch die Überführung in die Bundessammlung vor der Auflösung bewahren konnte vgl. auch Kap. 6. 2. 4.
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„Braunschweiger Thesen“ von der Kirchlichen Sammlung an alle Braunschweiger Pfarrer verschickt, die ihre Zustimmung auf einer beigefügten Postkarte bekunden sollten. In dem Begleitschreiben zu den Thesen hieß es, die „Braunschweiger Thesen“ seien in den letzten Monaten von einer Gruppe Braunschweiger Pastoren erarbeitet, „drei theologischen Lehrern zur Begutachtung vorgelegt“ und bisher von etwa 40 Pfarrern der braunschweigischen Landeskirche unterzeichnet worden.171 In der zeitgenössischen Literatur findet sich immer wieder die Feststellung, die Braunschweiger Thesen seien von 100 Pfarrern, d. h. der Hälfte der Pfarrerschaft der braunschweigischen Landeskirche, unterzeichnet worden. Es ist nicht ganz klar, wie sich diese Zahl zusammensetzt – sie resultiert möglicherweise aus dem Rücklauf der Postkarten und zustimmenden Voten, die bei der KS eingingen. Die 18 Thesen in der Form von Bibelstellenzitaten und Verwerfungssätzen richteten sich gegen die „moderne Theologie“, d. h. die „existentiale Interpretation“ des Evangeliums als eine „bis an die Wurzel gehende Auflösung des biblischen Evangeliums von Jesus Christus“, gegen „Unglaube“ und ein „anderes Evangelium“. Im Gegensatz zu dem, was die „moderne Theologie“ behaupte bzw. was als deren Behauptungen verstanden wurde, ständen die „großen Taten Gottes“, der „historische Jesus“, Jesus als der verkündigte Messias des Alten Testamentes, der Sühne- und Opfertod Jesu, die Auferstehung als personal-leibhaftiges Geschehen, das Pfingstwunder, die Wiederkunft Christi am Ende der Zeiten, das Muss der Umkehr und Entscheidung für Christus, der Glaube als eine Wirkung der Gnade Gottes und nicht des menschlichen Verstandes, die Sendung und Bevollmächtigung der Apostel durch Jesus, die Normativität des Neuen Testamentes für alle Verkündigung, die innere Einheit des Neuen Testaments, die gleichwertige Bedeutung aller Texte im Kanon, bei denen nicht einer mehr und der andere weniger herangezogen werden dürfe, der Charakter des Schriftwortes als göttlich und menschlich, unversehrt und unvermischt. Die historisch-kritische Methode sei, so hieß es in den „Braunschweiger Thesen“, berechtigt und notwendig, aber die wahre göttliche Aussage eines jeden Schrifttextes, das Gotteswort im Menschenwort, könne nur im Glauben an das ganze Evangelium erfasst werden. Die Botschaft der Bibel und das Bekenntnis der Kirche könnten nicht getrennt werden und es sei zu verwerfen, wenn geleugnet würde, die Kirche könne keine Lehrentscheidungen treffen. Die Aufgabe der
171 Rundbrief der Kirchlichen Sammlung – Aktionsgemeinschaft für Bibel und Bekenntnis – Schriftführer –, gez. Joachim Walter, [an alle Pastoren der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche in Braunschweig] vom 11. 3. 1966. Maschinenschriftl., vervielf., 1 S. (LAW, Pa GrD 292).
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Kirche sei primär auf die ewige Seligkeit des Menschen ausgerichtet, nicht auf Lebenshilfe und Diakonie im Diesseits.172 Der Landesbischof der braunschweigischen Landeskirche, Gerhard Heintze, reagierte eine Woche später mit einem Rundbrief an alle Pfarrer der Landeskirche. Darin wies Heintze auf die Gefahren einer verabsolutierten und schematisierten Anwendung der „existentialen Interpretation“ hin, aber auch auf die Tatsache, dass sich die zur Zeit aufbrechende Sorge um die Auflösung des Glaubens häufig auf aus dem Zusammenhang gerissene oder nicht verstandene theologische Äußerungen beziehe.173 Er stimme mit den Brüdern der „Kirchlichen Sammlung“ darin überein, dass heute ein klares Zeugnis gefordert sei und sich der Glaube an Jesus Christus nicht mit Entscheidungslosigkeit vertrage. Aber obwohl er vieles Richtige und Anerkennenswerte in den „Braunschweiger Thesen“ lese, könne er sie persönlich nicht unterschreiben.174 So sehe er in der Verhältnisbestimmung von Menschenwort und Gotteswort in den Thesen eine nicht gerechtfertigte Schematisierung. Die Thesen erweckten den Eindruck, als ob die biblischen Texte nicht Glauben erwecken, sondern Geschichte nacherzählen wollten, überhaupt bleibe in den Thesen das Verhältnis von Glaubensaussagen zu historischen Aussagen ungeklärt. Weiterhin bliebe offen, ob es auch für die Verfasser der Thesen die Möglichkeit von historischen Ungenauigkeiten, von zeitgenössischer Mythologie und der Umgestaltung der ursprünglichen Überlieferung mit dem Ziel des Kerygmas in der Bibel gebe. Auch die konkreten Grenzen der historisch-kritischen Forschung würden nicht benannt.175 So fragte Heintze kritisch an: „Wie verhält sich z. B. in These 7 die Verwerfung der Interpretation der Himmelfahrt Christi ‚als mythologischer Ausdruck für das Bekenntnis zu Christus als dem Herrn‘ zu der in der These selbst gegebenen Bestimmung, daß der Himmel als Ort Gottes ‚nicht mit den Kategorien dieser Welt‘ zu fassen ist, womit die im Bericht Apg. 1 vorliegende und für die Menschen der damaligen Zeit selbstverständliche Übernahme der ptolemäischen räumlichen Himmelsvorstellung offensichtlich durchbrochen
172
Braunschweiger Thesen zu Lehre und Auftrag der Kirche (WEG UND ZEUGNIS, Bd. 1, 146–
155). 173 Abschrift des Briefes von Dr. Gerhard Heintze, Landesbischof, an alle Pfarrer, Pfarrvikare, Pfarrdiakone und Pfarrvikarinnen der Braunschweigischen evangelisch-lutherischen Landeskirche vom 18. 3. 1966. Anlage 3 des Rundbriefes der Kirchenkanzlei der EKD, gez. [Gottfried] Niemeier, an die Leitungen der Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland Betr.: Schrift, Lehre und Verkündigung vom 27. 6. 1966. Maschinenschriftl., hektograph., 5 S., hier 1f. (EZA 2/ 990). 174 EBD., 2. 175 EBD., 3.
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oder umgangen wird?“176 Weiterhin war für Heintze ein fragwürdiger Punkt die quantitativ erhebliche Ansammlung von Bibelzitaten in den Thesen – in den 18 „Braunschweiger Thesen“ wurden über 75 Bibelstellen zur Untermauerung der dargestellten Positionen angeführt –, da dadurch „die Thesen das Verständnis nahe legen, als ob dem Glauben an Christus und der Verkündigung des Evangeliums durch Zusammenstellung und Rezitation eines bestimmten geschlossenen Quantums an formulierten Bekenntnissätzen Genüge geschähe, und als ob die Schrift primär als Sammlung von dicta probantia für solche Sätze zu gebrauchen sei.“177 Heintze verwies auf die inzwischen publizierten Vorträge der Theologen Günther Klein, Willi Marxsen und Walter Kreck vom Kirchentag 1965 in Köln, in denen das Bemühen um eine Zusammenführung von Theologie und Gemeindefrömmigkeit deutlich würde und zitierte abschließend ausführlich Kreck: „Ob nicht heute Grund besteht, sich in der christlichen Gemeinde mehr als über historisch-kritische Forschung aufzuregen über eine Christlichkeit und Kirchlichkeit, in der man zwar mit vollen Backen biblische Worte verkündigt, aber weithin kapituliert, wo diese Worte zum Stachel werden für ein weltförmiges Christentum? [. . .] Rechte Schriftforschung zerstört nicht die Gemeinde, wohl aber könnte sie dazu beitragen, daß unsere christliche Selbstsicherheit zerstört wird [. . .]. Gerade die nicht ängstlich gehütete oder unter kirchliche Vormundschaft gestellte, sondern der freien Zugluft ausgesetzte Bibel erweist sich als Herr und Richter über uns, als die Macht, die uns zur Freiheit ruft und uns in Freiheit bindet.“178
Der Präsident des Kirchenamtes der VELKD, Max Keller-Hüschemenger, wies Heintze nach Bekanntwerden des landesbischöflichen Rundbriefes darauf hin, dass man beim Lesen dieser Entgegnung auf die „Braunschweiger Thesen“ deutlich spüren würde, wo Heintzes „Herz offensichtlich schlägt“ und monierte: „Unter dem Aspekt dieser wertenden Äußerungen wird Ihr Beschluß, sich der Unterschrift unter die Thesen zu enthalten, in der Pfarrerschaft Ihrer Kirche wahrscheinlich weniger als das bischöfliche Bemühen um Ausgleich, als vielmehr als Stellungnahme zu Gunsten der Existentialtheologie verstanden werden.“179 176
EBD., 3f. EBD., 4. 178 EBD., 5. 179 Lutherisches Kirchenamt der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands – der Präsident –, gez. [Max] Keller-Hüschemenger, an Landesbischof Dr. G[erhard] Heintze vom 7. 4. 1966. Maschinenschriftl., 2 S. (LAW, LBF 610). Heintze schrieb an Keller-Hüschemenger und stellte seine Position noch einmal klar: „Sicher werden Sie manches anders sehen, als ich, und würden demzufolge an meiner Stelle manches anders geschrieben haben“, aber im Übrigen, so 177
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Die KS reagierte allerdings gelassen. In einem Brief von Ende März 1966 schrieben die Akteure der Aktionsgemeinschaft an ihren Landesbischof, sie bedankten sich herzlich für den Rundbrief, der in „fairer und verständnisvoller Weise“ sowohl Befürwortern als auch Gegnern der Thesen „viel zu denken“ gäbe. Man versicherte explizit, dass die „Kirchliche Sammlung“ „nicht im entferntesten daran [denke], die Kirche zu spalten. Im Gegenteil, wir möchten eine integrierende Kraft sein. Alle Integration in der Kirche ist aber nur dann sinnvoll, wenn sie eine Sammlung unter Wort und Bekenntnis ist.“180 Von daher wies man noch einmal darauf hin, welche Gefahr es für die Kirche sei, wenn Verkündigung in „bloßen Existentialismus“ verwandelt werde. Man maße sich im Übrigen nicht an, unfehlbar zu sein und sei zu Gesprächen über die Thesen bereit. Zu dem Bischofsamt gehöre, „gründliche Gespräche in Gang zu bringen, bei denen Befürworter und Gegner der Braunschweiger Thesen miteinander sprechen. Wir bitten Sie, die Bereitschaft dazu auch bei dezidierten Gegnern unserer Thesen zu erwirken.“ In einem weiteren Rundbrief vom August 1966 bezog Heintze keine Stellung in der Debatte, insistierte aber auf gegenseitiges Aufeinander-Hören und Im-Gespräch-Bleiben. Besonders die verkürzten Darstellungen der gegnerischen Positionen führten zum Aufbau von Feindbildern, was es zu vermeiden gelte.181 Inzwischen war die Diskussion in der braunschweigischen Landeskirche auf breitester Front entbrannt, wobei sich die Positionen von massiver Ablehnung bis zu deutlicher Befürwortung der durch die „Kirchliche Sammlung“ und den „Braunschweiger Thesen“ zum Ausdruck gebrachten Anliegen erstreckten.182 In Heintze weiter, „darf ich, glaube ich, in Anspruch nehmen, nicht gerade ein typischer Vertreter der ‚Existential-Teologie‘ zu sein.“ (Briefdurchschlag, gez. [Gerhard] H[eintze] an Präsident Lic. [Max] Keller-Hüschemenger, Lutherisches Kirchenamt, vom 13. 4. 1966. Maschinenschriftl., 1 S. [LAW, LBF 610]). 180 Brief der Kirchlichen Sammlung – Aktionsgemeinschaft für Bibel und Bekenntnis Braunschweig –, gez. Propst [Walter] Blümel, Pastor [Erich] Warmers, Pastor Dr. [Ernst August] Meineke, Pastor Kleinert, Pastor Dr. [Hellmut] Lieberg, Pastor [Joachim] Walter, P[astor] [Wolfgang] Büscher, an Herrn Landesbischof Dr. [Gerhard] Heintze vom 26. 3. 1966. Maschinenschriftl., 1 S. (LAW, LBF 610). 181 Rundbrief des Landesbischofs Dr. Gerhard Heintze [an die Pfarrer der Braunschweigischen Landeskirche] vom 12. 8. 1966. Maschinenschriftl., vervielf., 8 S. (LAW, LBF 610). 182 So reagierte ein Wolfenbütteler Gymnasiallehrer gegenüber Heintze auf die „Braunschweiger Thesen“: „Zum Inhalt der Thesen muß ich Ihnen gestehen, daß ich mir bei der Lektüre oft als ‚Verworfener‘ vorkam. Ich war betroffen über den harten Ton. Die Reaktion bei gleichgesinnten Kollegen meiner Schule war die gleiche. Die Wirkung auf die Kollegen, die der Kirche kritisch und ablehnend gegenüberstehen, möchte ich Ihnen nicht schildern. Schon aus diesem Grunde halte ich die Thesen – im weitesten Sinne politisch gesehen – für recht unbedacht.“ Den Gegnern der Existentialphilosophie, so hieß es in dem Brief weiter, fehlten die Grundlagen einer Kritik – „Menschliches, Allzumenschliches“ stünde bei der ganzen Diskussion im Vordergrund (Große
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dieser Debatte spielte der Aufsatz „Echte Fragen und falsche Antworten“ des Wiedaer Pfarrers und späteren Professors für Kirchengeschichte Reinhart Staats zu den Braunschweiger Thesen eine Rolle. Staats hatte den Aufsatz im Auftrag des Katechetischen Amtes verfasst, er wurde an alle Religionslehrer der braunschweigischen Landeskirche verschickt und später in verschiedenen Publikationsorganen veröffentlicht.183 Mit warmen Worten dankte der braunschweigische Landesbischof Staats für diese Ausarbeitung, die ihm unter „den mancher-
Schule Wolfenbüttel – Altsprachliches und mathematisch-naturwissenschaftliches Gymnasium für Jungen – Oberstudiendirektor Dr. Kelsch, an Landesbischof Dr. Gerhard Heintze, vom 25. 6. 1966. Maschinenschriftl., 2 S. [LAW, LBF 610]). Ein Braunschweiger Religionslehrer schrieb nach der Ausstrahlung der Fernsehdiskussion, an der auch Künneth und Deitenbeck teilnahmen, an Wolfgang Büscher, und sandte die Briefkopie an Heintze: „Ich fürchte, Sie verstehen unter ‚Mythos‘ immer noch das, was es nicht ist: Legende. [. . .] Immerhin gebe ich zu, daß die mir zur Verfügung gestellten Schriften von Frey und Rodenberg ein anderes Niveau haben als Künneth und Hauschild und ganz besonders im Fernsehen Deitenbeck. K[ünneth] war hilflos, D[eitenbeck] war unmöglich.“ (Briefkopie [von Dr. H. W. Bender] an Pastor [Wolfgang] Büscher vom 2. 6. 1966, an den Landesbischof [Gerhard Heintze] am 7. 6. 1966. Maschinenschriftl., 1 S. [LAW, LBF 610]). Der pensionierte Pfarrer Friedrich Müller schrieb an Erich Warmers, man könne nicht mit 18 Thesen der „Existentialtheologie“ mit ihren exegetischen, zeitgeschichtlichen, religionsgeschichtlichen, dogmatischen, religionsphilosophischen Ausprägung beikommen. Dazu bedürfe es gediegener Arbeit über Jahrzehnte hinweg und keiner Unterschriftenaktion. „Im Vorwort zu den Thesen“, so Müller an Warmers, „schreiben Sie auf S. 2 im 4. Absatz, daß die Haltung der Existential-Theologen vor dem Evangelium Unglaube sei. Dieser Satz hat mich aufs Tiefste erschüttert. [. . .] Ist Ihnen nicht klar geworden, daß dieser Ausdruck ganz unbrüderlich und anmaßend ist? Über unsern Glauben, seine Echtheit und seinen Wert kann nur einer allein urteilen: Der Heiland selbst.“ (Brief von Pastor i. R. Fr[iedrich] Müller an Kollege [Erich] Warmers vom 19. 4. 1966. Abschrift an Landesbischof Dr. [Gerhard] Heintze. Maschinenschriftl., 2 S. [LAW, LBF 610]). Als einfach zu bereinigen wurde die Angelegenheit von jungen Kollegen in der Pfarrerschaft gesehen: Eberhard Fincke, Pfarrer in Kreiensen und späterer Stadtjugendpfarrer von Braunschweig, gab Heintze den wohlmeinenden Ratschlag, die Brüder, die soviel zu beanstanden hätten, doch aus der Kirche austreten, sie ihr lang gewünschtes Lehramt praktizieren zu lassen und die Landeskirche damit für ihre „eigentlichen Aufgaben“ zu befreien (Eberhard Fincke an Landesbischof [Gerhard Heintze] vom 16. 3. 1966. Maschinenschriftl., 2 S. [LAW, LBF 610]). Dagegen sprach sich Heintze deutlich aus: „Für mich gehören auch diese Brüder, solange sie sich nicht selbst ausschließen, zu unserer Kirche und auch zu meinem persönlichen Verantwortungsbereich hinzu.“ (Brief von Dr. Gerhard Heintze, Landesbischof, an Pastor [Eberhard] Fincke vom 18. 3. 1966. Maschinenschriftl., Durchschlag, 2 S. [LAW, LBF 610]). Diese Ansicht wiederholte Heintze auch gegenüber Hartmut Padel vom Katechetischen Amt der braunschweigischen Kirche: „Mir ging und geht es darum, möglichst viele auch von den zu dieser Gruppe [der KS] gehörenden Brüdern zu gewinnen und nicht von mir aus Trennung zu fixieren und anzuerkennen, selbst wenn sie zum Teil von der anderen Seite gewünscht sein sollte.“ (Briefdurchschlag, gez. [Gerhard] H[eintze] an Pastor [Hartmut] Padel, Katechetisches Amt, vom 25. 3. 1966. Maschinenschriftl., 2 S., hier 2 [LAW, LBF 610]). 183 So z. B. in der Ausgabe Nr. 2 von 1967 des Korrespondenzblattes für die EvangelischLutherischen Landeskirchen Hannover und Braunschweig „Dialog“.
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lei Stellungnahmen, die inzwischen zu den Braunschweiger Thesen erfolgt sind, [. . .] ganz besonders sachgemäß und fruchtbar zu sein“ scheine.184 In seinem Aufsatz unterstrich Staats eingangs, dass sich die Braunschweiger Thesen von der Intention dem Dortmunder Bekenntnistag und auch den Entwicklungen in Württemberg insofern unterschieden, dass es in den Thesen um die „Sorge für den Bestand der Kirche“ gehe, bei den pietistischen Strömungen aber „um das Heil des einzelnen Ichs“. Als Beleg führte Staats Deitenbecks Äußerung in Dortmund an „Jesus ist mein Bekenntnis“.185 Allerdings fielen, so Staats, „trotz dieses Unterschiedes, in Dortmund mehr oder weniger Heilsindividualismus, hier kirchliches Interesse, [. . .] die Antworten ähnlich aus, weil der Gegner derselbe ist.“186 Man könne die Thesen nur verstehen, wenn man sehen würde, gegen wen sie gerichtet seien. Deshalb ging Staats zu einer Situationsbestimmung der „modernen Theologie“ über, die keineswegs nur von der „existentialen Interpretation“ dominiert werde. Staats verwies darauf, dass der „Wind heute aus anderen Ecken kommt“ und nannte Wolfhart Pannenberg, Jürgen Moltmann, Ernst Käsemann und Hans Jonas, der als Philosoph den theologischen Existentialismus kritisierte.187 Es sei schade, so Staats weiter, „daß die Verfasser der Thesen nicht auf dem laufenden zu sein scheinen“. Außerdem stelle sich die Frage, ob die Gemeinden durch die Theologie tatsächlich so sehr verwirrt würden, wie immer behauptet wurde. Schließlich sei jede theologische Wahrheit und jeder Gemeindeaufbau Werk des Heiligen Geistes. Man sollte die wissenschaftliche Theologie nicht dramatisieren, auch nicht jeden „Unsinn“, der von der Kanzel herab „verzapft“ würde. Er halte es für problematischer und viel eher für „ein anderes Evangelium“, wenn ein Pfarrer einem Geschiedenen die Wiederverheiratung verweigere und ihn damit zum Kirchenaustritt nötige als eine bei ihren Zuhörern Kopfschütteln auslösende Predigt.188 Es komme in der Theologie auch zu „Grenzüberschreitungen“, aber häufiger bei den „übereifrige[n] Schülern“, denn bei den theologischen Lehrern, was Staats bei Herbert Braun oder Dorothee Sölles Adaption des Begriffes „latente Kirche“ von Paul Tillich versuchte zu exemplifizieren.189 Allerdings, so Staats weiter, spüre man in den „Braunschweiger Thesen“ so gut wie nichts davon, die eigenen religiösen und 184 Briefdurchschlag, gez. [Gerhard] H[eintze] an Pastor Dr. [Reinhart] Staats vom 10. 8. 1966. Maschinenschriftl., 1 S. (LAW, LBF 610). 185 Staats, Reinhard: Die „Braunschweiger Thesen“. Echte Fragen und falsche Antworten. Sonderdruck, 11 S., hier 2 (EZA 650/316). 186 EBD., 3. 187 EBD., 188 EBD., 4. 189 EBD., 5.
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moralischen Vorstellungen durch Gottes Wort und seine Liebe in Frage stellen zu lassen – man fange, so Staats, an „zu frieren“, wenn man den Satz aus These 18 lese, die primäre Aufgabe der Kirche sei auf die ewige Seligkeit des Menschen ausgerichtet, der diakonische Dienst sekundäre Aufgabe: „Ja, hat die Kirche überhaupt das Evangelium in eigener Verfügung, hat sie es gleichsam in der Tasche, so daß sie mit ihm gegen die böse Welt losziehen kann?“190 Angesichts dieser These bekomme man Eindruck, dass Jesus das Gleichnis vom Barmherzigen Samariter nie erzählt habe. Und so fuhr Staats fort: „Wir sehen schon: Die Thesen stellen Fragen an eine fragwürdige Theologie, nur haben sie leider dabei eine Position bezogen, die ihrerseits fragwürdig ist.“191 Staats schilderte einerseits das Problem der „Entmündigung des theologisch unstudierten Christen durch eine wissenschaftsabergläubische Theologie“: die Mythisierung der Theologie führe zu sich sprachlich niederschlagenden Verkomplizierungen – für die Staats skurrile Beispiele anführt –, die kein Mensch mehr begreife.192 Andererseits dürften Laien aber auch nicht von einem kirchlichen Lehramt entmündigt werden. Den „Braunschweiger Thesen“ spüre man ab, dass „sie ebenso wenig dem Laien sein christliches Recht zukommen lassen. Verräterisch ist These 17, wo Lehrentscheidungen der Kirche gutgeheißen werden. Die Behauptung gar, es sei verwerflich, wenn ein einzelner Christ sich so unmittelbar zum Schriftwort dünke, ‚daß er für die volle Erfassung und Bewahrung seines Inhalts auf die Gemeinschaft der Kirche und ihr Bekenntnis verzichten könne‘ [. . .], muß einem evangelischen Christen wehe tun.“193 Dagegen stellte Staats einige Sätze Luthers, die die Lehrgewalt der Kirche relativierten. Im Folgenden schritt Staats weiter zu seiner Kritik an dem ungefilterten Umgang mit den Begriffen „Fakt“ und „Tatsache“. Wie schon in seiner Leserzuschrift an das „Sonntagsblatt“ verwies Staats darauf, dass der Terminus „Tatsache“ eine Erfindung der Aufklärung, speziell von Johann J. Spalding sei.194 Die Verfasser der Braunschweiger Thesen „hätten in ihrer Front gegen eine moderne neurationalistische Theologie gut daran getan, diesen Begriff zu meiden, da er eben ein Produkt rationalistischer Theologie ist. Sie haben eben auch eine moderne Theologie. Es kann ja auch nicht ausbleiben. Nur schade, daß sie es nicht zugeben wollen.“195 Die „verobjektivierende“ Trennung, wie sie 190
EBD., 6. EBD. 192 EBD., 6f. 193 EBD., 7. 194 Staats, Reinhard: Die „Braunschweiger Thesen“. Echte Fragen und falsche Antworten. Sonderdruck, 11 S., hier 8 (EZA 650/316). Zu der Leserzuschrift von Staats vgl. Kap. 4. 1. 2, S. 265. 195 EBD., 9. 191
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in dem Begriff „Tatsache“ angelegt sei, in das, was uns das Evangelium berichtet und das, was wir darüber denken, wäre unbiblisch, so Staats. „Das objektivierende Sehen – und was ist der Tatsachenglauben anderes! – verführt ja leicht zum Abfall von Gott. Denn Gott könnte so sehr rasch nicht mehr unser Gott sein; ein Götze – und sei es der Götze eines theologischen Begriffes – wäre an seine Stelle getreten.“196 Außerdem stellte Staats in den Thesen eine unevangelische ekklesiologische Vorstellung fest, insofern sich der Kirche das Evangelium unterzuordnen habe. Auch Aposteln könnten Irrtümer in der Verkündigung der Lehre unterlaufen, wie schon in der Auseinandersetzung zwischen Petrus und Paulus (Gal. 2,14) deutlich würde.197 Ebenso sei die Wendung „es muß verworfen werden“ in den Thesen kritisch zu beurteilen. Zwar sei, wie inzwischen Verfasser der Thesen in Gesprächen gestellt hätten, diese Wendung im Sinne von „es muß abgelehnt werden“ zu verstehen, aber man hätte sich eher überlegen müssen, dass viele Nichtunterzeichner sich jetzt als „Verworfene“ verstünden.198 Angesichts der Tatsache, dass Jesus mit Zöllnern, Samaritern und anderen „Verworfenen“ Gemeinschaft hielt und über Schriftgelehrte und Pharisäer das „Wehe“ sprach, sei mit Verwerfungen sehr vorsichtig umzugehen. Staats schloss seine Ausführungen: „Die Thesen räumen ihren theologischen Gegnern nirgends das Recht ein, ihrerseits echte Fragen gestellt zu haben. Ihnen gegenüber wird gleich von einem ‚anderen Evangelium‘ gesprochen ([Thesen] 2; 18). Dieses harte Wort entstammt dem Galaterbrief (1,8). Paulus mußte sich dort gegen Christen wehren, die sich auf apostolische Legitimität beriefen und aus gewiß ehrlicher Sorge um den Bestand der Kirche Schranken aufrichteten und Grenzen zogen. Wer also läuft hier eher Gefahr, ein ‚anderes Evangelium‘ zu verkünden? Paulus und Luther wagten es, um des Evangeliums willen die Kirche aufs Spiel zu setzen, und sie haben die Kirche gerade darum erhalten. Ob die Verfasser der Thesen das bedacht haben? Jedenfalls meine ich, dies müsste auch unser Weg sein.“199
Die Debatten über die durch die B KAE und den Dortmunder Bekenntnistag oder durch die „Braunschweiger Thesen“ ausgelösten Fragen zogen sich durch die gesamten Landeskirchen. Die hier genannten Stellungnahmen nehmen dabei lediglich die der Landesbischöfe auf – die zahlreichen Aufsätze, Stellungnahmen und Erörterungen in der kirchlichen oder theologischen Presse sowie die Diskussionen auf den Synoden sind dabei noch gar nicht benannt und 196 197 198 199
EBD. EBD., 9f. EBD., 10. EBD., 11.
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könnten Grundlage einer eigenen Arbeit bilden. Lediglich auf einen Teilbereich der landeskirchlichen Arbeit sei noch hingewiesen: auch die Volksmissionarischen Ämter sahen sich von den Entwicklungen betroffen. Wie bereits an manchen Stellen deutlich wurde, standen Leiter mancher Volksmissionarischer Ämter der evangelikalen Bewegung nahe bzw. waren in sie direkt involviert. Andere beschäftigten sich intensiv mit den aufgeworfenen Fragen. Noch vor dem Dortmunder Bekenntnistag gab das Volksmissionarische Amt der rheinischen Landeskirche unter Leitung von Hans Hartwig von Goessel und dem ehemaligen Leiter Arthur Stephan eine Arbeitshilfe „Zur theologischen Lage der Gegenwart“ heraus, in der der Dialog zwischen Gemeinde und Theologie bzw. Pfarrern als das entscheidende Kriterium in den Auseinandersetzungen betont wurde.200 1968 erschien von Joachim Braun, dem Leiter des württembergischen Volksmissionarischen Amtes, eine Broschüre „Um Bibel und Bekenntnis“, in der er die Stellung der Bibel als „zuverlässiger Botschaft auch für unsere Zeit“ erörterte und der Verkündigung des Evangeliums den wichtigsten Stellenwert in der kirchlichen Arbeit einräumte. In der „Arbeitsgemeinschaft für Volksmission“ hatte das Problem eines „anderen Evangeliums“ allerdings bis 1966 keine große Rolle gespielt. Hier waren Themen relevant, die die missionarische Arbeit betrafen, das Zusammenwirken von Volksmission und Gemeinden sowie das Verhältnis von Mission und Diakonie, wie es durch das Missionskonzept des Weltkirchenrates, welches in der Arbeitsgemeinschaft sehr positive Aufnahme fand, bestimmt wurde. Man war international und ökumenisch orientiert. Seit Mitte der 1960er Jahre stieg die Nachfrage nach missionarischen Diensten in der Gemeinde auch unter Pfarrern, so dass die Arbeitsgemeinschaft diesem Bedürfnis mit neuen Konzeptionen nachzukommen versuchte.201 6.1.4 Stellungnahmen überlandeskirchlicher kirchenleitender Gremien Ein Signum des evangelikalen Protestes von 1966 war, dass er die Arbeit sämtlicher überlandeskirchlicher Gremien, die sich mit der Frage „moderne Theologie und Gemeindefrömmigkeit“ beschäftigten und alle vor 1966 mit ihrer Tätigkeit begonnen hatten, überraschend überholte. Prinzipiell waren diese Gremien alle
200 Nachrichten aus der Rheinischen Volksmission 2 (1966): Zur theologischen Lage der Gegenwart. Versuch einer Hilfestellung für die Praxis in der Gemeinde. Drucksache, 16 S. (LAW, LBF 610). 201 Arbeitsgemeinschaft für Volksmission. Geschäftsbericht 1965/66 des Geschäftsführers Dr. Heinrich-Hermann Ulrich, Stuttgart 15. 9. 66. Maschinenschriftl., hektograph. 12 S., hier 5 (ADW, HGSt/AGVM, R 628).
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Resultate der zweiten Welle der Bultmannkontroverse, die von dem evangelikalen Protest 1966 überholt wurden. Ein herausragendes Beispiel hierfür stellte die Kommission „Schrift und Verkündigung“ des Rates der EKD dar.202 Im März 1965 beschloss die 3. Synode der EKD auf der 3. Tagung in Frankfurt am Main und Magdeburg, den Rat der EKD zu beauftragen, einen Kreis von Theologen zu berufen, der „die im Widerstreit theologischer Richtungen aufgebrochenen grundlegenden Fragen des Bibelverständnisses einer Klärung entgegen[führen]“ sollte.203 Die Frage sei zu beraten und zu beantworten, „inwiefern [wir] [. . .] als Kirche, die auf Gottes Wort gegründet ist, von Gottes Wort lebt und zur Bezeugung dieses Wortes berufen ist, der offenkundigen geschichtlichen Bedingtheit der biblischen Schriften Rechnung zu tragen und dennoch daran festzuhalten [haben], daß die Bibel einzige Quelle und vollkommene Richtschnur aller Verkündigung und Lehre der Kirche ist?“204 Dabei sollten fünf Einzelfragen erörtert werden, nämlich 1. Inwiefern „die Botschaft der biblischen Schriften von Gottes in Jesus Christus geschehenem Heilshandeln recht ausgelegt werden“ könne und welche Hilfe „dabei die historische Forschung“ leiste. 2. Wie dem „Anredecharakter des biblischen Zeugnisses entsprochen und die darin enthaltene ständig neue Aufgabe der Übersetzung erfüllt werden“ könne, ohne „daß dabei der Adressat der Verkündigung, d. h. unser Verständnis der menschlichen Existenz zum beherrschenden Prinzip der Auslegung gemacht“ werde. 3. Wie die in der Bibel bezeugte „Wirklichkeit Gottes ausgesagt und zugleich dem Missverständnis gewehrt werden“ könne, es „handle es sich um eine vom Glauben ablösbare metaphysische Seinsaussage“. 4. Inwieweit von der „Bibel als der normativen Instanz für die Kirche“ zu reden sei, angesichts des sich aufdrängenden Eindrucks, „daß zwischen Mitte und Rand der Schrift zu unterscheiden ist, daß der Kanon tiefgreifende Unterschiede und Widersprüche enthält und die Frage nach seiner Abgeschlossenheit neu gestellt wird“. 5. Wie in den Gemeinden verdeutlicht werden könne, „daß die wissenschaftliche Erforschung der Heiligen Schrift im Dienste der Kirche und ihrer Verkündigung notwendig ist, ohne zugleich die Gemeindeglieder von dem unmittelbaren persönlichen Umgang mit dem biblischen Wort abzuschrecken?“205
202
Vgl. zu der Kommissionsarbeit die Akten 990 bis 999 des Bestandes 2 des EZA. 3. Tagung der 3. Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland in Frankfurt/Main und Magdeburg, März 1965. Entschließung zu den grundlegenden Fragen des Bibelverständnisses. Maschinenschriftl., hektograph., 2 S., hier 1 (EZA 2/995). 204 EBD. 205 EBD., 1f. 203
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Allein die Auswahl des 30köpfigen Ausschusses von Theologen, Vertretern der Kirchenleitungen und der evangelikalen Trägergruppen, die ein kirchenpolitischer Balanceakt wurde, da man sich gegen alle Seiten absichern wollte, zog sich bis 1966 hin und wurde von den Ereignissen des Frühjahrs 1966 überrollt. Den Kreis der Theologen – die zahlenmäßig am stärksten vertreten waren – repräsentierten unter anderen Hellmut Gollwitzer, Eberhard Jüngel, Ernst Käsemann, Gerhard Ebeling, Hans Conzelmann, aber auch z. B. der Direktor des Theologischen Seminars Leipzig Gottfried Voigt, von den Kirchenleitungen nahmen unter anderen teil der pfälzische Kirchenpräsident Theodor Schaller, der stellvertretende Kirchenpräsident in der Evangelischen Kirche von HessenNassau Karl Herbert, der Leiter des Personaldezernates im württembergischen Oberkirchenrat Konrad Gottschick und der Landessuperintendent des Kirchenkreises Malchin in der Mecklenburgischen Landeskirche Martin Lippold. Die Position der B KAE wurde hauptsächlich von Walter Künneth und dem Systematiker an der Kirchlichen Hochschule Berlin, Heinrich Vogel, vertreten. Als Laienmitglied und einzige Frau der Kommission war auf Intervention Scharfs die Vorsitzende der Evangelischen Frauenarbeit in Deutschland, Hildegard Leuze, hinzugezogen worden. Der Vorstand der Kommission wurde von Karl Herbert, Gottfried Voigt und Hans Conzelmann gebildet, wobei Conzelmann nur an der ersten Sitzung teilnahm. Die Arbeit dieser Kommission, die am 19. Oktober 1966 erstmalig und am 17. November 1969 letztmalig bei acht Sitzungen insgesamt tagte, wurde in Umrissen von Karl Herbert im Nachwort der Ergebnisbroschüre „Schrift, Theologie, Verkündigung“ geschildert206 und stellt nahezu ein Lehrstück einer von allen nur denkbaren Schwierigkeiten begleiteten Gremienarbeit dar. Allein die 30köpfige Teilnehmerschaft zu den Treffen zu versammeln – noch dazu, da einige der Mitglieder aus der DDR anreisen mussten – stellte eine logistische Herausforderung für die Kirchenkanzlei, speziell ihren Vizepräsidenten Gottfried Niemeier, dar. Schon die erste konstituierende Sitzung mußte verschoben werden, da die meisten Kommissionsmitglieder verhindert waren. Ständige personelle Wechsel belasteten das Vorankommen der Arbeit. Das zentrale Problem aber war der theologische Dissens, der sich vor allem zwischen Künneth und den meisten der teilnehmenden Professoren der Theologie auftat. Da man anfangs noch davon ausging, zu einer gemeinsamen Erklärung zu kommen, versuchte die Kommission durch die Bearbeitung des Theologumenons „Auferstehung“ zum Kern der Auseinandersetzung vorzudringen. Aber statt zu einem Konsens zu finden, vertieften sich hier die Gräben bis hin zu persönlichen Anfeindungen.
206
HERBERT, Bericht.
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Künneth stellte schließlich die ultimative Bedingung, die Kommission aufzulösen und neu zu besetzen, „und zwar streng paritätisch, in der namhafte theologische Vertreter der Bekenntnisbewegung sowie der Kirchlichen Sammlungen in Deutschland Mitglieder sind“207. Als das vom Ratsvorsitzenden Kurt Scharf abgelehnt wurde, schied Künneth aus der Kommission aus. Ernst Käsemann schrieb im August 1967 einen langen und frustrierten Brief an den Vizepräsidenten der Kirchenkanzlei, in dem er seinen Austritt aus der Kommission ankündigte. Im Moment sei er gesundheitlich auf Grund einer Hüftoperation nicht voll arbeitsfähig. Aber auch unabhängig von seinem Gesundheitszustand wünsche er nicht länger an den Verhandlungen teilzunehmen, denn es „erforderte bereits ein ungewöhnliches Mass an Selbstdisziplin, sich mit Herrn Künneth an einen Tisch zu setzen, der Leute meines Schlages öffentlich als schlimmer als die einstige DC verunglimpft hat. Ich habe nicht über 10 Jahre lang meinen Hals in der Schlinge gehabt, um die Vergewaltigung der Kirche durch die DC zu bekämpfen, ohne solche Äusserung ohne tiefste Erregung hinnehmen zu können. Im Dienst der Kirche habe ich gemeint, auf der letzten Sitzung darüber hinweggehen zu müssen und selbst Herrn Künneth als Gesprächspartner akzeptieren zu sollen. Ich bin ihm nicht menschlich in gutem Willen begegnet und habe ihm nicht nur sachlich ein für einen Ordinarius beschämendes Missverständnis Bultmanns an entscheidender Stelle nachgewiesen, sondern ihm auch von vornherein zugestanden, dass auch für mich der Primat der Christologie das unverrückbare Kriterium zwischen echter und falscher Theologie sei und dieses Kriterium eine Kritik an Bultmann ebenfalls impliziere. Herr Künneth hat sich seinerseits nicht veranlasst gesehen, daraufhin in der Diskussion seine Haltung gegenüber wenigstens einigen Vertretern der sogenannten modernen Theologie [. . .] grundsätzlich oder teilweise zu revidieren. [. . .] Herr Künneth reist weiter durch die Lande, um die alten Parolen aufzufrischen und Gemeinde, wie ich es sehen muss, aufzuhetzen. Ich finde, dass niemand mir mehr zumuten kann, daraus nun nicht auch meinerseits Folgerungen zu ziehen. Ein Gespräch, in dem beide Parteien nicht auf einander hören und jedenfalls die Motive der anderen Seite ernsthaft erwägen, ist sinnlos. Wo Kapitulation vom andern gefordert wird, gibt es auch keinen Kompromiss. Unter solchen Umständen wird Gespräch zur Farce. [. . .] Jene Theologie der Auferstehung, die Herr Künneth propagiert, ist nach meinem Urteil ein Zerrbild der neutestamentlichen und reformatorischen Auferstehungstheologie, nichts anderes als dazu noch verkürzte jüdische Apokalyptik, deren Realisierung behauptet wird. Ich könnte auch sagen: eine höchst moderne und gleichwohl völlig abgestandene Wald-, Wiesen- und Normal-Apologetik frommer Erwartungen, eine Theologie frommer Postulate. Es ist für mich unerträglich, dass die christologi-
207 Briefkopie von Dr. [Walter] Künneth an Herrn Vizepräsident [Gottfried] Niemeier vom 23. 7. 1968, in: Protokoll der Sitzung vom Oktober 1968. Maschinenschriftl., 1 S. (EZA 2/999).
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sche Mitte mit der dazu noch existentialistischen Floskel von der personalen Relation zum erhöhten Herrn abgetan wird. In Wirklichkeit liegt Herr Künneth mit seinen Gegnern im gleichen Boot der Anthropologie und Kosmologie. Was er bei seinen Gegnern erkennt, trifft auf ihn selber stärker zu: Hier wird schlechte Dogmatik verkauft, weil die Christologie das Sprungbrett für das eigentlich anthropologische und darüber weltanschauliche Interesse bleibt. [. . .] So verteidigt er eine religiöse Weltanschauung im Vorfeld wissenschaftlicher Überzeugungen. An diesem Scheingefecht bin ich uninteressiert. Er müsste wissen, dass wir seine Theologie bezweifeln, weil sie nicht Theologie der Auferstehung Christi, sondern einer Auferstehungsidee ist. [. . .] Ich kann nur erklären, dass ich mit einem Partner nicht länger verhandle, der von mir nur Kapitulation fordert, meine Bereitschaft zu ernsthafter Auseinandersetzung in der bisherigen Diskussion wie auf dem Kirchentag nicht zu würdigen vermag, nachweislich falsche Diffamierungen öffentlich weiterträgt [. . .]. Wer wirklich der Moderne huldigt und wer die Sache in seinem Rücken hat, kann nicht ewig durch Emotionen und Verhetzung der Gemeinde entschieden werden.“208
Niemeier, der selbst zu diesem Zeitpunkt die Arbeit der Kommission schon für fast aussichtslos hielt, antwortete Käsemann auf dessen Brief, er möge seine Entscheidung, die Kommission zu verlassen, noch einmal „um der uns aufgetragenen Sache willen“ bedenken. Man brauche in der Kommission, so Niemeier an Käsemann, „Ihre umfassende Sachkunde und Ihr ungestümes Vorwärtsdrängen; wir brauchen auch Ihren Groll gegenüber schlechter Dogmatik und abgestandener Apologetik, gegenüber einem unsach- und unzeitgemässen Theologisieren, das seine Unzulänglichkeit mit frommen Postulaten und Vokabeln aufzupolieren sucht, und Ihr Temperament in der Diskussion, wenn sie sich in quaestiones secundi ordinis zu verlieren droht.“209 Käsemann wiederholte daraufhin noch einmal seine Position und hob hervor, dass er nicht sehe, wie Künneth und er übereinkommen könnten, schon allein aus dem Grund, „weil ich nicht meine, dass man Auferstehung und Atombombe zugleich verteidigen kann.“ Die Kommission sollte möglichst bald das Ziel anvisieren, die Gegensätze herauszuarbeiten und darzustellen „und alle Illusionen über einen möglichen Kompromiss aufgeben.“ Künneths Position sei ihm „dogmatisch unannehmbar, weil Verrat an der Christologie und der libertas christiana zugunsten einer Weltanschauung.“210
208 Brief von Prof. D. E[rnst] Käsemann an Herrn Vizepräsidenten Dr. [Gottfried] Niemeier, Kirchenkanzlei der EKiD, vom 6. 8. 1967. Maschinenschriftl., 2 S. (EZA 2/996). 209 Briefdurchschlag an Herrn Professor D. [Ernst] Käsemann, gez. [Gottfried] N[iemeier] vom 27. 9. 1967. Maschinenschriftl., 2 S. (EZA 2/996). 210 Karte von [Ernst] Käsemann an Vizepräsidenten Dr. Dr. [Gottfried] Niemeier vom 30. 9. 1967. Handschriftlich (EZA 2/996).
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Zu der Kommissionsarbeit und ihrem Ziel schrieb Käsemann nach der Oktobersitzung 1967, auf der beschlossen worden war, sich durch verstärkte exegetische Arbeit einem Kompromiss anzunähern, ihm sei unerfindlich, warum man Exegeten bestellen müsse, um Mk. 16 zu verhandeln, denn schon das zweite Treffen über die Abendmahlsfrage habe gezeigt, „dass man bei der blossen Exegese bezw. der historischen Problematik nicht sehr viel weiter kommt.“211 Die Auferstehung, die nun zentral verhandelt würde, sei zwar wichtig, aber zeige doch, dass man sich nur noch auf Künneths Fragestellung reduziere. Er halte es für „ausgesprochen unklug, sich so von der Bekenntnisbewegung her einengen zu lassen. Man gibt damit neben anderem auch Künneth eine Bedeutung, die er anders nicht zu haben brauchte.“ Die Kirchenleitung habe „alles auf das Votum eines Teilnehmers gestellt, der im Denken unbeweglich, in der historischen Problematik ahnungslos, in dogmatischer Hinsicht von aller neuen Theologie seit Barth unberührt, der Exponent einer konservativen Apologetik ist. So etwas geht eben notwendig ins Auge.“ Nun stehe die Kommissionsleitung „vor einem theologischen Vietnam, aus dem man sich nicht mehr herausmanövrieren kann. Ich rate dringend zum Abbruch des Experimentes, das je länger, desto mehr nur die Hilflosigkeit der Kommission wie der Kirche erweisen wird.“ Man hätte besser daran getan, ein „kleines sachverständiges und nicht fanatisches Gremium“ mit der Aufgabe der Stellungnahme zu betrauen.212 Im Dezember 1967 trat Käsemann dann endgültig aus der Kommission aus, ein Rückzug, zu dem ihn auf anderer Ebene „11 Jahre des Abendmahlsgespräches nicht gebracht haben [. . .].“213 Käsemanns Motive für seinen Rücktritt wurden von Niemeier offiziell als krankheitsbedingt angegeben. Ein Jahr später veröffentlichte Käsemann seine polemische Schrift „Der Ruf der Freiheit“, die bis 1981 in fünf Auflagen erschien, ins Englische übersetzt wurde, und in der er einen Dialog über die Gräben der gegenwärtigen Auseinandersetzung hinweg im Prinzip für unmöglich erklärte.214 Nahezu parallel dazu monierten auch andere Kommissionsmitglieder die Arbeitsstruktur des Gremiums. Conzelmann kritisierte in einem Brief vom 5. Oktober 1967 an Niemeier die „Sprachgreuel“ in vorgelegten Thesen Eberhard 211 Brief von Ernst Käsemann an Vizepräsidenten Dr. Dr. [Gottfried] Niemeier vom 18. 10. 1967. Maschinenschriftlich, 2 S., hier 1 (EZA 2/997). 212 EBD., 2. 213 Brief von [Ernst] Käsemann an den Vizepräsident [Gottfried Niemeier] vom 27. 12. 1967. Handschriftl., 2 S., hier 2 (EZA 2/997). 214 Eine wenn auch kritische, aber doch unpolemische Entgegnung auf das Buch von Käsemann aus den Kreisen des württembergischen Pietismus erfolgte mit der achtseitigen „Antwort an Ernst Käsemann“ des Heidenheimer Dekans Walter Tlach (TLACH, Antwort).
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Jüngels,215 die die Arbeit der Kommission ins Scholastische und Banale abdriften ließen, ebenso wie die Tatsache, dass in Künneths Thesen kein Satz zu finden sei, „der den Anforderungen an begriffliche Präzision und gedankliche Klarheit genügt“. Lediglich bei Ebeling sehe er originelle Gedanken formuliert, obwohl auch dieser „das Netz“ weiterspinne, „aus dem wir uns befreien wollen“. Am schärfsten aber monierte Conzelmann Künneths Polemik und die „Diffamierung der anders Denkenden“ in öffentlichen Veranstaltungen der B KAE und auch Künneths Auferstehungsthesen, die „grundsätzlich auf Deklamation und Nicht-Kritik angelegt sind“. Conzelmann stellte so wie Käsemann fest, dass unter „diesem Zeichen“ für ihn kein Gespräch in Frage komme und er seinen Austritt aus der Kommission erbitte.216 Über diese zweite Austrittsankündigung äußerte sich Niemeier „tief bestürzt“. Auch der Verlauf der Sitzung im Oktober 1967 verhieß kaum Annäherung, aber, so Niemeier an Conzelmann, dass „ein Auffliegen des Ausschusses geradezu katastrophale Auswirkungen gehabt haben würde, brauche ich Ihnen nicht besonders zu begründen. Deshalb wäre ich Ihnen überaus dankbar, wenn Sie Ihre Austrittserklärung einer nochmaligen Prüfung unterziehen“217. Conzelmann trat letztlich nicht aus, nahm aber auch an keiner Sitzung mehr teil. Was die streitbaren Theologen unterschätzten, war nicht nur die große Bedeutung des Ergebnisses der Kommissionsarbeit, sondern auch die Arbeit der Kommission in ihrer Auswirkung auf die teilnehmenden Mitglieder. So schrieb z. B. der Münchener Dekan Georg Lanzenstiel, ebenfalls Mitglied der Kommission, im Oktober 1967 an Niemeier: „Sie können versichert sein, daß auch diese Mitarbeit [in dem Ausschuss] ihre Früchte getragen hat. Ich konnte bereits entscheidende Gedanken anbringen in zwei wichtigen Sitzungen eines großen Arbeitskreises über diese Fragen in unserer Landeskirche und gleichzeitig mit einem Grundsatzreferat und der Gesprächsleitung in dem theologischen Ausschuß für den gesamten Kirchenkreis München [. . .] dienen.“218 Dennoch drohte die Arbeit der Kommission an den theologischen Gräben zu zerbrechen. Am 5. Oktober 1967 fand eine Referentenbesprechung des Rates der EKD statt, auf der Niemeier berichtete, „daß im Ausschuß ‚Schrift und Verkündigung‘ eine Verständigung über grundsätzliche theologische MeiVeröffentlicht 1967 unter dem Titel „Die Freiheit der Theologie“. Brief von Prof. H[ans] Conzelmann an die Evangelische Kirche in Deutschland – Kirchenkanzlei –, vom 5. 10. 1967. Maschinenschriftl., 3 S., hier 3 (EZA 2/997). 217 Briefdurchschlag, gez. [Gottfried] N[iemeier], an Professor D. [Hans] Conzelmann vom 16. 10. 1967. Maschinenschriftl., 2 S., hier 1 (EZA 2/997). 218 Brief des Ev.-Luth. Dekanats München an Herrn Vizepräsident Dr. Dr. [Gottfried] Niemeier, gez. KR [Georg] Lanzenstiel, Dekan, vom 16. 10. 1967. Maschinenschriftl., 1 S. (EZA 2/ 997). 215 216
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nungsverschiedenheiten nicht zu erzielen ist, so daß die weitere Arbeit des Ausschusses gefährdet erscheint. In der Aussprache wird festgestellt, daß ein Scheitern des Ausschusses schwerwiegende Folgen haben könnte. Es soll daher versucht werden, auf jeden Fall die Weiterarbeit zu ermöglichen.“219 Die von einer gereizten und resignierten Stimmung geprägte Kommissionsarbeit geriet immer mehr ins Straucheln: zur 4. Sitzung im März 1968 kamen kaum noch Mitglieder, zentrale Referate mussten ausfallen. Walter Kreck und Gottfried Voigt schrieben unabhängig voneinander an Niemeier, dass sie sich von Art und Zusammensetzung der Kommission nicht mehr viel erwarteten und dass kleinere Gesprächsgruppen gebildet werden müssten. In gewisser Weise versuchte genau das die Kommission mit der Bildung einer „Göttinger Unterkommission“, bestehend aus den Theologen Wolfgang Trillhaas, Ernst Wolf und Walther Zimmerli sowie dem Präses des Bundes Evangelisch-reformierter Kirchen Deutschlands, Johannes Tibbe. Aber auch dieses Unterfangen brachte nicht den gewünschten Durchbruch, und im Oktober 1968 regte der Hamburger Neutestamentler Leonhard Goppelt an, da sich die meisten Landessynoden inzwischen „teilweise auf mehreren Tagungen, an konkreten Themen mit den Fragen um Schrift und Verkündigung befasst“ hätten, solle „der Ausschuß prüfen, worin seine Aufgabe noch bestehen kann.“220 Auf der Oktobersitzung 1968 einigte man sich dann auf das weitere Vorgehen: Es sollte keine gemeinsame Erklärung mehr angestrebt, sondern die verschiedenen Positionen sollten nebeneinander dargestellt werden und Veröffentlichung in einer Handreichung finden. So konnte Niemeier Ende Oktober dem bayerischen Landesbischof und seit 1967 Ratsvorsitzendem der EKD, Hermann Dietzfelbinger, mitteilen: „Es wird eine erfreuliche Nachricht für Sie sein, dass es gelungen ist, das Schifflein des Ausschusses ‚Schrift und Verkündigung‘, das zu stranden oder auf ein Riff zu laufen drohte, wieder einigermassen flott zu machen.“ Im neuen Entwurf sei vorgesehen, auf einen „Grundsatzteil, der gemeinsam erstellt und von einigen von uns in Nachtarbeit vorbereitet wurde“, eine „eine unpolemische Darstellung der extremen Positionen folgen“ zu lassen und in einem abschließenden Teil zu versuchen, „im Widerstreit der Meinungen Stellung zu nehmen, ohne Zensuren zu erteilen.“ Die Publikation solle „eine theologische Erklärung als Handreichung für die Pastoren werden. Das Ergebnis der letzten Sitzung“, so Niemeier weiter, „erweckt gewisse Hoffnun-
219 Auszug aus dem Protokoll der Referentenbesprechung vom 5. 10. 1967. Maschinenschriftl., geklebt, 1 S. (EZA 2/997). 220 Brief von Prof. Leonard Goppelt an Präsident Dr. [Gottfried] Niemeier vom 11. 10. 1968. Maschinenschriftl., 2 S., hier 2 (EZA 2/999).
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gen, dass das Vorhaben in etwa gelingen dürfte.“221 Aber auch diese Konzeption stellte sich als nicht einfach zu bewältigendes Problem dar, da die Verteilung der Autorenschaft schwierig zu organisieren war. So erbat z. B. Niemeier von Otto Rodenberg einen Beitrag als B KAE-Position, aber dieser schickte ihm nur seine aktuellen Publikationen. Ebeling wiederum hinterfragte die anvisierte Handreichung, da die „ursprüngliche Konzeption, unter der der Ausschuß gebildet worden ist, ohnehin zerstört“ sei und die „Aufgabe einer Stellungnahme zur Bekenntnisbewegung [. . .] ohnehin post festum“ komme. Nun „zusätzlich auch noch zu den neuesten gegensätzlichen Strömungen (Theologie der Revolution, Gott-ist-totTheologie, Celler Theologenkonferenz usw.) Stellung zu nehmen, ist einfach zu viel für einen solchen Ausschuß, wenn man nicht Gefahr laufen will, bloße Belanglosigkeiten zu sagen oder sich lächerlich zu machen.“222 Der Vizepräsident der Kirchenkanzlei, dessen Geduld, Ausdauer und diplomatischem Geschick es zu verdanken war, dass dieser Ausschuss überhaupt noch ein Ergebnis hervorbrachte, schrieb Ebeling zurück, er dürfe nicht aufgeben: Der Auftrag an den Ausschuss käme vom höchsten Organ der EKD, der EKD-Synode, und „breite Kreise der kirchlichen Öffentlichkeit warten auf ein Ergebnis unserer Arbeit. Die Enttäuschung und Verärgerung wäre gross, wenn wir versagten.“223 Letztlich erschienen in der Handreichung die Aufsätze von Helmut Gollwitzer „Zur kirchlichen und theologischen Lage“, von Gerhard Ebeling „Zur Verständigung in Kirche und Theologie“, von Martin Seils „Zu den grundlegenden Fragen des Bibelverständnisses (die die Synode in Frankfurt [Main] und Magdeburg 1965 formuliert hat“, von Walther Zimmerli „Das freimachende Gotteswort des Alten Testamentes“, von Christian Maurer „Die Kraft des Neuen Testamentes“ und von Karl Herbert der schon erwähnte Beitrag über die Geschichte der Kommission. Ebeling, und kurz nach ihm auch Seils, veröffentlichten ihre Aufsätze schon im Vorfeld in der „Zeitschrift für Theologie und Kirche“ bzw. in „Zeichen der Zeit“, was für zusätzlichen Unmut in der Kommission sorgte. Herbert erstattete als Sprecher des Ausschusses am 9. Juni 1970 vor dem Rat der EKD Bericht über die Arbeit und legte die Texte vor. Alle Ratsmitglieder, die sich in der anschließenden Diskussion äußerten, unterstri-
221
Briefdurchschlag [von Gottfried Niemeier] an den Vorsitzenden des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland Herrn Landesbischof D. [Hermann] Dietzfelbinger, München, vom 29. 10. 1968. Maschinenschriftl., 2 S. (EZA 2/994). 222 Brief von Gerhard Ebeling an Vizepräsident Dr. Dr. [Gottfried] Niemeier Betr.: Ausschuß „Schrift und Verkündigung“ vom 18. 8. 1969. Maschinenschriftl., 2 S. (EZA 2/7228). 223 Briefdurchschlag, gez. [Gottfried] N[iemeier] an Herrn Professor Dr. [Gerhard] Ebeling vom 22. 8. 1969. Maschinenschriftl., 2 S. (EZA 2/7228).
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chen „den Wert dieser Arbeit“, aber es wurde auch deutlich, dass „es einigen Ratsmitgliedern lieber gewesen [wäre], wenn es zu einer gemeinsamen Erklärung gekommen wäre.“ Hinsichtlich der nun fehlenden gemeinsamen Aussage wurde der Beitrag von Seils als Möglichkeit gesehen, „eine gute Antwort auf die Frage, die die Synode der EKD 1965 gestellt hat“, zu geben. Aber auf die Frage, „ob dieser Beitrag nicht als gemeinsame Auffassung akzeptiert werden könnte, teilt Herbert mit, daß der Arbeitskreis den Beitrag von Seils in voller Absicht ebenso behandelt wissen wollte wie alle anderen Beiträge.“ Bemängelt wurde, dass der „neueste Stand der theologischen Diskussion“ sich in den Beiträgen nicht widerspiegle. Dazu bemerkte Herbert, „daß die Ausarbeitung im Herbst 1969 abgeschlossen wurde. Wenn auch die existentielle Theologie heute zurücktritt, so ist sie doch nicht ausdiskutiert. Die her behandelte Fragestellung ist daher nicht überholt. Die Frage, ob der neueste Stand irgendwie nachgeholt werden sollte, wird nach einigen diesbezüglichen Überlegungen verneint.“ Zuletzt ging es in der Diskussion darum, ob sich der Rat der EKD hinter die Publikation stellen könne oder nicht. Herbert entgegnete, dass „nicht daran gedacht gewesen sei, daß sich der Rat diese von namentlich genannten Autoren verfassten Beiträge zu eigen mache, doch würde eine Veröffentlichung für wesentlich gehalten, damit nicht die ganze Arbeit nur in den Akten verschwinde.“ Zuletzt erklärte sich der Rat „mit einer Veröffentlichung einverstanden. Herbert und Niemeier werden gebeten, die Einleitung umzuarbeiten und dabei die schwierige Geschichte des Ausschusses und die Auffassung des Rates darzulegen.“224 1971 erschien die Broschüre – eine Zweitauflage erfolgte nicht – mit einem kurzen Vorwort von Dietzfelbinger, in dem es hieß: „Ohne sich alle Ausführungen im einzelnen zu eigen zu machen, empfiehlt der Rat das Arbeitsergebnis der Pfarrerschaft und den Gemeinden zum Studium und als Grundlage weiterer Arbeit.“225 Der Verlauf der Arbeit dieser Kommission war symptomatisch für die gesamte Situation der Auseinandersetzung Ende der 1960er Jahre und in den 1970er Jahren: Der Dialog zwischen B KAE und Theologen brach ab, und die Kirchenleitungen, die vermitteln wollten, konnten den Dissens nicht mehr auffangen und gerieten selbst, allerdings in geringerem Maße, in die Kritik. Selbst die Tatsache, dass es sich um eine Bearbeitung einer Anfrage der Synode der EKD und des Rates der EKD samt der damit implizierten Bedeutung und Verantwortung für die evangelische Kirche in Deutschland handelte, konnte einen 224 Auszug aus dem Protokoll der Ratssitzung vom 10. Juni 1970. Maschinenschriftl., geklebt, 3 S., hier 2f. (EZA 2/7231). 225 SCHRIFT – THEOLOGIE – VERKÜNDIGUNG, [5].
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Kompromiss nicht herbeizwingen. Das Scheitern der gemeinsamen Verlautbarung zu „Schrift und Verkündigung“ zeigte deutlich, wie weit die Pluralisierung innerhalb der evangelischen Kirche inzwischen fortgeschritten war: Eine Entwicklung hin zur Einheitlichkeit war nicht mehr möglich und da ein theologischer Konsens nicht mehr möglich war, mussten die verschiedenen Meinungen nun nebeneinander stehen bleiben. Bemerkenswert ist dabei, dass die Pluralisierung durch eine Pluralität der theologischen Ansätze in die Kirche hineingetragen wurde. Die EKU hatte 1964 ebenfalls einen theologischen Ausschuss gebildet, der 1963 vom Rat der EKU angeregt worden war. Auch diese Kommission wurde von den Ereignissen des Frühjahrs 1966 überrascht,226 auch sie änderte ihre Zielsetzung im Verlauf der halbjährlich stattfindenden Sitzungen.227 Im Dezember 1968 wurde die Stellungnahme des „Theologischen Ausschusses der EKU“ Gesprächsgrundlage zwischen Vertretern der B KAE und Mitgliedern 226 So schrieb Erich Dinkler, Mitglied des Theologischen Ausschusses der EKU, im Mai 1966 an Joachim Beckmann: „Vom Theologischen Ausschuß der Evangelischen Kirche der Union ist mir der Auftrag zuteil worden, Ihnen als Vorsitzendem des Rates die Bitte vorzutragen, Sie möchten vom Rate aus baldmöglichst ein grundsätzliches Wort zum positiven Verhältnis von Kirche und Theologie, einschließlich historisch-kritisch Exegese, sagen. Wir waren uns einig darüber, daß es nicht tragbar ist, wenn Landeskirchen der Evangelischen Kirche der Union die Berechtigung einer Massenbewegung ‚Bekenntniskirche‘ anerkennen und gleichzeitig die mit angegriffenen Exegeten und Theologen als Ratgeber ihres Theologischen Ausschusses arbeiten lassen, ja mitzuarbeiten bitten. Wir lehnen die unangemessene Methode der Massendemonstration ab, weil sie keinesfalls die Unruhe von Massen bezeugt, sondern das demagogische Geschick einiger fundamentalistischer Pfarrer. Wir protestieren gegen den Selbstanspruch, Fortsetzung der Bekennenden Kirche zu sein, und gegen die Diffamierung der sogenannten ‚existentialistischen Theologie‘, von Bultmann und seinen Schülern, als schlimmer als die Deutschen Christen. Wir erlauben uns, darauf hinzuweisen, daß die ‚moderne Theologen‘ nicht die Kirche um Hilfe bitten, sondern daß wir im Theologischen Ausschuß vertretenen Theologen es als unsere Pflicht ansehen, den Ertrag des Kirchenkampfes in dem einen Punkte wenigstens sicherzustellen, daß die wissenschaftliche Theologie in der Kirche und für die Kirche sich als ein wagendes Bedenken des Glaubens versteht. Wir übersehen nicht, daß die Freiheit der Theologie als Wissenschaft auch mißbraucht werden kann und wird. Wir meinen aber, daß nur im Vertrauen auf und auch im Appell an die Verantwortung der freien Theologie eine Überwindung des unverantwortlich Gesagten mit theologischer Vollmacht möglich ist. Wir wollen einen Bruch von wissenschaftlicher Theologie und Kirchenleitung unbedingt vermeiden, ebenso einen öffentlichen Skandal, darum unsere Bitte an Sie. Öffentliche Diskussionen werden die meisten von uns so lange nicht mitmachen, als die Gesprächspartner an der Organisation weiterer Massendemonstrationen, wie sie geplant sein sollen, sich beteiligen.“ (Brief von Prof. Dr. Erich Dinkler an den Vorsitzenden des Rates der Ev. Kirche der Union [Präses Joachim Beckmann], vom 2. 5. 1966. Maschinenschriftl., 2 S. [AEKR Düsseldorf 1OB 017, Nr. 13– 1–15: Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“, Bd. I]). 227 Bericht über die Arbeit des Theologischen Ausschusses vor dem Rat der Evangelischen Kirche der Union am 3. Mai 1966, [handschriftl. vermerkt „von OKR Dr. Viering“]. Maschinenschriftl., hektograph., 9 S. (EZA 2/996).
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des Rates der EKU.228 An diesem Gespräch am 9. Dezember 1968 nahmen seitens der Kirchenleitungen und Theologen teil der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland und ehemalige leitende Bischof der EKU, Joachim Beckmann, der Praktische Theologe an der Berliner kirchlichen Hochschule Martin Fischer, Walter Kreck, Johannes Klevinghaus und Oberkonsistorialrat Fritz Viering, der spätere lippische Landessuperintendent, sowie Sven Findeisen, Paul Deitenbeck, Rudolf Bäumer, Pfarrer Heinrich Hörstgen, der Leiter der Rheinischen B KAE, Walter Tlach, Dekan des Dekanats Heidenheim und spätere Studienleiter am Albrecht-Bengel-Haus in Tübingen, und der Ingenieur Friedrich Alfringhaus aus Lüdenscheid als Vertreter der B KAE. In der gemeinsam erstellten Presseerklärung wurde hervorgehoben, dass diese Stellungnahme, obwohl sie noch Fragen offen lasse, ein „hilfreiche[s] Wort der Kirche in der gegenwärtigen Situation“ und „wesentliches Dokument theologischer Lehre über die Heilsbedeutung des Kreuzes Christi“ darstelle. Die B KAE begrüße es, „wenn der Rat der EKU in Fortsetzung dieser Stellungnahme ein Wort an die Gemeinden richten würde.“ Der aufgenommene Kontakt solle fortgesetzt werden.229 Rudolf Bäumer schrieb im Nachgang an Fritz Viering, er glaube, „daß durch unsere Begegnung bei Herrn Präses Beckmann das Vertrauen der bibelgläubigen Kreise zur Landeskirche gewachsen ist und noch weiterhin zunehmen wird, zumal Herr Präses in seiner Stellungnahme zu den Lehren von Frau Dr. Sölle so eindeutige Worte fand, daß neutrale Leser vor Kenntnisnahme der Unterschrift Kreise der Bekenntnisbewegung als die Verfasser annehmen könnten.“ Des Weiteren habe er „den Eindruck, daß Herr Präses Beckmann uns in Zukunft vor der Öffentlichkeit nicht mehr – wie bisher in verschiedenen Fällen – angreifen wird. Ich habe ihn absichtlich nicht um ein Versprechen in dieser Richtung gebeten, weil ich von einer völlig freien, persönlichen Entscheidung im Einzelfall mehr halte als von einer ‚gesetzlichen‘ Vereinbarung.“230 Viering antwortete daraufhin, auch er denke gern an das Düsseldorfer Gespräch und hoffe, es habe zur gegenseitigen Verständigung beigetragen. Er selbst habe stets darauf aufmerksam gemacht, „daß die Bekenntnisbewegung unaufgebbare Anliegen der Kirche vertritt.“ Nun stünde die B KAE „selber in
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Grundlage der folgenden Darstellung sind diverse Dokumente aus Akte 476 des Bestandes 8 des EZA. 229 Lehrgespräch zwischen der Bekenntnisbewegung und Rat der Evangelischen Kirche der Union. Maschinenschriftl., Durchschlag, 1 S. (EZA 8/476). 230 Brief der Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“, gez. R[udolf] Bäumer, an Herrn Oberkonsistorialrat Dr. [Fritz] Viering, vom 13. 12. 1968. Maschinenschriftl., 1 S. (EZA 8/ 476).
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den eigenen Reihen vor einer schweren, aber nicht zu umgehenden Aufgabe [. . .], nämlich um Verständnis zu ringen für das Recht der historisch-kritischen Schriftsforschung.“ Denn, so Viering, „allgemeine Erklärungen (‚Wir sind keine Fundamentalisten‘) helfen so wenig, wie die anfänglichen Erklärungen einiger Kirchenleitungen, etwa: ‚Wir sind immer schon für das Bekenntnis er Kirche eingetreten‘.“ Wenn die B KAE die Aufgabe, „die Gemeinde in die historischkritische Fragestellung einzuführen“, nicht konkret aufgreife, „dann könnte die Bekenntnisbewegung, statt zur Erneuerung der Kirche beizutragen, zur Sekte werden.“231 Am 19. Oktober 1964 hatte das Moderamen des Reformierten Bundes eine 13köpfige theologische Kommission berufen, um eine „Hilfe für die Amtsbrüder im Sinne einer Brücke vom Text zur Predigt“ zu erarbeiten. Auf sechs Sitzungen wurde dieser Frage nachgegangen. Am Ende konnte die Kommission ein nur „vorläufiges“ nicht „abschließendes“ Ergebnis vorlegen. Dieser Auffassung schloss sich das Moderamen an. In dem „vorläufigen Ergebnis“ wurde prinzipiell die Notwendigkeit der historisch-kritischen Analyse eines Textes hervorgehoben sowie die Schwierigkeit des Balanceaktes zwischen einer Haltung, die sich des Textes bemächtige und einer der Reproduktion von Worten geschildert.232 Am 22. Februar 1967 gab die Bischofskonferenz der VELKD eine „Erklärung“ heraus, ohne darin auf die an die Bischofskonferenz gerichtete Denkschrift der B KAE vom 2. Januar 1967 einzugehen. In der Erklärung wurden fünf Punkte ausgeführt: 1. Die gegenwärtigen Auseinandersetzungen zeigten, „dass die Kirche lebt“. 2. Gott wurde in Jesus Mensch und lasse sich in der Bibel von Menschen bezeugen. Die Spannung, dass Gottes Wort in Menschenmund übermittelt werde, müsse ausgehalten werden, und deshalb dürfe das biblische Zeugnis mit allen wissenschaftlichen Mitteln geprüft werden. 3. „Um der Wahrheit willen bedarf die Auslegung der Bibel der historisch-wissenschaftlichen Forschung“, die sich ihrer Grenzen und Wandelbarkeit bewusst sein müsse. Gott gab den Menschen die Vernunft, sei aber größer als alle menschliche Vernunft. Jesus Christus sei mehr als ein Mensch und ein Vorbild der Mitmenschlichkeit: Gott habe sich in ihm selbst in das Dunkel der Welt begeben.
231
Briefdurchschlag der Kirchenkanzlei der EKU an Herrn Pfarrer [Rudolf] Bäumer vom 20. 12. 1968. Maschinenschriftl., 2 S., hier 1 (EZA 8/476). 232 Bisheriges Arbeitsergebnis einer vom Moderamen des Reformierten Bundes berufenen theologischen Kommission. Anlage 4 des Rundbriefes der Evangelischen Kirche in Deutschland – Kirchenkanzlei –, gez. [Gottfried] Niemeier, an die Leitungen der Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland Betr.: Schrift, Lehre und Verkündigung, vom 29. 12. 1967. Gedruckt, Kopie, 2 S. (EZA 2/993).
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5. Gott bediene sich in seiner Gemeinde der vielfältigen menschlichen Gaben. Von daher danke man allen, „die um die Lauterkeit des Evangeliums ringen, wenn sie forschen und lehren, predigen und das Evangelium im Alltag bezeugen. Wir warnen vor falschem, vorschnellen Richten übereinander und bitten zugleich mit Ernst, die Wahrheit des Evangeliums nicht zu verfälschen und zu verkürzen. Wir ermutigen alle Gemeindeglieder, regelmässig in der Schrift zu forschen. Wir bitten unsere theologischen Lehrer und Pfarrer, dass sie die Gemeinde stärken und einen. Rechte Theologie erweist sich darin, dass sie uns hilft, treuer zu beten, mutiger zu bekennen und gehorsamer zu lieben.“233 Die Generalsynode der VELKD wertete sowohl auf der Ost- als auch der Westtagung im Juni 1967 in Berlin bzw. im Mai 1967 in Goslar die „Erklärung der Bischofskonferenz zum Streit um die Bibel“ als „eine richtungsweisende Hilfe für das gegenwärtige theologische Gespräch. [. . .] Die Synode empfiehlt, die Erklärung der Bischofskonferenz, die Dokumentation ‚Kranzbacher Gespräch‘, sowie die Synodalergebnisse auf den Pfarrkonferenzen, im Kreis der kirchlichen Mitarbeiter und in den Gemeinden zu beraten.“234 Weiterhin empfahl die Generalsynode, Laien sollten stärker mit den „wesentlichen Fragen der theologischen Schriftforschung bekannt gemacht werden“, das „theologische Gespräch sollte auf allen Ebenen geführt werden“, die theologische „Weiterarbeit“ bzw. Weiterbildung der Pfarrer stärker unterstützt und „das Zusammenwirken von Theologen und Laien, von Amt und Gemeinde, von hauptamtlichen und nebenamtlichen Mitarbeitern“ generell gefördert werden. Hinsichtlich des „theologischen Gesprächs auf allen Ebenen“ wurde empfohlen, „dass Kirchenleitungen und theologische Fakultäten an gemeinsamen Aufgaben zusammenarbeiten und dass die wissenschaftliche Theologie an verantwortli-
233 Erklärung der Bischofskonferenz der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands. Zu den Auseinandersetzungen um die Bibel. Anlage 1 des Rundbriefes der Evangelischen Kirche in Deutschland – Kirchenkanzlei –, gez. [Gottfried] Niemeier –, an die an die Herren Mitglieder des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland Betr.: Schrift, Lehre und Verkündigung vom 22. 2. 1967. Maschinenschriftl., 2 S. (EZA 2/992) (= ERKLÄRUNG DER BISCHOFSKONFERENZ). 234 Entschliessung der 4. Generalsynode auf ihrer regionalen Tagung West in Goslar zum Thema „Bekenntnis und Schriftauslegung in der Gemeinde“ vom 26. Mai 1967. Anlage 2a des Rundbriefes der Evangelischen Kirche in Deutschland – Kirchenkanzlei –, gez. [Walter] Hammer – an die Mitglieder des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Betr.: Schrift, Theologie und Verkündigung, vom 29. 12. 1967. Maschinenschriftl., hektograph., 3 S., hier 1; Entschliessung der 4. Generalsynode auf ihrer regionalen Tagung Ost in Berlin zum Thema „Bekenntnis und Schriftauslegung in der Gemeinde“ vom 8. Juni 1967. Anlage 2b des Rundbriefes der Evangelischen Kirche in Deutschland – Kirchenkanzlei –, gez. [Walter] Hammer – an die Mitglieder des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Betr.: Schrift, Theologie und Verkündigung, vom 29. 12. 1967. Maschinenschriftl., hektograph., 3 S., hier 1 (EZA 2/993).
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chen kirchlichen Entscheidungen beteiligt wird. Für besonders wichtig halten wir die Gespräche innerhalb der theologischen Fakultäten.“235 Laien sollten, so die Generalsynode, ermutigt werden, Fragen an die Schrift zu stellen. Das Recht der freien Wortverkündigung sollte auch an sie übertragen werden. Die Zurüstung hierfür sei Aufgabe der Kirche. 6.1.5 Reaktionen auf den evangelikalen Protest seitens der Theologieprofessorenschaft Wie verhielten sich nun diejenigen, die im Zentrum der evangelikalen Kritik standen? Bezeichnenderweise – wohl für den akademischen Individualismus – traten die deutschen Theologieprofessoren nicht geschlossen als Gruppe auf, einzige Ausnahme bildete die „Erklärung der westfälischen Theologieprofessoren“. Ihr hohes Engagement in der Debatte, z. B. durch die Teilnahme in den schon genannten Gremien und an medialen Diskussionen, aber auch durch Veröffentlichungen und die Aktivität in Initiativen kirchlicher und theologischer Bildungsarbeit über ihre universitäre Tätigkeit hinaus, zeichnete sich durch einzelnes, individuelles Handeln aus. Dabei lässt sich ein weitgehendes Verständnis für die praktischen Probleme, die sich aus der Differenz von Theologie und Bibelverständnis der Gemeinde ergaben, erkennen. Eine Reform des Theologiestudiums wurde von Theologen angemahnt.236 Von 1965 bis 1968 diskutierten Vertreter der Theologischen Fakultäten in Zusammenarbeit mit der EKD und der Ausbildungskonferenz intensiv über die Praxisanbindung des Theologiestudiums und brachten Veränderungen in Gang: Praktika während des Studiums wurden eingeführt, das Vikariat in Bezug auf seine Praxisrelevanz neu bedacht und ein kirchliches Dienstjahr diskutiert.237 Die Kritik am evangelikalen Protest bezog sich weitgehend auf die Art und Weise des Umgangs mit dem Diskussionspartner „moderne Theologie“. Scharfe Kritik übte z. B. Ernst Fuchs in einem Interview des Informationsdienstes für die Evangelische Kirche in Kurhessen-Waldeck „Blick in die Kirche“ an der B KAE, in dem er neben einer längeren Erklärung, was denn nun „Bultmann-
235
Entschliessung der 4. Generalsynode auf ihrer regionalen Tagung West in Goslar zum Thema „Bekenntnis und Schriftauslegung in der Gemeinde“ vom 26. Mai 1967. Anlage 2a des Rundbriefes der Evangelischen Kirche in Deutschland – Kirchenkanzlei –, gez. [Walter] Hammer – an die Mitglieder des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Betr.: Schrift, Theologie und Verkündigung, vom 29. 12. 1967. Maschinenschriftl., hektograph., 3 S., hier 2f. (EZA 2/ 993). 236 So z. B. TÖDT, Reform. 237 Vgl. diverse Schreiben, Verlautbarungen und Dokumente in Akte 5480 des Bestandes 2 im EZA.
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sche Theologie“ oder „moderne Theologie“ sei, und der Feststellung, es gebe gegenwärtig keine Glaubens-, sondern eine „Intelligenzkrise“, auch dezidiert das „Bekenntnis“ abgab, dass er an die Auferstehung Christi glaube, aber nicht zusammen mit denen, die so ein „Geschrei“ daraus machten.238 Auch der umstrittene Willi Marxsen nahm zur B KAE Stellung, und zwar in seinen universitären Vorlesungen. Hier konstatierte Marxsen, die B KAE reiße theologische Sätze aus ihren Zusammenhängen und verhindere damit eine sachliche Information der Gemeinden. Er selbst weiche keinem Gespräch aus – wer dies behaupte lüge –, aber für ihn sei niemand Diskussionspartner, der „eine Bekenntnisversammlung vorbereitet“, denn man könne mit niemanden verhandeln, „der die Waffe im Anschlag“ habe.239 Scharfe Worte fand Helmut Thielicke in seinem 1967 veröffentlichten Buch „Wie modern darf die Theologie sein?“ In Bezug auf die „sogenannte[n] ‚Frommen‘, die in dem, was man moderne Theologie nennt, nur einen Sündenpfuhl und in ihren Vertretern nur satanische Fratzen sehen“, äußerte Thielicke: „Ich glaube, sie könnten am Jüngsten Tag noch einmal Unannehmlichkeiten bekommen wegen der unnützen Worte und des oft falschen Zeugnisses, das sie gegen ihren Nächsten geschleudert haben. Oft ist es nämlich nicht Glaube, der hier protestiert, sondern nur Denkfaulheit und Kleinglaube, die sich gegen neue Frage Stellungen sperren.“240 Auch der 80jährige Karl Barth äußerte sich in einem viel zitierten Brief zu dem Dortmunder Bekenntnistag: „An die 25 Veranstalter und an die 25 000 Teilnehmer jener Großkundgebung der Bekenntnisbewegung ‚Kein anderes Evangelium‘ würde ich die Frage richten: Seid Ihr willig und bereit, eine ähnliche ‚Bewegung‘ und ‚Großkundgebung‘ zu starten und zu besuchen: Gegen das Begehren nach Ausrüstung der westdeutschen Armee mit Atomwaffen? Gegen den Krieg und die Kriegsführung der mit Westdeutschland verbündeten Amerikaner in Vietnam? Gegen die immer wieder sich ereignenden Ausbrüche eines wüsten Antisemitismus (Gräberschändungen) in Westdeutschland? Für einen Friedensschluß Westdeutschlands mit den osteuropäischen Staaten unter Anerkennung der seit 1945 bestehenden Grenzen? Wenn euer richtiges Bekenntnis zu dem nach dem Zeugnis der Heiligen Schrift für uns gekreuzigten und auferstandenen
238 Interview mit Professor D. Fuchs – Marburg (Blick in die Kirche, Informationsdienst für die Ev. Kirche in Kurhessen-Waldeck, Heft 2/1966, S. 10ff.). Anlage 2 des Rundbriefes der Kirchenkanzlei der EKD, gez. [Gottfried] Niemeier, an die Leitungen der Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland Betr.: Schrift, Lehre und Verkündigung, vom 24. 8. 1966. Maschinenschriftl., hektograph., 8 S. (EZA 2/990). 239 Briefkopie von Klaus Seidenstücker an den epd, Bethel, vom 3. 5. 1966. Maschinenschriftl., 2 S. (LkA EKvW Best. 0.1 Nr. 476). 240 THIELICKE, Wie modern, 15.
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Jesus Christus das in sich schließt und ausspricht, dann ist es ein rechtes, kostbares und fruchtbares Bekenntnis. Wenn es das nicht in sich schließt und ausspricht, dann ist es in seiner ganzen Richtigkeit kein rechtes, sondern ein totes, billiges, Mückenseigendes und Kamele-verschluckendes und also pharisäisches Bekenntnis.“241
Allgemeinverständliche, durchaus auch selbstkritische Darstellungen der „modernen Theologie“ nahmen in den theologischen Publikationen 1966 bis 1968 einen relativ breiten Raum ein.242 Das ist vor dem Hintergrund eines einschneidenden Umbruchs gerade in dieser Zeit innerhalb der Theologie beachtlich, der mit einer Hinwendung zur „politischen Theologie“ und der Beschäftigung mit den Implikationen der „1968er Bewegung“ seit 1966 stattfand. Hier kam es zu einer bisher nicht stattgefundenen Welle des Einbruchs politischethischer Fragen in Theologie und Kirche, die zwar durch die Hinwendung zu dem Menschen Jesus und damit eine theologische Orientierung am „Humanen“ vorbereitet worden war, aber nun durch die theologische Rezeption und Bearbeitung von marxistischen und sozialistischen Weltvorstellungen eine neue Dimension erhielt. Den Versuch eines Brückenschlages zwischen „Fundamentalismus“ und „Existentialtheologie“ unternahm 1966 der ehemalige Hallenser Praktische Theologe Wilhelm Knevels mit seinem synoptischen Abriss „Selbstbesinnung des Glaubens zwischen Fundamentalismus und Existentialtheologie“.243 Auch
241 Abschrift von Abschrift des Briefes von Karl Barth an Adolf Grau, Wuppertal-Elberfeld, vom 16. 3. 1966. Maschinenschriftl., hektograph., 1 S. (LkA EKvW Best. 0.1 Nr. 476). Zu dem Brief Barths, seiner Veröffentlichung und Barths weiteren Kommentaren zur B KAE und zur Theologie Bultmanns vgl. STRATMANN, Kein anderes Evangelium, 78f. 242 Beispielhaft seien genannt die schon erwähnte Schrift Thielickes „Wie modern darf die Theologie sein?“, weiterhin von Willi Marxsen, Günter Klein und Walter Kreck „Bibelkritik und Gemeindefrömmigkeit“ (1966), dann „Streit um die Bibel“ (1965), eine Replik von Marxsen auf Bergmanns „Alarm um die Bibel“ sowie 1967 ebenfalls von Marxsen „Das Neue Testament als Buch der Kirche“, „Verkündigung heute. Elf Versuche in verständlicher Theologie“ von Manfred Mezger (1966) oder „Ein anderes Evangelium? Wissenschaftliche Theologie und christliche Gemeinde. Ringvorlesung der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Westfälischen WilhelmsUniversität Münster“, herausgegeben von Kurt Aland (1967). Darüber hinaus erschienen in diesen Jahren, entweder als Erstpublikation oder in Neuauflagen, eine ganze Anzahl populärwissenschaftlicher theologischer Bücher, die in den folgenden Jahren hohe Auflagen erreichten, wie Heinz Zahrnts „Die Sache mit Gott. Die protestantische Theologie im 20. Jahrhundert“ (1966), das von Gert Otto herausgegebene „Glauben heute. Ein Lesebuch zur evangelischen Theologie der Gegenwart“ (1965) oder die von Hans Jürgen Schultz’ edierte Sendereihe des Süddeutschen Rundfunks „Theologie für Nichttheologen. ABC protestantischen Denkens“ (1964). Dabei sind nicht die Arbeiten genannt, die sich auf wissenschaftlich-theologischer Ebene mit den aufgeworfenen Fragen beschäftigten. 243 Knevels, Wilhelm: Selbstbesinnung des Glaubens zwischen Fundamentalismus und Existentialtheologie. Versuch, eine Bücke zu schlagen. Sonderdruck aus „Deutsches Pfarrerblatt“ 2
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gegenseitige kritische Stellungnahmen wurden publiziert244 und differenzierten die Diskussion um die B KAE aus. Ein wenig differenziertes Bild im Gegensatz zu der generellen Debatte innerhalb der Theologie ergab allerdings die „Erklärung westfälischer Theologieprofessoren“, die im Mai 1966 veröffentlicht und von 30 Theologen der Münsteraner und Bochumer Fakultät und der Betheler Kirchlichen Hochschule unterschrieben worden war. In der verhältnismäßig kurzen Erklärung hieß es: „1. Die Parole ‚Kein anderes Evangelium‘ erweckt die falsche Vorstellung, als verfügten wir über das Evangelium in festen Formeln. Das Wort der Schrift wird zur frohen Botschaft, wo es heute verkündigt und angenommen wird. Der Auftrag der Verkündigung schließt immer eine Besinnung darüber ein, welches der Grund der Botschaft ist, was sie heute bedeutet und wie sie heute ausgerichtet werden muß. Es ist ein Irrtum, anzunehmen, daß das Evangelium nur durch neue Auslegungen verfälscht werden könnte. Es kann zu einem ‚anderen Evangelium‘ auch dadurch werden, daß wir Formeln nachsprechen, die heute nicht mehr dasselbe sagen wie gestern und deshalb weder treffen noch helfen. 2. Jedes Bemühen um rechtes Verstehen der Schrift muß alle Möglichkeiten des Geistes und der Erfahrung ausnutzen. Eine vorgefaßte Begrenzung der Fragen oder der Antworten ist nicht möglich. Das gilt für die wissenschaftliche Theologie ebenso wie für jeden einzelnen Christen. Wer hier Grenzen im voraus festlegt, der erhebt sich damit zum Richter über das Wort Gottes und zeigt, daß er dem Worte selbst keine Kraft mehr zutraut, und das ist immer ein Zeichen des Unglaubens. 3. Wir sehen die eigentliche Gefahr in der Entmündigung der Gemeinden. Sie geschieht, wo man es unterlässt, die Ergebnisse der theologischen Forschung verantwortlich weiterzugeben, oder sogar meint, die Gemeinden gegen neue Erkenntnisse abschirmen zu müssen. Wir können die Gemeinden und ihre Pfarrer nur einladen, weiterhin mit uns an der Auslegung der Bibel zu arbeiten in der Erwartung, daß solche Arbeit gute Früchte trägt.“245
(1966), 4 S. (AEKR Düsseldorf 1OB 017, Nr. 13–1-15: Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“, Bd. I). Knevels’ Abhandlung wurde in zahlreichen Exemplaren vom Evangelischen Konsistorium Berlin-Brandenburg an die rheinische Kirchenleitung mit der Bitte verschickt, sie an Theologiestudenten, Vikare und Hilfsprediger weiterzureichen. Zusammen mit Beckmanns „Wort an die Pfarrer, Presbyter und Mitarbeiter im kirchlichen Dienst. Ein anderes Evangelium? Zur Frage der modernen Theologie“ wurde dann auch der Sonderdruck der Schrift Knevels versandt (vgl. diverse Schreiben in Akte AEKR Düsseldorf 1OB 017, Nr. 13–1-15: Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“, Bd. I). 244 So z. B. der Bonner Praktische Theologe Günther Koch gegen Walter Hartmanns Reduktion Jesus sei nur Mensch gewesen (KOCH, Besinnung). 245 Neue Stellungnahme zur „Bekenntnisbewegung“. „Gefahr der Entmündigung“. Erklärung westfälischer Theologieprofessoren. Auszug aus dem Sonntagsblatt „Unsere Kirche“ Nr. 21 vom 22. 5. 1966. Gedruckt, 1 S. (AEKR Düsseldorf 1OB 017, Nr. 13–1-15: Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“, Bd. I).
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Die „Erklärung“, die im Mai in verschiedenen kirchlichen Presseorganen abgedruckt erschien, wurde von den meisten Kirchenleitungen mit Kopfschütteln aufgenommen. Der lippische Landesuperintendent Udo Smidt bemerkte in seinem Referat vor der lippischen Landessynode, selbst nach mehrmaligem Lesen der Verlautbarung habe er gedacht: „Den Rauch habt ihr gesehen, aber das Feuer nicht verspürt.“246 Johannes Klevinghaus schrieb an Ernst Wilm, er „habe die Erklärung der Professoren noch einige Male gelesen und mich eigentlich immer mehr darüber gewundert, daß die Professoren sich auf einen so schwachen Text geeinigt haben. Es ist mir fraglich geworden, ob man tatsächlich viel dagegen schreiben sollte.“247 Dementsprechend reagierte Wilm, auf dessen landeskirchlichen Gebiet die fraglichen Fakultäten und die Ausbildungsstätte Bethel lagen, auch nur kurz auf die „Erklärung“ – in einem Brief an die Unterzeichner warf er ihnen eine weitere Verhärtung der Fronten vor sowie die Verunsicherung der Gemeinden im Hinblick auf die, wie in der Erklärung proklamiert, „grenzenlose“ theologische Forschung und bat zu einem baldigen Gespräch ins Landeskirchenamt.248 Wesentlich kritischer ging Wilm mit dem Betheler Systematiker Wolfgang Schweitzer, einem der Initiatoren der „Erklärung“, in einem inoffiziellen Briefwechsel ins Gericht.249 Unweigerlich mußte die „Erklärung der westfälischen Theologieprofessoren“ den Widerspruch der B KAE hervorrufen, unter anderem auch hinsichtlich des schon von Wilm monierten Punktes der „grenzenlosen“ Forschung. So schrieb Paul Deitenbeck, man sei für die Gaben der Theologie durchaus dankbar, aber inzwischen sei es „bis in die breite Öffentlichkeit hinein bekannt“, dass auf vielen Lehrstühlen ein „entstelltes Christusbild dargeboten“ werde. Er wisse, dass in der „modernistischen Theologie“ erhebliche Unterschiede in der Deutung der neutestamentlichen Botschaft bestünden, aber „im Endergebnis kommt ein anderer Christus dabei heraus“. Es sei nun gerade die „mündige Gemeinde“ gewesen, die dagegen anging und angeht. Man wehre sich „gegen eine Begren-
246 Landessuperintendent D. Smidt. Bericht anlässlich der 23. ordentlichen Landessynode der Lippischen Landeskirche am 7. Juni 1966 (Auszug). Anlage 6 des Rundbriefes der Kirchenkanzlei der EKD, gez. [Gottfried] Niemeier, an die Leitungen der Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland Betr.: Schrift, Lehre und Verkündigung, vom 27. 6. 1966. Maschinenschriftl., hektograph., 4 S., hier 4 (EZA 2/990). 247 Brief von Pastor D. Johannes Klevinghaus an Präses D. [Ernst] Wilm vom 17. 5. 1966. Maschinenschriftl., 2 S., hier 1 (LkA EKvW Best. 0.1 Nr. 476). 248 Evangelische Kirche von Westfalen – die Kirchenleitung, gez. [Ernst] Wilm – an die Herren Theologieprofessoren und Dozenten an den westfälischen Universitäten und der Theologischen Schule in Bethel vom 18. 5. 1966. Maschinenschriftl., 1 S. (LkA EKvW Best. 0.1 Nr. 476). 249 Korrespondenz zwischen Ernst Wilm und Wolfgang Schweitzer in Akte LkA EKvW Best. 0.1 Nr. 476.
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zung der biblischen Botschaft vom Verstehenshorizont des modernen Menschen her. Die Botschaft vom ewigen Heil in Kreuz und Auferstehung Christi war für den Menschen damals genauso unglaublich, wie sie es heute ist. Nur der Heilige Geist kann für diese Heilswirklichkeit das Auge öffnen.“250 Dass die Auseinandersetzung auch auf den Ebenen der Jugendarbeit wahrgenommen und kommentiert wurde, geht aus einem Bericht von Wilhelm Jung, Präses des Siegerländer Kreisverbandes des CVJM, hervor. Jung ging auf dem Kreisfest der Siegerländer CVJM-Vereine am 22. Mai 1966 vor etwa 2 500 Teilnehmern mit der „Erklärung der westfälischen Theologieprofessoren“ ins Gericht, wobei er voranstellte, es sei verwunderlich, wenn die Theologen sonst ihre Differenz betonten, aber nun diese Erklärung „solidarisch“ unterschrieben hätten. Es gehe „uns“, so Jung weiter, nicht um das Nachsprechen von Floskeln, sondern um den Inhalt der Verkündigung.251 Die Pfingstkonferenz des Gnadauer Verbandes stellte sich einmütig hinter die Antwort Deitenbecks.252 6.1.6 Die Haltung evangelikaler Trägergruppen zur Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“ Über die Solidarisierung mit Paul Deitenbecks Replik auf die „Erklärung westfälischer Theologieprofessoren“ hinaus definierte der Vorstand des Gnadauer Verbandes auf der Pfingstkonferenz 1966 seine Haltung zur B KAE: 1. Der Gnadauer Vorstand bekannte sich „rückhaltlos zu dem vollen biblischreformatorischen Evangelium und verwirft jedes ‚andere Evangelium‘“. 2. Der Gnadauer Vorstand bat die angeschlossenen Verbände, sich „in verantwortlicher Mitarbeit zu den Brüdern zu stellen, welche sich für das gleiche Anliegen einsetzen.“253 Noch deutlicher wurde der Präses des Gnadauer Verbandes Hermann Haarbeck in seinem „Bericht zur Lage“ auf der Hauptvorstandssitzung im Februar 1967. Unter der Überschrift „Die Bekenntnisbewegung ‚Kein anderes Evangelium‘ sucht den Angefochtenen zu helfen“, resümierte Haarbeck, aus der
Pfarrer Deitenbeck zur „Erklärung westfälischer Theologieprofessoren“. Maschinenschriftl., hektograph., 3 S. (AEKR Düsseldorf 1OB 017, Nr. 13–1-15: Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“, Bd. I). 251 Jung, Wilhelm: Beim Kreisfest des Kreisverbandes der Siegerländer Jungmännervereine – CVJM am 22. 5. 1966 im Vereinshaus Hammerhütte [. . .]. Maschinenschriftl., vervielf., 3 S. (AEKR Düsseldorf 1OB 017, Nr. 13–1-15: Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“, Bd. I). 252 GNADAUER VERBAND UND BEKENNTNISBEWEGUNG. 253 EBD. 250
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„Beunruhigung“ über die Umwandlung von Theologie in Philosophie und Anthropologie heraus sei die B KAE erwachsen, „zu der wir Gnadauer gehören.“ Der Gnadauer Verband habe sich „mit von Gott geschenkter geistlicher Einmütigkeit die Anliegen der Bekenntnisbewegung zu eigen gemacht.“254 Ganz ähnlich fiel die Solidaritätsbekundung mit den Anliegen der B KAE seitens der württembergischen Ludwig-Hofacker-Vereinigung aus: Man gedenke „herzlich auch der verantwortlichen Brüder von der Bekenntnisbewegung ‚Kein anderes Evangelium‘, mit deren Anliegen wir uns verbunden wissen“ und bedauere die Aussage der „Erklärung der westfälischen Theologieprofessoren“, da sich der „Pietismus im weitesten Sinn [. . .] von jeher um die Praktizierung des von Martin Luther wieder entdeckten ‚Priestertums aller Gläubigen‘“255 bemühe, hieß es auf der 10. Ludwig-Hofacker-Konferenz im Sommer 1966 in Anwesenheit des württembergischen Landesbischofs Eichele. Scharfe Kritik gegenüber den Theologischen Fakultäten äußerte Walter Lohrmann, Bundespfarrer des EC. Lohrmann warf den Fakultäten vor, sie stießen die jungen Theologiestudenten „durch ihre ‚Vernunfttheologie‘ vor den Kopf“, und bedauerte, dass es „keine Alternative zum Theologiestudium an den Universitäten“ gebe. Lohrmann richtete an alle jungen Männer, „die durch die ‚Existentialtheologie‘ am Studium gehindert würden“, den Aufruf, sich beim CVJM-Reichsverband zu melden.256 Der CVJM aber gab einen sehr differenzierenden und keineswegs als endgültige Erklärung zu betrachtenden „Brüderlichen Ratschlag für die Mitarbeiter im Reichsverband der CVJM Deutschlands in den Fragen der sogenannten ‚modernen Theologie‘“ heraus. Es gebe, so hieß es in dem „Brüderlichen Ratschlag“ unter anderem, „nicht nur eine Theologie der Professoren ‚über‘ Laien und nicht nur eine Theologie der Pfarrer ‚für‘ Laien, sondern auch eine Art Theologie ‚von‘ Laien: sie besteht darin, dass ein Christenmensch aus der Erfahrung seines beruflichen und privaten Alltags und aus seinem persönlichen Umgang mit der Schrift heraus, durch eigenes Nachdenken zum theologischen Gespräch der Kirche einen Beitrag leistet. Vor allem aber gibt es ein Zeugnis der Laien. Es ist so wichtig wie je, weil es gerade für junge Menschen etwas besonders ‚Überzeugendes‘ hat.“257 Dieses „Zeugnis der Laien“ gelte es zu stär-
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HAARBECK, Uns, Herr, 26. ZEHNTE-LUDWIG-HOFACKER-KONFERENZ. 256 KIRCHE HAT NUR. Auch nach 1945 hieß der CVJM-Gesamtverband in Deutschland noch „CVJM-Reichsverband“. 257 „Brüderlicher Ratschlag“ für die Mitarbeiter im Reichsverband der CVJM Deutschlands in den Fragen der sogenannten „Modernen Theologie“, 5. 9. 1966 und 17. 10. 1966. Anlage 2 des Rundbriefes der EKD – Kirchenkanzlei –, gez. Dr. Dr. [Gottfried] Niemeier, an die Herren Mit255
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ken, indem die Mitarbeiter dahingehend ausgebildet und unterstützt werden, sich über die strittigen Fragen genau zu informieren, sie zu durchdenken und einen eigenen Standpunkt dazu zu finden. Die DEA wiederum wurde auf der Siegener Allianzkonferenz vom 8. bis 11. September 1966 von ihrem Vorsitzenden und Mitbegründer der B KAE, Paul Deitenbeck, ausführlich über Aufgaben und Ziele der B KAE informiert. Friedhelm Jung spricht davon, dass „hier die Bekenntnisbewegung mit jenem ‚Geschwisterbund‘ von Christen in Verbindung trat, die später zur maßgeblichen Plattform der Evangelikalen in der Bundesrepublik Deutschland werden sollte.“258 1968 war Walter Künneth als Referent zur Ratstagung der Europäischen Evangelischen Allianz geladen und sprach über „Die Grundlagenkrisis der Theologie heute“.259 Allerdings stieß der Schulterschluss zwischen DEA und B KAE nicht bei allen Allianzmitgliedern auf Zustimmung, wie der bereits zitierte Brief der Düsseldorfer Allianzgruppe unter Federführung des Superintendenten Samuel Henrichs und des Predigers Walter Arnold an den Vorstand der DEA vom 22. September 1966 zeigte.260 Aber das Zusammenrücken von Evangelischer Allianz und B KAE war durch vereinzelte kritische Stimmen von der Basis nicht aufzuhalten. 6.1.7 Die Freikirchen und die Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“ Kurz sei an dieser Stelle auch auf die freikirchliche Haltung gegenüber dem evangelikalen Protest und der evangelikalen Bewegung eingegangen. Die Freikirchen stellten keine evangelikalen Trägergruppen dar, allerdings gab es auch in ihren Reihen evangelikale Repräsentanten. Die Positionen gegenüber der jungen evangelikalen Bewegung waren differenziert. Im Februar 1967 äußerten sich die Kirchenleitungen der Freien EvangelischLutherischen Kirchen in einem Hirtenwort zu dem „Streit um Bibel und Bekenntnis“.261 Darin machte man sich die Position der B KAE unmittelbar zu eigen, kritisierte die „gefährliche Verwirrung“ der evangelischen Christenheit
glieder des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Betr.: Schrift, Lehre und Verkündigung, vom 17. 11. 1966. Maschinenschriftl., vervielf., 7 S., hier 2 (EZA 2/991). 258 JUNG, Die deutsche Evangelikale Bewegung, 101. 259 WICHTIGER HINWEIS. 260 Der Brief von Henrichs und Arnold kommt in Kap. 3. 3. 1, S. 227f. zur Darstellung. 261 Hirtenwort der Kirchenleitungen Freier Evangelisch-Lutherischer Kirchen in Deutschland zum Streit um Bibel und Bekenntnis vom 9. Februar 1967. Drucksache, 4 S. (LAW, LBF 610).
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sowie die moderne Theologie und ihre Verfälschung des Evangeliums und der reformatorischen Bekenntnisse. Mit lebhafter Anteilnahme“ verfolge man den Kampf der B KAE und freue sich über die KS. Diese Haltung dürfte bereits 1967 keineswegs repräsentativ für die Freikirchen generell gewesen sein. Allerdings erfolgte erst neun Jahre später durch die Evangelisch-methodistische Kirche eine öffentliche Verlautbarung, die sich differenziert mit den Evangelikalen bzw. der B KAE auseinandersetzte. In der Drucksache „Unser Verhältnis zu den Evangelikalen. Abklärung des Standortes der EmK im Blick auf den evangelikalen Bereich“ werden Gemeinsamkeiten mit den Evangelikalen und Verständnis für die evangelikale Haltung aus methodistischer Perspektive, aber auch die Differenzen aufgezählt. Die „starre Festlegung einer Inspirationslehre“ und die „unterschiedslose Verwerfung“ der „modernen Theologie“ und der historisch-kritischen Methode finden deutliche Ablehnung.262 Ein Aspekt in der kritischen Haltung der Methodisten gegenüber den Evangelikalen war, dass der Konflikt der evangelikalen Bewegung mit der evangelischen Kirche als Kontroverse innerhalb der EKD wahrgenommen wurde, in den man sich nicht hineinziehen lassen wollte. So formulierte 1975 der methodistische Pastor Herbert Seeger im Hinblick auf den Vorwurf der B KAE, die Freikirchen hätten diese im Stich gelassen, es sei darauf zu verweisen, dass die Auseinandersetzung mit bekenntniswidrig lehrenden Pfarrern und Theologen „nicht von Außenstehenden mit übernommen werden“ könne, sondern von den „Gliedern dieser Kirche selbst geführt werden“ müsse.263 Das Echo auf das „Evangelikalenpapier“ der EmK vom Dezember 1976 fiel stark aus. So veröffentlichte die Ludwig-Hofacker-Vereinigung unter Federführung von Fritz Grünzweig und Rolf Scheffbuch die Drucksache „Warum helft ihr uns nicht?“, in der die als unangemessen wahrgenommenen Vorwürfe der EmK gegenüber der evangelikalen Bewegung hinsichtlich der „Fehlentwicklungen“ im evangelikalen Bereich, der evangelikalen Trennung von Mission und sozialer Verantwortung, dem „mangelnden Kirchenbewusstsein“, Pauschalverurteilungen und der evangelikalen Verdammung der Gruppendynamik kritisiert wurden. An erster Stelle aber fragte die Ludwig-Hofacker-Vereinigung die EmK an, wieso die EmK die Anliegen der Bekenntnisbewegung „nicht ohne weiteres“ zu ihren eigenen mache, da doch auch methodistische Familien betroffen seien „von einem schulischen Religionsunterricht, der ‚durch Spät-
262 Unser Verhältnis zu den Evangelikalen. Abklärung des Standortes der EmK im Blick auf den evangelikalen Bereich. (EmK heute; 23) Stuttgart 1976 (A.OKR.Ol, OKR Generalia 1958– 1988, Nr. 320–0, Bd. 01). 263 SEEGER, Freikirchen, 343.
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folgen der Bultmannschen Theologie und der ‘ bestimmt“ werde.264 Die Reaktionen auf das „Evangelikalenpapier“ veranlasste die Kirchenleitung der EmK zu einer Erläuterung, die im Januar 1978 erschien und in der neben der Darstellung der Auswirkungen des „Evangelikalenpapiers“ von Bischof Hermann Sticher die methodistische Position in Bezug auf den Umgang mit der Heiligen Schrift, die Verknüpfung von Christsein und Gemeindezugehörigkeit, den Zusammenhang von Evangelisation, Mission und sozialer Verantwortung, die Eschatologie sowie der Einheit der Gemeinde Jesu Christi dargelegt wurden. Auch hier finden sich neben Befürwortungen wieder kritische Worte zur evangelikalen Positionen.265 In seiner Studie über Theodor Christlieb resümiert Karl Heinz Voigt, seit etwa 1970 sei durch „verschiedene innerkirchliche Organisationen“ versucht worden, die DEA für ihre Zwecke zu „instrumentalisieren“.266 Der Umschwung der DEA zum „Sammelbecken der Evangelikalen“, der von Voigt zwar nicht als solcher benannt wird, aber in seinem Fazit zu der Entwicklung der DEA durchklingt, wird in freikirchlicher Perspektive auf das Engagement der landeskirchlichen Evangelikalen zurückgeführt. Vor diesem Hintergrund wurde zwar einerseits das eigene evangelikale Potential gesehen und benannt, andererseits aber die Brisanz des Problems auch an der Stelle verortet, an der sich der Konflikt abspielte: innerhalb der evangelischen Landeskirchen. Das Problem, das die evangelikale Bewegung aufwarf, traf somit in erster Linie die evangelischen Landeskirchen, zog allerdings seine weiteren Kreise ebenso heftig in den evangelischen Freikirchen. 6.2 Gründungen von evangelikalen Trägergruppen und Auseinandersetzungen mit den Landeskirchenleitungen 1966 bis 1970 Für den evangelikalen Protest 1966 waren nicht nur der Bekenntnistag in Dortmund oder die „Braunschweiger Thesen“ signifikant, sondern auch die durch den Bekenntnistag ausgelöste Welle von Arbeitskreis- und Gruppengründungen in der Zeit von 1966 bis 1970. Die Kreise und Verbände sammelten sich in den folgenden 15 Jahren mehr oder weniger um die Arbeit der Bekenntnisbe-
264
WARUM HELFT IHR UNS NICHT?, [1]. EMK-POSITIONEN. Für den Hinweis auf die Stellungnahme der Ludwig-Hofacker-Vereinigung und die „Erläuterungen“ der EmK sowie das Überlassen der Kopien der beiden Drucksachen danke ich herzlich Herrn Karl Heinz Voigt. 266 VOIGT, Theodor Christlieb, 247. 265
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wegung „Kein anderes Evangelium“ (B KAE), so dass auch von ihnen wieder als von evangelikalen Trägergruppen gesprochen werden kann. Sie spielen zum Teil bis heute eine wesentliche Rolle als Trägergruppen des Evangelikalismus in Deutschland.267 Auch bei diesen Vereinigungen gilt es zu beachten, dass sie neben der Zuarbeit für die evangelikale Bewegung eigene Zielsetzungen verfolgten und in ihren Frömmigkeitsstilen und –mentalitäten verschieden angelegt waren oder sind. 6.2.1 Regionalgruppen der Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“ Die meisten Neugründungen im Zuge des 1966er Protestes sind im Bereich der entstehenden Regionalgruppen der B KAE zu verzeichnen. Als ersten regionalen Arbeitskreis der B KAE konstituierte am 2. Mai 1966 Otto Rodenberg eine Landesgruppe in Kurhessen-Waldeck.268 Diese Arbeitsgruppe organisierte am 4. September 1966 in Kassel eine von etwa 3 000 Menschen besuchte „Bekenntnisversammlung“ unter dem Motto „Was ist Evangelium?“, auf der Rodenberg den Hauptvortrag hielt und wo von dem Reichswart des CVJM Walter Arnold, dem Bundeswart des westdeutschen CVJM Karl Sundermeier und von dem Leiter des EC Walter Lohrmann Kurzansprachen gehalten wurden.269 Im November 1966 und im März 1967 fanden jeweils „Theologische Wochen für die Gemeinde“ statt, die von der Landesgruppe organisiert wurden und auf denen Rodenberg jeden Abend vor 800 bis 1 200 Zuhörern Lehr- und Bekenntnisfragen anhand des Galaterbriefes erläuterte.270 Aus den Erfahrungen dieser beiden „Theologischen Wochen“ erwuchs im Frühjahr 1967 eine kritische Eingabe der kurhessisch-waldeckschen Regionalgruppe an die Bundesvereinigung der B KAE, in der eine Neuorientierung der Arbeit der B KAE gefordert wurde. Es gelte, sich der „theologischen ‚Aufforstungsarbeit‘“ zuzuwenden, für die die „nötigsten Ausbilder“ fehlten. Denn „nachdem die Mobilmachung der Truppen“ erfolgt sei, bedürfe es mehr als des Widerspruchs gegen die „herrschende Theologie“, sondern einer „besseren Theologie“. Es sei unrealistisch, wenn man annehme, man verfüge über eine solche. Die Lehrbildung müsse auf „breitester Grundlage vorangetrieben wer267 Zu den Gruppengründungen, die im Folgenden dargestellt werden vgl. auch die Selbstdarstellungen in WEG UND ZEUGNIS, Bd. 1, 24–93, die von unterschiedlicher Qualität und nur bedingt verwendbar für die historische Forschung sind. 268 KURHESSEN-WALDECK; Brief von Pfarrer Otto Rodenberg, an alle Dekane und Pfarrer der Evangelischen Landeskirche in Kassel Stadt und Land, nachrichtlich Herrn Bischof D. [Erich] Vellmer [. . .] vom 20. 6. 1966. Maschinenschriftl., vervielf., 2 S. (LkA EKvW Best. 0.1 Nr. 476). 269 WAS IST EVANGELIUM? 270 STRATMANN, Kein anderes Evangelium, 98.
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den [. . .] unter Zurückstellung auch wesentlicher öffentlicher Kontroversen“, hieß es in der Eingabe, und auch „in unserer Öffentlichkeitsarbeit [muss es] viel undramatischer und jedenfalls gründlicher zugehen“.271 Rodenberg wiederholte hier prinzipielle Monita, die er schon in den internen Auseinandersetzungen im Bethelkreis vorgebracht hatte. Am 17. Juni gründete sich in „Zustimmung zu den Zielen der Bekenntnisbewegung“ in Karlsruhe die badische „Arbeitsgemeinschaft für das biblische Evangelium“ unter Vorsitz des Mannheimer Industriepfarrers Walter Adler.272 Neben Adler gehörten Friedrich Hauß, Otto Riecker und der Vorsteher der Evangelischen Diakonieanstalt Karlsruhe-Rüppurr Hans Schäfer dem Vorstand an.273 Noch im selben Jahr fanden zwei Gespräche zwischen Vertretern des badischen Oberkirchenrates und der Arbeitsgemeinschaft statt, die 1974 wieder aufgenommen wurden.274 1979 und 1980 kam es zu weiteren Gesprächen, die Landesbischof Heidland auf Grund von falschen oder verzerrten Berichterstattungen der Arbeitsgemeinschaft, inzwischen umbenannt in „Evangelische Vereinigung für Bibel und Bekenntnis in Baden“, über die Kirche bzw. über Heidland in Lokalzeitungen bzw. dem eigenen Rundbrief, in die Wege leitete.275 Am 25. Juni 1981 lud Klaus Engelhardt, der neue badische Landesbischof, zu einem Gespräch in großer Runde ein, um die gegenseitigen Anliegen zu klären. 1984 regte der neue Vorsitzende der „Evangelischen Vereinigung“ Hans-Georg Meerwein, stellvertretender Vorsitzender des geschäftsführenden Ausschusses und seit 1987 Vorsitzender des Bundesarbeitskreises der B KAE, wiederum den Kontakt an, der von 1985 bis 1988 und 1990 durch Gespräche fortgesetzt wurde.276 Hans-Georg Meerwein löste Rudolf Bäumer als Vorsitzenden des Bundesarbeitskreises der B KAE ab, der dieses Amt seit 1967 innehatte. Die „Evangelische Vereinigung für Bibel und Bekenntnis in Baden“ organisierte die in regelmäßigen Abständen stattfindenden regionalen Bekenntnistage und setzte sich stark für die Übernahme von Absolventen evangelikaler Bibelschulen, speziell der FETA und aus Chrischona, in den landeskirchlichen Dienst ein. Ein „offener Brief“ der Vereinigung an die Landeskirchenleitung von 1987, in dem die „Hinkehr zu zentralen geistlichen Fragen“ in der Kirche 271
Zitiert nach STRATMANN, Kein anderes Evangelium, 98f. BADEN (JULI 1966). Zu Adlers Engagement als Industriepfarrer in Mannheim und dem Aufschwung des badischen Männerwerks unter seiner Leitung vgl. WENNEMUTH, Geschichte, 579. 273 BADEN (ANFANG AUGUST 1966); Bekenntnisbewegung auch in Baden. Anlage zu Brief von Walter Adler an die Redaktion des „Aufbruch“, z. Hd. Dr. Karl Stürmer vom 11. 7. 1966. Maschinenschriftl., vervielf., 3 S. (LKA KA GA 10983). 274 Diverse Dokumente in Akte LKA KA GA 10983. 275 Diverse Dokumente in Akte LKA KA GA 13624. 276 Diverse Dokumente in EBD. 272
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angemahnt und „Ärgernisse“ im Zusammenhang mit den Kirchentagen, den „letzten Vorgänge[n] um idea“ und um die äußere Mission dargelegt wurden,277 stellte einen Behandlungsgegenstand auf der Sitzung der Landessynode am 19. Oktober 1988 dar.278 Um 1980 gründete der Vorsitzende der Evangelischen Vereinigung, Pfarrer Gerhard Hager, den „Verein zur Förderung biblischen Glaubens und Lebens“, als dessen Vorstand neben Hager Hans Schäfer sowie Martin Kugele der Pfarrer im Amt für Volksmission und Gemeindeaufbau der badischen Landeskirche Reinhard Berggötz amtierte. Organ des „Vereins zur Förderung biblischen Glaubens und Handelns“ war das Monatsblatt „Hoffen und Handeln“. Die „Evangelische Vereinigung“ war mit diesem Verein zwar durch Hager und Schäfer – zu der Zeit Schatzmeister der „Evangelischen Vereinigung“ – verbunden, aber nicht identisch.279 Am 29. Juni 1966 wurde in Künzelsau, in scharfer Kritik des Künzelsauer „Arbeitskreises für Gegenwartsfragen“, unter Leitung des Pfarrers Walter Abele die „Bekenntnisbewegung: Kein anderes Evangelium – Raum Hohenlohe“ gegründet, die zwar auf ihrer Gründungsversammlung mit großer Vehemenz auftrat und auch über Max Fischer und Fritz Grünzweig Kontakte zu württembergischen pietistischen Kreisen hatte, aber letztlich in Württemberg keine größere Wirkung entfaltete.280 1999 wurde erneut ein Landesverband der Bekenntnisbewegung in Württemberg gegründet.281 Im Sommer 1966 rief der rheinische Arbeitskreis „Kein anderes Evangelium“, der sich seit dem 4. Mai als vorläufiger Arbeitskreis in unregelmäßigen Abständen getroffen hatte, Pfarrer, Diakone und Älteste auf, sich gegen theologische Irrlehren zu wenden, die nicht nur in Universitäten, sondern auch in der Verkündigung Einzug erhalten hätten. Man beklagte in diesem Aufruf, daß „wir alle“, einschließlich der Kirchenleitungen, zu lange angesichts dieser Situa277 „Offener Brief“ der Evangelischen Vereinigung um Bibel und Bekenntnis in Baden, gez. i. A. des Landesbruderrates der Vorsitzende Hans Georg Meerwein, an den Evangelischen Oberkirchenrat und die Landessynodalen der Evangelischen Landeskirche in Baden vom Oktober 1987. Maschinenschriftl., vervielf., 5 S. (LKA KA GA 13624). 278 Landessynode der Evangelischen Landeskirche in Baden. Sitzung am 19. Oktober 1988 [. . .]. Betreff: Antrag der synodalen Weiland, Dittes und Lauffer vom 22. 10. 1987 auf Behandlung des Offenen Briefes der Evangelischen Vereinigung für Bibel und Bekenntnis in Baden vom Oktober 1987 als Eingabe. Maschinenschriftl., vervielf., 18 S. (LKA KA GA 13624). 279 Brief der Evang. Vereinigung für Bibel und Bekenntnis in Baden, gez. Hans Georg Meerwein, an OKR Dr. Hansjörg Sick vom 19. 9. 1986. Maschinenschriftl., 1 S. (LKA KA GA 13624). 280 BEKENNTNISBEWEGUNG NUN AUCH IN HOHENLOHE; WÜRTTEMBERG; diverse Dokumente LKAS A 126, Nr. 741, 048–077. 281 NESTVOGEL, Informationen aus Kirche und Gesellschaft (April 1999), 26.
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tion geschwiegen hätten. Das Wächteramt der Gemeinde würde „darnieder lieg[en]“.282 Präses Beckmann wandte sich in einem Brief an den Arbeitskreis gegen diesen Aufruf, da hinter der Argumentation eine „ganz bestimmte Theologie“ stehe, die zwar seitens der evangelischen Kirche zu respektieren sei, die allerdings nicht für sich beanspruchen könne, allein schrift- und bekenntnisgemäß zu sein.283 Der Aufruf war von 86 Personen unterzeichnet, unter anderen auch von dem in Meiderich tätigen Pfarrer Heinrich Hörstgen, der über lange Jahre Leiter des rheinischen Arbeitskreises der B KAE war. Die Wirkung des rheinischen Arbeitskreises entfaltete sich offensichtlich nur in begrenztem Maße, denn Ende August mahnte Hermann Haarbeck Fritz Schindelin, den Leiter des rheinischen Volksmissionarischen Amtes, ihm wolle scheinen, „die Bekenntnissache müsse im Rheinland energischer betrieben werden“284 und Joachim Beckmann meinte gar in einem Interview in der „Rheinischen Post“ im November 1966, er könne „die für ihn befriedigende Bilanz ziehen“, die B KAE habe in seiner Landeskirche nicht Fuß gefasst.285 Dass Vertreter evangelikaler Trägergruppen direkte Werbung für ihre regionalen Arbeitskreise betrieben, geht aus einem Brief des Superintendenten des Kirchenkreises Elberfeld, Heinrich Höhler, an Heinrich Jochums hervor. Jochums hatte Höhler, der zu den Konservativen in der rheinischen Kirche zählte und sich schon in den 1950er Jahren gegen den kirchlichen Einsatz gegen die Wiederbewaffnung eingesetzt hatte,286 in einem Telefonat gebeten, der B KAE beizutreten. Höhler nahm dazu brieflich Stellung und lehnte „bei allem Verständnis für Schritte gegen eine Theologie, die letztlich das Evangelium preisgibt“ ab. Er vertrat die Ansicht, „daß wir alle Kräfte einsetzen müssen, um zusammen zu bleiben, Gefahren und Schwierigkeiten in Theologie und Lehre zu überwinden und so unserer Kirche in ihrer Gesamtheit zu dienen.“ 282 Aufruf. Rheinischer Arbeitskreis „Kein anderes Evangelium“ [Anfang August 1966]. Drucksache, 2 S. (AEKR Düsseldorf 1OB 017, Nr. 13–1-15: Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“, Bd. I). 283 Brief des Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland [Joachim Beckmann], 19004/13– 1–1, an den Rheinischen Arbeitskreis „Kein anderes Evangelium“, z. Hd. von Herrn Pfarrer [Heinrich] Hörstgen, vom 19. 8. 1966. Anlage 3 des Rundbriefes der Evangelischen Kirche in Deutschland – Kirchenkanzlei –, gez. [Gottfried] Niemeier –, an die an die Herren Mitglieder des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland Betr.: Schrift, Lehre und Verkündigung vom 22. 2. 1967. Maschinenschriftl., vervielf., 2 S. (EZA 2/992). 284 Briefdurchschlag [von Hermann Haarbeck] an Pastor Fritz Schindelin vom 29. 8. 1966. Maschinenschriftl., 1 S. (AEGGK, II: Dienste und Mitarbeit, 6. Betheler Kreis, Nr. 261: Geschichtliches Werden). 285 G.R., Schule. 286 KAMINSKY, Kirche, 79–85.
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Die evangelikale Bewegung im Konflikt mit den Landeskirchen
Man könne „letztlich die Verkündigung nur schwächen, wenn wir in dieser Zeit in Richtungskämpfe geraten“ und glaube, dass der „Punkt, an dem es buchstäblich zu Auseinandersetzungen kommen muß, noch nicht erreicht ist, wenigstens sind noch nicht alle Wege gegangen und alle Mittel ausgeschöpft, die uns zur Verfügung stehen.“287 Im November 1966 trat der Rheinische Gemeinschaftsbund dem rheinischen Arbeitskreis der B KAE bei, und die rheinische PGB erklärte ihre grundsätzliche Bereitschaft zur Zusammenarbeit.288 Auch von der „Evangelischen Gesellschaft“ erfuhr der rheinische Arbeitskreis Unterstützung, zu dessen Vorstand unter anderen auch Heinrich Jochums zählte.289 Im Herbst 1976 votierte 287 Brief des Superintendenten des Kirchenkreises Elberfeld [Heinrich Höhler] an Direktor Pastor [Heinrich] Jochums vom 29. 4. 1966. Maschinenschriftl., vervielf., 1 S. (AEKR Düsseldorf 1OB 017, Nr. 13–1-15: Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“, Bd. I). Wie ambivalent sich für Höhler die Situation darstellte, zeigt sich an folgender Episode: Höhler beschwerte sich im April 1966 als Vorstandsmitglied des Presseverbandes über Landespressepfarrer Günther Heidtmann, dem er vorwarf, er habe das Kirchenblatt „Kirche in der Zeit“ zu „einem Parteiblatt gemacht, zu einem Organ einer bestimmten Richtung“. Er selbst habe es „für nötig und richtig gehalten, in diesen schwierigen Zeiten Richtungskämpfe in der Kirche und insbesondere die Errichtung kirchlicher Parteien zu vermeiden“, denn, so Höhler weiter, „wir müssen, besonders die Kirchenleitungen, in dieser Zeit alle Kräfte mobilisieren, um die auseinanderstrebenden Menschen in unserer Kirche zusammen zu halten. Das ist auch der Grund, warum ich gegen alle meine Enttäuschungen im Vorstand des Presseverbandes geblieben bin.“ In dem Sinne frage er Heidtmann, warum z. B. Hans Werner Bartsch „an erster Stelle in Ihrer Liste der ständigen Mitarbeiter steht. Warum haben Sie bisher kein kritisches Wort gefunden zu dem ungeheuerlichen Osteraufsatz von Bartsch in der ‚Zeit‘?“ Und „warum müssen Sie über Künneth – ich bin noch nie ein Anhänger Künneths gewesen und werde mich dazu auch nicht entwickeln – in einer so päpstlichen Haltung schreiben?“ Oder ob er, Heidtmann, es „für geschickt“ halte, „daß Eberhard Hübner unter der Überschrift ‚im falschen Saal‘ in einer so unverständigen Weise über die Dortmunder Veranstaltung berichtet hat? [. . .] Noch einmal muß ich wohl sagen, daß die pietistischen Fundamentalisten nicht meine Freunde sind. Aber ebenso deutlich muß ich sagen daß diejenigen, die wie Bartsch und Braun nach meinem Verständnis das Evangelium auflösen in keiner Weise meine Freunde sein können. Ich denke zwischen diesen beiden Richtungen liegt die Wahrheit, die wir vertreten müssen.“ Höhler warf Heidtmann dann wiederholt die nach seiner Auffassung einseitige Ausrichtung von „Kirche in der Zeit“ vor und konstatierte, er könne dieses Blatt „nicht mehr als unsere Kirchenzeitung betrachten.“ Es gehe darum, so Höhler weiter, jede „ungeschickte Provokationen zu vermeiden. Das Aprilheft von ‚Kirche in der Zeit‘ bildet eine Provokation. Es wird die Kräfte ermuntern, die gegenwärtig dabei sind, die Bekenntnisbewegung auch im Rheinland zu etablieren. Ich betrachte es als meine Aufgabe, mit diesen Leuten zu reden und sie von ihrem Vorhaben abzubringen. Das ist aber in dem Augenblick sinnlos, wo die ‚offizielle Kirchenzeitung des Rheinlandes‘ sich so orientiert, wie Sie es tun.“ (Durchschlag des Briefes von H[einrich] Höhler an Landespressepfarrer Günther Heidtmann, Düsseldorf, vom 28. 4. 1966. Maschinenschriftl., 4 Bl. [AEKR Düsseldorf 1OB 017, Nr. 13–1-15: Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“, Bd. I]). 288 HÖRSTGEN, Bericht (Januar 1967), 9. 289 HÖRSTGEN, Bericht (März 1967), 8.
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der Arbeitskreis gegen geplante Modifikationen der Kirchenordnung von 1952 und richtete und eine Eingabe an die Kirchenleitung.290 Unter maßgeblicher Leitung von Sven Findeisen gründete sich im Oktober 1966 der „Kirchliche Arbeitskreis der Bekenntnisbewegung ‚Kein anderes Evangelium‘ Gal. 1,6 Schleswig-Holstein“,291 der am 18. Oktober 1966 an Kirchenleitung und Landessynode eine „Anfrage wegen der Abänderung der Lehrverpflichtung für die Ordination der Pastoren“ richtete.292 Am 26. Oktober 1966 schlossen sich in Niedersachsen auf einer Tagung in Dassel (Solling) mehrere zum Pietismus tendierende Bruderschaften (Ahldener Bruderschaft, Dasseler Bruderkreis, Evangelisch-Lutherischer Missionsdienst, Pfarrergebetsbruderschaft) zur „Bekenntnisbewegung ‚Kein anderes Evangelium‘, Sektion Niedersachsen“293 zusammen. Die Kontakte zur „Kirchlichen Sammlung“ waren eng, allerdings legte die Sektion der B KAE Wert auf ihre Eigenständigkeit. Ziele der Regionalgruppe waren: 1. Mitarbeit an der Erneuerung der Gemeinden, 2. Bildung einer theologischen Arbeitsgemeinschaft, die sowohl Gespräche mit Vertretern der modernen Theologie führen als auch sich um die Gewinnung und Förderung des theologischen Nachwuchses bemühen und zudem die Zurüstung von Mitarbeitern in den Gemeinden in Angriff nehmen solle, 3. Vorbereitung und Durchführung von Glaubenskonferenzen und „Bekenntnistagungen“ in Niedersachen, 4. Verhandlungen mit der Kirchentagsleitung.294 Vorsitzender dieser Regionalgruppe wurde der Göttinger Superintendent Ernst Achilles. 1967 kam es zu Problemen innerhalb der niedersächsischen Gruppe, die in deren Arbeitsweise begründet waren, da vor jeder Beschlussfassung die Vertreter der einzelnen, in der Sektion der B KAE zusammengeschlossenen Bruderschaften Rücksprache mit ihren Gruppen halten mussten.295
290 Zu den Veränderungsvorschlägen der KO 1952. Eingabe des Rhein. Arbeitskreises der Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“. Gedruckt, 4 S. (EZA 2/7315). Gegen die Vorschläge des Kirchenordnungsausschusses wandte sich 1977 auch Heinrich Höhler mit dem Papier „Vorschläge für Reformen in der ev. Kirche im Rheinland“ (Gedruckt, 2 S. [EZA 2/7315]), die vom rheinischen Arbeitskreis dezidiert befürwortet wurden. Ebenso engagierte sich die „Evangelische Sammlung im Rheinland“ gegen die Neuordnung (Zu den Veränderungsvorschlägen der KO 1952. Eingabe des Rhein. Arbeitskreises der Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“. Gedruckt, 4 S., hier 3 [EZA 2/7315]). 291 Kirchliche Arbeitskreis der Bekenntnisbewegung ‚Kein anderes Evangelium‘ Gal. 1,6 Schleswig-Holstein. Faltblatt, gedruckt, 4 S. (NEK-Archiv, 11.01 Nr. 560). 292 STRATMANN, Kein anderes Evangelium, 96. 293 ANSCHRIFTEN, 15. 294 BEKENNTNISBEWEGUNG IN NIEDERSACHSEN. 295 STRATMANN, Kein anderes Evangelium, 131f.
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Ebenfalls im Laufe des Jahres 1966 gründete sich die Landesgruppe Lippe der B KAE,296 die 1977 in den massiven Auseinandersetzungen um den Kirchentag mit einem salomonischen Lösungsvorschlag an die Öffentlichkeit trat: Pfarrer Eberhard Schendel, der Sprecher der Landesgruppe, inzwischen in „Arbeitsgemeinschaft für Bibel und Bekenntnis in Lippe“ umbenannt, forderte in einer Rede vor der lippischen Landessynode Rudolf Bäumer, Peter Beyerhaus und Heinz Zahrnt als Präsidiumsmitglied des Deutschen Evangelischen Kirchentages zum Rücktritt von ihren jeweiligen Ämtern in der Leitung der B KAE bzw. des DEKT auf, da ein solcher Schritt zur Versöhnung beitragen würde. Schendel regte eine stärkere Mitarbeit und Führungsrolle des Präses des Gnadauer Verbandes, Kurt Heimbucher, bei den bekennenden Gemeinschaften an.297 Am 5. Dezember 1969 konstituierte sich in Frankfurt am Main der Landesarbeitskreis Hessen und Nassau der B KAE, zu dessen Vorsitzenden Pfarrer Eberhard Kölling gewählt wurde.298 Im Oktober 1966 wurde auf Anregung der Pfarrer Günter Schwinn und Erich Hammel Bäumer zu einer Tagung der „Pfälzischen Pfarrerbruderschaft“ eingeladen und hielt dort einen Vortrag über die Preisgabe theologischer Grundelemente wie Jungfrauengeburt, Kreuzigung, Versöhnung, Auferstehung, Transzendenz und „Personenhaftigkeit Gottes“ in der Theologie. Bäumer, der hier als Bultmannkenner aus Studium und durch persönliche Bekanntschaft mit dem Marburger Professor eingeführt wurde, forderte die Errichtung kirchlicher theologischer Fakultäten und eigene Kirchentage.299 Eine Durchsicht der entsprechenden Akten ergibt den Befund, dass die Pfälzische Pfarrerbruderschaft, die aus der Bekennenden Kirche im Nationalsozialismus hervorgegangen war, bis zu diesem Zeitpunkt sich durchaus mit vielen differenzierten theologischen und kirchlichen Aspekten beschäftigt hatte, aber nicht mit der zerstörerischen Wirkung der „modernen Theologie“ generell.300 Bäumers Vortrag dürfte in diesem Kreis relativ überraschende Einsichten in den maroden Zustand von Theologie und Kirche geliefert haben. Trotzdem nahmen sich die Pfälzer des Themas an, speziell im Hinblick auf die Kirchentage, die als problematisch angesehen wurden. Ende 1966 oder Anfang 1967 trafen sich Vertreter der 296
ANSCHRIFTEN, 15. PROMINENTE THEOLOGEN. 298 HESSEN-NASSAU. 299 Rundbrief der Pfälzischen Pfarrerbruderschaft, gez. Karl Esselborn, vom Oktober 1966. Maschinenschriftl., hektograph., 2 S., hier 1 (ZASP Abt. 150.120 Nr. 7). 300 Vgl. die Akten ZASP Abt. 150.040 Nr. 8 und Abt. 150.145 Nr. 23. Diese Akten umfassen für den Zeitraum 1950 bis 1955 und 1959 bis 1965 die Tätigkeit und die Sitzungsthemen der Tagungen der Pfälzischen Pfarrerbruderschaft. 297
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Pfälzischen Pfarrerbruderschaft und der pfälzischen PGB, von deren Mitgliedern die meisten in beiden Organisationen tätig waren, in Speyer zu einem Gespräch mit Kirchenpräsident Theodor Schaller. Thema war insbesondere der Zuschnitt der Kirchentage, der als „unverbindlicher Sprechsaal“ charakterisiert wurde, an dem sich der der „Ausverkauf des bisherigen Glaubens ‚wegen Geschäftsaufgabe‘“ zeige.301 Trotz aller Sympathie für die B KAE sah die pfälzische PGB Anfang 1967 dringlichere Aufgaben als die „Abwehr“: die „positive Arbeit der Ferienseminare“ und der Konferenzen sowie der Schriftdienst in Form von Handreichungen und einschlägigen Broschüren.302 Spätestens im Februar 1968 strukturierte sich die PGB zu einem größeren „Offenen Kreis für biblisches Evangelium in der Pfalz“ um. Anfangs schien dieser Kreis auf reges Interesse zu stoßen.303 Die Pfälzische Pfarrerbruderschaft konstatierte allerdings im Herbst 1969 einen eklatanten Mitgliederschwund, die Überalterung ihres Kreises und die Tatsache, dass es nicht gelang, junge Pfarrer zur Mitarbeit zu gewinnen. Um die Tore für Nichttheologen zu öffnen, beschloss man, sich einen anderen Namen zu geben.304 In längeren Diskussionen entschlossen sich die Pfälzer für „Evangelische Vereinigung um Bibel und Bekenntnis in der Pfalz (Pfälzische Pfarrerbruderschaft)“. Die Umbenennung erfolgte im Sommer 1971. Die „Evangelische Vereinigung um Bibel und Bekenntnis in der Pfalz“, deren Kern ein aus Theologen und Laien zusammengesetzter Aktionskreis bildete, so der Informationsbrief der B KAE,305 bestand im Prinzip aus dem Pfälzischen Pfarrerbruderkreis und, durch die Doppelmitgliedschaften bedingt, aus der PGB in der Pfalz.306 Am 25. März 1973 veranstaltete die pfälzische „Evangelische Vereinigung“ in Hambach einen „Tag unter dem Wort“, auf dem Bäumer und Grünzweig als Redner auftraten.307
301 Rundbrief der Pfarrergebetsbruderschaft Pfalz, gez. E[rnst] H[einrich] Roos, vom 6. 3. 1967. Maschinenschriftl., hektograph., 1 S. (ZASP Abt. 150.120 Nr. 7). 302 Rundbrief der Pfarrer-Gebets-Bruderschaft Pfalz, gez. E[rnst] H[einrich] Roos, vom 29. 1. 1967. Maschinenschriftl., hektograph., 2 S., hier 1 (ZASP Abt. 150.145 Nr. 24). 303 Diverse Dokumente in ZASP Abt. 150.120 Nr. 7. 304 Rundbrief der Pfälzischen Pfarrerbruderschaft, gez. Karl Esselborn, Ernst Kohlmann, Hermann Lübbe, vom Oktober/November 1969. Maschinenschriftl., hektograph., 2 S., hier 1 (ZASP Abt. 150.120 Nr. 7). 305 BEKENNTNISGEMEINSCHAFT AUCH IN DER PFALZ. 306 Vgl. diverse Dokumente in Akte ZASP Abt. 150.145 Nr. 24. 307 PFALZ. Studienrat i. R. Karl Esselborn, Vorstandsmitglied der Evangelischen Vereinigung um Bibel und Bekenntnis in der Pfalz, kommentierte im Informationsbrief der pfälzischen Vereinigung im April 1972 die Veranstaltung in Hambach, an der 600 bis 700 Menschen teilnahmen. Nicht untypisch ist sein Umgang mit kritischen Stimmen: Proteste im Nachgang, die sich gegen die Formulierung auf der Einladung wandten, es gebe Gemeinden, „wo nicht mehr das biblische Evangelium zu hören wäre“, überging Esselborn mit der Bemerkung, es könne nur lieb sein,
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Spätestens seit 1972 existierte der „Arbeitskreis der Bekenntnisbewegung ‚Kein anderes Evangelium‘ in Nordelbien“, bei dem das Gründungsdatum nicht eruierbar ist bzw. die Frage offen bleiben muss, inwiefern er aus dem schleswig-holsteinischen Arbeitskreis hervorging. Der Arbeitskreis Nordelbien trat im September 1972 mit einem „Offenen Brief“ an die hamburgische, schleswig-holsteinische, lübecksche und Eutiner Landeskirchenleitung heran, in dem man vor Gottes strafendem Handeln warnte und die Kirchenleitungen aufforderte, „endlich zu reden“: es dürfe nicht jeder ordiniert werden, sondern die Kirche müsse sich den Irrlehrern, die sogar auf Kanzeln und in den Massenmedien auftreten, entgegen stellen.308 In den Proklamationen der Gründungsaufrufe bzw. der Vorstellung der Arbeitskreise bei den Landeskirchenleitungen divergierte die Haltung gegenüber der Theologie: von einer reinen Ablehnung bis zur Akzeptanz der historisch-kritischen Arbeit in gewissen Grenzen erstreckte sich das Spektrum. Auch die Positionen gegenüber den Kirchenleitungen unterschieden sich: während manche Arbeitskreise ihre Forderungen sehr direkt formulierten, versuchten andere in steter Absprache mit ihren Landeskirchen Projekte durchzuführen oder arbeiteten eher zurückgezogen. Des Weiteren waren die Grenzen der Gruppen untereinander ausgesprochen durchlässig: Es kam zu Neugründungen, deren Ursprünge und Aktivitäten teilweise kaum noch zu ermitteln sind, da sie durch keinen festen Termin markiert waren und sich oft stillschweigend wieder auflösten und in neuen Arbeitskreisen aufgingen. Für die meisten dieser Regionalgruppen ist spätestens seit der zweiten Hälfte der 1970er Jahre ein Rückgang von Mitgliedern und eine Reduktion der Akteure, meist auf zwei bis fünf Engagierte, zu verzeichnen, die es kaum noch schafften, in bedeutender Weise auf ihre Ziele in den Landeskirchen aufmerksam zu machen. Ein kontinuierliches Moment der meisten dieser Arbeitsgruppen stellte die Anbindung an den Bundesarbeitskreis der B KAE dar – so war z. B. bei den Gründungen der meisten Arbeitsgruppen Rudolf Bäumer anwesend – und vor allem die personelle Kontinuität: Die meisten der Akteure der Bewegung erschienen immer wieder an der Spitze von Gruppenneuformierungen. Sich auflösende Regionalgruppen gingen im Bundesarbeitskreis auf.
„wenn, wie auch immer, auf unsere Sache hingewiesen wird“ (Rundbrief der Evangelischen Vereinigung um Bibel u. Bekenntnis in der Pfalz [Pfälz. Pfarrerbruderschaft], gez. Karl Esselborn, Anfang April 1973. Maschinenschriftl., hektograph., 3 S., hier 2 [ZASP Abt. 150.145 Nr. 24]). 308 Offener Brief an unsere Kirche und die Christen. Arbeitskreis der Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“ Nordelbien, gez. G[ünter] Berthold, Dr. W. Twisselmann, R[einhard] Weber, vom September 1972. Gedruckt, 3 S. (NEK-Archiv, 11.02 Nr. 659); OFFENER BRIEF.
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Die Bundesvereinigung der Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“ Die bundesweite B KAE ging, wie bereits dargestellt, aus dem Bethelkreis hervor. Hartmut Stratmann setzt als Gründungsdatum der B KAE den 12. Januar 1966 an, den Tag, an dem sich der westfälische Zweig des Bethelkreises den Namen B KAE gab.309 Allerdings erscheint es inhaltlich zutreffender, die Gründung der B KAE für den 21. März 1966 zu veranschlagen, als der Bethelkreis sich in B KAE umbenannte. Der Arbeitskreis der B KAE umfasste im Frühjahr 1966 110 Mitglieder.310 Zu ihnen zählten unter anderen die Evangelisten Gerhard Bergmann, Wilhelm Busch und Heinrich Kemner, aus dem Vorstand des Gnadauer Verbandes Hans Brandenburg, Arno Haun und Hermann Haarbeck, der Vorsitzende der DEA Paul Deitenbeck, Kurt Heimbucher, der zukünftige Präses des Gnadauer Verbandes, Peter Hartig, der zukünftige Vorsitzende der Bundessammlung der KS, Rolf Brockhaus als Vertreter der Brüderbewegung, der badische Dekan Friedrich Hauß und der württembergische Leiter der Bahnauer Bruderschaft und Bibelschule Max Fischer, der Gründer der Bibelschule Adelshofen Otto Riecker, Heinrich Jochums, Leiter der „Evangelischen Gesellschaft“, Fritz Schindelin, Vorsitzender des rheinischen Volkmissionarischen Amtes und Hans Bruns, der 1947 als erster eine Eingabe gegen Bultmann bei der EKD eingereicht hatte. Dem Geschäftsführenden Ausschuss der B KAE gehörten an: Paul Tegtmeyer, der bis zu seinem Tod im Januar 1967 Vorsitzender der B KAE war, der Lüdenscheider Ingenieur Friedrich Alfringhaus, Rudolf Bäumer, Paul Deitenbeck, Sven Findeisen, Max Fischer und Bundesposaunenwart Richard Lörcher. Am 20. Juni 1966 beschloss der geschäftsführende Ausschuss die Herausgabe eines regelmäßig erscheinenden Informationsbriefes der B KAE,311 dessen erste Nummer Anfang Juli 1966 von Bäumer und Deitenbeck herausgegeben wurde. Nach dem Tod Paul Tegtmeyers wurde Rudolf Bäumer auf einer Sitzung der B KAE am 10. April 1967 zum Vorsitzenden der B KAE gewählt – ein Amt, das er 20 Jahre, bis 1987 innehatte. Als neue Mitglieder nahm man in den Geschäftsführenden Ausschuss Walter Künneth und Hans Rohrbach auf. Außerdem wurde auf dieser Sitzung eine „Ordnung“ der B KAE angenommen, die dem freien Netzwerk einen gewissen formalen Rahmen geben sollte, wobei ein „organisatorischer Zusammenschluss“ nicht angestrebt war. In der Ordnung war erstmalig von dem Bundesarbeitskreis der B KAE die Rede, der die „Verantwortung für die Gesamtausrichtung“ habe. 309
STRATMANN, Kein anderes Evangelium, 63. Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“. Arbeitskreis [Mitgliederliste]. Drucksache, 4 S. (AEGGK, II: Dienste und Mitarbeit, 6. Betheler Kreis, Nr. 261: Geschichtliches Werden). 311 STRATMANN, Kein anderes Evangelium, 103. 310
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Gegen den im Vorfeld verbreiteten Entwurf dieser Ordnung votierte die kurhessen-waldecksche Regionalgruppe unter der Leitung Rodenbergs. In der Eingabe Rodenbergs wurde darauf hingewiesen, dass in der „Ordnung“ den verschiedenen spezifischen landeskirchlichen Situationen, in denen sich die Regionalgruppen befanden, keine Rechnung getragen würde und Entscheidungen durch das Übergewicht der west- und nordwestdeutschen Mitglieder von vornherein nicht regional paritätisch ausfielen.312 Die „Ordnung“ wurde trotz dieser Bedenken am 10. April angenommen – die Landesgruppe Kurhessen-Waldeck lehnte sie am 17. April brieflich ab. Dieses Intervenieren der Regionalgruppe unter Rodenbergs Leitung sollte allerdings nicht das letzte bleiben: Anfang November 1967 schrieb Rodenberg noch einmal an den Bundesarbeitskreis, man müsse sich klar darüber werden, dass die B KAE den Anschluss an die gegenwärtige theologische Forschung zu verlieren beginne und weit hinter den Aussagen der theologischen Väter, auf die sie sich berufe (z. B. Luther, Bengel, Kähler, Schlatter, Schniewind, Heim) zurück bleibe. Neben der B KAE seien deren geistige Väter „Avantgardisten des Glaubens“ – ein Grund, weshalb sie die akademische Jugend gewinnen konnten, die B KAE dies aber nicht vermöge.313 Man habe innerhalb der B KAE kein Korrektiv für eigene Fehlentwicklungen und sehe die Schäden in den eigenen Reihen nicht. Stratmann konstatiert, auf Grund dieses Briefes von Rodenberg wurde auf einer internen Besprechung im Januar 1968 die Bildung eines „Theologischen Konventes“ der B KAE beschlossen.314 Bäumer wiederum führt die Anregung zur Gründung des Konventes auf Künneth zurück.315 Ursprünglich oblag die Bestellung des Konventes dem Bundesarbeitskreis der B KAE, aber nach der Gründung der KBG, dem Dachverband der „bekennenden Gemeinschaften“ im Hause der B KAE, wurde festgelegt, dass der theologische Konvent vom Leiterkreis der KBG berufen werden sollte. Den Vorsitz des Konventes hatte bis 1972 Walter Künneth inne. Nachdem Künneth aus gesundheitlichen Gründen zurückgetreten war, wurde Peter Beyerhaus im September 1972 zum neuen Präsidenten des „Theologischen Konventes der KBG“ gewählt. Gegen die von ihm so wahrgenommene „übers Knie gebrochene Wahl“ von Beyerhaus sprach sich der stellvertretende Vorsitzende des theologischen Konventes, der Professor für Historische Theologie in Marburg, Ernst Wilhelm Kohls, aus. Daraufhin
312
EBD., 102. Zitiert nach EBD., 136. 314 EBD., 137. 315 Brief der Konferenz bekennender Gemeinschaften in den evangelischen Kirchen Deutschlands an die Mitglieder des Leiterkreises vom 15. 9. 1972. Maschinenschriftl., hektograph., 3 S., hier 1 (NEK-Archiv, 15.18 Nr. 1). 313
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betrieb Bäumer aktiv die Absetzung Kohls’:316 In einem Brief an Bäumer vom 22. November monierte Kohls die Eingriffe des Leiterkreises der KBG, speziell des Vorsitzenden Bäumer und des Schriftführers Beyerhaus, in die Belange des Theologischen Konventes. Kohls warf Bäumer Ämterusurpation vor.317 Einen Tag später, am 23. November, wurde Kohls auf der Sitzung des Leiterkreises der KBG in Abwesenheit als stellvertretender Präsident des Theologischen Konventes abgewählt. Beyerhaus, der 1978 Vorsitzender der „Internationalen Konferenz Bekennender Gemeinschaften“ wurde, gründete 1997 das Institut „Diakrisis“, dessen Träger der Theologische Konvent der B KAE ist. Am 4. Mai 1977 wurde der Jugendarbeitskreis der B KAE in Dortmund gegründet, der organisatorisch selbständig agierte, der B KAE aber nahe stand. Zu den Gründungsmitgliedern zählten der Journalist und Fernsehmoderator Peter Hahne, die Lüdenscheider Pastorin Bärbel Wilde und Pfarrer Wilfried Reuter, seit 1967 Mitarbeiter Gerhard Bergmanns bei der Deutschen Zeltmission.318 Alle drei sollten in den nächsten Jahrzehnten in der evangelikalen Bewegung wesentliche Rollen spielen. Am 7. Oktober 1970 kam es zur Gründung der KBG, auf die im Folgenden noch ausführlich eingegangen wird. Am Buß- und Bettag 1967 veranstaltete die B KAE in Düsseldorf eine Großveranstaltung mit 8 000 Besuchern, auf der Walter Künneth das Hauptreferat über die „Rückkehr zur Reformation – ein theologisches Wort zur Lehre und Irrlehre heute“ hielt und Rudolf Bäumer im Anschluss die „Düsseldorfer Erklärung“, das von Künneth eingeführte „Wort zu Lehre und Irrlehre heute“, verlas. Die „Düsseldorfer Erklärung“ stelle, so Bäumer, „weder Ersatz noch Ergänzung zu den Bekenntnis-Schriften unserer Kirche“319 dar, wohl aber eine „Grundsatzerklärung“320. Dessen ungeachtet wurde in der Zeitschrift „Licht und Leben“ proklamiert, die „Düsseldorfer Erklärung“ halte man „für bedeutsamer als die seinerzeitige ‚Barmer Erklärung‘.“321 316
Brief der Konferenz bekennender Gemeinschaften in den evangelischen Kirchen Deutschlands, Rudolf Bäumer, an den Leiterkreis vom 27. 12. 1972. Maschinenschriftl., vervielf., 6 S.; Brief der Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“, gez. R[udolf] Bäumer, an Landessuperintendent Prof. Dr. Joachim Heubach vom 28. 3. 1972. Maschinenschriftl., 3 S. (NEK-Archiv, 15.18 Nr. 1). 317 Abschrift des Briefes von Professor E[rnst] W[ilhelm] Kohls [an Rudolf Bäumer] vom 22. 11. 1972. Maschinenscriftl., hektograph., 4 S. (NEK-Archiv, 15.18 Nr. 1). 318 JUGENDARBEITSKREIS. 319 ANSPRACHE, 2. Vgl. auch: [Einleitung zu der] Düsseldorfer Erklärung (WEG UND ZEUGNIS, Bd. 1, 167). 320 So im Informationsbrief der B KAE (BEKENNTNISBEWEGUNG GAB GRUNDSATZERKLÄRUNG BEKANNT, 1). 321 Zitiert nach STRATMANN, Kein anderes Evangelium, 136; HERMLE, Die Evangelikalen, 338.
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In den Düsseldorfer Thesen wurde in sieben Punkten in der Form „Wir bekennen“ bzw. „Es muss die falsche Lehre verworfen werden“ Stellung bezogen gegen eine wissenschaftliche Theologie, die ohne die „Gnade des Heiligen Geistes“ Gottes Wort sachgemäß verstehen wolle,322 gegen die Vorstellung, Jesus sei bloß Mensch und „der wirkliche Opfertod Jesu Christi zur Versöhnung der Welt [sei] nicht notwendig“ gewesen, gegen ein mythisches Verständnis der Auferstehung, gegen das „Recht“, die Gebote Gottes nach zeitgenössischen Anforderungen zu verändern sowie gegen ein Verständnis des „kirchlichen Auftrages“, das die Gemeinden „zum Experimentierfeld für einander widersprechende theologische Meinungen“ mache und die Berufung von Predigern durch die Kirchenleitungen, die sich das Evangelium auf der Basis der Bekenntnisse nicht aneigneten und nur unter Vorbehalten über das Glaubensbekenntnis in ihren Gemeinden sprechen würden.323 Obwohl die „Düsseldorfer Erklärung“ in hoher Auflagenzahl gedruckt und an alle kirchenleitenden Gremien verschickt wurde, fielen die kirchlichen Reaktionen darauf nahezu spartanisch aus und standen in keinem Vergleich zu den Verlautbarungen nach dem Dortmunder Bekenntnistag. Joachim Beckmann kritisierte in einem Interview die Thesen.324 Johannes Tibbe, Präses des Bundes Evangelisch-Reformierter Kirchen Deutschlands, der vom Schriftleiter einer nicht genannten Zeitschrift um eine Stellungnahme zu der Erklärung gebeten worden war, sah sich dadurch „in einige Verlegenheit gebracht“, denn die „Sätze mit den positiven Bekenntnisaussagen sind so richtig, daß ich versucht bin, zu fragen, warum sie eigentlich ausgesprochen sind“ und in den Verwerfungen werde das als „‚,Lehre‘ deklariert, was gar nicht Lehre ist“. „Angesichts der gegenwärtigen theologischen Situation“, so Tibbe resümierend, sei „ein klärendes Wort dringend notwendig [. . .]. Die ‚Düsseldorfer Erklärung‘ ist aber nicht dieses klärende Wort.“325
322
Es ist gewissermaßen bezeichnend, dass Rudolf Bäumer selbst bezüglich einer positiven Verhältnisbestimmung zwischen Heiligem Geist und Schriftauslegung ratlos war. So schrieb er im Januar 1967 an Wilm, ihn bewege schon „seit langem die Frage, wie denn nun die allein durch Gottes Geist mögliche Schriftauslegung (wie wir sie als einzig mögliche ansehen) und die von uns auch nicht abgelehnte wissenschaftliche Arbeit im notwendigen Miteinander zu praktizieren sind.“ (Brief der Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“, gez. R[udolf] Bäumer, an Präses D. [Ernst] Wilm vom 5. 1. 1967. Maschinenschriftl., 1 S. [LkA EKvW Best. 0.1 Nr. 457]). 323 Die Düsseldorfer Erklärung (WEG UND ZEUGNIS, Bd. 1, 168–170). 324 Schaedel, Karl: Anlaß zum Gespräch. Zur „Düsseldorfer Erklärung“ der Bekenntnisbewegung, in: epd (Ausgabe für kirchliche Presse) Nr. 48 vom 30. 11. 1967, 6a. Maschinenschriftl., vervielf., 1 S. (EZA 650/316); KRITIK AN DEN „VERWERFUNGEN“. 325 Tibbe, Johannes: Anmerkungen zur „Düsseldorfer Erklärung“. Anlage 2 des Rundbriefes der Evangelischen Kirche in Deutschland – Kirchenkanzlei –, gez. [Gottfried] Niemeier, an die
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Es war nicht zu übersehen, dass es hinsichtlich der Beschäftigung mit den Protestnoten der B KAE einen gewissen Ermüdungseffekt in den kirchenleitenden Gremien gab – davon abgesehen, dass man sich auf regionaler Ebene durchaus mit den verschiedenen Bekenntnis- und KS-Gruppen auseinandersetzte. Die Wirkung des 1966er Protestes begann sich insofern niederzuschlagen, als dass durch die Gesprächs- und Diskussionsangebote seitens der Landeskirchen die Wucht des Protestes kanalisiert worden war, und zu den sich wiederholenden Vorwürfen und Kritiken gab es inzwischen derartig viele Stellungnahmen, dass sich eine weitere Positionierung erübrigte. So kam es zu nahezu keiner Reaktion auf den ebenfalls in hoher Auflagenzahl gedruckten, an die Kirchenleitungen verschickten und als ganzseitige Aufmachung in verschiedenen Kirchenzeitungen, z. B. „Christ und Welt“,326 erschienenen „Aufruf der Bekenntnisbewegung ‚Kein anderes Evangelium‘ zur Passions- und Osterzeit 1970“327. In diesem Aufruf, einem „Wort der Besinnung an die Öffentlichkeit“, der vom Geschäftsführenden Ausschuss der B KAE unterzeichnet war, wurde auf die gegenwärtige gesellschaftliche Situation eingegangen: die ins Wanken gekommene Gesellschaft, deren sittliche Ordnungen und Autoritäten verächtlich gemacht würden und die sich einer „Flut der Auflösung und Nivellierung“ ausgesetzt sehe. Ursache dieses gesellschaftlichen Niederganges sei die „verhängnisvolle[. . .] theologische[. . .] Aussaat, die seit Jahrzehnten betrieben wurde“. Die Kirche wiederum sei von „Kräften der innersten Entartung bedroht und unterwandert“, d. h. von Modernismus, Zeitgeist, Pluralismus, Humanismus. Pfarrer hätten „kein inneres Verhältnis mehr zur Bibel als dem ‚Wort Gottes‘“ – die Bibel sei für sie „‚Gesprächspartner unter vielen‘“. Deshalb nehme die B KAE die „Losung des ersten Kirchenkampfes der Dreißiger Jahre auf [. . .]: ‚Kirche muß Kirche bleiben!‘“. Es gelte, sich zu Widerstandszentren zusammenzuschließen und eine Front gegen „die Entstellung der christlichen Botschaft und der christlichen Lebensformen zu bilden“. Man wende sich aber auch an die Kirchenleitungen mit der dringenden Bitte, „dem Abgleiten von der Bindung an Schrift und Bekenntnis zu widerstehen“. Es liegt in der Dynamik einer „neuen sozialen Bewegung“, dass Proteste verstärkt bzw. in eine etwas andere Richtungen gelenkt werden müssen, um den Skandalisierungseffekt aufrecht zu erhalten. Im Falle der evangelikalen Bewegung geschah das dadurch, dass die Kirche immer stärker mit der kritischen
Leitungen der Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland Betr.: Schrift, Lehre und Verkündigung, vom 21. 3. 1968. Maschinenschriftl., 3 S. (EZA 2/994). 326 AUFRUF. 327 Aufruf der Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“ zur Passions- und Osterzeit 1970. Gedruckt, 4 S. (EZA 2/5506).
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Haltung der B KAE zum DEKT konfrontiert wurde, aber auch durch verschärfte öffentliche Kritik an der Kirche, die von der Presse ausführlich und gern aufgenommen wurde. Dadurch erzielte die evangelikale Bewegung die öffentliche Aufmerksamkeit, von der wiederum die Existenz der evangelikalen Bewegung abhing, da dadurch immer wieder die „Resonanzgruppe“ angeregt und die kollektive Identität beschworen wurde. Als am 20. Oktober 1968 in Essen in der Gruga-Halle die seit 1966 am besten besuchte Großveranstaltungen der B KAE stattfand, hob Bäumer in seiner Rede vor den etwa 10 000 Versammelten hervor, man bete dafür, dass es nicht zu einem „kollektiven Kirchenaustritt“ komme.328 Es würden sich viele Anhänger der B KAE überlegen, ob sie noch Mitglieder der Kirche bleiben könnten, da hier eine „echte Botschaft nicht mehr zu finden“ sei, der „Bibelglaube als antiquiert bezeichnet“ werde, die Kirchenführung „falsche Lehren“ gestatte und durch die Ökumene der Glaube nivelliert werde. Er halte es persönlich für nicht ausgeschlossen, so Bäumer weiter, dass „wir durch unser Gewissen und unsern Herrn eines Tages gedrängt werden, die Kirche zu verlassen.“ Allerdings sei ein Kirchenaustritt nur als äußerste Konsequenz in Betracht zu ziehen. Die Gläubigen sollten zwischen Kirche und Kirchenleitung unterscheiden und sich von den „falschen Lehren“ und den „Fehlentscheidungen“ der kirchenleitenden Stellen distanzieren.329 Ähnlich kritisch formulierte Georg Huntemann, der Vorsitzende der Bremer KS und spätere Professor für Ethik und Konfrontationstheologie an der FETA in Basel, in seinem Referat in der Gruga-Halle, die wahre Kirche sei nur diejenige, die „das Amt“ „rein“ verwalte – wer das nicht tue, „baut auf der Synagoge Satans“. Ein Kirchenaustritt komme für ihn nicht in Frage, „denn wir sind die Kirche Jesu Christi, die anderen treten aus.“330 Mit Bäumers Rede vom eventuell stattfindenden „kollektiven Kirchenaustritt“ der evangelikalen Trägergruppen sowie dem Hinweis auf die Differenz zwischen Kirchenbasis und Kirchenleitung erreichte die Auseinandersetzung eine neue Ebene. Seitens der evangelikalen Bewegung hatte der kirchliche Einheitsgedanke gegenüber der Wahrnehmung des Einfalls theologischer Irrlehren 328
Zu der Großkundgebung am 20. Oktober 1968 vgl. auch: Der Glaube kann nicht schweigen. Vorträge auf der Großkundgebung „Kein anderes Evangelium“ (Gal. 1,6) am 20. Oktober 1968 in der Grugahalle zu Essen (nach den Manuskripten der Referenten gedruckt). Beilage zum Informationsbrief Nr. 17 der Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“. November 1968. Drucksache, 19 S. (EZA 2/994). 329 BEKENNTNISBEWEGUNG: WIR SIND KEINE SEKTE; [Rede von] Pfarrer Rudolf Bäumer [auf der Großkundgebung der B KAE in Essen am 20. Oktober 1968]. Maschinenschriftl., vervielf., 3 S. (LkA EKvW Best. 3.2 Nr. 18). 330 DIE ANDEREN TRETEN AUS.
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in die Kirche stets eine untergeordnete Rolle gespielt. So wurde letztlich auch übersehen, dass die eigene Bewegung zur scharf kritisierten Pluralisierung innerhalb der Kirche unmittelbar beitrug. Allerdings wurde nun – und dieses Argument gewann in den 1980er Jahren im Zuge des Diskussion um die evangelikalen „Parallelstrukturen“ noch viel mehr an Gewicht – die Pluralisierung für die Legitimation der eigenen Existenz und des eigenen Handelns herangezogen. Darüber hinaus wirkte die Aussage, man denke über einen „kollektiven Kirchenaustritt“ nach, natürlich als offene Drohung – es ist fraglich, ob sie in jedem Falle als solche gemeint war.331 Allerdings sollte in den nächsten Jahrzehnten immer im Zusammenhang mit kleineren Protesten im Kontext spezifischer thematischer Brennpunkte eine drohende Trennung von der evangelischen Kirche seitens der evangelikalen Bewegung bzw. von einzelnen Trägergruppen in Anschlag gebracht werden. Festzuhalten ist an dieser Stelle, dass um 1968 der Umschlag hin zur offenen Kirchenkritik stattfand, wobei die Verurteilung der Theologie in den 1950er und 1960er Jahren den Ausgangspunkt für die Kritik der Kirchen darstellte. Die Kirchenkritik begann in der Folge eine von der Theologiekritik unabhängige innere Dynamik in den Diskussionen zu entwickeln, wie z. B. die Debatten um den DEKT zeigen. Allerdings spielte auch ein über die Theologiekritik hinausgehender Aspekt in den evangelikalen Argumentationsmustern eine Rolle: die nahtlose Projektion eines Kirchenkampfes im Dritten Reich bewirkte, wie im Folgenden deutlich wird, dass nicht nur die „modernen Theologen“, sondern auch die Kirchenleitungen mit der DC-Kirche verglichen wurden. Auf die Verlautbarungen Bäumers in Essen reagierte am empfindlichsten getroffen Ernst Wilm, der mit Bäumers Aussage, man müsse Kirche und Kirchenleitungen getrennt betrachten, einen schweren Schaden angerichtet sah.332 Allerdings wurde Bäumers Kirchenkritik noch übertroffen von der Verteidigung der Bäumerschen Ausführungen durch Otto Pietsch, Pfarrer im westfälischen Hüllhorst und Mitglied des Arbeitskreises der Bundesversammlung der B KAE, der Wilms empörte Stellungnahme gegen Bäumer kommentierte: „Warum können wir eigentlich nicht zwischen Kirche und Kirchenleitung unterscheiden? – Sehr 331
Fritz Grünzweig, langjähriger Vorsitzender der Ludwig-Hofacker-Vereinigung in Württemberg und 1971 Mitglied des „Theologischen Konventes“ der KBG, betonte z. B. in einem Grundlagenpapier für ein Gespräch zwischen Landeskirchenleitung und „Pietismus“ 1971 einleitend: „Wenn irgend möglich wollen wir uns nicht von der Kirche trennen. Wir bitten es, wenn wir einige Fragen der Kirche gegenüber vorbringen, nicht gleich als eine Drohung mit der Separation zu verstehen.“ (Einige Punkte für das Gespräch zwischen Kirchenleitung und Pietismus auf dem Taifelberg am 4./5. März 1971, streng vertraulich. Maschinenschriftl., hektograph., 5. S., hier 1 [LKAS K 2, Nr. 25]). 332 Zum Verhältnis von Bäumer und Wilm vgl. ausführlich Kap. 6. 1. 2, S. 466–475.
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geehrter Herr Präses, das genau haben wir doch von Ihnen im Kirchenkampf gelernt. Haben Sie [. . .] nicht ganz klar unterschieden zwischen Kirche Jesu Christi und dem DC-Kirchenregiment? – Und heute soll Kirche gleich Kirchenleitung und Kirchenleitung gleich Kirche sein? – Warum heute und nicht auch damals?“333 Hier zeigt sich einmal mehr die geistige Verhaftung von Vertretern der B KAE in der kirchlichen Situation vor 1945, die nahtlos auf die Gegenwart projiziert wurde. Eine gewisse Rolle dürfte dabei auch gespielt haben, dass die Zeit des Kirchenkampfes keineswegs nur als Bedrängung erlebt worden war: So bezeichnete Rudolf Bäumer in dem schon erwähnten Interview mit Roger J. Busch „die Zeit des Kirchenkampfes in der Bekennenden Kirche als die ‚Hoch-Zeit‘ seines Lebens. Es war eine Zeit des Beobachtet-werdens, der geistigen, aber auch geistlichen Anspannung, eine Zeit der Aktionen im Untergrund. All diese Aktionen jedoch standen unter dem Vorzeichen, legitime und legale Kirche zu verwirklichen.“334 Diese Hoch-Zeit wurde durch die evangelikale Bewegung wieder vitalisiert – allerdings bedurfte es dazu der Konstruktion der Gegenwart in den Kategorien der Zeit von 1933 bis 1945. Das sukzessive Schwinden der Konstruktion eines „gegenwärtigen Kirchenkampfes“ in den 1980er Jahren innerhalb der evangelikalen Bewegung spricht dafür, dass zu diesem Zeitpunkt ein Generationenwechsel innerhalb der Bewegung stattfand, deren neue Träger den Kirchenkampf im Dritten Reich nicht miterlebt hatten und die daher diese Projektion nicht weiter bedienten. 6.2.2 Kommunikationselemente in den Debatten zwischen evangelikaler Bewegung und Kirchenleitungen Von kirchenleitender Stelle wurde der Terminus des „zweiten Kirchenkampfes“ bis auf ganz vereinzelte Ausnahmen nicht aufgenommen. Zu diesen Ausnahmen gehörte das von evangelikalen Vertretern häufig zitierte Votum des Vorsitzenden des Rates der EKD und Landesbischofs der Bayerischen Kirche, Hermann Dietzfelbinger auf der dritten Tagung der vierten EKD-Synode im Februar 1971. In seinem Bericht vor der Synode, in dem er nach Abhandlung des ersten Punktes, nämlich den Entwicklungen in der Ökumene hinsichtlich des Antirassismusprogrammes, im zweiten Abschnitt sehr kritisch auf die gegenwärtige Situation in der theologischen Arbeit zu sprechen kam und unter anderem die enthusiastische „Selbstvernichtung der Theologie“ und den aktuellen Kampf zwischen Glauben und Unglauben erörterte, äußerte Dietzfelbinger auch: 333 Brief von Otto Pietsch, Pfarrer, an Präses D. [Ernst] Wilm vom 15. 11. 1968. Maschinenschriftl., 2 S., hier 1 (LkA EKvW Best. 3.2 Nr. 18). 334 BUSCH, Einzug, 368f.
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„Natürlich: kritische Theologie, kritische Kirche, kritisch reden von Gott, kritisch glauben – aber auf einmal kann es dahin umschlagen, daß wir selber einen Richterstuhl einnehmen, der uns nicht gebührt. Wundern wir uns nicht, wenn sich dann das Gericht gegen uns wendet! Dann reduziert sich die Lehre von der Kirche auf Kirchenkritik, die Rechtfertigungsbotschaft, in der wir scheinbar einig sind, auf ein Sichselbst-annehmen oder auf Freiheit von der Moral, die Religion auf Religionsunterricht, der Religionsunterricht auf die Forderung seiner Abschaffung. [. . .] Ich muß noch offener reden und greife über das Theologische hinaus. Haben diejenigen ganz unrecht, die von einer Epoche geistlicher Verwirrung und Verzweiflung reden, in deren Anfang wir uns befinden? Anders gesagt: wenn nicht alles täuscht, so stehen wir heute in einem Glaubenskampf, einem Kirchenkampf, gegenüber dem der Kirchenkampf des Dritten Reiches ein Vorhutgefecht war. Das Unheimliche dabei ist, daß dieser heutige Kampf vielfach kaum erkannt, zu allermeist verharmlost wird und unter Tarnworten wie Pluralismus voranschreitet.“335
Bemerkenswerterweise fehlt diese Passage in allen gedruckten Varianten des Synodenberichtes, wie z. B. im „Kirchlichen Jahrbuch“ von 1971.336 Die kommunikative Haltung der Kirchenleitungen gegenüber der evangelikalen Bewegung blieb bis zum Ende des hier zu bearbeitenden Zeitrahmens ähnlich: Man versuchte, in Diskussionen moderate Töne anzuschlagen und die Sachebene beizubehalten, räumte eigene Versäumnisse problemlos (und ohne Änderungsabsichten) ein, bot Gespräche an. Auf der kommunikativen Ebene zeichnete sich im Laufe der Zeit ein typisches Muster ab: man ließ verlauten, dass a) die Kritik der evangelikalen Bewegung ernst genommen würde, b) man räumte dieser Kritik Berechtigung ein c) es wurde auf die dagegen sprechenden Fakten verwiesen, d) die Einheit der Kirche trotz aller pluralen Erscheinungen wurde hervorgehoben. Nur wenig emotionale Kritik an der evangelikalen Bewegung ist zu konstatieren. Einer der herausragenden Fälle war der Eklat, den der Pressesprecher der Kirchenkanzlei der EKD, OKR Claus-Jürgen Roepke, 1976 auslöste. Roepke äußerte sich in einem epd-Interview in Reaktion auf einen Aufsatz von Rudolf Bäumer zum Thema „10 Jahre Bekenntnisbewegung“, in dem dieser über den „theologischen Wächterdienst“ der B KAE schrieb, die „allen Bischöfen und Synoden, den Pfarrern und den Gemeinderäten, ihre Schuld vorzuhalten [habe], sobald sie neben der bibeltreuen Predigt eine von Rationalismus, Schwarmgeist oder Marxismus verdorbene Verkündigung dul-
335 Aus dem Bericht des Vorsitzenden des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Landesbischof D. Hermann Dietzfelbinger – München, bei der 3. Tagung der vierten Synode der EKD in Berlin-Spandau, am 19. Februar 1971. Maschinenschriftl., vervielf., 4 S., hier 3 (NEKArchiv, 15.18 Nr. 20). 336 Für diesen Hinweis danke ich herzlich Herrn Christian Widmann.
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den“.337 Roepke wiederum hob in seinem Interview hervor, dass die „seit Jahren bekannten Pauschalvorwürfe einzelner protestantischer Pharisäer“ eine „Karikatur unserer Kirche“ zeichneten. „Sie gewinnen auch durch ständige Wiederholung nicht an Überzeugungskraft. Wir sind demgegenüber dankbar, daß die überwiegende Mehrheit der bekennenden Gemeinschaften in der EKD die Freude am Bekenntnis mit der Treue zur Kirche, der Bereitschaft zur Wahrhaftigkeit und mit der Solidarität gegenüber den Suchenden verbindet.“338 Der Protest von Vertretern der evangelikalen Bewegung war immens: „idea“ brachte am 23. Februar eine Presseerklärung der B KAE, in der es hieß, die B KAE stehe zu ihrem langjährigen Vorsitzenden, danke ihm für seinen Einsatz und stimme mit seinen Aussagen völlig überein. Deshalb bedauere man die „Stellungnahme des Pressesprechers der Kirchenkanzlei der EKD, Oberkirchenrat Claus-Jürgen Roepke, die wir als beleidigend, verleumderisch und irreführend auf das Schärfste zurückweisen.“339 In einem Brief an den Präsidenten der Kirchenkanzlei, Walter Hammer, schrieb Sven Findeisen, Roepke fege „pauschal vom Tisch, was uns immer wieder im Gespräch zusammengeführt hat und bezeichnet als ungerechtfertigt, was allgemein bekannt und hundertfach belegt ist.“340 Man werde sich in der KBG weiter mit dem Fall befassen, so Findeisen, da er „den Nerv unseres Kampfes in der Kirche und für die Kirche“ treffe. Findeisen forderte Hammer auf, er solle eine offizielle Erklärung der EKD vorbereiten. In Württemberg brachte der EKD-Synodale und 2. Vorsitzende der LudwigHofacker-Vereinigung, Rechtsanwalt Otto Seitter, den Fall Roepke in die Sitzung der Landessynode ein, um zu verdeutlichen, „welche Zumutung eine Verstärkung der EKD-Kompetenzen für viele pietistisch gesonnene Gemeindeglieder ist.“341 Roepke schien von den Reaktionen überrascht und fragte etwas hilflos bei Hammer an: „Der Bekenntnisbewegung ist offenbar an einer Eskalierung gelegen. Wie ist da am besten zu reagieren?“342 Es war Helmut Claß, der Ratsvorsitzende und württembergische Landesbischof, der sich vor Roepke stellte und in 337
BÄUMER, 10 Jahre, 4. PRESSESPRECHER DER EKD. 339 FINDEISEN, Stellungnahme. 340 Brief von Pastor Sven Findeisen an den Präsidenten der Kirchenkanzlei der EKD W[alter] Hammer vom 15. 3. 1976. Maschinenschriftl., vervielf., 2 S., hier 1 (EZA 2/7315). 341 Brief von O[tto] Seitter an die Evangelische Kirche in Deutschland, Kirchenkanzlei, vom 13. 2. 1976. Maschinenschriftl., vervielf., 2 S., hier 2 (EZA 2/7315); vgl. auch Brief der Evangelischen Kirche in Deutschland – der Vorsitzende des Rates –, gez. [Helmut] Claß, an Oberkirchenrat Claus-Jürgen Roepke vom 20. 2. 1976. Maschinenschriftl., 1 S. (EZA 2/7315). 342 Brief von Oberkirchenrat Claus-Jürgen Roepke an Präsident Walter Hammer – im Hause 338
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verschiedenen Briefen mitteilte, er habe den Pressesprecher wegen der verletzenden Äußerungen gerügt, müsse aber auch die B KAE bitten zu bedenken, dass das undifferenzierte Reden von „praktiziertem Pluralismus“, „Duldung von Irrlehre“, die kollektive Anklage der „kirchlichen Ausbildungsstätten“ und der kirchenleitenden Gremien ebenso als verletzend empfunden werde.343 Claß ermahnte Roepke in der Tat intern dahingehend, dass Roepke als Pressesprecher natürlich „pauschale und ungerechtfertigte Behauptungen und Vorwürfe“ zurückweisen müsse, doch sei der Ausdruck „protestantische Pharisäer“ nicht zu billigen: „Wenn schon andere nicht fähig sind zu differenziertem Urteil, dann müssen eben um so mehr wir drauf bedacht sein, besonders bei schriftlichen Äußerungen.“344 Zu solchen kommunikativen, von kirchenleitenden Gremien verursachten Eklats kam es allerdings äußerst selten. Im Allgemeinen suchte man gerade seitens der Kirchenleitungen einen sachbezogenen Ton beizubehalten. Allerdings gestaltete sich in der evangelikalen Wahrnehmung die eigene Argumentation ebenfalls sachbezogen, nämlich als stetes Verweisen auf die Irrlehren innerhalb der Kirche. Dabei, so eine Beobachtung Roger J. Buschs, der in seiner Dissertation die evangelikalen Kommunikationsstrukturen untersucht, fühlte man sich in der Defensive und trug einen Kampf wie das „tapfere Schneiderlein“ aus.345 Die Resonanz innerhalb der Kirchenleitungen auf evangelikale Proteste ließ in dem Maße nach, in dem die Zahl der Aktiven und der Resonanzgruppen der Bewegung sank bzw. das Feld derer, die sich aktivierten, deutlicher abgrenzbar erschien. Parallel dazu wurden evangelikale Anliegen aufgenommen und selbst verarbeitet. Ein Beispiel dafür sind die großen landeskirchlichen missionarischen Unternehmungen Ende der 1970er Jahre wie „Missio `77“ oder das „Missionarische Jahr 1980“. Signifikant für die evangelikale Bewegung ist, dass sie in ihrer Position relativer Abgrenzung zur evangelischen Kirche den „Marsch durch die Institutionen“ nicht antrat – nur vereinzelte Vertreter der evangelikalen Bewegung bekleideten im Laufe der Jahre kirchenleitende Ämter.
–, betr.: Gesichtspunkte zur Antwort an Findeisen (2. Brief vom 15. März 1976) vom 16. 3. 1976. Maschinenschriftl., 2 S., hier 2 (EZA 2/7315). 343 So z. B. im Brief an Findeisen (Brief des Vorsitzenden des Rates der EKD Landesbischof D. Helmut Claß an Pastor Sven Findeisen vom 9. 3. 1976. maschinenschriftl., vervielf., 2 S. [EZA 2/7315]). 344 Brief der Evangelischen Kirche in Deutschland – der Vorsitzende des Rates –, gez. [Helmut] Claß, an Oberkirchenrat Claus-Jürgen Roepke vom 25. 2. 1976. Maschinenschriftl., 1 S. (EZA 2/7315). 345 BUSCH, Einzug, 362. Busch erörtert an dieser Stelle die Kommunikationsstruktur in einem Artikel von Rudolf Westerheide von 1991. Zu dem ganzen Komplex der evangelikalen Sprachstruktur vgl. EBD., 346–365.
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6.2.3 Der Eklat in der württembergischen Landeskirche um den Rücktritt des Präsidenten der Landessynode Oskar Klumpp 1968 Zu einem anderen Eklat in kommunikativer Hinsicht zwischen Kirchenleitung – in diesem Falle einer Landessynodenleitung – und der B KAE kam es im Herbst 1968 in der Württembergischen Landeskirche, der im Rücktritt des Präsidenten der Synode, Oskar Klumpp, mündete. Allerdings warf dieses Ereignis weniger ein bezeichnendes Licht auf die teilweise sehr unfruchtbare Kommunikation zwischen evangelikaler Bewegung und kirchlichen Gremien, sondern eher auf das Verhältnis zwischen dem Bundesarbeitskreis der B KAE und einer Regionalgruppe der B KAE bzw. einer Trägergruppe der evangelikalen Bewegung, nämlich den württembergischen pietistischen Kreisen. Die Entwicklungen in der württembergischen Landeskirche stellen insofern einen Sonderfall dar, als dass hier keine evangelikalen Trägergruppen in Form einer Bewegung aktiv waren, sondern diese, bedingt vor allem durch das württembergische Synodalwahlsystem, direkt in die württembergische Landessynode integriert und damit institutionalisiert wurden.346 Diese Institutionalisierung bedeutete nicht nur für die württembergische Landeskirche eine Prägung eigener Art, sondern vor allem die Entwicklung einer Sonderform des Evangelikalismus, der sich weniger radikal und vor allem stärker regional fokussiert als andere evangelikale Trägergruppen zeigte. Die Übergänge von evangelikaler Bewegung und regionaler Frömmigkeitsprägung sind hier außerordentlich fließend, da die Mitarbeit von Vertretern evangelikaler Trägergruppen wie der Ludwig-Hofacker-Vereinigung oder der „Evangelischen Sammlung“ in dem Synodalgesprächskreis „Lebendige Gemeinde“ eben diese Trägergruppen in das organisatorische Gefüge der Landeskirche integrierte. Dies ließ den württembergischen Pietismus auch in der evangelikalen Bewegung eine Sonderrolle einnehmen, die seitens der B KAE gleichzeitig als vorbildhaft gelobt – hier gelang der „Bekenntniskampf“ auf höchster Ebene – als auch misstrauisch beobachtet wurde, da die Gefahr der inhaltlichen „Korrumpierbarkeit“ durch kirchlichinstitutionelle Strukturen drohte. Dementsprechend schätzte Peter Beyerhaus 1975 „die Kampfkraft der ‚lebendigen Gemeinde‘ nicht für sehr hoch ein[. . .]“ und sprach von einer „in letzter Zeit immer deutlicher werdenden Begrenzung des Horizontes der pietistischen Kräfte innerhalb der Bekenntnisfront“347.
346 Vgl. dazu HERMLE / OEHLMANN, Gruppen; zu den Entwicklungen in der württembergischen Landeskirche auch KIENZLE, Wahrnehmung. 347 Brief des Instituts für Missionswissenschaft und ökumenische Theologie der Universität Tübingen, Direktor Prof. Dr. Peter Beyerhaus an Landessuperintendent Joachim Heubach vom 9. 6. 1975. Maschinenschriftl., 2 S., hier 2 (NEK-Archiv, 15.18 Nr. 8).
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Nicht unwesentlich für diese Einschätzung Beyerhaus’ dürfte die Tatsache gewesen sein, dass sich in Württemberg 1971, auf dem Höhepunkt der Polarisierungen, der „Arbeitskreis Evangelische Mitte“ bildete. Dieser Arbeitskreis, der sowohl von Laien als auch Theologen unterstützt wurde, verhinderte unter anderem das Auseinanderbrechen zwischen den Fraktionen der sozial und politisch Engagierten und der der „gesetzlichen Glaubenshaltung“, so in einem Beitrag von „ideaSpektrum“ von 1981.348 Im Prinzip zeichnete sich in Württemberg schon zu einem relativ frühen Zeitpunkt ab, welchen Kurs die evangelikale Bewegung insgesamt in den 1980er Jahren einschlug: eine gewisse Annäherung an die Positionen kirchenleitender Stellen – ohne diese deshalb unkritisch zu akzeptieren – und vor allem eine Modifizierung der starren Polarisationen der 1970er Jahre. Bemerkenswerterweise arrangierten einige der theologischen Kollegen Beyerhaus wesentlich besser als er selbst mit dem württenbergischen Pietismus. So konstatierte der von der B KAE vielfach gescholtene Ernst Käsemann, schwäbische Pietisten hätten sich um 1965, bei einem Besuch bei ihm, „völlig mit ihm identifiziert“ – mit dieser Frömmigkeitsrichtung habe er nie Probleme gehabt.349 Etwas wechselhafter gestalteten sich Jürgen Moltmanns Begegnungen mit Vertretern des württenbergischen Pietismus. In seinen Lebenserinnerungen schreibt Moltmann, 1965 habe Fritz Hubmer die „Theologie der Hoffnung“ in dem „Mitteilungsblatt des Gemeinschaftsverbandes Württembergischer Brüderbund: Gemeinschaftsgruß“ ganz begeistert besprochen, da, so Hubmer, Moltmann da theologisch zu arbeiten beginne, wo Bultmann aufhöre. Bei Moltmann sei deutlich: Christlicher Glaube lebe von der Auferweckung des Gekreuzigten und strecke sich aus nach der Verheißung der universalen Zukunft Christi. Als sich Moltmann 1968 dem Marxismus von Roger Garaudy und Ernst Bloch annäherte, schrieben württembergische Pietisten enttäuscht in verschiedenen Rundbriefen, man habe sich mit Moltmann eben doch einen Marxisten eingehandelt. In den nächsten Jahren sei er „regelrecht diffamiert“ worden, was erst nach klärenden Gesprächen mit Walter Tlach vor der Kirchenleitung wieder zurückgegangen sei. 2001, zu seinem 75. Geburtstag, wurde Moltmann letztlich auch von den Vertretern des Pietismus herzlich beglückwünscht.350 Dennoch waren Teile der württenbergischen Gemeinschaftsbewegungskreise, besonders die aus der von Emil Schäf gegründeten „Evangelisch-Kirchlichen Arbeitsgemeinschaft für biblisches Christentum“ hervorgegangene Lud348 349 350
ZEHN JAHRE. KÄSEMANN: PREDIGT. MOLTMANN, Weiter Raum, 154–156 und in einem Gespräch am 18. Juni 2008.
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wig-Hofacker-Vereinigung und die KS Württemberg eng mit der evangelikalen Bewegung, speziell der B KAE, vernetzt. 1967 überlegte man in der LudwigHofacker-Vereinigung den Beitritt zur „Bekenntnisbewegung“, d. h. also zum damaligen Bethelkreis, entschied sich letztlich aber dagegen. 1970 trat die Ludwig-Hofacker-Vereinigung der „Konferenz bekennender Gemeinschaften“ (KBG) bei. Diese Mitgliedschaft wurde spätestens seit den 1980er Jahren ruhen gelassen. Der Theologische Konvent der B KAE bzw. der KBG wurde von der Ludwig-Hofacker-Vereinigung finanziell unterstützt.351 Personelle Überschneidungen waren allein schon dadurch gegeben, dass Fritz Grünzweig, der Vorsitzende der LHV,352 von 1980 bis 1986 Vorsitzender der KBG wurde. Die engen Vernetzungen zwischen LHV und B KAE kamen deutlich bei dem erwähnten Eklat zum Tragen, der weit über die Grenzen der Württembergischen Landeskirche für Aufsehen sorgte: dem Rücktritt des Präsidenten der Landessynode Oskar Klumpp im Zusammenhang mit der Vorbereitung des DEKT 1969 in Stuttgart.353 Schon 1967 hatte die B KAE den DEKT in Hannover boykottiert – nun stand für den im Sommer 1969 in Stuttgart stattfindenden Kirchentag die Frage im Raum, ob sich die B KAE diesem anschließen würde oder es wiederum zu einer Verweigerung der Teilnahme kommen würde. Problematisch war die Situation besonders für die württembergischen evangelikalen Trägergruppen: Einerseits vertraten sie die Gründe des Boykotts des Kirchentages seitens der B KAE, andererseits war es angesichts der Tatsache, dass der Kirchentag in Württemberg stattfand, nicht nur für die Kirchenleitung vor Ort, sondern auch für die Vertreter des württembergischen Pietismus kaum denkbar, sich nicht zu beteiligen. Oskar Klumpp, der Synodenpräsident, versuchte seit Frühjahr 1968 dahingehend zu vermitteln, dass die B KAE in den DEKT integriert werden konnte und damit nicht die Situation entstand, dass der württembergische Pietismus nicht auf einem württenbergischen Kirchentag vertreten war. In langwierigen Verhandlungen wurden vom Kirchentagspräsidium in Zusammenarbeit mit Vertretern verschiedener Gremien der württembergischen Landeskirche weitgehende Kompromisse und Veränderungen in der Gestaltung 351 Tischvorlage zu TOP 5, Hofacker-Kreis am 4. Dezember 2000. Maschinenschriftl., 2 S., hier 1 (Archiv DEA, Akte „Bekenntnisbewegung“). 352 Grünzweig war bis 1980 Vorsitzender der LHV, dann wurde mit Wirkung vom 1. Januar 1981 Rolf Scheffbuch zum 1. Vorsitzenden gewählt. Grünzweig wurde stellvertretender Vorsitzender, blieb aber 1. Vorsitzender der KBG (NACHRICHTEN). 353 Die folgende Darstellung basiert auf dem Quellenmaterial des „Grünen Dienstes“ des epd Nr. 45 (1968) sowie Feghelm, [Hermann]: Brief aus Württemberg. Bericht von den Vorgängen um den Rücktritt von Landrat Klumpp, Tübingen, als Präsident der Württ. Landessynode. Beilage zu Informationsbrief Nr. 17 der Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“. November 1968. Drucksache, 12 S. (EZA 2/994).
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des DEKT gesucht, die es auch der B KAE ermöglichen sollten, einen Zugang zum Kirchentag zu finden. Aus den Akten scheint ein ambivalentes Bild der Haltung der B KAE in diesen Verhandlungen auf, denn sie verschärfte ihre Forderungen, sobald es um konkrete Belange ging. War die B KAE an einer Teilnahme nicht wirklich interessiert oder wollte sie nur soviel wie möglich von den eigenen Anliegen unterbringen? – Diese Frage wird sich letztlich nicht endgültig beantworten lassen. Am 18. September 1968 gab Klumpp in einer Pressekonferenz bekannt, die württembergische Synode sei bei der Einladung für den Kirchentag nach Stuttgart selbstverständlich davon ausgegangen, dass alle in Württemberg aktiven innerkirchlichen Strömungen gleichermaßen zur Sprache kämen, und dass er glaube, dass der württembergische Pietismus beim Kirchentag mitwirken werde, auch wenn dies andere, außerhalb von Württemberg ansässige Gruppen nicht tun würden. Die Besprechungen seien aber noch nicht abgeschlossen. Ähnlich äußerte sich Vizepräsident der Synode, Paul Heidland, auf derselben Pressekonferenz. Heidland gab in seinem Redebeitrag den württembergischen Pietisten noch den wohlmeinenden Rat mit auf den Weg, sie sollten sich gegenüber den Strömungen außerhalb Württembergs „etwas abgrenzen“. Knapp einen Monat später, am 9. Oktober 1968, gaben der Verhandlungsausschuss der Ludwig-Hofacker-Vereinigung in Württemberg, d. h. Walter Tlach, Rolf Scheffbuch, Walter Abele und Fritz Grünzweig, sowie der Bundesvorstand der B KAE, namentlich Rudolf Bäumer und Sven Findeisen, eine Erklärung zu Klumpps und Heidlands Presserklärung heraus.354 In dieser hieß es, die Gespräche über Teilnahme oder Nichtteilnahme seien noch im Gange und die „Beauftragten des württembergischen Pietismus, der Bekenntnisbewegung und der Kirchlichen Sammlungen haben bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt ihre Anliegen im Blick auf den kommenden Kirchentag Stuttgart einhellig vertreten“, wobei alle genanten Gruppen der Meinung seien, „daß ein Weg zur Teilnahme am Stuttgarter Kirchentag gesucht werden sollte“, der insofern möglich erscheine, „wenn die heute im Bereich der EKD kontroversen theologischen Standpunkte offen und unter gleichen äusseren Bedingungen dargelegt werden können.“ Allerdings sei es bedauerlich, so die Unterzeichnenden, „wenn die nicht leichten, aber offen geführten Verhandlungen dadurch erschwert werden, daß vertrauliche Informationen, gemischt mit persönlichen Stellungnahmen, der Presse weitergegeben werden.“ Es war dieser letzte Punkt, der Klumpp in äußerste Erregung versetzte. Da er keineswegs vertrauliche Informationen weitergegeben hatte, fasste er die Presse-
354 Erklärung zur Mitteilung des epd, Landesdienst Württemberg Nr. 91 vom 19. 9. 1968. Maschinenschriftl., hektograph., 1 S. (GRÜNER DIENST Nr. 45 [1968], 9).
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erklärung als persönlichen Angriff auf, als Teil von „geistigen und geistlichen Freistilmethoden“355, die er nicht länger bereit sei zu ertragen. Aus diesem Grund legte er am 17. Oktober 1968 sein Amt als Präsident der württembergischen Landessynode nieder, der er seit 1965 angehörte. Klumpps Reaktion lässt sich zwar einerseits als Überreaktion auffassen – als die sie in der Folge auch meistenteils bezeichnet wurde –, andererseits aber auch als abschließender Schritt in dem langen Prozess einer, nach seiner Wahrnehmung, einseitig geführten Kommunikation. Klumpps offenes Schreiben an die Synode, in dem er seinen Rücktritt erklärte, war durchaus geprägt von Kränkung und Zorn, und harsche Töne gegenüber den „unbarmherzigen Angriffen pietistischer Kreise“, von denen die Kirchenleitungen deutlicher und energischer als bisher abrücken sollten, und zwar durch „Mahnung, Rüge und wenn nötig, durch schärfere Maßnahmen“, bestimmten den Ton. Allerdings, und das geht aus Klumpps Rücktrittserklärung gegenüber der Synode deutlich hervor, gab es im Vorfeld eine ganze Fülle von Angriffen, zum Teil gegen ihn, zum Teil in seiner Gegenwart gegen andere, z. B. gegen das Kirchentagspräsidium, in dem die harschen Töne der anderen Seite bis hin zu offen ausgesprochenen Verketzerungen nicht gefehlt hatten und Klumpps Reaktion langfristig vorbereiteten. Nach Klumpps Rücktritt wühlte eine Schlammschlacht sondergleichen die württembergische Landeskirche auf, die von der nichtkirchlichen Presse ausführlich kommentiert wurde. Die württembergischen Vertreter des Pietismus waren von dieser Entwicklung überrascht. Sie bedauerten, vor der eigenen Presseerklärung nicht mit Klumpp gesprochen zu haben und bescheinigten ihm, keinen Vertrauensbruch begangen zu haben. Landesbischof Eichele nannte die Vorwürfe gegen Klumpp nicht gerechtfertigt und sowohl das Kirchentagspräsidium als auch Teile der württembergischen Landessynode und Kirchenleitung waren bestürzt über Klumpps Rücktritt. Besonders die von ihm genannten Motive seines Rücktritts – er resigniere vor den pietistischen Anfeindungen – löste Betroffenheit auf der einen Seite und Widerspruch auf der Seite der pietistischen Vertreter aus. Während eine Diskussion über die Frage „Wie reden wir miteinander?“, „Dürfen Christen so miteinander umgehen?“ in der württembergischen Kirche ausbrach, polemisierte Fritz Braun in seinen „Rauschenberger Blättern“: „In Württemberg, das schon seit Jahrhunderten den Ruf eines besonders pietistischen Landes hatte, ist ein Brand ausgebrochen, der hoffentlich die Landeskirche zerreißen wird.“ Der zukünftige Kirchentag in Stuttgart, „der natürlich ein supermoderner Kirchentag mit Kellerbars, Jazz- und Jux-Veran-
355 Schreiben Landrat Klumpps an die Mitglieder der Synode. Maschinenschriftl., hektograph., 9 S. (GRÜNER DIENST Nr. 45 [1968], 2–11, hier 10).
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staltungen, ‚Frl.‘ Dr. Sölle und Diskussionen über Gott und die Welt werden wird“, sei zum Konfliktauslöser geworden, und die „Pietisten in der württembergischen Landessynode haben endlich, fast zu spät, ihr Rückgrat entdeckt und wollen sich einen solchen gotteslästerlichen, liberalen ‚Bordell-Kirchentag‘, wie ihn einer kräftig nannte, nicht gefallen lassen.“356 Als die Pietisten in den Verhandlungen fest blieben und „mit schwäbischer Offenheit“ redeten, sei „der Präsident der Synode, der natürlich ganz modern liberale, das heißt ungläubige Tübinger Landrat Dr. Klumpp, zum Zwecke der Demonstration zurückgetreten. Dabei hat er den Pietisten in einer Erklärung alle nur erreichbaren DreckKlumpen an den Kopf geworfen [. . .].“ In diesem Stile polemisierte Braun weiter gegen die Kirche und rief zum geschlossenen Kirchenaustritt auf.357 Es wurde im Nachgang darüber diskutiert, ob Klumpp mit seiner Bemerkung, pietistische Kreise hätten ihm den Glauben abgesprochen, die Wahrheit gesagt habe, denn niemand vermochte sich daran zu erinnern, dass Klumpp dieser Vorwurf gemacht worden war. Fritz Braun zumindest tat es, wie aus dem genannten Zitat hervorgeht. Allerdings stellte der Kern dieser hochemotional geführten Debatte in Württemberg im Herbst 1968 nicht die Frage dar, ob Klumpp Indiskretionen begangen hatte oder nicht und beleidigt worden war oder nicht. Das eigentliche Problem dieses Eklats war – und das ging in der nachfolgenden Diskussion nahezu unter –, dass Klumpp und Heidland in der Pressekonferenz, entweder völlig unbeabsichtigt oder aber mit einem gewissen kirchenpolitischen Kalkül, einen äußerst brisanten Aspekt angesprochen hatten: die Autonomie der württembergischen Vertreter der B KAE gegenüber dem Bundesarbeitskreis der B KAE. In einem Artikel in den Stuttgarter Nachrichten wurde dieser Sachverhalt schon 1968 angeschnitten: „Die pietistischen Wortführer sahen sich nun offensichtlich vor die Gretchenfrage gestellt, ob sie es mit der württembergischen Kirche oder mit der Bekenntnisbewegung halten wollen, deren Anhängerschaft in Norddeutschland als ‚Pietkong‘ bezeichnet wird. In einer Presseerklärung zogen die schwäbischen Pietisten die Bekenntnisbewegung vor – daraufhin legte Klumpp sein Amt und sein Mandat nieder. [. . .] Unter der Fahne der Bekenntnisbewegung glaubt er [Fritz Grünzweig], eine angebliche ‚Aufspaltung des Pietismus in unserem Land‘ verhindern zu müssen. Man hängt sich an die Bekenntnisbewegung, um den schwäbischen Pietismus vor kirchenfeindlichen Radikalismus zu bewahren. Daß dieser Balanceakt andere zu Fall bringen
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AUS DER WELT DER SEKTEN, WELTANSCHAUUNGEN UND RELIGIONEN. „DIE KIRCHE, 270. EBD., 270f.
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und den christlichen Glauben diskreditieren könnte – das würde und wird offensichtlich nicht erkannt.“358
Die württembergischen Vertreter sahen sich angesichts von Klumpps Äußerung, er glaube, sie nähmen an dem Kirchentag teil, angesichts der möglicherweise zu erwartenden Nichtteilnahme der B KAE in die Bredouille gebracht und sich nun genötigt, stärker an die B BKA anzuschließen. Diese wiederum, speziell Rudolf Bäumer, dürften über den Keil, den Klumpp öffentlich zwischen württenbergische Pietisten und B KAE trieb, erbost gewesen sein. Da sich tatsächlich, wie Klumpp voraussetzte, abzeichnete, dass die württembergischen Pietisten dem DEKT auf ihren Territorium nicht so ablehnend wie der Bundesarbeitskreis der B KAE gegenüber standen,359 war hier eine evidente Gefahrenquelle für die junge evangelikale Bewegung gegeben, sich in Zersplitterungen zu verlieren. Außerdem war das Abgrenzungsthema DEKT gegenüber der Kirchenleitung gerade erst, nämlich 1967, von der evangelikalen Bewegung in Anschlag gebracht worden und wurde hier schon wieder durch interne Diskrepanzen in Frage gestellt. Dass diese nun auch noch an die Öffentlichkeit getragen wurden – das war in der Tat eine „Indiskretion“. Darüber hinaus ist nicht zu vernachlässigen, dass für die B KAE der württembergische Pietismus auf Grund seiner zahlenmäßigen Stärke als echte Laienbewegung stets von besonderem Interesse war. Eine Trennung der württembergischen Regionalgruppen von der B KAE hätte einen empfindlichen Verlust dargestellt. Die Zusammenarbeit von Vertretern der „Lebendigen Gemeinde“ bzw. der Ludwig-HofackerVereinigung mit der B KAE bei der Vorbereitung und Organisation der Alternativveranstaltung zum DEKT, dem „Gemeindetag unter dem Wort“, sollte auf jeden Fall sehr eng werden. 358 Kopie des Kommentars der Stuttgarter Nachrichten vom 2. November 1968: Wurm, Theo: Der „Pietkong“ vor den Toren der Landeskirche. Schwäbische Pietisten verstehen den Rücktritt des Synodalpräsidenten nicht. Gedruckt, 1 S. (GRÜNER DIENST Nr. 45 [1968], 25). 359 Dass Klumpp und Heidland mit ihrer Vermutung eines Dissens zwischen Württembergern und der Bundes-B KAE bezüglich des Kirchentages recht hatten, wird auch durch eine Äußerung des Leiters der Volksmissionarischen Ämter, Heinrich Hermann Ulrich, bestätigt, der, involviert in die Vorbereitungen des Kirchentages, auf der Leitersitzung der Volksmissionarischen Ämter im Juni 1968 darlegte, dass sich „der überwiegende Teil des württembergischen Pietismus für die Mitarbeit am Kirchentag 1969 in Stuttgart ausgesprochen [habe]. Es hat sich jedoch auch bereits Widerstand zu Wort gemeldet. Nach Meinung des Vorsitzenden besteht bei der Bekenntnisbewegung die Gefahr der Erstarrung. Sie vertritt ihr berechtigtes Anliegen in theologisch ungenügender Weise und verhindert durch inquisitorisches Verhalten den echten Dialog. [. . .] Das in Gang befindliche Gespräch zwischen Bekenntnisbewegung, Kirche und Theologie [wird] nur von einigen Einzelgängern und extremen Gruppen gestört [. . .].“ (Protokoll der Leiterbesprechung, Koppelsberg, 24.–27. Juni 1968, gez. Dr. [Heinrich-Hermann] Ulrich, Pfr.. Maschinenschriftl., vervielf., 13 S., hier 2f. [ADW, HGSt/AGVM, R 629]).
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6.2.4 Regionale „Kirchliche Sammlungen um Bibel und Bekenntnis“ Ein ganz ähnliches Bild wie bei den Regionalgruppen der B KAE zeichnete sich bei den Gründungen der regionalen Arbeitsgruppen der „Kirchlichen Sammlung“ ab, dem lutherischen Pendant zur B KAE. Vorbild dieser Gründungen war die schon genannte „Kirchliche Sammlung: Aktionsgemeinschaft für Bibel und Bekenntnis in Braunschweig“, die bereits zwei Jahre nach der Gründung personell derartig unterbesetzt war und in der Frage der Frauenordination, gegen die vorzugehen ursprünglich ein erklärtes Kampfziel gewesen war, vollkommen gespalten, dass die stillschweigende Überleitung der Arbeit in die Bundessammlung der KS erfolgte, wobei sich die Braunschweiger Gruppe nicht völlig auflöste, sondern die wenigen Vertreter hin und wieder punktuell in Erscheinung traten, als „KS Braunschweig“. Bis 1968 waren die einzigen Ergebnisse der Bemühungen der KS Braunschweig ein Schreiben an Landesbischof Heintze im Sommer 1967, in dem noch einmal die eigene Position dargelegt wurde,360 sowie eine Eingabe an die Landessynode bezüglich der Ordination von Frauen.361 Hinter der Frauenordinationsproblematik stand – so sahen das auch Mitglieder der KS Braunschweig – die Frage des untereinander nicht geklärten Schriftverständnisses.362 Die zweijährige „Krise“ der KS wurde vorwiegend als Krise des Vorstandes wahrgenommen, der sich langsam in Einzelinteressen zersplitterte – dass die „Referenzgruppe“ langsam auch ausblieb und die Unterstützung seitens der christlichen Laien zurückging, wurde weniger wahrgenommen.363 Auch die Frage eines Boykotts des Kirchentages 1967 konnte in der KS nicht einheitlich behandelt werden. Allerdings löste sich die KS in Braunschweig 1968 nicht auf, sondern arbeitete, wenn auch mit nur sehr wenigen Akteuren, bis in die 1980er Jahre und darüber hinaus weiter.364 Eine 360 Unmittelbar nachdem der Landesbischof dieses Schreiben erhalten hatte, wurde es auf Initiative der KS Braunschweig als Sonderdruck des „Sanct Athanasius“ (Theologisches Beiblatt zum Rundbrief „Brüdern“ 18 [1967], Nr. 30) an alle Pfarrer der LK verschickt. Die „Lutherischen Monatshefte“ hatten abgelehnt, den Brief zu veröffentlichen, und zwar mit der Begründung, dass sie von Texten dieser Art im Sommer 1967 nahezu „überflutet“ würden (diverse Schreiben in der Akte LAW, Pa Har 32). 361 Diverse Dokumente, Schreiben und Protokolle in den Akten LAW, Pa Har 31 und Pa Har 32. 362 Karte von Propst [Walter] Blümel an Pastor [Joachim] Walter vom 18. 1. 1967. Maschinenschriftl., 1 S. (LAW, Pa Har 31). 363 So deutlich in den Briefen von Aurelie Hoffmann, Braunschweig, an Pastor Dr. [Heinrich] Ulbrich vom 19. 5. 1967. Maschinenschriftl., 1 S., und Brief, gez. [Rudolf] Kleinert, an Bruder [Joachim] Walter vom 2. 6. 1967. Maschinenschriftl., 1 S. (LAW, Pa Har 32). 364 1984 war Pfarrer Wolfgang Jünke (Braunschweig) erster Vorsitzender der KS Braunschweig, zum Vorstand gehörten nach wie vor Jürgen Diestelmann und Wolfgang Büscher. Die KS richtete zu verschiedenen Themen Anfragen und Bitten um Korrekturen an das Braunschwei-
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Zusammenführung der Regionalgruppen der KS erfolgte 1968 durch die „Deutsch-skandinavische Theologentagung in Sittensen“. Im Zuge dieses Zusammenrückens verschob sich die Arbeit der KS Braunschweig auf die Arbeit der Bundessammlung der KS, die 1968 gegründet wurde. Kurz nach der Gründung der KS in Braunschweig hatte sich in der Hannoverschen Landeskirche im Sommer 1966 eine KS aus Befürwortern der „Braunschweiger Thesen“ gebildet, deren Vorsitzender Pfarrer Schmitzdorf wurde.365 Auch die KS Hannover laborierte Anfang der 1970er Jahre an einem Schwund von Mitgliedern bzw. von Akteuren, auch hier zeigte sich, dass der Zusammenschluss zur Bundessammlung der KS die schwachen Regionalgruppen vor der Stagnation der Arbeit bzw. der völligen Auflösung schützte. So mussten der Vorsitzende der KS Hannover, Pastor Ekkehard Hieronimus, und Malte Haupt, Pfarrer in Hannover-Mittelfeld, der noch im selben Jahr 1. Vorsitzender der Hannoverschen KS wurde,366 im Rundbrief der KS Hannover vom März 1971 eingestehen, man komme aus der Beobachterrolle innerhalb der Kirche, aus der Position des Reagierens nicht heraus: „Wir sollten uns keinen Illusionen über unsere tatsächlichen Möglichkeiten hingeben, durch irgendwelche ‚Aktionen‘ den Lauf der Dinge entscheidend ändern zu können.“367 Darüber hinaus wurde in diesem Rundbrief selbstkritisch angesprochen, dass der KS Hannover fast nur Pfarrer und Pastoren im Ruhestand angehörten, außerdem die KS auch nach zwei Jahren Engagement praktisch ein „Pastorenverein“ wäre.368 Auf der im Oktober 1971 stattfindenden Michaeliskonferenz der KS Hannover brach die Diskussion über diese Situation auf. Dabei kamen die Vertreter der KS Hannover zu der grundsätzlichen Frage, wohin der Weg der KS weiterhin füh-
gische Landeskirchenamt, so z. B. hinsichtlich der Sakramentsverwaltung durch nicht ordinierte Vikare (Briefwechsel Ende 1984 bis Frühjahr 1985), der Konvergenzerklärungen (Limaerklärung) der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung des ÖRK „Taufe, Eucharistie, Amt“ (1985), eine Solidaritätserklärung mit den Kirchenvorstandsbeschlüssen von St. Christopherus (Helmstedt) und St. Ulrici (Braunschweig) im Hinblick auf die Ablehnung der Leuenberger Konkordie und der Frauenordination (1986) – in diesem Zusammenhang kam die Frage nach einem eigenen Ordinator und Visitator „bekenntnistreuer“ Pfarrer auf –, der Verwendung von Wein oder Saft zu Abendmahlsfeiern (1989) sowie eine Beschwerde auf Grund der Aufweichung der Rechtfertigungslehre in dem Artikel „Lieb und Leid“ in der „Kirche von unten. Alternatives aus der/für die Braunschweiger Landeskirche“, Heft 37 vom März 1989 von Pfarrer Martin Quandt (1989) (vgl. diverse Dokumente und Schreiben in Akte LKA Wolfenbüttel, Az.: 604.5–3007). 365 HANNOVER; STRATMANN, Kein anderes Evangelium, 93. 366 NEUER VORSITZENDER. 367 Rundbrief Nr. 8. Kirchliche Sammlung um Bibel und Bekenntnis in der Ev.-luth. Landesk. Hann., gez. E[kkehard] Hieronimus, gez. Malte Haupt, vom 10. 3. 1971. Maschinenschriftl., vervielf., 4 S., hier 1 (NEK-Archiv, 15.18 Nr. 20). 368 EBD., 2.
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ren solle. Denn einerseits sah man zwar das Bedürfnis nach einer derartigen Gruppierung in der Hannoverschen Landeskirche – immerhin hätten etwa 10% der Hannoverschen Pfarrer bisher ihre Zustimmung zu den Anliegen der KS ausgedrückt –, andererseits aber sei die KS Hannover zu klein und mit zu wenig finanziellen Ressourcen ausgestattet, als dass man größere Projekte in Angriff nehmen könne. Malte Haupt sah die Gefahr einer „zu ängstlichen Abgrenzung“ der KS, und „daß wir im Grunde ‚unter uns‘ bleiben wollen.“ Er plädierte zwar keineswegs für eine unbegrenzte Öffnung der KS ohne „klare Stellungnahmen“, aber es sei die Frage, ob die KS „nur eine Bekenntnisgemeinschaft sein“ wolle, zu der man gehöre, „um damit unser Gewissen zu beruhigen und vielleicht unsere Seelen zu retten, indem wir später einmal sagen können, wir seien ‚schon immer dagegen gewesen‘ und hätten von Anfang an ‚auf der richtigen Seite gestanden‘“. Wenn die „also die Kirchliche Sammlung nicht als Selbstzweck“ existieren solle, dann dürfe man „auch die Türen zu ihr nicht eher verrammeln, statt sie zu einer wirklichen lutherischen ‚Sammlung‘ um Bibel und Bekenntnis einladend offenzuhalten.“369 Eine der Hauptschwächen der KS Hannover, so wurde weiterhin festgestellt, sei, „daß sich zwar manche beklagen, ‚daß so wenig geschieht‘ – aber niemand ist von sich aus zur Mitarbeit bereit!“370 Hier wurden Fragen diskutiert, die typische Aspekte des Funktionierens der evangelikalen Bewegung nach den Mechanismen einer „neuen sozialen Bewegung“ betreffen: die Stagnation der Bewegung auf Grund der Diskrepanz zwischen Akteuren und Resonanzgruppe, die zu geringe Sympathisantenzahl, die nicht (mehr) die „kritische Masse“ erreicht, das Verhältnis von Durchlässigkeit und Offenheit einerseits und Abgrenzung zur Identitätsstabilisierung andererseits. Innerhalb der evangelikalen Bewegung reagierte man beim Stagnieren der Arbeit einzelner Trägergruppen, wie sie die Regionalgruppen darstellten, in der Form, dass diese Arbeit gewissermaßen umgeleitet wurde, und zwar auf überregionale Trägergruppen. Die typische, den Protestbewegungen inhärente Dynamik des Auflösens, Verschmelzens und Neugründens einzelner Trägervereine im Hinblick auf die Gegebenheiten und Anforderungen des Protestes findet sich, wie hier dargestellt, also auch in der evangelikalen Bewegung im Zusammenspiel mit ihren regionalspezifischen Ausformungen. Ein Arbeitskreis „bekenntnistreuer“ Pfarrer, der sich seit dem Sommer 1966 in Bayern im Diakoniewerk Rummelsberg bei Nürnberg getroffen hatte, gab 369 Rundbrief Nr. 10. Kirchliche Sammlung um Bibel und Bekenntnis in der Ev.-luth. Landesk. Hann., gez. Malte Haupt, vom 17. 11. 1971. Maschinenschriftl., vervielf., 6 S., hier 4 (NEK-Archiv, 15.18 Nr. 20). 370 EBD.
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Die evangelikale Bewegung im Konflikt mit den Landeskirchen
im Januar 1967 die „Rummelsberger Erklärung“ heraus, die gedruckt an alle Pfarrer der bayerischen Landeskirche verschickt wurde. In der von 23 Personen unterschriebenen Erklärung wurde gegen die „Stimmen in Theologie und Verkündigung“ protestiert, „die in der Gemeinde das Zutrauen zur Heiligen Schrift erschüttern, das der Erhörung gewisse Gebet und das persönliche Verhältnis zu Jesus, dem auferstandenen Herrn, in Frage stellen“371, sowie in 13 Punkten aufgezeigt, welche Theologie und Verkündigung in der Kirche „als ausgeschlossen gelten“ müssten. Die „Rummelsberger Erklärung“ wurde Grundlage der sich im Januar 1967 als „Gewissen der bayerischen Pfarrerschaft“ gründenden „Kirchlichen Sammlung um Bibel und Bekenntnis in Bayern“,372 deren Eintrag ins Nürnberger Vereinsregister am 13. November 1967 erfolgte. Zum langjährigen Vorsitzenden wurde der Dekan Friedrich Höfer gewählt, seit 1980 hat den Vorsitz der Sohn Walter Künneths, Friedrich-Wilhelm Künneth, inne.373 1971 bzw. 1972 wurden in München und Nürnberg „Kirchliche Arbeitskreise“ gegründet, die ihre Aufgabe ebenfalls in einem „Wächteramt“ in der der Kirche und dem Protest gegen verkündigungsunterminierende Umtriebe in der bayrischen Landeskirche sahen. Besonders der Münchner Arbeitskreis um Albrecht Köberlin wandte sich massiv gegen die Politisierung der Kirche und ihre marxistische Unterwanderung. Köberlin legte eine außerordentlich umfassende Sammlung von Belegen über die marxistischen Neigungen der Münchner ESG und die generelle marxistische Prägung der evangelischen Kirche an.374 1976 schloss sich die KS in Bayern mit den „Kirchlichen Arbeitskreisen“ Nürnberg und München, Gemeinschaftsbewegungsgruppen und dem „Arbeitskreis Synode“ zur Arbeitsgemeinschaft „Lebendige Gemeinde in Bayern“ zusammen.375 Die angeschlossenen Gruppen blieben von diesem Zusammenschluss in ihrer eigenen Existenz unberührt. Die Gründung dieser Arbeitsgemeinschaft „Lebendige Gemeinde“ erfolgte nach unmittelbarem Vorbild des württembergischen synodalen Gesprächskreises „Lebendige Gemeinde“ und zielte auch auf eine Fraktionsgrundlegung zur Landessynodalwahl 1977 in Bayern ab. Allerdings lagen zwischen der württembergischen und bayerischen „Lebendigen Gemeinde“ gravierende strukturelle und mentalitätsgeprägte Unterschiede. Bemerkenswert an der Situation in der bayerischen Landeskirche ist die starke
371
Die Rummelsburger Erklärung (WEG UND ZEUGNIS, Bd. 1, 156–158, hier 156). „KIRCHLICHE SAMMLUNG UM BIBEL UND BEKENNTNIS“ IN BAYERN, 17. 373 GESCHICHTE. 35 JAHRE KSBB. 374 Vgl. die Fülle an Material in dem umfangreichen Nachlass von Albrecht Köberlin (LAELKB Nürnberg, Personen 154 [Pfarrer Albrecht Köberlin]). 375 Diverse Dokumente in der Akte LAELKB Nürnberg, Vereine III/40 (Lebendige Gemeinde München), 1. 372
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Rezeption des politischen Geschehens in den kirchlichen Debatten, die auch einzelne Vertreter der evangelikalen Trägergruppen forcierten. Ein starker Hang zur Kritik an der „linken“ Haltung der Kirche bzw. einzelner Vertreter ist in den Akten zur Arbeitsgemeinschaft „Lebendige Gemeinde“ zu finden. Nun sind in der Tat die 1970er, 1980er Jahre die Jahrzehnte einer massiven politischen Bewusstwerdung in den Reihen der evangelischen Kirche, die sich teilweise sogar gegen die Kirche richtete. Ohne auf die der evangelikalen Bewegung parallel laufenden politisch-sozial motivierten Bewegungen innerhalb der evangelischen Kirche jener Zeit eingehen zu können, sei an dieser Stelle vermerkt, dass es offensichtliche Unterschiede zwischen den Landeskirchen gab hinsichtlich der Wahrnehmung und Bewertung dieser Bewegungen. Es kann an dieser Stelle nur die Vermutung geäußert werden, dass die Beschäftigung mit politischen Fragen und die dezidierte Kritik an politischen Stellungnahmen von Kirchenvertretern, sowohl an der Basis als auch in den Kirchenleitungen, sich in den lutherischen Landeskirchen etwas anders gestaltete als in unierten oder reformierten. Hier scheint die Politik sowohl in der theoretischen Diskussion als auch auf der praktischen Ebene eine größere Rolle zu spielen. Das steht möglicherweise in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der seit dem 19. Jahrhundert als ein Votum gegen politisches Handeln der Kirche verstandenen Zwei-Reiche-Lehre und den damit verbundenen Implikationen. Im Hinblick auf die evangelikale Bewegung ist dieser Umstand insofern von Interesse, als dass dadurch erklärbar wird, warum die 1976 veröffentlichte Schrift „Rotbuch Kirche“, in dem die linkspolitische Unterwanderung der evangelischen Kirche angeprangert wurde, in Westdeutschland gerade in den evangelikalen Kreisen der norddeutschen Landeskirchen und in der bayerischen Landeskirche auf starke Resonanz stieß. Kronzeuge einer apolitischen Haltung innerhalb der Kirche, eben besonders in evangelikalen Kreisen, war Walter Künneth. Sein Buch „Politik zwischen Dämon und Gott“, das 1954 erstmal erschien und in dem der Rückzug der Kirche auf die Verkündigung des Evangeliums sowohl als hochpolitische als auch als apolitische Haltung proklamiert wurde, ist auch Anfang der 1980er Jahre noch als Beleg für ein Muss politischer Enthaltsamkeit herangezogen worden.376 Im Widerspruch dazu stand nun allerdings, dass im täglichen Handeln vieler Vertreter evangelikaler Trägergruppen das politische Geschehen nicht 376 So z. B. im Briefwechsel zwischen dem Rechtsanwalt Hans Sauter und dem Nürnberger Dekan und späteren bayerischen Landesbischof Hermann von Loewenich im Frühjahr 1981, vgl. Brief von Dr. Hans Sauter an Herrn Dekan [Hermann] von Loewenich vom 24. 3. 1981. Maschinenschriftl., kopiert, 1 S.; Brief des Evang.-Luth. Dekanats Nürnberg, gez. Hermann v[on] Loewenich, an Dr. Hans Sauter vom 13. 4. 1981. Maschinenschriftl., kopiert, 3 S.; Brief von Dr.
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Die evangelikale Bewegung im Konflikt mit den Landeskirchen
neutral bewertet wurde: alles, was im Parteienspektrum links der FDP lag, wurde massiv abgelehnt, wohingegen das sich davon rechts befindliche Lager geschätzt wurde. Zugespitzt gesagt: es ging stets darum, warum man wann sozialistische oder marxistische Ideen ablehnte, aber man war sich nicht klar darüber, dass das eben keine apolitische Haltung mehr war. In einem Aufruf der Arbeitsgemeinschaft „Lebendige Gemeinde“ vor den Wahlen zur Landessynode in Bayern wurde z. B. nicht nur proklamiert, die Kirche habe „ihre Grundlage in Bibel und Bekenntnis. Auf diesem Fundament gilt es zu bleiben“, sondern auch: „Wir wehren uns als Glieder unserer Kirche gegen einen uferlosen Pluralismus, gegen die Politisierung der Kirche, gegen die Vermischung mit den jeweiligen geistigen Zeitströmungen, gegen die Überwucherung durch Psychologie und Soziologie.“377 Die kritischen Reaktionen auf die von der Arbeitsgemeinschaft gezeigte Haltung führten zu teilweise hitzigen Debatten. So lieferten sich der Studienleiter der Evangelischen Akademie Tutzing, Hans Harald Willberg, und der Landessynodale, Vertreter der Arbeitsgemeinschaft „Lebendige Gemeinde“ und CSUBundestagsmitglied Peter W. Höffkes in einem offenen Briefwechsel im „Korrespondenzblatt“ im Februar 1978 ein harsches Duell um das so genannte „Brüsewitz-Zentrum“ in Bad Oeynhausen in Westfalen, das die Verletzung der Religionsfreiheit in der DDR ins westdeutsche Bewusstsein rücken sollte und am 18. Oktober 1977 eröffnet worden war.378 Willbergs Argumentation ging dahin, dieses Zentrum habe eine verheerende Auswirkung auf die Beziehung zu den Kirchen in der DDR, da sich diese von dem Zentrum distanzierten. Eine Unterstützung dieses Zentrums unterminiere die Bemühungen von Christen in der DDR, ihren Auftrag in ihrem Land wahrzunehmen. Auch der Rat der EKD lehne es ab, Brüsewitz als „Aushängeschild“ im Kalten Krieg zu missbrauchen. Willberg fragte Höffke, wann er gedenke, seine Unterschrift als Befürworter des Zentrums zurückzuziehen. Höffke konterte daraufhin, dass in Bad Oeynhausen nur ein „Christlich-Paneuropäisches Studienwerk (CPS) e. V.“379 errichtet worden und die Satzung des Vereins allgemein gehalten sei: man fördere die Menschenrechte. Dagegen könne Willberg wohl schlechterdings nichts haben. Das CPS werde von vier CDU-Ministerpräsidenten unterstützt: Dr. Ernst Albrecht Hans Saueter an Dekan [Hermann] von Loewenich vom 16. 4. 1981. Maschinenschriftl., kopiert, 5 S. (LAELKB Nürnberg, Vereine III/40 [Lebendige Gemeinde München], 2). 377 Werbefaltblatt „Wetterfahne oder Kompassnadel?“. Drucksache (LAELKB Nürnberg, Vereine III/40 [Lebendige Gemeinde München], 2). 378 BRÜSEWITZ-ZENTRUM. OFFENER BRIEFWECHSEL; Zur Geschichte des Zentrums vgl. BRÜSEWITZ-ZENTRUM. HOMEPAGE DER BUNDESSTIFTUNG ZUR AUFARBEITUNG DER SED-DIKTATUR. 379 Das „Christlich-Paneuropäisches Studienwerk (CPS) e. V.“ steht über seine Gründerin Walburga Habsburg Douglas in enger Verbindung mit der „Paneuropa-Union“.
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(Niedersachsen), Dr. Bernhard Vogel (Rheinland-Pfalz), Dr. Gerhard Stoltenberg (Schleswig-Holstein) und Dr. Hans Filbinger (Baden-Württemberg). In seinem Brief umging Höffkes die direkte Aufnahme des Themas „BrüsewitzZentrum“ im Hinblick auf die DDR, betonte aber unter Rückgriff auf eine Aussage Solschenizyns, dass man sich von außen in die inneren Angelegenheiten des Verhältnisses Kirche und Staat in der DDR einmischen müsse. Willberg antwortete, dass das CPS umgangssprachlich „Brüsewitz-Zentrum“ heiße und von daher durchaus für Konfliktstoff sorge, er gegen eine allgemein gehaltene Satzung nichts einzuwenden habe, aber: „Es ist doch wohl kein Zufall, daß sich in diesem Verein eine Reihe von militantkonservativen Personen zusammenfindet; z. B. der Verfasser des ‚Rotbuch Kirche‘, oder Mitglieder der ‚Notgemeinschaft evangelischer Deutscher‘. Und was an Äußerungen anlässlich der Gründungsversammlung bekannt wurde, lässt deutlich die innenpolitische Absicht erkennen, mittels der ‚CPS‘ eine bestimmte politische Auffassung zu propagieren. Hier, sehr geehrter Herr Höffkes, setzt meine Kritik ein: Ich beobachte auch andernorts mit Sorge, wie selbstverständlich und mit welchem taktischen Kalkül man versucht, kirchliche Vorgänge (in diesem Fall den traurigen Selbstmord eines Pfarrers) zu benutzen, um die eigene politische Auffassung zu propagieren. Es ist z. B. ein unglaubwürdiges Spiel, wenn von der ‚Lebendigen Gemeinde‘ gegen die ‚Politisierung der Kirche‘ polemisiert wird mit der eindeutigen Absicht, durch eben diese Polemik den Einfluß konservativer Politiker in der Kirche zu stärken.“380
An dieser Stelle nun schaltete sich der Bruder von Albrecht Köberlin, Theodor Köberlin, ebenfalls Vertreter des Kirchlichen Arbeitskreises München, in den Briefwechsel zwischen Willberg und Höffkes ein: Er sei erschrocken, so schrieb er an Willberg, über die diffamierende Unterstellung, die Arbeitsgemeinschaft „Lebendige Gemeinde“ polemisiere gegen eine Politisierung der Kirche mit der Absicht, den Einfluss konservativer Politiker in der Kirche zu stärken und fragte, ob es wirklich so schwierig sei, heutzutage zu verstehen, dass hinter der Motivation der Arbeitsgemeinschaftsgründung eine geistliche und keine politische Motivation stehe. Außerdem, so Köberlin weiter, solle Willberg nicht mit Unterstellungen arbeiten, die die Gesprächsatmosphäre vergifteten und Polarisierungen herbeiführten – dies stelle eine Art des „Ballerns“ auf „Pappkameraden“ dar.381
380
BRÜSEWITZ-ZENTRUM, 17. Brief von Dr. Theodor Köberlin an Pfarrer H[ans] H[arald] Willberg vom 27. 2. 1978. Maschinenschriftl., vervielf., 2 S., hier 1f. (LAELKB Nürnberg, Vereine III/40 [Lebendige Gemeinde München], 2). 381
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Willberg schrieb an Köberlin, er wäre froh, wenn er sich getäuscht hätte „und sich herausstellt, daß die ‚Lebendige Gemeinde‘ tatsächlich eine ungute Vermischung von politischer ‚Absicht‘ und kirchlichem Handeln zu vermeiden weiß.“382 Allerdings habe sich ihm, und das spreche gegen die Ausführungen Köberlins, im Nürnberger Gebiet folgendes Bild geboten: „Mit dem gleichen Flugblatt, das sich gegen eine ‚politisierende Kirche‘ wandte, wurden mehrere CSU-Politiker für die Wahl zur Landessynode empfohlen. In einer Nürnberger Gemeinde, in der Pfarrer und Kirchenvorsteher in größerer Zahl der ‚Lebendigen Gemeinde‘ angehören, wurden sogar auf dem Wahlvorschlag von unbekannter Hand Namen angekreuzt, bevor er den Kirchenvorstehern zuging. In mehreren Gesprächen wurde zudem immer wieder geäußert, man müsse mehr Einfluß gewinnen, man müsse sich gegen politische Tendenzen in Kirche und Gesellschaft wenden, die von ‚links‘ kommen usw. [. . .] Nun erfahre ich – und ich bin bekümmert darüber! –, daß Herr Höffkes und Herr Dr. Rost, die beiden wohl exponiertesten Vertreter der CSU, die von der Nürnberger ‚Lebendigen Gemeinde‘ bei der Wahl zur Landessynode unterstützt worden waren, jetzt neuerdings in einem Schreiben an Kirchenvorsteher in Nürnberg unter Berufung auf ihr kirchliches Mandat anlässlich der Kommunalwahlen dazu aufgerufen hätten, CSU-Kandidaten zu wählen. Ich bin ratlos: welchen Wert hat dann das von diesen beiden Herren unterschriebene Flugblatt, das sich gegen eine Politisierung der Kirche wendet? Wie soll ich in Zukunft Äußerungen dieser Art verstehen? Ich möchte Ihnen, sehr geehrter Herr Dr. Köberlin, gerne abnehmen, daß ‚hinter der Gründung der Lebendigen Gemeinde eine geistliche Motivtion steht‘. Sicher trifft das für viele, vielleicht die meisten Mitglieder dieser Gruppe zu. Aber dann müsste doch wohl der Protest gegen eine derartige ‚Vermischung‘ nicht von einem Außenstehenden, sondern sehr energisch von denjenigen Mitgliedern erfolgen, denen es ernst ist mit ihrem Anliegen.“383
Köberlin ging auf diesen Brief nicht ein, aber in welcher Nähe sich die Arbeitsgemeinschaft mit ihren „geistlichen Zielsetzungen“ zur politischen Agitation befand, zeigte sich auf der Nachbesprechung der Synodalwahl – die für die Arbeitsgemeinschaft „Lebendige Gemeinde“ gute Ergebnisse erbracht hatte – im Kreis der Vertreter der Arbeitsgemeinschaft. Man besprach die Mängel im „Wahlkampf“ und konstatierte, dass München eine „besondere Situation“ darstelle, da hier „viele Vorurteile“ herrschten und die Presse geschlossen gegen die Arbeitsgemeinschaft gestanden habe. Es wurde darüber diskutiert, ob man nicht den Wahlkampf offensiver hätte betreiben sollen, z. B. das Faltblatt „Fakten“, das in München verteilt worden war, jedem Kirchenvorsteher hätte zukommen
382 Brief der Evangelischen Akademie Tutzing – Pfr. Hans Harald Willberg – an Dr. Theodor Köberlin vom 23. 3. 1978. Maschinenschriftl., 2 S., hier 1 (LAELKB Nürnberg, Vereine III/40 [Lebendige Gemeinde München], 2). 383 EBD., 1f.
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lassen sollen. In Nürnberg wurde das Faltblatt „Weichen werden gestellt“ jedem Kirchenvorsteher ausgehändigt und es sei nur mit persönlicher Werbung gearbeitet worden. Im weiteren Verlauf des Gespräch wies Dekan Höfer auf die Situation in Württemberg hin, „wo offensichtlich viele ‚Randsiedler‘, die die kirchlichen Verhältnisse nicht so kennen, zur Wahl mobilisiert worden seien. Dieser Wählerkreis erscheine besonders leicht beeinflussbar, z. B. auch durch politische Parteien. In Bayern spielte dagegen die Glieder[un]g der Wahlkreise und Teilwahlkreise eine grössere Rolle für den Wahlausgang.“384 Trotz des Zusammenschlusses in der Arbeitsgemeinschaft „Lebendige Gemeinde“ lösten sich ihre Trägergruppen nicht auf. Die „Kirchliche Sammlung um Bibel und Bekenntnis in Bayern“ verleiht seit 2004 den Walter-Künneth-Preis „an Persönlichkeiten und Werke, die sich im Geiste des Namensgebers auf biblischer Basis um die Bewahrung und Verbreitung des christlichreformatorischen Erbes in Theologie, Verkündigung, Diakonie und Gesellschaft verdient gemacht haben.“385 Eine weitere Regionalgruppe der KS wurde 1967 unter dem Vorsitz von Pfarrer Walter Goez in Westfalen gegründet. Sie war „der Theologie Luthers verpflichtet und orientiert an den Bekenntnisschriften der lutherischen Reformation [und] bemüht [. . .] sich in theologischen Arbeitsgemeinschaften, Gemeindeseminaren und Gottesdiensten ‚die Botschaft des Evangeliums zu hören und in einer für Menschen unserer Zeit glaubwürdigen und verbindlichen Weise zu formulieren‘“,386 hieß es in einer Presseerklärung. Im September 1971 sprachen sich Vertreter der KS Westfalen auf einem von ihren gestalteten Gemeindetag in Bielefeld unter dem Motto „Glaube ohne Illusion“ gegen eine Überbetonung des sozialen Engagements in der Kirche aus – die Verkündigung des Evangeliums habe „Vorrang vor allen anderen Aktivitäten der Kirche“.387 Der theologisch-praktisch orientierte Charakter der KS Westfalen zeigt sich exemplarisch in einer Podiumsdiskussion auf dem Konvent der Mitglieder der KS Westfalen im Februar 1974. Unter dem Titel „Kirchliche Sammlung – Landeskirche – Lutherische Freikirche“ wurden mehrere Probleme erörtert: einmal die Grundlegung der Kirche in den Bekenntnissen der Reformationszeit, über die die Gemeindeglieder viel zu wenig informiert und die nahezu unbekannt 384 Arbeitsgemeinschaft Lebendige Gemeinde in Bayern. Bericht über die Zusammenkunft der Vertreter der angeschlossenen Organisationen und der Vertrauensleute am 17. 12. 1977 um 9 Uhr 30 in Nürnberg Gemeindehaus St. Johannis, gez. W. Klinger. Maschinenschriftl., 3 S., hier 2 (LAELKB Nürnberg, Vereine III/40 [Lebendige Gemeinde München], 2). 385 WALTER-KÜNNETH-PREIS. 386 „Kirchliche Sammlung“ bejaht zeitnahe Verkündigung. Gegen Überbetonung des sozialen Engagements. Presseerklärung. Ausschnitt, 1 S. (NEK-Archiv, 15.18 Nr. 20). 387 EBD.
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seien, der Wert der Liturgie als Umsetzung dieser Bekenntnisse und die geringe Aufmerksamkeit, die in der theologischen Ausbildung dem gottesdienstlichen Geschehen zukommen würde sowie die Stellung des Pietismus zwischen lutherischer Lehrorthodoxie und lutherisch-liturgischer Bewegung.388 1971 wurde von Alfred Braun, einem pensionierten Oberstudiendirektor in Heilbronn, die „Kirchliche Sammlung“ (KS) in Württemberg gegründet. Im Gegensatz zu der ebenfalls lutherisch ausgerichteten „Evangelischen Sammlung“ in Württemberg – s. u. – war die KS in Württemberg eng verbunden sowohl mit der KS auf Bundesebene und der KS in Bayern.389 Die württembergische KS war nur ein kleiner Kreis: 1972 umfasste er neun Mitglieder und einen Freundeskreis von 18 Personen.390 Braun gehörte der Ludwig-Hofacker-Vereinigung an und war darüber hinaus auch Mitglied der „Notgemeinschaft evangelischer Deutscher“.391 Die Bundesvereinigung „Kirchliche Sammlung um Bibel und Bekenntnis“ Die Bundesvereinigung „Kirchliche Sammlung um Bibel und Bekenntnis“ bildete sich auf der vom 21. bis 25. Februar 1968 in Sittensen stattfindenden „Deutsch-skandinavischen Theologentagung“, an der über 200 Vertreter kirchlicher Gruppen sowie Theologen aus Deutschland, Dänemark, Schweden und Norwegen teilnahmen.392 Die Vorbereitung ging von der KS Hannover und der KS Braunschweig aus sowie von Kleingruppen um Joachim Heubach (Nordelbische KS) und Georg Huntemann (KS Bremen).393 Vorläuferin dieser Tagung war der Evangelische Lehrertag 1964 in Sittensen mit der bereits dargestellten Diskussion zwischen Ernst Fuchs und Walter Künneth. Den Vorsitz der Tagung hatte der Göteburger Bischof Bo Giertz inne. Der bayerische Landesbischof und Ratsvorsitzender der EKD, Hermann Dietzfelbinger, wurde von 388
SUMMA, Bericht. Vgl. den Briefwechsel zwischen Alfred Braun und Joachim Heubach von 1971 bis 1973 in Akte NEK-Archiv, 15.18 Nr. 20. 390 Kirchliche Sammlung um Bibel und Bekenntnis, Land Württemberg. Maschinenschriftl., 1 S. (NEK-Archiv, 15.18 Nr. 20). 391 Arbeits-Programm der Notgemeinschaft Evangelischer Deutscher. Drucksache, 2 S., hier 2 (LLKA Dt 201–2, Bd. 2). 392 SÖHLMANN, Aktuelles; zu den Beiträgen und dem Ablauf vgl. HARTIG, Offenbarung – Schrift – Kirche. Weitere Theologentagungen unter der Leitung von Bo Giertz und Joachim Heubach veranstaltete die KS vom 24. bis 28. Mai 1972, vom 25. bis 28. August 1974 sowie nach längerer Unterbrechung am 22./23. März 1980. Die theologische Arbeit der KS wurde seit 1975 von der „Luther-Akademie“ in Ratzeburg übernommen. 393 Briefdurchschlag Kirchliche Sammlung in Braunschweig – der Geschäftsführende Vorsitzende W[olfgang] Büscher –, an alle Vorstandsmitglieder sowie an Herrn OKR [Max] Wedemeyer und Pfr. Dr. [Hellmut] Lieberg vom 16. 8. 1967. Maschinenschriftl., 2 S. (LAW, Pa Har 32). 389
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Peter Hartig um ein Grußwort gebeten, da man mit dem theologischen Profil des regional zuständigen Landesbischofs Hanns Lilje nicht einverstanden war.394 Die Theologentagungen in Sittensen – 1972, 1974 und 1980 fanden wiederholt Tagungen in Verschränkung mit den skandinavischen Vertretern statt – stellte einen der wesentlichen internationalen Bezüge einer der Trägergruppen der evangelikalen Bewegung dar und öffnete den Blick der Teilnehmenden hinsichtlich der außerdeutschen (evangelikalen) Verhältnisse. Bischof Bo Giertz äußerte sich im Nachgang der Tagung auf einer Pressekonferenz dahingehend, dass „die historische Forschung“ durchaus zu bejahen sei, „denn was in der Geschichte geschehe, sei auch geschichtlich überprüfbar.“ Aber für „einen Ausländer, der nach Deutschland komme, sei es klar, daß hier in der Theologie Denkvoraussetzungen vorhanden seien, die aus der Philosophie stammten und das Resultat bestimmt hätten. Für Ausländer sei dies aber mehr als zweifelhaft.
394 Lilje erfuhr von Dietzfelbinger von dieser Angelegenheit. Dieser hatte Anfang November 1967 an Lilje geschrieben: „Vor einigen Wochen besuchte mich der mir bis dahin persönlich unbekannte Pastor Hartig aus Sittensen. Er erzählte, daß bei ihm im Februar nächsten Jahres wieder eine Versammlung stattfinden werde, zu der auch Bischof Bo Giertz und andere vom Norden kommen würden. Es sei eine Veranstaltung der ‚Kirchlichen Sammlung‘. Er bat mich dazu zu kommen und ein Grußwort zu sagen. Auf meine Frage, warum er nicht seinen Landesbischof bitte, antwortete er, daß das nicht gehe. Warum nicht? fragte ich. Es kam dann heraus, daß er mit Deinem Wort bei dem Gespräch Künneth/Fuchs in Sittensen nicht einverstanden war. Auch gegen den Kurs des ‚Sonntagsblattes‘ hatte er vieles einzuwenden. Ich sagte, es sei nicht gut, wenn zwischen Dir und ihm solche Dinge stünden und fragte ihn, ob ich das nicht doch auch mit Dir besprechen sollte, nachdem ich jetzt davon erfahren hatte. Pastor Hartig bat darum. Inzwischen habe ich gehört, daß er von diesem persönlichen Gespräch anscheinend weiter erzählt hat. Das tut mir leid; aber ich wäre Dir doch dankbar, wenn wir vielleicht bei der nächsten Ratssitzung kurz darüber reden könnten. Ich selber werde zu der Veranstaltung in Sittensen nicht kommen, möchte aber auch in dieser Sache Dich gerne überhaupt um Deine Meinung bitten.“ (Brief des Landesbischofs der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, gez. D. [Hermann] Dietzfelbinger, an den Landesbischof D. Hanns Lilje DD vom 2. 11. 1967. Maschinenschriftl., 2 S., hier 1f. [LkAH, Best. L 3 III Nr. 1796). Offensichtlich sprachen Dietzfelbinger und Lilje auf der kommenden Ratssitzung über diese Angelegenheit. Lilje schien diese Angelegenheit allerdings auch weiterhin zu beschäftigen, denn er äußerte sich dazu noch einmal brieflich Anfang Januar gegenüber Dietzfelbinger: „Pastor Hartig gehört zu den treuesten und entschiedensten Anhängern des lutherischen Bekenntnisses und ist als solcher in der Landeskirche bekannt. Freilich ist er zugleich auch schwierig, was von vielen Gliedern seines Kreises durchaus empfunden wird. [. . .] Nach meiner eigenen Sicht der Dinge besteht der Hauptunterschied zwischen ihm und mir darin, daß er in Fragen der modernen Theologie ein deutlich formuliertes Wort von mir erwartet, daß ihm aber der Schlusssatz des Artikels der CA, XXVIII (28) im Grunde nichts sagt, nach dem solche Lehrfragen ‚non vi sed verbo‘ entschieden werden sollen. Sein Ideal wäre ein Bischof, der mit Entschlossenheit breite Ströme der heutigen Theologie als Häresie kennzeichnete und sich durch die Sorge um die jungen Theologen davon nicht abhalten ließe.“ (Briefdurchschlag an Landesbischof D. [Hermann] Dietzfelbinger, gez. H[anns] L[ilje], vom 4. 1. 1967 [= 1968]. Maschinenschriftl., 2 S., hier 1 [LkAH, Best. L 3 III Nr. 1796]).
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Denn die Theologie habe sich dadurch in ein Ghetto begeben, in dem eine ‚Zunftsprache‘ gesprochen würde, die nur für Eingeweihte verständlich sei.“395 Verabschiedet wurde in Sittensen ein „Wort an die Gemeinden“, die „Sittenser Erklärung“, die von Georg Huntemann und Hellmut Lieberg verfasst worden war,396 und in der in drei Punkten ausgeführt wurde, dass die in der Schrift bezeugte Offenbarung Gottes „nicht durch ein sogenanntes modernes Selbstoder Weltverständnis in Frage gestellt oder umgedeutet werden“ dürfe und der Kirche von heute ein Umgang mit der Schrift „not tut“, der „vorbehaltlos damit rechnet, daß Gott durch dieses Wort, so wie es ist, unser Leben richtet, befreit, lenkt und zum ewigen Heil führt. [. . .] Wer den geschichtlichen Tatsachen ohne Vorentscheidung gegenübersteht, kann nicht behaupten, daß die Heilstaten nicht geschehen sein könnten oder daß der Glaube an diese Heilstaten der ‚intellektuellen Redlichkeit‘ widerspräche.“397 Es wurde außerdem verkündet, dass dort, wo Jesus Christus, seine Gottmenschlichkeit, sein Sühnetod, seine leibliche Auferstehung und seine Erhöhung geleugnet würden, keine Kirche mehr existiere, sondern der Glaube zu einem „Programm bloßer Mitmenschlichkeit, Politik und Weltanschauung“ entarte. Aber „Ursprung der Freude und Freiheit des Menschen ist die Botschaft der rechtgläubigen Kirche.“398 Die Gründung der KS wurde von Hartig, dem neuen Vorsitzenden, in einem Brief an Dietzfelbinger ausführlich dargestellt und erläutert: „[. . .] Die anwesenden Vorstandsmitglieder der verschiedenen ‚kirchlichen Sammlungen um Bibel und Bekenntnis in Deutschland‘ [haben] in Sittensen den Beschluß gefasst, sich ähnlich der ‚Bekenntnisbewegung kein anderes Evangelium‘ auf Bundesebene zu koordinieren. [. . .] Die ‚kirchliche Sammlung um Bibel und Bekenntnis‘ hat sich in Deutschland bisher in folgenden Landeskirchen bezw. Gebieten konstituiert: Schleswig-Holstein, Hamburg, Hannover, Braunschweig, Bayern, Ost-Westfalen (Dorlaer Kreis); außerdem haben sich alle drei lutherischen Freikirchen in Deutschland der ‚kirchlichen Sammlung‘ offiziell angeschlossen. Letzteres verdient besondere Beachtung. Zahlreiche Briefe nach der Tagung von Einzelpersonen und
„KIRCHLICHE SAMMLUNG“ AUF BUNDESEBENE. Hartig, Peter: Die Kirchliche Sammlung und Sittensen (WEG UND ZEUGNIS, Bd. 1, 111f., hier 112). 397 Wort an die Gemeinden. Anlage 3 des Rundbriefes der Evangelischen Kirche in Deutschland – Kirchenkanzlei –, gez. [Gottfried] Niemeier, an die Leitungen der Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland Betr.: Schrift, Lehre und Verkündigung, vom 21. 3. 1968. Maschinenschriftl., vervielf., 2 S., hier 1 (EZA 2/994); Die Sittenser Erklärung vom 25. Februar 1968 (WEG UND ZEUGNIS, Bd. 1, 112f.) 398 Wort an die Gemeinden. Anlage 3 des Rundbriefes der Evangelischen Kirche in Deutschland – Kirchenkanzlei –, gez. [Gottfried] Niemeier, an die Leitungen der Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland Betr.: Schrift, Lehre und Verkündigung, vom 21. 3. 1968. Maschinenschriftl., vervielf., 2 S., hier 2 (EZA 2/994). 395 396
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Gemeinden durch ihre Pfarrer lassen erkennen, daß diese Neuordnung im lutherischen Bereich einem echten Bedürfnis entspricht. Das Verhältnis zur ‚Bekenntnisbewegung kein anderes Evangelium‘ ist dabei eindeutig. Im Angesichte des Feindangriffes auf die evangelische Christenheit insgesamt, diese Situation schildert meines Erachtens Walter Künneth in der Ausgabe ‚Christ und Welt‘ vom 8. März 1968 wiederum hervorragend, weiß die ‚kirchliche Sammlung‘ sich in enger Glaubens- und Kampfgemeinschaft mit der ‚Bekenntnisbewegung kein anderes Evangelium‘. Die bedrohlichen Zerfallserscheinungen in den alten lutherischen Landeskirchen jedoch machen es zum Gebot der Stunde, an dieser Stelle das Erbe der lutherischen Reformation in einer besonderen Anstrengung, die sich den Namen ‚kirchliche Sammlung um Bibel und Bekenntnis‘ gegeben hat, zu bewahren.“399
Im Gegensatz zur B KAE entschloss sich die KS und ihre Regionalverbände rasch zu dem Schritt, sich formal als Verein zu gründen. Am 9. Januar 1969 wurde die KS in Bremen ins Vereinsregister aufgenommen. Peter Hartig war bis 1970 Vorsitzender der KS. Am 1. Januar 1971 trat er aus dem Dienst der Hannoverschen Landeskirche in einen „frühzeitigen Ruhestand“, währenddessen er ein freikirchliches Pfarramt in Stelle bei Lüneburg übernahm.400 Auf der Jahrestagung der KS vom 6. bis 8. November 1970 wurde der lauenburgische Landessuperintendent Joachim Heubach zum Vorsitzenden der KS gewählt.401 Der KS auf Bundesebene schlossen sich an: die KS in Bayern, die KS in Braunschweig, die KS in der Hannoverschen Landeskirche, die „Evangelische Sammlung“ im Rheinland, die KS in der nordelbischen Kirche (vor 1979 die KS in Schleswig-Holstein), die KS in Westfalen, die „Evangelische Sammlung“ in Württemberg. Vorstandsmitglieder der KS waren um 1972 Wolfgang Büscher, der in der KS Braunschweig wirkte, Pfarrer Walter Goez von der KS Westfalen, der freikirchliche Pastor Hans-Lutz Poetsch aus Bremen, Georg Huntemann, Kirchensuperintendent der SELK Horst Brügmann, Dekan Walter Reissinger von der KS Bayern, Peter Hartig, Pfarrer Dietrich Studer, der Vorsitzende der KS Schleswig-Holstein Propst Karl Hauschildt, Ekkehard Hieronimus von der KS Hannover, Oberstudienrat Alfred Braun aus Württemberg.402
399
Brief von Peter Hartig, Pastor, an den Vorsitzenden des Rates der ev. Kirche in Deutschland Herrn Landesbischof D. Dr. [Hermann] Dietzfelbinger, vom 21. 3. 1968. Maschinenschriftl., 3 S., hier 1f. (LAELKB Nürnberg, LB 182). 400 Kirchliche Sammlung will konfessionellen Eifer mildern, in: epd-Vertraulich Nr. 20 vom 24. 11. 1970, 4f., hier 5. Kopie, Ausschnitt (NEK-Archiv, 15.18 Nr. 19). 401 prof. heubach vorsitzender der „kirchlichen sammlung“. epd-Telex vom 9. 11. 1970, 11.00 Uhr. Maschinenschriftl., 1 S. (NEK-Archiv, 15.18 Nr. 19). 402 Kirchliche Sammlung um Bibel und Bekenntnis e.V. – der Bundesvorstand –. Vorstandsmitglieder. [1972]. Maschinenschriftl., hektograph., 2 S. (NEK-Archiv, 15.18 Nr. 20).
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Am 10. April 1987 wurde die KS auf Bundesebene aufgelöst und durch die „Arbeitsgemeinschaft Kirchlicher Sammlungen um Bibel und Bekenntnis“ ersetzt, um eine bessere Kooperation und Koordination untereinander zu erreichen. Inhaltlich ergaben sich damit keine gravierenden Unterschiede zum vorherigen Bundesverein der KS.403 In der Satzung der KS hieß es einleitend, Zweck der KS sei es, „auf die Herausforderungen durch die in unserer Zeit sich verbreitenden Irrlehren und den wachsenden Unglauben Antwort [zu] geben in der vorbehaltlosen Bindung an die ganze Heilige Schrift Alten und Neuen Testaments als dem Worte Gottes, an die Bekenntnisse der lutherischen Reformation, wie sie im Konkordienbuch enthalten sind.“ Beichte sowie Kirchenzucht, Anbetung (Liturgie) und Hirtenamt, „welches nach dem Verständnis der ‚Kirchlichen Sammlung um Bibel und Bekenntnis‘ nicht von Frauen wahrgenommen werden kann“, sollen „aus der Verkümmerung und Verfälschung wieder in die Fülle kirchlichen Lebens eingebracht werden.“404 Grundlage der Arbeit waren die „Braunschweiger Thesen“ und das Sittenser „Wort an die Gemeinden“. 1970 wurde in einem internen Papier über das Verhältnis zu den Kirchenleitungen festgehalten, die KS müsse weiterhin in „Kritik und Opposition zu den Kirchenleitungen stehen“, man werde dazu „Wege zur Fraktionsbildung in Synoden und Kirchenleitungen prüfen und wagen müssen“, obwohl das Kompromisse nach sich ziehe, die wiederum ihre Grenze beim „status confessionis“ hätten. Nur der status confessionis rechtfertige Separation – in „gewissen Situationen wird die KS ein kirchliches Notregiment (und NotBischöfe) berufen müssen.“ Auch hier klingt die Vorstellung von einer Kirche im Dritten Reich an. Die konkreten Arbeitsschritte der KS in der Kirche, „mit der und gegen die faktische Kirchenleitung, werden abhängen von ihrer numerischen Stärke, mehr aber von der geistlichen Vollmacht“. Man werde sich bemühen, der Kirchenleitung „getreueste Opposition zu sein.“405 Diese Anliegen verbanden die KS mit der B KAE. Allerdings war das „lutherische Profil“ der KS dann doch wieder auch ein Unterscheidungsmerkmal. Eine Fusion von KS und B KAE wurde strikt abgelehnt, denn, so der 2. Vorsitzende der KS Wolfgang Büscher 1972 im „Nordelbischen Nachrichtenspiegel“, die KS „die Sammlung verstehe sich als ‚unbedingt gebunden an die Heilige
403
Vorwort. 1. Geschichte und Struktur der Kirchlichen Sammlung um Bibel und Bekenntnis e. V., in: Findbuch zum Bestand 15.18. Kirchliche Sammlung für Bibel und Bekenntnis e. V. Nordelbische Evangelisch-Lutherische Kirche, Nordelbisches Kirchenarchiv. Kiel 2005, If. 404 Satzung des Vereins „Kirchliche Sammlung um Bibel und Bekenntnis“. Maschinenschriftl., vervielf., 5 S. (NEK-Archiv, 15.18 Nr. 3). 405 Das Verhältnis der KS zu den Kirchenleitungen. Anlage zu „Leitlinien der KS für weitere Arbeit“. [1970]. Maschinenschriftl., 1 S. (NEK-Archiv, 15.18 Nr. 19).
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Schrift‘, wie sie in den lutherischen Bekenntnisschriften ausgelegt werde. Die Bekenntnisbewegung ‚Kein anderes Evangelium‘ hingegen habe sich von Anfang an als überkonfessionell ‚evangelisch‘ verstanden; in ihr könnten Lutheraner, Unierte und reformierte Mitglieder sein.“ Doppelmitgliedschaften seien zwar möglich, aber wer „zur Kirchlichen Sammlung gehören wolle, müsse Lutheraner sein, ‚der das unveränderte Augsburger Bekenntnis von 1530 anerkennt und bekennt und zu den übrigen lutherischen Bekenntnisschriften nicht in Widerspruch steht‘. Gemeinsame Anliegen von Bekenntnisbewegung und Kirchlicher Sammlung würden durch die ‚Konferenz Bekennender Gemeinschaften (KGB) [sic!] in den Evangelischen Kirchen Deutschlands‘ vertreten, der auch andere Gruppen angehören.“406 Eine wesentliche Rolle in der Arbeit der KS spielte seit Anfang der 1970er Jahre das Eintreten gegen die „Leuenberger Konkordie“ – ein Kampf, der von der B KAE zwar mitgetragen wurde, zumindest im Theologischen Konvent der KBG, der aber für die B KAE nicht zentral war. 6.2.5 Die Auseinandersetzung um die „Leuenberger Konkordie“ Der Theologische Konvent der KBG beschäftigte sich auf seiner Herbsttagung 1972 ausschließlich mit der EKD-Strukturreform und der Leuenberger Konkordie.407 Über die dabei herausgekommene Stellungnahme allerdings war der Vorsitzende der KS, der an dieser Tagung des Konventes nicht teilgenommen hatte, „nicht ganz glücklich“, da sie ihm „theologisch nicht detailliert genug zu sein scheint“. Man wird, so Heubach an Beyerhaus, „Leuenberg sehr viel detaillierter sehen müssen, zumal, wenn man sich dagegen wendet“408. In einem Schreiben an Rudolf Bäumer lehnte es Heubach rundheraus ab, die Stellungnahme des „Theologischen Konvents“ zu unterschreiben. Schon die wesentlich ausführlichere Stellungnahme der KS, die „Ratzeburger Thesen“,409 hätte erheblichen Wirbel ausgelöst und er wolle jetzt nicht noch eine Stellungnahme gegen die „Leuenberger Konkordie“ mittragen, noch dazu, da die vorliegende
„KIRCHLICHE SAMMLUNG“ UND BEKENNTNISBEWEGUNG. Protokolldurchschlag der Sitzung des Leiterkreises der Konferenz Bekennender Gemeinschaften in den evangelischen Kirchen Deutschlands am 2. u. 3. März 1972 in Frankfurt/M., gez. R[udolf] Bäumer – Vorsitzender – und P[eter] Beyerhaus – Schriftführer. Maschinenschriftl., 6 S., hier 1 (NEK-Archiv, 15.18 Nr. 1). 408 Briefdurchschlag von Landessuperintendent Prof. Dr. J[oachim] Heubach an Herrn Prof. Dr. Peter Beyerhaus vom 10. 10. 1972. Maschinenschriftl., 2 S., 1f. (NEK-Archiv, 15.18 Nr. 1). 409 Zum Text der „Ratzeburger Thesen“ vgl. WEG UND ZEUGNIS, Bd. 1, 187–193, hier auch weitere Stellungnahmen regionaler KS gegen die „Leuenberger Konkordie“ (EBD., 179–197). 406 407
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in eine andere Richtung gehe.410 Bezeichnend für den undifferenzierten Umgang mit der „Leuenberger Konkordie“ seitens evangelikaler Trägergruppen, die diese Auseinandersetzung als einen Schlag gegen die „moderne Theologie“ führten, ist eine Bemerkung Bäumers in einem Rundschreiben an den Leiterkreis der KBG, in dem er Friedrich Höfer, den Vorsitzenden der KS in Bayern zitierte, der verlauten ließ: „Für unsere eigene Beurteilung der Leuenberger Konkordie sind nicht die konfessionellen Fragen von primärer Bedeutung, sondern vielmehr die Feststellung, daß sich in die Konkordie modernistische Theologie eingeschlichen hat!“411 Bäumer fügte an: „Die Ausarbeitung einer Stellungnahme [gegen die Leuenberger Konkordie] ist deswegen so kompliziert, weil man offensichtlich vorher eine sorgfältige Quellenscheidung vorzunehmen hat. Neben bekenntnistreuen Theologen haben progressive Theologen ihre Anliegen hineingebracht, daher konnte von uns nicht etwa pauschal geantwortet werden, die Konkordie enthalte eine falsche Christologie oder eine unbiblische Rechtfertigungslehre.“412 Heinrich Jochums, in diesem Fall Vertreter des reformierten Standpunktes innerhalb der evangelikalen Bewegung, argumentierte gegen die „Leuenberger Konkordie“ ebenfalls nicht inhaltsbezogen theologisch, sondern vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Auseinandersetzung mit der evangelischen Kirche: „Die L[euenberger] K[onkordie] verlässt den allein legitimen Weg des Bekenntnisses. Die Kirchen haben durch ihr Schweigen zu aller Preisgabe von Schrift und Bekenntnis das Recht verloren, eine Kirchengemeinschaft aufgrund eines neuen Bekenntnisses zu schließen. Das kann nur zu einer Gemeinschaft des Unglaubens führen.“413 Joachim Heubach zeigte sich seit seiner Wahl als Vorsitzender der KS im Gegensatz zu seinem Vorgänger Peter Hartig offen hinsichtlich einer „gewisse[n] Milderung des konfessionellen Eifers“ und „sprach sich dafür aus, die durch die Tagungen in Sittensen bestimmte polemisch-aggressive Arbeitsrichtung durch den mehr volksmissionarischen Kampfstil der Bremer Epiphaniasgemeinde zu ergänzen. [. . .] Es gelte, künftig die konstruktive Kritik in den Vordergrund zu stellen und sich in der Polemik um eine ‚Unterscheidung der Geis-
410 Briefdurchschlag von Landessuperintendent Prof. Dr. J[oachim] Heubach an Herrn Pfarrer Rudolf Bäumer vom 25. 10. 1972. Maschinenschriftl., 2 S., hier 1 (NEK-Archiv, 15.18 Nr. 1). 411 Brief von Rudolf Bäumer an die Vorsitzenden der Bekennenden Gemeinschaften vom 17. 10. 1972. Maschinenschriftl., vervielf., 2 S., hier 1 (NEK-Archiv, 15.18 Nr. 1). 412 EBD., 1f. 413 Protokoll über die 8. Tagung des Theologischen Konventes am 21./22. September 1972 in Frankfurt/M., gez. Friedrich Höfer. Gesamtthema: Die Leuenberger Konkordie. Maschinenschriftl., vervielf., 2 S., hier 1 (NEK-Archiv, 15.18 Nr. 1).
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ter‘ zu bemühen“414, hieß es in einem vertraulichen epd-Bericht nach der Wahl Heubachs. 1985 definierte Büscher die KS als „ein Zusammenschluß von Theologen und Laien, die eine Art Brücke zwischen den katholischen Kirchen (östliche Orthodoxie, röm.-kath. Kirche und der anglikanischen Kirche) und den pietistischen und evangelikalen Gruppierungen bildet.“415 Zu diesem Zeitpunkt hatte die langjährige Erfahrung der KS mit der B KAE und in der KBG, deren Mitglied die KS war, gezeigt, so Büscher, „daß das theologische Gespräch [mit der B KAE und pietistischen Gruppierungen] dann problematisch wird, wenn über das kirchliche Amt und die Sakramente gesprochen wird und dabei auch Kontakte zu römisch-katholischen Theologen oder zu deren offiziellen Vertretern unsererseits gesucht werden. Die Kirchliche Sammlung um Bibel und Bekenntnis hat in diesem Punkt keine Berührungsängste im Unterschied zu großen Teilen etwa der ‚Bekenntnisbewegung ‘. Die Kirchliche Sammlung um Bibel und Bekenntnis vertritt ein christozentrisches Schriftverständnis, (aber keinen Christo-Monismus!), welches die Auslegung der ganzen Heiligen Schrift an das Apostolische Zeugnis des Neuen Testamentes bindet, wodurch ein ‚flächenmäßiger‘ Biblizismus als theologisch unsachgemäß erscheint. Unseres Erachtens findet sich ein solcher Biblizismus in manchen Bereichen der Evangelikalen. Dieser evangelikale Biblizismus erscheint uns jedoch in mancher Hinsicht besser als die totale Umdeutung des biblischen Offenbarungszeugnisses zu einer rein anthropologischen Ideologie. Auch hier sieht sich die Kirchliche Sammlung tatsächlich als eine Brücke zwischen den Extremen.“416
Eine enge Beziehung wurde zwischen der KS und der SELK gepflegt. Diese Verbindung war von Anfang an nicht nur durch Peter Hartig gegeben, sondern ihr lagen die „aktuellen Anforderungen des Bekenntniskampfes“, unter anderem die Zusammenarbeit bei der Erstellung der „Ratzeburger Thesen zur Leuenberger Konkordie“, zugrunde.417 6.2.6 Regionale „Evangelische Sammlungen um Bibel und Bekenntnis“ Die „Evangelischen Sammlungen um Bibel und Bekenntnis“, die sich in den Jahren nach 1966 bildeten, waren, so Friedhelm Jung, im Gegensatz zu den KS „ökumenischer“ ausgerichtet und nicht zentral den lutherischen Bekenntnis414
Kirchliche Sammlung will konfessionellen Eifer mildern, in: epd-Vertraulich Nr. 20 vom 24. 11. 1970, 4f., hier 5. Kopie, Ausschnitt (NEK-Archiv, 15.18 Nr. 19). 415 Brief von Wolfgang Büscher an das Institute for Ecumenical Research [. . .], z. Hd. Prof. Dr. Mark Ellingsen vom 21. 11. 1985. Maschinenschriftl., 3 S., hier 1 (NEK-Archiv, 15.18 Nr. 19). 416 EBD., 2. 417 KIRCHENBERICHT, 56.
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schriften verpflichtet.418 Sie verfolgten im Prinzip dieselben Ziele wie die KS und die B KAE: das Eintreten gegen die so wahrgenommenen Missstände in der Kirche. Es ist Jung in dem Punkt zu widersprechen, wenn er mit der „ökumenischen“ Ausrichtung der „Evangelischen Sammlungen“ meint, nur hier habe die Möglichkeit bestanden, dass auch Vertreter von Freikirchen Mitglied wurden. Die Mitgliedschaft von Vertretern der SELK in der KS zeigt, dass das auch in den KS möglich war. Außerdem war die konfessionelle Ausrichtung der „Evangelischen Sammlungen“ sehr spezifisch an die jeweiligen landeskirchlichen Verhältnisse angepasst und unterschied sich von daher gravierend. Das zeigt sich besonders bei den beiden „Evangelischen Sammlungen“ in Württemberg und Berlin-Brandenburg, wobei es seit 1975 auch eine „Evangelische Sammlung im Rheinland“ gab, die allerdings nicht in Kontakt mit der rheinischen Regionalgruppe der B KAE stand,419 und deren Wirkungsgeschichte in den 1970er Jahren eher als marginal bezeichnet werden kann. Die „Evangelische Sammlung um Bibel und Bekenntnis“ in Württemberg und die Situation in der württembergischen Landeskirche In der württembergischen Landeskirche hatte 1969 der Esslinger Dekan und späteres Mitglied der württembergischen Landessynode und der EKD-Synode, Kurt Hennig,420 die „Evangelische Sammlung um Bibel und Bekenntnis“ gegründet. Im Gegensatz zu Darstellungen, die einen kausalen Zusammenhang zwischen der „Esslinger Vikarserklärung“ vom Oktober 1969 und der Gründung der „Evangelischen Sammlung“ herstellen,421 muss konstatiert werden, 418
JUNG, Die deutsche Evangelikale Bewegung, 101. HÖRSTGEN, Rheinland (Dezember 1975). In dem Bericht von Hörstgen im Informationsbrief der B KAE hieß es: „Es wurde berichtet, daß im Raum der ev. Kirche im Rheinland nach württemberger Vorbild eine ‚Ev. Sammlung um Bibel und Bekenntnis‘ sich bildet, wie solche ‚Sammlungen‘ in vielen Landeskirchen bestehen. Eine klare Einsicht in die Beweggründe der Gründung der ‚Sammlung‘ im Rheinland konnte noch nicht gewonnen werden, zumal eine von ihr herausgegebene ‚Erklärung‘ unseres Erachtens sich nicht von den Anliegen der Bekenntnisbewegung unterscheidet.“ (EBD., 22). 420 Zu Kurt Hennig vgl. EHMER / KAMMERER, Handbuch, 186. 421 So schreibt Werner Zeeb in der von der „Evangelischen Sammlung“ herausgegebenen kleinen Schrift zum 70. Geburtstag Hennigs, „der letzte Anlaß zu dieser Gründung [der ‚Evangelischen Sammlung‘] war eine Äußerung der damaligen württembergischen Vikarskonferenz, in der die Bibel nur noch als ‚ein Gesprächspartner unter anderen‘ bezeichnet wurde. [. . .] Die genannte Äußerung war ja nur die Spitze eines Eisberges, der das Schiff der Kirche in unserer Zeit immer mehr bedrohte und noch bedroht. Die Kirche steht in Gefahr, daß der Heiligen Schrift und dem Bekenntnis fremde, ja entgegengesetzte Ideen und Kräfte in ihr die Oberhand gewinnen. Unter Schlagworten wie Demokratisierung, Offenheit, Pluralismus, politisches Engagement, Emanzipation usw. breiteten sich diese Kräfte mehr oder weniger unbehindert zur großen Bestürzung vieler 419
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dass die Sammlung sich schon im späten Frühjahr bzw. Anfang Sommer 1969 konstituierte, das heißt bevor die „Vereinigung Württembergischer Vikare“ mit ihrer Erklärung an die Öffentlichkeit ging.422 Allerdings dürften die Ereignisse seit Frühjahr 1968 in der württembergischen Landeskirche Hennigs Ambitionen forciert haben, z. B. die seit dem Sommersemester 1968 virulenten Diskussionen im Tübinger Stift um das Tischgebet,423 in die sich Hennig im November 1968 mit einer kritischen und den Sachverhalt stark reduzierenden Predigt in der Esslinger Stadtkirche einschaltete,424 oder die Störung und der Abbruch des Gottesdienstes von Landesbischof Eichele in der Tübinger Stiftskirche durch Studierende am 18. Mai 1969. Die „Esslinger Vikarserklärung“, die im Oktober 1969 auf der 2. württembergischen Vikarskonferenz verabschiedet wurde, dürfte Hennig in seinem Unternehmen wiederum sehr bestärkt haben, denn in ihr hieß es, man leide unter den Erwartungen, die ein großer Teil der Gemeinden an das Verständnis der Bibel herantrage, und zwar als ein normatives Wort Gottes. Handlungsoptionen könne man aber nicht selbstverständlich aus der Bibel ableiten, sondern müsse sich an der gegenwärtigen gesellschaftlichen und individuellen Not orientieren. Dabei sei die Bibel „Gesprächspartner unter anderen“.425 Zu den Gründungsmitgliedern der „Evangelischen Sammlung“ gehörte auch der Ludwigsburger Dekan Theodor Dipper, der lange Jahre Vorsitzender der 1934 gegründeten württembergischen Bekenntnisgemeinschaft war, die auch nach 1945 weiterwirkte und sich 1970 – auf Grund der steten Verwechslung
Gemeindeglieder und Pfarrer in der Kirche und in kirchlichen Veröffentlichungen aus. Kurt Hennigs Verdienst ist es, daß er diejenigen rief und sammelte, die es leid waren, daß man versuchte, die Kirche umzufunktionieren und als Werkzeug eines ‚anderen Evangeliums‘ zu missbrauchen.“ (ZEEB, Kurt Hennig, 3). 422 Auf dem Faltblatt der Evangelischen Sammlung, welches samt einer Einleitung des vorläufigen geschäftsführenden Ausschusses der Evangelischen Sammlung auch die bis heute gültige „Erklärung“ der „Evangelischen Sammlung“ präsentiert, ist unter den namentlich aufgelisteten Unterschriften gedruckt vermerkt: „Gesamtzahl der Unterschriften am 3. Juni 1969: 256“ (Evangelische Sammlung in Württemberg. Faltblatt, unpagn. [4 S.] [NEK-Archiv, 15.18 Nr. 20]), d. h. die Evangelische Sammlung trat schon vor dem 3. Juni in Aktion. 423 Zu der Debatte um das Tischgebet im Tübinger Stift wurde im SS 2009 an der EberhardKarls-Universität Tübingen am Lehrstuhl von Prof. Jürgen Kampmann von Frau Julia Kolb eine Diplomarbeit eingereicht und angenommen. Unter dem Titel „Die Auseinandersetzungen über das Tischgebet im Evangelischen Stift Tübingen 1968–1970: Binnenwahrnehmung und Außenperspektive“ präsentiert die Diplomarbeit die differenzierte Diskussionslage der Auseinandersetzung um das Tischgebet am Tübinger Stift. 424 Zu Hennigs Haltung in der Debatte um das Tischgebet vgl. KOLB, Auseinandersetzungen, 34–38. 425 Vgl. OEHLMANN, Das konnten wir uns, 11–13.
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mit der B KAE – in „Evangelium und Kirche“ umbenannte.426 Aus ihr ging die Synodalgruppe „Evangelium und Kirche“ hervor, die in der württembergischen Landessynode eine Mittelposition darstellte zwischen dem konservativ-pietistischen Gesprächskreis „Bibel und Bekenntnis“, der 1971 in dem Kreis „Lebendige Gemeinde“ aufging, und den liberal-progressiven Gruppen „Offener Gesprächskreis“ und „Evangelische Erneuerung“, die sich später zum Gesprächskreis „Offene Kirche“ zusammenschlossen.427 Die Ausrichtung der „Evangelischen Sammlung“ war durchaus lutherisch – der Informant Heubachs in Württemberg, Alfred Braun, Vorsitzender der zwei Jahre später gegründeten KS in Württemberg und Mitglied der Ludwig-Hofacker-Vereinigung, berichtete an den Vorsitzenden der Bundessammlung KS, die „Evangelische Sammlung um Bibel und Bekenntnis“ sei „ein rein Württembergisches Gewächs [. . .]. Hier haben die württembergischen Pfarrer gehandelt, um die Besonderheit der ‚Württembergischen Landeskirche‘ zu zeigen. Seit dem zweiten Weltkrieg ist nämlich das Wort ‚Lutherisch‘ in unserer Kirche ein ominöses Wort, dessen man sich nicht mehr gerne bedient.“428 Die „Evangelische Sammlung“ vertrat also ein speziell „württembergisches Luthertum“, nannte sich aber nicht KS, sondern „Evangelische Sammlung“. Die KS Württembergs, die sich als sehr kleine Gruppe unter Alfred Braun 1970 oder 1971 konstituierte, war dagegen stärker auf die KS fokussiert und an die Bundessammlung der KS angebunden. Dass die Ausrichtung der „Evangelischen Sammlung“ anfangs durchaus zwar konventionell bibelbezogen, aber liberaler als die B KAE oder die bayerische KS war, legt Dippers Mitarbeit und die Nähe zu „Evangelium und Kirche“ nahe.429 Allerdings wandte sich Hennig im Laufe der 1970er Jahre stärker dem württenbergischen Pietismus um die Ludwig-Hofacker-Vereinigung zu und wurde Mitglied im Vorstand des Gesprächskreises „Lebendige Gemeinde“, in dem sich spätestens seit Mitte der 1970er Jahre alle Vertreter „bekenntnisnaher“ Gruppen sammelten. Mit ihrer Gründung verabschiedete die „Evangelische Sammlung“ eine Erklärung, die noch heute Grundlage der Arbeit der württembergischen Sammlung bildet. Darin wurde festgehalten, dass die Heilige Schrift „einzige Quelle und der verbindliche Maßstab für das Reden und Handeln der Kirche“ sei, die „Neugestaltung der Kirche [. . .] nur aus dem Wort und dem
426
HERMLE / OEHLMANN, Gruppen, [7]. EBD., [7–11]. 428 Braun, Alfred: Der Glaube an Jesus Christus, den Sohn GOTTES, unsern HERRN und die Württembergische Landeskirche. Anlage zu Brief der Kirchlichen Sammlung um Bibel und Bekenntnis – Vorsitzender –, gez. [Joachim] Heubach, an die Mitglieder des Bundesvorstandes vom 12. 7. 1971. Maschinenschriftl., vervielf., 7 S., hier 5 (NEK-Archiv, 15.18 Nr. 20). 429 Für diesen Hinweis danke ich herzlich Frau Karin Oehlmann. 427
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Geist Gottes, also durch Predigt und die Sakramente in der Gemeinschaft der Glaubenden“ erwartet werden könne, eine Erneuerung des Menschen „sich nur im Glauben an Christus“ ereigne und „eine gute Welt nur von der neuen Welt des wiederkommenden Herrn“ zu erwarten sei. Grundvoraussetzung der Ordination sei die Anerkennung der Heiligen Schrift „als Quelle und Maßstab allen kirchlichen Redens und Handelns“, Diakonie sei nicht zu trennen von der Verkündigung und der Glaubensgemeinschaft der Christen. Außerdem habe die Demokratisierung der Kirche „ihr Maß und ihre Grenze an der Christokratie in der Kirche“.430 Wendet man den Blick von der „Evangelischen Sammlung“ in Württemberg hin zu der „Evangelischen Sammlung Berlin“, so ergibt sich hier ein Kontrast, wie er größer kaum sein könnte. Diese Diskrepanz ergibt sich aus dem sowohl innerkirchlichen als auch gesellschaftlichen Kontext der jeweiligen „Sammlung“. Die „Evangelische Sammlung um Bibel und Bekenntnis“ in Berlin und die Situation in der Berlin-brandenburgischen Landeskirche Stand die württembergische Landeskirche mit ihrer spezifischen Synodalwahlstruktur, der starken pietistischen Prägung ihrer Kirchenmitglieder und der Synode vor dem Problem der Abwendung eines landeskirchlichen Sonderweges, so verkörperte die Berlin-brandenburgische Kirche durch ihre Teilung einen Sonderweg, der durch die äußeren Umstände diktiert wurde. Der vor den Toren „real existierende Sozialismus“ brachte in die Westberliner Kirche zwingend eine Fokussierung auf kirchenpolitische Probleme ein, welche auf Frömmigkeitsprägungen, die im Großstadtmilieu von je her ihre festen Konturen verloren, kaum Rücksicht nehmen konnte. Allerdings kam in Berlin seit 1967 die unmittelbare Konfrontation der Kirche mit einer anderen „neuen sozialen Bewegung“, nämlich der Studentenbewegung, zum Tragen. Die wiederum brachte auch innerhalb der evangelischen Kirche eigene Formationen hervor. Besonders schlug sich das unter den Theologiestudenten nieder, die Teil der Studentenbewegung waren, weiterhin in den ESGen, in den Jungen Gemeinden, bei jüngeren Pfarrern und Vikaren. Deren Engagement manifestierte sich in den verschiedensten Aktionen. Die Entwicklungen der „innerkirchlichen 68er Studentenbewegung“ und ihr Einfluss auf kirchliche Reformprozesse sowie die der protestantischen Reaktionen auf diese Gruppen sind bisher noch kaum aufgearbeitet. Lediglich für Reformgruppen in Bayern liegt inzwischen die Dis430 Erklärung, in: Evangelische Sammlung in Württemberg. Faltblatt, unpagn. [2f.] (NEKArchiv, 15.18 Nr. 20).
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Die evangelikale Bewegung im Konflikt mit den Landeskirchen
sertation von Angela Hager „Ein Jahrzehnt der Hoffnungen“ vor. Hager liefert darüber hinaus einen der wenigen Überblicke über die Beziehungsfelder der christlichen Studentengruppen zu ihrem Umfeld.431 Die „Studentenbewegung innerhalb der Kirche“ – es ist fraglich, inwiefern dieser Terminus als Sammelbegriff für die disparaten Gruppen und Geschehnisse überhaupt zutreffend ist – erhielt in der akademischen Theologie eine Unterstützerin, insofern hier zeitgleich Begriffe der Studentenbewegung in ihrem Verhältnis zur Theologie diskutiert wurden: „Theologie der Revolution“, „Christen als Sozialisten“ waren Themenfelder, die kontrovers diskutiert wurden. Manch einer der Theologen erlebte die Studentenrevolte von ihrer destruktiven Seite, wie z. B. Helmut Thielicke in Hamburg.432 Andere solidarisierten sich mit den Studierenden, z. B. Helmut Gollwitzer in Berlin, der nach Aussage von Rudi Dutschke zu den „wenigen radikaldemokratischen Lichtern in der Wüste der autoritären Professorenschaft“ gehörte.433 Das „politische Nachtgebet“, von Dorothee Sölle und Fulbert Steffensky initiiert, nahm Anliegen der Studentenbewegung unmittelbar auf.434 Die Reaktionen unter den Kirchenmitgliedern und in den Gemeinden auf die Studentenbewegung fiel vollkommen verschieden aus: von offener Ablehnung – man denke an die Störung der Mitternachtsmesse in der Westberliner Gedächtniskirche am 24. Dezember 1967 durch eine Gruppe Studierender, die gegen den Vietnamkrieg protestierten und die daraufhin von empörten Gottesdienstbesuchern in der Kirche verprügelt wurden – bis hin zur aktiven Mitarbeit für Belange der Studierenden. Die Kirchenleitungen waren Ende der 1960er Jahre mit einer ganzen Fülle von Problemen befasst, die direkt oder indirekt auf Anliegen der Studentenbewegung zurückzuführen waren.435 Um all dies in seiner Komplexität und Kausalität darzustellen, bedürfte es mindestens einer weiteren Arbeit. Es soll an dieser Stelle exemplarisch auf eine Aktion der Studenten hingewiesen werden, die illustriert, warum besonders unter den Vertretern der evangelikalen Bewegung die Studentenbewegung vehement abgelehnt wurde: Im Oktober 1968 fand in Celle eine Versammlung von 60 Studenten, Vikaren und Pfarrern statt, die die 431
HAGER, Protestantismus. Zu Helmut Thielicke vgl. FRIEDRICH, Helmut Thielicke; zu Thielickes Perspektive auf die Ereignisse Ende der 1960er Jahre: THIELICKE, Zu Gast, 400–423. 433 DUTSCHKE, Rudi Dutschke, 100. Zu Gollwitzer vgl. LEPP, Helmut Gollwitzer. 434 Vgl. CORNEHL, Dorothee Sölle; AKTION. 435 Dabei ist zumindest anzumerken, dass die „linke Studentenbewegung“ ein ebenso inhomogenes Phänomen war, wie sämtliche „neue sozialen Bewegungen“ der Zeit und von einer unübersichtlichen Anzahl von Gruppen und Aktionskreisen mit jeweils unterschiedlichen und einigen gemeinsamen Zielen getragen und vorangetrieben wurde (paradigmatisch vgl. SCHOEPS / DANNEMANN, Die rebellischen Studenten). 432
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„Gründung eines revolutionären Syndikats kirchlicher Arbeiter vorbereiten“ sollte. 1969 tagte in Bochum mit 200 Teilnehmern die Folgeveranstaltung „2. Celler Konferenz“, unter deren Meinungsbildnern der schon erwähnte Rolf Trommershäuser hervorstach. Hauptziel der „2. Celler Konferenz“ war, so Trommershäuser, „die Zerstörung des Kapitalismus. Die Zerschlagung der Kirche ist nur ein erwünschtes Nebenziel.“ Er selbst war inzwischen Vikar an einer Frankfurter Gemeinde, nachdem er sein Vikariat Ende 1968 in Essen-Nord in der rheinischen Landeskirche „wegen Linksdrall“ nicht antreten durfte. In Bochum wurde auf der Tagung der linken Theologiestudenten und Pfarrer Kirchenkritik und Revolutionsplanung betrieben, aber an der Art des Umsturzes schieden sich, wie so häufig, die Geister, wie „Der Spiegel“ von der zwischen Kirchenumsturzplänen, Mao-Zitationen und Obszönitäten („Von der Onanie müssen wir jetzt endlich zum Orgasmus kommen! [. . .] Wir gründen eine AntiKirche nach Rätesystem“) schwankenden Konferenz berichtete: „Die einen wollten den kirchlichen Apparat von außen bekämpfen, ‚bis er platzt‘ – so forderte es der Heidelberger SDS-Ideologe Walter Kraft, neuntes theologisches Semester. Die anderen wollten nach dem Examen ‚in den Apparat gehen‘ und ihn von innen aushöhlen – so forderte es Vikar Rolf Trommershäuser.“436 GoIns wurden geplant und das Fernziel bundesweiter Streiks besprochen, aber „die nächste Großveranstaltung des ‚Apparats‘ freilich empfanden die roten Kämpen als ungeeignetes Objekt: Den Kirchentag in Stuttgart (16. bis 20. Juli) wollen die Linken – obwohl eingeladen – rechts liegenlassen. Zwar forderte Bierredner [Pastor Wolfgang] Schiesches [Bremen]: ‚Funktioniert ihn um!‘ Doch nach dem Gründungs-Akt schlafften die Syndikats-Genossen ab. Trommershäuser: ‚Wir könnten die Leute nur anpinkeln, dann fliegen wir raus. Also soll die Kirche ihre schwachsinnige Diskussion allein führen.‘“437 Mit der Ablehnung der Teilnahme am Kirchentag sollten die linken christlichen Revoluzzer nicht die Einzigen bleiben. Es sei an dieser Stelle vorausblickend angemerkt, dass die erste Reaktion auf derartig manifeste Aktivitäten linker kirchenkritischer Jugendgruppen und Theologiestudenten im Rahmen der 1968er Bewegung aus den evangelikalen Reihen erstaunlicherweise erst 1976 erfolgte, mit dem von Jens Motschmann und dem Sohn Walter Künneths, Friedrich-Wilhelm Künneth, herausgegebenen „Rotbuch Kirche“. Angesichts der Entwicklungen im Lager der Theologiestudierenden, die sich der „Außerparlamentarischen Opposition“ (APO) verbunden fühlten oder im
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ROTE BIBELN. EBD.
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Die evangelikale Bewegung im Konflikt mit den Landeskirchen
„Sozialistischen Deutschen Studentenbund“ (SDS) engagierten und aus dieser Perspektive heraus massive Kirchen- und Theologiekritik übten, sprach der Präses der rheinischen Kirche vom „beginnenden Kirchenkampf“, ein Terminus, der kirchlicherseits gegenüber der B KAE tunlichst vermieden wurde. In der Berlin-brandenburgischen Kirche (Berlin-West) nun kam es, nicht zuletzt auf Grund des Umstandes, dass hier der Ausgangspunkt der Studentenbewegung lag, in den 1970er Jahren zu einer Vernetzung der evangelikalen Trägergruppen mit politischen Parteien bzw. politisch agierenden Gruppen des rechten Randes der CDU und nationalkonservativen Vereinen. Die Verhältnisbestimmung ist auch an diesem Punkt noch nicht genügend aufgearbeitet, um endgültige Feststellungen treffen zu können, aber generell wird davon auszugehen sein, dass sich die Politisierung und Hinwendung der evangelikalen Bewegung zur rechten politischen Agitation, die sich mit einer anderen „neuen sozialen Bewegung“, nämlich der „Neuen Rechten“ überschnitt, als eine Gegenbewegung zu der Studentenbewegung innerhalb der Kirche herausbildete. Seit 1961 tagte die Berlin-brandenburgische Kirchenleitung und Synode getrennt nach Ost- und Westzugehörigkeit.438 1970 wurde auf Grund der erschwerenden äußeren Umstände beschlossen, dass die gemeinsame Verfassung nach Bedarf getrennt verändert werden könne, um so den beiden Regionalkirchen größere Arbeitsspielräume zu eröffnen, 1972 kamen nach kontroversen Debatten die Regionalsynoden überein, jeweils eigene Bischöfe zu wählen. Seit 1966 war das Kurt Scharf, der nun durch Albrecht Schönherr sein ostberlinerisches Pendant im Amt des Bischofs erhielt. Wie schon gesagt, hatten in der Regionalkirche Berlin-West kirchenpolitische Fragen Priorität, da man ständig die Balance zwischen den beiden Teilen der Berlin-brandenburgischen Kirche zu halten hatte. Den Vorwurf eines zu großen politischen Engagements handelte sich die Kirchenleitung, speziell Scharf, allerdings nicht dadurch ein, sondern durch seine Reaktionen auf die gegen Polizei- und Justizwillkür protestierenden Studierenden Berlins. Scharf war einer der Vordenker der stark umstrittenen Ostdenkschrift der EKD, zeitweise Mitglied des Zentralausschusses des ÖRK, also Vertreter der ökumenischen Bewegung und er setzte sich als Vermittler in den Berliner Studentenunruhen zwischen Studierenden und Stadtregierung ein. All diese Aspekte seines Handelns riefen den Unmut evangelikaler Trägergruppenkreise hervor.
438 Schon 1959 war eine „Notverordnung über einstweilige regionale Synoden“ verabschiedet worden für den Fall, dass die Synodenmitglieder aus dem Westberliner und dem der DDR zugehörigen Stadtteil nicht mehr zu einer Synode zusammenkommen könnten.
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Im Juni 1967 kam es zu einem Solidaritäts-Hungerstreik von Studenten für den inhaftierten Fritz Teufel in der Kirche Berlin Neu-Westend, die dann polizeilich geräumt werden sollte. Um sowohl diesen Polizeieinsatz zu verhindern, als aber auch dem Grundsatz nachzukommen, dass Kirchenräume nicht für politische Aktivitäten genutzt werden dürften, leitete Scharf die Hungerstreikenden nur einen Tag nach Beginn des Streikes in das Studentenwohnheim in die Gelfertstraße um.439 Es kam zu Kritik aus den Gemeinden und dem Vorwurf, die Kirchenleitung hole sich die revolutionären Studenten in kirchliche Räume. Scharf sprach sich gegen pauschale Verurteilungen aus, aber sein Ruf als „roter Bischof“ begann sich schon 1967 zu verfestigen. Gegen derartige „schwärmerische“[. . .] Inanspruchnahme des geistlichen Amtes zu gesellschaftlichen Engagement[. . .]“440, so Reinhold George, Pfarrer der Gemeinde „Zum Heilsbronnen“, scharfer Kritiker der „Ostdenkschrift“441 und Ende der 1970er Jahre Vorsitzender der KBG, gründete sich Ende September 1967 die „Evangelische Sammlung Berlin“, die sich als Zusammenschluss von Vertretern von Kirchengemeinden Berlins, Freikirchen und Gemeinschaften verstand. Ein „Wort zur gegenwärtigen theologischen Lage“ führte die inhaltliche Schwerpunktsetzung der Evangelischen Sammlung in der Form von „Wir glauben und bekennen“ und „Darum halten wir es für einen Irrtum“ aus.442 Man bekannte Christus als wahrhaften Mensch und wahrhaften Gott, bekannte die Versöhnung des Menschen mit Gott durch Christi Opfertod, seine Auferstehung von Kreuz und Grab sowie seine Erhöhung und Wiederkunft. Man hielt es für einen Irrtum, wenn dieses Bekenntnis für überholt und beliebig auswechselbar erklärt würde, wenn Jesu Sterben nur als Vorbild für menschlichen Gehorsam gesehen und der Glaube an ihn durch einen „Glauben wie Jesus“ ersetzt würde und die Auferstehung nur als „Chiffre“ oder „Qualifikation“ bezeichnet oder als den heidnischen Göttermythen entlehnt gedeutet werde. Weiter wurden Anschauungen verworfen, bei denen Gott in innerweltlichen und in mitmenschlichen Beziehungen aufgehe, eine Verneinung des Gegenübers von Gott und Mensch erfolge oder vom „weltlichen Gott“ geredet werde, der aus der 439 Rundbrief von D. Kurt Scharf, Bischof der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg, an die Gemeindeglieder, die zu den studentischen Demonstrationen Stellung genommen und dabei am Verhalten der Kirche Kritik geübt haben, vom 30. 6. 1967. Maschinenschriftl., 5 S. (ELAB 40/14). 440 KIRCHLICHE BLOCKBILDUNG. 441 LEICHT, Drei Dinge. 442 Evangelische Sammlung Berlin. Wort zur gegenwärtigen theologischen Lage. Anlage 5a des Rundbriefes der Evangelischen Kirche in Deutschland – Kirchenkanzlei –, gez. [Gottfried] Niemeier, an die Leitungen der Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland Betr.: Schrift, Lehre und Verkündigung, vom 29. 12. 1967. Gedruckt, Kopie, unpagn., [5 S.] (EZA 2/993).
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Tiefe des menschlichen Daseins zu Menschen spreche. Man bekannte, dass der Glaube durch den Heiligen Geist geschenkt werde, der zu der heiligen christlichen Kirche rufe und Menschen vereine. Es wurde als Irrtum bezeichnet, die Heilige Schrift nur als zeitbedingtes Menschenwort anzusehen, ohne zugleich zu betonen, dass einem gerade in diesem Menschenwort Gottes Wort begegne, „denn wir stehen nicht als Kritiker über der Schrift, sondern als Hörer unter dem uns richtenden Wort vom Kreuz, das sie bezeugt.“443 Des Weiteren umschließe „die Nachfolge Jesu [. . .] zwar die Solidarität mit allen Menschen, bindet uns aber daran, daß Er allein Weg, Wahrheit und Leben ist. Die Solidarität mit dem Sünder ist nicht die Solidarität mit dem Unglauben.“444 Man verwahrte sich dagegen, dass „das Wahrnehmen von Mitverantwortung und Öffentlichkeitsauftrag des Christen nicht mehr von dem Engagement für bestimmte politische Programme unterschieden wird.“445 Die „Evangelische Versammlung“, der im September 1967 etwa 80 Pfarrer und Prediger sowie ebenso viele Laienmitglieder aus der evangelischen Kirche und den Freikirchen angehörten, betonte, dass sie für offene Gespräche bereit sei und, obwohl ähnliche Zielsetzungen sie verbinden würden, sie sich nicht als „Ableger“ der B KAE verstehe. 1968 kritisierte die „Evangelische Sammlung“ sogar offen die „Lehrgerechtigkeit“ der B KAE, die sich ohne Vergebungswillen zur Richterin über den Glauben von anderen aufschwinge und den DEKT unangemessen scharf kritisiere.446 Ebenso gäbe es keine irgendwie gearteten Verbindungen zur „Notgemeinschaft evangelischer Deutscher“, da der Schwerpunkt der Sammlung auf den „theologischen Lehrfragen und nicht auf politischem Gebiet“ liege.447 Die Intention der Sammlung war eindeutig gegen eine politische Betätigung der Kirchenleitung bzw. innerhalb der Kirche gerichtet. So kam es immer wieder zu Kritik an Scharfs gesellschaftspolitischem Engagement seitens Vertreter der „Evangelischen Sammlung“.448 Die Westberliner Kirchenleitung hatte bis 1967 kaum Erfahrung mit „bekenntnistreuen“ Gruppierungen. Lediglich die sich aufbauende Konkurrenzsituation zwischen Stadtmission und der Gemeinde Heilig-Kreuz, auf deren Gebiet die Stadtmission 443
EBD., [4]. EBD. 445 EBD., [5]. 446 Seitens der B KAE wurde diese Kritik umgehend mit dem Artikel „Hat die ‚Evangelische Sammlung Berlin‘ die Richtung verloren?“ im Informationsbrief der B KAE quittiert. 447 KIRCHLICHE BLOCKBILDUNG; „EVANGELISCHE SAMMLUNG BERLIN“ WILL. 448 Z. B. [Benachrichtigung an] Herrn Zimmermann, gez. Pauli, 6. 11. 1969. Maschinenschriftl., 1 S.; ELAB 37/206 oder Abschrift eines Briefes vom Ev. Pfarramt der Vaterunser-Kirchgemeinde, Pfarrer Stephanek, an Bischof [Kurt Scharf] vom 20. 2. 1969. Maschinenschiftl., 1 S. (ELAB 37/205). 444
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ansässig war, wurde hin und wieder auf den Leitungssitzungen diskutiert.449 Von daher fiel die Reaktion auf das „Wort zur gegenwärtigen theologischen Lage“ kurz und irritiert aus: Man stimme dem zu, dass sich die Kirche den großen Nöten der Menschheit zu stellen habe – jeder Gottesdienst müsse ein Bekenntnisgottesdienst sein. Außerdem warnte die Kirchenleitung vor Frontenbildung, die der Einheit der Kirche zum Schaden gereichen würde.450 Zum Stein des Anstoßes aus Sicht der „Evangelischen Sammlung“ wurde 1969 ein von der Jungen Gemeinde Neu-Westend gestalteter Gottesdienst, der im Wesentlichen aus Informationen über die Lage in Berlin sowie musikalischen Beiträgen bestand. Die Kirchliche Sammlung reagierte mit dem Aufruf „Sammelt euch notfalls zu eigenen Gottesdiensten!“.451 Der Rückzug der „Evangelischen Sammlung Berlin“ auf das unpolitische Bekenntnis ließ sich aber nicht lange aufrechterhalten, und zwar auf Grund der immensen politischen Polarisierung, die in Berlin stattfand. Das stellte eine einzigartige Entwicklung innerhalb einer Trägergruppe der evangelikalen Bewegung dar. Bischof Kurt Scharf geriet zunehmend unter Kritik auf Grund seines vermeintlich linkspolitischen Handelns und Eintretens für die Studierenden. Im April 1969 titelte die rechtsextreme, vom langjährigen Vorsitzenden der DVU, Gerhard Frey, herausgegebene „National-Zeitung“: „Der rote Bischof von Berlin“ und unterstellte Scharf die Verbreitung marxistischer Ideologie, linken Meinungsterror und Anbiederung an das DDR-System.452 Die Polemik der „National-Zeitung“ kam nicht von ungefähr: So war z. B. 1968 die Broschüre 449 Die Stadtmission wollte laut Aussage des zuständigen Superintendenten ihren eigenen „Schrumpfungsprozess“ durch Abwerbung von Kirchengliedern kompensieren (Brief des Superintendenten des Kirchenkreises Kölln Stadt, gez. Dr. Bodenstein, an den Bischof der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg, den Generalsuperintendenten von Berlin, Sprengel I, an das Evangelische Konsistorium Berlin-Brandenburg, betrifft: Bauprojekt der Berliner Stadtmission am Johannistisch, vom 10. 5. 1967. Maschinenschriftl., 5 S. [ELAB 1/291]). Von dem Berliner Stadtmissionsdirektor Heinrich Giesen wurde die Situation allerdings als „geordnetes Miteinander“ gedeutet (vgl. diverse Dokumente in Akte ELAB 1/291). Es kam zu mehreren Gesprächen zwischen Stadtmission, Konsistorium und der Leitung des zuständigen Kirchenkreises Kölln Stadt. 450 Wort der Kirchenleitung West der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg zur Evangelischen Sammlung Berlin. Anlage 5b des Rundbriefes der Evangelischen Kirche in Deutschland – Kirchenkanzlei –, gez. [Gottfried] Niemeier, an die Leitungen der Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland Betr.: Schrift, Lehre und Verkündigung, vom 29. 12. 1967. Maschinenschriftl., hektograph. 2 S. (EZA 2/993). 451 hn.: Mit Kanonen gegen Spatzen? Zum Streitfall Evangelische Sammlung – Junge Gemeinde Neu-Westend. Zeitungsausschnitt, 1 S. (ELAB 37/205). 452 Beilage: Aus den Wochenzeitungen. Bischof D. Kurt Scharf. National-Zeitung (11.4.): „Der rote Bischof von Berlin“, in: Berliner Presse-Rundfunk-Fernseh-Spiegel vom 14. 4. 1969, 4f. Maschinenschriftl., hektograph., 2 S. (ELAB 37/67).
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„Politik in der Kirche. Schwarmgeisterei oder fremde Machtpolitik?“ erschienen, in der unter anderen auch Scharf als linker Staatsumstürzler verleumdet wurde. Herausgebende Organisation dieser „Dokumentation“ war die „Notgemeinschaft evangelischer Deutscher“. 6.2.7 Die „Notgemeinschaft evangelischer Deutscher“ Die „Notgemeinschaft evangelischer Deutscher“ wurde am 30. September 1966 von dem Dortmunder Pfarrer Alexander Evertz, der bis 1982 ihr Vorsitzender war, gegründet.453 Evertz hatte schon 1965 seine Kritik an der Kirche in „Der Abfall der evangelischen Kirche vom Vaterland“ dargelegt, in der er ein zentrales Monitum der Notgemeinschaft vorwegnahm: Durch das stete Insistieren auf der deutschen Schuld schade die Kirche Deutschland. Die EKD-Denkschrift „Die Lage der Vertriebenen und das Verhältnis des deutschen Volkes zu seinen östlichen Nachbarn“, die so genannte Ostdenkschrift, die am 18. März 1966 durch die Synode der EKD angenommen worden war und im Oktober 1965, mit einem Vorwort von Kurt Scharf, dem Ratsvorsitzenden, veröffentlicht wurde, gab den letzten Anstoß für die Gründung der „Notgemeinschaft“. In der Ostdenkschrift wurde zwar auf die Lage der Vertrieben ausführlich eingegangen, aber es kam auch erstmals eine vorsichtige Akzeptanz der OderNeiße-Grenze zum Durchschein. Die Denkschrift beförderte die Ostpolitik der Bundesregierungen der Jahre 1966 bis 1970 und bereitete letztlich den „Warschauer Vertrag“ vor.454 Wie kaum eine andere EKD-Schrift löste sie eine kontroverse Diskussion sowohl innerkirchlich, als auch gesamtgesellschaftlich aus.455 In ihrem Gründungsaufruf vom 17. März 1966 ging die „Notgemeinschaft“ dezidiert auf die Ost-Denkschrift ein: „Seit dem Erscheinen der Ost-Denkschrift der Ekd hat sich der Eindruck verstärkt, daß das Verhältnis der Evangelischen Kirche zu Staat, Volk und Vaterland nicht mehr in Ordnung ist.“456 Analog zu dem gefährlichen Irrtum, dem die „Deutschen Christen“ 1933 verfielen, indem sie die nationalsozialistische Machtübernahme als Gottesoffenbarung interpretierten, hätten nach 1945 Kreise der Kirche den deutschen Zusammen453 Die „Notgemeinschaft evangelischer Deutscher“ ist nicht zu verwechseln mit der „Notgemeinschaft Evangelischer Pfarrer und kirchlicher Mitarbeiter aus Mitteldeutschland e. V.“, die sich für die Dienstanstellungen geflohener Pfarrer aus dem Osten einsetzte. Zur „Notgemeinschaft evangelischer Deutscher“ vgl. auch HANKE, Deutschlandpolitik, 214–216; zur Verbindung der B KAE und der Notgemeinschaft STRATMANN, Kein anderes Evangelium, 185–190. 454 HANKE, Deutschlandpolitik, 216. 455 Zu der Vorgeschichte der Denkschrift und ihren Auswirkungen vgl. RUDOLPH, Kirche, Bd. II. 456 Wortlaut des Gründungsaufrufes der NG. Maschinenschriftl, hektograph., 3 S. (GRÜNER DIENST Nr. 14 [1966], 1–3, hier 1).
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bruch als Offenbarungsquelle benutzt. Man habe dem deutschen Volk eine Bußhaltung bis zur Aufgabe seiner Rechte aufgezwungen – der militärischen Unterwerfung solle die geistige Unterwerfung folgen. Obwohl viele Christen deshalb an ihrer Kirche irregeworden wären, fordere die „Notgemeinschaft“ dazu auf, in der Kirche zu bleiben und nicht auszutreten. Wer sich für eine „innere Erneuerung unserer Kirche“ einsetzen wolle, möge sich der Notgemeinschaft anschließen.457 Auffällig an diesem Gründungsaufruf ist, dass in der ursprünglichen Fassung, die Ende März, Anfang April an die Presse gelangte,458 ein Passus enthalten ist, der in der späteren, gedruckten Version fehlte: „Wir glauben, daß sich unsere Kirche Zurückhaltung in allen Äußerungen, die weltliche Probleme betreffen, auferlegen sollte, selbst wenn sie im staatlichen Bereich noch so wichtig erscheinen. Die Gemeinden lehnen weithin politisierende Predigt und Tätigkeit ihrer Pfarrer ab.“459 In dem im Sommer 1966 publizierten und versandten Gründungsaufruf hieß es dann lediglich: „Die Kirche selber aber läuft Gefahr, ihr Hirtenamt zu verletzen und ihre Autorität für eine Zeit, in welcher ihr seelsorgerliches Wort für eine wirkliche politische Versöhnung zwischen den Staaten hilfreich wäre, zu vergeben.“460 Die Streichung aus der ursprünglichen Fassung lässt erkennen, dass in der „Notgemeinschaft“ ursprünglich, wie in den meisten evangelikalen Trägergruppen, eine apolitische Haltung vertreten und von der Kirche gefordert wurde. Möglicherweise erkannte man erst bei der Erstellung des Gründungsaufrufes bzw. kurz danach, dass dies ein Paradoxon angesichts der Ziele der „Notgemeinschaft“ war, und ging dazu über, von der Kirche nicht mehr die Distanz zur Politik zu fordern, sondern die „richtige“, d. h. nationalkonservative Haltung. Leider existieren zur „Notgemeinschaft“ bisher keine umfassenden Forschungen, um diesen Umbruch genauer spezifizieren zu können. Wie im Folgenden noch zu sehen sein wird, ist dies allerdings ein Umbruch, der sich latent auch in der Berliner „Evangelischen Sammlung“ vollzog, die mit der „Notgemeinschaft“ in Verbindung stand. Im Juni 1966 versandte die „Notgemeinschaft“ ein „Arbeits-Programm“ an einen größeren Kreis, unter anderem auch an alle Landeskirchenleitungen. In diesem Arbeitsprogramm charakterisierte sich die „Notgemeinschaft“ als „zeit457
EBD., 2f. Vgl. einführende Darstellung in GRÜNER DIENST Nr. 14 (1966), 1. 459 Wortlaut des Gründungsaufrufes der NG. Maschinenschriftl, hektograph., 3 S. (GRÜNER DIENST Nr. 14 [1966], 1–3, hier 2). 460 EBD. 458
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weiliger Zusammenschluß evangelischer Christen – Glieder der verfassten Kirchen – der bedenkliche Abirrungen und Fehlentwicklungen in der EKD abwehren will“461. Zu diesen „Abirrungen und Fehlentwicklungen“ zählte die „Notgemeinschaft“: die Haltung „führende[r] Männer[. . .] der EKD [. . .], [die] im Deutschen Gemeinwesen [. . .] lediglich eine Haftungsanstalt für Schuld der Vergangenheit“ erblickten, weiterhin die kirchliche Nichtbeachtung der Tatsache, „daß das Gemeinwesen auch zum Segen gesetzt ist und darum von seinen Gliedern die Erfüllung notwendiger Pflichten eindeutig fordern darf und muß“462. Außerdem wurde die geringe Berücksichtigung des Beschlusses der Berliner Synode vom 19. März 1966 moniert. Dort sei ausgesprochen worden, dass die gegenwärtige Aufgabe sei, ein Verhältnis zu Geschichte und aktueller Position des deutschen Volkes zu finden, „das weder in Selbstgerechtigkeit noch in Selbstaufgabe mündet, sondern zu der Selbstachtung verhilft, mit der allein wir unsern Nachbarvölkern frei gegenüber treten können.“463 Man wolle, so im Arbeitsprogramm, diesem Synodenwort gegen die Ostdenkschrift zu weiter Verbreitung verhelfen. Man wandte sich weiterhin gegen die Verkündigung politischer Ansichten von „führende[n] Männer[n] der EKD“ kraft ihrer kirchlichen Autorität: „Wir bejahen das Recht und die Pflicht der Kirche, warnend und auch strafend in die Öffentlichkeit zu sprechen. Wir meinen allerdings, daß die Kirche dabei nicht minder den Trost aussprechen muß, den die frohe Botschaft von Jesus Christus auch über geschichtliche Schuld zu sagen hat.“464 Dabei solle sich die Kirche darauf beschränken, gesicherte Glaubenswahrheiten zu verkünden. Es dürfe nicht wieder dazu kommen, dass ein Christ in seinem Pfarrer, Präses oder Bischof einen „politischen Gegner“ erblicke.465 Als Sprecher der „Notgemeinschaft“ war das Arbeitsprogramm unterzeichnet von Joachim Freiherr von Braun, Pfarrer Alexander Evertz, Oberlandgerichtsrat Karl Salm und dem Geschäftsführer der „Notgemeinschaft“ Karl Eduard Berron. Wogegen sich nun die „Notgemeinschaft“ im Konkreten wandte, geht aus einem Brief der Pfarrer Alexander Ebertz und Werner Marienfeld an Wilm, hervor. Wilm war, wie alle Kirchenleitungsvertreter, ein scharfer Kritiker der „Notgemeinschaft“ und hatte seine Missbilligung gegenüber Ebertz und Marienfeld brieflich geäußert. Daraufhin listeten die beiden einen illustren Katalog auf, welche Verfehlungen der Kirche für das Jahr 1967 zu verzeichnen wären: die
461 Arbeits-Programm der Notgemeinschaft Evangelischer Deutscher. Drucksache, unpagn., [2 S., hier 1] (LLKA Dt 201–2, Bd. 2). 462 EBD. 463 EBD. 464 EBD. 465 EBD., [2].
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Gegnerschaft und einzelne Aktionen gegen den Vietnamkrieg, der Einsatz verschiedener kirchlicher Kreise gegen Notstandsgesetze, Erklärungen von Martin Niemöller, die dieser im Zusammenhang mit einer Vietnamreise 1967 geäußert hatte (Niemöller war allein schon auf Grund seiner Auszeichnung mit dem „Internationalen Leninpreis für die Festigung des Friedens zwischen den Völkern“ suspekt), die „Unterstützung, die die radikalen Studenten in Berlin bei ihren Forderungen, Krawallen und Terrorakten bei Amtsträgern der Kirche fanden und finden“, bis hin zum „‚rote[n] Dutschke‘ auf der Kanzel einer Berliner Kirche“. Weiterhin verurteile man den Beschluss der ESGen, sich in eine Ostund eine Westfraktion zu „spalten“ und „damit das zu tun, was Staat und Partei in der ‚DDR‘ unter Einsatz aller Mittel von der evgl. Kirche in der ‚DDR‘ verlangen“. Außerdem sei die Tendenz der Medien, über solche Dinge positiv zu berichten, offensichtlich, so dass es auch in der kirchlichen Presse durchgehend zu einseitiger Berichterstattung komme.466 In einem offenen Brief an den Geschäftsführer der „Notgemeinschaft“, Karl Eduard Berron, erklärte im Dezember 1966 der badische Pfarrer Raimar Keintzel die Motive für seinen Austritt aus der „Notgemeinschaft“ – von der „Notgemeinschaft“ wurde im Nachgang betont, Keintzel habe „wegen seines Verhaltens“ ausgeschlossen werden müssen –467 und zeigte damit gravierende Probleme der „Notgemeinschaft“ in ihrem Gründungsjahr auf.468 Das Arbeitsprogramm der „Notgemeinschaft“ habe ursprünglich seine volle Unterstützung gefunden, so Keintzel, aber im Laufe der nächsten Monate musste er doch einige unangenehme Entdeckungen machen. So wiesen die führenden Kräfte innerhalb der „Notgemeinschaft“ nicht nur einen sehr niedrigen Wissenstand über das die „Notgemeinschaft“ unmittelbar angehende Staats-Kirchen-Verhältnis auf, und die wenigen Mitglieder auf der konstituierenden Sitzung am 3. September in Stuttgart, die die Satzungen der „Notgemeinschaft“ beschlossen, stünden in keinem Verhältnis zu den angeblichen, in der Presse erwähnten 1 000 Mitgliedern – was den Vertretungsanspruch der „Notgemeinschaft“ doch sehr relativiere, so Keintzel. Grundlegender erscheine ihm aber, dass die „Notgemeinschaft“ keineswegs eine grundsätzliche Umgestaltung der Kirche ohne Frontenbildung anstrebe, sondern, wie intern ausgesprochen werde, die „Abir466 Brief von A[lexander] Evertz, Pf[arre]r und W[erner] Marienfeld, Pf[arre]r, an Präses D. [Ernst] Wilm vom 20. 11. 1967. Maschinenschriftl., 5 S., 2f. (LkA EKvW Best. 0.1 Nr. 779). 467 Zum Realismus christlicher Bürger. Eine Antwort der „Notgemeinschaft Evangelischer Deutscher“ an „Evangelische Kommentare“. Drucksache, 12 S., hier 10 (LLKA Dt 201–2, Bd. 2). 468 Offener Brief von Raimar Keintzel, Pfarrer, in Sachen „Notgemeinschaft Evangelischer Deutscher“ an die „Notgemeinschaft Evangelischer Deutscher“, z. Hd. von Herrn Dekan i. R. K[arl] E[duard] Berron, im Dezember 1966. Maschinenschriftl., vervielf., 6 S. (LkA EKvW Best. 0.1 Nr. 779).
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rungen in der EKD“ mit personellem Wechsel bekämpfen wolle. Überhaupt habe sich die „Notgemeinschaft“ auf die katholische Bruderschaften und den „Linksprotestantismus“ als Feinde eingeschossen: „Es ist sicher ein Versäumnis der EKD gewesen, dass in Fragen, die in besonderer Weise die Flüchtlings- und Heimatvertriebenen betreffen, diese zu wenig konsultiert wurden.469 Die ‚Notgemeinschaft‘ macht es jedoch nicht besser. Jedenfalls ist für sie nur ein Teil der Flüchtlinge gesprächswürdig. Es scheiden aus alle ‚Linksprotestanten‘, wie etwa auch die Mitglieder der ‚Humanistischen Union‘ (die ‚alle Kommunisten sind‘) oder Leute, die die Anliegen der ‚Deutschen Friedensunion‘ zumindest ernst nehmen, Leute, die an der umstrittenen Ostdenkschrift doch einiges gut finden usw. usf. (Ähnliche Pauschalurteile verbergen sich hinter dem Schlagwort der ‚modernen Theologie‘, gegen die man nun plötzlich zu Felde ziehen will, nachdem man an anderen Fronten bereits zum Rückzug blasen musste, oder hinter der Behauptung, alle Kriegsverbrecherprozesse hätten gar nicht stattfinden sollen und seien nur vom Übel gewesen.) So wird die Not, in die die ‚Notgemeinschaft‘ sehr schnell geraten ist, immer deutlicher. Sie hat sich völlig übernommen und sie hat solche, die als Fachleute mitarbeiten könnten, durch ihre schroffen Vorentscheidungen abgestossen. Ihre Not ist es auch, dass die Presse ihr weithin verschlossen bleibt, so dass sie nun ihre grosse Hoffnung wenigstens auf die ‚Deutsche National-Zeitung und Soldaten-Zeitung‘ setzt.“470
Um Mitglieder zu gewinnen und die eigene Position zu stärken, blieb der „Notgemeinschaft“ nur noch die Anbindung an größere Lager oder Strömungen, wie z. B. die „Neuen Rechten“ um die „National-Zeitung“, aber auch an die evangelikale Bewegung, die sich zu diesem Zeitpunkt bereits wesentlich fundamentaler etabliert hatte. Durch die Aufnahme derer Kritik an der „modernen Theologie“ kam man zu einem Schulterschluss – in der Kritik an der Kirche, wurde sie nicht allzu detailliert ausgeführt, war man sich sowieso einig. Die evangelikalen Vertreter wiederum konnten in ihrer unreflektierten vermeintlichen apolitischen Haltung, die stets auf Grund des Werte- und Ethikkonservatismus ins rechte politische Milieu tendierte, an den überschäumenden „KomChristian Hanke konstatiert in seiner Schrift „Die Deutschlandpolitik der EKD“, die „Notgemeinschaft“ sei mit ihrer Gründung im protestantischen Raum auf „eine Lücke [gestoßen], denn eine grundlegende Diskussion über die Begriffe Volk, Nation und Vaterland war in der EKD nicht geführt worden und erfolgte erst in der Auseinandersetzung mit der Notgemeinschaft und den Wahlerfolgen der NPD, die ebenfalls durch massive und verleumderische Kritik an der Ostdenkschrift Wähler im Lager der Vertriebenen gewinnen wollte.“ (HANKE, Deutschlandpolitik, 215). 470 Offener Brief von Raimar Keintzel, Pfarrer, in Sachen „Notgemeinschaft Evangelischer Deutscher“ an die „Notgemeinschaft Evangelischer Deutscher“, z. Hd. von Herrn Dekan i. R. K[arl] E[duard] Berron, im Dezember 1966. Maschinenschriftl., vervielf., 6 S., hier 4f. (LkA EKvW Best. 0.1 Nr. 779). Die Klammern im Text stehen im Original. 469
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munisten“-Verurteilungen unmittelbar anknüpfen. Die „Notgemeinschaft“ suchte stets das Gespräch und eine Annäherung an die B KAE und stellte mehrmals den Antrag, Mitglied der KBG zu werden. Die Tatsache, dass dies bis 1974 verweigert wurde, ist möglicherweise dem massiven Intervenieren verschiedener kirchlicher Stellen bei der B KAE zu verdanken. Hier sei besonders auf mehrere Briefe Wilms an Bäumer hingewiesen, in denen Wilm die B KAE warnte, die „Notgemeinschaft“ in ihre Reihen aufzunehmen.471 Hartmut Stratmann vermutete 1970, dass es auch zukünftig zu keiner Kooperation mit der B KAE kommen würde, da der B KAE deutlich sei, dass sie durch eine Vernetzung mit der seitens der Kirche derartig negativ bewerteten „Notgemeinschaft“ „einen erheblichen Rückschlag gegenüber ihrer jetzigen Stellung erführe“472. Diese Vermutung bewahrheitete sich nicht: Schon in der zweiten Hälfte des Jahres 1970 kam es zu zwei Treffen der Vorstandsmitglieder der KS, der B KAE und der „Notgemeinschaft“, um „Mißverständnisse zwischen den eingeladenen Gruppen abzubauen“ und eine Annäherung anzubahnen.473 1974 wurde die „Notgemeinschaft“ in die KBG aufgenommen. Abgesehen von dieser Mitgliedschaft in der KBG existierten eine ganze Reihe personeller Überschneidungen zwischen evangelikaler Bewegung und „Notgemeinschaft“.474 So war z. B. Helmut Matthies, Gründer von „idea“ und Chefredakteur des Nachrichtendienstes, Mitglied des Vorstandes der „Notgemeinschaft“, ebenso die Brüder Jens und Klaus Motschmann. Jens Motschmann war Pfarrer in Itzehoe, später in Bremen und stellvertretender Vorsitzender der KS auf Bundesebene, Klaus Motschmann in Berlin Professor für Politikwissenschaft, Mitglied und später Vorsitzender der „Evangelischen Sammlung“, Gründungsmitglied der „Berliner Protestanten“, Herausgeber der Zeitschrift „Konservativ heute“, die 1980 mit der rechtskonservativen Vierteljahresschrift „Criticón“ fusionierte, und Mitglied der Berliner Regionalsynode West, aus der er 1976 mit großer Öffentlichkeits-
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So z. B. Briefdurchschlag, gez. [Ernst] W[ilm] an Pfarrer [Rudolf] Bäumer vom 5. 1. 1967. Maschinenschriftl., 1 S. (LkA EKvW Best. 0.1 Nr. 476). 472 STRATMANN, Kein anderes Evangelium, 189. 473 Briefkopie der Kirchlichen Sammlung um Bibel und Bekenntnis Westf. e. V., Pfarrer Klaus Steindor, an Amtsbruder [namentlich nicht genannt], weitergeleitet an Landessuperintendent [Joachim Heubach] vom 9. 11. 1970. Maschinenschriftl., 1 S. (NEK-Archiv, 15.18 Nr. 19). 474 Es lassen sich auch aktuell bemerkenswerte personelle Verquickungen von „Notgemeinschaft“ und B KAE eruieren, z. B. hinsichtlich des Vorsitzenden der „Notgemeinschaft“ Gottfried Meskemper. Meskemper war in den 1980er Jahren Mitglied der „Arbeitsgemeinschaft Evangelischer Bekenntnisschulen“, Vorsitzender der Freien evangelischen Bekenntnisschule Bremen und stellvertretender Vorsitzender der Studienstiftung „Kein anderes Evangelium“. Spätestens seit 1993 gehörte er dem Vorstand des Geschäftsführenden Ausschusses der B KAE an. 2005 wurde er zum Vorsitzenden der „Notgemeinschaft“ gewählt.
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resonanz auf Grund der von ihm so wahrgenommen „Systemveränderung“ innerhalb der Kirche austrat.475 1976 gaben Helmut Matthies und Jens Motschmann das „Rotbuch Kirche“ heraus, das bis 1977 in fünf Auflagen erschien und mit dem 1978 veröffentlichtem „Das neue Rotbuch Kirche“ – diesmal von Jens Motschmann und Friedrich Wilhelm Künneth herausgegeben – seine Fortsetzung erfuhr. In den 12 Beiträgen des „Rotbuches Kirche“, von denen vier aus der Feder von Jens Motschmann und drei von Matthies stammen, und von dessen Autoren neben Motschmann drei weitere Autoren Mitglied der „Notgemeinschaft“ waren oder ihr nahestanden,476 wurde der „kirchlich-kommunistische Filz“ in ESGen, Landeskirchen und evangelischen Akademien dargestellt und angeprangert, ebenso die Unterstützung von Befreiungskampforganisationen in Südafrika. Das Buch löste auf Grund seiner Polemik und verzerrenden Darstellung einen Skandal in der evangelischen Kirche aus. Besonders das nordelbische Kirchenamt beschäftigte sich intensiv mit der Angelegenheit, da Motschmann Pfarrer der – gerade gebildeten – nordelbischen Kirche war. Die Einleitung eines Amtszuchtsverfahrens wurde nach anfänglicher Überlegung fallen gelassen, da das Rotbuch keine Aspekte berührte, die die Kirchengesetzlage hierfür als Rahmen bereitstellte.477 Hinzu kam, dass offensichtlich einige der im Rotbuch dargestellten Fakten, von ihrer Interpretation abgesehen, tatsächlich Fakten wiedergaben, z. B. was die Mitgliedschaft einiger namentlich genannter Pfarrer in der DKP und linken Organisationen anbelangte. Leider fehlt bis heute eine detaillierte und vor allem sachbezogene Untersuchung zu den im „Rotbuch Kirche“ dargestellten Ereignissen, so dass es, bis auf dem Umstand, dass das „Rotbuch“ eine Fülle verbaler Entgleisungen und phantasievoller kausaler Verknüpfungen bietet, nicht möglich ist, den Kernbestand historischer Fakten dieses Buches einzuschätzen. Hier wäre ein interessantes Forschungsfeld gegeben. Evident ist aber, dass das „Rotbuch Kirche“ eine geistige Frucht am Schnittpunkt von „Notgemeinschaft“ und evangelikaler Bewegung darstellte.
475 Zu Motschmanns Niederlegung seines Synodenmandats vgl. diverse Schreiben in Akte ELAB 36/696. 476 Außer Jens Motschmann standen von den insgesamt sieben Autoren des „Rotbuchs Kirche“ der „Notgemeinschaft“ nahe: Michael Jach, von 1972 bis 1974 Bundesvorsitzender des „Ostpolitischen Deutschen Studentenverbandes e. V.“, der Mitglied der „Notgemeinschaft“ war, der Pfarrer Joachim Ruff, der sich als „Mitarbeiter in der Ev. Notgemeinschaft in Deutschland e. V., insbesondere an deren Hilfsaktion für Opfer des Guerilla-Terrors im südlichen Afrika“ engagierte und Wilhelm E. Winterhager, der wie Jens Motschmann Vorstandsmitglied der „Notgemeinschaft“ war (vgl. Autorenverzeichnis in MOTSCHMANN / MATTHIES, Rotbuch, 232f.). 477 Vgl. die Akten NEK-Archiv, 20.1 Nr. 71 und 94, Motschmann (1).
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Die kirchenleitenden Stellen der EKD und der Landeskirchen gingen scharf gegen die „Notgemeinschaft“ vor. Im Gegensatz zu den integrativen Bemühungen um die evangelikale Bewegung stand man der „Notgemeinschaft“ geschlossen gegenüber. Beispielhaft sei auf eine Auseinandersetzung zwischen Bernt von Heiseler, Vorstandsmitglied der „Notgemeinschaft“, und Erwin Wilkens im Januar 1967 hingewiesen, die sich an dem „Wort an die Mitchristen in aller Welt“, das die „Notgemeinschaft“ an den ÖRK richtete, und an einem Beitrag über die „linksradikale Propaganda in der EKD“ in dem Mitteilungsblatt der „Notgemeinschaft“ entzündete. In dem „Wort an die Mitchristen in aller Welt“ vom Herbst 1966 wurde seitens der „Notgemeinschaft“ dem ÖRK gegenüber betont, eine „einseitige Schuld- und Diffamierungspropaganda“ gegen das deutsche Volk wecke automatisch Selbstbehauptungsreaktionen, besonders unter der Jugend. In dem „Wort an die Mitchristen“ kam auch zur Sprache, es sei mit Sorge zu beobachten, dass „die Mächte dieser Welt“ die „Spaltung unseres Volkes und Landes, die Vertreibung vieler Millionen und die Unterdrückung unserer Mitbürger und Glaubensbrüder jenseits von Stacheldraht und Berliner Mauer zum Dauerzustand“478 verfestigten. 1945 sei „ein gerechter Friede nicht zustande [ge]kommen.“ Im Mitteilungsblatt der „Notgemeinschaft“ vom November/Dezember 1966 wurde unter der Überschrift „Die linksradikale Propaganda in der EKD und unsere Abwehr“ unter anderem eine Podiumsdiskussion besprochen, die zwischen dem tschechischen Theologen und Begründer der „Christlichen Friedenskonferenz“ Josef Hromádka, dem rheinischen Präses Joachim Beckmann, dem Leiter der Evangelischen Akademie Berlin, Erich Müller-Gangloff, dem Hallenser Professor für Religions- und Missionswissenschaft, – darüber hinaus Vater des Evangelisten Theo Lehmann – Arno Lehmann, OKR Hermann Greifenstein aus dem Münchener Oberkirchenrat, dem Mitarbeiter des ÖRK und des „Christlichen Studentenweltbundes“ sowie späteren Generalsekretärs des Reformierten Weltbundes Milan Opocensky und Erwin Wilkens auf den Nürnberger „Evangelischen Wochen“ stattfand. Fazit des Artikels war, es sei eine Veranstaltung gewesen, auf der Hromádka „sein Sprüchlein heruntersagen [konnte]: die Kommunisten seien garnicht so schlimm [. . .] und so fort: es fehlte nichts, was ein findiger Kopf zur Verharmlosung dieser ernsten Probleme vorbringen kann.“479 478 Ein Wort an die Mitchristen in aller Welt. Notgemeinschaft Evangelischer Deutscher, gez. Joachim, Frh. von Braun, Alexander Evertz, Bernt von Heiseler, Erich Klein, Karl Salm, au Conseil Oecuménique des Eglises. Drucksache, 1 S. (LLKA Dt 201–2, Bd. 2). 479 DIE LINKSRADIKALE PROPAGANDA, 3.
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Wilkens reagierte darauf am 20. Januar 1967 mit einem siebenseitigen Brief an Heiseler, der zweifellos als „wutschnaubend“ bezeichnet werden kann. Von einer „kaum mehr überbietbaren Naivität“ ist ebenso die Rede wie von „diabolische[r] Bosheit“, von der Peinlichkeit des „Wortes“ nach Genf angesichts der Tatsache, dass es gerade die Stuttgarter Schulderklärung war, die Deutschland den Weg in der ÖRK eröffnete, sowie von der Verlogenheit des Berichtes über die Podiumsdiskussion.480 Heiseler antwortete mit einem dreiseitigen Schreiben, in dem er Wilkens reine Polemik vorwarf und sich vorbehielt, Wilkens Brief zu publizieren.481 Acht Tage später schickte die „Notgemeinschaft“ die Abschrift der Briefe von Wilkens und Heiseler an den lippischen Landessuperintendent Smidt – möglicherweise auch an weitere Landesbischöfe –, um ihn von dem Vorgang zu unterrichten: „Keineswegs sollte damit gerechnet werden, daß auf solche Art das ehrliche Streben einer Gemeinschaft beeinträchtigt werden könnte.“482 Smidt antwortete, er bedauere, dass Wilkens „in der zugespitzten Schärfe seiner Formulierungen Bewertungen geäußert hat, die als verletzend empfunden wurden.“ Aber er könne auch „den Zorn von Oberkirchenrat Wilkens leider zu gut verstehen, wenn ich nur lese, wie Sie [in dem Bericht über die Podiumsdiskussion] den Christen Hromádka lediglich als den ‚tschechischen Lenin-Preisträger‘ vorführen. Ob Sie nicht auch, verehrte Brüder, ein wenig Selbstkritik brauchen könnten, wo Sie so wacker dem unverkürzten Evangelium sich verschrieben haben?“483 Im Hinblick auf die Skandalisierungsversuche der „Notgemeinschaft“ ist vor allem auf die Fülle der von Evertz publizierten Broschüren in dieser Zeit hinzuweisen. Auszugsweise seien die 1968 veröffentlichte Schrift „Die evangelische Kirche und die Revolution von links“ und „Glaubensnotstand: Die Krise des deutschen Protestantismus“ genannt. 1971 publizierte Evertz, in Anlehnung an Bergmanns „Alarm um die Bibel“ die Schrift „Alarm in der Kirche. Der Protestantismus zwischen Furcht und Hoffnung“. Seit 1973 erschien die Zeitschrift
Brief der Evangelischen Kirche in Deutschland – Kirchenkanzlei – Oberkirchenrat [Erwin] Wilkens an Bernt von Heiseler vom 20. 1. 1967. Maschinenschriftl., hektograph., 7 S. (LLKA Dt 201–2, Bd. 2). 481 Abschrift des Briefes von Bernt v[on] Heiseler an Oberkirchenrat [Erwin] Wilkens vom 8. 2. 1967. Maschinenschriftl., verv., 3 S. (LLKA Dt 201–2, Bd. 2). 482 Brief der Notgemeinschaft Evangelischer Deutscher e. V., gez. [Joachim] Frh. v. Braun, gez. Oberlandesgerichtsrat Dr. Karl Salm, gez. Pfarrer Alexander Evertz, gez. Regierungslandwirtschaftsdirektor Erich Klein, an Landessuperintendent Udo Smidt vom 16. 2. 1967. Maschinenschriftl., 2 S., hier 2 (LLKA Dt 201–2, Bd. 2). 483 Briefdurchschlag Udo Smidt, Aktz.: 201 – 2/2 Nr. 2333, an die Notgemeinschaft Ev. Deutscher e. V. vom 2. 3. 1967. Maschinenschriftl., 2 S., hier 2 (LLKA Dt 201–2, Bd. 2). 480
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der „Notgemeinschaft“ „Erneuerung und Abwehr“, in der 1999 das vom Förderverein der „Evangelischen Sammlung Berlin“ herausgegebene Blatt „Evangelische Sammlung“ aufging. Von 2003 bis 2005 war Schriftleiter der „Erneuerung und Abwehr“ Lothar Gassmann. Gassmann, ein vehementer Anhänger der Verbalinspirationslehre, war 10 Jahre lang hauptamtlicher Beauftragter für Weltanschauungsfragen in der evangelikalen „Arbeitsgemeinschaft Weltanschauungsfragen e. V.“ (AWF) und von 1993 bis 1997 Dozent an der FTA/H Gießen. Anfang 2009 wurde die Zusammenarbeit zwischen Gassmann und der AWF auf Grund inhaltlicher Differenzen beendet und Gassmann gründete innerhalb der unabhängigen Gemeinde „Christen in Pforzheim“ den „Christlichen Gemeinde-Dienst“. Am Rande sei erwähnt, dass sich 1993 kein geringerer als Peter Beyerhaus für den Pfarramtsanwärter Grassmann einsetzte, als dieser von der badischen Landeskirche auf Grund seiner Schriften – häufig besprochen im Informationsdienst der B KAE – nicht in den Pfarrdienst übernommen wurde. Beyerhaus kritisierte scharf das Gespräch Gassmanns mit dem badischen Übernahmeausschuss und warf der Landeskirche inquisitorisches Vorgehen vor, das seine Wirkung im Austritt pietistischer Vertreter aus der Kirche hätte.484 Die schon erwähnte Schrift „Politik in der Kirche – Schwarmgeisterei oder fremde Machtpolitik“ von 1967, die in Zusammenarbeit mit der umstrittenen „Arbeitsgemeinschaft Demokratischer Kreise“ (ADK) entstand –485, reihte sich ein in das Spektrum der polemisierenden Veröffentlichungen der „Notgemeinschaft“. In Berlin schlug diese Publikation allerdings hohe Wellen angesichts der sowieso schon geführten Kontroversen um Kurt Scharf. In einem Aktenvermerk des Berliner Konsistoriums hieß es: „Die Angelegenheit [die Broschüre] wurde auf der Kirchenkonferenz der Evangelischen Kirche in Deutschland angesprochen und weithin als eine vollkommene Verkürzung und Entstellung des Sachverhalts abgelehnt. [. . .] Eine Auseinandersetzung in Berlin erscheint umso weniger veranlasst, als Stadträtin [der CDU Ursula] Besser, die hier in Berlin für die Notgemeinschaft fungiert hat, [. . .] mitgeteilt hat, sie habe selbst die Broschüre überhaupt noch nicht gelesen. Eine theologische Begründung hat die Broschüre außer einer völlig missverstandenen Zwei-Reiche-Lehre überhaupt nicht. Beschwerlich bleibt freilich für den Berliner, daß der Berliner Bischof ohne
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BEYERHAUS, Fall Lothar Gassmann. „KURZBEINIGES PROPAGANDISTISCHES VOKABULAR“; BONNER GELD. Die ADK war eine auf Betreiben Konrad Adenauers 1951 ins Leben gerufene Organisation, die von der Bundesregierung finanzierte „staatsbürgerliche Bildungsarbeit“ im Sinne des ideologischen Kampfes im Kalten Krieg betrieb (vgl. SCHANETZKY, Adenauerzeit). 485
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jede Einzelbegründung in Verbindung zu Kreisen gebracht wird, die Meinungen vertreten, die nach unserer Meinung nicht mit seinen übereinstimmen.“486
Mit seiner Neujahrsansprache 1970 geriet Scharf wiederum in das Kreuzfeuer der öffentlichen Kritik.487 In einem „Offenen Brief“ fragten ihn 17 Mitglieder der Berliner CDU-Fraktion, inwiefern er noch willens sei, die „Lehre Christi gegen die Umfunktionierung in eine marxistisch geprägte Ideologie zu schützen“488. Die sukzessive Trennung der Berlin-brandenburgischen Synode in den Ostund Westteil, mit der die Berliner Kirchenleitung bis 1972 intensiv beschäftigt war, rief kontinuierlich Kritik hervor, die sich vor allem gegen Scharf entlud, dessen Rücktritt wiederholt gefordert wurde. Vornehmlich ging diese Kritik von Berichten der „Berliner Morgenpost“ aus, einem Presseorgan der AxelSpringer-Verlagsgruppe. Es ist auffällig, dass es zu den Auslösern der Presseskandale um Scharf kaum kircheninterne Akten gibt: die Kampagnen fanden vornehmlich als Medienskandale statt. Damit war die Berliner Situation um 1970 nicht nur von der starken Polarisierung zwischen politisch linken und rechten Anschauungen gekennzeichnet, sondern auch von dem besonderen Umstand, der in keiner anderen Landeskirche ein solches Ausmaß annahm, nämlich dass sich hier der größte Teil der Debatte medial abspielte. 1970 äußerte der langjährige Leiter des Evangelischen Rundfunkdienstes, Wolf-Dieter Zimmermann, in einem Beitrag für den Hessischen Rundfunk, in WestBerlin komme man sich „seit einiger Zeit vor wie in einem ‚living-theatre‘, einem lebendigen Theater. Jeder ist beteiligt; jeder reagiert; jeder fühlt sich angesprochen, angegriffen, verleumdet oder bestätigt. Es sieht fast so aus, als gäbe es überhaupt keine Neutralität mehr, keinen Abstand und keine Nüchternheit.“489 Die fehlende Neutralität wurde vor allem dadurch verhindert, dass die maßgeblichen Pressevertreter in diesen Streit involviert waren und ihre jeweiligen Presseorgane für die Debatte nutzten. Dem Block der vom Axel-Springer-Verlag herausgegeben Zeitungen standen der epd und der „Evangelische Rundfunk“ ebenso gegenüber wie der „Berliner Kirchenreport“, die im Sog der Polarisierungen als links unterwanderte Organe dargestellt wurden. Es ging kaum 486 [Aktenvermerk] zu K I Nr. 13589/67, gez. R[anke], 21. 11. 1967. Maschinenschriftl., 1 S. (ELAB 1/1622). 487 Diverse Dokumente in Akte ELAB 37/67. 488 KREIBOHM, Chronik, 89. 489 Zimmermann, Wolf-Dieter: Kommentar für Hessischen Rundfunk (12. 1. 1970). Maschinenschriftl., 3 S., hier 1 (ELAB 37/67).
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noch um Information, sondern um Polemik. Hinzu kam, dass häufig Informationen aus internen Besprechungen der Presse zugespielt wurden. Im November 1973 kam es zum Eklat, als vertrauliche Informationen aus einem Synodenausschuss in der „Berliner Morgenpost“ erschienen und die Synodalen Ursula Besser und Klaus Motschmann verdächtigt wurden, diese Informationen weitergegeben zu haben.490 Besser und Motschmann wiesen den Verdacht von sich. Allerdings war das kein Einzelfall. Oftmals erreichten kritische Anfragen die Betreffenden nicht persönlich, sondern auf dem Weg der Zeitungslektüre. Die verkürzten oder tendenziösen Berichte führten zu zugespitzten Polarisierungen: auf Darstellungen erfolgten verkürzte Gegendarstellungen, die wiederum kommentiert wurden und Dinge aus dem Zusammenhang rissen. Die Protokolle der Kirchenleitungssitzungen weisen im starken Kontrast dazu einen bemerkenswert nüchternen und freundlichen Umgangston auf, auch bei Diskussionen zwischen Kirchenvertretern, die in der Presse als Kontrahenten stilisiert wurden, wie z. B. zwischen Scharf und Generalsuperintendent Hans-Martin Helbich oder zwischen Scharf und Harald Hasper, dem Pfarrer der KaiserFriedrich-Gedächtniskirche und Vorsitzenden des Öffentlichkeitsausschusses der Regionalsynode West. Man tauschte sich häufig darüber aus, unter welchen Umständen welche Verlautbarung veröffentlicht worden war.491 Von daher ist es zutreffend, wie es auch schon zum damaligen Zeitpunkt getan wurde, von Pressekampagnen gegen Scharf zu sprechen. Diese Pressekampagnen entwickelten allerdings eine ganz eigene Dynamik, in die vor allem diejenigen hineingerissen wurden, die nicht die Akteure des Geschehens waren und die mediale Konstruktion als Information verstanden. 1972 gründete sich die Gruppe „Berliner Protestanten“, die gegen die Aufteilung der Berliner Ost- und Westkirche protestierten und gegen die, so wahrgenommenen, Anerkennung der Teilung Deutschlands. Zu den Gründungsmitgliedern der „Berliner Protestanten“ zählten Klaus Motschmann und Eberhard von Brauchitsch, Generalbevollmächtigter des Verlegers Axel Springer und stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender im Springer-Verlag, später dann Manager des Flick-Konzerns und Hauptbeteiligter der Flick-Affäre, sowie der Berliner Amtsgerichtspräsident Lothar Münn.492 Die „Berliner Protestanten“ protestierten im Frühjahr 1973 im Wochenrhythmus bei Scharf gegen vermeintlich marxistische Umtriebe, vor allem an dem Westberliner Predigerseminar „Praktischtheologisches Ausbildungsinstitut“ (PTA) und gegen die „Umfunktionierung
490 491 492
KREIBOHM, Chronik, 90. Vgl. die Kirchenleitungsprotokolle von 1974 in der Akte ELAB 37/219. KREIBOHM, Chronik, 89.
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der Kirche in ein Institut politischer Aktionen marxistisch-sozialistischer Ideologie“.493 1974 kam es dann zu einem kaum noch zu steigernden Aufruhr in der Westberliner Kirche, dem so genannten „Berliner Kirchenstreit“ bzw. dem „Berliner Kirchenkampf“.494 Drei Aspekte, die alle in einer heftigen Mediendebatte ventiliert wurden, spielten dabei eine Rolle: Zum ersten wurde öffentlich bekannt, dass der Marburger Theologiestudent Kornelius Burghardt im Oktober 1972 trotz eines gegen ihn laufenden Ermittlungsverfahrens wegen Unterstützung einer kriminellen Vereinigung in den Vikarsdienst übernommen worden war, und zwar von Scharf, der von diesem anhängigen Verfahren wusste. Burghardt hatte 1971 der auf der Flucht befindlichen Ulrike Meinhof für eine Nacht Quartier geboten und später der Baader-Meinhof-Gruppe gefälschte Pässe und Personaldokumente verschafft. Ab Dezember 1972 war Burghardt zudem Mitglied des Leitungsgremiums der PTA. Im Januar 1974 wurde Burghardt zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt, die auf Bewährung ausgesetzt wurde. Der zweite Aspekt, der den „Berliner Kirchenstreit“ auslöste, war die Weigerung von 15 Vikaren, sich von Generalsuperintendent Helbich, der wiederholt gegen die „rote“ PTA gewettert hatte, ordinieren zu lassen. Am 27. Januar 1974 ordinierte Scharf nach mehreren Rücksprachen mit Helbich die Betreffenden. Zum dritten wurde in einer Pressekampagne der „Berliner Morgenpost“ und der „BZ“ „Brot für die Welt“ beschuldigt, Gelder in ein Beiruter Informationsbüro für palästinensische Terrororganisationen transferiert zu haben. Die Beschuldigungen stellten sich später als unhaltbar heraus.495 Die medial angeheizte Stimmung ließ nur noch Polarisierungen zu und so verwundert es kaum, dass die „Evangelische Sammlung Berlin“ sich im März 1974 mit der „Notgemeinschaft“ und den „Berliner Protestanten“ zur „Evangelischen Aktion Berlin“ zusammenschloss, die am 19. März zu einer Bekenntnisversammlung“ unter dem Motto „Ruf zur Sache“ in die Kaiser-WilhelmGedächtniskirche einlud. Auf dieser Versammlung wurde die Ausrufung des kirchlichen Notrechtes diskutiert.496 Diesen Terminus hatte kein geringerer als Peter Beyerhaus auf einer Kundgebung der „Berliner Protestanten“ am 29. Januar in die Berliner Debatten eingebracht.497 Pressesprecher der „Evangeli493
Vgl. diverse Schreiben in den Akten ELAB 36/696 und 37/54. Zu den chronologischen Abläufen vgl. KREIBOHM, Chronik; zu den Rahmenereignissen und zeitgenössischen Voten insgesamt DUVE, „Pfarrer, die dem Terror dienen“?; zu den Ereignissen aus der Sicht eines Vorstandsmitgliedes der „Notgemeinschaft“: WINTERHAGER, Kirchenkampf. 495 Vgl. diverse Dokumente, Zeitungsausschnitte und Schreiben in der Akte ELAB 37/219. 496 BERLINER EXTRADIENST; BEKENNTNISVERSAMMLUNG; „EVANGELISCHE AKTION BERLIN“. 497 Streit in der Kirche – Streit um die Kirche. Ein Wort zum Friedensauftrag der Christen im gegenwärtigen Berliner Kirchenstreit angesichts der bevorstehenden Tagung des Zentralausschus494
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schen Aktion Berlin“ war Klaus Motschmann, unmittelbar beteiligt an Organisation und Vorbereitung war Superintendent Reinhold George, inzwischen im Leiterkreis der „Evangelischen Sammlung Berlin“ tätig, deren Vorsitzender er spätestens seit 1979 zusammen mit Klaus Motschmann war.498 Auf George dürfte die zunehmend lutherische Prägung der ursprünglich stark freikirchlich besetzten Sammlung zurückgehen, die 1973 mit dem Kirchenaustritt drohte, sollte die „Leuenberger Konkordie“ angenommen werden.499 Von einer apolitischen Haltung hatte sich die „Evangelische Sammlung“ auf Grund der äußeren politischen Polarisierung und in Wechselwirkung mit ihrer zunehmend lutherisch-konfessionellen Prägung 1974 weit entfernt. In dem internen Papier „Materialien zur Verflechtung der kirchlichen und politischen Rechten“ – welches innerhalb weniger Wochen offiziell und dann stark angegriffen wurde – ging der Leiter des „Evangelischen Rundfunkdienstes“, Wolf-Dieter Zimmermann, im Frühjahr 1974 auf die personellen Verquickungen zwischen „Evangelischer Sammlung Berlin“, den „Berliner Protestanten“, der „Notgemeinschaft“, dem Zollernkreis, der „Gemeinschaft junger konservativer Christen“ um die Zeitschrift „Entschärfung“ und dem „Evangelischen Arbeitskreis der CDU“ ein.500 In Bezug auf die „Evangelische Aktion Berlin“ konstatierte Zimmermann, mit der Gründung werde „der Einfluß der politischen Kräfte dieser Gruppen wiederum stärker.“ Bisher sei der „Einfluß der ‚orthodox-lutherischen‘ und ‚politisch konservativen‘ Kräfte unter den sogenannten Bekenntnistreuen schon stark“ gewesen, nun gewinne er „die Überhand“. Das bedeute aber, dass es für diese Gruppen gegenüber den „‚bekenntnistreuen‘ Berliner Gemeindechristen“ schwieriger werde, „sich als unpolitisch darzustellen.“ Die „Berliner Protestanten“ und die „Notgemeinschaft“ seien „politische Gruppen, die ihr Kirchenbild und ihre Theologie konservativen bis reaktionären politischen Vorstellungen unterordnen. Die Evangelische Aktion ist für die Rechten also ein zweischneidiges Schwert. Einerseits werden sie organisatorisch stärker und schlagfertiger werden, andererseits besteht für sie die Gefahr, jetzt die ‚Bekenntnistreuen‘ zu verlieren.“501 Diese Skizzierung der „Evangelischen Aktion“ als Netzwerk und Kampfbündnis mit einer fragilen inneren Dynamik – bedingt durch die prinzipiellen ses des Ökumenischen Rates. [Memorandum einer Studiengruppe von Mitgliedern der „Christlichen Friedenskonferenz, der „Aktion Sühnezeichen“, des Versöhnungsbundes und der Evangelischen Akademie Berlin]. Maschinenschriftl., hektograph., 9 S., hier 1 (ELAB 37/219). 498 DIE BEKENNENDEN GEMEINSCHAFTEN, 9. 499 „KIRCHLICHE SAMMLUNG“ DROHT. 500 [Zimmermann, Wolf-Dieter]: Materialien zur Verflechtung der kirchlichen und politischen Rechten. Maschinenschriftl., hektograph., 8 S. (ELAB 37/54). 501 EBD., 7.
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Differenzen der beteiligten Gruppen hinsichtlich des Verhältnisses zur Politik –, zeigt deutlich, dass es innerhalb der evangelikalen Bewegung zu „Bewegungen“ kam, mit Sammlungs-, Mobilisierungs- und Protestphasen. Für die Situation in Berlin ist anzumerken, dass die „Evangelische Aktion“ keine größere Wirkungsgeschichte entfaltete und dass erstaunlicherweise die im Mai 1974 in Berlin verabschiedete „Berliner Ökumene-Erklärung“ der B KAE, die sich massiv gegen den ÖRK und die ökumenische Bewegung wandte, den „Berliner Kirchenstreit“ zwar nicht beendete, aber doch etwas entschärfte, da durch sie inhaltlich der Blick in eine andere Richtung gelenkt wurde. 6.2.8 Die „Offensive Junger Christen“ Die einzige unmittelbare evangelikale Reaktion auf die 1968er Studentenbewegung, die sich nicht von vornherein in einer frontalen Abgrenzung erging, sondern Ideen der Studentenbewegung aufnahm, stellte die OJC dar, die am 19. April 1968 auf der ersten deutschen „Schüler- und Studentenkonferenz“ gegründet wurde, zu der der Aktionskreis „Sorge um Deutschland“ (SuD) eingeladen hatte.502 Die Aktion SuD wiederum hatte sich 1964 als Gebetskreis konstituiert, in dem man mit Unterschriftenaktionen gegen die „Zersetzung des Glaubens und Zersetzung der Ethik heute“ vorging.503 1967 kam es zu einer Veränderung in der Arbeitsweise der Aktion SuD auf Grund der Erkenntnis, „daß auch spektakuläre Aktionen keine Hilfe zur Erneuerung von Kirche und Volk herbeiführen können“. Im Januar 1967 wandte sich die Aktion SuD an die Mitglieder des Freundeskreises, sich „durch die Hingabe an die Liebe Jesu“ selbst zu einer „priesterlichen Zelle der Erneuerung, der Ausstrahlung“ zu wer-
502 Slogan der ersten deutschen „Schüler- und Studentenkonferenz“ in Darmstadt-Eberstadt vom 19. bis 21. April 1968 war: „Alle reden von Revolution. Wir auch“. Auf dem Einladungsfaltblatt waren Zitate von Ernst Bloch, Frank N. Buchman – dem Gründer der „Moralischen Aufrüstung“, s. u. –, Mao Tse-Tung, Søren Kierkegaard, Lenin, Herbert Marcuse, Rudi Dutschke zum Thema Revolution abgedruckt, in der Einladung wurde proklamiert: „[. . .] Aber jeder revolutionäre Kampf, der den Haß schürt, schafft mehr Probleme, als er löst und ersetzt nur eine Ungerechtigkeit durch eine neue. Was muß geschehen? Es kommt heute viel auf die Initiative Einzelner an, die nicht darauf warten, bis andere etwas vorschlagen oder tun, sondern die selbst Verantwortung übernehmen. Unsere Schüler- und Studentenkonferenzen werden eine Plattform schaffen zur gemeinsamen Erarbeitung einer angemessenen, aktuellen Antwort auf die anstehenden Fragen. Diese offensive Antwort kann von jungen Christen gegeben werden, die bereit sind, in ihrem persönlichen Leben und Einsatz den Preis der Mitarbeit in der Revolution unter dem Kreuz Christi zu bezahlen.“ ([Einladung der] Offensive junger Christen. Darmstadt-Eberstadt 19.–21. April 1968. Drucksache [ZA EKHN, Best. 155, Nr. 2160]). 503 Zur Aktion SuD vgl. Aktion Sorge um Deutschland e. V. Rundbrief Nr. 18 (September 1969) (ZA EKHN, Best. 64 IV, Nr. 131).
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den.504 Die sich daran anschließende Frage war nun, wie eine „Zelle der Erneuerung“ praktisch aufzubauen sei. Im Februar 1968 wurde die Idee im Freundeskreis der Aktion SuD diskutiert, eine „Schüler- und Studentenkonferenz“ einzuberufen. Zur den ersten beiden Konferenzen im Frühjahr 1968 reisten über 200 Schüler, Studenten, Universitätsassistenten und Hochschulmitarbeiter an, die im Wesentlichen zwischen 18 und 24 Jahre alt waren. Im Laufe des Jahres 1968 fanden acht solche Konferenzen statt, 39 bis 1970.505 In einem Bericht der OJC wurden diese Konferenzen dargestellt: „Schon in der Begrüßung erfuhr jeder Teilnehmer: ‚[. . .] Entscheidend ist, wie Sie sich einsetzen werden, um junge Christen aus der Defensive herauszuführen, hin zu einem entschlossenen und aufrichtigen, tapferen Glaubenskampf um den zukünftigen Weg der jungen Generation. Keiner, der einen anderen Weg geht, ist unser Feind – aber unsere Freunde werden in Zukunft die sein, die mit uns nach Gottes Wort und Weisung bereit sind, alles einzusetzen, um unter der Parole des ‚Herrschaftswechsels‘ Menschen anzusprechen und zu gewinnen für eine Revolution der Liebe unter dem Kreuz Christi [. . .]. Sollen nur die zum Äußersten bereit und entschlossen sein, die eine Gewaltherrschaft marxistischer Sozialromantiker anstreben?‘ Die meisten verstanden das und arbeiteten mit. Aber keiner der Veranstalter hätte zu hoffen gewagt, daß sich in den beiden ersten Konferenzen über die Hälfte aller Teilnehmer verpflichten würden, ‚mit Gottes Hilfe von nun an als offensiver Christ zu leben‘. [. . .] Unsere Offensive junger Christen trachtet nicht danach, den vielen vorhandenen Kreisen einen weiteren hinzuzufügen. OJC wird keine Organisation schaffen, sondern hier sollen junge Christen für ihre Gruppen, ihre Gemeinden und für unsere Welt ‚revolutioniert, modernisiert und aktiviert‘ werden. Junge Christen sollen offensiv werden und lernen, Verantwortung zu übernehmen in ihrem Bereich.“506
Der SuD arbeitete eng mit der Plakatmission der „aktion 365“ zusammen, die ein enger Kooperationspartner der AMD war, sowie mit der Jugendmission David Wilkersons, d. h. mit einem Zweig der charismatischen Bewegung. Ein Freundeskreis unterstützte die Aktivitäten der Aktion SuD, die getragen wurden von der kurz nach Ende des 2. Weltkrieges gegründeten Evangelischen Marienschwesternschaft unter Leitung von Klara Schlink, die innerhalb ihrer Schwesternschaft „Mutter Basilea“ genannt wurde.507 Der Kommunitätscharakter der
504 Ein neuer Abschnitt begann, in: Aktion Sorge um Deutschland e. V. Rundbrief Nr. 18 (September 1969), 5f., hier 5 (ZA EKHN, Best. 64 IV, Nr. 131). 505 HOFMANN, Leben, 3. 506 Offensive Junger Christen. Bildbericht der Schüler- und Studentenkonferenzen Sommer 1968 Darmstadt-Eberstadt. Drucksache (ZA EKHN, Best. 155, Nr. 2160). 507 Zu den Marienschwestern vgl. BUES, Christwerden; zu Klara Schlink vgl. KRATZ-RITTER,
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Marienschwesternschaft schlug sich in der OJC, der „Zelle der Erneuerung“, nieder: hier stellte und stellt bis heute das gemeinsame Leben – in Anlehnung an die Vorstellung einer erweiterten Familie – die Grundlage der Arbeit mit Jugendlichen dar. Klara Schlink stand in engem Kontakt mit Horst-Klaus Hofmann, dem Generalsekretär des CVJM-Westbundes in Mannheim und von 1966 bis 1970 Mitglied des Unterausschusses Homosexualität der sexualethischen Kommission der EKD, der auch Gründungsmitglied der Aktion SuD war. Innerhalb der SuD kristallisierte sich auf Grund des Erfolges der Schüler- und Studentenkonferenzen 1968 die Idee der Gründung einer Kommunität für Jugendliche heraus – nicht zuletzt auch bestätigt durch die Anziehungskraft der Kommunen der Studentenbewegung –, die in Form einer Großfamilie angelegt wurde: als Eltern fungierten Horst-Klaus Hofmann und seine Ehefrau Irmela Hofmann. Die „Kinder“, „Jahresmannschaften“ mit insgesamt über 100 Teilnehmern, lernten über einen Zeitraum von einem Jahr das Zusammenleben in einer „Großfamilie“, in unmittelbarer Anwendung christlicher Lebensmaßstäbe im Alltag. Im Mai 1969 zog das SuD-Büro nach Bensheim um und in den folgenden Jahren wurden verschiedene Immobilien in Bensheim für die OJC-„Großfamilie“ erworben und ausgebaut. Im Juli 1979 wurde in Reichelsheim Schloß Reichenberg gekauft sowie weitere Gebäude in Reichelsheim.508 Hier befindet sich heute noch der Hauptsitz der OJC. Die „Lebensgemeinschaft auf Zeit“ gestaltete sich für christliche Jugendliche als ein zumeist 12 Monate dauerndes „Jahrestraining“ in der „OJC-Kolonie“, deren Leben einem festgelegten Tagesablauf folgte: „6.00–7.00 Uhr persönliche Stille (einzeln), 7.00–7.30 Uhr Gebetsgemeinschaft und Austausch, 8.15–9.30 Uhr Bibelarbeit am laufenden Text der ökumenischen Bibellese. Danach gemeinsamer Arbeitseinsatz, 6–8 Std. täglich, dazwischen 2 Gebetsgemeinschaften am jeweiligen Arbeitsplatz (11.00 und 15.00).“ Nach der „Tagesschau“ ab
Klara Schlink. Von Teilen des Gnadauer Gemeinschaftsverbandes wurden die Marienschwestern als zu pfingstlerisch empfunden (Schöpwinkel, Hermann: Persönliches Wort an meine Gnadauer Brüder. [Februar 1968]. Maschinenschriftl., Durchschlag, 4 S., hier 3 [AEGGK, Gnadauer Vorstand 1968, Nr. 2/68: Nauheim]), was erklären dürfte, warum die Aktion SuD seitens der sich formierenden evangelikalen Bewegung und im Bethelkreis nicht erwähnt und in das eigene Arbeitsnetzwerk integriert wurde, obwohl es vereinzelt Kontakte zwischen SuD und Bethelkreis ab: Im Januar 1968 wurde im Rundbrief der SuD in Auszügen ein Referat des Bethelkreis-Mitgliedes Hans Rohrbach abgedruckt, welches dieser auf einer Mitarbeiter-Rüstzeit von SuD im Oktober 1967 gehalten hatte (Rohrbach, Hans: Anleitung zum priesterlichen Dienst, in: Aktion Sorge um Deutschland e. V. Rundbrief Nr. 12 von Januar 1968, 5–7 [ZASP Abt. 150.120 Nr. 7]). 508 OJC-HÄUSER.
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20.20 Uhr fanden „an mehreren Abenden in der Woche Familienabende mit Besuchern statt, mit Berichten und Arbeitsvorhaben aus aller Welt.“509 Darüber hinaus wurden für die Einwohnerschaft der Umgebung Schulungen über „Glauben, Denken und Handeln in der Gegenwart“ angeboten sowie die aktive Mitarbeit in den Gemeinden vor Ort gepflegt. Die Teilnahme an den Kirchentagen war obligatorisch, ebenso die Mitarbeit an ökumenischen Großveranstaltungen und in den ökumenischen Kontakten der OJC.510 Das Verhältnis zur Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau wurde auch seitens der Kirchenleitung positiv bewertet – 1979 stellte die Landeskirchenleitung der OJC eine „Unbedenklichkeitserklärung“ aus, in der bestätigt wurde, „daß die ‚Offensive Junger Christen‘ in Bensheim eine in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau anerkannte Initiative und Organisation ist. Sie vertritt keine sektiererischen Tendenzen, sondern weiß sich eins im Bekenntnis entsprechend dem Grundartikel der Kirchenordnung unserer Landeskirche.“511 Bei der OJC ist von Anfang an ein wesentlich höheres gesellschaftspolitisches Bewusstsein zu verzeichnen, als es in der evangelikalen Bewegung in den 1970er Jahren üblich war. Die Auseinandersetzung gerade mit der Studentenbewegung, als deren christliches Äquivalent man sich an manchen Punkten empfand, führte in der OJC nicht zu einer rigorosen Abgrenzung gegen politische theologische oder kirchliche Ansätze, sondern zur intensiven Beschäftigung mit christlich-ethischen, missionarisch-diakonischen sowie gesellschaftspolitischen Belangen.512 In einem „Eigenbericht“ von 1972 hieß es, die OJC sei „kein Verein, kein Club, keine Organisation, aber ein Engagement junger Christen, die sich verpflichtet haben, an ihrem Ort als Partisanen Gottes ihr Leben ganzheitlich für ein gemeinsames Ziel einzusetzen. [. . .] Junge Erwachsene, die mit sich, ihrer Kirche und der Welt, in der wir leben, unzufrieden sind, fordert die OJC heraus, ihr geistiges Getto zu verlassen, um in ihrem eigenen Leben Antwort auf die akuten Probleme unserer Zeit zu geben.“ Man arbeite durch „Gestaltung von Konferenzen – Schulung zum revolutionären Christsein – Erarbeitung von Modellen und Dokumentationen – Hilfen zur Bildung von Aktionszellen für Spezialaufgaben.“513
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Wie sieht die Offensive ihren Beitrag zur Erneuerung der Kirche?, gez. Horst-Klaus Hofmann, 24. 4. 1975. Maschinenschriftl., 5 S., hier 1 (ZA EKHN, Best. 155, Nr. 2160). 510 EBD., 1–4. 511 Bescheinigung, gez. Soeder – Oberkirchenrat –, vom 30. 3. 1979. Maschinenschriftl., 1 S. (ZA EKHN, Best. 155, Nr. 2161). 512 Vgl. die entsprechenden Beiträge in HOFMANN / HOFMANN, Anstiftungen. 513 [EIGENBERICHT DER OJC] 1972.
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1988 äußerte Horst-Klaus Hoffmann, seiner Ansicht nach sei der 1968er Umbruch unvermeidlich gewesen und habe derartige „Veränderungen, Befreiungen und Offenheiten für notwendige Verschiedenheiten in der Gesellschaft hervorgebracht, daß [er] sie mehr positiv als negativ beurteile.“514 Hoffmanns Offenheit gegenüber der gesellschaftsgestaltenden Kraft der evangelischen Kirche dürfte außerdem der Tatsache geschuldet sein, dass in sein Projekt OJC auch Einflüsse der „Moralischen Aufrüstung“ (MRA) eingingen, einer Strömung, die sich aus der 1918 gegründeten „Oxford-Bewegung“ entwickelte.515 Die MRA erzielte in den 1950er Jahren und Anfang der 1960er Jahre eine bemerkenswerte öffentliche Breitenwirkung und sogar Resonanz in politischen Kreisen in Europa, die heute kaum noch bekannt ist.516 Gefordert wurde von den Vertretern der MRA, das individuelle Leben in den Dienst Gottes zu stellen und damit ganzheitlich in der Welt für die Welt zu wirken.517 Die Grundprinzipien der individuellen Veränderung, die „Vier Absoluten“, waren absolute Ehrlichkeit sich selbst und anderen gegenüber, absolute Reinheit, d. h. das Verbot von Onanie und Masturbation, Ehebruch und „Homosexualität und andere[n] Perversitäten“, absolute Selbstlosigkeit gegenüber anderen, absolute Liebe, d. h. die positive Einstellung dem Mitmenschen gegenüber bei gleichzeitiger Verbesserung seines Lebensstils nach den Prinzipien der „Vier Absoluten“. In der „Stillen Zeit“ war der Einzelne aufgefordert, sein Leben anhand der „Vier Absoluten“ zu überprüfen, wobei er unter „Führung“ durch die Gruppe, vor der die Verfehlungen gebeichtet werden mussten, in seinem Veränderungsprozess unterstützt werden sollte.518 Ausgehend von den „Vier Absoluten“, der Selbstreflexion in der „Stillen Zeit“ und der „Führung“ durch die Gruppe könne die Veränderung der Gesellschaft beginnen. Die MRA trat dezidiert politisch auf – anfangs massiv antikommunistisch, später in Gegnerschaft zu jeder Form des ideologischen Materialismus –519, vor 514
HOFMANN, Einführung, 22. Zur Oxford-Bewegung vgl. auch BRUNNER, Begegnung. 516 Es ist der Hamburger Historikerin Maike Majewski, die sich bisher als Einzige in Deutschland mit der Geschichte der MRA beschäftigte, zuzustimmen, dass weder die MRA noch ihre Wirkungen in den 1950er Jahren heute unter Zeithistorikern bekannt sind (MAJEWSKI, Umerziehung, 5f.), was angesichts des damaligen Arbeitsaufwandes der MRA, ihrer Kontakte in Regierungskreise und auch der offensichtlich umfangreichen finanziellen Ressourcen, über die die MRA verfügte und verfügt, erstaunlich ist. Majewskis Untersuchung zur MRA „Umerziehung durch die Herrschaft Gottes“ erschien 2006 in der Reihe „Hamburger Skripte“ der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Majewski ordnet die MRA, trotz ihrer schwachen formalen Struktur, aufgrund ihres hohen Zugriffs auf den Einzelnen und dessen Abhängigkeit von der Gruppe den „Sekten“ zu (EBD., 11f.). 517 Vgl. Müller, Moralische Aufrüstung. 518 MAJEWSKI, Umerziehung, 9–11. 519 Vgl. Ideologie und Koexistenz. Moralische Aufrüstung. Drucksache (ADW, HGSt 860). 515
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dem Hintergrund der „tiefgehende[n] Erfahrung des Kreuzes Christi“ und der „Weisung durch den Heiligen Geist“.520 So hieß es in der Einladung zur Weltkonferenz der MRA im Sommer 1962: „Das Problem ist nicht die Wasserstoffbombe, obgleich sich der Mensch durch die Kräfte, die sein eigenes Gehirn entfesselt hat, tatsächlich selbst vernichten kann. Das Problem ist auch nicht der Kommunismus, obgleich bisher nur wenige in Europa das Wesen und das Ziel von Männern wie Chruschtschow und Mao Tse-tung begriffen haben. Das Problem ist vielmehr die weltweite Auflehnung gegen Gott, die dazu führt, dass heute der moralische Kompromiss als das Normale angesehen wird. Ein gemeinsamer Feind zerrüttet und zersplittert gleichermassen die nichtkommunistische wie auch die kommunistische Welt. Er hat uns in zwei Weltkriege gestürzt. Er hat die Völker, die sich frei und christlich nennen, zur Geburtsstätte des Faschismus, des Nationalsozialismus und des Kommunismus werden lassen. Dieser Feind heisst Materialismus. Es ist der Geist des Antichrists, eine Philosophie, welche den Menschen an die Stelle Gottes setzt und Profit, Löhne, Besitz und Macht für das Wichtigste hält. [. . .] Die ganze Welt braucht mehr. Sie braucht ein gemeinsames Ziel. Sie braucht sittliche Werte, die für alle verbindlich und verbindend sind. Die Menschheit steht heute vor der Entscheidung, moralisch aufzurüsten oder unterzugehen. Das gilt für den Westen. Das gilt für den Osten. Es gilt für den Einzelnen. Und es gilt für die Regierungen.“521
Frank Buchman, Gründer der MRA, war kein Mann, der sich mit kleinen Schritten und Wirkungsfeldern abgab: Sein Ziel war die „Moralische Aufrüstung“ aller Völker. Wo die MRA auftrat, tat sie es in enger Verbindung zu den Regierungen. 1956 erfolgten die Aufführungen mehrerer Theaterstücke aus der Feder des mit Buchman eng zusammenarbeitenden Regisseurs Peter Howard, der nach Buchman Leiter der MRA wurde, in Deutschland unter der Schirmherrschaft von Konrad Adenauer.522 Adenauer war mit Buchman nach dessen Aussage in „langjährige[r] Freundschaft“ verbunden und hielt Buchman für „absolut unerlässlich für den Frieden in der Welt“.523 In den 1950er Jahren war die Öffentlichkeitswirksamkeit und -arbeit sowie die Eigenwerbung der MRA beeindruckend. So wandten sich z. B. im September 1952 225 Betriebsratsvorsitzende und Betriebsratsmitglieder deutscher Unternehmen mit einem Aufruf 520
BOCKMÜHL, Botschaft, besonders 13–16. Die entscheidende Aufgabe des modernen Menschen. Einladung zur Weltkonferenz für Moralische Aufrüstung Caux/Schweiz, 27.Juli – 5. August und 31. August – 30. September 1962. Gedruckt, 7 S., hier 2 (LkAH, Best. L 3 III Nr. 1388). 522 Einladung an Dr. Frank Buchman und die ideologische Mission, gez. Bundeskanzler Dr. [Konrad] Adenauer, Präsident des Deutschen Bundestages Dr. [Eugen] Gerstenmaier, Stellvertreter des Bundeskanzlers, Bundesminister Dr. h. c. [Franz] Blücher [. . .]. Bonn, 7. 1. 1956. Gedruckt, 1 S. (LkAH, Best. L 3 III Nr. 1388). 523 BUCHMAN, Orkan, Bildunterschrift. 521
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an die Öffentlichkeit, die Geschlossenheit der Gesellschaft „durch die moralische Aufrüstung unseres Volkes“ zu erreichen und „unsere Selbstsucht um unseres Volkes willen“ zu opfern.524 Robert Schuman, ehemaliger französischer Ministerpräsident und Initiator des Schuman-Plans, referierte 1953 auf der Weltkonferenz der MRA.525 Die Theologen Heinrich Rendtorff und Carl Gunther Schweitzer schrieben unabhängig voneinander 1953 bzw. 1950 befürwortende, nahezu euphorische Berichte über ihre Erlebnisse in Begegnungen mit den Zielen bzw. mit Vertretern der MRA.526 Die Kirchen legten, ebenso wie die SPD und die KPD zu einem früheren Zeitpunkt, Anfang der 1950er Jahre ihren Mitgliedern eine Distanz zur MRA nahe.527 Kritisch sahen das sozialpolitische Engagement der MRA in Deutschland andere Vertreter der „OxfordBewegung“, denen die deutliche Ausrichtung der MRA auf Bibel und Christus fehlten und die sich 1953 von der MRA abspalteten und sich seit 1957 „Marburger Kreis“ nannten. Der „Marburger Kreis“ ist Teil der charismatischen Bewegung. Nach dem Tod Frank Buchmans 1961 übernahm Peter Howard die Führung der MRA. Nach dessen Tod 1965 verlor die MRA relativ rasch an Bedeutung. Die heute unter dem Namen „Initiatives of Change“ fungierende MRA hat nach wie vor ihren Sitz in Caux in der Schweiz und fungiert als Netzwerk von Menschen, die sich, wie auf der Homepage zu lesen, für die „Erneuerung der Welt“ einsetzen.528 Horst-Klaus Hofmann nun war, wie gesagt, von der MRA geprägt529 und brachte diesen Ansatz in die OJC ein: die „Stille Zeit“ und die Integration des Einzelnen in die Gruppenarbeit, aber auch das gesellschaftspolitische Interesse lassen deutlich den Einfluss der MRA in der OJC erkennen. Auf Grund des auf das Familienmodell ausgerichteten kommunitären Charakters der OJC lag ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit, allein durch die praktische Anwendung, auf sozialethischen und seelsorgerlichen Fragestellungen. 524 Ein Ruf an alle, gez. Gesamthafenbetrieb Hamburg, Hafen- und Lagerhaus AG. Hamburg, Gummiwerke Phoenix Hamburg-Harburg, [. . .] Bauunternehmung G. Epple Stuttgart, Nähfadenfabrik Göggingen Augsburg, Rhodiaceta Kunstseide AG. Freiburg/Breisgau, vom September 1952. Gedruckt, 4 S. (LkAH, Best. L 3 III Nr. 1388). 525 Robert Schuman in Caux. [Pressemitteilung] vom 13. 9. 1953. Maschinenschriftl., 1 S. (LkAH, Best. L 3 III Nr. 1388). 526 Rendtorff, Heinrich: Was geht die Moralische Aufrüstung uns Christen an? [1953] Maschinenschriftl., 5 S.; Schweitzer, Carl Gunther: Die Moralische Aufrüstung (MRA) und die Oekumene. [1950] Maschinenschriftl., 6 S. (LkAH, Best. L 3 III Nr. 1388). 527 MAJEWSKI, Umerziehung, 11. 528 INITIATIVES OF CHANGE. 529 Wie sieht die Offensive ihren Beitrag zur Erneuerung der Kirche?, gez. Horst-Klaus Hofmann, 24. 4. 1975. Maschinenschriftl., 5 S., hier 3 (ZA EKHN, Best. 155, Nr. 2160); HOFMANN, Frank Buchman.
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Schon seit Ende der 1970er Jahre bot die OJC Seminare für „Biblische Seelsorge“ an und wandte sich, wie die meisten Vertreter evangelikaler Trägergruppen, gegen die „Gruppendynamik“, d. h. sowohl die Erforschung der Gruppendynamik als auch die methodische Anwendung ihrer Funktionsweise, die Ende der 1960er Jahre in den Sozialwissenschaften rasch an großer Bedeutung gewonnen hatte und sich in den Kirchengemeinden, vor allem in der Jugendarbeit, verbreitete.530 Fragestellungen wie diese wurden in dem 1969 gegründeten „Studien- und Forschungszentrum“ der OJC, dem „Deutschen Institut für Jugend und Gesellschaft“, behandelt. Die Arbeit des Institutes der OJC entwickelte sich durch ihren Konservativismus bei der Erörterung sozialethischer Fragen im Zusammenhang mit Familie, Ehe, Sexualität, Beziehungsleben, sozialem Zusammenleben usw. zu einem Verbindungsglied zur evangelikalen Bewegung. Besonders die seit Ende der 1980er Jahre intensivierte Arbeit des Institutes für die Homosexuellen-Heilungsbewegung – unter Anregung der Arbeit des US-amerikanischen Psychotherapeuten Joseph Nicolosi – unterstützte die entsprechenden Positionen der evangelikalen Bewegung bzw. bereitete diese vor.531 In der Argumentationslinie von Nicolosi plädieren die führenden Vertreter des Instituts seit den 1980er Jahren und bis heute dafür, dass, ausgehend von der
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Horst-Klaus Hofmann nahm im Oktober 1976 an einem Gespräch mit dem badischen Landesbischof Heidland über die Zukunft der pastoral-psychologischen Ausbildung teil und zwar als Berater des kritischen Flügels in der Diskussion um gruppendynamische Methoden. Im selben Monat sprach er vor dem Theologischen Konvent der KBG in Frankfurt am Main (Brief der Christen in der Offensive e. V., gez. Horst-Klaus Hofmann, an die Kirchenverwaltung der Evangelischen Kirchen in Hessen und Nassau, z. Hd. Herrn Oberkirchenrat [Hans] Balz, vom 12. 10. 1976. Maschinenschriftl., 2 S., hier 1f. [ZA EKHN, Best. 155, Nr. 2160]). 531 1979 war Hofmann auf dem Nürnberger Kirchentag einer von sieben Podiumsgästen der Diskussionsrunde „Homosexualität und Evangelium“ und sprach sich für eine stärkere Beschäftigung mit dem Thema aus, da Homosexuellen geholfen werden müsse, insistierte aber gegen eine Gleichstellung von Heterosexualität und Homosexualität (HOFMANN, Homosexualität). Damit folgte er der Haltung, die in der EKD-Denkschrift von 1971, an dessen Vorarbeiten er beteiligt war, ausgesprochen wurde: Homosexualität wurde hier als „sexuelle Fehlform“ bezeichnet, allerdings dürfe die „unreflektierte Verurteilung“ von Homosexualität nicht beibehalten werden (DENKSCHRIFT, 38–40). 1990 fand das erste „internationale Symposium“ „Homosexualität und kirchliche Seelsorge“ in Reichelsheim statt, zu dem als Hauptreferent Nicolosi eingeladen war (DAS WAR KEIN KONGRESS). Nicolosi war Mitbegründer der 1992 ins Leben gerufenen „National Association for Research and Therapy of Homosexuality“ und Vertreter der so genannten „reparativen Therapie“ (von der „American Psychiatric Association“ in Vermeidung des Begriffs „Therapie“ als „Sexual Orientation Change Efforts“ bezeichnet), bei der davon ausgegangen wird, dass Homosexualität, die auf Grund verschiedener Fehlentwicklungen in der Eltern-Kind-Beziehung entstehe, hin zur Heterosexualität veränderbar sei. 1997 wurden im Informationsbrief der B KAE die Thesen Nicolosis bzw. des Institutes der OJC aufgenommen und als Lebenshilfe für Homosexuelle angeboten (SCHERLIES, Überlegungen; WERNER, Thesen).
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Annahme, Homosexualität sei eine psychische Störung, eine heterosexuelle Orientierung für Homosexuelle, bei entsprechender Aufarbeitung der Ursachen der Störung, wählbar sei.532 Ausgangspunkt und Ziel der Überlegungen stellten dabei die biblischen Aussagen dar, die sich, so der exegetische Befund auf evangelikaler Seite, gegen Homosexualität wenden533 bzw. die eine in der Schöpfungsgeschichte vorgegebene göttliche heterosexuelle Zuordnung vorschreiben. Allerdings folgt man dabei in der Argumentation einem von den psychologischen und psychiatrischen Fachkreisen weitgehend abgelehnten psychotherapeutischen Ansatz.534 Die OJC und das Institut der OJC waren durch personelle Überschneidungen, vor allem durch die Persönlichkeiten von Horst-Klaus und Irmela Hofmann eng verbunden, wobei die OJC selbst in vielerlei Hinsicht eher als Kommunität, salopp gesagt als „soziales CVJM-Jahr“ zu verstehen ist, denn als evangelikale Trägergruppe, vor allem durch die inhaltliche Offenheit. Die Verbindungen zur evangelikalen Bewegung allerdings waren durchaus vorhanden und verstärkten sich im Laufe der Beschäftigung des „Instituts für Jugend und Gesellschaft“ mit sexualethischen Fragen. Es ist ein Signum der evangelikalen Bewegung ebenso wie ihrer Trägergruppen, dass durch die Ethik, genauer gesagt das konservativ-soziale Engagement, diese Gruppen einerseits ihr theologisches Profil verlieren und andererseits ihr sozialkonservatives Profil schärfen. Auf Grund des ungeklärten Verhältnisses von Bibelwort und Sozialethik laufen sie in Gefahr, in einen reinen gesellschaftlichen Konservativismus abzugleiten, der dann wiederum das Sammelbecken für „die Evangelikalen“ darstellt. Damit ist die Darstellung der Gruppen- und evangelikalen Vereinsgründungen im Zuge des 1966er Protestes abgeschlossen, ohne den Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben, da es immer wieder zur Gründung kleinerer Gruppen kam, deren Stimme in die evangelikale Bewegung einflossen. Die genannten Gruppen erwiesen sich im Hinblick auf die eigenen Zielsetzungen als relativ konstant, aber weniger stabil, was ihren Beitrag zur evangelikalen Bewegung ausmachte. Zentrum der evangelikalen Bewegung war von 1966 bis Anfang der 532
Aus der zahlreichen Literatur sei beispielhaft genannt: VORNHOLDT, Homosexualität; JAE/ PLETSCH, Homosexualität. 533 Zu einem differenzierten exegetischen Befund bezüglich der biblischen Textstellen zur Homosexualität vgl. u. a. THEOBALD, Biblische Weisungen. 534 Vgl. PORSCH, Verstehensbedingungen, besonders 30–35. Porsch spricht davon, dass, obwohl die reparative Therapie in Fachkreisen abgelehnt werde, sie dafür im „christlichen Diskurs“ eine Rolle spiele: „Ein solcher Rückgriff auf wissenschaftliche Randpositionen ist kaum zufällig, sondern interessengeleitet.“ (EBD., 35). Interessengeleitete Forschung werfen allerdings auch Vertreter der evangelikalen Kritik den psychiatrischen und psychotherapeutischen Fachverbänden vor: Sie würden von den Homosexuellenverbänden unter Druck gesetzt. GER
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1980er Jahre zweifelsohne die B KAE, speziell ihr Bundesarbeitskreis und der Theologische Konvent. Sämtliche Regionalgruppen sowie die KS und weitere Gruppen, die als evangelikale Trägergruppen galten, wie die DEA und der Gnadauer Gemeinschaftsverband, bewegten sich um dieses Zentrum, allerdings nicht kontinuierlich, sondern im Hinblick auf gemeinsame Themen bzw. gemeinsame Frontbildungen. Der formale Ausdruck dieser Koalitionsbildung war die KBG.
6.3 Evangelikale Arbeitsschwerpunkte 1970 bis 1980 6.3.1 Die „Konferenz der bekennenden Gemeinschaften in den evangelischen Kirchen in Deutschland“ Die „Konferenz der bekennenden Gemeinschaften in den evangelischen Kirchen in Deutschland“, später „Konferenz der bekennenden Gemeinschaften in Deutschland“ (KBG), wurde am 7. Oktober 1970 auf Initiative des Bundesarbeitskreises der B KAE gegründet.535 Vorsitzender der KBG war bis 1975 Rudolf Bäumer, der in Personalunion zugleich den Vorsitz der B KAE innehatte. 1975 wurde er von dem Berliner Superintendent Reinhold George im Amt des Vorsitzenden der KBG abgelöst. Von 1980 bis 1986 war Fritz Grünzweig Vorsitzender, seit März 1986 Karl Hauschildt. Die KBG trat in mindestens halbjährlichen Sitzungen zusammen und versammelte dabei die Vertreter der angeschlossenen evangelikalen Trägergruppen, die durch zwei Vertreter im Leiterkreis – sie konnten durch bis zu jeweils drei beratende Vertreter ergänzt werden – repräsentiert wurden. Als Vorsitzender einer Mitgliedsgruppe hatte man automatisch auch einen Sitz im „Theologischen Konvent“ der KBG und damit in einem der verschiedenen Ausschüsse des Konventes,536 die je nach Bedarf mehr oder weniger aktiv waren. Der Zweck der KBG, die den angeschlossenen Gruppen gegenüber keine Weisungsberechtigung hatte, bestand in der „Sammlung“ der evangelikalen Trägergruppen. Bemerkenswerterweise sollte die „Konferenz“ ursprünglich „Rat der bekennenden Gemeinschaften“ heißen, in Parallelität und Abgrenzung zum „Rat der EKD“.537 Dieser Plan wurde allerdings fallen gelassen. 535
Die folgenden Ausführungen basieren auf: DIE BEKENNENDEN GEMEINSCHAFTEN. Briefdurchschlag von [Joachim] H[eubach] an Pf[arre]r Kurt Heimbucher vom 14. 3. 1972. Maschinenschriftl., 2 S., hier 2 (NEK-Archiv, 15.18 Nr. 1). 537 Sammlungsbewegungen „stark im Kommen“?, in: epd-Vertraulich Nr. 19 vom 11. 11. 1970, 3 (NEK-Archiv, 15.18 Nr. 19). Vom „Rat der Evangelischen Bekenntnisgruppen in Deutschland“ ist auch die Rede in: Plan zur Koordinierung des Zeugnisses der Evangelischen 536
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Die evangelikale Bewegung im Konflikt mit den Landeskirchen
Im Prinzip war die KBG, obwohl sie im Vergleich zur B KAE oder anderen evangelikalen Trägergruppen eher selten in den Fokus der Öffentlichkeit geriet und von daher mitunter als nebensächlich behandelt wurde, die organisatorische Verkörperung der evangelikalen Bewegung in den 1970er Jahren. In dieser Zeit stellte die B KAE die zentrifugale Kraft der evangelikalen Bewegung dar. Die KBG war ihr Dachverband und stark von der B KAE bestimmt. 1970 traten der KBG folgende Vereinigungen bei: die B KAE, die „Evangelische Sammlung Berlin“, die Bundesvereinigung der KS, die KS in Bayern und die württembergische Ludwig-Hofacker-Vereinigung. 1974 wurde die „Notgemeinschaft“ aufgenommen. Gaststatus in der KBG hatten die SELK und die „Evangelische Sammlung in Württemberg“.538 1972 trat auch der Gnadauer Verband der KBG bei. So hieß es im Protokoll der Leitersitzung der KBG im März 1972, auf Grund der „Bereitschaftserklärung der diesjährigen Mitgliederversammlung des Gnadauer Verbandes vom 22.–24. Februar 1972 in St. Chrischona, in Zukunft enger mit der KBG zusammenzuarbeiten“ habe man einstimmig beschlossen, „den Gnadauer Verband zur Mitgliedschaft in die KBG einzuladen. Theologische Mitarbeiter des Gnadauer Verbandes ebenso wie die Vorsitzenden seiner Landesverbände sollen nach Absprache zwischen Prof. Künneth und Präses Heimbucher eingeladen werden, im Theologischen Konvent mitzuarbeiten. Es wird zunächst der Name des Direktors des Johanneums, Berewinkel, genannt.“539 Mitte März gratulierte Joachim Heubach dem Präses des Gnadauer Verbandes bereits zum Beitritt. Er habe „mit großer Freude und Dankbarkeit“ von dem Beschluss gehört, dass sich der Gnadauer Verband „hinter die Frankfurter Erklärung“ stelle „und der Konferenz bekennender Gemeinschaften in den evangelischen Kirchen Deutschlands“ beitrete. Er habe den Eindruck, dass eine „uns“, d. h. den Vertretern evangelikaler Trägergruppen, „mit in die Wiege gelegte Abneigung gegen das Machtstreben in einer völlig unsinnigen Überspitzung dazu führt, daß in ganz leichtsinniger Weise immer neue
Bekenntnisgruppen in Deutschland. [um 1969/1970] Maschinenschriftl., hektograph., 3 S. (NEK-Archiv, 15.18 Nr. 2). 538 DIE BEKENNENDEN GEMEINSCHAFTEN, 1. 539 Protokolldurchschlag der Sitzung des Leiterkreises der Konferenz Bekennender Gemeinschaften in den evangelischen Kirchen Deutschlands am 2. u. 3. März 1972 in Frankfurt/M., gez. R[udolf] Bäumer – Vorsitzender – und P[eter] Beyerhaus – Schriftführer. Maschinenschriftl., 6 S., hier 5 (NEK-Archiv, 15.18 Nr. 1). Wie aktiv sich die KBG um die Gewinnung von Mitgliedern bemühte, geht aus demselben Sitzungsprotokoll hervor: „Von der Evangelischen Sammlung in Württemberg liegt noch kein endgültiger Antrag auf Mitgliedschaft in der KBG vor. Die Evangelische Sammlung Württemberg soll gebeten werden, sich dabei die Frankfurter Erklärung als einen Ausdruck des theologischen Selbstverständnisses der KBG zu eigen zu machen, wie dies die übrigen 6 konstituierenden Gemeinschaften (einschließlich Gnadaus) schon getan haben.“ (EBD.)
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Evangelikale Arbeitsschwerpunkte 1970 bis 1980
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Trennungen in der Gemeinde Jesu riskiert werden.“ Heubach sah es „als Zeichen Seiner besonderen Gnade an, daß der Gnadauer Verband sich unserer Konferenz angeschlossen hat.“ Die offizielle Erklärung sei „doch nun wieder ein Schritt nach vorn, nicht um menschlichen Druck auf anders Denkende auszuüben, aber zur gemeinsamen Anbetung Jesu Christi und zu einem glaubwürdigeren Bekennen vor Zweiflern, Irrlehrern und Ungläubigen.“540 Wie schon erwähnt, wurde der 1969 gegründete „Theologische Konvent der B KAE“ mit Gründung der KBG zum „Theologischen Konvent der KBG“. Die KBG verfügte bis 1980 über kein eigenes Organ, sondern wurde durch „idea“ und die Informationsbriefe der Gliedgemeinschaften repräsentiert.541 Im November 1980 erschien erstmalig die Zeitschrift „Diakrisis. Hilfe zur Unterscheidung von Geistesströmungen in Kirche und Welt“ als Organ des „Theologischen Konventes“ und damit auch der KBG. Schriftleiter von „Diakrisis“ war Peter Beyerhaus. Ursprünglich erschien „Diakrisis“ als „Dokumentation“ von „idea“, später ist davon nichts mehr im Impressum vermerkt. Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre begann sich die evangelikale Bewegung aus der Satellitenbahn um die B KAE zu lösen und in der DEA aufzugehen, einem „Sammelbecken“, das die Pluralisierung der Bewegung im Gegensatz zur B KAE nicht unterband. In diesem Übergang bzw. bei der Existenz der DEA als Organisation der evangelikalen Bewegung spielte die Zeitschrift der DEA, „ideaSpektrum“, wie der Informationsdienst „idea“ generell mit den ihm angeschlossenen Medien eine große Rolle. Darauf wird noch einzugehen sein. Zuvor aber sollen die Arbeitsfelder der KBG in den 1970er Jahren dargestellt werden: 1. die Auseinandersetzung mit diversen sozialethischen Fragen, 2. die evangelikale Mission in Auseinandersetzung mit der ökumenischen Bewegung und 3. die Problematik des Verhältnisses von DEKT und „Gemeindetag unter dem Wort“. 6.3.2 Die Auseinandersetzungen in Bezug auf sozialethische Fragen Die Bearbeitung von gesellschaftspolitischen Fragen spielte in den 1970er Jahren eine wesentlich geringere Rolle in der evangelikalen Bewegung als die Monita an der Lösung sozialethischer Probleme in der Kirche selbst. Die Verlautbarungen und Stellungnahmen hinsichtlich der so wahrgenommenen innerkirchlichen Fehlentwicklungen sind so zahlreich, dass nicht jede im Folgenden
540 Briefdurchschlag von [Joachim] H[eubach] an Pf[arre]r Kurt Heimbucher vom 14. 3. 1972. Maschinenschriftl., 2 S., hier 2 (NEK-Archiv, 15.18 Nr. 1). 541 DIE BEKENNENDEN GEMEINSCHAFTEN, 2.
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Die evangelikale Bewegung im Konflikt mit den Landeskirchen
Erwähnung finden kann, sondern nur auf die wesentlichsten eingegangen wird.542 Da diese sozialethischen Debatten aber unmittelbar mit gesellschaftlichen Entwicklungen verknüpft waren, die theologische und kirchliche Sozialethik „die Welt“ zum Sujet hatte, bedeutete die Hinwendung zu sozialethischen Fragen eine Hinwendung zu den Belangen der Gesellschaft. Bemerkenswert ist, dass die evangelikale Hinwendung zu sozialethischen Fragen sowohl eine Abgrenzung als auch der Versuch einer eigenständigen Prägung im Kampf gegen die „Humanisierung der Welt“ darstellte. Diese „Humanisierung“ wurde seitens der evangelikalen Vertreter sowohl bei den Themen und der Struktur der DEKT ausgemacht als auch in der Intention der ökumenischen Bewegung. Insgesamt ist der Kampf gegen den „theologischen Aktionismus zur ‚Humanisierung der Welt‘“ die Fortsetzung der Bultmanndebatte.543 Nun wurde das „Kampffeld“ hin zur Welt bzw. zu den Stellungnahmen der evangelischen Kirche bezüglich „weltlicher“, d. h. gesellschaftlicher Entwicklungen, geöffnet. 1971 protestierte die KGB gegen die von ihr so bezeichnete staatliche „Teilfreigabe der Pornographie“. Was sich hinter der geplanten Änderung des § 184 eigentlich verbarg und wie diese Änderungspläne im evangelikalen Lager interpretiert wurden, fasste Rolf Zundel in einem Beitrag für „Die Zeit“ vom März 1970 pointiert zusammen: „Der Gesetzentwurf der Bundesregierung aber zielt, sofern man den neuesten Interpretationen folgt, darauf ab, statt des nicht exekutierten und nicht exekutierbaren Globalverbots in vielen Teilbereichen den Staatsanwälten klare Marschrouten zu geben: beim Jugendschutz, bei der öffentlichen Anbietung von pornographischen oder auch nur sexuell aufdringlichen Darstellungen; gewisse Sorten von Pornographie, vor allem solche, die Gewalttätigkaten zeigen, werden grundsätzlich verboten. Die Wahrheit ist also, daß dieses Gesetz, das unter der falschen Flagge ‚Teilfreigabe der Pornographie‘ segelt, tatsächlich eine drastische Einschränkung der Pornographie bedeutet. [. . .] Der Entwurf rechtfertigte schon in seiner ursprünglichen Form die Aufregung nicht – weder die emanzipatorische Begeisterung einiger Mitglieder des Regierungslagers, noch den Aufschrei der Empörung bei der Opposition. Der neue Entwurf bietet vollends keinen Grund mehr zur moralischen Entrüstung. Selbst der CDU-Abgeordnete Eyrich, dem gewiß niemand moralische Laschheit nachsagen
542 Diese innerkirchliche Kontroverse, deren Polarisierung sich, so der Göttinger Ethiker Reiner Anselm, mit den Schlüsselbegriffen „Zwei-Reiche-Lehre“ und „Königsherrschaft Christi“ beschreiben lässt, bedeutete für die protestantische Ethik seit Ende der 1950er Jahre, „die Herausforderungen nach konkreter Orientierungsvermittlung kaum mehr adäquat“ beantworten zu können (ANSELM, Überzeugungen, 1190). 543 TLACH, Ringen, 23.
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kann, erklärte im Parlament, er schließe sich ‚weitgehend den Ausführungen des Herrn Ministers an‘. Und wie er denken viele in der CDU/CSU-Fraktion. Das hinderte freilich Richard Jäger (CSU) nicht, in derselben Debatte davor zu warnen, die Bundesrepublik sei dabei, sich außerhalb der Kulturmenschheit zu stellen. Sein Verdikt: ‚Ich meine, beim Sittenstrafrecht und beim Paragraphen 184 wird sich entscheiden, ob wir Deutschen ein Kulturvolk sind oder in eine neue Barbarei versinken.‘ Und es paßt trefflich dazu, daß Jäger auf der Kundgebung der ‚Bekennenden Gemeinschaften‘ als einer der Hauptredner auftrat und nach einer Reprise seiner Bundestagsrede Dank ‚für sein eindeutiges und kühnes Wort‘ erhielt.544 [. . .] Bei solcher politischen Einführung ist es auch kaum verwunderlich, wenn ein Theologe auf dieser Kundgebung das Problem des Paragraphen 184 auf die Formel brachte: ‚Finis germaniae oder ein neuer Anfang an der helfenden Hand eines lebendigen Gottes.‘ Es ist schon merkwürdig und deprimierend, mit welcher Fahrlässigkeit Christen in den politischen Protest hineingejagt werden, mit welchem Minimum an Information Gott für das geltende Strafgesetz mobilisiert wird.“545
Mit ihren Aktionen, zu denen auch erstmalig in der Geschichte der evangelikalen Bewegung eine von Peter Beyerhaus entworfene Eingabe mit 219 550 gesammelten Unterschriften an den Bundespräsidenten, den Bundeskanzler, Bundestag und Bundesrat gehörte,546 beteiligte sich die KBG direkt an der politischen Kampagne von Vertretern der CSU gegen Pornographie. Der Bundesjustizminister irre sich, so in der Eingabe der KBG, wenn er seine Änderungsvorschläge des § 184 als verbesserten Schutz, vor allem von Jugendlichen, vor pornographischen Schriften u. ä. darstelle. Die derzeitig gültigen Gesetze würden einen „unvergleichlich besseren Jugend-Schutz“547 bieten, so die KBG weiter. Die Begründung der eigenen Haltung gegenüber der vermuteten „Teilfreigabe der Pornographie“ war, und das stellte zu den vorherigen Konfliktfeldern einen evidenten Bruch dar, nicht mehr unmittelbar biblisch fundiert. Man argumentierte jetzt mit gesellschaftspolitischen Schlagworten wie denjenigen, dass Pornographie „dem Wesen echter Liebesbeziehung“ widerspreche, Erotik mindere und „den Partner zum Lustobjekt eigener Triebbefriedigung“ ernied-
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Bemerkenswert im Zusammenhang mit dem Auftritt auf der Kundgebung der KBG von Richard Jaeger, der als Bundesjustizminister Mitte der 1960er Jahre für die Wiedereinführung der Todesstrafe eintrat, ist seine katholische Konfessionszugehörigkeit. Hier zeigt sich einmal mehr, wie wenig das „Bekenntnis“ eine Rolle in den Kämpfen spielte, die die B KAE oder die KBG ausfochten. 545 ZUNDEL, Protest. 546 [Offener] Brief der Konferenz der bekennenden Gemeinschaften in Deutschland, Betr. Strafrechtsänderung § 184 und § 218 StGB an den Herrn Bundespräsidenten D. Dr. Dr. Gustav Heinemann, an den Herrn Bundestagspräsidenten Kai-Uwe von Hassel, an den Herrn Bundeskanzler Dr. h. c. Willy Brandt [. . .] vom 9. 9. 1971. Drucksache, 4 S. (NEK-Archiv, 15.18 Nr. 2). 547 EBD., 2.
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rige und nach seelsorgerlichen und ärztlichen Erfahrungen „in steigendem Maße zur Zerstörung der Ehe“ führe. „Tote Zellen vergiften den Leib und zerstörte Ehen das Volk!“548 Hier zeigte sich erstmalig die Problematik der fehlenden evangelikalen Sozialethik, in deren Ermangelung man sich an gängige konservative Leitbilder der Gesellschaft anschloss – und damit an den verpönten „Zeitgeist“. Damit soll keineswegs unterschlagen werden, dass jede christliche Sozialethik einen unmittelbaren Bezug zur aktuellen Gegenwart hat, allerdings auch eine theologisch fundierte Klärung dessen beinhalten müsste, welche biblischen Aussagen warum die jeweilige Ethik stützen. Dies fehlte nun hier und war dem Umstand geschuldet, dass theologische Überlegungen, allzumal hermeneutische, eben nur einen geringen Teil evangelikalen Denkens bestimmten. Ende Januar, Anfang Februar 1971 richtete auch der Hauptvorstand der DEA, d. h. Wilhelm Gilbert, Paul Deitenbeck, Helmut Grundmann und Wilhelm K. Schneck ein Schreiben betreffs „Bitte um Nichtfreigabe der Pornographie“ an die Mitglieder des Deutschen Bundestages.549 In der Eingabe an Bundestag und Bundesrat der KBG vom September 1971 wurde neben der Änderung des § 184 auch auf die geplanten Veränderungen des § 218 eingegangen.550 In Bezug auf die Abtreibungsfrage vertrat die KBG die Position des uneingeschränkten Verbotes. Der Zwang zur Austragung eines Kindes sollte in jedem Fall bestehen, auch bei der so genannten „ethischen Indikation“, d. h. wenn die Schwangerschaft auf eine Vergewaltigung zurückgeht. Auch hier würde, so die KBG, bei einem Abbruch das Grundgesetz des Rechtes auf Leben verletzt.551 Im Hinblick auf die medizinisch indizierte Schwangerschaftsunterbrechung, der Entscheidung für eine Abtreibung, wenn das Leben der Mutter gefährdet ist, sei zu bedenken, „ob nicht für den Christen aus seinem Glauben an den für uns gekreuzigten und auferstandenen Herrn über Leben und Tod die Bereitschaft zum Wagnis oder sogar zum Opfer des eigenen Lebens zugunsten des Neuen Lebens folgen sollte.“552 Es ist deutlich, dass mit
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EBD. SCHREIBEN DER EVANGELISCHEN ALLIANZ. 550 Zu der innerkirchlichen Debatte um die Abtreibungsproblematik vgl. MANTEI, Nein und Ja. Mantei nimmt keinen Bezug auf die evangelikale Position in dieser Diskussion. 551 [Offener] Brief der Konferenz der bekennenden Gemeinschaften in Deutschland, Betr. Strafrechtsänderung § 184 und § 218 StGB an den Herrn Bundespräsidenten D. Dr. Dr. Gustav Heinemann, an den Herrn Bundestagspräsidenten Kai-Uwe von Hassel, an den Herrn Bundeskanzler Dr. h. c. Willy Brandt [. . .] vom 9. 9. 1971. Drucksache, 4 S., hier 3 (NEK-Archiv, 15.18 Nr. 2). 552 EBD. 549
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dieser Begründung der Opfer- und Sühnetod Jesu anthropologisiert wurde – ein Vorgehen, das von der B KAE stets äußerste Kritik erfuhr.553 Kurz bevor Bundespräsident Gustav Heinemann im Juni 1974 die neue gesetzliche Regelung des § 218, die eine Fristenlösung vorsah, unterzeichnete,554 ergingen an ihn Telegramme von Peter Beyerhaus und Rudolf Bäumer, deren Inhalt sich ebenso wenig auf biblische Argumente stützte, sondern erstaunlicherweise auf politische Topoi. Bei Beyerhaus hieß es, „eingedenk der Blutschuld unseres Volkes“ bitte er Heinemann eindringlich, seine „Unterschrift unter das Todesurteil über Millionen ungeborener Kinder zu verweigern“555. Bäumer ging noch deutlicher in die Offensive, indem er Heinemann schrieb, die B KAE erbitte und erwarte „ungeachtet gesetzlicher Möglichkeiten“ seine Verweigerung der Fristenlösung, denn Heinemanns „Bekenntnis im Dritten Reich“ bleibe nur „glaubwürdig durch eine Gewissensentscheidung als Christ, der seinem Herrn mehr gehorcht als demokratischen Mehrheiten.“556
553 Wie problematisch für die B KAE die biblische Begründung sozialethischer Fragestellungen der aktuellen Zeit war, geht aus dem Protokoll der Tagung des „Theologischen Konventes“ im September 1971 hervor. Es wurde von den Teilnehmern der Sitzung eine grundlegende Behandlung der Frage an den Unterausschuss – der sich formlos hinsichtlich der Frage des § 184 um Georg Huntemann, den „Ethiker“ der B KAE, bildete –, delegiert, denn mit der Ethik traten plötzlich gänzlich neue und schwierig zu beantwortende Fragen auf, wie die, was man einem Menschen sagen sollte, „der kein Christ sein will?“ Also tastete man sich vorsichtig in dem ethischen Fragekomplex vorwärts: „Auf Jesus bezogene Ethik ist immer auch schöpfungsbezogene Ethik“, hieß es in der Diskussion um §§ 184 und 218, und: „Man muß sich in die für § 218 vor der Öffentlichkeit zu tragende Verantwortung hineindenken: für den Christen ist es klar – für alle anderen sind diese Fragen mit §§ nicht zu regeln – der Hinweis auf ein sterbendes Volk ist noch der einzige Grund und Einsatz für verantwortungsbewusstes Handeln! Die letzte Position kann nie wissenschaftliche Argumentation sein, obwohl wir sie haben! Was wir sagen müssen, ist: Was Gott will! Weil wir Jesus kennen! Auf einem Volk liegt der Segen Gottes dann, wenn seine staatlichen Gesetze nach den 10 Geboten gestaltet werden.“ Dass diese Simplifizierung möglicherweise doch ein zu schwacher Argumentationsausgangspunkt sein könnte, war wohl auch ausschlaggebende Motivation dafür, letztlich doch kein „Wort“ an nichtchristliche Mitbürger zu richten, sondern Huntemann den Auftrag zu erteilen, eine Erklärung an „christliche Bürger“ auszuarbeiten (Protokoll über die 6. Tagung des Theologischen Konvents am 22./23. September 1971 in Frankfurt, Protokollführung: [Walter] Reissinger. Maschinenschriftl., 5 S., hier 4 [NEK-Archiv, 15.18 Nr. 1]). 554 Bereits im Herbst 1974 kam es zur einstweiligen Verfügung des Bundesverfassungsgerichtes, die diese gesetzliche Regelung auf Grund seiner Verfassungswidrigkeit außer Kraft setzte, 1975 zur endgültigen Verurteilung des Gesetzes als verfassungswidrig. 1976 trat die Neufassung des § 218 in Westdeutschland in Kraft, in dem Schwangerschaftsabbruch mit Freiheitsstrafe geahndet wurde. Im Zuge der Wiedervereinigung wurde in Westdeutschland das seit 1972 in der DDR geltende gesetzliche Fristenlösungsmodell übernommen. 555 LETZTE EINDRINGLICHE APPELLE, 21. 556 EBD.
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1974 begann die KBG eine Kampagne gegen den nicht evangeliumsgemäßen Inhalt von Büchern für den Religionsunterricht. Im selben Jahr waren von verschiedenen Kultusministerien neue Richtlinien für den Religionsunterricht an Grundschulen und ebenso zu den zu verwendenden Religionsbüchern herausgegeben worden. Mit Unterstützung der B KAE und der KBG startete der Religionslehrer Immanuel Lück, Verfasser der 1979 erschienenen Schrift „Alarm um die Schule. Kritische Auseinandersetzung mit der gegenwärtigen Erziehungs-Situation“ und Vorsitzender des aus aktuellem Anlass 1974 gebildeten Pädagogischen Ausschusses der KBG, eine Initiative gegen das seit 1973 in mehreren Teilbänden erschienene „Arbeitsbuch: Religion“, das hauptsächlich von Ingo Baldermann, Professor für Religionspädagogik und Begründer der „biblischen Didaktik“ herausgeben wurde. Das „Arbeitsbuch: Religion“ wurde im Schuljahr 1973/74 in den Grundschulen in Westdeutschland eingeführt. In einem „Offenen Brief“ der B KAE an die Kirchenleitungen sowie an alle evangelischen Religionslehrer wurde das „Arbeitsbuch“ als völlig dem Zeitgeist der „modernistischen Theologie“ verhaftet beschrieben. Es würde darin „ein anderer Jesus“, d. h. Jesus nur als Mensch, proklamiert, dagegen die Auferstehung der Toten und das Jüngste Gericht nicht verkündet, andere Religionen und ihre Götter würden anerkannt, die Bibel werde nur noch zum Glaubenszeugnis, zuviel Toleranz und soziales Engagement spielten eine Rolle und der „Gott-isttot“-Theologie werde die Tür geöffnet.557 Kurz zuvor hatte Lück einen 28seitigen „Warnruf“ gegen den „anderen Jesus“ des Religionsunterrichtsbuches veröffentlicht.558 Baldermann wandte sich gegen Lücks Broschüre in einem Leserbrief in „ru intern“, einer Zeitschrift für Religionslehrer der westfälischen und lippischen Landeskirche, und hob „kopfschüttelnd“ hervor: „Ob Verfasser und Verbreiter solcher Aussagen sich wirklich darüber klar sind, was sie tun, weiß ich nicht. Ich kann nur feststellen: Kein Wort davon ist wahr. In dem Bild, das hier gezeichnet ist, vermag ich mich auch bei größter Anstrengung nicht wiederzuerkennen. [. . .] Das ‚Arbeitsbuch: Religion‘ [. . .] orientiert sich nicht an außertheologischen Lernzielen, auch nicht an Phänomenen der Religion im allgemeinen, sondern hält bewusst an einer biblisch-theologischen Grundorientierung des Unterrichts fest. [. . .] Man muß [. . .] die gegenwärtige Situation des Religionsunter557 Offener Brief „Ein anderer Jesus“ im „Arbeitsbuch: Religion“. An alle Bischöfe, Kirchenpräsidenten und Präsides in den Evangelischen Landeskirchen Deutschlands, an die evangelischen Religionslehrer. Stellungnahme zu offiziellen Entgegnungen/ hrsg. Von Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“. Drucksache, 8 S. (LkA EKvW Best. 0.10 Nr. 431). 558 Lück, Immanuel: Ein anderer Jesus! Kritische Auseinandersetzung mit dem „Arbeitsbuch: RELIGION“ von I. Baldermann, G. Kittel, I. Kluge [. . .]. Ein Warnruf an alle, die in der Unterweisung der Jugend in Fragen des Glaubens Verantwortung tragen. [März 1974]. Drucksache, 28 S. (LkA EKvW Best. 0.10 Nr. 431) (= LÜCK, Ein anderer Jesus).
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richts beachten: Die Frage nach seiner Grundorientierung ist nach wie vor heftig umstritten. Wie dieser Streit schulpolitisch ausgeht, ist noch völlig offen. Gerade in dieser Situation versucht nun die Bekenntnisbewegung, unsere Konzeption eines biblisch orientierten und gleichwohl gegenwartsoffenen R[eligions]U[nterrichts] anzugreifen und von den Schulen abzuwehren. Ein allgemein religiös ansetzender, an der Sinnfrage orientierter RU erscheint dort also offenbar eher tragbar als der von uns vertretene. Das ist tatsächlich schwer verständlich zu machen. Immanuel Lück muß versuchen, zu zeigen, daß bei uns eine besonders raffinierte Form der Verführung vorliegt. Das Ergebnis steht von vornherein fest; und die Indizien werden gewonnen, indem Möglichkeiten sich unter der Hand in Tatsachen verwandeln, Verdächtigungen in Beweise. Wo sich die Beweiskette trotzdem nicht schließen will, wird mit Unterstellungen gearbeitet, und dem Leser wird zugemutet, darin ein Urteil aus besonderer geistlicher Vollmacht zu vernehmen. Ich kann deshalb nicht glauben, daß es sich in dieser Auseinandersetzung um bloße Missverständnisse handelt. [. . .] Der eigentliche Gegensatz aber wird dort offenbar, wo es um die Stellung zu Fragen unserer Zeit und Fragen unserer Kinder geht. [. . .] Daß wir die Forderung intellektueller Redlichkeit ins Spiel bringen, ist für Immanuel Lück ‚Sünde‘ [. . .]. In Wahrheit ist damit ja nichts anderes gefordert, als die Fragen anderer Menschen ernstzunehmen. Ich weiß nicht, wie man Lehrer und Christ sein kann ohne diese Bereitschaft.“559
Damit waren aber die Kampagnen gegen Aspekte des Schul- und Erziehungswesens nicht abgeschlossen: Am 15. Mai 1976 wandte sich die KBG mit einem Wort „Zur Aufnahme gruppendynamischer Methoden in die Rüstzeiten- und Ausbildungspraxis“ gegen die Verwendung von gruppendynamischen Methoden in Form von „Selbsterfahrungsgruppen“ und „Clinical Pastoral Training“, die in der „der Pastoral-Psychologie, der Seelsorgeausbildung, der diakonischen und sozialpädagogischen Aus- und Fortbildung, der Jugendarbeit, auch im Konfirmandenunterrichts, in der Religionspädagogik, sowie in der Konferenzund Gottesdienstgestaltung“ ausgemacht wurden, an die Kirchenleitungen.560 Man erblickte „im Einbruch der Gruppendynamik einen sich ständig verschärfenden Notstand“. Aber, so die KBG, „Gottes Heiliger Geist“ lasse sich nicht „methodisieren“. In der weitergehenden Begründung hieß es, der „Opfertod Jesu Christi ist das Ende aller Wege und Methoden menschlicher Selbsterfassung und Selbsterlösung. Darum schließt die Erlösung durch Jesus Christus
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BALDERMANN, Bibel, 4f. Zur Aufnahme gruppendynamischer Methoden in die Rüstzeiten- und Ausbildungspraxis. Wort der Konferenz bekennender Gemeinschaften in den Evangelischen Kirchen in Deutschland an die Kirchenleitungen der Evangelischen Kirche in Deutschland, gez. Reinhold George – Superintendent Berlin –, gez. Rudolf Bäumer – Pfarrer Espelkamp-Mittwald –. 15. 5. 1976. Anlage für die Sitzung der Kirchenkonferenz am 24./25. Juni 1976 in Berlin. Maschinenschriftl., vervielf., 3 S. (LkA EKvW Best. 0.10 Nr. 431). 560
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in ihrer Vollkommenheit und Endgültigkeit eine Einbeziehung pseudo-technischer Methodik aus.“561 Ein Jahr später erging ein „Offener Brief“ der KBG gegen die „Ideologisierung des bundesdeutschen Schulwesens“ an die Kultusministerien sowie weitere Institutionen, Vereine und Persönlichkeiten, die in der Bildungsarbeit tätig waren.562 Diese „Ideologisierung“, so in dem „Offenen Brief“ der KBG, beruhe auf einem „materialistischen Menschenbild“, das mit der „christlich-abendländischen Tradition unvereinbar“ sei. Gerade die „Tendenzen der Lernpsychologie“, der „Gruppendynamik“ und der „Einbruch des anarchistischen Neomarxismus“ seien Bestrebungen, die mit ihren „Zielsetzungen und Methoden [. . .] den jungen Menschen völlig in den Griff zu bekommen“ suchten.563 Das alles spiele sich vor dem Hintergrund der Zerstörung „aller christlich geprägten sittlichen Werteordnungen“ ab. Der Bildungsgesamtplan von 1973 stelle einen „totalitären Anspruch an den Menschen“, dem gegenüber einzuwenden sei, dass nur Gott den Menschen voll beanspruchen dürfe.564 Man forderte von den Kultusministerien die Abschaffung der Zeugnisbenotung „soziales Verhalten“, die Untersagung von „gruppendynamisch-ideologische[n] Arbeitsweisen“ wie „z. B. Rollenspiele, Psychodramen und Kommunikationsspiele“, die Aufhebung der „zwangsweise[n] Sexualerziehung der Kinder durch ein besonderes Schulfach oder auch als durchgängiges Unterrichtsprinzip“, die alleinige Genehmigung von Lehr- und Lernmitteln, „die auch für Christen zumutbar sind“ sowie das Verbot derer, die „das Verhältnis der Eltern zu den Kindern belastet, verunsichert, verändert und vergiftet“, das Einstellen aller Reformen, „die zur Auflösung der menschlichen Nähe und damit zur Entwurzelung, Vereinsamung und Chaotisierung der Schüler führen“ sowie die Einrichtung „freie[r] Schulen mit eigenständiger Zielsetzung“.565 Im Abschnitt „Theologische Begründung“ betonte die KBG in dem „Offenen Brief“, „das Neuwerden des Menschen durch den Geist Gottes, durch sein Wort und seine Sakramente einerseits und die Veränderung des Menschen durch den Menschen vermittels humanwissenschaftlicher Methoden und Psychotechnik andererseits sind einander entgegengesetzt.“ Es komme zum „Konflikt [. . .], wenn das, was bisher – unter dem Anspruch Gottes und unter Wahrung der 561
EBD., 2. Offener Brief der Konferenz Bekennender Gemeinschaften in den Evangelischen Kirchen Deutschlands an die Kultusministerien der deutschen Bundesländer sowie andere für das Bildungswesen verantwortliche Institutionen, Verbände und Persönlichkeiten, Betr.: Ideologisierung des bundesdeutschen Schulwesens, vom 20. 6. 1977. Drucksache, 6 S. (LkA EKvW Best. 3.2 Nr. 421). 563 EBD., 2. Kursiv-Setzungen im Original. 564 EBD., 3. 565 EBD., 4f. 562
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Freiwilligkeit – biblischer Seelsorge vorbehalten war (z. B. Schicksal, Schuld, Leid, Tod und die elementaren Sinn- und Seinsfragen des Menschen), jetzt unter den Zugriff der ‚Wissenschaft‘ gerät.“ Eine solche Herangehensweise bekomme „den zu Gottes Ebenbildlichkeit geschaffenen Menschen nicht in den Blick.“ Auch die „im Grundgesetz bestätigte Würde des Menschen wird durch die beschriebene pseudo-technische Verhaltensänderung aufgelöst; denn sie bedeutet in letzter Konsequenz eine sublime Gehirnwäsche.“566 Dieser „offene Brief“ wurde auch an die Kirchenleitungen geschickt, aber nur wenige reagierten, kurz und kaum interessiert, darauf. Enno Rosenboom, Mitte der 1970er Jahre Hauptinitiator der „Gemeindepädagogik“, schrieb vom nordelbischen Kirchenamt an den Mitunterzeichner des „offenen Briefes“ Reinhold George, nach Berlin, der Brief sei „nach Inhalt und Form leider so schwach, daß wir ihn nur mit Enttäuschung zu den Akten nehmen und die uns verbundenen Kultusverwaltungen in Hamburg und Schleswig-Holstein nur um ein Gleiches bitten können.“567 Die zunehmende Menge an offenen Briefen, Erklärungen und Stellungnahmen der KBG in den 1970er Jahren hatte zwei nachhaltige Konsequenzen: einmal – und das zeigt die kurze Reaktion der nordelbischen Kirchenleitung auf den „offenen Brief“ von 1977 deutlich – wurden die evangelikalen Eingaben seitens der Kirchenleitungen immer weniger wahrgenommen bzw. es erfolgten kaum noch Reaktionen darauf. Zum zweiten löste die Flut der Stellungnahmen aus den Reihen der KBG auch innerhalb der evangelikalen Bewegung Unmut aus. Schon seit Herbst 1971 rief Bäumer beim Versenden der Vorlagen für Eingaben dazu auf, dass sich nur noch die Vorsitzenden der der KBG angeschlossenen Verbände mit dem Thema, möglichst rasch und ohne Debatten über einzelne Formulierungen, beschäftigen und einig werden sollten.568 Als Kurt Heimbucher und Theo Schneider von der Leitung des Gnadauer Verbandes im Juni 1987 der KBG ankündigten, dass der Gnadauer Verband aus der KBG auszutreten plane, hieß es als Begründung unter anderem auch, der Zeitdruck, unter dem die zahlreichen „Worte“ und „Erklärungen“ der KBG ausgearbeitet worden waren, hätten eine Beratung in den eigenen Entscheidungsgremien ver566
EBD., 5. Brief der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche, Kirchenamt, gez. Dr. [Enno] Rosenboom, an Herrn Superintendent R[einhold] George vom 15. 7. 1977. Maschinenschriftl., 2 S., hier 1 (NEK-Archiv, 11.01 Nr. 560). 568 So z. B. Brief der Konferenz der bekennenden Gemeinschaften in Deutschland, Rudolf Bäumer, Vorsitzender, an die Vorsitzenden der bekennenden Gemeinschaften vom 4. 1. 1971. Maschinenschriftl., hektograph., 2 S., hier 1 (NEK-Archiv, 15.18 Nr. 2); Brief von Rudolf Bäumer an die Vorsitzenden der Bekennenden Gemeinschaften vom 17. 10. 1972. Maschinenschriftl., vervielf., 2 S., hier 2 (NEK-Archiv, 15.18 Nr. 1). 567
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hindert, was zu Verstimmungen und Verärgerungen geführt habe.569 Der Aktionismus der Akteure begann schon in der ersten Hälfte der 1970er Jahre die evangelikale Bewegung zu überrollen. Zu diesen „Worten“ und „Erklärungen“ im sozialethischen Bereich kamen nun noch die Stellungnahmen zu den beiden Hauptaktionsthemen der evangelikalen Bewegung: dem DEKT und der ökumenischen Bewegung. Im Hinblick auf die Politik selbst herrschte weiterhin die Meinung, Kirche dürfe sich nicht politisch betätigen – in Spannung zu der hintergründig eingebrachten eigenen politischen Haltung bzw. den eigenen Appellen an Politiker. So protestierte z. B. 1976 die KS in einer Presseerklärung gegen die „Einmischung der Vertreter evangelischer Kirchen in der Willensbildung bei politischen Ermessensfragen“. Anlass war die Empfehlung des Kirchenpräsidenten der pfälzischen Landeskirche an den saarländischen Ministerpräsident FranzJosef Röder, die Polenverträge, ein Bündel von Einzelvereinbarungen zwischen der Bundesrepublik und Polen, in der aktuellen Fassung anzunehmen.570 Die Kirche dürfe, so die KS durch ihren Pressesprecher Wolfgang Büscher, nicht „zur vierten oder fünften Partei werden“, ansonsten verliere sie mit ihrer Botschaft ihre Glaubwürdigkeit. „Besonders verwerflich“ sei es, dass denjenigen, die diesem „Versöhnungswerk“ zwischen zwei Staaten, eben den Polenverträgen, nicht zustimmen könnten, Versöhnungsbereitschaft abgesprochen werde. Überhaupt könne Versöhnung könne nur auf Grund bedingungsloser Vergebung geschehen, und angesichts der Frage, „wie allen ausreisewilligen Deutschen in Polen die Möglichkeit zur Ausreise gegeben werden kann“, könnten Christen in Bezug auf die Polenverträge und ihrer humanitären Zielsetzung verschiedener Meinung sein. Das sei eine andere Problemstellung als christlichethische Fragen wie die Abtreibung, die klar und eindeutig durch Gottes Gebot „Du sollst nicht töten“ verboten werde.571 Insgesamt zeigte sich schon in den 1970er Jahren das evangelikale Paradoxon, einerseits die eigene politische Haltung durchsetzen zu wollen, dies aber „den Kirchen“ abzusprechen, bis hin zu der massiven Verurteilung der „politisierenden Kirche“. Der Konflikt scheint oberflächlich betrachtet dadurch 569
Briefkopie des Gnadauer Verbandes für Gemeinschaftspflege und Evangelisation e. V., gez. Kurt Heimbucher und Theo Schneider, an den Leiterkreis der Konferenz bekennender Gemeinschaften vom 22. 6. 1987. Maschinenschriftl., 3 S., hier 2 (AEGGK, MV 91/92). 570 Zu den Polenverträgen, der Rolle des Saarlandes im Ratifizierungsprozess und der saarländischen politischen Debatten um diese Verträge vgl. PRAEFCKE-MOSER, Wahl, 79–89. 571 Abschrift der Presseverlautbarung „Zu den Äußerungen der EKiD-Leitung und anderer evangelischer leitender Organe zu den Polenverträgen“. Kirchliche Sammlung um Bibel und Bekenntnis, Pressesprecher Wolfgang Büscher, vom 10. 3. 1976. Maschinenschriftl., 1 S. (ZASP Abt. 150.145 Nr. 24).
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gekennzeichnet zu sein, dass auf evangelikaler Seite durchgängig eine konservative politische Haltung auf die politisch liberale bzw. auf zu liberal eingeschätzte Position der Kirchenleitungen stieß. Unterschwellig aber zeigt sich in dieser evangelikalen Haltung die Ambivalenz zwischen dem evangelikalen Spezifikum, sich innerhalb eines Subsystems der Gesellschaft, der evangelischen Kirche, abgeschirmt von dem übergeordneten gesellschaftlichen System zu bewegen, andererseits aber durch die Osmose des Subsystems Kirche mit dem gesamtgesellschaftlichen System in Berührung mit den Fragen anderer Subsysteme bzw. „der Außenwelt“ zu geraten und sich nun, im steten Grundsatzkonflikt mit der Kirche, zu diesen Fragen verhalten zu müssen. 6.3.3 Evangelikale Missiologie in Auseinandersetzung mit der ökumenischen Bewegung Eine Sonderform der Auseinandersetzung um sozialethische Fragen stellten die Debatten der evangelikalen Bewegung um die sozialpolitische Ausrichtung des ÖRK und der ökumenischen Bewegung dar. Da diese Auseinandersetzung im Kern nicht die Kirchenleitungen traf, sondern die ökumenische Bewegung, soll sie an dieser Stelle nur kurz angerissen werden.572 Die evangelikale Kontrovershaltung gegenüber der Ökumene Ende der 1960er und in den 1970er Jahre hat in der problematischen Konstellation von Evangelischer Allianz und ökumenischer Bewegung, wie sie in Kap. 3.3 dargestellt wurde, ihre Vorgeschichte, ohne inhaltlich unmittelbar an diese Vorgeschichte anzuknüpfen. Zentraler Ausgangspunkt der evangelikalen Kritik – maßgeblich bestimmt von dem Tübinger Missionswissenschaftler Peter Beyerhaus, der in seinen Berichten über die Weltmissionskonferenzen durchaus für Erschrecken im Kreise seiner jeweiligen Zuhörer zu sorgen wusste –573 war die Hinwendung 572 Die zahlreichen Stellungnahmen, Aufrufen und Verlautbarungen der evangelikalen Bewegung zu den Themen Mission, Evangelisation und ökumenische Bewegung sind zusammengestellt in WEG UND ZEUGNIS, Bd. 1, 202–268. 573 Zu Beyerhaus’ einseitiger und polemischer Berichterstattung von der Weltmissionskonferenz in Bangkok 1973 vor dem Bundesarbeitskreis der B KAE und der Ludwig-Hofacker-Vereinigung sowie der Protest von Delegierten des Deutschen Evangelischen Missionsrates (DEM) und Mitarbeitern der „Arbeitsgemeinschaft für Weltmission“ gegen Beyerhaus’ „unkorrekte Informationen“, die „unverantwortlich“, „einfach absurd“, „empörend“, „die Wahrheitspflicht“ verletzend seien und „aufgrund von falschen Verdächtigungen zur Trennung“ aufriefen vgl. die im „Kirchlichen Jahrbuch“ dargestellten Ereignisse (NIEMEIER, Kirche, besonders 38). Wie sehr Beyerhaus’ subjektive Wahrnehmung von Ökumene im Allgemeinen und der Weltmissionskonferenz in Bangkok im Speziellen in den evangelikalen Basisgruppen ankam und sie prägte, zeigt der Informationsbrief des Mitgliedes des Vorstandes der Pfälzischen Vereinigung um Bibel und Bekenntnis Karl Esselborn vom April 1973. Esselborn berichtete darin unter anderem von dem Konvent der der B KAE angeschlossenen Vereine am 21. Februar 1973 in Frankfurt am Main, wo Beyerhaus
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Die evangelikale Bewegung im Konflikt mit den Landeskirchen
des ÖRK zum sozialpolitischem Engagement, das mit den Beschlüssen und der Intention der vierten Vollversammlung des ÖRK in Uppsala 1968 und der Weltmissionskonferenz 1972/73 in Bangkok ihre Höhepunkte fand. Aus der Kritik an der Ausrichtung der ökumenischen Bewegung an vermeintlichen innerweltlichen Heilsvorstellungen ging im März 1970 die erste „Erklärung“ des Theologischen Konventes der B KAE, die „Frankfurter Erklärung zur Grundlagenkrise der Mission“574, hervor sowie die 1974 die vom KBG verabschiedete „Berliner Ökumene-Erklärung“575. In beiden Erklärungen wandte man sich mit scharfen Worten gegen die so wahrgenommene, vom ÖRK betriebene Vernachlässigung von Mission zugunsten von sozialpolitischen Aktionen, gegen die „Humanisierung“ der ökumenischen Bewegung und ihren angeblichen Trend zur Welteinheitskirche. Zeitlich zwischen beiden Erklärungen lag die, auch von anderen innerlandeskirchlichen Gruppen neben den Evangelikalen, hitzig geführte Debatte um das Antirassismusprogramm des ÖRK – das u. a. auch die finanzielle Unterstützung revolutionärer, gewalttätig operierender Gruppen in Afrika und Lateinamerika vorsah – und das von der evangelikalen Bewegung massiv kritisiert wurde, so z. B. in der „Erklärung der Gnadauer Präsides zum Anti-Rassismus-Programm“ vom Oktober 1974.576 Im engen Zusammenhang mit dieser Kritik am ÖRK und dem Antirassismusprogramm stand die evangelikale Kritik an „Brot für die Welt“, deren Gelder, so die evangelikale Berichterstattung, zur Unterstützung von Befreiungsorganisationen verwendet würden. Eine erste Phase der Diskussion um die Verwendung der Gelder von „Brot für die Welt“ fand 1974 im Zuge des „Berliner Kirchenstreites“ statt, setzte sich aber durch die 1970er und
seine Impressionen über Bangkok dargelegt hatte, die sich nun unmittelbar in Esselborns Bericht niederschlugen: Die (allgemeine) Berichterstattung über Bangkok sei mit Vorsicht zu genießen, da die offizielle (kirchliche) „propagandistisch gefärbt“ sei, während die von Einzelpersonen „harmlos“ wäre, da diese Personen „nicht hinter die Kulissen schauen“ könnten. In Bangkok habe es viele Gruppensitzungen gegeben, „in denen gruppendynamische Experimente“ durchgeführt worden seien, „d. h. seelische Manipulation getrieben wurde“. Philipp Potter, der neue Vorsitzende des ÖRK, spiele „keine gute Rolle“. Auch evangelikale Missionen ließen sich von der Propaganda der Ökumene, „Mittel für die Befreiung der Völker“ bereitzustellen, täuschen (Rundbrief der Evangelischen Vereinigung um Bibel u. Bekenntnis in der Pfalz [Pfälz. Pfarrerbruderschaft], gez. Karl Esselborn, Anfang April 1973. Maschinenschriftl., hektograph., 3 S., hier 2 [ZASP Abt. 150.145 Nr. 24]). 574 Beyerhaus, Peter: Die Frankfurter Erklärung zur Grundlagenkrise der Mission (WEG UND ZEUGNIS, Bd. 1, 202–208). 575 Scheffbuch, Rolf: Die Berliner Ökumene-Erklärung 1974 (WEG UND ZEUGNIS, Bd. 1, 202– 208). 576 Erklärung der Gnadauer Präsides zum Anti-Rassismus-Programm (WEG UND ZEUGNIS, Bd. 1, 227f.).
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1980er Jahre fort und führte 1977 zur Gründung der evangelikalen Alternative „Hilfe für Brüder e. V.“.577 Obwohl viele dieser vermeintlichen Aktivitäten sowohl von kirchlichen Hilfsorganisationen als auch vom ÖRK im Nachgang als Fehlinformationen entkräftet werden konnten, blieb ein Unbehagen an dem soziopolitischen Interesse der ökumenischen Bewegung. Die äußerst kritische Haltung der deutschen Evangelikalen gegenüber dem ÖRK auf Grund dessen Interesses an politischen Fragen von Gerechtigkeit und Frieden ist aber vor dem Hintergrund zu betrachten, dass sich die deutsche Missiologie, so wie sie von Beyerhaus vertreten wurde,578 an der des internationalen konservativen evangelikalen Flügels orientierte, wie sie z. B. durch Billy Graham proklamiert wurde. Diese Fraktion, die Mission als ein von sozialethischen Fragestellungen abgekoppeltes und diesen vorgeordnetes Thema ansah, war zwar in den 1970er Jahren noch relativ stark und dominierte das evangelikale weltweite Geschehen, aber auch hier brachen die Konflikte schon auf der im Juli 1974 in Lausanne stattfindenden Weltkonferenz für Evangelisation auf.579 So ging z. B. der Artikel 5 der „Lausanner Erklärung“, in dem die „Soziale Verantwortung der Christen“ angesprochen wird, nuanciert in eine andere Richtung, als dies von Beyerhaus und damit dem „theologischen Konvent“ und der KBG vertreten wurde:580 „Wir bekräftigen, dass Gott zugleich Schöpfer und Richter aller Menschen ist. Wir müssen deshalb Seine Sorge um Gerechtigkeit und Versöhnung in der ganzen menschlichen Gesellschaft teilen. Sie zielt auf die Befreiung der Menschen von jeder Art von Unterdrückung. Da die Menschen nach dem Ebenbild Gottes geschaffen sind, besitzt jedermann, ungeachtet seiner Rasse, Religion, Farbe, Kultur, Klasse, seines Geschlechts oder Alters, eine angeborene Würde. Darum soll er nicht ausgebeutet sondern anerkannt und gefördert werden. Wir tun Busse für dieses unser Versäumnis
577
Vgl. dazu ausführlich WILLEMS, Entwicklung, 346–354. Auch dabei ist wieder auf die Inhomogenität der Meinungen innerhalb der deutschen evangelikalen Bewegung zu verweisen, die nuanciert auch in der Verhältnisbestimmung von Mission und sozialem Engagement auseinander gingen. So wies z. B. schon im November 1974, kurz nach der Lausanner Konferenz für Weltevangelisation, der EKD-Synodale Rolf Scheffbuch auf der dritten Tagung der fünften EKD-Synode darauf hin, dass Mission und Diakonie „Zwillingsbrüder“ seien und Diakonie „ganz selbstverständlich zur Sendung Gottes und zur Sendung der Gemeinde in die Welt“ dazu gehöre, nicht ohne Kritik am heilsgeschichtlichen Denken der ökumenischen Bewegung zu üben (BERLIN-SPANDAU, 212–223, Zitat 213). 579 Zu der Lausanner Konferenz vgl. ALLE WELT SOLL, zu den internationalen Auseinandersetzungen BERNEBURG, Verhältnis, 72–95. 580 Es stellt einen beachtlichen Umstand dar, dass die „Lausanner Erklärung“, obwohl ein genuin evangelikales Dokument, keine Aufnahme in die Edition der B KAE „Weg und Zeugnis“ fand, in dem sowohl die „Erklärung zur Grundlagenkrise der Mission“ und der „Berliner Ökumeneerklärung“ dokumentiert sind. 578
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und dafür, dass wir manchmal Evangelisation und soziale Verantwortung als sich gegenseitig ausschliessend angesehen haben. Versöhnung zwischen Menschen ist nicht gleichzeitig Versöhnung mit Gott, soziale Aktion ist nicht Evangelisation, politische Befreiung ist nicht Heil. Dennoch bekräftigen wir, dass Evangelisation und soziale wie politische Betätigung gleichermassen zu unserer Pflicht als Christen gehören.“581
Auch in Artikel 10, der sich der Frage von „Evangelisation und Kultur“ widmete, ist die Rede davon, dass „die Entwicklung von Strategien zur Weltevangelisation [. . .] bei der Wahl der Methoden Einfallsreichtum“ erfordere: „Mit Gottes Hilfe werden Gemeinden entstehen, die in Jesus Christus fest gegründet und eng mit ihrer kulturellen Umwelt verbunden sind. Jede Kultur muss immer wieder von der Schrift her geprüft und beurteilt werden. Weil der Mensch Gottes Geschöpf ist, birgt seine Kultur Schönheit und Güte in reichem Masse. Weil er aber gefallen ist, wurde alles durch Sünde befleckt. Manches geriet unter dämonischen Einfluss. Das Evangelium gibt keiner Kultur den Vorrang, sondern beurteilt alle Kulturen nach seinem eigenen Masstab der Wahrheit und Gerechtigkeit und erhebt absolute ethische Forderungen gegenüber jeder Kultur. Missionen haben allzu oft mit dem Evangelium eine fremde Kultur exportiert und Gemeinden waren mitunter mehr an eine Kultur als an die Schrift gebunden. Evangelisten Christi müssen demütig danach trachten, sich selbst zu verleugnen, ohne ihre Persönlichkeit preiszugeben, um Diener anderer werden zu können. Die Gemeinden sollen Kultur umgestalten und bereichern, damit Gott verherrlicht wird.“582
Eine deutliche Bejahung der „Zwei-Reiche-Lehre“ findet sich in Artikel 13, der das Thema des politischen Handelns im Rahmen der Mission anklingen lässt und zu „Freiheit und Verfolgung“ ausführt: „Es ist Gottes Auftrag für jede Regierung, die Bedingungen für Frieden, Gerechtigkeit und Freiheit zu gewährleisten, unter denen die Gemeinde Gott gehorchen, dem Herrn Christus dienen und das Evangelium ohne Beeinträchtigung verkünden kann. Deshalb beten wir für die, die in den Nationen Verantwortung tragen und appellieren an sie, Freiheit der Gedanken und des Gewissens zu garantieren und die Freiheit zur Ausübung und Ausbreitung der Religion in Übereinstimmung mit dem Willen Gottes zu gewährleisten, wie dies in der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte festgelegt ist. Zugleich bringen wir unsere tiefe Sorge für all diejenigen zum Ausdruck, die unrechtmässig in Gefangenschaft sind, besonders für unsere Brüder, die wegen ihres Zeugnisses für ihren Herrn Jesus leiden. Wir geloben, für ihre Freiheit zu beten und zu wirken. Ebenso weigern wir uns, uns durch ihr Schicksal einschüch-
581 Die Lausanner Verpflichtung „Alle Welt soll sein Wort hören“. Gedruckt, 1 S. (EZA 87/ 96); auch JUNG, Die deutsche Evangelikale Bewegung, 338–344, hier 339f. 582 Die Lausanner Verpflichtung „Alle Welt soll sein Wort hören“, zitiert nach: JUNG, Die deutsche Evangelikale Bewegung, 341f.
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tern zu lassen. Gott möge uns helfen, dass auch wir uns gegen Ungerechtigkeit auflehnen und dem Evangelium treu bleiben, was immer es koste. Wir vergessen die Warnung Jesu nicht, dass Verfolgung unausweichlich ist.“583
Während es in den Reihen der weltweiten evangelikalen Bewegung in Lausanne zu den ersten, randständigen Konfrontationen zwischen den Befürwortern und Gegnern missionarisch-sozialen Engagements kam,584 blieb die befürchtete Konfrontation in der deutschen Delegation zwischen den Vertretern der Volksmissionarischen Ämter um Heinrich Hermann Ulrich und der evangelikalen Bewegung um Peter Beyerhaus aus, obwohl sich die Differenzen im Evangelisations- und Missionsansatz deutlich zeigten.585 1980, auf dem Weltevangelisationskongress in Pattaya in Thailand, wurde der schwelende Konflikt innerhalb der internationalen evangelikalen Bewegung zwischen den „konservativen“ und den „progressiven“ Evangelikalen – so die zeitgenössischen Selbstbezeichnungen – offensichtlich.586 1983 kam es auf der Vollversammlung des ÖRK in Vancouver mit zwei Stellungnahmen zum offenen Eklat zwischen diesen beiden Fronten, wobei sich die „progressiven Evangelikalen“, vornehmlich Vertreter der „Dritten Welt“, in starker Nähe zu den in der ökumenischen Bewegung vertretenen Haltungen befanden.587 Die Stellungnahme der „Konservativen“ in Vancouver war von Beyerhaus maßgeblich
583
EBD., 343. Ein Jahr vor der Lausanner Konferenz hatte ein Treffen von Repräsentanten der ökumenischen Bewegung und von evangelikalen Vertretern aus dem außereuropäischen Raum bereits deutlich gezeigt, dass das soziale Engagement bei der Evangelisation und das Eintreten für Menschenwürde in den Reihen der internationalen evangelikalen Bewegung teilweise stärker ausgeprägt war als bei den (deutschen) Ökumene-Vertretern (ARNOLD, Evangelisation, besonders die Einführung von Walter Arnold „Evangelisation heute – Ein Gespräch“, 7–11). 585 Protokoll der Sitzung zur Auswertung der Weltkonferenz für Evangelisation in Lausanne 1974, im Landeskirchenamt, Düsseldorf, 10–15 U., Angermund, Sept. 1974, gez. Scheu/ Koch. Maschinenschriftl., vervielfältigt, 6 S. (AEKR Düsseldorf 2LR 004, Nr. 378: Internationaler Kongress für Evangelisation, Lausanne 1974, Bd. I); vgl. auch die gesamte Ausgabe von „idea“ Nr. 29 vom 22. 7. 1974 (AEKR Düsseldorf 2LR 004, Nr. 378: Internationaler Kongress für Evangelisation, Lausanne 1974, Bd. I). So hatte man auf der Mitgliederversammlung des „Vereins zur Förderung der Volksmission e. V.“ und der Bruderratssitzung des AMD im Vorfeld deutlich die Befürchtung ausgesprochen, „im Blick auf den für 1974 geplanten Internationalen Kongreß für Evangelisation in Lausanne könnten sich folgenschwere Entwicklungen ergeben, bis hin zu Separation und Sezession.“ (Protokoll der Mitglieder-Versammlung des „Vereins zur Förderung der Volksmission e.V.“, zugleich Bruderrat-Sitzung [des AMD] am 26./27. März 1973 in Berlin, gez. [Erwin] Haberer, stellvertr. Vorsitzender und Dr. [Heinrich Hermann] Ulrich, Generalsekretär. Maschinenschriftl., vervielfältigt, 10 S., hier 2 [AEKR Düsseldorf 2LR 004, Nr. 84: Arbeitsgemeinschaft Missionarische Dienste, Bd. II]). 586 BERNEBURG, Verhältnis, 102–106. 587 EVANGELIKALE AM SCHEIDEWEG; WELTKIRCHENKONFERENZ. 584
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beeinflusst und zeigt deutlich die zunehmende internationale Isolation, in die die deutsche evangelikale Bewegung an diesem Punkt geriet. Es sei am Rande auf einen von Peter Beyerhaus favorisierten Aspekt hinsichtlich von Mission und Ökumene hingewiesen: die Zusammenarbeit von Vertretern der katholischen Kirche und Evangelikalen bei der Mission. Beyerhaus war der einzige Teilnehmer aus Deutschland am „Evangelical Roman Catholic Dialogue on Mission“, dessen Mitglieder 1977 in Venedig, 1982 in Cambridge und 1984 in Landevennec tagten.588 Auch wenn Beyerhaus die verschiedenen Positionen von katholischer und protestantischer Glaubenslehre und Ekklesiologie wahrnahm, konstatierte er Einigkeit in Bezug auf „die den Glauben normierende Autorität der Bibel“, was elementare Konsequenzen für Mission und Evangelisation nach sich ziehe. Hinsichtlich von Mission und Evangelisation stünden sich Evangelikale und Katholiken näher als Evangelikale und Ökumeniker.589 Beyerhaus’ Sympathie für die katholische Kirche blieb singulär innerhalb der evangelikalen Bewegung, die sich, mindestens in konsequenter Fortführung der Ablehnung der ökumenischen Bewegung und der bei ihr vermuteten Intention der Bildung einer Welteinheitskirche, distanziert zur katholischen Kirche verhielt.590 Im April 1975 wandte sich z. B. der Vorstand des Gnadauer Verbandes deutlich gegen eine „evangelisch-katholische Bekenntnisfront“.591 Und trotzdem die Haltung der katholischen Kirche in der Debatte um § 218 lobend unterstrichen wurde, prägte das Verhältnis der evangelikalen Bewegung zum Katholizismus doch in erster Linie Abgrenzung. Beyerhaus blieb zwar mit seiner katholizismusfreundlichen Haltung relativ allein in der evangelikalen Bewegung, repräsentierte aber an diesem Punkt das stete evangelikale Bündnisstreben. Von der Lausanner Weltkonferenz 1974 ging ein starker Impuls in alle Bereiche des kirchlichen Evangelisations- und Missionsengagements aus, auch auf die ökumenische Bewegung selbst. Mission wurde zunehmend ein größerer Stellenwert in der kirchlichen Arbeit eingeräumt. In Deutschland profitierte besonders der AMD von diesen Ergebnissen. Aber auch im evangelikalen Lager kam es zu Neugründungen und Umorientierungen im Zuge von Lausanne sowie zu einer zunehmenden Ausdifferenzierung des missionarischen Engagements. Dazu gehörte auch, bis zu einem gewissen Grad, die Wahrnehmung der Vernetzung von sozialen Bedürfnissen und Missionsengagement.
588 589 590 591
BEYERHAUS, Vorwort. EBD., 4f. Vgl. FREY, Jesus allein. ZEITSPIEGEL. GNADAU.
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Schon im Zuge der Ökumenekritik hatte die evangelikale Bewegung, besonders seitens ihrer freikirchlichen Vertreter, mehrere missionarische und missiologische Großprojekte aufgebaut: im Februar 1969 fand die erste Tagung der „Konferenz evangelikaler Missionen“ (KEM) statt,592 die später in „Arbeitsgemeinschaft Evangelikale Missionen“ (AEM) umbenannt wurde und die sich gegen den „Deutschen Missionstag“ (DMT) abgrenzte. Im Prinzip wurde Anfang der 1970er Jahre die Fusion des Internationalen Missionsrates mit dem ÖRK 1961 in Neu-Delhi als nicht mitvollziehbar angesehen.593 Durch die Lausanner Weltkonferenz angeregt kamen nun aber Tendenzen innerhalb der evangelikalen Bewegung zum Durchbruch, die sich weniger auf Abgrenzung und Konfrontation konzentrierten, sondern die Selbstbesinnung und Standortbestimmung in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rückten. 1977 wurde der „Arbeitskreis für evangelikale Theologie“ (AfeT) gegründet. Man wollte in diesem Arbeitskreis ernst machen mit der Forderung von Referenten auf dem Lausanner Kongress, dass „die Erneuerung missionarischer Aktivität mit einer Erneuerung theologischen Denkens einhergehen müsse“.594 1987 erschien erstmalig das von diesem Gremium herausgegebene „Jahrbuch für evangelikale Theologie“. 1985 kam es zur Gründung eines deutschen Zweiges der Lausanner Bewegung in Verbindung mit der DEA und der AMD. Vorsitzende wurden Horst Marquardt, Direktor des Evangeliums-Rundfunks in Wetzlar, und Rolf Scheffbuch, Vorsitzender der Ludwig-Hofacker-Vereinigung.595 Eine Zusammenarbeit aller evangelikalen Missionskreise und der missionarischen Gruppen der EKD erfolgte 1977 bei der Evangelisationsveranstaltung „Missio Berlin `77“ und, in noch umfassenderer Form, bei der Gestaltung des „Missionarischen Jahres 1980“, das als einjährige Missionsveranstaltungsreihe in allen westdeutschen Landeskirchen durchgeführt wurde.596 Die sich in der Frage der Auseinandersetzung von evangelikaler und ökumenischer Bewegung bzw. zwischen „konservativen“ und „progressiven“ Evangelikalen im Bereich der Mission abzeichnende Entschärfung der in den 1970er Jahren dominierenden Polarisierungen hin zu einer Vielfalt der evangelikalen 592 Schrupp, Ernst: Konferenz evangelikaler Missionen. Maschinenschriftl., vervielf., 4 S., hier 1 (NEK-Archiv, 15.18, Nr. 1); BETZ, Evangelikale, 315. 593 Schrupp, Ernst: Konferenz evangelikaler Missionen. Maschinenschriftl., vervielf., 4 S., hier 1 (NEK-Archiv, 15.18, Nr. 1). 594 Arbeitskreis für evangelikale Theologie (AfeT) in Verbindung mit der deutschen Evangelischen Allianz. Drucksache, 4 S., hier 3 (LkAH, Best. B 1/ 81316, Bd. I: Evangelische Allianz, Bd. 1). 595 LAUSANNER BEWEGUNG DEUTSCHLAND, 25 Jahre. 596 Zu „Missio Berlin ’77“ und dem „Missionarischen Jahr 1980“ vgl. die zahlreichen Dokumente in den Akten ADW, HGSt 3656 und LKA KA Registratur 71/135.
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Arbeitsansätze – und damit zu einer Pluralisierung der evangelikalen Bewegung – lässt sich zeitgleich auf einem andern Feld evangelikalen Engagements beobachten: der Auseinandersetzung mit dem DEKT. 6.3.4 Die evangelikale Auseinandersetzung mit dem Deutschen Evangelischen Kirchentag und die Gründung des „Gemeindetages unter dem Wort“ Mit dem Kirchentag 1965 in Köln hatte eine konzeptionelle Umstrukturierung des DEKT stattgefunden, da seit 1965 die bisher wiederholt angemahnte Begegnung zwischen Gemeinden und Theologie auf den DEKT angestrebt wurde. So waren in Köln Exegeten wie Willi Marxsen und Günter Klein eingeladen, um den Zugang zum Verständnis biblischer Texte mit Hilfe der historisch-kritischen Methode oder der existentialen Interpretation darzustellen. Damit schlug die Konzeption des DEKT eine neue Richtung ein, die bis in die Gegenwart Relevanz hat: die Präsentation des Pluralismus evangelischen Glaubens und Wirkens. Hinzu kam, dass im Laufe der 1970er Jahre die „Laienbewegung Kirchentag“ immer stärker eine Jugendbewegung wurde.597 Die Wirkung auf die pietistischen oder „bekenntnistreuen Gruppen“ in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre war schockierend, und zwar nicht nur auf Grund des Inhaltes mancher Beiträge, sondern auch, weil Bibelarbeiten nicht mehr, wie es traditionell üblich war, am Vormittag, sondern am Nachmittag abgehalten wurden.598 Knapp zwei Monate nach dem „Bekenntnistag“ des Bethelkreises in Dortmund im März 1966 richtete der Leiterkreis der B KAE ein Schreiben an das Präsidium des DEKT und alle vorbereitenden Gremien des Kirchentages 1967, der vom 21. bis 25. Juni in Hannover stattfinden sollte. In diesem Schreiben wurde eine „Grundsatzentscheidung“ der B KAE mitgeteilt. Die Entwicklungen der „letzten Kirchentage in Dortmund und Köln“ habe zur Bildung der B KAE geführt, da diese beiden Kirchentage „weitgehend“ dadurch bestimmt gewesen seien, „daß man dem Geist des ‚modernen Menschen‘ gerecht wurde, indem seine Vorstellungen von Wahrheit und Wirklichkeit zum Maßstab für das in der Schrift Gültige und Ungültige gesetzt wurden. Wir sind von diesem Wege geschieden durch den Tod des Herrn Jesus Christus am Kreuz.“599 Diesen wie597
EPPLER, Mission, 1080. SIMPENDÖRFER, Offene Kirche, 44f. 599 Rundbrief der „Bekenntnisbewegung ‚Kein anderes Evangelium‘ (Galater 1,6) in Deutschland“, gez. Pastor Paul Tegtmeyer, Bethel; Ing. Fr[iedrich] Alfringhaus, Lüdenscheid; Pastor Rudolf Bäumer, Espelkamp; Pastor Paul Deitenbeck, Lüdenscheid; Pastor Sven Findeisen, Neumünster; Dir. Pfarrer Max Fischer, Unterweißach; Bundesposaunenwart R[ichard] Lörcher, Sennestadt, an das Präsidium des „Deutschen Evangelischen Kirchentages“, Fulda, mit allen vorberei598
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derum verleugne die Kirche, „wenn sie den Weg des ‚Neuen Kirchentages‘ fortsetzt.“ Man erwarte von den nächsten Kirchentagen eine Ausrichtung auf „Bibelarbeit und biblische Themen“, wie das auf den Kirchentagen in Berlin und Leipzig der Fall gewesen sei,600 und darüber hinaus auf Zurüstung von Mitarbeitern und Gemeindegliedern, auf „Evangelisationen in verschiedenem Stil“ gegen die „neue Moral“ und den „Okkultismus in all seinen Formen“. Durch den „neuen Kirchentag“ werde „die Scheidung verleugnet, welche der Geist Gottes im Zeugnis der Heiligen Schrift und mit dem Bekenntnis der evangelischen Kirche vollzieht. Wer aber die Scheidung des Geistes verhindert, führt die Menschen [. . .] in die Irre, so daß sie die Lösung ihrer Probleme durch den lebendigen Herrn Jesus Christus und die Vergebung ihrer Sünden durch seinen Tod als das Sühnopfer des Sohnes Gottes nicht erhalten können.“ Deshalb könne man „einem Kompromiß zwischen dem Weg des ‚Neuen Kirchentages‘ und den von uns gegebenen Vorschlägen nicht zustimmen“, sondern würde sich „leider genötigt sehen, dem Weg des Kirchentages zu widerstehen, und solche Veranstaltungen zu halten, die dem Bekenntnis der Kirche entsprechen.“ Damit war ein Problemhorizont eröffnet, der bis Ende der 1970er Jahre die Diskussion zwischen der evangelikalen Bewegung, dem Präsidium des DEKT und den Landeskirchenleitungen, vor allem der gastgebenden Landeskirchen, prägte. 1966 antwortete der EKD-Ratsvorsitzende und bayerische Landesbischof Hermann Dietzfelbinger als erster auf den Brief der B KAE und versuchte vermittelnd einzugreifen: „Ich kann verstehen, daß Ihnen die Entwicklung der Kirchentage nicht gleichgültig ist. Vielleicht wissen Sie, daß es auch mir um das wahre, lebendige Evangelium und um die Geltung des kirchlichen Bekenntnisses geht. Beim Kirchentag in Köln, an dem ich ja selber in einer Halle die Bibelarbeit zu halten hatte, habe ich mich bemüht, diese Stimme laut werden zu lassen. Aber – verzeihen Sie bitte: so sehr ich Ihre Sorgen verstehe, so scheint mir doch in Ihrem Schreiben an manchen Stellen ein Ton anzuklingen, der es mir schwer macht zu erkennen, daß es Ihnen nur um die reine Stimme des Evangeliums geht. Die Art und Weise, wie Sie Ihre ‚Erwartungen‘ vorbringen, bedrückt mich. Ich weiß nicht, ob damit die Scheidung, auf die Sie drin-
tenden Gremien des Kirchentages 1967, an die Kirchenleitung der evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers, Betrifft: Grundentscheidung zum Kirchentag 1967 in Hannover, vom 29. 4. 1966. Maschinenschriftl., hektograph., 1 S. (AEKR Düsseldorf 1OB 017, Nr. 13–1-15: Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“, Bd. I). Der Kirchentag 1963 in Dortmund geriet, wie aus den zeitgenössischen Quellen hervorgeht, weder 1963 noch in den folgenden beiden Jahren in eine öffentliche Kritik evangelikaler Trägergruppen. 600 Gemeint sind die Kirchentage im Juli 1961 in Berlin und im Juli 1954 in Leipzig.
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gen, wirklich mit der Scheidung durch den Geist Gottes in eins gesetzt werden kann.“601
Rudolf Bäumer antwortete Dietzfelbinger und legte ihm die grundsätzliche Haltung der B KAE nochmals ausführlich dar. Dietzfelbinger sei sicher mit der B KAE darin einer Meinung, „daß nach wie vor in der EKiD eine so unheilvolle Verquickung bibelgebundener Verkündigung und rationalistischer Interpretation geschieht, daß jeder unter uns an der Stelle, wo er de iure reden und handeln kann, dafür zu sorgen hat, daß die Stimme der Evangelischen Kirche nach den Bekenntnissen eindeutig ist.“ Ein Pfarrer dürfe auch nicht „seine Kanzel [. . .] den verschiedensten Lehren zur Verfügung stellen“ und „so muß auch der Kirchentag wieder klar in eine einzige Richtung weisen. [. . .] Der Kirchentag darf keine andere Bedeutung haben als diese, den Eindruck des Pantheons aufzuheben, oder – positiv gesagt – die eine frohe Botschaft von Jesus Christus auszurichten, der sich selbst als ewiger Gott im menschlichen Fleisch für uns zur Vergebung unserer Sünden geopfert hat und zum Siegel unter die Gültigkeit seines Versöhnungstodes auferstanden ist.“ In den Landeskirchen werde die Situation „von Jahr zu Jahr dadurch kritischer, daß immer mehr ExistentialInterpreten Pfarrstellen bekommen, präses presbyterii werden und entsprechend auch Stimme und Einfluß in den Synoden auf allen Ebenen bekommen.“ Der B KAE gehe es „ganz entscheidend darum [. . .], die Brüder im anderen Lager zu gewinnen und mit Gottes Hilfe zur Überzeugung des bekenntnisgebundenen Glaubens zu führen. Allerdings können wir nicht die erhoffte Zustimmung dieser Brüder oder gar die Zustimmung ihrer Lehrer abwarten, um dann erst den Gemeinden ein helfendes Wort zu sagen.“ Man sei es „unseren angefochtenen Gemeindegliedern schuldig, ihnen nach Kräften jetzt schon in dem auf sie einprasselnden Durcheinander theologischer Lehrmeinungen den klaren Weg und Blick zu Jesus Christus freizumachen. Wir wissen uns darin mit Ihnen, lieber Herr Landesbischof, in besonderer Weise verbunden.“602 Am 5. Oktober 1966 und am 13. Dezember 1966 fanden in Hannover, also in der gastgebenden Landeskirche des DEKT 1967, Aussprachen zwischen Kirchentagsleitung und B KAE unter dem Vorsitz von Hanns Lilje statt. Über
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Brief des Landesbischofs der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, gez. [Hermann] Dietzfelbinger, an die Bekenntnisbewegung KEIN ANDERES EVANGELIUM, z. Hd. Herrn Pastor Rudolf Bäumer, vom 24. 5. 1966. Maschinenschriftl., 2 S., hier 1f. (LAELKB Nürnberg, LB 182). 602 Brief der Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“, gez. R[udolf] Bäumer, an Herrn Landesbischof D. [Hermann] Dietzfelbinger, vom 2. 8. 1966. Maschinenschriftl., 2 S., hier 1f. (LAELKB Nürnberg, LB 182).
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beide Gespräche informierte als Teilnehmer der Ulmer Prälat Hermann Rieß den württembergischen Landesausschuss des Kirchentages: „[. . .] Die Atmosphäre war zu Beginn der Gespräche verständlicherweise etwas kühl und distanziert. Sie hat sich aber schon im Lauf des ersten Zusammenseins erwärmt. Beide Seiten haben sich bemüht, einander freundlich entgegenzukommen. So wurde mehrfach festgestellt, man habe sich bei diesen Gesprächen genähert. [. . .] Die Kirchentagsleitung hat dazu allerdings einen Schritt getan, der in der bisherigen Geschichte der Kirchentage ziemlich einzigartig ist. Auf Bitte der Bekenntnisbewegung wurde das gesamte damals noch vertrauliche Programm des Kirchentags, einschliesslich der vom Präsidium formulierten Thesen und der vorgesehenen Referenten ausführlich vorgetragen. Dabei muss noch besonders gesagt werden, dass keiner dieser Referenten schon angefragt worden war. Dies war ein – auch von dem Vorstand der Bekenntnisbewegung als ungewöhnlich anerkannter – Schritt des Vertrauens. [. . .] Dass es trotzdem nicht zu einer Einigung kam, lag nicht an der Thematik oder dem Aufbau der Gesamtgestaltung, in der die Bekenntnisbewegung ‚eine erfreuliche Annäherung an unsere Vorstellungen von der Aufgabe eines Kirchentags‘ fand. Es lag vielmehr daran, dass unter den in Aussicht genommenen Referenten auch Männer waren, ‚deren theologische Aussagen – nach Meinung des Vorstandes der Bekenntnisbewegung – im Widerspruch zur Schrift und Bekenntnis stehen.‘ [. . .] Ausdrücklich sei aber hinzugefügt, dass es hier nicht um die Person, sondern um die grundsätzliche Frage ging, ob ein Mann, wie der Tübinger Neutestamentler Ernst Käsemann, auf dem Kirchentag als Referent möglich sei oder nicht. Das Thema, für das der Kirchentag ihn (in der Arbeitsgruppe Bibel und Gemeinde) bitten will, heisst ‚Das Kreuz Christi‘. Wer sich in der theologischen Arbeit auskennt, weiss, dass Professor Käsemann zu diesem Thema Wesentliches zu sagen hat. Sicher würden von Kirchentagsbesuchern einige Fragen an seine theologische Position gestellt werden. Das Kirchentagspräsidium verschreibt sich mit der Aufstellung von Referenten keiner theologischen Richtung. Aber ein evangelischer Kirchentag, auf dem ein Theologe wie Ernst Käsemann nicht mehr als Referent erscheinen dürfte, wäre – das haben Bischof Lilje und ebenso Kirchentagspräsident von Weizsäcker zum Ausdruck gebracht – für uns eben kein Kirchentag mehr. [. . .] Es bliebe noch zu sagen, dass der Vorstand der Bekenntnisbewegung nicht nur einige vom Kirchentag vorgesehene Referenten abgelehnt hat. Er ist auch nicht auf das Angebot des Kirchentags eingegangen, selbst Referenten und Mitarbeiter an Podiumsgesprächen zu benennen. Anfang Januar kam die schriftliche Bestätigung dessen, was am Ende der Gespräche in Hannover deutlich geworden war: Der Vorstand der Bekenntnisbewegung bleibt bei seinem Nein zum Kirchentag: ‚Wenn das Präsidium des Deutschen Evangelischen Kirchentags nicht bereit ist, die fraglichen Theologen – durch bibel- und bekenntnisgebundene Referenten zu ersetzen, können wir beim Kirchentag 1967 weder mitarbeiten noch für ihn werben.‘ [. . .] Bischof Lilje hat das Nein der Bekenntnisbewegung als ‚schmerzlich‘ bezeichnet.“603
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Deutscher Evangelischer Kirchentag – Landesausschuss Württemberg – an die Pfarrer und
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Rieß führte anschließend in seinem Bericht einige, wie er selbst betonte „Lichtpunkte in der düsteren Situation“ an, zu denen gehörte, dass „die Vertreter der Bekenntnisbewegung aus der hannoverschen Landeskirche bei jenen Besprechungen zu erkennen gaben, dass sie der Entscheidung des geschäftsführenden Vorstands nicht ohne weiteres zu folgen bereit sind. Sie teilen zwar Fragen und Sorgen des Vorstands im Blick auf die theologische Situation. Aber es bleibt offen, dass sie daraus andere Konsequenzen ziehen.“ Ähnliche Voten gebe es im württembergischen Pietismus, so Rieß. Damit zeigte sich schon den zeitgenössischen Gesprächspartnern der B KAE die Inhomogenität der Bewegung, die zwar von den „gemeinsamen Sorgen“ zusammengehalten wurde, aber keineswegs die harte Linie der B KAE-Führung teilten. Bis Mitte der 1980er Jahre gestaltete sich die Teilnahme bzw. Nichtteilnahme evangelikaler Vertreter an den DEKT in der Form, dass die B KAE sowie die Leitungen anderer evangelikaler Trägergruppen ihre Mitglieder vor einer Teilnahme warnten, allerdings vereinzelte Vertreter der evangelikalen Bewegung an den Kirchentagen zumindest als Beobachter teilnahmen. So beteiligten sich an dem schon erwähnten Kirchentag in Stuttgart 1969, der im Vorfeld in Württemberg für den Eklat um den Rücktritt des Synodenpräsidenten sorgte, dezidiert evangelikale Vertreter an der Podiumsdiskussion „Streit um Jesus“, und Walter Künneth hielt einen Vortrag, obwohl sich sowohl B KAE als auch der Gnadauer Verband, die Evangelische Sammlung Berlin und die KS vom Kirchentag distanziert hatten.604 In den folgenden Jahren war die Kirchentagsleitung „ständig bemüht“, evangelikale Mitarbeiter zu gewinnen, erntete aber stets Absagen, bei denen hin und wieder durchklang, dass man bereit wäre, sich zu engagieren, aber „unter starkem Druck aus [den] eigenen Reihen“ stünde, wie Helmut Simon, Bundesverfassungsrichter und Präsident des DEKT 1977 feststellte.605
Dekane der württembergischen Landeskirche (zur Auseinandersetzung um den Weg des Kirchentags) vom 23. 1. 1967. Anlage 4 des Rundbriefes der Evangelischen Kirche in Deutschland – Kirchenkanzlei –, gez. [Gottfried] Niemeier –, an die an die Herren Mitglieder des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland Betr.: Schrift, Lehre und Verkündigung vom 22. 2. 1967. Maschinenschriftl., vervielf., 5 S., hier 2–4 (EZA 2/992); vgl. auch Dokumente in GRÜNER DIENST Nr. 7 (1967). 604 HAARBECK, Feuer, 40; II. Stellungnahme der Evangelischen Sammlung Berlin zum Kirchentag 1969. Maschinenschriftl., hektograph., 2 S. (ELAB 37/202); Rundbrief der Kirchlichen Sammlung um Bibel und Bekenntnis in Braunschweig – der 1. Vorsitzende –, gez. W[olfgang] Büscher, an die Vorstandsmitglieder der „Kirchlichen Sammlung um Bibel und Bekenntnis in Braunschweig“ sowie an Herrn OLKR [Max] Wedemeyer und Herrn Pastor Dr. [Hellmuth] Lieberg, vom 13. 7. 1968. Maschinenschriftl., hektograph., 5 S. (LAW, Pa Har 32). 605 Brief des Deutschen evangelischen Kirchentages, Dr. Helmut Simon, an den Superinten-
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Evangelikale Arbeitsschwerpunkte 1970 bis 1980
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Der turnusmäßig 1971 stattfindende DEKT fiel aus, da man sich seitens des Präsidiums des DEKT erst über die weitere Konzeption der Kirchentage klar werden wollte, vor allem angesichts der Zersplitterung und Polarisierungen durch die evangelikale Bewegung einerseits und die Studentenbewegung andererseits.606 Im Vorfeld des 1973 in Düsseldorf stattfindenden Kirchentages ging die KBG in die Offensive, und zwar mit der Installation einer eigenen Großveranstaltung. Im Herbst 1972 wurde durch die B KAE und den Leiterkreis der KBG der Verein „Gemeindetag unter dem Wort“ gegründet, der den ersten „Gemeindetag unter dem Wort“ am 31. Mai 1973 in Dortmund, in der Westfalenhalle, organisierte.607 Es bürgerte sich ein, dass die alle zwei Jahre stattfindenden „Gemeindetage unter dem Wort“ – da 1977 und 1978 „Gemeindetage“ nacheinander stattfanden, kam es hier zu einem turnusmäßigen Bruch – gleichzeitig die Ludwig-Hofacker-Konferenzen darstellten. Die enge Verbindung der Ludwig-Hofacker-Vereinigung als wesentliche Trägerin der Gemeindetage der evangelikalen Bewegung seit 1973 zeigte sich unter anderem darin, dass die „Gemeindetage unter dem Wort“ bis 1989 nahezu ausschließlich in Stuttgart stattfanden. Seit den 1990er Jahren ging die Trägerschaft auf den Gnadauer Verband über. Die „Gemeindetage unter dem Wort“, die 1975 und 1978 in Stuttgart stattfanden, standen im Zeichen des württembergischen ErwecklichPietistischen, im Gegensatz zu den Dortmunder „Gemeindetagen“ in den Jahren 1973 und 1977, die eher apologetisch ausgerichtet waren.608 Die Intention des „Gemeindetages unter dem Wort“ 1975 Jahre fasste Fritz Grünzweig in einem Beitrag für die Zeitschrift „Lebendige Gemeinde“ wie folgt zusammen:
denten des Kirchenkreises Lübbecke Dr. [Helmut] Begemann vom 17. 5. 1977. Maschinenschriftl., vervielf., 2 S., hier 1 (LkA EKvW Best. 3.2 Nr. 421). 606 Zu dem Ablauf des DEKT 1969, der um die 30 000 Menschen, davon mehr als die Hälfte Jugendliche, versammelte, und auf dem 31 Resolutionen zu aktuellen wirtschaftlichen und politischen Fragen verabschiedet wurden, vgl. Gundlach, Jens: Konservative und Moderne im Streit um Jesus unversöhnlich. Zeitungsausschnitt, gedruckt, 1 S. (ELAB 37/206); RAHNER, Wird Gott rot; Deutscher Evangelischer Kirchentag, in: Schweizer. Evang. Pressedienst Nr. 29 vom 23. 7. 1969, 4–12. Maschinenschriftl., hektograph., 9 S. (ELAB 37/206). 607 Zu den „Gemeindetagen unter dem Wort“ wurde im SS 2008 an der Theologischen Fakultät Leipzig am Lehrstuhl von Prof. Klaus Fitschen von Frau Friederike Pohle eine Diplomarbeit eingereicht und angenommen. Unter dem Titel „Ein zweiter Kirchenkampf? Der ‚Gemeindetag unter dem Wort‘ in der Diskussion der 1970er Jahre“ präsentiert die Diplomarbeit die wesentlichen Fakten zu den Gemeindetagen und den Reaktionen darauf. 608 POHLE, Kirchenkampf, 23.
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Die evangelikale Bewegung im Konflikt mit den Landeskirchen
„In letzter Zeit sind in unserem Volk einige Seifenblasen geplatzt: Die Meinung, man müsse nur etliche Strukturen verändern, dann sei alles gut. Die Meinung, der Mensch habe so ziemlich alles im Griff; ein schier unbeschränktes Wissen verleihe ihm auch schier unbeschränkte Macht. Die Meinung, das Wirtschaftswachstum und die Steigerung des Komforts gehe unablässig weiter [. . .]. In der nun um sich greifenden Verunsicherung laufen viele Menschen Irrlichtern nach: Okkulten Machenschaften, die vielfach als ‚parapsychologische Experimente‘ mit einem Schein der Wissenschaftlichkeit umgeben werden. Ostasiatischer Religiosität, abendländisch aufgemacht und so in Mode gekommen. Religiösem Überschwang, der die Wahrheit und die vorgezeichneten Bahnen der Schrift nicht achtet. Da ist es unser großes Anliegen, den Menschen von heute die gute Nachricht Gottes, den biblischen Christus, nah, groß und lieb zu machen.“609
Weiter präzisierte Grünzweig den Ablauf des „Gemeindetages“: „In der ‚Stunde des Bekennens‘ geht es um Auseinandersetzung, Glaubensstärkung und Zurüstung: ‚In unseren Tagen wird gesagt. . . Aber die Bibel spricht dazu. . . Darum bekennen wir. . .‘. Wir denken hier weniger an innerkirchliche Konfrontationen, als an Fehlentwicklungen in unserer Zeit überhaupt und demzufolge an eine Bezeugung des Evangeliums in der Öffentlichkeit.“610 Der Begriff „Gemeindetag unter dem Wort“ war von Präses Ernst Wilm auf dem Dortmunder Bekenntnistag geprägt worden und hatte eine lange Tradition: Am 24. September 1933 lud Karl Immer, Gründungsmitglied der „Bekennenden Kirche“, zum ersten „Gemeindetag unter dem Wort“ nach Barmen ein. Aber auch nach 1945 setzte sich die Tradition der „Gemeindetage“ fort. Im Juli 1950 rief Martin Niemöller im Namen des Reichsbruderrates die noch bestehenden Pfarrernotbünde und Mitglieder der Bekennenden Kirche auf, „Gemeindetage unter dem Wort“ zu veranstalten. Die Unsicherheit in den Gemeinden gegenüber der Tatsache des verlorenen Krieges sowie angesichts eines erstarkenden und selbstsicheren Katholizismus und vor allem hinsichtlich der Auseinandersetzung mit dem „Bolschewismus“ erforderten neue Maßnahmen, um Gemeinden zu schaffen, die vom lebendig gegenwärtigen Herrn erleuchtet seien. Hier lägen für die „Bekennende Kirche“ neue Aufgaben, die mit „Gemeindetagen unter dem Wort“ anzugehen seien.611 In Westfalen fanden 1951 mindestens vier „Gemeindetage unter dem Wort“ statt, die vom damaligen westfälischen Bruderrat getragen wurden.612 Auch in der bayerischen Landeskirche, der hamburgischen, der hessen-nassauischen, 609
GRÜNZWEIG, Das geht vor, 1f. EBD., 3. 611 Rundschreiben „Liebe Brüder“ von Martin Niemöller vom 4. 6. 1950. Drucksache, unpagn. [4 S.] (ZASP Abt. 150.120 Nr. 7). 612 Diverse Schreiben unter anderen von Ernst Wilm, von Otto Kill, Superintendent von 610
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rheinischen und kurhessischen Landeskirche fanden Ende 1950 und 1951 „Gemeindetage unter dem Wort“ statt, die von den ehemaligen Bruderräten angeregt wurden. Zu Konflikten mit den Kirchentagen kam es dabei nicht.613 In Bezug auf den Kirchentag 1973 aber trat die evangelikale Bewegung nun schärfer auf: Im März wurde eine elfseitige Broschüre Walter Künneths an die Kirchenleitungen verschickt, zusammen mit der Bitte, den Gemeinden von einem Kirchentagsbesuch abzuraten und, dies war ein Novum, keine Kollekte für den Kirchentag zu sammeln.614 Künneth begründete in seiner Schrift die Absage der B KAE an den Kirchentag und beantwortete „die Bitte der Kirchentagsleitung, die Bekenntnisbewegung möge ihr Nein noch einmal bedenken, mit ungewöhnlich scharfen Angriffen auf den Kirchentag und die EKD“, wie es im „Kirchlichen Jahrbuch“ von 1973 hieß: „Der Kirchentag sei durch einen kirchlich-theologischen Pluralismus gekennzeichnet, der für die Kirche ein geradezu ‚tödliches Phänomen‘ darstelle. Wie ein modernes Kaufhaus biete er als ‚Sowohl-als-auch-Kirchentag‘ allen etwas an; neben der Bezeugung des biblischen Wortes komme Dorothea [sic!] Sölle mit ihrem ‚atheistischen Christentum‘ gleichrangig zu Wort. So sei der Kirchentag die ‚Demonstration eines konturlosen und substanzlosen Protestantismus, der stolz darauf ist, nach allen Seiten geöffnet zu sein‘. Dem amtierenden Präsidenten des Kirchentages Dr. Heinz Zahrnt – Hamburg wirft Künneth eine ‚modernistische Reduktion auf eine Minimaltheologie und ein Minimalbekenntnis‘ vor. Der EKD macht er den Vorwurf, in ihr sei ‚ja heute alles erlaubt‘, ‚denn was ‚Irrlehre‘ wirklich ist, weiß man hier gar nicht mehr und will es auch nicht wissen.‘ Das Nein der Bekenntnisbewegung und der ihr nahe stehenden bekennenden Gemeinschaften sei ein stellvertretender Dienst für die EKD und die Landeskirchen, ‚welche nicht mehr wissen, was sie tun, wenn sie den Pluralismus nicht nur nicht bekämpfen, sondern obendrein noch fördern und finanzieren‘, und ein unüberhörbarer Protest gegen die in der Kirche weit verbreitete ‚erregende Vernebelung der Wahrheitsfrage‘.“615
Herne, und dem Evangelist Johannes Busch von Mitte März 1951 bis Mitte Juni 1951 in der Akte LkA EKvW Best. 0.1 Nr. 266. 613 Zur Geschichte und den Diskussionsschwerpunkten auf den Kirchentagen in den 1950er Jahren vgl. PALM, Brüder. 614 Brief der Konferenz bekennender Gemeinschaften in den evangelischen Kirchen Deutschlands, Rudolf Bäumer, Vorsitzender, an Bischof Alfred Petersen vom 3. 3. 1973. Maschinenschriftl., 2 S., hier 1 (NEK-Archiv, 11.01, Nr. 560); Brief der Konferenz bekennender Gemeinschaften in den evangelischen Kirchen Deutschlands, Rudolf Bäumer, Vorsitzender, an Landesbischof Prof. Dr. [Hans] Heidland vom 3. 3. 1973. Maschinenschriftl., 2 S., hier 1 (LKA KA GA 10652). Diesem Anliegen wurde in den meisten Landeskirchen seit 1973 stattgegeben und den Presbyterien und Kirchgemeinderäten überlassen, ob sie die Kollekte für den Kirchentag oder für einen alternativen Zweck sammeln wollten. 615 NIEMEIER, Kirche, 39.
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Im Dezember 1973 erfolgte im Informationsbrief der B KAE eine scharfe Abrechnung mit dem im Sommer abgehaltenen Kirchentag, der erstmalig die „Liturgische Nacht“ in sein Programm aufgenommen hatte und auf dem auch das umstrittene „politische Nachtgebet“ vertreten war. Unter der Überschrift „Der Kirchentag 1973 – eine Demaskierung der Kirche? Anfragen an die Verantwortlichen der Kirche“ wurde von 33 Unterzeichnern, allesamt führende Persönlichkeiten der evangelikalen Bewegung, die „unüberbietbare Form“ des kirchlichen Pluralismus moniert, die „totale Bagatellisierung der reformatorischen Forderung ‚rechter Lehre‘ und damit die wohlwollende Deutung jeder irrlehrerischen Behauptung“, der Verrat der Kirche an ihrem Auftrag und ihr „antireformatorisch[er]“ Impetus. Charakteristisch für den Kirchentag sei die Missachtung der Wahrheitsfrage: „Die Frage nach der biblischen Wahrheit ist ohne Interesse; der Akzent liegt allein auf dem Handeln!“ Stark kritisiert wurden im Speziellen die Ausführungen von Heinz Zahrnt, der die Bibel nicht als „Offenbarungsurkunde“, sondern „Lebensbuch“ bezeichnete und verlauten lassen habe, die Kirche habe Jesus „emporgejubelt“ und auf Gottes Thron gesetzt, was eine vollkommen „falsche Lehre“ darstelle. „In einer Zeit, in der die christliche Kirche und die leidende Menschheit geradezu dämonischen Bedrohungen und Verführungen ausgesetzt ist, hätte von einem Kirchentag, der sich ‚evangelisch‘ nennt, eine klare missionarische Heilsproklamation erwartet werden müssen.“ Deshalb sei es dringend geboten, den bisherigen Weg des Kirchentages nicht weiter fortzusetzen, denn „die von uns allen beklagte Konfrontation und Polarisierung innerhalb der Kirche muß sich notwendigerweise verschärfen, wenn dieser Irrweg nicht eingesehen wird.“ Außerdem finde hier eine Zweckentfremdung von Steuergeldern statt.616 Die evangelikale Pluralismuskritik erreichte in den Debatten Anfang der 1970er Jahre um den Kirchentag ihren Höhepunkt. 1973 fasste Karl Esselborn von der Pfälzischen Vereinigung um Bibel und Bekenntnis die evangelikale Nichtbeteiligung am Kirchentag in dem Satz zusammen, man wolle „nicht die Bestrebung, den Pluralismus zu bejahen, mitmachen“.617 Das wurde zwar von der Mehrzahl, aber nicht von allen Vertretern evangelikaler Trägergruppen so gesehen, wie aus einem Brief von Pfarrern, Superintendenten und freikirchlichen Pastoren auf dem Gebiet der rheinischen Landeskirche an den Hauptvorstand der DEA hervorgeht, der die allianzinterne Kontroverse bezüglich des Kirchentages widerspiegelte. In diesem Brief baten die 616
DER KIRCHENTAG 1973. Rundbrief der Evangelischen Vereinigung um Bibel u. Bekenntnis in der Pfalz (Pfälz. Pfarrerbruderschaft), gez. Karl Esselborn, Anfang April 1973. Maschinenschriftl., hektograph., 3 S., hier 2 (ZASP Abt. 150.145 Nr. 24). 617
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Unterzeichnenden den Hauptvorstand der Allianz, nicht auch noch eine Verweigerung des Kirchentagsbesuches auszusprechen. Einleitend hieß es, da eine „starke personelle Verflechtung zwischen Bekenntnisbewegung und evangelischer Allianz“ bestehe, wie „die Führungsgremien beider Bewegungen und die Allianzkonferenzen in Siegen und anderswo beweisen“, bitte man den Vorstand hiermit, den „Sorgen und Anliegen“ der regionalen Allianzgruppe Gehör zu schenken. Viele Mitglieder der Landeskirche, die „freudig“ in der Allianz mitarbeiteten, hätten die Einladung beim Kirchentag mitzuwirken angenommen: „Dieses Ja zum Düsseldorfer Kirchentag haben sie aus geistlicher Verantwortung gesprochen: sie wollen mitarbeiten, um die Stimme des Evangeliums zu Gehör zu ringen und um der Irrlehre und dem Irrtum zu wehren.“ Die Allianzmitglieder wüssten „um die Not des Pluralismus im Raum der Volkskirche“, würden aber meinen, dass „wer die verschiedenen Vorzüge der Volkskirche genieße (z. B. das große Missionsfeld), müsse auch die Last der Volkskirche mittragen, aber vor allem die Christusbotschaft von Gekreuzigten, Auferstandenen und Wiederkommenden klar bezeugen. Sie folgen daher der Einladung des Kirchentages, weil sie hier eine Chance sehen, das Evangelium in aller Öffentlichkeit zu sagen.“ Beachtlich sei das „Ja zur Mitarbeit beim Düsseldorfer Kirchentag“ aus „dem Raum der Evangelischen Freikirchen“. Generell wurde betont, dass der Kirchentag „eine ‚Laienbewegung‘ im Raum der Evangelischen Kirche sein“ wolle und somit „nicht im offiziellen Auftrag der Evangelischen Kirche“ handle: „Allerdings ist für den Kirchentag in Düsseldorf für manche von vornherein eine falsche Optik entstanden, weil der diesmalige Präsident der bekannte Journalist Dr. Heinz Zahrnt ist, dessen theologische Meinungen umstritten sind. Auf jeden Fall darf der Kirchentag nicht mit Dr. Zahrnt identifiziert werden.“618 Weiter wurde in dem Brief zu Bedenken gegeben: „Die Evangelische Allianz hat bei ihren Groß-Evangelisationen mit Billy Graham die Hilfe und Unterstützung vieler führender Männer der Evangelischen Landeskirche erbeten und erfahren (z. B. Präses Dr. Hans Thimme; Landesbischof Hermann Dietzfelbinger u. a. m.), – also von Brüdern, die den Düsseldorfer Kirchentag bejahen. Es ist also nicht mehr als recht und billig, auch die Haltung dieser Brüder zu respektieren, die aus geistlicher Verantwortung anders denken und handeln als die 618 Abschrift des Briefes, gez. von Stadtsuperintendent Dr. Erich Dietrich, Superintendent i. R. S[amuel] Henrichs, Pfarrer Hans-Gerhard Mielke [Synodalbeauftragter f. Volksmission des Kirchenkreises Düsseldorf-Oberkassel], Oberstudiendirektor Dr. Ernst Busch, Pastor Richard Scheu [Volksmissionarisches Amt]; für die Ev. Freikirchen gez. Oberstudienrat Manfred Fermor, Pastor Rudolf Piller, Prediger Dr. Ulrich Betz, Prediger Walter Arnold, Pastor Horst Borkowski, an den Hauptvorstand der Deutschen Evangelischen Allianz, z. Hd. der Vorsitzenden P[aul] Gilbert und P[aul] Deitenbeck vom 5. 9. 1972. Maschinenschriftl., 2 S., hier 1 (AEKR Düsseldorf 2LR 004, Nr. 124: Kirchentag Düsseldorf 1973, Bd. V).
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Bekenntnisbewegung. [. . .] Das Ev. Allianzblatt 1972/3 hat eine Information über die ‚Evang[elisch]-Methodist[ischen] Kirche und ihre Stellung zu Allianz und Ökumene‘ weitergegeben. Mit dieser Dokumentation hat die Evang[elisch] Method[istische] Kirche ihre Verbundenheit mit der Evangelischen Allianz und mit der Ökumene bezeugt, – d. h. also: sie hat ihre Freiheit und Selbständigkeit betont, in dieser Frage anders zu denken und zu handeln als andere Brüder der Evang[elischen] Allianz und der Evang[elischen] Freikirchen. Die Evang[elische] Allianz respektiert selbstverständlich diese Haltung. [. . .] Obige Erwägungen und Tatsachen veranlassen uns, liebe Brüder, zur dringenden Bitte, daß die Deutsche Evangelische Allianz nach wie vor an ihrer Selbständigkeit und Freiheit auch gegenüber der Bekenntnisbewegung festhält und sich der Parteinahme betr. Kirchentag enthält! Wir dürfen nicht vergessen: das Reich Gottes ist nicht identisch mit dem Pietismus, mit der Bekenntnisbewegung, mit den Evangelikalen, mit den Evang[elischen] Freikirchen oder mit irgend einer Konfession, in der wir verwurzelt sind und die wir lieben. Wir wollen und müssen das Werk des Heiligen Geistes, wo und wann und wie ER weht und wirkt, respektieren! Die Christusgemeinde muß uns höher stehen als die eigene Konfession! Deshalb bitten wir Euch hiermit: bleibt offen für alle Brüder der weltweiten Christusgemeinde –, in anderen Konfessionen, in anderen geistlichen Bewegungen mit anderen (aus dem NT begründeten) Überzeugungen und haltet bei der schmalen Gratwanderung an der geistlichen Linie gegenüber der Gesamt-Gemeinde fest (wie es dem Wesen der Evangelischen Allianz entspricht).“619
Eine andere Form des Gesprächsansatzes wurde, ebenfalls im Zusammenhang mit dem DEKT, in einem Beitrag des „Informationsbriefes“ der KS präferiert, in dem gegen einen Artikel der „Lutherischen Monatshefte“ Stellung genommen wurde. In diesem Artikel war die Rede von „zahlreichen unqualifizierten, kaum erträglichen Angriffe[n] auf den Kirchentag durch konservative Gruppen“ gewesen. Dagegen polemisierte nun der nicht genannte Autor in dem „Informationsbrief“ der KS: In den „Lutherischen Monatsheften“ erfolgten „Verunglimpfungen“ derer, die erklärt hätten, sie könnten den Kirchentag nur dann unterstützen, „wenn auf ihm nicht mehr unbiblische Lehre gleichberechtigt neben biblischer Lehre stehe.“ Da er, der anonyme Autor, selbst an einem Treffen mit Kirchentagspräsidiumsmitgliedern teilgenommen habe, wisse er, „daß nichts stärker traf, als wenn der Vorwurf der Duldung und Förderung der Irrlehre auf den Kirchentagen gemacht wurde.“620 Bemerkenswert ist hier das offene Eingeständnis, dass es mindestens auch darum ging, „zu treffen“. Von einer Kompromisssuche ist in dem Artikel nicht die Rede, im Gegenteil: gerade Kompromisse beförderten die Verfälschung der „reinen Lehre“. Es sollte aber, so der Verfasser, „der Irrlehrer nicht beleidigt werden“, sondern ernst genom-
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EBD., 2. BR, Verwerfen, 29.
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men, da es um sein ewiges Heil gehe. Deshalb müsse den Irrlehrern „auch ganz deutlich gesagt werden, was falsche und richtige Lehre ist“. Denn gerade weil man die Widersacher aus dem kirchlichen und theologischen Lager „ganz ernst“ nehme, könne und dürfe man „um der Seelen Seligkeit willen“ nicht auf die Verwerfung der Irrlehre verzichten. Zum Bekenntnis zu Gott gehöre sowohl die „Zusage an die Wahrheit und die Entsagung und Absage an den Irrtum und seinen Urheber.“621 Dieser Aufsatz macht deutlich, dass es evangelikalen Vertretern in der Tat nicht um persönliche Beleidigungen ging, sondern um die Seelenrettung durch Verwerfungen. Dass dieser Kampf um die Seele des Diskussionspartners diesem als Beleidigung vorkommen könnte, reflektierte man nicht, ebenso wenig wie über das Problem, ob man eigentlich über die Rettung von Seelen entscheiden könne. Auf ihrer Vollkonferenz vom 1. bis 11. Dezember 1973 beschäftigte sich die Arnoldshainer Konferenz mit der Stellungnahme der evangelikalen Bewegung zum Kirchentag und gab „ihrer ernsten Sorge angesichts solcher Polarisierungstendenzen und ihrem Bedauern über diese Entwicklung Ausdruck“.622 Am 21. und 22. November 1974 kam es in der Evangelischen Akademie Arnoldshain zum Gespräch zwischen Vertretern des Präsidiums des DEKT, vertreten vor allem durch Heinz Zahrnt, der KBG, vertreten durch Gerhard Bergmann, Rudolf Bäumer, Paul Deitenbeck und Walter Künneth, und der AMD, vertreten unter anderen durch Arthur Stephan, Hans Thimme und Heinrich Hermann Ulrich über das Thema „Jesus Christus als zentraler Inhalt kirchlicher Verkündigung heute“.623 Im Januar 1975 erging ein Schreiben der Arnoldshainer Konferenz und der VELKD an die einzelnen evangelikalen Trägergruppen, in dem auf den Aufsatz „Der Kirchentag 1973 – eine Demaskierung der Kirche?“ Bezug genommen und deutlich gemacht wurde, man bekenne sich ebenso zur „rettenden Wahrheit des biblischen Christuszeugnisses“. Zunächst aber sei festzuhalten, dass der DEKT eine „Laienbewegung“ darstelle, auf die die Kirchenleitungen nur begrenzt Einfluss hätten. Allerdings weise der Kirchentag Fehlentwicklungen auf, besonders in der Auflösung der Verbindung 621
EBD. NIEMEIER, Kirche, 42. 623 Einladung der Arbeitsgemeinschaft Missionarische Dienste, Geschäftsführung, gez. Dr. [Heinrich-Hermann] Ulrich an Arthur Stephan, betr.: Gespräch am 21./22. 11. 1974, Einladung an die Teilnehmer, vom 22. 10. 1974. Maschinenschriftl., hektograph., 2 S. (AEKR Düsseldorf 2LR 004, Nr. 84: Arbeitsgemeinschaft Missionarische Dienste, Bd. II). Die AMD versuchte zu vermitteln, wie ein Brief von Ulrich an Bergmann vom Januar 1975 zeigt (Brief der Arbeitsgemeinschaft missionarische Dienste, gez. H[einrich] H[ermann] Ulrich, an Gerhard Bergmann vom 21. 1. 1975. Maschinenschriftl., vervielf., 2 S. [LkA EKvW Best. 0.10 Nr. 431]). 622
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von ethischen Fragen mit dem Evangelium, denen entgegen gewirkt werden müsse. Der Vorwurf des „Pluralismus“ an den Kirchentag allerdings sei insofern nicht berechtigt, da der Kirchentag gerade als „Gesprächsforum“ von vornherein nicht über Glaubensfragen entscheiden könne. Der Vorwurf, auf dem Kirchentag würden Irrlehren verbreitet, trage nicht der Tatsache Rechnung, „daß die Veranstalter und viele Besucher des Kirchentages mit Ernst Christen sein und Christus bezeugen wollen.“ In Bezug auf die Sorgen über einen ausbrechenden „Enthusiasmus“ auf dem Kirchentag und der „progressiven Politisierung“ müsse man weiter im Gespräch bleiben.624 Nach dem Kirchentag 1975, der von der evangelikalen Bewegung wiederum boykottiert wurde, kam es im Vorfeld des Berliner Kirchentages und des Dortmunder „Gemeindetages unter dem Wort“ 1977 zu einer Eskalation der Auseinandersetzung. Im ersten Moment erscheinen diese Auseinandersetzungen als verschärfter Konflikt mit den Kirchenleitungen bzw. dem Präsidium des Kirchentages, aber letztlich stellte die Intensivierung der Anwürfe die evangelikale Bewegung vor eine Zerreißprobe und offenbart ein inzwischen durchaus inhomogenes Bild der evangelikalen Bewegung, die seit Ende der 1970er Jahre mit ihren divergierenden Zielsetzungen und Arbeitsweisen in eine Dynamik der Pluralisierung geriet. In der Vorgeschichte und den Entwicklungen um den 17. DEKT in Berlin vom 8. bis 12. Juni 1977 und den „Gemeindetag unter dem Wort“, der vom 17. bis 19. Mai in Dortmund stattfand, zeichnete sich dies also exemplarisch ab. In Bezug auf den „Gemeindetag unter dem Wort“ war seitens der evangelikalen Bewegung mit dem Superintendenten und dem Vorstand der vereinigten Kirchenkreise Dortmund eine Zusammenarbeit vereinbart und bestätigt worden, dass man keine Konfrontation mit der Kirche suche.625 Daraufhin wurden die Dortmunder Gemeinden aufgerufen, Quartiere für Gemeindetagsbesucher zur Verfügung zu stellen. Während der relativ harmonischen Vorbereitungen des „Gemeindetages“ ließ Rudolf Bäumer in einem epd-Interview, das am 19. April im „Deutschlandfunk“ übertragen wurde, die schon bekannte Kritik an Kirche und Kirchentag verlauten: Der Pluralismus in der Kirche hebe sich von Brief der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands – der leitende Bischof –, gez. [Hans-Otto] Wölber, und der Arnoldshainer Konferenz – der Vorsitzende –, gez. Dr. [Hans Heinrich] Harms, an die Konferenz bekennender Gemeinschaften z. H. Pfarrer Rudolf Bäumer, an die Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“ z. H. Pfarrer Rudolf Bäumer, an die Kirchliche Sammlung um Bibel und Bekenntnis e. V. z. H. Landessuperintendent Prof. Dr. Joachim Heubach [. . .] vom 31. 1. 1975. Maschinenschriftl., hektograph., 4 S. (LkA EKvW Best. 0.10 Nr. 431). 625 Sitzung des Geschäftsführenden Vorstandes der Vereinigten Kirchenkreise Dortmund am 30. November 1976. Maschinenschriftl., vervielf., 1 S. (LkA EKvW Best. 0.10 Nr. 431). 624
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der Einmütigkeit ab, die innerhalb der KBG herrsche, in der „wir uns gegenseitig [glauben], daß jeder zur Heiligen Schrift stehen möchte“. Außerdem wies Bäumer mehrmals auf die gegenwärtige Kirchenkampfsituation hin, die schlimmer als die im Dritten Reich sei. Auf die Frage des epd-Journalisten, warum die KBG noch der Kirche angehöre, antwortete Bäumer: „Wir haben sogar im Dritten Reich unserer evangelischen Kirche die Treue gehalten, obwohl Reichsbischof Ludwig Müller ein Mann war, der offensichtlich etwas ganz anderes vertrat als das Evangelium von Jesus Christus in Bindung an Schrift und Bekenntnis. Wir sind nicht ausgetreten, sondern haben das Recht auf Mitgliedschaft in unserer Kirche nachdrücklich behauptet, weil deren Grundlage unserem Glauben entspricht. Darum ist auch heute unser Wirken in der evangelischen Kirche legitim und unsere Mitgliedschaft berechtigt. Die Bekenntnisbewegung und die ihr nahe stehenden Gruppen verstehen sich also nicht etwa als eine bestimmte Richtung in der evangelischen Kirche, sondern als die eigentlichen Vertreter dieser Kirche, wie sie nach ihren eigenen Grundsätzen sein will und sein soll.“626
Ganz in diesem Sinne sei der „Gemeindetag unter dem Wort“ der wahre Kirchentag. Bevor das Interview damit endete, dass Bäumer verlauten ließ, von allen Amtsträgern der Kirche sei zu erwarten, dass sie die Trinität anerkennen und predigten, die Jungfrauengeburt Christi anerkennen und glauben würden sowie das Sühnopfer Christi am Kreuz – in dieser Reihenfolge –, wurde er nochmals gefragt, ob er meine, dass es auf Grund des Konfliktes des derzeitigen „zweiten Bekenntniskampfes“ zu einer Kirchenspaltung kommen könne. Bäumer entgegnete: „Es ist gewiß auch unser Wunsch, daß die evangelische Kirche eine Einheit bleibt. Darum treten wir aus dieser Kirche nicht aus. Wir meinen allerdings, daß diese evangelische Kirche ihren Auftrag nur erfüllen kann, wenn sie sich auf ihre schrift- und bekenntnisgebundene Grundlage rückbesinnt. Tut sie das nicht, dann wird wahrscheinlich eine Kirchenspaltung nicht zu verhindern sein.“627 Etwa zeitgleich ging von Bäumer der so genannte „Unvereinbarkeitsbeschluss“ aus, nach dem sich die Mitarbeit am Kirchentag und die am Gemeindetag gegenseitig ausschließen würden.628 Gegenüber seinem Superintendenten Helmut Begemann äußerte Bäumer während einer Pfarrkonferenz im April, zum Gemeindetag würde auch der Präses der westfälischen Landeskirche Hans
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BÄUMER: DIESER ZWEITE KIRCHENKAMPF, 6. EBD., 9. 628 Es ist unklar, ob es über diese Regelung überhaupt eine offizielle Beschlussfassung innerhalb der KBG gab bzw. wie diese zustande kam, da sich im Nachgang herausstellte, dass fast der gesamte Leiterkreis der KBG gegen diesen „Unvereinbarkeitsbeschluss“ eingestellt war, obwohl die meisten Vertreter dafür votiert hatten. 627
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Thimme nicht eingeladen, „um die Landeskirche offiziell zu vertreten und ein Grußwort zu sagen. Es sei nicht üblich, daß Grußworte gesagt würden. Es ließe sich darüber reden, wenn Präses Thimme seine Mitarbeit beim Kirchentag absagte.“629 Außerdem, so Bäumer, sei die B KAE nur dann „zu einer Mitarbeit am Kirchentag [. . .] bereit [. . .], wenn nicht nur ein neues Präsidium gebildet wird, sondern auch bestimmte Theologen, wie Heinz Zahrnt, Ernst Käsemann und Walter Hollenweger, nicht mehr mitarbeiten.“630 Im Hinblick auf diese Stellungnahmen und Forderungen regte sich nicht nur in der westfälischen Kirche, der gastgebenden Landeskirche des „Gemeindetages“, Unmut, sondern auch in den anderen Landeskirchen. Die Vereinigten Kirchenkreise Dortmund sprachen ihre Enttäuschung über die schwer belastenden Aussagen der Vertreter des Gemeindetages aus und sahen sich in ihrer Gastfreundschaft getäuscht. Allerdings bedauere man die Entwicklungen am meisten für den „Gemeindetag, der sich selbst geschädigt hat“.631 Diese Aussage sollte sich noch als zutreffender erweisen als gedacht. In Nürnberg diskutierten im April 1977 bayerische Pfarrer mit dem Generalsekretär des DEKT, Hans Hermann Walz, über den „unseligen Streit“ zwischen DEKT und „Bekennenden Gemeinschaften“, der nach Meinung der Mehrheit der Pfarrer beigelegt werden sollte. Die „Teilnahme der Bekennenden Gemeinschaften am nächsten, 1979 in Nürnberg stattfindenden Kirchentag [. . .] ist nach Meinung der Pfarrer nur wünschenswert unter der Voraussetzung, daß keinerlei Einschränkung in Form einer Zensur von Personen und Inhalten stattfindet.“632 Unerwartete Unterstützung bekam Bäumer in dieser sich zuspitzenden Konfliktsituation von Kurt Heimbucher, seit 1974 hauptamtlich Präses des Gnadauer Verbandes. Heimbucher kritisierte in „idea“ den Berliner Kirchentag als „sozialistische Großveranstaltung mit einigen christlichen Einschlägen“. Das Programm des Berliner Kirchentages übertreffe seine schlimmsten Befürchtungen, so Heimbucher, denn „weiter nach links geht es kaum mehr.“ Angesichts 629
Brief des Superintendenten des Kirchenkreises Lübbecke, gez. Dr. [Helmut] Begemann, Betr.: Gespräch auf der außerordentlichen Pfarrkonferenz am Montag, dem 18. April, über das Verhältnis von Gemeindetag und Kirchentag, an die Pastoren im Kirchenkreis vom 25. 4. 1977. Maschinenschriftl., vervielf., 2 S., hier 1 (LkA EKvW Best. 0.10 Nr. 431). Hans Thimme war mit einer Bibelarbeit auf dem Kirchentag engagiert. 630 Brief des Superintendenten des Kirchenkreises Lübbecke, gez. Dr. [Helmut] Begemann, betr.: Verhältnis von „Gemeindetag“ und „Kirchentag“ an das Präsidium des Deutschen Evangelischen Kirchentages z. H. Herrn Präsident Dr. Helmut Simon, vom 25. 4. 1977. Maschinenschriftl., vervielf., 3 S., hier 2f. (LkA EKvW Best. 0.10 Nr. 431). 631 Rundbrief der Vereinigten Kirchenkreise Dortmund, gez. Jansen, Lange, Linnemann, Schunke, v. Stieglitz, an die Pfarrer in den Vereinigten Kirchenkreisen Dortmund und Lünen vom 12. 5. 1977. Maschinenschriftl., 4 S., hier 2 (LkA EKvW Best. 0.10 Nr. 431). 632 NÜRNBERGER PFARRER.
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dieser Brüskierung der Evangelikalen sei „Brückenbauen [. . .] beinahe Verrat an der Gemeinde“. „In der Öffentlichkeit“, so Heimbucher in „idea“ weiter, „zeige man das ‚lächelnde Gesicht gegenüber den ‘ und ‚in der Wirklichkeit‘ gebe es schallende Ohrfeigen und eine verächtliche Brüskierung’. Mit den Kirchensteuergeldern für den Kirchentag würden ‚Fünfte Kolonnen finanziert‘, ‚die die Kirche zerstören‘. Darum sollte, jetzt Fraktur geredet werden. Und die Kirchenleitungen müssen wissen: So kann man mit den Evangelikalen nicht umspringen. Der Kurs, wie er in Berlin 77 deutlich wird, drängt uns auch im Blick auf Nürnberg zu einem eindeutigen Nein!“633 Heimbuchers Äußerungen sorgten für Betroffenheit und Bestürzung seitens kirchenleitender Stellen, da dieser Angriff von einer bis dato eher zurückhaltenden Seite kam. Von den Spannungen, die die interne Situation des Gnadauer Verbandes zu der Zeit prägten, und die seine Stellungnahme gegen den Kirchentag motivierten, berichtete Heimbucher in einem persönlichen Brief an den westfälischen Präses Thimme: „Sie wissen aber doch auch um das nicht einfache Gespräch, das wir anlässlich der Gnadauer Mitgliederversammlung hatten, es war im Februar 1976 in Hattingen. Es ging dort immer wieder um die Frage der Abgrenzung gegenüber Strömungen, die wir nicht bejahen und mitvollziehen können. Sie sagten damals den Satz, der mit mir geht: ‚Die Grenze ist die Mitte.‘ [. . .] Sie wissen um die Spannungsbögen innerhalb des innerkirchlichen Pietismus, wie er im Gnadauer Verband sich gesammelt hat. Einer dieser Spannungsbögen bezieht sich auf das Verhältnis zu den Landeskirchen. Sie wissen um die freikirchlichen Tendenzen in manchen unserer Verbände. Sie wissen wohl auch, daß es Verbände und Gemeinschaften gibt, die zwar formal noch zur Kirche gehören, aber längst innerlich emigriert sind. Und ich stehe mitten drin und muß die Spannung aushalten und versuchen zusammenzuhalten. [. . .] Im Blick auf den Kirchentag habe ich mich bisher nicht mit den Meinungen anderer Brüder aus dem Raume der Bekenntnisbewegung identifiziert. Ich habe versucht, die Türen nicht endgültig ins Schloß fallen zu lassen. [. . .] Die vermittelnde Haltung, die ich immer wieder eingenommen habe, hat mir manche Vorwürfe von der eigenen Seite eingebracht. Ich habe diese Vorwürfe immer wieder hingenommen, weil ich der ehrlichen Überzeugung war, der Kirchentag stünde wirklich an einer Wende. Und nun ist nach meiner Meinung der Berliner Kirchentag ein Rückschritt hinter Frankfurt zurück. Ich möchte keinen Ausschließlichkeitsanspruch erheben und auch keinem Referenten in Berlin im Blick auf seine Glaubensüberzeugung zu nahe treten. Jeder von uns steht und fällt seinem Herrn. [. . .] Verehrter, lieber Bruder Thimme, ich habe mich dafür eingesetzt, wie auch Bruder Deitenbeck, ich möchte das aber sehr im Vertrauen sagen, daß Sie am Gemeindetag ein Grußwort sagen. Ich bin traurig, daß es nicht dazu gekommen ist, weil die Mehrheit der Mitglieder des Präsidiums
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PRÄSES HEIMBUCHER: SO KANN MAN; KOMMENTAR BRÜCKENBAUEN.
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anders votierten. Mit Ihnen bin ich traurig über die Entwicklung. [. . .] Auf Grund der gegebenen Situation sehe ich auch düster im Blick auf die gemeinsamen evangelistischen Aktionen in den 80iger Jahren. [. . .] Lieber Bruder Thimme, nach wie vor schlage ich die Türe nicht zu. Der Schrei, den ich ausgestoßen habe, kommt aus einem verwundeten und enttäuschten Herzen. An Ihrer und der Herren Bischöfe Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit zweifle ich keinen Augenblick. Aber ich fange immer mehr an daran zu zweifeln, ob es noch einmal zu einem echten Miteinander kommt. Vielleicht bleibt uns Pietisten in Bälde doch nur noch der Weg in die innere Emigration.“634
Derartige Äußerungen blieben der Öffentlichkeit verborgen, so dass es mit Heimbuchers Pressemitteilung zu einer weiteren Verschärfung des Konfliktes kam. Ernst Wilm, Vorgänger Thimmes als westfälischer Präses und einst großer Unterstützer der B KAE, fügte an seine Predigt in der Thomaskirche in Espelkamp am 15. Mai 1977 einige Worte zum Thema „Kirchentag und Gemeindetag“ an und sagte, indem bei der B KAE, speziell Bäumer, „pauschal, d. h. im Ganzen und allgemein ein geradezu verdammendes Richten über Menschen, Kirchenleitungen, Werke der Kirche geschieht, das nach meiner Meinung unberechtigt und darum unrecht ist, wird Gemeinde zerstört!“ Durch Heimbuchers Stellungnahme sei der „Höhepunkt – nein, ich muß sagen: der tiefste Punkt solcher Angriffe [. . .] erreicht.“635 Wilm verlas im Gottesdienst die Pressemitteilung zur Kritik Heimbuchers und fuhr fort: „Ich mache mich anheischig, auf jede dieser geradezu unfassbaren Behauptungen, um nicht zu sagen: Beschimpfungen über den Kirchentag und über Christen, die auf ihm mitarbeiten, zu antworten, daß sie einfach nicht stimmen und darum ganz unberechtigt sind. Meine Schwestern und Brüder! So geht es nicht! So dürfen wir nicht miteinander umgehen! So kann kein Segen auf unserm Kampf um die Wahrheit des Evangeliums liegen!“636 Die Presse, vor allem die nichtkirchlichen Medien, nahmen die Polarisierungen auf und vertieften sie. Die „Westfälische Rundschau“ titelte am 10. Mai 1977 „Die Evangelische Kirche steht vor dem Bruch“, die „Westfälische Allgemeine Zeitung“ am 14. Mai „Gemeindetag verbietet Präses das Wort“. Die
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Brief von Kurt Heimbucher an Präses Hans Thimme vom 13. 5. 1977 (LkA EKvW Best. 0.10 Nr. 432). 635 Wilm, Ernst: Wort zur geistlichen Situation in unserer Gemeinde und Kirche bezgl. der ernsten Spannungen, die um die Frage: Teilnahme an dem „Gemeindetag unter dem Wort“ in Dortmund vom 17.–19. Mai 1977 oder/ und dem Deutschen Evangelischen Kirchentag in Berlin vom 9.–12. Juni 1977 entstanden sind (am Sonntag Rogate, dem 15. Mai 1977, in der Thomaskirche in Espelkamp nach einer Predigt über Matthäus 11, 25–30). Maschinenschriftl., vervielf., 4 S., hier 3 (LkA EKvW Best. 0.10 Nr. 432). 636 EBD., 4.
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„Ruhr-Nachrichten“ vom 10. April hatten unter der Überschrift „Gemeindetag sucht Heil nicht in der Politik und Soziologie“ ein Zitat von Gerhard Bergmann geboten: „Innere Spaltung von der ‚Amtskirche‘ ist bereits vollzogen“.637 In „idea“ wurde der Bundesdirektor der „Evangelisch-freikirchlichen Gemeinden“, Manfred Otto, zitiert, der darüber sinnierte, dass die Strömungen um den „Kampf um Bibel und Bekenntnis“ möglicherweise doch im „Bett eines freien evangelischen Gemeindetum[s]“ münden müssten.638 Otto unterstrich die Forderung des Ostberliner Bischofs Albrecht Schönherr, der eine „Entscheidungskirche“ gefordert hatte – wohlgemerkt im Hinblick auf die Verhältnisse der „Kirche im Sozialismus“. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass hier keine Differenzierung zwischen der Situation der Kirche in einem demokratischen und in einem diktatorischen Staat erfolgte. Am 10. Mai äußerte sich Gerhard Bergmann wiederholt gegenüber Pressevertretern, die „innere Spaltung der Kirche“ sei bereits vollzogen, die äußere stehe noch aus, wobei man sich nicht scheue, „im entscheidenden Moment [. . .] juristisch den Trennungsstrich zu ziehen“. Bergmann räumte der EA die „größeren Überlebenschancen“ bei einer solchen Trennung ein.639 Nicht nur unter der Pfarrerschaft und in den Gemeinden wuchs der Unmut über diesen „unevangelischen Hochmut und [die] geistliche Arroganz“.640 Evangelikale Vertreter schrieben entschuldigende Stellungnahmen an Repräsentanten der Kirchenleitungen, so z. B. der Leiter der „Notgemeinschaft“, Alexander Evertz, der sich in einem Brief an Thimme von dem Verhalten des Gemeindetagspräsidiums gegenüber Thimme abgrenzte und betonte, er heiße „gewisse Äußerungen von Rudolf Bäumer und Dr. Gerhard Bergmann nicht gut“, da dadurch die innerkirchliche Auseinandersetzung verschärft würde.641 Bäumer wiederum, an dessen Äußerungen sich die Diskussion im Wesentlichen entzündet hatte, ging zum Gegenangriff über und warf Superintendent Begemann in einem Brief vor, dieser wolle der B KAE „Spaltungstendenzen andichten“, obwohl die B KAE seit zehn Jahren Christen anhalte in den Landeskirchen zu verbleiben: „Es ist ihnen offensichtlich noch gar nicht deutlich, warum eigentlich viele den Freikirchen nahe stehende Gemeindeglieder noch nicht zu ihnen übertraten: nur deswegen nicht, weil es in der Landeskirche eine Bekenntnisbe-
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Diverse Zeitungsausschnitte in der Akte LkA EKvW Best. 0.10 Nr. 432. IST VERFASSTE KIRCHE, 1. 639 Brief von Pfarrer Emil Stratmann an den Präses der Ev. Kirche von Westfalen D. [Hans] Thimme vom 10. 5. 1977. Maschinenschriftl., 2 S., hier 1 (LkA EKvW Best. 0.10 Nr. 431). 640 EBD. 641 Brief von Alexander Evertz an Präses [Hans] Thimme vom 14. 5. 1977. Maschinenschriftl., 1 S. (LkA EKvW Best. 0.10 Nr. 432). 638
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wegung gibt. Die Bekenntnisbewegung ist es, die viele Austrittswillige in der Kirche hält.“642 Begemann, so Bäumer weiter, solle seine Darstellung, die B KAE „blase“ zum „Kirchenaustritt“, öffentlich dementieren. Der Sprecher des Konfessionskundlichen Institutes Bensheim versuchte, eine nüchterne Analyse der Situation zu bieten, indem er hervorhob, man solle die „aggressiven Evangelikalen“ nicht überschätzen, denn sie gehörten zur „Mobilmachungsphase der Massen“ für den „Gemeindetag unter dem Wort“ in Konkurrenz zum Berliner Kirchentag.643 Diese Mobilmachungsphase, eine der zahlreichen in der Geschichte der evangelikalen Bewegung in Analogie zu den „neuen sozialen Bewegungen“, brachte in diesem Falle nicht das erhoffte Ergebnis. Der „Gemeindetag unter dem Wort“ 1977 in Dortmund sollte sich als evangelikales Desaster erweisen, und zwar weniger im Hinblick darauf, dass bei erwarteten und medial angekündigten 70 000 Besuchern nur etwa 3 000 Dauergäste am „Gemeindetag“ teilnahmen und an der Abschlussveranstaltung etwa 30 000 Besucher – ein Umstand, der im Nachgang von kirchenleitenden Vertretern als Boykott und Reaktion des „Unmut[es] der Gemeinden“ über die „lauthals ausgetragenen innerkirchlichen Kontroversen“ gewertet wurde –644, vielmehr gerieten die auf dem „Gemeindetag“ verkündeten Inhalte innerhalb der evangelikalen Bewegung in einem bis dahin nicht erfolgten Ausmaß in die Kritik. Besonders die am Schlusstag stattgefundene „Stunde der Orientierung“, die von Künneth, Findeisen, Beyerhaus bestritten wurde sowie dem Vorsitzenden der SMD Theodor Ellinger, der 1979 die kreationistische Studiengemeinschaft „Wort und Wissen“ gründete.645 In dieser „Stunde der Orientierung“ erfolgte ein Rundumschlag gegen die „moderne Theologie“, Neomarxismus und Gruppendynamik in Gesellschaft und Kirche und die „Welteinheitsutopien“ des ÖRK. Es wurde eine „aufgeheizte Atmosphäre“646 geschaffen, was im Nachgang für Empörung bei manchen evangelikalen Vertretern sorgte. Harald Uhl, Mitarbeiter des
642 Brief des Gemeindetages unter dem Wort, Rudolf Bäumer, Vorsitzender, an Superintendent Dr. [Helmut] Begemann vom 14. 5. 1977. Maschinenschriftl., hektograph., 4 S., hier 4 (LkA EKvW Best. 3.2 Nr. 421). 643 KONFESSIONSKUNDLICHES INSTITUT BENSHEIM. 644 Rundbrief von Präses D. [Hans] Thimme an alle Schwestern und Brüder im Dienst der Verkündigung in der Evangelischen Kirche von Westfalen vom 19. 5. 1977. Maschinenschriftl., vervielf., 5 S., hier 4 (NEK-Archiv, 11.01, Nr. 560). 645 Rudolf Bäumer war nur für kurze Ansprachen zur Eröffnung und zum Abschluss eingeteilt worden. 646 Uhl, Harald: 3. Gemeindetag unter dem Wort. Dortmund, 17.–19. Mai 1977. Thema Jesus, der wiederkommende Herr. 25. 5. 1977. Maschinenschriftl., vervielf., 10 S., hier 5 (LkA EKvW Best. 0.10 Nr. 432).
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DEKT, konstatierte bei seinen Beobachtungen auf dem „Gemeindetag“, in den meisten Arbeitsgruppen habe „der Radikalismus der Kritik und das Ausmaß an bitteren Vorwürfen und an Resignation der Teilnehmer jenes der Referenten und Diskussionsleiter bei weitem [übertroffen].“ So musste sich „Dekan [Kurt] Hennig dann im zweiten Teil der Veranstaltung kräftig gegen den allgemeinen Ruf nach Auszug aus einer ‚solchen‘ Kirche stemmen“ und Ursula Besser, Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses (CDU), hatte „grosse Mühe, gegen die vorwiegende Stimmung allgemeiner politischer Abstinenz als gebotener christlicher Grundhaltung und gegen eine Pauschalverurteilung der grossen demokratischen Parteien (‚alles nur Manipulation‘) aufzukommen.“647 Die evangelikale Führung stand vor dem Problem, einerseits von den Geistern, die sie rief, überrollt zu werden, andererseits die gemäßigte Basis zu verlieren. Der „Gemeindetag“ 1977 brachte diese sich seit Jahren anbahnende Situation zur Eskalation. Der Evangelist Johannes Hansen, Leiter des VMA der westfälischen Landeskirche und Mitarbeiter des Deutschen Zweiges des Lausanner Komitees für Weltevangelisation sowie des Vertrauensrates der AMD, schrieb unmittelbar nach dem „Gemeindetag“, auf der er eine Bibelarbeit hielt, an Paul Deitenbeck, er habe die Veranstaltung in „tiefer Trauer“ verlassen: „Welch ein Trommelfeuer von radikalen Vorwürfen, überzogenen Angriffen und einseitigen Meinungen stürzte doch über die Gemeinde herein. Fast in allen Reden dieser Art herrschte ein hektischer, nervöser und manchmal schier feindseliger Ton. Nicht nur ich hatte den Eindruck, daß da über dem Stadion eine dunkle apokalyptische Wolke zusammengetrieben wurde, die sich buchstäblich gleich entladen mußte. Die dann immer wieder eingestreuten Worte der Bibel und seelsorgerlichen Beschwörungen wirkten am Ende auf mich wie eine Farce. Mit Rundumschlägen wurden ganze Wälder abgeholzt und dem Hörer mußte sich der Eindruck aufdrängen, daß die ganze Kirche und Gesellschaft voller Irrlehre, Untreue, Bosheit und Dämonie stecke, während sich im Stadion die Schar wahrhaft an Jesus glaubenden und verantwortlich lebenden Menschen zusammenfände. [. . .] Bin ich es allein, der den Eindruck hat, daß hier Brüder in ihrem theologischen Denken und in ihrer Frömmigkeit selbst Opfer von christlich-ideologischen und auch politischen Orientierungen geworden sind, die sie gar nicht mehr bei sich kontrollieren? [. . .] Glaube mir, jetzt steckt der Gemeindetag des Westens in einer Ecke, aus der er kaum noch entweichen kann, wenn nicht entscheidend Neues geschieht. Ich kann das nur tief bedauern. Laßt uns doch bitte nicht den Versuch unternehmen, die ganzen Dinge mit psychologischen Erklärungen und unter Hinweis auf organisatorische Pannen zu entschuldigen. Nach dem heutigen Tag läßt sich auf diese Weise nichts mehr ent-
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schuldigen. Was in Erscheinung trat, hat seine Ursache in Gedanken und Vorgängen, die sich schon länger ankündigten und nun voll zum Durchbruch kamen.“648
Deitenbeck antwortete Hansen, er blicke mit „geteilter Dankbarkeit“ auf den Gemeindetag zurück, der für ihn und eine Reihe anderer „eine heilsame Demütigung“ gewesen sei. Die Äußerungen von Beyerhaus hätten auch ihn „tief bedrückt“, ebenso wie der Beifall an verschiedenen Stellen: „Mir ist klar geworden, daß wir als Bekenntnisbewegung eine Kurskorrektur vornehmen müssen, indem wir es lernen müssen, aus der Position der Liebe heraus die Wahrheit zu sagen.“ Allerdings, so Deitenbeck weiter, müsse der „Kampf um das unveränderte Evangelium [. . .] bleiben.“649 Auch innerhalb der Gnadauer Verbandsleitung kam es zur Diskussion, wobei sich offensichtlich auch hier ein schon länger gehegtes Unwohlsein an dem Kurs der evangelikalen Bewegung Bahn brach. Gerhard Kiefel, Stadtmissionsdirektor in Berlin, schrieb einen Monat nach dem „Gemeindetag“ an Kurt Heimbucher: „Du hast, wie so manche Brüder aus der Bekenntnisbewegung, mit Deiner damaligen Erklärung eine ‚via negationis‘ beschritten, und das ist weder theologisch noch missionarisch gut. Deine nachdenklichen Fragen in dem Schreiben [. . .] an die Gnadauer Mitglieder zeigen mir, daß Du das selbst empfindest; denn Deine Frage, ob wir die vielen jungen Menschen auf dem Kirchentag ohne das Zeugnis des Evangeliums lassen dürften, ist genau die Frage der Arbeitsgemeinschaft missionarische Dienste und der missionarisch engagierten Christen, die auf dem Kirchentag mitgearbeitet haben. Ich habe dies für die Berliner Stadtmission bereits auf der Jahresversammlung des Gnadauer Verbandes 1976 [. . .] erklärt. [. . .] Ich muß Dir ganz offen sagen, daß mich manches Erlebnis im Gnadauer Verband und mancher Vorgang in der Arbeitsgemeinschaft der bekennenden Gemeinschaften [gemeint ist die KBG] so schmerzt, daß ich mich am liebsten, wenn es nach meinem eigenen Ich ginge, zurückziehen möchte. Ich will das aber um des Evangeliums willen, um unserer Bruderschaft willen und um des gemeinsamen missionarischen Auftrages willen nicht tun.“650
Peter Hahne, Mitarbeiter beim „Gemeindetag“ und Mitbegründer des Jugendarbeitskreises der B KAE, stellte Präses Hans Thimme gegenüber heraus, er widerspreche energisch Abqualifizierungen der Kirche, die auf dem „Gemeindetag“ geäußert worden waren.651 Gerhard Bergmann entschuldigte sich gar für 648 Brief von Johannes Hansen an Pastor Paul Deitenbeck vom 19. 5. 1977. Maschinenschriftl., vervielf., 6 S., hier 2f. (LkA EKvW Best. 0.10 Nr. 432). 649 Brief von Pfarrer Paul Deitenbeck an Johannes [Hansen] vom 23. 5. 1977. Maschinenschriftl., vervielf., 2 S., hier 1 (LkA EKvW Best. 0.10 Nr. 432). 650 Brief des Missionsdirektors, gez. G[erhard] Kiefel, an Pfarrer Kurt Heimbucher vom 14. 7. 1977. Maschinenschriftl., hektograph., 2 S., hier 1f. (LkA EKvW Best. 0.10 Nr. 432). 651 Brief von Peter Hahne an Präses D. Hans Thimme vom 21. 5. 1977. Maschinenschriftl., 1 S. (LkA EKvW Best. 0.10 Nr. 432).
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die Bemerkungen von Beyerhaus in der „Stunde der Orientierung“ bei Thimme.652 Anders sah die Reaktion von Beyerhaus aus, der in einem epd-Artikel über die „heilsame Bruchlandung“ des Gemeindetages räsonierte, die das Fazit einer Illusionierung von Teilen der evangelikalen Bewegung darstelle, die sich auf die hohe Besucherzahl eingestellt hätten und nun enttäuscht seien. Den „Falken“ der Bewegung, den Verfechtern „der ursprünglichen Dortmunder Tradition“ von 1966 sei es aber noch nie um große Zahlen ihrer Anhänger gegangen, die man auf dem „Gemeindetag“ „mit Hilfe von Gospel-Pop zu ködern suchte. Gerade ihrem [der „Falken“] biblisch-reformatorischen Kirchenbewusstsein legte sich der in Dortmund `77 einbrechende Amerikanismus wie ein Stein auf den Magen. Die tatsächlich erschienenen 30.000 im Westfalenstadion bestätigen eher diese Linie. Sie erwärmten sich vor allem für eine durch These und Antithese klar konturierte Botschaft, wie sie [. . .] – besonders pointiert – in der ‚Stunde der Orientierung‘ am Himmelfahrts-Nachmittag gegeben wurde.“653 Beyerhaus vertrat die Ansicht, Großveranstaltungen seien eben „keine evangelikale Erfindung“ – man sollte die „Gemeindetage“ eher als regionale Gemeindetage begehen und damit kleinere Gruppen ansprechen. Angesichts der „evangelikalen Lehren“ Beyerhaus’, der für einen Teil der Organisatoren und Mitarbeiter einer derjenigen gewesen war, der das Debakel heraufbeschworen hatte, riss dem freikirchlichen Schriftleiter der Kasseler Wochenzeitschrift „Die Gemeinde“, Wolfgang Müller, der Geduldsfaden: In einem Beitrag ebenfalls für epd drohte er unverhohlen Beyerhaus, der „nun meint, den Spieß munter umdrehen“ zu müssen, statt sein „eigenes Fehlverhalten einzugestehen“: „Da haben wir’s: Zur Bruchlandung gehören nun einmal Bruchpiloten, und da man’s selbst allein nicht sein kann, waren’s eben die anderen, vor allem wohl die ‚GospelPop‘-Leute (was sich so ein deutscher Professor bloß unter ‚Pop‘ vorstellt), vielleicht auch die Evangelisten und die Grünschnäbel von PR-Leuten. [. . .] Aber wenn man schon – reichlich übertrieben und lieblos – von einer ‚Bruchlandung‘ sprechen will, so hatten nach einhelliger Meinung der Beobachter von rechts und links doch weder Luis Palau noch Gerhard Bergmann, weder Paul Deitenbeck noch Wilfried Reuter, weder Siegfried Fietz noch Hella Heizmann das Steuer in der Hand, als sie erfolgte, sondern. . .na, dreimal dürfen Sie raten! Nun kann Jeder [. . .] eine Bruchlandung machen. Das zu bekennen und darüber Buße zu tun, ist keine Schande, wohl aber, die Schuld bei anderen zu suchen – sagen wir beim Bodenpersonal. Unverantwortlich
652 Brief von Gerhard Bergmann an Präses D. Hans Thimme vom 21. 5. 1977. Maschinenschriftl., 2 S. (LkA EKvW Best. 0.10 Nr. 432). 653 BEYERHAUS, Bruchlandung.
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aber ist es, sich dann flugs wieder hinters Steuer zu klemmen und unbedacht, und sei es in Kommentarform, eine zweite Bruchlandung zu bauen. So etwas könnte den Entzug der Lizenz nach sich ziehen. Professor Beyerhaus hat gewiß in der Vergangenheit der Gemeinde Jesu manchen Dienst getan, indem er ihr für Fehlentwicklungen die Augen geöffnet hat. Das, so scheint mir, hat er auch mit seinem verfehlten Kommentar jetzt getan: Er hat ihr gezeigt, wer nun wirklich ‚evangelikal‘ ist und wer nicht. Diejenigen unter uns, die schon seit geraumer Zeit die Zweckbindung zwischen Pietismus und orthodoxer Kirchlichkeit mit Skepsis beobachten, sehen sich in ihrer Meinung – leider – bestätigt. Wem es um die Einheit der Glaubenden und um die klare und frohmachende Verkündigung des Evangeliums geht, der kann über solche Bruchlandungen nur betrübt sein. Auf Dauer-Bruchpiloten aber wird er händeringend verzichten.“654
Dies waren vollkommen neue Töne innerhalb der evangelikalen Bewegung gegenüber ihren maßgeblichen Führungspersönlichkeiten. Allerdings erzielte Beyerhaus mit seinem plötzlichen Kurswechsel, man suche nicht die die Massen zu aktivieren, sondern wolle einen kleinen elitären Kreis bilden – eine Haltung, die bei genauerer Betrachtung jedes missiologische Konzept torpedierte –, eine nachhaltige Wirkung in manchen Kreisen der evangelikalen Bewegung, vor allen bei denen, die mit der in den 1980er Jahren beginnenden verstärkten Jugendarbeit der Evangelikalen nichts anfangen konnten. So schrieb 1981 der Leiter der rheinischen B KAE, Heinrich Hörstgen, nach der Leiterkreissitzung der KBG in Frankfurt am Main, auf der es um das weitere Vorgehen im Hinblick auf DEKT und „Gemeindetag“ gegangen war, an Beyerhaus: „Der Blick auf erwünschten Erfolg und erwünschte Zahlen soll uns doch nicht verwirren. Erweckungen lassen sich nicht vom Menschen her machen.“ Empört konstatierte Hörstgen weiter: „Und nun will man mit Leuten zusammengehen, hinter denen die großen Verbände stehen und die [. . .] zum Kirchentag einladen. Keine von diesen Persönlichkeiten wie Parzany, Hansen, Teschner hat sich für das Anliegen der Bek[enntnis]Bew[egung] eingesetzt, wie die Bek[enntnis]Bew [egung] es verdient hätte. Warum haben sie das nicht getan? Sie haben ihre Frömmigkeitssache betrieben, wie groß und öffentlich das auch immer geschehen sein mag. Auf dieser Linie kommen sie sogar den Kirchenleitungen, denen in erster Linie unser Angriff gilt, entgegen.“655 Auch Bäumer geriet in diesem Zusammenhang bei Hörstgen in die Kritik.
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MÜLLER, Dauer-Bruchpiloten. Briefdurchschlag von Heinrich Hörstgen an Peter Beyerhaus vom 20. 12. 1981. Maschinenschriftl., 2 S., hier 1f. (AEKR Düsseldorf 7NL 032 Nachlass Pfr. Heinrich Hörstgen). 655
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Der mit Hörstgen befreundete Pfarrer Heiner Quistorp gab in einem Brief dieser Intention des evangelistischen Rückzugs, der Abgrenzung und des kompromisslosen Kampfes gegen den Kirchentag pointiert Ausdruck: „Zu den Querelen innerhalb der B[ekenntnis]B[ewegung], die euch Führenden viel zuviel Kraft und Zeit kosten und von der dringendsten Aufgabe der Mobilisierung der Gemeinden vor Ort (nicht nur auf Gemeindetagen, alle paar Jahre bloss!) in mühsamer Kleinarbeit ablenken, möchte ich Dich nur noch auf ein gutes, kräftiges Wort von Georg Huntemann an die Adresse der ‚evangelikalen‘ Evangelisten auf dem Kirchentag hinweisen. Er schreibt in seinem neuesten ‚Aktionsbrief‘, diese Leute hätten offenbar ein seltsames Interesse daran ‚mit ihrem ‚Jesus-liebt-dich-Slogan‘ jedem so etwas wie einen metaphysischen Betthasen mit nach Hause zu geben‘ und rechtfertigten damit ihre Teilnahme an diesem Jahrmarkt der Unmöglichkeiten. Damit hätten sie der jungen Generation auf dem ‚Kirchentag‘ nur bestätigt, was diese im Grunde genommen wolle: ‚Sie ist es leid jugendbesoffene Opas auf dem Podium zu sehen. Und sie ist es ebenso leid, dass junge christliche Siegfrieds ihre Jesus-Show abziehen.‘(!!).“656
Damit zeichnete sich bereits Anfang der 1980er Jahre ein Konflikt ab, der in den folgenden beiden Jahrzehnten immer tiefere Gräben innerhalb der evangelikalen Bewegung reißen sollte: Die Kontroverse zwischen denen, die auf Polarisierungen beharrten und sich von Kirche und Welt mit elitärem Bewusstsein abgrenzten und denen, die aktiv Evangelisationsarbeit betrieben und sich von daher tatsächlich der Welt öffneten, um ihre Ansprechpartner in den Blick zu nehmen. Letztere waren diejenigen, die sich zunehmend in der DEA und ihren evangelistischen Großprojekten und der Jugendarbeit engagierten. Gerade zwischen der B KAE und der DEA bzw. Vertretern der evangelistischen Bewegung sollte es in den 1990er Jahren zunehmend zu Spannungen kommen, die sich an den Großveranstaltungen „ProChrist“ entzündeten, an der vorsichtigen Annäherung der DEA und der Pfingst- bzw. charismatischen Bewegung durch die „Kasseler Erklärung“ und an gemeinsamen Projekten wie „Willow Creek“ sowie an der „ökumenischen“ und EKD-freundlichen Haltung der DEA. Immer wieder ging es in der Kritik der B KAE an der DEA auch darum, dass „auf beeindruckenden Zahlen“, z. B. von Besuchern beim 2000 stattfindenden „Jesus-Tag“, kein „Segen Gottes“ ruhe.657 Letztlich habe sich die Allianz dem „Geist von unten“ geöffnet, so der Vorwurf in einer Aussprache zwischen Vertretern der B KAE und der DEA im April 2000.658 Im Juni 2000 teilte Hansf-
656 Brief von Pfarrer Heiner Quistorp an Heinrich Hörstgen vom 11. 11. 1981. Maschinenschriftl., 4 S., hier 4 (AEKR Düsseldorf 7NL 032 Nachlass Pfr. Heinrich Hörstgen). 657 NESTVOGEL, Informationen aus Kirche und Gesellschaft (August 2000), 27. 658 Gespräch mit Mitgliedern des Bundesarbeitskreises der Bekenntnisbewegung am 12. April
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rieder Hellenschmidt, Vorsitzender des Bundesarbeitskreises der B KAE, dem Generalsekretär der DEA, Hartmut Steeb mit, die Allianz zähle für die B KAE nicht mehr zu den „befreundeten“ Verbänden.659 Im Dezember 2000 traten Hartmut Steeb und zwei weitere hauptamtliche Mitarbeiter der DEA demonstrativ aus dem Vorstand der B KAE aus, deren Mitglied sie bis dahin waren.660 Gleichzeitig machte die B KAE gegen die Leitung des Gnadauer Verbands mobil, die sich in den 1990er Jahren endgültig von dem so genannten „Modell 4“ verabschiedete, das von verschiedenen Gruppen innerhalb des Verbandes, z. B. der „Evangelischen Gesellschaft“, präferiert wurde: Kirchenaustritt bei gleichzeitiger Mitgliedschaft im Gnadauer Verband. Damit schob die Führung des Gnadauer Verbandes einen endgültigen Riegel vor alle Tendenzen hin zur Freikirche in den eigenen Reihen. Christoph Morgner, Präses des Gnadauer Verbandes, bezeichnete Mitglieder der „Arbeitsgemeinschaft Modell 4“ als sektiererisch – die Probleme in den Gemeinden seien oft nicht theologisch begründet, sondern beruhten auf zwischenmenschlichen Konflikten. Die B KAE kommentierte die Entscheidung der Gnadauer Leitung gegen das „Modell 4“ mit den provozierenden Überlegungen: „Es erstaunt, mit welch massiver Rhetorik der Präses die nach kirchlicher Unabhängigkeit strebenden Kräfte ins Visier nimmt. Seit wann ist die Nähe oder Ferne zur EKD das Kriterium für Sektierertum? Morgners Einwände erinnern an gewisse problematische kirchenamtliche Floskeln, die den Bibeltreuen in den Landeskirchen seit Jahrzehnten entgegenschlagen.“661 Spätestens seit Mitte der 1990er Jahre begab sich die B KAE in die selbstgewählte Isolation und ist inzwischen eine der derzeit weniger bedeutenden Trägergruppen der evangelikalen Bewegung. In einem Leserbrief an „idea“ schilderte Alexander Schick im Oktober 2000 seinen Eindruck von der B KAE. Schick war Leiter der nordelbischen Regionalgruppe der B KAE, die im Sommer 2000 auf Grund von „inhaltlichen Differenzen“ aus der B KAE austrat und sich in „Nordelbischer Arbeitskreis für biblische Orientierung“ umbenannte.662 In seinem Leserbrief schrieb Schick, die „Kritik, die von Brüdern aus 2000 von 11: 00–15: 30 Uhr in Frankfurt, gez. Hartmut Steeb, 10.[= 12.] April 2000. Computerschriftl., 4 S., hier 3 (Archiv DEA, Akte „Bekenntnisbewegung“). 659 Briefkopie der Deutschen Evangelischen Allianz, gez. Hartmut Steeb, an die Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“ vom 27. 7. 2000. Computerschriftl., 1 S.; Brief der Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“, gez. [Hansfrieder] Hellenschmidt, an Hartmut Steeb vom 5. 10. 2000. Computerschriftl., 1 S. (Archiv DEA, Akte „Bekenntnisbewegung“). 660 Rundbrief von Hartmut Steeb an den Kreis „Bündnis 18 Bekenntnisbewegung“ vom 22. 12. 2000. Computerschriftl., 2 S. (Archiv DEA, Akte „Bekenntnisbewegung“). 661 NESTVOGEL, Informationen aus Kirche und Gesellschaft (April 1999), 27f. 662 AUS PROTEST.
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dem Bundesarbeitskreis der Bekenntnisbewegung immer wieder ertönt“ höre sich „nach aussen hin für manche bibeltreue Christen als gut und biblisch an.“ Wer aber so wie er „auf den Sitzungen des Bundesarbeitskreises miterlebt hat, wie in unglaublicher Lieblosigkeit, Rechthaberei und Selbsteingenommenheit über andere, wie die Ev. Allianz zu Gericht gesessen wird, der wendet sich voller Schaudern von solchen angeblich ‚biblischen Erklärungen‘ ab.“ Schick stellte die Situationen aus seiner Perspektive folgendermaßen dar: „Als bei einer Sitzung der Generalsekretär der Ev. Allianz Hartmut Steeb in einer ehrverleumdenden Art niedergemacht wurde und auch in voller Breitseite auf Dr. Hille geschossen wurde, meinte mein Gegenüber bei der Sitzung: ‚Die sind so selbstgerecht, bei den Brüdern müsste sogar noch Jesus Buße tun!‘ Die jetzige Bekenntnisbewegung ist schon lange nicht mehr der Brüderbund, wie er es früher war. Früher gab es ein Herz für die Evangelisation, wie bei Pastor Deitenbeck und Bergmann. Heute haben Hardliner mit z. T. extrem-fundamentalistischen Ansichten das Sagen und alle, die anders denken, wurden aus dem Bundesarbeitskreis rausgeekelt oder sind längst selbst gegangen. Leider hat es sich noch nicht deutlich genug herumgesprochen, dass es [sic!] die Bekenntnisbewegung zerbrochen ist und die Meinung von Wolfgang Nestvogel [Schriftleiter des Informationsbriefes der B KAE] nicht die Meinung der Basis, sondern die Meinung des jetzigen ca. 40köpfigen Bundesarbeitskreises darstellt, dessen Vorstand den Informationsbrief und die Spendeneingänge total kontrolliert. Andere Meinungen aus etlichen Landesarbeitskreisen der Bekenntnisbewegung, die weder die Kritik an ProChrist noch an der Allianz teilen, werden einfach nicht gedruckt oder totgeschwiegen. Die Arbeit unter den angehenden Theologiestudenten war einmal die wichtigste Arbeit der Bekenntnisbewegung. Heute bekommen weder das von Dr. Hille geleitete Albrecht-Bengel-Studienhaus noch die andren Studienzentren auch nur eine Mark aus dem sehr grossen Spendentopf. Deshalb haben sich die Studienhäuser, wie die Studienstiftung der Bekenntnisbewegung und etliche Landesverbände von der sog. Bekenntnisbewegung gelöst. [. . .] Als ich einmal ein Mitglied des Vorstandes der Bundesbekenntnisbewegung fragte, wie er es vor Gott verantworten möchte, wenn er ProChrist und diese wichtige missionarische Arbeit ablehnt nicht zuletzt auch unter dem Gesichtspunkt, dass Menschen in der katholischen Kirche erreicht werden würden, kam die Antwort: ‚Wenn sich die Katholiken bekehren wollen, dann sollen sie in unsere Veranstaltungen kommen.‘ Unfaßbar! Nur haben Sie Evangelisationen in der Trägerschaft der Bundesbekenntnisbewegung in der letzten Zeit gesehen? Nein – diese gibt es nicht, nur die andauernde Kritik an Geschwistern [. . .].“663
Was Schick in seiner Leserzuschrift falsch einschätzte, war die Vergangenheit der B KAE: Sie war zu keinem Zeitpunkt ein „Bruderbund“ um Paul Deitenbeck und Gerhard Bergmann gewesen, deren zentrale Zielsetzung die Evangeli663 Emailkopie von Alexander Schick, Betreff: Leserbrief zu IDEA 40/2000, an „idea“ vom 6. 10. 2000. Computerschriftl., 2 S., hier 1f. (Archiv DEA, Akte „Bekenntnisbewegung“).
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sation war. Gerade beim Thema Evangelisation erfolgte erst Ende der 1970er Jahre der Umschwung innerhalb der evangelikalen Bewegung weg von dem antitheologischen und antikirchlichen Zentralismus der B KAE hin zu den evangelistischen Aktivitäten, die durch die DEA vorangetrieben wurden, teilweise in Zusammenarbeit mit den entsprechenden Gremien der Landeskirchen und der EKD. Auslöser dafür war unter anderem die Debatte um den DEKT und den „Gemeindetag“ Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre. Die evangelikale Haltung gegenüber dem DEKT war auch in den folgenden Jahren keineswegs rückhaltlos positiv, aber der Boykott des Kirchentages wurde zunehmend unterwandert. Während die B KAE weiterhin vor einer Teilnahme warnte und Kurt Heimbucher nach dem Kirchentag 1979 in Nürnberg, dem bis dahin am besten besuchten mit über 90 000 Dauerteilnehmern und 120 000 Besuchern der Schlussveranstaltung, auf Grund der „Mitwirkung homosexueller Gruppen“ die Nichtteilnahme der Mitglieder des Gnadauer Verbandes an den Kirchentagen nun ebenfalls für verbindlich erklären wollte,664 hatte man seitens der Kirchen- und der Kirchentagsleitung die Evangelikalen mit Blick auf den Hamburger Kirchentag 1981 wiederholt gebeten „Kommt und helft!“665 Und obwohl Rudolf Bäumer offiziell betonte, er persönlich werde den Kirchentag meiden, da sich hier biblische Verkündigung mit modernistischer Theologie mische,666 arbeiteten nun Vertreter der evangelikalen Bewegung in größerem Maße mit: Evangelikale seien als Referenten bei evangelistischen Veranstaltungen gut vertreten gewesen, vermeldete „ideaSpektrum“ im Nachgang. Positiv äußerte sich Ulrich Parzany dahingehend, dass die „Glaubensverkündigung nicht am Rande stand“. Der Öffentlichkeitsreferent der SMD registrierte verwundert das Interesse an biblischen Fragen auf dem Kirchentag und hob hervor, dass die SMD auch weiterhin durch Seelsorge, Evangelisation und Sachdiskussion den Kirchentagsbesuchern „Orientierungshilfe“ geben wolle. Der Leiter der diakonischen „Lobetalarbeit“ in Celle, Hansjörg Bräumer, betonte, das Motto des Kirchentages „Fürchte dich nicht“ sei keinesfalls nur politisch verstanden worden. Einen zwiespältigen Eindruck hinterließ die Großveranstaltung beim Vorsitzenden der KS der Nordelbischen Kirche, Ulrich Rüß: Einerseits seien eindrucksvolle und gute Bibelarbeiten und Vorträge angeboten worden, andererseits hätte auch eine „schreckliche Politisierung“ stattgefunden. Die Mitarbeit der KS beim Kirchentag sah Rüß im Rückblick aber als gerechtfertigt an, denn ein Boykott werde der Verantwortung, die man für Kirche und Kirchentag habe, nicht gerecht. Lediglich in konstanter 664 665 666
PRÄSES HEIMBUCHER FORDERT. PRO UND KONTRA KIRCHENTAG, 1. BÄUMER: ICH GEH AUF KEINEN FALL.
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Tradition kristallisierte sich aus diesem Chor die Stimme von Peter Beyerhaus heraus. Mit der Anlehnung an die Friedensbewegung, so Beyerhaus, sei die Kirchentagsleitung wieder dem Zeitgeist verfallen und stelle einen Angriff auf die Seele der christlichen Jugend dar.667 Aber auch Beyerhaus mußte feststellen: „Wenn sich mit Hamburg beim K[irchen]T[ag] etwas geändert hat, so ist es am ehesten die allen Warnungen der Bekennenden Gemeinschaften zum Trotz erfolgte Eingliederung angesehener evangelikaler Mitarbeiter und – durch sie entscheidend vermittelt – eines Großteiles der evangelikalen Jugend sowie zunehmend auch vieler evangelikaler Erwachsener. Damit aber erwächst der evangelikalen Bewegung, einschließlich der Bekennenden Gemeinschaften, gegen deren eigenes bisheriges Bestreben eine neue Verantwortung im Blick auf den Kirchentag. Ihr Hirten- und Wächteramt muß sich nun auch den inneren Prozessen zuwenden, die dort bei den ihnen pastoral anvertrauten Menschen durch die angedeuteten schwarmgeistigen Einflüsse ausgelöst werden. Diese Aufgabe wird auf verschiedenen Ebenen wahrzunehmen sein. Verstärkt wird es darum gehen, durch Schriften und auf eigenen Veranstaltungen (Bekenntnis- und Gemeindetage) das verwirrende K[irchen]T[ags]-Geschehen diakritisch (die Geister unterscheidend) aufzuarbeiten und auf die dort aufgeworfenen Fragen eine begründete Antwort aus dem Evangelium zu geben. Wieweit dies, ohne Zugeständnisse an den K[irchen]T[ags]-Pluralismus, in zeitlicher und örtlicher Präsenz schon bei den Kirchentagen selber geschehen kann, wird nun erneut sehr gewissenhaft zu prüfen sein.“668
Der Boykott des Kirchentages löste sich somit im Laufe der 1980er Jahre durch die Teilnahme der evangelikalen Basis am Kirchentag auf – allerdings nicht die Kritik an Einzelveranstaltungen im Rahmen des Kirchentages oder an seinem „Pluralismus“. Damit sind bereits Entwicklungen in den 1980er Jahren angeschnitten. 6.4 Evangelikale Ausdifferenzierung 1980 bis 1989 6.4.1 Die zunehmende Pluralisierung der evangelikalen Bewegung in den 1980er Jahren Im November 1980 zitierte Peter Beyerhaus in der ersten Ausgabe der Zeitschrift des Theologischen Konventes der KBG „Diakrisis. Hilfe zur Unterscheidung von Geistesströmungen in Kirche und Welt“ Bundeskanzler Helmut Schmidt mit den Worten „Nichts wird in den 80er Jahren so bleiben, wie es in
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EINE MISSIONARISCHE MÖGLICHKEIT. BEYERHAUS, Kirchentag 1981, 5.
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Die evangelikale Bewegung im Konflikt mit den Landeskirchen
den 70er Jahren gewesen ist.“669 Beyerhaus diagnostizierte daran anknüpfend den aktuellen Umbruch in Weltmission, Kirche und Theologie mit seinen negativen Folgen, der das Votum Schmidts auch auf die Situation des christlichen Lebens übertragbar erscheinen ließ. Beyerhaus hatte insofern Recht, als dass auch in der evangelikalen Bewegung in den 1980er Jahren nichts mehr so bleiben sollte, wie es gewesen war. Allerdings setzte er mit seiner „Diakrisis“ an der falschen Stelle an, denn die 1980er Jahre wurden für die evangelikale Bewegung weniger ein Jahrzehnt der Ernüchterung, sondern vor allem eines der Veränderung und letztlich Pluralisierung in den eigenen Reihen. Schon 1984 stellte Klaus Bockmühl in der Zeitschrift der OJC, „Offensive“, die Frage „Aufbruch der Evangelikalen – in die Zersplitterung?“670 Diese Frage lässt sich auch im Nachgang nur ambivalent beantworten: Einerseits erfolgte in der Tat eine Zersplitterung der evangelikalen Bewegung, die mancherorts für einen Rückgang des Protestpotentials sorgte, andererseits aber begann man sich in den 1980er Jahren von der zentralistischen Führung der KBG zu entfernen, was zu einer Verlebendigung der Bewegung führte. Gerade die durch die evangelikale Pluralisierung hervorgerufene Vielfältigkeit belebte das evangelikale Lager. Einen wesentlichen Schritt hin zur pluralen Existenz stellte in den 1980er Jahren die Selbstbesinnung der beiden großen evangelikalen Trägergruppen DEA und Gnadauer Verband auf die eigene Identität dar. Die DEA profilierte sich zunehmend als „Sammelbecken der Evangelikalen“. Die evangelikale Bewegung insgesamt begann sich von ihrem bisherigen Trägerkreis KBG und B KAE abzulösen und an die DEA zu binden. Der Gnadauer Verband widmete sich verstärkt der Begrenzung des internen Pluralismus und des Auseinanderdriftens der angeschlossenen Verbände sowie einer Neuorientierung im Verhältnis zur evangelischen Kirche. Ebenso wie die DEA öffnete sich die Gemeinschaftsbewegung der Jugendarbeit. Die Hinwendung von DEA und Gnadauer Verband zur Jugendarbeit begann schon in den 1960er Jahren, kam jedoch in der Zeit der engen Anbindung an die B KAE und des evangelikalen Protestes nicht zur breiteren Entfaltung. Mit dem Ausscheiden des Gnadauer Verbandes 1991 aus der KBG trat die sich seit einem Jahrzehnt anbahnende Distanzierung von der B KAE offen zutage. Zwar wollte man noch beim Austritt aus der KBG eine engere Anbindung an die B KAE suchen – dies dokumentiert ein Protokoll vom 22. November 1991 (s. u.) –, da dort gerade ein „Generationswechsel“ stattfinde, und im Rahmen gemeinsamer Aktionen oder bei Positionierungen zu kirchlichen und
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BEYERHAUS, Herausforderung, 3. BOCKMÜHL, Aufbruch.
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Evangelikale Ausdifferenzierung 1980 bis 1989
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gesellschaftlichen Fragen arbeitete man weiterhin in der gleichen Richtung, aber eine Zusammenarbeit unter Führung der KBG oder der B KAE war nicht mehr gegeben. Sozialethische Themen sollten in den 1980er Jahren hauptsächliche Reibungsflächen zwischen evangelikaler Bewegung und evangelischer Kirche darstellen. Schwerpunkte stellten die „Politisierung der Kirche“ und die Friedensbewegung, die Judenmission, die Abtreibungsproblematik und das Thema Homosexualität dar,671 ebenso die im Grenzbereich von Theologie, Sozialethik und -politik angesiedelte feministische Theologie in der Kirche. Gegen die feministische Theologie wandten sich besonders scharf Jens Motschmann und seine Frau Elisabeth, die sich auf einer Tagungsreihe zu diesem Thema in der Evangelischen Akademie Bad Segeberg der nordelbischen Landeskirche 1984 und 1985 einen eigenen Eindruck von kirchlichem Feminismus verschafften.672 In der Beschreibung des Ehepaars ging es in Bad Segeberg zu wie auf einer „schwarzen Messe“673. Eine Pauschalverurteilung der feministischen Theologie und Kritik an der Kirche, die derartige Veranstaltungen zulasse, waren die Folge. In Konfrontation mit all den genannten sozialethischen und gesellschaftspolitischen Problemstellungen innerhalb der Kirche gestaltete sich der „evangelikale Protest“ aber nicht mehr als ein thematisch gleich bleibender Konflikt, der sich konstant über längere Zeiträume erstreckte. Es wurden immer häufiger Aktionsbündnisse geschaffen, die spontan und regional sowie zeitlich begrenzt zu spezifischen Problemen Stellung nahmen. In den 1980er Jahren löste sich das „Kampfbündnis“ der evangelikalen Bewegung zugunsten eines frei agierenden Netzwerkes auf, das sich nunmehr stärker auf die praktische Evangelisation und Mission konzentrierte sowie sozialethische Themen verfolgte und dabei auch versuchte, direkt auf politische Entscheidungsträger einzuwirken. So fand beispielsweise im Juli 1987 im Bundeskanzleramt ein Gespräch statt, an dem Vertreter der DEA sowie die Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Rita Süßmuth, der parlamentarische Staatssekretär Horst Waffenschmidt und Bundeskanzler Helmut Kohl teilnahmen und in dem die von der Allianz ausgearbeitete „Stellungnahme des Hauptvorstandes der Deutschen Evangelischen Allianz zur bevorstehenden gesetzlichen Regelung im Bereich der Humangenetik durch die gesetzgebenden Organe der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Länder“, die „Stellungnahme des Hauptvorstandes der Deutschen Evangelischen Allianz zur gegenwärtigen Praxis der Abtreibung (218 671 672 673
Vgl. die evangelikalen Stellungnahmen und Verlautbarungen in WEG UND ZEUGNIS, Bd. 2. Vgl. diverse Dokumente in Akte NEK-Archiv, 11.03 Nr. 390. MOTSCHMANN, Evangelische Akademie.
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Die evangelikale Bewegung im Konflikt mit den Landeskirchen
StGB)“ sowie der „Entwurf eines Gesetzes zur Sicherstellung der verfassungskonformen Durchführung der Schwangerschaftsberatung zum Schutze des ungeborenen Lebens“ erörtert wurden. Kohl äußerte in dem Gespräch, er betrachte die Arbeit der Allianz „mit allergrößter Sympathie“, da er überzeugt davon sei, „daß Glaube an Gott – womit ‚nicht unbedingt die Amtskirche‘ gemeint sei“ eine wichtigere Rolle denn je spiele. Außerdem, so der Bundeskanzler ganz im Tenor der evangelikalen Bewegung, würde der Zeitgeist zum Gott erhoben. „Selbst der DEKT wirke dabei kräftig mit und ‚säe damit einen Wind, dessen Sturm er eines Tages ernten werde.‘“ Allerdings seien ihm, so wiederholt Kohls Einwand, an den entscheidenden Punkten des Intervenierens die Hände gebunden, da er keine Parlamentsmehrheit hinter sich sammeln könne. Auch die Bundesministerin kritisierte im Sinne der evangelikalen Vertreter „Pro Familia“, die auf dem Stand des Diakonischen Werkes auf dem DEKT Handzettel verteilt hätten, die „eindeutig linke Propaganda zugunsten der Abtreibung und der völligen sexuellen Freizügigkeit enthielten.“ Dagegen sei der selbstlose Einsatz von „Pro Vita“ zu würdigen, die keine staatliche Unterstützung erhielten.674 Einen unmittelbaren Effekt zeitigte dieses Gespräch auf politischer Ebene nicht. Die Zustimmung der Politiker dürfte jedoch die Haltung und damit das Selbstbewusstsein der evangelikalen Vertreter gestärkt haben. Das zeigt eine bemerkenswerte Veränderung gegenüber den 1970er Jahren an: das Interesse von Politikern an der evangelikalen Bewegung. Prinzipiell wandten sich in den 1980er Jahren Repräsentanten der evangelikalen Bewegung nicht häufiger oder verstärkt an politische Meinungsführer. Das geschah in den 1980er Jahren ebenso punktuell wie in den 1970ern. Der Empfang im Bundeskanzleramt 1987 zeigt eher, dass man seitens der Politik die evangelikale Bewegung als ein im religiös-gesellschaftlichen Spektrum wichtiges Phänomen wahrnahm und bemüht war, ein entsprechendes Entgegenkommen zu signalisieren. Diese Entwicklung lässt sich auf zwei Faktoren zurückführen, die in ihrer Wirkung nicht deutlich gegeneinander abgegrenzt werden können: Zum ersten die gelungene Etablierung der evangelikalen Bewegung im evangelischkirchlichen Spektrum und zum zweiten der politische Wechsel 1982 durch den Bruch der sozial-liberalen Koalition und die beginnende Bundeskanzlerschaft von Helmut Kohl. Die damit einhergehende konservative Wende in der Politik samt ihrer Implikationen kam nicht nur den evangelikalen Anliegen entgegen. Die evangelikale Bewegung wurde nun auch politisch „hoffähiger“, als das in den 1970er Jahren der Fall gewesen war. Letztlich führten beide Aspekte in den 674 Entwurf. Stichwort-Protokoll über das Gespräch im Bundeskanzleramt in Bonn am 7. Juli 1987, gez. Peter Schneider, vom 8. 7. 1987. Maschinenschriftl., 8 S., hier 1f. und 7 (AEGGK, DEA II).
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Evangelikale Ausdifferenzierung 1980 bis 1989
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1980er Jahren nicht zu einer direkten evangelikalen politischen Einflussnahme, aber zu einer stärkeren Wahrnehmung der Evangelikalen auch in politischen Bereichen. Signifikant für die Vielfältigkeit der evangelikalen Auseinandersetzungen im sozialethischen Bereich ist der Umstand, dass der zweite Band der Dokumentationen zur Geschichte der evangelikalen Bewegung, speziell der B KAE, der Verlautbarungen und Stellungnahmen aus dem Zeitraums 1980 bis 1995 umfasst, nicht nur umfangreicher ist als sein Vorgängerband zu den Jahren 1965 bis 1980, sondern dass auch nahezu alle darin publizierten Stellungnahmen den genannten Themen zugeordnet werden können. Grundsätzliche Positionspapiere gegen Theologie und Kirche fehlen. Die Theologiekritik der evangelikalen Bewegung begann in den 1980er Jahren etwas in den Hintergrund zu treten, wobei der „theologische Pluralismus“ bis in das erste Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts im Kreuzfeuer der evangelikalen Kritik stand. Hierbei spielen die evangelikalen theologischen Ausbildungsstätten nach wie vor eine große Rolle, denn sie verkörpern die Tradition der Theologiekritik seit den 1950er Jahren. Hinsichtlich der Kirchenkritik differenzierte sich die evangelikale Haltung weiter aus: Das Spektrum erstreckte sich von Zusammenarbeit und problemloser Integration bis hin zu schroffen Verwerfungen. Zu beobachten ist außerdem, dass seitens der Kirchenleitungen evangelikale Anliegen teilweise stärker aufgenommen und in die kirchliche Arbeit integriert wurden, besonders hinsichtlich der Entfaltung des evangelistischen Anliegens der evangelikalen Bewegung. Eine bemerkenswerte Argumentationskonstellation zwischen Landeskirchen und evangelikaler Bewegung zeigte sich 1986 in der Diskussion um evangelikale „Parallelstrukturen“ in der Kirche. Der Heilbronner Dekan Gerhard Simpfendörfer warf der evangelikalen Bewegung in einem Bericht vor, mit den von ihr aufgebauten parallelen Initiativen wie „Hilfe für Brüder“ gegen „Brot für die Welt“, „idea“ gegen epd, „Gemeindetag unter dem Wort“ gegen den DEKT und alternativen Ausbildungsstätten gegen die Theologischen Fakultäten „Parallelstrukturen“ aufzubauen, mit denen sie in die Landeskirchen drängten.675 Die Reaktion aus den evangelikalen Reihen kam umgehend und mit Vehemenz. Man argwöhnte, den Evangelikalen solle der ihnen „nötige Freiraum“ streitig gemacht werden. Winrich Scheffbuch, Bruder des Ulmer Prälaten Rolf Scheffbuch und Vorsitzender von „Hilfe für Brüder“ und „Christliche Fachkräfte International“, argumentierte in einem „idea“-Beitrag, „extreme
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Vgl. NÜSSE, Wie lange.
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Die evangelikale Bewegung im Konflikt mit den Landeskirchen
theologische Einseitigkeiten“ bedrohten „die Einheit der Kirchen mehr als die bunte Vielfalt von Diensten, die Gott ins Leben gerufen hat.“676 Bis zum Ende des Jahres 1986 wurde das Thema medial rege und kontrovers erörtert.677 Bemerkenswert ist diese Diskussion hinsichtlich der Verkehrung der jahrelangen gegenseitigen kritischen Anwürfe: Von evangelikaler Seite berief man sich nun darauf, dass der Pluralismus in der Kirche seit Jahren akzeptiert und sogar geschätzt werde und aus diesem Grund nun auch von der evangelikalen Seite eingefordert werden könne. Darüber hinaus wurde betont, dass der Pluralismus weniger gefährlich sei als „theologische Einseitigkeiten“ – ein bis dahin nicht verwendetes Argumentationsmuster, das sich eigentlich gegen die Geschichte der jungen evangelikalen Bewegung richtete. Von Simpfendörfer dagegen war die zunehmende Pluralisierung der kirchlichen Landschaft durch die evangelikale Bewegung moniert worden. In dieser Debatte trat offen zutage, dass evangelikale Vertreter den immer wieder in der Kritik an der Kirche herangezogenen Pluralisierungsbegriff positiv für die Legitimation eigener Interessen aufnahmen. Dieser Widerspruch existierte allerdings implizit schon seit Ende der 1960er Jahre, da die evangelikale Bewegung – wie auch andere Gruppen und Strömungen – die kirchliche Landschaft pluralisierte, sich aber gleichzeitig verbal gegen diese Pluralisierung wandte. 6.4.2 Die Deutsche Evangelische Allianz als das „Sammelbecken der Evangelikalen“ Seit den 1980er Jahren erfolgte das evangelikale Engagement viel stärker als zuvor als Netzwerkarbeit und wurde nicht mehr zentralistisch von den führenden Kräften der B KAE gesteuert. Die B KAE verlor dadurch an Durchschlagskraft und an Bedeutung innerhalb des evangelikalen und kirchlichen Milieus. Dafür rückte die DEA als neue Plattform der Evangelikalen in die Mitte der evangelikalen Bewegung. Dieses neue Forum, das „Sammelbecken der Evangelikalen“, konzentrierte seine Wirkungsfelder weniger auf Abgrenzungsstrategien, sowohl der Welt, der Kirche oder anderen evangelikalen Strömungen gegenüber, sondern auf den evangelistischen Einsatz – der schon in der Organisation der Billy-Graham-Evangelisationen in den 1950er und 1960er Jahren deutlich zum Ausdruck gekommen war –, der letztlich zu einer missionarisch-evangelistischen Identität der DEA führte. Nahezu als Symbol dieser Entwicklung kann der von der DEA protegierte Evangelist Ulrich Parzany gelten, der seit der 1993 676
SCHEFFBUCH, Parallelstrukturen, 14. Vgl. die gesammelten Pressestimmen und Zeitungsausschnitte in der Akte LKAS K2, Nr. 110; zu den „Parallelstrukturen“ auch BUSCH, Einzug, 130–132. 677
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Evangelikale Ausdifferenzierung 1980 bis 1989
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erstmalig abgehaltenen Großveranstaltung „ProChrist“ als einer der führenden Evangelisten Deutschlands angesehen werden kann. Parzanys Verkündigung ist durchaus zentral auf Bekehrung und „Übergabe des Lebens an Christus“ ausgerichtet, ohne dabei aber die alltäglichen und gesellschaftspolitischen Belange und Probleme seiner Zuhörer aus den Augen zu verlieren, was ihn auch die Definition „linker Evangelikaler“ eintrug. Die Zusammenarbeit mit den Kirchenleitungen und der EKD ist bis heute im evangelistischen Bereich teilweise sehr eng.678 Allerdings muss hinsichtlich des „Sammelbeckens der Evangelikalen“ in Form der DEA davon ausgegangen werden, dass die evangelikale Bewegung mehr Facetten umfasst, als die DEA repräsentiert, wie im Übrigen auch die DEA nicht nur eine evangelikale Vereinigung darstellt. Die evangelikalen Trägergruppen werden durch eine genuine Gründung der DEA, den „Informationsdienst der Evangelischen Allianz“, „idea“, in die evangelikale Bewegung eingebunden, und zwar durch ihre mediale Präsenz in „idea“. Im Prinzip unterstützte „idea“ nicht nur den „Aufbruch“ der DEA in den 1980er Jahren hin zu einem modernen Evangelisations- und Missionsverständnis, sondern wehrte die absehbare Zersplitterung der evangelikalen Bewegung ab. Die Arbeit und Wirkung von „idea“ kann in ihrer Bedeutung für den deutschen Evangelikalismus seit Ende der 1970er Jahre kaum überschätzt werden, da hier erstmalig in der Geschichte der evangelikalen Bewegung eine Bündelung der inhomogenen Gruppenbildungen erzielt wurde, die nicht auf der Anziehungskraft einzelner herausragender Persönlichkeiten beruhte, sondern auf der Darstellung durchaus disparater evangelikaler Anliegen in einem gemeinsamen Pressemedium, sprich durch das Setzen und das Zusammenführen von evangelikalen Themen. Damit blieb einerseits der Pluralismus in der evangelikalen Bewegung erhalten, der nötig war, um die Bewegung nicht in eine Erstarrung zu führen, andererseits bildete sich hier ein verbindendes Organ der evangelikalen Bewegung in der Form einer „Dachorganisation“ heraus.
678 Im Nachgang zu „ProChrist“ im Jahr 2000 vermeldeten die Veranstalter, dass über 650 landeskirchliche Gemeinden und über 450 landeskirchliche Gemeinschaften an dem Projekt mitgearbeitet hätten. Damit wäre „ProChrist“ 2000 zu etwa 55% durch landeskirchliche Gemeinden und Gruppen repräsentiert worden, vgl. Brief an die Kirchenleitung der Evangelischen Kirche der Pfalz, Herrn Eberhard Cherdron, von ProChrist e. V., Geschäftsstelle, gez. Frieder Trommer, vom 21. 6. 2000. Computerschriftl., 2 S., hier 1 (ZASP Registratur Landeskirchenrat 502/14 [4]). „ProChrist“ 2000 war von den Landeskirchen nach Umlageverteilungsmaßstab der EKD mit insgesamt 500 000 DM unterstützt worden, vgl. Auszug aus der Niederschrift über die Sitzung des Finanzbeirates der EKD am 5. September 2001 in Hannover. Computerschriftl., 2 S., hier 1 (ZASP Registratur Landeskirchenrat 502/14 [4]).
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Die evangelikale Bewegung im Konflikt mit den Landeskirchen
6.4.3 Der „Informationsdienst der Evangelischen Allianz“ 1970 wurde der „Informationsdienst der evangelischen Allianz“ gegründet, im selben Jahr wie ein anderes Forum der evangelikalen Bewegung: die KBG. Die jeweilige Stoßrichtung ähnelte sich in der Bündelung der evangelikalen Bewegung, allerdings wurde dieses Anliegen völlig verschieden umgesetzt. Laut Fritz Laubach und Friedhelm Jung war ausschlaggebend für die Gründung von „idea“ Billy Grahams Großevangelisation „Euro `70“ im April 1970, als ein Informationsdienst für die an der „Euro `70“ beteiligten evangelikalen Gruppen installiert werden sollte.679 Die Anfänge des Informationsdienstes waren recht bescheiden: „idea“ erschien zunächst als Pressedienst – in ähnlicher Aufmachung wie der „Evangelische Pressedienst“ epd – in unregelmäßigen Abständen, ein bis dreimal wöchentlich. Leitendes Gremium ist der Vorstand von „idea“, dessen Vorsitzender lange Jahre Horst Marquardt war. Seit 1978 arbeitete Helmut Matthies als Chefredakteur bei „idea“. Erst 1974 wurde ein hauptamtlicher Redakteur berufen, 1977 der zweite. Am Rande sei hier erwähnt, dass 1975 die „Konferenz evangelikaler Publizisten“ (KeP) gegründet worden war, die dem innerevangelikalen Informationsfluss dienen und die Arbeit der Zeitschriften untereinander koordinierten sollte.680 Relativ rasch erschien der Pressedienst von „idea“ auch auf Englisch und fasste die wichtigsten deutschen evangelikalen Meldungen für das Ausland zusammen. Hinzu kamen die etwa monatlich erscheinenden Themenhefte von „ideaDokumentation“. Seit 1979 erschien einmal wöchentlich „ideaSpektrum“, die Zeitschrift, die sich inzwischen als führendes evangelikales Periodikum etabliert hat. Schon 1981 wurde „ideaSpektrum“ von über 4 000 Lesern regelmäßig bezogen. Die Zeitschrift konnte sehr rasch ihre Monopolstellung auf dem evangelikalen Zeitschriftenmarkt erobern und festigen.681 1978 legte das Institut für Kommunikationsforschung in München, bei dem der epd eine vergleichende Inhaltsanalyse von epd und „idea“ in Auftrag gegeben hatte, dar, für „idea“ sei signifikant, dass man mit christlichen Glaubensinhalten auf die gesamte Gesellschaft einwirken wolle. Das gehe „ganz offensichtlich“ mit einer kritischen Kommentierung des gesellschaftlichen, d. h. politischen und sozialen Engagements der Kirche einher.682
679 680 681 682
LAUBACH, Aufbruch, 85; JUNG, Die deutsche Evangelikale Bewegung, 39. DURTH, Presse, 14f. EBD., 32f. EBD., 34.
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Evangelikale Ausdifferenzierung 1980 bis 1989
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Hier lassen sich bereits zwei veränderte Ansätze evangelikalen Engagements gegenüber den Zielen der evangelikalen Bewegung, wie sie sich um den Bethelkreis und die B KAE sammelte, erkennen: Zum einen ist dies die Intention, auf die „Gesellschaft“ einzuwirken und nicht auf die „gläubige Gemeinde“. Diese Zielrichtung ist zwar hinsichtlich ihres Effektes zu hinterfragen, denn letztlich bestand der Leserkreis von „idea“ auch aus der „gläubigen Gemeinde“,683 aber trotzdem markiert der Blick über die landeskirchliche und freikirchliche Klientel hinaus zu dieser Zeit eine nuanciert von der B KAE abweichende Haltung. Zum zweiten zeigte das Ergebnis der Analyse des Münchner Instituts für Kommunikationsforschung, dass mit „idea“ der Kirche zwar die „kritische Kommentierung“ als ein Signum der evangelikalen Bewegung erhalten blieb, aber die Kritik bezog sich hier auf „soziale und politische“ Aspekte. Zu dem Zeitpunkt der Untersuchung 1978 stand „idea“ gegenüber dem epd bzw. dem „Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik“ (GEP) noch unter starkem Konkurrenzdruck und versuchte, allerdings erfolglos, bei den Kirchenleitungen eine gleichwertige finanzielle Unterstützung wie sie der epd erhielt, zu erreichen.684 Da dies nicht gelang, mußte „idea“ relativ rasch nach Installation von „ideaSpektrum“ Werbeanzeigen in die Zeitschrift aufnehmen. Der größte Teil der benötigten Gelder für „idea“ wurde durch Spenden aufgebracht. Im Dezember 1981 fand in Wetzlar eine Tagung zum Thema „Neue Medien – neue evangelistische Akzente“ statt, die der Vernetzung von Evangelisten und dem Evangeliumsrundfunk diente.685 Der Evangeliumsrundfunk, heute „ERF Medien e. V.“ mit dem eigenen Fernsehsender „ERF eins“, wurde 1959 als Rundfunkanstalt der DEA in Wetzlar gegründet. Seine Nachrichten und Botschaften stehen der evangelikalen Bewegung nahe. In den Räumen des Evangeliumsrundfunks in Wetzlar war seit seiner Gründung 1970 auch „idea“ ansässig. Im Dezember 1981 wurde der Trägerkreis von „idea“ auf 31 Mitglieder aus dem Bereich führender Persönlichkeiten der Publizistik erweitert und damit der Bekanntheitsgrad erhöht und die Arbeit ausgebaut. Der Anspruch von „idea“, so hieß es in einem Bericht von Helmut Matthies Ende 1981, sei ein dreifacher: Erstens die dezidierte Darstellung missionarisch-evangelistischer und sozial-diakonischer Aktivitäten von Christen, zweitens die „Teilnahme am prophetischen Auftrag der Kirche, indem man bei der Deutung der ‚Zeichen der Zeit‘ mithelfen möchte“ und drittens das Eintreten „für die christlichen Personen und Gruppen, [. . .], für die tatsächlich auch niemand eintritt“. Außerdem habe 683 684 685
EBD., 47. Zu verschiedenen Gesprächen diesbezüglich vgl. EBD., 17–23. EVANGELISTEN KRITISIEREN KIRCHE.
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Die evangelikale Bewegung im Konflikt mit den Landeskirchen
„idea“ eine dreifache Brückenfunktion, und zwar zwischen den Evangelikalen, dann zwischen den Evangelikalen und „Gruppen außerhalb dieses Raumes“ und darüber hinaus zwischen „Landes- und Freikirchlern“.686 Das Bewusstsein für die Bedeutung der Massenkommunikationsmittel und daraus folgend der Bedeutung einer Zeitschrift wie „ideaSpektrum“ entstand in der evangelikalen Bewegung erst langsam. „idea“ kann zu recht mit Rüdiger Durth als „evangelikales Flaggschiff“ bezeichnet werden – ohne andere evangelikale Publizistik der Zeit zu unterschätzen.687 Nicht nur, dass hier erstmalig der Versuch unternommen wurde, ein eigenes Organ in Konkurrenz zur kirchlichen Presse zu gründen, da man sich von epd und kirchlichen Zeitungen entweder falsch beurteilt oder durch das Aussparen wichtiger Nachrichten falsch informiert sah. Bedeutsam war, wie gesagt, die Aufgabe der Homogenisierung der evangelikalen Bewegung, als sie durch ihren internen Pluralismus zu zersplittern drohte. „idea“, so scheint es, stand damit für das gelungene Konzept der EA: der überkonfessionellen Zusammenführung „bibeltreuer“ Christen. Dabei ist jedoch zu beachten, dass „ideaSpektrum“ wie jede andere Zeitschrift als Multiplikator spezieller und nicht als Adaptionsmedium der gängigen Meinungen „an der Basis“ wirkte. Die Monopolstellung, die die Zeitschrift inne hatte und an die bis heute keine andere evangelikale Zeitschrift heranreicht, ermöglichte es den Herausgebern, eine sowohl vereinheitlichende als auch polarisierende Berichterstattung zu präsentieren. D. h. einerseits bot „ideaSpektrum“ sowohl für den evangelikalen Raum als auch für außen stehende Leser den Eindruck einer relativ homogenen evangelikalen Landschaft, andererseits konnten Nachrichten konkurrenzlos und durchaus im Sinne moderner Medienberichterstattung simplifizierend zugespitzt und damit polarisierend platziert werden. Evangelikale Angriffe auf „idea“, z. B. wegen der „radikalisierenden“ Berichterstattung, blieben, da sie keine mediale Alternative hatten, zum Teil hinter den Kulissen verborgen, wobei nicht unterschlagen werden soll, dass durchaus kritische Leserbriefe in „idea“ abgedruckt wurden. Auch in der „idea“Redaktion, so interne Dokumente, fühlte man sich stets „zwischen den Stühlen sitzend“.688 Aber im Sinne der Medienkultur betrieb „idea“ ebenso Meinungs686
DANKBAR FÜR POSITIVE PUBLIZISTISCHE ENTWICKLUNG. DURTH, Presse, 32. Zur weiteren evangelikalen Publikationsorganen vgl. EBD., 63–155. 688 In dem Jahresbericht 1986/87 äußerte Chefredakteur Helmut Matthies, der Leserkreis habe sich im Berichtszeitraum vergrößert, nicht weil die DEA oder die Evangelikalen mehr Anhänger gewonnen hätten, sondern weil die Berichterstattung „bei aller Deutlichkeit des Standpunktes fair und ausgewogen“ sei. Dagegen wäre „idea“ von rechter Seite (z. B. von Klaus Schmidt, der 1982 aus der Evangelisch-Methodistischen Kirche austrat und in Crailsheim eine unabhängige evangelische Gemeinde aufbaute, und Wolfgang Zöllner in der unabhängigen Zeitschrift für bibeltreue Christen „Wir Evangelikalen“) wegen der „Kirchenfreundlichkeit“ und „bie687
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Evangelikale Ausdifferenzierung 1980 bis 1989
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bildung wie Meinungsabbildung und stellte damit ein Medium dar, das nicht mehr nur personell in der evangelikalen Bewegung verankert war, sondern über die Trägerkreise der Bewegung in den virtuellen Raum des Diskurses vorstieß, der nicht mehr auf der Ebene der soziologischen Größen „Gruppe“ und „Strömung“ festgemacht werden kann, sondern eine eigene Themendimension entfaltet. Der evangelikale Diskurs wurde seitens der Evangelikalen also stark von „idea“ getragen und beeinflusst. Das bedeutet nicht, dass die evangelikale Basis in diesem Diskurs zu Wort kam oder sich in diesem Diskurs von „idea“ in Gänze vertreten sah. Das Paradoxe dieser Situation ist, dass auch in diesem Falle gleichzeitig zu einer existenten disparaten Gemengelage im evangelikalen Lager eine Homogenität der Evangelikalen auf der Ebene des Diskurses inszeniert wurde, die den Eindruck einer homogenen Gruppe, nämlich die der Evangelikalen, hervorrief, der wiederum als Einheitsparadigma an der Basis wirkte. Der Grad an Definitionsmacht von „idea“ innerhalb der evangelikalen Bewegung über den deutschen Evangelikalismus wurde im Laufe der 1980er so deutlich, dass sich z. B. Roger Busch in seiner im WS 1993/94 verteidigten Dissertation explizit dagegen verwehrte, unter wissenschaftlichem Gesichtspunkt dasjenige als „evangelikal“ zu definieren, was „ideaSpektrum“ als „evangelikal“ bezeichne.689 Für die Landeskirchenleitungen wurde mit der Entfaltung der Medienarbeit der DEA der Konflikt mit den Evangelikalen doppelbödig. Zum ersten gab es nach wie vor die „traditionellen“ Auseinandersetzungen mit evangelikalen Vertretern in den Landeskirchen, die Äußerungen von prominenten Landeskirchenvertretern kritisierten. Zum zweiten aber entwickelte sich ein neues mediales Szenario: Mancher Bischof oder Vertreter von kirchlichen Organisationen oder Gremien fand sich mit punktuellen und themenbezogenen kritischen Äußerungen zur kirchlichen Situation, zu Entscheidungen der EKD usw. in „ideaSpektrum“, der evangelikalen Zeitschrift, zitiert. Eine positive Aufnahme solcher landeskirchlichen Kritik in den Kanon der evangelikalen Kritik konnte ebenso verwirrend wirken wie die scharfen evangelikalen Verwerfungen der Basisgruppen und forderte dann wiederum zu Stellungnahmen und Bezugnahmen zur evangelikalen Bewegung heraus. Zentral für diese Entwicklungen in den 1980er Jahren ist die Feststellung, dass sich mit „idea“ der evangelikale Diskurs entfaltete.
deren Kirchlichkeit“ des Informationsdienstes massiv kritisiert worden (Matthies, Helmut: Bericht des idea-Leiters für die Vorstands- und Vereinssitzung am 27. April 1987 in Wetzlar, Berichtszeitraum: 2. April 1986 bis 22. April 1987. Maschinenschriftl., 5 S., hier 2 [AEGGK, DEA II]). 689 BUSCH, Einzug, 100
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Die evangelikale Bewegung im Konflikt mit den Landeskirchen
6.4.4 Die Entwicklungen im Gnadauer Verband Der zweite größte Trägerverband der evangelikalen Bewegung, der Gnadauer Verband, veränderte in den 1980er Jahren ebenfalls seine Position innerhalb der Bewegung. Ein grundsätzliches Problem war zu Beginn der 1980er Jahre für den Verband der offenkundige Verlust im Sektor der Jugendarbeit und der drohende Nachwuchsmangel, und zwar offenbar trotzdem mit dem EC der Gemeinschaftsbewegung ein Jugendbund direkt angegliedert war. Seit Ende der 1960er Jahre wurde auf Vorstandssitzungen das Thema des fehlenden Nachwuchses angeschnitten,690 aber letztlich keine Konsequenzen daraus gezogen. Vom 22. bis 25. Oktober 1981 lud der Vorstand des Gnadauer Verbandes zum bis zu dem Zeitpunkt größten Mitarbeiterkongress des Verbandes ein, auf dem unter dem Thema „Schritte zur Mitte“ die junge Generation mit der älteren „ins Gespräch gebracht“ werden sollte. Es habe sich, so die Motivation zu diesem Schritt, innerhalb des Verbandes „eine gewisse Erstarrung bemerkbar“ gemacht.691 Auf der Pfingstkonferenz des Gnadauer Verbandes ein halbes Jahr zuvor in Siegen hatte Kurt Heimbucher als Präses des Verbandes eine nahezu revolutionäre Rede gehalten. Er setzte sich darin für eine „umfassende Erneuerung des deutschen Pietismus“ ein. Der Pietismus solle sich, so Heimbucher, wieder mehr dem Vorbild seiner Väter im 18. Jahrhundert annähern und „offensiv seine Weltverantwortung auf allen Ebenen wahrnehmen“. Von jedweder „Duckmäuserei“ sei Abstand zu nehmen. Besonders auf den Gebieten der Evangelisation, Schule, Erziehung, Umwelt und Diakonie müsse der Pietismus neue Wege finden, um Menschen auf zeitgemäße Art und Weise, in Wort und Tat, Jesus Christus, die „größte Nachricht der Welt“, nahezubringen und mit „charmanten Offensivgeist“ gegen Angst und Pessimismus, mit der Botschaft von der Hoffnung, die in Jesus Christus begründet sei, angegangen werden. Diese Botschaft könne nur mit „natürlicher Menschlichkeit, die den anderen ernst nimmt“, verbreitet werden.692 Klaus Bockmühl forderte in einem der Hauptreferate der Pfingstkonferenz Spiritualität als „unabdingbar für jede Erneuerung“ ein. Im deutschen Pietismus sei wie im Protestantismus überhaupt „die Geistvergessenheit groß“, so Bockmühl weiter.693
690 691 692 693
PASCHKO, Gnadau 1945, 64f. EKD-RATSVORSITZENDER LOHSE. FÜR EINE UMFASSENDE ERNEUERUNG, 1. EBD., 2.
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Für die Rede vom „charmanten Offensivgeist“, den der Pietismus entwickeln müsse, wurde Heimbucher massiv kritisiert, und zwar bis heute.694 Nahezu parallel äußerte sich der Präses des Gnadauer Verbandes in einem Interview von „idea“, „Pietismus“ sei das Wort, das dem Verband seine Tradition gebe, nicht „evangelikal“, das viele Pietisten ablehnten.695 Spätestens hier zeigte sich eine Wende im Selbstverständnis und in der Ausrichtung des Verbandes. Die Neuorientierung war unter anderem dadurch bestimmt, dass zunehmend Konflikte mit der B KAE auftraten bzw. im Zusammenschluss der KBG. Außerdem geriet die Gemeinschaftsbewegung in den 1970er, 1980er Jahren punktuell immer wieder in Auseinandersetzung mit pfingstlerischen und charismatischen Personen und Gruppen, deren Impulse meist vom nordamerikanischen Raum ausgingen. Dieses Konfliktfeld, so der Generalsekretär des Gnadauer Verbandes Theo Schneider, wurde seitens der Kirchenleitungen kaum wahrgenommen.696 Auch der Gnadauer Verband begann sich stark zu pluralisieren. Die angeschlossenen Verbände differenzierten sich zunehmend gegeneinander aus. Sowohl diesem Pluralismus als auch dem Mitgliederschwund versuchte man mit Zusammenschlüssen zu regionalen Großverbänden entgegen zu wirken. Thema bei der Ausdifferenzierung innerhalb des Verbandes war auch die Haltung der Gemeinschaftsbewegung zur Kirche, da Teile des Gnadauer Verbandes in den freikirchlichen Bereich abzudriften drohten. Der Gnadauer Verband und sein Verhältnis zur evangelischen Kirche Im Februar 1976 hatte die Mitgliederversammlung des Gnadauer Verbandes ein „Wort zu Kirche und Gemeinschaft“ verabschiedet, in dem die Stellung des Verbandes gegenüber der Kirche zusammengefasst wurde. In acht Punkten hieß es darin, die Gemeinschaftsbewegung wisse sich von Gott in die Volkskirche gestellt mit der Aufgabe, in den Landeskirchen „die biblischen Erkenntnisse der
694 In der fundamentalismusfreundlichen Zeitschrift Lothar Gassmanns „Der schmale Weg“ kritisierte 2009 der ehemalige Bielefelder Prediger und Mitglied der Arbeitsgemeinschaft „Bekennende Kirche“ Hermann Geller, schon der „frühere Vorsitzende des Gnadauer Gemeinschaftsverbandes, Pfr. Kurt Heimbucher, sprach [. . .] von einem ‚charmanten Evangelium‘. Dazu bemerkt Pastor August Spreen [. . .]: ‚Ich kann nur fragen: Hatte Paulus etwa ein zu predigen? Oder die Propheten Jeremia, Hosea und Amos?“ (GELLER, Druck, 26). Dagegen nahm 2009 auf der Jahresversammlung der Ludwig-Hofacker-Vereinigung der Vorsitzende Ralf Albrecht den Terminus auf und plädierte für eine „Charme-Offensive des Pietismus“ angesichts der Unkenntnis pietistischer Anliegen unter der Bevölkerung („WIR WOLLEN EINE CHARME-OFFENSIVE“). 695 EKD-RATSVORSITZENDER LOHSE, 1. 696 Gespräch mit Theo Schneider am 28. August 2008.
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Die evangelikale Bewegung im Konflikt mit den Landeskirchen
Reformation lebendig zu erhalten“697, beanspruche für ihr „mannigfache[s] Leben“, da sie keine Freikirche sein wolle, „freien Raum innerhalb der Kirche“ und wolle durch die besonderen Aufgaben der Bewegung, nämlich die Gemeinschaftspflege und Evangelisation, in der Kirche an Aufgaben der Mission, Evangelisation, Diakonie und dem Gemeindeaufbau mithelfen. Man sei keinen kirchlichen Amtsträgern und Behörden unterstellt, suche aber das „vertrauensvolle Miteinander“ und sei dankbar für Gespräche mit Vertretern der Kirchenleitungen und der EKD sowie die Zusammenarbeit auf örtlicher Ebene. Der Verband gebe keine allgemeine Antwort auf die Frage, ob Gemeinschaftsmitglieder auch in Kirchengemeinden mitarbeiten sollten – das hänge von der Lage in den einzelnen Gemeinden und Landeskirchen ab. Jeder müsse hier „nach Prüfung vor dem Herrn und nach Rücksprache mit den Geschwistern eine persönliche Entscheidung treffen.“698 Weiter hieß es, der Bestand der Landeskirchen sei auf Grund des Pluralismus, „durch den biblische und unbiblische Lehren und Lebenspraktiken gleichberechtigt nebeneinander gestellt werden“, ernsthaft bedroht. Von daher sei die „Gemeinschaftsbewegung zum priesterlichen Dienst der Fürbitte und zu demütiger, verantwortungsbewusster Wahrnehmung des Wächteramtes in der Kirche gerufen. Wir erheben mahnend unsere Stimme sowohl gegen eine vom Zeitgeist bestimmte Theologie und Verkündigung als auch gegen ein schwärmerisches Christentum, soweit es sich in unserer Kirche und unter uns ausbreitet.“699 Die „bedrückende Lage in manchen volkskirchlichen Gemeinden“ führe die Bewegung zu der Überlegung, ob nicht „aus seelsorgerlicher Verantwortung“ von Vertretern der Gemeinschaftsbewegung „stellvertretende Dienste“, z. B. im Religions- und Konfirmandenunterricht oder bei den Kasualien, übernommen werden sollten. Mit „wachsender Sorge“ sehe man die Ökumenebestrebungen der evangelischen Kirche in Deutschland in ihrem Verhältnis zur römisch-katholischen Kirche und zum ÖRK. Bei Spannungen und Schwierigkeiten vor Ort mit Pfarrern und Gemeinden bitte die Gnadauer Verbandsleitung seine angeschlossenen Verbände und Werke, ihm das mitzuteilen, damit diese Probleme mit den verantwortlichen kirchlichen Stellen besprochen und bereinigt werden könnten.700 Seit 1975 hatte es in regelmäßigen Abständen Gespräche mit Vertretern des Rates der EKD und dem Vorstand des Gnadauer Verbandes gegeben, in denen es vor allem um die Frage der Abendmahlsfeiern in den Gemeinschaften 697 Kirche und Gemeinschaft. Hattingen, 12. 2. 1976. Gedruckt, 2 S., hier 1 (LLKA Dt 234– 30, Bd. 3). 698 EBD., 1. 699 EBD., 1f. 700 EBD., 2
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Evangelikale Ausdifferenzierung 1980 bis 1989
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ging.701 Damit knüpften diese Treffen an die um 1950 in die Bultmanndebatte übergegangenen „Gespräche zwischen Gemeinschaftsbewegung/Pietismus und Kirche“ an.702 Es stellte sich erneut, wie schon in den 1950er Jahren, auf praktischer Ebene die Frage, inwiefern es Vertretern der Gemeinschaftsbewegung kirchlicherseits gestattet wurde bzw. gestattet werden sollte, einen „stellvertretenden Dienst“ bei Amtshandlungen, aber auch beim Spenden der Sakramente auszuüben. Eine Darstellung der zeitgenössischen Situation bot 1980 bei einem Gespräch der hessen-nassauischen Kirchenleitung mit Gemeinschaftsvertretern der Prediger des Bezirkes Dillenburg, Eberhard Hadem. Drei „bedrängende[. . .] Schwierigkeiten“ kennzeichneten, so Hadem, die Lage: erstens seien „viele Prediger, und gerade sehr qualifizierte, verkirchlicht worden“, zweitens hätten viele Prediger Schwierigkeiten damit, ihren Status zu bestimmen: seien sie nun Gemeinschaftspfleger, Stundenhalter, Hirten, Evangelisten oder Unterstützer des Pfarrers? Und drittens herrsche zwischen der Situation auf dem Land und der Stadt ein eklatanter Unterschied: Während die Gemeinschaftsverbände in den Städten viele „der Kirche Entfremdete“ sammle und ihnen alternativ das biete, was auch die Kirche anbieten würde, z. B. Taufe, Konfirmation oder Trauung, sei die Situation auf dem Lande stärker von Separation und Konfrontation geprägt: Die „Kollisionen“ von landeskirchlichen Gemeinschaften mit den Ortsgemeinden seien stärker ausgeprägt als in den Städten. Hier stünde die Gemeinschaftsbewegung vor dem Problem, dass ihre Mitglieder in Freikirchen abwandern würden, wenn die Gemeinschaftsbewegung nicht mit „eigenen Gemeindeformen“ Distanz zur Kirche halte.703 Auf der Vollkonferenz der Arnoldshainer Konferenz am 16. Oktober 1980 wurde, angeregt durch die Kirchenleitung der kurhessen-waldeckschen Landeskirche, über die Situation der landeskirchlichen Arbeit vor Ort gesprochen und eine „Ausweitung der Tätigkeit der landeskirchlichen Gemeinschaften“ festgestellt. Es ließe sich beobachten, „daß landeskirchliche Gemeinschaften inzwischen auf fast allen kirchlichen Handlungsfeldern (von den Amtshandlungen bis zur Öffentlichkeitsarbeit) tätig geworden sind. Dabei erwarten sie an manchen Orten, daß die durch Gemeinschaftsprediger vorgenommenen Handlun-
701 Briefkopie der Evangelischen Kirche von Westfalen, das Landeskirchenamt, gez. H[erbert] Demmer, an die Arnoldshainer Konferenz, Herrn OKR Dr. [Alfred] Burgsmüller, vom 7. 1. 1981. Maschinenschriftl., 1 S. (LLKA Dt 234–30, Bd. 2). 702 Zu den „Gesprächen zwischen Gemeinschaftsbewegung/Pietismus und Kirche“ vgl. die ausführliche Darstellung in Kap. 3. 1. 5. 703 [Kopie:] Einige Erinnerungen an das Gespräch mit Vertretern der Gemeinschaftsverbände in Hessen und der Leitung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau am 28. März 1980, Bad Nauheim. O. U., o. D. Maschinenschriftl., 2 S., hier 1 (LLKA Dt 234–30, Bd. 2).
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gen in die entsprechenden kirchlichen Register eingetragen werden.“704 Auch das Predigeramt solle mit dem erwarteten Recht „zur selbständigen Verwaltung des Abendmahls“ kirchliche Anerkennung finden. Die Vollkonferenz kam zu dem Schluss, es sei dringend geboten, dass die Landeskirchen einheitlich reagierten und berief für Januar 1981 die zuständigen Referenten der angeschlossenen Kirchen zu einer gemeinsamen Beratung ein. Auf dieser Tagung wurden erstmals Erfahrungsberichte der einzelnen Landeskirchen zusammengetragen, die ein äußerst differenziertes Bild ergaben.705 In einigen Landeskirchen war es durch Sondergenehmigungen einzelnen Predigern gestattet, Amtshandlungen vorzunehmen. In anderen waren bereits diesbezügliche reguläre Vereinbarungen getroffen worden. In wieder anderen Landeskirchen waren die Gespräche mit den landeskirchlichen Gemeinschaften abgebrochen worden, weil Gemeinschaften unerlaubt Amtshandlungen bis hin zur Ordination vornahmen. Besonders problematisch gestaltete sich die Beziehung zwischen Landeskirchenleitung und Gemeinschaften in Baden und Württemberg hinsichtlich der Liebenzeller Mission und in Lippe im Blick auf die „Evangelische Gesellschaft“.706 Mit anderen Gemeinschaftsverbänden herrschte dagegen auch in diesen Landeskirchen ein gutes Verhältnis. Die Beziehung vor Ort werde, so die meisten Aussagen, von den Persönlichkeiten der Prediger und Pfarrer geprägt. Auf der Basis dieser Darstellungen, die deutlich machten, dass es auch unter den einzelnen Landeskirchen nicht in absehbarer Zeit zu einem übereinstimmenden Handeln kommen würde, beschloss die Arnoldshainer Konferenz weitere Gespräche in den Landeskirchen mit den Gemeinschaften und regte an, der Rat der EKD solle seinerseits die Gespräche wieder aufnehmen und zu einer einheitlichen Regelung kommen. Das Ziel solcher Besprechungen müsse unter anderem sein, „als Kirche den Gemeinschaften zu helfen, ihre Identität neu zu finden und zu bewahren.“707 704 Rundbrief der Arnoldshainer Konferenz, Geschäftsstelle, gez. OKR [Alfred] Burgsmüller, an die in der Arnoldshainer Konferenz vertretenen Kirchenleitungen (einschließlich Gastkirche Württemberg und reformiertes Moderamen) vom 27. 11. 1980. Maschinenschriftl., vervielf., 2 S., hier 1 (LKA KA GA 11029). 705 Arnoldshainer Konferenz – Geschäftsstelle – Niederschrift über die Sitzung am 21. Januar 1981 in Berlin, gez. Dr. [Alfred] Burgsmüller. Maschinenschriftl., 9 S. (LKA KA GA 11029). 706 Ähnliche Probleme mit der „Evangelischen Gesellschaft“ zeigten sich in der rheinischen Landeskirche, wie aus der Antwort der Kirchenleitung auf die Umfrage der Arnoldshainer Konferenz hervorgeht (Briefkopie der Evangelischen Kirche im Rheinland – das Landeskirchenamt –, gez. Stephan an Herrn OKR Dr. A[lfred] Burgsmüller vom 18. 5. 1981. Maschinenschriftl., 2 S. [LLKA Dt 234–30, Bd. 2]). 707 Tagung der in der Arnoldshainer Konferenz vertretenen Kirchenleitungen einschließlich Gastkirche Württemberg und Reformiertes Moderamen. Berlin, 21. Januar 1981, gez. Klaus Bender, 22. 1. 1981. Maschinenschriftl., 3 S., hier 3 (LKA KA GA 11029).
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Evangelikale Ausdifferenzierung 1980 bis 1989
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Am 18. Februar erging seitens der Geschäftsstelle der Arnoldshainer Konferenz ein Schreiben an alle Landeskirchen mit der Bitte um Darstellung des Verhältnisses der Landeskirche zu ihren Gemeinschaften, und der Frage, wie die Übernahme von Aufgaben wie Kasualien durch Gemeinschaftsvertreter geregelt sei. Das Bild, welches sich durch die eingehenden Antworten ergab, war noch vielfältiger, als es sich auf der Tagung im Januar abgezeichnet hatte.708 In der unsystematischen Gemengelage stachen die nordelbische und die bayerische Landeskirche hervor, die überhaupt eine formale Regelung auf Grund gemeinsamer Erklärungen und Beschlüsse mit den Gemeinschaftsvertretern in ihren Kirchen vorweisen konnten, wobei Nordelbien den Gemeinschaften die meisten Rechte einräumte: Amtshandlungen durch Gemeinschaftsprediger durften stattfinden und Abendmahlsfeiern der Gemeinschaften waren anerkannt. In Ausnahmefällen erfolgte diese Anerkennung auch in der lippischen und bayerischen Landeskirche, wohingegen sich z. B. Württemberg stark dagegen verwahrte, Kasualien in die Hände von Predigern zu legen. Während die Kirchenkanzlei der EKD mit den Materialien der Arnoldshainer Konferenz die Wiederaufnahme des Gespräches zwischen dem Rat der EKD und dem Vorstand des Gnadauer Verbandes vorbereitete, beschäftigte sich auch der Vorstand des Gnadauer Verbandes in zwei Klausurtagungen 1980 und 1981 mit seinem Verhältnis zu der evangelischen Kirche und lud für den 14. und 15. Juni 1982 die Leitungen von Landeskirchen, auf deren Gebiet die Gemeinschaftsverbände tätig waren, zu einer Klausurtagung ein.709 Diese Tagung im Sommer 1982 bewirkte, wie der teilnehmende lippische Superintendent Walter Stock in seinem Bericht an seine Landeskirchenleitung vermeldete, eine „erhebliche Vertrauensbildung“710. Zur Sprache kam unter anderem die starke Irritation und Verunsicherung in Teilen der Gemeinschaftsbewegung durch „bibelkritische Arbeit (Reizwort ‚Bultmann‘)“ und durch den „Einzug der sogenannten Humanwissenschaften im Bereich der Kirche“. Biblische Begriffe wie „Bekehrung“ und „Heiligung“ würden in der kirchlichen Verkündigung teilweise gar nicht mehr verwendet, dafür aber „Umweltschutz“ und
708
Vgl. diverse Schreiben in Akte LLKA Dt 234–30, Bd. 2. Brief des Deutschen Verbandes für Gemeinschaftspflege und Evangelisation (Gnadauer Verband) e. V., gez. Kurt Heimbucher, an die Leitung der Evangelischen Landeskirche in Baden, z. Hd. Herrn Landesbischof Prof. Dr. [Klaus] Engelhardt, vom 9. 7. 1981. Maschinenschriftl., 2 S. (LKA KA GA 11029). 710 Brief von Walter Stock, Superintendent, an Landessuperintendent Dr. [Ako] Haarbeck, Kirchenrat Dr. [Herbert] Ehnes, Lippisches Landeskirchenamt, Betr.: Bericht von der Klausurtagung Landeskirchen – Gnadauer Gemeinschaftsverband am 14. und 15. Juni 1982 in Marburg vom 18. 6. 1982. Maschinenschriftl., vervielf., 5 S., hier 4 (LLKA Dt 234–30, Bd. 3). 709
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Die evangelikale Bewegung im Konflikt mit den Landeskirchen
„Friedensdienst“. „Kopf- und Halsschmerzen“, so Stock in seinem Bericht, „bereitet den Gemeinschaften auch der ‚Pluralismus‘ in den Kirchen.“711 Die nächste Klausurtagung von Vertretern der Landeskirchenleitungen und des Gnadauer Verbandes wurde für den 24. und 25. Februar 1986 anberaumt. Im Vorfeld erarbeitete die Leitung des Gnadauer Verbandes den Entwurf einer gemeinsamen Erklärung, in der eingangs hervorgehoben wurde, dass es für ein gutes Verhältnis zwischen Gemeinden und Gemeinschaften entscheidend sei, „daß die Beziehungen und das Miteinander am Ort gut sind“712. Im Folgenden wurden Empfehlungen in Bezug auf Gottesdienst, Konfirmandenunterricht, Evangelisation, Abendmahl, Taufe und Amtshandlungen ausgesprochen: In der Zeit des Gottesdienstes sollten keine Veranstaltungen der Gemeinschaften abgehalten werden, Gemeinschaftsmitgliedern müsse freigestellt werden, unter Umständen den Konfirmandenunterricht in anderen Gemeinden zu besuchen, wenn sich die gelehrten Inhalte nicht mit ihren Überzeugungen deckten, im Hinblick auf Evangelisationen sei auf Zusammenarbeit Wert zu legen, besonders mit den Volksmissionarischen Ämtern der jeweiligen Landeskirche. Darüber hinaus, so in dem Entwurf der gemeinsamen Erklärung, sollten Abendmahlsfeiern in den Gemeinschaften abgehalten werden können, Taufen dagegen dürften nur von Gemeindepfarrern vorgenommen werden, während Trauungen und Beerdigungen in Ausnahmefällen vom Gemeinschaftsprediger mit Zustimmung der Landeskirche übernommen werden dürften. Die Voraussetzung für ein Amt in den Gemeinschaften, sowohl als Mitarbeiter als auch als Prediger, sei die Mitgliedschaft in der evangelischen Kirche. Es sei ein „respektvoller“ Umgang von Pfarrern und Gemeinschaftspredigern anzustreben.713 Zu dieser gemeinsamen Erklärung kam es trotz großer Bemühungen sowohl der Vertreter des Gnadauer Verbandes als auch der EKD letztlich nicht, wobei sich die genauen Gründe nicht aus den Akten erheben lassen. Allerdings dürften die Unterschiede in der Stellung der einzelnen Landeskirchen zum Gnadauer Verband bzw. den jeweiligen Landeskirchlichen Gemeinschaften ausschlaggebend gewesen sein: Nicht allen Gliedkirchen der EKD konnte diese Erklärung „zugemutet“ werden.714 Zu einer einheitlichen, EKD-weiten Regelung kam es auch in den folgenden Jahren nicht. Aber die Bemühungen in den 711
EBD., 3. Entwurf für eine gemeinsame Erklärung der Evangelischen Kirche in Deutschland und des Gnadauer Verbandes. Maschinenschriftl., vervielf., 4 S., hier 1 (LKA KA GA 14109). 713 EBD., 2–4. 714 So diskutiert auf einer Sitzung der Hannoverschen Kirchenleitung im Juni 1986 (Auszugskopie aus der Niederschrift über die Kirchenleitungssitzung vom 25./26. 6. 1986 in Hannover, TOP 6: Gemeinsame Erklärung der EKD und des Gnadauer Verbandes. Maschinenschriftl., 1 S. [LKA Wolfenbüttel, Az.: 570.5–2088]). 712
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Evangelikale Ausdifferenzierung 1980 bis 1989
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einzelnen Landeskirchen, regionale Vereinbarungen zu treffen, waren durch diese Vorgespräche stark forciert worden. In dem 1997 vom Kirchenamt der EKD herausgegebenen Band „Kirche und Gemeinschaft. Die Vereinbarungen zwischen den Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland und den im Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverband zusammengeschlossenen Gemeinschaftsverbänden“ sind die einzelnen Dokumente dieser Gespräche und Annäherungen zusammengestellt. Die meisten gemeinsamen Erklärungen zwischen Landeskirchen und den jeweiligen Gemeinschaften in den Landeskirchen wurden Ende der 1990er Jahre verabschiedet, die früheste ist die „Ordnung für die Beauftragung zum gelegentlichen Dienst an Wort und Sakrament durch Gemeindediakone, Gemeindehelfer und kirchliche Jugendwarte vom 2. Oktober 1975“ zwischen der Evangelischen Kirche von Westfalen und dem Westfälischen Gemeinschaftsverband Lüdenscheid. Der Annahme der gemeinsamen Erklärung der EKD und des Gnadauer Verbandes stand 1986 die Pluralität der einzelnen Landeskirchen im Weg. Aber auch der Gnadauer Verband rang mit der Tatsache, dass sich die ihm angeschlossenen Verbände pluralisierten und ausdifferenzierten. Im Dezember 1987 gab Kurt Heimbucher eine Positionserklärung heraus „Der Gnadauer Verband als geistliche Bewegung in der evangelischen Kirche“. In der Einleitung des zehnseitigen Papiers hieß es: „Es möge doch auch anerkannt werden, daß ein so großer Verband, wie es der unsrige ist, sich nicht nach jeweiligen Einzelstimmen im Blick auf seinen geistlichen Kurs richten kann. Wir würden sonst einen fatalen Zick-Zack-Kurs fahren. Es gibt Grundlinien, auf die wir uns geeinigt haben und die wir auch durchhalten müssen, auch wenn solche Entscheidungen von manchen Brüdern und Schwestern im Augenblick nicht verstanden werden können. Das Positionspapier will in den Gnadauer Verbänden und Werken beachtet werden. Wer die Grenzen laufend überschreitet, die durch dieses Papier gezogen sind, kann sich nicht mehr auf Gnadau berufen.“715
Dieses Positionspapier markierte nicht nur die Aufgaben des Verbandes in Konzentration auf die „Gemeinschaftspflege und Evangelisation“, sondern bezog auch im dritten Abschnitt „Zum heutigen Verhältnis von Gemeinschaftsbewegung und Kirche“ Stellung. Es wurde festgehalten, dass die „evangelische Kirche [. . .] als Volkskirche in vielen Generationen segensreich gewirkt [hat] durch die Bezeugung des Wortes Gottes [. . .].“ Man erwarte von den Landeskirchen, dass sie „die Bindung an Schrift und Bekenntnis in Lehre und Leben in allen Bereichen ernstnehmen.“ Dazu gehöre besonders die „schriftgemäße erwecklich-seel-
715 Der Gnadauer Verband als geistliche Bewegung in der evangelischen Kirche. Dillenburg, den 6. November 1987. Maschinenschriftl., vervielf., 10 S., hier 2 (LKA KA GA 14109).
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Die evangelikale Bewegung im Konflikt mit den Landeskirchen
sorgerliche Verkündigung“, die „biblisch ausgerichtete Unterweisung und Seelsorge“, die „missionarisch gestaltete Diakonie“ sowie die „klare Weisung für das Leben nach den guten Geboten Gottes“.716 Die Gemeinschaftsbewegung verstehe sich als Erneuerungsbewegung in der Kirche, in der durch die „Neuentdeckung der Gemeinde und der Aufnahme missionarischer Aktivitäten“ eine positive Entwicklung zu verzeichnen sei, aber mit „einem starken Traditionsverfall, in zunehmenden Kirchenaustritten und in einem gefährlichen Pluralismus in Theologie und Verkündigung“ auch ein negativer Prozess im Gange sei. Demgegenüber erreiche die Gemeinschaftsbewegung Menschen, die der Kirche entfremdet seien, allerdings sei es in der Gemeinschaftsbewegung auch „mancherorts zu geistlicher Unbeweglichkeit oder einer zu starken Gewichtung hauptamtlicher Dienste“717 gekommen. In dem Positionspapier wurde außerdem auf die „notvollen Konflikte“ zwischen Gemeinschaften und Gemeinden vor Ort eingegangen, die häufig auf „schwerwiegende theologische Unterschiede“, „ein übersteigertes ‚Amtsbewußtsein‘ eines Pfarrers oder eines Predigers“ oder darauf zurückzuführen seien, dass die „missionarische Arbeit vernachlässigt oder behindert“ werde. Die Vielgestaltigkeit des Wirkens der einzelnen Gemeinschaftsverbände, so hieß es weiter in dem Gnadauer Positionspapier, sei „nicht unbegrenzt“. So verließen Gemeinschaften „den ihr von Gott angewiesenen Platz, wenn sie durch eine eigenständige Taufpraxis zu einer eigenen Kirche werden“. Die Praxis der Wiedertaufe sei im Gnadauer Verband ausgeschlossen.718 Das Positionspapier schloss mit der Feststellung: „Im Blick auf die Probleme zwischen Kirche und Gemeinschaftsbewegung darf der weite Freiraum, den die Gemeinschaftsbewegung als freies Werk zur Erfüllung ihres eigentlichen Auftrages innerhalb der evangelischen Kirche hat, nicht übersehen und nicht gering geachtet werden. Die Besinnung und Konzentration auf ‚Gemeinschaftspflege und Evangelisation‘ und die Verwirklichung des allgemeinen Priestertums der Gläubigen führt aus aller Ängstlichkeit, Konfrontationshaltung und Polemik heraus. Sie weckt neu Verantwortung für den von Gott gewiesenen innerkirchlichen Weg.“719
Das Positionspapier markierte deutlich die Richtung, in die der Gnadauer Verband sich orientierte: Ende der 1980er Jahre rückte er näher an die evangelische Kirche heran, um die Tendenzen hin zur Freikirchlichkeit in seinen eigenen Reihen abzuwehren.
716 717 718 719
EBD., 7. EBD., 8. EBD., 9. EBD., 10.
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Der Austritt des Gnadauer Verbandes aus der „Konferenz der bekennenden Gemeinschaften in Deutschland“ Parallel zu dem seit Anfang der 1980er Jahre in Gang gekommenen Prozess der Selbstverortung der Gemeinschaftsbewegung und einer Klärung des Verhältnisses zu den Landeskirchen fand die Ablösung des Verbandes von der B KAE bzw. der Austritt aus der KBG statt. Diese Trennung von der bisherigen Kerngruppe der evangelikalen Bewegung fand nahezu ohne jede öffentliche bzw. mediale Resonanz statt. Trotzdem stellte sie ein markantes Datum in der Geschichte der evangelikalen Bewegung dar, denn mit diesem Austritt verlor die KBG nicht nur ihre mitgliederstärkste Trägergruppe, sondern die in den 1980er Jahren erfolgte Umgewichtung innerhalb der Bewegung fand hier auch ihren formalen Abschluss. Im Juni 1987 teilten der Präses des Gnadauer Verbandes, Kurt Heimbucher, und der Generalsekretär, Theo Schneider, der KBG in einem ausführlichen Brief mit, dass sie der Leitung des Gandauer Verbandes demnächst den Austritt aus der KBG nahe legen würden. Im Februar 1974 habe die Mitgliederversammlung des Gnadauer Verbandes „nach längerer Aussprache mehrheitlich den Beschluß gefasst“, Mitglied der KBG zu werden. Es habe damals schon Bedenken gegenüber diesem Anschluss von älteren Mitgliedern gegeben, die darauf hinwiesen, dass im Dritten Reich Präses Walter Michaelis den Gnadauer Verband nicht korporativ der „Bekennenden Kirche“ angeschlossen habe, obwohl er deren Kurs unterstützte. Diese Bedenken hätten sich, so Heimbucher und Schneider, in den letzten Jahren in mehrerer Hinsicht verstärkt und wurden im zweiten Abschnitt des Briefes in sechs Punkten aufgezählt: „2.1. Gnadau hat seine bestimmte, von Gott ihm zugewiesene Aufgabenstellung, nämlich Gemeinschaftspflege und Evangelisation. Es bricht die Frage auf, ob eine geistliche Bewegung, die Gnadau gerne sein möchte, in eine kirchenpolitische Gruppierung hineingehören kann. 2.2. Die Konferenz bekennender Gemeinschaften ist ein sehr vielschichtiges Gebilde. In einer Reihe von Fragen wird es sehr unterschiedliche, ja gegensätzliche Positionen geben. Es bricht die Frage auf, ob eine Gruppierung Verheißung und Zukunft hat, die vorrangig im ‚Contra‘ zusammengehalten wird. Dabei verschweigen wir allerdings nicht, daß wir viele Aktivitäten im Bereich der Konferenz bekennender Gemeinschaften voll mittragen können. 2.3. Die Konferenz bekennender Gemeinschaften hat zweifellos ihre Speerspitze im theologischen Konvent. Dieser formuliert immer wieder ‚Worte‘ und ‚Erklärungen‘, die von der Konferenz bekennender Gemeinschaften unterzeichnet und damit mitverantwortet werden sollen. Diese ‚Worte‘ und ‚Erklärungen‘, die dann der Öffentlichkeit übergeben werden, sind oftmals unter einem solchen Zeitdruck verabschiedet worden, daß es nicht möglich war, sie in den eigenen Entscheidungsgremien verantwortlich durchzuberaten. Das aber führte im eigenen Bereich zu Verstimmungen und Verärgerungen. 2.4. Die Vielfalt der Aufgaben im eigenen Bereich und die uns ständig neu zuwachsenden
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Die evangelikale Bewegung im Konflikt mit den Landeskirchen
Aufgaben lassen es nicht zu, sich in der Konferenz bekennender Gemeinschaften so einzubringen, wie es nötig und verständlicherweise von den übrigen Partnern auch gewünscht wäre. Andererseits besteht aber auch die Gefahr, daß bei einem stärkeren Engagement Gnadaus in der Konferenz die theologischen Gegensätze schärfer zum Vorschein kämen und so die Arbeit der Konferenz noch mehr behindert würde. 2.5. Ungeklärt ist für uns die Frage nach der ‚Internationalen Konferenz bekennender Gemeinschaften‘. Wer gehört eigentlich dazu? Und sind die Mitgliedsverbände der Konferenz bekennender Gemeinschaften in der Bundesrepublik Deutschland auch Mitglieder in der internationalen Vereinigung? Gnadau ist, gerade durch die Vorarbeiten der Brüder in der DDR, interessiert an einer internationalen, europäischen Zusammenarbeit von pietistischen Bewegungen, die der deutschen Gemeinschaftsbewegung eng verwandt sind. Wir wollen uns gerade an dieser Stelle besonders engagieren. 2.6. Der Gnadauer Verband in der Bundesrepublik Deutschland unterhält aus geschichtlichen und geistlichen Gründen sehr enge Beziehungen zum EvangelischKirchlichen Gnadauer Gemeinschaftswerk in der DDR. Diese Verbindungen dürfen unter keinen Umständen gefährdet und damit aufs Spiel gesetzt werden. Da der Konferenz bekennender Gemeinschaften aber auch Gruppen, bzw. Persönlichkeiten angehören, die bestimmte politische Äußerungen von sich geben, mit denen auch wir sehr schnell identifiziert werden, kann sich das auf die Kontakte mit unseren Brüdern und Schwestern in der DDR negativ auswirken.“720
Auf Grund dieser Überlegungen werde der Vorstand des Gnadauer Verbandes „der kommenden Mitgliederversammlung vorschlagen, zu beschließen: ‚Der Gnadauer Verband e. V. beendet seine Mitgliedschaft in der Konferenz bekennender Gemeinschaften.‘“ Den einzelnen Verbänden und Werken des Verbandes werde es freigestellt, sich der KBG anzuschließen. Generell wisse man sich „im Kampf um die Reinerhaltung der biblischen Christusverkündigung [. . .] auch weiterhin verbunden.“ Der Gnadauer Verband verstehe sich „im unheilvollen Pluralismus der Evangelischen Kirche in Deutschland als eine ‚geistliche Opposition‘, die in der Kirche festhält am ganzen Inhalt der Heiligen Schrift, die anhält im Gebet und die in evangelistischer Bewegung Menschen für das Reich Gottes gewinnen will.“721 Was hier mit der Wendung „Anhalten in Gebet und evangelistischer Bewegung“ anklingt, ist der Rückbezug auf die eigenen Wurzeln: Gemeinschaftspflege und Evangelisation. Obwohl verdeckt ausgesprochen und durchaus der Rhetorik der KBG angeglichen, wurde doch nuanciert eine andere Richtung eingeschlagen und markiert, als die von der KBG und B KAE vorgegebene. Die diplomatisch dargestellten Aspekte der „kirchenpolitischen“ Ausrichtung der 720 Briefkopie des Gnadauer Verbandes für Gemeinschaftspflege und Evangelisation e. V., gez. Kurt Heimbucher und Theo Schneider, an den Leiterkreis der Konferenz bekennender Gemeinschaften, vom 22. 6. 1987. Maschinenschriftl., Kopie, 3 S., hier 1f.; AEGGK, MV 91/92. 721 EBD., 3.
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Evangelikale Ausdifferenzierung 1980 bis 1989
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KBG und ihrer „Antihaltung“, der Überflutung mit Papieren und Stellungnahmen durch die KBG, der westlichen internationalen Anbindung, die das Verhältnis zur Gemeinschaftsbewegung in der DDR außer acht ließ – diese Aspekte waren die zentralen Trennungsgründe des Gnadauer Verbandes von der KBG. Der angekündigte Austritt des Gnadauer Verbandes aus der KBG markiert das Abrücken einer evangelikalen Trägergruppe von der evangelikalen Bewegung und die Fokussierung auf ihre eigene Identität, auch wenn sich diese weiterhin teilweise mit der Identität der evangelikalen Bewegung überschnitt. Der Austritt des Gnadauer Verbandes erfolgte allerdings nicht so bald. Dem Brief folgten Gespräche, in denen die Vertreter der B KAE, besonders Peter Beyerhaus, das Ausscheiden zu verhindern suchten. Im Juli 1988 starb Kurt Heimbucher. Erst im November 1991 wurde der Austritt auf der Mitgliederversammlung des Gnadauer Verbandes unter Vorsitz des neuen Präses Christoph Morgner beschlossen. Im Protokoll der Sitzung ist dazu vermerkt: „Bruder Morgner verweist auf den allen Teilnehmern der Mitgliederversammlung ausgehändigten Brief vom 22. Juni 1987. Damals wurde kein endgültiger Beschluß gefasst. Wir befinden uns in einem ‚Schwebezustand‘. Wir müssen deshalb zu einer klaren Entscheidung kommen. Der Vorstand spricht sich dafür aus, den Austritt aus der Konferenz Bekennender Gemeinschaften zu vollziehen. Bruder Morgner verweist in diesem Zusammenhang auch darauf, daß Bruder Hauschildt im nächsten Jahr das Amt des Vorsitzenden [der KBG] abgeben wird. Bruder Morgner hat in einem Brief an Bruder Hauschildt bereits unsere Entscheidung angekündigt. Es ist über all die Jahre deutlich geworden, daß die Konferenz vor allem im ‚Kontra‘ zusammengehalten wird. Für die Zukunft wird es ganz wichtig sein, daß wir weiter und vermehrt das Miteinander mit der Ludwig-Hofacker-Vereinigung sowie mit der Bekenntnisbewegung ‚Kein anderes Evangelium‘ suchen. Gerade innerhalb der Bekenntnisbewegung ‚Kein anderes Evangelium‘ findet gegenwärtig ein Generationenwechsel statt. Die Sitzungen des Leiterkreises der Konferenz Bekennender Gemeinschaften waren oft sehr beschwerlich. Die dort ausgetragenen Auseinandersetzungen entsprechen nicht unserem Stil und unserem Auftrag. Um die Kontakte zur Bekenntnisbewegung ‚Kein anderes Evangelium‘ zu verstärken, überlegt der Gnadauer Vorstand, die persönliche Mitgliedschaft eines Verantwortlichen der Bekenntnisbewegung in unsere Mitgliederversammlung vorzuschlagen; im Gegenzug könnte ein Mitglied des Gnadauer Vorstandes im Bundesarbeitskreis der Bekenntnisbewegung mitarbeiten. Nach einer kurzen Aussprache kommt es zur Abstimmung. Die Mitgliederversammlung beschließt die Beendigung der Mitgliedschaft des Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverbandes in der Konferenz Bekennender Gemeinschaften (einstimmig).“722
722 Protokoll der Tagung der Mitgliederversammlung des Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverbandes am 21. (12.00 Uhr) bis 22. November 1991 (14.00 Uhr) in Woltersdorf. Maschinenschriftl., 17 S., hier 11 (AEGGK, MV 91/92).
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Die evangelikale Bewegung im Konflikt mit den Landeskirchen
Der Austritt des Gnadauer Verbandes aus der KBG und die damit einhergehende Schwächung der KBG markiert, wie bereits gesagt, unter anderem den Umschwung, der innerhalb der evangelikalen Bewegung, der Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre begann. Dieser Umschwung zu stärkerer Pluralität in den eigenen Reihen bedeutete für die evangelikale Bewegung keinesfalls das Ende, sondern im Hinblick auf Evangelisation und Mission den Beginn eines regeren Engagements als zuvor. Ende der 1980er Jahre kam auf die evangelikale Bewegung in Westdeutschland überraschend eine neue Klientel an Mitarbeitern zu: bekennende Christen aus der DDR bzw. der Teil der bekennenden Christen der ehemaligen DDR, die sich selbst als evangelikal verstanden. Diese Gemengelagen und das Zusammenspiel west- und ostdeutscher Evangelikaler muss, so reizvoll das Thema ist, Sujet einer anderen Untersuchung bleiben. Am Schluss bleibt festzuhalten, dass trotz der Pluralisierungstendenzen innerhalb der evangelikalen Bewegung seit den 1980er Jahren die „alten“ Themen der Theologie- und Pluralismuskritik, der Kirchen- und der Aufklärungskritik bis heute Teil der evangelikalen Rhetorik und Argumentation und der evangelikalen Identität sind. Joachim Raschke beschreibt in seiner Analyse der „neuen sozialen Bewegungen“ die fundamentale Ambivalenz dieser Bewegungen zwischen „kulturorientiert“ und „machtorientiert“.723 Setzt man für den Begriff „kulturorientiert“ im Hinblick auf die hier erörterte innerkirchliche Bewegung den Terminus „evangeliumsorientiert“ und zwar „Evangelium“ im wortwörtlichen Sinne verstanden als „Gute Nachricht“ oder „Frohe Botschaft“, dann wird man, in Parallelität zu „neuen sozialen Bewegungen“, die Ambivalenz zwischen diesen beiden Polen in der evangelikalen Bewegung ausmachen können. Der Aspekt der „Machtorientierung“ lässt sich dieser Argumentation folgend aber aus der evangelikalen Bewegung nicht wegdenken – er ist ihr inhärent, wie den „neuen sozialen Bewegungen“ generell – und wird sich stets in einer Konfrontation mit „der Kirche“ niederschlagen.
723
RASCHKE, Soziale Bewegungen, 435f.
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7. Zusammenfassung Vor dem Hintergrund der Darstellung der Vorgeschichte und der Geschichte der evangelikalen Bewegung und ihrer Auseinandersetzung mit den kirchenleitenden Gremien ergibt sich folgendes Resümee: In der Kriegs- und Nachkriegszeit bildete sich in evangelischen Kirchengemeinden verschiedener Regionen Westdeutschlands sowie unter den älteren Pfarrern und Kreisen der Gemeinschafts- und Evangelisationsbewegung die Kritik gegen Rudolf Bultmanns Entmythologisierungsprogramm heraus. Flankiert wurde diese Kritik von dem Umbruch in den Arbeitsfeldern der Gemeinschaftsbewegung und der DEA sowie durch die Evangelisationswelle der 1940er und in den 1950er Jahren. Diese Konfliktfelder führten zu einem grundsätzlichen Unbehagen verschiedener Kreise innerhalb der evangelischen Kirche an ihrem gesamtkirchlichen Umfeld. Den formulierten bzw. kommunizierten Ausdruck fand das Unbehagen an der Kirche allerdings lediglich in der Bultmannkontroverse, und zwar in der Form, dass es sich gegen die wissenschaftliche Theologie richtete. Die anderen genannten Problemfelder boten zwar Anlass zur Verunsicherung bzw. zur drängenden Suche nach neuen Arbeitsfeldern, thematisch aber bildeten sie nur den mentalen Bodensatz der weiteren Entwicklung. Die Bultmannkontroverse stellte den offensichtlichen Kontroversbereich dar, und zwar im Sinne eines innerkirchlichen Konfliktes um die Aufgaben der akademischen Theologie. Ende der 1950er Jahre weitete sich die Haltung gegen Bultmann zu einem Widerspruch gegen die gesamte „moderne Theologie“ aus, mündete in den 1960er Jahren auf Grund der engen Vernetzung von Theologie und Kirche in den Konflikt mit der evangelischen Kirche und entlud sich 1966 in dem evangelikalen Protest, der sich in den folgenden Jahrzehnten in kleineren Protestaktionen wiederholte. Themen dieser evangelikalen Proteste waren die Pluralisierung innerhalb von Theologie und Kirche, der DEKT, die Zielsetzungen der ökumenischen Bewegung und damit einhergehend die vermeintliche Politisierung der Kirche, das fehlende kirchliche Missionsbewusstsein sowie, im zunehmenden Maße, sozialethische Fragen. Die Koalitionen zwischen den Trägergruppen der evangelikalen Bewegung und die Formen der Beziehungen zwischen den Trägergruppen und der evangelikalen Bewegung in ihrer Gesamtheit waren im Laufe der Zeit Schwankungen unterworfen. Im Hinblick auf ihre Trägergruppen zeichnete sich die evangeli-
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Zusammenfassung
kale Bewegung als inhomogen, im Hinblick auf die von ihr forcierten Themen als homogen aus. Diesem Umstand kam die Verlagerung des Konfliktes auf die mediale Ebene seit den 1970er Jahren durch die Einrichtung des „Informationsdienstes der Evangelischen Allianz“ („idea“) und besonders durch die Gründung von „ideaSpektrum“ 1979 entgegen. Seit Anfang der 1960er Jahre entwickelten die Vorformen der evangelikalen Bewegung und ihre Trägergruppen eine Dynamik der Zentrierung hin zum innerkirchlichen Protest, der sich nicht auf die gesellschaftlichen Entwicklungen bezog, sondern auf die kirchlichen Reaktionen auf die gesellschaftlichen Umbrüche. Anfang der 1970er Jahre, als sich die evangelikale Bewegung in netzwerkartigen Organisationsformen etabliert hatte, setzte eine Konfrontation im Blick auf gesellschaftspolitische Themen ein, die im Bereich der protestantischen Sozialethik angesiedelt waren, ohne dass eine dauerhafte unmittelbare Auseinandersetzung mit den Vertretern, Gremien und politischen Instanzen erfolgte, die diese Themen hervorbrachten und vorantrieben. Stete Ansprechpartnerin und gleichzeitig Reibungsfläche der evangelikalen Bewegung war die evangelische Kirche, deren Teilsystem die Bewegung darstellte. Die gemeinsame Frontstellung gegen die Kirche einte die konfessionell und frömmigkeitsgeschichtlich aus verschiedenen Traditionen stammenden Trägergruppen der Bewegung, die in ihren Zielsetzungen disparat ausgerichtet waren. Auf Grund der Charakteristik als Bewegung, nicht als soziologisch definierbare Gruppe, lassen sich lediglich in Bezug auf die evangelikalen Akteure einige Feststellungen treffen: Es handelte sich nahezu ausschließlich um Männer – evangelikale Frauengruppen bildeten sich erst seit den 1980er Jahren heraus –, hauptsächlich um Angehörige der gebildeten Mittelschicht, zu einem relativ großen Prozentsatz um Pfarrer, Gemeinschaftsprediger, Vertreter kirchlicher Organisationen. Bei fast allen Akteuren lag eine Eingebundenheit in mehrere evangelische kirchliche Organisationen und Verbände vor, besonders in solche, die sich mit Aspekten der Evangelisation und Mission befassten. Nur vereinzelt im Akteurskreis vertreten waren Repräsentanten kirchenleitender Gremien und Ämter sowie der unmittelbaren kirchliche Gemeindebasis. Auffällig an der Geschichte der evangelikalen Bewegung ist, wie schon mehrfach angedeutet, dass eine massive Abgrenzung gegen die an den Universitäten betriebene theologische Forschung und seit Ende der 1960er Jahre in zunehmendem Maße gegen die Landeskirchen und die EKD stattfand, aber die Beschäftigung mit den aktuellen Problemen und Ereignissen, die an den Reibungsflächen von Theologie, Kirche und der sich ausdifferenzierenden, pluralisierten und säkularen Gesellschaft entstanden, punktuell und eklektisch stattfand. Nicht die sich im Umbruch befindliche Gesellschaft war der Kritik der evangelikalen Bewegung ausgesetzt, sondern die sich analog zu Gesellschaft neu
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Zusammenfassung
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statuierende und damit pluralisierende Kirche, deren Pluralisierung allerdings durch die Evangelikalen noch vorangetrieben wurde. Anders gesagt: Zwar bildet die Kirchengeschichte des 20. Jahrhunderts den Rahmen für die Geschichte der evangelikalen Bewegung, aber zwischen der Allgemeingeschichte des 20. Jahrhunderts und der Geschichte der evangelikalen Bewegung besteht eine signifikante Kluft. Die Evangelikalen in Westdeutschland bis 1989 stellen eine innerkirchliche evangelische Bewegung dar, die nahezu ausschließlich auf der Ebene der Frömmigkeits- und Theologiegeschichte fassbar ist. Die großen Themen der Allgemeinen Geschichte und damit verbundene Zäsuren und Umbrüche der Kirchengeschichte von den 1950er bis 1980er Jahren spielten somit für die evangelikale Bewegung kaum eine Rolle – und dementsprechend auch nicht für die vorliegende Untersuchung. Die sich seit Ende der 1940er Jahre abzeichnende West-Ostteilung Deutschlands und die sich daraus ableitenden jahrzehntelangen Debatten und Handlungsfelder der westdeutschen evangelischen Kirche, die in den 1950er Jahren mit Vehemenz geführte Diskussion um die Wiederbewaffnung und das bis Ende der 1980er Jahre virulente Problem um das atomare Wettrüsten, die Positionsbestimmungen der Bundesrepublik im Kalten Krieg, in Europa und im Verhältnis zu den deutschen Nachbarstaaten und die daraus folgende bzw. damit verknüpfte Haltung der Kirche, die Situation der Christen in der DDR und in den gesamten Ostblockstaaten, der sich Ende der 1950er und in den 1960er Jahren in den westdeutschen Landeskirchen abzeichnende Reformstau, der sich mit den Reformen in den 1960er Jahren Bahn brach, das „kommunikative Beschweigen“1 der deutschen NS-Vergangenheit in den 1950er Jahren und der Aufbruch in die Vergangenheitsbewältigung Ende der 1960er Jahre, das II. Vaticanum der katholischen Kirche, Vietnamkrieg, Studentenbewegung, die Regierungspolitik sowie parteipolitischen Konstellationen und deren Einfluss auf die Kirche bis hin zu den unmittelbaren Stellungnahmen der Parteien zu Religion und Kirche im Staat, die Öffnung der Kirchen in struktureller und geistlicher Hinsicht in den 1960er Jahren, die „neuen sozialen Bewegungen“ seit den 1970er Jahren und ihr Niederschlag in der evangelischen Kirche, der Ölpreisschock 1973 und das damit beginnende ökologische Problembewusstsein samt dem Ende optimistischer Zukunftserwartungen, die Ereignisse des Sommers und Herbstes 1989 in der DDR und den osteuropäischen Staaten – all das spielte keine oder nur eine indirekte Rolle für die Genese und Geschichte der evangelikalen Bewegung. In dem vorliegenden Abriss sind die evangelikalen Anknüpfungspunkte an theologische, kirchenpolitische und sozialethische Themen benannt: das
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FREI, 1968, 80.
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Verhältnis der Gemeinschaftsbewegung zur Kirche, die Zurückdrängung der Allianz durch die Ökumene, die Haltung der Kirche zu Evangelisation und Mission, die Kritik an der Theologie Bultmanns, die Kritik an der Pluralisierung innerhalb der Kirche und dem fehlenden „Lehramt“, der evangelikale Kampf gegen die Ausläufer der Studentenbewegung in Berlin (wohlgemerkt nicht in anderen Gebieten Westdeutschlands), die Kritik an der Überarbeitung der §§ 184 und 218, die Hinwendung der ökumenischen Bewegung zu sozialen und politischen Problemen der „Dritten Welt“, die Kritik an Kommunismus und Marxismus in der Kirche (besonders in der Schrift „Rotbuch Kirche“ und bei den Zielsetzungen der „Notgemeinschaft“), die Kritik an der Frauenordination, später die Kritik an feministischer Theologie und an zunehmender kirchlicher Akzeptanz von Homosexuellen. Diese Aspekte gliedern sich als stete kritische Spiegelung in die Kirchengeschichte des 20. Jahrhunderts ein, häufig verbunden mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung. Diese zeitlichen Verzögerungen lassen sich zum Teil dadurch erklären, dass die evangelikalen Reaktionen auf kirchliche Ereignisse, Verlautbarungen usw. am Ende einer Reaktionskette standen, in deren Mitte die Reaktionen der evangelischen Kirche auf die an sie von außen herangetragenen gesellschaftlichen Herausforderungen standen. Diese Kettenreaktion, die keineswegs nur in linearen Verläufen erfolgte, ging mit einer gewissen zeitlichen Dauer einher. Hinzu kam der evangelikale Rückbezug auf theologische und kirchenpolitische Haltungen, die im 19. Jahrhundert oder im Kirchenkampf im Nationalsozialismus aktuell waren, so dass es zu einer Verstärkung des Effektes der „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“ im Hinblick auf die evangelikale Bewegung und ihren zeitgenössischen Kontext kam. Die „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“ ist, in historischer Perspektive, ein Charakteristikum der Themen der evangelikalen Bewegung bis 1989. Auffällig ist, dass besonders Versuche scheitern, die Geschichte der Bewegung in die wenigen bisher erschienenen sozial- und kulturgeschichtlich ausgerichteten Periodisierungen des Protestantismus nach 1945 oder der „1960er“ vorzunehmen. So schlägt Hugh McLeod, der sich bisher als einziger der Gesamtschau der Geschichte des Protestantismus in Europa und weltweit im 20. Jahrhundert widmete,2 für die 1960er Jahre bzw. die „long 1960s“ von
2 Vgl. besonders MCLEOD, Crisis. McLeods Untersuchung bietet einen ersten Überblick über lokal disparate, aber thematisch zusammenhängende Ereignisse der 1960er Jahre weltweit, mit Fokussierung auf die USA und Westeuropa. McLeods Verdienst besteht u. a. darin, die bisherigen Forschungen zu den 1960er Jahren aus verschiedenen europäischen Ländern zu bündeln. Zu der Forschungslage in Bezug auf die „langen 1960er“ in Deutschland vgl. auch FITSCHEN, Protestantismus.
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1958 bis 1974 – wie sie schon von Arthur Marwick beschrieben wurden – folgende Phaseneinteilung vor:3 Die „early Sixties“ von etwa 1958 bis 1962, die geprägt waren von einem gravierenden Wandel des Lebens der Bevölkerung, besonders der Landbevölkerung (hier hebt McLeod die Entvölkerung der ländlichen Gebiete hervor), durch die rasche Verbreitung und den Bedeutungszuwachs der Massenkommunikationsmittel (Fernsehen, Zeitung), die Mobilität durch die Automassenproduktion und den zunehmenden Reichtum, der ein neues Freizeitverhalten förderte. Flankiert waren diese Umbrüche von der Auflösung der traditionellen Milieus, der Herausbildung einer Jugendkultur und durch die Verschiebung des Verhältnisses von „öffentlich“ und „privat“, und sie führten insgesamt zu einem Bedeutungsverlust der Kirchen. Die „mid-Sixties“ von etwa 1963 bis 1966 waren geprägt von der Kritik an der traditionellen Kirche und dem Bedürfnis nach Reformen sowie dem Beginn von Reformprozessen, flankiert von großen Hoffnungen und einem grundsätzlichen Optimismus. Die „late Sixties“ von etwa 1967 bis 1973 spiegelten die Krise der Kirche wider, den Kampf um Deutungshoheiten in der Kirche (hier nennt McLeod besonders die Konstellationen in der katholischen Kirche), die Probleme, die mit neuer Freizügigkeit und sexueller Revolution im Zusammenhang standen. Diese Periodisierung und vor allem die Erwägungen für ihre Zäsuren können nicht sinnvoll auf die Geschichte der evangelikalen Bewegung übertragen werden. So spielte z. B. die Umstrukturierung von Land- und Stadtbevölkerung keine Rolle für die Entstehung der evangelikalen Bewegung, die verstärkte Nutzung der Massenkommunikationsmittel beförderte sie Anfang der 1960er Jahre nicht (allerdings seit Mitte der 1970er Jahre, als die Evangelikalen ihre eigenen Medien entwickelten) und zunehmender Wohlstand spielte ebenso wenig eine Rolle wie zunehmende Bildung oder die Etablierung der Jugendkultur. Der emanzipatorische Aufbruch von Frauen in der Gesellschaft – ein Signum der westdeutschen Gesellschaft seit den 1960er Jahren – ging nahezu unbemerkt an der evangelikalen Bewegung vorbei. Ebenso finden sich fast keine Veröffentlichungen und Stellungnahmen zum Thema „sexuelle Revolution“.4 3
MCLEOD, European religion. Die einzige direkte evangelikale Stellungnahme zum Thema „sexuelle Revolution“ lieferte 1969 Gerhard Bergmann mit der Abhandlung „Auf dem Weg nach Sodom und Gomorra. Über die sexuelle Revolution“, die erstmalig in der Zeitschrift „Licht und Leben“ erschien und dann als Sonderdruck von 36 000 Exemplaren. In dieser kurzen Schrift stellt Bergmann die Sexualisierung in den Medien dar, interpretiert sie als „Preisgabe christlicher sexualethischer Normen“ und hält abschließend in einer bemerkenswerten Argumentation diesem „Antinomismus“ entgegen: „Als die deutsche Wehrmacht die Ukraine besetzt hatte und Frauen ärztlich untersucht wurden, waren von den ledigen Frauen und Mädchen zum großen Erstaunen fast 100 Prozent unberührt. Diese Tatsache spricht Bände und sollte den Sexualreformern von heute zu denken geben. Ich habe das 4
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Lediglich ganz allgemein gesprochen findet man die evangelikale Bewegung in den „Reformprozessen“ der 1960er Jahre wieder, wobei für die Geschichte der evangelikalen Bewegung ebenso wie für die Kirchengeschichte vollkommen zutreffend für die Jahre 1958 bis 1974 von einer Reformzeit gesprochen werden kann. Genau in dieser Zeit konstituierte sich die evangelikale Bewegung und fand zu ihren organisierten Formen. Ebenso ist es bei einer groben Betrachtung durchaus sinnvoll, in enger Verknüpfung mit der „Phase des Durchbruchs einer akzelerierten Säkularisierung“ in den Jahrzehnten von 1960 bis 1980, wie Hartmut Lehmann sie beschreibt,5 die evangelikale Konstitutions- und Entfaltungsphase als eine Form der Gegenbewegung zu sehen. Bei einer detaillierten Betrachtung allerdings werden eine Zuordnung in die Periodisierungen und vor allem die markanten Aspekte dieser Periodisierung problematisch. So nahmen die Evangelikalen durchaus eine zunehmende Säkularisierung auf Grund der Kirchenaustrittswellen der 1960er und 1970er Jahre wahr – und deuteten diese dann im Sinne ihres Welt-Kirchenverständnisses –, nahmen aber in dieser Situation eben keine die evangelische Kirche stärkende Position ein, sondern trugen eher zu einer weiteren Schwächung in Form der Pluralisierung bei. Kurz sei an dieser Stelle auf die Darstellung der evangelikalen Diskussion 1971 um die §§ 184 und 218 erinnert:6 Diese Diskussion schloss mit dem Ergebnis im Theologischen Konvent der KBG, dass man nicht wie beabsichtigt eine öffentliches Papier an die nichtchristliche Bevölkerung herausgeben wollte, sondern schließlich doch wieder nur eines an die „christlichen Bürger“, d. h. also an Kirchenmitglieder. Der Grund dafür, sich nicht mit der Situation in „der Welt“ auseinanderzusetzen, war die Einsicht, dass man mit den eigenen „theologischen Argumentationen“, d. h. der Proklamation dessen, „was Gott will“, das säkularisierte Denken nicht mehr zu erreichen glaubte. Damit stand die evangelikale Bewegung keineswegs allein da, aber einerseits kam diese Einsicht in theologischen und kirchlichen Kreisen durchaus schon Anfang der 1960er Jahre zu Bewusstsein –7 bei Bonhoeffer sogar schon in den 1930er Jahren –, andererseits zogen die Vertreter der evangelikalen Bewegung einen anderen Schluss aus dieser Einsicht, nämlich den Druck auf die Kirche zu erhöhen. Der Evangelikalismus in Westdeutschland in der zweiten Hälfte des
ukrainische Volk selbst kennengelernt. Wie urwüchsig! Wie gesund und kraftstrotzend! Keine Spur von Dekadenz!“ (BERGMANN, Auf dem Wege, 24). 5 SCHLUSSDISKUSSION, 353. Zu der Frage der „Säkularisierung“ im 20. Jahrhundert vgl. MCLEOD, Crisis, 16f. 6 Zu den Debatten um die §§ 184 und 218 vgl. die ausführliche Darstellung in Kap. 6. 3. 2, S. 594–597. 7 Vgl. GRESCHAT, Krieg, besonders 335–338.
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20. Jahrhunderts bewegt sich permanent im innerkirchlichen Bereich und dessen Geschichte und entzieht sich Periodisierungen des Protestantismus bzw. der Kirchengeschichte für diese Zeit, da er eine eigene Periodisierung auf Grund eigener innerkirchlicher Fragestellungen aufweist. Es kann spekuliert werden, ob die Kritik an der Kirche nicht immer auch eine versteckte Kritik an den gesellschaftlichen und politischen Ereignissen von 1945 bis 1989 in Westdeutschland war, allerdings lässt sich dies auf Grund evangelikaler Verlautbarungen und Äußerungen sehr selten direkt nachweisen – die eben erwähnte Episode ist eine dieser raren Nachweise. Der evangelikale Reaktionsreflex war stets auf die Kirche und die Kirchenleitungen gerichtet. Erstaunlicherweise lässt sich die evangelikale Bewegung entgegen ihrer apolitischen Selbstbeschreibung und ihrer Gebrochenheit gegenüber „der Welt“ und deren politischen Mechanismen am ehesten in politische Periodisierungsschemata des Protestantismus einordnen, wie z. B. in dasjenige der innerkirchlichen Politisierungsschübe, wobei zu beachten ist, dass sich gerade an Spezifika, z. B. der Politisierung des Privaten, die evangelikale Bewegung als diametrales Phänomen ausweist. Detlef Siegfried gliedert die Politisierungsperioden im Protestantismus nach 1945 in vier Phasen:8 1. die „Inkubationszeit einer demokratischen politischen Kultur“9 in den 1950er Jahren, mit ersten Diskursfeldern der Zivilgesellschaft im Zeichen des Antikommunismus, 2. dem ersten Politisierungsschub innerhalb der Kirchen als Durchbruch von „Zeitkritik“ und Reformen in der ersten Hälfte der 1960er Jahre, 3. dem Polarisierungsschub der späten 1960er und frühen 1970er Jahre und 4. dem Ausbau partizipatorischer Demokratie in den 1970er und 1980er Jahren. Übertragen auf die Geschichte der evangelikalen Bewegung und ihrer Vorformen bedeutet dies: In den 1950er Jahren fanden die ersten Ausdifferenzierungen mit der Theologie im Zuge der Bultmanndebatte statt, in der ersten Hälfte der 1960er Jahre kam es auf Grund der „Zeitkritik“ bzw. der evangelikalen „Zeitgeistkritik“ an der Kirche zu dem Durchbruch der evangelikalen „Reform“, Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre wurde die Bewegung Teil der innerkirchlichen Polarisierungen, indem sie selbst stark polarisierend wirkte, und in den 1970er und 1980er Jahren baute sie sich als innerkirchlicher Teilbereich aus und partizipierte so an der protestantischen Demokratie. Nun sagt diese Passfähigkeit der evangelikalen Geschichte in die Periodisierung der protestantischen Politisierung mehr über die evangelische Kirche aus als über die evangelikale Bewegung: Gängige Definitionen von „Politik“ oder „Politisierung“10 treffen auf die evangelikale Bewegung nicht zu, allerdings trug 8 9
SIEGFRIED, Politisierungsschübe. EBD., 31.
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sie auch ohne eigene politische Ambitionen im engeren Sinne offensichtlich zur Politisierung des Protestantismus bei. Auffällig an der Konstellation evangelikale Bewegung, Kirche und Gesellschaft ist der Umstand, dass es der evangelischen Kirche im 20. Jahrhundert gelang, einen relativ abgeschotteten Teilbereich, eine innerkirchliche Gegenbewegung zu sich selbst, hervorzubringen und dauerhaft in das kirchliche Leben zu integrieren. Diese Feststellung ist insofern nicht unproblematisch, als ein zahlenmäßig nicht präzisierbarer Teil der evangelikalen Bewegung in Deutschland in Freikirchen gebunden ist und somit eben nicht zu den evangelischen Landeskirchen gehört. Allerdings steht ein Teil der evangelikalen Bewegung innerhalb der Landeskirchen, und das Konfliktfeld, aus dem die Bewegung hervorging, liegt im Bereich der evangelischen Kirche. Diese bewältigte den Prozess zunehmender Ausdifferenzierung, Pluralisierung und Individualisierung nicht nur als ganz erstaunliche Anpassungsleistung an die Moderne, sondern entwickelte in diesem Prozess ein Unbehagen an diesen, von ihr vollzogenen Veränderungen, der sich als evangelikaler Protest niederschlug. Vor diesem Hintergrund ist Evangelikalismus nicht nur als eine Gegenbewegung zum Einzug der Moderne in die Kirche zu beschreiben, sondern als die aversive Seite der Kirche gegenüber dem Veränderungs- und Anpassungsdruck an die Moderne. Das evangelikale Verhalten, bis hin zu dem hohen Grad an Emotionalität, der hinter manchen Äußerungen stand und steht, spiegelt dann genau das wider, was einen Teil der Haltung der Kirche gegenüber der Moderne ausmacht: den Zorn darüber, dass eigene Ansichten nicht mehr mit absoluter Konsequenz und mit einer hohen realen Machthandhabe durchgesetzt werden können, die Verzweiflung und Ohnmacht angesichts der eigenen Bedeutungslosigkeit im auch in religiöser Hinsicht pluralen gesellschaftlichen Gefüge. Gerade der Evangelikalismus bietet der evangelischen Kirche in Deutschland ein hochinteressantes Spiegelbild, das in einem eklatanten Missverhältnis zur Selbstwahrnehmung der evangelischen Kirche steht: Indem sich die evangelikale Bewegung immer wieder an die Kirche oder gegen sie wandte und an ihr abarbeitete, reagierte und reagiert sie auf eine Machtfülle und einen gesellschaftlichen Einfluss der evangelischen Kirche, den sich der deutsche Protestantismus schon seit 1919 abgespro10 Das Problem des Zusammenhanges von evangelikaler Bewegung und kirchlicher Politisierung besteht im Wesentlichen in der Definition dessen, was „Politik bzw. „politisches Denken“ umfasst. Siegfried schlägt vor, unter „Politisierung“ „das steigende Interesse an den öffentlichen Angelegenheiten, [. . .] aber auch eine gewachsene politische Teilhabe jenseits der Partizipierungsmöglichkeiten der repräsentativen Demokratie“ zu fassen (EBD.). Übertragen auf den Evangelikalismus müsste dann von einem gestiegenen „Interesse an den öffentlichen Angelegenheiten der Kirche“ gesprochen werden sowie der „gewachsenen kirchenpolitischen Teilhabe jenseits der Partizipierungsmöglichkeiten der demokratischen Kirchenstrukturen“.
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chen hat und ständig abspricht. Die Existenz der evangelikalen Bewegung zeigt ein anderes Bild: Die evangelische Kirche etablierte sich seit 1945 fest als Teilbereich, als Subsystem der gesellschaftlichen Realität, das mit einem hohen Potenzial der Bündelung disparater Strömungen im eigenen System ausgestattet war. Auf dieser Ebene kann von einer Schwächung der evangelischen Kirche im 20. Jahrhundert nicht die Rede sein, sondern es muss von einem massiven Umbruch, der zu einer erneuten Stabilisation führte, ausgegangen werden. Hugh McLeod hat für die letzten drei Jahrhunderte den zunehmenden Niedergang des Christentums festgestellt,11 der geprägt ist von 1. der staatlichen Toleranzpolitik, die Konfessionen oder Religionen gleichberechtigt neben einander stellte, 2. den zunehmenden Möglichkeiten, antichristliche Ideen publik zu machen und 3. der Trennung von Staat und Kirche.12 Während die beiden erstgenannten Aspekte schon im 18. und 19. Jahrhundert Wirkungen zeigten, betraf das dritte Phänomen besonders das 20. Jahrhundert. In den 1960er Jahren, so McLeod, kumulierte der durch eine lange Vorlaufzeit gekennzeichnete Prozess des Niedergangs der Kirche. Ohne Zweifel stellte die Staats-Kirchen-Trennung im 20. Jahrhundert eine der großen Zäsuren der Kirchengeschichte dar, die einen Machtverlust der Kirchen nach sich zog. Allerdings etablierte sich nach dem demokratischen Intermezzo der Weimarer Republik und der Sonderform der Kirche in der nationalsozialistischen Diktatur die evangelische Kirche rasch in der bundesrepublikanischen Demokratie. Diese Etablierung als Subsystem einer demokratischen Gesellschaft, samt Ausbildung von weiteren eigenen Teilbereichen oder Teilmilieus im allgemeinen Wortsinne, kann durchaus als ein Aufschwung begriffen werden, da sich hier die Kirche ihren Platz in der modernen bzw. postmodernen Gesellschaft sicherte. Im Prinzip drückte die evangelikale Bewegung nicht nur mit ihrer Kritik an dem gesellschaftlichen Subsystem Kirche eine Aufwertung aus, denn hier wurde der Kirche gesellschaftsgestaltende Macht zugesprochen, sondern sie war v. a. eine Nagelprobe der evangelischen Kirche, Pluralisierung und sogar den Grundsatzkonflikt mit innerkirchlichen Gruppen auszuhalten und dauerhaft auszubalancieren – und das bereits zu einem relativ frühen Zeitpunkt der Geschichte der Bundesrepublik. Von daher ist der Feststellung von Wolfgang Huber, die evangelische Kirche sei „Herzschrittmacher der modernen bundesrepublikanischen Demokratie“,13 im Hinblick auf das Verhältnis von evangelikaler Bewegung und evangelischer Kirche voll zuzustimmen. 11 12 13
MCLEOD, Crisis, 18 u. ö. EBD., 19. HUBER, Demokratie, 397.
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Im Anschluss an diese historiografische Zusammenfassung soll ein Perspektivwechsel vorgenommen werden, und zwar hin zur (religions)soziologischen Analyse der evangelikalen Bewegung, speziell unter dem Blickwinkel der Bewegungsforschung. Der Verweis auf den Übergang der evangelischen Kirche von der monarchischen Staatskirche zum Subsystem der demokratischen Gesellschaft und der Demokratisierung innerhalb der evangelischen Kirche bereitet diesen Perspektivwechsel bereits vor. Die evangelische Kirche stellt als Subsystem der Gesellschaft ein sowohl geschlossenes als auch transparentes System dar: Hinsichtlich ihrer theologischen Kommunikations- und Argumentationsfelder und der theologischen Bearbeitung gesellschaftlicher Themen, hinsichtlich ihrer Funktion, religiöses Leben zu gestalten und Sinnstiftung anzubieten, hinsichtlich ihrer Aktionen und Interaktionen auf der Grundlage einer Weltanschauung ist die evangelische Kirche ein geschlossenes, eigenen Argumentations- und Bezugsstrukturen folgendes System. Bezüglich der gesellschaftlichen Anforderungen und Anfragen und der institutionellen Realität bildet die Kirche ein zur Gesamtgesellschaft offenes System. Da dieses gesellschaftliche Subsystem demokratisch strukturiert ist, kann es, ebenso wie die Gesamtgesellschaft oder andere Subsysteme, Protestbewegungen hervorbringen, die gegen das eigene Handeln gerichtet sind. Niklas Luhmann beschrieb schon in den 1980er Jahren den Charakter von Protestbewegungen oder „neuen sozialen Bewegungen“ – Luhmann versteht beide Bezeichnungen synonym –14 im Zusammenhang mit dem kontextuellen System, aus dem sie hervorgehen. Diese Beobachtungen ergänzen die historiografische Analyse der evangelikalen Bewegung: Protestbewegungen sind nach Luhmann das „Moment einer selbstproduzierten Entzweiung“ des kontextuellen Systems,15 „kontingente, artifizielle Formen der Selbstbeobachtung des Gesellschaftssystems“16, deren Einheit sich aus dem Protest ergibt und deren Kommunikation zwar „in der Gesellschaft [erfolgt], [. . .] aber so, als ob es von außen wäre.“17 Protestbewegungen äußerten sich demnach „aus Verantwortung für die Gesellschaft, aber gegen sie.“18 Tauscht man den Begriff „Gesellschaft“ in der Luhmannschen Darstellung aus und ersetzt ihn durch die Bezeichnung „gesellschaftliches Subsystem evan14 Nach Luhmann ist es „einfach eine Frage des Sprachgebrauchs“, ob man eine neue soziale Bewegung als Protestbewegung bezeichnet. Es sei allerdings schwer festzustellen, ob „Protestbewegung“ „alles ist, was geläufigerweise unter sozialer Bewegung verstanden wird.“ (SYSTEMTHEORIE UND PROTESTBEWEGUNGEN, 176). 15 LUHMANN, Alternative, 76. 16 EBD., 77. 17 LUHMANN, Protestbewegungen, 204. 18 EBD.
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gelische Kirche“, so wird schnell klar, dass die Charakterisierung von Protestbewegungen die evangelikale Bewegung beschreibt. Die dargestellte selbstreferenzielle Geschlossenheit auf der Ebene der religiösen Identität, die charakteristisch für die Kirche ist, die sich zu einem, dem gesellschaftlichen System analogen Subsystem ausgebildet hat, legitimiert den problemlosen Austausch der Begriffe „Subsystem Kirche“ und „Gesellschaft“. Luhmann fährt in seinen Überlegungen zu Protestbewegungen mit der Feststellung fort, Protestbewegungen seien nie Selbstzweck – wobei der Protest von der Selektion eines Themas lebe –,19 aber die Protestierenden gerieten schnell in die Versuchung, „auf fremden Pferden moralisch zu voltigieren“, da jede „Berücksichtigung der Selbstbeschreibungen derjenigen, gegen die man protestiert“, fehle:20 „Von Protestbewegungen ist nicht zu erwarten, daß sie begreifen, weshalb etwas so ist, wie es ist; und auch nicht, daß sie sich klarmachen können, was die Folgen sein werden, wenn die Gesellschaft dem Protest nachgibt.“21 Protestbewegungen finden sich, so Luhmann, „nur in Funktionssystemen, die Zentren ausbilden“, denn der Protest ist die Form der Differenzierung zwischen Zentrum und Peripherie und das Zentrum soll den Protest der Peripherie hören.22 Es gibt in Protestbewegungen keine Hierarchie, aber eigentümlicherweise wird in der Bewegung ein „Zentrum“ und die „Peripherie“ ausdifferenziert, „so als ob sie [die Bewegungen] ihre externe Situierung an der Peripherie eines Zentrums in sich selbst hineinkopierte. Es geht typisch um einen stärker engagierten Kern, eine Anhängerschaft, die für gelegentliche Aktionen zu aktivieren ist und, so vermutet die Bewegung jedenfalls, einen weiteren Kreis von Sympathisanten, der es ihr ermöglicht anzunehmen, daß sie allgemeine gesellschaftliche Interessen vertritt.“23 Hier sind die wesentlichsten Charakteristika der evangelikalen Bewegung und Kumulationspunkte ihrer Geschichte benannt. Der Protest gegen Theologie und Kirche entstand aus der Selektion des Themas „moderne Theologie“ und wurde, ohne die Differenziertheit in der Theologie zu berücksichtigen, von der kirchlichen Peripherie gegen das Zentrum, die Landeskirchenleitungen, gerichtet. Dabei sind bei der evangelikalen Bewegung der engagierte Kern zu beobachten (die Namen der führenden Persönlichkeiten erschienen stets bei Gruppenneugründungen), die Anhängerschaft (die in der vorliegenden Arbeit als „evangelikale Trägergruppen“ bezeichneten Gruppen) und der Kreis der 19 20 21 22 23
EBD., 210. EBD., 206. EBD., 207. EBD., 205. EBD., 213.
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Sympathisanten, der von der evangelikalen Bewegung in „der Gemeinde“ vermutet wurde. Wie bereits gesagt, können unter den Bezeichnungen „Protestbewegungen“ und „soziale“ oder „neue soziale Bewegungen“ durchaus dieselben Bewegungsformen verstanden werden.24 Allerdings scheint es präziser, davon auszugehen, dass mit „Protest“ nur ein, wenn auch der wesentlichste Aspekt der evangelikalen Bewegung bezeichnet wird. Wird die hinter dem evangelikalen Protest stehende Identitätssuche und die Entwicklung eigenständiger Arbeitsgebiete im Bereich Mission und Evangelisation in die Betrachtung einbezogen, ist die evangelikale Bewegung eher als eine Bewegung analog zu einer „neuen sozialen Bewegung“ zu sehen, weniger als „Protestbewegung“, allerdings mit einem grundsätzlichen Protestpotential, das sich in Protestwellen um thematische Kumulationspunkte herum entfaltet. Das reiht sie als innerkirchliche Bewegung in das Spektrum der auf die Gesellschaft bezogenen Protestbewegungen ein und verdeutlicht einmal mehr die strukturelle Analogie des Subsystems „evangelische Kirche“ mit der demokratisch verfassten Gesellschaft. Nach Dieter Rucht sind „neue soziale Bewegungen“ im Grunde genommen immer politische Bewegungen mit kulturell-expressiven Komponenten.25 Auch für die evangelikale Bewegung als Trägerin eines Grundsatzkonfliktes im Referenzsystem „Kirche“ gilt, trotz aller Politikdistanz und fehlender Reflexion über parteipolitische Zusammenhänge, dass sie zur Politisierung des deutschen Protestantismus beitrug, wie bereits oben im Zusammenhang mit der Periodisierungsfrage erörtert. Rucht fährt in seiner Darstellung fort, erst wenn es sich bei einer sozialen Bewegung „um eine reine Rückzugsbewegung handelte, die Auseinandersetzungen mit politischen und gesellschaftlichen Kräften aus dem Wege ginge, wäre ein konstitutives Merkmal sozialer Bewegungen nicht erfüllt. Wir könnten in diesem Falle, je nach Sachlage, von einer kulturellen oder religiösen Bewegung sprechen.“26 Mit dieser Darlegung wird deutlich, wie wenig die innerprotestantischen Bewegungen in Deutschland bisher von der Bewegungsforschung in ihrer Eigenständigkeit wahrgenommen wurden und wie sinnvoll weitere Forschungen zu diesem Thema sind, denn die evangelikale Bewegung ist sowohl eine religiöse Bewegung als auch eine Protestbewegung im Sinne einer „sozialen“
24 Nicht nur Luhmann stellt hier keine grundlegenden Abgrenzungen auf – auch im allgemeinen Sprachgebrauch sind die Übergänge fließend. So lautet z. B. der Titel eines Buches von Ludger Volmer über die Entwicklung von Teilen der ökologischen Bewegung, einer „neuen sozialen Bewegung“, hin zur Partei: „Die Grünen. Von der Protestbewegung zur etablierten Partei“. 25 RUCHT, Ereignisse, 156. 26 EBD.
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oder „neuen sozialen Bewegung“. Der Terminus „neue religiöse Bewegung“, bereits Ende der 1980er Jahre von Eileen Barker eingeführt,27 fasst die disparatesten religiösen Gruppen nach inhaltlichen Kennzeichen zusammen, z. B. die entscheidende Rolle der charismatischen Führungspersönlichkeit für die Gruppe, die soziologische Verankerung in Westeuropa in der Mittelschicht, die Werbung mit Erfolg und Gemeinschaft unter den potentiellen Anhängern, die individuellen Auswirkungen auf Mitglieder und in dem Zusammenhang auch die Separations- und Exklusionsstrategien, die diese Gruppen in die Nähe des Fundamentalismus rücken. Die innere Dynamik der „neuen religiösen Bewegungen“ kommt dabei nicht in den Blick.28 Dennoch treffen viele der von Barker genannten Spezifika der „neuen religiösen Bewegungen“ auf die evangelikale Bewegung zu, und im weiteren Wortsinn ist die evangelikale Bewegung auf jeden Fall eine „neue religiöse Bewegung“. Was bei der Betrachtung von „neuen religiösen Bewegungen“ bisher allerdings überhaupt keine Beachtung erfuhr, ist ihr Verhältnis zu ihrem jeweiligen Referenzsystem. Im englischsprachigen Raum, aus dem der Terminus „neue religiöse Bewegung“ stammt, sind die Referenzsysteme der religiösen Bewegungen andere – meist die Gesamtgesellschaft – als in Deutschland, das in protestantischer Hinsicht vom landesherrlichen Kirchenregiment geprägt ist und wo das Landeskirchentum das Referenzsystem für innerkirchliche Bewegungen bildet. Hier ergibt sich eine landes- und regionalspezifische Situation, wie sie wohl in kaum einem anderen europäischen und außereuropäischen Land gegeben ist. Das führt zurück an den Anfang dieser Arbeit und zur Feststellung von Wolf-Dieter Hauschild, im Hinblick auf die Kirchengeschichte der 1960er und 1970er Jahre sehe man den Wald vor lauter Bäumen nicht und man wisse bisher nicht, wie man „die Bedeutung der sog. neuen sozialen Bewegungen in den sechziger und siebziger Jahren für die evangelische Kirche und Theologie bestimmen“29 solle. Zwar behandelt die vorliegende Darstellung lediglich ein Teilstück dieser Kirchengeschichte und nicht ihre gesamte Entwicklung in der Zeit. Es ist aber gerade die Diskrepanz zwischen der Geschichte dieses speziellen, evangelikalen Teiles der Kirchengeschichte und der generellen westdeut27
BARKER, Movements. Stärkere Akzente auf die Entwicklung und Dynamik „neuer religiöser Bewegungen“ wird in dem 1998 von Eileen Barker und Margit Warburg herausgegebenen Sammelband „New Religions and New Religiosity“ gelegt, wobei hier der Begriff „neue religiöse Bewegungen“ zu Gunsten der Begriffe „neue Religionen“ bzw. „neue Religiosität“ teilweise aufgegeben bzw. mit diesen Begriffen synonym verwendet wird. Dies könnte als ein Indiz für die zumindest punktuell fehlende Praktikabilität des Terminus „neue religiöse Bewegung“ für die von Barker angezeigten religiösen Phänomene gewertet werden. 29 HAUSCHILD, Evangelische Kirche in der Bundesrepublik, 51. 28
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schen Geschichte und Kirchengeschichte zwischen 1945 und 1989, die Wesentliches über die Konstitution der westdeutschen evangelischen Kirche im 20. Jahrhundert aussagt. Der Grundsatzkonflikt, von der evangelikalen Bewegung in der evangelischen Kirche virulent gehalten, wurde von dieser Kirche mit einer eigenen „neuen sozialen Bewegung“ im Zuge der zeitgenössischen innerkirchlichen Pluralisierungsprozesse auf der Grundlage der demokratischen Verfasstheit selbst hervorgebracht, als Form der Selbstbeobachtung und -kritik. Damit erweist sich die westdeutsche evangelische Kirche in Deutschland in dem bearbeiteten Zeitrahmen als ein in hohem Grade vitales, zu Ausdifferenzierung und Ausbalancierung divergierender Teilbereiche fähiges sowie im gesamtgesellschaftlichen System sicher verankertes Subsystem der Gesellschaft. Der evangelikalen Bewegung kommt mit ihrer bloßen Existenz, weniger im Hinblick auf ihre inhaltlichen Themen, eine hohe Bedeutung als Indikator für diese vitalen Kräfte der Kirche zu.
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Quellen- und Literaturverzeichnis Archivalische Quellen Archiv der Deutschen Evangelischen Allianz, Bad Blankenburg (Archiv DEA) Akte „Bekenntnisbewegung“ Akte „Konferenz für Bibeltreue Ausbildung im Hochschulbereich“
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Evangelisches Zentralarchiv, Berlin (EZA) 2/990–2/997 2/999 2/5480 2/5506 2/7228 2/7231 2/7315 8/476
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Quellen- und Literaturverzeichnis
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Zentralarchiv der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Darmstadt (ZA EKHN) Best. 35, Nr. 414 Best. 64 IV, Nr. 131 Best. 155, Nr. 166 Best. 155, Nr. 511 Best. 155, Nr. 2160f. Best. 155, Nr. 3004
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Archivalische Quellen
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Landeskirchliches Archiv der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannovers, Hannover (LkAH) Best. B 1/ 105 Bd. II: Lehrabweichung, Lehrzuchtverfahren, Spruchkammer, Bd. 1 Best. B 1/ 2204–2 Bd. II: Studierendenwerk des Geistlichen Rüstzentrums Krelingen, Bd. 1 Best. B 1/ 2204–2 Bd. IV: Studierendenwerk des Geistlichen Rüstzentrums Krelingen Best. B 1/ 2670 B: Unterricht. der Geistlichen über Entmythologisierung, Bd. 1 Best. B 1/ 81316, Bd. I: Evangelische Allianz, Bd. 1 Best. B 1/ 841, Bd. I: Gemeinschaftsbewegung, Bd. 1 Best. B 1/ 8435, Bde. I-IV: Historische Kommission zur Erforschung des Pietismus Best. B 1/ 847, Bd. I: Geistl. Rüstzentrum Krelingen, Bd. 1 Best. L 3 III Nr. 1266f. Best. L 3 III Nr. 1373f. Best. L 3 III Nr. 1388 Best. L 3 III Nr. 1796
Landeskirchliches Archiv der Evangelischen Landeskirche in Baden, Karlsruhe (LKA KA) GA 10652 GA 10780 GA 10983 GA 11029 GA 13610 GA 13624
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Archivalische Quellen
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Archiv des Evangelisch-Lutherischen Oberkirchenrates in Oldenburg, Oldenburg (A.OKR.Ol) OKR Generalia 1849–1958, A LVI, Nr. 158 OKR Generalia 1849–1958, A LVI, Nr. 221 OKR Generalia 1958–1988, Nr. 320–0, Bd. 01 OKR Generalia 1958–1988, Nr. 320–2, Bd. 01
Zentralarchiv der Evangelischen Kirche der Pfalz, Speyer (ZASP) Abt. 150.040 Nr. 8 Abt. 150.120 Nr. 7 Abt. 150.145 Nr. 23f. Registratur Landeskirchenrat 502/14 (4)
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Landeskirchliches Archiv der Evangelisch-lutherischen Landeskirche in Braunschweig, Wolfenbüttel (LAW) LBF 610 LKA 2159 LKA 2660 LKA 528 Pa BS AL 74 Pa GrD 292 Pa Har 31f.
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Quellen- und Literaturverzeichnis
ZEHN JAHRE „ARBEITSKREIS EVANGELISCHE MITTE“ IN WÜRTTEMBERG. In: IDEA.S Nr. 62/ 63 vom 10. 11. 1981, 9. ZEHNTE-LUDWIG-HOFACKER-KONFERENZ. In: Informationsbrief der Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“ Nr. 3 (Ende September 1966), [3]. ZEILINGER, Albert: Eine Synthese von Schlatter und Pietismus. In: Kirchhoff, Hans (Hg.): Theologie und Pietismus. Lebensberichte und Aufsätze. Moers 1961, 73–89. ZEITSPIEGEL. Gnadau: Absage an evangelisch-katholische Bekenntnisfront. In: Informationsbrief der Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“ Nr. 50 (Juni 1975), Jubiläumsausgabe, 34. ZENTGRAF, Horst: Erich von Eicken. In: Pagel, Arno (Hg.): Sie wiesen auf Jesus. Marburg an der Lahn 1975, 120–126. ZIEGERT, Richard: Kirche ohne Bildung. Die Akademikerfrage als Paradigma der Bildungsdiskussion im Kirchenprotestantismus des 20. Jahrhunderts. 2., überarb. u. erg. Aufl. Frankfurt am Main / Berlin / Bern u. a. 1998. ZIMMERLING, Peter: Charismatische Bewegungen. Göttingen 2009. ZIMMERLING, Peter: Protestantischer Fundamentalismus als gelebter Glaube. In: Hemminger, Hansjörg (Hg.): Fundamentalismus in der verweltlichten Kultur. Stuttgart 1991, 97–130. ZTHK.B (1959): Die Frage nach dem historischen Jesus. ZUNDEL, Rolf: Protest gegen Porno. „Eine Vollstreckung des Geistes von Auschwitz“. Bonn, im März. In: Die Zeit Nr. 11 vom 12. 3. 1971, 3. ZWICK, Michael: Neue soziale Bewegungen als politische Subkultur. Zielsetzungen, Anhängerschaft, Mobilisierung. Eine empirische Analyse. Frankfurt am Main / New York 1990.
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Biogramme/Personenregister
Im Folgenden sind die im Text genannten Personen erfasst, die als Akteure wirkten, nicht die Autorinnen und Autoren von Sekundärliteratur. Namensnennungen in den Fußnoten werden durch kursive Seitenzahlen angezeigt. Personen, die in den bibliografischen Angaben erscheinen, werden nicht im Personenregister erwähnt. ABELE, Walter, württembergischer Pfarrer 516, 537 geb. 16. 2. 1924 Heilbronn, gest. 29. 5. 2004 Kusterdingen 1957 Pfarrer in (Fichtenau-)Wildenstein, 1973 (Reutlingen-)Sondelfingen (I), 1988 i. R., Gründer und Leiter der württembergischen Bekenntnisbewegung Kein anderes Evangelium. ACHILLES, Ernst, hannoverscher Pfarrer, Superintendent 407, 519 geb. 12. 9. 1909 Hirschdorf (Posen), gest. 24. 1. 2002 Göttingen 1938 Pfarrer in Melle, 1957 Superintendent in Göttingen (St. Albani II), 1977 i. R., 1977–1989 Lagerpfarrer in Friedland. ADENAUER, Konrad, Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland 461, 577, 587 geb. 5. 1. 1876 Köln, gest. 19. 4. 1967 Rhöndorf bei Bonn [ZOCHER, Osterloh, 661]. ADLER, Walter, badischer Pfarrer 515 geb. 1911, gest. 1980 1939 Pfarrer in Sennfeld, 1947 Mitarbeiter des Männerwerkes in Mannheim (Industriepfarrer), 1955 Pfarrer in Mannheim, 1966 Mitbegründer und Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für das biblische Evangelium (Evangelische Vereinigung für Bibel und Bekenntnis in Baden), 1979 i. R. AFFELD, Burghard, Pfarrer 51, 418 geb. 25. 9. 1945 Greifswald 1978–2010 Pfarrer in Osnabrück (Pauluskirche), Vorsitzender der Konferenz der bekennenden Gemeinschaften in Deutschland (Konferenz bekennender Gemeinschaften). ALAND, Kurt, luth. Theologe, Historiker, Universitätslehrer (KG, NT-Einleitungswissenschaft) 353, 506 geb. 28. 3. 1915 Berlin, gest. 13. 4. 1994 Münster [PERSONENLEXIKON, 18f.]. ALBRECHT, Ernst Carl Julius, CDU-Politiker, Ministerpräsident von Niedersachsen 369, 546 geb. 29. 6. 1930 Leuchtenburg 1954 Abgesandter der Montanunion, 1958 Kabinettschef bei der EWG-Kommission, 1969 Generaldirektor der EG, 1970 Mitglied des Landtages in Niedersachsen, 1971 Geschäftsführer von Bahlsen, 1976–1990 Ministerpräsident der CDU von Niedersachsen. ALBRECHT, Ralf, württembergischer Pfarrer, Dekan 649 geb. 29. 7. 1964 Stuttgart
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Personenregister
1994 Pfarrer in Rielingshausen (Marbach), 2007 Dekan in Nagold, Vorsitzender der Ludwig-Hofacker-Vereinigung. ALFRINGHAUS, Friedrich, Ingenieur 456, 501, 523 Mitglied des Bundesvorstandes der Bekenntnisbewegung Kein anderes Evangelium. APEL, Hans Eberhard, SPD-Politiker, Bundesminister 48–50, 111 geb. 25. 2. 1932 Hamburg, gest. 6. 9. 2011 Hamburg 1955 Mitglied der SPD, 1958 Sekretär der Sozialistischen Fraktion im Europaparlament in Straßburg, 1962–1972 Abteilungsleiter für Wirtschafts-, Finanz- und Verkehrspolitik im Europaparlament, 1965–1990 Mitglied des Deutschen Bundestages, 1965–1970 Mitglied des Europaparlaments, 1969–1972/1983–1988 stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, 1972 Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen, 1974 Bundesfinanzminister, 1978–1982 Bundesverteidigungsminister, 1984–1986 Mitglied des Präsidiums der SPD, 1990 Hon.-Prof. (Wirtschaftswissenschaft) an der Universität Rostock, Aufsichtsratsvorsitzender im Auftrag der Treuhand, 1999 Austritt aus der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche und Eintritt in die SELK. APPEL, Helmut, sächsischer Pfarrer 23 geb. 11. 3. 1912 Frankfurt/Main, gest. 22. 4. 1978 1941 Pfarrer in Kändler, 1948 Mitarbeiter der Evangelisch-lutherischen Mission Leipzig, 1949 Pfarrer in Leipzig, 1952 Leiter des kirchlichen Jungmännerwerkes, 1958 Pfarrer in Moritzburg, 1969 Pfarrer in Karl-Marx-Stadt (Chemnitz), zeitweise Beurlaubung für Dienst im Landesverband Landeskirchlicher Gemeinschaften. ARNOLD, Walter, Prediger der Freien evangelischen Gemeinde in Düsseldorf 227f., 511 ARNOLD, Walter, württembergischer Pfarrer, Mitglied der württembergischen Kirchenleitung, CVJM-Reichswart, Präsident des CVJM-Weltbundes 514 geb. 11. 7. 1929 Stuttgart, gest. 8. 4. 1994 1959 Pfarrer in Ludwigsburg (Stadtkirche III), 1964 Reichswart des CVJM in Kassel, 1973 Oberkirchenrat in Stuttgart, Präsident des CVJM-Weltbundes, 1992 i. R. ASMUSSEN, Hans, Theologe, Präsident, kirchlicher Dozent (PT, AT), Propst 155, 281 geb. 21. 8. 1898 Flensburg, gest. 30. 12. 1968 Speyer [Personenlexikon, 22f.]. BAHR, Hans-Eckehard, Universitätslehrer (PT) 443 geb. 1928 1966 Prof. (Christanity and Political Culture) an der University of Chicago, Mitarbeiter Martin Luther Kings, 1967 Prof. (PT) an der Universität Bochum, 1971 Kurator der Deutschen Gesellschaft für Friedens- und Konfliktforschung Bonn, 1982 Sachverständiger der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages über „Jugendprotest im demokratischen Staat“. BALDERMANN, Ingo, Pfarrer, Universitätslehrer (Religionspädagogik) 598 geb. 1929 1957 Pfarrer der hannoverschen Landeskirche und wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Katechetischen Amt Loccum, 1963 Dozent am Pädagogischen Institut der
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Biogramme
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Universität Hamburg, 1965 Prof. (Evangelische Theologie und ihre Didaktik) an der Gesamthochschule (Universität) Siegen, 1994 i. R. BARTH, Christian Gottlob, württembergischer Pfarrer, Verleger, Missionsprediger 28 geb. 31. 7. 1799 Stuttgart, gest. 12. 11. 1862 Calw 1824–1838 Pfarrer in Möttlingen, 1833 Mitbegründer des Calwer Verlagsvereins, 1838 Mitarbeiter des Calwer Verlagsvereins, Mitarbeiter der Evangelischen Allianz, evangelistischer Prediger im In- und Ausland, Liederdichter, Verfasser zahlreicher erwecklicher und kirchenhistorischer Schriften sowie einer Kinderbibel. BARTH, Karl, ref. Theologe, Universitätslehrer (Reformierte Theologie, Dogmatik, ST) 81, 94, 152–154, 156, 166, 262, 265, 282, 305, 341, 369, 398, 451, 452f., 454, 466, 495, 505, 506 geb. 10. 5. 1886 Basel, gest. 10. 12. 1968 Basel [PERSONENLEXIKON, 27]. BARTSCH, Hans-Werner, Universitätslehrer (NT) 267, 282, 283, 318f., 518 geb. 1915, gest. 1983 1962–1981 Prof. (NT) an der Hochschule für Erziehung (1971 integriert in die Universität) in Frankfurt/Main BAUER, Mitglied und Mitarbeiter einer Freikirche 145 BAUM, Armin Daniel, Dozent, Hochschullehrer (NT) 77, 264 geb. 22. 6. 1965 1993 Dozent und Prof. (NT) an der FTA/H Gießen, 2006 Adjunct Prof. (NT) an der Evangelischen Theologischen Fakultät in Leuven (Belgien). BÄUMER, Rudolf, westfälischer Pfarrer, Vorsitzender der Bekenntnisbewegung Kein anderes Evangelium 183, 186, 197, 334, 336, 355, 369, 371, 382, 399, 407, 414f., 419, 420–422, 431, 437, 440f., 443, 452, 456, 460, 468–475, 479, 501, 515, 520– 525, 526, 528–532, 537, 540, 555f., 573, 591, 597, 601, 612, 621–624, 626–628, 632, 636 geb. 17. 11. 1912, gest. 10. 3. 1993 1935/36 Schriftführer im Bruderrat der bekenntniskirchlichen Studentengruppe in Münster, 1937 Verwalter des Theologiestudentenamtes der Bekennenden Kirche in Westfalen, 1945 Pfarrer in Espelkamp, Leiter des Ludwig-Steil-Hofes für Aussiedler in Espelkamp, 2. Vorsitzender des kirchlichen Blauen Kreuzes für Suchtgefährdete, Vorsitzender des westfälischen Jungmädchen-Werkes, 1966 Mitbegründer der Bekenntnisbewegung Kein anderes Evangelium, 1967–1987 Vorsitzender, 1988–1992 stellvertretender Vorsitzender der Bekenntnisbewegung Kein anderes Evangelium, 1969 Mitbegründer des Theologischen Konventes der Bekenntnisbewegung Kein anderes Evangelium, 1970 Mitbegründer der Konferenz der bekennenden Gemeinschaften in Deutschland (Konferenz bekennender Gemeinschaften), 1973 Mitbegründer und 1. Vorsitzender des Gemeindetags unter dem Wort. BEAVAN, Jerry (Gerald F.), PR-Direktor von Großevangelisationen 207, 209 1947 Assistent des US-amerikanischen Fundamentalisten William Bell Riley, 1950 Generalsekretär, PR-Direktor und Planungs- und Organisationsdirektor der Evangelisationsgroßveranstaltungen (Crusades) von Billy Graham, 1963 Mitarbeiter des Versicherungsunternehmens Arthur DeMoss, PR-Vizepräsident bei
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Personenregister
Rexall Drugs, Regierungsberater in Washington (Krankenversicherungen, Finanzdienstleistungen). BECK, Horst Waldemar, Ingenieur, Dozent (Naturphilosophie), Autor 235 geb. 1. 9. 1933 Dozent am Pastoralkolleg Freudenstadt, an der Universität Basel, der Universität Hohenheim, der Universität Karlsruhe und der Evangelischen Theologischen Fakultät in Leuven (Belgien), bis 2005 Leiter und Dozent (Naturphilosophie) an der Gustav-Siewerth-Akademie Weilheim-Bierbronnen, 1979 Mitbegründer der Studiengemeinschaft Wort und Wissen in Freudenstadt-Baiersbronn, Mitbegründer der Karl-Heim-Gesellschaft in Marburg, stellvertretender Präsident des Theologischen Konventes der Konferenz der bekennenden Gemeinschaften in Deutschland (Konferenz bekennender Gemeinschaften), Vorsitzender der Internationalen Konferenz bekennender Gemeinschaften, Leiter des Instituts „Diakrisis“, Autor zahlreicher Bücher zur Verbindung von christlichem Glauben und Naturwissenschaft. BECK, Julius, Lehrer, Volks- und Mittelschulrektor 302–304 geb. 23. 3. 1887 Altingen, gest. 20. 4. 1962 Stuttgart Notariatsschreiber in Stuttgart, Seminarlehrer in Lichtenstern bei Löwenstein, 1916 Lehrer in Calw, Bezirksvertreter des Vereins evangelischer Lehrer in Württemberg, 1945 Leiter der Evangelischen Lehrergemeinschaft in Württemberg, 1947 Rektor der Volks- und Mittelschule, 1950 i. R., Leiter der Hahnschen Gemeinschaft in Württemberg, 1951 Verfasser des Flugblattes „Es geht um die Bibel. Ein Wort an alle bibelgläubigen Kreise unserer evangelischen Kirche“, 1952 Mitbegründer und Vorstandsmitglied der Kirchlich-theologischen Arbeitsgemeinschaft für Biblisches Christentum, Schriftleiter und Herausgeber des „Lehrerboten“. BECKER, Henje, braunschweigischer Pfarrer, Mitglied der Landeskirchenleitung 375 geb. 20. 10. 1936 Braunschweig, gest. 6. 11. 2001 1964 Pfarrer in Braunschweig, 1974 Mitarbeiter der Theologischen Abteilung im Landeskirchenamt Wolfenbüttel, 1995 Personalreferat im Landeskirchenamt Wolfenbüttel, 1998 i. R. BECKMANN, Joachim, Theologe, Präses, kirchlicher Dozent und Universitätslehrer (Liturgik, Dogmatik, Kirchenkunde) 299, 352, 442, 448f., 451f., 500, 501, 507, 517, 526, 575 geb. 18. 7. 1901 Wanne-Eickel, gest. 18. 1. 1987 Düsseldorf [PERSONENLEXIKON, 31]. BEGEMANN, Helmut, westfälischer Pfarrer, Vizepräsident der Evangelischen Kirche von Westfalen 473f., 623, 627f. geb. 1928 Pfarrer in Lemgo, 1963–1978 Superintendent des Kirchenkreises Lübbecke, 1970–1987 Mitglied der Kirchenleitung der westfälischen Landeskirche, 1978 theologischer Vizepräsident der Evangelischen Kirche von Westfalen, 1993 i. R. BENDER, Julius, Theologe, Landesbischof 108, 176, 288, 292, 299 geb. 30. 8. 1893 Michelfeld (Baden), gest. 19. 1. 1966 Karlsruhe [PERSONENLEXIKON, 32f.].
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Biogramme
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BENGEL, Johann Albrecht, Prälat, Konsistorialrat, führender Vertreter des schwäbischen Pietismus 315, 362, 429, 524 geb. 24. 6. 1687 Winnenden, gest. 2. 11. 1752 Stuttgart [SCHNEIDER, Zeitgeist, 302]. BEREWINKEL, Johannes S., westfälischer Pfarrer, Direktor der Evangelistenschule Johanneum 65, 592 geb. 29. 4. 1920, gest. 8. 7. 2008 1946 Studentenpfarrer in Münster, 1948 Pfarrer in Ennepetal-Milspe, 1951 ref. Pfarrer in Barmen-Gemarke, 1968–1984 Direktor der Evangelistenschule Johanneum in Wuppertal-Barmen, 1971–1991 Vorstandsmitglied im Gnadauer Gemeinschaftsverband, 1972–1984 Leiter der Konferenz Missionarischer Ausbildungsstätten in der EKD, 1975–1995 Leiter des theologischen Ausschusses des Gnadauer Gemeinschaftsverbandes, 1984 i. R. BERGGÖTZ, Reinhard, badischer Pfarrer 516 geb. 1927, gest. 2000 1954 Pfarrer in Schriesheim, 1967 Pfarrer im Amt für Volksmission und Gemeindeaufbau der badischen Landeskirche, 1991 i. R. BERGMANN, Gerhard, Evangelist 73, 81, 90, 183, 184, 198, 212, 217–220, 227f., 251– 258, 320, 322, 333, 382, 391, 399, 404, 419, 506, 523, 525, 576, 621, 627, 630f., 635, 665. geb. 25. 7. 1914 Hagen, gest. 20. 11. 1981 Esslingen 1954 Pfarrer in Remscheid, 1959 hauptberuflicher Mitarbeiter der Zeltmission, 1960 Evangelist auf Großevangelisationen in Deutschland (teilweise zusammen mit Billy Graham), 1963 Evangelisationsreise durch Israel, 1966–1973 Evangelisationsreisen durch die USA, Canada, Südafrika und Indien, Autor zahlreicher populärwissenschaftlicher christlicher Schriften. BERNHARD VON CLAIRVAUX, Zisterzienserabt, Klostergründer in Clairvaux, Kreuzzugsprediger, Mystiker 247 geb. um 1090 Fontaine-lès-Dijon, gest. 20. 8. 1153 Clairvaux bei Troyes. BERRON, Karl Eduard, elsässischer und württembergischer Pfarrer 570f. geb. 13. 1. 1898 Straßburg, gest. 22. 6. 1983 Filderstadt 1922 Pfarrer in Tieffenbach, 1935–1945 Pfarrer in Oberhofen, 1933–1935 Präsident des Konsistoriums Lützelstein, 1942–1945 Dekan des Dekanats Hagenau, 1945/46 Kriegsstellvertreter in Kirchheim an Neckar, 1946/47 Pfarrverweser, 1947–1964 Pfarrer in Kemnat, Geschäftsführer der Notgemeinschaft evangelischer Deutscher (Evangelische Notgemeinschaft in Deutschland). BESSER, Ursula, CDU-Politikerin 577, 579, 629 geb. 5. 1. 1917 Übersetzerin, Privatlehrerin und Publizistin, Mitglied der Notgemeinschaft evangelischer Deutscher (Evangelische Notgemeinschaft in Deutschland), 1967–1985 Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses, Vorsitzende des Wissenschaftsausschusses des Berliner Abgeordnetenhauses, Mitglied der Kuratorien der Freien Universität Berlin, der Technischen Universität Berlin und der Technischen Fachhochschule Berlin. BEYERHAUS, Peter, Missionswissenschaftler, Universitätslehrer (Missionswissenschaft und Ökumene) 29, 184, 238, 410, 520, 524f., 534f., 555, 577, 580, 593, 595, 597, 603, 605, 607f., 628, 630–632, 637f., 659,
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Personenregister
geb. 1. 2. 1929 Hohenkränig (Mark Brandenburg) 1955 Pfarrer in Berlin, 1957 Mitarbeiter der Berliner Missionsgesellschaft in Südafrika, 1965–1997 Prof. (Missionswissenschaft und Ökumene) an der Universität Tübingen, 1974/75 Dekan der Evangelisch Theologischen Fakultät, 1970–74 Rektor des Albrecht-Bengel-Hauses, 1972 Vorsitzender des Theologischen Konventes der Konferenz der bekennenden Gemeinschaften in Deutschland (Konferenz bekennender Gemeinschaften), 1978 Vorsitzender der Internationalen Konferenz bekennender Gemeinschaften, 1989–1996 Rektor der Freien Hochschule für Mission (FHM) in Korntal, 1997 Gründer und Leiter des Instituts „Diakrisis“. BISKAMP, Karl, Mitarbeiter der Diakonischen Gemeinschaft Hephata SchwalmstadtTreysa 340 BITTERHOF, Rudolf, Pfarrer, Missionsinspektor 122 geb. 23. 12. 1902 Berlin Pfarrer in Berlin, 1938 Missionsinspektor in Bad Liebenzell, 1950 Pfarrer in der Landesstrafanstalt Ludwigsburg, 1956 Oberpfarrer, 1965 i. R. BLOCH, Ernst, marxistischer Philosoph 535, 582 geb. 8. 7. 1885 Ludwigshafen/Rhein, gest. 4. 8. 1977 Tübingen 1917–1919 Mitarbeiter des Archivs für Sozialwissenschaften in Bern, 1919 KPDMitglied, freier Journalist, 1933 Emigration in die Schweiz, 1936 nach Prag, 1939 in die USA, 1948 Prof. (Philosophie) an der Universität Leipzig, Mitglied der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, 1957 i. R. (vorzeitige Emeritierung aus politischen Gründen), 1961 Übersiedlung nach Westdeutschland, Gastprof. an der Universität Tübingen. BLÜMEL, Walter, braunschweigischer Pfarrer, Propst 481 geb. 15. 6. 1914 Offenbach/Main, gest. 31. 1. 1995 Königslutter 1946 Lagerpfarrer in Antwerpen, 1947 Mitarbeiter beim Evangelisch-lutherischen Missionswerk Leipzig, 1954 Pfarrer in Schöppenstedt, 1956 Propst an der Stadtkirche Königslutter, 1966 Vorsitzender der Kirchlichen Sammlung: Aktionsgemeinschaft für Bibel und Bekenntnis in Braunschweig (Kirchliche Sammlung um Bibel und Bekenntnis in Braunschweig), 1979 i. R. BLUNCK, Jürgen, rheinischer Pfarrer 138 geb. 5. 11. 1932 Duisburg 1963 Pfarrer in Vluyn, 1969/70 Pfarrer des CVJM Westbundes, 1970 Pfarrer in Solingen, 1982 Pfarrer in Essen-Burgaltendorf, Leiter der Rheinischen Pfarrerarbeitskreise für evangelistische Verkündigung, 1997 i. R. BOCKMÜHL, Klaus, Pfarrer, Dozent (ST), College-Prof. (Theologie, Ethik) 53, 182, 268, 638, 648 geb. 6. 5. 1931 Essen, gest. 10. 6. 1989 Vancouver (Canada) 1958 wissenschaftlicher Assistent in Wuppertal und Basel, 1965 Studentenpfarrer in Heidelberg, 1968 Pfarrer in Schmieheim (Schwarzwald), 1971 Dozent (ST) am Theologischen Seminar St. Chrischona/Basel, 1977–1989 Prof. (Theologie und Ethik) am Regent College in Vancouver. BOHREN, Rudolf, schweizerischer Pfarrer, Universitätslehrer (PT) 349 geb. 22. 3. 1920 Grindelwald (Schweiz), gest. 1. 2. 2010 Dossenheim 1945 Pfarrer in Bern, in Holderbank (Aargau) und in Arlesheim bei Basel, 1958
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Biogramme
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Prof. (PT) an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal, 1972 Prof. (PT) an der Kirchlichen Hochschule Berlin, 1974 Prof. (PT) an der Universität Heidelberg. BONHOEFFER, Dietrich, luth. Theologe, Universitätslehrer (ST), Widerstandskämpfer 280, 666 geb. 4. 2. 1906 Breslau, gest. 9. 4. 1945 (hingerichtet) KZ Flossenbürg (Oberpfalz) [PERSONENLEXIKON, 41]. BORNKAMM, Günther, Theologe, Universitätslehrer (NT, Biblische Theologie) 288, 319, 352, 420 geb. 8. 10. 1905 Görlitz, gest. 18. 2. 1990 Heidelberg [PERSONENLEXIKON, 42]. BRANDENBURG, Hans, Pfarrer, Missionsdirektor 317, 402, 523 geb. 1895 Riga, gest. 1990 Villingen 1922 Pfarrer in Lübeck und in Berlin, 1930 Pfarrer der Berliner Stadtmission, 1934–1943 Pfarrer im Diakonissenhaus Salem in Berlin-Lichterfelde, Reisesekretär der Deutschen Christlichen Studentenvereinigung, Missionsdirektor der Mission „Licht im Osten“, Dozent an der Theologischen Schule Bethel (Kirchliche Hochschule Bethel), Vorstandsmitglied des Gnadauer Verbandes, Autor zahlreicher missionarischer und evangelistischer Schriften und Bibelauslegungen. BRANDT, Theodor, Pfarrer und Superintendent der lippischen Landeskirche 335, 339f., 346, 347, 350, 355f., 370, 392–394, 398–402, 415 geb. 9. 11. 1890 Kaiserslautern, gest. 12. 7. 1981 1919 Pfarrer in Küstrin-Neustadt, 1924 Leiter der Bibelschule der MBK in Leipzig sowie Direktor des christlichen Volksdienstes, 1934 Pfarrer in Dortmund, 1945 luth. Pfarrer in Bad Salzuflen, 1946 Superintendent der evangelisch-lutherischen Klasse der lippischen Landeskirche, Mitglied des Brüderrates des lippischen Gemeinschaftsbundes, langjähriger Leiter der Pfarrer-Gebets-Bruderschaft, 1961 i. R., danach Mitarbeit im Missionsrat und in der Prüfungskommission der lippischen Landeskirche, Bibelkurse beim MBK. BRAUCHITSCH, Eberhard von, Jurist, Generalmanager des Flick-Konzerns 579 geb. 28. 11. 1926 Berlin, gest. 7. 9. 2010 Zürich Mitarbeiter der Rechtsabteilung der Deutschen Lufthansa, 1957 Geschäftsführer der Deutschen Flugdienst GmbH, 1960 persönlicher Berater von Friedrich Karl Flick im Flick-Konzern, 1965 geschäftsführender Gesellschafter des Flick-Konzerns, 1971–1973 Generalbevollmächtigter des Verlegers Axel Springer und stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender des Axel-Springer-Verlags, 1972 Mitbegründer der „Berliner Protestanten“, 1973–1982 Generalmanager und Gesellschafter des Flick-Konzerns, 1981 Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie, 1982 Trennung vom Flick-Konzern auf Grund der Parteispendenaffäre, 1987 Verurteilung wegen Steuerhinterziehung und Beihilfe zur Steuerhinterziehung, Unternehmensberater, Rechtsanwalt, 1994 Aufsichtsratsvorsitzender des Chemie-Konzerns Buna-Werke. BRAUER, Wilhelm, Pfarrer, Stadtmissionsdirektor 200, 202, 206, 210, 214, 219 geb. 22. 3. 1902 Karthaus (Westpreußen), gest. 6. 2. 1988 Stockelsdorf 1933 Pfarrer in Obornik/Warthe, 1947 Volksmissionar der westfälischen Landeskirche, 1956 Direktor der Berliner Stadtmission, Vorsitzender der EvangelistenKonferenz, 1961 Pfarrer in Lübeck (St. Lorenz), 1970 i. R.
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Personenregister
BRÄUMER, Hansjörg, Diakonievorsteher 636 geb. 1941 1969 wissenschaftlicher Assistent und Hebräischlehrer an der Augustana-Hochschule in Neuendettelsau, 1972 Leiter des Aktions- und Besinnungszentrums in Breklum, 1977–2004 Vorsteher der diakonischen Lobetalarbeit in Celle, Autor zahlreicher theologischer und seelsorgerlicher Bücher. BRAUN, Alfred, Oberstudiendirektor 550, 553, 560 geb. 25. 3. 1901 Ammertsweiler bei Mainhardt, gest. 22. 11. 1978 Heilbronn Mathematiker und Physiker an einer Schule in Buenos Aires, 1926–1931 Mitarbeiter beim Dt. CVJM in Buenos Aires, 1945 Leiter des Evangelischen Hilfswerks im Bezirk Weinsberg, 1951 Leiter des Evangelischen Hilfswerks im Bezirk Heilbronn, 1955 Aufbau des Justinus-Kerner-Gymnasiums in Heilbronn, 1965 Vorstandsmitglied der Ludwig-Hofacker-Vereinigung, 1971 Gründer der Kirchlichen Sammlung in Württemberg, Mitglied der Notgemeinschaft evangelischer Deutscher (Evangelische Notgemeinschaft in Deutschland). BRAUN, Fritz, Diplomphysiker 469f., 538f. Verfasser von Büchern zur Hohlwelttheorie, Leiter des „Missionsbundes Wortgemeinde e. V.“, Herausgeber der „Rauschenberger Blätter“. BRAUN, Herbert, Pfarrer, Universitätslehrer (NT) 261, 319, 352, 355, 420, 454, 469, 487, 518 geb. 4. 5. 1903 Warlubien (Westpreußen), gest. 27. 8. 1991 Mainz [HAGER, Jahrzehnt, 334]. BRAUN, Joachim Frh. von, Jurist 570 geb. 1. 9. 1905 Gerdauen (Ostpreußen), 8. 6. 1974 Göttingen 1932 Kommissar für Osthilfe in Stettin, 1939 Reserveoffizier und Regimentsadjutant, 1940 Teilnehmer des Frankreichfeldzuges, 1941–1943 Teilnehmer des Krieges gegen die Sowjetunion, 1943 Mitarbeiter im Oberkommando des Heeres, 1947/48 Mitbegründer des „Göttinger Arbeitskreises“, langjähriges Vorstandsmitglied und Geschäftsführer des „Göttinger Arbeitskreises“, 1966–1974 Vorstandsmitglied der Notgemeinschaft evangelischer Deutscher (Evangelische Notgemeinschaft in Deutschland), 1972–1974 Bundesvorsitzender und Sprecher der Landsmannschaft Ostpreußen. BRAUN, Joachim, Pfarrer, Leiter des württembergischen Volksmissionarischen Amtes 215, 218, 490 geb. 13. 6. 1904 Berlin, gest. 6. 8. 2003 Öschingen 1932 Pfarrer in Berlin, Luisenstadt-Kirche, Stadtmissionspfarrer in Berlin, 1945 Studentenpfarrer in Tübingen, 1946 Gründer des Amts für Volksmission, Leiter des Volksmissionarischen Amtes der württembergischen Landeskirche, Pfarrer beim Evangelischen Gemeindedienst in Stuttgart, 1965 Vorstandsmitglied der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Bibel und Bekenntnis (Ludwig-Hofacker-Vereinigung), 1971 i. R. BRINKERT, Friedrich, Evangelist 220 BROCKHAUS, Carl, Lehrer, Evangelist, Begründer der deutschen Brüderbewegung 47 geb. 7. 4. 1822 Himmelmert bei Plettenberg, gest. 9. 5. 1899 Elberfeld 1843 Volksschullehrer in Breckerfeld (Sauerland), 1848 Hauptlehrer in Elberfeld, 1848 Mitbegründer der Evangelischen Gesellschaft, 1950 Mitbegründer des Evangelischen Brüdervereins, 1850 hauptamtlicher Prediger des Evangelischen
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Biogramme
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Brüdervereins, 1852 Trennung vom Brüderverein, seitdem Gründung und Betreuung von Brüdergemeinden im Sinne von John Nelson Darby, ausgedehnte evangelistische Tätigkeit, 1953 Gründer des Brockhaus-Verlages in Elberfeld (1894 erster offizieller Eintrag unter dem Namen „R. Brockhaus Verlag Elberfeld“), 1855–1871 Edition der Elberfelder Bibelübersetzung, Verfasser geistlicher Lieder. BROCKHAUS, Rolf, Verleger 391, 523 geb. 1909, gest. 25. 9. 2001 Wuppertal 1935 Mitarbeit im Brockhaus-Verlages, 1938–1974 Mitglied der Geschäftsführung, 1949–1974 Leitung des R. Brockhaus Verlages Wuppertal-Elberfeld, Mitglied des Hauptvorstandes der DEA, Mitglied des Bruderrates des Missionshauses Bibelschule Wiedenest. BRÜGMANN, Horst Herman Friedrich, Pfarrer, Kirchensuperintendent und Propst der SelK (SELK) 553 geb. 20. 7. 1927 Stöckte bei Winsen/Luhe, gest. 15. 9. 1984 Lüneburg 1952 Vikar der SelK in Karlsruhe und in Wriedel (Kreis Uelzen), 1955–1973 Pfarrer in Wriedel (Kreis Uelzen), 1963–1972 Kirchensuperintendent der SelK (SELK), Vorstandsmitglied der Bundessammlung der Kirchlichen Sammlung um Bibel und Bekenntnis, 1973–1977 Propst des Sprengels Nord der SELK, 1973 Amtsniederlegung auf Grund von Krankheit, 1977 i. R. BRUNNER, Emil, ref. Theologe, Universitätslehrer (PT, ST) 81, 94 geb. 23. 12. 1889 Winterthur, gest. 6. 4. 1966 Zürich [PERSONENLEXIKON, 46]. BRUNOTTE, Heinz, luth. Theologe, Präsident 292, 350, 355f. geb. 11. 6. 1896 Hannover, gest. 2. 2. 1984 Hannover [PERSONENLEXIKON, 46]. BRUNS, Hans, Pfarrer, Evangelist 162, 281, 336, 523 geb. 1895, gest. 1971 Pfarrer in Marburg, Evangelist und Zeltmissionar, Mitarbeiter des Deutschen Gemeinschafts-Diakonieverbandes in Marburg, 1963 Bibelübersetzung. BRÜSEWITZ, Oskar, Pfarrer 546 geb. 30. 5. 1929 Willkischken (Memelland), gest. 22. 8. 1976 Halle/Saale (nach Selbstverbrennung am 18. 8. 1976 in Zeitz) [SILOMON, Anspruch, 715]. BRYAN, William Jennings, Jurist, US-amerikanischer, demokratischer Politiker 93 geb. 19. 3. 1860 Salem/Illinois, gest. 26. 7. 1925 Dayton/Tennessee 1891–1895 Mitglied des US-Repräsentantenhauses als Abgeordneter des Bundesstaates Nebraska, mehrfacher Präsidentschaftskandidat, 1913–1915 US-Außenminister im Kabinett von Präsident Woodrow Wilson, Gegner des Darwinismus und Assistent des Staatsanwaltes im Scopes Trial („Affenprozess“) von Tennessee. BUCHMAN, Frank Nathan Daniel, US-amerikanischer Theologe 582, 587f. geb. 4. 6. 1878 Pennsburg/Pennsylvania, gest. 7. 8. 1961 Freudenstadt/Schwarzwald [SCHULZE, Verantwortung, 1004].
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BUDDEBERG, Ernst, Pfarrer, Missionsdirektor 121, 126f. geb. 1873, gest. 1949 Pfarrer in Elberfeld (Christuskirche), 1934–1945 Missionsdirektor der Liebenzeller Mission. BULTMANN, Rudolf, luth. Theologe, Universitätslehrer (NT: Religionsgeschichtswissenschaft, Leben-Jesu-Forschung) 35, 41, 66, 77, 121, 129, 150, 154, 158, 165, 186, 197, 213, 252, 255, 259–270, 276, 280–295, 296f., 298–306, 307, 308–315, 317–320, 322f., 324, 340–345, 347f., 355, 409f., 412, 417, 420, 425, 428f., 453f., 456, 469, 493, 500, 506, 523, 535, 661, 663 geb. 20. 8. 1884 Wiefelstede (Oldenburg), gest. 30. 7. 1976 Marburg [PERSONENLEXIKON, 48]. BURGHARDT, Kornelius, Theologiestudent 580 geb. 1945 Theologiestudent, 1972 Mitglied des Leitungsgremiums des Praktisch-Theologischen Ausbildungsinstituts des Predigerseminars Berlin-West. BUSCH, Johannes, Theologe, Landesjugendpfarrer 617 geb. 11. 3. 1905 Elberfeld, gest. 14. 4. 1956 Bochum [PERSONENLEXIKON, 49f.]. BUSCH, Wilhelm, Jugendpfarrer, Evangelist 199, 224, 320, 326, 336, 391, 393, 404, 439f., 523 geb. 27. 3. 1897 Elberfeld, gest. 20. 6. 1966 Bremen [PERSONENLEXIKON, 50]. BÜSCHER, Wolfgang, braunschweigischer Pfarrer 481, 486, 541, 553f., 557, 602 geb. 2. 1. 1929 Groß-Wolderfeld, gest. 21. 4. 2010 Helmstedt 1960 Pfarrer in Marsberg, 1964 Pfarrer in Helmstedt (St. Marienberg II), 1971 Pfarrer in Helmstedt (St. Christopherus), 2. Vorsitzender der Kirchlichen Sammlung: Aktionsgemeinschaft für Bibel und Bekenntnis in Braunschweig (Kirchliche Sammlung um Bibel und Bekenntnis in Braunschweig), Vorstandsmitglied und Pressesprecher der Bundesversammlung der Kirchlichen Sammlung um Bibel und Bekenntnis, 1994 i. R. BUSH, George Walker, 43. Präsident der USA 50 geb. 6. 7. 1946 New Haven/Conneticut 1978 Gründer und Unternehmer der Erdölförderfirma Arbusto Energy (Bush Exploration), 1986 Direktor bei Harken Energy Corporation, Mitglied der Republikanischen Partei, 1994–2000 Gouverneur von Texas, 2001–2009 Präsident der USA. BUSWELL, James Oliver, Jr., Dekan theologischer Ausbildungsstätten, führender USamerikanischer Fundamentalist 94 geb. 1895 Mellon/Wisconsin, gest. 1977 1919 Pastor der Presbyterian Church in Milwaukee, 1922 Pastor der Reformed Church in Brooklyn, 1926 Präsident des Wheaton College, 1936 Mitbegründer der Presbyterian Church of America, 1940 Präsident des National Bible Institute of New York City (Shelton College in Ringwood, New Jersey), 1956–1964 Dekan des Covenant College und gleichzeitig bis 1970 des Covenant Theological Seminary in St. Louis, Missouri, Mitarbeiter in der Orthodox Presbyterian Church, der Bible Presbyterian Church, der Evangelical Presbyterian Church sowie der Reformed Presbyterian Church, Evangelical Synod.
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CASPARI, Horst, Prediger 131 1955 Leiter der Evangelischen Gesellschaft in Heidelbeck. CHAMBON, Joseph, ref. Theologe, Pfarrer, kirchlicher Dozent (Ref. KG) 305 geb. 17. 4. 1884 Ludwigshafen/Rhein, gest. 18. 10. 1965 Zürich [PERSONENLEXIKON, 50]. CHRISTLIEB, Theodor, Pfarrer, Universitätslehrer (PT), führende Persönlichkeit der Gemeinschafts- und der Allianzbewegung 84, 119, 167f., 224, 247, 513 geb. 7. 3. 1833 Birkenfeld im Schwarzwald, gest. 15. 8. 1889 Bonn Vikar in Ludwigsburg, Pfarrverweser in Ruit auf den Fildern, 1858 Pfarrer in Islington (London) in der deutschen Gemeinde, 1865 Pfarrer in Friedrichshafen am Bodensee, 1868–1889 Prof. (PT) an der Universität Bonn, 1877–1889 Vorsitzender der Westdeutschen Evangelischen Allianz, 1884 Mitbegründer des Deutschen Evangelisationsvereins, 1886 Mitbegründer der Evangelistenschule Johanneum in Bonn, 1888 Mitinitiator der ersten Gnadauer Pfingstkonferenz. CHRUSCHTSCHOW, Nikita Sergejewitsch, sowjetischer Politiker, Ministerpräsident der UdSSR 587 geb. 3.(15.)4.1894 Kalinowka (Gouvernement Kursk, Russisches Kaiserreich), gest. 11. 9. 1971 Moskau 1918 Mitglied der KPdSU und der Roten Armee, 1925 Parteisekretär des Bezirks Petrowo-Marinsk (Ukraine), 1931 Vorsitzender der KPdSU im Industriebezirks Krasnaja Presnja (Moskau), 1932 2. Sekretär, 1933 1. Sekretär der KPdSU im Moskauer Stadtparteikomitee, 1934–1966 Mitglied des Zentralkomitees (ZK) der KPdSU, 1939–1964 Mitglied des Politbüros der KPdSU, 1939 1. Sekretär des ZK der KPdSU in der Ukraine, 1953–1964 1. Sekretär des ZK der KPdSU, 1958– 1964 Ministerpräsident der UdSSR. CLARK, Francis Edward, US-amerikanischer kongregationalistischer Pastor, Gründer des christlichen Jugendverbandes „Christian Endeavour“ (Entschieden für Christus) 234 geb. 12. 9. 1851 Aylmer (Québec), gest. 26. 5. 1926 Auburndale/Massachusetts 1876–1883 Pastor an der Williston Congregational Church in Portland/Maine, 1883–1887 Pastor an der Phillips Congregational Church in Boston, 1881 Gründer und Leiter des Jugendverbandes „Young People’s Society of Christian Endeavour“ (Entschieden für Christus) in Portland, 1895 Gründer des internationalen Jugendverbandes „World’s Christian Endeavor Union“. CLASS, Helmut, Pfarrer, württembergischer Landesbischof, Ratsvorsitzender der EKD 532 geb. 1. 7. 1913 Geislingen-Altenstadt, gest. 4. 11. 1998 Nagold-Pfrondorf 1939 Pfarrer in Heilbronn, 1948 Jugendpfarrer in Heilbronn, 1959 Leiter der Evangelischen Diakonieschwesternschaft in Herrenberg, 1968 Prälat von Stuttgart, 1969 Landesbischof der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, 1972 Vorsitzender des Rates der EKD, 1972–1986 Vorsitzender des Diakonischen Rates, 1979 i. R. COCHLOVIUS, Joachim, hannoverscher Pfarrer, Studienleiter 380 geb. 29. 8. 1943 Teplitz-Schönau 1974 Pfarrer in Berg (Oberfranken), 1979 Studienleiter des Geistlichen Rüstzentrums Krelingen, 1996 hauptamtlicher 1. Vorsitzender des Gemeindehilfsbundes.
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Personenregister
COERPER, Heinrich, Pfarrer, Gründer und Leiter des Deutschen Zweiges der ChinaInland-Mission (Liebenzeller Mission) 121, 123f., 126, 129 geb. 3. 3. 1863 Meisenheim, gest. 8. 7. 1936 Lahr-Dinglingen 1888/89 Lehrer an der Evangelistenschule Johanneum in Bonn, 1890 Pfarrer in Heidelberg, 1894 Pfarrer in Essen, 1897–1899 Pfarrer am Diakonissenhaus in Straßburg, 1899 Gründer des Deutschen Zweiges der englischen China-InlandMission (Liebenzeller Mission im Verband der China-Inland-Mission/Liebenzeller Mission), 1910 Ausbilder und Lehrer von Missionaren und Missionsschwestern, 1910 Mitbegründer und Vorsitzender der Süddeutschen Vereinigung für Evangelisation und Gemeinschaftspflege (Süddeutscher Gemeinschaftsverband). CONZELMANN, Hans, Universitätslehrer (NT) 269, 409, 452, 492, 495f. geb. 27. 10. 1915 Tailfingen (Württemberg), gest. 20. 6. 1989 Göttingen [HAGER, Jahrzehnt, 335]. DARBY, John Nelson, anglikanischer Priester, führende Persönlichkeit der Brüderbewegung, Dispensationalist 183 geb. 18. 11. 1800 London, gest. 29. 4. 1882 Bournemouth (England) Anwalt, 1825–1827 anglikanischer Priester in Irland, 1927 Gründer von Brüdergemeinden in England und Irland, 1839 Gründer von Brüdergemeinden auf dem europäischen Festland, Nordamerika, Australien und Neuseeland, 1854 erster Besuch in Elberfeld und Kontakt mit Carl Brockhaus, Mitherausgeber der Elberfelder Studienbibel. DARROW, Clarence, US-amerikanischer Rechtsanwalt, Bürgerrechtler 93 geb. 18. 4. 1857 Kinsman/Ohio, gest. 13. 3. 1938 Chicago 1878 Rechtsanwalt in Youngstown/Ohio und Chicago/Illinois, Syndikusanwalt für eine Eisenbahngesellschaft, 1894 Strafverteidiger, 1925 Verteidiger des Schullehrers John Thomas Scopes in Dayton im Scopes Trial („Affenprozess“), 1925 i. R. DEITENBECK, Paul, westfälischer Pfarrer, Evangelist 135, 197, 212, 217f., 224, 227f., 232, 252, 333 f., 336, 370, 391, 405, 407, 418–420, 422, 426, 441–443, 447, 456, 472f., 486, 487, 501, 508f., 511, 523, 596, 621, 625, 629–631, 635 geb. 13. 7. 1912 Lüdenscheid, gest. 3. 12. 2000 Lüdenscheid 1949–1952 Synodalpfarrer für Volksmission und Seelsorge im Kirchenkreis Lüdenscheid, 1949–1965 Jugendpfarrer in Lüdenscheid, 1951–1953 Studentenpfarrer an der Pädagogischen Akademie Lüdenscheid, 1952 Pfarrer in Lüdenscheid, 1954 Gründer der Fabrikmission, 1957–1987 Vorsitzender der Deutschen Zeltmission e. V., 1958–1979 2. Vorsitzender der DEA, führend tätig im CVJMWestbund, führend tätig beim Evangeliums-Rundfunk und bei idea, 1966 Mitbegründer und Geschäftsstellenleiter der Bekenntnisbewegung Kein anderes Evangelium, 1966–1976 Vorsitzender der Tersteegen-Konferenz, 1982 i. R. DEMMER, Herbert, westfälischer Pfarrer, Theologischer Vizepräsident der Evangelischen Kirche von Westfalen 173 Pfarrer in Gelsenkirchen und Dortmund, 1967 Leiter des Volksmissionarischen Amtes der Evangelischen Kirche von Westfalen, 1967 Schriftleiter von „Licht und Leben“, 1973 Landeskirchenrat, 1982 Oberkirchenrat, 1987–1997 Theologischer Vizepräsident der westfälischen Landeskirche. DESSECKER, Klaus, badischer Pfarrer, Institutsdirektor 442 geb. 2. 12. 1925 Sulzburg
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1951 badischer Pfarrer (Studentenpfarrer in Karlsruhe), 1954 Studienassessor, 1956 Studienrat, 1965 Gymnasialprof. für Evangelischen Religionsunterricht am Freiburger Kepler-Gymnasium, 1970 Gründer und seitdem Direktor des Religionspädagogischen Instituts der Evangelischen Landeskirche in Baden (Leiter des Katechetischen Amtes der badischen Landeskirche), 1988 i. R. DIBELIUS, Otto, Theologe, Bischof, Ratsvorsitzender der EKD 179, 210, 216, 461 geb. 15. 5. 1880 Berlin, gest. 31. 1. 1967 Berlin [PERSONENLEXIKON, 58]. DIEM, Hermann, Theologe, Pfarrer, Universitätslehrer (ST) 355 geb. 2. 2. 1900 Stuttgart, gest. 27. 2. 1975 Tübingen [PERSONENLEXIKON, 59f.]. DIESTELMANN, Jürgen, braunschweigischer Pfarrer 413f., 481, 541 geb. 29. 5. 1928 Coburg 1956–1968 Pfarrer in Salzgitter-Gebhardshagen (Heilig-Kreuz), 1966 Mitglied der Kirchlichen Sammlung: Aktionsgemeinschaft für Bibel und Bekenntnis in Braunschweig (Kirchliche Sammlung um Bibel und Bekenntnis in Braunschweig), 1968 Vorstandsmitglied der Bundesversammlung der Kirchlichen Sammlung um Bibel und Bekenntnis, 1968 Pfarrer in Alfershausen (Mittelfranken), 1975 Pfarrer in Braunschweig (St. Ulrici/Brüdern), 1991 i. R. DIETZFELBINGER, Hermann, Pfarrer, bayerischer Landesbischof, Ratsvorsitzender der EKD 497, 499, 530, 550, 551, 552, 611f., 619 geb. 14. 7. 1908 Ermershausen, gest. 15. 11. 1984 München [HAGER, Jahrzehnt, 335]. DINKLER, Erich, Theologe, Universitätslehrer (NT, Alte KG, Christliche Archäologie) 500 geb. 6. 5. 1909 Remscheid, gest. 28. 6. 1981 Mannheim [PERSONENLEXIKON, 61]. DIPPER, Theodor, Theologe, Pfarrer, Bruderratsvorsitzender 559f. geb. 20. 1. 1903 Unterheinriet bei Heilbronn, gest. 20. 8. 1969 Imperia (Italien) [PERSONENLEXIKON, 61f.]. DITTERT, HERMANN, Evangelist 189 DÖLDISSEN, Fritz [Friedrich], Landwirt 131 1924 Vorstandsmitglied des Lippischen Gemeinschaftsbundes, 1945 2. Vorsitzender, 1951–1960 1. Vorsitzender des Lippischen Gemeinschaftsbundes. DREYER, Martin, freikirchlichen Pastor, Suchtberater, Gründer des Jugendvereins Jesus Freaks 136 geb. 27. 2. 1965 Hamburg 1990/91 Missionar bei „Youth with a Mission“ in Amsterdam, 1991–1995 Ausbildung zum Pastor am Anskar-Kolleg der 1988 von Wolfram Kopfermann gegründeten Anskar-Kirche, 1992 Gründer des Jugendvereins Jesus Freaks, bis 1998 Pastor und Vorsitzender des Vereins, 1996–2001 Suchtberater der ambulanten Drogenhilfe Palette e. V. in Hamburg, 2002–2009 Mitarbeiter am Jugendzentrum Köln-Sülz, 2004 Leiter des Internetcafes „JuxJu“ in Köln. DRÖMANN, Hans-Christian, hannoverscher Pfarrer, Landessuperintendent 381 geb. 31. 5. 1932 Hildesheim 1960 Pfarrer in Brüggen/Leine, 1971 Superintendent in Bockenem, 1988–1997
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Landessuperintendent für den Sprengel Lüneburg, 1996–2002 Abt des Klosters Amelungsborn. DUTSCHKE, Rudi, Politiker, Soziologe, Wortführer der deutschen Studentenbewegung 562, 571, 582 geb. 7. 3. 1940 Schönefeld (Brandenburg), gest. 24. 12. 1979 Aarhus (Dänemark) [HAGER, Jahrzehnt, 335]. EBELING, Gerhard, luth. Theologe, Universitätslehrer (KG, ST, Dogmengeschichte, Symbolik, Fundamentaltheologie, Hermeneutik, PT) 156, 319, 322, 339, 355, 399, 402, 403, 454, 469, 492, 496, 498 geb. 6. 7. 1912 Berlin, gest. 30. 9. 2001 Zürich [PERSONENLEXIKON, 66]. EICHELE, Erich, Pfarrer, Landesbischof der württembergischen Landeskirche 90, 217, 251, 256f., 356, 476–478, 510, 538, 559 geb. 26. 2. 1904 Stuttgart, gest. 11. 6. 1985 Stuttgart [SCHULZE, Verantwortung, 1010]. EICHIN, Friedrich (Fritz), badischer Pfarrer 407 geb. 1902, gest. 1992 1927 Pfarrvikar, 1933 Pfarrer in Hasel, 1947 Pfarrer in Schopfheim, 1950 Mitarbeiter der Zellerschen Anstalten in Männedorf (Schweiz), 1954 Pfarrer in Oetlingen, 1961 Pfarrer im Dienst der badischen Volksmission, Mitarbeiter von Friedrich Hauß, 1967 i. R. EICKEN, Erich von, methodistischer Pastor, Dozent und Leiter des Brüderhauses Tabor in Marburg 404 geb. 19. 12. 1894 Düsseldorf, gest. 30.5. 1972 Bankkaufmann, methodistischer Prediger, 1936 Mitarbeiter des Deutschen Gemeinschafts-Diakonieverbandes, 1948–1969 Dozent und Leiter des Brüderhauses (Bibelschule) Tabor in Marburg. ELERT, Werner, altluth. Theologe, Universitätslehrer (KG, Dogmengeschichte, Symbolik, ST) 410 geb. 19. 8. 1885 Heldrungen (Provinz Sachsen), gest. 21. 11. 1954 Erlangen [PERSONENLEXIKON, 69f.]. ELLINGER, Theodor, Universitätslehrer (Betriebswirtschaftslehre), Kreationist 234, 628 geb. 1920 Stuttgart, gest. 2004 Studium des Maschinenbaus und der Wirtschaftswissenschaften, 1960 Prof. (Betriebswirtschaftslehre) an der Universität Mainz, 1967–1985 Direktor des Industrieseminars der Universität Köln, 1973–1980 Vorsitzender der Studentenmission in Deutschland, 1979/80 Mitbegründer und Leiter der kreationistischen Studiengemeinschaft „Wort und Wissen“. ELLWEIN, Eduard, kirchlicher Hochschuldozent (NT) 294 geb. 1898 Madras (Indien), gest. 1974 1950–1965 Dozent (NT) an der Augustana-Hochschule in Neuendettelsau, 1956–1963 Rektor des Pastoralkollegs in Neuendettelsau. ENGELHARDT, Klaus, Pfarrer, Hochschuldozent (Ev. Theologie und Religionspädagogik), Landesbischof, Vorsitzender des Rates der EKD 515 geb. 11. 5. 1932 Schillingstadt (heute Ahorn) (Baden) 1962 Studentenpfarrer in Karlsruhe, 1966 Prof. (Ev. Theologie und Religionspä-
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dagogik) an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg, 1971–1976 Rektor, 1980–1997/98 Landesbischof der Evangelischen Landeskirche in Baden, 1983– 1989 Mitglied des Präsidiums des DEKT, 1985 Mitglied des Rates der EKD, 1991–1997 Vorsitzender des Rates der EKD, 1998 i. R. ERASMUS VON ROTTERDAM, niederländischer Gelehrter, Theologe, Philosoph, führender Humanist 458, 460 geb. 27. 10. 1965 oder 1469 Rotterdam, gest. 12. 7. 1536 Basel. ESSELBORN, Karl, pfälzischer Pfarrer, Oberstudienrat 521, 603f., 618 geb. 16. 5. 1901 Freckenfeld, gest. 23. 9. 1982 Pirmasens 1930 Pfarrer in Elmstein und Iggelbach, 1935 Pfarrer in Oberotterbach, 1940 Pfarrer in Vorderweidenthal und Oberotterbach, 1947 Oberstudienrat an der Oberrealschule Pirmasens (Leibniz-Gymnasium), Vorstandsmitglied der Evangelischen Vereinigung um Bibel und Bekenntnis in der Pfalz, 1976 i. R. EVANS, Robert Philip, US-amerikanischer Pastor, Evangelist, Bibelschulengründer 206f. geb. 21. 2. 1918 Baltimore, Maryland, gest. 28. 7. 2011 Fort Myers, Florida 1939/40 Pastor der West Side Congregational Church in Dixon/Illinois, 1943 Geistlicher der United States Navy und der United States Marine Corps, 1946 Generalsekretär und Vizepräsident von Youth for Christ, 1949–1953 Gründer und Dozent des European Bible Institute in Paris, Dozent am European Bible Institute, Gründer zahlreicher Bibelschulen als Tochterunternehmen des European Bible Institute in Europa, 1950 Berater und Europabeauftragter Billy Grahams, leitender Mitarbeiter der Billy Graham Evangelistic Association, 1952– 1986 Gründer und Direktor des Missionswerkes Greater Europe Mission, Mitarbeiter in den Planungskomitees des Weltkongresses für Evangelisation 1966, dem Europäischen Kongress für Evangelisation 1971, dem Internationalen Kongress für Weltevangelisation 1974, 1986 i. R. EVERS, August, Leiter der Diakonissenanstalt Salem in Köslin 170–172 EVERTZ, Alexander, Pastor, Gründer und Vorsitzender der Notgemeinschaft evangelischer Deutscher (Evangelische Notgemeinschaft in Deutschland) 471, 473f., 568, 570, 576, 627 geb. 13. 11. 1906 Solingen, gest. 7. 6. 2001 Pastor in Dortmund, 1966 Gründer der Notgemeinschaft evangelischer Deutscher (Evangelische Notgemeinschaft in Deutschland), 1966–1982 Vorsitzender der Notgemeinschaft evangelischer Deutscher (Evangelische Notgemeinschaft in Deutschland). EYRICH, Heinz, Jurist, Politiker (CDU) 594 geb. 1. 2. 1929 Tuttlingen 1955 Mitglied der CDU, 1957–1978 Gerichtsassessor und Staatsanwalt in Freiburg/Br., Stadtrat in Feiburg/Br., 1965 Vorsitzender der Jungen Union Südbaden, 1969–1978 Mitglied des Deutschen Bundestages, 1978–1991 Justizminister von Baden-Württemberg, parallel dazu 1983/84 Innenminister von Baden-Württemberg, 1984–1992 Minister für Bundesangelegenheiten (Vertretung des Landes Baden-Württemberg beim Bund), 1987–1992 Minister für Europaangelegenheiten, 1992 Rechtsanwalt in Freiburg/Br.
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FAHRENHEIM, Henning, Pfarrer 155 geb. 10. 3. 1895, gest. 22. 5. 1966 1924 Pfarrer der Landeskirche Mecklenburg-Schwerin, Domprediger in Schwerin, 1940 Gestapo-Haft, Übernahme in den württembergischen Pfarrdienst, 1941 kommissarischer Stellvertreter in Altenmünster, 1946 Pfarrer in Altenmünster, 1949 Pfarrer in Ulm (Martin-Luther-Kirche I), 1958 i. R. FAIX, Wilhelm, Dozent und Leiter des Theologischen Seminars Adelshofen 366 1978 Dozent am Theologischen Seminar in Adelshofen, Leiter des Theologischen Seminars Adelshofen, 2. Vorsitzender der Konferenz bibeltreuer Ausbildungsstätten, Vorstandsmitglied der Konferenz der bekennenden Gemeinschaften in Deutschland (Konferenz bekennender Gemeinschaften). FEGHELM, Hermann, württembergischer Pfarrer, Studiendirektor 479 geb. 16. 6. 1918 Feuerbach, gest. 4. 11. 1996 Waiblingen 195"8 Pfarrer in Schnaitheim, 1965 Religionslehrer am Staufer-Gymnasium Waiblingen, 1966 Studienrat, 1968 Oberstudienrat, 1974 Studiendirektor, 1983 i. R. FELDNER, Ludwig, altlutherischer Pfarrer, Präses der Evangelischen Gesellschaft 130 geb. 1805, gest. 1890 1847 Pfarrer in Elberfeld, 1848 Mitbegründer und Präses der Missionsgesellschaft Evangelischen Gesellschaft (für Deutschland) in Wuppertal, 1858 Austritt aus der (unierten) Landeskirche und Eintritt in die Evangelisch-Lutherische Kirche in Preußen, Gründer der altlutherischen (selbständigen evangelisch-lutherischen) Gemeinde Elberfeld (St. Petri) und dort bis 1882 Pfarrer, 1872 Superintendent der Rheinischen Diözese der Altlutherischen Kirche. FERRÉ, Nels R. S., US-amerikanischer Hochschullehrer 78, 204–206 geb. 1908 Luleå (Schweden), gest. 1971 1939 Abbot Prof. (Christian Theology) an der Andover Newton Theological School in Newton Centre/Massachusetts, 1950 Prof. an der Vanderbilt Divinity School in Nashville/Tennessee, 1958 Abbot Prof. an der Andover Newton Theological School in Newton Centre/Massachusetts, 1957 Präsident der American Theological Society. FEZER, Karl, Theologe, Universitätslehrer (PT) 310, 479 geb. 18. 4. 1891 Geislingen (Steige), gest. 13. 1. 1960 Stuttgart [PERSONENLEXIKON, 75]. FIETZ, Siegfried, Liedermacher 631 geb. 25. 5. 1946 Bad Berleburg Studium der Komposition bei Gustav Adolf Schlemm, Mitarbeiter im Verlag Hermann Schulte Wetzlar, Gründer des Musikverlages ABAKUS Musik, 1986– 1996 Leiter der Hörfunksendung „Lieder zwischen Himmel und Erde“ des Hessischen Rundfunks. FILBINGER, Hans, Jurist, Politiker (CDU) 547 geb. 15. 9. 1913 Mannheim, gest. 1. 4. 2007 Freiburg/Br. 1937 Mitglied der NSDAP, 1940–1943 Kriegsdienst, 1943 Freistellung vom Soldatendienst für Tätigkeit als Marinehilfskriegsgerichtsrat, Rechtsanwalt in Freiburg/Br., 1951 Mitglied der CDU, 1953 Stadtrat von Freiburg/Br., 1960–1980 Mitglied des baden-württembergischen Landtages, 1966–1978 Ministerpräsident Baden-Württembergs, 1973/74 Präsident des Bundesrates, 1971–1979 Landesvor-
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sitzender und 1973–1979 stellvertretender Bundesvorsitzender der CDU, 1978 Rücktritt als Ministerpräsident auf Grund der „Filbinger-Affäre“ (öffentliches Bekanntwerden von vier Todesurteilen, an denen Filbinger als Marinerichter in der Zeit von 1943–1945 beteiligt war), 1979 Gründer und bis 1997 Leiter des Studienzentrums Weikersheim. FINCKE, Eberhard, braunschweigischer Pfarrer 486 geb. 7. 9. 1935 Bärwalde 1964 Pfarrer in Kreiensen, 1966 Stadtjugendpfarrer in Braunschweig, 1971 Angestellter der Stadt Braunschweig, 1977 Pfarrer in Braunschweig-Hondelage (Johanniskirche), 1994 i. R. FINDEISEN, Sven, Pfarrer, Studienleiter 335, 355, 368, 369, 371, 390, 394, 398f., 401, 407, 414, 456, 501, 519, 523, 532, 533, 537, 628 geb. 25. 4. 1930 Reval (Tallinn) Pfarrer der Nordelbischen Kirche, 1972–1978 Studienleiter des Geistlichen Rüstzentrums Krelingen, 2. Vorsitzender der Bekenntnisbewegung Kein anderes Evangelium, Vorsitzender der Studienstiftung Kein anderes Evangelium, Vorstandsmitglied der DEA, Mitglied des Leiterkreises der Konferenz der bekennenden Gemeinschaften in Deutschland (Konferenz bekennender Gemeinschaften). FISCHER, Martin, Theologe, Präsident, kirchlicher Hochschullehrer (PT) 174, 501 geb. 9. 8. 1911 Marburg, gest. 3. 3. 1982 Berlin [PERSONENLEXIKON, 76f.]. FISCHER, Max, Pfarrer, Pfarrer, Prediger der Gemeinschaftsbewegung, Evangelist, Leiter der Bahnauer Bruderschaft 151, 153–155, 156, 164, 193, 304f., 316f., 329, 399, 402, 406, 407, 414f., 456, 476, 478, 516, 523 geb. 27. 8. 1900 Wernigerode, gest. 15. 2. 1967 Unterweissach 1920 Eintritt in das Gemeinschaftsbrüderhaus Preußisch Bahnau in Ostpreußen, 1923 Prediger des Ostpreußischen Gemeinschaftsbundes in Pilkallen, 1926 in Tilsit, 1931–1945 in Königsberg, 1941 Pfarrer in Königsberg, 1945 Pfarrer in Unterweissach (Württemberg), 1946 Neubegründer und seitdem Leiter der Bahnauer Bruderschaft, 1948 Leiter der Missionsschule der Bahnauer Bruderschaft in Unterweissach, 1966 i. R., Mitglied des Hauptvorstandes des Gnadauer Verbandes, Leiter des theologischen Beirates des Gnadauer Verbandes, Vertreter des Gnadauer Gemeinschaftsverbandes in der Arbeitsgemeinschaft für Volksmission, Mitarbeiter in der Bekenntnisbewegung Kein anderes Evangelium. FLÜGGE, Rufus, Pfarrer der hannoverschen Landeskirche, Superintendent 219f. geb. 11. 9. 1914 Hamburg, gest. 21. 4. 1995 Hannover 1942 baptistischer Prediger in Königsberg, 1945/46 Flüchtlingspastor in Dänemark, 1946 Übertritt in die Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers, 1947 Pfarrer in Clausthal-Zellerfeld und Studentenpfarrer an der Bergakademie Clausthal-Zellerfeld, 1960 Superintendent in Celle, 1963–1979 Stadtsuperintendent in Hannover, Vorsitzender der Evangelischen Allianz Hannover. FREY, Gerhard, DVU-Politiker, Verleger 567 geb. 18. 2. 1933 Cham in der Oberpfalz 1951 freier Mitarbeiter der „Deutschen Soldaten-Zeitung“ („Deutsche NationalZeitung“), 1959 Herausgeber und Chefredakteur, 1960 Eigentümer der „National-Zeitung“, Eigentümer der „Deutschen Wochenzeitung“, 1971–2009 Gründer
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und Bundesvorsitzender der Deutschen Volksunion (DVU; seit 1987 Partei), 1975–1979 Mitglied der NPD. FREY, Hellmuth, Theologe, Pfarrer, kirchlicher Dozent (AT, PT) 299f., 306, 320, 332, 334 f., 336, 340, 347, 350, 355f., 369, 390f., 393f., 396–401, 407, 417f., 421, 422, 486 geb. 20. 12. 1901 Torri, gest. 27. 12. 1982 Bethel [PERSONENLEXIKON, 79f.]. FRIEDRICH, B., Evangelist der Philadelphia-Gemeinde 108 FRISCHE, Reinhard, schweizerischer Pfarrer, Studiendirektor 366 geb. 1949 Wuppertal 1979 wissenschaftlicher Assistent am Institut für Sozialethik in Zürich, Dozent am Theologischen Seminar St. Chrischona/Basel, bis 2002 Studiendirektor des Theologischen Seminars St. Chrischona, 2003 ref. Pfarrer in Brig-Glis (Schweiz). FUCHS, Ernst, Theologe, Pfarrer, Universitätslehrer (NT) 261, 269, 287f., 319, 322, 355, 408f., 442, 443, 469, 504, 550, 551 geb. 11. 6. 1903 Heilbronn, gest. 15. 1. 1983 Langenau bei Ulm [PERSONENLEXIKON, 82f.]. FUHR, Wilhelm, Landwirt in Rimbach (Odenwald) 290f. FUHRMANN, Georg, Pfarrer der hannoverschen Landeskirche, Mitglied der Kirchenleitung 324, 325 geb. 18. 12. 1914 Kiel, gest. 18. 11. 2008 1954 Pfarrer in Oese, 1959/60 Kirchenrat, 1960 Oberkirchenrat, 1963 Landeskirchenrat, 1965–1976 Oberlandeskirchenrat im Landeskirchenamt Hannover. FUHRMANN, Prediger und Direktor der Evangelischen Gesellschaft in der Region Lippe 131 FÜLLKRUG, Gerhard, Theologe, Pfarrer 168–170, 172 geb. 6. 7. 1870 Krotoschin (Provinz Posen), gest. 11. 11. 1948 Neinstedt (Harz) [PERSONENLEXIKON, 83]. GARAUDY, Roger, französischer Philosoph, Marxist, Universitätslehrer (Philosophie, Kunstgeschichte) 535 geb. 17. 7. 1913 Marseille 1945–1951/1956–1958 Mitglied der französischen Nationalversammlung als Abgeordneter der Kommunistischen Partei Frankreichs (KPF), 1951–1955 Korrespondent des KPF-Organs „L’Humanité“ in der Sowjetunion, 1958 akademischer Lehrer (Philosophie, Kunstgeschichte) in Albi und am Lycée Buffon in Paris, 1962–1965 Prof. (Philosophie) an der Universität Clermont Ferrand, 1962 Leiter des Centre d’Études et de Recherches Marxistes, 1969 Prof. an der Universität Poitiers, 1970 Ausschluss aus der KPF, Konversion zum Katholizismus, 1982 Konversion zum Islam, 1998 Verurteilung durch französisches Gericht auf Grund von Holocaustleugnung, rassistischer Verleumdung und Anstachelung zum Rassenhass. GASSMANN, Lothar, Prediger des Christlichen Gemeinde-Dienstes in Pforzheim 100, 577, 649 geb. 19. 11. 1958 Pforzheim 1991 Vikariat in der badischen Landeskirche, Verweigerung der Übernahme in den Pfarrdienst durch die badische Landeskirche, 1993–1997 Dozent an der
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FTA/H Gießen, 1999–2009 hauptamtlicher Beauftragter für Weltanschauungsfragen der Arbeitsgemeinschaft Weltanschauungsfragen e. V. (AWF), 2003–2005 Schriftleiter der Zeitschrift „Erneuerung und Abwehr“ der Notgemeinschaft evangelischer Deutscher (Evangelische Notgemeinschaft in Deutschland), 2009 Gründer und seitdem Prediger des Christlichen Gemeinde-Dienstes innerhalb der unabhängigen Gemeinde Christen in Pforzheim, Autor zahlreicher kritischer Bücher zu Gruppendynamik, den Grünen, Abtreibung, New Age, Welteinheitskirche und zur Ablehnung des christlichen Fundamentalismus. GASSNER, Paula (Schwester Paula), Missionarin, Gründerin und Leiterin der Biblischen Glaubens Gemeinde 186 gest. 1981 Missionarin in England, 1935–1937 Gründerin der „Stuttgarter Gebetskreise des vollen Heils“, 1945–1951 Mitarbeiterin von Karl Friedrich Fix und Karl Keck in der Internationalen Volksmission (entschiedener Christen) (Volksmission entschiedener Christen), 1955 Gründerin der freikirchlich-charismatischen Biblischen Glaubens Gemeinde e. V. in Stuttgart und bis 1981 Leiterin der Gemeinde. GEBHARDT, Rudolf Friedrich Siegfried, Pfarrer, Propst, Universitätslehrer (PT) 340 geb. 10. 8. 1926 Schlotheim (Thüringen), gest. 3. 6. 1988 Bad Oyenhausen 1955 Studieninspektor am Predigerseminar und Pfarrer in Hofgeismar-Gesundbrunnen (II), 1961 Pfarrer in Eichenberg bei Witzenhausen, 1964 Studiendirektor am Predigerseminar und Pfarrer in Hofgeismar-Gesundbrunnen (I), 1972 Hon.Prof. (PT) an der Universität Marburg, 1973–1988 Propst des Sprengels Kassel und Pfarrer in Kassel (Karlskirche), Vorsitzender der Theologischen Kammer der der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck. GEISTER, Dieter, rheinischer Pfarrer 441 geb. 10. 1. 1926 Altöls (Kreis Bunzlau), gest. 9. 7. 1969 Neuss 1954 Pfarrerhilfsdienst in Bielefeld und Bad Lippspringe, 1957 Pfarrer in Bad Lippspringe, 1965–1969 Pfarrer in Neuss (Reformationskirche II). GELLER, Hermann, Prediger der „Arbeitsgemeinschaft: Bekennende Gemeinde“ in Bielefeld 649 GEORGE, Reinhold, Pfarrer und Superintendent in Berlin 565, 581, 591, 601 geb. 3. 2. 1913, gest. 19. 5. 1997 Pfarrer in Berlin (Zum Heilsbronnen), Superintendent, Vorsitzender der Konferenz der bekennenden Gemeinschaften in Deutschland (Konferenz bekennender Gemeinschaften), 1967 Mitbegründer der Evangelischen Sammlung Berlin, Vorsitzender der Evangelischen Sammlung Berlin. GEORGI, Dieter, Universitätslehrer (NT) 442 geb. 6. 6. 1929 Mittelsömmern (Kreis Langensalza), gest. 1. 3. 2005 1962 Dozent (NT) an der Universität Heidelberg, 1964/65 Gastprof. (NT) an der Harvard University, 1966 Prof. (NT) am San Francisco Theological Seminary in San Anselmo/California, 1969–1984 Frothingham Prof. of Biblical Studies an der Harvard Divinity School, 1983 Prof. (NT) an der Universität Frankfurt/Main, Mitbegründer des Fachbereiches Evangelische Theologie der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt/Main, 1987–1989 Gründungsdekan, 1996 i. R. GERSTENMAIER, Eugen, Kaufmann, Theologe, Bundestagsabgeordneter, Bundestagspräsident 186
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geb. 25. 8. 1906 Kirchheim/Teck, gest. 13. 3. 1986 Oberwinter [PERSONENLEXIKON, 87]. GIERTZ, Bo, schwedischer lutherischer Bischof 550f. geb. 31. 8. 1905 Räpplinge in Öland (Schweden), gest. 12. 7. 1998 Göteburg Reisesekretär der Sveriges Kristliga Gymnasiaströrelse (Christlichen Schülerbewegung Schwedens), 1935 Pfarrer in Ekeby (bei Boxholm), Pfarrer in Torpa (Östergötland), königlicher Hofprediger, Heerespfarrer, 1949 Bischof von Göteborg, 2. Vorsitzender des Lutherischen Weltbundes, Gründer der Kirchlichen Sammlung um Bibel und Bekenntnis in Schweden. GIESEN, Heinrich, Pfarrer, Generalsekretär, Stadtmissionsinspektor 567 geb. 10. 9. 1910 Barmen, gest. 1972 Studentensekretär im Reisedienst der Christlichen Studentenvereinigung, Stadtmissionsinspektor in Bonn, 1945 Studentenpfarrer in Bonn, 1950 Generalsekretär des DEKT, 1961–1972 Direktor der Berliner Stadtmission und Beauftragter für Mission in der Berlin-brandenburgischen Kirche. GILBERT, Wilhelm, Präses des Bundes Freier evangelischer Gemeinden, Vorsitzender der DEA 227, 230, 596 geb. 11. 7. 1904, gest. 4. 4. 1998 Haiger Pastor im Kreis Regenwalde (Hinterpommern), 1936 Pastor in Berlin, 1949 Pastor in Wiesbaden, 1959–1973 Präses des Bundes Freier evangelischer Gemeinden, 1966 Präsident des Internationalen Bundes freier evangelischer Gemeinden, 1974–1977 Präsident der Europäischen Evangelischen Allianz, 1967–1979 1. Vorsitzender der DEA. GOESSEL, Hans Hartwig von, rheinischer Pfarrer, Leiter des Volksmissionarischen Amtes der rheinischen Landeskirche 490 geb. 27. 3. 1928 Breslau 1955 Pfarrer in Salzgitter-Beddingen, 1958 Mitarbeiter im Volksmissionarischen Amt der rheinischen Landeskirche, 1962 Landespfarrer für Volksmission (II), Leiter des Volksmissionarischen Amtes der rheinischen Landeskirche, 1973 Rektor des Mutterhauses für kirchliche Diakonie in Ottobrunn. GOEZ, Walter, westfälischer Pfarrer 549, 553 Pfarrer in Bochum, Essen, Berlin, 1979 Pfarrer in Münster, Vorstandsmitglied der Kirchlichen Sammlung um Bibel und Bekenntnis in Westfalen, Vorstandsmitglied der Bundessammlung der Kirchlichen Sammlung um Bibel und Bekenntnis, 1990 i. R., 1995–2000 2. Vorsitzender der Hochkirchlichen Vereinigung Augsburgischen Bekenntnisses e. V. GOGARTEN, Friedrich, luth. Theologe, Universitätslehrer (ST) 296, 319, 344 geb. 13. 1. 1887 Dortmund, gest. 16. 10. 1967 Göttingen [PERSONENLEXIKON, 90]. GOLLWITZER, Helmut, Theologe, Religionswissenschaftler, Pfarrer, kirchlicher Dozent, Universitätslehrer (ST) 397, 448–451, 492, 498, 562 geb. 29. 12. 1908 Pappenheim (Bayern), gest. 17. 10. 1993 Berlin [PERSONENLEXIKON, 90]. GOLTZEN, Herbert, Pfarrer der oldenburgischen Landeskirche, Mitbegründer des Pfarrernotbundes 239–241 geb. 5. 9. 1904 Berlin, gest. 28. 6. 1979 Kaufbeuren [ZOCHER, Osterloh, 679].
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Biogramme
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GOPPELT, Leonhard, Universitätslehrer (NT) 352, 497 geb. 6. 11. 1911 München, gest. 21. 12. 1973 München 1940–1945 Kriegsdienst, 1949 Prof. (NT) an der Kirchlichen Hochschule Hamburg, 1954 Prof. (NT) an der Universität Hamburg, 1967–1973 Prof. (NT) an der Universität München. GOTTSCHICK, Konrad, württembergischer Pfarrer, Mitglied der Kirchenleitung 355, 374, 492 geb. 14. 5. 1913 Steinheim 1939 Pfarrer in Vaihingen auf den Fildern (III), 1942 Stadtpfarrer (III) in Stuttgart, 1950 Pfarrer Stuttgart (Stiftskirche I), 1954 Verwaltungsratsmitglied der Württembergischen Bibelanstalt, 1957 Oberkirchenrat, 1959–1985 Vorstandsmitglied des Mutterhauses für evangelische Kinderschwestern in Großheppach, 1979 i. R. GOUGH, Hugh R., anglikanischer Erzbischof 225 geb. 19. 9. 1905 in Indien, gest. 13. 11. 1997 Over Wallop, Hampshire (England) 1929 Ordination zum anglikanischen Priester, 1946 Vikar von Islington Church (England), 1948–1958 Archidiakon von West Ham, 1948–1959 Weihbischof von Barking, 1958–1966 Erzbischof von Sydney (Australien), Metropolit von New South Wales und Primas von Australien, Kaplan und Sub-Prälat des Johanniterordens, Mitglied des Ordens vom Heiligen Michael und Georg, Pfarrer in Freshford, Somerset (England), 1970–1972 Geistlicher in Limpley Stoke (England). GRAHAM, Billy (William Franklin), US-amerikanischer baptistischer Pastor und Evangelist 29, 39, 78, 94, 96, 182, 184, 190, 191, 201–221, 248, 371f., 441, 605, 619, 644 geb. 7. 11. 1918 Charlotte/North Carolina 1943/44 Pastor der Southern Baptist Convention in Western Springs/Illinois, 1943 Mitbegründer und hauptamtlicher Mitarbeiter von Youth for Christ, 1948– 1952 Präsident des Northwestern College in St. Paul/Minnesota, seit 1947 Initiator und Prediger von über 400 Evangelisationsgroßveranstaltungen weltweit, 1950 Gründer der Billy Graham Evangelistic Association, die zahlreiche evangelistische Zeitschriften (u. a. seit 1956 „Christianity Today“), Radiosendungen (u. a. „Hour of Decision“), Fernsehsendungen und eine eigene Filmgesellschaft betreibt, religiöser Berater von elf US-amerikanischen Präsidenten, Mitarbeiter beim Aufbau von ProChrist e. V. in Deutschland. GRÄSSER, Erich Ludwig Karl, Pfarrer, Universitätslehrer (NT) 446 geb. 23. 10. 1927 Schwalbach 1956–1961 Pfarrer in Rheinbach und Oberhausen, 1965 Prof. (NT) an der Universität Bochum, 1979 Prof. (NT) an der Universität Bonn, 1993 i. R. GRAY, Wallace, US-amerikanischer Universitätslehrer (Englische und vergleichende Literaturwissenschaft) 204f. geb. 13. 7. 1927 Alexandria/Louisiana, gest. 21. 12. 2002 Manhattan 1953 Dozent der Columbia University in New York, 1974 Prof. (Englische und vergleichende Literatur) der Columbia University, 1995 i. R., Drehbuch- und Theaterstückautor. GREIFENSTEIN, Hermann, bayerischer Pfarrer, Dekan 575 geb. 26. 4. 1912 Nürnberg, gest. 15. 6. 1988 München 1937 Religionslehrer am Alten Gymnasium München, 1939 Studentenpfarrer in
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Personenregister
Erlangen, 1952 Pfarrer und Dekan in Regensburg, 1960 Kirchenrat, 1962 Oberkirchenrat, 1980 i. R. GRØNNER, Kjell 57 geb. 14. 10. 1935 Bergen (Norwegen) 1965–1972 YMCA-Pfarrer in Bergen, 1967 Gründer von Ten Sing, 1972 Gründer und Leiter des Shalom Youth Centre in Bergen, 1974 Generalsekretär der norwegischen Christian Youth Association, 1982–1986 Gefängnispfarrer in Bergen, 1985–1994 Leiter des Behandlungszentrums für Drogenabhängige Kalfarkollektivet, 1994 Gründer und Leiter des Nachsorgezentrums für ehemalige Drogenabhängige Kalfarhuset in Bergen. GRUNDMANN, Helmut, Mitglied des Hauptvorstandes der DEA 596 geb. 28. 11. 1920, gest. 17. 5. 2009. GRÜNEWALD, Wilhelm, Pfarrer 124–126, 314 Pfarrer in Dinglingen (Lahr), Vorstandsmitglied der Liebenzeller Mission, Missionsinspektor. GRÜNZWEIG, Fritz, württembergischer Pfarrer 76, 362, 479, 512, 516, 521, 529, 536f., 539, 591, 615f. geb. 5. 11. 1914 Bissingen an der Teck, gest. 24. 11. 1989 Kirchheim unter Teck Notar, 1951 Pfarrer der Brüdergemeinde in Korntal (II), 1952 Pfarrer der Brüdergemeinde in Korntal (I), 1979 i. R., 1966–1980 Vorsitzender der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Bibel und Bekenntnis (Ludwig-Hofacker-Vereinigung), 1980 stellvertretender Vorsitzender, 1980–1986 Vorsitzender der Konferenz der bekennenden Gemeinschaften in Deutschland (Konferenz bekennender Gemeinschaften). HAARBECK, Hermann, Pfarrer, Präses des Gnadauer Verbandes 120, 135f., 146, 154, 176, 218f., 229, 236, 248, 250, 304f., 315–317, 328, 336, 357, 391, 398f., 401–406, 407–409, 416f., 430f., 442, 509, 517, 523 geb. 28. 7. 1901 Elberfeld, gest. 30. 10. 1975 1927 Pfarrer in Hoerstgen, 1932–1943 Pfarrer in Düsseldorf, 1945 Pfarrer in Vluyn, 1951–1968 Leiter der Evangelistenschule Johanneum in Wuppertal-Barmen, 1953–1971 Präses des Gnadauer Verbandes, Vorstandsmitglied der DEA. HABSBURG DOUGLAS, Walburga, Juristin, Politikerin 546 geb. 5. 10. 1958 Berg am Starnberger See 1973 Mitbegründerin der Paneuropa-Jugend Deutschland, Landesvorsitzende von Bayern, stellvertretende Bundesvorsitzende, 1977 Mitbegründerin des Brüsewitz-Zentrums (Christlich-Paneuropäisches Studienwerk e. V.) in Bad Oeynhausen, 1979–1992 parlamentarische Mitarbeiterin im Europaparlament, 1980–1988 stellvertretende Generalsekretärin der internationalen Paneuropa-Union, 1985– 1992 Informationsbeauftragte (Europa) für das Informationsministerium des Sultanates von Oman, 1988 Generalsekretärin der internationalen Paneuropa-Union, 2004 Vizepräsidentin der internationalen Paneuropa-Union, 2006 Mitglied des schwedischen Reichstags im Außenausschuss und Suppléant im Steuerausschuss, 2009 Vorsitzende der Europäischen Frauenunion. HADEM, Eberhard, Prediger der Gemeinschaftsbewegung im Bezirk Dillenburg 651 HAGER, Gerhard, badischer Pfarrer 516 geb. 1907, gest. 1998 1936 Pfarrer am Diakonissenhaus Nonnenweier (II), Vorsitzender der Evangeli-
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Biogramme
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schen Vereinigung für Bibel und Bekenntnis in Baden, Mitbegründer des Vereins zur Förderung biblischen Glaubens und Lebens in Baden. HAHN, Wilhelm, hessen-nassauischer Pfarrer, stellvertretender Kirchenpräsident 286, 287 geb. 21. 3. 1882 Bechlingen (Kreis Wetzlar), gest. 1. 10. 1957 Wiesbaden 1910/1911 Hilfsprediger an der Ringkirche in Wiesbaden, 1911–1928 Pfarrer in Hahnstätten, Mitglied der Verfassungsgebenden Synode der Evangelischen Kirche in Nassau und 1922–1932 der ersten Synode, 1928–1950 Pfarrer an der Ringkirche in Wiesbaden, 1945–1947 Dekanatsverwalter und Mitglied der vorläufigen Leitung der Evangelischen Landeskirche in Nassau, 1947–1950 Mitglied der Verfassungsgebenden Synode der Evangelischen Kirche in Hessen-Nassau und der ersten Synode, 1950 Oberkirchenrat, Stellvertreter des Kirchenpräsidenten und Mitglied der Kirchenleitung, 1952 i. R. HAHN, Wilhelm, Theologe, Pfarrer, Universitätslehrer (Homiletik, Liturgik, Katechetik) 241 geb. 14. 5. 1909 Dorpat (Estland), gest. 9. 12. 1996 Heidelberg [SCHULZE, Verantwortung, 1024]. HAHNE, Peter, Fernsehmoderator, Autor 525, 630 geb. 9. 11. 1952 Minden 1973 Praktikant beim Saarländischen Rundfunk, Hörfunkmoderator und Fernsehautor beim Saarländischen Rundfunk, 1985 Mitarbeiter der Hauptredaktion „Aktuelles“ des ZDF, 1989–1991 Co-Moderator und Redakteur des heute-journal, 1991–1999 Studioredakteur der Hauptausgabe von „heute“, Mitentwickler und Moderator der Kindernachrichtensendung „logo!“, 1992–2009 Mitglied des Rates der EKD, 1999–2010 stellvertretender Leiter des ZDF-Hauptstadtstudios in Berlin, Moderator des Politmagazins „Berlin direkt“, 2010 eigene Talkshow „Peter Hahne“, 1996 Kolumnist der Bild am Sonntag, Kuratoriumsmitglied von ProChrist e. V., Autor gesellschaftskritischer Bücher. HAMMEL, Erich, pfälzischer Pfarrer 520 geb. 13. 2. 1904 Wattenheim, gest. 6. 2. 1975 Rheingönheim 1931 Pfarrer in Rothselberg, 1938 Pfarrer in Drusweiler, 1950 Pfarrer in Ludwigshafen-Hemshof, 1958 Pfarrer in Ludwigshafen-West, 1957–1969 Vorsitzender des Blauen Kreuzes Pfalz-Saar, 1970 i. R. HAMMER, Walter, Jurist, Präsident der Kirchenkanzlei der EKD und Leiter des Kirchenamtes der EKD 532 geb. 5. 8. 1924, gest. 13. 10. 2000 Leiter der Berliner Stelle der EKD-Kirchenkanzlei, 1966 Präsident der EKD-Kirchenkanzlei in Hannover, 1983 Leiter des EKD-Kirchenamtes in Hannover, 1989 i. R. HANSEN, Johannes, Leiter des Volksmissionarischen Amtes der westfälischen Landeskirche, Evangelist 407, 629f., 632 geb. 12. 2. 1930, gest. 12. 10. 2010 1958 Pfarrverweser und Pfarrer des Volksmissionarischen Amtes der Evangelischen Kirche von Westfalen, 1973 Leiter des Volksmissionarischen Amtes der Evangelischen Kirche von Westfalen, 1979–1997 Mitglied der Synode der EKD, 1995 i. R., Mitglied des Deutschen Zweiges des Lausanner Komitees für Welt-
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Personenregister
evangelisation, Mitglied im Vertrauensrat der Arbeitsgemeinschaft Missionarische Dienste (AMD). HAPKE, Eduard, Pädagoge, Psychologe, Hochschullehrer (Psychologie) 287 1923–1945 Erzieher, Oberlehrer und Fürsorger, u. a. im Strafvollzug und Jugendstrafvollzug, Psychotherapeut, 1946 Prof. (Psychologie) an der Pädagogischen Hochschule Lüneburg, 1946 Gründer und bis 1959 nebenamtlich Leiter der Erziehungsberatungsstelle des Jugendamtes Lüneburg. HARMS, Hans Heinrich, Pfarrer, Bischof der Evangelisch-lutherischen Kirche in Oldenburg 245 geb. 4. 7. 1914 Scharmbeck, gest. 13. 4. 2006 Oldenburg 1943 Pfarrer in Roringen, 1950 Oberkirchenrat für ökumenische Fragen im Kirchlichen Außenamt der EKD in Frankfurt/Main, 1952 Referent beim ÖRK in Genf, 1960 Hauptpfarrer in Hamburg (St. Michaelis), 1967–1985 Bischof der Evangelisch-lutherischen Kirche in Oldenburg, 1972–1976 Vorsitzender der Arnoldshainer Konferenz, 1973–1985 Mitglied im Rat der EKD, 1967–1971 Moderator der Kommission Faith and Order des ÖRK. HARNACK, Adolf (1914 von), luth. Theologe, Universitätslehrer (KG) 75, 279, 345 geb. 7. 5. 1851 Dorpat, gest. 10. 6. 1930 Heidelberg [PERSONENLEXIKON, 99f.]. HARTENSTEIN, Karl, Theologe, Prälat, Missionsdirektor 232, 243, 305f. geb. 25. 1. 1894 Cannstatt, gest. 1. 10. 1952 Stuttgart [PERSONENLEXIKON, 100]. HARTIG, Peter Georg, Pfarrer der hannoverschen Landeskirche, Pfarrer der SelK/ SELK 336, 395, 407, 409, 413, 523, 551–553, 556f. geb. 1. 12. 1912 Hamburg-Eilbeck, gest. 26. 8. 1987 1939–1942 Pfarrer in Düderode, 1950–1971 Pfarrer in Sittensen, Pfarrer der SelK in Hannover, 1968–1970 Vorsitzender der Bundessammlung der Kirchlichen Sammlung um Bibel und Bekenntnis, 1971–1981 Pfarrer der SelK (SELK) in Stelle, 1981 i. R. HARTMANN, Walter, Pfarrer, Universitätslehrer (Religionspädagogik) 437, 442, 443, 507 geb. 20. 2. 1926 Münster 1954 Studentenpfarrer in Göttingen, 1958 Dozent (Religionspädagogik) an der Pädagogischen Hochschule Bremen, Prof. (Religionspädagogik) an der Pädagogischen Hochschule Ruhr Dortmund. HASPER, Harald, Pfarrer in Berlin 579 geb. 1. 2. 1912, gest. 24. 1. 1996 Pfarrer in Berlin (Kaiser-Friedrich-Gedächtniskirche), Vorsitzender des Öffentlichkeitsausschusses der Regionalsynode Berlin West. HAUFE, Christoph Michael, sächsischer Pfarrer, kirchlicher Dozent (KG, Missionswissenschaft) 23 geb. 18. 5. 1932 Leipzig, gest. 19. 2. 2011 Leipzig 1961 Pfarrer in Leipzig-Gohlis, 1969–1992 Dozent (KG, Missionswissenschaft) am Theologischen Seminar Leipzig, 1972 Gründer der Bruderschaft Liemehna, 1973 Rektor des Theologischen Seminars Leipzig, 1963–1969 Mitarbeiter beim Lutherischen Einigungswerk, 1992–1997 Hon.-Prof. (Ökumenik, Missionswissenschaft, Konfessionskunde) an der Universität Leipzig, 1997 i. R.
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Biogramme
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HAUG, Martin, Theologe, Lehrer, Landesbischof 155, 197, 215, 288–292, 302, 308, 321, 329 f., 331 f., 350, 477 geb. 14. 12. 1895 Calw, gest. 28. 3. 1983 Freudenstadt [PERSONENLEXIKON, 101]. HAUN, Arno, Pfarrer der Kirchenprovinz Sachsen der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union, Leiter des Deutschen Gemeinschafts-Diakonieverbandes 336, 392, 406, 523 geb. 1. 10. 1890 Craja (Harz), gest. 1. 4. 1968 1921 Pfarrer in Obersdorf bei Sangerhausen, 1927 Pfarrer in Treffurt, 1931–1936 Mitarbeiter im Diakonissen-Mutterhaus Neuvandsburg in Elbingerode, Mitarbeiter der Hauptstelle des Deutschen Gemeinschafts-Diakonieverbandes in Marburg/Lahn, 1942 Leiter des Deutschen Gemeinschafts-Diakonieverbandes, 2. Vorsitzender des Gnadauer Verbandes, 1966 i. R. HAUPT, Malte, Pfarrer der hannoverschen Landeskirche, Superintendent 542f. geb. 19. 4. 1937 Quedlinburg 1965–1978 Pfarrer in Hannover-Mittelfeld (Gnadenkirche zum Heiligen Kreuz), 1971–1985 1. Vorsitzender der Kirchlichen Sammlung um Bibel und Bekenntnis in Hannover, 1978–1985 Superintendent im Kirchenkreis Grafschaft Hoya, 1985–2000 Pfarrer in Hannover (Friedenskirche). HAUSCHILDT, Karl, Pfarrer, Propst, Oberkirchenrat 486, 553, 591, 659 geb. 28. 2. 1920 Kiel, 17. 6. 2009 Neumünster 1948 Pfarrer in Einfeld, 1953 Referent für Erziehung und Unterricht im Landeskirchenamt der schleswig-holsteinischen Landeskirche, Leiter des Katechetischen Amtes, 1966 Propst in Neumünster, Vorsitzender der Kirchlichen Sammlung für Bibel und Bekenntnis Schleswig-Holstein, 1968 Mitarbeit im Vorstand der Breklumer Mission, 1972 Vorstandsmitglied und 1975–1993 Vorsitzender des Nordelbischen Missionszentrums, 1986–1992 Vorsitzender der Konferenz der bekennenden Gemeinschaften in Deutschland (Konferenz bekennender Gemeinschaften). HAUSS, Friedrich, badischer Pfarrer, Dekan 293, 407, 515, 523 geb. 11. 8. 1893 Vogelbach, gest. 9. 7. 1977 Karlsruhe 1920 Pfarrer in Nöttingen, 1926–1950 Pfarrer der Pauluspfarrei in Karlsruhe, 1933–1939 Mitglied des Landesbruderrates, 1950 Pfarrer in Dietlingen und Dekan des Kirchenbezirks Pforzheim-Land, Leiter des badischen Volksmissionarischen Amtes, 1959 i. R., 1960 Begründer der Henhöfertage, 1966 Mitbegründer und Mitglied des Vorstandes der Arbeitsgemeinschaft für das biblische Evangelium (Evangelische Vereinigung für Bibel und Bekenntnis in Baden). HEGE, Albrecht, württembergischer Pfarrer, Mitglied der Kirchenleitung 198 geb. 9. 5. 1917 Karlsruhe 1947 Pfarrer in Ingelfingen, 1953 Pfarrer für kirchliche Bauernarbeit in Waldenburg-Hohebuch, 1959 Prälat von Heilbronn, theologischer Stellvertreter des Landesbischofs, 1983 i. R., 1986 Vorstand des Calwer Verlagsvereins. HEIDEGGER, Martin, Philosoph, Universitätslehrer (Philosophie) 259, 297 geb. 26. 9. 1889 Meßkirch, gest. 26. 5. 1976 Freiburg/Br. 1919 wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl von Edmund Husserl an der Universität in Freiburg/Br., 1923 apl. Prof. (Philosophie) an der Universität Marburg,
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Personenregister
1928 Prof. (Philosophie) an der Universität Freiburg/Br., 1933/34 Rektor, 1933– 1945 NSDAP-Mitglied, 1946 Entzug der Lehrbefugnis, 1951 i. R. HEIDLAND, Hans-Wolfgang, Theologe, Universitätslehrer (PT), Landesbischof der badischen Landeskirche 445f., 589 geb. 20. 7. 1912 Koblenz, gest. 11. 1. 1992 Vogelbach (Malsburg-Marzell) [ZOCHER, Osterloh, 683]. HEIDLAND, Paul, Prokurist, Vizepräsident der württembergischen Landessynode 537, 539, 540 geb. 3. 5. 1902 Degerloch, gest. 20. 7. 1975 Degerloch Prokurist, 1938 Mitglied des Landesbruderrates der Württembergischen Bekenntnisgemeinschaft, 1945 Geschäftsführer des Evangelischen Jungmännerwerks/Verwaltungsdirektor des Evangelischen Jugendwerks in Württemberg, 1963–1972 Schatzmeister des CVJM-Gesamtverbandes in Deutschland, 1966– 1971 Vizepräsident der württembergischen Landessynode. HEIDTMANN, Günther, Theologe, Pfarrer, Chefredakteur 518 geb. 17. 6. 1912 Düsseldorf, gest. 1. 5. 1970 Stuttgart [PERSONENLEXIKON, 103]. HEIM, Karl, luth. Theologe, Universitätslehrer (ST, KG) 524 geb. 20. 1. 1874 Frauenzimmern (Württemberg), gest. 30. 8. 1958 Tübingen [PERSONENLEXIKON, 104]. HEIMBUCHER, Kurt, bayerischer Pfarrer, Evangelist, Präses des Gnadauer Verbandes 56, 118f., 166, 439, 442, 520, 523, 592, 601, 624–626, 630, 636, 648f., 655, 657, 659 geb. 3. 11. 1928 Nürnberg, gest. 24. 7. 1988 Nürnberg 1952–1974 Vikar und Pfarrer in Nürnberg, Vorstandsmitglied des bayerischen CVJM, 1966 Mitbegründer der Ersten Fränkischen Glaubenskonferenz in Nürnberg, 1967 Mitglied im Hauptvorstand der DEA, 1968 Vorsitzender der Evangelischen Allianz in Nürnberg, 1970–1974 nebenamtlich, 1974–1988 hauptamtlich Präses des Gnadauer Verbandes. HEINEMANN, Gustav, Jurist, Synodalpräses, Bundespräsident 597 geb. 23. 7. 1899 Schwelm (Westfalen), gest. 7. 7. 1976 Essen [PERSONENLEXIKON, 105]. HEINTZE, Gerhard, Pfarrer, Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche in Braunschweig 483–485, 486, 541 geb. 14. 11. 1912 Wehre, gest. 14. 12. 2006 Stuttgart 1940 Studieninspektor in Loccum, 1942 Pfarrer in Twielenfleth (Landkreis Stade), 1946 Missionsinspektor in Hermannsburg, 1950 Studiendirektor des Predigerseminars Erichsburg (Hildesheim), 1957 Superintendent in Hildesheim, 1961 Landessuperintendent für den Sprengel Hildesheim, 1965–1982 Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche in Braunschweig, 1975–1982 Catholica-Beauftragter der VELKD, 1978–1981 leitender Bischof der VELKD, stellvertretender Vorsitzender der ACK, Präsidiumsmitglied der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK). HEISELER, Bernt von, Schriftsteller 575f. geb. 14. 6. 1907 Brannenburg, gest. 24. 8. 1969 Vorderleiten bei Degerndorf am Inn Verfasser zahlreicher Gedichte, Novellen, Romane, Theaterstücke, Essays und Biografien, Herausgeber der Werke Eichendorffs, Goethes, Hölderlins, Kleists,
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Mörikes und Stifters, 1933 NSDAP-Mitglied, nach 1945 Hinwendung zu literarischen religiösen Themen (1962 „Stundenbuch für Christenmenschen“, 1966 Gedichtband „Evangelisches Marienlob“), 1966–1969 Vorstandsmitglied der Notgemeinschaft evangelischer Deutscher (Evangelische Notgemeinschaft in Deutschland), 1971 posthumes Erscheinen der Memoiren „Haus Vorderleiten“. HEITMÜLLER, Friedrich, Evangelist und freier evangelischer Prediger 180f., 203, 213, 229 geb. 9. 11. 1888 Völksen am Deister, gest. 1. 4. 1965 Hamburg Beamter bei der Oberpostdirektion in Hamburg, Gasthörer am Predigerseminar St. Chrischona/Basel, 1912 Mitarbeiter in der Christlichen Gemeinschaft Philadelphia in Hamburg, Gründer der Friedens-Gemeinde in Hamburg, 1918 Eingliederung der Friedens-Gemeinde in die Philadelphia-Gemeinschaft, 1918–1965 Leiter der Philadelphia-Gemeinschaft (Freie evangelische Gemeinde HamburgHolstenwall), Direktor des Diakoniewerkes Elim mit Diakonissenmutterhaus, Krankenhaus, Siechen- und Erholungshäusern, 1934 Austritt der Gemeinde Hamburg-Holstenwall, der Philadelphia-Gemeinschaft und des Diakoniewerkes Elim aus der Landeskirche (und damit aus dem Gnadauer Verband) und Eintritt in den Bund Freier evangelischer Gemeinden Deutschlands, 1954–1965 Präsident des Internationalen Bundes Freier evangelischer Gemeinden. HEIZMANN, Hella, Sängerin und Liedermacherin christlicher Musik 631 geb. 24. 2. 1951 Wetzlar, gest. 12. 7. 2009 Eschenburg 1983 Veröffentlichung des ersten Kinderliedalbums, mit verschiedenen Kinderchören Veröffentlichung von 18 Alben, Schulungen für Musikarbeit mit Kindern, 1990 Debütalbum des Trios „Hella, Melanie und Viola Heizmann“, mit drei Liedern und drei Kompositionen im freikirchlichen Gesangbuch „Feiern und Loben“ vertreten. HELBICH, Hans-Martin, Pfarrer, Dekan, Berliner Generalsuperintendent 579f. geb. 17. 4. 1906 Niederfüllbach (Kreis Coburg), gest. 8. 3. 1975 Berlin [SCHULZE, Verantwortung, 1027f.]. HELBIG, Wolfgang, Pfarrer der hannoverschen Landeskirche, Stiftungsvorsteher 220 geb. 1. 9. 1932 Forst (Lausitz) 1962/63 Hilfsreferent, 1963 Referent in der Kanzlei des Landesbischofs in Hannover, 1966 Pfarrer in Hannover-Badenstedt (Paul-Gerhardt-Kirche), 1971–1997 Vorsteher der Henriettenstiftung in Hannover. HELLENSCHMIDT, Hansfrieder, württembergischer Pfarrer, Vorsitzender des Bundesarbeitskreises der Bekenntnisbewegung Kein anderes Evangelium 633f. geb. 17. 8. 1934 Husum 1970 Pfarrer in Königsbronn, 1978 in Bonlanden, 1990 in Wildbad, 1996 i. R., 1997 Vorsitzender des Bundesarbeitskreises der Bekenntnisbewegung Kein anderes Evangelium. HEMPELMANN, Heinzpeter, württembergischer Pfarrer, Direktor des Theologischen Seminars der Liebenzeller Mission, Mitarbeiter der Kirchenleitung 74 geb. 7. 5. 1954 Bonn 1983 theologischer Referent der Pfarrer-Gebets-Bruderschaft, 1989 Vikar und Pfarrvikar in Ammerbuch und Königsbronn, 1992 Referent für theologische Grundsatzfragen im Amt für missionarische Dienste der württembergischen Landeskirche, 1995/96 Studienleiter und Dozent (ST), 1996 Direktor und Dozent
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Personenregister
(ST) des Theologischen Seminars der Liebenzeller Mission, 2007 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Oberkirchenrat Stuttgart, 2009 theologischer Referent im EKD-Zentrum Mission in der Region Stuttgart. HENGEL, Martin, Universitätslehrer (NT) 336 geb. 14. 12. 1926 Reutlingen, gest. 2. 7. 2009 Tübingen 1968 Prof. (NT) an der Universität Erlangen, 1972 Prof. (NT, Antikes Judentum) an der Universität Tübingen, Direktor des Instituts für antikes Judentum und hellenistische Religionsgeschichte, 1992 i. R. HENNES, Willi, Oberingenieur, Bundesvorsitzender des Evangelischen Sängerbundes 399 geb. 21. 2. 1883, gest. 23. 1. 1966 Oberingenieur und 1. Konstrukteur bei den Deutzer Motorenwerken, 1909 Kreisvorsitzender des Evangelischen Sängerbundes Köln-Bonn, 1925 hauptamtlicher Mitarbeiter im Verlag Licht und Leben in Wuppertal und im Evangelischen Sängerbund, 1932 Bundeswart des Sängerbundes, 1936 Geschäftsführer des Sängerbundes, 1939 Bundesvorsitzender des Sängerbundes, 1962 i. R. HENNIG, Kurt, württembergischer Pfarrer, Dekan 558–560, 629 geb. 25. 11. 1910 Ludwigsburg, gest. 5. 6. 1992 Esslingen 1934 Landeswart der Schwäbischen Schülerbibelkreise, 1937 Stadtpfarrer in Stuttgart (Pauluskirche III), 1945 kommissarischer Jugendpfarrer in Stuttgart, 1948 Reichswart der Arbeitsgemeinschaft für Schülerbibelkreise, 1949 Pfarrer in Neuhütten, bis 1956 Pfarrer bei der Jugendkammer der EKD, 1956 Pfarrer in Stuttgart (Gedächtniskirche, Waldkirche II), 1966 Dekan in Esslingen, 1977 i. R., Mitglied der Synode der EKD, 1969 Gründer und Leiter der Evangelischen Sammlung in Württemberg, Vorstandsmitglied des Gesprächskreises Lebendige Gemeinde. HENRICHS, Samuel, rheinischer Pfarrer, Superintendent 227f., 511 geb. 5. 8. 1899 Melsungen, gest. 28. 4. 1987 Düsseldorf 1926 Hilfsdienst als Reichswart des Bundes Deutscher Bibelkreise e. V., Mitarbeiter der Seemannmission Rotterdam, Mitarbeiter des Zentralausschusses für Innere Mission Berlin, Reichswart der Bekennenden Kirche in Barmen, 1930 Pfarrer in Homberg, 1936–1948 Pfarrer in Düsseldorf (IX), 1940–1945 Standortpfarrer Düsseldorf, 1948–1967 Pfarrer in Düsseldorf (Christuskirchgemeinde II), 1950 Superintendent von Düsseldorf, 1964 Superintendent von Düsseldorf-Ost (Stadtsuperintendent von Düsseldorf), 1967 i. R. HENRY, Carl H. F., Journalist, führender US-amerikanischer Evangelikaler 212 geb. 22. 1. 1913, gest. 7. 12. 2003 1942 Mitbegründer und Vorstandsmitglied der National Association of Evangelicals, 1947 Mitbegründer des evangelikalen Fuller Theological Seminary in Pasadena/California, 1956 Gründer (mit Unterstützung von Billy Graham) und bis 1968 Herausgeber der Zeitschrift „Christianity Today“, 1978 Unterzeichner der Chicago-Erklärung zur Irrtumlosigkeit der Heiligen Schrift, 1981 Mitbegründer des interkonfessionellen konservativ-evangelikalen Institute on Religion and Democracy und aktive Mitarbeit am Institut bis Mitte der 1990er Jahre. HERBERT, Karl Hermann Lambert, hessen-nassauischer Pfarrer, stellvertretender Kirchenpräsident 270, 285, 286, 287, 289, 411, 492, 498f. geb. 14. 7. 1907 Frankfurt/Main, gest. 2. 8. 1995 Alsbach
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1932 Pfarrer in Oberhörlen, 1950 Propst für Nord-Nassau, 1964 stellvertretender Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen-Nassau, 1973 i. R. HERMAN, Eva, Fernsehmoderatorin, Autorin 184 geb. 9. 11. 1958 Emden Moderation von Rundfunk- und Fernsehsendungen bei Bayern 3 und dem Bayerischen Fernsehen, 1988–2007 Tätigkeit beim NDR in Hamburg, 1988–2006 Nachrichtensprecherin der Tagesschau, 1991–1995 Moderation der Schlagerparade der Volksmusik, 1994–2006 Präsentationen diverser ARD- und NDR-Sendungen, Talkshows, Quizsendungen und Talentshows, Autorin mehrerer feminismuskritischer Bücher, 2007 Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den NDR auf Grund umstrittener öffentlicher Äußerungen zur deutschen Geschichte und zur Rolle der Frau, 2009 Moderation im webTV des Internetportals „familyfair“ und „K-TV“, 2010 Sprecherin und Kommentatorin der Internetnachrichten des Kopp-Verlages. HERMANN, Prediger, Vorsitzender der braunschweigischen Evangelischen Allianz 161 HERR, Missionsarzt, Vorstandsmitglied der Liebenzeller Mission 124f., 127 HERTEL, Heinrich, Pfarrer, Gemeinschaftsprediger, Missionsinspektor 122, 124, 126f. geb. 25. 2. 1892 Theta (bei Bayreuth), gest. 31. 3. 1966 Pfarrer in Pfäfflingen (bei Nördlingen), 1926 theologischer Lehrer am Seminar der Liebenzeller Mission, Gemeinschaftsprediger, Missionsinspektor, 1939 mehrmonatige Reise nach Manus und Japan, Mitbegründer der Aktion „Pfennigsegen“, 1960 i. R. HESS, Hans-Erich 374 geb. 11. 6. 1904 Höchst a. M., gest. 14. 10. 1982 Königsfeld (Schwarzwald) 1930 Pfarrer in Sinn (Dillkreis), 1950 Pfarrer und Oberkirchenrat in Darmstadt, 1958 hauptamtlicher theologischer Sachbearbeiter im Ausbildungsreferat der Kirchenverwaltung der Evangelischen Kirche in Hessen-Nassau, 1969 i. R. HEUBACH, Joachim, Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Schaumburg-Lippe 412, 550, 553, 555f., 560, 592f. geb. 20. 11. 1925 Berlin, gest. 29. 10. 2000 Fissau 1961 Pfarrer in Kiel, 1963 Studiendirektor am Predigerseminar Preetz, 1970–1977 Landessuperintendent des Kirchenkreises Lauenburg der schleswig-holsteinischen Landeskirche in Ratzeburg, 1968 Mitbegründer der Bundessammlung der Kirchlichen Sammlung um Bibel und Bekenntnis, 1970 Vorsitzender der Bundessammlung der Kirchlichen Sammlung um Bibel und Bekenntnis, 1977–1991 Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Schaumburg-Lippe. HEUKELBACH, Werner, Evangelist 190 geb. 8. 5. 1898 Wiedenest, gest. 5. 2. 1968 Gummersbach Bahnbeamter, 1928 Evangelist in Verbindung mit der freikirchlichen Brüdergemeinde, 1940 Seelsorger im Diakonissenmutterhauses Hebron in Wehrda (Marburg), 1946 Gründer und seitdem Leiter des überkonfessionellen „Missionsunternehmens Werner Heukelbach“ in Wiedenest mit Verbreitung von Kleinschrifttum (Informationsbroschüren, Traktate, Kalender), Rundfunksendungen, Telefonevangelisation und Zeltmission.
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Personenregister
HIERONIMUS, Ekkehard, Pfarrer der hannoverschen Landeskirche 542, 553 geb. 5. 1. 1926 Crossen, gest. 22. 5. 1989 Hannover 1954 Mitarbeiter der Eglise Evangélique Luthérienne de France, 1957/58 Hilfsgeistlicher, 1958 Pfarrer in Hannover-Oberricklingen (St. Thomas III), 1964– 1991 Pfarrer in Hannover (Gartenkirche St. Marien I), Vorsitzender der Kirchlichen Sammlung um Bibel und Bekenntnis in Hannover. HILBERT, Gerhard, Theologe, Universitätslehrer (PT) 168f. geb. 9. 11. 1868 Leipzig, gest. 16. 5. 1936 Leipzig [PERSONENLEXIKON, 112]. HILLE, Rolf, Studienleiter, Vorsitzender der Deutschen Evangelischen Allianz 47, 387f., 635 geb. 15. 4. 1947 Schwäbisch Hall 1976–1979 Vikar und Pfarrvikar in Schorndorf, 1982 Generalsekretär der Studentenmission in Deutschland, 1984–1989 Studienleiter am Pfarrseminar der Evangelischen Landeskirche in Württemberg in der Vikarsausbildung (Schwerpunktfächer Homiletik und Pastoraltheologie), 1989 Studienleiter, 1995–2009 Rektor des Albrecht-Bengel-Hauses in Tübingen, 1994 bis 2000 1. Vorsitzender der Deutschen Evangelischen Allianz. HITLER, Adolf, Diktator 460f. geb. 20. 4. 1889 Braunau am Inn (Österreich), gest. 30. 4. 1945 (Selbstmord) Berlin. HÖFER, Friedrich, Pfarrer, Dekan 544, 549, 556 geb. 2. 4. 1915 Werneck, gest. 23. 3. 2002 [HAGER, Jahrzehnt, 339]. HÖFFKES, Peter W., Rechtsanwalt, CSU-Politiker 546–548 geb. 1927 Duisburg, gest. 28. 8. 2005 Rechtsanwalt, 1956 1. Bürgermeister von Fischbach, 1972 Mitglied der CSUFraktion im Nürnberger Stadtrat, 1976–1980 Bundestagsabgeordneter, Mitglied des Vorstandes der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Vertreter der Arbeitsgemeinschaft „Lebendige Gemeinde“ in Bayern. HOFMANN (geb. Eberlein), Irmela, Mitbegründerin der Offensive Junger Christen 584, 590 geb. 24. 8. 1924 Kupferberg, Landkreis Hirschberg (Kamienna Góra, Polen), gest. 23. 8. 2003 Erbach 1948 Mitbegründerin der evangelischen Laienkommunität für ledige Frauen „Irenenring“, 1968 Mitbegründerin (zusammen mit ihrem Mann Horst-Klaus Hofmann) der Offensive Junger Christen (OJC), seitdem Mitarbeiterin der Leitung der OJC. HOFMANN, Horst-Klaus, Generalsekretär des CVJM, Mitbegründer und Leiter der Offensive Junger Christen 584, 586, 588, 589, 590 geb. 20. 11. 1928 Nidda 1948 Präsidiumsmitglied des deutschen CVJM, 1950 hauptamtlicher CVJM-Mitarbeiter in Gießen, 1953 Sekretär des CVJM in Mannheim, 1960–1968 Generalsekretär des CVJM-Westbundes in Mannheim, 1964 Mitbegründer der Aktion „Sorge um Deutschland e. V.“ (SuD), 1966–1970 Mitglied des Unterausschusses „Homosexualität“ der sexualethischen Kommission der EKD, 1968–2000 Mitbe-
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Biogramme
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gründer (zusammen mit seiner Frau Irmela Hofmann) und Leiter der Offensive Junger Christen (OJC). HÖHLER, Heinrich, rheinischer Pfarrer, Superintendent 517, 518, 519 geb. 1. 11. 1907 Drabenderhöhe, gest. 6. 3. 1995 Drabenderhöhe 1938–1964 ref. Pfarrer in Elberfeld, 1954–1972 Superintendent des Kirchenkreises Elberfeld, 1961–1973 nebenamtlich Mitglied der Kirchenleitung, 1964 ref. Pfarrer in Elberfeld-Mitte, 1973 i. R. HOLLENWEGER, Walter J., ref. Theologe, Mitarbeiter des ÖRK, Universitätslehrer (Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft) 624 geb. 1927Antwerpen 1965–1971 Exekutivsekretär des ÖRK in Genf, Mitarbeiter der Christlichen Friedenskonferenz, 1971–1989 Prof. (Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft) an der Universität Birmingham (Großbritannien), Begründer der „Narrativen Exegese“. HOPF, Friedrich Wilhelm, luth. Theologe, Missionsdirektor 157f. geb. 31. 5. 1910 Melsungen, gest. 19. 7. 1982 Hermannsburg [PERSONENLEXIKON, 115f.]. HÖRSTGEN, Heinrich, Pfarrer der rheinischen Landeskirche 282, 382, 501, 517, 558, 632f. geb. 1. 2. 1907 Meiderich, gest. 1996 1934 Wertherbruch, 1939 Pfarrer in Meiderich, Gründer und Vorsitzender des rheinischen Arbeitskreises der Bekenntnisbewegung Kein anderes Evangelium, 1973 i. R. HOWARD, Peter, englischer Journalist, Autor, Leiter der Moralischen Aufrüstung (MRA) 587f. geb. 20. 12. 1908, gest. 25. 2. 1965 Lima (Peru) 1929–1931 Kapitän der englischen Nationalrugbymannschaft, Mitglied der Konservativen Partei, politischer Korrespondent und Reporter des Daily Express, Autor politischer Bücher, 1940 Mitarbeiter Frank Buchmans in der Moralischen Aufrüstung (MRA), Autor und Regisseur von Theaterstücken für die MRA, 1961 Leiter der MRA. HROMÁDKA, Josef L., tschechischer Theologe, Universitätslehrer, Präsident der Christlichen Friedenskonferenz (CFK) 575f. geb. 8. 6. 1889 Hodslavice, gest. 26. 12. 1969 [SCHNEIDER, Zeitgeist, 305]. HUBMER, Fritz, Evangelist, Inspektor des Württembergischen Brüderbundes 357, 390, 535 geb. 10. 3. 1902 Nürnberg, gest. 12. Juli 1982 Techniker, 1922 Diakon im Missionszelt Immanuel in Kirchheim/Teck, freier Evangelist und Prediger der Gemeinschaftsbewegung, Mitglied des Leitungsgremiums und Inspektor des Württembergischen Brüderbundes, Mitglied des Vorstandes des Gnadauer Verbandes, Mitglied im Vorstand der Karmelmission. HÜBNER, Eberhard, rheinischer Pfarrer, Universitätslehrer (PT und Religionspädagogik) 518 geb. 29. 9. 1922 Mönchen-Gladbach, gest. 30. 10. 2000 Köln 1951 Studienhausinspektor Bonn, 1954 Hilfsdienst in Godesberg, 1956 Pfarrer an der Berufsschule Bonn-West, 1960 Dozent an der Pädagogischen Akademie
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(Pädagogische Hochschule) Dortmund, 1970–1987 Prof. (PT und Religionspädagogik) an der Universität Münster. HÜBNER, Mitarbeiter des Ökumeneausschusses der VELKD 245 HUNTEMANN, Georg Hermann, Pfarrer, Dozent (Ethik, Apologetik) 528, 550, 552f., 597, 633 geb. 10. 6. 1929 Bremen 1957/58 Pfarrer in Bremen (St. Martini), 1959 Pfarrer in Bremen (St. Remberti), 1968–1974 Pfarrer in Bremen (Epiphanias), Vorsitzender der Kirchlichen Sammlung um Bibel und Bekenntnis in Bremen, 1970 Mitbegründer und bis 2005 Dozent (Ethik, Apologetik) an der Freien Evangelisch-Theologischen Akademie Basel (FETA; Staatsunabhängige Theologische Hochschule Basel), 1974 Pfarrer in Bremen (St. Martini), 1985 Dozent an der Evangelischen Theologischen Fakultät in Leuven (Belgien), 1987 i. R. HUTTEN, Kurt, Theologe, Pfarrer, kirchlicher Publizist 172, 186 geb. 6. 3. 1901 Langenburg, gest. 17. 8. 1979 Ludwigsburg [PERSONENLEXIKON, 119]. IMMER, Karl Eduard, Pfarrer, Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland 144 geb. 28. 5. 1916 Rysum, gest. 3. 1. 1984 Düsseldorf 1945 Hilfsprediger in Duisburg, 1948–1968 Pfarrer in Duisburg-Neudorf, Mitarbeit bei der Christlichen Friedenskonferenz (CFK), 1958–1968 nebenamtlicher Mitarbeiter der Kirchenleitung, 1968 Oberkirchenrat, 1971 Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, 1977–1978 Vorsitzender des Rates der EKU West, 1981 i. R. IMMER, Karl Immanuel, ref. Theologe, Pfarrer 616 geb. 1. 5. 1888 Manslagt (Ostfriesland), gest. 6. 6. 1944 Meinberg an der Lippe [PERSONENLEXIKON, 121]. IWAND, Hans Joachim, luth. Theologe, Universitätslehrer (ST) 151, 395 geb. 11. 7. 1899 Schreibendorf (Schlesien), gest. 2. 5. 1960 Bonn [PERSONENLEXIKON, 121]. JACH, Michael, Journalist 574 1972–1974 Bundesvorsitzender des Ostpolitischen Deutschen Studentenverbandes e. V., Mitglied der Notgemeinschaft evangelischer Deutscher (Evangelische Notgemeinschaft in Deutschland), Mitautor des „Rotbuchs Kirche“. JACOB, Siegfried, hessen-nassauischer Pfarrer 372 geb. 26. 4. 1912 1939 Pfarrer in Wiesbaden-Rambach, 1943 Pfarrer in Usingen (I), 1949 Pfarrer in Bensheim, 1974 Krankenhauspfarrer beim Dekanat Darmstadt-Stadt (II). JACOBS, Paul, ref. Theologe, Pfarrer, kirchlicher Dozent, Universitätslehrer (Dogmatik, Ethik, Calvinforschung) 462 geb. 24. 10. 1908 Elberfeld, gest. 27. 8. 1968 Münster [PERSONENLEXIKON, 122]. JAEGER, Hermann, Vorsitzender des Fachverbandes Evangelische Theologie des Verbandes Deutscher Studentenschaften 324 JAEGER, Richard, Jurist, CSU-Politiker 595 geb. 16. 2. 1913 Berlin-Schöneberg, gest. 15. 5. 1998 München 1933 Mitglied der SA, 1940 Gerichtsassessor am Amtsgericht Weilheim in Ober-
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Biogramme
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bayern, 1943 Amtsgerichtsrat, 1946 Mitglied der CSU, 1947 Regierungsrat im bayerischen Kultusministerium, 1948/49 Oberbürgermeister von Eichstätt, 1949– 1980 Mitglied des Deutschen Bundestages, 1952–1981 Mitglied im CSU-Landesvorstand, 1953–1965 und 1967–1976 Vizepräsident des Deutschen Bundestages, 1953/54 Mitglied des Europaparlamentes, 1965/66 Bundesjustizminister, 1972– 1974 Präsident des Europäischen Dokumentations- und Informationszentrum (CEDI). JANSEN, Ernst, Theologe, Pfarrer, Mitglied der Lübecker Kirchenleitung 355 geb. 29. 7. 1903 St. Annen, gest. 2. 12. 1978 Lübeck [SCHULZE, Verantwortung, 1037]. JEISING, Thomas, Prediger 75 geb. 1963 freier evangelischer Prediger, stellvertretender Vorsitzender des Bibelbundes. JOCHUMS, Heinrich, Pfarrer, Evangelist 130, 132, 304f., 317, 320, 365–367, 370, 391, 404, 407, 517f., 523, 556 geb. 17. 8. 1904 Neukirchen (Kreis Moers), gest. 1986 1930 Hilfsprediger in Köln-Lindenthal, 1931 Pfarrer in Delling, Post Kürten, 1934 Pfarrer in Eiserfeld, 1956 Direktor der Evangelischen Gesellschaft für Deutschland, 1960 Gründer und seitdem Direktor des Bibelseminars Wuppertal, 1960–1986 Vorstandsmitglied des Bibelbundes, 1963 Gründer und bis 1983 Leiter der Konferenz bibelgläubiger Seminare und Lehrer (Konferenz bibeltreuer Ausbildungsstätten), Mitglied des Hauptvorstandes des Jugendbundes Entschieden für Christus (Entschiedenes Christentum), Vorstandsmitglied des Gnadauer Verbandes, Vorstandsmitglied der DEA. JOEST, Wilfried, Theologe, Universitätslehrer (ST) 355f., 446 geb. 3. 4. 1914 Karlsruhe, gest. 31. 12. 1995 Erlangen [ZOCHER, Osterloh, 688]. JONAS, Hans, Philosoph, Universitätslehrer 487 geb. 10. 5. 1903 Mönchengladbach, gest. 5. 2. 1993 New York 1933 Auswanderung nach London, 1934 nach Jerusalem, 1940–1945 Soldat der britischen Armee innerhalb der Jewish Brigade Group, 1948/49 Soldat der israelischen Armee, 1949 Fellow an der McGill-University Montreal (Canada), 1950– 1954 Fellow an der Carleton-University Ottawa, 1955 Prof. an der New School for Social Research in New York. JUNG, August, freier evangelischer Pastor 249 geb. 1927 1951 Pastor der Freien evangelischen Gemeinde Frankfurt am Main, 1955 Pastor in Hamm, 1962 Pastor in Wuppertal-Barmen, 1972 Pastor in Iserlohn, 1984 Pastor in Duisburg-Wanheimerort, 1990 i. R., Autor zahlreicher Bücher zur Geschichte freier evangelischer Gemeinden. JUNG, Hans-Gernot, Pfarrer, Bischof der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck 273, 278 geb. 10. 2. 1930 Marburg, gest. 26. 11. 1991 Kassel Pfarrer in Kassel-Wehlheiden und in Kassel (Kreuzkirche), Studentenpfarrer für die Fach- und Hochschulen in Kassel, 1962–1965 Studentenpfarrer in Marburg, 1965 Direktor der Evangelischen Akademie in Hofgeismar, 1974 Oberlandeskirchenrat und Referent für Erwachsenenbildung im Landeskirchenamt in Kassel,
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1972 Mitglied der Synode der EKD, 1978 Bischof der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck. JUNG, Wilhelm, Kaufmann, Präses des CVJM-Westbundes 509 geb. 1894 Kaufmann, Mitarbeiter im Familienunternehmen Jung in Siegen, 1939–1967 Vorsitzender des CVJM-Kreisverbandes Siegerland, 1954–1965 Präses des CVJMWestbundes. JÜNGEL, Eberhard, Universitätslehrer (ST, Religionsphilosophie), 492, 495f. geb. 5. 12. 1934 Magdeburg Dozent und Leiter des Sprachenkonvikts an der Kirchlichen Hochschule BerlinOst, 1966 Prof. (ST, Dogmengeschichte) an der Universität Zürich, 1969 Prof. (ST, Religionsphilosophie) an der Universität Tübingen, Direktor des Instituts für Hermeneutik an der Evangelischen Theologischen Fakultät, 1987–2005 nebenamtlich Ephorus des Evangelischen Stifts Tübingen, Mitglied der Synode der EKD, 1999/2000 Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin, 2003 i. R., Mitglied und 2009 Kanzler des Ordens Pour le Mérite für Wissenschaften und Künste. JÜNKE, Wolfgang, braunschweigischer Pfarrer 541 geb. 16. 5. 1953 Braunschweig 1979 Pfarrer in Braunschweig (Martin Chemnitz-Kirche), 1. Vorsitzender der Kirchlichen Sammlung um Bibel und Bekenntnis Braunschweig, 2005 Beauftragter für Öffentlichkeitsarbeit und Kultur in Braunschweig. JURSCH, Hanna, Theologin, Universitätslehrerin (KG, Christliche Archäologie und Kunstgeschichte) 319 geb. 24. 3. 1902 Oppeln (Oberschlesien), gest. 13. 6. 1972 Jena [PERSONENLEXIKON, 126]. KÄHLER, Martin, Universitätslehrer (ST, NT) 341, 349, 353, 524 geb. 6. 1. 1835 Neuhausen bei Königsberg, gest. 7. 9. 1912 Freudenstadt (Schwarzwald) 1860 Dozent an der Universität Halle, 1864 Extraordinarius an der Universität Bonn, 1867–1912 Prof. (ST, NT) an der Universität Halle. KAISER, Otto, Bundesdirektor 127, 151f., 155, 156, 157 geb. 27. 3. 1882 Mörshausen (Kreis Fritzlar), gest. 30. 3. 1952 Kassel [PERSONENLEXIKON, 128]. KAMPERMANN, Ernst, Pfarrer, Mitglied der Kirchenleitung der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannovers 380 geb. 1938 1965 Pfarrer in Lauenhagen, 1966 Studieninspektor im Predigerseminar Rotenburg/Wümme, 1970 Referent im Ausbildungsdezernat der Hannoverschen Landeskirche, 1972 Pfarrer In Hannover (Friedenskirche), 1979 Leiter des Dezernats für die Ausbildung von Theologinnen und Theologen im Landeskirchenamt der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannovers, 1992 Dezernent für Schule und Kirchliche Unterweisung, Beauftragter der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen beim Niedersächsischen Landtag, 1992 Mitglied der Bischofskonferenz der VELKD, 1999 Mitglied der Kirchenleitung der VELKD, 2001 Geistlicher Vizepräsident im Hannoverschen Landeskirchenamt.
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Biogramme
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KAPFF, Sixt Carl von, württembergischer Pfarrer, Prälat 331 geb. 22. 10. 1805 Güglingen, gest. 1. 9. 1879 Stuttgart 1833 Pfarrer der Brüdergemeinde in Korntal, 1843 Dekan von Münsingen, 1847 Dekan von Herrenberg, 1850 Prälat und Generalsuperintendent von Reutlingen (damit Mitglied im württembergischen Landtag), 1852 Pfarrer in Stuttgart (Stiftskirche), 1860 Verleihung des persönlichen Adelstitels. KÄSEMANN, Ernst, Theologe, Universitätslehrer (NT) 252, 261, 319, 322, 341, 352, 357, 395, 420f., 469, 487, 492–496, 535, 613, 624 geb. 12. 7. 1906 Dahlhausen (Kreis Bochum), gest. 17. 2. 1998 Tübingen [PERSONENLEXIKON, 126f.]. KECK, Karl, Evangelist, Prediger 186 geb. 7. 9. 1892 Unteriflingen, gest. 21. 3. 1957 Freudenstadt Prediger der Liebenzeller Mission, 1930 Stadtmissionar in Nördlingen, 1945 Kontakt zur Internationalen Volksmission (entschiedener Christen) (Volksmission entschiedener Christen) von Karl Friedrich Fix und Paula Gassner, Entlassung aus der Liebenzeller Mission, Mitarbeit in der Volksmission entschiedener Christen, 1951–1957 Vorstandsvorsitzender. KEINTZEL, Raimar, badischer Pfarrer, Psychologe 571 geb. 9. 10. 1924 Hermannstadt (Siebenbürgen) 1956 Pfarrer der Deutschen Evangelischen Kirche in Lissabon, 1961 Studienaufenthalt in den USA, 1963 Pfarrer in Riegel, 1964 Pfarrer in Hesselhurst, 1969 Entlassung aus dem kirchlichen Dienst, 1976 Psychologe, Graphologe, Eheberater, 1989 i. R. KELLER-HÜSCHEMENGER, Max, bayerischer Pfarrer, Präsident des Kirchenamtes der VELKD 484 geb. 24. 5. 1913 Remscheid, gest. 11. 11. 1996 Vallendar bei Koblenz 1939 Pfarrer in Nürnberg, theologischer Hilfsreferent beim Kreisdekan in Bayreuth, 1950 Auslandspfarrer in Bristol und London, 1956 Pfarrer und Dekan in Weilheim (Oberbayern), 1963 Präsident des Kirchenamtes der VELKD in Hannover. KEMNER, Heinrich, hannoverscher Pfarrer, Evangelist 198f., 323, 335 f., 355f., 364, 368f., 371, 380, 399, 407, 415, 523 geb. 19. 6. 1903 Dünne (Westfalen), gest. 13. 6. 1993 Walsrode bis 1929 Oberinspektor auf dem Rittergut Turow bei Grimmen (MecklenburgVorpommern), Pressereferent für die Gossner Mission Berlin, Hilfsgeistlicher an der Stadtkirche Detmold, in Dielingen und Dortmund-Schüren, 1937–1969 Pfarrer in Ahlden bei Walsrode, 1949/50 Gründer des „Ahldener Jugendtages“ als regelmäßig stattfindende Evangelisationsgroßveranstaltung (1973 Verlegung nach Krelingen), 1952 Gründer der Ahldener Bruderschaft, Vorsitzender der niedersächsischen Regionalgruppe der Bekenntnisbewegung Kein anderes Evangelium, ausgedehnte Evangelisationsreisen, um 1965 Gründer und seitdem Leiter des Geistlichen Rüstzentrums Krelingen, 1969 i. R., 1992 Gründer des Gemeindenotbundes. KIEFEL, Gerhard, Pfarrer, Stadtmissionsdirektor 630 geb. 21. 4. 1924 1973 Pfarrer, Stadtmissionsdirektor und Beauftragter für Mission in Berlin.
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KIERKEGAARD, Søren Aabye, dänischer Theologe, Philosoph und Schriftsteller 356, 582 geb. 5. 5. 1813 Kopenhagen, gest. 11. 11. 1855 Kopenhagen. KILL, Otto, westfälischer Pfarrer, Superintendent 616 geb. 25. 4. 1899 Dortmund, gest. 23. 5. 1973 1926 Pfarrer in Herne, seit 1945 zugleich Superintendent des Kirchenkreises Herne, 1962 i. R. KINDER, Ernst, Theologe, Hochschullehrer 294, 296, 297, 306, 307, 318, 409 geb. 11. 5. 1910 Barmen, gest. 2. 12. 1970 Münster [SCHNEIDER, Zeitgeist, 306]. KINDSVATER, Erich, Vorsitzender des Lippischen Gemeinschaftsbundes 131 1947 Jugendwart des Kreisverbandes Lippe des Jugendbundes Entschieden für Christus (Entschiedenes Christentum), 1950 Vertreter der Evangelischen Gesellschaft in Heidelbeck, 1955 Bundeswart des Landesverbandes Minden-Ravensberg-Lippe des Jugendbundes Entschieden für Christus (Entschiedenes Christentum), 1965 Heimleiter des Friedrich-Blecher-Hauses in Horn, 1969 Mitglied des Brüderrates des Lippischen Gemeinschaftsbundes, 1970–1988 1. Vorsitzender des Lippischen Gemeinschaftsbundes. KIRBY, Gilbert, Generalsekretär der Evangelischen Allianz in Großbritannien, Bible College-Rektor 245 geb. 1914, gest. 15. 10. 2006 1956–1966 Generalsekretär der Evangelischen Allianz in Großbritannien, Mitarbeiter von Billy Graham, Mitbegründer und Vizepräsident der Entwicklungsund Nothilfeorganisation Tearfund, 1966–1980 Rektor des London Bible College (London School of Theology). KITTEL, Gerhard, Theologe, Universitätslehrer (NT, antikes Weltjudentum) 346 geb. 23. 9. 1888 Breslau, gest. 11. 7. 1948 Tübingen [PERSONENLEXIKON, 134]. KLAASSEN, Albert, Pfarrer der lippischen Landeskirche 370 geb. 1931 Emlichheim 1958 Pfarrer der lippischen Landeskirche in Silixen, Vossheide, Brandlecht (ref. Kirche Norddeutschland), Detmold-Ost, Krankenhausseelsorger im Diakonissenhaus Detmold, 1993 i. R. KLAASSEN, Doyle, Dozent, Leiter der Bibelschule Brake 366 geb. 13. 3. 1942 in Canada 1964 Dozent (AT) an der Bibelschule Brake, 1978 Leiter der Bibelschule Brake, Vorstandsmitglied der Deutschen Missionsgemeinschaft, Vorstandsmitglied der Konferenz bibeltreuer Ausbildungsstätten. KLAASSEN, Ernest, mennonitischer Geschäftsführer verschiedener Bibelschulen 370f., 373 geb. in Canada Geschäftsführer der Deutsch-Europäischen Bibelschule in Bensheim, Geschäftsführer der Bibelschule Lemgo (Brake). KLEIN, Günter, Universitätslehrer (NT) 418, 442, 484, 506, 610 geb. 12. 1. 1928 Wuppertal 1964 Prof. (NT) an der Universität Kiel, 1967 Prof. (NT) an der Universität Münster, 1993 i. R.
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KLEMM, Hermann, Pfarrer, Missionsseminarlehrer, Superintendent 23 geb. 5. 6. 1904 Zwickau, gest. 10. 6. 1983 Meißen [SCHULZE, Verantwortung, 1042]. KLEVINGHAUS, Johannes, westfälischer Pfarrer, Mitglied der Leitung der Evangelischen Kirche von Westfalen 338 f., 501, 508 geb. 7. 12. 1911, gest. 1. 10. 1970 1936/37 Mitarbeiter des Studentenamtes der Westfälischen Bekenntnissynode, 1944–1970 Leiter der westfälischen evangelischen Heil- und Pflegeanstalt Wittekindshof, 1952 Vorsitzender des Verbandes Deutscher Evangelischer Heilerziehungs-, Heil- und Pflegeanstalten, 1956 nebenamtlich Mitglied der westfälischen Kirchenleitung, 1960 Vorsitzender des Vorstandes des Landesverbandes der Inneren Mission e. V. KLOPPENBURG, Heinrich (Heinz), Theologe, Oberkirchenrat 241 geb. 10. 5. 1903 Elsfleth (Wesermarsch), gest. 18. 2. 1986 Bremen [PERSONENLEXIKON, 137]. KLÜGEL, Eberhard, Theologe, Landessuperintendent 219, 325 geb. 11. 11. 1901 Hannover, gest. 30. 9. 1966 Hannover [PERSONENLEXIKON, 138]. KLUMPP, Oskar, Jurist, Kommunalpolitiker, Präsident der württembergischen Landessynode 534, 536–540 geb. 25. 4. 1906 Neckarsulm, gest. 11. 2. 1973 Oberstaufen (Oberallgäu) 1930–1933 Referendar an verschiedenen Stuttgarter Gerichten, 1934 Rechtsanwalt, 1935 Gerichtsassessor bei Stuttgarter Amtsgerichten und dem Landgericht, 1938 Landgerichtsrat in Ravensburg, 1940 Landgerichtsrat in Tübingen, 1946 Richter in Tübingen, 1947 Rechtsberater der Technischen Werke der Stadt Stuttgart, 1949 persönlicher Referent des Stuttgarter Oberbürgermeisters, 1951 Direktor beim Bürgermeisteramt in Stuttgart, 1953 Stadtdirektor, 1963–1973 Landrat des Landkreises Tübingen, 1966–1973 Vorsitzender des Verwaltungsrats des Diakonissenmutterhauses der Olgaschwestern in Stuttgart, 1966–1968 Präsident der Landessynode der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, 1968 Rücktritt als Präsident der Synode, 1973 i. R. KNEVELS, Wilhelm, Universitätslehrer (PT) 506, 507 geb. 3. 7. 1897 Mannheim, gest. 24. 12. 1978 Berlin 1938 Prof. (PT) in Rostock, 1942 Prof. in Breslau, 1950 Prof. an der Universität Halle. KÖBERLE, Adolf, luth. Theologe, Universitätslehrer (ST, PT) 402 geb. 3. 7. 1898 Berneck (Oberfranken), gest. 23. 3. 1990 München [PERSONENLEXIKON, 141]. KÖBERLIN, Albrecht, bayerischer Pfarrer 544, 547 geb. 17. 8. 1909 Walsdorf, gest. 31. 5. 2000 1937 Pfarrer in Wunsiedel, 1947 Pfarrer in Dachau-Friedenskirche, 1975 i. R. KÖBERLIN, Theodor, Jurist 547f. geb. 22. 2. 1907 Großbirkach Jurist, weltliches Mitglied der bayerischen Landeskirchenleitung, Oberkirchenrat, 1970 i. R., Mitglied des Kirchlichen Arbeitskreises München. KOCH, Günther, Universitätslehrer (PT) 507 Prof. (PT) an der Universität Bonn.
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Personenregister
KOCH, Kurt Emil, badischer Pfarrer 123f. geb. 16. 11. 1913 Berghausen, gest. 25. 1. 1987 1947 Pfarrer in Oberbaldingen, 1950 Bezirksjugendpfarrer in Mannheim, 1955 Pfarrer der badischen Volksmission, 1961 vom dem Dienst der Landeskirche beurlaubt, 1967 auf Antrag aus dem Dienst der Landeskirche entlassen. KOHL, Helmut, CDU-Politiker, Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland 639f. geb. 3. 4. 1930 Ludwigshafen am Rhein, 1946 Mitglied der CDU, 1953 Vorstandsmitglied der CDU Rheinland-Pfalz, 1954–1961 stellvertretender Landesvorsitzender der Jungen Union RheinlandPfalz, 1955–1966 Mitglied des Landesvorstandes der CDU Rheinland-Pfalz, 1959–1962 Vorsitzender des CDU-Kreisverbandes Ludwigshafen, 1959–1969 Referent des „Industrieverbandes Chemie“ in Ludwigshafen, 1959–1976 Mitglied des Landtages von Rheinland-Pfalz, 1960 Vorsitzender der CDU-Stadtratsfraktion in Ludwigshafen, 1966–1973 Landesvorsitzender der CDU Rheinland-Pfalz, 1966–2000 Mitglied des Bundesvorstandes der CDU, 1969–1973 stellvertretender Bundesvorsitzender der CDU, 1969–1976 Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz, 1973–1998 Parteivorsitzender der CDU, 1976–2002 Mitglied des Bundestages, 1976–1982 Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, 1982–1998 Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland und seit 1990 des wiedervereinigten Deutschlands, 1998 Ernennung zum „Ehrenbürger Europas“, 2000/01 Ermittlungsverfahren wegen Verdachts der Untreue zum Nachteil der CDU. KOHLS, Ernst Wilhelm, Universitätslehrer (Historische Theologie) 524f. geb. 24. 10. 1931 Stettin, gest. 2001 1962 wissenschaftlicher Assistent in Erlangen, 1967 Dozent (Historische Theologie) in Erlangen, 1969 Prof. (Historische Theologie) in Marburg, stellvertretender Vorsitzender des Theologischen Konventes der Konferenz der bekennenden Gemeinschaften in Deutschland (Konferenz bekennender Gemeinschaften), 1994 i. R. KÖLLING, Eberhard Karl Gottfried, hessen-nassauischer und westfälischer Pfarrer 520 geb. 1. 9. 1930 Rahden (Westfalen) 1957 Hilfsprediger im Stift Quernheim, 1959 Pfarrer im Stift Quernheim, 1969 Pfarrer in Frankfurt/Main (Evangelische Personalkirchengemeinde Nord-Ost), 1969 Vorsitzender des Landesarbeitskreises Hessen und Nassau der Bekenntnisbewegung Kein anderes Evangelium, 1984 Pfarrer der Evangelischen Kirche von Westfalen. KORTE, Mitglied in der hannoverschen Landessynode 463 KORTZFLEISCH, Siegfried von, Studienleiter, Redakteur 196, 217 geb. 5. 7. 1929 Dresden 1955 Studienleiter der Evangelischen Akademie Bad Boll, 1961 stellvertretender Leiter der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, 1970 Chefredakteur der „Lutherischen Monatshefte“, 1982–1986 stellvertretender Chefredakteur des „Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatts“, zahlreiche Publikationen zum jüdisch-christlichen Dialog und zur christlichen Publizistik. KRAFT, Walter, Theologiestudent 563
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KRECK, Walter, Pfarrer, Universitätslehrer (PT, ST) 352, 484, 497, 501, 506 geb. 7. 6. 1908 Weidelbach (Hessen), gest. 15. 11. 2002 Bonn 1935–1940 Pfarrer der französisch-reformierten Gemeinde in Frankfurt/Main, zusammen mit Karl Gerhard Steck Leitung des Predigerseminars der Bekennenden Kirche in Frankfurt/Main, Pfarrer in Oberfischbach (Kreis Siegen), nach 1945 Pfarrer in Herborn, 1948 Direktor des Predigerseminars Herborn und Lehrauftrag (ST) an der Philosophischen Fakultät der Universität Frankfurt/ Main, 1952 Prof. (PT, ST) an der Universität Bonn, 1973 i. R., Mitarbeiter der Ostermarschbewegung, Friedensbewegung, Anti-Atomkraftbewegung, Attac, Christlichen Friedenskonferenz (CFK) sowie beim Dialog zwischen Christen und Kommunisten. KRELING, Käte (verh. Brandt), Mitarbeiterin der Mädchenbibelkreisbewegung, Direktorin 334, 336 Aktivistin der Mädchenbibelkreisbewegung, Gemeindehelferin in Dortmund, Reisesekretärin der westfälischen Mädchenbibelkreise, 1953 Mitarbeiterin des Bundes der Deutschen Mädchenbibelkreise (MBK), Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft für Evangelische Frauen- und Mädchenbibelkreise, Vikarin beim MBK in Bad Salzuflen, Direktorin des MBK-Hauses in Bad Salzuflen. KRÜGER, Erich, Verfasser kirchen- und theologiekritischer Schriften 466 KRÜGER, Hanfried, Pfarrer, luth. Theologe, Ökumeniker 28, 245, 251, 258 geb. 12. 9. 1914 Schwerin, gest. 12. 12. 1998 Pfarrer in Lauenstein (Salzhemmendorf), 1951 Kirchenrat im Landeskirchenamt Hannover, 1953–1979 Oberkirchenrat im Kirchlichen Außenamt und ÖkumeneReferent der EKD, 1956–1980 Leiter der Geschäftsstelle der ACK (Ökumenische Centrale) in Frankfurt, 1962–1980 Geschäftsführer der ACK, 1956–1984 Schriftleiter der „Ökumenischen Rundschau“. KRÜGER, Thomas, SPD-Politiker, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung 64 geb. 20. 6. 1959 Buttstädt Vikar in Berlin und Eisenach, 1989 Mitbegründer der SPD in der DDR, 1989/90 Geschäftsführer der SDP in Ost-Berlin und Mitglied der Volkskammer der DDR, 1991 (kommissarischer) Oberbürgermeister von Ost-Berlin, 1991–1994 Senator für Familie und Jugend und Mitglied des Berliner Senats, 1994–1998 Mitglied des Deutschen Bundestages, 2000 Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung. KRUPKA, Ernst, Prediger, Evangelist 123 geb. 15. 10. 1890 Ittowen (Ostpreußen), gest. 25. 2. 1991 Vellberg Prediger der Gemeinschaftsbewegung in Ostpreußen, 1914 Missionar in Kärnten, Gründer des Christlichen Missionsvereins für Österreich, 1919 Prediger der Landeskirchlichen Gemeinschaft Tabor in Königsberg, 1923 Prediger der Süddeutschen Vereinigung in Württemberg, 1925 Evangelist der Deutschen Zeltmission, 1946–1956 Geschäftsführer der Deutschen Zeltmission, 1959–1966 Evangelisationsreisen nach Südamerika und Canada. KUGELE, Martin, badischer Pfarrer 516 geb. 26. 9. 1947 Karlsruhe 1974–1995 Pfarrdiakon und Pfarrer in Rußheim, Mitbegründer und Mitglied des Vorstandes des Vereins zur Förderung biblischen Glaubens und Lebens in
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Baden, Sprecher der Evangelischen Vereinigung für Bibel und Bekenntnis, 1995 Pfarrverwalter in Unteröwisheim, 2001 i. R. KÜHN, Eduard, Pfarrer, Missionsinspektor 125, 314 geb. 8. 12. 1871, gest. 1958 1901 Pfarrer in Duisburg, 1918 Inspektor der Liebenzeller Mission, 1930 Stadtpfarrer in Trossingen, 1942 i. R. KÜLLING, Samuel R., Dozent (AT), Gründer und Rektor der Freien Evangelischen Theologischen Akademie (FETA; Staatsunabhängige Theologische Hochschule) bei Basel 81, 227, 367f., 376, 407 geb. 9. 1. 1924, gest. 15. 12. 2003 1964–1970 Dozent (AT) am Predigerseminar St. Chrischona/Basel, Dozent an der Faculté Libre de Théologie Evangélique in Vaux-sur-Seine, 1965–1979 Vorsitzender des Bibelbundes sowie Schriftleiter der Zeitschrift des Bibelbundes „Bibel und Gemeinde“, 1970 Gründer und bis 2003 Rektor der Freien Evangelischen Theologischen Akademie (FETA; Staatsunabhängige Theologische Hochschule [STH]) bei Basel, 1978–1988 Mitarbeit im Internationalen Rat für Biblische Irrtumslosigkeit (ICBI). KÜMMEL, Werner Georg, Theologe, Universitätslehrer (NT) 442 geb. 16. 5. 1905 Heidelberg, gest. 9. 7. 1995 Marburg [PERSONENLEXIKON, 148]. KÜNNETH, Friedrich-Wilhelm, Pfarrer 544, 563, 574 geb. 9. 5. 1933 Berlin-Steglitz [HAGER, Jahrzehnt, 341f.]. KÜNNETH, Walter, luth. Theologe, kirchlicher Dozent, Pfarrer, Universitätslehrer (ST, Christliche Sozialethik) 151, 172, 294f., 408–411, 414f., 418, 420, 440, 442, 446, 451, 452, 459, 486, 492f., 495f., 511, 518, 523–525, 544f., 550, 551, 553, 563, 592, 614, 617, 621, 628 geb. 1. 1. 1901 Etzelwang (Oberpfalz), gest. 26. 10. 1997 Erlangen [PERSONENLEXIKON, 148]. KUPFRIAN, Karl, Bultmannkritiker 283 LACHENMANN, Hans, württembergischer Pfarrer, Dekan 328 geb. 11. 12. 1927 Waiblingen 1952 Pfarrer in Reubach, 1969 Dekan von Crailsheim, 1978–1990 Landesvorsitzender der Arbeitsgruppe Evangelium und Kirche in Württemberg, 1981 Kirchenrat und Leiter der kirchlichen Lehrgänge für den Pfarrdienst in Birkach, 1992 i. R. LAIBLIN, Gerhard, württembergischer Pfarrer 121, 124–126, 129 geb. 5. 12. 1901 Schwenningen, gest. 20. 3. 1973 1928 Stadtpfarrer in Neuenstadt (II), 1934 Pfarrer in Rudersberg, 1948 Pfarrer in Bad Liebenzell (I), 1958 Pfarrer in Ludwigsburg (Friedenskirche I), 1967 i. R. LAIPPLE, Paul, Prediger der Munderschen Gemeinschaften in Württemberg 306 LANG, Friedrich, kirchlicher Dozent, Universitätslehrer (NT) 316 geb. 6. 9. 1913 Grötzingen, gest. 9. 3. 2004 Tübingen 1951 Dozent (NT) an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal, 1956–1970 Ephorus des Tübinger Stiftes, 1962 Prof. (NT) an der Universität Tübingen, 1979 i. R.
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LANG, Gottlob, württembergischer Pfarrer 187 geb. 28. 1. 1888 Stuttgart, gest. 11. 12. 1970 Korntal [SCHULZE, Verantwortung, 1049]. LANZENSTIEL, Georg, Pfarrer, Oberkirchenrat, Kreisdekan 496 geb. 2. 5. 1909 Augsburg, gest. 7. 6. 1983 [HAGER, Jahrzehnt, 342]. LAUBACH, Fritz, freier evangelischer Prediger, Vorsitzender der DEA 30, 37, 46, 183, 229f., 234, 644 geb. 31. 1. 1926 Lüchow Reisesekretär der Studentenmission in Deutschland, 1955 Pastor der Freien evangelischen Gemeinde in Siegen-Geisweid, 1959 Dozent am Theologischen Seminar der Freien evangelischen Gemeinden Ewersbach, 1966 Pastor und Leiter der Freien evangelischen Gemeinde in Hamburg-Holstenwall, 1968 Vorsitzender der Stiftung Elim (Stiftung Freie evangelische Gemeinde in Norddeutschland), 1968– 1984 Vorstandsmitglied des Evangeliums-Rundfunks Wetzlar, 1977–1991 Leiter der diakonischen Einrichtung der Stiftung Elim, 1984–1991 Vorsitzender der DEA, 1986–1999 Vorsitzender von Hilfe für Brüder und Christliche Fachkräfte International, 1991 i. R. LEHMANN, Arno, altluth. Theologe, Missionar, Pfarrer, Universitätslehrer (Missionsund Religionswissenschaft, Dravidologie) 575 geb. 23. 5. 1901 Kaitz bei Dresden, gest. 21. 4. 1984 Halle/Saale [PERSONENLEXIKON, 154]. LEHMANN, Theo, Pfarrer, Evangelist, Autor 575 geb. 19. 5. 1934 Dresden 1964 Pfarrer in Karl-Marx-Stadt, 1976 Landesevangelist der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens, 1998 i. R., Autor zahlreicher Bücher zu christlichen Themen sowie Musik (Blues, Spirituals und Gospel). LEHMANN, Wolfgang, hessen-nassauischer Pfarrer 407 geb. 24. 12. 1914 Bad Kösen 1950–1984 Pfarrer der Friedenskirchengemeinde in Offenbach [ZOCHER, Osterloh, 693]. LENIN (Uljanow), Wladimir Iljitsch, russischer Politiker 582 geb. 22. 4. 1870 Simbirsk (Uljanow; Russisches Kaiserreich), gest. 21. 1. 1924 Gorki [ZOCHER, Osterloh, 694]. LEUZE, Hildegard, Vorsitzende der Evangelischen Frauenarbeit in Deutschland 492 geb. 3. 6. 1907 Augsburg, gest. 6. 7. 1991 Stuttgart Stadträtin und Jugendschöffin in Aalen und Ludwigsburg, 1961–1976 1. Vorsitzende der Evangelischen Frauenarbeit der württembergischen Landeskirche, 1965–1971 1. Vorsitzende der Evangelischen Frauenarbeit, Mitglied der Synode der EKD. LEVEBVRE, Marcel, französischer römisch-katholischer Erzbischof, Gründer der Priesterbruderschaft St. Pius X. 238 geb. 29. 11. 1905 Tourcoing (Frankreich), gest. 25. 3. 1991 Martigny (Schweiz) 1931 Mitglied des Ordens der Spiritaner, 1932 Missionar in Gabun und Direktor eines Priesterseminars, 1947 apostolischer Vikar in Dakar, 1948 apostolischer Gesandter für die französischsprachigen Gebiete Afrikas und Titularbischof von
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„Arcadiopolis in Europa“, 1955 Erzbischof von Dakar, 1960 Mitarbeiter der zentralen Vorbereitungskommission für das II. Vatikanische Konzil, Päpstlicher Thronassistent, 1962 Bischof von Tulle (Frankreich) und Titularbischof von Synnada in Phrygia Salutaris, 1962–1968 Generaloberer der Spiritaner, 1963 Mitbegründer der konzilkritischen Vereinigung „Coetus Internationalis Patrum“, 1969/70 Gründer der Priesterbruderschaft St. Pius X. (FSSPX) mit Hauptsitz in Ecône (Schweiz), 1976 Suspendierung, 1988 Exkommunikation. LIEBERG, Hellmut, braunschweigischer Pfarrer 481, 552 geb. 16. 3. 1926 Arensburg (Estland), gest. 5. 2. 1972 Peine 1952 Pfarrer in Saalsdorf, 1960–1972 Pfarrer in Braunschweig (St. Ulrici/Brüdern II). LILJE, Hanns, Theologe, Landesbischof 179, 209, 210, 216, 219f., 245, 296, 298f., 325, 333, 350, 353, 355f., 461, 463–465, 551, 612f. geb. 20. 8. 1899 Hannover, gest. 6. 1. 1977 Hannover [PERSONENLEXIKON, 157f.]. LINDEMANN, Andreas, Universitätslehrer (NT) 76f., 264 geb. 1943 Leer 1978 Prof. (NT) an der Kirchlichen Hochschule Bethel (Bielefeld). LINDNER, Gudrun, Hotelfachfrau, Betreuerin, Präsidentin der sächsischen Landessynode 48 geb. 1955 Wilkau-Haßlau 1994–1996 Mitarbeiterin bei einem Projekt zur Unterstützung der psychosozialen Situation von Pflegepersonal, 1997 Betreuerin, 1996–2007 Präsidentin der Synode der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens, Vorsitzende im Europa-Ausschuss der Synode der EKD, 2003 Ratsmitglied der EKD. LINDNER, Helgo, wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl von Otto Michel an der Universität in Tübingen, Pfarrer 394 geb. 1937 LINDNER, Reinhold, Journalist, Autor 269 LIPPOLD, Martin, mecklenburgischer Pfarrer, Landessuperintendent 492 geb. 7. 1. 1908 Stettin, gest. 25. 3. 1999 Kühlungsborn 1933 Pfarrer in Selchow (Kreis Greifenhagen), 1941 Pfarrer in Stettin (Stolzenhagen), 1948 Pfarrer in Parchim (St.Georg III), 1950 Pfarrer in Parchim (St.Georg II), 1952 Pfarrer und Leiter des Predigerseminars Blücher, 1963 Pfarrer in Malchin I und Landessuperintendent des Kirchenkreises Malchin, 1975 i. R. LOESER, Max, Pfarrer, Missionsinspektor, Mitarbeiter des NWDR 121–129, 152 geb. 20. 6. 1909, gest. 13. 12. 1971 1939 Pfarrer in Poppenweiler, 1948 Inspektor der Liebenzeller Mission und theologischer Leiter der Liebenzeller Bibelschule, 1950 Referent im Nordwestdeutschen Rundfunk. LOEWENICH, Hermann von, Pfarrer, bayerischer Landesbischof 545 geb. 26. 10. 1931 Nürnberg, gest. 18. 12. 2008 Nürnberg [HAGER, Jahrzehnt, 342f.]. LÖHE, Wilhelm Johann Konrad, Pfarrer, luth. Theologe 160 geb. 21. 2. 1808 Fürth, gest. 2. 1. 1872 Neuendettelsau Vikar und Pfarrverweser in Nürnberg, Behringersdorf, Lauf, Altdorf, Bertholdsdorf und Merkendorf, 1837 Pfarrer in Neuendettelsau, Kämpfer gegen die Kir-
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chenunion, 1841 Ausbilder von Missionaren, Gründer der Missionsanstalt für Nord-Amerika, 1854 Gründer des Lutherischen Vereins für weibliche Diakonie in Neuendettelsau (Diakonie Neuendettelsau). LOHRMANN, Walter, Pfarrer 275, 510, 514 geb. 30. 4. 1929 Geislingen, gest. 7. 11. 2007 Kiel 1960 Pfarrer in Hengstfeld (Württemberg), 1965–1970 Bundespfarrer des Jugendbundes Entschieden für Christus (Entschiedenes Christentum), 1965–1968 Vorstandsmitglied des Bibelbundes, 1970–1975 Pfarrer in Kiel (Petrus-SüdGemeinde), 1973–1975 Vorsitzender der Gemeinschaften in der Evangelischen Kirche in Schleswig-Holstein, 1975–1989 Pfarrer in Westberlin (Apostel-PetrusGemeinde), Leiter des Programmausschusses des Evangeliums-Rundfunks Wetzlar, 1989 i. R., 1990 Gründer der Gemeinschaft Evangelischer Christen auf Teneriffa. LOHSE, Eduard, Theologe, Universitätslehrer (NT), Bischof der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannovers, Vorsitzender des Rates der EKD 299 geb. 19. 2. 1924 Hamburg [ZOCHER, Osterloh, 696]. LÖRCHER, Richard, Bundesposaunenwart 456, 523 gest. 1970 Bundesposaunenwart des Westdeutschen CVJM, Mitglied des Geschäftsführenden Ausschusses des Westfälischen Arbeitskreises und des Bundesarbeitskreises der Bekenntnisbewegung Kein anderes Evangelium. LÜCK, Immanuel, Lehrer 598f. Religionslehrer, 1974 Vorsitzender des Pädagogischen Ausschusses der Konferenz der bekennenden Gemeinschaften in Deutschland (Konferenz bekennender Gemeinschaften). LÜDEMANN, Gerd, Universitätslehrer (NT) 68 geb. 5. 7. 1946 Visselhövede 1977 Visiting Assistant Prof. (Judenchristentum und Gnostizismus) an der McMaster University in Hamilton/Ontario (Canada), 1979 Assistant und Associate Prof. (NT) an der Vanderbilt Divinity School in Nashville/Tennessee, 1983 Prof. (NT) an der Universität Göttingen, 1999 Prof. (Geschichte und Literatur des frühen Christentums, konfessionsneutral) und Leiter der Abteilung Frühchristliche Studien des Instituts für Spezialforschungen der Universität Göttingen. LÜDERWALDT, Detlef, hannoverscher und hessen-nassauischer Pfarrer 324–326 geb. 5. 3. 1932 Stojentin (Pommern) 1960 Hilfsgeistlicher, 1962 Pfarrer in Hannover-Marienwerder (II), 1966 Pfarrer in Frankfurt/Main, 1996 Mitarbeiter der Gossner Mission in Mainz, Geschäftsführer des Initiativausschusses Ausländische Mitbürger in Hessen. LUTHER, Martin, Reformator 156, 292, 309–311, 342, 348, 356, 394, 397f., 401, 458– 460, 469, 488f., 510, 524, 549 geb. 10. 11. 1483 Eisleben, gest. 18. 2. 1546 Eisleben. LUTZ, Hermann, Schreiner, Schüler von Christian Röckle und Mitarbeiter der Philadelphia-Bewegung 189 MACHEN, John Gresham, US-amerikanischer Dozent (NT) 94 geb. 28. 7. 1881 Baltimore, gest. 1. 1. 1937
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Personenregister
presbyterianischer Pastor, 1906 Dozent (NT) am Princeton Seminary/New Jersey, 1915 Assistent Prof (NT), 1929 Mitbegründer und seitdem Dozent (NT) des Westminster Theological Seminary/Philadelphia, 1933 Mitbegründer des Independent Board for Presbyterian Foreign Missions, 1936 Mitbegründer der Presbyterian Church of America (Orthodox Presbyterian Church). MACK, Fritz, württembergischer Pfarrer, Schriftleiter 428 geb. 25. 8. 1914 Stuttgart, gest. 17. 6. 2000 1943 Pfarrer in Tieringen, 1958 Schriftleiter beim Evangelischen Presseverband, 1961 Schriftleiter des Stuttgarter Evangelischen Sonntagsblatts, 1971 Mitarbeiter der Evangelischen Gemeindepresse Stuttgart, 1979 i. R. MAIER, Gerhard, württembergischer Pfarrer, Prälat, Landesbischof der Evangelischen Landeskirche in Württemberg 69, 70 geb. 30. 8. 1937 Ulm 1968 Vikar, 1970 Pfarrer in Baiersbronn, 1973 Studienleiter am Albrecht-BengelHaus in Tübingen, 1975 geschäftsführender Studienleiter, 1980 Rektor, 1995 Prälat von Ulm, Mitglied im Landesbrüderrat des Altpietistischen Gemeinschaftsverbandes, 2001–2005 Landesbischof der württembergischen Landeskirche, Vorstandsmitglied des Arbeitskreises für evangelikale Theologie. MAO TSE-TUNG, chinesischer Diktator 582, 587 geb. 26. 12. 1893 Shaoshang, gest. 9. 9. 1976 Peking. MARCUSE, Herbert, Philosoph, Soziologe, Politologe, Universitätslehrer, führender Vertreter der Kritischen Theorie 582 geb. 19. 7. 1898 Berlin, gest. 29. 7. 1979 Starnberg 1933 Emigration in die Schweiz, 1934 in die USA, Mitarbeiter am Institut für Sozialforschung in New York, 1942 Mitarbeiter beim Office of Strategic Services in Washington, D.C., 1951–1954 Mitarbeiter an den Russian Institutes der New Yorker Columbia University, 1954 Prof. (Philosophie, Politikwissenschaft) an der Brandeis University in Waltham/Massachusetts, 1964 Prof. (Politikwissenschaft) an der University of California in San Diego, 1965 apl. Prof. an der Freien Universität Berlin, 1967/69 mehrmonatige Vortragsreisen in Europa. MARGULL, Hans Jochen, Universitätslehrer (Missions- und Ökumenewissenschaft) 235f. geb. 1925, gest. 1982 Mitarbeiter des Ökumenischen Rates der Kirchen in Genf, bis 1982 Prof. (Missions- und Ökumenewissenschaft) an der Universität Hamburg. MARIENFELD, Werner, ostpreußischer und westfälischer Pfarrer 570 geb. 1908, gest. 1989 1935 Pfarrer in Wielitzken (Landkreis Treuburg/Ostpreußen), 1945 russische Kriegsgefangenschaft, 1949 Pfarrer in Brandenburg/Havel, 1953 Flucht nach Westdeutschland, 1954–1973 Pfarrer in Dortmund, Mitbegründer und Vorstandsmitglied der Notgemeinschaft evangelischer Deutscher (Evangelische Notgemeinschaft in Deutschland), Mitbegründer und Schriftführer der Gemeinschaft evangelischer Ostpreußen, 1988 Verleihung des Preußenschildes der Landsmannschaft Ostpreußen. MARQUARDT, Horst, methodistischer Pastor, Evangelist, Autor 609, 644 geb. 14. 7. 1929 Pastor der Evangelisch-methodistischen Kirche in Berlin, Wien, Wetzlar, 1960
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Biogramme
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Mitbegründer und bis 1993 Leiter des Evangeliums-Rundfunks Wetzlar, 1970 Mitbegründer und Vorsitzender der Nachrichtenagentur idea, 1975 Gründer der Konferenz Evangelikaler Publizisten (Christlicher Medienverbund), Mitglied des Hauptvorstandes der DEA, 1986 Mitbegründer und bis 1999 Vorsitzender der Lausanner Bewegung in Deutschland, 1999 Vorsitzender des Kongresses christlicher Führungskräfte. MARTIN, Betreiber von Plakatmissionen in Hamburg 189 Mitbegründer und Leiter der Christlichen Plakatmission Hamburg, 1958 als Leiter abgesetzt, daraufhin Betrieb einer eigenen Plakatmission. MARXSEN, Willi, Pfarrer in Lübeck, Universitätslehrer (NT) 334 f., 339, 349, 421f., 447, 470, 484, 505, 506, 610 geb. 1. 9. 1919 Kiel, gest. 18. 2. 1993 Münster 1949 Vikar und Pfarrer in Lübeck, 1953 Studieninspektor am Predigerseminar Preetz, 1956 Prof. (NT) an der Kirchlichen Hochschule Bethel, 1957 Mitglied des Prüfungsamtes der westfälischen Landeskirche, 1961 Prof. (Neutestamentliche Einleitungswissenschaft und Theologie) in Münster, 1984 i. R. MATTHIES, Helmut, Pfarrer, Journalist, 573f., 644f., 646 geb. 7. 5. 1950 Dungelbeck 1976 Mitherausgeber des „Rotbuches Kirche“, Mitbegründer der Nachrichtenagentur idea, 1978 Leiter von idea, Chefredakteur der Wochenzeitschrift ideaSpektrum, Mitglied der Notgemeinschaft evangelischer Deutscher (Evangelische Notgemeinschaft in Deutschland), 1982 Ordination zum Pfarrer der Evangelischen Kirche in Hessen-Nassau und Beurlaubung für den Dienst bei idea, Mitglied des Hauptvorstandes der DEA. MAURER, Christian, Theologe, Universitätslehrer (NT) 498 geb. 30. 4. 1913, gest. 15. 4. 1992 1949 Prof. (NT) an der Universität Wien, später an der Universität Bern. MAURY, Pierre, französischer reformierter Pfarrer, Präsident des Nationalen Rats der Église Réformée de France 155 geb. 1890, gest. 1956 1919 Generalsekretär der Fédération Française des Associations Chrétiennes d’Étudiants (Französischer Bund christlicher Studentenvereine), 1925 Pfarrer in Ferney-Voltaire, 1929 Mitarbeiter des Christlichen Studentenweltbundes in Genf, 1934–1956 zusammen mit Marc Bœgner Pfarrer der reformierten Gemeinde Passy-Annonciation in Paris, 1950–1953 Präsident des Nationalen Rats der Église Réformée de France (Reformierte Kirche Frankreichs), Übersetzer der Werke Karl Barths ins Französische. MCINTIRE, Carl, Prediger, Evangelist, führender US-amerikanischer Fundamentalist 94–96 geb. 17. 5. 1906 Ypsilanti/Michigan, gest. 19. 3. 2002 1931 Pastor der Chelsea Presbyterian Church in Atlantic City/New Jersey, 1933 Pastor der Presbytarian Church in Collingswood/New Jersey, 1934 Mitbegründer und Mitglied des Independent Board for Presbyterian Foreign Missions, 1936 Mitbegründer der Presbyterian Church of America (Orthodox Presbyterian Church), 1937 Mitbegründer und Pastor der Bible Presbyterian Church in Collingswood/New Jersey, 1941 Mitbegründer des American Council of Christian Churches (ACCC), 1948 Mitbegründer und bis 2002 1. Präsident des Internatio-
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Personenregister
nal Council of Christian Churches (ICCC), 1955 Initiator und Prediger der Radiosendung „The Twentieth Century Reformation Hour“, 1962 Gründer der Christian Admiral Bible Conference sowie des Freedom Center in Cape May/ New Jersey, 1965 Kauf des Radiosenders WXUR in Media/Pennsylvania, Ausbau eigener Sendungen, Gründer mehrerer US-amerikanischer Bibelschulen, 1984 Ausschluss aus der Bible Presbyterian Church auf Grund finanzieller Unregelmäßigkeiten, 1984 Gründer und Prediger der Bible Presbyterian Church Collingswood Synod. MEERWEIN, Hans-Georg, badischer Pfarrer 515 geb. 3. 2. 1929 Nußbaum bei Bretten, gest. 28. 4. 2008 1965 Auslandspfarrer in Valparaiso (Chile), 1971 Pfarrer in Dossenheim, 1984– 1988 Vorsitzender der Evangelischen Vereinigung für Bibel und Bekenntnis in Baden, 1987–1997 Vorsitzender des Bundesarbeitskreises der Bekenntnisbewegung Kein anderes Evangelium, 1992 i. R., Vorsitzender der Konferenz der bekennenden Gemeinschaften in Deutschland (Konferenz bekennender Gemeinschaften), Mitglied der Synode der EKD. MEINHOF, Ulrike, Journalistin, führendes Mitglied der Rote Armee Fraktion (RAF), Terroristin 580 geb. 7. 10. 1934 Oldenburg, gest. 9. 5. 1976 Stuttgart [HAGER, Jahrzehnt, 343]. MEISER, Hans, luth. Theologe, Vereinsgeistlicher, Landesbischof 150, 293 geb. 16. 2. 1881 Nürnberg, gest. 8. 6. 1956 München [PERSONENLEXIKON, 169f.]. MERKEL, Friedemann, Pfarrer, Universitätslehrer (PT) 462 geb. 28. 1. 1929 1954 Mitarbeiter am Praktisch-Theologischen Seminar in Heidelberg, 1960 Pfarrer der rheinischen Landeskirche, 1964 Dozent am Predigerseminar der Evangelischen Kirche im Rheinland, 1965 Prof. (PT) an der Kirchlichen Hochschule in Berlin, 1970 Prof. (PT) der Universität Münster, Direktor des Seminars für PT und Religionspädagogik, Ephorus des Hamannstiftes, 1980–1982 Dekan, 1983– 1988 Vorsitzender des Evangelischen Fakultätentags, Herausgeber der „Göttinger Predigtmeditationen“, 1992 Gastprof. (Evangelisches Kirchenrecht) an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster. MERZ, Georg, Theologe, Dekan, kirchlicher Hochschullehrer (PT, KG) 294 geb. 3. 3. 1892 Walkersbrunn (Oberfranken), gest. 16. 11. 1959 Neuendettelsau [PERSONENLEXIKON, 171]. MERZ, Gottfried, sächsischer Pfarrer und Superintendent 23 geb. 15.4. 1915, gest. 23.11. 1981 1937 Pfarrer in Bad Elster, 1951 Pfarrer in Neuhausen (Erzgebirge), 1958 Pfarrer in Leipzig, 1968 Pfarrer und Superintendent in Leisnig, 1980 i. R. MERZ, Karl, Gemeinschaftsprediger, methodistischer Pastor 140f. geb. 20. 5. 1890 Tailfingen, gest. 22. 7. 1969 Prediger des Gemeinschaftsverbandes Ansbach-Nürnberg-Hof in München, 1941 Übertritt in die methodistische Kirche, seitdem Pastor der methodistischen Kirche, 1951–1964 Mitglied des Hauptvorstandes der DEA, 1958 i. R. MESKEMPER, Gottfried, Diplomingenieur, Postinspektor, Mitbegründer von Bekenntnisschulen 573
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Biogramme
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geb. 6. 5. 1932 Leyden (Niederlande) Techniker und Inspektor der Deutschen Bundespost in Oldenburg und Bremen, Mitglied des Leitungskreises des Studiengemeinschaft Wort und Wissen, 1975 Mitglied der Hohentorsgemeinde Bremen, Mitbegründer zahlreicher Bekenntnisschulen, Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Evangelischer Bekenntnisschulen, Vorsitzender der Freien evangelischen Bekenntnisschule Bremen, stellvertretender Vorsitzender der Studienstiftung Kein anderes Evangelium, 1993 stellvertretender Vorsitzender der Bekenntnisbewegung Kein anderes Evangelium, 2005 Vorsitzender der Notgemeinschaft evangelischer Deutscher (Evangelische Notgemeinschaft in Deutschland). MEVES, Christa, Psychagogin, Autorin 53 geb. 4. 3. 1925 Neumünster 1960 Kinder- und Jugendpsychotherapeutin in eigener Praxis, Autorin zahlreicher Bücher zu Kindererziehung und –psychologie, zu Verhaltensstörungen bei Kindern und Jugendlichen sowie zu Familie und Ehe, 1973–1984 Mitglied der Synode der EKD, 1978–2006 Mitherausgeberin der Wochenzeitung „Rheinischer Merkur“, 1987 Konversion zum Katholizismus, 1982 Gründerin des Vereins Verantwortung für die Familie (seit 1998 unter diesem Namen). MEYER, Heinrich, Theologe, Missionar, Bischof, Universitätslehrer 212, 219, 453– 458 geb. 16. 10. 1904 Apenrade (Nordschleswig), gest. 25. 5. 1978 Lübeck [PERSONENLEXIKON, 173]. MEZGER, Manfred, Universitätslehrer (PT) 420, 506 geb. 11. 4. 1911 Stuttgart, gest. 1996 1947 Pfarrer in Pfäffingen, 1956 Prof. (PT) an der Kirchlichen Hochschule Berlin, 1958 Prof. (PT) an der Universität Mainz, 1968/69 Rektor der Universität Mainz. MICHAELIS, Walter, Theologe, Missionar, Verbandsvorsitzender 123f., 139, 151, 153, 155, 156, 157, 176, 180, 301, 316, 657 geb. 4. 3. 1866 Frankfurt/Oder, gest. 9. 10. 1953 Göttingen [PERSONENLEXIKON, 174]. MICHEL, Otto, luth. Theologe, Universitätslehrer (NT, nachbiblisches Judentum) 283, 310, 316f., 336, 394, 408f. geb. 28. 8. 1903 Elberfeld, gest. 28. 12. 1993 Tübingen [PERSONENLEXIKON, 174]. MISKOTTE, Kornelis Heiko, niederländischer ref. Theologe, Universitätslehrer (Dogmatik) 350 geb. 23. 9. 1894, gest. 31. 8. 1976 1921 Pfarrer in Kortgene, 1925 Pfarrer in Meppel, 1930 Pfarrer in Haarlem, 1938 Pfarrer in Amsterdam, 1945 Prof. (Dogmatik) an der Universität Leiden (Niederlande), 1945–1970 Chefredakteur der Zeitschrift „In de Waagschal“, 1959 i. R. MODERSOHN, Ernst, Pfarrer, Evangelist 399 geb. 14. 2. 1870 Soest, gest. 2. 2. 1948 Bad Blankenburg 1894–1899 Pfarrer in Weidenau, 1900 Pfarrer in Mühlheim an der Ruhr, 1906 Leiter des Allianzhauses der Evangelischen Allianz in Bad Blankenburg und Leiter des Thüringischen Gemeinschaftsbundes, 1910 Evangelist, Mitglied des Vorstandes des Gnadauer Verbandes, des Jugendbundes Entschieden für Christus (Entschiedenes Christentum) sowie des Gemeinschafts-Diakonieverbandes, Mit-
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begründer des Pfarrer-Gebets-Bundes, Gründer des Verlages und der Druckerei „Harfe“. MÖLLER, Paul Gerhardt, Pfarrer, Superintendent, Missionsdirektor 121–130, 152 geb. in Basel Pfarrer in Conow bei Dannenberg und in Wettmar, 1936 Pfarrer der Stadtmission in Berlin-Neukölln, 1946 Direktor der Liebenzeller Mission, 1954 Superintendent der hannoverschen Landeskirche in Wesermünde, 1965 Stadtmissionsdirektor in Zürich, 1971 i. R., Leiter der Evangelisch lutherischen Kirche im Fürstentum Liechtenstein, Mitglied des Hauptvorstände des Gnadauer Verbandes und der DEA, Vorsitzender der Mitternachtsmissionen, zahlreiche Evangelisationsreisen in Europa, Südamerika und Asien. MÖLLER, Wilhelm, Pfarrer, Theologe 124 geb. 1872, gest. 1957 1912 Pfarrer in Rackith bei Wittenberg, theologische Forschungen zum AT, 1929 Mitherausgeber der Zeitschrift des Bibelbundes „Bibel und Gemeinde“, bis 1957 Vorstandsmitglied des Bibelbundes. MOLTMANN, Jürgen, Pfarrer, Universitätslehrer (ST) 487, 535 geb. 8. 4. 1926 Hamburg [HAGER, Jahrzehnt, 344]. MORGNER, Christoph, hannoverscher Pfarrer, Präses des Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverbandes 48, 51, 91, 134, 634, 659 geb. 1943 kaufmännischer Angestellter und Abteilungsleiter, 1975 Pfarrer in Uetze-Dollbergen, Vorsitzender des Hannoverschen Verbandes Landeskirchlicher Gemeinschaften, 1989–2009 Präses des Gnadauer Gemeinschaftsverbandes. MOTSCHMANN, Elisabeth, Publizistin, CDU-Politikerin 639 geb. 13. 10. 1952 Lübeck 1975–1993 freie Journalistin und Publizistin, zahlreiche Veröffentlichungen zu den Themen Kinder, Familie und Frauen, 1986–1991 freie Mitarbeiterin beim NDR, 1986–1993 freie Mitarbeiterin des Axel Springer Verlags, 1977–1981 stellvertretende Landesvorsitzende der CDU-Frauenunion Schleswig-Holstein, 1990–2006 stellvertretende Landesvorsitzende der CDU Bremen, 1999–2003 Staatsrätin beim Senator für Inneres, Kultur und Sport (Bereich Kultur und Sport), 2003–2007 Staatsrätin beim Senator für Kultur, 2006 Vorsitzende des Landesausschusses der CDU Bremen, Mitglied der Bremer Bürgerschaft. MOTSCHMANN, Jens, Pfarrer 43, 473, 563, 573f., 639 geb. 30. 6. 1942 Berlin 1971/72 Pfarrer in Neumünster-Einfeld, 1972 Pfarrer in Itzehoe, 1987 Pfarrer in Bremen (St. Martini), stellvertretender Vorsitzender der Bundessammlung der Kirchlichen Sammlung um Bibel und Bekenntnis, 1976/78 Mitherausgeber des „(Neuen) Rotbuchs Kirche“, Mitglied der Notgemeinschaft evangelischer Deutscher (Evangelische Notgemeinschaft in Deutschland), 2007 i. R. MOTSCHMANN, Klaus, Universitätslehrer (Politikwissenschaft) 573, 579, 581 geb. 4. 3. 1934 Berlin 1972–1997 Prof. (Politikwissenschaft) an der Universität der Künste Berlin, Mitbegründer der „Berliner Protestanten“, Herausgeber der Zeitschrift „Konservativ heute“ (1980 Fusion mit der Vierteljahresschrift „Criticón“), Mitglied der Berli-
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Biogramme
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ner Regionalsynode West, zusammen mit Reinhold George Vorsitzender der Evangelischen Sammlung Berlin, Vorstandsmitglied der Notgemeinschaft evangelischer Deutscher (Evangelische Notgemeinschaft in Deutschland), Mitarbeiter und Berater der Wochenzeitung „Junge Freiheit“. MÜLHAUPT, Erwin, Pfarrer, Theologe, Hochschullehrer (KG) 316 1934 Pfarrer in Haag (Odenwald), 1949–1970 Prof. (KG) an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal/Bethel. MÜLLER, Alexander, Mitarbeiter eines regionalen Gemeinschaftsverbandes 135 MÜLLER, Eberhard, Theologe, Pfarrer, Akademiedirektor 151, 155, 308, 309 geb. 22. 8. 1906 Stuttgart, gest. 11. 1. 1989 Heidelberg [PERSONENLEXIKON, 178]. MÜLLER, Fridolin, Mitglied der hessen-nassauischen Landessynode 286 MÜLLER, Friedrich, braunschweigischer Pfarrer 486 geb. 14. 1. 1895 Helmstedt, gest. 10. 12. 1971 Wolfenbüttel 1924 Pfarrer in Bahrdorf, 1933 Pfarrer und Kreispfarrer in Helmstedt (St. Stephanie), 1934 Pfarrer in Timmenrode, 1948 Pfarrer in Sauingen, 1965 i. R. MÜLLER, Ludwig, Theologe, Wehrkreispfarrer, Reichsbischof 623 geb. 23. 6. 1883 Gütersloh, gest. 31. 7. 1945 (Selbstmord) Berlin [PERSONENLEXIKON, 180]. MÜLLER, Manfred, Theologe, Landesjugendpfarrer, Oberkirchenrat 155, 200 geb. 9. 11. 1903 Stuttgart, gest. 7. 11. 1987 Stuttgart [PERSONENLEXIKON, 181]. MÜLLER, Wolfgang, baptistischer Pastor, Journalist und Redakteur 631 geb. 1931 Rastatt, gest. 13. 1. 2008 Kassel 1955 baptistischer Pastor in München, Treysa, Remscheid und Wermelskirchen, 1970 ehrenamtlicher Redakteur bei idea in Wetzlar, 1975–1986 Chefredakteur der baptistischen Wochenzeitschrift „Die Gemeinde“ in Kassel, 1986 Freikirchen-Referent der Geschäftsstelle der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) in Frankfurt/Main, 1993 i. R., 1993–1996 Pastor in Siegen-Weidenau. MÜLLER-GANGLOFF, Erich, Publizist, Akademiedirektor 575 geb. 12. 2. 1907 Roth (Pfalz), gest. 23. 2. 1980 Berlin (West) 1952 Gründer und bis 1969 Direktor der Evangelischen Akademie Berlin (West), 1958 Mitbegründer von Aktion Sühnezeichen, Friedensaktivist, Autor zahlreicher Bücher zu (kirchen)politischen Themen und zur Vergangenheitsaufarbeitung. MUNDLE, Wilhelm, Theologe, Universitätslehrer (Neutestamentliche Zeitgeschichte), Pfarrer 399, 407 geb. 28. 4. 1892 Stuttgart, gest. 20. 12. 1971 Wehrda bei Marburg [PERSONENLEXIKON, 183]. MÜNN, Lothar, Jurist, Staatsanwalt 579 gest. 4. 11. 1988 1952 Landgerichtsrat der Staatsanwaltschaft Berlin, Senatspräsident beim Kammergericht, 1961 Generalstaatsanwalt beim Kammergericht Berlin (West), 1972 Mitbegründer der „Berliner Protestanten“. NESTVOGEL, Wolfgang, Pfarrer, Dozent (PT), freikirchlicher Pastor 635 geb. 1961 Hannover Pfarrer in Borstel (Nienburg) und Osnabrück, 1986 1. Vorsitzender des Jungen
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Personenregister
Bruderrates der Bekenntnisbewegung Kein anderes Evangelium, 1990 Sprecher der Interessengemeinschaft evangelikaler Pastoren in der EKD, 1995 Mitglied des Vorstandes der Bekenntnisbewegung Kein anderes Evangelium, Schriftleiter des Informationsbriefes der Bekenntnisbewegung Kein anderes Evangelium, 2001 Dozent (PT) an der Akademie für Reformatorische Theologie (ART) in Hannover, 2005 Rektor, 2010 aus theologischen Gründen ausgeschieden, Pastor der freikirchlichen Bekennenden Evangelischen Gemeinde Hannover. NICOLOSI, Joseph, US-amerikanischen Psychotherapeut 589 geb. 21. 1. 1947 Begründer der „reparativen Therapie“ (Sexual Orientation Change Efforts), 1992 Mitbegründer und Präsident der US-amerikanischen Therapeutenvereinigung National Association for Research and Therapy of Homosexuality, Gründer und Leiter der St. Thomas Aquinas Psychological Clinic in Encino/California. NIEMEIER, Gottfried, Theologe, westfälischer Pfarrer, Vizepräsident der Kirchenkanzlei 350, 355, 492, 494–499 geb. 18. 6. 1906 Wetter, gest. 1986 [ZOCHER, Osterloh, 702]. NIEMÖLLER, Martin, Marineoffizier, Theologe, Pfarrer, Kirchenpräsident 216, 284, 287, 290f., 299, 460, 461, 468, 571, 616 geb. 14. 1. 1892 Lippstadt (Westfalen), gest. 6. 3. 1984 Wiesbaden [PERSONENLEXIKON, 185]. NIEMÖLLER, Wilhelm, Theologe 468 geb. 7. 4. 1898 Lippstadt, gest. 13. 10. 1983 Bielefeld [PERSONENLEXIKON, 185f.]. OBENDIEK, Harmannus, ref. Theologe, kirchlicher Dozent (PT) 316 geb. 19. 9. 1894 Weener (Ostfriesland), gest. 14. 9. 1954 (Autounfall) Rapid-City/ South Dakota [PERSONENLEXIKON, 187f.]. OHNACKER, Emil, Mitglied der hessen-nassauischen Landessynode 284 OPOCENSKY, Milan, Universitätslehrer (Sozialethik), Generalsekretär der World Alliance of Reformed Churches 575 geb. 5. 7. 1931 Könggrätz (Hradec Králové), gest. 31. 1. 2007 Prag 1954–1967 wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl von Josef Hromádka an der Universität in Prag, 1960–1968 Vorsitzender der Jugendkommission der Christlichen Friedenskonferenz (CFK), aktiv im christlich-marxistischen Dialog, 1967– 1973 Europasekretär der World Student Christian Federation in Genf, 1973 Prof. (Sozialethik) an der Universität Prag, 1989–2000 Generalsekretär der World Alliance of Reformed Churches (Reformierter Weltbund), 2000/01 MacKay Prof. (World Christianity) am Princeton Seminary/New Jersey. OSTERLOH, Edo, Theologe, kirchlicher Dozent (AT), Studentenpfarrer, Kultusminister 300 geb. 2. 4. 1909 Rothenhahn (Oldenburg), gest. 26. 2. 1964 Kiel [PERSONENLEXIKON, 190f.]. OTTO, Gert, Universitätslehrer (PT) 506 geb. 10. 1. 1927 Berlin, gest. 13. 3. 2005 Mainz 1963 Prof. (PT) an der Universität Mainz, 1992 i. R.
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Biogramme
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OTTO, Manfred, baptistischer Pastor, Bundesdirektor 627 geb. 21. 3. 1927 Siegen-Geisweid 1953 baptistischer Vikar und Pastor der Neulandmission des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in Biberach, Thalwil und Horgen am Zürichsee (Schweiz), 1959 Dozent und Leiter des freikirchlichen Jugendseminars in Hamburg, 1965 Pastor der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde in Lübeck, 1969– 1989 Bundesdirektor des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden, 1980– 1984 Vorsitzender der DEA. PADBERG, Lutz E. von, Dozent, apl. Prof. (Mittelalterliche Geschichte) 70, 418 geb. 22. 2. 1950 Essen 1993 Privatdozent, 1999 apl. Prof. (Mittelalterliche Geschichte) am Historischen Institut der Fakultät für Kulturwissenschaften Paderborn, 1986–1999 Gastdozent an der Evangelischen Theologischen Fakultät in Leuven (Belgien), 1986 Dozent (historische Theologie) an der FTA/H Gießen, 1988–1991 Vorstandsmitglied des Bibelbundes. PADEL, Hartmut, braunschweigischer Pfarrer 486 geb. 16. 8. 1922 Königsfeld (Taunus), gest. 27. 11. 2009 Braunschweig 1953 Pfarrer in Heckenbeck, 1961 Pfarrer für Katechetik der braunschweigischen Landeskirche/Leiter des Amtes für Religionspädagogik, 1976 Pfarrer in Braunschweig (Wichernkirche), 1985 i. R. PALAU, Luis, US-amerikanischer Evangelist 631 geb. 27. 11. 1934 Ingeniero Maschwitz (Argentinien) 1960 Übersiedlung von Argentinien in die USA, Schüler und Mitarbeiter von Billy Graham, 1976 Präsident der Orient Crusades, zahlreiche Missionsaktivitäten in den USA, Lateinamerika, Ägypten und China, Vorsitzender der Luis Palau Evangelical Association, Beziehungen zu lateinamerikanischen Diktatoren (z. B. Hugo Banzer Suárez). PANNENBERG, Wolfhart, Universitätslehrer (ST) 68, 487 geb. 2. 10. 1928 Stettin 1958 Prof. (ST) an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal, 1961 Prof. an der Universität Mainz, 1967 Prof. an der Universität München, 1975–1990 Delegierter der EKD in der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung des ÖRK, 1994 i. R. PARSCHAUER, John, Bibelschulenleiter 207, 370–373 geb. in Canada Leiter der Bibelschule in Bensheim (Seeheim), Leiter der Bibelschule Brake. PARZANY, Ulrich, rheinischer Pfarrer, Evangelist 48, 199, 632, 636, 642f. geb. 24. 3. 1941 Essen 1964/65 Vikar in der Evangelisch-Lutherischen Kirche von Jordanien, 1966/67 Synodalvikar im Kirchenkreis Bonn, 1967 Jugendpfarrer und Leiter des WeigleHauses in Essen, Vorsitzender des Trägervereins des Jugendkongresses Christival, 1984–2005 Generalsekretär des CVJM-Gesamtverbandes, 1987–2005 Mitglied im Hauptvorstand der DEA, 1991–1993 Vorsitzender des nationalen Komitees für ProChrist `93, Evangelist, Hauptredner und Leiter von ProChrist e. V., 2002–2005 Leiter der Lausanner Bewegung in Deutschland, 2006 Prediger der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche innerhalb der Reihe „Gottesdienst als Entdeckungsreise“.
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Personenregister
PAUL VI. (Giovanni Battista Montini), Papst 1963–1978 217 geb. 26. 9. 1897 Concesio bei Brescia, gest. 6. 8. 1978 Castel Gandolfo 1922–1954 Tätigkeit im Staatssekretariat des Vatikans, 1937 Stellvertreter von Staatssekretär Pacelli (Papst Pius XII.), 1954 Erzbischof von Mailand, 1958 Kardinal, 1963–1978 Papst. PAUL, Jonathan Alexander Benjamin, pommerscher Pfarrer, Zeltmissionar, Pionier der Pfingstbewegung in Deutschland 133 12. 5. 1853 Gartz/Oder (Uckermark), gest. 25. 4. 1931 Lauter (Sachsen) 1889 Pfarrer in Ravenstein (Pommern), 1899 Evangelist und Zeltmissionar, bis 1910 Vorsitzender des Jugendbundes Entschieden für Christus (Entschiedenes Christentum) und Vorstandsmitglied des Gnadauer Verbandes, 1907 erste Kontakte zur skandinavischen Pfingstbewegung und Initiierung von pfingstlerischen Versammlungen in Deutschland, Trennung vom Gnadauer Verband, 1913 Gründer des Christlichen Gemeinschaftsverbandes Mülheim/Ruhr (Mühlheimer Verband Freikirchlich-Evangelischer Gemeinden). PERSON, Klaus-Peter, Lehrer für Griechisch 381 1977–1995 Griechischlehrer am Lüneburger Johanneum, Fachberater in der Bezirksregierung, externer Graecums-Prüfer des Geistlichen Rüstzentrums Krelingen. PETERS, Hans-Jürgen, Dozent am Geistlichen Rüstzentrum Krelingen 70 PFLAUM, Lienhard, Direktor der LiebenzellerMission 128f., 402, 407 geb. 13. 1. 1927 Mannheim 1953 badischer Pfarrer, 1963 Direktor der Liebenzeller Mission und Vorsitzender des Vorstandes der Liebenzeller Mission (landeskirchliche Beurlaubung für den Dienst in der Liebenzeller Mission), 1981 Vorstandsmitglied des Bibelbundes, 1992 i. R. PICHT, Georg, Pädagoge, Religionsphilosoph 273 geb. 9. 7. 1913 Straßburg, gest. 7. 8. 1982 Hinterzarten (Schwarzwald) [ZOCHER, Osterloh, 705]. PIETSCH, Otto, westfälischer Pfarrer 529 geb. 6. 9. 1916, gest. 8. 12. 2008 1952 Pfarrer in Hüllhorst, 1983–1985 pfarramtliches Beschäftigungsverhältnis in Hüllhorst, bis 1991 1. Vorsitzender des westfälischen Arbeitskreises der Bekenntnisbewegung Kein anderes Evangelium, Mitglied des Bundesarbeitskreises der Bekenntnisbewegung Kein anderes Evangelium. PIUS XI. (Achille Ambrogio Damiano Ratti), Papst 1922–1939 252, 333 geb. 31. 5. 1857 Desio bei Monza, gest. 10. 2. 1939 Rom [SCHULZE, Verantwortung, 1067]. POETSCH, Hans-Lutz, Pfarrer der Evangelisch lutherischen Freikirche, Radioevangelist 553 geb. 12. 6. 1926 Dessau, gest. 19. 11. 2011 1953 Pfarrer der Evangelisch lutherischen Freikirche in Flensburg mit Hohenwestedt, Friedrichstadt und Heide, 1958 Pfarrer in Sottrum mit Bremen, 1959 Gründer der evangelistischen Radiosendung „Lutherische Stunde in Deutschland“, 1965–1974 Hilfspfarrer in Sottrum mit Bremen, 1965–1993 Direktor der Radiomission „Lutherische Stunde in Deutschland“, 1972 Vorstandsmitglied der Bundessammlung Kirchliche Sammlung um Bibel und Bekenntnis, 1989 i. R.
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Biogramme
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PÖRKSEN, Martin, Theologe, Missionsdirektor 336 geb. 14. 8. 1903 Kiel, gest. 14. 1. 2002 Eckernförde [PERSONENLEXIKON, 196]. POTTER, Philipp Alford, methodistischer Pastor und Kirchenleiter, Generalsekretär des ÖRK 604 geb. 19. 8. 1921 Roseau, Dominica, British West Indies 1954 Mitarbeiter der Jugendkommission des ÖRK in Genf, 1960–1968 Vorsitzender der World Student Christian Federation, 1972–1984 Generalsekretär des ÖRK. QUANDT, Martin, braunschweigischer Pfarrer 542 geb. 15. 9. 1939 Bothenen (Ostpreußen) 1967 Pfarrer in Immenrode, 1986 Leiter der Telefonseelsorge der braunschweigischen Landeskirche, 2001 i. R. QUISTORP, Heinrich (Heiner), rheinischer Pfarrer 633 geb. 23. 8. 1911 Rheydt, gest. 12. 2. 1987 Minden 1940 Pfarrgehilfe in Bockenau, Gebroth, Heiligenkirchen (Lippe), Neukirchen, 1948 Pfarrer in Neukirchen (II) (Moers), 1952 Pfarrer in Kleve (II), 1963 ref. Pfarrer in Minden, 1967 i. R. RADTKE, Prediger der Landeskirchlichen Gemeinschaft Braunschweig 161 RAPP, Christian, Prediger 186 RAPPART, Carl Heinrich, schweizerischer Missionar, Pfarrer, Evangelist, Missionsinspektor 367 geb. 26. 12. 1837 Giez VD (Schweiz), gest. 21. 9. 1909 Gießen 1865 Missionar der Pilgermission St. Chrischona in Alexandrien, 1868 Pfarrer der Deutsch-Schweizerischen Gemeinde in Kairo, 1868 Inspektor der Pilgermission St. Chrischona/Basel, zahlreiche evangelistische Reisen, Vertreter der Heiligungsbewegung. REAGAN, Ronald Wilson, Schauspieler, 40. Präsident der USA 103 geb. 6. 2. 1911 Tampico, Illinois, gest. 5. 6. 2004 Bel Air, California 1937–1964 Schauspieler in über 50 Filmen, 1947–1952 und 1959–1960 Präsident der Schauspielergewerkschaft SAG, 1962 Mitglied der Republikanischen Partei, 1967–1975 Gouverneur von Kalifornien, 1981–1989 Präsident der USA. REDEN, Otto von, Rittergutsbesitzer, Vorsitzender des Lippischen Gemeinschaftsbundes 130f., 141 geb. 1877, gest. 1962 1924 Gründer des Lippischen Gemeinschaftsbundes, 1925–1940/1945–1951 1. Vorsitzender des Lippischen Gemeinschaftsbundes. REICH, Herbert, Verleger 296 REISSINGER, Walter, Pfarrer, Dekan 553 geb. 12. 7. 1905 Neustadt Aisch, gest. 18. 9. 1986 Bayreuth [HAGER, Jahrzehnt, 346]. RENDTORFF, Heinrich, luth. Theologe, Landesbischof, Universitätslehrer (PT, Volksmission, NT) 176, 201f., 588 geb. 9. 4. 1888 Westerland auf Sylt, gest. 18. 4. 1960 Kiel [PERSONENLEXIKON, 205]. RENDTORFF, Rolf, Universitätslehrer (AT) 462 geb. 10. 5. 1925 Preetz
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1942–1945 Militärdienst bei der deutschen Kriegsmarine, 1958 Prof. (AT) an der Kirchlichen Hochschule Berlin, 1963 Prof. (AT) an der Universität Heidelberg, 1964/65 Dekan der Evangelischen Theologischen Fakultät, 1965 Mitbegründer der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, 1970–1973 Rektor der Universität Heidelberg, 1990 i. R. RENGSTORF, Karl Heinrich, Theologe, Universitätslehrer (NT, Judentum) 318 geb. 1. 10. 1903 Jembke (Regierungsbez. Lüneburg), gest. 24. 3. 1992 Münster [PERSONENLEXIKON, 205]. REUTER, Wilfried, Pfarrer, Evangelist, Sänger 525, 631 geb. 16. 1. 1940, gest. 2. 7. 2011 1967 Pfarrer der Deutschen Zeltmission, seit 1973 Veröffentlichung zahlreicher Musikalben, 1978 Direktor der Bibelschule Bergstraße, 1984 Mitarbeiter des Amtes für missionarische Dienste der hessen-nassauischen Kirche, 1994–2003 Leiter des Geistlichen Rüstzentrums Krelingen, 1992–2007 Vorsitzender der Deutschen Evangelisten-Konferenz, Mitglied des Hauptvorstandes der DEA. RIECKER, Otto, badischer Pfarrer, Gründer der Bibelschule (Lebenszentrum) Adelshofen 198, 364f., 515, 523 geb. 22. 2. 1896 Pforzheim, gest. 9. 9. 1989 1928 Pfarrer in Buch am Ahorn, 1936 Krankenhausseelsorger in Heidelberg, 1944 Pfarrer in Heidelberg, 1946 Beurlaubung, 1950 Pfarrer in Adelshofen bei Eppingen, 1959 Gründer der Bibelschule (Lebenszentrum) Adelshofen, 1961 i. R., 1966 Mitbegründer und Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft für das biblische Evangelium (Evangelische Vereinigung für Bibel und Bekenntnis in Baden). RIEDEL, Heinrich, Theologe, Landesjugendpfarrer 159 geb. 17. 3. 1903 Nürnberg, gest. 8. 6. 1989 München [PERSONENLEXIKON, 207]. RIENECKER, Fritz, Dozent (NT, ST), Gemeinschaftsverbandsdirektor 328 geb. 27. 5. 1897 Streckau, gest. 15. 8. 1965 Neumünster 1918–1920 Lehrer, 1924 Schriftleiter im Verlag G. Ihloff, 1941 Pfarrer in Geesthacht, 1947 Dozent (NT, ST) an der Evangelischen Akademie Braunschweig, 1949–1958 Dozent (NT, ST) am Predigerseminar St. Chrischona/ Basel, 1954– 1963 Vorsitzender des Bibelbundes, 1958–1962 Direktor des Altpietistischen Gemeinschaftsverbandes in Württemberg, Gründer und Herausgeber der Wuppertaler Studienbibel, 1962 i. R. RIESS, Hermann, württembergischer Pfarrer, Prälat 330, 613f. geb. 7. 9. 1914 Stuttgart, gest. 18. 8. 1990 Stuttgart 1944 Pfarrer in Rötenberg, 1949 Pfarrer des Evangelischen Gemeindedienstes in Stuttgart (Leiter des Evangelischen Männerwerks), 1957 Pfarrer in Korntal, 1962–1969 Prälat von Ulm, 1964–1983 Präsidiumsmitglied des DEKT, 1969 Prälat von Stuttgart, 1979–1988 Präsident des GAW, 1980 i. R. RIGGS, Charlie, US-amerikanischer Evangelist, Direktor der Billy Graham Evangelistic Association 211 geb. 4. 10. 1916 Olean/New York, gest. 21. 7. 2008 Canon City/Colorado 1942 Militärdienst, 1946–1954 Mitarbeiter von „The Navigators“ (Navigators Evangelistic Organization), 1952–1956 Mitarbeiter bei den Billy Graham Crusades, 1957–2004 Direktor der Billy Graham Evangelistic Association.
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Biogramme
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RINGWALD, Alfred, Pfarrer, Oberstudienrat 303 geb. 27. 3. 1912 Herrenberg, gest. 18. 9. 1973 1938 Pfarrer in Aidlingen, 1950 Studienrat für Religionsunterricht am MädchenGymnasium Tübingen, 1959 Oberstudienrat. RISCH, Hermann, pfälzischer Pfarrer, Mitarbeiter der Pfarrer-Gebets-Bruderschaft 391, 393, 401, 408 geb. 19. 4. 1922 Pirmasens, gest. 19. 11. 1965 Großalmerode 1954 Pfarrer in Dörrmoschel, 1957 Pfarrer in Ludwigshafen-Mitte, 1959 hauptamtlicher Mitarbeiter der Pfarrer-Gebets-Bruderschaft (Reisereferent). ROBINSON, John Arthur Thomas, anglikanischer Bischof 322, 323, 408, 415 geb. 16. 5. 1919 Canterbury, gest. 5. 12. 1983 Arncliffe/Yorkshire Priester in Bristol (St. Matthew) und am Wells Theological College, Mitarbeiter und Dekan des Clare College in Cambridge, 1959 Bischof von Woolwich im Bistum Southwark, Dozent (NT) am Trinity College in Cambridge, 1969–1983 Dekan des Trinity College in Cambridge. RÖCKLE, Christian, Gründer der Philadelphia-Bewegung in Württemberg 189 geb. 6. 2. 1883 Leonberg-Eltingen, gest. 16. 8. 1966 Leonberg 1909–1911 Missionar der Baseler Mission an der Goldküste (Ghana), 1914–1919/ 1940–1945 Pfarrverweser der württembergischen Landeskirche, 1919–1943 Prediger des Altpietistischen Gemeinschaftsverbandes in Württemberg, 1924 Gründer des Christlichen Notbundes zur gegenseitigen Hilfe (Leonberger Bausparkasse), seit 1942 Gründer von Philadelphia-Gemeinden, 1945 Gründer des Philadelphia-Vereins in Leonberg, 1946 Initiator der Philadelphia-Konferenzen, 1946 Ausschluss aus der württembergischen Gemeinschaftsbewegung wegen pfingstlerischer und apokalyptischer Tendenzen der Philadelphia-Bewegung sowie Bruch mit der württembergischen Landeskirche auf Grund der praktizierten Wiedertaufe, 1953 Gründer des Hilfswerkes des Philadelphia-Vereins. RODENBERG, Otto, Pfarrer 227, 264, 336, 340–349, 354–356, 390–400, 402, 405–407, 408, 421, 486, 498, 514f., 524 geb. 3. 8. 1920 Winterstein (Kreis Gotha), gest. 1996 1939–1945 Kriegsdienst als Marineoffizier, 1951/52 Hilfspfarrer in Marjoß, 1952 Pfarrer in Rengshausen, Vorstandsmitglied der Pfarrer-Gebets-Bruderschaft in Großalmerode, Mitbegründer und Leiter der Bekenntnisbewegung Kein anderes Evangelium in Kurhessen-Waldeck. RÖDER, Franz-Josef, CDU-Politiker, Ministerpräsident des Saarlandes 602 geb. 22. 7. 1909 Merzig, gest. 26. 6. 1979 Saarbrücken 1933 Mitglied der NSDAP, 1937–1945 Mitarbeiter beim DAAD, Oberstudiendirektor am Realgymnasium in Dillingen/Saar, 1955 Mitglied der CDU Saar, 1959– 1973 Landesvorsitzender der CDU Saar, 1959–1979 Ministerpräsident des Saarlandes. ROEPKE, Claus-Jürgen, Pfarrer, Oberkirchenrat 531–533 geb. 23. 1. 1937 Berlin [HAGER, Jahrzehnt, 346]. ROGERS, Cleon, Bibelschulendirektor und -rektor 374 Direktor der Bibelschule Bensheim (Seeheim), 1974 Gründer und Rektor der FTA/H Gießen, 1981–1988 Vorstandsmitglied des Bibelbundes.
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ROHRBACH, Hans, Mathematiker, Universitätslehrer 336, 359, 408, 523, 584 geb. 27. 2. 1903 Berlin, gest. 19. 12. 1993 1927–1935 Hilfsassistent und Assistent am Mathematischen Seminar der Universität Berlin, 1936 Oberassistent in Göttingen, 1942 Prof. (Mathematik) an der Deutschen Universität Prag, NSDAP- und SA-Mitglied, 1939–1945 Mitarbeiter im Dechiffrierdienst des Auswärtigen Amtes, 1. Vorsitzender der Studentenmission in Deutschland, 1951–1977 Prof. (Mathematik) an der Universität Mainz, 1966/67 Rektor der Universität Mainz, 1977 Gründer und seitdem 1. Vorsitzender der Christlichen Tagungsstätte Hohe Rhön. RONICKE, Curt, westfälischer Pfarrer, Missionsinspektor der Bethel-Mission 336 geb. 5. 5. 1893 Dresden, gest. 3. 5. 1976 Bielefeld-Bethel 1925 Missionsinspektor der Bethel-Mission, 1934 Leitender Missionsinspektor, 1946 Anstaltspfarrer und Missionsinspektor der Bethel-Mission, 1954–1960 Lehrbeauftragter an der Kirchlichen Hochschule Bethel, 1958 i. R., 1959–1962 Vorsitzender des Deutschen Evangelischen Missionsrates. ROOS, Friedrich, württembergischer Pfarrer, Dekan 126 geb. 31. 7. 1881 Oberndorf, gest. 1963 1911 2. Stadtpfarrer in Welzheim, 1917 1. Stadtpfarrer in Reutlingen (Katharinenkirche), 1928 Dekan in Calw, 1932 Dekan in Cannstatt, 1950 i. R. ROSENBERG, Alfred, NSDAP-Ideologe und -Politiker 410 geb. 12. 1. 1893 Reval (Estland), gest. (hingerichtet) 16. 10. 1946 Nürnberg [SCHULZE, Verantwortung, 1071f.]. ROSENBOOM, Enno, luth. Theologe, Oberkirchenrat und Dezernent im nordelbischen Landeskirchenamt 601 geb. 1924 Großwolde bei Leer [ZOCHER, Osterloh, 710]. RÖSENER, Herbert, Pfarrer, Mitglied der westfälischen Kirchenleitung 420 westfälischer Landesjugendpfarrer, 1971 Landeskirchenrat, 1987–1996 Oberkirchenrat, Beauftragter für agrarsoziale Fragen der EKD. ROST, Sieghard, CSU-Politiker 548 geb. 7. 11. 1921 Woldisch Tychow, Kreis Belgard (Hinterpommern) Gymnasiallehrer in Fürth, Hersbruck und Nürnberg, Oberstudiendirektor am Gymnasium Weißenburg und am Willstätter-Gymnasium Nürnberg, Mitglied des Stadtrates in Nürnberg, stellvertretender Vorsitzender des CSU-Bezirksverbands Nürnberg-Fürth, 1970–1990 Mitglied der CSU-Fraktion im Bayerischen Landtag, Landesvorsitzender und Ehrenvorsitzender der Union der Vertriebenen und Flüchtlinge der CSU. RÜCKERT, Hanns, Theologe, Universitätslehrer (KG) 309, 310, 311f., 314, 315f. geb. 18. 9. 1901 Fürstenwalde/Spree, gest. 3. 11. 1974 Tübingen [PERSONENLEXIKON, 210f.]. RUFF, Joachim 574 Mitglied der Notgemeinschaft evangelischer Deutscher (Evangelischer Notgemeinschaft in Deutschland), Mitautor des „Rotbuchs Kirche“. RÜHE, Johannes, Pfarrer in der oldenburgischen Landeskirche 241 geb. 10. 7. 1886 Westerstede, gest. 20. 6. 1975 Oldenburg [ZOCHER, Osterloh, 710].
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RÜPPEL, Erich, Pfarrer, Krankenhausseelsorger, Autor 120 geb. 1938 Hamburg RÜPPELL, Johannes, Pfarrer der hannoverschen Landeskirche 324–326 geb. 26. 10. 1909 Ebergötzen, gest. 31. 5. 1982 Goslar 1936 Pfarrer in Banteln, 1948 Pfarrer in Bad Münder, 1959–1968 Pfarrer in Hannover (Christuskirche I). RÜSS, Ulrich, Pfarrer 636 geb. 12. 12. 1943 Braunschweig 1971 Pfarrvikar in Harrislee, 1974 Pfarrer in Harrislee, Vorsitzender der Kirchlichen Sammlung der nordelbischen Landeskirche, 1982 Pfarrer in HamburgEppendorf (St. Johannis), 2009 i. R. RUST, Heinrich Christian, baptistischer Pastor, Vertreter der charismatischen Bewegung 48, 51, 72 geb. 9. 8. 1953 Bückeburg 1975–1985 Mitglied im Leitungskreis Charisma und Gemeinde im Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden (BEFG), 1979 Landesjugendpastor in Niedersachsen, 1983–1996 Pastor der baptistischen Gemeinde Hannover-Walderseestraße, 1985–1996 Mitglied der Bundesleitung des BEFG Deutschland, 1985– 1995 Leiter des Arbeitskreises „Gemeinde und Charisma“, 1995–2005 Sprecher des Kreises Charismatischer Leiter in Deutschland, 1996 Referent für Gemeindeaufbau im BEFG, 2002–2010 Leiter der Geistlichen Gemeindeerneuerung im BEFG in Deutschland, 2003 Pastor in Braunschweig (Friedenskirche). SALM, Karl, Jurist, Staatsanwalt 570 geb. 1914 Amts-, Land- und Oberlandesgerichtsrat in Freiburg/Br., Vorstandsmitglied der Notgemeinschaft evangelischer Deutscher (Evangelische Notgemeinschaft in Deutschland). SASSNOWSKI, Uwe, methodistischer Pastor, Direktor 111 methodistischer Pastor, Direktor und Geschäftsführer der Klinik Hohenfreudenstadt in Freudenstadt in Baden-Württemberg, 2003 Direktor des Hotels Teuchelwald des methodistischen Diakoniewerkes Martha Maria, 2011 Leiter und methodistischer Pastor der Gemeinden in Güglingen und Brackenheim. SAUBERZWEIG, Hans von, Pfarrer, Gemeinschaftsprediger, Superintendent 128 geb. 8. 9. 1989 Sorau (Niederlausitz), gest. 12. 4. 1978 Hamburg-Blankenese 1920 Pfarrer in Salzwedel (St. Marie), 1935 Mitglied des Bibelbundes, 1940 Superintendent in Salzwedel, 1956 i. R., Gemeinschaftsprediger und -evangelist. SAUER, Erich, Bibelschulleiter 376 geb. 31. 12. 1898 Berlin, gest. 25. 2. 1959 1920 Mitarbeiter der Bibelschule Wiedenest, 1937–1959 Leiter der Bibelschule Wiedenest. SAUR, Richard 357, 403 geb. 1910 Mitglied des Landesbrüderrates des Altpietistischen Gemeinschaftsverbandes in Württemberg, Bezirksbruder im Bezirk Heidenheim. SAUTER, Hans, Rechtsanwalt 545 geb. 13. 7. 1926 Schambek (Ungarn), gest. 21. 3. 1989
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Rechtsanwalt, stellvertretender Bürgermeister von Gerlingen, 1980–1987 Bundesvorsitzender der Landsmannschaft der Deutschen aus Ungarn. SCHÄF, Emil, Oberstudienrat 305, 326, 357, 402–404, 535 geb. 4. 10. 1891 Pfullingen, gest. 29. 7. 1969 Nürtingen 1920 Oberreallehrer in Nürtingen, 1926 Studienrat am Knabeninstitut der Zieglerschen Anstalten in Wilhelmsdorf, 1932 Schulleiter, 1939 Werkluftschutzleiter bei Kreidler in Zuffenhausen, 1945 Studienrat in Zuffenhausen, 1946 Oberstudienrat, 1952 Mitbegründer und Vorsitzender der Evangelisch-Kirchlichen Arbeitsgemeinschaft für biblisches Christentum, „Redender Bruder“ der Hahnschen Gemeinschaft, 1953 Studiendirektor, 1954 i. R., 1965 Mitarbeiter der Ludwig-Hofacker-Vereinigung. SCHÄFER, Hans, badischer Pfarrer 407, 515f. geb. 19. 8. 1911 Freiburg/Br., gest. 11. 10. 1993 1943 Pfarrer in Siegelsbach, 1952 Pfarrer in Neckarelz, 1958 Vorsteher der Evangelischen Diakonieanstalt Karlsruhe-Rüppurr, 1966 Mitbegründer, Schatzmeister und Mitglied des Vorstandes der Arbeitsgemeinschaft für das biblische Evangelium (Evangelische Vereinigung für Bibel und Bekenntnis in Baden), 1979 i. R. SCHALLER, Karl Theodor, Theologe, Universitätslehrer (pfälzische KG), Kirchenpräsident 479f., 492, 521 geb. 15. 9. 1900 Dahn, gest. 6. 4. 1993 Speyer [PERSONENLEXIKON, 214]. SCHARF, Kurt, Theologe, Pfarrer, Bischof 43, 214f., 461, 492f., 564–568, 577–580 geb. 21. 10. 1902 Landsberg/Warthe, gest. 28. 3. 1990 Berlin [PERSONENLEXIKON, 215]. SCHEFFBUCH, (Hans-)Winrich, 641 geb. 18. 6. 1938 Urach 1964 Pfarrer in (Schramberg-)Sulgen, 1970 Pfarrer in Stuttgart, 1974–1979 2. Vorsitzender der Ludwig-Hofacker-Vereinigung (Arbeitsgruppe für Bibel und Bekenntnis), Mitbegründer und Vorsitzender von Hilfe für Brüder und Christliche Fachkräfte International, 2000 i. R. SCHEFFBUCH, Rolf, württembergischer Pfarrer, Prälat 77f., 116, 135, 330, 512, 536, 537, 605, 609, 641 geb. 25. 1. 1931 Calw 1957 persönlicher Referent des Landesbischofs, 1959 Pfarrer in Ulm (Münster III), 1965 Leiter der württembergischen Landesstelle des Evangelischen Jungmännerwerks, 1975 Dekan von Schorndorf, 1980–1996 Mitglied des Lausanner Komitees für Weltevangelisation, 1980–1999 Vorsitzender der Ludwig-Hofakker-Vereinigung (Arbeitsgruppe für Bibel und Bekenntnis), 1989 Prälat von Ulm, Vorsitzender des Trägerkreises des Gemeindetages unter dem Wort, 1992–1997 Vorsitzender von ProChrist e. V., 1995 i. R. SCHENDEL, Eberhard, Pfarrer der lippischen Landeskirche 520 Pfarrer in Bad Salzuflen, Sprecher der lippischen Landesgruppe der Bekenntnisbewegung Kein anderes Evangelium, 1984 i. R. SCHEULEN, Kurt, Pfarrer und Superintendent der lippischen Landeskirche 370 geb. 13. 5. 1913 Rheydt, gest. 25. 7. 1997 Lemgo 1938/39 Lehrvikar in Essen und Waldböckelheim an der Nahe, 1945/46 Pfarrvi-
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kar in Falkenhagen und Lemgo (St. Johann), 1946–1980 Pfarrer in Lemgo (St. Johann Nord), 1961–1980 Superintendent der Klasse Brake, 1980 i. R. SCHICK, Alexander, Leiter der nordelbischen Regionalgruppe der Bekenntnisbewegung Kein anderes Evangelium (Nordelbischer Arbeitskreis für biblische Orientierung) 634f. SCHIEDER, Julius, bayerischer Pfarrer, Kreisdekan 294 geb. 17. 7. 1888 Weißenburg (Bayern), gest. 29. 7. 1964 München [SCHULZE, Verantwortung, 1075]. SCHIESCHES, Wolfgang, Pfarrer, Aktivist der Studentenbewegung 563 geb. 1931 Königsberg, gest. 2010 1964 Pfarrer in Bremen-Huchting, Aktivist der Studentenbewegung, Suspension vom Amt, Drucker, Mitglied einer Bremer Kommune. SCHINDELIN, Fritz, 200, 299, 407, 517, 523 geb. 11. 5. 1892 Barmen, gest. 14. 7. 1978 Düsseldorf 1916 Pfarrhilfsdienst und Pfarrer in Wanheim, 1930–1933 Stadtverordneter Düsseldorf (CSVD), 1929–1955 Pfarrer in Wanheim-Angerhausen (III), 1949–1960 Leiter des rheinischen Amtes für Evangelisation und Volksmission, 1955–1960 Landespfarrer für Volksmission. SCHIRRMACHER, Christine, Dozentin (Islamkunde) 72 geb. 1962 Dozentin (Islamkunde) an der FTA/H Gießen und an der Evangelisch-Theologischen Fakultät in Leuven (Belgien), wissenschaftliche Leiterin des Instituts für Islamfragen der DEA, Beraterin für Islamfragen der weltweiten Evangelischen Allianz. SCHIRRMACHER, Thomas, Dozent (Ethik) 74, 80, 382f. geb. 25. 6. 1960 Schwelm 1983–1989 Dozent (Missions- und Religionswissenschaft) an der FTA/H Gießen, 1984–1994 Vorstandsmitglied des Bibelbundes, 1990–1996 Dozent (Missionsund Religionswissenschaft, Ethik) an der Staatsunabhängigen Theologischen Hochschule (STH) Basel, 1996 Dozent (ST, Ethik) und Rektor des Martin Bucer Seminars, Dozent und Prof. (Dr. mult.) an zahlreichen Universitäten und Ausbildungsstätten in den USA, in Indien und Rumänien, Vorsitzender der Theologischen Kommission der weltweiten Evangelischen Allianz. SCHLATTER, Adolf, Theologe, Universitätslehrer (AT, NT, ST) 75, 76, 339, 346f., 524 geb. 16. 8. 1852 St. Gallen, gest. 19. 5. 1938 Tübingen [PERSONENLEXIKON, 217]. SCHLEIERMACHER, Friedrich Daniel Ernst, Prediger, Theologe, Universitätslehrer 262, 279 geb. 21. 11. 1768 Breslau, gest. 12. 2. 1834 Berlin 1790 Hauslehrer, 1794 Hilfsprediger in Landsberg/Warthe, 1796 Prediger an der Charité in Berlin, 1802 Hofprediger in Stolp (Pommern), 1804 apl. Prof. (Theologie, Philosophie), 1806 Prof. an der Universität Halle, 1809 Prediger in Berlin (Dreifaltigkeitskirche), Mitbegründer der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin, 1810 Prof. (Theologie) und Dekan der Theologischen Fakultät an der Universität Berlin, 1814 Sekretär der philosophischen Abteilung der Königlich-Preußischen Akademie der Wissenschaften.
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Personenregister
SCHLINK, Edmund, luth. Theologe, kirchlicher Dozent (ST, PT), Universitätslehrer (ST, Ökumenische Theologie) 235, 288, 293 geb. 6. 3. 1903 Darmstadt, gest. 20. 5. 1984 Heidelberg [PERSONENLEXIKON, 218f.]. SCHLINK, Klara (Mutter Basileia), Gründerin einer Schwesternschaft 583f. geb. 21. 10. 1904 Darmstadt, gest. 21. 3. 2001 Darmstadt [PERSONENLEXIKON, 219]. SCHMID, Josef, Schweizer Evangelist, Gründer und Leiter des Missionswerkes Freundesdienst 190–193 geb. 5. 6. 1926 Kaufmann in St. Gallen, 1951 Gründer und seitdem Leiter des Missionswerkes Freundesdienst, 1966/67 Verhaftung und Verurteilung auf Grund von Freiheitsberaubung und sexuellem Missbrauch von Kindern und Pflegebefohlenen. SCHMIDT, Hans (Johannes), oldenburgischer Pfarrer, Oberkirchenrat in Oldenburg 239 geb. 31. 7. 1902 Bockhorn, gest. 6. 11. 1977 Oldenburg [ZOCHER, Osterloh, 713]. SCHMIDT, Hans, pfälzischer Pfarrer, Dekan 124 geb. 26. 12. 1884 Rheingönheim, gest. 16. 10. 1957 Kaiserslautern 1911 Pfarrer in Niederkirchen i. O., 1918/19 Pfarrer in Iggelheim, 1922 Vorsteher des Diakonischen Hauses Elbingerode, 1925 Stadtvikar in Kaiserslautern, 1928 Pfarrer in Kaiserslautern, 1939 Dekan von Lauterecken, 1950 i. R. SCHMIDT, Helmut, SPD-Politiker, Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland 637f. geb. 23. 12. 1918 Hamburg 1946 Mitglied der SPD, 1947/48 Bundesvorsitzender des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes, 1949–1953 Referent und Leiter der wirtschaftspolitischen Abteilung in der Behörde für Wirtschaft und Verkehr in Hamburg, 1952 Verkehrsdezernent, 1953–1962 und 1965–1987 SPD-Mitglied des Deutschen Bundestages, 1958 Mitglied des Bundesvorstandes der SPD, 1961 Polizeisenator in Hamburg, 1962 Innensenator in Hamburg, 1967–1969 Vorsitzender der SPDBundestagsfraktion, 1968–1983 stellvertretender SPD-Parteivorsitzender, 1969– 1972 Bundesverteidigungsminister, 1972 Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen, 1972 Bundesfinanzminister, 1974–1982 Bundeskanzler, 1983 Mitherausgeber der Wochenzeitung „Die Zeit“, 1985–1989 Geschäftsführer von „Die Zeit“. SCHMIDT, Klaus, Leiter des Neues-Leben-Seminars in Wölmersen 366 SCHMIDT, Klaus, methodistischer Pastor, Leiter einer freien Gemeinde in Crailsheim 646 geb. 2. 11. 1943 1972 methodistischer Pastor, 1982 Entlassung aus der Evangelisch-methodistischen Kirche, Gründer einer freien Gemeinde in Crailsheim. SCHMIDT, Martin, Pfarrer, Universitätslehrer (KG) 353f. geb. 28. 4. 1909 Pockau (Erzgebirge), gest. 20. 5. 1982 1939 Pfarrer in Kleinröhrsdorf (bei Dresden), 1946–1959 Dozent (KG) an der Kirchliche Hochschule Berlin-Zehlendorf, parallel dazu 1947–1949 Lehrbeauf-
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tragter (KG) an der Universität Rostock, 1959 Prof. (KG) an der Universität Mainz, 1967 Prof. (KG) an der Universität Heidelberg. SCHMIDT, Paul, Prediger, Bundesdirektor, Reichstagsabgeordneter 213, 219, 224, 227, 232 geb. 13. 10. 1888 Kalkofen, gest. 28. 1. 1970 Bergisch-Gladbach [PERSONENLEXIKON, 222]. SCHMITZ, Otto, Theologe, Universitätslehrer (NT), kirchlicher Dozent 155, 316f., 394f. geb. 16. 6. 1883 Hummeltenberg (Neu-Hückeswagen) bei Lennep, gest. 20. 10. 1957 Elberfeld [PERSONENLEXIKON, 223]. SCHMITZDORF, Wilhelm, Pfarrer der hannoverschen Landeskirche 542 geb. 21. 2. 1927 Berlin Dr. med. vet., 1963 Pfarrer in Hannover-List (Gethsemane), 1966 Pfarrer in Hannover-Buchholz (St. Marien), Vorsitzender der Kirchlichen Sammlung um Bibel und Bekenntnis in Hannover, 1970 Krankenhausseelsorger in Hannover, Vorsteher der Evangelisch-lutherischen Kommunität St. Marien in Hannover-Bothfeld, 1992 i. R. SCHNECK, Wilhelm Karl, methodistischer Pastor 596 geb. 19. 9. 1901 Hagenau (Elsass), gest. 12. 3. 1974 Bremen methodistischer Pastor in Berlin-Oberschöneweide, Köslin (Pommern), Hamburg-Eppendorf und Bremen, 1946–1974 Mitglied des Hauptvorstands der DEA, 1967–1973 Schriftleiter des „Evangelischen Allianzblattes“. SCHNEIDER, Peter, Mitarbeiter Billy Grahams, Generalsekretär der DEA 29, 195f., 211, 217–219 geb. 1. 3. 1925, gest. 31. 12. 2004 1960 hauptamtlicher Generalsekretär des Zentralausschusses der Billy-GrahamGroßevangelisationen, Dolmetscher Billy Grahams bei dessen deutschen Evangelisationsveranstaltungen, Schulungsleiter der Evangelisationsmitarbeiter, Mitarbeiter der Berliner Stadtmission, Generalsekretär des CVJM in Berlin, 1962–1988 Generalsekretär der DEA. SCHNEIDER, Theo, Generalsekretär des Gnadauer Verbandes 56, 601, 649, 657 geb. 4. 2. 1949 Gemeinschaftsprediger, 1977 Mitarbeiter des Gnadauer Verbandes, 1987 Generalsekretär des Gnadauer Verbandes (bis 1991 Gnadauer Verband West), stellvertretender Vorsitzender der DEA, Mitarbeiter von ProChrist e. V. SCHNEPEL, Erich, Stadtmissionsinspektor, hessen-nassauischer Pfarrer 155, 336, 393, 400, 406, 408 geb. 30. 3. 1893 Felsberg bei Kassel, gest. 1986 Biedenkopf bei Marburg 1918 Mitarbeiter und Direktor der Berliner Stadtmission, 1945 Pfarrer in Großalmerode bei Kassel, 1956 i. R., Vorsitzender und Schriftleiter der Pfarrer-GebetsBruderschaft. SCHNEPEL, Theo, Diakonieleiter 406 geb. 1920 Direktor des Diakonissenmutterhauses Hebron in Wehrda (Marburg).
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SCHNIEWIND, Julius, luth. Theologe, Universitätslehrer (NT), Propst 65, 524 geb. 28. 5. 1883 Elberfeld, gest. 7. 9. 1948 Halle/Saale [PERSONENLEXIKON, 224f.]. SCHNURR, Hartwig, Dozent, Bibelschulleiter 366, 367 1979–2002 Dozent (AT, Dogmatik, Ethik) an der Bibelschule Wiedenest, Leiter der Bibelschule Wiedenest. SCHOMERUS, Hans (Johannes), Akademieleiter 307 geb. 20. 3. 1902 Villupuram (Ostindien), gest. 20. 5. 1969 Schielberg [PERSONENLEXIKON, 227]. SCHÖNHERR, Albrecht, Pfarrer, Bischof, Vorsitzender der evangelischen Kirchenleitung in der DDR 564, 627 geb. 11. 9. 1911 Katscher, gest. 9. 3. 2009 Potsdam [HAGER, Jahrzehnt, 348]. SCHÖNWEISS, Hans, württembergischer Pfarrer 317 geb. 30. 1. 1916 Ulm 1951 Pfarrer in Bad Cannstatt, 1967 Pfarrer in Stuttgart, 1981 i. R. SCHÖPWINKEL, Hermann, Prediger der Gemeinschaftsbewegung, Generalsekretär des Gnadauer Verbandes 136 geb. 1882, gest. 20. 9. 1970 1908 Prediger der Gemeinschaftsbewegung in Beuthen (Schlesien), 1919 Vorstandsmitglied des Gnadauer Verbandes, Gründer und bis 1948 Prediger der Stadtmission in Offenbach, 1948 Generalsekretär des Gnadauer Verbandes, 1962 Prediger in Denkendorf (Württemberg) und Geschäftsführer der Gnadauer Brasilienmission, Geschäftsführer der Reichgottesarbeiter-Vereinigung. SCHREIBER, Johannes, Universitätslehrer (PT) 442 1965–1994 Prof. (PT) an der Universität Bochum. SCHRENK, Elias, freier Evangelist der Erweckungs- und Heiligungsbewegung, führende Gestalt der deutschen Gemeinschaftsbewegung 167 geb. 19. 9. 1831 Hausen ob Verena, gest. 21. 10. 1913 Bethel Kaufmann, 1859–1872 General-Kassierer in einer Missionsstation der Baseler Mission an der Goldküste (Ghana), 1875 Reiseprediger der Baseler Mission, 1879–1886 Prediger und Seelsorger der Evangelischen Gesellschaft des Kantons Bern, 1888 Mitinitiator der ersten Gnadauer Pfingstkonferenz und Mitbegründer des Gnadauer Verbandes für Evangelisation und Gemeinschaftspflege, 1884–1913 freier Evangelist. SCHRENK, Gottlob, Missionsinspektor, Universitätslehrer (NT) 153f. geb. 10. 2. 1879 Frankfurt/Main, gest. 13. 4. 1965 1911 Missionsinspektor der Evangelischen Missionsgesellschaft in Bethel, 1913 Dozent (NT) an der Missionsschule Bethel, 1923–1949 Prof. (NT) an der Universität Zürich. SCHRÖDER, Rudolf Alexander, Schriftsteller 155 geb. 26. 1. 1878 Bremen, gest. 22. 8. 1962 Bad Wiessee [PERSONENLEXIKON, 229]. SCHRUPP, Ernst, freikirchlicher Theologiedozent, Leiter der Bibelschule Wiedenest 47, 230, 234, 375 geb. 6. 4. 1915 Beyenburg, gest. 19. 2. 2005 Bergneustadt-Wiedenest Tätigkeit als Kaufmann, 1948 Dozent an der Bibelschule Wiedenest, 1949 Grün-
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der der Studentenmission in Deutschland (SMD) als Nachfolgeorganisation des DCSV, 1959–1980 Leiter der Bibelschule Wiedenest, Mitbegründer der Arbeitsgemeinschaft Evangelikaler Missionen (AEM), des Evangeliumsrundfunks und des Informationsdienstes der DEA idea, Mitarbeiter der Evangelisationsgroßveranstaltung Euro `70, Mitglied des Hauptvorstandes der DEA. SCHULTZ, Hans Jürgen, Publizist, Rundfunkmoderator 506 geb. 19. 9. 1928 Hamburg Publizist im Luther- und Eckart-Verlag in Witten, 1955 Cheflektor des KreuzVerlages Stuttgart, 1957 Leiter des Kirchenfunks des SDR, Leiter der Hauptabteilung Kultur, 1964–1971 Präsidiumsmitglied des DEKT, 1991 i. R. SCHULZ, Christoph, württembergischer Pfarrer 123 geb. 16. 5. 1876, gest. 1958 1909 Pfarrer in Leuzendorf, 1921 Pfarrer in Aichelberg (Schorndorf), 1928 Pfarrer in Rielingshausen, 1935 Pfarrer in Leonbronn, 1945 i. R., 1953/54 Vorsitzender des Bibelbundes. SCHUMAN, Robert Jean-Baptiste Nicolas, französischer Politiker, Gründervater der Europäischen Union 588 geb. 29. 6. 1886 Clausen (Luxemburg), gest. 4. 9. 1963 Scy-Chazelles bei Metz 1912 Anwalt in Metz, 1918 Mitglied des Stadtrates von Metz, 1919–1940 Mitglied der französischen Nationalversammlung als Vertreter der Union Republicaine Lorraine des Departement Mosel, 1929–1936 Vorsitzender der Kommission Elsass-Lothringen, Vizepräsident des Abgeordnetenhauses, 1940 Unterstaatssekretär für Flüchtlingsfragen, 1940–1942 Gefängnishaft in Metz und Sonderhaft in Neustadt (Pfalz), 1945–1963 Mitglied der Nationalversammlung als Vertreter der Mouvement de Rassemblement Populaire (MRP), 1946/47 französischer Finanzminister, 1947/48 Ministerpräsident Frankreichs, 1948–1953 französischer Außenminister, 1950 Mitentwickler des Planes einer westeuropäischen Montanunion (Schuman-Plan), Verfechter der Idee der Europäischen Gemeinschaft, 1955 Präsident der Europäischen Bewegung, 1955/56 Justizminister, 1958–1960 Präsident des Europäischen Parlaments in Straßburg. SCHUMANN, Friedrich Karl, Theologe, Universitätslehrer (PT, ST, Kirchenrecht) 319 geb. 15. 6. 1886 Meßkirch (Baden), gest. 21. 5. 1960 Münster [PERSONENLEXIKON, 232]. SCHWEITZER, Albert, Theologe, Universitätslehrer (NT), Kulturphilosoph, Musiker (Bachinterpret), Tropenarzt, Schriftsteller 263, 469 geb. 14. 1. 1875 Kaysersberg im Elsass (Frankreich), gest. 4. 9. 1965 Lambarene (Gabun-Afrika) [PERSONENLEXIKON, 233f.]. SCHWEITZER, Carl Gunther, Theologe, Pfarrer, Universitätslehrer (Sozialethik, Innere Mission) 172, 175, 179, 201, 588 geb. 22. 12. 1889 Charlottenburg, gest. 20. 6. 1965 Bonn [PERSONENLEXIKON, 234]. SCHWEITZER, Wolfgang, württembergischer Pfarrer, Universitätslehrer (ST) 508 geb. 8. 7. 1916 Potsdam, gest. 2009 Eckardtsheim Sekretär der Studienabteilung des ÖRK in Genf, Jugendpfarrer der württembergischen Landeskirche, 1952 Dozent (ST) an der Universität Heidelberg, 1955 Prof. (ST) an der Kirchlichen Hochschule Bethel.
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Personenregister
SCHWIDURSKI, Paul, Gemeinschaftsprediger, Pfarrer der Evangelisch-Lutherischen Kirche im Hamburgischen Staate 317 geb. 19. 7. 1903 Berlin-Wilmersdorf, gest. 7. 11. 1996 Kaufungen 1924 Hauslehrer in Hessen, 1926 Prediger des hessen-nassauischen Gemeinschaftsverbandes in Hofgeismar, 1932 Prediger in Wabern, 1936 Prediger in Bad Hersfeld, 1950/51 Hauptverbandsbundeswart des Jugendbundes Entschieden für Christus (Entschiedenes Christentum) in Kassel, 1951 Prediger in Braunschweig, 1955 Inspektor des Diakonissen-Mutterhauses Kinderheil in Bad Harzburg, Vorstandsmitglied der Reichgottesarbeiter-Vereinigung, 1960 1. Vorsitzender des hannoverschen Gemeinschaftsverbandes, 1961 Pfarrer des Volksmissionarischen Amtes der Evangelisch-Lutherischen Kirche im Hamburgischen Staate, 1962 Leiter des Volksmissionarischen Amtes, 1969 i. R. SCHWINN, Günter, pfälzischer Pfarrer 520 geb. 25. 7. 1914 Pirmasens, gest. 17. 7. 2009 Pfarrverweser in Klingenmünster, 1946/48 Religionslehrer am Gymnasium und der Oberrealschule Pirmasens, 1948 Pfarrverweser in Pirmasens, 1950 Pfarrer in Dörrmoschel, 1953 Pfarrer in Herschberg, 1974 Krankenhauspfarrer in Pirmasens, 1979 i. R. SCOPES, John Thomas, US-amerikanischer Lehrer, Geologe 93 geb. 3. 8. 1900, gest. 21. 10. 1970 Lehrer in Dayton/Tennessee, 1925 Anklage auf Grund des Verstoßes gegen das Butler Act, Geologe und Mitarbeiter von Ölfirmen. SEEGER, Herbert, methodistischer Pastor 512 geb. 27. 9. 1927 Cottbus Pastor methodistischer Gemeinden in Berlin, Redakteur der methodistischen Kirchenzeitung „Der Evangelist“ („Wort und Weg“). SEILS, Martin, luth. Theologe, Universitätslehrer (ST) 498f. geb. 1927 Schlatkow bei Greifswald 1960 Dozent (KG, ST) am Katechetischen Oberseminar (Kirchliche Hochschule) Naumburg, 1982 Prof. (ST) an der Universität Jena, 1992 i. R. SEITTER, Otto, Rechtsanwalt 532 geb. 10. 7. 1936 Kleinaspach Justitiar, 1960 Rechtsanwalt in Stuttgart, Jungscharleiter und CVJM-Vorsitzender in Kleinaspach, Gauobmann der Evangelischen Jungenschaft Neckar-Murr, Bezirksleiter des Evangelischen Jugendwerkes in Württemberg, stellvertretender Vorsitzender des CVJM-Landesverbandes Württemberg, 1971–1990 stellvertretender Vorsitzender der Ludwig-Hofacker-Vereinigung (Arbeitsgruppe für Bibel und Bekenntnis), Mitglied im Landesbrüderrat der Altpietistischen Gemeinschaft, Mitglied im Leitungskreis der Liebenzeller Mission. SEMLER, Johann Salomo, Aufklärungstheologe, Universitätslehrer 223 geb. 18. 12. 1725 Saalfeld, 14. 3. 1791 Halle/Saale 1749 Redakteur der Coburger Zeitung, 1751 Prof. (Philologie, Geschichte) in Altdorf, 1752 Prof. (Theologie) an der Universität Halle. SICKINGER, Wolfgang, rheinischer Pfarrer 48, 51 geb. 26. 5. 1952 Velbert, 1978 Pfarrer in Heißen (III), stellvertretender Vorsitzender der Evangelischen
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Biogramme
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Sammlung im Rheinland, Schriftführer der Konferenz der bekennenden Gemeinschaften in Deutschland (Konferenz bekennender Gemeinschaften). SIMON, Helmut, Jurist, Richter am Bundesverfassungsgericht, Präsident des DEKT 614 geb. 1. 1. 1922 Waldbröl-Ruh 1953 Richter am Landgericht Düsseldorf, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bundesgerichtshof, Richter am Landgericht und Oberlandesgericht Düsseldorf, 1965 Richter am Bundesgerichtshof, 1970 Richter am Bundesverfassungsgericht, 1975– 1977/1987–89 Präsident des DEKT, 1987 i. R. SIMPFENDÖRFER, Gerhard, württembergischer Pfarrer, Dekan 641f. geb. 17. 12. 1924 Korntal 1954 Pfarrer in Calw (Stadtkirche II), 1959 Studentenpfarrer in Stuttgart, 1964 Pfarrer in Belsenberg, 1970 Dekan in Heilbronn, 1988 i. R. SMIDT, Udo, Theologe, Pfarrer, Landessuperintendent 132, 195, 350, 355, 370, 452f., 508, 576 geb. 1. 7. 1900 Groothusen (Ostfriesland), gest. 18. 4. 1978 Lage-Hörste [PERSONENLEXIKON, 239f.]. SODEN, Hans Frh. von, luth. Theologe, Universitätslehrer (NT, ältere KG, Christliche Archäologie, Kirchenrecht) 280 geb. 4. 11. 1881 Striesen bei Dresden, gest. 2. 10. 1945 Marburg [PERSONENLEXIKON, 240]. SÖHNGEN, Oskar, Theologe, Musikwissenschaftler, Geistlicher Vizepräsident, Universitätslehrer 353 geb. 5. 12. 1900 Hottenstein (jetzt Stadtkreis Wuppertal-Barmen), gest. 28. 8. 1983 Berlin [PERSONENLEXIKON, 240f.]. SÖLLE, Dorothee, Universitätslehrerin, Schriftstellerin 417f., 487, 501, 539, 562, 617 geb. 30. 9. 1929 Köln, gest. 27. 4. 2003 Göppingen [HAGER, Jahrzehnt, 349]. SOLSCHENIZYN, Alexander Issajewitsch, russischer Schriftsteller, Literaturnobelpreisträger 547 geb. 11. 12. 1918 Kislowodsk (Stawropol), gest. 3. 8. 2008 Moskau 1945 Inhaftierung auf Grund von Kritik an Stalin in verschiedenen Arbeitslagern des Gulag, 1953 Entlassung aus der Lagerhaft und lebenslängliche Verbannung nach Kok-Terek in Kasachstan, Lehrer für Mathematik, Physik und Astronomie, 1957 Rehabilitierung, Lehrer in Rjasan, 1970 Nobelpreis für Literatur, 1974 nach Publikation des ersten Teils seines Hauptwerkes „Der Archipel Gulag“ Ausweisung aus der Sowjetunion, Aufenthalte in Deutschland, der Schweiz und in den USA, 1983 Templeton-Preis, 1990 Rehabilitierung, 1994 Rückkehr nach Russland. SPALDING, Johann Joachim, Aufklärungstheologe, Pfarrer, Oberkonsistorialrat 265, 488 geb. 1. 11. 1714 Tribsees (Vorpommern), gest. 25. 5. 1804 Berlin 1733 Hauslehrer, Hilfsprediger in Tribsees, Sekretär des schwedischen Gesandten von Rudenskjöld, 1747 Pfarrer in Lassan, 1757 Pfarrer in Barth, 1764 Propst in Berlin (St. Nicolai, St. Marien), Oberkonsistorialrat, 1788 i. R.
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Personenregister
SPIECKER, Friedrich Albert, Missionsdirektor, Präsident 169 geb. 19. 2. 1854 Boppard/Rhein, gest. 10. 7. 1937 Berlin-Dahlem [PERSONENLEXIKON, 241f.]. SPIEKER, Markus, Journalist, Autor 48, 50, 99 geb. 1970 Hauptstadtkorrespondent des ARD. SPITTLER, Christian Friedrich, Sekretär, Gründer verschiedener Missionseinrichtungen 367 geb. 12. 4. 1782 Wimsheim, gest. 8. 12. 1867 Basel 1803–1807 Sekretariatsgehilfe, 1807 Sekretär der Christentumsgesellschaft in Basel, 1815 Gründer der Evangelischen Missionsgesellschaft Basel, 1823 Gründer der Judenmissions-Anstalt in Sitzenkirch bei Kandern, 1840 Gründer und seitdem Leiter der Pilgermission St. Chrischona/Basel. SPITZER, Volkhard, Evangelist, Prediger 136, 137 geb. 12. 8. 1943 Göppingen Pastor am Christlichen Zentrum Berlin, Gründer der deutschen Jesus-PeopleBewegung, 1979 Initiator des 1. Charismatischen Kongresses in Berlin und 1981 der „Berliner Bekenntnistage“ im Olympiastadion, 1986 Gründer des Cross Continental Ministries e. V., 1986–1997 internationales Evangelisationsengagement, 1998 Pastor in Berlin-Kreuzberg (Tabor), 2004 Hauptpastor in Berlin (City Kirche) mit ausgedehnter TV- und Medienarbeit. SPREEN, August, westfälischer Pfarrer 335, 399, 407f., 649 geb. 1. 1. 1918 1952–1983 Pfarrer in Bünde (Hunnebrock-Hüffen-Werfen), 1975 Vorsitzender der Bünder Konferenz, Vorstandsmitglied des Gnadauer Verbandes. SPRINGER, Axel, Verleger 579 geb. 2. 5. 1912 Altona, gest. 22. 9. 1985 Berlin [SILOMON, Anspruch, 757]. STAATS, Reinhart, braunschweigischer Pfarrer, Universitätslehrer (KG) 265, 486–489 geb. 8. 2. 1937 Braunschweig 1964–1969 Pfarrer in Wieda (Harz), 1973 PD und Prof. (KG) an der Universität Heidelberg, 1984 Prof. (KG) an der Universität Kiel, 1987–1989 Direktor des Instituts für Kirchengeschichte und kirchliche Archäologie in Kiel, 1992–1994 Dekan der Evangelischen Theologischen Fakultät Kiel, 2002 i. R. STAATS, Walter, braunschweigischer Pfarrer 161f. geb. 1. 11. 1897 Braunschweig, gest. 19. 4. 1983 Braunschweig 1923 Anstaltspfarrer in Wohlau, 1926 Pfarrer in Greene, 1928 Mitarbeiter des Wohlfahrtsdienstes in Braunschweig, 1933 Pfarrer in Salzgitter-Barum, 1935 Propst in Salzgitter-Barum, 1938–1963 Pfarrer in Braunschweig (St. Johannis), 1953–1963 Mitarbeiter der Schwerhörigen-Seelsorge in Braunschweig, Kirchenrat, 1963 i. R. STADELMANN, Helge, Dozent (NT, PT) 74, 100, 230 geb. 15. 2. 1952 1979 Dozent (NT, Homiletik) an der Bibelschule Brake, 1982 Dozent (NT, Homiletik, Heilsgeschichte) an der Bibelschule Wiedenest, 1986 Dozent (NT, Hermeneutik, PT) und Dekan der FTA/H Gießen, 1988–1992 Vorsitzender des
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Biogramme
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Bibelbundes, 1994 Rektor der FTA/H Gießen, Gastprof. der Evangelischen Theologischen Fakultät in Leuven (Belgien). STÄHLIN, Wilhelm, luth. Theologe, Pfarrer, Universitätslehrer (PT, Religionspsychologie), Bischof 239, 241, 272, 277 geb. 24. 9. 1883 Gunzenhausen (Bayern), gest. 16. 12. 1975 Prien am Chiemsee [PERSONENLEXIKON, 243]. STEEB, Hartmut, Diplom-Verwaltungswirt, Generalsekretär der DEA 29, 47, 48, 50, 61, 87, 367, 634f. geb. 29. 10. 1953 1988 Generalsekretär der DEA, 2. Vorsitzender von ProChrist e. V. STEFFENSKY, Fulbert, Benediktinermönch, ev. Theologe, Hochschullehrer (Religionspädagogik) 562 geb. 7. 7. 1933 Rehlingen Benediktinermönch in der Abtei Maria Laach, 1968 Mitbegründer des „Politischen Nachtgebets“, 1969 Konversion zum Luthertum, 1972 Prof. (Erziehungswissenschaft) an der Fachhochschule Köln, 1975 Prof. (Religionspädagogik) am Fachbereich Erziehungswissenschaft der Universität Hamburg, 1998 i. R. STEIL, Ludwig, Theologe, Pfarrer 468 geb. 29. 10. 1900 Lüttringhausen (Rheinland), gest. 17. 1. 1945 KZ Dachau [PERSONENLEXIKON, 246]. STEPHAN, Arthur, rheinischer Pfarrer, Leiter des Volksmissionarischen Amtes der rheinischen Landeskirche 173, 490, 621 geb. 9. 1. 1912 Rockershausen/Saar, gest. 25. 9. 1978 Düsseldorf 1937 Pfarrhilfsdienst in Malstatt, Koblenz und Wichlinghausen, 1945 Pfarrer in Wichlinghausen (III), 1960 Landespfarrer für Volksmission und Leiter des Volksmissionarischen Amtes der rheinischen Landeskirche, 1977 i. R. STEPHAN, Gerhard, Hochschullehrer (Evangelische Theologie, Religionspädagogik) 322 geb. 11. 10. 1934 Unterensingen 1972 Prof. (Evangelische Theologie, Religionspädagogik) an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg, 1986–1990 Rektor, Direktor des Instituts für Philosophie und Theologie an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg, 2000 i. R. STICHER, Hermann, Bischof der der Evangelisch-methodistischen Kirche 513 geb. 23. 1. 1927 Tübingen Mitarbeiter beim US-amerikanischen Konsulat in Stuttgart, Pastor der Evangelischen Gemeinschaft (Evangelisch-methodistische Kirche), Superintendent, 1977– 1989 Bischof der Evangelisch-methodistischen Kirche. STOCK, Walter, Pfarrer der lippischen Landeskirche 653f. 1959 ref. Pfarrer in Hillentrup-Spork, 1975 Superintendent der Klasse Bösingfeld, 1997 i. R. STOCKBURGER, Johannes Georg 387 geb. 9. 6. 1927 Mundingen 1955 Pfarrer in Hepsisau, 1967 Pfarrer in Willsbach, 1980 Dekan in Neuenstadt am Kocher, 1992 i. R. STÖCKLE, Missionar, Mitarbeiter im Altpietistischen Gemeinschaftsverband in Württemberg 357, 402
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STOLTENBERG, Gerhard, CDU-Politiker, Bundesminister 547 geb. 29. 9. 1928 Kiel, gest. 23. 11. 2001 Bad Godesberg 1947 CDU-Mitglied, 1954–1957 Mitglied des schleswig-holsteinischen Landtages, 1955–1961 Bundesvorsitzender der Jungen Union, 1955–1971 stellvertretender Vorsitzender der CDU in Schleswig-Holstein, 1957–1971 Mitglied des Bundestages, 1965 und 1969/70 Direktor der Friedrich Krupp GmbH in Essen, 1965–1969 Bundesminister für wissenschaftliche Forschung, 1969–1971 stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, 1971–1982 Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein, 1971–1989 Landesvorsitzender der CDU in Schleswig-Holstein, 1982–1989 Bundesfinanzminister, 1983–1998 Mitglied des Deutschen Bundestages, 1989–1992 Bundesverteidigungsminister. STOODT, Hans Christoph, Pfarrer in Frankfurt/Main 49 STRAUSS, David Friedrich, Theologe 223, 331 geb. 27. 1. 1808 Ludwigsburg, gest. 8. 2. 1874 Ludwigsburg 1831 Professoratsverweser am Seminar in Maulbronn, 1832 Repetent am Tübinger Stift, 1835 Professoratsverweser in Ludwigsburg, 1939 Ruf als Prof. (Dogmatik, KG) an die Universität Zürich, noch vor Antritt Versetzung i. R., seitdem freier Schriftsteller. STUDER, Dietrich, Pfarrer der hannoverschen Landeskirche 553 geb. 27. 12. 1932 1969–1995 Pfarrer in Bücken. SUNDERMEIER, Karl, Bundeswart des CVJM-Westbundes, Landespropst (Bischof) 334, 404, 439, 514 1959–1971 Bundeswart des CVJM-Westbundes, Pfarrer in Sri Lanka, 1983–1993 Landespropst (Bischof) der Deutschen Evangelisch-Lutherischen Kirche in Südwestafrika (Evangelisch-Lutherischen Kirche in Namibia [DELK]). SÜSSMUTH, Rita, Universitätslehrerin (International vergleichende Erziehungswissenschaft, Erziehungswissenschaften), CDU-Politikerin, Bundestagspräsidentin 639 geb. 17. 2. 1937 Wuppertal 1971 Prof. (Erziehungswissenschaften) an der Pädagogischen Hochschule Ruhr in Bochum, 1971–1985 Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats für Familienfragen beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit, 1980 Prof. (Erziehungswissenschaften) an der Universität Dortmund, 1981 Mitglied der CDU, 1982–1985 Direktorin des Instituts „Frau und Gesellschaft“ in Hannover, 1983 Vorsitzende des Bundesfachausschusses für Familienpolitik der CDU, 1985–1988 Bundesministerin für Jugend, Familie (Frauen) und Gesundheit, 1986–2001 Bundesvorsitzende der Frauen-Union der CDU, 1987–2000 Mitglied des Bundestages, 1988–1998 Präsidentin des Deutschen Bundestages, 2000 Vorsitzende der unabhängigen Kommission „Zuwanderung“, 2002–2004 Vorsitzende des Sachverständigenrates für Zuwanderung und Integration, 2004–2005 Mitglied der UN-Weltkommission für Internationale Migration, 2005–2010 Präsidentin der privaten, staatlich anerkannten OTA Hochschule (SRH Hochschule) in Berlin. SUTHERLAND, Larry, Bibelschulmitarbeiter 374 Mitarbeiter der Bibelschule Bensheim/Seeheim (Bibelschule Bergstraße/BibelSeminar Königsfeld), 1971 Begründer des Bibelfernunterrichts der Bibelschule. TEGTMEYER, Paul, westfälischer Pfarrer, Diakonieanstaltsleiter 335, 340, 347, 350, 355, 358, 390, 391–394, 396, 398–401, 404, 408f., 414f., 432, 441, 456, 523
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geb. 9. 8. 1886 Hannover, gest. 30. 1. 1967 1912 Pfarrer in Wybelsum (Ostfriesland), 1921 Lehrer an der Volkshochschule „Lindenhof“ in Bethel, 1921 Sekretär des Gnadauer Verbandes, 1923–1954 Vorsteher der westfälischen Diakonenanstalt Nazareth in Bethel. TESCHNER, Klaus, rheinischer Pfarrer, Leiter des Amtes für Evangelisation und Volksmission der rheinländischen Kirche 299, 632 geb. 16. 12. 1938 Essen 1967 Studentenpfarrer in Wuppertal, 1973 Direktor des MBK-Hauses in Bad Salzuflen, 1977–1991 Landespfarrer für Volksmission I und Leiter des Amtes für Evangelisation und Volksmission der rheinländischen Kirche, 1980–2001 Initiator und Organisator der Missionale, 1984 Vorsitzender der Evangelistenschule Johanneum Wuppertal-Barmen, Mitarbeiter des Leitungskreises des „Gemeindetages unter dem Wort“, 1992–2003 Landeskirchenrat im Landeskirchenamt, 1999 Vorsitzender des Verbandes der Deutschen Evangelischen Bahnhofsmission, 2003 i. R. TETZEL, Johann, Dominikanermönch, Ablassprediger 240 geb. um 1460, gest. 11. 8. 1519 Leipzig. TEUFEL, Fritz, politischer Aktivist, Autor 565 geb. 17. 6. 1943 Ingelheim, gest. 6. 7. 2010 Berlin 1967 Mitbegründer der Kommune I, Aktivist in der Studentenbewegung, Mitglied der „Bewegung 2. Juni“, insgesamt acht Jahre inhaftiert, freier Mitarbeiter der „taz“, Fahrradkurier. THADDEN-TRIEGLAFF, Reinold von, Jurist, Gutsbesitzer, Kirchentagspräsident 178 geb. 13. 8. 1891 Mohrungen (Ostpreußen), gest. 10. 10. 1976 Fulda [PERSONENLEXIKON, 254f.]. THAUER, Karl Philipp, bayerischer Pfarrer 141 geb. 4. 10. 1877 Guttenberg bei Kulmbach, gest. 16. 10. 1974 1900/01 Privatvikar in Kitzingen, 1901–1906 Pfarrverweser in Puschendorf, 1906–1908 Reisesekretär verschiedener landeskirchlicher Gemeinschaftsverbände, 1909 Pfarrer in Geroldsgrün, 1923 Pfarrer in Ansbach, 1929 Vorsitzender des landeskirchlichen Gemeinschaftsverbandes in Bayern, bis 1945 Leitung des Diakonissenmutterhauses in Puschendorf, 1936 Pfarrer in Rückersdorf, 1946 i. R. THAUT, Rudolf, baptistischer Pastor, Bundesdirektor, Präsident der EuropäischBaptistischen Föderation 219 geb. 7. 3. 1915 Kiel, gest. 15. 1. 1982 Alfter bei Bonn 1949 baptistischer Pastor in Mannheim, 1955 Pastor in München, 1949–1960 Leiter der Studentenarbeit des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden, 1960 Bundesdirektor des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden, 1967 Dozent (PT) und Direktor des baptistischen Predigerseminars in Hamburg, 1968–1970 Präsident der Europäisch-Baptistischen Föderation, 1968–1981 Vorstandsmitglied des Deutschen Evangelischen Missionstags (Evangelisches Missionswerk), 1970–1975 Vizepräsident der Baptist World Alliance (Baptistischer Weltbund), 1978 i. R. THIELICKE, Helmut, luth. Theologe, Universitätslehrer (ST), Publizist 81, 197, 465, 505, 506, 562 geb. 4. 12. 1908 (Wuppertal-)Barmen, gest. 5. 3. 1986 Hamburg [PERSONENLEXIKON, 256].
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THIMME, Hans, Theologe, Pfarrer, Präses der westfälischen Landeskirche 466, 470, 619, 621, 623–627, 630f. geb. 6. 6. 1909 Fallersleben bei Wolfsburg, gest. 1. 4. 2006 Münster [ZOCHER, Osterloh, 721]. THIMME, Ludwig, Pfarrer, Theologe der Gemeinschaftsbewegung 399 geb. 24. 9. 1873 Groß-Heere bei Hannover, gest. 19. 1. 1966 Volmerdingsen 1906–1914 Pfarrer in Intschede, bis 1923 Mitarbeiter des Deutschen Gemeinschafts-Diakonieverbandes Marburg, Autor zahlreicher Bibelauslegungen und Bücher zur Gemeinschaftsbewegung, 1942 Abschluss einer Bibelübersetzung (zusammen mit Gottfried Schmidt-Domine und Wilhelm Thimme), 1946 Druck der Übersetzung durch die Privilegierte Württembergische Bibelgesellschaft. THORN, Karl Konrad, Pfarrer der hessen-nassauischen Kirche, Dekan 284 geb. 2. 3. 1895 Büdesheim, gest. 26. 6. 1975 1922 Pfarrverwalter in Dietzenbach, Offenbach, Schotten, Londorf (II) (Sitz Odenhausen), 1927 Pfarrer in Odenhausen, 1945 Verwalter der Dekanatsgeschäfte des Dekanats Grünberg, 1951 Dekan des Dekanats Grünberg, 1963 i.R. TIBBE, Johannes, Präses 497, 526 1964–1972 Präses des Bundes Evangelisch-reformierter Kirchen Deutschlands. TILEMANN, Tielko, Pfarrer der hannoverschen Landeskirche, Landesuperintendent 380 1979–1988 Landessuperintendent des Sprengels Lüneburg. TILLICH, Paul, Theologe, Philosoph, Universitätslehrer (ST, Philosophie, Soziologie) 487 geb. 20. 8. 1886 Starzeddel bei Guben (Brandenburg), gest. 22. 10. 1965 Chicago/ Illinois [PERSONENLEXIKON, 259]. TLACH, Walter, württembergischer Pfarrer, Dekan, Dozent 316, 479, 495, 535, 537 geb. 3. 9. 1913 Stuttgart, gest. 25. 9. 2004 Herrenberg Vikar in Tuttlingen, 1945 Repetent am Evangelischen Stift Tübingen, 1948 Dozent am Seminar der Rheinischen Mission in Wuppertal, 1953 Leiter des Evangelischen Jungmännerwerkes in Württemberg, 1956 Mitinitiator der Ludwig-Hofacker-Konferenzen, 1960 Pfarrer in Birkach, 1963 Dekan in Heidenheim, 1970 Studienleiter des Albrecht-Bengel-Hauses in Tübingen, 1978 i. R. TRAMER, Karl, württembergischer Pfarrer, Dekan 108 geb. 24. 8. 1921 Lampertheim 1954 Pfarrer in Spiegelberg, 1966 Dekan in Künzelsau, 1985 i. R. TRAUTMANN, Dekan von Rimbach im Odenwald in der hessen-nassauischen Kirche 290f. TRILLHAAS, Wolfgang, luth. Theologe, Universitätslehrer (PT, Pädagogik, ST, Philosophie) 497 geb. 31. 10. 1903 Nürnberg, gest. 24. 4. 1995 Göttingen [PERSONENLEXIKON, 261]. TROMMERSHÄUSER, Rolf, Vikar, DKP-Mitglied 443f., 563 geb. 1940 1967–1969 wissenschaftliche Hilfskraft am Lehrstuhl von Hans-Eckehard Bahr an der Universität Bochum, 1964–1970 SPD-Mitglied, danach Übertritt zur DKP, von der rheinischen Landeskirche auf Grund seiner politischen und theolo-
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gischen Einstellung abgelehnt, Vikar in Frankfurt am Main und Pfarrvikar (Pfarrer) in Weillmünster, auf Grund seiner DKP-Mitgliedschaft Entlassung aus der Landeskirche. UHL, Harald, Ministerialrat, Studienleiter 628 geb. 1934 Wien Mitarbeiter der Österreichischen Bibelgesellschaft, 1958–1963 Ökumenereferent und Beauftragter für ökumenische Aufbaulager des österreichischen Evangelischen Jugendwerkes, 1962 Vorsitzender des Ökumenischen Jugendrates in Österreich, 1965 Geschäftsführer der Evangelischen Buchhändler- und Verlegervereinigung in Stuttgart, 1969 Referent für die evangelische Kirchenpresse in Bonn, 1973 Pressereferent des Bundesforschungsministeriums in Bonn, 1977– 1981 Studienleiter für den Deutschen Evangelischen Kirchentag in Fulda, Referatsleiter für Grundsatzfragen der Informationstechnik im Bundesforschungsministerium in Bonn. ULRICH, Hermann Heinrich, braunschweigischer Pfarrer, Mitarbeiter der Leitung der EKD 161f., 174, 177, 196, 219, 540, 607, 621 geb. 14. 7. 1914 Schmedenstedt (Niedersachsen), gest. 10. 11. 1983 Stuttgart 1940 Pfarrer in Berel (Kreis Wolfenbüttel), 1950–1956 Pfarrer der Inneren Mission und Leiter des Volksmissionarischen Amtes der braunschweigischen Landeskirche, 1951–1981 Generalsekretär der Arbeitsgemeinschaft für Volksmission/ West (AMD), 1956 theologischer Referent im Central-Ausschuss der Inneren Mission, 1957 beigeordneter Direktor, 1973 Direktor der Theologischen Abteilung der Hauptgeschäftsstelle des Werkes Innere Mission und Hilfswerk der EKD, 1960–1981 Generalsekretär der Evangelischen Konferenz für Telefonseelsorge, 1962–1982 Mitglied des Fernsehrates des ZDF. VELLMER, Erich, kurhessen-waldeckscher Pfarrer, Bischof der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck 287, 345–350, 446–448 geb. 24. 1. 1910 Hoheneiche, gest. 19. 11. 1990 Kassel 1936 Pfarrer in Solz (Bebra) und Kassel-Unterneustadt, 1955 Pfarrer in KasselWilhelmshöhe, 1957 Prälat (geistlicher Vertreter des Bischofs) von KurhessenWaldeck, 1963 Landesbischof von Kurhessen-Waldeck, 1978 i. R., danach ehrenamtlich Krankenhausseelsorger am Burgfeld-Krankenhaus in Kassel. VETTER, Jakob, freier Evangelist, Gründer der Deutschen Zeltmission 199 geb. 23. 11. 1872 Worms, gest. 13. 12. 1918 1889 Evangelisationsreisen mit verschiedenen Predigern, 1891 Mitarbeiter der Erziehungsanstalt Friedrichshöhe auf dem Thüllinger Hügel, 1897 Prediger und Evangelist in Lich (Hessen), 1899–1905 Reisen nach England, 1902 Gründer und Leiter der Deutschen Zeltmission, 1904 Eröffnung der Zentrale der Zeltmission „Haus Patmos“ bei Siegen, 1911 Prediger in Riehen. VIERING, Fritz, westfälischer Pfarrer, Mitarbeiter der Kirchenkanzlei der EKU, Landessuperintendent der Lippischen Landeskirche 410, 501f. geb. 3. 11. 1910 Dortmund, gest. 13. 7. 1984 Detmold 1943–1962 Pfarrer in Hilbeck (Kirchenkreis Hamm), 1947–1962 Superintendent im Kirchenkreis Hamm, 1962 Oberkonsistorialrat in der Kirchenkanzlei der EKU in Berlin, 1970–1979 Landessuperintendent der Lippischen Landeskirche, stellvertretender Moderator des Reformierten Bundes, Mitbegründer und Geschäftsführer der Gesellschaft für Evangelische Theologie, Leiter des Theolo-
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Personenregister
gischen Ausschusses der EKU, 1976 Vorsitzender der Arnoldshainer Konferenz, stellvertretender Vorsitzender des Evangelischen Bundes. VILMAR, August Friedrich Christian, luth. Theologe, Schuldirektor, kurhessischer Staatsrat, Universitätslehrer 153 geb. 21. 11. 1800 Solz, gest. 30. 7. 1868 Marburg 1824 Rektor der Stadtschule zu Rotenburg an der Fulda, 1827 Lehrer für Klassische Philologie und Germanistik am Gymnasium in Hersfeld, 1831 Deputierter des hessischen Landtages, 1833 Direktor des kurfürstlichen Gymnasiums in Marburg, 1850 Ministerialreferent für geistliche und Schulfragen, 1851 Verwaltung der Kasseler Generalsuperintendentur, 1955 Prof. (Theologie) an der Universität Marburg. VOGEL, Bernhard, CDU-Politiker, Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz und des Freistaats Thüringen 547 geb. 19. 12. 1932 Göttingen 1961–1964 Lehrbeauftragter am Institut für Politische Wissenschaft in Heidelberg, 1963–1965 Mitglied des Stadtrates von Heidelberg, 1967 Vorsitzender des CDU-Bezirksverbandes Pfalz und Kultusminister von Rheinland-Pfalz, 1971– 1988 Mitglied des rheinland-pfälzischen Landtages, 1974–1988 Landesvorsitzender der CDU in Rheinland-Pfalz, 1975–2006 Mitglied des CDU-Bundesvorstandes, 1976–1988 Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz, 1989–1993 und 2001–2009 Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung, 1992–2003 Ministerpräsident des Freistaats Thüringen, 1993–1999 Landesvorsitzender der CDU in Thüringen, 1994–2004 Mitglied des Thüringer Landtags. VOGEL, Heinrich, luth. Theologe, Pfarrer, kirchlicher Dozent, Universitätslehrer (ST, Dogmatik, Ethik) 492 geb. 9. 4. 1902 Pröttlin (Westprignitz), gest. 25. 12. 1989 Berlin [PERSONENLEXIKON, 265]. VOIGT, Gottfried, sächsischer Pfarrer, kirchlicher Dozent (PT) 492, 497 geb. 13. 7. 1914 Heidenau, gest. 2. 5. 2009 1942 Pfarrer in Leipzig, 1946/47 Studentenpfarrer in Leipzig, 1947 Pfarrer in Zwickau, 1950 Studiendirektor in Lückendorf, 1958 Pfarrer in Dölzig, 1966 Dozent (PT) am Theologischen Seminar Leipzig. WAFFENSCHMIDT, Horst, Jurist, CDU-Politiker, parlamentarischer Staatssekretär 639 geb. 10. 5. 1933 Düsseldorf, gest. 7. 5. 2002 Schloss Eichholz bei Wesseling 1954 Mitglied der CDU, 1961–1964 Kreistagsabgeordneter der CDU, 1962–1972 Mitglied des Landtages von Nordrhein-Westfalen, 1962–1998 Mitglied des Landesvorstandes der CDU in Nordrhein-Westfalen, 1963 Assessor beim Landschaftsverband Rheinland und Leiter der Abteilung Verwaltung und Recht beim Landesstraßenbauamt Köln, 1964–1971 Gemeindedirektor, 1971/72 Stadtdirektor von Wiehl, 1972 Mitglied des Bundestages, 1972–1982 Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Kommunalpolitik der CDU/CSU-Fraktion und Mitglied des Fraktionsvorstandes, 1973 Rechtsanwalt und Bundesvorsitzender der Kommunalpolitischen Vereinigung der CDU und CSU Deutschlands, 1973–1989 Mitglied der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche im Rheinland, 1973–1998 Mitglied des CDU-Bundesvorstandes, 1979–1981 Präsident des Deutschen Städteund Gemeindebundes, 1982–1997 Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium des Innern, 1988–1998 Aussiedlerbeauftragter der Bundesregierung.
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WALTER, Joachim, braunschweigischer Pfarrer, Leiter diakonischer Einrichtungen 481 geb. 5. 11. 1937 Braunschweig, gest. 20. 6. 2005 1964/65 Pfarrer in Harlingerode, 1965 Dozent und Studienleiter der Diakonissen-Ausbildung Stephansstift Hannover, 1971 Leiter des Evangelischen Diakonissenhauses Bethlehem in Karlsruhe, 1978 Leiter der Stiftung Eben-Ezer in Lemgo, 1992–1999 Leiter der Dienststelle Bonn beim Diakonischen Werk. WALZ, Hans Hermann, Theologe und Jurist, Generalsekretär des Deutschen Evangelischen Kirchentags 624 geb. 3. 8. 1914 Essingen (Württemberg), gest. 4. 7. 1998 Fulda [ZOCHER, Osterloh, 724]. WARMERS, Erich, braunschweigischer Pfarrer, Propst 481, 486 geb. 12. 11. 1925 Eichenzell, gest. 18. 5. 2000 Wolfenbüttel 1954/55 im Schuldienst in Frankfurt/Main, 1955 Sozialpfarrer in der Evangelischen Kirche von Hessen-Nassau, 1960 Pfarrer und Leiter des Amtes für Volksmission und Sozialarbeit (Männerarbeit) der braunschweigischen Landeskirche in Wolfenbüttel, 1971 Pfarrer und Propst in Salzgitter (St. Mariae-Jakobi), 1984 i. R. 1970 Mitbegründer der Stiftung Lukas-Werk (Suchthilfe). WEBER, Max (Maximilian) Carl Emil, Hochschullehrer (Nationalökonomie), Gründervater der deutschen Soziologie 423 geb. 21. 4. 1864 Erfurt, gest. 14. 6. 1920 München 1889 juristische Promotion, 1892 juristische Habilitation, 1891/92 Leiter der Studie „Die Verhältnisse der Landarbeiter im ostelbischen Deutschland“ im Auftrag des Vereins für Sozialpolitik, 1894 Prof. (Nationalökonomie) an der Universität Freiburg/Br., 1897–1903 Prof. (Nationalökonomie) an der Universität Heidelberg, 1904 Redakteur des „Archivs für Sozialwissenschaften und Sozialpolitik“, Mitbegründer der Soziologie als eigenständige wissenschaftliche Disziplin, Begründer der Religionssoziologie, Klassiker der Wirtschaftssoziologie, 1909 Mitbegründer der „Deutschen Gesellschaft für Soziologie“, 1919 Mitbegründer der Deutschen Demokratischen Partei (DDP), 1919 Prof. an der Universität München. WEISMANN, Eberhard, württembergischer Pfarrer, Landeskirchenmusikwart, Dekan 330 geb. 11. 6. 1908 Alfdorf, gest. 5. 12. 2001 1936 Pfarrer in Ölbronn, 1948 Landeskirchenmusikwart, 1959 Dekan in Nagold, 1965 Oberkirchenrat, 1973 i. R. WEIZSÄCKER, Richard Frh. von, Jurist, Politiker (CDU), Bundespräsident 613 geb. 15. 4. 1920 Stuttgart [HAGER, Jahrzehnt, 352]. WELING, Anna Thekla von, Schriftstellerin, Gründerin der Blankenburger Allianzkonferenzen 224 geb. 20. 3. 1837 Neuwied, gest. 21. 5. 1900 Bad Blankenburg 1870/71 Lazarettleiterin in Bonn, 1886 Aufbau des Evangelischen Allianzhauses in Bad Blankenburg, Gründerin der jährlich stattfindenden Blankenburger Allianzkonferenzen, Autorin zahlreicher Erzählungen und Romane unter dem Pseudonym „Hans Tharau“, Übersetzerin von Chorälen und Erweckungsliedern aus dem Englischen.
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Personenregister
WELLHAUSEN, Julius, Theologe, Universitätslehrer (AT, Orientalische Sprachen), Orientalist 124 geb. 17. 5. 1844 Hameln, gest. 7. 1. 1918 Göttingen 1868 Repetent am Göttinger Theologischen Stift, 1872 Prof. (AT) an der Universität Greifswald, 1875 Prof. (Orientalische Sprachen) an der Universität Marburg, 1882 apl. Prof. (Orientalische Sprachen) an der Universität Halle, 1892–1903 Prof. (Orientalische Sprachen) an der Universität Göttingen. WENDLAND, Heinz-Dietrich, Theologe, kirchlicher Dozent, Universitätslehrer (NT, Christliche Gesellschaftswissenschaft, Sozialethik, Biblische Theologie) 294 geb. 22. 6. 1900 Berlin, gest. 7. 8. 1992 Hamburg [PERSONENLEXIKON, 272]. WENSCHKEWITZ, Hans, Pfarrer, Superintendent 318 geb. 2. 2. 1904 Riga (Lettland), gest. 9. 10. 1987 Osnabrück 1940 Pfarrer in Belgard (Pommern), 1945 Pfarrer in Großgoltern, 1951 Pfarrer in Osnabrück (St. Marien), 1957 Rektor des Pastoralkollegs der hannoverschen Landeskirche in Loccum, 1963–1972 Superintendent in Osnabrück. WERTSCH, Prediger des „Bundes Religiöse Erneuerung“ 187 WESLEY, John, anglikanischer Priester, Erweckungsprediger, Mitbegründer des Methodismus 196 geb. 17.(28.)6.1703 Epworth/North Lincolnshire (England), gest. 2. 3. 1791 London 1925 anglikanischer Priester, 1728 Dozent am Lincoln College der Universität Oxford, 1729 Mitglied und Leiter des „Holy Club“ („Methodisten“) in Oxford, 1735–1737 Missionar in Georgia (USA), 1738 Prediger in England, Irland, Schottland und Wales, reges evangelistisches und sozial-diakonisches Engagement, 1784 Zustimmung zur ersten Gründung einer methodistischen Kirche (Bischöfliche Methodistenkirche) in den USA. WESNER, Adolf, Gemeinschaftsprediger 131f. 1947–1968 Prediger der landeskirchlichen Gemeinschaft Detmold, Mitglied des Brüderrates des Lippischen Gemeinschaftsbundes, Vertreter des Lippischen Gemeinschaftsbundes im Gnadauer Verband. WESTERHEIDE, Rudolf, Pfarrer der lippischen Landeskirche, Bundespfarrer des Jugendbundes Entschieden für Christus (Entschiedenes Christentum) 54, 533 geb. 1960 1990 Pfarrer in Pfarrer in Almena, 2004 Leiter und Bundespfarrer des Jugendbundes Entschieden für Christus (Entschiedenes Christentum). WETH, Gustav, Pfarrer, Missionsinspektor 336 geb. 12. 9. 1901 Barmen, gest. 19. 6. 1978 Wuppertal 1929 Pfarrer in Hausen, 1934 Missionsinspektor der Rheinischen Missionsgesellschaft in Barmen, 1971 i. R. WICHERN, Johann Hinrich, Lehrer, Pädagoge, Oberkonsistorialrat, Begründer der Inneren Mission 167f. geb. 21. 4. 1808 Hamburg, gest. 7. 4. 1881 Hamburg-Hamm 1823 Erzieher an einem privaten Internat, 1832 Oberlehrer an der Sonntagsschule der Evangelischen Kirchengemeinde St. Georg in Hamburg, 1833–1873 Gründer und Leiter der „Anstalt zur Rettung verwahrloster und schwer erziehbarer Kinder“ („Rauhes Haus“) in Hamburg-Horn, 1839 Gründer des „Gehilfeninstituts“
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Biogramme
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zur Ausbildung der Betreuer im „Rauhen Haus“, 1842 Gründer der Buchdruckerei des „Rauhen Hauses“, 1848 Gründer des „Centralausschusses für die Innere Mission der deutschen evangelischen Kirche“, 1848 Gründer der ersten deutschen Stadtmission in Hamburg, Gründer zahlreicher „Rettungshäuser“ in ganz Deutschland, 1857–1874 Vortragender Rat im Dezernat für das Armen- und Gefängniswesen im Ministerium des Innern in Preußen, 1857 Oberkonsistorialrat, 1858 Gründer des Brüderhauses „Johannesstift“ in Berlin. WICKE, Johann Heinrich, braunschweigischer Pfarrer 161f. geb. 29. 9. 1908 Wolfenbüttel, gest. 23. 12. 1996 1935 Pfarrer in Grünenplan, 1943 Pfarrer in Braunschweig (St. Magni), 1974 i. R. WIESKE, Günter, baptistischer Theologe 245 Mitarbeiter der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) in Deutschland. WILDE, Bärbel, westfälische Pfarrerin, Evangelistin, Autorin 524 geb. 15. 10. 1950 1974/75 Vikarin bei der Deutschen Zeltmission, 1976 Pfarrerin im Hilfsdienst in Lüdenscheid, 1978 Pfarrerin in Lüdenscheid, Mitglied der Synode der EKD, bis 1996 Vorstandsmitglied der Deutschen Zeltmission, 1997–2002 Vorsitzende des Medienverbundes Konferenz Evangelikaler Publizisten (KEP), 1997–2007 Leiterin der Arbeitsgemeinschaft Biblische Frauenarbeit, Vorsitzende des Trägerkreises des „Gemeindetages unter dem Wort“, 2008 i. R., 2008 Präsidiumsmitglied von „World Vision Deutschland“, Autorin zahlreicher Bücher zu christlichen Themen. WILKENS, Erwin, Pfarrer, luth. Theologe, Vizepräsident der Kirchenkanzlei der EKD 461, 466f., 575f. geb. 11. 7. 1914 Lingen/Ems, gest. 28. 1. 2000 im Zweiten Weltkrieg Offizier im Generalstab des Heeres, 1945 Pfarrer, 1951 Mitarbeiter und Oberkirchenrat im Lutherischen Kirchenamt der VELKD in Hannover, 1964 Mitarbeiter der Kirchenkanzlei der EKD, Öffentlichkeitsreferent der EKD, 1974 Vizepräsident der Kirchenkanzlei, langjährig Herausgeber des „Kirchlichen Jahrbuchs“. WILKERSON, David, US-amerikanischer Evangelist 136f., 583 geb. 19. 5. 1931 Hammond/Indiana, gest. 27. 4. 2011 bei Cuney, Cherokee County/Texas Prediger in Scottdale und Philipsburg/Pennsylvania, 1958 Gründer und Leiter der Drogenrehabilitationsorganisation „Teen Challange“, 1962 Mitautor des Bestsellers „The Cross and the Switchblade“ (zusammen mit John und Elizabeth Sherrill), 1967 Jugendevangelist, 1971 Gründer und Leiter der Evangelisationsorganisation „World Challange“ in Lindale/Texas, 1987 Gründer und Leiter der autonomen Times Square Church in New York City (seit 1989 im Mark Hellinger Theatre), Autor zahlreicher Bücher zu christlichen, besonders endzeitlichen Themen. WILLBERG, Hans Harald, bayerischer Pfarrer, Religionslehrer, Studienleiter 546–548 1962 Stadtvikar in Nürnberg (St. Georg), 1965/66 Religionslehrer an der Wilhelm-Löhe-Schule in Nürnberg, 1971 Pfarrer in Nürnberg (St. Markus II), 1978 Studienleiter an der Evangelischen Akademie in Tutzing, 1984 Pfarrer an der Gemeindeakademie Rummelsberg.
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WILM, Ernst, Theologe, Pfarrer, Präses 338, 355f., 419–422, 437–440, 443, 460, 465– 476, 478, 508, 526, 529, 570, 573, 616, 626 geb. 27. 8. 1901 Reinswalde (Niederlausitz), gest. 1. 3. 1989 Lübbecke [PERSONENLEXIKON, 276]. WILSON, Robert Dick, US-amerikanischer Hochschullehrer (AT) 94 geb. 4. 2. 1856 Indiana/Pennsylvania, gest. 11. 10. 1930 1883 Prof. (AT) am Western Theological Seminary (Pittsburgh Theological Seminary), 1900 William Henry Green Prof. (Semitic Languages, Old Testament Criticism) am Princeton Theological Seminary, 1929 Mitbegründer und Prof. des Westminster Theological Seminary. WINTERHAGER, Wilhelm Ernst, Mitautor des „Rotbuchs Kirche“ 574 Vorstandsmitglied der Notgemeinschaft evangelischer Deutscher (Evangelische Notgemeinschaft in Deutschland). WITT, Adolf, Missionsinspektor der Liebenzeller Mission 124, 126 1903–1950 Sekretär und Verwaltungsleiter der Liebenzeller Mission, Mitglied des Vorstands der Liebenzeller Mission. WITT, Heinrich, Missionar, Missionssuperintendent der Liebenzeller Mission 126 geb. 1871, gest. 1959 1896 Mitbegründer und Reisesekretär der Deutschen Christlichen StudentenVereinigung, 1900–1911 Missionar des deutschen Zweiges der China-InlandMission (Liebenzeller Mission) in China, 1911–1913 Reisesekretär der Deutschen Christlichen Studenten-Vereinigung, 1913 Missionssuperintendent und Leiter der Liebenzeller Mission in Changsha (China), 1927–1929 Aufenthalt im Deutschen Reich, Vorstandsmitglied der Liebenzeller Mission, 1950 i. R. WOJTYŁA, Karol Józef (Johannes Paul II.), Papst 1978–2005 103 geb. 18. 5. 1920 Wadowice (Polen), gest. 2. 4. 2005 Vatikanstadt 1948 Kaplan in Niegowic´ und Krakau (Studentenkirche St. Florian), 1953 Prof. (Moraltheologie) in Krakau, 1958 Weihbischof in Krakau und Titularbischof von Ombi, 1964 Erzbischof von Krakau, 1967 Kardinalpriester, 1978–2005 Papst (Johannes Paul II.), 2011 Seligsprechung. WÖLBER, Hans-Otto, Pfarrer, Theologe, Bischof 444f. geb. 22. 12. 1913 Hamburg, gest. 10. 8. 1989 Hamburg [HAGER, Jahrzehnt, 352]. WOLF, Ernst, Theologe, Universitätslehrer (KG, Christliche Archäologie, ST) 280f., 497 geb. 2. 8. 1902 Prag, gest. 11. 9. 1971 Garmisch-Partenkirchen [PERSONENLEXIKON, 278f.]. WOLFF, Hans Walter, Theologe, Pfarrer, Universitätslehrer (AT) 316 geb. 17. 12. 1911 Barmen, gest. 22. 10. 1993 Heidelberg [ZOCHER, Osterloh, 727]. WUNDERLICH, Friedrich, evangelisch-methodistischer Theologe, Bischof der Methodistenkirche 210, 465 geb. 23. 1. 1896 Plauen, gest. 9. 7. 1990 Frankfurt/Main Jugendsekretär der methodistischen Kirche, Prediger in Hamburg-Barmbek, 1939 Dozent (NT) am methodistischen Predigerseminar in Frankfurt/Main, 1948 Direktor des Predigerseminars, 1949 Mitbegründer der ACK, 1959 Mitunterzeichner des Aufrufs „Brot für die Welt“, 1952–1954/1960–1964 Präsident der
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Vereinigung der Evangelischen Freikirchen, Teilnehmer an zwei Vollversammlungen des ÖRK als Delegierter der United Methodist Church, 1953 Bischof der Methodistenkirche, 1968 Vollzug der Vereinigung der Evangelischen Gemeinschaft und der Methodistenkirche zur Evangelisch-methodistischen Kirche, 1968 i. R. WURM, Theophil, Theologe, Landesbischof 150, 154–156, 244, 282 geb. 7. 12. 1868 Basel, gest. 28. 1. 1953 Stuttgart [PERSONENLEXIKON, 280]. WURSTER, Paul (von), württembergischer Pfarrer, Universitätslehrer (PT, Ethik) 167 geb. 6. 12. 1860 Hohenstaufen, gest. 4. 1. 1923 Tübingen 1885 Repetent, 1888 Stadtpfarrer in Heilbronn (V), 1892/93 Stadtpfarrer (IV), 1899 Stadtpfarrer (Kilianskirche II), 1903 Dekan in Blaubeuren, 1903 Dozent am Predigerseminar in Friedberg (Hessen), 1904 Direktor, 1907 Prof. (PT und Ethik) in Tübingen. WÜSTEMANN, Adolf, Theologe, Bischof 190, 287, 339, 345, 346f. geb. 30. 12. 1901 Kassel, gest. 22. 1. 1965 Kassel [PERSONENLEXIKON, 280]. ZAHRNT, Heinz, Theologe, Pfarrer, Publizist, Präsident des Deutschen Evangelischen Kirchentags 333, 355f., 399, 442, 506, 520, 617–619, 621, 624 geb. 31. 5. 1915 Kiel, gest. 1. 11. 2003 Soest [ZOCHER, Osterloh, 728]. ZEILINGER, Albert, badischer Pfarrer 173, 283 geb. 2. 2. 1910 Weinheim, gest. 1. 7. 2007 Karlsruhe 1937 Pfarrer in Friedrichstal, 1948 in Lahr, 1949 Dekan des Kirchenbezirkes Lahr, 1966 Leiter des Amtes für Volksmission und Gemeindeaufbau (Landespfarrer), 1968 Kirchenrat, 1976 i. R. ZILZ, Walt(h)er, Pfarrer des Diakonissen-Mutterhaus „Friedenshort“, Vorsitzender der DEA 207f., 209, 213, 224, 244, 372 geb. 2. 8. 1887 Berlin, gest. 25. 11. 1957 1912/13 Lehrvikariat im Diakonissen-Mutterhaus „Friedenshort“ in Miechowitz (Oberschlesien), 1917–1921 Pfarrer in Bad Schönfließ (Neumark), 1921 leitender Pfarrer des Diakonissen-Mutterhauses „Friedenshort“ und Pfarrer der Kirchengemeinde Miechowitz, Vorsitzender des Schlesischen Gemeinschaftsverbandes, 1945 Flucht aus Schlesien, Wiederaufbau und Leitung des Diakonissen-Mutterhaus „Friedenshort“ in Freudenberg (Kreis Siegen), 1946–1957 Vorsitzender der DEA, 1953–1957 Präsident der Europäischen Evangelischen Allianz, Mitglied im geschäftsführenden Vorstand des Gnadauer Verbandes und der Deutschen Zeltmission. ZIMMERLI, Walther, ref. Theologe, Universitätslehrer (AT, Religionsgeschichte, orientalische Sprachen) 497f. geb. 20. 1. 1907 Schiers Kanton Graubünden, gest. 4. 12. 1983 Oberdiessbach Kanton Bern [PERSONENLEXIKON, 282f.]. ZIMMERLING, Peter, Pfarrer der Offensive Junger Christen, Universitätslehrer (PT) 106, 183 geb. 18. 10. 1958 Nidda
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Personenregister
1989–1993 Pfarrer der Kommunität Offensive Junger Christen, 2005 apl. Prof. (PT) an der Universität Leipzig. ZIMMERMANN, Wolf-Dieter, Berlin-brandenburgischer Pfarrer, Journalist, Leiter des Evangelischen Rundfunkdienstes 578, 581 geb. 7. 11. 1911 Wuppertal-Barmen, gest. 2. 5. 2007 1933 Mitbegründer des „Kreises jungreformatorischer Studenten“, 1950 persönlicher Referent des Berliner Bischofs, 1954 Rundfunkbeauftragter der Berlin-brandenburgischen Kirche und Leiter der Rundfunkkammer (Evangelischer Rundfunkdienst), Konsistorialrat, 1977 i. R. ZÖLLNER, Wolfgang, Kritiker von ideaSpektrum 646 ZUNDEL, Rolf, Germanist, Journalist 594 gest. 1989 politischer Redakteur, Bonner Korrespondent und stellvertretender Chefredakteur von „Die Zeit“, Autor zahlreicher Beiträge zur deutschen Politik.
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