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German Pages 318 Year 2021
Fanny Opitz Literarische Journalisten – Journalistische Literaten
Lettre
Meiner Familie
Fanny Opitz, geb. 1987, wurde 2019 an der Universität Potsdam promoviert. Ihr Forschungsinteresse gilt der europäischen und amerikanischen Journalismusgeschichte, insbesondere der komparatistischen Reportage-, Feuilleton- und Magazinforschung. Sie arbeitet als Moderatorin, Autorin und Produzentin für die Kulturwellen des SWR und WDR und ist Dozentin am Institut für Medienkulturwissenschaft der Universität Freiburg.
Fanny Opitz
Literarische Journalisten – Journalistische Literaten Autorschaft und Inszenierungspraktiken bei Joseph Roth und Tom Wolfe
Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde der Philosophischen Fakultät der Universität Potsdam, 2019, begutachtet von Prof. Dr. Fabian Lampart (Potsdam) und Prof. Dr. Evi Zemanek (Freiburg).
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2021 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Steffen Leukel (Layout), Timo Meyer (Illustration), Fanny Opitz (Idee) Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-5460-8 PDF-ISBN 978-3-8394-5460-2 https://doi.org/10.14361/9783839454602 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschau-download
Inhalt
Dank ..................................................................................... 7 1. 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6
Einleitung........................................................................... 9 Annäherung: (K)ein Abendessen für Heribert Prantl bei den Voßkuhles ................ 9 Untersuchungsgegenstand und Kontextualisierung .................................. 12 Analytische Perspektive und methodische Anschlüsse ................................ 17 Forschungskontext ................................................................. 23 Theoretische Vorüberlegungen und Schlüsselbegriffe................................ 28 Konzeption und Korpus ............................................................ 42
Professionalisieren: Joseph Roth .................................................. 45 Institutionelle Voraussetzungen: Die Marke Joseph Roth ............................. 45 2.1.1 »Ich aber bin (...) ein Unikum in der deutschen Literatur!!«: Veröffentlichungskontexte ................................................... 46 2.1.2 »MICH liest man mit Interesse«: Roths Selbstinszenierung in Briefen.......... 55 2.1.3 »Ich will (…) von heute in einem Jahr ein freier Mensch sein«: Stefan Zweig ................................................................ 58 2.1.4 »Alles, was Sie schreiben, ist genial«: Bernhard von Brentano ................ 64 2.1.5 »Die Frankfurter Zeitung betrachte ich (…) als eine Sprungmatratze«: Benno Reifenberg ......................................... 67 2.2 Zwischen Literatur und Journalismus: Die Flucht ohne Ende.......................... 72 2.2.1 Distanzieren: Schluß mit der »Neuen Sachlichkeit«! .......................... 73 2.2.2 Sich selbst verorten: Es lebe der Dichter! ..................................... 75 2.2.3 Forschungskontext und literaturgeschichtliche Relevanz...................... 83 2.2.4 Provozieren: Die Flucht ohne Ende ............................................ 88 2.2.5 Rezipieren: »Weil Sie aber ein Dichter sind«.................................. 101 2.2.6 Resümee .................................................................... 114 2.3 Öffentliche Selbstverortung im Feuilleton............................................ 117 2.3.1 Roth, das intellektuelle Schwergewicht ....................................... 119 2.3.2 Roth, der freie Autor ....................................................... 124 2.3.3 Roth, der Rezensent und Kritiker ............................................ 137
2. 2.1
Ästhetisieren: Tom Wolfe ......................................................... 153 Institutionelle Voraussetzungen: New Journalism ................................... 155 3.1.1 Der New Journalism: Begriff und Akteure.....................................157 3.1.2 »This must be the place!«: Veröffentlichungskontexte .......................167 3.1.3 Der Bruch mit den Konventionen: Die Provokation des New Journalism........176 3.1.4 Die Krise des Romans – Journalisten als Profiteure? ......................... 186 3.2 Zwischen Literatur und Journalismus: Inszenierungspraxis .......................... 191 3.2.1 Anthologisieren, selektieren, historisieren ................................... 194 3.2.2 Autorisieren, inszenieren, präsentieren...................................... 201 3.2.3 Den (Pop-)Kanon kuratieren................................................. 205 3.2.4 Sich anziehen, zitieren, provozieren ..........................................212 3.2.5 Posieren, stilisieren, rekombinieren .........................................221 3.2.6 Legenden bilden, Status definieren, Aufmerksamkeit akkumulieren .......... 231 3.3 Vom Journalismus zur Literatur: Wolfe als Romancier .............................. 239 3.3.1 Rezensieren, beschimpfen, verstoßen: Der ewige Journalist ..................241 3.3.2 Recherchieren, beobachten, berichten: Selbstverständnis als Romancier ............................................................. 247 3.3.3 Planen, schreiben, publizieren: The Bonfire of the Vanities.................... 258 3. 3.1
4. Schluss ........................................................................... 265 4.1 Epilog: Literarische Journalisten – journalistische Literaten ........................ 265 4.2 Nekrolog: Der Autor ist tot ......................................................... 272 Literaturverzeichnis.................................................................... 281 Primärliteratur .......................................................................... 281 Sekundärliteratur ....................................................................... 293
Dank
Mein Dank gilt zuvorderst Prof. Dr. Fabian Lampart und Prof. Dr. Evi Zemanek, die diese Arbeit von den ersten Ideen bis zum endgültigen Text so inspirierend, interessiert und engagiert betreut haben. Wichtige Impulse erhielt ich von Prof. Dr. Iwan-Michelangelo D’Aprile und PD Dr. Andreas Degen. Mein Dank gilt auch Prof. Dr. Jörg Requate, der die Entstehung meiner Dissertation mit großem Interesse verfolgt hat. Zu großem Dank bin ich Dr. Heinz Lunzer verpflichtet, dem Vorsitzenden der Internationalen Joseph Roth Gesellschaft: Ihr unermüdlicher Einsatz für unseren Lieblingsautor ist beispielhaft. Unser Treffen in Wien bleibt mir unvergessen. Vorstellen durfte ich dieses Projekt im gemeinsamen Doktorandenkolloquium von Prof. Dr. Andrea Albrecht (Heidelberg), Prof. Dr. Fabian Lampart (Potsdam) und Prof. Dr. Romana Weiershausen (Saarbrücken). Allen Teilnehmer*innen, Doktorand*innen und Kolleg*innen gilt mein Dank für die anregenden Diskussionen. Meinen Kolleg*innen von SWR2 und WDR3 danke ich für die inspirierende Zusammenarbeit und ihr aufrichtiges Interesse an meiner wissenschaftlichen Tätigkeit: Eggert Blum, Dr. Reinhard Ermen, Wibke Gerking, Claus Lüpkes, Bettina Müller-Hesse, Julia Neupert, Ines Pasz, Christiane Lux, Dorothee Riemer, Sabine Scharberth, Dr. Bettina Winkler und Dr. Ulla Zierau. Meine Freund*innen Dr. Carolin Abeln, Dr. Letizia Dieckmann, Dr. Johannes Franzen, Mirjam Kappes, Hannah Maurer, PD Dr. Christopher Meid, PD Dr. Christian Meierhofer, Antonia Requate, PD Dr. Stefan Seeber, Catherine Vogel, Dr. Gottfried Weissert und Mareike Well haben diese Arbeit in Teilen oder im Ganzen gelesen, korrigiert oder mit mir durchgesprochen – ein riesengroßes Dankeschön an Euch! Danken möchte ich den Institutionen, die diese Arbeit gefördert und unterstützt haben oder mir zentrale Dokumente zugänglich gemacht haben: Der Begabtenförderung der Konrad-Adenauer-Stiftung für ihre Promotionsförderung, dem Leo Baeck Institut und dem Deutschen Literaturarchiv Marbach für die Ermöglichung meiner Forschung am Nachlass Joseph Roths vor Ort oder digital.
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
Das Cover-Design entstand in Zusammenarbeit mit meinen Freunden Timo Meyer (Illustration) und Steffen Leukel (Grafik). Gewidmet ist diese Arbeit meiner Familie. You’re all I need to get by.
1. Einleitung
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Annäherung: (K)ein Abendessen für Heribert Prantl bei den Voßkuhles
Im Juli 2012 geht ein Sturm der Entrüstung durch die deutsche Presselandschaft. Der Journalist Heribert Prantl, Chef des Ressorts Innenpolitik der Süddeutschen Zeitung schreibt auf Der Seite Drei über eine Einladung zum Abendessen bei Andreas Voßkuhle. Prantl porträtiert den Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts im Kreise seiner Gäste: Jeder hat seinen Part, jeder hat was zu schnippeln, zu sieden und zu kochen, jeder etwas zu reden: Es geht um die Nudel, die Küchenrolle und um die Welt. Voßkuhle selbst rührt das Dressing. Man ahnt, wie er als oberster Richter agiert.1 Doch Prantl kam nie in den Genuss einer privaten Abendessenseinladung bei den Voßkuhles, wie die Sprecherin des Bundesverfassungsgerichts mitteilte.2 Prantls Ausführungen zum »Arbeitsweinchen« und der »Menüfolge« sind frei erfunden.3 Spätestens als die Süddeutsche Zeitung eine Gegendarstellung veröffentlicht und sich für den Vorfall entschuldigt,4 wird eine hitzige, öffentliche Diskussion in zahlreichen Medien entfacht. Diese kreist um Leistung, Standard und gesellschaftliche Rolle von Prantls Berufsstand und dessen Erzeugnisse. So lauten einige exemplarisch herausgegriffene Zeitungsüberschriften aus den Wochen nach dem Skandal:
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Heribert Prantl: Der Verfassungsschützer. In: Süddeutsche Zeitung vom 10.07.2012, Die Seite Drei. Markus Ehrenberg: Dichtung und Wahrheit im Journalismus. FAZ-Leitartikel wirft Fragen auf. In: Der Tagesspiegel vom 26.07.2012. URL: https://www.tagesspiegel.de/medien/dicht ung-und-wahrheit-im-journalismus-faz-leitartikel-wirft-fragen-auf/6925962.html (abgerufen am 25.11.2020). Beide Zitate aus Prantl: 2012. Vgl. Anmerkungen der Redaktion: In eigener Sache. In: Süddeutsche Zeitung vom 31.07.2012, Die Seite Drei.
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
»Journalistisches Ethos – Dabeisein ist alles«5 (taz), »Dichtung und Wahrheit im Journalismus«6 (Der Tagesspiegel) oder »SZ-Edelfeder gaukelt Kocherlebnis mit Voßkuhle vor«7 (Focus). Was dem Journalisten Heribert Prantl in diesem Fall von seinen Kollegen8 als handwerklicher Fehler vorgeführt wird und sogar zur Diskussion innerredaktioneller Sanktionen geführt haben soll,9 ist das zentrale Privileg des Literaten: der freie Umgang mit Fakten. Der Literat darf ›dichten‹ und ›vorgaukeln‹, ohne ›dabei gewesen‹ sein zu müssen. Der Journalist hingegen ist laut Pressekodex des deutschen Presserats zu »Wahrhaftigkeit« und »journalistischer Sorgfalt in Recherche und Darstellung angehalten«.10 Mit den zitierten Überschriften in taz, Tagesspiegel und Focus werden somit einmal mehr Reizwörter aktualisiert, die seit jeher für die Dichotomisierung von Literatur und Journalismus stehen. Die Debatte um Prantl zeigt, dass es sehr wohl einen öffentlichen Konsens darüber gibt, was journalistisches und literarisches Schreiben respektive ›Erzählen‹ konventionell voneinander unterscheidet. Es scheint, als ob darüber hinaus eine klar normierte Rollenzuschreibung vorhanden ist, die den Journalisten vom Literaten trennt: Dem faktualen, ungeschmückten, höchstens einmal polemischen Bericht des ›hemdsärmeligen‹ Journalisten steht das schöpferische, fiktionale Erzählen erdachter Welten des genialischen Dichters gegenüber. Journalismus und Literatur werden bis heute gemeinhin auf verschiedenen Ebenen als zwei voneinander getrennte, ›gesellschaftliche Universen‹ wahrgenommen.11 Der Journalist ist redaktionell eingebunden, der Literat ist ein Einzeltäter, dem höchstens ein Verlagslektor zur Seite steht. Als Vermittler von Fakten ist der
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David Denk: Journalistisches Ethos: Dabeisein ist alles. In: Taz vom 30.07.2012. URL: www.taz.de/!5087808/(abgerufen am 25.11.2020). Ehrenberg: 2012. Peter Seiffert: Empörung bei der Süddeutschen. SZ-Edelfeder gaukelt Koch-Erlebnis mit Voßkuhle vor. In: Focus Online vom 28.07.2012. URL: https://www.focus.de/kultur/medien/su eddeutsche-zeitung-geschockt-sz-edelfeder-gaukelt-kocherlebnis-mit-vosskuhle-vor_aid_78 9194.html (abgerufen am: 25.11.2020). Mit Nennung der männlichen Funktionsbezeichnung ist in diesem Buch, sofern nicht anders gekennzeichnet, immer auch die weibliche Form mitgemeint. Vgl. Jan Fleischauer: Prantl Gate, S.P.O.N.: Der schwarze Kanal. In: Spiegel Online vom 02.08.2012. URL: www.spiegel.de/politik/deutschland/vosskuhle-portraet-der-sz-heribertprantl-und-die-ethikwaechter-a-847807.html (abgerufen am 25.11.2020). Beide Zitate aus Deutscher Presserat: Publizistische Grundsätze (Pressekodex). Richtlinien für die publizistische Arbeit nach den Empfehlungen des Deutschen Presserats. Fassung vom 11.09.2019. URL: https://www.presserat.de/pressekodex.html (abgerufen am 25.11.2020). Insbesondere Ziffer 1 (Wahrhaftigkeit und Achtung der Menschenwürde, S. 8), Ziffer 2 (Sorgfalt, S. 9-11) und Ziffer 3 (Richtigstellung, S. 12) sind hier besonders virulent. Wenn im Folgenden von ›Journalismus‹ die Rede ist, bezieht sich der Begriff lediglich auf Erzeugnisse und Institutionen des Zeitungsjournalismus.
1. Einleitung
Journalist an zeitliche Aktualität gebunden, während der Literat frei ist, sich über zeitliche Kategorien hinwegzusetzen. Auch in Bezug auf die Bewertung journalistischer und literarischer Texte gelten jeweils andere Maßstäbe. Während der Wert journalistischer Produkte in erster Linie an der adressatenbezogenen Aufbereitung von Fakten bemessen wird, somit an einem Informationswert, wird an literarische Texte in erster Linie ein ästhetischer Maßstab angesetzt.12 Gemeinhin wird also ein grundsätzlicher Standesunterschied zwischen der ›Kunstform Literatur‹ und der ›Gebrauchsform Journalismus‹ vorausgesetzt. Ein Beispiel aus der Literaturgeschichte illustriert, dass dieser Gegenstand bereits von Oscar Wilde in The Critic as Artist aus dem Jahr 1891 aufgenommen wird. Im Mittelpunkt des fiktiven Dialogs zwischen den beiden Gentlemen Gilbert und Ernest steht die Kunstkritik als journalistisches Genre und das Verhältnis zu ihrem Gegenstand, der (bildenden) Kunst. Als goldenes Zeitalter stellt Ernest das antike Griechenland dar: »in the best days of art there were no art-critics«, »there were no tedious magazines about art«.13 Doch Gilbert kann Ernest schließlich nicht nur davon überzeugen, dass die alten Griechen Kunstkritiker hatten, sondern auch, dass die Kunstkritik ein schöpferisches Genre sei, das sogar über ihren Gegenstand hinausweisen könne. Ernest gelangt zu folgender Erkenntnis: »the highest criticism, then is more creative than creation.«14 Der Legitimierungszwang journalistischer Produkte gegenüber ›künstlerischen‹, zu denen hier auch literarische Texte zählen, wird bei Wilde insofern aufgelöst, als auch dem Journalismus – stellvertretend der Kunstkritik – ein kreatives Moment innewohne.15 Besonders bekommen diesen Wertungsunterschied jedoch Autoren zu spüren, die Literaten und Journalisten in Personalunion sind, wie auch der berühmte realistische Erzähler Émile Zola. Diesem wird in zeitgenössischen Rezeptionszeugnissen immer wieder geraten, sich nur noch ausschließlich der Literatur als höherer Form zuzuwenden und den Journalismus – die minderwertige ›Schreibe‹ – doch endlich aufzugeben.16 Er selbst hingegen bleibt bis in die 1880er Jahre standhaft ein Mann der Zeitung, lange nachdem er
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Vgl. Dieter Roß: Fakten und/oder Fiktionen. Zur Geschichte der Beziehungen zwischen Journalismus und Literatur in Deutschland. In: Grenzgänger. Formen und Funktionen des New Journalism, hg. von Joan Kristin Bleicher u. Bernhard Pörksen. Wiesbaden: 2004, S. 74-99. Hier: S. 74. Beide Zitate aus Oscar Wilde: The Critic as Artist. In: Oscar Wilde: The Complete Works of Oscar Wilde, hg. von Ian Small, Bd. 6,1: Journalism. Oxford: 2013, S. 124-161. Hier: S. 131. Ebd., S. 159. Dass Wilde die Literaturkritik als ein Beispiel für den Journalismus insgesamt zu Rate zieht, zeigt sich insbesondere daran, dass Ernest Gilbert vor der hier zitierten Conclusio explizit nach dem Unterschied von Literatur und Journalismus fragt. Vgl. dazu die überspitzte Darstellung des naturalistischen Schriftstellers, Journalisten und Autor Michael Georg Conrad: Michael Georg Conrad: Émile Zola. Berlin: 1906, S. 71-73.
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
als Romanschriftsteller von einem großen Publikum gefeiert wurde. Resümierend betrachtet der Pariser seine Zeit als Journalist sogar als wichtige Schreibschule, die seinen Stil maßgeblich geprägt habe.17 Bei näherem Hinsehen ist die Literaturgeschichte reich an schillernden Personen, die auch für ihre journalistischen Texte dezidiert einen künstlerischen Status proklamieren und für die ein Nebeneinander journalistischer und literarischer Tätigkeiten ein zentrales Charakteristikum ihres Gesamtwerks ist. Sie versuchen, einen vermeintlich festen Platz zwischen beiden (Schreib-)Disziplinen einzunehmen: Journalisten publizieren Bücher, Literaten schreiben für Zeitungen, Artikelsammlungen erscheinen in Buchform, Fortsetzungsromane in Zeitungen. Viele dieser Autoren behaupten sich selbstbewusst in beiden Kontexten – man denke nur an Theodor Fontane, Heinrich Heine und Mark Twain, für die das journalistische Schreiben zudem einen gesicherten Lebensunterhalt bedeutet.18 Ungeachtet der Tatsache, dass das Schreiben für Zeitungen für manche dieser Autoren zeitweise als eine lästige, aber notwendige ökonomische Absicherung fungiert, begeben sich immer wieder Schriftsteller bewusst in das Spannungsfeld von Literatur und Journalismus und überschreiten die vordergründig scharfkonturierte Grenze.
1.2
Untersuchungsgegenstand und Kontextualisierung
Ausgangspunkt dieser komparatistischen und (zeitlich) diachron angelegten Studie ist die Beobachtung, dass Schriftsteller, die in Personalunion sowohl Journalisten als auch Literaten sind, sich in verschiedenen medialen und kulturellen Konstellationen im 20. Jahrhundert am Standesunterschied literarischer und journa-
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Vgl. ebd., S. 74. Außerdem: Adeline Wrona: Présentation. In: Émile Zola. Zola journaliste, hg. von Adeline Wrona. Paris: 2011, S. 7-39. Hier: S. 22-31. Vgl. außerdem Peter Müller: Émile Zola – der Autor im Spannungsfeld seiner Epoche. Apologie, Gesellschaftskritik und soziales Sendungsbewußtsein in seinem Denken und literarischen Werk. Stuttgart: 1981, S. 11. Vgl. zum Verhältnis von Literatur und Journalismus bei Fontane exemplarisch die umfassende Darstellung von Dorothee Krings: Theodor Fontane als Journalist. Selbstverständnis und Werk. Köln: 2008. In Kapitel 6.2 arbeitet Krings anhand von Selbstaussagen Fontanes journalistisches Selbstverständnis heraus, indem sie sowohl Stellungnahmen zu sozialem Prestige des Journalistenberufs herausfiltert, als auch die ökonomische Komponente analysiert. Dem Verhältnis von literarischer und journalistischer Produktion Fontanes im Kontext der Realismusdebatte des späten 19. Jahrhunderts widmet sie zudem ein eigenes Kapitel (6.6). In Bezug auf Heinrich Heines Stellung zwischen Literatur, Philosophie und Journalismus vgl. beispielsweise Hanna Spencer: Dichter, Denker, Journalist. Studien zum Werk Heinrich Heines. Bern: 1977. Vgl. speziell zur journalistischen Tätigkeit Michael Werner: Der Journalist Heinrich Heine. In: Heinrich Heine. Ästhetisch-politische Profile, hg. von Gerhard Höhn. Frankfurt a.M.: 1991, S. 295-313.
1. Einleitung
listischer Autorschaft abarbeiten.19 Die Rede ist auf der einen Seite vom ›Meister der literarischen Reportage‹ der 1920er und 1930er Jahre, dem Autor von Romanen wie Hiob und Radetzkymarsch, Joseph Roth, auf der anderen Seite vom USamerikanischen ›Starjournalisten‹ der späten 1960er und 1970er und Bestsellerautor, Tom Wolfe. Obwohl der in Ostgalizien geborene und im Exil in Frankreich verstorbene jüdische Autor Joseph Roth (1894-1939) seine Zugehörigkeit zur literarischen Strömung der Neuen Sachlichkeit mehrmals öffentlich und in privaten Briefen leugnet, muss er sich – ungeachtet der Frage, ob er sich selbst in dieser Strömung verortet – zu ihr verhalten.20 Mit Schlagworten wie »Aktualität«, »Reportagestil«, »Entfiktionalisierung« und »Präzisionsästhetik« werden innerhalb dieser literarischen Strömung Zielrichtungen formuliert,21 die die Trennung zwischen beiden institutionell getrennten Bereichen – Journalismus und Literatur – nicht mehr als
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Autorschaft wird hier zunächst allgemein in Anlehnung an Hannu Salmi gefasst. Vgl. Hannu Salmi: Autorschaft. In: Über die Praxis des kulturwissenschaftlichen Arbeitens. Ein Handwörterbuch, hg. von Ute Frietsch u. Jörg Rogge. Bielefeld: 2013, S. 45-51. Hier: S. 45: »So bezieht sich Autorschaft auf die Hervorbringung oder Anregung eines Gegenstandes oder einer Angelegenheit.« Vgl. ausführlich zur theoretischen Diskussion der Autorschaft zwischen Literatur und Journalismus 1.1.4. Einleitung. Trotz der vielfach in der Forschung geäußerten Kritik bezieht sich die Arbeit auf die Gesamtausgabe von Hackert und Westermann, da sie bis heute – zwar nicht vollständig und auch nicht detailliert genug kommentiert – das journalistische und literarische Werk gleichermaßen umfasst. Vgl. Joseph Roth: Werke in sechs Bänden, hg. von Fritz Hackert u. Klaus Westermann. Köln: 1989-1991. Herausgeber des literarischen Werks ist Hackert, des journalistischen Westermann. Als Abkürzung für das journalistische Werk wird die Sigle JW eingeführt, für das literarische LW – jeweils plus Teilband in arabischer Ziffer. Wo immer es sinnvoll erschien, wurde ergänzend auf kleinere Teilausgaben zurückgegriffen, Texte aus Sammelbänden zitiert oder Zeitungsausschnitte hinzugezogen. Vgl. zur Kritik an der Werkausgabe exemplarisch Jan Bürger: Editorische Notizen. In: Joseph Roth: Pariser Nächte. Feuilletons und Briefe, hg. von Jan Bürger. München: 2018, S. 141-142. Hier: S. 141. Bis heute ist die Erschließung des journalistischen Werks und der Briefe nicht abgeschlossen. Dies zeigt zuletzt Jan Bürger, der unveröffentlichtes Briefmaterial bereitstellt. Vgl. Joseph Roth: Pariser Nächte. Feuilletons und Briefe, hg. von Jan Bürger. München: 2018. Vgl. speziell zur Auseinandersetzung mit der Neuen Sachlichkeit beispielsweise Roth: JW 3, S. 153-164. Bis heute wird die Zugehörigkeit zur Strömung der Neuen Sachlichkeit kontrovers diskutiert. Eine ausführliche Untersuchung zu Joseph Roths Position gegenüber der Neuen Sachlichkeit liefert Jürgen Heizmann. Vgl. Jürgen Heizmann: Joseph Roth und die Ästhetik der Neuen Sachlichkeit. Heidelberg: 1990. Ausführlich wird auf Roths Selbstverortung in Kapitel 2.2.1. Zwischen Literatur und Journalismus – Die Flucht ohne Ende eingegangen. Vgl. dazu insbesondere Sabina Beckers Systematisierungsversuch einer Poetik und Ästhetik der Neuen Sachlichkeit. Die hier zitierten Schlagwörter sind Kategorien, mit denen Becker operiert, um ein Gesamtpanorama der Strömung zu zeichnen: Sabina Becker: Neue Sachlichkeit. Bd. 1: Die Ästhetik der Neuen Sachlichkeit (1920-1933). Köln/Weimar/Wien: 2000.
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
gegeben sehen oder diese gar auflösen möchten.22 Reporter, Reportage und Reportageromane werden zu modischen Schlagwörtern, zu literarischen wie politischen Programmen. Auch der ›rasende Reporter‹ – insbesondere personifiziert durch Egon Erwin Kisch – wird zu einem omnipräsenten neuen Autorentypus.23 Roth, der bis heute vor allem durch Romane wie Radetzkymarsch oder Kapuzinergruft bekannt ist, ist neben seiner Tätigkeit als Romanautor auch einer der bestbezahlten Journalisten der Weimarer Republik. So schreibt er als Reporter, Korrespondent und Feuilletonist für die renommiertesten Zeitungen, darunter die Frankfurter Zeitung und der Berliner Börsen Courier, sowie für Satire-Blätter wie Der Drache. Seine Briefe und öffentlichen Stellungnahmen in Feuilletons zeugen von einem hohen Grad an Selbstreflexion, mit dem er seine Autorschaft sowohl individuell als auch nach tradierten Legitimierungsmustern zwischen Literatur und Journalismus begründet. So speist er sich zum einen in die breit geführte Debatte um die Leistung und Relevanz von Journalismus und Literatur in den 1920er und 1930er Jahren ein. Zum anderen etabliert er seine Autorschaft im Zusammenspiel beider Schreibdisziplinen und stilisiert sich dabei zu einer eigenständigen ›Marke‹24 , deren Kern die Personalunion von Journalist und Romancier ist. Die Annäherung von Journalismus und Literatur erfährt außerhalb Europas im 20. Jahrhundert einen weiteren Höhepunkt. Der US-amerikanische New Journalism der 1960er und 1970er Jahre führt zu einem Paradigmenwechsel im Journalismus,25 dessen Spuren bis heute verfolgt werden können und der beispielsweise in Deutschland – insbesondere im Kontext der Popliteratur – breit rezipiert wird:26 Frustriert von den institutionellen Bedingungen, Reglementierungen und
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Vgl. ebd., S. 69: »Das hervorragende Merkmal neusachlicher Literatur ist die Verbindung von fiktionalen und nichtfiktionalen Texten, von Fiktionalität und Faktualität.« Vgl. des Weiteren: Helmut Mörchen: Reportage und Dokumentarliteratur. In: Deutsche Literatur. Eine Sozialgeschichte. Bd. 9, hg. von Horst Albert Glaser. Reinbeck bei Hamburg: 1993, S. 180-188. Hier: S. 184: Die eindeutige Zuordnung zu den medialen Systemen Literatur und Journalismus sei erschwert, »da die Grenzen zwischen fiktionalem Erzählen und nichtfiktionaler Berichterstattung […] in beide Richtungen aufgehoben« werden. Vgl. dazu zusammenfassend beispielsweise Erhard Schütz: Romane der Weimarer Republik. München: 1986, S. 147-151. Dennoch betont Schütz auf S. 150, »daß die kurzfristige Positivbewertung des Journalisten und journalistischer Techniken bald schon wieder obsolet« geworden sei. Vgl. zum Begriff der Marke und des Labels 1.5. Theoretische Vorüberlegungen und Schlüsselbegriffe. Dass der New Journalism insbesondere auch die Literatur beeinflusst (beispielsweise Truman Capotes Nonfiction Novel) wird in Kapitel 3.2.2 Autorisieren, inszenieren, präsentieren ausführlich erläutert. Vgl. zur Rezeption und Aktualität des New Journalism in Deutschland Ralf Hohlfeld: Der schnelle Marsch durch die Institutionen. Formen des New Journalism in etablierten Medien – Zur Diffusion eines innovativen Journalismuskonzeptes. In: Grenzgänger. Formen und
1. Einleitung
Einschränkungen ihrer Autonomie bei renommierten Zeitungen und Zeitschriften entwickeln junge Reporterinnen und Reporter außerhalb der City- und Newsrooms eine neue Form des Journalismus.27 Diese setzt zuvorderst eine zeitintensive und akribische Recherchetätigkeit voraus, die zum einen die Rolle des Reporters auf bis dahin ungekannte Weise aufwertet. Zum anderen erhält diese innovative Rechercheleistung ihr ästhetisches Äquivalent unter Zuhilfenahme narrativer Techniken, die bis dahin vor allem der Literatur zugeordnet werden. Damit steht der New Journalism sowohl konträr zur Nachrichtenpolitik der ›hard news‹, die Informationen primär verwertet, aufbereitet und nicht aus erster Hand bezieht, als auch in Kontinuität zu Bestrebungen der ›Feature-Writer‹, die ihren individuellen Stil als Reporter ausprägen und zu gefeierten Autoren in Zeitschriften und auf dem Buchmarkt werden.28 So lässt sich der New Journalism in erster Linie als die Etablierung eines neuen Berichterstattungsmusters definieren.29 Tom Wolfe (1931-2018) ist neben Gay Talese (geboren 1932), Norman Mailer (1923-2007), Joan Didion (geboren 1934) und Hunter S. Thompson (1937-2005) ein maßgeblicher Protagonist des New Journalism. Wolfe beginnt seine schriftstellerische Karriere als Journalist und Reporter unter anderem für die Washington Post und die New York Herald-Tribune, aber auch für Magazine wie Esquire und macht sich insbesondere mit seinen in Buchform veröffentlichten Reportagen einen Namen. So erscheint im Jahr 1965 seine erste Reportage-Sammlung The Kandy-Kolored-Tangerine-Flake-Streamline Baby. Erst im Jahre 1987 veröffentlicht er seinen ersten Roman The Bonfire of the Vanities. Insbesondere aber seine Anthologie The New Journalism (1973) und der Gestus, mit dem Wolfe dieses Werk inszeniert, rücken die Verdienste des New Journalism und den Standesunterschied von Journalismus und Literatur in den Fokus der Öffentlichkeit.30 Was legt die Zusammenschau und Auswahl dieser kulturell so heterogen eingebundenen und zeitlich auseinanderliegenden Autoren nahe? Roth und Wolfe ste-
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Funktionen des New Journalism, hg. von Joan Kristin Bleicher u. Bernhard Pörksen. Wiesbaden: 2004, S. 337-360. Hier: S. 341-345. Vgl. insbesondere Kapitel3.1. Institutionelle Voraussetzungen: New Journalism zu den wesentlich schlechteren Rahmenbedingungen, die den weiblichen New Journalists, Reporterinnen und Autorinnen – wie beispielsweise Gloria Steinem – zu Teil wurden. Der New Journalism ist, wie in diesem Zusammenhang gezeigt werden kann, besonders durch die Verhandlung männlicher Distinktionsprozesse und Konstruktionen geprägt. Vgl. zur Gegenüberstellung von Feature-Writer und Scoop-Reporter Brian Abel Ragen: Tom Wolfe. A Critical Companion. Westport/London: 2002, S. 11. Hannes Haas schlussfolgert, dass es sich letztlich nicht um ein einheitliches Berichterstattungsmuster handle, sondern um eine Zusammenführung mehrerer hochgradig individueller unter dem Begriff des New Journalism. Vgl. Hannes Haas: Empirischer Journalismus. Verfahren zur Erkundung gesellschaftlicher Wirklichkeit. Wien/Köln/Weimar: 1999, S. 343. Vgl. dazu ausführlich Kapitel 3.2. Zwischen Literatur und Journalismus: Inszenierungspraxis.
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
hen repräsentativ für einen neuen Autortypus, der sich seit den 1920er Jahren bis zur Jahrtausendwende herausbildet. Dieser zeigt nicht nur den Wertungsunterschied zwischen literarischer und journalistischer Autorschaft auf und macht ihn produktiv, sondern versucht ihn darüber hinaus auch zu nivellieren. Gerade die ›Stiefschwester Journalismus‹ wird sowohl von Joseph Roth als auch von Tom Wolfe mit neuen Zuschreibungen besetzt, die bis dahin vor allem die Literatur für sich beansprucht: Als den öffentlichen Diskurs maßgeblich mitprägende Akteure stellen sie Wertungs- und Kanonisierungsfragen, die die Debatte um die Leistung journalistischer Textsorten neu konturieren und sie nicht mehr als minderwertiges Werk neben dem eigentlichen literarischen verstehen. Was sie von anderen Autoren – wie beispielsweise Egon Erwin Kisch, Alfred Kerr oder Gay Talese und Truman Capote – abhebt, ist, dass sie sowohl als Journalisten als auch als Romanciers finanziell erfolgreich sind und eine breite Anerkennung erfahren. Anders als Autoren wie Kurt Tucholsky, Erich Kästner oder Joan Didion und Norman Mailer, die ebenfalls große Erfolge als Journalisten und Journalistinnen, Romanautoren und Romanautorinnen feiern, wird das Thematisieren des Standesunterschieds zu einem zentralen Element ihrer Programmatik. Ferner inszenieren sie sich und ihre Werke an der Grenze von Literatur und Journalismus. So setzen sich Wolfe und Roth nicht nur mit den Wechselbeziehungen zwischen literarischer und journalistischer Autorschaft auseinander. Vielmehr gehört ein solcher ›Rollenwechsel‹ unabdingbar zu ihrem Schreibprogramm und ist essentieller Gegenstand ihrer Poetik.31 Ihre Position als Autoritäten, sowohl unter Journalisten als auch unter Literaten, nutzen sie darüber hinaus für die eigene Werkpolitik und deuten den Standesunterschied nicht als Unzulänglichkeit des eigenen Schaffens.32 Vielmehr sehen die Autoren darin ein großes Potenzial für ihren sozialen Distinktionsgewinn im Literatur- und Medienbetrieb. So wird die Reflexion über die eigene Autorschaft an der Grenze von Literatur und Journalismus zum integralen Bestandteil ihrer ›Inszenierungspraxis‹33 und weist ähnliche Mechanismen auf. Dabei bedienen sich Roth und Wolfe auch ähnlicher Legitimierungsstrategien, die ein Schreiben zwischen beiden Publikationskontexten und Arbeitsfeldern rechtfertigt. Ausgehend von diesen Thesen
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Vgl. Bernd Blöbaum: Literatur und Journalismus. Zur Struktur und zum Verhältnis von zwei Systemen. In: Literatur und Journalismus. Theorien, Kontexe, Fallstudien, hg. von Bernd Blöbaum u. Stefan Neuhaus. Wiesbaden: 2003, S. 23-51. Hier: S. 39: Der Begriff des Rollenwechsels ist Blöbaums systemtheoretischem Instrumentarium entlehnt: »Eine – nicht seltene – Sonderform des Rollenwechsels zwischen Literatur und Journalismus liegt vor, wenn Schriftsteller in die Journalistenrolle schlüpfen und wenn Journalisten als Schriftsteller agieren.« Vgl. zum Begriff der Werkpolitik ausführlich Steffen Martus: Werkpolitik. Zur Literaturgeschichte kritischer Kommunikation vom 17. bis ins 20. Jahrhundert. Berlin: 2007, S. 5-23. Vgl. zu den Begriffen ›Praxis‹ und ›Inszenierung‹ 1.5. Theoretische Vorüberlegungen und Schlüsselbegriffe.
1. Einleitung
soll gezeigt werden, dass – trotz der unterschiedlichen historischen Konstellationen – Analogien ausgemacht werden können, die für ein Arbeiten an der Grenze zwischen Literatur und Journalismus und eine Autorschaft im Spannungsfeld der beiden Bereiche kennzeichnend sind, um diese systematisch auch besser verständlich machen zu können. Damit ist die Nebeneinanderstellung beider Autoren nicht nur aus literatursoziologischer Perspektive gewinnbringend, sondern auch aus komparatistischer und literaturhistorischer: Sowohl Roth als auch Wolfe bewegen sich über weite Strecken ihrer Karrieren in einem diskussionsoffenen Umfeld, in dem die Debatte über die gesellschaftliche Leistung und die ästhetische Form von Literatur und Journalismus an Bedeutung gewinnt – das heißt, sie entwickeln ihre Programmatik zu großen Teilen im Kontext literarischer, journalistischer und gesamtkultureller Strömungen, für die eine reziproke Annäherung von Journalismus an die Literatur insgesamt kennzeichnend ist: Joseph Roth innerhalb der Literatur der Weimarer Republik, speziell in kritischer Reflexion der (literarischen) Strömung der Neuen Sachlichkeit und Tom Wolfe als Mitbegründer des New Journalism, einem neuen Berichterstattungsmuster, das mit primär der Literatur zugeordneten Techniken den Journalismus in den 1960er Jahren revolutioniert.34
1.3
Analytische Perspektive und methodische Anschlüsse
In der Forschung wurde zwar vereinzelt auf Parallelen zwischen den New Journalists und den neusachlichen Autoren hingewiesen. Über diese Vergleiche hinaus wurden die beiden hier im Vordergrund stehenden Autoren und Strömungen nicht explizit zum Gegenstand einer Studie.35 Das Ziel der vorliegenden Untersuchung besteht nun darin, in einem grundlegenden Vergleich die Debatte um Autorschaft und Werkverständnis zwischen Literatur und Journalismus im 20. Jahrhundert anhand von zwei autorzentrierten Studien zu historisieren. Dabei wird die Entwicklung des Autortypus, der sich am Standesunterschied von Literatur und Journalismus abarbeitet, mittels zweier Periodisierungsphasen systematisiert: 2. Professionalisieren: Joseph Roth und 3. Ästhetisieren: Tom Wolfe. Diese beiden Perspektiven fungieren zugleich als Gliederungsebenen der Arbeit, die bereits die historischen Entwicklungslinien erkennen lassen. Ein solches Vorgehen trägt zudem der Ausprägung des spezifischen publizistischen Kontexts Rechnung, in dem sich sowohl Joseph Roth als auch Tom Wolfe bewegen. Außerdem erlaubt diese Perspektivie-
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Vgl. zur Definition des New Journalism 3.1. Der New Journalism: Begriffe und Akteure. Einige Parallelen und Überschneidungen finden sich beispielsweise bei Dagmar Lorenz. Vgl. Dagmar Lorenz: Journalismus. Stuttgart/Weimar: 2002, S. 101.
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
rung, auf Kontinuitäten und Brüche aufmerksam zu machen und beide Autoren sowie ihren medienhistorischen Hintergrund zueinander in Beziehung zu setzen.36 Die Studie baut dabei auf zentralen Erkenntnissen von Jörg Requate auf.37 Dieser beleuchtet aus Perspektive der Geschichtswissenschaft sowohl für Deutschland, England und Frankreich als auch für die USA die Entwicklungen der Berufs- und Sozialgeschichte des Journalisten im 19. Jahrhundert.38 Auch wenn Requates Untersuchungszeitraum bereits vor der Weimarer Republik endet, wagt er zumindest einen Ausblick auf die Zeit zwischen den Kriegen. So fällt Roths Tätigkeit als Journalist in die Endphase der »Verberuflichungsprozesse der Journalisten«39 in Deutschland und damit noch insgesamt in eine Professionalisierungsphase des Berufstands, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts einsetzt.40 In dieser Phase bildet sich nicht nur der Beruf des Journalisten heraus und gewinnt gegenüber weiteren publizistischen Professionen klar an Kontur.41 Zudem organisiert sich der Berufsstand insgesamt auf Journalistentagen, in Berufsvereinen und Verbänden, die beispielsweise die soziale Absicherung und die rechtliche Grundlage zur Ausübung des Berufs thematisieren.42 Ein Desiderat der Forschung bleibt jedoch, den Prozess der Formierung des Berufsstands der Journalisten historisch im selben Umfang für die Weimarer Republik zu systematisieren und ihn dabei in Kontinuität zu bisherigen pressegeschichtlichen Entwicklungen zu sehen und zu bewerten. Dies lässt sich beispielsweise daran zeigen, dass die meisten der Studien zur Herausbildung
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Vgl. näher zur Professionalisierung und Ästhetisierung jeweils die vorgeschalteten historischen Einordnungen vor den Analysen (2. Professionalisieren: Joseph Roth und 3. Ästhetisieren: Tom Wolfe). Einen weiteren Periodisierungsversuch aus systemtheoretischer Perspektive bietet Blöbaum an, der Mitte des 19. Jahrhunderts – in Abgrenzung zur ersten Phase, der Ausdifferenzierung des Journalismus – eine zweite Phase der »(Innen-) Differenzierung und Verselbstständigung des journalistischen Systems« ansiedelt. Blöbaums Ansatz bleibt jedoch auf Deutschland beschränkt. Vgl. Bernd Blöbaum: Journalismus als soziales System. Geschichte, Ausdifferenzierung und Verselbstständigung. Opladen: 1994, S. 88. Vgl. Jörg Requate: Journalismus als Beruf. Entstehung und Entwicklung des Journalistenberufs im 19. Jahrhundert. Deutschland im internationalen Vergleich. Berlin: 1995, S. 15. Ebd., S. 331. Vgl. ebd., S. 117. Ein Beispiel für die Ausdifferenzierung des Berufsstandes und der publizistischen Berufe im 19. Jahrhundert, insbesondere während des Vormärz, ist der Karriereweg des Journalisten, Literaturwissenschaftlers, Pressehistorikers und Literaten Robert Eduard Prutz. Vgl. Reinhard Lahme: Zur literarischen Praxis bürgerlicher Emanzipationsbestrebungen. Robert Eduard Prutz. Ein Kapitel aus den Anfängen der akademischen Literaturwissenschaft im 19. Jahrhundert. Erlangen: 1977. Vgl. Ariane Brückmann: Journalistische Berufsorganisationen in Deutschland. Von den Anfängen bis zur Gründung des Reichsverbandes der Deutschen Presse. Köln/Weimar/Wien: 1997, S. 32-132.
1. Einleitung
des Journalistenberufs in den 1910er Jahren enden und die Professionalisierungsphasen des Journalismus immer in Kontinuität zu ihren Anfängen analysieren und nicht von ihrem Abschluss ausgehen.43 Somit wird das häufig in der Geschichtswissenschaft angeführte Argument der historischen Zäsur durch den Ersten Weltkrieg auch in Bezug auf die Entwicklung des Journalismus stark gemacht. Als hingegen Tom Wolfe seine Karriere als Journalist in den 1960er Jahren beginnt, ist die Phase der Professionalisierung der Presse und des Journalistenberufs längst abgeschlossen. In den USA, die in dieser Hinsicht – gerade im Vergleich zu Deutschland – einen Vorreiterstatus innehaben,44 endet dieser Prozess bereits im 19. Jahrhundert.45 Aus dieser Verzögerung resultiert im Umkehrschluss, dass in Deutschland innerhalb der Professionalisierungsphase vermehrt ein Blick gen USA geworfen wird. Der dortige Stand der Berufsentwicklung und des Presswesens wird in Europa während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts durchaus ambivalent betrachtet: Einerseits wird eine Ausrichtung am amerikanischen Pressewesen euphorisch begrüßt und ihm eine Vorbildfunktion attestiert, andererseits wird die dortige ›Medienszenerie‹ als mögliches Schreckensszenario negativ bewertet.46 Kein anderes Stichwort fasst dieses Abarbeiten an der Situation in den USA besser als das des ›Amerikanismus‹: Gerade in der Weimarer Republik (während Roth als Journalist tätig ist) nimmt eine Rezeption der amerikanischen Lebens- und Arbeitswelt zu.47 Der starke Einfluss der USA zeigt sich vor allem in der zunehmenden Verbreitung der journalistischen Reportage in der deutschen Medienlandschaft.48 Neben der oben beschriebenen Professionalisierung und damit ›Regulierung‹ des Journalistenberufs, bleibt offen, inwieweit in den gerade gewachsenen Grenzen des
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Vgl. neben Brückmann und Requate auch Thomas Birkner: Das Selbstgespräch der Zeit. Die Geschichte des Journalismus in Deutschland 1605-1914. Köln: 2012. Birkner betrachtet die Professionalisierung des Journalismus von der Genese im 17. Jahrhundert bis ins Jahr 1914. Ein Ausblick auf die Zäsur des Ersten Weltkriegs sowie die Weimarer Republik und die Zeit zwischen den Kriegen bleibt dabei aus. Die vorliegende Arbeit stützt sich deshalb auch auf pressehistorische Ansätze, die nicht den Beruf des Journalisten in den Vordergrund stellen, sondern auch die Medienformate. Vgl. beispielsweise Konrad Dussel: Deutsche Tagespresse im 19. und 20. Jahrhundert. Münster: 2004, S. 121-158. Vgl. Requate: 1995, S. 33-35. Vgl. ebd., S. 43. Vgl. ebd., S. 34. Vgl. zusammenfassend Gregor Streim: Einführung in die Literatur der Weimarer Republik. Darmstadt: 2009, S. 26-27. Insbesondere Egon Erwin Kisch bringt beispielsweise Klaus Mann mit amerikanischen Vorbildern in Verbindung. Vgl. Jutta Jacobi: Studien zum Werk von Karl Kraus, Egon Erwin Kisch und Franz Werfel. Frankfurt a.M.: 1989, S. 126.
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
Berufs inhaltlich Raum für neue Schreibkonzepte besteht. Diese Debatte wird in der vorliegenden Arbeit unter dem Begriff der Ästhetisierung gefasst.49 Der Begriff der Ästhetisierung, der vor allem im Kontext der L’art-pour-l’artBewegung und des europäischen Ästhetizismus im 19. Jahrhundert geprägt wird,50 wird hier in Anlehnung an Lutz Hieber und Stephan Moebius vor dem Hintergrund aktueller Theoriedebatten definiert:51 Kurzum: ›Ästhetisierung‹ bezeichnet jene sinnliche Intensivierung oder Versinnlichung von Gegenständen, Personen, Wahrnehmungen, Erfahrungen und Praktiken, […] die sowohl als Antwort auf gesellschaftliche Probleme als auch als kreativer Motor gesellschaftlicher Prozesse zu begreifen sind. […] In dem von uns intendierten Sinne ist ›Ästhetisierung‹ demnach nicht auf den hochkulturellen Bereich des Schönen oder der Kunst reduzierter Wahrnehmungsprozess, sondern eine potenziell in jeder Situation, zu jeder Zeit und an jedem Ort, an jedem Objekt oder Person mögliche Intensivierung und Thematisierung von ›Wahrnehmungen aller Art‹.52 Übertragen auf den Journalismus bedeutet Ästhetisierung auf werkästhetischer Ebene vor allem eine Zunahme an komplexen ›erzähltechnischen‹ Verfahren und die Valorisierung der Präsentationsweisen (Form und Stil),53 mit deren Hilfe die 49
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Ausführlich historisiert Corinna Dziudzia den Begriff der Ästhetisierung seit dem 19. Jahrhundert. Ihre Arbeit löst damit das Desiderat ein, den Begriff aus der historischen Semantik herzuleiten und unter Einbeziehung philosophischer, literaturwissenschaftlicher und literarischer Diskurse zu deuten. Vgl. Corinna Dziudzia: Ästhetisierung und Literatur. Begriff und Konzept von 1800 bis heute. Heidelberg: 2015, S. 7-24 u. 345-352. Karlheinz Barck: Ästhetik. Einleitung: Zur Aktualität des Ästhetischen. In: Ästehtische Grundbegriffe. Bd.1, hg. von Karlheinz Barck, Martin Fontius u.a. Stuttgart/Weimar: 2000, S. 308317. Hier: S. 315. Hieber und Moebius stützen sich ihrerseits auf Reckwitz’ praxeologischen Ansatz. Vgl. Andreas Reckwitz: Grundelemente einer Theorie sozialer Praktiken. Eine sozialtheoretische Perspektive. In: Zeitschrift für Soziologie 32 (2003) H. 4, S. 282-301. Vgl. außerdem Wolfgang Welsch: Ästhetisches Denken. Stuttgart: 1991, S. 46-85. Die Begriffe ›Praxis‹, ›Praktik‹ und ›Praxeologie‹ werden unter 1.5. Theoretische Vorüberlegungen und Schlüsselbegriffe näher erläutert. Vgl. zu Reckwitz’ Ästhetisierungsbegriff ferner Andreas Reckwitz: Die Erfindung der Kreativität. Zum Prozess gesellschaftlicher Ästhetisierung. Berlin: 2017, S. 20-30. Die Forschungsdiskussion über die Ästhetisierung des Alltags, beziehungsweise der Lebenswelt bringt Bubner auf. Vgl. Rüdiger Bubner: Ästhetisierung der Lebenswelt. In: Das Fest, hg. von Walter Haug u. Rainer Warning. München: 1989, S. 651-662. Hier: S. 656-658. Lutz Hieber u. Stephan Moebius: Einführung. Ästhetisierung des Sozialen im Zeitalter visueller Medien. In: Ästhetisierung des Sozialen. Reklame, Kunst und Politik im Zeitalter visueller Medien, hg. von Lutz Hieber u. Stephan Moebius. Bielefeld: 2011, S. 7-14. Hier: S. 8-9. Eine Übersicht über das journalistische Erzählen und insbesondere ›Storytelling‹, die auf relevante empirische Studien hinweist, findet sich bei Karl-Nikolaus Renner u. Katja Schupp: Journalismus. In: Erzählen. Ein interdisziplinäres Handbuch, hg. von Matías Martínez. Stutt-
1. Einleitung
Fakten zusammengetragen werden:54 Von der Ästhetisierung des Journalismus kann überall dort gesprochen werden, wo die Qualität der zu übermittelnden Nachrichten nicht mehr nur rein an ihrem Wahrheitsgehalt bemessen wird, sondern darüber hinaus die Art und Weise der Vermittlung eines narrativen Zusammenhangs (›Storytelling‹) aufgewertet und der Rechercheleistung somit ein besonderer Stellenwert beigemessen wird.55 Dies ist vor allem für das journalistische Genre der Reportage der Fall, dessen Potenzial bereits in den USA der 1860er Jahre erkannt wird: Wie Requate gezeigt hat, wird der ›Amerikanismus‹ im deutschen wie im gesamteuropäischen Journalismus um die Jahrhundertwende bereits mit dem Genre der Reportage gleichgesetzt.56 Sozial-, Investigativund Rollenreportagen lösen in den USA regelrechte Moden aus, erscheinen in überregionalen Magazinen und üben unmittelbaren Einfluss auf die Politik aus.57 Ein drastisches Beispiel sind die Enthüllungsreporter, die Muck Rackers, deren bekanntester Vertreter Upton Sinclair ist.58 An seinen journalistischen Texten in Buchform und ihrer Rezeption kann man bereits sehen, dass journalistischen Reportagen durchaus ein Werkcharakter attestiert wird, eine Beobachtung, die Kontinuitäten zum New Journalism erkennen lässt.59 Überdies lässt sich zeigen, dass auch Joseph Roth nicht nur Zolas Werken, sondern auch Upton Sinclairs Reportagen eine Vorbildfunktion zuweist, die gerade im Kontext der Neuen Sachlichkeit rezipiert werden.60 Die vorliegende Arbeit analysiert die Inszenierungspraktiken. Zwar setzen sich sowohl Roth als auch Wolfe intensiv auf werkästhetischer Ebene und Textebene in
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gart: 2017, S. 122-131. Hier: S. 131. Vgl. zum Zusammenhang von Ästhetisierung, Form und Stil – wenn auch nicht auf den Journalismus übertragen – Karin Hirdina: Ästhetisierung. In: Metzler Lexikon Ästhetik, Kunst, Medien, Design und Alltag, hg. von Achim Trebeß. Stuttgart/Weimar: 2006, S. 39-40. Hier: S. 39: »Ästhetisierung ist eine Methode der Gestaltung unter dem Primat der Form und der Formwahrnehmung. […] Angestrebte Werte sind Schönheit, Eleganz, Stil, die mittels Styling erreicht werden.« Vgl. zum Ästhetisieren im Journalismus Carsten Brosda: Diskursiver Journalismus. Journalistisches Handeln zwischen kommunikativer Vernunft und mediensystemischem Zwang. Wiesbaden: 2008, S. 199. Vgl. zum »neuen Nachrichtenwert: Zusammenhang« Haas: 1999, S. 346-347. Vgl. Requate: 1995, S. 38. Vgl. ebd., S. 42. Vgl. Haas: 1999, S. 335-336. Auf die Kontinuitäten der Verfahren der Muck Rackers bei den New Journalists wurde vielfach hingewiesen. Vgl. exemplarisch ebd., S. 338-339. In seinem Essay Schluss mit der »Neuen Sachlichkeit«! rezipiert Roth sogar explizit Sinclair. Vgl. Roth: JW 3, S. 160: »Nach und neben den sensationellen Enthüllungen Upton Sinclairs (dessen bewußt zweckmäßig geschriebene Publikationen in ein anderes Kapitel gehören) erscheinen die kleinen Enthüllungen über die ›alltäglichen Konsequenzen‹ jener außerordentlichen, von Sinclair entblößten Geheimnisse der Bourgeoisie.«
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
ihren Reportagen mit der Kombination journalistischer und literarischer Erzählverfahren auseinander,61 dieser Untersuchungsgegenstand ist jedoch weitgehend in der Forschung thematisiert worden.62 Unterdessen wurden die Kontinuitäten der Inszenierungspraxis von Autoren, die sowohl literarisch als auch journalistisch tätig sind, in Bezug auf das 20. Jahrhundert marginalisiert, wie sich anhand von Arbeiten wie die Tobias Eberweins oder Katharina Kostenzers zeigen lässt.63 Dort werden weder Inszenierungspraktiken berücksichtigt, noch die Autorschaftsproblematik reflektiert. So versteht sich die vorliegende Arbeit als eine Studie, die zwar auch werkästhetische Grenzen von journalistischem und literarischem Schreiben thematisiert, jedoch vor allem einen Bezug zu ihrer Inszenierungspraxis herstellt. Die Entwicklungen dieser Inszenierungspraxis lassen sich – wie bereits angekündigt – mittels eines Periodisierungsversuchs aufzeigen, der Roths Autorschaft unter dem Blickwinkel der ›Professionalisierung‹ beleuchtet und Wolfes unter dem der ›Ästhetisierung‹. Im Kapitel 2. Professionalisieren: Joseph Roth wird herausgearbeitet, wie Joseph Roth sich dabei stets innerhalb der Grenzen des bestehenden Berufsbildes und damit der Professionalisierung des Journalistenberufes bewegt.
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Vgl. insbesondere die Kapitel 2.2. Zwischen Literatur und Journalismus: Die Flucht ohne Ende sowie 3.3. Vom Journalismus zur Literatur: Wolfe als Romancier. Dies gilt vor allem für Tom Wolfe im Kontext des New Journalism: Vgl. dazu die Arbeiten von John Hellmann: Fables of Fact. The New Journalism as New Fiction. Urbana: 1981, S. 101-125 sowie Barbara Lounsberry: The Art of Fact. Contemporary Artists in Nonfiction. New York/Westport/London: 1990, S. 37-64. Anders verhält es sich wiederum bei Joseph Roth, für den eine größere Studie zu den Grenzen von Roman und Reportage zuletzt von Erhard Schütz eingefordert wurde. Vgl. Erhard Schütz: Unterm Strich. Über Grenzverläufe des klassischen Feuilletons. In: Feuilleton. Schreiben an der Schnittstelle von Journalismus und Literatur, hg. von Hildegard Kernmayer u. Simone Jung. Bielefeld: 2017, S. 31-50. Hier: S. 49: »Dabei gibt es bis heute keine literaturwissenschaftliche Untersuchung darüber, wo bei Roths Textaufkommen das Feuilleton enden würde und die Reportage anfinge, zumal er in seinen Reportagen kaum weniger kreativ mit den vermeintlichen Fakten der Wirklichkeit umging, als es dem Feuilleton erlaubt war.« Cudliks Untersuchung stellt eine Ausnahme dar, die die Inszenierungspraxis Wolfes ausführlich erläutert. Vgl. Thomas Cudlik: Mise en scène der Wirklichkeit. Der Literaturjournalist Tom Wolfe und seine fiktionalisierte Reportage. Eine Morphologie. Wien: 2005. Bei Roth hingegen ist der Aspekt der Selbstinszenierung in Bezug auf das Verhältnis von Literatur und Journalismus noch nicht ausführlich und zusammenhängend analysiert worden. Im Zentrum der Arbeit steht nicht der Untersuchungsgegenstand eines ›literarischen Journalismus‹, sondern die Etablierung der Autorschaft zwischen Literatur und Journalismus. An dieser Stelle sei zur Vertiefung – insbesondere in Hinblick auf die Reportage – jedoch auf folgende Studien hingewiesen: Katharina Kostenzer: Die literarische Reportage. Über eine hybride Form zwischen Journalismus und Literatur. Innsbruck/Wien: 1984 und Tobias Eberwein: Literarischer Journalismus. Theorie, Traditionen, Gegenwart. Köln: 2013. Insgesamt lässt sich jedoch zeigen, dass der zentrale Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit weder bei Kostenzer noch bei Eberwein thematisiert wird.
1. Einleitung
In Kapitel 3. Ästhetisieren: Tom Wolfe hingegen soll gezeigt werden, dass Tom Wolfe losgelöst von gewachsenen institutionellen Strukturen, die sich im Zuge der Professionalisierung herausgebildet haben, eine Ästhetisierung der Personalunion von Journalist und Schriftsteller vornimmt: Jenseits von Rollenzuschreibungen, Genreund Formatgrenzen ästhetisiert er seine Autorschaft und seine Autorpersönlichkeit durch selbstgesteuerte Inszenierungspraktiken, mit dem Ziel, nicht allein ein Reporter oder Romanschriftsteller zu werden, sondern vor allem ein Star.64
1.4
Forschungskontext
Spätestens seit Erscheinen der beiden einschlägigen Sammelbände von Christoph Jürgensen und Gerhard Kaiser (Schriftstellerische Inszenierungspraktiken – Typologie und Geschichte) sowie von Gunter E. Grimm und Christian Schärf (SchriftstellerInszenierungen) – ist die Inszenierungspraxis zu einem einschlägigen Forschungsgegenstand der Literaturwissenschaft geworden.65 Die Voraussetzungen hierfür schafft eine forschungshistorische Wende, die sich bereits an der Schwelle zur Jahrtausendwende abzeichnet: Die durch den (in Verruf geratenen) ›philologischen Positivismus‹ und ›Biographismus‹ angestaubte und vorurteilsbehaftete Kategorie der Autorschaft wird rehabilitiert, obwohl die Infragestellung von Autorschaft spätestens seit den poststrukturalistischen Debatten, ausgelöst von Michel Foucault und Roland Barthes, die das ›Konzept Autor‹66 kritisieren und nivellieren, in der Forschung etabliert ist.67 Exemplarisch für diese langandauernde Debatte
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Vgl. zum Konzept des ›Stars‹ in Bezug auf die New Journalists John Hollowell: Fact & Fiction. The New Journalism and the Nonfiction Novel. Chapel Hill: 1977, S. 48-62. Außerdem Kapitel 3.2. Zwischen Literatur und Journalismus: Inszenierungspraxis. Vgl. Christoph Jürgensen u. Gerhard Kaiser (Hg.): Schriftstellerische Inszenierungspraktiken – Typologie und Geschichte. Heidelberg: 2011 und Gunter E. Grimm u. Christian Schärf (Hg.): Schriftsteller-Inszenierungen. Bielefeld: 2008. Gunter E. Grimm legt bereits mehr als zehn Jahre zuvor einen Sammelband vor, indem es zwar nicht explizit um Inszenierungen, jedoch um Selbstdarstellungen geht. Dieser Sammelband ist der erste germanistische Forschungsbeitrag und antizipiert die Forschungen zur Inszenierungspraxis bereits. Vgl. Gunter E. Grimm (Hg.): Metamorphosen des Dichters. Das Selbstverständnis deutscher Schriftstseller von der Aufklärung bis zur Gegenwart. Frankfurt a.M. : 1992. Vgl. Roland Barthes : La mort de l’auteur. In : Le bruissement de la langue, hg. von Roland Barthes. Paris: 1984, S. 63-70 sowie Michel Foucault: Was ist ein Autor? In: Schriften zur Literatur, hg. von Michel Foucault. Frankfurt a.M.: 1988, S. 7-31. Vgl. Heinrich Detering: Vorbemerkung. In: Autorschaft. Positionen und Revisionen (DFGSymposion 2001), hg. von Heinrich Detering. Stuttgart/Weimar: 2002, S. IX-XVI. Hier: S. XI. Außerdem Fotis Jannidis, Gerhard Lauer u.a.: Rede über den Autor an die Gebildeten unter seinen Verächtern. In: Rückkehr des Autors. Zur Erneuerung eines umstrittenen Begriffs, hg. von Fotis Jannidis, Gerhard Lauer u.a. Tübingen: 1999, S. 3-36. Hier: S. 15-18.
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
ist, dass Fotis Jannidis, Gerhard Lauer, Matías Martínez und Simone Winko auf dem 24. germanistischen DFG-Symposion im Jahr 2002 noch eine Synthese dieser beiden opponierenden Lager anstreben.68 In ihrem anschließend herausgegebenen Sammelband zeigen sie zum einen »das Mißtrauen gegenüber dem Autor als Interpretationskategorie«69 auf. Zum anderen werfen die Herausgeber einen differenzierten und kritischen Blick auf die Leistung der Kategorie ›Autorschaft‹ und legen durch eine Historisierung der poststrukturalistischen Kritik offen, wie diese überhaupt zu einer so wirkmächtigen Theorie- und Methodendiskussion werden konnte.70 Sie kommen zu dem Ergebnis, dass die Kategorie des Autors zwar in der literaturwissenschaftlichen Diskussion ins Hintertreffen geraten sei, aber nie gänzlich an Relevanz verloren habe.71 Einen ähnlichen Ansatz verfolgt auch der wenige Jahre später von Heinrich Detering veröffentlichte Sammelband zur Autorschaft. Die personellen und thematischen Überschneidungen fallen bereits mit einem Blick auf das Inhaltsverzeichnis ins Auge. Auffallend ist, dass auf beide Sammelbände eine Forschungsdiskussion folgt, die die öffentlichkeitswirksamen Strategien medialer Vermittlung von Autorschaft gesondert berücksichtigt. In diesem Licht betrachtet, antizipieren die Sammelbände bereits diesen Forschungsaspekt.72 Während die Forschung zur Inszenierungspraxis in der Literaturwissenschaft um die Jahrtausendwende in direktem Zusammenhang mit der ›Wiederentdeckung‹ des Autors steht, lässt sich für die Soziologie anderes feststellen.73 Bereits Ende der 1950er Jahre wird der Begriff der Inszenierung einschlägig von Erving Goffman geprägt, der auf Grundlage einer dramentheoretischen Modellierung die Selbstdarstellung einzelner Akteure zu einer Rollentheorie ausweitet.74 Sein
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Vgl. dazu auch Dirk Niefanger: Provokative Posen. Zur Autorinszenierung in der deutschen Popkultur. In: Pop – Pop – Populär. Popliteratur und Jugendkultur, hg. von Johannes G. Pankau. Bremen/Oldenburg: 2004, S. 85-101. Hier: S. 89: »Der pauschalen Ablehnung des Autorfunktion in manchen postmodernen Entwürfen sollte heute keine ebenso oberflächliche Renaissance des Autors folgen.« Jannidis, Lauer u.a.: 1999, S. 11. Vgl. ebd., S. 16-17. So sehen die Herausgeber in den Angriffen auf den Autor eine allgemeine Tendenz der Literaturwissenschaft, sich vor den gesamtgesellschaftlichen Umbrüchen der 1960er Jahre zu legitimieren. Zu einem solchen Ergebnis kommt auch Detering: 2002, S. IX. Vgl. Jannidis, Lauer u.a.: 1999, S. 15-18. Vgl. dazu insbesondere die Sektion IV Autorschaft und Medien in ebd., S. 431-534 sowie in Heinrich Detering (Hg.): Autorschaft. Positionen und Revisionen (DFG-Symposion 2001). Stuttgart/Weimar: 2002, S. 177-326, dies entspricht Sektion II. Für die Literatursoziologie blieb die Kategorie des Autors wohl immer diskursfähig. Vgl. Jannidis, Lauer u.a.: 1999, S. 33. Vgl. Erving Goffman: Wir alle spielen Theater. Die Selbstdarstellung im Alltag. München: 2014.
1. Einleitung
Ansatz wird im Zuge der literaturwissenschaftlichen Forschungsdiskussion um die Autorschaftsinszenierung breit rezipiert.75 Die Analyseperspektive der vorliegenden Arbeit legt ihren Fokus jedoch im Gegensatz zu den vorher genannten Studien auf Autoren, die per se durch ihren journalistischen Hintergrund Medienakteure sind. Damit werden also insbesondere diejenigen Untersuchungen relevant, die sich explizit mit der Verhandlung von Autorschaft im Kontext der Öffentlichkeit, dem Literaturbetrieb und einer medialen Inszenierungspraxis insgesamt beschäftigen.76 Dieses Wechselspiel beleuchtet insbesondere der von Christine Künzel im Jahr 2007 herausgegebene Band Autorinszenierungen, in dem der Autor explizit als ein »Medienjongleur«77 gefasst wird. Auch der von Lucas Marco Gisi, Urs Meyer und Reto Sorg vier Jahre später veröffentlichte Sammelband berücksichtigt die mediale Einbettung von Autorschaftsinszenierungen.78 Einen besonderen Stellenwert räumen die Herausgeber dabei explizit »intrikaten Textformen […], zwischen autobiographischem und fiktivem Schreiben stehenden Gattungen«79 ein, zu denen beispielsweise Medienauftritte, Tagebücher, Interviews oder Briefe zählen, mit Hilfe derer die Autoren einen »auktorialen Selbstkommentar«80 leisten. An diesen Ansatz schließt die vorliegende Ar-
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Vgl. exemplarisch Kai Sina: Maskenspieler, Stellvertreter, Märtyrer. Formen und Funktion der Autorinszenierung bei Walter Kempowski. In: Schriftstellerische Inszenierungspraktiken – Typologie und Geschichte, hg. von Christoph Jürgensen u. Gerhard Kaiser. Heidelberg: 2011, S. 341-362. Hier: S. 356. Vgl. zur Forschungsdiskussion von Autorschaftsinszenierung und Literaturbetrieb exemplarisch David-Christopher Assmann: Poetologien des Literaturbetriebs. Szenen bei Kirchhoff, Maier, Gstrein und Händler. Berlin/Boston: 2014, Bodo Plachta: Literaturbetrieb. Paderborn: 2008 sowie Philipp Theisohn u. Christine Weder (Hg.): Literaturbetrieb. Zur Poetik einer Produktionsgemeinschaft. Paderborn: 2013. Christine Künzel: Einleitung. In: Autorinszenierungen. Autorschaft und literarisches Werk im Kontext der Medien, hg. von Christine Künzel u. Jörg Schönert. Würzburg: 2007, S. 8-23. Hier: S. 20-23: Künzels Sammelband spannt einen Bogen von den 1980er Jahren bis zu Manifestationen von Autorschaft im Kontext der Digitalisierung. Bereits vor Künzel sind einzelne Publikationen – insbesondere im Kontext der deutschen Popliteratur – zu verzeichnen, die die Inszenierungspraxis von Autoren im Medienbetrieb beleuchten. Vgl. beispielsweise Niefanger: 2004. Vgl. Lucas Marco Gisi, Urs Meyer u.a. (Hg.): Medien der Autorschaft. Formen literarischer (Selbst-)Inszenierung von Brief und Tagebuch bis Fotografie und Interview. München: 2013. Urs Meyer: Tagebuch, Brief, Journal, Interview, Autobiographie, Fotographie und Inszenierung. In: Medien der Autorschaft. Formen literarischer (Selbst-)Inszenierung von Brief und Tagebuch bis Fotografie und Interview, hg. von Lucas Marco Gisi, Urs Meyer u.a. München: 2013, S. 9-16. Hier: S. 9. Ebd., S. 9. Die Begrifflichkeiten auktorial und nicht auktorial werden auf den nächsten Seiten näher erläutert.
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
beit an, indem das untersuchte Korpus um ebendiese intrikaten Textsorten, vom Interview über den Brief bis hin zu Feuilletons, erweitert wird.81 Betrachtet man nun das Gesamtpanorama der bereits vorliegenden Arbeiten zur Autorschaftsinszenierung im Kontext der Medien,82 so fällt auf, dass diese zumeist eine offene Sammlung an Phänomenen präsentieren,83 an denen sich zwar bereits Tendenzen ausmachen lassen, deren Systematik allerdings noch nicht in Gänze erfasst werden konnte. Diese Forschungslücke versuchen insbesondere Carolin John-Wenndorf und Alexander M. Fischer zu schließen, die beide eine Kategorisierung von Autorschaftsinszenierungen vornehmen.84 Während John-Wenndorf vor allem das Ziel verfolgt, eine Kulturgeschichte der Selbstinszenierungen zu schreiben, um anschließend zwölf Praktiken der Selbstdarstellung zu identifizieren, beleuchtet Fischer unter dem Aspekt der »Autor-Posen«85 schlaglichtartig wirkmächtige Akteure der deutschen Literaturgeschichte und ihre Inszenierungspraktiken von Gleim über Brecht bis hin zu Kracht. Beide Studien rücken performative Aspekte der Schriftstellerinszenierung in den Vordergrund: John-Wenndorf betrachtet beispielsweise die Inszenierung von Schriftstellern auch im Vergleich zu anderen Kunstschaffenden und kommt zu dem Ergebnis, dass die Inszenierungsleistung von Autoren vor allem »über die Instrumentalisierung der sprachlichen Fähigkeiten«86 funktioniere und sich erst in einem zweiten Schritt in medialen Vermittlungen manifestiere.87 Dies unterscheidet John-Wenndorfs Ansatz von dem Fischers, der den Autor als eine »Art ›Kunstfigur‹«88 fasst, der durch ›öffentliche Posen‹ und ihre mediale Vermittlung hauptsächlich seine Inszenierung vorantreibt.89
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Vgl. zur Auswahl des Korpus 1.6. Konzeption und Korpus. Die Forschung zur Selbstinszenierung von Autoren bleibt dabei jedoch nicht auf die Germanistik beschränkt. Ein Beispiel hierfür ist die Arbeit von Klecker und Bannert: Elisabeth Klecker u. Herbert Bannert (Hg.): Autorschaft. Konzeptionen, Transformationen, Diskussionen. Wien: 2013. Eine Ausnahme bildet der Sammelband von Jürgensen u. Kaiser: 2011. Hier wird eine Typologie der Autorinszenierung vor allem mittels einer historischen Periodisierung (vor der Entstehung des literarischen Marktes bis in die Gegenwart) entworfen. Vgl. Alexander M. Fischer: Posierende Poeten. Autorinszenierungen vom 18. bis zum 21. Jahrhundert. Heidelberg: 2015 sowie Carolin John-Wenndorf: Der öffentliche Autor. Über die Selbstinszenierung von Schriftstellern. Bielefeld: 2014. Fischer: 2015, S. 61. Vgl. zum Begriff der Pose 3.2.5. Posieren, stilisieren, rekombinieren. John-Wenndorf: 2014, S. 409. Vgl. ebd., S. 409-410. Fischer: 2015, S. 48. Vgl. ebd., S. 47-50.
1. Einleitung
Im Kontext der Forschung zu performativen Aspekten der Autorschaftsinszenierung ist ferner Sandra Osters Untersuchung herauszustellen.90 Sie historisiert die Inszenierung von Schriftstellern auf Autorenfotos und leistet damit einen zentralen Beitrag zur Untersuchung des Wechselspiels auktorialer und nicht auktorialer Autorschaftsinszenierung,91 die in der Forschung immer noch unterrepräsentiert ist.92 Mit dem Fokus der Inszenierung von Autoren durch Verlage ergänzt sie die Systematisierungsbestrebungen, die John-Wenndorf und Fischer vorangetrieben haben. Dass die Forschung zur Autorschaftsinszenierung nun nach der Historisierungs- und Systematisierungsphase in einer Theoretisierungsphase angekommen ist,93 zeigt exemplarisch Julian Schröter. In seiner Monographie Theorie der literarischen Selbstdarstellung klärt er noch einmal zentrale Begrifflichkeiten und entwirft ein heuristisches Instrumentarium, um die Inszenierungspraktiken von Autoren auch innerhalb fiktionaler Texte zu beschreiben.94 Obwohl die Autorschaftsinszenierung zu einem Forschungsgegenstand geworden ist, der sich über die Jahre etabliert und ausdifferenziert hat, ist festzustellen, dass bis jetzt nur einzelne Studien zur Inszenierung von solchen Autoren vorliegen, die in anderen Schreibberufen reüssieren, und untersuchen, welche Auswirkungen diese Doppeltätigkeit auf deren auktoriale und nicht-auktoriale Inszenierung hat. Gerade was die Inszenierung von Autorschaft bei Autoren betrifft, die in Personalunion Journalisten und literarische Autoren sind, sucht man vergeblich nach einer historisierenden und systematisierenden Darstellung, die die Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Schreibberufen, -kontexten, -praktiken und -produktionen reflektiert. Hierfür lassen sich lediglich einzelne Analysen aufführen – wie beispielsweise zu Siegfried Lenz – die die Doppeltätigkeit in den Blick nehmen.95 Dies verwundert, da gerade im Kontext der Diskussion um die Inszenierungspraxis bei Autoren der deutschen Popliteratur – deren Medienauftrit90 91
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Vgl. Sandra Oster: Das Autorenfoto in Buch und Buchwesen. Autorinszenierung und Kanonisierung mit Bildern. Berlin/Boston: 2014. Nicht auktoriale Autorschaftsinszenierung bezieht sich auf die Inszenierungspraxis durch Dritte und ist von einer auktorialen Inszenierung, die vom Autor selbst ausgeht, zu unterscheiden. Vgl. Christoph Jürgensen u. Gerhard Kaiser: Schriftstellerische Inszenierungspraktiken – Heuristische Typologie und Genese. In: Schriftstellerische Inszenierungspraktiken – Typologie und Geschichte, hg. von Christoph Jürgensen u. Gerhard Kaiser. Heidelberg: 2011. S. 9-32. Hier: S. 18. Vgl. Oster: 2014, S. 16-17. Diesen Eindruck bestätigt auch der Sammelband von Schaffrick und Willand zur Theorie der Autorschaft. Vgl. Matthias Schaffrick u. Marcus Willand (Hg.): Theorien und Praktiken der Autorschaft. Berlin/Boston: 2014. Vgl. Julian Schröter: Theorie der literarischen Selbstdarstellung. Begriff – Hermeneutik – Analyse. Münster: 2018. Hans-Ulrich Wagner: Über den »Sitzplatz eines Autors«. Inszenierung von Autorschaft und Werk als Medienereignis bei Siegfried Lenz. In: Autorinszenierungen. Autorschaft und lite-
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
te durchaus in der Forschung berücksichtigt worden sind und bei denen beinahe durchweg ein journalistischer Hintergrund besteht – sich eine solche Analyseperspektive durchaus anböte. Bis jetzt fehlt ein Versuch, die Selbst- und Fremddarstellungen von Autoren, die sowohl Journalisten als auch Autoren literarischer Texte sind, übergreifend zu untersuchen, zu historisieren und in einen Gesamtkontext zu stellen. Dazu soll die vorliegende Arbeit ihren Beitrag leisten.
1.5
Theoretische Vorüberlegungen und Schlüsselbegriffe
Um Joseph Roths und Tom Wolfes Autorschaft zwischen Journalismus und Literatur und die damit verbundenen Inszenierungspraktiken zu fassen, muss zunächst definiert werden, was unter literarischer und journalistischer Autorschaft sowie prinzipiell unter Journalismus und Literatur zu verstehen ist, um in einem zweiten Schritt zu klären, wie der Terminus der Inszenierungspraxis zu definieren ist. Bis jetzt liegen lediglich vereinzelte und autorzentrierte Studien vor, in denen die Wechselwirkungen von journalistischer und literarischer Tätigkeit im Vordergrund stehen. Doch gerade neuere Untersuchungen, beispielsweise von Simone Wichor zur Schweizer Schriftstellerin und Journalistin Annemarie Schwarzenbach oder Dorothee Krings’ Arbeit über das journalistische Werk Fontanes, setzen sich dezidiert mit dem Autorschaftsverständnis im Spannungsfeld von Journalismus und Literatur auseinander.96 In der Theoriediskussion zur Autorschaft in diesem Doppelkontext herrscht vor allem in der Literaturwissenschaft große Unsicherheit. Dies betrifft hauptsächlich die Beziehung zwischen Urheber- und Autorschaftsbegriff, wie beispielsweise Klaus Weimar reflektiert: ›Autor‹ ist zwar eine scheinbar neutrale Berufsbezeichnung geworden, gilt aber trotzdem noch nicht für alle, die – zum Beispiel im Journalismus – berufsmäßig Texte produzieren und selbstverständlich Autorenrechte an ihnen besitzen, sondern offenbar nur für diejenigen, die veritable Bücher schreiben. Der Besitz von Autorenrechten qualifiziert offenbar noch nicht als Autor.97 Weimars Ausführungen machen deutlich, dass die allgemeingehaltene Bezeichnung des Begriffs ›Autor‹, wie sie beispielsweise Erich Kleinschmidts Eintrag im
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rarisches Werk im Kontext der Medien, hg. von Christine Künzel u. Jörg Schönert. Würzburg: 2007, S. 111-128. Vgl. Krings: 2008 sowie Simone Wichor: Zwischen Literatur und Journalismus. Die Reportagen und Feuilletons von Annemarie Schwarzenbach. Bielefeld: 2013. Klaus Weimar: Doppelte Autorschaft. In: Rückkehr des Autors. Zur Erneuerung eines umstrittenen Begriffs, hg. von Fotis Jannidis, Gerhard Lauer u.a. Tübingen: 1999, S. 123-133. Hier: S. 123.
1. Einleitung
Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft zu entnehmen ist, so wertneutral nicht ist. Dieser subsumiert darunter den geistigen Erzeuger vor allem von Texten jeglicher Art ohne Beschränkung auf die Literatur. […] Zunehmend erfaßt der Begriff auch jede andere Form intellektueller Urheberschaft, wozu die gesetzliche Ausgestaltung eines allgemeinen Urheberrechtes wesentlich beigetragen hat, das nicht mehr an ein bestimmtes Artikulationsmedium gebunden ist.98 Ergänzend zu Kleinschmidt und Weimar muss zudem angeführt werden, dass gerade aus der Perspektive des Journalismus der Autorbegriff anscheinend keiner weiteren Erklärung bedarf. So wenden die meisten Journalistik-Handbücher zweifelsfrei den Begriff ›Autor‹ auf die Verfasser journalistischer Erzeugnisse an und gebrauchen ihn synonym zum Urheberbegriff.99 Welche Konsequenzen hat eine solche exemplarische Bestandsaufnahme der Problematiken von Autorschaftsbegriffen nun für die vorliegende Arbeit? Zunächst bleibt in Hinblick auf die Aussagen von Klaus Weimar festzuhalten, dass mit dem Begriff des ›Autors‹ in der Literaturwissenschaft – nicht so in der Journalistik – sehr wohl Wertvorstellungen verbunden sind.100 Deren Wurzeln reichen weit in das 18. Jahrhundert zurück, als der Geniegedanke Einzug in die Literatur hält. Dem gegenüber steht die wortgeschichtliche Herleitung des Begriffs – beispielsweise durch Kleinschmidt. Dieser betont dessen integrative Funktion, die auf Urheberrechtsaspekte abziele und dabei »den künstlerischen Leistungsaspekt«101 bewusst außen vor lasse. So lässt sich zeigen, dass die begriffliche Unschärfe zwischen ›Autor‹ (im Sinne von Urheber) und ›Dichter‹ (im Sinne von künstlerischem ›Schöpfer‹ und in Kontinuität zur Genieästhetik als originäre Autorschaft gedacht) bis heute in der Theoriediskussion präsent ist. Gerade der Begriff des ›Dichters‹ betont dabei die herausragende Stellung des Produzenten literarischer – ursprünglich lyrischer, dramatischer und (vers-)epischer Werke – dessen autonome Schöpfungsleistung
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Erich Kleinschmidt: Autor. In: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, hg. von Klaus Weimar. Berlin/New York: 1997, S. 176-180. [= Kleinschmidt 1997 (a)]. Hier: S. 176-177. 99 Vgl. dazu beispielsweise Gabriele Hoofacker u. Klaus Meier: La Roches Einführung in den praktischen Journalismus. Mit genauer Beschreibung aller Ausbildungswege Deutschland – Österreich – Schweiz. Wiesbaden: 2017, S. 138: »Der Autor nimmt Stellung, sagt seine Meinung; das zeigt sich auch in der Form: Im Fernsehen erscheint der Kommentator selbst auf dem Bildschirm, Hörfunk-Kommentare werden vom Autor gesprochen, in der Presse sind die meisten Kommentare mit dem Namen oder Namenskürzel des Autors gezeichnet.« 100 Die Journalistik wird hier als wissenschaftliche Disziplin im Unterschied zum ›Praxisfeld‹ des Journalismus gefasst. 101 Kleinschmidt: 1997 (a), S. 177.
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
an die (göttliche) Inspiration geknüpft ist.102 Dem Begriff des ›Dichters‹ wiederum steht traditionell der des ›Schriftstellers‹ gegenüber. Dieser Terminus zielt dabei vor allem auf die kommerzielle literarische Produktion, meist von Romanen, ab und wird im Gegensatz zu dem des ›Dichters‹ in der Literaturgeschichte bisweilen abwertend verwendet.103 Erst die Professionalisierung des Pressewesens sorgt im 19. Jahrhundert für eine weitere begriffliche Ausdifferenzierung durch die Einführung des Terminus ›Journalist‹, der den Textproduzenten von periodisch erscheinenden Publikationen umfasst.104 Die Berufsbezeichnung ›Journalist‹ ist zudem von journalistischen Rollen – wie Redakteur, Korrespondent oder Reporter – zu unterscheiden. Anhand dieser Wortgeschichte lässt sich zeigen, dass der Begriff des ›Autors‹ aus literaturwissenschaftlicher Perspektive überall dort ›problematisch‹ wird, wo eine Nähe zum Begriff des ›Dichters‹ hergestellt wird. Eine Übertragung auf eine rein kommerziell ausgerichtete Textproduktion – wie sie dem Journalismus unterstellt wird – bleibt dann eine Seltenheit. Wie sich jedoch in Bezug auf Joseph Roth und Tom Wolfe zeigen lässt, überzeugt eine solche vorschnelle Reduzierung von journalistischer Autorschaft auf rein handwerkliche und wirtschaftliche Aspekte nicht. Gleichzeitig ist es ebenso unzureichend, die literarische Autorschaft als hierarchisch höhergestellt zu verorten und losgelöst von kommerziellen Interessen zu betrachten.105 Wenn im Folgenden der Begriff ›Autor‹ also auf den Produzenten literarischer wie journalistischer Texte angewendet wird, so geschieht dies vor dem Hintergrund der dargelegten Ambivalenzen. Im Gegensatz zum juristischen Terminus des Urhebers vermag der Begriff, die kulturelle Leistung journalistischer Werke herauszustellen und relativiert gleichzeitig die Höherbewertung literarischer Textproduktion.106 Der Begriff ›Schriftsteller‹ wird hier zudem synonym zum Begriff des ›Autors‹ verwendet, ohne eine Abwertung zu suggerieren. Der Terminus findet sich – wie noch in den Kapiteln 2.1. Institutionelle Voraussetzungen: Die Marke Joseph Roth und 2.3. Öffentliche Selbstverortung im Feuilleton zu sehen sein wird – in zahlreichen Selbstbezeichnungen Roths sowie in Fremdzuschreibungen von Kollegen. Er impliziert vielmehr eine moderne Form der Autorschaft, die den Autor zunehmend als Medienproduzenten fasst. Der Begriff des ›Dichters‹ hingegen wird in diesem Zusammenhang als Schmähtitel verwendet, indem 102 Vgl. Erich Kleinschmidt: Dichter. In: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, hg. von Klaus Weimar. Berlin/New York: 1997, S. 357-360. Hier: S. 357-358. 103 Vgl. Kleinschmidt: 1997 (a), S. 177. 104 Vgl. ebd., S. 177. 105 Vgl. dazu insbesondere 2.3. Öffentliche Selbstverortung im Feuilleton und 3.3. Vom Journalismus zur Literatur: Wolfe als Romancier. 106 Vgl. zur Bewertung von Journalismus als kultureller Leistung insbesondere Margreth Lünenborg: Journalismus als kultureller Prozess. Zur Bedeutung von Journalismus in der Mediengesellschaft. Ein Entwurf. Wiesbaden: 2005, S. 67.
1. Einleitung
er das weltabgewandte und untüchtige Bild des auf Inspiration wartenden, armen Poeten vermittelt. Nachdem nun die nötige Sensibilität für die oftmals mit Wertvorstellungen verbundenen Begriffe ›Autor‹, ›Schriftsteller‹ und ›Dichter‹ im Spannungsfeld von Journalismus und Literatur geschaffen werden konnte, muss definiert werden, was unter journalistischer und literarischer Autorschaft respektive Journalismus und Literatur zu verstehen ist. Die Frage nach den Gegenstandsbereichen von Journalismus und Literatur gehört bis heute zu den großen Problemkomplexen,107 denen sich insbesondere die Literaturwissenschaft und die Journalistik stellen müssen.108 Das Ergebnis der definitorischen Bemühungen hängt von der jeweiligen theoretischen Fundierung und ihrem Erkenntnisziel ab.109 Dabei ist das Wechselspiel von Journalismus und Literatur ein Phänomen, das in beiden wissenschaftlichen Disziplinen – Journalistik und Literaturwissenschaft – nach wie vor einen untergeordneten Stellenwert hat.110 Lange galt die Systemtheorie als die geeignete Ausgangsbasis, um die Unterschiede zwischen Literatur und Journalismus zu benennen und beide Bereiche in Abgrenzung zueinander als Sozialsysteme zu fassen.111 Der Vorteil dieser makrosoziologischen Herangehensweise, die sich vor allem in den 1990er Jahren etabliert,112
107 Einen aktuellen Überblick über die Diskussion des Begriffs Literatur bietet folgender Sammelband: Fotis Jannidis, Gerhard Lauer u.a. (Hg.): Grenzen der Literatur. Zu Begriff und Phänomen des Literarischen. Berlin: 2009. Hier sei insbesondere auf den einführenden Aufsatz der Herausgeber hingewiesen: Fotis Jannidis, Gerhard Lauer u.a.: Radikal historisiert. Für einen pragmatischen Literaturbegriff. In: Grenzen der Literatur. Zu Begriff und Phänomen des Literarischen, hg. von Fotis Jannidis, Gerhard Lauer u.a. Berlin: 2009, S. 3-37. Einen theoretischen Überblick über die Definitionen aus der Journalistik bietet Klaus Meier: Journalistik. Stuttgart/Konstanz: 2018, S. 18-22. 108 Mit diesem Komplex beschäftigen sich auch Nachbardisziplinen wie beispielsweise in Teilen die Linguistik, die Kommunikations- und Medienwissenschaft oder die Publizistik sowie die Buch- und Zeitungswissenschaft. Gerade die Journalistik ist aus verschiedenen Wissenschaften und Disziplinen heraus gegründet worden, so dass ihr Profil bis heute nicht einheitlich ist. Meier: 2018, S. 20-23. 109 Vgl. Christoph Neuberger u. Peter Kapern: Grundlagen des Journalismus. Wiesbaden: 2013, S. 26. 110 Vgl. Blöbaum: 2003, S. 26: »Die Beziehungen zwischen Literatur und Journalismus sind wissenschaftlich weitgehend ungeklärt. Zwar gibt es aus Perspektive der Journalistik viele Hinweise auf die schriftstellerischen Wurzeln des Journalismus, oft werden diese Beziehungen jedoch vornehmlich auf der Akteursebene behandelt.« 111 In Bezug auf die Unterschiede von Journalismus und Literatur aus systemtheoretischer Perspektive hält Bernd Blöbaums Ansatz ein geeignetes Instrumentarium bereit. Vgl. ebd., S. 2830. Des Weiteren widmet sich Blöbaum auch in einer ausführlicheren Darstellung dem System Journalismus. Vgl. Blöbaum: 1994. 112 Vgl. Christoph Neuberger: Journalismus als systembezogene Akteurskonstellation. In: Handbuch Journalismustheorien, hg. von Martin Löffelholz u. Liane Rothenberger. Wiesbaden: 2016, S. 296-308. Hier: S. 297. Die Systemtheorie gilt gerade in der deutschsprachigen
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
ist forschungshistorisch insofern zu begründen, als sie ohne Zweifel die Abkehr von der einzelnen ›publizistischen Persönlichkeit‹ – wie sie beispielsweise noch Emil Dovifat in den 1920er Jahren propagierte – bedeutet und den Horizont für größere gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge öffnet.113 Problematisch erweist sich die Systemtheorie im Umkehrschluss dort, wo neben ›Handlungen‹ ebenfalls Akteure im Fokus stehen.114 Dies ist auch in der vorliegenden Arbeit der Fall. Stattdessen erscheint es als Ausgangsbasis gewinnbringend, mit einem auf Pierre Bourdieus Feldtheorie aufbauenden praxeologischen und damit mikrosoziologischem Ansatz zu operieren, der es zudem zulässt, den Journalisten – respektive literarischen Autor – und seine Situierung in der Medienlandschaft seiner Zeit in den Blick zu nehmen.115 Pierre Bourdieus Theorie, deren Ansatz hier lediglich auf einige für die Arbeit produktiv zu machenden Schlüsselbegriffe reduziert werden muss, nimmt eine ähnliche Unterteilung wie Luhmann in seiner Systemtheorie vor, um soziales Handeln für unterschiedliche gesellschaftliche Teilbereiche zu beschreiben.116 An die Stelle des Systems rückt bei Bourdieu nun der Begriff des Feldes. Wenn im Folgenden also von Journalismus und Literatur gesprochen wird, beziehen sich die getroffenen Aussagen auf Bourdieus Konzepte des literarischen wie journalistischen Feldes. Während Bourdieu sich explizit mit den Kräften und Akteuren des literarischen Feldes auseinandersetzt, belaufen sich seine Überlegungen zur Journalismustheorie lediglich auf einige punktuelle Bestandsaufnahmen (wie beispielsweise zum TV-Journalismus),117 die sich weniger dazu eignen, das journalistische Feld insgesamt zu beschreiben. Zur theoretischen Fundierung des literarischen wie
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Journalismus-Forschung nach wie vor als dominant und wirkmächtig. Vgl. dazu: Neuberger u. Kapern: 2013, S. 26: »Die Systemtheorie ist sicherlich der schwerste Theoriebrocken in der Journalismusforschung. Sie geht in ihrer heutigen Form auf den Bielefelder Soziologen Niklas Luhmann zurück und ist nach wie vor der wichtigste Ansatz der deutschsprachigen Journalismusforschung.« Bernhard Pörksen: Das Problem der Grenze. Die hintergründige Aktualität des New Journalism – eine Einführung. In: Grenzgänger. Formen und Funktionen des New Journalism, hg. von Joan Kristin Bleicher u. Bernhard Pörksen. Wiesbaden: 2004, S. 15-28. Hier: S. 25. In der journalistikwissenschaftlichen Forschung wurde deshalb versucht, die Systemtheorie zu erweitern, um die Akteure wieder in den Vordergrund zu stellen. Ein Beispiel hierfür ist Uwe Schimanks integrativer Theorierahmen. Vgl. Neuberger: 2016, S. 295-298. Dies macht die Feldtheorie jüngst auch in der Journalistik zu einem attraktiven und viel rezipierten Ansatz und Theoriegerüst. Vgl. dazu insbesondere Thomas Hanitzsch: Das journalistische Feld. In: Handbuch Journalismustheorien, hg. von Martin Löffelholz u. Liane Rothenberger. Wiesbaden: 2016, S. 281-295. Hier: S. 282. Vgl. Boike Rehbein u. Gernot Saalmann: Feld. In: Bourdieu Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, hg. von Boike Rehbein u. Gernot Saalmann. Stuttgart/Weimar: 2009, S. 99-103. [=Rehbein/Saalmann 2009 (a)]. Hier: S. 100. Vgl. Pierre Bourdieu: Über das Fernsehen. Frankfurt a.M.: 2014.
1. Einleitung
journalistischen Feldes sollen daher hauptsächlich Bourdieus Überlegungen zum literarischen Feld produktiv gemacht werden, die er in einem seiner Hauptwerke Die Regeln der Kunst aus dem Jahr 1992 anstellt.118 Um soziale Felder zu beschreiben, greift Bourdieu immer wieder zu Metaphern aus dem Sport-Bereich: Ihm zufolge gleiche das soziale Feld einem Spiel, in dem sich verschiedene Akteure (Sportler) unter Anwendung von Regeln positionieren.119 Abstrahiert bedeutet dies, dass Felder autonome soziale Bereiche sind, in denen Akteure durch »soziale Kämpfe«120 eine Position einnehmen, die immer wieder neu ausgehandelt werden muss. Ziel der Akteure ist es nun, durch die Akkumulation verschiedener Kapitalformen, die man allgemein als »Ressourcen«121 definieren könnte, einen möglichst attraktiven Platz im Feld zu beziehen. Nach diesen Kapitalsorten – die Bourdieu in soziales, inkorporiertes und kulturelles Kapital unterteilt und zu denen vom Bildungsabschluss über den Verkauf und Absatz von Artikeln und Büchern bis hin zum sozialen Netzwerk ein ganzer Strauß an Kompetenzen und Ausstattungen gehört – bemisst sich das symbolische Kapital, das Ansehen des Akteurs.122 Akteure des literarischen und journalistischen Felds sind dabei nicht allein Autoren der beiden Tätigkeitsbereiche. Zu ihnen gehören vielmehr alle (institutionellen) Repräsentanten des Literatur- und Medienbetriebs, die beispielsweise Redaktionskollektiven oder (Zeitungs-)Verlagen angehören, von Literaturkritikern, Interviewern und Rezensenten bis hin zu Organisatoren von Lesungen und Medienauftritten.123 Die sozialen Felder selbst sind in ihrer Struktur nicht immer klar voneinander abgrenzbar, da sie sich typischerweise über einen »Kranz gemeinsamer Eigenschaften«124 definieren lassen. Diese Durchlässigkeit sozialer Felder ist insofern für die vorliegende Arbeit ausschlaggebend, als die Interaktion der Akteure an der Grenze von journalistischem und literarischem Feld bereits in der Theorie angedacht ist.125 118 119 120 121 122
Damit folgt die Analyse auch Thomas Hanitzschs Überlegungen. Vgl. Hanitzsch: 2016, S. 282. Vgl. Rehbein u. Saalmann: 2009 (a), S. 100. Ebd., S. 101. Hanitzsch: 2016, S. 283. Vgl. ebd., S. 283. Außerdem Pierre Bourdieu: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Frankfurt a.M.: 2003, S. 143-167. 123 Vgl. zu den zentralen Akteuren des Literaturbetriebs Assmann: 2014, S. 44-45, zu denen des journalistischen Feldes Blöbaum: 1994, S. 241-265. 124 Hans-Peter Müller : Pierre Bourdieu. Eine systematische Einführung. Berlin: 2014, S. 192. 125 Dies unterscheidet die Feldtheorie im Wesentlichen von der Systemtheorie. Vgl. Pörksen: 2004, S. 24: »Zum einen exkludiert eine orthodox argumentierende Systemtheorie den einzelnen Akteur aus einem autopoietisch definierten Kommunikationszusammenhang, stellt von der Semantik des Systems um und bezieht aus der Weigerung, vom (einzelnen) Menschen zu sprechen, einen großen Teil ihres Irritationspotenzials. Zum anderen arbeiten Systemtheoretiker im Gefolge Niklas Luhmanns in der Regel mit äußerst strikt gefassten Systemgrenzen, konstatieren wesentlich Differenzen (und nicht Vermischungen, Überlappungen und Schnittmengen) […].«
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
In der vorliegenden Arbeit geht es um die Ausprägung eines neuen Autortypus, der den Standesunterschied zwischen literarischer und journalistischer Autorschaft neu verhandelt und der, wie insbesondere unter 2.1. Institutionelle Voraussetzungen: Die Marke Joseph Roth und unter 3.1. Institutionelle Voraussetzungen: New Journalism ausführlich untersucht wird, nach einem Distinktionsgewinn strebt. Neben den Begriffen des Feldes und des Akteurs gilt es also noch einen weiteren Begriff einzuführen: Den für diese Arbeit zentralen Terminus der ›Distinktion‹ arbeitet Bourdieu in Die feinen Unterschiede aus, in dem »die Erzeugung von Differenz und positive Differenzierung«126 im Vordergrund steht. Mittels Distinktion heben sich Akteure von anderen ab, unterscheiden sich voneinander und markieren einen Abstand.127 Dennoch ist Distinktion nicht als ein aktives Streben nach Differenz zu verstehen, »sondern als unbewusste Abgrenzung, die sich qua Habitus einstellt«128 . Den Habitus – dies ist der letzte Begriff, der aus der Feldtheorie produktiv gemacht werden soll – definiert Bourdieu im Gegensatz zum Feld, das er als »Ding gewordene Geschichte« bezeichnet, als die »Leib gewordene Geschichte«.129 Der Habitus bestimmt »das Prinzip des Handelns, Wahrnehmens und Denkens«130 der Akteure und bildet – obwohl er dem Bewusstsein nicht zugänglich ist – »die Grundlage bewusster Handlungen«131 . Damit ist der Habitus als »System von Grenzen«132 zu verstehen: »Wer den Habitus einer Person kennt, der spürt oder weiß intuitiv, welches Verhalten dieser Person verwehrt ist.«133 Übertragen auf die Analyseperspektive dieser Arbeit, sind die genannten Begriffe insofern relevant, als sie ein geeignetes Instrumentarium bereitstellen, das erlaubt, die Position von Roth und Wolfe als Akteure im literarischen wie journalistischen Feld nicht nur nachzuvollziehen und zu beschreiben. Dadurch, dass zwischen dem Habitus des einzelnen Akteurs und 126
Boike Rehbein: Distinktion. In: Bourdieu-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, hg. von Gerhard Fröhlich u. Boike Rehbein. Stuttgart/Weimar: 2009, S. 76-78. Hier: S. 77. 127 Vgl. Pierre Bourdieu: Die feinen Unterschiede (Interview). In: Pierre Bourdieu: Die verborgenen Mechanismen der Macht, hg. von Margareta Steinrücke. Hamburg: 1992, S. 31-47. Hier: S. 39: Letztlich trifft Bourdieu mit diesem Begriff jedoch vor allem Aussagen über Angehörige der »herrschenden Kultur«, die sich gegenüber denen der »breiten Masse« abgrenzen. 128 Sophia Prinz: Geschmack. In: Bourdieu-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, hg. von Gerhard Fröhlich u. Boike Rehbein. Stuttgart/Weimar: 2009, S. 104-110. Hier: S. 105. 129 Beide Zitate aus Pierre Bourdieu: Sozialer Raum und »Klassen«. Leçon sur la leçon. Zwei Vorlesungen. Frankfurt a.M.: 1985, S. 33 und 69. Vgl. zur Beziehung von literarischem und journalistischem Feld Joseph Jurt: Das literarische Feld. Das Konzept Pierre Bourdieus in Theorie und Praxis. Darmstadt: 1995, S. 79-84. 130 Boike Rehbein u. Gernot Saalmann: Habitus. In: Bourdieu-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, hg. von Gerhard Fröhlich u. Boike Rehbein. Stuttgart/Weimar: 2009, S. 110-118. Hier: S. 111. 131 Ebd., S. 111. 132 Bourdieu: 1992, S. 33. 133 Ebd., S. 33.
1. Einleitung
dem Feld eine Wechselwirkung besteht, wirkt sich die Verhandlung des Standesunterschieds von journalistischer und literarischer Autorschaft, wie sie von Roth und Wolfe betrieben wird, auf beide Felder gleichermaßen aus. So rückt die Leistung von literarischer und journalistischer Autorschaft in den 1920er und frühen 1930er Jahren in Deutschland und in den 1960er und 1970er Jahren in den USA in den Fokus der Öffentlichkeit. Wie sehr es dabei um eine existenzielle Deutungshoheit einzelner Akteure innerhalb der Felder geht, wird im Laufe der vorliegenden Arbeit deutlich.134 Ergänzend zu den Begriffen Feld, Akteur, Habitus und Distinktion ist in der vorliegenden Arbeit immer wieder die Rede von dem des Standesunterschieds von Literatur und Journalismus, an dem sich die Autoren abarbeiten. Der Begriff des Standes entstammt dem Repertoire der »soziologischen Ungleichheitsforschung«135 und ist entscheidend von Max Weber geprägt worden.136 Anders als Vertreter von Klassen definieren sich Angehörige eines Standes nicht über ökonomische Faktoren,137 sondern hauptsächlich über eine gemeinsame »Mentalität«, auch Standesbewusstsein genannt, und durch die Einhaltung »strengere[r] Regeln«.138 In einer ständisch organisierten Gesellschaft – wie der des Mittelalters – ist eine soziale Mobilität nur eingeschränkt möglich: Die Abstammung bestimmt die ständische Zugehörigkeit. Doch dieses Prinzip kann unterlaufen werden: So kann zum Beispiel durch den Akt der Nobilitierung ein Mitglied eines niedrigen Standes durch einen Souverän in einen höheren Stand erhoben werden. Übertragen wird der soziologische Begriff des Standesunterschieds hier auf die Differenz, die zwischen dem gesellschaftlichen Ansehen des journalistischen und literarischen Feldes insgesamt, ihrer Akteure und ihrer Erzeugnisse angenommen wird. Wie detailliert in den Einzelanalysen gezeigt wird, kann sich der Standesunterschied vielfältig manifestieren – im Gefälle der sozialen Anerkennung des journalistischen und literarischen Feldes, insgesamt, im ›Berufsprestige‹139 der 134 135
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Vgl. dazu insbesondere Kapitel 3.3. Vom Journalismus zur Literatur: Wolfe als Romancier. Frank Thieme: Lektion X. Kaste, Stand, Klasse. In: Einführung in die Hauptbegriffe der Soziologie, hg. von Herrmann Korte u. Bernhard Schäfers. Wiesbaden: 2019, S. 221-246. Hier: S. 222. Vgl. Hans-Günter Vester: Kompendium der Soziologie II: Die Klassiker. Wiesbaden: 2009, S. 124. Vgl. außerdem zu Webers Werk Kapitel3.2.6. Legenden bilden, Status definieren, Aufmerksamkeit akkumulieren. Max Weber entwickelt den Begriff des Standes weiter und untersucht die Kontinuitäten ständischer Ordnung in der modernen Gesellschaft. Vgl. Thieme: 2019, S. 231. Beide Zitate ebd., S. 225. Auf die mannigfachen Versuche, den Begriff des Berufsprestige zu fassen, weist vor allem Willi Oberlander in Bezug auf die freuen Berufe hin: Vgl. Willi Oberlander: Prestige der freien Berufe. In: Handbuch Berufsforschung, hg. von Jörg-Peter Pahl u. Volkmar Herkner. Bielefeld: 2013, S. 564-576. Hier: S. 564. Berufsprestige ist hier mit Jörg Stolz definiert als »Eigenschaft einer Berufstätigkeit. Sie drückt die allgemeine gesellschaftliche Wertschätzung aus,
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
Autoren (2.3.3. Roth, der Rezensent und Kritiker und 3.3.2. Recherchieren, beobachten, berichten: Selbstverständnis als Romancier) oder in der Bewertung und Rezeption ihrer Texte (2.2.5. Rezipieren: »Weil Sie aber ein Dichter sind« und 3.3.1. Rezensieren, beschimpfen, verstoßen: Der ewige Journalist). Der Begriff des Standesunterschieds unterscheidet sich also wesentlich von dem der Distinktion, der hier verwendet wird, um den Statuskampf der Teilnehmer innerhalb eines Feldes zu beschreiben. Entscheidend ist, dass die Autoren, die in Personalunion Journalisten wie Literaten sind, durch ein großes Repertoire an Inszenierungspraktiken versuchen, den Standesunterschied von Literatur und Journalismus zu unterlaufen und so ein ›ständisches Denken‹, das heißt das Beurteilen und Bewerten von Autoren und ihrer Texte allein aufgrund einer wahrgenommenen Zugehörigkeit zum literarischen oder journalistischen Feld zu erschüttern. Untersucht werden Strategien der (Selbst-)Nobilitierung von Joseph Roth und Tom Wolfe, die beispielsweise dann vorliegen, wenn die Autoren Artikel für die Zeitung in Buchform herausgeben (2.3.3. Roth, der Rezensent und Kritiker und 3.2.1. Anthologisieren, selektieren, historisieren) oder als bekannte Journalisten als Romanciers in Erscheinung treten (2.2. Zwischen Literatur und Journalismus: Die Flucht ohne Ende und 3.3. Vom Journalismus zur Literatur: Wolfe als Romancier). Schließlich muss also definiert werden, was unter Inszenierungspraktiken firmiert. In ihrem Sammelband Schriftstellerische Inszenierungspraktiken legen Christoph Jürgensen und Gerhard Kaiser einen Definitionsversuch vor, der unmittelbar auch Bourdieus Terminologie produktiv macht:140 Inszenierungspraktiken, das meint hier zunächst jene textuellen, paratextuellen und habituellen Techniken und Aktivitäten von SchriftstellerInnen, in oder mit denen sie öffentlichkeitsbezogen für ihre eigene Person, für ihre Tätigkeit und/oder für ihre Produkte Aufmerksamkeit erzeugen. […] Ziel solcher Inszenierungspraktiken – so unsere Annahme – ist die Markierung und das Sichtbar-Machen einer sich abgrenzenden, wiedererkennbaren Position innerhalb des literarischen Feldes.141 Jürgensen und Kaiser verweisen hier explizit auf Gérard Genette, dessen Theorie des Paratextes die Definition von schriftstellerischen Inszenierungspraktiken neben der Feldtheorie zentral mitbestimmt.142 Ziel ist es, eine Heuristik zu entwerfen, die »variabel genug ist, potentiell auf die Phänomenbereiche der gesamten
die einem bestimmten Beruf im Vergleich zu anderen Berufen entgegengebracht wird.« Vgl. Jörg Stolz: Fremdenfeindlichkeit. Theoretische und empirische Analysen. Frankfurt a.M./New York: 2000, S. 266. Zum Berufsprestige von Journalisten vgl. speziell Meier: 2018, S. 123-124. 140 Die Begriffe Autorschaftsinszenierung und schriftstellerische Inszenierungspraxis werden im Folgenden synonym verwendet. 141 Jürgensen u. Kaiser: 2011, S. 10. 142 Vgl. Gérhard Genette: Paratexte. Frankfurt a.M./New York: 1992.
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Lebenswelt der Autoren ausgreifen zu können«143 . Mit ihrem Definitionsversuch ermöglichen es Jürgensen und Kaiser, mehr als nur die textuellen Dimensionen von schriftstellerischen Inszenierungspraktiken zu beleuchten: So können auch mediale und performative Praktiken der Autorschaftsinszenierung in den Blick genommen werden.144 Unter paratextuellen Inszenierungspraktiken versteht man eben solche Praktiken, die sich nicht auf den eigentlichen Haupttext eines Werkes beziehen. Innerhalb der paratextuellen Inszenierungspraktiken wird wiederum zwischen periund epitextuellen Inszenierungspraktiken unterschieden. Zum Epitext wird ein Paratext, wenn er »irgendwo außerhalb des Buches«145 publiziert wird. Dies ist zum Beispiel bei Rezensionen und programmatischen Stellungnahmen der Fall, die in zeitlichem und räumlichem Abstand zum Haupttext erscheinen.146 Der Peritext, unter den beispielsweise Vorworte, Widmungen, Titel und Untertitel fallen, erscheint hingegen immer in unmittelbarer medialer Verbindung mit dem Haupttext.147 Peritextuelle und epitextuelle Inszenierungsstrategien bestehen somit fast immer aus Textmaterial. Nicht-textuelle Referenzobjekte – wie beispielsweise Porträts im Klappentext – bilden dabei die Ausnahme. Wie bereits angedeutet, erlaubt der Ansatz von Jürgensen und Kaiser, jedoch auch im weiteren Sinne nicht-textuelle, also habituelle Inszenierungspraktiken zu analysieren. Dazu zählen »alle performativen, sozialen/politischen und ästhetischen Aspekte«148 der Autorinszenierung, die vor allem medial durch Fotografien, Bewegtbild- oder Audioaufnahmen vermittelt werden.149 Dieses breitangelegte Definitionsangebot von Inszenierungspraktiken ist insofern für die Autorschaftsinszenierung an der Schnittstelle von Journalismus und Literatur anschlussfähig, als die Verhandlung des Standesunterschieds von Journalismus und Literatur sowohl bei Roth als auch bei Wolfe nur im Zusammenspiel von textuellen, paratextuellen und habituellen Praktiken umfassend analysiert werden kann. Liegt der Fokus der Forschung zur Autorinszenierung hauptsächlich auf der Selbstinszenierung der Akteure,150 fungiert bei Jürgensen und Kaiser der Begriff des »Autorbildes«151 als Scharnier, um Fremdzuschreibungen in das Analyseinstru143 Jürgensen u. Kaiser: 2011, S. 11. 144 Vgl. ebd., S. 11. Bereits vor Jürgensens und Kaisers heuristischem Modell wird Genette bei Dirk Niefanger zur zentralen Referenzgröße, wenn es um die Beschreibung von Inszenierungspraktiken im Kontext der deutschen Popliteratur geht. Vgl. Niefanger: 2004, S. 88-89. 145 Genette: 1992, S. 10. 146 Vgl. Jürgensen u. Kaiser: 2011, S. 12. 147 Vgl. Genette: 1992, S. 94-95. 148 Jürgensen u. Kaiser: 2011, S. 12. 149 Vgl. ebd., S. 11-13. 150 Zu diesem Ergebnis kommt auch Oster: 2014, S. 30-31. 151 Jürgensen u. Kaiser: 2013, S. 10. Vgl. zudem Oster: 2014, S. 30.
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
mentarium zu integrieren. Damit die Positionen von Roth und Wolfe innerhalb des journalistischen wie literarischen Feldes bestimmt, ihr Habitus also in den Blick genommen und ihr Distinktionsgewinn bewertet werden kann, ist die Zuhilfenahme von Fremdzuschreibungen unerlässlich. Indem beispielsweise Rezeptionszeugnisse in die Analyse miteinbezogen werden, erfährt die schriftstellerische (Selbst-)Inszenierung ein gewisses Maß an Objektivierung.152 Zu beobachten ist, dass sowohl Wolfe als auch Roth zu Inszenierungspraktiken greifen, die darauf abzielen, ihren Status im Feld durch einen hohen Wiedererkennungswert zu sichern, um die eigene Autorschaft als ›Marke‹ zu etablieren.153 Unter dem Begriff der Marke definiert das Gabler Wirtschaftslexikon »die Summe aller Vorstellungen […], die ein Markenname oder ein Markenzeichen bei Kunden hervorrufen soll, um die Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden«154 . Diese Definition lässt nicht nur unmittelbare Assoziationen zu Bourdieus Feld- und Kapitaltheorie, insbesondere zum Konzept der Distinktion, zu, da sie auf das Markieren von Differenz abzielt.155 Darüber hinaus macht die Definition – übertragen auf die Inszenierung von Schriftstellern – vor allem auf die wirtschaftlichen Aspekte aufmerksam, die für die öffentliche Wahrnehmung und erfolgreiche Vermarktung eines Autors ausschlaggebend sind: So ist bereits vielfach in der Forschung zur Autorpräsentation und dem Literaturmarkt auf die Funktion des Autors als ›Marke‹ eingegangen worden. Beispielsweise kommt Lutz Hagestedt zu folgendem Ergebnis: Ein Autor ist demnach auch eine Marke, deren Erfolg über die Selbstbehauptung am Markt entscheidet. Der Verlagsbuchhandel vertreibt diese Marke, indem er den Autor und sein Produkt im Rahmen des Branchenüblichen herausstellt, auf die Verbreitung des Werkes hinarbeitet und damit die Literaturentwicklung fördert.156 Eng verbunden mit dem Konzept des Autors als Marke im Kontext von schriftstellerischen Inszenierungspraktiken ist das des Autors als ›Label‹. Der Terminus des ›Autor-Labels‹ geht auf Dirk Niefanger zurück und bezieht sich insbesonde-
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Vgl. dazu insbesondere Kapitel 2.2.5. Rezipieren: »Weil Sie aber ein Dichter sind«. Auch Fischer stellt in Hinblick auf die Inszenierungsleistung von Autoren einen Bezug zum wirtschaftlichen Terminus der ›Marke‹. Vgl. Fischer: 2015, S. 45-47. Christoph Burmann, Astrid Meckel u.a.: Marke. In: Gabler Wirtschaftslexikon. URL: https://w irtschaftslexikon.gabler.de/definition/marke-36974#references (abgerufen am 25.11.2020). Zu berücksichtigen ist allerdings, dass es – wie bereits in diesem Kapitel erwähnt – bei dem Konzept der Distinktion nicht um ein beabsichtigtes Markieren von Differenz geht. Lutz Hagestedt: Autorenpräsentation und -förderung: Lesungen, Ausstellungen, Preise. In: Handbuch Literaturwissenschaft, hg. von Thomas Anz. Stuttgart: 2007, S. 296-305. Hier: S. 296.
1. Einleitung
re auf die Bedeutung des Autornamens für den Rezeptionsprozess.157 Ihm zufolge kommt dem Autornamen als Paratext eine besondere Funktion zu, indem er »als ›Label‹ […] Etikett, Ordnungshilfe, Qualitätsbezeichnung usw. fungiert«158 und so auch großen Einfluss auf die Rezeption des eigentlichen Werks habe:159 Der Autorname als Paratext hat zudem rechtliche und ökonomische Funktionen, die ihn an den Markennamen annähern. Er dient der Vermarktung, der Lesergewinnung, der Positionierung im ökonomischen oder kulturellen Feld. Und er steht nicht für ein einheitliches Produkt, sondern für eine Produktpalette […]. Den Autornamen als ein Label zu fassen, bietet die Möglichkeit, ihn als Paratext mit verschiedenen Informationen zu lesen. Er gibt Hinweise über den Wert […] eines Textes, über dessen Positionierung im jeweiligen Diskurs und den Ort des Autors im kulturellen Feld; er vermittelt ein Image und verspricht eine bestimmte Qualität.160 Für die Autorschaftsinszenierung von Joseph Roth und Tom Wolfe sind sowohl der weitgefasstere Begriff der ›Marke‹ als auch der des ›Labels‹ ausschlaggebend. So wird unter anderem in 2.2. Zwischen Literatur und Journalismus: Die Flucht ohne Ende analysiert, inwiefern der Autorname ›Roth‹ als Paratext von der Redaktion der Frankfurter Zeitung eingesetzt wird, um die Rubrik des Feuilletons aufzuwerten. Mit der Nennung des Autor-Labels ist – so die These – ein Prestigegewinn intendiert, indem Roths erworbenes symbolisches Kapital auf die Zeitung insgesamt ausstrahlen soll, um sie wirtschaftlich erfolgreich zu machen. Im Falle von Tom Wolfe wird das Autor-Label insofern relevant, als die Nennung seines Namens zum Synonym für die Statusverhandlung von Journalismus und Literatur wird. Magazine wie der Esquire profitieren von Wolfes Autor-Label, da Autoren wie er die Botschaft transportieren, an den Grundfesten des konservativen Journalismus zu rütteln. Losgelöst von den Magazinen und Institutionen lässt sich bei Wolfe zudem zeigen, dass er sich wie kaum ein anderer Autor zu einer Marke stilisiert, die er optisch durch das Tragen eines weißen Anzugs markiert. Dieser wird dabei zum Markenzeichen seines Autor-Labels.161 Der Begriff des ›Markenzeichens‹, der als letzter wirtschaftswissenschaftlicher Terminus für die Analyse hinzugezogen werden soll, wird von John-Wenndorf in Hinblick auf die Autorschaftsinszenierung produktiv gemacht. Er unterscheidet sich wesentlich von dem des ›Autor-Labels‹, indem der
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Vgl. Dirk Niefanger: Der Autor und sein Label. Überlegungen zur fonction classificatoire Foucaults (mit Fallstudien zu Langbehn und Kracauer). In: Autorschaft. Positionen und Revisionen (DFG-Symposion 2001), hg. von Heinrich Detering. Stuttgart/Weimar: 2002, S. 521-539. 158 Ebd., S. 525. 159 Vgl. ebd., S. 525. 160 Ebd., S. 525-526. 161 Vgl. dazu auch Kapitel3.2. Zwischen Literatur und Journalismus: Inszenierungspraxis.
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Schriftsteller es selbst »durch die Betonung von ihm geschätzter Eigenschaften, äußerlicher Attribute oder unveränderlicher Charaktermerkmale«162 setzt. Die Begriffe ›Autor-Label‹, ›Marke‹ und ›Markenzeichen‹ sollen im Folgenden die von Jürgensen und Kaiser entworfene Heuristik der schriftstellerischen Inszenierungspraktiken ergänzen. Die aus den Wirtschaftswissenschaften entlehnte Terminologie soll auf verbindende Elemente innerhalb der Poetologie der Autoren und ihrer Selbstdarstellung zwischen Literatur und Journalismus hinweisen. Wie aus den vorangegangenen Erläuterungen hervorgeht, ist die von Jürgensen und Kaiser entworfene Heuristik der Inszenierungspraktiken jedoch insgesamt derart ausdifferenziert, dass sie ohne weitere Modifizierungen auf den vorliegenden Untersuchungsgegenstand angewendet werden kann. Problematisch bleiben jedoch die Begriffe der ›Praktik‹ sowie der ›Praxis‹ (und damit auch der ›Praxeologie‹) die Jürgensen und Kaiser zwar definieren, die jedoch vor dem Hintergrund der aktuellen Praxeologie-Forschung einer kurzen Erklärung und Ergänzung bedürfen.163 Gegenwärtig finden praxeologische und praxistheoretische Ansätze ausgehend von der Soziologie auch in der Literaturwissenschaft Anwendung. Bereits Sabine Kyora ergänzt in ihrem Sammelband Subjektform Autor die Forschung zur schriftstellerischen Inszenierungspraxis, indem sie gezielt praxeologische Aspekte berücksichtigt.164 Unter ›Praxeologie‹, einem Begriff, der ebenfalls von Bourdieu geprägt wurde,165 kann mittlerweile ein Schmelztiegel an »Theorien sozialer Praktiken« beziehungsweise »Praxistheorien« definiert werden,166 die über Bourdieus ursprüngliche Theorieintentionen hinausreichen.167 Die »Signalwörter«168 ›Praxeologie‹ beziehungsweise ›Praxistheorie‹ stehen laut Ute Frietsch für die Absicht, »sich methodisch und theoretisch an den zu erhebenden Prakti-
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John-Wenndorf: 2014, S. 325. Vgl. Gernot Saalmann: Praxeologie. In: Bourdieu-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, hg. von Gerhard Fröhlich u. Boike Rehbein. Stuttgart/Weimar: 2009, S. 196-199. Hier: S. 196: Wichtig ist, zwischen Praxeologie und Praxis bei Bourdieu zu unterscheiden. Praxeologie ist ein übergeordneter Begriff und meint allgemein die »Vorgehensweise« sowie den »Inhalt« seines Ansatzes, wohingegen die Praxis der »Erkenntnisgegenstand« ist. 164 Vgl. Sabine Kyora: Subjektform Autor? Einleitende Überlegungen. In: Subjektform Autor. Autorschaftsinszenierungen als Praktiken der Subjektivierung, hg. von Sabine Kyora. Bielefeld: 2014, S. 11-22. 165 Vgl. weiterführend Saalmann: 2009. 166 Beide Zitate aus Reckwitz: 2003, S. 282. 167 Vgl. Ute Frietsch: Einleitung. Zur Konzeption des Handwörterbuches. In: Über die Praxis des kulturwissenschaftlichen Arbeitens. Ein Handwörterbuch, hg. von Ute Frietsch. u. Jörg Rogge. Bielefeld: 2013, S. 1-10. Hier: S. 3. 168 Ute Frietsch: Praxeologie der Wissenschaft. In: Über die Praxis des kulturwissenschaftlichen Arbeitens. Ein Handwörterbuch, hg. von Ute Frietsch u. Jörg Rogge. Bielefeld: 2013, S. 311-317. Hier: S. 311.
1. Einleitung
ken zu orientieren«169 . Die Definitionsgrundlage des Begriffs der ›Praktik‹ prägt insbesondere im letzten Jahrzehnt Andreas Reckwitz. Er kommt zu dem Ergebnis, »dass Praktiken nichts anderes als Körperbewegungen darstellen und dass Praktiken in aller Regel einen Umgang von Menschen mit ›Dingen‹, ›Objekten‹ bedeuten, was beides jedoch weder im Sinne des Behaviorismus noch eines Technizismus zu verstehen ist«170 . Wesentlich für den Begriff der ›Praktik‹ ist in diesem Fall eine Aufwertung der ›Materialität‹, sei es durch den Körper, der die Praktik in einer »skillfull performance«171 ausführt, sei es durch bestimmte Artefakte, die als »Teilelemente von sozialen Praktiken«172 zu verstehen sind. Zu Artefakten zählt Reckwitz beispielsweise Fortbewegungsmittel, technische Erfindungen und LifestyleProdukte, aber auch den Buchdruck. Trotz Überschneidungen mit gängigen Definitionen des Begriffs ›Medium‹ betont der des ›Artefakts‹ nicht nur den materiellen Charakter: Artefakte bedingen soziale Praktiken oder sind selbst als solche zu definieren.173 Voraussetzung für soziale Praktiken ist ein »praktisches Wissen«174 , das eine adäquate Ausübung garantiert und selbst Teil der Praktik ist.175 In diesem Lichte betrachtet, ist soziales Handeln im Sinne der Praxistheorie immer eine »Aktivität, in der ein praktisches Wissen, ein Können, im Sinne eines ›know how‹ und eines praktischen Verstehens zum Einsatz kommt«176 . Für die vorliegende Arbeit verspricht ein praxistheoretischer Ansatz, wie ihn beispielsweise Reckwitz vertritt, eine gewinnbringende Ergänzung zu Bourdieus Feldtheorie zu sein. Während die Feldtheorie ermöglicht, die Position der einzelnen Akteure im Feld und ihren Status zu analysieren, steht mit Hilfe der Praxistheorie ein noch feingliedrigeres Instrumentarium zur Verfügung, einzelne Praktiken in den Fokus zu nehmen, mit deren Hilfe die Verhandlung des Standesunterschieds von Literatur und Journalismus untersucht werden kann. Wie bereits Sabine Kyora gezeigt hat, könnte man das literarische Feld als den Kontext verstehen, der diese Praktiken mitbestimmt; Autoren setzen sich innerhalb dieses Feldes durch Praktiken in Beziehung zu anderen Teilnehmern etwa Verlegern oder Kritikern, nehmen im Vollzug der Praktiken eine Position innerhalb des Feldes ein und bringen in ihren Praktiken Bedeutung und Identität […] hervor.177
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Vgl. ebd., S. 311. Reckwitz: 2003, S. 290. Ebd., S. 290. Ebd., S. 291. Vgl. ebd., S. 291. Ebd., S. 292. Vgl. ebd., S. 292. Ebd., S. 292. Kyora: 2014, S. 13.
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
So rücken bei Joseph Roth und Tom Wolfe gezielt Artefakte und Praktiken in den Vordergrund, wie beispielsweise das Tragen des weißen Anzugs, die bewusste Hinwendung zu kleinen Formaten, wie dem Feuilleton oder die Veröffentlichung von journalistischen Texten in Buchform, die sie in ihrem Distinktionsstreben unterstützen, sich von anderen Akteuren im journalistischen wie literarischen Feld abzugrenzen. Diese Hinwendung zur ›Materialität‹ – die im Grunde ein Rückbezug zur Sozialgeschichte der Literatur der 1970er und 1980er Jahre ist – lässt sich gegenwärtig in der Literaturwissenschaft durch Studien wie die Carlos Spoerhases zur Buchphilologie beobachten. In seiner Untersuchung Das Format der Literatur wendet er sich bewusst ›dem Buch‹ zu und betrachtet es nicht als Medium, sondern als Publikationsformat, das es im Kontext seiner »sozialen Mediation«178 für das 18. und 19. Jahrhundert zu erfassen gilt.179
1.6
Konzeption und Korpus
Wie bereits erläutert, legt die vorliegende Untersuchung eine Studie zur Historisierung eines neuen Autortypus vor, der sich am Standesunterschied von Journalismus und Literatur abarbeitet. Ihn kennzeichnet ein Distinktionsstreben, innerhalb des literarischen wie journalistischen Feldes, durch ein akzentuiertes Autorenprofil sich selbst und sein Werk zur Marke beziehungsweise zu einem Autor-Label zu stilisieren und durch Inszenierungspraktiken zu verorten. Die Arbeit besteht dabei aus zwei autorzentrierten Einzelstudien zu Joseph Roth (2.) und Tom Wolfe (3.), anhand derer die Entwicklung dieses neuen Autortypus nachvollzogen werden soll. Die Basis für die Analyse der auktorialen Selbstinszenierung von Joseph Roth und dessen Autorbild, das durch Fremdzuschreibungen innerhalb des Rezeptionsprozesses entsteht, bildet eine historische Verortung des literarischen und journalistischen Schaffens (2.1. Institutionelle Voraussetzungen: Die Marke Joseph Roth). Mit Hilfe der Briefkorrespondenzen mit Stefan Zweig, Bernhard von Brentano und Benno Reifenberg soll ein möglichst differenziertes Bild des redaktionellen und institutionellen Publikationskontexts gezeichnet werden, das Roths journalistische 178 179
Carlos Spoerhase: Das Format der Literatur. Praktiken materieller Textualität zwischen 1740 und 1830. Göttingen: 2018, S. 36. Vgl. ebd., S. 36-38: »Im Gegensatz zu den herkömmlichen Medienwissenschaften geht es darum, Medien wie das Buch als Formen von Mediation viel nachdrücklicher im übergreifenden Rahmen von sozialen Vermittlungsvorgängen zu situieren, die sich nicht (in einem restringierten Sinne) als mediale Kommunikation charakterisieren lassen. […] Das Materielle kann nur in seiner Vermittlung durch soziale Praktiken angemessen rekonstruiert werden. Von diesen Praktiken hängt auch ab, welche Voraussetzungen ein materielles Artefakt überhaupt erfüllen muss, um bibliographisch, bibliothekarisch und literaturwissenschaftlich als Buch wahrgenommen zu werden.«
1. Einleitung
wie literarische Autorschaft prägt. Die Analyse der Briefwechsel schafft die Voraussetzungen für die Untersuchung von Roths Weltkriegsroman Die Flucht ohne Ende, der hier im Spannungsfeld von literarischem und journalistischem Schreiben sowie einer ›selbstbestimmten‹ literarischen und redaktionell eingebundenen Produktion und Autorschaftsinszenierung analysiert werden soll (2.2. Zwischen Literatur und Journalismus: Die Flucht ohne Ende). Anhand der Auswertung von zeitgenössischen Rezensionen aus verschiedenen Nachlässen und Dokumentationsmappen des Leo Baeck Instituts und des Deutschen Literaturarchivs Marbach soll anschließend der Frage nachgegangen werden, inwiefern es für den Rezeptionsprozess dieses Romans eine Rolle spielt, dass Joseph Roth in Personalunion Romancier und Journalist ist. Ausgehend von dieser Werkstudie, die Roth als Romancier in den Blick nimmt, wird noch einmal der Bogen zu seiner feuilletonistischen Tätigkeit gespannt (2.3. Öffentliche Selbstverortung im Feuilleton). Wenngleich in der Forschung immer wieder betont wird, dass Briefe – zumal wenn sie an so bekannte Autoren wie Stefan Zweig gerichtet sind – nicht nur vom Empfänger rezipiert werden, sondern darüber hinaus von einem erweiterten Kreis an Lesern, so richten sie sich zunächst im 20. Jahrhundert in primärer Instanz an den Adressaten.180 Obwohl solche Briefwechsel mit Sicherheit einen Sonderstatus zwischen öffentlicher und privater Kommunikation einnehmen, ist die darin entworfene schriftstellerische Inszenierung nicht mit der in periodisch erscheinenden Zeitschriften und Zeitungen zu vergleichen, die im Vorhinein einem großen Adressatenkreis zugänglich ist. Von Interesse ist sodann, wie Joseph Roth sich im Feuilleton unterschiedlicher Tageszeitungen und Zeitschriften beispielsweise als Kritiker, Intellektueller und Autor inszeniert und den Standesunterschied zwischen literarischer und journalistischer Autorschaft zum Politikum macht. In einem nächsten Schritt soll die schriftstellerische Inszenierungspraxis Tom Wolfes als Vergleichsfolie herangezogen werden, in deren Zentrum ebenfalls die Verhandlung des Standesunterschieds von Literatur und Journalismus steht. Unter dem Schlagwort der ›Ästhetisierung‹ soll hier untersucht werden, wie Tom Wolfe sich als Marke und Autorlabel im literarischen wie journalistischen Feld verorten lässt. Wie auch bei Joseph Roth werden zunächst die institutionellen Voraussetzungen in den Blick genommen werden (3.1. Institutionelle Voraussetzungen: New Journalism). Diese führen dazu, dass Tom Wolfe jenseits redaktioneller Kontexte versucht, sich zunächst als Journalist, später als Romancier für einen Paradigmenwechsel einzusetzen, der den Journalismus auf wirkungsästhetischer Ebene fortan als der
180 Vgl. zum Brief und seinem Status als halböffentliches Kommunikationsmedium Regina Nörtemann: Brieftheoretische Konzepte im 18. Jahrhundert und ihre Genese. In: Brieftheorie des 18. Jahrhunderts, Texte, Kommentare, Essays, hg. von Angelika Ebrecht. Stuttgart: 1990, S. 211-224. Hier: S. 212.
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Literatur mindestens ebenbürtig bewertet. Er und weitere Autoren des New Journalism machen die ›Stiefschwester der Literatur‹ mit ihr konkurrenzfähig. Unter dem Schlagwort ›New Journalism‹ wird die Aufwertung von journalistischen Texten und einer journalistischen Autorschaft Gegenstand einer öffentlichen Diskussion, die Tom Wolfe mithilfe verschiedener Praktiken maßgeblich steuert. Diese rücken in Kapitel 3.2. Zwischen Literatur und Journalismus: Inszenierungspraxis in den Fokus. Dass dabei nicht nur paratextuelle und textuelle Inszenierungspraktiken im Vordergrund stehen, sondern auch performative Aspekte der Selbstinszenierung, die den Journalisten und den Journalismus rehabilitieren und seine gesellschaftliche Position ästhetisieren, lässt sich anhand der vestimentären Selbstinszenierung am Beispiel von Wolfes weißem Anzug verdeutlichen. Das Korpus, auf dessen Grundlage die institutionellen Voraussetzungen, die schriftstellerischen Inszenierungspraktiken und das Autorbild Wolfes analysiert werden, reicht somit von programmatischen Stellungnahmen in Interviews über Rezensionen bis hin zu programmatischen Essays, Fotografien, Zeitschriftencovern und Gemälden. Die Untersuchung von Wolfes Autorschaft zwischen Literatur und Journalismus rundet ein Blick auf seine Tätigkeit als Romancier ab (3.3. Vom Journalismus zur Literatur: Wolfe als Romancier). Obwohl Wolfe über weite Strecken seiner Karriere große programmatische Anstrengungen unternimmt, die Unterlegenheit von Literatur und literarischen Autoren vorzuführen, entschließt er sich, im Jahr 1987 mit knapp 60 Jahren seinen ersten Roman, The Bonfire of the Vanities, zu veröffentlichen. Am Beispiel dieses New York-Romans und der Kontroverse, die sich um seinen zweiten Roman A Man in Full aus dem Jahr 1998 entspinnt, soll gezeigt werden, wie sehr noch um die Jahrtausendwende die Frage des Standesunterschieds zwischen literarischer und journalistischer Autorschaft die Gemüter der literarischen Elite Amerikas erhitzt.
2. Professionalisieren: Joseph Roth
2.1
Institutionelle Voraussetzungen: Die Marke Joseph Roth
Als Joseph Roth im Jahr 1920 nach Berlin geht, ist seine Entscheidung vor allem wirtschaftlich motiviert: Die Tageszeitung Der Neue Tag, für die er gegen Ende seiner Wiener Schaffensperiode als Journalist primär tätig gewesen ist,1 existiert seit dem 30. April nicht mehr. Die nur ein Jahr zuvor von seinem wichtigen Mentor, Benno Karpeles, gegründete Zeitung hatte dem Konkurrenzdruck anderer Tageszeitungen und der wachsenden Inflation nicht mehr Stand halten können.2 Dennoch legt diese Reporter-Tätigkeit in Wien für Den Neuen Tag den zentralen Grundstein seiner Karriere, die in Berlin ihren Höhepunkt erfahren sollte.3 In der Hauptstadt der Weimarer Republik steht Roth eine Vielzahl an Möglichkeiten zur Veröffentlichung zur Verfügung. Nach dem Zeitungssterben, bedingt durch den Ersten Weltkrieg, kann sich der Zeitungsmarkt in Deutschland wieder erholen: Trotz schwankender Konjunktur, Inflation und politischer Unbeständigkeit wächst die Produktion von Presseerzeugnissen sogar.4 Aus medienhistorischer Perspektive markieren die 1920er Jahre den Höhepunkt eines florierenden und ausdifferenzierten Zeitungsmarktes, dessen Zentrum Berlin ist: So spricht beispielsweise De Mendelssohn in seiner einschlägigen Monographie zur »Zeitungsstadt Berlin« von einem »Berliner Jahrzehnt«.5 Insbesondere die Auflagenzahl und die Vielfalt des Angebots sind in den Jahren 1928 und 1929 am höchsten: »Berlin war an […] dem höchsten Stand seiner wirtschaftlichen, geistigen und kulturellen Blüte,
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Vgl. Klaus Westermann: Joseph Roth, Journalist. Eine Karriere 1915-1939. Bonn: 1987, S. 24. Vgl. Wilhelm von Sternburg: Joseph Roth. Eine Biographie. Köln: 2009, S. 204. Vgl. ebd., S. 234: »Wien verlässt er als regional anerkannter Zeitungsschreiber. Der Starjournalist und Schriftsteller wird erst in Berlin geboren.« Vgl. Jürgen Wilke: Redaktionsorganisation in Deutschland. Anfänge, Ausdifferenzierung, Strukturwandel. In: Unter Druck gesetzt. Vier Kapitel deutscher Pressegeschichte, hg. von Jürgen Wilke. Köln/Weimar/Wien: 2002, S. 9-68. Hier: S. 37. Beide Zitate aus Peter De Mendelssohn: Zeitungsstadt Berlin. Menschen und Mächte in der Geschichte der deutschen Presse. Frankfurt a.M./Berlin/Wien: 1982, S. 312 und 339.
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
eine Stadt der Zeitungen im wahrsten Sinne des Wortes.«6 Zu diesem Zeitpunkt ist Roth bereits ein etablierter Journalist: Er ist Mitarbeiter des Berliner-Börsen-Couriers unter Emil Faktor und Herbert Ihering und ist aus dem Feuilleton der renommierten Frankfurter Zeitung nicht mehr wegzudenken.7 Darüber hinaus feiert er als Romanschriftsteller Erfolge: bis dahin erscheint die ›Weimarer Trilogie‹ mit drei Zeitromanen Das Spinnennetz (1923), Hotel Savoy und Die Rebellion (beide 1924) sowie sein Heimkehrer-Roman Die Flucht ohne Ende (1927).8
2.1.1
»Ich aber bin (...) ein Unikum in der deutschen Literatur!!«9 : Veröffentlichungskontexte
Roth schreibt in den 13 Jahren zwischen 1920 und 1933, also zwischen der Aufnahme seiner Tätigkeit als freier Journalist in Berlin und dem Beginn seines Exils in Frankreich, für eine Vielzahl deutscher Zeitungen. Während die Mitarbeit für einige Zeitungen, wie zum Beispiel das Berliner Tageblatt oder Das blaue Heft, lediglich eine kurze Episode in Roths publizistischer Karriere darstellt, sind andere Blätter – darunter der Berliner Börsen-Courier (BB-C) und die Frankfurter Zeitung (FZ) – für seinen Ruf entscheidend.10 Die meisten Zeitungen, für die Roth schreibt, sind direkt in Berlin angesiedelt. Andere ermöglichen eine Mitarbeit – zum Beispiel als Korrespondent – aus dem In- und Ausland oder haben regionale Büros und Redaktionen in Berlin.11 Darunter sind Tageszeitungen (Neue Berliner Zeitung – Das 12 Uhr Blatt, BB-C, FZ, Münchner Neueste Nachrichten), vierzehntägig erscheinende Periodika und Zeitschriften (beispielsweise Das blaue Heft), Satirezeitschriften (Lachen Links: Das republikanische
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Vgl. ebd., S. 369. Vgl. dazu beispielsweise: Helen Chambers: Signs of the time. Joseph Roth’s Weimar Journalism. In: German Novelists of the Weimar Republic. Intersections of Literature and Politics, hg. von Karl Leydecker. Rochester (New York): 2006, S. 101-124. Hier: S. 102-105. Einen fundierten und aktuellen Überblick über Roths Schaffen zwischen 1920 und 1932 bietet auch Westermann: 1987, S. 12-107. Den Begriff der Weimarer Trilogie nutzt beispielsweise Roth-Biograph Sternburg vgl. Sternburg: 2009, S. 291. Das Zitat aus der Kapitelüberschrift bezieht sich auf einen Briefwechsel mit Benno Reifenberg vom 22.04.1926. Vgl. Joseph Roth: Briefe 1911-1939, hg. u. eingeleitet von Hermann Kesten. Köln/Berlin: 1970, S. 88. Aus dieser Ausgabe wird im Folgenden mit der Abkürzung ›Briefe‹ zitiert. Die genaue Angabe des Datums des Briefs erfolgt in Klammern dahinter sowie die Nennung der Seitenzahl. Dies entspricht beim oben genannten Beispiel der Kurzzitierweise Briefe (22.04.1926), S. 88. Vgl. Chambers: 2006, S. 103-104. Roth geht im Jahr 1928 für einige Zeit zurück nach Wien, wo er unter anderem für das Neue Wiener Tagblatt und Das Neue Wiener Abendblatt schreibt. Zudem führt er auch die Mitarbeit am Prager Tageblatt fort. Vgl. Sternburg: 2009, S. 245.
2. Professionalisieren: Joseph Roth
Witzblatt, Der Drache) und parteinahe Zeitungen (das SPD-Zentralorgan Vorwärts).12 Zudem erscheinen Roths Artikel auch in den »wichtigsten kulturpolitischen Wochenzeitschriften der Weimarer Republik«13 wie Das Tagebuch, Die Weltbühne und Die Literarische Welt. Die erste detaillierte und ausgewertete Auflistung von Roths journalistischem Werk findet sich bereits Ende der 1980er Jahre bei Westermann. Dennoch ist bis heute nicht von einer vollständigen Erschließung seines journalistischen Schaffens auszugehen, da er im Laufe seiner Karriere für eine Vielzahl von Auftraggebern im gesamten deutschsprachigen Raum arbeitet.14 Roths Affinität zu vielfältigen journalistischen Genres und Ressorts fällt dabei von Anfang an auf. Langsam entwickelt er sich vom Generalisten zum Spezialisten. Zunächst beginnt er als Lokalreporter bei der Neuen Berliner Zeitung, für die er vor allem politische Artikel verfasst.15 Außerdem schreibt er Glossen, Berichte, Rezensionen und kleinere Reportagen für verschiedene Blätter.16 Eine besondere Stellung in seinem journalistischen Werk nehmen zudem Reisereportagen ein, die ihn hauptsächlich im Namen der FZ beispielsweise nach Albanien, Italien oder in die Sowjetunion führen. Für die FZ arbeitet er auch in den Jahren 1925 und 1926 als Auslandskorrespondent in Paris, bis die Stelle fest an den Journalisten Friedrich Sieburg vergeben wird, was für Roth einen schweren Karriereeinbruch bedeutet.17
Wegmarken: Der Berliner Börsen-Courier und die Frankfurter Zeitung Mit seinem Einstand in der Redaktion des BB-C im Jahr 1921 ist für Roths Karriere als Feuilletonist der Grundstein gelegt, denn zu seinen Förderern gehört (zumindest anfänglich) Emil Faktor, der als Chefredakteur des BB-C Roths Beginn in Berlin begleitet: Zwischen Roth und Faktor, der von Haus aus selbst Feuilletonist, Theaterfachmann und Lyriker ist, kommt es jedoch schnell zu Meinungsverschiedenheiten.18 Nach nur zwei Jahren der Zusammenarbeit ist ein Zerwürfnis schließlich nicht mehr abzuwenden: Roth fühlt sich von Faktor, der ihm »mit einer lächelnden 12 13 14 15 16 17
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Vgl. detaillierte Auflistungen seiner Mitarbeiten mit geschätzten Artikelzahlen bei ebd., S. 248. Außerdem vgl. Westermann: 1987, S. 30-76. Fritz J. Raddatz: Das Tagebuch. Porträt einer Zeitschrift. Königstein: 1981, S. 5. Vgl. Sternburg: 2009, S. 248. Vgl. Westermann: 1987, S. 32. Vgl. Sternburg: 2009, S. 248-249. Roth äußert sich dazu gegenüber Stefan Zweig in einem Brief vom 27.06.1930. Matjaž Birk: »Vielleicht führen wir zwei verschiedene Sprachen…«. Zum Briefwechsel zwischen Joseph Roth und Stefan Zweig. Mit 21 bisher unveröffentlichten Briefen. Münster: 1997, S. 36: »Aber die Welt ist aufgeteilt unter den ständigen Korrespondenten, journalistischen Alleinherrschern. Es ist wohl nichts zu machen.« Um diese Briefausgabe von der Kestens zu unterscheiden, wird sie im Folgenden mit der Abkürzung ›Briefe Zweig‹ zitiert. Die genaue Angabe des Datums des Briefs erfolgt in Klammern dahinter sowie die Nennung der Seitenzahl. Dies entspricht beim oben genannten Beispiel der Kurzzitierweise Briefe Zweig: (27.06.1930), S. 36. Vgl. Klaus Täubert: Emil Faktor. Ein Mann und (s)eine Zeitung. Berlin: 1994, S. 71-73.
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
Überhebung«19 begegnet, unterbezahlt und nicht anerkannt, was er ihm in einem Brief mitteilt.20 Dennoch ermöglicht Faktor Roth eine Vielzahl an Veröffentlichungen im Feuilleton einer der herausragenden Tageszeitungen Berlins, für die in der Zeit auch Größen wie Bertolt Brecht und Carl Zuckmeyer schreiben.21 In Hinblick auf die Fragestellung der Arbeit und den Untersuchungszeitraum ist, mehr als die Mitarbeit beim BB-C, insbesondere Roths Tätigkeit als Autor für die FZ entscheidend. Ein Großteil der programmatisch für die Auseinandersetzung mit Journalismus und Literatur relevanten Arbeiten entsteht im Auftrag dieser Zeitung oder in Auseinandersetzung mit ihren Schreibbedingungen, die Roth zudem ausführlich im Briefwechsel mit Benno Reifenberg reflektiert und problematisiert. Dieser hat nicht nur eine institutionelle Schlüsselstellung bei der FZ als Leiter des Feuilletons inne, sondern wird auch zu Roths journalistischem Mentor und engstem Vertrauten in redaktionellen und persönlichen Krisensituationen. Weitaus mehr als alle anderen journalistischen Kollegen begleitet Reifenberg Roth bei der Entstehung seiner Zeitungsartikel für die FZ. Er ist über weite Strecken von Roths Journalistenbiographie das, was Stefan Zweig für Roths literarische Produktion ist: eine Autorität und ein Ratgeber in Schreibsachen für den komplizierten und oftmals an mangelnder Anerkennung leidenden Joseph Roth.22
Literatur in Zeitungen Parallel zu seiner journalistischen Tätigkeit erscheinen seit 1923 auch Romane, die Roth zum Teil periodisch in Zeitungen publizieren kann. In diesem Jahr veröffentlicht er auch seinen ersten Roman Das Spinnennetz als Fortsetzungsroman in der Wiener Arbeiterzeitung.23 Dies zeigt, wie wichtig das Publikationsorgan Zeitung für den Autor ist: Es ist nicht nur Veröffentlichungsplattform von Artikeln, sondern eine wichtige Einnahmequelle mit Vorabdrucken seiner Romane, die so einem er-
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Briefe (17.09.1922), S. 40. Vgl. ebd., S. 40: »Ich schreibe mit gleicher Post an Herrn Dr. Faktor einen Abschiedsbrief, in dem ich ihm mitteile, daß sein Brief nur die Veranlassung, nicht die Ursache meiner Kündigung war. Ich kann wahrhaftig nicht mehr die Rücksichten auf ein bürgerliches Publikum teilen und dessen Sonntagsplauderer bleiben, wenn ich nicht täglich meinen Sozialismus verleugnen will. Vielleicht wäre ich trotzdem schwach genug gewesen, für ein reicheres Gehalt meine Überzeugung zurückzudrängen, oder für eine häufigere Anerkennung meiner Arbeit.« Vgl. dazu auch Täubert: 1994, S. 67-74. Vgl. zum Verhältnis von Roth und Reifenberg Margret Boveri: Joseph Roth und die Frankfurter Zeitung. In: Merkur. Zeitschrift für Europäisches Denken 25 (1971) H. 8, S. 786-798. Hier: S. 791. Vgl. zur Vertiefung des Veröffentlichungskontextes der österreichischen Arbeiterzeitungen bei Joseph Roth Eckart Früh: Joseph Roth im Spiegel österreichischer Arbeiterzeitungen. In: Joseph Roth. Interpretation – Kritik – Rezeption, hg. von Michael Kessler u. Fritz Hackert. Tübingen: 1990, S. 107-126.
2. Professionalisieren: Joseph Roth
weiterten Lesepublikum zugänglich gemacht werden können.24 Zunehmend werden diese für den chronisch von Geldsorgen geplagten Roth zu einer wichtigen Überlebensstrategie.25 Damit ist Roth in mehrfacher Hinsicht kein Einzelfall. Zum einen war es bereits im 19. Jahrhundert auch zur Sicherung der Lebensgrundlage von namhaften Autoren – wie beispielsweise Theodor Fontane – Usus, Novellen und Romane in Zeitungen und Zeitschriften zu veröffentlichen.26 Zum anderen gewinnt die Zeitung als Einnahmequelle für Romanschriftsteller in den 1920er Jahren noch einmal an Relevanz. Darüber hinaus nimmt die Diskussion um Rolle und Funktion von Buch und Zeitung im Kontext der Massen- und Vergnügungskultur der Weimarer Republik sogar verstärkt an Fahrt auf: Nicht zuletzt wurde sie durch die Konkurrenz des Buchs mit neuen Medien wie Kino und Radio sowie nun etablierten Formaten wie der Illustrierten wieder neu entfacht.27 Als Beispiel für die Diskussion von Vorabveröffentlichungen von Büchern in der Zeitung kann Hermann Hiebers Essay Reportage von 1928 in der Volksbühne angeführt werden. Hieber macht ohne Umschweife klar, dass sich auch für »die namhaftesten Autoren«28 zum einen aus finanziellen Aspekten eine Vorabveröf-
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Vgl. dazu auch Roths Essay Schluß mit der »Neuen Sachlichkeit«!, in dem Roth darauf hinweist, dass Zeitungen mehr Leser anziehen. Roth: JW 3, S. 155. Das zeigt der Briefwechsel Roths mit Stefan Zweig. Vgl. beispielsweise Briefe Zweig (08.07.1931), S. 71: »ich glaube, es wird sich bald machen lassen, daß ich irgendwo hin in die frische Luft fahre, um wieder am Roman zu schreiben. Er muß bis Ende September fertig werden, weil ich nach langen Verhandlungen es durchgesetzt habe, daß der Vorschuß, den ich an der Frankfurter Zeitung habe, auf das Honorar für den Vorabdruck abgeschrieben wird.« Vgl. insbesondere zu Publikationsmöglichkeiten und Autorschaftsinszenierung im Bürgerlichen Realismus zwischen Literatur und Zeitung Stefan Scherer: Dichterinszenierung in der Massenpresse. Autorpraktiken in populären Zeitschriften des Realismus – Storm (C. F. Meyer). In: Schriftstellerische Inszenierungspraktiken – Typologie und Geschichte, hg. von Christoph Jürgensen u. Gerhard Kaiser. Heidelberg: 2011, S. 229-249. Außerdem Sabina Becker: Bürgerlicher Realismus. Literatur und Kultur im bürgerlichen Zeitalter 1848-1900. Tübingen: 2003, S. 275-278. Vgl. zu Publikationsstrategien Fontanes zwischen Literatur und Journalismus ausführlich Dorothee Krings: Theodor Fontane als Journalist. Selbstverständnis und Werk. Köln: 2008, S. 179-195. Vgl. speziell zum Publikationsforum der zentralen Zeitschrift Die Grenzboten von Gustav Freytag und Julian Schmidt Sibylle Obenaus: Literarische und politische Zeitschriften 1848-1880. Stuttgart: 1997. Vgl. dazu ausführlich Stephan Füssel: Das Buch in der Medienkonkurrenz der zwanziger Jahre. In: Gutenberg-Jahrbuch 1 (1996), S. 322-340. Füssels Darstellung ist vor allem dahingehend relevant, als dass sie die befürchtete Bücherkrise relativiert. Füssel zeigt anhand repräsentativer Daten, dass der Buchmarkt im Untersuchungszeitraum allenfalls stagnierte und weist auf die neuen Marketing- und Promotionsstrategien der Verleger hin. Hermann Hieber: Reportage. In: Neue Sachlichkeit. Bd. 2: Quellen und Dokumente, hg. von Sabina Becker. Köln/Weimar/Wien: 2000, S. 187-189. (Zuerst erschienen in: Die Volksbühne 3 (1928), Nr. 2, S. 29-31). Hier: S. 188.
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
fentlichung in der Zeitung lohne. Zum anderen ließe sich dadurch auch eine größere Verbreitung ihrer literarischen Produktion insgesamt erzielen. Eine solche Veröffentlichung der literarischen Werke bleibt, laut Hieber, allerdings nicht ohne Konsequenzen für die bisherige Reputation und Rolle des Journalisten. Sein Berufsstand erfährt eine Aufwertung durch den Umstand, dass »Dichter«29 nun auch für Zeitungen schreiben: Die namhaftesten Autoren gewöhnen sich daran, ihre Romane den Tageszeitungen und Zeitschriften anzubieten, bevor sie sie in Buchform herausgeben. Der Dichter rückt dadurch immer mehr in die Nachbarschaft des Journalisten und erlöst ihn aus seiner Vereinsamung und gesellschaftlichen Ächtung. Er selbst wird durch die Presse viel bekannter als durch seine Buchausgaben.30 Auch die von der Literarischen Welt angestoßene und für die Mitte der 1920er Jahre repräsentative Rundfrage Reportage und Dichtung, in der die Einflussnahme journalistischer Darstellungsformen auf die Literatur diskutiert wird, unterstreicht, mit welcher Brisanz bekannte Autoren wie Alfred Döblin, Max Brod oder Heinrich Mann die Debatte um die Leistung von Literatur in Zeitungen führen. Die Fragen des Journalisten Hans Tasiemka lauten im Einzelnen: 1. Wird die Dichtung, insbesondere die epische Kunstform, von der neuen Sachlichkeit der Reportage entscheidend beeinflußt werden? Inwiefern? 2. Halten Sie zur Durchführung Ihrer Ideen das Buch oder die Zeitung für wesentlicher?31 Rein quantitativ ist zu beobachten, dass die Veröffentlichung von Romanen in Zeitungen auch in der Weimarer Republik für die meisten Autoren ein lukratives Geschäft bietet:32 So geht beispielsweise George Grosz davon aus, dass »viel mehr Menschen Zeitungen lesen«33 . Aus rein qualitativen Gründen halten die meisten der befragten Autoren jedoch am Medium Buch fest. Es erscheint immer noch als die der Literatur angemessenere Publikationsform. Allein auf Grund seiner Materialität wird das Buch zum Beispiel für Alfred Döblin zu einem Garanten für 29 30 31
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Ebd., S. 188. Ebd., S. 188. Hans Tasiemka: Reportage und Dichtung. Eine Rundfrage. In: Neue Sachlichkeit. Bd. 2: Quellen und Dokumente, hg. von Sabina Becker. Köln/Weimar/Wien: 2000, S. 165-171. (Zuerst erschienen in: Die Literarische Welt 2 (1926), Nr. 26, S. 2-3). Hier: S. 165-166. Vgl. dazu insbesondere 2.3.1. Roth, das intellektuelle Schwergewicht. Vgl. Helmut Mörchen: Reportage und Dokumentarliteratur. In: Deutsche Literatur. Eine Sozialgeschichte. Bd. 9, hg. von Horst Albert Glaser. Reinbeck bei Hamburg: 1993, S. 180-188. Hier: S. 180. Tasiemka: 2000, S. 166.
2. Professionalisieren: Joseph Roth
Autorität und zu dem einzig adäquaten Sprachrohr für jegliche ernstzunehmende Meinungsäußerung. So betont er in der Rundfrage der Literarischen Welt: »Ich sage, was ich zu sagen habe, durch das Buch.«34
Journalistische Texte in Buchform Anders als bei prominenten Reporterkollegen wie zum Beispiel Egon Erwin Kisch oder Alfred Polgar erscheinen Roths Artikel nicht regelmäßig als Anthologien in Buchform und sind dabei auch nicht im Vornherein als Bücher konzipiert.35 Erst posthum werden Roths journalistische Arbeiten vermehrt gebündelt und zu Werkgruppen identifiziert. So werden viele der Feuilletonzyklen oder ReportageSammlungen erst im Nachhinein zusammengefasst und verlegt.36 Lediglich der Band Panoptikum. Gestalten und Kulissen bietet eine Ausnahme.37 Diese ausdrücklich auf Joseph Roths Wunsch gesammelte Zusammenschau seiner Zeitungsartikel erscheint im Jahr 1930 als ›Lesebuch‹ mit Widmungen an Stefan Zweig und Benno Reifenberg.38 Des Weiteren ist der von Ernst Glaeser im Jahr 1929 herausgegebene Sammelband Fazit: Ein Querschnitt durch die deutsche Publizistik, in dem Joseph Roth neben Autoren wie Siegfried Kracauer, Herbert Ihering oder Lion
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Ebd., S. 166. Zur Auswertung der Umfrage im Spannungsfeld von Literatur und Journalismus vgl. Matthias Uecker: Wirklichkeit und Literatur. Strategien dokumentarischen Schreibens in der Weimarer Republik. Oxford/Berlin/Frankfurt a.M. u.a.: 2007, S. 312. Vgl. beispielsweise das Vorwort zur Reportage-Sammlung Der Rasende Reporter. Kisch sammelt und rekontextualisiert hier dezidiert »Zeitaufnahmen«, die er als »Album« in einem »Buche« herausgibt. Vgl. Egon Erwin Kisch: Der rasende Reporter. Vorwort. In: Neue Sachlichkeit. Bd. 2: Quellen und Dokumente, hg. von Sabina Becker. Köln/Weimar/Wien: 2000, S. 162-163. (Zuerst erschienen in: Egon Erwin Kisch: Der rasende Reporter. Berlin: 1925, S. VIIVIII). Hier: S. 163. Des Weiteren legt Alfred Polgar eine Anthologie An den Rand geschrieben Mitte der 1920er vor. Vgl. Alfred Polgar: An den Rand geschrieben. Berlin: 1926. So wurde erst im Jahr 2015 Roths Reportage-Reise in die Sowjetunion herausgegeben. Joseph Roth: Reisen in die Ukraine und nach Russland, hg. und mit einem Nachwort versehen von Jan Bürger. München: 2015. Dies gilt auch für Briefwechsel- und Feuilleton-Anthologien. Vgl. Joseph Roth: Pariser Nächte. Feuilletons und Briefe, hg. von Jan Bürger. München: 2018. Vgl. Joseph Roth: Panoptikum. Gestalten und Kulissen. München: 1989. Vgl. Klaus Westermann: Brot und Butter. Joseph Roth – Arbeitsbedingungen eines Journalisten. In: Joseph Roth. Interpretation – Kritik – Rezeption, hg. von Michael Kessler u. Fritz Hackert. 1990, S. 395-405. Hier: S. 400. Ferner weist Westermann dort auf den politischen Kontext der Veröffentlichung hin: Das von Knorr & Hirth herausgegebene Lesebuch sollte möglicherweise den Wechsel von der Frankfurter Zeitung hin zu den von Knorr & Hirth selbst herausgegebenen Münchner Neuesten Nachrichten 1929 beschleunigen. Zur Widmung im Allgemeinen äußert sich Joseph Roth in einem Brief an Reifenberg vgl. Briefe (06.01.1929), S. 140-141: »Ja! Ich hätte gerne zum Panoptikum eine Einleitung geschrieben, in der gestanden wäre, daß Ihnen das ganze Buch gehört. Aber inzwischen kam mein Unglück. Und ich mußte mich begnügen mit einer hastigen Widmung, für die ich Sie um Entschuldigung bitte.«
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
Feuchtwanger auch mit journalistischen Texten in Buchform präsent ist, hier zu erwähnen.39 An prominenter Stelle, immerhin als erster Beitrag noch vor Glaesers eigenem Text Kriegsschauplatz 1928, erscheinen hierin unter der Rubrik Berichte Roths gesammelte Saarland-Reportagen, die er ein Jahr zuvor im Auftrag für die FZ verfasste. Glaesers Vorwort, das er vermutlich an das vergleichsweise neue Medium Rundfunk anlehnt, indem er es technikaffin raffiniert als Ansage ausweist, ist zu entnehmen, dass er mit seiner »Sammlung« den »Versuch« unternimmt, »wichtige und typische Aufsätze ›deutscher‹ Schriftsteller und Journalisten vor der Zeitungsmakulatur zu retten«40 . Damit stellt Glaeser Roths Reportagen explizit in einen neuen Publikationskontext: Er rekurriert auf die Vergänglichkeit, die journalistischen Werken innewohnt. Indem er ihnen exemplarisch eine neue, den Tag überdauernde Materialität zugesteht und sie als ein »Buch«41 herausgibt, löst er sie zugleich aus ihrer gewöhnlichen Erscheinungsform: Romane werden jahrelang verkauft – warum sollen nicht einmal Arbeiten, die wichtig sind, wenn auch nicht ebenso ›schön‹, warum sollen gute Gedanken, Tatbestände und Kommentare dieser Zeit das gleiche Schicksal haben wie kurzfristige Inserate?42 Aber Glaeser geht einen Schritt weiter und verleiht den gesammelten Gebrauchstexten aus der »praktische[n] Publizistik«43 nicht nur literarische Attribute: Die journalistische Form hat auch Vorbildfunktion für den Roman, an dessen Status als künstlerisches Genre Glaeser festhält: »In diesen Berichten sind oft in zwei Zeilen die künstlerischen Themen von morgen angedeutet.«44 Eine solche programmatisch relevante Veränderung des ursprünglichen Publikationskontextes, um eine Aufwertung journalistischer Texte durch das ›bürgerliche‹ Medium Buch herbeizuführen, ist in den 1920er und frühen 1930er Jahren keine Seltenheit, ja geradezu ein Trend. Kischs akribische Sammlerwut seiner eigenen Texte und anschließende (Selbst-)Herausgabe in Anthologie-Form bleibt jedoch ohne Frage unerreicht.45
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Vgl. Ernst Glaeser: Ansage. In: Fazit. Ein Querschnitt durch die deutsche Publizistik. Hamburg: 1929, S. 5-7. Alle Zitate ebd., S. 5. Ebd., S. 7. Ebd., S. 7. Hervorhebung im Original. Ebd., S. 6. Ebd., S. 7. Vgl. zu Kischs Veröffentlichungsstrategien Uecker: 2007, S. 372: »Kischs Bücher preßten nämlich nicht einfach Zeitungstexte zwischen Buchdeckel, um ihnen damit den Anschein von Bedeutsamkeit zu verleihen, sondern zielen darauf, aus der Zusammenstellung der Texte etwas Neues zu gewinnen.«
2. Professionalisieren: Joseph Roth
Der Reporter als Schriftsteller Wie bereits dargestellt, unternimmt Roth nur einmal den Versuch, seine journalistischen Werke in Buchform zu veröffentlichen. In vielerlei Hinsicht ist er also weniger radikal als sein Reporter- und Schriftstellerkollege Kisch, der im Zuge der ästhetischen Strömung der Neuen Sachlichkeit eine neue Autorenrolle etablieren will, sich als Reporter sui generis darstellt und dabei Leistung und Relevanz einer nicht mit journalistischen Mitteln arbeitenden Literatur hinterfragt:46 Der Roman hat keine Zukunft. Es wird keine Romane mehr geben, keine Bücher mit ausgedachter Handlung. Der Roman ist die Literatur des vergangenen Jahrhunderts. […] Romanschriftsteller, die in der deutschen Literatur einst unsagbar beliebt waren, sind schon so vergessen, daß die heutige Jugend nicht einmal ihren Namen kennt.47 Auch Siegfried Kracauer beobachtet, dass »Journalist und Schriftsteller […] beinahe die Rollen«48 vertauschen. Ebenso sind Hanns Heinrich Bormanns Reflexionen über den »oft so gerne karikierten Reporter«, der »bereits selber literaturfähig geworden ist« charakteristisch für diese Debatte, die den Reporter als neues Ideal des Schriftstellers feiert.49 Einen solchen Abgesang auf die Literatur und insbesondere auf den Roman formuliert Roth nicht.50 Er fordert weder die Ablösung des Romans durch die Reportage, noch überhöht er gänzlich einen neuen Schriftstellertypus, der wie der Journalist und Schriftsteller Leo Lania herausstellt, den »Journalismus […] literaturfähig«51 macht. Dennoch gilt es auch für Roths literarische und journalistische Textproduktion einen neuen Kontext mitzudenken: So fügen sich, wie noch zu zeigen sein wird, Roths eigene Reflexionen über Literatur und Journalismus, journalistisches wie literarisches Rollenverständnis in den für die 1920er Jahre charakteristischen Diskurs, der unter dem Sammelbegriff der Neuen Sachlichkeit 46 47
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Vgl. zur Definition und Programmatik der Neuen Sachlichkeit insbesondere 2.2.3. Forschungskontext und literaturgeschichtliche Relevanz. Egon Erwin Kisch: Roman? Nein, Reportage. In: Gesammelte Werke in Einzelausgaben. Bd. 10: Läuse auf dem Markt. Vermischte Prosa, hg. von Bodo Uhse. Berlin: 1985, S. 436-438. Hier: S. 436-437. Siegfried Kracauer: Über den Schriftsteller. In: Sabina Becker: Neue Sachlichkeit. Bd. 2: Quellen und Dokumente. Köln/Weimar/Wien: 2000, S. 192-194. (Zuerst erscheinen in: Die neue Rundschau 42 (1931) Nr. 6, S. 860-862). Hier: S. 193. Beide Zitate aus Hanns Heinrich Bormann: Die Zeitung. Darstellung und Bericht. In: Neue Sachlichkeit. Bd. 2: Quellen und Dokumente, hg. von Sabina Becker. Köln/Weimar/Wien: 2000, S. 175-176. (Zuerst erschienen in: Orplid 3 (1926) Nr. 9, S. 1-16). Hier: S. 175. Vgl. dazu Kapitel 2.2.3. Roth, der Rezensent und Kritiker und 2.2.1. Distanzieren: Schluß mit der »Neuen Sachlichkeit«!. Leo Lania: Reportage als soziale Funktion. In: Neue Sachlichkeit. Bd. 2: Quellen und Dokumente, hg. von Sabina Becker. Köln/Weimar/Wien: 2000, S. 171-173. (Zuerst erschienen in: Die Literarische Welt 2 (1926), Nr. 26, S. 5). Hier: S. 174.
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
firmiert und für den auch die Auseinandersetzung mit Journalismus und Literatur sowie der Publizistik allgemein ein zentrales Anliegen ist.52 Dies belegt Matthias Ueckers großangelegte Studie zur Ästhetik des Dokuments und des Dokumentarischen für die Literatur der Neuen Sachlichkeit. Uecker beobachtet hier anhand eines breitangelegten Korpus im Diskurs eine »Umpolung der Bewertungen«53 in Bezug auf die Rolle von Journalist – vornehmlich verkörpert in seiner Funktion als Reporter – und literarischem Autor: So kann sich der Reporterberuf in Teilen nicht nur von vorurteilsbehafteten Klischees lösen, sondern scheint die vakante Stelle eines nicht mehr als zeitgemäß empfundenen Romanciers füllen zu können.54 Gerade Egon Erwin Kischs Selbstinszenierung fungiert dabei als im Mediendiskurs omnipräsente Folie, an der sich die Schriftsteller der Zeit abarbeiten müssen.55
Existenzgrundlage Zeitung Jenseits dieser Aufwertung von journalistischem Schaffen, die Uecker anhand eines großen Korpus nachweist, sprechen für die Personalunion von Journalist und Schriftsteller auch handfeste existenzielle Gründe. Im Jahr 1922 veröffentlicht der Verein für Sozialpolitik ein umfangreiches Kompendium über Die geistigen Arbeiter. Gemeint sind damit im ersten Band, wie der Professor für Nationalökonomie Ludwig Sinzheimer im Vorwort präzisiert, die Schriftsteller in ihrem Verhältnis zu den Literaturverlagen. Die Absicht der Untersuchung ist, »die Klärung des Einflusses ökonomischer Momente auf das Geistesleben«56 . Neben wirtschaftlichen Untersuchungen finden sich dort jedoch auch konkrete Überlegungen zum Schreiben. So zum Beispiel in Werner Mahrholz’ repräsentativem Essay über Die Wesenszugänge des schriftstellerischen Schaffensprozesses. Schwerpunkt von Mahrholz’ Untersuchung ist der Prozess des Schreibens zwischen fester Anstellung und freier Arbeit: Wer das Los des freien Schriftstellerdaseins auf sich nimmt, ohne materiell gesichert zu sein (und wer ist dies heute aus Renten bei der ständig sinkenden Kaufkraft der Mark?), der muß sich von vornherein klarmachen, daß er ein Leben der Dürftigkeit, der Entbehrungen, des Leidens auf sich nimmt.57 52
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Vgl. hier Publikationen zu Roths Verhältnis zur Neuen Sachlichkeit wie beispielsweise Frank Trommler: Joseph Roth und die Neue Sachlichkeit. In: Joseph Roth und die Tradition. Aufsatz und Materialsammlung, hg. von David Bronsen. Darmstadt: 1975, S. 276-303. Uecker: 2007, S. 152. Vgl. ebd., S.152-153. Vgl. ebd., S. 153. Ludwig Sinzheimer: Vorwort. In: Die geistigen Arbeiter. 1. Teil: Freies Schriftstellertum und Literaturverlag, hg. im Auftrag des Vereins für Sozialpolitik von Ludwig Sinzheimer. München: 1922, S. V-X. Werner Mahrholz: Die Wesenszüge des schriftstellerischen Schaffensprozesses. In: Die geistigen Arbeiter. 1. Teil: Freies Schriftstellertum und Literaturverlag, hg. im Auftrag des Vereins für Sozialpolitik von Ludwig Sinzheimer. München: 1922, S. 57-73. Hier: S. 73.
2. Professionalisieren: Joseph Roth
Auch um Roth im Spannungsfeld von Literatur und Journalismus zu verorten, ist mehrfach in der Forschung auf die Relevanz seiner ökonomischen Situation verwiesen worden.58 Vielerorts dokumentiert Roth die Genese seiner literarischen und journalistischen Texte und problematisiert dabei unaufhörlich Entstehungssituationen und Schreibbedingungen, die ihn immer wieder vor ein existenzielles Dilemma stellen. Joseph Roths Schreiben, sei es als Journalist, sei es als Literat, ist geprägt von materiellen Nöten. Armut und Geldsorgen sind ein beherrschendes Thema seiner brieflichen Korrespondenzen über mehr als ein Jahrzehnt hinweg: Zum einen muss seine psychisch kranke Frau, deren Zustand sich bis Ende der 1920er Jahre stetig verschlimmert und die schließlich »schwer krank in die Nervenheilanstalt Westend«59 eingeliefert wird, von ihm finanziell bedacht werden. Zum anderen kämpft er meist als freier Journalist und Verlagsmitarbeiter um Aufträge und Vertriebsmöglichkeiten erschienener Artikel, lebt von Vorschüssen, die er sofort ausgibt und beginnt zunehmend zu trinken. Trotz aller Widrigkeiten ist das Schreiben für die Zeitung immer wieder ein Rettungsanker, sei es in Zeiten, in denen sich Joseph Roth noch als Schriftsteller etablieren muss, sei als Überbrückung, um das notwendige Kleingeld ad hoc verdienen zu können. Nicht zuletzt ist auch in der Forschung darauf hingewiesen worden, dass das Schreiben für Zeitungen lediglich eine materielle Notwendigkeit für Roth darstellte, um sich seine Lebensgrundlage zu sichern, wobei diese Arbeit von ihm als lästiger »Hemmschuh«60 empfunden worden sein soll, der ihn vom Schreiben seiner Romane abhielt. Tatsächlich ist Roths Verhältnis zu Literatur und Journalismus wesentlich vielschichtiger und ambivalenter, wovon vor allem seine Briefwechsel mit Stefan Zweig, Bernhard von Brentano und Benno Reifenberg zeugen, die hier zu Rate gezogen werden sollen.
2.1.2
»MICH liest man mit Interesse«61 : Roths Selbstinszenierung in Briefen
Obwohl die Quelle Brief grundsätzlich eine für die Selbstinszenierung eines Autors nicht unproblematische Analysegrundlage bietet,62 ist die Auswahl des Korpus dahingehend begründet, dass Joseph Roth insbesondere gegenüber diesen Briefpart58 59 60 61 62
Vgl. zum Beispiel Westermann: 1990. Briefe Zweig (02.09.1929), S. 24-25 sowie ebd. (27.02.1929), S. 17, und ebd. (20.06.1930), S. 3335. Westermann: 1990, S. 401. Briefe (22.04.1926), S. 88. Vgl. dazu beispielsweise neuere Sammelbände zur Selbstinszenierung und Mediatisierung von Autorschaft wie Urs Meyer: Tagebuch, Brief, Journal, Interview, Autobiographie, Fotographie und Inszenierung. In: Medien der Autorschaft. Formen literarischer (Selbst-)Inszenierung von Brief und Tagebuch bis Fotografie und Interview, hg. von Lucas Marco Gisi, Urs Meyer u.a. München: 2013, S. 9-16. Vgl. hier insbesondere zum Medium Brief S. 12.
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
nern sein Verhältnis zu Literatur und Journalismus in privater, das heißt nicht öffentlicher Korrespondenz, reflektiert. Benno Reifenberg hat dabei bis zum persönlichen Bruch die Funktion eines journalistischen Mentors inne. Der Briefwechsel ist insofern interessant für die Untersuchung, als er über Roths Einstellung gegenüber journalistischen Institutionen und redaktionellen Abläufen informiert. Roth gehört nicht, wie beispielsweise Siegfried Kracauer, zu den festangestellten Redakteuren, die auch per Vertrag sozial abgesichert sind: Dies zeigt beispielsweise die Vereinbarung mit der Frankfurter Zeitung vom 11. Juli 1927. Obwohl er zunehmend auch redaktionelle Aufgaben übernimmt, wird er weiterhin nur auf Grundlage gelieferter Arbeiten honoriert und verpflichtet sich zusätzlich, für ein Jahr (ab dem 15. September 1927 bis zum 15. September 1928) exklusiv für die Frankfurter Zeitung zu veröffentlichen.63 Im Gegenzug wird ihm zugestanden, sich für zwei Monate für die Fertigstellung eines Romans freistellen zu lassen.64 Von noch größerer Relevanz für diese Arbeit ist jedoch der Briefwechsel mit Stefan Zweig. In ihm hat Roth zumeist einen verständnisvollen Berater, sei es bei lebenspraktischen oder dichterischen Belangen, der ihm unterstützend zur Seite steht.65 Dies zeigt exemplarisch ein Antwortschreiben von Zweig auf Roths wiederholt in Briefen formuliertes Problem der Schreibkrise, die sich nach einem Zusammenbruch seiner Frau erneut einstellt. Darin tröstet Zweig Roth nicht nur als väterlicher Freund, sondern betont ihm gegenüber gleichzeitig, dass ihn gerade »solche Cäsuren«66 zu einem respektablen Schriftsteller machen werden: mir sind alle Künstler verdächtig, die gleichsam neben ihren innersten Erschütterungen logisch wach und kunstbewußt weiter produzieren können. Das darf Sie nicht sorgen, lieber Josef Roth, das nicht. Im Gegenteil. Ich könnte Sie nicht so ehren und achten, meldeten Sie mir gleichzeitig den Fortgang eines neuen Buches.67
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Diesen Hinweis auf die wirtschaftliche und redaktionelle Lage Roths im Gegensatz zu anderen, festangestellten Kollegen bei der Frankfurter Zeitung verdanke ich Dr. Heinz Lunzer. Eine der wenigen Vertragsvereinbarungen zwischen der Frankfurter Zeitung und Joseph Roth ist die vom 11. Juli 1927. Vgl. dazu den Brief der Frankfurter Zeitung an Joseph Roth vom 11. Juli 1927: Die Redaktion der Frankfurter Zeitung: Brief an Herrn Joseph Roth vom 11. Juli 1927. In: Heinz Lunzer u. Victoria Lunzer Talos: Joseph Roth. Leben und Werk in Bildern. Köln: 2009, S. 163-165. Hier: S. 163. Vgl. ebd., S. 164. Vgl. ausführlich zur Rolle Stefan Zweigs für Joseph Roth sowie insgesamt zu ihrem Briefwechsel: Gershon Shaked: Die Gnade der Vernunft und die des Unglücks. Zweig und Roth. Ein Briefwechsel. In: Stefan Zweig – heute, hg. von Mark H. Gelber. New York: 1987, S. 141159. Außerdem Birk: 1997. Briefe Zweig (05.09.1929), S. 26. Ebd., S. 26. Hervorhebung und Namensschreibweise im Original.
2. Professionalisieren: Joseph Roth
Dass zwischen Roth und Zweig ein durchweg positives, paritätisches Verhältnis herrschte, ist dennoch sicherlich nicht anzunehmen. So weist bereits der erste Roth-Biograph David Bronsen auf das bestehende Ungleichgewicht in der Beziehung der beiden hin und auch Wilhelm von Sternburg bekräftigt dieses Bild weiterhin.68 Obwohl der Briefwechsel mit Zweig über weite Strecken den Eindruck einer innigen Freundschaft vermittelt, soll sich Roth in anderen Kontexten sehr negativ über Zweig geäußert haben.69 Überdies wird Roth in Zweigs Memoiren Die Welt von gestern nicht einmal erwähnt.70 Auch Gershon Shaked, der den Briefwechsel von Zweig und Roth detailliert untersucht und in seiner Fallstudie als Briefroman deutet, arbeitet die unterschiedlichen Rollen und Funktionen der beiden Literaten anhand ihrer Korrespondenz heraus: So tritt Roth vermehrt in der Position eines Bittstellers auf, der von dem wohlhabenden Autor Zweig zum einen finanzielle Zuwendung einfordert. Zum anderen versucht Roth auch von dem anerkannten Schriftsteller zu profitieren, dessen Kontakte und Förderung einer Eintrittskarte in den Literaturbetrieb gleichkommen.71 Allerdings gilt es bei dieser nicht unproblematischen Selbstdarstellung Roths mitzudenken, dass Stefan Zweigs Antwortschreiben prozentual nur einen Bruchteil der erhaltenen Konversation ausmachen. Dennoch stellt der Briefwechsel eine zentrale Quelle dar, in der Roth an vielen Stellen die Produktionsbedingungen von Journalismus und Literatur reflektiert.72 Freundschaftlich verbunden ist Joseph Roth mit Bernhard von Brentano. Ihm gegenüber nimmt er die Rolle eines journalistischen und literarischen Mentors ein, wobei der junge Kollege in gleichem Maße wie Roth zwischen Journalismus und Literatur steht. Dieser Briefwechsel ergänzt die Korrespondenz mit Reifenberg und Zweig um eine wichtige Facette.
Joseph Roth: Kollege, Bittsteller und Mentor So werden im Folgenden mit Hilfe dieser drei zentralen Briefpartner die Schreibbedingungen für Roths journalistische und literarische Textproduktion beleuchtet. Den Kern dieser Untersuchung bildet die Reflexion des journalistischen Kontextes, was vor allem der Quellenlage geschuldet ist. Dies kann zum einen damit begründet werden, dass quantitativ mehr Briefe und Briefwechsel vorhanden und jüngst 68
69 70 71 72
Vgl. David Bronsen: Joseph Roth. Eine Biographie. Köln: 1974, S. 367-368. Sternburg: 2009, S. 383-385. Außerdem vgl. Birk: 1997, S. 42-43: Birk betont insbesondere die Breitenwirkung, die von einer Rezension Zweigs für junge Autoren ausgehen konnte. Da Roth um Zweigs Einfluss wusste, bemühte er sich auch explizit um Besprechungen seiner Romane. Vgl. zum Beispiel Sternburg: 2009, S. 384. Vgl. Shaked: 1987, S. 142. Vgl. ebd., S. 144-145. Vgl. zum Briefwechsel Roths mit Zweig Birk: 1997. Allerdings sind die Interferenzen und Wechselwirkungen literarischen und journalistischen Schreibens nicht ausführlich von Birk thematisiert worden.
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
auch isoliert ediert worden sind, die einen solchen Schwerpunkt nahelegen.73 So ist zum Beispiel nur vergleichsweise wenig über Joseph Roths geschäftliche Beziehung zu seinem – für den Untersuchungszeitraum relevantesten – Verleger Gustav Kiepenheuer bekannt und rekonstruiert worden.74 Zum anderen liegt dieser Untersuchungsschwerpunkt in der institutionellen Verankerung begründet. Diese wird innerhalb des Journalismus stärker betont, wozu auch das spezifische Milieu des journalistischen Berufs beiträgt: Mit einem zum Teil barschen Kommunikationston, der charakteristisch für die einzelnen Redaktionen ist, für die Roth arbeitet, werden Probleme schonungslos diskutiert und Empfindlichkeiten und Konflikte bewusst in Korrespondenzen ausgetragen. Im Folgenden werden also Herausforderungen, Probleme und Synergien offengelegt, die für Roths Schreibprozess zwischen Journalismus und Literatur insgesamt charakteristisch sind.
2.1.3
»Ich will (…) von heute in einem Jahr ein freier Mensch sein«75 : Stefan Zweig
Die Publikationszusammenhänge sind ein zentraler Schlüssel, um Roths Autorschaft zwischen Literatur und Journalismus zu kontextualisieren und zu kategorisieren. Doch wie wirken sich diese auf Roths konkrete Schreibbedingungen zwischen Literatur und Journalismus aus? Zunächst lässt sich anhand des Briefwechsels von Stefan Zweig und Joseph Roth beobachten, dass das Schreiben sowohl von journalistischen als auch literarischen Werken von Roth klar als Arbeit definiert wird, für die der Autor auch eine entsprechende Entlohnung erwartet. Schreiben ist für Roth nie reine Mußetätigkeit, sondern stellt einen zielgerichteten Prozess dar, der eng an die Genre- beziehungsweise Gattungszugehörigkeit des Textes geknüpft ist und klar mit einem vorformulierten Veröffentlichungsziel verbunden ist. Dabei hat Roth stets die peritextuellen Implikationen seines Schreibstils vor 73
74
75
So zum Beispiel der einzeln herausgegebene Briefwechsel von Roth mit Stefan Zweig (Briefe Zweig). Für die Zeit des Exils gilt dies jedoch nicht. Hier sind die Korrespondenzen mit Verlegerpersönlichkeiten umfangreich herausgegeben: Joseph Roth: Geschäft ist Geschäft, seien Sie mir privat nicht böse, ich brauche Geld. Der Briefwechsel zwischen Joseph Roth und den Exilverlagen Allert de Lange und Querido 1933 – 1939, hg. von Madeleine Rietra. Köln: 2005 und Joseph Roth: Aber das Leben marschiert weiter und nimmt uns mit. Der Briefwechsel zwischen Joseph Roth und dem Verlag De Gemeenschap, 1936 – 1939, hg. von Theo Bijvoet. Köln: 1991. Lediglich Funkes Monographie liefert einen Überblick über die Verlagsarbeit in Verbindung mit der Person Gustav Kiepenheuers. Cornelia Caroline Funke: »Im Verleger verkörpert sich das Gesicht der Zeit.« Unternehmensführung und Programmgestaltung im Gustav Kiepenheuer Verlag 1909 bis 1944. Wiesbaden: 1999. Welche große Rolle Gustav Kiepenheuer dennoch für Joseph Roth gespielt hat, lässt sich anhand von Roths Brief zu Kiepenheuers 50. Geburtstag erahnen. Vgl. dazu Briefe (10.06.1930), S. 164-168. Briefe Zweig (27.02.1929), S. 18.
2. Professionalisieren: Joseph Roth
Augen: Roth ›schreibt‹ im Bewusstsein entweder Artikel, Romane oder Reportagen zu produzieren und keine Mischformen zu verfassen. Insgesamt ist er ein Vielschreiber, der einerseits gehetzt von einem Zeitungsauftrag zum nächsten springt und sich andererseits auf Romanprojekte fokussieren möchte. Er schreibt »Tag für Tag«76 , oftmals zehn Stunden und mehr im Spagat zwischen Roman und Artikeln.77 Das tagesaktuelle Geschäft mit Zeitungsartikeln wirkt sich dabei erheblich auf Roths Schreibprozess insgesamt aus: Die Produktion von Artikeln, die Joseph Roth den Lebensunterhalt sichern, führt notwendigerweise zur Unterbrechung seines Schreibens an langfristigen Projekten wie den Romanen, von denen er alleine seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten kann.78 So kommt es nicht selten aus »materielle[r] Not« zu »halbfertige[n] Manuscripte[n]«79 , die aus finanziellen Gründen beiseitegelegt werden müssen, damit er bei der Zeitung schnelles Geld verdienen kann.
Roman versus Artikel: Konkurrenz um Schreibressourcen Die ständige Unterbrechung langfristig angelegter Romanprojekte durch die wirtschaftlich notwendigen Artikel trägt auch wesentlich zu einer schlechten Planbarkeit seiner gesamten Arbeit bei. Die Artikel erscheinen dabei als Variable, die das Schreiben am Roman sabotiert. Dies wird insbesondere bei dauerhaften Verpflichtungen wie beispielsweise für die Frankfurter Zeitung deutlich: »Ich werde kaum im nächsten Jahr mein neu angefangenes Buch zu Ende schreiben können. In der Frankfurter Zeitung werde ich viermal im Monat und noch darüber schreiben müssen.«80 Das Artikelschreiben wird hierbei nicht nur als Last empfunden oder als »schauderhafte Arbeit«81 , sondern mehr noch als Störfaktor und Stressor, von dem sich Roth immer wieder – mal mehr, mal weniger hoffnungsvoll – loslösen möchte.82 Nichtsdestotrotz bleibt insbesondere die Frankfurter Zeitung die »feste Grundlage«83 seiner Existenz und ist zumindest bis zum ersten Ausscheiden aus der Redaktion eine relative Konstante. Doch nicht nur ökonomische Faktoren drängen Roth dazu, das Artikelschreiben gegenüber Stefan Zweig negativ darzustellen. Ein beinahe gesundheitsgefährdendes, sogar lebensbedrohliches Szenario entwirft Roth, sollte er seine Tätigkeit 76 77 78
79 80 81 82 83
Ebd., S. 18. Vgl. ebd., S. 18. Vgl. ebd. (26.11.1928), S. 12: »Und dann weiß ich nicht, was zu machen. Ich kann nicht mehr soviel für die Zeitung arbeiten. Ich habe Umfänglicheres vor und habe allerdings nicht wovon zu leben, wenn ich keine Artikel schreibe.« Beide Zitate aus ebd. (24.01.1928), S. 8. Ebd. (22.09.1930), S. 44. Ebd. (17.07.1930), S. 37. Vgl. ebd. (24.01.1928), S. 8 sowie ebd. (27.02.1929), S. 18. Ebd. (15.09.1930), S. 42.
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
für die Zeitung nicht aufgeben können. So ist immer wieder die Rede von »blöde[n]«84 Artikeln, die ihm die »Gesundheit untergraben«85 . Roth lebt auch deshalb in der Hoffnung, ein Leben ohne das Schreiben von Auftragsarbeiten führen zu können: »Ich will, wenn mein Leben nicht allzu grausam verkürzt werden soll, von heute in einem Jahr ein freier Mensch sein. Und dazu muss ich Tag für Tag schreiben.«86
Der feine Unterschied: Kunst und Journalismus Es ist also primär die Abhängigkeit von den Zeitungen, die Joseph Roths panische Sorge, ständig schreiben zu müssen, nicht nur vorantreibt, sondern perpetuiert. Diese Notwendigkeit wird dabei zum selbstauferlegten Drill, sich buchstäblich aus einem körperlich und mental als unfrei empfundenen Zustand aus eigener Kraft befreien zu müssen. Dass diese Doppeltätigkeit keine Erholungspausen zulässt, verdeutlichen zahlreiche Briefe von Roth an Zweig: »Leider kann ich immer noch nicht das Artikelschreiben aufgeben. Diese Artikel hindern mich vielleicht auch an den sogenannten ›schöpferischen Pausen‹, die jeder schreibende Mensch einschalten muß«87 . Dieses Zitat zeigt außerdem, dass Joseph Roth eine klare Trennung zwischen kreativer, künstlerischer Schreibarbeit an Romanen einerseits und dem Artikelschreiben als dezidiert nicht schöpferischer Tätigkeit andererseits vornimmt. An anderer Stelle reduziert Joseph Roth das Schreiben von Artikeln ganz auf ein »notwendige[s] Zeilenschreiben«88 . Hierbei verschiebt sich die Perspektive auf den Arbeitsprozess im Journalismus insgesamt, da sich Roth nicht auf ein Endprodukt fokussieren kann und gezielt nicht von ›Artikeln‹ spricht. Im Vordergrund einer solchen Aussage steht das Schreiben als eine in mechanische Einzelschritte zerlegte und quantitativ messbare Tätigkeit, für die eine aus der Textproduktion isolierte Zeile als Metapher steht. Dabei wird zugleich sinnbildlich die Zeile als pars pro toto für einen lediglich am Output orientierten Prozess aktualisiert, dessen kreatives Potential nicht mehr zur Disposition steht. Somit artikuliert Roth implizit einen Standesunterschied zwischen Literatur und Journalismus, indem er das Artikelschreiben zu einem rein auf Gewinn abzielenden, beinahe mechanischtechnischen Vorgang reduziert.
Literatur als brotlose Kunst? Kurt Wolff und Kiepenheuer Roth verschweigt jedoch in seinen Briefen pikante Details: So hat er auch für seine Bücher – seit dem Roman Die Flucht ohne Ende (1927) im Kurt-Wolff-Verlag –
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Ebd. (20.06.1930), S. 34. Ebd. (27.07.1929), S. 18. Ebd. (27.02.1929), S. 18. Ebd. (24.01.1928), S. 8. Hervorhebung im Original. Ebd. (02.09.1929), S. 25.
2. Professionalisieren: Joseph Roth
zum Teil monatlich Vorschüsse von Verlegern kassiert und gerät so auch seitens der Verlage unter Zugzwang.89 So ist bekannt, dass Roth beispielsweise seit seinem Erscheinen im Kiepenheuer-Verlag ab 1928 nicht nur erhebliche Summen an Vorschüssen erhält, sondern auch monatliche Rentenzahlungen für Buchprojekte, die er zum Teil nie abgeschlossen hat.90 Trotzdem ist er ein Pferd, auf das Gustav Kiepenheuer weiterhin setzt und das er sich – vermittelt durch den hauseigenen Lektor Hermann Kesten, der zugleich ein Freund und Förderer Roths ist – einkauft.91 Roth avanciert im Folgenden zu einer zentralen Figur des Verlags. Sein Roman Hiob, der bei Kiepenheuer erscheint, wird in den 1930er Jahren sogar in den USA verfilmt und zum internationalen Bestseller.92 Dennoch steht Roth im Jahr 1930 nicht in erster Reihe:93 Aber das Wasser geht mir bis zum Hals. Kiepenheuers teurere Autoren Feuchtwanger Zweig Glaeser Heinrich Mann rücken jetzt mit ihren Manuscripten an, bekommen enorme Gelder, und Kiepenheuer stoppt mir mit Recht die Vorschüsse.94 Wie Cornelia Caroline Funke herausgearbeitet hat, scheint Roth vor allem aus finanziellen Motiven seinen Stammverleger Kiepenheuer gewählt zu haben: Der Zeitungsarbeit gründlich leid, war er auf der Suche nach einem Verlag, der ihm durch großzügige monatliche Rentenzahlungen das Leben eines ›Vorkriegsromanciers‹ ermöglichte. Von seinem Marktwert durchaus überzeugt, ging der Autor dabei einigermaßen skrupellos vor.95 Mit dieser Haltung hat Roth auch den Verlag S. Fischers gegen Kurt Wolff ausgespielt, um im Jahr 1928 bessere Konditionen für seinen Roman Rechts und Links herauszuschlagen.96 Durch die Vorschüsse ist der ökonomische Druck so groß, dass er zunehmend auch die Arbeit an Romanen als ein ›Zeilenschinden‹ ansieht.97
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Vgl. Sternburg: 2009, S. 337. Außerdem zur Schlüsselstellung Gustav Kiepenheuers, der Joseph Roth maßgeblich förderte und finanziell unterstützte vgl. insbesondere Funke: 1999, S. 162-165. Vgl. dazu Funke: 1999, S. 162. Vgl. ebd., S. 162: »Dessen ungeachtet investieren Verlag und Mitarbeiter auch in der Folgezeit sowohl ideell als auch finanziell weiter in den vielversprechenden Autor.« Zur Rolle Kestens vgl. ebd., S. 166-167. Vgl. ebd., S. 164-165. Vgl. ebd., S. 164. Briefe Zweig (20.06.1930), S. 34. Funke: 1999, S. 162. Vgl. ebd., S. 162. Vgl. ebd., S. 161-162.
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
Über das Zeilenschinden und das große Ganze Roths Kommentare zu diesem als so qualvoll empfundenen, in Einzelteile zerlegten und atomisierten Schreiben von Artikeln deuten auch daraufhin, dass seine Präferenz für das Verfassen von Romanen sowie seine Abneigung gegenüber journalistischen Texten nicht nur an wirtschaftliche Faktoren oder an die spezifischen Formate und Gattungen gekoppelt ist, sondern auch mit der Textlänge insgesamt zusammenhängt.98 Gerade das fragmentarische, kurze und mosaikartige Schreiben für Zeitungen steht dem ausführlich geplanten Prozess des Romanschreibens gegenüber. Dies liegt darin begründet, dass Roth das Schreiben von journalistischen Texten bereits im Moment des Verfassens als unorganisch, dissoziativ und »wahllos«99 wahrnimmt: »Ich kann nicht anders denken als in größeren Zusammenhängen und es dauert lange, bevor es mir gelingt, ein nettes kleines Stückchen herauszureißen.«100 Das hier negativ konnotierte Extrahieren einer einzelnen isolierten Entität steht für seinen Zwiespalt, journalistisch schreiben zu müssen, jedoch nur literarisch schreiben zu wollen.
Der ewig offene Wasserhahn: Texte als Konsumobjekte Es ist also das tagesaktuelle Geschäft eines Journalisten, von dem sich Roth gehetzt fühlt und das zusätzlich durch einen nomadischen Lebensstil zwischen Wirtshausaufenthalten und Studierstube begünstigt wird: »Seit dem achtzehnten Lebensjahr« wohnt er in »keiner Privatwohnung« mehr und sein Besitz beschränkt sich auf »drei Koffer«.101 Diese Umstände wirken sich auch auf sein Schreiben aus: »Mich zu fixieren, ist unmöglich. Ich habe keinen stabilen literarischen ›Charakter‹. Aber ich bin auch sonst nicht stabil.«102 Roth, dem es im Jahr 1929 bereits nicht mehr im Bereich des Möglichen erscheint, »bürgerlich«103 zu leben und der einen Artikel nach dem nächsten produzieren muss, erfährt zusehends auch den Literaturbetrieb als einen schnelllebigen Absatzmarkt. In diesem Punkt ähnelt seine Kritik also der, die er gegenüber dem Journalismus vorbringt: Wir leben nicht mehr in den gefälligen Zeiten, da die Dichter zehn Jahre schweigen durften, heute verlangt das schlechte Gedächtnis der Leute Continuität des
98
Vgl. beispielsweise auch Briefe Zweig (26.11.1928), S. 12: »Und dann weiß ich nicht, was zu machen. Ich kann nicht mehr so viel für die Zeitung arbeiten. Ich habe Umfänglicheres vor und habe allerdings nicht wovon zu leben, wenn ich keine Artikel schreibe.« 99 Ebd. (20.06.1930), S. 35. 100 Ebd. (20.06.1930), S. 35. 101 Alle Zitate ebd. (27.02.1929), S. 17. 102 Ebd. (27.02.1929), S. 18. Hervorhebung im Original. 103 Ebd. (24.01.1928), S. 8.
2. Professionalisieren: Joseph Roth
Produzierens, den ewig offenen Wasserhahn und ich wieder sehne mich nach Verwandlungen, Unterbrechungen, Umstellungen.104 Der »ewig offene Wasserhahn«105 wird hier zur Metapher für eine auferlegte, grenzenlose Bereitschaft, Literatur als plätscherndes Konsumprodukt stets verfügbar zu halten. Mit dieser Chiffre, die für einen unüberschaubaren wirtschaftlichen Prozess steht, thematisiert Roth auch hier gerade aus der Perspektive eines Literaten einmal mehr die Problematik, sich den wirtschaftlichen Herausforderungen und konsolidierten Verfahren im Literaturbetrieb als Berufsschriftsteller stellen zu müssen. Somit kämpft Roth im Kontext von Literatur und Journalismus mit ganz ähnlichen wirtschaftlichen Zwängen, die seine Schreibbedingungen wesentlich beeinflussen: »ich erschrecke bei dem Gedanken, nach dreißig Jahren Literatur noch zwanzig alljährlich ein fertiler und versatiler Schriftsteller sein zu sollen.«106 Auffallend ist außerdem, wie negativ sich Roth über seine Leserschaft – die »Leute«107 – gegenüber Stefan Zweig äußert. Das Motiv des ignoranten, sogar inkompetenten Lesers zieht sich darüber hinaus durch seine Feuilletonbeiträge und ist charakteristisch für Roths Hang zur Polemik, gerade, wenn es um die – ebenfalls motivisch immer wiederkehrende – negativ besetzte »heutige Öffentlichkeit«108 geht: »kurzum ich hasse die Öffentlichkeit und bereue nichts mehr, als unter meinem Namen geschrieben zu haben: das wahre Leben ist das Doppeleben.«109 Mit dieser Äußerung macht Joseph Roth gegenüber Stefan Zweig deutlich, dass nicht nur institutionelle Zwänge sein literarisches Schreiben möglicherweise negativ beeinflussen. So ist es vor allem der Versuch, im Fokus der Öffentlichkeit eine gute Figur machen zu müssen, der Joseph Roth unter Zugzwang setzt. Dabei erscheint ferner die Medienmaschinerie als Schreckgespenst, das dem inzwischen zu Ruhm gekommenen Schriftsteller ein »Doppelleben«110 aufzwingt, bei dem die Grenzen zwischen Privatem und Öffentlichem, Kommerziellem und Nicht-Kommerziellem verwischen. So muss Roth gleichermaßen – sei es als Literat, sei es als Journalist –
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Ebd. (17.01.1929), S. 14-15. Ebd. (17.01.1929), S. 14. Ebd. (17.01.1929), S. 14. Ebd. (17.01.1929), S. 14-15. Ebd. (30.08.1930), S. 39. Vgl. dazu beispielsweise Roths ironische Darstellung eines Zeitungslesers in der Frankfurter Zeitung aus dem Januar 1926 Einer liest Zeitung (Roth: JW 2, S. 532): »Das Feuilleton blieb ihm verdeckt. Er überläßt es unmännlichen Naturen. Wenn er aber doch einmal dieses aus Langeweile und in der Verschwiegenheit lesen sollte, so würde es ihm auch nicht gefallen. Denn ich schreibe keineswegs nach seinem Geschmack…« In aller Deutlichkeit weist Joseph Roth Stefan Zweig auf die Borniertheit der Öffentlichkeit in einem Brief aus dem August 1930 hin: Briefe Zweig (30.08.1930), S. 39. 109 Ebd. (17.01.1929), S. 15. 110 Ebd. (17.01.1929), S. 15.
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
den Anforderungen des Publikums gerecht werden. Dies verdeutlicht insbesondere ein Brief aus dem Januar 1929: »Lieber vergessen als eine Marke werden, lieber minder gelesen und gerühmt, aber frei!«111 Der Topos des unfreien, den Gesetzen des Marktes hörigen Schriftstellers bezieht sich also nicht nur – wie oben bereits ausgeführt – auf Roths Hoffen, einmal ohne Auftragsarbeiten für die Zeitung leben zu können.112 Vielmehr verweist er hier konkret auf eine performative Ebene: Sowohl als Journalist als auch als Schriftsteller muss er vor der unbestimmten Größe ›Öffentlichkeit‹ bestehen.113
2.1.4
»Alles, was Sie schreiben, ist genial«114 : Bernhard von Brentano
Neben der von Roth immer wieder thematisierten eigentlichen Schreibarbeit finden sich auch Reflexionen über sein Verhältnis zu Redaktionen und internen redaktionellen Abläufen. Wo immer er gegenüber Stefan Zweig über ›die Zeitung‹ spricht – meist ist damit im Untersuchungszeitraum die Frankfurter Zeitung gemeint – fallen deftige Kraftausdrücke: Das Artikelschreiben nennt er »Dreckarbeit«115 oder »Schmonzes«116 , die Zeitungen sind ihm »verhaßt«117 . Gegenüber Bernhard von Brentano hält sich Joseph Roth aber zunächst bis zum Jahre 1925 bedeckt. Erst dann konsolidiert sich Brentanos Stellung allmählich innerhalb der Redaktion. Brentano für die Zeitung – speziell für die Frankfurter Zeitung – zu begeistern, ist Roth ein zentrales Anliegen. Den Sprössling aus der Frankfurter Linie der berühmten Brentano-Familie, der auch Bettina und Clemens von Brentano angehören, nimmt Joseph Roth als Mentor unter seine Fittiche: Er schlägt ihn als seinen Nachfolger im Berliner Büro der FZ vor und bleibt ihm bis in das Jahr 1929 freundschaftlich verbunden.118 Der Briefwechsel mit Bernhard von Brentano ist für die Untersu111 112 113
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Ebd. (17.01.1929), S. 15. Vgl. dazu 2.1. »MICH liest man mit Interesse«: Roths Selbstinszenierung in Briefen. Roths Kritik an einer konsumorientierten Leserschaft wird auch in seinem Artikel Nachruf an den lieben Leser im Berliner Börsen-Courier deutlich. Vgl. Roth: JW 1, S. 854-857. Vgl. dazu auch Eckhard Gruber: Nachruf auf Günther K. – Ingenieurs-Zauber und Entzauberung der Ingenieure in der Literatur der Neuen Sachlichkeit. In: Verkehrsformen und Schreibverhältnisse. Medialer Wandel als Gegenstand und Bedingung von Literatur im 20. Jahrhundert, hg. von Jörg Döring, Christian Jäger u.a. Opladen: 1996, S. 35-46. Hier: S. 39. Vgl. außerdem Chambers: 2006, S. 25. Briefe (O. D. 1924), S. 41. Briefe Zweig (25.09.1930), S. 49. Ebd. (20.06.1930), S. 34. Ebd. (29.03.1929), S. 21. Vgl. ebd. (O. D. 1924), S. 41: Bis zum Jahr 1929 lassen sich kaum negative Äußerungen über Bernhard von Brentano finden. Roth unterschreibt seine Briefe sogar besonders herzlich mit beispielsweise »Ich umarme Sie. Ihr alter Roth.« Im März des Jahres 1929 schreibt er dann an Pierre Bertaux aus Paris einen Brief, in dem er an Brentano kein gutes Haar lässt. Ebd.
2. Professionalisieren: Joseph Roth
chung dahingehend interessant, als dass Roth konkrete Hinweise liefert, wie man im Medien- und im Literaturbetrieb zu schreiben habe und wie man sich als Autor im redaktionellen Gefüge positioniere. Zeigt sich Roth gegenüber Stefan Zweig devot und unsicher in seinem Rollenkonflikt zwischen journalistischer und literarischer Autorschaft, versucht er, vor Brentano einen gänzlich anderen Eindruck zu erwecken, wenn er ihn beispielsweise zu neuen Artikeln ermutigt: »Werden Sie nicht meschugge! Werden Sie auf keinen Fall penibel bei Artikeln. Alles, was Sie schreiben, ist genial. Aber alles, was schon geschrieben ist, ist Scheiße. Das ist die einzige Devise für den Journalisten.«119
Streichen, redigieren, umschreiben: Joseph Roth als Redakteur Insgesamt hat man zunächst den Eindruck, dass Roth gegenüber Brentano den Journalismus besonders positiv darstellt – will er Brentano doch für die Mitarbeit an der FZ gewinnen.120 Als dies im Jahr 1925 geglückt ist, werden seine Aussagen deutlich scharfzüngiger und Roth weist Brentano regelmäßig in die Schranken. So zum Beispiel in Zusammenhang mit der in der Redaktion der FZ viel diskutierten »Streichungsfrage«121 : Es ist im höchsten Grade unjournalistisch, der Redaktion Streichungen zu verbieten. Da ich die ganze Zeit in Frankfurt für die Durchsetzung dieses Grundsatzes gestritten habe, kann ich auch nicht Ihre Stellung so festigen, daß Ihnen nicht gestrichen werde. Übrigens ist das natürlich keine Festigung Ihres Ansehns. Man muß nicht nur streichen und sogar verändern dürfen, man SOLL es sogar beinahe immer. Von 40 Artikeln, die ich geschrieben habe, sind vielleicht zehn ›unversehrt‹ erschienen. Sie sind kein Solosänger, sondern ein Chorsänger. Sie haben sich einzufügen.122
(28.03.1929), S. 150-151: »Wenn Brentano unglücklich ist, wie Sie meinen, so ist er es mit Recht. Noch nie hat jemand so sehr Unglück verdient, wie er. Ich fürchte nur, er ist zu wenig unglücklich. […] Er ist einer von den drei, vier Leuten, die ich ermorden könnte, mit der Gleichgültigkeit, mit der man eine Zigarette ausdrückt.« Hermann Kesten fühlt sich bemüßigt, diese Aussage in den Herausgeberanmerkungen zu Roths Briefen zu relativieren Hermann Kesten: Anmerkungen. In: Joseph Roth: Briefe 1911-1939, hg. u. eingeleitet von Hermann Kesten. Köln/Berlin: 1970, S. 533-615. Hier: S. 556: »Bernhard von Brentano war, wie viele Freunde von Roth, abwechselnd sein Freund und sein ›Feind‹. Man sollte diesen Brief nicht wörtlich nehmen.« 119 Briefe (O. D. 1924), S. 41. 120 Vgl. beispielsweise ebd. (07.05.1924), S. 41-41 sowie ebd. (02.06.1929), S. 47. Außerdem ausführlich: Ulrike Hessler: Bernhard von Brentano. Ein deutscher Schriftsteller ohne Deutschland. Tendenzen des Romans zwischen Weimarer Reublik und Exil. Frankfurt a.M./Bern/New York u.a.: 1984, S. 9-11. 121 Briefe (11.02.1926), S. 78. 122 Ebd. (11.02.1926), S. 78.
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
Was Roth hier gegenüber Bernhard von Brentano aufführt, gehört zum Grunddilemma seiner journalistischen Autorschaft und ist eklatant mit dem institutionell eng gestrickten Rahmen, den ein redaktionelles Arbeiten vorgibt, verbunden. So oszillieren die Schreibbedingungen zwischen einer autonomen, kreativen Bearbeitung von Aufträgen und einer abschließenden Diskussion und Prüfung, die an die internen Vorgehensweisen und Gepflogenheiten eines redaktionellen Plenums gebunden sind und gemeinsam abgestimmt werden müssen.123
Grenzen journalistischer Autorschaft: »Die Konferenz von Kullis«124 Herzstück des redaktionellen Prozesses ist die »Konferenz von Kullis«125 , eine Metapher, die Roth für die Redaktionssitzung verwendet, in der alle eingereichten Texte geprüft werden. Letztlich geht es darum, die journalistische Qualitätssicherung der einzelnen Beiträge zu gewährleisten, um gemeinsam redaktionell hinter dem Druckerzeugnis stehen zu können. Stellvertretend wird hier durch die beiden Verben »streichen« und »verändern« deutlich, dass in den autonomen Schreibprozess des Journalisten immer eingegriffen werden kann, ja, wie Joseph Roth gegenüber Bernhard von Brentano deutlich macht, auch muss.126 Die Kehrseite der Medaille ist allerdings, dass der Autor dazu bereit sein muss, um in dem journalistischen Arbeitsumfeld weiterhin arbeiten zu können und überhaupt an Aufträge zu gelangen, seine Texte in den Ring zu werfen und rigorose Entscheidungen auch zu Ungunsten seines eigentlichen Schreibkonzeptes in Kauf zu nehmen. Dies verlangt die Bereitschaft des Autors, sich redaktionellen Interessen unterzuordnen. Bei dem oben aufgeführten Beispiel des Redigierens handelt es sich sogar um die größtmögliche redaktionelle Einflussnahme: Brentanos Text wird in der Ausgabe nicht abgedruckt. Wie Roth dabei in Funktion eines Redakteurs agiert, zeigt dabei folgende Stelle:127
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Wie eine Vielzahl von Briefen belegen, ist Joseph Roth kein angestellter Redakteur gewesen, dennoch übernimmt er redaktionelle Aufgaben und redigiert die Texte seiner Kollegen. 124 Joseph Roth: Kein demokratisches Blatt vor den Mund. Ein unbekannter Brief Joseph Roths. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 10.03.1984. 125 Ebd. 126 Beide Zitate aus Briefe (11.02.1926), S. 78. 127 Vgl. dazu weiterführend folgendes Kapitel dieser Arbeit: 2.3.2. Roth, der freie Autor. Hier wird dezidiert noch einmal die Ambivalenz bezüglich der journalistischen und literarischen Autorschaft aufgegriffen. Vgl. außerdem zur Spannung freier Autoren und redaktioneller Einflussnahme in der FZ Almut Todorow: Das Feuilleton der Frankfurter Zeitung in der Weimarer Republik. Zur Grundlegung einer rhetorischen Medienforschung. Tübingen: 1996, S. 110: »Bei der Frankfurter Zeitung der Weimarer Republik läßt sich die hohe Präsenz der Redaktion erkennen, wenn auch nicht in den Einzelheiten nachweisen auf Grund der großen redaktionellen Zurückhaltung, was interne Strukturen und Personalien angeht, zugunsten der zentralisierenden Konfiguration ›Feuilleton‹. Mit der zentrierenden Kraft korrespondiert die
2. Professionalisieren: Joseph Roth
Die Sache, der Sie Ihren Aufsatz widmen, ist heilig. Ihr Aufsatz ist Mittel zum Zweck. Die Sache und Sie, der Schreiber, sind mehr, als der Aufsatz. So viel mehr, wie Sie mehr sind, als die Luft, die Sie ausatmen. Was Ihren letzten Aufsatz speziell betrifft, so war er nicht gut. Kracauer hat ihn gestrichen. Mit Recht. Er war lose, unorganisch, er war die Beschreibung eines Wegs, aber nicht der Weg.128 So legt die Korrespondenz mit Brentano Roths professionelles Verhältnis zum institutionellen Abstimmungsprozess offen, der eine grundlegende Besonderheit journalistischer Autorschaft darstellt. Roths Haltung gegenüber Eingriffen und Kürzungen zeigt ein reflektiertes Selbstverständnis als Journalist, der sich weniger als Künstler begreift, sondern als Teil eines redaktionellen Plenums.
2.1.5
»Die Frankfurter Zeitung betrachte ich (…) als eine Sprungmatratze«129 : Benno Reifenberg
Wenn es um die redaktionelle Bearbeitung von Texten geht, nimmt Joseph Roth auch gegenüber seinem journalistischen Mentor Benno Reifenberg kein Blatt vor den Mund und streitet oft heftig über einzelne Absätze in Artikeln. Dies lässt sich anhand eines Briefs von Roth an Reifenberg aus dem Juli 1928 zeigen: Ihr letztes sehr gutes Feuilleton über Frankfurt beginnt leider mit einem faustischen Absatz von Himmel und Erde – das ist eine sogenannte »Einleitung« – und was sie dort sagen, brauchen Sie nicht, weil es ohnehin zwischen Ihren Zeilen ist und es ist nur ein Erguß eines heimwehvollen Herzens, erinnert an den Gesang der Erzengel, hat einen leisen Posaunenton. Wo sind Sie nur, lieber Freund? Ich weiß nicht mehr, wo Sie zu finden, als stünden wir beide in einem stockdunklen Zimmer. Die Streichung, die Sie selbst vorgenommen haben, tröstet mich, aber nur wenig. Sie sind nicht heiter, Sie sind zu lange in diesem Haus, das sich so wichtig nimmt – und Sie sollen wissen, dass ich überzeugt bin, daß Sie allein… die F.Z. bewahren werden vor dem Schicksal, ein General-Anzeiger zu werden.130 Tatsächlich scheinen redaktionelle Eingriffe auch umgekehrt – sofern sie von Reifenberg kommen – für Joseph Roth eine Selbstverständlichkeit zu sein. So lassen sich zahlreiche Stellen in ihrer Korrespondenz finden, in denen Roth das redaktionelle Bearbeiten seiner Texte sogar affirmiert. Darüber hinaus betont er gegenüber Reifenberg auch, dass er den Prozess des Redigierens als zwingend gegeben hinnimmt: »Sie wissen, wie gleichgültig es mir ist, was mit meinen Sachen gemacht gegenläufige Tendenz, das Ausgreifen auf Außenstehende, auf Autoren, die unabhängig von der Redaktion Personen der Öffentlichkeit sind, auch ›Autoritäten‹. 128 Briefe (11.02.1926), S. 78. 129 Ebd. (08.01.1928), S. 117. 130 Ebd. (07.1928), S. 134. Hervorhebung im Original.
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
wird.«131 Was für ein Vertrauensverhältnis zwischen Joseph Roth und Benno Reifenberg herrscht, kann man daran sehen, dass Roth explizit von Reifenberg Kritik einfordert: »Ich hoffe, Sie haben meine letzten 3 Artikel gut gefunden. Wenn nicht, schreiben Sie mir aufrichtig. Bei Einem, der Tag und Nacht schreibt, spielt die Eitelkeit keine Rolle.«132 Ebenfalls belegt der Briefwechsel, dass nicht nur inhaltliche Punkte zwischen den beiden diskutiert werden, sondern auch die formale Ausgestaltung der Zeitung selbst zum Thema wird: Es fehlt dem Blatt an Schriftmöglichkeit. Die kleinste Schrift fehlt. Mir ist im Augenblick ihr Name entfallen. Petit und petit durchschossen sind zu wenig. Die formale Ausdrucksmöglichkeit bereichert auch die sachliche. Es ist sehr wichtig, daß eine Zeitung tausend Gesichter haben kann. Sie hat tausend Nachrichten, tausend Arten von Begebenheiten. In diesem Sinn meinen herzlichen Glückwunsch zu den neuen Köpfen und der Aufmachung.133 Dieses Zitat zeigt außerdem, wie sehr sich Joseph Roth – vom Inhalt bis zur Aufmachung – mit der Frankfurter Zeitung als zentraler Station seiner journalistischen Karriere identifiziert. Sie ist für Roth eine Institution, an der er auch trotz des an Sieburg verlorenen Pariser Korrespondentenpostens und ständiger interner Querelen und Eitelkeiten festhält.
Ein »Weltblatt«134 : Identifikation mit der Frankfurter Zeitung Die einmalige Stellung gerade des Feuilletons der FZ innerhalb der Kulturlandschaft der Weimarer Republik hat Almut Todorow treffend als »intellektuelles Forum der Weimarer Republik«135 bezeichnet, das zugleich auch eine prestigeträchtige Referenz für Autoren ist. Ungeachtet der Tatsache, dass sich Joseph Roth, wie gegenüber Stefan Zweig thematisiert, von den Zeitungen loslösen möchte und sie durchweg negativ darstellt, bezeichnet er seine Arbeit für die traditionsreiche Zeitung, in der insbesondere das Feuilleton eine große Rolle spielt, doch gegenüber Reifenberg als eine große Ehre. So finden sich in der Korrespondenz mit dem Feuilletonchef vielerorts Strategien, die der Überhöhung dieser Zeitung insgesamt dienen. Besonders deutlich wird dies in einem Brief an Benno Reifenberg, in dem
131 132 133 134 135
Briefe (18.08.1925), S. 55. Ebd. (30.08.1925), S. 65. Ebd. (30.08.1925), S. 65. Briefe (16.02.1926), S. 80. Vgl. den gleichnamigen Aufsatz von Almut Todorow: Die Frankfurter Zeitung als intellektuelles Forum der Weimarer Republik. In : Les Intellectuels et l’Europe sous la République de Weimar, hg. von Manfred Gangl u. Hélène Roussel. Rennes: 1996, S. 147-157.
2. Professionalisieren: Joseph Roth
Joseph Roth den redaktionellen Umgang mit einem Artikel des Kunsthistorikers und Romancier Julius Meier-Graefe kritisiert:136 2.) hat mich die Vorbemerkung zur Meier-Graefe geärgert. Es heißt dort: M.G. hat uns versprochen! Versprochen! Ein Schriftsteller einem Weltblatt! Welch ein Verhältnis! Es hätte heißen müssen: Wir haben ihn geschickt! […] für den Leser der F.Z. ist M.G. nur durch die F.Z. wer. Ohne sie nichts. So soll es auch sein. Den privaten Tenor unserer Abmachungen brauchen wir doch nicht aller Welt zu verkündigen.137 Was Joseph Roth hier gegenüber Benno Reifenberg anprangert, ist eine unvorsichtige Außendarstellung des Blattes durch redaktionelle Ankündigungen, die durch Zusätze öffentlich in der Frankfurter Zeitung erscheinen. Der Grundtenor des Beschwerdebriefs an Reifenberg zeigt, dass Roth viel an einer professionellen Ausstrahlung der Zeitung auf die Leser gelegen ist, die er als ein »Weltblatt«138 ausweist. So soll Julius Meier-Graefe in Roths Augen um die Gunst der Zeitung buhlen und nicht umgekehrt die Zeitung öffentlich für die Mitarbeit eines Autors kämpfen, obwohl dieser zu diesem Zeitpunkt längst ein anerkannter Verfasser kunsthistorischer Beiträge ist. Dies legt nahe, was für ein redaktionelles Selbstverständnis die Zeitung Roths Meinung nach haben sollte.139 Zugleich macht dies aber auf die institutionelle Kluft aufmerksam, unter der die (freien) Autoren zu leiden haben: So ist die Zeitung und der Zeitungsverlag zwar einerseits auf ihre Mitarbeit angewiesen, da sie als Experten gelten, die sich auch außerhalb des Blattes einen Namen gemacht haben. Andererseits stehen sie ihnen als redaktionell und institutionell bestimmende Größen gegenüber. Nichtsdestotrotz scheint Roth für sich in dieser Hinsicht eine Ausnahme machen zu wollen, indem er sich im Verlauf des Briefes gerade nicht als Autor unter vielen inszeniert: »Durch diese Geschichten, nur durch diese, erscheine ich als ein nebensächlicher Außenseiter dieses Blattes, das sich einen Witz, namens Joseph Roth auch leistet. Ich habe keine andern Aspirationen, als meine Arbeit in dieser Zeitung GEWÜRDIGT zu sehn.«140
Vgl. zum besonderen Verhältnis Meier-Graefes mit der Frankfurter Zeitung Almut Todorow: »Wollten die Eintagsfliegen in den Rang höherer Insekten aufsteigen?« Die Feuilletonkonzeption der Frankfurter Zeitung während der Weimarer Republik im redaktionellen Selbstverständnis. In: DVjS 62 (1988) H. 4, S. 697-740. Hier: S. 718-720. 137 Briefe (16.02.1926), S. 80. Hervorhebung im Original. 138 Ebd. (16.02.1926), S. 80. 139 Vgl. dazu auch Todorow: 1996, S. 114-115. 140 Briefe (16.02.1926), S. 80. Hervorhebung im Original. 136
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Die Marke Joseph Roth So lässt sich feststellen, dass Joseph Roth nicht nur viel an seiner eigenen journalistischen Reputation und Profilierung liegt. Vielmehr versteht und verkauft er seine Autorschaft als eigene Marke, die der Frankfurter Zeitung einen Mehrwert liefert.141 Dies wird insbesondere in der Auseinandersetzung mit dem verlorenen Pariser Korrespondenten-Posten deutlich. Hierbei sieht er sich gegenüber der Zeitung gezwungen, seine Interessen durchzusetzen und führt als Argument insbesondere die ›Marke‹ Roth an, die für die Leser essentiell mit dem Feuilleton der Zeitung verbunden sei:142 Ich liebe diese Zeitung, ich diene ihr, ich nütze ihr. Man fragt mich nicht, wenn es irgendjemandem einfällt, mich aus Paris zu entfernen. MICH liest man mit Interesse. Nicht die Berichte über das Parlament. Nicht die Leitartikel, nicht die Telegramme. Aber der Verlag glaubt, der Roth ist ein nebensächlicher Plauderer, den sich eine große Zeitung gerade noch leisten kann.143 Doch es lässt sich feststellen, dass auch aus Sicht der Redaktionseminenzen – zumindest für Benno Reifenberg – Roth als Autor eine Schlüsselstellung innehat. Auf Roths Drohung, nicht mehr für die FZ schreiben zu wollen, ginge der Posten an Sieburg, antwortet Benno Reifenberg, dass auch Roths ›Marke‹ eine zentrale Funktion für die Zeitung habe: Lieber Herr Roth, ich muß Ihnen wohl nicht sagen, daß Ihr Ausscheiden aus unserer Zeitung für mich den schwersten Schlag bedeutet, den ich in diesen Anfangsjahren erleben könnte. Ich habe einfach auf Sie gerechnet. Ich brauche die Mitarbeit von Menschen meiner Generation, mit denen ich mich ohne weiteres verstehe, mit denen ich Ideen teile, die uns ohne weiteres selbstverständlich sind. Es wäre nach meiner Überzeugung eine verlorene Schlacht, wenn Ihr Name plötzlich in Berliner Blättern auftauchen müsste. Ich habe das deutlich dem Verlag mitgeteilt und nun bitte ich mir zu glauben, daß der Verlag nicht sehr viel anders als ich denkt und 141
Vgl. dazu auch Meyer: 2013, S. 13. Hier weist Meyer auf das Selbstmarketing als zentrale Funktion von Briefwechseln und anderen Medien hin, mit denen Schriftsteller ihre Autorschaft konstruieren: »Die Medien der Autorschaft bedürfen dabei nicht nur als Mittel literarischer Netzwerkbildung gezielter Aufmerksamkeit. Sie können als Marketinginstrument eigener Literaturprogrammatik oder zum Zweck der Selbstdarstellung des Autors zum wichtigen Instrument des literarischen Lebens werden.« 142 Vgl. Helmut Stalder: Siegfried Kracauer. Das journalistische Werk in der Frankfurter Zeitung 1921-1933. Würzburg: 2003, S. 81: »Viele Feuilletons versuchten sich mit bekannten Namen zu profilieren, die als Markenzeichen eine Identifikation der Leser mit dem Blatt herstellen konnten. […] Wie stark Autoren als Marketingmittel gesehen wurden und sich selbst auch als Markenartikel verstanden, zeigte sich im Frühjahr 1930 als Feuilletonleiter Reifenberg mit Joseph Roth über eine Rückkehr zur FZ verhandelte.« 143 Briefe (22.04.1926), S. 88.
2. Professionalisieren: Joseph Roth
daß ihm sehr darum zu tun ist, mit Ihnen ein gutes Einvernehmen zu pflegen. […] Der Verlag möchte aber unter allen Umständen, daß Sie bei der Zeitung bleiben und daß Ihr Name im Blatt steht. Von woher Ihre Arbeiten kommen, ist bei der besonderen Prägnanz Ihres Schreibens eine Sorge zweiter Ordnung.144 Tatsächlich geht es hier kaum darum, die Pariser Stelle neu auszuschreiben oder an Roth zu vergeben. Vielmehr ist die Entscheidung längst von oben gefällt. Dennoch verhandelt Joseph Roth nach dem Bruch mit der Zeitung und der sich anschließenden vorübergehenden Beschäftigung bei den Münchner Neuesten Nachrichten ab 1929 bereits ein Jahr später neu mit der FZ und erwirkt dabei sogar bessere Konditionen als zuvor.145 Roth ist sich darüber im Klaren, wie weit die Zeitung gehen würde, um ihn wieder exklusiv unter Vertrag zu nehmen und damit seinen »Name[n] im Blatt«146 zu sichern. So schreibt Reifenberg im Mai 1930 unter welchen Bedingungen die Frankfurter Zeitung Roth wieder ›zurückkaufen‹ würde: Wenn die Frankfurter Zeitung wieder mit Ihnen zusammen arbeitet, so könnte das nur geschehen unter der Voraussetzung, daß man wieder das Monopol auf Ihre gesamte journalistische Tätigkeit gewinnt. Wir können und dürfen nicht einen Joseph Roth mit anderen Blättern teilen.147 Helmut Stalder hat darauf hingewiesen, dass Joseph Roth ein Paradebeispiel für die Programmpolitik der Frankfurter Zeitung sei, mit der das Blatt eine solche exklusive Sicherung von Autorenrechten verfolgt: »Besonders die FZ legte Wert darauf, dass sie beliebte Schreiber möglichst exklusiv hatte. Fest angestellte Redakteure durften im Prinzip nicht für andere Blätter schreiben, und bei freien Mitarbeitern sah man dies nicht gern.«148 Dennoch gilt es dabei auch zu beachten, dass es hier – wie Almut Todorow gezeigt hat – auch um einen offen geführten Konflikt der beiden großen Tageszeitungen geht, die um Einflussnahme und Leserschaft in Süddeutschland konkurrieren: Durch das Abwerben eines begehrten Autors versuchen sich die Münchener Neuesten Nachrichten gegenüber der Frankfurter Zeitung besser aufzustellen.149 Dass aber das Interesse an einem einzelnen Journalisten wie Roth so groß sein konnte, hat sicherlich auch mit der Personalunion von Journalist und literarischem Autor zu tun. Diese ist zwar im Gesamtkontext des Zeitungspanoramas der Weimarer Republik keine Seltenheit, da viele Journalisten als literarische Autoren tätig
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Ebd. (22.04.1926), S. 83-84. Vgl. dazu ausführlich Todorow: 1996, S. 114. Briefe (22.04.1926), S. 84. Ebd. (14.05.1930), S. 162. Stalder: 2003, S. 81. Vgl. Todorow: 1996, S. 114.
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waren und umgekehrt.150 Dennoch ist Joseph Roth ein repräsentativer Kopf, der – wie gezeigt werden konnte – auch um seinen Marktwert weiß, sowohl als Romancier als auch als Journalist. Das belegt beispielsweise sein gegenüber Benno Reifenberg artikuliertes Selbstverständnis im Kontext der ›Pariser Affäre‹, in dem er deutlich macht, dass er sich als ein zwischen Journalismus und Literatur mäandrierender Autor versteht: »Ich bin ein Journalist, kein Berichterstatter, ich bin ein Schriftsteller, kein Leitartikelschreiber.«151 Diesen Aspekt gilt es in den Kapiteln 2.3.2. Roth, der freie Autor sowie 2.3.3. Roth, der Rezensent und Kritiker näher zu erläutern, in denen Joseph Roths literarisches wie journalistisches Selbstverständnis auch außerhalb der Briefe näher untersucht und verortet werden.
2.2
Zwischen Literatur und Journalismus: Die Flucht ohne Ende
Im Kapitel 2.1 Institutionelle Voraussetzungen: Die Marke Joseph Roth konnten die Rahmenbedingungen, die Roths Schreiben zwischen Literatur und Journalismus bedingen, anhand der Briefwechsel mit Stefan Zweig, Bernhard von Brentano und Benno Reifenberg aufgearbeitet werden. Während also dort die Inszenierung von Roths Autorschaft zwischen Literatur und Journalismus in privaten Briefen im Vordergrund stand, soll im Folgenden der Blick auf die Werkebene sowie auf Rezeptionszeugnisse im zeitgenössischen Diskurs gelenkt werden. In dieser Arbeit wurde bereits mehrfach auf die Tatsache hingewiesen, dass noch immer eine kommentierte und kritische Ausgabe aller Werke, die auch programmatische sowie poetologische Aussagen des Autors mitberücksichtigt und diese als integralen Bestandteil des Werks selbst auffasst und somit entsprechend kontextualisiert, zu den größten Desideraten der Roth-Forschung gehört. Im Folgenden wird der Versuch unternommen, diese Forschungslücke zumindest für ein Werk – Die Flucht ohne Ende – zu schließen. Unter Berücksichtigung von sowohl schriftstellerischen (peritextuellen und textuellen) Inszenierungspraktiken, die Roth selbst im Kontext der Veröffentlichung dieses Romans vornimmt, als auch von Zuschreibungen, die beispielsweise durch Rezensionen sein Autorbild formen, sollen dabei einige Szenarien und Spielarten analysiert werden, die Roths Autorlabel nachhaltig formen. Aus dieser Perspektive ist zunächst zu fragen, welche Spuren das Oszillieren zwischen Literatur und Journalismus in den Werken Joseph Roths in Zusammenhang mit seiner Autorinszenierung hinterlässt: Wie steuert Roth die Erwartungen seiner Leser, mit welchen peritextuellen Kunstgriffen inszeniert er seine Autorpersönlichkeit im Kontext des Werks? Welche Reaktionen ruft ein solches Schreiben 150 Vgl. umfassend Uecker: 2007, S. 144-145. 151 Briefe (22.04.1926), S. 88.
2. Professionalisieren: Joseph Roth
seitens der Kritiker und Rezensenten und der Leser hervor? Welche Rolle spielt dabei die Personalunion von Literat und Journalist? Diesen Fragen soll anhand eines vielfältigen Korpus – bestehend aus einem Roman, Essays, Zeitungsartikeln, Rezensionen und redaktionellen Stellungnahmen – auf den Grund gegangen werden: Im Fokus des folgenden Kapitels steht demnach ein Werk und seine Inszenierung, für das auf verschiedenen Ebenen eine Annäherung an Journalismus und Literatur kennzeichnend ist. Bis heute gehört der Roman Die Flucht ohne Ende, der 1927 bei Kurt Wolff erscheint, zu den kontrovers diskutierten Texten im Kanon der Neuen Sachlichkeit. Diese vielstimmige Debatte findet nicht nur in der Forschung zu Roth und der Neuen Sachlichkeit im Allgemeinen ihren Niederschlag, sondern ist, wie gezeigt werden soll, bereits in der unmittelbaren Rezeption in Artikeln und Rezensionen aus den späten 1920ern und Besprechungen aus den frühen 1930er Jahren angelegt. Wie und mit welchen Steuerungsmechanismen Roth selbst Einfluss auf diese Debatte ausübt, soll dabei nicht nur mit Fokus auf den Autor sondern auch aus Sicht der zeitgenössischen Rezipienten rekonstruiert werden.
2.2.1
Distanzieren: Schluß mit der »Neuen Sachlichkeit«!
Drei Jahre nach Erscheinen seines Buches Die Flucht ohne Ende veröffentlicht Joseph Roth in der Literarischen Welt den Essay Schluß mit der »Neuen Sachlichkeit«!. Darin wendet sich Roth endgültig von einer literarischen Strömung ab, zu der er sich nie öffentlich selbst bekannte und für die er nur Hohn und Spott übrig hatte. Der Artikel ist zugleich Höhepunkt und Schlussstein mehrerer Distanzierungsversuche,152 zu denen sich der Autor offensichtlich gezwungen sah: Die unmittelbare Literarturkritik ordnete seinen Roman auf Grund des Vorworts und des Untertitels Ein Bericht in diese Strömung ein, was Roth als ein »Mißverständnis«153 deklarierte. In Schluß mit der »Neuen Sachlichkeit«! polemisiert er schließlich gegen die Ästhetik der Neuen Sachlichkeit und stellt Relevanz, Leistung und Wirkung dieser Strömung in Frage. So macht er sich hier nicht zuletzt auch über das inflationär gebrauchte Modewort ›sachlich‹ lustig, das alles und nichts zu bezeichnen scheine und unreflektiert im Sprachgebrauch des modernen Lesers Verwendung fände: Auf hundert unsichtbaren, unbestimmbaren Wegen bestimmt das Schlagwort den verwirrten Leser. In diesem heillosen Wust der Verwechslungen passiert es ihm, daß er die Wahlverwandtschaften für »unsachlich« hält, einen Sportroman in der Illustrierten für »sachlich« […].154 152
153 154
Selbst in Rezensionen wettert Roth aus dem Kontext gelöst gegen die Neue Sachlichkeit, was am Beispiel der Besprechung eines Romans von Hermann Kesten (Die Liebesehe) gezeigt werden kann. Vgl. JW 3, S. 317-318. Ebd., S. 45. Ebd., S. 163-164. Hervorhebung im Original.
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Roth richtet seine Polemik vor allem gegen das Etikett des Sachlichen, das unter ästhetischen Gesichtspunkten lediglich zu einer begrifflichen Hülle werde. Das ›Sachliche‹ ist der diskursprägende und alles bestimmende positiv konnotierte neue Leitbegriff. Die inhaltlichen Dimensionen des Begriffs bleiben jedoch unscharf. In dem Vergleich zweier gegensätzlicher Romantypen, dem klassischen Gesellschaftsroman und dem neusachlichen Unterhaltungsroman in einer Zeitschrift, weist Roth zudem auf die Gefahr einer Verwischung von Hoch- und Populärkultur hin. Auch in einem Brief an den französischen Literaturwissenschaftler Félix Bertaux äußert er sich über die Neue Sachlichkeit negativ: Dort zweifelt er nicht nur die Leistung des Begriffs an, sondern wirft auch einen kritischen Blick auf dessen Provenienz. Selbst Bertaux’ Übersetzung, die weder Bezug auf die realistische Tradition nimmt, noch die Innovation der Strömung akzentuiert, erscheint Roth noch zu positiv und irreführend: Ich habe lange nachgedacht über Ihre geradezu geniale Übersetzung der »Neuen Sachlichkeit« und finde, daß l’ordre froid viel zu gut ist für jenes häßliche Wort, das aus der deutschen Malerei in die deutsche Literatur gekommen zu sein scheint. Es erhebt all die literarischen Produkte, die unter jenem Stichwort gesegelt sind, auf ein ganz bedeutendes Niveau, das sie nicht haben. Der französische Leser würde geneigt sein, diese Sachlichkeit besser zu finden als sie ist, einfach unter der Suggestion, Ihres prächtigen Wortes.155 Doch was sind die Beweggründe, die Roth dazu bringen, partout nicht mit dieser literarischen Strömung identifiziert werden zu wollen, die als modisch und modern gilt?156 Geht es dabei tatsächlich um eine Selbstverortung im zeitgenössischen Intellektuellen-Panorama der 1920er Jahre? Oder handelt es sich hier vielmehr um eine aufmerksamkeitsheischende Form der Selbstinszenierung, die dazu beitragen soll, das Autorlabel – die ›Marke Roth‹ – zu etablieren?157 Im Folgenden wird Roths Autorinszenierung im Kontext von Die Flucht ohne Ende analysiert. Dabei gilt es, insbesondere den spielerischen Charakter seiner Werkinszenierung zu betonen. Um das Verhältnis von Selbstpositionierung, zeitgenössischer Rezeption (Literaturkritik) und Forschung auf ein adäquates Fundament zu stellen, wird zunächst erörtert, wie Joseph Roth gegen eine Einordnung in die Strömung der Neuen Sachlichkeit im Kontext von Die Flucht ohne Ende
155 156 157
Briefe (09.01.1928), S. 118. Hervorhebung im Original. Vgl. Roth: JW 3, S. 44. Vgl. zum Begriff des ›Autorlabels‹ Dirk Niefanger: Der Autor und sein Label. Überlegungen zur fonction classificatoire Foucaults (mit Fallstudien zu Langbehn und Kracauer). In: Autorschaft: Positionen und Revisionen (DFG-Symposion 2001), hg. von Heinrich Detering. Stuttgart/Weimar: 2002, S. 521-539. Siehe des Weiteren zur begrifflichen und theoretischen Fundierung dieser Begriffe Kapitel A. Einleitung.
2. Professionalisieren: Joseph Roth
argumentiert. Bevor der Peritext und der Haupttext in den Fokus rücken, werden die Distinktionsmechanismen im Feuilletondiskurs offengelegt, mit Hilfe derer Joseph Roth versucht, sich ein Alleinstellungsmerkmal zu schaffen. Hierbei steht vor allem Roths Artikel Es lebe der Dichter! in der Frankfurter Zeitung im Zentrum. Dieses – im Vergleich zu seinem Essay Schluß mit der »Neuen Sachlichkeit«! – wenig detailliert rezipierte Feuilleton gehört zu den raren Arbeiten Roths, die an eine Exordialrhetorik der Redaktion der Frankfurter Zeitung geknüpft sind. Das heißt, dass Roths Text von einem Paratext umrahmt ist, den das Redaktionskollektiv verfasst hat. Somit gibt Es lebe der Dichter! zum einen Auskunft über Roths Status im Gesamtgefüge der Zeitung. Zum anderen wendet er sich hier das erste Mal öffentlich gegen die literarturkritische Einordnung seines Romans und inszeniert sich als Autor zwischen Literatur und Journalismus.
2.2.2
Sich selbst verorten: Es lebe der Dichter!
Im März des Jahres 1929 – also ein Jahr vor seinem Essay in Die Literarische Welt mit dem Titel Schluß mit der »Neuen Sachlichkeit«! – reagiert Joseph Roth auf die Diskussion, die sein Roman Die Flucht ohne Ende in den Zeitungen und Zeitschriften auslöst, mit dem Beitrag Es lebe der Dichter! in der Frankfurter Zeitung. Stein des Anstoßes ist die Interpretation des Vorworts seines Romans Die Flucht ohne Ende sowie dessen Untertitel Ein Bericht. Wie man den Anmerkungen der Redaktion, die dem Artikel Es lebe der Dichter! vorausgeschickt werden, entnehmen kann, war es Joseph Roths Aufgabe, über neue Zeitungsromane zu berichten.158 So beabsichtigt die Frankfurter Zeitung, Ausschnitte aus Romanmanuskripten vorab zu veröffentlichen, um die Leserreaktionen besser einschätzen zu können.
»Auf unseren Wunsch«159 : Exordialrhetorik im Feuilleton der Frankfurter Zeitung Solche einleitenden kollektiven Stellungnahmen seitens der Redaktion, die sich direkt an »unsere Leser«160 richten, sind keine Seltenheit für das Feuilletonressort der Frankfurter Zeitung in der Weimarer Republik.161 Vielmehr ziehen sich diese
158 159 160 161
Vgl. Roth: JW 3, S. 44. Ebd., S. 44. Ebd., S. 44. Vgl. insgesamt zur Exordialrhetorik im Feuilleton der Frankfurter Zeitung exemplarisch für die Jahrgänge 1919 und 1929 Almut Todorows umfassende rhetorische Analyse: Todorow: 1996, S. 132-162. Den innovativen Wert von Todorows Forschung streicht insbesondere Schütz heraus. Vgl. Erhard Schütz: »Ich zeichne das Gesicht der Zeit«. Skizzen zu Feuilleton und Feuilletonforschung aus der und zu der Zeit von 1918 bis 1945. In: Die lange Geschichte der klei-
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durchaus heterogenen, knappen Randbemerkungen, als eine »fortlaufende feuilletoninterne Textebene«162 durch die Rubrik, nehmen auf Einzelbeiträge Bezug und verknüpfen diese. Dabei kommen ihnen unterschiedliche Funktionen der Kontexthilfe oder Lektüreerleichterung zu, die allesamt der Leserlenkung dienen und die inhaltlich von einer Textankündigung oder Orientierungshilfe über Klarstellungen bis hin zu Distanzierungsversuchen reichen.163 Wie Almut Todorow exemplarisch anhand zweier Jahrgänge gezeigt hat, ist diese Form der Kommunikation zentral für die Außenwirkung des Blattes,164 da sie, wie auch die auffällige typographische Gestaltung der Zeitung insgesamt, repräsentativ für die bildungsbürgerliche Ausstrahlungskraft des Mediums steht.165 Zugleich zeigt sie auch das Bemühen der Feuilletonredaktion der Frankfurter Zeitung, den Leser implizit in das Medium einzubeziehen und ihn langfristig zu binden.166 Im Falle von Roths Beiträgen im Feuilleton, sind direkte redaktionelle Einleitungen und Einschübe, die seine Person gewichtig in den Vordergrund stellen, eine Seltenheit. Eher das Gegenteil ist der Fall, was beispielsweise in einer Vorrede zu Roths Ruhrgebiet Reportagen deutlich wird.167 In diesem Fall betont eine redaktionelle Anmoderation, dass es sich bei Roths Ausführungen lediglich um subjektive »Eindrücke von einer Reise«168 handle. Diese »Impressionen, gesehen durch ein Temperament«169 , seien »unabhängig von jeder programmatischen Forderung«170 des Redaktionskollektivs entstanden. Indem sich die Redaktion unter der Leitung von Benno Reifenberg von Roths Artikel distanziert, tritt sie als geschlossenes Kollektiv für den Leser in Erscheinung.171 Im Vergleich hierzu erfüllt die Vorrede zu Roths Artikel Es lebe der Dichter! gleich mehrere Funktionen. Zum einen dient sie
162 163 164 165 166 167 168 169 170
171
nen Form. Beiträge zur Feuilletonforschung, hg. von Kai Kauffmann u. Erhard Schütz. Berlin: 2000, S. 177-188. Todorow: 1996, S. 133. Vgl. ebd., S. 133. Vgl. ebd., S. 133. Vgl. ebd., S. 130-131. Vgl. ebd., S. 137. Vgl. ergänzend insgesamt zur redaktionellen Kommunikation im Feuilleton Todorow: 1988, S. 722. Vgl. ebd., S. 716. Ebd., S. 716. Ebd., S. 716. Anmerkungen der Redaktion: In: Frankfurter Zeitung vom 10.04.1926, Nr. 263. Zitiert nach: Almut Todorow: »Wollten die Eintagsfliegen in den Rang höherer Insekten aufsteigen?« Die Feuilletonkonzeption der Frankfurter Zeitung während der Weimarer Republik im redaktionellen Selbstverständnis. In: DVjS 62 (1988) H. 4, S. 697-740. Hier: S. 716. Vgl. Todorow: 1988, S. 714: Dass das Redaktionskollektiv als Instanz so viel Gewicht hatte, betont auch die Tatsache, dass, wie Almut Todorow herausgearbeitet hat, der Leitartikel anonym erscheint.
2. Professionalisieren: Joseph Roth
dazu, Roths Status zu klären, schließlich oszilliert der oft unbequeme freie Mitarbeiter zwischen Einzelbeiträgen für die FZ, literarischer Autorschaft und redaktionellen Aufgaben. Zudem betont die Vorrede noch einmal die Relevanz seines Artikels – auch für das Feuilletonressort insgesamt. Auffällig ist, dass es sich bei diesem um ein ›Auftragswerk‹ der Redaktion handelt. Der Autor wurde explizit dazu aufgefordert, »mit einer Betrachtung über den Roman« eine Zusammenstellung von neuen Romanmanuskripten einzuleiten, die in der FZ als »Zeitungsromane« abgedruckt werden sollten:172 Auf unseren Wunsch hat Joseph Roth, der gerade jetzt der Flucht ohne Ende und Zipper und sein Vater ein neues Werk folgen läßt, mit einer Betrachtung über den Roman diese Zusammenstellung eingeleitet […] D. Red.173 Daraus geht hervor, dass sich Joseph Roth durch die Veröffentlichung seiner Romane bereits als eine Marke etablieren konnte,174 die jenseits des literarischen Marktes auch im Feuilleton einen festen Platz gefunden hat. Diese Wirkung macht sich an dieser Stelle die Redaktion zu Nutze: Die Personalunion von literarischem und journalistischem Autor weist ihn folglich für die Redaktion der FZ als Experten für zeitgenössische Literatur aus, den sie für ihre Zwecke einsetzen kann. Damit legt die redaktionelle Textrahmung auch die Hierarchien offen, die zwischen dem Redaktionskollektiv, dem Beitragsautor und dem Leser bestehen. So ist es für die Metakommunikation zwischen Leserschaft und Redaktionskollektiv bezeichnend, dass die Redaktion als geschlossenes Ganzes auftritt, das die Hoheit über die formale und inhaltliche Gestaltung hat. Damit hat sie also nicht nur eine rein vermittelnde Funktion als verlängerte Hand des Autors inne. Die Redaktion bleibt die feste Größe, die weiß, was den Leser zu interessieren hat, und in der Verantwortung steht, ihm dieses Material auch zu präsentieren. Mit der Exordialrhetorik verfügt sie darüber hinaus über das passende Instrumentarium, dem Leser auch ihre guten Absichten zu unterbreiten: Wir begehen das Wagnis, aus Romanen, die uns vorliegen und von denen wir einige bei uns veröffentlichen wollen, unsern Lesern Fragmente zu unterbreiten. […] Hat man aus diesen Bruchstücken eine Ahnung von der besonderen Sprache ihrer Autoren gewonnen, so wird vieles an der schwierigen Pflicht, einen Zeitungsroman auszuwählen, leichter scheinen. […] Viele der Schriftsteller, deren mit Spannung erwarteten neuen Werke wir hier aus dem Manuskript präsentieren dürfen, haben im engen Zusammenhang mit unserer Zeitung gearbeitet, manche von ih-
172 173 174
Beide Zitate aus Roth: JW 3, S. 44 u. 46. Ebd., S. 44. Vgl. zur theoretischen Fundierung des Markenbegriffs Kapitel 1. Einleitung.
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nen tun das auch heute noch; wir wären zu bescheiden, wenn wir das verschweigen möchten.175 Mit welchem autoritativen Gestus das redaktionelle Selbstbewusstsein rhetorisch markiert wird, verdeutlicht das einleitende Personalpronomen »wir«, das innerhalb des Textes als Kohäsionsmittel immer wieder aufgenommen wird, sowie insbesondere auch die Rede von »unserer Zeitung«.176 Dabei inszeniert sich die Redaktion als Schaltstelle, bei der die intellektuellen Kräfte des literarischen Lebens zusammenkommen und unter deren Förderung bedeutende Werke entstehen. So wird das Feuilletonressort für die Schriftsteller zum intellektuellen Labor und Netzwerk in einem. Darüber hinaus sagt die Exordialrhetorik, die Es lebe der Dichter! einrahmt, auch einiges über den Kulturbegriff der Frankfurter Zeitung aus, die dezidiert Zeitungsromane für ihr Leserexperiment ausgewählt hat. Somit bricht sie für dieses (nicht unumstrittene) Genre eine Lanze: »Wobei wir mit dem Wort Zeitungsroman gewiß nicht die Degradierung zum Unterhaltungsstoff meinen, sondern nur auf den Zwang zur mechanischen Unterbrechung hingewiesen haben wollen.«177 Dieses Zitat verdeutlicht, dass sich die Frankfurter Zeitung als Flaggschiff des bürgerlichen Kulturjournalismus der Weimarer Republik versteht und zumindest aus ästhetischer Perspektive auch risikobereit ist, konservative Leser von der kulturellen Relevanz des Zeitungsromans zu überzeugen. Dieser stehe, gemäß ihrer Definition, dem Roman in Buchform qualitativ in nichts nach, sondern zeichne sich lediglich durch die publikationsbedingten Unterbrechungen aus.
»Am Angesicht dieser Zeitung arbeiten«178 Dass nun ausgerechnet Joseph Roth ausgewählt wird, diese Sammlung einzuleiten, zeigt, dass er nicht nur einen festen Platz im intellektuellen Panorama der Weimarer Zeit hat und als bereits arrivierter Autor gilt. Er wird auch zugleich von der FZ als Sprecher der Schriftsteller insgesamt autorisiert. Somit kann er sich des Rückhalts der Zeitung – wie bereits in Kapitel 2.1.5. »Die Frankfurter Zeitung betrachte ich […] als eine Sprungmatratze«: Benno Reifenberg anhand der Korrespondenz mit Benno Reifenberg gezeigt werden konnte – gewiss sein, die ihn stellvertretend als Experten einsetzt. Gleichzeitig weist die Exordialrhetorik auch auf das Hierarchiegefälle zwischen Autor und Redaktion hin. Roth wird aus dem kollektiven »wir«179 herausgelöst präsentiert und steht somit der Redaktion, die letztlich alle Entscheidungskompetenzen innehat, gegenüber. 175 176 177 178 179
Roth: JW 3, S. 44. Hervorhebung im Original. Alle Zitate ebd., S. 44. Ebd., S. 44. Ebd., S. 45. Ebd., S. 44.
2. Professionalisieren: Joseph Roth
Allerdings nutzt Joseph Roth diese Plattform in eigener Sache und schreibt keine Einleitung im herkömmlichen Sinne, die etwa die Sammlung und ihre Autoren dem Leser vorstellt. Für den Schriftsteller wird diese Besprechung zum Anlass, sich nicht nur grundsätzlich über Gattungstheorie, Inhalt und Zukunftsperspektiven des Romans der Weimarer Republik allgemein zu äußern, sondern auch die literaturkritische Diskussion in ein neues Licht zu rücken, die durch den Untertitel und das Vorwort von der Flucht ohne Ende angestoßen wurde.180 Damit liefert die Zeitung dem Schriftsteller ein Forum, sich selbst und sein Werk zu inszenieren. Roth übergeht somit geschickt die eigentliche Schreibaufgabe. Zunächst fällt auf, dass sich Joseph Roth des medialen Einflusses der Frankfurter Zeitung als intellektuellem Schwergewicht bewusst ist. In Folge dessen versteht er sich als ihr Abgesandter und setzt sich als Teil der Redaktion in Szene, was er über die wiederholte Rede von »unserer Zeitung«181 unterstreicht. Wie im Kapitel 2.1. Institutionelle Voraussetzungen: Die Marke Joseph Roth dargestellt werden konnte, ist das Verhältnis von Joseph Roth zur Frankfurter Zeitung nicht zuletzt seit dem Verlust des Pariser Korrespondentenpostens im Jahr 1926 sowie durch den sich zuspitzenden Wechsel zu den Münchner Neuesten Nachrichten erheblich gestört. Im Gegensatz zur Redaktion, die ihn nicht als Teil des Redaktionskollektivs vorstellt, ist Joseph Roth aber daran gelegen, nach außen als Mitglied in Erscheinung zu treten und sich in den Kreis der Redakteure aufgenommen zu wähnen: Deshalb zögern wir nicht, daran zu erinnern, daß von dieser Stelle aus, von dieser Zeitung aus, zuerst in Deutschland der Ruf nach der »dokumentarischen Literatur« ausgegangen ist. […] Aus der unmittelbaren Nähe dieser Zeitung kamen Bücher wie Ginster, wie Jahrgang 1902, wie Flucht ohne Ende. Es ist nur ein Zufall, daß der Verfasser dieser Zeilen auch der Autor des letztgenannten Buches ist. Jeder von uns, die wir am literarischen Angesicht dieser Zeitung arbeiten, könnte (zwar nicht des anderen Bücher, aber) des andern Meinungen über die Literatur der Gegenwart schreiben.182 180 Frühe wissenschaftliche Auseinandersetzungen an der Grenze von Literaturkritik und Literaturwissenschaft finden sich beispielsweise beim deutsch-amerikanischen Journalisten und Chefredakteur der deutsch-jüdischen Exilzeitung Aufbruch Manfred Cohn, der unter den Pseudonymen Manfred Georg und Manfred George publizierte. Vgl. Manfred Georg: Der Romanschriftsteller Joseph Roth. In: Preußische Jahrbücher 217 (1929) H. 3, S. 320-324. Vgl. außerdem zum Werk Manfred Georgs, dessen journalistische Schriften erst in den letzten Jahren vermehrt erforscht wurden: Rolf Aurich, Jennifer Borrmann u.a.: Manfred Georg. Journalist und Filmkritiker. München: 2014. Außerdem Jennifer Borrmann: »Bridging the Gap« – Filmkritik und Akkulturation. Das Beispiel Manfred George. In: Exil ohne Rückkehr. Literatur als Medium der Akkulturation nach 1933, hg. von Sabina Becker u. Robert Krause. München: 2010, S. 112-138. 181 Roth: JW 3, S. 45. 182 Ebd., S. 45. Hervorhebung im Original.
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Dem Leser gegenüber macht er diese Geschlossenheit deutlich, die gemeinsame Maßstäbe bei der Beurteilung von Literatur voraussetzt und in einem allgemeinen Geschmacksurteil darüber mündet, was gute und schlechte Literatur ausmache. Gleich zu Beginn des Artikels unterstreicht er damit das innovative Potenzial der Zeitung. Sie hat sich in der Vergangenheit zum Ziel gesetzt, insbesondere Romane und Romanschriftsteller zu fördern, die sich auf neue Weise mit der Weltkriegsthematik auseinandersetzen und unter dem Schlagwort der »dokumentarischen Literatur«183 firmieren, wozu auch Roths Roman gezählt werden kann. An dieser Stelle setzt Roths Polemik gegen die Literaturkritik ein, die ihn in die Nähe der Neuen Sachlichkeit rückt, und die sich an der Rezeption des Vorworts entzündet. Innerhalb der Poetik der Neuen Sachlichkeit aktualisiert Roth wohlwissentlich Reizwörter wie das ›Beobachten‹ und ›Dichten‹ und führt sie gegeneinander ins Feld.184 Es ist deshalb gestattet, bei dieser Gelegenheit zu sagen, daß der Satz, der sich im Vorwort zur Flucht ohne Ende befindet: »Es handelt sich nicht mehr darum zu ›dichten‹. Das Wichtigste ist das Beobachten« – seinen relativen Erfolg einem absoluten Mißverständnis zu verdanken hat. Das heißt: daß bei dem Ruf nach dem Dokumentarischen durchaus nicht die berühmte »Neue Sachlichkeit« gemeint war, die das Dokumentarische mit dem Kunstlosen verwechseln möchte.185 An dieser Stelle wird deutlich, dass Roths Kritik an der Neuen Sachlichkeit in Es lebe der Dichter! keine präzise, sachliche Stellungnahme ist, sondern eine Provokation der Buchkritik, die ihm darüber hinaus eine Möglichkeit bietet, sich und seinen Roman Die Flucht ohne Ende zu inszenieren. Dies grenzt den Text auch von seinem späteren und wesentlich elaborierteren Aufsatz Schluß mit der »Neuen Sachlichkeit«! ab, der formal und argumentativ eine essayistische Form aufweist. Was Roth an der Neuen Sachlichkeit im Einzelnen kritisiert, ist unlängst ausführlich diskutiert worden.186 Mit Hinblick auf seine Inszenierung als Autor ist zentral, dass er sich mit dem ihr zu Grunde liegenden antiexpressionistischen Kunstverständnis nicht identifizieren kann, dass das ›Dokumentarische‹, ›Aktu-
183 Ebd., S. 45. 184 Vgl. dazu ausführlich die Kapitel 2.1.4. »Alles, was Sie schreiben, ist genial«: Bernhard von Brentano und 2.1.5. »Die Frankfurter Zeitung betrachte ich […] als eine Sprungmatratze«: Benno Reifenberg. 185 Roth: JW 3, S. 45. Hervorhebung im Original. 186 Vgl. dazu Irmela von der Lühe: Anthropologie der Kälte. In: Joseph Roth: zur Modernität des melancholischen Blicks, hg. von Wiebke Amthor u. Hans Richard Brittnacher. Berlin: 2012, S. 29-39. Hier: S. 30. Des Weiteren grundlegend: Jürgen Heizmann: Joseph Roth und die Ästhetik der Neuen Sachlichkeit. Heidelberg: 1990. Hier insbesondere S. 49-62. Außerdem Trommler: 1975, S. 296-300.
2. Professionalisieren: Joseph Roth
elle‹ und ›Authentische‹ dem ›Dichten‹ gegenüberstellt.187 Dass es aber überhaupt zu dem von Roth deklarierten ›Mißverständnis‹ kam, lässt sich damit erklären, dass Roth im Kontext der FZ für eine Hinwendung zur dokumentarischen Literatur warb.188 Dieser Aufruf richtet sich – wie sich auch in Schluß mit der »Neuen Sachlichkeit«! zeigt – primär nicht gegen eine Ästhetik, sondern ist als eine thematische Hinwendung zu zeitgenössischen Stoffen zu verstehen, die auch den Ersten Weltkrieg verhandeln:189 Nicht »das Dichten«, das »Dichterische«, die »Dichtung« war in einen Gegensatz zum »Authentischen« gestellt worden, sondern das, was das »Dichten« allmählich geworden war, Ausdruck für »romancer«, für die Herstellung eines Geschlechts aus konstruierten, also verlogenen »Erfindungen«; während ringsum die Fülle der Gegenwart selbst dem Dilettanten Gelegenheit bot, Wichtiges und Interessantes mitzuteilen.190 In Schluß mit der »Neuen Sachlichkeit«! präzisiert er ferner: »Der berechtigte Ruf nach dem Dokumentarischen hatte einen pädagogischen Nebenzweck: Er war ein Wink an die Schreibenden, sich in ihrer Gegenwart umzusehen.«191 Wie die beiden Zitate zeigen, ist das Sujet für Roth entscheidend. Allerdings wird auch in einem zweiten Schritt die adäquate ästhetische Bearbeitung des Stoffes gefordert. Diese impliziert keine rein mimetische Darstellung, sondern eine künstlerische Gestaltung des Gegenstandes. Somit ist das Autorkonzept, das Roth vertritt, anschlussfähig an das des poetischen und bürgerlichen Realismus des 19. Jahrhunderts – allerdings ohne sein Verklärungs- und Idealisierungspostulat.192 So fordert Roth in ähnlicher
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Vgl. Roth: JW 3, S. 45. Ausführlich kritisiert er das Verhältnis der Neuen Sachlichkeit zum Dokumentarischen auch in Schluss mit der »Neuen Sachlichkeit!« (ebd., S. 158-164). Vgl. außerdem zu Roths Verhältnis zum Expressionismus: August Obermayer: Sätze, labyrinthisch gebaute… Versuch einer stilgeschichtlichen Ortsbestimmung Joseph Roths. In: Joseph Roth. Interpretationen – Kritik – Rezeption, hg. von Michael Kessler u. Fritz Hackert. Tübingen: 1990, S. 233244. Hier: S. 234-235. 188 Vgl. Roth: JW 3, S. 45. 189 Vgl. ebd., S. 45: »Die Kriegsromane kamen. Die dokumentarischen Werke kamen.« Dieser Forderung geht nicht nur Roth nach, sondern beispielsweise auch Egon Erwin Kisch. Vgl. Kisch: Roman? Nein, Reportage, S. 437: »Nach dem Krieg sind alle Romankonflikte nichtig geworden, gemessen an den überwältigenden Erlebnissen des ersten Weltkriegs. In den Jahren des Weltkriegs hat jede Familie, jeder einzelne grausame Romankonflikte durchlebt, jeder mußte für sich allein schwierigere Fragen lösen als diejenigen, von denen er jemals in Büchern gelesen hatte, kurz, jeder Mensch hat seinen eigenen Roman erlebt, ja möglicherweise mehrere Romane gleichzeitig.« 190 Ebd. S. 45. Hervorhebung im Original. 191 Roth: JW 3, S. 158. 192 Vgl. beispielsweise Theodor Fontane: Unsere lyrische und epische Poesie seit 1848. In: Theodor Fontane: Sämtliche Werke. Aufsätze, Kritiken, Erinnerungen. Bd. 1: Aufsätze und Auf-
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Weise wie beispielsweise Theodor Fontane das Changieren der ›Dichtung‹ zwischen künstlerischer Gestaltung und dem Versuch einer objektiv darstellbaren Realität, was den Leser letztlich auch in seinem geschmacklichen Urteilsvermögen schulen solle.193 Diese Haltung erklärt auch Roths Skepsis gegenüber dem Dokument, als dessen Hauptrepräsentanten er die Fotografie sieht:194 »Gefährlich aber wird das Dokument in dem Augenblick, in dem es anfängt, die Gestaltung zu ersetzen und zu verdrängen. Die Mitteilung tritt an Stelle des Berichts. Das mitteilende Wort an Stelle des Geformten und Formenden, des ›gedichteten‹ also.«195 So lässt sich feststellen, dass gerade diese Geringschätzung der kunstvollen Bearbeitung von Stoffen und der Vorzug des Dokuments Roths Kritik an der Neuen Sachlichkeit ausmacht: »Auch ›Erfinden‹ heißt ›Beobachten‹, gesteigertes ›Finden‹. Es lebe der Dichter! Er ist immer ›dokumentarisch‹!«196 Nachdem er so in Es lebe der Dichter! die Definition des Schriftstellers über vermeintliche oder tatsächliche Gruppenzugehörigkeiten aufgehoben hat, spitzt er abschließend seinen Standpunkt in einer Sentenz und einer Leseraufforderung zu: »Es gibt nur schlechte Autoren und gute. Man lese im folgenden einige von diesen.«197 In dieser Aussage gipfelt Roths Selbstinszenierung: Mit der Autorität seiner schriftstellerischen ›Marke Roth‹, der quasi-redaktionellen Position, die er in diesem Vorwort einnehmen darf und seiner Rolle als von der Redaktion der Frankfurter Zeitung auserwählter Schriftsteller, schreibt er sich selbst zu, ein guter Autor zu sein. Darüber hinaus sind die Rollen Journalist und literarischer Autor nicht mehr trennscharf voneinander zu unterscheiden, was sich daran zeigt, dass die Frankfurter Zeitung mit Roth in beiden Funktionen und somit als »Name[n] […] im Blatt«198 wirbt. Diese These untermauert auch ein Brief an Benno Reifenberg, in dem Roth zeichnungen, hg. von Walter Keitel. München: 1969, S. 236-259. Hier: S. 242: »Der Realismus will nicht die bloße Sinnenwelt, und nichts als diese; er will am allerwenigsten das bloß Handgreifliche, aber er will das Wahre. Er schließt nichts aus als die Lüge, das Forcierte, das Nebelhafte, das Abgestorbene – vier Dinge, mit denen wir glauben, eine ganze Literaturepoche bezeichnet zu haben.« Ein Moment der moralischen Überformung des Stoffes, wie beispielsweise bei Theodor Fontane, wird von Joseph Roth jedoch gerade nicht eingefordert. 193 Vgl. zu den Parallelen mit dem bürgerlichen Realismus: Ulrike Weymann: Epische Objektivität. Zur Romanästhetik Joseph Roths in den 1920er Jahren. In: Joseph Roth: zur Modernität des melancholischen Blicks, hg. von Wiebke Amthor u. Hans Richard Brittnacher. Berlin: 2012, S. 257-272. Hier: S. 270. 194 Vgl. Roth: JW 3, S. 153: »Niemals war der Respekt vor dem »Stoff« größer, naiver, kurzsichtiger. Er verschuldet die zweite furchtbare Verwechslung: des Simplen mit dem Unmittelbaren; […] des photographierten Moments mit dem andauernden Leben; der »Aufnahme« mit der Realität.« 195 Ebd., S. 158. Hervorhebung im Original. 196 Ebd., S. 46. Hervorhebung im Original. 197 Ebd., S. 46. 198 Roth Briefe (22.04.1926), S. 84.
2. Professionalisieren: Joseph Roth
sein Selbstverständnis explizit als Journalist und als Schriftsteller artikuliert, das er im Kontext der Frankfurter Zeitung entwickelt. Daraus geht außerdem hervor, dass die Essenz seiner literarischen wie journalistischen Autorschaft der Bezug zum Zeitgeschehen ist, »die Fülle der Gegenwart«199 , die er wie ein bildender Künstler in Miniaturen festhält: Aber der Verlag glaubt, der Roth ist ein nebensächlicher Plauderer, den sich eine große Zeitung gerade noch leisten kann. Es ist sachlich falsch. Ich mache keine ›witzigen Glossen‹. Ich zeichne das Gesicht der Zeit. Das ist die Aufgabe einer großen Zeitung. Ich bin ein Journalist, kein Berichterstatter, ich bin ein Schriftsteller, kein Leitartikelschreiber.200 Somit gelingt es ihm gerade durch seinen Roman Die Flucht ohne Ende, der ihm diese Position im Feuilleton ermöglicht, unmittelbar von der Personalunion von Journalist und Schriftsteller zu profitieren und sich sowohl als Journalist als auch als Literat zur ›Marke Roth‹ zu stilisieren.
2.2.3
Forschungskontext und literaturgeschichtliche Relevanz
Es lässt sich nicht leugnen, dass insbesondere dem Roman Die Flucht ohne Ende und der Diskussion um die Zugehörigkeit zur Neuen Sachlichkeit in der Forschung bereits viel Beachtung geschenkt worden ist.201 Gerade Überblickswerke und systematische Zugriffe auf die Strömung setzen sich dezidiert mit Roths poetologischen Aussagen im Spannungsfeld seines Romans und der Strömung der Neuen Sachlichkeit auseinander.202 Roths Essay Schluss mit der »Neuen Sachlichkeit«! wird dabei als eine Hauptquelle herangezogen, um die Strömung – wenn auch ex negativo – zu fassen.203 Daneben wird Die Flucht ohne Ende als programmatischer Text aufgeführt. Eine große Rolle spielt hierbei auch der Peritext, auf den noch im Einzelnen 199 Roth: JW 3, S. 45. Siehe dazu auch das poetische Konzept Theodor Fontanes, das er in Unsere epische und lyrische Poesie seit 1848 beschreibt. Gerade die Metapher des Dichters, der den Marmorsteinbruch bearbeitet, ist anschlussfähig an Roths Autorkonzept. Vgl. Fontane: 1969, S. 241. 200 Roth Briefe (22.04.1926), S. 88. Hervorhebung im Original. 201 Mittlerweile lässt sich heute über 90 Jahre nach der Veröffentlichung des Romans die gesamte Forschungslage zu Die Flucht ohne Ende auf Grund der Materialfülle nicht mehr vollständig abbilden. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es deshalb, sich auf diskursdominierende Publikationen zu beschränken. 202 Vgl. exemplarisch Sabina Becker: Neue Sachlichkeit. Bd. 1: Die Ästhetik der Neuen Sachlichkeit (1920-1933). Köln/Weimar/Wien: 2000, S. 158-160. Außerdem: Johannes G. Pankau: Einführung in die Literatur der Neuen Sachlichkeit. Darmstadt: 2010, S. 42. 203 Sabina Becker nimmt diesen Text beispielsweise in ihre Sektion Kritik der Neuen Sachlichkeit auf: Sabina Becker (Hg.): Neue Sachlichkeit. Bd. 2: Quellen und Dokumente. Köln/Weimar/Wien: 2000, S. 315-323.
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eingegangen werden soll, in dem der Kategorie des ›Berichtens‹ der Vorzug gegenüber dem ›Dichten‹ gegeben wird.204 Führt man sich die Hauptcharakteristika der Neuen Sachlichkeit vor Augen, so zählt gerade die Hinwendung zur Publizistik im Allgemeinen und im Speziellen zum Journalismus zu den zentralen Kennzeichen dieser literarischen Strömung,205 schließlich kommt es in Texten der Neuen Sachlichkeit zu einer Aufwertung von ›Tatsachen‹, also von Fakten, Statistiken und Dokumenten bis hin zu Visualisierungsverfahren als heuristischen Zugriffen auf die Welt.206 Die Relevanz journalistischen Schreibens und die Erweiterung des erzähltechnischen Repertoires der Literatur um Dimensionen journalistischen Erzählens machen Roth also bereits qua professionis – gerade wegen der Personalunion Journalist und Schriftsteller – zu einem potentiellen Vertreter der Neuen Sachlichkeit, die den Reporterberuf und die Reportage in großangelegten Debatten neben einer literarischen Autorschaft aufwertet.207 Umso schärfer wirkt aus dieser Perspektive die distanzierende Haltung, die Roth in Schluss mit der »Neuen Sachlichkeit«! einnimmt.208 Zentral für die Roth-Forschung bleibt also bis heute, dass die programmatischen Selbstaussagen und die Werkästhetik in einem Spannungsverhältnis stehen, was die literaturhistorische Einordnung des Autors und im Besonderen seines Frühwerks erschwert, zu dem Die Flucht ohne Ende gehört.209 So wird Roth trotz seines Distanzierungsversuchs sowohl in der zeitgenössischen Debatte als auch in der Forschung von vielen als »Wegbereiter und Initiator«210 der Neuen Sachlichkeit verstanden, als deren »Manifest«211 Die Flucht ohne Ende gilt. Immer wieder werden
204 Vgl. Sabina Becker: Die literarische Moderne der zwanziger Jahre. Theorie und Ästhetik der Neuen Sachlichkeit. In: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der Literatur 27.1 (2002), S. 73-95. Hier: S. 86-88. Des Weiteren vgl. Uecker: 2007, S. 104-105. 205 Vgl. beispielsweise die grundlegende Systematisierung der Neuen Sachlichkeit bei Becker: 2000 (1), insbesondere S. 138-171, S. 205-229 sowie Becker: 2002. Des Weiteren Mörchen: 1993. Vgl. außerdem Helmut Kreuzer: Biographie, Reportage, Sachbuch. In: Probleme der Moderne. Studien zur deutschen Literatur von Nietzsche bis Brecht, hg. von Benjamin Bennet, Anton Kaes u.a. Tübingen: 1983, S. 431-458. Hier: S. 446-449. 206 Vgl. Helmut Lethen: Der Habitus der Sachlichkeit in der Weimarer Republik. In: Literatur der Weimarer Republik 1918-1933, hg. von Bernhard Weyergraf. München: 1995, S. 371-443. Hier: S. 431-443. 207 Vgl. dazu Kapitel 2.1.1. »Ich aber bin […] ein Unikum in der deutschen Literatur!!«: Veröffentlichungskontexte sowie 2.3.2. Roth, der freie Autor und 2.3.3. Roth, der Rezensent. 208 Vgl. dazu außerdem Trommler: 1975, S. 276-277. 209 Vgl. zur besonderen Stellung seines Frühwerks im Vergleich zu seinem Spätwerk Heizmann: 1990, S. 2-3. 210 Weymann: 2012, S. 259. 211 Reiner Wild: Beobachtet oder gedichtet? Joseph Roths Roman Die Flucht ohne Ende. In: Neue Sachlichkeit im Roman. Neue Interpretationen zum Roman der Weimarer Republik, hg. von Sabina Becker u. Christoph Weiß. Stuttgart: 1995, S. 27-48. Hier: S. 30.
2. Professionalisieren: Joseph Roth
jedoch auch kritische Stimmen laut. So stellt Claudio Magris bereits in den 1960ern die »Schulzugehörigkeit«212 des Autors insgesamt in Frage. Erst Frank Trommler widmet sich in den 1970er Jahren in der wegweisenden Aufsatzsammlung des RothBiographen David Bronsen Joseph Roth und die Tradition Roths Verhältnis zur Neuen Sachlichkeit und bewertet dieses ambivalent.213 Obwohl Trommler Die Flucht ohne Ende als neusachlichen Roman einordnet, plädiert er dafür, den Fokus auf die literarhistorische Entwicklung bis zur Veröffentlichung des Essays Schluss mit der »Neuen Sachlichkeit«! zu legen, in dem sich Roth offensichtlich von der Bewegung enttäuscht zeigt:214 Die Abkehr von Autoren wie Ernst Glaeser und Bernhard von Brentano, die er »mitverantwortlich machte für die geistige Zerrissenheit in Deutschland«215 sowie von Publikationsorganen wie der Weltbühne in jenen Jahren zeige eine neue Haltung Roths, die ihn stattdessen in die Nähe Stefan Zweigs rücke. Somit arbeitet Trommler heraus, dass Joseph Roth seit Ende des Jahres 1929 der Strömung kritisch gegenüber gestanden haben muss und mit der Arbeit an seinem Roman Hiob »eine klare Abwendung von der aktualitätsgebundenen Prosa«216 vornimmt. Als Konsequenz gliedert Trommler Roths Werk im Kontext der Neuen Sachlichkeit in zwei Phasen, die einen Prozess darstellen sollen, zu dem gleichermaßen eine Hinwendung und eine Distanzierung gehören.217 Neben Trommler ist des Weiteren Jürgen Heizmann zu nennen, der um das Jahr 1990 in einer großen Studie Roths Verhältnis zur Neuen Sachlichkeit aufarbeitet. Er kommt zu dem Schluss, dass Roth, obwohl er als »Haupterfinder«218 dieser Strömung gilt, sich dennoch auf Grund der spezifischen Gestaltung realistischer Erzählverfahren von typischen Vertretern der Neuen Sachlichkeit wesentlich unterscheide.219 Eine ähnliche Stoßrichtung lässt sich auch bei Ulrike Weymann beobachten, die den neuesten Kontextualisierungsversuch von Roths frühen Romanen vornimmt. Dabei sieht sie ihn weniger als Vertreter einer nüchternen neusachlichen Dokumen212
Claudio Magris: Der habsburgische Mythos in der österreichischen Literatur. Salzburg: 1966, S. 255. 213 Vgl. David Bronsen (Hg.): Joseph Roth und die Tradition. Aufsatz und Materialsammlung. Darmstadt: 1975. 214 Vgl. Trommler: 1975, S. 296-297. 215 Ebd., S. 292. Dies deckt sich auch mit Petersens Periodisierung der Neuen Sachlichkeit insgesamt: Klaus Petersen: ›Neue Sachlichkeit‹: Stilbegriff, Epochenbezeichnung oder Gruppenphänomen. In: DVjS 56 (1982) H. 3, S. 463-477. Joseph Roths Zugehörigkeit wird auf S. 475 erwähnt. 216 Trommler: 1975, S. 290. 217 Vgl. ebd., S. 290. 218 Heizmann: 1990, S. 153. 219 Vgl. ebd., S. 153. Ähnliche Schlüsse zieht auch Lothar Köhn: Vgl. Lothar Köhn: Der »Preis der Erkenntnis«. Überlegungen zum literarischen Ort Joseph Roths. In: Joseph Roth. Interpretation – Rezeption – Kritik, hg. von Michael Kessler u. Fritz Hackert. Tübingen: 1990, S. 167-179. Hier: S. 171-172.
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
tästhetik, sondern vielmehr in Kontinuität zum poetischen Realismus.220 Sabina Beckers Einordnungen von Roths Werk gehen hingegen in eine andere Richtung. Bei ihr stehen weniger die Ambivalenzen des Autors im Vordergrund. Stattdessen kommt sie zu dem Ergebnis, dass Roths Essay Schluss mit der »Neuen Sachlichkeit«! »bislang zu Unrecht ausschließlich als kritischer Abgesang auf die Neue Sachlichkeit gelesen und als Beleg für das Ende der neusachlichen Bewegung in Parallelität zum Ende der Stabilisierungsphase gewertet wurde«221 . Obwohl sie Roth als Autor der Neuen Sachlichkeit einordnet, zieht sie die Schlussfolgerung, dass es sich »trotz der Eingebundenheit in eine literarische Bewegung« um einen Sonderweg handle, der darin münde, »individuelle Positionen« zu behaupten.222 In ihrer zusammenfassenden Darstellung über die Theorie und Ästhetik der Neuen Sachlichkeit wird die Kontroverse nicht noch einmal aufgegriffen.223 Maren Lickhardt, die Die Flucht ohne Ende im Jahr 2011 aus systemtheoretischer Perspektive unter der Leitdifferenz Selbstreferenz/Fremdreferenz analysiert, stellt die Zugehörigkeit des Romans zur Neuen Sachlichkeit nicht mehr im Geringsten in Frage.224 Über die Debatte zur Bestimmung der literarhistorischen Einordnung von Joseph Roth hinaus unterzieht Reiner Wild Die Flucht ohne Ende zum ersten Mal auch einer genauen narratologischen Untersuchung, in der die erzähltechnischen Besonderheiten wie Gattungszuweisung und Vorwort sowie Erzählhaltung insgesamt in den Blickwinkel rücken.225 Überdies relativiert er die Aussagen von Heizmann und versteht die Abkehr von zeitgebundenen Sujets und realistischen Erzählverfahren nicht als Wendepunkt innerhalb des Werks.226 Auch lässt sich Wilds Forschungsansatz nur schwer mit Beckers Standpunkt vereinen. So plädiert Wild für eine wörtliche Auslegung der Diskussion um den Roman, schließlich habe Roth selbst die Einordnung seines Werkes in die Neue Sachlichkeit als »Mißverständnis«227 deklariert. Im Gegenzug zu Trommler zieht Wild also den Schluss, dass die »Kontinuität seines Schreibens« im Vordergrund stehe und von einer »Zäsur in Roths literarischer Produktion um 1929/30 nur bedingt gesprochen
220 221 222 223 224
Vgl. Weymann: 2012, S. 270. Becker: 2000 (1), S. 176. Beide Zitate aus ebd., S. 176. Vgl. Becker: 2002, S. 86-88. Vgl. Maren Lickhardt: Selbstreferenz/Fremdreferenz – Joseph Roth. In: Systemtheoretische Literaturwissenschaft. Begriffe – Methoden – Anwendungen, hg. von Niels Werber. Berlin, New York: 2011, S. 363-372. Hier: S. 363. 225 Vor Wild widmet sich auch Helmut Famira-Parcsetich narratologischen Besonderheiten, die allerdings weniger detailliert in den frühen Romanen analysiert werden. Vgl. Helmut FamiraParcsetich: Die Erzählsituation in den Romanen Joseph Roths. Bern/Frankfurt a.M.: 1971, S. 2382. 226 Vgl. Wild: 1995, S. 33. 227 Roth: JW 3, S. 45.
2. Professionalisieren: Joseph Roth
werden kann«.228 Wilds Argumentation ist insofern besonders überzeugend, als sie zum ersten Mal nicht nur Roths Sonderweg durch einen neuen narratologischen Zugriff auf Die Flucht ohne Ende würdigt. Darüber hinaus stellt er durch eine Analyse der Peritexte wieder die Autorintention in den Vordergrund und untersucht, mit welchen Strategien Authentizität im Haupttext und im Peritext geschaffen wird.229 In Fortführung von Wilds Ansatz löst sich Florian Gelzer gänzlich von der Auseinandersetzung und Einordnung des Romans in die Strömung der Neuen Sachlichkeit und rückt die Lesererwartung in seiner narratologischen Untersuchung in den Vordergrund.230 Auf Wilds und Gelzers Überlegungen baut auch die vorliegende Arbeit auf. So lässt sich anhand der Zusammenstellung der einzelnen Positionen im Forschungsabriss zeigen, dass Joseph Roths Roman und seine programmatischen Schriften in hohem Maße ein Irritations- und Provokationspotential aufweisen. Gerade die Selbstaussagen des Autors zur Einordnung des (Früh-)Werks führen zu widersprüchlichen Interpretationen seitens der Forschung. Dies hat bis heute eine Auswirkung auf die Periodisierung einer ganzen Strömung. Das Kapitel 2.1. Institutionelle Voraussetzungen: Die Marke Joseph Roth hat gezeigt, dass sich Joseph Roth sehr bewusst im Mediengefüge der Weimarer Republik präsentiert. Dabei profiliert er sich als Autor, zu dem gleichermaßen ein journalistisches wie literarisches Schreiben gehören und macht die Personalunion zum Merkmal und Marketinginstrument seines Autorlabels.231 Im Folgenden soll eine neue Lesart für Die Flucht ohne Ende und der sich anschließenden Debatte angeboten werden. Sie erschöpft sich nicht darin, zu diskutieren, in welchem Verhältnis Joseph Roth zur Neuen Sachlichkeit steht. Somit soll der Fokus der Analyse weniger auf einer Einordnung liegen. Vielmehr setzt sie sich zum Ziel – unter Berücksichtigung neuer theoretischer Diskussionen und Aspekte von Autorschafts- und Werkinszenierung – zu analysieren, wie Joseph Roth die Diskussion um Die Flucht ohne Ende im Roman selbst anlegt und diese über peritextuelle und epitextuelle Strategien für seine Marke nutzt. Darüber hinaus soll zum ersten Mal unter umfangreicher Einbeziehung von unmittelbaren Rezeptionszeugnissen aus Artikeln und Rezensionen die Wirksamkeit von Roths Provokationsstrategien überprüft werden, so dass die Debatte um den Roman neu justiert und neu konturiert werden kann.
228 Beide Zitate aus Wild: 1995, S. 45. 229 Vgl. ebd., S. 28-30. 230 Vgl. Florian Gelzer: Unzuverlässiges Erzählen als Provokation des Lesers in Joseph Roths Die Flucht ohne Ende. Ein Bericht. In: Modern Austrian Literature 43 (2010) H. 4, S. 23-40. 231 Vgl. Niefanger: 2002.
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
2.2.4
Provozieren: Die Flucht ohne Ende
Im Gegensatz zu vielen Romanen Joseph Roths, die wie beispielsweise Hotel Savoy, der 1924 vorab im Vorwärts erscheint, oder Radetzkymarsch, zuerst 1931 veröffentlicht in der Frankfurter Zeitung, wird Die Flucht ohne Ende ohne Vorabdruck, also direkt in Buchform, bei Kurt Wolff im Jahre 1927 verlegt. Dass Roth Die Flucht ohne Ende von Anfang an als ein »Buch«232 geplant hat, das darüber hinaus nicht in einer Zeitung vorabgedruckt werden sollte, belegen Briefe an Stefan Zweig von September 1927 und Januar 1928.233 Die Gattungszuweisung spielt dabei für den Autor von Anfang an eine wichtige Rolle, denn diese wird anders als im Falle von Roths weiteren Romanen explizit gegenüber Zweig thematisiert: »Im Herbst erscheint mein nächstes Buch (ein Roman oder: eine Art Roman) bei Kurt Wolff.«234 Somit ist es kein Zufall, dass Roth, der üblicherweise seine Romane mit dem Untertitel Roman kennzeichnet, bei Die Flucht ohne Ende einen anderen wählt.235 Aus produktionsästhetischer Sicht ist somit die Autorintention besonders relevant: Die Bezeichnung Ein Bericht evoziert nicht zuletzt im Zusammenspiel mit dem darauffolgenden Vorwort auf textpragmatischer Ebene einen besonderen Erwartungshorizont beim Leser.
Untertitel In der Forschung zur Fiktionstheorie wurde gezeigt, welche Rolle textpragmatische Hinweise auf die Rezeptionshaltung eines Textes haben.236 Nicht zuletzt Gérard Genette, der den Versuch unternimmt, all jenes »Beiwerk« zu klassifizieren,
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Briefe Zweig (08.09.1927), S. 7. Vgl. ebd. (08.09.1927 und 24.01.1928), S. 7-8. Ebd. (08.09.1928), S. 7. ›Bericht‹ und ›berichten‹ sind Schlüsselwörter sowohl im literarischen als auch im journalistischen Werk Joseph Roths. Die Flucht ohne Ende ist jedoch der einzige Roman, der im Peritext als Bericht ausgewiesen wird. Lediglich aus der Retrospektive nennt der Erzähler Joseph Roth in Zipper und sein Vater in der nachgetragenen Herausgeberfiktion seine Ausführungen zur Lebensgeschichte Arnold Zippers einen »Bericht«. Roth: LW 4, S. 605. 236 Vgl. dazu auch die Gegenüberstellung unterschiedlicher Terminologien von textuell versus paratextuell bei Frank Zipfel: Fiktionssignale. In: Fiktionalität. Ein interdisziplinäres Handbuch, hg. von Tobias Klauk u. Tillmann Köppe. Berlin/New York: 2014, S. 97-124. Vgl. außerdem zur Relevanz der textpragmatischen Implikationen Christian Klein u. Matías Martínez: Wirklichkeitserzählungen. Felder, Formen und Funktionen nicht-literarischen Erzählens. In: Wirklichkeitserzählungen. Felder, Formen und Funktionen nicht-literarischen Erzählens, hg. von Christian Klein u. Matías Martínez. Stuttgart/Weimar: 2009, S. 1-13. Hier insbesondere S. 1-5. Außerdem Uwe Wirth: Die Geburt des Autors aus dem Geist der Herausgeberfiktion. Editoriale Rahmung im Roman um 1800: Wieland, Goethe, Brentano, Jean Paul und E.T.A. Hoffmann. München: 2008. Vgl. Irmgard Nickel-Bacon, Norbert Groeben u.a.: Fiktionssignale pragmatisch. Ein medienübergreifendes Modell zur Unterscheidung von Fiktion(en) und Realität(en). In: Poetica 32 (2000) H. 3.4, S. 267-299. Hier: S. 279-287.
2. Professionalisieren: Joseph Roth
das dem Text als solchem hinzugefügt wird, misst der Gattungsangabe eine besondere Relevanz bei, da sie als eine »Zuschreibung«, als ein »Status« fungiere, der unabänderlich mit dem Werk verbunden sei.237 Genette zufolge wirke sich die Gattungsangabe auf die unmittelbare Haltung des Lesers gegenüber dem nachfolgenden Haupttext aus.238 Die Gattungsangabe ist im Fall von Die Flucht ohne Ende in mehrfacher Hinsicht irritierend. Sie fällt nicht nur aus Joseph Roths Œuvre insgesamt heraus, sondern rückt den Text in die Nähe faktualer, wahrheitsheischender Erzählformen,239 also insbesondere in die Nähe der Publizistik und des Journalismus, obwohl es sich hierbei trotz allem um eine Erzählung mit klarer, fiktionaler Textkonstruktion handelt.240 Roth, der sich vor der Veröffentlichung von Die Flucht ohne Ende bereits einen Namen als Journalist machen konnte, schreibt seine journalistischen Kompetenzen also bewusst in den Untertitel ein. Als Autor, der zwar unter Pseudonymen, aber auch unter Klarnamen journalistisch veröffentlicht hat,241 inszeniert sich Roth mit der Wahl des Untertitels und dem Entschluss Die Flucht ohne Ende in der Publikationsform Buch erscheinen zu lassen, nicht nur im Spannungsfeld von Journalismus und Literatur. Darüber hinaus verweist er auch auf die Personalunion von Journalist und literarischem Autor, die für seine Autorschaft insgesamt kennzeichnend ist. In Zusammenhang mit der Debatte um die Aufwertung des Journalismus und des Reporterberufs im Kontext der Neuen Sachlichkeit kommt der Gattungszuweisung zudem eine besondere Funktion zu: Mit der Veröffentlichung seines Buches schreibt sich Roth als Autor in den Diskurs
237 Alle Zitate aus Gérhard Genette: Paratexte. Frankfurt a.M./New York: 1992, S. 94-95. 238 Vgl. ebd., S. 94-95: »Dieser Status ist insofern offiziell, als Autor und Verleger ihn diesem Text zuschreiben wollen und kein Leser diese Zuschreibung rechtmäßig ignorieren oder vernachlässigen darf, selbst wenn er sich nicht verpflichtet fühlt, ihr zuzustimmen.« 239 Die Verwendung des Begriffs wahrheitsheischend ist angelehnt an Klein und Martínez und wird in diesem Kontext lediglich dazu verwendet, journalistische und literarische Texte abzugrenzen. Mit dem Begriff ist keine Abwertung journalistischen Erzählens intendiert. Es geht vielmehr darum, die Kommunikationsstruktur von Literatur und Journalismus insgesamt zu skizzieren. Vgl. Klein u. Martínez: 2009, S. 2: »Faktuale Erzählungen […] sind Teil einer realen Kommunikation und bestehen aus Sätzen, die vom Leser als wahrheitsheischende Behauptungen des Autors verstanden werden.« 240 Auf den Fiktionalitätsstatus von Die Flucht ohne Ende wurde schon früh in Rezensionen hingewiesen. Vgl. W. E. Süskind: Joseph Roth. In: Die Literatur O. D. 1931, S. 17-19. (Leo Baeck Institute: Joseph Roth Collection. Series II: Writings, 1922?-1939, Subseries 4: Reviews, 19261940, Box 2, Folder 79. Digitalisierter Nachlass. URL: https://archives.cjh.org/repositories/5/ar chival_objects/672680 (abgerufen am 25.11.2020)). Hier: S. 17. 241 Vgl. zu Wahl und Aufschlüsselung der Pseudonyme ausführlich Idalina Aquiar de Melo: Joseph Roths Selbstverständnis als Dichter und Journalist. In: GMit 32 (1990), S. 41-52. Hier: S. 44-47.
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um die Verhandlung des Standesunterschieds zwischen Journalismus und Literatur ein.242 Betrachtet man nun in einem zweiten Schritt die Gattungszuweisung im Kontext der Literatur der 1920er Jahre, so lässt sich feststellen, dass die Kategorie des Berichtens nicht nur eine der allgemeinen ästhetischen Maximen der Neuen Sachlichkeit ist.243 Thematisch ist sie darüber hinaus verbunden mit der Heimkehrerund Weltkriegsliteratur, zu der auch die Die Flucht ohne Ende zu zählen ist. Im Mittelpunkt des Werks stehen die Erlebnisse von Franz Tunda, Oberstleutnant der österreichischen Armee, der in russische Gefangenschaft gerät und zunächst als Journalist, Propagandist und Kinobetreiber in Moskau und Baku arbeitet.244 Im Anschluss daran kehrt er nach Wien zurück, wo er für einen »heimgekehrten ›Sibiriak‹«245 gehalten wird. Er beschließt, in dieser Rolle gänzlich aufzugehen und schreibt sich, um besser lügen zu können, eine fiktive Biographie als Erinnerungsstütze. Schließlich veröffentlicht er seine erdichtete Lebensgeschichte unter einem Pseudonym und wird Hauslehrer in Paris.246
Europäischer Kontext des Nachkriegsromans Auch wenn sich Die Flucht ohne Ende wie ein Schelmenroman liest, parodistisch zugespitzt ist und wohl kaum als eine ernsthafte, kritische Auseinandersetzung mit dem Ersten Weltkrieg angesehen werden kann,247 reagiert Roth dennoch auf er242 Vgl. dazu auch Kapitel 2.2.5. Rezipieren: »Weil Sie aber ein Dichter sind«. Hier steht die zeitgenössische Rezeption des Romans im Vordergrund. 243 Vgl. Becker: 2002, S. 85-86. 244 Vgl. Roth: LW 4, S. 407. 245 Ebd., S. 431. 246 Vgl. ebd. S. 464 und S. 288-492 247 Die Gattung des Schelmenromans ist besonders in Krisenzeiten in der Literatur präsent. Dies gilt auch für die 1920er, in denen soziale, politische und wirtschaftliche Umbrüche bestimmend waren. Aus der Froschperspektive wird der Gesellschaft ein Spiegel vorgehalten. Vgl. zu den zentralen Kennzeichen dieser Gattung die einschlägige Systematisierung von Matthias Bauer: Matthias Bauer: Der Schelmenroman. Stuttgart/Weimar: 1994, S. 8-31. Neben Die Flucht ohne Ende gehört Jaroslav Hašeks Die Abenteuer des guten Soldaten Švejk zu den zentralen Texten dieser Gattung, die im Kontext des Ersten Weltkriegs spielen. In beiden Romanen wird der Obrigkeit getrotzt und desertiert. Außerdem erzählt ein Antiheld in Teilen aus der Froschperspektive seine (erfundene) Autobiographie. Vgl. zur Erzählperspektive bei Hašek: Herta Luise Ott: »Melde gehorsamst, ich bin Rheumatiker«. Der Kampf des braven Soldaten Schwejk in der Literatur, auf der Leinwand und am Bildschirm. In: Nach 1914. Der Erste Weltkrieg in der europäischen Kultur, hg. von Michael Braun, Oliver Jahraus u.a. Würzburg: 2017, S. 243-270. Es lässt sich auch anhand eines Feuilletons zeigen, dass sich Roth in Bücher von Soldaten. Frankreich – Tschechoslowakei – Deutschland mit der Kompositionsweise von Hašeks Roman auseinandergesetzt hat. Vgl. Roth: JW 2, S. 342-345. Zum ersten Mal bezeichnet Claudio Magris Die Flucht ohne Ende als einen Antibildungsroman. Vgl. Claudio Magris: Weit von wo. Verlorene Welt des Ostjudentums. Wien: 1974, S. 66-67 sowie S. 117.
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zähltechnische Konventionen, die sich beispielsweise spätestens seit Henri Barbusses (Anti-)Kriegsroman Le feu etablieren konnten. Dieser Aspekt wurde von der Roth-Forschung bisher außer Acht gelassen. So werden Gattungszuweisungen spätestens seit Le feu zum probaten Mittel, wenn es um die Vermittlung von Kriegserlebnissen geht. Mit dem Untertitel Journal d’un escouade (Tagebuch einer Korporalschaft)248 markiert Henri Barbusse nicht nur in Form eines autobiographischen Paktes einen Faktualitäsanspruch.249 Vielmehr fungiert dieser Gestus als Autorisierungsstrategie, die Ereignisse an der Front und aus dem Schützengraben aus erster Hand und damit aus Perspektive eines Augenzeugen dem Leser vermitteln zu können.250 Somit zielt Barbusse bei der Wiedergabe der Kriegserlebnisse bereits auf Authentizität mit Hilfe des Peritexts ab.251 Es ist sehr wahrscheinlich, dass Roth Barbusses Roman kannte, der 1916 in Frankreich erschien und bereits im Jahre 1918 in deutscher Sprache verlegt worden ist.252 Für Roths Schriftstellerkollegen, wie etwa den expressionistischen Dichter Johannes R. Becher, gilt Le Feu als die dichterische Auseinandersetzung mit dem Ersten Weltkrieg schlechthin: »Im Anfang aller steht und wird stehenbleiben: Barbusse, Das Feuer. Dieses Werk ist wirklich Feuer, Feuer von unserem Feuer – keines der zahlreichen späteren Kriegsbücher hat es zum Erlöschen gebracht.«253 Neben der Tatsache, dass die europäische Breitenwirkung von Barbusses Werk beispielhaft war, konnte auch Todorow die unmittelbare Rezeption und Präsenz des französischen Autors im Feuilleton der Frankfurter Zeitung nachweisen; ausgerechnet in den Jahren, in denen sich auch Joseph Roth verstärkt in der Zeitung einbrachte.254 Des Weiteren folgen Ende der 1910er bis in die 1930er Jahre einige Veröffentlichungen von Weltkriegsromanen, -novellen und -berichten, die auf peritextueller Ebene ebenfalls Authentizität herzustellen versuchen. Vor Die Flucht ohne 248 Vgl. zur Übersetzung des Untertitels die jüngste Übersetzung: Henri Barbusse: Das Feuer. Tagebuch einer Korporalschaft. Berlin: 2016. Im Original: Henri Barbusse: Le feu. Journal d’une Escouade. Paris: 1917. 249 Vgl. weiterführend zum Peritext bei Barbusse Johannes Waßmer: »Freilich, mein Sohn, ich werde von dir erzählen, von den Kameraden und von dem, was wir erlebt haben.« Strategien des Dokumentarischen in Henri Barbusses Le Feu. In: Materialschlachten. Der Erste Weltkrieg und seine Darstellungsressourcen in Literatur, Publizistik und populären Medien 18991929, hg. von Christian Meierhofer u. Jens Wörner. Göttingen: 2015, S. 341-357. Hier: S. 348. Vgl. zum autobiographischen Pakt: Philippe Lejeune: Der autobiographische Pakt. Frankfurt a.M.: 1994. 250 Vgl. Waßmer: 2015, S. 349. 251 Vgl. ebd., S. 348-350. 252 Vgl. zur Rezeption und Breitenwirkung von Le feu vor allem bei Thomas Mann: Horst F. Müller: Studien und Miszellen zu Henri Barbusse und seiner Rezeption in Deutschland. Berlin: 2010. 253 Johannes R. Becher: Der Krieg. In: Der Krieg. Das erste Volksbuch vom Großen Krieg, hg. von Kurt Kläber. Berlin/Wien/Zürich: 1929, S. 5-10. Hier: S. 8. 254 Vgl. Todorow: 1996, S. 111.
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Ende erscheint beispielsweise Walter Flex’ literarisches Kultbuch der Wandervogelbewegung, Der Wanderer zwischen beiden Welten. Ein Kriegserlebnis, im Jahre 1916.255 Daneben wird Ernst Jüngers In Stahlgewittern. Aus dem Tagebuch eines Stoßtruppführers im Jahr 1920 verlegt. Auch Edlef Köppens Heeresbericht von 1930 zielt bereits im Titel auf Authentizität ab. Zudem verzichtet Ludwig Renns Krieg, um ein letztes Beispiel zu nennen, in Gänze auf die Wahl eines Untertitels, um den Roman so unmittelbar und authentisch wie möglich auf den Leser wirken zu lassen. Somit konnte hier erstmals gezeigt werden, dass Joseph Roths Verwendungsweise der Gattungszuweisung im Gesamtpanorama der Literatur über den Ersten Weltkrieg keine Seltenheit darstellt. Vielmehr bedient sich Roth gängiger Mittel, um auf dieser Ebene Aufmerksamkeit zu erzeugen.256 Gerade im Zusammenhang mit der Erzählbarkeit der Kriegserfahrung ist das Spiel mit Fiktionalität und Faktualität bei Gattungen wie dem Kriegs- und Heimkehrerroman ein angemessenes Verfahren. Umso erstaunlicher ist – wie noch im Zusammenhang mit der Auswertung zeitgenössischer Rezeptionshaltungen gezeigt werden soll – die Wirkungskraft des Peritextes.
Vorwort Nachdem herausgearbeitet werden konnte, wie Joseph Roth über die Gattungszuweisung eine Leserlenkung initiiert und wie er damit eine Grundlage für die sich anschließende Diskussion schafft, soll noch einmal die Ausgangssituation der Analyse in Erinnerung gerufen werden: Mit Vehemenz wehrt sich Joseph Roth gegen eine Einordnung in die literarhistorische Strömung der Neuen Sachlichkeit in einer öffentlichkeitswirksamen Stellungnahme. Schuld an dieser Fehlinterpretation ist nach seiner Auffassung vor allem die Rezeption des Peritextes, besonders des Vorworts. In diesem Abschnitt soll offengelegt werden, welche Strategien der Au-
255 Vgl. Peter Sprengel: Geschichte der deutschsprachigen Literatur 1900-1918. Von der Jahrhundertwende zum Ende des Ersten Weltkriegs. München: 2004, S. 42. 256 Vgl. weiterführend zur Erzählsituation in Arnold Friedrich Vieth von Golzenaus (Ludwig Renns) Antikriegsroman: Andrea Jäger: »Ich wollte den wahren Helden zeigen«. Ludwig Renns Antikriegsroman Krieg. In: Neue Sachlichkeit im Roman. Neue Interpretationen zum Roman der Weimarer Republik, hg. von Sabina Becker u. Christoph Weiß. Stuttgart: 1995, S. 157-175. Auch im Zusammenhang mit Die Flucht ohne Ende fällt in der Forschung der Begriff Authentizität, der zurecht von Susanne Knaller und Harro Müller in ihrem systematisierenden Sammelband als ein »catchword« des 20. Jahrhunderts und als ein »extrem schillernde[r] Begriff« angesehen wird: Susanne Knaller u. Harro Müller: Einleitung. Authentizität und kein Ende. In: Authentizität. Diskussion eines ästhetischen Begriffs, hg. von Susanne Knaller u. Harro Müller. Müchen: 2006, S. 7-16. Hier: S. 7-8. Es ist Rainer Wild, der den Begriff der Authentizität für eine Analyse von Roths Roman erstmals verwendet, allerdings ohne ihn hierbei näher zu spezifizieren. Vgl. Wild: 1995, S. 28-30.
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tor verwendet, um eine solche Rezeptionshaltung zu provozieren, um anschließend über eine vermeintliche Richtigstellung sein Autor-Label festigen zu können. Zunächst lässt sich beobachten, dass das Vorwort selbst nicht näher betitelt ist und dem Romantext ohne Überschrift vorausgeht: Im Folgenden erzähle ich die Geschichte meines Freundes, Kameraden und Gesinnungsgenossen Franz Tunda. Ich folge zum Teil seinen Aufzeichnungen, zum Teil seinen Erzählungen. Ich habe nichts erfunden, nichts komponiert. Es handelt sich nicht mehr darum zu »dichten«. Das wichtigste ist das Beobachtete. – Paris, im März 1927 JOSEPH ROTH257 Wie bereits im ersten Satz des knappen Vorworts klar wird, handelt es sich hierbei um eine editoriale Rahmung des Folgetextes in Form einer klassischen Herausgeberfiktion.258 Bevor im Einzelnen auf das Provokationspotenzial des Vorworts insgesamt eingegangen werden soll, fällt zunächst auf, dass dies nicht nur mit einer genau lokalisierbaren Ortsangabe schließt und auf den Monat genau datiert ist, sondern auch mit dem Namen des Autors unterzeichnet ist. Strukturell auffallend ist, dass mit diesen drei Parametern – Ort, Zeit und personale Zuordenbarkeit – zum einen eine Authentizitätsfiktion erzeugt wird. Zum anderen wird erkennbar, dass der realexistierende Autor der Flucht ohne Ende sowie der Urheber der Herausgeberfiktion ein und denselben Namen tragen.
Joseph Roth: Autor, fiktiver Herausgeber, Erzähler Damit ist bereits vor Beginn des Romans ein irritierendes Moment für den Leser eingebaut, für den an dieser Stelle nicht klar ist, in welchem Verhältnis der fiktionale Herausgeber Joseph Roth und der reale Autor Joseph Roth zueinander stehen.259 Dies ist insofern irreführend, da über die namentliche Übereinstimmung hinaus weitere Ähnlichkeiten zwischen den beiden bestehen. Der real existierende Autor Joseph Roth hat sich im Publikationsjahr des Romans bereits einen Namen 257 Roth: LW 4, S. 391. Hervorhebung im Original. 258 Vgl. zur Systematisierung der literarischen Technik der Herausgeberfiktion Wirth: 2008 und Arata Takeda: Die Erfindung des Anderen. Zur Genese des fiktionalen Herausgebers im Briefroman des 18. Jahrhunderts. Würzburg: 2008. 259 Rainer Wild führt auf Grund dieser Namensidentität den Begriff des »Autor/Erzählers« ein, der allerdings irreführend ist, da er vorschnell eine tatsächliche Personalunion von real existierendem Autor und fiktivem Herausgeber nahelegt. Vgl. Wild: 1995, S. 27. Wie irritierend die Namensidentität auf den Leser wirken kann, zeigen auch Forschungsbeiträge, die den Erzähler noch mit dem real existierenden Autor gleichsetzen. Vgl. Alfred Strasser : Le retour au pays d’une génération perdue dans La fuite sans fin de Joseph Roth. In: Germanica 1 (1987), S. 67-74. Hier: S. 68.
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als journalistischer sowie literarischer Autor gemacht. Beide sind also Schriftsteller, die als potentielle Autoren von faktualen Texten in Erscheinung treten: Der real existierende Autor ist Journalist – also ein Produzent ›wahrheitsheischender‹ Texte – und auch der gleichnamige Autor der Herausgeberfiktion verbürgt sich in jedem der fünf Sätze für den Wahrheitsgehalt seiner Niederschriften. Er beteuert durch das Offenlegen seiner Quellen, die aus »Aufzeichnungen« und »Erzählungen« bestehen, den Faktualitätsanspruch des Geschriebenen.260 Zudem unterstreicht er bereits im ersten Satz die persönliche und »ideologische Nähe«261 zum Protagonisten, wenn er sich als dessen »Freund[], Kameraden und Gesinnungsgenossen«262 ausgibt, mit dem er sogar gemeinsam Militärdienst geleistet haben soll. Demzufolge stammen die Quellen, auf die sich der fiktive Herausgeber stützt, aus erster Hand und werden durch das besondere Näheverhältnis aufgewertet.263 Den Recherchen des fiktiven Herausgebers, die sich auf mündliche wie schriftliche Quellen stützen, soll der Leser demnach einen Vertrauensvorschuss geben. Diese Arbeitsweise des fiktiven Herausgebers ist vergleichbar mit der eines Chronisten oder Journalisten und somit auch mit der des real existierenden Autors Joseph Roth, dessen journalistische Karriere zum Zeitpunkt der Publikation der Flucht ohne Ende ihren Höhepunkt erreicht hatte. Doch nicht nur in Die Flucht ohne Ende trägt eine Figur den Namen ›Joseph Roth‹. Auch in dem nur ein Jahr später veröffentlichten und Benno Reifenberg gewidmeten Roman Zipper und sein Vater lässt Roth erneut einen homodiegetischen Erzähler mit seinem Namen auftreten.264 Dieser schreibt einen Brief an den Protagonisten Arnold Zipper,265 der am Romanende angefügt ist. Er endet mit den Worten: »Ich begrüße Dich in alter Freundschaft, Joseph Roth.«266 Ähnlich wie in der Flucht ohne Ende präsentiert sich der Autor in der nachgetragenen Herausgeberfiktion als Freund, der über das Leben des Protagonisten Arnold Zipper einen »Bericht«267 abfasst. Auch hier wird der Name ›Joseph Roth‹ zum Garanten für die Authentizität des Geschriebenen. Darüber hinaus beschreibt sich der fiktive Joseph Roth nicht nur implizit – wie in Die Flucht ohne Ende – sondern auch explizit als Schriftstel-
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Beide Zitate aus Roth: LW 4, S. 391. Wild: 1995, S. 28. Roth: LW 4, S. 391. Vgl. ebd., S. 391. Die Präsenz des Erzählers wird bereits in den ersten Zeilen des Romans hervorgehoben: »Ich hatte keinen Vater – das heißt: Ich habe meinen Vater nie gekannt –, Zipper aber besaß einen.« Roth: LW 4, S. 501. 265 Vgl. ebd., S. 605-607. 266 Ebd., S. 607. 267 Ebd., S. 605.
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ler, der sich zum Ziel setzt, den Generationenkonflikt zwischen Vater Zipper und seinem aus dem Ersten Weltkrieg heimgekehrten Sohn Arnold nachzuzeichnen.268 So wird deutlich, dass das Auftreten eines fiktiven Herausgebers, der den Namen des real existierenden Autors trägt, ein Verfahren ist, das Roth nicht nur einmal in Die Flucht ohne Ende einsetzt und das vor allem dazu dient, den Wahrheitsgehalt des Berichteten zu betonen.269 Aus einem publizistischen Blickwinkel betrachtet, etabliert sich Roth durch die Nennung seines eigenen Namens selbst in der Fiktion als Schriftsteller und Marke, die für präzise Beobachtung und Authentizität steht.270 Dennoch wird diese ironisch gebrochen, da die Zuverlässigkeit des Erzählers immer wieder in Frage gestellt wird: Einerseits ist er sich seiner limitierten Quellen bewusst, indem er vorgibt, sich nur auf Tunda zu stützen. Andererseits verfügt er – wie noch gezeigt werden soll – an entscheidenden Stellen über mehr Wissen als der Protagonist.271 Damit ist die Bandbreite der Funktionen aber keineswegs erschöpft: Zu eben diesem Phänomen der Autorfigur legt Stefan Neuhaus einen Überblicksartikel vor.272 Diese narrative Strategie, nach der der real existierende Autor und eine im fiktionalen Text auftretende Figur Übereinstimmungen aufweisen,273 droht nicht nur »auf spielerische Art und Weise die Grenze zwischen Fiktion und Realität«274 zu überschreiten. So verweist Neuhaus in diesem Kontext auch auf die Lebensansichten des Kater Murr, in denen E.T.A. Hoffmann als Herausgeber 268 Vgl. ebd., S. 606: »Mit jener Klarheit Dich zu zeichnen, die allein aus der Distanz kommt, war mir, wie schon gesagt, nicht möglich. Doch schien mir das Leben Deines Vaters mit dem deinigen so notwendig verbunden, daß ich, wollte ich Dich eliminieren, vieles hätte verschweigen müssen. Und beim Schriftsteller beginnt schon dort, wo er schweigt, die Lüge.« 269 Vgl. ausführlich zur Erzählperspektive und Erzählerfigur Famira-Parcsetich: 1971, S. 34-41. Hier weist Famira-Parcsetich nicht nur auf den Einsatz einer Erzählfigur hin, die den Namen Joseph Roth trägt. Vielmehr zeigt er auch, dass sich auch das fiktive Personal (zum Beispiel die Figur des Baranowicz) in den Romanen wiederholt. 270 Diese Form der inszenierten Selbstäußerung zu Beginn eines Werkes, in der Autor und Erzähler scheinbar zusammenfallen, reicht weit zurück und gehört zu den zentralen Topoi der mittelalterlichen Exordialrhetorik. Die Augenzeugenschaft ist neben der Namensnennung des Erzählers dabei ebenso zentral, um die Glaubwürdigkeit des Erzählten zu betonen. Vgl. Gaby Herchert: »niht anders kann ich iu verjehen…«. Zur Topik der Selbstpräsentation mittelalterlicher Autoren. In: Schriftsteller-Inszenierungen, hg. von Gunter E. Grimm u. Christian Schärf. Bielefeld: 2008, S. 12-23. 271 Vgl. zur Thematik des unzuverlässigen Erzählers ausführlich Gelzer: 2010. 272 Vgl. Stefan Neuhaus: Das bin doch ich – nicht. Autorfiguren in der Gegenwartsliteratur (Bret Easton Ellis, Thomas Glavinic, Wolf Haas, Walter Moers und Felicitas Hoppe). In: Subjektform Autor. Autorschaftsinszenierungen als Praktiken der Subjektivierung, hg. von Sabine Kyora. Bielefeld: 2014, S. 307-325. 273 Vgl. ebd., S. 311: Neuhaus definiert hier den Begriff der Autorfigur als »Figuren, die selbst Autoren sind oder sich als solche ausgeben […]«. 274 Ebd., S. 312.
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der Autobiographie eines Katers als Autorfigur in Erscheinung tritt.275 Diese Herausgeberfiktion gilt in der Forschung bis heute als das Paradebeispiel für diese Erzähltechnik, die in der Literatur der Romantik um 1800 ihren Höhepunkt fand.276 Dass Joseph Roth ein Kenner von Hoffmanns Werk ist und besonderes Interesse an den Lebensansichten des Kater Murr hatte, lässt sich bereits anhand eines Artikels im Berliner Börsen-Courier (E.T.A. Hoffmann in der Staatsbibliothek) aus dem Jahre 1922 aufzeigen. Hierin schreibt Roth über das wachsende Interesse an dem romantischen Schriftsteller anlässlich der Eröffnung einer Ausstellung in der Staatsbibliothek, als deren besonderes Exponat Roth die Todesanzeige des Kater Murr hervorhebt. Diese hatte Hoffmann als Scherz seinen Freunden geschickt.277 Joseph Roth, der einige Semester Germanistik im habsburgischen Lemberg und in Wien studierte, werden die Anspielungen auf Hoffmans Herausgeberfiktion zudem bewusst gewesen sein:278 Die Parallelen der Herausgeberfiktion von Roths Roman Die Flucht ohne Ende, für den Hoffmanns Text möglicherweise in Teilen als Inspirationsquelle gedient haben sollte, sind dabei offenkundig.279 So ist das Vorwort der Lebensansichten des Kater Murr auch mit einer genauen Ortsangabe, mit Datum und Namen auf ähnliche Weise unterschrieben worden wie Die Flucht ohne Ende. Erst folgt die mit einem Komma getrennte Stadtangabe, darauf die Monatsangabe ohne präzises Datum und die Unterzeichnung des fiktiven Herausgebers, der denselben Namen wie der real existierende Autor trägt: »Berlin, im November 1819 E.T.A. Hoffmann.«280 Ferner spielt in beiden Herausgeberfiktionen ein »Freund«281 eine zentrale Rolle, der auf unterschiedliche Art und Weise an der Konzeption des Werkes beteiligt ist: Im Falle von Die Flucht ohne Ende beruft sich der Autor auf die direkten mündlichen wie schriftlichen Quellen aus der Hand des Freundes Franz Tunda und behält dabei die Hoheit über das Arrangement 275 Vgl. Neuhaus: 2014, S. 315-316. Als Referenz für literarische Spiele mit dem eigenen Namen ist Hoffmann außerdem prädestiniert. So hat beispielsweise Stefan Pabst gezeigt, wie vielfältig die Spielarten der (nicht) Namensnennung im Werk Hoffmanns sowie der Titelei und des Buchdeckels einschließlich sind. Vgl. Stephan Pabst: Hoffmann macht sich einen Namen. Zur Konstitutionsgeschichte eines Autornamens. In: Schriftstellerische Inszenierungspraktiken – Typologie und Geschichte, hg. von Christoph Jürgensen u. Gerhard Kaiser. Heidelberg: 2011, S. 175-198. 276 Vgl. Wirth: 2008, S. 17-18. 277 Vgl. Roth: JW 1, S. 835. 278 Vgl. zu Roths Studieninteressen und Studentenzeit insgesamt Sternburg: 2009, S. 128-132. 279 Es gilt natürlich zu betonen, dass das Vorwort von E.T.A. Hoffmanns Roman wesentlich ausführlicher ausfällt, zudem eine captatio benevolentiae beinhaltet und darüber hinaus noch der Verlagsdrucker eine große Rolle spielt. 280 E.T.A. Hoffmann: Lebensansichten des Kater Murr. In: E.T.A. Hoffmann: Sämtliche Werke in sechs Bänden. Bd. 5: Lebensansichten des Kater Murr. Werke 1820-1821, hg. von Hartmut Steinecke unter Mitarbeit von Gerhard Allroggen. Frankfurt a. M.: 1992, S. 9-450. Hier: S. 15. 281 Ebd., S. 11 und Roth: LW 4, S. 391.
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des Erzählten.282 In den Lebensansichten des Kater Murr ist es der Freund selbst, der dafür sorgt, dass die Autobiographie des Katers ihren Weg zu dem Herausgeber findet. Seine Erlebnisse sind in der darauffolgenden Romanhandlung jedoch nicht Bestandteil des Erzählten, sondern die zerstückelte Autobiographie des Kater Murr sowie die Biographie des Kapellmeisters Johannes Kreissler.283 Sie werden »als verworrene[s] Gemisch fremdartiger Stoffe durcheinander«284 im Roman präsentiert. Der wesentliche Unterschied zwischen beiden Urhebern der Herausgeberfiktion besteht darin, dass Hoffmann den editionsphilologischen Zugriff im Haupttext weiter kommentiert, der fiktive Joseph Roth aber vornehmlich zum Erzähler der Romanhandlung wird, für den Tundas Quellen die Basis bilden. Dabei montiert er aber auch vereinzelt Teile des Fremdtextes ein, um wiederum Authentizität zu suggerieren, wie zum Beispiel im neunten Kapitel einen Auszug aus Tundas Tagebuch.285 Über die Authentizitätsbekundung hinaus bietet die Technik der Herausgeberfiktion und das Einschalten der Autorfigur Joseph Roth eine große Bandbreite an Funktionen, die über ein bloßes Moment der Leserirritation und -lenkung hinausreichen. Sie können auch zum Mittel werden, den Literaturbetrieb selbst zu karikieren oder zum Medium poetologischer Reflexionen werden.286 Dies ist auch in Die Flucht ohne Ende der Fall.
Schreibprogramm: dichten, berichten, erfinden, beobachten Nachdem nun die Funktion des fiktiven Erzählers, Herausgebers und der Autorfigur Joseph Roth und sein Umgang mit den Quellen erläutert wurde, soll im Folgenden auf die letzten drei Sätze des Vorworts eingegangen werden. Darin wird der Kategorie des ›Beobachtens‹ gegenüber denen des ›Dichtens‹, ›Erfindens‹ und ›Komponierens‹ der Vorzug gegeben. Die letzten Sätze präzisieren somit nach der Offenlegung der Quellen das weitere Schreibprogramm. In diesen Formulierungen und der Aktualisierung erzähltechnischer Signalworte sahen Vertreter der Neuen Sachlichkeit ihre Maximen umgesetzt: Wie bereits erläutert, wird mit den ersten beiden Sätzen als Authentizitätsbekundung nicht nur auf die Quellenlage verwiesen, sondern auch die Beziehungsebene des Protagonisten und des fiktiven Herausgebers geklärt. Obwohl das Vorwort in fast allen Sätzen bis auf nur eine Ausnahme das Personalpronomen der ersten Person Singular enthält, ist auffallend, dass die beiden mittleren Sätze dieses an den Anfang stellen. Mit dieser auf Subjektivität abzielenden Perspektive im Mittelteil inszeniert der fiktive Herausgeber
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Vgl. ebd., S. 391. Vgl. Hoffmann: 1992, S. 12. Ebd., S. 12. Vgl. Roth: LW 4, S. 418. Vgl. Neuhaus: 2014, S. 317 außerdem Wirth: 2008, S. 118-128.
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seine Glaubwürdigkeit und Augenzeugenschaft. Besonders im zweiten Satz, der das Personalpronomen der ersten Person Singular an den Anfang stellt, fällt auf, dass Joseph Roth, der im ersten Satz des Vorworts Wert darauf legt, Tundas »Geschichte« zu »erzähle[n]«, weitere Verben anführt, um die Tätigkeit des Schreibens zu präzisieren.287 Die unspezifisch gehaltene, jedoch eher mit Mündlichkeit als mit Schriftlichkeit assoziierte Kategorie des Erzählens wird ersetzt durch eine Negation der Kategorien Erfinden und Komponieren. Dieser zweite Satz hat also die Funktion, die Authentizität des Geschriebenen noch einmal zu untermauern, indem der Blick weniger auf die Quellen, sondern vielmehr auf die Art und Weise des Schreibens gelenkt wird. Komponieren und Erfinden werden in diesem Kontext als Arten des Schreibens definiert, die vom Herausgeber programmatisch abgelehnt werden. Während er mit dem Verb ›erfinden‹ auf den Wahrheitsgehalt des Geschriebenen abzielt, spielt das Verb ›komponieren‹ eher auf die Art und Weise der Präsentation des Geschriebenen an. Letzteres bedeutet also, dass der Herausgeber unterstreicht, dass sich die Geschehnisse so zugetragen haben, ohne, dass er sie einer bestimmten Ordnung zufolge künstlich chronologisch arrangiert oder insgesamt bearbeitet hätte. Zudem ist auffallend, dass dieser Satz im Perfekt geschrieben ist und nicht wie der erste und der zweite Satz im Präsens. Dieser Tempuswechsel (»erzähle […] ich« und »ich folge« in Satz eins und zwei; »Ich habe nichts erfunden, nichts komponiert« in Satz drei) lässt den dritten Satz zusätzlich an Relevanz gewinnen und fast wie eine Verteidigung des Haupttextes wirken.288 Der vorletzte und der letzte Satz kontrastieren die subjektive Haltung des Herausgebers. In seinem unpersönlich formulierten und Allgemeingültigkeit für sich beanspruchenden Duktus erinnert insbesondere der vorletzte Satz (»Es handelt sich nicht mehr darum zu ›dichten‹«289 ) an eine Sentenz, die didaktische Elemente aufweist, also zum Nachahmen anregen soll. Gleichzeitig markiert er – durch die Skepsis und ablehnende Haltung des Herausgebers gegenüber der Kategorie des Dichtens – eine Zäsur, was den Haupttext von unbestimmten früheren Texten abgrenzen soll. Diesem Bruch wird auch im Schriftbild Nachdruck verliehen, indem das Dichten relativierend in Anführungszeichen gesetzt wird. Für Reiner Wild bedeutet diese typographische Hervorhebung gleichzeitig, dass damit auch die »Weltabgewandtheit und Realitätsferne«, die mit dem Akt des Dichtens in Verbindung steht, klischiert und somit »als aktuelle Möglichkeit des Schreibens zurückgewiesen wird«.290 Somit wird dem Komponieren und Erfinden das Dichten als negative Steigerung nachgestellt. Dies impliziert, dass diese Art des Schreibens in den Augen des Herausgebers ein Relikt aus alten Zeiten und somit konzeptuell
287 288 289 290
Beide Zitate aus Roth: LW 4, S. 391. Alle Zitate ebd., S. 391. Ebd., S. 391. Beide Zitate aus Wild: 1995, S. 28.
2. Professionalisieren: Joseph Roth
überholt sei. Der letzte Satz schließlich fungiert als Steigerung der poetologischen Aussagen des Vorworts insgesamt und wird mit einem Superlativ eingeleitet (»Das Wichtigste«291 ). An die Stelle des Dichtens setzt der fiktive Herausgeber »das Beobachtete«292 . Auffallend ist dabei auch die grammatikalische Form des Partizips Perfekt. Somit wird also nicht der Fokus auf den Vorgang des Schreibens selbst wie in den vorherigen Sätzen gelegt. Vielmehr steht am Ende des Vorworts die Vergegenständlichung, die ›Versachlichung‹ des Geschriebenen, das Endprodukt des Schreibprozesses also, auf das der Herausgeber abzielt.293 Mit dieser Aneinanderreihung unterschiedlicher Kategorien macht Joseph Roth auf ein Hierarchiegefälle aufmerksam, das zwischen den unterschiedlichen Schreibvorgängen zu Tage tritt und in denen insbesondere der klassische, dichterische Schöpfungsakt an Relevanz verliert.
»Mißverständnis«294 oder Provokation? Betrachtet man nun das Vorwort im Kontext von Roths Feuilletonbeitrag Es lebe der Dichter!, lässt sich deutlich erkennen, welches Provokationspotenzial in diesen fünf Sätzen steckt und wie Joseph Roth dieses als Basis nutzt, um öffentlichkeitswirksam Aufmerksamkeit zu erzeugen. Zunächst kann mit Hilfe der zurückweisenden Stellungnahme gegenüber einer Einordnung von Die Flucht ohne Ende in die Strömung der Neuen Sachlichkeit in Es lebe der Dichter! rekonstruiert werden, dass Roth hier vor allem vorgibt, eine Gegenwartsliteratur einzufordern, die sich an aktuellen Stoffen wie dem Ersten Weltkrieg oder der Problematik der Heimgekehrten orientiert. Das Vorwort selbst suggeriert jedoch bis auf den ersten Teil, dass es gerade diese Poetik und Ästhetik sind, die Roth akzentuieren möchte. Dies ließ sich anhand der Verwendungsweisen von ›erzählen‹, ›dichten‹, ›erfinden‹, ›komponieren‹ und ›beobachten‹ zeigen, die er voneinander abgrenzt und bewertet. Somit ist die Zuordnung zur Neuen Sachlichkeit – das »Mißverständnis« – seitens der Buchkritik als Resonanz auf eine selbstgesteuerte Inszenierungspraxis zu verstehen:295 Mit dem Versuch, sich durch das Vorwort programmatisch aufzustellen, provoziert Roth gerade durch die Begründung der Quellenlage, des Schreibprogramms und der Wahl der Gattungszuweisung Ein Bericht die Literaturkritik, wohlwissentlich, dass es sich hier um Reizwörter beziehungsweise beliebte literarische Verfahren des neusachlichen Diskurses handelt.296 Sind ›erfinden‹, ›erzählen‹ und ›dichten‹ 291 292 293 294 295 296
Roth: LW 4, S. 391. Ebd., S. 391. Vgl. Wild: 1995, S. 28-29. Roth: JW 3, S. 45. Ebd., S. 45. Vgl. zur Systematisierung der Vorworte Martin Lindner: Leben in der Krise. Zeitromane der neuen Sachlichkeit und die intellektuelle Mentalität der klassischen Moderne. Stuttgart: 1994, S. 362-363.
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noch klar mit einem auratischen Kunstverständnis verknüpft, da sie gewissermaßen als Kernkompetenzen der literarischen Autorschaft gelten, so sind ›beobachten‹ sowie die Kategorie des Berichtens aus dem Untertitel eher mit empirischen und journalistischen Darstellungsmitteln assoziiert. Diese erfahren – wie bereits im Kapitel 2.1. Institutionelle Voraussetzungen: Die Marke Joseph Roth erwähnt – in den 1920er und 1930er Jahren eine Aufwertung. So kommt Martin Lindner – insbesondere was die Gattungszuweisung angeht – zu dem Ergebnis, dass »das Kennwort ›Bericht‹ […] nichts anderes als die wörtliche deutsche Übersetzung von ›Reportage‹ – also des Namens der Textsorte, die für die neusachliche Prosa paradigmatische Funktion hat«297 , ist. Es ist unklar, bis zu welchem Grad Roth mit diesen Darstellungsmitteln eine gezielte Agenda verfolgt, denn wie einschlägige Publikationen zur Provokationstheorie literarischer Texte zeigen, ist es problematisch, die Intention eines Autors immer eindeutig zu rekonstruieren und nachzuweisen.298 Es lässt sich beispielsweise durch keine einschlägige briefliche Quelle der Planungsgrad der Provokation nachweisen. Fakt ist jedoch, dass Roth sich mit Hilfe einer solchen Inszenierungsstrategie von anderen Autoren abgrenzt und, mit der Terminologie Bourdieus gesprochen, zu Distinktion verhilft, um so seinen Originalitätswert beziehungsweise seine Marke zu etablieren: Gerade durch die Negation der Zugehörigkeit zu einer Strömung markiert der Autor seine Autonomie im literarischen Feld. Mit einer aus Reizwörtern bestehenden Programmatik in Vorwort und Untertitel provoziert er darüber hinaus den Literaturbetrieb und unterläuft die oberflächlichen Versuche, seine Werke in ein konstruiertes Gerüst an epochalen Schlagwörtern zu pressen. Das Oszillieren zwischen literarischer und journalistischer Autorschaft und das Ausloten von Gattungsimplikationen im Peritext eignen sich hervorragend, eine Einordnung von Außen zu erschweren und sich damit ein Alleinstellungsmerkmal zu verschaffen. Doch wie hat man sich die eigentliche Diskussion nach Erscheinen des Romans vorzustellen, um die Tragweite von Roths Abgesang auf eine ganze ästhetische Strömung bewerten zu können? Was sagt sie über die Wahrnehmung von Roths Autorschaft im Spannungsfeld von Literatur und Journalismus aus? Wie erfolgreich Joseph Roth tatsächlich mit seinen Provokationsstrategien und seiner Inszenierungskunst war, kann nur rekonstruiert werden, indem ein Blick auf das Medienecho der Zeit geworfen wird.
297 Ebd., S. 363. 298 Vgl. Andreas Freinschlag: Über drei Herausforderungen an eine Theorie literarischer Provokation. In: Literatur als Skandal. Fälle – Funktionen – Folgen, hg. von Stefan Neuhaus u. Johann Holzner. Göttingen: 2007, S. 128-133. Hier: S. 132.
2. Professionalisieren: Joseph Roth
2.2.5
Rezipieren: »Weil Sie aber ein Dichter sind«299
Wie provokant das Vorwort aus Die Flucht ohne Ende aufgefasst wurde, in dem Roth ›dichten‹ und ›beobachten‹ antithetisch gegenüberstellt, lässt sich anhand vieler Rezeptionszeugnisse unmittelbar nach dem Erscheinen des Romans bis in die frühen 1930er Jahre hinein erkennen. Im Vergleich zu früheren Arbeiten, die Die Flucht ohne Ende mit der Neuen Sachlichkeit in Beziehung setzen, sollen hier die Rezeptionszeugnisse nicht länger marginalisiert, sondern auch systematisiert werden, um ein umfassendes Bild der Diskussion nachzeichnen zu können. Mit diesem Anspruch geht die vorliegende Arbeit also über die bereits vorhandene Forschung der 1970er bis 1990er Jahre von Trommler und Heizmann hinaus, die sich im Zuge des vermehrten Augenmerks auf die Strömung der Neuen Sachlichkeit zwar insgesamt mit dem Roman Die Flucht ohne Ende auseinandersetzt, in der Rezensionen und zeitgenössische Darstellungen aus Zeitungen aber kaum, beziehungsweise nur eine untergeordnete Rolle spielen.300 Dass bisher sowohl das Potenzial der Fragestellung als auch das Material insgesamt noch nicht ausgeschöpft ist, lässt sich auch daran erkennen, dass neuere Publikationen von Einzelanalysen zu Roths Romanen nur noch am Rande Stimmen aus den Zwanziger- und Dreißigerjahren zu Wort kommen lassen. Stellvertretend sei an dieser Stelle beispielsweise Ulrike Weymanns Aufsatz über Roths Romanästhetik in den 1920er Jahren zu nennen, der mit Artikeln und Rezensionen aus der Zeit lediglich einleitet.301 Eine Sammlung und Auswertung des Diskurses zu Die Flucht ohne Ende insgesamt bleibt somit noch bis heute ein Desiderat der Forschung. Ausgewertet wurden für die vorliegende Arbeit sämtliche Zeitungsartikel und Rezensionen zu Roths Werk, die sich im Literaturarchiv Marbach im Teilnachlass und in weiteren Dokumentationsmappen befinden. Ergänzend wurde der in der Zwischenzeit digitalisierte Bestand der Joseph Roth Collection des Leo Baeck Institute New York/Berlin hinzugezogen, deren Herzstück eine Dokumentensammlung von Roths französischer Übersetzerin Blanche Gidon bildet. Die Zusammenschau der Bestände wirft in mehrfacher Hinsicht ein differenziertes Bild auf die Rezeption des Romans und seinen Autor. Zum einen kann anhand der Texte somit ausgeschlossen werden, dass es sich hierbei lediglich um Material handelt, das vom Autor selbst gesammelt wurde, um ein bestimmtes Bild für die Nachwelt aufrechtzuhalten oder zu zementieren. Zum anderen bilden die
299 Otto Alfred Palitzsch: Die Vossische Zeitung vom 29.01.1928. 300 Vgl. Heizmann: 1990, S. 49-62 sowie Trommler: 1975, S. 276. 301 Vgl. Weymann: 2012. Hier wird lediglich auf Kurt Pintus‹ Darstellung von Die Flucht ohne Ende in Das Tage-Buch Bezug genommen. Vgl. dazu auch Kurt Pinthus: Männliche Literatur. In: Neue Sachlichkeit. Bd. 2: Quellen und Dokumente, hg. von Sabina Becker. Köln/Weimar/Wien: 2000, S. 37-41. (Zuerst erschienen in: Das Tage-Buch 1 (1929), S. 903-911).
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über 20 ausgewerteten Artikel einen publizistischen Querschnitt der deutschsprachigen Zeitungslandschaft ab. So finden sich neben Rezensionen aus bedeutenden Publikationsorganen wie der Vossischen Zeitung und der Frankfurter Zeitung, die einen überregionalen Ruf hatten, auch Artikel aus kleineren oder regionalen Blättern wie beispielsweise der Neuen Leipziger Zeitung, der Kölnischen Zeitung, dem Kasseler Volksblatt oder dem Hamburger Fremdenblatt. Obwohl Josephs Roths schriftstellerische Karriere ihren Anfang in Wien und Prag nahm, sind österreichische beziehungsweise böhmische Zeitungen als Rezeptionszeugnisse Ende der 1920er Jahre zu vernachlässigen. So ist lediglich ein Artikel aus der Deutschen Zeitung Bohemia aus Prag hinzuzuziehen, der sich in Roths Nachlass findet und seinen Roman rezensiert. Längst hatte Roth seinen produktiven Fokus auf die Stadt Berlin verlegt. So ist auch zu erklären, warum die großen Kulturzeitschriften wie Der Brenner oder Die Fackel Roths Schaffen nicht berücksichtigen. Mit der heterogenen Auswahl an Publikationsorganen geht auch der vielseitige Kreis an Verfassern der Rezeptionszeugnisse einher. So reicht er von namhaften Schriftstellern und Journalisten der Zeit wie Siegfried Kracauer, Manfred George, Hans Georg Brenner, Kurt Pinthus, Ludwig Marcuse und Ernst Glaeser bis zu unbekannten Lokaljournalisten. Problematisch bleibt, dass sich eine Vielzahl der Zeitungsausschnitte nicht zuordnen lässt, da beispielsweise Autorangaben nicht (mehr) vorhanden sind oder redaktionelle Siglen und Abkürzungen heute nicht mehr nachvollzogen werden können. Dennoch sollen diese Rezensionen hier berücksichtigt werden, da auch sie wichtige, den Diskurs prägende Rezeptionszeugnisse sind, die als repräsentativ für die Diskussion gewertet werden können. Ergänzend sollen zudem noch Darstellungen aus einschlägigen Kultur- und Literaturzeitschriften wie Die Weltbühne, Die Literatur, Das Tage-Buch oder Die literarische Welt hinzugezogen werden, von deren Breitenwirkung in intellektuellen Kreisen ausgegangen werden muss.
»Viele halten es gewiß für einen Roman«302 : Rezeption von Vorwort und Untertitel Fast alle Rezensionen nehmen entweder explizit oder implizit auf den Peritext von Die Flucht ohne Ende Bezug. Nur eine der vorliegenden Rezensionen lässt eine Stellungnahme oder Wiedergabe vermissen.303 In allen anderen Beiträgen werden 302 Hermann Linden: Joseph Roth: Die Flucht ohne Ende. In: Magdeburger Generalanzeiger vom 21.01.1928. (DLA Marbach, Mediendokumentation, Material aus dem Nachlass. H: Roth, Joseph. Zu seinem Werk. Flucht ohne Ende. Roman). 303 Vgl. O. V.: Die Flucht ohne Ende. In: Kasseler Volksblatt vom 26.04.1928 (DLA Marbach, Mediendokumentation, Material aus dem Nachlass. H: Roth, Joseph. Zu seinem Werk. Flucht ohne Ende. Roman). Außerdem: Hermann Menzes: Joseph Roth: Die Flucht ohne Ende. In: O. T. vom 27.11.1927 (Leo Baeck Institute: Joseph Roth Collection. Series II: Writings, 1922?-1939, Subseries 4: Reviews, 1926-1940, Box 2, Folder 79. Digitalisierter Nachlass. URL: https://archi ves.cjh.org/repositories/5/archival_objects/672680 (abgerufen am 25.11.2020)).
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nicht nur summarisch oder explizit ganze Teile aus dem Vorwort zitiert, sondern auch dezidiert der Untertitel diskutiert. Somit lässt sich zeigen, dass die Wahl des Peritextes als Distinktionsstrategie durchaus eine große Wirkung hatte. So verleiten Vorwort und Untertitel die Rezensenten zu vielfältigen Spekulationen, um die Intention des Autors zu rekonstruieren und setzten aus wirkungsästhetischer Perspektive unterschiedliche Akzente, die hier exemplarisch erörtert werden sollen. Zunächst lässt sich zeigen, dass die Gattungsbezeichnung so großes Irritationspotential seitens der Rezensenten aufweist, dass eine Diskussion über die Absicht des Peritextes meist direkt an den Beginn – noch vor eine inhaltliche Einordnung – gestellt wird.304 Vielen Rezensenten ist dabei gemein, dass sie zunächst auf die Erwartungshaltung der Leser eingehen, die der Untertitel weckt. Für sie erscheint es also nicht nur erwähnenswert, sondern auch diskussionsbedürftig, welchen ›Pakt‹ der Autor Joseph Roth mit seinem Publikum schließt.305 Somit erklären die Rezensenten die Gattungsfrage zu einer zentralen Aufgabe, der sich der Leser bei der Rezeption des Textes stellen muss. Dass Joseph Roths Roman trotz des Spiels mit Faktualitätssignalen im Peritext als ein Roman gelesen werden sollte, wird von den Rezensenten aber nicht in Frage gestellt.306 Zu Irritationen führt im Kontext von Fiktionalität und Faktualität lediglich die Beziehung des realexistierenden Autors beziehungsweise des fiktiven Herausgebers zu Franz Tunda. In einer Rezension aus dem November 1927 wird beispielsweise angenommen, es handle sich um einen tatsächlichen Freund des realexistierenden Autors.307 Sogar Ernst Glaeser unterscheidet in seiner Rezension aus dem Jahr 1928 nicht zwischen dem fiktiven Herausgeber und dem Autor Joseph Roth, wenn er zusammenfassend schreibt: »Am 27. April 1927 um 4 Uhr nachmittags trifft Joseph Roth seinen Freund Franz Tunda. Er hat sich seine Geschichte notiert. Sie ist jetzt bei Kurt Wolff in München erschienen. Strikt verwahrt sich Roth dagegen einen Roman ge-
304 Siegfried Kracauer beispielsweise hebt die Gattungsbezeichnung auch typographisch durch einen Sperrsatz hervor. Siegfried Kracauer: Sibirien-Paris mit Zwischenstationen. Zu Joseph Roth. In: Frankfurter Zeitung vom 29.11.1929 (DLA Marbach, Zeitungsausschnittsammlung der Mediendokumentation. Z: Roth, Joseph. 7f2: Zum Werk. Episches Werk, Verschiedene). 305 Vgl. zum Konzept des literarischen Paktes, das an dieser Stelle verwendet wird, um zu veranschaulichen, dass Gattungsbezeichnungen und Namen auf dem Umschlagtitel gewisse Erwartungen schüren: Lejeune: 1994, S. 32. 306 Vgl. hier exemplarisch: O. V.: 26.04.1928. Vgl. außerdem: Kracauer: 1929. Besonderes Augenmerk auf das Spannungsfeld von Fiktionalität und Faktualität legt Süskind: Vgl. Süskind: 1931. 307 Vgl. O. V.: O. T. In: O. T. vom 27.11.1927. (Leo Baeck Institute: Joseph Roth Collection. Series II: Writings, 1922?-1939, Subseries 4: Reviews, 1926-1940, Box 2, Folder 79. Digitalisierter Nachlass. URL: https://archives.cjh.org/repositories/5/archival_objects/672680 (abgerufen am 25.11.2020)). Hier erscheint Tunda als tatsächlicher Freund des Autors: »Dieses schöne und wichtige Buch, das (fingiert?) die Geschichte eines Freundes des Dichters, Franz Tunda, gibt, enthält nicht im Vorwort solche Sätze […].«
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schrieben zu haben.«308 Dies zeigt, dass Roths Strategien zur Authentizitätsfiktion durchaus erfolgreich sind. Trotz der eindeutigen Entscheidung der Rezensenten, Joseph Roths Roman als fiktionalen Text einzuordnen, betonen diese auch die Nähe zu journalistischen Texten, die sich vor allem in der Konstruktion des Plots äußert. So beschreibt beispielsweise Siegfried Kracauer die besondere Erzählweise des Romans, die einzelne Handlungsfäden skizzenhaft nebeneinander anreißt: Der Roman ist ein BERICHT, bestimmend für seine Form: daß in ihm darauf verzichtet wird, die Ereignisse in ein geschlossenes Schema hineinzupressen. Die europäische Welt, in der wir leben, hat ihre Geschlossenheit eingebüßt, es wäre unehrlich, sie im Abbild zu behaupten. Das Nebeneinander, das die Wirklichkeit bietet, bleibt in dem Roman ein Nebeneinander. Fäden sollen geknüpft werden, und fallen nieder, ehe sie verknotet worden sind. Der Roman lässt sie nicht liegen, er berichtet.309 Ähnlich argumentiert auch Ludwig Marcuse im Hamburger Fremdenblatt. Für ihn ist die Beobachtung, die Momentaufnahme, der zentrale Baustein der Romanhandlung. Diese kurzen, feuilletonistischen Skizzen weisen Parallelen zu journalistischer Berichterstattung auf: »Roth will keinen Handlungszusammenhang ersinnen (auch nicht abschreiben!), sondern Beobachtungen verdichten.«310 Neben der Kompositionsweise des Romans ist auch der von der Reportage inspirierte Stil zu nennen, der den Text in die Nähe journalistischen Erzählens rückt. So betonen einige Rezensenten, wie beispielsweise der Schriftsteller und Journalist Arthur Ernst Rutra in der Kasseler Post die Zwitterstellung von Roths Werk und entziehen sich somit einer eindeutigen Gattungszuordnung.311 Stattdessen wird das innovative Potential von Roths Stil herausgestrichen. Dies wird insbesondere im Kontext von Rezensionen des ein Jahr später erschienen Romans Zipper und sein Vater deutlich, die explizit eine Parallele zur sprachlichen Gestaltung von Die Flucht ohne Ende zie-
308 Ernst Glaeser: Joseph Roth berichtet. In: Neue Sachlichkeit. Bd. 2: Quellen und Dokumente, hg. von Sabina Becker. Köln/Weimar/Wien: 2000, S. 202-203. (Zuerst erschienen in: Die neue Bücherschau 6 (1928), Nr. 4, S. 208-210). 309 Kracauer: 1929. Hervorhebung im Original. 310 Ludwig Marcuse: Vom Büchertisch. In: Hamburger Fremdenblatt vom 24.12.1927. (DLA Marbach, Mediendokumentation, Material aus dem Nachlass. H: Roth, Joseph. Zu seinem Werk. Flucht ohne Ende. Roman). 311 Vgl. Artur Ernst Rutra: Die Flucht ohne Ende. In: Kasseler Post vom 22.04.1928. (DLA Marbach, Mediendokumentation, Material aus dem Nachlass. H: Roth, Joseph. Zu seinem Werk. Flucht ohne Ende. Roman).
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hen.312 Sogar Vergleiche mit Alfred Polgar werden in der Neuen Leipziger Zeitung gezogen, was einer Nobilitierung Roths gleichkommt, der am Beginn seiner Karriere so mit dem wohl brillantesten Feuilletonisten seiner Zeit in Verbindung gebracht wird: Dieser Ton ist referierend, nicht nachzeichnend. Es ist das unnachahmliche Geheimnis und der Zauber von Stil und Persönlichkeit, die eins sind. Es ist etwa so, wie wenn Polgar Romane schriebe, was er nie tun wird. (Man soll nichts beschreien).313 Doch nicht alle Rezensenten bewerten Roths Spiel mit journalistischen und literarischen Konventionen als gelungen. Einige empfinden gerade Vorwort und Untertitel als manieriert oder zu konstruiert und entlarven die Anspielungen darin als »Unsinn«314 – als inhaltsleere Begriffsmathematik, die dem Leseerlebnis des Romans insgesamt nicht zuträglich oder sogar überflüssig seien. Dass dies einhergeht mit der Wahrnehmung von Roths Autorschaft zwischen Journalismus und Literatur sowie dem daraus resultierenden Umgang mit Rollenkonventionen soll im Folgenden gezeigt werden.
»Joseph Roth kommt von der Publizistik her«315 – Rezeption journalistischer und literarischer Autorschaft Wie bereits in Kapitel 2.1.1. »Ich aber bin […] ein Unikum in der deutschen Literatur!!«: Veröffentlichungskontexte gezeigt werden konnte, ist für die Literatur der 1920er Jahre und insbesondere für die Strömung der Neuen Sachlichkeit die Aufwertung des Reporterberufs sowie die Annäherung von journalistischem und literarischem Schreiben kennzeichnend. Dies ist auch für die Wahrnehmung von Roths Autorschaft entscheidend: Auch seinen Journalisten-Kollegen ist die Doppeltätigkeit des Autors bewusst, die für sie im Kontext von Die Flucht ohne Ende an Relevanz gewinnt. Aber wie wirkt sich das Wissen um seine Personalunion von Journalist und
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Vgl. O. V.: O. T. In: Neue Zeit vom 30.05.1928. (Leo Baeck Institute: Joseph Roth Collection. Series II: Writings, 1922?-1939, Subseries 4: Reviews, 1926-1940, Box 2, Folder 79. Digitalisierter Nachlass. URL: https://archives.cjh.org/repositories/5/archival_objects/672680 (abgerufen am 25.11.2020)). O. V.: Zwei Generationen werden porträtiert. In: Neue Leipziger Zeitung vom 31.05.1928. (Leo Baeck Institute: Joseph Roth Collection. Series II: Writings, 1922?-1939, Subseries 4: Reviews, 1926-1940, Box 2, Folder 79. Digitalisierter Nachlass. URL: https://archives.cjh.org/repositorie s/5/archival_objects/672680 (abgerufen am 25.11.2020)). Palitzsch: 20.01.1928. Außerdem Werner Richter: Die Flucht ohne Ende. In: O. T., O. D. u. O. J. (DLA Marbach, Mediendokumentation, Material aus dem Nachlass. H: Roth, Joseph. Zu seinem Werk. Flucht ohne Ende. Roman). Menzes: 27.11.1927.
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literarischem Autor auf die Rezeption seines Romans aus? Für einige Rezensenten gibt der Peritext Anlass zur Frage, wer hier schreibt – der Journalist oder doch der Literat Roth, schließlich sind sowohl Vorwort als auch Untertitel auf den ersten Blick als Negation literarischen Schreibens zu verstehen. So schreibt beispielsweise Hermann Menzes unmittelbar nach Erscheinen des Romans, dass es gerade Roths Brotberuf sei, der Die Flucht ohne Ende zu einem gelungenen Buch mache: Joseph Roth kommt von der Publizistik her. Er besitzt den funkelnden Esprit des wahrhaften Journalisten, der auch über eine dichterische Untermalung verfügt. Das verleiht ihm den weltmännischen Blick, der mit eindringlicher Schärfe Dinge und Menschen erfaßt. Vom Tagesschriftsteller hat er das Blendende der Formulierung.316 Auffallend ist, dass Menzes, obwohl es sich um eine Rezension eines literarischen Werkes handelt, mehr Augenmerk auf die journalistische Tätigkeit Roths legt als auf sein bisheriges literarisches Werk. Für ihn ist Roth zuvorderst kein Autor literarischer Texte, sondern ein »Tagesschriftsteller«317 . Mit dieser wörtlichen Übersetzung der Berufsbezeichnung Journalist aus dem Französischen wertet er gleichzeitig Roths Brotberuf auf. Auch das Qualitätsmerkmal, das Die Flucht ohne Ende auszeichnet, misst sich eher an Kriterien journalistischer Texte. Gerade das professionalisierte Schreiben des Autors, also das Handwerkszeug des Reporters wie Recherche, Anschaulichkeit und stilistische Prägnanz kennzeichnen Roths Stil.318 Qualitäten literarischen Schreibens, die Menzes sehr allgemein als »dichterische Untermalung«319 fasst, spielen dabei lediglich eine untergeordnete Rolle. Vielmehr ist das Zusammenspiel von literarischer und journalistischer Autorschaft entscheidend, das Roths Schreiben besonders auszeichnet und Synergieeffekte erzielt. Dies macht zudem eine Rezension, die in der Neuen Zeit erschienen ist, deutlich, indem sie Joseph Roth als einen »dichterischen Journalisten«320 bezeichnet. Diese positive Bewertung journalistischer Fertigkeiten und ihre Auswirkung auf die Romanproduktion ist auch prägend für Ernst Glaesers Rezension, was bereits der Titel Joseph Roth berichtet erkennen lässt. Glaeser macht deutlich, dass Die Flucht ohne Ende ein
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Ebd. Ebd. Vgl. dazu auch Manfred Georg: Joseph Roth: Die Flucht ohne Ende. In: Die Weltbühne 4 (1928), H. 1, S. 35. (Leo Baeck Institute: Joseph Roth Collection. Series II: Writings, 1922?-1939, Subseries 4: Reviews, 1926-1940, Box 2, Folder 79. Digitalisierter Nachlass. URL: https://archi ves.cjh.org/repositories/5/archival_objects/672680 (abgerufen am 25.11.2020)). Roths Stil beschreibt Georg folgendermaßen: »Nicht Roths Kunst, Sätze oder Atmosphäre zu schaffen, sei hier gerühmt. Sie ist eine Sache seines Handgelenks.« 319 Menzes: 27.11.1927. 320 O. V.: 30.05.1927.
2. Professionalisieren: Joseph Roth
journalistisches Ethos auszeichne, das sich an objektiver, der Wahrheit verpflichteter, knapper Berichterstattung orientiere, die auf einer gründlichen Recherche fuße: »[…] das Wichtigste ist das Beobachtete«. Eine Erkenntnis, die allein schon dieses Buch von der Überproduktion des Jahres abhebt; zumal Joseph Roth – jenseits aller Begabungsgrade – bei der Schichtung und Wertung seines Materials jene journalistische Ehrlichkeit besitzt, die französisch geschult ist […] Jeder Satz scheint, bevor er hingeschrieben wurde, doppelt geprüft.321 Diese Professionalität, die ihre Wurzeln im journalistischen Schreiben hat, macht auch das zwei Jahre nach Die Flucht ohne Ende erschienene Porträt Joseph Roths in den Preußischen Jahrbüchern von Manfred George zum zentralen Element: Seine Berichte, stark in der Form wie im Geist, sind mustergültige Dokumente eines tiefster Verantwortung bewussten Journalismus, der keine Silbe zu viel um eines äußeren Effekts willen schreibt. Verantwortung nicht vor anderen, sondern vor sich selbst, vor seinen Augen, vor seinem Erkennen, diese Lebenseinstellung, die keine Kompromisse verträgt – die beherrscht auch das wahre Werk Joseph Roths, seine literarische Leistung.322 Trotz der offensichtlichen Wertschätzung von Roths journalistischer Leistung lässt sich hier dennoch ein Wertungsunterschied zwischen literarischer und journalistischer Autorschaft erkennen. Somit dient der Journalismus zwar als Inspirationsquelle und Basis von Roths literarischem Schaffen in stilistischer und ethischer Hinsicht; als »wahre[s] Werk«323 werden seine journalistischen Arbeiten dennoch nicht verstanden. Auffallend ist ferner, dass Georg im Vergleich zu vielen Rezensenten, die sich nicht um eine definitorische Klärung der Berufs- und Rollenbeschreibungen bemühen, bestrebt ist, die Facetten von Roths Personalunion von Journalist und literarischem Autor genau zu umreißen. So problematisiert er beispielsweise als einziger die Bezeichnung »Dichter«324 gegen die sich Roth im Vorwort implizit wehrt: Hier umweht nicht die romantische Locke eine Dichterstirn […]. Wenn freilich von mir vorhin das Wort Dichter gebraucht wurde, so ist es nicht im üblichen Sinne zu verstehen, nicht die Erfindung spielt bei Roth die wesentliche Rolle, sondern die Beobachtung, ihr »Verdichten« zum stärksten Extrakt. […] Das heißt aber
321 Glaeser: 2000, S. 202-203. 322 Manfred Georg: Der Romanschriftsteller Joseph Roth. In: Preußische Jahrbücher 217 (1929) H. 3, S. 320-328. Hier: S. 320. 323 Ebd., S. 320. 324 Ebd., S. 320.
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
nicht, wie die kassandrischen Wehrufe der Literaturoffiziere der alten Poetenarmee glauben machen wollen, Untergang und Auflösung der Dichtung, sondern nur die veränderte Position der magischen Institutionskamera. Es wird nicht mehr vom Feldherrenhügel abgeschlossener Erkenntnis, sondern mitten in der marschierenden Zeit aufgenommen.325 Georg charakterisiert Joseph Roth in martialischen Bildern als Vertreter einer neuen Autorengeneration. Mit der Verwendung von innovativen, an den Journalismus angelehnten Schreibverfahren steht Joseph Roth dieser alten Ära als Vertreter einer neuen Generation gegenüber, die nichts mehr gemein habe mir dem Dichterideal der Romantik und dem der Seher-Dichter der antiken Rhetorik.326 Um den reaktionären, hermetischen und stark hierarchisierten Literaturbetrieb zu beschreiben, in den Roth eingreift, bedient sich Georg darüber hinaus einer Reihe an Metaphern aus dem Militärkontext. Roth schreibt somit gegen eine institutionalisierte »Poetenarmee«327 an und setzt ihnen eine moderne, zeitgemäße Literatur entgegen, die auf neuen Prinzipien fußt. Diese messen sich beispielsweise an Aktualität und journalistischer Beobachtungsgabe; Kategorien, die Georg »als Sache seines [gemeint Roths] Handgelenks«328 beschreibt. Dass Joseph Roth bei seiner Inszenierungskunst zwischen Journalismus und Literatur aber durchaus auch in den Augen einiger Kollegen über das Ziel hinausschießt, verdeutlicht beispielsweise eine Rezension in der Deutschen Zeitung Bohemia: »Roth wollte, wie er im Vorwort hervorhebt, keinen Roman, sondern einen Bericht schreiben. Aber da der Bericht die Form des Romans ist, braucht man die Unterscheidung, die Roth macht, nicht ernst zunehmen.«329 Hier wird Roths Versuch, die Rezeption des Romans durch die Wahl von Vorwort und Gattungsbezeichnung zu steuern, in ein paar wenigen Zeilen ad absurdum geführt. Besonders kunstvoll gestaltet Otto Alfred Palitzsch in der Vossischen Zeitung seine Kritik an Roths Inszenierungskunst und prangert das Vorwort als »einzige[n] schwachen Punkt eines starken Buches«330 an. Mit dem Stilmittel der Apostrophe, das Roth
325 Ebd., S. 320. 326 Vgl. dazu auch die Rezension Natoneks, in der ebenfalls vom Ideal romantischer Dichtkunst abgerückt wird. Hans Natonek: Dichtung als Dokument. Der Roman, nach dem man sich sehnt. In: Neue Sachlichkeit. Bd. 2: Quellen und Dokumente, hg. von Sabina Becker. Köln/Weimar/Wien: 2000, S. 226-227. (Zuerst erschienen in: Neue Leipziger Zeitung vom 27.11.1927). 327 Georg: 1929, S. 321. 328 Ebd., S. 321. 329 O. V.: Joseph Roth: Die Flucht ohne Ende. In: Deutsche Zeitung Bohemia vom 09.06.1928. (DLA Marbach, Mediendokumentation, Material aus dem Nachlass. H: Roth, Joseph. Zu seinem Werk. Flucht ohne Ende. Roman). 330 Palitzsch: 20.01.1928.
2. Professionalisieren: Joseph Roth
selbst in vielen seiner journalistischen Veröffentlichungen anwendet, entlarvt Palitzsch Roths Selbstinszenierung im Vorwort als einen autoperformativen Widerspruch, den er als solchen typographisch durch Klammersetzung kennzeichnet: In den paar Zeilen des Vorworts verwahrt er sich gegen den Vorwurf, er sei ein Dichter. […] Täten Sie nichts anderes, Joseph Roth, als die Reise des Franz Tunda »berichten«, wäre Ihr Held uninteressant […]. Da sie aber ein Dichter sind (Sie würden sich nicht unaufgefordert gegen dieses Wort wehren, wenn Sie nicht wüßten, dass Sie es sind) ist Ihr Roman nicht die Reportage, sondern das Epos von den Schicksalen einer ganzen Generation. Der Werther des Weltkriegs, der nicht an einer Frau, sondern an den Menschen seiner Zeit zu Grunde geht.331 Letztlich kommt Palitzsch also zu dem Schluss, dass Roth durch die Negation des Dichtens immer noch an dem auratisierten Autorenideal festhält. Die Stärke des Romans läge folglich nicht im journalistischen Handwerk begründet, das in dieser Rezension im Verhältnis zum literarischen Schreiben als langweilig und damit als nicht ebenbürtig abgetan wird. So wird im Umkehrschluss auch die literarische Autorschaft gegenüber der journalistischen aufgewertet. Am deutlichsten tritt der Wertungsunterschied von literarischer und journalistischer Autorschaft in einer Rezension von Süskind zu Tage, die erst im Jahr 1931 veröffentlicht wurde und somit bereits auf die öffentlichen Stellungnahmen Joseph Roths wie Es lebe der Dichter! Und Schluss mit der »Neuen Sachlichkeit«! reagieren konnte: Roth hat, wenn ich mich nicht sehr irre, in der Zwischenzeit selber dem Reportagewesen in einem Aufsatz Valet und Widerspruch angekündigt; in Wirklichkeit tut er es schon in seinem damaligen Roman, und fasst aufs Fesselnde, weil mit den Mitteln der ihm innewohnenden Künstlernatur.332 Mit etwas zeitlichem Abstand zur unmittelbaren Diskussion nach Veröffentlichung des Romans weist Süskind als einziger Rezensent auf Roths widersprüchliche Haltung hin. So ist es Roth selbst, der seinen Brotberuf gegenüber dem Romanschreiben abwertet. Die Rezension zeigt außerdem, dass Roth zwar von Süskind dezidiert als Künstler bezeichnet wird, dies allerdings nur für seine literarische Produktion gilt. Während Menzes, Palitzsch und Glaeser Roths journalistisches Handwerk betonen, macht Franz Blei hingegen deutlich, dass die Kategorie des Beobachtens seit jeher auch ein Teil literarischen Schreibens sei. Ihm geht es nicht darum zu zeigen, wie Roth journalistisches und literarisches Schreiben vereint, beziehungsweise, welche Konsequenzen dies für die Produktion von Romanen hat. Vielmehr sieht er Roth im Kontext realistischer Erzähltraditionen und vergleicht ihn mit dem 331 Ebd. 332 Süskind: 1931.
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
französischen Journalisten und Romanschriftsteller Stendal, der als ein Vertreter des literarischen Realismus gilt:333 Beobachten und aufschreiben: wer das kann, den soll man immer einen Dichter nennen, ganz unbekümmert um die Lächerlichkeiten, die sich faktisch oder in der dümmsten Vorstellung der Zeitgenossen hinter diesem Vorwort verbergen. Außerdem ist es egal, ob einer den Stendal einen Dichter oder sowas nennt. Daß etwas auffällt und beobachtet wird und festgehalten wird und wiedergegeben: wer bestimmt das? Doch nur die schreibende Person. Die muss danach sein. Nicht registrierend, sondern bedeutend. Nicht zufällig nannte ich Stendal. Es gibt da eine Beziehung zwischen ihm und Joseph Roth. Sie liegt im Unbedingten, Präzisen, Definitorischen.334 Auffallend ist, dass Blei auch konventionelle Berufsbezeichnungen umgeht, indem er bewusst zu einer allgemeinen Beschreibung greift und Roth lediglich als eine »schreibende Person«335 charakterisiert. Somit meidet er verfängliche Termini in der Diskussion um den Literatur- und Autorendiskurs der Neuen Sachlichkeit. Dass er implizit auch auf diese Debatte Bezug nimmt, zeigt der Beginn des Zitats, indem er hier aufgreift, dass das fiktionale Schreiben, das Dichten, in Verruf geraten sei. Bleis Kritik richtet sich also gegen einige Kernpunkte der Debatte, die die Forderung nach einer antiexpressionistischen, an Tatsachen orientierten Literatur kennzeichnet. Er betont hingegen die zentrale und autarke Funktion des Literaten selbst, der sich durch eine Metadiskussion nicht am Schreibvorgang gehindert fühlen sollte. Wie Joseph Roth auf diese Debatte reagiert hat, zeigen – wie bereits in den Kapiteln 2.2.2. Sich selbst verorten: Es lebe der Dichter! Und 2.2.3. Forschungskontext und literaturgeschichtliche Relevanz sowie 2.2.4. Provozieren: Die Flucht ohne Ende dargelegt wurde – seine öffentlichen Stellungnahmen Es lebe der Dichter! Und Schluß mit der »Neuen Sachlichkeit«!. Im Folgenden soll nachgezeichnet werden, wie Die Flucht ohne Ende überhaupt als Paradebeispiel neusachlichen Erzählens verstanden werden konnte, um so Roths Reaktionen einordnen zu können.
333
Vgl. beispielsweise zu Roths Verhältnis zu Strömungen des europäischen Realismus insgesamt Weymann: 2012, S. 270. 334 Franz Blei: Joseph Roth: Die Flucht ohne Ende. In: Die literarische Welt vom 16.12.1927. (Leo Baeck Institute: Joseph Roth Collection. Series II: Writings, 1922?-1939, Subseries 4: Reviews, 1926-1940, Box 2, Folder 79. Digitalisierter Nachlass. URL: https://archives.cjh.org/repositorie s/5/archival_objects/672680 (abgerufen am 25.11.2020)). 335 Ebd.
2. Professionalisieren: Joseph Roth
»Reporter der reinen Sachlichkeit«336 – Rezeption im Kontext der Neuen Sachlichkeit Insgesamt lässt sich zeigen, dass Die Flucht ohne Ende nicht zwingend in jeder Rezension mit der Neuen Sachlichkeit in Verbindung gebracht wird. Lediglich sechs Rezensionen nehmen explizit Bezug auf die Strömung und ordnen Roths Roman auch als Werk der Neuen Sachlichkeit ein. Somit scheinen Roths heftige Reaktionen angesichts der doch quantitativ weniger ins Gewicht fallenden Rezensionen zunächst einmal zu verwundern. Bei genauerer Analyse wird jedoch deutlich, dass diese wenigen Rezensenten Roths Roman tatsächlich einen Manifest-Charakter zuschreiben. Da sie auch in Medien mit zum Teil überregionaler Reichweite (zum Beispiel in Die literarische Welt, Vossische Zeitung) erscheinen oder von bekannten Journalisten geschrieben sind (Siegfried Kracauer, Manfred George) gehören die Rezensionen sicherlich zu öffentlichkeitswirksamen Stellungnahmen, auf die Roth in Schluß mit der »Neuen Sachlichkeit«! reagieren musste. Auffallend ist insbesondere die Auslegung des Vorworts anhand dessen – wie auch Roths Reaktionen in Es lebe der Dichter! Und in Schluß mit der »Neuen Sachlichkeit«! belegen – die Zuordnung zur Strömung erfolgt. So sah beispielsweise Süskind im Vorwort von Die Flucht ohne Ende »ein Grundrecht der Neuen Sachlichkeit oktroyiert«337 . Neben solchen pauschalen Einordnungen des Werks durch die im Vorwort aktualisierten Reizwörter lassen sich auch Rezensionen finden, in denen – angelehnt an das Vorwort – direkte Bezüge zu zentralen Akteuren der Neuen Sachlichkeit hergestellt werden:338 »Womit [gemeint: das Vorwort] er sich auf die Seite des Sachlichkeitsreporters Egon Erwin Kisch stellt«339 , lässt sich beispielsweise in einer Rezension aus dem November 1927 lesen. Bei Erscheinen von der Flucht ohne Ende hatte sich Egon Erwin Kisch bereits mit seinen provozierenden Artikeln einen federführenden Ruf erarbeitet, in denen er die Reportage, ihre Wertigkeit und ihre genrespezifischen Schreibanforderungen sowie das Verhältnis zum Roman öffentlich diskutierte. Einen Vergleich mit Kisch, der als Verkörperung des Reporters schlechthin galt, ist in diesem Kontext wohl seitens des Rezensenten als Nobilitierung zu werten. Joseph Roth selbst, der sich – wie viele seiner Zeitungsbeiträge zeigen – mit der Leistung und dem Werk Kischs auseinandergesetzt hat, bringt seinem Kollegen einerseits öffentlich große Wertschätzung entgegen.340 Andererseits setzt Kischs Erfolg Roth auch unter Druck. Dies belegt beispielsweise 336 O. V.: 26.04.1928. 337 Süskind: 1931. 338 Vgl. außerdem H.A.V.: Joseph Roth die Flucht ohne Ende. In: Westfälische Neueste Nachrichten vom 20.09.1928. (DLA Marbach, Mediendokumentation, Material aus dem Nachlass. H: Roth, Joseph. Zu seinem Werk. Flucht ohne Ende. Roman). 339 O. V.: 26.04.1928. 340 Vgl. zum Verhältnis Joseph Roths zu Egon Erwin Kisch beispielsweise: Kein rasender Reporter. Egon Erwin Kisch zum 50. Geburtstag. In: Roth: JW 3, S. 675.
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
ein Brief an Benno Reifenberg.341 Zudem polemisiert er in Es lebe der Dichter! Und Schluß mit der »Neuen Sachlichkeit«! gegen das Reporterbild der Neuen Sachlichkeit, wie bereits in den Kapiteln 2.2.2. Sich selbst verorten: Es lebe der Dichter! Und 2.2.3. Forschungskontext und literaturgeschichtliche Relevanz sowie 2.2.4. Provozieren: Die Flucht ohne Ende gezeigt werden konnte. Somit steht Roth dem Autorenideal der Neuen Sachlichkeit nicht uneingeschränkt positiv gegenüber. So lässt sich verstehen, wie harsch ihn die Kritik aus dem Kasseler Volksblatt getroffen haben muss, Die Flucht ohne Ende markiere einen Wendepunkt in seinem Werk, mit dem er sich damit nun endgültig der Neuen Sachlichkeit anschließe: Auf den Expressionismus ist die Neue Sachlichkeit gefolgt. Sie hat die große Umstellung auf allen Gebieten bewirkt. Sogar die Wiener Feuilletonisten, die immer so glänzend schreiben konnten, sind dieser Umstellung zum Opfer gefallen. Josef Roth ist solch ein Wiener Feuilletonist. Roth ist Reporter der reinen Sachlichkeit, wenn er Tatsachen beschreibt, […] der dem subjektivistischen Feuilletonisten von gestern genau entgegen gesetzt ist.342 Für den Rezensenten bedeutet die Veröffentlichung von Die Flucht ohne Ende nicht mehr und nicht weniger als ein Qualitätsabfall der schriftstellerischen Leistung Joseph Roths, der die Neue Sachlichkeit, ähnlich wie der Autor später selbst in Es lebe der Dichter! Und in Schluß mit der »Neuen Sachlichkeit«! als Modeerscheinung abtut. Festgemacht wird diese Hinwendung an dem Stil des Romans, den der Rezensent als antiexpressionistisch kennzeichnet und den er dadurch auch als minderwertig klassifiziert. Ferner wird hier Roth nicht mehr als Feuilletonist oder neutraler als Journalist oder Publizist bezeichnet, sondern explizit als Reporter, dem Autorenideal der Neuen Sachlichkeit. Dass die Einordnung von Die Flucht ohne Ende in die Strömung der Neuen Sachlichkeit nicht nur über das Vorwort, sondern wie von einigen Rezensenten nicht näher spezifiziert über den Stil erfolgt, zeigen weitere Rezensionen.343 Paradigmatisch für die Einordnung der Flucht ohne Ende ist Kurt Pinthus viel rezipierte Stellungnahme in der Wochenschrift Das Tage-Buch. Sein Ansatz, die Strömung der Neuen Sachlichkeit deduktiv zu systematisieren, fußt auf einem Korpus, das den Roman als Grundlagentext nicht nur miteinschließt – vielmehr betont Pinthus auch die programmatische Leistung des Romans für die Strömung insgesamt. Diese definiert er dabei nicht in erster Linie über ästhetische Kategorien sondern über ein neues Sujet: Indem die Neue Sachlichkeit nicht die Adoles-
Vgl. Roth Briefe (22.09.1926), S. 89: »Manfred Georg fährt fürs 8 Uhr Blatt nach Amerika. Kisch ist für die B. Z. in Rußland. Ich kann nichts anderes, nichts geringeres machen.« 342 O. V.: 26.04.1928. 343 Vgl. Fritz Rosenfeld: O. T. In: O. T. u. O. D. 1928. (DLA Marbach, Mediendokumentation, Material aus dem Nachlass. H: Roth, Joseph. Zu seinem Werk. Flucht ohne Ende. Roman).
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2. Professionalisieren: Joseph Roth
zenz in den Vordergrund rücke, sondern nun mehr den Mann zum Protagonisten mache, sei sie als Gegenentwurf zum Expressionismus zu verstehen.344 Folglich gibt Pinthus seinem Artikel auch die Überschrift Männliche Literatur, eine Bezeichnung, die er synonym für die Neue Sachlichkeit verwendet. Diese Hinwendung zu neuen Romankonflikten in Abgrenzung zum Expressionismus führt dazu, dass – nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund des Ersten Weltkriegs – eine neue Literatur gefordert wird, die sich der »Tatsache« als »treibendes Motiv des Kunstwerks« verpflichtet sieht.345 Damit bezieht sich Kurt Pinthus auf niemand geringeren als Egon Erwin Kisch, der etwa zehn Jahre vor ihm den Terminus der ›Tatsache‹ im Kontext der Neuen Sachlichkeit aufwertet und explizit mit dieser in Verbindung bringt.346 In einem zweiten Schritt (nach der inhaltlichen Ausrichtung) definiert Pinthus die Strömung dezidiert als »unpathetisch[e], unsentimental[e], schmucklos[e], und knapp[e] […] Technik«347 . Damit gewinnt der Begriff der Neuen Sachlichkeit zusätzlich an Kontur, da er als epochales Schlagwort nun nicht mehr nur eine literarische Bewegung, sondern auch eine formal-stilistische Ausrichtung betitelt. Auffallend ist, dass er sich dabei bis auf den Terminus der Tatsache, der bei Roth nicht erwähnt wird, einer ähnlichen Wortwahl wie Roth im Peritext zur Flucht ohne Ende bedient. So führt auch er die Kategorien Dichten und Beobachten eng, um letztere anschließend als qualitativen Maßstab für seine Beurteilung anzulegen. Positiv aufgewertet wird dadurch eine Erzähltechnik, die sich an faktualen Genres und einem empirisch messbaren wissenschaftlichen Stil orientiert und in der Reportage und im Bericht ihren genreadäquaten Ausdruck findet: »Jeder, der noch Illusionen hat, kriegt in den neuen Büchern vom Schicksal eins über den Schädel, daß ihm nicht nur Hören und Sehen lernt […]. Die Reportage erhebt sich ins [!] Bereich der Dichtung, und der Bericht wird zur Kunstform.«348 Mit diesem viel zitierten und kontrovers diskutierten letzten Satz, in dem die »Vorbildfunktion«349 der Reportage für die Literatur insgesamt postuliert wird, zeigt Pinthus, dass er nicht – wie beispielsweise der Verfasser der Rezension im Kasseler Volksblatt – Roths Vorwort als Malus wertet. Vielmehr sieht er die Merkmale einer Männlichen Literatur insbesondere mit der Wahl des Peritextes in Hinblick auf Die Flucht ohne Ende erfüllt. Die besondere Relevanz des Vorworts als programmatisches Instrument innerhalb der Neuen Sachlichkeit hebt Pinthus darüber hinaus hervor: So weist er darauf hin, dass Roth einige Autoren auch bewusst zu intertextuellen Be-
344 345 346 347 348 349
Vgl. Pinthus: 2000, S. 38. Beide Zitate aus ebd., S. 38. Vgl. Becker: 2000 (1), S. 214. Pinthus: 2000, S. 38-39. Ebd., S. 39. Becker: 2000 (1), S. 161.
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zügen inspiriert habe:350 Als Beispiel führt er Ernst Glaesers Roman Jahrgang 1902 an, der ein Jahr nach Roths Roman erscheint, zum internationalen Bestseller wird und den 28-jährigen Glaeser zu einem gefeierten Autoren macht.351 Dem zweiten Band des Romans ist ein Vorwort vorangestellt, dass sich deutlich an Die Flucht ohne Ende orientiert: Im Folgenden berichte ich, was meine Freunde und ich vom Krieg gesehen haben. Es sind nur Episoden. Wir waren ganz unseren Augen ausgeliefert. Was wir sahen, haben wir behalten. Vielleicht haben andere mehr gesehen. Sie sollen es sagen. Meine Beobachtungen sind lückenhaft. Es wäre mir leicht gewesen, einen »Roman« zu schreiben. Ich habe mit diesem Buch nicht die Absicht zu »dichten«. Ich will die Wahrheit, selbst wenn sie fragmentarisch ist wie dieser Bericht.352 Vergleicht man nun beide Vorworte, so liegen die Gemeinsamkeiten auf der Hand: Wie Joseph Roth zielt auch Glaeser auf Authentizität des Geschriebenen, indem er zwar nicht einen Freund, sondern sich selbst zum Vertreter des Jahrgangs 1902 und somit zum Augenzeugen des Ersten Weltkriegs macht. Auch er unterläuft eine Gattungszuweisung, da er sich explizit gegen die Bezeichnung Roman wehrt und vorgibt, einen Bericht zu schreiben.353 Zusammenfassend lässt sich anhand von Pinthus’ Rezension also zeigen, dass Joseph Roths Roman sehr wohl bereits Ende der 1920er Jahre als ein programmatischer Text der Neuen Sachlichkeit gelesen wurde.354 Neben der Wahl des Sujets ist es vor allem der Peritext, von dem eine ästhetische Breitenwirkung ausging. Dies konnte gezeigt werden, da hier zum ersten Mal Peritext und unmittelbare Rezeptionszeugnisse aufeinander bezogen werden.
2.2.6
Resümee
Die Fallstudie zeigt, dass das Oszillieren zwischen einer journalistischen und einer literarischen Autorschaft konstitutiv für die Marke Joseph Roth ist. Dies gilt sowohl für das Selbstverständnis des Autors als auch für dessen öffentliche Wahrnehmung. Als Markenkern kann somit die Personalunion von Journalist und Lite350 Vgl. dazu insbesondere Kapitel 2.2.4. Provozieren: Die Flucht ohne Ende sowie weiterführend Lindner: 1994, S. 362-364. 351 Vgl. zum Bestseller-Status von Jahrgang 1902 Kornelia Vogt-Praclik: Bestseller in der Weimarer Republik 1925-1930. Herzberg: 1987, S. 59. 352 Ernst Glaeser: Jahrgang 1902, hg. von Christian Klein. Göttingen: 2013, S. 216. 353 Vgl. zum literarischen Konzept Ernst Glaesers Christian Klein: Nachwort. In: Ernst Glaeser: Jahrgang 1902, hg. von Christian Klein. Göttingen: 2013, S. 321-341. Hier: S. 323-324. Zum Vergleich der beiden Vorworte vgl. außerdem Becker: 2000 (1), S. 226-227. 354 Vgl. dazu auch Schlussfolgerungen aus weiteren zeitgenössischen Zeugnissen bei Weymann: 2012, S. 265.
2. Professionalisieren: Joseph Roth
rat ausgemacht werden, die dem Schriftsteller zu Distinktion im literarischen wie journalistischen Feld verhilft. Das Mäandrieren zwischen beiden Produktionskontexten wird von ihm im Kontext von Die Flucht ohne Ende also nicht mit einem Wertungsunterschied verbunden, sondern vielmehr produktiv gemacht. Dies erreicht der Autor, indem er mit gängigen Rollenklischees, Leserwartungen und publikationsbedingten Konventionen bricht, die allesamt dazu führen, sein Autor-Label zu festigen.355 Anhand eines vielfältigen Korpus, das von öffentlichen Stellungnahmen des Autors, redaktionellen Rahmungen über den Peritext des Romans bis hin zu Rezensionen reicht, können die Untersuchungshypothesen somit bestätigt und die Leitfragen beantwortet werden. Darüber hinaus können folgende Einzelergebnisse festgehalten werden:
Distinktionsmechanismen im Feuilletondiskurs Joseph Roth nutzt die Frankfurter Zeitung bewusst, um sich selbst und seinen Roman zu vermarkten, was am Beispiel seines Artikels Es lebe der Dichter! Gezeigt werden kann, der im Nachklang von Die Flucht ohne Ende erscheint. Damit wird das Feuilleton zur Plattform, auf der sich Joseph Roth als journalistischer wie literarischer Autor durch Inszenierungsstrategien einen Namen macht: Der bereits arrivierte Romanautor wird dabei vom Redaktionskollektiv als Experte entsendet, der Maßstäbe für eine qualitative Beurteilung neuer Romane setzt. Für diese prestigeträchtige Aufgabe ist insbesondere seine Doppeltätigkeit als Journalist und Literat die entscheidende Voraussetzung. Dabei gelingt es ihm, die eigentliche Schreibaufgabe – die Präsentation neuer Romane – zu umgehen. So hebelt er die redaktionelle Weisung aus und nutzt vielmehr seine Position, um sich selbst als Marke zu etablieren, die gleichermaßen für Qualitätsjournalismus und literarisches Expertentum steht.
Provokationsstrategien im Peritext Durch die Wahl von Untertitel und Vorwort schreibt sich Joseph Roth automatisch in die Debatte um die Aushandlung des Standesunterschieds von literarischer und journalistischer Autorschaft ein, die im Kontext der Neuen Sachlichkeit an Fahrt gewinnt. Allerdings muss die Originalität dieser Inszenierungspraktiken im Peritext kritisch und im Kontext des europäischen Nachkriegsromans betrachtet und verortet werden. So kann gezeigt werden, dass das Inszenierungsrepertoire keinesfalls so innovativ ist, wie vermeintlich anzunehmen, aber dennoch eine große Breitenwirkung hatte. Damit konnte die These von Jürgensen und Kaiser bestätigt werden, dass es sich bei den Techniken der Autorschaftsinszenierung zumeist
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Vgl. Niefanger: 2002. Siehe dazu auch Kapitel 1.5. Theoretische Vorüberlegungen und Schlüsselbegriffe.
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um eine »Rekombination« von »Versatzstücke[n] aus dem historischen Archiv etablierter Autorinszenierung« handelt.356 Besonderes Augenmerk kommt in diesem Zusammenhang auch der Herausgeberfiktion zu, die neben der Beteuerung von Authentizität auch dazu dient, im Roman selbst den Namen ›Joseph Roth‹ zu stilisieren. Mit dem intertextuellen Verweis auf die Kompositionstechnik der Lebensansichten des Kater Murr von E.T.A. Hoffmann beruft sich Roth auf die Epoche der Romantik, in der die Inszenierung von Autorschaft zu einem zentralen Anliegen wird. Durch das Auftreten einer gleichnamigen Autorfigur macht sich Roth selbst in der Fiktion einen Namen und festigt seine Autorenmarke.
Erfolg der Inszenierung Die Zusammenschau der Rezensionen zeigt, dass es Joseph Roth geglückt ist, mit Die Flucht ohne Ende ein großes Medienecho zu erzielen, das nicht nur die programmatische Leistung des Romans würdigt, sondern auch der Inszenierungskunst des Romanciers und Journalisten Tribut zollt. Mit diesem empirischen Fundament ist gezeigt, dass es Joseph Roth nachweislich gelingt, mit Hilfe geschickter Provokationsstrategien im Peritext Aufmerksamkeit im Literatur- und Zeitungsbetrieb zu generieren und damit im literarischen Feld zu reüssieren. Er wird von namhaften Zeitungen und Zeitschriften, bekannten wie unbekannten Journalisten und Schriftstellern rezensiert, die bis auf wenige Ausnahmen die Inszenierungskunst des Autors und seines Romans herausstellen. Als besonders wirksame Distinktionsstrategie entpuppt sich die Wahl von Vorwort und Untertitel, in denen er bewusst zentrale Termini der literarischen Diskussion aktiviert und diese engführt. Dass ›dichten‹, ›beobachten‹ und ›berichten‹ darüber hinaus Schlagwörter des neusachlichen Diskurses sind, die bestimmte Erwartungen seitens der Leserschaft hervorrufen, wird dabei deutlich, auch wenn nicht immer explizit eine direkte Verbindung zu dieser Strömung hergestellt wird. Dennoch lässt sich zeigen, dass Joseph Roth durch die Veröffentlichung von Die Flucht ohne Ende mit neusachlichen Autoren und Autorkonzepten, wie dem des Reporters, in Verbindung gebracht wird. Ferner ist auch die innerliterarische Rezeption durch Ernst Glaeser zu nennen, der sich (explizit) zur Vermarktung seines neusachlichen Bestsellers Jahrgang 1902 intertextuell an Roths Peritext anlehnt. In den Rezeptionsorganen wird jedoch weniger die Diskussion um die Anbindung an die Neue Sachlichkeit zum Thema als die Auseinandersetzung mit den Rollenidealen und Autorschaftskonzepten selbst. In Hinblick auf die Einschätzung der Personalunion von Literat und Journalist fallen die Rezeptionszeugnisse ambivalent aus. Zum einen wird Roths journalistische
356 Beide Zitate aus Christoph Jürgensen u. Gerhard Kaiser: Abgrenzung, Re-Kombination, NeuPositionierung. Strategien der Autorinszenierung in der Gegenwartsliteratur. In: Subjektform Autor. Autorschaftsinszenierungen als Praktiken der Subjektivierung, hg. von Sabine Kyora. Bielefeld: 2014, S. 217-245. Hier: S. 222.
2. Professionalisieren: Joseph Roth
Professionalität und die mit ihr verbundenen Schreibkompetenzen als positiv bewertet. Zum anderen wird die These vertreten, dass mit seinem Roman innerhalb des Gesamtwerks eine Zäsur erreicht werde, die einen Qualitätsabfall signalisiere. Zudem werden Stimmen laut, die gerade bezüglich des Werkbegriffs einen Standesunterschied zwischen literarischer und journalistischer Produktion erkennen möchten. Einige Rezensenten weisen auch auf Roths ambivalente Haltung gegenüber der journalistischen Textproduktion hin, die auch im Kapitel 2.1. Institutionelle Voraussetzungen: Die Marke Joseph Roth in nicht öffentlichen Stellungnahmen des Autors bereits erörtert wurde. So sehen einige Rezensenten gerade durch Roths Negation eines auratisierten Autorenideals dieses von ihm affirmiert. Insgesamt lässt sich also anhand des Erfolgs der Inszenierungsstrategien, der Provokationsstrategien im Peritext und der Distinktionsmechanismen im Feuilleton erkennen, dass die Debatte um das Verhältnis von Werk und Autor auch im Falle Roths neu konturiert werden muss. Im Zusammenhang mit der inzwischen beinahe historisch gewordenen Diskussion um die ›Rückkehr des Autors‹357 kann auch im Falle Joseph Roths gezeigt werden, dass eine Verschränkung und Entgrenzung von Werk und Autor zentral für die Autorschaft Joseph Roths zwischen journalistischem und literarischem Schreiben ist.
2.3
Öffentliche Selbstverortung im Feuilleton
Wie im Kontext der Debatte um Die Flucht ohne Ende gezeigt werden konnte, nutzt Joseph Roth die Frankfurter Zeitung, um sich als Marke öffentlich wirksam zu inszenieren. Doch sind solche Kunstgriffe im Publikationsmedium Zeitung für Roth kein Einzelfall: Von Anfang der zwanziger bis in die frühen dreißiger Jahre, in denen sich Roth als Literat und Journalist etabliert, bieten ihm die Frankfurter Zeitung, die Münchner Neuesten Nachrichten sowie zahlreiche kleine Blätter ein Forum, um sich grundlegend mit den Anforderungen und der Leistung von Journalismus und Literatur auseinanderzusetzen. In diesen Zeitungen und Zeitschriften reflektiert er die Veröffentlichungskontexte, Produktionsbedingungen und Arbeitswelten von Journalisten und Literaten, definiert sein Selbstverständnis als Schriftsteller und Journalist, äußert sich zum Standesunterschied von Journalismus und Literatur, analysiert die Qualität journalistischer und literarischer Texte und setzt sich mit Berufsklischees und Rollenerwartungen auseinander. Roth gehört aber nicht zu den Schriftstellern, die sich zusammenhängend zu den Grundsätzen des Schreibens geäußert haben. Er hat weder eine Poetik noch theoretische Schriften dazu verfasst.358 Eine Definition von Journalismus und Literatur sucht man vergebens. 357 Vgl. 1.4 Forschungskontext. 358 Vgl. Aquiar de Melo: 1990, S. 41.
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
Vielmehr müssen diese programmatischen Aussagen aus einer Vielzahl an heterogenen Texten gewonnen werden, die der Autor in Zeitungen und Zeitschriften publiziert. Das folgende Kapitel systematisiert Roths programmatische Reflexionen, erweitert die Analyse von Die Flucht ohne Ende und rundet damit auch die gewonnenen Erkenntnisse aus der Untersuchung der Briefwechsel ab. So sollen im Folgenden ergänzend zu Roths Selbstverortung in privaten Briefen an Stefan Zweig, Benno Reifenberg und Bernhard von Brentano die Stellungnahmen des Schriftstellers zu seiner Autorschaft im Spannungsfeld von Journalismus und Literatur erfasst werden, die er in Zeitungen und Zeitschriften öffentlich äußert. Es wird untersucht, inwiefern Joseph Roth diesen Veröffentlichungskontext gezielt dazu verwendet, sich beispielsweise über die Teilhabe an poetologischen Diskussionen und ästhetischen Debatten der Zeit selbst im Literatur- und Zeitungsbetrieb zu verorten, sich von Kollegen abzugrenzen und sich damit als Marke zu stilisieren. Ziel ist es dabei – auch in Rückgriff auf die Ergebnisse der Analyse der Briefwechsel – zu überprüfen, inwiefern ›private‹ (briefliche) und öffentliche Selbstdarstellung differieren. Ferner soll aufgezeigt werden, welche Entwicklungslinien in diesem Zusammenhang ausgemacht werden können, die Roths Selbstinszenierung kennzeichnen. Im Fokus der Untersuchung stehen dabei Roths Berliner Jahre (etwa 1920 bis 1933), in denen sich der Autor vermehrt programmatisch mit seiner journalistischen und literarischen Tätigkeit auseinandersetzt und auch in beiden Berufsfeldern gleichermaßen tätig ist. Der Schwerpunkt der Analyse liegt insbesondere auf einem relativ kurzen Zeitraum zwischen Oktober 1925 und Februar 1926. In diesen wenigen Monaten ist Roth ortsgebunden an Frankfurt sowie innerredaktionell tätig und lässt in seinen journalistischen Arbeiten vermehrt den redaktionellen Arbeitsalltag als Erfahrungshorizont einfließen. Danach bricht er als ›rasender Reporter‹ ins Ruhrgebiet auf und berichtet fortan aus verschiedenen Städten.359 Die Grundlage der Analyse bildet ein Textkorpus, das von Feuilletons, Umfragen über Rezensionen, thematischen Beiträgen bis hin zu heterogenen, öffentlichen Stellungnahmen (wie beispielsweise Antwortschreiben auf Leserbriefe) reicht. In diesen vielfältigen Textsorten hat sich der »Generalist[]«360 Roth, wie ihn Mathias Uecker auf Grund der thematischen Vielfalt der Sujets und Genres nennt, in unterschiedlichen öffentlichen literarischen wie journalistischen Rollen am Standesunterschied von Journalismus und Literatur abgearbeitet. Diese Rollen bilden das
359 Vgl. Heinz Lunzer: Soma Morgenstern und die Frankfurter Zeitung. In: Soma Morgenstern. Von Galizien ins amerikanische Exil. Soma Morgenstern. De la Galicie à l’éxil américain, hg. von Jacques Lajarrige. Berlin: 2015, S. 151-168. Hier: S. 157-158. Für diesen Hinweis danke ich Heinz Lunzer. 360 Uecker: 2007, S. 362.
2. Professionalisieren: Joseph Roth
heuristische Instrumentarium, um Roths Reflexionen zu seinem Selbstverständnis als Schriftsteller zwischen journalistischer und literarischer Autorschaft zu bündeln. Dabei rücken etablierte journalistische Handlungstypen, wie die des Rezensenten und Kritikers, genauso in den Fokus wie öffentliche Selbstzuschreibungen, zu denen beispielsweise Roths Auftreten als intellektuelle Stimme der Zeit gehört. Zudem beleuchtet das folgende Kapitel Roths Rollenverständnis als freier Autor und Feuilletonist in Auseinandersetzung mit seiner institutionellen Zugehörigkeit zur Frankfurter Zeitung. In diesem Zusammenhang wird Roths Reporterrolle dezidiert nicht analysiert: Im Kontext der öffentlichen Selbstinszenierung nimmt diese in seinem Werk eine Sonderstellung ein. Obwohl die Reportage rein quantitativ betrachtet zweifelsohne den Großteil seiner journalistischen Publikationen ausmacht, ist der Autor heute zuvorderst als Romancier und höchstens allgemeinhin als Journalist bekannt, aber nicht als ›rasender Reporter‹ wie Egon Erwin Kisch. Eine Vielzahl seit dem Jahr 2010 erschienener Anthologien und kommentierter Ausgaben seiner Zeitungsarbeiten weist auf diese Diskrepanz hin.361 Sein journalistisches Werk ist demnach – trotz der Materialfülle seiner Gerichtsreportagen, Figurenstudien und Porträts, Großstadt- und Reisereportagen, die ihn in zahlreiche europäische Länder sowie nach Russland und die Ukraine führen – in seiner Gesamtheit vor allem in Bezug auf die Selbstdarstellung seiner Reporterpersönlichkeit wenig untersucht worden.362 Eine Analyse der Reportagen bleibt ein Desiderat weiterer RothForschungen, die auf Grund der Materialfülle weiteren Roth-Arbeiten überlassen werden muss, die sich schwerpunktmäßig mit der Reporterrolle und der Inszenierung des Berufs auseinandersetzen.
2.3.1
Roth, das intellektuelle Schwergewicht
Wie der Briefwechsel mit dem FZ-Redakteur Benno Reifenberg,363 aber auch die Analyse des Artikels Es lebe der Dichter! gezeigt hat, ist Joseph Roth zum Zeitpunkt der Publikation seines Romans Die Flucht ohne Ende ein etablierter Journalist und Romancier, der sowohl seitens der Leser als auch seitens des Redaktionskollektivs der Frankfurter Zeitung als Marke wahrgenommen wird. So verwundert es nicht,
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Vgl. beispielsweise Roth: 2015 oder Joseph Roth: »Ich zeichne das Gesicht der Zeit«. Essays, Reportagen, Feuilletons, hg. von Helmuth Nürnberger. Göttingen: 2010. 362 Eine Ausnahme bildet dabei insbesondere Thomas Eichers Sammelband, der zumindest exemplarisch motivgeschichtlich und medientheoretisch Roths Reportagen beleuchtet. Vgl. Thomas Eicher: Vorwort. In: Joseph Roth und die Reportage, hg. von Thomas Eicher. Heidelberg: 2010, S. 7-8. 363 Vgl. Kapitel 2.1.5. »Die Frankfurter Zeitung betrachte ich […] als eine Sprungmatratze«: Benno Reifenberg.
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
dass eine der einflussreichsten Literatur- und Kulturzeitungen der Weimarer Republik, Die literarische Welt, auch den Autor im Jahr 1929 an der Rundfrage Die Tagespresse als Erlebnis zu Wort kommen lässt.364 In regelmäßigen Abständen ist die Zeitschrift ein Austragungsort aktueller literarischer Debatten, die durch Rundfragen angeregt werden. Per Brief befragt die Redaktion zumeist Schriftsteller, deren Antworten anschließend unzensiert und unredigiert erscheinen.365 Sie sind das Markenzeichen Der Literarischen Welt, wie sich ihr Initiator und Herausgeber Willy Haas erinnert: Was unsere Leser am liebsten lasen, hatte ich bald heraus: es waren unsere Rundfragen. Ich dachte mir dafür alle möglichen und unmöglichen Themen aus, vor allem unmögliche. Ich erinnere mich, daß ich einmal eine Enquête über die zehn Gebote veranstaltete. Ich fragte, ob man die zehn Gebote nicht neu redigieren sollte, als eine wirkliche, haltbare Grundlage für die gegenwärtige Moral, aber auch für alle neuen Gesetzgebungen. Es ist merkwürdig, wie viele Schriftsteller von großem Namen ich immer wieder für solche Ideen einfing. Zum Beispiel […] G. B. Shaw, dann der kluge Jesuitenpater Muckermann, der führende kommunistische Dichter Johannes R. Becher, der Oberreichsanwalt Ludwig Ebermayer, Kurt Tucholsky, Martin Buber.366 Neben allgemein kulturellen und gesellschaftspolitischen Themen ist in Der Literarischen Welt immer wieder seit Mitte der zwanziger Jahre die Aufwertung journalistischer Genres ein Thema: So wird der Standesunterschied zwischen literarischer und journalistischer Autorschaft breit diskutiert. Ein Beispiel dafür ist die im Jahr 1926 veröffentlichte Rundfrage zum Einfluss der Neuen Sachlichkeit und der Reportage auf die Literatur,367 in der sich namhafte Schriftsteller wie Alfred Döblin, Heinrich Mann oder Max Brod äußern. Dass Joseph Roth nun drei Jahre später unter den Befragten der Rundfrage Die Tagespresse als Erlebnis ist, zeigt, dass der Verfasser von Die Flucht ohne Ende mittlerweile nicht nur innerhalb der Redaktion der Literarischen Welt zu den etablierten Stammautoren gehört, die auf den ersten Seiten veröffentlichen,368 sondern auch als intellektuelles Schwergewicht neben Lion Feuchtwanger, Hermann Kesten oder Oskar Maria Graf gestellt wird, die ebenfalls an der Rundfrage teilnehmen. Diese erstreckt sich über mehrere Nummern im Herbst des Jahres 1929 – ein Jahr, in dem fast in jeder Ausgabe Der literarischen 364 Vgl. Die Tagespresse als Erlebnis. In: Die literarische Welt 39-42 (1929). Die Umfrage erscheint über mehrere Hefte und in den einzelnen Publikationen selbst verstreut. 365 Vgl. Willy Haas: Die literarische Welt. Erinnerungen. München: 1957, S. 169. 366 Ebd., S. 167. 367 Siehe Kapitel 2.1.1. »Ich aber bin […] ein Unikum in der deutschen Literatur!!«: Veröffentlichungskontexte. 368 Vgl. Joseph Roth: Lob der Dummheit. In: Die literarische Welt 39 (1929), S. 3. Dieser Artikel erscheint dort beispielsweise direkt unter der Umfrage selbst an prominenter Stelle.
2. Professionalisieren: Joseph Roth
Welt über den Einfluss des Journalismus auf die Literatur diskutiert wird. Ziel der Rundfrage ist, wie der einleitende redaktionelle Passus ankündigt, »den Wert der Tagespresse«, den »Erlebniswert«, für »besonders feinfühlige[], und moralisch impressionable[] Repräsentanten des Zeitungslesers«, wie die »Dichter« festzustellen.369 Dabei wird den Befragten ein »Experiment«370 vorgeschlagen: Prüfen Sie sich, bitte, ob Sie irgendeine Zeitungsnachricht ganz lebendig, wie irgendein starkes oder gar aufrührendes reales Erlebnis, im Gedächtnis tragen? […] Haben Sie eine solche starke Erinnerung, so möchten wir Sie um Folgendes bitten: Versuchen Sie, diese Erinnerungen zu formen, so, wie sie in Ihrem Kopf vorhanden sind […]. Erzählen Sie uns, bitte, diese Geschichte als Anekdote. Wenn Sie keine derartigen Erinnerungen haben, wollen Sie uns das, bitte, gleichfalls ausdrücklich sagen – denn auch diese negative Äußerung scheint uns ja kulturhistorisch wichtig. Wünschen Sie etwas Grundsätzliches hinzuzufügen, oder möchten Sie unsere Fragestellung überhaupt zur Debatte stellen, so bitten wir Sie gleichfalls um Ihre Äußerung.371 So offen, wie die Fragestellung formuliert ist, so breitgefächert reichen die Antworten von Nacherzählungen entsprechend drastischer Leseeindrücke (zum Beispiel Walter von Molos Schilderung eines Frauenmörders) bis hin zu persönlichen Statements, die den Inspirationswert von Zeitungsartikeln für das eigene Schreiben beurteilen (beispielsweise Walther Harich oder Oskar Maria Graf).372 Nur wenige Autoren äußern sich allgemein über den tatsächlichen »Erlebniswert«373 der Zeitungen und diskutieren, wenn auch nicht explizit von der Redaktion aufgefordert, über die Hierarchie literarischen und journalistischen Schreibens. Unter ihnen sind Lion Feuchtwanger, Hermann Kesten und Joseph Roth.374
Roth in Umfragen: Plädoyer für den Schriftsteller in der Zeitung Wie aufgeladen die Stimmung vor dem Hintergrund der Reportage-Kultur der Neuen Sachlichkeit ist, die laut Hermann Kesten, »den Dichter hofmeistern sollte«375 , lässt sich anhand der Äußerungen dieser drei Autoren zeigen. Während Lion
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Alle Zitate aus Die Tagespresse als Erlebnis. In: Die literarische Welt 39 (1929), S. 3. Ebd., S. 3. Ebd., S. 3. Vgl. ebd., S. 3-4 sowie Die Tagespresse als Erlebnis 40 (1929), S. 4. Die Tagespresse als Erlebnis 39 (1929), S. 3. Vgl. ebd., S. 3 und Die Tagespresse als Erlebnis 40 (1929), S. 4. Die Tagespresse als Erlebnis 41 (1929), S. 7.
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
Feuchtwanger provokant zuspitzt, dass er – müsse er zwischen journalistischen oder literarischen Texten wählen – sich nicht für »dicke abstrakte Wälzer«376 , sondern für die Zeitung auf Grund ihrer informierenden Funktion entscheiden würde, thematisieren sowohl Joseph Roth als auch Hermann Kesten die Perspektiven, die die Zeitungen für Schriftsteller bieten. Dabei stellt Hermann Kesten das institutionelle Korsett, den »journalistischen Achtstundenfixtag[]«377 in Frage, indem er argumentiert, dass der Zeitungsalltag wohl kaum dazu geeignet sei, dem Schriftsteller ein adäquates Arbeitsumfeld zu bieten, das seine Leistungen auch genug würdigen könnte.378 Zu einem anderen Ergebnis kommt Joseph Roth, der gerade in der Mitarbeit der Schriftsteller an Zeitungen eine große Chance für die Institution sieht. Ihm zufolge sei sie sogar auf Schriftsteller angewiesen, da diese die Qualität der Ausgaben steigerten.379
Die Tagespresse als Erlebnis In der Rundfrage selbst inszeniert sich Joseph Roth als kundiger Leser, der auf Grund seiner Doppeltätigkeit als Journalist und Literat besondere Einsichten in den Produktionsalltag der Zeitungen hat. Ähnlich wie Lion Feuchtwanger setzt er dabei am Informationswert der Tagespresse an, deren Zweck es sei, primär neue Informationen aufzubereiten. Diese werden jedoch durch die institutionellen Gegebenheiten entscheidend beeinflusst. Gerade das journalistische Tagesgeschäft mit seinen internen redaktionellen und publikationsbedingten Abläufen birgt ohne die Qualifikation und Sachkenntnis des Journalisten das Risiko, das ursprüngliche Ereignis durch Bearbeitung umzuformen oder sogar zu verfälschen:380 Um also die Wahrheit zu erfahren, versuche ich, alle Unzulänglichkeiten in Betracht zu ziehen, unter denen die Nachricht zustande gekommen sein mag: etwa die Dummheit oder die Ahnungslosigkeit des Berichters beziehungsweise der Korrespondenz, die natürliche Tendenz der Zeitung »interessante«, oder »wichtige« Nachrichten zu bringen […]; die Leichtgläubigkeit eines sorgenvollen, schlecht bezahlten Redakteurs, der auf eine Plumpheit hereinfällt; die Fixigkeit, mit der Setzer und Korrektoren arbeiten müssen und durch die simple Druckfehler entstehen können. Nachdem ich alle diese Begleitumstände wohl überlegt habe, bleibt nur noch wenig von der Zeitungsnachricht beziehungsweise der Notiz.381
376 377 378 379 380 381
Die Tagespresse als Erlebnis 39 (1929), S. 3. Die Tagespresse als Erlebnis 41 (1929), S. 7. Vgl. ebd., S. 7. Vgl. Die Tagespresse als Erlebnis 40 (1929), S. 5. Vgl. ebd., S. 5. Ebd., S. 5.
2. Professionalisieren: Joseph Roth
Indem Joseph Roth hier also den Wahrheitsgehalt und das Objektivitätspostulat der Zeitung anzweifelt, unterläuft er zugleich auch die Intention der eigentlichen Fragestellung, die davon ausgeht, dass durch die Zeitung vermittelte Erlebnisse gerade durch ihre Neutralität die Grundlage für eine schriftstellerische Gestaltung bieten. Ähnlich wie in Es lebe der Dichter! oder in Schluß mit der »Neuen Sachlichkeit«! (siehe Kapitel 2.2.2. Sich selbst verorten: Es lebe der Dichter! und 2.2.4. Provozieren: Die Flucht ohne Ende) kommt Joseph Roth hier folglich zu dem Ergebnis, dass lediglich der Künstler dazu in der Lage sei, einen Sachverhalt so zu bearbeiten, dass er Allgemeingültigkeit für sich beanspruchen dürfe. Damit macht er deutlich, dass Beiträge von Schriftstellern auch dann einen künstlerischen Wert haben, wenn sie in Zeitungen erscheinen: Denn es gibt keine andere Objektivität als eine künstlerische. Sie allein vermag einen Sachverhalt wahrheitsgemäß darzustellen. […] Die Berichterstatter und Korrespondenten sind nun zumeist keine Künstler. […] Die Zeitung von heute ist viel unzuverlässiger als eine private Kunde, als der Läufer von Marathon. Ihr »Stoff« ist meistens derart schlecht verarbeitet, daß ich ihm kein Erlebnis entnehmen kann. Ich kann nur hier und dort ein bereits geformtes Erlebnis in der Zeitung genießen: Ich meine die seltenen Beiträge der seltenen guten Schriftsteller. Und nur dieser Umstand rettet die Zeitung von heute: die Mitarbeit guter Schriftsteller.382 So lässt sich feststellen, dass Joseph Roth die Rundfrage nutzt, um sich generell dafür auszusprechen, dass Schriftsteller einen festen Platz im Zeitungspanorama der Weimarer Republik haben müssen, um deren institutionelle Anerkennung er immer wieder auch selbst im Kontext der Frankfurter Zeitung kämpft. Diesen Platz im Feuilleton gilt es gegenüber anderen Formaten und journalistischen Rollen wie dem »Leitartikler«383 zu verteidigen.
Von Leitartiklern und Berichterstattern: Zwischen Kunst und Tagesgeschäft Bereits im Jahr 1926 plädiert Roth für eine ernsthafte institutionelle Wertschätzung seiner Autorenmarke, deren Kern gerade durch die Personalunion definiert wird.384 So formuliert er gegenüber Reifenberg in einem Brief, dass ein echtes ›Lesererlebnis‹ nur von Schriftstellern in der Zeitung vermittelt werden könne. Damit trage die Mitarbeit von Schriftstellern zur Festigung der Markenbildung der Zeitung insgesamt bei:
382 Ebd., S. 5. Hervorhebung im Original. 383 Roth Briefe (22.04.1926), S. 87. Den inneren Widerstand gegen die Figur des Leitartiklers thematisiert er auch in einem frühen Artikel: Roth: JW, 1, S. 214: »Aus dem Spiegel des Leitartikels lächelt das geschminkte, frisierte, stilisierte Antlitz der Zeit entgegen.« 384 Auf den inhaltlichen Zusammenhang der Umfrage und des Briefs an Reifenberg weist bereits Helmut Stalder hin. Vgl. Stalder: 2003, S. 96-97.
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
Die moderne Zeitung wird gerade von allem andern, nur nicht von der Politik, geformt werden. Die moderne Zeitung braucht den Reporter nötiger, als den Leitartikler. Ich bin nicht eine Zugabe, nicht eine Mehlspeise, sondern eine Hauptmahlzeit. Man möge doch endlich aufhören, zu glauben, daß ein noch so kluger Aufsatz über die Lage in Locarno den Leser fesselt und den Abonnenten gewinnt.385 Was in der Umfrage und in der oben zitierten Briefstelle insbesondere durch die kulinarische Metapher der »Mehlspeise«386 , einem österreichischen Sammelbegriff für diverse Süßigkeiten, anklingt, ist, dass sich Roth sowohl in privaten Briefen als auch in öffentlichen Stellungnahmen immer wieder mit dem Wert seiner schriftstellerischen Marke auseinandersetzt. Dabei argumentiert er ökonomisch über die Abonnentenbindung, aber auch über die Reflexion seiner institutionellen Rolle. Dazu gehört auch die Frage, wie er sich selbst als intellektuelle Stimme der Zeit zwischen journalistischer und literarischer Autorschaft positioniert. So möchte er selbst in der Zeitung nicht als ›hemdsärmeliger Reporter‹ oder »Leitartikler«387 auftreten, sondern vielmehr als ein ›Künstler‹ wahrgenommen werden. Denn wie bereits in der Umfrage deutlich wird, zieht Roth eine klare Trennlinie zwischen Schriftstellern, die für Zeitungen schreiben und von ihm als ›Künstler‹ eingeordnet werden, sowie Berichterstattern, also Journalisten, die über keine dezidiert ›künstlerischen‹ Fähigkeiten verfügen. Im Folgenden soll deshalb analysiert werden, was Joseph Roth dazu veranlasst, immer wieder explizit zu thematisieren, dass es sich bei seiner Tätigkeit für Zeitungen tatsächlich um eine künstlerische Leistung handelt, die weit über das einfache Tagesgeschäft hinausreicht. Dabei soll offengelegt werden, wie Joseph Roth mit dem vermeintlichen Standesunterschied literarischer und journalistischer Autorschaft umgeht und welcher Strategien er sich bedient, eine Hierarchisierung zu unterlaufen.
2.3.2
Roth, der freie Autor
Zentral für das Verständnis von Roths Autorschaft zwischen Journalismus und Literatur ist die Tatsache, dass er selbst nie in einer Festanstellung als FeuilletonRedakteur arbeitete. Obwohl er hier und da in der Funktion eines Redakteurs agiert, bleibt er institutionell ein freier Mitarbeiter, der zwar Honorare bezieht, aber keine Sozialleistungen wie etwa Rentenansprüche oder Krankenleistungen zugesprochen bekommt.388 Aus dieser Perspektive betrachtet, bewegt sich Roths 385 386 387 388
Roth Briefe (22.04.1926), S. 87. Hervorhebung im Original. Ebd., S. 87. Vgl. Die Tagespresse als Erlebnis 40 (1929), S. 5. Vgl. zu den innerredaktionellen Ränkespielen Lunzer: 2015, S. 161: Auch Roths Freund Soma Morgenstern leidet unter heftigen Auseinandersetzungen und mangelnder institutioneller Wertschätzung, wie anhand eines Briefs an Alban Berg im Jahr 1929 deutlich wird: »Vorher
2. Professionalisieren: Joseph Roth
journalistische Autorschaft besonders im Spannungsfeld eines institutionellen Zugehörigkeitsgefühls zu Redaktionen – insbesondere zur Frankfurter Zeitung – und einer selbstorganisierten, freien Tätigkeit. Auffallend ist dabei der öffentliche Umgang mit diesen Ambivalenzen.
»Ich (…) bin kein Redakteur, werde nie einer sein«389 Wie bereits Manfred Rühl in seiner soziologischen Studie über die Zeitungsredaktion als ›organisiertes soziales System‹ herausstellt, ist die Autorität eines Journalisten – und damit auch sein Status im redaktionellen Gefüge – auch mit der von der Redaktion verliehenen »formalen Autorität«390 verbunden. In diesem Kontext kommt dem Implementieren des eigenen Namens – beziehungsweise die hervorgehobene Rolle, die Roth sich selbst sowie seinem Ich-Erzähler in den Artikeln gibt – eine wichtige Funktion innerhalb der Frankfurter Zeitung zu, schließlich kann die Redaktion frei über die Signatur der Artikel verfügen und damit auch über die Autorität der einzelnen Autoren. Dies reicht von einer Anonymisierung des Artikels, dem Signaturkürzel unter dem Beitrag bis hin zur Nennung des vollen Namens am Ende und vor dem Artikel.391 Gerade im Zusammenspiel mit der Exordialrhetorik der FZ-Redaktion versucht Roth mit einer Fokussierung auf seinen Autorennamen – beispielsweise in Es lebe der Dichter! – für das Lesepublikum die Zugehörigkeit zum Redaktionskollektiv zu simulieren.392 hatte ich großen Ärger und Streitereien mit der Zeitung. Ich war in Frankfurt und dort hat es mächtig krach gegeben. Ich hatte die Zeitung schon verlassen gehabt – wir haben uns dann versöhnt. Es ist nicht leicht, bei Zeitungen zu arbeiten, wenn man weiß, was man will; noch schwerer, wenn man weiß was man ist (und die anderen nicht sind!) Näheres darüber gelegentlich mündlich: es ist doch im allgemeinen zu albern.« 389 Roth: JW 3, S. 95. 390 Manfred Rühl: Die Zeitungsredaktion als organisiertes soziales System. Freiburg/Schweiz: 1979, S. 290. 391 Vgl. dazu auch insbesondere die Exordialrhetorik zu Es lebe der Dichter! in der Roths Namen an markanter Stelle vor dem eigentlichen Artikel steht. Vgl. außerdem zur Praxis der Anonymisierung: Todorow: 1988, S. 76. Todorow hat darauf hingewiesen, dass es bis in die 1920er Jahre eine gängige Praxis der FZ-Redaktion ist, Feuilletons anonym zu veröffentlichen. Erst nach dem Ersten Weltkrieg wurden die Autoren zunehmend mit vollem Namen genannt. Wie Lunzer am Beispiel von Soma Morgenstern gezeigt hat, ist die Praxis der Abkürzung durch Initialen noch in den 1920er Jahren ein Machtspiel innerhalb der Redaktion. Vgl. Lunzer: 2015, S. 154. 392 Auch in der Rolle des Rezensenten, die im nächsten Abschnitt im Fokus steht, inszeniert Roth sich als ein stolzes Mitglied des Redaktionskollektivs. Solche Stellungnahmen, die seine Beziehung zur Redaktion nach außen hin festigen sollen, stehen meist am Ende seiner Buchbesprechungen und werden von ihm oft kunstvoll mit einer Schlusspointe verwoben. So zum Beispiel in seinen Rezensionen Das zweite Schatzkästlein und Die Autoren sind mir persönlich bekannt. In beiden Artikeln geht es Roth darum, sich als ein unabhängiger Geist zu inszenieren, der sich weder um redaktionelle, institutionelle oder persönliche Verpflichtungen kümmert,
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
Gänzlich anders präsentiert sich Roth hingegen in einer Stellungnahme, die er im Jahr 1929 in der auflagenstarken Zeitschrift Die Weltbühne veröffentlicht. Der ehemalige Chefredakteur der Satire-Zeitschrift Der Drache, Hans Bauer, bringt einen längst vergessenen Artikel zum Vorschein‹ in dem sich Roth vier Jahre zuvor in Zusammenhang eines Preisausschreibens für den besten deutschen Zeitungsroman negativ über seinen neuen Auftraggeber, die Münchner Neuesten Nachrichten äußert:393 »Als Buße für ihre Existenz und ihr tägliches Erscheinen«394 solle sie jedem Schriftsteller ein Honorar von 100 000 Mark ausstellen. In der Zeitschrift Die Weltbühne wird nicht nur Hans Bauers ironischer Enthüllungsartikel veröffentlicht, in dem er die Doppelmoral und Käuflichkeit seines Kollegen anprangert, sondern auch Roths Stellungnahme, in der er sich von der »subalterne[n] Anschauung, die Institution wäre stärker als der Schriftsteller. (›Er schreibt für…‹, ›er ist bei…‹)«395 distanziert und sich öffentlich dazu bekennt, niemals als Redakteur gearbeitet zu haben. Damit macht er die institutionelle Unabhängigkeit nach außen hin zu einem zentralen Bestandteil seiner Autorschaft. So ist auch sein Antwortschreiben an Bauer als Fazit eines langen Prozesses der Auseinandersetzung mit den institutionellen Gegebenheiten in der Feuilleton-Redaktion der Frankfurter Zeitung zu lesen. Es ist zugleich aber auch ein Bekenntnis seiner künstlerischen Haltung und seiner Suche nach Unabhängigkeit.
»Der fortlaufende Kommentar zur Politik«396 In der Weimarer Republik ist das Feuilleton das Explorationsfeld des Journalismus schlechthin, in dem mit verschiedenen journalistischen Rollen und Darstellungstechniken experimentiert wird. Besonders auf junge Autoren übt das Ressort eine Anziehungskraft aus, da es ihnen die Möglichkeit bietet, das Fundament für eine Karriere als Schriftsteller im Medium der Zeitung zu legen.397 Auffallend ist
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die sein Urteil beeinflussen könnten. Im Falle der Rezension Das zweite Schatzkästlein beteuert Joseph Roth, dass er die Anthologie -cks objektiv bewerten könne, obwohl es sich hierbei um einen Kollegen handle. Auch in Die Autoren sind mir persönlich bekannt geht es um die moralische Frage, ob er – obwohl er mit Manfred Georg und Franz Hessel bestens bekannt ist – trotzdem ihre Werke empfehlen dürfe. Vgl. Roth: JW 2, S. 765-767 und Roth: JW 3, S. 265-267. Vgl. ebd., S. 92-95. Roth: JW 2, S. 320. Roth: JW 3, S. 94. Hervorhebung im Original. Benno Reifenberg: Gewissenhaft. In: Frankfurter Zeitung vom 08.07.1929, Nr. 501. Zitiert nach: Almut Todorow: »Wollten die Eintagsfliegen in den Rang höherer Insekten aufsteigen?« Die Feuilletonkonzeption der Frankfurter Zeitung während der Weimarer Republik im redaktionellen Selbstverständnis. In: DVjS 62 (1988) H. 4, S. 697-740. Hier: S. 735. Vgl. Susanne Scharnowski: »Berlin ist schön, Berlin ist groß«. Feuilletonistische Blicke auf Berlin: Alfred Kerr, Robert Walser, Bernhard von Brentano. In: Weltfabrik Berlin. Eine Metropole als Sujet der Literatur, hg. von Matthias Harder u. Almut Hille. Würzburg: 2006, S. 67-82. Hier: S. 68 sowie Janusz Golec: Wolkenkratzer und Asyle. Joseph Roths Feuilletons über das
2. Professionalisieren: Joseph Roth
jedoch, dass diese Vielfältigkeit auch zu definitorischer Unschärfe führt. So wird unter dem Wort ›Feuilleton‹ (Französisch für ›Blättchen‹) in den 1920er Jahren nicht nur ein Ressort verstanden,398 sondern auch ein Genre, das sich zwischen Literatur und Journalismus bewegt und das an den ›Veröffentlichungskontext Zeitung‹ gebunden ist.399
Unter dem Strich ein prekärer Spielraum Besonders von Interesse ist zunächst mehr als der Genrebegriff, die inhaltliche Gestaltung des Ressorts als medialer Ort von Roths journalistischen Veröffentlichungen. Dieser Publikationskontext ist zunächst durch seine materielle Begrenzung bestimmt, für die nicht nur sinnbildlich der Strich steht, der das Feuilleton von dem Leitartikel und dem Politik- und Wirtschaftsteil der Zeitung trennt.400 Die Feuilletonrubrik wird dabei unter dem Strich auf den ersten Seiten der Zeitung abgedruckt.401 Rein von der äußeren Erscheinung der Zeitung und ihrer »Zweiteilung«402 ist hier bereits ein Wertungsunterschied implementiert, der den Kulturteil der Zeitung als ›artes minores‹ ausweist. Einer solchen formalen Eingrenzung steht jedoch eine inhaltliche Weite der Sujets entgegen, die im Feuilleton der Weimarer Republik durchaus auch politische Themen, wenn auch meist ästhetisch überformt, miteinschließt.403 Damit rückt der programmpolitische Kompass der FZ-Feuilletonredaktion in den Fokus, der eine Öffnung des Kulturressorts zur Politiksparte vorantreibt: Roths Ära bei der Frankfurter Zeitung ist durch die inhaltliche Umstrukturierung im Feuilleton geprägt, die von Benno Reifenberg und Siegfried Kracauer initiiert wird.404 In der von Reifenberg 1929 veröffentlichten Schrift Gewis-
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Berlin der 20er Jahre. In: Joseph Roth – Zur Modernität des Melancholischen Blicks, hg. von Wiebke Amthor u. Hans Richard Brittnacher. Berlin/Boston: 2012, S. 81-90. Hier: S. 81. Vgl. beispielsweise zur Rekonstruktion, Entstehung und Geschichte des Feuilletons Rudolf Stöber: Deutsche Pressegschichte. Einführung, Systematik, Glossar. Konstanz: 2000, S. 183190. Vgl. Hildegard Kernmayer: Judentum im Wiener Feuilleton (1848-1903): Exemplarische Untersuchungen zum literarästhetischen und politischen Diskurs der Moderne. Tübingen: 1998, S. 10-15. Hervorzuheben ist hier insbesondere Kernmayers definitorische Leistung, die verschiedenen semantischen Implikationen des Genres und des Ressorts beispielsweise mit zu Hilfenahme verschiedener Handbücher zu skizzieren, um eine historische Begriffsverortung zu ermöglichen. Vgl. Stöber: 2000, S. 183. Vgl. Lunzer: 2015, S. 153. Ebd., S.153. Vgl. Peter Utz: Zu kurz gekommene Kleinigkeiten. Robert Walser und der Beitrag des Feuilletons zur literarischen Moderne. In: Die kleinen Formen in der Moderne, hg. von Elmar Locher. Innsbruck/Wien/München: 2001, S. 133-165. Hier: S. 144-145. Vgl. Stalder: 2003, S. 99-102 und Todorow: 1988, S. 735-738.
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senhaft, in der er sich zur neuen Programmpolitik äußert, definiert der Feuilletonchef zunächst das Ressort über eine Abgrenzung zu weiteren Sparten der Zeitung: Nachricht und Kommentar machen den politischen Teil einer Zeitung aus. In der Genauigkeit und Vollständigkeit der Nachrichten wird die Grundlage jeder Zeitung zu suchen sein; die Bedeutung eines Blattes aber zeigt sich in dem bündigen und entschiedenen Kommentar, den es seinen Nachrichten zu geben weiß. In dem journalistischen Bezirk, der nach dem heutigen Aufbau der Zeitungen Feuilleton heißt, werden Berichte gegeben; d.h. hier wird ins allgemeine Bewußstein gebracht, wie die Substanzen unserer Gegenwart gelagert sind, nach welchen Absichten sie sich ändern. Die Berichte zeigen den Raum an, in dem überhaupt Politik gemacht werden kann. Das Feuilleton ist der fortlaufende Kommentar zur Politik.405 Mit dieser programmatischen Ansage werden die traditionellen Textsorten des Feuilletons, wie die der Rezension, zurückgedrängt.406 Stattdessen wird im Kontext der Neuen Sachlichkeit die Reportage zum integralen Bestandteil der Artikelsammlung ›unter dem Strich‹. Damit wird auch die Stellung des Reporters aufgewertet.407 Auf diese Weise gestaltet die Feuilleton-Redaktion nicht nur ihr »Selbstbild«408 um. Vielmehr verändert sie mit diesem Kurs aus heutiger Perspektive den Charakter des Ressorts.409 Ungeachtet der Tatsache, dass Roth selbst auch als Reporter in Erscheinung tritt, macht die Veröffentlichung dieser traditionell feuilletonistischen Genres einen beachtlichen Teil seines journalistischen Werks aus. Bereits vier Jahre vor der Veröffentlichung von Gewissenhaft schreibt Roth gegen diese zunehmende Politisierung der Personalführung und des Feuilletons in einem privaten Brief an Reifenberg an. Der Kern seiner Argumentation besteht immer wieder aus dem Hinweis darauf, dass gerade durch das Feuilleton Leser langfristig gebunden werden: Diese identifizierten sich mit den Autoren des Feuilletons, die als schriftstellerische Marke der Zeitung insgesamt zu einer Reputation verhelfen (siehe dazu auch Kapitel 2.2. Zwischen Literatur und Journalismus: Die Flucht ohne Ende).410 Trotzdem bleibe das Feuilleton das Ressort der Zeitung, das mitunter am stärksten unter Umwälzungsprozessen und Legitimationsdruck zu leiden habe. Folglich ist hier inhaltlich ein weiterer Standeskonflikt benannt, der in der Debatte um die Wertigkeit von Literatur und Journalismus
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Reifenberg (08.07.1929). Zitiert nach: Todorow: 1988, S. 735. Hervorhebung im Original. Vgl. Stalder: 2003, S. 100. Vgl. Todorow: 1988, S. 736. Ebd., S. 738. Vgl. ebd., S. 738. Vgl. Briefe (22.04.1926), S. 87. Vgl. dazu auch Utz: 2001, S. 156-157.
2. Professionalisieren: Joseph Roth
ebenfalls mitbedacht werden muss:411 Es geht um den Nutzen und die Leistung des ›traditionellen‹ Feuilletonschreibers innerhalb der Zeitung, der vornehmlich in der Funktion des Rezensenten in Erscheinung tritt und so eine »Unterhalterund Vermittler-Rolle«412 zwischen Literatur, Kultur und Zeitung einnimmt. Damit rücken neben der Definition des Begriffs Feuilleton als Ressort auch die des Genres selbst und der Habitus des Feuilletonschreibers in den Vordergrund.
Selbstexperimente bei Kisch und Roth Die Selbstreflexivität ist ein Kennzeichen des Feuilletondiskurses und des Feuilletons der Weimarer Republik insgesamt.413 So wird hier neben dem inhaltlichen Auftrag des Genres, der stilistischen Gestaltung und dem Publikationsort Zeitung auch der Schreibvorgang selbst zu einem zentralen Thema gemacht.414 Im Folgenden rücken zwei Beiträge in den Vordergrund, die nicht nur die Schreibproduktion reflektieren und problematisieren. Jeweils unter dem Titel Feuilleton veröffentlichen sowohl Joseph Roth als auch Egon Erwin Kisch namensgleiche Artikel, die sich insbesondere mit der Relevanz des Genres und der Leistung des Feuilletonisten auseinandersetzen.415
»Nur keine geistige Anstrengung! Ich will Ihnen lieber ein Feuilleton schreiben«416 Bereits die Titelgebung Feuilleton weist auf die Autoreferenzialität von Kischs und Roths Artikeln hin: Im Ressort Feuilleton veröffentlichen beide Journalisten einen Beitrag, der den Namen des Publikationsorts trägt, in dem er veröffentlicht wird. Sowohl für Kisch als auch für Roth wird diese Technik der Metafiktion somit zum probaten Mittel, stellvertretend für alle Feuilletonschreiber mit Vorurteilen gegenüber ihrem Beruf aufzuräumen, der von kritischen Stimmen als »Unterhaltung, oder noch weniger: Amüsement«417 abgetan wird. Bereits zu Beginn wird der spielerische Charakter der Texte in den Vordergrund gerückt, die inhaltlich ein ähnli-
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Speziell auf die antisemitische Polemik gegenüber dem Genre Feuilleton und ihrer Verfasser wird in diesem Kapitel an späterer Stelle eingegangen. 412 Todorow: 1988, S. 738. 413 Vgl. Christian Jäger u. Erhard Schütz: Städtebilder zwischen Literatur und Journalismus. Wiesbaden: 1999, S. 252-253 sowie Utz: 2001, S. 147-156. 414 Vgl. Jäger u. Schütz: 1999, S. 252. 415 Obwohl es viele autoreferentielle Texte zum Thema Feuilletonschreiben in der Weimarer Republik gibt, die sich für einen Vergleich eignen würden, liegen die Gemeinsamkeiten dieser beiden Artikel bereits durch die Titelgebung und den Aufbau auf der Hand. 416 Egon Erwin Kisch: Feuilleton. In: Egon Erwin Kisch: Gesammelte Werke in Einzelausgaben. Bd. 9: Mein Leben für die Zeitung Teil 1: 1906-1925, hg. von Bodo Uhse u. Gisela Kisch. Berlin/Weimar: 1993, S. 196-200. Hier: S. 197. 417 Roth: JW 1, S. 616.
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
ches Schreibexperiment anstreben. Sowohl Roth als auch Kisch inszenieren den Prozess des Feuilletonschreibens als unmittelbar nachvollziehbares Ereignis für den Leser, das er vom ersten Schritt an – der Bekundung der Schreibabsicht – bis hin zur Bewerkstelligung der Schreibaufgabe mitverfolgen kann. Dieser Schreibprozess dient beiden zugleich auch als Folie, um sich an den Klischees abzuarbeiten, die sowohl mit dem Genre und der Auswahl der Themen als auch mit der Person des Feuilletonisten und seiner gesellschaftlichen wie institutionellen Reputation und Rolle verbunden sind.
»Herr Oberkellner, einen Bogen Papier und Tinte!«418 Auffallend ist, dass beide Artikel auf pragmatischer Ebene eine textexterne Kommunikationssituation aufweisen, die als Gliederungselement fungiert. Der IchErzähler, der sich bereits in den ersten Sätzen als Schriftsteller ausweist, ist gerade im Begriff, ein Feuilleton zu schreiben. Dabei wendet er sich beispielsweise indirekt bei Roth an den fiktiven Adressaten: Denn man darf doch auch auf einer halben Seite einer Zeitung gültige Dinge sagen?! Aus der angeblichen Tatsache, daß der Verfasser dieser halben Seite nur einen kurzen Zeitraum fürs Schreiben gebraucht hat, schließen sie, daß diese halbe Seite Schmierage sei.419 Bei Kisch wird der fiktive Leser sogar immer wieder direkt in der 3. Person Plural angesprochen (zum Beispiel in der Textmitte durch das Honorificum »Sie lächeln!«420 ). Der fiktive Adressat wird in beiden Texten ironisierend als der Prototyp eines befangenen und mit Vorurteilen behafteten Lesers inszeniert, der das Feuilleton bei Kisch für »keine geistige Anstrengung«421 oder bei Roth für »Unterhaltung oder noch weniger: Amüsement«422 hält. Das narrative Spiel entfaltet sich somit im Spannungsfeld von fiktivem und realexistierendem Kommunikationssystem. Dies suggeriert, dass sich sowohl das Schreiben als auch das Lesen des Feuilletons simultan in beiden Texten vollziehen. Dazu gehört beispielsweise auch, dass der Lesevorgang des Feuilletons beider Texte mit einem abrupten Ende des Schreibvorgangs zusammenfällt: Während sich bei Roth der Ich-Erzähler noch die Mühe macht, in einer Schlusspassage zu resümieren, dass es sich bei dem vorliegenden Text um ein Feuilleton handle (»Was hier gesagt wurde, ist auch ›Feuilleton‹.
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Kisch: Feuilleton, S. 196. Ebd., S. 617. Kisch: Feuilleton, S. 197. Ebd., S. 196. Roth: JW 1, S. 616.
2. Professionalisieren: Joseph Roth
Deshalb habe ich das Ganze so genannt[…]«423 ), springt Kischs Erzähler buchstäblich mitten im Satz vom Kaffeehaustisch auf, an dem er bisher geschrieben hat. Er empfängt seine Verabredung, ohne die eigentliche Pointe seines Artikels überhaupt aufgeschrieben zu haben: Dem Gesetz der Analogie folgend, vermute ich, daß die Lüneburger Zuchtanstalt für Heideschnuckenlämmer (jung, vollwollig) einem Mädchenpensionat gleicht. Sicher trippeln sie paarweise auf die Weide und kichern, wenn ein Hammel vorübergeht. Aber das Allerkomischste kommt erst, es findet sich nämlich in… Pardon, da kommt Helene. Sie hat sich etwas verfrüht. Ich muß schließen.424 Doch das abrupte Ende ist nicht das einzige Beispiel für einen spielerischen Umgang mit der Zeitgestaltung sowie dem Lese- und Schreibvorgang, das zu ironischen Brechungen im Text führt. Durch reflexive Einschübe – ein »Monologisieren«425 , wie es Schütz und Jäger in Bezug auf Kischs Text genannt haben – verändert sich beispielsweise das Verhältnis von erzählter Zeit und Erzählzeit: Die Dehnungen unterstreichen in beiden Texten die ironische Haltung der Autoren, mehr als einen ›gewichtigen‹ Inhalt. Weiter verstehen sie es, die Schreibaufgabe zum Gegenstand zu machen. Durch die minutiöse Schilderung der Vorbereitung des Schreibaktes lenkt Kischs Erzähler immer weiter von der Themenfindung ab: Ich sitze im Kaffeehaus und warte auf Helene. […] Was fange ich an? Zeitungen lesen? Nein, es ist zu heiß. Nur keine geistige Anstrengung! Ich will Ihnen lieber ein Feuilleton schreiben. Herr Oberkellner, einen Bogen Papier und Tinte! Danke. So, da hätte ich also das Werkzeug. Ich weiß bloß nicht, worüber ich schreiben soll. Ich werde jedenfalls als Titel das Wort »Feuilleton« hinschreiben. Das paßt immer. Hab schon. Jetzt werde ich aufschreiben, daß ich im Kaffeehaus sitze, auf Helene warte, mich zu einem Feuilleton entschlossen, beim Kellner Papier bestellt und den Titel »Feuilleton« auf das Blatt gesetzt habe – kurz, all das, was der Leser in den sechzehn ersten Zeilen dieses Artikels gefunden hat. Ich halte jetzt in der Beschreibung meiner Arbeitsleistung bei den beiden Schlußworten »Hab schon« des vorigen Absatzes.426 Im ersten Teil des Zitats wird der Schreibprozess mental formuliert, geplant und ausgeführt. Die Wahl der Zeitformen – Präsens und Futur I – unterstreichen die Unmittelbarkeit des Schreibvollzugs, der parallel zum Lesevorgang des fiktiven und
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Ebd., S. 619. Kisch: Feuilleton, S. 200. Jäger u. Schütz: 1999, S. 281-282. Kisch: Feuilleton, S. 196.
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real existierenden Lesers im Text inszeniert wird.427 Das Perfekt im darauffolgenden zweiten Passus stellt den Schreibvorgang als abgeschlossen dar, der schließlich reflektiert und bewertet wird.428 Durch die Wiederholung zum Teil wörtlicher Textbausteine wirkt der Erzählvorgang insgesamt entschleunigt, da so zusätzlich Redundanz geschaffen wird. Die ironische Erzählhaltung wird somit durch die Wahl der Tempora ebenso unterstrichen wie durch die Dehnung. Auf diese Weise wirkt das Feuilletonschreiben als ein zufälliger Akt des Schreibens ›über alles und nichts‹, den man nebenher aus dem Ärmel geschüttelt im Kaffeehaus vollziehen kann.
Ein ernsthaftes Metier Nicht zufällig platziert Kisch seinen Journalisten-Erzähler in eben so einer Lokalität: So gilt das Kaffeehaus spätestens seit Karls Kraus’ Artikel in der Wiener Rundschau als das Symptom einer »demolirte[n] Literatur«429 und Zeichen der einstigen kulturellen Blüte Wiens um die Jahrhundertwende. Am Beispiel des 1897 abgerissenen Café Griensteidl macht Kraus in satirischer Zuspitzung das Kaffeehaus zum Ort verhinderter Literaten und die Kaffeehausrunde zum Synonym für Unproduktivität, Müßiggang und Prokrastination: Über den vielen Kaffeehaussitzungen, die zum Zwecke einer endgiltigen Formulirung des Begriffes »Künstlermensch« abgehalten wurden, sind so manche dieser Schriftsteller nicht zur Production gekommen. Bevor man sich nicht über eine Definition geeinigt hatte, wollte sich keiner an die Arbeit trauen, und manche hatten sich längst als Stammgäste einen Namen gemacht, bevor sie dazu kamen, sich ihn durch ihre Werke zu verscherzen. Griensteidl ist nun einmal der Sammelpunkt von Leuten, die ihre Fähigkeiten zersplittern wollen, und man darf sich über die Unfruchtbarkeit von Talenten nicht wundern, welche so dicht an einem Kaffeehaustisch beisammen sitzen, daß sie einander gegenseitig an der Entfaltung hindern.430 Was hier anklingt, sind die negativen Klischees, die mit der Institution des Kaffeehauses und seiner »nomadenhaften Häuslichkeit«431 , wie Karl Kraus die dortige Atmosphäre beschreibt, verbunden sind.432 Das Kaffeehaus fungiert dabei als sozialer 427 Vgl. Jäger u. Schütz: 1999, S. 282-283. 428 Vgl. ebd., S. 282-283. 429 Vgl. dazu den gleichnamigen Titel von Kraus‹ Schrift: Karl Kraus: Die demolirte Literatur. In: Karl Kraus Heine und die Folgen. Schriften zur Literatur, hg. u. kommentiert von Christian Wagenknecht u. Eva Willms. Göttingen: 2014, S. 7-32. 430 Ebd., S. 17. 431 Andrea Portenkirchner: Die Einsamkeit am »Fensterplatz« zur Welt. Das literarische Kaffeehaus in Wien 1890-1950. In: Literarische Kaffeehäuser. Kaffeehausliteraten, hg. von Michael Rössner. Wien/Köln/Weimar: 1999, S. 31-65. Hier: S. 34. 432 Vgl. ebd., S. 34.
2. Professionalisieren: Joseph Roth
Knotenpunkt der Künstlerbohème, der (freien) Journalisten und Literaten, die dort ihren antibürgerlichen Lebenswandel pflegen.433 Somit wird der Begriff der ›Kaffeehausliteratur‹, wie Michael Rössner herausgearbeitet hat, auch als verunglimpfender Ausdruck für die Texte verwendet, deren Produktionsbedingungen an den Ort des Kaffeehauses gebunden sind.434 Indem Kisch den Erzähler-Journalisten in einem Kaffeehaus ein Feuilleton schreiben lässt, verfolgt er die Intention, genau diese Vorurteile offensiv vorzuführen. Dazu gehört beispielsweise auch, dass Kisch vor allem das ausgiebige Zeitungslesen des Ich-Erzählers zum Hauptgegenstand des Feuilletons macht. Dieser legitimiert die Betrachtung der Titelseite sowie das ausführliche Studium des Anzeigenteils samt Stellenangeboten, indem er vorgibt, auf Themenfindung zu sein: Vor mir liegt irgendeine Zeitung, die mein Vorgänger an diesem Tische gelesen und liegengelassen hat. Welches Blatt es ist, weiß ich nicht, denn es liegt auf dem Kopf. Und umdrehen werde ich die Zeitung nicht, dazu bin ich viel zu faul. Ich sehe also nur die Inseratenseite. Darauf sind einige Pferde abgebildet, ein Schwein und eine Dreschmaschine. Hm, ich weiß schon, welche Zeitung das ist: die »Deutsche Tageszeitung« aus Berlin. […] Sie lächeln! Sie glauben natürlich, daß das eine faule Ausrede, eine ausredende Faulheit ist, damit ich das Blatt nicht umwenden muß. Sie irren; für meine Leser ist mir keine Unbequemlichkeit zuviel. Aber Inserate sind wirklich immer anregender als der Text.435 So sorgen die minutiöse Schilderung der einzelnen Vorgänge beim Zeitungslesen, die Dehnung des Erzählvorgangs und die Ansprache des fiktiven Lesers aus wirkungsästhetischer Perspektive für ironische Distanz. Es lässt sich also anhand von Kischs Text aufzeigen, dass die Klischees, die mit dem Genre und seinen Verfassern verbunden sind, zwar vorgeführt werden, jedoch durch das narrative Vexierspiel und den einfallsreichen Aufbau wieder als solche entlarvt werden.
Kraus und die Folgen Ähnliches wie für Kischs Text gilt auch für die Gestaltung von Roths Artikel Feuilleton: Der Journalisten-Protagonist verfolgt durch das ›Abschweifen‹ die Intention, nebenbei einen Einblick in die Geschichte des Feuilletons zu geben. Die Aneinanderreihung von Anekdoten über das Genre und seine Kritik werden zum zentralen
433 Vgl. ebd., S. 60. 434 Vgl. Michael Rössner: Einleitung. Wo man Literatur schreiben, lesen, hören, kritisieren und wiederschreiben kann. Das Kaffeehaus als Ort literarischer Produktion und Rezeption zwischen 1890 und 1950 in Europa. In: Literarische Kaffeehäuser. Kaffeehausliteraten, hg. von Michael Rössner. Wien/Köln/Weimar: 1999, S. 13-28. Hier: S. 13-15. 435 Kisch: Feuilleton, S. 197. Hervorhebung im Original.
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Gegenstand von Roths Artikel. Bereits zu Beginn macht dieser die Absicht deutlich, das Feuilleton von seinem schlechten Ruf zu rehabilitieren: Die Vollbartmänner, die Ernstlinge und Würderiche geringschätzen das Feuilleton. Ich könnte jetzt wunderbare Seifenblasen schreiben; wahre Regenbogenblasen. Aber nur die Frauen und Kinder Gebliebenen würden sich daran freuen. Die Männer dagegen behaupten, sich lediglich mit ewigen Dingen zu beschäftigen.436 Das Bild der bunt schillernden Seifenblase fasst die Vorurteile zusammen, die mit dem Genre Feuilleton verbunden sind. So erinnert die Seifenblase in ihrer fragilen Beschaffenheit, jeden Moment zerplatzen zu können, auf der einen Seite an die Vergänglichkeit tagesaktueller journalistischer Texte. Auf der anderen Seite symbolisiert sie die kindliche, fast spielerische Faszination für schillernde Gegenstände, die von Erwachsenen als albern und substanzlos abgetan werden. Damit ist ein weiteres Klischee assoziiert, das mit dem Feuilleton verbunden ist: Es wird nicht als ein ernsthaftes Metier verstanden, das gesamtgesellschaftlich betrachtet Relevanz für sich beanspruchen dürfe. Folglich scheint der Feuilletonist bei der Verhandlung bürgerlicher Rollenideale außen vor zu sein. Er fügt sich nicht in die Reihe Berufstätiger, die gesellschaftskonform bürgerliche Tugenden vertreten.437 Diesem Vorurteil – das Feuilleton sei nichts für bürgerliche Männer – stellt Roth eine Aufzählung möglichst absurder Interessensgebiete aus Wirtschaft, Politik, Kultur und Naturwissenschaft gegenüber, die aber durchaus mit dem bürgerlichen Männerideal vereinbart werden könnten: Als da sind: Handel mit Strumpf- und Wirkwaren, Aufkaufen brüchiger Asbestplatten, Füllfederpatente, Pappendeckelherstellung; oder Politik, Friedensverträge zum Beispiel, und internationale Handelsverträge; oder: Wissenschaft, Umlaute im König-Rother-Lied, Permutationen und Zusätze zu Einsteins Relativitätstheorie.438 Hier geht seine Kritik am Feuilletonverdruss also weit über die Kischs hinaus, in der vor allem die Themenfindung und inhaltliche Gestaltung sowie der Schreibakt selbst ad absurdum geführt werden. Roth schreibt hingegen wesentlich expliziter gegen das Klischee an, das Feuilletonschreiben kollidiere mit dem bürgerlichmännlichen Selbstverständnis. Für diesen Prototyp des dünkelhaften Lesers fungiere das Feuilleton höchstens als »Kulturtünche« und »gelebte Schminke«, die man in Gesellschaft zur Schau tragen könne.439 So entlarvt Roth das Vorurteil,
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Roth: JW 1, S. 616. Vgl. Kernmayer: 1998, S. 28. Roth: JW 1, S. 616. Beide Zitate aus ebd., S. 616.
2. Professionalisieren: Joseph Roth
dass Feuilletonschreiben weder eine bürgerliche Kunst noch ein ernstzunehmender bürgerlicher Beruf sei. Dabei spielt er mit Sicherheit auch implizit auf die antisemitischen Vorurteile gegenüber dem Journalisten und insbesondere dem Feuilletonschreiber an: Gerade im Kontext der Assimilation und jüdischen Emanzipation, die die »bürgerliche Gleichstellung«440 von Juden intendiert, kommt dem Feuilleton als publizistisches Genre eine wichtige Funktion zu, deren Gründungsväter – Heinrich Heine und Ludwig Börne – wie Joseph Roth und Egon Erwin Kisch Juden sind.441 Vor diesem Kontext lässt sich auch der Verweis auf die Figur Heines und die Heinerezeption deuten: Die Leute sagen: Heine hat das Feuilletonunheil in die Welt gebracht. Heines Reisebriefe sind aber nicht nur amüsant, sondern eine künstlerisch große Leistung und somit eine ethische. Der entartete Homo sapiens hätte zehn Jahre die Pariser verschiedenen Statistiken studiert und dann ein langweiliges, also unmoralisches Buch geschrieben. Heine hat vielleicht kleine Tatsachen umgelogen, aber er sah eben die Tatsachen so, wie sie sein sollten. Denn sein Auge bestand nicht nur aus optischem Instrument und Sehsträngen. Wenn das »bürgerlich« ist, so ist »bürgerlich« sehr ethisch. Dann lebe das Bürgertum! Herodot, der Feuilletonist des Altertums, war auch ein Bourgeois? Das Unglück in der Welt kommt von den Kothurn-Pathetikern, den Predigern und Entrüsteten. Sie wissen, was sie wissen. Der Gebrauch eines neuartigen Pronomens ist ihnen Sünde. Denn sie haben Grammatik gelernt. Sie wandern gemessen durchs Leben und trotten hinter ihrer Zukunft einher wie hinter dem eigenen Leichenkondukt. Ihre Häupter wallen. (Merkwürdigerweise berufen Sie sich auf Karl Kraus, den Stilmenschen, der die Gattung verantwortlich macht für die Feuilletonschreiber.)442 Worauf der Autor hier anspielt, ist die Polemik gegen das Feuilleton,443 den ›Feuilletonismus‹, den Karl Kraus – trotz seiner jüdischen Herkunft – als jüdisch-französisches Phänomen und in Heine und die Folgen als negativen Topos deklariert.444 440 Eva Edelmann: Feuilleton. In: Enzyklopädie jüdischer Geschichte und Kultur. Bd. 2: Co-Ha, hg. von Dan Diner. Stuttgart/Weimar: 2014, S. 335-338. Hier: S. 335. 441 Ebd., S. 336. 442 Roth: JW 1, S. 617. Hervorhebung im Original. 443 Vgl. zur Bedeutung der antisemitischen Polemik für Heines Werk und Wirken Joseph A. Kruse: Heine und die Folgen. Stuttgart: 2016, S. 12-24. 444 Vgl. Kernmayer: 1998, S. 34-35: Wie Hildegard Kernmayser gezeigt hat, ist Kraus‹ antisemitische Polemik »Ausdruck von dessen krisenhafter jüdischen Identität, die sich vor allem im intensiven Bemühen, die eigene Assimilation als ›authentisch‹ darzustellen« zeige. Hierin manifestiere sich »die Furcht, mit dem Juden ›Heine‹ verglichen zu werden«.
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Diese Schrift, die zunächst als Lesung, später als Broschüre und schließlich in der von Kraus gegründeten und herausgegebenen Satire-Zeitschrift Die Fackel veröffentlicht wird,445 gehört bis heute zu den kontrovers diskutierten Publikationen des Journalisten.446 Im Zentrum steht die Dekonstruktion der Figur Heines sowie eine allgemeine Pressekritik, die, wie sich auch anhand der Rezeption des Textes durch Walter Benjamin oder Theodor Wiesengrund Adorno zeigt, auch in der Weimarer Republik nicht an Aktualität verliert.447 Joseph Roth stellt einen expliziten Zusammenhang im oben zitierten Text Feuilleton zu Kraus’ Polemik her, indem er sowohl diesen als auch Heine namentlich nennt. Wie Dietmar Goltschnigg gezeigt hat, verurteilt Kraus in seiner Streitschrift die ›Journaille‹ und insbesondere das Feuilleton nicht nur scharf. Darüber hinaus bedient er sich bei seiner Feuilletonkritik antisemitischer Argumentationsmuster.448 So bezeichnet Kraus das Feuilleton als minderwertige Kunstform und spricht den Verfassern feuilletonistischer Texte jegliche Professionalität ab:449 Ein Feuilleton schreiben heißt auf einer Glatze Locken drehen; aber diese Locken gefallen dem Publikum besser als eine Löwenmähne der Gedanken. Esprit und Grazie, die gewiß dazu gehört haben, auf den Trick zu kommen und ihn zu handhaben, gibt er selbsttätig weiter. Mit leichter Hand hat Heine das Tor dieser furcht-
445 Vgl. Ruth Esterhammer: Kraus über Heine: Mechanismen des literarturkritischen Diskurses im 19. und 20. Jahrhundert. Würzburg: 2005, S. 1. 446 Vgl. ebd., S. 1-4. 447 Vgl. ebd., S. 30-34. 448 Vgl. Karl Kraus: Heine und die Folgen. In: Karl Kraus Heine und die Folgen. Schriften zur Literatur, hg. u. kommentiert von Christian Wagenknecht u. Eva Willms. Göttingen: 2014, S. 77-114. Hier: S. 86: Die Einführung sprechender Namen wie ›Itzig Witzig‹ (ursprünglich eine Figur aus Gustav Freytags Roman Soll und Haben; ›Itzig‹ wird darauf als Schmähname rezipiert) für jüdische Protagonisten in Kraus‹ Text oder auf Judenwitze sind nur einige Beispiel für die antisemitischen Topoi. Vgl. zur Genese der Schimpfwörter auch Christian Wagenknecht u. Eva Willms: Anmerkungen zu Heine und die Folgen. In: Karl Kraus: Heine und die Folgen. Schriften zur Literatur, hg. u. kommentiert von Christian Wagenknecht u. Eva Willms. Göttingen: 2014, S. 359-371. Hier: S. 363-364. Vgl. außerdem ausführlich Dietmar Goltschnigg: Die Fackel ins Wunde Herz. Kraus über Heine. Eine »Erledigung«? Texte, Analysen, Kommentar. Wien: 2000, S. 81-84 sowie Dietmar Goltschnigg: »Heine und die Folgen«. Argumentationsstrategien des antisemitischen Diskurses in der Wiener Moderne am Beispiel von Karl Kraus. In: XVIII Simposio Internazionale di Studi-Tedeschi: Heinrich Heine (1797-1856) nel II centenario della nascita (XVIII. Internationales Symposium Deutsch-Italienischer Studien), hg. von Dario Barbieri u. Stefanie Golisch. Merano: 1997, S. 63-95. Hier: S. 72-75 sowie 81-84. Vgl. dazu auch Kernmayer: 1998, S. 34. 449 Vgl. Edelmann: 2014, S. 337-338. Vgl. Kraus: Heine und die Folgen, S. 201: »Darum verlangt die Pietät des Journalismus, daß heute in jeder Redaktion mindestens eine Wanze aus Heines Matratzengruft gehalten wird.«
2. Professionalisieren: Joseph Roth
baren Entwicklung aufgestoßen, und der Zauberer, der der Unbegabung zum Talent verhalf, steht gewiß nicht allzuhoch über der Entwicklung.450 Der Akt des Feuilletonschreibens selbst wird hier karikiert und als ›Nichtstun‹ und Nonsens abgetan. Doch die Figur Heines wird nicht nur dafür instrumentalisiert, das Genre insgesamt etabliert zu haben. Vor dem Hintergrund des erstarkenden europäischen Nationalgefühls und den Ressentiments gegenüber Frankreich macht Kraus Heine, der in Paris einen Großteil seines Lebens verbracht hat, zudem für den Einfluss der französischen Sprache auf das Deutsche verantwortlich.451 Anhand dieses Bezugs wird deutlich, dass Joseph Roth explizit auf die Stereotypen verweist, die in Heine und die Folgen entworfen werden. Wie Kisch macht Roth darauf aufmerksam, dass dem Journalisten-Beruf eine mangelnde Wertschätzung institutionell wie gesellschaftlich entgegengebracht wird. Indem beide die Seriosität und letztlich die ›Bürgerlichkeit‹ des Berufs betonen möchten, spielen sie auf gesellschaftliche Klischees an und entkräften sie. Dies gilt insbesondere für das Metier des Feuilletonisten, der seit Heine zur Zielscheibe intellektueller populistischer Kräfte wird. Diese Vorurteile werden unter den Nationalsozialisten zugespitzt, die das Feuilleton schließlich als ein »in besonderem Maße jüdisches Genre«452 stigmatisieren. Inwieweit Roth für die Rehabilitierung seines Berufsstandes eintritt und gegen bürgerliche Ressentiments anschreibt, wird im folgenden Kapitel analysiert.
2.3.3
Roth, der Rezensent und Kritiker
Wie bereits in Kapitel 2.1.1. »Ich aber bin […] ein Unikum in der deutschen Literatur!!«: Veröffentlichungskontexte gezeigt werden konnte, ist die Verhandlung des Standesunterschieds journalistischer und literarischer Autorschaft ein Topos, der für die Diskussion des Selbstverständnisses der Schriftsteller und Journalisten in der Weimarer Republik von besonderer Relevanz ist. Meist tritt Roth in dieser Debatte als Rezensent auf. Obwohl die Thematik unmittelbar seine Reputation als Journalist wie als Romancier betrifft, ermöglicht diese journalistische Rolle ihm, eine größtmögliche Distanz aufzubauen, ohne dabei auszuschließen, auch bei Bedarf persönlich Stellung beziehen zu können. So gelingt es ihm, bei der Debatte auch strategisch und öffentlichkeitswirksam an seiner Markenbildung zu arbeiten.
450 Kraus: Heine und die Folgen, S. 81. Vgl. außerdem zur Provenienz der Metapher der Glatze: Esterhammer: 2005, S. 229-231. 451 Vgl. Kraus: Heine und die Folgen, S. 79: »Wenn man einem deutschen Autor nachsagt, er müsse bei den Franzosen in die Schule gegangen sein, so ist es erst dann das Höchste Lob, wenn es nicht wahr ist.« Vgl. zur Franzosenkritik auch Kernmayer: 1998, S. 34. 452 Edelmann: 2014, S. 338.
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
Der Austragungsort der Debatte um den Standesunterschied von Literatur und Journalismus ist unter anderem das Feuilleton der Frankfurter Zeitung unter der Leitung Benno Reifenbergs.453 Wie wichtig der Redaktion diese Auseinandersetzung ist, lässt sich anhand vieler Beiträge demonstrieren. Wie Almut Todorow bereits gezeigt hat, befassen sich diese sowohl mit der Konsolidierung der Aufwertung einer literarischen gegenüber einer journalistischen Tätigkeit als auch mit der Rehabilitierung des journalistischen Berufsstandes.454 Sie sind als Zeugnisse zu verstehen, die sich mit der allgemeinen Ausrichtung, Zukunft und Leistung der publizistisch tätigen Intellektuellen in der Weimarer Republik auseinandersetzen.455 In diese Debatte fallen zwei exemplarische Diskussionsbeiträge, die unterschiedlicher nicht hätten ausfallen können: Bernhard Diebolds Beitrag Essays: Vergleichungen und Joseph Roths Feuilleton Einbruch der Journalisten in die Nachwelt, die im Abstand weniger Monate im September und im Dezember des Jahres 1925 in der FZ gedruckt werden.456 Dabei liest sich Roths Artikel wie ein Antwortschreiben auf die Ausführungen des Theaterkritikers und FZ-Redakteurs Diebold, der am Wertungsunterschied zwischen Journalist und Literat weiterhin festhält. Am Beispiel Alfred Kerrs kritisiert er den »Anspruch« des Journalisten »auf Künstlerrang«, da dieser nicht »im Angesicht des Ewigen«457 schreibe.458 Roth hingegen thematisiert den Standesunterschied literarischer und journalistischer Autorschaft, um den Journalistenberuf endgültig aufzuwerten. Mit dieser Strategie grenzt er sich nicht nur von Kollegen innerhalb der Redaktion ab, sondern schärft auch nach außen, für den Leser sichtbar, sein Marken-Profil als journalistisch tätiger Romancier. Somit tritt er öffentlich für die Etablierung einer Autorschaft ein, die journalistische Texte als integralen Bestandteil des Werkverständnisses auffasst.
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Vgl. Todorow: 1988, S. 729-730. Vgl. ebd., S. 731. Vgl. ebd., S. 729-731. Vgl. ebd., S. 731. Alle Zitate aus Bernhard Diebold: Essays: Vergleichungen. In: Frankfurter Zeitung vom 29.09.1925, Nr. 724. Zitiert nach: Almut Todorow: »Wollten die Eintagsfliegen in den Rang höherer Insekten aufsteigen?« Die Feuilletonkonzeption der Frankfurter Zeitung während der Weimarer Republik im redaktionellen Selbstverständnis. In: DVjS 62 (1988) H. 4, S. 697-740. Hier: S. 729. Vgl. dazu außerdem Todorow: 1988, S. 731. 458 Diebold ist, wie Helmut Stadler gezeigt hat, nicht der einzige Repräsentant dieser Haltung im Feuilleton der Frankfurter Zeitung. Auch Rudolf Geck tritt für ein Hierarchiegefälle zwischen Journalistik und Literatur ein. Vgl. Stalder: 2003, S. 93.
2. Professionalisieren: Joseph Roth
Von »Eintagsfliegen« und »höhere(n) Insekten«:459 Über den Unterschied journalistischer und literarischer Autorschaft Mehr noch als die kollegiale, feuilletoninterne Diskussion, werden zwei Neuerscheinungen zum Anlass von Roths Stellungnahme: Egon Erwin Kisch publiziert die Reportage-Sammlung Hetzjagd durch die Zeit im selben Jahr wie auch Alfred Polgar seine Anthologie An den Rand geschrieben. Mit der Veröffentlichung tagesaktueller Texte in Buchform erheben beide Schriftsteller implizit einen Anspruch auf ein neues Werkverständnis journalistischer Artikel, das in konservativen Kreisen für Kritik sorgt. Diese Kontroverse veranlasst schließlich Polgar dazu, seinen zweiten Band Orchester von oben zu nennen, um nicht schon im Titel eine Abwertung der ›kleinen Form‹ zu suggerieren: Mein Buch: An den Rand geschrieben, kleine Erzählungen und Studien, hat sehr nachsichtige Beurteiler gefunden. Doch war der Titel nicht glücklich gewählt. Er regte manche an, aus der Bescheidenheit des Namens, den das Buch führt, auf Bescheidenheit des Inhalts zu schließen, andere wieder brachte er auf den zierlichen Einfall, daß meine Literatur, schriebe ich sie an den Rand, eben dort stünde, wo sie hingehört. Mit dem Schlagwort, das den Lesern der Titel in die Hand gab, schlugen sie mich, und das Stichwort, das er ihnen brachte, versetzten sie mir. Auch kamen, von der Wendung »an den Rand geschrieben« herbeigelockt, viele kränkende Assoziationen zugelaufen, wie: unscheinbar, nebensächlich, fern vom Kern […]. Kurz, es lebte sich kritisch, auf meine Kosten, bequem vom Rand in den Mund; und ich lernte es sehr bedauern, daß ich dem Rat guter Freunde nicht gefolgt und mein Buch nicht Die silberne Glocke oder Gewölk im Südsüdnord oder schlechtweg Silpelith rudert über die Erlen betitelt habe. Durch Erfahrung gebeugt aber auch gewitzigt, nenne ich den hier vorliegenden zweiten Band: Orchester von oben. Da kann mir keiner was tun.460 Ähnlich humorvoll wie Polgar geht auch Joseph Roth mit konservativen Ressentiments um, die darauf abzielen, die Wertehierarchie zwischen Journalismus und Literatur konsequent aufrechtzuerhalten. In Einbruch der Journalisten in die Nachwelt argumentiert Roth, dass eine Dichotomisierung von Journalismus und Literatur letztlich nur von außen an die Texte und ihre Urheber herangetragen werde. Sie diene als Legitimierungsstrategie eines konservativen und akademisierten Kunstverständnisses, das insbesondere auch vor Kollegen nicht haltmache: Wenn deutsche Journalisten Bücher schreiben, bedürfen sie beinahe einer Entschuldigung. Wie kamen sie dazu? Wollen die Eintagsfliegen in den Rang höherer 459 Roth: JW 2, S. 519. 460 Alfred Polgar: Die kleine Form. (Quasi ein Vorwort). In: Alfred Polgar: Kleine Schriften. Bd. 3, hg. von Marcel Reich-Ranicki in Zusammenarbeit mit Ulrich Weinzierl. Reinbek bei Hamburg: 1984, S. 369-373. Hier: S. 369-370. Hervorhebung im Original.
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
Insekten aufsteigen? Wollen sie, die dem Tag angehören, in die Ewigkeit eingehen? Professoren und Kritiker säumen den Weg, der in die Nachwelt führt. Dichter, die gleichsam schon von Geburt eingebunden waren, wollen manchmal eine genaue Grenze zwischen Journalistik und Literatur ziehen und im Reich der Ewigkeiten, den Numerus clausus für »Tagesschriftsteller« einführen.461 Für Roth ist also mehr als die Kürze der ›kleinen Form‹, die Polgar als zentrale Angriffsfläche seines Sammelbandes anführt,462 die Kategorie der Aktualität entscheidend, die auch heute noch aus systemtheoretischer Perspektive in der Journalismus- und Zeitungsforschung als eine der zentralen Leitdifferenzen zur Unterscheidung von journalistischen und literarischen Texten angeführt wird.463 In beiden Texten zielen sowohl Polgar als auch Roth darauf ab, dass sowohl die Kürze der Form als auch das Aktualitätsprimat – jenseits der neusachlichen Mode – notwendige und fortschrittliche Errungenschaften des Journalismus seien, auf die auch die Literatur einen Geltungsanspruch erheben sollte.464
»Große Wahrheiten werden an den Rand geschrieben«465 Mehr noch als die Frage nach Aktualität und Textlänge ist die nach dem Zusammenhang von Materialität und Lesererwartung entscheidend, um den eigentlichen Provokationsgestus von Kisch und Polgar nachvollziehen zu können. Indem die beiden ihre journalistischen und feuilletonistischen Beiträge aus dem gewohnten Publikationskontext herauslösen und sie im Gewand des bürgerlich etablierten Mediums Buch präsentieren, befeuern sie die Diskussion um den Wert von literarischer und journalistischer Autorschaft. Diese greift Roth in seinem Artikel Einbruch der Journalisten in die Nachwelt auf. Das Zeitungspapier hat Alfred Polgar und Egon Erwin Kisch viel mehr zu verdanken, als Honorare abzahlen können. Was Polgar, dem eigenen Trieb gehorchend, »an den Rand« der Zeit geschrieben hat, war, auf Befehl der Not, unter dem Strich der Zeitung gedruckt. Das Tempo einer Hetzjagd durch die Zeit, die Kisch ausführt, bestimmt nicht die Flüchtigkeit seiner Beobachtung und nicht die kurze Dauer seiner Feststellungen.466
461 Roth: JW 2, S. 519. Hervorhebung im Original. 462 Vgl. zum Topos der feuilletonistischen Kürze bei Polgar Ulrich Stalder: Kleines Kunstwerk, kleines Buch und kleine Form. Kürze bei Lichtenberg, Novalis und Friedrich Schlegel. In: Die kleinen Formen in der Moderne, hg. von Elmar Locher. Innsbruck/Wien/München: 2001, S. 1536. 463 Vgl. beispielsweise Blöbaum: 2003, S. 31. 464 Vgl. Roth: JW 2, S. 519 sowie Polgar: 1984, S. 371-372. 465 Roth: JW 2, S. 521. 466 Ebd., S. 520-521.
2. Professionalisieren: Joseph Roth
Roth plädiert in diesem Zusammenhang für eine Loslösung des Inhalts von seiner ursprünglichen Form, die fälschlicherweise suggeriere, dass es sich bei journalistischen Texten lediglich um Gebrauchstexte handele, die keinen künstlerischen Status für sich in Anspruch nehmen könnten. Als Paradebeispiel für eine künstlerisch anspruchsvolle journalistische Arbeit in Buchform verweist Roth dabei auf die äußerst erfolgreiche Vermarktung von Kischs Anthologie Der rasende Reporter ein Jahr vor der Veröffentlichung von Hetzjagd durch die Zeit: Kisch gibt in seiner Hetzjagd durch die Zeit (bei Erich Reiß, Berlin) nicht etwa nur eine Fortsetzung seines Rasenden Reporters, wie es scheinen könnte. Der Titel ist journalistisch, seiner Bestimmung nach gehörte er über einen Zeitungsaufsatz. Aber die Aufsätze, die er zusammenfaßte, die Reportagen, Novellen, Tagebuchblätter sind Stoffe für sechsundzwanzig Romane – die nicht etwa eine Behandlung durch den Romanautor erwarten. […] Alfred Polgars Buch heißt An den Rand geschrieben (bei Rowohlt Berlin). Der bescheidene Titel ziert den ironischen Autor und wird den Käufer ehren. Große Wahrheiten werden an den Rand geschrieben.467 Nicht zufällig wählt Roth dabei die beiden Koryphäen aus, um sich um das öffentliche Ansehen seines Brotberufs zu bemühen. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieser Rezension haben die beiden Starjournalisten der Weimarer Republik bereits für großes Aufsehen gesorgt. Kisch kreiert die Rolle des rasenden Reporters, mit der er dem Roman den Kampf ansagt;468 Polgar gilt als der Prototyp des eleganten und wegweisenden Wiener Feuilletonisten. Beide Journalisten haben für Roths journalistisches Werk unterschiedliche Funktionen. Kisch, den Roth zwar schätzt, weil »er […] ein gewissenhafter und gründlicher Berichterstatter«469 ist, nimmt er zugleich auch als Konkurrenzfigur wahr, an deren Erfolgen er sich abarbeiten muss. Die Verbindung zu Polgar hingegen ist deutlich vielschichtiger.470 Roth und Polgar kennen sich noch aus Prager Zeiten, als sie gemeinsam bei der Zeitung Der Neue Tag gearbeitet haben – Polgar als Feuilletonchef, Roth als freier 467 Ebd., S. 520-521. 468 Vgl. Kisch: 1985, S. 436-437. Hier äußert Kisch sich über den Reputationsverlust des Romans gegenüber der Reportage: »Der Roman hat keine Zukunft. Es wird keine Romane mehr geben, keine Bücher mit ausgedachter Handlung. Der Roman ist die Literatur des vergangenen Jahrhunderts.« 469 Roth: JW 3, S. 675. 470 Neben den programmatischen Unterschieden ist es vor allem die politische Gesinnung, die Roth an Kisch beanstandet (Vgl. ebd., S. 675) und dessen demonstrative Lockerheit im Exil in Ostende, die er in einem Brief an Zweig verurteilt; vgl. Roth Briefe (02.07.1936), S. 484: »P.S. Es ist mir höchst peinlich, Kesten und Kisch in Ostende zu treffen – was unvermeidlich ist. Ich kann Witzbolde nicht mehr vertragen.«
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
Mitarbeiter. Seitdem gehört Polgar unumstritten zu den stilistischen Vorbildern, Förderern und journalistischen Mentoren des Autors.471 Mit der expliziten Referenz auf diese beiden bekannten Journalistenpersönlichkeiten, Polgar und Kisch, nimmt Roth deren Werkverständnis auch öffentlichkeitswirksam für sich in Anspruch. In diesem Zuge formuliert er bereits vier Jahre vor Veröffentlichung seines Artikels Es lebe der Dichter! und des Romans Die Flucht ohne Ende seine Vorstellungen einer gelungenen Autorschaft zwischen Literatur und Journalismus. Dabei macht er nicht nur eine Hinwendung zu aktuellen Sujets und eine an den Journalismus angelehnte Ästhetik zu zentralen programmatischen Forderungen. Vielmehr kommt er zu dem Schluss, dass sogar eine journalistische Arbeitsweise dem Literaten zu Gute käme: Fremdwörter sind sehr selten glücklich und gültig verdeutscht worden. Sie bekamen meist einen präzisen, aber schiefen Sinn (einen undeutschen), wie zum Beispiel das Wort: Tageschriftsteller. Ein Journalist aber kann, er soll ein Jahrhundertschriftsteller sein. Die echte Aktualität ist keineswegs auf 24 Stunden beschränkt. Sie ist zeit- und nicht tagesgemäß. Diese Aktualität ist eine Tugend, die nicht einmal einem Dichter schaden könnte, der niemals für die Zeitung schreibt. Ich wüßte nicht, weshalb ein ausgeprägter Sinn für die Atmosphäre der Gegenwart die Unsterblichkeit hindern sollte. Ich wüßte nicht, weshalb Menschenkenntnis, Lebensklugheit, Orientierungsvermögen, die Gabe zu fesseln und andere solcher Schwächen, die man dem Journalisten vorwirft, die Genialität beeinträchtigen können. Das echte Genie erfreut sich sogar dieser Fehler. Das Genie ist nicht weltabgewandt, sondern ihr ganz zugewandt. Es ist nicht zeitfremd, sondern zeitnahe. […] Ich hege deshalb – und obwohl ich selbst Journalist bin – kein Mißtrauen gegen die Bücher der Autoren, die für Zeitungen schreiben. Es ist schon so manche Dichtung durch die Rotationsmaschine einer Zeitung gelaufen, und ewige Wahrheiten 471
Vgl. dazu beispielsweise die Lobschrift anlässlich Polgars 60. Geburtstag in der Basler National-Zeitung, die Roth zwei Jahre nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten und ihrer propagandistischen Vereinnahmung der deutschen Sprache veröffentlicht, Roth JW 3, S. 684.: »Ich habe Alfred Polgar viel zu verdanken. Unter den deutschen Schriftstellern der Gegenwart ist er einer der behutsamsten. Die sprachliche Behutsamkeit habe ich von ihm gelernt. Ich gestehe, daß ich versucht habe, sie ihm abzulauschen; daß ich versucht habe den Geheimnissen der deutschen Sprache nachzuspüren, so, wie er unter wenigen es kann, dank seiner Gnade, zu hören und zu fühlen. Dankbar war ich ihm noch vor dieser Zeit, damals also, als man noch hätte hoffen können, daß das zarte und starke Instrument der deutschen Sprache nicht degradiert werden könnte zum reichsdeutschen Lautsprecher: Heute aber, da dem so ist, wird meine Dankbarkeit ihm gegenüber noch größer.« Vgl. außerdem zum Verhältnis von Polgar und Roth Irmgard Wirtz: Joseph Roths Fiktionen des Faktischen. Das Feuilleton der zwanziger Jahre und die Geschichte von der 1002. Nacht im historischen Kontext. Tübingen: 1996, S. 23-25.
2. Professionalisieren: Joseph Roth
haben den Wert des Papiers erhöht, dessen Schicksal es ist, in verschwiegenen Gegenden zu enden.472 Hervorzuheben an diesem Zitat, das auf Grund seiner programmatischen Relevanz hier nahezu ungekürzt zitiert wird, ist, dass sich Roth an dieser Stelle mit dem Berufsstand des Journalisten identifiziert, indem er sich selbst explizit einen Journalisten nennt. Diese publikumswirksame Stellungnahme ist als Akt der Emanzipation der Berufsgruppe selbst zu werten,473 den Joseph Roth stellvertretend in Hinblick auf antiprogressive, kulturpolitische Kräfte innerhalb der Zeitung und der Öffentlichkeit vollzieht.
Ein ›bürgerlicher‹ Beruf: Roth wider Rollenklischees und Reputationsverlust Somit artikuliert Roth bereits im Jahre 1925 seine Auffassung einer literarischen und journalistischen Autorschaft – ein Grundverständnis, das er bis in die frühen 1930er Jahre weiter präzisiert. Kern dessen ist immer wieder die Aussage, dass das journalistische wie literarische Schreiben trotz aller Freiheiten, die die Berufe bieten, »ein Gewerbe«474 ist, bei dem es um das Entwickeln bestimmter Fähigkeiten geht. Dabei handelt es sich bei den im Zitat genannten Qualitäten wie »Menschenkenntnis, Lebensklugheit, Orientierungsvermögen, die Gabe zu fesseln«475 um solche, die nicht ›per se‹ erlernt werden können, sondern für die eine Begabung die Grundlage bildet.
»Die Frucht einer langen, langen geistigen Disziplin«476 – Roth wider bürgerliche Ressentiments Mehr noch aber als auf diese nicht erlernbaren Befähigungen zur Ausübung des Journalistenberufs, kommt es Roth gezielt auf die Qualitäten an, die durch eine kontinuierliche Auseinandersetzung mit den Anforderungen des Berufsalltags erworben werden müssen. Roth legt es in der Diskussion um die gesellschaftliche Wahrnehmung von Autorschaft darauf an, dass nicht nur das Schreiben journalistischer, sondern auch literarischer Texte eine ernstzunehmende Angelegenheit sei. Im Fokus seiner Kritik stehen weniger die anti-progressiven Kräfte innerhalb 472 Roth: JW 2, S. 519-520. Auch hier gilt es zu bedenken, dass die Veröffentlichungen von journalistischen Anthologien auch in Karl Kraus‹ Polemik negativ gewertet werden und der Topos der erstrebten Ewigkeit in Bezug auf journalistische Texte etabliert wird. Vgl. Kraus: »Es erscheinen Feuilletonsammlungen, an denen man nichts so sehr bestaunt, als daß dem Buchbinder die Arbeit nicht in der Hand zerfallen ist. […] Wenn einer über die Ewigkeit plaudert, sollte er da nicht gehört werden, so lange die Ewigkeit dauert? Von diesem Trugschluss lebt der Journalismus.« 473 Vgl. zum erstarkten Selbstbewusstsein der Journalisten Jäger u. Schütz: 1999, S. 254-255. 474 Roth: JW 3, S. 139. 475 Roth: JW 2, S. 519. 476 Roth: JW 3, S. 97.
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
der FZ-Redaktion, als die bürgerlichen Leser und der Literaturbetrieb selbst. Dabei richtet er sich gegen das romantische Ideal des unverbildeten, ›authentisch‹ schreibenden Jünglings. Dieser wird seitens des Literaturbetriebs gezielt als Gegenentwurf zum Korsett bürgerlicher Werte inszeniert, wie Roth in seinem Artikel Lob der Dummheit in der Zeitschrift Die Literarische Welt deutlich macht: Wir lieben die frischen Jungens (die blauen unter den frischen werden bevorzugt), die so rasch von der Realität herkommen, wie die Semmeln und richtig was »erlebt« haben. Autodidakten schon werden mit Mißtrauen behandelt. Akademische Bildung wäre sogar abzuraten, wenn es sich nicht wieder empfehlen würde, der deutschen Sitte: Herr Doktor zu sagen, nicht gerade demonstrativ entgegen zu treten. Daß ein »Dichter« vor allem schreiben muß; daß das Schreiben die primäre Ausdrucksmöglichkeit des »Gedichteten« überhaupt ist; daß das Schreibenkönnen aber erst die Frucht einer langen, langen geistigen Disziplin ist, der akustische Ausdruck der Vernunft also; daß diese selbst eine wirkliche »Gnade« ist und eine größere als die ahnungslose Unmittelbarkeit; das alles versuche man erst einmal einem Leser klar zu machen.477 Somit verfolgt Roth das Ziel, mit bürgerlichen Vorurteilen gegenüber schreibenden Berufen aufzuräumen. Dies versucht er, indem er gezielt an der Seriosität der Schriftstellerei arbeitet und diese somit anschlussfähig an eine bürgerliche Arbeitsethik macht, in der Tugenden wie Fleiß, Strebsamkeit, Ausdauer und Bildung im Vordergrund stehen. Im Zuge dessen entsakaralisiert er das tradierte Konzept des poeta vates zu Gunsten eines modernen Berufsschriftstellers, der mitten in der Gesellschaft steht.
»Immer ein Hauch von Vagabundentum«478 Roths Strategie, gegen bürgerliche Ressentiments anzuschreiben, erschöpft sich nicht allein darin, Einblicke in die Ernsthaftigkeit des schriftstellerischen Metiers zu bieten und so eine programmatische Grundsatzdiskussion zu eröffnen. Vielmehr greift er zu drastischen Mitteln, um für die mangelnde Anerkennung der schreibenden Berufe gesellschaftlich zu sensibilisieren. So veröffentlich er anlässlich der fragwürdigen Umstände der Verhaftung des Autors Reinhard Goering noch im Berliner-Börsen Courier einen Artikel, in dem er die Vorurteile auch seitens staatlicher Organe missbilligt: Ein Dichter aber muss auf offener Straße »ergriffen« werden. Nicht das Problem soll hier erörtert werden, ob der Künstler in demselben Grade wie jeder andere 477 Ebd., S. 97. Hervorhebung im Original. 478 Vgl. Peter Suhrkamp: Der Journalist. In: Deutsche Berufskunde. Ein Querschnitt durch die Berufe und Arbeitskreise der Gegenwart, hg. von Otto Heinrich von der Gablentz u. Carl Meinecke. Leipzig: 1930, S. 380-394. Hier: S. 381.
2. Professionalisieren: Joseph Roth
den Gesetzen unterworfen ist. Nicht die Frage, ob der Richter dem Schaffenden gegenüber eine prinzipiell andere Haltung einnehmen soll. Aber man muss das Recht des geistig Arbeitenden wahren, genauso behandelt zu werden wie jeder andere in einem bürgerlichen Beruf Stehende, der zufällig oder absichtlich das Gesetz verletzt. […] Noch immer aber scheint das bürgerliche Vorurteil gegen den Dichter als ein »zigeunerhaftes Wesen« das Vorgehen dieser und jener Behörde zu beeinflussen. Es kann diese Selbstverständlichkeit nicht oft genug wiederholt werden: daß auch der Dichter katastriert ist, registriert, Steuern zahlt, gemustert wird, in den Krieg geht. Ja, er wird sogar häufiger als jeder andere gepfändet. Er ist ein bürgerliches Wesen.479 Dass diese Vorurteile gegenüber Schriftstellern auch ein intellektuelles Forum in der Weimarer Republik haben, zeigt eine Vielzahl an Publikationen.480 Dies illustriert beispielsweise auch eine Veröffentlichung des Verlegers Peter Suhrkamp, die sich dezidiert mit der Berufsgruppe der Journalisten auseinandersetzt. Sie erscheint in dem Sammelband Deutsche Berufskunde, den der Sozialwissenschaftler und Politologe Otto Heinrich von der Gablentz mit dem Industriellen Carl Meinecke Anfang der 1930er Jahre veröffentlicht. In Suhrkamps Text tritt deutlich zu Tage, dass die Zielscheibe der bürgerlichen Ressentiments, die auch in Suhrkamps Text zu finden sind, mehr noch als der Romancier – der Journalist ist. Diesem werden in Suhrkamps Beitrag in Bezug auf sein Arbeitsleben ›bürgerliche Eigenschaften‹ abgesprochen. Besonders anrüchig mache laut Suhrkamp den Journalisten ein Mangel an Transparenz seiner Tätigkeit, der schon bei seinem uneinheitlichen Ausbildungsweg beginne. Seine Abhandlung fußt dabei auf empirischen Daten: Auf Grundlage einer Statistik des Reichsverbandes der Deutschen Presse von 1927 belegt Suhrkamp, dass es sich bei vielen Journalisten um Studienabbrecher oder Quereinsteiger handelt, die einem ›bürgerlichen Beruf‹ entfliehen wollen:481 Durchweg ist charakteristisch für den Journalisten, daß sie sich in der Enge und Monotonie eines bürgerlichen Berufes nicht beruhigen konnten; alles, was außer dem Bezirk ihres Berufes noch geschah, ging sie auch an, beunruhigte und lockte sie.482
479 Roth: JW 1, S. 824. Hervorhebung im Original. 480 Vgl. zum sozialen Prestige der Journalisten und dem neuen Modeberuf Reporter Uecker: 2007, S. 144-152. 481 Vgl. Suhrkamp: 1930, S. 380-381. 482 Ebd., S. 381.
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
Damit werden in der Deutschen Berufskunde immer noch Topoi der Journalistenschelte aktualisiert,483 die schon in der Bismarck Ära für ein mangelndes gesellschaftliches Ansehen der Journalisten sorgen, unter dem auch – wie Dorothee Krings gezeigt hat – bereits Autoren des Bürgerlichen und Poetischen Realismus wie Theodor Fontane zeitlebens leiden mussten.484 Wie im obigen Zitat deutlich wird, sind selbst in einer sachlichen Publikation des berühmten Verlegers Suhrkamp, der den Beruf des Journalisten anerkennt, indem er ihn neben dem des Handwerkers, Straßenbahnfahrers, Bankiers oder Arztes würdigt, noch Spuren dieser Mythologisierung und Mystifikation des Journalisten zu finden: Dem entspricht ganz das Bild, das ihr Leben für den Beobachter bietet, und das sie ihm verdächtig und gleichzeitig geheimnisvoll anziehend und interessant macht. Um einen Journalisten ist immer ein Hauch von Vagabundentum. Man trifft ihn überall. Für ihn gibt es keine Grenzen; weder Ländergrenzen, noch gesellschaftliche Grenzen, noch soziale Grenzen, noch kehrt er vor den Enklaven der Geistigen um.485 An diesem klischierten Bild des Journalisten setzt auch Roths Kritik bei der Diskussion um den Standesunterschied von literarischer und journalistischer Autorschaft an, die er – wie oben gezeigt – sowohl an den Literaturbetrieb als auch an das Publikum in seinem Beitrag Lob der Dummheit richtet. Ein Schriftsteller, der es wagen würde, einen klugen Zeitungsartikel über Außenpolitik zu schreiben, müßte sich hüten, in den nächsten Jahren zum Beispiel eine Novelle zu publizieren. Wie kann einer »schaffen«, wenn er denkt? Wie kann einer »dichten«, wenn er überlegt? Mit höheren Mächten wie Apollo, Muse, Pegasus vertraglich verbunden, hat ein Dichter überhaupt so wenig Gelegenheit, sich um vernünftige Dinge zu bekümmern, daß er eigentlich verdutzt seiner Karriere ein Ende machen müßte, sobald er es selbst bemerkt, daß er einen gescheiten Einfall gehabt hat. Verraten darf er ihn auf keinen Fall! Literarisch ihn zu verwerten bedeutete Selbstmord. Flugs würde er von den deutschen Lesern zu einem »kalten« Autor ernannt werden. Denn die Intelligenz eines Autors heißt im Dialekt der
483 Vgl. dazu auch ebd., S. 380. 484 Vgl. Krings: 2008, S. 192-195. Vgl. dazu auch Thomas Birkners Ausführungen zur Wahrnehmung und Reputation des Journalisten im 19. Jahrhundert. Thomas Birkner: Das Selbstgespräch der Zeit. Die Geschichte des Journalismus in Deutschland 1605-1914. Köln: 2012, S. 162163. Birkner kommt zu dem Ergebnis, dass das öffentliche Ansehen des Journalisten nicht den Grad an Ausbildung widerspiegelt. So sind viele der Journalisten gerade im 19. Jahrhundert sogar promovierte Akademiker. Was allerdings deutlich wird, ist das der Beruf von vielen als Alternative zu einem ursprünglichen Berufswunsch gewählt wird, die beispielsweise nicht mehr nach der Revolution ein Amt im Staatsdienst bekleiden durften. 485 Suhrkamp 1930, S. 381. Hervorhebung im Original.
2. Professionalisieren: Joseph Roth
üblichen Buchreferenten »Kälte«. Und wer einmal »kalt« genannt worden ist, der kann sicher sein, daß er nie mehr einen Leser »hinreißen« wird.486 In diesem Zitat wird deutlich, warum eine Doppeltätigkeit überhaupt zu einem poetologisch in den Feuilletons und Literaturzeitschriften so vehement diskutierten Thema werden konnte: Gerade das vom Literaturbetrieb und dem Publikum weiterhin idealisierte Autorenbild des poeta vates sieht keine Erweiterung in Richtung Journalismus vor. Damit erklärt Roth, warum die Personalunion von Journalist und Romancier so problematisch ist: Letztlich schadet das Publizieren in beiden Bereichen sogar dem Ansehen des Autors selbst, der somit mit den Erwartungen der Leser und des Literaturbetriebs in Konflikt gerät. Dass es sich dabei um eine rein gefühlsbetonte Haltung handelt, die nichts mit der Qualität eines einzelnen Schriftstellers zu tun hat, sondern lediglich auf vorgeformten Vermarktungsstrategien und romantisierten Stereotypen basiert, macht Roth bereits durch den provokanten Titel seines Artikels deutlich. Trotz der Angst um einen Reputationsverlust kommt Roth aber immer wieder in seinen Rezensionen zu dem Ergebnis, dass eine Doppeltätigkeit dem einzelnen Autor beim Schreiben selbst sogar zugutekomme.487 Seine Argumentation basiert auf der Annahme, dass gerade der Journalismus dem Literaten wichtige Kompetenzen vermittle. Damit wird der Journalismus insofern aufgewertet, als dass die dort erworbenen Fähigkeiten den Schreibvorgang von literarischen Texten unterstützen. Umgekehrt gilt dies jedoch nicht, da das Schreiben literarischer Texte für Roth letztlich immer wieder als ein individueller Akt gewertet wird, der sich jenseits einer institutionellen Eingebundenheit vollzieht.488
»Ein stabiles Handwerk«489 So kommt Roth zu dem Schluss, dass das journalistische Schreiben auch dem Literaten besondere Fähigkeiten vermittle, die bei einer reinen literarischen Autorschaft nur schwer ausgeprägt werden können. Dies belegt er anhand der Veröffentlichung einer Anthologie gesammelter Erzählungen seines Kollegen Adolf Lorsch, die ursprünglich erst in der Frankfurter Zeitung unter dem Pseudonym -ck publiziert
486 Roth: JW 3, S. 96-97. Hervorhebung im Original. 487 Vgl. beispielsweise Roth: JW 3, S. 265, Roth: JW 2, S. 519-521 sowie Roth: JW 3, S. 95-98. 488 Dies zeigt sich beispielsweise anhand eines Briefes an Bernhard von Brentano, in dem deutlich wird, dass Roth sich auch von der Gruppe 1925 distanziert. Vgl. Roth Briefe (O. D.), S. 7576: »Ich habe eine Einladung zu Döblins Runde bekommen. Ich werde in einer Form annehmen, die keine Bindung ist, sondern nur eine Artigkeit. Ich will keine Bindung mit deutschen Schriftstellern. Keiner von ihnen empfindet doch so radikal, wie ich. Lesen Sie meinen Aufsatz über Döblin. Es wird ihn, glaub‹ ich, kränken.« 489 Roth: JW 3, S. 265.
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
wurden.490 Dort betont Roth, dass der Journalismus als eine Art Schreibschule für den Literaten fungiere, in der er sich nicht zuletzt darin erproben muss, sich auf engstem Raum pointiert auszudrücken: Oh, glücklicher Fluch des Journalismus, der einem Epiker von eminenter Ursprünglichkeit die Weitschweifigkeit aus Raummangel verbietet und das Gelüst zur anekdotischen Pikanterie mit Geldmangel bedroht! Wie viele Schriftsteller hätten das Schreiben gelernt, wenn sie Journalisten geworden wären.491 Mit der Rezension des Bandes verfolgt Roth also das Ziel, die Schriftstellerei und insbesondere den Journalismus zu einem ernstzunehmenden Beruf zu machen. Damit ist das obige Zitat auch anschlussfähig an den Briefwechsel mit Bernhard von Brentano, in dem Roth das Potenzial unterstreicht, das der Journalismus als ›Lehrschmiede‹ für den Literaten bereithalte: Geschmerzt hat mich einmal ein Passus in einem ihrer Briefe, in dem Sie sagten, daß es Ihnen nicht gefiele, Redakteur zu sein, Sie seien Schriftsteller. […] Wenn Sie ein Schriftsteller sein wollen, so dürfen sie nicht sagen, Redaktion sei nichts für sie. Ein Redakteur kann unendlich viel sein und sogar ein Schriftsteller. Läge die Redaktion in Berlin, so würde ich Ihnen wünschen, zu lernen, wie man eine Zeitung macht und was für ein Instrument ein Rotstift eines Redakteurs sein kann. Es genügt nicht, dass Sie Respekt haben vor der manuellen Arbeit. Sie müssen immer bereit sein können, sie auszuüben. Redakteur ist ebenso schön, wie Schuster. Und nichts hindert den Schriftsteller, der wirklich einer ist, einer zu sein.492 Roths Fokus liegt also sowohl im Briefwechsel als auch in der Rezension von Lorschs Anthologie auf den konkreten Fertigkeiten, die man bei der Ausübung des Journalistenberufs erlernt. Darin begründet Roth auch den Mehrwert für den Literaten im Falle einer Doppeltätigkeit. Der Berufsalltag des Journalisten bestimmt in Roths Darstellungen den Schreibprozess, bei dem immer wieder das Einüben bestimmter Fähigkeiten wie bei einer Handwerkslehre trainiert wird. Dies verdeutlicht insbesondere eine weitere Passage aus der Rezension von Lorschs Anthologie: Das flüchtige Gewerbe eines Redakteurs, überantwortet dem gewissenhaften und starken Herzen eines Poeten, wird ein stabiles Handwerk, das die Kunst fördert und nicht hemmt, das die edle Bescheidenheit züchtet, die Vernunft zur Wachsamkeit erzieht, das Auge zur steten Beobachtung und das Ohr zur geschliffenen Hellhörigkeit.493 490 491 492 493
Vgl. zur Aufdeckung des Pseudonyms in der Frankfurter Zeitung Todorow: 1988, S. 710. Roth: JW 3, S. 265. Roth: 10.03.1984. Roth JW 3, S. 265.
2. Professionalisieren: Joseph Roth
So führt der institutionelle Gang in Roths Darstellungen – für den hier sinnbildlich die Absegnung der Artikel durch den Redakteur und der Vergleich mit dem Handwerk, speziell dem des Schusters stehen – zur Ausprägung und Festigung einer routinierten Schreibkompetenz, die im Alltag abgerufen werden kann. Damit idealisiert Roth den Redaktionskontext und seine Feedback- wie Kritikkultur, die für eine Überprüfung der Arbeitsqualität eine Schlüsselstellung haben. Infolgedessen wird das Redaktionskollektiv als Instanz dargestellt, die eine stärkere Transparenz der eigenen Leistung fördert und damit für einen Zugewinn an Professionalität, Souveränität und stilistischer Prägnanz sorgt. Etwaige Schattenseiten, die insbesondere in den Briefwechseln mit Benno Reifenberg und Stefan Zweig zu Tage treten, verschweigt Roth dabei den Leserinnen und Lesern der Zeitungen. Daraus lässt sich ableiten, dass Roth den kollektiven Arbeitsprozess innerhalb der Redaktion zumindest nach außen hin verklärt. Zu fragen bleibt jedoch, ob diese Darstellung auf den zweiten Blick jeglicher Ironie entbehrt.494 So hat sich Roth seinem Kollegen Soma Morgenstern anvertraut, dass er die Feuilleton-Redaktion der FZ für alles andere als einen professionellen ›Betrieb‹ halte, in dem man das Schreiben lerne. Vielmehr als auf Leistung käme es auf die richtige Kontaktpflege an, schreibt Soma Morgenstern an Siegfried Kracauer: Vielleicht werden Sie mir das sagen, was mir Joseph Roth immer sagt: man soll die F. Z. in keiner Weise ernst nehmen – nun ich kann es nicht, ich habe eben schlechte Nerven. […] Wenn Sie mich aber auslachen und fragen, warum ich denn nicht nach Frankfurt komme und das alles zur Sprache bringe, so will ich Ihnen ganz aufrichtig antworten: So lange ich an eine geistige Gemeinschaft mit Ihnen, Reifenberg, Roth glauben konnte, dachte ich wohl, daß Kontakt wichtig sei. Da ich aber sehe, dass in der F. Z. Kontakt: Sitznachbarschaft bedeutet, verzichte ich leichten Herzens zugunsten der geborenen Nachbarschaft.495 Gerade vor diesem Hintergrund enthüllt Roths Gegenüberstellung des »flüchtige[n] Gewerbe[s] eines Redakteurs« mit »dem gewissenhaften und starken Herzen
494 Leider lassen sich den Briefwechseln und öffentlichen Stellungnahmen kaum innerredaktionellen Zeugnisse gegenüberstellen, da das im Zweiten Weltkrieg nach Schlesien ausgelagerte Archiv der Frankfurter Zeitung nicht mehr existiert. Vgl. Lunzer: 2015, S. 154 sowie Todorow 1996, S. 76. Aus dem Briefwechsel mit Benno Reifenberg lässt sich dennoch rekonstruieren, dass sich Roth über den redaktionellen Klüngel auch ihm gegenüber lustig macht. Vgl. Briefe (08.01.1929), S 117: »Die Frankfurter Zeitung betrachte ich NICHT als Sprungbrett, höchstens als eine Sprungmatratze, ähnlich der, die wir im Varietee gesehn haben, mit den zebragestreiften Springern.« Hervorhebung im Original. 495 Lunzer: 2015, S. 163.
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
eines Poeten«,496 dass die beiden Schreibberufe und die mit ihnen verbundenen Funktionen ganz unterschiedliche Ansprüche an ihren Beruf stellen. Während sich der Redakteur auf das Tagesgeschäft konzentriert, das abwertend als ein »flüchtige[s] Gewerbe«497 technisiert und entromantisiert beschrieben wird, bleibt das Schreiben für den Literaten immer auch Ausdruck einer künstlerischen Selbstverwirklichung. Dass diese in keinem Fall in Kontrast zu einer journalistischen Arbeitsweise stehen muss, macht Roth am Beispiel seines literarischen Vorbilds Émile Zola deutlich, der ebenfalls Journalist war. Anlässlich einer Umfrage zum 25. Todestag des französischen Romanciers in der Zeitschrift Die neue Bücherschau fordert Roth, dass man sich an den aktuellen Sujets, Darstellungstechniken und an der vom Journalismus inspirierten Recherche ein Beispiel nehmen solle:498 Zola war der erste europäische Schriftsteller ohne Schreibtisch als Instrument der Eingebung, der erste Romancier mit dem Notizbuch. Der erste Dichter auf der Lokomotive. Ich glaube, daß er dadurch gerade Deutschland ein Beispiel sein kann. Denn unsere Autoren sind die Dichter am Schreibtisch. Wir haben die Fabel von den blinden Sehern und dem Fluch der professionellen Ästhetiker.499 Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Joseph Roth keinesfalls den Unterschied zwischen einer journalistischen und einer literarischen Autorschaft aufheben möchte, wie gelegentlich in der Forschung dargestellt wird.500 Vielmehr wird anhand der Rolle des Rezensenten deutlich, dass Joseph Roth versucht, beide Bereiche in einem weiter gefassten Begriff von Autorschaft zu integrieren, der seiner schriftstellerischen Marke zu Grunde liegt. Dies erreicht er, indem er gegen bürgerliche Ressentiments anschreibt und dabei Vorurteile ausmerzt, die die Seriosität des journalistischen Redaktionsalltags untergraben. In Folge dessen entmystifiziert er den Journalistenberuf und stellt Topoi in Frage, die für das mangelnde Prestige des Journalisten seit dem 19. Jahrhundert verantwortlich sind. Eine solche positive Bewertung des Journalismus bleibt jedoch auch für den Beruf des Literaten nicht ohne Folgen, der in der Öffentlichkeit ein weitaus höheres Ansehen genießt. Gerade durch journalistische Darstellungstechniken und die im Redaktionskollektiv geschulte Schreibpraxis führt Roth vor Augen, welchen Mehrwert das journalistische Texten für die rein literarisch schreibenden Autoren haben könnte.
496 Beide Zitate aus Roth: JW 3, S. 265. 497 Ebd., S. 265. 498 Vgl. Bernd Oei: Die Stunde des Fleisches. Die Millieutheorie Émile Zolas am Beispiel des Rougon-Marquat. Berlin: 2016, S. 97. 499 Roth: JW 2, S. 824. 500 Vgl. Stalder: 2003, S. 96 sowie Weymann: 2012, S. 262.
2. Professionalisieren: Joseph Roth
Damit macht Roth deutlich, dass er das seit der Antike rezipierte Bild des poeta vates in Bezug auf seine gesellschaftliche Relevanz nun mehr für überholt hält. So wird ersichtlich, welches Verständnis er von einer modernen Autorschaft hat, die sich vor allem durch die Flexibilität auszeichnet, sich zwischen beiden Publikationskontexten bewegen zu können und dies für die schriftstellerische Marke produktiv zu machen. An dieser Schnittstelle verortet Roth auch sich selbst.
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3. Ästhetisieren: Tom Wolfe
Ein kalter Märztag im US-Bundesstaat New York, Mitte der 1970er Jahre. Der Schriftsteller und Hochschullehrer Joe David Bellamy fährt zum Flughafen, um den Autor Tom Wolfe abzuholen.1 Im vanillefarbenen Anzug, in Wildlederschuhen und einem Stetson-Hut wartet Wolfe auf Bellamy in der Lobby – Wolfes ›signature look‹, mit dem er überall für Aufmerksamkeit sorgt.2 Eine Dame, die den extravaganten Aufzug scherzhaft mit dem Zuruf »well, hello there, Senator«3 kommentiert, überhört er. Wenig später bringt Bellamy seinen Gast zur St. Lawrence Universität. Dort soll er vor Studentinnen und Studenten über seinen letzten Coup berichten: The New Journalism, eine Anthologie. Dafür wird er seinen weißen Anzug ablegen und gegen ein marinefarbenes Sakko eintauschen. Seinem üblichen Outfit für Uni- und Collegebesuche wird er anschließend den letzten Schliff verpassen.4 Allerlei auffällige Accessoires werden auch dieses Mal seine Erscheinung komplettieren – vom Einstecktuch bis hin zu den Manschettenknöpfen. Als Wolfe schließlich entspannt lächelnd, jedoch mit größter Aufmerksamkeit inmitten der schwärmenden Traube aus Studentinnen und Studenten steht, die ihm unaufgefordert ihre Lebensgeschichte erzählen, vermutet Bellamy das Geheimnis seines Gastes entschlüsselt zu haben. Durch sein elegantes, doch außergewöhnliches Äußeres wird Wolfe in jedem Kontext sofort wahrgenommen und ruft eine Reaktion hervor, die er mit dem Blick des Reporters genau beobachtet. Sein Auftritt hat nichts gemein mit den Klischees des Kaffee kleckernden Journalisten: »That’s it, Jim. That’s the magic.«5 Mit diesen Worten beschreibt Bellamy Wolfes Erscheinung
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Vgl. Joe David Bellamy: Tom Wolfe. In: Conversations with Tom Wolfe, hg. von Dorothy M. Scura. Jackson: 1990, S. 36-55. (Zuerst erschienen in: Joe David Bellamy: The New Fiction. Interviews with Innovative American Writers. Urbana: 1974, S. 75-95). Hier: S. 36. Vgl. zu Wolfes Kleidungsstil Kapitel 3.2.4. Sich anziehen, zitieren, provozieren sowie exemplarisch zu Besonderheiten des Anzugs John Freeman: In Wolfe’s clothing. In: The Syndney Morning Herald vom 18.12.2004. URL: https://www.smh.com.au/news/Books/In-Wolfes-clot hing/2004/12/17/1102787266352.html (abgerufen am 25.11.2020). Bellamy: 1990, S. 36. Vgl. ebd., S. 37 sowie zu seinen Kleidungsstil Freeman: 2004. Bellamy: 1990, S. 37.
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
an jenem Abend in der Eröffnungssequenz eines Interviews, das er später in einem Sammelband über die innovativsten amerikanischen Autoren veröffentlicht.6 Für ihn ist Wolfe der Mann der Stunde: »Terrible Tom, Tom the Wolfe-Man, New-York’s clean up hitter, Esquire’s boy, Rolling Stone’s latest head.«7 Wolfes Ruf als ›enfant terrible‹ und Provokateur der New Yorker Medienelite eilt ihm in den 1970ern voraus, als er und Bellamy zusammentreffen. Kaum ein anderer Journalist hat die letzte Dekade, die ›swinging sixties‹, so minutiös seziert wie Wolfe: Rockstars, Blumenkinder und Drogenexzesse, Surfer-Kommunen und Hugh Hefners rundes Bett.8 Doch bei seinem Blick auf die Gegenwart sieht er sich in der Tradition großer europäischer Romanciers. Es sind die realistischen Altmeister Honoré de Balzac und Émile Zola, die er »my idols«9 nennt.10 Ohne Zweifel: Tom Wolfe und Joseph Roth, von dem im ersten Teil dieser Arbeit die Rede war, haben dieselben literarischen Vorlieben. Ihre Arbeitstechniken und Schreibweisen sind inspiriert von der Lektüre der großen französischen Realisten.11 Doch dies ist nicht die einzige Parallele zwischen den Schriftstellern. Sie beide sind in Personalunion Romanautoren und Journalisten sowie zentrale Akteure der Literaturszene ihrer Zeit. Wie in der Forschung bereits angedeutet, aber nie zufriedenstellend untersucht worden ist,12 arbeiten sich sowohl im Kontext der Neuen Sachlichkeit als auch im Kontext des New Journalism Autoren an der Annäherung von Journalismus und Literatur ab. Sie brechen das Hierarchie- und Reputationsgefälle zwischen den Disziplinen auf und nobilitieren den Journalisten. Beide Autoren sind als den literarischen und intellektuellen Diskurs ihrer Zeit bestimmende Figuren an der Verhandlung des Standesunterschieds von Literatur und Journalismus beteiligt.
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Vgl. zu der hier rekonstruierten Begegnung zusammenfassend ebd., S. 36-37. Vgl. zu dem hier erwähnten Sammelband: Joe David Bellamy: The New Fiction. Interviews with Innovative American Writers. Urbana: 1974. Ebd., S. 36. Vgl. beispielsweise Wolfes ›Trip‹ mit Ken Kesey und den Merry Pranksters The Electric Kool-Aid Acid Test und seine Reportage-Sammlung The Pump House Gang, beides erschienen im Jahr 1968. John Taylor: The Book on Tom Wolfe. In: Conversations with Tom Wolfe, hg. von Dorothy M. Scura. Jackson: 1990, S. 255-266. (Zuerst erschienen in: The New York Magazine vom 21.03.1988, S. 46-58). Hier: S. 257. Vgl. Bellamy: 1990, S. 43-49. Vgl. Kapitel 2.3.2. Roth, der freie Autor und 2.3.3. Roth, der Rezensent und Kritiker sowie 3.1.4. Die Krise des Romans: Journalisten als Profiteure?. Exemplarisch zum Einfluss Zolas auf Wolfes Nonfiction-Bücher vgl. William McKeen: Tom Wolfe. New York: 1995, S. 111 und 115. Außerdem Brian Abel Ragen: Tom Wolfe. A Critical Companion. Westport/London: 2002. Vgl. dazu auch 1. Einleitung. Einen ersten Überblick über die Ähnlichkeiten liefert Dagmar Lorenz: Journalismus. Stuttgart/Weimar: 2002, S. 100-101.
3. Ästhetisieren: Tom Wolfe
Ausgehend von dieser Beobachtung soll im Folgenden exemplarisch anhand der geleisteten Analyse von Roths literarischem und journalistischem Profil Tom Wolfe als Vergleichsfolie herangezogen werden. Es soll gezeigt werden, dass Wolfe die Debatte um Journalismus und Literatur nutzt, sich – wie auch Roth – öffentlichkeitswirksam zu inszenieren, um sich so als Marke zu etablieren, deren Kern die Personalunion von Journalist und Schriftsteller ausmacht. Inwiefern sich die Autoren ähnlicher Strategien bedienen, ist dabei von besonderem Interesse. Wie bereits einleitend ausführlicher thematisiert,13 historisiert die vorliegende Arbeit die Ausprägung eines neuen Autortypus, der sich im 20. Jahrhundert zwischen Literatur und Journalismus herausbildet. In Teil 2. Professionalisieren: Joseph Roth, konnte gezeigt werden, dass Joseph Roth sich dabei immer noch in einem Professionalisierungsprozess im Journalismus befindet und seinen Platz – innerhalb der institutionellen Grenzen der Frankfurter Zeitung – einnehmen möchte, jedoch letztlich dabei scheitert. Das Schreiben von Romanen ist für ihn einerseits eine Ausflucht, andererseits eine beständige Grundlage, sich jenseits der redaktionellen Hackordnung im Feuilleton einen Namen zu machen. Anders verhält es sich bei Tom Wolfe, der den festen Strukturen der New York Herald Tribune bewusst den Rücken kehrt, um als Freelancer, Sachbuchautor und schließlich als Romanautor zu reüssieren. So ästhetisiert er – wie im Folgenden gezeigt werden soll – mit Hilfe einer ausgeklügelten Inszenierungspraxis die Personalunion von Journalist und Schriftsteller jenseits des Newsrooms.
3.1
Institutionelle Voraussetzungen: New Journalism
Welche Relevanz das Feuilleton, insbesondere das der Frankfurter Zeitung, als Institution für die literarische und journalistische Entwicklung in den 1920er Jahren in Deutschland hat, ist in dieser Arbeit ausführlich gezeigt worden. Gerade Joseph Roth bietet dieses Ressort ein Explorationsfeld, um sich an der Schnittstelle von Literatur und Journalismus einen Namen zu machen und sich somit im Mediengefüge der Zeit als Marke zu etablieren. Umgekehrt tragen die Autoren und freien Mitarbeiter entscheidend zur Reputation der Redakteure, Redaktionen und der Zeitungen insgesamt bei, indem sie ihren öffentlichen Auftritt nach außen hin sichtbar mitprägen. So entsteht ein komplexes Netzwerk aus festen und freien Mitarbeitern, das über die institutionellen Grenzen der Zeitung hinweg Medien-, Journalismus- und Literaturgeschichte schreibt und die Diskussion um den Standesunterschied zwischen literarischer und journalistischer Autorschaft neu konturiert sowie das Reputationsgefälle zwischen beiden Disziplinen auslotet.
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Vgl. Kapitel 1.3. Analytische Perspektive und methodische Anschlüsse.
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
In den späten 1950er und frühen 1960er Jahren lässt sich ein in ähnlichem Maße innovationsaffines Mediengefüge in den USA beobachten. Zu bedenken gilt, dass es in den USA keine Feuilletontradition wie in Deutschland gibt. So kommt Hans J. Kleinsteuber zu dem Ergebnis: Wäre Wolfe in Deutschland tätig, so hätte er wohl vor allem für das Feuilleton überregionaler, seriöser Zeitungen geschrieben. Dieses Feuilleton verkörpert eine genuin deutsche Tradition, die sich so nicht in den USA findet. Während das deutsche Feuilleton intellektuelle und journalistische Freiräume in einer ansonsten von der Zensur geschurigelten Zeitung anbot, waren politische Eingriffe in den US-Zeitungen unbekannt, folgerichtig blieb auch die Kulturberichterstattung unter strengem journalistischem Reglement.14 Nicht die Zeitung selbst oder ein Ressort werden folglich in den USA zum Laboratorium, in dem der Standesunterschied von Literatur und Journalismus neu ausgehandelt wird. Es sind vielmehr Magazine und Beilagen von Zeitungen und Zeitschriften, deren Herausgeber eine historische Chance wittern, verkrustete institutionelle Strukturen aufzubrechen und dem biederen Jahrzehnt der 1950er Jahre auch journalistisch den Kampf anzusagen.15 Das goldene Zeitalter des Pop-Magazin-Journalismus läuten Herold Hayes (Esquire), Clay Felker (erst Esquire, dann New York, die Sonntagsbeilage der Zeitung New York Herald Tribune) sowie etwas später auch Jann Wenner (Rolling Stone) ein, um hier nur einige der einflussreichsten ›editors‹ der ›roaring sixties‹ und frühen 1970er Jahre zu nennen.16 Sie alle bieten in dieser Zeit einer ganzen Generation von Autoren – Reportern, Romanciers und Essayisten – die Möglichkeit, neue Wege zwischen Literatur und Journalismus zu bestreiten und national wie auch international großes Renommee zu erlangen. Doch auch die Herausgeber profitieren von den vielen Gesichtern und unterschiedlichen Schreibstilen, was die steigende Relevanz der Einzelausgaben in diesen Jahren zeigt.17 Mit Hilfe von Autorinnen und Autoren wie Truman Capote, Joan Didion, Norman Mailer, Gloria Steinem, Gay Talese, Hunter S. Thompson
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Hans J. Kleinsteuber: Tom Wolfe und der Mythos vom New Journalism. In: Grenzgänger. Formen und Funktionen des New Journalism, hg. von Joan Kristin Bleicher u. Bernhard Pörksen. Wiesbaden: 2004, S. 193-221. Hier: S. 197. Vgl. Frank DiGiacomo: The Esquire Decade. In: Vanity Fair vom 20.12.2006. URL: https://www .vanityfair.com/culture/2007/01/esquire200701 (abgerufen am 25.11.2020). Vgl. dazu überblicksartig David E. Summer: The Magazine Century. American Magazines Since 1900. New York: 2010, S. 139-159 sowie Gianluca Wallisch: Gehetzte Erben, hektische Epigonen. In: Grenzgänger. Formen und Funktionen des New Journalism, hg. von Joan Kristin Bleicher u. Bernhard Pörksen. Wiesbaden: 2004, S. 361-394. Hier: S. 367-371. Vgl. beispielsweise die Dekade prägende Funktion des Esquire in Carol Polsgrove: It Wasn’t Pretty, Folks, but Didn’t We Have Fun? Surviving the ›60s with Esquire’s Harold Hayes. New York: 1995, S. 284-286.
3. Ästhetisieren: Tom Wolfe
und Tom Wolfe gelingt es entweder bereits traditionsreichen Magazinen wie dem Esquire, einen Image-Wandel zu vollziehen oder jüngeren Magazinen, wie beispielsweise dem Rolling-Stone,18 ein etabliertes Medium zu werden, das mehr als die vom Rock’n’Roll infizierten Jugendlichen anspricht.19 Sowohl Autorinnen und Autoren als auch Redakteure dieser Magazine treten für ein neues Selbstbewusstsein und Selbstverständnis ihrer Berufe ein: Sie brechen mit Schreibkonventionen und Rollenklischees, die bis dahin sowohl für den Literaturbetrieb als auch für den Journalismus kennzeichnend sind. Der New Journalism ist aus der Taufe gehoben und beginnt ausgehend vom Big Apple eine Revolution.20 Um Wolfes Stellung als zentralen Protagonisten des New Journalism zu verstehen, soll im Folgenden eine überblicksartige Analyse des Phänomens erfolgen, wobei sowohl mediengeschichtliche als auch definitorische Aspekte berücksichtigt werden.
3.1.1
Der New Journalism: Begriff und Akteure
Die Fülle an Publikationen, die sich mit der Definition des New Journalism beschäftigen, ist heute geradezu unüberschaubar. Aus diesem Grund erscheint es sinnvoll, den Blick zunächst auf die Definitionsversuche zu beschränken, die aus literaturwissenschaftlicher und journalistikwissenschaftlicher Perspektive diskursprägend sind. Die New Journalism-Forschung ist seit ihren Anfängen geprägt von höchst unterschiedlichen Definitionsangeboten des Begriffs. Während akteursorientierte Ansätze den New Journalism allgemeiner als »movement«21 oder Strömung der Autoren des New Journalism der 1960er und 1970er Jahre auffassen,22 existieren darüber hinaus weitere Definitionsbemühungen: Einen ersten umfassenden und bis heute den Forschungsdiskurs prägenden Definitionsversuch legt James E. Murphy vor: As a literary genre, New Journalism has certain technical characteristics. It is an artistic, creative, literary reporting form with three basic traits: dramatic literary techniques; intensive reporting; and reporting of generally acknowledged sub-
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Vgl. ebd., S. 121-144. Vgl. Wallisch: 2004, S. 370. Dass der New Journalism als Revolution des Journalismus anzusehen ist, macht beispielsweise Marc Weingarten im Untertitel seiner Monographie deutlich. Vgl. Marc Weingarten: The Gang that Wouldn’t Write Straight. Wolfe, Thompson, Didion, Capote, and the New Journalism Revolution. New York: 2006. McKeen: 1995, S. 35. Vgl. John Hellmann: Fables of Fact: The New Journalism as New Fiction. Urbana: 1981, S. 24.
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
jectivity. In addition, it involves a more or less well defined group of writers who employ the techniques.23 Murphys Ansatz, der sich vor allem an den narrativen Techniken der New Journalists und der Programmatik Wolfes orientiert, lässt jedoch die journalistischen Dimensionen außeracht, indem er den New Journalism zu einem literarischen Phänomen erklärt. Der Amerikanist John Hollowell baut auf Murphys Definition auf, indem er den Fokus vermehrt auf die Darstellungsebene und -mittel lenkt, jedoch das innovative Potenzial des New Journalism aus Perspektive des Journalismus betont. Er charakterisiert den New Journalism als »the variety of changes in reporting techniques and in the form and style of the journalistic article arising in the sixties«24 . Diese Veränderungen und den Bruch mit bis dahin geltenden journalistischen Konventionen macht er insbesondere an der neuen Stellung des Reporters fest,25 die ihm eine subjektive Erzählweise und -stimme erlaube, aber gleichzeitig durch intensive Recherchemaßnahmen einen Anspruch auf Objektivität erhebe.26 Der Kern des New Journalism manifestiere sich ihm zufolge in neuen Ausdrucksmöglichkeiten auf der Grundlage eines »reporting in depth«27 . Diese »exhaustive research«28 versuchen die New Journalists durch adäquate Darstellungstechniken zu vermitteln, die primär literarischen Texten zugeordnet werden.29 Als Gegenentwurf zu Hollowells Ansatz, den New Journalism als journalistisches Gruppenphänomen zu fassen, subsumiert John Hellmann vier Jahre später in seiner ebenso diskursprägenden Monographie Fables of Fact unter New Journalism eine literarische Strömung:30 Seine Argumentation beruht auf der Annahme, dass die Texte des New Journalism autoreferentiell und ästhetisch überformt seien, was den New Journalism als literarische Strömung legitimiere.31 Aus Perspektive heu23 24 25 26 27 28 29 30
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James E. Murphy: The New Journalism. A Critical Perspective. Lexington: 1974, S. 18. John Hollowell: Fact & Fiction. The New Journalism and the Nonfiction Novel. Chapel Hill: 1977, S. 21. Vgl. Kapitel 3.1.3. Der Bruch mit den Konventionen: Die Provokation des New Journalism. Vgl. ebd., S. 22. Hollowell: 1977, S. 24. Hellmann: 1981, S. 125. Die charakteristischen Darstellungsmöglichkeiten werden in Kapitel 3.1.3. Der Bruch mit den Konventionen: Die Provokation des New Journalism näher erläutert. Vgl. Hellmann: 1981, S. 24: »The new journalism is, in my view, most properly understood as a genre of literature. Like realistic fiction or romantic fiction or fabulous fiction it has an aesthetic form and purpose making its ›final direction‹ inward.« Vgl. ebd., S. 25: »In other words, the new journalists give us what literary artists have always given us – only they do so in direct confrontation with the news that has become our major shared experience in a media age. Their works are aesthetic experiences embodying the result of this confrontation between external events and personal mind – a microcosmic selection, shaping, and interpretation of events of the macrocosm into a text, a construct representing not events, but an individual consciousness‹ experience of them.«
3. Ästhetisieren: Tom Wolfe
tiger Forschung zu Fiktionalität, Faktualität und Literarizität erscheinen jedoch Hellmans Thesen revisionsbedürftig. So klassifizieren – um nur ein Beispiel zu nennen – Christian Klein und Matías Martínez faktuale Texte mit fiktionalisierenden Erzählverfahren, zu denen auch die der New Journalists zu zählen seien, unter dem Terminus ›Wirklichkeitserzählung‹.32 Damit bleibe zu bedenken, dass trotz des Einsatzes literarischer Techniken, die »strenggenommen einen allwissenden Erzähler voraussetzen«33 , der Faktualitätsstatus dieser Texte nicht anzuzweifeln ist.34 Die schematische Einordnung des New Journalism als ein rein literarisches Phänomen widerspricht nicht nur – wie noch zu sehen sein wird – der Programmatik der Autoren, sondern negiert die Aushandlungsstrategien des New Journalism, sich gerade an der Grenze von Literatur und Journalismus zu verorten. Aus Perspektive der Journalistik haben Everette E. Dennis und William L. Rivers einen Systematisierungsversuch derjenigen Strömungen vorgelegt, die einen Gegenentwurf zu etablierten Journalismus-Konzepten darstellen.35 Damit, diese unter dem Begriff New Journalism firmieren zu lassen, haben Dennis und Rivers in der Forschung einen weitgehenden Konsens geschaffen.36 Aber auch eine Rezeption des New Journalism aus rein journalistischer Perspektive bedarf Ergänzungen. Was sich also aus der Auseinandersetzung mit Hollowells und Hellmanns Thesen sowie Dennis und Rivers Systematisierungsvorgehen ableiten lässt, ist im Wesentlichen ein Grundproblem, mit dem sich die Forschung zur Definition des New Journalism bis heute auseinandersetzt. Dabei geht es zuvorderst um den Status des New Journalism und dessen Verortung als literarisches oder journalistisches (Grenz-)Phänomen. So ist der New Journalism, wie bereits Bernhard Pörksen herausgestellt hat, nur über die »Fachgrenze«37 hinweg zu verstehen – als »Hybridphänomen, das sich sinnvoll und umfassend nur interdisziplinär beschreiben lässt«38 . Aus systemtheo32
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Vgl. Christian Klein u. Matías Martínez: Wirklichkeitserzählungen. Felder, Formen und Funktionen nicht-literarischen Erzählens. In: Wirklichkeitserzählungen. Felder, Formen und Funktionen nicht-literarischen Erzählens, hg. von Christian Klein u. Matías Martínez. Stuttgart/Weimar: 2009, S. 1-13. Hier: S. 4. Ebd., S. 4. Vgl. ebd., S. 4-5. Vgl. zur Konsensbildung Hannes Haas u. Gianluca Wallisch: Literarischer Journalismus oder journalistische Literatur? Ein Beitrag zu Konzept, Vertretern und Philosophie des »New Journalism«. In: Publizistik 36 (1991) H. 3, S. 298-314. Hier: S. 299. Vgl. Everette E. Dennis u. William L. Rivers: Other Voices. The New Journalism in America. New Brunswick: 2011, S. 1-13. Hier wird unter New Journalism ›the new nonfiction‹, ›alternative journalism‹, ›journalism reviews‹, ›advocacy journalism‹, ›counterculture journalism‹, ›alternative broadcasting‹ und ›precision journalism‹ gefasst. Bernhard Pörksen: Das Problem der Grenze. Die hintergründige Aktualität des New Journalism – eine Einführung. In: Grenzgänger. Formen und Funktionen des New Journalism, hg. von Joan Kristin Bleicher u. Bernhard Pörksen. Wiesbaden: 2004, S. 15-28. Hier: S. 22. Ebd., S. 23.
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
retischer Perspektive fassen Hannes Haas und Gianluca Wallisch den New Journalism daher als »Zwitterexistenz zwischen dem journalistischen und literarischen System«39 . Bernhard Pörksen stellt jedoch fest, dass der New Journalism zwar zentrale Leitdifferenzen wie beispielsweise Fakt versus Fiktion oder Objektivität versus Subjektivität ausheble, die Systemtheorie jedoch als heuristischer Zugriff an ihre Grenzen stoße, da sie die individuellen Entstehungsprozesse und die Autonomie der Akteure nicht entscheidend miteinbeziehen könne.40 Stattdessen plädiert er für eine »situativ aktivierbare[] Dialektik«41 , die sowohl die Akteursseite sowie die Autonomie der New Journalists bedenkt als auch das systemrelevante Zusammenspiel redaktioneller und gesellschaftlicher Zusammenhänge berücksichtigt.42 Dieser Ansatz ist auch für die vorliegende Arbeit anschlussfähig, indem sie dezidiert akteursorientiert vorgeht und Tom Wolfes Autorenprofil ins Zentrum der Untersuchung rückt. Dabei werden – wie noch in den Kapiteln 3.1.3. Der Bruch mit den Konventionen: Die Provokation des New Journalism und 3.1.4. Die Krise des Romans: Journalisten als Profiteure? zu sehen sein wird – auch institutionelle und redaktionelle Kontexte offengelegt, um Tom Wolfes »Grenzgängertum«43 zu analysieren. Im Folgenden soll Pörksens Ansatz jedoch in Bezug auf die Inszenierungsstrategien des Autors weitergedacht werden. Ausgehend von der Begriffsentstehung und -prägung des Terminus New Journalism soll der Fokus primär auf die Aushandlungsstrategien der Autoren gelegt werden, sich am Standesunterschied von Journalismus und Literatur abzuarbeiten. Dabei wird gezeigt, dass der Begriff des New Journalism von Autoren wie Tom Wolfe vor allem als Distinktionsmarker eingesetzt wird.
Begriffsentstehung: Gay Taleses Reportagen So sehr sich Tom Wolfe bemüht, sich nicht zuletzt auch mit seiner Anthologie The New Journalism als »spokesman«44 , »principal advocat«45 oder als »most celebrated and prolific practitioner and […] reluctant historian«46 zu inszenieren und damit die Deutungshoheit über den New Journalism für sich zu beanspruchen,47 ist die Bezeichnung New Journalism doch mehr oder weniger einer Koinzidenz geschul-
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Haas u. Wallisch: 1991, S. 303. Vgl. Pörksen: 2004, S. 25. Ebd., S. 25. Vgl. ebd., S. 25 Ebd., S. 23. Hellmann: 1981, S. 101. Murphy: 1974, S. 4. McKeen: 1995, S. 35. Vgl. Kapitel 3.2.1. Anthologisieren, selektieren, historisieren.
3. Ästhetisieren: Tom Wolfe
det. Sie entspringt unmittelbar dem redaktionellen Kontext des Magazins Nugget, dessen Herausgeber Seymour Krim später ebenfalls als New Journalist publiziert:48 As far as I can tell, it was created by Pete Hamill. He was going to write an article about Gay Talese, Jimmy Breslin and a few other writers for Nugget, when Seymour Krim was editing it. […] Anyway, I don’t know if he ever wrote this piece, but Krim says that Hamill was the first to use the term. I don’t know how conceptual he was being, but the phrase stuck.49 Schenkt man dieser Aussage von Wolfe in einem Interview aus dem Jahr 1987 Glauben, so lässt sich daran mehr als eine bloße Anekdote der Begriffsentstehung ablesen. Schließlich kommt darin bereits das für den New Journalism so wichtige Zusammenspiel verschiedener journalistischer Akteure (Autorinnen und Autoren, Redakteure und Herausgeber) zum Ausdruck, die jenseits der etablierten Medien und Formate – hier beispielsweise ausgehend vom ›Männermagazin‹ Nugget – wie Seismographen auf die neuen journalistischen Veränderungen reagieren, diese kritisch reflektieren und mitprägen. Der Namensgeber, der Journalist Pete Hamill, bezieht sich dabei explizit auf den Autor Gay Talese, den auch Tom Wolfe als ›Erfinder‹ des New Journalism anführt: Seine Sport-Reportagen über den Boxer Joe Louis The King as a Middle-aged Man und den Baseball-Spieler Joe DiMaggio The Silent Season of a Hero im Esquire werden von Wolfe als Grundsteinlegung des New Journalism
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Krim schreibt ab 1965 ebenfalls für die New York Herald Tribune, bei der auch Wolfe in den 1960ern arbeitet und die zu den zentralen Publikationsorganen des New Journalism zählt. Ferner gehört Krim zu den Anthologisten der Beat-Generation. Vgl. den Nachruf auf Krim in der New York Times: O. V.: Seymour Krim, 67, Author and Essayist. In: The New York Times vom 31.08.1989. URL: https://www.nytimes.com/1989/08/31/obituaries/seymour-krim-67-auth or-and-essayist.html (abgerufen am 25.11.2020). Krim hat sich ferner auch programmatisch über den New Journalism geäußert. Vgl. Seymour Krim: The Newspaper as Literature. Literature as Leadership. In: The Reporter as Artist, hg. von Ronald Weber. New York: 1974, S. 169187. (Zuerst erschienen in: Seymour Krim: Shake it to the World Smartass. New York: 1970, S. 339-364). Bislang wird Krim in der Forschung zum New Journalism jedoch marginalisiert, obwohl er explizit von Tom Wolfe im Aufsatz The Feature Game in dessen Anthologie genannt wird. Krim ist insofern in Hinblick auf Wolfes institutionelle Voraussetzungen interessant, als dass ein von ihm geschriebener Artikel im Playboy auf den Traum, vom Journalisten zu einem Romancier zu werden, hinweist. Vgl. Tom Wolfe: The Feature Game. In: The New Journalism. With an Anthology, hg. von Edward Warren Johnson u. Tom Wolfe. New York: 1975, S. 15-22. (Zuerst erschienen unter dem Titel The Birth of The New Journalism: An Eyewitness Report. In: New York Magazine vom 14. Feburar 1972, Titelblatt, S. 30-45). Hier: S. 20. James Kaplan: Tom Wolfe on How to Write New Journalism. In: Rolling Stone vom 05.11.1987. URL: https://www.rollingstone.com/music/music-features/tom-wolfe-on-how-to-write-new-j ournalism-90742/(abgerufen am 25.11.2020).
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
beschrieben.50 Darüber hinaus weist das Zitat auf das Grundproblem aller Definitionsbestrebungen hin, das in der Uneinheitlichkeit der programmatischen Stellungnahmen der Autoren des New Journalism und deren Herausgebern begründet liegt:51 Auffallend ist, dass sich die New Journalists und ihre Herausgeber verstärkt seit Anfang der 1960er Jahre (Etablierungsphase) bis Anfang der 1970er Jahre (Kanonisierungsphase) selbst um Deutungsmuster des Terminus bemühen und sich gezielt zu (teilweise konkurrierenden) programmatischen Präzisierungsunterfangen äußern.52 Dieses Ringen um definitorische Hoheit über eine Strömung und die Zugehörigkeit – beziehungsweise Selbstverortung in ihr – erinnert nicht zuletzt auch an Joseph Roth und weitere Autoren der Neuen Sachlichkeit, die sich an der Grenze von Literatur und Journalismus positionieren.
New Journalism als Distinktionsbegriff: Wolfes Abgrenzungsstrategien Wie problematisch sich der Begriff des New Journalism erweist, zeigt sich daran, dass er – vor den 1960er Jahren – bereits mehrmals in der anglo-amerikanischen Journalismus-Geschichte besetzt ist: Obwohl in der Forschung umstritten ist, wann die Bezeichnung genau im 19. Jahrhundert eingeführt wird – ob als Etikett der Programmreformen Joseph Pulitzers zur »Boulevardisierung«53 seiner Zeitung World in den 1880er Jahren oder bereits in den 1830er Jahren als Synonym für den Journalismus der ›pennypress‹ – so markiert sie in allen Fällen eine Zäsur zu vorherigen Journalismus-Traditionen.54 Wie Hannes Haas analysiert hat, »fungiert der
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Vgl. Tom Wolfe: Like a Novel. In: The New Journalism. With an Anthology, hg. von Edward Warren Johnson u. Tom Wolfe. New York: 1975, S. 23-36. (Zuerst erschienen unter dem Titel The Birth of The New Journalism: An Eyewitness Report. In: New York Magazine vom 21.02.1972). Hier: S. 23-26. Mit dieser Einstellung ist Wolfe jedoch nicht allein. Auch Harold Hayes räumt Taleses Texten diese Stellung ein. Vgl. Herold Hayes: Introduction. In: Smiling Through the Apocalypse. Esquire’s History of the Sixties, hg. von Herold Hayes. New York: 1969, S. XVII-XXIII. Hier: S. XIX. Vgl. zur Heterogenität der Begriffsansätze Haas u. Wallisch: 1991, S. 299. Ein Beispiel dafür ist die Podiumsdiskussion mit Gay Talese, Harold Hayes und Tom Wolfe. Vgl. Leonard Wallace Robinson: The New Journalism: A Panel Discussion with Harold Hayes, Gay Talese, Tom Wolfe and Professor L. W. Robinson. In: The Reporter as Artist, hg. von Ronald Weber. New York: 1974 S. 66-75. (Zuerst erschienen in: Writer’s Digest vom Januar 1970). Hannes Haas: Fiktion, Fakt & Fake? Geschichte, Merkmale und Protagonisten des New Journalism in den USA. In: Grenzgänger. Formen und Funktionen des New Journalism, hg. von Joan Kristin Bleicher u. Bernhard Pörksen. Wiesbaden: 2004, S. 42-73. Vgl. zu den frühesten Spuren um 1830 Murphy: 1974, S. 2 und Heiner Bus: Der U.S.amerikanische New Journalism der 60er und 70er Jahre. Truman Capote, Michael Herr, Norman Mailer und Tom Wolfe. In: Literatur und Journalismus. Theorie, Kontexte, Fallstudien, hg. von Bernd Blöbaum u. Stefan Neuhaus. Wiesbaden: 2003, S. 273-291. Hier: S. 273-275 sowie Haas: 2004, S. 43-44.
3. Ästhetisieren: Tom Wolfe
Begriff als ein wiederkehrender Topos der Erneuerung, Adaption und Weiterentwicklung, der journalistischen Innovation«55 . Damit öffnet der Terminus letztlich einen Distinktionshorizont, indem er als ›Label‹ die Möglichkeit bietet, sich durch die Nennung des Adjektivs ›new‹ programmatisch abzugrenzen. Als Mittel zur Distanzgewinnung zu vorherigen Journalismus-Traditionen dient dieser »umbrella term«56 auch den Autoren der 1960er Jahre, auf die in dieser Arbeit Bezug genommen wird. Diese nutzen die Kennzeichnung New Journalism als Distinktionsbegriff, indem sie das Repertoire an journalistischen Darstellungsformen erweitern, die Valorisierung und Etablierung des Reporterhandwerks vorantreiben und sich durch gezielte Provokationen von einem alten – einem ›old Journalism‹ – abgrenzen.57 Zugleich fungiert die Bezeichnung New Journalism in Hinblick auf den Roman als Überbietungsstrategie.58 So ist für Tom Wolfe nicht nur die Abgrenzung von journalistischen Traditionen, die primär auf die Informationsvermittlung setzen, relevant, sondern die Behauptung des Journalismus gegenüber der Literatur und die Infragestellung einer Hierarchisierung. Auch Tom Wolfe, der zu keiner Zeit eine abgeschlossene Theorie, Handreichung oder eine einheitliche Begriffsklärung des New Journalism gibt, sondern lediglich punktuelle und situative Definitionsangebote schafft,59 stößt sich gerade an dem Adjektiv ›new‹, das als alleiniger Träger aller programmatischen Implikationen zur Distinktion nur Begrenztes leisten kann:60 To tell the truth, I’ve never even liked the term. Any movement, group, party, program, philosophy or theory that goes under a name with ›New‹ in it is just begging for trouble. The garbage barge of history is already full of them: the New Humanism, the New Poetry, the New Criticism, the New Conservativism, the New Fron-
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Ebd., S. 44. Charles C. Flippen: The New Journalism. In: Liberating the Media. The New Journalism, hg. von Charles C. Flippen. Washington: 2009, S. 9-17. Hier: S. 10. Vgl. Kapitel 3.1.3. Der Bruch mit den Konventionen: Die Provokation des New Journalism. Vgl. Tom Wolfe: Seizing the Power und Appendix. In: The New Journalism. With an Anthology, hg. von Edward Warren Johnson u. Tom Wolfe. New York: 1975, S. 37-68. (Zuerst erschienen unter dem Titel Why They aren’t Writing the Great American Novel Anymore. In: Esquire vom Dezember 1972). Hier: 37-40. Vgl. außerdem dazu ausführlich Kapitel 3.2.2. Autorisieren, inszenieren, präsentieren. Vgl. Kleinsteuber: 2004, S. 202. Auch Esquire-Herausgeber Hayes betont die Schwächen des Begriffs. Vgl. Herold Hayes: Editor’s Notes on the New Journalism. In: The Reporter as Artist, hg. von Ronald Weber. New York: 1974, S. 260-262. (Zuerst erschienen in Esquire vom Januar 1972). Hier: S. 261: »The problem of those definitions is not that they are too broad; rather they are not definitions at all. ›New‹ must carry the full freight of description, and here the connection is meaningless.« Hervorhebung im Original.
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tier, il Stilo Novo … The World Tomorrow… Nevertheless, the New Journalism was the term that caught on eventually.61 Aus der Retrospektive und in Hinblick auf ihre Historizität vergleicht Wolfe in seinem Essay Why They Aren’t Writing the Great American Novel Anymore, den er unter dem Titel Seizing the Power in der Anthologie The New Journalism veröffentlicht, die Begriffsgeschichte des New Journalism mit vorangegangenen ästhetischen und philosophischen Theorien, Strömungen und Denkschulen, denen allesamt das Versprechen eines Aufbruchs innewohnt. In Ansätzen, wenngleich weniger radikal, gleicht sein Distanzierungsversuch von dem Label ›New Journalism‹ Joseph Roths Zurückweisungen des Begriffs der Neuen Sachlichkeit und einer Identifikation seines Werks mit dieser Strömung. Ebenso erkennen beide Autoren das Potenzial, sich durch programmatische Attacken und Gegenpositionen an die Spitze der theoretischen Diskussion des New Journalism und der Neuen Sachlichkeit zu stellen und diese entscheidend mitzuprägen. Hervorzuheben ist allerdings, dass Wolfe die Signatur ›new‹ aller Vorbehalte zum Trotz als wirkungsvoll erachtet. So ist der New Journalism – wie in der Rezeption und Forschung nur ungenügend verdeutlicht wird – aus Sicht Tom Wolfes und auch Gay Taleses zunächst ein genuin journalistisches Phänomen und kein literarisches:62 Zum ersten Mal wird in der US-amerikanischen Journalismus-Geschichte mit einer großen öffentlichkeitswirksamen Ausstrahlungskraft über das Potenzial journalistischer Autorschaft diskutiert und der Standesunterschied von Journalismus und Literatur in Frage gestellt.63 Unter dem Schlagwort »artistic excitement in journalism«64 fasst Wolfe diese Aufbruchsstimmung zusammen und weist dabei – wie auch Joseph Roth – auf das Aufbegehren von Journalisten hin, Zuschreibungen, die bis dato primär für literarische Texte und ihre Autoren gelten, auf den Journalismus zu übertragen.65 Insofern kann der Terminus des New Journalism als Distinktionsbegriff aufgefasst werden, als dass in ihm Strategien der Aufwertung des Journalismus gegenüber der Literatur – ausgehend von der Inszenierung der eigenen Reporterpersönlichkeit – gebündelt werden.
»A school of coincidence«66 : Akteure Wie bereits anhand der Begriffsgeschichte des New Journalism hergeleitet werden konnte, wird der New Journalism in dieser Arbeit vor allem als Distinktionsbegriff 61 62 63 64 65 66
Wolfe: Seizing the Power, S. 37. Vgl. zu diesem Streitpunkt insbesondere Hellmann: 1981, S. 24. Hier definiert Hellman den New Journalism als literarisches Genre. Vgl. Haas: 2004, S. 44-48. Wolfe: Seizing the Power, S. 37. Vgl. dazu insbesondere Kapitel 2.3.3. Roth, der Rezensent und Kritiker. Hayes: 1974, S. 260.
3. Ästhetisieren: Tom Wolfe
gesetzt. Damit rücken unmittelbar neben den Strategien zur Abgrenzung von bisherigen Journalismus-Traditionen auch die Akteure selbst in den Vordergrund. Bis heute wird der New Journalism weitestgehend mit Autoren wie Truman Capote, Joan Didion, Norman Mailer, Gloria Steinem, Gay Talese oder Tom Wolfe assoziiert,67 um nur einige zentrale Protagonisten zu nennen. Auf Akteursebene lässt sich der New Journalism jedoch nicht als homogene Autorengruppe verstehen, die nach einem festumrissenen Programm operiert. Zentrale Charakteristika (literarischer) Gruppenbildung wie Exklusivität, die Berufung auf gemeinsame programmatische und ästhetische Vereinbarungen und ihre Niederschrift oder gar eine auf Geselligkeit und Austausch abzielende soziale Rahmung treffen auf den New Journalism gerade nicht zu: It was no ›movement‹. There were no manifestos, clubs, salons, cliques; not even a saloon where the faithful gathered, since there was no faith and no creed. At the time, the mid-Sixties, one was aware only that all of a sudden there was some sort of artistic excitement in journalism, and that was a new thing in itself.68 So wird der New Journalism vor allem in der zeitgenössischen Rezeption und von den Protagonisten selbst als ›modus operandi‹ aufgefasst, »whenever and wherever its practicioners seek to perform it«69 . Neben Tom Wolfe verweist auch beispielsweise Gay Talese auf die verschiedenen Ansätze der New Journalists: Here you have in Tom and myself two people about the same age, who in reporting have gone off in quite different directions, although admiring many of the same things, including my admiration for him. But Tom is interested in the new, the latest, the most current; […] I’m more interested in what has held up for a long time and how it has done.70 Die Heterogenität des New Journalism wird nicht nur von den Akteuren beschrieben, sondern auch aus institutioneller Perspektive des Esquire-Herausgebers Harold Hayes, nach dessen Auffassung neben Talese und Wolfe vor allem Mailer den New Journalism maßgeblich etabliert habe. Dass gerade diese drei Autoren zuvorderst von Hayes mit dem New Journalism in Verbindung gebracht werden, ist mit Sicherheit auch seiner Stellung als Herausgeber des Esquire-Magazins geschuldet. Schließlich setzt die Zeitschrift unter seiner Ägide insbesondere auf diese Autoren als prominente Namen im Blatt. Neben der Zurückweisung, dem New Journalism
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Vgl. Hannes Haas: Empirischer Journalismus. Verfahren zur Erkundung gesellschaftlicher Wirklichkeit. Wien/Köln/Weimar: 1999, S. 342. Wolfe: Seizing the Power, S. 37. Hervorhebung im Original. Hayes: 1974, S, 260. Robinson: 1974, S. 69.
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eine schulbildende Funktion zu attestieren, betont Hayes aus Herausgeberperspektive vor allem die unterschiedliche institutionelle Provenienz der Autoren: Yet except for their admiration for one another, Talese and Wolfe have very little in common. The work of neither man is related to that of Norman Mailer, each of the three having arrived at his station by following different routes. If there is a school to emerge from the work of these men, then it is only a school of coincidence […].71 Während Gay Talese die renommierte Journalistenschule der New York Times besucht und auch Tom Wolfe nach einem literaturwissenschaftlichen Studium den Journalismus zu seinem Beruf macht, ist Norman Mailers Karriereweg ein anderer.72 Aufbauend auf dem Erfolg seines Debütromans The Naked and the Dead im Jahr 1948 und seinem Renommee als Essayisten beginnt der in Harvard ausgebildete Ingenieur Mailer erst Anfang der 1950er Jahre, als Journalist zu arbeiten. Seine Reportage Superman Comes to the Supermarket, die 1960 im Esquire erscheint und in deren Mittelpunkt die Wahlkampagne John F. Kennedys steht, gehört zu den Gründungstexten des New Journalism.73 Die Kritik, die Hayes an dem Begriff New Journalism übt, liegt nun darin begründet, dass er der Individualität der Schriftsteller, die er mit der Metapher eines »gymnasium full of ill-assorted egos«74 umschreibt, kaum gerecht werde, sondern als ein von außen gesetzter Terminus lediglich für den Versuch einer Kategorisierung stehe: Now I don’t think a writer can sit down and say, I’m going to be a New Journalist. Many of them are trying to do that today, and I think it is one of the by-products, and a bad one, of this tendency of ours to find a label for everything that comes along. I don’t think Gay Talese started as a New Journalist. I think they started as marvelously original writers. There was an opportunity for them to express this unique way they had towards their material, and they took it.75 Diese Vereinfachung und Zusammenführung der Autoren unter dem Label ›New Journalism‹ ist insofern problematisch, als dass sie Hayes zufolge zu Imitation und Epigonentum anrege. Was die meisten der New Journalists jedoch zumindest auf inhaltlicher Ebene tatsächlich verbinde, ist aus Hayes Perspektive vielmehr die Hinwendung zu neuen Sujets, zu »Mikrothemen«76 , meist aus dem Bereich der Pop- und Jugendkultur oder mit unmittelbarem Bezug zu ihrer Gegenwart.77 So 71 72 73 74 75 76 77
Hayes: 1974, S. 260. Vgl. Robinson: 1974, S. 68. Vgl. Weingarten: 2006, S. 55. Hayes: 1974, S. 260. Robinson: 1974, S. 68. Haas u. Wallisch: 1991, S. 301. Im Falle Wolfes werden diese Themen vielfach in Bezug zur Metropole New York und ihrer »Pop-Society« gesetzt: Tom Wolfe: Introduction to the Kandy-Kolored Tangerine-Flake
3. Ästhetisieren: Tom Wolfe
betont Hayes, dass die Autoren des New Journalism vor allem nach einer adäquaten Präsentationsweise neuer Themen suchen. Diese Beobachtung lenkt den Fokus auf die für den New Journalism charakteristische Etablierung literarischer Erzählverfahren im Journalismus und journalistischer Konventionen in der Literatur. Um das damit verbundene Provokationspotenzial des New Journalism einordnen zu können, soll der Fokus zunächst auf die redaktionellen Rahmungsprozesse gelegt werden. Im Folgenden soll anhand Tom Wolfe gezeigt werden, dass die Hinwendung zum New Journalism auch als unmittelbare Auseinandersetzung mit den institutionellen Grenzen seiner journalistischen Autorschaft gewertet werden kann und als Versuch, Zuschreibungen, die bis dahin mit einer literarischen Autorschaft assoziiert werden, zu übertragen. Vor diesem Hintergrund kann wiederum Wolfes Selbstverständnis als Journalist und Schriftsteller eingeordnet werden.
3.1.2
»This must be the place!«78 : Veröffentlichungskontexte
Im Fokus der Analyse der institutionellen Voraussetzungen steht vor allem Wolfes erste Publikationsphase nach seiner Ankunft in New York – von seinem Einstand bei der New York Herald Tribune im Jahr 1962 bis hin zur Veröffentlichung seiner Anthologie The New Journalism (1973).79 In diesen Jahren ist Wolfe bei der Grundsteinlegung des New Journalism maßgeblich involviert und entwickelt, wie gezeigt werden soll, sein Autorlabel gerade im redaktionellen Kontext einzelner Publikationsorgane, für die er sowohl als angestellter Reporter (New York Herald Tribune)
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Streamline Baby. In: The Reporter as Artist, hg. von Ronald Weber. New York: 1974, S. 29-34. (Zuerst erschienen in: Tom Wolfe: The Kandy-Kolored Tangerine-Flake Streamline Baby. New York: 1965). Hier: S. 33. Wolfe: The Feature Game, S. 16. In Kapitel 2.1. Institutionelle Voraussetzungen: Die Marke Joseph Roth, das Joseph Roths erweiterte Autorschaft zwischen Literatur und Journalismus ins Zentrum rückte, wurden die institutionellen Voraussetzungen vor allem anhand des Briefwechsels mit Stefan Zweig, Bernhard von Brentano und Benno Reifenberg rekonstruiert. Erst unter 2.3. Öffentliche Selbstverortung im Feuilleton rückte die öffentliche Selbstinszenierung in den Vordergrund. Im Falle Tom Wolfe ist eine Trennung zwischen privater und öffentlicher Kommunikation für die Untersuchung nicht zielführend. Zum einen liegt keine Briefedition vor, die Wolfes Korrespondenzen mit Kollegen und Vorgesetzten abbildet. Zum anderen ist der New Journalism von Beginn an ein Phänomen, das in der Öffentlichkeit breit rezipiert wird und dessen Autoren und Herausgeber sich in zahlreichen Interviews, Essays und Podiumsdiskussionen auch über die institutionellen Rahmenbedingungen äußern, die – wie im Folgenden gezeigt wird – maßgeblich zur Genese und zum Erfolg der Bewegung insgesamt beitragen. Im Folgenden stützt sich die Arbeit neben Wolfes programmatischen Selbstaussagen in Essays vor allem auf Scuras Interviewsammlung (Dorothy M. Scura (Hg.): Conversations with Tom Wolfe. Jackson: 1990), Shomettes Sammlung von Rezensionen (Doug Shomette (Hg.): The Critical Response to Tom Wolfe. Westport, Conneticut: 1992) sowie auf Webers breitangelegte Materialsammlung (Ronald Weber (Hg.): The Reporter as Artist. New York: 1974).
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als auch als freier Autor, beziehungsweise ›contributing editor‹ (Esquire und New York) schreibt.80 Die Veröffentlichung von Tom Wolfes Anthologie markiert also eine Zäsur, da sie mit einer ersten Phase von Historisierungsbestrebungen des New Journalism und der Magazin- und Zeitungskultur der 1960er Jahre einhergeht. Dieser Periodisierungsversuch ist auch insofern gerechtfertigt, als dass sich zu Beginn der 1970er Jahre immer mehr eine institutionelle Anerkennung der Vertreter des New Journalism abzeichnet, die sich beispielsweise in der Verleihung von Ehrendoktorwürden und journalistischen Preisen niederschlägt.81
New York, New York: Nährboden neuer journalistischer Sujets Anfang der 1960er Jahre mehren sich die Anzeichen dafür, dass diese Dekade als ein Jahrzehnt des Umbruchs in die Geschichte der USA eingehen wird: Das nukleare Wettrüsten zwischen den USA und der UdSSR findet in der Kuba-Krise seinen Höhepunkt; zeitgleich unterstützt Martin Luther King in Albany die ersten Massenproteste des Civil-Rights-Movement. Mit dem Doktortitel aus Yale in American Studies und etwa vier Jahren Arbeitserfahrung als Reporter für die Springfield Union in Massachusetts und die Washington Post betritt Tom Wolfe im Jahr 1962 New York.82 Um sich als »newspaperman«83 einen landesweiten Namen zu machen, muss er in den Big Apple,84 denn New York ist das Epizentrum für Medienschaffende und der »locus of cultural change in the early 1960s«85 : When I reached New York in the early Sixties, I couldn’t believe the scene I saw spread out before me. New York was pandemonium with a big grin on. Among people with money – and they seemed to be multiplying like shad – it was the wildest, looniest time since the 1920's… a universe of creamy forty-five-year-old fashionable fatties with walnut-shell eyes out on the giblet slab wearing the hiphuggers […] it was a hulking carnival.86 Fasziniert vom Zeitgeist der 1960er und dem Puls der Metropole begleitet Wolfe fortan von New York aus – und schließlich auch als Reporter von der Westküste
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Vgl. dazu die Impressumslisten der einzelnen Periodika, zum Beispiel im Falle des New York Magazine: Anmerkungen der Redaktion: Impressum. In: New York Magazine Vol. V, Nr. 7 vom 14.02.1972, S. 4. Vgl. McKeens Übersicht: McKeen: 1995, S. XII. Tom Wolfe wird beispielsweise im Jahr 1973 mit dem Frank Luther Mott Award ausgezeichnet und erhält seinen ersten Ehrendoktor im Jahr 1971. Vgl. bibliographische Übersicht bei ebd., S. XI. Robinson: 1974, S. 68. Vgl. Haas u. Wallisch: 1991, S. 305. Ragen: 2002, S. 17. Wolfe: Seizing the Power, S. 44-45.
3. Ästhetisieren: Tom Wolfe
– die Dekade,87 als deren »chronicler«88 er sich retrospektiv bezeichnet. Die Themen seines journalistischen Portfolios sind vom extravaganten Lifestyle und der Pop-, Sub- und Jugendkultur bestimmt, auf deren Observierung er sich spezialisiert.89 So beginnt Tom Wolfe seine Karriere nicht als Autor, der in Personalunion Journalist und Romanschriftsteller ist. Vielmehr wendet er sich, noch lange bevor er seinen ersten Roman The Bonfire of Vanities im Jahr 1987 schreibt, dem Reporterhandwerk zu. Die Motivation, Journalist zu werden, die er im Vorwort seiner Anthologie als »overwhelming urge to join the ›real world‹«90 bezeichnet, geht zurück auf die Mystifikation des Journalistenberufs und die Idealisierung der Reporterpersönlichkeiten in den 1920er Jahren: Chicago, 1928, that was the general idea…Drunken reporters out on the ledge of the News peeing at the Chicago river at dawn…Nights down at the saloon listening to ›Back of the Yards‹ being sung by a baritone who was only a lonely blind bulldyke with lumps of milk glass for eyes…Nights down at the detective bureau – it was always nighttime in my daydreams of the newspaper life. Reporters didn’t work during the day. I wanted the whole movie, nothing left out.91 Diese Stereotypisierung des Reporterberufs, die Wolfes Berufswahl entscheidend beeinflusst, hat ihren Ursprung, wie Cordula Nitsch gezeigt hat, im Narrativ fiktiver journalistischer Rollenklischees, wie sie vor allem durch Hollywood-Filme verbreitet werden.92 Stellvertretend ist hier insbesondere auf Orson Welles Citizen Kane aus dem Jahr 1941 hinzuweisen, der explizit das Reporterleben in Chicago zum Setting seines Filmes macht, sowie auf Lewis Milestones Komödie The Front Page (1931), eine Adaption des Bühnenstücks The Reporter (1928) von Ben Hecht und Charles MacArthur, dessen Handlung ebenfalls auf der Idealisierung von Reportern in der ›Windy City‹ fußt.93
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Vgl. Ragen: 2002, S. 17. Bonnie Angelo: Master of His Universe. In: Conversations with Tom Wolfe, hg. von Dorothy M. Scura. Jackson: 1990, S. 283-289. (Zuerst erschienen in: Time Nr. 133 vom 13. Februar 1998, S. 90-92). Hier: S. 288. Vgl. dazu eine Stellungnahme Gay Taleses, bei der er herausstreicht, dass Tom Wolfe sich insbesondere darin hervortut, seiner Zeit voraus zu sein und die jeweils aktuellsten gesellschaftlichen Trends beobachtet. Vgl. Robinson: 1974, S. 69. Wolfe: The Feature Game, S. 16. Ebd., S. 15. Vgl. Cordula Nitsch: Journalistische Realität als Stoff für Hollywood. Anmerkungen zum investigativem Journalismus im Film. In: Bildpolitik, Sprachpolitik: Untersuchungen zur politischen Kommunikation in der entwickelten Demokratie, hg. von Wilhelm Hofman. Berlin: 2006, S. 87-105. Hier: S. 87. Vgl. ebd., S. 89. Außerdem Hollowell: 1977, S. 48.
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Berufswahl: Reporterleben und Reporterklischees Dass es jedoch weniger um den Habitus des abenteuerlustigen Reporters als um ein (institutionelles) Selbstverständnis geht, bei dem gerade die handwerklichen Aspekte des Berufs im Vordergrund stehen, wird für Tom Wolfe bei seinem Einstand bei der New York Herald Tribune deutlich. Im Gegensatz zu Joseph Roth beginnt Wolfe seine Karriere dezidiert mit dem Ziel, Reporter zu werden, sowie mit einer klaren institutionellen Anbindung als »general assignment reporter«94 bei der New York Herald Tribune. Folglich liegt sein Aufgabenbereich zu Beginn gerade nicht auf einer spezialisierten, sondern auf einer breitgefächerten tagesaktuellen Berichterstattung, bei der das routinierte Tagesgeschäft im Vordergrund steht. Zur Metapher seines Desillusionserlebnisses wird für ihn aus der Retrospektive die Topographie der Zeitungsredaktion insgesamt. Die marode Außenfassade, aber auch die nicht verkleideten Decken im Inneren des Gebäudes, von denen Kabel hinunterhängen, konfrontieren Wolfe mit den wenig glamourösen institutionellen Rahmungen des Reporterberufs: This must be the place!… I looked out across the city room of the Herald Tribune, 100 moldering yards south of Times Square, with a feeling of amazed bohemian bliss… Either this is the real world, Tom or there is no real world…The place looked like the receiving bin at the Good Will… a promiscuous heap of junk […] The whole mess from top to bottom, was painted over in an industrial sludge, Lead Gray, Subway Green, or that unbelievable dead red, that grim distemper of pigment and filth, that they paint the floor with in the tool and die works. […] It was one big pie factory…95 Grotesk ästhetisiert Tom Wolfe die journalistische Arbeitskultur, indem er Parallelen zur Produktion kulinarischer Erzeugnisse zieht. Lediglich die Ausübung eines Handwerks in einer räumlich abgeschlossenen Sphäre steht im Zentrum und nicht Wolfes eigentliche Motivation, als recherchierender Reporter tatsächlich auf die Straße zu gehen. So wird der Journalismus, jeglicher Reporterklischees beraubt, als Maschinerie dargestellt, die ihren Fokus auf eine rein wirtschaftlich rentable Vermarktung ihres Endproduktes setzt. Zieht man nun den ursprünglichen Entstehungskontext dieses Zitats hinzu – The Birth of the New Journalism an Eyewitness Report, Wolfes Leitartikel aus dem Magazin New York, den E. W. Johnson und Wolfe erst im Nachhinein im ersten Teil der Anthologie The New Journalism veröffentlichen
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Joshua Gilder: Tom Wolfe. In: Conversations with Tom Wolfe, hg. von Dorothy M. Scura. Jackson: 1990, S. 158-166. (Zuerst erschienen in: Saturday Review vom 08.04.1981, S. 40-44). Hier: S. 160. Wolfe: The Feature Game, S. 16.
3. Ästhetisieren: Tom Wolfe
– so wird das Redaktionsklima des City Rooms der New York Herald Tribune auch mit Hilfe von Fotos illustriert.96
Institutionalisiertes Tagesgeschäft: als Reporter bei der New York Herald Tribune Wolfes Artikel im New York Magazine vom 14. Februar 1972 erscheint mit einer großen Schwarzweißfotografie, die sich über die ersten beiden Seiten erstreckt und in der Mitte zusammengeheftet ist. Sie vermittelt gezielt den Eindruck einer ungeordneten Geschäftigkeit und Kollaboration, die den Produktionsprozess der Zeitung in den Vordergrund stellt.97 Sie zeigt Journalisten bei der Verrichtung ihres Tagesgeschäfts bei der New York Herald Tribune in Einzelarbeit – beim Recherchieren, Redigieren, Telefonieren oder der Zeitungslektüre – und deutet zudem auf Abstimmungsprozesse in kleinen Teams hin: Die wuchtigen Tische, auf denen sich Zeitungsstapel, Schreibmaschinen, Karteikästen, Ablagefächer und Telefone dicht an dicht sammeln, strukturieren den Raum horizontal, so dass der Eindruck mehrerer immer gleicher und sich simultan nebeneinander ereignender Arbeitsprozesse erweckt wird. Der Akzent der Fotografie liegt somit unmittelbar auf der Architektur des Großraumbüros, was dazu beiträgt, den Gesamtentstehungskontext der Zeitung als Gemeinde Verschworener zu begreifen, die an ein und demselben Produkt mitarbeiten, ohne dass ihre Arbeitsaufteilung oder Spezialisierung räumlich Berücksichtigung fände: There were no interior walls. The corporate hierarchy was not marked off into office spaces. The managing editor worked in a space that was as miserable and scabid as the lowest reporter’s. Most newspapers were like that. This setup was instituted decades ago for practical reasons. But it was kept alive by a curious fact. On newspapers very few editorial employees at the bottom – namely, the reporters – had any ambition whatsoever to move up, to become city editors, managing editors, editors-in-chief, or any of the rest of it. Editors felt no threat from below. They needed no walls. Reporters didn’t want much…merely to be stars!98 Wolfe zufolge bildet das so strukturierte Redaktionsbüro nicht nur den Arbeitsprozess metaphorisch als Ganzes ab, sondern verweist auch auf die personelle Organisationsebene. Hervorzuheben an seiner Darstellung ist, dass das Großraumbüro eine vordergründige Hierarchielosigkeit zeigt, indem die Zeitungsleitung nicht räumlich getrennt von den Reportern operiert. Machtkämpfe werden jenseits institutioneller Posten, also nicht vertikal geführt, sondern vor allem horizontal un-
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Vgl. Tom Wolfe: The Birth of the New Journalism. Eyewitness Report by Tom Wolfe, Teil 1. In: New York Magazine vom 14. Februar 1972, S. 1 u. 30-45. Hier: S. 30. Vgl. ebd., S. 30-31. Wolfe: The Feature Game, S. 16-17.
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ter den Reportern selbst, die gruppenintern um Reputation kämpfen. Mediengeschichtlich fußt diese Dynamik vor allem auf der Aufwertung des Reporterberufs gegenüber anderen journalistischen Berufsrollen, wie beispielsweise des Kommentators oder Leitartiklers, und auf der ausgeweiteten Pressefreiheit.99 Aufwendige Recherche und Storytelling werden als Reporterqualitäten seitens der Leserschaft zunehmend geschätzt und damit von den Zeitungen als wirtschaftlich rentabel angesehen, was wiederum einzelne Reporterpersönlichkeiten in besonderem Maße sichtbar werden lässt.100 Mit dieser Valorisierung entsteht jedoch allmählich auf institutioneller Ebene ein Vakuum: Die Reporter definieren sich nicht mehr primär über Hierarchien oder über die Zugehörigkeit zum jeweiligen Publikationsorgan und dessen institutionelle Autorität in der Medienlandschaft. Vielmehr orientieren sich Reporter wie Wolfe an ihrer eigenen ›Peergroup‹, also in Rückbezug und Abgrenzung zu anderen gleichgestellten Kollegen über die Zeitungsgrenzen hinweg und – wie noch zu zeigen sein wird – jeweils als eigenständiges Autorlabel.101
Roman als Hypothek: Journalistische Autorschaft als Zwischenstation Diese Form der Gruppenbildung journalistischer Autoren durch eine unterschwellige Form des Konkurrenzkampfs trifft vor allem auf die ›feature-writer‹ zu, zu denen sich auch Wolfe zählt. Im Gegensatz zu den ›scoop reporters‹, die sich in erster Linie der journalistischen Berichterstattung tagesaktueller Nachrichten – den »hard news«102 – verpflichtet sehen, definieren sich die Feature-Autoren Wolfe zufolge überwiegend über den Akt des Schreibens: Die unter dem Terminus Feature subsumierten genre-heterogenen Artikel »gave a man a certain amount of room in which to write«103 . Diese Freiheiten führen dazu, dass sich die Autoren weniger über die redaktionellen Prozesse oder ihre journalistische Rolle definieren, sondern sich als Autormarke begreifen, losgelöst von einem Redaktionskollektiv. Dies wiederum lässt auch Rückschlüsse auf ihr Selbstverständnis insgesamt zu. Sie alle schreiben in der Überzeugung, dass der Journalismus für sie nur eine Zwischenstation auf ihrem Weg zu ihrer Berufung als Romanautoren sei:
99 Vgl. Haas: 2004, S. 50. 100 Vgl. ebd., S. 50-53. Hannes Haas betont jedoch, dass die Aufwertung des Reporters – die »Reportokratie« lediglich für eine kurze Zeitspanne in der Öffentlichkeit diskutiert wird. Sie bleibt somit ein Phänomen, das sich langfristig nur auf wenige Reporterpersönlichkeiten bezieht, die ihren Autonomiestatus halten können. Dazu zählen laut Haas beispielsweise die New Journalists. Vgl. außerdem zum neuen Bewusstsein der Reporter und ihren Einfluss auf die Vietnam-Berichterstattung auch Haas: 1999, S. 344-346. 101 Vgl. dazu die programmatischen Aussagen über Kollegen: Wolfe: The Feature Game, S. 17-18. 102 Wolfe: The Feature Game, S. 18. 103 Ebd., S. 18.
3. Ästhetisieren: Tom Wolfe
What they had in common was that they all regarded the newspaper as a motel you checked into overnight on the road to the final triumph. The idea was to get a job on a newspaper, keep body and soul together, pay the rent, get to know ›the world‹, accumulate ›experience‹, perhaps work some of the fat off your style – then, at some point, quit cold, say goodbye to journalism, move into a shack somewhere, work night and day for six months, and light up the sky with the final triumph. The final triumph was known as The Novel.104 Hier wird deutlich, dass der Wertungsunterschied zwischen literarischer und journalistischer Autorschaft den Prozess des Schreibens der Feature-Autoren steuert. So wird das Schreiben für Zeitungen zum einen als Curriculum aufgefasst, dessen Ziel es ist, sich mit handwerklichen Aspekten, »legwork, ›digging‹, reporting«105 , vertraut zu machen.106 Zum anderen wird die Zeitungsarbeit als Broterwerb abgetan und als ›Startkapital‹ für den eigentlichen Karriereweg angesehen. Die Grundfunktion journalistischer Arbeit wird demzufolge auf die Sicherung des Lebensunterhalts reduziert. Dies impliziert eine Idealisierung und Nobilitierung der literarischen Autorschaft, der Tom Wolfe durch eine entsprechende Großschreibung der Gattung ›Roman‹ Tribut zollt. Für den ›feature writer‹ im Spannungsfeld von Literatur und Journalismus ergibt sich aus dem Standesunterschied lediglich eine Personalunion auf Zeit: Folglich ist diese als eine sich sukzessive vollziehende Präsenz in beiden Publikationskontexten angelegt, die nicht auf ein Nebeneinander von journalistischer und literarischer Produktion abzielt. Diese Haltung erklärt nicht zuletzt auch in Ansätzen Wolfes verspätete Autorschaft als Romanautor. Obwohl viele der New Journalists sich zunächst als Feature-Autoren etablierter Zeitungen einen Namen machen, haben sich auch andere Autoren einer Personalunion von journalistischer und literarischer Autorschaft angenähert. Bemerkenswert sind hier vor allem Autoren, die zunächst als Romanschriftsteller Karriere machen. Ein prominentes Beispiel ist Truman Capotes Konzept der Nonfiction Novel, das er 1965 in seinem Werk In Cold Blood umsetzt.107 Für die Frauen unter den New Journalists – so zum Beispiel für Gloria Steinem – ist jedoch von Anfang an das Schreiben für Magazine als freie Journalisten die einzige Möglichkeit, sich zu etablieren. Ihnen wird der Eintritt in Zeitungsredaktionen sowie die Berichterstattung über Politik und Wirtschaft erschwert.108
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Ebd., S. 17-18. Wolfe: Appendix, S. 59. Hervorhebung im Original. Vgl. Haas: 1999, S. 344-345. Vgl. ausführlich zur Nonfiction Novel Kapitel 3.2.2. Autorisieren, inszenieren, präsentieren. Vgl. Gloria Steinem: An Interview. In: The Reporter as Artist, hg. von Ronald Weber. New York: 1974, S. 76-82. (Zuerst erschienen in: The Bulletin of the American Society of Newspaper Editors vom Februar 1971). Hier: S. 76 und 80.
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Feature Game: Zwischen Autonomie und institutioneller Einbindung Das Ziel der ›feature writer‹, langfristig als Romanautoren zu reüssieren, weist bereits auf die Problematik ihrer institutionellen Identifikation hin. Ausschlaggebend ist für sie – wie bereits erörtert – hauptsächlich die Reputation unter Gleichgestellten. Wolfe stellt die Rivalität unter den Feature-Autoren der etablierten New Yorker Zeitungen vor allem mit Hilfe von Stierkampfsymboliken (»main Tijuana bullring«109 ) oder Wettkampfmetaphern aus dem Sport dar,110 die darauf abzielen, den ›feature writer‹ nicht als Schöngeist zu inszenieren, sondern als Kraftkerl und Individualisten. So lässt Wolfe beispielsweise den Kolumnisten Jimmy Breslin mit seiner Schreibmaschine verschmelzen, deren Kraftstoff Kaffee und Zigaretten sind: He would start drinking coffee and smoking cigarettes until vapor started drifting off his body. He looked like a bowling ball fueled with liquid oxygen. Thus fired up, he would start typing. I’ve never seen a man who could write so well against a daily deadline.111 Exemplarisch für den Typ des kompetitiven ›feature writers‹ führt Wolfe seinen Times-Kollegen Gay Talese sowie Dick Schaap, Charles Portis und Jimmy Breslin von der New York Herald Tribune an, die er im Artikel The Birth of the ›New Journalism‹ an Eyewitness Report auch mit einzelnen Porträtaufnahmen würdigt, auf denen alle vier beim Rauchen abgebildet sind.112 Bei den Fotografien von Talese, Portis – der
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Wolfe: The Feature Game, S. 18. Vgl. Wolfe: Like a Novel, S. 24-25. Ebd., S. 26. Wolfe: 1972, S. 35-36. Wie bereits erwähnt, werden alle Journalisten auf den Porträtaufnahmen mit Zigarette dargestellt. Durch den historischen Abstand fällt diese Tatsache besonders ins Auge. Letztlich war das Rauchen in den 1960er und 1970er Jahren jedoch ein weit verbreitetes und gesellschaftlich durchaus geschätztes Phänomen. Zudem war die ›echte‹ amerikanische Zigarette besonders in Europa ein Mythos. Vgl. allgemein zum Rauchen aus kulturwissenschaftlicher Perspektive folgenden Sammelband: Thomas Hengartner u. Christoph Maria Merki: Rauchen aus kulturwissenschaftlicher Sicht. Zürich: 1996. Vgl. darin insbesondere den Aufsatz zur amerikanischen Zigarette: Christoph Maria Merki: Die amerikanische Zigarette – das Maß aller Dinge. Rauchen in Deutschland zur Zeit der Zigarettenwährung. In: Tabakfragen. Rauchen aus kulturwissenschaftlicher Sicht, hg. von Thomas Hengartner u. Christoph Maria Merki. Zürich: 1996, S. 57-82. Vgl. zudem zur Zigarette als Motiv in der Literatur beispielsweise Rolf Lindner: Rauch-Zeichen. Zur Symbolik der Zigarette im 20. Jahrhundert. In: Die Macht der Dinge. Symbolische Kommunikation und kulturelles Handeln. Festschrift für Ruth E. Mohrmann, hg. von Andreas Hartmann, Peter Höher u.a. Münster: 2011, S. 99-106. Möchte man hier jedoch trotzdem die Zigarette als Instrument oder Insignie des Journalisten lesen – beispielsweise als Attribut, die eigene Männlichkeit darzustellen – sei auf folgenden Aufsatz von McKeen verwiesen: William McKeen: Tough Guys with Typewriters. In: Studies in Popular Culture 3 (1980), S. 70-80.
3. Ästhetisieren: Tom Wolfe
später als Autor des Bestsellers True Grit bekannt wird – und Schaap, dem SportReporter der New York Herald Tribune, handelt es sich um Schulter- beziehungsweise Bruststücke, bei Breslin – dem bekanntesten Kolumnisten der New York Herald Tribune – hingegen um ein Kniestück, um dessen Idealisierung und Vorbildfunktion herauszustellen. Jede dieser Fotografien zeigt wenig bis kaum scharfen Bildhintergrund. Auf diese Weise werden also weder eine überwiegend berufliche Rolle noch eine Arbeitshandlung visuell in Szene gesetzt. Lediglich bei Breslin und Portis geht ein redaktioneller Kontext aus den Fotografien hervor, indem Breslin an einen Konferenztisch gelehnt, mit Bücherregalen im Hintergrund und Portis beim Tippen auf einer Schreibmaschine dargestellt wird. Der Fokus der Inszenierung liegt dementsprechend nicht auf der Funktion der Autoren für die Zeitungen, sondern auf ihrer Darstellung als Reporterpersönlichkeiten – losgelöst von den Institutionen. Tatsächlich liegt der Fokus der New York Herold Tribune auf einer Vielstimmigkeit, die insbesondere durch die ›feature writer‹ entsteht, welche sich als Einzelautoren einen Namen machen.113 In seiner Biographie A Writer’s Life beschreibt auch Tom Wolfes Reporter-Kollege Gay Talese die Vorgehensweisen und Marketingstrategien der beiden konkurrierenden Zeitungen New York Herald Tribune und Times. Diese unterscheiden sich insbesondere durch die Platzierung und Relevanz, die sie ihren Autoren beimessen: Talese bezeichnet die New York Herald Tribune als »writer’s paper«, die Times hingegen als »reporter’s« beziehungsweise »recorder’s paper«.114 So genießen Autoren der New York Herald Tribune vergleichsweise mehr institutionelle Freiheit, die ihnen erlaubt, sich in besonderem Maße als Marke zu etablieren.115 Dieses »Autonomiebestreben«116 der Reporterpersönlichkeiten und die institutionelle Flexibilität einzelner Zeitungsinstitutionen bilden die Grundlage für den New Journalism.117 So ist auch Tom Wolfes Tätigkeit am »city desk«118 nur von kurzer Dauer. Die New York Herald Tribune ermöglicht ihm, für die neugegründete Sonntagsbeilage New York zu schreiben und vom Tagesgeschäft für längere Recherchen freigestellt zu sein.119 Diese Freiheiten sind nicht zuletzt auch – wie
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Vgl. Gay Talese: A Writer’s Life. New York: 2006, S. 182: »[…] in its long history, the Times had never hired journalistic stars with a marquee status that made them indispensable to the paper in a box-office sense or any other. The Times was an ensemble. It was a gigantic gray institution of subdued luminosity.« Alle Zitate ebd., S. 182. Vgl. die Aufarbeitung redaktioneller Eingriffe bei Wolfe seitens Redakteurskollegen McKeen: 1995, S. 22-23. Außerdem Ragen: 2002, S. 11-12. Haas: 2004, S. 50. Vgl. dazu ebd., S. 53. Haas macht hier deutlich, dass es sich keinesfalls um ein großflächiges Phänomen, sondern um eine kleine exklusive Gruppe handelt. Wolfe: Like a Novel, S. 28. Vgl. ebd., S. 28-29.
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
Gay Talese in einem Interview in Writer’s Digest beschreibt – auf die marode finanzielle Situation der New York Herald Tribune zurückzuführen, die ihren Betrieb im Jahr 1966 endgültig einstellt und lediglich in Form einer Sonntagsbeilage (New York) fortbesteht: A dying paper is a place where the troops, the members of the staff, have great amounts of fun, freedom. And I was seeing the freedom of the Herald Tribune – those reporters my own age going around and writing with freedom – while I on the Times was subjected to the scrutiny and the tough pencils of the copyreaders. I felt great frustration, and undoubtedly this led to my resignation.120 Mit etwas Vorsprung zu Wolfe erkennt auch Gay Talese wie groß das Streben nach journalistischer Souveränität und selbstständigem Reporterdasein jenseits des Institutionalismus ist. Sein Leiden an der Radikalität der Times-Redakteure fängt er hier in der Metapher des Stifts ein, der sich wie eine Waffe gegen seine Texte richtet.121 Tatsächlich fällt das redaktionelle Eingreifen in den USA laut Evelyn Engesser im internationalen Vergleich wesentlich strenger aus, »sei es, um das Publikumsinteresse oder die Faktengenauigkeit zu erhöhen, die Ausgewogenheit zu verbessern oder um dem Beitrag eine politische Richtung zu geben«122 . Den Ausweg aus der institutionellen Sackgasse hin zu mehr Freiheit wagt Talese im Jahr 1961. Neben seiner Anstellung beim journalistischen Fixstern der New York Times beginnt Talese für den Esquire zu schreiben und kündigt im darauffolgenden Jahr bei der Times.123
3.1.3
Der Bruch mit den Konventionen: Die Provokation des New Journalism
Im Herbst des Jahres 1962 erscheint im Esquire Gay Taleses Artikel über den Boxer Joe Louis. Welche Ausstrahlungskraft dieser Text auf Tom Wolfe hat, lässt sich vor allem auf die virtuose Erzähltechnik dieser Celebrity-Reportage zurückführen: »Hi sweetheart!«, Joe Louis called to his wife, spotting her waiting for him at the Los Angeles Airport. She smiled, walked toward him, and was about to stretch up on her toes and kiss him – but suddenly stopped. »Joe« she said, »where is your tie?« 120 John Brady: Gay Talese. An Interview. In: The Reporter as Artist, hg. von Ronald Weber. New York: 1974, S. 83-110. (Zuerst erschienen in: Writer’s Digest vom Januar und Februar 1973). Hier: S. 106. 121 Diesen institutionellen Prozessen rund um New Yorks journalistische Visitenkarte Times setzt Talese schließlich in seinem Bestseller The Kingdom and the Power: Behind the Scenes at The New York Times: The Institution That Influences the World ein Denkmal. 122 Evelyn Engesser: Journalismus in Fiktion und Wirklichkeit. Ein Vergleich des Journalistenbildes in literarischen Bestsellern mit Befunden der empirischen Kommunikationsforschung. Köln: 2005, S. 236. 123 Vgl. Brady: 1974, S. 84.
3. Ästhetisieren: Tom Wolfe
»Aw, sweetie«, he said, shrugging, »I stayed out all night in New York and didn’t have time –« »All night!« she cut in. »When you’re out here all you do is sleep, sleep, sleep.« »Sweetie«, Joe Louis said, with a tired grin, »I’m an ole man.« »Yes«, she agreed, »but when you go to New York, you try to be young again.«124 Bereits der Beginn der Reportage kondensiert in nur einem Dialog das enorme revolutionäre und prognostische Potenzial des New Journalism, indem aufgezeigt wird, welche Zäsur dieser Text für den Journalismus darstellt. So fällt auf, welche große Intimität zwischen Joe Louis und seiner Frau Gay Talese durch den in Gänze abgebildeten Dialog entstehen lässt. Diese Art des Reportings ist ein absolutes Novum, da sie nur durch den Reporter als unmittelbaren Augenzeugen entsteht, der minutiös die Szenerie beobachtet und jedes Detail festhält. Dieses innovative Potenzial sorgt bei Tom Wolfe für unmittelbare Irritation. So erinnert ihn der Artikel eher an eine Kurzgeschichte als an eine journalistische Reportage: What the hell is going on? […] The really unique thing about it, however, was the reporting. This I frankly couldn’t comprehend at first. I really couldn’t understand how anyone could manage to do reporting on things like the personal by-play between a man and his fourth wife at an airport and then follow it up with that amazing cakewalk down Memory Lane in his second wife’s living room. My instinctive, defensive reaction was that the man had piped it, as the saying went…winged it, made up the dialogue… Christ, maybe he made up whole scenes, the unscrupulous geek…The funny thing was, that was precisely the reaction that countless journalists and literary intellectuals would have over the next nine years as the New Journalism picked up momentum. The bastards are making it up! (I’m telling you, Ump, that’s a spitball he’s throwing…) Really stylish reporting was something no one knew how to deal with, since no one was used to thinking of reporting as having an esthetic dimension.125 Wie aus Tom Wolfes Schilderung hervorgeht, bricht der Text auf Darstellungsebene gezielt mit journalistischen Konventionen und aktualisiert Zuschreibungen, die für literarische Texte Geltung beanspruchen. Dies erreicht Talese, indem er von den vier Erzählverfahren (›techniques‹) gebraucht macht, die Tom Wolfe als stilbildend für den New Journalism charakterisiert und dezidiert als die Etablierung eines »literary style«126 im Journalismus beschreibt. Dazu gehören nicht nur die Wiedergabe ganzer Dialoge (1.), sondern auch die minutiöse Beschreibung von Details – von 124 Gay Talese: Joe Louis: The King as Middle Aged Man. In: Gay Talese. Frank Sinatra Has a Cold and other Essays. London: 2011, S. 12-28. (Zuerst erschienen in: Esquire vom Juni 1962). Hier: S. 12. 125 Wolfe: Like a Novel, S. 24. Hervorhebung im Original. 126 Ebd., S. 36.
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
Kleidung über Stimmungen bis hin zum sozialen Umfeld der Protagonisten (2.) – sowie die Aneinanderreihung einzelner ›Szenen‹ als Narrativ (3.) und der Einsatz einer personalen Erzählperspektive, um die Gedankenwelt der Protagonisten darzustellen (4.).127
Lektüreerlebnis mit Folgen: Taleses Joe Louis-Reportage Die Verwendung dieser Techniken kulminiere, wie aus Wolfes zitiertem Lektüreerlebnis hervorgeht, in dem Vorwurf der Fiktion, der von literarischen und journalistischen Institutionen bei der Rezeption des New Journalism immer wieder erhoben wird. Der New Journalism verletze journalistische Lizenzen, indem er den Faktualitätsanspruch explizit ausheble. So lässt sich bereits anhand Taleses frühem Artikel die Tendenz eines neuen Berichterstattungsmuster erkennen, das dem Informationsjournalismus im klassischen Sinne entgegensteht. Eine weitere Provokation – jenseits der Architektur des Textes – stellt das Medium dar, in dem Talese veröffentlicht. Dass sich einzelne Reporter – darunter nicht nur Stars wie Talese – entschließen,128 weitgehend als Freelancer für Magazine wie den Esquire zu schreiben, etablierte Zeitungen zu verlassen und damit auch langfristig einen ökonomisch unsicheren Status zu riskieren, gehört zu den Grundvoraussetzungen des New Journalism.129 Zu fragen bleibt, was ein Herrenmagazin, dessen Artikel von Werbeanzeigen der neuesten Modetrends, Spirituosen und Sportwagen sowie Pin-Ups umsäumt werden, so attraktiv für die Autoren macht, die als Autoritäten auf dem hart umkämpften Markt des Zeitungsjournalismus gelten. Tatsächlich bestimmen die Veröffentlichungskontexte jenseits etablierter Zeitungsinstitutionen und die damit verbundene Medienkritik die Diskussion. Im Folgenden sollen zunächst die Beweggründe von Autoren wie Wolfe erläutert werden, die dazu führen, dass diese ihr Autorlabel vor allem in Zusammenspiel mit Magazinen und ihren Herausgebern etablieren. Aus medienhistorischer Perspektive sollen dabei Einblicke in die Magazinkultur der 1960er Jahre gegeben werden, die als wichtigste Form für die Publikationen des New Journalism anzusehen sind. Dabei wird die These verfolgt, dass Tom Wolfes Autorschaft sich in erheblichem Maße aus dem Streben nach einem neuen, erweiterten Autorschaftsverständnis entwickelt, das sich im Kontext des New Journalism herausbildet.
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Vgl. den Überblick der Erzählverfahren bei Hollowell: 1977, S. 22-40. Auch Talese ist zu Beginn seiner Karriere beimEsquire wesentlich schlechter bezahlt als zuvor bei der Times. Dennoch gehört er zu den bestbezahltesten Autoren des Magazins. Vgl. Polsgrove: 1995, S. 139. Vgl. Haas: 2004, S. 53.
3. Ästhetisieren: Tom Wolfe
Statusfrage: Institutionelle Entfesselung im Magazin-Journalismus David E. Summer definiert das 20. Jahrhundert in seiner Geschichte des amerikanischen Magazinmarktes als »The Magazine Century«130 . In keinem anderen Jahrzehnt geht von der Zeitschriftenkultur eine so große kulturelle Wirkung aus wie in den 1960er Jahren. Magazine und (Magazin-)Beilagen etablierter Zeitungen – wie dem New York Magazine, Esquire oder Rolling Stone, um nur einige zu nennen – werden zu Publikationsforen, die den neuen gesellschaftlichen Sujets Raum geben. Aus medienhistorischer Perspektive liest sich die Erfolgsgeschichte des MagazinJournalismus jedoch nicht nur als Reaktion auf die gesellschaftlichen und kulturellen Umwälzungsprozesse: Entscheidend ist auch die Zäsur, die mit der Etablierung des Mediums Fernsehen im US-Journalismus insgesamt in den 1950er Jahren markiert wird. So lässt sich beispielsweise feststellen, dass die Lektüre von Magazinen mit thematischer Ausrichtung eine Ergänzung zur Fernsehberichterstattung darstellt, da hier auf größerem Raum fundierte Hintergrundberichte gegeben werden können.131 Magazine wie der Esquire florieren außerdem, da sie sich auf eine bestimmte Leserschaft (Männer unter 35 Jahren) konzentrieren: Mit ihrem Programm sprechen sie diese nicht nur an, sondern akquirieren darüber hinaus auch Werbepartner, die speziell auf die Leser zugeschnittene Anzeigen schalten.132 Von dem Prozess negativ beeinflusst wird hingegen der klassische Nachrichten- und Informationsjournalismus im Printbereich, was sich unter anderem am Niedergang der New York Herald Tribune zeigt, deren Sonntagsbeilage in Magazinform (New York) jedoch fortgeführt und ausgebaut wird. So gelingt es der Fernsehberichterstattung wesentlich schneller Informationen weiterzureichen, da sie an keine Druckfristen gebunden ist. Diese Entwicklungen begünstigen in vielfacher Hinsicht den New Journalism, da sich das ›Feature Game‹ nun allmählich von Zeitungsinstitutionen in Magazine verlagert.133 Dass renommierte Reporter wie Talese für den Esquire schreiben und auch Tom Wolfe nach dem Niedergang der New York Herald Tribune nicht weiter versuchen,134 bei etablierten Zeitungen unter Vertrag genommen zu werden, ist vor allem den institutionellen Grenzen dieser Publikationsorgane geschuldet. Die strengen Reglements, die Talese beispielsweise bei der Times erfährt, beschreibt er als so einschneidend, dass er seine Berufswahl sogar zu Beginn der 1960er Jahre nachhaltig in Frage stellt:
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Summer: 2010, S. 1. Vgl. ebd., S. 124-125 und S. 148-149. Vgl. Hollowell: 1977, S. 38-39. Vgl. Summer: 2010, S. 124-125 und S. 148-149. Talese verlässt dieTimes endgültig im Jahr 1965. Vgl. Talese: 2006, S. 180.
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The lowpoint in my career as a newspaperman was in the early 1960's – 1962, ›63 – when I was frustrated by what I was unable to do at the New York Times. I wanted freedom. I wanted to go around the country, to report and write about what I thought was important, interesting: a convention, the World Series, some revolt of farmers in Iowa, or whatever. I wanted to have some freedom to go to places; I didn’t want to be nailed down.135 Die Setzung eigener Themen und die Möglichkeit, bei der Ausführung der Redaktionsaufträge weitgehend freie Hand zu haben, bieten beispielsweise der Esquire unter Harold Hayes und insbesondere das von dem ehemaligen Esquire-Herausgeber Clay Felker im Jahr 1968 gegründete Magazin New York.136 Beide Magazine gelten als die zentralen Publikationsforen der 1960er (Esquire) und der frühen 1970er Jahre (New York), da sie nicht nur neue Themen auf die Agenda setzen, sondern ihren Autoren einen anderen Stellenwert beimessen. Dass sich dieses neue Arbeitsumfeld auch unmittelbar auf die Qualität der Texte auswirkt, beschreibt Tom Wolfe: At the time, I hardly ever read magazines like Esquire. I wouldn’t have read the Joe Louis piece except that it was by Gay Talese. After all, Talese was a reporter for the Times. […] What he has written for Esquire was so much better than what he was doing (or he was allowed to do) for the Times. I had to check out what was going on.137 Die Voraussetzung für solche, bis dahin ungewohnten Freiheiten ist ein neues Selbstverständnis der Zusammenarbeit zwischen Herausgebern, Redaktionen und ihren Reportern. Diese Entwicklung und die Tatsache, dass große Namen für Magazine schreiben, weckt – wie Wolfes Zitat zeigt – insgesamt großes Interesse bei den Feature-Writern, sogar für neue und weniger etablierte Zeitschriften wie New York und später auch den Rolling Stone zu schreiben.138 Diese Akzentverschiebung hin zu mehr Autonomie und selbstbestimmterem Arbeiten, die dieses Magazin von Anfang an prägt, beschreibt die Autorin und Journalistin Gloria Steinem: An editor who hires a writer should hire him not because the writer is a writing machine, but because he trusts his judgement. Therefore, when the writer is out in the field – which is inevitably the case, since the editor is shut up in the office 135 136
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Brady: 1974, S. 106. Einblicke in Clay Felkers Arbeit als Herausgeber gewährt Truscott. Vgl. Lucian K. Truscott IV: Clay Felker. Requiem for a Winner. In: Media Culture. Television, Radio, Records, Books, Magazines, Newspaper, Movies, hg. von James Monaco. New York: 1987, S. 27-49. (Zuerst erschienen in: New Times vom 4. März 1977). Das Magazin New York existiert ab 1968 unabhängig von der New York Herald Tribune, die 1966 eingestellt wird. Wolfe: Like a Novel, S. 24. Der Esquire blickt auf eine lange Tradition seit den 1930er Jahren zurück, in denen Autoren wie Ernest Hemingway für das Magazin schreiben.
3. Ästhetisieren: Tom Wolfe
– the editor has to go with the writer’s instinct. I think that’s important about a magazine like New York. It’s a writer’s magazine not an editor’s magazine.139 Steinem betont hier explizit die veränderte Wertschätzung der Arbeit und Expertise der Reporter. Diese beruhe im Wesentlichen auf einer Anerkennung der besonderen Funktion des Reporters als Augenzeuge und einer klaren institutionellen Definition und Abgrenzung seines Arbeitsprofils von anderen redaktionellen Rollen. Voraussetzung dafür ist das Zugeständnis der Herausgeber, den Reporten freie Hand zu lassen und primär redaktionellen Tätigkeiten nachzugehen und ein neues Berichterstattungsmuster in den Magazinen zuzulassen.
Old versus new: Der Reporter als Augenzeuge Als größte Innovation des New Journalism sieht Wolfe nicht die Etablierung von Erzählkonventionen, die bis dahin vor allem mit literarischen Werken assoziiert werden, sondern den Stellenwert, der dem Reporting insgesamt beigemessen wird. Um überhaupt eine Innenansicht der Personen zu ermöglichen und den Fokus so minutiös auf Details und Dialoge lenken zu können, bedarf es zunächst einer bis dahin unüblich aufwendigen Rechercheleistung: It was more intense, more detailed, and certainly more time-consuming than anything that newspaper or magazine reports, including investigative reporters, were accustomed to. […] The most important things one attempted in terms of technique depended upon a depth of information that had never been demanded in newspaper work.140 Dieser Statuszugewinn des Reportings, dessen Grundstein die Recherche legt, kann, wie nicht nur von Tom Wolfe, sondern vielfach in der Forschung dargestellt, als der zentrale Paradigmenwechsel angesehen werden, der durch den Einzug des New Journalism in den traditionellen Informationsjournalismus entsteht.141 Wie Gay Talese auf einer Podiumsdiskussion mit Herold Hayes und Tom Wolfe in der Columbia Graduate School of Journalism im Jahr 1970 betont, fußt diese Entwicklung auch auf einer Neujustierung der Reporterrolle, indem dieser als Augenzeuge auftritt: When I was a newspaperman reporting was such as Tom mentioned – you go out, at two o’clock in the afternoon, you get your quotes or whatever it is of the alleged happening, most of which you didn’t see, incidentally. The old journalism was never eye-witness, except sports writing. I think a sportswriter was actually
139 Steinem: S. 78-79. 140 Wolfe: Like a Novel, S. 34. 141 Vgl. zum Paradigmenwechsel des Berichterstattungsmusters Haas: 1999, S. 343-349.
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
the only reporter who sees with his own eyes what he’s reporting the next day in a newspaper.142 Der Zeitdruck im klassischen Journalismus und die Problematik, sich lediglich auf vermittelte Fakten berufen zu können, die beispielsweise durch Interviews erhoben werden und nicht selbst vor Ort von den Ereignissen berichten zu können, schwächen den Reporter zudem. Auch Wolfe stellt heraus, dass der Reporter sich damit von der aus zweiter Hand beschriebenen Faktenlage abhängig macht: The old kind of reporting which I also went through ten years of you’d usually have only an hour to do something anyway, or maybe two hours, when you’re on general assignments, you’re going out to get something, so you’re always going from the direct quote, What [sic!] did you do at this point? […] And any time you asked a politician a question, you’d get this numbing response. The words start pouring out, but under the old system you’re sort of duty bound to take them and you transfer these words from his desk back to your city desk, or from his desk back to a cable office, you’re just a courier, that’s all you are; you’re not really reporting.143 Die Emanzipation des Reporters und seine neue Stellung als Augenzeuge ist jedoch keinesfalls als vollständiger Bruch mit dem klassischen Informationsjournalismus zu verstehen. Autoren wie Wolfe und Talese halten immer noch am Interview als wichtigstem Rechercheinstrument fest.144 Neu ist jedoch der Anspruch auf multiperspektivisches Erzählen,145 den die New Journalists versuchen umzusetzen, indem sie oft Tage oder Wochen mit ihren Protagonisten verleben.146 So werden neben den zentralen Akteuren auch nur am Rande beteiligte Personen interviewt und das soziale Umfeld analysiert.147 In einem zweiten Schritt fokussieren sich die New Journalists auf das Erfassen der ›scene‹:148 Sie begleiten die Protagonisten als Augenzeugen und erleben Ereignisse aus nächster Nähe mit (dieses Vorgehen wird als
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Robinson: 1974, S. 72. Ebd., S. 71. Vgl. ebd., S. 71-72. Vgl. David McHam: The Authentic New Journalists. In: The Reporter as Artist, hg. von Ronald Weber. New York: 1974, S. 111-121. (Zuerst erschienen in: The Quill vom September 1971). Hier: S. 114: »What these articles such as Wolfe’s and others do is to get into a subject in depth, to look at it with great detail, sometimes from more than one point of view and sometimes with penetrating insight into only one point of view. The mode gives the writer the opportunity to get into a subject, to move around inside it, to look it over and then give that information to the reader.« 146 Vgl. Richard A. Kallan: Tom Wolfe. In: A Sourcebook of American Literary Journalism. Represenatative Writers in an Emerging Genre, hg. von Thomas B. Connery. New York: 1992, S. 249259. Hier: S. 251. 147 Vgl. Hollowell: 1977, S. 34-35. 148 Vgl. Robinson: 1974, S. 71.
3. Ästhetisieren: Tom Wolfe
›shadowing‹149 bezeichnet).150 Nicht selten zielt diese Form der ›Immersion‹ auf eine Entgrenzung des Autors ab, indem er im Anschluss selbst Teil der erzählten Welt wird.151 Wie Richard A. Kallan betont, ist der New Journalism aus Perspektive der Journalistik somit auch als Methode zur Datenerhebung anzusehen:152 Um die Fülle an Informationen verarbeiten zu können, trainieren die New Journalists sogar spezielle Memo-Techniken, da sich die meisten trotz des technischen Fortschritts weigern, Aufzeichnungsapparate zu verwenden.153
Der Autor als Chance für den Herausgeber: Harold Hayes und Clay Felker Wie in der Forschung vielfach beschrieben und in der zeitgenössischen Rezeption des New Journalism herausgestellt wird, gilt insbesondere der Esquire als »seedbed«154 des New Journalism und als Karrieresprungbrett für Tom Wolfe.155 Anfang der 1960er Jahre erkennt der Herausgeber Herold Hayes das Potenzial, das der New 149 Vgl. Kallan: 1992, S. 251. 150 Vgl. Robinson: 1974, S. 72. Hier beschreibt Talese das Zusammenspiel von Interview und Augenzeugenrecherche: »And then having finished that, that work, the interviewing and understanding of your character, then you start. You start to follow the person around. […] they would have stopped at that point. They would have interviewed, asked the direct questions, throw it all together and do the piece. Well, that’s were the old ended, and that’s where now I would begin.« 151 Vgl. zur Immersion im New Journalism Mark Kramer: Breakable Rules for Literary Journalists. In: Literary Journalism and Imaginative Writing in America, hg. von Mark Kramer u. Norman Sims. New York: 1995, S. 21-34. Hier: S. 22-23. Vgl. Hollowell: 1977, S. 42: Paradebeispiele für das oftmals gefährliche Immersion-Reporting sind beispielsweise Hunter S. Thompsons Hell’s Angels: A Strange an Terrible Saga (1967) und George Plimptons Paper Lion (1966). Thompson wird innerhalb des 18-monatigen Trips zum Teil der Hell’s Angels und auch Plimpton spielt mit den Detroit Lions Football. Vgl. zur Genese des Terminus der Immersion: JeanMarie Schaeffer u. Ioana Vultur: Immersion. In: Routledge Encyclopedia of Narrative Theory, hg. von David Herman, Manfred Jahn u.a. London/New York: 2005, S. 237-239. 152 Vgl. Kallan: 1992, S. 251. 153 Capote begründet dieses Vorgehen damit, dass er die Gesprächsatmosphäre nicht verfälschen möchte. Vgl. George Plimpton: Truman Capote. An Interview. In: The Reporter as Artist, hg. von Ronald Weber. New York: 1974, S. 188-206. (Zuerst erschienen in: The New York Times Book Review vom 16. Januar 1966). Hier: S. 194-195. Gay Talese hingegen befürchtet, dass sich die Interviewpartner unter Druck gesetzt fühlen und ihm Material vorenthalten würden. Vgl. Brady: 1974, S. 194-195. 154 Murphy: 1974, S. 5. 155 Die Relevanz des Magazins und sein innovativer Geist wurden nicht zuletzt mit drei Monographien gewürdigt: Einen fundierten Einblick über Hayes Zeit beim Esquire und die 1960er bietet insbesondere Polsgrove: 1995. Die Genese des Magazins und die Voraussetzungen für Hayes Innovationen beschreibt Arnold Gingrich: Nothing but the People. The Early Days at Esquire. A Personal History, 1928-1958. New York: 1971. Den Fokus auf die Typographie und die legendären Cover legt der Esquire-Graphiker George Lois selbst in George Lois: Covering the ›60s. George Lois, the Esquire Era. New York: 1996.
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Journalism birgt. Mittels der Akquise einzelner Autoren wie James Baldwin, Rex Reed, Saul Bellow, Philip Roth, Norman Mailer, Dorothy Parker, Tom Wolfe und Gay Talese versucht er, die Reputation des Mediums zu steigern und einen ImageWandel im Magazin-Journalismus zu vollziehen. Dieser sieht eine Modernisierung der thematischen wie stilistischen Ausrichtung des Esquire vor und damit einen Bruch mit den verkrusteten Strukturen der 1950er Jahre: The magazine article was a convention of writing, and those who were successful at it were those who understood the convention in the same way that a reporter understands the demands of a news story. There was an anecdotal lead opening into the general theme of the piece; then some explanation, followed by anecdotes or examples. If a single individual was important to the story, some biographical material was included. Then there would be a further rendering of the subject, and the article would close with an anecdote. Now that’s a crude expression of the form, but it was a form up until that time; it was a form that was commercially successful in almost all the consumer magazines with the exception of the New Yorker, with Esquire to some extent, the Atlantic and Harper’s. With these magazines, there was some feeling that the possibilities of nonfiction were greater.156 Hayes inszeniert den Esquire hier als Zeitschrift, die sich bewusst als Gegenmodell zum herkömmlichen Magazin-Journalismus versteht, dessen Artikel nach einem vorgefertigten und damit vorhersehbaren Schema ›gebaut‹ werden. Der Bruch mit den starren Formen fußt dabei auf dem Ideal, ein Magazin zu entwerfen, das sich bewusst über neue Schreibtraditionen definiert. Dies lässt Hayes Anspruch erkennen, das Magazin zum Zentrum einer verschworenen Gemeinschaft aus Autoren, Redakteuren und Herausgeber werden zu lassen, die ein neues Verständnis von Institutionalismus und journalistischer Qualität verbindet. Sich jenseits althergebrachter Konventionen zu einem Experimentierfeld für eine neue Form des Journalismus zu machen, zielt nicht zuletzt auf einen sozialen Prestigegewinn des Herausgebers selbst ab. Für ihn gehört die Einbindung von Autoren wie Talese und Wolfe auch zu einer ausgeklügelten Marketingstrategie, sich so von anderen Magazinen abzuheben. Dabei stellt sich Hayes als Herausgeber dar, der Autoren wie Wolfe im Esquire ›macht‹: With Tom, the thing that was absolutely fascinating for us at Esquire, was the point when he decided to write good stuff, but fairly conventional stuff. And suddenly, on a weekend, Tom discovered a voice for himself, absolutely unique, and it is
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Robinson: 1974, S. 67.
3. Ästhetisieren: Tom Wolfe
now perhaps one of the most copied voices in all magazine reporting. He’s ruined a whole generation of journalists, I think.157 Auffallend ist hier der Gestus, mit dem der Herausgeber Wolfe als neue Autorenstimme einführt, die in die Gemeinschaft der Verschworenen, das Redaktionskollektiv, aufgenommen wird. Hayes erklärt ferner die ›Esquire-Community‹ dafür verantwortlich, dass Wolfes Autorlabel durch das Magazin entscheidend geformt wird. Dabei spielt er insbesondere auf die Veröffentlichung von Wolfes erstem großen Erfolg im Esquire There Goes (Varoom Varoom!) That Kandy-Kolored (Thphhhhhh!) Tangerine Flake Streamline Baby (Rahghhh!) Around the Bend (Brummmmmmmmmmmmmmmm!) an. Dieser Artikel über Custom Cars in Kalifornien sorgt dafür, dass Tom Wolfes Name untrennbar mit dem New Journalism verknüpft wird: Da Wolfe zu dieser Zeit unter einer Schreibblockade leidet und keinen Artikel abgeben kann, schickt er stattdessen einen 48-Seiten langen Brief an die Redaktion. Dieser ungewöhnliche Beitrag wird genauso gedruckt und weist bereits sämtliche stilistischen Besonderheiten wie Onomatopoesie oder den exzessiven Gebrauch von Satzzeichen auf, die zum Erkennungszeichen vieler seiner Werke werden.158 Ein ähnliches Selbstverständnis, als Herausgeber eine Generation neuer Schriftsteller zu prägen, hat auch Clay Felker vom Magazin New York. Er ermöglicht Wolfe, neben der Arbeit als Reporter im ›city room‹ der New York Herald Tribune auch für sein neues Magazin zu veröffentlichen. Doch zwischen ihm und Herold Hayes herrscht, seitdem Felker, der sich ebenfalls um den EsquireHerausgeberposten bemüht hatte, zur New York Herold Tribune wechselt, ein offener Konkurrenzkampf. Zum Nebenschauplatz dieser Fehde wird auch der Wettbewerb um Autoren wie Tom Wolfe, die in beiden Magazinen gefragt sind.159 Posthum idealisiert Wolfe Felkers Herausgeberschaft folgendermaßen: He at first seemed very bluff and even could be gruff, but he created an atmosphere in which everybody wanted to do their very best for Clay. Everybody said he’d tell a writer he liked, I’m going to make you a star. I never heard him say that, but that was the atmosphere he created in your mind.160 Die Vorteile, die sich für Felker aus einer Kooperation mit Autoren wie Wolfe ergeben, liegen nicht zuletzt darin begründet, dass sie für sein Medium Aufmerksamkeit akkumulieren. Wolfe bringt New York immer wieder in die öffentliche Diskussion und macht das Magazin zum Austragungsort der Medienkritik des New 157 158 159 160
Ebd., S. 74. Vgl. ebd., S. 74. DiGiacomo: 2006. Dennis McLellan: Obituaries. Clay Felker 1925-2008. Innovative editor of New York Magazine. In: Los Angeles Times vom 02.07.2008. URL: http://articles.latimes.com/2008/jul/02/local/me -felker2 (abgerufen am 25.11.2020).
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
Journalism. Dabei geht es vor allem um die Leistung journalistischer Institutionen: So sorgt Wolfe beispielsweise im Jahr 1965 mit Tiny Mummies! The True Story of the Ruler of 43rd Street’s Land of the Walking Dead! für einen großen Eklat, indem er darin den Führungsstil des New Yorker-Herausgebers William Shawn abkanzelt und die Zeitschrift selbst karikiert.161 Wie Hayes den Esquire macht also auch Felker New York zu einem Zentrum des New Journalism. Was beide letztlich vereint, ist der Instinkt, über die Einbindung neuer Autoren soziales Prestige zu erringen und eine neue, beziehungsweise erweiterte Leserschaft zu gewinnen. Felker sieht in der Hinwendung zum New Journalism jedoch explizit die Möglichkeit, auch zum Medium Fernsehen konkurrenzfähig zu bleiben. So fungieren die Autoren vor allem als erweitertes Sprachrohr des Magazinkollektivs, dessen Funktion es ist, durch die neue Art des Reportings das Publikum zu erreichen. So sprächen die New Journalists in besonderer Weise die Affekte an: I had been experimenting along with several other editors in town with something that was then called the New Journalism […]. These were people who could do that, using traditional techniques of English literature in a different form – which I have always felt communicates not only the facts but the emotions. And these people were those who connected emotionally with our particular kind of audience.162 Wie dieses Zitat verdeutlicht, ist die Entscheidung, mithilfe des New Journalism zu einem neuen Programmkurs zu finden, bei beiden Magazinen klar ökonomisch motiviert.163
3.1.4
Die Krise des Romans – Journalisten als Profiteure?
Obwohl Taleses Esquire-Reportagen von Wolfe als Gründungstexte des New Journalism beschrieben werden, herrscht in der Forschung ein breiter Konsens darüber, dass der tatsächliche Beginn des New Journalism – sofern man ihn auch als Strömung definiert – auf das Jahr 1965 zu datieren sei.164 In diesem Jahr erscheint neben Wolfes Reportage-Anthologie The Kandy-Kolored Tangerine-Flake Streamline Baby auch Truman Capotes Roman In Cold Blood. Capote, ein bereits etablierter Romanautor, bedient sich journalistischer Konventionen, um die Geschichte eines Mordes 161 162
Vgl. dazu ausführlich Weingarten: 2006, S. 9-34. Deirdre Carmody: Conversations. Clay Felker. He Created Magazines by Marrying New Journalism to Consumerism. In: The New York Times, National Edition vom 09. April 1995. URL: https://www.nytimes.com/1995/04/09/weekinreview/conversations-clay-felker-hecreated-magazines-marrying-new-journalism.html (abgerufen am 25.11.2020). 163 Vgl. Hollowell: 1977, S. 39. 164 Vgl. Hellmann: 1981, S. 1.
3. Ästhetisieren: Tom Wolfe
als Nonfiction Novel zu erzählen, wohingegen Wolfe – als aufstrebender Journalist – Darstellungstechniken verwendet, die primär der Literatur zugeordnet werden, um über getunte Autos, New Yorks It-Girl des Jahres oder über Las Vegas Metamorphose von einer Wüstenstadt in ein einziges Kasino zu berichten.165 Die Tatsache, dass sich immer mehr Romanschriftsteller zunehmend für journalistische Formen interessieren, weist Wolfe zu Folge auf einen Statuszugewinn des Journalismus insgesamt hin.166 Tatsächlich ist die Rede vom Reputationsverlust der Gattung Roman und des Romanciers in der öffentlichen Diskussion ubiquitär, indem die Krise des Romans zum Topos der Literaturkritik erklärt wird.167 Der neokonservative Intellektuelle Norman Podhoretz beschreibt in seiner Essaysammlung Doings and Undoing: The Fifties and After in American Writing die Lage folgendermaßen: Many other critics have tried to explain the low condition of current fiction by declaring that the novel is »dead«, an exhausted genre like the epic and verse drama. But whether or not the novel is dead (and I myself don’t believe that it is), one thing is certain: that a large class of readers with or without the benefit of theories about the rise and fall of literary forms, has found itself responding more enthusiastically to what is lamely called »nonfiction« (and especially to magazine articles and even book reviews) than to current fiction.168 Die von Podhoretz skizzierte Tendenz, dass die potenzielle Leserschaft von Romanen abwandert und stattdessen die Lektüre von Zeitungsartikeln präferiert, lässt auf eine sich zuspitzende allgemeine Konkurrenzsituation um Aufmerksamkeitsressourcen schließen, die zwischen dem literarischen und journalistischen Feld bereits in vollem Gange ist. Diese Diskussion instrumentalisiert Tom Wolfe, indem er Obwohl in der Forschung In Cold Blood als Gründungstext des New Journalism angeführt wird, ist zu bedenken, dass Capote sich in Interviews von dem New Journalism distanziert. Vgl. Plimpton: 1974, S. 190-191: »If you mean James Breslin and Tom Wolfe, and that crowd, they have nothing to do with creative journalism – in the sense that I use the term – because neither of them, nor any of that school of reporting, have the proper fictional technical equipment. It’s useless for a writer whose talent is essentially journalistic to attempt creative reportage, because it simply won’t work.« 166 Vgl. Wolfe: Seizing the Power, S. 40-41. 167 Den Fiktionsverlust beobachtet auch Krim und kommt zu dem Ergebnis, dass der Roman vor allem für eine jüngere Generation von Lesern kaum noch Relevanz habe. Vgl. Krim: 1974, S. 173: »Perhaps there was a time, really, truly, down in the belly, when fiction in America shed more light on the outlook of a generation than nonfiction; but today the application of fictional and avantgarde prose techniques to the factual scene before us seems much more crucially necessary.« 168 Norman Podhoretz: The Article as Art. In: The Reporter as Artist, hg. von Ronald Weber. New York: 1974, S. 125-136. (Zuerst erschienen in: Norman Podhoretz: Doings and Undoings. The Fifties and After in American Writing. New York: 1964). Hier: S. 129. Hervorhebung im Original. 165
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
vor allem zwei Strategien anwendet, um den New Journalism als Urheber der Entwicklung zu inszenieren und letztlich selbst sein Autorlabel zu positionieren. In der Forschung zur Inszenierungspraxis werden diese Vorgehensweisen vor allem als Abgrenzungs- und Überbietungsstrategien gefasst. Beide Mechanismen fußen auf der Stärkung der eigenen Position bei gleichzeitiger Schwächung anderer. Abgrenzung und Überbietung gehen bei Wolfe Hand in Hand, indem er sowohl nach maximaler Distinktion seiner erklärten Gegner – den Romanschriftstellern als Repräsentanten eines etablierten Literaturbetriebs und dem ›alten Journalismus‹ – strebt, als auch mit diesen konkurriert.169
Tom Wolfe & His Magic Writing Machine: Die Parajournalism-Kontroverse Wolfes Motivation, für Magazine zu schreiben, ist also nicht allein mit einem Zugewinn an Autonomie zu erklären. Vielmehr wittert er darin die Chance, Aufmerksamkeit für sein Autorlabel zu akkumulieren. Er provoziert den Literaturbetrieb nachhaltig, indem er als Journalist einen Statuskampf um das Verhältnis von Literatur und Journalismus eröffnet. Diesen trägt er in einem Publikationsformat aus, das einen vergleichsweise niedrigen Reputationsgrad genießt: Sunday supplements were close to being the lowest form of periodical. Their status was well below that of the ordinary daily newspaper, and only slightly above that of the morbidity press […]. As a result, Sunday supplements had no traditions, no pretensions, no promises to live up to, not even any rules to speak of. They were brain candy, that was all. Readers felt no guilt whatsoever about laying them aside, throwing them away or not looking at them at all.170 Hier wird das Ausmaß deutlich, mit dem Wolfes Texte zur Provokation der Literatur- und Medienelite werden. Er unterläuft mit Veröffentlichungen in Sonntagsbeilagen jegliches Einschreiben in journalistische Traditionen und unterhöhlt zugleich den Versuch einer Kanonanbindung. Bei der Etablierung seiner Autorschaft zielt er also nicht auf eine Legitimation durch institutionelle Autoritäten ab. Letztlich potenziert er sogar institutionelle Destabilisierungsprozesse, indem er innerhalb der Magazine eine Diskussion um den Standesunterschied von literarischer und journalistischer Autorschaft initiiert. Doch nichts verdeutlicht Wolfes Statusanspruch mehr als die Tatsache, dass er den Journalismus zum Gegenstand der Literaturkritik erklärt und die Kontroverse um den Statusgewinn des Journalisten nicht im journalistischen, sondern
169 Vgl. Gerhard Kaiser: Distinktion, Überbietung, Beweglichkeit. Schillers schriftstellerische Inszenierungspraktiken. In: Schriftstellerische Inszenierungspraktiken – Typologie und Geschichte, hg. von Christoph Jürgensen u. Gerhard Kaiser. Heidelberg: 2011, S. 121-141. Hier: S. 122. 170 Wolfe: Like a Novel, S. 34.
3. Ästhetisieren: Tom Wolfe
im literarischen Feld führt.171 So wird Wolfes Inszenierungsgestus in den Magazinen auch einer starken Kritik seitens Intellektueller-Autoritäten unterzogen. Paradigmatisch für diese Auseinandersetzung ist Dwight Macdonalds Rezension von Wolfes Artikelsammlung The Kandy Kolored Tangerine-Flake Streamline Baby. Dwight Macdonald, der in den Sechzigern als »living history of American magazines«172 gilt, stilisiert Tom Wolfe sowohl als Gegner des journalistischen als auch des literarischen Establishments und als ›Parajournalist‹: A new kind of journalism is being born, or spawned. It might be called »parajournalism«, from the Greek »para«, »beside« or »against«: something similar in form but different in function. […] It is a bastard form, having it both ways, exploiting the factual authority of journalism and the atmospheric license of fiction.173 Der Vorwurf den MacDonald gegenüber Tom Wolfe als »king of the cats«174 und weiteren New Journalists erhebt, ist kein geringerer, als dass sie beide Professionen verfehlten und es weder mit Qualitätsjournalisten noch mit Romanschriftstellern aufnehmen könnten.175 Trotz des gegenwärtigen großen ökonomischen Erfolgs der Anthologie The Kandy Kolored Tangerine-Flake Streamline Baby prognostiziert er Wolfe, in Vergessenheit zu geraten und beschuldigt ihn, nichts Weiteres zu tun, als Romanautoren zu plagiieren: I don’t think Wolfe will be read with pleasure, or at all, years from now, and perhaps not even next year, and for the same reason the reviewers, and the reading public, are so taken with his book now: because he has treated novel subjects – fairly novel, others have discovered our teen-age culture including myself, seven years ago, in a New Yorker series – in a novel style. But I predict the subjects will prove of ephemeral interest and that the style will not wear well because its eccentricities, while novel, are monotonous; […].176
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Symptomatisch hierfür sind auch folgende Rezensionen, die zeigen, dass der New Journalism Werkscharakter hat: Vgl. William L. Rivers: The New Confusion. In: The Reporter as Artist, hg. von Ronald Weber. New York: 1974, S. 234-243. (Zuerst erschienen in: The Progressive vom Dezember 1974). Außerdem: Michael J. Arlen: Notes on the New Journalism. In: The Reporter as Artist, hg. von Ronald Weber. New York: 1974, S. 244-259. (Zuerst erschienen in: The Atlantic vom Mai 1972). Polsgrove: 1995, S. 129. Dwight Macdonald: Parajournalism or Tom Wolfe & His Magic Writing Machine. In: The Reporter as Artist, hg. von Ronald Weber. New York: 1974, S. 223-233. (Zuerst erschienen in: The New York Review of Books vom 26.08.1965). Hier: S. 223. Ebd., S. 225. Vgl. Robinson: 1974, S. 69. Hier liest Gay Talese MacDonalds Anschuldigungen sogar als Vorwurf nicht redlichen Arbeitens: »Parajournalism is Dwight Macdonald’s description of it. […] He is one of the critics who believes that we are fake artists.« Macdonald: 1974, S. 226.
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
Enfant terrible der Medienelite: Abgrenzung und Überbietung Was in der Kritik MacDonalds anklingt, ist, dass der Anspruch, den Wolfe in den 1960er Jahren als Journalist stellt, kein anderer ist, als das traditionelle Hierarchiegefälle von Literatur und Journalismus in Frage zu stellen. Die schreibenden Berufe werden Wolfe zu Folge im Literaturbetrieb in drei Klassen aufgeteilt, an deren Spitze der Romanschriftsteller stehe. Diesem allein werde ein Seher-Status attestiert und überhaupt eine künstlerische Leistung zugesprochen. Die mittlere Klasse stellen die Essayisten, gefolgt von den Journalisten, die der niedrigsten Klasse angehören. Angelehnt an die Terminologie Karl Marx’ identifiziert er diese provokant als »lumpenproles«177 . Indem nun die unterste Klasse aufbegehrt, wird an den Grundfesten des literarischen Institutionalismus gerüttelt. Dabei inszeniert Wolfe den New Journalism als treibende Kraft, diese Hierarchien zu überwinden:178 And so all of a sudden, in the mid-Sixties, here comes a bunch of these lumpenproles, no less, a bunch of slick-magazine and Sunday-supplement writers with no literary credentials whatsoever in most cases – only they’re using all the techniques of the novelists, even the most sophisticated ones – and on top of that they’re helping themselves to the insights of the men of letters while at it – and at the same time they’re still doing their low-life legwork, their ›digging‹, their hustling, their damnable Locker Room Genre reporting – they’re taking of all of these roles at the same time – in other words, they’re ignoring literary class lines that have been almost a century in the making.179 Dieses Zitat verdeutlicht, dass es Wolfe letztlich nicht um die Verortung der New Journalists als innovative Gruppe innerhalb des Journalismus geht. Vielmehr zielt er durch diesen Abgrenzungs- und Überbietungsgestus auf die Schwächung der ›Klasse‹ der Romanschriftsteller ab, mit denen er eigentlich konkurriert. Dabei werden die Grenzen von journalistischer und literarischer Autorschaft aufgesprengt, indem Zuschreibungen rekombiniert werden: Das Idealbild einer erweiterten Autorschaft im Sinne des New Journalism sehe laut Wolfe also letztlich vor, mittels einer Ästhetisierung des Journalismus durch literarische Techniken, auch die Trennung der sozialen Funktionsbereiche von Literatur und Journalismus auszuhebeln, den Romanschriftsteller zu degradieren und den Journalisten zu nobilitieren. 177 178
179
Wolfe: Seizing the Power, S. 39. Vgl. ebd., S. 39: »The literary upper class were the novelists […]. They were regarded as the only ›creative writers‹, the only literary artists. They had exclusive entry to the soul of man, the profound emotions, the eternal mysteries […]. […] The lower class were the journalists, and they were so low down in the structure that they were barely noticed at all. They were regarded chiefly as day laborers who dug slags of raw information for writers of higher ›sensibility‹ to make better use of. […] They were the lumpenproles.« Ebd., S. 39.
3. Ästhetisieren: Tom Wolfe
Doch Wolfe legt in seiner Argumentation nicht nur den Fokus auf technische Aspekte. Vielmehr sieht er in der erstarkten Position des Journalisten ein Versäumnis des Literaten, sich aktueller Sujets zuzuwenden. Wolfes Kritik am Romanschriftsteller weist dabei Parallelen zu Joseph Roths auf, der angelehnt an den Realismus Zolas, Balzacs und Dickens, in den 1920er Jahren ebenfalls eine Abkehr vom Autor-Genie und poeta vates einfordert.180 Indem Wolfe zufolge nun aber die Journalisten die Funktion derjenigen Romanschriftsteller übernehmen, die sich bis dahin in Kontinuität zu realistischen Erzähltraditionen als Chronisten verstehen, überhole sich der Typus des Romanschriftstellers selbst, der so nicht im Stande sei, aktuelle Sujets aufzugreifen, um beispielsweise die Metropolenkultur New Yorks einzufangen: As a result, by the Sixties, about the time I came to New York, the most serious, ambitious and, presumably, talented novelists had abandoned the richest terrain of the novel: namely society, the social tableau, manners and morals […]. […] There is no novelist who will be remembered as the novelist who captured the Sixties in America, or even in New York, in the sense that Thackeray was the chronicler of London in the 1840's and Balzac was the chronicler of Paris and all of France after the fall of the Empire. Balzac prided himself of being »the secretary of French society« and not merely because of ideological considerations.181 Wolfes Strategie der Überbietung kulminiert letztlich in dem Versuch, historische Kontinuitäten zu den großen europäischen Realisten herzustellen. Somit legitimiert er den Statuszugewinn des Journalisten nicht über institutionelle Autoritäten, sondern mit Zuhilfenahme der Literaturgeschichte, in die er sich selbst und den New Journalism einschreiben möchte.
3.2
Zwischen Literatur und Journalismus: Inszenierungspraxis
Das letzte Kapitel, in dem Wolfes institutionelle Voraussetzungen im Fokus standen, hat gezeigt, dass die Etablierung von seiner Autorschaft im Umfeld des New Journalism mit einem Paradigmenwechsel zusammenfällt, der nun den Verfasser journalistischer Texte als eigenständige Autormarke akzentuiert. Diese Neukonturierung und Neuausrichtung schöpft ihr innovatives Potenzial aus der Nivellierung des Standesunterschieds von literarischer und journalistischer Autorschaft, die nicht zuletzt durch ein neues Berichterstattungsmuster provoziert wird. Um den eigenen Distinktionsgewinn dabei zu maximieren, macht Wolfe aus der Not,
180 Vgl. dazu ausführlich Kapitel 2.3.3. Roth, der Rezensent und Kritiker. 181 Wolfe: Like a Novel, S. 43-44. Hervorhebung im Original.
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
ein Journalist und (noch) kein Romanschriftsteller zu sein, eine Tugend: Seine Inszenierungskunst, Zuschreibungen produktiv zu machen – die bis dahin vor allem mit der Autorschaft literarischer Texte in Verbindung gebracht worden sind – und diese auf die Autorschaft journalistischer Texte zu übertragen, bringt er vor allem mittels zahlreicher Aushandlungsstrategien zum Ausdruck. Im Folgenden stehen zwei zentrale Praktiken dieser Selbstinszenierung im Vordergrund, die für Wolfe charakteristisch sind: (1.) Mit der Praxis des Kanonisierens journalistischer Texte in Anthologieform provoziert Wolfe eine neue Rezeptionshaltung, die darauf abzielt, den Wertungsunterschied literarischer und journalistischer Texte auszuhebeln. So tritt Wolfe als Historiograph in Erscheinung, der Anfang der 1970er Jahre journalistische Texte gebündelt unter dem Label New Journalism vorstellt. (2.) Neben textuellen Inszenierungsstrategien rücken auch performative in den Blick.182 So ist Wolfes öffentliches Auftreten untrennbar mit der Selbststilisierung zum Dandy im weißen Anzug verbunden.183 Obwohl in der Forschung das Tragen des weißen Anzugs immer wieder als Inszenierungspraktik angeführt wird,184 wurde bis jetzt versäumt diese in einen größeren kulturgeschichtlichen Referenzrahmen zu stellen. So geht das Kapitel der These nach, inwiefern auch das Tragen des weißen Anzugs als eine Strategie der Selbstnobilitierung gewertet werden kann. Wolfe greift auf die Selbststilisierungen bekannter Autoren der europäischen Literaturgeschichte zurück, die er – wie noch zu zeigen sein wird – als Rekombinationsleistung für die eigene Inszenierung produktiv macht. Der nun folgende Analyseteil ist somit als Ergänzung zu Thomas Cudliks Studie angelegt, der die Inszenierungspraxis von Wolfe als erster und bisher einziger weitgehend analysiert. Ziel seiner Arbeit ist, aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive einen Überblick – eine »Morphologie«185 – über Wolfes Autorenpersönlichkeit und sein Werk zu erstellen.186 Die nun folgende Analyse geht über
182
Durch Arbeiten, wie die Sandra Osters, ist die Forschung zum Autorenfoto ein integraler Bestandteil der Inszenierungsforschung geworden. Vgl. Sandra Oster: Das Autorenfoto in Buch und Buchwesen. Autorinszenierung und Kanonisierung mit Bildern. Berlin/Boston: 2014, S. 16-21. 183 Eine vergleichbare Praktik findet sich bei Joseph Roth nicht, dessen vestimentäre Inszenierung in dieser Arbeit daher keine Berücksichtigung findet. Eine Bestandsaufnahme der Fotografien Joseph Roths liefert Thomas Düllo und kommt dabei zu einem überraschenden Ergebnis: Roth wird nicht als Autor, sondern als Zeitungsleser inszeniert. Vgl. Thomas Düllo: Joseph Roths Reportagen zwischen Denkbild und ›writing culture‹. In: Joseph Roth und die Reportage, hg. von Thomas Eicher. Heidelberg: 2010, S. 25-48. Hier: S. 25. 184 Vgl. Thomas Cudlik: Mise en scène der Wirklichkeit. Der Literaturjournalist Tom Wolfe und seine fiktionalisierte Reportage. Eine Morphologie. Wien: 2005, S. 79-112 sowie Ragen: 2002, S. 3. 185 Cudlik: 2005, S. 17. 186 Vgl. ebd., S. 16-18.
3. Ästhetisieren: Tom Wolfe
Cudlik hinaus, als sie die für die Autorschaft Wolfes zentralen Aspekte der Kanonisierung und vestimentären Selbstinszenierung in der erforderlichen Tiefe untersucht. Darzulegen, inwiefern sich Wolfe an der Grenze von literarischer und journalistischer Autorschaft abarbeitet, um den Standesunterschied zwischen Journalist und Romanschriftsteller zu nivellieren, ist das Ziel der nächsten Kapitel. Bei Erscheinen seiner Anthologie The New Journalism im Jahr 1973 befindet sich Tom Wolfe in Mitten einer Umbruchszeit, die ihn vom ehemaligen ›enfant terrible‹ der New Yorker Journalisten-Szene zu einem etablierten Autor macht: Zwei Jahre zuvor erhält er seine erste Ehrendoktorwürde vom Minneapolis College of Art, zwei weitere – von der Washington University und der Lee University – folgen im Jahr 1974.187 Diese akademische Anerkennung seines Werks ist nicht allein auf die Produktion verstreuter Artikel für die Magazine Esquire oder New York zurückzuführen. Vielmehr erreicht er durch seine auflagenstarken Sammlungen von Magazinartikeln in Buchform wie The Kandy-Kolored Tangerine-Flake Streamline Baby (1965), The Pump House Gang (1968) und Mau-Mauing the Flak Catchers (1970) große Popularität.188 Auch die Hinwendung zu größeren Formaten und Reportagen wie The Electric Kool-Aid Acid Test, ebenfalls im Jahr 1968 als Buch herausgegeben, tragen fortan zu diesem Erfolg bei. Damit ist gezeigt, dass Wolfes Reputation als Autor nicht unwesentlich von dem Publikationsformat Buch mitbestimmt ist. Wolfe erreicht darüber nicht nur einen erweiterten Leserkreis jenseits des Esquire- oder New York-Publikums, sondern erfährt so auch eine breitere Rezeption seitens der Kritik, die – wie bereits gezeigt – den New Journalism und Tom Wolfe als dessen wesentlichen Repräsentanten zum Gegenstand der öffentlichen Diskussion macht. Diese ist Ende der 1960er und Anfang der 1970er auf ihrem Zenit angekommen. Mit der Anthologie The New Journalism erhebt Wolfe, der nun durch diverse Ehrungen und ökonomischen Erfolg die nötige intellektuelle Autorität genießt, im Jahr 1973 den Anspruch, als Historiograph des New Journalism in Erscheinung zu treten und einen Kanon zu etablieren. In welche Traditionen er sich mit der Praxis des Anthologisierens einschreibt und welche Konsequenzen dies für sein Autorlabel nach sich zieht, soll im Folgenden gezeigt werden. Dabei soll insbesondere die These belegt werden, dass Wolfe mittels dieser Praktik einen Distinktionsgewinn anstrebt, der seine Autorschaft im Spannungsfeld von Literatur und Journalismus nicht nur aufwertet. Darüber hinaus provoziert er insgesamt eine neue Rezeptionshaltung, die den Standesunterschied literarischer und journalistischer Autorschaft aushebelt.
187
Vgl. dazu die tabellarische Aufstellung wichtiger Lebensdaten Tom Wolfes: McKeen: 1995, S. XII. 188 Vgl. zum ökonomischen Erfolg Wolfes Macdonald: 1974, S. 226.
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
3.2.1
Anthologisieren, selektieren, historisieren
Als Tom Wolfe und E.W. Johnson The New Journalism. With an Anthology konzipieren, muss ihnen bewusst gewesen sein, in welche Tradition sie sich einschreiben. Seit der Antike fungiert die Anthologie als probates Mittel der literarischen Kanonbildung und Wertung von Literatur.189 Dieser kulturellen Relevanz steht das mangelnde Interesse der Forschung entgegen,190 das sich nicht zuletzt in wenigen zureichenden Definitionsversuchen niederschlägt.191 Trotz der historischen Kontinuität des Genres fehlt bis heute eine umfangreiche Studie, die die Entwicklung und Funktionen der Anthologie aus komparatistischer Perspektive, insbesondere für das 20. Jahrhundert, kontextualisiert und systematisiert.192 Einen Erklärungsansatz hierfür bietet Stefan H. Kaszyńskis Beobachtung, bei der Anthologie 189 Vgl. Harald Kittel: International Anthologies of Literature in Translation. An Introduction to Incipient Research. In: International Anthologies of Literature in Translation, hg. von Harald Kittel. Berlin: 1995, S. IX-XXVII. Hier: S. IX sowie Günter Häntzschel: Anthologie. In: Literaturwissenschaftliches Lexikon. Grundbegriffe der Germanistik, hg. von Horst Brunner u. Rainer Moritz. Berlin: 2006, S. 19-21. Hier: S. 20. Außerdem Philip Ajouri, Ursula Kundert u.a.: Zur Einleitung. In: Rahmungen. Präsentationsformen und Kanoneffekte, hg. von Philip Ajouri, Ursula Kundert u.a. Berlin: 2017, S. 7-15. Hier: S. 13. Vgl. als repräsentative Diskussionen über den Zusammenhang von Kanonbildung und Anthologie Manuela Günter: Diskussionsbericht. Historische Konstellationen der Kanonbildung II. In: Kanon Macht Kultur. Theoretische, historische und soziale Aspekte ästhetischer Kanonbildung, hg. von Renate Heydebrandt. Stuttgart/Weimar: 1998, S. 433-466. Innerhalb des Forschungsparadigmas zur Kanonbildung kommt der Anthologie insbesondere in Bezug auf den Begriff des ›Deutungskanons‹ große Relevanz zu: Vgl. Renate Heydebrandt: Kanon Macht Kultur. Versuch einer Zusammenfassung. In: Kanon Macht Kultur. Theoretische, historische und soziale Aspekte ästhetischer Kanonbildung, hg. von Renate Heydebrandt. Stuttgart/Weimar: 1998, S. 612-625. Hier: S. 614. 190 Dies gilt in besonderem Maße für Anthologien, die epische Werke versammeln. Zu bedenken gilt, dass der Begriff der Anthologie zunächst vor allem auf lyrische Werke bezogen ist. Vgl. Dietger Pforte u. Joachim Bark: Die deutschsprachige Antholgie. Bd 1: Ein Beitrag zu ihrer Theorie und eine Auswahlbibliographie des Zeitraums 1800-1950. Frankfurt a.M.: 1970, S. XVII-XXI. Dennoch konstatieren auch Winko und Heydebrand am Beispiel der Anthologie des 19. Jahrhunderts, dass auch die Lyrikanthologie und ihre Mechanismen der Kanonbildung und Wertung von Literatur zu wenig in der Forschung berücksichtigt ist. Vgl. Renate von Heydebrandt u. Simone Winko: Einführung in die Wertung von Literatur. Systematik – Geschichte – Legitimation. Paderborn: 1996, S. 227. 191 Problematisch ist, dass viele der vorliegenden Definitionsversuche sich mit der Durchlässigkeit und Offenheit der Anthologie begnügen, anstelle aus dem Gegenstand und der großen Materialfülle aus Beispielen die Begriffsbestimmung und -geschichte zu generieren. Vgl. dazu auch Stefan H. Kaszyński: Moderne polnische Lyrik in deutschsprachigen Anthologien. In: International Anthologies of Literature in Translation, hg. von Harald Kittel. Berlin: 1995, S. 84-92. Hier: S. 84. 192 Vgl. Kittel: 1995, S. IX. Eine Ausnahme bildet Pfortes und Barks Studie zur Anthologie des 19. Jahrhunderts bis Mitte des 20. Jahrhunderts. Pforte u. Bark: 1970.
3. Ästhetisieren: Tom Wolfe
handle es sich nicht um eine eigenständige literarische Gattung, sondern um eine »sekundäre literarische Erscheinung«193 . Tatsächlich ist für die Anthologie kennzeichnend, dass sie mehrheitlich bereits bestehendes Material aus dem ursprünglichen Erscheinungsort oder Gesamtkontext herauslöst und es in einem neuen Zusammenhang präsentiert.194 Zentral sind also die Prinzipien der Rahmung,195 der Sammlung und (erneuten) Zusammenstellung:196 Diese Prinzipien geben zudem Auskunft über den Anthologisten und seine Intention, indem etwa bestimmte Texte bewusst nicht aufgenommen werden oder den ausgewählten ein repräsentativer Charakter zugeschrieben wird. Somit prägt und reflektiert der Herausgeber die »Auswahlkriterien und die weltanschauliche, ideologische, politische und ästhetische Grundlage«.197
Die Anthologie als poetologisches Programm Wie Günter Häntzschel schlüssig darlegt, wird die Anthologie nicht selten genutzt, um eine »programmatische Erneuerung«198 in der Literatur zu initiieren. So können Anthologien beispielsweise literarische Strömungen durch die Auswahl exemplarischer Autoren und ihrer Texte prägen oder diese wegweisend definieren und dokumentieren.199 Dies zeigt sich vor allem darin, dass Anthologien insbesondere seit dem späten 19. Jahrhundert dazu genutzt werden, ein gezieltes Programm zu vermitteln.200 Dass diese Funktion im 20. Jahrhundert immer noch besonders relevant ist, führt Tom Wolfes Anthologie vor Augen: Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Anthologie ist der New Journalism längst ein medial aufgeladenes und viel diskutiertes Phänomen. Bereits der Titel lässt den Gestus erahnen, mit dem auch Wolfe und Johnson ihre Sammlung lancieren. Er ist Ausdruck eines programmatischen Postulats (The New Journalism), das damit bereits im Peritext akzentuiert wird. Zudem zeugt der Titel von dem Anspruch, in Form einer Selektion (With 193 Kaszyński: 1995, S. 84. 194 Vgl. Häntzschel: 2006, S. 20-21. 195 Der Begriff wird hier in Analogie zu Ajouri, Kundert und Rohde verwendet. Vgl. Ajouri, Kundert u.a.: 2017, S. 7: »Demgegenüber wird hier in freier Anlehnung an den Soziologen Erving Goffman, unter dem Oberbegriff ›Rahmen‹ bzw. ›Rahmungen‹ dasjenige verstanden, was ein kanonisches Werk bei jeder neuen Publikation oder Präsentation in einem anderen Medium für die jeweiligen Rezipienten verständlich und relevant macht. Der Rahmen ermöglicht es, Werke während langer Zeitspannen den veränderten Rezeptionsbedingungen und technischen Möglichkeiten anzupassen.« 196 Vgl. Kaszyński: 1995, S. 84. Insbesondere das Prinzip der Auswahl ist gattungskonstitutiv: »Im Klartext heißt das, sie bildet eine eigenständige paraliterarische Konstruktion, die ihr Weltbild im Auswahlverfahren in fremden Texten zusammensetzt.« 197 Ebd., S. 84. 198 Häntzschel: 2006, S. 20. 199 Vgl. ebd., S. 20. 200 Vgl. ebd., S. 20 sowie Kaszyński: 1995, S. 85.
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an Anthologie) wegweisende Veröffentlichungen zu versammeln, die aus wirkungsästhetischer Perspektive als künftig beispielhaft für den New Journalism gelesen werden sollen. Um dieses Ziel zu erreichen, eignen sich die Herausgeber zentrale Traditionen und Techniken der Anthologisierungspraxis an, die sich zugleich als entscheidende Faktoren für den Rezeptionserfolg des Genres der Anthologie überhaupt erwiesen haben.201 Dazu zählen beispielsweise eine ausgeklügelte Präsentationsweise der Anthologie und ihrer Herausgeber im Peritext sowie transparente Selektionsmechanismen und Auswahlkriterien.202 Diese Kriterien spielen seit jeher eine wesentliche Rolle dabei, ob eine bestimmte Anthologie als Instrument der Kanonisierung fungiert und somit einen weitreichenden Einfluss hat.203
Selektieren: »E.W. Johnson and I chose these twenty-three pieces«204 Dadurch, dass die Klassifikation des Buches als Anthologie erst im Untertitel erfolgt, suggeriert der Gesamttitel, dass es sich bei der Publikation um mehr handelt als ein bloßes Nebeneinander von Texten. Diese Zweiteilung des Gesamttitels lässt zudem Rückschlüsse auf Wolfes Herausgeberintention zu, nicht nur eine Selektion von Texten zu präsentieren, sondern ebenso eine Handreichung in Form von programmatischen und theoretischen Texten zu geben. So werden die traditionellen narrativen Möglichkeiten der Anthologie genutzt, um die ausgewählten Texte in einem adäquaten Rahmen aufzubereiten. Ein Blick auf das Inhaltsverzeichnis von The New Journalism genügt, um zu erkennen, wer im Herausgeberteam federführend ist. Tom Wolfe ist die zentrale Instanz, indem er gleich in mehreren Rollen in Erscheinung tritt: Er ist nicht nur der Verfasser des allgemeinen Vorworts (Preface),205 sondern auch Autor des ersten Teils, der aus einer Sammlung drei seiner programmatischen Essays zum New Journalism besteht: The Feature Game, Like a Novel und Seizing the Power mit Appendix. Diese hat Wolfe bereits unter anderen Titeln wie The Birth of the ›New Journalism‹: An 201 Vgl. Heydebrandt: 1998, S. 621: »Erst ein Kanon, der bei den Rezipienten gilt, ist im strengen Sinne ein Kanon. Rezipienten in diesem Sinne sind zwar auch Autoren und Literaturvermittler bzw. literaturvermittelnde Institutionen, aber vor allem doch das Publikum oder Teile des Publikums. Ihre Macht ist Macht über den Kanon selbst: Nur wenn und solange sie ihn akzeptieren und aktiv tradieren, hat der Kanon Geltung, und nur wenn er Geltung hat, kann er wiederum die kulturelle Macht ausüben, die ihm (und seinen Vermittlern) in den vorausgegangenen Abschnitten zugeschrieben wurde.« 202 Vgl. Stefanie Lethbridge: Anthologien. In: Handbuch Kanon und Wertung. Theorien, Instanzen, Geschichte, hg. von Gabriele Rippl u. Simone Winko. Stuttgart: 2013, S. 179-182. Hier: S. 179-180. 203 Zum Zusammenhang von Kanonbildung und Anthologie vgl. ebd., S.179. 204 Edward Warren Johnson u. Tom Wolfe: Preface to the Selections. In: The New Journalism. With an Anthology, hg. von Edward Warren Johnson u. Tom Wolfe. New York: 1975, S. 71. 205 Tom Wolfe: Preface. In: The New Journalism. With an Anthology, hg. von Edward Warren Johnson u. Tom Wolfe. New York: 1975, S. 11.
3. Ästhetisieren: Tom Wolfe
Eyewitness Report, The New Journalism: À la Recherche des Whichey Tickets im Magazin New York und Why they aren’t writing the great American novel anymore im Esquire publiziert, die er für die Veröffentlichung in Buchform teilweise überarbeitet hat. Der erste Teil der Anthologie legt das programmatische Fundament des New Journalism und stammt ausschließlich aus Wolfes Feder. Über E. W. Johnson hingegen – Edward Warren Johnson – ist nur wenig bekannt:206 Bereits die unmittelbare Rezeption der Anthologie fokussiert sich ausschließlich auf Wolfe und nimmt ihn lediglich als Co-Editor wahr.207 Gleiches lässt sich auch für die Forschung sagen, die ihn bis heute konsequent marginalisiert.208 Welches Verhältnis zwischen E. W. Johnson und Tom Wolfe besteht, lässt sich nur schwer rekonstruieren. Der Autor, der zehn Jahre jünger ist als Tom Wolfe, ist eine schillernde Figur, was man vor allem an seiner Selbstdarstellung in einer weiteren, von ihm konzipierten Anthologie festmachen kann: Im Klappentext zu Short Stories International beschreibt er sich als »professional gambler, sales promoter, writer’s conference director, and university instructor«209 , der bereits unter Pseudonym erotische Romane veröffentlicht hat. In Erscheinung des »writer’s conference director«210 , wird er explizit in einer Reportage Kurt Vonneguts erwähnt, die vier Jahre vor Publikation der Anthologie The New Journalism in der New York Times erscheint und sich kritisch mit der Erlernbarkeit kreativen Schreibens auseinandersetzt.211 Die Relevanz, die Vonnegut E.W. Johnson einräumt, legt eine Identität mit dem Co-Editor von Wolfes Anthologie nahe. Unklar bleibt auch, welche Funktion E. W. Johnson für die Genese und Architektur des Werkes hat. Er ist nicht als ›Alleinautor‹ einer Passage eingesetzt, sondern geht selbst in der Einleitung zum zweiten Teil (Preface to the Selections) unter.212 Sie enthält die Textsammlung exemplarischer Werke des New Journalism und trägt den vollständigen Titel des Buches im Namen – nebst Nennung beider Herausgeber. Alles, was der Leser über E. W. Johnson erfährt, wird ihm aus der Perspektive Wolfes geschildert. Damit geht der
206 Vgl. zur Auflösung des Autorenkürzels beispielsweise: Klein u. Martínez: 2009. Hier: S. 188. 207 Vgl. Weingarten: 2006, S. 7. 208 Vgl. dazu das Vorblatt zur Anthologie-Ausgabe aus dem Jahr 1973, indem E. W. Johnson als Herausgeber der Anthologien Short Stories International und Contemporary American Thought beschrieben wird und als Autor des Romans The Winner und der Gedichtsammlung Courting the Mad. Vgl. Edward Warren Johnson u. Tom Wolfe: Vorblatt. In: The New Journalism. With an Anthology, hg. von Edward Warren Johnson u. Tom Wolfe. New York: 1975, S. 1. 209 Edward Warren Johnson: Vorblatt. In: Short Stories International, hg. von Edward Warren Johnson. Boston: 1969, S. vi. 210 Ebd. 211 Vgl. Kurt Vonnegut: Teaching the Unteachable. In: The New York Times vom 06.08.1967. URL: www.nytimes.com/books/97/09/28/lifetimes/vonnegut-teaching.html (abgerufen am 25.11.2020). 212 Johnson u. Wolfe: Preface to the Selections.
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Co-Editor in einer allgemeinen Rede – »we«213 – des Herausgeberkollektivs unter, die ihn nur in Zusammenhang mit Wolfe nennt. Jegliche Funktionszuweisung E. W. Johnsons vor und während des Herausgeberprozesses erfolgt zudem aus Wolfes Perspektive, der die Einleitung zum Textkorpus mit seinem Kürzel »T. W.«214 signiert. Diese Omnipräsenz Wolfes bei gleichzeitiger Schwächung des Herausgeberprofils E. W. Johnsons verwundert, da Wolfe einräumt, Johnson fungiere als Ideengeber der Anthologie, wie er in der allgemeinen Einleitung vorausschickt: When E. W. Johnson first came to me with the idea of putting together an anthology of New Journalism, the fantasy was that we were simply going to assemble twenty or so examples of the genre and write a five- or six page introduction, and that would be it. We assumed it might be useful as a textbook. So I sat down one night to write the five or six pages – but I soon ran into a question that I could tell was going to take me on a much longer trip.215 Hier zeigt sich deutlich, dass Tom Wolfe E. W. Johnson als Initiator der Sammlung exponiert, mit dem er gemeinsam das Ziel verfolge, Texte zugänglich zu machen. Indem sie die verstreuten Werke bündeln, erfüllen die Herausgeber eine zentrale Funktion von Anthologien. Sie schaffen so einen weiteren ›medialen Ort‹, an dem diese für ein neues oder erweitertes Publikum präsentiert werden.216 Schließlich handelt es sich bei den heterogenen Texten sowohl um Ausschnitte aus längeren Prosatexten als auch um Magazinartikel. So akzentuiert Wolfe die Sorgfalt, mit der die Sammlung konzipiert sei – ein Topos, der typisch für Vorreden in Anthologien ist, indem er die Qualifikation des Anthologisten betont und diesen vor dem Publikum legitimiert.217
Wolfe als Historiograph des New Journalism Insgesamt vereint die Anthologie 23 Texte, die sowohl in Ausschnitten als auch in vollem Umfang ihrer ursprünglichen Publikation wiedergegeben werden. Als Selektionsprinzip fungiert dabei mehr ein ästhetisches als ein inhaltliches Kriterium. Der Fokus der Sammlung richtet sich auf die »techniques«218 der Autoren und weniger auf den tatsächlichen Inhalt der Texte, deren thematischen Gemeinsamkeiten sich erst im Nachhinein ergeben haben sollen: 213 214 215 216 217
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Ebd. Ebd. Wolfe: Preface. Vgl. von Heydebrandt u. Winko: 1996, S. 227. Vgl. Dietger Pforte: Die deutschsprachige Anthologie. Ein Beitrag zu ihrer Theorie. In: Die deutschsprachige Anthologie. Bd. 1: Ein Beitrag zu ihrer Theorie und eine Auswahlbiographie des Zeitraums 1800-1950, hg. von Joachim Bark u. Dietger Pforte. Frankfurt a.M.: 1970, S. XIIICXXIV. Hier: S. LXV. Johnson u. Wolfe: Preface to the Selections.
3. Ästhetisieren: Tom Wolfe
It was only afterward that we saw that they also happen to cover a wide range of subjects, race, youth, war, politics, the money market, crime, the arts, show business, sports, and, in many different ways, the changes in styles of living in America over the past decade. They also range from pieces written in the early phases of the New Journalism (Gay Talese’s and Terry Southern’s) to Joe Eszterhas’s Charlie Simpson’s Apocalypse, which was published only several weeks before this book was completed.219 Hier wird deutlich, dass Wolfe und Johnson mit der Auswahl der Werke das Primat verfolgen, den New Journalism möglichst umfangreich darzustellen und dessen historische Relevanz zu legitimieren. Mit Texten wie Charlie Simpson’s Apocalypse fungiert die Anthologie als Chronik einer Autorenbewegung, die etwa zehn Jahre nach ihrem Beginn immer noch nicht an Aktualität verloren hat und die es in der Anthologie gilt, von den Anfängen bis in die Gegenwart darzustellen. Dies lässt den Anspruch einer Historisierung erkennen, die aus dem Blickwinkel eines Autors vollzogen wird, der zu den zentralen Protagonisten des New Journalism gehört: Die abgebildete Zeitspanne ist außerdem relevant, um die Kanonfähigkeit der Texte und damit die des New Journalism insgesamt zu legitimieren. Einerseits betont Wolfe mit dem Überblick über zeitgenössische journalistische Texte nach wie vor seine journalistischen Wurzeln. Andererseits stellt dies auch den Versuch dar, mit dem Blick zurück auf die Ursprünge der Bewegung, die Texte zu einem andauernden, überzeitlichen Kanon zu bündeln, der auch künftig seitens der Literaturkritiker rezipiert werden kann und darüber hinaus für sich einen Platz in der Literaturgeschichte beansprucht.
Kanonbildung und Leserlenkung Gerade in Bezug auf die Einflussnahme auf den Leser ist die Anthologie ein nicht unumstrittenes Genre, da ihr durch den Peritext ein breites Spektrum an Möglichkeiten zur Lenkung des Publikums offensteht.220 Diese nutzt Wolfe, um den New Journalism zu etablieren, indem er die Anthologie bewusst als Kanon inszeniert. Auffallend ist dabei Wolfes ›Erzählhaltung‹, in der durchaus didaktische Absichten der Leserlenkung ausgemacht werden können. In Preface to the Selections beispielsweise präsentiert er sich als souveränen Herausgeber, der nach dem Selektionsprozess und der Arbeit am Textkorpus selbst aus einer Expertenperspektive heraus den Leser über die Gemeinsamkeiten der versammelten Texte und Autoren informiert.221 So wird für Tom Wolfe erst aus der Retrospektive ersichtlich, dass
219 Ebd. 220 Vgl. Lethbridge: 2013, S. 180-181. 221 Vgl. Johnson u. Wolfe: Preface to the Selections. Diese Haltung unterstreichen beispielsweise reflexive Einschübe wie: »One more thing occurs to me as I glance over these pieces […]«.
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neben (schreib-)technischen Gesichtspunkten auch thematische Leitlinien ausgemacht werden können. Gerade die thematische Offenheit der Texte, die sowohl etablierte als auch neue Formate aus dem Lifestyle Bereich einschließt, zeichnet die Pluralität des New Journalism und seiner Sujets aus. Insofern inszeniert Wolfe die Anthologie als eine Art – inhaltlich wie zeitlich gesehen – offenen Kanon und folglich als Momentaufnahme einer Bewegung, die nicht abgeschlossen ist.222 Darüber hinaus nutzt Wolfe die Publikationsform der Anthologie aber auch, um den Status quo einer Entwicklung darzustellen, die sich bereits über einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren erstreckt. Über ihren Historisierungsprozess möchte Tom Wolfe somit die Deutungshoheit beanspruchen, indem er dem New Journalism dezidiert einen »canon of its own«223 gibt, der zugleich auch dessen Vielseitigkeit Rechnung trägt. Dabei inszeniert sich Wolfe bewusst als anti-elitärer Herausgeber, der gerade die ganze Bandbreite, die »vitality«224 des New Journalism, präsentieren möchte und qualitativ innovative wie konventionellere Spielarten miteinschließt.225
»Young writers beginning to aim straight toward the New Journalism«226 : Autorenauswahl Die Auswahl der Autoren reicht von zentralen und in der Rezeption bis heute mit dem New Journalism assoziierten Autoren wie Gay Talese, Tom Wolfe selbst, Rex Reed, Michael Herr, Joan Didion oder George Plimpton über weniger bekannte Reporter wie Terry Southern, Nicholas Tomalin, Robert Christgau und Barbara Goldsmith bis hin zu umstrittenen Protagonisten wie Norman Mailer, Hunter S. Thompson und Truman Capote. Die beiden Vorworte geben jedoch nur wenig Auskunft über die Autoren, die in der Anthologie versammelt sind und reflektieren ebenso wenig den Auswahlprozess. Lediglich in Preface to the Selections machen Wolfe und Johnson aus der Retrospektive des Herausgebers deutlich, dass die Autoren trotz der Heterogenität ihrer Sujets – die Lifestyle-Phänomene und die CelebrityKultur genauso miteinschließen wie Sportthemen oder politische Berichterstattung – noch mehr Gemeinsamkeiten haben als allein spezifisch narrative Techniken. Obwohl der Begriff der Generation nicht explizit fällt, so sind die Autoren bis auf wenige Ausnahmen zwischen 30 und 40 Jahren alt:
222 Vgl. zur Begrifflichkeiten der Kanonbildung – wie offen und geschlossen – Heydebrandt: 1998. 223 Johnson u. Wolfe: Preface to the Selections. 224 Ebd. 225 Vgl. ebd.: »A number of these pieces are rough in spots, and here and there you will see writers giving in to old and rather banal conventions of magazine journalism, but that does not bother me.« 226 Ebd.
3. Ästhetisieren: Tom Wolfe
In most cases the New Journalism has been something that the writer has arrived at after spending years at another form of writing. Only now are large numbers of young writers beginning to aim straight toward the New Journalism from the outset.227 Als Historiograph der Bewegung lässt Wolfe abschließend jedoch offen, warum sich ausgerechnet jetzt eine Reihe von Schriftstellern dem New Journalism zuwendet. Wolfe schließt lediglich aus dem Alter der Autoren, dass der New Journalism – durch die Verwendung neuer Berichterstattungsmuster und komplexerer Schreibtechniken – einen persönlichen und literarischen Reifungsprozess reflektiere. Alle weiteren Aussagen über die Kriterien oder die Repräsentativität der Werke müssen aus den Einführungen indirekt erschlossen werden, die Wolfe den versammelten Texten voranstellt. Diese bilden einen durchgängigen Metakommentar zu den Ausschnitten und unterstreichen zudem die didaktischen Implikationen der Sammlung. Meist macht Wolfe am Beispiel der Autoren eine oder mehrere charakteristische Techniken zum Muster. Interessant ist jedoch, dass nicht nur der Selektionsprozess kaum reflektiert wird, sondern Wolfe auch nichts über die möglichen Reaktionen der im Band versammelten Schriftsteller enthüllt, die dem Abdruck mit Sicherheit ihr Einverständnis gegeben haben müssen.228 Von einigen der hier im Band versammelten Schriftsteller ist bekannt, dass sie dem Label New Journalism durchaus kritisch gegenüberstehen, sich diesem entziehen wollen oder eine Identifikation mit ihm sogar als Affront gegen ihre Autorpersönlichkeit und ihr journalistisches Programm ansehen. Darunter sind nicht nur Hunter S. Thompson und Truman Capote, sondern auch Gay Talese.
3.2.2
Autorisieren, inszenieren, präsentieren
Im Falle Truman Capotes, der – wie bereits in Kapitel 3.1.2. »This must be the place!«: Veröffentlichungskontexte gezeigt – eine Sonderstellung innerhalb des New Journalism einnimmt, gehen die Zurückweisungen des Labels New Journalism weit in die 1960er Jahre zurück. Aus der umgekehrten Warte des Literaten, der sich der Reportage als etablierter Autor von Theaterstücken, Drehbüchern und Romanen zuwendet, stellt er bereits vor Erscheinen von In Cold Blood das Konzept der Nonfiction
227 Ebd. 228 Lediglich von Hunter S. Thompson ist bekannt, dass Wolfe ihn angerufen haben soll. Vgl. dazu P. J. O’Rourke: Interview with Hunter S. Thompson for the 25th Anniversary of Rolling Stone Magazine. In: Ancient Gonzo Wisdom, hg. von Anita Thompson. Cambridge/New York: 2009, S. 153-158. (Zuerst erschienen in: Rolling Stone vom November 1987). Hier: S. 154: »HAST: I am the only writer in Tom Wolfe’s book about new journalism with two pieces in it. I like Wolfe. We talked a bit on the phone – I asked him, ›Just what is it, Tom?‹ I never did understand it. […] It was a leap forward from the old wire-service type journalism.«
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Novel vor.229 Dieses Konzept konkurriert nun um die Aufmerksamkeitsressourcen der Kritiker, mit dem von Wolfe ebenfalls in den 1960ern wesentlich geprägten Konzept des New Journalism, schließlich erheben beide Autoren den Anspruch, journalistische Texte in die Nähe von Literatur zu rücken.230 Dementsprechend brüsk fällt Capotes Kritik an Autoren wie Wolfe aus, die aus der Warte der Journalisten nun im öffentlichen Diskurs mit Romanautoren wie ihm in einen Wettstreit treten: Da diese eben keine Romanschriftsteller sind, stünde ihnen auch nur ein limitierteres Reservoir an erzähltechnischem Know-How zur Verfügung.231 Diese Kritik ähnelt von der Argumentationsstruktur der, die Tom Wolfe gegenüber den Romanautoren anführt. Indem diese sich nicht mehr in der Darstellung aktueller Sujets üben, überlassen sie das Terrain den Journalisten.232
Capote, Talese, Thompson: Die Anthologie als Autoritätsgestus Anders als Capote, der bereits in den 1960ern auf Distanz zum New Journalism geht, entziehen sich Talese und Thompson einer Zuordnung zum New Journalism erst um den Veröffentlichungszeitraum von Wolfes Anthologie. Obwohl Talese in zahlreichen Interviews maßgeblich den Terminus des New Journalism bis in die 1970er Jahre mitprägt,233 ist in der Textsammlung zum New Journalism des Hochschullehrers für Journalistik Charles C. Flippen folgender Diskussionsbeitrag aus dem Jahr 1974 enthalten: I have been categorized by many as part of the New Journalism. Privately, I resent being labeled as part of any group of writers and I don’t particularly like the term New Journalism. […] I can only talk in terms of what it is that I do. And this is what I propose to do here. What I do is report and what I am is a reporter.234
229 Vgl. George Plimpton: The Story Behind a Nonfiction Novel. In: Truman Capote: Conversations, hg. von M. Thomas Inge. Jackson/London: 1987, S. 47-68. (Zuerst erschienen in: The New York Times Book Review vom 16. Januar 1966, S. 1962-1963 und S. 1938-1943). Hier: S. 48-49. 230 Vgl. ebd., S. 47. 231 Vgl. Plimpton: 1974, S. 190-191. 232 Vgl. Kapitel 3.1.4. Die Krise des Romans: Journalisten als Profiteure? sowie Wolfe: Seizing the Power, S. 46: »And here we come to a fine piece of irony. In abandoning social realism novelists also abandoned certain vital matters of technique. As a result, by 1969 it was obvious that these magazine writers – the very lumpenproles themselves! – had also gained a technical edge on novelists. It was marvelous. For journalists to take Technique away from the novelists – somehow it reminded me of Edmund Wilson’s old exhortation in the early 1930's: Let’s take communism away from the Communists.« 233 Vgl. Robinson: 1974. 234 Gay Talese: The Book as Medium for Journalism. In: Liberating the Media. The New Journalism, hg. von Charles C. Flippen. Washington: 2009, S. 42-49. Hier: S. 42.
3. Ästhetisieren: Tom Wolfe
Taleses Distanzierung richtet sich nicht explizit gegen Wolfe selbst oder dessen Anthologie. Vielmehr ist sie als Versuch zu werten, einer pauschalen Kategorisierung als New Journalist entgegenzuwirken und im Nachhinein die Rezeption seiner Werke zu beeinflussen. Dabei setzt seine Kritik am Kriterium der Gruppenbildung an, das – wie in Kapitel 3.1.1. Der New Journalism: Begriff und Akteure gezeigt – auch in der Forschung eine weit verbreitete Definitionsgrundlage für den New Journalism bildet. So stellt sich der ehemalige New York Times-Journalist explizit als Reporter dar und nicht allgemein als Autor (»writer«235 ). Damit akzentuiert er dezidiert das Handwerk, das er als Absolvent einer Journalistenschule erlernt hat. Gleichzeitig erhebt er nicht den Anspruch, als Journalist rezipiert zu werden, der Zuschreibungen für sich geltend macht, die primär mit Literatur assoziiert werden. Taleses Bekenntnis zu seinen journalistischen Wurzeln wirkt folglich Wolfes Versuch entgegen, die New Journalists als Konkurrenten literarischer Autoren zu stilisieren. Begründet Gay Talese noch seine Vorbehalte gegenüber einer Zugehörigkeit zum New Journalism über sein Berufsethos, so zielt Hunter S. Thompsons Kritik in eine ganz andere Richtung. In einem Interview mit dem Playboy, das im selben Jahr wie Wolfes Anthologie erscheint, distanziert er sich ebenfalls vom New Journalism. Darin behauptet er, kein Reporter im eigentlichen Sinne zu sein, sondern ein ›Gonzo-Journalist‹, eine Bezeichnung, die er sich selbst ausgedacht hat.236 Tatsächlich unterscheidet sich sein Berichterstattungsmuster entscheidend von dem Taleses und Wolfes, indem er sich als Mittelpunkt seiner Storys inszeniert.237 Während auch Wolfe und Talese Augenzeugen sind, treten sie hinter einer personalen Erzählperspektive zurück, indem sie anders als Thompson die erste Person Singular meiden. Diese totale Immersion, die Thompson als Gonzo betitelt, verletzt also in vielfacher Hinsicht journalistische Konventionen, an denen Autoren wie Wolfe und Talese festhalten.238 235 Ebd., S. 42. 236 Vgl. Craig Vetter: Playboy Interview. Hunter Thompson. In: Ancient Gonzo Wisdom, hg. von Anita Thompson. Cambridge/New York: 2009, S. 31-57. (Zuerst erschienen in: Playboy vom November 1974). Hier: S. 74. 237 Vgl. dazu auch ein weiteres Interview aus dem Jahr 1987: O’Rourke: 2009, S. 154: HST: »See, Wolfe is not a participant. He’s a hell of a reporter. But being a part of the story is critical to me. Because that’s where I get my interest in it. Wolfe gets his interest from backing off. And I get my interest from the adrenaline that comes from being that close.« 238 Vgl. dazu auch Taleses Stellungnahme gegenüber Norman Mailer, der ebenfalls von dieser Erzählhaltung Gebrauch macht in Robinson: 1974, S. 73: »Now what Mailer does, that I’m not doing, is using himself as a character. The red balloon moving around. That’s alright. I’m using a third person; I always try to use people.« Vgl. zur Beschreibung von Thompsons Konzept: Vetter: 2009, S. 47: »Playboy: Is there a difference between Gonzo and the new journalism? HST: Yeah, I think so. Unlike Tom Wolfe or Gay Talese, for instance, I almost never try to reconstruct a story. They’re both much better reporters than I am, but then I don’t really think of myself as a reporter. Gonzo is just a word I picked up because I liked the sound of it –
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
Der New Journalism als oktroyiertes Label Dass Wolfe gerade diesen drei Autoren das Label New Journalism ›überstülpt‹, ist als nichts anderes als ein Autoritätsgestus zu verstehen, der eine Hierarchiebildung intendiert.239 Ihre Aufnahme ist für Wolfe, der als Herausgeber ohnehin eine exponierte Stellung genießt, gewinnbringend: Alle drei Autoren sind in der Öffentlichkeit sehr präsente Namen und haben somit eine bedeutungs- und aufmerksamkeitssteigernde Wirkung auf die Anthologie. Da Wolfe aber den New Journalism mit der Anthologie aus dem ›Ungefähren‹ holt und die Werke und Autoren kanonisiert, zwingt er diese, sich zu distanzieren: Solange der Begriff und seine Implikationen noch vage gehalten worden sind, konnten die Autoren sich als eigenständige Autormarken inszenieren. Denn wie bereits in Kapitel 3.1.3. Der Bruch mit den Konventionen: Die Provokation des New Journalism unter Rekurs auf Esquire-Herausgeber Harold Hayes gezeigt worden ist, verstehen sich die Autoren nicht als Teil einer Gruppenbewegung, sondern als Individualisten. Die Anthologie provoziert also Distanzierungsversuche, indem sie zuvorderst vermeintliche Gemeinsamkeiten betont und nicht die Alleinstellungsmerkmale der Autoren herausstreicht. Mit Wolfes Kanonisierungsversuch verlieren sie somit ihren Einzelstatus als Avantgarde innovativer Individualisten, wohingegen der New Journalism als Schreibschule reduziert wird. Dieser Problematik wird sich Wolfe auch im Nachhinein bewusst. In einem Rolling Stone-Interview aus dem Jahr 1987 bezeichnet er die Anthologie als einen strategischen Fehler: Unfortunately, new journalism became so confused in terms of definition that after I edited the New Journalism anthology, I vowed never to talk about it again. That was in 1973, and I didn’t for years, but I guess I can talk about it now. After a while, I began to regret that I had written about it the way that I did, because it began to look like a codification.240
which is not to say there isn’t a basic difference between the kind of writing I do and the Wolfe/Talese style. They tend to go back and re-create stories that have already happened, why I like to get right in the middle of whatever I’m writing about – as personally involved as possible. There’s a lot more to it than that, but if we have to make a distinction, I suppose that’s a pretty safe way to start.« 239 Vgl. zur Labelfunktion der Anthologie im Bezug auf den New Journalism Haas: 2004, S. 48-49 sowie Kallan: 1992, S. 250-251. Wolfes Intention ist dabei vor allem die nachhaltige Organisation von Schriftstellern in zwei opponierenden Lagern. Vgl. Michael Mok: PW Interviews. Tom Wolfe. In: Conversations with Tom Wolfe, hg. von Dorothy M. Scura. Jackson: 1990, S. 30-32. (Zuerst erschienen in: Publishers Weekly vom 18. Juni 1973, S. 34-35). Hier: S. 30: »In this book […] I think I have managed to antagonize everybody in the fiction world – plus uncounted members of the nonfiction establishment, who at first I thought would be pleased. But when you pass the fail-safe point in the Alienation Derby, a few more vendettas, dirks in the arras, don’t really signify.« 240 Kaplan: 1987.
3. Ästhetisieren: Tom Wolfe
So untergräbt der Konservierungsversuch des Status Quo des New Journalism jegliches, auf die Zukunft ausgerichtetes Potenzial, sich weiterhin als ästhetisch ›neu‹ zu inszenieren. Wolfes Historisierungsbestrebung legt also einmal mehr die Inszenierungspraxis der New Journalists offen, die sich im Spannungsfeld von Autonomie- und Innovationsbestrebungen, Überbietungsstrategien sowie Distanzierungsversuchen entfaltet. Indem sich die einzelnen Autoren als eigenständige Autormarken verstehen, wird folglich die identitätsfördernde und identitätsstiftende Funktion des Kanons zwangsläufig abgestritten und unterhöhlt.241
3.2.3
Den (Pop-)Kanon kuratieren
Drei Jahre vor Veröffentlichung der Anthologie wird Wolfe im Time-Magazin der Titel »America’s foremost pop journalist«242 verliehen. Dieser bereitet ihm großes Unbehagen: Then one day I woke up and looked in the newspapers and I had been dubbed pop writer of the period. Andy Warhol was the pop painter, I guess Merce Cunningham was the pop dancer, there were pop musicians everywhere you turned a corner, and suddenly I was the person carrying the ball for writing. […] Since then I’ve found this word pop to be as much as a curse than anything else. […] Also the word pop was used to mean trivial, and to be called a pop writer meant that you weren’t coming to grips with serious things: serious things to intellectuals really mean catastrophes.243 Wolfes Kritik an den Erzeugnissen der Popkultur liegt vor allem in einer eindimensionalen Wertung des Konzepts der ›pop culture‹ begründet, den er als Gegenbegriff zur ›high culture‹ definiert. Diese negativen Implikationen, auf die sich Wolfe fokussiert, sind wie Hecken und Kleiner bei ihrem Definitionsversuch herausstellen, bis heute aus dem semantischen Spektrum des Terminus Pop-Kultur nicht wegzudenken.244 Im Gegenteil zählen stark wertende Assoziationen – wie Oberflächlichkeit, Künstlichkeit, Äußerlichkeit und Konsumismus – sogar zu den
241 Diese Funktionen des Kanons sind vor allem durch Derrida zentral geprägt worden. Vgl. Christoph Kleinschmidt: Der Kanon der Dekonstruktion. Die Auslese Derridas. In: Die Bildung des Kanons. Textuelle Faktoren – Kulturelle Funktionen – Ethische Praxis, hg. von Lothar Ehrlich, Judith Schildt u.a. Köln/Weimar/Wien: 2007, S. 43-60. Hier: S. 59. 242 Michael Dean: Pop Writer of the Period. Tom Wolfe Talks to Michael Dean. In: Conversations with Tom Wolfe, hg. von Dorothy M. Scura. Jackson: 1990, S. 24-25. (Zuerst erschienen in: The Listener vom 19.02.1970, S. 250-251). Hier: S. 24. 243 Dean: 1990, S. 24. 244 Vgl. Thomas Hecken u. Marcus S. Kleiner: Einleitung. In: Handbuch Popkultur, hg. von Thomas Hecken u. Marcus S. Kleiner. Suttgart: 2017, S. 1-15. Hier: S. 7.
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
zentralen Merkmalen der Definition selbst.245 Die Gleichsetzung von ›pop‹ mit ›trivial‹ oder »[non]-serious«246 bei Wolfe ist an diese Kerndimensionen anschlussfähig. Hieraus lässt sich im Umkehrschluss auf Wolfes Kunstverständnis und dessen Selbstauffassung schließen.247 Das Wertesystem, mit dem er die kulturelle Leistung von Kunst und Literatur beurteilt, beruht folglich auf der Identifikation mit der sogenannten ›high culture‹. Somit fußt die Dichotomie von ›high‹ versus ›pop‹ vor allem auf sozialen Kriterien wie »auf der Zugehörigkeit […] zur kulturellen Praxis einer Klasse«248 : To me pop culture never really existed as pop culture. There’s a high culture, in which you keep the opera going because you believe in it. The people who were producing what later came to be known as pop art never had this belief, until somebody from high culture singled him out. They were just doing it to commercial reasons.249 Mit dieser Aussage hält Wolfe die Dichotomie von ›low‹ und ›high‹ nicht nur aufrecht. Vielmehr ist seine Sicht auf die Popkultur als eine bewusste Distinktionsstrategie zu werten, sich als Intellektueller aufzustellen, der seine Werke selbst dem Kanon der ›high culture‹ zuordnet.250 Dies manifestiert sich beispielsweise auch in der präferierten Selbstbezeichnung New Journalism – anstelle von PopJournalismus – die, wie bereits gezeigt, auf Distinktion abzielt.251 So ist die Zurückweisung des Labels ›pop‹, als bewusster Akt zu verstehen, sich innerhalb der Popkultur mit einem konservativen Habitus abzugrenzen, um Aufmerksamkeit durch Andersartigkeit zu erzeugen. Dabei kommt jedoch auch Wolfes ambivalente Haltung zum Ausdruck. Einerseits sieht er sein Werk nicht als Teil der Popkultur, andererseits stilisiert er sich auch als Chronist des Pop-Zeitalters.252 245 246 247 248
Vgl. ebd., S. 7. Dean: 1990, S. 24. Vgl. ebd., S. 24. Konrad Harrer: Hoch versus nieder. Eine problematische Dichotomie gestern und heute. Zur Einführung in den Band. In: Hohe und niedere Literatur. Tendenzen zur Ausgrenzung, Vereinnahmung und Mischung im deutschsprachigen Raum, hg. von Annie Bourguignon, Konrad Harrer u.a. Berlin: 2015, S. 9-34. Hier: S. 11. 249 Dean, S. 24. 250 Wie Niels Werber und Thomas Hecken gezeigt haben, ist Tom Wolfe insbesondere in der Nähe der Pop-Avantgarde zu situieren. Ihre Vertreter kennzeichnen ein dezidiertes Bemühen, sich innerhalb der Pop-Kultur abzugrenzen, indem sie auf Distinktionsstrategien zurückgreifen. Vgl. Thomas Hecken u. Niels Werber: E: Print. Feuilleton. In: Handbuch Popkultur, hg. von Thomas Hecken u. Marcus S. Kleiner. Stuttgart: 2017, S. 178-188. Hier: S. 185. 251 Vgl. Thomas Hecken: Pop. Geschichte eines Konzepts 1955-2009. Bielefeld: 2009, S. 148 u. 306. 252 Vgl. Dean: 1990, S. 24: »I tried a kind of Method acting, trying to get inside of some of these manifestations: discothèque life in New York, or the stock-car racing in the moonshine
3. Ästhetisieren: Tom Wolfe
And the Beat Goes on: Die Kanonpluralität der 1960er Jahre Versucht man, Tom Wolfes Anthologie historisch einzuordnen, so fällt auf, dass sie zeitlich wie programmatisch genau in die Anfangsphase eines Paradigmenwechsels fällt, der die Legitimation bisheriger Kanones in Frage stellt. So wird in den 1960ern und 1970ern die Autorität des ›hergebrachten‹, bildungsbürgerlichen Kanons – zu dem auch der literarische gehört – zunehmend angezweifelt und aus unterschiedlichen Perspektiven relativiert.253 Mit den fundamentalen gesellschaftlichen Veränderungen geht eine Kanonpluralität einher: Wolfe ist ein prädestiniertes Beispiel dafür, dass in einer zunehmend heterogenen Gesellschaft auch einzelne Akteure oder Gruppen sich durch die Festlegung auf einen eigenen Kanon exponieren und autorisieren wollen.254 Gleichzeitig ist Wolfes Anthologie insbesondere anschlussfähig an die Bestrebungen, Phänomene der Popkultur der 1960er und 1970er zu kanonisieren.255 Nicht zu leugnen, aber von der Forschung bisher unbeachtet ist die Tatsache, dass der Gestus, mit dem Tom Wolfe seine Anthologie vermarktet, nur in Kontinuität zu der ›war of anthologies‹ im Umfeld der Beat-Literatur zu verstehen ist. Unter diesem Schlagwort firmiert die von den ›Beat Poets‹ und ›Academic Poets‹ vehement geführte Fehde um die Deutungshoheit über die Nachkriegslyrik.256 Beide Autorengruppen beziehungsweise Strömungen werden jeweils durch eine breit rezipierte Anthologie repräsentiert: The New American Poetry 1945 – 1960, herausgegeben von Donald M. Allen im Jahr 1960, repräsentiert die experimentelle Lyrik, darunter die Beat-Generation. Die von Donald Hall, Robert Park und Louis Simpson herausgegebene Anthologie New Poets of England and America (1957) hinge-
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foothills of North Carolina, or London debutantes. It’s a life, I am not very familiar with, but I tried to make people feel the weird kind of euphoria that people started feeling in the Sixties, in the age that came to be known as the era of pop.« Vgl. Simone Winko: Literarischer Kanon. In: Metzler Lexikon Literatur und Kulturtheorie, hg. von Ansgar Nünning. Suttgart/Weimar: 2008, S. 344-345. Hier: S. 344. Winko betont vor allem die Revision aus feministischer und ideologiekritischer Perspektive. Vgl. ebd., S. 344. Vgl. Thomas Hecken: Ein neuer Kanon? In: Hohe und niedere Literatur. Tendenzen zur Ausgrenzung, Vereinnahmung und Mischung im deutschsprachigen Raum, hg. von Annie Bourguignon, Konrad Harrer u.a. Berlin: 2015, S. 37-49. Hier: S. 37: »Die Abwehr der zuvor oftmals als niedrig eingestuften Kultur hat in einigen Bereichen enorm an Kraft verloren. Sei es aus demokratischen Gründen – wer für allgemeines Wahlrecht eintritt, hat Probleme, einem Großteil der Bevölkerung Bildung und Geschmack weitgehend abzusprechen –, sei es aus ästhetischen Gründen – die Hochwertung und Kanonisierung bestimmter Formen und Artisten der Popkultur ist seit den Tagen von Pop-Art und Beat, also seit den 1960er Jahren, in vollem Gange.« Vgl. außerdem Stefan Lüddemann: Kultur. Eine Einführung. Wiesbaden: 2010, S. 99. Lilian Chaitas: Beeing Different. Strategies of Distinction and Twentieth-Century American Poetic Avant-Gardes. Paderborn: 2017, S. 232-233.
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
gen tritt für einen ästhetisch konservativen Kanon ein.257 Dort zeigt sich bereits, welchen Einfluss Anthologien auf die Wahrnehmung von einzelnen Strömungen haben, indem sie einen Gegenkanon etablieren. Besonders hervorzuheben ist dabei die Funktion der Vorworte beider Anthologien, die die zentralen Austragungsorte der Kontroverse sind und von Auflage zu Auflage aktualisiert und an den Stand der Debatte angepasst werden.258 Darin fällt auf, dass sich die Herausgeber des Neuigkeitswertes ihrer Autoren bewusst sind. Donald M. Allen bezeichnet die versammelten Autoren als eine »strong […] generation«259 , bei Hall, Park und Simpson wird ›new‹ darüber hinaus mit ›young‹ gleichgesetzt, was darauf hinweisen soll, dass die im Band anthologisierten Lyriker tatsächlich auch aufgrund ihres Alters – unter vierzig Jahren – ausgewählt wurden.260 Die Anthologie wird also zum Explorationsfeld wirksamer Distinktionsstrategien zur Identitätsbildung durch die Abgrenzung von anderen Bewegungen und die Formulierung der eigenen Position.261 Ebenso wie in den Titeln der Anthologien The New Poets of England and America und The New American Poetry wirkt auch in Tom Wolfes Anthologie das Adjektiv ›new‹ nicht nur als Versprechen von Aufbruch und Erneuerung, sondern als wirksame Strategie: Die ›war of anthologies‹ führt vor Augen, inwiefern Anthologien als Kristallisationspunkte und Schnittstellen fungieren können, um innerhalb des literarischen Feldes Aufmerksamkeit zu akkumulieren. Diese Mechanismen sind in hohem Maße für Tom Wolfe von Interesse, den altersmäßig nur wenige Jahre von den Herausgebern der New Poets of England and America trennen. Zudem liegen nicht nur personelle Überschneidungen von Beat-Autoren und New Journalists wie Norman Mailer, aber auch Hunter S. Thompson auf der Hand, deren Werke teilweise beiden Strömungen zugeordnet werden.262 Darüber hinaus erscheinen die Werke der Beat-Autoren auch in Magazinen wie Esquire, die später zu zentralen Publikati-
257 Vgl. zur Konkurrenzsituation zwischen beiden Parteien ausführlich ebd., S. 232-234. 258 Vgl. zur Modifikation und Bedeutung der Vorworte Barış Büyükokuta: »Autonomy from What?« Populism, Universities, and the U.S. Poetry Field, 1910-1975. In: Political Power and Social Theory, hg. von Julian Go. Bingley: 2010, S. 3-48. Hier: S. 32 sowie Chaitas: 2017, S. 235 und 276. 259 Donald M. Allen: Preface. In: The New American Poetry 1945-1960, hg. von Donald M. Allen. New York: 1960, S. XI-XIV. Hier: S. XI. 260 Vgl. Chaitas: 2017, S. 236. 261 Vgl. ebd., S. 251-253. 262 Kurt Hemmer: Introduction. In: Encyclopedia of Beat Literature, hg. von Kurt Hemmer. New York: 2007, S. IX-XII. Hier: S. XI. Ein weiterer kanonischer Text von Mailer, der bis heute in Anthologien der Beat-Literatur aufgenommen wird, ist auch Hipster and Beatnik. A Footnote to The White Negro, in dem er eine Begriffsbestimmung und soziale Verortung beider Typen vornimmt. Vgl. Norman Mailer: Hipster and Beatnik. A Footnote to The White Negro. In: Beat Down to Your Soul. What was the Beat Generation?, hg. von Ann Charters. New York: 2001, S. 329-332.
3. Ästhetisieren: Tom Wolfe
onsorganen der New Journalists werden.263 Bis jetzt fehlt jedoch eine umfangreiche Studie, die beide Bewegungen in Beziehung setzt.264
Magazinartikel im Buch Seit Mitte der 1960er Jahre wird das Buchformat immer relevanter für die New Journalists:265 Autoren wie Talese und Wolfe sehen darin die Möglichkeit, sich von technischen Vorgaben der Magazine und Zeitungen endlich zu lösen und auf größerem Raum intensive Reportageunterfangen verwirklichen zu können.266 Zudem dient die Veröffentlichung von Artikelsammlungen in Buchform vielen der meist als Freelancer tätigen Autorinnen und Autoren als wichtige Existenzsicherung, da sich mittels dieses neuen Publikationskontextes eine neue und erweitere Leserschaft erreichen lässt.267 Umgekehrt sichern Vorabdrucke der Bücher namhafter Journalisten die Verkaufszahlen der Magazine.268 Außerdem ist die Veröffentlichung in Buchformat als Akt der Emanzipation zu sehen, sich von Zeitungen und Zeitschriften loszusagen, um als eigenständige Autormarke wahrgenommen zu werden und das eigene Autorenprofil zu schärfen.269 Diese Emanzipationsbestrebung muss auch im Zusammenhang mit gänzlich anders gerichteten Kanonisierungsunterfangen im Publikationsumfeld des New Journalism gesehen werden. Hier nimmt der Esquire eine besondere Rolle ein. Anders als Wolfe, der sich mit der Anthologie des New Journalism in die Nähe des 263 Beispielsweise Kerouacs programmatischer Essay About the Beat Generation, erscheint im Esquire. Vgl. Ann Charters: Introduction. In: Beat Down to Your Soul. What Was the Beat Generation?, hg. von Ann Charters. New York: 2001, S. XV-XXXVII. Hier: S. XXIX. 264 Vgl. zur Beziehung zwischen Beat-Literatur und Autoren des New Journalism Hemmer: 2007, S. XII. In seine Enzyklopädie der Beat-Literatur nimmt Hemmer nicht zuletzt auch Autoren wie Tom Wolfe auf. Obwohl der New Journalism und die experimentelle Beat-Literatur sich gerade in Hinblick auf ihren Umgang mit realistischen Schreibformen unterscheiden, ist zweifelsohne anzuerkennen, dass der Einfluss der Beat-Generation gerade auf Tom Wolfes Frühwerk von großer Relevanz ist. Wolfe setzt sich darin dezidiert mit den Inhalten und Ikonen der Beat-Kultur wie Ken Kesey auseinander, dem er zusammen mit der Hippie-Kommune The Merry Pranksters in The Electric Kool-Aid Acid Test ein Denkmal setzt. Vgl. Thomas Newhouse: The Beat Generation and the Popular Novel in the United States, 1945-1970. Jefferson: 2000, S. 120. 265 Aber auch Herausgeber wie Harold Hayes nutzen das Potenzial des Buches, um im Umfeld des New Journalism entscheidende Kanonisierungsunterfangen zu initiieren. Im Jahr 1969 legt Hayes mit Smiling through the Apocalypse eine Anthologie vor, deren Ziel es ist, die Dekade aus Sicht des Esquires Revue passieren zu lassen. Vgl. Hayes: 1969, S. XVII-XVIII. 266 Vgl. Talese: 2009, S. 42. Einen generellen Überblick über die Möglichkeiten und Motive, als Journalist in Buchform zu publizieren, gibt Jürgen Wilke. Vgl. Jürgen Wilke: Über den Tag hinaus. Journalisten als Buchautoren. In: Communicatio Socialis 2 (2008), S. 171-191. 267 Vgl. Wallisch: 2004, S. 367. 268 Vgl. ebd., S. 362. 269 Vgl. Talese: 2009, S. 43-44. Außerdem Haas: 2004, S. 49.
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
bildungsbürgerlichen Kanons rückt, macht Herold Hayes einen krassen Gegenentwurf: Triviale Listen wie »The 100 Best People in the World«270 zeigen die Essenz des Magazins und ihre »present-day attitude«271 , sich als Filter und Kompass der kulturellen Phänomene der Gegenwart und der Popkultur zu verstehen.272 Hayes Listen sind als flüchtige und unterhaltsame Stimmungsbilder für den Leser entworfen und sollen bewusst nicht von dauerhafter Bedeutung sein.273 Dies deckt sich mit der publikationsbedingten Konstante des Magazins, nur jeweils bis zur nächsten Ausgabe relevant zu sein.274 Um journalistischen Texten, die in den selben Magazinausgaben wie die Bestenlisten erscheinen, über ihr Erscheinungsdatum hinaus Bedeutung zuzusprechen, bricht Wolfe mit seiner Anthologie bewusst mit dem Kriterium der Aktualität, indem er sie in einem neuen Publikationsformat – im Buch – einbindet und sie neben Ausschnitte aus Nonfiction Novels stellt. Hinter Wolfes Versuch, journalistische Texte aus ihrem ursprünglichen Kontext loszubinden und in Buchform zu einem Kanon zusammenzufügen, lässt sich aber weit mehr als der Anspruch ablesen, diese von ihrem Aktualitätsprimat zu lösen. Vielmehr verbirgt sich dahinter die Intention, journalistische Texte als kanonisierungswürdig zu inszenieren und als »Kulturleistung«275 zu exponieren. Dass diese Kanonisierungsbestrebungen bis in die Gegenwart andauern und das aktive Suchen nach Kriterien nach wie vor die Fachwissenschaften beschäftigt,276 verdeutlicht beispielsweise – für die US-amerikanische Journalistik – das von Mitchell
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Hayes: 1969, S. XIX. Ebd., S. XVIII. Vgl. ebd., S. XVIII-XX. Vgl. Weingarten: 2006, S. 8: »[…] the readers of these publications could bareley afford to miss an issue, lest they miss out on something.« 274 Vgl. zum Spannungsfeld Popkultur und Kanoneignung Frank Kelleter: Populärkultur und Kanonisierung. Wie(so) erinnern wir uns an Tony Soprano? In: Wertung und Kanon, hg. von Matthias Freise u. Claudia Stockinger. Heidelberg: 2010, S. 55-76. Hier: S. 59: »Schon im Moment der Herstellung zielen diese Artefakte auf schnellen Konsum; als kommerzielle Waren sind sie zunächst einmal daran interessiert, möglichst viele Käufer in möglichst kurzer Zeit zu finden, um dann rasch durch neue Kaufentscheidungen ersetzt zu werden.« 275 Margreth Lünenborg: Journalismus als kultureller Diskurs. In: Handbuch Journalismustheorien, hg. von Martin Löffelholz u. Liane Rothenberger. Wiesbaden: 2016, S. 325-338. Hier: S. 326. 276 Vgl. den Versuch der Aufstellung eines Kanons für deutschsprachige Texte am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, der offenbart, dass die journalistische Kanondebatte vergleichsweise in den Kinderschuhen steckt: Wolfgang R. Langenbucher u. Irmgard Wetzstein: Der realexistierende Hochkulturjournalismus. Über Personen, Werke und einen Kanon. In: Journalismus und Öffentlichkeit. Eine Profession und ihr gesellschaftlicher Auftrag, hg. von Tobias Eberwein u. Daniel Müller. Wiesbaden: 2010, S. 387-409. Hier: S. 397: »Die Erstellung und Weiterentwicklung eines Kanons des Journalismus bleibt in diesen Disziplinen bis heute ein Desiderat […].«
3. Ästhetisieren: Tom Wolfe
Stephens an der New York University koordinierte Projekt The Top 100 Works of Journalism – eine Liste, in der auch zahlreiche von Wolfe anthologisierte Werke enthalten sind.277 Diese Arbeit am journalistischen Kanon setzt voraus, journalistischen Texten einen Werkcharakter beizumessen, wie ihn bereits Wolfe mit seiner Anthologie antizipiert.278 Mit dem Nebeneinander von Romanausschnitten, Texten aus etablierten Zeitungen und Magazinartikeln nivelliert er nicht nur den Standesunterschied von journalistischen und literarischen Texten, sondern spricht sich auch gegen eine Hierarchisierung innerhalb des Journalismus selbst aus, an der Autoritäten wie Dwight Macdonald zum Veröffentlichungszeitpunkt weiter festhalten.279 Folglich stehen Artikel aus dem Esquire und Rolling Stone neben solchen aus traditionsreichen Zeitungen wie der Times. So ist Wolfes Anthologie auch als Verteidigungstaktik gegenüber konservativen Kreisen der Literaturkritik zu verstehen. Wolfes Anthologie legt also offen, welches Potenzial das Publikationsformat Buch für die Rezeptionssteuerung des New Journalism birgt. Es dient als Plattform, journalistische Texte zu nobilitieren, indem durch den neuen Erscheinungskontext eine Nobilitierung periodisch erscheinender und damit ›flüchtiger‹ Texte Ausdruck verliehen wird.
Selbstkanonisierung Der Gestus, journalistischen Texten werkbasierend eine Kanonfähigkeit zu attestieren, gilt in besonderem Maße auch für die Literatur der Neuen Sachlichkeit. Joseph Roth widmet sich – wie beispielsweise in Kapitel 2.3. Öffentliche Selbstverortung im Feuilleton gezeigt – einer Reihe von journalistischen Anthologien, die er (trotz des Standesunterschieds von Literatur und Journalismus) wie literarische Werke rezensiert. Das prominenteste Beispiel ist jedoch Egon Erwin Kisch, der im Jahr 1923 mit seiner Anthologie Klassischer Journalismus. Meisterwerke der Zeitung ebenso wie Tom Wolfe einen journalistischen Kanon konzipiert. Kisch verfolgt jedoch die Intention, die »großen publizistischen Angelegenheiten«280 zu versammeln und diese zu nichts Geringerem als einem »Lehrbuch der Nation«281 zu machen. Zudem soll es einem Fachpublikum Orientierungshilfe bieten und formale wie inhaltliche Anregung für die tägliche Arbeit bei den Zeitungen liefern.282 Die Anthologie ist dabei bewusst als »Erinnerungsakt«283 mit didaktischem Anspruch konzipiert, der 277 Vgl. Felicity Barringer: Journalism’s Greatest Hits. Two Lists of a Century’s Top Stories. In: The New York Times vom 01.03.1999. 278 Vgl. zum Werkcharakter im New Journalism Haas: 2004, S. 47. 279 Vgl. Kapitel Die Krise des Romans: Journalisten als Profiteure?. 280 Egon Erwin Kisch: Vorwort. In: Klassischer Journalismus. Die Meisterwerke der Zeitung, hg. von Egon Erwin Kisch. München: 1974, S. 5-7. Hier: S. 6. 281 Ebd., S. 7. 282 Vgl. ebd., S. 6. 283 Kelleter: 2010, S. 55.
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
von Kisch als einer Autorität des Fachs herausgegeben wird.284 So spart er – im Gegensatz zu Wolfe – Autoren aus, die in »aktueller Diskussion stehen«285 und nutzt die Sammlung nicht als Plattform der eigenen Kanonisierung oder der der neusachlichen Reportage. Die Anthologie fungiert also nicht als Instrumentarium, die eigene publizistische Position zu legitimieren, sondern als historischer Überblick von Luther über Fontane bis Herzl. Wolfe hingegen tritt nicht nur als zentrale, den intellektuellen Diskurs seiner Zeit bestimmende Autorität auf, sondern schreibt sich buchstäblich selbst in den Kanon des New Journalism ein: Er veröffentlich darin gleich zwei Auszüge aus The Electric Kool-Aid Acid Test und aus Radical Chic & Mau-Mauing the Flak Catchers. Letzterer Text schließt das Korpus und fungiert mit Wolfes theoretischen Ausführungen zu Beginn als Rahmen. Diese Anordnung unterstreicht final die Inszenierungspraxis des Herausgebers, die Rezeption seines Werks untrennbar mit der des New Journalism in Verbindung zu bringen und sich so zu einem Label zu stilisieren.
3.2.4
Sich anziehen, zitieren, provozieren
In den letzten Kapiteln ist immer wieder darauf hingewiesen worden, dass für die New Journalists ein ausgeprägtes Streben nach Autonomie kennzeichnend ist. Talese, Wolfe und Thompson, um nur einige zu nennen, inszenieren sich dezidiert als eigenständige Autormarke, was sich insbesondere in Auseinandersetzung mit dem ›Label‹ New Journalism selbst zeigt, unter der Wolfe die Autoren in seiner Anthologie zusammenfasst.286 Obwohl – wie bereits im Kapitel 3.1.1. Der New Journalism: Begriff und Akteure gezeigt werden konnte – sich der New Journalism nur bedingt als Gruppenbewegung definieren lässt, fällt auf, dass sich viele der New Journalists einen markanten ›Signature Look‹ aneignen, der maßgeblich zur öffentlichen Wahrnehmung der einzelnen Autoren als Marke beiträgt. So trägt Hunter S. Thompson eine auffällige Pilotenbrille und kombiniert beispielsweise sehr kurze Shorts zu Hawaiihemd und Tennissocken in Converse All Stars.287 Die ehemalige VogueMitarbeiterin Joan Didion posiert meist vom Hals bis zu den Knöcheln eingehüllt in Maxikleidern oder mit übergroßer Sonnenbrille.288 Auch Gay Talese stolziert in feinsten maßgeschneiderten italienischen Stoffen durch New York.289 284 Vgl. Kisch: 1974, S. 5. Die Anthologie ist ein Auftragswerk des Verlags Rudolph Kaemmerer aus Berlin. 285 Ebd., S. 6. 286 Die Übertragung von Marketingbegriffen auf die schriftstellerischen Inszenierungspraktiken wurde bereits in Kapitel 1.5. Theoretische Vorüberlegungen und Schlüsselbegriffe eingeführt. 287 Vgl. Terry Newman: Legendary Authors and the Clothes They Wore. New York: 2017, S. 123. 288 Vgl. ebd., S. 139. 289 Vgl. zur vestimentären Inszenierung der New Journalists zusammenfassend Stephan Porombka u. Hilmar Schmundt: Dandy, Diva & Outlaw. In: Grenzgänger. Formen und Funk-
3. Ästhetisieren: Tom Wolfe
Tom Wolfes weißer Anzug wird, wie im Folgenden gezeigt werden soll, zu einem integralen Bestandteil seiner Autorschaftsinszenierung. Wie wirkungsvoll dieses Kleidungsstück als Statement in der Öffentlichkeit fungiert, lässt sich exemplarisch anhand einer Anekdote aufzeigen, die Tom Wolfe in einem Vortrag im Mark Twain-Haus im Jahr 2003 zum Besten gibt. Hier wird der weiße Anzug vor allem in Hinblick auf sein blendendes Potenzial gegenüber Journalisten beschrieben: When finally I wrote enough to be seen to be worth some publicity myself I found it was wonderful to have a white suit on because you didn’t have to say anything. Somebody from the press would be coming to interview you and they’d be so bowled over by this white suit they’d go and say »what an interesting man«. Then they’d look in their notes and there is nothing there. And so they would make up what they thought should have been said by a guy who goes around in a white suit. And most of the things […] if you happen to ever read anything by me quoted that seems humorous I can assure it was made up by one or more of the best minds in American journalism. I had a lot of people working for me in that way.290 Der weiße Anzug wird in diesem Zitat von Tom Wolfe genauso beschrieben, wie er in der folgenden Analyse verstanden wird: als nonverbales Kommunikationsangebot, mit dem es Tom Wolfe gelingt, Aufmerksamkeit für sein Autoren-Label zu akkumulieren. Diese Annahme setzt aus strukturalistischer Sicht voraus, dass Kleidung selbst als Medium der (nonverbalen) Kommunikation und im weiteren Sinne nach Roland Barthes als ›Sprache‹ mit genuiner ›Rhetorik‹ verstanden werden kann, die als System über paradigmatische, syntagmatische und pragmatische Relationen geordnet wird.291 Laut Barthes ist für das System der Mode der spezifisch vestimentäre Code charakterisierend.292 Das heißt, dass das Tragen und die Auswahl eines bestimmten Kleidungsstücks im System der Mode immer bedeutungskonstituierend ist: Träger und Betrachter müssen den vestimentären Code des
tionen des New Journalism, hg. von Joan Kristin Bleicher u. Bernhard Pörksen. Wiesbaden: 2004, S. 222-247. Hier: S. 234-245. 290 Tom Wolfe, John Boyer u.a.: Clemens Lecture (28.10.2003). URL: https://www.c-span.org/vide o/?179062-1/clemens-lecture (abgerufen am 25.11.2020). TC: 19:30-20:19. 291 Vgl. zur Bedeutung von Roland Barthes Ansatz Julia Bertschick: Mode in der Literaturwissenschaft. Eine germanistische Bestandsaufnahme. In: Die Wissenschaften der Mode, hg. von Gudrun M. König, Gabriele Mentges u.a. Bielefeld: 2015, S. 97-115. Hier: S. 105. Außerdem: Philipp Zitzlsperger: Zwischen ›Lesbarkeit‹ und ›Unlesbarkeit‹ der Kleider-Codes. Zur bildlichen Repräsentation unauthentischer Kleidung. In: Die Medialität der Mode. Kleidung als kulturelle Praxis. Perspektiven für eine Modewissenschaft, hg. von Rainer Wenrich. Bielefeld: 2015, S. 89-108. Hier: S. 89-90. 292 Vgl. zum vestimentären Code Roland Barthes: Die Sprache der Mode. Frankfurt a.M.: 2014, S. 67-228.
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
Kleidungsstücks dechiffrieren.293 Im Folgenden sollen zentrale Aspekte von Aushandlungsstrategien vestimentärer Decodierung von Wolfes weißem Anzug aufgezeigt werden, die für seine Autorschaft zwischen Journalismus und Literatur kennzeichnend sind.
Tom Wolfes weißer Anzug Am zweiten November erscheint zum 18. Mal im Jahr 1998 das Time Magazin. Sowohl selbstironisch als auch wohlwollend lächelt ein Mann Ende 60 dem Betrachter vom Titelblatt entgegen. Als Dreiviertelporträt – vom Kopf bis unter die Hüften – zeigt ihn die Fotografie lässig nach hinten gelehnt, die linke Schulter ist vom Betrachter ab-, das Gesicht ihm zugewandt. Die linke Hand, die in der Taille aufgestützt ist, hält leichte weiße Sommerhandschuhe. Mit der rechten Hand stützt er sich auf einen Spazierstock, dessen geschwungener Griff gerade noch über dem unteren Bildrand zu sehen ist. Der Flanierstock ist aus Bambus, einem exotischen Holz der Modeindustrie, das besonders für diese Art Accessoire geeignet ist, indem sich die Haptik durch Leichtigkeit auszeichnet.294 Das Cover zeigt Tom Wolfe, fotografiert von Michael O’Neill. Der Autor trägt seine Arbeitskleidung, einen weißen Doppelreiher mit stoffüberzogenen Zierknöpfen, ein Zeichen für CoutureSchneiderei und traditionsreiches Meisterhandwerk. Darunter blitzt ein schwarzweiß gestreiftes Hemd hervor. Wolfe trägt eine graue Stoffhose. Auch das weiße Einstecktuch mit schwarzem Rand ist farblich exakt auf die weiß- und cremefarbig gemusterte Seidenkrawatte abgestimmt. Die weißen Handschuhe sind aus zartem Ziegenleder, das besonders für seine feinporige Oberfläche berühmt ist.295 Auf dem Kopf trägt er einen Homburg, einen klassischen Herrenhut, der sich im Gegensatz zum steifen Bowler-Hat durch eine weiche Krempe auszeichnet.296 Dieser Aufzug 293 Vgl. Carlo Michael Sommer: Der soziale Sinn der Mode. Kleidung und Mode aus sozialpsychologischer Sicht. In: Zweite Haut. Zur Kulturgeschichte der Kleidung. Referate einer Vorlesungsreihe des Collegium Generale der Universität Bern im Herbstsemester 2007, hg. von André Holenstein, Ruth Meyer Schweizer u.a. Bern: 2010, S. 241-254. Hier: S. 243-247. 294 Vgl. zu modischen Trends des Flanierstocks Gesa C. Teichert: Mode, Macht, Männer. Kulturwissenschaftliche Überlegungen zur bürgerlichen Herrenmode des 19. Jahrhhunderts. Berlin: 2013, S. 68. 295 Vgl. zur Beschaffenheit der einzelnen Ledertypen (Häute und Felle) Ingrid Loschek: Leder. In: Ingrid Loschek: Reclams Mode- und Kostümlexikon. Stuttgart: 1999, S. 334-337. Vgl. außerdem Tom Wolfe: My Three Stooges. In: Tom Wolfe: Hooking up. New York: 2000, S. 145-175. Hier: S. 150. 296 Vgl. ebd., S. 150: An dieser Stelle muss darauf hingewiesen werden, dass Wolfe anführt, dass der Hut auf dem Cover ein Homburg sei. Beim Homburg handelt es sich um einen ursprünglich deutschen Herrenhut mit gerollter Krempe vgl. Ingrid Loschek: Homburg. In: Ingrid Loschek: Reclams Mode- und Kostümlexikon. Stuttgart: 1999, S. 257-258. Hier: S. 257. In der Tat ist nicht eindeutig zu klären, inwieweit es sich hier um einen Stetson – einen amerikanischen Westernhut – oder einen Homburg handelt, da das Foto beispielsweise die Sicht auf das für
3. Ästhetisieren: Tom Wolfe
repräsentiert die Idealvorstellung des Angezogenseins in bürgerlich-europäischen Kreisen bis in die 1920er Jahre hinein.297 Ohne Accessoires wie Handschuhe, Hut und Spazierstock war ein Auftreten in der Öffentlichkeit undenkbar. Tom Wolfes Kleidung auf dem Cover kann als exemplarisch für die Ikonographie dieses Autors schlechthin angesehen werden, der in der Öffentlichkeit meist einen weißen Anzug trägt und nur in Ausnahmefällen auf einen navy-farbenen Blazer ausweicht und dazu weiße Flanellhemden kombiniert.298 Wolfes Aufzug ähnelt hier nicht zuletzt Everett Raymond Kinstlers Ölgemälde, das in der National Portrait Gallery in Washington hängt und zwei Jahre nach O’Neills Fotografie entsteht. Auch hier ist Tom Wolfe in weißem Anzug, auf den Spazierstock gestützt und mit überschlagenen Beinen auf einem Salon-Stilmöbel aus dem Empire abgebildet – allerdings ohne Hut, dafür aber mit Staubgamaschen und goldener Uhrenkette um den Bauch. Bemerkenswert ist Wolfes Pose auf dem Kinstler-Porträt. Die Bildkompositionen der berühmten Herrscher-Porträts von Ludwig XV. (gemalt von Michel van Loo) und vor allem Ludwig XIV. (gemalt von Hyacinthe Rigaud) weisen verblüffende Ähnlichkeiten mit Kinstlers Darstellung auf. Kinstler ersetzt hier das Zepter der beiden Monarchen durch den Spazierstock, der jedoch mit ähnlich majestätischer Geste in der rechten Hand gehalten wird. Auch die Raffung des Königsmantels von Ludwig XIV. ähnelt der von Wolfes Anzugjacke, indem beide ihre linke Hand in die Hüfte stützen. Schließlich erinnert auch Wolfes überschlagene Beinhaltung im Sitzen an Ludwig XIV., dessen weißbestrumpfte Beine allerdings im Stehen gekreuzt sind. Sowohl das Kinstler-Porträt als auch das Time-Cover machen deutlich, dass Wolfe nichts dem Zufall überlässt. Die Akribie, mit der das Outfit samt Accessoires zusammengestellt ist, erinnert in erster Linie jedoch nicht an französische Monarchen, sondern an europäische Mid-Century Dandys, wie Edward Duke of Windsor oder die Schriftsteller William Somerset Maugham und Evelyn Waugh,299 die ihre den Homburg typische Zierband nicht zulässt. Der Aufbau des Hutes erinnert auch an einen klassischen Stetson. Beide Hüte trägt Tom Wolfe, wie auch in der Sekundärliteratur und in Interviews mit ihm beschrieben wird. Vgl. zum Stetson Bellamy: 1990, S. 36 sowie zum Homburg Cudlik: 2005, S. 110. 297 Nach dem Ersten Weltkrieg werden vielerlei Bestrebungen laut, unter dem Schlagwort Reformmode die Männermode zu modernisieren. Vgl. zur Reformmode in Bezug auf die Männermode Änne Söll: Raoul Hausmanns Ideen zur Mode im Kontext der Männerreformmode. In: Der Mann in der Krise? Visualisierungen von Männlichkeit im 20. und 21. Jahrhundert hg. von Gerald Schröder u. Änne Söll, Köln: 2015, S. 52-76. Hier: S. 57. 298 Vgl. Freeman: 2004. Hier erklärt Wolfe beispielsweise, dass er bei den Recherchen zu seinem Roman I am Charlotte Simmons seinen weißen Anzug nicht trägt, da dieser ihn sofort zu erkennen gegeben hätte. 299 Wolfe wurde bereits exemplarisch in der Sekundärliteratur als Dandy identifiziert. Vgl. Günter Erbe: Der moderne Dandy. Köln/Weimar/Wien: 2017, S. 204 und Cudlik: 2005, S. 123; außerdem Porombka u. Schmundt: 2004, S. 222-229.
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gesellschaftliche Klasse, ihre Bildung, ihren Feingeist und ihren Ästhetizismus so zur Schau stellen.300 Ende der 1990er Jahre wirkt Wolfe hingegen etwas aus der Zeit gefallen in dieser aufwändigen Herrentoilette, die bis ins kleinste Detail durchdacht und von den Modekonventionen der europäischen Herrenmode inspiriert ist, die erst in den 1920er Jahren ihre Gültigkeit verlieren sollten.301 Dass Tom Wolfe ein dandyhaftes Auftreten attribuiert wird, machen zahlreiche Interviews seit den 1960er Jahren deutlich, in denen sein äußeres Erscheinungsbild und insbesondere sein weißer Anzug zum Mittelpunkt des Gesprächs werden. Spätestens nach Wolfes Tod am 14. Mai 2018 zeigt sich, wie sehr die Wahrnehmung des Schriftstellers mit dem Kleidungsstück verbunden ist: The Genius of Tom Wolfe’s White Suits, Tom Wolfe Obituary: a Great Dandy, in Elaborate Dress and Neon-Lit Prose oder Batman in Weiß – nicht nur in diesen Überschriften nimmt die internationale Presse das Aussehen des New Yorkers prominent in den Nachruf auf.302 Dass Tom Wolfe dieses Bild herbeiführen möchte oder es zumindest billigend in Kauf nimmt, zeigt sich besonders in einem Interview mit der Time-Journalistin Bonnie Angelo im Jahr 1989 – zwei Jahre nach Erscheinen seines Bestseller-Romans Bonfire of the Vanities: Q: What would you say about a character who wears a handsomely cut vanillacolored suit on a winter day in New York, with a lilac tie and matching striped shirt with a collar seven stripes high, and shoes custom-designed to appear to have white spats? A: I was afraid, you might mention that. I suppose I might say, »Here is somebody who’s trying to call attention to himself.« But I leave that to others to interpret. It’s always hard to describe yourself. Q: Does it bother you to be called a »dandy«? A: Not at all. Writers, whether they want to admit it or not, are in the business of calling attention to themselves. My own taste is counter-bohemian.303 In diesem Zitat wird deutlich, dass Tom Wolfe sein Auftreten dafür nutzt, um Aufmerksamkeitskapital zu akkumulieren. Sein Stil ist somit nach eigenem Dafürhal300 Vgl. Erbe: 2017, S. 62. 301 Vgl. Söll: 2015, S. 57. Einen Einblick in die Genese bürgerlicher Herrenkleidung bietet Teichert: 2013. 302 Vgl. Thomas Hüetlin: Batman in Weiß. In: Der Spiegel Nr. 21 vom 19.05.2018, S. 126127. Robin Givhan: The Genius of Tom Wolfe’s White Suits. In: The Washington Post online vom 15.05.2018. URL: https://www.washingtonpost.com/news/arts-and-entertainment/w p/2018/05/15/the-genius-of-tom-wolfes-white-suits/?utm_term=.2737fb77353d (abgerufen am 25.11.2020). Stanley Reynolds: Tom Wolfe Obituary. A Great Dandy, in Elaborate Dress and Neon-Lit Prose. In: The Guardian Online vom 15. 05. 2018. URL: https://www.theguardian.co m/books/2018/may/15/tom-wolfe-obituary (abgerufen am 25.11.2020). 303 Angelo:1990, S. 287-288.
3. Ästhetisieren: Tom Wolfe
ten bewusst anti-progressiv und aus der Zeit gefallen. Er zielt gerade nicht auf die Assoziation mit anderen zeitgenössischen Künstlern ab und damit auf eine mögliche Zugehörigkeit zu einer Subkultur, sondern stilisiert sich auf Basis seines persönlichen ›Geschmacks‹304 zur eigenständigen Kunstfigur.305
Den Dandy zitieren Mit diesem ästhetischen Anspruch als Grundlage seiner Inszenierungspraxis und Selbstverortung stellt sich Tom Wolfe in die Tradition des Dandys. Seit dem Ende der Belle Époque gehört der Dandy zum Erscheinungsbild des urbanen Lebens, indem er in der Öffentlichkeit mit seinem Auftreten, seinem Savoir-Vivre ›performt‹ und sich selbst zur Schau stellt.306 Mit dem Aufkommen des Phänomens geht gleichzeitig auch eine Theoriebildung zur Dandy-Persönlichkeit einher, die insbesondere bei ihren schriftstellernden Repräsentanten zum guten Ton gehört. Dies zeigen Oscar Wildes, Charles Baudelaires, Gabriele D’Annunzios oder JorisKarl Huysmans programmatische Schriften sowie die Fiktionalisierungen des Dandys in ihren Romanen, Essays und journalistischen Beiträgen.307 Solche mannig304 Vgl. die Einordnung der Schlüsselkategorie Geschmack bei Bourdieu Karl-Siegbert Rehberg: Das Individuum und die Gesellschaft. Kultur. In: Lehrbuch der Soziologie, hg. von Hans Joas. Frankfurt a.M./New York: 2007, S. 73-106. Hier: S. 78: »Distinktionsleistungen, d.h. Selbstabgrenzungen durch Geschmack, werden so zu einem zentralen Medium der darstellenden Erzeugung von Deutungshierarchien.« 305 An dieser Stelle muss darauf hingewiesen werden, dass bis jetzt keine ausführliche Strudie zur Kunstfigur vorliegt, die die verschiedenen definitorischen Ansätze aus medienwissenschaftlicher Perspektive zusammenführt. Auf das Desiderat einer umfassenden Analyse hat Maria Marshal/Maria-Theresia Kandathil sowohl aus wissenschaftlicher als auch aus künstlerischer Perspektive hingewiesen. Vgl. Priska Gisler u. Maria Marshal (aka Maria-Theresia Kandathil): Die Kunstfigur als interferierendes Identitätskonstrukt zwischen Kunst und Wissenschaft (mit Dialog ohne Schnittstelle). In: Wissenskulturen im Dialog. Experimentalräume zwischen Wissenschaft und Kunst, hg. von Doris Ingrisch, Marion Mangelsdorf u.a. Bielefeld: 2017, S. 131-146. Hier: S. 134-135. Hier macht Marshal/Kandathil vor allem Gerda Baumbachs Ansatz produktiv, der das Verhältnis von Kunstfigur, Zivilperson und Publikum erläutert. Vgl. Gerda Baumbach: Schauspieler. Historische Anthropologie des Akteurs. Bd. 1: Schauspielstile. Leipzig: 2012, S. 246-257. 306 Vgl. zu den Anfängen des Dandytums im 19. Jahrhundert ebd., S. 49-52. Vgl. zur Problematisierung von Dandy und Performance als Selbstaufführung Anne Kristin Tietenberg: Der Dandy als Grenzgänger der Moderne. Selbststilisierungen in Literatur und Popkultur. Berlin: 2013, S. 123-136. 307 Vgl. beispielsweise zur Figur Andrea Sperelli in D’Annunzios Il Piacere Sebastian Neumeister: Gabriele D’Annunzio. Ein Dandy zwischen Leben und Literatur. In: Der Dandy. Ein kulturhistorisches Phänomen im 19. und 20. Jahrhundert, hg. von Joachim H. Knoll, Anna-Dorothea Ludewig u.a. Berlin: 2013, S. 127-138. Hier: S. 130. Vgl. zum Protagonisten Jean Floressas Des Esseintes in Huysmans Dekadenzroman À rebours Isabelle Stauffer: Weibliche Dandys, blickmächtige Femmes fragiles. Ironische Inszenierungen des Geschlechts im Fin de Siècle. Köln/Weimar/Wien: 2008, S. 88-99. Vgl. zur Theoretisierung des Dandys bei Baudelaire Hil-
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
fachen Versuche, den Dandy auch programmatisch zu greifen, schlagen sich nicht zuletzt in den vielen Definitionsunterfangen der Forschung nieder, die meist zu dem Ergebnis kommen, dass der Dandy als »Sozialfigur«308 kaum zu fassen sei.309 Der Begriff Dandy und das Dandytum sind im 19. Jahrhundert in England entstanden, obwohl französische Dandy-Theoretiker immer wieder versucht haben, die Provenienz des Phänomens für sich in Anspruch zu nehmen.310 Der historische Dandy, als dessen Prototyp der im Jahr 1778 in London geborene George Bryan Brummel angesehen werden kann,311 repräsentiert zunächst einen neuen Typus des adeligen Mannes,312 der in moralisch anstößiger Weise in sein äußeres Erscheinungsbild investiert und durch die Perfektion seines Auftretens, indem er
trud Gnüg: Charles Baudelaires Bestimmung des Dandyismus und sein Entwurf einer Femme Dandy in Fleurs du Mal. In: Der Dandy. Ein kulturhistorisches Phänomen im 19. und 20. Jahrhundert, hg. von Joachim H. Knoll, Anna-Dorothea Ludewig u.a. Berlin: 2013, S. 109-126. Hier: S. 110-111. Vgl. ausführlich zu Oscar Wilde Günter Erbe: Dandys. Virtuosen der Lebenskunst. Eine Geschichte des mondänen Lebens. Köln/Weimar/Wien: 2002, S. 216-235. 308 Günter Erbe: Aristokratismus und Dandytum im 19. und 20. Jahrhundert. In: Der Dandy. Ein kulturhistorisches Phänomen im 19. und 20. Jahrhundert, hg. von Joachim H. Knoll, AnnaDorothea Ludewig u.a. Berlin: 2013, S. 11-27. Hier: S. 12. Bei der Definition des Dandys als Sozialfigur stützt sich die Argumentation ferner auf Moebius‹ und Schroers Definition vgl.: Stephan Moebius u. Markus Schroer: Einleitung. In: Diven, Hacker, Spekulanten. Sozialfiguren der Gegenwart, hg. von Stephan Moebius u. Markus Schroer. Berlin: 2014, S. 7-11. Hier: S. 8: »Sozialfiguren sind zeitgebundene historische Gestalten, anhand deren ein spezifischer Blick auf die Gegenwartsgesellschaft geworfen werden kann. Sie sind nicht zu verwechseln mit bestimmten Rollen, die der Einzelne im Laufe seines Lebens sukzessive oder auch zu einem bestimmten Zeitpunkt gleichzeitig übernimmt.« In eben diesem Sammelband nimmt Fernand Hörner eine Annäherung an die Sozialfigur des Dandys vor. Vgl. Fernand Hörner: Der Dandy. In: Diven, Hacker, Spekulanten. Sozialfiguren der Gegenwart, hg. von Stephan Moebius u. Markus Schroer. Berlin: 2010, S. 54-67. 309 Vgl. beispielsweise Erbe: 2002, S. 8: »Der Dandy lässt sich nicht in Begriffe pressen, ohne daß das Wesentliche dabei verloren geht: die Anmut, die nicht klassifizierbar ist.« Vgl. außerdem Joachim H. Knoll: »Das Leben als Kunstwerk« – der Dandy als kulturhistorisches Phänomen im 19. und frühen 20. Jahrhundert. In: Der Dandy. Ein kulturhistorisches Phänomen im 19. und 20. Jahrhundert, hg. von Joachim H. Knoll, Anna-Dorothea Ludewig u.a. Berlin: 2013, S. 1-10. Hier: S. 1. 310 Vgl. Fernand Hörner: Die Behauptung des Dandys. Eine Archäologie. Bielefeld: 2008, S. 246256. 311 Vgl. Giorgio Agamben: Beau Brummel oder die Aneignung der Irrealität. In: Stanzen, hg. von Giorgio Agamben. Berlin/Zürich: 2005, S. 85-98. Hier: S. 96. 312 George Bryan Brummel selbst war kein Aristokrat, wenngleich er auch aus einer aufstiegswilligen Familie stammt, die neben einer hochkarätigen Ausbildung auch für Brummels Einführung in hohe gesellschaftliche Kreise Sorge trägt. Vgl. Isabelle Stauffer: Faszination und Überdruss. Mode und Marken in der Popliteratur. In: Depressive Dandys. Spielformen der Dekadenz in der Pop-Moderne, hg. von Alexandra Tacke u. Björn Weyand. Köln/Weimar/Wien: 2009, S. 39-59. Hier: S. 41-42.
3. Ästhetisieren: Tom Wolfe
sich stets »comme il faut«313 kleidet, skandalisiert.314 Später differenziert sich das Bild des Dandys immer weiter aus. Er wird zu einem »diskursive[n] Konstrukt«315 , einem »Idealtypus«316 , der über die Jahrhunderte Modifikationen erlebt und in verschiedenen sozialen Konstellationen beschrieben wird.317 Als »alternatives Männlichkeitsmodell«318 kennzeichnet den Dandy in seinen mannigfachen Spielarten – jenseits also der historischen und graduellen Verschiebungen des Begriffs und ›Konzeptes‹ – ein distinguierter und kultivierter Lebenswandel, dem eine gewisse Oberflächlichkeit und Manieriertheit anhaftet.319 Dies schlägt sich in seinem eleganten und zugleich originellen äußeren Erscheinungsbild nieder sowie in einer elitären und exklusiven Geisteshaltung.320 Der Katalog einer möglichen »Phänomenologie des Dandytums«321 , die schlaglichtartig zentrale Charakteristika aufführt, ist lang und reicht von Exklusivität und Eleganz über Originalität, Selbststilisierung, Müßiggang bis hin zu Provokation und Rebellion.322 Die Kleidung selbst dient ihm dabei als »Rahmung«323 seiner Extravaganz. Damit geht auch seine natürliche »Begabung für ungewöhnliche Selbstinszenierungen«324 einher.
Von ›dandy‹ zu ›campy‹ Problematisch bleibt die Verwendung des Begriffs Dandy, da dieser inzwischen selbst zum Modewort avanciert ist: Dies führt letztlich, wie Günter Erbe in seiner 313
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Volker Roloff: Dandys und Dandy-Fantasien. Von Huysmans zu den Ballets Russes und dem Avantgardetheater. In: Der verfasste Mann. Männlichkeiten in der Literatur und Kultur um 1900, hg. von Gregor Schuhen. Bielefeld: 2014, S. 57-80. Hier: S. 65. Vgl. Erbe: 2013, S. 12-18. Lucia Krämer: Der gebrochene Dandy: Oscar Wilde im biographischen Spielfilm. In: Der Dandy. Ein kulturhistorisches Phänomen im 19. und 20. Jahrhundert, hg. von Joachim H. Knoll, Anna-Dorothea Ludewig u.a. Berlin: 2013, S. 159-174. Hier: S. 163. Erbe: 2013, S. 18. Vgl. Knoll: 2013, S. 4-7. Ein Beispiel für die Übernahme der Kleidungspraxis des Dandys in anderen sozialen Schichten ist, wie Barbara Vinken dargestellt hat, die Jugendbewegung der Mods in den 1960er Jahren. Vgl. Barbara Vinken: Männer sind die neuen Frauen. Unisex oder Cross Dressing. In: Kleiderfragen. Mode und Kulturwissenschaft, hg. von Christa Gürtler u. Eva Hausbacher. Bielefeld: 2015, S. 11-28. Hier: S. 25. Gregor Schuhen: Französische, italienische und spanische Literatur. In: Männlichkeit. Ein interdisziplinäres Handbuch, hg. von Stefan Horlacher, Bettina Jansen u.a. Stuttgart: 2016, S. 318-330. Hier: S. 325. Vgl. Tietenberg: 2013, S. 104-106. Vgl. zur Phänomenologie des Dandys Erbe: 2017, S. 35-48. Ebd., S. 35-48. Die vorliegende Arbeit orientiert sich an Erbes Kriterienkatalog. Vgl. ebd., S. 35-48. Hildegard Fraueneder: Schrille Outfits, extravagante Auftritte. Die Pose als Vermittlungsfigur. In: Kleiderfragen. Mode und Kulturwissenschaft, hg. von Christa Gürtler u. Eva Hausbacher. Bielefeld: 2015, S. 157-176. Hier: S. 162. Knoll: 2013, S. 2.
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
zweiten großen Studie zur Dandy-Kultur resümiert, zu einer Unschärfe und einem »Etikettenschwindel«325 – mit weitreichenden Folgen: So ist nicht jeder mondäne, stilsichere und kunstbeflissene Mann automatisch ein Dandy. Vielmehr verbirgt sich hinter dem Komplex Dandy ein Diskursfeld der Moderne, das offen ist für Akzentverschiebungen: Im Dandy manifestiert sich, wie Otto Mann bereits in den 1960er Jahren gezeigt hat, die Moderne als Problem.326 Die Krisenhaftigkeit des modernen Individuums komme somit besonders in der Figur des Dandys zum Ausdruck.327 »In der Epoche des sich selbst beobachtenden und beschreibenden Menschen«,328 der Moderne, befindet sich der Dandy in einem permanent andauernden Distinktionsmodus, dessen Ziel die Abgrenzung von der breiten Masse ist.329 Er verweigert sich den Prozessen der Modernisierung, indem er Praktiken wie »Uniformierung, Indifferenz als Distinktionsmerkmal, Egalisierung, Aufheben des individuellen Körpers in einem Kollektivkörper«330 sabotiert. Ist der Dandy – wie bereits bei Otto Mann anklingt – vor allem als Produkt der Moderne zu denken, so obliegt es Susan Sontag, in den 1960er Jahren in ihren Notes on »Camp« zu fragen: »Wie kann man im Zeitalter der Massenkultur ein Dandy sein?«331 Sontag stellt fest, dass klassische Dandy-Strategien wie die »der Verachtung oder der Langeweile«332 , die der Abgrenzung dienten, in der Postmoderne nicht mehr greifen. Stattdessen müsse sich der Dandy über eine neue Haltung gegenüber dem Geschmack der Massen definieren.333 Dieses Camp-Sein identifiziert Susan Sonntag als »keine natürliche Art der Wahrnehmung«334 , sondern als einen künstlich-ironischen Habitus, der Gesellschaft und der Kunst insgesamt zu begegnen. Der für den Dandy so zentrale Wertungsunterschied von hoher und niedriger Kultur wird dabei obsolet: Diejenigen, die sich durch ihr Camp-Sein auszeichnen, setzen sich vielmehr als Sammler in Szene, die auch bewusst kommerzielle Kunst augenzwinkernd wertschätzen.335 Folglich ist der Dandy Wild’scher-Prägung, auf den sich Sontag explizit bezieht, selbst zum Anachronismus geworden, da er in
325 Erbe: 2017, S. 12. 326 Vgl. dazu die gleichnamige Studie von Otto Mann: Der Dandy. Ein Kulturproblem der Moderne. Heidelberg: 1962. 327 Vgl. zum Komplex Mode und Krise der Moderne Tietenberg: 2013, S. 104. 328 Ebd., S. 96. 329 Vgl. Erbe: 2017, S. 15. 330 Vinken: 2015, S. 23. 331 Susan Sontag: Anmerkungen zu »Camp« (Notes on »Camp«). In: Kunst und Antikunst. 24 literarische Analysen, hg. von Susan Sontag. Frankfurt a.M.: 1995, S. 322-341. Hier: S. 337. 332 Ebd., S. 337. 333 Vgl. Hörner: 2010, S. 57. 334 Sontag: 1995, S. 322. 335 Vgl. Hörner: 2010, S. 57.
3. Ästhetisieren: Tom Wolfe
der Postmoderne unter den neuen massenmedialen Bedingungen kaum noch Relevanz für sich beanspruchen kann.336 Camp-Sein ist demnach eine »Wiederaufnahme und Weiterentwicklung, aber auch spezifisch postmoderne Transformation«337 des historischen Dandytums und gleichzeitig als dessen Erneuerungsmöglichkeit zu denken,338 mit der der Dandy in der Massenkultur noch Fuß fassen kann. Die Entwicklungslinien des Dandys sind insofern für den Untersuchungsgegenstand relevant, als dass Tom Wolfe – wie bereits zu Beginn des Kapitels gezeigt – in der Öffentlichkeit als (Pop-)Dandy auftritt. Er beginnt seinen Anzug Anfang der 1960er Jahre zu tragen und in New York als »man-about-town«339 aufzutreten, also etwa zur gleichen Zeit, in der Susan Sontags Camp-Essay erscheint. Tom Wolfe ist offensichtlich weit entfernt von den adeligen Müßiggängern des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts, die von ihrer Kunst nicht leben müssen. So ist es bei Wolfe weniger die Geisteshaltung, die die Dandy-Etikette rechtfertigt, als die Pose, die er in der Öffentlichkeit einnimmt und mit der er provoziert. Zu fragen bleibt also, inwiefern Wolfe als postmoderner Schriftsteller Reminiszenzen an historische Dandy-Traditionen aufnimmt und diese als Inszenierungsstrategien produktiv macht.
3.2.5
Posieren, stilisieren, rekombinieren
Im Kontext der Selbststilisierung des Dandys rücken gerade in der jüngeren Dandy-Forschung Aspekte der Theatralität und Performativität des DandyAuftretens in den Vordergrund.340 So definiert beispielsweise Roman Meinhold
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Vgl. ebd., S., S. 57. Tietenberg: 2013, S. 426. Vgl. Hörner: 2010, S. 337. Susan Fillin-Yeh: Introduction: New Strategies for a Theory of Dandies. In: Dandies. Fashion and Finesse in Art and Culture, hg. von Susan Fillin-Yeh. New York: 2001, S. 1-34. Hier: S. 3. 340 Der Begriff der Theatralität spielt hier auf Erving Goffmans Rollentheorie an, die mit dem Metaphernfeld des Theaters soziales Handeln erklärbar macht: Vgl. Erving Goffman: Wir alle spielen Theater. Die Selbstdarstellung im Alltag. München: 2014. Gerade in Hinblick auf die Inszenierung von Autorschaft und Schriftstellerpersönlichkeit bietet dieser Ansatz ein Arsenal an Beschreibungsmöglichkeiten, von denen nicht nur in der Dandy-Forschung Gebrauch gemacht wird. Vgl. exemplarisch zu Goffman in der Dandy-Forschung beispielsweise Tietenberg: 2013, S. 51-57. Vgl. zur Relevanz Goffmans für die Forschung zur Inszenierung von Autorschaft beispielsweise Alexander M. Fischer: Posierende Poeten. Autorinszenierungen vom 18. bis zum 21. Jahrhundert. Heidelberg: 2015, S. 40-43 sowie Carolin John-Wenndorf: Der öffentliche Autor. Über die Selbstinszenierung von Schriftstellern. Bielefeld: 2014, S. 96. Vgl. außerdem zum Begriff der Pose im Männlichkeitsdiskurs des Pop Nadja Geer: Sophistication. Zwischen Denkstil und Pose. Göttingen: 2012, S. 230-232.
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
den Dandy vorrangig als »Inszenierungskünstler«341 par excellence. Besonders aber erscheint der schillernde Begriff der Pose für schreibende Dandys aufschlussreich: In der Forschung zur Selbstinszenierung von Autoren sowie der Etablierung und Etikettierung von Autorschaft als Marke und Label wird die Pose von Alexander Fischer beispielsweise als zentrales Konzept benannt, indem er sie explizit als synonym zum Rollenbegriff definiert.342 Damit bildet Fischers Definition einen bewussten Gegenentwurf zu Gabriele Brandstetters vielrezipiertem Ansatz. Brandstetter bestimmt die Pose in einem engeren Sinne als »Umspring-Zone und als Passage zwischen Bild und Korporalität zwischen ›picture‹ und ›performance‹«343 . Im Folgenden wird die Pose als »Vermittlungsfigur«344 aus der Mode-, Foto- und Tanztheorie heraus gedacht und ist als eine »aus der Bewegung in die Kurzstarre geführte Position«345 zu verstehen, die darüber hinaus ein fotografisches Moment aufweist. Pose wird hier also nicht in Anlehnung an Fischer und Brandstetter verstanden, sondern basiert auf Alicia Kühls und insbesondere Hildegard Fraueneders Posing-Konzepten. So folgert beispielsweise Fraueneder: Jedes Posieren nimmt das Angeschaut-Werden, nimmt den Blick und das Bild vorweg, ohne das notwendigerweise eine Kamera auf die oder den Posierenden gerichtet sein muss. Bei Fotografien, auf denen Posierende abgelichtet sind, ist demnach eine doppelte Bildfunktion mitzudenken, insofern eine Pose ein bereits vorliegendes Bild oder eine Figur imitiert und weiters die Fotografie mit ihren eigenen Werkzeugen, wie Ausschnitt, Beleuchtung und Tiefenschärfe, Perspektive usw. das ›Bild‹ formt.346 Übertragen auf die Selbstinszenierung von Tom Wolfe auf dem Time-Cover bekommt das fotografische Moment der Pose nun einen hohen Stellenwert beigemessen, indem hier die von Fraueneder beschriebene Doppelung durch Imitation vor341 342
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Roman Meinhold: Der Mode-Mythos. Lifestyle als Lebenskunst: Philosophisch-anthropologische Implikationen der Mode. Würzburg: 2005, S. 110-113. Vgl. Fischer: 2015, S. 41. Ebenso weitgefasst ist bei Fischer die Tätigkeit des Posierens. Vgl. ebd., S. 42-43: »›Posieren‹ bezeichnet demnach allgemein und weitgreifend die habituell bedingte, distinktiv-markante Vermittlung, Verkörperung, Interpretation, Zurschaustellung oder Selbstzuschreibung eines spezifischen Verhaltens, einer spezifischen Haltung, Position, ›Figur‹, Gestalt, bzw. Theater-Rolle im Rahmen sozialer Praktiken (inklusive Diskurse) bzw. kultureller Texte.« Gabriele Brandstetter: Pose – Posa – Posing. Between Image and Movement/Zwischen Bild und Bewegung. In: Fashion, body, cult/Mode, Körper, Kult, hg. von Elke Bippus u. Dorothea Mink. Stuttgart: 2007, S. 248-265. Fraueneder: 2015, S. 158. Alicia Kühl: Die »Choreotopographie« oder das Schreiben von Modeschauräumen. In: Die Medialität der Mode. Kleidung als kulturelle Praxis. Perspektiven für eine Modewissenschaft, hg. von Rainer Wenrich. Bielefeld: 2015, S. 213-232. Hier: S. 225. Fraueneder: 2015, S. 158.
3. Ästhetisieren: Tom Wolfe
liegt. Wolfes Pose lässt unmittelbar auf eine »Wahlverwandtschaft«347 mit historischen Dandyfiguren schließen. Dieses Prinzip gehört nach Carolin John-Wenndorf zu den zentralen Praktiken der Typologie der Schriftstellerinszenierungen und ist eine »kognitive Nachahmungsleistung«348 : Das Objekt der Begierde, die bewundernde Person wird ästhetisch überformt, zum Objekt mit Kultcharakter und damit zum Fetisch, zum Vorbild und Symbol – und somit zur Schablone und Vorlage der Selbst(er)findung und Selbstinszenierung. […] Die Wahlverwandtschaft als Strategie der Selbstinszenierung ist somit eine bewusste Annäherung an das Objekt der Begierde durch spielerischästhetische Angleichung.349
L’habit blanc: Wolfe als Pop-Dandy der Postmoderne Betrachtet man nun das Coverbild der Time, so wird deutlich, dass Tom Wolfe mit seiner Pose und seinem Kleidungsstil das historische Bild des Dandys zitiert. Was den Autor nun zum (Pop-)Dandy postmoderner Prägung im 20. und 21. Jahrhundert werden lässt, kann in Rekurs auf das Time-Cover und das Raymond Kinstler-Porträt exemplifiziert werden. Auf beiden Werken wird aus dem ›Requisitenkoffer‹ möglicher Dandy-Reminiszenzen geschöpft, die Wolfe dekonstruiert. Das heißt, dass seine vestimentäre Darstellungsleistung aus einem »Appropriationsverfahren«350 besteht, wie es für die postmoderne Künstlerinszenierung typisch ist.351 Dabei werden die Verweiszusammenhänge historischer Dandy-Typisierungen insofern produktiv gemacht, als dass sie als Versatzstücke in einen neuen Kontext eingebunden werden. Wolfes Inszenierungsleistung liegt weder das Originalitätspostulat vorangegangener Epochen zu Grunde, noch kann sein Verfahren als ein plumpes Plagiieren abgewertet werden.352 Vielmehr ist das Dandy-Bild, das er formt, als Rekombinierung beziehungsweise Arrangement bereits vorgefundener Praktiken des Dandys zu begreifen, aus denen er seine eigene Version kreiert. Wolfes ›Neuschöpfung‹ besteht also darin, »gegebene Elemente
347 348 349 350
John-Wenndorf: 2014, S. 394. Ebd., S. 395. John Wenndorf klassifiziert insgesamt zwölf Praktiken/Typen: S. 141-430. Ebd., S. 395. Andreas Reckwitz: Die Erfindung der Kreativität. Zum Prozess gesellschaftlicher Ästhetisierung. Berlin: 2017, S. 110. 351 Hier wird bewusst der Begriff der Künstlerinszenierung gesetzt, da diese Form der Selbststilisierung nicht nur paradigmatisch für Schreibende ist, sondern im Gesamtzusammenhang aller künstlerisch Tätigen gesehen werden muss. Die Arbeit schließt damit an folgenden Sammelband an: Christopher F. Laferl u. Anja Tippner: Vorwort. In: Leben als Kunstwerk. Künstlerbiographien im 20. Jahrhundert. Von Alma Mahler und Jean Cocteau zu Thomas Bernhard und Madonna, hg. von Christopher F. Laferl u. Anja Tippner. Bielefeld: 2011, S. 7-28. Hier: S. 7. 352 Vgl. Reckwitz: 2017, S. 110.
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
aus der soziokulturellen Welt der Gegenwart und Vergangenheit auszuwählen, zu modifizieren, zu kombinieren und zu präsentieren«353 .
Kenner der Konventionen Mit diesem Anspruch, aus dem Rückgriff auf etwas bereits Vorhandenes etwas (relativ) Neues zu schaffen, zeigt sich Tom Wolfe als Schriftsteller, der über ein breitangelegtes Wissen an Konventionen und modischen Spielarten verfügt, die er für seine Schriftstellerinszenierung produktiv macht. Diese Verweistechnik nutzt er, um seine »modische Kompetenz«354 unter Beweis zu stellen, wie auch das TimeCover beziehungsweise das Kinstler-Porträt zeigen. Er inszeniert sich nicht nur durch die passenden Accessoires, sondern weiß die Kleidung den Konventionen gemäß zu tragen. Dies spiegelt sich auf dem Kinstler-Porträt insofern wider, als dass er den Doppelreiher im Sitzen geöffnet hat sowie auf dem Time-Cover den obersten Knopf dieses Kleidungsstücks und den unteren Knopf seiner Weste. Zudem trägt er eine goldene Uhrenkette auf dem Sitzbild, die etwa auf Höhe der Taille horizontal von links nach rechts verläuft. Das Einhalten dieser Gepflogenheiten transportiert eine Lässigkeit und weist ihn als Kenner sozialer Regeln aus. Auch die Haltung der Handschuhe, die Tom Wolfe auf O’Neills Fotografie in der linken Hand gefaltet hat, ist als Anspielung auf die bürgerlichen Modekonventionen zu verstehen, nach denen die rechte Hand zum Gruße nicht behandschuht sein durfte.
Baudelaire 2.0 Am deutlichsten zeigt sich allerdings die Rekombinierungsleistung bei der Farbwahl seines Anzugs. Wolfe prägt dabei entscheidend seine Version des postmodernen Dandys: mit der Farbe Weiß. Das, was Wolfe dem historischen Dandy als persönliche Eigensignatur und damit als sein Markenzeichen entgegensetzt, ist eine neue Oberflächenfarbe, eine cleane, artifizielle ›Tünche‹. Der weiße Anzug – auch in Kombination mit den entsprechenden Accessoires – wird zum Markenzeichen, indem er direkt auf seinen Träger Tom Wolfe verweist und ihm auf diese Weise zu Distinktion verhilft.355 Dass für Dandys seitjeher die Farbe ihres Aufzugs eine zentrale Rolle spielt, ist spätestens seit Charles Baudelaire bekannt,356 der den
353 Ebd., S. 115. 354 Vgl. zum Erwerb modischer Kompetenzen Gertrud Lehnert: Mode: Theorie, Geschichte und Ästhetik einer kulturellen Praxis. Bielefeld: 2013, S. 32. 355 Vgl. John-Wenndorf: 2014, S. 327. 356 Vgl. Hörner: 2008, S. 159.
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dunklen Anzug der Bestatter uminterpretiert.357 Die habit noir wird für ihn zum Markenzeichen :358 Remarquez bien que l’habit noir et la redingote ont non-seulement leur beauté politique, qui est l’expression de l’égalité universelle, mais encore leur beauté poétique, qui est l’expression de l’âme publique; – une immense défilade de croque-morts, croque-morts politiques, croque-morts amoureux, croque-morts bourgeois. Nous célébrons tous quelque enterrement.359 Mit diesen Reminiszenzen an den historischen Dandy-Kult durch die Wahl einer provokanten Farbe wird Wolfe selbst zur Ikone des Dandys im 20. und 21. Jahrhundert, die ihrerseits Nachahmer findet: Der deutsche Popliterat und Journalist Benjamin von Stuckrad-Barre wird, wenngleich er es farblich weniger puristisch hält als Tom Wolfe, zuweilen auch im weißen Anzug abgelichtet. Wie Carolin JohnWenndorf unter anderem am Beispiel einer Ausgabe des Magazins Instyle gezeigt hat, wird Stuckrad-Barre dort sogar explizit als Styling-Exempel zum Vorbild einer zeitgenössischen Interpretation der Dandy-Kluft – ganz in Weiß – erhoben.360 Dass dieses Auftreten in den Medien gezielt als Hommage an den New Journalist Tom Wolfe gewertet wird, zeigt beispielsweise eine Ausgabe des deutschen Playboy im Jahr 2003: Das Magazin kürt Stuckrad-Barre zur drittbestgekleideten Persönlichkeit und führt dabei nicht nur dessen Vorliebe für die Modemarke Hugo Boss an,361 sondern auch seinen von Tom Wolfe inspirierten Stil.362 Eine weitere Parallele zwischen Wolfe und Baudelaire lässt sich daran festmachen, dass beide den Anzug als zentralen Bestandteil der Herrengarderobe in ihren journalistischen Arbeiten theoretisieren. In seinem Artikel The Secret Vice, den Tom Wolfe im Jahr 1966 in der New York Herald Tribune veröffentlicht, beschäftigt er sich ausführlich mit dem Unterschied zwischen maßgeschneiderten Anzügen und solchen von der Stange, der sich vor allem in der Qualität des Knopflochs zeigt. Hier
357 Vgl. John-Wenndorf: 2014, S. 397. 358 Charles Baudelaires Verdienst ist darüber hinaus auch die Theoretisierung des schwarzen Anzugs. Vgl. Ulrich Lehmann: Mode, Martkt, Modernität. Beziehungen zwischen Kunstmarkt und Modeindustrie im Paris des 19. Jahrhunderts. In: Die Wissenschaften der Mode, hg. von Gudrun M. König, Gabriele Mentges u.a. Bielefeld: 2015, S. 81-96. Hier : S. 87. 359 Charles Baudelaire : Salon de 1846. XVIII. De l’héroisme de la vie moderne. In : Œvres completes de Charles Baudelaire, hg. von Albert Demazière. Neuilly-sur-Seine: 1974, S. 861-862. Hier: S. 861. 360 Vgl. John-Wenndorf: 2014, S. 398. 361 Vgl. zur Virulenz des Markennennens und Markensetzens als Verfahren in der Popliteratur Moritz Baßler: Der deutsche Pop-Roman. München: 2002, S. 160-165. 362 Vgl. Ute Paulokat: Benjamin von Stuckrad-Barre. Literatur und Medien in der Popmoderne. Frankfurt a.M.: 2006, S. 179.
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stellt er ferner die These auf, dass das Interesse von Männern an maßgeschneiderter Mode zu einem der letzten Tabus der Gesellschaft gehöre.363 Wolfes optisches Appropriationsverfahren besteht folglich nicht aus einer Annäherung an den von Susan Sontag beschriebenen Camp-Geschmack, nach dem postmoderne Dandys bewusst kommerzielle Objekte ästhetisieren. Mit Wolfes Präferenz für Maßgeschneidertes wird deutlich, dass der Autor im 20. und 21. Jahrhundert versucht, das Bild des ›klassischen‹ Dandys zumindest optisch fortzuführen.364
Eine Hommage an Mark Twain? Wolfe stellt sich mit der Wahl seiner Anzugfarbe aber nicht nur in die Tradition Charles Baudelaires. Naheliegend ist auch eine Wahlverwandtschaft mit Mark Twain, dessen Markenzeichen auch ein weißer Anzug ist und der ebenfalls in Personalunion als Journalist und Schriftsteller arbeitet. Zum ersten Mal schlüpft Samuel A. Clemens alias Mark Twain vermutlich im Jahr 1908 öffentlich in einen weißen Anzug,365 als er vor dem Kongress in Washington gegen die Buchpiraterie und für einen besseren Schutz von Publizisten wirbt.366 In den folgenden Jahren wird der weiße Anzug zu Twains »sartorial trademark«367 . Er trägt das Kleidungsstück – wie auch Tom Wolfe – fortan unabhängig von der Jahreszeit und versteht sich auch auf Fotos damit zu inszenieren.368 Wie Amanda Adams schlussfolgert, ist Twains Kleidungsstil jedoch nur ein Teil eines umfangreichen Performance-Katalogs,369 der ihn zu einem neuen, kommerziell erfolgreichen Autortypus macht.370 So kreiert Clemens unter dem Pseudonym Mark Twain seine eigene Kunstfigur, die, wie man heute noch anhand zahlreicher Persiflagen und Karikaturen sehen kann,371
363 Vgl. Tom Wolfe: The Secret Vice. In: Tom Wolfe: The Kandy-Coloured Tangerine-Flake Streamline Baby. New York: 2009, S. 263-270. Hier: S. 265-267. 364 Vgl. Sontag: 1995, S. 337. 365 Ob Twain zum ersten Mal im Jahr 1906 oder 1908 den weißen Anzug getragen hat, bleibt in der Forschung unklar. Couser führt zum Beispiel das Jahr 1906 an (vgl. Thomas G. Couser: Altered Egos. Authority in American Autobiography. Oxford: 1989, S. 101); Baggett das Jahr 1908 (vgl. Marc J. Baggett: Copyright. In: The Mark Twain Encyclopedia, hg. von J.R. LeMaster, James Darrel u.a. New York: 1993, S. 183-184. Hier: S. 184). 366 Vgl. Baggett: 1993, S. 183. 367 Kevin T. McEneaney: Tom Wolfe’s America. Heroes, Pranksters, and Fools. Westport: 2009, S. 5. 368 Vgl. Nick Karanovic: Photographs. In: The Mark Twain Encyclopedia, hg. von J.R. LeMaster, James Darrel u.a. New York: 2009, S. 575-577. Hier: S. 575. 369 Vgl. David B. Kesterson: Literary Comedians. In: The Mark Twain Encyclopedia, hg. von J.R. LeMaster, James Darrel u.a. New York: 1993, S. 468-469. Hier: S. 468. 370 Vgl. Amanda Adams: Performing Authorship in the Nineteenth-Century Transatlantic Lecture Tour. Farnham: 2014, S. 57-59 sowie grundlegend S. 13-15. 371 Vgl. zu Twain-Darstellern Louis J. Budd: Impersonators. In: The Mark Twain Encyclopedia, hg. von J.R. LeMaster, James Darrel u.a. New York: 1993, S. 389-391. Hier: S. 390.
3. Ästhetisieren: Tom Wolfe
auf der Bühne einen hohen Wiedererkennungswert hat: Mit weißem Anzug, wirren Haaren, Schnurrbart und einem ausgedrückten Zigarrenstummel, um nur einige äußere Aspekte zu nennen, macht sich Mark Twain auch als Vortragender einen Namen. Zum ›Label-Twain‹ gehört auch seine spezielle Vortrags- und Sprechtechnik, die (obwohl Twain mittels eines ausgefeilten Notizsystems arbeitet) immer improvisiert und nie belehrend wirkt.372 Somit liegt die Vermutung nahe, Wolfes Selbststilisierungen in der Öffentlichkeit seien im gleichen Maße durchgestylt und ästhetisiert wie die Mark Twains. Anlässlich eines Vortrags, der Clemens Lecture, den Tom Wolfe im Mark Twain Haus in Hartford im Jahr 2003 hält, nimmt der New Journalist die offensichtlichen Parallelen mit dem großen Realisten des 19. Jahrhunderts in Punkto Selbstinszenierung auf: The first thing I have to take care of though is this business of the white suit. Because already I guess 15 to 20 people have asked me about Mark Twain’s white suits and mine. I swear by all that’s holy that I didn’t know that Mark Twain wore white suits when I started wearing white suits. And now recently having read Justin Kaplan’s wonderful biography of Mark Twain I [was] beginning to wonder about myself. He records the fact that Twain spent his last years walking up and down Fifth Avenue in his white suit waiting to be recognized.373 Hier leugnet Tom Wolfe in aller Öffentlichkeit, beim Tragen des weißen Anzugs von Mark Twain inspiriert worden zu sein und beteuert, sein Markenzeichen ohne Rückgriff auf diesen Autor gesetzt zu haben. Dies verwundert, gilt Mark Twain doch seit der Veröffentlichung von Adventures of Huckleberry Finn (1885) als unangefochtene Autorität unter Romanciers wie Ernest Hemingway, William Faulkner und T. C. Boyle.374 Somit legt Wolfe die Ähnlichkeiten ihrer vestimentären Stilisierung zwar offen, unternimmt jedoch den Versuch, das Tragen seines weißen Anzugs als originär zu inszenieren. Wenngleich es problematisch ist, Wolfe dennoch einen gezielten Verweisgestus auf Twain zu unterstellen, so liegen die Parallelen ihrer Autorschaftsinszenierung trotzdem auf der Hand. Beide etablieren sich als Schriftsteller, die in Personalunion Journalisten und Literaten sind mittels eines weißen Anzugs. So ist auch der weiße Anzug in New York Teil von Twains autobiographischen Reflexionen über die öffentliche Inszenierung seiner Autorschaft zwischen Literatur und Journalismus: »Little by little I hope to get together the courage enough to wear white clothes all through the winter, in New York. It will
372 Vgl. Adams: 2014, S. 73-79. 373 Wolfe u.a.: Clemens Lecture, TC 08:53-09:32. 374 Vgl. Harold H. Kolb Jr.: Adventures of Huckleberry Finn (1885). In: The Mark Twain Encyclopedia, hg. von J.R. LeMaster, James Darrel u.a. New York: 2009, S. 6-11. Hier: S. 9.
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be a great satisfaction to show off that way.«375 Dass das konsequente Tragen des weißen Anzugs jenseits der Jahreszeiten also für Twain als Akt der Befreiung und bewusste Setzung eines Markenzeichens gewertet werden kann, zeigt die Tatsache, dass der Autor von The Adventures of Huckleberry Finn noch als Siebzigjähriger in seiner Autobiographie diesen Moment als konstituierend für seine persönliche Reifung als Schriftsteller ansieht. Vor diesem Hintergrund wirken die Zurückweisungen eines Twain-Bezugs in den autopoetischen Aussagen Tom Wolfes wie ein postmodernes Spiel,376 bei dem er zwar das Tragen des weißen Anzugs für sich als originäre Inszenierungsleistung proklamiert, dabei jedoch den Zweck verfolgt, das eigene Markenzeichen zu potenzieren.
Mediatisiertes Pop-Weiß: Yves Saint Laurent und die Beatles Um zu verstehen, in welche Traditionen sich Wolfe mit der Farbwahl seiner Anzüge im Kontext der Popkultur und der Postmoderne stellt, müssen einige essentielle Implikationen der Farbe Weiß aufgeschlüsselt werden: Sie gehört, wie auch Schwarz, zu den unbunten Farben, die weder durch Buntheitsgrad, Farbqualität oder Farbrichtung differenziert werden können.377 Mit welchen vielschichtigen Konnotationen und ambivalenten Assoziationen die Wahrnehmung von Weiß verbunden ist, hat Barbara Oettl in der Kulturgeschichte dieser Farbe gezeigt. Die »Sonderstellung«378 der Farbe Weiß, die schon von Newton über Goethe bis Runge theoretisiert wurde,379 ist zugleich auch Teil ihrer symbolischen Aufladung in der westlichen Kultur,380 mit der sowohl negative als auch positive Aspekte verbunden werden.381 So folgert Inge Stephan, dass Weiß »weit mehr als eine Farbe bzw. Unfarbe repräsentiert. Es rückt in den Rang einer philosophischen, ästhetischen oder 375 376 377 378
379 380
381
Mark Twain: Autobiography of Mark Twain. Bd. 2: The Complete and Authoritative Edition, hg. von Benjamin Griffin, Harriet Elinor Smith u.a. Berkeley, California: 2013, S. 250. Vgl. zu den ludischen Implikationen von Mode überhaupt Lehnert: 2013, S. 19. Vgl. Barbara Oettl: Weiss in der Kunst des 20. Jahrhunderts. Studien zur Kulturgeschichte einer Farbe. Regensburg: 2008, S. 16. Inge Stephan: Weiß in polaren Diskursen der Moderne. Überlegungen zu Caspar David Friedrichs Eismeer (1823/24), Alfred Anderschs Hohe Breitengrade (1969) und Gerhard Richters Eis (1981). In: Die Farben imaginierter Welten. Zur Kulturgeschichte ihrer Codierung in Literatur und Kunst vom Mittelalter bis zur Gegenwart, hg. von Monika Schausten. Berlin: 2012, S. 255270. Hier: S. 255. Vgl. ebd., S. 255-256. Vgl. dazu auch das viel rezipierte 42. Kapitel aus Moby Dick, in dem Melville die Farbe des Wales theoretisiert und das insbesondere in der Neuen Musik des 20. Jahrhunderts – wie beispielsweise bei Federico Ghedini (Concerto dell’Albatro aus dem Jahr 1945) – eine große Rolle spielt. Vgl. Kevin J. Hayes: The Cambridge Introduction to Herman Melville. Cambridge: 2007, S. 53. Vgl. Oettl: 2008, S. 65: »Gleichzeitig ist Weiß eine Farbe, welche wie keine andere gegensätzlichsten Interpretationen unterworfen ist.«
3. Ästhetisieren: Tom Wolfe
moralischen Kategorie, mit der Gegensätze, Abgrenzungen und Hierarchien in unserer Gesellschaft bis heute produziert werden«.382 Gerade im (Pop-)Musikgeschäft der Postmoderne prägt Weiß seit den 1960er Jahren das Image vieler Stars, die sich ganz in ›sakrales‹ Weiß gehüllt auf der Bühne bewegen und dabei ebenso wie Wolfe einen Anzug wählen: Als Fashionstatement machen Stars wie Elvis Presley die Farbe berühmt, der in einem flamboyanten weißen Rock’n’Roll Anzug mit Schlag twistet oder John Travolta, der in einem weißen Anzug in Saturday Night Fever die Disco erobert.383 Auch als weibliche Interpretation schreibt der Look Pop-Geschichte: Bianca Jaggers freizügiger weißer Anzug von Yves Saint Laurent auf ihrer Hochzeit mit dem Rolling Stone Mick Jagger macht sie im Jahr 1972 zur skandalumwobenen Ikone.384 So kommt die Stylistin Sasha Charnin Morrison, Fashion Director bei der Us Weekly, zum Ergebnis, dass das Geheimnis des weißen Anzugs gerade aus dem Bündel seiner Referenzen auf Ikonen und Ikonisches der Pop-Kultur bestehe.385 Blickt man nun auf Diskursereignisse in der Geschichte der Pop-Kultur, so lässt sich zeigen, dass die Farbe Weiß eine Schlüsselrolle spielt. Als Oberflächenfarbe fungiert sie nach Christoph Jürgensen und Gerhard Kaiser vor allem als Träger, der »das Sich-Einschreiben in popkulturelle Verweiszusammenhänge«386 fördert: Zentral ist sie mit dem Release des neunten Studioalbums der Beatles im Jahr 1968 verbunden. Bekannt ist das experimentelle Doppelalbum The Beatles vor allem, weil es keinen expliziten Titel trägt, sondern nur den Bandnamen wiederholt.387 Es firmiert lediglich unter dem Namen The White Album in Anspielung auf das Design der Platte.388 Zeigten sich die Beatles auf dem Cover ihres Konzeptalbums Sgt Pepper’s Lonely Hearts Club Band noch ein Jahr zuvor inmitten einer psychedelischen Fantasie-Collage mit historischen Persönlichkeiten und ihren eigenen Doubles aus 382 Stephan: 2012, S. 257. 383 Elvis Presley trägt den Anzug in verschiedenen Farben, zum Beispiel auch in Gold und Schwarz. Vgl. Ian Inglis: The Road Not Taken. Elvis Presley. Comeback Special, NBC TV Studios, Hollywood, December 3, 1968. In: Performance and Popular Music. History, Place and Time, hg. von Ian Inglis. Hampshire/Burlington: 2006, S. 41-51. Hier: S. 46. 384 Vgl. Bianca Jagger als Styling-Vorbild: Jacqueline McAssey u. Clare Buckley: Basics Fashion Design. Bd. 8: Styling. Lausanne/London/La Vergne: 2011, S. 42-43. 385 Vgl. Sasha Charnin Morrison: Secrets of Stylists. An Insider’s Guide to Styling the Stars. San Francisco: 2011, S. 69: Der weiße Anzug ist nach Morrison »a stylist’s best friend«. 386 Christoph Jürgensen u. Gerhard Kaiser: Abgrenzung, Re-Kombination, Neu-Positionierung. Strategien der Autorinszenierung in der Gegenwartsliteratur. In: Subjektform Autor. Autorschaftsinszenierungen als Praktiken der Subjektivierung, hg. von Sabine Kyora. Bielefeld: 2014, S. 217-245. Hier: S. 233. 387 Vgl. zur Einordnung in das Gesamtwerk der Beatles Jerry Zolten: The Beatles as Recording Artists. In: The Cambridge Companion to the Beatles, hg. von Kenneth Womack. Cambridge: 2006, S. 33-64. Hier: S. 55. 388 Vgl. Jörg Jewanski u. Hajo Düchting: Musik und bildende Kunst im 20. Jahrhundert. Begegnungen – Berührungen – Beeinflussungen. Kassel: 2009, S. 207.
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Madame Tussaud’s Wachsfigurenkabinett,389 so sind die Mitglieder der Band auf der Hülle des White Album nicht mehr abgebildet. Beide Beatles-Albumhüllen designen Pop-Art Künstler. Diese Gestaltung lässt sich als Fortführung eines zeitgenössischen Trends der Vermarktungsstrategien von Schallplatten ausmachen, der mit dem 1967 erschienenen Cover von The Velvet Underground & Nico seinen Anfang nimmt, das Andy Warhol in der Factory ›produzierte‹.390 Somit ist auch die Verschmelzung von Musik und bildender Kunst zu einem neuen »Gesamtkunstwerk«391 die Intention der Künstler, die die Beatles-Platte designen. Dabei fällt die Farbsprache der beiden Beatles-Alben bewusst komplementär aus.392 Während das Cover des englischen Galleristen Robert Fraser, dem Pop-Art-Designer Peter Blake und weiteren beteiligten Künstlern ein einziger Farbrausch ist, wählt der Grafiker Richard Hamilton bei der Gestaltung des White Album eine gänzlich andere Ästhetik.393 Es ist schlicht ganz in Weiß gehalten, nur der Bandname ist in blindgeprägten Buchstaben auf der Plattenhülle schwach zu erkennen sowie eine aufgeprägte Seriennummer.394 Damit markiert das Cover des White Album optisch nicht nur die musikalische Kehrtwende der Beatles hin zum Experimentellen, sondern steht symbolisch auch für das Ende der Bandgeschichte und die gruppeninterne Spaltung – einen Eindruck, den auch die beigelegten Einzelporträts der Künstler statt eines Gruppenfotos bekräftigen.395 Die Farbe Weiß wird im Folgenden nicht nur mit dem Ende der Beatles assoziiert, sondern auch als Metapher für den Zerfallsprozesses der ›Swinging Sixties‹ insgesamt gelesen.396 Dies zeigt vor allem Joan Didions zehn Jahre
389 Vgl. zur Konzeption des Albums ebd., S. 205. Vgl. ferner zu Arrangement und Auswahl der Persönlichkeiten Jürgensen u. Kaiser: 2014, S. 240. 390 Vgl. zu Vermarktungsstrategien bekannter Cover von Pop-Art-Künstlern und zur Entwicklung beider Plattenhüllen in der Tradition der Pop-Art Anna Braun: Where was Pop? Die Robert Fraser Gallery zwischen Popmusik und bildender Kunst in Swinging London. In: Popgeschichte. Band 2: Zeithistorische Fallstudien 1958-1988, hg. von Bodo Mrozek, Alexa Geisthövel u.a. Bielefeld: 2014, S. 65-90. Hier: S. 88-89. 391 Marcel Engh: Popstars als Marke. Identitätsorientiertes Markenmanagement und musikindustrielle Künstlerentwicklung und -vermarktung. Wiesbaden: 2006, S. 15. 392 Vgl. Jeffrey Roessner: We All Want to Change the World. Postmodern Politics and the Beatles White Album. In: Reading the Beatles. Cultural Studies, Literary Criticism, and the Fab Four, hg. von Kenneth Womack u. Davis F. Todd. New York: 2006, S. 147-160. Hier: S. 154. 393 Vgl. Braun: 2014, S. 83-84. 394 Vgl. zur Funktion der Seriennummer ebd., S. 83. Außerdem Jürgensen u. Kaiser: 2014, S. 241: »Die Seriennummer legt die Warenförmigkeit des popkulturellen Verweiskreislaufs offen, der eine individuelle Ansprache imaginiert, einen nummerierbaren Kunden unter Millionen.« 395 Vgl. ebd., S. 241. 396 Vgl. Sascha Seiler: Das einfache wahre Abschreiben der Welt. Pop-Diskurse in der deutschen Literatur nach 1960. Göttingen: 2006, S. 111.
3. Ästhetisieren: Tom Wolfe
nach dem Beatles-Release veröffentlichte Essaysammlung. Den Verweischarakter ihres Werkes macht sie durch die peritextuelle Anspielung im gleichnamigen Titel The White Album deutlich. Die Journalistin und Autorin, die ebenfalls dem New Journalism zugerechnet wird, blickt darin aus der Retrospektive auf die Ereigniskette zurück, die zu den Morden an Roman Polańskis hochschwangerer Frau Sharon Tate sowie dem Doppelmord an dem Ehepaar LaBianca führten. Diese verübte die Manson Family, nachdem ihr Anführer Charles Manson behauptete, die Beatles hätten ihn durch Botschaften auf dem White Album dazu aufgerufen.397 Weiß wird in Didions Essaywerk mit jener Atmosphäre der Destabilisierung, Entwurzelung und »Paranoia«398 in Verbindung gebracht, die für die Autorin die späten 1960er Jahre kennzeichnet und das Ende einer unbeschwerten Ära einläutet.399
3.2.6
Legenden bilden, Status definieren, Aufmerksamkeit akkumulieren
Wie gezeigt wurde, zeichnet sich die Farbe Weiß zum einen durch ambivalente Assoziationen aus, die mit ihr verbunden sind, zum anderen aber auch durch ihre Anschlussfähigkeit an zahlreiche Diskurse der US-amerikanischen Pop-Kultur. Die Farbe repräsentiert das Panoptikum der Swinging Sixties, indem sie wie keine andere für die Ambivalenzen der 1960er Jahre steht. Als Oberflächenfarbe fungiert sie letztlich als Instrument der Kritik an der eignen Zeit, der Pop-Ära insgesamt, wie sie im Werk Joan Didions laut wird. Auch Wolfe beginnt in dieser Zeit den weißen Anzug zu tragen und zum »character in the 1960s madness«400 zu werden. Mit seinem Einstand in die Redaktion der renommierten New York Herald Tribune wird sein maßgeschneiderter weißer Anzug zum Instrument seines Selbstmarketings.401 Wolfe macht sich folglich selbst zur Projektionsfläche seiner Gegenwart, den »whole crazed, obscene, uproarious, Mammon-faced, drug-soaked, Mau Mau, lustoozing ›60s«402 . Gerade die Ambivalenzen der unbunten Farbe sind es, die – wie im Folgenden gezeigt werden soll – die zentrale Funktion des weißen Anzugs ausmachen. Als vom Autor selbst gesetztes Markenzeichen schreibt der weiße Anzug das Narrativ des aufstrebenden Journalisten, Mitbegründers des New Journalism bis hin zum Bestsellerautoren von den 1960er Jahren bis heute fort. Um dieses Narrativ am Leben zu halten, lädt Wolfe sein Markenzeichen immer wieder mit
397 Vgl. ebd., S. 111-113. 398 Joan Didion: The White Album. In: Joan Didion: The White Album. London: 1979, S. 11-50. Hier: S. 12. 399 Vgl. zum Topos der Paranoia in den 1960er Jahren Hauke Lehmann: Affektpoetiken des New Hollywood. Suspense, Paranoia und Melancholie. Berlin: 2017, S. 119. 400 McKeen: 1995, S. 11. 401 Vgl. ebd., S. 11. 402 Angelo: 1990, S. 283.
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
ähnlichen Anekdoten und kulturellen Verweisen auf, die als Ätiologie seines Gesamtimages fungieren. Der weiße Anzug des ›white man‹ symbolisiert zunächst die Segregation gerade in den Südstaaten der USA – und Tom Wolfe ist ein ›Southerner‹, geboren in Richmond, Virginia.403 Den negativen Implikationen der Farbe Weiß versucht Wolfe in Interviews in der Regel zuvorzukommen: Der weiße Anzug wird von ihm als Teil seiner Identität sowohl als Journalist als auch als Romanautor selbstbewusst präsentiert. Wolfe betont, dass ein solcher Aufzug in den Südstaaten zum öffentlichen Erscheinungsbild gehöre und keineswegs als abwegig wahrgenommen werde.404 Solche Aussagen zeigen, dass der weiße Anzug für Wolfe eine Schlüsselrolle bei der Inszenierung seiner Autorschaft spielt, indem sein Dresscode in der Öffentlichkeit unmittelbar zur Legendenbildung animiert. Wolfe nutzt den weißen Anzug, um zu schockieren: Es wirkt, als sei er gleichsam direkt aus dem 19. Jahrhundert auf den Big Apple stolziert. Auf dem Time-Cover wird dieses Assoziationsfeld der Farbe Weiß zudem karikiert, indem die Fotografie einem Medium Shot beziehungsweise American Shot im Film gleichkommt. Da diese Kameraeinstellung den Fokus sowohl auf den Cowboyhut als auch auf den Colt lenkt, ist sie typisch für das Genre des Western,405 das in der Figur des weißen Cowboys zugleich einem weißen Männlichkeitsideal ein Denkmal setzt.406 Das Wortspiel der Überschrift »Tom Wolfe Writes Again«407 , das sich – laut gelesen – nur in Nuancen von den Titeln diverser Western Klassiker unterscheidet (zum Beispiel The Lone Ranger Rides Again (1939), Destry Rides Again (1939) mit Marlene Dietrich) verdeutlicht diese Anspielung. Ironisch aufgeladen werden die Referenzen auf das amerikanische Männlichkeitsstereotyp, indem Wolfe nun mehr als europäisierter Dandy auftritt, einen Spazierstock anstelle eines Colts in den Händen hält und keinen Cowboyhut, sondern einen klassischen Herrenhut, einen weißen Homburg, trägt. Mit dieser Pastiche aus Dandy und Cowboy gleicht Wolfe dem Fremden, der im Westernfilm in die Stadt kommt und von allen sofort als solcher erkannt und gefürchtet wird.
403 Vgl. hier bereits in Bezug auf die Kleidung Mark Twains Tracy Fessenden: Culture and Redemption. Religion, the Secular, and American Literature. Princeton/Oxford: 2007, S. 158. 404 Vgl. zum Tragen des weißen Anzugs im Süden: McEneaney: 2009, S. 5. 405 Vgl. Thomas Bohrmann: Die Dramaturgie des populären Films. In: Handbuch Theologie und populärer Film. Bd. 1, hg. von Thomas Bohrmann, Werner Veith u.a. Paderborn: 2007, S. 1540. Hier: S. 32. 406 Vgl. Liza J. Nicholas: Becoming Western. Stories of Culture and Identity in the Cowboy State. Lincoln: 2006, S. 3-4. 407 Time Magazine vom 02.11.1998, Cover.
3. Ästhetisieren: Tom Wolfe
»Getting dressed in the morning was suddenly fun«408 : Das Spiel mit den Kleidern Dass ein Auftreten gerade als Schriftsteller in einem All-White-Look in den USA der 1960er Jahre als provokante Geste aufgenommen wird – obwohl diese Zeiten für ihre »extraordinary ways of dressing«409 berühmt sind –, bekommt Wolfe bereits zu Beginn seiner Karriere als Journalist und Schriftsteller zu spüren. In zahlreichen Interviews erzählt Tom Wolfe immer wieder in leicht abgeänderten Varianten die Anekdote seines ersten weißen Anzugs, der in seinem Umfeld von Anfang an für Irritation sorgt.410 Dies zeigt exemplarisch ein Interview mit Philip Nobile aus dem Jahr 1975: In 1962 I was in a tailor shop and had a conventional summer suit made from white silk tweed that impressed me. But the suit was too hot for the summer. Then I began wearing it in December. People became annoyed by the sight of a white suit in winter (Those were innocent times in 1962). Soon I discovered I had this marvellous, harmless form of aggression going for me. So I branched out into white suits with double-vested weskits and rows of white-covered buttons. Getting dressed in the morning was suddenly fun.411 In diesem Gespräch wird deutlich, dass Wolfe das Provokationspotenzial seines Anzugs nicht nur bewusst in Kauf nimmt. Die negativen Assoziationen, die sein Auftreten bei seinem Gegenüber auslösen, sind vielmehr Teil eines inszenatorischen Kalküls und Spiels, die der ›Spektakularisierung‹ seiner Schriftstellerpersönlichkeit sowie seinem eigenen Amüsement dienen.412 Spaßhaft fügt er dieser Anekdote eine weitere hinzu, indem er vorgibt, den weißen Anzug sogar aus Gründen der Sparsamkeit gekauft zu haben: Schließlich schlussfolgert Wolfe in weiteren Interviews, dass er nicht noch einen Anzug für den Sommer benötige, wenn er in New 408 Philip Nobile: Wolfe Foresees a Religious »Great Awakening«. In: Conversations with Tom Wolfe, hg. von Dorothy M. Scura. Jackson: 1990, S. 95-98. (Zuerst erschienen in: Richmond Times-Dispatch vom 17. August 1975). Hier: S. 97 409 Ebd., S. 95. 410 Vgl. Weingarten: 2006, S. 87: »Wolfe got his suits custom-made by a traveling employee of the esteemed Savile Row tailor Hicks and Sons for $212.« 411 Nobile: 1980, S. 95. 412 Der aus den Filmwissenschaften entlehnte Begriff der Spektakularisierung wird hier in Anlehnung an Andreas Reckwitz (vgl. Reckwitz: 2017, S. 247) sowie an Vincent Kaufmann verwendet. Vgl. Vincent Kaufmann: Die Spektakularisierung der Literatur. In: Das öffentliche Ich. Selbstdarstellungen im literarischen und medialen Kontext, hg. von Vincent Kaufmann, Ulrich Schmid u.a. Bielefeld: 2014, S. 91-104. Hier: S. 91-93: Den Begriff kennzeichnet nach Kaufmann eine Verschiebung des Autoritätsprimates des Medium Buch zu Gunsten einer Akzentuierung einer neuen medialen Vermittlungspraxis, die auf Sichtbarmachung und Aufmerksamkeitsakkumulation des Autors mittels neuer (vor allem audiovisueller) Verfahren im literarischen Feld setzt.
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
York auch im Winter einen weißen Anzug tragen könne.413 Dies ist nur einer der zahlreichen Versuche, die Wirkung des weißen Anzugs in der Öffentlichkeit zu verharmlosen. Gegenüber Rolling Stone-Reporter Brant Mewborn zeigt sich darüber hinaus, inwieweit Tom Wolfe darauf abzielt, sein Gegenüber aus der Reserve zu locken. Der Journalist zieht dabei eine Parallele zum Provokationspotenzial seines Schreibstils: [Brant Mewborn:] Your style of dress is as distinctive and famous as your style of writing, and it hasn’t changed much since the Sixties. What’s your fashion statement on the state of fashion today? [Tom Wolfe:] I had started dressing in white suits around 1962, when I first came to New York. I found that it really annoyed people to wear white in winter. Why I wanted to annoy people is another question. You have to call Dr. Freud’s night line to get an answer to that (laughs.) My white suits, as I began to get a little publicity, created quite a stir, and I had a great deal of fun with them. And then it began to be pretty common. There were so many wild things going on in men’s clothes that no one was raising their eyebrows, and I began to feel like just part of the backdrop.414 Für Wolfe sind somit seine Kleider Teil eines beabsichtigen öffentlichen Ärgernisses. Der weiße Anzug verliert nach und nach jedoch seine vormals aggressive Wirkung, bis er – seit den späten 1980er Jahren – mit Wolfes SchriftstellerPersönlichkeit assoziiert wird. Der Gestus der Provokation verliert an Bedeutung. Nunmehr wird der weiße Anzug nicht mehr als Affront gewertet, sondern verstärkt als modisches Äquivalent zu Wolfes Schreibweise angesehen. Die unterschwellige Verharmlosung des Kleidungsstücks, wie sie bei Wolfe bereits seit den 1960er Jahren anklingt, ist zum Topos geworden und sein weißer Anzug endgültig zum Markenzeichen. Anhand der Tatsache, dass Tom Wolfe fast 60 Jahre in der Öffentlichkeit einen weißen Anzug trägt, kann gezeigt werden, dass die Wahrnehmung seines äußeren Markenzeichens sich jeweils an die historischen Gegebenheiten anpasst und Diskursereignisse reflektiert.
(Journalistische) Arbeitskleidung Eng verbunden mit den Legenden des weißen Anzugs als Reflexion eines bestimmten Dresscodes des Südstaaten-Gentlemans ist die Anekdote der Uminterpretation
413
Vgl. Michael Lewis: Tom Wolfe. In: Vanity Fair’s Writers on Writers, hg. von Graydon Carter. New York: 2006, S. 125-150. Hier: S. 136. 414 Brant Mewborn: Tom Wolfe. In: Conversations with Tom Wolfe, hg. von Dorothy M. Scura. Jackson: 1990, S. 230-240. (Zuerst erschienen in: Rolling Stone vom 05.11.-10.12.1987, S. 214220). Hier: S. 239.
3. Ästhetisieren: Tom Wolfe
der journalistischen Arbeitskleidung. Sowohl Tom Wolfe als auch sein Schriftstellerkollege und Mitbegründer des New Journalism Gay Talese, der selbst ebenfalls einen eleganten und teils extravaganten Kleidungsstil pflegt, führen an, dass man sich in den 1950ern und 1960ern zwar als Journalist noch wesentlich formeller kleidete, sie beide allerdings durch die Perfektion ihres Auftretens schon damals ein Alleinstellungsmerkmal hatten.415 So erinnert sich Gay Talese an den Beginn seiner Karriere: When I became a reporter for the New York Times in 1956, I always dressed exceptionally well. In those days people dressed exceptionally better than they do now. Yankee Stadium in the thirties and forties, people in the stands were wearing hats and suits and ties. When I was a reporter, the only person I knew who dressed well was on the Herald Tribune – it was Tom Wolfe. I knew him; we were very young together. I believed that when I knocked on the door looking for an interview, it was very important I made an impression. I felt when I dressed well I had confidence in what I was wearing and my own appreciation of style, and I also felt that I was showing respect for the people that I was interviewing.416 Anders als Gay Talese, der, wie das Zitat zeigt, sein äußeres Erscheinungsbild auch auf Grundlage ethischer Maximen, die er seiner journalistischen Arbeitsweise insgesamt zu Grunde legt, wählt, ist für Tom Wolfe vor allem das Sichern von Aufmerksamkeit oberstes Gebot. Als sich die Kleiderkonventionen für Journalisten in den 1970er Jahren ändern, bleiben er und Talese Anzugträger. Damit grenzt sich Wolfe dezidiert von (jüngeren) Kollegen seiner Profession ab, die er überspitzt, meist als Gruppe, in seinen Romanen auftreten lässt und als unkultivierte Meute darstellt, um somit einen Gegenpol zu sich selbst zu entwerfen:417 In those days newspaper reporters had to wear jackets and neckties, that was expected. Today if you see a group of journalists covering an event you think it’s the shape up for the meal of the homeless at the church. […] When they get moving it looks like a big fat filthy dog.418 Tom Wolfes Tragen des weißen Anzugs kann demnach auch als Akt der Selbstnobilitierung gewertet werden. Er setzt das Kleidungsstück als Abgrenzungsstrategie gegenüber konventionellen Vorurteilen ein, die der journalistischen Arbeitswelt in den USA entgegengebracht werden. Beim Schreib- und Rechercheprozess wird der
415
Vgl. Gay Talese: Considerations. In: Men and Style: Essays, Interviews and Considerations, hg. von David Coggins. New York: 2016, S. 85-89. Hier: S. 86. 416 Ebd., S. 86. 417 Auch für Wolfes Journalisten-Darstellungen in seinem Werk sind solche überspitzten und negativen Darstellungen kennzeichnend. Vgl. Kleinsteuber: 2004, S. 203. 418 Wolfe u.a.: Clemens Lecture, TC 16:50-17:40.
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
weiße Anzug für Wolfe zu einer Uniform, mit der er seine Autorität als Journalist und Schriftsteller ausdrückt. Er fungiert darüber hinaus entscheidend als sein »research tool«419 . Gegenüber James Kaplan resümiert er im Jahr 1987 die Vorteile, die das Tragen eines auffälligen Kleidungsstücks bei seiner Arbeit – sei es im Bus mit den Merry Pranksters oder am Strand mit Surfer-Kommunen – mit sich bringt: When I wrote about the surfers in The Pump House Gang, I thought I was pretty young. I was 34, I guess. They were from 14 to about 19. To them, I was ancient. I was a little odd to them, particularly since I came out on the beach with white ducks and a seersucker jacket and a necktie [laughs]. And this was almost always the situation I found myself in. I arrived in a suit and tie to work on The Electric Kool-Aid Acid Test, and I never took that necktie off.420 In Interviewsituationen unterstreicht Wolfes weißes Outfit also die Beobachterposition. Es vergegenwärtigt seinen professionellen Habitus, gerade nicht als Teilnehmer am Geschehen in seinen Reportagen in Erscheinung zu treten und damit Distanz gegenüber seinen Protagonisten zu wahren.421 Wolfe beschreibt diesen Gestus, durch seine Kleidung als ›Fremdkörper‹ in immer neue Kommunikationssituationen treten zu können, mit der Metapher des Außerirdischen: »It made me a man from Mars, the man who didn’t know anything and was eager to know.«422 Lediglich bei seinen Recherchen für seinen Roman I am Charlotte Simmons trägt er einen navy-farbenen Anzug, um auf dem Campus in Harvard, Yale und Stanford nicht von Studenten erkannt zu werden.423 In der Auswahl der Kleidung manifestiert sich somit die Relevanz, die Tom Wolfe der eignen Statussuche und seinem professionellen Auftreten beimisst. Wie wichtig ihm die Sicherung seines sozialen Status mittels Kleidung in jedwedem gesellschaftlichen Kontext oder Gruppe ist, zeigt er gegenüber Brant Mewborn im Rolling Stone: But today I see something else happening which makes me feel good. Most of the adventures in dress still go in the direction of the casual. Today in the Hamptons – to which I admit going – there is such a fashion of the casual among men of all ages. […] There are no suits in the Hamptons, except for mine. I have the only suits in the Hamptons! It’s very abrasive – and oddly satisfying [laughs]. Again don’t ask me to psychoanalyze myself and say why I should enjoy this, but I do.424
419 420 421 422 423 424
Ragen: 2002, S. 3. Kaplan: 1987. Vgl. Ragen: 2002, S. 2. Freeman: 2004. Vgl. Ebd. Mewborn: 1990, S. 259.
3. Ästhetisieren: Tom Wolfe
Selbst in den Hamptons – oder gerade genau dort, im Luxus-Feriendomizil der Amerikaner – geht es Tom Wolfe darum, seinen eigenen Status mit dem Tragen des weißen Anzugs zu markieren. Der Autor bleibt auch in den Hamptons eine Medienfigur, die sich durch das disziplinierte Tragen eines weißen Anzugs etabliert hat, selbst wenn sie als vermeintliche Privatperson im Urlaub anzutreffen ist. Die Statussuche erklärt Wolfe aber nicht nur zum Grundprinzip seiner Inszenierung. Diese beeinflusse das gesellschaftliche Leben insgesamt, wie Wolfe im Zusammenhang mit der Veröffentlichung seines Romans Bonfire of the Vanities gegenüber der Time erläutert: Q: Americans seem obsessed by the quest for status, and certainly the characters in Bonfire are, which suggests that you are. A: Status is an influence at every level. We resist the notion that it matters, but it’s true. You can’t escape it. You see it in restaurants – not just in New York. People seem willing to pay any amount to be seen at this week’s restaurant of the century. It’s all part of what I call plutography: depicting the acts of the rich. They not only want to be seen at this week’s restaurant of the century, they want to be embraced by the owner. But status isn’t only to do with the rich. Status is fundamental, an inescapable part of human life.425 So ist die Sicherung des sozialen Status nicht nur essentiell für das darin beschriebene Romanpersonal.426 Vielmehr wird hier deutlich, dass Tom Wolfe die Suche danach als gesellschaftliches Grundprinzip anerkennt. Wie unter anderem Vanity Fair-Autor Michael Lewis gezeigt hat, geht Wolfes Statusdefinition unmittelbar auf die Auseinandersetzung mit Max Weber zurück, mit dessen soziologischer Theorie er sich bereits zu Zeiten seiner Doktorarbeit in Yale intensiv auseinandersetzt gesetzt hat.427 Der Begriff Status, wie ihn Wolfe verwendet, geht zurück auf die wörtliche Übersetzung des Begriffs des Standes aus Webers Werk Klasse, Stände, Parteien (im Englischen Class, Status, Party), das als Fragment zwischen 1910 und 1914 entsteht und von dessen Rezeption in der Folge auch Pierre Bourdieus Theo-
425 Angelo: 1990, S. 287. 426 Eine ausführliche Studie, in Form eines intellektuellen Porträts, legt Cudlik vor, der die Statussuche zu einem grundlegenden Prinzip von Wolfes Inszenierungspraxis herausstellt. Vgl. Cudlik: 2005, S. 85-107 u. S. 129-155. 427 Vgl. Lewis: 2006, S. 132: Wolfe schreibt seine Dissertation über die Einflüsse des Kommunismus auf amerikanische Autoren zwischen 1928 und 1942 und kommt hier in Kontakt mit Webers Soziologie: »He wound up discovering sociology – and especially Max Weber’s writings about the power of status seeking. The lust for status, it seemed to him, explained why otherwise intelligent American authors lost their minds and competed with one another to see just how devoted to the Communist cause they could be.«
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
rie beeinflusst ist.428 Status wird bei Weber allen voran an die ›ständische Ehre‹429 geknüpft, die »ihren Ausdruck normalerweise in der Zumutung einer spezifisch gearteten ›Lebensführung‹ an jeden der dem Kreise angehören will«430 hat. Die Stände selbst sind ferner »die spezifischen Träger aller ›Konventionen‹«431 . Dass Tom Wolfe mit dem Begriff Status das Prinzip der Stände meint und dieses Konzept als maßgeblich für seine Autorschaft definiert, wird auch in einem Artikel von John Taylor Ende der 1980er deutlich.432 Hier nimmt Wolfe direkt Rekurs auf Weber: Wolfe who has been heavily influenced by the German sociologist Max Weber, describes himself as a »status theorist.« He argues that the status group – be it the Army platoon or the Park Avenue charity establishment – is the paramount social unit. In Bonfire, Wolfe refers to the Bororo Indians of the Amazon, who »believe that there is no such thing as a private self.« Wolfe too, maintains that individual identity is largely defined by the status group. […] According to Wolfe, the task of the status theorist – and the novelist – is to analyze the composite of materials that form the status structure.433 In diesem Zitat zeigt sich, dass der Blickwinkel, den Wolfe als Romancier einnimmt, ein soziologischer ist und von der Theorie Max Webers inspiriert ist. Mit dieser Haltung erinnert Wolfe an Roth, der ebenfalls Parallelen der eigenen Poetik zwischen Journalismus und Literatur zu Autoren wie Zola herstellt, die soziologische und anthropologische Diskurse der Zeit aufnehmen. Wolfe geht jedoch einen Schritt weiter als Roth, der an Zola vor allem die Aufnahme aktueller Sujets und eine vom Journalismus inspirierte Herangehensweise schätzt (siehe dazu Kapitel 2.3. Öffentliche Selbstverortung im Feuilleton). Wolfe hingegen vergleicht explizit den 428 Vgl. zur Rezeption Max Webers bei Pierre Bourdieu: Martin Proiß: Adorno und Bourdieu. Ein Theorievergleich. Wiesbaden: 2014, S. 93-97. Zur editorischen Aufbereitung des Weber’schen Fragments: Wolfgang J. Mommsen u. Michael Meyer: Editorischer Bericht zu [»Klassen«, »Stände« und »Parteien«]. In: Max Weber. Wirtschaft und Gesellschaft. Die Wirtschaft und die gesellschaftlichen Ordnungen und Mächte. Nachlaß. Teilband 1: Gemeinschaften, hg. von Wolfgang J. Mommsen u. Michael Meyer. Tübingen: 2001, S. 248-259. Hier: S. 248-250. Der in Anführungszeichen gesetzte Titel weist auf die editorische Arbeit und auf die Schwierigkeiten, den Titel aus dem Nachlass zu bestimmen, hin. 429 Max Weber: [»Klassen«, »Stände« und »Parteien«]. In: Max Weber. Wirtschaft und Gesellschaft. Die Wirtschaft und die gesellschaftlichen Ordnungen und Mächte. Nachlaß. Teilband 1: Gemeinschaften, hg. von Wolfgang J. Mommsen in Zusammenarbeit mit Michael Meyer. Tübingen: 2001, S. 252-272. Hier: S. 259-268. 430 Ebd., S. 265. 431 Ebd., S. 265. Hervorhebung im Original. 432 Vgl. ausführlich zur Soziologie Max Webers und deren Einfluss auf Tom Wolfes Werk Cudlik: 2005, S. 141-155. 433 Taylor: 1990, S. 257.
3. Ästhetisieren: Tom Wolfe
Romanschriftsteller mit einem Soziologen: In der Retrospektive erklärt er diese Herangehensweise sogar als essentiell für die Produktion seines journalistischen wie literarischen Werks: The discovery of sociology and of the concept of status – an approach that I consider fundamental to any subject involving human beings, and most animals, as far as that goes – was central. I would not have written, for better or for worse, my nonfiction, even the novels the way I’ve written them, had it not been for that interest in status.434 Der weiße Anzug als Instrument der eigenen Statusdefinition korreliert also mit Wolfes poetologischem Programm: Wolfe macht die Statussuche zur Grundlage seiner journalistischen und literarischen Arbeitsweise und damit zum zentralen Baustein des Labels Tom Wolfe. Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass der weiße Anzug Wolfes Streben nach einem maximalen Distinktionsgewinn performativ zum Ausdruck bringt. Sein Tragen ist darüber hinaus als ein Akt der Selbstnobilitierung zu werten: Von Charles Baudelaire über Mark Twain bis Tom Wolfe hüllt er die einstigen Journalisten in das Gewand (zukünftiger) Ikonen der Literaturgeschichte.
3.3
Vom Journalismus zur Literatur: Wolfe als Romancier
Wie gezeigt werden konnte, ist Wolfes Auftreten im weißen Anzug eine der zentralen performativen Praktiken seiner Autorinszenierung. Doch immer wieder sorgt sein Markenzeichen für Spott unter Kollegen. So liefern sich Norman Mailer und Wolfe, der inzwischen durch The Bonfire of the Vanities (1984/1985) zu einem finanziell gesehen höchst erfolgreichen Romanschriftsteller avanciert ist, bereits im Jahr 1989 einen schmutzigen Schlagabtausch: »In my mind there is something silly about a man who wears a white suit all the time, especially in New York«435 , greift Mailer Wolfe an. Dieser antwortet daraufhin unverblümt: »The lead dog is the one they always try to bite in the ass.«436 Als nun Wolfe zehn Jahre später im weißen Anzug auf dem Cover des TimeMagazin erscheint, ist für Mailer das Maß voll. Er – wie auch die Romanciers John Updike und John Irving – wollen in Wolfe, der inzwischen zwei Roman-Bestseller
434 Gila Reinstein: Wolfe Returns to Old Hunting Grounds. In: Yale Bulletin & Calendar Vol. 29, Nr. 7 vom 20.10.2000. URL: http://archives.news.yale.edu/v29.n7/story2.html (abgerufen am 25.11.2020). 435 Evgenia Peretz: Donna Tartt. In: Vanity Fair’s Writers on Writers, hg. von Graydon Carter. New York: 2006, S. 348-358. Hier: S. 351. 436 Ebd., S. 351.
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
geschrieben hat, immer noch den Journalisten von damals sehen, der mit Ken Kesey in den Bus steigt. Als Nestbeschmutzer verstoßen die drei »big-name American novelists, heavy with age and literary prestige«437 Wolfe in einer öffentlich geführten Fehde aus dem Olymp der Literaten, einem exklusiven Kreis also, zu dem Wolfe sich längst zugehörig fühlte: Über 20 Jahre nach Erscheinen der Anthologie The New Journalism sowie fast 35 Jahre nach der Parajournalism-Kontroverse und Wolfes Attacke auf den New Yorker zeigt sich, wie aktuell die darin entflammte Debatte über die Zuschreibungen literarischer und journalistischer Autorschaft noch einmal werden sollte. Im Folgenden Kapitel steht also nicht mehr Tom Wolfe der Journalist im Vordergrund, sondern Wolfe der Romancier. Als sein erster Roman The Bonfire of the Vanities (aus dem Jahr 1987) in den USA, wenig später auch international, für Furore sorgt, geht Wolfe bereits stramm auf die 60 zu. Dass die Veröffentlichung dieses Romans kein Einzelfall bleibt, sondern drei weitere Romane – A Man in Full (1998), I am Charlotte Simmons (2004) und Back to Blood (2012) – folgen, zeigt, dass Wolfe endgültig eine neue Werkphase einläutet. Was mag Wolfe, der zuvor beinahe 30 Jahre seines Lebens damit verbracht hat, gegen Romanschriftsteller zu wettern und den Standesunterschied von Literatur und Journalismus zu nivellieren, bewogen haben, eine zweite Karriere als Romancier zu beginnen? Droht er nicht dadurch, seine so sorgsam komponierte Reputation als Kritiker der Medienelite und des Literaturbetriebs aufs Spiel zu setzen und sein bisheriges journalistisches Werk zu relativieren? Im Folgenden soll gezeigt werden, dass Tom Wolfes bewusste Hinwendung zum Roman als eine erneute Provokation von Akteuren des journalistischen wie literarischen Felds – von Autoren bis hin zu Institutionen – gewertet werden kann, die in Kontinuität zu seiner bisherigen Inszenierung als Schriftsteller und seinem Autorbild betrachtet werden muss. Während Wolfes journalistisches Werk und seine Rolle im Kontext des New Journalism breit rezipiert wurde, kann ein solcher Befund nicht für sein Schaffen als Romancier ausgestellt werden. Bis auf wenige Einzelstudien, die Wolfes Romane unter thematischen Aspekten berücksichtigen, ist sein literarisches Werk marginalisiert worden.438 So verhält es sich geradezu umgekehrt wie bei Joseph Roth, dessen literarisches Werk nach wie vor in der Forschung mehr Berücksichtigung findet als sein journalistisches. Möglicherweise liegt dies an Vorbehalten, die
437 Wolfe: My Three Stooges, S. 151. 438 In Hinblick auf Stadtdarstellungen in Romanen wurde beispielsweise Atlanta als Setting von A Man in Full untersucht. Vgl. Martin Bone: The Postsouthern Sense of Places in Contemporary Fiction. Baton Rouge: 2005, S. 192-218. The Bonfire of the Vanities wurde mit Fokus auf die Darstellung von journalistischen Milieus zwar in Evelyn Engessers Korpus ihrer Studie über das Journalistenbild in literarischen Bestsellern aufgenommen, jedoch nicht in einer exemplarischen Werkanalyse untersucht. Vgl. Engesser: 2005, S. 125-126.
3. Ästhetisieren: Tom Wolfe
gegenüber Wolfes kommerziell sehr erfolgreichen Werken bestehen und einer akademischen Rezeption im Wege stehen. Zumindest wird – wie noch zu zeigen ist – in der unmittelbaren Rezeption von Wolfes Werken der Topos des Schriftstellers aktualisiert, der eigentlich Journalist ist, jedoch lediglich aus dem Streben nach wirtschaftlichem Profit Romane verfasst – also einen ›Etikettenschwindel‹ begeht. Im Folgenden rücken zunächst genau diese Ressentiments in den Blick, denen Wolfe sich insbesondere nach Erscheinen seines zweiten Bestsellers A Man in Full und dem Time-Cover vom zweiten November 1998 stellen muss. Diese schlagen sich insbesondere in den bereits eingangs erwähnten öffentlichen Angriffen von Mailer, Irving und Updike nieder. Ausgehend von der Analyse dieser Kontroverse – und der damit neu entflammten öffentlichen Diskussion um den Wertungsunterschied von literarischer und journalistischer Autorschaft – soll ein Blick zurück auf den Entstehungskontext von Wolfes erstem Roman The Bonfire of the Vanities geworfen werden. In Vorbereitung – und nach Erscheinen dieses Werks – äußert sich Wolfe in Interviews über seinen ›Gesinnungswandel‹, nun Romane schreiben zu wollen. So soll Wolfes Selbstverständnis als Romancier in Abgrenzung zu seinem journalistischen durch diese programmatischen Stellungnahmen rekonstruiert werden. Abschließend bleibt zu fragen, inwiefern The Bonfire of the Vanities ein Roman geschrieben von einem Journalisten ist, der auf inhaltlicher wie auch ästhetischer Ebene die journalistische Arbeitswelt und Schreibpraxis reflektiert.
3.3.1
Rezensieren, beschimpfen, verstoßen: Der ewige Journalist
Wie in der Magazin-Forschung immer wieder betont wird, muss das Zeitschriftencover ein Produktversprechen vermitteln. In nur einem ›Bild‹ muss es nicht nur den gesamten Inhalt der Ausgabe zusammenfassen und zum Kauf anregen, sondern die Essenz – den Markenkern – der Zeitschrift kondensieren und periodisch fortführen können.439 In vielerlei Hinsicht weist das Time-Cover, das Wolfe in einem weißen Anzug zeigt, jedoch Besonderheiten auf. Unüblich ist bereits die typographische Gestaltung des Schriftzugs. Das weiße Logo selbst hebt sich kaum durch die leichte graue Unterlegung vom Hintergrund ab, der ebenfalls in der Farbe Weiß gehalten ist. Auch die Tatsache, dass Wolfe, ein Romanautor – kein großer ›Player‹ der Zeitgeschichte von internationaler Relevanz darauf abgebildet ist – gilt Ende der 1990er Jahre als eine absolute Ausnahme.440 Zudem preist das Cover Wolfes Neuerscheinung A Man in Full regelrecht an, indem es auf den enormen wirtschaftlichen Erfolg des Bestsellers hinweist und sogar Verkaufszahlen nennt. So wirkt das
439 Vgl. Ted Spiker: The Magazine Cover. The Craft of Identity and Impact. In: The Routledge Handbook of Magazine Research. The Future of the Magazine Form, hg. von David Abrahamson u. Marcia R. Prior-Miller. New York: 2015, S. 377-391. Hier: S. 377-381. 440 Vgl. Wolfe: My Three Stooges, S. 150.
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
Time-Titelbild eher wie ein Fanposter und eine Hommage an den Schriftsteller.441 Das Marketing des Covers verleibt sich Wolfes ›performativen Markenkern‹ ein, so dass die Zeitschrift selbst ihre eigene Signatur in den Hintergrund stellt. Visuell in Szene gesetzt wird somit Wolfes Autorität und nicht die der ehrwürdigen Zeitschrifteninstitution. In diesem Kontext sind auch Norman Mailers, John Updikes und John Irvings Reaktionen einzuordnen, die darin eine Nobilitierung des einstigen Journalisten sehen.
Den Etikettenschwindel aufdecken: Mailer, Irving und Updike In der Forschung bisher unbeachtet ist die Tatsache, dass jeder dieser drei Autoren bereits das Cover der Time zierte. John Updike ist gleich zwei Mal auf dem Titelbild präsent. Die Time vom 26. April 1968 porträtiert ihn als Schulterstück naturverbunden und im grünen Rollkragenpullover, verträumt auf den Betrachter schauend. Die Unterschrift weist ihn als John Updike den Romancier aus, und nur ein Schriftband »The Adulterous Society«442 stellt eine Verbindung zu seinem gerade erschienenen Skandal-Bestseller Couples her.443 Das zweite Mal ist Updike am 18. Oktober 1982 auf dem Cover zu sehen. Diesmal in Anzug, Krawatte und mit ergrautem Haar, was in Kombination mit den Überschriften »Going Great at 50 – Writer John Updike«444 dessen Etablierung als Romanschriftsteller und Seriosität besiegelt. John Irving erscheint am 31. August 1981 mit einer Fotografie auf dem Titelbild. Ganz in die Mode der Zeit gehüllt, mit offenem beigem Jackett unter dem ein rotes T-Shirt hervorblitzt, stützt er seine rechte Hand auf seiner Hüfte auf. Diese Geste, die ihm eine starke körperliche Präsenz verleiht, wirkt in Kombination mit der Überschrift »Garp Creator John Irving Strikes Again – Wrestling Life into Fable«445 bewusst sportiv. Sie spielt nicht nur indirekt auf die Veröffentlichung seines Romans The Hotel New Hampshire an (ebenfalls erschienen im Jahr 1981) an, der auf The World According to Garp folgt, sondern auf sein Hobby, das Ringen. Einen gänzlich anderen Eindruck vermittelt die Collage auf dem Time-Cover vom 16. Juli 1973. Sie zeigt Marylin Monroe in Farbe, ihre Brust bedeckt eine Schwarzweißfotografie von Norman Mailer, dem sie beherzt in die Locken greift. Die Unterschrift lautet »Monroe meets Mailer«446 , eine Anspielung auf Mailers neue Rolle
441 Tatsächlich konnten Fans eine Version des Posters als limitierten Kunstdruck auch käuflich erwerben. Vgl. McEneaney: 2009 442 Time Magazine vom 26.04.1968, Cover. 443 Vgl. zum Kleidungsstil Updikes Newman: 2017, S. 22-25. 444 Time Magazine vom 18.10.1982, Cover. 445 Time Magazine vom 31.08.1981, Cover. 446 Time Magazine vom 16.07.1973, Cover.
3. Ästhetisieren: Tom Wolfe
als Biograph Monroes. Damit zeigt die Time Norman Mailer also bewusst nicht als Romancier, sondern als einen ›Sachbuchautor‹.447 Dass nun Wolfe ausdrücklich auf dem Time-Cover als Romancier vorgestellt und ihm durch seinen neuen Roman große mediale Aufmerksamkeit zu Teil wird, löst eine Welle der Empörung bei Irving, Mailer und Updike aus, die Wolfe in seinem Essayband Hooking up als »my three stooges«448 bezeichnet. ›Stooge‹ ist ein Theater-Begriff, der eine spezielle Form des Soufflierens meint, bei der nur der Hauptdarsteller gezielte Stichworte von einem ›Stooge‹ erhält.449 Unter dem Namen ›The Three Stooges‹ ging wiederum ein amerikanisches Comedy-Trio in die Geschichte ein, das in seiner ursprünglichen Besetzung aus Larry Finn und den zwei Brüdern Moe und Curly Howard von 1934 bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs große Erfolge im Filmgeschäft feierte.450 Bis heute zählen sie in den USA zu den bekanntesten Comedians.451 Indem Wolfe nun Updike, Irving und Mailer als seine ›three stooges‹ bezeichnet, weist er darauf hin, dass die Fehde nicht nur von diesen initiiert werde, sondern darüber hinaus auch komödiantische Züge trüge, die letztlich seiner eigenen schriftstellerischen Inszenierungspraxis zu Gute kämen. Ausführlich kommentiert nun Wolfe in Hooking up, inwiefern Irving, Wolfe und Mailer den Wertungsunterschied zwischen literarischer und journalistischer Autorschaft zu einem Politikum machen: So äußert sich Irving negativ in der kanadischen Fernsehsendung Hot Type über A Man in Full, indem er den Roman mit der Lektüre schlechter Zeitschriften und Zeitungen vergleicht: Wolfes Schreibstil kanzelt er darin als »journalistic hyperbole«452 ab, einem Schmähtitel, der bis zu den Anfängen des New Journalism zurückreicht und noch einmal die ParajournalismKontroverse von Macdonald ins Gedächtnis ruft. Auch Updike macht in einer New Yorker Buchrezension deutlich, dass die Schwächen des Romans daher rühren, dass Wolfe überhaupt kein Romancier sei, sondern ein Journalist.453 Auch diese Auseinandersetzung hat – wie bereits erläutert – eine Vorgeschichte. So attackiert Tom Wolfe in seiner 1965 in der New York Herald Tribune erschienenen Reportage Tiny Mummies! The True Story of the Ruler of 43rd Street’s Land of the Walking Dead! die Institution des New Yorker, der Updike als ›contributing author‹ – als Rezensent und 447 Vgl. Mary Dearborn: Mailer. A Biography. New York: 1999, S. 316. Mailers Monore-Buch ist keine Biographie im engeren Sinne. Mailer bezeichnet es als »a novel written in the form of a biography […]«. 448 Wolfe: My Three Stooges, S. 153. 449 Vgl. ebd., S. 153. 450 Zum Vergleich mit den Three Stooges vgl. ausführlich Anthony Arthur: Literary Feuds. A Century of Celebrated Quarrels – from Mark Twain to Tom Wolfe. New York: 2002, S. 201-205. 451 Vgl. Michael Fleming: The Three Stooges. An Illustrated History. Amalgamated Morons to American Icons. New York: 2013. 452 Wolfe: My Three Stooges, S. 152. 453 Vgl. John Updike: AWRIIIIIGHHHHHHHHHT!. In: The New Yorker vom 09. November 1998.
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
Kritiker – in besonderem Maße verbunden ist. Den Vorwurf, kein Romanschriftsteller zu sein, erhebt auch Norman Mailer in seiner Rezension A Man Half Full in der New York Review of Books, die im Vergleich zu Irving und Updike am konzisesten, subtilsten und ausgeklügelsten – im Gewand der Buchkritik – mit Wolfe, dem Journalisten, abrechnet.
Vom Literaten-Olymp ins King-Kong-Kingdom der Mega-Bestseller Mailers Rezension zeigt, dass die Debatte um den Distinktionsgewinn journalistischer Autorschaft, die in den 1960er Jahren im Kontext des New Journalism ihren Anfang nimmt, um die Jahrtausendwende immer noch nicht abgeschlossen ist. Die Vehemenz, mit der dieser Grundkonflikt um den Wertungsunterschied literarischer und journalistischer Autorschaft jedoch über dreißig Jahre später variiert wird, führt vor Augen, dass es diesmal um etwas Grundlegenderes, vor allem aber um etwas ›Persönliches‹ geht. Zwar noch literarisch produktiv, jedoch bereits betagt, befinden sich alle vier am Streit beteiligten Akteure bereits im Prozess, die eigene Reputation rückblickend auf ihr Lebenswerk zu konservieren und mehr als je zuvor den Rezeptionsprozess ihrer Autormarke zu steuern. Mailer betreibt großen rhetorischen Aufwand, um zu beweisen, dass Wolfe dem Status des Romanschriftstellers nicht gerecht werde, den Mailer auf einer Hierarchisierungsskala wesentlich höher ansiedelt als den des Journalisten. Dies versucht er mittels einer argumentativen Strategie zu untermauern, die Wolfe als minder begabten Romanschriftsteller entlarven soll: Anhand von handwerklichen Fehlern, die er Wolfe minutiös nachweist, aktualisiert Mailer stereotype Zuweisungen, auf denen er den Wertungsunterschied von literarischer und journalistischer Autorschaft basieren lässt. Was A Man in Full in Mailers Darstellung nun beispielsweise zu einem qualitativ minderwertigen Roman mache und Wolfe zu einem schlechten Romancier, ist die fehlende Tiefe, mit der Wolfe das Romanpersonal ausstatte. Als tagesaktueller Journalist sei es Wolfe lediglich möglich, sich ›sprunghaft‹ Sujets zu nähern. Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die Komposition des Romans insgesamt, bei der Wolfe sich viel zu sehr auf kontingente Details und Nebenhandlungen fokussiere, anstelle diese im Gesamtplot zusammenzuführen. Diese architektonischen und narrativen Mankos sieht Mailer nun dadurch verursacht, dass Wolfe nicht als Romancier ›erstsozialisiert‹ wurde, sondern als Journalist: Where, then might be the root of Wolfe’s faults? Can one say that his strength as a journalist contributes to his weakness as a novelist? It is likely. He was so good as a young reporter that he was promoted to feature writer. But even in the upper reaches of feature writing, you still move on quickly to another subject, another
3. Ästhetisieren: Tom Wolfe
set of people. So you do not form those novelistic habits that are learned best when you are young […].454 Mailer zweifelt also letztlich die Vereinbarkeit journalistischer und literarischer Autorschaft an: Die Kompetenzen, die Wolfe als Journalist erlernt habe, stellen bei der Abfassung von Romanen sogar eher ein Hindernis dar. Das Schreiben für einen bestimmten Adressatenkreis unter Zeitdruck sowie die Absegnung der eigenen Arbeit durch das Redaktionskollektiv seien keine vorbereitenden Schritte auf dem Weg, ein Romancier zu werden. Doch der Hauptvorwurf, den Mailer Wolfe entgegenbringt, kommt dem Verrat eines unausgesprochenen Ehrenkodexes unter Romanciers gleich: Wolfe, der das schnelle Geldverdienen als abhängiger ›tagelöhnender‹ Journalist gewöhnt sei, hätte kein Interesse daran einen Roman zu schreiben, sondern einen Bestseller. So lässt sich zeigen, dass Mailer Zuschreibungen aktualisiert, die die Dichotomie von Journalist und Literaten bereits bei Joseph Roth in Einbruch der Journalisten in die Nachwelt zementieren: Lediglich dem poeta vates sei eine »long-term glory«455 beschert, dem tagesaktuell-berichterstattenden Journalisten hingegen bleiben ›höhere Weihen‹ verwehrt. Solche Vorwürfe offenbaren, dass sich Mailer vor allem durch die Abwertung von Wolfes literarischer Autorschaft seiner eigenen Position als Romancier rückversichern möchte:456 Can we offer a final verdict? Tom may be the hardest-working showoff the literary world has ever owned. But now he will no longer belong to us. (If indeed he ever did!) He lives in the King Kong Kingdom of the Mega-bestsellers […].457 Der Vergleich mit King Kong, dem ersten lediglich für den Film erschaffenen Monster,458 weist auf die Boulevardisierung der literarischen Autorschaft hin, die Wolfe laut Mailer gerade auch durch den finanziellen Erfolg selbst vorantreibe. Mit seiner Rezension verstößt Mailer Wolfe somit offiziell aus dem Kreis der Romanciers, sichert zugleich aber seinen eigenen Status als Romancier ab und sorgt nebenbei dafür, dass die Nachwelt sich möglichst an ihn nicht als den einstigen New Journalist und Autor von Superman Comes to the Supermarket erinnert.459
454 Norman Mailer: A Man Half Full. In: The New York Review of Books vom 17.12.1998. URL: htt ps://www.nybooks.com/articles/1998/12/17/a-man-half-full/(abgerufen am 25.11.2020). 455 Ebd. 456 Vgl. ebd. 457 Ebd. 458 Vgl. William Moritz: Animation, Experiment und Computer. In: Geschichte des internationalen Films, hg. von Geoffrey Nowell-Smith. Suttgart: 2006, S. 504-513. Hier: S. 512. 459 Vgl. Kapitel 3.1.1. Der New Journalism: Begriff und Akteure.
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Im Fegefeuer der Eitelkeiten: Norman Mailers offene Rechnung Um die in der Rezension angewandten argumentativen Strategien und Mailers Rolle innerhalb des Konflikts zu verorten, lohnt auch ein Blick zurück: In seiner Darstellung der Faktoren, die zur Genese des New Journalism führen, weist Wolfe immer wieder auf den Wettkampfmodus hin, in dem sich die Autoren befinden.460 So treten die Feature-Autoren untereinander in einen Konkurrenzkampf, um sich mit der brisantesten und besterzählten Reportage einen Namen zu machen. Außerhalb des Newsrooms greifen sie jedoch kollektiv die Privilegien des Romanschriftstellers an. Beide Austragungsorte sind männlich geprägte Domänen, in denen ein Revierkampf herrscht, der von Wolfe in Sport- und Stierkampfmetaphern beschrieben wird. Im Streit um Aufmerksamkeitsressourcen und Zuschreibungen werden Lager gebildet und die Bezeichnungen ›novelist‹ und ›feature-writer‹ respektive ›new journalist‹ als Kampftitel geführt. Als Wolfe in New York Feature-Autor wird, ist Mailer nicht nur für sein verbales Kräftemessen in Form von politischen Statements gegen die US-Regierung bekannt und für seine handgreiflichen Übergriffe in den Schlagzeilen. Vielmehr hat er sich als Essayist einen Namen gemacht und sich bereits im Jahr 1948 mit The Naked and the Dead in den Olymp der Romanschriftsteller geschrieben. So zählt ihn Wolfe dezidiert in The Feature Game zur Gruppe der ›novelists‹, mit denen der neue Typus des Feature-Autors konkurriert.461 Mit The Armies of the Night erhält er im Jahr 1969 jedoch den Pulitzer-Preis für eine Nonfiction Novel, die Tom Wolfe ebenso wie Truman Capotes In Cold Blood in Auszügen in seine New Journalism-Anthologie als kanonischen Text aufnimmt. Demzufolge bewegt sich Mailer ebenso in vielfältigen Publikationskontexten und bespielt diverse Genres, die an der Grenze von Literatur und Journalismus situiert sind. Vor diesem Hintergrund lässt sich zeigen, dass sich Mailer – im Gegensatz zu Updike,462 der ausschließlich als Literat, später als Literaturkritiker in Erscheinung tritt – nur bedingt als Gatekeeper eignet, der Wolfe im Jahr 1998 den Status des Romanschriftstellers aberkennen möchte. Dennoch lässt sich anhand von Interviews rekonstruieren, dass Mailer sich von Wolfe explizit in seiner Ehre als Romanschriftsteller gekränkt sieht. Wolfe – damals ein junger Feature-Writer bei der
460 Vgl. Kapitel 3.1.2. »This must be the place!«: Veröffentlichungskontexte. 461 Vgl. Wolfe: The Feature Game, S. 21: »By the 1950s The Novel had become a nationwide tournament. There was a magical assumption that the end of World War II in 1945 was the dawn of a new golden age of the American Novel, like the Hemingway-Dos Passos-Fitzgerald era after World War I. There was even a kind of Olympian club where the new golden boys met face-to-face every Sunday afternoon in New York, namely, the White Horse Tavern on Hudson Street . . . Ah! There’s Jones! There’s Mailer! There’s Styron! There’s Baldwin! There’s Willingham! In the flesh right here in this room!« 462 Vgl. zur Reputation Updikes und Mailers Bob Batchelor: John Updike. A Critical Biography. Santa Barbara/Denver/Oxford: 2013, S. 199-206.
3. Ästhetisieren: Tom Wolfe
New York Herald Tribune – kanzelt ihn in einer Rezension zu seinem vierten Roman An American Dream aus journalistischer Warte ab:463 I never mind a bad review so long as the reviewer stays in bounds, […] but this one bothered me. When Wolfe started in telling me how to write – when he said it would have been better to start the book on page 14 – well I objected to that. It struck me as a kind of … punky, smartass, you know.464 Die Tatsache, dass Wolfe Mailers Roman zu einem Zeitpunkt kritisiert, als Wolfe selbst noch nicht als Romancier, sondern lediglich als Journalist in Erscheinung tritt, implementiert den Wertungsunterschied zwischen literarischer und journalistischer Autorschaft. Sie formt Mailers Wahrnehmung von Wolfe ›dem Journalisten‹ nachhaltig, der – einmal als Journalist in Erscheinung getreten – sich kaum von dem Stigma des aufmerksamkeitsheischenden Kritikers reinwaschen kann, der auf Kosten der Romanschriftsteller seine Popularität steigert.
3.3.2
Recherchieren, beobachten, berichten: Selbstverständnis als Romancier
Spätestens mit Norman Mailers Kritik anlässlich der Debatte um A Man in Full wird deutlich, welchen Stand Tom Wolfe unter den Romanciers der ›alten Schule‹ hat. Es lässt sich also nachhaltig zeigen, dass Wolfes zahlreiche Attacken auf den Roman, die er vor allem in seiner New Journalism-Anthologie vorbringt, sein Autorbild noch immer entscheidend prägen. Damals wendet er sich gezielt gegen Autoren, in deren Romanen keine realistische Erzählweise zum Tragen kommt und die keine aktuellen Sujets behandeln. In der Retrospektive bezeichnet Wolfe noch im Jahr 1980 gegenüber dem Rolling-Stone-Reporter Chet Flippo die Veröffentlichung seiner Anthologie als einen gezielten Versuch, diese Romanschriftsteller so zu provozieren,465 dass sie sich gegen Autoren wie ihn wenden.466 Doch bereits in den 1970er Jahren lässt sich eine Kehrtwende beobachten. Wolfe gibt in Interviews nun erste Hinweise darauf, dass er sich vorstellen könne, selbst einen Roman zu schreiben. Er gedenke jedoch, das Genre durch journalistische Praktiken zu erwei-
463 Vgl. Mike McGrady: Why We Are Interviewing Norman Mailer. In: Conversations with Norman Mailer, hg. von Michael Lennon. Jackson/London: 1988, S. 108-115. (Zuerst erschienen in: Newsday vom 7. Oktober 1967). Hier: S. 110. 464 Ebd., S. 110. 465 Vgl. zu konkreten Beispielen, gegen die sich Wolfe wendet, weiter hinten in diesem Kapitel. 466 Vgl. Chet Flippo: The Rolling Stone Interview. In: Conversations with Tom Wolfe, hg. von Dorothy M. Scura. Jackson: 1990, S. 129-157. (Zuerst erschienen in: Rolling Stone vom 21.08.1980, S. 30-37). Hier: S. 136-137. Hervorhebung im Original.
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tern und zu verbessern. So wagt er im Jahr 1974 gegenüber Joe David Bellamy einen Ausblick:467 Bellamy: Can you visualize what a form of the seventies might be, if it were still Wolfean? Would it be, ›could‹ it be a novel? What kind of novel would it really be? Wolfe: It could still be done ›in‹ the novel. I think that the only future for the novel is reporting, which means there’s not going to be ›much‹ difference between the best novels and the best nonfiction. It’s going to get down to a matter of technique.468 Entscheidend ist, dass Wolfe sich folglich bereits zehn Jahre vor der Veröffentlichung seines ersten Romans The Bonfire of the Vanities programmatisch festlegt, dass die Art und Weise, mit der er einen zukünftigen Roman verfassen würde, nicht nur von seiner journalistischen Vorerfahrung profitieren müsse. Vielmehr geht er einen Schritt weiter, indem er vorgibt, dass der Roman sich an journalistischen Qualitätsstandards zu orientieren habe. So müsse ein zukünftiges literarisches Werk auch technische Aspekte berücksichtigen, die charakteristisch für die journalistische Arbeitsweise sind und die er allgemein als »reporting«469 definiert.470 Dies bedeutet, dass Wolfe nach wie vor – auch in seiner ›neuen‹ Rolle als Romancier – an der Überwindung des Standesunterschieds zwischen Journalismus und Literatur arbeitet, ja journalistischen Texten sogar eine höhere Wertigkeit zuschreibt als dem Roman. So muss sich sein zukünftiges literarisches Projekt an den Maßstäben orientieren, die er bereits in den 1960er und 1970er Jahren für den Journalismus festgelegt hat. Da er journalistische Texte als ästhetisches Vorbild ausweist, unterhöhlt er nach wie vor die traditionelle Vormachtstellung des Romans, den Geltungsanspruch der Gattung und den der Romanciers.
»I’m first of all a journalist«471 Noch deutlicher wird Wolfe im Jahr 1989 bei der Formulierung seines Selbstverständnisses als Romancier gegenüber der Time-Journalistin Bonnie Angelo:
467 Vgl. außerdem Wolfes Interview mit Toby Thompson. Toby Thompson: The Evolution of Dandy Tom. In: Conversations with Tom Wolfe, hg. von Dorothy M. Scura. Jackson: 1990, S. 199-220. (Zuerst erschienen in: Vanity Fair Nr. 50 vom Oktober 1987). Hier: S. 204: »I was the sort of person who from a certain moment knows that he’s going to write novels. You just know you’re going to do it. But when that’s going to happen is another question.« 468 Bellamy 1990, S. 42. 469 Ebd., S. 42. 470 Vgl. zu den Techniken und Präsentationsweisen des New Journalism Kapitel 3.1.3. Der Bruch mit den Konventionen: Die Provokation des New Journalism. 471 Angelo: 1990, S. 287.
3. Ästhetisieren: Tom Wolfe
I’m a journalist at heart, even as a novelist, I’m first of all a journalist. I think all novels should be journalism to start, and if you can ascend form that plateau to some marvelous altitude, terrific. I really don’t think it’s possible to understand the individual without understanding the society.472 Wolfes Personalunion basiert somit vor allem auf einem Bekenntnis zum Journalismus. Die Ausübung seiner journalistischen Fähigkeiten qualifiziere ihn dabei überhaupt erst, ein Romancier zu sein.473 Das journalistische Handwerk und die Einhaltung journalistischer Standards sieht er dabei als eine notwendige Grundlage für jeden relevanten literarischen Schreibprozess. Darüber hinaus schaffe die journalistische Tätigkeit, die notwendigen Voraussetzungen, um beim Romanschreiben den Fokus nun mehr auf exemplarische Protagonisten zu setzen. In der Darstellung gesellschaftlicher Prozesse, die er als Journalist versucht, in ›Gänze‹ zu erfassen, die aber beim Romanschreiben auf nur einige wenige Grundkonflikte der Protagonisten reduziert werden können, sieht Wolfe zugleich auch einen Vorteil gegenüber einer rein journalistischen Tätigkeit: You can be more compact in a novel, in the sense that you can have one character express the roles of reality of two or three people you can combine characteristics. You have much more liberty in dealing with the psychology of persons other than yourself. You know you can do it in nonfiction; you have to interview people. … you have to gain their confidence, interviewing at tremendous length before you can start getting them to tell you about their thoughts and to really level with you about their emotions. It can be done much more economically in fiction.474 Wolfe zufolge zeichnet sich seine Arbeitsweise als Romancier durch eine ähnlich anspruchsvolle Recherchephase wie im Journalismus aus,475 die dem Schreiben für beide Publikationskontexte vorausgeht. Im Falle des literarischen Schreibens allerdings gesteht sich Wolfe nun gezielt Freiheiten zu, die in der Rekombination einzelner sauber recherchierter Fakten liegen. Wolfe erkennt in dieser Verfahrensweise einen Vorteil gegenüber der journalistischen Arbeit: Der Gesamtprozess des
472 Ebd., S. 287. 473 Vgl. dazu auch Wolfes Selbstdefinition in der Einleitung von The Bonfire of the Vanities: Tom Wolfe: Stalking the Billion-Footed Beast. In: Tom Wolfe: The Bonfire of the Vanities. London: 2010, S. IX-XXX. (Zuerst erschienen in: Harper’s Magazine vom November 1989). Hier: S. XXIX. 474 Bellamy: 1990, S. 42. 475 Vgl. dazu auch Hilary De Fries: The Police Reporter at the Garden Party. In: Conversations with Tom Wolfe, hg. von Dorothy M. Scura. Jackson: 1990, S. 241-245. (Zuerst erscheinen in: Christian Science Monitor vom 14.12.1987). Hier: S. 242: »I went out to do the same kind of reporting I would have done for nonfiction.« Hier zeigt sich, wie essentiell es für Wolfe ist, sowohl als Journalist als auch als Romancier als Augenzeuge zu berichten.
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Romanschreibens gestalte sich im Vergleich zur journalistischen Reportage wesentlich einfacher, weil nun nicht mehr jedes einzelne Detail minutiös rekonstruiert werden muss, um den im Journalismus erforderlichen Fakten-Standards zu genügen. Zudem hinge das Gelingen des Romans nicht allein von kommunikativen Fähigkeiten des Romanciers ab, der das Vertrauen des Gegenübers gewinnen muss. Auch das Recherchematerial kann zu Gunsten des Romanplots während des Schreibprozesses selektiert und modelliert werden. Ähnlich wie Joseph Roth, der in Anlehnung an sein Vorbild Zola einfordert, den Rechercheprozess des Romanschriftstellers ganz in die Tradition realistischer Erzähler jenseits des Schreibtischs durchzuführen, begibt sich Wolfe auf die Straßen amerikanischer Städte.476 Im Falle von The Bonfire of the Vanities wagt sich Wolfe beispielsweise auch in seiner Wahlheimat New York aus seiner Komfortzone, um auch in entlegenen Gegenden die nötigen Rechercheschritte vorzubereiten, Leute zu interviewen und zu Fuß möglichst viele Eindrücke zu sammeln.477 Neben der Valorisierung der Rechercheleistung im Prozess des Romanschreibens ist es jedoch auch der Anspruch der Aktualität, den Wolfe aus seiner Karriere als Journalist übernimmt. Bereits die Ideenfindung basiert zumeist auf aktuellem Zeitgeschehen und ist von persönlichen Begegnungen jenseits des Schreibtischs geprägt: »I feel comfortable if the subject hasn’t been written about and I’ve just heard about it in conversation. That’s the journalist in me.«478 Somit lässt sich zeigen, dass Tom Wolfe seine bisherige Arbeitsweise als Journalist versucht, für das Romanschreiben produktiv zu machen.
»True or made up«479 : Von Fakten und Fiktionen Trotz der offensichtlichen Parallelen zwischen den Planungsphasen, die Wolfes journalistischen und literarischen Texten voraus gehen, zweifelt Wolfe zu keinem Zeitpunkt an den unterschiedlichen Funktionsweisen von journalistischer und literarischer Autorschaft und den damit verbundenen ›Autorisierungsfragen‹, die sich bereits aus textpragmatischer Perspektive ergeben. Dies schlägt sich auch darin nieder, dass Wolfe Roman-Genres vermeidet, die (wie beispielsweise der Schlüs-
476 Vgl. Mary V. McLeod: CA Interview. In: Conversations with Tom Wolfe, hg. von Dorothy M. Scura. Jackson: 1990, S. 178-185. (Zuerst erscheinen in: Ann Evory u. Linda Metzger (Hg.): Contemporary Authors, New Revision Series. Bd. 9. Detroit: 1983, S. 536-539). Hier: S. 184: »So like anybody else, I have to go out and see what’s going on, because you can lose track of things so quickly.« 477 Vgl. Angelo: 1990, S. 286: »Go beyond the cocoon of your apartment and taxicab and take a look. Take notes.« 478 De Fries: 1990, S. 242. 479 Mewborn: 1990, S. 232.
3. Ästhetisieren: Tom Wolfe
selroman) dezidiert den Leser dazu anhalten, den Text als »partiell faktual zu lesen«480 : I certainly always used novelistic techniques, but I also felt that the boundaries between fact and fiction should never be blurred. Not in the sense of making you wonder whether you’re reading something that’s true or made up. For that reason I didn’t want to write a roman à clef. I figured if you want to write about real people, do it with nonfiction. It’s exciting to write about real, living people – in nonfiction.481 Wie aus diesem Zitat aus einem Interview mit dem Journalisten Brant Mewborn hervorgeht und wie Wolfe auch gegenüber Joe David Bellamy betont, besteht der wesentliche Unterschied zwischen literarischem und journalistischem Texten für Wolfe vor allem im Umgang mit der Realität:482 Als Journalist sieht er sich der Wiedergabe von Fakten verpflichtet, als Literat hingegen nicht. Wolfe ist sich folglich – wie auch Roth – voll und ganz der Grenzen und (moralisch-ethischen) Lizenzen seiner literarischen wie journalistischen Autorschaft bewusst und steuert damit auch zielgerichtet, wann er als Romancier, wann er als Journalist wahrgenommen werden möchte. Darüber hinaus begründen die normativen Implikationen Wolfe zufolge auch die Autorität journalistischer Texte gegenüber den Lesern. Dies veranschaulicht folgende Aussage aus dem Jahr 1974, also über zehn Jahre vor der Veröffentlichung seines ersten Romans: »Nonfiction has the advantage of the reader knowing that it’s real. Now it’s a tremendous thing – it sounds like nothing – but it’s a tremendous thing to know that you’re reading something that actually happened.«483 Wolfe zweifelt somit zu keinem Zeitpunkt an den unterschiedlichen Funktionsweisen von Journalismus und Literatur, die diese für den einzelnen Leser und damit für die Gesellschaft insgesamt einnehmen und die sich aus dem faktualen beziehungsweise fiktionalen Status der Texte ableiten lassen. Es bleibt jedoch zu fragen, welche Gründe Wolfe anführt, mit über 55 Jahren noch eine zweite Karriere als Romancier zu beginnen.
480 Johannes Franzen: Indiskrete Fiktionen. Theorie und Praxis des Schlüsselromans 1960-2015. Wallstein: 2018, S. 41. 481 Mewborn: 1990, S. 232. 482 Vgl. Bellamy, S. 42-43. 483 Bellamy: 1990, S. 43.
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»Wonder what would have happened if«484 : Roman als Karriereabschluss und Karrierehöhepunkt Zunächst lässt sich zeigen, dass das Schreiben von Romanen persönlich motiviert ist. Es geht Wolfe vor allem darum, sich seiner ›handwerklichen‹ Fähigkeiten noch ein letztes Mal zu vergewissern: »Now, the question is to me a completely technical one. Once I reached that decision, the rest is purely technical.«485 So versucht er, sich zu beweisen, dass er nach über 30 Jahren als Journalist einen gänzlich anderen Schreibkontext bedienen kann.486 Gegenüber Vanity Fair-Journalist Toby Thompson äußert er sich unmittelbar nach Erscheinen seines ersten Romans über die Faszination, die das Genre auf ihn ausübt: »And I didn’t want to be in the position where at the end of my career I look back and said to myself, ›wonder what would have happened if I’d written a novel?‹«487 So lastet auf dem Genre des Romans nichts weniger als die Last, aufgeschobene Kompetenzfragen durch ein letztes Selbstexperiment in seiner Karriere als Schriftsteller zu klären. Obwohl Wolfe immer wieder betont, dass ihn das Genre als »superior art form«488 nicht interessiere, bleibt doch zu fragen, ob nicht mehr hinter seinem Versuch steckt als die pure Neugierde, sich selbst zu beweisen, auch ein Romanschriftsteller sein zu können. So konnte beispielsweise in Kapitel 3.1. Institutionelle Voraussetzungen: New Journalism gezeigt werden, dass er dem Roman trotz allem eine besondere Rolle als Antipode zu journalistischen Texten insgesamt attestiert, dessen Ausstrahlungskraft er in den 1960er und 1970er Jahren durch eine Großschreibung (›Novel‹) in programmatischen Essays kenntlich macht. Wie sich an einigen Interviews zeigen lässt, gleicht Wolfes Hinwendung zum Genre Roman sogar einem letzten Schliff, einer ›Veredlung‹ seiner Schriftstellerpersönlichkeit, die ihm einen ›seriösen‹ Anstrich verleiht.489 Denn wie sich spätestens anhand der Rezeption seines Romans A Man in Full und Norman Mailers Kritik herausstellen sollte, werden nach wie vor Vorwürfe laut, Wolfe sei in seiner Funktion als Journalist lediglich an finanziellen Erfolgen interessiert. Die Metapher des »King Kong-Kingdom«490 , die Norman Mailer in seiner Rezension produktiv macht, muss auch in diesem Zusammenhang gesehen werden, denn Wolfe wird so auf die Rolle des ›Infotainers‹ reduziert, der es nicht mit ernsthaften Romanciers aufnehmen kann. Dieser Topos des unfreien, an die redaktionellen Regeln gebundenen, kommerziell-erfolgreichen und skrupellosen Journalisten hat eine
484 485 486 487 488 489 490
Thompson: 1990, S. 202. Ebd., S. 42. Vgl. dazu auch McKeen: 1995, S. 112-113. Thompson: 1990, S. 202. Bellamy: 1990, S. 43. Vgl. Mewborn: 1990, S. 232. Mailer: 17.12. 1998. Vgl. Kapitel 3.3.1. Rezensieren, beschimpfen, verstoßen: Der ewige Journalist.
3. Ästhetisieren: Tom Wolfe
lange Tradition, wie in dieser Arbeit bereits ausführlich am Beispiel Joseph Roths analysiert werden konnte.491 So gesehen erhofft sich Wolfe auch einen letzten Distinktionsgewinn im literarische Feld, eine neue Position als Romancier und eine Loslösung von Reporterklischees. Folglich geht es Wolfe hierbei nicht nur um ein Selbstexperiment, sondern um eine erneute Provokation des Literaturbetriebs und dessen Instanzen und Institutionen.492 In diesem Lichte betrachtet, erscheint der Journalismus als Teil eines Curriculums von Wolfes persönlicher Bildung und Reifung, das er durchschreiten muss, um am letzten Etappenziel, dem Roman anzukommen und sich gänzlich als ernstzunehmender Schriftsteller zu profilieren. Dass es dabei auch um ein Streben zur Vollendung eines ›männlichen‹ Reporterideals geht, um ein (antiquiertes) Berufsbild, das durch Filme wie The Front Page oder Citizen Kane inspiriert ist und bis weit in die 1940er Jahre zurückreicht, wurde in dieser Arbeit bereits gezeigt.493 So sieht Wolfe den Journalismus in den 1960er und 1970er Jahren zunächst vor allem als eine ›Schule des Lebens‹ an, die ihn vorbereiten soll, ein Romancier zu werden.494 Er inszeniert das Romanschreiben als einen folgerichtigen Schritt, der in seiner Gesamtentwicklung als Schriftsteller von Anfang an angelegt ist. Dass Wolfe sich von diesen Vorstellungen – seinen ›Collegeträumen‹ – jedoch löst und nicht, wie angedacht, nach ein paar Jahren einen Roman schreibt, sondern die journalistischen Darstellungsformen weiterentwickelt, hat mit Sicherheit auch mit dem ästhetischen Innovationspotenzial zu tun, das Wolfe damals insbesondere für das journalistische Genre der Reportage prognostizierte. Letztlich muss jedoch auf einen Widerspruch hingewiesen werden: Wolfe behauptet einerseits nicht am Roman als einer hierarchisch höhergestellten Gattung interessiert zu sein. Andererseits markiert das Romanschreiben für ihn den Höhepunkt seiner Karriere und kann erst durch die erworbenen und bis zur Perfektion eingeübten Schreibkompetenzen als Journalist realisiert werden. Es bleibt also zu fragen, ob Wolfe den Roman nicht doch implizit als eine ›höhere Kunstform‹ bewertet, für die journalistisches Handwerk zwar unerlässlich sei, die jedoch journalistische Arbeitsweisen und Textformen übertreffe.
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Vgl. Kapitel 2.3.3. Roth, der Rezensent und Kritiker. Zu diesem Schluss kommt auch McKeen. Vgl. McKeen: 1995, S. 113. Vgl. Kapitel 3.1.2. »This must be the place!«: Veröffentlichungskontexte. Vgl. Mewborn: 1990, S. 232. Vgl. zudem Kapitel 3.1.2. »This must be the place!«: Veröffentlichungskontexte.
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
»The medium of the holy beast«495 : Wolfe in der Tradition europäischer Realisten Neben persönlichen Motiven, die Wolfe dazu antreiben, einen Roman zu schreiben, sind es auch ästhetische. Betrachtet man rückblickend Wolfes bisherige Strategien seines Distinktionsgewinns im literarischen Feld, so lässt sich zeigen, dass er sich stets als Antreiber ästhetischer und poetologischer Innovationen versteht. Im Falle des Journalismus kommt er in den 1980er Jahren jedoch zu dem Ergebnis, dass die von ihm angestoßenen Entwicklungen, insofern zu einem Ende gekommen seien, als dass sie sich in Teilen bereits als Standards durchsetzen konnten: »But the road has been built […]. We’re seeing what’s traveling down it. Which is not as exciting as building the road.«496 Wolfe inszeniert sich bei seiner Premiere als Romanschriftsteller nun als Retter einer bestimmten Romantradition, die nur Schriftsteller etablieren konnten, die in Personalunion Journalisten und Romanciers sind. Angelehnt an seine Vorbilder Dickens, Zola, Balzac und Thackeray möchte er explizit in die Fußstapfen der großen europäischen Romanciers des Realismus und späteren Naturalismus treten. In vielen Interviews nennt er bereits vor der Planungsphase von The Bonfire of the Vanities explizit Thackerays Gesellschaftsroman Vanity Fair als unmittelbares Vorbild.497 Wie auch Wolfe sind die Autoren des europäischen Realismus bestrebt, sich von anderen Romangattungen und Autorschaftskonzepten abzugrenzen, die durch die Wahl der Sujets und erzähltechnischen Mittel an einer Genieästhetik – an einer »romantic view of their role«498 , wie es Wolfe formuliert – festhalten. Wolfes Arbeitsweise orientiert sich insofern an der der großen europäischen Realisten, als er – wie bereits oben erläutert – wie der Journalist oder Sozialwissenschaftler dem Schreibprozess eine Recherchephase vorschaltet,499 die darauf abzielt, als Augenzeuge Material jenseits des Schreibtischs zu finden und dieses ästhetisch zu überformen.500 Seine Leistung besteht also darin, ›Rohmaterial‹ zu finden und die-
495 Bellamy: 1990, S. 43. 496 Thompson: 1990, S. 242. 497 Die Anspielung auf Thackeray wird bereits im Titel deutlich. Bis jetzt steht jedoch eine motivgeschichtliche Studie aus, die sich ganz auf die Thackeray-Rezeption bei Wolfe fokussiert und das Motiv der Eitelkeit und der Statussuche in beiden Romanen in Beziehung setzt. Die Titelgebung von Wolfes erstem Roman bezieht sich darüber hinaus auf Girolamo Savonarolas Hinrichtung, die als ›falò delle vanità‹ in die Geschichte eingegangen ist. Vgl. Ragen: 2002, S. 139-140. 498 Bellamy: 1990, S. 42. 499 Vgl. dazu auch Cudlik: 2005, S. 92 sowie S. 211. 500 Hier zeigen sich augenscheinliche Parallelen zu Joseph Roths Realismus-Rezeption. Vgl. Kapitel2.3.3. Roth, der Rezensent und Kritiker sowie 2.1.1. »Ich aber bin […] ein Unikum in der deutschen Literatur!!«: Veröffentlichungskontexte.
3. Ästhetisieren: Tom Wolfe
ses wie ein Handwerker zu bearbeiten.501 Wie intensiv sich dieser Prozess gestaltet, erfährt Wolfe bereits im Jahr 1975, als er seine erste und einzige Kurzgeschichte The Commercial schreibt, deren Hauptperson ein afroamerikanischer Baseball-Spieler ist. Gerade beim Schreiben von Literatur betont er den handwerklichen und technischen Trainingsaspekt: I thought I was going to be able to do it in several weekends, but I was quite shocked to see that writing fiction wasn’t all that easy. I thought that since you could make up things there was nothing to it, but it’s not that easy to make things effectively. The imagination needs material. I had to put everything aside and do some reporting – how commercials are made […].502 Hier wird erneut deutlich, dass der Schreibvorgang aus einer materialintensiven Zusammenschau recherchierter Fakten besteht, die er wie ein Reporter sammelt und die er erst in einem zweiten Schritt durch eine freie Bearbeitung und Rekombinationsleistung in einem literarischen Schreibprozess zusammenführt. Gerade die Betonung der Folgerichtigkeit und Unumkehrbarkeit dieser beiden zwingend aufeinanderfolgenden Schritte zeigt, dass der ›schöpferische‹ Akt sekundär ist, beziehungsweise erst dort beginnen kann, wo die journalistische, beziehungsweise sozialwissenschaftliche Recherche vor Ort aufhört. Noch deutlicher wird Wolfe in einem Essay Stalking the Billion-Footed Beast, der im Jahr 1989 zunächst im Harper’s Magazine erscheint und nachträglich an die Stelle eines Vorworts von The Bonfire of the Vanities rückt. Hierin gibt er eine Gewichtung an, nach der sogar zu 65 Prozent das recherchierte Material ausschlaggebend für das Gelingen eines Romans sei.503 Nur 35 Prozent mache das »literary genius«504 eines Schriftstellers aus, das er lediglich als ›Bindemittel‹ oder Fugenelement (»the clay his talent will mold«505 ) erachtet.506 Mit dieser Hierarchie der schriftstellerischen Produktionsschritte lässt sich zeigen, dass es vor allem die Vorgehensweise (geprägt durch die journalistische Vorerfahrung) ist, die ihm – und vor ihm den großen realistischen Erzählern – einen besonderen Blick auf die Gesellschaft gewährt.507 Folglich versucht Wolfe in den 1980er Jahren mit The Bonfire of the Vanities noch einmal das einzulösen, was er in den 1960er Jahren mittels des New Journalism versucht. Er richtet gezielt 501 Vgl. dazu auch die Metaphern des Marmorsteinbruchs bei Fontane Kapitel 2.2.2. Sich selbst verorten: Es lebe der Dichter!. 502 McLeod: 1990, S. 184. 503 Vgl. Wolfe: Stalking the Billion-Footed Beast, S. XXIV. 504 Ebd., S. XXIV. 505 Ebd., S. XXIII. 506 Vgl. ebd., S. XXIV. 507 Thackeray, Zola, Dickens und für eine Zeit auch Balzac waren zunächst Journalisten, dann Romanciers.
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
das Augenmerk auf gesellschaftliche Prozesse, eine Prämisse, die er einst für den New Journalism formulierte. Doch anders als zuvor ist jetzt der Roman aus seiner Sicht die adäquatere Form, um gesellschaftsrelevant und aktuell zu erzählen. So intendiert Wolfe, den großen Gesellschaftsroman der späten 1980er zu schreiben, der aus der Gegenwart schöpft und ein Panoptikum aller Facetten der Stadt New York liefern soll: I’m not ashamed to be attempting to show the world ›life in our times‹. […] He [Balzac] was proud to be known as the »secretary of French Society«. It was the kind of term that no serious novelist today would be caught dead being stuck with. I mean, anything but that, because the novel now has the status that poetry had in the nineteenth century. It’s the medium of the holy beast.508 Mit diesem Gestus macht Wolfe deutlich, dass er sich in Balzacs Tradition einreihen und nicht mehr und nicht weniger möchte, als mittels des Romans ein Panorama der Gesellschaft zu zeichnen, das in dieser Form nur Autoren wie er selbst durch ihren journalistischen Hintergrund vermitteln können. Dieses Bekenntnis zur realistischen Erzählweise ist gleichzeitig eine Zurückweisung einer Erzähltradition, die Wolfe als ›Neo-Fabulism‹ bezeichnet.509 Die »Neo-Fabulists«, zu denen Wolfe europäische, amerikanische und südamerikanische Autoren wie Laurence Sterne, Italo Calvino aber auch John Irving und García Márquez zählt, verschreiben sich hingegen den »primal origins of fiction« und wenden sich »back to myth, fable and legend«.510 Dieses Argumentationsmuster der Abgrenzung von anderen Autoren und der Überbietung von Autorengruppen ist ein Topos, den Wolfe bereits in seinen programmatischen Essays in der New Journalism-Anthologie verwendet, um sein Label als Journalist durch Distinktion zu festigen.511 Auch als Romanschriftsteller greift er zu diesen bewährten Inszenierungsstrategien, um sich als ›Novelist‹ programmatisch als Autormarke aufzustellen. Zentral ist in diesem Zusammenhang auch, dass Wolfe sich auf den Topos des Schriftstellers als Sekretär der Gesellschaft beruft, den Balzac in der Vorrede seines Romanzyklus Comédie humaine (1842-1848) einführt. »La Société française allait être l’historien, je ne devais être que le secrétaire.«512 Dieser Bescheidenheitstopos, nachdem der Schriftsteller sich nicht nur der ›Geschichte‹ selbst, sondern auch dem recherchierten Material unterordnet,513
508 509 510 511 512 513
Bellamy: 1990, S. 43. Vgl. Wolfe: Stalking the Billion-Footed Beast, S. XVII. Alle Zitate ebd., S. XVII. Vgl. dazu auch Kapitel 3.1.4. Die Krise des Romans : Journalisten als Profiteure?. Honoré de Balzac : Avant-propos à la Comédie Humaine. In : Œuvres complètes de Honoré de Balzac, hg. von Alexandre Houssiaux. Paris: 1855, S. 17-32. Hier: 28. Vgl. Andreas Mahler: Kontextorientierte Theorie. In: Handbuch Erzählliteratur. Theorie, Analyse, Geschichte, hg. von Matías Martínez. Stuttgart/Weimar: 2011, S. 115-125. Hier: S. 121.
3. Ästhetisieren: Tom Wolfe
ist ein dezidiertes Bekenntnis zur realistischen Schreibtradition im Stile Balzacs.514 So wie Balzac alle Schichten der französischen Gesellschaft in der Comédie humaine darstellen möchte, ist es Wolfes Ziel, dies anhand der Stadt New York in The Bonfire of the Vanities für die amerikanische Gesellschaft zu tun.515 Eine weitere explizite Referenz auf den französischen Realismus stellt die Metapher der Bestie dar, auf die nicht nur im Zitat oben, sondern auch in Stalking the Billion-Footed Beast direkt im Titel verwiesen wird. Die Bestie wird bereits in Zolas Roman La Bête Humaine aus dem Zyklus Rougon Macquart zur »Formel, die des Menschen Abstammung vom Tier zeigt«516 . Bei Wolfe hingegen wird die Metapher der Bestie nun nicht in Anlehnung an Zolas Milieutheorie verwendet, sondern steht als Pars Pro Toto für das recherchierte Material selbst und damit für einen Appell an die Romanciers: The answer is not to leave the rude beast, the material, also known as the life around us, to the journalists but to do what journalists do, or are supposed to do, which is to wrestle the beast and bring it to terms.517 Wie anhand dieses Zitats noch einmal deutlich wird, greift der Autor zu bewährten argumentativen Strategien, die ihm bereits in den 1960er und 1970er Jahren dazu verholfen haben, den Journalismus als dem Roman überlegene Schreibpraxis darzustellen. Dazu zählen insbesondere die Forderungen nach der Aktualität der Sujets und einer Hinwendung zum Material durch einen adäquaten Rechercheprozess. Hier überwindet Wolfe den Antagonismus von Journalismus und Literatur, indem er explizit den Romanschriftsteller dazu aufruft, die Arbeitsweise der Journalisten zu übernehmen. So inszeniert Wolfe seine Programmatik als Romancier als eine konsequente Fortführung seiner journalistischen Programmatik. Durch diese Hinwendung zur realistischen Schreibtradition provoziert er letztlich eine Synthese von Romanschriftsteller und Journalist. Im Folgenden soll am Beispiel des Romans The Bonfire of the Vanities gezeigt werden, dass Wolfe tatsächlich den Wertungsunterschied von Journalismus und Literatur nicht nur auf Ebene der schriftstellerischen Selbstinszenierung als Romanschriftsteller durch eine programmatische Hinwendung zur realistischen Erzähltradition überwindet, sondern auch in der Planungsphase des Romans und während des Schreibprozesses selbst kaum zwischen literarischer und journalistischer Textproduktion unterscheidet.
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Vgl. dazu auch Cudlik: 2005, S. 83 und S. 179. Wolfe möchte nicht nur die Oberschicht darstellen, weshalb er Thackeray als Vorbild verwirft und sich stattdessen Balzac zuwendet. Vgl. Wolfe: Stalking the Billion-Footed Beast, S. XXIV. Sandra Kluwe: Gespenst der Vererbung, Moira des Milieus. Über Schicksalsphobien im Drama und Roman des literarischen Naturalismus. In: Vererbung und Milieu, hg. von Michael Wink. 2001, S. 217-266. Hier: S. 238. Wolfe: Stalking the Billion-Footed Beast, S. XXIII-XXIX.
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
3.3.3
Planen, schreiben, publizieren: The Bonfire of the Vanities
Die Romanhandlung von The Bonfire of the Vanities wird anhand dreier Protagonisten aus unterschiedlichen beruflichen Sphären erzählt – einem Broker, einem Unterstaatsanwalt und einem Journalisten. Sherman McCoy, der Broker, ist ein schwerreicher 38-jähriger Yale-Absolvent aus gutem Hause, der an der Wall Street Millionen macht und in Saus und Braus in seinem Luxus-Apartment in der Park Avenue mit einer Armada an Dienstboten residiert. Während McCoy, dem der Erzähler ironisch den Ehrentitel »Master of the Universe«518 gibt, beruflich alles unter Kontrolle zu haben scheint, ist es um sein Privatleben anders bestellt. Zu seiner kleinen Tochter Campbell hat er keinen guten Draht und seine vormals elegante Frau Judy verliert mit zunehmendem Alter an Attraktivität. Aus Frustration unterhält er eine Geliebte, Maria, mit der er eines Abends unbeabsichtigt mit dem Auto in die Bronx gelangt und sich dort verfährt. Als sie durch einen Autoreifen, der auf der Fahrbahn liegt, an der Weiterfahrt gehindert sind, steigt McCoy aus dem Auto, um ihn beiseite zu räumen. In diesem Moment nähern sich ihm zwei afroamerikanische Jugendliche, die ihm Hilfe anbieten. Da McCoy glaubt, überfallen zu werden, gerät er in Panik, wirft den Autoreifen auf den einen Jugendlichen, schubst den anderen beiseite und springt ins Auto. Maria, die das Steuer übernommen hat, erwischt einen der Jugendlichen, die ebenfalls zum Auto gerannt sind, beim panischen Manövrieren auf der engen Straße mit dem Heck des Fahrzeugs. Sie fahren weiter, ohne zu wissen, ob die beiden vermeintlichen Angreifer verletzt sind. Zu diesem Zeitpunkt ist längst auch die Figur des Larry Kramer eingeführt, einem Unterstaatsanwalt, der ebenso frustriert von seinem Familienleben ist wie Sherman McCoy, da seine Frau sich nur noch um den gemeinsamen Säugling schert und die häusliche Idylle ihm bei seiner Sportroutine im Wege steht. Kramer möchte sich nun ein für alle Mal mit dem McCoy-Fall beruflich profilieren. Doch nicht nur er: Auch sein Vorgesetzter wittert die Chance, sich bei der afroamerikanischen Bevölkerung seines Bezirks beliebt zu machen. Einer der Jugendlichen, der durch McCoys Auto schwer verletzt wurde und ins Koma gefallen ist, konnte als der 19jährige Musterschüler Henry Lamb identifiziert werden. Sofort ist das Interesse der Boulevardzeitungen am Unfallhergang und der Person Lamb entfacht, die nun in den Medien zum Paradebeispiel dafür wird, was für ein gefährliches Pflaster die Bronx doch sei. Mit Hilfe der manipulativen Machenschaften eines afroamerikanischen Predigers macht sich der Journalist Peter Fallow an die Aufbereitung des Falls in der Presse. Für den alkoholsüchtigen und erfolglosen Reporter der fiktiven ›Tabloid‹-Gazette City Lights ist dies nicht mehr und nicht weniger als die Möglichkeit, noch einmal großes Ansehen zu erlangen. Im letzten Teil des Buches wird McCoy als Täter gefasst. Auf Initiative des Unterstaatsanwalts Kramer soll 518
Tom Wolfe: The Bonfire of the Vanities. London: 2010, S. 9-27.
3. Ästhetisieren: Tom Wolfe
Maria durch eine Falschaussage McCoy so belasten, dass ihm die alleinige Schuld zugeschoben werde. Allerdings gelingt es McCoy ein Gespräch mit Maria mitzuschneiden, in dem sie den von Kramer veranlassten Täuschungsversuch zugibt. Der Roman endet mit einem Epilog in Form eines fiktiven Zeitungsartikels aus der New York Times, der weitere brisante Details enthüllt.
Bronx-Gerichtsreporter im Anzug Über drei Jahre, bevor er mit dem eigentlichen Schreibprozess beginnt, recherchiert Tom Wolfe minutiös in Gerichtssälen.519 Für Wolfe ist dies der Ort, an dem sich die New Yorker Gesellschaft tatsächlich in ihrem »high and low«520 zusammenfindet, die er – wie aus seinen programmatischen Äußerungen hervorgeht – in The Bonfire of the Vanities abbilden möchte. So wird der Gerichtssaal zu einer Metapher der Zusammenkunft aller Bürger New Yorks, die ansonsten isoliert voneinander in ihren Stadtvierteln wohnen.521 Am Ende des Romans ist es die Gefängniszelle selbst, die sich der Broker McCoy mit Kriminellen aus der Bronx teilen muss, in der die Spannung zwischen den unterschiedlichen Ethnien stellvertretend ausgetragen wird. In seinem Roman fungiert damit die Sphäre der Rechtsprechung und des Gerichts auch als strukturbildendes Element, da hier die Handlungsstränge des McCoy-Falls zusammengeführt werden. Um möglichst detailliert die Prozesse vor Gericht verstehen zu können, besucht Wolfe, bereits drei Jahre bevor er mit der Niederschrift des Romans beginnt, das Manhattan Criminal Court Building.522 Gemeinsam mit dem dort amtierenden Richter Burton Roberts verfolgt er Gerichtsverhandlungen und darf – nun ohne einen auffälligen weißen Anzug zu tragen – sogar neben den Richtern sitzen.523 Sein Roman ist jedoch seinem Freund, dem Unterstaatsanwalt Edward Hayes gewidmet.524 Dieser ermöglicht ihm, in der Bronx eine Sondereinheit bei der Arbeit zu begleiten, die sich mit Totschlags-Delikten beschäftigt.525 Daraufhin verlagert Wolfe den Schwerpunkt seiner Recherchearbeit von Manhattan in die Bronx und setzt sich dort nicht nur mit dem Rechtssystem auseinander, sondern auch mit den herrschenden Lebensumständen, indem er – wie einst Zola die Kohleminen von Azin – das Viertel durchstreift:526 »The Bronx to me was sort of like the Arctic 519 520 521 522 523 524
Vgl. McKeen: 1995, S. 114. McLeod: 1990, S. 184. Vgl. Ragen: 2002, S. 31. Vgl. McKeen: 1995, S. 114. Vgl. ebd., S. 114. Vgl. Wolfe: The Bonfire of the Vanities, S. v: »Doffing his hat the author dedicates this book to Counselor Eddie Hayes.« 525 Vgl. Ragen: 2002, S. 30-31. 526 Vgl. McKeen, S. 114. Vgl. zudem auch Thompson: 1990, S. 204: »The high life I felt I knew cold…because I lived in Manhattan…but, for the low life, I decided to go to the Bronx.«
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Circle: it was north of where I was, and you didin’t go there.«527 Wie penibel Wolfe bei der Recherche in der Bronx vorgeht, beschreibt sein Freund Hayes gegenüber Vanity Fair-Reporter Toby Thompson: »Actually, he is a police reporter in a nice suit.«528 Hatte Wolfe, wie bereits in diesem Kapitel eingangs erwähnt, noch im Jahr 1974 gegenüber Joe David Bellamy behauptet, der Prozess des Romanschreibens hätte den Vorteil, dass die Recherchephase weniger intensiv ausfallen würde als beim Schreiben eines journalistischen Textes, so sollte sich dies als Irrtum erweisen. Trotz seiner Hinwendung zum fiktionalen Erzählen basiert seine Arbeitsweise auf den Prinzipien seiner journalistischen Arbeitseinstellung.
Der Dickens des Rolling Stone: Serielles Erzählen Wolfe beginnt an einer Schreibblockade zu leiden, als er bereits mehrere Jahre in der Bronx und in Manhattan recherchiert hat und mit der Niederschrift des Romans beginnen möchte.529 Um seine Schreibblockade überwinden zu können, entschließt er sich, sich – wie einst als Journalist – einem redaktionellen wie institutionellen Druck von außen auszusetzen. Mit Rolling Stone-Herausgeber Jann Wenner schließt er im Folgenden einen Vertrag ab. In diesem verpflichtet sich Wolfe in einem zweiwöchentlichen Rhythmus – also vor dem jeweiligen Redaktionsschluss einer neuen Ausgabe des Rolling Stone – neue Romanabschnitte aus The Bonfire of the Vanities vorzulegen.530 Im Gegensatz zu Joseph Roth, der sich explizit vom redaktionellen Druck der Zeitungen befreien möchte, um seine Romane zu schreiben, macht Wolfe journalistische Produktionsbedingungen zum integralen Bestandteil seines literarischen Schreibprozesses. Mit dieser Form des seriellen Erzählens stellt sich Wolfe zugleich auch in die Tradition seiner Vorbilder Dickens und Thackeray,531 die nicht nur ebenfalls Journalisten und Romanciers waren, sondern auch ihre Gesellschaftsromane seriell veröffentlichten. Bevor ihre Romane wie Cornhill oder Household Words gebündelt als ›Erstdruck‹ im Buchformat vorlagen,532
527 528 529 530 531
Ebd., S. 204-205. Ebd., S. 216. Vgl. Thompson: 1990, S. 201-202. Vgl. Ragen: 2002, S. 30-32. Vgl. zu Thackerays seriellen Publikationen Edgar F. Harden: Thackeray the Writer. From Journalism to Vanity Fair. London: 1998, S. 62 und S. 130. Vgl. zu Dickens Publikationsstrategien: Robert Patten: Serial Literature. In: The Oxford Companion to Charles Dickens, hg. von Paul Schlicke. Oxford: 2011, S. 526-531. 532 Vgl. Spoerhase: 2018, S. 530: »Ein Beispiel für das Erfordernis einer generischen Ausdifferenzierung ist, dass die seit dem 18. Jahrhundert häufiger in Zeitschriften auf mehrere Nummern verteilt veröffentlichte Erzählliteratur sehr wohl als ›Vorabdruck‹ wahrgenommen wird, weil die ›eigentliche‹ Publikation der verstreuten Erzählteile erst in dem Moment erfolgt, in dem die Erzählung in Buchform integral vorliegt. Es kann deshalb im Rahmen einer historisierenden Analyse durchaus sinnvoll sein, erst die integrale buchförmige Fassung als ›Erstdruck‹ zu
3. Ästhetisieren: Tom Wolfe
erscheinen sie über viele Zeitschriftennummern hinweg verstreut in einzelnen Periodika oder als Hefte.533 Für die Autoren des 19. Jahrhunderts ist der Vorabdruck nicht nur ein »Instrument der Marktforschung«, mit dem die Gunst des Publikums eingeschätzt werden konnte, sondern auch eine »Werbemaßnahme«, um als Autor sichtbar zu werden.534 Darüber hinaus stellte sich auch im 19. Jahrhundert bei Autoren der positive Effekt ein, sich mittels einer verbindlichen seriellen Publikationsstrategie zum Schreiben zu motivieren.535 Unter dem Druck der seriellen Publikation erscheint Wolfes erster Roman vom Juli 1984 bis zum August 1985 sukzessive im Rolling Stone.536 Erst zwei Jahre später erfolgt die stark modifizierte Publikation von The Bonfire of the Vanities in Buchform. Wie auch die Autoren des 19. Jahrhunderts, die seriell produzieren, nutzt Wolfe die Möglichkeit, Kritik an seinem Werk in die Überarbeitungsphase miteinzubeziehen und für die nicht-serielle, sondern abschließende Version produktiv zu machen. Dies inkludiert insbesondere große Modifikationen der Figur Sherman McCoys: Dieser ist im Magazin-Roman ein Schriftsteller, in der Buchform hingegen arbeitet McCoy als Broker.537 So lässt sich zeigen, dass Wolfes Schreibproduktion als Romancier – vom Rechercheprozess bis hin zur Publikation – auf wesentlichen Maximen und Strategien beruht, die bereits charakteristisch für sein journalistisches Schaffen sind. Wie in zahlreichen programmatischen Stellungnahmen vor der Arbeit an The Bonfire of the Vanities angekündigt, unterscheidet sich die Vorgehensweise seiner literarischen Werkproduktion kaum von der Realisierung seiner journalistischen Texte.
Das letzte Wort hat die New York Times: Zeitungsartikel als Epilog Diese dominante Rolle, die Wolfe sowohl in seiner Programmatik als auch bei seiner Schreibpraxis dem Journalismus zuweist, lässt sich auf inhaltlicher wie auch auf struktureller Ebene insbesondere am Epilog von The Bonfire of the Vanities ablesen. Der Roman endet nicht etwa mit McCoys Triumph, ein Tonband mit Material in der Hand zu halten, das nun auch Marias Mitschuld beweist. Vielmehr schließt der Roman mit einem Epilog, in dem der auktoriale Erzähler des Romans einen fiktiven Artikel aus The New York Times präsentiert, der ein Jahr nach dem Ende der Romanhandlung auf Seite B1 des Lokalteils erscheint.538 Die Funktion des Epilogs besteht nun auf inhaltlicher Ebene darin, in stark geraffter Form und mittels
charakterisieren, weil erst dieser sich (in einem historisch gegebenen normativen Sinn) als ein vollständiges literarisches Objekt qualifiziert.« 533 Vgl. Ragen: 2001, S. 31. 534 Beide Zitate aus Spoerhase: 2018, S. 531. 535 Vgl. ebd., S. 531. 536 Vgl. Ragen: 2002, S. 31. 537 Vgl. ebd., S. 32. 538 Vgl. Wolfe: The Bonfire of the Vanities, S. 716.
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der genrespezifischen Merkmale des Zeitungsberichts, über die Ereignisse zu berichten, die sich in den letzten 13 Monaten zugetragen haben. Da Henry Lamb in der Zwischenzeit seinen zerebralen Verletzungen erlegen ist, wird McCoys Prozess wieder aufgerollt. Nun wird der Broker wegen Totschlags angeklagt, was bei der New Yorker Bevölkerung auf große Zustimmung stößt. Weitere Details werden vor Gericht bekannt, so dass auch die Mitschuld von McCoys Geliebter und die Manipulationsversuche des Unterstaatsanwalts Larry Kramer abschließend bewiesen werden können. Zudem gibt der Artikel Einsichten in den Status- und Ehrverlust seiner Protagonisten, wenn beispielsweise McCoys Vermögen durch die Gerichtsschulden auf ein Minimum schrumpft. Der Broker verliert seine Wohnung in Manhattan und auch seine Ehe zerbricht. Großes Renommee erlangt hingegen der Journalist Peter Fallow, der den Pulitzer-Preis für seine Recherchen im LambFall erhält und nun mit der Tochter des Verlegers und Finanziers von City Lights verlobt ist.
Peter Fallow auf Segelturn: Ein Journalist als Profiteur Bereits optisch markiert der fiktive Artikel eine Zäsur, indem er sich rein typographisch vom restlichen Schriftbild des Romans abhebt. So sind die Buchseiten in zwei gleichgroße Spalten eingeteilt, die die Setzung eines Zeitungsartikels in der Times imitieren sollen. Der Artikel selbst wird durch eine Überschrift (»Financier Is Arraigned In Honor Student’s Death«) und Zwischenüberschriften (wie beispielsweise »Diminished Life-Style«) gegliedert.539 Von dem charakteristischen Logo der Zeitung wird kein Gebrauch gemacht, sondern der Artikel wird losgelöst von seinem eigentlichen Publikationskontext und wie ein vom auktorialen Erzähler ausgeschnittener Zeitungsartikel präsentiert. Auffallend ist, dass der Erzähler nicht nur genaue Zeit- und Ortsangaben liefert, sondern auch den (fiktiven) Autor des Artikels, den Gerichtsreporter Overton Holmes Jr., einführt.540 Diese Namensgebung enthält eindeutige Reminiszenzen auf die Romanfigur des Privatdetektivs Sherlock Holmes. Dieser ermittelt in den Romanen des britischen Schriftstellers Sir Arthur Conan Doyle Ende des 19. Jahrhunderts als Privatdetektiv und gilt seitdem als die Verkörperung eines geschulten analytischen Denkens, was bis heute in zahlreiche Adaptionen zelebriert wird.541 Ohne Zweifel zielt Wolfe mit der Zeitungsfiktion so auf die Authentizität des Berichteten ab. Betrachtet man nun die wirkungsästhetische Funktion des Zeitungsartikels im Gesamtkontext des Romans, so lässt sich zeigen, dass Wolfe nicht nur einem Journalisten die Deutungshoheit über die Romanereignisse überlässt. Der Zeitungsar-
539 Beide Zitate aus ebd., S. 716 u. 717. 540 Vgl. ebd., S. 716. 541 Vgl. Lynnette Porter : Introduction. In: Sherlock Holmes for the 21st Century. Essays on New Adaptations, hg. von Lynnette Porter. London: 2012, S. 1-12. Hier: S. 5-6.
3. Ästhetisieren: Tom Wolfe
tikel erscheint hier als das adäquate Format, da nur durch die souveräne und neutrale Überschau des Times-Reporter Overton Holmes Jr. der endgültige Ausgang vor Gericht präsentiert werden kann. Auch der Rückgriff auf die traditionsreiche Zeitung The New York Times muss in diesem Lichte betrachtet werden. Keine andere Zeitung steht wie sie für die gesellschaftliche Macht des Journalismus, indem sie »eine einzigartige Schlüsselposition im Spannungsfeld von Politik und Wirtschaft, veröffentlichter Meinung und öffentlicher Meinungsbildung innehat«542 . Ihr Ruf basiert insbesondere auf der Veröffentlichung der Pentagon Papers, die zur Aufdeckung der Watergate-Affäre führten und die bis heute als »Meilenstein der amerikanischen Zeitungsgeschichte«543 angesehen werden.544 Im Zusammenhang mit Wolfes programmatischen Äußerungen zur Entstehungsgeschichte von The Bonfire of the Vanities und seiner schriftstellerischen Inszenierungspraxis als Romancier lässt sich diese Dominanz des Journalismus auch im Medium der Literatur als eine Fortführung von Wolfes Bekenntnis zum journalistischen Berufsstand lesen. Obwohl in The Bonfire of the Vanities kein durchweg positives, sondern ein überaus satirisches Bild der Journalisten und der Medien gezeichnet wird – schließlich wird der Journalist Peter Fallow als alkoholsüchtiger und frustrierter Reporter eines Boulevardblattes eingeführt – handelt es sich bei Fallow um den einzigen Protagonisten, der durch die Ausübung seiner beruflichen Pflichten gesellschaftliches Ansehen erlangt.545 Diese Anerkennung wird am Ende des Textes dadurch zum Ausdruck gebracht, dass Fallow die höchste Auszeichnung für Journalisten verliehen wird, der Pulitzer-Preis.
542 Stefan W. Elfenbein: Die New York Times. Macht und Mythos eines Mediums. Frankfurt a.M.: 1996, S. 10. 543 Ebd., S., 9. 544 Vgl. ebd., S. 18-57. 545 Vgl: Wolfe: The Bonfire of the Vanities, S. 170-200.
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4. Schluss
4.1
Epilog: Literarische Journalisten – journalistische Literaten
Als Joseph Roth im Jahr 1915 beginnt, erste Artikel in Zeitungen zu publizieren, gilt der Journalistenberuf vor allem als ein Talentberuf.1 Nur wenige – darunter Egon Erwin Kisch – besuchen Kurse der ersten, wenn auch privaten, Journalistenhochschule,2 die Richard Wrede im Jahr 1900 in Berlin gründet.3 Auch das im Jahr 1916 von Karl Bücher ins Lebens gerufene, erste Institut für Zeitungskunde in Leipzig ist eine Innovation: Das Ziel des ehemaligen Redakteurs der Frankfurter Zeitung besteht darin, den Journalismus zu einem anerkannten Beruf zu machen, ja zu einer akademischen Disziplin zu adeln.4 Sein Vorbild ist Joseph Carl Pulitzer, der mit seiner Vision eines maßgeschneiderten, universitären Curriculums und den finanziellen Mitteln seiner Stiftung dem Columbia College nahelegt hat, einen Lehrstuhl für Journalismus zu errichten:5 My idea is to recognize that journalism is, or ought to be, one of the great and intellectual professions; to encourage, elevate and educate in a practical way the present and, still more, future members of that profession, exactly as if it were the profession of law or medicine. […] Why not teach in it things which every right
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Vgl. Dietz Schwiesau: »Wer nicht immer noch besser werden will, verliert…«. Journalistische Fortbildung vor 100 Jahren und heute. In: Journalismus lehren. 10 Jahre Journalistenakademie, hg. von Gabriele Hooffacker. München: 2010, S. 53-58. Hier: S. 53. Vgl. Wolfgang Streitbörger: Grundbegriffe für Journalistenausbildung. Theorie, Praxis und Techne als berufliche Techniken. Wiesbaden: 2014, S. 104. Vgl. ebd., S. 105. Vgl. Schwiesau: 2010, S. 53-54 sowie Streitbörger: 2014, S. 104. Vgl. Arnulf Kutsch: Professionalisierung durch akademische Ausbildung. Zu Karl Büchers Konzeption für eine universitäre Journalistenausbildung. In: Journalismus und Öffentlichkeit. Eine Profession und ihr gesellschaftlicher Auftrag, hg. von Tobias Eberwein u. Daniel Müller. Wiesbaden: 2010, S. 427-453. Hier: S. 433.
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
minded journalist must aspire to know, an easy opportunity of acquiring which would raise professional tone and pride?6 Wie das Zitat zeigt, geht es Pulitzer aber vor allem um Wissensvermittlung, die einerseits der Berufsausübung zuträglich ist und andererseits der akademischen Lehre der angesehensten Fachrichtungen in nichts nachstehen sollte. Zwar bietet die Columbia School of Journalism Anfang des 20. Jahrhunderts nicht die erste Journalistenausbildung an einem College an,7 die Debatte um das Lehrfach gewinnt jedoch durch Pulitzers Bestreben auch international an Relevanz. Trotz des Erfolgs der Etablierung der Zeitungswissenschaft nach amerikanischem Vorbild an deutschen Hochschulen – bis Mitte der 1930er Jahre folgen zehn weitere Institute für Zeitungskunde – ist die praktische Berufsausbildung in der Weimarer Republik noch nicht universitär verankert.8 Nichtsdestotrotz gewinnt die Professionalisierung des Journalistenberufs nach dem Ersten Weltkrieg an Fahrt, auch weil die Wahrung journalistischer Interessen zusehends zu einem Politikum wird: Der im Jahr 1910 gegründete Reichsverband der Deutschen Presse verzeichnet in den zwanziger Jahren einen enormen Mitgliederzuwachs. Dieser organisierte Zusammenschluss handelt den ersten Tarifvertrag für Redakteure aus und ist willens, die ökonomische Situation der Journalisten zu verbessern und dabei auch die Verleger in die Pflicht zu nehmen.9 Doch längst sind nicht alle Kriterien für den Sprung des Journalistenberufs hin zu einer »Profession«10 in diesen Jahren erfüllt: So sind berufliche Kompetenzen – etwa durch Minimalstandards – kaum festgelegt, auf denen verbindliche, normative und ethische Handlungsanweisungen basieren könnten.11 Wie eingangs erwähnt, gehört Joseph Roth nicht zu den wenigen Journalisten, die sich akademisch mit dem Berufsbild auseinandersetzen. Auch ein klassisches Volontariat, wie es etwa Kisch beim Prager Tagblatt absolviert hat, durchläuft Joseph Roth nicht.12 Nach seiner freiwilligen Teilnahme am Ersten Weltkrieg beendet er nicht einmal sein Germanistik-Studium. Er steigt erst in Wien und dann 6 7 8
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James Boylan: Pulitzer’s School. Columbia University’s School of Journalism, 1903-2003. New York: 2003, S. 4. Vgl. Streitbörger: 2014, S. 105. Vgl. ebd., S. 105: »Die zeitungswissenschaftlichen Institute hatten ihre Angebote während der Weimarer Republik als wissenschaftliche Vorbereitung der betrieblichen Ausbildung verstanden, nicht aber als eine Alternative dazu, also nicht als Berufsausbildung.« Vgl. Siegfried Weischenberg: Das Jahrhundert des Journalismus ist vorbei. Rekonstruktionen und Prognosen zur Formation gesellschaftlicher Selbstbeobachtung. In: Krise der Printmedien: Eine Krise des Journalismus?, hg. von Hans Bohrmann u. Gabriele Toepser-Ziegert. Berlin/New York: 2010, S. 32-61. Hier: S. 42-43. Ebd., S. 41. Vgl. ebd., S. 40-43. Vgl. Streitbörger: 2014, S. 104.
4. Schluss
in Berlin direkt in den Beruf ein. Die vorliegende Studie konnte an einem breit angelegten Materialkorpus – das von Briefen über redaktionelle Anmerkungen bis hin zu Rezensionen reicht, die durch Archivrecherche erstmals systematisch untersucht wurden – zeigen, wie kontinuierlich der Autor versucht hat, sich als Teil des Berufsstandes zu inszenieren. Zwar geht er mit der Medienlandschaft und ihren Institutionen, der Macht von Redaktionen und der Ignoranz der Leser hart ins Gericht. Gleichzeitig legt er, trotz des permanenten Konflikts um seinen redaktionellen Status bei seinem Hauptauftraggeber der Frankfurter Zeitung, größten Wert darauf, vor allem nach außen hin für das Lesepublikum als Teil des Redaktionskollektivs wahrgenommen zu werden. Folglich bleibt er auch auf die institutionelle Anerkennung durch Redaktionen angewiesen und von der Gunst der Chefetage abhängig. So ist Roth darauf bedacht, durch eine Affirmation der Verberuflichung und Professionalisierung seine Autorität sowie seine Seriosität zu sichern und sich innerhalb der institutionellen Grenzen zu inszenieren: Die von ihm angestoßenen, ästhetischen Neuerungen und programmatischen Debatten um die Leistung einer journalistischen Autorschaft bewegen sich immer im Rahmen vorgefundener Professionalisierungsstrukturen, die er lediglich weiterentwickeln will. So sind Roths Selbstaussagen in Briefen durchaus ambivalent zu betrachten, schließlich tut er die journalistische Arbeit für den Tag als Last ab, die ihn daran hindere, als Romancier tätig zu sein. Wie anhand seiner schriftstellerischen Inszenierung in Feuilletons gezeigt werden konnte, entwickelt er jedoch insbesondere im Zeitraum zwischen 1925 und 1930 eine differenzierte Sichtweise, indem er durchaus der journalistischen Arbeitsweise eine Vorbildfunktion attestiert und eine Orientierung am Autorschaftsverständnis der französischen Realisten einfordert. Ganz anders verhält es sich mit Tom Wolfe. Bereits zu Beginn seiner Karriere ist der Journalistenberuf in den USA anerkannt, akademisiert und vor allem finanziell lukrativ. Als Yale-Absolvent und Reporter bei renommierten Zeitungen erhält er von Anfang an institutionelle Anerkennung, arbeitet in direktem Austausch mit Redaktionen und ist in feste redaktionelle Abstimmungsprozesse und Abläufe eingebunden. Anders als Roth, der zwar die (hierarchischen) Grenzen seiner journalistischen Autorschaft immer wieder zu spüren bekommt, jedoch trotzdem an den Institutionen festhält, geht es Wolfe nicht um eine Affirmation einer Zugehörigkeit zum Berufsstand. Er sieht sich im Gegenteil bereits zu Anfang der 1960er Jahre durch die institutionellen Reglements, die sich im Zuge der Professionalisierung etabliert haben, durch Schreibkonventionen sowie durch gängige Berufsauffassungen und -klischees in seiner Autonomie eingeschränkt. Statt einer Eingliederung in redaktionelle Kontexte treibt er nicht nur eine Ästhetisierung seiner Autorschaft und eine Stilisierung seiner Autorpersönlichkeit voran, die sich nur jenseits redaktioneller Kontexte, Themen-, Genre- und Formatgrenzen entfalten lässt. Vielmehr ist es sein Ziel, die journalistische Autorschaft konkurrenzfähig zur literarischen zu machen. In neuem Licht erscheint Wolfes Haltung jedoch, als er sich in den
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
1980er Jahren der Produktion von Romanen zuwendet und zu einem gefeierten Bestseller-Autor wird. Aus der Zusammenschau der Strategien, mit denen sich Roth und Wolfe im Literatur- und Medienbetrieb situieren und inszenieren, ergibt sich vor allem eine große Gemeinsamkeit: Beiden geht es – wie diese Arbeit aus literatursoziologischer Perspektive rekonstruiert hat – um die Verhandlung des Standesunterschieds zwischen Journalisten und Literaten. Beide Autoren stehen repräsentativ für einen neuen Autortypus, der die Grenze zwischen journalistischer und literarischer Autorschaft produktiv macht. Sie beziehen werkpolitisch Stellung, initiieren Kanonisierungsprozesse und hinterfragen gängige Rezeptionsmuster, die den Wertungsunterschied zementieren. Wird ihnen dieses Vorgehen von anderen Akteuren des literarischen und journalistischen Feldes als Manko attestiert, vermögen sie es, sich selbst und ihre Texte so im kulturellen Diskurs zu positionieren, dass sie ihren sozialen Distinktionsgewinn maximieren. Sowohl Roth als auch Wolfe stilisieren sich als Marke, deren Kern die Personalunion von Journalist und Romancier bildet. Für die Etablierung dieses neuen Autortypus, der seinen ›Zweitberuf‹ zum integralen Bestandteil seiner Autorschaft macht, gilt es vor allem, sich von einem seit dem 18. Jahrhundert tradierten Autorideal zu lösen. Unter Berufung auf ihr gemeinsames literarisches Vorbild Émile Zola versuchen Wolfe und Roth, auch noch im 20. Jahrhundert der Genieästhetik ein neues Konzept von Autorschaft entgegenzusetzen, für das nicht die Inspiration, sondern die Recherche maßgeblich ist. Dies realisieren sie insbesondere durch die Aushandlung und Aktualisierung von Männlichkeitsstereotypen:13 So betonen beide, dass ihre Reportertätigkeit als eine Lehrschmiede fungiere, bei der man gewissermaßen ›auf der Straße‹ – wie Wolfe im Film Citizen Kane beobachtet – Kernkompetenzen erwerbe,14 die man in dieser Form nicht hinter dem Schreibtisch, sondern Roth zufolge nur »auf der Lokomotive«15 erlernen könne. Auch den Newsroom oder die »Konferenz von Kullies«16 inszenieren beide Autoren als ein Terrain, auf dem man mit »Männlichkeiten«17
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Vgl. Margreth Lünenborg: Journalismus als kultureller Prozess. Zur Bedeutung von Journalismus in der Mediengesellschaft. Ein Entwurf. Wiesbaden: 2005, S. 186. Vgl. dazu Kapitel 3.1.2. »This must be the place!«: Veröffentlichungskontexte. Roth: JW 2, S. 824. Joseph Roth: Kein demokratisches Blatt vor den Mund. Ein unbekannter Brief Joseph Roths. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 10.03.1984. Der Plural Männlichkeiten wird in der Männlichkeitsforschung gesetzt, um die Vielfalt männlicher Geschlechterrollen zu akzentuieren. Vgl. beispielsweise Todd W. Reeser: Englischsprachige Männlichkeitsforschung. In: Männlichkeit. Ein interdisziplinäres Handbuch, hg. von Stefan Horlacher, Bettina Jansen u.a. Stuttgart: 2016, S. 26-42. Hier: S. 35: »Aber der zunehmende Gebrauch von Begriffen wie Männlichkeit oder Männlichkeiten deutet darauf hin, dass diese eben nicht auf direkte oder natürliche an den männlichen Körper oder Männer
4. Schluss
codierte Fertigkeiten trainieren müsse und auf dem man Machtverhältnisse unter Männern durch einen Statuskampf verhandele.18 Die Journalisten selbst werden bei Roth – folgt man beispielsweise einem Brief an Bernhard von Brentano – als kräftig zupackende Handwerker beschrieben, die es mit der »manuellen Arbeit« eines »Schuster[s]« aufnehmen könnten.19 Die Akzentuierung von Männlichkeiten im Redaktionsalltag und im Feuilletondiskurs ist, wie Erhard Schütz gezeigt hat, auch als Reaktion auf den »Topos vom ›weibischen‹ Feuilleton«20 zu werten, gegen den sich Feuilletonisten wie Joseph Roth zur Wehr setzen müssen.21 Seit Ende des 19. Jahrhunderts bis ins Dritte Reich hält sich dieses Klischee vom Feuilleton als Frauengenre.22 Wie wichtig auch für Wolfe die Verhandlung von Männlichkeiten ist, zeigt sich insbesondere an den Metaphern und Vergleichen, mit denen er den Schreibwettkampf unter Kollegen beschreibt: Er zieht eine Parallele von Reportern zu tatsächlichen Sportlern, die im Wettkampf – etwa in der Stierkampfarena – bestehen müssen. Während des Schreibakts erscheinen die Reporter außerdem als futuristische Cyborg-Fantasien, die mit ihren Schreibmaschinen verschmolzen sind.23 Solchen kompetitiven Machtkämpfen räumen bereits Pioniere der soziologischen Männlichkeitsforschung wie C.W. Connell und Pierre Bourdieu eine große Bedeutung ein.24 Wolfe und Roth instrumentalisieren diesen beruflichen Wettbewerbskontext, um ein neues Verständnis von Autorschaft im 20. Jahrhundert zu konturieren.
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gebunden sein müssen und dass es sich um komplizierte und instabile Phänomene handelt, die nicht einfach zu umreißen sind und die mehr sind, als sie scheinen […].« Bis auf wenige Ausnahmen sind die Protagonisten des New Journalism männlich. Wie problematisch die redaktionelle Stellung von Reportinnen in den 1960er und 1970er Jahren ist, lässt sich aus einem Interview mit Gloria Steinem entnehmen. Vgl. Gloria Steinem: An Interview. In: The Reporter as Artist, hg. von Ronald Weber. New York: 1974, S. 76-82. (Zuerst erschienen in: The Bulletin of the American Society of Newspaper Editors vom Februar 1971). Beide Zitate aus Roth: 10.03.1984. Erhard Schütz: Unterm Strich. Über Grenzverläufe des klassischen Feuilletons. In: Feuilleton. Schreiben an der Schnittstelle von Journalismus und Literatur, hg. von Hildegard Kernmayer u. Simone Jung. Bielefeld: 2017, S. 31-50. Hier: S. 36. Vgl. ebd., S. 36-37. Außerdem Erhard Schütz: Die Sprache. Das Weib. Der weibische Feuilletonist. In: Passage für Kunst bis Politik 1 (1993), S. 57-70. Außerdem Kapitel 2.3.3. Roth, der Rezensent und Kritiker. Vgl. Schütz: 2017, S. 37-38. Siehe dazu Kapitel 3.1.2. »This must be the place!«: Veröffentlichungskontexte. Zur Relevanz des Wettbewerbsgedankens in C. W. Connells Konzept der hegemonialen Männlichkeit und in Bourdieus Ausführungen zu einem männlichen Habitus vgl. Michael Meusers Überblick: Michael Meuser: Soziologie. In: Männlichkeit. Ein interdisziplinäres Handbuch, hg. von Stefan Horlacher, Bettina Jansen u.a. Stuttgart, S. 218-236. Hier: S. 220222.
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
Zu fragen bleibt, welche Rezeptions- und Wertungsfragen sich im Anschluss an diese Arbeit für den akademischen Umgang mit Autoren ergeben, die sich im Spannungsfeld von literarischem Schreiben und weiteren Schreibberufen – wie dem des Journalisten – situieren. So lässt sich beispielsweise zeigen, dass Kanonisierungsbestrebungen, wie sie Wolfe mit seiner Anthologie vorantreibt, bis heute andauern, um journalistische Werke insgesamt akademisch stärker zu würdigen und als »Kulturleistung«25 zu etablieren.26 Ein Beispiel dafür ist aus journalistikwissenschaftlicher Perspektive Mark Hunters The Global Investigative Journalism Casebook, das sich unmittelbar an Wolfes Werk orientiert. Hunter bezeichnet Wolfes Anthologie als »benchmark« sowie als »best-written anthology in the history of reporting«.27 Bei der literaturwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Autoren, die in Personalunion Journalisten und Schriftsteller sind, fällt nach wie vor auf, dass das journalistische Schaffen als dem literarischen untergeordnet aufgefasst wird. Bis heute scheinen journalistische Texte, auch bekannter literarischer Autoren, in der literaturwissenschaftlichen Diskussion und Forschung unterrepräsentiert. Die Analyse konnte jedoch zeigen, wie eng beide Publikationskontexte miteinander verzahnt sind und welche Synergieeffekte – von der detaillierten Planung und Recherche bis hin zur Gestaltung des Peritextes – sich aus der journalistischen Tätigkeit für die Textproduktion der Autoren insgesamt ergeben. Die Problematik der adäquaten Würdigung journalistischer Texte setzt bereits bei der üblichen Strukturierung von Gesamtausgaben an, die das journalistische und literarische Werk gemeinhin getrennt voneinander aufführen.28 Durch diese Dichotomisierung wird der heuristische Zugriff auf das Gesamtwerk bereits aus literaturwissenschaftlicher Perspektive vorstrukturiert, so dass mögliche Verbindungen zwischen journalistischen und literarischen Werken zunächst kaum auf der Hand liegen. Wie die Analyse von Roths Roman Die Flucht ohne Ende und Wolfes The Bonfire of the Vanities jedoch zeigt, wäre es stattdessen gewinnbringend, chronologische oder thematische Schwerpunkte bereits in den Gesamtausgaben zu setzen, die beide Schreibkontexte enger miteinander in Verbindung bringen. Eine weitere Problematik stellt außerdem die mangelnde akademische Kanonbildung journalistischer Werke dar, die den Rezeptionsprozess in der Forschung positiv beeinflussen könnte: Trotz Bestrebungen seit der Jahrtausendwende, wie 25 26
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Lünenborg: 2005, S. 67. Vgl. Thomas Cudlik: Mise en scène der Wirklichkeit. Der Literaturjournalist Tom Wolfe und seine fiktionalisierte Reportage. Eine Morphologie. Wien: 2005, S. 21: Auch Cudlik schlägt vor, dass Wolfe »als Rollenmodel eines anspruchsvollen Journalismus-als-Kulturleistung« zu verstehen sei. Beide Zitate aus Mark Hunter: Introduction. In: The Global Investigative Journalism Casebook, hg. von Mark Hunter. Paris: 2012, S. 2-10. Hier: S. 5. Dies ist auch bei der Roth-Gesamtausgabe der Fall. Vgl. Joseph Roth: Werke in sechs Bänden, hg. von Fritz Hackert und Klaus Westermann. Köln: 1989-1991.
4. Schluss
die Wolfgang R. Langenbuchers, Irmgard Wetzsteins und Hans-Jürgen Jakobs’, sind auch noch heute akademische Kanonisierungsunterfangen journalistischer Texte eine Seltenheit.29 Solche Prozesse der Kanonbildung sind insofern sinnvoll, als sie journalistische Texte verstärkt in den Fokus auch neuerer methodischer Ansätze rücken könnten, ohne dass dabei der »Journalismus terminologisch […] zur Literatur geadelt werden muss«30 . Ein Beispiel hierfür wäre die Berücksichtigung journalistischer Genres durch die ›postclassical narratology‹, die sich auch der Erzählweise nicht literarischer und faktualer Textgenres zuwendet.31 Aus der vorliegenden Studie ergeben sich somit zahlreiche inhaltliche Anknüpfungspunkte für weitere wissenschaftliche Vorhaben. Bis jetzt steht beispielsweise eine Untersuchung aus, die sich aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive mit der Professionalisierung des Journalistenberufs in der Weimarer Republik auseinandersetzt. Darüber hinaus liefert die Studie zentrale Impulse für eine Vielzahl von literatursoziologischen Arbeiten, die sich mit dem Werk und der Programmatik von Autoren beschäftigen, die neben der literarischen Textproduktion auch in weiteren publizistischen Kontexten veröffentlichen. Solche vielversprechenden Untersuchungen jenseits des klassischen Kanons stehen beispielsweise zu Autoren des Vormärz wie Robert Prutz aus und zu Akteurinnen des New Journalism wie Gloria Steinem und Joan Didion, aber auch zu dem Mitbegründer des New Journalism Gay Talese. Aus methodischer Perspektive bietet die Arbeit zudem Anschlussmöglichkeiten für eine medienwissenschaftlich informierte Literaturwissenschaft, die neben den Haupttexten ein vermehrtes Augenmerk auf Kontexte – von intrikaten Textsorten bis hin zu Artefakten – lenkt.
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Vgl. Hans-Jürgen Jakobs u. Wolfgang R. Langenbucher: »Der Rang höherer Insekten«. Vorbilder des Journalismus. Die Inseln im Meer der Massenpoduktion. In: Das Gewissen ihrer Zeit. Fünfzig Vorbilder des Journalismus, hg. von Hans-Jürgen Jakobs u. Wolfgang R. Langenbucher. Wien: 2004, S. 15-19. Außerdem: Wolfgang R. Langenbucher u. Irmgard Wetzstein: Der realexistierende Hochkulturjournalismus. Über Personen, Werke und einen Kanon. In: Journalismus und Öffentlichkeit. Eine Profession und ihr gesellschaftlicher Auftrag, hg. von Tobias Eberwein u. Daniel Müller. Wiesbaden: 2010, S. 387-409. Jakobs u. Langenbucher: 2004, S. 17. Vgl. dazu Sandra Heinen: The Role of Narratology in Narrative Research across the Disciplines. In: Narratology in the Age of Cross-Disciplinary Narrative Research, hg. von Sandra Heinen u. Roy Sommer. Berlin/New York: 2009, S. 193-211. Hier: S. 195: »In this broader understanding, postclassical narratology has itself developed into ›an inherently interdisciplinary project‹ by turning to other disciplines in order to develop hypothesis about narrative which depart programmatically from narratology’s earlier focus on textual features. Particularly the findings from research on natural and non-literary story-telling are increasingly incorporated into narratology in order to refine or redefine its categories and assumptions.« Vgl. zum Terminus, den David Herman in den 1990er Jahren einführt: Jan Alber u. Monika Fludernik: Introduction. In: Postclassical Narratology. Approaches and Analyses, hg. von Jan Alber u. Monika Fludernik. Columbus: 2010, S. 1-23.
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
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Nekrolog: Der Autor ist tot
Im Mai 2018 stirbt Tom Wolfe. Die internationale Presse reagiert auf den Tod des Journalisten und Romanciers mit zahlreichen Nachrufen. Wie zu erwarten ist, werden Wolfes Selbstinszenierung und sein Markenzeichen, der weiße Anzug, darin besonders hervorgehoben.32 In den meisten Pressestimmen wird Wolfe weder als Romancier gewürdigt, der auch journalistisch gearbeitet hat, noch als Journalist, der auch Romane verfasst hat. Vielmehr steht der Schriftsteller im Vordergrund, der die Personalunion von Journalist und Romancier verkörpert. So schlussfolgert beispielsweise Claudius Seidl in seinem Wolfe-Nachruf in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: »Unter den amerikanischen Journalisten wollte Tom Wolfe der beste Schriftsteller sein und unter den Schriftstellern der beste Journalist.«33 Fast immer wird Wolfes Lebensthema akzentuiert, die Grenze von Journalismus und Literatur produktiv zu machen.34 Welche Wechselwirkungen sich zwischen journalistischem und literarischem Schreiben konkret einstellen, wird hingegen kaum kommentiert. Eine Ausnahme ist Hannes Steins Nachruf, in dem sich dieser zum Verhältnis von Wolfes literarischem und journalistischem Schaffen äußert. So stellt Stein den Rechercheprozess in den Vordergrund, der Wolfes erstem Roman The Bonfire of the Vanities vorausgegangen ist: Aber natürlich war auch dieses fiktionale Werk, wenn man genauer schaute, ein Stück gut recherchierter Journalismus: Wolfe hatte jahrelang am Manhattan Cri-
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Vgl. Thomas Hüetlin: Batman in Weiß. In: Der Spiegel Nr. 21 vom 19.05.2018, S. 126-127. Außerdem zum weißen Anzug: Robin Givhan: The Genius of Tom Wolfe’s White Suits. In: The Washington Post Online vom 15.05.2018. URL: https://www.washingtonpost.com/new s/arts-and-entertainment/wp/2018/05/15/the-genius-of-tom-wolfes-white-suits/?utm_term= .2737fb77353d (abgerufen am 25.11.2020). Zur Inszenierung Wolfes vgl. insbesondere auch Claudius Seidl: Das Ich in seinen Dimensionen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 113 vom 17.05.2018, S. 9. Vgl. des Weiteren: Lily Rothman: Why Tom Wolfe First Started His Signature White Suit. In: Time Online vom 15.05.2018. URL: http://time.com/5278215/tomwolfe-white-suits/(abgerufen am 25.11.2020). Außerdem Volker Weidermann: Fassungslos in dieser Welt. In: Spiegel Online vom 22.05.2018. URL: http://www.spiegel.de/kultur/lit eratur/zum-tod-von-tom-wolfe-fassungslos-in-dieser-welt-a-1207949.html (abgerufen am 25.11.2020). Seidl: 17.05.2018. Vgl. Tim Grierson: Tom Wolfe, Right Stuff Author and New Journalism Legend, Dead at 88. In: Rolling Stone Online vom 15.05.2018. URL: https://www.rollingstone.com/culture/c ulture-news/tom-wolfe-right-stuff-author-and-new-journalism-legend-dead-at-88-629191/ (abgerufen am 25.11.2020). Außerdem Hillel Italie: Tom Wolfe, a Titan of Journalism, Has Died at 88. In: Esquire Online vom 15.05.2018. URL: https://www.esquire.com/entertainment /books/a20704766/tom-wolfe-obituary/(abgerufen am 25.11.2020).
4. Schluss
minal Court recherchiert und Beamte der Mordkommission in der Bronx bei der Arbeit beobachtet, ehe er diesen bitterkomischen Roman zu Papier brachte.35 Die breite Akzeptanz der Personalunion zeigt, dass es Tom Wolfe gelungen ist, sich als Autor zu etablieren, der sich in beiden Publikationskontexten souverän behauptet. Die Parajournalism-Kontroverse zwischen ihm und Dwight McDonald und die literarische Fehde mit Mailer, Updike und Irving um A Man in Full taugen höchstens als Anekdoten, um Tom Wolfes Erfolgsgeschichte zu inszenieren.36 Seinen Kritikern im literarischen wie journalistischen Feld gelingt es bis zu seinem Tod nicht, ihn als Hochstapler zu überführen und ihm den so oft unterstellten Regelbruch in Form eines Etikettenschwindels überzeugend nachzuweisen. So scheint seine Integrität sowohl als Journalist als auch als Romanautor unangefochten, da er nach heutigen Maßstäben wohl die ethischen und moralischen Lizenzen beider Publikationskontexte berücksichtigt. Nicht zuletzt wird die Einführung des Präsens als dominantes Erzähltempus in Reportagen auf Wolfes innovative Darstellungsleistungen zurückgeführt, die dem Zuschauer das Beobachtete so unmittelbar wie möglich vor Augen führt.37 In den Nachrufen der deutschen Presse auf Wolfe klingen jedoch auch kritische Töne an: So deutet beispielsweise Jens Jessen in Die Zeit die Auswirkungen von Wolfes erzähltechnischen und ästhetischen Neuerungen an: »Freilich hat er [Tom Wolfe] auch damit kokettiert, ähnlich wie schon der outriert subjektive New Journalism (der seine volle fatale Wirkung erst bei seinen deutschen Nachahmern entfaltete) etwas Kokettes, mit dem Publikum um Betroffenheit Wetteiferndes hatte.«38 Hier spielt Jessen vermutlich auf den Fall Tom Kummer an. Als Reporter schreibt der Schweizer in den 1980er Jahren zunächst wie andere bekannte Namen der Popliteratur-Szene und des deutschen Popjournalismus, unter ihnen Christian Kracht, Maxim Biller oder Rainald Götz, für das Magazin Tempo.39 In den
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Hannes Stein: Real existierender Journalismus. In: Die Welt kompakt vom 16.05.2018, S. 12. Vgl. beispielsweise Deirdre Carmody u. William Grimes: Tom Wolfe, 88, ›New Journalist‹ With Electric Style and Acid Pen, Died. In: The New York Times Online vom 15.05.2018. URL: https://www.nytimes.com/2018/05/15/obituaries/tom-wolfe-pyrotechnic-nonfiction-writ er-and-novelist-dies-at-88.html (abgerufen am 25.11.2020). Vgl. Dwight Garner: Tom Wolfe Kept a Close, Comical and Astonished Eye on America. In: The New York Times Online vom 15.05.2018. URL: https://www.nytimes.com/2018/05/15/boo ks/tom-wolfe-appraisal.html (abgerufen am 25.11.2020). Bereits Ben Yagoda widmet in den 1980er Jahren dem Gebrauch des Präsens in der Literatur wie im Journalismus einen ganzen Artikel und attestiert Wolfe im Falle des Journalismus eine Pionierleistung. Vgl. Ben Yagoda: No Tense Like The Present. In: New York Times vom 10.08.1986. Jens Jessen: Das von der Welt tief erschrockene Kind. In: Die Zeit vom 17.05.2018, S. 45. Vgl. zur Ausrichtung und zu den Autoren der Zeitschrift Bernhard Pörksen: Die Tempojahre. Merkmale des deutschsprachigen New Journalism am Beispiel der Zeitschrift Tempo. In:
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Literarische Journalisten – journalistische Literaten
1990er Jahren macht sich Kummer als Hollywood-Reporter einen Namen und beliefert zahlreiche Magazine – darunter das SZ-Magazin und das Zeit-Magazin – mit Interviews von Hollywood-Größen.40 Wie allerdings im Jahr 2000 bekannt wird, sind diese nichts weiter als Fälschungen, die unter dem »Etikett des glaubwürdigen Journalismus«41 firmieren: Kummers vermeintlich exklusive Interviews sind zum Teil so montiert, dass sie eine verzerrte Sicht auf die Protagonisten oder die Ereignisse werfen oder sich gänzlich als Geburten seiner Fantasie herausstellen.42 Fast 20 Jahre nach dem Skandal um die Interviews von Prominenten, den der Focus aufdeckte,43 äußert sich Kummer nun wenige Tage nach Wolfes Tod in einem Nachruf des Schweizer Online-Portals Watson, der sich wie eine implizite Rechtfertigung seiner Skandaltexte liest.44 Im ersten Teil seiner Elogen auf den Mitbegründer des New Journalism setzt Kummer bei Wolfes Selbstinszenierung und Schilderung seines Äußeren bei einer persönlichen Begegnung an, die Mitte der 1980er Jahre Kummers Darstellung zufolge stattgefunden habe.45 Kummer zeigt sich beeindruckt von Wolfes dandyhaftem Auftreten und sieht in der Rezeption des New Journalism die Möglichkeit, den Journalismus auch in Deutschland – personifiziert durch das Klischee des »Null-Typen in weiten Cordhosen, im Tweedsakko und vielleicht noch mit Jesuslatschen«46 – endgültig in andere Sphären zu katapultieren: »Schreiben is the shit! Vielleicht die heisseste Sache auf der Welt. Da können selbst Rockstars einpacken. Gibt es etwas Grösseres als ein Tom-Wolfe-Dasein in
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Grenzgänger. Formen und Funktionen des New Journalism, hg. von Joan Kristin Bleicher u. Bernhard Pörksen. Wiesbaden: 2004, S. 307-336. Hier: S. 311-312. Vgl. Matías Martínez: Erzählen im Journalismus. In: Wirklichkeitserzählungen. Felder, Formen und Funktionen nicht-literarischen Erzählens, hg. von Christian Klein u. Matías Martínez. Stuttgart/Weimar: 2009, S. 179-191. Hier: S. 188. Christian Schicha: Medienskandale. In: Handbuch Medienethik, hg. von Christian Schicha u. Carsten Brosda. Wiesbaden: 2010, S. 373-390. Hier: S. 386. Vgl. Nils Minkmar: Das gedopte Magazin. In: Zeit Online vom 25.05.2000. URL: https://www .zeit.de/2000/22/200022.m-kummer_.xml (abgerufen am 25.11.2020). Vgl. zu den Hintergründen insbesondere Gunter Reus: Mit doppelter Zunge. Tom Kummer und der New Journalism. In: Grenzgänger. Formen und Funktionen des New Journalism, hg. von Joan Bleicher u. Bernhard Pörksen. Wiesbaden: 2004, S. 249-266. Hier: S. 252. Vgl. Tom Kummer: »Eine geile Freude« – Tom Kummer huldigt Tom Wolfe. In: Watson vom 16.05.2018. URL: https://www.watson.ch/leben/literatur/713634679-eine-geile-freude-tom-ku mmer-huldigt-tom-wolfe (abgerufen am 25.11.2020). Vgl. Anmerkungen der Redaktion: In: Tom Kummer: »Eine geile Freude« – Tom Kummer huldigt Tom Wolfe. In: Watson vom 16.05.2018. URL: https://www.watson.ch/leben/literatur/7136 34679-eine-geile-freude-tom-kummer-huldigt-tom-wolfe (abgerufen am 25.11.2020). Die Redaktion sieht sich, wie der redaktionelle Beitext unter Kummers Nachruf zeigt, tatsächlich bemüßigt klarzustellen, dass es tatsächlich zu der Begegnung von Kummer und Wolfe gekommen sei. Kummer: 16.05.2018.
4. Schluss
den 1960er-Jahren?«47 Im letzten Teil seines Nachrufes geht Kummer sogar soweit, zu schreiben, dass Wolfe ihn zu seiner konkreten Arbeitsweise inspiriert habe: New Journalism ist wegen der extremen Subjektivität ehrlich, lernten wir von Tom Wolfe. Der traditionelle Journalismus beharrt auf einer Objektivität, die es nicht gibt. […] Die Programmatik von Tom Wolfe zeichnet sich durch eine robuste Abgrenzung von den etablierten Medien und durch ein klar konturiertes Feindbild aus. Wirklichkeit, Wahrheit und Objektivität sind längst ein reiner Mythos. Die einzig taugliche Methode diesen Pseudo-Wahrheitsanspruch der Mächtigen als Lüge zu überführen, sind unter vielen Dingen ein exzessiver Formalismus.48 Wie an diesem Zitat deutlich wird, instrumentalisiert Tom Kummer Wolfe mit der Argumentation, dass dieser die Rahmenbedingungen dafür geschaffen habe, sich von den überkommenen Konzepten von Wirklichkeit, Wahrheit und Objektivität im Journalismus zu verabschieden. Dabei übersieht er, dass Wolfes Erfolg als Romancier und Journalist gerade darin begründet liegt, dass grundsätzliche journalistische Standards – trotz der Parajournalism-Kontroverse – von seiner Leserschaft nicht angezweifelt wurden. Wie bereits in Kapitel 3.1.3. Der Bruch mit dem Konvnetionen: Die Provokation des New Journalism und unter 3.3. Vom Journalismus zur Literatur: Wolfe als Romancier herausgearbeitet wurde, betont Wolfe gerade seine besonders minutiöse Recherche nach journalistischen Standards als Kern seiner Autormarke. So wird Wolfe bis zuletzt nicht müde, seine jüngeren Kollegen zur Recherche jenseits des Schreibtischs aufzurufen, wie beispielsweise anhand eines Interviews noch aus dem Januar 2018 belegt werden kann.49 Im Dezember 2018 – also im selben Jahr, in dem Wolfe verstirbt – wird bekannt, dass der Spiegel-Journalist und mehrfache Preisträger des Deutschen Reporterpreises Claas Relotius viele seiner Reportagen gefälscht hat.50 Während Kummer eine ganze Programmatik um seinen »Borderline-Journalismus«51 entwirft, bleiben
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Ebd. Ebd. Vgl. Alexandre Devecchio: »Journalisten müssen rausgehen«. In: Die Welt kompakt vom 08.01.2018, S. 8-9. Hier: S. 9.: »Dabei gibt es wirklich keine Alternative: Man muss rausgehen! Wenn junge Schriftsteller oder Journalisten mich um einen Rat bitten, was allerdings selten der Fall ist, dann sage ich ihnen grundsätzlich: ›Geh raus!‹« Vgl. Ullrich Fichtner: Spiegel legt Betrugsfall im eigenen Haus offen. In: Spiegel Online vom 19.12.2018. URL: www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/fall-claas-relotius-spiegel-legt-betrugim-eigenen-haus-offen-a-1244579.html (abgerufen am 25.11.2020). Marianne Wellershoff: Implosionen des Realen. In: Der Spiegel Nr. 21 vom 22.05.2000. In diesem Interview mit dem Spiegel erklärt Kummer seine Programmatik: »Jedenfalls sind meine Interviews ein Werk der Montage, für das ich mich verschiedener Quellen bediene. Für mich gehört das zu meinem Verständnis von Journalismus, einer Art Borderline-Journalismus, wie es Ulf Poschardt mal genannt hat.«
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derartige Rechtfertigungsstrategien bei Claas Relotius aus. Dieser hatte nicht etwa Interviews mit Prominenten manipuliert, sondern sich als Reporter-Star und Musterschüler des Deutschen Medienbetriebs inszeniert, bis ihn schließlich sein Co-Autor Juan Moreno als Hochstapler entlarven konnte. Beide Autoren hatten am gemeinsamen Artikel Jaegers Grenze gearbeitet. Relotius recherchiert dafür angeblich bei einer Bürgerwehr in Arizona, während sich Juan Moreno an der mexikanischen Grenze ein Bild von der Lage der Flüchtlinge macht. Im Laufe des Arbeitsprozess fallen Moreno Unstimmigkeiten an Relotius’ Text auf,52 denen er in Eigenregie nachgeht.53 Wie sich herausstellt, ist Relotius dem Protagonisten Jaeger nie persönlich begegnet. Er konnte es auch nicht, da er ihn, wie Moreno nachweisen konnte, erfunden hat.54 In den folgenden Wochen stellt sich heraus, dass dieser Text nur Teil einer langen Kette von Artikeln ist, die journalistische Qualitätsstandards missachten und von denen nicht nur Der Spiegel betroffen ist, sondern auch andere Medien wie Zeit Online oder Zeit Wissen.55 Auf der Hand liegt der Vergleich mit dem Skandal um Tom Kummer.56 Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen zieht sogleich eine Verbindung zwischen den beiden Fälschern: Es ist die »Behauptung einer zweiten Welt, zu der – außer ihm [dem Journalisten] – niemand wirklich Zugang besitzt«57 . Pörksen zufolge liegt das Geheimnis solcher journalistischer Hochstapler darin, »mit den Erwartungen der Kollegen und des Publikums so [zu] spielen, dass sie einerseits überraschen und faszinieren, andererseits jedoch bestätigen, was man ohnehin zu wissen glaubt«58 . Auch die Diskussion, die auf den Spiegel-Skandal folgt, weist Parallelen mit der um Kummer auf. So rückt bei bei-
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Vgl. Juan Moreno u. Claas Relotius: Jaegers Grenze. In: Spiegel Online vom 16.11.2018. URL: http://www.spiegel.de/plus/buergerwehr-gegen-fluechtlinge-in-arizona-jaegers-grenze -a-00000000-0002-0001-0000-000160834460 (abgerufen am 25.11.2020). Vgl. Fichte: 19.12.2018. Vgl. Ralf Wiegand: »Ich wusste, dass er lügt.« In: Süddeutsche Zeitung vom 20.12.2018. URL: h ttps://www.sueddeutsche.de/medien/claas-relotius-spiegel-juan-moreno-1.4261593 (abgerufen am 25.11.2020). Vgl. zum Stand der Untersuchungen Markus Horeld, Karsten Polke-Majewski u.a.: Unser Wissensstand zu den Beiträgen von Claas Relotius auf Zeit Online und in Zeit Wissen. In: Glashaus. Das Transparenzblog von Zeit Online. URL: https://blog.zeit.de/glashaus/(abgerufen am 25.11.2020). Vgl. Holger Stark: Claas Relotius. Ein Fall für die Lehrbücher. In: Zeit Online vom 21.12.2018. URL: https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2018-12/claas-relotius-faelschung-journ alismus-spiegel-betrug (abgerufen am 25.11.2020). Bernhard Pörksen: Die Schönheit einer Lüge. In: Zeit Online vom 22.12.2018. URL: https://w ww.zeit.de/kultur/2018-12/medienjournalismus-story-bias-betrug-claas-relotius-transparenz (abgerufen am 25.11.2020). Ebd.
4. Schluss
den die übersteigerte Form der Selbstinszenierung in den Vordergrund,59 die die ohnehin geschwächte gesellschaftliche Reputation und den Verlust der GatekeeperFunktion von Journalisten zusätzlich vorantreibt.60 Wie bei Kummer, so wird auch bei Relotius befürchtet, dass seine Vorgehensweise eine ganze Branche unter »Generalverdacht«61 stellen könnte.62 Doch noch eine weitere Gemeinsamkeit weisen die ›Causa Relotius‹ und die ›Causa Kummer‹ auf. Beide Skandal-Journalisten referieren tatsächlich in Punkto Schreibstil, Haltung und Selbstinszenierung auf ein und dasselbe Vorbild: Tom Wolfe. Welche Rolle der Mann im weißen Anzug für Claas Relotius spielt, enthüllt Juan Moreno in Tausend Zeilen Lüge. Das System Relotius und der deutsche Journalismus. In seinem Buch, erschienen ein Jahr nach der Entlarvung seines Spiegel-Kollegen, zitiert Moreno Claas Relotius‹ Antworten aus einem Magazin-Interview. Darin bekennt sich Relotius zu seiner »Lieblingsreportage«63 Radical Chic. That Party at Lenny’s aus Tom Wolfes Feder. Der Text aus dem Jahr 1970, erschienen im New York-Magazine, ist ohne Frage ein bedeutendes Stück Journalismusgeschichte.64 Tom Wolfe nimmt in der Reportage die Geburtstagssause des 59
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Vgl. Nils Minkmar: Die Kummer-Fälschungen. Einzelfall oder Symptom?. In: Zeit Online vom 21.06.2000. URL: https://www.zeit.de/2000/26/200026.m-streitgespraec.xml (abgerufen am 25.11.2020). Darin äußert sich Siegfried Weischenberg zur Selbstinszenierung Kummers: Die vielen Tausende von Journalisten hierzulande, die anständig und oft mies bezahlt ihren Job machen, die leiden unter so einer Geschichte massiv. Es ist nämlich eine Art von außerordentlich eitlem Journalismus.« Vgl. zu Relotius‹ Inszenierung Thomas Assheuer: Die Welt als Reportage. In: Zeit Online vom 26.12.2018. URL: https://www.zeit.de/2019/01/journalismus-re portagen-wirklichkeit-aufklaerung-claas-relotius/seite-2 (abgerufen am 25.11.2020). Unter der Gatekeeper- oder auch Wächterfunktion versteht man die soziale Rolle von Journalistinnen und Journalisten, als Filter zur »Vorabkontrolle« der zu distribuierenden Inhalte in Erscheinung zu treten. Durch den digitalen Wandel lässt sich diese Funktion jedoch umgehen. Vgl. Bernhard Pörksen: Die große Gereiztheit. Wege aus der kollektiven Erregung. München: 2018, S. 65. Außerdem zum Wandel der Wächterfunktion in Zeiten des Internets Christoph Neuberger: Das Ende des Gatekeeper-Zeitalters. In: Die Google-Gesellschaft. Vom digitalen Wandel des Wissens, hg. von Kai Lehmann u. Michael Schetsche. Bielefeld: 2005, S. 205-212. So beschreibt dies beispielsweise Cordt Schnibben, der Gründer des Reporter-Forums, das auch den Reporterpreis verleiht, den Relotius mehrfach gewonnen hat. Sebastian Eder: Der Betrug von Relotius ist so perfekt wie schmerzlich. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 21.12.2018, S. 15. Vgl. dazu auch Konstantin Richter: Amerikanischer Journalismus. Die deutsche Reporterfreiheit. In: Zeit Online vom 27.12.2018. URL: https://www.zeit.de/kultur/2018-12/amerikanisch er-journalismus-claas-relotius-fakten-stil-recherche-betrug (abgerufen am 25.11.2020). Hier gibt Richter folgende Einschätzung: »Relotius ist ein Extremfall. Aber wir wissen alle, dass es auch andere gibt, die sich die Wirklichkeit hier und da zurechtbiegen, damit sie besser in die Geschichte passt.« Juan Moreno: Tausend Zeilen Lüge. Das System Relotius und der deutsche Journalismus. Berlin: 2019, S. 40. Ebd., S. 40-41.
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berühmten Komponisten und ehemaligen Dirigenten der New Yorker Philharmoniker zum Anlass, ein Scharadespiel der New Yorker High Society zu enttarnen. Zur Hautevolee dazu geladen sind einige Black Panther – jedoch nicht um ihnen eine Plattform für ihr gesellschaftliches Anliegen zu geben. Vielmehr instrumentalisieren die Partygäste den Aktivismus der Black Panther für ihre Imagepflege.65 Die Lektüre dieser Wolfe-Reportage ist für Claas Relotius ein Erweckungserlebnis, allerdings weniger wegen der gesellschaftlichen Brisanz des Textes: »Man stellt sich den Reporter als Filou im Maßanzug vor, der sich schwebend durch den Abend bewegt, mal hier, mal dort, der beobachtet, zuhört, seine Gedanken immer wieder schweifen lässt und die Bigotterie um ihn herum zu einer entlarvenden Satire komponiert.«66 So berufen sich Claas Relotius und Tom Kummer auf ein und dasselbe Klischee, mit dem Wolfe assoziiert wird und das hier im Bild des ›Filou im Maßanzug‹67 kulminiert. Für beide Journalisten verkörpert Wolfe mit seinem Habitus die Erhabenheit des scharfsichtigen Reporters, die ihm die Lizenz erteilt, nicht nur zuzuspitzen, sondern Fragmente der Realität nach Belieben zu kombinieren. Claas Relotius regt die Lektüre von Radical Chic und die Imagination des Entstehungskontextes zu einem Epigonentum an, das auf einem respektlosen Umgang mit Fakten beruht – eine klare Fehlinterpretation und Fehleinschätzung der herausragenden Recherche-Leistung des New Journalist, die sich auch bei Kummer findet. So läuten bei Juan Moreno alle Alarmglocken bei Relotius’ »seltsame[r] Beschreibung für einen Reporter«68 : Relotius’ Idealvorstellung zielt auf eine Entmündigung und Übervorteilung des Lesers ab – eine Missachtung des Vertrauensvorschusses also und des ›Paktes‹, den der Reporter mit dem Leser eingeht.69 Betrachtet man die WolfeRezeption bei Relotius und Kummer, so fällt auf, dass Wolfes Schreibstil – Juan Moreno wählt dafür überspitzt den Ausdruck »Tom-Wolfe-Eigenschaften«70 eines Textes – und der Faktenbezug seiner Texte scheinbar unreflektiert miteinander
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Ebd., S. 40-41. Ebd., S. 41. Ebd., S. 41. Ebd., S. 41. Vgl. ebd., S. 41: »Am Ende bleibt für den Leser von Reportagen letztlich immer nur eine Erkenntnis: Er muss akzeptieren, dass der Reporter sein Filter ist, durch den er vom Geschehenen erfährt. Die Stimmung, das Weltbild des Reporters, vor allem sein Anstand, entscheiden am Ende darüber, was er oder sie erfährt.« Der Leser ist dem Reporter ausgeliefert. […] Vertrauen und Geld gegen Wahrheitsannäherung. Das ist der Deal.« Ebd., S. 91: »Ich verstand, was er wollte. Erzählerische Agilität, Intensität, Emotionalität und all die anderen schönen Tom-Wolfe-Eigenschaften. Aber Tom Wolfe und andere dieser Reportergenies waren unfassbar gute Beobachter, akribische Rechercheure und von Gott geküsste Phänomene. Ich war das nicht.«
4. Schluss
vermischt werden. Doch sind Relotius und Kummer die einzigen, die im Moment der Wolfe-Rezeption Faktenbezug und Schreibstil immer ohne Weiteres trennen? Es lohnt, noch einmal einen Schritt zurückzugehen und den Blick auf unmittelbare Reaktionen nach Enthüllung des Skandals zu werfen. Wenngleich sich nur Kummer explizit in einer Rechtfertigungsrhetorik auf Tom Wolfe bezieht, wird auch in der Debatte um den Spiegel-Skandal auf einen möglichen, impliziten Einfluss des New Journalism hingewiesen. Hier allerdings konzentriert sich die Diskussion nicht monolithisch auf Tom Wolfe. Auch weitere Autoren wie Gay Talese oder Hunter S. Thompson stehen im Fokus.71 Diesmal geht es vor allem um die Zukunft der Reportage, die im Gegensatz zu Kummer, der auf Interviews spezialisiert war, Relotius’ Metier ist. Einige Stellungnahmen von Reportern zum Fall Relotius kommen darin überein, dass das Genre der Reportage in Deutschland auch vom New Journalism geprägt sei.72 Auf die Verbindungen zwischen New Journalism und der deutschen Reportagetradition weist beispielsweise der Journalist Konstantin Richter hin: Hunter S. Thompson und Gay Talese waren Autoren, die in den bewegten Sechzigerjahren mit dem Schreiben anfingen. Sie waren Selbstdarsteller, die ihre Subjektivität als poetische Wahrheit feierten. Talese und Wolfe verfassten seitenlange innere Monologe und detailverliebte Rekonstruktionen von Szenen, die sie nicht selbst erlebt hatten. Sie gaben die Träume und intimsten Erinnerungen ihrer Protagonisten wieder. Sie machten aus drei Personen eine einzige, weil sie meinten, dass die Verknappung am Ende ausdrucksstärker sei als die schnöde Wirklichkeit. Es gibt im New Journalism ganz großartige Texte, doch war die Gattung in den USA immer eher Subkultur als Mainstream. In Deutschland ist das anders.73 Obwohl Richter seine Darstellung des New Journalism deutlich ins Negative überspitzt, tritt darin ein Grundproblem der journalistischen Inszenierung im Kontext der Reportage zu Tage: Sobald ein Autor nicht das Recherchematerial in den Mittelpunkt rückt, sondern die Ästhetisierung der eigenen Beobachtungen oder sich sogar als Teilnehmer am Geschehen inszeniert, sind die Leserinnen und Leser in besonderem Maße auf die Vertrauenswürdigkeit seiner Augenzeugenschaft angewiesen. Dies deckt sich mit Wolfes Auffassung, dass bereits die textpragmatische Ebene Aussagen über den Faktualitäts- oder den Fiktionalitätsstatus zulässt und
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Vgl. Richter: 27.12.18. Vgl. ebd. sowie Malte Henk: Vom Leben als Reporter. In: Zeit Online vom 26.12.2018. URL: https://www.zeit.de/2019/01/journalismus-reporter-beruf-darstellung-wirklichkeit-erza ehlerische-mittel (abgerufen am 25.11.2020). Richter: 27.12.2018.
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damit die Lesererwartung steuert:74 »Nonfiction has the advantage of the reader knowing that it’s real. Now it’s a tremendous thing to know that you’re reading something that actually happened.«75 Die grundlegende Problematik ist jedoch nicht in den journalistischen Schreibweisen angelegt, die spezifische journalistische Genres einfordern. Vielmehr entscheidet sich die Qualität unabhängig vom Genre in erster Linie an der Redlichkeit der einzelnen Journalisten. So setzt die Reportage zwar von Vornherein ein besonders hohes journalistisches Ethos voraus. Tom Kummer ist es jedoch auch mit gefälschten Interviews gelungen, einen weitreichenden Skandal auszulösen. Der Schweizer Journalist führt dabei seine Lizenz zum Fälschen vor allem auf eine gezielte Fehlinterpretation von Tom Wolfe und dem New Journalism zurück, die er dafür nutzt, sich selbst und sein Vorgehen zu legitimieren. Obwohl es solche Fälschungsskandale in der Geschichte des Journalismus immer wieder gegeben hat und geben wird, sind diese um Relotius und Kummer besonders problematisch. Sie tragen sich in Zeiten zu, in denen der Journalismus seine Gatekeeper-Funktion ohnehin zunehmend einbüßt und dessen gesellschaftliche Relevanz bedroht ist.
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Dies formulieren auch Klein und Martínez theoretisch: Christian Klein u. Matías Martínez: Wirklichkeitserzählungen. Felder, Formen und Funktionen nicht-literarischen Erzählens. In: Wirklichkeitserzählungen. Felder, Formen und Funktionen nicht-literarischen Erzählens, hg. von Christian Klein u. Matías Martínez. Stuttgart/Weimar: 2009, S. 1-13. Hier: S. 4: Die Klassifikation eines Textes als fiktional oder faktual ist eine Entscheidung, die letztlich auf textpragmatischer Ebene getroffen wird.« Joe David Bellamy: Tom Wolfe. In: Conversations with Tom Wolfe, hg. von Dorothy M. Scura. Jackson: 1990, S. 36-55. (Zuerst erschienen in: Joe David Bellamy: The New Fiction. Interviews with Innovative American Writers. Urbana: 1974, S. 75-95). Hier: S. 43.
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Schrift in bildender Kunst Von ägyptischen Schreibern zu lesenden Madonnen September 2020, 150 S., kart., 14 Farbabbildungen, 5 SW-Abbildungen 16,50 € (DE), 978-3-8376-5298-7 E-Book: PDF: 14,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5298-1
Sascha Pöhlmann
Stadt und Straße Anfangsorte in der amerikanischen Literatur 2018, 266 S., kart. 29,99 € (DE), 978-3-8376-4402-9 E-Book: PDF: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4402-3
Ulfried Reichardt, Regina Schober (eds.)
Laboring Bodies and the Quantified Self October 2020, 246 p., pb. 40,00 € (DE), 978-3-8376-4921-5 E-Book: PDF: 39,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4921-9
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Literaturwissenschaft Renata Cornejo, Gesine Lenore Schiewer, Manfred Weinberg (Hg.)
Konzepte der Interkulturalität in der Germanistik weltweit August 2020, 432 S., kart., 6 SW-Abbildungen 50,00 € (DE), 978-3-8376-5041-9 E-Book: kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation PDF: ISBN 978-3-8394-5041-3
Claudia Öhlschläger (Hg.)
Urbane Kulturen und Räume intermedial Zur Lesbarkeit der Stadt in interdisziplinärer Perspektive Juli 2020, 258 S., kart., 10 SW-Abbildungen 40,00 € (DE), 978-3-8376-4884-3 E-Book: PDF: 39,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4884-7
Wilhelm Amann, Till Dembeck, Dieter Heimböckel, Georg Mein, Gesine Lenore Schiewer, Heinz Sieburg (Hg.)
Zeitschrift für interkulturelle Germanistik 11. Jahrgang, 2020, Heft 1 August 2020, 226 S., kart. 12,80 € (DE), 978-3-8376-4944-4 E-Book: PDF: 12,80 € (DE), ISBN 978-3-8394-4944-8
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