Macht und Ohnmacht des Grundgesetzes: Sechs Würzburger Vorträge zu 60 Jahren Verfassung [1 ed.] 9783428532193, 9783428132195

Der Band dokumentiert eine Vortragsveranstaltung, die die Autoren als Vertreter des Öffentlichen Rechts der Universität

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Macht und Ohnmacht des Grundgesetzes: Sechs Würzburger Vorträge zu 60 Jahren Verfassung [1 ed.]
 9783428532193, 9783428132195

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Wissenschaftliche Abhandlungen und Reden zur Philosophie, Politik und Geistesgeschichte Band 57

Macht und Ohnmacht des Grundgesetzes Sechs Würzburger Vorträge zu 60 Jahren Verfassung Herausgegeben von Horst Dreier

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Macht und Ohnmacht des Grundgesetzes

Wissenschaftliche Abhandlungen und Reden zur Philosophie, Politik und Geistesgeschichte Band 57

Macht und Ohnmacht des Grundgesetzes Sechs Würzburger Vorträge zu 60 Jahren Verfassung

Herausgegeben von Horst Dreier

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten # 2009 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-5200 ISBN 978-3-428-13219-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 * Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Den 60. Jahrestag der Verkündung des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 nahmen die Autoren dieses Bandes als Vertreter des Öffentlichen Rechts der Universität Würzburg zum Anlaß für eine gemeinsame Vortragsveranstaltung. In der Würzburger Neubaukirche präsentierten sie sechs thematisch locker koordinierte Kurzvorträge, deren Inhalt sich ihren jeweiligen Forschungsschwerpunkten verdankte. Der erfreulich große Zuspruch gerade von studentischer Seite ermunterte sie dazu, ihre Texte zusammen in einem Band der geneigten Öffentlichkeit zu präsentieren. Dafür sind die Referate durchweg gründlich überarbeitet und mit einem Fußnotenapparat versehen, teils auch im Umfang nicht unerheblich erweitert worden. Bei aller Heterogenität der Beiträge zeigt sich doch deutlich, welch enorme Wirkkraft und Gestaltungsmacht das Grundgesetz für die politische Ordnung und die Identität der Bundesrepublik Deutschland entfaltet. Anläßlich der zahlreichen Jubiläumsfeiern ist das zu Recht immer wieder betont worden. Das sollte aber unseren Blick nicht dafür trüben, daß die so verstandene „Macht“ keine grenzenlose ist. Gewisse Schattenseiten des Grundgesetzes sind möglicherweise als nichtintendierte Folgen mancher für sich genommen wertvoller und wichtiger Entscheidungen des Parlamentarischen Rates zu begreifen und vermutlich nur in sehr beschränktem Umfang vermeidbar. Auch kann die Verfassung ihre eigene Auslegung nur begrenzt steuern, wie Reflexionen auf das Verhältnis von Methodenlehre und Grundgesetz im allgemeinen, Fallanalysen zur kommunalen Selbstverwaltung und zum Auslandseinsatz der Bundeswehr im besonderen zeigen. Vor allem die umstrittene Entsendung deutscher Streitkräfte

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Vorwort

führt einmal mehr die zentrale Rolle des Bundesverfassungsgerichts vor Augen, dessen einschlägige Leitentscheidung die eher restriktiven Aussagen des Grundgesetzes stark strapaziert und nach dem Urteil mancher dabei die Grenze zur Verfassungsänderung überschritten hat. Schließlich läßt sich am Beispiel der europäischen Integration und Art. 146 demonstrieren, daß das Grundgesetz seinen Geltungs- und Gestaltungsanspruch keineswegs absolut setzt, sondern weitreichende Einbindungen in höherstufige politische Verbände ebenso kennt wie die Möglichkeit eines vollständigen „Identitätswechsels“ der Bundesrepublik Deutschland. Um den Weg zu einem europäischen Bundesstaat zu ebnen, müßte es sich allerdings selbst zur Disposition stellen. Zusammen mit den Autoren dieses Bandes freue ich mich über das gemeinsame Projekt und danke allen für die spontane Bereitschaft zur Mitwirkung sowie die problemlose und kollegiale Kooperation. Bei der Herstellung des Bandes haben sich einmal mehr die beiden Assistenten meines Lehrstuhls, Herr Niels Magsaam und Herr Klaus Jünemann, größte Verdienste erworben. Sie haben nicht nur das Sachverzeichnis erstellt, sondern insbesondere die verschiedenen Korrekturläufe ebenso professionell wie intensiv begleitet. Ihnen gilt mein besonders herzlicher Dank! Würzburg, den 7. September 2009

Horst Dreier

Inhaltsverzeichnis Schattenseiten des Grundgesetzes Von Helmuth Schulze-Fielitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Methodenlehre und Grundgesetz Von Ralf P. Schenke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Die Wirkmächtigkeit der grundgesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der kommunalen Selbstverwaltung Von Joachim Suerbaum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Der Einsatz deutscher Streitkräfte unter der Ägide des Grundgesetzes. Vom demilitarisierten Deutschland zum Einsatz der Bundesmarine im Golf von Aden Von Stefanie Schmahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 Grundgesetz und Europa: Verfassungsrechtliche Vorgaben und Grenzen der Mitwirkung Deutschlands an der europäischen Integration Von Eckhard Pache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 Das Grundgesetz unter Ablösungsvorbehalt? Zu Deutung und Bedeutung des Art. 146 GG Von Horst Dreier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193

Schattenseiten des Grundgesetzes Von Helmuth Schulze-Fielitz I. Problemstellung: „Schattenseiten“ des Grundgesetzes? Gibt es „Schattenseiten“ des Grundgesetzes? Wer anlässlich der Verabschiedung des Grundgesetzes durch den Parlamentarischen Rat auf seiner 12. und letzten Plenarsitzung am 23. Mai 1949 aktuelle Bilanzen von 60 Jahren Grundgesetz liest1, stößt fast durchweg auf positiv besetzte Kategorien wie Erfolg, Glücksfall, Bewährung, Exportschlager, Vorbildcharakter, Erfolgsgeschichte, Zukunftsfähigkeit, „beste Verfassung“, die Deutschland je hatte usw., sieht man von eher seltenen leidenschaftlich einseitigen Versuchen einer Reanimierung „fortschrittlich-kapitalismuskritischer“ Grundgesetz-Kritik ab2. Wer in diesem Kontext „Schattenseiten“ 1 Vgl. etwa T. Oppermann, Deutschland in guter Verfassung? – 60 Jahre Grundgesetz, JZ 2009, S. 481 ff.; P. Kirchhof, Das Grundgesetz – ein oft verkannter Glücksfall, DVBl. 2009, S. 541 ff.; J. Ipsen, Grundgesetz und politische Parteien, DVBl. 2009, S. 552 ff.; H.-G. Henneke, Kontinuität und Wandel der Finanzverfassung des Grundgesetzes, DVBl. 2009, S. 561 ff.; P. M. Huber, Das europäisierte Grundgesetz, DVBl. 2009, S. 574 ff.; H. Sodan, Kontinuität und Wandel im Verfassungsrecht, NVwZ 2009, S. 545 ff.; M. Sachs, Das Grundgesetz in seinem sechsten Jahrzehnt, NJW 2009, S. 1441 ff.; J. Ipsen, 60 Jahre Grundgesetz – 60 Jahre Bundesrepublik Deutschland, NdsVBl. 2009, S. 153 ff.; P. E. Quint, 60 Years of the Basic Law and its Interpretation: An American Perspective, JöR 57 (2009), S. 1 ff.; J. Jekewitz, Unser aller Grundgesetz seit sechzig Jahren, RuP 45 (2009), S. 65 ff.; B.-O. Bryde, 60 Jahre Grundgesetz – Wirkungskraft der Verfassung in der Bewährung, AnwBl. 2009, S. 473 ff.; s. auch Kritische Justiz (Hrsg.), Verfassungsrecht und gesellschaftliche Realität, 2009. 2 Vgl. A. Krölls, Das Grundgesetz – ein Grund zum Feiern? Eine Streitschrift gegen den Verfassungspatriotismus, 2009.

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zum Thema macht, scheint einer Erfolgsbilanz widersprechen zu wollen. Die Intention der nachstehenden Ausführungen ist indes eine andere. Sie will charakteristische Eigenarten des Grundgesetzes verdeutlichen, die durchaus ein Teil dieser Erfolgsgeschichte sind und doch zugleich den Keim für gegenwärtige Fehlentwicklungen und zukünftige Gefahren in sich bergen. Es geht um Ambivalenzen des Grundgesetzes, die Licht und Schatten aufweisen3, und um die Vergegenwärtigung der Schattenseiten, mögen sie sich aufgrund der bisherigen politischen Kontextbedingungen auch bislang nur begrenzt verwirklicht haben. Dabei wird methodisch von zwei Prämissen ausgegangen: (1) Das Grundgesetz wird von vornherein in seinen wesentlich auch durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts mitgeprägten Gehalten zu Grunde gelegt4, d. h. es wird nicht mehr zwischen Grundgesetz und seiner verfassungsrichterlichen Auslegung unterschieden (was ohnehin nur analytisch möglich wäre). (2) Zudem wird vorausgesetzt, dass diese verfassungsrechtlichen Regelungen ungeachtet politischer und ausländischer Parallelentwicklungen (jedenfalls auch) ein eigenes selbständiges Gewicht haben und nicht schon deshalb wirkungslos sind, weil es sich nur um rechtliche Regelungen handelt; damit soll nicht behauptet werden, dass sie allein für die inkriminierten Folgeprobleme ursächlich wären. Es geht exemplarisch um drei Problembereiche, die zentrale Charakteristika der politischen Ordnung der Bundesrepublik betreffen: (II.) das Verhältnis der rechtsstaatlichen und demokratischen Elemente im Grundgesetz, (III.) die verfassungsrechtliche Stellung der politischen Parteien und (IV.) die grundgesetzliche Ausgestaltung der Bundesrepublik Deutschland als Bundesstaat. Die Untersuchung jener drei Bereiche folgt jeweils einem Dreischritt zunächst (1.) einer Problembeschreibung, dann (2.) einer Erklärung, warum es zu diesem Problemstatus gekommen ist, um schließlich (3.) ausgewählte 3 4

Ähnlich R. Herzog, Strukturmängel der Verfassung?, 2000, S. 8. So auch Quint, 60 Years (Fn. 1), S. 14.

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und an aktuellen Beispielen illustrierte Folgeprobleme und potentielle Gefahren zu benennen. Es geht dabei allein um eine wissenschaftliche Bestandsaufnahme, nicht um verfassungspolitische Folgerungen im Sinne von Therapievorschlägen. II. In-Sich-Konflikte der rechtsstaatlichen Demokratie 1. Problembeschreibung Im Grundgesetz sind unterschiedliche Elemente rechtsstaatlicher und demokratischer Traditionen verbunden, wie die vereinheitlichenden Begriffsbildungen „demokratischer Rechtsstaat“ oder „rechtsstaatliche Demokratie“ plastisch zum Ausdruck bringen. Dabei werden die rechtsstaatlichen Elemente im Grundgesetz eher stark und die demokratischen Elemente eher schwach gewichtet. Das führt zu Ungleichgewichten und Spannungen im demokratischen Rechtsstaat, die sich als verfassungsrechtliche In-Sich-Konflikte deuten lassen, die tendenziell zugunsten rechtsstaatlicher auf Kosten demokratischer Prinzipien aufgelöst werden. Solche demokratischen Schwächen werden oft (nur) unter dem Gesichtspunkt fehlender direktdemokratischer Mitwirkungsmöglichkeiten des Volkes auf Bundesebene erörtert, doch spiegeln sich solche auch in vielen anderen Zusammenhängen wider, von denen nur einige herausgegriffen seien. a) Die starke Stellung des Bundesverfassungsgerichts Das Bundesverfassungsgericht ist die folgenreichste Innovation des Grundgesetzes. Seine im weltweiten Vergleich überaus starke Stellung schlägt sich erstens gegenüber dem parlamentarischen Gesetzgeber nieder: Eine Senatsmehrheit von nur fünf Richtern kann die legislatorischen Entscheidungen der Mehrheit der Volksvertreter für verfassungswidrig erklären und sich über den repräsentierten Volkswillen hinweg-

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setzen. Diese Kompetenz zur abstrakten Normenkontrolle ist der erste Stützpfeiler für die Macht des Bundesverfassungsgerichts, das sich so als Verfassungsorgan aufgewertet sehen darf. In anderen Ländern – wie in Großbritannien5, den Niederlanden6 oder der Schweiz (für Bundesgesetze)7 – ist eine solche Normenkontrolle zu Lasten des Parlaments unabhängig von Einzelfallbezügen mitunter gar nicht möglich, nur unter sehr engen prozessrechtlichen Einschränkungen8 etwa mit großen qualifizierten Richtermehrheiten erfolgreich, beschränkt sich – wie in Mexiko – nur auf den Einzelfall9 oder ist – wie in Frankreich10 oder faktisch in Schweden11 – nur bis zur Verkündung des Gesetzes zulässig, um den parlamentari5 Vgl. M. Loughlin, Grundlagen und Grundzüge staatlichen Verfassungsrechts: Großbritannien, in: A. von Bogdandy / P. Cruz Villalón / P. M. Huber (Hrsg.), Handbuch Ius Publicum Europaeum, Band I, 2007, § 4 Rn. 75. 6 L. Besselink, Grundlagen und Grundzüge staatlichen Verfassungsrechts: Niederlande, in: von Bogdandy / Cruz Villalón / Huber, Handbuch (Fn. 5), § 6 Rn. 1, 77 ff., 85 f., 157 ff. 7 G. Biaggini, Grundlagen und Grundzüge staatlichen Verfassungsrechts: Schweiz, in: von Bogdandy / Cruz Villalón / Huber, Handbuch (Fn. 5), § 10 Rn. 25, 68. 8 Zur Aufhebung von Gesetzen ex nunc (mit Ausnahme des Anlassfalles) in Österreich vgl. E. Wiederin, Grundlagen und Grundzüge staatlichen Verfassungsrechts: Österreich, in: von Bogdandy / Cruz Villalón / Huber, Handbuch (Fn. 5), § 7 Rn. 19; H.-R. Horn, Richter versus Gesetzgeber, JöR 55 (2007), S. 275 (292 f.); zur Ablehnung strikter Normenkontrollen von Verwaltungsgesetzen in Italien: M. Dogliani / C. Pinelli, Grundlagen und Grundzüge staatlichen Verfassungsrechts: Italien, in: von Bogdandy / Cruz Villalón / Huber, Handbuch (Fn. 5), § 5 Rn. 90; zur abstrakten Normenkontrolle in den osteuropäischen Ländern vgl. O. Luchterhandt, Generalbericht: Verfassungsgerichtsbarkeit in Osteuropa, in: ders. / C. Starck / A. Weber (Hrsg.), Verfassungsgerichtsbarkeit in Mittel- und Osteuropa, Teilband I, 2007, S. 295 (313 ff., 342 ff.). 9 Horn, Richter (Fn. 8), S. 290 f. 10 O. Jouanjan, Grundlagen und Grundzüge staatlichen Verfassungsrechts: Frankreich, in: von Bogdandy / Cruz Villalón / Huber, Handbuch (Fn. 5), § 2 Rn. 72; Horn, Richter (Fn. 8), S. 277 f. 11 H.-H. Vogel, Grundlagen und Grundzüge staatlichen Verfassungsrechts: Schweden, in: von Bogdandy / Cruz Villalón / Huber, Handbuch (Fn. 5), § 9 Rn. 112.

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schen Volkswillen als letztentscheidend zu respektieren. Freilich gibt es in den Verfassungsstaaten westlichen Typs weltweit eine Tendenz zur Ausdehnung der Befugnis der Verfassungsgerichte hin zu Kompetenzen zur Normenkontrolle12. Die starke Stellung des Bundesverfassungsgerichts schlägt sich aber darüber hinaus bei der Auslegung der einfachgesetzlichen Rechtsordnung nieder. Seit dem Lüth-Urteil13 hat sich eine Sichtweise der Grundrechte als (auch) „Elemente objektiver Ordnung“14 durchgesetzt, die deren primäre abwehrrechtliche Dimension in Form von Beseitigungs- und Unterlassungsansprüchen gegen den Staat15 ergänzen sollen: Sie sollen die subjektive Dimension nur verstärken16, haben aber in Rechtsprechung und Lehre ein großes Gewicht mit einer eigenständigen, nicht lediglich flankierenden Bedeutung gewonnen (und damit eine historisch verschüttete Grundrechtstradition reaktualisiert). Von unverändert höchst nachhaltiger Wirkungskraft ist die Annahme, aus den Grundrechten als individuellen Menschenrechten ableitbare Gehalte könnten vorrangig die gesamte, zuvor vom parlamentarischen Gesetzgeber geschaffene Rechtsordnung prägen17, sei es durch verfassungs12 Bilanzierend für Europa: P. Cruz Villalón, Grundlagen und Grundzüge staatlichen Verfassungsrechts: Vergleich, in: von Bogdandy / Cruz Villalón / Huber, Handbuch (Fn. 5), § 13 Rn. 24, 77 ff.; für die Niederlande Besselink, Grundlagen (Fn. 6), § 6 Rn. 60; zur neuen Zuständigkeit des Conseil Constitutionnel in Frankreich zur konkreten Normenkontrolle seit 2008 F. Lange, Stärkung von Verfassungsgerichtsbarkeit und Grundrechten in Frankreich, DVBl. 2008, S. 1427 ff. 13 BVerfGE 7, 198 (204 ff.) – Lüth; dazu bilanzierend H. Schulze-Fielitz, Das Lüth-Urteil – nach 50 Jahren, Jura 2008, S. 52 ff.; H. Dreier, Dimensionen der Grundrechte, 1993, S. 10 ff. 14 K. Hesse Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl. Neudruck 1999, Rn. 279 ff., 290 ff. 15 Übersichtlich H. Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG-Kommentar, Band I, 2. Aufl. 2004, Vorb. Rn. 84 ff.; ausf. K. Stern / M. Sachs, Staatsrecht III / 1, 1988, S. 671 ff. 16 So auch betont BVerfGE 50, 290 (337) – Mitbestimmung. 17 Bilanzierend: W. Brohm, Die Funktion des BVerfG – Oligarchie in der Demokratie?, NJW 2001, S. 1 (5 ff.).

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konforme Auslegung und Anwendung öffentlich-rechtlicher Gesetze, sei es durch Ausstrahlungswirkungen auch für die Rechtsregeln des Privatrechtsverkehrs18. Der Vorrang des Verfassungsrechts ist allumfassend und führt aufgrund von Art. 1 Abs. 3 GG zu einem zusätzlichen Bedeutungsgewinn des Grundgesetzes. Die verfassungsgerichtlichen Vorgaben führen so zu einer grundrechtsorientierten Durchdringung der einfachgesetzlichen Ordnung, die man als „Konstitutionalisierung der Rechtsordnung“ gekennzeichnet hat19. Diese Entwicklung ist mit einem Bedeutungsgewinn des Bundesverfassungsgerichts als Institution verbunden. Die Vielzahl prozessrechtlicher Zugangsmöglichkeiten zum Bundesverfassungsgericht erlaubt es dem Gericht, in einer Vielzahl von Fällen die gesamte einfachgesetzliche Rechtsordnung mit seinen verfassungsrechtlichen Deutungen zu imprägnieren und seine eigenen Auslegungsansprüche auszudehnen20. Das gilt namentlich für das Institut der Urteilsverfassungsbeschwerde des einzelnen Bürgers in allen Fachgerichtsbarkeiten, aber auch für eine Auslegung der Gesetzesverfassungsbeschwerde, bei der etwa der subjektivrechtliche Garantiegehalt der Wahlrechtsgrundsätze in Art. 38 Abs. 1 GG zum Hebel einer objektivrechtlichen Prüfung z. B. eines Verstoßes gegen das Demokratieprinzip oder des Gebots des Fortbestands der Staatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland wird21. Bis heute ist bei der Urteilsverfassungsbeschwerde freilich das Folgeproblem ungelöst (und wohl auch nicht lösbar), wie sich 18 Zuletzt M. Ruffert, Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Privatrecht, JZ 2009, S. 389 ff.; ausf. ders., Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 2001, S. 61 ff.; C.-W. Canaris, Grundrechte und Privatrecht, 1999. 19 H. Hofmann, Vom Wesen der Verfassung, JöR 51 (2003), S. 1 (12 ff.); ausf. G. F. Schuppert / C. Bumke, Die Konstitutionalisierung der Rechtsordnung, 2000, S. 9 ff. 20 Schuppert / Bumke, Konstitutionalisierung (Fn. 19), S. 48 ff., 58 ff. 21 Vgl. BVerfGE 89, 155 (171 ff.) – Maastricht; BVerfG, EuGRZ 2009, S. 339 (356 ff.) – Lissabon; krit. E. Pache, Das Ende der europäischen Integration?, EuGRZ 2009, S. 285 (287 f., 296).

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die Verletzung „spezifischen Verfassungsrechts“ – für die das Bundesverfassungsgericht allein zuständig ist – von nur „einfachen“ Gesetzesverstößen genau abschichten lässt. Der Rekurs auf den Einzelfall unter Beachtung aller wesentlichen Umstände22 gibt dem Rechtsanwender gerade keine prognostizierbar handhabbaren Kriterien; das gilt auch für die spätere „Hecksche Formel“, nach der solche Auslegungsfehler des Gesetzes verfassungswidrig sind, „die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung eines Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs beruhen und auch in ihrer materiellen Bedeutung für den konkreten Rechtsfall von einigem Gewicht sind“23. Ähnlich unlösbar erscheint die Abgrenzung der Rechtsprechungskontrollkompetenz zum Eigenbereich politisch-parlamentarischer Gestaltung. Faktisch dominiert ein oft kritisierter „Verfassungsgerichtsvorbehalt“24, der das Bundesverfassungsgericht als eines der mächtigsten Gerichte der Welt erscheinen lässt25. b) Die starke Stellung der Judikative Der starken Stellung des Bundesverfassungsgerichts entspricht eine starke Ausgestaltung der Justizstaatlichkeit allgemein. Die Bundesrepublik Deutschland hat nicht nur ein – ungeachtet seiner Einschränkungen in den vergangenen Jahrzehnten26 – noch immer stark ausgebautes Gerichtssystem mit grundsätzlich drei Instanzen, das es in vielen anderen Ländern so nicht gibt; sie hat auf diese Weise empirisch nicht BVerfGE 7, 198 (212). BVerfGE 18, 85 (92 f.) – Spezifisches Verfassungsrecht. 24 Früh P. Lerche Abwägung und Verfassung (1961), 2. Aufl. 1999, S. 150: „Urteilsvorbehalt“. 25 Vgl. nur K. Schlaich / S. Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, 7. Aufl. 2007, Rn. 1 ff.; P. Häberle, Das Bundesverfassungsgericht als Muster einer selbständigen Verfassungsgerichtsbarkeit, in: FS 50 Jahre BVerfG, Band I, 2001, S. 311 ff. 26 Zusammenfassend C. Schütz, Der ökonomisierte Richter, 2005, S. 278 ff. 22 23

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nur die meisten Richter pro Kopf der Bevölkerung in Europa, sondern auch verfassungsrechtlich in Art. 19 Abs. 4 GG eine Rechtsweggarantie als „Schlußstein“ im „Gewölbe des Rechtsstaats“ (Richard Thoma)27, die dazu führt, dass prinzipiell jedes staatliche Handeln, das Rechte des Einzelnen verletzen kann, einer gerichtlichen Kontrolle unterworfen werden kann. Die verwaltungsgerichtliche Generalklausel des § 40 VwGO etwa setzt dieses statt einer bloß selektiv-enumerativen Zuständigkeit um, die in vielen anderen Staaten Europas üblich ist. Diese deutsche Justizorientierung schlägt sich auch in der Beschränkung des Grundrechtskatalogs im Grundgesetz auf unmittelbar anwendbare, justiziable Grundrechte nieder: Das Grundgesetz verzichtet – anders als die Verfassungen der anderen europäischen Staaten und die Europäische Grundrechte-Charta – auf eher politisch-programmatische soziale Grundrechte, deren rechtliche Wirkungsmacht allein von politischen Entscheidungen namentlich des parlamentarischen Haushaltsgesetzgebers abhängt; die regelmäßige unmittelbare Anwendbarkeit von Grundrechten und ihre gerichtliche Kontrolle machen das Grundgesetz zu einer scharfen Waffe in der Hand sowohl der Justiz wie auch der Bürger. Insgesamt erscheint unter der Geltung des Grundgesetzes die rechtliche und gerichtliche Behandlung von Konflikten den Formen politischer Konfliktlösungsmöglichkeiten gegenüber vorrangig zu sein. Auch der Sinn für Verfahren und Verfahrensrecht bei der Rechtsfindung ist zu Gunsten substantieller materieller Gesetzeskonkretisierung durch Richterspruch unterentwickelt. Erst recht scheint der Sinn für außerrechtliche und außergerichtliche Verfahren der Streitbeilegung eher unterentwickelt zu sein und findet erst seit ein bis zwei Jahrzehnten stärkere Beachtung in Theorie und Praxis. 27 Dazu R. Thoma, Über die Grundrechte im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (1951), jetzt in: ders., Rechtsstaat – Demokratie – Grundrechte. Ausgewählte Abhandlungen aus fünf Jahrzehnten, hrsg. und eingeleitet v. H. Dreier, 2008, S. 468 (468).

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c) Die schwache Stellung des Volkes Der starken Stellung der Justiz entspricht eine schwache Stellung des Volkes. Es gibt nicht nur keine Volksgesetzgebung auf Bundesebene28, wie sie den Landesverfassungen nach 1945 unter dem Einfluss des US-amerikanischen Demokratieverständnisses noch selbstverständlich war (vgl. z. B. Art. 74 BV); es gibt mit Ausnahme der Wahl zum Bundestag, die so der zentrale Akt der grundgesetzlichen Demokratie ist29, auch keine anderen Volkswahlen. Selbst die Vertreter des Bundesrates als Zweiter Kammer bei der Gesetzgebung werden nicht wie in allen anderen Staaten gewählt. Nur in Deutschland handelt es sich um Mitglieder der Landesregierungen, also der Exekutive. Es gibt auch keine Volksabstimmungen des Bundesvolkes auf der Ebene des Grundgesetzes, obwohl Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG solche vorsieht; die einzige demokratische Beteiligung des Volkes durch Abstimmung gilt den Teilvölkern benachbarter Länder im Falle von Gebietsneugliederungen (Art. 29 GG). Das Volk wird überdies völlig ausgeschaltet, wenn das Grundgesetz geändert wird, obwohl dieses sich der verfassunggebenden Gewalt des Volkes verdankt und daraus seine Legitimation schöpft. Jeweils eine Zwei-Drittel-Mehrheit der Repräsentanten in Bundestag und Bundesrat reicht für eine Änderung der fundamentalen, grundlegenden Rechtsprinzipien des Gemeinwesens aus30, ohne dass das Volk selbst noch gefragt werden müsste, auf das sich aber alle demokratische Legitimation letztlich nur stützen kann. Das ist mit Ausnahme von Großbritannien – schon mangels geschriebe28 Vgl. H. Dreier, Grundlagen und Grundzüge staatlichen Verfassungsrechts: Deutschland, in: von Bogdandy / Cruz Villalón / Huber, Handbuch (Fn. 5), § 1 Rn. 24; zuletzt wieder O. Jung, Das demokratische Defizit: Deutschland ohne Volksentscheid, Blätter für deutsche und internationale Politik 2009, S. 97 ff. 29 Dreier, Grundlagen (Fn. 28), § 1 Rn. 112. 30 Siehe aber die positive Würdigung im Vergleich zu den hohen Änderungshürden der US-Verfassung Quint, 60 Years (Fn. 1), S. 12 f.

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ner Verfassung – und von Portugal in den Verfassungsänderungsverfahren in den Verfassungsstaaten Europas anders31, auch in einigen Ländern der Bundesrepublik Deutschland, etwa in Bayern. Im politikwissenschaftlichen Vergleich von 20 OECD-Staaten nimmt das Grundgesetz bei der Leichtigkeit einer Verfassungsänderung den 4. Rangplatz ein32. Das Verfassungsänderungsverfahren ist auf der Ebene des Grundgesetzes dem normalen Gesetzgesetzgebungsverfahren sehr stark angenähert33. Selbst dann (oder gerade deshalb) ist der verfassungsändernde Gesetzgeber durch die „Ewigkeitsklausel“ des Art. 79 Abs. 3 GG rechtlich gebunden und verfassungsgerichtlich kontrollierbar34. 2. Erklärungen Die Erklärung für die hohe Gewichtung der rechtsstaatlichen Elemente im Grundgesetz zu Lasten demokratischer Elemente erscheint historisch offenkundig. Die manifeste Verführbarkeit des deutschen Volkes im Nationalsozialismus, das vermeintliche Scheitern oder der angebliche Missbrauch direktdemokratischer Verfahren unter der Geltung der Weimarer Reichsverfassung und vor allem die Furcht vor Aktivitäten von KPD und SED im anhebenden Kalten Krieg schie31 A. Busch, Das oft geänderte Grundgesetz, in: W. Merkel / A. Busch (Hrsg.), Demokratie in Ost und West. FS für Klaus v. Beyme, 1999, S. 549 (561). 32 So Busch, Grundgesetz (Fn. 31), S. 563, unter Verweis auf D. Lutz, Toward a Theory of Constitutional Amendment, American Political Science Review 88 (1994), S. 355 ff. 33 Krit. H. Dreier, Verfassungsänderung, leicht gemacht, ZSE 6 (2008), S. 399 (405 f.). 34 Krit. zur bisherigen Zurückhaltung des BVerfG H.-P. Schneider, Herr oder Hüter des Grundgesetzes? Das Bundesverfassungsgericht als eigenständiger Akteur im Verfassungsleben, in: FS für Michael Bothe, 2009, S. 1019 (1022 f.); entgegengesetzt krit. zu den Gefahren solcher Ewigkeitsbindung am Beispiel der Landesverfassungsrechtsprechung zur direkten Demokratie in Bayern: F. Wittreck, Direkte Demokratie und Verfassungsgerichtsbarkeit, JöR 53 (2005), S. 111 (138 ff.).

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nen verfassungsrechtliche Regelungen nahezulegen, die das Volk als einen vermeintlichen Risikofaktor ausschalten. Deshalb wurden in Anknüpfung an die deutschen Verfassungstraditionen die rechtsstaatlichen Elemente stark betont oder ausgebaut, die schon im 19. Jahrhundert den „Rechtsstaat“ als Kompensation für eine fehlende umfassende demokratische Beteiligung des Volkes i. S. eines „one man, one vote“ forcierten. Diese Traditionslinie traf sich mit dem Bedürfnis, das Handeln von Staat und Verwaltung aufgrund schlechter historischer Erfahrungen zu Zeiten des Nationalsozialismus einer möglichst genauen und engen rechtlichen Kontrolle zu unterwerfen. Auch das Selbstverständnis der Mitglieder des Parlamentarischen Rates, das Grundgesetz selbst nur als vorläufige und provisorische Arbeitsgrundlage anzusehen, hat eine stärkere verfahrensrechtliche Einbeziehung des Volkes von vornherein gehindert35. Mittlerweile wird Volksgesetzgebung in der Staatsrechtslehre geradezu perhorresziert36, gilt ihr – für andere demokratische Traditionen eher befremdlich – die repräsentative Demokratie als die „eigentliche“ Demokratie37, ohne sich differenzierenden Überlegungen38 zu öffnen. Die weite Prüfungskompetenz des Bundesverfassungsgerichts aufgrund der Entfaltung der objektiven Grundrechtsdimensionen macht dieses praktisch zum „höchsten“ Gericht auch gegenüber der Fachgerichtsbarkeit. Auch die verbreitet 35 Gleichsinnig etwa P. Müller, Elemente direkter Beteiligung auf Bundesebene, in: FS für Hans Herbert von Arnim, 2004, S. 733 (737 f.). 36 Vgl. etwa zuletzt S. Müller-Franken, Demokratie als Wettbewerbsordnung, DVBl. 2009, S. 1072 (1074); ausf. P. Krause, Verfassungsrechtliche Möglichkeiten unmittelbarer Demokratie, in: J. Isensee / P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland (HStR), Band III, 3. Aufl. 2005, § 35; P. Kirchhof, Entparlamentarisierung der Demokratie?, in: A. Kaiser / T. Zittel (Hrsg.), Demokratietheorie und Demokratieentwicklung. FS für Peter Graf Kielmansegg, 2004, S. 359 (373 ff.). 37 E.-W. Böckenförde, Mittelbare / repräsentative Demokratie als eigentliche Form der Demokratie, in: FS für Kurt Eichenberger, 1982, S. 301 ff. 38 Vgl. zu solchen F. Grotz, Direkte Demokratie in Europa: Erträge, Probleme und Perspektiven der vergleichenden Forschung, PVS 50 (2009),

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monierte „Verrechtlichung“ der politischen Kultur in der Bundesrepublik Deutschland, also die Lösung politischer Konflikte in gerichtsförmigen Verfahren oft auch unter Mitwirkung des Bundesverfassungsgerichts, lässt sich als Folge eines hier angelegten verfassungsgerichtlichen Paternalismus auffassen39; dieser lässt sich vor dem Hintergrund der historischen Belastungen der politischen Demokratie in Deutschland als ein funktionales Äquivalent für das in anderen Ländern z. T. durch eine jahrhundertelang gewachsene demokratische Tradition entstandene Vertrauen in den politischen Prozess und die ihn gestaltenden politischen Institutionen („politische Kultur“) interpretieren. In den späteren Jahrzehnten der Bundesrepublik wurde in Kontinuität der hier begründeten Rechtsprechung die Entfaltung des Netzes der objektiv-rechtlichen Vorgaben auch für den Gesetzgeber so dicht, dass diese Entwicklung den demokratisch besorgten Kritikern des „verfassungsgerichtlichen Jurisdiktionsstaats“ wieder stärker Gehör verschafft40. 3. Folgeprobleme und Gefahren Angesichts des Erfolgs des Bundesverfassungsgerichts als Institut und des Grundgesetzes als Verfassung mag man sich fragen, was an diesen grundgesetzlichen Basisannahmen problematisch sein sollte, zumal die Kompetenz zur richterlichen Normenkontrolle (nach dem Vorbild der US-Rechtsprechung zur Kontrolle der Gesetzgebung41) von vielen neueren VerfasS. 286 ff.; H. Abromeit, Nutzen und Risiken direktdemokratischer Elemente, in: C. Offe (Hrsg.), Demokratisierung der Demokratie, 2003, S. 95 ff. 39 R. Wahl, Die objektiv-rechtliche Dimension der Grundrechte im internationalen Vergleich, in: D. Merten / H. J. Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Band I, 2004, § 19 Rn. 27. 40 I. Staff, Das Lüth-Urteil. Zur demokratietheoretischen Problematik materialer Grundrechtstheorie, in: T. Henne / A. Riedlinger (Hrsg.), Das Lüth-Urteil aus (rechts-)historischer Sicht, 2005, S. 315 ff.; E.-W. Böckenförde, Grundrechte als Grundsatznormen, Der Staat 29 (1990), S. 1 (28); krit. differenzierend Schuppert / Bumke, Konstitutionalisierung (Fn. 19), S. 79 ff.

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sungsstaaten grundsätzlich übernommen worden ist42. Das gilt zumal dann, wenn gerade der politische Streit als solcher durch seine Schlichtung oder Behandlung durch das Bundesverfassungsgericht das Grundgesetz selbst stärkt, weil es so zum zentralen Bezugspunkt der politischen Akteure wird43. Beispielhaft seien drei Folgeprobleme hervorgehoben, die zu Gefahren für das Grundgesetz erstarken können und sich insoweit als „Schattenseiten“ des Grundgesetzes erweisen. a) Die Entmachtung des parlamentarischen Gesetzgebers Die Wirkmächtigkeit des Bundesverfassungsgerichts und seiner Judikatur führt zu einer immer stärkeren Verrechtlichung der politischen Gestaltungsfreiheit des demokratischen Gesetzgebers und damit zu einer rechtlichen Bindung der Politik. Sie verlagert im Rahmen einer Balancierung der herkömmlichen Gewaltenteilung und einer Berücksichtigung der Verteilung der neuen gesellschaftlichen Kräfte die Gestaltungskompetenzen der politischen Körperschaften auf die Judikative. Politik erscheint als eine bloße Verfassungskonkretisierung. Zu einer solchen Beschränkung politisch-parlamentarischer Gestaltungsmacht neigen tendenziell alle Verfassungsgerichte trotz entgegenstehender Formeln wie der Vermutung für die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes („in dubio pro legislatore“) oder dem Gebot richterlicher Zurückhaltung („judicial restraint“) oder der Begrenzung der Kontrolle des Gesetzes als Ergebnis, nicht der verfolgten Motive44. 41 Grundlegend Marbury v. Madison (1803), vgl. Horn, Richter (Fn. 8), S. 284 ff.; ausf. W. Heun, Die Geburt der Verfassungsgerichtsbarkeit – 200 Jahre Marbury v. Madison, Der Staat 42 (2003), S. 267 ff. 42 Horn, Richter (Fn. 8), S. 276, 290 ff. 43 So H. Vorländer, Die Deutschen und ihre Verfassung, APuZ 18 – 19 / 2009, S. 8 (11); prononciert G. Frankenberg, Die Verfassung der Republik, 1996. 44 Horn, Richter (Fn. 8), S. 295 ff., 298.

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Das Bundesverfassungsgericht dehnt seine Gestaltungsansprüche stetig aus und wird mitunter zum Ersatzgesetzgeber45, wenn nicht gar zum verfassungsändernden Ersatzgesetzgeber46 oder zum „praeceptor Europae“ durch streitgegenständlich nicht geforderte Wegweisungen für die zukünftige Europapolitik47. Es entnimmt den Grundrechten Schutzpflichten als Aufträge an den parlamentarischen Gesetzgeber und kann mit Hilfe des von ihm entwickelten „Untermaßverbots“ die Reichweite gesetzgeberischer Gestaltungsaufgaben determinieren48. Es entnimmt dem Grundgesetz zum Beispiel genau, welche Formen der Begründung durch den Gesetzgeber bei der Festlegung der werbungskostenrelevanten Grenzen der Pendlerpauschale geboten und vom Gesetzgeber einzuhalten sind49 oder welche Quadratmetergrenzen das Grundgesetz für die Menschenwürdigkeit von Gefängniszellen50 oder für Raucherkneipen51 vorsieht. Das Zurückbleiben einer RundfunkKrit. Oppermann, Deutschland (Fn. 1), S. 487. Krit. Schneider, Herr (Fn. 34), S. 1030 ff. 47 BVerfG, EuGRZ 2009, S. 339 (361 ff.); krit. Pache, Ende (Fn. 21), S. 288 ff. – Die ausgreifenden Obiter dicta im „eher ungewöhnlichen Aufbau“ (Pache, ebd., S. 288) unter C.I. der Urteilsgründe müssen deshalb nahezu zeitgleich mit der Entscheidung von den Mitarbeitern der Richter für Studenten als fallrelevant besonders erläutert werden, vgl. I. SchübelPfister / K. Kaiser, Das Lissabon-Urteil des BVerfG vom 30. 6. 2009 – Ein Leitfaden für Ausbildung und Praxis, JuS 2009, S. 767 ff.; allg. krit. zur Rolle des Begründungsabschnitts C.I. in den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts O. Lepsius, Was kann die deutsche Staatsrechtslehre von der amerikanischen Rechtswissenschaft lernen?, in: H. Schulze-Fielitz (Hrsg.), Staatsrechtslehre als Wissenschaft, 2007, S. 319 (354 ff.); ders., Zur Bindungswirkung von Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen, in: R. Scholz u. a. (Hrsg.), Realitätsprägung durch Verfassungsrecht, 2008, S. 103 (111 ff.). 48 BVerfGE 88, 203 (262). 49 BVerfG, JZ 2009, S. 255 (257 ff.) mit krit. Anm. O. Lepsius, S. 260 ff.; gegenläufig krit. aber K. Tipke, Mehr oder weniger Entscheidungsspielraum für den Steuergesetzgeber?, JZ 2009, S. 533 ff. 50 BVerfG (K), NJW 2002, S. 2699; übersichtlich zur Judikatur der Fachgerichte J. Kretschmer, Die menschen(un)würdige Unterbringung von Strafgefangenen, NJW 2009, S. 2406 ff. 51 BVerfGE 121, 317 (376 f.). 45 46

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gebührenerhöhung (in Höhe von 88 Cent) hinter einem von einer unabhängigen Kommission zur Überprüfung und Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten als erforderlich festgestellten Mehrbedarfs um 28 Cent wird so zu einer Verfassungsfrage52. Hier droht eine Hypertrophie der Verfassungsgerichtsbarkeit, die die Alternativen demokratischer Politikgestaltung sowohl politisch als auch rechtlich verengt, weil sie den politischen Spielraum des Gesetzgebers mehr verbal als real anerkennt und sich die funktionell-rechtlichen Grenzen der Verfassungsgerichtsbarkeit53 nicht mehr bewusst macht. Recht statt Politik – das kann in einer Demokratie auf Dauer nicht gut gehen54, mag das überaus hohe Vertrauen der Bürger in die Institution des Bundesverfassungsgerichts55 diese politische Selbstentmündigung derzeit auch hinnehmen oder gar rechtfertigen. Vielmehr wäre ein „Gebot der Rückverweisung an den politischen Prozess“56 näher zu konturieren, um nicht allein dem subjektiven Selbstverständnis der Richter zu vertrauen.

52 Vgl. BVerfGE 119, 181 (190 f., 229 ff.); krit. U. Volkmann, Leitbildorientierte Verfassungsanwendung, AöR 134 (2009), S. 157 (184); s. auch näher K.-E. Hain, Die zweite Gebührenentscheidung des Bundesverfassungsgerichts – Kontinuität in den Zeiten der Konvergenz, JZ 2008, S. 128 (132 f.), mit Kritik an Aussagen zur Vollindexierung beim Gebührenfestsetzungsverfahren. 53 Zu diesen Brohm, Funktion (Fn. 17), S. 9 f.; ausf. A. Rinken, in: E. Denninger u. a. (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (AK-GG), 3. Aufl. 2001, Vor Art. 93 Rn. 98 ff.; grundlegend H. Ehmke, Prinzipien der Verfassungsinterpretation, VVDStRL 20 (1963), S. 53 (74 ff.). 54 Teilweise selbstkritisch W. Hassemer, Politik aus Karlsruhe?, JZ 2008, S. 1 ff. 55 Vorländer, Deutschen (Fn. 43), S. 16; ders. / A. Brodocz, Das Vertrauen in das Bundesverfassungsgericht. Ergebnisse einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage, in: H. Vorländer (Hrsg.), Die Deutungsmacht der Verfassungsgerichtsbarkeit, 2006, S. 259 (261 ff.). 56 Volkmann, Verfassungsanwendung (Fn. 52), S. 193, für die dogmatische Arbeit mit Leitbildern; Schneider, Herr (Fn. 34), S. 1034; für knappere Entscheidungsgründe als Heilmittel Herzog, Strukturmängel (Fn. 3), S. 132 ff.

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b) Der übertriebene Legalismus Die starke Orientierung am Recht findet sich auch bei der gerichtlichen Kontrolle des Verwaltungshandelns und führt – wie im politischen Prozess – zu einem ausgesprochen legalistischen, am positiven Recht orientierten Denken. Was uns als Erfolg deutschen rechtsstaatlichen Denkens erscheint, die Kalkulierbarkeit und Kontrollierbarkeit staatlichen Handelns aufgrund seiner starken Verrechtlichung, entpuppt sich als ein deutscher Sonderweg in Europa mit „Pferdefüßen“. Die rechtsstaatlich geprägte, vom Bundesverfassungsgericht forcierte Wesentlichkeitstheorie etwa fördert eine wachsende Vergesetzlichung57 mit den Folgen einer Bürokratisierung und eines Wachstums von Verwaltungsgerichtsprozessen, mag sich jetzt auch Art. 290 Abs. 1 u. Abs. 2 Satz 2 AEUV dieser Position annähern58. Unbestimmte Rechtsbegriffe sind unter dem Regime der Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG gerichtlich voll überprüfbar59 und müssen möglichst genau generalisiert und konkretisiert werden; Ermessensspielräume sind rechtlich so stark eingebunden, dass vom Ermessen der Verwaltung kaum noch etwas übrigbleibt – insoweit, ungeachtet der neueren Tendenzen zur Verstärkung der gerichtlichen Kontrolldichte, abweichend von der gerichtlichen Verwaltungskontrolle in fast allen anderen europäischen Ländern60. Der Grundsatz des Vertrauensschutzes ist so stark ausgebaut, dass Gesetzgeber und Verwaltung nur noch mit hohen (Entschädigungs-)Kosten Neugestaltungen realisieren könnten – auch insoweit sind sowohl andere europäische Rechtsstaaten61 wie auch das Europäisches Gemeinschaftsrecht großKrit. Sodan, Kontinuität (Fn. 1), S. 547. Ähnlich EuGH, Rs. C-66 / 04, JZ 2006, S. 358 (Rn. 48). 59 Vgl. nur H. Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG I (Fn. 15), Art. 19 IV Rn. 116. 60 Mit Ausnahme Österreichs, vgl. übersichtlich E. Pache, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, 2001, S. 192 ff., 233 ff.; s. aber auch zur gegenläufigen neueren Konvergenzentwicklung in Europa T. von Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht, 2008, S. 128 ff., 134 ff. 57 58

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zügiger bzw. weniger ausgeformt62, indem sie bloße Erwartungen von Marktteilnehmern in die rechtlichen Rahmenbedingungen im Einzelfall regelmäßig geringer gewichten63. Der gesetzliche Richter nach Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG etwa muss in einer Präzision für jeden einzelnen Fall vorherbestimmbar sein, wie sie in Europa einmalig ist64. Das alles führt zu einer Sondersituation der deutschen Rechtsstaatlichkeit in Europa: Das Verwaltungsrecht ist in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union deutlich weniger detailliert durchnormiert – trotzdem gibt es im europäischen Vergleich kaum irgendwo ein größeres Misstrauen in die Verwaltung als in Deutschland. Die grundgesetzlichen Prinzipien und ihre spezifische Ausgestaltung in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts haben möglicherweise mit dazu beigetragen. c) Politische Eliten als Volksersatz? Die Ausschaltung des Volkes bei Verfassungsänderungen zeitigt manifeste Fehlentwicklungen des Grundgesetzes. Seit 1949 hat es (z. Zt.) 57 verfassungsändernde Gesetze gegeben, d. h. Änderungen der grundlegenden Maßstäbe für unser Gemeinwesen. Sie haben das Grundgesetz um weit über 200 Änderungen, Aufhebungen und Einfügungen bereichert, so dass sein Textumfang um deutlich mehr als die Hälfte gewachsen ist65. Das Grundgesetz liegt im internationalen Vergleich in 61 Ausf. J. Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht (1988), 2. Aufl. 2005, S. 849 ff., 1116 ff., 1129 ff. 62 Vgl. H. Schulze-Fielitz, in: H. Dreier (Hrsg.), GG-Kommentar, Band II, 2. Aufl. 2006, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 24, 28; Schwarze, Verwaltungsrecht (Fn. 61), S. XXVII ff.; ausf. K.-A. Schwarz, Vertrauensschutz als Verfassungsprinzip, 2002, S. 391 ff., 457 ff. 63 Krit. Schwarze, Verwaltungsrecht (Fn. 61), S. LXXX f.; s. auch T. von Danwitz, Verwaltungsrechtliches System und europäische Integration, 1996, S. 281 ff. 64 Vgl. nur H. Schulze-Fielitz, in: H. Dreier (Hrsg.), GG-Kommentar, Band III, 2. Aufl. 2008, Art. 101 Rn. 12, 50, 52. 65 Vgl. H. Hofmann, Änderungen des Grundgesetzes – Erfahrungen eines halben Jahrhunderts, in: FS für Thomas Raiser, 2005, S. 859 ff.

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der Spitzengruppe der Änderungshäufigkeit66; eine solche Änderungsquote widerspricht dem Wesen und den Aufgaben einer Verfassung67. Sie ist eine Folge der grundgesetzlichen Konstruktion, dass es für Verfassungsänderungen lediglich jeweils einer Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat bedarf; auf das Volk und seine Zustimmung kommt es nicht an68. Unter den parteipolitischen Rahmenbedingungen in Deutschland müssen sich deshalb nur die parteipolitischen Eliten der beiden großen politischen Parteien in Bundestag und Bundesrat einig sein – dann steht einer Grundgesetzänderung nichts mehr im Wege69. So betrachten die Politiker das Grundgesetz umstandslos als Fortsetzung der Gesetzgebung unter leicht erschwerten Mehrheitsbedingungen – mit der Folge, dass das Grundgesetz zunehmend den Charakter als Kodifikation des Grundlegenden im Unterschied zum einfachen Gesetz verliert70. Das ist nicht allein eine Frage des Stils oder der Ästhetik einer Verfassung71 oder eine Frage der Wahrnehmung des Grundgesetzes als ein „bloßes Instrument“72 im politischen Prozess mit der Folge der verfassungsrechtlichen Erschwerung eines Politikwechsels73. Solche Veränderungen Busch, Grundgesetz (Fn. 31), S. 564. Zu diesen zusammenfassend Schuppert / Bumke, Konstitutionalisierung (Fn. 19), S. 26 ff.; H. Schulze-Fielitz, Die deutsche Wiedervereinigung und das Grundgesetz. Zur Theorie und Praxis von Verfassungsentwicklungsprozessen, in: J. J. Hesse / G. F. Schuppert / K. Harms (Hrsg.), Verfassungsrecht und Verfassungspolitik in Umbruchzeiten, 1999, S. 65 (66 ff., 70 ff.). 68 Siehe zur normativen Lage oben bei Fn. 30 ff. 69 Siehe näher Dreier, Verfassungsänderung (Fn. 33), S. 401 ff.; Busch, Grundgesetz (Fn. 31), S 560 ff.: „Mythos von der schwierigen Änderbarkeit des Grundgesetzes“. 70 Grundsätzlich H. Maurer, Verfassungsänderung im Parteienstaat, in: FS für Martin Heckel, 1999, S. 821 ff. 71 Vgl. zur Kritik H.H. Klein, Ein erbärmliches Zeugnis, FAZ vom 7. 5. 2009, S. 8; s. bereits Maurer, Verfassungsänderung (Fn. 70), S. 822; A. Voßkuhle, Verfassungsstil und Verfassungsfunktion, AöR 119 (1994), S. 35 ff. 72 So C. Möllers, Vom Altern einer Verfassung: 60 Jahre Grundgesetz, APuZ 18 – 19 / 2009, S. 5 (7). 66 67

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sind vielmehr auch Symptome für Konstruktionsmängel des Grundgesetzes, das auf eine Beteiligung der Bürger an der Verfassungsänderung keinen Wert legt. Wie soll da ein Verfassungsgefühl des Volkes, ein Wille zur Verfassung entstehen74? Schon früher führte eine solche Fortschreibung parteipolitischer Kompromisse auf Verfassungsebene zur Aufblähung der Texte von Art. 13, 16 oder 23 GG, deren Fassung weithin als mit dem Wesen von Verfassungstexten unvereinbar kritisiert wird75. Jüngst erwies sich der einsame Kampf des Bundestagspräsidenten Norbert Lammert, das Grundgesetz vor einer Verschuldungsgrenze in der Textfassung des Vorschlages der Kommission der Föderalismuskommission II76 zu bewahren77, einmal mehr als eine Erscheinungsform der Folgen des Umstandes, dass Verfassungsänderungen nicht auf die Zustimmung des Volkes angewiesen sind. Leicht zu ändernde Verfassungen wie das Grundgesetz werden daher auch in Zukunft immer wieder Änderungen erfahren, wenn man sie nicht um die Möglichkeit eines zumindest fakultativen Verfassungsreferendums ergänzt78. 4. Zusammenfassung Die hier nur beispielhaft skizzierte einseitige Betonung der rechtsstaatlichen zu Lasten der demokratischen Elemente des Grundgesetzes ist ein Grundzug der deutschen Verfassungs73 Krit. Dreier, Grundlagen (Fn. 28), § 1 Rn. 70; D. Grimm, Wie man eine Verfassung verderben kann, in: ders., Die Verfassung und die Politik. Einsprüche in Störfällen, 2001, S. 126 (134 ff.). 74 So schon R. Steinberg, Verfassungspolitik und offene Verfassung, JZ 1980, S. 385 (392). 75 Z. B. Jekewitz, Grundgesetz (Fn. 1), S. 69; Dreier, Verfassungsänderung (Fn. 33), S. 404 f. 76 Vgl. zum Entwurf der neuen Art. 109 Abs. 3, 115 Abs. 2 und Art. 143d GG: BT-Drs. 16 / 12410. 77 Vgl. dazu etwa: Lammert: Schuldenbremse verunstaltet Grundgesetz, FAZ vom 23. 4. 2009, S. 1; G. Bannas, Westerwelles Volte, FAZ vom 30. 5. 2009, S. 2. 78 Busch, Grundgesetz (Fn. 31), S. 567, 570 f.

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geschichte79 und zeitigt negative Folgen: die Entmachtung des politisch-parlamentarischen Gesetzgebers und damit der Repräsentanten des Volkes, den rechtsstaatlichen Sonderweg der Deutschen in Europa ohne sichtbaren Gerechtigkeitsgewinn und den schleichenden Verlust des Charakters des Grundgesetzes als fundamentaler Grundordnung und einer dieser Fundamentalität entsprechenden Textgestaltung. III. Die verfassungsrechtliche Stellung der politischen Parteien 1. Der normative Tatbestand Art. 21 GG hat die politischen Parteien erstmals in der deutschen Verfassungsgeschichte konstitutionalisiert und gewährleistet nicht nur die Gründung von und die Mitwirkung in politischen Parteien, sondern enthält auch eine institutionelle Garantie von Parteien und ihren Funktionen80, wie sie im Parteiengesetz konkretisiert wird. Eine solche verfassungsrechtliche Verankerung gibt es nur in wenigen Ländern wie Portugal, Frankreich und neuerdings in der Schweiz, in abgeschwächter Form in Spanien81, Griechenland und Italien; in vielen Verfassungsstaaten gibt es überhaupt keine verfassungsrechtliche Institutionalisierung, z. B. in Großbritannien oder den Niederlanden, wohl aber einfache Parteiengesetze82, in 79 D. Grimm, Der Weg zur Musterverfassung, FAZ vom 22. 5. 2009, Beilage 60 Jahre Grundgesetz, S. 8. 80 Vgl. D. Th. Tsatsos, Die politische Partei und ihre Stellung im Verfassungsgefüge, in: ders. / D. Schefold / H.-P. Schneider (Hrsg.), Parteienrecht im europäischen Vergleich, 1990, S. 738 (775). 81 M. M. Guerrero, Grundlagen und Grundzüge staatlichen Verfassungsrechts: Spanien, in: von Bogdandy / Cruz Villalón / Huber, Handbuch (Fn. 5), § 11 Rn. 53. 82 Vgl. zu Österreich übersichtlich H. Schambeck, Sechzig Jahre Grundgesetz aus österreichischer Sicht, JöR 57 (2009), S. 71 (79 ff.); s. auch Wiederin, Grundlagen (Fn. 8), § 7 Rn. 73; zu Polen P. Tuleja, Grundlagen und Grundzüge staatlichen Verfassungsrechts: Polen, in: von Bogdandy / Cruz Villalón / Huber, Handbuch (Fn. 5), § 8 Rn. 66.

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den USA jedenfalls auf Bundesebene nicht einmal das83, aber auch nicht in Frankreich84. Diese starke Rechtsstellung spiegelt eine deutliche „Staatsnähe“ der politischen Parteien85 und bildet die Basis für ihre erhebliche öffentliche Finanzierung aus Haushaltsmitteln nach Maßgabe des Parteiengesetzes86; solche Staatssubventionen wurden 1957 von Puerto Rico erfunden, 1959 von Deutschland übernommen und breiteten sich dann aus, seitdem Schweden sich seit 1965 am deutschen Beispiel orientiert87. Das deutsche Recht regelt die Finanzierung der politischen Parteien im Sinne einer „Rosinentheorie“, indem es die Möglichkeit mittelbarer Parteienfinanzierung durch großzügige Steuervergünstigungen (wie in Amerika) zusätzlich mit einer unmittelbaren öffentlichen Finanzierung aus Haushaltsmitteln (wie in den kontinentaleuropäischen Ländern üblich) verknüpft88. Schon diese Kumulation sorgt im internationalen Vergleich dafür, dass die deutschen politischen Parteien zu den bestfinanzierten Parteien der Welt gehören. Hinzu kommt eine seit Jahrzehnten mangels absoluter Obergrenzen ständig steigende, überaus großzügige Finanzierung der Fraktionsarbeit in den Parlamenten89, die nicht immer eindeutig von der Parteienfinanzierung 83 Vgl. zu den USA die rechtsvergleichenden Hinweise bei P. Lösche, Die Parteieninstitution in den USA, in: D. Th. Tsatsos (Hrsg.), 30 Jahre Parteiengesetz in Deutschland, 2002, S. 262 ff. 84 Jouanjan, Grundlagen (Fn. 9), § 2 Rn. 102. 85 Anders Herzog, Strukturmängel (Fn. 3), S. 24 ff., für den das GG die Rolle der Parteien bei der Staatswillensbildung zu wenig anerkennt; ebenso F. Decker, Konstitutionelles versus parteiendemokratisches Parlamentarismusverständnis?, in: FS für Hans Herbert von Arnim, 2004, S. 553 (541 f.). 86 Vgl. zuletzt J. Ipsen, Der Staat der Mitte, 2009, S. 150 ff. = (gekürzt) ders., Grundgesetz (Fn. 1), S. 556 f. 87 K. v. Beyme, 30 Jahre Parteiengesetz – zum Stand der Parteienforschung, in: Tsatsos, Parteiengesetz (Fn. 83), S. 44 (44). 88 v. Beyme, Parteiengesetz (Fn. 87), S. 51. 89 Vgl. P. Cancik, Entgrenzungen – Der Streit um die Öffentlichkeitsarbeit der Fraktionen geht weiter, ZG 22 (2007), S. 349 (352 ff.); S. Hölscheidt, Die Finanzen der Bundestagsfraktionen, DÖV 2000, S. 712 ff.;

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abgegrenzt werden (kann)90, und erhebliche (vorgeblich) freiwillige finanzielle Abgaben der Abgeordneten an die Parteien91. Per saldo sind Abgeordnete mit einem Hilfsapparat ausgestattet, der ihnen gegenüber Parteigliederungen einen regelmäßig maßgeblichen Wissensvorsprung verschafft und so die innerparteiliche Willensbildung zusätzlich hierarchisiert. 2. Erklärungen Die starke verfassungsrechtliche Stellung der Parteien erklärt sich umstandslos daraus, dass eine solche rechtliche Hervorhebung – auch im internationalen Vergleich92 – vorzugsweise in Ländern mit schwacher oder unterbrochener demokratischer Tradition erfolgt ist: Die verfassungsrechtliche Normierung hat dort stark prospektiven Charakter, während Länder mit bewährten demokratischen Traditionen wie Großbritannien oder die Niederlande auf sie verzichten können93. Auch das Grundgesetz ist Ausdruck eines solchen Lernprozesses. Einerseits wollte es in Abkehr von der Parteiendiskreditierung schon zu Zeiten der Weimarer Republik und des Parteiabsolutismus durch die Einheitspartei der NSDAP die ausf. krit. H. Meyer, Das fehlfinanzierte Parlament, in: P. M. Huber / W. Mößle / M. Stock (Hrsg.), Zur Lage der parlamentarischen Demokratie, 1996, S. 17 (32 ff.). 90 Vgl. einerseits Cancik, Entgrenzungen (Fn. 89), S. 360 ff.; andererseits M. Heintzen, Die Trennung von staatlicher Fraktions- und staatlicher Parteienfinanzierung, DVBl. 2003, S. 706 ff.; s. dazu auch Meyer, Parlament (Fn. 89), S. 20 ff. 91 Siehe näher M. Morlok, in: Dreier, GG II (Fn. 62), Art. 21 Rn. 107. 92 Für Griechenland (unter dem Einfluss des GG): S.-I. G. Koutnatzis, Grundlagen und Grundzüge staatlichen Verfassungsrechts: Griechenland, in: von Bogdandy / Cruz Villalón / Huber, Handbuch (Fn. 5), § 3 Rn. 12. 93 So L. Helms, Die Institutionalisierung der liberalen Demokratie, 2007, S. 77. – In diesen Ländern gibt es auch eine öffentliche Parteienfinanzierung gar nicht (Großbritannien) oder erst seit 1999 (Niederlande), vgl. H. Naßmacher, Parteiensysteme und Parteienfinanzierung in Westeuropa, in: O. Niedermayer u. a. (Hrsg.), Die Parteiensysteme Westeuropas, 2006, S. 507 (508).

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pluralistische Gemeinwohlfunktion der Parteien hervorheben; das war auch sehr notwendig, wie man an empirischen Befunden zur – vorsichtig formuliert – zurückhaltenden Einstellung der Bevölkerung zu politischen Parteien und zum Parteiensystem deutlich machen kann94. Andererseits waren es die zu Zeiten der nationalsozialistischen Herrschaft Diskreditierten (nicht bloß einfach entnazifizierte Neudemokraten), etwa Mitglieder der zuvor verbotenen Parteien, Verfolgte des Naziregimes und zwischenzeitlich Emigrierte, denen als führende Parteipolitiker der moralische, politische und wirtschaftliche Wiederaufbau anvertraut war und anvertraut werden sollte. Die verfassungsrechtliche Stärkung der demokratischen politischen Parteien diente so dem Versuch einer Stärkung des (in Deutschland zuvor gescheiterten) demokratischen Regierungssystems. So konnte auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dessen richterliche Erstbesetzung zur Hälfte aus zur NS-Zeit Verfolgten und Emigranten bestand95, eine Traditionslinie begründen, die die rechtliche Stellung der Parteien stets stärkte – von ihrer prozessrechtlichen Stellung etwa auch als Beteiligte96 oder als Betroffene97 im verfassungsgerichtlichen Organstreitverfahren bis hin zur Art und Weise der Parteienfinanzierung durch Spenden98 und staatliche Teilfinanzierung99. Die Parteienstaatstheorie des jahrzehntelang 94 Siehe näher M. Kaase / S. Frank / E. Mochmann, Nach der Katastrophe – Anmerkungen zur Entwicklung des westdeutschen Parteiensystems in den fünfziger Jahren, in: Kaiser / Zittel, Demokratietheorie (Fn. 36), S. 265 (271 ff.); gleichsinnig E. Wolfrum, Die geglückte Demokratie, 2006, S. 59 ff. 95 Siehe näher J. Feest, Die Bundesrichter, in: Beiträge zur Analyse der deutschen Oberschicht, 2. Aufl. 1965, S. 95 (104 f.). 96 BVerfGE 4, 27 (27 ff.); 24, 260 (263); 24, 300 (329); 82, 322 (335); st. Rspr.; übersichtlich H. H. Klein, in: T. Maunz / G. Dürig u. a. (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar (Losebl.), Art. 21 (2005), Rn. 399 ff. 97 BVerfGE 66, 107 (115 f.); 67, 65 (69); 84, 290 (299); st. Rspr. 98 Vgl. BVerfGE 20, 56 (105); 52, 63 (86); 85, 264 (326); Morlok (Fn. 91), Art. 21 Rn. 47. 99 Vgl. BVerfGE 85, 264 (287 ff.); übersichtlich Morlok (Fn. 91), Art. 21 Rn. 43 ff., 66 ff., 98 ff.

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am Gericht wirkenden Richters Gerhard Leibholz, die die politischen Parteien als Volksersatz und damit als zentrale Bausteine der modernen Massendemokratie ansah100, überhöhte diese Rechtsprechung theoretisch und wurde ungeachtet gelegentlicher „Rücksetzer“ lange erfolgreich umgesetzt.

3. Folgeprobleme und Gefahren Mit der überaus starken Rechtsstellung der politischen Parteien korrespondiert – auch im europäischen Vergleich – eine besonders weitreichende Durchdringung nicht nur des Staates als des politischen Entscheidungssystems, wie es in der Konstruktion eines parlamentarischen, von den jeweiligen Mehrheitsfraktionen getragenen Regierungssystems ohnehin angelegt ist, sondern auch eher staatsferner Sektoren des Gemeinwesens101. Solches ist Anlass für eine breite Parteien-Kritik. Wer dabei die parteipolitische Färbung der Politik in nahezu jeder Beziehung skandalisiert102 oder Parteien als bloße Interessenvereine disqualifiziert103, droht eine unselige deutsche Tradition der Parteienkritik zu reanimieren, die das Gemeinwohl gegen die Parteien auszuspielen pflegt. Ein Wandel der Rolle der politischen Parteien war und ist zu einem großen Teil unerlässlich, um die (wahrscheinlich) gewachsenen Aufgaben politischer Führung erfüllen zu können104: Parteien100 G. Leibholz, Strukturprobleme der modernen Demokratie, 3. Aufl. 1967, S. 93 ff. u.ö.; zur Kritik Klein (Fn. 96), Art. 21 Rn. 181 ff. 101 So Helms, Institutionalisierung (Fn. 93), S. 78, unter Verweis auf Tsatsos, Stellung (Fn. 80), S. 779; M. Morlok, Für eine zweite Generation des Parteienrechts, in: Tsatsos, Parteiengesetz (Fn. 83), S. 53 (60 f.). 102 Siehe näher z. B. H. H. v. Arnim, Parteien in der Kritik, DÖV 2007, S. 221 ff.; ders., Staat ohne Diener, 1995; ders., Der Staat als Beute, 1993; s. auch gleichsinnig W. Franz, Dilettanten im Amt, 2007. 103 So W. Leisner, 2009: Wählen nach „Interessen“, nicht nach Parteien – Demokratie nach realem Bürgerbedürfnis, NJW 2009, S. 1464 ff.; s. auch Oppermann, Deutschland (Fn. 1), S. 489; krit. Ipsen, Staat (Fn. 86), S. 143 ff., 164 ff. 104 Gleichsinnig wie hier: Morlok, Generation (Fn. 101), S. 54 f. m. w. N.

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kritik schlägt ganz schnell (und unter Umständen ungewollt) in Kritik am demokratischen System um105, „Parteiverdrossenheit“106 gerät dann faktisch zu einem Synonym für Demokratieverdrossenheit. Indessen gibt es historisch keine reale Demokratie ohne die Existenz mehrerer politischer Parteien, lassen sich die Veränderungen der politischen Parteien auch ohne „Krisen“-Vokabular analysieren107. Dennoch ist die allgegenwärtige und strukturell im Wesen der Macht angelegte ständige Ausdehnung der Einflusssphären der politischen Parteien durchaus kritikwürdig, wie sich an Beispielen zeigen lässt. a) Ämterpatronage? Verfassungsrechtlich wird als Folgeproblem oder Gefahr vor allem die Ämterpatronage durch politische Parteien – und sei es nur in Form der Versorgungspatronage – diskutiert108. Hier ist rechtlich zu differenzieren: Wo Inhaber von Staatsämtern Entscheidungen als Ausdruck politischer Machtausübung zu treffen haben, liegt es in der Logik der parteienstaatlich geprägten Demokratie, dass auch parteipolitische Proporz- oder Vertrauensüberlegungen im Blick auf diese Entscheidungsträger Raum greifen. Deshalb ist z. B. die durch parteipolitische Proporzüberlegungen geprägte Auswahl von 105 Siehe schon H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie (2. Aufl. 1929), in: ders., Verteidigung der Demokratie, hrsg. v. M. Jestaedt und O. Lepsius, 2006, S. 149 (172). 106 Krit. Ipsen, Staat (Fn. 86), S. 166; empirische Argumente gegen eine weit verbreitete „Parteienverdrossenheit“ bei O. Niedermayer, Die Wähler bröckeln: Zur Veränderung der Wählerschaft und der Parteimitgliedschaft, in: Adolf-Arndt-Kreis (Hrsg.), Parteien ohne Volk, 2008, S. 21 (31 ff.). 107 Vgl. nur D. Grimm, Parteien(mit)wirkung: Parteien zwischen verfassungsrechtlichem Anspruch und politischer Wirklichkeit, in: AdolfArndt-Kreis, Parteien (Fn. 106), S. 9 ff.; L. Helms, Gibt es eine Krise des Parteienstaates in Deutschland?, in: Merkel / Busch, Demokratie (Fn. 31), S. 435 (438 ff., 448 ff.). 108 Siehe zuletzt M. Dippel, Ämterpatronage durch politische Parteien, NordÖR 2009, S. 102 ff. m. w. N.

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Richtern des Bundesverfassungsgerichts angesichts der großen politischen Tragweite ihrer Entscheidungen verfassungsrechtlich mit Art. 33 Abs. 2 GG vereinbar. Das gilt ebenso für die Regeln der Besetzung hoher politischer Beamtenstellen wie Staatssekretäre als Behördenleiter mit Personen, denen die Spitzenpolitiker auch parteipolitisch vertrauen können109. Wo indessen parteipolitisch neutrale staatliche oder halbstaatliche Institutionen parteipolitisiert werden, wird der Wettbewerb zwischen den Parteien verzerrt, die verfassungsrechtlich vorgegebene Gewaltenteilung unterlaufen und die Sachlogik gesellschaftlicher Teilsysteme in Distanz zur parteipolitischen Orientierung am Machtgewinn gestärkt110. Solche Entwicklungen indizieren, dass das parteipolitische Führungspersonal sich nicht immer der ihm gezogenen rechtlichen Grenzen bewusst ist. Ein aktuelles Beispiel ist Glied einer langjährigen Kette solcher parteipolitischen Fehlgriffe111 i. S. einer „Eskalationslogik in einer Wettbewerbssituation“112, nämlich der Versuch des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch, als (dafür durchaus befugtes) Mitglied des ZDFVerwaltungsrats mit Hilfe des dortigen Freundeskreises der CDU-Mitglieder die Verlängerung des Vertrages des Chefredakteurs Nikolaus Brender zu verhindern113: Hier wird den Gesamtumständen nach offenkundig der Verwaltungsrat zu einem Instrument für etwas gemacht, das die Konstruktion der Führungs- und Aufsichtsstrukturen in öffentlich-recht109 Siehe näher zuletzt H.-U. Derlien, Die politische und administrative Elite der Bundesrepublik, in: W. Jann / K. König (Hrsg.), Regieren zu Beginn des 21. Jahrhunderts, 2008, S. 291 (317 ff., 324 ff.); undifferenziert a. A. Dippel, Ämterpatronage (Fn. 108), S. 104 ff.; W. Franz, Staatssekretäre und das Leistungsprinzip – Ein Bereich massiven Rechtsbruchs der politischen Klasse, ZBR 2008, S. 236 ff. 110 Morlok, Generation (Fn. 101), S. 61. 111 Morlok, Generation (Fn. 101), S. 60, 62 f. 112 Morlok, Generation (Fn. 101), S. 57. 113 Vgl. etwa F. Schirrmacher, Angriff auf das ZDF, FAZ vom 10. 3. 2009, S. 1; H. von der Tann, Der Intendant muss klagen, FAZ vom 8. 7. 2009, S. 27.

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lichen Rundfunkanstalten gerade verhindern soll – nämlich für parteipolitisch motivierte Einflussnahme von Regierungsmitgliedern und politischen Parteien auf die Unabhängigkeit der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. b) Verluste der Fähigkeit zu demokratischer Responsivität? Bedenkenswerter erscheint die Frage, ob die weitgehende finanzielle Unabhängigkeit (besonders) der (etablierten) politischen Parteien von ihrer Mitgliederschaft nicht die politischen Parteien bei ihren Aufgaben schwächt, als Transformatoren bei der Willensbildung des Volkes mitzuwirken114, jedenfalls unter den Rahmenbedingungen und Traditionen in Deutschland115. Auch wenn dieser Zusammenhang ausweislich der abweichenden Erfahrungen in skandinavischen Ländern nicht im Sinne einer Monokausalität zwingend sein mag116, so könnte doch die finanzielle Stärke der politischen Parteien und ihrer Parlamentsfraktionen mit ihren Folgen für die Organisation der Parteien und für die Medialisierung der Wahlkämpfe eine gewisse selbstgenügsame Unabhängigkeit der Parteiführungen (einschließlich der hauptberuflichen Mitarbeiter) und der gewählten Abgeordneten von der Mitgliederschaft in sachlicher Hinsicht fördern, die die Responsivität der Parteien gegenüber den Willensäußerungen im Volk 114 Vgl. zu diesem Parteienleitbild des BVerfG Volkmann, Verfassungsanwendung (Fn. 52), S. 165 f. 115 Vgl. U. v. Alemann, Das Parteiensystem der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. 2001, S. 178 ff.; zu internationalen Parallelentwicklungen E. Wiesendahl / U. Jun / O. Niedermayer, Die Zukunft der Mitgliederparteien auf dem Prüfstand, in: U. Jun / O. Niedermayer / E. Wiesendahl (Hrsg.), Zukunft der Mitgliederpartei, 2009, S. 9 (22 f.). 116 Vgl. Helms, Institutionalisierung (Fn. 93), S. 79, mit (irreführendem) Hinweis auf Naßmacher, Parteiensysteme (Fn. 93), S. 509, der zufolge die öffentliche Parteienfinanzierung nicht dazu führt, dass dominante Parteien ihre Positionen festigen; ausf. aber E. Wiesendahl, Mitgliederparteien am Ende?, 2006, S. 133 ff., der die unveränderte Wichtigkeit der Beitragsfinanzierung belegt.

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schwächt. Dem korrespondiert der Umstand, dass seit den 1980er Jahren ein säkularer Mitgliederschwund die politischen Parteien zu Parteien von Berufspolitikern macht117 und andererseits die Zahl der Nichtwähler deutlich ansteigt118. Gibt es dafür aktuelle Indizien? Man braucht sich als Beispiel für solche Gefahren nur daran erinnern, in welch geschlossener Form die hessische SPD im vergangenen Jahr einen ersichtlich in der Wahlbevölkerung unakzeptablen Meinungsschwenk ihrer Führungspolitiker („Wortbruch“)119 wochenlang mit 90-Prozent-Mehrheiten innerparteilich zu realisieren suchte, um hier erhebliche Distanzen zu vermuten120. Wer das für eine parteipolitisch einseitige Stellungnahme hält, braucht nur einmal an die Reaktion der CSU auf die Niederlage bei den Wahlen zum bayerischen Landtag im Jahre 2008 zu denken: Es regiert nun ein Ministerpräsident Horst Seehofer, der vor den Landtagswahlen als Bundesminister gar nicht für ein solches Amt kandidiert hatte, und der eine Politik verfolgt, die offenbar Defizite in der Wahrnehmung der Willensäußerungen der Bevölkerung zu revidieren sucht, die innerparteilich zuvor keinen Niederschlag gefunden hatten (Stichworte: Nichtrauchergesetz, Verwaltungsreform, Bildungspolitik). Das geschieht indes auf eine Art und Weise, die sich vor allem an spezifischen Interessengruppen orientiert121; das lässt die Transformationsfunktion der CSU als politischer Partei im Prozess der Mitwirkung an der politischen Willensbildung des Volkes nicht unbedingt stark aussehen. Nimmt 117 M. Haas / U. Jun / O. Niedermayer, Die Parteien und Parteiensysteme der Bundesländer – Eine Einführung, in: U. Jun / M. Haas / O. Niedermayer (Hrsg.), Parteien und Parteiensysteme in den deutschen Ländern, 2008, S. 9 (13); v. Beyme, Parteiengesetz (Fn. 87), S. 48; zur empirischen Entwicklung O. Niedermayer, Parteimitgliedschaften im Jahre 2008, ZParl 40 (2009), S. 370 ff. 118 Aktuelle Übersicht: Niedermayer, Wähler (Fn. 106), S. 21 ff., 26 ff. 119 Krit. etwa W. Schmitt Glaeser, Über Tendenzen zur Unterwanderung unserer Verfassung, JöR 57 (2009), S. 39 (41 ff.). 120 Vgl. dazu auch V. Zastrow, Die Vier: eine Intrige, 2009. 121 Vgl. am Beispiel der grünen Gentechnik pars pro toto: A. Schäffer, Ein Wunder politischer Logopädie, FAZ vom 3. 5. 2009, S. 8.

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man beide Beispiele als Symptome für tiefer liegende Prozesse, dann liegt es nahe, die Möglichkeit von grundsätzlicheren Krisen des Parteiensystems ins Auge zu fassen. Vielleicht überfordern wir die politischen Parteien als tragende Säulen bei der Auswahl des politischen Führungspersonals und der inhaltlichen Politikgestaltung. Denn einerseits gehen die Mitgliederzahlen und die Aktivitäten innerparteilicher Demokratie tendenziell zurück, andererseits verlässt sich die Bevölkerung in einem zunehmenden privatistisch-individualisierten Rückzug im Zeichen der Megatrends von Individualisierung, Erosion gesellschaftlicher Milieus und postmaterialistischem Wertewandel122 darauf, jene professionellen Parteienvertreter in staatlichen Führungsämtern würden „es schon richten“. Das durchaus nicht unberechtigte Vertrauen in die Kraft von Berufspolitikern123 ist jedenfalls in der Geschichte des Grundgesetzes noch nicht in wirklichen Schlechtwetterperioden erfolgreich erprobt worden. Die Zukunft erscheint insoweit offen. 4. Zusammenfassung Das Grundgesetz hat zu Recht eine Parteiendemokratie konstitutionalisiert, in der die politischen Parteien eine sehr starke rechtliche Stellung erhalten haben. Es hat so ein funktionierendes Parteiensystem mit geschaffen. Zugleich fördert dieses eine Tendenz zur Ausdehnung der Einflussnahme der durch Wahlen in Machtpositionen befindlichen politischen Parteien weit in Staat und Gesellschaft hinein mit der Gefahr, dass die politischen Parteien und ihre Führer mit ihren Aufgaben überfordert werden oder sie sich im innerparteilichen demokratischen Prozess von der Breite der Parteimitgliederschaft abkoppeln. 122 Vgl. Grimm, Parteien(mit)wirkung (Fn. 107), S. 12; ausf. dazu Wiesendahl, Mitgliederparteien (Fn. 116), S. 74 ff. bzw. 81 ff. 123 Vgl. R. Lorenz / M. Micus, Wunderknaben der Nation? Politische Seiteneinsteiger im Parteienstaat, Universitas 2009, S. 803 (805 ff., 810 ff.); E. Wiesendahl, Zum Tätigkeits- und Anforderungsprofil von Politikern, in: FS für Hans Herbert von Arnim, 2004, S. 167 (180 ff.).

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IV. Die verfassungsrechtliche Labilität des Bundesstaates 1. Die verfassungsrechtliche Lage des deutschen Bundesstaats Der deutsche Bundesstaat (als institutionelle Ausprägung des Föderalismus als eines pluralistisch geprägten Organisationsprinzips) ist wie alle Bundesstaaten ein historisches Unikat124 und verfassungsrechtlich labil125. Indiz dafür ist der Umstand, dass jedenfalls mehr als die Hälfte aller Änderungen des Grundgesetzes126 unmittelbar oder mittelbar das Verhältnis von Bund und Ländern betreffen, das offenbar im Spannungsverhältnis von Einheit und Differenzierung, von zentralisierter Unitarisierung und Dezentralisierung immer wieder neu austariert werden muss127, keineswegs nur, aber auch an124 Zuletzt J. Jekewitz, Wettbewerbsföderalismus – ein modisches Schlagwort, in: FS für Michael Bothe, 2009, S. 1132 (1132), mit Verweisen auf M. Jestaedt, Bundesstaat als Verfassungsprinzip, HStR II, 3. Aufl. 2004, § 29 Rn. 1; gleichsinnig W. Rudolf, Kooperation im Bundesstaat, HStR VI, 3. Aufl. 2008, § 141 Rn. 1; s. bereits J. Isensee, Idee und Gestalt des Föderalismus im Grundgesetz, ebd. § 126 Rn. 5. 125 So begrifflich schon R. Thoma, Das Reich als Bundesstaat (1930), in: ders., Rechtsstaat (Fn. 27), S. 258 (275, 279); aufgenommen von BVerfGE 1, 14 (48), aber (anders als hier) jeweils nur bezogen auf die (fehlende) Bestandsgarantie der einzelnen Länder. 126 Jekewitz, Grundgesetz (Fn. 1), S. 71: „geschätzte Zweidrittel aller bisherigen Verfassungsänderungen“; schon bei den bis Ende 1997 ergangenen 44 GG-Änderungsgesetzen hatten mindestens 35 einen mittelbaren oder unmittelbaren Bundesstaatsbezug, so A. Bauer / M. Jestaedt, Das Grundgesetz im Wortlaut, 1997, S. 34. 127 A. Busch, Verfassungspolitik: Stabilität und permanentes Austarieren, in: M. G. Schmidt / R. Zohlnhöfer (Hrsg.), Regieren in der Bundesrepublik Deutschland, 2006, S. 33 (42 ff., 48, 53); (nur) mit dieser Einschränkung lässt sich sagen, dass sich die bundesstaatliche Ordnung in ihrer Grundkonzeption bewährt hat, so Sodan, Kontinuität (Fn. 1), S. 550, in Anknüpfung an H. Bauer, Entwicklungstendenzen und Perspektiven des Föderalismus in der Bundesrepublik Deutschland, DÖV 2002, S. 837 (845); s. auch H. Schulze-Fielitz, Stärkung des Bundesstaates durch Herabzonung von Gesetzgebungskompetenzen?, in: H.-G. Henneke (Hrsg.), Verantwortungsteilung zwischen Kommunen, Ländern, Bund und Europäischer Union, 2001, S. 117 ff.

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gesichts epochaler Herausforderungen durch die Wiedervereinigung und Europäisierung. Ein wesentlicher Grund ist die faktische Heterogenität der Länder und deren Unausgewogenheit im Gesamtgefüge des Bundesstaates Bundesrepublik Deutschland, auch wenn solche Asymmetrien zum Wesen des Föderalismus gehören128. Das gilt für ihre Größe (von knapp 18 Mill. Einwohnern in Nordrhein-Westfalen bis 0,66 Mill. Einwohnern in Bremen), für ihre historische (Neu-)Begründung (von dem nach 1945 fast unveränderten Zuschnitt Bayerns oder Hamburgs bis zu den historischen Kunstgebilden ohne gewachsene Identitäten wie Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, aber auch Sachsen-Anhalt129), oder für ihre wirtschaftliche Leistungskraft, die nach der Wiedervereinigung noch heterogener wurde (mit den Polen auf einer Skala von BadenWürttemberg bis Mecklenburg-Vorpommern). Trotz dieser Ungleichheit haben alle Länder, anders als noch im Kaiserreich oder in manch anderen Bundesstaaten, dieselbe gleiche Rechtsstellung im Bundesstaat130. Ein zweiter Grund für die Labilität des Bundesstaates ist die starke Stellung der Länder im Gesetzgebungsprozess des Bundes. Generell gilt für Bundesstaaten mit föderalen Strukturen, dass die Länder einen außerordentlich großen Einfluss auf den politischen Prozess und die anderen politischen Institutionen ausüben131. In Deutschland erfolgt die Einflussnahme über den Bundesrat als dem Bundesorgan zur Vertretung der Länderinteressen bei der Gesetzgebung des Bundes auf eine sehr spezifische Weise, nämlich nicht durch vom Volk gewählte 128 Vgl. K. v. Beyme, Die Asymmetrisierung des postmodernen Föderalismus, in: R. Mayntz / W. Streeck (Hrsg.), Die Reformierbarkeit der Demokratie, 2003, S. 239 ff. 129 Vgl. nur v. Beyme, Asymmetrisierung (Fn. 128), S. 246; ausf. Beispiele in M. Kilian (Hrsg.), Sachsen-Anhalt. Land der Mitte – Land im Aufbau, 2002. 130 Vgl. H. Bauer, in: Dreier, GG II (Fn. 62), Art. 20 (Bundesstaat) Rn. 37: „föderative Gleichheit“. 131 Helms, Institutionalisierung (Fn. 93), S. 193.

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Senatoren, sondern durch die von den Landesregierungen benannten weisungsabhängigen Vertreter der Exekutive im Sinne eines „Exekutivföderalismus“. Das gibt den Ländern eine auch im internationalen Vergleich besonders starke Vertretungsmacht132 und führt zu ständigen Einigungszwängen für Bund und Länder und ihre Regierungen im Sinne einer ständigen „Großen Koalition“, deren Inhalte immer wieder neu verhandelt werden. Drittens ist die föderale Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland, wie in vielen anderen Bundesstaaten, bis heute von einem starken Trend zur Unitarisierung geprägt, Ausdruck eines bis in das 19. Jahrhundert zurückführbaren Entwicklungspfades: Er gründet schon im Beitrag des liberalen Bürgertums zum Bismarckschen Verfassungskompromiss133. Die Bevölkerung heute favorisiert seit Beginn der Nachkriegszeit eine Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im Bundesstaat134. Die Politik aller Bundesregierungen und die entsprechenden zentralen Partei- und Verbändesysteme135 haben dem weithin entsprochen – unterstützt von Verfassungsänderungen und von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die eine zentrale bundeseinheitliche Wahrnehmung der Gesetzgebungskompetenzen förderte136, wie sie schon die Übergangsregelungen des Art. 125 GG implizierte, und so das in 132 E. Grande, Parteiensysteme und Föderalismus. Institutionelle Strukturmuster und politische Dynamiken im internationalen Vergleich, in: A. Benz / G. Lehmbruch (Hrsg.), Föderalismus, 2002, S. 179 (198). 133 Ausf. G. Lehmbruch, Der unitarische Bundesstaat in Deutschland: Pfadabhängigkeit und Wandel, in: Benz / Lehmbruch, Föderalismus (Fn. 132), S. 53 (69, 80 ff.). 134 S. etwa G. Lehmbruch, Verhandlungsdemokratie, Entscheidungsblockade und Arenenverflechtung, in: Merkel / Busch, Demokratie (Fn. 31), S. 402 (410); krit. zuletzt A. Gauland, 60 Jahre Grundgesetz, ZSE 7 (2009), S. 323 (326). 135 Vgl. G. Lehmbruch, Das deutsche Verbändesystem zwischen Unitarismus und Föderalismus, in: Mayntz / Streeck, Reformierbarkeit (Fn. 128), S. 259 ff. 136 BVerfGE 13, 230 (233 f.); s. auch 106, 62 (135 ff.); R. Stettner, in: H. Dreier (Hrsg.), GG. Supplementum 2007, Art. 72 Rn. 17 f.

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Art. 30, 70 GG angelegte Bild verkehrte. Als 1994 der verfassungsändernde Gesetzgeber durch Verschärfung der Voraussetzungen der Bedürfnisklausel des Art. 72 Abs. 2 GG gegenzusteuern suchte, indem die Erforderlichkeit eines Bundesgesetzes auf Feldern der konkurrierenden Gesetzgebung an strengere und justitiable Bedingungen geknüpft wurde, und das Bundesverfassungsgericht diesen Umsteuerungsversuch ernst nahm137, machte der verfassungsändernde Gesetzgeber von 2006 die Änderungen zu Gunsten des Bundes großteils wieder rückgängig138. Diese Veränderungen lassen, entgegen dem äußeren Anschein (marginaler) Kompetenzverlagerungen auf die Länder, eher den Bund als Gewinner der Föderalismusreform von 2006 erscheinen und führen zu neuen Erscheinungsformen eines asymmetrischen Verbundföderalismus139. Nichts anderes gilt für die Verfassungsänderungen nach Maßgabe der Resultate der Föderalismuskommission II im Jahre 2009: Sie verfehlen ihre Ziele im Bereich der Verwaltung140, klammern das zentrale Problem einer klaren Zuordnung von Steuergesetzgebungskompetenzen aus141 und führen im Bereich der Finanzen durch neue Verflechtungen zu einer Stärkung des Bundes zulasten der Länder142. Überdies suchen auch die Länderregierungen in einer Vielfalt von Verhandlungsprozeduren nach Abstimmung untereinander i. S. von Einstimmigkeit bei der Suche nach einheit137 BVerfGE 106, 62 (135 ff.); 110, 141 (174 ff.); 111, 226 (252 ff., 265 ff.); 112, 226 (242 ff.); s. zuletzt näher C. Heitsch, Die asymmetrische Neuverflechtung der Kompetenzordnung durch die deutsche „Föderalismusreform I“, JöR 57 (2009), S. 333 (334 ff.). 138 Sachs, Grundgesetz (Fn. 1), S. 1443; Schneider, Herr (Fn. 34), S. 1024 f. 139 Heitsch, Neuverflechtung (Fn. 137), S. 358. 140 Vgl. I. Kemmler, Schuldenbremse und Benchmarking im Bundesstaat, DÖV 2009, S. 549 (550 f.). 141 Siehe auch C. Lenz / E. Burgbacher, Die neue Schuldenbremse im Grundgesetz, NJW 2009, S. 2561 (2567). 142 Kemmler, Schuldenbremse (Fn. 140), S. 551 f., 556, 557; S. Korioth, Das neue Staatsschuldenrecht – zur zweiten Stufe der Föderalismusreform, JZ 2009, S. 729 (732).

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lichen Regelungen; man denke an Vereinbarungen der Ministerkonferenzen, etwa die der Kultusministerkonferenz. Solche Lösungen sind oft nicht konfliktfrei zu finden. Vor allem auch der im Bundesstaat erforderliche Finanzausgleich ist eine Quelle für immer neue Konflikte; das Bundesverfassungsgericht ist hier schon oft als Schiedsrichter aufgetreten143, ohne dass in der Sache ein dauerhafter Abschluss möglich wäre. So folgt eine Föderalismusreform der nächsten, nach der Reform ist stets vor der Reform: Per saldo ist die bundesstaatliche Ordnung eine Art „Dauerbaustelle“144. 2. Erklärungen Die bundesstaatliche Struktur des Grundgesetzes ist erstens eine unmittelbare Antwort auf den zentralisierten Einheitsstaat des Nationalsozialismus, der durch Gleichschaltung der Länder föderale gewaltenteilige Traditionen in Deutschland abgeschafft hatte, aber auch auf die Dominanz Preußens im Kaiserreich und in der Weimarer Republik. Unter den alliierten Besatzungsmächten lag insbesondere den Amerikanern mit ihrem positiven föderal-bundesstaatlichen Erfahrungshintergrund sehr daran, diesen Zentralismus abzulösen, der nach ihren Erfahrungen allgemein eine Gefahr für Pluralismus und Demokratie darstellte. Die Aktivitäten der Alliierten, den deutschen Staat nach dem Kriegsende von unten, das heißt von den Ländern (und vor allem in der britischen Zone von den Kommunen) her aufzubauen, trafen positiv einerseits auf eine schon im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation gewachsene und im 19. Jahrhundert ausgebildete Tradition, die zwar nicht eigentlich i. e. S. föderalistisch geprägt war, an 143 BVerfGE 72, 330 (383 ff.); 86, 148 (211 ff.); 101, 158 (214 ff.); s. auch 116, 327 (377); W. Heun, in: Dreier, GG III (Fn. 64), Art. 107 Rn. 7 ff., 14 ff., 22 ff. 144 Bauer (Fn. 130), Art. 20 (Bundesstaat) Rn. 11; ähnlich A. Benz, Lehren aus entwicklungsgeschichtlichen und vergleichenden Analysen – Thesen zur aktuellen Föderalismusdiskussion, in: ders. / Lehmbruch, Föderalismus (Fn. 132), S. 391 (400).

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die die territoriale Neugliederung aber anknüpfen und sie zugleich neu gestalten konnte; die Wiedervereinigung mit den neuen Ländern (statt der Bezirke der DDR) hat die identitätsstiftende oder zumindest identitätsfördernde Wirkmächtigkeit der Territorien erneut sichtbar gemacht. Die Politik der Föderalisierung traf andererseits auf eine seit dem Westfälischen Frieden von 1648 angelegte Konstitutionalisierung von Verhandlungssystemen mit dem Ziel gütlicher Übereinkunft, durch die (nicht nur religiöse) Minderheiten nicht einfach durch Mehrheitsbeschluss überstimmt werden145. Durch die konkrete grundgesetzliche Konstruktion des Bundesstaats wurden die Verhandlungsnotwendigkeiten wesentlich verstärkt, obwohl sie doch scheinbar nur historischen Pfaden folgte: Denn die Auflösung des einst dominanten Preußens nach 1945 führte zu einer größeren Zahl gleichgewichtiger Länder mit heterogenen Interessenlagen, die nun nach bundesstaatlichen Aushandlungsprozessen verlangten, während jene Interessendivergenzen früher als interne Probleme Preußens auch landesintern gelöst werden mussten146. Die exekutivische Prägung des Bundesrates folgte den vordemokratischen Traditionen des Kaiserreiches (beziehungsweise schon des Norddeutschen Bundes)147, hatte Bismarck doch den Bundesrat – in Anknüpfung an ältere deutsche Verfassungstraditionen – als Barriere gegen die Parlamentarisierung konzipiert148. Die starken Veto-Positionen des Bundesrates bei der Gesetzgebung waren schon in der Weimarer Verfassung vorgezeichnet, wenn auch jetzt modifiziert: Die Notwendigkeit einer absoluten statt einfachen Mehrheit bei Zustimmungsgesetzen war 1949 neu, die Notwendigkeit einer Z. B. Lehmbruch, Verhandlungsdemokratie (Fn. 134), S. 406 ff. Lehmbruch, Verhandlungsdemokratie (Fn. 134), S. 409 f.; ausf. ders., Bundesstaat (Fn. 133), S. 70, 98 ff., 102 f. 147 Vgl. zur Entstehungsgeschichte auch R. Morsey, Die Entstehung des Bundesrates im Parlamentarischen Rat, in: Deutscher Bundesrat (Hrsg.), Der Bundesrat als Verfassungsorgan und politische Kraft, 1974, S. 63 ff. 148 Lehmbruch, Bundesstaat (Fn. 133), S. 83 ff. 145 146

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einheitlichen Abgabe der Stimmen eines Landes blieb unverändert. Ebenso kannte schon die Paulskirchenverfassung die Zentralisierung der Gesetzgebungskompetenzen auf der Reichsebene, die der Verwaltungskompetenzen auf der mitgliedstaatlichen Ebene. Diese Föderalisierungspolitik in Anknüpfung an scheinbar bewährte Verfassungstraditionen unter gewandelten Rahmenbedingungen führte von Anfang an zur Ausbildung und Organisation eines bundesstaatlichen Verhandlungssystems mit dem Bundesrat als Angelpunkt149. 3. Folgeprobleme und Gefahren Die eigenartige Konstruktion des Bundesstaats nach dem Grundgesetz führt dazu, dass die Spannungen zwischen den gegenläufigen Kräften im Föderalismus nicht einseitig aufgelöst, sondern in einer labilen Gleichgewichtslage auch rechtlich immer wieder neu ausgestaltet werden müssen. Die (theoretischen) Vorteile bundesstaatlicher Konkurrenz im Sinne eines Wettbewerbsföderalismus werden durch die konsensuale Praxis der Länder im Sinne eines kooperativen Föderalismus ständig konterkariert, Konfrontation und Konflikte durch Kooperation und Verständigung gemildert. Im Bundesstaat des Grundgesetzes verbinden sich so, politikwissenschaftlich betrachtet, zwei unterschiedliche, miteinander nicht unmittelbar kompatible „Funktionslogiken“: erstens das parlamentarische Regierungssystem mit seiner Orientierung am konflikthaft-polarisierenden Wettbewerb zwischen der Regierung und den Mehrheitsfraktionen einerseits und den Oppositionsfraktionen andererseits sowie zweitens das auf Verhandlungen und Konsens abstellende bundesstaatliche System der Konfliktbewältigung mit seinem Zwang zur Einigung zwischen den Landesregierungen150. Beide Funktionslogiken werden aber in Lehmbruch, Bundesstaat (Fn. 133), S. 85 f. Vgl. zuletzt A. Benz, Ein gordischer Knoten der Politikwissenschaft? Zur Vereinbarkeit von Föderalismus und Demokratie, PVS 50 (2009), S. 3 (9 f.); ders., Demokratiereform durch Föderalisierung?, in: Offe, Demo149 150

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der Parteiendemokratie übergreifend von denselben Spitzenpolitikern aus den divergierenden politischen Parteien wahrgenommen: Sie stehen sich auf Bundesebene im Bundestag als Regierung und Opposition, das heißt als Wettbewerber gegenüber, treten im „kooperativen Föderalismus“ oder „Verbundföderalismus“, institutionell auch im Bundesrat, aber als Verhandlungspartner untereinander und gegenüber dem Bund als Konsenssuchende auf151. Das führt – wie in allen Bundesstaaten – zu verschiedenen Erscheinungsformen einer politischen Verflechtung im Blick auf Kompetenzen, Ressourcen und Entscheidungen, die speziell im „informalen Verfassungsstaat“152 unter den Rahmenbedingungen des Grundgesetzes in parteipolitischen Verhandlungsgremien vereinfacht und zu kleingearbeiteten Kompromissen vorabgeklärt werden (müssen) – mit spezifischen Folgegefahren dieser „Politikverflechtungsfalle“153 für die Reform- und Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland als Bundesstaat154; diese können freilich je nach demokratietheoretischem Vorverständnis sehr unterschiedlich bewertet werden155. a) Zunehmende Bundesratsblockaden? Die Abstimmungsmodalitäten im Bundesrat unterliegen schon immer den Imperativen der Parteienkonkurrenz156; sie werden die Handlungsfähigkeit des Bundesgesetzgebers zukratisierung (Fn. 38), S. 169 (175 ff.); F. W. Scharpf, Föderalismusreform, 2009, S. 46 f.; Helms, Institutionalisierung (Fn. 93), S. 201 f.; grundlegend G. Lehmbruch, Parteienwettbewerb im Bundesstaat, 3. Aufl. 2000. 151 Vgl. Grande, Parteiensysteme (Fn. 132), S. 201 f. 152 Vgl. H. Schulze-Fielitz, Der informale Verfassungsstaat, 1984. 153 Grundlegend F. W. Scharpf, Die Politikverflechtungsfalle: Europäische Integration und deutscher Föderalismus im Vergleich, PVS 26 (1985), S. 323 ff. 154 Übersichtlich Helms, Institutionalisierung (Fn. 93), S. 204 ff.; Benz, Demokratiereform (Fn. 150), S. 178 f. 155 Jekewitz, Wettbewerbsföderalismus (Fn. 124), S. 1134 f. 156 Kritik: H. Abromeit, Der verkappte Einheitsstaat, 1992, S. 59 ff.

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nehmend erschweren157. Unter den Bedingungen eines sich entwickelnden stärker fragmentierten Sechs-Parteien-Systems158 tragen zunehmend politische Parteien als Koalitionspartner Länderregierungen mit, die auf Bundesebene nicht der Regierungsmehrheit angehören. Folgerichtig führt das Abstimmungsverhalten im Bundesrat aufgrund von Koalitionsvereinbarungen auf Länderebene dazu, dass sich Landesregierungen bei Uneinigkeit im Bundesrat der Stimme enthalten; solche Enthaltungen wirken wegen der Notwendigkeit der absoluten Mehrheit bei Zustimmungsgesetzen aber wie NeinStimmen. Die Pluralisierung des Parteiensystems wird so die Bundesgesetzgebung zunehmend erschweren oder blockieren und den politischen Inkrementalismus fördern159. b) Verflechtungsprobleme Damit wird das Problem der „Politikverflechtung“ verschärft, so sehr eine solche ein allgemeines und unvermeidliches Merkmal föderativer Systeme ist160, auch in angelsächsischen Ländern161. Diese Verflechtung gründet in der gegenseitigen Abhängigkeit von Bund und Ländern besonders bei der Gesetzgebung. Bei den Gesetzgebungskompetenzen hat der Bund durch Grundgesetzänderungen die Bundeskompetenz zwar ausweiten können; dieses ging aber von Anfang an mit weitgehenden Zustimmungsrechten des Bundesrates bei Zustimmungsgesetzen einher. Auch in der Finanzverfas157 Vgl. K. Niclauß, Die Bundesregierung im Verfassungssystem, APuZ 18 – 19 / 2009, S. 33 (39 f.). 158 Vgl. zuletzt U. Jun, Wandel des Parteien- und Verbändesystems, APuZ 28 / 2009, S. 28 ff. 159 Benz, Knoten (Fn. 150), S. 17 f.; s. auch Bryde, Grundgesetz (Fn. 1), S. 476; K. Detterbeck / W. Renzsch, Symmetrien und Asymmetrien im bundesdeutschen Parteienwettbewerb, in: Jun / Haas / Niedermayer, Parteien (Fn. 117), S. 39 ff. 160 Grande, Parteiensysteme (Fn. 132), S. 197. 161 Vgl. schon M. Bothe, Die Entwicklung des Föderalismus in den angelsächsischen Staaten, JöR 31 (1982), S. 109 (166).

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sung ist der Bund für die Einnahmegesetze von der Zustimmung des Bundesrates oder von gemeinsamen Planungen oder Verwaltungsvereinbarungen mit den Ländern abhängig; andererseits haben die Länder praktisch keine eigenen Steuergesetzgebungskompetenzen, so dass eine vergleichsweise hohe Einnahmenverflechtung besteht162. Bund und Länder sind so in allen wesentlichen innenpolitischen Fragen voneinander abhängig. Der darin angelegte Verzicht auf autonome Handlungsmöglichkeiten fördert, wie sich empirisch belegen lässt163, eine mangelnde Effektivität etwa in der Konjunktur- und Strukturpolitik. Diese Verflechtungsprobleme verschärfen sich bei divergierenden parteipolitischen Mehrheitskonstellationen in Bundestag und Bundesrat, wie sie zur Normalität der Bundesrepublik Deutschland gehören; diese führen zur parteipolitischen Instrumentalisierung des Bundesrates, wie die Entstehung der bis heute gängigen Unterscheidung in A-Länder und B-Länder (= SPD-geführte bzw. CDU / CSU-geführte Länder) zu Zeiten der sozialliberalen Koalition in den 1970er Jahren signalisiert, und erschweren in zentralen umstrittenen Fragen eine Kompromissfindung, auch wenn die institutionellen Eigeninteressen der Länder solche Vereinnahmung des Bundesrates abschwächen können164. Mit diesem spezifisch „deutschen Dilemma“ (Roland Czada) als Schattenseite des Bundesstaates165 verbunden ist die Folge eines signifikanten Anstiegs der Aktivitäten des Vermittlungsausschusses von Bundestag und Bundesrat, die freilich gegenwärtig wegen der mit der Großen Koalition verbundenen Mehrheitsverhältnisse selten sind166. Sie führen zwar im Regelfall nicht zu völligen Blockaden der Bundesgesetzgebung, aber zu – suboptimalen Grande, Parteiensysteme (Fn. 132), S. 199. Scharpf, Föderalismusreform (Fn. 150), S. 30 ff. 164 Grande, Parteiensysteme (Fn. 132), S. 202. 165 So Decker, Parlamentarismusverständnis (Fn. 85), S. 548 f. 166 Siehe aber zum BKA-Gesetz nach einem Vermittlungsverfahren: BKA-Gesetz kann in Kraft treten, FAZ vom 20. 12. 2008, S. 2. 162 163

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und daher stets kritisierbaren – Kompromissen; deren Ergebnisse weichen mitunter als Folge eines populären Überbietungswettbewerbs von den ursprünglichen Absichten der Bundesregierung weit ab oder führen zu widersprüchlichen Kompromisslösungen mit geringer Problemlösungskapazität167. Manche sehen darin strukturell gar eine Reformunfähigkeit deutscher Politik angelegt, was sich (nur) begrenzt belegen lässt; vielmehr werden die Defizite, die aus den hohen Entscheidungskosten bei der Politikverflechtung resultieren, wohl eher überschätzt168. Die Hoffnung auf absehbare grundlegende verfassungspolitische Änderungen dürften jedenfalls vergeblich sein – tiefgreifende Veränderungen des bundesstaatlichen Gefüges einschließlich von Länderneugliederungen hat es im deutschen Föderalismus bislang immer nur in Krisensituationen nach kriegerischen Auseinandersetzungen gegeben: 1815, 1867 – 1871, 1918 und nach 1945169. c) Die Intransparenz politischer Verantwortlichkeit Ein weiteres (Folge-)Problem dieses deutschen Beteiligungsföderalismus ist die Intransparenz politischer Verantwortlichkeit. Die starke Stellung des Bundesrates bei der Mitwirkung an der Gesetzgebung führt häufig zu Gesetzgebungskompromissen „in letzter Minute“, namentlich im vertraulich tagenden Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundes167 S. Burkhart, Blockierte Politik, 2008, S. 117 ff., 127 ff.; zum Beispiel der Schlussphase der Regierung Kohl 1997 / 98 während der 13. Legislaturperiode Lehmbruch, Verhandlungsdemokratie (Fn. 134), S. 414 ff. 168 So Benz, Lehren (Fn. 144), S. 392 f.; ähnlich Grande, Parteiensysteme (Fn. 132), S. 202. – Das macht sie nicht bedeutungslos: So soll z. B. die vorgezogene Neuwahl in Schleswig-Holstein am 27. 9. 2009 mit der konkreten Perspektive einer Ablösung der Großen Koalition in Kiel durch eine CDU / FDP-Regierungsmehrheit auch davon motiviert sein, nach der Bundestagswahl am 27. 9. 2009 einer etwaigen „schwarz-gelben“ Regierungsmehrheit im Bund eine parteipolitische Mehrheit auch im Bundesrat zu sichern, vgl. ausf. S. Funk / S. Haselberger, Mit der Mehrheit rechnen, Der Tagesspiegel vom 17. 7. 2009. 169 Vgl. Lehmbruch, Bundesstaat (Fn. 133), S. 70 f.

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rat, für dessen Ergebnisse niemandem eine klare Verantwortung zugeschrieben werden kann; die Bürger können für ihr politisches Wahlverhalten keine Folgerungen ziehen und sind so an politischen Sanktionen gehindert. Damit verbunden ist ein Prozess der Zentralisierung der Entscheidungen im Bundesrat bei den Länderregierungen, die die Landesparlamente in eine Ratifikationslage drängt und zur politischen Wirkungslosigkeit verdammt. Auch die interföderalen, an Einstimmigkeit orientierten Gremien wie die Ministerkonferenzen lassen die Kompromissstrukturen und die Verantwortlichkeiten bei der Einigung auf einen „kleinsten Nenner“ oft nicht erkennen. Diese bundesstaatliche Intransparenz hat insoweit latente Rückwirkungen auf die Funktionsfähigkeit von Wahlen im parlamentarischen Regierungssystem auf den Ebenen von Bund und Ländern. 4. Zusammenfassung Die grundgesetzliche Konstruktion des Bundesstaats führt zu einer starken Verflechtung der Entscheidungsebenen. Sie führt seit Jahrzehnten einerseits zu kooperativen Verhandlungslösungen mit breit konsentierten Kompromissen oft einer „informellen“ Großen Koalition und scheint andererseits zugleich die Reform- und Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland zu schwächen, weil die Suche nach einem Konsens zu großen Koalitionen auf Basis jeweils eines kleinsten gemeinsamen Nenners führt; sie erschwert angesichts der Intransparenz parteipolitischer Konfliktlinien und Verantwortlichkeiten die Erkennbarkeit von Alternativen und lässt damit bei politischen Wahlen demokratische Alternativen undeutlich werden.

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V. Ausblick: Die Kenntnis der Schwächen als Voraussetzung von Stärken 60 Jahre Grundgesetzentwicklung folgen der Pfadabhängigkeit einer geschichtlichen Logik, die sich nicht einfach verändern, geschweige umkehren, sondern allenfalls behutsam umsteuern lässt – im Zusammenspiel von Verfassungspolitik und Verfassungsrechtsprechung. Aber es ist die spezifische, kritische Aufgabe der Wissenschaft, Probleme zu benennen und zu antizipieren – darin unterscheidet sie sich von der Politik, die vor allem auf Legitimationsbeschaffung zielt. Die drei Beispiele sollten solche Probleme verdeutlichen – manch andere „Schattenseite“ muss ausgeklammert bleiben170. Man kann in diesem Sinne gleichwohl nur wünschen, dass sich das Grundgesetz auch weiterhin bewährt – zumal in Krisenzeiten, von denen die Bundesrepublik unter der Geltung des Grundgesetzes bislang weithin verschont geblieben ist171. Aber für das Grundgesetz gilt wie für jeden Einzelnen auch: Nur wer seine Schwächen kennt, kann sich seiner Stärken bewusst werden und sie ausspielen.

170 Man denke an die Versteinerung des Öffentlichen Dienstes durch die „hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums“ im Sinne von Art. 33 Abs. 5 GG in der Ausformung durch Rechtsprechung und Lehre, vgl. sehr kritisch zuletzt J. Kühling, Hergebrachte Grundsätze, Myops 6 / 2009, S. 55 ff.; Schneider, Herr (Fn. 34), S. 1026 f.; ausf. J. Masing, in: Dreier, GG II (Fn. 62), Art. 33 Rn. 59, 71 ff. 171 Vgl. P. Lerche, „Bewährung“ des Grundgesetzes?, in: FS für Roman Herzog, 2009, S. 265 ff.

Methodenlehre und Grundgesetz Von Ralf P. Schenke I. Einleitung Herr Schulze-Fielitz hat gerade die dunklen Seiten des Grundgesetzes beleuchtet1. Ob man das Thema „Methodenlehre und Grundgesetz“ eher auf der Licht- oder auf der Schattenseite der rechts- und verfassungspolitischen Entwicklung der letzten sechs Jahrzehnte verortet, ist hingegen von der gewählten Perspektive und auch davon abhängig, wie man das Thema zuschneidet. Unter der Überschrift „Methodenlehre und Grundgesetz“ kann man sowohl die Entwicklung der Methodik der Verfassungsinterpretation2, aber auch den Einfluss analysieren, den das Verfassungsrecht auf die Methodik der Auslegung und Fortbildung des einfachen Gesetzesrechts ausgeübt hat3. 1 Schulze-Fielitz, Schattenseiten des Grundgesetzes, in diesem Bande S. 9 ff. 2 Aus der kaum zu überblickenden Literatur etwa Würtenberger, Auslegung von Verfassungsrecht – realistisch betrachtet, in: Bohnert / u. a. (Hrsg.), FS Hollerbach, 2001, S. 223 ff.; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 20. Aufl. 1999, Rn. 49 ff.; Hollerbach, Auflösung der rechtsstaatlichen Verfassung?, AöR 85 (1960), S. 241 ff.; Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung entwickelt am Problem der Verfassungsinterpretation, 2. Aufl. 1976; Böckenförde, Die Methoden der Verfassungsinterpretation, NJW 1976, S. 2089 ff.; Häberle, Die offene Gesellschaft der Verfassungsinterpreten, JZ 1975, S. 297 ff.; zuletzt Volkmann, Leitbildorientierte Verfassungsauslegung, AöR 134 (2009), S. 158 ff. 3 In der rechtsmethodischen Literatur wird dieser Einfluss überwiegend unter dem Topos der verfassungskonformen Auslegung behandelt; dazu etwa Voßkuhle, Theorie und Praxis der verfassungskonformen Auslegung von Gesetzen durch Fachgerichte, AöR 125 (2000), S. 177 ff.; Geis, Die „Eilversammlung“ als Bewährungsprobe verfassungskonformer Aus-

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Im Folgenden werde ich mich auf den zweiten Aspekt, d. h. die Methodik des einfachen Gesetzesrechts konzentrieren4. Da beide Komplexe eng miteinander verwoben sind, wird es trotz dieser thematischen Eingrenzung aber immer wieder notwendig sein, mehr als nur einen Seitenblick auf die Methodik der Verfassungsinterpretation selbst zu werfen. Aus öffentlich-rechtlicher Sicht umschreibt das von mir so verstandene Thema „Methodenlehre und Grundgesetz“ dann ohne Zweifel eine Erfolgsgeschichte. Denn während frühere Darstellungen zur juristischen Methodenlehre, allen voran der Lehrbuchklassiker von Karl Larenz, weitgehend ohne verfassungsrechtlichen Unterbau auskamen5, werden in der neueren Literatur Methodenfragen ganz überwiegend als Verfassungsfragen gedeutet6. legung, NVwZ 1992, S. 1025 ff.; Zippelius, Verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen, in: Starck (Hrsg.), FG 25 Jahre BVerfG, Bd. 2, 1976, S. 108 ff.; Roth, Die verfassungsrechtliche Überprüfung verfassungskonformer Auslegung im Wege der abstrakten Normenkontrolle, NVwZ 1998, S. 563 ff. 4 Dazu aus der jüngeren monographischen und Lehrbuchliteratur etwa R. P. Schenke, Die Rechtsfindung im Steuerrecht, 2007, S. 50 ff.; Röhl / Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3. Aufl. 2008, S. 613 ff.; Rüthers, Rechtstheorie, 4. Aufl. 2008, Rn. 696 ff.; Zippelius, Juristische Methodenlehre, 10. Aufl. 2006, S. 42 ff.; Looschelders / Roth, Juristische Methodik im Prozeß der Rechtsanwendung, 1996, S. 119 ff.; Seiler, Auslegung als Normkonkretisierung, 2000, S. 26 ff. 5 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991; Bartholomeyczik, Die Kunst der Gesetzesauslegung, 1951. 6 Vgl. etwa A. Leisner, Objektive Gesetzesinterpretation, in: Demel / u. a. (Hrsg.), Funktionen und Kontrolle der Gewalten, 2000, S. 33 ff.; Koch / Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 1982, S. 254 ff.; Hillgruber, Richterliche Rechtsfortbildung als Verfassungsproblem, JZ 1996, S. 118 ff.; Röthel, Verfassungsprivatrecht aus Richterhand?, JuS 2001, S. 424 ff.; Rüthers, Methodenrealismus in Jurisprudenz und Justiz, JZ 2006, S. 53 (60); J. Ipsen, Verfassungsrechtliche Schranken des Richterrechts, DVBl. 1984, S. 1102 (1103); Michael, Der allgemeine Gleichheitssatz als Methodennorm komparativer Systeme, 1997, S. 17; Vogel, Diskussionsbeitrag: Die Bindung des Richters an Gesetz und Verfassung, VVDStRL 34 (1976), S. 94 f.; Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, 1978, S. 207 ff.; ders., Richterliche Rechtsfortbildung und Verfassungsrecht, ZGR 1988, S. 314 ff.

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Ziel meines Vortrages ist es darzulegen, wie es zu dieser verfassungsrechtlichen Überformung der Methodenlehre gekommen und wie diese verfassungsrechtlich und rechtstheoretisch zu bewerten ist. Dabei wird sich zeigen, dass die juristische Methodenlehre der Konstitutionalisierung zwar viel zu verdanken hat, der Anspruch, die Lösung rechtsmethodischer Probleme allein aus der Verfassung abzuleiten, aber auch an Grenzen stößt, die eine partielle Neuorientierung erfordern. Gegliedert habe ich meinen weiteren Vortrag in vier Abschnitte. Nach einleitenden Bemerkungen zum Prozess der Konstitutionalisierung der Rechtsordnung werde ich im dritten Teil analysieren, in welchen Etappen sich speziell die Konstitutionalisierung der Methodenlehre vollzogen hat. Im vierten Teil soll diese Entwicklung bewertet und zuletzt im fünften Abschnitt nach einer möglichen Alternative Ausschau gehalten werden.

II. Die Konstitutionalisierung der Rechtsordnung Das Phänomen der Konstitutionalisierung ist so allgegenwärtig, dass es an dieser Stelle nicht im Einzelnen vorgestellt, sondern nur noch einmal in Erinnerung gerufen werden muss7. Konstitutionalisierung der Rechtsordnung bedeutet, Rechtsprobleme vorrangig aus einer verfassungsrechtlichen Perspektive zu betrachten8. Institutionelle Voraussetzung für die Konstitutionalisierung war und ist die starke Stellung des Bundesverfassungsge7 Schuppert / Bumke, Die Konstitutionalisierung der Rechtsordnung, 2000, S. 9 ff.; jüngst Knauff, Konstitutionalisierung im inner- und überstaatlichen Recht, ZaöRV 68 (2008), S. 453 ff. 8 Hierzu kritisch Wahl, Der Vorrang der Verfassung und die Selbständigkeit des Gesetzesrechts, NVwZ 1984, S. 401 (406 ff., 409); ders., Der Vorrang der Verfassung, Der Staat 20 (1981), S. 485 (502 ff.); Böckenförde, Zur Lage der Grundrechtsdogmatik nach 40 Jahren Grundgesetz, 1990, S. 60 ff.; Jestaedt, Grundrechtsentfaltung im Gesetz, 1999, S. 54 ff.

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richts9. Vor allem das Institut der Verfassungsbeschwerde (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, §§ 13 Nr. 8a, 90 ff. BVerfGG), die umfassende Grundrechtsbindung aller drei Gewalten (Art. 1 Abs. 3 GG) sowie der Vorrang der Verfassung (Art. 20 Abs. 3 HS. 1 GG) haben dem Gericht weitreichende Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet, die es vielfach offensiv und selbstbewusst genutzt hat. Die Auswirkungen bzw. Folgen der Konstitutionalisierung sind letztlich in allen Teilen der Rechtsordnung zu besichtigen. So haben wir uns am 60. Jahrestag des Grundgesetzes längst daran gewöhnt, dass über miet-, sozial-, steuer-, polizei- oder etwa auch familienrechtliche Fragestellungen anhand von Maßstäben entschieden wird, die weder vom einfachen Gesetzgeber, der Fachgerichtsbarkeit noch von der Fachrechtsdogmatik entwickelt, sondern durch das Bundesverfassungsgericht vorgegeben wurden10. Dass die erzielten Ergebnisse in der Regel konsensfähig, vernünftig und rational begründet sind, wird man in vielen Fällen kaum in Abrede stellen können und bildet die Grundlage des vielbeschworenen Verfassungspatriotismus11. Zumindest prekär bleibt aber die demokratische Legitimation des verfassungsrechtlichen Richterrechts12. Karlsruhe kann sich in seiner Rechtsprechung ja nur auf die in höchstem Maße konkretisierungsbedürftigen Normen des Grundgesetzes stützen. Diese sind in aller Regel aber ganz unterschiedlichen normativen Deutungen zugänglich13. Zudem werden sie nicht nur 9 Vgl. nur Knauff, Konstitutionalisierung (FN 7), S. 478; Schuppert / Bumke, Konstitutionalisierung (FN 7), S. 48 ff. 10 Siehe auch Rüthers, Geleugneter Richterstaat und vernebelte Richtermacht, NJW 2005, S. 2759 ff.; exemplarisch aus der Rechtsprechung etwa BVerfG, NJW 2009, S. 2431 ff. zur strafprozessualen Sicherstellung und Beschlagnahme von E-Mails. 11 Habermas, Staatsbürgerschaft und nationale Identität, in: ders., Faktizität und Geltung, 1998, S. 632 (642 f.); Sternberger, Verfassungspatriotismus, 1990. 12 Siehe hierzu allgemein Voßkuhle / Sydow, Die demokratische Legitimation des Richters, JZ 2002, S. 673 ff. 13 Zippelius / Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, 32. Aufl. 2008, § 7 Rn. 32; Schuppert / Bumke, Konstitutionalisierung (FN 7), S. 49.

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durch das BVerfG, sondern vorrangig durch den einfachen Gesetzgeber, die Verwaltung und die Fachgerichtsbarkeit konkretisiert. Die Entscheidungen, die innerhalb der beiden Senate des BVerfG getroffen werden, können im politischen Prozess hingegen kaum mehr korrigiert werden. Dies leistet nicht nur einer latenten Abwertung des Gesetzgebers Vorschub, sondern schwächt auch die Fachgerichtsbarkeit wie die Fachrechtsdogmatik14, die an die verfassungsrechtlichen Vorgaben aus Karlsruhe gebunden sind, selbst wenn sich diese nur schwer in die gewachsenen dogmatischen Strukturen eines Rechtsgebietes einfügen lassen. Wo sich das BVerfG über die Verfassungskonkretisierungen der anderen Gewalten hinwegsetzt, hat dies dem Gericht daher immer wieder den Vorwurf eingehandelt, einer Richteroligarchie Vorschub zu leisten15 oder sogar den Weg in den verfassungsgerichtlichen Jurisdiktionsstaat zu beschreiten16. III. Die zwei Phasen der verfassungsrechtlichen Überformung der Methodenlehre Wie ich im Folgenden darlegen will, hat die Konstitutionalisierung auch nicht vor der juristischen Methodenlehre selbst Halt gemacht. Vielmehr ist die Konstitutionalisierung der Methodenlehre gleichermaßen Produkt wie Wegbereiter der Konstitutionalisierung der Rechtsordnung geworden. 14 Vgl. Schuppert / Bumke, Konstitutionalisierung (FN 7), S. 55 ff.; Kunig, Verfassungsrecht und einfaches Recht – Verfassungsgerichtsbarkeit und Fachgerichtsbarkeit, VVDStRL 61 (2002), S. 34 (36 f.); Hermes, Verfassungsrecht und einfaches Recht – Verfassungsgerichtsbarkeit und Fachgerichtsbarkeit, VVDStRL 61 (2002), S. 119 (141 f.); siehe auch W.-R. Schenke, Verfassungsgerichtsbarkeit und Fachgerichtsbarkeit, 1987, S. 41. 15 Brohm, Die Funktion des BVerfG – Oligarchie in der Demokratie?, NJW 2001, S. 1 ff. 16 So Böckenförde, Grundrechte als Grundsatznormen, in: ders., Staat, Verfassung, Demokratie, 2. Aufl. 1992, S. 159 (194).

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Konstitutionalisierung der Methodenlehre bedeutet, die Regeln der Rechtsfindung ihrerseits verfassungsrechtlich zu überformen und Methodenlehre als konkretisiertes Verfassungsrecht zu begreifen. Zugegebenermaßen etwas holzschnittartig lassen sich im Prozess der Konstitutionalisierung der Methodenlehre zwei Phasen unterscheiden. 1. Konstitutionalisierung der Methodenlehre als Garant der Sicherung des Verfassungsvorrangs Die erste Phase der Konstitutionalisierung ist durch eine Indienstnahme der Methodenlehre für die Sicherung des Verfassungsvorrangs bestimmt und hat unserer Methodenlehre die neuen Rechtsfiguren der verfassungskonformen Auslegung17 wie der verfassungskonformen Rechtsfortbildung beschert. a) Das Wohnungsbau-Urteil (BVerfGE 1, 299 ff.) Den Auftakt dieser Entwicklung markiert ein vielzitiertes Urteil aus dem ersten Entscheidungsband des Bundesverfassungsgerichts zum Wohnungsbaugesetz18. Gegenstand und Anlass des Rechtsstreits sind heute nur noch von rechtshistorischem Interesse und müssen an dieser Stelle nicht im Einzelnen dargestellt werden. In rechtsmethodischer Hinsicht 17 Von der verfassungskonformen wird vielfach noch eine verfassungsorientierte Auslegung unterschieden, bei der es primär darum gehen soll, Interpretationsspielräume im Einklang mit den Grundentscheidungen der Verfassung auszufüllen (vgl. Bumke / Voßkuhle, Casebook Verfassungsrecht, 5. Aufl. 2008, S. 40 f.; Schlaich / Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, 7. Aufl. 2007, Rn. 448). Zumindest auf Grundlage einer expansiven Verfassungstheorie, die für die Rechtsprechung des BVerfG kennzeichnend ist, verschwimmen die Grenzen zwischen beiden Instituten aber weitgehend, weil die Missachtung verfassungsrechtlicher Wertentscheidungen unmittelbar das Verdikt der Rechts- und Verfassungswidrigkeit nach sich zieht. 18 BVerfGE 1, 299 ff.

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kam dieser Entscheidung aber eine kaum zu überschätzende Bedeutung zu, weil das BVerfG erstmalig Position zu der uralten Streitfrage nach dem Ziel der Norminterpretation bezogen hat19. Hier stehen sich seit jeher die subjektive und die objektive Theorie gegenüber. Die subjektive Theorie ist auf die Verwirklichung des Willens des historischen Gesetzgebers gerichtet20. Nach der objektiven Theorie soll dagegen der objektive Wille des Gesetzes verwirklicht werden21, der auch klüger als der historische Gesetzgeber selbst sein kann22. Be19 Dazu statt vieler nur Jestaedt, Grundrechtsentfaltung (FN 8), S. 329 ff.; von Arnauld, Möglichkeiten und Grenzen dynamischer Interpretation von Rechtsnormen, Rechtstheorie 32 (2001), S. 465 ff.; Hassold, Wille des Gesetzgebers oder objektiver Sinn des Gesetzes, ZZP 94 (1981), S. 192 ff. 20 von Arnauld, Möglichkeiten (FN 19), S. 471 ff.; Jestaedt, Grundrechtsentfaltung (FN 8), S. 331, 333; Rüthers, Rechtstheorie (FN 4), Rn. 796, 806 ff.; Hassold, Wille (FN 19), S. 210; ders., Strukturen der Gesetzesauslegung, in: Canaris (Hrsg.), FS Larenz, 1983, S. 199 (217); Bund, Die Analogie als Begründungsmethode im deutschen Recht der Gegenwart, ZvglRWiss 1978, S. 115 (119 f.); Walter, Das Auslegungsproblem im Lichte der Reinen Rechtslehre, in: Kohlmann (Hrsg.), FS Klug, Bd. I, 1983, S. 187 (192 ff.); ders., Die Entwicklung der Reinen Rechtslehre und das Auslegungsproblem, ARSP Beiheft 20 (1984), S. 129 (131 ff.); Jabloner, Die Gesetzesmaterialien als Mittel der historischen Auslegung, in: Hengstschläger / u. a. (Hrsg.), FS Schambeck, 1994, S. 441 (442 ff.); Säcker, in: Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Bd. 1, 3. Aufl. 1993, Einl. Rn. 65; Looschelders / Roth, Methodik (FN 4), S. 66; Neuner, Die Rechtsfindung contra legem, 1992, S. 103 f.; Starck, Die Bindung des Richters an Gesetz und Verfassung, VVDStRL 34 (1976), S. 43 (72); Stoll, Begriff und Konstruktion in der Lehre der Interessenjurisprudenz, in: ders. (Hrsg.), FG Heck / Rümelin / Schmidt, 1931, S. 153 (164). 21 BFHE 62, 316 (319); 71, 179 (182); Hirsch, Der Richter wird’s schon richten, ZRP 2006, S. 161; ders., Auf dem Weg zum Richterstaat?, JZ 2007, S. 853 (855); Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, 3. Aufl. 1999, Rn. 3c ff., 368 ff.; Radbruch, Rechtsphilosophie, 5. Aufl. 1956, S. 210 ff.; Jakobs, Strafrecht, AT, 2. Aufl. 1991, 4. Abschn. Rn. 21; Maurer, Staatsrecht, 5. Aufl. 2007, § 1 Rn. 49; Sachs, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 5. Aufl. 2009, Einf. Rn. 37; Riecken, Verfassungsgerichtsbarkeit in der Demokratie, 2003, S. 372. 22 Vgl. Radbruch, Rechtsphilosophie (FN 21), S. 211; siehe auch A. Kaufmann, Analogie und „Natur der Sache“, 2. Aufl. 1982, S. 41; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, 2. Aufl. 1984, S. 125; kritisch zu dem damit verbundenen Autonomieanspruch etwa Säcker (FN 20), Einl. Rn. 82.

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kanntlich hat sich das BVerfG in der Wohnungsbau-Entscheidung für die objektive Theorie ausgesprochen23: Für die „Auslegung einer Gesetzesvorschrift [sei] der in dieser zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers“ maßgebend, „so wie er sich aus dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung und dem Sinnzusammenhang“ ergebe. Nicht entscheidend sollen dagegen die subjektiven Vorstellungen der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe oder einzelner ihrer Mitglieder sein. Der Entstehungsgeschichte komme für die Bestimmung des Norminhaltes nur insofern Bedeutung zu, als sie „die Richtigkeit einer nach den angegebenen Grundsätzen ermittelten Auslegung bestätige“24. Damit hatte das BVerfG eine erste wichtige Weichenstellung für die weitere rechtsmethodische Entwicklung vorgenommen. Indem die historisch-genetische Auslegung in ihrer Bedeutung abgewertet wurde, hat das Gericht bewusst oder unbewusst die Steuerungskraft des parlamentarischen Gesetzgebers geschwächt. Folge dieser Schwächung sind erweiterte Möglichkeiten der Interpreten, den Normtext mit Sinngehalten anzureichern, an die der historische Gesetzgeber zunächst nicht gedacht hat25. Dies bietet zwar einerseits die Chance, das Gesetz in denkendem Gehorsam an sich verändernde tatsächliche oder rechtliche Gegebenheiten anzupassen, wirft aber andererseits die Frage auf, wie Änderungen des Norminhaltes ohne Änderungen des Normtextes zu legitimieren sind.

23 Vgl. BVerfGE 1, 299 (312); 11, 126 (130 f.); 45, 272 (288); 48, 246 (256); 53, 207 (212); 105, 135 (157); siehe auch BVerfGE 34, 269 (288): »Die Auslegung einer Gesetzesnorm kann nicht immer auf die Dauer bei dem ihr zu ihrer Entstehungszeit beigelegten Sinn stehenbleiben. Es ist zu berücksichtigen, welche vernünftige Funktion sie im Zeitpunkt der Anwendung haben kann«. 24 Vgl. BVerfGE 1, 299 (312). 25 Rüthers, Richterstaat (FN 10), S. 2760.

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b) Das Lüth-Urteil (BVerfGE 7, 198 ff.) Die Frage, an welchen normativen Geboten sich die Rechtsanwendung auszurichten hat, wurde dann durch das 1958 getroffene Lüth-Urteil beantwortet26. In der Entscheidung löste sich das BVerfG von einer rein abwehrrechtlichen Deutung der Grundrechte. Seit dem Lüth-Urteil interpretiert es die Grundrechte in ständiger Rechtsprechung als Elemente einer objektiven Wertordnung27, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts gelten soll28. Folge dieser Neu- bzw. Umdeutung ist ein quasi universeller Geltungsanspruch der Grundrechte29. Dieser Geltungsanspruch beschränkt sich nicht mehr allein auf das Staat-BürgerVerhältnis, sondern durchdringt alle Bereiche der Rechtsordnung. Dazu gehört insbesondere auch das Zivilrecht, erst recht aber die behördliche wie die richterliche Tätigkeit in normativen Freiräumen30. In die Rechtspraxis umgesetzt wird diese Forderung durch die verfassungskonforme Auslegung von Generalklauseln des einfachen Gesetzesrechts31. Der Sache nach war mit dem Lüth-Urteil damit der Primat verfassungsrechtlicher Wertentscheidungen für die Auslegung des einfachen Gesetzesrechts begründet worden. Allerdings beschränkte sich diese Einwirkung zunächst auf die Rechtsfindung intra legem, d. h. auf eine Normkonkretisierung, die aber noch im Rahmen des tradierten Auslegungskanons32 verblieb. Vgl. BVerfGE 7, 198 ff. Zur objektiv-rechtlichen Dimension der Grundrechte nur Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. I, 2. Aufl. 2004, Vorb. Rn. 94. 28 Vgl. etwa BVerfGE 42, 143 (148 f.); 62, 230 (243); 66, 116 (131); 73, 261 (269); 81, 242 (256); 84, 192 (194 f.); 89, 214 (229 f.); 90, 27 (33). 29 Zur Kritik statt vieler nur Böckenförde, Grundrechte (FN 16), S. 159 ff. 30 Vgl. etwa Sachs, in: ders., GG (FN 21), vor Art. 1 Rn. 33. 31 BVerfGE 7, 198 (206). 32 Zur Verortung der verfassungskonformen Auslegung innerhalb des klassischen Kanons der Auslegungsmethoden R. P. Schenke, Rechtsfindung (FN 4), S. 54 Fn. 272 m. w. Nw. 26 27

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c) Die Soraya-Entscheidung (BVerfGE 34, 269 ff.) Abgestreift wurden diese Fesseln durch die Soraya-Entscheidung33. Während es im Lüth-Urteil allein um die verfassungskonforme Auslegung des einfachen Gesetzesrechts ging, wurde in der Soraya-Entscheidung eine Rechtsfortbildung contra legem verfassungsrechtlich legitimiert. Diese war in der Rechtsprechung des BGH entwickelt worden und sah einen Schadensersatzanspruch bei der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts für immaterielle Schäden vor, der auf Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG gestützt wurde34. Damit stand der vom BVerfG gebilligte Schadensersatzanspruch im eindeutigen Widerspruch zum Wortlaut des § 253 a. F. BGB, der bei immateriellen Schäden eine Entschädigung in Geld nur in den durch das Gesetz bestimmten Fällen vorsah. Derartige Schmerzensgeldansprüche waren in § 847 a. F. BGB u. a. für Körper- und Gesundheitsverletzungen sowie Freiheitsentziehungen, nicht aber für den Fall einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts geregelt. Mit dem Soraya-Beschluss ist das Bundesverfassungsgericht im Prozess der Konstitutionalisierung der Methodenlehre folglich noch einen bedeutenden Schritt weiter gegangen. Denn obwohl das BVerfG in den Entscheidungsgründen betonte, die Rechtsprechung dürfe die Wertentscheidungen des Grundgesetzes nicht in beliebiger Weise zur Geltung bringen35, wurde der Wille des einfachen Gesetzgebers ignoriert und gegen vorrangige verfassungsrechtliche Wertungen ausgespielt. d) Zwischenfazit In der Zusammenschau bzw. der Rückschau fügen sich die drei skizzierten Entscheidungen in ein relativ geschlossenes Bild: So wurde mit der Parteinahme für die objektive Aus33 34 35

BVerfGE 34, 269 ff. Vgl. etwa BGHZ 26, 349 (354); 30, 7 (11); 35, 363 (366); 39, 124 (130). BVerfGE 34, 269 (280).

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legung die Emanzipation des Gesetzes vom Willen des historischen Gesetzgebers eingeläutet. Die Frage, was an dessen Stelle treten sollte, beantwortete die Lüth-Entscheidung unter Hinweis auf die objektive Wertordnung der Grundrechte. Zuletzt wies die Soraya-Entscheidung einen Weg, auch gegen das Gesetz zu entscheiden und unter Hinweis auf vorrangige verfassungsrechtliche Wertungen von der verfassungskonformen Auslegung zu einer verfassungskonformen Rechtsfortbildung überzugehen. Zusammenfassend hat die juristische Methodenlehre damit unter dem Einfluss der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine tiefgreifende Metamorphose erfahren. Das unausgesprochene Leitmotiv dieser Einflussnahme war das Anliegen, verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen den Weg zu bahnen und damit notfalls und in letzter Konsequenz auch eine Rechtsfortbildung contra legem zu legitimieren. Hierzu musste der tradierte Methodenkanon jedenfalls auf den ersten Blick nur vergleichsweise behutsam umgebaut werden. So ist die Befugnis zur Rechtsfortbildung seit jeher Gemeingut der Methodenlehre gewesen und beschränkte sich die Rolle der Rechtsprechung letztlich nie darauf, lediglich „la bouche qui prononce les paroles de la loi“ zu sein36. Die normativen Erwartungen, die eine Rechtsfortbildung vor Beginn der oben skizzierten Entwicklung zu legitimieren vermochten, blieben aber vergleichsweise diffus37. Nunmehr hatte sich oberhalb der Ebene des einfachen Gesetzesrechts eine weitere Normebene etabliert, die über die methodischen Figuren der verfassungskonformen Auslegung und der verfassungskonformen Rechtsfortbildung unmittelbar den Inhalt des geltenden Rechts prägen und bestimmen kann. Die Folgen dieses Umbaus können in ihren Wirkungen deshalb nicht unterschätzt werden. Vgl. BVerfGE 75, 223 (243). Vgl. etwa Larenz, Methodenlehre (FN 5), S. 414 ff., der als legitime Gesichtspunkte die Bedürfnisse des Rechtsverkehrs, die „Natur der Sache“ sowie rechtsethische Prinzipien benennt. 36 37

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2. Konstitutionalisierung als Abwehrstrategie gegenüber einem „Verfassungstotalitarismus“ Auch im öffentlich-rechtlichen Schrifttum ist die verfassungsrechtliche Überformung des einfachen Gesetzesrechts keinesfalls nur auf Zustimmung, sondern im Gegenteil überwiegend auf Kritik gestoßen38. Diese Kritik hat dann in eine partiell gegenläufige Entwicklung eingemündet, die ich im Folgenden darstellen will. a) Horst Ehmkes Entdeckung des Zusammenhangs zwischen Kompetenzordnung und Methodenlehre Wichtige Impulse sind hier von einem vielbeachteten Referat Horst Ehmkes ausgegangen, das dieser auf der 20. Staatsrechtslehrertagung zu den Prinzipien der Verfassungsinterpretation gehalten hat39. Eine zentrale Erkenntnis des Referats Ehmkes war es, den Zusammenhang zwischen der Methodik der Verfassungsinterpretation und der Stellung des Bundesverfassungsgerichts im gewaltenteilenden Gefüge des Grundgesetzes erkannt und herausgearbeitet zu haben: So wird über die Spielräume, die dem BVerfG bei der Interpretation des Grundgesetzes zustehen, über die Frage entschieden, ob der verfassungsändernde Gesetzgeber oder das BVerfG selbst zur Fortentwicklung des Verfassungsrechts berufen ist40. Der Gedanke Ehmkes, die 38 Kritisch etwa J. Ipsen, Schranken (FN 6), S. 1104; Gusy, Richterrecht und Grundgesetz, DÖV 1992, S. 461 (464 ff.); aus dem zivilrechtlichen Schrifttum etwa Oetker, in: Münchner Kommentar zum BGB, Bd. 2, 5. Aufl. 2007, § 253 Rn. 27; Larenz, Methodenlehre (FN 5), S. 414 ff.; kritisch gegenüber der der Soraya-Entscheidung vorausgehenden Rechtsprechung des BGH bereits Flume, Richterrecht im Steuerrecht, StbJb 1964 / 65, S. 55 (65 f.). 39 Ehmke, Prinzipien der Verfassungsinterpretation, VVDStRL 20 (1963), S. 53 ff. 40 Ehmke, Prinzipien (FN 39), S. 68.

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Verbindungslinien zwischen Methodenfragen und der Zuordnung der verschiedenen Staatsgewalten aufzudecken, ist im Schrifttum aufgegriffen und von den Methoden der Verfassungsinterpretation auf die Methodik des einfachen Gesetzesrechts übertragen worden41. Denn in gleicher Weise, wie durch die Grundsätze der Verfassungsinterpretation über die Machtverteilung zwischen dem Bundesverfassungsgericht und den anderen Verfassungsorganen entschieden wird, gilt dies auch für die Methodik des einfachen Gesetzesrechts. Auch hier sind die Regeln, nach denen das einfache Gesetzesrecht ausgelegt und gegebenenfalls fortgebildet wird, Ausdruck der Kompetenzverteilung zwischen legislativer, exekutiver und judikativer Gewalt42. Im Zuge dieser funktionell-rechtlichen Neudeutung der juristischen Methodenlehre, die letztlich nur als eine Chiffre für eine mit ihr untrennbar verknüpfte Kompetenz- und Funktionenordnung steht43, musste die Debatte unausweichlich in die Konstitutionalisierung der Methodenlehre einmünden. Konsequent eingeschlagen wurde dieser Weg u. a. in den Arbeiten Erwin Steins, Peter Baduras, Gunnar Folke Schupperts, Konrad Redekers und Hans Peter Schneiders44. Letzterer hat das Forschungsprogramm der konstitutionalisierten Methodenlehre auf die griffige und seither viel zitierte Formel 41 Besonders deutlich Jesch, Auslegung gegen den Wortlaut und Verordnungsgebung contra legem?, JZ 1963, S. 241 ff., wonach Fragen der Interpretationstheorie „vorrangig [ . . . ] Probleme der Kompetenz- und Funktionsverteilung zwischen den Staatsgewalten [aufwerfen]“. 42 Vgl. nur J. Ipsen, Schranken (FN 6), S. 1104. 43 Vgl. J. Ipsen, Richterrecht und Verfassung, 1975, S. 47; Jesch, Auslegung (FN 41), S. 241. 44 Vgl. Stein, Die verfassungsrechtlichen Grenzen der Rechtsfortbildung durch die Rechtsprechung, NJW 1964, S. 1745 ff.; Schuppert, Richterrecht und Verfassung, Der Staat 15 (1976), S. 114 ff.; Badura, Grenzen und Möglichkeiten des Richterrechts, in: Schriftenreihe des Deutschen Sozialgerichtsverbandes (Hrsg.), Rechtsfortbildung durch die sozialgerichtliche Rechtsprechung, 1973, S. 40 ff.; Schneider, Die Gesetzmäßigkeit der Rechtsprechung, DÖV 1975, S. 443 ff.; Redeker, Legitimation und Grenzen richterlicher Rechtsetzung, NJW 1972, S. 409 ff.

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gebracht, die Methodenlehre sei „von ihrem hermeneutischen Kopf auf die verfassungsrechtlichen Füße“ zu stellen45. Kurz erläutern möchte ich diese Zusammenhänge am Beispiel der bereits oben erwähnten Kontroverse zwischen der objektiven und der subjektiven Theorie der Gesetzesauslegung. In funktionell-rechtlicher Hinsicht geht es dabei um die Frage, welcher Staatsgewalt die Verantwortung und die Befugnis zukommen soll, das Recht an neue tatsächliche oder rechtliche Entwicklungen anzupassen46. Nach der objektiven Theorie steht diese Verantwortung zu einem wesentlichen Teil den rechtsanwendenden Gewalten zu. Trotz eines gleichbleibenden Normtextes kann hier der Norminhalt im Wege der Norminterpretation an Veränderungen in der gesellschaftlichen Wirklichkeit angepasst werden47. Für die subjektive Theorie bleibt hingegen der Wille des historischen Gesetzgebers maßgeblich, womit das Rechtssetzungsvorrecht des Gesetzgebers gestärkt wird48. b) Verfassungsrecht als Grenze der verfassungsrechtlichen Rechtsfortbildung des einfachen Recht Die durch das Referat Ehmkes begründete neue Sicht auf die juristische Methodenlehre hat in der Folge eine weitere Phase ihrer Konstitutionalisierung eingeleitet. Im Unterschied zur ersten ging und geht es in dieser zweiten Phase aber eher darum, methodische Spielräume einzuschränken, die zunächst durch eine zu starke Akzentuierung des Verfassungsvorrangs eröffnet worden waren. So ist eine Vielzahl weiterer Arbeiten durch das Anliegen geprägt, den Einfluss grundrechtlicher Wertentscheidungen unter Hinweis auf gegenläufige Verfassungsprinzipien zu be45 46 47 48

So Schneider, Gesetzmäßigkeit (FN 44), S. 452. Vgl. nur von Arnauld, Möglichkeiten (FN 19), S. 469 ff. Vgl. nur BVerfGE 34, 269 (288). Hassold, Strukturen (FN 20), S. 217.

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grenzen. Hierzu zählt an erster Stelle das Demokratieprinzip49, das einen Primat des demokratisch legitimierten Gesetzgebers begründet. In eine ganz ähnliche Richtung deutet auch der Grundsatz der Gewaltenteilung50. Dieser wird durch den Vorrang sowie den Vorbehalt des Gesetzes konkretisiert und soll einem ausufernden Richterrecht Grenzen setzen, um so den Funktionsbereich der Legislative vor Übergriffen der Judikative zu schützen. Eine weitere Grenze wird der verfassungsrechtlich motivierten Rechtsfortbildung durch das Institut der konkreten Normenkontrolle (Art. 100 GG) gezogen51. Art. 100 GG weist der Fachgerichtsbarkeit zwar die Prüfungskompetenz für die Vereinbarkeit des einfachen Gesetzesrechts mit dem höherrangigen Verfassungsrecht zu, monopolisiert die Verwerfungskompetenz aber beim BVerfG. Soll die ratio legis des Art. 100 GG nicht unterlaufen werden, muss dies eine verfassungsrechtlich geleitete Rechtsfortbildung jedenfalls dann ausschließen, wenn diese im Ergebnis auf eine verkappte (Teil-)Nichtigkeitserklärung der Norm hinausliefe. Einschränkungen der Befugnis zur richterlichen Rechtsfortbildung können sich darüber hinaus aber auch aus der bundesstaatlichen Ordnung ergeben52. c) Die Sozialplanentscheidung (BVerfGE 65, 182 ff.) Dass diese neuen Gedanken auch in der Rechtsprechung auf fruchtbaren Boden gefallen sind, unterstreicht die Sozialplanentscheidung des Bundesverfassungsgerichts53. In dieser hatte Karlsruhe im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde über eine Rechtsfortbildung des Großen Senats des Bundesarbeitsge49 Vgl. etwa J. Ipsen, Richterrecht (FN 43), S. 196 ff.; Wank, Grenzen (FN 6), S. 207 ff. 50 Vgl. etwa Röhl / Röhl, Rechtslehre (FN 4), S. 631. 51 Vgl. Hillgruber, Rechtsfortbildung (FN 6), S. 119; Röthel, Verfassungsprivatrecht (FN 6), S. 426 f.; J. Ipsen, Schranken (FN 6), S. 1104. 52 Vgl. W.-R. Schenke, Verfassungsgerichtsbarkeit (FN 14), S. 42; J. Ipsen, Schranken (FN 6), S. 1106 f. 53 BVerfGE 65, 182 ff.

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richts zu befinden. Dieser hatte Abfindungsansprüche aus Sozialplänen, die nach der damaligen gesetzlichen Regelung als „übrige Konkursforderungen“ gem. § 61 Abs. 1 Nr. 6 KO im Konkurs nur nachrangig zu berücksichtigen waren, im Rang noch vor Abfindungsansprüchen aus § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO eingeordnet54. Begründet wurde dies unter Hinweis auf das Sozialstaatsprinzip und die Notwendigkeit, nur so könne der wirtschaftliche Wert dieser Ansprüche einigermaßen sichergestellt und deren existentieller Bedeutung für die Arbeitnehmer Rechnung getragen werden. Vom BVerfG wurde diese Rechtsfortbildung als Verletzung der Rechts- und Gesetzesbindung des Art. 20 Abs. 3 GG beanstandet, weil die gesetzliche Regelung des Konkursrechts hierfür keinen Anhaltspunkt biete55. Zudem könne das BAG seine Rechtsauffassung auch nicht auf höherrangiges Recht stützen. Das Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes enthalte infolge seiner Weite und Unbestimmtheit regelmäßig keine unmittelbaren Handlungsanweisungen, die durch die Gerichte ohne gesetzliche Grundlage in einfaches Recht umgesetzt werden könnten56. Im Unterschied zur ersten Phase der Konstitutionalisierung erweist sich das Verfassungsrecht damit nicht mehr allein als Einfallstor vorrangiger verfassungsrechtlicher Wertungen. Vielmehr wird der Eigenwert des demokratisch legitimierten Gesetzes gestärkt und mit Hilfe verfassungsrechtlicher Argumente vor einem Verfassungstotalitarismus geschützt. Anders gewendet schlägt sich das Verfassungsrecht mit seinen eigenen Mitteln: Der Vorrang der Verfassung fungiert nicht länger nur als Motor, sondern zieht der richterlichen Rechtsfortbildung umgekehrt Grenzen, die durch das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip gesetzt werden57. 54 55 56 57

BAG, NJW 1979, S. 774 ff. BVerfGE 65, 182 (191). BVerfGE 65, 182 (193 ff.). Vgl. die Nw. oben FN 6, 49 – 53.

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IV. Bewertung und Kritik der Konstitutionalisierung der Methodenlehre Nachdem ich im dritten Teil meines Vortrages die beiden Etappen der Konstitutionalisierung der Methodenlehre nachgezeichnet habe, soll die Entwicklung im folgenden Abschnitt bewertet werden. Meiner Ansicht nach fällt die Bilanz zwiespältig aus. 1. Offenlegung des funktionell-rechtlichen und des politischen Charakters der juristischen Methodenlehre Zu dem wichtigsten Ertrag der Diskussion gehört es, den funktionell-rechtlichen und den politischen Charakter der juristischen Methodenlehre aufgedeckt zu haben58. Nach welchen Grundsätzen das einfache Gesetzesrecht auszulegen und gegebenenfalls fortzubilden ist, wirkt unmittelbar auf die Stellung der drei Staatsgewalten zurück und bestimmt letztlich darüber, welche Steuerungskraft der Verfassung und dem einfachen Gesetzesrecht zukommt. Ebenso wird mit der juristischen Methodenlehre aber auch darüber entschieden, wie Rechtssicherheit und Einzelfallgerechtigkeit auszubalancieren sind. Methodenfragen sind folglich Machtfragen, mit deren Beantwortung über das Zusammenspiel der Staatsgewalten und die Verteilung der Letztentscheidungsbefugnisse zwischen Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung disponiert wird. Indem diese Zusammenhänge offen gelegt wurden, hat die Konstitutionalisierung entscheidend zur Rationalität der Debatte um die juristische Methodenlehre beigetragen. Hinter diesen Erkenntnisstand wird auch jede weitere zukünftige Diskussion nicht mehr zurückfallen können.

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Rüthers, Richterstaat (FN 10), S. 2761.

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2. Isolierung von den erkenntnis- und wissenschaftstheoretischen Nachbardisziplinen Wo viel Licht ist, fällt aber auch Schatten. Auf der Verlustliste der Konstitutionalisierung steht die zumindest latente Gefahr einer Isolierung der juristischen Methodenlehre von den Erkenntnissen, die ihr bislang aus den erkenntnis- und wissenschaftstheoretischen Nachbardisziplinen vermittelt wurden. Einer Methodenlehre, die sich selbst als konkretisiertes Verfassungsrecht begreift, haben Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie letztlich nur noch wenig zu sagen. Damit wird die Chance vertan, sich von neueren Entwicklungen in diesen Nachbardisziplinen befruchten zu lassen. Wie die Geschichte der juristischen Methodenlehre zeigt, sind aber gerade aus dieser Richtung viele wertvolle Anstöße ausgegangen. Beispielhaft sei hier nur an die Rezeption der Gadamer‘schen Hermeneutik erinnert59, die der juristischen Methodenlehre die Einsicht in die Bedeutung des Vorverständnisses für die Norminterpretation eröffnet hat60. Wie sehr die Methodenlehre von einem interdisziplinären Austausch mit Nachbarwissenschaften profitieren kann, lässt sich exemplarisch aber auch an der Diskussion um die sogenannte Wortlautgrenze demonstrieren61. In dieser wird aus verfassungsrechtlichen Gründen vielfach an der Existenz einer vermeintlich feststehenden Wortlautgrenze festgehalten, jenseits der die Rechtsfindung nicht mehr als Auslegung, sondern nur noch als richterliche bzw. exekutive Rechtsfortbildung zu legitimieren ist. Wie jüngere Entwicklungen in der Semantik zeigen, beruht die Theorie der Wortlautgrenze indes auf fragwürdig gewordenen semantischen Grundannahmen. Sowohl die Wittgenstein’sche Theorie der Familienähnlichkeiten62, aber auch Erkenntnisse der modernen Kognitions59 Vgl. Gadamer, Wahrheit und Methode, 6. Aufl. 1990, GW 1, S. 276 ff., 281 ff.; dazu R. P. Schenke, Rechtsfindung (FN 4), S. 277 ff. 60 Wegweisend Esser, Vorverständnis und Methodenwahl in der Rechtsfindung, 2. Aufl. 1972, S. 136 ff. 61 Hierzu R. P. Schenke, Rechtsfindung (FN 4), S. 297 ff.

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forschung63 legen die Annahme nahe, dass Begriffe nicht durch ein Bündel semantischer Merkmale, sondern eher durch Prototypen, d. h. typische Vertreter der Kategorie, repräsentiert werden. Damit kann an der Theorie der Wortlautgrenze aber nur noch als Fiktion festgehalten werden, die durch zusätzliche Regeln über die Bedeutungsbestimmung im Fall von Divergenzen zwischen fachsprachlicher und umgangssprachlicher Bedeutung sowie den Umgang mit dem Phänomen des Sprachwandels ergänzt werden muss64. 3. Verengung auf das öffentliche Recht Eine weitere Kehr- bzw. Schattenseite der Konstitutionalisierung ist die Dominanz des Öffentlichen Rechts. Zur Lösung methodischer Fragen ist in einer konstitutionalisierten Methodenlehre in erster Linie die Verfassungsrechtswissenschaft berufen. Bezeichnenderweise stammen jüngere Beiträge und Abhandlungen zur juristischen Methodenlehre auch überwiegend von Rechtswissenschaftlerinnen und Rechtswissenschaftlern, die im Öffentlichen Recht groß geworden sind65. Demgegenüber sind das Zivil- und das Strafrecht deutlich in den Hintergrund getreten. 62 Vgl. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, 1960, §§ 65 – 71; ders., Das blaue Buch, 1976, S. 36 ff.; dazu Wennerberg, Der Begriff der Familienähnlichkeit in Wittgensteins Spätphilosophie, in: E. von Savigny (Hrsg.), Philosophische Untersuchungen, 1998, S. 41 ff.; Buchholz, Sprachspiel und Semantik, 1998, S. 187 ff.; E. von Savigny, Die Philosophie der normalen Sprache, 3. Aufl. 1993, S. 28 f. 63 Vgl. Schwarz / Chur, Semantik, 4. Aufl. 2004, S. 46 ff.; Aitchison, Wörter im Kopf, 1997, S. 81 ff.; Pospiech, Bedeutungsstrukturen der Wörter, in: Volmert (Hrsg.), Grundkurs Sprachwissenschaft, 1999, S. 151 (159 f.); umfassend Kleiber, Prototypensemantik, 2. Aufl. 1998; Mangasser-Wahl, Von der Prototypensemantik zur empirischen Semantik, 2000. 64 Vgl. dazu R. P. Schenke, Rechtsfindung (FN 4), S. 310 f.; ähnlich Hochhuth, Methodenlehre zwischen Staatsrecht und Rechtsphilosophie, Rechtstheorie 32 (2001), S. 227 (232 f.). 65 Vgl. etwa A. Leisner, Gesetzesinterpretation (FN 6), S. 33 ff.; Michael, Gleichheitssatz (FN 6); Seiler, Auslegung (FN 4).

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Mit diesen Veränderungen im Kreis der scientific community geht fast zwangsläufig auch die Deutungshoheit über die Disziplin auf das Öffentliche Recht über. Dadurch besteht die zumindest potentielle Gefahr, Problemstellungen und Lösungskonzepte zu verabsolutieren, die sich im Öffentlichen Recht als angemessen, in anderen Rechtsgebieten hingegen als unangemessen erweisen. So zeichnen sich die verschiedenen Rechtsgebiete durch jeweils eigene Problemstellungen, Interessenlagen und auch jeweils spezifische Normstrukturen aus66. Leitbild des Öffentlichen Rechts ist dabei nach wie vor das grundrechtlich geprägte Subordinationsverhältnis, in dem sich der Gesetzgeber durch den Bestimmtheitsgrundsatz und das Gebot der Normenklarheit zu einer sehr detaillierten Normsetzung gezwungen sieht67. Die rechtsmethodischen Fragen, die sich bei der Auslegung und der Fortbildung solcher Rechtsnormen stellen, müssen aber zwangsläufig ganz andere sein als beispielsweise im kollektiven Arbeitsrecht, in dem sich der parlamentarische Gesetzgeber einer Rechtssetzung weitgehend verweigert und dieses Feld fast vollständig der Rechtsprechung überlassen hat68. Einer Methodenlehre, die ganz der Gedanken- bzw. Problemwelt des Öffentlichen Rechts verhaftet ist, drohen damit zwangsläufig thematische Verengungen. Konsequent lassen sich diese nur vermeiden, wenn die Referenzprobleme der juristischen Methodenlehre weiterhin allen drei großen Rechtsgebieten entnommen werden.

Vgl. Rüthers, Rechtstheorie (FN 4), Rn. 672. Exemplarisch aus dem Bereich des Sicherheitsrechts etwa BVerfGE 100, 313 (359 ff.); 113, 348 (375 ff.). 68 Vgl. nur Dietrich, Zur Pflicht der Gerichte, das Recht fortzubilden, RdA 1993, S. 67 ff. 66 67

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4. Der Rahmencharakter der Verfassung und die Wertungsabhängigkeit des Methodenverfassungsrechts Kritisch zu hinterfragen ist zudem die vermeintliche Objektivität des Methodenverfassungsrechts. Bei näherer Hinsicht stößt der Ansatz, die Methodenlehre aus der Verfassung abzuleiten, auf nicht unerhebliche rechtstheoretische Schwierigkeiten69. So sind die Normen des Methodenverfassungsrechts ihrerseits das Ergebnis der Interpretation hochabstrakter verfassungsrechtlicher Grundsätze und Prinzipien. Ein anschauliches Beispiel hierfür bildet bereits der für die juristische Methodenlehre so zentrale Begriff der Gesetzesbindung (Art. 20 Abs. 3, 97 Abs. 1 GG). Was das Gesetz ausmacht, ist im Grundgesetz nicht klar vorgezeichnet und wird in der rechtsmethodischen Debatte unterschiedlich beantwortet: Z. T. wird der Begriff des Gesetzes mit dem möglichen Wortsinn der Norm gleichgesetzt (positivistischer Gesetzesbegriff)70, wohingegen andere Stimmen das Gesetz mit den vom Gesetzgeber verfolgten Zwecken identifizieren (teleologischer Gesetzesbegriff)71 oder gar als Ausdruck einer hinter ihm stehenden Werteordnung verstehen wollen (axiologischer Gesetzesbegriff)72. Da jeder dieser Gesetzesbegriffe gute Gründe für sich reklamieren kann73, ist die Entscheidung zwischen ihnen letztlich nicht durch das Grundgesetz vorgegeben. Dazu R. P. Schenke, Rechtsfindung (FN 4), S. 328 ff. Vgl. Friauf, Möglichkeiten und Grenzen der Rechtsfortbildung im Steuerrecht, in: Tipke (Hrsg.), Grenzen der Rechtsfortbildung durch Rechtsprechung und Verwaltungsvorschriften im Steuerrecht, 1982, S. 53 (56, 60 f.). 71 Vgl. Neuner, Rechtsfindung (FN 20), S. 184; Reiner, Derivative Finanzinstrumente im Recht, 2002, S. 319; Larenz / Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. 1995, S. 232. 72 Vgl. Pawlowski, Methodenlehre (FN 21), Rn. 462; Hutter, Die Gesetzeslücke im Verwaltungsrecht, 1989, S. 311. 73 Vgl. dazu im Einzelnen R. P. Schenke, Kritik der steuerrechtlichen Methodenlehre, StuW 2008, S. 206 (212 f.). So kann der positivistische An69 70

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Hinzu tritt, dass die Prinzipien des Methodenverfassungsrechts miteinander in Konflikt geraten können74. Um die Frage nach der Zulässigkeit von Analogieschlüssen zu beantworten, bedarf es beispielsweise einer Abwägung zwischen Einzelfallgerechtigkeit und Rechtssicherheit. Maßstäbe, wie diese Abwägung auszufallen hat, gibt das Grundgesetz aber letztlich allein in Art. 103 Abs. 2 GG für das Strafrecht vor. Richtigerweise kann das Methodenverfassungsrecht damit nicht mehr aber auch nicht weniger als eine Rahmenordnung75 sein, mit der verschiedene rechtsmethodische Konzeptionen des einfachen Gesetzesrechts zu vereinbaren sind. Zutreffend erkannt worden ist dies auch in der Rechtsprechung des BVerfG. Hier ist in einer 1993 gefällten Entscheidung deutlich ausgesprochen worden, dass das Grundgesetz keine bestimmte Auslegungsmethode vorschreibe76.

satz darauf verweisen, dass die Loslösung vom Gesetzeswortlaut den Interpreten Spielräume eröffnet, die die Rechtssicherheit beeinträchtigen. Unmittelbar demokratisch legitimiert ist zudem allein der verabschiedete und verkündete Normtext. Den Gesetzesbegriff des Art. 20 Abs. 3 GG im Sinne des positivistischen Paradigmas zu verstehen, bedeutete aber andererseits, hinter ein Verständnis der Gesetzesbindung zurückzufallen, wie es sich bereits im Zuge der Interessenjurisprudenz allgemein durchgesetzt hatte und wohl auch dem Verfassungsgeber vor Augen stand. Für den axiologischen Ansatz mag wiederum die Vermutung sprechen, dass der Gesetzgeber die ihm in Art. 1 Abs. 3 GG aufgegebene Grundrechtsbindung erfüllen wollte und im Regelfall auch erfüllt hat. 74 Allgemein zur Problematik der Rationalität von Optimierungsgeboten und Abwägungsentscheidungen Würtenberger, Rechtliche Optimierungsgebote oder Rahmensetzungen für das Verwaltungshandeln?, VVDStRL 58 (1999), S. 139 (154 ff.). 75 Vgl. zur Deutung der Verfassung als Rahmenordnung nur Wahl, Vorrang (FN 8), S. 505 ff.; Böckenförde, Methoden (FN 2), S. 2097 ff. 76 BVerfGE 88, 145 (166 f.).

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V. Schlussbetrachtung und Ausblick: Demokratisierung der Methodenlehre durch Methodengesetzgebung Damit komme ich zum Schluss. Wesentliches Verdienst der Konstitutionalisierung der Methodenlehre ist es, die Zusammenhänge zwischen Methodenlehre und der Kompetenzordnung des Grundgesetzes offen gelegt zu haben. Dabei ist es der konstitutionalisierten Methodenlehre nach anfänglichen Übertreibungen gelungen, einen angemessenen Ausgleich zwischen dem Verfassungsvorrang und dem Eigenwert und dem Selbststand des demokratisch legitimierten Gesetzes zu verwirklichen. Wenn das Methodenverfassungsrecht aber nur einen Rahmen darstellt, der Raum für verschiedene rechtsmethodische Konzepte lässt, stellt sich zwangsläufig die Frage, wer zur Ausfüllung dieser Lücke berufen ist. Die eine denkbare Alternative, dies der Rechtsanwendung selbst zu überlassen, muss sich von vornherein verbieten. Wie bereits Adolf Julius Merkl richtig erkannt hat, gibt es letztlich so viele Rechtsordnungen wie juristische Methodenlehren77. Wenn der Grundsatz der Gesetzesbindung nicht aufgegeben werden soll, muss die Methodenlehre der Rechtsanwendung folglich vorgegeben sein und darf nicht zur Disposition der rechtsanwendenden Gewalten stehen. Um die Lücke in der demokratisch-parlamentarischen Legitimation zwischen dem vom Gesetzgeber zu verantwortenden Normtext und den letztlich verbindlichen Norminhalten zu schließen, kann die Verfügung über die Methodenlehre deshalb richtigerweise allein dem Gesetzgeber selbst zustehen. Methodenlehre erweist sich damit als Annex zur Normsetzung78. Dies bedeutet allerdings nicht, dass der Gesetzgeber nach dem Vorbild ausländischer Rechtsordnungen79 oder der Me77 Vgl. Merkl, Zum Interpretationsproblem (1916), in: Mayer-Maly / u. a. (Hrsg.), Gesammelte Schriften, Bd. I / 1, 1993, S. 63 (76). 78 R. P. Schenke, Rechtsfindung (FN 4), S. 400 f. 79 Vgl. etwa Art. 1 ZGB; §§ 6, 7 ABGB; Art. 4 Code Civil.

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thodennormen des Steuerrechts (z. B. §§ 42 AO, 4 RAO 1919) zu einer Methodengesetzgebung verpflichtet ist. Vielmehr hat sich innerhalb der verschiedenen Rechtsgebiete ein rechtsmethodischer Standard herauskristallisiert, der weitgehend gewohnheitsrechtlich verfestigt ist80 und auf den der Gesetzgeber bei seiner Normsetzung implizit Bezug nimmt. Sinnvoll können Methodengesetze aber dort sein, wo für rechtsmethodische Fragen in der Rechtspraxis noch keine allseits konsentierten Lösungen gefunden worden sind. In diesen eher seltenen Fällen ist es dem parlamentarischen Gesetzgeber über Methodengesetze möglich, das Tempo und die Richtung der Rechtsfortbildung zu steuern. So trifft beispielsweise § 42 AO eine Regelung über die Zulässigkeit belastender Analogieschlüsse im Steuerrecht81. Damit ist durch den parlamentarischen Gesetzgeber eine Frage entschieden worden, die in Rechtsprechung wie in der Literatur seit jeher kontrovers beurteilt worden ist. Vor Irrtümern und unerwünschten Nebenwirkungen sind allerdings auch Methodengesetze nicht gefeit82. Gegenüber dem verfassungsrechtlichen Methodenrecht weist das einfachgesetzliche Methodenrecht aber den Vorzug auf, politisch verantwortet und einer einfachgesetzlichen Korrektur zugänglich zu sein. Nach sechzig Jahren Grundgesetz ist daher nicht die weitere Konstitutionalisierung, sondern die Demokratisierung der Methodenlehre Gebot der Stunde.

80 Zur gewohnheitsrechtlichen Anerkennung der Grundregeln der juristischen Methodenlehre etwa Hager, Auslegung von Spiel- und Rechtsregeln, in: von Arnauld (Hrsg.), Recht und Spiel, 2003, S. 299 (300); Hassold, Wille (FN 19), S. 197; siehe auch Kramer, Juristische Methodenlehre, 2. Aufl. 2005, S. 33 f. 81 Zur rechtsmethodischen Bedeutung des § 42 AO vor Inkrafttreten des Jahressteuergesetzes 2008 R. P. Schenke, Rechtsfindung (FN 4), S. 409 ff. 82 Vgl. zur Kritik an der Neufassung des § 42 AO nur Drüen, Präzisierung und „Effektuierung“ des § 42 AO durch das Jahressteuergesetz 2008?, Ubg 2008, S. 31 ff.

Die Wirkmächtigkeit der grundgesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der kommunalen Selbstverwaltung Von Joachim Suerbaum I. Einführung Bei feierlichen Anlässen, wie dem vorliegenden, dürfte es kaum eine Institution geben, die grundsätzlich größere Lobpreisungen erfährt als die kommunale Selbstverwaltung1. Die Stärkung der dezentralen Verwaltungsebene sei, so das BVerfG im Rastede-Beschluss, Antwort auf zentralistische Tendenzen in der NS-Zeit. Den Gemeinden habe der Verfassunggeber zugetraut, „Keimzelle der Demokratie und am ehesten diktaturresistent“ zu sein2. Bereits 1946 hebt die Baye1 Henneke, BWGZ 1999, S. 347 ff., anlässlich 50 Jahren Grundgesetz; Knemeyer, DVBl. 2000, S. 496 (497), anlässlich 10 Jahren kommunale Selbstverwaltung in den „neuen“ Ländern; Henneke / Ritgen, DVBl. 2007, S. 1253 (1253), anlässlich des 250. Geburtstags des Freiherrn vom Stein; Maurer, DVBl. 1995, S. 1037 (1040), anlässlich der Erinnerung an die erste Landräte-Konferenz in Nordwürttemberg vor 50 Jahren; vgl. auch Schmidt-Aßmann, in: Badura / Dreier (Hrsg.), FS 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, 2001, S. 803 (806). 2 BVerfGE 79, 127 (149); diese Intention verfolgten insbesondere auch die Besatzungsmächte, vgl. hierzu Maurer, DVBl. 1995, S. 1037 (1037 f.); Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 2, 2. Aufl. 2006, Art. 28 Rn. 19; zur demokratischen Funktion der Selbstverwaltung BVerfGE 52, 95 (111 f.): Gemeinden als „Ausdruck gegliederter Demokratie“, im Anschluss an v. Unruh, DVBl. 1975, S. 1 (2); Katz / Ritgen, DVBl. 2008, S. 1525 (1529 f.); Dreier, ebd., Art. 28 Rn. 85; Schmidt-Aßmann (FN 1), S. 806; Löwer, in: v. Münch / Kunig, Grundgesetz-Kommentar, Bd. 2, 4. / 5. Aufl. 2001, Art. 28 Rn. 34; Hufen, in: Geis / Lorenz (Hrsg.), FS Maurer, 2001, S. 1177 (1187); Knemeyer / Wehr, VerwArch. 92

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rische Verfassung die Bedeutung der Selbstverwaltungskörperschaften für den Aufbau der Demokratie von unten nach oben hervor (Art. 11 Abs. 4 BV3)4. Kommunale Selbstverwaltung ist nach einer frühen Karlsruher Charakterisierung „Aktivierung der Beteiligten für ihre eigenen Angelegenheiten, die die in der örtlichen Gemeinschaft lebendigen Kräfte des Volkes zur eigenverantwortlichen Erfüllung öffentlicher Aufgaben der engeren Heimat zusammenschließt mit dem Ziel, das Wohl der Einwohner zu fördern und die geschichtliche und heimatliche Eigenart zu wahren“5. Nach diesen Leitbildern sollte die kommunale Selbstverwaltung vor Vitalität strotzen. Der Alltag der Gemeinden und Gemeindeverbände scheint ein anderer zu sein. Zwar droht nicht gleich der durch Art. 28 Abs. 2 GG verbotene Erstickungstod6. Doch bekommen manche Gemeinden angesichts überborden(2001), S. 317 (327 ff.); kritisch zu der Vorstellung der kommunalen Selbstverwaltung als „Schule der Demokratie“ Bull, DVBl. 2008, S. 1 (7 f.). 3 Ebenso später Art. 3 Abs. 2 Verf. MV. 4 Hierzu BayVerfGHE 33, 87 (95); Maurer, DVBl. 1995, S. 1037 (1039); Hufen (FN 2), S. 1178 ff., unter Hinweis auf die gegenläufigen ideengeschichtlichen Strömungen einer Selbstverwaltung von oben bzw. von unten; zu den historischen Wurzeln der kommunalen Selbstverwaltung in Deutschland im Konstitutionalismus und insbes. der Konzeption des Freiherrn vom Stein Menger, in: v. Mutius (Hrsg.), FG v. Unruh, 1983, S. 25 ff.; v. Unruh, in: Püttner / Mann (Hrsg.), HbKWP, 3. Aufl. 2007, § 4 Rn. 10 ff. 5 BVerfGE 11, 266 (275 f.), im Anschluss an Hans Peters, Lehrbuch der Verwaltung, 1949, S. 292. Dieses Kernanliegen kommunaler Selbstverwaltung nach dem Grundgesetz hat das BVerfG vor allem in der Rastede-Entscheidung aufgegriffen, wenn es feststellt: „Die Zurückhaltung, die der Verfassungsgeber bei der Zulassung unmittelbar-demokratischer Elemente auf Bundesebene geübt hat, wird auf der örtlich bezogenen Ebene der Gemeinden ergänzt durch eine mit wirklicher Verantwortlichkeit ausgestattete Einrichtung der Selbstverwaltung, durch die den Bürgern eine wirksame Teilnahme an den Angelegenheiten des Gemeinwesens ermöglicht wird“ (BVerfGE 79, 127 [150]; 91, 228 [238]; 107, 1 [12]). Die Entscheidung des LVerfG MV, LKV 2007, S. 457 ff., hat die Annahme der Verfassungswidrigkeit der Großkreise maßgeblich auf die nach seiner Ansicht unzureichende Berücksichtigung dieses demokratisch-partizipatorischen Belangs gestützt. 6 BVerfGE 91, 228 (238 f.).

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der Vollzugsaufgaben7, minutiöser gesetzlicher Determinierung8 und angespannter Finanzlage nur noch schwer Luft9. Dies gibt Anlass, nach 60 Jahren Grundgesetz die Bestimmungen zum Schutz der kommunalen Selbstverwaltung auf den Prüfstand zu stellen. Haben sich die grundgesetzlichen Regelungen als effektiv für die Gewährleistung der beschworenen kraftvollen Selbstverwaltung erwiesen? Wo liegen eventuelle Schwachstellen in der grundgesetzlichen Konzeption und deren Auslegung durch die Rechtsprechung vor allem des Bundesverfassungsgerichts? II. Die grundgesetzlichen Bestimmungen zum Schutz kommunaler Selbstverwaltung im Überblick Das Grundgesetz enthält vier grundsätzliche Normbereiche zum Schutz der kommunalen Selbstverwaltung. Zuvörderst wird der Schutz erstens über die sogenannten Statusgarantien des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG für die Gemeinden bzw. S. 2 für die Gemeindeverbände gewährleistet (vgl. unter III.). Flankiert werden diese Statusgarantien zweitens durch Finanzgarantien. Nach verbreiteter Ansicht ist bereits Art. 28 7 Der Anteil der übertragenen Aufgaben wird mittlerweile auf bis zu 80% und mehr geschätzt, vgl. Knemeyer, Bayerisches Kommunalrecht, 12. Aufl. 2007, Rn. 161; Unseld, Die Rechtsstellung kommunaler und funktionaler Selbstverwaltungskörperschaften bei ihrer Inanspruchnahme für staatliche Aufgaben, 2008, S. 44 ff.; Hufen (FN 2), S. 1182; Gern, Deutsches Kommunalrecht, 3. Aufl. 2003, Rn. 237: ca. zwei Drittel; vgl. auch bereits Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, 1982, Rn. 544; empirische Untersuchung der Aufgabenentwicklung seit 1975 bei Zacharias, DÖV 2000, S. 56 ff. 8 Dazu zuletzt Henneke, NdsVBl. 2009, S. 121 (126); ders., Föderalismus in Fesseln, F.A.Z. Nr. 53 vom 04. 03. 2009, S. 10; zur europarechtlichen Determinierung ferner die Nachw. in FN 78. 9 Vgl. zur finanziellen Situation anschaulich Soldt, Getriebene der Bundespolitik, F.A.Z. Nr. 95 vom 23. 04. 2008, S. 3; Hufen (FN 2), S. 1183 ff.; Albers, NdsVBl. 2005, S. 57 (58 f.); Kregel, LKV, 2004, S. 481 (481); Remmert, VerwArch. 94 (2003), S. 459 (459 f.); Schoch, Verfassungsrechtlicher Schutz der kommunalen Finanzautonomie, 1997, S. 19 ff.

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Abs. 2 S. 1 und 2 GG die Gewährleistung einer angemessenen Finanzausstattung zu entnehmen, um die verfassungsrechtlich geschützten Aufgaben wahrnehmen zu können10. Das BVerfG hat diese Frage allerdings bis heute offen gelassen11. Zum Teil wird dem im Jahr 1994 auf Rat der Gemeinsamen Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat eingefügten Art. 28 Abs. 2 S. 3 GG12, der die finanzielle Eigenverantwortung der Gemeinden vor dem Hintergrund der gesteigerten Belastung der Kommunen klarstellend hervorheben sollte13, auch die Funktion beigemessen, den „Grundanspruch der Gemeinden auf eine angemessene Finanzausstattung“ zu verstärken14. Mit Art. 28 Abs. 2 S. 3 GG verleiht das Grundgesetz den Gemeinden zwar kein originäres Steuererfindungsrecht15. Doch bestimmt seit 1997 ein zweiter Halbsatz16, dass zu den Grund10 Schoch / Wieland, Finanzierungsverantwortung für gesetzgeberisch veranlasste kommunale Aufgaben, 1995, S. 176 ff.; Schoch (FN 9), S. 13 ff.; Mückl, Finanzverfassungsrechtlicher Schutz der kommunalen Selbstverwaltung, 1998, S. 64 ff.; Dreier (FN 2), Art. 28 Rn. 156; Scholz, in: Maunz / Dürig (Hrsg.), GG, Losebl., Stand: Jan. 2009, Art. 28 (1997) Rn. 84 b; Volkmann, DÖV 2001, S. 497 ff.; Hoppe, DVBl. 1992, S. 117 ff.; Schmitt Glaeser / Horn, BayVBl. 1999, S. 353 ff.; Henneke, ZG 1998, S. 1 ff.; ders., DÖV 1998, S. 330 ff.; aus der Rechtsprechung der Landesverfassungsgerichte zu den landesverfassungsrechtlichen Regelungen VerfGH RP, DVBl. 1993, S. 981 (981); VerfGH NRW, DVBl. 1993, S. 1205 (1205); StGH BW, DVBl. 1994, S. 206 (207); NdsStGH, DVBl. 1995, S. 1175 (1175); SaarlVerfGH, NVwZ-RR 1995, S. 153 (154); BayVerfGH, BayVBl. 1997, S. 303 (304 f.); VerfG LSA, NVwZ-RR 1999, S. 393 (397); VerfG Bbg, NVwZ-RR 2000, S. 129 (130); ThürVerfGH, NVwZ-RR 2005, S. 665 (666); ausführliche Darstellung und Analyse bei Henneke, Der Landkreis 2008, S. 450 ff. 11 Zuletzt BVerfGE 119, 331 (361). 12 Gesetz vom 27. 10. 1994, BGBl. I S. 3146. 13 BT-Drucks. 12 / 6633, S. 7; dazu auch Dreier (FN 2), Art. 28 Rn. 25; Scholz (FN 10), Art. 28 Rn. 84 b. 14 Scholz (FN 10), Art. 28 Rn. 84 b; kritisch zur Bedeutung dieser Änderung für die Frage der finanziellen Mindestausstattung Volkmann, DÖV 2001, S. 497 (498); Mückl (FN 10), S. 67 ff. 15 Nierhaus, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 5. Aufl. 2009, Art. 28 Rn. 87; Scholz (FN 10), Art. 28 Rn. 84 b; Tettinger, in: Püttner / Mann (FN 4), § 11 Rn. 46; anders für die landesverfassungsrechtliche Regelung in Bayern BayVerfGH, BayVBl. 1989, S. 237 (238 f.). 16 Gesetz vom 20. 10. 1997, BGBl. I S. 2470.

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lagen der finanziellen Eigenverantwortung eine den Gemeinden mit Hebesatzrecht zustehende wirtschaftskraftbezogene Steuerquelle zählt. Auch die sonstigen ausdrücklichen Finanzgarantien sind dem Grundgesetz dagegen erst nachträglich eingefügt worden. So enthält die Finanzverfassung erstmals seit der Reform 1955 / 5617 wiederholt geänderte Regelungen zugunsten der Kommunen, in denen der Ertrag bestimmter Steuern diesen vorbehalten oder bei Verbundsteuern den Gemeinden und Gemeindeverbänden eine Beteiligung garantiert wird18. Drittens gewährt das Grundgesetz, das ursprünglich keine prozessualen Sonderregelungen zugunsten der kommunalen Selbstverwaltungsträger enthielt, seit 1969 in Gestalt von Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 b GG mit dem Institut der Kommunalverfassungsbeschwerde den Gemeinden und Gemeindeverbänden eine besondere verfassungsgerichtliche Rechtsschutzmöglichkeit (vgl. III. 4.)19. Schließlich ist viertens auf die durch die Föderalismusreform I eingefügten Bestimmungen in Art. 84 Abs. 1 S. 7 und 85 Abs. 1 S. 2 GG hinzuweisen20, die seit 2006 eine unmittelbare Aufgabenzuweisung an die Gemeinden und Gemeindeverbände durch Bundesgesetz verbieten21.

BGBl. 1955 I S. 817; 1956 I S. 1077. Überblick bei Heun, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 3, 2. Aufl. 2008, Art. 106 Rn. 30 ff.; zur geschichtlichen Entwicklung Henneke, DVBl. 2009, S. 561 (567). 19 Einführung in Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 b GG durch das 19. Änderungsgesetz zum Grundgesetz vom 19. 01. 1969, BGBl. I S. 97; einfachgesetzlich bereits seit 1951 in § 91 BVerfGG geregelt. 20 Vgl. hierzu ausführlich Knitter, Das Aufgabenübertragungsverbot des Art. 84 Abs. 1 Satz 7 GG, 2008; Henneke, NdsVBl. 2008, S. 1 ff.; Engelken, VBlBW 2008, S. 457 ff.; Försterling, ZG 2007, S. 36 ff.; Wieland, Der Landkreis 2008, S. 184 ff.; Schoch, DVBl. 2007, S. 261 ff. 21 Zur Rechtslage vor der Föderalismusreform I BVerfGE 22, 180 (210); 77, 288 (299); zuletzt BVerfGE 119, 331 (359); Hermes, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 3, 1. Aufl. 2000, Art. 84 Rn. 40 ff.; Suerbaum, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz, 2009, Art. 84 Rn. 26. 17 18

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III. Der Gehalt des Art. 28 Abs. 2 GG nach 60 Jahren GG Im Mittelpunkt dieser Betrachtung steht im Folgenden Art. 28 Abs. 2 GG, die Magna Charta der kommunalen Selbstverwaltung. Welchen Gehalt besitzt die Vorschrift nach 60 Jahren Grundgesetz, welche Wirkkraft kann sie entfalten? Um dem nachzugehen, wird zunächst auf die dogmatische Grundkonzeption des Art. 28 Abs. 2 GG eingegangen, um dann die grundlegenden drei Garantiegehalte der Vorschrift in ihrer Entwicklung in den Blick zu nehmen.

1. Dogmatische Grundlagen Nach Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG muss den Gemeinden das Recht gewährleistet sein, die Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze eigenverantwortlich zu regeln. Nach Satz 2 der Vorschrift besitzen auch die Gemeindeverbände im Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenbereichs das Recht der Selbstverwaltung nach Maßgabe der Gesetze. Die primär an die Länder adressierte Norm22 gehört zur verfassungsrechtlichen Konkordanzmasse23, die Mindestvorgaben formuliert, die die Landesverfassunggeber über-, aber nicht unterschreiten dürfen24. Die unmittelbare Durchgriffswirkung25 des Art. 28 Abs. 2 GG erhellt, weshalb der Recht22 Löwer (FN 2), Art. 28 Rn. 34; Maurer, DVBl. 1995, S. 1037 (1040); Ehlers, DVBl. 2000, S. 1301 (1301); Hufen (FN 2), S. 1179. 23 Vgl. die Umschreibung der verfassungsrechtlichen Konkordanzmasse bei Grawert, NJW 1987, S. 2329 (2331), als Summe von „Normen, die den Staat insgesamt, in seiner funktionellen und institutionellen Vielfalt,“ betreffen, also unmittelbar ohne Transformationsakt auch die Landesstaatsgewalt binden; vgl. ferner Kersten, DÖV 1993, S. 896 (897); Nierhaus (FN 15), Art. 28 Rn. 4; Dreier (FN 2), Art. 28 Rn. 53; ausführlich Lang, Gesetzgebung in eigener Sache, 2007, S. 157 ff. 24 Dreier (FN 2), Art. 28 Rn. 93; Knemeyer, in: v. Mutius (FN 4), S. 209 (214); ders., LKV 1991, S. 49 (52); Löwer (FN 2), Art. 28 Rn. 34; Tettinger (FN 15), § 11 Rn. 1; Schoch, Jura 2001, S. 121 (121).

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sprechung des BVerfG maßgebliche Bedeutung für die Interpretation der kommunalen Selbstverwaltungsgarantien zukommt26. Das Grundgesetz garantiert die kommunale Selbstverwaltung nicht mehr, wie es einem liberalistischen Verständnis entsprach, im Rahmen des Grundrechtsteils, sondern integriert die kommunale Selbstverwaltung in den staatlichen Aufbau, wie die systematische Stellung der Vorschrift in dem II. Abschnitt „Der Bund und die Länder“ deutlich zum Ausdruck bringt27. Ungeachtet der Stellung des Art. 28 Abs. 2 GG hat sich das BVerfG für die dogmatische Erfassung der Vorschrift maßgeblich an der Vorgängernorm des Art. 127 WRV orientiert28. Diese im Grundrechtsteil der Weimarer Verfassung verortete Bestimmung litt unter der Bindungsarmut im Verhältnis zum Gesetzgeber. So wurden zahlreiche Grundrechte als inhaltsleer eingestuft29, teils wegen des bloßen Programmsatzcharak25 So die h. M., vgl. Dreier (FN 2), Art. 28 Rn. 53, 92; Nierhaus (FN 15), Art. 28 Rn. 2; Tettinger (FN 15), § 11 Rn. 1; Maurer, DVBl. 1995, S. 1037 (1040); Stern, Staatsrecht I, 2. Aufl. 1984, § 19 III 5 b (S. 704); Vitzthum, VVDStRL 46 (1988), S. 7 (11); Püttner, in: HStR VI, 3. Aufl. 2008, § 144 Rn. 20; in diesem Sinne auch schon BVerfGE 1, 167 (174 f.); gegen eine unmittelbare Bindung und für eine Kategorisierung als bloße Normativbestimmung Löwer (FN 2), Art. 28 Rn. 35 f.; Bartlsperger, in: HStR IV, 1. Aufl. 1990, § 96 Rn. 28; Maunz, in: Maunz / Dürig (FN 10), Art. 28 (1977) Rn. 17. 26 Grawert, NJW 1987, S. 2329 (2334); Mager, Einrichtungsgarantien, 2003, S. 331; Knemeyer / Wehr, VerwArch. 92 (2001), S. 317 (318); Maurer, DVBl. 1995, S. 1037 (1041); Ehlers, DVBl. 2000, S. 1301 (1301). 27 Zu den Kommunen als „ein Stück Staat“ BVerfGE 73, 118 (191); 107, 1 (11); Grawert, Die Kommunen im Länderfinanzausgleich, 1989, S. 26; Schmidt-Aßmann (FN 1), S. 803. 28 Schmidt-Aßmann (FN 1), S. 803; Maurer, DVBl. 1995, S. 1037 (1042); Ehlers, DVBl. 2000, S. 1301 (1302); Knemeyer / Wehr, VerwArch. 92 (2001), S. 317 (318). 29 Thiel, Die Verwaltung 35 (2002), S. 25 (52); Mager (FN 26), S. 330, unter Verweis auf Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, 8. Aufl. 1928, Art. 127 Anm. 1, S. 334 f.; Maurer, DVBl. 1995, S. 1037 (1042); Ehlers, DVBl. 2000, S. 1301 (1302); Knemeyer / Wehr, VerwArch. 92 (2001), S. 317 (319).

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ters30, teils wegen des dem jeweiligen Grundrecht beigefügten Gesetzesvorbehalts. Dieser Schwäche setzte Carl Schmitt seine Lehre von den institutionellen Garantien entgegen31. Diese seien dadurch gekennzeichnet, dass der Gesetzgeber sie auszugestalten befugt sei, dabei aber den Gehalt der institutionellen Garantie im Sinne einer Kernbereichsgarantie nicht missachten dürfe. Paradebeispiel einer institutionellen Garantie wurde Art. 127 WRV. Und obwohl Schmitt es grundsätzlich durchaus für möglich hält, objektive Institutionsgarantien mit subjektiven Rechten zu unterfangen32, misst er Art. 127 WRV einen rein objektiv-rechtlichen Gehalt zu33. Eine Begründung für die Ablehnung eines subjektiven Rechts sucht man in Schmitts Verfassungslehre allerdings ebenso vergeblich wie in einer späteren Auseinandersetzung mit der Gegenposition Stier-Somlos34, dessen Argumentation er als polemisch abqualifiziert35. Die Lehre von den institutionellen Garantien fand in der Weimarer Staatsrechtslehre rasch Gefolgschaft36. Selbst An30 Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, 2. Aufl. 2004, Vorb. Rn. 16, weist allerdings zutreffend darauf hin, dass eine pauschale Charakterisierung der Weimarer Grundrechte als bloße Programmsätze angesichts der unmittelbaren Anwendbarkeit zahlreicher klassischer Grundrechtsgarantien unzutreffend ist; für die Selbstverwaltungsgarantie aber ebenfalls deren relative Schwäche konstatierend Dreier (FN 2), Art. 28 Rn. 14. 31 Dies führte nach überwiegender Ansicht zumindest zu einer formellen Stärkung, vgl. Mager (FN 26), S. 330; Bethge, in: v. Mutius (FN 4), S. 149 (158); Maurer, DVBl. 1995, S. 1037 (1042); Kenntner, DÖV 1998, S. 701 (702); tendenziell wohl anders Dreier (FN 2), Art. 28 Rn. 14: „Carl Schmitt bezeichnete sie darüber noch hinausgehend (lediglich) als institutionelle Garantie.“ 32 Carl Schmitt, Verfassungslehre, 1. Aufl. 1928, S. 173. 33 Schmitt (FN 32), S. 173; ebenso Glum, AöR 17 (1929), S. 379 (381). 34 Vgl. Stier-Somlo, AöR 17 (1929), S. 1 (15); ders., AöR 19 (1930), S. 255 (266 ff.). 35 Carl Schmitt, Freiheitsrechte und institutionelle Garantien der Reichsverfassung, 1931, S. 6. 36 Forsthoff, Die öffentliche Körperschaft im Bundesstaat, 1931, S. 102 ff.

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schütz, der zunächst in seinem Kommentar die These vertrat, Art. 127 WRV gewährleiste den Gemeinden und Gemeindeverbänden „tatsächlich nichts“37, anerkennt unter dem Einfluss Schmitts eine Bindung des Gesetzgebers, die er allerdings inhaltlich noch stark relativiert sieht38. Einen Durchbruch in der Rechtsprechung bedeutet bereits die Entscheidung des StGH vom 10. / 11. 12. 192939. Dort greift der Gerichtshof den Gedanken der institutionellen Garantie auf und leitet daraus ab, die Landesgesetzgebung dürfe das Recht der Selbstverwaltung nicht aufheben und die Verwaltung der Gemeindeangelegenheiten den Staatsbehörden übertragen. Die Selbstverwaltung dürfe nicht derart eingeschränkt werden, dass sie innerlich ausgehöhlt würde, die Gelegenheit zu kraftvoller Betätigung verlöre und nur noch ein Scheindasein führen könne40. Bereits in seiner allerersten Entscheidung zu einer Kommunalverfassungsbeschwerde aus dem ersten Bande überträgt das BVerfG nun diese Deutung auf Art. 28 Abs. 2 GG, den es jedenfalls primär als institutionelle Gewährleistung begreift. Ausdrücklich zitiert es die angeführte Passage des StGH und sieht weder Hinweise, dass Art. 28 GG hinter dem Gehalt des Art. 127 WRV habe zurückbleiben, noch über diesen habe hinausgehen sollen41. Die Lehre von Art. 28 Abs. 2 GG als einer institutionellen Garantie sieht sich von gewichtigen Stimmen der Kritik aus37 Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, 7. Aufl. 1928, Art. 127 Anm. 1, S. 335. 38 Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, 14. Aufl. 1933, Art. 127 Anm. 1, S. 583: Bindung sei „nicht sehr hoch zu veranschlagen“. 39 StGH vom 10. / 11. 12. 1929, abgedruckt in RGZ 126, Anh. S. 14 ff. = Lammers / Simons (Hrsg.), Die Rechtsprechung des Staatsgerichthofs für das Deutsche Reich und des Reichsgerichts auf Grund Artikel 13 Absatz 2 der Reichsverfassung, Band II, 1930, S. 99 ff. 40 StGH vom 10. / 11. 12. 1929, abgedruckt in RGZ 126, Anh. S. 14 (22) = Lammers / Simons (FN 39), S. 99 (100). 41 BVerfGE 1, 167 (174 f.); im Folgenden auch BVerfGE 23, 353 (365); 26, 228 (238); Ehlers, DVBl. 2000, S. 1301 (1302).

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gesetzt42. Mancher sieht in den institutionellen Garantien bereits „dogmatische Fossilien“43. Bedenken gegen das institutionelle Rechtsdenken sind unter dem Grundgesetz insoweit anzumelden, als es in der Weimarer Staatsrechtslehre auf die Begründung einer Bindung des Gesetzgebers zielte. Mit der eindeutigen Verfassungsbindung aller Staatsgewalten nach Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG erscheint diese Konstruktion jedenfalls weitgehend obsolet44. Eine Berechtigung kann der Lehre von den institutionellen Garantien noch insoweit zukommen, als das Grundgesetz Gewährleistungen enthält, die nicht aus sich selbst heraus gelten können, sondern auf Ausgestaltung durch den Gesetzgeber angewiesen sind45. Der historischen Stoßrichtung entsprechend, bewirkt die Anerkennung einer institutionellen Garantie die Bindung des ausgestaltenden Gesetzgebers an die typusbestimmenden Merkmale der verfassungsrechtlich gewährleisteten Einrichtung46. Einer kritischen Betrachtung zu unterziehen ist vor diesem Hintergrund, inwieweit die Entwicklung der Gehalte des Art. 28 Abs. 2 GG und der Landesverfassungen auf einer Prononcierung des institutionellen Verständnisses fußt, das statt einer Absicherung der kommunalen Selbstverwaltung eine konstruktive Schwächung bewirkt47. 42 Maurer, DVBl. 1995, S. 1037 ff.; Ehlers, DVBl. 2000, S. 1301 (1304); Hufen (FN 2), S. 1180 f., 1187. 43 Waechter, Die Verwaltung 29 (1996), S. 47 ff. 44 Maurer, DVBl. 1995, S. 1037 (1042); Ehlers, DVBl. 2000, S. 1301 (1304); Kronisch, Aufgabenverlagerung und gemeindliche Aufgabengarantie, 1993, S. 94 ff. 45 Ehlers, in: ders. / Krebs (Hrsg.), Grundfragen des Verwaltungsrechts und des Kommunalrechts, 2000, S. 59 (79 f.); Mager (FN 26), S. 347. 46 Ehlers, DVBl. 2000, S. 1301 (1304, 1306 f.); Tettinger (FN 15), § 11 Rn. 4. 47 Nach Hufen (FN 2), S. 1187, kann die Selbstverwaltung nur dann ein „Gestaltungsprinzip des Verfassungsstaates sein, wenn sie, wenn schon nicht als Grundrecht, so doch als echtes subjektives Recht verstanden wird“; in diesem Sinne auch Maurer, DVBl. 1995, S. 1037 (1042); Schink,

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Darauf wird im Folgenden für die drei Gewährleistungsgehalte des Art. 28 Abs. 2 GG eingegangen, die im Anschluss an die von Klaus Stern48 geprägte Terminologie unterschieden werden: Rechtssubjektsgarantie – Rechtsinstitutionsgarantie – Rechtsstellungsgarantie. 2. Rechtssubjektsgarantie Nach der Rechtssubjektsgarantie muss es Gemeinden und Gemeindeverbände als Elemente des Verwaltungsaufbaus mit dem Status als Gebietskörperschaft geben, also mit eigenem Gebiet, eigenem Namen und eigener Rechtsfähigkeit49. Gerade im Hinblick auf diesen Gewährleistungsgehalt hat das BVerfG wiederholt formuliert, Art. 28 Abs. 2 GG beinhalte lediglich eine institutionelle, nicht aber eine individuelle Garantie der Kommunen50. Tatsächlich setzt der durch das BVerfG und die Landesverfassungsgerichte gewährte Rechtsschutz gegenüber Neugliederungsmaßnahmen allerdings die Möglichkeit einer Verletzung des Selbstverwaltungsrechts und damit ein Abwehrrecht gegenüber rechtswidrigen Beeinträchtigungen der eigenen Rechtssubjektsqualität voraus51. Die Konstruktion der Rechtssubjektsgarantie als einer zunächst und primär objektiv-institutionellen Gewährleistung, der lediglich eine beschränkte individuelle Wirkung zukomVerwArch. 81 (1990), S. 385 (396 f.); J. Ipsen, ZG 9 (1994), S. 194 (195 ff.); Kenntner, DÖV 1998, S. 701 (702 ff.). 48 Grundlegend Stern, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 28 (Zweitbearbeitung 1964) Rn. 66; ders. (FN 25), § 12 II 4 (S. 408 ff.). 49 Mager (FN 26), S. 334 m. w. N.; Löwer (FN 2), Art. 28 Rn. 42 ff.; Tettinger (FN 15), § 11 Rn. 4; Schmidt-Aßmann (FN 1), S. 816. 50 BVerfGE 50, 50 (50); 59, 216 (227); 86, 90 (107). 51 Knemeyer / Wehr, VerwArch. 92 (2001), S. 317 (340), weisen daher darauf hin, dass die Argumentation ihren dogmatischen Ausgangspunkt im Grunde verlasse; vgl. ferner Maurer, DVBl. 1995, S. 1037 (1041 f.); Schoch, Jura 2001, S. 121 (124); Katz / Ritgen, DVBl. 2008, S. 1525 (1534); Hufen (FN 2), S. 1188; Ehlers, DVBl. 2000, S. 1301 (1304); Pieroth, in: Jarass / Pieroth, GG, 10. Aufl. 2009, Art. 28 Rn. 11; Magen, JuS 2006, S. 404 (405); kritisch hierzu Bull, DVBl. 2008, S. 1 (8 f.).

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men soll, ist zudem nicht erforderlich, um einen absoluten Bestandsschutz der Kommunen im Interesse der Anpassungsfähigkeit der Verwaltungsorganisation zu verhindern. Denn selbst im Bereich des Grundrechtsschutzes – Beispiel Grundrecht auf Leben und finaler Rettungsschuss – ist es nicht ausgeschlossen, dass der Grundrechtsträger auf gesetzlicher Grundlage unter Beachtung der Schranken-Schranken einen Totalverlust seiner Grundrechtsposition als verfassungsrechtlich gerechtfertigt hinnehmen muss. In der Sache hat das BVerfG aus der Rechtssubjektsgarantie ein an der Überprüfung planerischer Abwägungsentscheidungen orientiertes Raster entwickelt, das einen angemessenen Ausgleich zwischen individuellem Bestandsinteresse einerseits und der notwendigen Anpassungsfähigkeit der Verwaltungsorganisation in Verfolgung legitimer Gemeinwohlbelange andererseits ermöglicht52. Dass es sich nicht um einen zahnlosen, lediglich prozedural disziplinierenden Papiertiger handelt, belegt die jüngste Entscheidung des Landesverfassungsgerichts in Mecklenburg-Vorpommern53, das die dort vorgesehenen Großkreise wegen Verstoßes gegen das Selbstverwaltungsrecht für verfassungswidrig erklärt hat54. 3. Rechtsinstitutionsgarantie Zentrale Bedeutung für einen effektiven Schutz der kommunalen Selbstverwaltung hat die von Art. 28 Abs. 2 GG gewährleistete sog. objektive Rechtsinstitutionsgarantie. Sie um52 BVerfGE 86, 90 (107); Knemeyer / Wehr, VerwArch. 92 (2001), S. 317 (340); aus den grundlegenden Vorarbeiten des Schrifttums siehe vor allem Hoppe / Rengeling, Rechtsschutz bei der kommunalen Gebietsreform, 1973; Stüer, Funktionalreform und kommunale Selbstverwaltung, 1980; vgl. kritisch zu den entwickelten Maßstäben nunmehr Bull, DVBl. 2008, S. 1 (2, 5) m. w. N. 53 LVerfG MV, LKV 2007, S. 457 ff. 54 Vgl. hierzu ausführlich Katz / Ritgen, DVBl. 2008, S. 1525 ff.; Erbguth, DÖV 2008, S. 152 ff.; Hubert Meyer, NVwZ 2007, S. 1024 ff.; sehr kritisch hierzu Bull, DVBl. 2008, S. 1 ff.; Mehde, NordÖR 2007, S. 331 ff.

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fasst die Gewährleistung der Gemeinden als Selbstverwaltungskörperschaften, die von Verfassungs wegen allzuständig sind, die Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft eigenverantwortlich zu regeln. Der Gewährleistungsumfang des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG in seiner Funktion als objektive Rechtsinstitutionsgarantie wird zweigliedrig erschlossen55. Zugewiesen werden den Gemeinden erstens alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft (Universalität). Zweitens garantiert Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG die Eigenverantwortlichkeit der Wahrnehmung dieses durch das Örtlichkeitsmerkmal konturierten Aufgabenbestands. Die Selbstverwaltungsgarantie der Gemeindeverbände unterscheidet sich hiervon nicht im Hinblick auf die Eigenverantwortlichkeit56. Ihnen werden Aufgaben aber nicht verfassungsunmittelbar, sondern nur nach Maßgabe gesetzlicher Zuweisung garantiert. Hinsichtlich beider Merkmale hat die Interpretation des Art. 28 Abs. 2 GG die Wirkkraft der Bestimmung teils gestärkt, teils geschwächt. a) Aufgabengarantie Definitorisch versteht das BVerfG unter den Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft „diejenigen Bedürfnisse und Interessen, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf sie einen spezifischen Bezug haben“, „die also den Gemeindeeinwohnern gerade als solchen gemeinsam sind, indem sie das Zusammenleben und -wohnen der Menschen in der 55 J. Ipsen, ZG 1994, S. 194 (202); Ruffert, VerwArch. 92 (2001), S. 27 (32); vgl. hinsichtlich des Verhältnisses der beiden Gewährleistungselemente auch die ausführliche Analyse der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung durch Knemeyer / Wehr, VerwArch. 92 (2001), S. 317 (333 ff.). 56 BVerfGE 83, 363 (383). Dies aufgreifend betont LVerfG MV, LKV 2007, S. 457 (458), die Kreise seien „keine Zweckschöpfungen des Gesetzgebers mit ,schwächelnder Selbstverwaltungsgarantie‘“.

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(politischen) Gemeinde betreffen“57. Auf die Verwaltungsund Finanzkraft kommt es dabei – anders noch als in der frühen Rechtsprechung58 – grundsätzlich nicht an59. Letzteres verdient Zustimmung, weil die angemessene Finanzausstattung der Aufgabenlast zu folgen hat. Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft sind nach dieser Definition ausschließlich Sachmaterien. Eingriffe in den aufgabenbezogenen Gewährleistungsgehalt des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG sind möglich durch die Entziehung örtlicher Aufgaben, aber auch durch die Übertragung zusätzlicher, die Ressourcen der Gemeinden bindender nichtörtlicher Aufgaben60. Letzteres anerkannt zu haben61, ist ein wesentlicher Beitrag der Rechtsprechung zur Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung, zumal die Vollzugsbeanspruchung durch nichtörtliche Aufgaben teils bereits auf über 80 % taxiert wird62. Dagegen hat das BVerfG den Schutz der Kreise gegenüber Aufgabenüberbürdungen in der Hartz IVEntscheidung minimiert63. BVerfGE 79, 127 (151 f.). BVerfGE 8, 122 (134); 52, 95 (120). 59 BVerfGE 79, 127 (151 f.); 110, 370 (400); Maurer, DVBl. 1995, S. 1037 (1043); Ehlers, DVBl. 2000, S. 1301 (1305). 60 VerfGH RP, DÖV 2001, S. 601 (602); VerfGH NRW, DVBl. 1993, S. 197 (198); VerfGH LSA, NVwZ-RR 1999, S. 393 (396); ausführlich Hufen, DÖV 1998, S. 276 ff.; Schoch, DVBl. 2008, S. 937 (942 ff.); SchmidtAßmann (FN 1), S. 817; Tettinger (FN 15), § 11 Rn. 34. 61 So jetzt auch BVerfGE 119, 331 (354), für die Gemeinden, weil die gemeindliche Selbstverwaltung bereits dadurch berührt werde, „dass eine Aufgabenzuweisung ihnen erschwert, neue Selbstverwaltungsaufgaben zu übernehmen“, nachdem dies in der Rechtsprechung der Landesverfassungsgerichte und im Schrifttum (vgl. die Nachw. in FN 60) bereits seit geraumer Zeit breite Anerkennung gefunden hat. 62 Siehe die Nachw. in FN 7. 63 Nach BVerfGE 119, 331 (354 ff.), sind die Kreise außerhalb des von Art. 28 Abs. 2 S. 2 GG geforderten „Mindestbestands an echten Selbstverwaltungsaufgaben gegen Aufgabenentziehungen und -zuweisungen nicht geschützt“. Krit. dazu Schoch, DVBl. 2008, S. 937 (939 f., 942 ff.); Wieland, Der Landkreis 2008, S. 184 (185), u. a. mit dem Argument, hinsichtlich der Aufgabengarantie für die Kreise müsse der gleiche Maßstab wie 57 58

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Angesichts des Anteils der übertragenen Aufgaben ist zudem auf die inzwischen flächendeckende Einführung von Konnexitätsregelungen durch die Landesverfassungen hinzuweisen, die – bei Unterschieden im Detail – eine Aufgabenübertragung durch den Landesgesetzgeber nur zulassen, wenn das Gesetz für einen angemessenen finanziellen Ausgleich Sorge trägt64. Dass diese Schutzvorschriften, die nur bei landesgesetzlichen Aufgabenzuweisungen greifen, zukünftig nicht mehr durch Aufgabenzuweisungen unmittelbar durch den Bundesgesetzgeber ausgehebelt werden können (Art. 84 Abs. 1 S. 7, Art. 85 Abs. 1 S. 2 GG)65, ist aus Sicht der Kommunen der größte Erfolg der Föderalismusreform I. Im Hinblick auf Aufgabenentziehungen wirkt das institutionelle Verständnis des Art. 28 Abs. 2 GG in mehrfacher Hinsicht fort. So soll wegen der Ausgestaltungsbedürftigkeit institutioneller Garantien der Gesetzgeber eine Einschätzungsprärogative besitzen66, ob sich eine Aufgabe noch als für die Gemeinden gelten, sobald den Kreisen eine bestimmte Aufgabe durch den Landesgesetzgeber zugewiesen worden sei. Allerdings trägt jedenfalls der Verweis auf die Krankenhausfinanzierungsentscheidung des BVerfG nicht, weil dort die Gleichwertigkeit des Schutzgehalts nur hinsichtlich des Elements der Eigenverantwortlichkeit anerkannt wird, vgl. BVerfGE 83, 363 (383), und die Gewährleistungen des Art. 28 Abs. 2 S. 1 und S. 2 GG sich in ihrem aufgabenspezifischen Gehalt tatsächlich signifikant unterscheiden. Gleichwohl bleibt aber in BVerfGE 119, 331 ff. ungeklärt, ob nicht gerade die zugunsten der Gemeindeverbände gleichermaßen geschützte Eigenverantwortlichkeit der den Kreisen gesetzlich zugewiesenen Aufgaben mittelbar betroffen wird, wenn zusätzliche, die Ressourcen bindende Aufgabenzuweisungen erfolgen, ohne dass es insoweit einer Rüge der Verletzung des Kernbereichs oder Wesensgehalts (so BVerfGE 119, 331 [355]) bedürfte; insoweit ebenso krit. Schoch, ebd., S. 943 f. 64 Art. 71 Abs. 3 S. 3 Verf. BW; Art. 83 Abs. 3 Verf. Bay.; Art. 97 Abs. 3 S. 2 Verf. Bbg.; Art. 137 Abs. 6 Verf. Hess.; Art. 73 Abs. 2 Verf. MV; Art. 57 Abs. 4 Verf. Nds.; Art. 78 Abs. 3 Verf. NRW; Art. 49 Abs. 5 Verf. RP; Art. 120 Abs. 1 Verf. Saarl.; Art. 49 Abs. 2 Verf. SH; Art. 85 Abs. 2 Verf. Sachs.; Art. 87 Abs. 3 Verf. SachsAnh.; Art. 93 Abs. 1 S. 2 Verf. Thür.; zu der Auslegung dieser Bestimmungen grundlegend Ammermann, Das Konnexitätsprinzip im kommunalen Finanzverfassungsrecht, 2007. 65 Zu diesem Regelungsanliegen vgl. Amtl. Begründung, BT-Drucks. 16 / 813, S. 15; Suerbaum (FN 21), Art. 84 Rn. 28.

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Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft darstellt oder der Örtlichkeit entwachsen ist, und insoweit typisieren dürfen67. Soweit noch eine Ausgestaltung vorliegt, greift nach dem überkommenen Verständnis der institutionellen Garantie keine Rechtfertigungslast. Im Unterschied zu der umfänglichen Normgeprägtheit etwa der Eigentumsfreiheit enthält aber Art. 28 Abs. 2 GG mit dem Begriff der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft bereits eine verfassungsunmittelbare Umschreibung des Gewährleistungsbereichs68, so dass gesetzliche Regelungen, die eine gegenüber der geltenden Rechtslage restriktivere Bestimmung der Örtlichkeit enthalten, generell einer Rechtfertigungsprüfung unterzogen werden sollten. Unzulässig sind Eingriffe in den unantastbaren Kernbereich69. Der Kernbereichsschutz70 krankt jedoch daran, dass die gesetzlichen Gefährdungen der Selbstverwaltung subtiler wirken als die in der Theorie71 erdachten Extremfälle72. Er setzt erst an, wenn der Patient kommunale Selbstverwaltung bereits irreversibel geschädigt scheint. Das BVerfG verlangt da66 BVerfGE 79, 127 (153); 83, 363 (383); für eine Wertungs- und Einschätzungsprärogative und eine Reduzierung der verfassungsgerichtlichen Kontrolldichte Bull, DVBl. 2008, S. 1 (7); vgl. zur besonderen Normgeprägtheit auch Schmidt-Aßmann (FN 1), S. 817; Knemeyer / Wehr, VerwArch. 92 (2001), S. 317 (333); Magen, JuS 2006, S. 404 (408). 67 Vgl. BVerfGE 110, 370 (400 f.); Schmidt-Aßmann (FN 1), S. 820; Magen, JuS 2006, S. 404 (405). 68 Knemeyer / Wehr, VerwArch. 92 (2001), S. 317 (332); Schoch, VerwArch. 81 (1990), S. 18 (27); Maurer, DVBl. 1995, S. 1037 (1041); Ehlers, DVBl. 2000, S. 1301 (1304); Kenntner, DÖV 1998, S. 701 (702 ff.). 69 BVerfGE 79, 127 (149); 91, 228 (238); Schmidt-Aßmann (FN 1), S. 819; Knemeyer / Wehr, VerwArch. 92 (2001), S. 317 (338). 70 Zu Versuchen der Konturierung rezent Schmehl, BayVBl. 2006, S. 325 ff.; Kühne, in: Frank / Langrehr (Hrsg.), FS Faber, 2007, S. 35 ff. 71 Der vermeintliche praktische Fall eines Kernbereichsverstoßes, der im Papenburg-Urteil des NdsStGH, StGHE 2, 1 (214), angenommen wird, entpuppt sich tatsächlich als Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz; siehe Kühne (FN 70), S. 43 f. 72 Frühe Kritik bereits bei Schmidt-Jortzig, Die Einrichtungsgarantien in der Verfassung, 1979, S. 40 f.; Knemeyer (FN 24), S. 212 f.

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her seit der Rastede-Entscheidung, dass auch Eingriffe in den Randbereich daraufhin geprüft werden, ob sie dem materiellen Aufgabenverteilungsprinzip im Verhältnis von Gemeinden und Gemeindeverbänden genügen73. Dieses wird gerade daraus abgeleitet, dass das Grundgesetz den Gemeinden Aufgaben verfassungsunmittelbar zuweist, während die Gemeindeverbände am Tropf gesetzlicher Aufgabenzuweisung hängen. Die Annahme einer Bindung und Rechtfertigungslast des Gesetzgebers auch jenseits des Kernbereichs überwindet eine wesentliche Limitation des überkommenen institutionellen Verständnisses. Problematisch bleibt allerdings außer der partiellen Freistellung des Gesetzgebers bei der Ausgestaltung dessen, was örtlich ist, dass das Aufgabenverteilungsprinzip zwar Teilelemente der Verhältnismäßigkeit aufnimmt, das Schutzpotential des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes aber schon wegen des eingeschränkten Anwendungsbereichs74 nicht erreichen kann75. b) Eigenverantwortlichkeit Im Bereich ihrer verfassungsunmittelbar bzw. gesetzlich zugewiesenen Selbstverwaltungsaufgaben garantiert Art. 28 Abs. 2 S. 1 und 2 GG die Eigenverantwortlichkeit der Aufgabenerfüllung durch die Gemeinden bzw. Gemeindeverbände. Dies schließt bekanntlich staatliche Zweckmäßigkeitsvorgaben und damit eine Fachaufsichtsunterworfenheit aus76. 73 BVerfGE 79, 127 (149); Knemeyer / Wehr, VerwArch. 92 (2001), S. 317 (329). 74 Deutlich VerfGH NRW, NVwZ 2002, S. 1502 (1503), der bei der Regelung einer verwaltungsorganisatorischen Vorgabe das Aufgabenverteilungsprinzip als nicht einschlägig konstatiert und daher ohne weiteres auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz rekurriert. 75 Knemeyer / Wehr, VerwArch. 92 (2001), S. 317 (341). 76 Schmidt-Aßmann (FN 1), S. 820; Knemeyer / Wehr, VerwArch. 92 (2001), S. 317 (331); Suerbaum, in: Oebbecke / Ehlers / Klein / Diemert (Hrsg.), Zwischen kommunaler Kooperation und Verwaltungsreform, 2006, S. 49 (53) m. w. N. – Die Kommunalaufsicht darf zudem nicht zu einer „Einmischungsaufsicht“ werden, BVerfGE 78, 331 (342).

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Im Rahmen der Gesetzesbindung soll damit für die durch das Kommunalvolk legitimierten Organe ein verfassungsrechtlich abgeschirmter Bereich bestehen, in dem örtliche Gemeinwohlbelange autonom zum Zweck kommunalen Handelns erwählt werden können. Wenn diese Eigenverantwortlichkeit schwächelt, hat dies zum einen Gründe, die nicht spezifische Probleme der Verfassungsbestimmungen zum Schutz der kommunalen Selbstverwaltung sind und daher hier nicht im Fokus stehen. Zu erinnern ist insoweit erstens an die insbesondere von der Wesentlichkeitsrechtsprechung getriebene Detailliertheit gesetzlicher Vorgaben, die die Unterscheidung von Rechts- und Fachaufsicht nivelliert77. Zweitens haben die Kommunen wie andere nationale Kompetenzträger die Zuständigkeitsverluste und zusätzlichen Bindungen hinzunehmen, die mit der europäischen Integration einhergehen78. Der Eigenverantwortlichkeitsgarantie ordnet das BVerfG zudem die sog. Gemeindehoheiten, insbesondere die Organisationshoheit, zu79, weil es das Gericht als mit seiner Standarddefinition80 der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaften unvereinbar ansieht, jene auf andere als Sachaufgaben zu erstrecken. Den damit nach der Syntax des Art. 28 Abs. 2 GG naheliegenden81 und in der bisherigen Judikatur ange77 Vgl. im Hinblick auf die Regelungsintensität in bestimmten Bereichen die anschauliche Formulierung bei Schnapp, StWStP 9 (1998), S. 149 (155), die Staatsaufsicht könnte sich dort „mit der Geste anscheinender Großzügigkeit auf eine bloße Rechtsaufsicht beschränken“. 78 Zur fehlenden Europafestigkeit der kommunalen Selbstverwaltung sowohl aus verfassungsrechtlicher als auch aus europarechtlicher Sicht Suerbaum, Die Kompetenzverteilung beim Verwaltungsvollzug des Europäischen Gemeinschaftsrechts in Deutschland, 1998, S. 71 ff., 150 ff. m. w. N.; ferner Bergmann, BWGZ 2009, S. 300 ff.; Ruffert, in: Püttner / Mann (FN 4), S. 1077 ff.; Schmahl, DÖV 1999, S. 852 ff.; speziell zur kommunalen Organisationshoheit Schliesky, Die Verwaltung 38 (2005), S. 339 (346); Hufen (FN 2), S. 1182. 79 BVerfGE 38, 258 (278); 52, 95 (117); 78, 331 (341); 83, 363 (382); 91, 228 (236). 80 Siehe im Text bei und den Nachweis in FN 57. 81 Vgl. Knemeyer / Wehr, VerwArch. 92 (2001), S. 317 (337).

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deuteten Konnex von Eigenverantwortlichkeit und Örtlichkeitsprinzip82 hat das BVerfG aufgebrochen. Die sub specie der Eigenverantwortlichkeit gewährleistete Organisationshoheit83 erfasst damit nicht nur die Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft, sondern sie gilt für die „gesamte Verwaltung“84. Im Ergebnis verdient dies schon deshalb Zustimmung, weil die Organisation der Kommunen nicht dualistisch erfolgt und daher organisatorische Vorgaben hinsichtlich der Erfüllung nichtörtlicher Aufgaben Eingriffe hinsichtlich der Wahrnehmung der Selbstverwaltungsaufgaben gewärtigen lassen. Im Übrigen wird die Wirkkraft der Eigenverantwortlichkeit allerdings erheblich reduziert. Zwar wird wie im Bereich der Aufgabengarantie ein Schutz bereits im Vorfeld der Kernbereichsgarantie anerkannt. Jedoch soll nach der Formulierung des BVerfG in der Gleichstellungsbeauftragten-Entscheidung die Organisationshoheit von vornherein nur relativ gewährleistet sein. Es gelte nicht ein „Prinzip der Eigenorganisation, demgegenüber jede staatliche Vorgabe einer spezifischen Rechtfertigung bedürfte“85. Begründet wird dies mit der gesetzlichen Ausgestaltungsbedürftigkeit86 der Organisationshoheit, historischen Erwägungen und der derzeitigen Ausformung des Kommunalrechts87. Belasse der Gesetzgeber den Kommunen einen hinreichenden Spielraum, finde eine Kon82 In diesem Sinne noch BVerfGE 79, 127 (143): „Die Gewährleistung des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG sichert den Gemeinden einen grundsätzlich alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft umfassenden Aufgabenbereich sowie die Befugnis zu eigenverantwortlicher Führung der Geschäfte in diesem Bereich“ (Hervorhebung hinzugefügt). Vgl. zuvor bereits BVerfGE 21, 117 (128 f.); 23, 353 (365); 50, 195 (201); 59, 216 (226). 83 Allerdings soll diese nach dem Gleichstellungsbeauftragten-Beschluss des BVerfG „von vornherein nur relativ gewährleistet“ sein, BVerfGE 91, 228 (240). Dazu krit. Frenz, VerwArch. 86 (1995), S. 378 ff. 84 BVerfGE 83, 363 (382); BVerfG, DVBl. 1999, S. 697 (697 f.); aus dem Schrifttum ebenso Vietmeier, DVBl. 1993, S. 190 (192); Waechter, Kommunalrecht, 3. Aufl. 1997, Rn. 213. 85 BVerfGE 91, 228 (240). 86 Ehlers, DVBl. 2000, S. 1301 (1303); Bull, DVBl. 2008, S. 1 (7 f.). 87 Maurer, DVBl. 1995, S. 1037 (1043).

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trolle, ob das Gesetz auf hinreichend gewichtigen Zielsetzungen beruhe, nicht statt88. Diese Relativierung der Organisationshoheit findet im Verfassungstext keine Stütze. Sie beruht vielmehr auf einer Versteinerung des institutionellen Verständnisses, das auch neue Restriktionen der Organisationshoheit einer Rechtfertigungslast weitgehend enthebt89. Die Rechtsprechung des BVerfG sowohl zur Aufgabenals auch zur Eigenverantwortlichkeitsgarantie ist maßgeblich durch das Bemühen geprägt, die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips zu vermeiden90. Dies wiederum dürfte eine Erklärung weniger in der – fragwürdigen – These finden, dass der ausgestaltende Gesetzgeber einer Bindung an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht unterliegt91. Vielmehr hat das BVerfG lange Zeit den Grundsatz im staatsorganisatorischen Binnenverhältnis für prinzipiell unanwendbar gehalten92. Diese Bedenken tragen aus den folgenden Gründen nicht: Den Anwendungsbereich des Übermaßverbots auch in Bezug auf nichtstaatliche Kompetenzträger restriktiv zu bestimmen wäre konsequent, wenn die Geltung des Prinzips ausschließlich grundrechtlich fundiert wäre. Das VerhältnismäBVerfGE 91, 228 (241 f.). Der Entscheidung grundsätzlich zustimmend Maurer, DVBl. 1995, S. 1037 (1043). 90 Kritisch hierzu Hufen (FN 2), S. 1181; Ehlers, DVBl. 2000, S. 1301 (1303, 1307); Unklarheit und Inkonsequenz der Rechtsprechung monierend auch Katz / Ritgen, DVBl. 2008, S. 1525 (1534), die im Ergebnis zumindest eine starke Annäherung an das Übermaßverbot konstatieren. 91 Vgl. Clemens, NVwZ 1990, S. 834 (836); Bull, DVBl. 2008, S. 1 (9). 92 BVerfGE 81, 310 (338); Ossenbühl, in: Badura / Scholz (Hrsg.), FS Lerche, 1993, S. 151 (160 f.); Frenz, Die Verwaltung 28 (1995), S. 33 ff.; Clemens, NVwZ 1990, S. 834 (836); Bull, DVBl. 2008, S. 1 (9); a. A. J. Ipsen, ZG 1994, S. 194 (209 ff.); Maurer, DVBl. 1995, S. 1037 (1044 f.); Nierhaus (FN 15), Art. 28 Rn. 56; Kronisch (FN 44), S. 67; Kenntner, DÖV 1998, S. 701 (708 ff.); Tettinger (FN 15), § 11 Rn. 24; ausführlich hierzu Ehlers, DVBl. 2000, S. 1301 (1303); Heusch, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Staatsorganisationsrecht, 2003, S. 184 ff. 88 89

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ßigkeitsprinzip ist indessen – auch – aus dem Rechtsstaatsprinzip93, genauer der Bindung an Verfassung und Gesetz gem. Art. 20 Abs. 3 GG abzuleiten, die eine verhältnismäßige Zuordnung geschützter Rechtsgüter fordert94. Trotz seiner historischen Ursprünge95, die vornehmlich in dem die Freiheit des Einzelnen besonders intensiv betreffenden Bereich des Strafrechts96 und später des Polizeirechts97 zu 93 Zur rechtsstaatlichen Begründung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, der vielfach eine grundrechtliche zur Seite gestellt wird, siehe BVerfGE 19, 342 (348 f.); 23, 127 (133); 35, 382 (400); 39, 156 (165); 61, 126 (134); 76, 256 (359); 80, 109 (120); zu der eher thetischen Ableitung des Übermaßverbots durch das BVerfG Stern, in: Badura / Scholz (FN 92), S. 165 (bes. 165, 172); für die zahlreichen Literaturstimmen im Sinne einer rechtsstaatlichen Fundierung des Verhältnismäßigkeitsprinzips Sommermann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 5. Aufl. 2005, Art. 20 Rn. 308; Maurer, DVBl. 1995, S. 1037 (1044 f.); Ehlers, DVBl. 2000, S. 1301 (1307). Dagegen zählt Krebs, Jura 2001, S. 228 (233), das Übermaßverbot zwar zu den Einzelausprägungen des Rechtsstaatsprinzips; es lasse sich aber „in seiner konkreten Gestalt . . . nicht im allgemeinen Prinzip ansiedeln“. 94 Sommermann (FN 93), Art. 20 Rn. 308. 95 Zu den „Verfassungs- und verwaltungsrechtsgeschichtliche(n) Grundlagen des Übermaßverbots“ siehe die gleichnamige Monographie von Remmert, 1995, die trotz zahlreicher Vorboten zu dem Befund gelangt, das Übermaßverbot habe sich erst unter dem Grundgesetz zu einem individualschützenden, auch den Gesetzgeber bindenden Verfassungsmaßstab mit den drei Teilelementen der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit entwickelt (zusammenfassend ebd., S. 200 ff.). 96 Vgl. Ziffer 20 der Magna Charta Libertatum von 1215: „A freeman shall be amerced for a small offence only according to the degree of the offence; and for a grave offence he shall be amerced according to the gravity of the offence, saving his contenement. And a merchant shall be amerced in the same way . . .“. In Art. 8 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 heißt es: „La loi ne doit établir que des peines strictement et évidemment nécessaires . . .“. 97 1791 weist Svarez, in: Conrad / Kleinheyer (Hrsg.), Vorträge über Recht und Staat von C. G. Svarez, 1960, S. 455 (486 f.), darauf hin, dass „der erste Grundsatz des öffentlichen Staatsrechts ist, daß der Staat die Freiheit des einzelnen nur so weit einzuschränken berechtigt sei, als es notwendig ist, damit die Freiheit und Sicherheit aller bestehen könne“; dies sei „der erste Grundsatz des Polizeirechts“. Dies fand in § 10 II 17 ALR Widerhall, nach dem die Polizei darauf beschränkt ist, die „nöthigen Anstalten“ zu treffen.

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finden sind, ist eine Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips außerhalb des Staat / Bürger-Verhältnisses nicht ausgeschlossen98. Die Vorstellung, dass Erwägungen der Verhältnismäßigkeit generell im Bereich der Zuständigkeitsverteilung zwischen verschiedenen Hoheitsträgern deplaziert seien, wird bereits durch das Gemeinschaftsrecht widerlegt. Nach Art. 5 Abs. 3 EGV gehen Maßnahmen der Gemeinschaft nicht über das für die Erreichung der Ziele des Vertrags erforderliche Maß hinaus. In Einklang mit der Entstehungsgeschichte der Norm und ihrer systematischen Stellung im Anschluss an die Subsidiaritätsregelung des Art. 5 Abs. 2 EGV ist die Bindungswirkung nicht auf das Verhältnis zu den Gemeinschaftsbürgern begrenzt. Vielmehr verpflichtet die Norm die Gemeinschaftsorgane bei der Ausübung ihrer Kompetenzen gegenüber den Mitgliedstaaten auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz99. Das BVerfG hat diese Begrenzungswirkung des Verhältnismäßigkeitsprinzips zugunsten der Mitgliedstaaten im Maastricht-Urteil ausdrücklich anerkannt100. Auch der mit Blick auf das Bund / Länder-Verhältnis vom BVerfG vorgetragene Einwand, das „Denken in den Kategorien von Freiheit und Eingriff“ sei mit einer binnenstaatlichen Heranziehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht vereinbar101, trägt jedenfalls für die Organisationseinheiten nicht, denen die Verfassung einen geschützten Bereich eigenverantwortlichen Handelns zuweist. Insbesondere im Bereich des Verhältnisses der Kommunen zum Staat zeigt auch die durch das BVerfG praktizierte Prüfung der Vereinbarkeit von Ein98 Hufen (FN 2), S. 1187; Ehlers, DVBl. 2000, S. 1301 (1304 ff.); Kenntner, DÖV 1998, S. 701 (710). 99 Calliess, in: ders. / Ruffert (Hrsg.), EUV / EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 5 EGV Rn. 52. 100 BVerfGE 89, 155 (212): Das Verhältnismäßigkeitsprinzip „enthält zunächst ein grundrechtliches Übermaßverbot, kann aber im Rahmen eines Staatenverbundes, der eben nicht eine staatlich organisierte Einheit ist, die Regelungsintensität von Gemeinschaftsmaßnahmen . . . beschränken und so die nationale Identität der Mitgliedstaaten . . . gegen ein Übermaß europäischer Regelungen wahren.“ 101 BVerfGE 81, 310 (338).

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griffen mit Art. 28 Abs. 2 GG strukturelle Ähnlichkeiten zur Grundrechtsprüfung102. Und die stattdessen in der Regel aus staatsorganisationsrechtlichen Normen bereichs- und fallweise entwickelten Anforderungen entsprechen sachlich vielfach denjenigen des abgelehnten Grundsatzes und sind von vornherein in ihrer Anwendbarkeit auf einen Ausschnitt möglicher Eingriffe begrenzt103. Wo einem Rechtsträger ein rechtlich abgeschirmter Bereich der Eigenverantwortlichkeit zugewiesen ist104, gegen dessen Schutz es im Rahmen eines Eingriffs abzuwägen gilt105, bleibt damit Raum für die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. In unausgesprochenem Widerspruch zu der These, dass die Geltung des Verhältnismäßigkeitsprinzips auf das Verhältnis Staat / Bürger (oder jedenfalls: grundrechtsgebundene Staatsgewalt / Grundrechtsträger) zu beschränken sei, stehen zudem die zahllosen Belege aus Judikatur und Schrifttum, die rechtsaufsichtliche Maßnahmen der Staatsaufsicht gegenüber juristischen Personen des öffentlichen Rechts am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz messen, ohne dessen Anwendbarkeit überhaupt zu thematisieren106. Es ist daher zu begrüßen, dass etliche Landesverfassungsgerichte dem Ansatz des BVerfG nicht gefolgt sind und über 102 Vgl. etwa v. Mutius, Die Gemeinde SH 1989, S. 193 (194), der den Rastede-Beschluss als Beleg dafür heranzieht, „daß gesetzliche Einschränkungen jenseits des sog. Kernbereichs . . . am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gemessen werden müssen“. 103 Das gilt namentlich für das im Verhältnis Gemeinden / Kreise formulierte materielle Aufgabenverteilungsprinzip zugunsten der Gemeinden, das das BVerfG im Rastede-Beschluss aus Art. 28 Abs. 2 GG ableitet (BVerfGE 79, 127 [149 f.]). 104 Auf die Beeinträchtigung eines subjektiven Rechts abstellend Schoch, Jura 2001, S. 121 (126). 105 Zur Abwägung als einem verhältnismäßigen Gewichten Ossenbühl, DVBl. 1995, S. 904 (908). 106 VGH BW, DÖV 1973, S. 534 (534); OVG NRW, NVwZ 1989, S. 987 (988); Kallerhoff, NWVBl. 1996, S. 53 (54, 57); zur Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips bei der Aufsicht gegenüber Sozialversicherungsträgern siehe ferner Becher, BKK 1973, S. 178 (181).

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die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips keineswegs zu einseitig kommunalfreundlichen, sondern zu differenzierten Ergebnissen gelangt sind107. Und auch einzelne Aussagen des BVerfG deuten nunmehr darauf hin, dass an dem Dogma der Unanwendbarkeit des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes außerhalb des Grundrechtsbereichs nicht länger festgehalten wird108. 4. Rechtsstellungsgarantie Der subjektiven Rechtsstellungsgarantie, die Art. 28 Abs. 2 GG und die korrespondierenden Landesverfassungen zudem beinhalten, werden zwei wesentliche Gewährleistungsinhalte entnommen. Sie fügt den ersten beiden Gehalten zwar keine neue inhaltliche Komponente hinzu, unterlegt diese aber erstens mit einem subjektiven öffentlichen Recht der Gemeinden und Gemeindeverbände109. Zweitens verlangt die Rechtsstellungsgarantie, dass den Kommunen Rechtsschutzmöglichkeiten zur Verfügung stehen, um Beeinträchtigungen der Rechtsinstitutions- und der Rechtssubjektsgarantie gerichtlich abwehren zu können110.

107 VerfGH NRW, NVwZ-RR 1993, S. 542 (543); NVwZ 1991, S. 1173 (1173 f.); NVwZ 1990, S. 456 (457); BayVerfGH, BayVBl 2007, S. 364 (365); ThürVerfGH, LKV 2005, S. 259 (262); NVwZ-RR 2005, S. 665 (668); NdsVerfGH, NVwZ 1997, S. 58 (60 f.); VerfG Bbg., Urteil vom 20. 11. 2008, BeckRS 2008, 40673. 108 Vgl. BVerfGE 95, 1 (27); 103, 332 (366). 109 Hierzu frühzeitig Stern (FN 48), Art. 28 Rn. 174 ff.; ebenso Dreier (FN 2), Art. 28 Rn. 103; Maurer, DVBl. 1995, S. 1037 (1041 f.), unter zutreffender Hervorhebung des Wortlauts des Art. 28 Abs. 2 GG, der ausdrücklich das „Recht“ auf Selbstverwaltung gewährleistet; Pieroth (FN 51), Art. 28 Rn. 11; Ehlers (FN 45), S. 77; Wahl / Schütz, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner (Hrsg.), VwGO, Losebl., Stand: Okt. 2008, § 42 Abs. 2 Rn. 105; Magen, JuS 2006, S. 404 (405); Steinberg, DVBl. 1982, S. 13 (17 ff.). 110 Löwer (FN 2), Art. 28 Rn. 42; Tettinger (FN 15), § 11 Rn. 5; Dreier (FN 2), Art. 28 Rn. 103; Stern (FN 48), Art. 28 Rn. 176.

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a) Zuerkennung subjektiver Rechte Was die Zuerkennung subjektiver öffentlicher Rechte der Gemeinden und Gemeindeverbände anbelangt, wird heute vielfach auf deren prozessuale Anerkennung in den Vorschriften zur Kommunalverfassungsbeschwerde verwiesen (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 b GG)111. Allerdings ist die Regelung der Kommunalverfassungsbeschwerde erst nachträglich 1969 in das Grundgesetz eingefügt worden, und bei ihrer zunächst lediglich einfachgesetzlichen Einführung durch das BVerfGG im Jahre 1951 wurde teils noch die These vertreten, es handele sich gerade nicht um ein Verfahren zur Verteidigung subjektiver Rechte, sondern einen Sonderfall der abstrakten Normenkontrolle112, dessen einfachgesetzliche Einführung gegen die abschließende Regelung der Antragsberechtigten nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG verstoße113. Es ist daher in der Rückschau bemerkenswert, dass das BVerfG in seiner ersten Entscheidung über eine Kommunalverfassungsbeschwerde trotz der ebendort vorgenommenen Übertragung des Verständnisses von Art. 127 WRV als institutioneller Garantie auf Art. 28 Abs. 2 GG bereits der Anerkennung eines subjektiv-öffentlichen Rechts zuneigt. Denn dort heißt es ausdrücklich, es sei „weder aus der Entstehungsgeschichte noch aus dem Wortlaut des Art. 28 GG zu entnehmen“, dass die Norm „den Gemeinden keine Möglichkeit 111 Vgl. etwa Mager (FN 26), S. 447, „der Rechtsgedanke der Effektuierung von Autonomiegewährleistungen“ habe sich „durch Subjektivierung in der Regelung des Art. 93 I Nr. 4 b GG normativ konkretisiert“. 112 Mühling, DÖV 1951, S. 169 (170); Grafe, Der Städtetag 1951, S. 125 (126); Sachs, BayVBl. 1982, S. 37 ff.; Friesenhahn, in: Starck (Hrsg.), FG 25 Jahre Bundesverfassungsgericht, Band I, 1976, S. 748 (787); Stern, Staatsrecht II, 1980, § 12 II 6 d (S. 1024); Bethge, DÖV 1972, S. 155 (155); ders., Die Verwaltung 6 (1973), S. 403 (410); vgl. auch Wieland, in: Dreier (FN 18), Art. 93 Rn. 87: „ihrem eigentlichen Charakter nach weniger Verfassungsbeschwerden als Normenkontrollen mit gegenständlich begrenzter Antragsbefugnis“. 113 Kollmann, DÖV 1951, S. 145 ff.; Mühling, DÖV 1951, S. 33 ff.; Schäfer, DÖV 1951, S. 72 ff.; anders aber bereits BVerfGE 1, 167 (173).

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verleihen wollte, selbst auf geeignete Art über dieses Recht zu wachen und es notfalls auch gerichtlich durchzusetzen“114. Damit folgt das BVerfG zwar der Carl Schmitt’schen Konstruktion hinsichtlich der Annahme einer institutionellen Garantie, erteilt seiner rein objektiv-rechtlichen Deutung aber früh eine Absage. b) Rechtsschutz Der Rechtsstellungsgarantie wird zweitens entnommen, dass die Träger der kommunalen Selbstverwaltungsgarantien ihre subjektiv-öffentlichen Rechte auch gerichtlich geltend machen können müssen115. Eingelöst wird diese Verfassungsvorgabe bei Beeinträchtigungen insbesondere durch Maßnahmen der Staatsaufsicht durch den verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz, den die Kommunen nach allgemeinen Regeln auf der Grundlage ihres subjektiven Rechts gem. Art. 28 Abs. 2 GG bzw. den landesverfassungsrechtlichen Selbstverwaltungsgarantien verfolgen können. Zum anderen sieht das Grundgesetz in Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 b GG eine Kommunalverfassungsbeschwerde zum BVerfG vor. Ihre Existenz leistet einen wesentlichen Beitrag zum Schutz der kommunalen Selbstverwaltungsgarantien. Der Rechtsbehelf ist ohne exaktes Vorbild, aber nicht ohne Vorgänger in der deutschen Verfassungsgeschichte. Unter der Weimarer Reichsverfassung eröffnete der Staatsgerichtshof ungeachtet der Streitigkeiten um die Auslegung des Art. 127 WRV eine Rechtsschutzmöglichkeit über den sog. Landesinnenstreit gem. Art. 19 Abs. 1, 1. Alt. WRV116. Wenngleich die dogmatische BVerfGE 1, 167 (174). Dreier (FN 2), Art. 28 Rn. 103; ob daneben Art. 19 Abs. 4 GG anwendbar ist, ist umstritten; ablehnend Schmidt-Aßmann, in: Maunz / Dürig (FN 10), Art. 19 Abs. 4 (2003) Rn. 43 m. w. N.; Ehlers (FN 45), S. 76; ders., DVBl. 2000, S. 1301 (1302); Löwer (FN 2), Art. 28 Rn. 42; dafür Blümel, in: v. Mutius (FN 4), S. 265 (267 Fn. 5); Schenke, in: Bonner Kommentar, Art. 19 Abs. 4 (Drittbearbeitung 2009) Rn. 38; offengelassen in BVerfGE 61, 82 (109). 114 115

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Einordnung nicht eindeutig geklärt wird und die Gemeinden noch als „mit eigenen Rechten ausgestattetes Organ des Staatskörpers“ begriffen werden, eröffnet der StGH den Gemeinden jedenfalls eine Klageberechtigung wegen behaupteter Verletzung ihrer verfassungsmäßigen Rechte117. Auf diesem Weg hat der StGH wiederholt Anträge einzelner Gemeinden, gesetzliche Eingemeindungen für unvereinbar mit Art. 127 WRV zu erklären, für zulässig, in der Sache aber stets als unbegründet erachtet. Da die Institution Gemeinde durch die Eingliederung einer einzelnen Kommunalkörperschaft nicht in Frage gestellt wird, setzt die gerichtliche Kontrolleröffnung letztlich bereits die Anerkennung einer individuellen Wirkung der Gewährleistung voraus. Angesichts dieser Vorgeschichte ist es beachtlich, dass das Grundgesetz die Rechtsschutznotwendigkeiten der Kommunen zunächst ignoriert hat und selbst die einfachgesetzliche Einführung der Kommunalverfassungsbeschwerde in § 91 BVerfGG erst vergleichsweise spät auf den massiven Druck der kommunalen Spitzenverbände erfolgt ist118. In dieser Hinsicht schien die Verfassungsrechtslage also zunächst ungünstiger als unter der Weimarer Reichsverfassung. Der Beitrag, den die Kommunalverfassungsbeschwerde zum Schutz der Selbstverwaltungsgarantien leisten kann, ist in dreifacher Hinsicht beschränkt. Erstens ist sie reine Rechtssatzbeschwerde119, so dass es im Übrigen Aufgabe der Ver116 Insoweit ist die Darstellung Gönnenweins, Gemeinderecht, 1963 S. 20, die institutionelle Garantie habe subjektive Rechte nicht begründet, und es sei „kein besonderer Rechtsschutz für die Gemeinden vorgesehen“ gewesen, zumindest verkürzt. 117 StGH vom 12. 01. 1922, in: Lammers / Simons (FN 39), Band I, 1929, S. 366 (368). 118 Arndt, DVBl. 1951, S. 297 (299). 119 Der Begriff des Gesetzes i. S. d. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 b GG umfasst „alle vom Staat erlassenen Rechtsnormen, die Außenwirkung gegenüber einer Kommune entfalten“, BVerfGE 76, 107 (114); 107, 1 (8); 110, 370 (383); Sturm, in: Sachs (FN 15), Art. 93 Rn. 101; Pieroth, in: Jarass / Pieroth (FN 51), Art. 93 Rn. 74.

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waltungsgerichtsbarkeit ist, den Schutz der Selbstverwaltungsgarantien zu gewährleisten. Zweitens ist die kommunale Verfassungsbeschwerde, soweit sie Landesgesetze zum Gegenstand hat, subsidiär gegenüber Rechtsbehelfen zum jeweiligen Landesverfassungsgericht. Konsequenterweise reduziert sich mit dem Ausbau des landesverfassungsgerichtlichen Rechtsschutzes120 der Anwendungsbereich der Beschwerde zum BVerfG121. Diesen in der Verfassung zwingend angelegten Restriktionen hat das BVerfG eine dritte hinzugefügt durch die Bestimmung des Prüfungsmaßstabs der Kommunalverfassungsbeschwerde. Dieser beschränkt sich auf die Prüfung der Vereinbarkeit des Beschwerdegegenstands mit Art. 28 Abs. 2 GG sowie denjenigen Bestimmungen, die „ihrem Inhalt nach das verfassungsrechtliche Bild der Selbstverwaltung mitzubestimmen geeignet sind“122. Während für diese Begrenzung prinzipiell gute Gründe sprechen123, ist die Bestimmung der vom Prüfumfang erfassten Normen mitunter problematisch. Als die kommunale Selbstverwaltung illustrierende Normen ausdrücklich anerkannt worden sind u. a. Art. 20 Abs. 1 GG – Bundesstaatsprinzip124 –, die Regeln über die Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen gem. Art. 70 ff. GG125, das Will120 Vgl. dazu und zu der insofern bloßen Reservezuständigkeit des BVerfG Magen, in: Umbach / Clemens (Hrsg.), BVerfGG, 2. Aufl. 2005, § 91 Rn. 32 ff., bes. Rn. 35, 41; Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, 3. Aufl. 1991, Rn. 61 ff. 121 Allerdings wird die Subsidiarität der Beschwerde zum BVerfG nur ausgelöst, soweit „die Kommunen im Land einen im Vergleich zur bundesrechtlichen Kommunalverfassungsbeschwerde gleichwertigen Rechtsschutz erlangen können“, BVerfGE 107, 1 (10). 122 Erstmals in BVerfGE 1, 167 (181); ferner 56, 298 (313); 76, 107 (121 f.); 119, 331 (363 f.). 123 Die Einbeziehung der das Bild der Selbstverwaltung prägenden Normen sei wegen des Sachzusammenhangs erforderlich, während eine weitere Ausdehnung entgegen dem Wortlaut zu einer Normenkontrollbefugnis führe, BVerfGE 1, 167 (181). 124 BVerfGE 56, 298 (311). 125 BVerfGE 56, 298 (310); 112, 216 (221).

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kürverbot und – nota bene – der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit126. Nach der jüngsten Entscheidung des BVerfG zur Thematik, der Hartz IV-Entscheidung vom 20. 12. 2007127, soll zwar Art. 83 GG und das der Norm immanente grundsätzliche Verbot der Mischverwaltung zum Prüfprogramm der Kommunalverfassungsbeschwerde zählen128. Dagegen sei Art. 84 Abs. 1 GG a. F. – anders als das durch die Föderalismusreform I eingefügte Durchgriffsverbot der Art. 84 Abs. 1 S. 7, 85 Abs. 1 S. 2 GG n. F. – keine das Bild der Selbstverwaltung mitbestimmende Norm. Sie habe nicht dazu gedient, „den Kernbereich kommunaler Selbstverwaltung zu erhalten“, sondern habe „vor einem unzulässigen Eingriff des Bundes in die Verwaltungszuständigkeit der Länder schützen“ sollen129. Diese Entscheidung verfällt nicht nur in eine verfassungswidrige Reduzierung der kommunalen Selbstverwaltungsgarantien auf einen Kernbereichsschutz, die seit dem RastedeBeschluss als überwunden galt130. Sie widerspricht auch eindeutig der ständigen Rechtsprechung, die die Art. 70 ff. GG zu den das Bild der Selbstverwaltung prägenden Bestimmungen zählt. Dort heißt es zur Begründung: „Eingriffe des Bundesgesetzgebers in das kommunale Selbstverwaltungsrecht sind hiernach von Verfassungs wegen grundsätzlich ausgeschlossen, soweit nicht die Verfassung besondere Kompetenznormen bereithält, deren Ausnutzung den Bund zu einer Einschränkung der Selbstverwaltung befähigt“131. Art. 84 Abs. 1 GG war und BVerfGE 56, 298 (313); 76, 107 (121 f.). BVerfGE 119, 331 ff.; dazu Ritgen, NdsVBl. 2008, S. 185 ff.; Korioth, DVBl. 2008, S. 812 ff.; Schoch, DVBl. 2008, S. 937 ff.; Hubert Meyer, NVwZ 2008, S. 275 ff.; Kluth, ZG 2008, S. 292 ff.; Wieland, Der Landkreis 2008, S. 184 ff.; Huber, DÖV 2008, S. 844 ff. 128 BVerfGE 119, 331 (365 ff.). 129 BVerfGE 119, 331 (359 f.). 130 Kritisch zu dieser stillschweigenden Abweichung von der bisherigen Judikatur und dem „Selbstwiderspruch“ des BVerfG Schoch, DVBl. 2008, S. 937 (941 f.). 131 BVerfGE 56, 298 (310); 112, 216 (221). 126 127

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ist indes gerade eine Kompetenznorm, die als lex specialis zu den Art. 70 ff. GG132 dem Bund nach Maßgabe der Vorschrift die Regelung von Verwaltungsverfahren bzw. Behördeneinrichtung im Bereich der Landesverwaltung gestattet. Die systemwidrige Herausnahme des Art. 84 Abs. 1 GG a. F. ist auch, wie die Hartz IV-Entscheidung belegt, keineswegs für die Zukunft folgenarm, weil für Altregelungen wegen der Übergangsbestimmung des Art. 125a Abs. 1 GG die bisherige Fassung des Art. 84 GG maßgeblich bleibt und das das Durchgriffsverbot auslösende Tatbestandsmerkmal der Übertragung – neuer? – Aufgaben in Art. 84 Abs. 1 S. 7 GG mit erheblicher Unsicherheit belastet ist133.

IV. Resümee Die Stärke des Grundgesetzes wird maßgeblich durch die Verbindlichkeit seiner Vorgaben geprägt. Es verzichtet auf wohlklingende, aber nicht einlösbare Versprechungen. Statt auf Verfassungslyrik setzt es auf die Verbindlichkeit der normierten Rahmenordnung und die effektive Durchsetzbarkeit der verliehenen subjektiven Rechte. Auch mit Blick auf die kommunale Selbstverwaltung sind die grundgesetzlichen Bestimmungen, ihre Auslegung und Novellierung auf einen tatsächlich wirkmächtigen Schutz gerichtet. Für einen effektiven Schutz der kommunalen Selbstverwaltung ist Wesentliches geleistet worden: die frühe Aner132 Lerche, in: Maunz / Dürig (FN 10), Art. 84 (1985) Rn. 14; Pieroth, in: Jarass / Pieroth (FN 51), Art. 84 Rn. 2 und Art. 83 Rn. 2; Suerbaum (FN 21), Art. 84 Rn. 17; Burgi / Maier, DÖV 2000, S. 579 (584); nach der Gegenauffassung folgt die Gesetzgebungskompetenz zur Regelung von Verfahren bzw. Einrichtung der Behörden als Annex der jeweiligen Sachmaterie, dafür z. B. Hermes, in: Dreier (FN 18), Art. 83 Rn. 20 ff. 133 Ausführlich Knitter (FN 20), S. 101 ff.; Wieland, Der Landkreis 2008, S. 184 (186); Schoch, DVBl. 2008, S. 937 (946); Korioth, DVBl. 2008, S. 812 (814), macht das Eingreifen des Art. 125a GG von einer ursprünglich verfassungsgemäßen Aufgabenübertragung abhängig.

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kennung subjektiver Rechte trotz staatsorganisatorischer statt grundrechtlicher Verortung der Selbstverwaltungsgarantie; die Bestätigung und prozessuale Absicherung dieser subjektiven Rechte durch die zunächst einfachgesetzliche Einführung und dann verfassungsrechtliche Verankerung der Kommunalverfassungsbeschwerde. Auch das Problem der adäquaten Finanzausstattung der Kommunen134, das hier aus Zeitgründen ausgespart werden musste, ist zwar keineswegs gelöst. Aber immerhin deuten die bisherigen verfassungsrechtlichen Änderungen des Grundgesetzes – Einfügung des Art. 28 Abs. 2 S. 3 GG und des Durchgriffsverbots – sowie die landesverfassungsrechtlichen Konnexitätsregelungen in die richtige Richtung. Das Verständnis der verfassungsrechtlichen Gewährleistungen als institutionelle Garantien ist in der historischen Entwicklung für einen wirksamen Schutz kommunaler Selbstverwaltung ambivalent. Sollte es einst im Hinblick auf Art. 127 WRV dessen Bindungswirkung gegenüber dem Gesetzgeber verstärken, drohte es in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts mitunter zum Bumerang zu werden. Es bleibt daher zu hoffen, dass die Relativierung dieses Ansatzes an den angesprochenen Stellen die Wirkkraft des Art. 28 Abs. 2 GG und der korrespondierenden landesverfassungsrechtlichen Garantien weiter stärkt. Denn die in Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG angelegte demokratische Funktion der kommunalen Selbstverwaltung kann nur erfüllt werden, wenn den mit der Zuweisung von Aufgaben zur eigenverantwortlichen Erfüllung geschürten Erwartungen auch tatsächlich ein hinreichender Spielraum zur autonomen Gestaltung korrespondiert.

134 Vgl. hierzu ausführlich Henneke, Der Landkreis 2008, S. 450 ff.; ders., DÖV 1998, S. 330 ff.; Schoch / Wieland (FN 10), S. 176 ff.; Schoch (FN 9), S. 13 ff.; ders., AfK 39 (2000), S. 225 ff.; Mückl (FN 10); Volkmann, DÖV 2001, S. 497 ff.

Der Einsatz deutscher Streitkräfte unter der Ägide des Grundgesetzes Vom demilitarisierten Deutschland zum Einsatz der Bundesmarine im Golf von Aden Von Stefanie Schmahl I. Problemstellung Der Einsatz deutscher Streitkräfte im In- und Ausland ist ein klassisches Thema an der Schnittstelle von Verfassungsrecht und Völkerrecht. Anlässlich des 60. Jahrestags des Grundgesetzes sollen hier die verfassungsrechtlichen Vorgaben im Mittelpunkt der Betrachtung stehen. Für die Verwendung der Streitkräfte durch den Bund bedarf es stets einer bestimmten verfassungsrechtlichen Grundlage. Das ergibt sich bereits aus dem in Art. 20 Abs. 3 GG niedergelegten Rechtsstaatsprinzip und wird durch Art. 87a Abs. 2 GG konkretisierend bestätigt, wonach die Streitkräfte außer zur Verteidigung nur eingesetzt werden dürfen, soweit das Grundgesetz dies ausdrücklich zulässt. Die Vorschrift des Art. 87a Abs. 2 GG, die bis heute schwierige Rechtsfragen aufwirft, ist erst einige Jahre nach Inkrafttreten des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 in die Verfassung eingefügt worden. Dies nimmt nicht wunder, war doch an die Aufstellung einer deutschen Armee nach der völligen militärischen Niederlage Deutschlands und der humanitären Katastrophe, die die nationalsozialistische Gewaltherrschaft bewirkt hat, zunächst überhaupt nicht zu denken1. Bereits in der 1

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Proklamation Nr. 2 des Alliierten Kontrollrats vom 20. September 1945 hatten die Siegermächte den Deutschen jede Form militärischer Aktivitäten ausdrücklich untersagt2. Dementsprechend schreibt Carlo Schmid in seinen Erinnerungen zum Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee: „Wenn von Soldaten gesprochen wurde, geschah dies höchstens, um dem Willen der Deutschen Ausdruck zu verleihen, das Kriegsgeschäft möchten in Zukunft andere übernehmen“3. Noch in dem am 12. Mai 1949 – also nur elf Tage vor Inkrafttreten des Grundgesetzes – erlassenen Besatzungsstatut behielten sich die westlichen Alliierten die Zuständigkeit für die Entwaffnung und Demilitarisierung explizit vor4. Ins Grundgesetz aufgenommen wurden allerdings das Verbot des Angriffskriegs in Art. 26 GG, die Ermächtigung zur Einordnung in Systeme gegenseitiger kollektiver Sicherheit in Art. 24 Abs. 2 GG und das Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung in Art. 4 Abs. 3 GG. Das zeigt, dass dem Parlamentarischen Rat die Möglichkeit militärischer Verteidigung doch zumindest vor Augen stand5. Und es sollte in der Tat nicht lange dauern, dass sich diese Erwartung als realitätsnah erwies. Den ersten Wendepunkt markierte der Ausbruch des Koreakriegs im Jahre 1950. Bundeskanzler Adenauer bot den Besatzungsmächten auch vor dem Hintergrund des Kalten Krieges umgehend einen westdeutschen Verteidigungsbeitrag an, der in ein westeuropäisches Verteidigungssystem eingebettet werden sollte6. Am 27. Mai 1952 unterzeichnete die Bundesregierung sodann den (1954 ABl. des Kontrollrats in Deutschland, Nr. 2 vom 29. 10. 1945, S. 8. C. Schmid, Erinnerungen, 1979, S. 790. 4 Vgl. ABl. der Alliierten Hohen Kommission in Deutschland, Nr. 1 vom 23. 9. 1949, S. 2 (13). 5 BVerfGE 90, 286 (292). Vgl. auch die Wiedergabe der Beratungen im Parlamentarischen Rat von W. Matz, Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes, in: JöR n. F. 1 (1951), S. 224 (240). 6 A. Hopfauf, in: B. Schmidt-Bleibtreu / H. Hofmann / A. Hopfauf (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 11. Aufl. 2008, Vorb. v. Art. 115a Rn. 8. 2 3

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gescheiterten) Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft, 1955 trat die Bundesrepublik der Westeuropäischen Union (WEU) bei, und im selben Jahr wurde sie auch in die NATO aufgenommen7. Gleichzeitig wurde das Besatzungsstatut aufgehoben und die – freilich eingeschränkte – Souveränität der Bundesrepublik Deutschland proklamiert8. Die Wiederbewaffnung löste wenige Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs heftige innenpolitische Diskussionen aus. Als eine Art Vorläufer der späteren „Friedensbewegung“ entstand 1950 die „Ohne-mich-Bewegung“, die die Gründung der Bundeswehr und die Einbindung der Bundesrepublik in das westliche Verteidigungsbündnis leidenschaftlich ablehnte9. Auch verfassungsrechtlich war die Wiederbewaffnung äußerst umstritten. Erlaubte das Grundgesetz in seiner Ursprungsfassung die Aufstellung von Streitkräften oder bedurfte es hierzu einer Verfassungsänderung? Diese Frage war Gegenstand mehrerer Verfahren vor dem gerade neu gegründeten BVerfG, ohne dass es hierüber zu einer Sachentscheidung kam10. Aufgrund des Wahlergebnisses vom September 1953 verfügte die Bundesregierung in der 2. Legislaturperiode (1953 – 57) im Bundestag über die erforderliche verfassungsändernde Mehrheit. In zwei Etappen wurden 1954 und 1956 durch Verfassungsänderung erstmals Regelungen für den äußeren Notstand getroffen11. Unter anderem wurde die Bundeswehr als bewaffnetes Instrument zur militärischen Verteidigung des 7 Vgl. BGBl. 1955 II S. 253 (WEU-Vertrag vom 17. 4. 1948) und BGBl. 1955 II S. 289 (Nordatlantikvertrag vom 4. 4. 1949). 8 Vgl. den Vertrag über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Drei Mächten vom 26. 5. 1952 (BGBl. 1955 II S. 305). 9 K. A. Otto, Der Widerstand gegen die Bewaffnung der Bundesrepublik, in: R. Steinweg (Hrsg.), Unsere Bundeswehr?, Friedensanalysen für Theorie und Praxis 14 (1981), S. 52 f. 10 BVerfGE 1, 281; 1, 396; 2, 79; 2, 143. 11 Vgl. das 4. Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes vom 26. 3. 1954 (BGBl. 1954 I S. 45) sowie – vor allem – das 7. Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes vom 19. 3. 1956 (BGBl. 1956 I S. 111).

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Staates institutionalisiert und in Art. 87a und Art. 87b GG aufgenommen; ein neu eingeführter Art. 59a GG handelte von der Feststellung des Verteidigungsfalls, ohne diesen allerdings tatbestandlich zu konkretisieren. Auch deshalb wurde die sog. Wehrverfassung von 1954 / 5612 in der Folgezeit schnell als unzureichend angesehen. Außerdem bestand der Wunsch, durch Aufnahme von umfassenden Notstandsregelungen die aus der Zeit des Besatzungsrechts fortgeltenden Notstandsrechte der Alliierten abzulösen13. Dies führte zu Beratungen über eine umfassende Notstandsverfassung, die – nach langwierigen parlamentarischen Debatten sowie nach heftigen außerparlamentarischen Auseinandersetzungen14 – schließlich am 28. Juni 1968 in Kraft trat15. Gegenstand der Notstandsverfassung waren vor allem die Einfügung der Vorschriften über den Verteidigungsfall (Art. 115a ff. GG), den Spannungs-, Zustimmungs- und Bündnisfall (Art. 80a GG) sowie eine Neufassung des hier besonders interessierenden Art. 87a GG16. Trotz mehrfacher politischer Bemühungen – gerade auch in jüngerer Zeit17 – ist diese Norm bis heute im Wortlaut unverändert geblieben. Das bedeutet jedoch nicht, dass Art. 87a GG im Laufe der vergangenen 41 Jahre keinen Bedeutungswandel in der Verfassungswirklichkeit erfahren hätte. Vor allem im Blick auf seinen Absatz 2, der den Einsatz der Streitkräfte in allen zulässigen Formen regelt, ist vielmehr das Gegenteil der Fall. 12 Inhaltlich stellen die Verfassungsänderungen von 1954 / 1956 eine Einheit dar, vgl. W. Martens, Grundgesetz und Wehrverfassung, 1961, S. 19 und 95. 13 Erklärung der Drei Mächte von 1968 zur Ablösung der alliierten Vorbehaltsrechte, BGBl. 1968 I S. 714. 14 Hierzu D. Wiefelspütz, Das Parlamentsheer, 2005, S. 61 ff. 15 Hierzu eingehend BVerfGE 90, 286 (295 – 297). 16 Vgl. das 17. Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes vom 24. 6. 1968 (BGBl. 1968 I S. 709). 17 Vgl. D. Wiefelspütz, Die Reform der Wehrverfassung, 2008, S. 106 ff. Vgl. aber auch schon BT-Drs. 12 / 3014; 12 / 4107; 12 / 4135.

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II. Einsatz der Streitkräfte zur Verteidigung Bevor auf einige rechtlich brisante Fragestellungen näher eingegangen wird, sollen zunächst kurz diejenigen Begrifflichkeiten erläutert werden, die zwar ebenfalls nicht unumstritten sind, deren wesentlicher Gehalt jedoch – vor allem durch die jüngere bundesverfassungsgerichtliche Judikatur – geklärt sein dürfte. Unter „Streitkräften“ im Sinne des Art. 87a Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 GG versteht man alle militärischen Verbände, d. h. Verbände, die wirksame Waffen haben, aufgrund des Prinzips von Befehl und Gehorsam organisiert sind und grundsätzlich der Befehls- und Kommandogewalt des Bundesministers für Verteidigung18 unterstehen19. Keine Streitkräfte sind demgegenüber etwa die Polizeien des Bundes und der Länder oder die Bundeswehrverwaltung20. „Einsätze“ liegen vor, wenn die Streitkräfte unter Nutzung ihrer spezifischen militärischen Organisationsstruktur und der ihnen insoweit zur Verfügung stehenden Mittel hoheitlich tätig werden21. Dabei kommt es nicht darauf an, ob militärische Auseinandersetzungen sich schon im Sinne eines Kampfgeschehens verwirklichen, sondern darauf, ob nach dem jeweiligen Einsatzzusammenhang und den sonstigen rechtlichen wie tatsächlichen Umständen die Einbeziehung der Soldaten in bewaffnete Auseinandersetzungen konkret zu erwarten ist22. Nicht unter den Einsatzbegriff fallen demgegenüber Verwendungen, die ohne Einbeziehung in bewaffnete Unternehmungen stattfinden23, etwa technische oder 18 Vgl. Art. 65a GG sowie die Ausnahme in Art. 115b GG (Befehlsund Kommandogewalt des Bundeskanzlers). 19 M. Baldus, in: H. von Mangoldt / F. Klein / Ch. Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 3, 5. Aufl. 2005, Art. 87a Rn. 15. 20 B. Pieroth, in: H. D. Jarass / B. Pieroth, Grundgesetz, Kommentar, 10. Aufl. 2009, Art. 87a Rn. 4. 21 Pieroth (FN 20), Art. 87a Rn. 7. 22 BVerfGE 121, 135 (164 f.). Vgl. auch BVerfGE 108, 34 (43). 23 BVerfGE 90, 286 (388); 121, 135 (155 f.).

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humanitäre Hilfeleistungen oder das Auftreten bei repräsentativen Anlässen24. Nach Art. 87a Abs. 2 GG vergleichsweise unproblematisch ist auch der Einsatz der Streitkräfte zur „Verteidigung“, obgleich das BVerfG bisher keine Veranlassung hatte, den Begriff der Verteidigung zu definieren25 und in der Literatur durchaus Uneinigkeit im Detail besteht26. Als gesichert gilt, dass der Begriff der Verteidigung nicht identisch ist mit der Definition des Verteidigungsfalls in Art. 115a Abs. 1 S. 1 GG27. Der Angriff muss wegen des systematischen Zusammenhangs mit Art. 87a Abs. 4 GG von außerhalb der Landesgrenzen kommen28. Nicht entscheidend ist dabei, ob der Angriff unmittelbar von einem Staat ausgeht oder diesem nur mittelbar zurechenbar ist, etwa weil er den Aufenthalt bewaffneter irregulärer Gruppen auf seinem Staatsgebiet duldet oder aktiv unterstützt29. Für sich genommen – also ohne staatliches Zurechnungssubjekt – können nichtstaatliche Organisationen, einschließlich international agierender Terroristen oder Pira24 Zu diesen Beispielen vgl. etwa BVerwG, NVwZ-RR 2007, S. 257 (260), sowie T. Gries, Der aktuelle Fall: Mosambik – Rechte Aspekte internationaler humanitärer Hilfsaktionen von Bundeswehr und Bundesgrenzschutz, HuV-I 2000, S. 163 ff. 25 In BVerfGE 90, 286 (355) wird der Anwendungsbereich des Begriffs der Verteidigung sogar ausdrücklich offengelassen. 26 Vgl. nur D. Wiefelspütz, Der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte im Ausland, AöR 132 (2007), S. 44 (61 ff.) m. w. N. 27 Vgl. Ch. Tomuschat, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz (Bearbeitung: Stand 1985), Art. 24 Rn. 172; K.-A. Hernekamp, in: I. von Münch / Ph. Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 3, 5. Aufl. 2003, Art. 87a Rn. 4; V. Epping, in: Beck’scher Online-Kommentar zum Grundgesetz (Bearbeitung: Stand 2009), Art. 87a Rn. 4. A. A. T. Linke, Innere Sicherheit durch die Bundeswehr?, AöR 129 (2004), S. 489 (515). 28 E. Schmidt-Jortzig, Verfassungsänderung für Bundeswehreinsätze im Innern Deutschlands?, DÖV 2002, S. 773 (777); J.-P. Fiebig, Der Einsatz der Bundeswehr im Innern, 2004, S. 274 f. 29 K. Oellers-Frahm, Der IGH und die „Lücke“ zwischen Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht – Neues im Fall „Kongo gegen Uganda“?, ZEuS 2007, S. 71 (84 f.); J. Kokott, in: M. Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 5. Aufl. 2009, Art. 87a Rn. 17.

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ten, jedoch nicht Angreifer sein, und zwar auch dann nicht, wenn sie über eine dem Staat vergleichbare Organisationsund Operationsstruktur verfügen30. Über die Landesverteidigung hinaus, bei der sich der Verteidigungseinsatz geographisch nicht beschränken lässt (und daher sowohl in eigenem als auch auf fremdem Staatsgebiet erfolgen kann), erfasst Verteidigung im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG auch die Bündnisverteidigung gemäß Art. 5 NATO-Vertrag und gemäß Art. V WEU-Vertrag sowie die kollektive Selbstverteidigung im Sinne von Art. 51 UN-Charta; dies gebietet eine völkerrechtskonforme Auslegung der Norm31. Nicht mehr mit dem Begriff der Verteidigung vereinbaren lassen sich dagegen nach zutreffender Ansicht militärische Zwangsmaßnahmen durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (Art. 42 UN-Charta), humanitäre Interventionen oder Rettungsaktionen zugunsten eigener Staatsangehöriger32, 30 Diese Frage ist umstritten. Wie hier z. B. J. Wieland, Verfassungsrechtliche Grundlagen polizeiähnlicher Einsätze der Bundeswehr, in: D. Fleck (Hrsg.), Rechtsfragen der Terrorismusbekämpfung durch Streitkräfte, 2004, S. 167 (174 f.); K. Paulke, Die Abwehr von Terrorgefahren aus dem Luftraum im Spannungsverhältnis zwischen neuen Bedrohungsszenarien und den Einsatzmöglichkeiten der Streitkräfte im Innern unter besonderer Berücksichtigung des Luftsicherheitsgesetzes, 2005, S. 92; F. Hase, Das Luftsicherheitsgesetz: Abschuss von Flugzeugen als „Hilfe bei einem Unglücksfall“?, DÖV 2006, S. 213 (215); Ch. Enders, Der Staat in Not – Terrorismusbekämpfung an den Grenzen des Rechtsstaats, DÖV 2007, S. 1039 (1044). A. A. etwa Epping (FN 27), Art. 87a Rn. 11; Baldus (FN 19), Art. 87a Rn. 2; G. Krings / Ch. Burkiczak, Bedingt abwehrbereit?, DÖV 2002, S. 501 (505); H. Jochum, Der Einsatz der Streitkräfte im Innern, JuS 2006, S. 511 (513); Wiefelspütz (FN 26), S. 64 ff. 31 Tomuschat (FN 27), Art. 24 Rn. 173; Kokott (FN 29), Art. 87a Rn. 21 ff.; Ch. Hillgruber, in: D. Umbach / Th. Clemens (Hrsg.), Grundgesetz, Mitarbeiterkommentar, 2002, Art. 87a Rn. 18 ff. 32 Baldus (FN 19), Art. 87a Rn. 45, 50. Auch die „Personalverteidigung“, die aus der Schutzpflicht des Staates gegenüber seinen eigenen Staatsangehörigen im Ausland folgt, ist keine Verteidigung im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG, vgl. Wiefelspütz (FN 14), S. 119; W. Heun, in: H. Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Bd. III, 2. Aufl. 2008, Art. 87a Rn. 17; V. Epping, Die Evakuierung deutscher Staatsbürger im Ausland als neues Kapitel der Bundeswehrgeschichte ohne rechtliche Grundlage?, AöR 124 (1999), S. 423 (440 ff.). A. A. etwa Hillgruber (FN 31), Art. 87a

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selbst wenn diese völkerrechtsgemäß sein sollten. Friedenserhaltende Blauhelmmissionen oder anderweitige Aufgabenerfüllung im Rahmen der Vereinten Nationen dienen erst recht nicht der Verteidigung33. Dies gilt grundsätzlich auch für die vom Sicherheitsrat mandatierte Bekämpfung des internationalen Terrorismus oder der Seepiraterie34.

III. Einsatz der Streitkräfte zu anderen Zwecken als der Verteidigung Der dargestellte Befund hat freilich nicht zur Folge, dass nicht der Verteidigung dienende Einsätze der Bundeswehr verfassungswidrig wären. Art. 87a Abs. 2 GG erlaubt den Einsatz der Streitkräfte vielmehr auch zu anderen Zwecken als der Verteidigung. Erforderlich ist nur, dass das Grundgesetz einen solchen Einsatz ausdrücklich zulässt.

1. Einsatz der Streitkräfte im Innern Derartige ausdrückliche Zulassungen finden sich in Art. 35 Abs. 2 und Abs. 3 sowie in Art. 87a Abs. 3 und Abs. 4 GG. Diese Normen sind allesamt auf Einsätze der Bundeswehr im Inland bezogen und haben stets nur die akzessorische UnterRn. 17; O. Depenheuer, Der verfassungsrechtliche Verteidigungsauftrag der Bundeswehr, DVBl. 1997, S. 685 (688); W. Hermsdörfer, Einsatz deutscher Streitkräfte zur Evakuierung deutscher Staatsbürger aus Albanien, BayVBl. 1997, S. 652 (653 f.). 33 Pieroth (FN 20), Art. 87a Rn. 9; vgl. bereits auch A. Randelzhofer, in: Th. Maunz / G. Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar (Bearbeitung: Stand 1992), Art. 24 Abs. 2 Rn. 53 f. 34 Der Sicherheitsrat hat in der Resolution Nr. 1846 vom 2. 12. 2008 (UN Dok. S / RES / 1846 [2008], Ziff. 10) beschlossen, dass die Bekämpfung der Seeräuberei und bewaffneter Raubüberfälle vor der Küste Somalias auch innerhalb der Hoheitsgewässer Somalias erfolgen darf. Die Sicherheitsrats-Resolution Nr. 1851 vom 16. 12. 2008 (UN Dok. S / RES / 1851 [2008], Ziff. 2) ermächtigt die Mitgliedstaaten ausdrücklich dazu, alle notwendigen Maßnahmen gegen die Piraten zu ergreifen.

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stützung der Polizei durch die Streitkräfte in Katastrophenoder Notstandslagen im Blick35. Im Rahmen der Entscheidung zum Luftsicherheitsgesetz konnte das BVerfG diese Vorschriften näher konturieren36. Auch wenn mit der Entscheidung vielleicht nicht alle Zweifel beseitigt worden sind37, so ist doch zumindest geklärt, dass Art. 35 Abs. 2 und Abs. 3 GG den Einsatz der Streitkräfte aufgrund kriegsvölkerrechtlicher Regelungen verbietet. Deshalb dürfen, sofern kein Fall der Verteidigung vorliegt, die Streitkräfte im Innern etwa keine militärspezifischen Waffen einsetzen, sondern nur solche Waffen und Mittel, deren Verwendung auch den zuständigen Polizeikräften gestattet ist38.

2. Einsatz der Streitkräfte im Ausland Wie aber verhält es sich nun mit Auslandseinsätzen deutscher Streitkräfte, die nicht der Verteidigung dienen? Führt man sich die Entstehungsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland noch einmal vor Augen, wird schnell verständlich, weshalb der Einsatz deutscher Streitkräfte jenseits ihres Verteidigungsauftrags und außerhalb des bundesdeutschen Territoriums lange Zeit als nahezu absurd erschien. Unterstützt wurde diese restriktive Haltung auch durch deutschlandpolitische Erwägungen. Eine Beteiligung der Bundeswehr an Auslandseinsätzen hätte vor der deutschen Wiedervereini35 Hillgruber (FN 31), Art. 87a Rn. 30 ff.; Kokott (FN 29), Art. 87a Rn. 16; Ch. Gramm, Die Bundeswehr in der neuen Sicherheitsarchitektur, Die Verwaltung 41 (2008), S. 375 (385 f.). 36 Vgl. BVerfGE 115, 118 (141 f.). 37 Kritisch etwa Ch. Gramm, Der wehrlose Verfassungsstaat?, DVBl. 2006, S. 653 (657); M. Baldus, Gefahrenabwehr in Ausnahmelagen, NVwZ 2006, S. 532 ff.; A. Zimmermann / R. Geiß, Die Tötung unbeteiligter Zivilisten: Menschenunwürdig im Frieden – menschenwürdig im Krieg?, Der Staat 2007, S. 377 (392). Eine Zusammenstellung des umfänglichen Meinungsspektrums findet sich bei D. Wiefelspütz, Der Auslandseinsatz der Bundeswehr und das Parlamentsbeteiligungsgesetz, 2008, S. 90 – 112. 38 BVerfGE 115, 118 (146 – 148; 150 f.).

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gung prinzipiell auch das Tor für eine Beteiligung der DDRVolksarmee geöffnet, was aus verschiedenen Gründen schwerlich erwünscht sein konnte39. Die Situation änderte sich jedoch mit dem am 18. September 1973 erfolgten Beitritt beider deutscher Staaten zur Charta der Vereinten Nationen40. Bereits einen Monat später, am 25. Oktober 1973, forderte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen im Rahmen seiner Bemühungen, den neu ausgebrochenen Nahostkonflikt zu entschärfen, alle Mitglieder der Organisation dazu auf, bei der beschlossenen Aufstellung einer Friedenstruppe (UNEF II) zu kooperieren41. Die Bundesrepublik Deutschland hat auf diese Anfrage mit dem dann auch akzeptierten Angebot von Truppentransportleistungen durch Flugzeuge der Bundeswehr reagiert42. Eine unmittelbare Beteiligung deutscher Streitkräfte an den vor Ort eingesetzten Friedenstruppenkontingenten war damit aber nicht verbunden; es war vielmehr offizielle und auch in der Literatur bestätigte Ansicht, dass das Grundgesetz einem derartigen Auslandseinsatz entgegenstehe43. Erst in den 1980er Jahren verbreitete sich zunehmend die Auffassung, dass es für einen völkerrechtlich zulässigen Auslandseinsatz eine verfassungsrechtliche Schranke nicht geben könne44. Die Probe auf die sich wandelnde verfassungsrecht39 E. Klein, Bemerkungen zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Auslandseinsatz deutscher Streitkräfte, in: A. Fischer-Lescano u. a. (Hrsg.), FS Bothe, 2008, S. 157 (162). 40 Vgl. das Zustimmungsgesetz vom 6. 6. 1973 (BGBl. 1973 II S. 430), sowie BVerfGE 90, 286 (298). 41 Sicherheitsrats-Resolution Nr. 340 vom 25. 10. 1973 (UN Dok. S / RES / 340 [1973], Ziff. 5). 42 Näher E. Klein, Rechtsprobleme einer deutschen Beteiligung an der Aufstellung von Streitkräften der Vereinten Nationen, ZaöRV 34 (1974), S. 429 f. 43 Vgl. die Nachweise bei N. Riedel, Der Einsatz deutscher Streitkräfte im Ausland – verfassungs- und völkerrechtliche Schranken, 1989, S. 3; T. Stein, Landesverteidigung und Streitkräfte im 40. Jahr des Grundgesetzes, in: K. Hailbronner / G. Ress / T. Stein (Hrsg.), FS Doehring, 1989, S. 935 (941).

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liche Sicht konnte allerdings erst im Jahr 1993 gemacht werden, als die Bundesregierung sich auf Anfrage des Generalsekretärs der Vereinten Nationen bereit erklärte, erstens deutsche Soldaten für die Operationen der für Somalia aufgestellten Friedenstruppe (UNISOM II), zweitens Marineeinheiten für die Überwachung des Embargos gegen die Föderative Republik Jugoslawien in der Adria und drittens AWACS-Aufklärungsflugzeuge für die Durchsetzung des vom Sicherheitsrat angeordneten Flugverbots über Bosnien-Herzegowina zur Verfügung zu stellen45. Nachdem zunächst über Anträge auf Erlass einstweiliger Anordnungen zu entscheiden war46, kam es am 12. Juli 1994 zur ersten grundlegenden Entscheidung des BVerfG, die die Zulässigkeit von Auslandseinsätzen der Bundeswehr jenseits des Verteidigungsauftrags grundsätzlich bestätigte47. Es folgte eine Reihe weiterer Entscheidungen, die zahlreiche im Kontext neuer „out of area“-Einsätze aufgetretene Fragen einer verfassungsrechtlichen Klärung zuführten48. Einstweilen abgeschlossen wird diese Entscheidungskette mit den Urteilen vom 3. Juli 2007 und vom 12. Februar 2008, in denen es um die Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (ISAF)49 einerseits sowie um den Einsatz der deutschen Luftwaffe bei Maßnahmen der Luftraumüberwachung in der Türkei anlässlich des Irak-Krieges50 andererseits ging. 44 Vgl. BT, Sten. Prot. vom 14. 11. 1991 (57. Sitzung), S. 4748. Siehe auch M. Kriele, Nochmals: Auslandseinsätze der Bundeswehr, ZRP 1994, S. 103 ff. A. A. hingegen noch B. Bähr, Verfassungsmäßigkeit des Einsatzes der Bundeswehr im Rahmen der Vereinten Nationen, ZRP 1994, S. 97 (101 ff.). 45 Vgl. den Beschluss der Bundesregierung vom 15. Juli 1992, abgedruckt in: Deutscher Bundestag, 12. Wahlperiode, 101. Sitzung vom 22. Juli 1992, Sten. Ber., S. 8655; vgl. auch BT-Drs. 12 / 3072. 46 BVerfGE 88, 173; 89, 38. 47 BVerfGE 90, 286. 48 BVerfGE 100, 266; 104, 151; 108, 34. 49 Zur Ablehnung des Antrags auf einstweilige Anordnung vgl. BVerfGE 118, 111. Zur Hauptsacheentscheidung vgl. BVerfGE 118, 244.

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a) Grundsätzliche Zulässigkeit Dass deutsche Streitkräfte grundsätzlich an Auslandseinsätzen teilnehmen dürfen, ist mittlerweile unumstritten. Sowohl bei Angriffen auf das Bundesgebiet selbst (Verteidigungsfall) als auch bei Angriffen auf einen Partner des WEUoder NATO-Vertrags (Bündnisfall) ist es zulässig, zur effektiven Bekämpfung des Gegners auf dessen Gebiet zuzugreifen und überall dort militärisch aufzutreten, wo es zur Abwehr des Angriffs erforderlich ist51. Die in den beiden genannten Verträgen enthaltenen Territorialklauseln (Art. 5 und Art. 6 NATO-Vertrag; Art. V WEU-Vertrag) beschränken keineswegs das Einsatzgebiet der Bündnispartner, sondern definieren den Raum, in dem es zu bündnisrechtlich relevanten Angriffshandlungen kommen kann52. Nach zunächst ganz überwiegender Ansicht schloss Art. 87a Abs. 2 GG es jedoch aus, die deutschen Streitkräfte über den Verteidigungsauftrag (im Verteidigungs- oder Bündnisfall) hinaus außerhalb des eigenen Staatsgebietes einzusetzen53. Für eine militärische Beteiligung an friedenserhaltenden Maßnahmen im Ausland fehle es an der nach dieser Vorschrift erforderlichen ausdrücklichen Zulassung durch eine sonstige Grundgesetzvorschrift; Art. 24 Abs. 2 GG, wonach der Bund ermächtigt wird, sich zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einzuordnen, könne diese Bedeutung nicht zuerkannt werden54. 50 Zur Ablehnung des Antrags auf einstweilige Anordnung vgl. BVerfGE 108, 34. Zur Hauptsacheentscheidung vgl. BVerfGE 121, 135. 51 Klein (FN 39), S. 159. 52 Vgl. bereits D. Blumenwitz, Der Einsatz deutscher Streitkräfte nach der Entscheidung des BVerfG vom 12. Juli 1994, BayVBl. 1994, S. 641 (645). 53 Sehr deutlich die Kommentierung zu Art. 87a GG von A. Hamann / H. Lenz, Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949, 3. Aufl. 1970, Rn. 2. Hierzu auch W. März, Bundeswehr in Somalia, 1993, S. 19 ff. 54 Vgl. nur T. Stein, Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an Friedenstruppen der Vereinten

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In seinem grundlegenden Urteil vom 12. Juli 1994 weist das BVerfG indes Art. 24 Abs. 2 GG (und nicht etwa Art. 87a Abs. 2 GG!) die zentrale Argumentationsposition zu55. Offen blieb dabei die – übrigens bis heute nicht zweifelsfrei geklärte – Frage56, ob Art. 87a Abs. 2 GG nur eine den Bundeswehreinsatz im Innern regelnde Funktion hat und damit für die Thematik des Auslandseinsatzes irrelevant ist57, oder ob Art. 87a Abs. 2 GG zwar grundsätzlich von Bedeutung ist, in Art. 24 Abs. 2 GG aber die notwendige „ausdrückliche Zulassung“ erblickt werden kann. Diese Unterscheidung ist von eminent praktischer Bedeutung. Ist nämlich der letzteren Ansicht zu folgen, wird es stets sehr genau auf das Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 24 Abs. 2 GG ankommen müssen58. Bedarf es hingegen einer „ausdrücklichen Zulassung“ im Sinne von Art. 87a Abs. 2 GG nicht, weil die Bestimmung ohnehin nur nach innen gerichtet ist, so ist der Auslandseinsatz deutscher Streitkräfte grundsätzlich immer möglich, wenn nicht konkrete Bestimmungen – insbesondere das Angriffskriegsverbot nach Art. 26 GG – entgegenstehen59. In allen einschlägigen Entscheidungen hat dem BVerfG der Rückgriff auf Art. 24 Abs. 2 GG genügt. Der Gesetzgeber habe zugelassene Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr nicht beschränken wollen, als er Art. 87a Abs. 2 GG im Jahre 1968 Nationen, in: J. A. Frowein / T. Stein (Hrsg.), Rechtliche Aspekte einer Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an Friedenstruppen der Vereinten Nationen, 1990, S. 17 (19), m. w. N. 55 BVerfGE 90, 286 (345 – 357). 56 Vgl. BVerfGE 90, 286 (355 – 357). Kritisch hierzu K. Dau, Parlamentsheer unter dem Mandat der Vereinten Nationen, NZWehrR 1994, S. 177 (179). Auch in BVerfGE 121, 135 (153 ff.) ist keine glasklare Klärung erfolgt, a. A. offenbar Pieroth (FN 20), Art. 87a Rn. 7. 57 So etwa Stein (FN 54), S. 22 ff.; Randelzhofer (FN 33), Art. 24 Abs. 2 Rn. 63 f.; Kokott (FN 29), Art. 87a Rn. 10 ff. 58 Vgl. etwa Heun (FN 32), Art. 87a Rn. 16; ebenso bereits Tomuschat (FN 27), Art. 24 Rn. 185. 59 Klein (FN 39), S. 161; F. Kirchhof, Verteidigung und Bundeswehr, in: HStR IV, 3. Aufl. 2006, § 84 Rn. 57.

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ins GG eingefügt hat60. Es komme nur darauf an, dass der Einsatz deutscher Truppen in einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit erfolge, das zur Wahrung des Friedens errichtet ist und dem sich die Bundesrepublik Deutschland durch Gesetz eingeordnet habe. Diese Voraussetzungen sah das BVerfG im Blick auf die Vereinten Nationen, auf die NATO sowie die WEU zu Recht als erfüllt an61. Dabei hat es zutreffend auch einzelne Rechtsverstöße bei der Durchführung der von diesen Organisationen getragenen Aktionen nicht als ausreichend erachtet, um zu einem anderen Ergebnis zu gelangen62. Vor diesem Hintergrund sind auch die militärischen Maßnahmen unter deutscher Beteiligung, die – wie die Operation Atalanta am Golf von Aden vor der Küste Somalias63 – im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU stattfinden64, wohl als durch Art. 24 Abs. 2 GG gedeckt anzusehen, solange die völkerrechtlichen Regeln respektiert werden und der Rahmen des Systems eingehalten wird65. Die Mitgliedstaaten der Union sind zwar weder auf der Grundlage des geltenden Art. 17 Abs. 1 EUV noch auf der Grundlage von Art. 42 Abs. 7 EUV-Lissabon verpflichtet, BVerfGE 90, 286 (356); 104, 151 (209 f.); 121, 135 (157). BVerfGE 90, 286 (346 – 351). 62 BVerfGE 104, 151 (210); 118, 244 (271; 275). 63 Hierzu näher J. Dalton / A. Roach / J. Daley, Introductory Note to United Nations Security Council: Piracy and Armed Robbery at Sea, ILM 48 (2009), S. 129 (130). 64 Die Seeoperation Atalanta ist Resultat der Gemeinsamen Aktion Nr. 2008 / 851 / GASP des Rates vom 10. 11. 2008, ABl. Nr. L 301 vom 12. 11. 2008, S. 33. Ihre primärrechtliche Grundlage ergibt sich aus Art. 14, Art. 25 Abs. 3 und Art. 28 Abs. 3 EUV. Das auf der Grundlage von Art. 28 EUV, Art. 207 EGV errichtete Politische und Sicherheitspolitische Komitee (PSK) übernimmt gemäß Art. 6 der Gemeinsamen Aktion die politische Kontrolle und strategische Leitung der Seeoperation. Der Beschluss des Bundestags, bis zu 1.400 Soldaten der Bundesmarine im Rahmen der Operation Atalanta zu entsenden, datiert vom 19. 12. 2008 (vgl. BT-Drs. 16 / 11337). 65 So auch A. Fischer-Lescano / T. Tohidipur, Rechtsrahmen der Maßnahmen gegen die Seepiraterie, NJW 2009, S. 1243 (1246). A. A. Th. Heinicke, Piratenjagd vor der Küste Somalias, KJ 2009, S. 178 (193 f.). 60 61

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nationale Streitkräfte für militärische Einsätze der EU bereitzustellen66. Vielmehr behalten die Mitgliedstaaten – ganz ähnlich wie bei der Beistandsklausel des Art. 5 NATO-Vertrag – nach beiden Vorschriften das Recht, sich gegenüber einer Beistandspflicht auf prinzipielle inhaltliche Vorbehalte zu berufen67. Dennoch ist die EU seit längerem auf dem Weg, sich zu einem (nicht supranationalen) kollektiven Sicherheitssystem zu entwickeln, da sie mit einem existenten organisatorischen Aufbau und unter Einbeziehung der WEU eine völkerrechtliche verteidigungspolitische Friedensfestlegung in Art. 11 und Art. 17 EUV trifft68. Nicht hingegen vermag es zu überzeugen, die militärische Bekämpfung der Seepiraterie durch die Deutsche Marine allein auf Art. 25 GG zu stützen69. Zwar werden die Regeln des Völkergewohnheitsrechts, so wie sie im UN-Seerechtsübereinkommen (SRÜ) vom 10. Dezember 198270 zum Ausdruck kommen und zu denen nach Art. 107 SRÜ auch die Pirateriebekämpfung durch das Militär gehört, über Art. 25 GG Bestandteil des deutschen Rechts. Darin kann jedoch keine ausdrückliche Zulassung im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG gesehen werden; dies verbietet schon die Prozesshaftigkeit der 66 Eine Supranationalisierung mit Anwendungsvorrang ist auch über den Weg des Sekundärrechts nicht zulässig, vgl. BVerfG, Urt. v. 30. 6. 2009, 2 BvE 2 / 08, Rn. 255 und Rn. 390 f. – Lissabon-Vertrag. 67 BVerfG, Urt. v. 30. 6. 2009, 2 BvE 2 / 08, Rn. 386 f. – Lissabon-Vertrag; vgl. auch S. Graf von Kielmannsegg, Die Verteidigungspolitik der Europäischen Union, 2005, S. 396 ff. 68 Vgl. auch Art. 21, Art. 24 und Art. 42 EUV-Lissabon sowie S. Schmahl, in: H. Sodan (Hrsg.), Grundgesetz, Kompaktkommentar, 2009, Art. 24 Rn. 20; weitergehend V. Röben, Der Einsatz der Streitkräfte nach dem Grundgesetz, ZaöRV 63 (2006), S. 585 (590). Unklar insoweit BVerfG, Urt. v. 30. 6. 2009, 2 BvE 2 / 08, Lissabon-Vertrag, Rn. 386 (bestehende politische Beistandspflicht) einerseits und Rn. 390 (kein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit) andererseits. 69 So aber wohl J. A. Frowein, „Deutschlands Marine darf schon jetzt Piraten verfolgen“, Interview in: Spiegel online vom 26. 11. 2008, abrufbar unter http: // www.spiegel.de. 70 BGBl. 1994 II S. 1798.

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Entstehung gewohnheitsrechtlicher Regeln71. Außerdem erlaubt Art. 107 SRÜ nur solchen staatlichen Schiffen das Aufbringen wegen Seeräuberei, die deutlich als im Staatsdienst stehend gekennzeichnet und die zum Aufbringen befugt sind. Art. 107 SRÜ setzt also die Befugnis zum Aufbringen voraus und verleiht sie gerade nicht selbst72. b) Einsatz der Streitkräfte unter dem Mandat der Vereinten Nationen In fast allen Fällen, in denen es bisher um Auslandseinsätze der Bundeswehr ging, lag eine Mandatierung durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen vor73, was dem BVerfG offensichtlich die Feststellung erleichterte, dass die fraglichen Aktionen die Voraussetzungen von Art. 24 Abs. 2 GG erfüllten74. Grundsätzlich ist gegen diese Schlussfolgerung auch nichts zu erinnern. Ob sie immer tragfähig ist, mag man indes bezweifeln. Möglicherweise wird man sich doch einmal überlegen müssen, ob den Anordnungen des politisch agierenden und damit rechtlich weitgehend ungebundenen Organs „Sicherheitsrat“ unter allen Umständen völkerrechtlich legitimierende Wirkung zukommen kann75. 71 Dieses Argument verfängt freilich nicht, wenn Art. 87a Abs. 2 GG tatsächlich lediglich den Einsatz der Streitkräfte im Innern im Blick haben sollte und Auslandseinsätze keiner ausdrücklichen Erlaubnis bedürfen. Wohl deshalb geht z. B. Kokott (FN 29), Art. 87a Rn. 13, von der prinzipiellen verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Bekämpfung der Seeräuberei auf den Meeren aus, ohne auf Art. 24 Abs. 2 GG zu rekurrieren. 72 Zutreffend Fischer-Lescano / Tohidipur (FN 65), S. 1245. 73 Vgl. die Sicherheitsrats-Resolutionen Nr. 751 vom 24. 4. 1992 (UNOSOM); Nr. 781 vom 9. 10. 1992 (UNPROFOR); Nr. 787 vom 16. 11. 1992 (Überwachung der Adria); sowie Sicherheitsrats-Resolutionen Nr. 1510 vom 13. 10. 2003 und Nr. 1659 vom 15. 2. 2006 (ISAF-Mission). Auch in Bezug auf die Bekämpfung der Seepiraterie am Golf von Aden hat der Sicherheitsrat die Mitgliedstaaten zu allen erforderlichen, d. h. auch zu militärischen Maßnahmen in Resolution Nr. 1851 vom 16. 12. 2008 ermächtigt. 74 Vgl. T. Stein / H. Kröninger, Bundeswehreinsatz im Rahmen von NATO-, WEU- bzw. VN-Militäraktionen, Jura 1995, S. 254 (260).

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c) Einsatz der Streitkräfte ohne Mandat der Vereinten Nationen Ganz anders lag die Situation im Kosovo-Konflikt von 199976. Eine entsprechende Sicherheitsratsresolution kam wegen des Widerstands von China und Russland nicht zustande77. Zugleich scheiterte aber auch der Versuch, eine Verurteilung der dennoch durchgeführten humanitären Intervention der NATO-Staaten herbeizuführen, an der sich deutsche Streitkräfte beteiligten. Die Anstrengung der PDS-Bundestagsfraktion, hinsichtlich dieser Beteiligung ein verfassungsrechtliches Verdikt zu erlangen, war schon wegen der fehlenden Antragsbefugnis im Organstreitverfahren erfolglos78. Weder konnte die PDS-Fraktion darlegen, dass sie selbst in eigenen Rechten, noch dass der Bundestag in seinen Rechten verletzt sei. Das Parlament hatte nämlich den militärischen Maßnahmen zur Abwendung einer humanitären Katastrophe im Kosovo zugestimmt, obgleich die Bundesregierung darauf hingewiesen hatte, dass der Einsatz aller Voraussicht nach ohne Ermächtigung des Sicherheitsrates erfolgen werde79. 75 Zu Recht kritisch Klein (FN 39), S. 161. Eine entsprechende Auffassung hat auch der EuGH kürzlich zum Ausdruck gebracht, wonach dem völkerrechtlichen Geltungsanspruch einer Sicherheitsratsresolution grundlegende Rechtsprinzipien der Gemeinschaft entgegengehalten werden können, vgl. EuGH, verb. Rs. C-402 / 05 P und C-415 / 05 P, Kadi, EuR 2009, S. 80 (100 ff.). 76 Auch die Luftraumüberwachung der NATO über dem Hoheitsgebiet der Türkei erfolgte ohne Mandat des Sicherheitsrates. Ihre Grundlage fand diese Aktion in dem Antrag der Türkei auf Konsultationen gemäß Art. 4 des NATO-Vertrags, vgl. BVerfGE 121, 135 (136). 77 Zu Einzelheiten vgl. U. Fink, Verfassungsrechtliche und verfassungsprozessrechtliche Fragen im Zusammenhang mit dem Kosovo-Einsatz der Bundeswehr, JZ 1999, S. 1016 (1019). 78 BVerfGE 100, 266. 79 Vgl. die Regierungserklärung des damaligen Bundesaußenministers K. Kinkel: „. . . die Entscheidung der NATO [für die Luftangriffe] darf kein Präzedenzfall werden. Was das Gewaltmonopol des Sicherheitsrats betrifft, so müssen wir vermeiden, auf eine schiefe Bahn zu geraten“, Plenarprotokoll 13 / 248 vom 16. Oktober 1998, S. 23129. Vgl. auch BT-Drs. 13 / 11469, S. 2, sowie BVerfGE 100, 266 (269).

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Eine materiell-rechtliche Klärung der Problematik konnte damit nicht erfolgen. Es überrascht deshalb nicht, dass bereits im nächsten einschlägigen Verfahren genau diese Frage im Zusammenhang mit dem anlässlich des 50-jährigen Bestehens der NATO verabschiedeten „Neuen Strategischen Konzept“ vom 23. / 24. April 1999 wieder thematisiert wurde, da dieses Konzept den Einsatz von Krisenreaktionsstreitkräften nicht ausdrücklich an ein Sicherheitsratsmandat bindet80. Das BVerfG hat diese fehlende Bindung akzeptiert, solange der NATOVertrag seinerseits die Maßgaben des Art. 24 Abs. 2 GG erfülle81. Unabhängig vom Selbstverständnis des Nordatlantikpaktes, der sich selbst in das System der Vereinten Nationen einordnet, liegt hierin die Billigung einer gewissen Abkoppelung der NATO von den Vereinten Nationen im Einzelfall82. Wegen der im Wesentlichen freien politischen Entscheidungsmacht des Sicherheitsrates ist dieses Ergebnis zu befürworten83. Davon unterschieden werden muss allerdings die Frage, ob der NATO-Vertrag in der bisherigen Ausgestaltung das rechtliche Fundament für Aktionen wie den Kosovo-Einsatz bieten kann. Auf dieses Problem wird zurückzukommen sein. d) Unilaterale Auslandseinsätze der Streitkräfte Besonders schwierig gestaltet sich die Rechtslage hinsichtlich unilateraler Auslandseinsätze der deutschen Streitkräfte, wenn diese weder in ein regionales Verteidigungsbündnis eingebunden noch vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen autorisiert sind. In der Verfassungspraxis hat sich insoweit die Ansicht verbreitet, den Verteidigungsbegriff des Art. 87a 80 Ein Abdruck des „Neuen Strategischen Konzeptes“ von 1999 findet sich in: BVerfGE 104, 151 (159 f.). 81 BVerfGE 104, 151 (209 ff.). 82 Klein (FN 39), S. 163. 83 Ähnlich D. Sigloch, Auslandseinsätze der deutschen Bundeswehr, 2006, S. 269 ff. A. A. wohl M. Brenner / D. Hahn, Bundeswehr und Auslandseinsätze, JuS 2001, S. 729 (734 f.).

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Abs. 2 GG ganz vom Merkmal des bewaffneten Angriffs von außen zu lösen. Entscheidend sei alleine die potenzielle Bedrohung für deutsche Sicherheitsinteressen – und nicht der Ort, von dem diese Bedrohung tatsächlich ausgeht84. Einen ersten Anwendungsfall hat diese Ansicht erfahren, als deutsche und andere Staatsbürger 1997 in Tirana beim Zusammenbruch Albaniens bedroht waren und die deutschen Streitkräfte diese Bürger mit militärischen Mitteln evakuierten. Die Aktion „Libelle“85 wurde in Ermangelung anderer tragfähiger Rechtsgrundlagen – insbesondere der Rückgriff auf Art. 24 Abs. 2 GG blieb versperrt, und Art. 32 Abs. 1 GG kommt schon dem Wortlaut und seinem Telos nach als Ermächtigungsgrundlage nicht in Betracht86 – auf den verfassungsrechtlichen Verteidigungsbegriff in Art. 87a Abs. 2 GG gestützt. Wiewohl politisch einleuchtend, bleibt diese Ansicht verfassungsrechtlich fragwürdig. Der Preis dafür wäre nämlich, dass Verteidigung als Rechtsbegriff jegliche Konturen verliert und sich weitgehend auflöst. Damit aber verlöre die Wehrverfassung ihre rechtsstaatliche Funktion, wenn nicht gar ihren Sinn87. An dieser Stelle zeigt sich einmal mehr, wie bedauerlich es ist, dass das Verhältnis zwischen Art. 87a Abs. 2 GG und Art. 24 Abs. 2 GG vom BVerfG bisher nicht geklärt wurde. Versteht man nämlich Art. 24 Abs. 2 GG tatsächlich als einzige „ausdrückliche Zulassung“ von Auslandseinsätzen im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG, dürfte die Bundeswehr aus verfassungsrechtlichen – nicht zwingend auch völkerrechtlichen! – Gründen keine unilaterale friedenswahrende oder humanitäre Intervention durchführen, sondern bliebe auf die 84 Vgl. etwa Hillgruber (FN 31), Art. 87a Rn. 17; Depenheuer (FN 32), S. 688. 85 Zur Rettungsaktion „Libelle“ in Tirana am 14. 3. 1997 vgl. BT-Drs. 13 / 7233. 86 Wie hier wohl Ch. Tomuschat, Der 11. September 2001 und seine rechtlichen Konsequenzen, EuGRZ 2001, S. 535 (545); Ch. Gramm, Die Aufgaben der Bundeswehr und ihre Grenzen in der Verfassung, NZWehrr 2005, S. 133 (146). A. A. Wiefelspütz (FN 37), S. 161 f. 87 Zutreffend Gramm (FN 35), S. 395.

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Entscheidungen der Bündnissysteme angewiesen88. Schon wegen der anzustrebenden Kongruenz verfassungs- und völkerrechtlicher Maßstäbe wäre ein klares verfassungsgerichtliches Wort zur rechten Zeit wünschenswert gewesen. e) Wehrverfassungsrechtlicher Parlamentsvorbehalt Das eigentliche Novum, das das Urteil vom 12. Juli 1994 enthielt, waren die strikte Qualifikation der Bundeswehr als „Parlamentsheer“ und der aus der Verfassung vom BVerfG unmittelbar abgeleitete wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt89. Unabhängig davon, dass der Bundestag sowohl beim Beitritt zur Charta der Vereinten Nationen als auch beim Abschluss der Bündnisverträge (WEU, NATO) im Wege von Art. 59 Abs. 2, Art. 24 Abs. 2 GG bereits grundsätzlich gebilligt hatte, dass deutsche Streitkräfte auf Anforderung durch den Sicherheitsrat oder bei Eintritt des Bündnisfalls nach Art. 5 NATO-Vertrag zum Einsatz kommen können90, fordert das BVerfG eine zusätzliche – nicht gesetzliche – Zustimmung des Bundestages zu jedem konkreten Auslandseinsatz deutscher Soldaten91. Dieses Erfordernis ergebe sich unmittelbar aus einer Gesamtschau der verfassungsrechtlichen Normen92; eine Konkretisierung seiner Voraussetzungen regte das BVerfG ausdrücklich an93. Das einschlägige Gesetz ist nach zehnjähri88 Ähnlich Klein (FN 39), S. 172; Kokott (FN 29), Art. 87a Rn. 24; J. Güntert, Die materielle Verfassungsmäßigkeit von unilateralen Evakuierungsoperationen der Bundeswehr im Ausland, 2008, S. 92 ff. 89 BVerfGE 90, 286 (383). Bestätigt etwa in: BVerfGE 108, 34 (42); 121, 135 (153 ff.), sowie jüngst: BVerfG, Urt. v. 30. 6. 2009, 2 BvE 2 / 08, Rn. 381 – Lissabon-Vertrag. 90 Vgl. hierzu BVerfGE 121, 135 (155). 91 BVerfGE 90, 286 (385, 387 f.). 92 Zu der (fast autosuggestiven) Mühe, die der Senat darauf verwandte, einen solchen Parlamentsvorbehalt im Grundgesetz auszumachen, kritisch Stein / Kröninger (FN 74), S. 261; G. Nolte, Bundeswehreinsätze in kollektiven Sicherheitssystemen, ZaöRV 54 (1994), S. 652 (675). 93 BVerfGE 90, 286 (389).

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ger (!) Diskussion schließlich als „Gesetz über die parlamentarische Beteiligung bei der Entscheidung über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland“ am 24. März 2005 in Kraft getreten94. Eine Kommentierung des sog. Parlamentsbeteiligungsgesetzes (PBG) ist hier nicht zu leisten95, doch soll auf einige zentrale Punkte aufmerksam gemacht werden: Entsprechend den verfassungsgerichtlichen Vorgaben muss das Parlament jedem militärischen Einsatz der Streitkräfte, d. h. ihrer Einbeziehung in bewaffnete Unternehmungen, selbst wenn diese von geringerer Intensität sind und noch nicht in militärische Kampfhandlungen münden96, im Einzelfall vorher zustimmen97. Die Parlamentsbeteiligung muss also zu einem Zeitpunkt erfolgen, zu dem sie noch rechtserheblich ist, was erfordert, dass die materielle Entscheidung über eine Anwendung von Waffengewalt noch nicht getroffen ist98. Deshalb war etwa der Einsatz der AWACS-Aufklärungsflugzeuge in der Türkei im Frühjahr 2003, der bereits konkrete Vorkehrungen gegen einen durch die sicherheitspolitische Lage möglich gewordenen Angriff auf die Türkei getroffen hatte, keine schlichte Bündnisroutine, sondern erforderte als besondere Sicherungsoperation die Beteiligung des Parlaments99. BGBl. 2005 I S. 775. Vgl. hierzu etwa D. Wiefelspütz, Das Parlamentsbeteiligungsgesetz vom 18. 3. 2005, NVwZ 2005, S. 496 ff.; A. Gilch, Das Parlamentsbeteiligungsgesetz, Diss. Würzburg, 2005; M. Rau, Auslandseinsatz der Bundeswehr: Was bringt das Parlamentsbeteiligungsgesetz?, AVR 44 (2006), S. 93 ff. 96 BVerfGE 108, 34 (43); 121, 135 (164). 97 Vgl. § 2 Abs. 1 PBG. Nicht erforderlich ist die Zustimmung hingegen, wenn es sich bei der Unternehmung funktional um einen polizeilichen Einsatz der Streitkräfte handelte, was etwa bei der Rettungsaktion in Albanien im Jahre 1997 der Fall war, vgl. C. Kreß, Die Rettungsoperation der Bundeswehr in Albanien am 14. März 1997 aus völker- und verfassungsrechtlicher Sicht, ZaöRV 57 (1997), S. 329 (356). Freilich hielten die Verfassungsorgane Bundesregierung und Bundestag die konstitutive Beteiligung des Parlaments bei der Operation „Libelle“ für verfassungsrechtlich geboten, vgl. BT-Drs. 13 / 7233; Dt. BT, 13. Wahlperiode, Sten. Prot. S. 14989. 98 BVerfGE 121, 135 (167); vgl. auch BVerfGE 90, 286 (382). 94 95

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Der Bundestag darf den Antrag der Bundesregierung auf Entsendung deutscher Soldaten nicht modifizieren, er kann ihm nur vollständig zustimmen oder ihn ablehnen (§ 3 Abs. 3 PBG)100. Keine exakte Aussage trifft das Gesetz indes darüber, in welchem zeitlichen Abstand vor Beginn des Einsatzes die Zustimmung vorliegen muss oder vorliegen darf; § 3 Abs. 1 PBG verlangt nur, dass der Antrag der Bundesregierung rechtzeitig vor Beginn des geplanten Einsatzes gestellt wird. Bedenken könnten sich in Bezug auf sog. Vorratsbeschlüsse ergeben, da diese die Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse nicht berücksichtigen101. So hatte der Bundestag im Kosovo-Fall bereits am 16. Oktober 1998 (13. Legislaturperiode) seine Zustimmung erteilt102; die militärische Intervention der NATO begann jedoch erst am 24. März 1999 (14. Legislaturperiode)103. Es ist fraglich, ob damit noch dem Sinn des Parlamentsvorbehalts entsprochen wurde. Im Übrigen hat das BVerfG die Zustimmung an die einfache Mehrheit gemäß Art. 42 Abs. 2 GG gebunden104 und ist damit Forderungen entgegengetreten, jedenfalls für bestimmte Einsätze höhere Mehrheiten festzulegen105. Der Parlamentsvorbehalt stellt nach Ansicht des BVerfG ein wesentliches Korrektiv für die Grenzen der parlamentarischen 99 BVerfGE 121, 135 (162, 170). Kritisch Ch. Burkiczak, AWACS II – In dubio pro Bundestag, NVwZ 2008, S. 752 (754); D. Wiefelspütz, Der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte und der konstitutive Parlamentsvorbehalt, 2003, S. 55 ff. 100 Kritisch hierzu Wiefelspütz (FN 95), S. 499. 101 So auch Klein (FN 39), S. 165 f.; A. Paulus, Die Parlamentszustimmung zu Auslandseinsätzen nach dem Parlamentsbeteiligungsgesetz, in: D. Weingärtner (Hrsg.), Einsatz der Bundeswehr im Ausland, 2007, S. 81 (102 f.). 102 Vgl. BT-Drs. 13 / 11469, S. 2. 103 Vgl. BVerfGE 104, 151 (158). In den anderen Verfahren wurde der Zustimmungsbeschluss des Bundestags relativ unmittelbar, d. h. längstens binnen eines Monats, vollzogen, vgl. BVerfGE 118, 114 (115); 118, 244 (248). 104 BVerfGE 90, 286 (388). 105 Vgl. etwa die Forderung der FDP in: BT-Drs. 15 / 36, S. 2, sowie N. Riedel, Die Entscheidung über eine Beteiligung der Bundeswehr an militärischen Operationen der UNO, DÖV 1993, S. 994 (999).

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Verantwortungsübernahme im Bereich der auswärtigen Sicherheitspolitik dar und ist damit weit und parlamentsfreundlich auszulegen106. Bei Gefahr im Verzug kann die Bundesregierung vorläufig selbst entscheiden, muss aber umgehend den Bundestag für eine endgültige Entscheidung einschalten107. Der Einsatz ist zu beenden, wenn das Parlament den Antrag ablehnt108. Dass das Rückholrecht des Parlaments an das Prinzip der Verfassungsorgantreue gebunden ist, versteht sich von selbst109. Bei multilateralen Einsätzen sind zudem die Interessen der militärischen Bündnispartner angemessen zu berücksichtigen110. f) Fortentwicklung von Bündnisverträgen Ein besonders heikler Punkt, der mit den Auslandseinsätzen deutscher Streitkräfte verbunden ist, ist die verfassungsrechtliche Beurteilung einer inhaltlichen Weiterentwicklung von Bündnisverträgen, die nicht im förmlichen Vertragsänderungsweg erfolgt. Auf der Ebene des Völkerrechts sind die Grenzen zwischen Vertragsänderung und dynamischer Vertragsauslegung häufig fließend; deshalb werden auch informelle und konkludente Vertragsänderungen als zulässig angesehen111. Auf BVerfGE 121, 135 (162). BVerfGE 90, 286 (388); 108, 34 (44 f.); 121, 135 (154). Andererseits kann der Bundestag nicht ohne die Bundesregierung einen Streitkräfteeinsatz verfügen. Der Parlamentsvorbehalt ist ein Zustimmungsvorbehalt, der keine Initiativbefugnis verleiht, vgl. BVerfGE 90, 286 (389); 121, 135 (154). 108 BVerfGE 90, 286 (388). 109 Dasselbe gilt – erst recht – für den Fall des Widerrufs einer einmal erteilten Zustimmung. 110 Vgl. R. Schmidt-Radefeldt, Parlamentarische Kontrolle der internationalen Streitkräfteintegration, 2005, S. 177. Vor diesem Hintergrund zutreffend daher BVerfGE 108, 34 (44 f.); 121, 135 (159). 111 Grundlegend R. Bernhardt, Verfassungsrecht und völkerrechtliche Verträge, in: HStR VII, 2. Aufl. 1992, § 174 Rn. 2; G. Ress, Verfassungsrechtliche Auswirkungen der Fortentwicklung völkerrechtlicher Verträge, in: W. Fürst u. a. (Hrsg.), FS Zeidler, Bd. 2 (1987), S. 1775 (1778 ff.). 106 107

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der innerstaatlichen Ebene bereitet diese Vertragspraxis allerdings Schwierigkeiten. Drei Entscheidungen des BVerfG mussten sich mit dieser Thematik befassen. Im ersten Fall (BVerfGE 90, 286) ging es darum, ob die auf verschiedenen Regierungskonferenzen vereinbarte Erstreckung der Aktionen von NATO und WEU über Verteidigungsaufgaben hinaus auch auf Maßnahmen zur Krisenbewältigung und Konfliktverhütung – sog. „Neues Strategisches Konzept von 1991“112 – gesetzgeberischer Zustimmung gemäß Art. 59 Abs. 2 GG bedurfte. Dies ist von vier die Entscheidung tragenden Richtern verneint worden: Bei der Abgrenzung zwischen mitwirkungsbedürftiger Vertragsänderung und mitwirkungsfreier Vertragsauslegung sei allein das subjektive Kriterium des Vertragsänderungswillens maßgeblich, der sich in einem förmlichen Vertragsschluss ausdrücke113. Fehle ein solcher Vertragsschluss, liege kein Änderungsvertrag vor. Selbst wenn die einverständliche Begründung einer Vertragspraxis über den Vertragsinhalt hinaus gehe, unterliege sie nicht der Zustimmungspflicht114. Diese Ansicht überzeugt nicht. Die Zweckrichtung von Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG, der nach der Deckungsgleichheit von völkerrechtlichen Verpflichtungen und parlamentarischer Zustimmung strebt, gebietet eine Interpretation anhand objektiver und nicht subjektiver oder gar formaljuristischer Kriterien115. Die Bundesregierung hat durch ihr Zusammenwirken mit den Partnern von NATO und WEU zur Etablierung einer neuen Sicherheitsarchitektur 112 Vgl. die Kopenhagener Erklärung der NATO-Außenminister vom 6. / 7. 6. 1991 (Bulletin Nr. 66 vom 11. 6. 1991, S. 527) und die Erklärung der Staats- und Regierungschefs des Nordatlantikrates vom 7. / 8. 11. 1991 in Rom (Bulletin Nr. 128 vom 13. 11. 1991, S. 1033 ff.) einerseits, sowie die „Petersberg-Erklärung“ der WEU-Außen- und Verteidigungsminister vom 19. 6. 1992 (Bulletin Nr. 68 vom 23. 6. 1992, S. 649) andererseits. 113 BVerfGE 90, 286 (361 – 372). 114 BVerfGE 90, 286 (363, 368). Ebenso deutlich BVerfGE 104, 151 (206); 118, 244 (259). 115 I. Pernice, in: H. Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Art. 59 Rn. 43.

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in Europa die Bündnisverträge gewissermaßen „auf Räder gesetzt“ und damit die Gefahr heraufbeschworen, dass der Inhalt der Verträge verbindlich modifiziert und dennoch der Mitwirkung des Parlaments nach Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG entzogen wurde116. Im zweiten Fall (BVerfGE 104, 151) war das „Neue Strategische Konzept von 1999“ Streitgegenstand. Es unterscheidet sich von dem älteren Konzept von 1991 dadurch, dass die Parteien des Nordatlantikpaktes nicht nur ihren Willen zum Ausdruck bringen, die Zielsetzung der NATO ausdrücklich um die über Art. 5 NATO-Vertrag hinausgehenden Krisenreaktionseinsätze zu erweitern, sondern hierin auch beschlossen ist, dass solche Einsätze nicht notwendig der Legitimation des Sicherheitsrates bedürfen117. Ungeachtet dieser gegenüber der vorangegangenen Entscheidung (BVerfGE 90, 286) wesentlich veränderten Situation118 ist das Gericht auch in diesem Fall der Ansicht, dass eine förmliche Vertragsänderung nicht vorliege, eine solche aber für die Anwendung von Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG unerlässlich sei. Gerade bei Verträgen, die wie die Bündnisverträge auf verstetigte Integration angelegt seien, führten – so das Gericht – Ausrichtungsänderungen, mögen sie auch hochpolitischer Natur sein, nicht zu einer Zustimmungsbedürftigkeit auf der innerstaatlichen Ebene119. Diese im Grunde unbegrenzte Entwicklungsoffenheit und Elastizität, die das BVerfG dem NATO-Vertrag bescheinigt120, stimmen bedenklich. Das Bedenken wird auch nicht dadurch gemildert, dass das Gericht zu Recht feststellt, dass jede extensive Interpretation von Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG Rechtsunsicherheit hervorrufen und die Steuerungswirkung des Zustimmungsgesetzes in Frage stellen 116 So auch die Ansicht der vier die Entscheidung nicht tragenden Richter in: BVerfGE 90, 286 (372 – 381). 117 BVerfGE 104, 151 (177, 204 f.). 118 Näher E. Klein / S. Schmahl, Die neue NATO-Strategie und ihre völkerrechtlichen und verfassungsrechtlichen Implikationen, RuP 1999, S. 198 (204 f.). 119 BVerfGE 104, 151 (200 – 204). 120 BVerfGE 104, 151 (206).

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würde121. Die außen- und sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit der Bundesregierung darf nicht völlig zu Lasten der gesetzgebenden Organe gehen, will man nicht die funktionsgerechte Teilung der Staatsgewalt in Frage stellen. Auch im Urteil vom 3. Juli 2007 (BVerfGE 118, 244) ging es um die Frage, ob die Beteiligung der Bundeswehr an dem erweiterten ISAF-Mandat in Afghanistan die gesetzgeberische Zustimmung notwendig gemacht hätte. Streitig war vor allem, ob der NATO-geführte Einsatz noch der Sicherheit des euroatlantischen Raumes dient und sich innerhalb des von Art. 24 Abs. 2 GG vorausgesetzten Zwecks der Friedenswahrung verhält122. Beides hat das BVerfG unter dem Blickwinkel der neuen Bedrohungslagen zutreffend bejaht. Der ISAF-Einsatz dient nicht alleine der Aufrechterhaltung der Sicherheit in Afghanistan, um eine Grundlage für den zivilen staatlichen Aufbau zu schaffen, sondern gerade auch der Sicherheit des euro-atlantischen Raums vor künftigen Angriffen123. Damit handelt die NATO innerhalb ihres regionalen Bezugsrahmens124. Allerdings ist auch an diesem Urteil zu kritisieren, dass das Gericht erneut die interpretative Fortbildung der vertraglichen Grundlagen der NATO durch nachfolgende Organpraxis nicht an eine Zustimmung des Gesetzgebers gemäß Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG bindet125. Insgesamt kann die Auslegungspraxis des BVerfG dazu führen, dass eine allmähliche Inhaltsänderung des Vertrags durch rechtserhebliches Handeln unterhalb förmlicher Vertragsänderung eintritt, ohne dass innerstaatlich die gesetzgebenden Organe an dieser Entwicklung teilhaben126. Diese BVerfGE 104, 151 (207). Vgl. BVerfGE 118, 244 (249 f.; 252 f.). 123 BVerfGE 118, 244 (265; 267 f.). 124 BVerfGE 118, 244 (266). 125 Vgl. BVerfGE 118, 244 (264 f.). Kritik auch bei Klein (FN 39), S. 171. 126 Klein / Schmahl (FN 118), S. 205; C. Arndt, Verfassungsrechtliche Anforderungen an internationale Bundeswehreinsätze, NJW 1994, S. 2197 (2199). 121 122

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Gefahr – die übrigens in naher Zukunft erneut virulent werden dürfte127 – erkennt das Gericht zwar, es hält sie jedoch nicht für maßgebend128. Denn der Bundestag sei nicht schutzlos gestellt; Schutz werde ihm gerade durch das Instrumentarium parlamentarischer und verfassungsgerichtlicher Kontrolle geboten129. Nicht zuletzt schütze der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt den Bundestag vor der Aushöhlung seiner Rechte130. Auch diese Argumentation überzeugt nicht. Zum einen unterscheiden sich der vom BVerfG erfundene wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt und die in Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG seit jeher niedergelegte Zustimmungsbedürftigkeit von völkerrechtlichen Verträgen schon dadurch qualitativ, dass nur bei letzterem auch die Mitwirkung des Bundesrates erforderlich ist131 und der Grundsatz der Diskontinuität des Parlamentsbetriebs Geltung erlangt132. Zum anderen kontrastieren die enge Auslegung und Anwendung von Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG, die offensichtlich dem Schutz der Zuständigkeit der Regierung zur Führung von Außenpolitik dienen sollen, mit dem nach Ansicht des BVerfG extensiv zu verstehenden Parlamentsvorbehalt133, zumal dieser seinerseits wieder als Argument dafür eingesetzt wird, dass Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG eng zu interpretieren sei134. Es handelt sich hierbei um einen klassischen circulus vitio127 Vgl. N. Busse, Der neue Weltpolizist? – Die Nato beginnt über ein neues strategisches Konzept nachzudenken, FAZ vom 18. 7. 2009, S. 12. 128 Vgl. BVerfGE 90, 286 (372 ff.); 104, 151 (208 f.); 118, 244 (263); 121, 135 (158). 129 BVerfGE 121, 135 (158 f.). 130 BVerfGE 104, 151 (208); 121, 135 (160 f.). 131 Klein / Schmahl (FN 118), S. 205. 132 Bezeichnenderweise erfolgte der Einsatz im Kosovo, der auf einem Parlamentsbeschluss aus der 13. Wahlperiode basierte, erst in der 14. Legislaturperiode; s. dazu bereits oben unter III.2.e) (S. 128). 133 Vgl. R. Streinz, in: Sachs (FN 29), Art. 24 Rn. 76b. In seinem Urteil zum Lissabon-Vertrag statuiert das Gericht sogar die Integrationsfestigkeit des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts, vgl. BVerfG, Urt. v. 30. 6. 2009, 2 BvE 2 / 08, Rn. 255, Rn. 381 ff. 134 BVerfGE 121, 135 (161 – 163).

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sus135. Oder beabsichtigt das Gericht die Einführung einer Art „wehrverfassungsrechtlichen Schaukeltheorie“, die die außenpolitischen Gewichte von Exekutive und Legislative im Lichte der jeweils anderen Gewalt abzuwägen sucht136?

IV. Schlussbemerkung Sieht man davon ab, dass inzwischen auch Frauen freiwilligen Dienst mit der Waffe leisten dürfen137, ist am Wehrverfassungsrecht seit 1968 kein einziger Buchstabe geändert worden. Und doch hat sich die Staatspraxis nach 1990 derart radikal verändert, dass die Wehrverfassung insgesamt als Paradebeispiel für die Unterschiedlichkeit zwischen „geschriebener und gelebter Verfassung“138 genannt werden kann139. Gerade die neuartigen Bedrohungen durch zunehmend asymmetrische Kriege, durch den internationalen Terrorismus und die Seepiraterie haben zur Folge, dass der Anwendungsbereich von Art. 87a Abs. 2 GG und Art. 24 Abs. 2 GG faktisch immer weiter erstreckt wird. Vor diesem Hintergrund ist zu bedauern, dass das Grundgesetz keine klare verfassungsrechtliche Grundlage für Auslandseinsätze der Bundeswehr jenseits des Verteidigungsauftrages enthält. Die seit knapp zwei Jahrzehnten währende Scheu, eine insoweit klarstellende Norm zu schaffen140, hat zu Zutreffend Klein (FN 39), S. 173. Dies insinuiert BVerfGE 121, 135 (163). 137 Art. 12a Abs. 4 S. 2 GG wurde infolge der Entscheidung des EuGH, Urt. v. 11. 1. 2000, Rs. C-285 / 98, Slg. 2000, S. I-69 – Kreil, durch Gesetz vom 19. 12. 2000 (BGBl. 2000 I S. 1755) geändert. 138 J. Isensee, Staat und Verfassung, in: HStR II, 3. Aufl. 2004, § 15 Rn. 177 ff. 139 Gramm (FN 35), S. 380. 140 Bereits Anfang der 1990er Jahre wurde eine klarstellende Verfassungsänderung erwogen, vgl. BT-Drs. 12 / 4107; 12 / 4135. Derzeit wird über die Schaffung eines neuen Absatz 5 zu Art. 87a GG diskutiert, wonach die Streitkräfte außerhalb des Hoheitsgebiets der Bundesrepublik 135 136

Der Einsatz deutscher Streitkräfte

135

Grundgesetzinterpretationen geführt, die nicht immer einsichtig und damit der Rechtssicherheit abträglich sind. Auch die mit den Auslandseinsätzen verknüpfte und zunehmend brisante Frage, ob und in welchem Umfang eine Bindung deutscher Soldaten im Ausland an grundrechtliche Standards des Grundgesetzes oder internationale Menschenrechtsverbürgungen besteht, ist noch keiner zufriedenstellenden Lösung zugeführt worden141. Das BVerfG hatte bisher noch keine Veranlassung, sich mit dieser Problematik auseinanderzusetzen142; der Gesetzgeber sollte dennoch nicht in Untätigkeit verharren. Demgegenüber bedarf es – trotz mancher anderslautender Stimmen143 – keiner zusätzlichen verfassungsrechtlichen Norm zum nichtverteidigungsbezogenen Einsatz der Streitkräfte im Innern (im Fall der Verteidigung dürfen die Streitkräfte selbstverständlich auch im Bundesgebiet eingesetzt werden). Das bestehende verfassungsrechtliche Repertoire, das bei den verschiedenen Formen des inneren Notstands zum Zuge kommen kann, ist auch unter Einbeziehung der neuen Bedrohungslagen ausreichend. Die Entscheidung des BVerfG zum Luftsicherheitsgesetz zeigt dies im Ergebnis deutlich auf144. Anders als bei Auslandseinsätzen jenseits des Verteidigungsauftrags ist die scharfe Trennung von Polizei- und Militäraufgaben im Innern145 von besonderer Bedeutung, da sie weitreiDeutschland nach den Regeln des Völkerrechts eingesetzt werden dürfen, vgl. Wiefelspütz (FN 17), S. 106 ff. 141 Die Stellungnahmen in der Literatur sind mittlerweile zahlreich, aber nicht einheitlich, vgl. etwa R. Hofmann, Grundrechte und grenzüberschreitende Sachverhalte, 1994; D. Lorenz, Der territoriale Anwendungsbereich der Grund- und Menschenrechte, 2005; A. Werner, Die Grundrechtsbindung der Bundeswehr bei Auslandseinsätzen, 2006; K. Stoltenberg, Auslandseinsätze der Bundeswehr im menschenrechtlichen Niemandsland?, ZRP 2008, S. 111 ff. 142 Eine indirekte Bezugnahme findet sich in: BVerfGE 77, 170 (221). 143 Vgl. etwa H. Sattler, Terrorabwehr durch die Streitkräfte nicht ohne Grundgesetzänderung, NVwZ 2004, S. 1286 (1291); Kirchhof (FN 59), § 84 Rn. 64. Zu den Änderungsvorschlägen Wiefelspütz (FN 17), S. 80 ff. 144 BVerfGE 115, 118 (146 f.; 150 f.).

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chende Folgen nicht nur für die aufgabenrechtliche Dimension des Art. 87a GG, sondern vor allem für die verfassungsrechtliche Balance von Sicherheit und Freiheit hat. Und diese Balance hat der verfassungsändernde Gesetzgeber im Jahre 1968 mit Bedacht austariert, als er den Einsatz der Streitkräfte im Innern gegenüber dem Staatsbürger zwar verfassungsrechtlich zu legitimieren suchte, zugleich aber verdeutlichte, dass die Streitkräfte insoweit lediglich „als Polizeikräfte“ zur Verfügung gestellt werden. Hieran sollte auch künftig festgehalten werden.

145 Das Gebot der „strikten Texttreue“ mahnt auch das BVerfG an, vgl. BVerfGE 90, 286 (357); 115, 118 (142).

Grundgesetz und Europa: Verfassungsrechtliche Vorgaben und Grenzen der Mitwirkung Deutschlands an der europäischen Integration Von Eckhard Pache I. Einführung Als vor 60 Jahren, am 23. Mai 1949, Konrad Adenauer das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland verkündete1, gab es noch keine Europäische Union und keine Europäische Gemeinschaft2, es gab nicht einmal konkrete politische Vorstel1 Konrad Adenauer verkündete das Grundgesetz in einer Feierstunde des Parlamentarischen Rates am 23. Mai 1949. Ausgearbeitet worden war der Text des Grundgesetzes auf der Grundlage des Entwurfs des Herrenchiemseer Verfassungskonvents vom Parlamentarischen Rat, der erstmals am 1. September 1948 in Bonn zusammengetreten war. Er war keine verfassungsgebende, vom Volk gewählte Nationalversammlung, sondern ein Gremium eigener Art, dessen Rekrutierung und Zusammensetzung den besonderen Umständen des besetzten Nachkriegsdeutschlands vor dem Hintergrund der sich abzeichnenden Teilung Deutschlands geschuldet war. Im Parlamentarischen Rat beschlossen wurde das Grundgesetz am 8. Mai 1949 mit 53 gegen 12 Stimmen. Am 22. Mai 1949 wurde es von den Landesparlamenten, mit Ausnahme Bayerns, angenommen; in Kraft trat es schließlich entsprechend seinem Art. 145 Abs. 2 am 23. Mai 1949 um 24 Uhr, vgl. Horst Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. III, 2. Aufl. 2008, Art. 145 Rn. 1 u. ebd., Art. 144 Rn. 2; Markus Bermanseder, Die Europäische Idee im Parlamentarischen Rat, 1998, S. 94 ff. 2 Die Europäische Union (EU) und die Europäische Gemeinschaft (EG) entstanden erst im Jahre 1992 im Rahmen des Maastrichter Vertrages, der am 7. Februar 1992 unterzeichnet worden und am 1. November 1993 in Kraft getreten ist. Durch diesen Vertrag wurden die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS), die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), die Europäische Atomgemeinschaft (EAG) und die

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lungen oder Pläne für die künftige Gestalt, Organisation oder rechtliche Ausgestaltung der angestrebten Friedensordnung Europas3. Die rechtliche Konstruktion eines supranationalen Staatenverbundes eigener Art, wie ihn die Europäische Union heute darstellt4, und die Übertragung wesentlicher Teile der nationalen Zuständigkeiten und Befugnisse auf einen solchen Staatenverbund lagen jenseits aller Vorstellungen. Dennoch hat das Grundgesetz schon bei seinem Inkrafttreten 1949 zukunftsweisend die verfassungsrechtlichen Grundlagen für die Mitwirkung Deutschlands an der Schaffung der Europäischen Union gelegt5. Es hat eine eindeutige und klare Entscheidung für eine offene Staatlichkeit Deutschlands, für institutionalisierte Zusammenarbeit in den Bereichen Außenpolitik, Verteidigung, Polizei und Justiz unter dem Dach der Europäischen Union zusammengefasst sowie die EWG in EG umbenannt. Die Erstgründung des supranationalen Europas gelang jedoch bereits 1952 mit dem Inkrafttreten des Vertrages zur Gründung der EGKS (50 Jahre nach seinem Inkrafttreten ist der Vertrag wie vorgesehen am 23. Juli 2002 ausgelaufen). Im Jahre 1957 wurden dann die Römischen Verträge unterzeichnet, deren erster die Gründung der EWG und deren zweiter diejenige der EAG zum Gegenstand hatte, vgl. Rudolf Streinz, Europarecht, 8. Aufl. 2008, Rn. 16 ff.; Roland Bieber / Astrid Epiney / Marcel Haag, Die Europäische Union, Europarecht und Politik, 8. Aufl. 2009, § 1 Rn. 14. 3 Zwar entstand 1950 der Schuman-Monnet-Plan, dieser war aber zunächst auf eine funktional auf Kohle und Stahl begrenzten Gemeinschaft wirtschaftlicher Integration begrenzt, Andreas Haratsch / Christian Koenig / Matthias Pechstein, Europarecht, 6. Aufl. 2009, Rn. 7 f. 4 Das BVerfG bezeichnet die EU in seinem Maastricht-Urteil vom 12. 10. 1993 als einen „Staatenverbund zur Verwirklichung einer immer engeren Union der – staatlich organisierten – Völker Europas“ (BVerfGE 89, 155 [188] – Maastricht); vgl. auch Haratsch / Koenig / Pechstein, Europarecht (FN 3), Rn. 78; zu Supranationalität und Intergouvernementalität in EU und Europäischen Gemeinschaften vgl. näher nur Streinz, Europarecht (FN 2), Rn. 127; Haratsch / Koenig / Pechstein, Europarecht (FN 3), Rn. 72, 87. 5 So enthielt bereits die Präambel die in die Zukunft weisende Festlegung, dass der neue Staat als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt dienen wolle, Peter Badura, Staatsrecht, Systematische Erläuterung des Grundgesetzes, 3. Aufl. 2003, S. 51; Christian Tomuschat, Die staatsrechtliche Entscheidung für die internationale Offenheit, in: Josef Isensee / Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland (HStR), Bd. VII, 1992, § 172 Rn. 4.

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seine Einordnung in einen kooperativen Verbund mit den Völkern und Staaten in Europa und der Welt, für die Völker- und Europarechtsfreundlichkeit der deutschen Rechtsordnung und für die europäische Integration getroffen6. Diese Grundsatzentscheidung des Grundgesetzes für Europa und für die europäische Integration ist in den vergangenen 60 Jahren aus unterschiedlichen Gründen und mit unterschiedlichen Zielvorstellungen immer wieder in Frage gestellt worden7. Sie besteht aber nicht nur bis heute fort, sondern sie ist 1992 im Zusammenhang mit der Ratifikation des Vertrages von Maastricht im Wege einer ausdrücklichen Verfassungsänderung konkretisiert, mit spezifischen materiellen und prozeduralen Vorgaben angereichert und zur Staatszielbestimmung ausgebaut worden8. 6 Auch das BVerfG hob die grundlegende Verfassungsentscheidung der Präambel für eine internationale Zusammenarbeit hervor, vgl. BVerfGE 18, 112 (121); 31, 58 (75 ff.); 73, 339 (386); vgl. zusammenfassend Stephanie Uhrig, Die Schranken des Grundgesetzes für die europäische Integration, Grenzen der Übertragung von Hoheitsrechten nach dem Grundgesetz am Beispiel des Vertrages von Maastricht, 2000, S. 94 ff. 7 Die Auseinandersetzung um das Verhältnis Deutschlands zu Europa und zur EU ist immer wieder nicht nur politisch, sondern auch juristisch geführt worden. Dies machen insbesondere die zahlreichen Verfassungsbeschwerden gegen Änderungsverträge des EWG- bzw. EG-Vertrages deutlich, etwa die Verfassungsbeschwerde des FDP-Politikers Manfred Brunner gegen den Vertrag von Maastricht im Jahre 1993 (BVerfGE 89, 155 – Maastricht), sowie die aktuelle Verfassungsbeschwerde des CSUBundestagsabgeordneten Peter Gauweiler und anderer Bundestagsabgeordneter gegen den Vertrag von Lissabon (die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hinsichtlich dieser Verfahren erging am 30. Juni 2009, BVerfG, 2 BvE 2 / 08). Allgemein zeigt die Diskussion in Deutschland, dass das Verhältnis von deutschem Verfassungsrecht und europäischem Gemeinschaftsrecht noch längst nicht geklärt und insbesondere die Frage nach den möglichen verfassungsrechtlichen Schranken der deutschen Integrationspolitik noch nicht hinreichend beantwortet ist, vgl. Helmut Steinberger, Die Europäische Union im Lichte der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Oktober 1993, in: FS Rudolf Bernhardt, 1995, S. 1313 (1314); ob die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Juni 2009 zu einer abschließenden Klärung geführt hat, erscheint durchaus zweifelhaft.

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II. Die europabezogenen Bestimmungen des Grundgesetzes Das Grundgesetz sah vom Zeitpunkt seines Inkrafttretens an in bewusster Abkehr vom vorangegangenen Nationalsozialismus9 die Eingliederung Deutschlands in die internationale Staatengemeinschaft und speziell in die Gemeinschaft der Staaten und Völker Europas vor10. 1. Präambel Die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts rechtserhebliche, für alle Verfassungsorgane der Bundesrepublik Deutschland unmittelbar verpflichtende Präambel11 brachte 8 Zur Ausgestaltung des Art. 23 GG seit Maastricht vgl. Ingolf Pernice, in: Horst Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Art. 23 Rn. 33 ff.; Rupert Scholz, in: Theodor Maunz / Günter Dürig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Art. 23 (1996), Rn. 36 ff. 9 Die Errichtung eines Nationalstaates, der ganz nach dem Staatsbild des vorangegangenen Nationalsozialismus erneut auf Geschlossenheit nach außen und auf Allzuständigkeit im Inneren gerichtet gewesen wäre, erschien für das künftige Zusammenleben der Völker in Europa nicht geeignet. Stattdessen sollte eine Abkehr vom Staatsbild des Nationalsozialismus erfolgen, indem ein Gegenmodell zur totalitären Diktatur des NS-Staates geschaffen wurde, vgl. näher Albert Bleckmann, Die Völkerrechtsfreundlichkeit der deutschen Rechtsordnung, DÖV 1979, S. 309 (318). 10 Die Bezüge, Hinweise und Regelungen zum Völkerrecht und zur internationalen Ordnung der Staaten sind als Reaktion auf die Politik der politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Abkapselung und der damit verbundenen ausschließlichen Wahrnehmung nationaler Eigeninteressen durch das nationalsozialistische Regime zu verstehen, vgl. Klaus Vogel, Die Verfassungsentscheidung des Grundgesetzes für die internationale Zusammenarbeit, 1964, S. 10. Offensichtlich enthält das Grundgesetz in einem für die deutsche Verfassungsgeschichte einmaligen Ausmaß Bezüge mit solch internationalem Hintergrund; die Weimarer Reichsverfassung enthielt lediglich einen Artikel, nämlich Art. 4 WRV, der die allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts zu bindenden Bestandteilen des Reichsrechts erklärte, vgl. zur Entscheidung des Grundgesetzes für internationale Integration und für Europa ausführlich Uhrig, Schranken (FN 6), S. 46. 11 Diese unmittelbare Verpflichtung für alle Verfassungsorgane erkannte das Bundesverfassungsgericht der Präambel im Urteil zum Grundlagen-

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zunächst den mit der Verabschiedung des Grundgesetzes verfolgten Willen des deutschen Volkes zum Ausdruck, „als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen“12. Diese Grundsatzentscheidung für ein vereintes Europa und für die gleichberechtigte Eingliederung Deutschlands in dieses vereinte Europa mit dem Ziel der Friedenssicherung durch Kooperation13 legt vom Inkrafttreten des Grundgesetzes an die deutsche Staatsgewalt auf europäische Kooperation und Integration fest und bringt zugleich bereits im Vorspruch zur neuen deutschen Verfassung zum Ausdruck, dass die Bundesrepublik Deutschland nicht auf die überholte Vorstellung uneingeschränkter staatlicher Souveränität und Impermeabilität ausgerichtet sein soll14, sondern auf Öffnung nach außen und europäische Kooperation15. vertrag zu (BVerfGE 36, 1 [17 f.]); zuvor hatte das Bundesverfassungsgericht mit seinem KPD-Urteil aus dem Jahre 1956 lediglich festgestellt, dass dem Vorspruch des Grundgesetzes neben der politischen Bedeutung auch ein rechtlicher Gehalt zukomme, BVerfGE 5, 85 (127). Bereits diese Feststellung war damals als beachtlicher Umschwung zu bewerten angesichts der Tatsache, dass große Teile der Weimarer Staatsrechtslehre der Präambel lediglich enuntiativen (deklamatorischen) Rechtscharakter zugestanden hatten, vgl. Horst Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. I, 2. Aufl. 2004, Präambel Rn. 16. 12 Diese Grundentscheidung für europäische Integration und offene Staatlichkeit wurde bei der Neufassung der Präambel infolge der deutschen Wiedervereinigung erneut bekräftigt, Carl Otto Lenz, Vertrag von Maastricht – Ende demokratischer Staatlichkeit?, NJW 1993, S. 1962 (1964); Uhrig, Schranken (FN 6), S. 48. 13 Mit dieser Grundsatzentscheidung kommt bereits die Einschätzung des historischen Verfassungsgebers zum Ausdruck, dass diese Friedenssicherung nicht durch die Existenz der Bundesrepublik in selbstherrlicher Isolation, sondern nur in einem kooperativen Verbund mit den Völkern Europas und der Welt erreicht werden kann, Tomuschat, Entscheidung (FN 5), § 172 Rn. 2. 14 Vielmehr bringt bereits die Präambel den grundsätzlichen Entschluss zum Ausdruck, dass der deutsche Staat sich nach außen öffnen wollte. Dabei bleibt die Souveränität der Bundesrepublik Deutschland zwar grundsätzlich unangetastet, soll aber in der Weise ausgeübt werden, dass die Ziele und Befugnisse des vereinten Europas nicht beeinträchtigt werden, vgl. Theodor Maunz, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz (FN 8), Präambel (1991), Rn. 33.

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2. Art. 24 GG Als Instrument zur Umsetzung der in der Präambel angelegten europäischen Option des Grundgesetzes diente zunächst Art. 24 GG16, der vorsieht, dass der Bund durch Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen kann. Diese Bestimmung, der ursprüngliche „Integrationshebel“17 des Grundgesetzes, hat von der Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl im Jahre 1951 an die verfassungsrechtliche Grundlage für die Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäischen Gemeinschaften gebildet18. Konkrete prozedurale oder materielle Vorgaben für die Errichtung der Europäischen Gemeinschaften und für die Ausgestaltung der europäischen Integration enthielt das Grundgesetz zunächst nur in begrenztem Ausmaß19. Aus der Präam15 Das GG macht die Bereitschaft Deutschlands zur Eingliederung in die internationale Gemeinschaft gleichberechtigter Staaten deutlich und ist Ausdruck der völkerrechtsfreundlichen Grundhaltung des GG und einer das gesamte GG prägenden „umfassenden Entscheidung für eine offene Staatlichkeit“, vgl. Vogel, Verfassungsentscheidung (FN 10), S. 42; BVerfGE 6, 309 (362); 18, 112 (121); 31, 58 (75). 16 Art. 24 GG stellte bis zum 21. Dezember 1992 die einzige Vorschrift des GG dar, durch die das dem GG zugrundeliegende Prinzip der offenen Staatlichkeit im Wege der Übertragung von Hoheitsrechten umgesetzt werden konnte, vgl. Uhrig, Schranken (FN 6), S. 49. 17 Art. 24 Abs. 1 GG schafft die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für die Übertragung von Hoheitsrechten auf zwischenstaatliche Einrichtungen, gewährleistet dadurch die Möglichkeit zur Umsetzung der internationalen Option des Grundgesetzes und macht diese zur Staatszielbestimmung. Deshalb stellt Art. 24 Abs. 1 GG das Instrument, den Integrationshebel dar, mittels dessen die Umsetzung der Grundentscheidung zur internationalen Zusammenarbeit gelingen konnte, so Hans Peter Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1972, S. 52, 58. 18 Uhrig, Schranken (FN 6), S. 49 ff. 19 Die Mitglieder des Parlamentarischen Rates nahmen in das Grundgesetz zwar an mehreren Stellen Vorgaben zur Mitarbeit des deutschen Staates an der Einigung Europas auf, etwa indem dem Bund über Art. 24 GG die Teilnahme am europäischen Integrationsprozess eröffnet und der Gedanke der europäischen Einigung bereits als eines der Hauptziele des neuen deutschen Staates in der Präambel angesprochen wurde. Dieser Verfassungsentscheidung für die internationale Zusammenarbeit ließen sich

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bel in Verbindung mit Art. 24 GG ließ sich entnehmen, dass Hoheitsrechte ausschließlich auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen werden durften, die ihrer Zielsetzung nach nicht auf Aggression oder die Planung eines Angriffs- oder Eroberungskrieges gerichtet sein durften20. Die Übertragung von Hoheitsrechten musste – unabhängig von der innerstaatlichen Kompetenzverteilung – stets durch ein Bundesgesetz erfolgen, das ungeachtet seines materiellen Charakters als Verfassungsänderung nicht den Regeln des Artikels 79 Abs. 1 und 2 GG unterfiel, also nicht den Wortlaut des Grundgesetzes zu ändern brauchte und keiner verfassungsändernden Mehrheit bedurfte21. Mit fortschreitender Entwicklung, Vertiefung und Verdichtung des europäischen Integrationsverbundes22 erschienen diese weitgehend offenen und eher unspezifischen Vorgaben des Grundgesetzes zu Europa zunehmend als nicht mehr ausreichend, um weitere Integrationsschritte, weitere Hoheitsrechtsübertragungen auf die Europäischen Gemeinschaften oder die Europäische Union verfassungsrechtlich hinreichend präzise zu legitimieren und einzubinden23. Zugleich erschiejedoch weder konkrete Aussagen über die Gestalt der zukünftigen Gemeinschaft der europäischen Staaten entnehmen noch Vorgaben für den Weg dorthin, vgl. Bermanseder, Idee (FN 1), S. 189. 20 Die zwischenstaatliche Einrichtung durfte somit nicht gegen den Frieden und die Völkerverständigung gerichtet sein, vgl. Albrecht Randelzhofer, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz (FN 8), Art. 24 Abs. 1 (1992), Rn. 47. 21 Eine Ausnahme vom Grundsatz, dass allein der Bund Hoheitsrechte übertragen durfte, stellt der 1992 ins Grundgesetz eingefügte Art. 24 Abs. 1a GG dar, der den Ländern die Möglichkeit eröffnet, mit Zustimmung der Bundesregierung Hoheitsrechte auf grenznachbarschaftliche Einrichtungen zu übertragen, vgl. Uhrig, Schranken (FN 6), S. 55 ff. 22 Insbesondere der Vertrag von Maastricht (in Kraft getreten am 01. November 1993) eröffnete der Europäischen Union eine Fülle neuer Tätigkeitsfelder und stellte damit eine neue Stufe bei der Verwirklichung der Europäischen Integration dar, indem er neben dem wirtschaftlichen den umfassenderen politischen Auftrag der Europäischen Union in den Vordergrund rückte, Bieber / Epiney / Haag, Europäische Union (FN 2), § 1 Rn. 23 f. 23 Problematisch erschien, inwieweit Art. 24 Abs. 1 GG noch als verfassungsrechtliche Grundlage für den Vertrag von Maastricht tauglich

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nen strukturelle und materielle Anforderungen an die Europäische Union sowie verfassungsrechtlich ausdrücklich verankerte Mitwirkungsrechte des Bundestages und der deutschen Bundesländer bei grundsätzlichen Entscheidungen zu Europa dringend erforderlich. 3. Art. 23 GG Vor diesem Hintergrund ist im Jahre 1992 mit Blick auf die anstehende Ratifikation des Vertrages von Maastricht und die mit diesem Vertrag beabsichtigte Gründung der Europäischen Union und der Wirtschafts- und Währungsunion ein neuer Art. 23 GG in die deutsche Verfassung eingefügt worden, der seither die spezielle verfassungsrechtliche Grundlage für die Mitwirkung Deutschlands an der EU bildet24. Im Einzelnen sieht Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG vor, dass die Bundesrepublik Deutschland zur Verwirklichung eines vereinten Europas bei der Entwicklung der Europäischen Union mitwirkt25, und konkretisiert die weiterhin bereits in der Präwar. Ansatzpunkt im Wortlaut der Vorschrift war, dass es sich bei der durch den Maastrichter Vertrag geschaffenen Europäischen Union noch um eine zwischenstaatliche Einrichtung im Sinne des Art. 24 GG handeln musste, vgl. näher zur verfassungsrechtlichen Debatte Kirsten Schmalenbach, Der neue Europaartikel 23 des Grundgesetzes im Lichte der Arbeit der Gemeinsamen Verfassungskommission, 1996, S. 32 f. 24 Am 26. Juni 1992 wurde in der 8. Sitzung der Gemeinsamen Verfassungskommission mit einer Gegenstimme beschlossen, mit Art. 23 GG n. F. als speziellem Europaartikel den Prozess der europäischen Integration verfassungsrechtlich abzusichern und voranzutreiben. Mit der Einfügung dieser Norm konnte dann letztlich auch die Frage unbeantwortet bleiben, ob auf der Grundlage des Art. 24 Abs. 1 GG noch die Ratifizierung des Maastrichter Vertrages hätte erfolgen können, nachdem hierzu in rechtlicher Hinsicht unterschiedlichste Auffassungen vertreten wurden, vgl. näher Schmalenbach, Europaartikel (FN 23), S. 54. 25 Anders als Art. 24 Abs. 1 GG („Der Bund kann“) statuiert Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG hiermit eine klare Verpflichtung, die sich an alle staatlichen Organe im Gesamtstaat Deutschland wendet. Damit wird die aktive Teilnahme Deutschlands am Europäischen Integrationsprozess verfassungskräftig festgelegt, vgl. Pernice (FN 8), Art. 23 Rn. 39.

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ambel angelegte europäische Option des Grundgesetzes zu einer Pflicht zur Mitwirkung Deutschlands an der Entwicklung der EU, begründet also ein entsprechendes Staatsziel26. Diese verfassungsrechtliche Verpflichtung zur Mitwirkung an der Entwicklung der EU wird in Art. 23 Abs. 1 GG ergänzt um spezifische strukturelle und materielle Anforderungen an die EU27. Die auf Verfassungshomogenität zwischen der EU und dem Mitgliedstaat Bundesrepublik Deutschland gerichtete Struktursicherungsklausel28 fordert, dass die EU demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen und dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist sowie einen dem Grundgesetz im Wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet29. Als Instrument der deutschen Mitwirkung an der europäischen Integration stellt Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG wiederum die Möglichkeit der Übertragung von Hoheitsrechten zur Ver26 Die Verwirklichung des vereinten Europas erhält damit den „Rang eines Staatszieles, auf das hinzuwirken der Bundesstaat in seiner Gesamtheit – also Bund und Länder – verpflichtet ist“, Deutscher Bundestag (Hrsg.), Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission, Zur Sache 5 / 93, S. 40. 27 Diese strukturellen Anforderungen an die Gestalt der Europäischen Union stellen einen wesentlichen Unterschied zu dem bisherigen Art. 24 Abs. 1 GG dar, der keine entsprechenden Anforderungen beinhaltete. 28 Durch die Struktursicherungsklausel wird den deutschen Verfassungsorganen vorgegeben, nur an einer solchen Europäischen Union mitzuwirken, die den strukturellen Forderungen des Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG gerecht wird. Damit stellt die Vorschrift insofern eine Einschränkung und Grenze für die Teilnahme Deutschlands an der Europäischen Union dar, als die deutsche Mitarbeit sich auf Integrationsschritte beschränken muss, die die Verwirklichung der Strukturprinzipien fördern, vgl. Scholz (FN 8), Art. 23 Rn. 39; Sonderausschuss „Europäische Union“ des Bundestages, BTag-Drs. 12 / 3896, S. 17; Albrecht Weber, Zur künftigen Verfassung der Europäischen Gemeinschaft, JZ 1993, S. 325 (329). 29 Diese Prinzipien sollen keinesfalls eine inhaltliche Identität mit dem nationalen Verfassungsgefüge der Bundesrepublik Deutschland schaffen, sondern sie sollen in einer Weise verwirklicht werden, die der spezifischen Struktur und Rechtsnatur der Europäischen Union angemessen ist und die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten ermöglicht, vgl. Rupert Scholz, Grundgesetz und Europäische Einigung, NJW 1992, S. 2594 (2598).

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fügung und verlangt – wie bereits zuvor Art. 24 GG – hierfür ein formelles Bundesgesetz, nunmehr allerdings ausdrücklich und generell mit Zustimmung des Bundesrates30. Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG erklärt ausdrücklich Art. 79 Abs. 2 und 3 GG für auf die Begründung der EU und vergleichbare Regelungen anwendbar, verlangt also für grundlegende Entscheidungen zur europäischen Integration eine verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat und erklärt die Ewigkeitsklausel für anwendbar31. Die nachfolgenden Absätze 2 bis 7 des Art. 23 GG treffen Regelungen, um die Mitwirkung des Bundestages und des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union zu stärken32. Durch ein umfängliches Netz an Mitwirkungsrechten für Parlament und Ländervertretung sollen vertikale und horizontale Kompetenzverluste ausgeglichen und innerstaatlich Demokratie, Föderalismus und Gewaltenteilung gegen die Gefahren zunehmender Europäisierung nationaler Politiken geschützt werden33. 30 Damit wird der Übertragung unmittelbare und zugleich föderal vermittelte demokratische Legitimation verliehen und der Übertragungsakt wird in Bezug auf Bund und Länder zugleich doppelt abgestützt, so Pernice (FN 8), Art. 23 Rn. 84. 31 Von der Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG umfasst ist „die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung“ sowie „die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze“. Als spezielles Problem in diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob und inwieweit der Bestand der Bundesrepublik Deutschland als souveräner Staat und ihre verfassungsrechtliche Identität der Europäischen Union Schranken setzen; dazu im Einzelnen Scholz (FN 8), Art. 23 Rn. 88 f. 32 Grund hierfür ist die weitreichende Integration der Bundesrepublik Deutschland in die Europäische Union, durch die sowohl Hoheitsrechte des Bundes als auch solche der Länder betroffen und somit das Verhältnis Bund-Länder und das Verhältnis der Verfassungsorgane Bundestag, Bundesregierung und Bundesrat beeinflusst werden, vgl. die Begründung der Bundesregierung, BTag-Drs. 12 / 3338, S. 1; Uhrig, Schranken (FN 6), S. 136. 33 Dazu im Einzelnen BTag-Drs. 12 / 3338, S. 4 f.; Eckart Klein / Andreas Haratsch, Neuere Entwicklungen des Rechts der Europäischen Gemeinschaften, DÖV 1993, S. 785 (797).

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Worin besteht nun die verfassungsrechtliche Bedeutung der geschilderten Verfassungsbestimmungen und insbesondere des Art. 23 GG für die europäische Integration? III. Grundgesetz und europäisches Primärrecht Art. 23 GG ist – neben seinem Gehalt als Staatszielbestimmung34 – der zentrale verfassungsrechtliche Maßstab für ein deutsches Zustimmungsgesetz zu einer Änderung der primärrechtlichen Grundlagen der europäischen Integration35. Jede Änderung der Gründungsverträge, oder präziser, jedes deutsche Zustimmungsgesetz zu einer Änderung der Gründungsverträge, muss sich an Art. 23 GG messen lassen36. Damit ist die Norm auch der zentrale Maßstab für die Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit des Zustimmungsgesetzes und der Begleitgesetzgebung zum Vertrag von Lissabon, über die das Bundesverfassungsgericht nach langer Verfahrensdauer demnächst zu entscheiden hat37. Das Bundesverfassungsgericht hat hier unter anderem auf der Grundlage des Art. 23 GG zu prüfen, ob die Europäische Vgl. oben FN 26. Die EU in der durch die jeweiligen Änderungsverträge ausgeformten Gestalt muss folglich demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen und dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet sein und einen dem Grundgesetz im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleisten, die Vorgaben des Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG müssen beachtet worden sein, und die Verfahrensvorgaben des Art. 23 GG müssen eingehalten worden sein, vgl. oben FN 28 f. 36 Bedeutsame Änderungsverträge sind die Einheitliche Europäische Akte (28. 02. 1986), der Vertrag von Maastricht (07. 02. 1992), der Vertrag von Amsterdam (02. 10. 1997), der Vertrag von Nizza (26. 02. 2001), der gescheiterte Vertrag über eine Verfassung für Europa (29. 10. 2004) sowie der gegenwärtig zur Ratifikation stehende Vertrag von Lissabon, dazu im Detail Streinz, Europarecht (FN 2), Rn. 35 ff. 37 Zwischenzeitlich ist diese Entscheidung ergangen, vgl. BVerfG, Urteil vom 30. 06. 2009, 2 BvE 2 / 08 u. a., NJW 2009, S. 2267; weil die Entscheidung nach der Würzburger Festveranstaltung zum 60. Jubiläum des Grundgesetzes ergangen ist, konnte sie in der Vortragsfassung und auch in diesem Beitrag nicht mehr berücksichtigt werden. 34 35

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Union, die durch den Vertrag von Lissabon errichtet werden soll, demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen und dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist und einen dem Grundgesetz im Wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet38. Diese Anforderungen der Struktursicherungsklausel gebieten nicht etwa die spiegelbildliche Übernahme des deutschen Modells von Demokratie, Rechtsstaat, Sozialstaat oder Föderalismus auf die europäische Ebene, sondern erfordern eine eigenständige, die gemeinsamen europäischen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten ebenso wie die strukturellen und funktionalen Besonderheiten der EU berücksichtigende Ausgestaltung von Organisation, Verfahren und Rechtsordnung der EU, die in ihrem Zusammenwirken ein angemessenes Maß an Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Sozialstaatlichkeit, föderativer Struktur und Subsidiarität der europäischen Ebene gewährleistet39. 38 Das Zustimmungsgesetz zum Vertrag von Lissabon wurde diesbezüglich als mit dem Grundgesetz vereinbar eingestuft, lediglich das Begleitgesetz über die Ausweitung und Stärkung der Rechte des Bundestages und des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union (BTagDrs. 16 / 8489) verstößt nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts insoweit gegen Art. 38 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 23 Abs. 1 des Grundgesetzes, als Beteiligungsrechte des Deutschen Bundestages und des Bundesrates nicht in erforderlichem Umfang ausgestaltet worden seien, vgl. BVerfG, 2 BvE 2 / 08 vom 30. 06. 2009, NJW 2009, S. 2267. 39 Gegen eine Europäische Union, die in Konzeption und Organisation der Struktur des Staates des Grundgesetzes spiegelbildlich nachgebildet ist, spricht bereits die Grundentscheidung des Grundgesetzes für die internationale Zusammenarbeit: Würde jeder Mitgliedstaat seine eigenen Verfassungsstrukturen als alleinigen Maßstab für die Errichtung und Erweiterung einer Europäischen Union sehen, so würde dies die Zusammenarbeit auf Europäischer Ebene und damit das Vorantreiben der Europäischen Integration erheblich einschränken. Denn eine Übertragung des jeweiligen individuellen verfassungsrechtlichen Abbildes jedes Mitgliedstaates ist unmöglich, vgl. Hugo J. Hahn, Der Vertrag von Maastricht als völkerrechtliche Übereinkunft und Verfassung, 1992, S. 122; Gerhard Eibach, Das Recht der Europäischen Gemeinschaften als Prüfungsgegenstand des Bundesverfassungsgerichts, 1986, S. 87; Ulrich Everling, Überlegungen zur Struktur der Europäischen Union und zum neuen EuropaArtikel des Grundgesetzes, DVBl. 1993, S. 936 (944).

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Gleiches gilt für die Forderung des Art. 23 GG nach einem dem Grundgesetz im Wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz40. Auch hier ist kein deckungsgleicher Schutz41, sondern funktionale Äquivalenz des Grundrechtsschutzes vorgegeben, die vom Bundesverfassungsgericht nach anfänglichem Zögern42 inzwischen nach seiner Solange-Rechtsprechung zumindest vorläufig als gegeben angesehen wird43. Ein weiteres zentrales Gebot, das aus Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG in Verbindung mit Art. 79 GG hergeleitet werden kann, ist das Gebot der Wahrung der Verfassungsidentität des Grundgesetzes44 auch bei Änderungen der Grundlagen der Europäischen Union nach Art. 23 Abs. 1 GG. Nach Maßgabe dieser sogenannten Verfassungsidentitätsgarantie darf Deutschland auch auf der Grundlage des Art. 23 GG seine Hoheitsgewalt nur insoweit auf die Europäische Union übertragen, wie es dadurch nicht seine Qualität insbesondere als Staat, als 40 Auch hier kann mit Rücksicht auf die unterschiedlichen Grundrechtstraditionen in den Mitgliedstaaten kein identischer Grundrechtsschutz mit dem Grundgesetz gefordert sein, vgl. Pernice (FN 8), Art. 23 Rn. 72. 41 „Ein deckungsgleicher Schutz“ ist, wie das Bundesverfassungsgericht im Beschluss zur Bananenmarktordnung unterstreicht „nicht gefordert“, so ausdrücklich BVerfGE 102, 147 (164) – Bananenmarktordnung. 42 So noch BVerfGE 37, 271 – Solange I, darin behielt sich das BVerfG vor, die Vereinbarkeit von europäischem und deutschem Recht in jedem Einzelfall selbst zu überprüfen. 43 So insbesondere BVerfGE 73, 339 – Solange II, darin stellt das BVerfG abweichend von der Solange I-Rspr. nun fest, dass der Rechtsschutz durch die Organe der Europäischen Gemeinschaften, insbesondere durch den EuGH den Maßstäben der deutschen Gerichte genüge, sodass das BVerfG im Regelfall keine eigene Prüfung durchführen müsse. 44 Danach gehören die Gewährleistungen, die nach Art. 79 Abs. 3 GG die Identität des deutschen Verfassungsstaates bilden und daher auch durch den verfassungsändernden Gesetzgeber nicht verändert werden können, zum verfassungsrechtlichen Kernbestand der Bundesrepublik Deutschland und können trotz des grundgesetzlich gewollten Einflusses des Europarechts auf das nationale Recht weder aufgehoben noch in ihrem elementaren Gehalt modifiziert werden, vgl. Paul Kirchhof, Der deutsche Staat im Prozeß der Europäischen Integration, in: HStR, Bd. VII (Fn. 5), § 183 Rn. 59.

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Republik, als Demokratie oder als sozialer Rechts- und Bundesstaat verliert45. Der deutsche Staat muss nach Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG bei und nach der Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union einen Staat darstellen, der den durch Art. 79 Abs. 3 GG auch gegenüber dem verfassungsändernden Gesetzgeber garantierten grundlegenden Verfassungsprinzipien entspricht46. Hieraus hat das Bundesverfassungsgericht etwa das konkrete Verbot hergeleitet, die Befugnisse des Bundestages durch Verlagerung von Aufgaben und Zuständigkeiten auf die Europäische Union so einzuschränken, dass das Wahlrecht des Art. 38 GG entwertet und das demokratische Prinzip verletzt wird47. Gerade die Identitätsgarantie des Grundgesetzes lässt aber im Bereich der europäischen Integration viele Fragen insbesondere nach ihrem konkreten Gehalt und nach ihren Grenzen offen. Wann sind etwa so viele Zuständigkeiten des Bundestages auf die europäische Ebene übertragen, dass das Wahlrecht zum Deutschen Bundestag entwertet und das Demokratieprinzip des Grundgesetzes im Kern verletzt ist? Sind hierfür quantitative oder qualitative, subjektive oder objektive 45 Entsprechend hat das Bundesverfassungsgericht in seinen Solange Iund Solange II-Entscheidungen den Begriff der Identität des Grundgesetzes in seine Urteilsfindung einbezogen und als Schranke für Hoheitsrechtsübertragungen auf die Europäische Gemeinschaft geprüft. Das Gericht hat in diesem Zusammenhang ausgeführt, es sei nicht zulässig, „die Identität der geltenden Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland durch Einbruch in ihr Grundgefüge, in die sie konstituierenden Strukturen, aufzugeben“, BVerfGE 37, 271 (279); 73, 339 (375); ausführlich zur Bedeutung der Verfassungsidentitätsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG bereits im Rahmen des früheren Art. 24 GG und zur entsprechenden Judikatur des Bundesverfassungsgerichts Uhrig, Schranken (FN 6), S. 77 ff. m.w. N. 46 Ausführlich zu den Grenzen des Art. 79 Abs. 3 GG für die Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union auf der Grundlage des neuen Art. 23 GG und zu deren Entfaltung in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Uhrig, Schranken (FN 6), S. 131 ff. m. w. N. 47 So ausführlich die Maastricht-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, BVerfGE 89, 155 (181 ff.).

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Kriterien maßgeblich, und werden diese durch das Grundgesetz vorgegeben, oder bedürfen sie der Konkretisierung im Prozess der Verfassungsanwendung? Wird der Verlust eigener autonomer Entscheidungsmöglichkeiten des Bundestages oder des Bundesrates durch die neugewonnenen Mitwirkungsmöglichkeiten beim Handeln Deutschlands auf europäischer Ebene, die Art. 23 GG vorsieht, ganz oder teilweise kompensiert? Stellt das Grundgesetz in seinen unaufgebbaren, durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Kernelementen konkrete Vorgaben für den deutschen Gesetzgeber auf, wie dieser seine eigene Mitwirkung an der künftigen Willensbildung auf der Ebene der EU ausgestalten und handhaben muss, um die Verfassungsidentität des Grundgesetzes etwa im Bereich der Demokratie zu wahren, oder bestehen hier verfassungsrechtlich nicht unabänderlich determinierte und somit politische Handlungs-, Entscheidungs- und Ausgestaltungsspielräume? Bei diesen Fragen sollte die Einschätzungsprärogative des unmittelbar demokratisch legitimierten parlamentarischen Gesetzgebers, der das Zustimmungsgesetz zu einem grundlegenden Änderungsvertrag nach Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG zumindest mit Zweidrittelmehrheit beschließen muss, bei der verfassungsgerichtlichen Überprüfung – jedenfalls auch – Berücksichtigung finden.

IV. Grundgesetz und europäisches Sekundärrecht Nach der Bedeutung des Grundgesetzes für das europäische Primärrecht soll nachfolgend seine Bedeutung für das europäische Sekundärrecht48 und dessen Gültigkeit angesprochen werden. Dies ist bis heute einer der umstrittensten Bereiche des Verhältnisses zwischen Europarecht und nationalem Recht, in 48 Das europäische Sekundärrecht besteht vornehmlich aus den von den Organen der Europäischen Gemeinschaft erlassenen Rechtsakten. Dies sind unter anderem die in Art. 249 EGV genannten Verordnungen, Richtlinien, Entscheidungen sowie Empfehlungen und Stellungnahmen, vgl. Haratsch / Koenig / Pechstein, Europarecht (FN 3), Rn. 329.

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dem immer noch deutliche Meinungsunterschiede zwischen EuGH und BVerfG auszumachen sind. Anerkannter Ausgangspunkt aller diesbezüglichen Überlegungen sind grundsätzlich die unmittelbare Wirkung49 und der Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts gegenüber nationalem Recht50, die auch die deutsche Verfassung mit Art. 23 GG anerkennt und zulässt. Problematisch ist, ob dieser Anwendungsvorrang auch gegenüber nationalem Verfassungsrecht und gegenüber nationalen Grundrechten besteht, oder ob sich sekundäres Gemeinschaftsrecht grundsätzlich oder jedenfalls bei Versagen des Grundrechtsschutzes auf Unionsebene hilfsweise auch an den nationalen Grundrechten messen lassen muss. Während das Bundesverfassungsgericht über die Brücke des deutschen Zustimmungsgesetzes zu den Gemeinschaftsverträgen die grundsätzliche Maßstäblichkeit der deutschen Grundrechtsordnung auch für sekundäres Gemeinschaftsrecht herleitet und lediglich seine Kontrolle der Einhaltung der deutschen Grundrechte durch sekundäres Gemeinschaftsrecht solange zurücknimmt, wie auf Ebene der EG ein im Wesentlichen vergleichbarer Grundrechtsschutz gewährleistet ist51, 49 Die unmittelbare Wirkung von Verordnungen ist in Art. 249 Abs. 2 EGV ausdrücklich angeordnet, Richtlinien hingegen müssen grundsätzlich erst in den Mitgliedstaaten umgesetzt werden, um unmittelbare Wirkung zu entfalten. Unter bestimmten Voraussetzungen können nach mittlerweile ganz herrschender Auffassung aber auch Richtlinien eine unmittelbare Wirkung entfalten. Dies gilt nach ständiger Rechtsprechung des EuGH (seit Rs. 9 / 70, Grad / Finanzamt Traunstein [„LeberPfennig“], Slg. 1970, 825 [837 ff.]) und auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 75, 223 [235 ff.]). 50 Diesbezüglich herrscht sowohl aus gemeinschaftlicher als auch aus mitgliedstaatlicher Sicht Einigkeit. Ein Geltungsvorrang, der die Nichtigkeit gemeinschaftsrechtswidrigen nationalen Rechts bewirken würde, wird hingegen nicht einmal vom EuGH vertreten, Haratsch / Koenig / Pechstein, Europarecht (FN 3), Rn. 187 ff.; vgl. dazu auch die Rechtssache Costa / ENEL, EuGH, Rs. 6 / 64, Slg. 1964, 1251 (1269). 51 In seiner Solange I-Entscheidung aus dem Jahre 1974 hat sich das BVerfG vorbehalten, Gemeinschaftsrecht am Maßstab des Grundgesetzes zu überprüfen, solange die Europäische Gemeinschaft nicht über einen dem Grundgesetz „adäquaten“ Grundrechtskatalog verfüge, denn dieser

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geht der EUGH davon aus, dass im Interesse der Funktionsfähigkeit der Gemeinschaftsrechtsordnung grundrechtlicher Maßstab für die Gültigkeit von Sekundärrecht allein die eigenen und eigenständigen Grundrechte der Gemeinschaftsrechtsordnung sein können52. Diese unterschiedlichen Auffassungen beruhen im Wesentlichen auf unterschiedlichen Annahmen über den Geltungsgrund des Gemeinschaftsrechts: Während das BVerfG unter Rückgriff auf die völkerrechtlichen Wurzeln und Grundlagen der Gemeinschaftsrechtsordnung immer noch zentral auf die sei ein „unaufgebbares, zur Verfassungsstruktur des Grundgesetzes gehörendes Essentiale“, vgl. BVerfGE 37, 271 (280). Auch in seiner Solange IIEntscheidung hat das BVerfG seine Rechtsprechung in ihrer dogmatischen Grundkonzeption konsequent fortgeschrieben. In einer umfangreichen Analyse der Rechtsprechung des EuGH kommt das Gericht zu dem Schluss, dass im Hoheitsbereich der Europäischen Gemeinschaften ein Maß an Grundrechtsschutz erwachsen sei, „das nach Konzeption, Inhalt und Wirkungsweise dem Standard des Grundgesetzes im Wesentlichen gleich zu achten“ sei. Solange dieser Zustand anhalte, so das BVerfG, werde es seine Gerichtsbarkeit nicht mehr ausüben und das Gemeinschaftsrecht nicht mehr am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes überprüfen, vgl. BVerfGE 73, 339 (378 / 387). Ohne gedanklichen Bruch hat das BVerfG diese Rechtsprechung im Maastricht-Urteil fortgeführt. In diesem heißt es, das BVerfG gewährleiste, dass „ein wirksamer Schutz der Grundrechte für die Einwohner Deutschlands auch gegenüber der Hoheitsgewalt der Gemeinschaften generell sichergestellt und dieser dem vom Grundgesetz als unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutz im Wesentlichen gleich zu achten ist“, vgl. BVerfGE 89, 155 (174 f.). 52 Obwohl die Gemeinschaftsverträge bis heute keinen ausformulierten Grundrechtskatalog enthalten, stellen Gemeinschaftsgrundrechte seit Gründung der EWG eines der zentralen Verfassungselemente der EU und einen integralen Teil der Gemeinschaftsrechtsordnung und des Rechts der EU dar, vgl. ausführlich zu ihrem Geltungsgrund und ihrer Anerkennung in der Rechtsprechung des EuGH Eckhard Pache, Begriff, Geltungsgrund und Rang der Gemeinschaftsgrundrechte, in: Sebastian M. Heselhaus / Carsten Nowak (Hrsg.), Handbuch der Europäischen Grundrechte, 2006, § 4 Rn. 1, 5 ff. m. w. N.; seit dem Vertrag von Maastricht enthält der EUVertrag einen Artikel, in dem sich die Europäische Union verpflichtet, diejenigen Grundrechte als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts zu achten, die sich aus der Europäischen Menschenrechtskonvention und aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergeben (Art. 6 II EUV), vgl. Jutta Limbach, Das Bundesverfassungsgericht und der Grundrechtsschutz in Europa, NJW 2001, S. 2913 (2914).

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nationalen Zustimmungsgesetze zu den Gründungsverträgen abstellt53, sieht der EuGH die Gemeinschaftsrechtsordnung als eine mittlerweile eigene und eigenständige Rechtsordnung besonderer Art, die nicht mehr uneingeschränkt den allgemeinen völkerrechtlichen Regeln unterliegt, sondern die Grundlage für ihre vorrangige Geltung in den Mitgliedstaaten in sich selbst trägt54. Diese beiden Auffassungen sind inhaltlich nicht miteinander vereinbar. Glücklicherweise haben sie aber praktisch auch noch keine besondere Rolle gespielt, da das BVerfG bislang den Grundrechtsschutz auf Gemeinschaftsebene für demjenigen des Grundgesetzes im Wesentlichen vergleichbar und deshalb für ausreichend gehalten und aufgrund dessen sekundäres Gemeinschaftsrecht noch nicht an den Grundrechten des 53 So ist etwa für Paul Kirchhof der Geltungsgrund des Gemeinschaftsrechts in Deutschland allein das deutsche Zustimmungsgesetz zu den europäischen Verträgen, das den innerstaatlichen Rechtsanwendungsbefehl erteile. Das deutsche Zustimmungsgesetz sei mithin „die alleinige Brücke“, über die Gemeinschaftsrecht rechtsverbindlich „nach Deutschland fließe“; was diese Brücke „nicht trage“, gewinne in Deutschland keine Rechtsverbindlichkeit, vgl. in Jan Bergmann, Kooperationsverhältnis BVerfG – EuGH, in: Wolfgang W. Mickel / Jan Bergmann (Hrsg.), Handlexikon der Europäischen Union, 3. Aufl. 2005. 54 Zur gemeinschaftsautonomen Herleitung des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts durch den EuGH grundlegend EuGH 15. 7. 1964, Costa / ENEL, Rs. 6 / 64, Slg. 1964, 1251 (1269); seither in ständiger Rechtsprechung auch gegenüber nationalem Verfassungsrecht anerkannt, vgl. etwa EuGH 9. 3. 1978, Simmenthal II, Rs. 106 / 77, Slg. 1978, 629 (643); zur Art des Vorrangs (Geltungs- oder Anwendungsvorrang) näher EuGH 22. 10. 1998, IN.CO.GE, verb. Rs. C-10 / 97 bis C-22 / 97, Slg. 1998, I-6307 (6332). Aus der europarechtlichen Perspektive des ehemaligen EuGH-Richters Hirsch legt derjenige „die Axt an die Wurzel der Gemeinschaftsrechtsidee“, der das letzte Wort über die innerstaatliche Anwendbarkeit von Gemeinschaftsrecht nationalen Gerichten vorbehalten will. Die authentische Interpretation des Gemeinschaftsrechts obliege nach den Verträgen vorbehaltlos dem EuGH. Nur inhaltlich finde eine Kooperation statt bei der gemeinsamen Aufgabe, das Recht zu wahren. Aus Gründen der Rechtseinheit in der europäischen Rechtsgemeinschaft könne nur der EuGH bezüglich der Gültigkeit europäischen Rechts das letzte Wort haben, vgl. Bergmann, Kooperationsverhältnis (FN 53); weiter siehe auch Ulrich Wölker, Die Normenhierarchie im Unionsrecht in der Praxis, EuR 2007, S. 32 (38).

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Grundgesetzes gemessen hat. Sollte das BVerfG in einem konkreten Fall in Zukunft Zweifel am hinreichenden Schutz der Grundrechte auf Gemeinschaftsebene hegen und seine von ihm beanspruchte Funktion als Hüter der Grundrechte in Deutschland wieder ausüben wollen, so wäre ihm zu empfehlen, dies einmal tatsächlich in dem von ihm selbst apostrophierten Kooperationsverhältnis55 mit dem EuGH zu tun. Eine Vorlage des Bundesverfassungsgerichts an den EuGH, in der das BVerfG dem EuGH eine Frage zur Gültigkeit oder Auslegung einer Bestimmung des sekundären Gemeinschaftsrechts mit seinen Zweifeln am hinreichenden Grundrechtsschutz auf Gemeinschaftsebene unterbreitete, böte unter Berücksichtigung der wechselseitigen mitgliedstaatlichen wie gemeinschaftlichen Pflichten zur Gemeinschaftstreue treffliche Gelegenheit zur Herstellung eines verhältnismäßigen Ausgleichs zwischen den Erfordernissen der Funktionsfähigkeit der Gemeinschaftsrechtsordnung einerseits und dem Schutz elementarer Verfassungsgrundsätze des Mitgliedstaates Bundesrepublik Deutschland andererseits im richterlichen Dialog.

V. Die unionsverfassungsrechtliche Bedeutung des Grundgesetzes Das Grundgesetz besitzt über seine Geltung als Verfassung der Bundesrepublik Deutschland hinaus europaweite verfassungsrechtliche Bedeutung und Wirkung als Teil des europäischen Verfassungsverbundes, der sich in den Jahrzehnten organisatorischen und materiellen Zusammenwachsens der Staaten und der Verfassungsordnungen Europas als Verbund der Grundordnungen der europäischen Staaten und Organisationen herausgebildet hat56. 55 In dem sich das Bundesverfassungsgericht auf eine generelle Gewährleistung der unabdingbaren Grundrechtsstandards beschränken kann, da der Europäische Gerichtshof den Grundrechtsschutz in jedem Einzelfall für das gesamte Gebiet der Europäischen Gemeinschaften garantiert, vgl. BVerfGE 89, 155 (175) – Maastricht.

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Das Grundgesetz ist für die EU bedeutsam im Rahmen ihrer Verpflichtung zur Gemeinschaftstreue gegenüber ihren Mitgliedstaaten. Diese primärrechtliche Pflicht zur Gemeinschaftstreue umfasst für die EU die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die grundlegenden Verfassungsentscheidungen ihrer Mitgliedstaaten, die ungeachtet des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts beim Handeln der EU beachtet und respektiert werden müssen. Fundamentale Grundentscheidungen der mitgliedstaatlichen Verfassungen und damit auch fundamentale Grundentscheidungen des Grundgesetzes binden über die unionsverfassungsrechtliche Pflicht zur Gemeinschaftstreue auch die Organe der EU57. Das Grundgesetz ist weiter eine der Rechtserkenntnisquellen58 für die Grundrechte der EU, die ausweislich des Art. 6 EUV einerseits aus den Grundrechten der EMRK und andererseits aus den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten folgen59. Teil dieser gemeinsamen Verfassungstraditionen sind die Grundrechte des Grundgesetzes, die damit nicht nur einen wichtigen Anstoß zur Grundrechtsrechtsprechung des EuGH gegeben, sondern auch inhaltlich erheblich 56 Zum Begriff und zur Bedeutung des europäischen Verfassungsverbundes grundlegend Ingolf Pernice, Die Dritte Gewalt im europäischen Verfassungsverbund, EuR 1996, S. 27 ff.; ders., Der europäische Verfassungsverbund auf dem Wege der Konsolidierung, JöR 48 (2000), S. 205 ff.; ders., Europäisches und nationales Verfassungsrecht, VVDStRL 60 (2001), S. 148 (163 ff.). 57 Der Grundsatz der Gemeinschaftstreue ist in Art. 10 EGV kodifiziert. Danach schulden sich Gemeinschaft und Mitgliedstaaten beiderseitig Loyalität. So sind auch die Gemeinschaften zur Rücksichtnahme auf die Mitgliedstaaten verpflichtet. Diese Pflicht zur wechselseitigen Rücksichtnahme spiegelt sich im Begriff der Gemeinschaftstreue. Im Vertrag von Lissabon ist dieser Grundsatz in Art. 4 Abs. 3 EUV n. F. normiert, vgl. Streinz, Europarecht (FN 2), Rn. 162 ff. 58 Streinz, Europarecht (FN 2), Rn. 761. 59 Aus diesen Rechtserkenntnisquellen leitet der EuGH rechtsvergleichend unter Berücksichtigung spezifischer Gemeinschaftsinteressen autonom die Gemeinschaftsgrundrechte bzw. rechtsstaatlichen Verfahrensgrundsätze her, vgl. Streinz, Europarecht (FN 2), Rn. 761; Limbach, Bundesverfassungsgericht (FN 52), S. 2914.

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zur materiellen Ausgestaltung der Grundrechtsordnung der EU beigetragen haben60. Darüber hinaus hat das Grundgesetz zentrale Verfassungsprinzipien und Verfassungsgrundsätze zur Verfassungsordnung der EU beigetragen. Exemplarisch kann hier der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz61 genannt werden, der in seiner vierstufigen Ausgestaltung wie in seiner ubiquitären Anwendung originär dem deutschen Verfassungsrecht entstammt, aus diesem in die Verfassungsordnung der EU übernommen worden ist und über die EU sukzessive Eingang auch in andere mitgliedstaatliche Rechtsordnungen gefunden hat62. Mit zunehmender wechselseitiger Beeinflussung, Verschränkung und Ergänzung der nationalen und der europäischen Verfassungsebene im europäischen Verfassungsverbund dürfte diese hier nur ansatzweise skizzierte europäische Dimension des Grundgesetzes noch an Bedeutung gewinnen. VI. Bewertung Die wenigen angesprochenen Aspekte des tatsächlich sehr viel komplexeren Verhältnisses von Grundgesetz und europäischer Integration sollten zumindest andeuten, wie unverzicht60 So weist die konkrete Grundrechtsprüfung durch den EuGH Parallelen zur deutschen Grundrechtsdogmatik auf, insbesondere in mit dem BVerfG vergleichbaren Begründungen der jeweils „verfassungs“-legitimen Ziele und teilweise hinsichtlich der Legitimität der Mittel. Ebenso werden die Anforderungen des Grundsatzes der Erforderlichkeit in durchaus vergleichbarer Weise entfaltet, vgl. Streinz, Europarecht (FN 2), Rn. 764 ff. 61 Siehe dazu insbesondere Andreas von Arnauld, Theorie und Methode des Grundrechtsschutzes in Europa – am Beispiel des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, EuR 2008 Beiheft 1, S. 41; ausführlich Eckhard Pache, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der Rechtsprechung der Gerichte der Europäischen Gemeinschaften, NVwZ 1999, S. 1033 ff. 62 So hat in Italien die Rechtsprechung des EuGH und in Österreich vor allem die im Verfassungsrang stehende EMRK zur Übernahme des Konzepts geführt. In Griechenland hat der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 2001 sogar Eingang in die Verfassung gefunden, vgl. von Arnauld, Theorie (FN 61), S. 57.

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bar die nationale Verfassung und ihre europabezogenen Regelungen auch heute noch als Grundlage und als Maßstab für die Weiterentwicklung der vertraglichen Grundlagen Europas und als wichtiger Teil des europäischen Verfassungsverbundes sind. Demgegenüber erscheint mir die Bedeutung des Grundgesetzes als unmittelbarer Maßstab für gemeinschaftliches Sekundärrecht mittlerweile eher begrenzt. An ihre Stelle tritt eine mittelbare Bedeutung des Grundgesetzes entweder als Rechtserkenntnisquelle für entsprechende materielle Gehalte der Unionsverfassung, die den angemessenen Maßstab für sekundäres Gemeinschaftsrecht bildet, oder als grundlegendes Element der Staatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland, auf das die Gemeinschaftsorgane im Rahmen ihrer Pflicht zur Gemeinschaftstreue Rücksicht zu nehmen haben. Auf diese Weise kann das Grundgesetz weiterhin – mittelbar oder unmittelbar – entscheidender Maßstab für alles nationale und europäische Recht sein, das in Deutschland Geltung beansprucht. Die Durchsetzung seiner Gewährleistungen gegenüber der europäischen Hoheitsgewalt obliegt aber nicht mehr dem Bundesverfassungsgericht allein, diesbezüglich ist in Zukunft eine wirkliche Kooperation mit dem EuGH erforderlich. Zunächst aber wird das Bundesverfassungsgericht allein in den nächsten Wochen über die Verfassungsmäßigkeit des deutschen Zustimmungsgesetzes zum Vertrag von Lissabon entscheiden. Diese Entscheidung hat nicht nur europaweit grundlegende Bedeutung für die Zukunft der vertraglichen Grundlagen der EU – sie wird sicher auch wieder neue Erkenntnisse über die Vorgaben des Grundgesetzes zu Europa zu Tage fördern.63 63 Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungsmäßigkeit des deutschen Zustimmungsgesetzes zum Vertrag von Lissabon und der deutschen Begleitgesetzgebung ist zwischenzeitlich am 30. 06. 2009 – also nach diesem Vortrag – ergangen (vgl. FN 38); ausführlich zu dieser Entscheidung Eckhard Pache, Das Ende der europäischen Integration? Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Vertrag von Lissabon, zur Zukunft Europas und der Demokratie, EuGRZ 2009, S. 285 ff.

Das Grundgesetz unter Ablösungsvorbehalt? Zu Deutung und Bedeutung des Art. 146 GG* Von Horst Dreier I. Ausgangspunkt: Das Grundgesetz als Provisorium Einstimmig ist das Grundgesetz nicht beschlossen worden1. Bei der Abstimmung in der zehnten Sitzung des Plenums des Parlamentarischen Rates am symbolträchtigen 8. Mai 19492 votierten zwölf der insgesamt 65 Abgeordneten gegen seine Annahme. Es war eine bunte Opposition, zu der Politiker der KPD, des Zentrums, der DP und der CSU zählten. Entspre* Beim folgenden Beitrag handelt es sich um die überarbeitete und stark erweiterte Fassung eines Artikels, der unter dem Titel „Das Grundgesetz – eine Verfassung auf Abruf?“ erschienen ist in der Beilage zur Wochenzeitung „Das Parlament“: Aus Politik und Zeitgeschichte, Heft 18 – 19 / 2009, S. 19 – 26. 1 Zur Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes aus der Fülle der Literatur etwa die eingängige und kompakte Schilderung von Michael F. Feldkamp, Der Parlamentarische Rat 1948 – 49. Die Entstehung des Grundgesetzes, 1998; zentrale Dokumente bietet ders. (Hrsg.), Die Entstehung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland 1949. Eine Dokumentation, 1999; zusammenfassend Reinhard Mußgnug, Zustandekommen des Grundgesetzes und Entstehen der Bundesrepublik Deutschland, in: Josef Isensee / Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland (HStR), Bd. I, 3. Aufl. 2003, § 8 (S. 315 – 354); eingehend und mit vielen Nachweisen Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. V, 2000, S. 1244 ff., 1277 ff. 2 Dokumentiert in: Der Parlamentarische Rat 1948 – 1949. Akten und Protokolle, Bd. 9: Plenum, bearbeitet von Wolfram Werner, 1996, S. 504 – 630.

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chend vielfältig gestalteten sich die Motive und Gründe der Ablehnung. Die sechs der insgesamt acht bayerischen CSUAbgeordneten, die mit Nein stimmten (und zu denen auch der langjährige Würzburger Ordinarius Wilhelm Laforet gehörte), begründeten ihre Ablehnung vor allem mit zu geringen Länderkompetenzen, mangelnden Vorkehrungen gegen eine neuerliche Parteienzersplitterung sowie dem fehlenden Bekenntnis zu einer christlichen Staatsauffassung3. Zugleich erklärte man aber „mit allem Nachdruck“, sich „dem neuen Staat und Gesamtdeutschland aus tiefstem Empfinden verpflichtet“ zu fühlen4. Das war nicht die einzige Gemeinsamkeit. Denn was praktisch alle Mitglieder des Parlamentarischen Rates verband, die große Mehrheit der 53 wie die Minderheit der zwölf, war die Grundüberzeugung, daß diesem Werk keine lange Existenz beschieden sein würde. Im Grunde genommen gingen alle davon aus, mit diesem Grundgesetz lediglich eine Art Notbau für einen begrenzten Zeitraum geschaffen zu haben – um dem „staatlichen Leben für eine Übergangszeit eine neue Ordnung zu geben“, wie es die Präambel in ihrer ursprünglichen Fassung denn auch klar und deutlich ausdrückte5. Die Teilung Deutschlands, so die allgemeine Erwartung, würde bald überwunden und damit der Weg frei sein für eine nicht auf die westliche Teilnation beschränkte, sondern gesamtdeutsche Verfassung – und damit für eine Verfassung, die frei von Vorgaben und Genehmigungs- sowie Vorbehaltsrechten der Alliierten in souveräner staatlicher Selbstbestimmung Deutschlands gestaltet werden könnte. Kurz: das Grundgesetz war, um die geläufige Charakterisierung zu gebrauchen, als „Provisorium“6 gedacht. 3 So der Abgeordnete Josef Schwalber (CSU) in seiner Erklärung, die er zugleich im Namen der anderen fünf Abgeordneten abgab: Parl. Rat, Bd. 9 (FN 2), S. 615 f. 4 Schwalber (FN 3), S. 616. 5 Abdruck der Ursprungsfassung bei: Horst Dreier / Fabian Wittreck (Hrsg.), Grundgesetz. Textausgabe mit sämtlichen Änderungen und andere Texte zum deutschen und europäischen Verfassungsrecht, 4. Aufl. 2009, S. 16 Fn. 1.

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Um seine Vorläufigkeit zu betonen, nahm man von der in Deutschland fest etablierten Nomination von Staatsgrundgesetzen als „Verfassungen“ (etwa: Verfassung des deutschen Reiches vom 28. März 1849 [= Paulskirchenverfassung], Verfassung des Deutschen Reichs vom 16. April 1871 [= Bismarcksche Reichsverfassung], Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919 [= Weimarer Reichsverfassung]) ausdrücklich Abstand und griff zur eher ungewöhnlichen Bezeichnung als „Grundgesetz“. Darauf hatten, nachdem die drei Westalliierten in den sog. Frankfurter Dokumenten7 den Weg für eine „constitution“ freigemacht und sogleich wesentliche Vorgaben formuliert hatten, insbesondere die Ministerpräsidenten der Länder gedrungen, die mit dieser Terminologie einer Vertiefung der Spaltung Deutschlands entgegentreten wollten8 und den Begriff des Grundgesetzes geradezu „mit Verbissenheit . . . gegenüber den westlichen Alliierten“ verteidigten9. 6 Der Terminus begegnet schon im Bericht des Herrenchiemseer Verfassungskonvents vom August 1948 (abgedruckt in: Der Parlamentarische Rat 1948 – 1949. Akten und Protokolle, Bd. 2: Der Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee, bearbeitet von Peter Bucher, 1981, S. 504 [507]); s. ferner Karl (= Carlo) Schmid, Die politische und staatsrechtliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland, in: Werner Matz (Hrsg.), Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland und Besatzungsstatut, 1949, S. 1 (3 f.). Er wurde auch in den folgenden Jahren und Jahrzehnten immer wieder verwendet: angefangen von Theodor Heuss in seiner Abschiedsrede vom 12. September 1959 („Provisorium und Transitorium“) über Johannes Gross (Die Deutschen, 1967, S. 77 ff.) bis hin zu Wolfgang Hoffmann-Riem (Das Grundgesetz – zukunftsfähig?, DVBl. 1999, S. 657 [658]) und Dieter Grimm (Identität und Wandel – das Grundgesetz 1949 und heute, AnwBl. 2009, S. 505 [505]). 7 Abdruck der Dokumente zur künftigen politischen Entwicklung Deutschlands („Frankfurter Dokumente“) vom 1. 7. 1948 in: Der Parlamentarische Rat 1948 – 1949. Akten und Protokolle, Bd. 1: Vorgeschichte, bearbeitet von Johannes Volker Wagner, 1975, S. 30 ff. 8 Vgl. Dietrich Murswiek, in: Rudolf Dolzer / Christian Waldhoff / Karin Graßhof (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Überschrift (Zweitbearbeitung 1986), S. 3 ff.; guter und kompakter Überblick über die Wahl der Bezeichnung „Grundgesetz“ auch in: JöR 1 (1951), S. 14 – 20. 9 So Hans Meyer, „Das gesamte Deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu voll-

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Die Erwartung baldiger Überwindung der deutschen Teilung und somit der Vorläufigkeit des Grundgesetzes führte jedoch ebensowenig wie die zurückhaltende Terminologie dazu, das Grundgesetz konzeptionell etwa auf die unabweisbar notwendigen Regelungen staatsorganisatorischer Art (Staatsorgane, Kompetenzverteilung) zu beschränken. In diese Richtung gehende Vorstellungen waren rasch überwunden. Inhaltlich wurde das Grundgesetz dezidiert als Vollverfassung ausgestaltet: es beschränkte sich nicht auf die staatsorganisatorische Seite, sondern regelte auch die Rechtsstellung des Einzelnen im und zum Staat, enthielt Staatsziele und grundlegende Gestaltungsprinzipien. Mit dem fundamentalen Satz von der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“) an ihrer Spitze wurden die Grundrechte in voller Absicht und aus augenfälligen Gründen an den Anfang des Grundgesetzes gestellt, das in seiner Gesamtheit die Grundordnung des politischen Gemeinwesens bildet. Nicht zuletzt an der unbefangenen Formulierung bestimmter Normen des Grundgesetzes wird denn auch hinlänglich und entgegen der vermeintlich restriktiven Titulierung deutlich, daß es schlicht und einfach die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland war und ist: so, wenn Art. 5 Abs. 3 GG davon spricht, die Freiheit der Lehre entbinde nicht von der Treue zur Verfassung10; wenn in Art. 20 Abs. 3 GG von verfassungsmäßiger Ordnung die Rede ist oder in Art. 93 GG die umfänglichen Kompetenzen des Bundesverfassungsgerichts aufgeführt werden. enden.“, in: Erhard Denninger u. a. (Hrsg.), FS Peter Schneider, 1990, S. 268 (271), der zugleich auf die Ironie hinweist, daß sich die Ministerpräsidenten zwar durchsetzen konnten, letztlich aber doch „bei der Realisierung des Vorhabens . . . mit deutscher Gründlichkeit und zunehmend auch gewollt eine Vollverfassung ausgearbeitet wurde.“ 10 Klarsichtiger Hinweis hierauf sowie auf weitere Züge einer Vollverfassung bereits bei Hans Peter Ipsen, Über das Grundgesetz, 1950, S. 11 (wiederabgedruckt in: ders., Über das Grundgesetz. Gesammelte Beiträge seit 1949, 1988, S. 1 [5]); s. auch Horst Ehmke, Grenzen der Verfassungsänderung, 1953, S. 81 f.

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Und mehr noch: der Parlamentarische Rat wagte 1949 eine Regelung, die – scheinbar in schroffem Gegensatz zur prätendierten Vorläufigkeit – bestimmten Kernelementen des Grundgesetzes sogar die denkbar höchste Stabilität und Dauerhaftigkeit vermittelte. Art. 79 Abs. 3 GG legt selbst dem verfassungsändernden Gesetzgeber Fesseln an, indem er die Grundsätze der Art. 1 und 20 GG (nicht: Art. 1 bis 20 GG) dessen Zugriff entzieht. Diese Bestimmung, seinerzeit ein – von wenigen und eher punktuellen Vorläufern abgesehen – absolutes verfassungsrechtliches Novum, bezeichnet man daher auch als Ewigkeitsgarantie oder Ewigkeitsklausel11. Eine Carl Schmitt-Klausel wird man sie hingegen schwerlich nennen können. Zwar plädierte Schmitt in der Weimarer Republik vehement dafür, auf der Basis einer von ihm zugrundegelegten begrifflichen Differenz zwischen Verfassung und Verfassungsgesetz immanente Begrenzungen der Befugnis zur Verfassungsänderung anzuerkennen12. Doch zielten seine Deduktionen erstens keineswegs auf eine Stabilisierung der ersten deutschen Demokratie13. Zweitens schwebte ihm mitnichten eine Norm wie Art. 79 Abs. 3 GG vor14, wie seine deutliche Ablehnung eines verfassungsrechtlich fixierten Kataloges von unantastbaren Regelungen zeigte, den er spöttisch mit den „unpfändbaren 11 Rechtsvergleichend wichtig: Peter Häberle, Verfassungsrechtliche Ewigkeitsklauseln als verfassungsstaatliche Identitätsgarantien, in: Yvo Hangartner / Stefan Trechsel (Hrsg.), FS Hans Haug, 1986, S. 81 ff.; zum Sachproblem wie auch zum verfassungshistorischen Hintergrund Horst Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Art. 79 III Rn. 1 ff., 14 ff. 12 Carl Schmitt, Verfassungslehre (1928), 8. Aufl. 1993, S. 11 ff., 25 f., 102 ff. 13 Klar erkannt wurde dies von Richard Thoma (Die juristische Bedeutung der grundrechtlichen Sätze der deutschen Reichsverfassung im allgemeinen [1929], in: ders., Rechtsstaat – Demokratie – Grundrechte. Ausgewählte Abhandlungen aus fünf Jahrzehnten, hrsg. und eingeleitet von Horst Dreier, 2008, S. 173 [220]): „Im tiefsten Grunde läuft also diese Verfassungslehre nicht auf eine besondere Heiligung, sondern auf eine Entwertung der geschriebenen Verfassungen hinaus, denen eine Härte angedichtet wird, an der sie unter Umständen zerspringen müßten“. 14 Siehe w. N. bei Dreier (FN 11), Art. 79 III Rn. 3.

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Sachen“ bei der Zwangsvollstreckung verglich15. Daß diese verfassungsrechtliche Bestimmung wiederum kein wirksames Abwehr- oder gar Allheilmittel gegen revolutionäre Umbrüche bilden würde, war allen Beteiligten klar und auch weitgehender Konsens im Parlamentarischen Rat16. Doch sollte einem etwaigen Umsturz die „Maske der Legalität“17 entrissen, sollte ein etwaiger Systemwechsel als solcher deutlich markiert werden. Doch wie verträgt sich diese partielle Selbstverewigung mit seinem vom Parlamentarischen Rat so deutlich hervorgehobenen Charakter als Notbau? Ist das nicht ein eklatanter Widerspruch? Die Antwort gibt das Grundgesetz selbst. Man muß den Blick dazu nur von seinem Vorspruch, der Präambel, auf die Schlußbestimmung lenken. Art. 146 GG lautete bis zu seiner – sogleich zu erörternden – Änderung im Jahre 1990 wie folgt: „Dieses Grundgesetz verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.“18

Damit war klar und unmißverständlich gesagt: solange das Grundgesetz in Kraft ist, solange ist es als vollgültige Verfassung für alle Staatsgewalt verbindlich und mit seinen in Art. 79 Abs. 3 GG fixierten tragenden Elementen einer Verfassungsänderung entzogen. Wenn aber nach Aufhebung der Teilung Deutschlands das gesamte deutsche Volk „in freier Entscheidung“ eine neue Verfassung beschließen würde, dann sollte das Grundgesetz seiner Geltung verlustig gehen. Dabei bezog sich das Element freier Selbstbestimmung in erster Linie auf den Fortfall der Souveränitätsbeschränkungen Carl Schmitt, Zehn Jahre Reichsverfassung, JW 1929, S. 2313 (2314). Deutlich eine Anmerkung des Redaktionsausschusses (Der Parlamentarische Rat 1948 – 1949. Akten und Protokolle, Bd. 7: Entwürfe zum Grundgesetz, bearbeitet von Michael Hollmann, 1995, S. 172): „Eine Revolution kann und soll dadurch nicht verhindert werden.“ 17 So die Formulierung von Thomas Dehler in der zweiten Lesung des Hauptausschusses vom 12. Januar 1949, zitiert nach JöR 1 (1951), S. 586. 18 Abdruck bei Dreier / Wittreck, Grundgesetz (FN 5), S. 140 mit Fn. 2. 15 16

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durch die Alliierten – hatte es doch zum Inkrafttreten des Grundgesetzes, worüber die Art. 144 und 145 GG dezent schweigen19, nicht nur der Zustimmung der Volksvertretungen der Länder bedurft (wobei bekanntlich allein Bayern mit einem in gewisser Weise konditionierten Nein votierte20), sondern zusätzlich der expliziten Genehmigung der drei westlichen Militärgouverneure21, die zudem während der laufenden Beratungen des öfteren – wenn auch nicht immer mit durchschlagendem Erfolg – intervenierten und vornehmlich stark dezentral-föderalistischen Positionen zum Durchbruch zu verhelfen versuchten22. In einem Satz: das Grundgesetz sah 19 Zum Gesamtprocedere der Annahme des Grundgesetzes im einzelnen Feldkamp, Parlamentarische Rat (FN 1), S. 174 ff., 178 ff., 180 ff.; Stern, Staatsrecht V (FN 1), S. 1329 ff., 1337 ff.; Mußgnug, Zustandekommen (FN 1), § 8 Rn. 84 ff.; Horst Dreier, in: ders. (Hrsg.), GrundgesetzKommentar, Bd. III, 2. Aufl. 2008, Art. 144 Rn. 15 ff.; ders., ebd., Art. 145 Rn. 4 ff. 20 Denn dem Nein folgte die Relativierung auf dem Fuße, hier in Form der Zustimmung des Landtags zum Antrag der Staatsregierung, die Rechtsverbindlichkeit des Grundgesetzes anzuerkennen. Da diesem Beschluß angesichts der Bindungswirkung des Art. 144 Abs. 1 GG nur deklaratorische Bedeutung zukam, ändert nichts daran, daß das „bayerische Nein zum Grundgesetz eigentlich ein Ja bedeuten sollte“ (so Theo Stammen / Gerold Maier, Der Prozeß der Verfassunggebung, in: Josef Becker / Theo Stammen / Peter Waldmann [Hrsg.], Vorgeschichte der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. 1987, S. 391 [424]; vgl. zu den Vorgängen in Bayern insgesamt Dreier [FN 19], Art. 144 Rn. 21). 21 Dazu Dreier (FN 19), Art. 144 Rn. 17. Erteilt wurde diese Genehmigung mit Schreiben vom 12. Mai 1949. Zwar wurden in dem Schreiben seitens der Militärgouverneure mehrere Vorbehalte formuliert, die u. a. die Beteiligung Groß-Berlins am Bund betrafen, letztlich jedoch zu keinen Änderungen am Verfassungstext mehr führten. 22 Zu den (bei weitem nicht immer erfolgreichen) Einflußversuchen der Alliierten aufschlußreich: Der Parlamentarische Rat 1948 – 1949. Akten und Protokolle, Bd. 8: Die Beziehungen des Parlamentarischen Rates zu den Militärregierungen, bearbeitet von Michael F. Feldkamp, 1995, insb. die einführende Übersicht S. VII (XXVIII ff.). Die gelegentlich und vor allem in den Anfangsjahren der Bundesrepublik zu vernehmende Rede vom Grundgesetz als einer „oktroyierten Verfassung“ (so Hans Nawiasky, Die Grundgedanken des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland, 1950, S. 12, 79; Hans Schneider, Fünf Jahre Grundgesetz, NJW 1954, S. 937 [937]), trifft also, was dessen Inhalte betrifft, insgesamt kaum zu

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in der Naherwartung der deutschen Wiedervereinigung und der damit verbundenen Möglichkeit einer neuen, von alliierten Beschränkungen freien Verfassunggebung seine eigene Ablösung vor. Es stellte sich für diesen Fall sozusagen unter einen Ablösungsvorbehalt23. Friedrich Giese, Autor eines der ersten (Kurz-)Kommentare zum Grundgesetz, brachte den nur scheinbar komplizierten Zusammenhang von Verfassung und Grundgesetz, von Provisorium und Ewigkeitsklausel ganz schnörkellos auf den Punkt: „Die Vermeidung des herkömmlichen Ausdrucks ,Verf.‘ ist zwar politisch beachtlich, aber staatsrechtlich belanglos. Politisch sollte damit der räumlich und zeitlich vorläufige Charakter sowie das Fehlen voller Freiheit zu eigenständiger Verfassunggebung gekennzeichnet werden. Vgl. Art. 146.“24 Damit war alles gesagt: obgleich in sachlicher Hinsicht als Vollverfassung konzipiert, hielt der Schlußartikel des Grundgesetzes fest, daß man es in zeitlicher (und räumlicher) Hinsicht als Übergangserscheinung betrachtete.

(siehe auch Horst Dreier, in: ders. [Hrsg.], Grundgesetz-Kommentar, Bd. I, 2. Aufl. 2004, Präambel Rn. 57 f.). Für die heutige Sichtweise repräsentativ: Grimm, Identität (FN 6), S. 506: „Inhaltlich war das Grundgesetz . . . ein deutsches Werk ohne tiefgreifende Einwirkung der Alliierten“. 23 So der allgemein verwendete Terminus. Siehe etwa Josef Isensee, Schlußbestimmung des Grundgesetzes: Artikel 146, in: HStR, Bd. VII, 1992, § 166 Rn. 5 in der Überschrift u. ö.; Martin Heckel, Die Legitimation des Grundgesetzes durch das deutsche Volk, in: HStR, Bd. VIII, 1995, § 197 Rn. 87 Fn. 78 (ähnlich auch in Rn. 91: Geltungsvorbehalt); siehe noch Henning Moelle, Der Verfassungsbeschluß nach Artikel 146 Grundgesetz, 1996, S. 54 u. ö. („Ablösevorbehalt“); Christian Winterhoff, Verfassung – Verfassunggebung – Verfassungsänderung. Zur Theorie der Verfassung und der Verfassungsrechtserzeugung, 2007, S. 303 u. ö. 24 Friedrich Giese, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949. Textausgabe mit Erläuterungen, 2. Aufl. 1951, S. 21. – Dazu, daß das Grundgesetz nicht in sachlicher, wohl aber in räumlicher und zeitlicher Hinsicht als Provisorium konzipiert war, auch Ehmke, Grenzen (FN 10), S. 80 ff.

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II. Wendepunkt: Das Grundgesetz im Prozeß der deutschen Wiedervereinigung Die deutsche Wiedervereinigung kam – aber das Grundgesetz blieb. Die Wiedervereinigung kam freilich nicht alsbald, sondern nach vier Jahrzehnten, während der viele, wenn nicht die meisten Zeit(geist)genossen die Hoffnung auf ein Ende der Teilung längst aufgegeben, andere in ihr wohl sogar einen letztlich begrüßenswerten Zustand zu sehen begonnen hatten. Insbesondere im linksintellektuellen Bildungsbürgertum – aber bei weitem nicht nur dort – hatte sich eine Stimmung verfestigt, die weit über die bloße Anerkennung harter politischer Realitäten hinausreichte und deren Motive durchaus vielgestaltig waren. Diese erstreckten sich von der pragmatischen Einordnung der Teilung als einem stabilisierenden politischen Element über die (auch in den europäischen Nachbarländern geteilte) Sorge vor einem zu starken deutschen Nationalstaat bis hin zur Qualifizierung der Spaltung als einer wohlverdienten Strafe für das Unrecht der NS-Zeit25. Gerade das zuletzt genannte Motiv verknüpft sich prominent mit dem Schriftsteller Günter Grass, der stellvertretend für viele insbesondere das „AuschwitzArgument“ über Jahrzehnte hinweg bemühte und die deutsche Einheit noch im Augenblick ihres Eintritts offen ablehnte26. Die Wiedervereinigung kam also nicht nur unverhofft, sondern von manchen durchaus unerhofft27 – aber sie kam. Aller25 Überblick zu den politischen und intellektuellen Positionen bei Volker Kronenberg, Patriotismus in Deutschland, 2. Aufl. 2006, S. 215 ff. 26 Zu Grass vgl. Birgit Lermen, „Die Geschichte ist so wahr, daß sie erfunden klingt“ (Günter Kunert). Die deutsche Einheit im Spiegel der Gegenwartsliteratur, in: Gerd Langguth (Hrsg.), Die Intellektuellen und die nationale Frage, 1997, S. 173 (173 ff.) sowie Helmuth Kiesel, Drei Ansichten des Wiedervereinigungsprozesses: Heiner Müller, Günter Grass, Volker Braun, ebd., S. 210 (216 ff.). Jürgen Habermas äußerte seine Skepsis verhaltener. – Einen kompakten Überblick über den intellektuellen Diskurs verschafft Jens Hacker, Über die Tabuisierung der nationalen Frage im intellektuellen Diskurs, ebd., S. 314 (320 ff.). 27 So die eher zufällige Wortschöpfung von Kronenberg, Patriotismus (FN 25), S. 218.

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dings betraf sie zwei politische Gebilde, die sich in den vergangenen vier Jahrzehnten stark auseinanderentwickelt hatten. Sie führte einen politisch und ökonomisch abgewirtschafteten Teil mit einem insgesamt erfolgreichen und trotz mancherlei Krisenphänomene prosperierenden Westdeutschland zusammen, das u. a. einen Exportschlager namens Grundgesetz28 hervorgebracht hatte. Binnenstaatlich hatte sich die einstige Notverfassung längst vom Provisorium über ein Transitorium zu einem Definitivum entwickelt, war zu einem allseits anerkannten Ankerpunkt der politischen Existenz der Bundesrepublik und einem zentralen Moment ihrer Identität geworden29. Und gerade auf dieses Grundgesetz bzw. die mit ihm verknüpfte Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik richteten sich die Hoffnungen der friedlichen Revolutionäre in der DDR30. Allerdings ging auch dieses Grundgesetz keineswegs unberührt und unverändert aus dem epochalen Vorgang der 28 Vgl. die Beiträge in den einschlägigen Sammelbänden: Klaus Stern (Hrsg.), 40 Jahre Grundgesetz. Entstehung, Bewährung und internationale Ausstrahlung, 1990; Ulrich Battis / Ernst Gottfried Mahrenholz / Dimitris Tsatsos (Hrsg.), Das Grundgesetz im internationalen Wirkungszusammenhang der Verfassungen. 40 Jahre Grundgesetz, 1990; Christian Starck (Hrsg.), Grundgesetz und deutsche Verfassungsrechtsprechung im Spiegel ausländischer Verfassungsentwicklung, 1990. Überblicksartig Klaus Stern, Das Grundgesetz im europäischen Verfassungsvergleich, 2000, insb. S. 12 ff. 29 Das bringen implizit repräsentative Gesamtwürdigungen zum Ausdruck. Siehe etwa Paul Kirchhof, Das Grundgesetz – ein oft verkannter Glücksfall, DVBl. 2009, S. 541 ff.; Thomas Oppermann, Deutschland in guter Verfassung? – 60 Jahre Grundgesetz, JZ 2009, S. 481 ff.; Michael Sachs, Das Grundgesetz in seinem sechsten Jahrzehnt, NJW 2009, S. 1441 ff.; Brun-Otto Bryde, 60 Jahre Grundgesetz: Wirkungskraft der Verfassung in der Bewährung, AnwBl. 2009, S. 473 ff. 30 Vgl. Richard Schröder, Deutschland schwierig Vaterland, 1993, S. 35 ff. – Zur Rolle des Grundgesetzes sowohl in bezug auf seine Ausstrahlungskraft auf die DDR-Bürger als auch umfassend zu seinen Funktionen als Vollverfassung im Wiedervereinigungsprozeß Helmuth SchulzeFielitz, Die deutsche Wiedervereinigung und das Grundgesetz, in: Joachim Jens Hesse / Gunnar Folke Schuppert / Katharina Harms (Hrsg.), Verfassungsrecht und Verfassungspolitik in Umbruchsituationen, 1999, S. 65 (70 ff.), der en passant eine erhellende Analyse des Einigungsprozesses bietet.

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Wiedervereinigung hervor31. Zudem ist letztlich nicht „die“ DDR „dem“ Grundgesetz beigetreten, wenngleich man in der allgemeinen Debatte wie auch in der politischen Publizistik und der Staatsrechtslehre zumeist vom „Beitritt der DDR“ gemäß Art. 23 GG in seiner alten Fassung (a. F.) spricht. Sie lautete: „Dieses Grundgesetz gilt zunächst im Gebiete der Länder Baden, Bayern, Bremen, Groß-Berlin, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, WürttembergBaden und Württemberg-Hohenzollern. In anderen Teilen Deutschlands ist es nach deren Beitritt in Kraft zu setzen.“32

In der Tat hatte es eine „Beitrittserklärung“ der DDR gegeben, nämlich durch die Volkskammer am 23. August 199033. Aber diese Erklärung bewirkte den Beitritt eben gerade nicht aus sich heraus, sondern beschleunigte nur die politischen Aktivitäten auf beiden Seiten, die Wiedervereinigung herbeizuführen. Nur auf welchem Wege? Durch Annahme des Beitritts, was eine automatische Erstreckung der Geltung des Grundgesetzes sowie der gesamten sonstigen Rechtsordnung in der (ehemaligen) DDR zur Folge gehabt hätte? Das galt als dem Osten nicht zumutbar34. Die drängenden ökonomischen Probleme und die diffizile innerdeutsche wie außenpolitische Lage machten andererseits rasches Handeln unabweislich und 31 Zu den Änderungen des Grundgesetzes im Zuge der Wiedervereinigung im Überblick Matthias Herdegen, Die Verfassungsänderungen im Einigungsvertrag, 1991; kritisch Hans Meyer, Das ramponierte Grundgesetz, KritV 76 (1993), S. 399 (412 ff.). 32 Abdruck dieser früheren Fassung des Art. 23 GG in: Dreier / Wittreck, Grundgesetz (FN 5), S. 30 Fn. 1. 33 Ihr messen zentrale Bedeutung bei Peter Lerche, Der Beitritt der DDR – Voraussetzungen, Realisierung, Wirkungen, in: HStR, Bd. VIII (FN 23), § 194 Rn. 30, 32, 35, 52, 56; Peter Badura, Das Grundgesetz – Verfassung für Deutschland, in: Bernd Guggenberger / Tine Stein (Hrsg.), Die Verfassungsdiskussion im Jahr der deutschen Einheit, 1991, S. 325 (325, 327). 34 Klar und deutlich Hartmut Maurer, Staatsrecht I, 5. Aufl. 2007, § 3 Rn. 66 (S. 103). Zur Wahl des 3. Oktober als „Beitrittstermin“ instruktiv Richard Schröder, Einsprüche und Zusprüche, 2001, S. 109 ff.

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einen zeitraubenden gesamtdeutschen Verfassunggebungsprozeß unmöglich. Es ging um die Realisierung einer einmaligen „historischen Chance“35. Nach Durchspielen verschiedener Varianten36 fand man schließlich die praktikable Lösung im Abschluß eines förmlichen völkerrechtlichen Vertrages zwischen der BRD und der DDR37, für dessen Inkrafttreten es bei den zuständigen Verfassungsorganen (Bundestag und Bundesrat hier, Volkskammer dort) der nach den jeweiligen staatsrechtlichen Bestimmungen notwendigen Zustimmung bedurfte. Das bedeutet also: die DDR ist nicht dem Grundgesetz beigetreten, sondern hat mit der Bundesrepublik Deutschland einen völkerrechtlichen Vertrag über die Wiedervereinigung geschlossen – den Einigungsvertrag, genauer: den „in Berlin am 31. August 1990 unterzeichneten Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands einschließlich des Protokolls und der Anlagen I bis III sowie der in Bonn und Berlin am 18. September unterzeichneten Vereinbarung“38. Zwar ist in diesem Vertrag selbst irritierenderweise vom „Wirksamwerden des Beitritts der Deutschen Demokratischen Republik zur Bundesrepublik Deutschland gemäß Artikel 23 des Grundgesetzes am 3. Oktober 1990“ die Rede – doch war an jenem 3. Oktober Art. 23 in seiner alten Fassung gar nicht mehr existent, sondern bereits aus dem Grundgesetz entfernt worden. Wodurch? Durch eben jenen BVerfGE 82, 316 (321). Zur Vielfalt der denkbaren, aber eben politisch nicht realisierbaren Möglichkeiten vgl. die Vorträge und Debatten der einzigen „Sondertagung“ in der Geschichte der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer am 27. April 1990 (VVDStRL, Bd. 49: „Deutschlands aktuelle Verfassungslage“ [mit Vorträgen von Jochen Abr. Frowein, Josef Isensee, Christian Tomuschat und Albrecht Randelzhofer]). 37 Daher der treffende Titel des Buches des seinerzeitigen Innenministers der Bundesrepublik über die Wiedervereinigung: Wolfgang Schäuble, Der Vertrag. Wie ich über die deutsche Einheit verhandelte, hrsg. und mit einem Vorwort von Dirk Koch und Klaus Wirtgen, 1991. 38 Art. 1 des Einigungsvertragsgesetzes vom 23. September 1990 (BGBl. 1990 II, S. 885). 35 36

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völkerrechtlichen Einigungsvertrag, der neben der Streichung des Beitrittsartikels auch noch die Präambel, Art. 51 sowie den für uns interessanten Art. 146 GG veränderte; und diese Grundgesetz-Änderungen traten am 29. September 1990 in Kraft39. Lassen wir die besondere verfassungsrechtliche Problematik dieses absoluten Ausnahmefalles einer Verfassungsänderung durch völkerrechtlichen Vertrag hier einmal beiseite40, so bleibt als letzte wichtige Präzisierung der gängigen, aber irreführenden Rede vom „Beitritt der DDR“ gemäß Art. 23 GG zu erwähnen, daß nicht die DDR, sondern die uno actu gebildeten „neuen Bundesländer“ Teil der territorial erweiterten Bundesrepublik wurden. Das Grundgesetz ist also weder, wie Art. 23 a. F. GG das vorsah, in unveränderter Gestalt im Beitrittsgebiet in Kraft gesetzt worden, sondern galt für das wiedervereinigte Deutschland in seiner durch den Einigungsvertrag veränderten Gestalt; noch entfaltete es Gültigkeit in der DDR, sondern in den fünf neuen Bundesländern, die durch ihre Wiederbegründung, die an eben jenem 3. Oktober 1990 gemäß Art. 1 Abs. 1 des Einigungsvertrages juristisch 39 Das Zustimmungsgesetz zum Einigungsvertrag (= Einigungsvertragsgesetz) stammt vom 23. September 1990 (BGBl. 1990 II, S. 885). Der Einigungsvertrag ist laut Bekanntmachung vom 16. Oktober 1990 (BGBl. 1990 II, S. 1360) am 29. September 1990 in Kraft getreten. 40 Gem. Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG kann das Grundgesetz nur durch ein Gesetz, das heißt im üblichen Gesetzgebungsverfahren der Art. 76, 77 GG (i. V. m. §§ 75 ff. GOBT) geändert werden. Daß ein Zustimmungsgesetz zu einem völkerrechtlichen Vertrag mit seiner empfindlichen Beschränkung originärer parlamentarischer Gesetzgebungshoheit durch die alleinige Vertragsgestaltung durch die Exekutive sowie die stark eingeschränkten Einflußmöglichkeiten der Abgeordneten im Beschlußverfahren diesen Anforderungen im Grunde nicht genügen kann, liegt auf der Hand. Im Kern zutreffend billigte das Bundesverfassungsgericht dieses Vorgehen jedenfalls im Ergebnis (BVerfGE 82, 316 [320 f.]; 84, 90 [118 f.]). Doch das betraf einen solitären Vorgang und war nur durch die besonderen und einmaligen Umstände zu rechtfertigen; eine Wiederholung ist praktisch ausgeschlossen (Horst Dreier, in: ders., GGK II [FN 11], Art. 79 I Rn. 15 m. w. N.; deutlich großzügiger hinsichtlich der Möglichkeit von Verfassungsänderungen durch völkerrechtlichen Vertrag allerdings etwa Matthias Herdegen, in: Theodor Maunz / Günter Dürig u. a. [Hrsg.], Grundgesetz. Kommentar, Art. 79 [2007], Rn. 17).

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wirksam wurde, in der gleichen juristischen Sekunde die alte DDR ablösten, von deren Beitritt man gemeinhin spricht. Insgesamt kann man also nur konstatieren: „In Wahrheit war es eben der völkerrechtliche Einigungsvertrag, der den Beitritt und seine Folgen in einer umfassenden Weise selbst regelte.“41

III. Nullpunkt oder Fluchtpunkt? Zur kontroversen Deutung des Art. 146 GG 1. Ein Kampf ums Grundgesetz Was bedeutete dies nun alles für den Ablösungsvorbehalt des Art. 146 GG? Der Abschluß des Einigungsvertrages machte definitiv klar, was schon bald im Laufe der unglaublich rasanten politischen Entwicklung seit dem Fall der Mauer immer deutlicher ins allgemeine politische Bewußtsein getreten war: daß angesichts der drängenden Probleme und der sich beschleunigenden Entwicklung für eine Herstellung der deutschen Einheit im Wege eines umfassenden neuen Verfassunggebungsprozesses weder genug Zeit blieb noch ein hinlängliches Maß an Bereitschaft bei den relevanten politischen wie gesellschaftlichen Kräften hier wie dort unterstellt werden konnte. Es ging nicht nur, wie Richard Schröder das pointiert hat, um Deutschland „einig Vaterland“, sondern auch um Deutschland „eilig Vaterland“42. Ob der Abschluß des Einigungsvertrages nun aber der in Art. 146 GG formulierten Option einer neuen gesamtdeutschen Verfassung in freier Selbstbestimmung die Grundlage entzog oder sie ungeschmälert bestehen ließ, erwies sich als eine bis heute äußerst kontrovers behandelte Frage. Dabei führte die ideologisch hoch aufgeladene Debatte um eine jetzt oder später neu zu verhandelnde gesamtdeutsche Verfassung zu einer auf den ersten Blick erstaunlichen Frontverkehrung: Während Vertreter einer eher 41 Hasso Hofmann, Zur Verfassungsentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland, StWStP 6 (1995), S. 155 (158). 42 Schröder, Deutschland (FN 30), S. 35.

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konservativen Staatsrechtslehre, die allen „verfassungspatriotischen“ Anwandlungen angesichts einer vermeintlichen oder tatsächlichen Staatsvergessenheit mit unverhohlener Skepsis entgegengetreten waren, nun das Grundgesetz um jeden Preis verteidigten, votierten eher linksliberale Autoren, die das Staatsrecht der Bundesrepublik stets strikt als Verfassungsrecht des Grundgesetzes ausbuchstabiert hatten, für einen neuen Akt der Verfassunggebung des gesamten deutschen Volkes in freier Entscheidung43. Schon in den heftigen Debatten, welche die Verhandlungen über den Einigungsvertrag begleiteten und in denen Verfassungsinterpretation und Verfassungspolitik oft bis zur Unkenntlichkeit verschwammen44, war mit Macht die erstgenannte Auffassung in den Vordergrund getreten, die als gewissermaßen zwingende Konsequenz der Wiedervereinigung die komplette Streichung des Art. 146 GG ansah45. Das Haupt43 Hinweis auf diese Frontverkehrung bei Hasso Hofmann, Über Verfassungsfieber, Ius Commune XVII (1990), S. 310 (310), der treffend erläutert (S. 311): Das Eintreten für einen Akt der Verfassunggebung nach Art. 146 a. F. GG lasse sich kaum auf frisch erwachte nationale Gefühle der Linksliberalen zurückführen, vielmehr darauf, „daß nun endlich das Volk als Ganzes nach hergebrachten demokratischen Regeln die Form seiner politischen Existenz sanktioniert“. Und andersherum gelte die Sorge der konservativen Staatsrechtslehre nicht vorrangig dem Grundgesetz an sich, sondern wohl eher der „institutionalisierte(n) Staatlichkeit der Bundesrepublik samt ihren Machtpositionen hinter ihrem Verfassungsgesetz“. 44 Rein (verfassungs)politisch argumentiert etwa Martin Kriele, Eine Sprengladung unter dem Fundament des Grundgesetzes, Die Welt Nr. 190 vom 16. 8. 1990, S. 5, der dies allerdings mit seinem Szenario einer drohenden „schleichende(n) sozialistische(n) Restauration in Gesamtdeutschland“, die mit der „Zerstörung der geistigen Freiheit und des demokratischen Pluralismus“ ebenso einhergehe wie mit der Verbannung der Pressefreiheit aus der Verfassung, auch offen kenntlich macht. 45 Repräsentativ Josef Isensee, Staatseinheit und Verfassungskontinuität, VVDStRL 49 (1990), S. 39 (53 ff.); ders., Selbstpreisgabe des Grundgesetzes?, Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 199 vom 28. 8. 1990, S. 10; siehe noch Kriele, Sprengladung (FN 44), S. 5; Christian Starck, Deutschland auf dem Wege zur staatlichen Einheit, JZ 1990, S. 349 (354); auch Richard Bartlsperger, Verfassung und verfassunggebende Gewalt im vereinten Deutschland, DVBl. 1990, S. 1285 (1297 f.).

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argument bestand im wesentlichen darin, daß mit der Herstellung der Einheit Deutschlands der Gegenstandsbereich der Schlußbestimmung in Fortfall gekommen sei: angeblich ganz auf die Funktion reduziert, einen Weg zur Wiedervereinigung aufzuzeigen (nämlich vermittels neuer gemeinsamer Verfassunggebung), habe deren Erlangung auf anderem Wege (nämlich durch „Beitritt“ gemäß Art. 23 a. F. GG) Art. 146 GG obsolet werden lassen46. Nach dieser Lesart stellten die beiden genannten Normen zwei alternative, sich zugleich aber wechselseitig ausschließende Möglichkeiten zur Herbeiführung der Wiedervereinigung dar. Den Schlußartikel nach dem Erreichen der deutschen Einheit nicht zu streichen, käme der Plazierung oder zumindest der vorsätzlichen Nichträumung einer „Zeitbombe im Verfassungsgehäuse“ gleich47. 2. Fortbestand ohne Regelungskraft? Doch es kam anders. Art. 146 GG wurde nicht gestrichen, sondern nur geändert. Und die Änderung bestand lediglich in einem Einschub, der – in Parallele zur Präambel – noch einmal die Geltung des Grundgesetzes für das wiedervereinigte Deutschland festhielt. In seiner neuen Fassung (n. F.) lautet Art. 146 GG also wie folgt: „Dieses Grundgesetz, das nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.“

Das konnte die herrschende Meinung (h. M.) freilich nicht davon abbringen, die Schlußbestimmung weiterhin als obsolet anzusehen. Wenn Art. 146 GG auch nicht, wie gewünscht und im Grunde für zwingend befunden, gestrichen worden war, so 46 Statt vieler etwa Herdegen (FN 40), Art. 79 Rn. 6 (mit der Wiedervereinigung „entfiel die Ratio für die auflösende Geltungsbedingung in der grundgesetzlichen Programmatik“) sowie Rn. 10 (die Verfassungsablösung sei „gegenstandslos“ geworden). 47 So Isensee, Selbstpreisgabe (FN 45), S. 10.

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betrachtete man dessen Neufassung doch so, als ob genau dies geschehen wäre48. Da Art. 146 a. F. GG mit der Entscheidung für die Beitrittslösung gleichsam konsumiert worden sei, komme Art. 146 n. F. GG der Status einer völlig neuen, durch den verfassungsändernden Gesetzgeber eingeführten Norm zu49. Diese „Novation“50 ermächtige nun nicht mehr wie noch Art. 146 a. F. GG zur Verfassungsablösung, sondern nur noch zur Verfassungserneuerung. Hiervon ausgehend bietet sich dann eine bunte Vielfalt divergierender Interpretationsansätze. So wurde Art. 146 n. F. GG attestiert, in vollem Umfang den Beschränkungen des Art. 79 GG zu unterfallen51. Dies bedeutete zum einen die Bindung eines Gesetzes zur Volksabstimmung über eine (neue) Verfassung an das Verfassungstextänderungsgebot des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG sowie zum anderen an die nach Art. 79 Abs. 2 GG erforderlichen Mehrheiten. Noch größere Valenz kommt freilich der materiellen Schranke des Art. 79 Abs. 3 GG zu52. Gestützt auf 48 Ausführlicher und vollständiger zu den folgenden Interpretationsvarianten: Heckel, Legitimation (FN 23), § 197 Rn. 86 ff.; Horst Dreier, in: ders., GGK III (FN 19), Art. 146 Rn. 29 ff., 37 ff.; knapp und präzise Ewald Wiederin, Die Verfassunggebung im wiedervereinigten Deutschland. Versuch einer dogmatischen Zwischenbilanz zu Art. 146 GG n. F., AöR 117 (1992), S. 410 (411 f.). 49 Einflußreich Josef Isensee, Braucht Deutschland eine neue Verfassung? Überlegungen zur neuen Schlußbestimmung des Grundgesetzes, Art. 146, 1992, S. 41 ff.; ders., Schlußbestimmung (FN 23), § 166 Rn. 53 ff. (insb. 54, 58); siehe auch Paul Kirchhof, Brauchen wir ein erneuertes Grundgesetz?, 1992, S. 15. 50 Eine Begriffsprägung von Isensee: Isensee, Braucht Deutschland (FN 49), S. 41, 43, 54; ders., Schlußbestimmung (FN 23), § 166 Rn. 58. 51 So beispielsweise Klaus Stern, Die Wiederherstellung der staatlichen Einheit, in: ders. / Bruno Schmidt-Bleibtreu (Hrsg.), Verträge und Rechtsakte zur Deutschen Einheit, Bd. 2, 1990, S. 1 (50); Klaus-Dieter Schnappauf, Der Einigungsvertrag – Überleitungsgesetzgebung in Vertragsform –, DVBl. 1990, S. 1249 (1252); Hubert Weis, Verfassungsrechtliche Fragen im Zusammenhang mit der Herstellung der staatlichen Einheit Deutschlands, AöR 116 (1991), S. 1 (30); Dieter Blumenwitz, Braucht Deutschland ein neues Grundgesetz?, ZfP 39 (1992), S. 1 (15); Christoph Degenhart, Direkte Demokratie in den Ländern – Impulse für das Grundgesetz?, Der Staat 31 (1992), S. 77 (79); Isensee, Schlußbestimmung (FN 23), § 166 Rn. 58, 61; Kirchhof, Brauchen wir (FN 49), S. 15.

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Art. 146 n. F. GG dürfte das Grundgesetz also inhaltlich nicht stärker verändert werden als auf dem jetzt schon möglichen Wege gem. Art. 79 GG; der Schlußartikel erwiese sich somit als absolut überflüssig. Andere Autoren nehmen zwar eine Freistellung des Art. 146 n. F. GG von den Beschränkungen des Art. 79 Abs. 3 GG an, qualifizieren ihn dann aber aufgrund genau dieses Umstands als „verfassungswidriges Verfassungsrecht“ – der verfassungsändernde Gesetzgeber habe außerhalb seiner Kompetenzen gehandelt, da er mit der Restitution der verfassunggebenden Gewalt des Volkes einen Aspekt zu regeln versuche, der allein dem originären Verfassunggeber obliege53. Als besonders kühne Form der Interpretation muß schließlich die Ansicht gelten, wonach das jetzige Grundgesetz (vom 23. Mai 1949) genau diejenige Verfassung sei, von der Art. 146 GG unverändert spricht54 – was einen Kritiker nicht von ungefähr an das „Mirakel der Transsubstantiation“ erinnerte55. Wie man die Deutung auch im einzelnen anlegte: die h. M. verurteilte 52 Verbreitete Auffassung: Rupert Scholz, in: Maunz / Dürig, GG (FN 40), Art. 146 (1991), Rn. 19 f., 22 f.; Axel v. Campenhausen, in: Hermann v. Mangoldt / Friedrich Klein / Christian Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 3, 5. Aufl. 2005, Art. 146 Rn. 18; Hans D. Jarass, in: ders. / Bodo Pieroth, Grundgesetz-Kommentar, 10. Aufl. 2008, Art. 146 Rn. 4; Stefanie Schmahl, in: Helge Sodan (Hrsg.), Grundgesetz. Beck’scher Kompakt-Kommentar, 2009, Art. 146 Rn. 4. Nochmals anders hingegen Peter M. Huber, in: Michael Sachs (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 5. Aufl. 2009, Art. 146 Rn. 8 ff., der zwar eine Bindung an Art. 79 Abs. 1 und 2 GG annimmt, nicht jedoch an Art. 79 Abs. 3 GG. 53 So etwa Bartlsperger, Verfassung (FN 45), S. 1299 f.; Hermann Huba, Das Grundgesetz als dauerhafte gesamtdeutsche Verfassung – Erinnerung an seine Legitimität –, Der Staat 30 (1991), S. 367 (373 ff.); Bernhard Kempen, Grundgesetz oder neue deutsche Verfassung?, NJW 1991, S. 964 (966 f.); Gerd Roellecke, Brauchen wir ein neues Grundgesetz?, NJW 1991, S. 2441 (2443 f.). 54 Für diese Position z. B.: Bartlsperger, Verfassung (FN 45), S. 1297, 1300 f.; Isensee, Schlußbestimmung (FN 23), § 166 Rn. 61; Kirchhof, Brauchen wir (FN 49), S. 16 und passim; Rupert Scholz, Grundgesetz zwischen Reform und Bewahrung, 1993, S. 5. 55 Vgl. Hofmann, Verfassungsentwicklung (FN 41), S. 160, mit folgender Erläuterung: „über die mittels eines völkerrechtlichen Vertrages unter besatzungsrechtlichen Einschränkungen von Stellvertretern bewirkte Ausdehnung des räumlichen Geltungsbereichs des Grundgesetzes verwandelt

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Art. 146 n. F. GG zur absoluten Wirkungslosigkeit, indem ihm jeglicher eigenständiger Regelungsgehalt abgesprochen und Art. 79 Abs. 3 GG als in alle weitere Verfassungszukunft unantastbar angesehen wurde. Art. 146 GG bildete in dieser Sichtweise keinen orientierenden Fluchtpunkt für einen neuen Prozeß der Verfassunggebung mehr, sondern war zum bedeutungslosen Nullpunkt geschrumpft. 3. Fortgeltung mit unveränderter Regelungsoption a) Wiedervereinigungsfrage und Verfassungsfrage Doch blieb diese Auffassung nicht ohne Widerspruch. Und die Gegenmeinung hat zwar vermutlich noch immer die kleinere (wenn auch vielleicht wachsende) Anhängerschar, dafür aber die stärkeren Argumente auf ihrer Seite. Deren wichtigstes lautet, daß Art. 146 GG entgegen dem vielfach bezeugten Credo der Mehrheitsmeinung eine Doppelfunktion erfüllte. Man kann und darf die Schlußbestimmung nicht als reinen Wiedervereinigungs-Artikel lesen, dem mit Eintritt derselben gleichsam der Gegenstand abhanden gekommen war. Vielmehr war die Norm zum einen durchaus gedacht als möglicher Weg zur deutschen Einheit und enthielt insofern eine Antwort auf die Wiedervereinigungsfrage; sie sah aber daneben und ganz selbständig die Ablösung des Grundgesetzes in freier Entscheidung des ganzen deutschen Volkes ohne besatzungsrechtliche Bindungen vor und enthielt insofern eine Antwort auf die Verfassungsfrage. Die Erledigung der einen Funktion (Wiedervereinigung) ließ die andere (Verfassunggebung) unberührt56. Ein kluger Beobachter der bundesdeutsich dieses unter Beibehaltung seiner äußeren Gestalt substantiell in eine vom ganzen deutschen Volk in freier Entscheidung beschlossene Verfassung.“ 56 Zum folgenden näher und mit umfassenden Nachweisen Dreier (FN 48), Art. 146 Rn. 30 ff. Siehe auch die frühe Äußerung von Ulrich Scheuner, Art. 146 GG und das Problem der verfassunggebenden Gewalt (1953), in: Hanns Kurz (Hrsg.), Volkssouveränität und Staatssouveränität, 1970, S. 288 (297 f.): „Richtig bleibt nur die Erkenntnis, daß in einem Grund-

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schen Vorgänge aus unserem Nachbarland Österreich hat das Verhältnis von Art. 23 a. F. GG und Art. 146 in einer zeitnahen Analyse in klare Worte gefaßt: „Wie Art. 146, so galt auch Art. 23 als Ausdruck des vorläufigen Charakters des Grundgesetzes. Begrenzte jener den neu zu schaffenden Übergangsstaat in zeitlicher Hinsicht, so konstituierte ihn dieser als räumliches Provisorium. Die beiden Bestimmungen sollten einander mithin ergänzen, nicht ausschließen.“57 Eine glänzende Bestätigung erfährt diese Sicht der Dinge durch die Beratungen zum Grundgesetz selbst. Denn ganz in diesem Sinne hatte Carlo Schmid bei den Schlußlesungen im Plenum des Parlamentarischen Rates unwidersprochen festgehalten, daß durch den bloßen Beitritt anderer Länder Deutschlands aus dem Grundgesetz nicht eine gesamtdeutsche Verfassung werden könne: „Das Anwendungsgebiet des Grundgesetzes ist nicht ,geschlossen‘. Jeder Teil Deutschlands kann ihm beitreten. Aber auch der Beitritt aller deutschen Gebiete wird dieses Grundgesetz nicht zu einer gesamtdeutschen Verfassung machen können. Diese wird es erst dann geben, wenn das deutsche Volk die Inhalte und Formen seines politischen Lebens in freier Entschließung bestimmt haben wird.“58

Noch deutlicher kann man die Unabhängigkeit von Beitritt und Verfassung eigentlich nicht formulieren59. Diesem Willen gesetz, das selbst sich zeitlich einer verfassunggebenden Neuformung unterwirft, die Anrufung einer demokratischen Konstituante oder einer Volksabstimmung zur Gesamtrevision auch außerhalb des Falles der Wiedervereinigung sich auf die Anerkennung einer verfassunggebenden Gewalt in der Verfassung berufen kann.“ 57 Wiederin, Verfassunggebung (FN 48), S. 423. 58 Carlo Schmid in der 9. Sitzung des Plenums vom 6. 5. 1949 (Parl. Rat, Bd. 9 [FN 2], S. 438), wo er zum Schlußartikel selbst ausführte: „Die neue, die echte Verfassung unseres Volkes wird also nicht im Wege der Abänderung dieses Grundgesetzes geschaffen werden, sie wird originär entstehen, und nichts in diesem Grundgesetz wird die Freiheit des Gestaltungswillens unseres Volkes beschränken, wenn es sich an diese Verfassung machen wird.“ (ebd., S. 444). 59 In krassem Widerspruch zur Entstehungsgeschichte steht die Aussage: „Aus Art. 23 GG a. F. geht hervor, daß das Grundgesetz auch mit

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des historischen Gesetzgebers korrespondieren auch der Wortlaut des Art. 146 a. F. GG, dem keinerlei Anhaltspunkt für die eigene Konsumtion durch Erreichen der Wiedervereinigung auf anderem Wege – wie dem des Art. 23 a. F. GG – entnommen werden kann, sowie systematische Argumente. Denn offensichtlich handelt die eine Norm „vom räumlichen Geltungsbereich des Grundgesetzes, die andere regelt die zeitliche Ablösung dieses ,Grundgesetzes‘ durch eine ,Verfassung‘“60. Schließlich ist die Vorstellung einer Konsumtion angesichts der unterschiedlichen Voraussetzungen auch unter teleologischen Gesichtspunkten unhaltbar. Während Art. 23 a. F. GG voraussetzungslos galt, die Beitrittsoption also unabhängig von einer expliziten Zustimmung des deutschen Westvolkes konzipiert war, verlangte und verhieß Art. 146 a. F. GG genau dies mit der freien Entscheidung des ganzes deutschen Volkes. Im Ergebnis ist nach alledem festzuhalten. „Wohl gab es zwei Wege zur Einheit, aber nur einen zur Verfassung“61. Die Erledigung der Wiedervereinigungsfrage bedeutete nicht zugleich die Erledigung der Verfassungsfrage62. Das sieht die Literatur mittlerweile überwiegend genauso, wenn man sich einmal nicht an den zeitnahen Stellungnahmen orientiert, die der Wiedervereinigung durch einen Beitritt ohne den Preis der Verfassungsbeseitigung rechnete“ (Martin Heckel, Die deutsche Einheit als Verfassungsfrage. Wo war das Volk?, 1995, S. 39). 60 Hofmann, Verfassungsentwicklung (FN 41), S. 159. 61 So prägnant Ernst Gottfried Mahrenholz, Die Verfassung und das Volk, 1992, S. 27. 62 Treffend Wiederin, Verfassunggebung (FN 48), S. 425: „Art. 146 GG war nicht nur als ein Weg zur deutschen Einheit konzipiert; er sollte auch und vor allem einen Weg zu einer neuen Verfassung im geeinten Deutschland bilden.“ Weder entstehungsgeschichtlich haltbar noch logisch nachvollziehbar ist dagegen die Annahme von Scholz, Grundgesetz (FN 54), S. 6, die beiden Wege zur Wiedervereinigung formulierten „zugleich jene beiden Grundoptionen für das GG selbst: nämlich entweder die Option für das GG als endgültige gesamtdeutsche Verfassung (Art. 23 GG) oder die Option für das GG als bloßes Provisorium und Transitorium bis zur deutschen Einheit (Art. 146 GG)“. Man muß offenbar wieder und wieder daran erinnern: Art. 23 a. F. hatte es mit der räumlichen Geltung, Art. 146 hatte und hat es mit der zeitlichen Geltung zu tun.

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manchem Beobachter wie ein „Glaubenskrieg“63 anmuteten, sondern z. B. an mehreren sehr soliden und materialreichen Dissertationen, die im etwas ruhigeren Klima der zweiten Hälfte der 1990er Jahre oder später erschienen. Keine von ihnen, so unterschiedlich sie auch sonst ausfallen, teilt die These von der Konsumtion des Art. 146 GG durch die Herbeiführung der Wiedervereinigung im Wege des (vertraglich vereinbarten) „Beitritts“64. b) Zur Auslegung von Art. 146 n. F. GG Auch die Neufassung des Art. 146 GG im Zuge der Wiedervereinigung hat nichts an der prinzipiellen Option einer neuen, das Grundgesetz ablösenden Verfassung geändert65. Das ergibt sich schon daraus, daß es dem verfassungsändernden Gesetzgeber gar nicht frei- und zustand, hier eine Ver63 Peter Häberle, Verfassungspolitik für die Freiheit und Einheit Deutschlands, JZ 1990, S. 358 (358); desgleichen Wiederin, Verfassunggebung (FN 48), S. 411. Vgl. auch Michael Kirn, in: Ingo v. Münch / Philip Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 3, 3. Aufl. 1996, Art. 146 Rn. 1, der nach der Phase hoher verfassungspolitischer Aktualität eine „ruhigere Betrachtungsweise“ anmahnt. 64 Karlheinz Merkel, Die verfassungsgebende Gewalt des Volkes. Grundlagen und Dogmatik des Artikels 146 GG, 1996, S. 27 ff., 33 ff., 87 ff.; Moelle, Verfassungsbeschluß (FN 23), S. 155 ff., 163 f., 193 und Birgitta Stückrath, Art. 146 GG: Verfassungsablösung zwischen Legalität und Legitimität, 1997, S. 79 ff., 106 ff. Aus der jüngsten Literatur ebenso beispielsweise Sebastian Blasche, Die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung, 2006, S. 29 ff., 43 ff., 55 f.; Florian Scriba, „Legale Revolution“?, 2008, S. 325 ff. 65 So u. a. Helmuth Schulze-Fielitz, Der Rechtsstaat und die Aufarbeitung der vor-rechtsstaatlichen Vergangenheit, DVBl. 1991, S. 893 (905); Michael Sachs, Das Grundgesetz im vereinten Deutschland – endgültige Verfassung oder Dauerprovisorium?, JuS 1991, S. 985 (990); Hofmann, Verfassungsentwicklung (FN 41), S. 159 f. (die beiden letztgenannten freilich mit einer gewissen Tendenz zur zeitlich begrenzten Anwendungsmöglichkeit). Heckel, Legitimation (FN 23) spricht von einer „verfassungsablösende(n) Totalrevision“ (§ 197 Rn. 114), setzt deren Voraussetzungen aber so außergewöhnlich hoch an (mehrfache 3/4-Mehrheiten), daß – durchaus gewollt und eingestandenermaßen (vgl. Rn. 125 ff.) – eine Aktivierung praktisch außerhalb des Denkbaren liegt, und scheint zudem gleichwohl von einer Bindung an Art. 79 Abs. 3 GG auszugehen (vgl. Rn. 127).

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änderung herbeizuführen66. Da Art. 146 a. F. GG eine vom ursprünglichen Verfassunggeber gesetzte Norm war, mit der dieser in definitiver und verbindlicher Weise festgelegt hatte, unter welchen Umständen das Grundgesetz von einer neuen, vom gesamten deutschen Volk beschlossenen Verfassung abgelöst werden sollte, darf dieser Ablösungsvorbehalt nicht einfach durch den verfassungsändernden Gesetzgeber gestrichen oder sonst substantiell verändert werden. Daß dies ohnehin nicht gewollt war, zeigt die bloße Durchmusterung der Norm nach geläufigen klassischen Auslegungsmethoden. So blieb die Textgestalt in ihrem Aussagekern nicht nur völlig unverändert, sondern wurde lediglich um die – überdies in erster Linie außenpolitisch motivierte67 – Feststellung der Geltung des Grundgesetzes für das ganze deutsche Volk ergänzt68; hätte man sie als bloße Revisionsnorm in den Schranken des Art. 79 GG neukonzipieren wollen, hätte sich ihre systematische Plazierung in diesem Normumfeld angeboten und nicht ihre Beibehaltung als über das Grundgesetz hinausweisende Schlußbestimmung69. Sinn und Zweck der Neufassung bestand im wesentlichen – und nicht zuletzt wegen der verfassungsdogmatischen bzw. -politischen Kontroversen – in der Klarstellung der Weitergeltung des Normgehaltes, was kaum deutlicher als durch die gewählte Ergänzung zum Ausdruck gebracht werden konnte70. Schließlich ist bei der historischen Genese zu beachten, daß politische Intentionen der Parlamentarier im Text der Neufassung keine Spuren hinterlassen ha66 Wie hier auch Rainer Wahl, Die Verfassungsfrage nach dem Beitritt, StWStP 1 (1990), S. 468 (476); Ulrich Storost, Legitimität durch Erfolg? Gedanken zur Dauerhaftigkeit einer Verfassung, Der Staat 30 (1991), S. 537 (541, 546); Mahrenholz, Verfassung (FN 61), S. 32 f.; a. A. Wiederin, Verfassunggebung (FN 48), S. 416. Siehe noch Moelle, Verfassungsbeschluß (FN 23), S. 73 ff.; Dreier (FN 48), Art. 146 Rn. 38. 67 Dazu Mahrenholz, Verfassung (FN 61), S. 34; eingehend Moelle, Verfassungsbeschluß (FN 23), S. 135 ff. 68 So auch Blasche, Mitwirkung (FN 64), S. 31 f. 69 Hinweis auf beide Aspekte ebenfalls bei Wiederin, Verfassunggebung (FN 48), S. 436 f. 70 Vgl. nur Moelle, Verfassungsbeschluß (FN 23), S. 128.

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ben71 und der Entstehungsgeschichte einer Norm gemäß den – für die durch den völkerrechtlichen Einigungsvertrag herbeigeführte Neufassung des Schlußartikels einschlägigen – Vorgaben für die Interpretation völkerrechtlicher Verträge nach Art. 32 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge vom 23. 5. 1969 nur nachrangige Bedeutung zukommt. Ein letzter Versuch dem Art. 146 n. F. GG regulativen Charakter abzusprechen und ihn in die verfassungsrechtliche Bedeutungslosigkeit zu drängen, ist in der nicht selten vertretenen Behauptung zu sehen, die Schlußnorm habe nur (noch) rein deklaratorische Bedeutung72. Art. 146 GG, so liest man, bringe lediglich die seit der Französischen Revolution und ihrem Verfassungskonstrukteur Abbé Sieyes gängige „demokratietheoretische Selbstverständlichkeit“73 zum Ausdruck, daß sich ein Volk kraft seiner verfassunggebenden Gewalt stets seiner bisherigen normativen Fesseln entledigen und auf revolutionärem Wege zu einer neuen Grundgestalt seiner politischen Existenz schreiten könnte. Hiergegen spricht schon die methodologische Grundregel, daß Rechtsnormen im allgemeinen und Verfassungsnormen im besonderen sich nicht in Hinweisen auf Selbstverständlichkeiten erschöpfen, sondern regulativ wirken wollen. Vor allem aber verkennt ein solches Verständnis die besondere Intention des Schlußartikels, über die beschriebene Selbstverständlichkeit der Ausübung der verfassunggebenden Gewalt durch das Volk hinauszugehen. Art. 146 GG normiert mehr und anderes: er baut eine die juristische Revolution vermeidende normative Brücke von der alten zur neuen Ordnung und zeigt, daß eine Verfassung durchaus die Voraussetzungen ihrer eigenen Ablösung regeln Siehe nochmals Dreier (FN 48), Art. 146 Rn. 42 f. So Badura, Grundgesetz (FN 33), S. 332 f.; Lerche, Beitritt (FN 33), § 194 Rn. 64; Rupert Scholz, Aufgaben und Grenzen einer Reform des Grundgesetzes, in: Peter Badura / Rupert Scholz (Hrsg.), FS Peter Lerche, 1993, S. 65 (69). 73 Udo Di Fabio, Der neue Art. 23 des Grundgesetzes. Positivierung vollzogenen Verfassungswandels oder Verfassungsneuschöpfung?, Der Staat 32 (1993), S. 191 (212). 71 72

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kann. Im Grunde genommen handelt es sich um eine Konstitutionalisierung des Verfassunggebungsprozesses auf der Zeitschiene. Die neue Verfassung wird nicht in den Bereich der „konstitutionellen Illegalität“74 abgedrängt, sondern von der alten, dem Grundgesetz, ausdrücklich zugelassen. Art. 146 GG in alter wie in neuer Fassung will also gerade vermeiden, daß sich die verfassunggebende Gewalt des Volkes „nur im Umsturz“75 gegenüber der vorhergehenden Ordung artikulieren kann. c) Verfassungsablösung und Verfassungsneuschöpfung Den Bedarf für eine derartige ausdrückliche Regelung schafft die Ewigkeitsklausel des Art. 79 Abs. 3 GG. Denn (nur) weil mit den hier fixierten Grenzen der Revisionsgewalt die Möglichkeit verbaut ist, auf dem Wege schlichter Verfassungsänderung eine fundamental neue staatsrechtliche Ordnung zu schaffen, muß gleichsam ein anderer Rechts(aus)weg gefunden werden. Den Schlüssel zu dieser „Stahlkammer juristischer Unantastbarkeit“76 bietet für das Grundgesetz allein Art. 146 GG an. Er erlaubt, was Art. 79 Abs. 3 GG verbietet. Viele andere Verfassungen, angefangen von der amerikanischen von 1787 oder der französischen von 1791 über die 74 Winterhoff, Verfassung (FN 23), S. 302; s. auch Wiederin, Verfassunggebung (FN 48), S. 416. 75 So aber Di Fabio, Art. 23 GG (FN 73), S. 213. Wahrscheinlich trifft die Prognose von Hans Meyer (Artikel 146 GG. Ein unerfüllter Verfassungsauftrag?, in: Hans Herbert von Arnim [Hrsg.], Direkte Demokratie, 2000, S. 67 [79]) zu, daß diejenigen, die auf die scheinbar deklaratorische Bedeutung der Schlußbestimmung hinwiesen, die ersten wären, „die den Staat zum Eingriff gegen das aufmüpfige Volk aufriefen“. Sehr problematisch auch das „Wort ins Ohr . . . jedes Standortkommandanten“ von Heckel (Legitimation [FN 23], § 197 Rn. 106) zur Aktivierung des Widerstandsrechts aus Art. 20 Abs. 4 GG für den Fall einer von der Regierung durchgeführten Volksabstimmung. 76 So die noch zu Zeiten der Weimarer Reichsverfassung geprägte anschauliche Wendung von Richard Thoma (Bedeutung [FN 13], S. 214).

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Frankfurter Paulskirchenverfassung von 1849 und die Weimarer Reichsverfassung von 1919, bedurften einer speziellen Norm nach Art des Art. 146 GG zur Ablösung der alten Verfassung durch eine neue nicht, weil dort die Reichweite der verfassungsändernden Gewalt inhaltlich unbegrenzt war bzw. ist. So gesehen, erscheint weniger der Schlußartikel eine besondere deutsche Eigentümlichkeit zu sein – stärker trifft das auf die Ewigkeitsklausel in ihrer vergleichsweise breiten Anlage mit Einschluß vieler verfassungsrechtlicher Elemente zu. Die ängstliche bundesdeutsche Binnenperspektive, die im Neuen gleich das Unheil wittert, findet schon im deutschsprachigen Raum klare Alternativen vor. So kann die Bundesverfassung der Schweiz (BV)77 „jederzeit ganz oder teilweise revidiert werden“ (Art. 192 Abs. 1 BV); als Totalrevisionen (Art. 193 BV) gelten etwa die von 1874 und 1999. Initiativberechtigt für eine Totalrevision sind die beiden Räte, die Bundesversammlung oder das Volk, wobei hier für eine Initiative bereits 100.000 Stimmen ausreichen. Erfolgreich ist die inhaltlich unbeschränkte Totalrevision78, wenn der von der Bundesversammlung ausgearbeitete Verfassungsentwurf die (einfache) Mehrheit des stimmberechtigten Gesamtvolkes und der Stände findet, wobei das Ergebnis der Volksabstimmung im Kanton als dessen Standesstimme gilt79. In Österreich kennt man in 77 Zur im folgenden allein interessierenden Totalrevision ausführlicher Pierre Tschannen, Staatsrecht der Schweizerischen Eidgenossenschaft, 2004, S. 524 ff.; Ulrich Häfelin / Walter Haller / Helen Keller, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, 7. Aufl. 2008, Rn. 1754 ff. 78 Giovanni Biaggini, Grundlagen und Grundzüge staatlichen Verfassungsrechts: Schweiz, in: Armin von Bogdandy / Pedro Cruz Villalón / Peter M. Huber (Hrsg.), Handbuch Ius Publicum Europaeum (IPE), Bd. I, 2007, § 10 Rn. 35: „,Ewigkeitsklauseln‘ nach dem Muster der italienischen Verfassung von 1947 (Art. 139) oder des Grundgesetzes (Art. 79 Abs. 3) sind der schweizerischen Bundesverfassung fremd.“ Eine Schranke für Total- wie für Teilrevisionen bilden aber seit 2000 die „zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts“ (Art. 139 Abs. 2, 193 Abs. 4, 194 Abs. 2 BV). Zur nicht einfachen Konkretisierung dieser Formel näher Tschannen, Staatsrecht (FN 77), S. 531 ff. sowie jüngst Andreas Reich, Direkte Demokratie und völkerrechtliche Verpflichtungen im Konflikt, ZaöRV 68 (2008), S. 979 ff.

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strukturell ganz ähnlicher Weise neben der Teiländerung auch die Gesamtänderung der Verfassung80. Die einzige, aber wesentliche Differenz zwischen beiden besteht darin, daß bei der Gesamtänderung die ansonsten fakultative Volksabstimmung obligatorisch ist (Art. 44 Abs. 3 B-VG)81. Da die österreichische Verfassung „keine ewigen Gehalte kennt, sind Abänderungen nach jeder Richtung hin möglich, sofern nur das Verfahren eingehalten wird“82. Für die Zustimmung des Bundesvolkes genügt die „unbedingte Mehrheit“ der abgegebenen Stimmen; ein Quorum ist nicht vorgesehen (vgl. Art. 45 Abs. 1 B-VG)83. Es stellt also, wie diese wenigen Hinweise deutlich machen, keineswegs eine völlig irreguläre oder gar absurd „selbstmörderische“ Situation dar, wenn sich ein Volk das Recht vorbehält, seine politische Ordnung im Wege nichtrevolutionärer Verfassunggebung bzw. bloßer Verfassungsänderung grundsätzlich neu zu regeln. Wenn diese Möglichkeit für die Situation in 79 Man vergleiche dieses Verfahren und die erforderlichen Mehrheiten mit jenen prohibitiv hohen Quoren, die etwa bei einer (immerhin für möglich gehaltenen!) Aktivierung des Art. 146 GG, der zu näheren Verfahrensmodalitäten schweigt, für zwingend gehalten werden: repräsentativ Heckel, Legitimation (FN 23), § 197 Rn. 116 ff.; w. N. bei Dreier (FN 48), Art. 146 Rn. 53. 80 Überblick aus jüngerer Zeit bei Anna Gamper, Verfassungsrevision und „Bewahrung“ der Verfassung, ZÖR 60 (2005), S. 187 ff. 81 Näher Robert Walter / Heinz Mayer / Gabriele Kucsko-Stadlmayer, Grundriss des österreichischen Bundesverfassungsrechts, 10. Aufl. 2007, Rn. 481 ff. 82 Ewald Wiederin, Grundlagen und Grundzüge staatlichen Verfassungsrechts: Österreich, in: IPE, Bd. I (FN 78), § 7 Rn. 39. Freilich gibt es Stimmen in der Literatur und leise Anzeichen in der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes, einen gewissen Verfassungskern für unabänderlich zu erachten (vgl. Gamper, Verfassungsrevision [FN 80], S. 206 f.), ohne daß jedoch schon von einer durchgreifenden Änderung der tradierten Auffassung die Rede sein könnte. 83 Unter unbedingter Mehrheit wird hierbei verstanden, daß die JaStimmen die Nein-Stimmen überwiegen. Hierzu und zur Entbehrlichkeit einer (auch einfachgesetzlich nicht einführbaren) Mindestbeteiligung Peter Bußjäger, in: Heinz Peter Rill / Heinz Schäffer (Hrsg.), Bundesverfassungsrecht. Kommentar, Art. 45 (2004), Rn. 1.

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Deutschland als „Sprengladung unter dem Fundament des Grundgesetzes“84 perhorresziert worden ist, so demonstriert das nur eine gewisse Fremdheit gegenüber dem unzweifelhaften Recht autonomer politischer Selbstbestimmung. Jedenfalls leben mit dieser Freiheit sehr viele ältere wie auch jüngere Verfassungsstaaten auf eine durchaus auskömmliche Art und Weise. Warum nicht auch wir? Müssen wir, was in anderen Staaten als großartige Idee freier politischer Selbstgesetzgebung gilt (und früher auch in Deutschland galt85), geradezu zwanghaft in Bilder von dunkler Bedrohlichkeit fassen86? Schreckt uns die Vorstellung einer offenen Verfassungszukunft so sehr? Können wir dem – anderswo ganz selbstverständlichen87 – Gedanken, daß neue Gestaltungsmöglichkeiten unserer politischen Grundordnung zumindest denkbar und nicht für alle Ewigkeit ausgeschlossen sind, wirklich nichts Positives abgewinnen? 84 Kriele, Sprengladung (FN 44), S. 5; s. auch Isensee, Selbstpreisgabe (FN 45), S. 10. 85 Eindringlich hat Richard Thoma, Das Reich als Demokratie (1930), in: ders., Rechtsstaat (FN 13), S. 282 (291) davon gesprochen, man dürfe „die, vielleicht gewagte, aber in ihrer Folgerichtigkeit großartige Erfassung der Idee der freien demokratischen Selbstbestimmung“ nicht verkennen, um (S. 291 f.) fortzufahren: „Gewiß kann diese Freiheit demagogisch mißbraucht werden – wie wäre sie sonst eine Freiheit? Unmöglich aber, vom Standpunkt des Demokratismus und Liberalismus, von dem die Auslegung auszugehen hat, kann das, was die entschiedene und unzweifelhafte Mehrheit des Volkes auf legalem Wege will und beschließt (und stürzte es selbst die Grundsäulen der gegenwärtigen Verfassung um) als Staatsstreich oder Revolution gewertet werden!“ Eindrucksvoll auch die Rede von der „Würde freier demokratischer Selbstbestimmung, welche die Gefahren aufwiegt, die alle Freiheit mit sich bringt.“ (Richard Thoma, Die Funktionen der Staatsgewalt. Grundbegriffe und Grundsätze [1932], ebd., S. 301 [361]). 86 Siehe etwa noch Heckel, Einheit (FN 59), S. 10: „Der Ablösungsartikel 146 ist am Schluß der Verfassung wie eine Sphinx gewaltig aufgetürmt, die ihren langen dunklen Schatten über alle vorangehenden Artikel wirft.“ In die gleiche Richtung geht die (wenngleich eher referierende) Rede einer Deutung des Art. 146 GG als „plebiszitärer Dauerdrohung gegen das Grundgesetz“ (Martin Hochhuth, Die Meinungsfreiheit im System des Grundgesetzes, 2007, S. 142). 87 Hinweis darauf bei Wiederin, Verfassunggebung (FN 48), S. 445 ff.

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IV. Schlußpunkt: Offene Verfassungszukunft Für eine solche offen-konstruktive Grundhaltung spricht zunächst einmal die beruhigende Gewißheit, daß der unverändert fortbestehende Ablösungsvorbehalt des Grundgesetzes dieses nicht zu einer Verfassung auf Abruf mutieren läßt – wenn man unter Abruf versteht, daß es praktisch jederzeit, aus banalen Gründen und womöglich allein aufgrund der Entschlossenheit einer aktivistischen Minderheit aus dem Weg geräumt werden könnte. Dem steht schon seine bisherige Erfolgsgeschichte mit entsprechend starken Fundamenten und vielgestaltigen politischen Beharrungskräften entgegen. Das letztlich entscheidende Kriterium für eine Aktivierung des Art. 146 GG liegt im konkreten historisch-politischen Erfolg entsprechender Initiativen. Sie dürften es schwer haben. Denn das ursprüngliche Provisorium hat sich als weitaus stabiler und langlebiger erwiesen als bei seiner Verabschiedung gedacht. Auch den Stürmen der deutschen Wiedervereinigung und den Herausforderungen der europäischen Integration hat es sich gewachsen gezeigt. Seine Wertschätzung in der Gesellschaft im Sinne eines sicherlich oft recht diffusen Verfassungskonsenses darf wohl ungeachtet mancher verstörender demographischer Teilbefunde in den neuen Bundesländern mittlerweile als vergleichsweise tief verankert angesehen werden. Zustimmung und Wertschätzung sind praktisch von Jahrzehnt zu Jahrzehnt gewachsen88. Man übertreibt nicht mit der naturgemäß stark spekulativen Vermutung, daß es möglicherweise weitere 60 Jahre vor sich haben könnte. All dies bedeutet, daß es bei Ausbleiben fundamentaler Verfassungskrisen, grundstürzender Umbruchsituationen oder gravierender Wandlungsprozesse kaum zu einer erfolgreichen Aktivierung des Art. 146 GG kommen wird. Aber genau für solche (hier und heute vielleicht schwer vorstellbaren) Fälle kann der Schlußartikel des Grundgesetzes einen nichtrevolutionären, friedlich-evolutio88 Dazu etwa Hans Vorländer, Die Deutschen und ihre Verfassung, APuZ 18 – 19 / 2009, S. 8 ff.

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nären Übergang in eine neue Verfassungsordnung bahnen und so dem Rechtsgedanken dienen. Fazit: Das Grundgesetz treibt die Selbstverewigung des Art. 79 Abs. 3 GG nicht auf die Spitze, sondern kennt nach wie vor eine Alternative zu sich selbst und läßt den Weg zu einer neuen Verfassung offen. Das ist weder die bereits erwähnte Zeitbombe noch ein bedrohlicher „Sprung ins Dunkle“89, sondern kluge Selbstbescheidung. Das Grundgesetz zeigt so eine wohltuende Offenheit für die Zukunft – sowohl für solche Herausforderungen, die wir heute vielleicht noch gar nicht antizipieren können als auch für solche, die über kurz oder lang durchaus konkret anstehen mögen. Nehmen wir zum Beispiel die wohl nicht für alle Ewigkeit auszuschließende Fortentwicklung der Europäischen Union zu einem echten Bundesstaat, wodurch die Bundesrepublik Deutschland wie die anderen Staaten der EU zu bloßen Untergliederungen eines höheren politischen Gemeinwesens heruntergestuft und so ihre Identität in maßgeblicher Weise verändert würde90. Für diesen „Identitätswechsel der Verfassung“91 bedürfte es einer neuen Grundentscheidung des deutschen Volkes, für die im geltenden Verfassungsrecht allein Art. 146 GG eine tragfähige Grundlage bietet92. Klug ist es umgekehrt aber auch, daß das Grundgesetz die Verabschie89 Formulierung bei Peter Lerche, Art. 146 GG: Auftrag zur Neuverfassung Deutschlands?, in: Karl Graf Ballestrem / Henning Ottmann (Hrsg.), FS Nikolaus Lobkowicz, 1996, S. 299 (301), der sie sich freilich nicht zu eigen macht, sondern sich mit einem „zu eröffnen scheint“ leicht distanziert. 90 Zu Art. 146 n. F. GG als möglichem Anwendungsfall bei der Fortentwicklung der Europäischen Union zu einem echten Bundesstaat siehe etwa Huber (FN 52), Art. 146 Rn. 18 f.; Dreier (FN 48), Art. 146 Rn. 16; Schmahl (FN 52), Art. 146 Rn. 5. 91 Dreier (FN 11), Art. 79 III Rn. 57; ders. (FN 48), Art. 146 Rn. 16: „Identitätswechsel der Bundesrepublik Deutschland“. 92 Vom „Identitätswechsel der Bundesrepublik Deutschland“ spricht jüngst auch das Bundesverfassungsgericht in seinem Lissabon-Urteil: BVerfG, 2 BvE 2 / 08 v. 30. 6. 2009, Absatz 179; abrufbar unter: http: // www.bverfg.de /entscheidungen /es20090630_2bve000208.html (3. 8. 2009).

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dung einer neuen Verfassung nicht zur Pflicht macht, also keinen (womöglich befristeten) Auftrag zur Verfassunggebung erteilt. Wir können somit alles so lassen, wie es ist, und uns auf Fortentwicklungen durch inkrementale Änderungen des Grundgesetzes beschränken. Aber eben dieses Grundgesetz eröffnet weiterhin die Möglichkeit, auf nichtrevolutionärem Wege eine neue Verfassung „in freier Entscheidung“ zu schaffen, wenn die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes das wollen. Dieses Recht der Verfassunggebung steht einem freien Volk gut an – und es steht ihm zu.

Autorenverzeichnis Dreier, Horst, geboren 1954; Promotion 1985, Habilitation 1989; nach Stationen in Heidelberg und Hamburg seit 1995 Ordinarius für Rechtsphilosophie, Staats- und Verwaltungsrecht an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Ausgewählte Veröffentlichungen: Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratietheorie bei Hans Kelsen, Baden-Baden 1986 (2. Aufl. 1990); Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat. Genese, aktuelle Bedeutung und funktionelle Grenzen eines Bauprinzips der Exekutive, Tübingen 1991; Dimensionen der Grundrechte. Von der Wertordnungsjudikatur zu den objektiv-rechtlichen Grundrechtsgehalten, Hannover 1993; Grundrechtsschutz durch Landesverfassungsgerichte, Berlin / New York 2000; Herausgeber und Mitautor eines dreibändigen Grundgesetz-Kommentars, Tübingen 1996 ff. (Bd. I: 1996, 2. Aufl. 2004; Bd. II: 1998, 2. Aufl. 2006; Bd. III: 2000, 2. Aufl. 2008). Pache, Eckhard, geboren 1961; Promotion 1993, Habilitation 2000; seit 2002 Ordinarius für Staatsrecht, Völkerrecht, Internationales Wirtschaftsrecht und Wirtschaftsverwaltungsrecht an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Ausgewählte Veröffentlichungen: Der Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, Berlin 1994; Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum. Zur Einheitlichkeit administrativer Entscheidungsfreiräume und zu deren Konsequenzen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren – Versuch einer Modernisierung, Tübingen 2001; Grundfreiheiten, in: R. Schulze / M. Zuleeg (Hrsg.), Europarecht – Handbuch für die deutsche Rechtspraxis, Baden-Baden 2006, S. 322 – 382; Verantwortung und Effizienz in der Mehrebenenverwaltung, in: VVDStRL 66 (2007), S. 106 – 144; Gefahrstoffrecht, in: H.-J. Koch (Hrsg.), Umweltrecht, 2. Aufl., Köln u. a. 2007, S. 527 – 582. Schenke, Ralf P., geboren 1968; Promotion 1995, Habilitation 2004; nach einer Lehrstuhlvertretung in Hamburg 2007 Übernahme der Professur für Öffentliches Recht und Steuerrecht an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster; seit 2008 Ordinarius für Öffentliches Recht und Steuerrecht an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Ausgewählte Veröffentlichungen: Der Erledigungsrechtsstreit im Steuerrecht, Berlin 1996; Die Rechtsfindung im Steuerrecht – Konstitutionalisie-

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rung, Europäisierung, Methodengesetzgebung, Tübingen 2007; Kommentierung der Finanzverfassung in: H. Sodan (Hrsg.), Grundgesetz. Kompaktkommentar, München 2009; Kommentierung des Art. 10 GG, in: K. Stern / F. Becker (Hrsg.), Grundrechte-Kommentar, München 2009 (i. E.); Polizei- und Ordnungsrecht, in: U. Steiner (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 8. Aufl., Heidelberg 2009, Abschnitt II (mit W.-R. Schenke). Schmahl, Stefanie, geboren 1969; LL.M. (E) 1996, Promotion 1996, Habilitation 2004; nach Lehrstuhlvertretungen in Tübingen, Regensburg, Bremen und Düsseldorf seit 2007 Inhaberin des Lehrstuhls für deutsches und ausländisches öffentliches Recht, Völkerrecht und Europarecht an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Ausgewählte Veröffentlichungen: Die Kulturkompetenz der Europäischen Gemeinschaft, Baden-Baden 1996; Mitautorin beim Grundgesetz-Kommentar von B. Schmidt-Bleibtreu / H. Hofmann / A. Hopfauf (Hrsg.), 11. Aufl., Köln 2008; beim Grundgesetz-Kompaktkommentar von H. Sodan (Hrsg.), München 2009; und bei der Max Planck Encyclopedia of Public International Law (Hrsg.: R. Wolfrum), Oxford University Press 2008 (www.mpepil.com). Schulze-Fielitz, Helmuth, geboren 1947; Promotion 1977, Habilitation 1986; nach einer Professur an der Universität der Bundeswehr München seit 1994 Ordinarius für Öffentliches Recht, Umweltrecht und Verwaltungswissenschaften an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Ausgewählte Veröffentlichungen: Sozialplanung im Städtebaurecht – Am Beispiel der Stadterneuerung –, Königstein / Ts. 1979; Der informale Verfassungsstaat. Aktuelle Beobachtungen des Verfassungslebens der Bundesrepublik Deutschland im Lichte der Verfassungstheorie, Berlin 1984; Theorie und Praxis parlamentarischer Gesetzgebung – besonders des 9. Deutschen Bundestages (1980 – 1983), Berlin 1988; Was macht die Qualität öffentlich-rechtlicher Forschung aus?, JöR 50 (2002), S. 1 – 68; Herausgeber von: Staatsrechtslehre als Wissenschaft, Berlin 2007. Suerbaum, Joachim, geboren 1965; Promotion 1997, Habilitation 2002; seit 2004 Ordinarius für Öffentliches Recht, insbesondere Verwaltungsrecht an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Ausgewählte Veröffentlichungen: Die Kompetenzverteilung beim Verwaltungsvollzug des Europäischen Gemeinschaftsrechts in Deutschland, Berlin 1998; Stiftung und Aufsicht. Dogmatik, Stiftungspraxis, Reformbestrebungen (mit B. Andrick), München 2001; Kommentierung der §§ 137, 138 VwGO, in: H. Posser / H. A. Wolff (Hrsg.), Verwaltungsgerichtsordnung, München 2008; Kommentierung der Art. 83 – 87, 91a – d, 128, 130 GG, in: V. Epping / C. Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz, München 2009; Mitherausgeber und -verfasser eines Stiftungsrechtskommentars, München 2009 (i. E.).

Sachverzeichnis Ablösungsvorbehalt des Grundgesetzes 159 ff., 166, 172, 181, 188 Abstrakte Normenkontrolle 12 f., 99 Afghanistan 117, 132 Albanien 125 Ämterpatronage 33 f. Änderung des Grundgesetzes 17 f., 25 ff., 40 f., 46, 105, 109, 139, 143, 164, 171, 174 f., 180 f., 183 Angriffskriegsverbot 108 Anwendungsgebiet des Grundgesetzes 178 Art. 146 GG 159 ff. – Ablösungsvorbehalt 159 ff., 166, 172, 181, 188 – Art. 146 GG als normative Brücke 182 – Auslegung Art. 146 GG a. F. 174 ff., 177 ff. – Auslegung Art. 146 GG n. F. 174 ff., 180 ff. – Doppelfunktion 177 – Grundgesetz als Verfassung i. S. d. Art. 146 GG 162, 166, 176 – Konstitutionalisierung des Verfassunggebungsprozesses 183 – Konsumtion des Art. 146 GG 174 f., 179 f. – Novation 175 – Obsoletwerden 174 – Revisionsnorm 174 ff., 181 Asymmetrische Kriege 134 Asymmetrischer Verbundföderalismus 41

Aufgabenentziehung 88 f. Aufgabengarantie 88 ff. Aufgabenübertragung 77, 89, 104 Aufgabenzuweisung 79, 87 ff., 91 Auschwitz-Argument 167 Auslandseinsatz (deutscher Streitkräfte) 107 ff., 111, 115 ff., 122 ff., 129 ff. Auslegung – objektive 57 f., 60 f., 64 – subjektive 57 f., 64 – verfassungskonforme 13 f., 56, 59 ff. – verfassungsrichterliche 10 Bedürfnisklausel des Art. 72 II GG a. F. 41 Begriff „Grundgesetz“ 161 „Beitritt“ der DDR 43, 169 ff. „Beitrittserklärung“ der DDR 169 Besatzung – Besatzungsmacht 108 – Besatzungsrecht 110, 177 – Besatzungsstatut 108 f. Beteiligungsföderalismus 48 Bismarcksche Reichsverfassung 161 Bismarckscher Verfassungskompromiss 40 Blauhelmmission 114 Bosnien-Herzegowina 117 Bundesrat 17, 26, 39, 43 ff., 133, 146, 151 Bundesratsblockaden 45 f.

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Sachverzeichnis

Bundesstaat – asymmetrischer Verbundföderalismus 41 – Ausgestaltung 42, 49 – Beteiligungsföderalismus 48 – Bundesrat 17, 26, 39, 43 ff., 133, 146, 151 – Bundesratsblockaden 45 f. – bundesstaatliche Struktur des Grundgesetzes 42, 49 – Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse 40 – Exekutivföderalismus 40 – Föderalismusreform 41 f., 79, 89, 103 – Heterogenität der Länder 39 – Ineffektivität 47 – Intransparenz 48 f. – kooperativer Föderalismus 44 f. – labiler Bundesstaat 38 f., 44 – Rechtsstellung der Länder 39 – Unitarisierung 38, 40 – Verbundföderalismus 41, 45 – Verflechtungsproblematik 41, 45 ff. – Wettbewerbsföderalismus 44 Bundestag 17, 26, 47 f., 126, 128 f., 133, 144, 146, 150 f. Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft (BV) 184 Bundesverfassungsgericht – abstrakte Normenkontrolle 12 f., 99 – Auslegung der einfachgesetzlichen Rechtsordnung 13 f. – „Ersatzgesetzgeber“ 22 – Gestaltungsansprüche 22 f. – Hecksche Formel 15 – Hypertrophie 23 – „in dubio pro legislatore“ 21 – Innovation des Grundgesetzes 11 – „judicial restraint“ 21

– konkrete Normenkontrolle 65 – Kooperationsverhältnis mit dem EuGH 151 ff., 155, 158 – „praeceptor Europae“, 22 – Prüfungskompetenz 19, 65 – Verfassungsbeschwerde 14, 54, 65 – Verwerfungskompetenz 65 – Vorlage an den EuGH 155 – Wesentlichkeitstheorie 24, 92 – Zugangsmöglichkeiten 14 Bundesverfassungsgesetz (Österreich) 185 Bundeswehr 5, 109, 114 ff., 132, 134 Bündnis – Bündnisfall 110, 118, 126 – Bündnisvertrag 126, 129 ff., 131 – Verteidigungsbündnis 109, 113, 124 Bündnisvertrag 126 – Vertragsänderung 131 – Weiterentwicklung 129 ff. Bürokratisierung 24 DDR 63, 116, 168 ff. – „Beitritt“ 43, 169 ff. – „Beitrittserklärung“ 169 Definitivum, Grundgesetz als 168 Demilitarisierung 108 Demokratie(prinzip) 11, 14, 17, 19, 23, 33, 65 f., 76, 146, 148, 150 Demokratieverdrossenheit 33 Demokratischer Rechtsstaat 11 Direkte Demokratie 11, 17 ff., 175, 184 f. – Volksabstimmungen 17, 175, 184 f. – Volksgesetzgebung 17, 19 – Volkswahlen 17 Doppelfunktion (Art. 146 GG) 177 Durchgriffsnormen 80 Durchgriffsverbot 103 ff. Eigenverantwortlichkeitsgarantie 91 ff. Eingemeindungen 101

Sachverzeichnis Einigungsvertrag 170 ff., 182 Einigungsvertragsgesetz 170 f. Einsatz – der Streitkräfte 107 ff. – im Ausland 107 ff., 111, 115 ff., 122 ff., 129 ff. – im Inland 107, 114 f. – Krisenreaktionseinsatz 124, 131 – „out of area“ 117 Ersatzgesetzgeber 22 Europa 22, 24 f., 137 ff. Europafestigkeit der kommunalen Selbstverwaltung 92 Europäische Gemeinschaft 96, 142 ff. Europäische Integration 92, 139 ff., 187 f. Europäische Kooperation 139, 141 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) 156 Europäische Union 120, 137 ff., 143 ff., 188 – Übertragung von Hoheitsrechten 142 f., 145, 150 Europäische Verteidigungsgemeinschaft 109 Europäischer Gerichtshof (EuGH) 152 ff. – Kooperationsverhältnis mit dem BVerfG 155 Europäischer Verfassungsverbund 155 ff. Europäisierung 39, 146 Europarechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes 139 Ewigkeitsgarantie / -klausel 18, 146, 149 ff., 163 f., 175 ff., 183, 188 Exekutivföderalismus 40 Exportschlager Grundgesetz 9, 168 Fachgerichtsbarkeit 14, 19, 54 f., 65 Fehlentwicklungen des Grundgesetzes 10, 25

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Finanzausstattung, kommunale 77 ff., 88, 105 Finanzgarantie 77, 79 Föderalismus siehe auch Bundesstaat 38 ff., 44 ff., 146, 148 Föderalismusreform 41 f., 79, 89, 103 Frankfurter Dokumente 161 Friedenstruppe 116 f. Gebietsneugliederungen 17, 43, 47 Gemeinden 75 ff., 83, 85, 87 f., 91, 98 f., 101 – Eigenverantwortlichkeit 78 f., 87, 91 ff., 97 – Gemeindehoheit 92 – Gemeindeverbände 76 f., 79 f., 83, 85, 87 f., 91, 98 f. – Universalität des Wirkungskreises 87 Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU (GASP) 120 Gemeinschaftsrecht – Anwendungsvorrang 152, 154, 156 – Geltungsgrund 153 f. – unmittelbare Wirkung 152 Gemeinschaftstreue 155 f., 158 Gesamtänderung der Verfassung (Österreich) 185 Gesetzesverfassungsbeschwerde 14 Gewaltenteilung 21, 34, 42, 62, 65, 146 Gleichstellungsbeauftragten-Entscheidung 93 Große Koalition 41, 47, 49 Grundgesetzänderung 17 f., 25 ff., 40 f., 46, 105, 109, 139, 143, 164, 171, 174 f., 180 f., 183 Grundrechte 13 ff., 145 ff. – abwehrrechtliche Dimension 59 – Anwendbarkeit 16 – Ausstrahlungswirkung 14

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Sachverzeichnis

– Elemente objektiver Ordnung 13, 59, 61 – Europäische Union 16, 145, 148 f., 152 ff. – Justiziabilität 16 – objektive Grundrechtsdimension 19 – subjektive Grundrechtsdimension 13 – verfassungskonforme Auslegung 59 ff. Grundrechtsbindung 54 Grundrechtsordnung der EU 16, 145, 148 f., 152 ff. Grundrechtsschutz 22, 86, 145, 148 f., 152, 154 f. Hartz IV-Entscheidung 88, 103 f. Hecksche Formel 15 Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation 42 Heterogenität der Länder 39 Hoheitsrechte 142 f., 145, 150 Homogenitätsklausel 145 Identitätsgarantie 149 ff. Identitätswechsel der Verfassung 188 Inkrafttreten des Grundgesetzes 107 f., 138, 140 f., 165 Inlandseinsatz 107, 114 f. In-Sich-Konflikte 11 Institutionelle Garantien 28, 82 ff., 89 f., 99 f., 105 Institutionsgarantien 75, 82 Integration, europäische 92, 139 ff., 187 Integrationshebel 142 Intervention – humanitäre 113, 123, 125 – militärische 128 Irak 117 „Judicial restraint“ 21

Jugoslawien, ehemaliges 117 Justizstaatlichkeit 15 Kalter Krieg 18, 108 Kampf um das Grundgesetz 172 ff. Kernbereichsgarantien der kommunalen Selbstverwaltung 82, 90 f., 93 Kognitionsforschung, moderne 68 Kommunale Finanzausstattung 78, 88, 105 Kommunale Selbstverwaltung 75 ff. – Aufgabenentziehung 88 f. – Aufgabengarantie 88 ff. – Aufgabenübertragung 77, 89, 104 – Aufgabenzuweisung 79, 87 ff., 91 – Europafestigkeit 92 – Kernbereich 82, 90 f., 93 – Randbereich 91 Kommunalverfassungsbeschwerde 79, 83, 99 ff., 105 – Prüfungsumfang 102 f. Kompetenzordnung des Grundgesetzes 62 ff., 73 f. Konkordanzmasse 80 Konkrete Normenkontrolle 65 Konnexitätsregelungen 89, 105 Konstitutionalisierung des Verfassunggebungsprozesses 183 Konstruktionsmängel des Grundgesetzes 27 Konsumtion des Art. 146 GG 174 f., 179 f. Kooperationsverhältnis von EuGH und BVerfG 151 ff., 155, 158 Kooperativer Föderalismus 44 f. Korea 108 Kosovo 123 f., 128 Kriegsdienstverweigerung 108 Krisenreaktionseinsatz 124, 131 Kritik am Grundgesetz 9

Sachverzeichnis Landesinnenstreit (Art. 19 Abs. 1, 1. Alt. WRV) 100 Legalismus 24 f. Lissabon-Urteil 139, 148, 158, 188 Luftsicherheitsgesetz 115, 135 Lüth-Urteil 13, 59 Maastricht-Urteil 96 Menschenwürde 162 Methodengesetzgebung 73 f. Methodenlehre 59 ff. – als Annex zur Normsetzung 73 – und Demokratie 64 ff. – und Gesetzesbindung 66, 71 – und Kompetenzordnung 62 ff. – und Nachbardisziplinen 68 f. – Wandel unter dem GG 60 f. Methodenverfassungsrecht 71 ff. – Grenzen 64 f. – Rahmencharakter 72 f. Methodik 51 f., 62 f. Nahostkonflikt 116 Nationalsozialismus 18 f., 42, 140 Neues Strategisches Konzept 124, 130 f. Nordatlantikpakt / NATO 113, 120 f., 123 f., 126, 128, 131 Normativbestimmungen 81 Normenkontrolle 12 f., 20, 65, 99 Notstand 109 f., 135 – Notstandslage 115 – Notstandsverfassung 110 Novation (Art. 146 GG) 175 Obsoletwerden des Art. 146 GG 174 Offene Staatlichkeit 138 Offene Verfassungszukunft 187 f. Organisationshoheit 92 ff. Örtliche Gemeinschaft 80, 87 f., 90, 92 f. Örtlichkeitsprinzip 93

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Österreichische Verfassung 185 „Out of area“-Einsatz 117 Parlamentarischer Gesetzgeber 11, 13, 21 f., 58, 70, 74 Parlamentarischer Rat 9, 19, 108, 159 ff., 178 Parlamentarischer Volkswillen 12 f. Parlamentsbeteiligungsgesetz 127 Parlamentsheer 126 Parlamentsvorbehalt, wehrverfassungsrechtlicher 126 f., 133 Parteien, politische 28 ff. – Ämterpatronage 33 f. – Finanzierung 29 ff. – Fraktionsarbeit 29 – institutionelle Garantie 28 – Kritik 32 f. – Mitwirkung an der politischen Willensbildung 28, 36 – Parteienabsolutismus 30 – Parteiendemokratie 37, 45 – Parteiendiskreditierung 30 – Parteiengesetz 28 f. – Parteienstaatstheorie 31 – „Parteiverdrossenheit“ 33 – Rechtsstellung 29, 32 – Rosinentheorie 29 – „Staatsnähe“ 29 – Unabhängigkeit 35 – verfassungsrechtliche Stellung 28 ff. – Volksersatz 25, 32 Parteiendemokratie 37, 45 Parteiensystem des Grundgesetzes siehe auch Parteien, politische 28 ff. Paulskirchenverfassung 44, 161, 184 Piraterie, insb. Seepiraterie 114, 121, 134 Politik als Verfassungskonkretisierung 21 Polizeikräfte 115, 136

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Sachverzeichnis

Präambel 140 f., 160, 164, 171, 174 Preußen 42 f. Provisorium 19, 159 ff., 168 ff., 177 f., 187 Randbereichsgarantien der kommunalen Selbstverwaltung 91 Rastede-Beschluss 75, 91, 103 Rechtserkenntnisquelle 156, 158 Rechtsfortbildung 56, 60 f., 64 ff., 68, 74 – contra legem 60 f. – intra legem 59 – verfassungskonforme 56, 61 Rechtsinstitutionsgarantie, objektive 85 ff., 98 Rechtsprechungskontrollkompetenz 15 Rechtsstaat 11, 13 f., 19, 24 f., 145, 148 Rechtsstaatliche Demokratie 11 Rechtsstaatsprinzip 66, 95, 107 Rechtsstellungsgarantie, subjektive 85, 98 ff. Rechtssubjektsgarantie 85 f., 98 Rechtsweggarantie 16, 24 Revisionsgewalt 183 Revisionsnorm (Art. 146 GG) 181 Richterliche Zurückhaltung 22, 174 ff. Richteroligarchie 55 Rosinentheorie 29 Schattenseiten des Grundgesetzes 9 ff., 21, 50 Schlußbestimmung des Grundgesetzes siehe Art. 146 GG Selbstverteidigung, kollektive 113 Selbstverwaltungsgarantie 81 ff. Sicherheitsrat der Vereinten Nationen 113 f., 116 f., 122 ff., 126, 131 Solange-Rechtsprechung 149 ff. Somalia 117, 120

Soraya-Entscheidung 60 f. Souveränität 109, 141 Sozialplan-Entscheidung 65 f. Sozialstaat 145, 148, 150 Sozialstaatsprinzip 66 Staatenverbund 138 Staatsziel Europa 139, 145, 147 Statusgarantie 77 Steuererfindungsrecht der Gemeinden 78 Streitkräfte 107 ff. – Aufstellung 109 – Definition 111 – Einsatz 107, 110 ff. Struktursicherungsklausel 145, 148 Subjektives öffentliches Recht 98 ff. Subsidiarität 96, 145, 148 Supranationalität 121, 138 System gegenseitiger kollektiver Sicherheit 108, 118, 120 f. Terrorismus 112, 114, 134 Totalrevision der Verfassung (Schweiz) 184 Transitorium, Grundgesetz als 168 Übermaßverbot 94 Übertragung von Hoheitsrechten 142 f., 145, 150 Untermaßverbot 22 Urteilsverfassungsbeschwerde 14 „Verabschiedung“ des Grundgesetzes 9, 141, 159 f., 187 Verbot des Angriffskrieges 108 Verbundföderalismus 41, 45 Vereinte Nationen 113 f., 116 f., 120, 122 ff., 126 Verfassunggebungsfunktion 177 Verfassungsänderung 17 f., 25 ff., 40 f., 109, 139, 143, 163 f., 183 ff. – Verfahren 18 Verfassungsbeschwerde 14, 54, 65

Sachverzeichnis Verfassungsfrage 23, 52, 177 ff. Verfassungsgerichtlicher Jurisdiktionsstaat 15 Verfassungsgerichtsvorbehalt 15 Verfassungsgrundsätze 155, 157 Verfassungshomogenität 145 Verfassungsidentität des Grundgesetzes 149 ff., 188 Verfassungsinterpretation 51 f., 62 f., 173 Verfassungskonforme Auslegung 13 f., 56, 59 ff. Verfassungskonsens 187 Verfassungskonvent 108 Verfassungspatriotismus 54, 173 Verfassungsprinzipien siehe Verfassungsgrundsätze Verfassungsreferendum 27 Verfassungswidriges Verfassungsrecht 176 Verflechtungsföderalismus 45 ff. Vergesetzlichung 24 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz / -prinzip 91, 94, 96 ff., 103, 157 Verrechtlichung der politischen Gestaltungsfreiheit 21, 24 Verrechtlichung der politischen Kultur 20 Verteidigung – Bündnisverteidigung 113, 118 – Definition 112 f., 124 f. – kollektive Selbstverteidigung 113 – Landesverteidigung 113 – Verteidigungsaufgabe 130 – Verteidigungsauftrag 115, 117 f., 134 f. – Verteidigungsbündnis 109, 124 – Verteidigungsfall 110, 112, 118 Vertrag von Lissabon 147 f., 158 Vertrag von Maastricht 139, 144 Vertrauensschutz 24 Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes 142

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Volksabstimmungen 17, 175, 184 f. Volksgesetzgebung 17, 19 Volkswahlen 17 Vollverfassung 162, 166 Vorbehalt des Gesetzes 65, 82 Vorrang der Verfassung 14, 54, 56, 64, 66, 73 Vorrang des Gesetzes 65 Wehrverfassung 110, 125, 134 f. – wehrverfassungsrechtliche Schaukeltheorie 134 – wehrverfassungsrechtlicher Parlamentsvorbehalt 126 f., 133 Weimarer Reichsverfassung (WRV) 18, 43, 81, 100 f., 161, 184 Weimarer Republik 30, 42, 163 Wertordnung, objektive 59, 61 Wesentlichkeitstheorie 24 Westeuropäische Union (WEU) 109, 113, 118, 120 f., 126, 130 Wettbewerbsföderalismus 44 Wiederbewaffnung 109 Wiedervereinigung 39, 43, 166 ff., 180 – Einigungsvertrag 170 ff., 182 – Einigungsvertragsgesetz 170 f. – Wiedervereinigungsfrage 177 ff. – Wiedervereinigungsfunktion 174, 177 Wirtschafts- und Währungsunion 144 Wittgenstein’sche Theorie 68 Wohnungsbau-Urteil 56 ff. Wortlautgrenze 68 f. Zustimmungsgesetz 43, 46, 131, 147, 151 f., 154, 158 Zwangsmaßnahmen, militärische 113 Zwischenstaatliche Einrichtung 142 ff.