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German Pages [152] Year 2019
LUSTRUM INTERNATIONALE FORSCHUNGSBERICHTE AUS DEM BEREICH DES KLASSISCHEN ALTERTUMS
herausgegeben von MARCUS DEUFERT, IRMGARD MÄNNLEIN-ROBERT und MICHAEL WEISSENBERGER
Band 60 · 2018
Vandenhoeck & Ruprecht
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2019, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2197-3849 ISBN 978-3-666-80235-5
Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Marcus Deufert Lucilius (1969–2016) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 von Walter Kißel / Erlangen Konkordanz der Ausgaben von F. Marx und W. Krenkel . . . . . . . . . . . . . . 133
Vorwort Zwanzig Jahre lang, von 2000 bis 2019, hat Michael Weißenberger das Lustrum herausgegeben. Seinen Entschluss, sich von dieser Aufgabe zurückzuziehen, bedauere ich, seit 2012 sein Mitherausgeber, sehr. Das Lustrum verdankt Michael Weißenberger viel: Mit großer Umsicht hat er aus ganz verschiedenen Bereichen der Klassischen Philologie Forschungsberichte eingeworben, die Beitragenden mit liebenswerter Hartnäckigkeit betreut und mit seiner Sachkenntnis, seiner Gründlichkeit und seinem sicheren, gerechten Urteil viel Eigenes zur Qualität der Bände beigetragen. Er hat die Aufgabe des Herausgebers, bei aller Lockerheit in der Bewältigung des Tagesgeschäfts, mit gewissenhaftem Ernst erfüllt. Groß war dann auch seine Freude, dass es ihm gelungen ist, mit Irmgard Männlein-Robert eine jüngere gräzistische Kollegin als seine Nachfolgerin zu gewinnen, die von diesem Band an das Lustrum mitherausgeben wird. Für all das danke ich ihm herzlich und bin froh über sein Versprechen, auch künftig in schwierigen Fällen mit seinem Rat rechnen zu dürfen. Marcus Deufert
Lucilius (1969-2016)
von Walter Kißel / Erlangen Die Durchsicht der in den vergangenen knapp 50 Jahren erschienenen Lucilius literatur hinterläßt einen letztlich recht gemischten Eindruck. An kommentierten Gesamtausgaben herrscht kein Mangel; doch obwohl sie alle in gewissem Umfang einen Fortschritt gegenüber der großen Edition von Friedrich Marx1 darstellen, weisen sie auch erhebliche Mängel auf, so daß das Desiderat einer allseitig befriedigenden Neuauflage des Luciliustextes fortbesteht. Und eher unergiebig blieb auch die beliebte Auswertung der Fragmente nach Themen, führt diese doch zu den immer gleichen, mehrheitlich längst bekannten Ergebnissen. Vorangekommen ist die Luciliusforschung indes vor allem bei der gedanklichen wie strukturellen Rekonstruktion einzelner Satiren(bücher) und - angesichts der kontextfreien Überlieferung der erhaltenen Textstücke eigentlich recht erstaunlich - der Entschlüsselung von Textbestand, Aussage und Kontextualisierung mancher Fragmente. Hier dürfte auch die Forschung der nächsten Jahre anzusetzen haben: Durch eine penible, auch die Erklärung der zitierenden Grammatiker berücksichtigende Analyse der Textzeugnisse wäre zuweilen eine Neuinterpretation zu gewinnen, vor allem aber die argumentative Absicherung bisheriger Erklärungen vorzunehmen; erst auf diesem Wege läßt sich die - als solche letzten Endes unvermeidliche - spekulative Komponente der Luciliusphilologie so weit reduzieren, daß sich ein einigermaßen belastbares Fundament für aussagekräftige Synthesen ergibt. In diesen sollte es dann möglich sein, den größten Fortschritt der aktuellen Luciliusforschung weiter auszubauen, will heißen, die Dichterpersönlichkeit des Lucilius vollends von den durch Horaz vermittelten Stereotypen zu befreien.2 Was den Berichtszeitraum angeht, versteht sich die nachstehende Dokumentation als Fortsetzung und Ergänzung des einschlägigen Beitrags von 1. J. C h r i s t e s , Lucilius. Ein Bericht über die Forschung seit F. Marx (1904/5), in: ANRW I 2, Berlin 1972, 1182-1239, der die Gesamtheit von fast sieben Jahrzehnten Luciliusphilologie zuverlässig abbildet, zuweilen jedoch auch mit eigenen Überlegungen in die Forschungsdiskussion eingreift und dadurch selber Eingang in den vorliegenden Bericht gefunden hat. Um für eine substantielle Würdigung der einzelnen Arbeiten wie auch für die Artikulation möglicher Bedenken Raum zu gewinnen, kam bei der Auswahl der zu behandelnden 1 C. Lucilii carminum reliquiae recensuit enarravit F.M., 2 Bde., Leipzig 1904-1905. 2 Einige Anregungen hierzu bietet die kurze Desideratenliste bei M. v o n A l b r e c h t , Geschichte der römischen Literatur, Bd.1, Bern 1992, 215: "Seine [= des Lucilius] Sprachpflege und Formkunst, seine Leistung als Lebensphilosoph, Psychologe und Kulturphysiognomiker und als Ahnherr späterer Moralisten und Essayisten harren noch der Würdigung."
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Walter Kißel
Schriften ein eher strenger Maßstab zum Einsatz: Von wenigen - begründbaren - Ausnahmen abgesehen, wurden Untersuchungen, die Lucilius in einen umfassenderen Rahmen stellen und damit nicht eigentlich autorspezifischen Charakter aufweisen, von der Besprechung ausgeschlossen, Darstellungen zur Gattung Satire, zu politischen, sozialen und kulturellen Verhältnissen der Zeit (etwa zur Politik der Gracchen oder zum Scipionenkreis) mithin ebenso ausgeblendet wie alle Literaturgeschichten und die Mehrheit der auf die Luciliusnachfolger Horaz, Persius und Juvenal bezogenen Arbeiten, die den Archegeten der Gattung ohne besondere Fokussierung erwähnen, teilweise jedoch über ein wenig aussagekräftiges Inhaltsreferat mit dem Stichwort 'Lucilius' sogar Aufnahme in die einschlägige Rubrik der Année Philologique gefunden haben. Bei der Entscheidung, ob die im Bericht verwendete Fragmentzählung den Ausgaben von Marx oder aber Krenkel folgen sollte, wurde nach einigem Zögern letzterer der Vorzug gegeben: Bestimmend hierfür waren der bessere Text, der aktuellere Forschungsstand und letztlich auch die beigegebene Übersetzung, die beim Zugriff des Lesers auf die kontextlos überlieferten Luciliusverse eine große Erleichterung darstellt. Eine am Schluß des Berichtes angefügte Konkordanz Krenkel - Marx (und umgekehrt) soll seine Benutzbarkeit auch für Besitzer der Marx'schen Ausgabe sicherstellen; dafür, daß der Rückgriff auf andere Editionen (Terzaghi, Warmington, Charpin, Christes) eine doppelte Umrechung (über die dort vorhandenen Tabellen mit Angabe der MarxZählung) erforderlich macht, sei an dieser Stelle um Nachsicht gebeten.
Inhalt I.
Forschungsbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
II.
Ausgaben, Übersetzungen, Kommentare . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
III.
Konkordanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
IV.
Überlieferung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
V.
Sammelband . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24
VI.
Autor und Werk im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
VII. Biographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 VIII. Persönlichkeit und Wertmaßstäbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 IX.
Literarischer Standort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44
X.
Werkchronologie und -titel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50
XI.
Personen und Motive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52
XII. Künstlerische Gestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 XIII. Sprache und Stil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 XIV. Metrik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 XV.
Einzelne Satiren(bücher) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 1. Satiren(bücher) aus der späteren Sammlung . . . . . . . . . . . . . . . . 63 2. Satiren(bücher) aus der früheren Sammlung . . . . . . . . . . . . . . . 71
XVI. Einzelstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 1. Fragmente aus mehreren Büchern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 2. Fragmente aus Buch 1-21 (= fr.1-580) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 3. Fragmente aus Buch 22-25 (= fr.581-588) . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 4. Fragmente aus Buch 26-30 (= fr.589-1109) . . . . . . . . . . . . . . . . 96 5. Hexametri incertae sedis (fr.1110-1341; 1355-1365) . . . . . . . . . . . 102 6. Das virtus-Fragment (fr.1342-1354) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 7. Dubia, spuria, nova . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 XVII. Rezeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 1. Altertum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 2. Renaissance und Neuzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129
I. Forschungsbericht 2. W.S. A n d e r s o n , Recent work in Roman satire (1968-1978), CW 75, 1 981-1982, 273-299. Für den Berichtszeitraum sind keine aussagekräftigen Forschungsberichte über Lucilius zu vermelden: A n d e r s o n (2) bietet kaum mehr als eine Aufzählung der in diesem Jahrzehnt erschienenen Titel.
II. Ausgaben, Übersetzungen, Kommentare 1. Ausgaben, Kommentare 3. Lucilius Satiren, lateinisch und deutsch von W. K r e n k e l , 2 Teile, Leiden 1970, 771 S. Rez.: F r a s s i n e t t i , Athenaeum 50, 1972, 390-400; H o f m a n n , DLZ 93, 1972, 984-987; G r a t w i c k , JRS 63, 1973, 302-304; P i e r i n i , Gnomon 45, 1973, 550-557; Ve r d i è r e , RSC 21, 1973, 463-464; Wa s z i n k , Mnemosyne 26, 1973, 311-314; W h i t e , CPh 68, 1973, 36-44; G o o d y e a r , CR 25, 1975, 206-209. 4. Lucilius, Satires, Texte établi, traduit et annoté par F. C h a r p i n , tome I (Livres I-VIII), Paris 1978, 293 S. (tlw. doppelt gezählt). Rez.: H e u r g o n , REL 56, 1978, 453-459; A n d r é , RPh 53, 1979, 116-119; C è b e , Latomus 38, 1979, 701-702; K n e c h t , AC 48, 1979, 688-690; C o r b e t t , Scriptorium 34, 1980, 163-164; G a r b u g i n o , Maia 32, 1980, 88-91; J o c e l y n , CR 30, 1980, 16-18; S e g u r a d o e C a m p o s , Euphrosyne 10, 1980, 157-163; D e g l ' I n n o c e n t i P i e r i n i , A&R 26, 1981, 50-61; D e s c h a m p s , REA 83, 1981, 127-130. tome II (Livres IX-XXVIII), Paris 1979, 341 S. (tlw. doppelt gezählt). Rez.: A n d r é , RPh 54, 1980, 367-369; C è b e , Latomus 40, 1981, 127-129; C h r i s t e s , Gnomon 53, 1981, 539-545; D e s c h a m p s , REA 83, 1981, 127-130; G a r b u g i n o , Maia 33, 1981, 95-97; K n e c h t , AC 51, 1982, 434-436. tome III: Livres XXIX, XXX et fragments divers, Paris 1991, 343 S. (tlw. doppelt gezählt). Rez.: C è b e , REL 70, 1992, 268-269; H e r r e r a , Helmantica 43, 1992, 271-272; Wa n k e n n e , LEC 60, 1992, 84; J o c e l y n , CR 43, 1993, 41-43; D e s c h a m p s , Latomus 53, 1994, 176-177; K n e c h t , AC 63, 1994, 406-407. 5. Lucilius Satiren. Lateinisch und deutsch, eingeleitet, übersetzt und erläutert von J. C h r i s t e s und G. G a r b u g i n o , Darmstadt 2015, 560 S. Rez.: We i t z , IFB 23,3, 2015, o.S. (ifb.bsz-bw.de/bsz414979931rez-1.pdf ); R o c h e t t e , AC 85, 2016, 301-303.
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2. Anthologien 6. Roman verse satire, Lucilius to Juvenal. A selection with an introduction, text, translations, and notes by W.J. D o m i n i k and W.T. We h r l e , Wauconda (Ill.) 1999. Rez.: K e a n e , BMCR 2000.04.23; d i e s . , CO 78, 2000-2001, 138. 7. Latin verse satire. An anthology and critical reader. Edited with an introduction and commentary by P.A. M i l l e r , London 2005. 8. C.C. K e a n e , A Roman verse satire reader. Selections from Lucilius, Horace, Persius, and Juvenal, Mundelein (Ill.) 2010. Untersuchungen mit Kommentarcharakter zu den Büchern 20, 26 und 30 sind unter XV. 'Einzelne Satiren(bücher)' besprochen. 3. Übersetzungen 9. Römische Satiren in einem Band. Ennius, Lucilius, Varro, Horaz, Persius, Seneca, Petron, Juvenal, Sulpicia, hg. von W. K r e n k e l , Berlin 1970 = Darmstadt 1976, 2 1977, 31984, 41990. 10. G. D i M a r c o , Gaio Lucilio, epifanie ed illuminazioni, testo a fronte, Roma 1989, 172 S. 11. La sátira latina. Edición de J. G u i l l é n C a b a ñ e r o , Madrid 1991, 616 S. Rez.: D e l i c a d o M é n d e z , Helmantica 43, 1992, 439. 12. Lucilius. Alles holt nu achteruit! Satiren, verzamelde fragmenten ingeleid, bezorgd en vertaald door V. H u n i n k , s'Hertogenbosch 2008, 310 S. (online verfügbar als 'tweede, digitale editie, Nijmegen 2011' unter www.vincenthunink.nl/documents/ BLA4.pdf ). Rez.: H e e r i n k , Hermeneus 81, 2009, 249. 1. Ausgaben, Kommentare In der Einführung zu seiner zweisprachigen Luciliusausgabe (9-45 bzw. 62)3 äußert sich K r e n k e l (3) zum 'Ursprung der Satura', zu 'Ennius'4, 'Pacuvius und Spurius Memmius' sowie 'Lucilius' selbst, wobei hier Leben (Familie, Lebensdaten, Besitzungen, Freunde und Feinde, Gesundheit und Tod, Schaffenszeit)5 und Werk (Metra, drei Sammlungen der Satiren, Entstehungszeit, Titel, Nachleben, Überlieferung) zur Sprache kommen, eine Würdigung von Stil, Metrik, Gedankenwelt und dichterischer Leistung jedoch unterbleibt. Ein letzter Abschnitt ist Nonius Marcellus und der von 3 Im letzten Drittel dieses Abschnitts (46-62) sind die in ihm herangezogenen Testimonien zusammengestellt, jedoch nur in deutscher Sprache ausgeschrieben. 4 Dieses Kapitel bietet letztlich kaum mehr als einen Abdruck der für Ennius bezeugten Satirenfragmente; wieder wird der Text ausschließlich auf deutsch vorgelegt. 5 Die Untergliederung wird nicht streng durchgehalten: So finden sich Bemerkungen zur Ausbildung des Satirikers unter 'Besitzungen' (21).
Lucilius (1969-2016)
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ihm befolgten Arbeitsweise gewidmet; gerade hier sind K. jedoch gravierende Fehleinschätzungen unterlaufen: Vor allem ignoriert er die essentiell unterschiedliche Aussagekraft von Stamm- und Anhängselzitaten6, überschätzt jedoch auch die Möglichkeiten einer Reihenverzahnung durch Doppelzitate: Wo zwei Reihen in einem Zitat übereinstimmen, bildet dieses ein Scharnier, um das sich nun beide Reihen gruppieren lassen, jedoch ohne daß dadurch eine Verflechtung der zu diesen Reihen gehörenden Einzelfragmente möglich würde. Zwar berichtigt K. den Irrtum von Marx, wonach die Reihen der von Nonius in absteigender Folge exzerpierten Luciliusbücher 26-30 ebenfalls rückläufig zu lesen wären; doch auch so wird die Entscheidung für die abzudruckende Textfolge einer wesentlichen Voraussetzung beraubt.7 Große Verdienste erwirbt sich K. indes mit den von ihm Somnia genannten Inhaltsübersichten (63-103), in denen er nicht nur die übergreifende Thematik der 30 Satirenbücher kurz umreißt, sondern jedes einzelne Fragment an dem ihm zugewiesenen Platz in diese Thematik zu integrieren sucht. Keiner seiner Vorschläge kann natürlich irgendeine Form von Gültigkeit beanspruchen; doch wird so ein brauchbarer Ausgangspunkt für die weitere Forschungsdiskussion geschaffen. Die Schlüssigkeit der Rekonstruktion hätte allerdings noch gewonnen, wenn dabei auch die fragmenta incertae sedis in irgend einer Form Berücksichtigung gefunden hätten: Diese werden zwar im Kommentarteil an Stellen erwähnt, zu denen sie zu passen scheinen, dort aber nicht mehr zum Gesamtinhalt des Buches/der Satire in Beziehung gesetzt.8 Der im Hauptteil des Buches gebotene (im übrigen leserfreundlich skandierte) lateinische Wortlaut unterscheidet sich wohltuend von dem einigermaßen unzuverlässigen Text der Luciliusausgabe von Marx; wo K. selber durch Konjektur in die Überlieferung eingreift, ist jedoch oft die Grenze zur Spekulation (vgl. fr.3 f.; 190 f.; 654 f.; 712), manchmal gar zum sprachlichen Lapsus überschritten.9 Die deutsche Übersetzung ist im ganzen zuverlässig, nur selten durch Fehler oder Mißgriffe in der Phraseologie beeinträchtigt.10 Weniger vermögen jedoch die jedem Fragment beigesellten Einzelerläuterungen11 zu überzeugen: Sicher sind diese nicht mit gleicher Elle wie
6 Vgl. hierzu im Abschnitt IV. 'Überlieferung'. 7 Daß K. zur Entlastung der späteren Apparate Lindsays Siglenliste der Nonius-Hss. abdruckt (43 ff.), ist zu begrüßen; die Identifikation der entsprechenden Kürzel für Isidor (fr.15), Laktanz (fr.51) oder Donat (fr.215) bleibt dann allerdings dem Benutzer aufgebürdet. 8 Zuweilen fehlt es auch an der Kongruenz zwischen Somnium und späterem Kommentar: In fr.204 wird mit "ein paar Äpfel(n)" gerechnet (179), während ursprünglich "reichlich wäßrige Weintrauben" (67) im Spiel sein sollten. 9 "It is not a pleasure to contemplate Mr. Krenkel's Latinity in conjectures" (G r a t w i c k rec., 303). 10 Vgl. etwa fr. 16 semnos 'in gravitätischen Situationen'; 463 fecisse videri 'schuldig zu scheinen'; 706 appello 'in die Rede falle'; 1292 in ludo ac rudibus 'im Wettkampf mit dem Rapier'. Im Testimonium zu fr.429 bedeutet vernaculus nicht 'hausbacken', sondern 'bodenständig', in dem zu fr.1267 ἄνθη nicht 'Stilblüten', sondern 'Glanzstellen'. 11 K.s Vorstellungen vom übergreifenden Zusammenhang bleiben zur Gänze in die Somnia ausgelagert.
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ein regelrechter Kommentar zu messen12; doch befremdet das Gebotene durch seine Unausgewogenheit: In ihrer Kürze eher kryptische Notate und unerklärliche Leerstellen wechseln mit Ausführungen ohne wirklichen Bezug zum Text, Stellenlisten ohne Nachweis ihrer Funktion oder modernen Parallelen ohne erkennbaren Mehrwert (vgl. fr.625: zur pädagogischen Funktion der Satire; 1366 f. zum Abbeißen eines Ohres).13 Abweichungen von Buchangabe oder Worterklärung des Nonius bleiben unerwähnt; vorgefaßte Ansichten (insbesondere über die nachgerade als basso continuo der Luciliussatiren eingestufte Gegnerschaft des Satirikers zum collegium poetarum) treten zuweilen in den Vordergrund. Den Abschluß des Werkes bilden eine Konkordanz der von Marx und Krenkel verwendeten Fragmentzählung (739-757), zwei Register von Namen, Sachen und Wörtern (759-771; letzteres äußerst selektiv) sowie eine kleine Auswahl von - qualitativ enttäuschenden und sachlich zudem mehrheitlich irrelevanten - Tafeln. Ungeachtet aller vorgenannten Defizite ist jedoch das - für die Luciliusphilologie eher beschämende Urteil "As far as it goes, his (=Krenkels) edition is the best available" (G o o d y e a r rec., 207) vollauf berechtigt. Die in der 'Edition Budé' angesiedelte Gesamtausgabe der Luciliussatiren von C h a r p i n (4) ist dagegen als deutlicher Rückschritt einzustufen: Da der Vf. in dem komplexen Befund der Noniuszitation kein übergreifendes System zu erkennen vermag14, erklärt er es kurzerhand für unmöglich, aus der Zitatenfolge bei Nonius - sei es mit Marx, sei es der Lex Lindsay entsprechend (vgl. hierzu Abschnitt IV. 'Überlieferung') - ein Kriterium für die Organisation des authentischen Luciliustextes zu gewinnen. Folgerichtig verzichtet er auf jeden Versuch einer rekonstruierenden Fragment reihung und arrangiert sein Material nach äußerem Augenschein.15 Mit Buchangabe überlieferte Fragmente sind - für jedes Buch neu gezählt16 - grob nach Maßgabe ihres Inhalts angeordnet: So werden für Buch 1 die Rubriken 'Prologue' (fr.I,1-3), 'L'assemblée des Dieux' (fr.I,4-7), 'La dépravation des Romains' (Fr.I,8-15), 'La discussion des Dieux' (Fr.I,16-26) und 'Cornelius Lentulus Lupus' (fr.I,27-33) angesetzt17; andere Bücher enden offenbar auf einen Abschnitt 'Verschiedenes'. Nur mit dem Autornamen tradierter Text ist - nach Metren geordnet - unter die 'Fragmenta incertae sedis' eingereiht, unter denen die hexametrischen (H 1-189) ebenfalls weitgehend inhaltsbe-
12 Das mehr als luftige Layout der beiden Bände hätte allerdings durchaus Raum für eine ausführlichere Kommentierung geboten. 13 Wenig hilfreich auch der Verweis auf - mitunter fachfremde - Sekundärliteratur: "W.C. Williams bei H.M. Enzensberger: Einzelheiten I, Frankfurt 1962, 277" (105 zu fr.2), oder: "Die Situation könnte jener vergleichbar gewesen sein, die G. Casanova: Erinnerungen, München-Leipzig 1907, Bd.8, 172 f. (vgl. Bd.7, 168 ff.) erzählt" (559 zu fr.1041 f.). 14 Vgl. ausführlich Ch. (15); seine diesbezüglichen Fehleinschätzungen sind durch C h r i s t e s rec., 540 f. gegenstandslos geworden. 15 Zur Ausformulierung der dabei befolgten Prinzipien vgl. I 62-64. 16 Dabei ergeben sich Zitationsungetüme wie 'XXVIII,17'. 17 Als Grobgliederung ergibt sich somit (I 80 Anm.7): "… d'un côté le contenu de la discussion (8-15), de l'autre côté, tout ce qui relève d'interventions personnelles (16-33)."
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zogen18, die jambischen und trochäischen hingegen (SN 1-8 bzw. SP 1-21) - wie traditionell üblich - alphabetisch nach dem Anfangsbuchstaben ihres ersten Wortes sortiert sind; und dieses Ordnungsprinzip - drei metrische Gruppen (diesmal um 'Fragmenta rythmi(!) incerti' vermehrt), alphabetische Anordnung der Einzelfragmente - bestimmt schließlich auch die erst von der Forschung mit Lucilius in Verbindung gebrachten 'Dubia' (D 1-44).19 Neben dieser Zerschlagung aller Zusammenhänge weist die Aufbereitung des Textes jedoch noch weitere gravierende Schwächen auf:20 1. Das von Ch. vertretene Prinzip, mit allfälligen Konjekturen möglichst wenig in den - verheerend schlecht überlieferten - Noniustext einzugreifen, führt mitunter zu kaum erträglichen Merkwürdigkeiten. 2. Da sich Ch.s textkritischer Apparat nur auf den Wortlaut der Fragmente selbst erstreckt, bleiben interpretationsrelevante Varianten im umgebenden Testimonientext unberücksichtigt; dies betrifft insbesondere die zwischen verschiedenen Zweigen der Noniusüberlieferung divergierenden Angaben zum Fundort der Luciliuszitate (Buchzahlen!). 3. Auch soweit vorhanden, reproduziert der Apparat nur die ärmlichen Notate der Noniusausgabe von Lindsay incl. aller Fehler; die Fortschritte der Noniusphilologie, gerade was die Neubewertung der einzelnen Handschriften angeht, bleiben völlig ausgeblendet. 4. Schließlich ist in einer Mehrzahl von Fällen eine fehlerhafte Zuschreibung von Konjekturen zu konstatieren. Im Unterschied zur Textpräsentation wird die Kommentierung ihrerseits allen an diese Literaturgattung zu stellenden Anforderungen in eindrucksvoller Weise gerecht: Sprache und Stil, Metrik und historisch-politisch-literarischer Hintergrund werden - wenn auch nur auf die Einzelstellen bezogen - ebenso ausführlich wie sachkundig erläutert, die Erklärungen früherer Interpreten diskutiert und - wo nötig - widerlegt, verdeutlichende Parallelstellen jeweils ausgeschrieben. Störend treten allenfalls einige Widersprüche zwischen Übersetzung und Kommentar sowie manch fehlerhafte Wiedergabe älterer Forschungspositionen in Erscheinung; und auch durch die nachgerade obsessiv wiederholte Abwertung aller bis dato vorgetragenen Kontextualisierungsversuche als haltloser Spekulationen setzt sich Ch. mehrfach ins Unrecht. Im Ergebnis besticht jedoch das klare, vernünftige Urteil, mit dem er entweder - so in der Regel - aus den Vorgaben der Forschung auswählt oder - weit seltener - eigene Beiträge vorstellt: Als besonders pfiffig - wenn auch vielleicht nicht überzeugend - fällt die Deutung von fr.IX,11 (=356 f. Kr.) cum dare furi / iusseris als Synonym für 'jamais' ins Auge (II 192), würde so doch der scheinbar unauflösbare Widerspruch zu fr.358 aufgehoben. Neben Text, Übersetzung und Kommentar bietet Ch. noch eine gelungene 'Introduction' (I 7-67) zu Autor und Werk, zur Textgeschichte und zu methodischen Pro 18 Die sechs zur Anwendung kommenden Gruppen sind III 95 f. aufgeführt. 19 Darunter ein von J. Soubiran aus Cic.dom.47 neu erschlossenes Fragment (D 32). 20 Belege für die einzelnen Monenda bieten die Rezensionen von André, Garbugino, Jocelyn und Knecht.
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blemen im Umgang mit nur in Zitatform überlieferten Textbruchstücken sowie - in jedem der drei Bände - eine Konkordanz der Fragmentzählung nach den Ausgaben von Marx und Charpin; dem Bedürfnis des Benutzers nach einer Bibliographie und erschließenden Indices ist nur durch eine spärliche Literaturliste (I 68-71) und einen 'Index nominum' (III 321-326) Rechnung getragen. Bedauerlich bleibt, daß sich Ch. durch den kompromißlosen Verzicht auf eine konkrete Verortung der Einzelfragmente einer wesentlichen hermeneutischen Erkenntnisquelle beraubt: Wäre doch gerade auf diesem Wege nicht zuletzt auch das Verständnis der isolierten Textzeugnisse zu fördern gewesen. Die kommentierte Bilingue von C h r i s t e s - G a r b u g i n o (5)21 bietet schließlich zu jedem Fragment neben einer ansprechenden deutschen Übersetzung Erläuterungen in Fußnotenform, die ungeachtet ihrer Kürze zuverlässig und nach aktuellem Forschungsstand22 über Inhalt und Kontextualisierung informieren23, dabei auch die wissenschaftliche Diskussion berücksichtigen und nicht zuletzt manche in früheren Publikationen von Ch. vertretenen Ansichten revidieren, nötigenfalls aber auch die Grenzen schlüssiger Deutungsmöglichkeiten aufzeigen. Was die Lektüre letztlich jedoch zu einem Ärgernis werden läßt, sind Umfang und Schwere redaktioneller Versäumnisse, die - anders als die unübersehbare Zahl einfacher Setz- und Druckfehler - für den Benutzer nicht ohne weiteres zu korrigieren sind: Lateinische Verse sind durch fehlenden oder aber fehlerhaften Zeilenumbruch entstellt (vgl. fr.625; 1045 f. Chr.), Zitate mit unrichtigen oder zumindest ungenauen Stellenangaben versehen; Querverweise auf die eigene Ausgabe(!) führen ins Leere.24 Über das Internet ist eine Liste mit einer dreistelligen Zahl der gravierendsten Corrigenda zugänglich25 ('Fragmente mit fehlerhafter Präsentation', 'Liste fehlerhafter Angaben'); ohne deren Einarbeitung ist das Buch schlechterdings nicht zu benutzen. Ergänzt wird das Werk durch eine knappe Einleitung (9-14), welche nach Art eines Handbuchs die nötigen Fakten zu Leben und Werk auflistet und Lucilius zudem unter dem Aspekt "Archeget … der Persönlichkeitsdichtung" (13) würdigt, seine Rolle als in 21 G. wurde zu dem Projekt hinzugezogen, "als ich [= J.C.] an seiner Fertigstellung zu zweifeln begann" (8), und zeichnet für "die Bücher XXVII-XXIX sowie die ohne Buchangabe überlieferten Senare und Septenare" (ebd.) verantwortlich; in diesen Abschnitten scheint sich auch das Personalpronomen 'ich' auf G. zu beziehen (261; 354; 357). Seine Beiträge selbst, ursprünglich in italienischer Sprache abgefaßt, sind von Ch. ins Deutsche übertragen, seine Übersetzungen im Anmerkungsteil auch auf Italienisch nachzulesen. 22 Dies gilt nicht für alle Einzelfragen: Zu fr.1113 oder 1260 f. Chr. (= fr.1122 bzw. 1212 f. Kr.) hätten Textgestaltung und Erklärung durchaus von M o r e l l i (199) und F u c h s (198) profitieren können. 23 Allzu sehr kondensiert ist dieser Anmerkungsapparat allerdings dort, wo Ch. für die Interpretation oder gar seine eigene Meinung nur auf die Sekundärliteratur verweist; vgl. etwa 23 zu fr.18 Chr.: "Ich schließe mich hier … an"; 31 zu fr.51 ff. Chr.: "Zur Deutung …" 24 Allem Anschein nach ist kurz vor Drucklegung eine Neunumerierung der Fragmente erfolgt, die in die Querverweise keinen Eingang mehr gefunden hat. 25 www.telemachos.hu-berlin.de/Lucilius.html. Hier haben sich allerdings neue Fehler eingeschlichen: vgl. etwa "440 n.1151" (lies: 1152-53); "445 fr.161-67" (lies: 1161-67); "458 fr.1158" (lies: 1198).
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ventor der Gattung aber ausblendet, überdies eine hübsche Karte zum Iter Siculum und eine Konkordanz Marx - Christes, vor allem aber ein aufschlußreiches Kapitel über 'Die lex Lindsay' (541-546), das die Lucilischen Noniusreihen nicht nur als Phänomen erklärt, sondern auch im Widerstreit der Forschung diskutiert. Fazit: Als ebenso aktueller wie kundiger Einstieg in die Erklärung jedes einzelnen Fragments ist der Kommentar letztlich unverzichtbar; als ständiges Arbeitsinstrument wird man ihn jedoch wegen seiner Mängel nicht heranziehen wollen. 2. Anthologien Im englischen Sprachraum hat Lucilius nur in einige für Unterrichtszwecke gedachte Textsammlungen Eingang gefunden: D o m i n i k - We h r l e (6) bieten den lateinischen Wortlaut - für Lucilius im wesentlichen nach Warmington, Remains of Old Latin -, einfache Verständnishilfen und eine englische Übersetzung zu einigen disparaten Bruchstücken "selected with a view toward illustration of the diversity of his subject-matter" (5), nämlich Pers.1,126 sowie fr. 5; 37 f.; 67; 89-95; 541-547; 689 f.; 1252-1258 und 1342-1354; die einschlägige Bibliographie umfaßt gerade einmal 2(!) Titel, darunter die längst schon obsolete Luciliusstudie von F i s k e .27 - In die primär "for students and teachers of advanced undergraduate and MA level classes" (S.VII) gedachte Textauswahl von M i l l e r (7) haben die Luciliusfragmente 589-594; 626 f.; 1007-1011; 1023 ff.; 1051 f. (aus Buch 26 und 30) sowie 98-118; 266 f.; 280; 302-308; 422 ff. (aus den Büchern 3, 7, 8 und 11) und das virtus-Fragment Eingang gefunden; die Erläuterungen zum lateinischen Text (111-117) sind in erster Linie sprachlich orientiert. - Entsprechend bietet K e a n e (8) in ihrer Satirenanthologie für "advanced undergraduate Latin students" (VII) den Text von fr.151-160; 1207 (Gladiatorenkampf ); 490-495 (Aberglauben); 1252-1258 ('rat-race') und 1342-1354 (virtus-Definition) zusammen mit einfachen Verständnishilfen. 3. Übersetzungen In die von ihm besorgte deutschsprachige Satirenausgabe hat K r e n k e l (9) über 500 Luciliusfragmente28 im Wortlaut der aus seiner editio maior (3) bekannten Übersetzung aufgenommen29 und mit verbindenden Zwischentexten versehen; mangels Markierung ist dabei nicht immer zu erkennen, daß K. auch Testimonien und eigene Textergänzungen mitüberträgt (vgl. fr.27; 370; 607). Befremdlich bleibt überdies die 26 Der Vers wird von Krenkel nicht als Fragment geführt. 27 G.C.F., Lucilius and Horace. A study in the classical theory of imitation, Madison 1920 (= Hildesheim 1966); zu deren Bewertung vgl. S u e r b a u m (24), 318: "[D]ie einflußreiche, doch oberflächliche Untersuchung [hat] nurmehr den Wert einer umfassenden Stellensammlung." 28 Berücksichtigung fanden der annähernd komplette Textbestand der Bücher 1, 3, 5, 7, 9, 17, 22 und 30, Teile von Buch 6, 8, 15, 26-28 sowie das virtus-Fragment. 29 Die wenigen Änderungen sind keiner bestimmten Tendenz (etwa zu sprachlicher Normalisierung) zuzuordnen: So wird in fr.263 (quiritans) 'krakeelen' durch 'landsleuten'(!), in fr.639 (deplo cassere) dagegen 'entbechern' durch 'enteignen' ersetzt.
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Tatsache, daß die Numerierung der Fragmente bis in die 4. Auflage von 1990(!) nicht mit der von K. selbst in seiner zweibändigen Ausgabe eingeführten Zählung abgeglichen wurde: Die vierstelligen Fragmentzahlen sind durchgängig um eins zu niedrig angesetzt. Die italienische Übersetzung ausgewählter Luciliusstellen durch D i M a r c o (10) ist nicht nur stilistisch unsicher30, sondern für den Philologen gänzlich unbrauchbar: In nicht weiter begründeter Anordnung31 sind motivisch verwandte Verse zu größeren, mitunter centonenhaft anmutenden Einheiten zusammengestellt; da ohne Fragmentzählung präsentiert, kann der Text noch nicht einmal zum Wortlaut anderer Ausgaben in Beziehung gesetzt werden. Die spanischsprachige Satirenausgabe von G u i l l é n C a b a ñ e r o (11) enthält zu jedem Autor eine kurze Einleitung (Daten, Leben und Werk, Auswahlbibliographie), den übersetzten Text und knappe Erläuterungen in Fußnotenform; Lucilius sind die Seiten 39-152 gewidmet. Die erste niederländische Gesamtübersetzung der Luciliusfragmente durch H u n i n k (12) folgt in Text und Fragmentzählung der Ausgabe von Charpin.32 Die - in Versen gehaltene - Wiedergabe selbst setzt sich zum Ziel, den Text ebenso behutsam wie leserfreundlich zu modernisieren und so die Anzahl erklärender Zusätze (zu den einzelnen Büchern, zu manchen Fragmentgruppen, knapp 30 Anmerkungen am Schluß des Buches) auf ein Mindestmaß zu beschränken. Eine kurze, für den Laien konzipierte Einführung in Leben und Werk des Satirikers (7-18)33 sowie eine Synopse der Fragmentnummern nach Charpin und Marx (295-310) komplettieren das Werk.
III. Konkordanz 13. C. Lucilii reliquiarum Concordantiae, conscripsit A. C h a h o u d , Hildesheim 1998, 368 S. Die lemmatische Luciliuskonkordanz von C h a h o u d (13) bietet ein vollständiges Inventar des in den Fragmenten belegten Wortschatzes; vocabula Graeca und Eigen
30 Die Version oszilliert zwischen Wörtlichkeit und alberner Aktualisierung (63 zu fr.490 f. terriculas, Lamias, Fauni quas Pompiliique / instituere Numae: "Madonne e demoni, che i Wojtyla e i Khomeini hanno inventato…") und muß sich zudem banale Verständnisfehler vorhalten lassen (101 zu fr.1146 Cecilius pretor ne rusticus fiat: "che quel cafone di Cecilio non diventi pretore"). 31 Folgt man den Angaben des Vf., sind Textstücke nachstehender Provenienz aneinandergereiht: Buch 30, Incertae sedis, Bücher 1, 15, 17, 3, Incertae sedis, Bücher 2, 4, Incertae sedis reliquiae, Bücher 5-8, 10-12, 14, 19 (lies: 29), 14, 9, 19, 16, 14, 20, 11, 26-29; doch finden sich fragmenta in certae sedis auch in die einzelnen Bücher integriert. 32 Neu (und gewöhnungsbedürftig) dagegen die von H. praktizierte Buchzählung: 'oude satiren' B.1-5 (= 26-30), 'nieuwe satiren' B.1-21, 'epigrammen' B.1-4 (= 22-25). 33 En passant wird hier für Lucilius noch die - in den Juvenalsatiren angeblich aufgegebene Identität von Mensch und Dichter postuliert.
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namen werden dabei in gesonderten Abschnitten behandelt.34 Die Stichwörter sind, wo notwendig (vorzugsweise im Falle von Hapax legomena), mit kurzen Sacherklärungen versehen und, wenn erstmalig oder gar ausschließlich bei Lucilius bezeugt, mit entsprechenden Markierungen bedacht. Die Numerierung der einzelnen Belege vereint die Fragmentzählung nach Marx mit der - als Service beigegebenen - Buchnummer nach Nonius und Kollegen35; der ausgeschriebene Wortlaut umfaßt jeweils den überlieferten Kontext, in der Regel also das einschlägige Fragment in seiner Gesamtheit. Ein unschätzbarer Vorzug des Werkes ist darin zu sehen, daß es nicht auf eine einzige Textausgabe zugeschnitten ist36, sondern sinntragende Varianten und Konjekturen (diese letztlich seit der Ausgabe von F. Dousa, Leiden 1597!) mitbehandelt, Lücken und Fragwürdiges skrupulös vermerkt. Mustergültig ergänzt wird die Konkordanz durch einen Conspectus fontium et stu diorum (15-42), der für jedes einzelne Fragment den bezeugenden Autor und die um Wortlaut bzw. Erklärung bemühte Forschungsliteratur verzeichnet, einen - eher knapp geratenen - Index orationis et stili (317 ff.)37, einen Index frequentiae (320-353), der die Verwendungshäufigkeit der einzelnen Wörter, sowohl im ganzen wie nach Versmaßen unterschieden, ausweist, sowie - längst schon als Desiderat empfunden - eine alphabetisch nach den Anfangswörtern der Fragmente geordnete Concordantia selectarum editionum (354-368), die das Umrechnen von/nach Dousa, Lachmann, Mueller, Marx, Terzaghi, Warmington, Krenkel und Charpin erlaubt. Anlaß zur Kritik besteht offenbar nur in ganz wenigen Fällen, die allesamt nichts Grundsätzliches berühren.38 Kurzum: Die Konkordanz bietet ein vorzügliches Arbeitsinstrument; was Verständlichkeit und Zuverlässigkeit angeht, darf sie unter vergleichbaren Werken eine Vorbildfunktion beanspruchen.
IV. Überlieferung 14. V. F e r r a r o , Un' edizione di Lucilio diversa dalla nostra, RCCM 11, 1969, 153-159. 34 Praktischerweise subsumiert Ch. unter die Rubrik Graeca nicht alle Vokabeln mit griechischer Etymologie, sondern nur wirkliche Fremdwörter, die als solche auch noch in den Testimonien griechische Schreibung aufweisen. 35 Fragmenta incertae sedis sind mit dem Zusatz inc., sen. oder sept. versehen, die erst nach der Edition von Marx anfallenden Neuentdeckungen als Suppl. (gegebenfalls mit Nr.) gekennzeichnet. 36 Dies der entscheidende Nachteil des Index Lucilianus von L. B e r k o w i t z - T.F. B r u n n e r (Hildesheim 1968), der sich - ebenso einseitig wie unglücklich - am Wortlaut der Ausgabe von Terzaghi (21944) orientiert hatte und - da ohne jeden Verweis auf Marx u.a. - auch nur für Besitzer dieser Ausgabe benutzbar war. 37 Darin auch eine Auflistung von versus quos Lucilius imitatur vel respicit. 38 So vermißt man fr.328 (325 M.) einen Eintrag für ac, 879 (857 M.) für speciose, 1326 (1310 M.) für Thermopulas; und bei fr.1059 (1079 M.) Caeli plagas wäre ein Querverweis von/zu caelum erforderlich gewesen. Befremdlich allein Ch.s Umgang mit der Orthographie: "Cum codices ipsi non semper sibi constent, idem vocabulum saepe aliter alibi scripsi" (9). Entsprechend lauten die Lemmata compono, aber conbibo, impleo, aber inpono, committo, aber inmitto.
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15. F. C h a r p i n , Nonius Marcellus et le classement des fragments de Lucilius, RPh 52, 1978, 284-307. Neben der definitiven - etwa von Nonius benutzten - Luciliusausgabe scheint die Antike nach F e r r a r o (14) auch noch Teilausgaben gekannt zu haben39, von denen eine die zeitlich frühesten Satirenbücher 26-30 enthielt und entsprechend als B.1-5 präsentierte. Hierfür zieht Vf. folgende Beobachtungen heran: 1. Sowohl schol.Pers.1,2 hunc versum de Lucilii primo transtulit wie auch die erste Persiussatire insgesamt lassen sich auf die literarische Thematik von Lucil. XXVI beziehen.40 2. Der Nachricht von schol.Pers. 3,1 hanc satiram poeta ex Lucilii libro quarto trans tulit stehen inhaltliche Entsprechungen im 29. Luciliusbuch gegenüber. 3. Porph. zu Hor.sat.1,10,53 bezeugt gegen Accius gerichtete Polemik für Lucil. III; das einzig einschlägige fr.747 ist jedoch durch Non.p.226,25 M. = 336 L. für das 28. Buch in Anspruch genommen. "Questo è certamente uno dei motivi per cui molti dei frr. non traditi da Nonio sono assolutamente inspiegabili nel contesto in cui sono stati inseriti dagli editori moderni che hanno uniformato tutte le citazioni sull' edizione di Nonio" (158 f.). Auch S c h o l z (139) rechnet mit einer mehrsträngigen Luciliusüberlieferung; dabei datiert er die Edition moderner Buchzählung in die frühe Kaiserzeit: Horaz kenne noch eine ältere, dem Prinzip der Werkchronologie verpflichtete Ausgabe (mit den Büchern 26-30 am Anfang) und nenne daher, wo er Lucilius mit dem Beginn seines Werkes zitiert, die herausragenden Persönlichkeiten der Bücher 26-30, Laelius, Scipio, Metellus und Lupus (sat.2,1,62-68)41; wenn dagegen Persius 1,114 f. auf seinen Vorgänger unter Nennung der Namen Lupus (B.1) und Mucius (B.2) Bezug nehme, bediene er sich einer "neue(n) kaiserzeitliche(n) Ausgabe" (339), wie sie dann etwa auch Nonius zur Verfügung hatte. Ziel dieser Neuorganisation sei eine "die Versformen stufende Ausgabe" (339) gewesen, in der das von Lucilius selbst geschaffene Proöm für B.1 die Sammlung eröffnen konnte. Diese Begründung verfängt indes nicht: Varro ling.5,17 belegt kein Proöm, sondern nur einen Anfangsvers42; und die neuere Forschung sieht in B.1-21 ohnedies eine "postum veranstaltete Sammlung" (C h r i s t e s [140], 323). Ferner würde die von S. postulierte Neuordnung des Luciliustextes die metrischen
39 In diesem Sinne könnte Varro ling.5,17 Lucilius suorum unius et viginti librorum initium fecit hoc … verstanden werden. 40 In diesem Zusammenhang bleibt allerdings anzumerken, daß die Scholiennotiz zum Anfangsvers der Satire und damit gerade nicht in den von F. postulierten Zusammenhang gehört (vgl. ihre Fortsetzung durch et bene vitae vitia increpans ab admiratione incipit). 41 Hier genügt allerdings die von C h r i s t e s (140) vorgetragene Erklärung, daß Horaz unabhängig von jeder Luciliusausgabe eben "noch wußte, welche Bücher die frühesten und ältesten Satiren seines Vorgängers enthielten" (323). 42 Verfehlt ist auch die Annahme, Persius lasse mit seinem Satirenbeginn (1,1) diesen Anfangsvers (fr.1: aetheris et terrae genitabile quaerere tempus) anklingen; der Persiusscholiast bezieht sich ausdrücklich nicht auf eine Anspielung, sondern ein Zitat: hunc versum de Lucilii primo transtulit.
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Zusammenhänge gerade zerreißen: Nur in der alten Ausgabe wäre ja B.30 neben die anderen rein hexametrischen Bücher 1-21 zu stehen gekommen. Diesen - auch von S. konzedierten - Fehler soll dann Nonius zu beheben gesucht haben, indem er die Bücher 26-30 in absteigender Reihung durcharbeitete: Leitete ihn doch nach S. "das bewußte Prinzip eines Grammatikers43, der die traditionell gewordene Buchbezifferung zwar beibehält, unter dieser aber, seiner wissenschaftlichen Überzeugung entsprechend, eine Umsortierung der Lucilius-Bücher vornimmt und damit auch die Falschstellung von Buch 30 (…) korrigiert" (341), indem er dieses mit anderen daktylisch abgefaßten Büchern zusammenstellt. Weder vermag jedoch das Ergebnis einer solchen 'Sortierung' zu überzeugen ("1-21 Hexameter, (22-25 Distichen, also auch Daktylen), 30-26 Daktylen, Jamben, Trochäen": ebd.), noch kann Nonius auch nur an der metrischen Systematisierung der Satirensammlung interessiert gewesen sein: Seine Tätigkeit bestand ja gerade darin, diese in unzusammenhängende Einzelbelege zu zerschlagen.44 Zentrale Bedeutung für die Überlieferung (und die Rekonstruktion) des Lucilius textes kommt den sog. Noniusreihen ('Lex Lindsay') zu. In aller Kürze, doch mit der gebotenen Klarheit resümiert C h r i s t e s (130), 18-23 noch einmal das - von seinen Vorgängern allzumal inkonsequent oder gar fehlerhaft gehandhabte - Phänomen.45 Demnach spiegelt sich die von Nonius in der exzerpierten Quelle vorgefundene Textfolge 1. in der Abfolge der Stammzitate (= erste Belege zu jedem Lemma) innerhalb eines Noniusbuches; Ausnahme: die Noniusbücher 2-4, die eine nachträgliche Alphabetisierung der Lemmata aufweisen; 2. in der Abfolge der Anhängsel- bzw. Begleitzitate (= Zweit-, Dritt-, …-belege) innerhalb eines Lemmas (im Falle eines nach Bedeutungsschattierungen untergliederten Lemmas nur innerhalb des jeweiligen Unterabschnitts); 3. in der Abfolge Stammzitat - zugehöriges Anhängselzitat; Ausnahme: Buch IV mit sekundärer Umgruppierung der Unterlemmata zugunsten der Anfangsstellung eines für die Grundbedeutung des Wortes signifikanten Belegs. Die befremdliche Tatsache, daß Nonius die Luciliusbücher 26-30 (und nur diese) in absteigender Reihenfolge exzerpiert, und die hieraus resultierende Frage, ob auch die
43 Am Beruf des Nonius sind mittlerweile Zweifel laut geworden: Da er sein Werk nicht, wie unter Grammatikern üblich, einem Patron, einem Freund oder seinen Schülern, sondern seinem Sohn widmet, schließt R. K a s t e r , Guardians of language. The grammarian and society in late antiquity, Berkeley 1988, hier: 417 f., dieser sei nicht als Grammatiker, sondern als gelehrter Dilettant einzustufen. 44 Außerdem schiebt er in seinem Kompendium, wie C h r i s t e s (140) in Erinnerung ruft, zwischen der Benutzung von Lucil. I-XX/XXI (= seine Quelle 9) und XXVI-XXX (Quelle 25) 15 andere Autoren ein. 45 Mehrfach sieht sich Ch. veranlaßt, diese Rahmendaten zu wiederholen: vgl. (21), 74 f. und (5), 541-546. Die ausführlichste Diskussion und Illustration der Lex Lindsay incl. der fortbestehenden Probleme bietet immer noch D.C. W h i t e , The method of composition and sources of Nonius Marcellus, in: Studi Noniani 8, Genova 1980, 111-211.
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Noniusreihen innerhalb dieser Bücher rückläufig zu lesen sind46, kann Ch. in überzeugender Weise klären: Demnach geht die Anomalie nicht auf eine einmalig geänderte Arbeitsweise des Nonius (bzw. seiner Gehilfen) zurück47; vielmehr liegt ihm ein falsch gebundener Codex vor, der die einzelnen Lagen (jeweils ein Satirenbuch umfassend) in - vom Buchrücken aus gesehen - rechtsläufiger Folge enthielt48: Die Sequenz der Fragmente innerhalb der einzelnen Bücher bleibt hiervon gänzlich unberührt.49 C h a r p i n (15) diskutiert die verschiedenen Versuche der Forschung, aus der Quellenbenutzung des Nonius Gesetzmäßigkeiten abzuleiten, welche im Falle nicht überlieferter Ausgangstexte die Zitatfolge festzuschreiben vermögen:50 1. Friedrich Marx. Seiner Überlegung, wonach die Umkehr der natürlichen Reihenfolge bei den Luciliusbüchern 26-30 durch eine rückläufige Exzerpierung der betreffenden Buchrollen verursacht wäre und entsprechend mit einer inversen Abfolge der einzelnen Zitate einherginge, fehlt jede Grundlage: Mit keiner anderen Quelle ist das Noniuspersonal in dieser nachlässigen, die Texterfassung unnötig erschwerenden Weise verfahren; und an konkreten Beispielen läßt sich auch für die Bücher 26-30 eine Fragmentreihung 'selon l'ordre positif ' nachweisen. 2. Wallace Lindsay. Zahlreiche Widersprüche und Ungereimtheiten lassen Ch. auch an den Aussagen der Lex Lindsay zweifeln. Sicher trägt die Schwierigkeit, aus Glossarien bezogene Texte einer bestimmten Quelle zuzuordnen, ebenso wie manche Interpolation zur Verunklärung des Prinzips bei; daraus folgt jedoch nicht, daß dieses als solches an Geltung verlöre: Die Luciliusstellen sind erkennbar zusammenhängendem Text entnommen (Quelle 9: lib.1-20, zit. als Lucilius satyrarum libro …; Quelle 25: lib.26-30, zit. als Lucilius libro …); und für Autorenausgaben ist die Gültigkeit der Lex Lindsay anhand erhaltener Werke leicht nachzuprüfen.51
V. Sammelband 16. G. M a n u w a l d (Hg.), Der Satiriker Lucilius und seine Zeit, München 2001, 206 S. Darin: 9- 23 U. Auhagen, Lucilius und die Komödie (67) 46 In diesem Sinne Marx I, LXXXIII f. 47 Marx a.a.O. hatte mit einem rückwärts abgerollten volumen, K r e n k e l (Luciliana, in: J. I r m s c h e r u.a. (Hg.), Miscellanea critica, Teil 2, Leipzig 1965, 136-196, hier: 164 ff.) mit einem falsch bestückten Zettelkasten gerechnet. Eine gänzlich abwegige Erklärung bietet später Scholz (139; s. dazu oben). 48 Bedauerlicherweise widerruft C h r i s t e s (21), 76 mit Anm.105 diese Lösung. 49 Ergänzend verweist K r e n k e l rec., 207 auf die "Verzahnung von Reihen" bei Nonius; zum gleichen Ergebnis hatte aber auch schon die Beobachtung noniusgestützter, faktisch unumkehrbarer Handlungsabläufe geführt: vgl. W. K r e n k e l , Irreversibles bei Lucilius, Wiss.Zs.Univ.Rostock 15, 1966, 479-483. 50 Zu seinem Schaden ignoriert Ch. hier die einschlägigen Ausführungen von Christes (130) a.a.O. 51 Durch Ch.s unangemessen nihilistischen Standpunkt wird leider auch der Nutzen seiner 1978 begonnenen Luciliusausgabe (4) empfindlich geschmälert.
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24- 36 A. Bagordo, Lucilius und Kallimachos (68) 37- 50 T. Baier, Lucilius und die griechischen Wörter (100) 51- 62 J. Christes, Lucilius und das Epos (145) 63- 71 C.J.Classen, Lucilius und sein Pudding (45) 72- 89 S.Faller, Lucilius und die Reise nach Sizilien (117) 90-110 U. Gärtner, Lucilius und die Freundschaft (85) 111-120 K. Haß, Lucilius und die Frauen (86) 121-131 S. Koster, Lucilius und die Literaturkritik (87) 132-138 W.A.Krenkel, Lucilius und der Wertewandel (46) 139-149 E.Lefèvre, Lucilius und die Politik (47) 150-165 G. Manuwald, Lucilius und die Tragödie (69) 166-176 E. Olshausen, Lucilius und seine Zeit (48) 177-187 E. Schäfer, Lucilius und die Stadt Rom (88) 188-195 B. Zimmermann, Lucilius und Aristophanes (70) Rez.: A n d e r s o n , AJPh 124, 2003, 153-156; R o c h e t t e , AC 72, 2003, 405407; S c h o l z , Gymnasium 110, 2003, 502-503; P a n a y o t a k i s , CR 54, 2004, 88-89. Der von M a n u w a l d herausgegebene Sammelband (16) vereinigt die aus Anlaß eines Symposions über 'Lucilius - Identität und Alterität'52 an der Universität Freiburg gehaltenen Referate. Mehrheitlich beschränken sich diese auf eine Bestandsaufnahme des Status quo, wobei die dem Vortragsrahmen geschuldete Eingrenzung der behandelten Texte zuweilen negativ auf deren Tragkraft durchschlägt; die mechanische Anordnung der Beiträge nach Verfassernamen und das Fehlen einer vom Rahmenthema des Symposions inspirierten Einleitung beeinträchtigen zudem die Kohärenz des Bandes. Die Besprechung der einzelnen Arbeiten erfolgt jeweils am einschlägigen Ort.
VI. Autor und Werk im Überblick 17. E.S. R a m a g e , Lucilius, the discoverer of the genre, in: E.S.R. u.a. (Hgg.), Satirists and their satire. The fine art of criticism in ancient Rome, Park Ridge 1974, 27-52. 18. M. C o f f e y , Lucilius, in: d e r s . , Roman Satire, London 1976, 35-62 & 217226. 19. A. Tr a g l i a , Studi luciliani, C&S 59, 1976, 69-77. 20. A.S. G r a t w i c k , The satires of Ennius and Lucilius, in: E.J. K e n n e y W.V. C l a u s e n (Hgg.), The Cambridge History of Classical Literature, Bd.2: Latin Literature, Cambridge 1982, 156-171.
52 Dieses steht seinerseits im Zusammenhang mit dem Freiburger Sonderforschungsbereich 'Identitäten und Alteritäten. Die Funktion von Alterität für die Konstitution und Konstruktion von Identität'.
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21. J. C h r i s t e s , Lucilius, in: J. A d a m i e t z (Hg.), Die römische Satire, Darmstadt 1986, 57-122. 22. D. N a r d o , Lucilio, in: I. L a n a - E.V. M a l t e s e (Hgg.), Storia della civiltà letteraria greca e latina, Bd.2: Dall' ellenismo all' età di Traiano, Torino 1998, 390-401. 23. W.J. Ta t u m , Lucilius, in: W.W. B r i g g s (Hg.), Ancient Roman writers (=Dictionary of literary biography Bd.211), Detroit 1999, 149-153. 24. W. S u e r b a u m , C. Lucilius, in: d e r s . (Hg.), Die archaische Literatur. Von den Anfängen bis Sullas Tod. Die vorliterarische Periode und die Zeit von 240 bis 78 v.Chr. (= R. Herzog - P.L. Schmidt (Hgg.), Handbuch der lateinischen Literatur der Antike, Bd.1), München 2002, 304-318. 25. F. M u e c k e , Rome's first "satirists": themes and genre in Ennius and Lucilius: in: K. F r e u d e n b u r g (Hg.), The Cambridge companion to Roman satire, Cambridge 2005, 33-47; ital.: Ennio e Lucilio. La doppia nascita della forma satirica, in: K. F r e u d e n b u r g u.a. (Hgg.), Musa pedestre. Storia e interpretazione della satira in Roma antica, Roma 2007, 37-57 & 224 f. 26. M. P o l á k o v á , The division of Lucilius' fragments, a personal opinion of the topic satire in Lucilius' preserved fragmentary work, Graeco-Latina Brunensia 16,1, 2011, 41-48. 27. E. M u r a , Lucilio: un intellettuale del II secolo a.C., Diss. Sassari 2012, X & 461 S. URL: http://eprints.uniss.it/6713/1/Mura_E_Lucilio_ un_intellettuale_del. pdf, Stand: 27.12.2017. An aussagekräftigen Gesamtdarstellungen hat der Berichtszeitraum das Luciliuskapitel aus einem Gattungsgrundriß 'Die römische Satire', den einschlägigen Abschnitt aus einer großangelegten Literaturgeschichte und eine nur via Internet zugängliche Dissertation aufzuweisen. Alle weiteren Einträge unter dieser Rubrik betreffen - mehrheitlich aus Handbüchern stammende - Einführungsartikel, die nur über einen beschränkten Umfang verfügen und angesichts ihres besonderen Zuschnitts teilweise nicht einmal zur Erstinformation taugen. 1. Gesamtdarstellungen Mustergültig und auf aktuellem Forschungsstand würdigt C h r i s t e s (21) den Satiriker im Sammelband der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft: Weniger Darstellung als Forschungsbericht, schreibt der Beitrag die Erkenntnisse von Ch.s bisherigen Untersuchungen (130 bzw. 1) fort, wobei manch früherer Standpunkt revidiert, ein Teil der Forschungsdiskussion aber auch unter Hinweis auf einschlägige Literatur ausgeblendet wird. Der Beitrag gliedert sich in I. Vorbemerkung mit dem wichtigen Hinweis, Lucilius habe mit seiner Satire zwar eine neue literarische Form geschaffen, sich inhaltlich jedoch mit deren "kritische(r) Funktion" (57) an die auf gesellschaftlichen Nutzen ausgerichteten Werke der Geschichtsschreibung, Jurisprudenz und enzyklopädischen Literatur angeschlossen.
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II. Person: Erst die soziale Stellung des Dichters (Familie, Freunde) ermöglicht seine Karriere als Satiriker. Die von Ch. früher mit Nachdruck vertretene Ansetzung seines Geburtsjahres auf das von Hieronymus überlieferte Datum 148/7 v. wird nicht mehr aufrechterhalten: Aus den Fragmenten gewonnene Rückschlüsse auf das Alter des Lucilius (66 f.) führen Vf. nunmehr auf die von L a f a y e 53 "vorgeschlagene Lösung: ein Lebensalter von 56 Jahren und damit das Jahr 158 v.Chr. als Geburtsjahr" (67 Anm.67). III. Werk 1. Titel, Abfassungszeit, Teilsammlungen, Metra, Überlieferung. Ch. rechnet mit einer Existenz konkurrierender, auf verschiedene Philologen zurückgehender Teilsammlungen (u.a. eine Buch 1-21, eine Buch 1-20 umfassend) und rückt - nach Ansicht des Berichterstatters zu Unrecht - von seiner 130 formulierten These eines falsch gebundenen Codex als Ursache der rückläufigen Noniuszählung von Buch 30, 29 … 26 ab. 2. Inhalte. Hier wird - im Rahmen des Sammelbandes fast zu detailliert - die durch Noniusreihen und weitere Indizien determinierte Zahl und Reihenfolge der auf jedes Buch entfallenden Satiren untersucht. IV. Würdigung. Diese umfaßt die bei Lucilius zu beobachtende Vielzahl an Themen und Formen, den Realitätsbezug seiner Gedichte und ihren mehrheitlich kritischen Impetus (Sittenkritik, literarische Kritik, Gesellschaftskritik) sowie Ausführungen zur Rezeption. Was Gründlichkeit der Analyse und Qualität der Darstellung angeht, hat der Beitrag auch 30 Jahre nach seiner Fertigstellung nichts an Wert verloren. Auch die literaturgeschichtliche Synthese von S u e r b a u m (24) - im Rahmen eines von ihm herausgegebenen Bandes zur Literatur vorklassischer Zeit publiziert - bietet nach Stand der Jahrtausendwende ein in seiner Vollständigkeit wie Komplexität unübertreffliches Arbeitsinstrument für den Luciliusphilologen. Um eine als Einführung in den Status quo der Forschung zu lesende Darstellung (A. Biographie, B. Das Werk, C. Würdigung, D. Rezeption) gruppieren sich in Petit gedruckte und durch umfassende Literaturangaben unterfütterte Abschnitte, welche den unmittelbaren Zugang zu Detailfragen und umstrittenen Forschungspositionen erlauben; daß ein vertretbarer Umfang der bibliographischen Angaben nur durch zahlreiche Querverweise sowie ausgesparte Aufsatztitel zu erreichen war, muß durch eigene, in Zeiten des Internets wohl nicht weiter problematische Recherche der Benutzer ausgeglichen werden. Die über 450 Seiten umfassende Dissertation von M u r a (27) sucht das Problem des fragmentarisch überlieferten Luciliustextes durch gründliche Ausleuchtung des historischen, ökonomischen, politischen, kulturellen und sozialen Hintergrundes zu kompensieren: Diesbezüglichen Grundlagenkapiteln (100-140: 'Trasformazioni politiche sociali ed economiche nel II secolo a.C.'54; 204-240: 'La lotta politica nel II secolo a.C.'; 291-354: 'L'evoluzione culturale nel II secolo a.C.') ist jeweils ein Abschnitt mit einschlägigen Belegen für die Zeitzeugenschaft des Lucilius zugeordnet (141-203: 53 G.L., Lucilius et ses satires [eine Rezension zu den Werken von Marx und Cichorius], Journal des Savants 7 (bei C. fälschlich 12), 1909, 346-354. 54 Den Beginn der Arbeit bestreiten die Rubriken 'La biografia di Lucilio' (3-40) und 'L'opera' (41-99).
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'Lucilio e la società romana del II secolo a.C.'; 241-290: 'Lucilio e il potere politico'; 355-432: 'Lucilio e la filosofia greca' bzw. 'Satira luciliana e cultura greca'). Zwar gehen die Darlegungen nirgends über den Iststand der Forschung hinaus; doch bieten sie angesichts ihrer Gründlichkeit und Zuverlässigkeit ein kaum zu überbietendes Kompendium unseres Wissens über Lucilius und seine Zeit. Problematisch bleibt allein das - schon unter der Feder Suetons gescheiterte - Verfahren, möglichst viele Einzelzeugnisse unter kontextunabhängige Themenblöcke zu subsumieren: Daß die Ausführungen zur Päderastie (fr.178-181; 272 f.; 292 ff.; 296 f.), wiewohl - auch nach M. - erkennbar nicht als Tadel formuliert, unter 'La critica alle mollezze dei costumi orientali' (181) erscheinen, Apollo wegen seiner Worte fr.23-27 als Repräsentant einer "grecomania eccessiva" bzw. "mollezza orientale" und "corruzione dei costumi" (193) figuriert, fr.118 rinoceros velut Aethiopus (über ein verunstaltetes Gesicht) unter 'Lucilio sostenitore del filoellenismo moderato degli Scipioni' (198; genauer: 'mode et usanze greche: caccia') auftaucht und das einfache Mahl von fr.195-198; 202 f.; 457 f. für 'La polemica sui sistemi filosofici ellenistici' (355; genauer: 'La canzonatura della dottrina del sequi naturam ducem': 366) stehen soll, kann nur verwundern. 2. Einführungen Das Luciliuskapitel von R a m a g e (17), das "for the general reader who is interested in the history of literature as well as for the student and scholar of the classics" (S.vii) bestimmt sein soll, vermag die Aufgabe einer Einführung nicht zu erfüllen: Kurze Abschnitte zum Selbstverständnis des Satirikers, zum Inhalt seiner Texte, zu Formen seiner Kritik, Parodie und Ironie sowie zu Metrik und Stil münden regelmäßig in eine substanzlose Auflistung von Stichwörtern; für die Angabe von Belegstellen oder den Hinweis auf Forschungskontroversen hat Vf. keinen Anlaß gesehen.55 Dagegen informiert der einschlägige Passus bei C o f f e y (18) solide und gründlich über Leben und Werk des Lucilius, sein kulturelles Umfeld, den Inhalt der einzelnen Bücher, die subjektive Ausrichtung seiner Dichtung (persönliche Ansichten, autobiographisches Detail), politischen Standort und geistige Interessen, literarische Wurzeln56, Sprache und Stil sowie das Nachwirken seiner Satiren. Alle Darlegungen sind von umfassender Sachkenntnis und solidem Urteil geprägt57; ein reichhaltiger Anmerkungsapparat mit Stellennachweisen und Literaturangaben belegt die eigenen Ausführungen und lädt zur weiteren Beschäftigung mit dem Autor ein. Tr a g l i a (19) wiederum bietet einen erstaunlich dürftigen und vom Forschungsstand seiner Zeit eigentlich schon überholten Abriß zu Leben (Geburtsdatum) und Werk (Werkteile, Themen, Titel, Sprache) des Lucilius. Neben seiner Oberflächlich 55 Der Beitrag kommt durchweg ohne ergänzende Fußnoten aus. 56 Hier fehlt erstaunlicherweise ein Wort über die Diatribe. 57 Dies gilt gerade auch bei der Entscheidung alter Forschungskontroversen: C. plädiert für 168/7v. als Geburtsjahr des Satirikers und für saturae als Titel seiner Gedichte; auch findet er in seinem Werk weder eine "consistency of attitude" (51) noch eine "consistent devotion to philosophy" (52) oder eine Befolgung kallimacheischer Stilideale.
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keit befremden die zahlreichen Sachfehler: Die Bücher 22-25 sind als "gli ultimi da lui scritti" identifiziert (69)58, Q. Caecilius Metellus Macedonicus als princeps senatus und Scipio Aemilianus als "morto nel 120" vorgestellt (70), B.10 mit einem "processo in cui era coinvolto un famigerato membro della nobiltà" in Verbindung gebracht (72), und dergleichen mehr. Auch der nur beiläufig an Lucilius interessierte Leser vermag aus dem Beitrag keinen Gewinn zu ziehen. Die Einführung von G r a t w i c k (20) informiert wieder im wesentlichen zuverlässig, wenn auch nicht immer nach aktuellem Forschungsstand59, über das Werk des Lucilius. Kritisch anzumerken bleibt ihre nachgerade unstrukturierte Präsentation; und auch der - in einer englischsprachigen Publikation der 1980er Jahre anscheinend nicht zu vermeidende - Hinweis auf die persona des Satirikers60 kann im Falle von Lucilius kaum als zielführend gelten. N a r d o (22) liefert in seinem Luciliuskapitel fundierte und umfassende Information, die auch Überlieferung und Nachwirken in der Antike nicht ausspart; allerdings wären die Aussagen des Lucilius zu Epos und Tragödie nicht in einen Topf zu werfen und Hor.sat.2,1,65-68 wohl nicht auf den Langmut Scipios zu beziehen gewesen (396: "ci informa che Scipione avrebbe avuto buoni motivi per dolersi degli attacchi luciliani …"). Der Handbuchartikel von Ta t u m (23) vermittelt zwar die Grunddaten zu Leben und Werk des Lucilius, bleibt jedoch - mehr als es der beschränkte Raum eines alphabetisch organisierten 'Dictionary of literary biography' erfordert - durchweg an der Oberfläche; unzulässige Vereinfachungen, sachliche Fehler61 und der Verzicht auf Stellenangaben schränken seinen Wert weiter ein. Der für 'The Cambridge companion to Roman satire' verfaßte Beitrag von M uecke (25) interessiert sich weder für die Vita der behandelten Satiriker (Ennius und Lucilius) noch für den historischen bzw. sozialen Kontext ihrer poetischen Produktion, sondern widmet sich allein dem literarischen Aspekt: Einordnung der Satire in das hellenistische Gattungsgefüge und Verortung der darüberhinaus von ihr empfangenen Anregungen. Für einzelne Motive wie literarische Techniken werden Beispielstellen angeführt; gedankliche Kontextualisierung und Zielsetzung der Satire(n) bleiben unberücksichtigt. Aus dieser Perspektive rücken dann Ennius und Lucilius eng zusammen: Als wesentlichster Unterschied bleibt nur noch, daß es Lucilius aufgrund seines gesellschaftlichen Status möglich war, seines Vorgängers "mode of comic realism" in "self-assertion and polemical stance" (42) zu transformieren. P o l á k o v á (26) schließlich ist es allein darum zu tun, Lucilius durch das Mittel der Banalisierung für den heutigen Leser erfahrbar zu machen. Zu diesem Zweck 58 Bei T. a.a.O. ist im übrigen durchgängig von den "libri XXII-XXIV" die Rede. 59 "In 123 B.C. or later Lucilius arranged a collection in five books [=B.26-30]" (168) hat spätestens seit Zucchelli (33) als widerlegt zu gelten. 60 "He is at times not only himself, the bluff Roman with an eye for a horse or a girl, but also the cynic preacher, the man of the world, and a buffoon. We meet a persona …, not a person" (165 Anm.1). 61 Zu ersteren vgl. "This edition arranged the books by meter. Books 1-21 were in dactylic hexameter, … books 26-30 were mostly in iambic-trochaic meters" (150), zu letzteren "Book 16 was devoted to elegiac love" (153).
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listet sie - nach Themenbereichen geordnet - Fragmente auf, die dem modernen Verständnis von Satire (= Kritik) entsprechen62 und deren Inhalt sich voraussetzungslos erschließt.63 Das solcherart verflachte, ja verfälschte Bild reduziert den Autor auf "an 'ordinary' man who has also something to say in the 21st century" (48).
VII. Biographie 28. W.A. K r e n k e l , Zur Biographie des Lucilius, in: ANRW I 2, Berlin 1972, 1240-1259. 29. F. D e l l a C o r t e , Senescenza di Lucilio, in: d e r s ., Opuscula, Bd.7, Genova 1983, 27-33 (Erstpublikation 1978). 30. F. C o a r e l l i , I Lucilii e una nuova iscrizione repubblicana da Sinuessa, CCG 7, 1996, 259-262. 31. G. H e r b e r t - B r o w n , Jerome's dates for Gaius Lucilius, satyrarum scriptor, CQ 49, 1999, 535-543. 32. I. G o h , The Campanian case of Gaius Lucilius: downtrodden satire from Suessa Aurunca, ICS 40, 2015, 91-120. In die langjährige Diskussion über das Geburtsjahr des Lucilius greift C h r i s t e s (130), 12-17 ein, indem er das Hier.chron.a.Abr. 1869 bzw. 1870 überlieferte Geburtsjahr des Lucilius (148/7 v.) für authentisch erklärt.64 Entsprechend sieht er sein erstes - in seinen Resultaten wenig ansprechendes - Argumentationsziel darin, die Aussagekraft damit unvereinbar scheinender Zeugnisse in Zweifel zu ziehen:65 1. Vell.2,9,4 überliefert, Lucilius habe unter Scipio vor Numantia (133 v.) als eques gedient. - Ch. zufolge hätte der Feldherr einen 14jährigen "Nachbarsjungen" (15)66 in seine cohors amicorum aufgenommen.
62 "Criticism is the required element being typical to both ancient satire and as understandable to today's audiences" (43). 63 "I deliberately chose rather general fragments to be understandable to large audience" (48 Anm.41). 64 Das Todesjahr (Hier.chron.a.Abr. 1914 bzw. 1915 (= 103/2v.) kann als unverrückbarer Eckpfeiler der Luciliuschronologie gelten. 65 M. H a u p t s Erklärung (bei A.S c h a e f e r , Miscellen, JCPh 19, 1873, 70-72, hier: 72), Hieronymus habe bei seiner Ansetzung des Geburtsjahres die Konsuln der Jahre 148 und 180 v. verwechselt, wird im Vorfeld - zu Recht - als mit der Arbeitsweise des Hieronymus unvereinbar zurückgewiesen, die Annahme von C. C i c h o r i u s , Untersuchungen zu Lucilius, Berlin 1908 (= Zürich 1964), hier: 7-14, Hieronymus habe stattdessen die Zahl der Lebensjahre verschrieben (XLVI statt LXVI; andere Möglichkeiten sind denkbar) mit Hinweis auf ihre aporetischen Konsequenzen vorschnell abgetan. 66 Nach Cic.fat. fr.5 (= Macr.Sat. 3,16,4) besaß Scipio in der Nähe von Suessa Aurunca, dem Geburtsort des Lucilius, ein Landgut.
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2. Ps.Acro zu Hor.sat.2,1,72 berichtet eine Anekdote, die eigentlich nur bei annähernder Gleichaltrigkeit von Scipio und Lucilius vorstellbar scheint.67 - Ch. rechnet mit "jugendliche(m) Unfug" (ebd.) eines Halbwüchsigen gegenüber einem würdigen Senator. 3. Hor.sat. 2,1,30-34 spricht von Lucilius als senex. - Für Ch. liegt hier kein konkreter Altersbezug, sondern nur ein Hinweis auf das Leben in seiner Gesamtheit vor: "Das Ende eines Lebens wird gemeinhin in der Altersstufe senex erreicht" (15 Anm.16 auf S.16). Wiewohl eben noch (zu Punkt 2) abgelehnt, wird sodann ein "psychologisches Argument" (15) herangezogen: Freimütige Ausführungen über seine Liebschaften und die einschlägigen Abenteuer (B.7, 8, 16) sowie despektierliche Äußerungen über Tattergreise (fr.332 f.; 560; 1118 f.) habe Lucilius nur als junger Mann formulieren können; die endgültige Entscheidung (im Sinne einer Rehabilitierung des Hieronymus) wird indes einer Interpretation der Fragmente aufgebürdet.68 Für K r e n k e l (28) steht dagegen 180 v. als Geburtsjahr des Lucilius fest:69 Chronologisch belastbare Reihen von Dichtern und Rednern, wie sie Vell.2,9, Gell.17,21,49, Cic.Brut.167 und Fronto p.20,5 ff. N. = 15,13 ff. vdH vorliegen70, liefern zwar als solche keinen eindeutigen Hinweis, führen jedoch auf mehrjährige Zeiträume, deren Schnittstelle exakt die Jahre 180-178 v. umfaßt. Wenn etwa Velleius die Teilnahme des Lucilius am Numantinischen Krieg bezeugt und daran die Nachricht quo quidem tem pore iuvenes adhuc Iugurtha ac Marius … in iisdem castris didicere knüpft (2,9,4), folgt daraus nach K. (1246): "Das Maximal-Alter für Wehrpflichtige [= 46] und der aus dem Text des Velleius abgeleitete Altersunterschied zu Iugurtha und Marius [* c.160 bzw. 157 v.] führen beide auf ein mögliches Geburtsjahr des Lucilius zwischen 180-176."71 Zum gleichen Ergebnis kommt K., wenn er Vell.a.a.O. (Lucilius habe nach dem Krieg mit seiner Dichtung eingesetzt) und Hor.sat.2,1,30-34 (in den Satiren trete die vita senis offen zutage) kombiniert: Müßte doch Lucilius zu diesem Zeitpunkt genau an der Grenze zwischen wehrpflichtigem Alter (bis 46) und senecta (ab 47) gestanden haben, also eben 180/78 v. geboren sein. Die demzufolge irrige Angabe bei Hier.chron.a.Abr.1914 bzw. 1915 (= 103/2 v.) Gaius Lucilius … moritur … anno aeta tis XLVI könnte durch unachtsame Kontamination zweier zutreffender Aussagen bei 67 Scipio Africanus fertur intra domum tam civilis fuisse et carus Lucilio, ut quodam tempore Lae lius circa lectos triclinii fugienti supervenerit, cum eum Lucilius obtorta mappa quasi feriturus sequeretur. 68 C. verweist hier sukzessive auf die Aversionen des Lucilius gegen die Ehe ("Er muß … gerade ins heiratsfähige Alter gekommen sein": 60), seine vom Interlocutor angesprochene adulescentia (fr.674), die Jugend von Rom als anvisiertes Publikum (fr.591-594), die Hitzigkeit seiner Tragödienpolemik und seine ehrerbietigen Äußerungen über Scipio. 69 In seiner Textausgabe (3) hatte K. noch für 168v. plädiert (I 19 f.). 70 Bei Cicero und Fronto figuriert nicht Lucilius selbst, sondern C. Titius, nach Macr.Sat.3, 16,14 ein vir aetatis Lucilianae. 71 Obwohl K. wiederholt mit dem Dienstpflichtalter argumentiert, rechnet er doch selbst damit, Lucilius sei Scipio nicht als Wehrpflichtiger, sondern als persönlich verbundener comes (vgl. App. Iber.84; Fest.p.249,7-10 L. = 223 M.) in den Krieg gefolgt; dies aber hätte der spätere Satiriker auch noch jenseits der Altersgrenze tun können.
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Sueton De poetis entstanden sein: C. Lucilius XLVI natus annos saturas componere in stituit und natus est Lucilius Postumio Albino Calpurnio Pisone coss. [so die Namen der Konsuln von 180 wie von 148]. Hiergegen nimmt C h r i s t e s (1), 1189-1195 noch einmal ausführlich Stellung. Dabei werden im wesentlichen folgende Punkte berührt: - Krenkels Auswertung der Literatenreihen erfolge einseitig; so sei Lucilius Vell.2,9,4 nicht als Altersgenosse einer ebd.1 genannten Gruppe von ca.180 v. Geborenen, sondern im Kontext einer mehrere Generationen umfassenden Dichter- und Rednerliste (ebd.1-6) aufgeführt. - Jugurtha und Marius seien ebd.4 nicht im Unterschied zu Lucilius, sondern hinsichtlich ihrer späteren Feldherrnkarriere iuvenes genannt. - Horazens Bemerkung, die Luciliussatiren erschlössen die vita senis, betreffe dessen "Leben … als ganzes … bis an sein Lebensende als senex " (1193).72 H e r b e r t - B r o w n (31) sucht die bekannten Einwände gegen das von Hieronymus überlieferte Geburtsjahr des Lucilius (148/7 v.) neuerlich zu entkräften: 1. Seine im Alter von 14(!) Jahren anzusetzende Teilnahme am Kampf um Numantia (Vell.2,9,4) sei durch historische Präzedenzfälle beglaubigt73, durch Scipios umständehalber erfolgenden Rückgriff auf eine private Freiwilligenarmee (vgl. Plut. reg.et imp.apophth. 201AB) begründet und auch durch das Schweigen des Velleius zu diesem Punkt nicht widerlegt. 2. Senex werde Lucilius Hor.sat.2,1,32 ff. nicht wegen seines Alters, sondern als Angehöriger einer früheren Generation genannt.74 Dessenungeachtet bleibt auch H.-B. eine Antwort darauf schuldig, wie der gerade einmal 17jährige eques selbstbewußt eine Tätigkeit als publicanus ausschlagen, überdies ein neues literarisches Genre erfinden und mit diesem meinungsbildend in die politischen Kämpfe seiner Zeit eingreifen konnte.75 Für Sinuessa, eine 296 v. gegründete colonia civium Romanorum und Nachbarstadt von Lucilius' Geburtsort Suessa Aurunca, sind durch eine von C o a r e l l i (30) vorgestellte Grabinschrift bereits für den Anfang des 2.Jh. v. Lucilii als Einwohner belegt. Damit dürfte - gegen Marx I, XVIII f. - ein weiteres Argument dafür gewonnen sein, daß der Satiriker das römische Bürgerrecht besaß. 72 Auch der von K r e n k e l (94) ergänzend vorgetragene Hinweis auf Sen.epist.61,1 id ago, ut mihi instar totius vitae dies sit vermag nicht zu erhärten, daß sich Hor.sat.2,1,32 ff. nur auf die "späten Lebensjahre des Lucilius" (97) bezieht, zumal K. den Philosophen gründlich mißversteht: vgl. seine Übersetzung "Ich möchte, daß für mich jeder Tag ein Abbild des ganzen Lebens wird" (96) mit der Fortsetzung des Gedankens bei Seneca: sic illum [= diem] aspicio tamquam esse vel ultimus [= instar totius vitae] possit (so in einer abermaligen Replik C h r i s t e s [143], der nun allerdings seit 21, 63-67 nicht mehr auf 148 v. als Geburtsdatum beharrt). 73 Sieht man von den Legenden der römischen Frühzeit ab, belegen auch die von H.-B. angeführten Beispiele keine militia für Jünglinge unter 16 Jahren. 74 Daß sich Horaz seinerseits von Trebatius als puer anreden läßt (v.60), kann indes nicht im Sinne einer "senex/puer opposition" (543) verstanden werden. 75 Unter Verweis auf fr.1025 und 1340 f. hatte auch G a r b u g i n o (138) der Vorstellung vom frühreifen Lucilius eine Absage erteilt.
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Arbeiten zur inneren Befindlichkeit des Lucilius lassen dagegen wissenschaftliche Seriosität vermissen: In einer Zeitschrift für Gegenwartsliteratur76 entwirft D e l l a C o r t e (29) ein kurzes, ebenso spekulatives wie einseitiges Psychogramm des Satirikers. Demnach hätte Lucilius, "un amico più vecchio e un consigliere anziano" (27) des Scipio Aemilianus, erst im Alter zu schreiben begonnen77, nach Scipios Tod dessen "eredità morale" (28) übernommen, seine Satiren aus Furcht vor Anfeindungen jedoch nur unter den "superstiti del circolo scipionico" (ebd.) zirkulieren lassen: Rückwärtsgewandt und von seinen Zeitgenossen isoliert, "Lucilio scriveva, ma non per essere letto da un pubblico… Scrive perchè non ha più amici, perche non ha diversivi" (32). G o h (32) führt den Umgang des Lucilius mit "Horses, gladiators, pots, theater, and pronunciation" und seine Neigung zu "arrogance and militarism" auf die "Campanian aspects of the satirist's cultural identity" (jeweils 91) zurück, wie sie auch noch in der Luciliusrezeption bei Cicero, Horaz und Juvenal sichtbar sein sollen. Dabei mischt er in gewohnter Manier luftige Assoziationen auf Wortebene mit haltlosen Spekulationen78; im Ergebnis wird nicht einmal deutlich, ob dem Satiriker seine "Campanian identity" (92) von ungefähr in die Feder fließt oder ob er sie als Teil seiner "self-fashioned persona" (94) bewußt kultiviert.
VIII. Persönlichkeit und Wertmaßstäbe 33. B. Z u c c h e l l i , L'indipendenza di Lucilio, in: G. A l l e g r i , Bruto usuraio nell' epistolario ciceroniano - B.Z., L'i.d.L., Firenze 1977, 81-141. Rez.: A n d r e a u , Latomus 38, 1979, 743-744; v a n d e n B r u w a e n e , AC 48, 1979, 295-297; H a m b l e n n e , RBPh 57, 1979, 436; J a l , RPh 53, 1979, 179. 34. J.H. B r o u w e r s , Satire en libertas. Lucilius' vrijmoedige kritiek aan het adres van politici, Lampas 12, 1979, 298-309. 35. B. Z u c c h e l l i , Letterati e potere politico nell' antica Roma in età repubblicana ed augustea, AARov ser.VI, 22A, 1982, 109-122. 36. G. C l e m e n t e , Lucilio e la società romana, Index 13, 1985, 47-62. 37. F.H. M u t s c h l e r , Individualismus und Gemeinsinn bei Lucilius und Horaz, A&A 31, 1985, 46-65. 76 Die Angabe 'Crisi. L'uomo e la letteratura XV 23, 1978, 14-19' war für den Berichterstatter nicht zu verifizieren. 77 Dies hatte D.C. schon 1968 (I.M a r i o t t i , F.D e l l a C o r t e , W.K r e n k e l , L'età di Lucilio, Maia 20, 1968, 254-270, hier: 256 ff.) dem Text von Hor.sat.2,1,32 ff. entnehmen wollen und entsprechend auf ein Geburtsjahr um 198 v.(!) geschlossen. 78 Zur Illustration mögen G.s Ausführungen zu fr.511 ff. (Lucilius über die - beschränkten Qualitäten eines kampanischen Pferdes) dienen: "…what happens when we identify the Campanus with Lucilius himself, bearing in mind his origins in Campania? The conjunction of sonipes and succussor is reminiscent of the mash of hexameter with down-home subjects that embodies Lucilius' greatest innovation, the regularization of verse satire in a set meter" (96 f.).
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in der Lebenseinstellung, den Themen der Dichtung, der Sprache, den poetologischen Reflexionen" (53). Unter dem Gesichtspunkt 'Dichter-Individuum und Gesellschaft' (53-89) wird die Grundhaltung des Lucilius als Konservatismus mit querdenkerischen Einschlägen beschrieben, seine innere Unabhängigkeit jedoch aufgrund angeblicher Ambivalenzen oder gar Widersprüche wiederholt zur Standortlosigkeit verwässert. Sicher erhebt Lucilius seine Selbstachtung zum bestimmenden Maßstab all seines Handelns (fr.656 f.)82; doch richtet sich seine Weigerung, als publicanus tätig zu sein, wirklich gegen die von der Gesellschaft an ihn herangetragenen Erwartungen? Verrät der milde Spott über Scipios eigenwilligen Sprachgebrauch (fr.971 f.) politische Unabhängigkeit? Dokumentieren fr.740 und 738 seinen Respekt für den lebenden wie den toten Tib. Gracchus?83 Ist das burleske Deorum concilium darauf berechnet oder auch nur dazu geeignet, "den Glauben an ehrwürdige Götter" (72), wie ihn fr.1328 ff. nahelegt, zu unterlaufen? Wird sein gesunder und - wie nach Cic.ac.2,102 zu erwarten - akademisch grundierter Skeptizismus irgendwo in Frage gestellt? Muß "die eigentümliche Schwere" (82) des virtus-Fragments (fr.1342-1354) ironisch gedeutet werden?84 Sein 'satirisches Ich' (90-111)85 inszeniert Lucilius je nach Zusammenhang als aggressiv und rücksichtslos oder aber zartfühlend und fürsorglich; seine Selbstironie läßt ihn bisweilen gar als enfant terrible auftreten.86 Auch sein Zielpublikum definiert er, was Bildung und Gesinnung angeht, nach seinen ureigenen Maßstäben. Der auto biographische Aspekt im engeren Sinne kommt in Lucilius' Behandlung 'privater Themen' (112-159) zum Tragen: Er äußert sich zu seinem Liebesleben, das, von männlicher Dominanz geprägt, der Verinnerlichung und ideellen Überhöhung der späteren Elegiker entbehrt, seiner Begeisterung für Pferde, seinem persönlichen Umfeld (Freunde und familia87), seinem Hang zu gutem Essen und Geselligkeit sowie seinen Reiseabenteuern. Hinzu treten in Gestalt 'privatisierter und subjektivierter Stoffe' (160-178) persönlich akzentuierte Themen, die in literarischen Darstellungen üblicherweise eine
82 Zu Recht wendet sich H. gegen die Eingrenzung dieses Fragments auf eine programmatischpoetologische Aussage. 83 Von Warmington, Remains of Old Latin, Bd.3 wird fr.740 (= 774W.) "But if you take a look at the fellow, how he ventures for his interest and for his realm" (249) übersetzt, fr.738 (= 790W.) mit "Fate of the unwise" (255) überschrieben. Lucilius urteilt letztlich nicht anders als Scipio Aemilianus selbst, der den Tod des Tib. Gracchus mit iure caesum videri kommentiert hatte (Cic.Mil.8). 84 Beiläufig gesagt, wird durch die Scholiennotiz zu Pers.1,2 - anders als noch von Krenkel vertreten und von H. 76 kritiklos übernommen - nicht Pers.1,2, sondern 1,1 als Luciliuszitat in Anspruch genommen.. 85 Zutreffend rechnet H. mit einer gewissen Selbststilisierung des Dichters, nicht jedoch mit der in anglo-amerikanischer Sekundärliteratur propagierten autorunabhängigen persona. 86 Hier würde man sich dann doch einen Erklärungsversuch wünschen: Wie kann ein Römer, dessen dichterisches Werk in vielerlei Hinsicht auf Überzeugungsarbeit ausgerichtet ist, sein persönliches Renommee so untergraben wollen, daß er gerade den 'anständigen' Leser fortwährend vor den Kopf stößt? 87 Es gilt jedoch die Einschränkung von 143 Anm.197: "Die Bücher 22-25 gelten allerdings als vielleicht unsatirischer Nachlass des Dichters."
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objektive Behandlung erfahren:88 Den Krieg (sonst in Epos und Geschichtsschreibung) betrachtet Lucilius in Gestalt persönlicher Kriegserlebnisse, komödienspezifische Motive aktualisiert er durch Übertragung in eine selbsterlebte Wirklichkeit (Szenen einer Hausbelagerung); für Regeln der Rechtschreibung rekurriert er auf eigene Vorstellungen, für medizinische Ratschläge auf eigene Erfahrungen.89 Nicht zuletzt verrät auch Lucilius' Verhältnis zu 'Poetologischem' (179-233) den Individualisten: Mit seinen Stoffen schafft er ein Genos, das von Realitätsnähe und Wahrheitsliebe bestimmt ist, einen schlichten Stil aufweist und vor keinem Konflikt zurückscheut, ohne dabei restriktiven Gattungsgesetzen zu unterliegen: Als Satire begreift Lucilius letztlich "das, was er selbst schreibt" (180). Entsprechend urteilt er dann über traditionelle Poesieformate ebenfalls ganz subjektiv: Dem Epos verweigert er sich, weil ihm dort der unmittelbare Gegenwartsbezug fehlt, nicht etwa, weil er den Preis großer Leistungen an sich ablehnte (vgl. einschlägige Reflexe in B.30); die Tragödie attackiert er wegen ihres Schwulstes und ihrer Realitätsferne, nicht zuletzt jedoch auch aufgrund einer "Privat-Fehde" (226) mit ihrem zeitgenössischen Hauptvertreter Accius. Im Ergebnis hat Lucilius, wiewohl in seinem politischen Engagement wie seinem künstlerischen Anspruch deutlich von den Neoterikern unterschieden, seine "gesellschaftlich provokante Weltanschauung und Lebenseinstellung", die "persönliche Polemik", die "Hinwendung … zu privaten Themen", seine "subjektive Selbstaussage" und die "poetologischen Interessen" (jeweils 238) mit Catull gemein und kann demnach zu Recht als Roms frühester 'Persönlichkeitsdichter' angesprochen werden. Daß hieraus Konsequenzen für die Periodisierung der römischen Literatur zu ziehen wären90, bleibt dann allerdings doch fraglich. Auch andere Untersuchungen rücken die ausgeprägte Individualität des Lucilius in den Mittelpunkt, wobei sie meist eine Verbindung zu dessen Engagement als Zeit- und Gesellschaftskritiker herstellen: Erscheint es doch als eine zentrale Aufgabe der Luciliusphilologie, diese beiden Faktoren in ihren Konturen zu umreißen, in ihrer Wechselwirkung zu verstehen und auf ihre subjektiven wie objektiven Voraussetzungen zurückzuführen. Daß dabei Lucilius die ihm schon von antiken Autoren zuerkannte libertas91 als Ritter wie als Dichter ungehindert ausleben konnte, ist mit Z u c c h e l l i (35) von vornherein darauf zurückzuführen, daß Gesetze und Verordnungen republikanischer Zeit bis zu Sullas lex de iniuriis den Tatbestand der Diffamierung nur bei Attacken auf offener Bühne und von seiten sozial niedrigstehender Individuen (Naevius!) sanktio-
88 Daß Lucilius auch Komödienstoffe referiert und Metaphern aus der Welt des Krieges in erotischem Kontext gebraucht, wäre aus diesem Zusammenhang fernzuhalten gewesen. 89 Auch hier ist H. wohl allzu schnell mit der Annahme gewollten Unernstes bei der Hand: orthographische Richtlinien - "als Scherz" (175); die medizinische Thematik - in "einem höchst selbstironischen, hypochondrisch anmutenden Erguss" (177). 90 Vgl. 239: "[D]ieser Mann gehört nicht mehr in den Kreis der alten Poeten, und dieses Faktum sollte literaturgeschichtlich durch eine Zäsur gewürdigt werden." 91 Diese bezieht B r o u w e r s (34) im wesentlichen auf seine unerschrockenen, unter Namensnennung erfolgenden Angriffe gegen unliebsame Zeitgenossen jedweden Standes; die üblichen Beispiele runden die Arbeit ab.
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nierten. Letztlich bewirkten erst der Prinzipat und die überbordende Anwendung der lex maiestatis eine Änderung der Verhältnisse. M u t s c h l e r (37) widmet sich der Frage, ob bzw. inwieweit das leidenschaft liche Bekenntnis des Lucilius zur eigenen Individualität (fr.653; 656 f.) seinem ebenso nachdrücklich betonten Einsatz für das Gemeinwesen (735 f.; 1353 f.) zuwiderläuft: Ein denkbarer Konflikt wird dadurch gegenstandslos, daß Lucilius seine eigene Lebensauffassung anderen weder aufdrängt noch zur Last werden läßt. "Darüber hinaus entfaltet er sich im Rahmen der römischen Sozialordnung, deren Normen … er ebenso akzeptiert, wie sie ihm ihrerseits ein, wenn auch beschränktes, Daseinsrecht zubilligt" (64 f.).92 Mit den Worten einer neueren Untersuchung gesagt: Lucilius nimmt das Recht auf "individualità", keinesfalls jedoch auf "individualismo" für sich in Anspruch.93 C l a s s e n (41) sucht "nach den Maßstäben, an denen Lucilius seine übrigens bisweilen auch positiven Urteile orientiert, und nach deren Begründungen, nach den Autoritäten, auf die er sich beruft, nach den Vorbildern, auf die er verweist. Welche Bedeutung haben der Staat mit seiner Ordnung und seine Einrichtungen, Geschichte und Mythos, römische Tradition oder griechische Philosophie, allgemein menschliches Empfinden oder Gesetze der Natur?" (11) Nach Durchmusterung des Erhaltenen will er keinem dieser Aspekte den Primat zuerkennen; Wertmaßstab bilde vielmehr "die Realität, die Wirklichkeit des Lebens … und damit die unmittelbare Erfahrung des Dichters" (27). Ziel des Satirikers ist es, exemplis vitiorum (Hor.sat.1,4,106) zu belehren; entsprechend greift er zum Hexameter als Vers der Lehrdichtung. Neben anderen römischen Dichtern94 betrachtet M a r c h e s e (42) auch Lucilius unter dem Gesichtspunkt seines Individualismus. Politisch und ökonomisch unabhängig, kann sich der römische Ritter von allen gesellschaftlichen Zwängen emanzipieren, um ein selbstverantwortetes Leben zu führen und dieses durch das Mittel der Satire als eines literarisch gewissermaßen autonomen Mediums nach außen zu vertreten. Als Individuum stellt er sich in freier Entscheidung der Gemeinschaft als Ratgeber und Warner zur Verfügung (fr.964 f.); und diese Freiheit der Entscheidung bleibt ihm allezeit höchstes Gut: Das virtus-Fragment (fr.1342-1354) soll dem einzelnen die Möglichkeit eröffnen, den Gegebenheiten des Lebens einen von ihm selbst festzusetzenden Wert zuzuordnen95; und die 'Ehesatire' (B.26) propagiert nicht das Junggesellendasein als solches, sondern wendet sich gegen den Versuch staatlicher Einmischung in den Bereich privater Lebensverhältnisse. Bei seiner Untersuchung, wie der "Komplex der Wertvorstellungen und Handlungsmuster wie dessen Symbolisierung" (24) im 3. und 2.Jh. v. und damit der "äußerlich
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92 Dies mag nicht zuletzt durch die Ritterbürtigkeit des Lucilius erleichtert worden sein (vgl. M u t s c h l e r [52], wo Vf. die Ergebnisse seiner Arbeit von 1985 in einen breiteren Zusammenhang stellt, sowie F.-H.M., Zur Bedeutung des Ritterstandes für die Geschichte der römischen Literatur im 2. und 1.Jh.v.Chr., WJA 14, 1988, 113-135). 93 Die Termini nach F a u s t i n e l l i (54), 222. 94 Auch Horaz, Lukrez, Catull, Properz und Ovid ist je ein Kapitel gewidmet. 95 Fr.1353 f. ist die Wortfolge prima … deinde … tertia … postremaque dann allerdings nicht hierarchisch-axiologisch, sondern chronologisch zu verstehen, putare in der Bedeutung 'in Anschlag bringen' zu fassen.
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erfolgreichste(n) Epoche der römischen Geschichte" (45) literarisch kommuniziert wird, kann M u t s c h l e r (43) in den noch kenntlichen Aussagen fast durchweg die traditionellen, von der Oberschicht geprägten Werte und Normen dokumentieren; daß ein Patriot wie Lucilius auch während der Folgezeit politischer Verwilderung diese Perspektive beibehält, muß dann nicht mehr verwundern. S c h o l z (44) benennt die Eckpunkte, welche das Selbstverständnis des Lucilius prägen: Im Unterschied zu Ennius und dessen satura ist es ihm ein Anliegen, sich als engagierter Staatsbürger "mit den gesellschaftlichen Verhältnissen der Zeit auseinanderzusetzen" (217); mit seinen sermones ('Plaudereien') vertritt er dabei keinen dichterischen Anspruch, sondern legt das Schwergewicht auf "die - beinahe mehr nebenbei in Verse gefaßte - Mitteilung" (220).96 Weltanschaulich beschwört er - nicht anders als weiland Cato Censorius - "die altsenatorische, im italischen Bauerntum liegende Kraft des mos maiorum" (234); für konkurrierende Verlockungen, wie sie ihm sein Stand als Ritter bot, bleibt er dagegen unempfänglich (vgl. das Publikanenfragment 656 f.). Schließlich liefern ihm auch in Fragen der Orthographie und des Sprachgebrauchs usus und consuetudo den entscheidenden Maßstab.97 Auch für C l a s s e n (45) ist der individualistische Zug der Luciliussatire ausschlaggebend: Zeitkritik und Anmahnung des mos maiorum waren zuvor Sache von Rednern, Geschichtsschreibern und Epikern gewesen; Lucilius gelingt es, "durch die von ihm gewählte heiter ansprechende und bissig zupackende Form" (69) ein breiteres Publikum für diese Themen zu gewinnen. O l s h a u s e n (48) beleuchtet von Historikerseite die gesellschaftlichen und kulturellen Rahmenbedingungen, welche die Dichtung des Lucilius prägen; in seinen politischen Stellungnahmen (zu den Kriegen der Römer in Spanien, zur Gracchischen Reformbewegung, zu Scipios Zensur)98 "macht er Ernst mit der eigenen Forderung nach persönlichem, am Wohl des römischen Volkes orientiertem Realitätsbezug in Dichtung und Geschichtsschreibung" (174). Das aus einer Vorlesungsreihe für Hörer aller Fakultäten hervorgegangene Luciliuskapitel von S c h m i d t (49) hebt seinerseits auf den starken Individualitätsanspruch des Satirikers ab und führt dessen Wurzeln auf die neuentdeckte Neigung der nobiles zur Selbstverwirklichung, den Einfluß der hellenistischen Philosophie und die "Persönlichkeitsdichtung" (28) der Ennius-Satire zurück. Gerade der partielle "Tagebuchcharakter" (ebd.) und die "subjektive Motivation" (29) seiner Stellungnahmen, auch im politischen Bereich, müssen vor diesem Hintergrund gesehen werden. K r e n k e l (46) betrachtet unter fünf Aspekten (Homosexualität, Götter, Forum, Kinder, Luxus) den in den Tagen des Lucilius zu beobachtenden Wertewandel und kommt zu dem Schluß: "Er [= Lucilius] hat diesen Wandel in seinem Leben und durch seine Satiren verstärkt und an die nächste Generation weitergegeben: Er hat am Wertewandel mitgewirkt" (138). Indes wird diese Behauptung kaum wirklich begründet: 96 Das dieser Selbstbescheidung widersprechende Versmaß des epischen Hexameters ist dann offenbar mit parodischer Absicht gewählt. 97 Zu einer von Sch. vorgeschlagenen Neuinterpretation von fr.1348 vgl. dort. 98 So die Zwischenüberschriften im Beitrag von O.
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Am unwürdigen Betrieb auf dem Forum (fr.1252-1258) hat Lucilius keinen Anteil; und andere Stellen eignen sich erst gar nicht als Dokumente eines Wertewandels: Die subjektive Entscheidung des Satirikers gegen Ehe und Kinder wie auch der Standpunkt von fr.128599 dürften schon Generationen vor Lucilius vertreten worden sein100; und das satirische Deorum concilium spiegelt ebenso wenig einen akuten Wandel "im Verhältnis der Oberschicht … zu den angestammten Göttern" (134) wie Homers Ilias. Als Kritiker der politischen Verhältnisse seiner Zeit steht Lucilius nach F a u s t i n e l l i (54) keineswegs bedingungslos auf seiten der Senatspartei; die aktuelle Krise führt er auf einen Verlust moralischer Werte zurück. Um die naheliegende Frage nach dem politischen Standort des Lucilius zu beantworten, gilt es jedoch in erster Linie, sein persönliches Verhältnis zu Scipio Aemilianus näher zu bestimmen. In einer breitangelegten, primär prosopographisch ausgerichteten Untersuchung begegnet Z u c c h e l l i (33) dem Vorwurf, Lucilius sei als treuer Klient in den Diensten Scipios gestanden und entsprechend als dessen gehorsames Sprachrohr aufgetreten. Im Bestreben, auf allen Ebenen die Unabhängigkeit des Satirikers zu erweisen, schießt Z. jedoch mehrfach über das Ziel hinaus: - Wenn Lucilius keine öffentlichen Funktionen übernimmt (fr.656 f.; 653 mit der Lesart pulices), dann wohl kaum mit dem Gedanken "per essere ascoltato come voce al di sopra delle parti era necessaria una piena indipendenza personale" (88), sondern weil er - wie auch seine Aversion gegen die Ehe belegt - sein Leben von allen fremdbestimmten Zwängen freizuhalten sucht. - Nach Hor.sat.2,1,62-69 haben Scipio und Laelius die literarischen Sottisen ihres Freundes nicht nur hingenommen, sondern gebilligt, zumindest aber gedeckt. Um dessen Ausfälle gegen Metellus zur Privatsache erklären zu können, darf die Feindschaft zwischen Scipio und Metellus nicht einfach unter Hinweis auf Cic.Lael.77; off.1,87; rep.1,31 kleingeredet werden (schließlich beschönigt Cicero, um Scipios magnanimitas ins rechte Licht zu rücken): Vielmehr ist sie durch das Zeugnis von Val.Max.4,1,12 gesichert; und wenn Ps.Acro zu Hor.sat.2,1,72 auf der Suche nach den Ursachen dieser Feindschaft den jüngeren mit dem älteren Africanus verwechselt, bleibt doch der von ihm berichtete Sachverhalt Lucilius eum [= Metellum] in gratiam Scipionis carpsit, quamvis amicum ipsius davon gänzlich unberührt.101 - Iunius Congus ist wohl trotz Zucchelli (82) nicht mit Iunius Gracchanus gleichzusetzen: Somit entfällt das Argument, Lucilius habe mit einem ausgewiesenen Gracchenfreund vertrauten Umgang gepflogen. - Cic.de orat.1,72 (Sprecher Crassus) C. Lucilius … homo tibi (= Mucius Scaevola, Angehöriger des Scipionenkreises und Schwiegersohn des Laelius) subiratus, mihi 99 Hier ist doch wohl von der sexuellen Verfügbarkeit eines puer(?), nicht von einem homosexuellen stuprum die Rede 100 Das alte Vorurteil von der 'Sittsamkeit' der frühen Römer sollte spätestens durch die Untersuchungen von C.A. W i l l i a m s , Roman homosexuality, Oxford 1999, 22010 seine Erledigung gefunden haben. 101 H i l l a r d und B e n e s s (53) sind darum bemüht, den bei Ps.Acro a.a.O. berichteten Schlagabtausch zwischen Scipio und Metellus in seinen historischen Kontext einzuordnen.
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propter eam ipsam causam minus, quam volebat, familiaris steht nicht für die innere Unabhängigkeit des Lucilius, sondern zeigt nur, daß unter den Vertrauten Scipios nach dessen Tod durchaus auch Gegensätze aufbrachen.102 - Auch wenn fr.738 Ausdruck von Mitleid sein sollte103, bedauert Lucilius den unwürdigen Umgang mit dem Leichnam des älteren Gracchus, nicht dessen Tod als solchen; es besteht mithin kein Widerspruch zu der Vell.2,4,4 und Plut.Tib.Gracch. 21,7 belegten Genugtuung Scipios über diesen Mord. Solche Einwendungen betreffen jedoch nur das argumentative Detail; insgesamt dürfte das Urteil von Z. mehrheitsfähig sein: Als reicher Grundbesitzer teilte der spätere Satiriker Scipios politische Grundhaltung; und als Mitglied seines Freundeskreises vertrat er die in diesem Umfeld ventilierten Ansichten aus eigener Überzeugung, ohne sich in den Jahrzehnten nach Scipios Tod zu erkennbaren Abstrichen veranlaßt zu sehen. Aus der Perspektive des Historikers kommt C l e m e n t e (36) zu einem ähnlichen Ergebnis: Wenn sich der römische Ritter vom selbstzerstörerischen Politikbetrieb und vom grenzenlosen Gewinnstreben seiner Zeit fernhält, sich für ein am mos maiorum orientiertes Leben als Landbesitzer entscheidet und nur als Außenstehender die Aufgaben eines Zensors wahrnimmt, verrät er in seinen Ansichten wie in seinen persönlichen Aversionen (z.B. gegen Metellus oder Scaevola Augur) eine Unabhängigkeit, die es nicht erlaubt, ihn auf die Rolle eines Klienten oder doch Parteigängers des - im übrigen bereits 129 v. verstorbenen - Scipio Aemilianus zu reduzieren. R a s c h k e s (38) Korrektur des üblichen, von innerer Unabhängigkeit und Scipionischer humanitas geprägten Luciliusbildes setzt an der von Cicero vermittelten Wahrnehmung von Scipio und seiner Rolle im sog. Scipionenkreis an. Mochte man sich dort auch privat für griechische Kultur und Philosophie erwärmen, so ist das Auftreten von Scipio Aemilianus als Politiker und Militär doch durch einen äußerst rigiden, der humanitas durchaus entbehrenden Zug altrömischer Strenge geprägt, der auch in seiner eigenen Partei auf Widerstand stieß. Mit Lucilius scheint er sich zuerst bei Übernahme seines Numantinischen Kommandos zusammengefunden zu haben: Beide einte ihre konservative Grundhaltung; Scipio konnte sich finanzielle Unterstützung (vgl. Plut.reg.et imp.apophth.201AB), Lucilius den Zugang zu den Kreisen der Nobilität versprechen.104 Sowohl mit seiner Kriegsteilnahme wie auch seiner in der Folge einsetzenden Satirendichtung offenbart sich Lucilius als kompromißloser Unterstützer des Politikers - nicht des Philhellenen - Scipio; auch ihre gemeinsame Opposition gegen Tib. Gracchus basiert auf handfesten Motiven: Scipio mußte sich als Legalist, Lucilius als wohlhabender Grundbesitzer mit eigenem Interesse am ager publicus herausgefordert fühlen.105 Folgerichtig weisen die politischen Satirenfragmente stets diese 102 Die Polemik des Satirikers gegen Mucius Scaevola gehört erst in das frühestens 119 v. abgefaßte Buch 2. 103 Vgl. jedoch Anm.83. 104 Der nachmalige Satiriker ist zu diesem Zeitpunkt offenbar als erwachsen und selbständig zu denken. 105 Wenn sich Cic.de orat.2,284 auf den Satiriker bezieht, hätte sich Lucilius ohne Scheu am Staatseigentum bedient.
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Frontstellung pro Scipio contra Gracchus auf; scheinbare Ausnahmen basieren auf fehlerhafter Kontextualisierung der Stelle: vgl. fr.412 f.; 415 ff.; 656 f. (nicht primär Ausdruck innerer Unabhängigkeit, sondern snobistisches Abrücken des Arrivierten von den eigenen Standesgenossen); 740 (Bezug auf die ungesetzlichen Maßnahmen des Tib. Gracchus betreffs seiner Wiederwahl); 745 f. (Gracchus, nicht Lucilius als Sprecher); 1054 (Gracchus manipuliert die Legislative); 1055 (Scipios eigennützige Unterstützung der socii gegen die Landzuweisungskommission); 1340 f. (Auslieferung des Mancinus?). Sogar das virtus-Fragment (1342-1354) ist stark von politischen Implikationen geprägt (vgl. v.a. den Schluß: fr.1353 f.); als Sprachrohr eines von Idealen getragenen Scipionenkreises läßt sich Lucilius damit nicht mehr in Anspruch nehmen. In seinem Lucilius-Kapitel beleuchtet auch G r u e n (40) den Standpunkt des Satirikers im politisch-sozialen Umfeld seiner Zeit. Nach ausführlicher - und spekulationsfreier - Diskussion der bekannten Daten und Thesen zu dessen Vita beschreibt er Lucilius - im Gegensatz zu Raschke - als überparteilichen Kritiker der Verhältnisse, der auch seine ad personam formulierten Sottisen nicht als Parteigänger "for the Scipionic faction" (280)106, sondern als unerschütterlicher Vertreter seiner persönlichen Überzeugung gestaltet: Gegen Lentulus Lupus schreibt er aus Antipathie gegen dessen moralische Verkommenheit, gegen Metellus Macedonicus wegen dessen albernen Plädoyers für die Zwangsehe, gegen Mucius Scaevola ungeachtet seiner Position als Schwiegersohn des Laelius (Cic.de orat.1,35 u.ö.). Auch G. überspannt jedoch den Bogen, wenn er jede Übereinstimmung mit Ansichten Scipios als "happenstance" (295) abtut und umgekehrt auch keinerlei anti-gracchisches Ressentiment erkennen will.107 Daß sich Lucilius gegen "Hellenic affectations" und "would-be Hellenes" (307), nicht jedoch gegen griechische Kultur als solche wendet, hebt G. mit dankenswerter Klarkeit hervor; daß er in Sachen Moral keinen seriösen Standpunkt vertrete (309: "The satirist plays conventional moralist"; 311: "The poet … mocked moral preaching"; 312: "Lucilius chose to satirize, not to sermonize")108, wird dagegen nicht jedem Luciliusleser einleuchten. L e f è v r e (47) konturiert den politischen Standort des Satirikers neuerlich als den eines Scipioanhängers: Wiewohl Lucilius seinen Freund bereits in den ersten Jahren seines dichterischen Schaffens verliert (129 v.), bleibt er dessen konservativer Grundhaltung doch aus eigener Überzeugung zeitlebens verpflichtet: Seine Unterstützung gilt den Parteigängern Scipios; dessen Gegner - insbesondere die Gracchen und deren Entourage - verfolgt er mit unerbittlicher Schärfe.109
106 Zu Recht weist G. darauf hin, daß eine solche Parteinahme auch aus Hor.sat.2,1,65-68 nicht zu belegen ist. 107 Vgl. 299 zu fr.740: "One need not assume that Ti. Gracchus himself is the object here." 108 Entsprechend wird das virtus-Fragment - wie abschließend auch die Aussage zum intendierten Leserkreis (fr.591-594) - als parodisch eingestuft. 109 Daß Lucilius in dem berühmten Fragment 656 f. gerade auf "innere Unabhängigkeit in poli ticis" (142; Hervorhebung W.K.) pochen würde, geht aus dem Text selbst nicht hervor.
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Der Beitrag von C a r d e r i (51) schließlich erschöpft sich in der Aussage, daß die politische Stellung des Scipio Aemilianus nicht unangefochten war und Lucilius ihm in der Auseinandersetzung mit seinen Gegenspielern die Stange hielt.110 Durchmustert man die Anschauungen des Lucilius schließlich auf ihr gedankliches Fundament, so stößt man - zumindest außerhalb des virtus-Fragments - schwerlich auf eine im engeren Sinne philosophische Grundierung. Zwar hatte Marx den Satiriker noch als Epikureer gesehen111 und C h a r p i n (4) ihn als Stoiker einstufen wollen; sein römischer Realitätssinn und die Tatsache, daß ihm Kleitomachos, das Haupt der Platonischen Akademie, eine Schrift über die Wahrnehmung zueignet (Cic.ac.2,102), dürften dagegen auf eine gewisse Sympathie für die akademische Skepsis schließen lassen. Entsprechend theoriefrei gestaltet sich nach M a z z o l i (39) der Kernpunkt der Lucilischen Ideologie: Wie Lucilius die virtus allgemein als ein auf Wissen gegründetes Urteil über das verum hochhält (fr.1342 ff.), so besitzt auch für ihn selbst als Dichter das Bemühen um die Wahrheit - sprich: Authentizität, parrhesia, Aufdecken von Mißständen - höchste Priorität (fr.192 f.): Weder in der Realität noch in der Literatur vermag er ein verosimile oder gar fictum zu akzeptieren. G i a n n o n e (55) sieht in den grammatischen, linguistischen und literarischen Aussagen des Lucilius eine stoische Grundierung: Als Belege nennt er die Auseinandersetzung mit poetologischer Theorie (fr.376-385) und das Streben nach authentischer, d.h. 'wahrer' Dichtung, v.a. aber fr.1122, in dem sich Lucilius das stoische Interesse an der Wortetymologie (archaeotypa bedeutungsgleich mit den Varro ling.6,36 genannten verba primigenia) zu eigen machen soll. Kenntnisnahme der Arbeiten von Morelli (199) und Degl'Innocenti Pierini (150) hätte G. vor diesem Irrtum bewahren können. Am Beispiel der Begriffe honos/laus will J a c o t o t (56) zeigen, daß Lucilius unter dem Eindruck griechischer Philosophie - traditionellen römischen Wert vorstellungen durchaus kritisch gegenübertritt. In seinen Satiren versagt er sich alle Lobeserhebungen:112 Für sich selbst nimmt er nur augenzwinkernd laus in Anspruch (fr.98); honos will er allenfalls - auch dies im Scherz (ludo ac sermonibus nostris) - der Schönheit einer Frau zusprechen (fr.982 f.). Den Wert des honos sieht er durch den Zufall in Frage gestellt (fr.444 f.)113; und wenn er im virtus-Fragment honos zu divitiae, nicht zu den sittlichen Werten stellt (vgl. fr.1348 f. neben 1345 f.), stuft er seinen Rang auf die Ebene eines proegmenon herab. Zu maßloser ambitio fehlt ihm entsprechend 110 Auch zum Rahmenthema des einschlägigen Sammelbandes ('Die Legitimation der Einzelherrschaft im Kontext der Generationenthematik') vermag Vf.in nichts Erhellendes beizutragen. 111 Eher beiläufig wird dieser Ansicht von C h r i s t e s (130) widersprochen. 112 Diese Entscheidung scheint indes - genau besehen - keiner grundsätzlichen Ablehnung, sondern der Gattungsperspektive geschuldet zu sein: Im Rahmen seiner Möglichkeiten mag auch Lucilius durchaus rühmende Worte gefunden haben (vgl. fr.1067). 113 Auch hier sind Bedenken angebracht, führt doch die von J. benannte Parallele Cic.off.1,115 in eine andere Richtung: Cicero sieht die äußeren Lebensumstände (regna, imperia, nobilitatem, ho nores [= 'Ämter'], divitias, opes eaque quae sunt his contraria) dem Zufall unterworfen; Lucilius indes diskutiert, ob der Erfolg menschlichen Handelns (vincere bello) auf virtus oder fortuna beruht, und hat dabei sicherlich der virtus den Vorzug gegeben.
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jeder Zugang (fr.1127 f.; auf sich selbst bezogen 656 f., im Munde eines Interlocutors 690). So wird gerade aus der Weltsicht des Lucilius verständlich, warum sich die römische Moralphilosophie der Zukunft nicht auf honos, sondern das honestum als Idealbegriff festlegt.114 D e m a n c h e (57) postuliert eine - bei aller Verschiedenheit im einzelnen - verwandte Zielsetzung der Luciliussatiren und der Paradoxa Stoicorum als Medium ethischer Erziehung (171: "La satire serait une sorte de traduction des paradoxes, adaptée à un public romain"). Dabei zeichnet sie jedoch letztlich ein schiefes Bild: Auf der einen Seite betont sie die Rückbindung der Luciliustexte an die politisch-gesellschaftlichkulturelle Realität der Zeit und damit letztlich an eine konkrete Situation; auf der anderen Seite jedoch nimmt sie ebendiese Texte - in welchem Zusammenhang und von wem auch immer gesprochen - als Träger einer höheren Weisheit in Anspruch: Fr.616 di monerint meliora! amentiam averruncassint tuam! soll auf die erhabene Aufgabe des Satirikers verweisen (190: "Le but est de se rapprocher d'une verité absolue et d'agir selon une volonté supérieure. Le poète se dit dans le camp des dieux"), fr.652 an die Sterblichkeit des Menschen erinnern, verschiedene Aussagen zur Liebe gegen die Gefahren eines verhängnisvollen Affekts wappnen, angegriffene Personen ex negativo ein Muster für richtiges Verhalten abgeben. Man sollte Lucilius nicht auf den Autor des virtus-Fragments (1342-1354) reduzieren wollen.
IX. Literarischer Standort 58. J.H. Wa s z i n k , Problems concerning the Satura of Ennius, in: Ennius. Entretiens sur l'Antiquité classique 17, Vandœuvres-Genève 1972, 97-137. 59. E.A. S c h m i d t , Lucilius kritisiert Ennius und andere Dichter. Zu Lucilius fr.148 Marx, MH 34, 1977, 122-129. 60. J.A. S e g u r a d o e C a m p o s , Luciliana, Euphrosyne 11, 1981-1982, 1 29-141. 61. R.K. E h r m a n , Lucilius and the cross-currents of literary thought in the time of Scipio Aemilianus, Diss. Univ. of Illinois at Urbana-Champaign 1982, IV&255 S. (Mikrofilm); vgl. DAI 43, 1982-1983, 793A-794A. 62. A. P e n n a c i n i , "Bioneis sermonibus et sale nigro", in: Prosimetrum e spoudogeloion F. Della Corte oblatum, Genova 1982, 55-61. 63. V.S. D u r o v , Римская сатира и комедия, VLUist 41, 1986, 52-57.
114 Lucilius als "charnière importante dans le passage d'une morale de l'honneur à une éthique de l'honnêteté" (665) zeigt sich gerade im virtus-Fragment, wo er den römischen Begriff honestum schlüssig an die Vorstellung des stoischen καλόν annähert. Entsprechend hat J. seine Überlegungen in der überarbeiteten Fassung um die Kapitel 'L'exhortation à la vita honesta' und 'L'élaboration éthique d'honestus' erweitert.
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64. A. P e n n a c i n i , Il cibo e il corpo nella diatriba e nella satira, in: O. L o n g o P. S c a r p i (Hgg.), Homo edens. Regimi, miti e pratiche dell' alimentazione nella civiltà del Mediterraneo. Contributi del Congresso "Homo Edens" (13-14-15 aprile 1987), Milano 1989, 75-79. 65. A. L a P e n n a , Il nigror di Lucilio. Ipotesi su due frammenti, Maia 40, 1988, 41-43. 66. A.-T. C o z z o l i , Poesia satirica latina e favola esopica (Ennio, Lucilio e Orazio), RCCM 37, 1995, 187-204. 67. U. A u h a g e n , Lucilius und die Komödie, in: Der Satiriker Lucilius und seine Zeit (16), 9-23. 68. A. B a g o r d o , Lucilius und Kallimachos, in: Der Satiriker Lucilius und seine Zeit (16), 24-36. 69. G. M a n u w a l d , Lucilius und die Tragödie, in: Der Satiriker Lucilius und seine Zeit (16), 150-165. 70. B. Z i m m e r m a n n , Lucilius und Aristophanes, in: Der Satiriker Lucilius und seine Zeit (16), 188-195. 71. S. F a l l e r , Accius in der Kritik des Lucilius, in: S. F a l l e r - G. M a n u w a l d (Hgg.), Accius und seine Zeit, Würzburg 2002, 141-160. 72. A. P e n n a c i n i , Riso e conoscenza in testi pagani: diatriba cinica e satira romana, in: C. M a z z u c c o (Hg.), Riso e comicità nel cristianesimo antico. Atti del convegno di Torino, 14-16 febbraio 2005, e altri studi, Alessandria 2007, 59-78. 73. A. S o m m e r s t e i n , Hinc omnis pendet? Old Comedy and Roman satire, CW 105, 2011-2012, 25-38. 74. A. C a n o b b i o , Pittori, poeti e serpenti alati: Pacuvio, Lucilio e Hor. ars 13, BStudLat 42, 2012, 546-561. 75. A. C h a h o u d , L'invenzione di un'identità, Altri classici 2013, 1-14. URL: http://hdl.handle.net/2262/68241, Stand: 27.XII.2017. 76. I. G o h , Lucilius' comic interactions: two observations, Eranos 107, 2012-2013, 15-20. 1. Eckdaten E h r m a n (61) betrachtet Lucilius vor dem Hintergrund des zeitgenössischen Literaturbetriebs, in dem vor allem Scipio Aemilianus und seinem Kreis eine prägende Rolle zukommt. Scipio selbst wird aufgrund der Zeugnisse, die seine enge Vertrautheit mit Lucilius dokumentieren, kurzerhand zu dessen Patron erklärt; für die Dichtung des Satirikers wird als theoretische Grundlage Kenntnisnahme, nicht jedoch Abhängigkeit von den poetologischen Reflexionen der Griechen (Aristoteles poet./rhet., Kallimachos) namhaft gemacht. In der Praxis soll die neue Gattung sehr bewußt Errungenschaften älterer Autoren aufgreifen; insbesondere die Komödie kommt dabei
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als Ideenlieferantin in Frage: Auf die Archaia weisen neben dem Prinzip des ὀνομαστὶ κωμῳδεῖν das σπουδαιογέλοιον, das Motiv der Tragödienkritik oder der im Deorum concilium zutage tretende "'carnival' style of Old Comedy" (170); die Nea mit ihrer speculum vitae-Konzeption wird in der "similarity in diction" (198; vgl. etwa fr.266 f.; 639 f.)115, der Übernahme von Namen und Situationen (fr.769; 913 ff.), der Präsentation von Menschentypen (meretrix, adulescens, leno) und dem moralischen, Aspekte der humanitas ventilierenden Anspruch (vgl. etwa Plaut.Amph.648-653 neben dem virtus-Fragment des Lucilius) sichtbar. Schief ist freilich die Einschätzung, wonach die Arbeitsweise des Lucilius nach den gleichen Maßstäben wie die eines Plautus oder Terenz zu beurteilen sei: "In this sense Lucilius was doing nothing more than practicing contaminatio (…), although he took it further than the comic poets" (246). Zusammenfassend versucht C h a h o u d (75) eine Standortbestimmung der Lucilischen Poetik zwischen aristokratischer libertas und feskenninentypischer licentia. 2. Einfluß einzelner Gattungen und Autoren a) Komödie Z i m m e r m a n n (70) geht den strukturellen Gemeinsamkeiten nach, die Lucilius mit der Alten Komödie eines Aristophanes verbinden: In Dichtungskritik, Kritik des populus und politischem Spott werden motivische Entsprechungen, aber auch analoge Zielsetzungen sichtbar, wie sie sich im Anspruch auf eine "Bildungsfunktion" (191), die Meinungsführerschaft in Zeiten des Umbruchs und die Schaffung bzw. Sicherung sozialer Konformität dokumentieren; beide Dichter sehen sich selbst in einer gesellschaftlich-politischen Mission und ihre Werke als "Medium der Identitätsbildung" (194), wobei sich natürlich erst Lucilius die Perspektive des gebildeten Aristokraten zu eigen macht. Ob allerdings Horazens Aussage hinc omnis pendet Lucilius (sat.1,4,6) auf die Feststellung einer solchen Geistesverwandtschaft zu reduzieren ist, muß dann doch offenbleiben. S o m m e r s t e i n (73) fragt nach der objektiven wie subjektiven Berechtigung von Horazens Behauptung, Lucilius wandle auf den Spuren der Alten Komödie (sat.1,4,6). 1. objektiv. Die von Cucchiarelli (247) mit Beispielen unterfütterte These, Horaz habe an zahlreichen Stellen seines Iter Brundisinum auf Aristophanes Frösche (und damit auf ein Produkt der Alten Komödie) anspielen wollen, soll nach S. (wie auch nach Baldarelli [96]) schon für das Iter Siculum Gültigkeit besitzen. Jedoch basieren die von ihm konstatierten Gemeinsamkeiten ('mud and heavy roads', 'upset digestion', 'a boat trip', 'plebeian transport animals', 'contests or conflicts with a strong verbal element', 'an inn with simple food', 'an engagement with tragedy', 'solitary orgasm, induced, or spontaneous') teils auf Erfahrungen, wie sie dem armen Reisenden bis ins 19.Jh. hinein
115 E. selbst räumt ein, daß sich einschlägige Stilmittel auch sonst, etwa in der Tragödie, nachweisen lassen.
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beschieden waren, teils auf vordergründigen Assoziationen, welche die Beweislast auch nicht zu tragen vermögen.116 2. subjektiv. Wiewohl der Komödienbezug nur für Lucil.I-III (das Deorum conci lium, den Mucius Scaevola-Prozeß und nun also auch das Iter Siculum) ins Auge fällt, insistiert Horaz auf dieser Gattungsverwandtschaft, statt die - weit näherliegende - Verbindung zur Jambik des Archilochos herauszustreichen. Als Grund führt S. an, Horaz habe sich selbst als Pionier einer römischen Jambik in Szene setzen wollen117; eher dürfte ihn indes die Absicht geleitet haben, die Eigenständigkeit der - von ihm gleichzeitig bearbeiteten - Gattungen Satire und Iambus nicht zu verwischen.118 Auch die Affinität von Luciliussatire und römischer Komödie, wie sie A u h a g e n (67) anhand der isolierten Motive 'Literaturkritik' und 'Gesellschaftskritik' aufzuzeigen sucht, ist viel zu vage, um sich hermeneutisch fruchtbar machen zu lassen: - Mit seiner Polemik gegen die Tragödie verficht Lucilius das Postulat einer an ihrer gesellschaftlichen Relevanz zu messenden Dichtung und damit die Existenzberechtigung seines eigenen Schaffens, während Terenz in programmatischen Prologen seine persönliche Dichterehre gegen alle möglichen, auf Konkurrentenneid beruhenden Anwürfe verteidigt. Vor diesem Hintergrund bleibt die Aussage "der Weg des Lucilius … ist durch Terenz vorgezeichnet" (13) recht eigentlich wohlfeil. - Sowohl in autobiographischen Erlebnisschilderungen wie auch in seiner Kritik am "moralischen Verfall der Gesellschaft" (19) läßt sich - der eingefleischte Junggeselle - Lucilius über verschwendungssüchtige bzw. lüsterne Ehefrauen und gewinnsüchtige Hetären aus; daß dieser Personenkreis auch zum Typenarsenal der Palliata gehört und dort durch seine saturnalienhafte Dominanz für willkommene Komik sorgt, steht jedoch auf einem ganz anderen Blatt: Der unmittelbare Rekurs des Satirikers auf die Lebensrealität bedarf keiner literarischen Anregungen; und auch A.s befremdliche Behauptung, die im bürgerlichen (und zudem griechischen!) Milieu spielenden Komödien zielten - ganz wie Lucilius - auf "Verspottung vor allem der Oberschicht"(!) bzw. die "despektierliche Darstellung bzw. Verspottung gesellschaftlich Hochstehender"(! 21), vermag zwischen römischer Palliata und Satire keine belastbare Verbindung zu schaffen. Schließlich sind G o h s (76) Einlassungen zum Verhältnis Lucilius - Komödie ebenso unklar wie spekulativ: Anscheinend soll Horaz bei seiner sat.1,4,1-9 formulierten "tendentious characterisation of the inventor of satire as a follower of comedians" (15) nicht zuletzt die Rhinthonischen Phlyaken im Auge gehabt haben ("One explanation
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116 Hinter 'a boat trip' verbirgt sich Aristoph.ran.180-270 (Dionysos rudert in Charons Nachen über den Acheron), Hor.sat.1,5,10-23 (nächtliche Durchquerung der Pontinischen Sümpfe in einem Treidelkahn) und Lucil.fr.126 ff. (Seereise entlang der Küste Süditaliens). 117 Nasta (248) hatte dem Gedicht - nicht minder unglaubhaft - das genaue Gegenteil entnommen. 118 Wenn S. in seinem Schlußsatz zu suggerieren scheint, Horaz stelle Lucilius mit den Vertretern der Alten Komödie zusammen, um ihn so besser abqualifizieren zu können ("There was no discounting Lucilius … But he could at least be denied the mantle of Archilochus by foisting on him instead the mantle of Eupolis, Cratinus, and Aristophanes - and then saying he did not know the right way to wear it": 38), erweist er dem ersten Beweisziel seines Aufsatzes wie auch dem Renommee von Horaz einen Bärendienst.
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for Horace's tendentious claim may involve a southern Italian tradition of hexameter theatre - a Lucilian influence ignored by Horace": 17), deren Inhalt (Tragödienparodie) nun gerade allem zuwiderläuft, was Horaz a.a.O. als verbindendes Element zwischen Lucilius und der Archaia herausarbeitet.119 Und Lucilius selbst soll - "we might go so far as to say …" (19) - die Begegnung zwischen Albucius und Scaevola (fr.89-95) mit Anklängen an die fabula praetexta in einen "chorus-like chant" (19; Scaevola als χορηγός) haben münden lassen. Wie durch solche Beobachtungen "the complexity of Lucilius' representation of comedy, as well as the nuance of Horace's tendentious response to it" (20) sichtbar werden könnten, hat sich dem Berichterstatter nicht erschlossen. Zu D u r o v (63) muß das APh 57, 1986, 353 gebotene Resümee genügen: "En partant d'Hor.Sat.I,4,6, comparaison non génétique, mais typologique avec Lucilius (et avec le folklore traditionnel)." b) Diatribe In Anknüpfung an frühere Publikationen120 beobachtet P e n n a c i n i Gemeinsamkeiten in den "procedimenti letterari" (62, 59) von Luciliussatire und kynischer Diatribe, die möglicherweise auf Übernahme durch den Satiriker zurückgehen (Ps.Acro zu Hor.epist.2,2,60). Dies betrifft das σπουδαιογέλοιον im allgemeinen, im besonderen aber das ἀπροσδόκητον (62) und die Vermittlung ethischer Grundsätze durch eine an der Erfahrungswelt des Alltags orientierte Metaphorik (64; z.B. fr.192 f.; 691 f.).121 c) Kallimachos In Auseinandersetzung mit P u e l m a P i w o n k a und S c o d e l 122 erweist B a g o r d o (68) die Annahme einer Kallimachosnachfolge des Lucilius in einigen Punkten als irrig:123 Angebliche Entsprechungen programmatischer Natur verkennen den Zusammenhang der Aussage bei Lucilius (fr.108-111; 610) oder dem als Schwurzeugen benannten Horaz (sat.1,10,64-74 soll das Kallimacheertum des Lucilius belegen); schlimmstenfalls sind sie nicht einmal durch den Kallimachostext selbst gedeckt (wo fände sich dort eine Parallele zu Lucil.fr.589-593?). Daß Kallimachos für seine Dialektmischung (ia.13, fr.203, 18 f. Pf.), Lucilius aber für seine Sprachkontamination (Hor. sat.1,10,20-24) Kritik erfährt, ist sachlich nicht zu vergleichen (im einen Fall betrifft der Verstoß die Gattungsgesetze der Jambik, im anderen die Reinheit der lateinischen Sprache); und daß die "Kompositionsform" (24) der 30 Bücher Luciliussatiren nicht auf das Jambenbuch des Kallimachos zurückgeht, hätte gar keiner Widerlegung be 119 Daß Rhinthons Stücke auch schon in Hexametern abgefaßt waren (und dadurch auf Lucilius eingewirkt hätten), wird Lyd.mag.1,41 behauptet, durch die Überlieferung jedoch nicht bestätigt. 120 A.P., Docti e crassi nella poetica di Lucilio, AAT 100, 1965-1966, 293-360; Funzioni della rappresentazione del reale nella satira di Lucilio, AAT 102, 1967-1968, 311-435. 121 P e n n a c i n i (72) geht der Sache nach nicht über die beiden älteren Publikationen hinaus. 122 M.P.P., Lucilius und Kallimachos. Zur Geschichte einer Gattung der hellenistisch-römischen Poesie, Frankfurt a.M. 1949; R.S., Horace, Lucilius, and Callimachean polemic, HSPh 91, 1987, 199-215 (= in: K. F r e u d e n b u r g (Hg.), Horace. Satires and Epistles, Oxford 2009, 212-230). 123 Schon C h r i s t e s (130), passim hatte die Vorstellung von Lucilius als Kallimacheer nachdrücklich zu entkräften gesucht.
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durft: Ist bei dem Römer doch offenbar eine erst postum gestaltete Ausgabe 'Lucilius: Gesammelte Werke' anzusetzen. d) Ennius Nach Wa s z i n k (58) weist die Ennianische Satura genügend Ähnlichkeiten mit Lucilius auf, um als Vorstufe der römischen Satire gelten zu können: Gemeinsam ist beiden Autoren der Titel124, die metrische wie inhaltliche Buntheit der Gedichte, eine - im modernen Sinne - satirische Grundhaltung neben gänzlich 'unsatirischen' Gedichten, bekenntnisgleiche Stellungnahmen zum eigenen Leben und zum Selbstverständnis als Dichter sowie eine moralisierende Tendenz, die sich nicht zuletzt im Einsatz von Fabeln niederschlägt. C o z z o l i (66) beobachtet, wie sich deren multifunktionale Verwendung bei Kallimachos unter dem Zugriff der römischen Satiriker seit Ennius auf die Vermittlung popularethischer Lebensweisheit verengt; auch Lucilius hat Fabeln nach Ausweis des Überlieferten nicht für persönliche Polemik eingesetzt (vgl. fr.1074-1083 Fuchs und kranker Löwe; 564 f. Hinweis auf die fleißige Ameise?). e) Tragödie M a n u w a l d (69) dokumentiert anhand ausgewählter Beispiele, wie sich die Aversion des Lucilius gegen die Tragödie aus deren "Stil, Aufbau (Prolog), Szenengestaltung, Argumentationsführung, fehlender Realitätsnähe, Wirkung auf das Publikum und Dichterintention" (162) speist. Problematisch ist es indes, in diesem Zusammenhang von einer "kunsttheoretischen Betrachtungsweise" (ebd.) des Satirikers zu sprechen: Wirklichkeitsferne und Popularitätshascherei (zwei Seiten einer Medaille, auf die sich die vorgenannten Punkte reduzieren lassen) disqualifizieren die Gattung aus der subjektiven Sicht des Dichters, der sein eigenes Schaffen gerade unter das Vorzeichen von Unabhängigkeit und Realitätsnähe stellt. S c h m i d t (59) trägt Entscheidendes zum vermuteten Inhalt verschiedener Luciliusbücher bei, indem er die zu Hor.sat.1,10,53 nil comis tragici mutat Lucilius Acci? überlieferte Notiz des Porphyrio (= Lucil.fr.150) Facit autem haec Lucilius cum alias, tum vel maxime in tertio libro; meminit IX et X, die bisher fast nur Fragen aufwarf 125, inhaltlich und kontextuell einer neuen Deutung zuführt: Demnach bezieht sich der Scholiast nicht nur auf v.53, sondern auf den gesamten Zusammenhang v.53 ff. (in Parodieform gegossener Spott über Accius und Ennius)126; facit haec = 'treibt Dichterkritik'; meminit = "cuius rei (aus haec) meminit ('erwähnt er') IX et X libro" (125). Für die Bücher 9 und 10 sind ja dichtungskritische Äußerungen belegt (für IX vgl. fr.383 ff., für X die Persiusvita Z.51-55 Clausen (sc. Persius) lecto Lucili libro decimo vehementer
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124 Für Lucilius ist dieser allerdings nur zu erschließen; ein eigener Textbeleg fehlt. 125 Wo in Buch 3 hätte Lucilius schwerpunktmäßig Acciuskritik betrieben? Wie unterscheiden sich facit haec und meminit? Warum äußert sich der Scholiast ausführlich zur Acciuskritik von v.53, schweigt aber zum Enniusspott von v.54 f.? 126 Zu Recht verweist Schmidt 125 Anm.12 darauf, daß v.53 mutat nicht mutandum esse censet heißt (so Kießling-Heinze z.St.), sondern - neben v.54 ridet - eine Änderung im Sinne parodischer Verfremdung bezeichnet.
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saturas componere instituit … cum … recentium poetarum et oratorum insectatione); für den spottend-parodierenden Dichtertadel von Buch 3 wären neben anderen Stellen auch die fragmenta incertae sedis 1138 (vgl. Porph.zu Hor.sat.1,10,30) und 1211 alget et horret (vgl. Serv.zu Verg.Aen.11,601) in Anspruch zu nehmen.127 F a l l e r (71) durchmustert neuerlich die (möglicherweise) auf Kritik des Accius abzielenden Stellen und rekapituliert die hierzu vertretenen Forschermeinungen: Kaum überraschend, gerät der Tragiker wieder wegen seines exaltierten Stiles, seines dünkelhaften Auftretens als Vorsitzender des collegium poetarum und seines Eintretens für eine reformierte Rechtschreibung ins Visier des Lucilius ("zumindest könnte das alles so gewesen sein": 151); dessen Antipathie sollen "persönliche, poetologische und bis zu einem gewissen Grade vielleicht politische Motive" (156) angestachelt haben. Noch weniger weiß die neuere Forschung über Pacuvius beizutragen: L a P e n n a (65) will Lucil.fr.200 f. (am ehesten im Kontext einer Tierfabel: Stadtmaus und Landmaus?) und 1241 f. (Kontext nicht bestimmbar) wegen des seltenen Substantivs nigror jeweils als Pacuviusparodie identifizieren; und in Ausarbeitung der von ihm vertretenen These, Horaz habe ars 1-13 auf Pacuvius als Tragiker und als Maler Bezug genommen, läßt C a n o b b i o (74) auch die einschlägigen Zeugnisse der Lucilischen Pacuviuskritik und deren Deutung durch die Forschung Revue passieren (zu ars 13 vgl. bes. fr.604 über den Medus des Pacuvius): Für Lucilius selbst konnte - und wollte - die Arbeit keine Erkenntnisgewinne erzielen. Zu Pacuvius vgl. auch Reggiani (164). f) Andere Für Archilochos vgl. Segurado e Campos (60), Mariotti (180) und Mankin (187), für Empedokles Farrell (195).
X. Werkchronologie und -titel 77. J.R.C. M a r t y n , Satis saturae? Mnemosyne 25, 1972, 157-167 = d e r s ., Juvenal: a farrago. A collection of articles on the satires of Juvenal and on Roman satire, Amsterdam 1996, 175-187. 78. B. Z u c c h e l l i , Cronologia Luciliana: La pubblicazione delle satire, Paideia 32, 1977, 4-11 = d e r s ., Scritti minori, Cesena 2009, 201-209. 79. W.J. R a s c h k e , The chronology of the early books of Lucilius, JRS 69, 1979, 78-89. 80. E. F l o r e s , Petronio e lo schedium Lucilianae humilitatis, in: Prosimetrum e Spoudogeloion, Genova 1982, 63-82.
127 Im letzteren Falle ist allerdings daran zu erinnern, daß der Ennianische Versschluß splendet et horret (var.fr.14 V.) nicht in den Kontext des Reisetagebuchs transponiert, sondern per se als mißlungen gebrandmarkt wird (vgl. die Übersetzung von Krenkel II 641: "das ist frostig und schlecht").
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1. Werkchronologie Die Edition der frühesten Luciliussammlung (Bücher 26-30) wird seit C i c h o r i u s 128 üblicherweise auf 123 v. datiert. Z u c c h e l l i (78) kann diesen Ansatz mit gewichtigen Gründen widerlegen:129 1. Dem entscheidenden Argument wird durch epigraphische Zeugnisse der Boden entzogen: Während Cichorius das Auftreten von publicani in Asien (fr.656 f.) auf die lex Sempronia des C. Gracchus von 123 v. zurückführen wollte, ist dieses mittlerweile auch schon für spätestens 129 v. bezeugt.130 2. Das Deorum concilium, das dem ersten Buch und damit schon der jüngeren Satirensammlung angehört, setzt den unmittelbar zuvor erfolgten Tod des inkriminierten princeps senatus, L. Cornelius Lentulus Lupus, voraus. Dieser muß jedoch spätestens 125 v. erfolgt sein, haben doch bereits die Zensoren der Amtsperiode 125/4 v. die Ernennung seines Nachfolgers P. Cornelius Lentulus vollzogen (vgl. Cic.Phil.8,14). C i c h o r i u s hatte hilfsweise für das Jahr 123 v. mit einer außerordentlichen Zensur gerechnet131; doch ist diese Annahme durch den Wortlaut der zwischenzeitlich bekannt gewordenen Fasti Antiates maiores widerlegt. Für das erste Gedicht nach Abschluß der frühen Sammlung bleibt mithin eine Datierung auf 125 v. am wahrscheinlichsten; die Sammlung selbst ist entsprechend früher anzusetzen. Damit rückt die bereits von Marx vorgeschlagene und mit dem punktgenauen Abbrechen aller zeithistorischen Anspielungen begründete Frühdatierung der Edition auf etwa 129 v. in den Vordergrund.132 Ein verbleibendes Hindernis - fr.1054 f. (aus B.30) wird seit Cichorius auf das gegen die peregrini gerichtete Ausweisungsgesetz von 126 v. und dessen Folgen bezogen - will Z. dadurch beseitigen, daß er die erste Sammlung auf B.26-29 eingrenzt und B.30 zu einer später publizierten Monobiblos erklärt.133 Unabhängig von Zucchelli durchmustert auch R a s c h k e (79) den zeitlichen Ansatz der maßgebenden Fragmente und kann so neuerlich die Marx'sche Frühdatierung der älteren Satirensammlung als zutreffend erweisen. Einen entscheidenden Fortschritt bietet dabei ihre überzeugende Neuverortung von fr.1054 f.: Vor dem Tode Scipios verfaßt und auf die Aktivitäten der gracchushörigen Volksversammlung bzw. der triumviri agris iudicandis assignandis bezogen, läßt der Text keinen Spielraum mehr für die fragwürdige Einschätzung von Buch 30 als Monobiblos oder die unerklärlichen Pausen, wie sie noch Zucchelli für das Schaffen des Satirikers hatte ansetzen müssen. Im Ergebnis kann nun folgender zeitliche Rahmen als gesichert gelten:
128 C.C. (wie Anm.65), hier: 68-77. 129 Die wesentlichen Punkte der Diskussion hatte schon C h r i s t e s (1), 1200-1203 berührt. 130 Vgl. A. P a s s e r i n i , Le iscrizioni dell' agorà di Smirne concernenti la lite tra i publicani e i Pergameni, Athenaeum 15, 1937, 252-283. 131 Cichorius ebd. 77-86. 132 Ergänzend möchte Z. auch die recusatio des Lucilius mit ihrem Verweis auf die facta Corneli (sc. Scipionis; fr.689 f. mit 679) lieber zu Lebzeiten des Aemilianus (†129 v.) ansiedeln. 133 Dies nach dem Vorschlag von J. M i c h e l f e i t , Zum Aufbau des ersten Buches des Lucilius, Hermes 93, 1965, 113-128, hier: 125-128.
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Buch 26: Buch 30: Buch 1:
fr.656 f. fr.1054 f. Tod des Lentulus Lupus
ca.131 v. 130/129 v. 128/125 v.
2. Werktitel Nach F l o r e s (80) hätte Lucilius mit dem - nicht notwendigerweise als Titel - für seine Dichtung geprägten Terminus schedium (fr.1296) nicht primär auf Improvisationen, sondern auf "composizioni (…) in versi di differente natura metrica e mal giustapposte fra loro" (78) abgehoben. Als Argument dienen ihn 1. die Petron.4,5 als schedium Lucilianae humilitatis eingeführte Abfolge von Hink jamben und Hexametern; 2. die identische Verssequenz im choliambischen Prolog und der - dem gleichen Themenkreis zuzuordnenden - ersten Satire des Persius; 3. die Fest.p.450,16-21 L. (= 334 M.) und Paul.Fest.p.451,9 ff. L. (= 335 M.) gebotene Ableitung des Wortes von schedia ('Floß'; von F. 78 definiert als "qualcosa di non ben connesso, soltanto legato").134 Indes bilden weder Choliamben und Eingangssatire des Persius eine inhaltliche Einheit, noch dürfte Lucilius mit der windigen, auf dem zufälligen Gleichklang zweier unterschiedlicher Wortstämme (σχέδη, σχεδία / σχεδόν, σχέδιος) beruhenden Philologenspekulation vertraut gewesen sein.135 Und im Petrontext erfolgt der Hinweis auf das schedium eben doch im Sinne anmaßender Bescheidenheit, wie sie der kultivierte Literat anläßlich dichterischer Improvisationen auch sonst zum Ausdruck bringt (vgl. Petron.118,6). M a r t y n (77) stellt noch einmal die Frage nach dem von Lucilius verwendeten Werktitel und kommt zu dem ernüchternden Ergebnis, daß sich weder für satura(e) noch für poemata per saturam, schedium, ludus oder sermones hinreichende Argumente finden lassen.
XI. Personen und Motive 1. Personen 81. A. P e r r u c c i o , Q. Granius in Lucilio e Cicerone: integrazione culturale di un banditore d'asta? MediterrAnt 5, 2002, 677-690. 82. B. Z u c c h e l l i , Un antiquario romano contro la 'nobilitas': M. Giunio Congo Graccano, StudUrb(B) 49, 1975, 109-126 = d e r s . , Scritti minori, Cesena 2009, 211-227. 134 In dem nur noch fragmentarisch kenntlichen Festustext ist Lucil.fr.1296 qui schedium fa… als Beleg zitiert. 135 Im Lateinischen ist das Substantiv schedia ('Floß') anscheinend erst (und nur) bei Ulpian (Dig.14,1,1,6) belegt.
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83. C. F a u s t i n e l l i , La crisi della città di Roma nella poesia latina arcaica: Lucilio e la condanna di Lupo, in: E. C o r t i (Hg.), La città com' era, com' è e come la vorremmo, Atti dell' Osservatorio permanente sull' Antico a.a.2012/13 Pavia, Firenze 2014, 91-96. 2. Motive 84. J.C. M i r a l l e s M a l d o n a d o , Lucilio y Horacio: el motivo del ornatus cor poris en la sátira, QUCC 57, 1997, 119-138. 85. U. G ä r t n e r , Lucilius und die Freundschaft, in: Der Satiriker Lucilius und seine Zeit (16), 90-110. 86. H. H a ß , Lucilius und die Frauen, in: Der Satiriker Lucilius und seine Zeit (16), 111-120. 87. S. K o s t e r , Lucilius und die Literarkritik, in: Der Satiriker Lucilius und seine Zeit (16), 121-131. 88. E. S c h ä f e r , Lucilius und die Stadt Rom, in: Der Satiriker Lucilius und seine Zeit (16), 177-187. 89. A. L e h m a n n , Analyse linguistique et critique littéraire dans les Satires de Lucilius, in: G. A b b a m o n t e u.a. (Hgg.), L'ultima parola. L'analisi dei testi: teorie e pratiche nell' antichità greca e latina, Napoli 2004, 177-201. 90. C. S a n t i n i , Lessico medico in Lucilio, in: M. B a l d i n u.a. (Hgg.), Testi medici latini antichi. Le parole della medicina: lessico e storia. Atti del VII Convegno internazionale Trieste, 11-13 ottobre 2001, Bologna 2004, 29-38. 91. I. G o h , Members only? The non-aggression of phalluses in Lucilian satire, Arethusa 50, 2017, 35-64. 1. Personen Z u c c h e l l i (82) bemüht sich auf den Spuren von C i c h o r i u s (wie Anm.65), 121-127, der schattenhaften Existenz des fr.591 f. genannten Iunius Congus klarere Konturen zu verleihen: Name und Profession legen es nahe, ihn mit dem Cic.de orat.1,256 und Planc.58 belegten Antiquar und Rechtsgelehrten Congus und dem Plin.nat.33,36 erwähnten Iunius …, qui ab amicitia eius (sc. C. Gracchi) Gracchanus appellatus est gleichzusetzen; hiergegen lassen sich weder die Freundschaft des Gracchanus mit dem jüngeren Gracchus136 noch auch chronologische Unstimmigkeiten137 ins Feld führen. Literarisch ist er zumindest mit einem Werk De potestatibus in Erschei 136 Für innerlich unabhängige Persönlichkeiten wie Lucilius sind in Rom auch sonst Freundschaften über 'Parteigrenzen' hinweg zu belegen. 137 Als Cicero 54 v. seine Rede Pro Plancio hält, ist Congus bereits tot, aber nicht unbedingt - wie im schol.Bob. z.St. erschlossen - erst kurz zuvor verstorben; eine Lebenszeit von etwa 150-70 v. (nach Z.: 60 v.) kommt durchaus auch für den Luciliusfreund in Betracht.
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nung getreten (Cic.leg.3,48 f.); die Hypothese von C i c h o r i u s , wonach Congus im 26. Luciliusbuch als Gesprächspartner des Satirikers fungiere ('der junge Historiker'), hat dagegen als überholt zu gelten.138 Mit dem oft und gern in seinen Satiren herausgestellten Auktionator Q. Granius verbinden Lucilius innere Unabhängigkeit und kaustischer Witz; Cicero wiederum empfindet beide als geistesverwandt: Wenn er Granius - ungeachtet aller Standesunterschiede - in etlichen Anekdoten als Musterbeispiel für urbani sales auftreten läßt (vgl. auch Planc.33), dürfte er nach P e r r u c c i o (81) mehrheitlich auf Lucilius als Quelle zurückgegriffen haben. F a u s t i n e l l i (83) schließt aus den auf Lupus bezogenen Fragmenten, der Satiriker habe sein Opfer zuvörderst wegen dessen Gräkomanie aufs Korn genommen: Entsprechend werde sein - auch bei den Römern insgesamt zu beobachtender - Hang zum Luxus, seine exaltierte Sprache (fr.14-18) sowie sein durch "speculazione filosofica greca" (95) genährtes Verhalten gegenüber den Göttern (fr.1328 ff.) und vor Gericht (fr.789-795) herausgestellt. Hier sind jedoch Zweifel angebracht: Zeugt fr.1328 ff. wirklich von philosophischer Reflexion des Lupus? Spiegelt Juppiters Verhandlungsführung in der Götterversammlung die öde, durch "lo sterile filosofeggiare" (94) geprägte Sitzungsleitung des princeps senatus? Und befremdet der Richter Lupus gar nicht durch unverhältnismäßige Strenge, sondern durch preziöse, philosophisch angehauchte Metaphorik? 2. Motive M i r a l l e s M a l d o n a d o (84) unterstreicht die Bedeutung, die Horaz wie Lucilius dem Motiv des ornatus corporis als äußerlich wahrnehmbarer Entsprechung jedweder Art von Moral zuweisen: Die richtige Einstellung wird in beiden Bereichen jeweils vom decorum bestimmt. Wo M.M. den Vergleich im einzelnen sucht (ornatus beim Gastmahl, bei Frauen, bei Philosophen, in Sachen Stil), muß er den Untersuchungsgegenstand erweitern oder aber für Lucilius Fehlanzeige anmelden; Unterschiede zwischen den Ansichten der beiden Satiriker fallen nicht weiter ins Gewicht.139 G ä r t n e r (85) untersucht den Themenkreis 'Freundschaft' bei Lucilius: Seine Gedanken über Wesen und Pflichten eines wirklichen Freundes (fr.182-189; 680 ff.; 691 f.; 931-935; 958; 1286; 1350-1354)140 äußert Lucilius "nicht als Weiser, sondern als Realist" (103) vor dem Hintergrund "erlebter Freundschaftserfahrung - und zwar in römischer Ausprägung" (105); mit seinem aus Vertrauten des Scipio Aemilianus zusammengesetzten Freundeskreis teilt er entsprechend nicht nur den politischen Standort, sondern auch den literarischen Geschmack (fr.589-596) und die beglückenden 138 Unerklärt bleibt indes, warum Cicero die gleiche Person einmal Congus (de orat.; Planc.), ein anderes Mal M. Iunius (leg.3,49; bei Plin.a.a.O.: Iunius) nennen sollte. 139 Leider verdrießt die Arbeit durch mangelnde Sorgfalt: Bald liest man von "Hor.Serm.1,14,3235" (123 Anm.21), bald von Horaz "como miembro del círculo de Mesala" (136). 140 Zum durchweg unklaren Kontext der Fragmente sind jeweils nur die von der Forschung bis dato vorgetragenen Thesen referiert.
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Momente erlebter Gemeinsamkeit (vgl. fr.108-111 für das Iter Siculum141 sowie Hor. sat.2,1,71-74 mit Ps.Acro). H a ß (86) widmet sich der nicht unerheblichen Zahl der von Frauen und Erotik handelnden Stellen142, wobei sie die Perspektive des Satirikers von der Komödie und der späteren Liebeselegie abgrenzt: Lucilius spricht von sich selbst und berichtet von erotischen Abenteuern mit verschiedenen Frauen, ohne dabei auf Gefühlsregungen einzugehen oder gar seine männliche Dominanz in Frage zu stellen143; Gespräche über die Vorzüge verschiedener Frauentypen degradieren die Frau nachgerade zum Objekt. Der Ichbezug der Aussagen bleibt letztlich auch dort gewahrt, wo Lucilius das Thema in einen gesellschaftlichen Rahmen einordnet: Wenn er die moderne Frau für ihr Anspruchsdenken und ihre Untreue verurteilt (fr.638-642 bzw. 633) und sich entsprechend gegen eine Ehe sperrt, beschränkt er sich darauf, "das Diskussionsthema völlig untheoretisch anzugehen, auf allgemeine Standpunkte zu verzichten und nur die persönliche Meinung der Gesprächspartner 'ungefiltert' wiederzugeben" (118). K o s t e r (87) sammelt und erklärt einige Fragmente, die sich im weitesten Sinne auf literarische Fragen beziehen: fr.376-385 (Differenzierung von poesis und poema), 1090 f. (Terminus sermones für die eigene Dichtung), 591 ff. (das anvisierte Publikum), 672/619 (Aktualität der Satire), 844/563 (Tragödienkritik), 1089 (Invektivencharakter der Satire)144, 344-348 (Einfachschreibung langer Vokale), 182-189 (Verwendung überbordender Ausdrucksmittel)145, 389 f. (bedachte Wortwahl), 74 f. (Kritik an einem gekünstelten "Sprachmosaik": 127), 550-554 (das Plagiatsproblem). Für die - sicher zutreffende - Erkenntnis, Lucilius habe "die neue römische Identität einer autorbezogenen Literaturform" (129) geschaffen, läßt sich diese Blütenlese jedoch kaum nutzen. Aus L e h m a n n s (89) Zusammenstellung der auf 'analyse linguistique et critique littéraire' (Orthographie, Sprachrichtigkeit, Rhetorik, Dichtungskritik incl. bewußter Selbstpositionierung) bezüglichen Luciliusstellen geht hervor, in welchem Umfang der Satiriker jeweils Accius als Gegenspieler wahrnimmt; für Erklärungen ist jedoch fast durchgehend Charpin (4) herangezogen. Darf die Satire generell als "Kunstform der Großstadt" (177) gelten, so stellt Rom nach S c h ä f e r (88) schon bei Lucilius einen "gattungsrelevanten Bezugspunkt" (ebd.) dar. An konkreten Örtlichkeiten nennt er dabei allzumal die Brennpunkte des sozialen wie politischen Lebens (v.a. Forum und Rostra) sowie des Kulturgeschehens; für das - insgesamt pessimistische - Rombild des Satirikers ist fr.1252-1258 (mit neuer Stoßrichtung gegen die Heiden: Lact.inst.5,9,15-20) am aussagekräftigsten. 141 Die Aussage soll nach G. für die Grundstimmung der gesamten Reise kennzeichnend sein. 142 H. zufolge betrifft dies - je nach Blickwinkel - etwa 10-20% der erhaltenen Fragmente; ein Teil der erotisch konnotierten Passagen ist allerdings auch dem Bereich der Päderastie zuzuordnen. 143 Ansätze hierzu sind allenfalls fr.706 und 708 zu beobachten. 144 Hier hätte sich ein erneuter Blick auf fr.1090 f. empfohlen. 145 Unzutreffend die logische Einbettung des Gedankens: "Der aufdringliche Endungsgleichklang von nolueris und debueris wird dem Freund als ausreichender Vorwand unterstellt, sein Fernbleiben gerechtfertigt zu haben" (126).
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S a n t i n i (90) durchmustert das von Lucilius verwendete 'lessico medico' bezüglich Anatomie, Krankheiten und deren Verlauf (fr.917 ist eher Chironeo als tironeo zu lesen) sowie chirurgischer Instrumente. In Buch 26 bildet das bekannte Diatribenmotiv der Interaktion von bzw. Analogie zwischen Körper und Geist einen thematischen Schwerpunkt; Observanz einer bestimmten Philosophen- resp. Ärzteschule ist nicht zu belegen. Die mit einem werbewirksamen Nonsense-Titel versehene Arbeit von G o h (91) ist schließlich um den Nachweis bemüht, daß "the penises described in his [= des Lucilius] poetry, which seem at some level to characterise it, need not have obscene, derogatory, or even aggressive meanings to do the work of satire" (58). Diese Reinigung des Lucilius textes geht nicht ohne die für G. typische Gewaltsamkeit ab, etwa wenn er die zweite Hälfte von fr.1265 perminxi lectum, imposui pede pellibus labes als "a mud metaphor … with Lucilius coming in from outdoors and getting dirt on the furnishings as a result" (51) erklärt.146 Verschiedentlich werden auch alternative Erklärungen vorgetragen: Sie müssen nur irgendwie geeignet sein, die vorgefaßte These zu belegen.
XII. Künstlerische Gestaltung 92. W. R e i s s i n g e r , Formen der Polemik in der römischen Satire. Lucilius Horaz - Persius - Juvenal, Diss. Erlangen-Nürnberg 1975, 233 S. 93. K. P o l o n s k a j a , О некоторых формах художественной выраэительности сатур Λуцилия, Eirene 19, 1982, 43-55. 94. W.A. K r e n k e l , Zwei Anmerkungen zu Lucilius, in: R. F a b e r - B. S e i d e n s t i c k e r (Hgg.), Worte, Bilder, Töne: Studien zur Antike und Antikerezeption, B. Kytzler zu ehren, Würzburg 1996, 89-97. 95. U. G ä r t n e r , Lucilius und die Emotionen, in: D. B o r m a n n - F. W i t t c h o w (Hgg.), Emotionalität in der Antike. Zwischen Performativität und Diskursivität, Berlin 2008, 169-196. 96. B. B a l d a r e l l i , Le gambe di Alcmena, la sudicia Antiope e la tosse di Tiresia. Usi e funzioni del mito nelle satire di Lucilio, in: C. S c h m i t z (Hg.), Mythos im Alltag - Alltag im Mythos. Die Banalität des Alltags in unterschiedlichen literarischen Verwendungskontexten, München 2010, 61-86. R e i s s i n g e r (92) untersucht die formalen Mittel, deren sich die römischen Satiriker zum Zwecke der Polemik bedienen. Bei Lucilius konstatiert er (6-55) dis 146 Bezeichnend auch die Fortführung des Gedankens: "Such an interpretation would deepen Horace's judgement of Lucilius as lutulentus, 'muddy' (Sat.1.4.11, 1.10.50)" (51). Weitere Beispiele für G.s interpretatorischen furor finden sich zuhauf; vgl. etwa zu Hor.sat.1,10,70 f. in versu faciendo / saepe caput scaberet (sc. der in die Jetztzeit versetzte Lucilius): "not only does the word caput commonly denote the glans of the penis (…), but scratching one's head was a celebrated sign of the pathic" (49).
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qualifizierende Adjektive und Schimpfwörter (jeweils auch in Reihung), Vergleiche und Metaphern (gerne aus dem Bereich der Tierwelt), Wort- und Namenwitz sowie polemische Dialogtechnik; Parodie/Ironie spielt allenfalls im Kontext literarischer Polemik eine Rolle.147 Horaz verfügt letztlich über das gleiche Instrumentarium, nutzt es jedoch in abgemilderter Form, indem er etwa auf den "krassen Realismus" (54) des Lucilius verzichtet: Nur "Lucilius wollte die Objekte seiner Polemik durch massiven Spott und beißenden Witz zu einer Änderung ihres Verhaltens bewegen oder sie sogar polemisch vernichten" (56). K r e n k e l (94) kann zeigen, wie Lucilius - nicht anders als die Satiriker nach ihm "Selbstgespräch und Selbstironie" (94) instrumentalisiert: "[D]er Leser soll gewonnen und überzeugt werden durch rückhaltlose Offenheit und vertrauteste Exklusivität und durch ungekünstelte Schlichtheit" (ebd.): Aus den Satiren selbst lassen sich fr.190 f.148 bzw. 623, 625 und 1296, aus den Texten späterer Gattungsvertreter Hor.sat.1,4,39-42; 2,1,30-34 und Pers.1,119-123 für diese Bewertung heranziehen; das angebliche fr.2 (= Pers.1,2) geht allerdings auf eine falsche Zuordnung des einschlägigen Persiusscholions zurück und ist daher nicht nur aus unserem Zusammenhang, sondern aus den Luciliusausgaben überhaupt zu verbannen. G ä r t n e r (95) demonstriert an ausgewählten Beispielen, wie Lucilius eigene und fremde Emotionen (z.T. im Wechselspiel) in Szene setzt, um damit auch bei seinem Leser entsprechende Wirkungen (Zorn, Heiterkeit) hervorzurufen; ferner speist sich seine Tragödienkritik nicht zuletzt aus der Reflexion über "Funktion und Wirkung von Emotionsdarstellungen in der Literatur" (190). B a l d a r e l l i (96) systematisiert die Mythenverwendung bei Lucilius in Form einer festen, fünfgliedrigen Typologie, unterläuft jedoch ihr Beweisziel fortwährend durch Unschärfen und Spekulationen:149 1. "Die Gegenüberstellung von erhabenem Mythos und trivialer Situation lässt durch die Inkongruenz der Ebenen die Trivialität deutlich werden." Als Beispiel nennt B. die Parodie einer epischen Götterversammlung im Kolorit tumultuarischer Senatssitzungen (Deorum concilium). Doch trifft hier die Funktionsbestimmung 'Verdeutlichung des Trivialen' tatsächlich zu? 2. "Der Mythos wird als nicht sogleich erkennbarer Bezugsrahmen verwendet, der der Erzählung des Alltäglichen im Moment des Erkennens satirische Kraft verleiht." Das Darstellungsziel reiner Komik sieht B. in der Reisebeschreibung des Iter Siculum verwirklicht; fraglich indes die Prämisse, wonach hier Aristophanes Frösche (Unterweltsfahrt des Dionysos incl. Literatenwettstreit) fortgesetzt als Bezugspunkt 147 Abschließend betrachtet R. anhand des Deorum concilium "verschiedene polemische Formen in ihrem Zusammenwirken" (49). 148 Hier sind allerdings Zweifel angebracht: Aus Hor.sat.2,1,30 f. ille [= Lucilius] velut fidis ar cana sodalibus olim / credebat libris … ist nicht abzuleiten, Lucilius selbst habe seine Dichtung - im Singular und ohne Vergleichspartikel! - als so‹da›lis (coni. Krenkel) … salutis begreifen können. 149 Die Kurzcharakteristik der einzelnen Typen ist der Einfachheit halber dem Resümee in APh 2010, 374 entnommen, welches B.s eigene Zusammenfassung (83 f.) in deutscher Übersetzung wiederholt.
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durchschimmern.150 Daß des weiteren fr.142 f. (Tantalus) zur Acciuskritik dienen und in Kombination mit fr.1399 f. (Sisyphus) eine Unterweltsszene unter Beteiligung der übrigen Büßer (Tityos, Ixion, Prometheus) nahelegen soll, ist kaum vorstellbar. 3. "Der Mythos wird argumentativ verwendet." Hierfür steht fr.541-547, das B. mit einer merkwürdigen Doppelfunktion bedenkt ("dimostrare a Penelope che è ancora desiderabile e contemporaneamente a noi moderni che il mito è solo illusione": 84). Und auch das Thema 'geistiges Eigentum' (fr.550-554 im gleichen Buch) wird mit einem Hor.sat.2,5 vergleichbaren Mythenszenario (unter Beteiligung des Odysseus?) in Verbindung gebracht. 4. "Der Mythos steht metonymisch für die kritisierte erhabene Literatur." Die Tragödienkritik des Lucilius bilde nicht nur die Kontrastfolie für den Wahrheits- und Realitätsanspruch seiner Satire, sondern liefere in erster Linie eine konstruktive Poetik, die darüber belehre, wie die Tragödie mit dem Mythos umzugehen habe: Zu fr.391 vgl. Hor.ars 14-19; zu fr.605 f. und 620 f.: "La comunicazione drammatica fallisce … proprio negando al personaggio rappresentato uno status drammatico": 79; hierzu soll auch fr.623 und sogar 666 f. gehören. 5. "Die Personen des Mythos werden in einer Vossianischen Antonomasie verwendet, um die Zustimmung des Lesers durch die Herunterbrechung der Erhabenheit des Mythos auf ein alltägliches Niveau zu erreichen und die literarische Wirksamkeit des Realismus gegenüber der Künstlichkeit der mythischen Tradition aufzuwerten." Dies beträfe Tiresias als Antonomasie für einen Greis (fr.226 f.; 1118 f.) oder Tisiphone für eine Köchin mit eher zweifelhaften Fähigkeiten (fr.175 f.).151 Für den Inhalt des in russischer Sprache abgefaßten Aufsatzes von P o l o n s k a j a (93) konnte der Berichterstatter nur die französische Übersetzung des Titels konsultieren: "Sur quelques formes de l'expressivité artistique dans la satire de Lucilius" (APh 53, 1982, 186).
XIII. Sprache und Stil 97. F.E. M a g l i o n e , Il mondo e la lingua di Lucilio e i suoi rapporti linguistici e stilistici con Persio e Giovenale, Napoli 1972, 91 S. 98. M. I m p e r a t o , Uso letterario di tecnicismi ed esotismi nelle satire di Lucilio, in: R. B o m b i (Hg.), Lingue speciali e interferenza, Roma 1995, 275-295. 99. H. P e t e r s m a n n , The language of early Roman satire: its function and characteristics, in: J.N. A d a m s - R.G. M a y e r (Hgg.), Aspects of the language of Latin poetry, Oxford 1999, 289-310. 150 Die von B. postulierten Assoziationen erscheinen durchweg als forciert; vgl. etwa 70: Dionysos zieht in die Unterwelt, Lucilius aber passiert den Hügel von Aricia (fr.108-111), den Ort also, wo nach Serv.Aen.6,136 (nicht nach Vergil selbst!) der goldene Zweig zu pflücken ist, der den Eintritt in den Hades erlaubt. 151 Unter Verwendung von Marxens Konjektur Titini will B. an diesem Fragment flugs noch eine Polemik gegen den gleichnamigen Komödienautor festmachen.
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100. T. B a i e r , Lucilius und die griechischen Wörter, in: Der Satiriker Lucilius und seine Zeit (16), 37-50. 101. P. P o c c e t t i , Il plurilinguismo nelle satire di Lucilio e le selve dell' interpretazione: gli elementi italici nei frammenti 581 e 1318 M., in: R. O n i g a (Hg.), Il plurilinguismo nella tradizione letteraria latina, Roma 2003, 63-89. 102. A. C h a h o u d , The Roman satirist speaks Greek, Classics Ireland 11, 2004, 1-46. 103. —, Alterità linguistica, latinitas e ideologia tra Lucilio e Cicerone, in: R. O n i g a - S. Va t t e r o n i (Hgg.), Plurilinguismo letterario. Atti del convegno (9-10 novembre 2006), Soveria Mannelli (Catanzaro) 2007, 41-58. Merkwürdig disparat mutet der Inhalt von M a g l i o n e (97) an: Auf zwei oberflächliche Kapitel über die römische Satire im allgemeinen und Lucilius im besonderen (letzteres mit wenigen Beispielen für seine verschiedenen Stilregister) folgen ebenso dürftige wie unzuverlässige Abschnitte über Wort- und Formenbildung sowie Lexik des Satirikers (37-69) und über Verbindungen zum Vokabular von Persius und Juvenal; den Abschluß bildet eine - Appendice I genannte - Auflistung von Luciliusbelegen für Alliteration, Asyndeton, Elision, Ellipse, Hendiadyoin, Hiat, Synizese und Tmesis. Neben den inhaltlichen Mängeln stellt schließlich auch die riesige Zahl elementarer Sach-, Druck- und Zitatfehler eine Zumutung dar.152 I m p e r a t o (98) untersucht die nichtlateinischen Elemente in der Sprache des Lucilius: Die Gräzismen ordnet sie dabei mehrheitlich dem Bereich der Fachsprachen zu, während Begriffe anderer Herkunft (ital., gall., oriental.), soweit sie sich nicht auf Modeartikel beziehen, überwiegend auf Parodie bzw. Karikatur abzielen sollen. Anhand zahlreicher Beispiele konturiert auch P e t e r s m a n n (99) den sprachlichen Horizont der Luciliussatiren: Anders als Ennius in seiner satura schert sich Lucilius nicht um den sermo purus Latinus, sondern liefert ein Abbild der zeitgenössischen, am Überkommenen ausgerichteten Umgangssprache153, die er je nach den Erfordernissen des Zusammenhangs durch andere Stilregister (von der Hochsprache des Epos bis hin zum Gassenslang) sowie fremdsprachliche, besonders griechische Elemente bereichert. Seine individuelle, teilweise als "linguistic mockery" (305) erkennbare Charakterisierung sozial niedrigstehender Sprecher durch das ihnen zugeschriebene Idiom hat letztlich nur in Petron einen Nachahmer gefunden. Ähnlich dokumentiert P o c c e t t i (101) die Sprachvielfalt des Lucilius: Je nachdem, wie es Personen oder Situationen zu charakterisieren gilt, greift der Satiriker auf 152 Daß sich die Vf.in über leges saturae (Plural von lex satura!) verbreitet (6), Terenz 30 Jahre länger als Scipio Aemilianus leben läßt (22), von Lucio (38; = Lucilius), Luciolotta (61; = L. Cotta), Porsio (63; = Persius) oder Faramba (89; = G. Faranda) spricht und Charisius nach Putsch zitiert (57), S.59 oben zudem ein Stück Text gänzlich fehlt, charakterisiert die Beschaffenheit der Arbeit zur Genüge. 153 Auch seine theoretischen Stellungnahmen zu sprachlich-linguistischen Fragen in B.9 sind von usus und consuetudo bestimmt; dabei bleibt auch sein Freund Scipio nicht von Kritik verschont: vgl. fr.971 f. mit Fest.p.334,28-336,3L. = 273M.
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griechisches, italisches, keltisches (z.B. fr.410), etruskisches (fr.1231) oder gar orientalisches Sprachmaterial (fr.61) zurück, wobei er im Falle griechischer und italischer Wortformen sogar von einer phonetischen bzw. morphologischen Integration ins Lateinische absieht. Der Umfang griechischer Einsprengsel reicht von Einzelwörtern (vgl. etwa fr.187 f.; 302 f.; 305; 324; 833) bis zu ganzen Sätzen (fr.238; 464 f.); ihre Eigenart umfaßt die Gesamtheit der zu Gebote stehenden Stilregister. Italische Einflüsse lassen sich dagegen schwer vom lateinischen sermo plebeius/familiaris/cotidianus abgrenzen; eindeutig ist die Sachlage nur bei fr.583 (pälign. abzet; die Interpretation der Stelle schon bei P. [179]) und fr.1334 bei Fest.p.384,29-32L. = 298M.: 'sollo' Osce dicitur id quod nos totum vocamus. Lucilius 'vasa quoque omnino dirimit non sollo dupundi', id est, non tota. Die Form sollo ist Festus zufolge als Nom.Pl.Neut. zu identifizieren, die Aussage selbst auf Disziplinierungsmaßnahmen des Heerführers Scipio während des Numantinischen Krieges (vgl. Plut.reg.et imp.apophth.201BC) zurückzuführen. Modifiziert wird dieses Bild bei C h a h o u d (103), die das Ciceronische Ideal der Latinitas (= urbanitas) in nuce schon bei Lucilius vorfinden will: Daß dieser gegen Aussprachefehler, Soloezismen, Provinzialismen, Dialektalismen oder unangebrachtes Griechisch zu Felde zieht (vgl. neben dem in B.9 behandelten Themenkreis noch fr.89-95; 971 f.; 1110; 1146; 1338) und einer gepflegten Sprache das Wort redet (fr.182-189), resultiert dann am ehesten aus seinem Bestreben, sich die Zugehörigkeit zur stadtrömischen Oberschicht durch Anverwandlung von deren sprachlichem Code zu erstreiten. Was die von Lucilius verwendeten Gräzismen angeht154, zeigt B a i e r (100) anhand weniger - ohne fachsprachliche Notwendigkeit eingesetzter - Beispiele155, daß "seine griechischen Einsprengsel teils als durchaus dem Sprachgebrauch entsprechend …, teils als gleichsam in Anführungszeichen gesetzt, sei es als Zitat, sei es ironisch, sei es als Figurenrede - in jedem Falle aber als beabsichtigt" (49) zu gelten haben. Bemerkenswert bleibt die Tatsache, daß Lucilius gerade dort, wo er ernstlich und ohne abschätzigen Beiklang auf Gedanken der griechischen Philosophie zugreift, ganz ohne die griechischen Fachbegriffe auskommt (vgl. das virtus-Fragment fr.1342-1354).156 C h a h o u d (102) betrachtet die Stellen, an denen Lucilius das Griechische nicht einfach als Bestandteil der Normalsprache eines "Greek-educated Roman" (5) verwendet, sondern vermittels eines bedachten "code switching" (6) "in a humorous and often malicious manner" (ebd.) nutzt. Ein überzeugender Nachweis dieses Gebrauchs kann im Falle kontextfrei überlieferter Fragmente nicht durchweg gelingen; so beschränkt sich Ch. auf die Besprechung ausgewählter Beispiele, während sie andere Belege nur in Form einer unkommentierten Appendix (38-41) zusammenstellt. Aufmerksamkeit findet der Rückgriff des Lucilius auf Homerzitate (detailliert: fr.238 f.; Mittel der Di 154 Die Gesamtheit der einschlägigen Stellen findet bei I. M a r i o t t i , I grecismi di Lucilio, StudUrb(B) 28, 1954, 357-386 (=Studi Luciliani [wie Anm.196], 50-81) eine systematische Katalogisierung nach Sprachschichten. 155 Entsprechend hat B. "[d]ie literarkritischen Fragmente, die Zitate oder Lehnwörter aus der griechischen Literatur enthalten, … ganz [und] die Themengebiete der Rhetorik und der Grammatik weitgehend ausgespart" (38). 156 So schon F.L e o , Geschichte der römischen Literatur, Bd.1: Die archaische Literatur, Berlin 1913, 428.
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stanzierung: fr.541-547), Termini technici aus Rhetorik (fr.182-189: das überspannte Stilempfinden eines Freundes) und Philosophie (fr.774: ein Akademiker äußert sich verächtlich über die Lehre Epikurs; 789-795) sowie gesprochenes Griechisch (fr.243 f. affektierte Sprache einer als "licentious" (27) einzustufenden Frau; 16 f. prätentiöse Ausdrucksweise der Götter), wobei sich zeigt, daß die behandelten Stellen fast durchweg in Sätze gehören, die nicht von Lucilius selbst, sondern von anderen Sprechern (oder im Sinne anderer Sprecher) geäußert werden. Zu antiken Äußerungen über den Stil des Lucilius vgl. Svarlien (222 und 226).
XIV. Metrik 104. A. B o r t o n e P o l i , Aspetti della tecnica esametrica di Lucilio, Lecce 1979, 54 S. Rez.: C u p a i u o l o , BStudLat 9, 1979, 349-350. 105. C. M o r o , La varietà e la norma. I frammenti giambico-trocaici di Lucilio fra versificazione drammatica e alessandrinismo, Padova 1995, 82 S. Rez.: V i p a r e l l i , BStudLat 26, 1996, 285-286. 106. L. M o r g a n , Getting the measure of heroes: the dactylic hexameter and its detractors, in: M. G a l e (Hg.), Latin epic and didactic poetry. Genre, tradition and individuality, Swansea 2004, 1-26. 107. G. B a n d i n i , La -s caduca nei frammenti esametrici di Lucilio, BStudLat 43, 2013, 104-115. 1. Senare und Septenare Vorzugsweise in Auseinandersetzung mit J. S o u b i r a n 157 untersucht M o r o (105) die Lucilischen Senare und Septenare auf ihre prosodischen wie metrischen Eigenheiten. Dabei widmet er sich der Positionsbildung von auslautendem -s ('-s caduca' in 7 von 44 Fällen), der Quantität von Endsilben auf -o (außer in Fällen wie modo und ego immer lang) und -t/-r (regelmäßig kurz), der Jambenkürzung (nur in fr.639 f. und 801), dem Hiat (wohl nur in fr.778 und 792), der Ausgestaltung der einzelnen Versfüße158 (am häufigsten Spondeen, keine Bestätigung für die These einer dipodischen Versorganisation), der Behandlung der Diärese im trochäischen Septenar (dort kein Hiat, nur selten Elision) und der Einhaltung metrischer Regeln (Bentley-Luchs, Meyer: kein sicherer Verstoß nachweisbar); bei statistisch aus dem Rahmen fallenden Beobachtungen wird regelmäßig die Möglichkeit von Textverderbnissen geprüft.159 Vergleicht 157 J.S., Essai sur la versification dramatique des Romains (sénaire iambique et septénaire trochaïque), Paris 1988. 158 Vgl. die übersichtlichen Tabellen auf S.33. 159 Eine ausführliche Diskussion der Textgestaltung findet sich zu fr.369 (einem Hexameter); 612; 623; 625; 639 f.; 701; 825; 859 f.; 941; 949.
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man die Befunde mit den Versen der Szeniker160, steht unser Autor näher bei Terenz; im Umgang mit Lizenzen verfährt er teilweise sogar noch restriktiver als dieser und dokumentiert damit ein nachhaltiges Streben nach Regularisierung der Verse.161 Und im Zusammenspiel mit der Satzstruktur weisen die untersuchten Faktoren wie auch die Verteilung der Zäsuren im Senar auf eine bewußte Gestaltung von "effetti ritmicoespressivi" (68; mit fr.789-795 als Beispiel). 2. Hexameter Für eine detaillierte Untersuchung der Verstechnik des Lucilius stützt sich B o r t o n e P o l i (104) auf die 636 vollständig und korruptelenfrei überlieferten Hexameter der Bücher 1-23 und 28-30. Im einzelnen verfolgt sie 1. die metrische Gestaltung der Verse: Es überwiegen - im 4. Fuß besonders signifikant - die Spondeen, am häufigsten vertreten ist der Verstyp sdss;162 2. die Verteilung der Wortkörper, Wortarten und Wortformen über die einzelnen Versfüße; 3. die - zumeist in der Abfolge 3+2 Silben strukturierten - Wortgruppen am Ende des Verses. Im Ergebnis kann B.P. eine einigermaßen abwechslungsreiche Versgestalt dokumentieren. Als Arbeitsinstrument für den Luciliusforscher ist die Arbeit jedoch weder übersichtlich noch zuverlässig genug; und ihr eigenes Beweisziel, Horazens Diktum (sc. Lucilius) durus componere versus (sat.1,4,8) als unzutreffend zu erweisen, scheitert mangels objektivierbarer Kriterien: Abwechslungsreichtum impliziert nicht notwendigerweise auch Geschmeidigkeit. Wie schon im archaischen Vers eines Ennius erfährt auch im Hexameter des Lucilius auslautendes -s als positionsbildender Konsonant nur eingeschränkt Berücksichtigung. Die eingehende, auf 620 komplett und metrisch korrekt überlieferten Hexametern basierende Untersuchung von B a n d i n i (107) kann diese Aussage in entscheidenden Punkten konkretisieren: 1. Anders als bei Ennius sind Fälle von '-s caduca' bei Lucilius weit in der Überzahl: Die von B. genannte Prozentangabe 33,2 (= 206 von 620)163 bezieht sich dabei auf Fälle 160 Nur im Falle von '-s caduca' bleibt M. diesen Vergleich schuldig. 161 Daß Lucilius - anders als Plautus und (teilweise) Terenz - die Endsilben auf -t und -r durchweg als Kürzen behandelt, ist dagegen auf eine Weiterentwicklung der lateinischen Sprache zurückzuführen. 162 Leider ist auf B.P.s Angaben nirgendwo Verlaß: Addiert man die von ihr vorgelegten Fallzahlen, kommt man statt 636 etwa auf 606 (9: "I sede: 320 spondei, 286 dattili"), auf 656 (12: Verteilung d-s in den ersten vier Versfüßen) oder auf 623 Verse (21: Verteilung d-s im 3.Versfuß: 237 : 386; die Übersicht auf S.11 f. würde hingegen auf das Verhältnis 242 : 394 führen). Gibt es ferner 451 (11 f.) oder 441 (S.21) Spondeen im 4.Fuß? Warum fehlt in der Übersicht S.48 (Abl.subst.+ adj.) die Junktur pectore puro (fr.298)? 163 Tabelle 1 auf S.107. Insgesamt fehlt B.s Tabellen mitunter die letzte Sorgfalt: Tabelle 5 (S.111) wird die 'frequenza dei casi di -s caduca non condizionati da esigenze metriche' mit 77 von 204 angegeben, während der vorausgehende Text (110 f.) mit 78 von 206 rechnet; die in Tabelle 3 (S.109)
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von elidiertem -s je 100 Verse; für die Häufigkeit von (-s) gegenüber -s wäre ein Anteil von 76,6% (= 206 von 269) zu errechnen. Getreu dem sermo-Charakter der von ihm geschaffenen Gattung orientiert sich Lucilius offenbar auch prosodisch verstärkt an den Gegebenheiten des gesprochenen Lateins. 2. Ebenso wie Ennius ist es dem Satiriker auch darum zu tun, durch (-s) den Anteil daktylischer Silbenfolgen in seinem Vers zu erhöhen: Entsprechend finden sich die meisten Fälle im 5. Fuß (Vermeidung eines Spondiacus!); positionsbildendes -s ist dagegen bezeichnenderweise fast durchgehend auf die Zäsurstellen beschränkt. 3. Eine Differenzierung nach Wortarten und -formen ergibt den schwerpunktmäßigen Einsatz von (-s) bei Nomina bzw. Formen auf -us (Nom.Sgl.) und -ibus (Dat./ Abl.Pl.). 4. Soweit die fragmentarische Überlieferung eine Kontextualisierung der einzelnen Belege erlaubt, zeigt sich, daß Lucilius (-s) ganz nach Belieben verwendet, ohne damit gezielt ein unteres Sprachregister aufzurufen.164 Warum Lucilius den daktylischen Hexameter als Standardvers der Satire wählt und damit die gattungstypische Vielfalt im formalen Bereich aufgibt, wird von den Interpreten ganz verschieden begründet: Nach S e g u r a d o e C a m p o s (60) suggeriert er so eine Affinität Epos - Satire, um diese sodann durch Sprache und Inhalt genüßlich zu konterkarieren. M o r g a n (106) dagegen konstatiert einen bedachten parodischen "misuse" (15): Indem Lucilius seine Verse absichtlich - etwa durch vielfache Elisionen als "expression of ugliness and disorder" (13) - ungelenk gestaltet, raubt er dem hehren Epenvers seinen Nimbus; so können fr.541-547 als Beispiel für "a brilliant travesty of the epic hexameter" (10) stehen. B i o n d i (255) zufolge hat Lucilius jedoch keinen parodischen Bezug auf das Epos, sondern die Emanzipation des Hexameters zu einem universellen Metrum im Auge, während C l a s s e n (41) seine Hexameter in der Tradition des Lehrgedichts verankert sieht.
XV. Einzelne Satiren(bücher) 1. Satiren(bücher) aus der späteren Sammlung 108. E. C a s t o r i n a , Sul III libro di Lucilio, AFMB 6, 1967, 79-92. 109. J. H e u r g o n , Viaggi dei Romani nella Magna Grecia, in: La Magna Grecia nell' età romana, Atti del quindicesimo convegno di studi sulla Magna Grecia, Taranto, 5-10 ottobre 1975, Bd.1, Napoli 1976, 9-29. 110. A. C o l e t t i S t r a n g i , Lucilio: Lotta gladiatoria tra Esernino e Pacideiano (vv.151-164 T = 149-158 M = IV,1-2; 12 Ch.), Aternus 1, 1980, 7-34.
gegebenen Fallzahlen sind schlechterdings unbrauchbar und durch die - richtigen - Angaben von Tabelle 4 (S.110) zu ersetzen. 164 Dies im Unterschied zu Plautus: Dort manifestiert sich ja der Stilunterschied zwischen Sprechversen und Cantica nicht zuletzt in der unterschiedlichen Häufigkeit von (-s) und -s.
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111. G. B e r n a r d i P e r i n i , Le "riforme" ortografiche latine di età repubblicana, AION(ling) 5, 1983, 141-169. 112. W. B e l a r d i , Lucilio e la datazione dei nomi dei casi, in: W.B. u.a. (Hgg.), Studi latini e romanzi in memoria di A. Pagliaro, Roma 1984, 151-156. 113. A. A r a g o s t i , Lucilio, Sat. XX: Ipotesi per una ricostruzione della Cena di Granio, SCO 35, 1985, 99-130. 114. P. C i p r i a n o , La scrittura dei fonemi di timbro [i] secondo Nigidio Figulo e Varrone, AGI 70, 1985, 38-50. 115. C. G r a m e g n a , Appunti intorno alle teorie grammaticali di Lucilio, in: Studi offerti ad A.M. Quartiroli e D. Magnino, Pavia 1987, 47-52. 116. Á. S á n c h e z - L a f u e n t e A n d r é s , El libro XIX de Lucilio, in: Actas del VII Congreso Español de Estudios Clásicos (Madrid, 20-24 de abril de 1987), Bd.2, Madrid 1989, 771-776. 117. S. F a l l e r , Lucilius und die Reise nach Sizilien, in: Der Satiriker Lucilius und seine Zeit (16), 72-89. 118. C. C o n n o r s , Epic allusion in Roman satire, in: K. F r e u d e n b u r g (Hg.), The Cambridge companion to Roman satire, Cambridge 2005, 123-145. 119. T. S o m e r v i l l e , The orthography of the new Gallus and the spelling rules of Lucilius, ZPE 160, 2007, 59-64. 120. R. A r c u r i , L' Iter siculum di Lucilio e gli equites nella Sicilia di età repubblicana, BStudLat 38, 2008, 1-19. 121. V. H u n i n k , Lucilius' reis naar Siciliё, Hermeneus 80, 2008, 244-250. 122. G. M a n u w a l d , Concilia deorum: Ein episches Motiv in der römischen Satire, in: F. F e l g e n t r e u u.a. (Hgg.), Per attentam Caesaris aurem: Satire - die un politische Gattung? Eine internationale Tagung an der Freien Universität Berlin vom 7. bis 8.März 2008, Tübingen 2009, 46-61. 123. G. M a z z o l i , Fra diritto e poesia. I primi due libri delle Satire di Lucilio, in: B. S a n t a l u c i a (Hg.), La repressione criminale nella Roma repubblicana fra norma e persuasione, Pavia 2009, 475-492. 124. E. G o w e r s , The road to Sicily: Lucilius to Seneca, Ramus 40, 2011, 168-197. 125. I. G o h , Clear as mud: bad education in Lucilian satire, SIFC 11, 2013, 1 09-128. 126. A. R o l l e , Testam sumit homo Samiam sibi: una proposta di lettura in chiave cibelica di alcuni frammenti del VII libro delle Satire di Lucilio, MH 70, 2013, 214-219. 127. A. Á v i l a , Lucilio como héroe odiseico en el libro III de las Sátiras: alusiones épicas en algunos fragmentos del Iter Siculum, AFC 28, 2015, 67-76. 128. K. F r e u d e n b u r g , Seneca's Apocolocyntosis: censors in the afterworld, in: S. B a r t s c h - A. S c h i e s a r o (Hgg.), The Cambridge companion to Seneca, Cambridge 2015, 93-105.
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Buch 1 (mit fr.1-55) Im Luciliusteil ihres durch unsubstantiierte Assoziationen geprägten Handbuchartikels über 'Epic allusion in Roman satire' beschränkt sich C o n n o r s (118) auf wenige Ausführungen zum Deorum concilium, dem sie dabei die Absicht gesellschaftspolitischer Schönfärberei zuschreibt: "[D]efining a society-wide problem (the conflict between traditional if not strictly legal aristocratic prerogatives and the immediately pressing needs of veterans and the urban poor) as the foibles of a single wealthy individual of luxurious tastes and corrupt judicial practices could help to make the broad limitations on aristocratic prerogatives that land reform proposals would represent seem an unnecessary and undesirable break with tradition" (129). Auch M a n u w a l d (122) richtet den Blick auf die "politische Instrumentalisierung" (61) des concilium deorum-Motivs: Durch Lucilius wird die "Verbindung von Gesellschaftsanalyse bzw. Kritik an der zeitgenössischen Situation und [einem] durch den Einsatz der epischen Götterversammlung aufgewiesenen Lösungsansatz" (56) in der Satire etabliert. Mit Blick auf die szenische Rekonstruktion der Satire lokalisiert M a z z o l i (123) wie schon Degl'Innocenti Pierini (200) - fr.1252-1258 in Buch 1, zieht aber zusätzlich noch die - ebenfalls von Laktanz überlieferten - Verse 1342-1354 (das virtus-Fragment) in den gleichen Zusammenhang und erschließt so einen Buchaufbau 'virtusIdeal' (fr.1342-1354) - Gegensatz (nunc vero): 'schaurige Zustände in der Realität' (fr.1252-1258) - Konsequenz: ein vor dem Deorum concilium verhandelter Prozeß gegen die zum Sündenpfuhl verkommene Stadt Rom, in dessen Verlauf Lupus die Rolle des Sündenbocks zugewiesen bekommt. Ein Schwachpunkt dieser These besteht allerdings darin, daß sie innerhalb der Satire einen Wechsel von Adressatenorientierung mit Lucilius als Sprecher (virtus, Albine, …) zu einem quasidramatischen Szenario erfordert.165 F r e u d e n b u r g (128) sucht Anhaltspunkte für eine Rekonstruktion aus Senecas Apocolocyntosis zu gewinnen: Wie dort der Zensor Claudius von seinem Vorgänger Augustus die Leviten gelesen bekommt, biete Lucilius "an assessment specific to a censor [d.h. Lupus] and delivered by a censor of a particularly stern, Greek-hating type (Romulus as Cato)" (13). Buch 3 (mit fr.97-150) C a s t o r i n a (108) unternimmt es, überkommene Vorstellungen vom Reisegedicht des Lucilius zu revidieren166; Hilfestellung leistet dabei nicht zuletzt der Vergleich mit Horazens Iter Brundisinum (sat.1,5): 1. Wie die Luciliuskritik des Augusteers (sat.1,4) nahelegt, muß das Iter Siculum um einiges länger (weitschweifiger?) ausgefallen sein als sein eigener Reisebericht; hierzu
165 M.s Ausführungen zu Buch 2 gehen nicht über eine Paraphrase des Fragmentbestandes hinaus. 166 Die Arbeit hatte bei Christes (1) noch keine Berücksichtigung finden können (vgl. ebd. 1182*).
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dürften gerade auch dialogische Elemente beigetragen haben, die den Text zur Gänze durchsetzen und keineswegs auf einen - von C. geleugneten - Prolog einzugrenzen sind. 2. Die von Porphyrio für das 3. Luciliusbuch bezeugte Acciuskritik (Porph. zu Hor. sat.1,10,53) soll sich in parodistisch verfremdeten Tragikerversen niederschlagen; hierfür könnten etwa fr.98 f.; 120 f.; 139 in Frage kommen. 3. Szenische Parallelen sind für den Wettkampf der Spaßmacher (Hor.sat.1,5,50-70 nach Lucil. fr.117-123), die entsagungsvolle cena (fr.132-137) und das fehlgeschlagene Rendezvous (fr.142(140?)-145) anzusetzen. In den letzteren Zusammenhang gehört auch das von Marx unter die fragmenta incertae sedis eingereihte fr.1265. 4. Angesichts der exakten Entfernungsangaben von fr.102 f. kann dort nur von einer zu Lande zurückgelegten Wegstrecke gehandelt sein. Bestenfalls durch fr.146 ff. vertreten, dürfte der Schluß der Reise dann auch schon bei Lucilius in geraffter Form vorliegen. Auch F a l l e r s (117) Überlegungen zu aussagekräftigen Fragmenten des Iter Si culum sind geeignet, zwar nicht die Gesamtinszenierung des Gedichtes ("ein Brief an einen Freund …, der eine Reise nach Sizilien unternehmen wird; nach einigen einleitenden Bemerkungen geht Lucilius über zu der Schilderung einer Reise, die er selbst gemacht hat": 74), wohl aber die Kontextualisierung einzelner Fragmente in Frage zu stellen: fr.98 f. dürfte unmittelbar vor der Reisebeschreibung selber gestanden haben. fr.100 f. basiert auf der Vorstellung, der angesprochene Freund verfolge den Reiseweg auf einem - der Tabula Peutingeriana vergleichbaren - "Wegenetzschema" (74). fr.113 f. Um den todkranken bubulcus könnte sich Lucilius bei einem Abstecher nach Suessa Aurunca gekümmert haben167 ("Vielleicht hat Lucilius … zu Hause vorbeigeschaut und den Gütern der Familie einen Besuch abgestattet?" 79); da sich Besitzungen des Satirikers in Sizilien letztlich nicht schlüssig nachweisen lassen, kann die ganze Reise - wie später auch die des amicus: vgl.fr.104 ff. - aus touristischem Interesse erfolgt sein.168 fr.142 f. Die Tantalusqualen dürften auf minderwertigen Wein zurückgehen. fr.100-103. Daß der Freund die Strecke Capua - Regium zu Lande zurücklegt, Lucilius dagegen das Schiff benutzte, ist am ehesten darauf zurückzuführen, daß der Satiriker seine Reise noch vor Fertigstellung der via Popilia (132 v.) unternommen hat.169 Für diesen letzten Gedanken konnte F. auf H e u r g o n (109) zurückgreifen, der den im Iter Siculum (und in Horazens Iter Brundisinum) zurückgelegten Reiseweg eher summarisch skizziert, dann aber die bedeutsame - von ihm selber schon früher vertretene170 - These formuliert, das 3. Luciliusbuch handele letztlich von zwei verschiedenen 167 Schon für den Besuch von Setia hatte Lucilius die via Appia vorübergehend verlassen (fr.110 f.). 168 Zur Stützung dieser Annahme kann allerdings nicht auf fr.146 ff. verwiesen werden: Der Funkenregen des Stromboli sollte auch einen 'Geschäftsreisenden' fasziniert haben. 169 Hier ist daran zu erinnern, daß die Datierung des Gedichtes auf 119/116 v. nicht für die Reise selbst zu gelten braucht: Die Reiseabsicht des Freundes kann Lucilius zur Aufbereitung länger zurückliegender Erlebnisse veranlaßt haben. 170 Vgl. J.H., Lucilius, Paris 1959.
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Reisen:171 Dem Bericht seiner eigenen Fahrt zufolge war Lucilius ab Puteoli auf den beschwerlichen Seeweg angewiesen; seine Ratschläge an einen mit gleichen Reiseplänen befaßten Freund rechnen jedoch schon mit der Möglichkeit, von Capua aus bequem zu Lande weiterzureisen. G o w e r s (124) will das Iter Siculum aufgrund seiner motivischen Verwandtschaft mit der Periplusliteratur172 und der unklaren Porphyrionotiz zu Hor.sat.1,5,1 Lucilio hac satyra aemulatur Horatius iter suum a Roma Brundisium usque describens quod et ille in tertio libro fecit, primo a Roma Capuam usque, et inde fretum Siciliense auf eine touristische Umsegelung der italischen Küste zurückführen, bei der Sizilien nicht das Ziel, sondern nur den südlichsten Punkt gebildet hätte; einzelne Fragmente sollen das geographische Interesse des Satirikers belegen: vgl. fr.117 f. broncus (broccus?) Novlita nus (?Bovillanus?) dente adverso eminulo hic est / rhinoceros: "a topographical description, grotesque, to be sure, of the Italian coastline", denn: "the lowest part of the toe of Southern Italy does look very like a rhinoceros" (181)173; 119 non peperit, verum postica parte profudit: "a geographical description, in this case one that refers to the birth of an island" (ebd.).174 Und schließlich wird fr.108 f. susque omnia deque fuerunt wegen der durch Gell.16,9,3 bezeugten Gleichsetzung von susque deque ferre und animo aequo esse für "something approaching a philosophy of travelling" (183) in Anspruch genommen: "Here is life as an uneven journey" (ebd.). Nichts von alledem kann wissenschaftliche Seriosität für sich reklamieren. Nach Á v i l a (127) inszeniert sich Lucilius dagegen nicht als Entdeckungsreisender, sondern in der Tradition der Homerischen Odyssee als Erzähler epischer Abenteuer (vgl. fr.98 f. und 104 ff.). Entsprechend soll das Iter Siculum als Parodie einschlägiger Reiseberichte mit Lucilius selbst als Karikatur des epischen Helden konzipiert gewesen sein. A r c u r i (120) beleuchtet die ökonomischen bzw. sozialen Verhältnisse Siziliens mit ihren ab Mitte des 2.Jh. v. auftretenden Spannungen zwischen Ackerbauern und Viehzüchtern, Großgrundbesitzern (aus dem Senatoren- bzw. Ritterstand) und Kleinbauern sowie bis zum Aufstand reichenden Sklavenunruhen. Da Lucilius auf der Insel ausgedehntes Weideland besaß (erschlossen aus dem Stichwort bubulcus in fr.113 f.)175, dürften ihn also nicht nur persönliche Gründe zu seiner Sizilienreise veranlaßt haben; ob allerdings fr.121 illud ad incita cum redit atque internecionem auf diese sozialen Auseinandersetzungen Bezug nimmt, darf füglich bezweifelt werden.176
171 Hierdurch wären die Divergenzen im Tempus- und Modusgebrauch des Buches zu erklären. 172 D e g l ' I n n o c e n t i P i e r i n i (152) hatte die verbreitete Ansicht, Lucilius habe sich an den griechischen Geographen orientiert, dahingehend präzisiert, daß sie die hellenistische Periegesisliteratur nach Art eines Herakleides Kritikos als Vorbild vermutet. 173 Sollte Lucilius eine Luftaufnahme von Italien zur Verfügung gestanden haben? 174 Wer dann in fr.117 f. und 119 als Subjekt zu denken wäre, ist G. keine Frage wert. 175 Der Beitrag von Faller (117), der dieses Fragment in einen anderen Zusammenhang stellt, ist A. nicht zur Kenntnis gelangt. 176 Von Krenkel wird das Fragment - wohl zu Recht - in den Kontext des fr.117-123 berichteten Schimpfduells gerückt.
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H u n i n k (121) schließlich zeichnet die Sizilienreise des Lucilius gerade nur in groben Zügen (ausgewählte Stellen lat. - niederländ., elementarste Erklärungen) nach. Zum angeblichen Rückgriff des Luciliustextes auf Aristophanes Frösche vgl. Baldarelli (96) und Sommerstein (74), zum Vergleich mit Horaz Di Benedetto (232), Classen (239) und Cucchiarelli (247). Buch 4 (mit fr.151-181) P i e r i n i (149) ist beizupflichten, daß es sich bei der in Buch 4 (fr.151-160)177 berichteten Konfrontation zweier Kämpfer, folgt man der Kontextualisierung dieser Verse bei Cicero (Tusc.2,41 und v.a. 4,48), nicht um einen Streit mit Worten, Hor.sat.1,7 vergleichbar, sondern nur um das Vorspiel zu einem wirklichen Gladiatorenkampf handeln kann; daß jedoch auch die Stoßrichtung von Ciceros Argumentation (ein stoisches Plädoyer gegen die verhängnisvollen Auswirkungen des Zorns) die Luciliusszene bestimmt haben sollte, ist kaum anzunehmen.178 Aus weiteren Reflexen des Abschnitts bei Cicero (opt.gen.17; ad Q.fr.3,4,2)179 läßt sich noch der Verlauf des Kampfes erschließen: Pacideianus hat am Ende gesiegt, Aeserninus zuvor durch ein unorthodoxes Vorgehen (vgl. auriculam … mordicus abstulisset) zeitweilig die Oberhand gewonnen. In den Fortgang des Geschehens nach fr.151-160 (fr.155 si id quaeritis an die Adresse des populus gerichtet)180 dürften fr.1291 f. (bei Cic.de orat.3,86: noch zur Wutrede des Pacideianus gehörend), fr.118 (höhnische Charakterisierung des Aeserninus)181 und fr.1207 (schwere, möglicherweise tödliche Verwundung des Aeserninus) einzubeziehen sein. Auf P. als undiskutierter Grundlage fußt C o l e t t i S t r a n g i (110), ein biederer Vers-für-Vers-, zuweilen Wort-für-Wort-Kommentar, der Züge einer Seminararbeit trägt und befremdliche Anfängerfehler aufweist.182 Buch 7 (mit fr.265-297) In Buch 7 ist von einem betrogenen Ehemann zu lesen, der sich aus Rache an seiner Frau selbst kastriert: praecidit caulem (fr.283 ff.); der Erzähler würde stattdessen eher die Frau durchprügeln (oder sexuell hernehmen?): uxorem caedam potius quam castrem egomet me (fr.287 f.). Da der Hahnrei sich "secondo il costume dei Galli" (218) mit einer testa Samia (fr.284) entmannt, sieht sich R o l l e (126) veranlaßt, weitere Passa 177 Marx hatte auch noch fr.118 Kr. in diesen Zusammenhang gezogen. 178 Der Sprecher der Haßrede von fr.155-160, Pacideianus, wird ja als Sieger aus dem Kampf hervorgehen. 179 Überhaupt gehört die vorliegende Passage zu den meistzitierten Luciliusstellen: vgl. die Belege bei Pierini, 209 Anm.4. 180 Der Wortlaut wäre nach Shackleton Bailey (153) allerdings nicht durch "if that's what you want", sondern - fr.1136 si quaeris entsprechend - "if that is what you want to know" (117) wiederzugeben. 181 Wiewohl von Priscian für das 4. Buch in Anspruch genommen (GLK II 217,8), ist die Stelle vielleicht doch mit Krenkel als Weiterführung von fr.117 in B.3 zu verstehen. 182 C.S. spricht von Oxymoron (genauer: "oscymoron" bzw. "-om"!), wo sie Hysteron proteron meint (15); sura (fr.157) beschreibt sie - zutreffend - als überlieferten Text, um anschließend "la correzione in sura" (17) als paläographisch überzeugend zu empfehlen.
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gen des Buches einem "Cybelic reading" (214) zu unterziehen: fr.266 f. soll ein Mann von seiner Verwandlung in einen Gallen berichten183, fr.281 f. vom ekstatischen Tanz der Kybelepriester handeln. Für eine solche Interpretation fehlen indes alle Voraussetzungen: Zwar unternimmt es der arme Ehemann, sich nach Gallenart zu verschneiden, nirgends ist jedoch davon die Rede, er wolle tatsächlich zum Gallen werden und sich dem Kybelekult verschreiben; der durch fr.283 ff. und 287 f. vorgegebene Erzählrahmen würde durch Ausführungen zu Transformation und Habitus eines Gallen schlechterdings gesprengt. Buch 9 (mit frg.322-385) Zu Recht verweist B e r n a r d i P e r i n i (111) darauf, daß Accius doch wohl nicht ex cathedra eine Rechtschreibreform durchzusetzen suchte, sondern sich in seinen eigenen Werken eine dem "spirito analogistico di scuola alessandrina" (161) entgegenkommende Eigenheit der italischen Umgangsschrift zunutze machte. Bei den Zeitgenossen stieß dieser Schritt auf ein geteiltes Echo; daß auch Lucilius Widerspruch einlegt, kommt durchaus nicht einer "controriforma" (164) gleich. Wenn Lucilius dabei anstelle der Kasusnamen Umschreibungen verwendet (fr.351359), dann - so B e l a r d i (112) - nicht zwecks Schonung seiner Leser (auch sonst greift der Satiriker bei Bedarf zu den ihm vertrauten grammatisch-rhetorischen Fachtermini), sondern aus Unkenntnis. Diese kann jedoch angesichts der hinreichend zu belegenden Gelehrsamkeit des Lucilius nur daraus resultieren, daß die erstmals in der Techne seines Zeitgenossen Dionysios Thrax zu belegenden Begriffe erst wenige Jahre zuvor ins Instrumentarium der Grammatiker Einzug gehalten haben. Der Sache nach unterscheiden sich die Positionen der beiden Kontrahenten diametral: Während Accius sein Rechtschreibsystem an prosodischen Kriterien ausrichtete und -ĭ daher als -i, -ī als -ei geschrieben wissen wollte, dokumentieren die von Lucilius formulierten Regeln (fr.351-357), wie C i p r i a n o (114) rekapituliert, ein morphosemantisches Interesse, das Sprache überdies als Reflex der Realität begreift: Demgemäß soll -ī im Gen.Sgl. als -i, im Dat.Sgl. und Nom.Pl. jedoch wegen des "incremento quantitativo" (39) als -ei wiedergegeben werden und Entsprechendes für die Schreibung von -i- im Wortinneren gelten (vgl. fr.360-363: meille neben miles, peila neben pilum).184 S o m e r v i l l e (119) zufolge orientiert sich Lucilius mit seinen Empfehlungen in fr.351-357 jedoch durchweg am sprachgeschichtlichen Befund (Gen.Sgl. entstanden aus -ī, Nom.Pl. aus -oi, Dat.Sgl. aus -ei) und zieht erst sekundär die stoische Vorstellung der συμπάθεια τῆς φωνῆς τῷ σημαινομένῳ zur Bestätigung heran.185 Systemwidrig sei allein seine Entscheidung, auch im Falle der Pronomina eine Differenzierung zwischen 183 Üblicherweise wird der Abschnitt auf weibliche Schönheitspflege bezogen: vgl. Plaut. Poen.219-223. 184 C. kann überdies zeigen, daß nach Ausweis von Gell.13,26,4 f. auch Nigidius Figulus für die Schreibung der Endungen das gleiche Konzept vertritt; Varro hingegen verbindet morphosemantische Differenzierung (Gen.Sgl. -i; Nom.Pl. -ei) mit prosodischer Eindeutigkeit: Im Wortinneren wird -ī- bei ihm durch i longum repräsentiert. 185 Im konkreten Fall besagt die stoische Theorie, eine Pluralform solle auch mehr Buchstaben enthalten als der entsprechende Singular.
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Singular- und Pluralform vorzunehmen (Dat.Sgl. illi / Nom.Pl. illei: fr.358 f.) und solcherart der stoischen Sichtweise den Vorrang einzuräumen - ein Mißgriff, dessen Fortwirken noch den Schreiber des Galluspapyrus von Qasr Ibrîm (inv.78-3-11/1 [LI/2]) als treuen Anhänger des von Lucilius formulierten Regelwerks erweist: vgl.dort Z.2 mihi neben Z.5 fixa … spolieis deivitiora tueis. Während noch G r a m e g n a (115) in ihrem kurzen Überblick Aktualität, Sachkenntnis und Praktikabilität der grammatisch-rhetorischen Beiträge des Lucilius betont, unternimmt es G o h (125), die Ausführungen des Satirikers als milde Parodie einer pedantischen Sprachdidaktik zu erweisen. Auflockernde Scherze (fr.350: dem lictor fällt die Aufgabe des corripere zu; 353 ff.: der eigene Name als exemplum186) sollen die Substanz der Aussage ebenso entwerten wie die Formulierung von "perverted, nonsensical rules" (113; zu der originellen Verbindung von dare und fur in fr.356 f. erläutert G.: "the example is a lie" [116]); andernorts hätte sich Lucilius zumindest durch angebliche "deliberate uncertainty" [116] bzw. "lack of clarity" [118 zu fr.345-348] als doctor ineptus zu erkennen gegeben). Mit der gleichen Gewalt wird auch der Unterscheidung zwischen poema und poesis (fr.380-385) eine ironische Note abgerungen (Homer und Ennius seien - dem Ennianischen Annalenproöm zufolge - die gleiche Person; die Annales [Plural!] als ἔπος unum[!]); kurz: Der Luciliustext ist durchgehend ins Prokrustesbett einer - im Ansatz mehr als fragwürdigen - These hineingezwängt. Buch 19 (mit fr.558-568) Unter "traducción y comentario" (772) zu fr.557-563 M. (= 560, 568, 566 f., 564 f., 559 Kr.) bietet S a n c h e z - L a f u e n t e A n d r é s (116) kaum mehr als eine Paraphrase und die bekannten Parallelstellen; zur Sinnhaftigkeit der bei Marx vorliegenden Fragmentreihung und zu fragmentübergreifenden Fragen äußert sich Vf.in nicht. Buch 20 (mit fr.569-579) Zur Rekonstruktion der cena Grani187 zieht A r a g o s t i (113) neben den erkennbar einschlägigen Fragmenten 569-579 noch einige ohne Buchangabe überlieferte Bruchstücke heran; in Auseinandersetzung mit Interpretationen und Konjekturen der Forschung erschließt er dabei folgenden Geschehensablauf:
fr.1201 f. Ironische Charakteristik des Gastgebers. 1051 f. Diätetisch wertvolle Bestandteile der gustatio. 571 ff. Deren Wirkung in der Praxis. 570 Zwischenreinigung nach Abtragen der gustatio: vgl. Hor.sat.2,8,11. 1193 ff. Hauptgang, von "moderata lautitia" (117) geprägt,
[jedoch gegen die lex Fannia cibaria verstoßend: vgl.fr.1195 pontes Tiberinus duo inter captus catillo und das strenge Urteil von Zeitgenossen über einen lupus germanus 186 Daß hier die Information "there's only one Lucilius!" (115) mitzuhören sei, muß dann doch bezweifelt werden. 187 Bei dem Gastgeber Granius handelt es sich um einen Auktionator und kecken Parvenu, bei dem Ehrengast nach Cic.Brut.160 um L. Licinius Crassus, den gewählten Volkstribun des Jahres 107 v.
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qui inter duos pontes captus fuit: Titius bei Macr.Sat.3,16,16; Fortgang des Gedankens nach A.116: 'il valore di questi cibi aveva già sorpassato il …']
1192 … Fanni centussis misellus (gewissermaßen in Parenthese geäußert). 569 Weitere epulae opimae (Fortsetzung von fr.1193 ff.). 574 f. Aus den Tischgesprächen: zornige Reaktion eines der Gäste auf die saeva lex des Calpurnius Piso. 576 f. Ergänzender Kommentar (eines weiteren Gastes? des Satirikers?). 578 (mit dem Non.p.19,3 M. = 27 L. gebotenen Text cui dem) Verteilung von apophoreta: scherzhafte Charakteristik eines Empfängers durch Granius. 579 Abschluß des Buches. 2. Satiren(bücher) aus der früheren Sammlung
129. J.G. G r i f f i t h , The ending of Juvenal's first satire and Lucilius, book XXX, Hermes 98, 1970, 56-72 = d e r s ., Festinat senex or: An old man in a hurry, Oxford 1988, 81-97. 130. J. C h r i s t e s , Der frühe Lucilius. Rekonstruktion und Interpretation des XXVI. Buches sowie von Teilen des XXX. Buches, Heidelberg 1971, 212 S. Rez.: B a r d o n , REA 73, 1971, 460-462; F r a s s i n e t t i , Athenaeum 50, 1972, 390-400; Ve r d i è r e , AC 41, 1972, 295-297; W h i t e , ACR 2, 1972, 76; We s t , CW 66, 1972-1973, 175; G r a n a r o l o , Latomus 32, 1973, 630-631; K r e n k e l , Gnomon 45, 1973, 205-208; A n d e r s o n , CJ 69, 1973-1974, 247-249. 131. F. D e l l a C o r t e , Numa e le streghe, Maia 26, 1974, 3-20. 132. G. M a g g i u l l i , Nonio e Lattanzio, in: Studi Noniani 3, Genova 1975, 1 19-122. 133. G. B e r n a r d i P e r i n i , Un frammento metelliano in Gellio (e la replica di Lucilio), BStudLat 9, 1979, 65-70. 134. K. H e l d m a n n , Zur Ehesatire des Lucilius, Hermes 107, 1979, 339-344. 135. G. G a r b u g i n o , Sul XXX libro di Lucilio, in: Studi Noniani 6, Genova 1980, 83-101. 136. A. P e r r u c c i o , Etica erotica in Lucilio e la satira 1 2 di Orazio, AHAM 21-22, 1980-1981, 310-318. 137. G. D 'A n n a , Alcune precisazioni sulla "recusatio", QCTC 1, 1983, 33-43. 138. G. G a r b u g i n o , Il XXX libro di Lucilio, in: Studi Noniani 10, Genova 1985, 45-173. 139. U.W. S c h o l z , Der frühe Lucilius und Horaz, Hermes 114, 1986, 335-365. 140. J. C h r i s t e s , Der frühe Lucilius und Horaz. Eine Entgegnung, Hermes 117, 1989, 321-326.
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141. G. G a r b u g i n o , Il XXVI libro di Lucilio, in: Studi Noniani 13, Genova 1990, 129-236. 142. U.W. S c h o l z , Lucilius 612 M = 672 Kr, in: C. K l o d t (Hg.), Satura lanx. Festschrift für W.A. Krenkel, Hildesheim 1996, 29-35. 143. J. C h r i s t e s , Lucilius senex - vetus historia - Epilog zu XXVI-XXX: drei alte Fragen neu verhandelt, Philologus 142, 1998, 71-79. 144. A. P e r r u c c i o , I dura pericla degli adulteri: precedenti luciliani per la satira I 2 di Orazio? Maia 52, 2000, 473-484. 145. J. C h r i s t e s , Lucilius und das Epos, in: Der Satiriker Lucilius und seine Zeit (16), 51-62. 146. L. M o n d i n , Gioco di specchi (tra Lucilio e Persio), Incontri triestini di filologia classica 2, 2002-2003, 91-113. 147. —, Il programma poetico di Lucilio: ipotesi sul XXVI libro delle satire, Incontri di filologia classica 11, 2011-2012, 1-72. 148. M.Á. R o d r í g u e z H o r r i l l o , Lucilio, Sátiras XXVI 612-616M y 633634M. Entre épica e historiografía, in: J.A. B e l t r á n u.a. (Hgg.), Otium cum dignitate. Estudios en homenaje al profesor J.J. Iso Echegoyen, Zaragoza 2013, 345-356. Buch 26 (mit fr.589-690) Die aus einer Dissertation an der Universität Freiburg/Brsg. hervorgegangene Untersuchung von C h r i s t e s (130) kommt zu wegweisenden Aussagen über die Rahmenpartien der früheren Satirensammlung (B.26 und 30). Nach Klärung zweier Vorfragen, zu denen dieser Forschungsbericht andernorts Stellung nimmt (12-17: 'Die Lebenszeit des Lucilius': Geburtsdatum 148 v.; 18-23: 'Die Zitierweise des Nonius': Gültigkeit der Lex Lindsay)188, widmet sich der Hauptteil (24-195) der 'Rekonstruktion und Interpretation' der für die vorgenannten Bücher reklamierten Fragmente.189 In B.26 vermag Ch. 6 Themenkreise (nicht notwendigerweise mit Satiren gleichzusetzen!) auszumachen (24):190
1. eine Einleitungssatire für das gesamte Korpus B.26-30; 2. Kritik an der Geschäftswelt; 3. Geiz, Verschwendung, falsche und echte Freundschaft; 4. Frau und Ehe; 5. Polemik gegen die Tragödie; 6. Krankheit.
188 Vgl. hierzu die Abschnitte VII. 'Biographie' und IV. 'Überlieferung'; im einen Falle wird man Ch. wohl widersprechen, im anderen nachdrücklich beipflichten müssen. 189 Der Übersichtlichkeit halber nimmt der Berichterstatter mit der Fragmentzählung auch hier auf Krenkel (3) Bezug, ohne dabei zu vergessen, daß Ch. diese Neuausgabe des Luciliustextes noch nicht zur Verfügung stand. 190 Für B.30 erfolgt die Besprechung unter diesem Rubrum.
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Unter Berücksichtigung der Noniusreihen ist die Abfolge einzelner Themenkreise näher zu bestimmen (2-3-5-6, 4-5); für die Anfangsstellung der Einleitungssatire läßt sich indes nur sachliche Notwendigkeit anführen. Bereits an dieser Stelle ergibt sich als neue, für den Gesamtaufbau des Buches entscheidende Beobachtung, daß Thema 5 (Polemik gegen die Tragödie) nicht Bestandteil der Einleitungssatire gewesen sein kann. Zum Fragmentbestand der einzelnen Themenkreise: S.28-37: Thema 2: Kritik an der Geschäftswelt (Fragmentfolge nach Nonius: 653 - 654 f. - 656 f.).191 650, 646, 651 Lamento eines Zehntpächters bei schlechter und bei guter Ernte. [Dieses wird von Lucilius ad absurdum geführt: Bei aller Unzufriedenheit ist der publicanus doch gut situiert.] 656 f. Im Gegenzug lehnt Lucilius als Ausdruck der Selbstachtung für sich die Publikanen-Tätigkeit ab. 653 mit gleicher Tendenz? lies: mihi quidem non persuadetur publicis (sc. negotiis?) mutem meos (sc. mores). 654 f. Ironische Aufforderung an den Zehntpächter, sich von 'Freunden' zu trennen(?). 678 ebenfalls zum Thema "Konduktorengeschäfte" (36) ? Zusammenfassung: Mit einem vergrämten Zehntpächter als Kontrastfigur bekennt sich Lucilius zu seiner persönlichen Unabhängigkeit. S.38-52: Thema 3: Geiz, Verschwendung, falsche und echte Freundschaft, dargeboten in Diatribenform (Nonius: 647 f. - 649). 622 Abschätzige Charakteristik von Gewinnsucht und Geiz. 666 f. Spott über deren Vertreter. 645 Sinn? 647 f. Einrede: Der Raffzahn bekennt sich zum "Rezept des skrupellosen Erfolgsjägers" (42). 652 Charakteristik der Verschwender. 644 Einrede eines solchen: Freigebigkeit als Freundespflicht. 649 Ruin der Verschwender, von den 'Freunden' verlassen. 636 f. Ihr Selbstmitleid verdient kein Mitgefühl. 600 f. Hohn über den 'erlesenen' Freundeskreis des Verschwenders(?). 682 Wahre Freunde hätten ihre Aufgabe darin gesehen, vor dem Untergang zu bewahren. 959 f. So aber sind Zechkumpane darauf aus, ihren Gastgeber "bei guter Laune zu halten" (48) (kann auch in B.27 gehören). 680 f. Aufzählung von Freundespflichten (im Gegensatz zur Scheinfreundschaft, deren sich die Prasser erfreuen). 191 In seiner Behandlung des Textes weicht Ch. von dieser Reihenfolge ab, wie er auch im folgenden nicht den Anspruch erhebt, in seinen Interpretationen die authentische Versfolge wiederherzustellen; zu dieser vgl. erst die Übersicht von S.203 f.
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658 Materiell orientierte Menschen berufen sich vergeblich auf den sapiens. Zusammenfassung: Lucilius verurteilt Raffgier wie Verschwendung; das vom Prasser in die Debatte geworfene Stichwort 'Freundespflichten' gibt Anlaß zu Ausführungen über wahre Freundschaft. S.53-60: Thema 4: Frau und Ehe; Gespräch mit einem Interlocutor (Nonius: 631 - 632). 631 f. Situative Einbettung des folgenden Gesprächs. 634 f. Ehe und Familie als - mutwillig begangene - Torheit. 633 Begründung dieser Ansicht: Verdorbenheit der Frau, die das ganze Haus in Mitleidenschaft zieht. 638 Kontrast: die Frau der guten alten Zeit. 639 f. Gier der modernen Frau nach Luxusgegenständen. 641 f. Der Interlocutor(?) maßt sich an, seine Ehefrau kontrollieren zu können. 643 Ungeachtet aller Bedenken bekennt sich der Interlocutor zur Ehe. Zusammenfassung: Polemik gegen Frauen und Ehe; das Ehegesetz des Metellus Macedonicus liefert nur den Aufhänger, nicht das gesamte Thema. S.61-71: Thema 6: Krankheitssatire. 660 f. Ausgangspunkt: der Mensch als Wesen aus Leib und Seele. 659, 662 "Wechselwirkungen zwischen Leib und Seele" (62). 671 Seelenstärke als Voraussetzung einer Gesundung des Leibes. 664 Konkrete Situation: Begegnung Arzt - Patient (nequam zu hominis). 663 Vorgeschlagene Therapie: Diät/Hungerkur. 630 Rückfall des Kranken, von diesem verteidigt. 665 Folge: Schüttelfrost und Behandlung durch eine Schwitzkur. 668 f. Purgation und ihre Risiken. 670 Prophylaxe durch sportliche Betätigung (großsprecherischer Übereifer des Schlemmers?). Zusammenfassung: "Unvernunft einer Lebensweise …, die zu selbstverschuldeter Krankheit führt" (71), anhand eines Schlemmers exemplifiziert. Der vorauszusetzende schlimme Ausgang von dessen Verhalten rückt die Satire näher an Pers.3,88-106 heran, als Ch. selbst zugestehen will. S.77-102: Thema 1: Einleitungssatire (Nonius: 674 - 683 f. - 675). 690, 689 Wohlgemeinter Ratschlag des Interlocutors, ein Epos zu dichten (~ Hor. sat.2,1,10 ff.). 679 Ablehnung durch das in "stolzem Selbstbewußtsein" vorgetragene "Bekenntnis seines Unvermögens aus individueller Begrenztheit" (76) (~ Hor.sat.2,1,12 f.). 676 Verallgemeinerung: "Unwiderstehlichkeit des Naturtriebs" (79) (~ Hor. sat.2,1,27 f.). 964 f. Verantwortung gegenüber den Mitbürgern als Motiv des Satirikers. 674, 677, 673, 629 Der Interlocutor begründet seinen Vorschlag, ein Epos zu dichten. 683-686 Möglicher Gegenstand eines Epos, vielleicht von Lucilius selbst thematisiert: "… wäre schon eine schöne Aufgabe, aber was hilft es, wenn ich nicht kann" (84).
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675, 961 Erneute sorgenvolle Warnung des Interlocutors (~ Hor.sat.2,1,80 f.). 625 Bescheidene Selbsteinschätzung des Satirikers (~ Pers.1,45 ff.). 591-594 Abgrenzung des angepeilten Leserkreises: "gleichaltrige Freunde, vermutlich also Gesinnungsgenossen" (90) (~ Pers.1,123 ff.). Ferner zugehörig sind wohl auch fr.603, 798, 628 und 687 f.192 Die Inszenierung weist die gleiche Grundsituation wie Hor.sat.2,1 auf: Im Gespräch mit einem wohlwollenden Ratgeber193 schlägt Lucilius eine Karriere als Epiker aus und rechtfertigt seinen Entschluß, Satire zu schreiben. Die Entscheidung selbst beruht nicht auf einer prinzipiellen - und schon gar nicht "kunsttheoretisch begründete(n)" (74) - Ablehnung des Epos, dessen virtus-fördernde Kraft durchaus anerkannt wird, sondern auf dem Wunsch, tagesaktuelle Fragen aufzugreifen, gewissermaßen "journalistisch, d.h. meinungsbildend" (99) tätig zu sein. Die Gesprächspartien des Interlocutors sind betulich-salbungsvoll, die des Satirikers eher salopp-burschikos orchestriert, so daß die Sprecherverteilung als weitestgehend gesichert gelten darf. S.103-140: Thema 5: Polemik gegen die Tragödie (Nonius: 597 - 598 f. - 608 sowie 618 - 619 - 624 und 616 - 617).194 598 f. Kritik des Interlocutors (eines Tragikers) an der ungezügelten Offenheit des Lucilius. 626 f. Dieser hält in aller Unschuld an seinem Freimut fest. 607 f. Lucilius nimmt Anstoß in sprachlich-grammatischen Fragen. 618, 602, 610-614 Tragödienverse aus dem trojanischen Sagenkreis, partiell mit parodischem Unterton. 604 ff., 620 f., 615 Direkte Angriffe gegen Sprache und Stoffe der Tragödie, nicht von einem Stiltheoretiker, sondern einem Mann mit gesundem Realitätssinn formuliert. 616 Entsetzte Reaktion des Tragikers. 589 f. Dieser weiß den Publikumsgeschmack auf seiner Seite. 597 Überdies nimmt er "die Rolle eines wehrlosen Opfers an" (126). 623 Lucilius über die "Unbekanntheit seiner Satiren" (127)? 624 Spöttischer Verweis des Interlocutors auf die angebliche Nützlichkeit der Satire(?). 617, 619, 609 Unversöhnlichkeit der beiderseitigen Standpunkte (619 vom Tragiker gesprochen?).
192 Mit einer äußerst gesuchten Erklärung bezieht Ch. die letzten beiden Verse auf das Tun des Satirikers selbst. 193 Dieser ist offenbar nicht mit dem Interlocutor von Thema 2 identisch; folglich sind fr.656 f. und die ganze Steuerpächterthematik von der Einleitungssatire fernzuhalten. 194 Die Reihenfolge, in der Ch. die Fragmente bespricht, richtet sich nach der "Notwendigkeit, uns Schritt für Schritt des Bestandes der Satire versichern zu müssen" (135); erst sekundär erfolgt eine Rekonstruktion des Gedankengangs (135 ff.).
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672 Voller Hohn hält Lucilius seinem Gegenüber vor, es schreibe veterem historiam, d.h. 'alten Mythos' (27) bzw. 'verstaubte Märchen' (137).195 In scharfer Auseinandersetzung mit einem als Gegner empfundenen Tragiker (am ehesten Accius)196 verurteilt Lucilius die Auswüchse der Tragödie, die er als negatives Gegenbild der Satire vorführt: Wirklichkeitsfremdheit und eitle Gefallsucht stehen Realitätsbezogenheit und essentiellem Nutzen gegenüber. Auch S c h o l z (139) macht sich im Hauptteil seines Aufsatzes197 an eine Rekonstruktion des 26. Luciliusbuches.198 Unter Beachtung der Lex Lindsay199 und unter Verzicht auf die - von Nonius nicht gedeckte - Annahme einer Einleitungssatire konstituiert er insgesamt fünf Themenkreise bzw. Satiren: 1. "die durchaus auch ganz persönlich diskutierten Fragen der Berufs- und Lebenswahl mit dem dazugehörigen Geld-, Geiz- und Habsuchtsmotiv" (355). Hierzu zählen fr.653-657; 647 f. (Teil der Weigerung, in die Haut "eines verschlagenen, geizigen Geschäftemachers [zu] schlüpfen": 345), vielleicht auch 679; 676; 609; 622; 666 f.; 650 f. 2. eine Ehesatire mit "der Gegenüberstellung von guter, alter Sitte und moderner Luxus-Verderbtheit" (355), bestehend aus fr.631 f.; 634 f.; 638; 633; 639 f.; 646200; 641 ff. 3. "ein Thema über wahre und falsche Freundschaft" (347) mit fr.644; 680 ff. (mit 958?); 649; 600 f.; vielleicht auch 658; 597. 4. "literarkritische Fragen" (349) mit fr.619; 624; 617; 608; 607; 674; 673; 672 (veterem historiam: 'alte Geschichte'); 685 f.; 683 f. (vielleicht mit 687 f.); 690; 689; 604; 589 f.; 620 f.; 605 f.; 615; 611; 613 f.; 618; 623; 602; 612; 616; 610; 1211; 598 f.; 625 ff.; 603; 591 f.; 596. 5. zur Beziehung von Körper und Geist - im Zentrum "wohl die Diskussion um die geistgesteuerte, vernünftige Lebensweise" (353) - mit fr.660 ff.; 659; 664 f.; 668-671; 663; 630; 652; 629. 195 Mit dieser fragwürdigen Erklärung, bereits 25 ff. zur Grundlage all seiner Interpretationen erhoben, schwächt Ch. seinen Standpunkt unnötig. 196 Die Personenkonstellation unterscheidet sich damit diametral von der in der Einleitungssatire (Thema 1) zu beobachtenden. Wenn also D 'A n n a (137) - ohne Kenntnis von Christes und im wesentlichen auf I. M a r i o t t i , Studi luciliani, Firenze 1960 fußend - noch 1983 die Ansicht vertritt, im einleitenden Programmgedicht habe Lucilius voll Stolz sein dem Kallimacheischen Ideal der ὀλιγοστιχία verpflichtetes Werk den obsoleten Ergüssen von Epos und Tragödie gleichermaßen übergeordnet, bleibt er letztlich schon hinter der seinerzeitigen Forschung zurück. 197 Vgl. ansonsten zur Gestalt der antiken Luciliusausgaben, zur Arbeitsweise des Nonius und zu fr.1084. 198 Der bisherige Forschungsstand ist 342 Anm.16 dokumentiert. 199 Wo Sch. 344 Anm.20 das grundlegende Schaubild von C h r i s t e s (130), 24 um zusätzliche Reihen erweitert, verstößt er indes mehrfach gegen deren Gesetze: Wenn Nonius etwa p.293,4M. (=453L.) und 293,16M. (=454L.) zu zwei verschiedenen Bedeutungen von evadere jeweils einen Luciliusvers (fr.625 und 671) als Anhängselzitat aufführt, ist daraus für deren Reihenfolge im Werk nichts zu gewinnen (weitere Belege bei G a r b u g i n o [141], 131 Anm.7). 200 Fr.646 pars difflatur vento, pars autem obrigescit frigore (über Ernteausfall) muß den Noniusreihen zufolge hinter fr.639 f. und damit in den Kontext der Ehesatire gehören; wie jedoch der zweite Versteil "als Klage des Mannes über die uneinsichtig fordernde Frau" (347 Anm.24) verstanden werden kann, hat sich dem Berichterstatter nicht erschlossen.
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Als Bestätigung dieser Reihung - wie auch des Fehlens der von Christes postulierten Einleitungssatire - wird die Beobachtung verbucht, daß die vier ersten Themen in dieser Abfolge von Horaz sat.1,1-4 wiederaufgegriffen werden. Indes hat gerade der dritte Themenkreis durch Inkorporation der bisher zur Einleitungssatire gezählten Fragmente deutlich an innerer Stringenz verloren: Hierzu rechnen jetzt die inhaltlich dezidierte, aber doch von Verständnis für das Gegenüber getragene Ablehnung der historischen Studien eines jungen Mannes, der stattdessen auf die Möglichkeit eines preisenden Scipioepos verwiesen wird, die scharfe Abrechnung mit den "absurden Tendenzen" (350) der zeitgenössischen Tragödie, Enniuskritik sowie eine Standortbestimmung für die eigene Satire mitsamt einer Benennung des Zielpublikums. Bezeichnenderweise verzichtet Sch. gerade hier darauf, seine Übersicht an den Noniusreihen zu orientieren: "Wie Dialog und Personenführung dieser Satire vorzustellen sind, wird Vermutung bleiben" (353). In einer Entgegnung201 beharrt C h r i s t e s (140) auf seiner Interpretation von vetus historia (fr.672: 'alter Mythos') und verweist ansonsten auf die Tatsache, daß sich die - wenn nicht belegte, so doch erwartbare - Einleitungssatire in B.26 gerade aus dem von Sch. selbst an den Buchbeginn gestellten Themenkreis speisen könnte. Die Auseinandersetzung um die Bedeutung von vetus historia geht mit S c h o l z (142; 'alte Geschichte') und C h r i s t e s (143; 'alter Mythos') in eine weitere Runde, ohne daß dabei substantielle Fortschritte erzielt würden. Eine Lösung bestünde möglicherweise darin, historia als Stoff eines historischen Epos zu verstehen; vgl. Cic.inv.1,27 historia est gesta res, ab aetatis nostrae memoria remota, quod genus 'Appius indixit Kar thaginiensibus bellum' (= Enn.ann.fr.223V.).202 C h r i s t e s (145) resümiert schließlich noch einmal seine früheren Aussagen betr. Einleitungssatire (und Epilog) der von Lucilius selbst besorgten Satirensammlung. Die Frage der Buchrekonstruktion beschäftigt auch G a r b u g i n o (141) in seinem mit Text, Apparat und Übersetzung ausgestatteten Kommentar zu B.26, in dem er ganz wie Christes (130) - sechs Themenblöcke namhaft macht203, was den Bestand der einschlägigen Noniusreihen und die Verteilung der Fragmente auf die einzelnen Satiren angeht, jedoch zu anderen Ansichten gelangt (vgl.132).204 1. 'Eine Einleitungssatire für das ganze Korpus der Bücher XXVI-XXX, in der Lucilius das Ansinnen abwehrt, sich statt der Satiren dem Epos zuzuwenden'; als Inter 201 Diese erstreckt sich auf alle von Sch. berührten Themen (vgl.oben Anm.197). 202 Dieser Ansatz deckt sich nicht mit der Meinung von G a r b u g i n o (141), der zwar vetus historia ebenfalls auf ein historisches Epos bezieht, den Terminus jedoch als Gattungsbegriff mißversteht. 203 Der Einfachheit und Transparenz halber sind deren Überschriften nachstehend im wesentlichen nach Christes (130), 24 formuliert, die Fragmente selbst nicht nach G. (nr.1-100), sondern nach Krenkel gezählt (allein an der Numerierung ist ja schon abzulesen, wo sich G. für eine Neukontextualisierung einzelner Stellen entscheidet) und Erläuterungen auf nennenswerte Änderungen gegenüber Krenkel beschränkt: Wo diese auf ältere Forschungsergebnisse zurückgreifen, ist dabei nicht eigens ausgewiesen. 204 Im Unterschied zu Christes (130), 24 bestreitet G. die Aussagekraft von Non.p.351M.=556L. (mit fr.653; 654f.; 656 f.); dafür gewinnt er aus p.97M.=137 f. L. (fr.639 f.; 646: maßgeblich für die Abfolge der Themenblöcke 2 und 3) und 125 f.M.=182L. (fr.620 f.; 605 f.) zusätzliche Reihen.
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locutor könnte der Epiker Hostius fungieren: fr.690; 689; 629; 679; 676; 672 histo riam scribere (≠ h. narrare!): 'historisches Epos schreiben' (historia als Gattung, vetus: "vecchio e sorpassato" (146); 674; 683 f.; 685 f.; 687 f.; 610 Einberufung einer Heeres versammlung; 625; 603 Text ohne Negation herzustellen; 581-594 ironische erudito rum reiectio im Sinne einer captatio benevolentiae. 2. 'Frau und Ehe': fr.631 f. lies: Roma iam; 634 f.; 633 lies: flaccam familiam (flaccus = "effeminato": 161205); 638; 639 f. lies: depeculassere; 641 f.; 643. 3. 'Kritik an der Geschäftswelt': fr. 656 f./647 f.206 bekundet Lucilius seine innere Unabhängigkeit; 650; 646; 651: drei Sätze gesprochen von einem unzufriedenen pu blicanus; 678 exactorem: "sovrintendente" (174); 653; 654 f. lies: si ista mittis, das letzte Versdrittel ist unrettbar verderbt; 609 als Variation von 653. 4. 'Geiz [und] Verschwendung'207: fr.622; 645 lies: nec esse ("versari in luto malis, nec esse lautum e mensa pure capturus cibum?")208; 652; 644; 649; 600 f. der prodigus verfügt über conbibones en masse; 630 Argumentation des prodigus ('Lieber will ich …'), fastidiosum ac vescum als Hendiadyoin ("nauseato": 186). 5. 'Polemik gegen die Tragödie' mit einem (wohl fiktiven) Tragiker als Interlocutor: fr.604; 620 f. bezogen auf den Telephus des Accius; 605 f.; 615; 616; 666 f. Gegenrede des Interlocutors: 'Wie armselig ist doch die Satire!' 597209; 636 f. ironischer Kommentar zum jämmerlichen Selbstmitleid der Tragiker; 589 f. lies: –x –x – nunc itidem populost et scriptoribus (der Tragiker verteidigt sich mit dem Publikumsgeschmack); 598 f.; 626 f.; 623; 607 bezogen auf die exaltierte Wortwahl (verbum inusitatum) - in den folgenden Fragmenten exemplifiziert - und die gesuchten Problemstellungen (zete matium) der Tragödie; 608; 618; 602; 611 lies: solus Aiax; 612 lies: domuitionis; 613 f.; 617/619 Unvereinbarkeit der Standpunkte von Tragiker und Satiriker. 6. Populärphilosophische "precetti ad un amico sulle malattie dell'anima e del corpo" (132); was der Arzt für den Körper, ist der Philosoph für die Seele: fr.682 lies: tueri; 680 f.; 677; 675; 658 lies: et putant; 624/673 Lucilius greift die vom Interlocutor geäußerten epikureischen Maximen auf, um sie zu widerlegen; 628; 660 f.; 659; 662; 671 sc. 'Wer hilft im Fall einer Erkrankung des animus?' 664; 663; 670 lies: [in] duplici; 665; 668 f. Vorsichtsmaßregeln des Mediziners, in Gleichnisform auf das Wirken des Philosophen übertragbar. Verfehlt scheint allein die Einschätzung der Einleitungssatire als Polemik gegen das (historische) Epos ("La denuncia dell'inautenticità del presente si traduce in un fermo rifiuto della menzogna letteraria, che, richiamandosi … agli ideali obsoleti del patriottismo, propone modelli culturali ingannevoli. … Finita l'epoca delle gesta gloriose, cantate 205 Paläographisch überzeugend, vermag die - schon von I. M a r i o t t i (wie Anm.196), 64 vorgeschlagene - Konjektur inhaltlich kaum für sich einzunehmen. 206 Die Reihenfolge der zusammengehörigen Fragmente ist durch Non.p.38,4 bzw. 7 f. M. = 54 f. L. festgelegt. 207 Christes (130), 24 hatte noch Aussagen über "falsche und echte Freundschaft" in diesen Zusammenhang aufgenommen. 208 Die Erklärung nach Marx, II 242. 209 Hier beschränkt sich G., 198 auf das Referat widerstreitender Forschermeinungen.
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da Ennio": 234): Lucilius entscheidet sich aus persönlichen Gründen dagegen, ein Epos zu schreiben (fr.679), erhebt aber - anders als im Falle der Tragödie - keine grundsätzlichen Einwände gegen die abgelehnte Gattung. Vor dem Hintergrund der vorgenannten Arbeiten unternimmt auch M o n d i n (147) einen Rekonstruktionsversuch, der nach erneuter Sichtung der Noniusreihen210 zu nachstehender Abfolge der in B.26 anzutreffenden Themenkreise gelangt:
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
Contro il matrimonio; Il mondo degli affari; Altro(?) tema etico (i vizi umani); Polemica contro la tragedia; Le scelte personali e la vocazione satirica; 'Recusatio' della poesia epica; Le malattie.211
Die poetologischen Aussagen finden sich demzufolge erst in der zweiten Buchhälfte (Themen 4-6); für das von Christes postulierte Programmgedicht der ersten Satirensammlung bleibt kein Raum.212 Im einzelnen weist M. den literarisch orientierten Themen die folgenden Fragmente zu: 4. Polemik gegen die Tragödie: fr.604; 623; 620 f.; 605 f.; 636 f.; 611; 615 f.; 612; 618; 613 f.; 597; 607; 589 f.213 5. Bekenntnis zur Satire: fr.676; 617; 619 ('Jeder hat andere Vorlieben'); 672 (→ 'Io, invece …'); 624 (mit den Hss. als Konditionalsatz gefaßt)/673 (mit der Konjektur transfer t )/609; 666 f.; 964 f.; 598 f.; 626 f.; 625; 603. 6. Recusatio der Epik: fr.690; 689; 683-686; 679; 610; 687 f.; 608; 629. Die Gesamtheit dieser Aussagen siedelt M. in einer einzigen Satire an : Im Dialog mit einem als Historiker zu denkenden Interlocutor habe Lucilius gegen Bombast und Weltfremdheit der Tragödie polemisiert und für die eigene Dichtung einen Bezug zum wirklichen Leben beansprucht; gegen den Alternativvorschlag, dann doch ein Epos
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210 Mit Christes (130) denkt M. bei der einschlägigen Noniusquelle für B.26-30 an einen falsch gebundenen Codex; entsprechend muß die Lex Lindsay auch hier ihre Gültigkeit behalten. 211 Die hierbei vorausgesetzte Neuzuordnung von fr.608 zu Thema 6 oder fr.675 zu Thema 7 hat durchaus einiges für sich; dagegen wird die Kombination von fr.656; 647 f. mit Thema 2; fr.674 mit Thema 3; fr.616; 597 mit Thema 4 wohl nicht auf ungeteilte Zustimmung stoßen. 212 M. stellt die Existenz einer solchen Sammlung überhaupt in Abrede: Lucilius dürfte die einzelnen Bücher sukzessive publiziert und keine Zweitedition in Buchgruppen veranstaltet haben (die Bescheidenheit von fr.591-596 [26. Buch] sei nicht in der gleichen Sammlung wie der Stolz von fr.1084 [30. Buch] vorstellbar!). Die merkwürdige Gestalt der postumen Gesamtausgabe wäre dann dadurch zustande gekommen, daß der Satiriker nach dem Achtungserfolg seiner "produzione 'minore'" (34) einen Neuanfang unternahm und nun für seine "produzione 'principale'" (ebd.) eine eigene Zählung begann (B.1-21); nach seinem Tod wäre dieses Œuvre dann um seine daktylischen Jugendwerke (B.22-25) und seine Anfänge als Satiriker (B.26-30) - diese in chronologischer Reihenfolge - ergänzt worden. 213 Alternativ könnten die letzten beiden Verse auch das 6.Thema abgeschlossen haben.
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über das von ihm selbst erlebte bellum Numantinum abzufassen, habe er sodann auf seinen Mangel an Talent und Neigung verwiesen.214 Bereits zuvor hatte M o n d i n (146) über den Fragmentbestand seines nunmehrigen Themas 4 Klarheit zu gewinnen gesucht und dabei neben fr.604 ff. und 620 f. auch die folgenden Passagen in den Zusammenhang der Kritik an Realitätsferne und stilistischem Bombast der Tragödie gestellt: 1. fr.623 –x nunc ignobilitas his mirum ac monstrificabile: Den Tragikern graust es vor der ignobilitas alltäglicher Ausdrucksweise. 2. fr.636 f. mit dem rekonstruierten Wortlaut si miserantur se ipsi, vide, ne illorum causa superior / e loco, quo conlocavit215 –x–x, decidat : Belehrung des Gesprächspartners (eines Tragikers?), daß eine vom Schicksal gebeutelte Bühnenfigur gerade durch das hohle Pathos ihres Selbstmitleids die Empathie des Publikums verwirkt (zu verwandten Gedanken vgl. Hor.ars 95-98; 102-105 und - übertragen auf die Gerichtsrede - Pers.1,83-91).216 3. fr.607: si quod verbum inusitatum aut zetematium offenderam. Verweis auf die eigene Erfahrung: " assistendo a scene del genere ,/ se mi ero imbattuto in una parola inconsueta o in una disquisizione,/ anziché un senso di pietà, provavo voglia di ridere " (109).217 4. fr.589 f. nunc itidem populo ‹placere nolo› his cum scriptoribus:/ voluimus capere animum illorum …: die Konsequenz für das eigene Schaffen. Für fr.672-690 kehrt R o d r í g u e z H o r r i l l o (148) zur traditionellen Deutung des Kontextes (Krenkel, I 86: "5.Satire [von B.26]: Geschichtsstudien") zurück: Einem über die Frühgeschichte Roms schreibenden Historiker (fr.672 veterem historiam in ductus studio scribis ad amores tuos; vetus hier nicht gerade abwertend, aber ohne den "tono laudatorio" [348] von antiquus) wird stattdessen Beschäftigung mit der Zeitgeschichte angeraten (fr.689 percrepa pugnam Popili, facta Corneli cane). Wie der Vf. jedoch fr.689 canere kurzerhand für die Arbeit des Historikers in Anspruch nehmen und aus Hor.sat.2,1,10-17 (Heldentaten lassen sich nicht nur im Epos, sondern auch in weit weniger anspruchsvoller Dichtung feiern) ein unterstützendes Argument für seine These gewinnen konnte, hat sich dem Berichterstatter nicht erschlossen.
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Als Hintergrund für die Ehesatire sind nach B e r n a r d i P e r i n i (133) nicht nur die Reste der mit dem Ziel ut cogerentur omnes ducere uxores liberorum creandorum causa (Liv.perioch.59) gehaltenen Metellusrede Gell.1,6,2, sondern auch deren Fortsetzung Gell.1,6,8 zu berücksichtigen: Aus der unmittelbar hierauf verweisenden Aussage homines ipsi hanc sibi molestiam ultro atque aerumnam offerunt:/ ducunt uxores, 214 Christes selbst hat zu M.s Thesen in seinem Kommentar (5), 217 ff. noch einmal Stellung bezogen. 215 Als Subjekt wäre poeta, deus oder sors vorstellbar. 216 Wenig überzeugt allerdings M.s Sprecherverteilung in dem dieser Persiusstelle vorgeschalteten Dialog: Wenn der Interlocutor für hypermodernes Raffinement schwärmt (v.63-68) und folgerichtig auch die Ergüsse der Altvorderen perhorresziert (v.76 ff.), wie sollte es dann zu dem von Persius beklagten 'Stilmischmasch' (v.80 sartago loquendi) kommen? 217 Ein zetematium der hier vorausgesetzten Art wäre etwa in fr.615 formuliert.
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producunt, quibus haec faciant, liberos (fr.634 f.) zieht Lucilius für sich den ironischen Schluß quapropter deliro et cupidi officium fungor liberum (fr.643: 'Bin ich dann also so verrückt…?'). Damit entfällt das entscheidende Indiz für eine dialogische Inszenierung der Satire. H e l d m a n n (134) schlägt vor, fr.634 f. in der Tradition der Zeusrede von Hom. Od.1,32-43 "als göttliche Antwort auf die Klage der Menschen, die über die Verdrießlichkeit des Verheiratetseins jammern, zu interpretieren" (341): Menschen neigen dazu, für selbstverschuldetes Unglück (vgl. fr.643) die Götter verantwortlich zu machen. Buch 29 (mit fr.807-926) P e r r u c c i o (136 und 144) durchmustert Wortlaut und Inhalt der üblicherweise als Vorlage für Hor.sat.1,2 (mit dem Thema desine matronas sectarier: v.78) angesehenen Fragmente 874-890218 und stellt dabei signifikante Divergenzen fest:219 Lucilius versucht, seinem Gegenüber einen - von der betreffenden Frau anscheinend geförderten - Ehebruch auszureden, wobei er unterschiedslos auf alle möglichen Alternativen verweist220; erst bei Horaz findet sich die mit dem Gedanken der rechten Mitte verbundene Dreiteilung matrona - libertina - scortum, die ihrerseits wieder überlagert wird von der Mahnung, der für sein Tun allein verantwortliche amator möge sich auf jeden Fall fama und res unversehrt erhalten. Im Ergebnis kann der Horaztext nicht mehr als Lucilius-imitatio gelten und daher auch nicht zur Rekonstruktion des verlorenen Gedankengangs bei Lucilius herangezogen werden; am ehesten stehen beide Autoren unabhängig voneinander unter dem Einfluß von Motiven der Mittleren Komödie.221 Buch 30 (mit fr.982-1109) Nach dem Muster von B.26 nimmt C h r i s t e s (130) auch B.30 in den Blick, beschränkt die Einzelinterpretation hier jedoch auf die im weiteren Sinne programmatischen Partien. Insgesamt kann er 9 Themen ausmachen, für deren Abfolge aus den Noniusreihen nur rudimentäre Aussagen zu gewinnen sind (141).
1. Spanische Kriegsanekdoten; 2. Fabel vom Löwen und vom Fuchs; 3. Ein Mann in den Netzen einer Frau (vor Thema 1); 4 . Erinnerung an literarische Anerkennung durch einen Gönner und Dank; 5. Rechtfertigung der Satire (vor 4); 6. Denkzettel für eine alte Vettel;
218 P. (144) vertritt gegenüber der früheren Arbeit eine leicht modifizierte Fragmentreihung: fr.874-880; 887 f.; 881-886; 1205; 889 f.; daß auch fr.873 in den gleichen Kontext gehört, ist 136 als selbstverständlich vorausgesetzt, 144 jedoch aufgrund der Stellenangabe bei Nonius (p.383,15M. = 612L.: Lucilius lib.XXVII) eher in Zweifel gezogen. 219 Die ältere, in erschreckendem Umfang durch Druckfehler entstellte Arbeit äußert sich hierzu weniger dezidiert. 220 Liest man fr.885 mit P. (und Mercier) qui et (quiete Non.p.489,18 f.M. = 313 L.; quae et Cichorius), wären auch pueri delicati in die Ratschläge des Sprechers einbezogen. 221 Überhaupt scheint die hellenistische Literatur dem Thema große Aufmerksamkeit gewidmet zu haben: vgl. die Belege bei P. (144), 481 Anm.31 und 482 Anm.32.
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7. Ein schäbiges Gastmahl (vor 6); 8. Verherrlichung eines Feldherrn; 9. Über tagespolitische Fragen (vor 7 und 3).
Von diesen Themen nimmt Ch. Nr.4, 5 und 8 - letztlich nur aufgrund ihrer gedanklichen Vereinbarkeit - für eine gemeinsame Satire in Anspruch und weist dieser die Rolle eines "Epiloggedicht(s) der ganzen Sammlung" (197) zu. Im einzelnen werden die Fragmente wie folgt verstanden: (zu Thema 5) 1107 Persönlicher Angriff des Satirikers gegen einen homo vitiosus. 1089 Gegenpartei droht mit Vergeltung. 1103 f. Lucilius droht seinerseits, weitere Schandflecke publik zu machen. 1100, 1098, 1097 Vorhaltungen des Interlocutors: Ungehörigkeit bzw. Fruchtlosigkeit der Satire. 1093 f. Lucilius "läßt seine Angriffe … von sich abprallen" (154). 1090 f., 1099 Ein neuer Anlauf: Lucilius wird mit dem Vorwurf der Schadenfreude und der Schmähsucht konfrontiert. 1101 f. Der Satiriker fühlt sich mißverstanden und beschwichtigt. 1069 f. Neuer Vorwurf der Hinterhältigkeit. 1086 f. Ansatz zu einer detaillierten Widerlegung. 1095 Lucilius setzt sich "souverän über mangelnde Einsicht hinweg" (163). 1092, 1105, 1072 Übergänge in der Argumentation. 1096 Deutung? (zu Thema 4) 1088, 1073, 1108 Lucilius vergegenwärtigt sich seine frühere Anerkennung durch "eine hochgestellte Persönlichkeit" (191) von "unbestechliche(r) Urteilskraft" (169), allem Anschein nach den mittlerweile verstorbenen Scipio Aemilianus. 1106 Was Lucilius und Scipio auf dem Sektor der Dichtung verbindet. 1085, 1084 "[S]tolzes Triumphieren über literarische Konkurrenz" (175). (zu Thema 8) 1066, 1023222, 1062 f., 1060 f., 1059 (caeli pugnas: 'Himmelskämpfe' [181]), 1296, 1068, 1064 f., 1067 Nachruf auf Scipio: Der Satiriker vermag dessen Leistungen nicht adäquat, d.h. in einem Epos, zu preisen und verweist dafür auf seine eigene Dichtung als Ersatz. Zusammenfassung: In der mit verschiedenen, ad hoc eingeführten Gegenrednern inszenierten Satire hat "Lucilius … die Berechtigung satirischen Dichtens verfochten und die Anerkennung durch ein überragendes ingenium [Scipio] zu seinen Gunsten ins Feld geführt" (176); als Ausdruck der hieraus erwachsenden "persönlichen Freundesund Dankesschuld" unternimmt er es abschließend, "ihm im Rahmen einer vergleichsweise anspruchslosen Dichtkunst einen Nachruf zu widmen" (189). 222 Dieses Fragment wird sonst üblicherweise dem Themenkreis 'Spanische Kriegsanekdoten' zugeschlagen.
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Im Vorgriff auf seine spätere Ausgabe legt sich sodann G a r b u g i n o (135) über Notwendigkeit und Grundlagen einer Neuedition von B.30 Rechenschaft ab. 1. Der Lex Lindsay kommt als Wegweiser entscheidende Bedeutung zu. Daß Nonius seine Luciliuszitate nicht nur aus den einschlägigen Texteditionen, sondern auch aus Grammatikerschriften, Glossaren oder kommentierten Ausgaben anderer Autoren bezogen haben könnte, ist hier zu vernachlässigen: Gerade für B.26-30 beweist allein die Zitatmenge direkte Kenntnis des Luciliustextes; für eine Sekundärquelle spricht vielleicht die merkwürdige Angabe Lucilius in epodis, mit der Nonius p.107,26 f.M. = 153L. fr.929 f. einleitet. 2. Auch in den von Nonius rückläufig bearbeiteten Büchern 26-30 sind die einzelnen Zitate fortlaufend zu lesen. Frühere Herausgeber hatten dies überhaupt verkannt (Marx) oder durch unsachgemäße Anwendung der Lex Lindsay (Krenkel) bzw. selektive Auswertung der Noniusreihen (Christes) den Befund verunklärt. 3. Entscheidende Änderungen sind an der Buchanalyse von Christes (130) vorzunehmen: Hatte dieser die durch die Noniusreihe p.274 f. M. = 420 f. L. abgedeckten Themen als 'Spanische Kriegsanekdote' (fr.1017 f.) - 'Verherrlichung eines Feldherrn' (fr.1066 und 1023) identifiziert, ist diese Annahme nach erneuter Prüfung in 'Ein Mann in den Fängen einer Frau'(?) (fr.1017 f.) - 'Verherrlichung eines Feldherrn' (fr.1066) - 'Spanische Kriegsanekdote' (fr.1023) zu korrigieren.223 Nimmt man noch die bei Ch. unberücksichtigt gebliebene Noniusreihe p.350M. = 554 f. L. hinzu224 (fr.990: 'Denkzettel für eine alte Vettel' - fr.1103 'Rechtfertigung der Satire' - fr.1003 f. 'Ein Mann in den Netzen einer Frau'), ist seine Annahme, die Themen 'Feldherrnpreis', 'Dank an einen Gönner' und 'Rechtfertigung der Satire' (bei G. Nr.1, 10 und 6) bildeten gemeinsam die Schlußsatire, so nicht mehr zu halten.225 Im Ergebnis führt eine Gesamtwürdigung der durch die Lex Lindsay vorgegebenen Daten zu einem Buchaufbau, der bis auf die Einordnung des Themas 'Feldherrnpreis' dem Gerüst der späteren Ausgabe entspricht.226 Diese mustergültig mit Apparat, Übersetzung und Kommentar versehene Edition selbst (G a r b u g i n o [138]) profitiert von ihrer gründlichen Vorbereitung: Dem Text ist ein sorgsam recherchierter, gegenüber Marx (Lucilius) und Lindsay (Nonius) deutlich vermehrter und verbesserter Apparat beigegeben; der durch eine italienische Übersetzung unterstützte Kommentar umfaßt fundierte und durch Diskussion der 223 In seiner kommentierten Edition (138) revidiert Garbugino diese Aussage: Dort wird fr.1017 f. - wiewohl durch Non.p.274,9M. = 420L. für B.30 bezeugt - als jambisch-trochäische Sequenz identifiziert und entsprechend aus unserem Zusammenhang ausgeschieden; dadurch ergibt sich die Möglichkeit einer Neupositionierung des Themas 'Feldherrnpreis' . 224 Die übrigen von G. neu präsentierten Noniusreihen (98 f.) sind nur für die Versfolge innerhalb einzelner Themenkreise von Bedeutung. 225 Damit entfiele auch das entscheidende Argument für eine Gesamtkonzeption von B.26-30, wonach Lucilius der Sammlung eine mit der Einleitungssatire von B.26 korrespondierende Schlußsatire zugedacht hätte; doch sind sowohl die neu vorgeschlagene thematische Zuordnung von fr.1023 wie auch die Lokalisierung von fr.1103 nicht ohne Widerspruch geblieben (C h r i s t e s [143] sowie - "zu Ende gedacht" - [5], 545 f.). 226 Vgl. oben Anm. 223.
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Forschung abgesicherte Aussagen zu Sprache und Stil (Vokabular, Formenbildung, Syntax, Stilregister), Metrik, Inhalt, Stoßrichtung und Zusammenhang der Fragmente sowie Motivparallelen bei anderen Autoren. Unter Berücksichtigung der Lex Lindsay wie auch inhaltlicher Erwägungen kristallisieren sich dabei folgende zehn Themenkreise heraus:227 1. 'Verherrlichung eines Feldherrn' (Scipio) in Verbindung mit einer recusatio (zu deren Proömienfunktion vgl. fr.1064 und 1068 mit Pers.chol.): fr.1064; 1060 f.; 1062 f.; 1059 lies: caeli pugnas228 = caelestes pugnas (mit Anspielung auf die Gigantomachie); 1109 tendenziöses Urteil der Gracchenpartei über Scipio (dieser als superbus auch Vir. ill.58,8); 1068; 1066 lies: virtute tuae (archaischer Dativ); 1065; 1067. 2. 'Über tagespolitische Fragen', verbunden mit einer laudatio temporis acti: fr.991; 994 zur Sache vgl. Scipio Aemilianus bei Macr.Sat.3,14,6 f.; 1027 bezogen auf den Luxus der Zeit; 1056 lies: publicitus, politische Betätigung als Königsweg zum Reichtum; 1054 "Lucilio criticava alcune disposizioni legislative di carattere demagogico" (89): die leges tabellariae von 139/7 v.? Tib.Gracchus?; 1055 Bezug auf die lex Sempronia agraria; 1071 lies: se nutricatum sane, die Gracchenpartei als Muttermörder, "che uccide l'essere che l'ha nutrito" (92; d.h. Italien). 3. Wert der Zeit, Vergänglichkeit des menschlichen Lebens. G. benennt diesen Programmpunkt als einzigen über Christes (130) hinaus, räumt aber die Möglichkeit ein, daß er noch zu Thema 2 gehören könnte: fr.996 ff. rastloses Erwerbsstreben als Lebensverschwendung; 1028 nicht über den Tod Scipios, sondern exemplum für die Hinfälligkeit menschlicher Existenz (vgl.Sen.epist.101,3); 984 Ängste des avarus; 995 lies: quod prosit habendo, "ciò che è utile possedere" (97); 1029 bezogen auf eine psychische oder moralische 'Krankheit'; 989 Ratschlag für die Lebensführung. 4. 'Ein schäbiges Gastmahl': fr.1030; 1031; 1035; 1036 lies: blennus; 1038 f.; 1041 f. lies: delicet ecquae / intus via; 1045 f.; 1048; 1053; 1043; 1044. 5. 'Denkzettel für eine alte Vettel': fr.987 f. lies: ante, invitum; 985 f.229 lies: ante230; 1001 f. Versgrenze nach potesse et, lies: mansum ex ore daturum, Wunsch der Amme, möglichst lange im Dienst zu stehen; 990 die Amme verschmutzt äußerlich, andere Frauen dagegen in ihrem Inneren, d.h. moralisch; 1037 perolesse bisulcis (Akk.): 'stinken nach Schwein'; 1040 haec = vitia; 982 f. wohl ironisch (virgo = meretrix); 992; 993. 6. 'Rechtfertigung der Satire' gegen den von einem anonymen Interlocutor (nicht Afranius bzw. Accius!) erhobenen Vorwurf der üblen Nachrede (vergleichbar Hor. sat.1,4): fr.1099; 1090; 1091; 1103; 1107; 1104 circum oppida lustrans: "andando in cerca di donnacce nei pressi delle barriere del circo" (123); 1089; 1101; 1100/1098; 227 Wie im Falle von Garbugino (141) hat der Berichterstatter auch hier die Überschriften für die einzelnen Themenkreise aus Christes (130, hier: 141) bezogen und die Fragmentzählung (bei G.: nr.1-125) nach Krenkel beibehalten. 228 Der von Ennius besungene Tribun heißt wohl nicht Caelius, sondern C. Aelius (vgl. Liv.41,1,7); entsprechend dürfte dann auch Macr.Sat.6,3,3 zu ändern sein. 229 Da die letztgenannten Fragmente als Anhängselzitate zu einem semantisch aufgefächerten Lemma (subigere = mollire bzw. cogere) gehören, stellt ihre Abfolge bei Nonius (985 f.: p.401,5M. = 644L.; 987 f.: p.401,18M. = 645L.) kein Präjudiz im Sinne der Lex Lindsay dar. 230 Daß G.,58 anne druckt, geht auf ein redaktionelles Versehen zurück.
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1097 lies: allaudes; 1105; 1102; 1096 lies: Muttonis (Spottname!), tagax = rapax, ma num Obj. zu perscribere; 1095; 1069 f. lies: muscipula extenta; 1086 f. als Subj. invidia zu ergänzen231, de quo sc. vitio oder malo; 1057 f.; 1093 f. lies: exultes et sollicites. 7. 'Ein Mann in den Netzen einer Frau', incl. Anekdote vom betrogenen mercator: fr.1047 mite malum = femina; 1003; 1012 f.; 1014; 1011; 1015; 1005 lies: quom (Sprecher: der - angeblich nicht erkannte - Ehemann); 1016; 1019 lies: delibat(?) 1020; 1021 f.; 1007 f./1009 lies: operata; 1010; 1006; 999 f.; 1004. 8. 'Fabel vom Löwen und vom Fuchs': fr.1074 f.; 1078; 1076 f. lies: deque petigo (Tmesis); 1032 f. lies: studiosa, abdominis und ingressast, quae sc. vestigia; 1079 f.; 1081; 1082 f. 9. 'Spanische Kriegsanekdote', dem Wortgefecht von Hor.sat.1,7 vergleichbar: fr.1023; 1024; 1025; 1026 hostis = Hiberi; 1034; 1049 f. wohl der epigrammatische Schluß der Anekdote. 10. 'Erinnerung an literarische Anerkennung durch einen Gönner und Dank', an Scipio gerichtet: fr.1092; 1072 Lucilius äußert sich "a qualcosa di particolarmente intimo, più adatto ad un colloquio privato che a un componimento in versi" (163); 1085/1084 lies: perciperent; 1106 sc. "hai apprezzato" (164); 1088 haec = sermones; 1073 neminis ingenio tantum confidere oportet sc. "quantum tuo, amice, qui es arbiter carminum subtilissimus"232; 1108 Dank an Scipio und die Freunde ("il primo perché ha apprezzato le sue satire…, i secondi perché lo hanno indotto a presentargliele": 167). Nicht ins 30. Buch gehören fr.1051 f. (bei Nonius einmal fürs 30., einmal - wohl richtiger - fürs 20. Buch bezeugt: vgl. p.209,3M. = 308L. bzw. p.137,26M. = 200L.); 1287 (Non.p.321,19M. = 503L. ohne Buchangabe zitiert und erst von Lindsay ins 30. Buch gesetzt) und 1017 f. (wohl als trochäischer Septenar zu identifizieren)233. Einige der von G. erzielten Resultate geben zusätzlich Anlaß, bisherige Forschungspositionen in Frage zu stellen: - Was die Gesamtkonzeption des Buches betrifft, hat der Lex Lindsay zufolge (Non.p.274M. = 420 f. L.: Thema 1 vor 9) die Lobpreisung Scipios nicht zum Epilog gehört; die Schlußsatire kann somit nicht den von Christes (130) postulierten Inhalt aufgewiesen haben. - Da sich fr.1028 nicht auf den Tod Scipios bezieht und - wie schon früher festgestellt234 - auch fr.1054 f. nicht den Rahmen von Scipios Lebensdaten sprengt, bleibt kein Raum für die Annahme, fr.1067 enthalte eine Würdigung Scipios post mortem (Christes) oder sei an einen neuen Patron - C. Sempronius Tuditanus? - gerichtet (Cichorius): Für die Datierung der Satirensammlung B.26-30 behält der Ansatz von Marx (vor 129 v.) mithin seine Gültigkeit. - Wenn Lucilius eine im Krieg gegen die Palantiner (137/6 v.) zu situierende Begebenheit (fr.1025) - nicht anders als Horaz das analoge Geschehen von sat.1,7 - selber 231 Wenn Krenkel, II 583 "Je verbindlicher er sich gibt" übersetzt, hat er das Femininum haec übersehen. 232 Die Formulierung nach Marx, II 325. 233 Hier hatte G. (135) noch mit einer hexametrischen Versfolge gerechnet. 234 Vgl. Raschke (79).
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erlebt hat und sich seine in fr.1340 f. durch vidimus bekundete Augenzeugenschaft auf die Auslieferung des C. Hostilius Mancinus an die Numantiner (136 v.) bezieht, ist auch das von Hieronymus überlieferte und von Christes verschiedentlich mit Nachdruck verteidigte Geburtsdatum des Satirikers nicht mehr zu halten; G.s weitergehende Vermutung, Lucilius habe sich schon lange vor dem Numantinischen Krieg als Dichter betätigt (fr.1084 f.; 982 f.) und sei von Scipio "in qualità di letterato e poeta con il probabile compito di cantare le imprese dell' Emiliano" (168) ins Feld mitgenommen worden, braucht man auch dann allerdings nicht zu teilen. Für die Rekonstruktion der letzten Luciliussatire in B.30 sucht G r i f f i t h (129) die Beobachtung einer strukturellen Gleichartigkeit der dialogisch inszenierten Schlußpartien von Hor.sat.2,1,57-86; Pers.1,103-123 und Iuv.1,147-171235 nutzbar zu machen:236 Ein oder mehrere Gegenredner (Afranius? gemeinsam mit Accius?) konfrontieren den Satiriker mit Vorwürfen wegen seiner Bösartigkeit und seines Lebenswandels (fr.1089 ff.; 1099; 1101; 1103 f.; bei Marx: 1014-1017; 1033 ff.)237; dieser pariert ganz wie die Späteren mit einer überraschenden - hier nachgerade patzig klingenden - Antwort (fr.1093 f.).238
XVI. Einzelstellen 1. Fragmente aus mehreren Büchern 149. R. P i e r i n i , Note a Lucilio, SIFC 43, 1971, 199-221. 150. P. F r a s s i n e t t i , Luciliana, Athenaeum 50, 1972, 390-400. 151. R. D e g l ' I n n o c e n t i P i e r i n i , Due note a Lucilio, SIFC 50, 1978, 55-69. 152. —, Note a Lucilio (in margine ad una recente edizione), A&R 26, 1981, 50-61. 153. D.R. S h a c k l e t o n B a i l e y , Stray lights on Lucilius, CJ 76, 1980-1981, 117-118. 154. G. G a r b u g i n o , Note critiche ai libri I-VIII di Lucilio, in: Studi Noniani 7, Genova 1982, 97-115. 155. —, Tre cruces luciliane, in: Studi Noniani 9, Genova 1984, 111-136. 156. A. P e r u t e l l i , Minima Luciliana, RFIC 129, 2001, 134-147.
235 Diese nach E.J. K e n n e y , The first satire of Juvenal, PCPhS 8, 1962,29-40 = (deutsch) Juvenals erste Satire, in: D. K o r z e n i e w s k i (Hg.), Die römische Satire, Darmstadt 1970, 473-495. 236 Dabei stützt er sich auf die von Marx in diesen Kontext eingereihten Fragmente (dort 10081038); Zuordnung und Abfolge der Textstücke bei Krenkel (1064; 1068 ff.; 1072 f.; 1084-1108) sind nicht vergleichbar. 237 Für Formulierung und Situation vgl. fr.1101 mit Iuv.1,168 f.; 1099 mit Hor.sat.2,1,21 und 1090 mit Hor.sat.1,4,78. 238 Ergänzend ordnet G. in einer Appendix zu seinem Aufsatz (70 ff.) auch die weniger aussagekräftigen Fragmente (zu deren Gesamtheit vgl. oben Anm. 236) diesem Szenario zu.
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Bis auf wenige Ausnahmen239 untersucht G a r b u g i n o (154) früher vorgeschlagene Konjekturen auf ihre Vereinbarkeit mit dem paläographischen Befund der NoniusÜberlieferung. Im einzelnen plädiert er für folgende Lesungen (in Klammern jeweils der in den Noniushandschriften vorherrschende Text): fr. 81 f. quom illic (quem illi cum) 84 f. Nomentani (nomen iamque) 117 f. Broccus Bovillanus (broncus novit lanus) 140 f. annicula aspera ‹equa› atque / praecoca [est fuga] (annicula aspera atque praecox est fuga) 190 f. Fannius solus240 (sannunt solis) 211 Nerei rostrique (nisi nostrique) 275 pacto oggannis (pactologannis) 300 f. in tentos (mtelitus) 315 f.241 isti / intuti (istituti) F r a s s i n e t t i (150) und D e g l ' I n n o c e n t i P i e r i n i (152) sind als Rezensionen zu Krenkel (3) bzw. Christes (130) und Charpin (4) zu lesen; die Besprechung der übrigen Arbeiten erfolgt jeweils im Zusammenhang der zur Diskussion stehenden Einzelstellen. 2. Fragmente aus Buch 1-21 (= fr.1-580) 157. C.E. M u r g i a , Lucilius, fragment 3 (Marx), TAPhA 101, 1970, 379-386. 158. G. P u c c i o n i , Note ai frammenti di Accio, 581-84 Kl., Lucilio, 18 M. e Trag. inc.61-63 Kl., in: d e r s . (Hg.), Poesia latina in frammenti. Miscellanea filologica, Genova 1974, 305-313, hier: 307-310. 159. R. R o n c a l i , "Stomacho sura ac pulmonibus" (Lucilio, v.155 Marx), RhM 119, 1976, 93-94. 160. M.M. B a r r o s o d e A l b u q u e r q u e , Lucílio e o alforge (vv.278-281), Euphrosyne 9, 1978-1979, 173-177. 161. A. P e n n a c i n i , L'immaginario e la cultura degli avi, Aufidus 2, 1987, 29-46, hier: 31-37. 162. M.R. M a s t i d o r o , Latino vis(s)io, AFLC 8, 1988, 63-66. 163. F.M.A. J o n e s , A note on Lucilius 88-94 M., LCM 14, 1989, 153-154. 164. R. R e g g i a n i , Pacuvio, forse, ha davvero scritto un Orestes, QCTC 8, 1990, 21-32.
239 Diese betreffen fr.7; 269; 286, die im vorliegenden Bericht jeweils z.St. besprochen sind. 240 Hinzu kommt ‹fons› als hypothetischer Beginn eines neuen, dritten Verses. 241 Der Mehrheit der Noniushandschriften zufolge gehört das Fragment nicht, wie in den Luciliuseditionen regelmäßig angenommen, ins 8., sondern ins 6. Buch (p.212,31M. = 313L.).
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165. A. C a v a r z e r e , Noterelle eterodosse alle satire odeporiche, Prometheus 21, 1995, 141-160. 166. M. P i z z i c a , Lucil. 1,9 Terz. Mar.: "et mercedimerae legiones", RCCM 40, 1998, 265-267. 167. F. P o n t a n i , Lucilio, Lupo e gli elefanti (v.14 Marx), MD 47, 2001, 165-170. 168. E. S t ä r k , Über Nola und Nolaner (Cael.or.frg. Quint.inst.8,6,53; Auson. epigr.75,5 GREEN), Hermes 129, 2001, 232-238 = d e r s ., Kleine Schriften zur römischen Literatur (hg. U. Gärtner u.a.), Tübingen 2005, 263-270. 169. P.M. P i n t o , La prima ricezione di Isocrate a Roma. Plutarco, Vita di Catone il Vecchio 23,2 e Lucilio, V 182-189 K., QS 55, 2002, 171-182. 170. J.M. Tr a p p e s - L o m a x , Three suggestions in Latin poetry, CQ 52, 2002, 609-612, hier: 611. 171. P. R u g g e r i , Il viaggio di Lucilio in Sardegna: un itinerario tra Realpolitik e sogno esotico (Sat. VI 21 e 22), Sandalion 26-28, 2003-2005, 105-125. 172. F. B i d d a u , I frammenti di Lucilio in Terenzio Scauro, RFIC 134, 2006, 150-158. 173. A. C h a h o u d , Romani veteres atque urbani sales: A note on Cicero De oratore 2.262 and Lucilius 173M, in: C.S.K r a u s u.a. (Hgg.), Ancient historiography and its contexts. Studies in honour of A.J. Woodman, Oxford 2010, 87-96. 174. R. M a r c h i o n n i , Tricosus - pertricosus. Ein epigraphischer Beitrag zu Lucilius und Martial, ZPE 179, 2011, 92-96. 175. N. O ' S u l l i v a n , Lucilius 93-94 Marx: Chaere, Tite, CPh 107, 2012, 355-357. 176. I.K.L. G o h , An Isocratean allusion in a Lucilian letter (181-8M = 182-9K), Philologus 58, 2014, 187-191. 177. A. A g n e s i n i , Lucil. 117 M: una (ri)proposizione di congettura, BStudLat 46, 2016, 581-584. fr.7 Die von Marx auf einen abschließenden Götterfluch gegen Lentulus Lupus bezogene Formulierung serpere uti gangraena mala (coni. Dousa, malo codd.) atque herpe stica posset kann P i e r i n i (149) durch ein von Nonius im gleichen Zusammenhang (p.117,18M. = 168L.) überliefertes Varrozitat aus De vita populi Romani (quo faci lius animadvertatur per omnes articulos populi hanc mali gangraenam sanguinulentam permeasse) und weitere Parallelen überzeugend als Metapher242 für die auch in den Nachbarfragmenten 14, 15, 36 beklagte politisch-soziale Zersetzung des römischen
242 Uti wird entsprechend als Vergleichspartikel kenntlich.
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Volkskörpers erklären:243 gangraena mala = 'bösartiger Krebs'; herpestica (Neutr.Pl.; sc. ulcera) = 'sich ausbreitende Geschwüre'. Für die gleiche Interpretation plädieren G a r b u g i n o (154), der jedoch syntaktisch andere Bezüge herstellt244, und P e r u t e l l i (156), der an der überlieferten Adjektivform malo festhält und diese als Ablativus causae versteht. fr.13 Zu Recht weist P o n t a n i (167) darauf hin, daß in dem Non.p.521,29M. = 839L. überlieferten Halbvers miracla ciet elefantas der Einleitung des Zitates zufolge ('mira' et 'miracula' veteres pro monstris vel horrendis ponebant) nur von wirklichen Elefanten die Rede sein kann:245 Deren Einsatz bei den von P. Cornelius Lentulus im Jahr 169 v. veranstalteten Zirkusspielen (vgl. Liv. 44,18,8) wird von den über seinen Vetter richtenden Göttern offenbar als Symptom zeitgenössischer Dekadenz gebrandmarkt; der Spielegeber selbst dürfte entsprechend auch als Subjekt neben ciet zu ergänzen sein. Ob sein Verhalten indes zur verschärften Maßregelung oder aber zur Entlastung des Lentulus Lupus eingesetzt wurde, läßt sich mangels Kontext nicht mehr entscheiden. fr.19 Man kann P u c c i o n i (158) nur beipflichten, daß zur Heilung des Non.p.158, 10M. = 232L. als haec ubi dicta dedit pausam ore loquendi überlieferten Verses am ehesten die Konjektur pausam facit (coni. Pomponius Laetus) geeignet ist: Während alle anderen Versuche der Textgestaltung ( -˘˘ als Versbeginn Marx; pau sam dedit Lindsay; fecit pausam Terzaghi) mit sprachlichen Mängeln behaftet sind, ist der Wechsel vom Perfekt im Temporalsatz (dedit) zum Präsens des Hauptsatzes (facit) in der von Lucilius parodisch nachgestalteten Sprache des Epos hinlänglich belegt.
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fr.23 Nach P e r u t e l l i (156) ist statt ut mit den besten Laktanz-Codices (inst.4,3,12) uti zu lesen und das Wort entsprechend vom Hexameterschluß wegzurücken; lies: uti inquit / …
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fr.33 M u r g i a s (157) Untersuchung befaßt sich mit dem auf den Luciliustext bezogenen Serviuskommentar zu Verg.Aen.10,104 Totus hic locus de primo Lucili translatus est … Die unterschiedlichen Inhaltsangaben bei Servius (de interitu Lupi cuiusdam in republica) und Servius Auctus (de interitu Lupi cuiusdam ducis) wären demnach am ehesten auf de interitu Lupi cuiusdam zurückzuführen.246
243 Wie von P. gewürdigt, von P e r u t e l l i (156), 140 jedoch verkannt, hatte schon Krenkel, I 107 diese Ansicht vertreten: "Politische Mißstände hatten sich eingeschlichen." 244 Er liest nach Varro a.a.O. (einer Luciliusreminiszenz?) mali und versteht uti als finale Konjunktion, muß daher (wegen des Sgl. posset) herpestica als Attribut zu gangraena ziehen und sinnlos gewordenes atque durch ad quem ersetzen. 245 Krenkel, I 109 hatte noch mit Gegenständen aus Elfenbein gerechnet. 246 Wie M. dieses Ergebnis mit dem Satz "I therefore propose for Lucilius and Servius …" (386; Hervorhebung W.K.) einleiten konnte, hat sich dem Berichterstatter nicht erschlossen.
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fr.36 Der verstümmelte Wortlaut von fr.36, wie ihn Porphyrio (zu Hor.epist.1,3,6: merce de meras legiones) und Nonius (p.345,5M. = 546L.: et mercede meret religiones) bieten, wird traditionell, einer Konjektur von F. B u e c h e l e r folgend247, als et mercedimerae legiones restituiert. P i z z i c a (166) dagegen möchte die überlieferte Buchstabenfolge stärker berücksichtigt sehen und liest entsprechend et mercede merā legiones (sc. adlici untur u.ä.). Dabei ist jedoch übersehen, daß die Syntax der Porphyriostelle den bislang akzeptierten Text nachgerade zwingend erfordert: nam Lucilius eos, qui cum praesidi bus ad salarium eunt, 'mercedimeras (corr. Nettleship) legiones' ait. fr.40 Vor dem Non.p.262,8M. = 400L. zum Lemma confidentia angeführten, mit idem lib.X eingeleiteten Luciliusfragment (=388) muß ein weiteres Luciliuszitat ausgefallen sein; der in der Forschung durchweg ungenau oder gar falsch ausgewertete Befund erlaubt - wie von P e r u t e l l i (156) zu Recht festgestellt - allein die Aussage, vor Buch 10 (also innerhalb der Bücher 1-9) habe ein Vers gestanden, welcher eine Form der Nomina confidens bzw. confidentia enthielt. fr.72 Analog zum vorhergehenden Vers mit der Form invasse will P e r u t e l l i (156) hier mit einem Teil der Nonius-Codices (p.291,41M. = 451L.) elisse (st. elisisse) lesen. fr.89-95 Der Ciceronische Kontext der Versgruppe (fin.1,9) belehrt darüber, daß die dort berichtete Anekdote in eine ebenso witzige wie ehrenrührige Pointe münden muß. Wenn J o n e s (163) daher annimmt, in der Anrede des Gräkomanen Albucius (fr.94 f.) sei das Substantiv titus (=turtur, vulgär für membrum virile) mitzuhören, bleibt gerade die spezifische Form der griechischen Begrüßung ganz ohne Funktion. Dagegen transponiert O ' S u l l i v a n (175) den ganzen Gruß ins Griechische (χαῖρε, Τιτί) und kann aus der so gewonnenen Anrede einen schweren Insult ableiten (vgl. Photios s.v. τιτίς: βραχὺ ὀρνίθιον. σημαίνει καὶ τὸ γυναικεῖον αἰδοῖον; das lateinische Äquivalent bietet CIL IV 10 078 salve, conu [=cunnus]). Zur Passage vgl. auch Goh (76). fr.115 f.; 117 f. Soweit auf das Iter Siculum bezogen, behandelt die Arbeit von C a v a r z e r e (165) 1. fr.115 f. Hier soll die Junktur curare corpus248 nicht auf eine Ruhepause oder Körperpflege, sondern - im Kontext von fr.113 f. anzusiedeln - auf einen Akt der Bestattung gemünzt sein ("ci prenderemo il tempo necessario (secondo il decoro) per la sepoltura": 145); dabei übersieht C. allerdings, daß die von ihm als Parallelen benannten Stellen (Suet.Nero 49,1; Amm.25,5,1; 26,1,3 corpore curato defuncti missoque Constanti nopolim; 30,10,1 post … corpus … curatum ad sepulturam) eben nicht die Bestattung selbst, sondern nur deren Vorbereitung zum Inhalt haben. 247 F.B., Coniectanea, RhM 48, 1893, 84-90, hier: 87. 248 C. erwägt die Möglichkeit, corpore als archaische Dativform zu rechtfertigen und so den Non.p.396,15M. = 636L. überlieferten Text zu halten.
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2. fr.117 f. Bei Broccus dürfte es sich - wie bei Sarmentus und Cicirrus in der analogen Horazszene sat.1,5,51-70 - um einen sprechenden Namen handeln, der in dem hoffnungslos verderbten Versteil +novit lanus+ seine (im weiteren Verlauf des Verses fortgesetzte) Visualisierung erfährt.249 Wenn Horaz bei seiner Wiedergabe des Wortgefechts zwischen dem scurra Sarmentus und dem Osker Messius Cicirrus den Spott über die schlimm verwüsteten Züge des letzteren nur knapp zusammenfaßt (sat.1,5,62 Campanum in morbum, in faciem per multa iocatus), könnte dies nach S t ä r k (168) darauf hindeuten, daß an entsprechender Stelle der Luciliusvorlage (fr.117 f.) sehr viel ausführlicher über die Physiognomie des einen Streithansels hergezogen worden war.250 fr.157 Hier soll nach R o n c a l i (159) der überlieferte Text (sura) zu halten sein. Wenn sich der Sprecher, der Gladiator Pacideianus, jedoch ausmalt, wie er sein in samnitischer Montur kämpfendes (fr.152) Gegenüber an dessen ungeschützten Körperteilen (Rumpf, rechtes Bein) trifft, dürfte ihm neben stomachus und pulmones gerade nicht die Wade vor Augen gestanden haben: Stellt diese doch weder ein gleichwertiges noch auch nur ein a fronte erreichbares Ziel dar. fr.173 Der befremdliche Doppelvergleich (longior hic quam grus, grue tota cum volat olim) erfordert nach P e r u t e l l i (156) konjekturale Besserung: Vor dem Hintergrund von fr.171 ingentes … pisces schlägt er vor, statt quam grus mit Lachmann congrus ('Meeraal') zu lesen. fr.175 f. Wie schon Krenkel, verbindet D e g l ' I n n o c e n t i P i e r i n i (151) das Wirken Tisiphones als Köchin mit "ein[em] ekelerregende[n] Gericht (…) bei einer sonst protzigen cena" (Krenkel, I 169); sinngemäß ist demnach zu ergänzen: "tanta era la nausea dei cibi imbanditi in quel banchetto" (60). fr.178 Die vorliegende Personenbeschreibung ist nach C h a h o u d (173) durchweg spöttisch formuliert (formosus homo: 'fine fellow' [95]; te dignus: ironisch; puellus: abschätziger Diminutiv); Krenkels Erklärung (I 171: "Ein Anhänger der Knabenliebe verteidigt seine Neigung") dürfte demnach an der Sache vorbeigehen, kann doch schon das Substantiv homo nicht ohne weiteres auf ein Objekt päderastischen Verlangens gemünzt sein. fr.182-189 P i n t o (169) würdigt die Verspartie, in der Lucilius das Stilmittel abgeschmackter Rhythmisierung mit der Person des Isokrates in Verbindung bringt: Im Umkreis des 249 Zuletzt plädiert hier A g n e s i n i (177) für die Konjektur Noulanus, worin ein oskisches Ethnikon (zu Nola) mit lateinischer Endung und karikierender Funktion zu sehen wäre. 250 Daß "Ausonius [epigr.75,5, p.92 Gr. = 79,5, p.341 Pe.] die beiden Streitszenen bei Horaz und Lucilius zu einer einzigen Reminiszenz verschmolzen" (238) hätte, muß indes Spekulation bleiben.
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Satirikers ist man offenbar mit hellenistischer (peripatetisch geprägter) Stilkritik vertraut; Isokrates genießt dabei noch nicht die Bewunderung, die ihm spätestens seit cice ronischer Zeit zuteil wird. Den stilkritischen Kommentar von fr.186 ff. erklärt G o h (176) zu Recht als selbstironische Replik des Lucilius auf den Wortlaut seines eigenen Briefes (fr.185 f.). Für die von G. postulierte Sonderrolle des Terminus Eissocratium ("Lucilius deploys Isocratean flourishes because he is recognising him as a self-aware epistolary predecessor": 190) fehlen indes alle Indizien. Die in der handschriftlichen Überlieferung von fr.188 (Gell.18,8,2) vorliegende Korruptel οχληρωδεςque wird üblicherweise durch Athetese der Anfangssilbe behoben (ληρῶδεςque Scaliger); Tr a p p e s - L o m a x (170) dagegen lokalisiert die Textentstellung in der Endung (Ursache: die nachfolgende Adjektivform μειρακιῶδες) und liest entsprechend ὀχληρόνque. Was aber, wenn Lucilius den affektierten Gleichklang von nolueris und debueris mit Absicht ein weiteres Mal gesucht hätte? fr.200 In der bei Nonius (p.515,3M. = 828L.) überlieferten Wortfolge vis ire will M a s t i d o r o (162) das vulgäre Verbum vis(s)ire ('furzen') erkennen: Daß der solcherart gewonnene Satz syntaktisch wie inhaltlich Nonsens generiert, ist der Vf.in nicht zu Bewußtsein gekommen. fr.246-249 Während man die Verse üblicherweise als spöttische Karikatur eines mit seinem Geldbeutel (bulga) verwachsenen avarus liest251, will B a r r o s o d e A l b u q u e r q u e (160) hier den Lobpreis des freien, all seine Besitztümer im Ränzel mit sich führenden Kynikers erkennen. Indes enthält die von Lucilius nachdrücklich in den Vordergrund gerückte bulga nichts anderes als Geld (fr.247); und auch die fr.248 innewohnende Ironie (cum bulga cenat, dormit, lavit) hätte A. nicht überhören dürfen. Im übrigen würde ein finanziell saturierter römischer Ritter ohnedies kaum auf den Gedanken kommen, heimatloses Bettelvolk ideell zu überhöhen. S e g u r a d o e C a m p o s (60) zufolge soll Lucilius mit den Versen parodisch auf Archil.fr.2D. (=2W.) Bezug genommen haben: Wie für den Krieger die Lanze, ist für den avarus der Geldsack sein ein und alles. fr.253 f.; 255 Für diese auf Sardinien bzw. eine von Sizilien aus252 unternommene Sardinienreise bezüglichen Luciliusfragmente unternimmt R u g g e r i (171) eine versuchsweise Kontextualisierung: Demnach könnte die Reise selbst (253 f.) mit einer Beratertätigkeit des Lucilius im Zuge der von seinem 'Parteifreund' M. Caecilius Metellus (114-111 v. Prokonsul von Sardinien) durchgeführten Landnahme in Verbindung stehen, während
251 Ohne Anhaltspunkt im Text bleibt die anderslautende Vermutung von Warmington, Remains of old Latin, III 87, das Fragment (dort: 278-281) nehme prätentiöse, auf Verschleierung der eigenen Situation bedachte Armut aufs Korn ("The genteel poor"). 252 Wenn die einzelnen Satiren jeweils zeitaktuelle Ereignisse zum Inhalt haben, hat dieser Sizilienaufenthalt von B.6 nichts mit der im Iter Siculum von B.3 bedichteten Reise zu tun.
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fr.255 eine jenseits wirtschaftlicher Interessen angesiedelte Neugier für die besonderen Eigenheiten (hier: die Fauna) der Insel dokumentierte. fr.258 f. Hier faßt F a u s t i n e l l i (54), 216 Anm.21 das Verb propellere in der Bedeutung 'aufstacheln'; für nobilitate facul propellere iniquos ergibt dies entsprechend "stimolare gli ingiusti con facilità, grazie alla loro nobile origine." fr.269 In dem stark entstellten Fragment hatte schon Lucian Mueller eine gastronomische Aussage erkannt (calda simeitu / ac bene plena ei vasa olerorum atque anseris collus); G a r b u g i n o (154) übernimmt diese, greift aber zu einer paläographisch besser begründbaren Konjektur: ius G. : vasa Mueller : iias o.ä. codd. fr.286 G a r b u g i n o (154) kritisiert, daß die Mehrzahl der Luciliusherausgeber bei ihrem Verständnis der Stelle die einschlägige Noniusparaphrase (p.346,13M. = 548L.) moliri, retinere, morari ac repigrare schlechterdings ignoriert. fr.345-348; 360-363 B i d d a u (172) kann zeigen, daß die bei Terentius Scaurus zum Thema angemessener Rechtschreibung überlieferten Luciliusverse in den Ausgaben unzutreffend wiedergegeben sind: 1. fr.344 bzw. 345-348. Ungeachtet der durch deinde markierten Auslassung eines kurzen Zwischenstücks253 werden beide Fragmente von dem Grammatiker als inhaltliche Einheit angeführt. Unerklärt bleibt indes, warum Scaurus der von ihm wörtlich zitierten Position des Accius in fr.345a a a primum longa, a brevis syllaba noch die unspezifische Themenangabe von fr.344 ('der Buchstabe a') vorausschickt. Diese Merkwürdigkeit entfällt, wenn man a c primum, longa an brevis syllaba, nos ta men … liest ('e innanzitutto, che la a sia una sillaba lunga o breve, noi nondimeno …'), fr.345a also schon den Erklärungen des Lucilius zurechnet.254 2. fr.360-363. Legt man das von Lucilius auch sonst - z.B. fr.362b-363 - befolgte Argumentationsmuster 'forma fonetica - precetto - forma corretta' an den überlieferten Wortlaut an255, sind die verwirrenden Aussagen von fr.360 f. wie folgt aufzulösen: 'Mille hominum', 'duo milia' item: huc 'e' utroque opus: 'meille';/ 'militiam' tenues: 'i'; … Der Akkusativ militiam erklärt sich solcherart überzeugend - wie im folgenden pilam und pilum - als Objekt der Verbform tenues (von tenuare).
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253 Daß deinde nicht, wie üblicherweise angenommen, zum Luciliustext zu zählen ist, sondern als Überleitungsformel dem zitierenden Autor gehört, hat schon in der Ausgabe von Krenkel Berücksichtigung gefunden. 254 Wie durch S h a c k l e t o n B a i l e y (153) klargestellt, ist ut dicimus (fr.346) mit Krenkel (I 235) durch "Wie wir sprechen" wiederzugeben, nicht mit Marx im Sinne von 'wie ich zuvor erklärt habe' zu verstehen. 255 Mille als letztes Wort von fr.360 wird seit J.J. Scaliger in miles geändert, gerade dadurch indes ein grammatischer Anstoß geschaffen: Rücken so doch ein Nominativ (miles) und ein Akkusativ (militiam) als Beispielpaar zusammen.
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fr.418 Bei der Erklärung des in dem Vers si tricosus bovinatorque ore improbus duro belegten Adjektivs tricosus256 greifen Lexikographen wie Luciliusphilologen vorschnell auf die Gell.11,7,9 und Non.p.79,27 f.M. = 112L. gebotenen Notate z.St. zurück: Sind diese doch allein auf das benachbarte Substantiv bovinator bezogen. M a r c h i o n n i s (174) Durchsicht aller Belege zur Wortfamilie führt vielmehr zur Bedeutung 'Nichtstuer, Nichtsnutz'. fr.426 S h a c k l e t o n B a i l e y s (153) Erklärung des Verses ("I have no use for this shuffler, either as a lover or on bail": 117) setzt eine einigermaßen wirre Wortfolge voraus. fr.434 f. P e n n a c i n i (161) zufolge spiegelt Lucilius in der "espressività" (31) dieser Stelle den durch grenzenlosen Materialismus bestimmten sozialen Wandel seiner Zeit; Sprecher könnte ein Bankrotteur sein. fr.453 Idem ist hier mit S h a c k l e t o n B a i l e y (153) zu atque zu ziehen: "the food at the feast is (was?) the same as [at] a feast of almighty Jupiter" (118). fr.490 f. Die satirische Abwertung des 'Hexenmeisters' Numa Pompilius, wie sie Lucilius hier vornimmt, erwächst nicht nur aus der reservierten Haltung eines aufgeklärten Zeitalters gegenüber Numas angeblichem Schamanentum, sondern weist auch handfeste wirtschaftliche Aspekte auf: Dürften doch D e l l a C o r t e (131) zufolge die zeit genössischen Landreformer - wie wohl auch schon die Fälscher der 181 v. auf Senats beschluß verbrannten Numa-Bücher (vgl. Liv.40,29,3-14) - eine idealisierte Numa gestalt für ihre Interessen vereinnahmt und solcherart das odium der viehzüchtenden Großgrundbesitzer (incl. Scipio und Lucilius) auf den Friedenskönig gelenkt haben. fr.492 f. Der sowohl bei Nonius (p.56,7 f. M. = 78L.) wie auch Laktanz (inst.1,22,13) überlieferte Satz ut pueri infantes credunt signa omnia aena / vivere et esse homines ist nach M a g g i u l l i (132) auf die gleiche Lucilius-Rezension zurückzuführen; die zu beobachtenden Textdivergenzen (ut Lact. : et Non.; a(h)ena Lact. : (a)ena Non.) sind erst im Laufe der ma. Textüberlieferung eingetreten. fr.541-547 vgl. Morgan (106). fr.563 Für die aus Diom.GLK I 490,11 ff. zu erschließende und von G. D 'A n n a 257 nachdrücklich postulierte Pacuviustragödie 'Orestes' will R e g g i a n i (164) auch ein 256 So sonst nur noch CIL VI 3623*. 257 G.D'A., Pacuvio ha scritto un 'Orestes'? StudUrb(B) 39, 1965, 47-69.
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Zeugnis im Text des Lucilius festmachen: Dessen nicht nur im 26. Buch zutage tretende Aversion gegen die Dichtung des Pacuvius (vgl. fr.842 aus B.29 über dessen 'Chryses') dürfte nämlich auch fr.563 rausuro tragicus qui carmina perdit Oreste (aus B.19) bestimmen, habe doch gerade der doctus Pacuvius (vgl. Quint.inst.10,1,97), "per svolgere interamente i suoi complessi intrecci mitologici" (27), am ehesten endlose, die Stimme des Schauspielers überfordernde Tragödien verfaßt; die berüchtigte Überlänge seines 'Orestes' könnte noch Juvenal zu einem Stoßseufzer veranlaßt haben: impune diem consumpserit …/ … summi plena iam margine libri / scriptus et in tergo necdum finitus Orestes? (1,4 ff.). 3. Fragmente aus Buch 22-25 (= fr.581-588) 178. M. B e t t i n i , Petilam suram (Paolo Diacono, Hist.Lang., I 25; Festo 224 L; Lucilio, 583 e 1185 M), RCCM 18, 1976 (Miscellanea di studi in memoria di M. Marchiesi), 161-171. 179. P. P o c c e t t i , Varietà linguistica nell' Italia antica e tradizione latina. Per l'interpretazione di Lucilio 581 M, AION(filol) 2-3, 1980-1981, 114-124. fr.581 f. Zum Wortlaut vgl. Buroni (268). fr.583 Das dornige Fragment primum Pacilius tesorophylax pater abzet (tr.Krenkel: "Vater Pacilius, mein Kassenverwalter, verschied als der erste") kann nach P o c c e t t i (179) - anders als die übrigen Fragmente aus B.22 - nicht einfach zu den Epigrammen auf Sklaven und Diener des Lucilius gerechnet werden: 1. Das Gentiliz Pacilius weist auf einen freigeborenen, höchstens noch Freigelassenen einer anderen gens. 2. Die aus direkter Kenntnis der Luciliusstelle erwachsene Glosse im Vat.1469 ab zet. 'extincta est' vel 'mortua' (vgl. Corp.Gloss.Lat.IV praef.XVIII) setzt ein feminines Subjekt voraus. Sucht man diesen beiden Indizien Rechnung zu tragen, kommt man für den Vers auf einen komplexeren Sachverhalt: 'Zuerst (sagt) Pacilius: "Mein Herr Vater (Patron?), die Kassenverwalterin ist hinüber."'258 Gerade die beiden von Pacilius benutzten Lexeme würden dann durch ihre dialektale Färbung259 die rusticitas des sprechenden Individuums260 charakterisieren.
258 Die Syntax so schon bei N. Te r z a g h i , Lucilio, Torino 1934 (= Roma 1970), 412. Eine Koppelung von Pacilius und pater (im Gegensatz zu P. filius) wird durch die Wortstellung eher widerraten. 259 Tesorophylax (= 'amministratore dell' erario') steht - mit der Monophthongisierung -o- - als ungewöhnliches Synonym für dispensatrix, abzet (= pälign. afðed) im gleichen Sinne wie fr.1028 abiit. 260 Der Name Pacilius signalisiert Herkunft aus dem oskisch-kampanischen Sprachraum.
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fr.586 Das Adjektiv petilus erklären die Grammatiker entweder als 'weißfüßig' (Paul. Fest.p.225,1L. = 204M.; Isid.orig.12,1,52; Corp.Gloss.Lat. V 608,61: jeweils von einem Pferd gesagt) oder als 'schwachbeinig' (Non.p.149,5 f. M. = 217L. mit Zitat von fr.586261; vgl.Corp.Gloss.Lat.V 645,20); Festus bietet p.224,1 f. L. = 205M. s.v. petilam suram beide Erklärungen: siccam et substrictam vulgo interpretatur; Scaevola ait ungu lam albam equi ita dici. B e t t i n i (178) setzt nun ein keltisches Substantiv *petia (vgl. fr. pièce, it. pezza) in der Bedeutung 'Binde' an und leitet hieraus die Berechtigung ab, petilus als Farbadjektiv zu identifizieren ('weißfüßig', da man die Sprunggelenke der Pferde mit weißen Bandagen schützte), die Noniuserklärung als irrig einzustufen und in dem Luciliusfragment einen Hinweis auf weißfleckige Beine infolge von vitiligo zu erkennen (zu dieser vgl. fr.1206, von B. auf den gleichen Kontext bezogen). Gerade wenn B. mit seiner Worterklärung recht hat, ist jedoch auch das Noniusinterpretament (a.a.O.: tenue et exile) aus der postulierten Wurzel sinnvoll abzuleiten: Wird man doch vorrangig Pferde mit schwachen Sprunggelenken bandagiert haben. Damit bleibt für die Luciliusstelle (gerade auch vor dem Hintergrund des von Marx in den gleichen Zusammenhang gerückten fr.585 Kr.) die Möglichkeit einer zutreffenden Erklärung durch Nonius bestehen.262 4. Fragmente aus Buch 26-30 (= fr.589-1109) 180. I. M a r i o t t i , Lucilio 698 M. e Archiloco, in: G. P u c c i o n i (Hg.), Poesia latina in frammenti. Miscellanea filologica, Genova 1974, 133-139. 181. D. K o r z e n i e w s k i , Dulce Malum. Ein unbeachtetes Sprichwort und das Lucilius-Fragment 1097 M., Gymnasium 83, 1976, 289-294. 182. T. D o r a n d i , Lucilio, fr.798 Krenkel, SIFC 54, 1982, 216-218. 183. A. M o s c a d i , Nota a Lucilio 1076-77 M (= 1051-52 Krenkel), in: Studi Noniani 7, Genova 1982, 225-229. 184. F. Wu l f f A l o n s o , Notas sobre el mundo itálico en la ideología romana: Lucilio 1088M y Catón el Censor, Baética 7, 1984, 211-218. 185. L.A. H o l f o r d - S t r e v e n s , adversaria minora Gelliana et Apuleianum, LCM 10, 1985, 111-112. 186. R. R o c c a , La satira di Lucilio contro l'atomismo, in: L'atomo fra scienza e letteratura, Genova 1985, 141-146. 187. D. M a n k i n , Lucilius and Archilochos: fragment 698 (Marx), AJPh 108, 1987, 405-408. 261 Dort von Krenkel hübsch als 'kümmerwadig' wiedergegeben. - Im übrigen gibt der Noniustext Lucilius lib.XII als Fundstelle an; als offensichtlicher Pentameter muß der Vers jedoch in die Bücher 21-25, am ehesten also 22 gehören. 262 Im übrigen darf nicht vergessen werden, daß Nonius den Luciliusvers noch in seinem Kontext las und solcherart vor größeren Fehldeutungen geschützt war.
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188. D.B. G e o r g e , Lucilius 676M, Metellus, and his munus, CJ 83, 1987-1988, 298-300. 189. L. E d m u n d s , Lucilius 730M: a scale of power, HSPh 94, 1992, 217-225. 190. P.-J. D e h o n , Note sur le sens de carpo dans Lucilius, fragment 828 (Krenkel), AJPh 114, 1993, 557-559. 191. L. S t a n k i e w i c z , Tacitae Amyclae, ClassWrat 17, 1993, 111-117. 192. D. M a n t o v a n i , Un giudizio capitale nelle Satire di Lucilio (vv.784-790 M. = fr.XXVIII 29 Ch.), Athenaeum 95, 2007, 561-596 = in: B. S a n t a l u c i a (Hg.), La repressione criminale nella Roma repubblicana fra norma e persuasione, Pavia 2009, 25-62. 193. C. F a u s t i n e l l i , Sul valore semantico di depilati in Non.36,26 = Lucil. 845M., Sileno 38, 2012, 125-149. 194. —, Dall' inganno di Ulisse all' arco di Apollo. Sul testo e l'interpretazione di Lucil.836 M., MAT serie 5, 37, 2013, 3-57. Rez.: G a l l i M i l i ć , MH 72, 2015, 226-227; R o c h e t t e , AC 84, 2015, 326; S w i g g e r s , REA 117, 2015, 752-754. 195. J. F a r r e l l , Looking for Empedocles in Latin poetry: a skeptical approach, Dictynna 11, 2014, o.S. 196. S. R o c c h i , In margine a una nuova interpretazione di Non.p.36,25-26 = Lucil.845M., in: A. B u s e t t o - S.C. L o u k a s (Hgg.), Ricerche a confronto. Dialoghi di Antichità Classiche e del Vicino Oriente, Bologna - Roma Tre - Torino 2012, Zermeghedo (Vi) 2015, 207-209. fr.632 Wenn Lucilius auf der Flucht vor einem munus Metellum (-i?, -orum?)263 Rom zeitweise den Rücken kehrt, soll er sich nach G e o r g e (188) nicht nur den "gladiatorial games" (300) der Meteller, sondern - gewollt doppeldeutig formuliert - auch der aus dem Antrag des Zensors Q. Caecilius Metellus Macedonicus, ut cogerentur omnes ducere uxores liberorum creandorum causa (Liv.perioch.59) resultierenden Pflicht "to marry and procreate" (ebd.) zu entziehen suchen. Diese Annahme wird jedoch der Sache nicht gerecht: Oder wie hätte eine vorübergehende(!) Abwesenheit aus Rom(!) dazu dienen können, den Junggesellen Lucilius vor den Zumutungen des Ehelebens zu bewahren? fr.654 f. Nach G a r b u g i n o (155) ist der Doppelvers in der Form doctior quam ceteri (sc. es),/ si ista mittis; mutes aliquo te, cum satias facta sit wiederherzustellen: Der Interlocutor rät Lucilius, sein anrüchiges Metier (ista sc. carmina) aufzugeben und sein Dasein neu auszurichten.
263 G a r b u g i n o (155) unterstützt in diesem Vers Lindsays vorsichtig erwogene Konjektur sancto: sancto … a Metello … munere = 'als M. seine Spiele veranstaltete' (Abl.abs.).
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fr.656 f. Nicht zuletzt aufgrund wörtlicher Anklänge muß die Stelle nach G a r b u g i n o (155) zusammen mit fr.647 f. gelesen werden:264 Die Ablehnung einer ritterüblichen Karriere (657 non muto omnia) zugunsten einer nachgerade jämmerlichen Existenz (648 commuto omnia) dient der provokant-hyperbolischen Hervorhebung der eigenen Unabhängigkeit (vgl.Hor.epist.1,7,35 f. nec / otia divitiis Arabum liberrima muto); ein konkreter Anlaß (das Angebot, als publicanus nach Asien zu gehen) braucht dabei nicht vorzuliegen.265 fr.708 Folgt man den Überlegungen von E d m u n d s (189), ist in dem Satz cum mei me adeunt servuli, non dominam ego appellem meam weder appellare mit Non.p.238,21M. = 356L. als Synonym für familiariter respondere zu verstehen noch dominam mit Marx in Anführungszeichen zu setzen ('sie mit "Herrin" anreden')266, wohl aber die ganze Aussage mit Lachmann als selbstironische Frage zu fassen; der Sprecher - ein Ehemann, also (wie zu ergänzen:) nicht Lucilius - würde sich damit selbst innerhalb einer 'scale of power' verorten: "I rule my slaves and my wife rules me" (219). fr.720; 732 Nach M a r i o t t i (180) hat die von Marx vorgeschlagene Fassung von fr.732 (metuo ut fieri possit: ergo anti quo ab Arciloco excido) sowohl metrisch wie in der vorgeschlagenen Kontextualisierung als fragwürdig zu gelten: Nimmt sie doch weder Rücksicht auf die Mitteldiärese, noch stellt sie angesichts ihrer Bezugnahme auf einen konkreten Fall eine wirkliche Gegenstimme zu der Archilochosgnome fr.74D. dar.267 M. verbindet den Vers stattdessen mit fr.720 "è stolto" (137) re in secunda tollere animos, in mala demittere (nach Archil.fr.67a D.), konjiziert Ergo quor (= cur) a.A.e.? und versteht den Vers als Innehalten des Dichters nach einer "superba dichiarazione di felicità" (ebd.): 'Ich fürchte, das Glück wird nicht andauern; warum also lasse ich mich von einem solchen Freudentaumel hinreißen?' M a n k i n (187) zufolge hätte Lucilius seinen Archilochos überhaupt nur durch Vermittlung einer Anthologie gekannt, sind doch die beiden zu fr.720 und 732 heranzuziehenden Zeugnisse Archil.fr.67a und 74D. jeweils auch bei Stobaios überliefert.268 Untauglich indes das hierfür bemühte Argu-
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264 Noch C h r i s t e s (130), 31-34 bzw. 40 ff. hatte die beiden Fragmente verschiedenen Satiren zugewiesen. 265 Wenn in dieser Weise zusammengehörig, müssen die Fragmente bei Lucilius in der Reihenfolge 656 f. - 647 f. zu lesen gewesen sein; damit würde sich die von C h r i s t e s (130), 21 f. gegen Marx formulierte Feststellung bestätigen, daß Nonius in seiner Quelle Lucilius II (B.26-30) die Bücher zwar in umgekehrter Reihenfolge, den Text der einzelnen Bücher jedoch fortlaufend las (fr.656 f.: Non.p.38,4M. = 54L.; fr.647 f.: Non.p.38,7 f. M. = 55L.). 266 So sinngemäß Marx, II 261. Fälschlicherweise unterlegt E. 218 diese Erklärung mit einer an Krenkels Verständnis der Stelle (II 403: "… soll ich nicht freundlich erwidern: 'An meine Herrin ‹wendet euch!›'?") ausgerichteten Paraphrase. 267 Hier vermag der Berichterstatter nicht ganz zu folgen: Wenn Archilochos behauptet 'Nichts auf Erden ist unmöglich', kann ihm dann der Satiriker nicht 'In diesem Falle schon!' entgegenhalten? 268 Für Archil.fr.67a D. (128W.) vgl. Stob.3,20,28 (p.544 Hense), für fr.74D. (122W.) Stob.4, 46,10 (p.999 Hense).
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ment: Wenn Lucilius in fr.732 gegen seinen sonstigen Sprachgebrauch269 nicht eigens darauf hinweist, daß er - streng genommen - nicht Archilochos, sondern eine von dessen personae zitiert (nach Arist.rhet.3,17 p.1418b 28 äußert sich bei Archilochos ein Vater über seine Tochter), tut er dies nicht unbedingt aus Unkenntnis des Zusammenhangs, sondern in Ermangelung der Notwendigkeit, hier szenische oder philologische Konkretisierungen vorzunehmen. fr.774 Der Sprecher des Verses eidola atque atomus vincere Epicuri volam hat sich nach R o c c a (186) die Widerlegung zentraler Punkte der epikureischen Physik vorgenommen (vincere transitiv in der Bedeutung 'superare, surclassare'). Darüber, wie eine solche confutatio ausgesehen haben könnte, kann die Vf.in nur spekulieren. fr.782 G a r b u g i n o (155) will den Wortlaut als fulmentas aeneis ex antis subducere rekonstruieren; doch dürften gerade die Türpfeiler (antae) im Gegensatz zu den cardines nicht aus Bronze gewesen sein. fr.789-795 M a n t o v a n i (192) liefert eine umfassende Kommentierung der in diesem Passus erörterten quaestio criminalis. Dies betrifft die Identifikation des Gerichtsmagistrats (der auch im Deorum concilium des 1.Buches verspottete L. Cornelius Lentulus Lupus)270, den Kontext des Geschehens (hier dürfte es sich um das gerichtliche Nachspiel des Hetärenraubs von Buch 28 handeln) und die Gestaltung der Pointe (die metaphorische Verbannungsformel der aquae et ignis interdictio erfährt eine atomistische Konkretisierung271), vor allem aber die Ausleuchtung des juristischen Hintergrundes: 1. Wie aus fr.791 ff. deutlich wird, ist mit tradere im Kontext der Anklageerhebung (fr.789 f.) nicht 'als Person übergeben', sondern 'als Fall anvertrauen' gemeint. 2. Offen läßt M., ob die in Abwesenheit des Angeklagten erfolgte Verurteilung zur aquae et ignis interdictio (fr.791 ff.) anstelle der - bei Anwesenheit verhängten - Todesstrafe erfolgt oder zu dieser hinzutritt. Indes dürfte der von Lucilius beabsichtigte Witz wohl nur dann ins Schwarze treffen, wenn tatsächlich von einer Alternative bzw. von größerer Gefährdung des anwesenden Angeklagten die Rede ist. fr.798 Nach D o r a n d i (182) fällt dem glutinator hier nicht die Aufgabe zu, die einzelnen Papyrusblätter zu einer Rolle zusammenzukleben, sondern die Außenseite des fertigen 269 Dieser ist jedoch, wie ein näherer Blick auf die von M. angeführten Belege fr.836 ff.; 844 und 1189 zeigt, durchaus kontextabhängig und daher nicht zur Ableitung einer generellen Gesetzmäßigkeit geeignet. 270 Dies spricht allerdings für die Fiktionalität des berichteten Szenarios: Lupus könnte ja nur vor seinem bereits 156 v. anzusetzenden Konsulat als Prätor zu Gericht gesessen sein, während das 28. Luciliusbuch erst um 130 v. zu datieren ist. 271 So u.a. S h a c k l e t o n B a i l e y (153). F a r r e l l (195) warnt indes davor, die Verse als Zeugnis bewußter Empedokles-Rezeption zu verbuchen: Gehört doch die Vierelementelehre zum Gemeingut verschiedener Philosophenschulen.
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Buches mit dem auf Titel und Autornamen bezüglichen index zu versehen. Konjektural um das einschlägige Stichwort ergänzt ( indicem praeterito tepido, glutinator, glutino), ergibt der Vers zudem einen trochäischen Septenar, der tatsächlich - wie von Nonius p.491,29M. = 789L. zitiert - dem 26. Buch angehören könnte.272 Problematisch bleibt indes die hieraus resultierende Neukontextualisierung des Verses: Während Horaz eine vergleichbare Aufforderung als Schlußwort seiner ersten Satirensammlung einsetzt (sat.1,10,92), würde Lucilius den Gedanken weder am Werk- noch am Buchende plazieren, sondern seiner Programmsatire (der 1. Satire des 26. Buches) aufbürden.
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fr.828 In diesem Fragment (hiemem unam quamque carpam) steht carpere nicht im Sinne des Horazischen carpe diem, sondern, wie von Nonius p.252,13M. = 381L. z.St. erklärt und von D e h o n (190) neuerlich hervorgehoben, für celeriter praeterire. fr.912 In einer glänzenden Untersuchung führt F a u s t i n e l l i (194) den Nachweis, daß die übliche Deutung von fr.912 quis tu homo es? - nemo sum homo als parodischem Rekurs auf Polyphems Täuschung durch Odysseus (Hom.Od.9,366 f.) nicht zu halten ist: Sowohl der Wortlaut selbst (nemo … homo) wie auch die Erklärung des zitierenden Grammatikers Charisius (nemo als Synonym für nullus: p.123,17B.) schließen das hierfür notwendige 'Miß'verständnis (nemo als Eigennamen) aus. Die richtige Erklärung ergibt sich aus dem - im einzig vollständigen Charisius-Codex Neapol.Borb.IVA8 durch Beschädigung verloren gegangenen - Text eines von Ioannes Cauchius ( Johannes van Cuyck) um 1550 kollationierten codex deperditus273, der das Luciliuszitat durch arquite nens deus sum komplettiert - einen Halbsatz, der - wiewohl von Keil in seinen Addenda et corrigenda zu Charisius aufgeführt (GLK I 608) und von Barwick in den Text seiner Teubneriana aufgenommen (p.123,23B.) - in den Luciliusausgaben durchweg ohne Beachtung geblieben ist.274 Der neue Wortlaut mit Apollo als Sprecher bezieht seine Komik aus dem - erst ex post verständlichen - Wechsel von der umgangssprachlichredundanten zur prägnanten Bedeutung von homo; ob das Fragment jetzt immer noch im Kontext der B.29 berichteten Hausbelagerung zu lokalisieren ist, muß offenbleiben.275 fr.915 Mit einer sehr breit angelegten, aber einleuchtenden Argumentation vertritt F a u s t i n e l l i (193) den Standpunkt, daß in der Aussage depilati omnes sumus das Wort depilatus nur dann mit dem situativen Kontext wie auch der Erklärung des Nonius (p.36,25M. = 53L.: depilati dictum rarefacti) harmoniert, wenn man es nicht als Partizip zu depĭlare stellt (vgl. etwa die Wiedergabe von Krenkel: "gerupft"), sondern von dem Adjektiv pīlatus (ThLL X 2137,15 f.: "in modum pilae formatus, technice in re militari de agmine denso") ableitet und als dessen Antonym ('in Auflösung') versteht: 272 Bisher transferiert die Forschung das Fragment aus metrischen Gründen meist nach B.28. 273 Cuycks einschlägiges Notat findet sich in einem von der Universitätsbibliothek Heidelberg aufbewahrten Exemplar der Charisiusausgabe von Cyminius (vgl. das Faksimile 55). 274 Allein Krenkel hat, wenn auch nur im Apparat, Notiz davon genommen (II 490). 275 Denkbar wäre etwa auch ein näherer Konnex mit fr. 822 f.
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Das witzige Hapax legomenon charakterisiert den privaten 'Feldzug' des Lucilius auch noch im Moment der Niederlage als quasimilitärische Aktion. Unter den von R occhi (196) gegen diese Interpretation vorgebrachten Bedenken ist allein dem Umstand größere Bedeutung beizumessen, daß auch die übrigen von Nonius durch rarefacere paraphrasierten Lemmata (p.369,23M. = 587L.: putare; p.403,1M. = 647L.: stringere) im Umfeld von depĭlare angesiedelt sind. fr.957 H o l f o r d - S t r e v e n s (185) gibt dem Fragment die Form hoc quidem prius sciebam quam Theognis natus est. fr.964 f. Soweit auf Lucilius bezogen, bietet der in polnischer Sprache abgefaßte Beitrag von S t a n k i e w i c z (191) "a discussion of the striking similarity between Afranius, Proditus, fr.2 Daviault [= com.274 f. Ribbeck], and Lucilius, fr.964 f. Kr." und deutet "the nature of the reference, made by both poets, to the proverbial expression 'tacitae Amyclae'."276 fr.1047 Nach K o r z e n i e w s k i (181) kann est illud quoque mite malum, blandum atque dolosum "nur die Frau sein, wie das Sprichwort sie kennt" (290); für dessen Formulierung vgl. Men.mon.493 Τερπνὸν κακὸν πέφυκεν ἀνθρώποις γυνή. An welchen anderen Gedanken dieses Sprichwort durch quoque angeschlossen sein soll, bleibt indes unklar. fr.1052 Folgt man den Gesetzen der lateinischen Adjektivbildung, ist hier mit M o s c a d i (183) - und Lindsay - mictilis zu lesen; doch dürfte dem Sprachakrobaten Lucilius eben auch das überlieferte mictyris (myc-, -tir-) als "scherzhafte Neubildung" (Krenkel, II 563) à la grecque zuzutrauen sein. fr.1054 Während man den Satz (sc. tribus) accipiunt leges, populus quibus legibus exlex seit Cichorius277 auf die lex Iunia Penni des Jahres 126 v. und die durch sie ermöglichte Ausweisung der peregrini aus Rom bezieht (populus = peregrini(!), exlex = 'außerhalb der Gesetze stehend, vogelfrei'), erklärt Wu l f f A l o n s o (184) in Unkenntnis von Raschke (38) den Vers neuerlich - sprachlich wie sachlich überzeugend - als Hinweis auf die Machenschaften des Tib. Gracchus (Absetzung seines Mittribunen Octavius, Wunsch nach iteratio des eigenen Tribunats; populus jetzt = p.Romanus, exlex = 'über dem Gesetz stehend'). fr.1084 In Auseinandersetzung mit Christes (130) besteht S c h o l z (139) darauf, daß Lucilius angesichts der sonst von ihm an den Tag gelegten Bescheidenheit (vgl. fr.1296 das Stichwort schedium; die Haltung bestätigt durch Hor.sat.1,4,56-62) nicht mit fr.1084 et sola ex multis nunc nostra poemata ferri plötzlich in grenzenlosen Stolz ver 276 So der 'summary' am Schluß des Aufsatzes (117). 277 C.C. (wie Anm.65), 211 f.
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fallen könne: "So stolz sprechen vielmehr … die ruhmredigen Gegner des Lucilius" (336 f.). Dagegen verweist neuerlich C h r i s t e s (140) zu Recht auf die besondere Situation des 30. Buches: Wenn Lucilius den - mittlerweile verstorbenen - Freund Scipio als Förderer seiner Dichtung würdigt, liegt ein Gedanke der Art ' ‹Dir allein habe ich es zu danken, daß› meine poemata jetzt in aller Munde sind' mehr als nahe. 5. Hexametri incertae sedis (fr.1110-1341; 1355-1365) 197. E. B a n d i e r a , Lucilio 1138-42 M. e l'otium Scipionico, AFML 4 (=n.s.1), 1970-1971, 263-286. 198. H. F u c h s , Lucilius über das Lotungsgerät (fr.1191 sq. Marx = fr.1212 sq. Krenkel), MH 28, 1971, 172-175. 199. G. M o r e l l i , Il proemio del De metris Horatianis di Atilio Fortunaziano e un frammento di Lucilio, in: Grammatici latini d'età imperiale. Miscellanea filologica, Genova 1976, 99-113. 200. R. D e g l ' I n n o c e n t i P i e r i n i , Le battaglie del foro (per l'esegesi e la collocazione dei vv.1228 ss. M. di Lucilio), Maia 42, 1990, 249-255. 201. O. M a s s o n , Noms de pirates chez Lucilius et Orose, ZAnt 47, 1997, 135137. 202. F. B i d d a u , Lucilio IX: Caelei Numerei, Latomus 69, 2010, 1000-1006. 203. C. F a u s t i n e l l i , Lactentes ficus e lactentia coagula. Una riflessione su Caper. Gramm.VII 98,2 s. = Lucil.1198 M., Biblioteca di CC 1, 2014, 156-168 (www.classicocontemporaneo.eu). 204. J.T. We l s h , Verse quotations from Festus, HSPh 108, 2015, 403-465. fr.1122 Der von Atilius Fortunatianus im Proömium seiner Schrift De metris Horatianis formulierte Verweis auf Lucilius (veteres legemus, id est, ut ait Lucilius, archeotyra unde haec sunt omnia nata: GLK VI 278,18 f. mit leicht verändertem Text) enthält nach einhelliger Überlieferung die verderbte Wortform archeotyra278, die in den Ausgaben des Atiliustextes überwiegend zu archetypa (so schon die Editio princeps), in den Lucilius editionen jedoch regelmäßig zu archaeotera verbessert wird. M o r e l l i (199) vermag den genauen Wortlaut durch einen späteren Rückbezug im Atiliustext zu sichern (cetera [sc. metra] partim in Horatio recognosces, partim in archetypis auctorum libris, unde haec nos excerpsimus: GLK VI 294,5 f.) und so für Lucilius den Halbsatz illis archetypis, unde haec sunt omnia nata o.ä. wahrscheinlich zu machen. Unabhängig von M. führt auch D e g l ' I n n o c e n t i P i e r i n i (151) den Nachweis, daß in dem Luciliuszitat bei Atilius Fortunatianus archetypa zu lesen ist; die Ent-
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278 Die durch alle Apparate mitgeschleppte Notiz 'archeotypa B' geht offenbar auf einen Kollationsfehler zurück.
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stehung des Terminus in der Bedeutung 'modelli ideali' vermutet sie in der Platonischen Akademie. Anders noch die Erklärung von Giannone (55; vgl.dort). fr.1155-1159 Die auf einer mikroskopischen Wortuntersuchung basierende Interpretation des Passus durch B a n d i e r a (197) führt im wesentlichen zu folgenden Ergebnissen: 1. Im Hauptakteur des Geschehens (fr.1155 Cornelius Publius noster) ist Scipio Aemilianus, der Freund und Vertraute des Lucilius, zu erkennen; die Verse sind zu seinen Lebzeiten verfaßt (fr.1156 intorquet: Präsens). 2. Bei seinem Gegenüber, dem mit freundschaftlich-derbem Spott als deliciae, lux efficta und cinaedus bezeichneten sectator handelt es sich um einen scurra bzw. parasitus Scipios279; seine Identifikation mit dem fr.1150 f. genannten Coelius scurra ist immerhin denkbar. 3. Bei dem Terminus otium ist nicht die auf Cicero zurückgehende ideelle Überhöhung des Scipionenkreises mitzuhören, sondern von der landläufigen Bedeutung des Wortes ('Freizeit') auszugehen (für ungezwungen gestaltetes otium im Scipionenkreis vgl. Hor.sat.2,1,71-74 mit Ps.Acro zu v.72). fr.1212 f. In sorgfältiger Auseinandersetzung mit dem Isid.orig.19,4,10 überlieferten Text wie mit der nautischen Praxis kann F u c h s (198) Wortlaut und Aussage des Fragments überzeugend bestimmen: hunc catapiratem puer eodem deferat280: unctum / plumbi pau xillum rodus linique mataxam ("Dieses Lotungsgerät soll der Schiffsjunge an die gleiche Stelle bringen: das mit Talg bestrichene kleine Stück Blei und das Garnknäuel": 175). fr.1220 f. Aus dem GLK VII 98,2 f. abgedruckten Grammatikertext schält F a u s t i n e l l i (203) die generelle Worterklärung, das als Beleg dienende Luciliuszitat und eine auf bessere Verständlichkeit dieses Zitats abzielende Zusatzinformation des Grammatikers heraus. Zu lesen ist: lactens: lacte abundans, ut 'lactentes ficus' - Lucilius dicit lactentia coagula - 'cum melle bibi': "Lactens significa 'con abbondanza di latte', per esempio: 'lactentes ficus' (Lucilio intende 'formaggi con abbondanza di latte')281 'ho bevuto con miele'" (156).282
279 Krenkel, II 615 hat ein ganz anderes Szenario vor Augen: "Es scheint von einem politischen Gegner des Scipio die Rede zu sein, mit dem er sich sogar in der Freizeit herumschlägt." Scipio und der sectator pflegen indes vertrauten Umgang (fr.1158 sectatori … suo); und Festus will mit der Passage gerade das Wort scurra erklären (Fest.p.378,21-29L. = 294M.). 280 Die im Mosaik von Althiburos (CIL VIII 27 790 aus dem 2.Jh.) gebotene und von W.M. L i n d s a y , A line of Lucilius, CQ 5, 1911, 97 verteidigte Lesart devoret wäre demnach ihrerseits als Schreibfehler des Mosaizisten (seiner Vorlage?) einzustufen. 281 Lactentes ficus stünde mithin als gastronomischer Spezialbegriff für "formaggio fresco e molle (…) cagliato con il lattice di fico ed avvolto (nonché insaporito) da foglie di fico" (156); zur Sache vgl. Varro rust.2,11,4 alii pro coagulo addunt de fici ramo lac et acetum. 282 Krenkels Aufteilung des Grammatikertextes auf zwei verschiedene Luciliusfragmente (1220 f.) hätte sich damit erledigt.
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fr.1252-1258 Mit guten Gründen weist D e g l ' I n n o c e n t i P i e r i n i (200), gefolgt von M a z z o l i (123), die Passage dem Deorum concilium des ersten Buches - genauer: der Klage eines der beratenden Götter - zu: 1. Der zitierende Autor Laktanz kennt das Deorum concilium283 (inst.4,3,12: fr.23-26); das Umfeld unserer Stelle (inst.5,9,20) ist durch Ausführungen über den sittlichen Niedergang der Menschheit bestimmt. 2. Die einleitenden Worte nunc vero erweisen den Abschnitt als Gegenstück zu einem nostalgisch verklärten Blick auf die Vergangenheit. 3. En passant kommt auch die Vernachlässigung kultischer Obliegenheiten zur Sprache: festo atque profesto/ … die (fr.1252 f.). 4. Durch bedacht eingesetzte Stilmittel gewinnt der gesamte Passus "una patina di epicità" (255). Eine Würdigung des Abschnitts findet sich auch bei Schäfer (88). fr.1273 f. Wofern die Dichterzitate bei Verrius Flaccus den Originaltexten entnommen sind284 und auch durch Festus keine Kürzung erfahren haben, umfassen sie nach We l s h (203) immer ganze Verse; scheinbare Ausnahmen sind durch Neuskandierung oder Konjektur zu beheben. Entsprechend harren Text und Metrik von fr.1273 f. (Fest.p.312,25 f. L. = 258M.) bis dato einer grundlegenden Verbesserung. fr.1296 Vgl. Flores (80). fr.1308 Die Namen der in diesem Fragment aufgeführten Seeräuber sind offenbar zuverlässig wiedergegeben: M a s s o n (201) kann für Icadion kretischen, für Rhondes kilikischen Ursprung wahrscheinlich machen. fr.1310 f. Wenn Lucilius die Endung der Eigennamen in dem üblicherweise mit dem Wortlaut servandi numeri et versus faciendi / nos 'Caeli Numeri' numerum ut servemus modumque abgedruckten Fragment als metrisch notwendige Ausnahme empfiehlt, setzt er nach B i d d a u (202) Regelformen voraus, die sich nicht in den Hexameter fügen. Entsprechend soll sich eine Identifikation der vorliegenden Kasus als Gen. oder Vok.Sgl. verbieten: Enden diese doch bei Substantiven auf -ius bis Mitte des 1.Jh. v. Chr. nahezu ausschließlich auf -i (vgl. fr.351 f.; 354 f.), so daß es gegenüber Formen auf -ii, -ei, -iei, -ie keiner Rechtfertigung bedurft hätte. Letztlich kommt dann nur ein Nom.Pl. in Frage (-ei als seltenere Nebenform von -iei)285; mithin wäre - neben servandei, numerei, faciendei - Caelei und Numerei zu lesen, das Fragment in der Orthographiediskussion des 9. Buches zu lokalisieren. 283 Ob direkt oder durch Vermittlung einer Satirikeranthologie, spielt hierbei keine Rolle. 284 Lucil.fr.1308 ist als Zeugnis aus zweiter Hand einzustufen. 285 Die dieser Erklärung entgegenstehenden Ausführungen des zitierenden Autors Charisius (p.98,23-99,7 B.) wären dann als "un autoschediasma" (1002) zu vernachlässigen.
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Dagegen trifft die traditionelle Erklärung, wonach sich die Stelle gar nicht auf die Auswahl zwischen alternativen Endungen der gleichen Kasus bezieht ("Lucilius rät, aus metrischen Gründen den Genetiv oder Vokativ zu verwenden, weil kein anderer Kasus dieses Namens (…) in den Hexameter paßte": Krenkel, II 693)286, zwar nur teilweise zu; doch ist sie nicht mit der Merkwürdigkeit konfrontiert, daß Lucilius eine exzeptionelle Pluralform gerade durch zwei Eigennamen exemplifiziert. 6. Das virtus-Fragment (fr.1342-1354) 205. S. K o s t e r , Neues virtus-Denken bei Lucilius, in: P. N e u k a m (Hg.), Begegnungen mit Neuem und Altem (Dialog Schule und Wissenschaft. Klassische Sprachen und Literaturen, Bd.15), München 1981, 5-26. 206. W.J. R a s c h k e , The virtue of Lucilius, Latomus 49, 1990, 352-369. 207. U.W. S c h o l z , Laktanz und die virtus des Lucilius, in: W. B l ü m e r u.a. (Hgg.), Alvarium. Festschrift für Ch. Gnilka, Münster 2002, 303-312. 208. W. G ö r l e r , Zum virtus-Fragment des Lucilius (1326-1338 Marx) und zur Geschichte der stoischen Güterlehre, Hermes 112, 1984, 445-468 = d e r s . , Kleine Schriften zur hellenistisch-römischen Philosophie (hg. C. C a t r e i n ), Leiden 2003, 105-135. 209. C. L é v y , L'irruption de la philosophie dans la littérature latine. Le fragment de Lucilius sur la vertu, in: P. C h i r o n - F. C l a u d o n (Hgg.), Constitution du champ littéraire. Limites, intersections, déplacements, Paris 2008, 49-61. 210. W. G ö r l e r , Tugend durch Reichtum? Ein verkannter Dativ bei Lucilius, in: A. H e i l u.a. (Hgg.), Noctes Sinenses. Festschrift für F.-H. Mutschler, Heidelberg 2011, 310-313. K o s t e r s (205) Interpretation des virtus-Fragments ist primär auf den lexika lischen und syntaktischen Befund sowie die formale Qualität der Passage ausgerichtet: Indem er einen ausgewogenen Aufbau (mit dem Versverhältnis 5:3:5) nachweist und die Umständlichkeit der Formulierung durch pädagogische Rücksichtnahme erklärt, kann er Zweifel am didaktischen Ernst der Aussage287 zerstreuen; ihr Gehalt jedoch ist durch Fehlinterpretation von pretium persolvere verum / … potesse (fr.1342 f.)288 grundlegend verkannt: "Mann sein heißt, als Gegenleistung für die Glücksgüter des eigenen Besitzes echte Werte für den Mitmenschen hinterlegen zu können aufgrund der Kenntnis von Gut und Böse" (so 15 als Zusammenfassung von fr.1342-1346). 286 Vgl. entsprechend Porph.zu Hor.sat.1,6,12: (sc. Horatius) periphrasin autem necessario fecit, sicut Lucilius cum dicit 'Valeri sententia dia' (= fr.1333), quia scilicet nomen hoc quattuor brevium syl labarum est et ob id non potest in hexametrum versum recipi. 287 Vgl. etwa C o f f e y (18), 59 (im Kontext einer stilistischen Würdigung): "an ironical excess of asseveration in lines probably addressed to an exponent of moral backsliding." 288 Der Ausdruck steht offenbar für 'den wahren Wert ermessen können' (so in der Übersetzung von O. We i n r e i c h , Römische Satiren, Zürich 1949, 34).
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R a s c h k e (206) stellt eine spezifisch stoische Ausrichtung des virtus-Fragments in Abrede: 1342 f. sind mit ihrem "commercial flavour of the expressions" (360) römischem Pragmatismus verpflichet; 1344 ff. benützen in rectum, utile, honestum Begriffe, die im traditionellen mos mai orum verankert sind; 1347 f. thematisieren die von Lucilius selbst (fr.1127 f.), aber auch Sallust und anderen beklagte Allmacht der avaritia; 1349-1352 nehmen auf den sozialen Status (honos) des römischen nobilis und die Mechanismen des Politikbetriebs (amicitia, inimicitiae) Bezug; 1353 f. schließlich weisen zwar Übereinstimmungen mit Panaitios auf (vgl. Cic. off.1,58), doch steht dieser hier seinerseits unter dem Einfluß römischer Vorstellungen ("It was Stoicism which endured modification [bei Panaitios], not the Roman tra dition": 353). Letztlich erscheint virtus in dem Passus "as an aristocratic ideal, rather than a philosophical concept" (363). Als weniger konsensfähig zeigen sich R.s Überlegungen zum Ton des Fragments: Demzufolge soll der Text die gleiche Ironie wie fr.1249 f. (Spott über den stoischen Weisen) aufweisen und an den wegen seiner Untüchtigkeit umstrittenen (Polyb.39,1,1-3) und als Verfasser griechischsprachiger Annales belächelten A. Postumius Albinus gerichtet sein, demzufolge als "an allusive pseudo-philosophical form" erscheinen, "which permitted him [= Lucilius] to highlight his victim's acknowledged predilection for Greek culture and simultaneously to undermine his lack of 'Romanness' by an apparently serious but in fact ironical address on Albinus' perceived weak point, uirtus" (369). Auch S c h o l z (207) versteht das virtus-Fragment nicht als Manifest "eine(r) neue(n) stoisch initiierte(n) virtus" (312) oder - wie schon von dem zitierenden Autor Laktanz mißdeutet - als Umsetzung "sokratischer Wissens-Ethik" (311), sondern als - logisch kaum strukturiertes - Dokument einer "ziemlich äußerlichen Bürger- und Politik-Moral" (308); Laktanz, der den Abschnitt noch in seinem Kontext lesen konnte, unterzieht ihn einer Punkt-für-Punkt-Kritik, um daraus seine christliche Ethik zu entwickeln (von Sch. im einzelnen nachvollzogen und in der Formel 'virtus est deum colere' [306] zusammengefaßt). G ö r l e r (208) sucht dagegen wieder den griechischen Hintergrund des Fragments genauer auszuleuchten. Daß in der Passage "bona und utilia, Sittlich-Gutes und Naturgemäßes, also ἀγαθά und ἀδιάφορα unbefangen nebeneinander stehen" (463), würde sie demnach als Reflex mittelstoischer Güterlehre in der Version des Antipater von Tarsos ausweisen.289 Dagegen beharrt L é v y (209) darauf, daß Lucilius nicht nur die Vorstellung einer Pflichtenhierarchie (vgl. fr.1353 f. mit Cic.off.1,58), sondern auch das vorpanaetianische ἀξία-Modell durch Panaitios vermittelt sein konnte. 289 Es bleibt indes festzuhalten, daß auch das - nicht unumstrittene - Vorhandensein solcher Einflüsse nicht die Schlußfolgerung rechtfertigt, Lucilius habe sich bewußt um die Vermittlung philosophischen Gedankenguts bemüht.
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B i o n d i (255) schließt einen parodischen Charakter des virtus-Fragments kategorisch aus und verweist stattdessen überzeugend auf die strukturellen Ähnlichkeiten mit dem Paulinischen 'Hymnus' auf die ἀγάπη (1.Kor.13, bes.4-7). Zur möglichen Loka lisierung des Fragments vgl. auch Mazzoli (123). fr.1348 Zu Recht bemängelt G ö r l e r (210), daß die von S c h o l z (44), 232 f. ins Spiel gebrachte und 207, 306 Anm.8 argumentativ ergänzte Neuinterpretation von fr.1348 (divitiis [Abl.!] pretium persolvere posse: 'durch Reichtum einen Preis zahlen können')290 sowohl die syntaktische Symmetrie von fr.1347 ff. (divitiis inmitten der Dative re und honori) wie auch die stoische Abwertung materieller Besitztümer unberücksichtigt läßt: Die virtus-Definition des Satirikers wendet sich nicht "an die staatstragende, besitzende Klasse" (so Scholz [44], 233), sondern an jedermann. 7. Dubia, spuria, nova 211. E. P a s o l i , Un nuovo frammento di Lucilio attraverso Sallustio e Orazio? in: Studi di storiografia antica in memoria di L. Ferrero, Torino 1971, 57-64. 212. R. R e i c h e , Zwei unbekannte Fragmente des Lucilius? Mnemosyne 28, 1975, 281-292. 213. O. D i l k e , Versus non a Lucilio scripti, Mnemosyne 32, 1979, 170-171. 214. M. D e N o n n o , Nuovi apporti alla tradizione indiretta di Sallustio, Lucilio, Pacuvio e Ennio, RFIC 121, 1993, 5-23. 215. M. S c a f f a i , Il topos delle molte bocche da Lucilio a Lucrezio (e viceversa), Eikasmos 19, 2008, 153-173. 216. A. L a P e n n a , Sul nuovo frammento di Lucilio scoperto da Aldo Lunelli, Maia 63, 2011, 60-62. 217. P. To m è , Nevio, Lucilio e il grammaticus Parthenius: due autentici 'falsi d'autore' nell' Orthographia di Giovanni Tortelli, BStudLat 41, 2011, 556-584. 218. L. P e d r o n i , Phoenices feneratores. A proposito di Lyd. Mens. I,9W, VL 193-194, 2016, 218-227. fr.1383 f. S c a f f a i (215) bekräftigt die Entscheidung der meisten Herausgeber, das durch Serv.zu Verg.Aen.6,625 nach Lukrez(!) zitierte Satzfragment non mihi si linguae cen tum sint …/ aerea vox unter die dubia Luciliana aufzunehmen: Denn da die epische Formel der 100 Münder in De rerum natura weder überliefert noch sinnvoll zu ergän-
290 Unverständlich bleibt hier C l a s s e n (41), der divitiis zwar als Dativ faßt, dabei aber doch auf den Reichtum als Mittel abzuheben scheint: "den Preis zahlen können für den Reichtum, d.h. leisten, was der Reichtum ermöglicht" (25).
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zen sei291, müsse wohl auch hier mit der oftmals belegten Verwechslung der Namen Lucilius/Lucretius durch Kopistenversehen gerechnet werden.292 Sowohl der Inhalt des Topos wie auch seine einschlägige Wiederverwendung bei Pers.5,1 f. und 26 legen es nahe, seinen ursprünglichen Ort in der literarischen Polemik der Bücher 1 oder 30 zu vermuten.293 Da der mit Lucilius-Anspielungen durchsetzte Abschnitt Hor.sat.2,1,62-74 in v.64 f. nitidus qua quisque per ora / cederet eine enge Berührung mit Sall.Iug.31,10 (aus einer Rede des Memmius: incedunt per ora vostra magnifici) aufweist, vermutet P a s o l i (211) eine Luciliusstelle als gemeinsame Quelle. Aufgrund ihrer gegen die Aristokratie gerichteten Tendenz294 könnte sie in der Nähe der einschlägigen Fragmente 258-261 in Buch 6 anzusiedeln sein, ihr Wortlaut versuchsweise als magni fici incedunt sic illi vestra per ora (wieder aus dem Munde des Memmius?) rekonstruiert werden. R e i c h e (212) nimmt zwei bis dato unbekannte Verse aus dem kleinen Florilegium Bonn UB. S 218 (saec.XI med.) 60 b für Lucilius in Anspruch: Z.10a mos petit oenophori metron, promoconde, repleri (wegen des in gleicher Zeile folgenden Luciliusverses fr.139); Z.13b cur, promoconde, times stillam praebere lecythi? (wegen der sachlichen Berührungen mit Z.10a). Da sich diese Zuweisung allein schon aus metrischen Gründen verbietet295, erübrigt sich jede weitere Widerlegung. In den von ihm herausgegebenen Excerpta Andecavensia belegt D e N o n n o (214) ein bisher unbekanntes Luciliusfragment: Aranea genere feminino apud Lucilium libro XIII. Daß die Notiz erst in einem Überlieferungszweig des 15.Jh. auftaucht, während sie in der ältesten Hs. (A: Angers, BM, 493(477); saec.IX) gerade fehlt, könnte neben bedachter Auslassung in A (aus fehlendem Interesse an Lucilius) auch Humanisten fälschung im gemeinsamen Ahn der recc. als Ursache haben; allein die Unscheinbarkeit der Angabe spricht gegen die Annahme einer Interpolation.296
291 Warum nicht: 'Auch wenn ich 100 Münder hätte, könnte ich die Verdienste Epikurs nicht hinreichend würdigen'? 292 Die falsche Auflösung der Kürzel Luc˜ hat auch bei fr.1; 943; 1126; 1162; 1278; 1322; 1376 und 1395 zur falschen Herkunftsangabe Lucretius geführt; zum umgekehrten Fall (Lucilius statt Lucretius) vgl. Non.p.181,3M. = 265L. mit Zitat von Lucr.3,765. 293 Buch 26 kommt durch seine nichthexametrische Formgebung nicht in Frage. 294 Bei Sallust ist diese noch klar erkennbar, bei Horaz dagegen ihrer politischen Dimension beraubt. 295 Daß Lucilius hätte prŏmoconde oder lĕcythi (gr. λήκυθος!) hätte messen können, ist mit D i l k e (213) kategorisch auszuschließen. 296 Verdienstvollerweise erinnert De N., 17 Anm.1 an ein weiteres, von der Luciliusphilologie bis dato ignoriertes Versstück, das G. P e s e n t i , Anecdota Latina, RFIC 45, 1917, 70-85, hier: 76 f. aus den Artificialia Paperini de analogia zitiert und angesichts der Stellenangabe Luci‹li›us in undecimo für Lucilius in Anspruch genommen hatte: ergo aperi‹t› signum dirūta taberna (so der Text bei De N.).
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Das durch die Neuedition der Scholia Veronensia zu Vergils Georgica297 bekannt gewordene Lucilius-Bruchstück ]bebo porcum (Schol.Veron. zu Verg.georg.4,538) wird von L a P e n n a (216) versuchsweise zu prae bebo porcum / eximium 298 ergänzt; da sich Lucilius sonst jedoch mit Ausnahme von fr.1004 nur unter dem Zwang von Eigennamen zur Abfassung eines Spondiacus versteht, bleibt die Rekonstruktion - auch nach Ansicht des Vf. - mehr als fraglich. Die bei dem Lexikographen Giovanni Tortelli (†1466) unter der offenbar unzutreffenden Quellenangabe 'Parthenios' überlieferte Notiz Lucilius libro XX …: chlaenam desuper indutam foedavit hat nur im 19.Jh. in den Luciliusausgaben Berücksichtigung gefunden:299 Heinrich Keils Zweifel an Tortellis Seriosität sowie die Autorität von Friedrich Marx ließen sie alsbald aus dem Bewußtsein der Fachphilologen verschwinden. Erst von P r e t e wieder in Erinnerung gerufen300, wird das Fragment von J o c e l y n dezidiert zur Fälschung erklärt301; doch läßt sich To m è s (217) eingehender Untersuchung zufolge weder sprachlich-metrisch noch inhaltlich ein entscheidender Einwand benennen, warum der Satz in künftigen Luciliuseditionen nicht zumindest unter die dubia aufgenommen werden sollte. P e d r o n i (218) erschließt aus Lyd.mens.1,9 ein den Römern bekanntes Wortspiel Phoen-ix - fen-erator und führt dieses versuchsweise auf Lucilius als Erfinder zurück. Wenn - wie in diesem Fall - schon die Voraussetzung einer Hypothese bestenfalls hypothetisch genannt werden kann, sind der wissenschaftlichen Diskussion letztlich alle Grundlagen entzogen.
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XVII. Rezeption 1. Altertum a) Diverse 219. D.F. S u t t o n , Lucreti poemata once again, RSC 19, 1971, 289-298. 220. M. G e y m o n a t , Tirsi critico di Lucilio nella settima egloga virgiliana, Orpheus 2, 1981, 366-370. 221. R. D e g l ' I n n o c e n t i P i e r i n i , Il concilio degli dei tra Lucilio e Ovidio, A&R 32, 1987, 137-147 = (con aggiornamenti) d i e s ., Tra Ovidio e Seneca, Bologna 1990, 13-30. 297 A. L u n e l l i , Scholiorum in Vergilium Veronensium Reliquiae: Notizie degli scavi, edizione provvisoria. II: In Georgica, Maia 55, 2003, 5-83, der Text unserer Stelle: 81. 298 Das Adjektiv wird durch die im schol. erklärte Vergilstelle nahegelegt. 299 Entsprechend wird das Hapax legomenon chlaena im 'Ausführlichen Handwörterbuch' von Georges als Lemma geführt. 300 S.P., Possibilità di ricerche nel Cornu Copiae di Niccolò Perotti, Nuovi Studi Fanesi 1, 1986, 51-80, hier: 69 mit Anm.22. 301 H.D.J., Riflessioni su 'due nuovi frammenti' della letteratura latina perduta e sulla filologia quattrocentesca, in: G. Ta r u g i (Hg.), Homo sapiens, homo humanus, Bd.2, Firenze 1990, 121-135, hier: 123 ff.
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222. J.E. S v a r l i e n , A study of the ancient testimonia on Lucilius, Diss. Univ. of Texas at Austin 1989, 284 S. (Mikrofilm); vgl. DAI 50, 1989-1990, 2887A. 223. J.J. O ' H a r a , Somnia ficta in Lucretius and Lucilius, CQ 37, 1987, 517-519. 224. K. H e l d m a n n , Trebonius und seine lucilische Satire aus dem Jahre 44 v.Chr., SO 63, 1988, 69-75. 225. J.D. M o r g a n , Lucilius and his nose (Pliny, N.H., praef.7), CQ 42, 1992, 279-282. 226. J. S v a r l i e n , Lucilianus character, AJPh 115, 1994, 253-267. 227. P. D o m e n i c u c c i , Lucrezio IV 1160-1169 e la Μέση: una mediazione luciliana? RCCM 39, 1997, 39-43. 228. A. P e r r u c c i o , Il fornix di Lucilio, Ocrisia e la nascita di Servio Tullio: note arnobiane, Maia 52, 2000, 285-294. 229. S. C a s a l i , Nisus and Euryalus: exploiting the contradictions in Virgil's Doloneia, HSPh 102, 2004, 319-354. 230. I. G o h , Trebonius' allusion to Lucilius (Cic.Fam.12.16.3), SO 87, 2013, 79-89. 231. S. Tz o u n a k a s , Horace and the poetology of Tibullus' Elegy 2.1, MH 70, 2013, 16-32. b) Horaz und die Verssatire 232. A. D i B e n e d e t t o , Quatenus et qua ratione Horatius in Brundisino itinere Lucilii iter Siculum sibi imitandum proposuerit, Helikon 9-10, 1969-1970, 3-23. 233. W. B a r r , Horace Sermones, I.X.64-67, RhM 113, 1970, 204-211. 234. A. A r d i z z o n i , Orazio, la satira e il linguaggio poetico, in: Umanità e Storia. Scritti in onore di A. Attisani, Bd.2, Napoli 1971, 49-63. 235. R. G o d e l , Rudis et Graecis intacti carminis auctor (Horace, Serm. I 10,66), MH 30, 1973, 117-121. 236. E. K r a g g e r u d , Die Satire I 7 des Horaz, SO 54, 1979, 91-109. 237. A. R o n c o n i , Orazio e i poeti latini arcaici, in: Studi di poesia latina in onore di A. Traglia, Bd.2, Roma 1979, 501-524 = d e r s ., Da Omero a Dante. Scritti di varia filologia, Urbino 1981, 233-256. 238. E. C o l e i r o , Tematica e struttura della satira oraziana. Ritorno all' antico e novità, Helmantica 31, 1980, 343-362. 239. C.J. C l a s s e n , Die Kritik des Horaz an Lucilius in den Satiren I 4 und I 5, Hermes 109, 1981, 339-360 = in: d e r s . , Zur Literatur und Gesellschaft der Römer, Stuttgart 1998, 149-169 240. A. D i B e n e d e t t o , Le satire oraziane II,8 e II,1: epilogo e prologo "luciliano" di un libro "non luciliano"? Vichiana 10, 1981, 44-61.
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1. Bereits in den ersten Jahrzehnten nach seinem Tod stößt Lucilius auf vielfältiges Interesse von Grammatikern, die ihn edieren, kommentieren und für den Schulunterricht heranziehen, aber auch von Literaten, die sich in seiner Nachfolge sehen. Äußerungen über sein Werk betreffen durchweg den gefälligen Stil: Dieser wird von Varro (rust.3,2,17) ebenso wie von Cicero gewürdigt, der den Satiriker mit Epitheta wie doctus, perurbanus, facetus, venustus oder elegans bedenkt (u.a. de orat.1,72)302; und letztlich findet er auch bei den Neoterikern Beachtung.303 2. Auch Horaz ahmt Lucilius nach, zeichnet von ihm jedoch anläßlich seiner Selbstpositionierung in den Programmgedichten ein kontextbezogenes, subjektiv-entstelltes Bild:304 Sat.1,4 setzt er sich im Rahmen eines "moral defense" (228) von Lucilius ab, indem er ihm einen in Nachfolge der Alten Komödie gewählten und mit Aggression verbundenen zensorischen Habitus zuschreibt, während er selbst nur - in Fortsetzung der väterlichen Bemühungen - mit seiner Selbsterziehung befaßt sein will. In 1,10 wiederum diskreditiert er Stil und Versbau seines Vorgängers305, um seinen eigenen Gattungsbeitrag ins rechte Licht zu rücken; und erst in 2,1 kommt es ihm zupaß, auf Lucilius als sein Vorbild zu verweisen ('Lucilius hat doch auch …!' Für diesen neuen Lucilius vgl. v.16 f. und 28-34).306 3. Das von Horaz entworfene Zerrbild wird für die Folgezeit bestimmend: Persius und Juvenal rechtfertigen mit dem Beispiel des aggressiven Lucilius die eigene libertas; und über Diomedes, der durchaus nicht von Varro abhängt, sondern naiv auf Hor. sat.1,4 als Quelle vertraut (GLK I 485,30 ff: Aggressivität des Lucilius, Abhängigkeit von der Alten Komödie) hat es diese Fehleinschätzung letztlich bis in die modernen Handbücher geschafft. 4. Prüft man die überlieferten Fragmente unvoreingenommen, erscheint Lucilius ebenfalls kaum als gnadenloser Polemiker, sondern eher als urbaner, am genus tenue orientierter Anekdotenerzähler; direkte Anwürfe gegen Zeitgenossen verraten "humor rather than bitter invective" (271 Anm.12 zu fr.1146 über Caecilius) oder finden sich im Munde von Sprechern, die ihrerseits eine parodische Abwertung erfahren (B.1: die Götter über Lentulus Lupus; B.2: die Prozeßgegner Albucius und Mucius Scaevola). Im Ergebnis besteht mithin doch Anlaß, die literarhistorische Einordnung des Lucilius noch einmal zu überdenken.307
302 Nur einmal nimmt Cicero en passant auf die acerbitas des Lucilius Bezug (Att.16,11,1). 303 Valerius Cato gestaltet die für die Zukunft maßgebliche Luciliusausgabe (Hor.sat.1,10,1*-8*), Curtius Nicia verfaßt ein umfangreiches Werk De Lucilio (Suet.gramm.14 = p.112R.). 304 "In these poems Horace is concerned, first of all, to defend his own attempt at writing in this genre; secondly, to criticize contemporary critics and poets whose literary ideas differ from his own; and thirdly, to put forward his own lex operis for the style, content and purpose of satura" (207). 305 Quint.inst.10,1,94 wird diese Kritik ausdrücklich verworfen. 306 Von Gedicht zu Gedicht wandelt sich demnach Horazens Argumentationsziel, nicht jedoch seine globale Einstellung zu Lucilius. 307 Es bleibt indes festzuhalten, daß auch Cic.fam.12,16,3 odium und laedere als Grundzüge der Lucilischen Satire benannt sind.
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In einem Auszug aus dieser Dissertation zeigt S v a r l i e n (226), daß Varro sein Diktum vom Lucilianus character (rust.3,2,17)308, anders als von der Forschung einhellig behauptet, nicht auf den Hang des Satirikers zu "personal abuse and invective" (253), sondern auf die gracilitas seines sermo-Stils bezieht: Character steht regelmäßig als griechisches Äquivalent für genus dicendi; und daß der Polyhistor Lucilius als Musterbeispiel des χαρακτὴρ ἰσχνός bzw. genus gracile (=subtile) namhaft macht, wird durch Gellius (6,14,6) ausdrücklich bezeugt. In antiken Würdigungen von Lucilius finden sich auch sonst Termini wie doctus, venustus, facetus oder urbanus (vgl. noch Auson. De herediolo praef. p.19Gr.=16Pe. his versibus lusit Luciliano stilo); die Schärfe seiner Polemik wird nur gattungsintern von seinen Nachfolgern bzw. in Gattungsdefinitionen von Grammatikerseite als Unterscheidungsmerkmal herausgestellt. Als kaum tragfähig ist die Annahme einer Luciliusrezeption durch Lukrez einzustufen: S u t t o n (219) will die von Cicero im Jahre 54 v. zur Kenntnis genommenen Lucreti poemata (ad Q.fr.2,11,4), da kaum mit dem großen Werk De rerum natura gleichzusetzen, am ehesten als "a small collection of satires modelled on a Book of Lucilian satire" (298) identifizieren; O ' H a r a (223) sieht Lucr.1,102-106 wegen der Formulierung quam multa tibi iam fingere possunt / somnia direkt von Lucil. fr.490495 (somnia ficta: fr.493) beeinflußt, und D o m e n i c u c c i (227) nimmt an, Lukrez habe für seinen Beispielkatalog 'Liebe macht blind' (4,1160-1169) auch auf misogyne Aussagen des Lucilius zurückgegriffen. Zu Cicero und Lucilius vgl. Perruccio (80). H e l d m a n n (224) ist um den Nachweis bemüht, daß es sich bei den im Geiste des Lucilius verfaßten versiculi des Trebonius (vgl. Cic.fam.12,16,3) nicht um eine "primär politische, sondern eine moralisch motivierte Invektive" (69) handelt und der Angriff nicht gegen M. Antonius, sondern Ciceros Schwiegersohn Dolabella gerichtet ist. Nach G o h (230) hat der Schreiber bei seiner Luciliusnachfolge nicht nur die libertas des Satirikers, sondern auch seinen literarischen Rang im Auge; Ziel seiner Polemik soll der tote Caesar sein. 2000 Jahre lang haben die Leser Vergils in Verg.ecl.7,51 f. hic tantum Boreae curamus frigora, quantum / aut numerum lupus aut torrentia flumina ripas einen Reflex des auch der Antike wohlvertrauten Sprichwortes 'Der Wolf frißt auch die gezählten Schafe'309 gesehen. Es blieb Léon Herrmann vorbehalten, der Aussage eine auf Dichterkritik abzielende Tiefendimension abzutrotzen (aut numerum Lupus: "autant que Lupus du rythme").310 G e y m o n a t (220) geht noch einen Schritt weiter und identifiziert den vermeintlich inkriminierten Poeten über die Gleichung lupus = Lupus = Λύκος = Λυκίλιος mit dem Archegeten der römischen Satire, den Sprecher der Vergilverse Thyrsis - entsprechend mit dem jungen Horaz. Wieder einmal muß die hellenistische 308 Dieser wird a.a.O. den libelli eines - ansonsten unbekannten - L. Abuccius zugesprochen. 309 A. O t t o , Die Sprichwörter der Römer, Leipzig 1890 (=Hildesheim 1971), 199: "Daß der Vergleich in dieser Bedeutung auch bei den Alten sprichwörtlich war, scheint die Verbreitung des Gedankens bei allen germanischen und romanischen Völkern zu erweisen." Für die ma. Belege vgl. Thesaurus proverbiorum medii aevi, Bd.13, Berlin 2002, 183. 310 L.H., Notules sur les Bucoliques virgiliennes, LEC 16, 1948, 371-373, hier: 372.
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Freude am geschliffenen Wortspiel dafür herhalten, das Ergebnis willkürlicher Philologen-Phantastereien zu legitimieren. Daß Vergil den für die Nisus-Euryalus-Mission verantwortlich zeichnenden Kriegsrat fast mit den gleichen Worten einführt, wie sie Lucilius dem Göttergericht über Lentulus Lupus gewidmet hatte (vgl. Verg.Aen.9,227 consilium summis regni de rebus habebant mit fr.6 consilium summis hominum de rebus habebant), soll - der forcierten Deutung C a s a l i s (229) zufolge - seine innere Distanz zu der von ihm geschaffenen 'Dolonie' unterstreichen: Daß jetzt 'Götter' über das Unternehmen befinden, "suggests a reading of the episode in which Nisus and Euryalus are victims of an external will" (339). Nach Tz o u n a k a s (231) soll Tibull seine Elegie 2,1 durch mehrfache Verweise poetologischer Natur zu einem intertextuellen Dialog mit Hor.sat. ausgestalten, der nicht zuletzt darauf berechnet wäre, dem Erfinder der römischen Satire Schützenhilfe gegen seinen Kritiker zu leisten. So antworte v.27 f. nunc mihi fumosos veteris proferte Falernos / consulis et Chio solvite vincla cado (im Verlauf eines ländlichen Festes) auf Hor.sat.1,10,23 f. at sermo lingua concinnus utraque / suavior, ut Chio nota si commixta Falerni est (ein Interlocutor verteidigt die Mischung lateinischen und griechischen Vokabulars bei Lucilius), und v.29 f. non …/ est rubor errantes … male ferre pedes (aufgrund von Weingenuß am Festtag) repliziere auf Hor.sat.1,10,1 f. incomposito dixi pede currere versus / Lucili (dezidierte Luciliuskritik des Augusteers), wodurch zum einen die "linguistic impurity" (20) des Lucilius toleriert311, zum anderen Nachsicht für die Schwächen seiner Versbildung eingefordert werde312; sehe sich Tibull doch letztlich als dessen Geistesverwandten, wenn er v.51-54 (mit den Stichwörtern satiatus und satur!) an den ländlichen Ursprung der Satire erinnere.313 Allein schon die Vorstellung, Tibull habe sich (zudem mit derart ungeeigneten Mitteln) in die gattungsinterne Kontroverse zwischen Horaz und den Anhängern des Lucilius einschalten wollen, entbehrt jeder Plausibilität. Ob Ovid bei der Konzeption seines Götterrates im ersten Metamorphosenbuch das Deorum concilium des Lucilius vor Augen stand (so D e g l ' I n n o c e n t i P i e r i n i [221]), muß letztlich offenbleiben: Der Bezug von met.1,190 f. auf Lucil.fr.7 (sittliche Verkommenheit als Krebsgeschwür) ist nicht spezifisch genug; und daß Lucilius an seinem Lupus ebenso das 'wölfische' Wesen herausgearbeitet hätte wie Ovid an Lykaon, ist allein durch fr.1328 ff. nicht zu beweisen.314 311 Bei T. selbst bleibt diese Konsequenz merkwürdigerweise in der Schwebe. 312 Auf einer weiteren Ebene soll Tibull für sich selbst durch v.27 f. "his interest in an inspiration springing from both Roman and Greek poetic models" (20; = Falerner- + Chierwein) reklamieren und durch v.29 f. seine Wahl des elegischen Metrums (mit ungleichem Fuß) verteidigen. 313 Wie sich Tibulls angebliche Vorliebe für eine ländliche Ausprägung der Gattung ("Tibullus expresses himself more favourably for older types of satire, which bearing a greater proximity to the genre's rustic origins could be considered to be closer in character to his own poetry": 27; gemeint ist die angebliche Frühform der dramatischen satura) mit seiner Sympathie für die genuin städtische Satire des Lucilius vereinbaren lassen soll, erfährt der Leser nicht. 314 Als Unterschied bleibt zudem festzuhalten, daß der Lucilische Götterrat aktiv über das Schicksal des Lupus berät, der Ovidische dagegen die bereits abgeschlossene Lykaongeschichte als Beleg menschlicher Verrohung erzählt bekommt.
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G o w e r s (124) zufolge hätte Seneca seine Epistulae morales im steten Dialog mit Lucilius geschaffen ("Lucilius' Iter Siculum and Seneca's mental journeys to Sicily in the Epistulae Morales are related stages … in the philosophical applications of travel writing": 168) und dabei wohl auch seinen Adressaten nach diesem Vorbild modelliert ("The satirical Lucilius might be similarly reincarnated, then in his namesake, as an imperfect Epicurean, Cynic or Sceptic who needs converting and redirecting": 174). Ihre Argumentation erschöpft sich indes in forcierten, mit Vorliebe in Frageform vorgebrachten Assoziationen: "In particular, when Seneca lives his Lucilius' journeys to Sicily with him and when he starts off in that direction himself, is he reliving a memory of an iconic Iter Siculum made three centuries before?" (ebd.). Zu Senecas Apocolocyntosis und Lucilius vgl. Freudenburg (127). Das rätselhafte Urteil des älteren Plinius über unseren Satiriker - primus condi dit stili nasum (nat.praef.7) - bedarf nach M o r g a n (225) der heilenden Hand des Textkritikers: Zu lesen sei stili na suti ver sum. Der Berichterstatter hätte hingegen keine Mühe, sich auch im Lateinischen eine Wendung wie 'ein Näschen für Stil haben' vorzustellen.315 P e r r u c c i o (228) fragt nach dem Umfang der Luciliuskenntnis des Arnobius: Dessen rätselhafter Hinweis auf einen fornix Lucilianus (nat.2,6 = fr.1196) ist als Spitze gegen die archaistischen Tendenzen des zeitgenössischen Schulbetriebs gerichtet; seine - in Verbindung mit der Geburtslegende des Servius Tullius formulierte - Erwähnung einer vis Lucili (nat.5,18 = fr.1355; vis in der Bedeutung semen genitale) erlaubt keine Kontextualisierung.316 Der Kirchenvater dürfte keinen Luciliustext, sondern ausschließlich "antologie ad uso retorico" (292) zur Verfügung gehabt haben. Für Laktanz vgl. Schäfer (88) und Scholz (207). Daß schließlich das in einem Epigramm des Ausonius formulierte Urteil über die Sittenlosigkeit (capitalis luxus) der Nolaner (epigr.75,5 [p.85] Gr. =79,5 [p.341] Pe.) aus Nachrichten bei Lucilius (vgl.fr. 117 broncus Novlitanus [coni. Mras, novit ianus codd.], Horaz (sat.1,5,62 Campanus morbus) und Porphyrio z.St. (Campani … ore immundi habiti sunt) zusammengeflossen sei (so S t ä r k [168]), muß Spekulation bleiben.
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b) Horaz und die Verssatire Aussagen über die Luciliusnachfolge des Horaz beschäftigen sich vor allem mit der Rolle des Lucilius in den Horazischen Programmgedichten. In seiner weitgehend an einer Arbeit von Konrad H e l d m a n n 317 orientierten Untersuchung kann C e c c h i n (244) zeigen, wie sich Horaz in sat.1,4 von seinem Vorgänger absetzt, indem er seine Luciliusnachfolge im Verlauf des Gedichtes unmerklich und doch systematisch bagatellisiert, um so das Wohlwollen der Leserschaft für die eigene Dichtung sicherzu 315 Nicht in diesen Bericht gehört W. Krenkel, Lucilius qui primus condidit stili nasum. Plinius nat.praef.7, in: K. Zimmermann (Hg.), Der Stilbegriff in den Altertumswissenschaften, Univ. Rostock 1993, 61-64. Ungeachtet seines Titels nimmt der Aufsatz weder auf Lucilius noch auf Plinius Bezug, sondern setzt sich auf unkonventionelle Weise mit der Frage 'Was ist Stil?' auseinander. 316 Varro ling.5,63 (= fr.1356) ist fernzuhalten. 317 K.H., Die Wesensbestimmung der Horazischen Satire durch die Komödie, A&A 33, 1987, 122-139.
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stellen. Ganz wie die Alte Komödie hat Lucilius seine Aufgabe darin gesehen, ausgewiesene Verbrecher zu attackieren (v.1-8): Die spitze Feder seines Nachfolgers bekommen dann nur noch Menschen mit eher läßlichen Charakterschwächen zu spüren (v.25-33); und auch diese bleiben von persönlichen Angriffen verschont (v.69 f.), um nur als erzieherisch eingesetzte exempla für richtiges oder aber falsches, gegen den mos maiorum verstoßendes Betragen Verwendung zu finden (v.103-106). Solcherart tritt fast in den Hintergrund, daß die Aufgabe der Satire (vgl. v.5 bzw. 106 notare) letztlich die gleiche geblieben ist. Diesen Interpretationsansatz verfolgt N a s t a (248) in ungleich radikalerer Form: Nachdem Horaz am Anfang von sat.1,4 Lucilius ganz in der Tradition der Alten Komödie angesiedelt hatte (v.1-8: zensorischer Anspruch mit moralischer Zielsetzung), soll er im weiteren Verlauf der Satire eine "deconstrucción de la máscara luciliana como máscara satírica" (105) vorgenommen und seinen Vorgänger als Jambendichter charakterisiert haben, um sich und sein eigenes Schaffen dagegen um so deutlicher absetzen zu können.318 Dies ist jedoch schwerlich zu begründen: Wenn der Interlocutor v.34-38 den Satiriker der Bösartigkeit zeiht, gibt er damit keineswegs Horazens Urteil über Lucilius wieder; und wenn sich der Augusteer v.86-91 von einem scurra abhebt, zeichnet er diesen durchaus nicht als Karikatur von Lucilius.319 A r d i z z o n i (234) würdigt die Digression von Hor.sat.1,4,39-63 über den dich terischen Rang der Satire: Demnach kann diese nicht den Anspruch erheben, als iustum poema (v.63) zu gelten; bleibt sie doch als Gattung ausschließlich auf die pura verba (v.54) der Alltagssprache verwiesen. Entsprechend ist auch Lucilius nicht für seine Wortwahl, sondern allein für seine Sorglosigkeit im Versbau (durus componere versus: v.8) zu tadeln. Nach D 'A n n a (250) hat Horaz in der 2. Hälfte von sat.1,10 seinem - in 1,4 sowie 1,10,1-39 formulierten - "giovanile callimachismo" (108) abgeschworen und seine frühere Luciliuskritik mit Rücksicht auf diesen Meinungsumschwung abgeschwächt: Wird doch jetzt dem inventor der Gattung (v.48) nicht nur vor deren auctor (v.66; nach D'A.: Ennius), sondern sogar vor Horaz selbst der Primat zuerkannt (v.47 ff.; 65 f.).320 Bei genauerem Zusehen ist jedoch nur eine Präzisierung bzw. Ergänzung von Horazens bisherigem Standpunkt zu konstatieren; dessen völlige Annullierung innerhalb ein und desselben Gedichtes wäre ohnehin nicht zu erwarten gewesen.321 C a n o b b i o (256) will generell Horazens Verhältnis zu seinem Vorgänger als eine in den literarischen Satiren ablesbare Entwicklung verstehen: Sat.1,4 ('Horatius alius Lucilius') soll der Abgrenzung zu Lucilius dienen, indem Horaz die Konzeption seiner 318 Vgl. die gegenteilige Behauptung bei Sommerstein (73). 319 Daß die Vf.in die autobiographische Offenherzigkeit der Luciliussatire, wie sie Horaz sat. 2,1,30-34 beschreibt, als Verstoß gegen die verecundia und damit neuerlich als Annäherung an die Schamlosigkeit der Jambik interpretiert, zeigt die Gewaltsamkeit, mit der sie ihrer These zum Durchbruch verhelfen will (für eine negative Sicht auf die Horazstelle vgl. auch Harrison [243]). 320 Arbeiten speziell zu v.64-67 sind im folgenden eigens besprochen. 321 Dies gilt auch, wenn man mit D'A. eine Zweitauflage des Satirenbuches ansetzt, der neben den ursprünglichen Versen 40 ff. auch v.1*-8* zum Opfer gefallen wären.
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eigenen Satiren - an Lucilius vorbei - aus der Alten Komödie herleitet322, dann aber wieder mit der Erziehung durch seinen Vater in Verbindung bringt323; sat.1,10 dagegen ('Lucilius prior Horatius') würdigt Lucilius als Vorgänger und Pionier der Gattung, 2,1 schließlich ('Horatius alter Lucilius') preist ihn geradewegs als "literary model" (199). Indes läßt sich die - an sich schon befremdliche - Vorstellung einer gedanklichen Entwicklung innerhalb des gleichen Gedichtbuches (1,4 und 10) schwerlich mit dem Textbefund vereinbaren: Richtiger wird man vom komplementären Blick auf zwei Seiten einer Medaille (1,4 Inhalt; 1,10 Form) sprechen können. Nachdem Horaz schon mit den Gedichten der ersten Satirensammlung sukzessive aus dem Schatten seines Vorgängers herausgetreten war, weist das zweite Buch sodann kaum noch Berührungen mit den Luciliussatiren auf. Gerade deswegen - so D i B e n ed e t t o (240) - vollzieht der Augusteer in seiner Schlußsatire und in dem - wahrscheinlich als letztes entstandenen - Programmgedicht dezidiert den Schulterschluß mit Lucilius: In 2,1 bekennt sich der mittlerweile arrivierte Satiriker - nach der harschen Kritik von 1,4 und 1,10 eher überraschend - zu dem sapiens Lucilius (v.17) als Vorbild; und in beiden Gedichten bedient er sich auffällig Lucilischer Motivik (zu 2,1,10-15 vgl. Lucil.fr.679; 689 f., zu sat.2,8 die cena Grani im 20.Luciliusbuch sowie fr.1130-1135, zu 2,8,10 f. bes. Lucil.fr.570), um damit den im Inneren des Gedichtbuches eher verblassenden Gattungsbezug im Bewußtsein des Lesers wachzuhalten.324 H a r r i s o n (243) hingegen will eine Eintrübung des Luciliusbildes in sat.2,1 erkennen: Vor dem Hintergrund der Tatsache, daß Horazens 2.Satirenbuch kaum auf die vita seines Verfassers eingeht und speziell 2,1 durchgehend von "ironic ambiguity" (39) durchzogen ist, will er 2,1,30-34 nicht als Würdigung des Lucilius und seiner autobiographisch ausgerichteten Satire verstehen:325 Vielmehr habe Lucilius - nach Darstellung von Horaz - als ein rechtes Klatschmaul die arcana (v.30) seiner Mitmenschen(!) preisgegeben, gleichgültig, si male cesserat …/ … si bene (v.31 f.), d.h. 1. ob ihm dies zum Vorteil oder zum Schaden gereichte; 2. ob ihm seine Verse gut oder schlecht gelangen.326 Daß Horaz zum Zweck einer - dann natürlich selbstironischen - Positionierung der eigenen Satire in Nachfolge des Lucilius (v.34 sequor hunc) nun genau die Merkmale heranzöge, die er andernorts weit von sich weist (Rücksichtslosigkeit, Kunstlosigkeit), hätte vor einer solchen Interpretation eigentlich warnen müssen. 322 C. schließt dies bereits aus v.1-5, wo Horaz verkünde, "that his satire belongs to a tradition which does not have its roots in Lucilius" (186); ebenso voreingenommen zu v.56 f. ego quae nunc,/ olim quae scripsit Lucilius: "implies detachment rather than continuity" (189). 323 "(sc. This) reduces his dependence on Greek Old Comedy" (190). 324 Ein analoges Verfahren könnte man in Horazens Jambenbuch konstatieren: Mit epod.11-16 bricht der Autor die Gattungsgrenzen zur Odendichtung auf, um das Schlußgedicht 17 noch einmal als Musterbeispiel Archilochischer Jambik zu inszenieren. 325 H. ist in entscheidenden Punkten W.S. Anderson und seiner persona-Theorie verpflichtet, mithin a priori darauf festgelegt, die Satire aller ernstlich autobiographischen Züge zu entkleiden. 326 Die Vorzeitigkeit des Plusquamperfekts soll jeweils durch vorausgegangene Erfahrungen des Satirikers zu erklären sein.
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Zu dem vieldiskutierten Sinn von Hor.sat.1,10,64-67 liegen mehrere Stellungnahmen vor: Wie B a r r (233) überzeugend darlegt, würdigt der Passus die dichterischen Meriten des Lucilius nicht im Vergleich mit einem anderen Autor (Ennius327), sondern vor dem Hintergrund der von ihm selbst als Pionier zu überwindenden Schwierigkeiten (v.66 auctor = v.48 inventor = Lucilius; identisch die Aussage von sat.2,1,62 f.). Verfehlt jedoch seine Annahme, rudis (v.66) sei als Nominativ zu fassen ('Granted, I say, that Lucilius was good-tempered and urbane, granted that he was more polished than rough - and this though the author of a kind of verse untouched by the Greeks - and granted that he was more polished than the general run of older poets …': 208): Die parallele Satzkonstruktion quam … quamque läßt nur die Verbindung rudis … car minis zu. Dagegen hält R o n c o n i (237) an einer Differenzierung der beiden Begriffe fest: Neben inventor (dem 'Begründer' einer Gattung) soll auctor den 'Wegbereiter' oder 'Impulsgeber' bezeichnen; für Lucilius kämen damit nicht zuletzt die attischen Komiker als auctores in Frage. Wieder anders G o d e l (235), demzufolge für eine Identifikation des rudis et Graecis intacti carminis auctor weder Lucilius selbst noch Ennius zur Verfügung stehen, will man nicht im einen Falle die Fortsetzung des Satzes (quamque poetarum seniorum turba: v.67), im anderen das Horazische Enniusbild (sat.1,10,54; carm.4,8,20; epist.1,19,7; 2,1,50; ars 259: jeweils nur vom Epiker/Tragiker gesagt) aus dem Blick verlieren. Zeitlich noch vor den poetae seniores anzusetzen, wäre der auctor wohl niemand anders als der unbekannte Erfinder der Fescenninendichtung (vgl.epist.2,1,145 Fescennina per hunc inventa licentia morem …). Der Kreis der poetologisch zu verstehenden Gedichte wäre nach H u b b a r d (241) noch zu erweitern, soll sich Horaz doch bereits in seiner ersten Satire programmatisch von Lucilius absetzen: implizit durch die verbesserte 'Neuauflage' eines bereits von Lucilius bearbeiteten Themas (μεμψιμοιρία und avaritia sollen bereits Lucil.XIX bestimmen: vgl. fr.558-568), explizit(!) durch Formulierungen, die auf einer zweiten Ebene stilistische Implikationen aufweisen und solcherart auf die dezidiert geäußerte Luciliuskritik 1,4; 1,10 und 2,1 vorausdeuten: vgl. v.54-60 (das Bild vom ebenso schlammigen wie reißenden Fluß) mit 1,4,9-13; v.23-27 (Spaß darf nicht die ganze Darlegung bestimmen) mit 1,10,7 f. und 11-14; v.78 f. (horum / semper ego optarim pauperrimus esse bonorum) mit 1,4,18 "his [= Horazens] own sparing style": 317). Indes sind die angeblichen Bezüge nachgerade erzwungen: Wenn der avarus es vorzieht, magno de flumine zu schöpfen, und daher nur limo turbatam aquam erhält, vielleicht sogar mitgerissen wird, weist dies nicht deshalb "some latent stylistic implications" (315) auf, weil mehrere Satiren später die Dichtung des Lucilius durch cum flueret lutulentus (sat.1,4,11)328 als schlammiger Strom charakterisiert wird.329 327 Zwischen dessen satura und der Luciliussatire werden auch sonst deutliche Trennlinien gezogen: vgl. Diom. GLK I 485,30-34. 328 Daß Horaz hier das Adjektiv lutulentus erstmals auf den Bereich literarischer Ästhetik überträgt, will M a r i n e l l o (245), einer Anregung des Scholiasten folgend (Ps.Acro zu v.11), mit einem gewollten paronomastischen Bezug auf dessen Antonym luculentus in Verbindung bringen. 329 Unzutreffend etwa auch die Interpretation von sat.1,1,54 f. non ridet versus Enni gravitate mi nores,/ cum de se loquitur non ut maiore reprensis? "Horace criticizes(!) Lucilius for laughing at Ennius without pretending to be any better himself " (318; Hervorhebung W.K.).
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Ebenso abwegig erscheinen die Ausführungen von F e r r i s s - H i l l (252), die Hor.sat.1,9 unter der Prämisse interpretiert, der 'Schwätzer' sei mit Lucilius zu identifizieren, das - wieder programmatisch zu verstehende - Gedicht handele mithin von Horazens Bemühen, sich dem Einfluß seines Vorgängers zu entziehen.330 Zwar weist die Person des Interlocutors einige Charakteristika auf, die andernorts auch Lucilius zugesprochen werden (zum Motiv der Geschwätzigkeit vgl. v.12 f.; 33 neben 1,4,12; zur Viel- und Schnelldichterei 23 f. neben 1,4,9-13; 10,60 f.); ansonsten kann die These jedoch nur um den Preis selektiver Wahrnehmung aufrechterhalten werden: v.3 accurrit quidam notus mihi nomine tantum ("Horace … could not have recognized him by his appearance, since his predecessor had of course died over thirty years before Horace was born": 434) - Wie kann Horaz den quidam dann überhaupt erkennen? Sollte ihm der inventor der Gattung nicht eher aus dessen Werk statt nomine tantum vertraut sein? v.45-60 'Lucilius' giert danach, unter allen Umständen Aufnahme in den Maecenas kreis zu finden ("Lucilius is confident that it is Horace who would play second fiddle to him, were Maecenas presented with both at once": 443) - Sollte Maecenas die Satiren des Lucilius bisher gar nicht kennen? Oder wie sollte man sich dessen "introduction to Maecenas" (ebd.) vorstellen? v.60-72 die Begegnung mit (dem Dichter? Grammatiker?) Aristius Fuscus ("… Fus cus' amused realization that he cannot help331: only Horace himself can engineer his own escape from Lucilius - by moving on to a genre other than satire": 447) - In welcher Funktion wäre denn Fuscus von Horaz als Retter angesprochen worden? v.74-78 'Lucilius' wird als Beklagter vor Gericht geschleppt ("for overstepping the bounds of libertas": 449) - Wie ist dann der Umstand zu werten, daß er diesen Prozeßtermin zuvor ignoriert hatte, nur um Horaz weiter begleiten zu können? v.78 sic me servavit Apollo ("Horace is not saved by Apollo at all, since he is obliged, having once offered himself as a witness, to accompany the plaintiff and the interlocutor to court straightaway"332: 451) - Wozu dann diese wahrheitswidrige Aussage? Zu den weiteren Ungereimtheiten zählt, daß die Vf.in 'Lucilius' ganz nach Belieben als wirklichen redivivus oder aber als sinnbildlichen Vertreter der frühen Satire auftreten läßt:333 Insgesamt bietet die Arbeit ein bestürzendes Specimen interpretatorischer Willkür.334 330 Damit böte die Satire eine Art szenischer Vergegenwärtigung des von Freudenburg (258) thematisierten Problemkreises. 331 In Wirklichkeit will Fuscus seine Hilfe ja verweigern. 332 Diese Fehldeutung des Gedichtschlusses nach T. M a z u r e k , Self-parody and the law in Horace's Satires 1.9, CJ 93, 1997-1998, 1-17. 333 Vgl. einerseits v.13 urbem laudaret ("he could … reasonably be expected to show amazement at how the city has changed since his day": 439 Anm.33), zum anderen v.15 usque tenebo ("Lucilius … is certain that Horace will not (…) abandon the genre of satire": 440). 334 Der in der Arbeit obwaltende Dilettantismus wird nicht zuletzt darin sichtbar, daß F. - vom 'anonymous reader' des AJPh unbemerkt/unbeanstandet - unter Hinweis auf Stat.Theb.7,483 f. im pia belli / mater (= Iocaste!) für mater die Bedeutung "creator" bzw. "poetic ancestor" reklamiert (441 Anm.41).
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Mißbräuchlicher Umgang mit der Vorstellung einer Programmatik ist schließlich auch Tz o u n a k a s (254) vorzuwerfen, der sich immer wieder darin gefällt, aus einem Gedicht ohne jede Rücksicht auf den Zusammenhang einzelne Begriffe zu isolieren und diesen gewaltsam eine poetologische Aussage aufzuzwingen. Im vorliegenden Fall335 wird Horazens Bekenntnis zur erotischen Thematik seiner carmina (carm.1,6,17 ff. proelia virginum / sectis in iuvenes unguibus acrium / cantamus) auf die Junktur sectis unguibus reduziert, diese versuchsweise (291: "could be interpreted by some readers …") als programmatischer Hinweis auf die λεπτότης der Odendichtung gelesen und das Auftreten der Begriffe recidere und unguis im Rahmen der - völlig anders formulierten - Luciliuskritik von sat.1,10,64-71 als Bestätigung dieser These verbucht. Eine kleinere Zahl von Arbeiten beschäftigt sich sodann mit der praktischen Umsetzung von Horazens Luciliusnachfolge, wofür sich in erster Linie sat.1,5 und 1,7 anbieten. D i B e n e d e t t o (232) betrachtet Horazens Iter Brundisinum vor dem Hintergrund des - dort offenbar als Bildungserlebnis mitverarbeiteten - Iter Siculum des Lucilius: Auf seiten des Augusteers konstatiert er Vermeidung aller Weitschweifigkeit, Verzicht auf einen Erzählrahmen (Lucilius: Brief an einen Freund), Ersetzung der eher gleichförmigen, nur zuweilen szenisch aufgelockerten Wegbeschreibung durch eine abwechslungsreiche, erlebnisorientierte Darstellung sowie inhaltsbezogene Differenzierung von Versrhythmik und Wortwahl. Wo Horaz ganze Erzählelemente von seinem Vorgänger übernimmt (das Schaugeplänkel der scurrae, das fehlgeschlagene Rendezvous), intensiviert er deren Literarisierung durch Atellanenmotive bzw. Epenparodie. Da Horaz sein Iter Brundisinum als praktische Exemplifikation der Luciliuskritik von sat.1,4 konzipiert, legt er seinem Leser einen Vergleich mit dem entsprechenden Luciliusgedicht nahe, um damit - so C l a s s e n (239) - "seine eigene Leistung besonders deutlich vor Augen zu rücken" (360). Soweit die Fragmente auch heute noch eine Aussage erlauben, fallen bei der Darstellung des Lucilius "Weitschweifigkeit und Ausdrucksfülle" (349) ins Auge: C. nennt u.a. die Inszenierung als Brief, den Einsatz von Dialogen, Vergleiche, überflüssige Details wie etwa pedantische Entfernungsangaben336 sowie die "Neigung, einen Vorgang in seine Stufen aufzulösen" (344). Auch C u c c h i a r e l l i (247) verweist auf die Bändigung der Lucilischen Wortflut zugunsten eines "style rapide, synthétique, peut-être énigmatique" (844); daß Horaz jedoch auch den Humor der Alten Komödie, bes. Motive aus den Fröschen des Aristophanes (Unterweltsreise des Dionysos) aufgegriffen habe, um so die sat.1,4,1-8 in ganz anderem Zusammenhang - nämlich den Freimut des Satirikers betreffend - für Lucilius postulierte Aristophanesnachfolge auch zu seiner eigenen Sache zu machen, ist dem Text schwerlich zu entnehmen.337
335 Vgl. ansonsten 231 zu Tibull, 264 zu Persius. 336 Manchen dieser Einzelheiten könnte indes durchaus eine Funktion zukommen: Daß sich die syrische Wirtin besonders herausputzt (fr.130), mag schon zum späteren Begehren des Dichters (hierzu wohl fr.140-143) beigetragen haben. 337 Zum Rekurs des Horazischen Iter Brundisinum auf Lucilius sind auch Castorina (107) und Heurgon (108) zu vergleichen.
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Horazens Version der vor dem Richterstuhl des Brutus verhandelten Auseinandersetzung zwischen Rupilius Rex und Persius (sat.1,7) unterscheidet sich nach K r a g g e r u d (236) deutlich von der Wiedergabe des Albucius-Scaevola-Prozesses im 2. Luciliusbuch: Der Augusteer ergreift weder Partei noch interessiert er sich für die Streitsache als solche; sein Hauptaugenmerk liegt - in Vorbereitung der Pointe - auf einer Ausschnittvergrößerung des Geschehens und dem Charakter der beteiligten Streithähne; statt der Bedrohlichkeit existenzgefährdender Anklagen beherrscht ein heiter-satirischer Grundton das Bild. Wenn überhaupt, so ist zu ergänzen, dürfte Horaz recht wenige Anregungen von Lucilius bezogen haben. H e g y i (251) dagegen sieht sat.1,7 in doppeltem Sinne von Lucilius beeinflußt: 1. Literarisch steht das Gedicht in der Nachfolge von Lucil. B.2 mit seinem Bericht über den Albucius-Scaevola-Prozeß, in dem die Pointe ebenfalls auf einen "clash be tween the Italian sarcasm and the Greek spirit" (423) hinausläuft. 2. Persönlich nimmt der Augusteer wie schon Lucilius die Freiheit für sich in Anspruch, sich zu seiner eigenen Biographie (hier: der - für einen Maecenasfreund durchaus mißlichen - Militärzeit im Heer des Brutus) offen und ungeschminkt zu bekennen. Sat.2,2,64 bedient sich Horaz des Sprichworts hac urget lupus, hac canis, aiunt, um gleichermaßen vor Schlemmerei wie vor Knauserei bei Tisch zu warnen. Nach H o u g h t o n (249) vollzieht er damit eine witzige Aktualisierung des Diktums: Zuvor hatte er Avidienus, genannt Canis (v.55 f.) als Beispiel sordiden Lebenswandels genannt; als entgegengesetztes Extrem soll nun der Leser den aus Lucilius bekannten (L. Cornelius Lentulus) Lupus mitdenken. Auf der Suche nach Spuren, welche Lucilius in Horazens Epoden hinterlassen haben könnte, weiß die erratische Untersuchung von G o h (257) indes nur haltlose Assoziationen auf Wortebene vorzuweisen.338 Einige Arbeiten haben schließlich die generelle Neuausrichtung der Horazischen Satire zum Inhalt. Eher kurz und summarisch zeichnet C o l e i r o (238) die Linien nach, die Horaz mit seinen Vorgängern Ennius339 und Lucilius verbinden: Luciliuskritik und -nachfolge halten sich die Waage; mit neuen Erkenntnissen kann die Arbeit nicht aufwarten. Unter Rückgriff auf die gängige Handbuchliteratur resümiert S t y k a (246) neuerlich die durch Horaz vollzogenen "Formen des Gattungswandels in der römischen Satire" (211): Sermo-Charakter, dialogischer Kompositionsrahmen und als inhaltlicher Schwerpunkt Gesellschafts- bzw. Moralkritik bleiben auch nach Lucilius gattungsbestimmend; Horazens Neuakzentuierung betrifft die weit stärkere Gewichtung der ästhetischen Form und den Verzicht auf die schmähende Schärfe persönlicher Invektive zugunsten des von Mäßigung und Toleranz getragenen σπουδαιογέλοιον. Gründe bzw. Motive für diesen Wandel werden nicht genannt. 338 Ein Beispiel möge genügen: "And the ex-slave shows the evidence of having worn hard shackles on his ankles (crura dura compede, Epod. 4.4): Now, things that are durus in early Horace inevitably remind one of Lucilius, because of the famous description of the older poet as durus componere versus (Sat.1.4.8)" (71). 339 Diesem wird ganz selbstverständlich die Literarisierung einer älteren dramatischen satura zugeschrieben.
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Auch L a b a t e (253) thematisiert die bekannten Unterschiede in der Stoßrichtung von Lucilischer und Horazischer Satire. Wie ansatzweise auch die römischen Redner, benützt Lucilius das ridiculum als Waffe, um Mitglieder der politisch-sozialen Elite öffentlich bloßzustellen und solcherart zu disziplinieren. Vor dem Hintergrund geänderter Machtverhältnisse vollzieht dann Horaz einen Rückzug der Satire in den privaten Raum: Die von ihm genannten Personen gehören zur "piccola gente del demi-monde" (276) und dienen nur noch zur beispielhaften Illustration kritikwürdigen Betragens; erklärtes Ziel des Satirikers ist es, sich selbst und - indirekt - seine Freunde mit freundlicher Bestimmtheit zu einem Leben reflektierter Sittlichkeit anzuhalten. Bezeichnend für diesen Paradigmenwechsel ist nach B i o n d i (255) die verschieden akzentuierte Vorstellung des recte vivere: Bei Lucilius noch als universelles gesellschaftliches Axiom vorgetragen (fr.1342-1354: das virtus-Fragment), rückt es im Programm des Augusteers - nicht zuletzt unter dem Einfluß von Terenz Adelphen (vgl.dort v.413-418) - in den Bereich einer subjektiven Gewissensfrage (Hor.sat.1,4,120-138). Indes wirft Lucilius seinen Schatten nicht nur auf Horaz, sondern auf die nachlucilische Satire in ihrer Gesamtheit. Glaubt man F r e u d e n b u r g (258), so ist diese einem permanenten Rechtfertigungsdruck ausgesetzt: Hatte noch Lucilius mit seiner unter voller Namensnennung erfolgten Kritik an Zeitgenossen als Sprachrohr der "Republican identity" (3) gelebter libertas auftreten können, stehen seine Nachfolger so die Generalthese des Buches - unter dem doppelten Zwang, als Untertanen eines totalitären Staates vergleichbarem Freimut entsagen und doch als Satiriker der einschlägigen Erwartungshaltung einer von Luciliuslektüre geprägten Leserschaft entsprechen zu müssen. Auf diesen einen Aspekt reduziert, werden die Gedichte von Horaz, Persius und Juvenal (nur sat.1-5) unter Berufung auf die 'reader-response theory' mit mehrheitlich eigenwilligen Deutungen befrachtet, die - erstaunlich konturenlos - das Argumentationsziel immer wieder aus dem Blick verlieren. Entsprechend wird auch am Schluß kein Ergebnis formuliert; Lucilius selbst ist kein eigenes Kapitel gewidmet. Alles in allem hinterläßt das Buch einen mehr als zwiespältigen Eindruck: "There is no clearly enunciated and defined set of critical principles, no pause for reflection, no painstaking construction of an argument based on a wide-ranging acquaintance with the European literary tradition (…), no steady development of a thesis" (N e w m a n rec., 193). R a s c h k e (259) widmet sich der Frage, inwieweit Lucilius als Ideenlieferant für die Persiussatiren in Frage kommt. 1. Die Luciliusrezeption des kaiserzeitlichen Satirikers wird durch Scholien und Vita hinlänglich bezeugt; aus Vita Z.45 f. Clausen (Persius als Verfasser eines ὁδοιπορικῶν(?) liber unus) und Petron.4,5 lassen sich keine sicheren Daten gewinnen. 2. Weiter soll auch die von Persius verwendete Metaphorik seine Luciliusnachfolge belegen; doch räumt R. mehrfach selber ein, daß die von ihr konstatierten Ähnlichkeiten kaum wirklich tragfähig sind.340 340 Ein Ärgernis bilden die Fälle fehlerhafter Kontextualisierung, die sich ja für die Persiusstellen leicht nachweisen lassen: vgl. 53 zu Pers.1,53 calidum scis ponere sumen: "Poetic composition requires no more skill than serving a dish of food"; 67 zu 6,27-31: "the … picture of the shipwrecked man is introduced to illustrate the (potential) fate of those who do travel the world in search of wealth"; 73 zu 1,109 f.: "the dog image of the satirist."
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3. Ein Vergleich der persönlichen wie politischen Verhältnisse, die das Leben der beiden Satiriker bestimmen, liefert letztlich einen Grund für den eher spärlichen Ertrag der Untersuchung: "The new situation clearly made it impossible to write in close imitation of Lucilius, even if the young poet desired to do so" (210). Für Tz o u n a k a s (264) liest sich die Pers.1,114-118 formulierte Charakteristik der älteren Satiriker als eine Aneinanderreihung von Kritikpunkten. Horaz wird Indulgenz gegenüber den vitia zur Last gelegt; und gegen Lucilius soll eine ganze Reihe von Vorwürfen angedeutet sein: genuinum fregit in illis (= in Lupo et Mucio) 1. "could draw attention to Lucilius' inefficiency, as he failed to keep his work free from non-Roman elements" (561) - wegen des Anklangs an genuinus 'genuine, inborn, native'; 2. zeugt von ungefälliger und entsprechend unverdaulicher Dichtung - vor dem Hintergrund der metaphorischen Gleichsetzung von 'poetry' und 'food'; 3. impliziert den Verlust moralischer Integrität - wegen der Vorstellung von "mutilation and loss of wholeness" (562); 4. suggeriert (nach T. weniger wahrscheinlich) das Bild des Satirikers als Hund - in Weiterführung der "dog imagery" (562) von v.109 f. secuit … urbem "is … criticizing Lucilius' urbanity and the fact that he is too directly involved in the urban context which he satirizes" (568). Daß die durchweg forcierten Assoziationen dem gedanklichen Kontext schlechterdings zuwiderlaufen (diesem zufolge hat Persius seine Vorgänger als Väter im Geiste angesehen), bleibt dabei natürlich ganz außer Betracht. Das in den Persiusscholien zu Pers.1,2 überlieferte Notat hunc versum de Lucilii primo transtulit. et bene vitae vitia increpans ab admiratione incipit will Z e t z e l (260), ältere Forschung referierend341, auf einen doppelten Irrtum zurückführen: Demnach soll sich der Scholiast in Wirklichkeit auf v.1 beziehen und für dessen Schluß est in rebus inane Abhängigkeit von Lukrez (vgl. Lucr.1,330 u.ö.) reklamieren.342 Indes wäre die unscheinbare Lukrezfloskel weder von Persius als programmatisches Motto über sein Satirencorpus gesetzt noch vom Scholiasten als erwähnenswert registriert worden; weit sinnvoller erscheint die Schlußfolgerung, die Scholiennotiz sei zwar in der Tat mit dem Anfangsvers der 1. Satire zu verbinden343, für diesen jedoch - in ganzer Länge - an Lucilischer Provenienz festzuhalten.344 Nach gründlicher Aufarbeitung der Forschungsliteratur eröffnet B o (262) eine bedenkenswerte Möglichkeit, den bis dato unerklärten Widerspruch zwischen schol. Pers. zu 1,2 hunc versum de Lucilii primo transtulit (auf v.1 bezogen) und den Angaben der Persiusvita (Z.51-54 Clausen) lecto Lucilii libro decimo vehementer saturas compo 341 G.L. H e n d r i c k s o n , The first satire of Persius, CPh 23, 1928, 97-112, hier: 97-100. 342 Zur irrigen Auflösung der Namenskürzel Luc˜ vgl. auch Anm.292. 343 Dies gegen Krenkel, der Pers.1,2 als fr.2 in seinen Luciliustext aufnimmt; wenn der Scholiast das Zitat als Ausdruck der admiratio charakterisiert, kann er indes nur v.1 gemeint haben. 344 Hierzu: Aules Persius Flaccus, herausgegeben, übersetzt und kommentiert von W. K i ß e l , Heidelberg 1990, 109-112. Entsprechend figuriert Pers.1,1 schon bei Marx als Luciliusfragment 9.
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nere instituit, cuius libri principium imitatus est, sibi primo, mox omnibus detrectaturus durch eine leichte Korrektur der Scholiennotiz (hunc versum de Lucilii primo (sc.ver su) lib.X transtulit) aufzulösen und so die Grundlagen der für Persius gesicherten Luciliusrezeption klarer zu bestimmen: Weisen doch gerade die Fragmente des ersten Luciliusbuches in der Tat keine Berührungen mit Pers.1 auf, während sich Lucil.X, folgt man Hor.sat.1,10,53 ff. mit Porph.z.St., als thematisch verwandt erweist. M a z z o l i (266) hingegen sieht die vorgenannte Divergenz durch eine Entstellung des Vitentextes verursacht: 1. Bei der Formulierung eines 'Mottos', das den programmatischen Bezug auf den Vorgänger unmittelbar evident werden läßt, muß ein Zitat aus signifikantem Kontext (Lucil. I mit dem Deorum concilium) näher gelegen haben als eine Lesefrucht beliebiger Provenienz aus dem Werkinneren. 2. Persius selbst dürfte seine Jugendlektüre, die ihn der Vita zufolge zu eigener Satirendichtung anregte, nicht mit einem zufällig vorgefundenen Luciliusbuch, sondern gerade dem Werkanfang begonnen haben. Folglich bedarf der Wortlaut der Vita einer Heilung; M. empfiehlt lecto Lucili l. I de(h)inc (decimo codd.) vehementer saturas componere instituit, cuius libri princi pium imitatus est o.ä. Blickt man schließlich auf Juvenal, so behält dort im Falle der an Methoden bewußtsein, Inhalt, Umfang und Ertrag nachgerade ärmlich zu nennenden Dissertation von B e a t o n (261) das im Juvenalreport des Berichterstatters geäußerte Urteil (vgl. Lustrum 55, 2013, 183 f.) uneingeschränkte Gültigkeit. Gleiches gilt für B e l t r á n N o g u e r und S á n c h e z - L a f u e n t e A n d r é s (265)345, die eine ebenso oberflächliche wie selektive Inhaltsübersicht über Juvenals Weibersatire bieten und diese mit etwas Handbuchwissen und ein paar Textproben zur antiken Misogynie (Semonides, Aristophanes, Theophrast, Lucil. fr.633 ff.; 639-642; 1047) unterfüttern. Weder für die Luciliussatire noch für deren Beziehung zum Juvenaltext wird irgendein Erkenntnisgewinn generiert. Nach B e l l a n d i (263) dürften einige der misogamen Äußerungen in Lucil. XXVI und XXX als Vorlage für Juvenals Weibersatire gedient haben: Besonders auffällig ist die motivische Verwandtschaft von fr.994 imberbi androgyni, barbati moechocinaedi und Iuv.6.O.6 barbata chelidon, die als Indiz für die Juvenalische Autorschaft des Oxfordfragments betrachtet werden könnte. K a y a c h e v (267) schließlich will glauben machen, Juvenal habe für 2,152 f. pueri credunt und tu vera puta das Vorbild von Lucil. fr.492 ff. ut pueri … credunt …/ …, sic …/ vera putant gebraucht.
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c) Inschriften Für das verstärkt an archaischer Literatur interessierte 2.Jh. lassen sich Zeugnisse epigraphischer Luciliusrezeption nachweisen: Neben dem Schiffsmosaik von Althiburos (CIL VIII 27 790)346 mit den - möglicherweise durch ein nautisches Glossar vermit 345 Vgl. Lustrum 55, 2013, 284. 346 Hierzu Fuchs (198).
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telten - Luciliusfragmenten 485, 1212 und 1377 betrifft dies eine von B u r o n i (268) behandelte Grabinschrift (Musei Capitolini, Inventarnummer 5374), die sich in der Form coiux neque infida marito neque inutilis quaquam columella Montani hic sita347est Helpis eine Prosaparaphrase von fr.581 f. zu eigen macht.348 2. Renaissance und Neuzeit 269. J.C. M i r a l l e s M a l d o n a d o , Los fragmentos de Lucilio en la 'edición' in édita de Antonio Agustín: estudio y comentario, Diss. Murcia 1994, 658 S. (Mikrofilm). 270. —, Lectiones y conjeturas de A. Agustín y G. Faerno a los fragmentos de Lucilio (ms. Madrid, Bibl. Nac. 7902): libro XXVI, RPL 19, 1996, 185-206. 271. —, Algunas aportaciones de A. Agustín y G. Faerno a la enmienda de los fragmentos de Lucilio (BN 7901-2): libros I y II, in: J.M. M a e s t r e M a e s t r e u.a. (Hgg.), Humanismo y Pervivencia del Mundo Clásico 2: Homenaje al prof. L. Gil, Bd.2, Cádiz 1997, 519-529. 272. C.L. H e e s a k k e r s , Juegos con Lucilio. Los Centones Luciliani de Ianus Dousa, primicias de la filología clásica en Leiden, RELat 1, 2001, 137-154. 273. —, A patre id esse scias. The first critical edition of the fragments of Lucilius by Franciscus Dousa (Leiden 1597), in: A.P. O r b á n - M.G.M. v a n d e r P o e l (Hgg.), Ad litteras. Latin studies in honour of J.H. Brouwers, Nijmegen 2001, 343-357. 274. M.E. S t e i n b e r g , Nonio Marcelo, receptor de Lucilio: un estudio de caso, in: Docenda. Homenaje a G.H. Pagés, Buenos Aires 2008, 519-535. 275. R.F. G l e i , Lucilius Horatianus. Die Luciliusausgabe des Franciscus Dousa (1597) und die Centones Luciliani, in: E. L e f è v r e - E. S c h ä f e r (Hgg.), Ianus Dousa. Neulateinischer Dichter und Klassischer Philologe, Tübingen 2009, 341-358. 276. T.F. W i n k e l s e n , Die Centones Luciliani des Janus Dousa Pater. Edition, textkritische Analyse und Kommentar, Diss. Bochum, Trier 2012, 387 S. Rez.: E h r l i n g , Editionen in der Kritik. Editionswissenschaftliches Rezensions organ 7, 2014, 222-227. 277. P. K a m p h a u s e n , Die Luciliusausgabe des Franciscus Dousa (1597) in ihrem gelehrten Umfeld, Diss. Bochum 2013, Trier 2014, 437 S. & Faksimiles. Rez.: S c h r e i n e r , WS 128, 2015, 259-262. 278. G. R a m i r e s (con la collaborazione di G. B e r t u c c i n i ), Il significato dell' Iter Siculum di Giovanni Pascoli. Un frammento di Lucilio e l'ombra di Oreste, GIF 67, 2015, 335-357. Anhand von Beispielen aus den Luciliusbüchern 1, 2 und 26 kann M i r a l l e s M a l d o n a d o (270 und 271) zeigen, wie die von G. Faerno (1510-1561) unter 347 Im Aufsatz - offenbar durch ein Druckversehen - als sata wiedergegeben (163). 348 Die Inschrift ihrerseits vermag an entscheidender Stelle den Wortlaut des Luciliustextes zu sichern: quaquam inscr. : quanquam Don.zu Ter.Phorm.287.
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metrischem Gesichtspunkt durchgeführte Analyse bzw. Korrektur des von Antonio Agustín (1517-1586) aus Nonius Marcellus kollationierten Luciliustextes (beides im Matritensis B.N.7902, ff.627r-660v) in vielen Fällen die Erkenntnisse späterer Philologen vorwegnimmt; Agustín selber hatte dagegen kaum in den überlieferten Text eingegriffen.349 H e e s a k k e r s (272) beleuchtet die Rolle von Ianus Dousa ( Jan van der Does, 1545-1604) als Wegbereiter der neuzeitlichen Luciliusphilologie. Seinem in den Cen tones Luciliani praktizierten Versuch, ganz disparate Luciliusfragmente ohne Rücksicht auf ihren überlieferten Ort zu einer scheinbar homogenen Einheit zu verschmelzen, haftet zwar eine gewisse Skurrilität an; seine tatkräftige Unterstützung wie auch seine beachtlichen Konjekturen prägen jedoch die als Grundlage der modernen Textausgaben anerkannte Editio princeps seines Sohnes Franciscus (1577-1630).350 Diese Editio princeps ihrerseits vermittelt nach K a m p h a u s e n s (277) exemplarischer Untersuchung der 16 ersten fragmenta incertae sedis351 "den Eindruck einer großen editorischen Leistung …, die ein Meilenstein der lateinischen Philologie der Neuzeit ist" (375).352 Bemerkenswert auch die Erkenntnis, daß Dousa den Satiriker mit der Eröffnung seiner Sammlung durch fr.1342-1354; 1252-1258; 89-95 gewissermaßen als Sprachrohr für einen moralischen Appell an seine "in die politischen Wirren des Achtzigjährigen Krieges [zwischen den Niederlanden und Spanien] verwickelten" (351) Zeitgenossen instrumentalisiert. Die im Anhang dieser Luciliusedition vorgestellten 18 Lucilius-Centonen von Dousa d.Ä. sollen schließlich weniger eine Rekonstruktion des authentischen Lucilius textes darstellen353 als einen - von der fragmentarischen Überlieferungslage unbeeinflußten - Eindruck von der Art Lucilischen Dichtens vermitteln. In W i n k e l s e n s (276) Dissertation, einer kommentierten Edition dieser 'Flickengedichte'354, werden Wortlaut und Interpretation des Lucilischen Prätextes allein nach den - meist in indirekter Rede dargebotenen - Vorgaben der Forschung referiert und allenfalls aufgrund subjektiven Empfindens eingegrenzt355; der nachgerade gönnerhafte Kommentar356
349 Für Transkribierung und Kommentierung des gesamten von Agustín kompilierten Materials vgl. M i r a l l e s M a l d o n a d o (269). 350 C. Lucilii … Satyrarum quae supersunt reliquiae. Franciscus Iani f. Dousa collegit, disposuit et notas addidit, Leiden 1597. 351 Für diese Textstücke (fr.44-47; 74 ff.; 89-95; 971 f.; 1124 f.; 1127 f.; 1155-1159; 1185 f.; 1212 f.; 1252-1258; 1268 f.; 1298 f.; 1301 ff.; 1342-1354) kann die vorliegende Dissertation nachgerade als Kommentar herangezogen werden.. 352 Für eine kurze Würdigung vgl. schon H e e s a k k e r s (273) und G l e i (275). 353 Hierfür spricht allein schon die Tatsache, daß Dousa einige Luciliusverse mehrfach für seine Centonen heranzieht. 354 Für einen Kurzkommentar zum ersten Cento vgl. auch G l e i (275). 355 "leuchtet nicht ganz ein" (184); "halte ich für unwahrscheinlich" (197); "was ich nicht nachvollziehen kann" (251 Anm.58); "halte ich für zu weit hergeholt, aber doch nicht ganz unmöglich" (271 Anm.62). 356 "wollen wir J. Dousa diese Umgestaltung nachsehen" (102); "wir können J. Dousa also keinerlei Vorwürfe machen" (139); "diese Vorgehensweise mögen wir ihm … verzeihen" (201).
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seinerseits ist in größerem Umfang durch Ungenauigkeiten357 und Fehler358 beeinträchtigt. Mit seiner Iter Siculum betitelten Antrittsvorlesung an der Universität Messina (1898) stellt der Dichter Giovanni Pascoli eine Verbindung zwischen seiner eigenen Reise und der Sizilienfahrt des Lucilius her; ob man dem Text mit R a m i r e s (278) eine psychologische Tiefendimension zusprechen soll, sei dahingestellt. Das letzte Wort mag einer Arbeit gelten, die - anders als im Titel angekündigt - die nachgerade unüberwindlichen Schwierigkeiten resümiert, mit denen sich die moderne Luciliusphilologie konfrontiert sieht (S t e i n b e r g [274]): 1. Lucilius selbst schreibt Verse, die er Improvisationen (fr.1296 schedium) nennt und die von der Nachwelt auch als solche wahrgenommen werden (Hor.sat.1,4,9-13); eine gewisse Sprunghaftigkeit mag also von Anfang an den Nachvollzug der Gedankenführung erschwert haben. 2. Alle antiken Leser - seien es Dichter oder Grammatiker - betrachten den Lucilius text durch ihre eigene Brille; d.h. Auswahl und Kontextualisierung der ausgehobenen Textstücke erfolgt nach deren Belieben bzw. unter der Gefahr subjektiver Mißverständnisse. 3. Die - zumindest - zwei Bearbeiter, die Nonius mit der Sammlung des Materials betraut, scheinen von unterschiedlicher Zuverlässigkeit gewesen zu sein, sind sie doch schon in ihrer Zitierweise (Lucilius bzw. Lucilius satyrarum) nicht auf einen Nenner zu bringen. 4. Die modernen Herausgeber haben jeweils individuelle Vorstellungen, in welchen Zusammenhang ein bestimmtes Fragment einzureihen sei; S. exemplifiziert dies an Versen aus Buch 30, die von Garbugino (138) einem einzigen, seinen Vorgängern jedoch ganz verschiedenen Themenkreisen zugeordnet werden.
357 196 f. ist die eine und einzige Festushandschrift mit der Überlieferung von Paulus Diaconus in einen Topf geworfen; paedicus wird zuerst mit 'verlaust' wiedergegeben (224), dann aber auf "eine zweifelhafte sexuelle Vorliebe für Knaben" bezogen (227). 358 Erschreckend allein schon der Umgang mit dem metrischen Befund: "Dousas unpassende(r), weil eine Silbe zu kurze(r), Vers" (218) ut cum iter est aliquo et causam commenta viai. "Dennoch wollte L. Mueller lieber die Schreibart vementius als vehementius, was metrisch den Vers zu kurz werden lässt" (289). "… da wir bei der überlieferten Textgestalt quid ego si cerno ostrea folgende Quantitätenfolge haben: ˘ ˘ - - - - -, wobei die letzte Länge durch Synizese entstanden ist" (337 Anm.2).
Register Aufgenommen sind alle im Forschungsbericht genannten modernen Autoren und Herausgeber wie auch die im Text beiläufig erwähnten Verfasser von außerhalb des Berichtszeitraums erschienenen oder über den Themenkreis 'Lucilius' hinausgreifenden Arbeiten; Rezensenten sind nur dann berücksichtigt, wenn auf sie im Bericht besonders hingewiesen wird. Abbamonte, G. 89: 53 Adamietz, J. 21: 26 Adams, J.N. 99: 58 Agnesini, A. 177: 88, 91 Anm. Barroso de Albuquerque, M.M. 160: 87, 92 Allegri, G. 33: 33 Anderson, W.S. 2: 13 Angiolillo, R. 54: 35 Aragosti, A. 113: 64, 70 Arcuri, R. 120: 64, 67 Ardizzoni, A. 234: 110, 117 Arduini, P. 266: 112 Auhagen, U. 67: 45, 47 Ávila, A. 127: 64, 67 Bagordo, A. 68: 45, 48 Baier, T. 51: 34; 100: 59, 60 Baldarelli, B. 96: 56, 57 Baldin, M. 90: 53 Bandiera, E. 197: 102, 103 Bandini, G. 107: 61, 62 Bárberi Squarotti, G. 244: 111 Barr, W. 233: 110, 119 Bartsch, S. 128: 64 Bather, P. 257: 111 Beaton, R.J. 261: 112, 125 Belardi, W. 112: 64, 69 Bellandi, F. 263: 112, 125 Beltrán, J.A. 148: 72 Beltrán Noguer, M.T. 265: 112, 125 Beness, J.L. 53: 35, 40 Anm. Berkowitz, L. 21 Anm. Bernardi Perini, G. 111: 64, 69; 133: 71, 80 Bertuccini, G. 278: 126 Bettini, M. 178: 95, 96 Biddau, F. 172: 88, 93; 202: 102, 104 Biondi, G. 255: 63, 107, 111, 123 Blümer, W. 207: 105 Bo, D. 262: 112, 124 Bombi, R. 98: 58 Bona, E. 56: 35 Bormann, D. 95: 56 Bortone Poli, A. 104: 61, 62
Braun, M. 44: 34 Briggs, W.W. 23: 26 Brouwers, J.H. 34: 33, 37 Anm. Brunner, T.F. 21 Anm. Buecheler, F. 90 Buroni, M. 268: 112, 126 Busetto, A. 196: 97 Segurado e Campos: 60: 44, 63, 92 Canobbio, A. 74: 45, 50; 256: 111, 117 Carderi, F. 51: 34, 43 Casali, S. 229: 110, 115 Castorina, E. 108: 63, 65 Catrein, C.: 208: 105 Cavarzere, A. 165: 88, 90 Cecchin, S. 244: 111, 116 Chahoud, A. 13: 20; 75: 45, 46; 102: 59, 60; 103: 59, 60; 173: 88, 91 Charpin, F. 4: 13, 16, 43; 15: 22, 24 Chiron, P. 209: 105 Christes, J. 16 Anm.; 1: 9, 32, 51 Anm.; 5: 13, 18, 83 Anm.; 21: 26; 130: 23, 30, 43 Anm., 48 Anm., 71, 72, 76 Anm., 81, 98 Anm.; 140: 22, 23, 71, 77, 102; 143: 32 Anm., 72, 77, 83 Anm.; 145: 72, 77 Cichorius, C. 30 Anm., 51, 53, 54, 101 Anm. Cipriano, P. 114: 64, 69 Citroni, M. 253: 111 Classen, C.J. 41: 34, 38, 63, 107; 45: 34, 39; 239: 110, 121 Claudon, F. 209: 105 Clausen, W.V. 20: 25 Clemente, G. 36: 33, 41 Coarelli, F. 30: 30, 32 Coffey, M. 18: 25, 28, 105 Anm. Coleiro, E. 238: 110, 122 Coletti Strangi, A. 110: 63, 68 Connors, C. 118: 64, 65 Corsini, E. 244: 111 Corti, E. 83: 53 Cozzoli, A.-T. 66: 45, 49 Cucchiarelli, A. 247: 111, 121 Curnis, M. 56: 35
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D'Anna, G. 94; 137: 71, 76 Anm.; 250: 111, 117 Degl'Innocenti Pierini, R. 151: 86, 91, 102; 152: 67 Anm., 86, 87; 200: 102, 104; 221: 109, 115 Dehon, P.-J. 190: 97, 100 Della Corte, F. 33 Anm.; 29: 30, 33; 131: 71, 94 Demanche, D. 57: 35, 44 De Nonno, M. 214: 107, 108 Di Benedetto, A. 232: 110, 121; 240: 110, 118 Dilke, O. 213: 107, 108 Anm. Di Marco, G. 10: 14, 20 Domenicucci, P. 227: 110, 114 Dominik, W.J. 6: 14, 19 Dorandi, T. 182: 96, 99 Durov, V.S. 63: 44, 48 Edmunds, L. 189: 97, 98 Ehrman, R.K. 61: 44, 45 Faber, R. 94: 56 Faller, S. 71: 45, 50; 117: 64, 66 Farrell, J. 195: 97, 99 Anm. Faustinelli, C. 54: 35, 38 Anm., 40, 93; 83: 53, 54; 193: 97, 100; 194: 97, 100; 203: 102, 103 Felgentreu, F. 122: 64 Ferraro, V. 14: 21, 22 Ferriss-Hill, J.L. 252: 111, 120 Fiske, G.C. 19 Flores, E. 80: 50, 52 Frassinetti, P. 150: 86, 87 Freudenburg, K. 48 Anm.; 25: 26; 118: 64; 128: 64, 65; 258: 112, 123 Fuchs, H. 198: 102, 103 Gale, M. 106: 61 Garbugino, G. 5: 13, 18; 135: 71, 83; 138: 32 Anm., 71, 83; 141: 72, 76 Anm., 77; 154: 86, 87, 89, 93; 155: 86, 97-99 Gärtner, U. 85: 53, 54; 95: 56, 57 George, D.B. 188: 97 Geymonat, G. 220: 109, 114 Giannone, V. 55: 35, 43 Glei, R. 275: 126, 127 Anm. Godel, R. 235: 110, 119 Goh, I. 32: 30, 33; 76: 45, 47; 91: 53, 56; 125: 64, 70; 176: 88, 92; 230: 110, 114; 257: 111, 122 Goodyear, F.R.D. 16
Görler, W. 208: 105, 106; 210: 105, 107 Gowers, E. 124: 64, 67, 116 Gramegna, C. 115: 64, 70 Gratwick, A.S. 15 Anm.; 20: 25, 29 Griffith, J.G. 129: 71, 86 Gruen, E.S. 40: 34, 42 Guillén Cabañero, J. 11: 14, 20 Harrison, G. 243: 111, 118 Haß, K. 50: 34, 35; 86: 53, 55 Haupt, M. 30 Anm. Heesakkers, C.L. 272: 126, 127; 273: 126, 127 Anm. Hegyi, G.W. 251: 111, 122 Heil, A. 210: 105 Heldmann, K. 116; 134: 71, 81; 224: 110, 114 Hendrickson, G.L. 124 Anm. Herbert-Brown, G. 31: 30, 32 Herrmann, L. 114 Heurgon, J. 109: 63, 66 Hillard, T.W. 53: 35, 40 Anm. Holford-Strevens, L.A. 185: 96, 101 Houghton, L.B.T. 249: 111, 122 Hubbard, T.K. 241: 111, 119 Hunink, V. 12: 14, 20; 121: 64, 68 Imperato, M. 98: 58, 59 Irmscher, J. 24 Anm. Jacotot, M. 56: 35, 43 Jocelyn, H.D. 109 Jones, F.M.A. 163: 87, 90 Kamphausen, P. 277: 126, 127 Kaster, R. 23 Anm. Kayachev, B. 267: 112, 125 Keane, C.C. 8: 14, 19 Kenney, E.J. 20: 25 Kißel, W. 124 Anm. Klodt, C. 41: 34; 142: 72 Korzeniewski, D. 181: 96, 101 Koster, S. 87: 53, 55; 205: 105 Kraggerud, E. 236: 110, 122 Kraus, C.S. 173: 88 Krenkel, W.(A.) 24 Anm., 33 Anm.; 3: 13, 14; 9: 14, 19; 28: 30, 31; 46: 34, 39; 94: 32 Anm., 56, 57 Labate, M. 253: 111, 123 Lafaye, G. 27 Lana, I. 22: 26
Lucilius (1969-2016) Lanza, D. 39: 34 La Penna, A. 65: 45, 50; 216: 107, 109 Lefèvre, E. 47: 34, 42; 275: 126 Lehmann, A. 89: 53, 55 Leo, F. 60 Anm. Lévy, C. 209: 105, 106 Lindsay, W.M. 103 Anm. Longo, O. 39: 34; 64: 45 Loukas, S.C. 196: 97 Lunelli, A. 109 Anm. Maestre Maestre, J.M. 271: 126 Maggiulli, G. 132: 71, 94 Maglione, F.E. 97: 58, 59 Maltese, E.V. 22: 26 Mankin, D. 187: 96, 98 Mantovani, D. 192: 97, 99 Manuwald, G. 16: 24, 25; 69: 45, 49; 71: 45; 122: 64, 65 Marchese, R.R. 42: 34, 38 Marchionni, R. 174: 88, 94 Marinello, S. 245: 111, 119 Anm. Mariotti, I. 33 Anm., 60 Anm., 76 Anm., 78 Anm.; 180: 96, 98 Martyn, J.R.C. 77: 50, 52 Masson, O. 201: 102, 104 Mastidoro, M.R. 162: 87, 92 Mayer, R.G. 99: 58 Mazurek, T. 120 Anm. Mazzoli, G. 39: 34, 43; 123: 64, 65, 104; 266: 112, 125 Mazzucco, C. 72: 45 Michelfeit, J. 51 Anm. Miller, P.A. 7: 14, 19 Miralles Maldonado, J.C. 84: 53, 54; 269: 126, 127 Anm; 270: 126; 271: 126 Mokroborodova, L.S. 242: 111 Mondin, L. 146: 72, 80; 147: 72, 79 Morelli, G. 199: 102 Morgan, J.D. 225: 110, 116 Morgan, L. 106: 61,63 Moro, C. 105: 61 Moscadi, A. 183: 96, 101 Muecke, F. 25: 26, 29 Mura, E. 27: 26, 27 Murgia, C.E. 157: 87, 89 Mutschler, F.-H. 38 Anm.; 37: 33, 38; 43: 34, 39; 52: 35, 38 Anm. Nardo, D. 22: 26, 29 Nasta, M. 248: 111, 117
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Neukam, P. 205: 105 Newman, J.K. 123 O'Hara, J.J. 223: 110, 114 Olshausen, E. 48: 34,39 Oniga, R. 101: 59; 103: 59 Orbán, A.P. 273: 126 O'Sullivan, N. 175: 88, 90 Otto, A. 114 Anm. Pasoli, E. 211: 107, 108 Passerini, A. 51 Anm. Pedroni, L. 218: 107, 109 Pennacini, A. 48 Anm.; 62: 44, 48; 64: 45, 48; 72: 45, 48 Anm.; 161: 87, 94 Perruccio, A. 81: 52, 54; 136: 71, 81; 144: 72, 81; 228: 110, 116 Perutelli, A. 156: 86, 89-91 Pesenti, G. 108 Anm. Petersmann, H. 99: 58, 59 Pierini, R. 149: 68, 86, 88 Pinto, P.M. 169: 88, 91 Pizzica, M. 166: 88, 90 Poccetti, P. 101: 59; 179: 95 van der Poel, M.G.M. 273: 126 Poláková, M. 26: 26, 29 Polonskaja, K. 93: 56, 58 Pontani, F. 167: 88, 89 Prete, S. 109 Puccioni, G. 158: 87, 89; 180: 96 Puelma Piwonka, M. 48 Ramage, E.S. 17: 25, 28 Ramires, G. 278: 126, 128 Raschke, W.J. 38: 34, 41; 79: 50, 51; 206: 105, 106; 259: 112, 123 Reggiani, R. 164: 87, 94 Reiche, R. 212: 107, 108 Reissinger, W. 92: 56 Rocca, R. 186: 96, 99 Rocchi, S. 196: 97, 101 Rodríguez Horrillo, M.Á. 148: 72, 80 Rolle, A. 126: 64, 68 Roncali, R. 159: 87, 91 Ronconi, A. 237: 110, 119 Ruggeri, P. 171: 88, 92 Sánchez-Lafuente Andrés, Á. 116: 64, 70; 265: 112, 125 Santalucia, B. 123: 64; 192: 97 Santini, C. 90: 53, 56
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Scaffai, M. 215: 107 Scarpi, P. 64: 45 Schaefer, A. 30 Anm. Schäfer, E. 88: 53, 55; 275: 126 Schiesaro, A. 128: 64 Schmidt, E.A. 49: 34, 39; 59: 44, 49 Schmitz, C. 96: 56 Scholz, U.W. 44: 34, 39, 107; 139: 22, 71, 76, 101; 142: 72, 77; 207: 105, 106 Scodel, R. 48 Seidensticker, B. 94: 56 Shackleton Bailey, D.R. 153: 68 Anm., 86, 93 Anm., 94, 99 Anm. Somerville, T. 119: 64, 69 Sommerstein, A. 73: 45, 46 Soubiran, J. 61 Stankiewicz, L. 191: 97, 101 Stärk, E. 168: 88, 91, 116 Steinberg, M.E. 274: 126, 128 Stocks, C. 257: 111 Styka, J. 246: 111, 122 Suerbaum, W. 24: 19 Anm., 26, 27 Sutton, D.F. 219: 109, 114 Svarlien, J.E. 222: 110, 112; 226: 110, 114 Tarugi, G. 109 Anm.
Tatum, W.J. 23: 26, 29 Terzaghi, N. 95 Anm. Tomè, P. 217: 107, 109 Traglia, A. 19: 25, 28 Trappes-Lomax, J.M. 170: 88, 92 Tzounakas, S. 231: 110, 115; 254: 111, 121; 264: 112, 124 Ugolini, G. 55: 35 Vatteroni, S. 103: 59 Waszink, J.H. 58: 44, 49 Wehrle, W.T. 6: 14, 19 Weinreich, O. 105 Anm. Welsh, J.T. 204: 102, 104 White, D.C. 23 Anm. Williams, C.A. 40 Anm. Winkelsen, T.F. 276: 126, 127 Wittchow, F. 95: 56 Wulff Alonso, F. 184: 96, 101 Zetzel, J.E.G. 260: 112, 124 Zimmermann, B. 70: 45, 46 Zucchelli, B. 33: 33, 40; 35: 33, 37; 78: 50, 51; 82: 52, 53
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Quelle: Krenkel (3), Bd. 2, 739–757.
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