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German Pages [1124] Year 2016
Lexikon zur Geschichte Südosteuropas
2., erweiterte u. aktualisierte Auflage, für das Institut für Ost- und Südosteuropaforschung herausgegeben von Holm Sundhaussen und Konrad Clewing
2016 BÖHLAU VERLAG · WIEN · KÖLN · WEIMAR
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://portal.dnb.de abrufbar.
Umschlagabbildung: Archiv Holm Sundhaussen
1. Auflage 2002
© 2016 by Böhlau Verlag GesmbH & Co.KG, Wien Köln Weimar Wiesingerstraße 1, A-1010 Wien, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Einbandgestaltung: Michael Haderer, Wien Satz: Bettina Waringer, Wien Druck und Bindung: BALTO print, Vilnius Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in the EU ISBN 978-3-205-78667-2
Inhaltsverzeichnis Vorwort der Herausgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Nachbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Verzeichnis der Autorinnen und Autoren und ihrer Abkürzungen . . . . . . . 15 Allgemeines Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Übersicht der Stichwörter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Verzeichnis der Karten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 Karten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Lemmata von A bis Z . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 Ortsnamenkonkordanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1069 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1073
Vorwort der Herausgeber Die 2004 erschienene erste Auflage des „Lexikons zur Geschichte Südosteuropas“ war, so hieß es 2012 in der „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, das eine der zwei Bücher, die der oder die an der Region Interessierte unbedingt besitzen sollte. Die Aufnahme der inzwischen seit Jahren vergriffenen Auflage war in der Tat so positiv, dass sie ihr doppeltes Ziel – einerseits das fachkundige Publikum zuverlässig mit dem aktuellen Wissenstand zur südosteuropäischen Geschichte zu versorgen, andererseits die Geschichtsregion bei Lesern mit Interesse am historischen Vergleich sowie am tieferen Verständnis der aktuellen Verhältnisse in diesem Teil unseres Kontinents bekannt zu machen – wohl ziemlich gut erreicht hat. Die Kenntnis der südosteuropäischen Vergangenheit trägt nicht nur zum besseren Verständnis der Region bei, sondern ist auch angesichts der europäischen Integration nötiger denn je. Die beiden Herausgeber der jetzigen Auflage freuen sich daher, dass der Böhlau Verlag sich zur umfassenden Fortsetzung des Vorhabens entschlossen hat. Die zweite Auflage ist gegenüber der ersten ganz erheblich erweitert worden. Der Umfang ist fast um die Hälfte von einst 770 auf jetzt 1102 Seiten angewachsen. Die Texte der Stichworteinträge wurden aktualisiert, wo immer dies erforderlich und möglich war. Dafür zeichnen in der Regel die Herausgeber verantwortlich. Ebenso gilt das für die aktualisierten und zusätzlichen Literaturangaben zu den einzelnen Lemmata, deren Menge in der ersten Auflage aus Platzgründen beschränkt worden war. Damit soll die Verwendbarkeit des Lexikons in Forschung und Lehre noch verbessert werden. Das schon in der ersten Auflage intensive Verweissystem zwischen den Lemmata wurde weiter verdichtet. Wie 2004 wurden Verweise auf allgemeinere Artikel (etwa Länderartikel) auch diesmal nicht mechanisch eingefügt, sondern gezielt auf angesprochene Zusammenhänge ausgerichtet, zu denen dort Weiteres zu finden ist. Ganz neu hinzugekommen sind die Karten und das Sachregister sowie – allen voran – 61 neue Lemmata. Diese schließen Lücken, die in der ersten Auflage infolge der damaligen Zeitplanung verblieben waren, gehen aber auch weit darüber hinaus. Die Liste der neuen Lemmata: Ägypter, Ashkali Balkanologie Belgrad Bevölkerung Bodenrecht Bogomoljci Bosnische Muslime Dayton-Abkommen Eliten Erinnerungskultur
Ethnie, ethnische Gruppe ethnische Säuberung Frau (Osmanisches Reich) Haager Kriegsverbrechertribunal Herzegowina Historiographie (19./20.Jh.) Iaşi Imperialismus, Kolonialismus Juden (Überblick)
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Vorwort der Herausgeber
Junge Muslime Kaiserreich v. Nikäa Kaiserreich v. Trapezunt Kapitalistisches Weltsystem (Frühe Neuzeit) Kommunismus Konvertiten Korruption Kuna Levante Levantiner Lika Moldauer Nation Nazarener Orientalische Krise Partisanen Patriarchat v. Konstantinopel Podgorica postjugoslawische Kriege Prishtina Rechtsgeschichte, Rechtskulturen
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Reiseberichte Sklaverei, Leibeigenschaft Schokatzen Serbisches Reich (Mittelalter) Šopen, Šopluk Sozialismus Stalinismus Studentenmigration (Mittelalter, Frühe Neuzeit) Torbeschen Triplex confinium Urbanisierung Vereinigte Staaten v. Amerika Verkehr Verwandtschaft Volksdemokratie Volksdeutsche Zbor Zeitrechnung Zimmi Zsitvatorok, Friede v. (1606) Zwangsarbeit
Den Schwerpunkt der nunmehr insgesamt genau 603 Einträge bilden weiterhin zentrale Termini des Gesamtraumes sowie kleinteiligere Raumbegriffe, Ethnien/Nationen, Glaubensgemeinschaften und Staaten/Imperien. Die behandelte Zeit reicht vom frühen Mittelalter bis in die Gegenwart. Gegenüber der Ausgabe von 2004 wurden zur besseren Übersichtlichkeit die Überschriften einiger Lemmata modifiziert. Einträge mit unmittelbarem Gegenwartsbezug wurden fortgeschrieben, mit Ausnahme der länderweisen Artikel zu den politischen Parteien, bei denen die Abgrenzung teils bei 1989, teils um 2000 überwiegend belassen wurde. Räumlich betrachtet zieht sich die diachrone Reihe von Byzanz über die Reiche der Osmanen, Habsburger und Venezianer bis zu den heutigen Staaten Albanien, Bosnien-Herzegowina, Bulgarien, Griechenland, Kosovo, Kroatien, Makedonien, Moldau, Montenegro, Rumänien, Serbien, Slowakei, Slowenien, Ungarn und Zypern. Das „Südosteuropa“ dieses Lexikons folgt räumlich also der großflächigen Definition, die das historische Ungarn ebenso einschließt wie die einst osmanischen Gebiete des Balkans, das rumänische Sprachgebiet ebenso wie die südslawischen Gebiete in ihrer Gesamtheit. Unter den geographischen Lemmata beziehen sich die Einträge zu den Städten abgesehen von den unterschiedlichen Stadttypen fast durchgängig nur auf die historischen oder aktuellen Hauptstädte. Eine der Ausnahmen von dieser Regel, Dubrovnik/Ragusa, ist nur eine halbe, weil Dubrovnik für die gleichnamige Republik ja auch Hauptstadt war; die beiden anderen Ausnahmen, Czernowitz und Saloniki, erklären sich durch die besondere historische
Vorwort der Herausgeber
Bedeutung als Provinzhauptort der Bukowina beziehungsweise als mit Abstand wichtigste Hafenstadt des Balkans. Die sprachliche Vielfalt der zur Verwendung kommenden Ortsnamen in Südosteuropa ist in erster Linie pragmatischer Ausdruck dessen, dass diverse Orte für verschiedene Sprachgruppen von Bedeutung waren oder sind. In der Regel wurden die amtlichen Namen gemäß der jeweiligen heutigen innerstaatlichen Praxis bevorzugt, daneben wurden aber auch eingeführte deutschsprachige Varianten (namentlich im nördlichen Südosteuropa) vielfach beibehalten. Personeneinträge gibt es, wie schon in der ersten Auflage, abgesehen von den Sammeleinträgen zu den wichtigsten Dynastien auch in der zweiten Auflage nicht. Auf ein Personenregister wurde ebenfalls verzichtet, da für die meisten in den vorliegenden Lemmata erwähnten Persönlichkeiten das vierbändige „Biographische Lexikon zur Geschichte Südosteuropas“ (München 1972–1981) vertiefte Angaben bereithält. Die Digitalisierung des Nachschlagewerks hat im Zuge des vom Institut für Ost- und Südosteuropaforschung (IOS) mitgetragenen Projekts ostdok bereits begonnen, so dass das Lexikon in Kürze allen Interessierten leicht zugänglich sein wird (http://www.biolex.ios-regensburg.de). Bei der Auswahl und Benennung der Lemmata spielten außer fachlichen (Forschungsstand) auch pragmatische Gesichtspunkte (Suche nach geeigneten Autoren unter Berücksichtigung des Zeitlimits) eine Rolle. Nicht alles, was unter fachlich-systematischen Gesichtspunkten wünschenswert ist, konnte realisiert werden. Und es gibt bereits eine Liste mit einer Vielzahl von Desiderata, die bei einer dritten Auflage eingelöst werden sollten. Grundsätzlich bleibt festzuhalten, dass es bei der Arbeit an einem Lexikon nie ein wirkliches Ende gibt. Kaum glaubt man, ein Problem gelöst zu haben, tun sich zwei neue auf: eine endlose Geschichte. Wissen ist auch ein Prozess. Den Wissensbestand zu einem bestimmten Zeitpunkt zu organisieren, zu komprimieren und zu vernetzen, ist Aufgabe eines Lexikons. Die neue Zwischenbilanz wurde notwendig, weil sich in dem Vierteljahrhundert seit dem Systemwechsel und der Öffnung von Archiven in den vormals sozialistischen Staaten in der historischen Südosteuropaforschung infolge neu zugänglicher Quellen, neuer Fragestellungen und neuer Perspektiven viel verändert hat und die Südosteuropa-Historiographie – entgegen manchen düsteren Prognosen in den 1990er Jahren – eine neue Blütezeit erlebt. Mit dieser zweiten Auflage des „Lexikons zur Geschichte Südosteuropas“ (LexSOE) knüpft das Anfang 2012 durch die Fusion des Südost-Instituts mit dem Osteuropa-Institut hervorgegangene IOS an die Tradition des Südost-Instituts und namentlich der Grund lagenwerke an, die an jenem Institut im Laufe von Jahrzehnten zur Geschichte des südöstlichen Europa entstanden sind. Neben dem erwähnten biographischen Lexikon sind hier vor allem die auch für das vorliegende Werk an vielen Stellen wichtige mehrbändige annotierte „Historische Bücherkunde Südosteuropa“ (HBK) und die 2011 im Pustet-Verlag erschienene einbändige „Geschichte Südosteuropas“ zu nennen; hinzu kommt unter den laufenden Projekten des IOS das in Arbeit befindliche „Handbuch zur Geschichte Südosteuropas“. Bei der Vorbereitung der zweiten Auflage mitgeholfen hat ganz besonders Christina Croon (München), während gemeinsam mit ihr auch Miljan Jekić (Regensburg) wertvolle Vorarbeiten zum Sachregister beigesteuert hat. Abgesehen vom institutionellen Rückhalt sind es indessen in erster Linie die beteiligten Autorinnen und Autoren, denen die Herausgeber für das Zu-
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Vorwort der Herausgeber
standekommen des Lexikons zu danken haben. Das gilt für die Beiträger zur ersten Auflage nicht minder als für diejenigen, von denen Texte speziell zur jetzigen Auflage stammen. Insgesamt wurden die Lemmata von 72 Forscherinnen und Forschern verfasst. Um ihrer aller Werk angemessen gerecht zu werden, bitten die Herausgeber nicht zuletzt angesichts der Erfahrungen mit der erfreulich häufig zitierten ersten Auflage alle Benützer, bei jedem Zitat der vorgelegten Einträge auf die Autoren- und Lemmanennung zu achten. Das auf dieses Vorwort folgende „Verzeichnis der Autorinnen und Autoren und ihrer Abkürzungen“ gibt dazu die nötige Auskunft. Am Ende sei ganz besonders dem langjährigen Führungsduo des Südost-Instituts gedankt, Edgar Hösch und Karl Nehring. Sie waren beide an der ersten Auflage als Herausgeber beteiligt, und ohne ihre editorische Arbeit von damals wäre die Vorlage des jetzigen Werkes undenkbar gewesen. Regensburg und Berlin, im November 2014
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Nachbemerkung
Es ist ein trauriger Anlass, der diese Nachbemerkung erfordert und es unmöglich macht, die üblichen letzten Punkte vor der Drucklegung einfach nur an geeigneter Stelle in die obige Fassung der Vorrede einzuflechten. Am 21. Februar des heurigen Jahres 2015 ist Holm Sundhaussen gestorben. Der Tod ereilte ihn völlig unverhofft in Regensburg, nachdem er seinen letzten Tag einem weiteren Projekt des Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung gewidmet hatte, nämlich einem Autorentreffen zu einem von Kollegen Hannes Grandits und mir herauszugebenden Band des „Handbuchs zur Geschichte Südosteuropas“. Wie stets hatte Holm Sundhaussen eingehend über die Inhalte des Bandes diskutiert, sich für das Tun von uns anderen rege interessiert und wichtige Anstöße gegeben. Typisch für ihn war desgleichen, dass von allen in Regensburg versammelten Autoren gerade er mit seinem Beitrag am weitesten gediehen war. (Sein Text behandelte Herrschaft und Politik in Südosteuropa zur Zeit des Zweiten Weltkriegs und wird noch posthum erscheinen.) Am nächsten Morgen war er tot. Dass Holm Sundhaussens Ableben praktisch mitten unter der Arbeit kam, steht im vollkommenen Einklang mit der enormen Schaffenskraft, die ihm vermutlich sein ganzes Leben lang zu eigen war, ganz besonders sichtbar aber in den letzten Jahren. Nicht weniger als drei grundlegende Monographien sind ihm in der kurzen Zeit seit seiner Pensionierung als Professor der Freien Universität Berlin geglückt: seine „Geschichte Serbiens. 19.–21. Jahrhundert“ (2007), „Jugoslawien und seine Nachfolgestaaten, 1943–2011“ (2012) und „Sarajevo. Die Geschichte einer Stadt“ (2014). Es war wohl unmittelbar nach dem Abschluss des Manuskripts zu Sarajevo, als er sich im Herbst 2013 mit voller Energie der zwischen uns beiden und dem Böhlau Verlag verabredeten neuen Auflage dieses Lexikons zugewandt hat. Schon bei der ersten von 2004, die noch deutlich knapper gehalten war, hatte er an der Seite seiner am Südost-Institut verantwortlichen Mitherausgeber Edgar Hösch und Karl Nehring in den konzeptionellen Anfängen des Projekts – die um 1995 zu verorten sind – mitgewirkt und dann als Autor auf eindrucksvolle Weise zum Erfolg beigetragen. 2013 begann er dann, wiederum in großem Maß als Autor, aber ebenso in der Aktualisierung zahlreicher weiterer Texte und ungezählter Literaturteile das gleiche für die neue Fassung zu bewirken. Bis zu seinem Tode hörte er nicht mehr damit auf. Als wir nach intensiver Arbeit im November 2014 soweit waren, das Gesamtmanuskript dem Verlag zur Satzherstellung zu überantworten und dann diese nicht gleich möglich war, nützte Holm Sundhaussen die ihm augenscheinlich mehr als willkommene Gelegenheit, immer weiter zu feilen und nachzutragen, bis der Satzbeginn Anfang Februar 2015 die „Ausderhandgabe“ erzwang und alles weitere Aktualisieren eingeschränkt und auf die Endkorrektur verschoben werden musste. Ein Blick auf die Liste der in Summe 88 von ihm verfassten, teils schon fast essayartigen Lexikoneinträge verdeutlicht wohl am einfachsten, wie sehr wir dieses Lexikon ihm verdanken:
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Nachbemerkung
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Akademien Alphabetisierung Attentat von Sarajevo Balkan Balkanforschung, Balkanologie Banija Bauern (19./20. Jh.) Bauernaufstände (19./20. Jh.) Bauernbefreiung Befreiungskriege (nationale) Bevölkerung Bodenreformen Bogomoljci Bunjewatzen Bürgerkrieg (Jugoslawien) Četnici Dayton-Abkommen Elite(n) Diktaturen Dinar Erinnerungskultur Ethnie, ethnische Gruppe Ethnische Säuberung Frau (Osmanisches Reich) Geheimbünde (Jugoslawien) Genossenschaften Haager Kriegsverbrechertribunal Herzegowina Historiographie (19./20. Jh.) Holocaust Imperialismus, Kolonialismus Industrialisierung Irredentismus Juden (Überblick) Jugoslawien Jugoslawismus Jungbosnier Junge Muslime Kaiserreich von Nikäa Kaiserreich von Trapezunt Kapitalismus Kapitalistisches Weltsystem (Frühe Neuzeit)
Kleine Entente Konvertiten Kordun Kroaten Kroatien Kuna Lausanne (Friede von), griechisch-türkischer Krieg (1921/22) Levante Mačva Matica Modernisierung Nation Nationsbildung Nazarener Niederungarn Omladina Orientalische Krise Parlamentarismus Parteien: Jugoslawien Partisanen Patriarchat von Konstantinopel Podgorica postjugoslawische Kriege Revisionismus Revolution von 1848/49: Kroaten Sabor Schokatzen segmentäre Gesellschaft Sklaverei, Leibeigenschaft Skupština Sporazum Studentenmigration (Frühe Neuzeit und 19. Jahrhundert) Südosteuropa Šumadija Unabhängiger Staat Kroatien Ustaše Vereinigung oder Tod Verfassungen Vidovdan Vojvodina
Nachbemerkung
Volksdeutsche Weltkrieg, Erster Weltkrieg, Zweiter Weltwirtschaftskrise
Zsitvatorok, Friede v. (1606) Zwangsarbeit Zwangsmigrationen
In dieser Zählung ist auch eine kleine Handvoll an Sundhaussenschen Beiträgen inbegriffen, die wegen ihrer Kürze unter „Red.“ (für „Redaktion“) firmieren. Hinzu kommen aber noch zwei gewichtige Lemmata, die vom Verstorbenen gemeinsam mit János M. Bak beziehungsweise mit Peter Bartl stammen (Rechtsgeschichte, Rechtskulturen; und Serbisches Reich). Übrigens vermittelt allein schon die schiere kumulierte Seitenzahl (rund 205 Seiten, inklusive der beiden Gemeinschaftsartikel), die im Grunde einem Buch entspricht und rund ein Fünftel aller Lemmatexte ausmacht, einen klaren Eindruck von Holm Sundhaussens Gewicht in diesem Buch. Dabei ist die Ebene der vielen Erweiterungen anderer Texte und Literaturteile noch gänzlich unberührt. Meine Institutskollegin Sabine Rutar hat unlängst in einem einfühlsamen und klugen Text über Sundhaussens „Geschichte Jugoslawiens“ (Sabine Rutar: Im Sinne eines Nachrufs. Die Geschichte Jugoslawiens von Holm Sundhaussen [* 17.4.1942–21.2.2015] als Vermächtnis, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 63 [2015], 256–264; auch online offen abrufbar) jenes Buch als Holm Sundhaussens vielleicht wichtigstes historiographisches Vermächtnis dargelegt. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob eine Reihung der Wichtigkeit im Bücherdreiklang von Serbien, Jugoslawien und Sarajevo wirklich möglich ist, zumal diese Trilogie von drei territorialen Darstellungs- und Erkenntnisebenen werkimmanent wohl einen untrennbaren Sinnzusammenhang ergibt. Doch meine ich jedenfalls, dass sein Anteil am vorliegenden Lexikon als Vermächtnis für das Fach Südosteuropäische Geschichte mindestens gleichberechtigt daneben zu stellen ist. In der Summe seiner Beiträge (auch angesichts der Ergänzungen zu Lemmata anderer, deren Ausmaß sich mir als Mitherausgeber zugegebenermaßen in besonderer Weise erschließt) zeigt sich, wie sehr Sundhaussen nicht nur seiner engeren Spezialisierung auf jüngere südslawische, jugoslawische und postjugoslawische Geschichte gefolgt ist, sondern zeitlich und räumlich weit darüber hinaus ein umfassender Balkanhistoriker gewesen ist, und auch – obwohl er diesem erweiterten Raumbegriff persönlich in vielen Fragezusammenhängen skeptisch gegenüberstand – ein Südosteuropahistoriker von besonderem Rang. *** Auf den letzten wenigen Hundert Metern des Langstreckenlaufs hin zu diesem Buch war ich zwar alleinverantwortlich, aber nicht alleine. Zu danken habe ich zuvörderst den Autorinnen und Autoren, die meine kurzfristigen Bitten um Kontrolle der herausgeberischen Eingriffe und Ergänzungen ungeachtet sonstiger Verpflichtungen überwältigend verständnisvoll und freundlich aufgenommen haben. Ihr Tun war mir eine große Hilfe und auch Beruhigung. Ganz besonders gilt dies für die von der Kurzfristigkeit schon rein quantitativ besonders Betroffenen, angefangen mit Fikret Adanır, Monika Glettler, Magarditsch A. Hatschikjan,
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Nachbemerkung
Edgar Hösch, Karl Kaser, Angelika Schaser bis zu Ludwig Steindorff (sowie wegen intensiver Schreibarbeit auch trotz nicht so vieler Lemmata Wolfgang Höpken); und nochmals gesteigert für die regelrechten Vielfachautoren Peter Bartl, Gerhard Seewann und Klaus-Peter Todt. Einzelne haben liebenswürdigerweise jenseits ihrer eigenen Beiträge auch auf andere geachtet und mir dazu wertvolle Anregungen gegeben, so etwa Meinolf Arens und Nataša Mišković. Hervorheben darf und muss ich indes einen, der beide Aspekte – Vielfachautor auf der einen, achtsamer Leser und Ratgeber auf der anderen Seite – in berührender Weise verbunden hat: János M. Bak. Seinen großen Beistand gerade in Bereichen, in denen ich in meiner Herausgebertätigkeit nicht gleichermaßen sicher war wie auf anderen Feldern (und die noch dazu auch bei Holm Sundhaussen nur eingeschränkt dessen Schwerpunkten entsprachen), von der Mediävistik bis hin zu zentralen Themen wie Antisemitismus, Holocaust und dem Kriegsschicksal der Roma, habe ich, wissenschaftsgenerationell gesprochen, als geradezu väterlich empfunden. Ich bin ihm dafür in tiefer Dankbarkeit verbunden. Viel beigetragen haben zu dieser Fassung des Lexikons natürlich auch die neuen Autoren, die sich durch mich teils schon vor Jahren dafür werben ließen, teils kurzfristig noch voriges Jahr im Kontakt mit Holm Sundhaussen dazu stießen. Danken möchte ich auch Joachim R.H. Zwick (Gießen) für die schönen professionellen Karten und für die Überlassung der Rechte; sie entstammen sämtlich der schon kurz erwähnten, von Oliver Jens Schmitt und mir 2011 beim Pustet-Verlag in Regensburg herausgegebenen „Geschichte Südosteuropas. Vom Frühen Mittelalter bis zur Gegenwart“, wo auch noch gut 25 weitere Karten enthalten sind. Dieses Buch – übrigens neben der Erstauflage des Lexikons das zweite Werk, das der Südosteuropakorrespondent und Rezensent der FAZ, Karl-Peter Schwarz, in seiner eingangs erwähnten Besprechung für jeden an der Region Interessierten als gleichsam unerlässlich erklärte – eignet sich im Bedarfsfall vermutlich gut als erzählerische und interpretatorische Leseergänzung zum vorliegenden Lexikon. Sehr geholfen haben mir überdies am IOS auf der Ziellaufbahn zu diesem Buch Branimir Vidačković (Tübingen), Rachel Trode (Toronto), Johanna Fiedler (Graz), Maximilian Motyka (Regensburg), Jiří Kocian (Prag) und in ganz besonderem Maße Christian Mady (Regensburg, München), sei es durch Korrekturhilfen, bei der Ortsnamenskonkordanz oder durch zusätzliche Schritten auf dem Weg zum fertigen Sachregister. Dem Böhlau Verlag schulde ich Dank für die vertrauensvolle und intensive Zusammenarbeit, insbesondere Frau Dr. Eva Reinhold-Weisz und für die Gestaltung wie auch für die gewissenhafte abschließende Einarbeitung so zahlreicher Änderungen und Verweise Frau Mag. Bettina Waringer. Dieses Lexikon ist eine Art von Buch, wie sie nie von einem einzelnen geschrieben werden könnte. Wenn es wie erhofft in der engeren Disziplin ebenso wie weit darüber hinaus als Wissensquelle und Inspiration zum Einsatz kommen wird, bin ich froh. Widmen möchte ich es im Andenken an Holm Sundhaussen als Kollektivwerk, das es ist, dem Fach Südosteuropäische Geschichte, mit Blick auf das bisher durch die an ihm Beteiligten Erlangte ebenso wie mit Blick auf seine weitere Existenz. Regensburg, im Juli und November 2015 14
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren und ihrer Abkürzungen
A. D. A. Hd. A. He. A. Hei. A. I. A. M. A.M. Sch. A. Sch. A.T. B. N. C. H. D. B. D. M. D. R. E. H. E. K. E. T. E. Va. F. A. F. S. G. B. G. G. G. R. G. S. G. Sch. G. W. H. B. H. G. H. He. H. S. H. W. J.M. B. J. T.-S. K. B.
Andrea Despot (Berlin) Andreas Helmedach (Bochum) Armin Hetzer (Bremen) Armin Heinen (Aachen) Alojz Ivanišević (Wien) Andreas Moritsch † (Klagenfurt) Ana Mariá Schop (München) Angelika Schaser (Hamburg) Adalbert Toth † (München) Balázs Nagy (Budapest) Claudia Hopf (München) Dagmar Burkhart (Hamburg) Dietmar Müller (Leipzig) Drago Roksandić (Zagreb) Edgar Hösch (Würzburg) Ekkehard Kraft (Dossenheim) Emanuel Turczynski † (München) Eszter Varsa (Regensburg) Fikret Adanır (Istanbul) Flavius Solomon (Iași) Gyula Borbándi † (München) Gerhard Grimm † (München) Gustav Reingrabner (Zurndorf ) Gerhard Seewann (Pécs, München) Gottfried Schramm (Freiburg i. Br.) Gabriele Wolf (München) Henrik Birnbaum † (Los Angeles) Hansgerd Göckenjan † (Gießen) Harald Heppner (Graz) Holm Sundhaussen † (Berlin) Heinz Willemsen (Bielefeld) János M. Bak (Budapest) Jordanka Telbizova-Sack (Erfurt) Katrin Boeckh (Regensburg)
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Verzeichnis der Autorinnen und Autoren und ihrer Abkürzungen
K. Bu. K. C. K.-H. Sch. K. K. K. N. K.-P. T. K. R. Kr. Z. K. St. L. M. L. St. M. A. M.A. H. M. B. M. D. M. D. P. M. G. M. H. M. St. M. Sz.-J. M. U. N. M. N. P. N. R. O.J. Sch. P.M. K. P. B. N. St. S.M. Dž. S. T. St. G. St. I. St. T. T. H. Th. B. U. B. W. H. 16
Klaus Buchenau (Regensburg) Konrad Clewing (Regensburg) Karl-Heinz Schlarp (Dresden) Karl Kaser (Graz) Karl Nehring (München) Klaus-Peter Todt (Wiesbaden) Katrin Reemtsma † (Hamburg) Krista Zach (München) Klaus Steinke (Erlangen) Lothar Maier (Heidelberg) Ludwig Steindorff (Kiel) Meinolf Arens (München) Magarditsch A. Hatschikjan (Köln) Mathias Bernath † (Dießen) Martin Drüeke (Wuppertal) Max. D. Peyfuss (Wien) Monika Glettler (München) Mariana Hausleitner (Berlin) Manfred Stoy (Wien) Margit Szöllösi-Janze (München) Michael Ursinus (Heidelberg) Nataša Mišković (Basel) Nikolaj Poppetrov (Sofia) Norbert Reiter † (Berlin) Oliver Jens Schmitt (Wien) Peter Mario Kreuter (Regensburg) Peter Bartl (München) Nenad Stefanov (Berlin) Srećko M. Džaja (München) Silke Törpsch (Berlin) Stefan Gehrke (Berlin) Stefan Ihrig (Jerusalem) Stefan Troebst (Leipzig) Tessa Hofmann (Berlin) Thomas Bremer (Münster) Ulrich Büchsenschütz (Berlin) Wolfgang Höpken (Leipzig)
Allgemeines Abkürzungsverzeichnis
a. auch adm. administrativ AEMA Archivum Eurasiae Medii Aevi akad. akademisch alb. albanisch allg. allgemein antisem. antisemitisch arab. arabisch AT Altes Testament Bev. Bevölkerung Bez. Bezeichnung Bf. Bischof Bibl. mit Bibliographie BSOAS Bulletin of the School of Oriental and African Studies bulg. bulgarisch byz. byzantinisch bzw. beziehungsweise calv. calvinistisch demogr. demographisch demokr. demokratisch dt. deutsch E Einwohner E. Ersterwähnung Ebf. Erzbischof ehem. ehemalig Ehz. Erzherzog EI2 The Encyclopaedia of Islam. New Edition. Bd. 1- Leiden u. a. 1960ff. ethn. ethnisch ethnogr. ethnographisch ev. evangelisch evtl. eventuell faschist. Faschistisch FNZ Frühe Neuzeit frz. französisch Fsm. Fürstentum geogr. geographisch ges. gesellschaftlich gr. griechisch H. Hälfte H. Heft/Nummer (bei den Literaturangaben) habsb. habsburgisch
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Allgemeines Abkürzungsverzeichnis
HBK
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Historische Bücherkunde Südosteuropa. Hgg. M. Bernath/K. Nehring. Bd. I: Mittelalter, T.1-2; Bd. II: Neuzeit, T. 1. München 1978–1988. herzeg. herzegowinisch hist. historisch HZ Historische Zeitschrift ideolog. ideologisch i. d. R. in der Regel i. J. im Jahre industr. industriell internat. international i. S. im Sinne isl. islamisch it. italienisch J. Jahr jüd. jüdisch jug. jugoslawisch kath. katholisch kgl. königlich Kgr. Königreich komm. kommunistisch konf. konfessionell kons. konservativ konstit. konstitutionell KP Kommunistische Partei kroat. kroatisch lat. lateinisch lib. liberal luth. lutherisch MA Mittelalter ma. mittelalterlich magy. magyarisch mak. makedonisch milit. militärisch Mio. Million MIÖG Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung mold. moldauisch mont. montenegrinisch MÖStA Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs N Norden n. nördlich NO Nordosten NT Neues Testament NW Nordwesten nw. nordwestlich
Allgemeines Abkürzungsverzeichnis
nomad. nomadisch O Osten offiz. offiziell osm. osmanisch ö. östlich ökon. ökonomisch ON (pl. ONN) Ortsnamen ÖOH Österreichische Osthefte orth. orthodox österr. österreichisch parl. parlamentarisch pers. persisch Pl. Plural pol. politisch poln. polnisch provis. provisorisch PTF Philologiae Turcicae Fundamenta relig. religiös Rep. Republik revol. revolutionär rum. rumänisch russ. russisch s. siehe serb. serbisch siebenbürg. siebenbürgisch Sing. Singular slav. slavisch slowak. slowakisch slowen. slowenisch SO Südosten SOE Südosteuropa [München] SOE Südosteuropa soe. südosteuropäisch SOF Südost-Forschungen sowj. sowjetisch soz. sozial sozialdem. sozialdemokratisch sozialist. sozialistisch spez. spezifisch teilw. teilweise territ. territorial theol. theologisch trad. traditionell türk. türkisch u. und
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Allgemeines Abkürzungsverzeichnis
u. a. unter anderem; unter anderen; und andere ukr. ukrainisch ung. ungarisch v. von v. a. vor allem venez. venezianisch vlach. vlachisch w. westlich wirt. wirtschaftlich wiss. wissenschaftlich 1. Wk. Erster Weltkrieg 2. Wk. Zweiter Weltkrieg ZRVI Zbornik radova Vizantološkog instituta Zsfg. Zusammenfassung z. T. zum Teil zus. zusammen zw. zwischen z. Zt. zur Zeit
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Übersicht der Stichwörter
In dieses Verzeichnis sind die Stichwörter sowie Synonyme und Schreibvarianten zu einzelnen Stichwörtern aufgenommen. Zur Auffindung aller übrigen, nicht mit einem eigenen Lemma versehenen Gegenstände dient das Sachregister am Ende des Bandes. Absolutismus, Aufgeklärter Absolutismus Adel (Südosteuropa ohne Ungarn) Adel (Ungarn) Adrianopel, Friede von (14.9.1829) Aga Agrarreformen →Bodenreformen Ägypter, Ashkali Ajanen Akademie(n) Akçe Albaner Albanien (ab 1912) Aleviten Alföld Alphabet(e) Alphabetisierung Altgläubige Amselfeld →Kosovo polje Anabaptisten (Täufer) Anjou Annexionskrise (1908/09) Antisemitismus Antitrinitarier →Unitarier Arbeiter Archon Armatolen/Martolosen Armenier Aromunen Arpaden Aschkenasim Aseniden Athen Athos Attentat von Sarajevo
Aufklärung Ausgleich, österreichisch-ungarischer Ausgleich, ungarisch-kroatischer Austromarxismus Austroslawismus Autokephalie Awaren Bailo Balkan Balkanföderation Balkanforschung, Balkanologie Balkankriege (1912/13) Balkanpakt Ban, Banus Ban (Münze) Banat Banija Baranya Batschka Bauern (Frühe Neuzeit) Bauern (19./20. Jh.) Bauernaufstände (Frühe Neuzeit) Bauernaufstände (19./20. Jh.) Bauernbefreiung Befreiungskriege (nationale) Beg Beglerbeg →Beylerbeyi Bektaschi Belgrad Berat Bergbau (Mittelalter) Berliner Kongress, Präliminarfriede v. San Stefano
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Übersicht der Stichwörter
Bessarabien Bevölkerung Beylerbeyi Bilderstreit (Ikonoklasmus) Bildungswesen Blutrache Bodenrecht Bodenreformen Bogomilen Bogomoljci Bojaren Bosniaken Bosnien-Herzegowina Bosnische Kirche Bosnische Muslime (ethnoreligiöse Gruppe und Nation) Bratislava/Pressburg Bruderschaften (westkirchliche) Bruderschaften (islamische) →Derwische Bruderschaften (Sippe) →Stamm Buchdruck Budapest Bukarest Bukarest, Friedensschlüsse v. Bukowina Bulgaren Bulgarien (ab 1878) Bulgarisches Reich (Erstes, Zweites) Bunjewatzen Burgenland Bürgerkrieg (Griechenland) Bürgerkrieg (Jugoslawien) Bürgertum (Balkan) Bürgertum (hist. Ungarn) Burzenland Byzanz
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Calviner Çamen Čaršija Cetinje Četnici
Chazaren Chişinău Christianisierung Çiftlik Cisleithanien →Zisleithanien Cizye →Kopfsteuer COMECON →Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe Crnojevići Csángós Czernowitz Dahije Dakoromanismus Dakoslawen Dalmatien Dayton-Abkommen (1995) Defter Defterdar Deliorman Derbendci Derwische Despoten Deutsche (Mittelalter, Frühe Neuzeit) Deutscher Ritterorden Deutschland (19./20. Jh.) Devşirme →Knabenlese Dhimmī →Zimmi Diktaturen Dinar Diwan Dobrudscha Dodekanes Doge Domn →Hospodar Donaufürstentümer Donauschwaben Dönme Dorf, Dorfgemeinschaft (Balkan) Dorf, Dorfgemeinschaft (Ungarn) Dózsa-Aufstand Drachme
Übersicht der Stichwörter
Dracula Dualismus (Österreich-Ungarn) Dubrovnik/Ragusa Eiserne Garde Elite(n) Epirus Epochen Epos Erinnerungskultur Erster Weltkrieg →Weltkrieg, Erster Esnaf Ethnie, ethnische Gruppe ethnische Säuberung Ethnogenese Europäische Türkei Exarch Eyalet Faschismus Fetwa Feudalismus (Byzanz u. mittelalterlicher Balkan) Feudalismus (Osmanisches Reich) Feudalismus (Ungarn) Firman Forint Franziskaner Frau (gesellschaftliche Stellung) Frau (Osmanisches Reich) Frau (rechtliche Stellung) Freimaurer (Balkan) Freimaurer (Habsburgermonarchie, Ungarn) Freistädte, königliche Gagausen Gegenreformation Geheimbünde (Überblick) Geheimbünde (Griechenland) Genossenschaften Genozid →Völkermord
Gespan →Ispán Gespanschaft →Komitat Gewerkschaften Goldene Bulle Görz(-Gradisca) Gottschee Griechen, Hellenen Griechenland (ab 1821) griechisch-türkischer Krieg (1921/22) →Lausanne (Friede v., 1923), griechisch-türkischer Krieg (1921/22) Griechisches Projekt Großfamilie, komplexe Familienformen Großmährisches Reich Großwesir Guruş →Kurusch Haager Kriegsverbrechertribunal Habsburgermonarchie Haiduken Hamam Handwerker Harem Häresie Has Hattişerif Heerstraße, kaiserliche Heiliges Römisches Reich Heldenlied →Epos Herzegowina Hesychasmus Himara Historiographie (Mittelalter bis 19. Jh.) Historiographie (19./20. Jh.) Hitler-Stalin-Pakt →Ribbentrop-Molotov-Pakt Hlinka-Garde Hohe Pforte Hohenzollern-Sigmaringen Holocaust Horea-Aufstand Hospodar
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Übersicht der Stichwörter
Hum →Zahumlje Hunyadi Huzulen Iaşi Ikonoklasmus →Bilderstreit Ilinden (1903) Illyrische Provinzen Illyrismus Ilmiye Imam Imperialismus, Kolonialismus IMRO Industrialisierung Innerösterreich Ionische Inseln Irredentismus Islam, Muslime Islamisierung Ispán Istanbul →Konstantinopel/Istanbul Istrien Istrorumänen Ius Valachicum Jakobiner Janitscharen Jassen Jobagyen Josephinismus Juden (Überblick) Jugoslawien Jugoslawienkriege (1990er Jahre) →postjugoslawische Kriege Jugoslawismus Junge Muslime Junges Bosnien Jungtürken Jürüken
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Kadi Kaimakam
Kaiserreich von Nikäa Kaiserreich von Trapezunt Kalendersystem →Zeitrechnung, Kalendersystem Kalter Krieg Kantakuzenen Kanun Kanun des Leka Dukagjin Kapitalismus Kapitalistisches Weltsystem (FNZ) Kapitulationen Kapudan Pascha Karadjordjevići Karäer →Karaimen Karaimen Karakatsanen →Sarakatsanen Karaschowaner Karlowitz, Friede v. (1699) Karlsbader Beschlüsse Kärnten Karpato-Ukraine Katalanen Katholizismus Katun Kaufleute Kaza Kisalföld Kizilbaş →Aleviten Kleine Entente Kleine Walachei →Oltenien Klephten Klientelsystem Klokotnica Kmeten Knabenlese/Devşirme Knez Kolonen Kolonialismus →Imperialismus, Kolonialismus Kolonisation, Kolonistenrechte Kominform, Kominformkonflikt Komintern
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Komitadschi Komitat Kommunismus Komnenen Komplexe Familienformen →Großfamilie, komplexe Familienformen Königsboden Konstantinopel/Istanbul Konvertiten Kopfsteuer Kordun Korfu Korruption Kosovo Kosovo polje (1389, 1448) Krain Krajina Kreta Kreuzzüge Krim Krimkrieg Krimtataren Kroaten Kroatien (Mittelalter, Neuzeit) Kryptochristen Kryptojuden →Dönme Küçük Kaynarca, Friede v. (1774) Kulturgeographische Zonen (SOE) Kultusprotektorat Kumanen Kuna Kurusch Kuruzzen Küstendil →Velbužd Küstenland Laibach →Ljubljana/Laibach Landtag, kroatischer →Sabor Landtag, ungarischer →Országgyűlés Lateinerherrschaft Lateinisches Kaiserreich
Lateinisches Patriarchat →Patriarchat v. Konstantinopel Lausanne (Friede v., 1923), griechisch-türkischer Krieg (1921/22) Leibeigenschaft →Sklaverei, Leibeigenschaft Lek Lepanto Leu Lev Levante Levantiner Liberalismus Liga von Prizren Lika Lipowaner Littorale →Küstenland Ljubljana/Laibach Lutheraner Mačva Magnaten Magyaren Makedonien (Region) Makedonien (Republik) Makedonier Makedonische Frage Maniaten Maramureş Marica, Schlacht an der (1371) Martolosen →Armatolen/Martolosen Matica Medrese Meerengenfrage Megali Idea Meglenorumänen Metohija Migrationen Militärgrenze Millet Minderheiten (nationale/ethnische), Minderheitenschutz
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Miri Mistra Mlada Bosna →Junges Bosnien Modernisierung Mohács (1526) Moldau (Fürstentum) Moldau (Republik) Moldauer Mönchtum (orthodoxes) Mongolen Montenegriner Montenegro (ab 1852) Morea →Peloponnes Mülk Müschir →Vali Muslime →Islam/Muslime Nádor →Palatin Nahiye Narodna Odbrana →Vereinigung od. Tod Nation Nationalstaatenbildung Nationsbildung Nazarener NDH →Unabhängiger Staat Kroatien Nekrasovcy Nemanjiden Neoabsolutismus Neuilly-sur-Seine, Friede v. (1919) Neurussland Niederungarn niederungarische Bergstädte Nikäa →Kaiserreich v. Nikäa Nordepirus Nösnerland
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Oberungarn Obrenovići Ohrid, Erzbistum Ökumenisches Patriarchat →Patriarchat v. Konstantinopel Oltenien
Oltremare →Venezianisches Überseereich Omladina Oppidum Orden, katholische Organische Statute Orientalische Frage Orientalische Krise (1875–78) Országgyűlés Orthodoxie (und Nationalkirchen) Osmanen Osmanisches Reich Österreich-Ungarn Ostrumelien Pacta conventa Paläologen Palatin Pannonien Panslawismus Para Paris, Friede v. (1856) Pariser Vorortverträge Parlamentarismus Paröken Parteien (Albanien) Parteien (Bulgarien) Parteien (Griechenland) Parteien (Jugoslawien) Parteien (Rumänien) Parteien (Slowakei) Parteien (Ungarn) Partisanen Partium Pascha Paschaluk Passarowitz, Friede v. (1718) Patriarch Patriarchalismus Patriarchat von Konstantinopel Patriarchat von Peć Patronage →Klientelsystem Patronatsrecht
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Paulikianer Peleponnes Petrović Njegoš Petschenegen Pfeilkreuzler Phanar Phanarioten Philhellenismus Podgorica Poljica Pomaken Poporanismus →Populismus Populismus postjugoslawische Kriege (1991–95, 1998/99) Pragmatische Sanktion Prekmurje Pressburg →Bratislava/Pressburg Prishtina Pronoia Protobulgaren Raja →Reaya Raszien Räterepublik (Ungarn) Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) Reaya Rechtsgeschichte/Rechtskulturen Reformation Reformzeitalter (Ungarn) Regat Reiseberichte Reiternomaden Republik Serbische Krajina →Krajina Revisionismus Revolution v. 1848/49 (Donaufürstentümer) Revolution v. 1848/49 (Kroaten Revolution v. 1848/49 (Serben) Revolution v. 1848/49 (Siebenbürgen) Revolution v. 1848/49 (Slowaken) Revolution v. 1848/49 (Slowenen) Revolution v. 1848/49 (Ungarn)
RGW →Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe Rhodos Rhomäer Ribbentrop-Molotov-Pakt Rijeka Roma Rumänen Rumänien (ab 1861) Rumelien Russinen Russland, Sowjetunion Ruthenen Sabbatisten Sabor Sachsenboden →Königsboden Sachsen-Coburg-Koháry Sachsengraf Saint Germain-en-Laye, Friede v. (1919) Saloniki Sancak Sandschak v. Novi Pazar San Stefano, Präliminarfriede →Berliner Kongress, Präliminarfriede v. San Stefano Sarajevo Sarakatsanen Scharia Schejch ül-Islam Schisma Schokatzen Schopen →Šopi Schwäbische Türkei Schwarze Hand →Vereinigung oder Tod segmentäre Gesellschaft Selbstverwaltung (Jugoslawien) Sephardim Serail Serben Serbien (ab 1830) Serbisches Reich Severiner Banat
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Übersicht der Stichwörter
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Sèvres, Friede v. (1920) Shoah →Holocaust Sidschill Siebenbürgen Siebenbürger Sachsen Sklaverei, Leibeigenschaft Skopje Skupština Slavenapostel Slavische Landnahme Slawonien Slowakei (ab 1918) Slowaken Slowenen Slowenien (ab 1918) Sofia Šokci →Schokatzen Sonderburg-Glücksburg Šopen, Šopluk Sowjetunion →Russland, Sowjetunion Sozialismus Spahi Sporazum Sprachen, Balkansprachbund Sprachkodifizierung Srem/Srijem →Syrmien Stadt, Stadttypen (allgemein) Stadt, Stadttypen: Balkan, 19./20.Jh. Stadt, Stadttypen: Byzanz Stadt, Stadttypen: Dalmatien, Istrien Stadt, Stadttypen: osmanisch Stadt, Stadttypen: Kgr. Ungarn Stalinismus Stamm, Stammesgesellschaft Stände Steiermark Stephanskrone Stiftungen (islam.) →Vakuf Studentenmigration (Frühe Neuzeit u. 19. Jh.) Südosteuropa Südslaven
Südslavische Frage Sufismus →Derwische Sulioten Sultan Šumadija Synkretismus, religiöser Syntagma des Matthaios Blastares Syrmien Székler Széklerland Tahrir Defteri Tanzimat Tataren Täufer →Anabaptisten Themen Thessalien Thessaloniki →Saloniki Thrakien Timar Timok (Region) Tirana Torbeschen Transdanubien Transhumanz Transleithanien Transnistrien Trans(s)ilvanismus Transsylvanien →Siebenbürgen Trapezunt →Kaiserreich v. Trapezunt Trialismus (Österreich-Ungarn) Trianon, Friede v. (1920) Triestfrage Tripartitum Triplex confinium Trpimiriden Truman-Doktrin Tsakonen Tschetniks →Četnici Tschitschen Türken
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Türkenhilfe, Türkenfurcht, Türkengefahr, Türkensteuer Türkenkrieg(e) Turkvölker Ulema Umsiedlung →Zwangsmigration Unabhängiger Staat Kroatien Ungarische Landnahme Ungarische Tiefebene →Alföld Ungarischer Landtag/Reichstag →Országgyűlés Ungarn (Ethnie/Nation) →Magyaren Ungarn Unierte Unitarier Universitäten Urbanisierung Urbar(ialregulierung) USA →Vereinigte Staaten von Amerika Uskoken Ustaše Vajda Vakuf Vali Velbužd Venezianisches Überseereich Vereinigte Staaten von Amerika Vereinigung oder Tod Verfassungen Verkehr Vertreibung →Zwangsmigration Verwandtschaft, Netzwerke Vezir →Wesir Via Egnatia Vidovdan Vilayet Vlachen Vojvode Vojvodina
Volk →Ethnie, ethnische Gruppe Volksdemokratien Volksdeutsche Volkskultur Vormärz Walachei Walachen →Vlachen Warschauer Pakt Weltkrieg, Erster Weltkrieg, Zweiter Weltwirtschaftskrise Wesir Westungarn Wiener Schiedssprüche Wittelsbacher Wojwodina →Vojvodina Yürüken →Jürüken Zadruga →Großfamilie Zagorje, Hrvatsko Zagreb Zahumlje Zakonik Zbor Zeamet Zeitrechnung, Kalendersystem Zeta Zigeuner →Roma Zimmi Zinzaren →Aromunen Zips Zisleithanien Zsitvatorok, Friede von (1606) Župan Zwangsarbeit Zwangsmigration (19./20. Jh.) Zweiter Weltkrieg →Weltkrieg, Zweiter Zypern 29
Verzeichnis der Karten Karte 1: Physische Übersichtskarte (mit den aktuellen Staatsgrenzen) Karte 2: Südosteuropa um 900/920 Karte 3: Südosteuropa um 1200 Karte 4: Südosteuropa um 1475 Karte 5: Südosteuropa um 1570 Karte 6: Südosteuropa 1699 – 1718 – 1739 Karte 7: Südosteuropa nach 1815 Karten 8a und 8b: Südosteuropa vor und nach den Balkankriegen Karte 9: Südosteuropa 1918-1923 Karte 10: Südosteuropa 1945/47
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Karte 1
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Karte 2
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Karte 3
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Karte 4
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Karte 6
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Karte 8
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Karte 10
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Absolutismus, Aufgeklärter Absolutismus
Absolutismus, Aufgeklärter Absolutismus. Erst im 19. Jh. eingebürgerter Epochenbegriff für die sich Ende des 16., Anfang des 17. Jh.s herausbildende Regierungsform der Monarchie, in der dem Herrscher eine unumschränkte Machtfülle in Gesetzgebung u. Verwaltung zukommt u. die Ausübung seiner Herrschaft nicht durch Mitwirkungs- u. Kontrollbefugnisse anderer Organe (wie z. B. der →Stände) eingeschränkt wird. Die v. Jean Bodin in Frankreich, Thomas Hobbes in England u. Hugo Grotius in Holland entwickelten Lehren v. der Staatssouveränität, der Staatsräson (Macchiavelli) u. den absoluten Rechten des Herrschers bewirkten im allgemeinen eine Zentralisierung u. Bürokratisierung des Territorialstaates unter allmählicher Beseitigung der partikularistischen Macht der Stände (→Adel [Ungarn] u. Klerus). Für SOE sind in den Ländern, die zeitweise oder kontinuierlich zur →Habsburgermonarchie gehörten, zwei besondere Varianten des A. wirksam geworden, der konfessionelle A. des 17. u. der aufgeklärte A. des 18. Jh.s. Das v. Ks. Ferdinand II. um 1600 entwickelte System des konf. A. befreite die habs. Zentralgewalt aus ihrer reformationsbedingten Patt-Situation mit den – beinahe ausschließlich prot. gewordenen – Ständen. Die ab 1620 systematisch in die pol. Praxis (nach der Schlacht auf dem Weißen Berg zuerst in Böhmen, dann in den österr. Erbländern, zuletzt – jedoch nur sehr eingeschränkt – in →Ungarn) umgesetzte Auffassung, dass den Protestanten keine öffentlichen Rechte zustehen, wurde noch durch die theokratische Leitlinie unterstrichen, der zufolge die Protestanten nach Möglichkeit überhaupt keinen Platz in der Gesellschaft haben sollten. →Häresie wurde mit unzulässiger pol. Opposition gleichgesetzt, Katholizismus mit pol. Loyalität. Als pol. Grundeinstellung des Wiener Hofes setzte sich das Prinzip durch, dass relig. Einheit als Garant der pol. Einheit überall der Vorrang einzuräumen war. Träger des neuen Systems waren Klerus u. kath. Adel. Eines der wirksamsten u. daher am häufigsten praktizierten Mittel, Land für Land in dieses System einzubeziehen, war die Besetzung möglichst vieler Schlüsselpositionen des öffentlichen Lebens mit ausgewählten Vertrauenspersonen des Herrschers. Angesichts tiefgreifender, das ganze 17. Jh. dominierender Strukturmängel in der Staatsverwaltung, im Finanz- u. Steuersystem u. dadurch bedingt auch im Heerwesen, ist in der Habsburgermonarchie allerdings nur eine abgeschwächte Variante des A. zur Geltung gekommen. In diesem fragilen u. fragmentierten, bis zur →Pragmatischen Sanktion stets v. dynastischen Teilungen bedrohten u. dennoch nur durch die Dynastie zusammengehaltenem Konglomerat einzelner, kaum einander angeglichener Länder ist auch der konf. A. in manchen Lebensbereichen u. einzelnen Landesteilen eher ein Programm geblieben, als dass er tatsächlich flächendeckend in strukturverändernde Politik umgesetzt wurde, wie v. a. das Beispiel Ungarn u. der gescheiterte Versuch seines „Einrichtungswerkes“ v. 1689 zeigen. Augenscheinlich war der konf. A. kulturell erfolgreicher. Denn er hat sich im Verlauf des 17. Jh.s mit der Kultur des Barock als seine geistige wie architektonisch äußerst wirkungsvolle Erscheinungsform zu einer unauflösbaren Einheit verbunden, die weiten Teilen der Donaumonarchie erstmals eine unverwechselbare, vielfach bis heute sichtbare Identität verliehen hat. Hinter der glänzenden Fassade österr. Barockkultur verbargen sich die bereits angesprochenen strukturellen Schwächen, die sich in der Existenzkrise der Monarchie im Österreichischen Erbfolgekrieg offenbarten. Mit den Reformen Maria Theresias u. Josephs II.
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Absolutismus, Aufgeklärter Absolutismus / Adel (Südosteuropa ohne Ungarn)
(→Josephinismus) wurde das pol. System des konf. durch das des aufgeklärten A. abgelöst. Beide Herrscher suchten ihre Allianz mit der Kirche, dem Adel u. der Intelligenz aufrecht zu erhalten, dieser jedoch eine neue Stoßrichtung zu geben. An die Stelle konservativ-universalistischer Werte traten immer mehr solche aufgeklärt-rationalistischer Prägung. Durch die Realisierung der v. Merkantilisten, Physiokraten, Kameralisten u. Naturrechtsvertretern artikulierten Zielvorstellungen suchte der Herrscher den allgemeinen Wohlstand des Volkes zu erreichen u. verstand sich hierbei als erster Diener des v. ihm repräsentierten Staates. Der Spannungsbogen reichte nunmehr vom Toleranzpatent, das die Religionsfreiheit begründete, bis zum Versuch Josephs II., den Katholizismus als erstrangiges geistiges u. soziales Kohäsionselement der Dynastie u. Monarchie in reformierter, verstaatlichter Gestalt zu bewahren, um es mit den effizienzbedachten rationalistischen Strömungen seiner Zeit zu verbinden. Paternalismus als Grundelement des aufgeklärten A. u. Josephinismus als dessen spezifische Variante haben sich vielerorts zu einer geistigen Grundhaltung verfestigt u. die Habsburgermonarchie überdauert. Lit. (a. →Josephinismus): Gy. Képes, Az abszolút monarchia. Budapest 2011; Adel u. Politik in der Habsburgermonarchie u. den Nachbarländern zwischen Absolutismus u. Demokratie. Hg. T. Tönsmeyer. München 2011; Einrichtungswerk des Königreichs Ungarn (1688–1690). Hgg. J. Kalmár/J. Varga. Stuttgart 2010; Josephinismus als aufgeklärter Absolutismus. Hg. H. Reinalter. Wien u. a. 2008; Die Habsburgermonarchie 1620 bis 1740: Leistungen u. Grenzen des Absolutismusparadigmas. Hgg. P. Mat’a/Th. Winkelbauer. Stuttgart 2006; Crown, Church and Estates. Central European Politics in the Sixteenth and Seventeenth Centuries. Hg. R.J.W. Evans. London 1994; L. Bodi, Zur Problematik des Reformabsolutismus in der Habsburgermonarchie, Das achtzehnte Jahrhundert 16/2 (1992), 153–170; Enligthened Absolutism. Reform and Reformers in Later Eighteenth-Century Europe. Hg. H.M. Scott. London 1990; Österreich im Europa der Aufklärung. Kontinuität u. Zäsur in Europa zur Zeit Maria Theresias u. Josephs II. 2 Bde. Hg. R.G. Plaschka. Wien 1985; Österreich im Zeitalter des aufgeklärten Absolutismus. Hg. E. Zöllner. Wien 1983. G. S.
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Adel (Südosteuropa ohne Ungarn). A. u. adelige Führungsschichten spielten für längere Zeitabschnitte im engeren SOE keine besondere Rolle. Ausgenommen Byzanz u. das erste →Bulgarische Reich, wo sich seit dem 9. Jh. eine Aristokratie herauszuformen beginnt, setzt dieser Prozess in den Balkanländern erst im späten MA bzw. in der FNZ ein (→Feudalismus [Byzanz u. ma. Balkan]). Gleichzeitig werden die freien bäuerlichen Gemeinden (→Dorf, Dorfgemeinschaft) zurückgedrängt oder hören zu bestehen auf. Die Ausbreitung des Osm. Reichs hatte gewaltige ges. Umschichtungen zur Folge. Eine davon war der Untergang der zum Teil erst jüngst entstandenen adeligen Schichten. Der Hochadel wurde völlig eliminiert, große Teile des niederen A. traten in die Armee der osm. Herren ein, wo sie als →Spahis bald islamisiert wurden (a. →Islamisierung). Die meisten Balkanvölker wurden damit ihrer soz. u. pol. Eliten beraubt mit Ausnahme der gr. →Phanarioten, der rum. →Bojaren u. des A.s in Zivilkroatien. Die meisten Experten sind sich darin einig, dass im Rahmen des Osm.
Adel (Südosteuropa ohne Ungarn)
Reichs v. einem eigtl. A. analog zu dem in West- u. Zentraleuropa nicht die Rede sein kann (vgl. aber →Feudalismus [Osm. Reich] zu adelsähnlichen Strukturen bei musl. Albanern u. →Bosniaken). So spielte eigentlich nur in den lediglich indirekt osm. beherrschten rum. Gebieten (→Donaufürstentümer) der A. v. der FNZ bis zum 2. Wk. kontinuierlich eine gesellschaftsformende Rolle. – Die Einwanderung der Slaven im 6./7. Jh. (→Slavische Landnahme) wirkte sich nachhaltig auf die soz. Struktur des Byz. Reichs aus: Die alte Aristokratie des späten Röm. Reichs mit ihren umfangreichen Gütern u. zahlreichen →Kolonen verschwand; sie verlor durch die slavische Landnahme ihre ökon. Basis. In den folgenden etwa drei Jahrhunderten sollte der Kleingrundbesitz v. Bauern u. Stratioten (Wehrbauern, Soldaten) die Grundlage einer soz. relativ homogenen byz. Gesellschaft bilden. Seit dem 9. Jh. beginnt sich wieder eine grundbesitzende adelige Schicht auszuformen. Diese Schicht v. „Mächtigen“, die sich aus den obersten Rängen der Themenorganisation (→Themen) sowie aus den städtischen Spitzenbeamten u. hohen kirchl. Amtsträgern rekrutierte, konnte bereits im 10. Jh. ihre Güter auf Kosten der Kleinbauern, die bald in den Status v. wirt. abhängigen →Paröken sanken, rasch ausdehnen. Dieser Prozess trug entscheidend zur inneren Aushöhlung des Staates u. zu seinem vorübergehenden Verschwinden (1204–1261) bei (→Kreuzzüge). Nach seiner Wiedererrichtung erhielt die Aristokratie einen anderen Charakter. Kaiserliche, vorerst nicht erbliche Schenkungen (→Pronoia) an Land u. Paröken verpflichteten den Adeligen, Soldaten für die ksl. Armee auszurüsten. Aber die Entwicklung hin zum Eigentum konnte nicht verhindert werden. Dies führte langfristig zum Durchbrechen der staatl. Finanzhoheit, die im ausdrücklichen Verzicht auf bestimmte Steuern bei der Landvergabe mündete. Im Unterschied jedoch vom A. in Zentral- u. Westeuropa konnte der byz. offenbar keine lokalen Jurisdiktionsgewalten aufbauen, so dass die Abhängigkeit der Paröken auf eine ökon. begrenzt blieb. Unter den sich ansiedelnden u. sehr langsam sich formierenden südslav. Gesellschaften dauerte es einige Jahrhunderte, bis sich aus ihrer Mitte adelige Schichten herauskristallisierten. Einzig unter den slav.-bulg. Stämmen wurde die Entwicklung dadurch wesentlich beschleunigt, dass sich die turkotatarische (→protobulgarische) Herrscherschicht (der Chan u. die adeligen „Boilen“ oder „Bagainen“ – die späteren slav. „Bojaren“) seit dem 8./9. Jh. auf Kosten der freien slav. Dorfgemeinden Territorialherrschaften zu errichten vermochten. Was die Serben anbelangt, so werden für das 10. Jh. erstmals „Archonten“ (Fürsten; →Archon) an der Spitze einzelner vom Byz. Reich unabhängig werdender Teilgebiete erwähnt. Im 11. Jh. wird über eine Art Vasalleneid zw. Fürsten u. Adeligen berichtet. So scheint bereits in der Anfangsphase des spätma. serb. Feudalstaats (→Serb. Reich) eine adelige Schicht vorhanden gewesen zu sein, auf die sich die Zentralmacht hinsichtlich adm. u. militärischer Dienste stützen konnte. Sowohl der hohe als auch der niedere A. verfügte in Form der „Baština“ ein unbeschränktes u. erbliches Eigentums- u. Herrschaftsrecht über Güter mit hörigen Untertanen. Über die Geschichte wie auch die Herkunft des kroat. A.s hat sich ein bis in die Gegenwart andauernder polemischer Diskurs zw. Historikern entfaltet. Ljudmil Hauptmann hat dieser Diskussion durch seine Theorie, die kroat. adelige Führungsschicht sei möglicherweise iranischen Ursprungs u. habe in der Phase nach der Ansiedlung auf dem Balkan auch über
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Adel (Südosteuropa ohne Ungarn)
die Alpenslaven (Slowenen) geherrscht, entscheidenden Zündstoff verliehen. Die heutige kroat. Geschichtswissenschaft geht davon aus, dass sich eine adelige Schicht erst seit dem 11./12. Jh. auszubilden begann. Ursprünglich auf einen engen Bereich zw. Neretva u. Gvozd begrenzt, weitete sich der Einflussbereich des A. zw. dem 12. u. 15. Jh. auf alle kroat. Gebiete zw. Drau u. Adria aus. In dieser Zeit differenzierte sich der A. auch in einen höheren u. einen niederen aus; seine Strukturen als Stand (→Stände) stehen angesichts der staatsrechtl. Bindung u. familiärer Beziehungen des höheren A. im engen Zusammenhang mit den Strukturen des A. im engeren histor. Ungarn (→Adel [Ungarn]). Zu Beginn des 16. Jh.s standen etwa 850 bis 950 adelige Grundeigentümerfamilien 25.000 bis 30.000 abhängigen Bauernfamilien gegenüber. In den →Türkenkriegen verlor der kroat. A. in der sich ausbildenden →Militärgrenze jegliche Machtbasis. Die Ausdifferenzierung des A. wird gegen Ende des 16. Jh.s durch das Entstehen einer verarmten bauernadeligen Schicht, die zu Beginn des 19. Jh.s über 2.000 Familien umfasst (v. a. in der Mikroregion Turopolje: südl. v. Zagreb zw. Save im O u. Kupa im S: Plemenita općina Turopolje), abgeschlossen. Während sich unter der alb. Bev. zw. dem 12. u. 14. Jh. ein A. ausbildet (vgl. →Albaner), sind in den Fürstentümern Moldau u. Walachei Anfänge einer analogen Entwicklung erst im 14. Jh., belegt. In der →Walachei entwickelte sich die adelige Bojarenschicht offenbar aus den Dorfkonföderationen (→Dorf, Dorfgemeinschaft) heraus: Über im einzelnen nicht nachvollziehbare Prozesse wandelten sich einige Dorfvorstände in Bojaren, die lediglich im Auftrag des →Vojvoden die Abgaben einhoben, u. schließlich in Feudalherrn. In der →Moldau entwickelte sich die Bojarenschicht aus der Notwendigkeit heraus, das nach der Vertreibung der →Tataren verwüstete Land wiederzubesiedeln. Der mold. Vojvode übertrug mit dem Recht, Dörfer wiederzubesiedeln, einzelnen Großen auch das Recht auf territoriale Herrschaft über diese Dörfer. Um etwa 1600 war die territoriale Basis der Bojaren, das heißt die Herrschaft über ehemals unabhängige Dorfgemeinschaften, bereits stark ausgebildet. Die Bojaren waren Mitglieder der untergeordneten Dorfgemeinschaften u. übten gleichzeitig auch die Herrschaft über sie aus. Aus dem davon abgeleiteten Recht, Land der Dorfgemeinschaft zu roden u. zu kultivieren, gelang es den Bojaren zum Teil, riesige Allodialwirtschaften aufzubauen, die über erzwungene Robotleistungen der Dorfgemeinde bearbeitet wurden. Die Güter der mächtigsten Bojaren umfassten zw. 200 u. 300 Dörfer. Neben dieser starken Bojarenelite konnte sich nie eine ernsthafte politische Konkurrenz entfalten. So gelang es ihr, alle zaghaften Versuche einer Agrarreform überstehend, bis nach 1918 u. weitgehend bis zum 2. Wk. Land u. Bauern zu beherrschen (→Bauernbefreiung; →Bodenreformen).
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Lit.: M. Ivanović, Razvitak vojne službe kao osnov formiranja vlasteoskog sloja u srpskoj srednjovekovnoj državi, Vojno-istoriski glasnik (2014), H. 1, 30–48; N. Djuvara, Ce au fost boierii mari în Ţara Românească? Saga Grădiştenilor (secolele XVI– XX). Bucureşti 2010; C. C. Giurescu, Despre boieri şi despre rumâni. ebd. 2008; M. Andreis, Trogirsko plemstvo do kraja prve austrijske uprave u Dalmaciji (1805). Trogir 2006; M. Marković, Hrvatsko plemstvo, svećenstvo i redovništvo: njihova uloga u političkom, kulturnom i nacionalnom životu Hrvata. Zagreb 2003; Ž.Topalović, Sebri i vlastela: društveni poredak u staroj srpskoj državi. Beograd 2002; I.M. djordjević, Zidno slikarstvo srpske vlastele u doba Nemanjića. Beograd 1994; D. Spasić/A. Pa-
Adel (Ungarn)
lavestra/D. Mrdjenović, Rodoslovne tablice i grbovi srpskih dinastija i vlastele. Beograd 1991; The Byzantine Aristocracy, IX to XIII Centuries. Hg. M. Angold. Oxford 1984; H.H. Stahl, Traditional Romanian Village Communities. Cambridge 1980; G. Ostrogorski, O vizantijskom feudalizmu. Beograd o.J. [1969]; S.N. Lišev, Za genezia na feodalizma v Bălgarija. Sofija 1963; B. Grafenauer, Zgodnjefevdalna družbena struktura jugoslovanskih narodov in njen postanek, Zgodovinski časopis 14 (1960), 35–95; N. Klaić, Postanak plemstva „dvanaestero plemena kraljevine Hrvatske“, Historijski zbornik 11/12 (1958/59), 121–163; G. Ostrogorski, Pronoja. Prilog istoriji feudalizma u Vizantiji i u južnoslovenskim zemljama. Beograd 1951; L. Hauptmann, Podrijetlo hrvatskog plemstva, Rad JAZU 273 (1942), 79–112. K. K.
Adel (Ungarn). Obwohl erst im 14. Jh. (Dekret vom J. 1351) als juristisch einheitlicher Stand definiert (→Stände), entwickelte sich der ung. A. im 11.–13. Jh. aus mehreren Schichten der Großen: den Ältesten der landnehmenden Geschlechter (wohl mit den comites u. jobagione der frühen Gesetze identisch) gesellten sich bereits im 11. Jh. die aus dem Westen eingewanderten Ritter u. Adelige (die sog. advena-Sippen) hinzu. Im späteren 13. Jh. wurden dann die ehemals bewaffneten oder berittenen dienstleistenden Königsleute (servientes regis) immer öfter als nobiles betrachtet (noch 1222 bezog sich der Ausdruck nur auf die →Magnaten). Aus diesen Schichten entstand, im Zusammenhang mit der Umwandlung des kgl. Heeres, das allmählich die (westl.) ritterliche Kampfweise u. Ausrüstung übernahm, ein A.sstand, der sich seit 1351 als „una eademque nobilitas“ begriff, ungeachtet seiner nach Besitz u. ges. Stellung weit verschiedenen Mitglieder. Sich immer mehr v. den Nichtadeligen abgrenzend – →Ispán-Ämter an Nichtadelige zu vergeben wurde bereits 1290 untersagt –, sicherte sich der A. Freiheit v. kgl. u. kirchl. Abgaben u. von der untergeordneten Gerichtsbarkeit, ließ seine Kriegsdienstpflicht zeitlich begrenzen u. erwarb Gerichtsherrschaft über seine Hörigen (→Jobágyen). Kirchenpfründe waren fast ausschließlich dem A. vorbehalten. Ähnlich wie im benachbarten Polen wurde auch in Ungarn eine breite Schicht v. armen Freien zum A. gerechnet (im 15.–16. Jh. vielleicht 4-5 % der Bev.). Doch die vollen Rechte des A.s, die Mitsprache in Staatsangelegenheiten u. die Teilnahme am aktiven Militärdienst, blieben der zahlenmäßig geringen Schicht des im 17.–18. Jh. als bene possessionati bezeichneten mittleren A.s u. der Hocharistokratie vorbehalten. Sippenbesitz des A.s blieb bis ins 19. Jh. unveräußerlich, im Mannesstamm unbegrenzt vererbbar („Avitizität“, 1351 kodifiziert; →Goldene Bulle). Töchter erhielten ihr als „Viertel“ (quarta filialis) bezeichneten Anteil als Aussteuer in Geld, aber wenn sie (im Einvernehmen mit der Familie) einen Nichtadeligen heirateten, wurde ihnen Landbesitz überschrieben. De facto zählte dann der Ehemann, falls die adelige Gemeinschaft des →Komitats ihn aufnahm – als Mitglied des A.s. Einige Gruppen (z. B. solche in kirchl. Dienst, die sogenannten prediales, u., zumindest seit dem Spät-MA, die in →Siebenbürgen) besaßen bis Ende des alten Ungarn geringeren Status als die veri nobiles regni. Im 16.–18. Jh. verliehen die Habsburger den A. an viele Soldaten u. Staatsbeamten ung. u. ausländischer Herkunft. Durch seine ausschließliche Teilnahme an der lokalen (→Komitat) u. landesweiten Politik (→Országgyűlés) behielt der A. auch in der Neuzeit eine bedeutende Rolle, die teilweise bis ins 20. Jh. reichte. Die Reformen des Vormärz (→Reformzeitalter),
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Adel (Ungarn) / Adrianopel, Friede von (14.9.1829)
die →Revolution von 1848 u. auch Regierung u. Parlament nach 1867 zur Zeit des →Dualismus wurden weiterhin größtenteils vom A. getragen. („Bürgerliche“ Minister blieben bis in die 1930er Jahre eine Seltenheit.) Der ung. Offiziers- u. Beamtenstand der Doppelmonarchie rekrutierte sich aus dem verarmten A., der als „Gentry“ (s. a. →Bürgertum, Ungarn) bis 1945 ges. u. pol. einflussreich blieb. 1946 wurden alle A.stitel abgeschafft u. viele Mitglieder des A.s, die nicht emigriert waren, wurden unter der komm. Herrschaft benachteiligt, ja verfolgt (Ausschluss aus höheren Schulen, Vertreibung aus den Städten, Arbeitslager für „Klassenfremde“ usw.). Lit. (a. →Feudalismus, Ungarn): A. Vári/J. Pál/St. Brakensiek, Herrschaft an der Grenze. Mikrogeschichte der Macht im östlichen Ungarn im 18. Jh. Köln u. a. 2014; Adelsgeschichte als Elitenforschung. Hgg. M. Řezník/L. Velek. München 2012; Adel u. Politik in der Habsburgermonarchie u. den Nachbarländern zwischen Absolutismus u. Demokratie. Hgg. T. Tönsmeyer/L. Velek. München 2010; A. Vári, Herren u. Landwirte. Ungarische Aristokraten u. Agrarier auf dem Weg in die Moderne (1821–1910). Wiesbaden 2008; J.M. Bak, La noblesse en Europe centrale au moyen âge et au début de l’époque moderne, in: La noblesse dans les teritoires angevins à la fin du moyen âge. Actes du colloque international organisé par l’Université d’Angers. Hgg. N Coulet/J.-M. Matz. Rome 2000, 149–158; M. Rady, Nobility, Land and Service in Medieval Hungary. Basingstoke u. a. 2000; Nobilities in Central and Eastern Europe: Kinship, Property, Privilege. Hg. J.M. Bak. Budapest 1994; E. Fügedi, The Aristocracy in Hungary, in: ders., Kings, Bishops, Nobles and Burghers in Medieval Hungary. London 1986, Kap. IV; F. Maksay, Les pays de la noblesse nombreuse, in: Études historiques hongroises. Budapest 1980, Bd. 1, 167–92. J.M. B.
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Adrianopel, Friede von (14.9.1829). Der F. v. A. (türk. Edirne, bulg. Odrin) brachte den Abschluss des Krieges 1828/1829 zw. →Russland u. dem Osm. Reich (→Türkenkriege) u. war Ergebnis einer unter Nikolaus I. wieder aufgenommenen aktiven Balkanpolitik →Russlands, nachdem durch den gr. Aufstand 1821 (→Befreiungskriege) das innere Gefüge des Osm. Reiches in Bewegung geraten war (a. →Orientalische Frage). Die Vorgeschichte des Friedens bildete die auf ein russ. Ultimatum hin zustande gekommene Konvention von Akkerman (heute: Bilhorod Dnistrovs’kyj/Ukraine) vom 7.10.1826. Die Pforte bestätigte hierin die Freiheit u. den Schutz der russ. Handelsschiffahrt in den osm. Gewässern einschließlich der Meerengen (→Meerengenfrage) u. die Beachtung der Autonomie der →Donaufürstentümer sowie →Serbiens. Ein Zusatzvertrag über erstere regelte deren 1802 festgelegten Status (Wahl u. Amtszeit der Fürsten, Fixierung des jährlichen Tributs u. a.). Neu war die Möglichkeit für deren Bewohner, freien Außenhandel zu treiben; das osm. Handelsmonopol bestand nun nur noch für die zur Versorgung der Hauptstadt Istanbul zu liefernden Produkte. Russland verschaffte sich pol. Einfluss in den Fürstentümern durch ein Beschwerderecht der Fürsten u. →Bojaren beim russ. Botschafter in Istanbul sowie bei seinen Konsuln in →Bukarest u. -Iaşi. Ein Zusatzvertrag über Serbien verpflichtete Istanbul zur Durchführung des Art. VIII des Vertrages von →Bukarest (1812) (selbständige Regelung der „inneren Angelegenheiten“) u. zur Rückgabe der zwischenzeitlich osm. wiederbesetzten Gebiete (der „sechs Distrikte“, die während des 1. serb. Aufstands befreit worden waren) an das entstehende Fsm. Serbien.
Adrianopel, Friede von (14.9.1829) / Aga
Der gr. Aufstand ab 1821 hatte in der Konvention v. Akkerman hingegen keine Erwähnung gefunden, obwohl er bereits auf einen Höhepunkt zutrieb (→Griechenland). Auf die osm. Kündigung der Konvention (1827) u. die Schließung der Meerengen hin hatte Russland den Krieg eröffnet (26.4.1828) u. erzwang den F. v. A. Dieser nahm den Inhalt der Konvention u. davorliegender Verträge auf: Handels- u. Schiffahrtsfreiheit für russ. Untertanen, Konsulargerichtsbarkeit, Autonomie der Donaufürstentümer u. Serbiens. Hinzu kamen: in Friedenszeiten freie Passage der Meerengen auch für Handelsschiffe der anderen Staaten, Zusicherung einer Autonomie für die Griechen dadurch, dass die Pforte dem engl.-russ.-frz. Vertrag von London u. dem Londoner Protokoll v. 1829 beitritt. Die Autonomie der Donaufürstentümer wurde unter Garantie Russlands gestellt, das damit zur „Protektoratsmacht“ wurde, u. in einem Zusatzvertrag erweitert: Ausdehnung der Amtszeit der Fürsten auf Lebenszeit; völlige Abschaffung des osm. Handelsmonopols; Abtretung der osm. Brückenköpfe links der Donau (Giurgiu, Turnu Măgurele und Brailă) an die Walachei, Beibehaltung der während des Krieges unter russ. Besatzung errichteten Verwaltung. Die Zugehörigkeit zum Osm. Reich bestand fortan nur noch in der Tributzahlung u. in der Bestätigung des Amtsantritts der Fürsten. An Russland hatte das Osm. Reich Gebiete im Kaukasus sowie das Donaudelta, mit dem südl. (St. Georgs-) Mündungsarm als neuer Grenze, abzutreten. Quellen u. Lit.: V.N. Račeva, Ruskata preselničeska politika, bălgarite i Odrinskijat mir ot 2 septemvri 1829 g., Godišnik na Sofijskija univerzitet „Sv. Kliment Ohridski“. Istoričeski fakultet 100 (2012), 174–239; Vnešnjaja politika Rossii XIX i načala XX veka. Serie 2. Bd. 6 Moskva 1985, Nr. 224–226 (frz. u. russ. Text der Konvention u. Zusatzverträge v. Akkerman); Bd. 8, Nr. 103 u. 104 (Vertrag v. Adrianopel u. Zusatzvertrag); V.I. Šeremet, Turcija i Adrianopol’skij mir 1829. Moskva 1975. E. V.
Aga (türk. ağa). Ehrenbezeichnung u. Titel nicht-türk. Ursprungs; im Türk. erst seit der Mongolenzeit belegt (→Mongolen). Besonders in der Familie bezeichnet A. den Älteren; als ağabey „älterer Bruder“ u. als achtungsvolle Anrede bei Nicht-Verwandtschaft noch heute gebräuchlich. Im Osm. Reich ist A. als Titel für Angehörige der sog. kapu kulları (türk. „Sklaven der Pforte“) verwendet worden, d. h. die Palast- u. Militärsklaven meist christl. Herkunft. Zu den höchstrangigen A. gehörten der Oberkommandierende der →Janitscharen, die als kapu ağası u. kızlar ağası bekannten Obereunuchen sowie weitere leitende Palastbeamte der Reichshauptstadt. A. u. Eunuch wurden hier manchmal als Synonyme verstanden, während die Bezeichnung A. in den Provinzen vielfach auf einen Angehörigen der Janitscharentruppe oder einen Janitscharen-Nachkommen hindeutet, im Unterschied zu Mitgliedern der Kavallerie-Regimenter (→Spahi). Lit.: H. Bowen, Agha, in: EI2 (Bibl.); M. Kunt, The Sultan’s Servants. The Transformation of Ottoman Provincial Government, 1550–1650. New York 1983; G. Doerfer, Türkische u. mongolische Elemente im Neupersischen. Bd. 1. Wiesbaden 1963, 133–140. M. U.
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Ägypter, Ashkali
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Ägypter, Ashkali. Ä. (a. Balkanägypter; alb. Pl. Egjiptianë, mak. Gjupci, serb. Egipćani) u. A. (alb. Pl. Ashkalinj, a. Hashkalinj, serb. Aškalije) sind zwei von unterschiedlichen Identitätskonzepten u. Gruppenbildungsprozessen getragene ethnische Kleingruppen, die sich seit Ende des 20. Jh.s in Makedonien, Kosovo u. in geringerem Maß in Albanien herausgebildet haben (die Ä.), bzw. fast nur in Kosovo (die A.). Beide Gruppen entstammen einem weitgehend gemeinsamen ethnokulturellen Milieu mit fünf Hauptcharakteristika: 1. eine in der Fremd- u. Eigenwahrnehmung wichtige überwiegende dunklere Hautfärbung, 2. trad. Sesshaftigkeit, 3. das Albanische als Erstsprache, 4. die musl. Religionszugehörigkeit u. 5. in der Eigenwahrnehmung eine weitgehende Übereinstimmung der eigenen Sitten u. Gebräuche mit denen der Albaner. Angesichts des ersten Charakteristikums u. wegen häufiger sozioökon. Randständigkeit bzw. Armut werden Ä. u. A. von der Mehrheitsgesellschaft in der Regel als Teilgruppe der →Roma begriffen. Ähnlicher Auffassung ist auch die Mehrzahl der in der gleichen Region ethnokulturell organisierten Roma. Von Ä. u. A. wird diese Zuordnung einhellig abgelehnt. Dagegen reklamieren auf der inzwischen institutionalisierten Eigenvertretungsebene die Ä. die A. als „unter falschem Namen“ firmierenden Teil der Ä., während die A. sich auf dieser Ebene klar v. den Ä. abgrenzen. Auf der Zielgruppenebene der Angehörigen des besagten ethnokult. Milieus hingegen existieren in Kosovo neben bewusster Abgrenzung z. T. fluide Übergänge, im Zuge derer beide Identitäten als miteinander vereinbare u. gleichwertige Richtungen innerhalb einer übergreifenden Gemeinschaft verstanden werden. Mitgestützt wird die 1990 begonnene identitäre Positionierung der Ä. als ethn. Gruppe durch eine lange Tradition v. Fremd- u. teilweise auch Eigenbezeichnungen für „Zigeuner“, die etymologisch auf Ägypten verweisen (ähnlich wie auch in diversen westeurop. Sprachen: etwa engl. gipsies, frz. gitans, spanisch gitanos). Dabei nehmen diese Bezeichnungen in einigen Balkansprachen (im Singular alb.: magjup/magjyp [Makedonien, Kosovo, Nordalbanien]; bulg. giopt, agupt) aber im Unterschied zu Westeuropa vorrangig Bezug auf das besagte soziokulturelle Milieu (bzw. mit den agupti auf sein in den Rhodopen beheimatetes u. ebenfalls durch isl. Glaubenszugehörigkeit mitdefiniertes bulg.- oder türkischsprachiges Äquivalent). Dieser Aspekt ist zwar weiter zu differenzieren, da die besagten Termini in einem Teil v. Albanien (jevg [bes. Mittelalbanien] oder evgjit [Südalbanien]) auch für alle von der Mehrheitsgesellschaft als „Roma“ Wahrgenommenen gelten können u. da im gr. Fall die Entsprechung γύφτος synonym zu „Zigeuner“ steht u. explizit pejorativ konnotiert ist. Im kosovarischen u. maked. Kerngebiet der modernen Ä. u. A. wurde deren jeweilige jüngste ethnopolit. Herausbildung aber durch jene Tradition erleichtert, seitens der sie umgebenden Mehrheit zumindest teilweise partiell u. abgehoben v. den romanessprachigen Roma (alb. Sing. gabel) wahrgenommen zu werden. Hinzu kommen diverse trad., wenn auch eher vage, mündlich tradierte Herkunftsbezüge auf Ägypten unter den Ä. Die nicht zuletzt gegenüber den Roma differenzierende Relevanz dieser Herkunftsvorstellung für die anschließende Identitätsbildung der Ä. als gesonderter Gruppe wird dadurch nicht geschmälert, dass hist. betrachtet bis zum späten 18. Jh. in Europa auch für die Roma/„Zigeuner“ fast durchgängig eine vermeintliche Herkunft aus Ägypten angenommen wurde. Abgesehen v. eventuellen, bislang nicht näher nachgewiesenen Bestrebungen Einzelner, sich bereits in den jug. Volkszählungen v. 1971 u. 1981 mit einer damals staatlich nicht anerkann-
Ägypter, Ashkali
ten Kategorie als Ä. auszuweisen, erfolgte die erstmalige Gruppendefinition der Ä. 1990 (in Makedonien u. Kosovo) im Vorfeld der Volkszählung v. 1991 u. die der A. im Gefolge des Kosovokrieges (→Kosovo; →postjugoslawische Kriege) 1998/99. Angesichts der vorherigen, insbesondere auch im Zuge der jug. Volkszählungen wohl klar überwiegenden Selbstdefinition der meisten Angehörigen ihres ethnokult. Milieus als Albaner handelte es sich in beiden Fällen in der Eigenwahrnehmung a priori um ein Herauswachsen aus deren erweiterter Gruppe, während in der rassistisch gefärbten Außenwahrnehmung dadurch eine Differenzierung innerhalb einer vermeintlich übergreifenden „Roma“-Identität vorgenommen worden sein mag. In der internat. Forschung wird die Herausbildung beider Gruppenidentitäten vorrangig unter dem Gesichtspunkt einer Reaktion auf Antiziganismus in der Mehrheitsgesellschaft u. auf anderweitigen ethnopolit. Druck erklärt. Bei den kosovarischen A. liegt dieser Konnex mit dem plötzlichen Einsetzen der Eigengruppenbildung auch auf der Hand. Denn in den Kriegs- u. Nachkriegswochen von 1999 differenzierten wichtige gewaltbereite Teile der bei Kriegsende ins Land zurückströmenden alb. Bev. u. der Bewaffneten aus dem Umfeld der „Nationalen Befreiungsarmee des Kosovo“ (UÇK) in keiner Weise zw. den unter Pauschalverdacht der „Kollaboration“ mit den serb. Einheiten stehenden Roma u. den Ä. bzw. den sich bis dahin als Albaner verstehenden A., was die nackte Existenz der einen wie der anderen bedrohte. Die daraufhin als ethn. Minderheit entstehenden A., die bis zu jener Zeit überwiegend in den alb. Parallelinstitutionen des Kosovo mitgewirkt hatten, wurden also gewaltsam der Möglichkeit ihrer bis dahin eingenommenen Selbstpositionierung als Teilgruppe der Albaner beraubt; die alb. Gewalttäter u. sonstigen Druck Ausübenden hatten neben materiellen Motiven klar antiziganistische Beweggründe. In der weiteren Folge ist die Herausbildung der A. aber nicht auf eine bloße Reaktion auf Vorurteile seitens der Mehrheitsbev. zu reduzieren, sondern auch als eine teils selbstbestimmte u. den eigenen Spielraum steigernde Aktion zur Verbesserung der gruppenbezogenen u. hinsichtlich ihrer Elite auch indiv. Positionierung im Gefüge der sozial u. politisch ethn. strukturierten Realverfassung des Kosovo. Die unter den A. im wesentlichen 1999 in Kosovo u. in der Diaspora einsetzende dezidierte Neupositionierung als eigene →Ethnie (eine erste Vereinsgründung in Serbien 1998 erfolgte wohl auch schon unter dem Eindruck der Gewalteskalation der ersten Runde des Kosovokrieges) hatte angesichts der Gewalterfahrung den doppelten Zweck, einerseits die in der ges. Praxis erfolglose Selbstverortung als Albaner durch eine eigenständige Positionierung zu ersetzen (die zugleich immer noch eine ethnopolit. Nähe zur alb. Umgebung betonbar machte), u. andererseits die bereits vor 1999 vorhandene, nun aber noch gesteigert erwünschte Abgrenzung zu den akut bedrängten Roma so sichtbar zu machen wie möglich. Die Bezeichnung „Ashkali“ hatte im östl. Kosovo (sowie im Preševo-Gebiet) Tradition u. wurde nun neu belebt u. inhaltlich aufgeladen. Die heutigen A. sind auch fast sämtlich in der Osthälfte des Kosovo sowie im Raum Prizren beheimatet, die Ä. Kosovos im Westen (vgl. als Verteilungsbeispiel →Prishtina). Weniger bedeutsam war Antiziganismus für die ein knappes Jahrzehnt zuvor (1990) begonnene Gruppenbildung der Ä. Wenngleich es glaubwürdige Zeugnisse dafür gibt, dass Fremdzuordnungen als „Roma“ durch die alb. antiserbische Dissidenz unter Ibrahim Rugova eine Rolle für die Selbstabgrenzung als Ä. spielten, waren die bedrängte ethnopol.
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Ägypter, Ashkali / Ajanen
Lage der kosov. u. maked. Albaner sowie die Anreize durch serb. u. maked. Behörden wohl Hauptanstoß zur Bildung der neuen ethn. Gruppe. Die in Kosovo herausgebildeten Ä. nahmen im weiteren nicht am alb. Schattenstaat der 1990er Jahre teil (→Kosovo) u. hatten in ihrer Spitze eine gewisse Nähe zur serb. Regierung, die sich u. a. 1999 in der Beteiligung an der serb. Delegation in Rambouillet manifestierte. Die ägypt. u. a. Eliten haben direkt mit Beginn der jeweiligen Gruppenbildung in die Spätantike reichende Herkunftsmythen konstruiert – der eine nach Ägypten, der andere ins spätantike Persien weisend. Mangels Quellen lassen sich diese ebensowenig beweisen wie widerlegen, was auf den heutigen Stand nicht minder für die v. der Umgebung angenommene Roma-Herkunft von Ä. u. A. gilt. In Kosovo sind beide als gesonderte Gruppen minderheitenrechtlich anerkannt u. vertreten, wobei sie in manchem zugleich – wie auch schon v. der Internat. Gemeinschaft – in eine Sammelgruppe v. „Roma, Ashkali u. Ägyptern“ zusammengefasst werden. Jenseits des 1. Merkmals des eingangs definierten ethnokult. Milieus gibt es dafür keinen inhaltlichen Grund, so dass diese Zusammenführung bedenklich ist. Die Gruppenbildung wird seit 1999 behördlicherseits v. a. im multiethnischen Politikgefüge des Kosovo gefördert, wodurch dieses inzwischen ausweislich der Volkszählungsdaten das Kernland beider ethn. Gruppen geworden ist. Beim maked. Zensus v. 1991 erklärten 3.307 Personen eine Identität als Ä., bei dem v. 1994 dann 3.169. Als Ä. deklarierten sich laut den jeweils letzten amtlich verfügbaren Zahlen in Serbien (2011) 1.834 (gegenüber 814 i. J. 2002), in Albanien (2011) 3.368, in Makedonien (2002) 3.713, in Kosovo (2011) 11.524. Für die A. lauten die Ziffern v. 2011: 997 (Serbien, gegenüber 584 i. J. 2002) u. 15.436 (Kosovo). Lit.: C. Lichnofsky, Ashkali and Egyptians in Kosovo – new ethnic identifications as a result of exclusion during nationalist violence from 1990 till 2010, Romani Studies 23 (2013), H. 1, 29–59; dies., Identifizierungsprozesse muslimischer Nicht-Albaner im Kosovo u. ihre Strategien der politischen u. sozialen Verortung seit 1999. Das Beispiel der Ashkali, Südosteuropäische Hefte 1 (2012), H. 1, 57–71; S. Trubeta, Balkan Egyptians and Gypsy/Roma Discourse, Nationalities Papers 33 (2005), H. 1, 71–91; G. Duijzings, Die Erschaffung von Ägyptern in Kosovo u. Makedonien, in: Umstrittene Identitäten. Ethnizität u. Nationalität in Südosteuropa. Hg. U. Brunnbauer. Frankfurt/M. u. a. 2002, 123–148; E. Marushiakova u. a., Identity Formation among Minorities in the Balkans: The cases of Roms, Egyptians and Ashkali in Kosovo. Sofia 2001; dies./V. Popov, New ethnic identities in the Balkans: the case of the Egyptians, Facta Universitatis, Philosophy and Sociology 2 (2001), H. 8, 465–477. K. C.
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Ajanen (von arab. a‘yān, Pl. von ‘ayn – „Auge, Quelle“). Bezeichnung für die Notabeln einer Stadt oder eines Bezirks (ayan-i vilayet) im Osm. Reich. Bis Ende des 17. Jh.s waren die A. eine heterogene Gruppe v. Einzelpersonen, die unabhängig voneinander Aufgaben im Militär- u. Verwaltungsbereich wahrnahmen. In der zweiten H. des 17. Jh.s, als sich bei den Zentralbehörden deutliche Anzeichen des Verfalls bemerkbar machten, kam es zu gemeinsamen Aktionen der A., um Ordnung u. Sicherheit in der Provinz aufrecht zu erhalten. Diese
Ajanen / Akademie(n)
Aktionen geschahen zunächst auf eigene Initiative, durch die sich die A. aber bei der Zentralverwaltung so unentbehrlich machten, dass sie v. ihr direkt mit bestimmten Aufgaben (vor allem bei der außerordentlichen Besteuerung u. im Sicherheitsbereich) betraut wurden. Bei der Vielzahl der A. konnte es nicht ausbleiben, dass manche ihre Macht missbrauchten u. sich auf Kosten der Bevölkerung bereicherten. Zu Beginn des 18. Jh.s gingen deshalb die Bestrebungen des Staates u. der Steuerzahler dahin, in jedem Gerichtsbezirk nur eine Person mit den Aufgaben des A. zu betrauen. So entstand die Institution des Ayanlık. Der A. wurde zu einem v. der Zentralregierung legitimierten Verwaltungsfunktionär, der zunächst in seinem Zuständigkeitsbereich gewählt wurde. Im Laufe des 18. Jh.s versuchten einzelne A., das Amt in ihrer Familie erblich zu machen u. die Macht im lokalen Bereich an sich zu reißen. Es kam zu erbitterten Kämpfen um das A.-Amt, über das die Zentralregierung zunehmend die Kontrolle verlor. Erst durch die Reformsultane Selim III. (1789–1807) u. Mahmud II. (1808–1839) konnten die Macht der A. geschwächt, diese schließlich ausgeschaltet u. die Autorität der Zentralregierung in der Provinz wiederhergestellt werden (a. →Tanzimat). Besonders heftigen Widerstand gegen die Abschaffung des A.-Amtes gab es dabei in →Bosnien-Herzegowina (Rebellion des Husein-kapetan Gradaščević 1830/31). Lit.: Y. Nagata, Ayan in Anatolia and the Balkans during the Eighteenth and Nineteenth Centuries: A Case Study of the Karaosmanoğlu Family, in: The Provincial Elites in the Ottoman Empire. Hg. A. Anastasopoulos. Iraklio 2005, 269–294; H. Kamberović, Husein-kapetan Gradaščević (1802–1834). Biografija. Za dvjestotu godišnjicu rodjenja. Gradačac 2002; B. McGowan, The Age of the Ayans, 1699–1812, in: An Economic and Social History of the Ottoman Empire. Hgg. S. Faroqhi u. a. Bd.2: 1600–1914. Cambridge 1994, 637–758 [2. Aufl. 2004]; Y. Özkaya, Osmanlı İmparatorluğu’nda Âyânlık. Ankara 1994; A. Sućeska, Bedeutung u. Entwicklung des Begriffes A‘yan im Osmanischen Reich, SOF 25 (1966), 3–26; ders., Ajani. Prilog proučavanju lokalne vlasti u našim zemljama za vrijeme Turaka. Sarajevo 1965. P. B.
Akademie(n) (v. akademia, ein Hain in der Nähe Athens, dem attischen Helden Akademos geweiht; dann Name der platonischen Denkerschule, die von 387 v.Chr. bis ins 6. Jh. hinein bestand). Seit der Renaissance wurde die Bezeichnung „A.“ für unterschiedliche künstlerische u. wissenschaftliche Vereinigungen verwandt. Da der Name bis zur Gegenwart nicht geschützt ist, gab (u. gibt) es überall eine Vielzahl von A. Im Verlauf der →Nations- u. →Nationalstaatenbildung entstanden in allen soe. Ländern während des 19. oder 20. Jh.s „A. der Wissenschaften u. Künste“ als zentrale staatliche Institutionen zur Förderung der Nationalkultur, des wissenschaftlichen Fortschritts u. des nationalen Prestiges. Sie lösten die seit dem 16. Jh. vereinzelt gegründeten, oft nur kurzlebigen Akademien zur Pflege der Literatur (z. B. „Accademia dei Concordi“ in Dubrovnik/Ragusa, „Academia degli Animosi“ in Zadar, „Academia Operosorum“ in Laibach/Ljubljana, „Academia Vasiliene“ in Iaşi, „A. vom hl. Sava“ in Bukarest u. a.) sowie die zeitweiligen fürstlichen A. (z. B. in der Walachei u. Moldau, gegr. 1583 resp. 1563) oder privaten Gelehrtengesellschaften (darunter die 1795 geplante u. sofort verbotene „Philosophische Gesellschaft des rumänischen Volkes im
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Akademie(n)
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Großfürstentum Siebenbürgen“, die von 1810–12 bestehende „Literarische griechisch-dakische Gesellschaft“ in Bukarest, die „Literarische Gesellschaft“ in Kronstadt etc. ab. Zum gescheiterten Versuch einer an der Aufklärung orientierten orth. A. auf dem →Athos s. dort. Die an west- u. mitteleurop. Vorbilder angelehnten modernen A. spielten eine wichtige Rolle bei der Ausformung der nationalkult. Identität durch Herausgabe v. hist. Quellensammlungen, Wörterbüchern, Enzyklopädien etc.; sie gliedern sich i.d.R. in eine mathematisch-naturwiss. u. eine philosophisch-hist. Klasse. Man unterscheidet ordentliche, korrespondierende u. Ehren-Mitglieder, deren Zahl u. Ernennung zumeist durch ein Statut geregelt ist. An der Spitze steht der Präsident der A. Zu den Aufgaben der A. gehören regelmäßige nicht-öffentl. Sitzungen, die Betreuung langfristiger wiss. Unternehmungen, die Publikation v. Forschungsergebnissen (in Form v. Sitzungsberichten, Abhandlungen u. Jahrbüchern) sowie die Pflege der Beziehungen zu wiss. Einrichtungen im In- u. Ausland. 1825 stiftete der ung. Graf István Széchenyi das Kapital für eine Gelehrte Gesellschaft in Pest, die zunächst v. a. dem Ziel diente, die magy. Sprache u. Kultur zu fördern. Aus dieser Gesellschaft ging später die moderne Ungarische A. (Magyar Tudományos Akadémia) hervor. 1842 wurde in Belgrad die Gesellschaft für serbische Gelehrsamkeit (Družstvo srbske slovesnosti; 1864 umbenannt in Srbsko učeno društvo) eröffnet, die 1892 in der sechs Jahre zuvor gegründeten Kgl. Serbischen A. der Wissenschaften (Kraljevsko-srpska Akademija nauka) aufging. Im Kgr. Kroatien entstand 1866 in Zagreb nach längeren Vorbereitungen u. dank der Initiative des Bischofs Josip Juraj Strossmayer die Jugoslawische A. der Wissenschaften u. Künste (Jugoslavenska akademija znanosti i umjetnosti), die sich v. a. unter ihrem ersten Präsidenten Franjo Rački der Förderung des südslav. Einigungsgedankens →Jugoslawismus) verschrieb. Zur gleichen Zeit wurde in den vereinigten Donaufürstentümern die rumänische Akademische Gesellschaft (Societatea Academic Română) ins Leben gerufen, die sich seit 1879 als Rumänische A. (Academia Română) bezeichnete. Die Anfänge der bulg. A. gehen auf die 1869 im rumänischen Brăila begründete Bulgarische Literarische Gesellschaft (Bălgarsko knižovno družestvo) zurück, die nach Erlangung der bulg. Unabhängigkeit 1878 nach Sofia verlegt u. 1911 in Bulgarische A. der Wissenschaften (Bălgarska akademija na naukite) umbenannt wurde. Im 20. Jh. kamen eine Reihe weiterer A. in SOE hinzu, die teilweise auf älteren Institutionen aufbauten: 1926 die Athener „A. der Wissenschaften, Literatur u. Schönen Künste“, 1938 die Slow. A. in Ljubljana, 1951/66 die A. von Bosnien-Herzegowina in Sarajevo, 1967 die A. von Makedonien in Skopje, 1972 die alb. A. in Tirana, 1973/76 die A. von Montenegro in Titograd (Podgorica) u. 1976/79 die Akademien von Kosovo u. der Vojvodina mit Sitz in Prishtina/Priština resp. Novi Sad. In den sozialist. Ländern nach dem 2. Wk. waren die – von politisch „unzuverlässigen Elementen“ teilw. gesäuberten – A. mit ihren vielfältigen Instituten die mit Abstand wichtigsten u. höchst dotierten Forschungseinrichtungen, die sich an den mehr oder minder rigiden pol. Vorgaben der jeweiligen komm./sozialist. Parteien zu orientieren hatten. Eine Sonderrolle spielte die Serb. A., die sich mit ihrem „Memorandum“ von 1986, in dem die „Diskriminierung“ Serbiens u. des serb. Volkes in Jugoslawien in drastischer Form beklagt wurde, an die Spitze eines neo-nationalist. Kurses setzte, der bald auch die Politik Serbiens dominieren sollte (→Serbien). Die strenge Trennung von Forschung (in den A.) u. Lehre (letztere an den →Universitäten) wurde nach dem Zusammenbruch der sozialist. Systeme
Akademie(n) / Akçe
Ende 1989 schrittweise abgebaut, womit die A. ihre vormals dominierende Stellung im Wissenschaftsbetrieb einbüßten. Ein Elitenwechsel fand dagegen zumeist nicht statt. Lit.: N. Stefanov, Wissenschaft als nationaler Beruf. Die Serbische Akademie der Wissenschaften 1944–1992. Wiesbaden 2011; A. Gebert, Die Ungarische Akademie der Wissenschaften im Systemwechsel 1986 bis 1994. Zwischen Tradition u. Modernisierung. Frankfurt/M. u. a. 2005; Iz istorijata na Bălgarskoto knižovno družestvo 1869–1911. Sofija 1994; St. Pascu, Istoricul Academiei Române.125 ani de la înfiinţare. București 1991; D. Berindei, Die Vorläufer der Rumänischen Akademie der Wissenschaften, in: Wissenschaftspolitik in Mittel- u. Osteuropa. Wissenschaftliche Gesellschaften, Akademien u. Hochschulen im 18. u. beginnenden 19. Jh. Hgg. E. Amburger u. a. Berlin 1976, 174–186; A. Camariano-Cioran, Les Académies Princières de Bucarest et de Jassy et leurs professeurs. Thessaloniki 1974; D. Berindei, Societatea Academică Romană (1867–1878), Studii: Revistă de istorie 19 (1966), 1069–1089; A Magyar Tudományos Akadémia másfél évszázada 1825–1975. Budapest 1975; Académie de la République Socialiste de Roumanie 1866-1966. Bref historique. Bucarest 1966; G. Božkov, Bălgarskata akademija na naukite. Kratăk očerk, 1869–1969. Sofija 1969; Spomenica Jugoslavenske akademije znanosti i umjetnosti 1866–1966. Zagreb 1966; St. Bȋrsanescu, Academia Domnească din Iaşi, 1714–1821. Bucureşti 1962; Pedesetogodišnjica Srpske kraljevske akademije 1886–1936. Beograd 1939–41. H. S.
Akçe (a. Aktsche, v. türk. akçe „Weißling“; gr. aspron). Kleine Silbermünze im Osm. Reich. Silbermünzen im Gewicht v. gut 1 g waren im Anatolien der (mongolischen) Il-Chane weit verbreitet; die früheste bekannte osm. A., geprägt im Namen Osman ibn Ertoğruls (reg. bis ca. 1324), wiegt indes nur 0,62 g. Jedoch entsprechen die Prägungen Orhans (ca. 1324–1362) mit einem Gewicht um 1,1 g dem ilchanidischen Prototyp. Am Beginn dieser Serie steht eine A. mit dem Datum 726 der Hidschra (entsprechend 1326) u. dem Namen der neuen osm. Hauptstadt Bursa. Bei der 806/1403–4 in Edirne geschlagenen A. Emir Süleymans handelt es sich um die frühestdatierte Emission einer osm. Münzstätte auf europ. Boden. – Vor der ersten spürbaren Abwertung unter Mehmed II. (1451–1481) wog die A. noch etwas über ein Gramm; 1461, nach dessen frühen Eroberungsfeldzügen, dagegen nur noch etwa 0,83 g. Während der nachfolgenden Jahrzehnte hielt sich das Gewicht des Weißlings um 0,73 g. Erst das ausgehende 16. Jh. brachte eine erneute Abwertungswelle, als Silberimporte aus der Neuen Welt die Warenpreise steigen ließen (vgl. →Kapitalist. Weltsystem). Im Verlauf des 17. Jh.s degenerierte die A. zu einer papierdünnen Münze v. lediglich 0,3 g, bis dann unter Mehmed IV. (1648–1687) kaum noch A. geprägt wurden. Ihre Rolle als wichtigste Denomination in Silber übernahmen in der Folgezeit →Para u. →Kuruş. – Hauptprägeorte der A. in Europa waren, neben den Hauptstädten Edirne u. →Istanbul, Kıratova (Kratovo), Novaberde (Novo Brdo), Siroz (Serrai), Sidrekapsi (Siderokastron) u. Üsküb (→Skopje), in deren Nähe sich ausgedehnte Silbervorkommen befanden. Lit.: R.E. Darley-Doran, Othmanli – IX Numismatics, in: EI²; Ş. Pamuk, A Monetary History of the Ottoman Empire. Cambridge 2000; An Economic and Social History of the Ottoman Empire, 1300–1914. Hgg. H. İnalcık/D. Quataert. Cambridge 1994; R. Murphey, Silver Produc-
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tion in Rumelia According to an Official Ottoman Report circa 1600, SOF 39 (1980), 75–104; A.C. Schaendlinger, Osmanische Numismatik. Von den Anfängen des Osmanischen Reiches bis zu seiner Auflösung 1922. Braunschweig 1973. M. U.
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Albaner (alb. shqiptarë). Volk in SOE, dort ca. 6 Mio. Sprecher des Albanischen. Die A. wohnen in zusammenhängenden Sprachgebieten in Albanien, in Kosovo, in Makedonien, Südserbien u. Montenegro sowie in geringer Zahl jenseits der Südwestgrenze Albaniens zu Griechenland. Außerhalb liegen wichtige alte alb. Sprachgruppen im südlicheren Griechenland (Arvaniten) u. in Süditalien (Arbëreshen). Alb. Gemeinschaften gibt es außerdem in der Türkei u. einigen arabischen Nachfolgestaaten des Osm. Reiches, in den USA u. in der Ukraine, sowie in jüngerer Zeit in den Staaten West- u. Mitteleuropas, besonders auch in Deutschland u. der Schweiz. Ersterwähnung als „arbanitai“ beim byz. Chronisten Michael Attaleiates 1078; in lat. Quellen ab 13. Jh. „Albanenses“ oder „Arbanenses“ genannt. Die heutige alb. Selbstbezeichnung mit der Wortwurzel „shqip-“ ist jüngeren Datums gegenüber dem nur noch in der gr. u. ital. Diaspora (sowie nahe Zadar) vorhandenen „arbër-“. Das Albanische gehört zu den idg. Sprachen u. gliedert sich in die gegische (Nordalbanien, Kosovo, Makedonien) u. die toskische (Südalbanien, Griechenland, Italien) Dialektgruppe. − Die →Ethnogenese der A. (illyr. oder thrak. Abstammung, Autochthonität in den heutigen Wohngebieten oder spätantike Einwanderung aus anderen Teilen der Balkanhalbinsel) ist in der Forschung noch umstritten. Als die A. das erste Mal erwähnt wurden, bewohnten sie ein „Arbanon“ genanntes Gebiet im Hinterland v. Durrës (Durazzo), dessen Hauptort wohl Kruja war. Im Gefolge des 4. →Kreuzzuges erlangte Arbanon pol. Selbständigkeit. Sein Herrscher Demetrios (1208–1216) war mit Komnena, einer Tochter des späteren Serbenkg.s Stefan Prvovenčani (→Nemanjiden) verheiratet, schloss 1208 einen Handelsvertrag mit Ragusa (→Dubrovnik) u. trat in Kontakt mit Papst Innozenz III., den er um Unterweisung im röm. Glauben bat. Nach seinem Tode wurde der erste Staat, der den alb. Namen trug, dem Despotat v. →Epirus angegliedert, kam 1230 unter bulg. Herrschaft, wurde 1253 Bestandteil des →Kaiserreiches Nikäa u. kam schließlich nach wenigen Jahren erneuter Selbständigkeit unter Fürst Golem erneut an Epirus. In der zweiten H. des 13. Jh.s versuchten dann die →Anjou, im Siedlungsgebiet der A. Fuß zu fassen: Karl v. Anjou, 1263 vom Papst mit dem Kgr. Neapel-Sizilien belehnt, nahm die antibyz. Politik der Normannenherrscher u. des Staufers Manfred wieder auf, die versucht hatten, Albanien zur Ausgangsbasis v. Expeditionen gegen Byzanz zu machen. Nachdem er sich seit 1269 in den Besitz v. Valona, Kanina, Berat u. Durazzo (Durrës)gesetzt hatte, proklamierte Karl am 21.2.1272 das „Regnum Albaniae“, zu dessen Kg. er sich erklärte. Das neue Kgr. umfasste ein Gebiet, das etwa im Dreieck Durazzo-Berat-Valona (Vlora) lag. Es wurde v. neapolitan. Generalkapitänen regiert, die ihren Sitz in Durazzo hatten. Karl bemühte sich aber auch, die alb. Stammes- u. Clanchefs für sich zu gewinnen, indem er ihnen Ländereien zu Lehen gab u. Ehrentitel verlieh. Im Zusammenhang mit diesen Land- u. Ti-
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telverleihungen tauchen die ersten Namen alb. Geschlechter auf – Gropa, Muzaki, Scura, Jonima, Arianiti usw. Dank dieser Politik konnten die Anjou auch nach der „Sizilian. Vesper“ 1282 Restbesitzungen in Albanien erhalten. Das 1286 verlorengegangene Durazzo wurde 1305 wieder angevinisch u. sollte es, mit Unterbrechungen, als „Herzogtum Durazzo“ bis 1368 bleiben. Dieses umfasste aber nur noch einen Bruchteil des einstigen „Regnum Albaniae“. In der ersten H. des 14. Jh.s waren die Serben als Landesherren in Albanien im Vordringen (→Serb. Reich). Bereits Uroš II. Milutin (1275–1321) beherrschte Teile Nordalbaniens u. führte Albanien in seinem Königstitel. Unter Stefan Dušan gewannen die Serben 1343–47 ganz Albanien mit Ausnahme v. Durazzo. Die serb. Herrschaft hinterließ nicht nur ihre Spuren in der lehensrechtlichen Terminologie u. im Kanzleiwesen alb. Adelsgeschlechter, sie begünstigte auch die alb. Siedlungsausbreitung nach Griechenland, die bereits Anfang des 14. Jh.s begonnen hatte. Nach 1348 kam es zu einer alb. Einwanderung in Epirus, Thessalien, Attika u. in der Peloponnes, die bis zum Beginn der Türkenzeit andauerte. Die Nachkommen (Arvaniten) der ma. alb. Siedler konnten ihre Sprache („arvanitika“ bzw. in eigensprachlicher Bez. „arbërisht“) z.T. bis auf den heutigen Tag bewahren. Die Herrschaft der Anjou u. der Serben hatte das Aufkommen einheimischer Adelsgeschlechter begünstigt. Die wichtigsten v. ihnen waren die Thopia u. die Balša (Balsha). Nach dem Ende des Nemanjidenreiches bemächtigte sich Karl Thopia (†1388) als „Princeps Albaniae“ des größten Teils v. Mittelalbanien; 1368 konnte er sich sogar in den Besitz v. Durrës setzen. Die Balša, die wahrscheinlich serb. Herkunft waren, beherrschten Nord- u. seit der Heirat Balšas II. mit Komnena, der Despotin v. Vlora u. Kanina, auch Südalbanien. Als es Balša II. 1383 auch noch gelang, Durrës zu erobern, rief der aus seinem Besitz verdrängte Thopia die Osmanen zu Hilfe, mit deren Unterstützung er am 18. September 1385 bei Savra in der Myzeqe seinen Rivalen schlug. Thopia konnte zwar wieder in Durrës einziehen, die eigentlichen Sieger waren aber die Osmanen u. die Venezianer (→Venezianisches Überseereich), die ihre Einflussbereiche in Albanien immer weiter gegeneinander vorschoben. Der alb. Adel versuchte nämlich, sich gegenüber der osm. Bedrohung bei den Venezianern abzusichern. Georg Thopia trat 1392 Durrës an Venedig ab, 1396 wurden auch Dulcigno (serb. Ulcinj, alb. Ulqin) u. Skutari (alb. Shkodra, it. Scutari, serb. Skadar) venezianisch; Balšas II. Witwe Komnena versuchte seit 1386 vergeblich, die Venezianer zur Übernahme v. Vlora zu bewegen. Ausgangspunkt der osm. Eroberung war →Skopje (Üsküb), das die Osmanen 1391 besetzt hatten. Der direkten Inbesitznahme ging dabei vielfach eine Periode voraus, in der der alb. Adel ein Vasallenverhältnis zum Sultan einging. Das war verstärkt nach der Schlacht auf dem →Kosovo polje 1389 der Fall. 1417 wurden Vlora u. Berat osm., 1430 auch Janina, u. bereits 1431 konnten die Osmanen ihre alb. Besitzungen in einem eigenen Verwaltungsbezirk, dem „Sancak-i Arvanid“, zusammenfassen, der den gesamten westlichen Teil Süd- u. Mittelalbaniens umfasste. − Ganz so problemlos, wie es zunächst aussah, war die osm. Eroberung dennoch nicht. Gerade in Südalbanien begann sich schon bald Widerstand zu regen, der vom entmachteten Adel ausging. 1432 begann Georg Arianiti einen zunächst erfolgreichen Aufstand gegen die Osmanen, der bis 1439 andauerte. In ganz Europa Beachtung fand dann der 25jährige alb. Freiheitskampf, der v. Georg Kastriota, gen. Skanderbeg (1405–1468) geleitet wurde. Skanderbeg, der seine Jugend als Geisel am Sultanshof verbracht hatte, brach
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1443 mit den Türken u. brachte eine gemeinsame Abwehrfront des alb. Adels zustande, der es gelang, weit überlegene osm. Heere zurückzuschlagen. 1450 u. 1466 belagerten die Osmanen unter der persönlichen Leitung der Sultane Murad II. u. Mehmed II. vergeblich Skanderbegs Hauptfestung Kruja. Skanderbeg, der mit Kg. Alfons I. v. Neapel u. später mit den Venezianern verbündet war u. den Papst Kalixt III. als „Athleta Christi“ bezeichnet hatte, wurde später zur nationalen Symbolfigur für alle Albaner. An ihn knüpfte man an, als es im 19. Jh. darum ging, die historische Berechtigung für die Errichtung eines alb. Nationalstaates nachzuweisen (→Erinnerungskulturen). Nach Skanderbegs Tod wurde Albanien endgültig Bestandteil des Osm. Reiches. Die Venezianer verloren 1479 ihre sämtlichen Besitzungen in Albanien bis auf Durazzo, das erst 1501 osm. wurde. Die osm. Eroberung machte den relativ bescheidenen Versuchen alb. Staatsbildungen im MA ein Ende. Die ehemalige Führungsschicht, der Adel, wanderte aus oder islamisierte sich; in beidem folgte ihm ein Teil der Bevölkerung. Die Auswanderung erfolgte hauptsächlich nach Italien, wo sich auf Sizilien u. in Kalabrien bis heute alb. Siedlungen erhalten haben (Italo-Albaner oder „Arbëresh“). Die →Islamisierung, die unmittelbar nach der osm. Eroberung begann, aber erst im 18. Jh. ihren Höhepunkt erreichte, erfasste zuletzt etwa 80 % der A. Diese starke Islamisierung hatte zur Folge, dass die A. auch einen bedeutenden Anteil an der osm. Reichsgeschichte nahmen. Sie waren in der pol., milit. u. kult. Führungsschicht des Reiches in einem Ausmaß vertreten, das in keinem Verhältnis zu ihrer zahlenmäßigen Stärke stand. Sie konnten unter der osm. Herrschaft auch ihr Siedlungsgebiet bedeutend erweitern. V. a. der alb. Bevölkerungsanteil in →Kosovo u. →Makedonien erhöhte sich während der Türkenzeit stark. All das bedeutete aber nicht, dass sich alle A. widerspruchslos mit der osm. Herrschaft abfanden. Die Christen fühlten sich trotz der relig. Toleranz der Osmanen als Staatsbürger zweiter Klasse. Besonders während der →Türkenkriege des 16., 17. u. 18. Jh.s (so 1570–1573, 1593–1606, 1644–1669, 1735–1739, 1787–1791) kam es in Albanien immer wieder zu Aufständen. In der zweiten H. des 18. Jh.s versuchten einheimische Provinzmachthaber in Albanien, gegenüber der Zentralregierung größere Unabhängigkeit zu erreichen. In Nordalbanien gelang es der Familie Bushatlliu (Mehmed Pascha 1757–1775, Kara Mahmud Pascha 1778–1796, Mustafa Pascha 1811–1831), in Südalbanien Ali Pascha v. Janina (1784–1822), sich eine halbselbständige Stellung aufzubauen. Die rebellierenden →Paschas unterhielten Beziehungen zu auswärtigen Mächten u. stützten sich teilweise auch auf die einheimische christl. Bevölkerung. Es wäre freilich übertrieben, ihre Unabhängigkeitsbemühungen als Vorläufer der alb. Nationalbewegung zu werten. − U. a. um den genannten separatistischen Bestrebungen zu begegnen, leiteten die osm. Sultane Reformen ein, die auch die Provinzverwaltung betrafen. Die zentralistischen Bestrebungen der →Tanzimat-Zeit stießen in Albanien (ähnlich wie in →Bosnien) auf energischen Widerstand (Aufstände 1833–1839) u. konnten zudem den Zerfall des Reiches nicht aufhalten. Das zeigte sich deutlich, als ihm 1876 Serbien u. Montenegro den Krieg erklärten, dem 1877 Russland beitrat. Im Vorfrieden v. San Stefano u. dann auf dem →Berliner Kongress 1878 mussten die Osmanen bedeutende Gebietsverluste hinnehmen, die teilweise auch alb. besiedelte Territorien betrafen. Da das Reich zu schwach war, um ihre Interessen zu verteidigen, schritten die A. zur Selbsthilfe u. gründeten die →Liga v. Prizren, deren Kampf gegen die Gebietsabtretungen letztendlich
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kaum Erfolg hatte, in Albanien aber die Periode der „Nationalen Wiedergeburt“ (Rilindja) einleitete (→Nationsbildung). Die politische Führung der A. war dabei gespalten: Während die Mehrheit eine Autonomie im Rahmen des Osm. Reiches anstrebte, trat eine Minderheit bereits für eine vollständige Unabhängigkeit ein. Die Revolution der →Jungtürken 1908, die v. den A. unterstützt worden war, ließ zunächst die Hoffnung aufkommen, dass die Regierung alb. Autonomiewünschen Gehör schenken würde. Als diese dann aber einen deutlich zentralistischen Kurs einschlug u. die völlige Eingliederung der A. in eine „osm. Reichsnation“ propagierte, kam es in Albanien zu Aufständen, die bis zum 1. →Balkankrieg (1912) andauerten. Am 28. November 1912, Albanien war bereits fast vollständig v. den Truppen des Balkanbundes besetzt, proklamierte ein alb. Nationalkongress in Vlora die Unabhängigkeit des Landes. Annotierte Bibl.: P. Bartl, Die Albaner, in: HBK. Bd. I: Mittelalter, T.1, 635–664; Bd. II: Neuzeit, T.1, 425–497; O. Daniel, Albanie.Une bibliographie historique. Paris 1985. Quellen: Early Albania. A Reader of Historical Texts, 11th–17th Centuries. Hg. R. Elsie. Wiesbaden 2003. Lit. (a. →Albanien): Poeta nascitur, historicus fit. Ad honorem Zef Mirdita. Hg. A. Ramaj. St. Gallen, Zagreb 2013; R. Elsie, A Biographical Dictionary of Albanian History. London u. a. 2013; O.J. Schmitt, Die Albaner. Eine Geschichte zwischen Orient u. Okzident. München 2012; R. Elsie, Historical Dictionary of Albania. Lanham/Md. u. a. 22010; Religion u. Kultur im albanischsprachigen Südosteuropa. Hg. O.J. Schmitt. Frankfurt/M. u. a. 2010; Albanische Geschichte. Stand u. Perspektiven der Forschung. Hgg. O.J. Schmitt/E.A. Frantz. München 2009; O.J. Schmitt, Skanderbeg. Der neue Alexander auf dem Balkan. Regensburg 2009; Fjalor enciklopedik shqiptar. Hgg. Z. Xholi/Y. Vejsiu. 3 Bde. Tiranë 2008, 2009; N. Clayer, Aux orgines du nationalisme albanais. La naissance d’une nation majoritairement musulmane en Europe. Paris 2007; Sh. Demiraj, The Origin of the Albanians (linguistically investigated). Tirana 2006; Historia e popullit shqiptar. 4 Bde. Tiranë 2002–2008; O.J. Schmitt, Das venezianische Albanien (1392–1479). München 2001; P. Thëngjilli, Historia e popullit shqiptar (395–1875). Tiranë 2000; Sh. Spiro, Der Mythos vom Wandervolk der Albaner. Landwirtschaft in den albanischen Gebieten (13.–17. Jh.). Wien u. a. 1997; P. Bartl, Albanien. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Regensburg 1995; N. Rizov, Die albanische Wiedergeburt, Balkan-Archiv N.F. 16 (1991), 69–106; K. Prifti, Le mouvement national albanais de 1896 à 1900. La Ligue de Pejë. Tiranë 1989; A. Ducellier, L’ Albanie entre Byzance et Venise, Xe–XVe siècles. London 1987; ders., La façade maritime de l’Albanie au Moyen Âge. Durazzo et Valona du XIe au XVe siècle. Thessaloniki 1981; P. Thëngjilli, Kryengritjet popullore kundërosmane në Shqipëri 1833–1839. Tiranë 1981; J. Faensen, Die albanische Nationalbewegung. Berlin 1980; P. Bartl, Die albanischen Muslime zur Zeit der nationalen Unabhängigkeitsbewegung. Wiesbaden 1968; S. Skendi, Albanian National Awakening. Princeton 1967; G. Stadtmüller, Forschungen zur albanischen Frühgeschichte. Budapest 1942 (Wiesbaden ²1966); G.L. ArŠ, Albanija i Epir v konce XVIII–načale XIX v. Moskva 1963; I.G. Senkevič, Osvoboditel’noe dviženie albanskogo naroda v 1905–1912 gg. Moskva 1959; Illyrisch-albanische Forschungen. 2 Bde. Hg. L. von Thallóczy. München u. a. 1916. P. B.
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Albanien (ab 1912)
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Albanien (ab 1912) (Shqipëria, amtl. Republika e Shqipërisë): 28.748 km2, 2.821.977 E (2011); ca. 95 % (knapp 83 % von rund 84 %, die eine ethnische Zugehörigkeit beim Zensus angaben) der Bev. sind Albaner; ferner Griechen, Roma, →Aromunen u. a. A. entstand als selbständiger Staat während der →Balkankriege 1912–13. Die v. den →Albanern am 28.11.1912 proklamierte Unabhängigkeit u. die v. Ismail Kemal Bey Vlora gebildete provisorische Regierung wurden vom Osm. Reich u. den Großmächten zunächst ignoriert, allerdings der Grundsatz einer alb. Selbständigkeit v. den Großmächten schon im Dezember 1912 anerkannt. Aber erst nachdem die Pforte im Frieden v. London (30.5.1913) auf den größten Teil ihrer europ. Besitzungen verzichtet hatte, begannen die Botschafter der Großmächte in London, über die Grenzen u. den konkreten Status eines künftigen alb. Staates zu verhandeln. Die Grenzen, die 1913 auf der Botschafterkonferenz gezogen wurden, entsprachen im wesentlichen den heutigen, d. h. weite alb. u. gemischte Siedlungsgebiete in →Kosovo u. in W-→Makedonien fielen an Serbien u. Montenegro, die dabei v. Russland unterstützt wurden. Bezüglich des Status von A. einigte man sich am 31.7.1913 darauf, dass dieses ein souveräner Staat unter der erblichen Herrschaft eines Fürsten werden sollte, dessen Auswahl sich die Mächte vorbehielten. Deren Wahl fiel auf den Protestanten Prinz Wilhelm zu Wied, der ein Vetter des dt. Ks.s u. Neffe der rum. Königin Elisabeth war. Wieds 200tägige Herrschaft (7.3.–3.9.1914) war v. einem musl. Bauernaufstand überschattet, dessen der Fürst mit seiner kleinen v. Holländern organisierten Gendarmerie nicht Herr werden konnte. Von den Großmächten am Vorabend des 1. Wk.s nur unzulänglich unterstützt, verließ Wied bald nach dem europ. Kriegsausbruch das Land. Während des 1. →Wk.s wurde A. trotz nomineller Neutralität v. it., österr.-ung. u. frz. Truppen besetzt, u. nach Kriegsende stand seine Unabhängigkeit erneut auf dem Spiel, da sowohl Griechenland als auch Italien u. der neue südslav. Staat (→Jugoslawien) Teile des Landes beanspruchten. Die Albaner hatten am 25.12.1918 in Durrës eine provisorische Regierung unter Turhan Pascha Përmeti gebildet, die A. auf der Friedenskonferenz in Paris vertreten sollte, dort aber ihre Forderung nach den Grenzen v. 1913 nicht durchsetzen konnte. Am 28.1.1920 trat daraufhin in Lushnja ein alb. Nationalkongress zusammen, der die Regierung Përmeti absetzte, eine neue unter Sylejman Bey Delvina bildete, eine provisorische Verfassung verabschiedete u. Durrës als Hauptstadt durch →Tirana ersetzte. Es gelang der Regierung Delvina nicht nur, nach einem erfolgreichen Aufstand gegen die it. Truppenpräsenz den Abzug der Besatzungstruppen zu erwirken, sondern auch die Lage im Innern zu stabilisieren. Am 17.12.1920 wurde A. Mitglied des Völkerbundes u. am 9.11.1921 wurde es v. den Siegermächten als souveräner Staat in den Grenzen v. 1913 anerkannt. Zur beherrschenden Figur in der alb. Politik wurde in den 20er Jahren Ahmed Bey Zogolli (Zogu), der seit 1920 in mehreren Kabinetten Innenminister u. vom Dezember 1922 bis Februar 1924 Ministerpräsident war. Als am 17.6.1924 die vom orth. Bischof Stylian Fan Noli geführten „Demokraten“ an die Regierung kamen („Demokratische Revolution“), floh Zogu nach Jugoslawien, mit dessen Unterstützung er im Dez. 1924 nach A. zurückkehrte, Fan Noli stürzte u. am 6.1.1925 selbst die Regierung übernahm. Am 21. Januar beschloss die alb. Nationalversammlung, A. in eine Republik umzuwandeln (es war seit Wied formal noch Monarchie). Am 31.1.1925 wurde Zogu zum Staatspräsidenten gewählt u. am 7. März eine
Albanien (ab 1912)
neue Verfassung nach dem Vorbild der USA verabschiedet, die dem Präsidenten weitgehende Vollmachten gab. Obwohl mit Belgrader Hilfe an die Macht gelangt, wurde Zogu kein Parteigänger des Nachbarlandes. Vor allem wirtschaftlich begann er sich bald an Italien anzulehnen. Durch einen Bank- u. Anleihevertrag u. die Gründung einer alb. Nationalbank, deren Hauptaktionär der „Credito Italiano“ war, gewann Italien noch 1925 die Kontrolle über die alb. Finanzen. Am 27.11.1926 wurde der sog. 1. Tiranapakt unterzeichnet, der ein it. faktisches Protektorat über A. begründete. Am 22.11.1927 folgte der 2. Tiranapakt, der A. militärisch noch stärker an Italien band, gleichzeitig aber auch Zogus persönliche Machtstellung stärkte. Mit it. Unterstützung ließ sich Zogu am 1.9.1928 vom Parlament zum „Kg. der Albaner“ (Mbret i Shqiptarëvet) proklamieren (→Diktaturen). Als Kg. versuchte Zogu, seinem immer noch sehr orientalisch geprägten Land einen westl. Anstrich zu geben u. Reformen einzuleiten. Die 1930 begonnene Agrarreform scheiterte zwar am Widerstand der Großgrundbesitzer, die Gesetzgebung wurde aber dem europ. Standard angeglichen u. das Schulwesen verbessert. Außenpol. versuchte Zogu, sich aus der it. Umklammerung wieder zu befreien. Der 1931 abgelaufene 1. Tiranapakt wurde nicht verlängert, die v. Italien geforderte Zollunion abgelehnt. Durch derartige Maßnahmen konnte aber die übermächtige Position der Italiener, die auch den alb. Staatshaushalt stützten, nicht beeinträchtigt werden. Nach dem Anschluss Österreichs an das Dt. Reich beschloss Mussolini, A. zu annektieren. Als Zogu sich im März 1939 weigerte, einen neuen Beistandspakt mit Italien zu unterzeichnen, landeten am 7.4.1939 it. Truppen in Durrës u. besetzten A., das in Personalunion mit Italien vereinigt wurde. Von A. aus erfolgte dann am 28.10.1940 der it. Angriff auf Griechenland, der den 2. →Wk. nach SOE brachte. Nach der Besetzung Jugoslawiens durch die Achsenmächte entstand „Großalbanien“, da die Italiener am 12.8.1941 ihr Besatzungsgebiet in Kosovo u. Makedonien sowie die einst mont. Kreise Plav-Gusinje u. Ulcinj mit A. vereinigten. Nach der it. Kapitulation (8.9.1943) wurde A. von dt. Truppen besetzt. Am 16.10.1943 setzte die alb. Nationalversammlung die Verfassung v. 1928 wieder in Kraft. Die neue alb. Regierung unter Rexhep Mitrovica erklärte am 5.11.1943 die Neutralität des Staates A., dessen Unabhängigkeit aber nur v. Deutschland anerkannt wurde. Weite Teile des Landes wurden damals allerdings bereits v. den kommunistischen →Partisanen kontrolliert, die sich dank jug. u. auch alliierter Unterstützung gegenüber nationalorientierten Widerstandsgruppen wie „Balli Kombëtar“ u. „Legaliteti“ durchgesetzt hatten. Auf dem II. Kongress des „Antifaschistischen Nationalen Befreiungsrates“ in Berat (20.–23.10.1944) wurde eine provisorische Regierung gebildet, der der Generalsekretär des ZK der KPA (gegr. 8.11.1941) Enver Hoxha vorstand. Die Regierung Hoxha, die ihren Sitz am 28.11.1944 nach Tirana verlegte, wurde zunächst nur v. Jugoslawien anerkannt (29.4.1945), das bis 1948 ein informelles Protektorat über A. ausübte. Der Ausrufung der Volksrepublik (11.1.1946) folgte die Umgestaltung der pol. u. soz. Verhältnisse nach jug. Vorbild. Mit Jugoslawien wurden ein Freundschafts- u. Beistands pakt (9.7.1946) u. ein Vertrag über wirt. Zusammenarbeit (27.11.1946) abgeschlossen, eine Währungs- u. Zollunion wurden vorbereitet. Der →Kominformkonflikt 1948 bewahrte A. dann davor, Jugoslawien angegliedert zu werden. A. kam unter die Ägide der Sowjetunion,
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Albanien (ab 1912)
die die alb. Volkswirtschaft subventionierte, während A. außen- u. innenpol. dem sowj. Kurs folgte. Stalins Tod (5.3.1953) u. dann der XX. Parteitag der KPdSU (14.–25.2.1956) leiteten eine Wende in den alb.-sowj. Beziehungen ein, die Ende 1960 zum Bruch zw. Tirana u. Moskau führte (→Warschauer Pakt). An die Stelle der Sowjetunion trat als neue Schutzmacht China. Das Bündnis mit China dauerte bis 1978 an; danach propagierte die alb. Führung eine Politik der völligen Bündnisfreiheit u. damit der Selbstisolation, aus der A. erst nach Enver Hoxhas Tod (11.4.1985) allmählich herausfand. Hoxhas Nachfolger Ramiz Alia leitete vorsichtig Reformen ein. Ab 1991 gibt es in A. ein Mehrparteiensystem. Bei den Wahlen im März 1992 errang die „Demokratische Partei“ einen überwältigenden Sieg u. verdrängte die bis dahin allmächtigen Kommunisten, die sich auf ihrem X. Parteitag (10.–13.6.1991) in Sozialisten umbenannt hatten, in die Opposition. Ministerpräsident wurde Aleksandër Meksi, Staatspräsident Sali Berisha, beide v. der „Demokratischen Partei“. Im Winter 1996/97 kam es wegen des Zusammenbruchs v. Anlagefirmen (sog. Pyramidenfirmen) zu einer innenpolitischen Krise: Auf Massendemonstrationen wurde der Rücktritt v. Berisha gefordert. Die Regierung verlor die Kontrolle, v. a. im Süden des Landes; die Armee löste sich auf. Am 12.3.1997 bildeten Demokraten u. Oppositionsparteien unter dem Sozialisten Bashkim Fino eine Übergangsregierung, die die EU um Militärhilfe bat, um die Bevölkerung zu entwaffnen u. die Ordnung wiederherzustellen. Die Parlamentswahlen vom 29.6.1997 endeten mit einem Sieg der „Sozialistischen Partei“, u. am 23.7.1997 musste Präsident Berisha zurücktreten. 1998 wurde eine neue Verfassung durch Volksabstimmung angenommen. 2006 unterzeichnete A. (2005–2013 wiederum unter Regierungsführung durch Sali Berisha, diesmal im Amt als Ministerpräsident) ein Stabilisierungs- u. Assoziierungsabkommen (SAA) mit der EU. Am 1.4.2009 trat das Land der Nato bei, u. am 28.4.2009 wurde der Beitritt zur EU beantragt. Die pol. Krise A.s, die auf die Parlamentswahlen v. 2009 folgte, erschwerte jedoch die Verhandlungen über den Kandidatenstatus. Der nach den Neuwahlen von Juni 2013 unter Führung des sozialistischen Ministerpräsidenten Edi Rama neu gebildeten Regierung gelang es schließlich, die von der EU geforderten Kriterien für die Erlangung des Kandidatenstatus (u. a. Bekämpfung der organisierten Kriminalität u. der →Korruption, Reformen der Verwaltung) soweit zu erfüllen, dass A. diesen am 24.6.2014 erhielt.
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Aleviten
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Aleviten (türk.: Alevî „Anhänger Alis“; a. Kizilbaş). Eine heterodox-islamische Glaubensgemeinschaft im asiatischen Teil der Türkei, in Westthrakien, Bulgarien u. Makedonien. Die Mehrheit ist türkischsprachig. Ihre religiöse Lehre steht der zwölfer-schiitischen Richtung des →Islam nahe, wird jedoch weder v. den Sunniten noch den Schiiten anerkannt. Die A. verehren Ali, den Schwiegersohn des Propheten Mohammed, in besonderer Weise, glauben an eine Art Trinität (Allah-Mohammed-Ali) u. an die Inkarnation Gottes in menschlicher Form. Zentrales Element ihrer Auffassung ist der in den Mittelpunkt gerückte Mensch. Die A. besuchen i. d. R. keine Moscheen, ihre relig. Zusammenkünfte finden gewöhnlich in Privatwohnungen, in Versammlungshäusern (cemevi) oder an den Gräbern ihrer Heiligen (türbe) statt. Das Fasten ist bei ihnen nicht üblich u. es findet nicht im Ramadan statt, sondern in den ersten Tagen des Trauermonats Muharram. Sie kennen eine Form von Sündenbekenntnis (tarik). V. a. die liberale Stellung der Frau sowie der Genuss v. Alkohol bei den Gottesdiensten stoßen bei orth. Muslimen auf Kritik. Bei der Glaubenslehre der A. handelte es sich bis in die 1990er Jahre um eine Geheimreligion, in deren Prinzipien nur Mitglieder der Gemeinschaft eingeweiht waren. Die Bezeichnung A. begann sich seit Ende des 19. Jh.s durchzusetzen. Bis dahin waren sie unter dem Namen Kizilbaş bekannt. Dies bezog sich zunächst auf die engsten Anhänger des um 1300 in Ardabil gegründeten Ordens der Safawiya (1501 zur pers. Dynastie der Safawiden aufgestiegen). Zu der Anhängerschaft des Ordens gehörten turkmenische Stämme in Anatolien, Syrien u. Mesopotamien. Scheich Haidar (1460–88) führte für seine Gefolgsleute die aus 12 Zwickeln (als Zeichnen für die 12 Imame) zusammengesetzte rote Kappe ein (türk. Kizilbaş, „Rotköpfe“). Die Bezeichnung K. wurde in der Folgezeit von den pol. Gegnern der Safawiden, den Osmanen, auf alle Häretiker schiitischer Prägung in Anatolien ausgedehnt. Bereits unter Sultan Bayezid II. (1448–1512), aber auch unter seinen Nachfolgern Selim I. (1512–1520) u. Süleiman II. (1520–1566) fanden großangelegte Verfolgungen dieser religiösen Minderheit statt. Die A. reagierten mit Aufständen. Infolge dieser Maßnahmen kam es in
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Aleviten
der ersten Hälfte des 16. Jh.s zu zahlreichen Umsiedlungen aus Kleinasien nach →Rumelien. V. a. auf den Territorien des heutigen Griechenlands (Westthrakien), Bulgariens u. Makedoniens fanden die Verbannten ein neues Zuhause. In den hist. Quellen gibt es Hinweise darauf, dass die Kolonisierung teilweise bedeutende Veränderungen der demograph. Verhältnisse verursachte. So machten die Ansiedler in der Provadija-Nahiye (Nordbulgarien) i. J. 1526 2/3 der Bev. aus (vgl. →Islamisierung). Als die Verbindung zu den Safawiden immer mehr eingeschränkt wurde, organisierte sich ein Teil der A. unter dem Schutz des →Derwischordens der →Bektaschi. Bereits im 17. Jh. galt Haci Bektaş als ihre oberste relig. Autorität. Seit dieser Zeit teilen sie mit dem Orden der Bektaschi viele Glaubensinhalte, doch Alevismus ist eine durch Geburt bedingte Gemeinschaft, die Bektaschiye dagegen ein durch freiwilliges Eintreten u. Lehre gekennzeichneter Orden. Nach dem Rückzug der Osmanen aus SOE u. der Gründung der jungen Balkanstaaten im 19. u. frühen 20. Jh. mussten sich die Aleviten, ähnlich wie die anderen Muslime dieser Region, in einer grundlegend neuen Situation zurechtfinden (→Minderheit; →Nationalstaatenbildung). Auch wenn sie mit der osm. Zentralmacht traditionell nicht konform gegangen waren, wurden sie durch die neuen staatspolitischen, staatsideologischen u. territ. Änderungen zutiefst irritiert. Viele A. emigrierten lieber nach Kleinasien. Nach 1945, als die Kommunisten die musl. Bev. in den einzelnen Ländern in die Programme zur →Industrialisierung einzubeziehen versuchten, das relig. Leben stark einschränkten oder für ihre Zwecke instrumentalisierten, kam es unter den A. zu einer soz. u. relig. Umgestaltung. In →Bulgarien wurde die soz. Isolation der A. beendet, die segmentäre Struktur der Glaubensgemeinschaft z. T. aufgehoben. In Folge der restriktiven Politik der sozialistischen Regierung verloren die relig. Würdenträger bedeutend an Autorität. Wie alle anderen Muslime im Lande mussten die bulg. A. Mitte der 1980er Jahre ihre islamisch-türkischen Namen ändern. In der nochmals grundlegend veränderten Situation nach 1989 lassen sich parallel zu neu gewonnenen relig. Freiheiten u.dem Erstarken relig. Symbolik noch zwei Faktoren erkennen, die für die Entwicklung der A. in SOE von Bedeutung sind: der starke Einfluss aus der Türkei u. die innere wie äußere Migration. Das seit den 1990er Jahren in der Türkei erfolgte Wiederaufleben des alevit. Islam führt allg. zu einer Öffnung der soe. Gemeinschaften nach außen, wobei das Prinzip der Geheimhaltung ihrer Lehre aufgegeben wird. Die A. organisieren sich zunehmend in Vereinigungen. Die massive Migration in die Türkei, aber auch nach Westeuropa bringt ihrerseits eine Schwächung der traditionellen sozio-kult. Struktur mit sich. Im Jahr 2011 lebten in Bulgarien ca. 27.400 A. (2001 waren es noch 53.000 u. im Jahr 1992 betrug ihre Anzahl 83.500 Personen), in Westthrakien wird ihr Anteil auf 15.000 geschätzt. In Makedonien, Albanien u. Kosovo bezeichnen sich die Anhänger Alis, zu denen albanisch, türkisch- und slavischsprachige Muslime gehören, als Bektaschi.
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Lit.: H. Sözer, Managing Invisibility. Dissimulation and Identity Maintenance among Alevi Bulgarian Turks. Leiden 2014; M. Dressler, Writing Religion: The Making of Turkish Alevi Islam. New York, Oxford 2013; J. Telbizova-Sack, Die Aleviten Bulgariens – Tradition und Neubestimmungen im Kontext gesellschaftlichen Wandels, in: Islam in (Südost)Europa. Kontinuität und Wandel im Kontext von Transformation u. EU-Erweiterung. Hgg. Ch.Voss/J. Telbizova-Sack.
Alföld / Alphabet(e)
München, Berlin 2010, 173-195; B. Gümüş, Wiederkehr des Alevitentums in der Türkei u. in Deutschland. Konstanz 2007; Migration u. Ritualtransfer: Religiöse Praxis der Aleviten, Jesiden u. Nusairier zwischen Vorderem Orient u. Westeuropa. Hgg. R. Langer/R. Motika/M. Ursinus. Frankfurt/M. u. a. 2005; M. Dressler, Die Alevitische Religion. Würzburg 2002; K. Vorhoff, Zwischen Glaube, Nation u. neuer Gemeinschaft: Alevitische Identität in der Türkei in der Gegenwart. Berlin, 1995; K. Kehl-Bodrogi, Die Kizilbaş/Aleviten. Untersuchungen über eine esoterische Glaubensgemeinschaft in Anatolien. Berlin 1988. J. T.-S.
Alföld („Tiefland“). Hist. Landschaft in der Mitte Ungarns (ca. 100.000 km2) die die Ebenen zw. Donau u. Theiß u. östl. der Theiß sowie die →Batschka umfasst. Bei der Ersterwähnung 1527 bezog sich das Wort nur auf die Ebene an der unteren Donau. In der Romantik (z. B. bei Sándor Petőfi 1823–1849) wurde das ganze Tiefland Thema lokalpatriotischer Dichtung. Vor den Flussregulierungen im 19. Jh. waren weite Teile des A. Sumpfgebiet, während die mittleren Gebiete vornehmlich der Weidewirtschaft, wie noch heute auf der berühmten Puszta Hortobágy, dienten. Die rücksichtslose Nutzung des Ackerlandes verursachte eine Versalzung des Bodens. Vom Treibsand bedrohte Gebiete wurden durch Pflanzung v. Akazien rekultiviert. Im A. wurden im 13. Jh. →Kumanen u. →Jassen angesiedelt, deren Gebiete bis ins 19. Jh. eine rechtliche Sonderstellung genossen. Die Siedlungsstruktur – v. a. nach den Verwüstungen in der Türkenzeit, in der das gesamte A. zum →Osm. Reich gehörte – ist durch weitgemarkige Dörfer, Marktflecken (→Oppidum) u. durch die hier typischen Streusiedlungen (tanya, „Gehöft“) mit wenigen Städten (meist am Rande des A.) charakterisiert. Im späten 19. u. frühen 20. Jh. war das A. (insbesondere im SO, genannt „Viharsarok“, d. h. Sturmecke) Ort v. radikalen agrarsozialist. Bewegungen. Das A. ist noch immer überwiegend Agrargebiet, der Beitrag der Region zur Industrieproduktion des Landes betrug zu Beginn des 21. Jh.s nur ca. 12 %. Lit.: P. Beluszky, Historische Geographie der Großen Ungarischen Tiefebene. Passau 2006; Gy. Kristó, Fejezetek az Alföld középkori történetéből. Szeged 2003; A. Kubinyi, Városfejlődés és városhálózat a középkori Alföldön és az Alföld szélén. Szeged 2000; J. Bango, Besonderheiten der Agrarverfassung im ungarischen Alföld. Eine agrarsoziologische Studie. Berlin 1977; S. Marosi/J. Szilárd, A dunai Alföld. Magyarorszá tájföldrajza. Budapest 1967; S. Somogyi, Az ármentesítések és folyamszabályozások, Földrajzi Közlemények 91 (1965), 145–157. J.M. B.
Alphabet(e). Unter den Bewohnern der Balkanhalbinsel waren u. sind sehr unterschiedliche Schriftsysteme in Verwendung. In der Antike hatte der Balkanraum Anteil an der röm. u. gr. Sprach- u. Schriftkultur. Spuren älterer Schriftsysteme, der voralphabetischen kretischen Strichschriften in der Variante Linear B, finden sich im 13. Jh. v. Chr. auf dem gr. Festland u. a. in Messenien, in Mykene u. Theben. Auf Zypern existierten im 2. Jahrtausend v. Chr. verschiedene Silbenschriften (kyprominoische bzw. kyprische Schriften). Ihre Buchstabenschrift mit Vokalzeichen haben die Griechen wohl seit dem 11. Jh. v. Chr. in unterschiedlichen lokalen Varianten aus der linksläufigen Konsonantenschrift der Phönikier mit 21 Buch-
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Alphabet(e)
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staben entwickelt. Als normgebend setzte sich durch die Schriftreform von 403/2 v. Chr. in Athen im gesamten gr. Sprachraum das kleinasiat.-ionische A. durch. Die älteste gr. Inschrift wird auf die Zeit um 700 v. Chr. datiert. Die Griechen änderten die linksläufige Schriftrichtung. Sie schrieben zunächst „furchenwendig“ u. seit 350 v. Chr. in Athen rechtsläufig. Die Römer erreichte aus Mittelgriechenland die Kenntnis des gr. A.s über etruskische Vermittlung u. über die gr. Kolonien in Sizilien u. Süditalien; sie wandelten es für ihre Bedürfnisse ab. Inschriftliche Zeugnisse der lat. Majuskelschrift sind seit dem 7./6. Jh. v. Chr. erhalten. Träger der Schriftlichkeit im frühen MA waren in SOE der oström. Staat u. die christl. Glaubensboten. Im Ostteil des röm. Reiches wurde das Lateinische als offiz. Staatssprache im 7. Jh. vom Griechischen abgelöst. Nach Ausweis der Inschriften verlief die lat.-gr. (Schrift-) Sprachgrenze horizontal v. Durrës (Dyrrhachion) aus quer durch die Balkanhalbinsel. Die Abkehr der byz. Reichskirche vom Dreisprachendogma, das nur Hebräisch, Gr. u. Lat. als heilige Schriften anerkannte, machte in der Slavenmission den Weg frei für Neuschöpfungen. Für die Mission im →Großmährischen Reich, zu der 863 im ksl. Auftrag die aus Thessaloniki stammenden gr. Slavenlehrer Kyrillos/Konstantinos u. Methodios (→Slavenapostel; →Christianisierung) aufbrachen, schuf der gelehrte Kyrillos ein eigenes Schriftsystem, die sog. Glagolica (v. altkirchenslav. glagol – Wort). Die ältesten kirchenslav. Texte sind in dieser Kunstschrift überliefert. Die Herleitung der einzelnen Buchstabenformen ist strittig. Die Glagolica wurde unter den jurisdiktionell der byz. Reichskirche zugehörenden slav. Völkern Ende des 10. Jh.s durch das kyr. A. abgelöst, dessen Buchstabenformen teils der gr. Unzialschrift entlehnt, teils den glagolit. Schriftzeichen nachgebildet sind. Das Glagolitische führte während des MA in abgewandelter Form (als sog. eckige Glagolica) unter den kath. Kroaten im nordwestl. Balkanraum u. auf den Adriainseln ein Eigenleben u. blieb dort lokal bis zum Ausgang des 19. Jh.s in Gebrauch. Die frühe Schriftlichkeit unter den Balkanvölkern war sehr eng mit der Religionszugehörigkeit verbunden. Die zunächst für den kirchl. Gebrauch verwendeten Schriftsysteme sind innerhalb der gleichen Religionsgemeinschaften weitergegeben u. folgerichtig auch für alle Sprachen v. Neuankömmlingen verwendet worden, die innerhalb des Verbreitungsgebietes der jeweiligen Religionen/Konfessionen ansässig wurden. So bedienten sich die 679/81 über die untere Donau einwandernden turksprachigen →Protobulgaren in ihrer Epigraphik vornehmlich der gr. Schrift. Die kyr. Schrift fand nicht nur bei den orth. Slaven, sondern auch bei den turksprachigen orth. →Gagausen in der →Dobrudscha u. in →Bessarabien Verwendung, die erst seit den 50er Jahren des 20. Jh.s über eine eigene Schriftsprache verfügen. Die →Rumänen sind erst im 19. Jh. (nach 1860) zum Gebrauch des lat. Alphabets übergegangen, in →Siebenbürgen schon im 18. Jh. (sog. Siebenbürgischer Latinismus). In sowj. Zeit fand in der Republik →Moldau das kyr. A. Verwendung, 1989 kehrte man (außer in →Transnistrien) wieder zum lat. A. zurück. Die lat. Schrift verbreitete sich bei den romanischen u. germanischen Völkern, aber auch unter den Slaven, die v. der Westkirche missioniert wurden, u. unter finnougrischen Völkern in Osteuropa. Die ältesten slav. Texte in lat. Schrift, die sog. Freisinger Denkmäler, wurden zw. 975–1025 niedergeschrieben (in alter sloven. Sprache; →Sprachen). Mit der Sprachreform Atatürks 1928 verdrängte das lat. Alphabet im säkularisierten türk. Staat die arabische Schrift, die als Schrift des Koran über die osm. Eroberer Eingang in SOE gefunden hatte.
Alphabet(e) / Alphabetisierung
In Gebieten mit relig. gemischter Bev. waren in der FNZ mehrere A. nebeneinander in Gebrauch. So z. B. in →Bosnien, wo außer der arabischen, lat., kyr. u. hebräischen Schrift auch lokale Varianten benutzt wurden: die Arebica/Arabica, ein dem südslav. Lautsystem angepasste Variante des arabischen A.s, u. die Bosančica, eine spezifische kyr. Schrift. Bei Völkern mit verschiedener Religionszugehörigkeit kam es im Zuge der nationalen Erweckungsbewegung zwangsläufig zum Konflikt der Schriftsysteme, so z. B. im Albanischen, für das seit dem 18. Jh. neben den gr., lat. u. arabischen Schriftzeichen noch sieben weitere eigene Schriftsysteme in Gebrauch waren. Trotz der musl. Mehrheit v. ca. 80 % setzte dort die Nationalbewegung im Gefolge des Kongresses v. Monastir (Bitola) 1908 die Ablösung auch des arab. A. durch das lat. durch, Jahre vor der entsprechenden Entwicklung in der Türkei u. gegen den Widerstand der →Jungtürken. Lit.: I.G. Iliev, Short History of the Cyrillic Alphabet. Plovdiv 2012; G. Schramm, Slawisch im Gottesdienst. Kirchenwortschatz u. neue Schriftsprachen auf dem Weg zu einem christlichen Südosteuropa. München 2007; Glagoljica i hrvatski glagolizam. Hgg. M.-A. Dürrigl u. a. Zagreb, Krk 2004; H. Haarmann, Originalschriften und Schriftimporte des östlichen Europa, in: Lexikon der Sprachen des europäischen Ostens. Hg. M. Okuka. Klagenfurt u. a. 2002, 971–978; Glagolitica. Zum Ursprung der slavischen Schriftkultur. Hg. H. Miklas. Wien 2000; H. Haarmann, Schriftentwicklung und Schriftgebrauch in Südosteuropa vor der Verbreitung des Alphabets, in: Handbuch der Südosteuropa-Linguistik. Hg. U. Hinrichs. Wiesbaden 1999, 185–209, ders., Universalgeschichte der Schrift. Frankfurt 21996; H.W. Schaller, Die Schriftsysteme der Balkansprachen. Entwicklung u. System, Linguistique Balkanique 23 (1990), 27–41; T. Eckhardt, Azbuka. Versuch einer Einführung in das Studium der slavischen Paläographie. Hg. M.D. Peyfuss. Wien u. a. 1989; H. Hunger, Schreiben u. Lesen in Byzanz. Die byzantinische Buchkultur. München 1989; V.A. Istrin, 1100 let slavjanskoj azbuki. Moskva 21988; V. Stojanov, Die Entstehung u. Entwicklung der osmanisch-türkischen Paläographie u. Diplomatik. Berlin 1983 ; E. Zakhos-Papazahariou, Babel balkanique. Histoire politique des alphabets utilisés dans les Balkans, Cahiers du monde russe et soviétique 13 (1982), 143–179; H. Schelesniker, Schriftsysteme bei den Slawen. Innsbruck 1972; P. Djordjić, Istorija srpske ćirilice. Paleografsko-filološki prilozi. Beograd 1971; W. Lehfeldt, Das serbokroatische Aljamiado-Schrifttum der bosnisch-hercegovinischen Muslime: Transkriptionsprobleme. München 1969; S. Skendi, History of the Albanian Alphabet. A Case of Complex Cultural and Political Development, SOF 29 (1960), 263–284; E.F. Karskij, Slavjanskaja kirillovskaja paleografija. Leningrad 1928 (Ndr. Moskva 1979); P.A. Lavrov, Paleografičeskoe obozrěnie kirillovskago pis’ma. Petrograd 1914; V. Gardthausen, Griechische Paläographie. 2 Bde. Leipzig 21911/1913. E. H.
Alphabetisierung. Die A. der Bev., d. h. die Vermittlung elementarer Lese- u. Schreibkenntnisse, gilt als eine der Grundvoraussetzungen für die Entwicklung des „Humankapitals“, das gelegentlich auch als „vierter Produktionsfaktor“ (neben Boden, Arbeit u. Kapital) bezeichnet wird. In SOE wurde die Bekämpfung des Analphabetentums während des 19. Jh.s zum Programm erhoben, doch stellten sich durchgreifende Erfolge i.d.R. erst langsam ein. Noch Mitte des 20. Jh.s wies die A. gravierende Defizite (mit großen regionalen Unterschieden)
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Alphabetisierung
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auf. Zu Beginn des 19. Jh.s hatte sich die Bev. im Balkanraum nahezu ausschließlich aus Analphabeten zusammengesetzt (von einigen Gruppen der ohnehin geringen Stadtbev. u. Teilen des Klerus abgesehen). Die für die Bildung der orth. Bev. im Osm. Reich zuständigen Kirchengemeinden u. Klöster waren ihrer Aufgabe so unzulänglich nachgekommen, dass selbst viele Mitglieder des niederen Klerus kaum lesen, geschweige denn schreiben konnten (also Analphabeten oder Halbanalphabeten waren). Günstiger stellte sich die Situation in den Länder der ung. Krone dar, was teils auf das stärkere Engagement der kath. u. prot. Kirchen, teils auf die staatl. Reformen in der Epoche des aufgeklärten →Absolutismus u. teils auf die weiter entwickelten sozioökon. Rahmenbedingungen zurückzuführen war. Aber auch in Ungarn war die Schreibkundigkeit deutlich geringer als in Westeuropa. Statistisch wurden die Ergebnisse der A. erstmals in der ung. Volkszählung von 1869 erfasst. Danach konnten in Ungarn (ohne Nebenländer) knapp 50 % der Bev. über 7 Jahre lesen (oder lesen u. schreiben), in Siebenbürgen waren es nur 21 %, in Kroatien-Slawonien 16 % u. im Militärgrenzgebiet 33 %. Nach Einführung der allg. Schulpflicht (1868) machte die A. deutliche Fortschritte, so dass die Analphabetenrate bis 1930 in Trianon-Ungarn unter 10 % der Bevölkerung (über 6 Jahre) sank. In den Balkanländern verlief die A. stark verzögert, obwohl auch dort der obligatorische Schulbesuch zu unterschiedlichen Zeitpunkten im Verlauf des 19. Jh.s (1834 in Griechenland, 1864 in Rumänien, 1878 in Bulgarien, 1882 in Serbien) eingeführt worden war (Albanien folgte 1921). Lange Zeit stand die Schulpflicht aber nur auf dem Papier. Zur Jahrhundertwende wiesen die Balkanländer Serbien, Bulgarien u. Rumänien – zusammen mit dem europäischen Teil Russlands u. Portugal – die höchsten Analphabetenquoten unter den souveränen Staaten Europas auf (zw. 72 % u. 80 % der Gesamtbev. ohne Kleinkinder). Serbien hielt mit 80 % die Spitzenposition. Auf der anderen Seite der Skala standen die skandinavischen Länder, die Schweiz u. Deutschland, dicht gefolgt von den Niederlanden, England u. Wales sowie Finnland. In allen diesen Ländern lag die Analphabetenrate zw. annähernd Null u. 10 %. Das Bildungsgefälle v. den ehemals habsb. zu den vormals osm. Gebieten SOEs blieb auch im Verlauf des 20. Jh.s deutlich ausgeprägt. In den 1930er Jahren betrug die Analphabetenrate in Jugoslawien 45 % (mit extremen Unterschieden zw. NW u. SO), in Rumänien 42 % u. in Griechenland 41 % der jeweiligen Gesamtbev. über 7–11 Jahre. Bulgarien rangierte mit 31 % deutlich vor den anderen Balkanstaaten, während der Spätstarter Albanien mit 80 % das Schlusslicht bildete. In allen Ländern gab es noch starke Diskrepanzen zw. Stadt- u. Landsowie männlicher u. weiblicher Bev. Nach dem 2. Wk. wurde die A. zwar energisch vorangetrieben, aber noch zu Beginn der 60er Jahre war der Analphabetismus in weiten Teilen des Balkanraums nicht überwunden (namentlich bei der weiblichen Bev.). In vielen Regionen Jugoslawiens (südl. v. Save u. Donau), in Albanien, Nordgriechenland sowie in einigen Bezirken Bulgariens u. Rumäniens besaß ein namhafter Teil der Bev. (stellenweise bis zu 50 %) noch immer keine Lese- u. Schreibkenntnisse. Selbst anlässlich der Volkszählung v. 1981 waren im engeren Serbien noch mehr als 10 % der Bev. im Alter v. über 10 Jahren Analphabeten. Das heißt, dass es in einem Zeitraum v. anderthalb Jahrhunderten (beginnend mit dem serb. Autonomiestatut von 1830) nicht gelungen war, den Analphabetismus auszumerzen. Der schleppende Verlauf der A. hatte vielfältige Gründe. V. a. in den ersten Jahrzehnten
Alphabetisierung / Altgläubige
nach der jeweiligen Staatsgründung fehlte es an geeigneten Schulgebäuden, an qualifizierten Lehrern u. an Unterrichtsmaterial. Hinzu kamen die Vorbehalte der Landbev. gegen die Schulen. Ein Großteil der Bauern betrachtete den Schulbesuch ihrer Kinder (v. a. der Mädchen) als Zeitverschwendung u. Verlust von Arbeitskräften, zumal in den Schulen kaum praxisnahes Wissen (dafür aber viel Nationalideologie) vermittelt wurde. Das in den Schulen erworbene Wissen wurde oft nach kurzer Zeit wieder vergessen, so dass die A. langsamer voranschritt, als der Schulbesuch erwarten ließ. Die pol. Eliten in den Balkanländern (mit Ausnahme Bulgariens) haben die entwicklungsstrategische Bedeutung einer alle Schichten der Bev. umfassenden Elementarbildung lange Zeit verkannt. Die Anhebung des bäuerlichen Wissensstands rangierte auf ihrer Prioritätenliste weit hinter der Befriedigung „nationaler Ziele“, dem Aufbau des Militärs, der Erweiterung des bürokratischen Apparats u. der ebenso egoistischen wie prestigeträchtigen Pflege des höheren Bildungswesens. Die staatl. Aufwendungen für die A. blieben deshalb weit hinter den Bedürfnissen u. Möglichkeiten zurück. Ein Großteil der Lasten für die Grundschulen wurde auf die Gemeinden abgewälzt, die dazu weder kompetent noch finanziell hinreichend ausgestattet waren. Eine auf die praktischen Bedürfnisse der Bevölkerungsmehrheit ausgerichtete Bildungskonzeption existierte nicht einmal ansatzweise. Die angestrebte →Modernisierung v. Wirtschaft u. Gesellschaft ist damit lange Zeit maßgeblich erschwert worden. Lit.: M. Isić, Osnovno školstvo u Srbiji 1918–1941. 2 Bde. Beograd 2005; ders., Pismenost u Srbiji izmedju dva svetska rata. Beograd 2001; K.P. Daskalova, Gramotnost, knižnina, čitateli i četene v Bălgarija na prechoda kăm modernoto vreme. Sofija 1999; M. Mayer, Elementarbildung in Jugoslawien (1918–1941). Ein Beitrag zur gesellschaftlichen Modernisierung? München 1995; Allgemeinbildung als Modernisierungsfaktor. Zur Geschichte der Elementarbildung in Südosteuropa von der Aufklärung bis zum Zweiten Weltkrieg. Hgg. N. Reiter/H. Sundhaussen. Berlin 1994; S. Papaioannou, Modernisierung u. Bildung in Griechenland. Bremen 1994; H. Sundhaussen, Analphabetismus u. Bildungswesen, in: Ders., Historische Statistik Serbiens 1834–1914. Mit europäischen Vergleichsdaten. München 1989, 534–570; B.R. Mitchell, European Historical Statistics 1750–1975. New York, London 21980; I. Popescu Teiușan, Contribuţii la studiul legislaţiei şcolare romîneşti. Legea instrucţiei publice din 1864. Bucureşti 1963; UNESCO: World Survey of Education. II: Primary Education. Paris 1958. UNESCO: Progress of Literacy in Various Countries. Paris 1953; Annuaire international de statistique. Publié par l’office permanent de l’Institut international de statistique. Bd. 1: Etat de la population (Europe). La Haye 1916; Statist. Jahrbücher der jeweiligen Staaten. H. S.
Altgläubige (a. Altritualisten; russ. starover[c]y, staroobrjadcy). Nach der Spaltung (Raskol) der russ.-orth. Kirche 1666/7 entstandene, gegen die Reform des Patriarchen Nikon gerichtete, sehr konservative, altrussisches vorpetrinisches Brauchtum bewahrende u. westl. Einflüsse (Tabak, Kaffee, moderne Kleidung) abwehrende Glaubensgemeinschaft. Unter ihrem geistlichen Führer, dem Protopopen Avvakum, v. Staat u. Kirche verfolgt, in den massenhaften Selbstmord oder zur Flucht in die Randgebiete des Zarenreichs bzw. ins Ausland getrieben; bald Aufspaltung in Popovcy (Priesterliche), ab 1846 mit neuer Hierarchie v. Belaja Krinica unter dem Metro-
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Altgläubige / Anabaptisten (Täufer)
politen Ambrosios (Exmetropolit v. Sarajevo), in Beglopopovcy, seit 1923 mit eigener Hierarchie v. Novozybkov, Moskau u. ganz Russland, sowie in die in zahlreiche Fraktionen (russ. tolky) zersplitterten Bespopovcy (Priesterlose). Zu den A. in SOE s. →Lipowaner, →Nekrasovcy. Lit.: P. Hauptmann, Rußlands Altgläubige. Göttingen 2005; I. Grek-Pabisowa, Staroobrzędowcy. Warszawa 1998; S.G. Vurgaft/I.A. Ušakov, Staroobrjadčestvo. Opyt ėnciklopedičeskogo slovarja. Moskva 1996; Skupiska staroobrzędowców w Europie, Azji i Ameryce. Ich miejsce i tradycje we współczesnym świecie. Warszawa [1994]; P. Hauptmann, Das russische Altgläubigentum 300 Jahre nach dem Tode des Protopopen Avvakum, Kirche im Osten 29 (1986), 69–135; S. Zen’kovskij, Russkoe staroobrjadčestvo. Duchovnye dviženija semnadcatogo veka. München 1970; P. Hauptmann, Altrussischer Glaube. Der Kampf des Protopopen Avvakum gegen die Kirchenreformen des 17. Jh.s. Göttingen 1963; V. Pleyer, Das russische Altgläubigentum. Geschichte. Darstellung in der Literatur. München 1961; V.I. Kel’siev, Sbornik pravitel’stvennych svedenij o raskol’nikach. 2 Bde. London 1860/61; A.P. Ščapov, Russkij raskol staroobrjadstva. Kazan’ 1859. K. St.
Anabaptisten (Täufer). Tiroler Täufer (Hutterer) siedelten sich gegen 1535 in Mähren an, wurden dann nach Oberungarn abgedrängt, 1622 v. dort weitgehend vertrieben, z. T. Ansiedlung in →Siebenbürgen. Allmählicher Zerfall ihrer Gemeinschaftssiedlungen, in Ober ungarn auch relig. u. sprachliche Assimilation (Habaner). In Siebenbürgen wird die kleine verbliebene Gruppe durch →Lutheraner, die aus →Kärnten zwangsumgesiedelt („transmigriert“) worden sind, aufgefüllt (1756). Gemeinschafts- u. Glaubensleben wird neu belebt, die Zahl der Angehörigen bleibt jedoch vorerst klein (weniger als 500). Ständige Verfolgungen bewegen die Gruppe, nach Osten auszuweichen. Es gibt mehrere Zwischenstationen, bis in Weißrussland eine bis ins späte 19. Jh. erhaltene Ansiedlung möglich ist. Die Einziehung zum russ. Militärdienst bewegt die Hutterer zum Abzug nach USA u. (später) Kanada. Andere Gruppierungen des 16. Jh.s in Polen ansässig (Mennoniten); auch sie verließen das Land im 19. Jh. In allen Fällen handelte es sich um Anhänger der gewaltfreien Richtung des Täufertums, wobei für die Lehrgrundlagen die Schriften des Peter Riedemann (a. Rideman(n) oder Ryedemann) v. entscheidender Bedeutung waren. Die gemeinsamen Haushaben/Brüderhöfe (→Großfamilien), das auf Wahl u. Beauftragung beruhende Laienpriestertum (oft mit Lehrertätigkeit verbunden), die kons. Lebensform sind charakteristisch geblieben, ebenso die Bewahrung der dt. Sprache (Basis bei den Hutterern: Tiroler Dialekt, durch Kärntner Zuwanderer verändert). Die ursprünglich handwerklichen Kenntnisse (Töpferei) wurden erst nach dem Verlassen Siebenbürgens aufgegeben.
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Lit.: A. Chudaska, Peter Riedemann. Konfessionsbildendes Täufertum im 16. Jh. Gütersloh 2003; F. Király, Die Geschichte der deutschsprachigen Anabaptisten in Ungarn, 16.–18. Jh., SOF 44 (1985), 83–98; E. Buchinger, Die Geschichte der Kärntner Hutterischen Brüder in Siebenbürgen u. in der Walachei (1755–1770), in: Rußland u. Amerika, Sonderdr. aus Carinthia I (1982) (172. Jg.), 145–302; Mennonitisches Lexikon. 4 Bde. Frankfurt/M. 1913–1967. G. R.
Anjou
Anjou. Frz.-engl. Adelsfamilie, deren sizilisch-neapolitanischer Zweig im 14. Jh. den ung. Thron erwarb. Maria, Tochter Kg.s Stephan V. von Ungarn, wurde mit Karl II. Anjou v. Sizilien verheiratet; ihr Sohn, Karl Martell, erhob bereits 1290, da die Legitimät des letzten →Arpaden, Kg. Andreas III. angezweifelt wurde, Anspruch auf Ungarn. Von mehreren Baronen u. Prälaten wurde dann dessen Sohn Karl Robert (Caroberto) 1301 nach Ungarn geführt u. gekrönt, doch gewann er die Unterstützung der Mehrheit des Adels erst nach mehreren Jahren päpstlicher Intervention gegen die Kg.e Wenzel III. (in Ungarn Ladislaus genannt) v. Böhmen (1301–1304) u. Otto v. Wittelsbach (1304–1308), beide Nachfahren der Arpaden in der weiblichen Linie. 1308 gelang es dem päpstlichen Legaten, Kardinal Giovanni Gentile, die ung. →Stände – die zwar die v. der Kurie unterstrichenen Erbansprüche in Betracht zogen, aber (zum ersten Mal in Ungarn) auch auf ihr Wahlrecht pochten – für Karl zu gewinnen u. ein zweites Mal mit einer v. ihm eingesegneten Krone zu krönen. Doch im Lande bestand man auf der Tradition, dass nur eine Krönung mit der →„Stephanskrone“ – die sich seit 1304 in den Händen des siebenbürgischen Woiwoden (→Vajda) Ladislaus Kán befand – legitim sei. Endlich vermochte Gentile auch Kán auf seine Seite zu bringen. Zum dritten Mal gekrönt, konnte dann Karl I. (1312–1342) seine Herrschaft nach langwierigen Kämpfen mit den Oligarchen (die zu fast autonomen Teilfürsten aufgestiegenen mächtigen Sippen v. Amadäus Aba u. Matthäus Csák, die kroat. Šubići, usw.) festigen. In der Entscheidungsschlacht 1312 bei Rozgony siegte Karl mit Hilfe der Kaschauer Bürger u. der Zipser Sachsen (→Zips); bis 1321 wurden die meisten enteigneten Königsburgen u. -güter wieder erobert. Durch Neuordnung der Militär- u. Justizverfassung sowie der Regalieneinkünfte (insbesondere des Bergbaus u. der Münze →Forint), ferner gestützt auf eine, teilweise aus dem Ausland mitgeführte, teilweise aus dem mittleren →Adel erhobene neue Aristokratie, denen oft mehrere →Komitate, Burgen u. Krongüter als „honores“ (Amtsgüter) anvertraut wurden, sicherte Karl die kgl. Kontrolle über das Land. Sein Hof wurde zu einem Zentrum ritterlicher Kultur, u. die Aristokratie folgte dem König im Ausbau ihrer Residenzen. Das Treffen der drei Könige – zu dem außer Johann v. Böhmen u. Kasimir III. (d. Gr.) v. Polen die Gesandten mehrerer Herrscher 1335 nach Visegrád kamen, um ihre Streitigkeiten beizulegen u. das Stapelrecht v. Wien zu umgehen – zeigte an, zu welchem Ansehen der Angevine gelangt war. Aus seiner dritten Ehe, mit der Piastin Elisabeth, gingen drei Söhne hervor, v. denen zwei den Vater überlebten. Sein Nachfolger in Ungarn, Ludwig I. (1342–1382), später „der Große“ genannt, konnte – auf das Aufbauwerk des Vaters, das er fortsetzte, gestützt – mehrere, wenn auch erfolglose dynastische Kriege in Neapel (wo sein Bruder Andreas, mit der Erbin Johanna vermählt, ermordet wurde) führen, ung. Ansprüche auf dem nördl. Balkan geltend machen u. als Erbe seines Onkels Kasimir 1370 auch den poln. Thron erwerben. Er war es, der zum ersten Mal den für die folgenden Jahrhunderte Ungarns Schicksal bestimmenden Osmanen begegnete. Das v. ihm auf dem Landtag (→Országgyűlés) v. 1351 erlassene Dekret mit der Bekräftigung der →Goldenen Bulle v. 1222 wurde zum festen Bestandteil der ung. „Verfassung“. Als Ludwig I. 1382 ohne Söhne zu hinterlassen starb, erwies sich die aristokratische Gefolgschaft nicht einhellig genug, die Nachfolge der Tochter Maria (1382– 1395) in Ungarn zu sichern. Maria wurde zwar als Herrscherin anerkannt, doch bald brachen Aufstände gegen ihr u. ihrer Mutter Regiment aus u. führten schließlich 1386 zur Krönung
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Anjou / Annexionskrise (1908/09)
des neapolitanischen Angevinen, Karl (II.) „des Kleinen“ (v. Durazzo/Durrës), eines Neffen Karls I., der zeitweilig in Ungarn hohe Staatsämter innehatte, zum Kg. Nachdem Karl kurz darauf v. den Anhängern der Königinmutter Elisabeth Kotromanić ermordet wurde, flammte die Rebellion wieder auf. Die Königinnen fielen in die Hände der Aufständischen in Kroatien, Elisabeth wurde in Novigrad erdrosselt. Maria, die kurz davor mit dem Markgrafen v. Brandenburg, Sigismund v. Luxemburg, vermählt worden war, wurde durch ihren Gemahl, den die ung. Stände 1387 zum Kg. erhoben hatten, befreit. An den Staatsgeschäften nahm sie aber kaum mehr teil. Mit ihrem frühen Tod starb der ung. Zweig der Anjou aus. Karl v. Durazzos Sohn, Ladislaus, versuchte zwar 1403 mit Hilfe unzufriedener Adeliger gegen Sigismund als Gegenkönig aufzutreten, doch er kam über Zara/Zadar nicht hinaus u. kehrte nach Italien heim. Er starb ohne legitime Nachfolger. Lit.: E. Csukovits, Az Anjouk Magyarországon. Bd. 1: I. Károly és uralkodása (1301–1342). Budapest 2012; I. Bertényi/L. Szende, Anjou-királyaink és Zsigmond kora. ebd. 2011; P. Engel, Realm of St. Stephen: a history of medieval Hungary, 895–1526. London u. a. 2001; J.M. Bak/P. Engel/J.R. Sweeney, Legislation in the Fourteenth and Early Fifteenth Century: Editors’ Introduction, in: diess., The Laws of the Medieval Kingdom of Hungary. Decreta regni mediaevalis Hungariae. Bd. 2: 1301–1457. Salt Lake City/UT 1992, xix-li; O. Halecki, Jadwiga of Anjou and the Rise of East-Central Europe. Boulder/CO 1991; I. Bertényi, Magyarország az Anjouk korában. Budapest 1987; Louis the Great, King of Hungary and Poland. Hgg. S.B. Vardy/G. Goldschmied/L.S. Domonkos. Boulder/CO 1986; M. de Ferdinandy, Ludwig I. von Ungarn (1342–1382), SOF 31 (1972), 41–80; E.G. Léonard, Les Angevins de Naples. Paris 1954; V.B. Hóman, Gli Angioini di Napoli in Ungheria, 1290–1403. Roma 1938; I. Miskolczy, Magyar – olasz összeköttetések az Anjouk korában. Budapest 1937. J.M. B.
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Annexionskrise (1908/09). Als A., auch bosnische A., werden die außenpol. Folgen der Annexion →Bosnien-Herzegowinas durch Österreich-Ungarn am 5.10.1908 bezeichnet. Die Annexion u. die am gleichen Tag proklamierte Unabhängigkeitserklärung →Bulgariens u. seine Erhebung zum Kgr. waren ein klarer Verstoß gegen die →Berliner Kongressakte. Beide Schritte wurden v. den europ. Großmächten wie vom →Osm. Reich als konzertierte Aktion des österr.-ung. Außenministers Baron Aloys Lexa v. Aehrenthal aufgefasst u. entrüstet abgelehnt. Dieser war ein entschiedener Vertreter eines offensiven außenpol. Kurses der Donaumonarchie u. sehr auf Ausbau ihrer Stellung auf dem Balkan bedacht. Deshalb sah er nach der jungtürkischen Revolution im Juli 1908 (→Jungtürken) u. den v. ihr angestrebten Parlamentswahlen im gesamten Osm. Reich, in die auch Bosnien-Herzegowina einbezogen werden sollte, gar keine andere Möglichkeit, als dieses v. Wien seit 1878 bis dahin nur verwaltete Mandatsgebiet vollständig der Monarchie einzuverleiben. Aufgrund seiner mit dem russ. Außenminister Alexander Petrovič Izvol’skyj am 16.9.1908 in Buchlau/Buhlovice geführten Gespräche ging Aehrenthal v. einer russ. Zustimmung zu seinen Annexionsplänen aus. Als Izvol’skyj im Oktober mit dem Sturm der russ. öffentlichen Meinung konfrontiert wurde, verlangte er aber eine internationale Konferenz der Berliner
Annexionskrise (1908/09)
Signatarmächte, um Österreich-Ungarn zur Verantwortung zu ziehen. Die Ära der vom Vorgänger Aehrenthals, Grafen Gołuchowski, 1897 konzipierten Entente sowie der seit dem Abkommen v. Mürzsteg 1903 (→Makedonische Frage) tatsächlich realisierten Kooperation Wiens mit St. Petersburg auf dem Balkan kam damit zu einem jähen Ende u. machte einer offenen Konfrontation mit Russland Platz, das auch nicht mehr vor Kriegsdrohungen zurückschreckte. Nur die Intervention Deutschlands, das gleichfalls v. der Annexion überrascht u. durch diese seine starke Stellung in Istanbul bedroht sah, verhinderte das Zustandekommen der v. Russland geforderten Konferenz u. damit die Verurteilung der Doppelmonarchie u. brachte die russ. Regierung unter Stolypin im März 1909 dazu, der Annexion zuzustimmen. Die Zustimmung Istanbuls vom 26.2.1909, das inzwischen einen wirksamen Boykott über alle Warenimporte aus Österreich-Ungarn verhängt hatte, erkaufte sich Aehrenthal gegen einen Preis v. 2,5 Millionen türk. Pfund u. der bereits mit der Annexion angekündigten Aufgabe der 1878 v. Österreich-Ungarn erworbenen milit. Stationierungsrechte im →Sandschak v. Novipazar. Um das kriegsbereite Serbien, das Bosnien u. die Herzegowina als „serb. Länder“, als „Herz der serb. Nation“ (Jovan Cvijić), verstand u. sich um seine Hoffnungen auf Bosnien betrogen sah (→Irredentismus), zu disziplinieren, überreichte Aehrenthal am 19.3.1909 der Regierung in Belgrad ein Ultimatum, das neben der formellen Anerkennung der Annexion die Abgabe einer Erklärung forderte, Serbiens Haltung gegenüber Wien zu ändern u. zu verbessern. Aehrenthal wollte nach Möglichkeit den vom Generalstabschef Conrad v. Hötzendorf geforderten „Präventivschlag“ gegen Serbien vermeiden (obwohl Conrad v. seinem dt. Kollegen Helmuth Graf v. Moltke eine briefliche Zusicherung vom 21.1.1909 vorlag, dass Deutschland den casus foederis anerkennen würde, wenn ein Einmarsch Österreich-Ungarns in Serbien Russland zu milit. Eingreifen veranlassen sollte, was dem bis dahin streng defensiven Zweibund eine eindeutig offensive Ausrichtung gab). Großbritannien, Frankreich, Italien u. Russland erklärten sich schließlich zur Abänderung des Berliner Vertrages u. damit zur Anerkennung der Annexion bereit, wenn Wien die v. Serbien verlangte Erklärung als endgültige Erledigung des Streitfalles betrachten u. keine kriegerischen Maßnahmen treffen werde. Aehrenthal lenkte seinerseits ein, worauf der serb. Regierung nichts anderes übrig blieb, als am 31.3.1909 die ihr im Wortlaut vorgelegte Erklärung samt den enthaltenen demütigenden Versprechungen zu unterzeichnen. Die Bedeutung der A. liegt darin, dass sie einerseits erstmals die bedingungslose Unterstützung – in den Worten des damaligen Reichskanzlers Bernhard Fürst v. Bülow: die „Nibelungentreue“ – Berlins gegenüber Wien u. damit die Mechanismen demonstrierte, die schließlich zum Kriegsausbruch 1914 (1. →Weltkrieg) geführt haben, andererseits die beiden Mittelmächte außenpol. in eine kaum mehr überwindbare Isolation gebracht hat, in der auch der Bruch mit dem Dreibundpartner Italien – trotz der formalen Verlängerung dieses Bündnisses – vorgezeichnet war. Zu den geheimen Abmachungen zw. Rom, Paris u. London trat als Folge der A. anlässlich eines Besuches, den Zar Nikolaus II. dem Kg. Victor Emanuel am 24.10.1909 in Racconigi abstattete, ein ebenfalls geheimes Abkommen zw. Italien u. Russland, in dem sich beide Regierungen gegenseitige Unterstützung zusicherten, falls Österreich-Ungarn einen neuen Vorstoß zur Abänderung des Status quo auf dem Balkan unternehmen sollte.
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Antisemitismus
Quellen u. Lit.: 1908, l’annexion de la Bosnie-Herzégovine, cent ans après. Hg. C. Horel. Bruxelles 2011; Ottoman Diplomatic Documents on the Origin of World War One. Bd. 2: The Bosnian annexation crisis, September 1908–May 1909. Hg. S. Kuneralp. Istanbul 2009; K. Adam, Großbritanniens Balkandilemma: Die britische Balkanpolitik von der bosnischen Krise bis zu den Balkankriegen 1908–1913. Hamburg 2009; ders., Die Außenpolitik Österreich-Ungarns in der bosnischen Annexionskrise. Wien 2004; H. Haselsteiner, Bosnien-Hercegovina. Orientkrise u. Südslavische Frage. Wien u. a. 1996; V. Corović, Odnosi izmedju Srbije i Austro-Ugarske u XX veku. Beograd 1992; S.R. Williamson, Austria-Hungary and the Origins of the First World War. London 1992; F.R. Bridge, Izolvsky, Aehrtenthal, and the End of the Austro-Russian Entente 1906–1908, MÖStA 29 (1976), 315–362; N. Stojanović, Bosanska kriza 1908–1914 god. Sarajevo 1958; W.M. Carlgren, Iswolsky u. Aehrenthal vor der bosnischen Annexionskrise. Uppsala 1955; B.E. Schmitt, The Annexation of Bosnia 1908–1909. Cambridge 1937 (Ndr. New York 1970); J. Cvijić, L’Annexion de la Bosnie et la question serbe. Paris 1909. G. S.
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Antisemitismus. Um 1880 entstandener Begriff. Im strengen Sinn wird nur jene Ideologie als A. bezeichnet, die im Unterschied zum relig. bestimmten Antijudaismus die Juden aufgrund ihrer angeblichen rassischen Merkmale diskriminiert. Der Charakter des A. war in jeder Region unterschiedlich. Dies entspricht dem auch selbstbetonten irrationalen Charakter der Bewegung, die v. einer axiomatischen Abneigung gegen Juden ausgeht u. die Argumente dafür dem lokalen Kontext entnimmt. Ziel u. Argumentation weichen dabei immer voneinander ab. Die vermeintliche rassische Inferiorität der Juden spielte nicht immer u. überall eine entscheidende Rolle. Gerade im unterentwickelten soe. Raum wurden den →Juden oft sogar besondere intellektuelle Fähigkeiten nachgesagt, die aber einen negativen Einfluss auf die „gesunde“ bäuerliche Umwelt hätten. Insofern weist der soe. A. deutliche Zeichen v. Minderwertigkeitskomplexen unter den Intellektuellen der Mehrheitsnation auf, wobei sich Fortschrittspessimismus mit einer Verklärung des bäuerlichen Lebens paart (vgl. a. →Populismus). Auffällig ist auch das relativ starke relig. Element. Die bedeutendsten antisem. Bewegungen weisen Rumänien u. Ungarn auf. In beiden Ländern tritt der A. in erster Linie als Emanzipationsideologie kleinbürgerlicher u. anderer soz. benachteiligter Schichten auf. In Rumänien entzündete sich der A. an der massiven Einwanderung v. Juden (jiddischsprachigen →Aschkenasim, zumeist aus Russland u. der Habsburgermonarchie) innerhalb kurzer Zeit u. der exponierten wirt. Funktion einiger weniger jüd. Familien. In der noch halbfeudal geprägten Struktur Rumäniens vor 1918 spielten die Juden wie überall im osteurop. Raum die Rolle v. Mittlern zw. Adeligen u. Bauern oder waren zumeist kleine Handwerker, Händler u. Schankwirte. Besonders unbeliebt war v. a. aber die kleine Gruppe v. Zwischenpächtern, die im Auftrag der →Bojaren den Bauern Land gegen Wucherzinsen zur Pacht überließ. Antijüd. Ausschreitungen gab es im Gefolge des großen Bauernaufstandes i. J. 1907 (→Bauernaufstände. 19./20. Jh.). Als Gegenleistung für die Anerkennung der Souveränität Rumäniens hatten die europ. Großmächte 1878 auf dem →Berliner Kongress u. a. auch die Einbürgerung der im Lande lebenden Juden verlangt (→Minderheiten/Minderheitenschutz). Bis 1918 gab es jedoch nur einige wenige individuelle
Antisemitismus
Naturalisierungen. Besonders die lib. Partei bemühte sich mit allen Mitteln um die Ausschaltung der jüd. Konkurrenz, während die symbiotisch mit den Juden verbundenen Bojaren u. ihre konservative Partei weniger antijüd. Ressentiments zeigten. Insges. blieb Rumänien neben Russland bis 1923 das einzige europ. Land, das den Juden keine Gleichberechtigung zugestand: zahlreiche Arbeits- u. Bildungsbeschränkungen, gewaltsame Ausweisungen u. gelegentliche Pogrome ließen eine Assimilation kaum zu. 1895 wurde in Bukarest eine Antisemitische Allianz gegründet, der zahlreiche einflussreiche Persönlichkeiten angehörten. In der Zwischenkriegszeit führte die wachsende Diskrepanz zw. dem Modernisierungsdruck u. dem der Größe der Aufgabe inadäquaten Vermögen zur Lösung struktureller Probleme zu einer immer stärkeren Instabilität des Landes, wobei sich in steigendem Maße populistische, antidemokratische u. ethnozentrische Kräfte in den Vordergrund der pol. Szene schoben. Dies gilt insbes. für die zeitweilig sehr erfolgreiche →Eiserne Garde, die sich zu einem Sammelbecken des gewaltbereiten A. entwickelte. Von führenden rum. Philosophen wurde in den 1930er Jahren eine bis heute nachwirkende pseudophilosophische Lehre entwickelt, die nationalistische u. antisem. Elemente mit einer mystisch interpretierten Orthodoxie verquickte. Die so geprägte Atmosphäre unter den Intellektuellen des Landes ist als eine der wegbereitenden Ursachen für die Vernichtung des Großteils der rum. Juden im 2. Wk. anzusehen (→Holocaust). Ungarn: Bis weit nach 1848 waren dt. Stadtbürger aus Westungarn die Vorreiter des A. Der ung. →Adel hatte die Juden dagegen eher gefördert. Als sich die wirt. Verhältnisse nach 1848 weitaus schneller zu wandeln begannen als die traditionellen soz. Strukturen, wandelten sich auch die Trägerschichten des A. Der niedrige Adel musste einen wirt. Abstieg in Kauf nehmen, während talentierten Bauernsöhnen oft nur handwerkliche oder geistliche Berufe offenstanden. Als Antwort darauf entstanden zwei Flügel des ung. A.: der agrarische u. der kath., die im Laufe der Zeit miteinander verschmolzen. Merkmale der Bewegung waren Antikapitalismus, Kritik an Individualismus u. urbaner Kultur, sie strebte eine konservative Gesellschaftsreform mit besonderem Schutz der agrarischen Interessen an, beides wurde mit dem Begriff „christlich“ gleichgesetzt. Die „Fehlentwicklungen“ wurden dagegen mit dem Judentum identifiziert (vgl. →Bürgertum). Die antisem. Parteien formierten sich im Gefolge des Ritualmordprozesses v. Tiszaészlar, konnten aber keinen Einfluss auf das pol. Geschehen nehmen, solange die Koalition zw. den Wortführern der jüd. Gemeinde u. der regierenden Liberalen Partei anhielt. Das ganze Ausmaß der latenten Judenfeindschaft kam nach Wegfall der die Symbiose bedingenden Umstände nach 1918 abrupt zum Vorschein. Das um 2/3 verkleinerte u. ethn. nun einheitliche Ungarn (90 % Magyaren) ließ den Kampf um die Herzen der Minderheiten als überflüssig erscheinen. Der hohe Anteil v. Funktionären jüd. Abstammung unter den Führern der →Räterepublik ließ die Legende v. der jüd. Revolution aufkommen, obwohl auch unter den Opfern der roten Herrschaft viele Juden waren. Der anschließende „weiße Terror“ machte gezielt Jagd auf Juden. Das sich neu festigende pol. System bekannte sich zum sog. „christl.-nationalen“ Kurs, der implizit nur die Juden v. der Partizipation am öffentlichen Leben ausschloss. Dabei etablierte sich die sog. „christl. Mittelschicht“ als dritte Kraft neben Großbürgertum u. Großgrundbesitz. Diese umfasste das Militär, die Intelligenz, den kath. Klerus u. war v. a. antisem. gesinnt. Als erstes europ. Land kannte Ungarn seit 1920 einen antijüd. Numerus Clausus,
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Antisemitismus / Arbeiter
auch wenn bis 1938 eine offene Nennung der Zielgruppe unterblieb. Das eigenartige ung. Herrschaftssystem mit seiner Mischung demokratischer u. autoritärer Elemente hatte in Bezug auf die Behandlung der Juden einen zwiespältigen Charakter. Während das jüd. Großbürgertum zu einer noch stärkeren Konzentration v. Macht u. Besitz in seinen Händen gelangte, wurde die große Masse der Juden pol. mehr u. mehr entrechtet – erwünscht war eine weitgehende Dissimilation u. Verdrängung der jüd. Minderheit, nicht aber ihre physische Vernichtung. Diese mörderische Stoßrichtung kam erst durch das Wirken der →Pfeilkreuzler u. die Beteiligung v. ung. Institutionen u. Bevölkerungsteilen am →Holocaust nach dem Regierungswechsel u. der dt. Besetzung v. 1944/45 zum Tragen. In Bulgarien u. im späteren Jugoslawien spielte der A. bis zum 2. Wk. keine herausragende Rolle. Doch gab es auch in Bulgarien – ebenso wie in Kroatien-Slawonien u. Serbien – eine zeitweilig rege antisemit. Propaganda, wenn auch nicht von staatlicher Seite (→Zbor). Aber nur im →Unabhängigen Staat Kroatien 1941–45 entfachte das Regime (→Ustaše) einen aggressiven A., der in den →Holocaust mündete. Lit.: I. Ognyanova-Krivoshieva, Jewry Related Discourse in Bulgaria Between the First and the Second World War, Radovi. Zavod za hrvatsku povijest 45 (2013), 95–127; Anti-Semitism and the Holocaust in East Central Europe: New Research Trends and Perspectives. [Themenheft] Hgg. M. Cattaruzza/C. Iordachi, East Central Europe 39 (2012), H. 1; M. Vulesica, Die Formierung des politischen Antisemitismus in den Kronländern Kroatien-Slawonien 1879–1906. Berlin 2012; P. Jeleč, Afere i objede. Protužidovski tektstovi u dijecezanskom tisku u Bosni i Hercegovini (1937.– 1941.), Bosna Franciscana 36 (2012), 51–72; A. Oişteanu, Konstruktionen des Judenbildes. Rumänische u. ostmitteleuropäische Stereotypen des Antisemitismus. Berlin 2010; Handbuch des Antisemitismus. Judenfeindschaft in Geschichte u. Gegenwart. Hg. W. Benz. 2 Bde. München 2008, 2009 (Bd. 1: Länder u. Regionen. 2008; Bd. 2/1: Personen A-K. 2009; Bd. 2/2: Personen L-Z. 2009); D. Müller, Staatsbürger auf Widerruf. Juden u. Muslime als Alteritätspartner im rumänischen u. serbischen Nationscode. Ethnonationale Staatsbürgerschaftskonzeptionen, 1878–1941. Wiesbaden 2005; S.R. Fischer, Entwicklungsstufen des Antisemitismus in Ungarn 1867–1939. Die Zerstörung der magyarisch-jüdischen Symbiose. München 1988; Juden u. Antisemitismus im östlichen Europa. Hgg. M. Hausleitner/M. Katz. ebd. 1995; Z. Hartman, Antisemitism in Romania. The Image of the Jew in Romanian Society. Bibliography. Tel Aviv 1993; I. Bibó, Zur Judenfrage. Am Beispiel Ungarns nach 1944. Frankfurt/M. 1990; Anti-Semitism, Holocaust, Anti-Fascism. Hgg. I. Goldstein/N. Lengel Krizman. Zagreb 1997. St. G.
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Arbeiter. Die Staaten SOEs waren noch bis 1945 Agrarstaaten. Zwischen 75 % u. weit über 80 % der Bev. waren selbst 1941 noch in der Landwirtschaft beschäftigt u. dieser relative Anteil nahm auch nur langsam ab (vgl. →Bauern; →Bevölkerung). Nichtagrarische Bevölkerungsgruppen begannen mit den ersten deutlicheren Spuren einer →Industrialisierung zum Ende des 19. Jh.s hin an Bedeutung zu gewinnen; A. blieben aber auch jetzt eine quantitativ marginale Sozialgruppe. Am Vorabend des Ersten Weltkrieges gab es in Serbien ganze 16.000 A. (weniger als 1 % der Gesamtbev.), ähnlich sah es in Bulgarien aus, wo ihre Zahl
Arbeiter
sich 1894–1912 zwar verfünffachte, mit 15.000 aber vergleichbar bedeutungslos blieb. Nur unwesentlich größer war der Anteil zur gleichen Zeit in Griechenland, wo in den 1880er Jahren etwa 40.000 Lohnarbeiter (ca. 2 % der Bev.) gezählt wurden, völlig insignifikant war ihre Zahl in Albanien. Lediglich in Rumänien, das seit den späten 1890er Jahren einen stärkeren Industrialisierungsschub erlebte als seine Nachbarländer, erreichte sie schon vor 1914 eine nennenswerte Größe. Auch hier war sie bis in die 1860er Jahre unbedeutend gewesen u. in der Mehrzahl handelte es sich bei ihnen auch nicht um industr. A. im wahrsten Sinne des Wortes; der Ausbau der Nahrungsmittelindustrie, der Öl-Industrie oder in der Konsumgüterindustrie ließ die Zahl der in der Industrie Beschäftigten gegen 1914 aber auf ca. 10 % der Erwerbsbevölkerung ansteigen. In der Zwischenkriegszeit verstetigte sich der Zuwachs der A. in fast allen soe. Staaten u. stieg in einzelnen Ländern, so in Rumänien u. Jugoslawien, auch beachtlich an. Insbesondere im ethnisch wie ökon. extrem heterogenen Jugoslawien gab es allerdings gravierende regionale Unterschiede. Während in Slowenien in den 1930er Jahren bereits 21 % der Erwerbstätigen zur industr. u. gewerblichen Arbeiterschaft zählten, war diese in den südlichen Landesteilen, v. a. in Makedonien, im Kosovo oder in Montenegro auch jetzt praktisch nicht existent. Gleiches gilt für Albanien, wo selbst die bescheidenen Ansätze einer Industrialisierung kaum zum Entstehen einer einheimischen Arbeiterschaft beitrugen, da die zu einem guten Teil unter it. Kontrolle stehenden Industriebetriebe einen Gutteil der Arbeitskräfte aus Italien mitbrachten. Eine nachhaltige Verschiebung der Sozialstruktur hin zu einer Industriegesellschaft oder wenigstens zu einem agrar-industr. Schwellenland aber bewirkte auch der absolute Anstieg der Arbeiterschaft in keinem der soe. Länder, da der Anstieg der industr. Erwerbstätigkeit den nach wie vor hohen Bevölkerungszuwachs nicht nachhaltig zu kompensieren vermochte (→Bevölkerung, Abschnitt 3). Nicht nur vor dem Ersten Weltkrieg, sondern auch in der Zwischenkriegszeit blieben die Grenzen zw. industr. Arbeiterschaft u. handwerklich u. gewerblichen Beschäftigten (→Handwerker) ohnehin fließend. Ein beträchtlicher Teil der statistisch offiziell als A. geführten Beschäftigten war in eher kleingewerblichen Betrieben beschäftigt, die mit industr. Arbeitsverhältnissen nur wenig zu tun hatten. Auch blieb ein Großteil der A. zudem noch stark mit seinen dörflichen Wurzeln u. Traditionen verbunden. Weit verbreitet war in praktisch allen Ländern das Phänomen der sogenannten „industrialisierten Bauern“, die ökon. wie mental noch mit einem Bein mit ihrer dörflichen u. agrarischen Lebenswelt verankert waren. V. a. vor 1918 ging ein Großteil der A. sehr verschiedenen Formen des Broterwerbs nach; abhängige Lohnarbeit stand neben landwirt. Nebenerwerb oder zeitweiliger Wanderarbeiterschaft (pečalbarstvo; kurbet/gurbet), die besonders in Bulgarien, Serbien u. dem noch osm. Makedonien u. Südostalbanien verbreitet war. Zum Teil wurden diese Bindungen der A. an das Land durch die politische Elite aus Sorge vor einer unkontrollierten →Urbanisierung u. Proletarisierung bewusst konserviert. In Serbien bzw. nach 1918 in Teilen Jugoslawiens band der vom Staat ausgehende Schutz der kleinbäuerlichen Wirtschaft etwa auch jene an das Land, die sich bereits aus Gründen der Existenzsicherung einer Industriearbeit nachgingen. Erst in der Zwischenkriegszeit nahm der Typus des „ständigen Arbeiters“ zu, auch jetzt aber verdrängte er den „industrialisierten Bauern“ nicht. Selbst in
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relativ industrialisierten Regionen, wie etwa im jug. Save-Banat, zählten noch 1929 etwa die Hälfte aller Industriearbeiter zu dieser hybriden Sozialgruppe. Auch in der mentalen u. lebensweltlichen Profilierung spiegelte sich diese Hybridität wider. Alltag, Ernährungsgewohnheiten u. Verkehrsformen blieben noch lange Zeit durch Überlappungen u. Synkretismen zw. dörflichen u. urban-proletarischen Lebensformen gekennzeichnet, die sich erst in der Zwischenkriegszeit langsam abzuschleifen begannen. Der aufgrund ihrer noch jungen Existenz geringe Selbstrekrutierungsgrad der Arbeiterschaft u. der stetige Zuzug neuer A. vom Lande half, diese „Mischexistenz“ zu konservieren. Die geringe sozialstrukturelle Bedeutung der Arbeiter, aber auch ihre noch tiefe Verankerung in dörflichen Milieus machte auch die Klassenbildung der A. schwierig. Die soziale u. pol. Selbstorganisation der A. litt darunter. →Gewerkschaften bildeten sich erst spät. Die Gründung sozialdem. bzw. sozialist. Parteien seit dem späten 19. Jh. (→Sozialismus) war weniger Ergebnis einer sich quantitativ wie politisch u. bewusstseinsmäßig formierenden Arbeiterklasse, sondern ging zumeist auf nichtindustr. beschäftigte Trägerschichten (Lehrer, sonstige Angehörige der Intelligenzija; →vgl. Eliten) zurück, die ausländischen Vorbildern folgten. Die soziale Basis dieser Parteien blieb denn auch bis zum Zweiten Weltkrieg schwach. Das Entstehen einer Industriearbeiterschaft setzte in der Zwischenkriegszeit gleichwohl auch die Frage der Sozialfürsorge auf die Tagesordnung. Die meisten soe. Länder (mit Ausnahme Albaniens) begannen, den sich nunmehr deutlicher zeigenden sozialpol. Folgen der Industrialisierung durch den Aufbau einer staatlichen Sozialfürsorge Herr zu werden. Vorbild war häufig das dt. System staatlicher Sozialgesetzgebung, die praktischen Ergebnisse blieben demgegenüber freilich zurück. Die Auswüchse frühkapitalistischer Arbeitsgestaltung – wie überlanger Arbeitstag, Kinderarbeit, fehlender Arbeitsschutz – wurden gekappt u. die soz. Vorsorgesysteme ausgebaut. Doch geschah Letzteres etwa in Jugoslawien erst in den späten 1930er Jahren umfassender, u. auch jetzt erreichte sie nur einen Teil der Beschäftigten. In Rumänien gelang es in der Ära Braţianu durch Ansätze staatlicher Sozialgesetzgebung, aufkommende Sozialproteste zu kanalisieren. Jenseits formaler Rechtsnormen u. internationaler Verpflichtungen erinnerten die tatsächlichen Arbeitsbedingungen u. sozialen Sicherungsansprüche der A. in SOE aber eher an das Mitteleuropa der Industrialisierungszeit denn an den in West- u. Mitteleuropa in der Zwischenkriegszeit bereits weithin sozial eingehegten Industriestaat. Die im Zuge der →Weltwirtschaftskrise dramatisch verschlechterte materielle Lage der A. (Lohnverfall) ließ auch die Zahl der industr. Arbeitskonflikte in den 1930er Jahren stark ansteigen. Die Länder SOEs erlebten nunmehr Industrialisierung zunehmend als Konflikt um materielle Verteilung u. soziale Sicherung. Auch wenn von der Arbeiterschaft im Ganzen aufgrund ihrer zahlenmäßigen Größe u. ihres Organisierungsgrads keine wirkliche Gefährdung der Staaten u. ihrer Regierungen ausging u. die Arbeiterfrage nicht die gleiche soziale Signifikanz erlangte wie etwa die Agrarfrage, gelang bis zum 2. Wk. die soziale Integration der Arbeiterschaft in die soe. Staaten nicht. Die sozialist. Umwandlung nach 1945 hatte naturgemäß auch fundamentale Folgen für die Sozialstruktur der betroffenen Länder. Mehr noch als in Ländern wie Ungarn oder der Tschechoslowakei musste sich der →Sozialismus im engeren SOE dabei die Arbeiterklasse erst schaffen, auf die die Kommun. Parteien (→ Kommunismus) ihre Herrschaft gründen
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wollten. Nicht zuletzt diesem Ziel diente die forcierte →Industrialisierung, die in den 1950er Jahren einen starken Anstieg der Zahl der Erwerbstätigen zur Folge hatte u. mit einer massiven →Migration von landwirt. Arbeitskräften in die Industrie u. in die Städte einherging. Einhergehend wandelten sich die Gesellschaften zw. den 1950 u. den 1970er Jahren v. Agrarzu Industriegesellschaften bzw. zumindest zu industr. Schwellenländern, in denen der Anteil der A. über 40 % (in Albanien jedoch deutlich weniger) anstieg. Offizielle Statistiken sind dabei freilich für die Zeit des Sozialismus unpräzise, da sie häufig alle im sekundären Bereich Beschäftigten aus ideolog. Gründen unter die Kategorie der A. fassten. Auch jetzt kam der ganz überwiegende Teil der Arbeiterschaft bis in die 1960er Jahre unmittelbar vom Lande u. verfügte über keine Erfahrungen in einer industr. Produktion. Auch die forcierte sozialist. Industrialisierung ließ daher zunächst einen noch stark mit seiner agrarischen Herkunft verbundenen städtischen A. entstehen. Die Akkulturationsprobleme an die städtische u. industr. Arbeits- u. Lebenswelt, welche die frühe Industrialisierung des ausgehenden 19. u. beginnenden 20.Jh.s begleitet hatten, wiederholten sich daher nach 1945. Waren die A. innerhalb der sozialist. Gesellschaft auch pol. u. ideologisch präferiert u. z. T. gegenüber anderen Berufsgruppen v. a. des tertiären Sektors materiell begünstigt, so blieben ihre realen Interessenvertretungsmöglichkeiten doch beschränkt. Formale Partizipationsmöglichkeiten standen überall unter der Kontrolle der Partei, →Gewerkschaften kamen über die Rolle staatsabhängiger Transmissionsorgane nicht hinaus u. Formen spontaner Interessenartikulation blieben den Arbeitern (mit der Ausnahme von Jugoslawien) verwehrt. Zumindest in Jugoslawien, das nicht in gleichem Maße einen staatlich organisierten u. gelenkten Arbeitsmarkt verfolgte wie Bulgarien, Rumänien oder Albanien, zeigten sich dabei in den 1970er Jahren zunehmend Arbeitsplatzprobleme. Die Möglichkeit der Abwanderung in die westeurop. Länder seit den späten 1960er Jahren entlastete die jug. Gesellschaft dabei (genauso wie die griechische) zunächst von einem Arbeitskräfteüberschuss, den die Industrie aufzufangen nicht in der Lage war. Seit den späten 1970er Jahren u. in der dramatischen Wirtschaftskrise der 1980er Jahre stieg indessen die Zahl der „Beschäftigungssuchenden“ in Jugoslawien stark an, zeitweilig sogar schneller als die Beschäftigtenrate. Hierin unterschied sich die jug. Gesellschaft v. der griechischen, wo der lange Zeit gravierende Arbeitskräfteüberschuss, der auch hier durch Arbeitsmigration ins westliche Ausland gemildert wurde, seit den 1960er Jahren zunehmend auch durch eine sich intensivierende Industrialisierung u. eine v. a. seit der Integration des Landes in die Europäische Gemeinschaft 1986 dynamischere Wirtschaftsentwicklung abgebaut werden konnte. Überall in den ehemals sozialist. Ländern schließlich haben die Umbrüche seit 1989 die Quantität der A. wie auch ihre soz. Position stark beeinflusst. Die mit dem Übergang zur Marktwirtschaft einhergehende De-Industrialisierung hat die Zahl der Industriearbeitsplätze beträchtlich sinken lassen. Die Arbeitslosigkeit ist überall nominell stark gestiegen, wenngleich die offiziellen Arbeitslosenstatistiken gesicherte Aussagen über die faktische Beschäftigungslosigkeit nur schwer zulassen. Das Ausmaß ist dabei unterschiedlich u. spiegelt die Verlaufsformen der pol. u. wirt. Transformation wider. Die Arbeitslosigkeit stieg entsprechend vornehmlich im ersten Transformationsjahrzehnt stark an. In den Ländern, welche im Zuge ihrer EU-Integrationspolitik in den 2000er Jahren relativ zügig wirtschaftliche Re-
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formmaßnahmen auf den Weg brachten wie in Slowenien, Rumänien oder Bulgarien, sank diese bis 2008 deutlich ab (Slowenien 2004 6,3 %, 2008 4,4 %; Rumänien 2004 8,7 %, 2008 5,8 %; Bulgarien 2004 12,2% , 2008 5,7 %), bevor sie auch hier im Zuge der internationalen Finanzkrise z. T. wieder deutlich stieg (2014: Rumänien 7,1 %, Bulgarien 12,5 %). Konstant hoch blieb die Arbeitslosenquote trotz EU-Mitgliedschaft in Kroatien (2014 17 %), aber auch in Albanien (14 %) sowie in denjenigen Ländern, die bislang noch nicht zu durchgreifenden wirtschaftlichen Reformen gefunden haben wie Serbien und Makedonien (2014: Serbien 24 %, Mazedonien 29 %). Dramatischer noch war die Lage mit offiz. Arbeitslosenraten von 40 % u. mehr schließlich dort, wo die Folgen der Kriege u. gewaltsamen Konflikte einhergingen mit noch immer bestehender pol. Instabilität u. dadurch bedingten Verzögerungen wirtschaftlicher Reformen, wie in Bosnien-Herzegovina, Makedonien oder im Kosovo. Die Zahlenangaben haben nur einen begrenzten Aussagewert: einerseits beziehen sich die offiz. Statistiken oftmals nur auf jene, die staatliche Unterstützung erhalten, so dass sie die tatsächliche Arbeitslosenzahl unterbewerten, andererseits relativiert die weitverbreitete „Schattenwirtschaft“ den herkömmlichen Begriff v. „Arbeitslosigkeit“ beträchtlich. Für alle soe. Staaten weisen internationale Wirtschaftsorganisationen wie die International Labour Organization oder der Internationale Währungsfonds daher darauf hin, dass die faktische Beschäftigungslosigkeit deutlich unter den Ziffern der offiz. Statistiken liegen dürfte. Der dennoch gravierende Anstieg der Arbeitslosigkeit hat in vielen Ländern aber auch zum Aufleben von Wanderarbeit u. zur Arbeitsmigration in Richtung auf die Staaten der Europäischen Union geführt, so v. a. in Albanien mit einer starken Arbeitsmigration nach Griechenland, aus dem Kosovo oder auch aus der Republik Moldau. Sehr stark ist dieses Phänomen auch in den neuen soe. Mitgliedsstaaten der EU, allen voran in Rumänien. Deutlich verschlechtert haben sich infolge des Überangebots an Arbeitskräften zweifelsohne für alle A. die Arbeitsbedingungen u. die soziale Absicherung. Insges. hat die ungünstige materielle u. soziale Situation der A. bislang nur selten zu einem wirklichen Aufleben sozialen Protestes geführt. (Gerade die großen Protestbewegungen von Arbeitern wie der Bergarbeiterstreik in Rumänien 1996, die Streiks gegen die sozialist. Regierung in Bulgarien 1991 u. 1996 sowie die Unruhen in Albanien 1997 standen eher im Kontext unmittelbarer pol. Auseinandersetzungen; die sozialen Unruhen in Bosnien-Herzegowina u. Bulgarien Anfang 2014 ebbten rasch wieder ab). Offenbar federn Mehrfach-Beschäftigungen sowie der Rückzug auf familiäre Solidarbeziehungen einen Teil der sozialen Gefährdungen ab.
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Lit.: S. Rutar, Towards a Southeast European History of Labour: Examples from Yugoslavia, in: Beyond the Balkans. Towards an inclusive history of southeastern Europe. Hg. dies. Wien u. a. 2014, 323–356; Workers after Workers´States. Labor and Politics in Post-Communist Eastern Europe. Hgg. St. Crowley/D. Ost. Lanham u. a. 2011; U. Brunnbauer, „Die sozialistsche Lebensweise“. Ideologie, Gesellschaft, Familie u. Politik in Bulgarien (1944–1989). Wien 2007; Arbeitswelt – Lebenswelt. Facetten einer spannungsreichen Beziehung im östlichen Europa. Hg. K. Roth. Münster 2006; Arbeiter im Staatssozialismus. Ideologischer Anspruch u. soziale Wirklichkeit. Hgg. P. Hübner/Ch. Klessmann/K. Tenfelde. Köln u. a. 2005; Arbeit im Sozialismus – Arbeit im Postsozialismus. Erkundungen zum Arbeitsleben im östlichen Europa. Hg. K. Roth. Münster
Archon / Armatolen/Martolosen
2004; N.B. Genov, Labour markets and unemployment in South-Eastern Europe. Berlin 2000; S.L. Woodward, Socialist Unemployment. The Political Economy of Yugoslavia, 1945–1990. Princeton/N.J. 1995; M.-J. Calic, Sozialgeschichte Serbiens 1815–1941. München 1994; Handbuch der europäischen Wirtschafts- u. Sozialgeschichte. Bd. 6. Hg. W. Fischer. Stuttgart 1987 (darin die Beiträge von I.T. Berend/Gy. Ranki, W. Höpken/H. Sundhaussen sowie H. Sundhaussen); J. Lampe/M. Jackson, Balkan Economic History, 1550–1950, Bloomington 1982; A. Kahan u. a., Ost- u. Südosteuropa 1850–1914. Stuttgart 1980; I. Vinski, Klasna podjela stanovništva i nacionalnog dohotka Jugoslavije u 1938 god. Zagreb 1970. W. H.
Archon („der Herrschende“, Partizip von gr. archein, herrschen). In der byz. Literatur können damit zunächst die Militärgouverneure der Provinzen (strategoi, dukes/katepano), hohe Offiziere, milit. u. ziv. Verwaltungsbeamte in den Provinzen (thematikoi archontes, →Themen) u. in der Hauptstadt, einflussreiche Großgrundbesitzer (ktēmatikoi archontes) oder die wichtigsten Mitarbeiter des Patriarchen v. Konstantinopel bezeichnet werden. Ab dem 7. Jh. wurde der Begriff auch für die Fürsten fremder Völker (Ungarn, →Petschenegen, Rus‘, Armenier, Georgier), v. a. aber für den Chan der →Proto-Bulgaren u. die Anführer slav. Stämme auf ehemaligem Reichsterritorium oder in v. Byzanz kontrollierten Gebieten verwendet. Letztere, z. B. die archontes der peloponnesischen Melingen u. Ezeriten, wurden häufig vom Kaiser oder vom lokalen byz. Strategen ernannt. Lit.: N. Oikonomidès, L’archonte slave de l’Hellade au VIIIe siècle, Vizantijskij Vremennik 55 (1998), H. 2, 111–118; Les listes de préséance byzantines des IXe et Xe siècles. Hg. ders. Paris 1972; J. Ferluga, Archon. Ein Beitrag zur Untersuchung der südslavischen Herrschertitel im 9. u. 10. Jh. im Lichte der byz. Quellen, in: ders., Untersuchungen zur byz. Provinzverwaltung. 6.–13. Jh. Amsterdam 1992, 109–121; L. Margetić, „Provincijalni arhonti“ Taktikona Uspenskog (s osobitim obzirom na archonta Dalmacije), ZRVI 29/30 (1991), 45–59. K.-P. T.
Armatolen/Martolosen (türk. martolozlar; entweder aus gr. armatolos „Waffenträger“ [zur Etymologie a. →Vlachen] oder armatōlos „Sünder“ entlehnt; gr. armatoloi, seltener armatōlikoi; serb. martolozi; bulg. Martolosi; ung. martalóc „Räuber“). Christl. Hilfstruppe im Osm. Reich mit militärischen u. polizeilichen Aufgaben; schon im 14. Jh. v. den osm. Eroberern Anatoliens als Kundschafter u. Meldegänger verwendet u. in der ersten Hälfte des 15. Jh.s in der →europäischen Türkei verstärkt aufgebaut. Dort wurden A. v. a. für die innere u. Grenzsicherheit eingesetzt, als Wachen in Festungen, an Pässen (→Derbendci), in Bergbauzentren, gelegentlich auch zur Eintreibung v. Steuern. In milit. Funktion wurden die M. im Grenzgebiet zu Ungarn, Venedig u. Österreich eingesetzt. Nach der Eroberung Ungarns bekamen fast alle wichtigen Ortschaften dort M.-Garnisonen. Sie bildeten eine uniformierte, stehende Infanterie-(seltener Reiter-) Truppe, deren Organisation der der übrigen osm. Einheiten glich. Die A. waren v. der →Kopfsteuer u. verschiedenen lokalen Steuern befreit u. behielten ihren Grundbesitz im Rahmen des →Timar-Systems; bei Kriegszügen hatten sie ein Recht auf Beu-
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Armatolen/Martolosen / Armenier
te. Später haben sie sich teilweise an das musl. Element assimiliert. Die christl. Matrosen auf den osm. Donauschiffen wurden „Rote“ A. genannt. Kleine Gruppen von M. sind im 16. Jh. auf die habsb. Seite übergetreten, wo für 1540 800 A. belegt sind. Im Osm. Reich stand an der Spitze der meist kleinen M.-Einheiten i. d. R. ein Muslim (M. başi); die Dienstzeit betrug 10–20 Jahre, der Dienst war erblich. In der Blütezeit des Reiches waren sie dem Sultan gegenüber loyal. Im Laufe des 17. Jh.s bekämpften sie die nun an vielen Orten auftretenden →Haiduken. Dabei kam es auch zu Desertionen u. Anschluss an christl. Aufstände; der Verfall der Institution hatte schon in der 2. H. des 16. Jh.s begonnen. 1692 wurde die Rekrutierung von M. auf dem Balkan verboten. Der Polizeidienst der M. verfiel, als die Behörden zu Beginn des 18. Jh.s anfingen, amnestierte Haiduken in ihn aufzunehmen. Die M. wurden jetzt zu einer Gefahr für die innere Sicherheit. 1721 wurde die M.-Organisation offiziell aufgelöst. 1722 vereinigte der Rumeli Walesi Othman Pascha die am Ende verbliebenen M. nominell mit der Gendarmerie (Pandor). Aber noch bis ins 19. Jh. bestanden A. in Makedonien u. Teilen des ab 1821 um Unabhängigkeit kämpfenden →Griechenland u. kämpften dort auf der Seite der Aufständischen. Auf der osm. Seite wurden sie erst in der Reformzeit (→Tanzimat) durch neue Polizeikräfte ersetzt. Im unabhängigen Griechenland wurden zahlreiche A. in den Staatsdienst übernommen u. festigten in Verschmelzung mit irredentistischen Bestrebungen in der neuen Grenzregion zum Osm. Reich ihre Stellung derart, dass sie die staatliche Kontrolle der gr. Grenzgebiete ebenso erschwerten wie sie auf der osm. Seite die Unruhe verstärkten. Lit.: D.Th. Tsiamalos, Oi armatoloi tēs Rumelēs. Meletē gia tis armatolikes synkruseis kai ta armatolika-syngenika diktya tēs periochēs kata tēn proepanastatikē kai epanastatikē periodo tu 1821. Athen 2009; R. van Boeschoten, From Armatolik to People’s Rule: Investigation into the Collective Memory of Rural Greece. Amsterdam 1991; J.S. Koliopoulos, Brigands with a Cause: brigandage and irredentism in modern Greece, 1821–1912. Oxford 1987; M. Vasić, The martoloses in Macedonia, Macedonian Review 7 (1977), H. 1, 30–41; ders., Die Martolosen im Osmanischen Reich, Zeitschrift für Balkanologie 2 (1964), 172–189; als dt. Zsfg. wiederholt in: ders., Martolosi u jugoslovenskim zemljama pod turskom vladavinom. Sarajevo 1967 (Neuaufl. Istočno Sarajevo 2005); J.K. Vasdravellis, Klephts, Armatoles and Pirates in Macedonia During the Rule of the Turks (1627–1821). Thessaloniki 1975. G. G./P. B.
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Armenier. Altansässiges Volk im nördl. Vorderasien, zw. dem Hochland Ostanatoliens u. dem Südkaukasus, (weltweit ca. 8 Mio.), dessen Eigenbezeichnung sein erster Chronist, Mowses Chorenazi (5. Jh.), auf den mythischen Stammvater Hajk zurückführt. Heute wird der Landesu. Volksname (Hajastan bzw. haj/Pl. hajer) mit dem in mittelhethitischen Inschriften (Mitte 2. Jt. v. Chr.) erwähnten Stammesbund Hajassa (NO des Armen. Hochlandes) verknüpft. Seit 301 autokephale Staats- u. Nationalkirche (Armen.-Apostolische Rechtgläubige Kirche). Ein- u. Auswanderung, Anzahl in SOE: Nach der armen.-pers. Schlacht v. Awarajr (451) wichen etliche Fürsten nebst Gefolge an die byz. Peripherie nach Makedonien u. Thrakien aus, weitere Flüchtlinge folgten im 5./6. Jh. während der pers.-byz. Kämpfe um Armenien sowie infolge byz. (Zwangs-) Umsiedlungen (bis zu 30.000), seit 875 insbesondere der als
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Ketzer blutig verfolgten gnostizistischen Sekte der →Paulikianer. Invasionen der Seldschuken (11. Jh.), →Mongolen (13. Jh.) u. Turkmenen (15. Jh.) sowie der Untergang des letzten armen. Kgr.s in Kilikien (1375) brachten Flüchtlinge u. a. in die →Moldau, v. wo die meisten A. in der unruhigen zweiten H. des 17. Jh.s nach Siebenbürgen auswanderten. 1700 gestattete Ks. Leopold I. die Gründung v. Armenopolis (Gherla), das Karl VI. ebenso wie die Armeniergründung Elisabethpol (Dumbraveni) 1726 zur kgl.-ung. →Freistadt erhob. Später trieben Pogrome (1894–1896) unter Sultan Abdülhamid II., der jungtürkische A.-Genozid 1915/16 (→Jungtürken) sowie der gr.-türk. Krieg (1919–1922) Zehntausende A. nach Serbien, Griechenland (1895–1923: Aufnahme von ca. 150.000 A.) u. Bulgarien (ca. 47.000). Die →Weltwirtschaftskrise u. fehlende Minderheitenrechte während der komm. Herrschaft führten zur Massenauswanderung gen USA, Kanada u. a. Rund 3.000 A. „repatriierten“ 1946–48 v. Rumänien nach Sowjetarmenien. Die Auflösung der UdSSR sowie garantierte Minderheitenrechte in den meisten Staaten SOEs führten zur Einwanderung Tausender armen. Sozialmigranten seit 1990, bes. nach Griechenland (ca. 35.000). Um das J. 2000 lebten ca. 45.000-55.000 A. in Griechenland (vorwiegend im N u. Attika), 30.000 in Ungarn, 10.000-22.000 in Bulgarien (Sofia u. Plovdiv), 10.000 in der Republik Moldau, 5.000 in Rumänien (Bukarest, Constanţa, Tulca; laut Volkszählung v. 2002 jedoch insgesamt weniger als 2.000), 300 in Serbien/Montenegro (1992/94) u. 250 in Albanien. Kultur, Wirtschaft, Politik: Schon im MA schufen die armen. Minderheiten die für ihr kult. u. geistliches Überleben notwendigen Strukturen: Gründung v. Kirchen u. Klöstern, in der Neuzeit säkulare Schulen, Buch- u. Pressedruckereien, landsmannschaftliche u. Kulturvereinigungen, politische Parteien. Kreta besitzt die älteste armen. Kirchen in Europa (10. Jh.), Großklöster entstanden u. a. in Philippopolis (Plovdiv; 12. Jh.) u. Suceava. In Dubrovnik bestand eine kleine Handelsmission armen.-kilikischer Kaufleute (13./14. Jh.). Der Binnen- u. Außenhandel der Walachei u. der Moldau lag im 15./16. Jh. beinahe vollständig in armen. Hand. In fast allen Städten SOEs waren die A. überprozentual im Handwerk (Schneider, Spitzenklöppler, Schuster, Silberschmiede, Zuckerbäcker) sowie Handel tätig, in der Neuzeit auch als Unternehmer (Seide, Tuche, Tabak, Leder, Teppiche) u. mittelständische Freiberufler (Ärzte, Wissenschaftler, Künstler). A. beteiligten sich zahlreich an den antiosm. Freiheitskämpfen, etwa in der Armee des mold. →Hospodaren Stefan des Gr. 1475, besonders intensiv in Bulgarien. Umgekehrt lieferten die →Klephten u. →Haiduken (15.– 19. Jh.) das Vorbild für verschworene armen. Selbstverteidigungsgruppen (fidajiner) seit den 1880er Jahren. Mit dem besonders im österr.-ung. Herrschaftsbereich geförderten Übertritt zum Katholizismus assimilierten sich hingegen die 12.000 A. Siebenbürgens (um 1900) völlig an die Ungarn. In Ungarn verloren sie ihre sprachliche Identität im 20. Jh. Um d. J. 2000 war Athen Erscheinungsort d. Tageszeitung Asat Or („Freier Tag“, Aufl. 800), einem Organ der 1890 gegründeten Partei Haj herapochakan Daschnakzutjun („Armenische Revolutionäre Föderation“), der sich mindestens die Hälfte der ca. sechs Mio. Auslandsarmenier verbunden fühlt, sowie d. Wochenzeitung Nor Aschchar (Aufl. 150; armen.) u. d. Zweimonatsschrift ArmeNika (Aufl. 1.500; gr.). Auch die Parteien Hntschak („Erwecker“; gegr. Genf 1887) u. Ramkawar Asatakan Kussakzutjun („Nationalliberale Partei“; gegr. Konstantinopel, 1921) sind unter der armen. Diaspora in Griechenland vertreten. Seit 1989
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Armenier
erfolgte eine deutliche Kulturrenaissance in Rumänien (ein armen. Parlamentsabgeordneter, die Monatszeitschriften Ararat (seit 1924; rum.) u. Nor kjanki (armen.) sowie Bulgarien (seit 1944 Zeitung Jerewan, armen./bulg.). – Alle Staaten SOEs unterhalten diplomatische Beziehungen zur Republik Armenien. Bedeutende Personen: Historisch: Viele A. hatten hohe Ämter in Byzanz inne, dessen mak. Dynastie der armen. Emporkömmling Basileios I. (867–86) gründete; acht byz. Ks. waren armen Abstammung. Nach dem Vorbild armen. Missionserfolge (Nationalalphabet u. Bibelübersetzung 405–433) empfahl der byz. Heerführer u. Cäsar Bardas (Wardas; Armenier) dem gelehrten Patriarchen u. Diplomaten Photios (858–67; 877–886; Armenier), die Brüder Konstantinos u. Methodios (→Slavenapostel) zur Mission der Slaven zu entsenden. Die Stilisierung ihres glagolitischen Alphabets (→Alphabete) zeigt deutliche Einflüsse der armen. u. koptischen Schrift. Der A. Samwel (Samuel; 972–1014) errichtete, gestützt auf die in Nachfolge zu den Paulikianern stehenden →Bogomilen, in Westbulgarien ein Kgr. Zur Zeit des zweiten →bulgarischen Reiches besaßen etliche A. Kleinfürstentümer (13., 14. Jh.). In Rumänien gelangte im 16. Jh. die armenischstämmige Serpega-Familie zur Herrschaft. Armin Peter (Heerführer, Historiker, Maler; 16. Jh.) sowie Manuk Bey Mirsajan (Manuc bei; 19. Jh.) standen als Diplomaten in mold. bzw. walach. Dienst. Im 1. →Balkankrieg (1912/13) führten die Volkshelden Garegin Nschdeh (d. i. Ter-Harutjunjan, 1886–1955) u. Andranik (Osanjan; 1865–1927) ein armen. Freiwilligenbataillon der bulg. Armee. Gegenwart: Albanien: Wahe Potroljan (Arzt), Hajk Sacharjan (Komponist); Bulgarien: Harut Amirchanjan (Sänger), Musikerfamilie Baltanjan, Malerin Hilda, Sewda Sewan (Lyrikerin); Rumänien: Anna Aslan (Gerontologin), Lewon Mirahorjan (Psychotherapeut), Schriftsteller Bedros Horasangian, Hakob Siruni, Ion Barbun, Alexandru Sahikjan, Wardan Arakeljan, Dan Desliun, Anajis Nersisjan, die Maler Cik Tamasjan u. Hrant Awagjan. Der als „Katholikos aller Armenier“ (1955–94) einflussreiche Wasgen I. (Paltschjan) amtierte 1948–55 als armen.-apostolischer Bischof Rumäniens in seiner Geburtsstadt Bukarest. Serbien: Wardges Baronjan (Komponist).
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Quellen u. Lit.: G.A. Bournoutian, A concise history of the Armenian people. From ancient times to the present. Costa Mesa/Calif. 62012; N. Garsoïan, Interregnum: introduction to a study on the formation of Armenian identity (ca 600–750). Lovanii 2012; J. Lepsius, Bericht über die Lage des Armenischen Volkes in der Türkei. Münster 2010 [Neuaufl. der Ausg. Potsdam 1916]; J.H. Holst, Armenische Studien. Wiesbaden 2009; Late Ottoman Genocides. The Dissolution of the Ottoman Empire and Young Turkish Population and Extermination Policies. Hgg. D.J. Schaller/J. Zimmerer. London 2009; Armenians: The treatment of Armenians in Turkey and the Levant. T. 1: 1846–1915, T. 2: 1915–1958. Hg. B.D. Destani. Slough 2007 (Minorities in the Middle East); J. Pál, Armenii în Transilvania. Contribuţi la procesul de urbanizare și dezvoltare economicǎ a provinciei. Cluj-Napoca 2005; E. Miceva, Armencite v Bălgarija. Kultura i identičnost. Sofija 2001; The treatment of Armenians in the Ottoman Empire, 1915–1916. Documents presented to Viscount Grey of Falloden by Viscount Bryce. Uncensored edition by James Bryce and Arnold Toynbee. Hg. A. Sarafian. Princeton/NJ 2000; D. Bein, Armenier in Siebenbürgen. Anmerkungen zur Identität einer ‚kleinen Minderheit‘, Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde 21 (1998), 143–167; A.E. Redgate, The Armenians. Oxford 1999; Hajern aschcharhum. Hanragitakan hama-
Aromunen
rot bararan [Die Armenier in der Welt: Allgemeinwiss. kurzes Wörterbuch]. Jerewan 1995; United States official documents on the Armenian genocide. 3 Bde. Hg. A. Sarafian. Watertown/Mass. 1993–1995; T. Savvidis [= Hofmann], Die Armenier: Schicksal, Kultur, Geschichte. Nürnberg 1993; Armjanskij vopros: Enciklopedija. Hg. K.S. Chudaverdjan. Erevan 1991; I.K. Hassiotis/G. Kassapian, The Armenian Colony in Thessaloniki, Balkan Studies 31 (1990), 213–237. T. H.
Aromunen. 1) Name u. Etymologie; 2) Verbreitung; 3) Sprache; 4) Ethnographie; 5) Geschichte. 1) Name u. Etymologie: moderne Ersterwähnung dt. für die ethn. Gruppe: „Kutzo-Wlachen“ 1774; ar. „arămâni“ 1888, dt. „Aromunen“ 1894, von Gustav Weigand aus der Eigenbezeichnung geschaffen u. seither wegen der Präzision des Terminus zunehmend verbreitet. Die folgenden Termini beziehen sich z. T. nur auf einzelne ar. Untergruppen: ar.: armâni/ rrămăni/rrumăni, grîmusten’i od. grămusteani, fărşiroţ; rum.: armâni/aromâni, cipeni, grămusteni, fărşeroţi, macedoromâni, (români) macedoneni; alb.: çobanët, vllehët; bg./mak.: vlach/vlah, pl. vlasi; gr.: moisiodakes (18. Jh.), koutsoblachoi, blachoi, arbanito-, ellēno- u. rōmano-blachoi, serb.: vlasi, cincari; türk.: çobanlar, ulahlar; dt.: V/W[a]lachen (unpräzis), Mazedorumänen (unzutreffend, weil Mehrheit außerhalb Mazedoniens), Zinzaren (serb., a. ironisch), K[o]uts / zow / v[a]lachen (gr. ironisch), Südrumänen (unklar). Die in den lokalen Mundarten unterschiedlichen Eigenbezeichnungen stammen nicht, wie früher (noch von Jernej Kopitar, 1780–1844) oft vermutet, < gr. rhōmaios, sondern < lat. ROMANUS; für die Etymologien der teilweise pejorativen sonstigen Ethnonyme gibt es bis heute die verschiedensten zweifelhaften Theorien (serb. cincari ursprünglich wohl < ţinţ für dakorum. cinci). Vernünftigerweise lässt sich der gelehrt-moderne Terminus „Aromunen“ nur auf jene neuzeitlichen Balkanromanen anwenden, deren Idiom seit dem 18. Jh. belegt ist – siehe 3) – u. dem inzwischen (trotz aller internen Unterschiede) wohldefinierten ar. Typus entspricht, d. h. weder generell auf die in byz., serb. u. osm. Quellen belegten →Vlachen noch auf die oft irrtümlich (wegen der Terminologie der amtlichen Statistiken, die serb. beide als „vlasi“ bezeichnet) als A. bezeichneten, aber tatsächlich dakorum. Minderheiten im NO Serbiens u. NW Bulgariens. 2) Verbreitung: Für heute lassen sich keine präzisen Angaben machen, aber weil die Zahl der A. (geschätzt 250.000) ständig durch Assimilation abnimmt, muss man für hist. Zeiträume mit größerer Verbreitung rechnen. Kompakte Gruppen von A. gibt es heute nur noch im nordgr. Pindos-Gebirge („Pindeni“) um Metsobo/Metsovo (ar. Aminciu), denn alle anderen seit dem 18. Jh. belegten größeren Siedlungsgebiete sind längst gesprengt. Die meisten muttersprachlichen A. leben heute auf gr. Territorium außerhalb des Pindos in Athen/Piräus u. Thessaloniki u. vielen anderen Städten, verstreut in Epirus, in Thessalien u. am Olymp, in den Gebirgen rings um Kastoria u. Berroia sowie in einzelnen Siedlungen im N u. NO Thessalonikis („Grămusteni“). In Albanien sind sie (in größerer Zahl) nur noch in u. um Korçë (ar. Gruppenbezeichnungen „Moscopoleni“ u. „Fărşeroţi“), Fier, Vlorë (ar. „Muzăchiari“) sowie in Tiranë anzutreffen, in Serbien infolge der Funktion als ehem. jugoslaw. Hauptstadt in Belgrad, in Makedonien in Skopje u. in mehreren Dörfern zw. Struga, Bitola u. Prilep sowie um Kočani
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Aromunen
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u. Štip, im SW Bulgariens, in „Pirin-Makedonien“, sowie als Herkunftsgruppe in Rumänien (Dobrudscha, Banat, Städte wie Bukarest, Temesvár etc.). Zahlenmäßig nicht zu unterschätzen sind die A. der Emigration in Deutschland, Frankreich, Australien, den USA etc. 3) Sprache: Das A. gilt neben dem Dakorumänischen (Basis der rum. Schriftsprache), dem Istrorumänischen (→Istrorumänen) u. dem Meglenorumänischen (→Meglenorumänen) meist als einer der vier Dialekte des Rumänischen. Die ersten datierten Denkmäler des A. stammen aus dem 18. Jh., berühmt (u. vielfach nachgedruckt u. wiss. ediert) sind zwei Wörterverzeichnisse, u. zwar gr.-ar.-alb. von Theodor A. Kaballiōtēs („Prōtopeiria“, Venedig 1770) u. gr.-ar.alb.-bulg./mak. von Daniēl Moschopolitēs („Eisagogikē didaskalia“ [Venedig?] 1802). Charakeristisch ist prinzipiell der ar. Konservatismus, der lat. Formen u. Elemente bewahrt hat (die im Dakorum. verloren sind, z. B. ar. yiyinţ < lat. VIGINTI), phonetisch u. a. die Häufigkeit der alveolaren Affrikaten tz u. dz (vgl. dt. Zinzaren), die v. a. in den gr. beeinflussten Mundarten des Süden verbreiteten dentalen Frikative th u. dh, die Palatalisierung labialer Konsonanten (ar. nicu, rum. amic < lat. AMICUS) sowie das typische prothetische a vor Liquida (nicht nur beim Ethnonym, cf. ar. arîu, rum. râu < RIVUS), ferner einige grammatikalische Formen u. lexikalisch der nur partielle u. rezente gr. Einfluss – typisch ist der beim serb.-ar. Schriftsteller Jovan Sterija Popović (1806–1856) belegte charakteristisch ar. Ausdruck „tihilaiu“ = Unglücksvogel < gr. tychē + urrum. laie = schwarz, dunkel (im Dakorum. nur mundartl. verbreitet). Es gibt auch ältere slav. Elemente, die im Dakorum. fehlen (ar. zbor = Rede, Wort < slav. sobor . Man unterscheidet im Aromunischen zunächst zwei Gruppen von Mundarten, die sich u. a. in der Phonetik unterscheiden, u. zwar das Aromunische im engeren Sinne u. das Farscherotische (N-Griechenland u. Albanien). Das Aromunische i. e. S. kann man wiederum in eine Süd- u. eine Nordgruppe trennen, wobei im Norden der gr. Einfluss geringer ist. Seit dem Ende des 19. Jh.s gibt es erfolglose Versuche, das Aromunische als Schriftsprache zu kodifizieren, was weniger an mundartlichen Differenzen als an graphischen Traditionen u. pol. Konflikten scheitert; neuerdings scheint sich eine einheitliche Orthographie durchzusetzen. 4) Ethnographie: Die ar. Volkskunde ist bisher nur mangelhaft dargestellt worden, es fehlt wie in der Linguistik an Diachronie, aber auch an Geographie, denn die oft zitierten ar. „Stammesnamen“ (s. o. unter 2) sind meist nicht verifizierbar (Gustav Weigand hat mit dem Gegensatz „Farscheroten-Karagunen“ ein langlebiges Missverständnis in die Welt gesetzt). Als trad. Erwerbsquelle der A. wird immer die – transhumant oder nomadisch – ausgeübte Schafzucht angeführt, mit der ähnliche u. verwandte Erwerbszweige verbunden waren: Ziegenzucht, Milchverarbeitung u. Käserei, Textilmanufaktur u. Ledererzeugung, Holzverarbeitung, Bienenzucht usw. Aus der trad. ar. Beweglichkeit (vgl. →Migrationen) ergaben sich die bis ins 19. Jh. weithin von A. monopolisierten Berufe der Karawanenführer, Passwächter, Transportunternehmer u. Gastwirte, daneben aber waren längst Handwerker wie Baumeister, Schneider oder Silber- u. Kupferschmiede häufig. Daraus entwickelte sich in der osm. urbanen Gesellschaft eine ar. Kaufmannschaft, die seit etwa 1700 im Groß- u. Fernhandel u. schließlich im Geldhandel (bis Wien) führend wurde. Grenzziehungen u. ges. →Modernisierung des 20. Jh.s haben die trad. Lebensweise der A. völlig verändert. 5) Geschichte: Die A. wurden zumeist v. Sprachwissenschaftlern untersucht, während Historiker wegen der schlechten Quellenlage überwiegendmeist nur punktuell forschten.
Aromunen
Die Ethnogenese der A. ist trotz wilder Spekulationen u. meist unbeweisbarer Behauptungen bisher völlig ungeklärt u. wird es auch bleiben, solange es zur →Ethnogenese der übrigen →Rumänen (a. →Dakoromanismus) nur kontroverse Thesen gibt. Da die Quellen auch wegen der evidenten Großräumigkeit der chronologisch kaum zu fixierenden ar. Hirtenwanderungen keine eindeutige Aussage erlauben, ist man auf die (wenig erforschte) Sprachgeschichte angewiesen, wo sich zeigt, dass a) das Dakorumänische ältere Parallelen zum Albanischen aufweist als das Aromunische, dass b) just die in Albanien verbreiteten (farscherotischen) Mundarten des Aromunischen größere Ähnlichkeit zum Dakorum. aufweisen u. dass es c) auch im Dakorum. zahlreiche ar. Elemente gibt. Als ethn. Gruppe ohne modernes Nationalbewusstsein erlebten die A. im 17./18. Jh. in vielen urbanen Zentren ihrer Siedlungsgebiete (Epirus, Mittelalbanien, Grammos, Pindos, Thessalien, Makedonien) einen gewaltigen ökon. u. kult. Aufschwung, den ar. Handwerker, Kaufleute, Großhändler u. Bankiers weit ins östl. Mittelmeer sowie nach Mittel- u. Westeuropa hinaustrugen, wobei sie in vielen Gebieten SOEs den Kern des aufstrebenden städtischen →Bürgertums der jeweiligen Nationalität bildeten. Ein wirt. u. kult. Zentrum der A. war Moschopolis (alb. Voskopoja in S-Albanien/Epirus), das „aromunische Jerusalem“, das in seiner Glanzzeit – Mitte des 18. Jh.s – angeblich 70.000 E gehabt haben soll (realistisch nach Peyfuss wohl 15.000–20.000) sowie viele Kirchen, eine Buchdruckerei u. →Akademie. 1769 wurde es v. alb. Banden geplündert u. 1788 v. Truppen des Ali Pascha v. Ioannina zerstört. Zahlreiche bedeutende Persönlichkeiten der Geschichte SOEs entstammen, bisher nicht systematisch erforscht, den A., gelten aber als Griechen, Serben etc. Die von Rumänien ab 1860 geförderte ar. Nationalbewegung, die v. a. zu Konflikten mit Griechenland führte (das die A. als latinisierte Griechen proklamierte), hatte ihre soz. Basis hingegen in den ar. Hirtendörfern, deren trad. Wirtschaftsweise nach den Friedensverträgen der ersten Jahrzehnte des 20. Jh.s chancenlos blieb, weshalb viele A. um 1925 nach Rumänien (Süd-→Dobrudscha bis 1940) auswanderten. Auch die dt.-it. militärische Präsenz in den ar. Wohngebieten im 2. Wk. hat den A. mehr geschadet als genützt, ganz zu schweigen von der pol.-ideologischen Diversifikation ihrer Heimatländer nach dem 2. Wk. Ar. Themen wurden von vielen serb. u. rum. (weniger von gr.) Schriftstellern literarisch verarbeitet (J.St. Popović – s. o., Br. Nušić, St. Sremac, B. Pekić, I.L. Caragiale, N. Baţaria, M. Beza, T. Mihadaş, etc.), daneben gibt es eine beachtliche Dialektliteratur (C. Belimace, M. Caragiu-Marioţeanu, K. Iorgoveanu-Mantsu, etc.). Seit ca. 1980 bemühen sich mehrere Organisationen um die Sicherung von Minderheitenrechten für die Aromunen in den Balkanstaaten. Im Gegenzug sind die Akkulturations- u. sprachlichen Angleichungstendenzen an die jeweilig dominierende orthodoxe Gruppe bzw. das jeweilige Staatsvolk sehr ausgeprägt, so dass für viele A. das Aromunische eher Herkunftsidee u. Teilidentität darstellt, die aber immerhin für gesteigerte grenzüberschreitende Kontakte u. Mobilität lebensweltlich oftmals relevant erscheint. Lit. (a. →Vlachen): Aromânii. Istorie, limbă, destin. Hg. N. Djuvara. Bucureşti 22012; V. Nitsiakos, On the Border. Transborder Mobility, Ethnic Groups and Boundaries on the Albanian-Greek Frontier. Berlin 2010; Z. Mirdita, Vlasi, polinomičan narod, Povijesni prilozi 33 (2007), 249–269; Patrimoine des Balkans. Voskopojë sans frontières 2004. Hg. M. Durand. Paris 2005; N. Cuşa,
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Arpaden
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Arpaden. Neuzeitl. Bezeichnung des ersten ung. Herrscherhauses, dessen Urahn Árpád Fürst der landnehmenden Ungarn († um 907) war u. das in mehreren Zweigen bis 1301 26 Fürsten u. Könige →Ungarns stellte. Bereits die Fürsten des 10. Jh.s vermochten die monarchische Stellung der A. zu stärken, nachdem die ihnen vermutlich konkurrierende, sakrale Herrschersippe nach dem Tode Kursans 904 entmachtet worden war, so dass Géza († 997) als Großfürst dynastischen Kontakt zu Bayern u. dem Reich (→Heiliges Röm. Reich) anknüpfen u. die Christianisierung des Landes einleiten konnte. Sein Sohn, Stefan I. (997–1038) erwarb im Kontext der Erneuerungsidee Ks. Ottos III. u. Papst Sylvesters II. i. J. 1000 die Königskrone u. wurde zum Begründer des christl. Königtums (1083 heiliggesprochen). Da sein Sohn, Emerich (Imre, Heinrich) 1031 vor ihm verstarb, ging die Herrschaft zuerst an einen venez. Neffen, dann an einen einheimischen Verwandten des Kg.s über, doch konnten diese sich nicht behaupten. Nach mehreren Aufständen u. Thronwirren regierten ab 1046 Könige aus einer Seitenlinie (Söhne des Vazul, Großneffen Gézas) u. vermochten die Monarchie wieder zu stärken. Die Gesetzgebung unter den Königen Ladislaus I. (d. Hl.) (1077–95) u. seinem Neffen, Koloman „den Bücherfreund“ (1095–1116) deutet auf ein geregeltes Staatswesen u. eine gefestigte Kirchenordnung. Die Nachfolgeordnung blieb bis ins 12. Jh. umstritten: das Prinzip
Arpaden
des Seniorats (wonach das älteste männliche Mitglied der Sippe erbt) u. das der, im Westen bereits allgemein gewordenen u. mit der kirchl. Idee der „idoneitas“ verknüpften, Primogenitur stießen oft zusammen. Jüngere Brüder erhielten ein „Herzogtum“ u. mehrfach kam es zu Spannungen zw. den de facto Mitregenten. Zum letzten Wechsel zw. den Zweigen der Königssippe kam es nach dem Tode Stefans II. (1116–31), Kolomans Sohn. Da er keine Erben hatte, übergab er die Herrschaft dem geblendeten Sohn seines Onkels Álmos, Béla II. „dem Blinden“ (1131–41). Danach folgten regelmäßig die erstgeborenen Söhne, allerdings meldeten sich im 12. Jh. mehrere Königsbrüder, meist v. →Byzanz unterstützt, als Prätendenten. Diese Thronwirren nahmen mit der Rückkehr des in Byzanz aufgewachsenen Béla III. (1172–96), der in Konstantinopel unter dem Namen Alexios den Titel eines →Despoten erhalten hatte, ein Ende. Ihm folgte sein Sohn Imre u., nach dem Kindestode v. dessen Sohn, Andreas II. (1204–1235). Sowohl er als auch sein Sohn, Béla IV (1235–1270), der nach dem Mongoleneinfall (→Mongolen) als „zweiter Begründer des Königreichs“ galt, wurden zu den bestimmenden Herrschergestalten des 13. Jh.s. Unter Béla IV. flammte wieder die Nachfolgefrage auf, indem sein Sohn, der nachmalige Stefan V. (1270–1272) als „rex iunior“ („jüngerer König“) jahrelang de facto das Land spaltete u. zum offenen Krieg zw. den Anhängern des Vaters u. des Sohnes führte. Mit seinem Sohn, Ladislas IV. (1272–1290), wegen seiner Mutter, einer Kumanenprinzessin, „der Kumane“ genannt, starben die A. in der männlichen Linie aus. Die Nachfolge des Sohnes des nachgeborenen Sohnes v. Andreas II., Andreas III. (1290–1301), „des Venezianers“, blieb umstritten, während Nachfahren in der weiblichen Linie Ansprüche stellten. Nach Jahren v. Thronwirren ging die Herrschaft an die sizilischen →Anjou über. Bereits kurz nach der Heiligsprechung Stefans u. seines Sohnes, Imre (1083) u. dann fast regelmäßig nach der v. Ladislaus I. (1192), wurde die Dynastie als die „der heiligen Könige“ bezeichnet. Dieser Ruf des Königshauses wurde noch durch die weiblichen Heiligen der Dynastie im 13 Jh. (Elisabeth v. Ungarn-Thüringen, Tochter Andreas’ II., Hedwig v. Schlesien u. Margarethe v. Ungarn, Töchter Bélas IV.) bestärkt, so dass man v. einer wahren Geblütsheiligkeit sprechen darf, die dann auch v. den folgenden Dynastien gepflegt wurde. Andererseits tauchte in den Geschichtswerken des 13. Jh.s (Anonymus, Simon v. Kéza) die Legende der hunnischen Abstammung der A. (v. Attila u. dessen „skythischen“ Vorfahren) auf; diese wurde dann auf das gesamte Ungarntum übertragen. Totemistische Elemente in der Genealogie der A. (Schwängerung der Mutter v. Álmos, Árpáds Vater, durch einen „Turul“ genannten Greifen) dürften aus der gentilen Tradition in die lat. Literatur übernommen worden sein. Eheverbindungen banden das Herrscherhaus sowohl an den Westen (7 dt., 3 it., 2 frz. Königinnen u. eine Aragonesin) als auch an Byzanz (4 Königinnen) u. die nördl. Nachbarn (3 Russinnen, 2 Polinnen); Königstöchter wurden ebenfalls mit zahlreichen Dynastien verheiratet. Die Herrscherehen waren, soweit bekannt, recht fruchtbar; fünf hatten mehr als vier überlebende Kinder. Allerdings erlebten nur wenige Könige ein hohes Alter. Mit der Entwicklung der Heraldik (im 13. Jh.) galt das Doppelkreuz (wohl ein aus Byzanz durch Béla III. importiertes Herrschersymbol), gelegentlich auch das siebenmal rot-silber geteilte Feld – ein dynastisches Symbol – als Wappen der A., dann zunehmend auch als das des Landes. In den vier Jahrhunderten der A.herrschaft vermochte das Königreich sich in vieler Hinsicht seinen westl. Nachbarn anzupassen u. zum Bestandteil der europ. „Christen-
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Arpaden / Aschkenasim
heit“ zu werden. Dieser Prozess war zum großen Teil den A. u. der ihnen ergebenen, teils aus Ausländern rekrutierten, Aristokratie (→Adel [Ungarn]) zu verdanken. Der Epochenbegriff „A.zeit“ wurde v. den Historikern v. a. als Gegensatz zu den darauf folgenden „Herrschern aus vermischten Häusern“ (ung.: vegyesházi királyok) geprägt u. erhielt schon in der frühen Neuzeit einen ständisch-patriotischen Anklang. Lit.: Z. Magyar, Hungarian Royal Saints: the Saints of the Arpadian Dynasty. Herne 2012; T. Körmendi, A magyar királyok kettőskeresztes címerének kialakulása, Turul 84 (2011), 73–83; G. Varga, Ungarn u. das Reich vom 10. bis zum 13. Jh. Das Herrscherhaus der Árpáden zwischen Anlehnung u. Emanzipation. München 2003; P. Engel, The Realm of St. Stephen. A History of Medieval Hungary, 896–1526. London u. a. 2001; G. Klaniczay, Holy Rulers and Blessed Princesses: Dynastic Cults in Medieval Central Europe. Cambridge 2000; Gy. Kristó, Die Arpadendynastie. Die Geschichte Ungarns von 895 bis 1301. Budapest 1993; J. Szűcs, Az utolsó Árpádok. ebd. 1993; Gy. Györffy, König Stephan der Heilige. ebd. 1988; ders., Wirtschaft u. Gesellschaft der Ungarn um die Jahrtausendwende. Budapest 1983; D. Dümmerth, Az Árpádok nyomában. ebd. 1978; M. Wertner, Az Árpádok családi története. Nagy-Becskerek 1892. J.M. B.
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Aschkenasim. Nach der biblischen Völkertafel (1. Mos. 10,3) mythischer Völkername, später v. jüd. Seite mit Deutschland identifiziert. Im Gegensatz zu den →Sephardim Bez. für die →Juden mit jiddischer Muttersprache, die sich seit dem 15. Jh. aus dem dt. Kulturraum nach Polen, später nach ganz Osteuropa ausbreiteten. Traditionell war das neuzeitliche SOE mit Ausnahme Nordungarns ein Siedlungsbereich der Sephardim. Erst nach der Eingliederung Galiziens in den österr. Herrschaftsverband setzt eine starke Einwanderung von A. nach Ungarn u. in die →Bukowina, im 19. Jh. auch in das Fsm. →Moldau ein, die sich zunächst an der Nordgrenze massierte u. später in abnehmender Dichte in südl. Richtung ausbreitete. Daneben wurden die jeweiligen Hauptstädte große Siedlungsschwerpunkte. Ungarn u. Rumänien werden so in der ersten H des 19. Jh.s zu den Ländern mit den höchsten jüd. Zuwachsraten überhaupt! Im Kgr. Ungarn stieg die jüd. Bev. zw. 1785 v. 83.000 (ca. 1 % der Gesamtbev.) auf ca. 930.000 i. J. 1910 (4,5 %) an, auch im Gebiet des späteren rum. Staates im selben Zeitraum v. wenigen Tausend auf ca. 280.000 (4 % der Gesamtbev.) (a. →Iaşi). In Ungarn gab es eine weitere Einwanderungswelle aus Mähren, was gewichtige Folgen für die innere Entwicklung des ung. Judentums hatte. Die soz. Differenzierung erfolgte im wesentlichen entlang den beiden Einwanderungslinien. Die aufgeklärten u. assimilationswilligen „Mährer“ besetzten (vereinfacht gesagt) Spitzenpositionen in Wirtschaft u. Handel, während die Juden galizischer Herkunft in die unteren u. mittleren Positionen drängten. Der sozialen entsprach auch eine relig. Differenzierung, die zu scharfen innerjüd. Auseinandersetzungen u. 1868 zur Aufspaltung in reformierte, orth., u. status-quo-ante-Gemeinden führte. Ein großer Teil der Juden blieb allerdings hier u. noch stärker in Rumänien chassidischen Traditionen u. der jidd. Muttersprache treu, in Ungarn allerdings vom annähernd ebenso starken, aber weitaus aktiveren assimilatorischen Flügel bis in die Gegenwart oft aus dem öffentlichen Bewusstsein ausgeblendet. Sprachlich assimilierte sich der überwiegende Teil der
Aschkenasim / Aseniden
Juden schnell an die jeweilige Mehrheitsnation. In Ungarn kam noch das Werben des Adels um die Juden dazu, da das magy. Element nur durch Assimilanten die absolute Mehrheit im Lande erringen hätte können (vgl. →Dualismus) u. die Juden wichtige Mittlerfunktionen im wirt. Leben übernahmen (1867–1918 wurden 346 jüd. Familien nobilitiert). Nach 1918 änderte sich die Lage allerdings auch dort drastisch (→Antisemitismus). Als überwiegend urbanes Element strömten die Juden in die freien Berufe (Anteile bei Ärzten u. Rechtsanwälten im Zwischenkriegsungarn um 50 %!), während ihnen der Staatsdienst weitgehend verschlossen blieb. Der Anteil der Juden an den Spitzenpositionen des wirt. Lebens war aber z. B. in Ungarn nicht höher als der des dt. Bevölkerungsteils! In Rumänien waren sie bis 1918 v. der Staatsbürgerschaft ausgeschlossen, in Ungarn waren sie 1867 Staatsbürger geworden, die letzten rechtlichen Beschränkungen fielen dort 1895 weg. Ab 1918 kam es hier zu vorher nicht gekannten Repressionen. Politisch suchten die ung. Juden ihr Heil vorwiegend in den Parteien des liberalen Bürgertums oder links davon (→Bürgertum, Parteien [Ungarn]). Unter den Rahmenbedingungen der zur Ideologie erhobenen Magyarisierung fand die zionistische Bewegung in Ungarn nur wenig Anklang. Umgekehrt führte die offene Diskriminierung in Rumänien zu einer Orientierung der jüd. Reformer weg vom Staat u. hin zur protozionistischen Bewegung der „Zionsliebhaber“ (hebräisch: Hibbat Zion) u. später zum Zionismus. In Bulgarien u. in den osm. Teilen des späteren Jugoslawien entstanden erst in der zweiten H. des 19. Jh.s kleinere aschkenasische Gemeinden (in Bulgarien um 1940 ca. 15.000 v. insges. 50.000 Juden), was mitunter zu gewissen innergemeindlichen Spannungen mit den ansässigen →Sephardim führte. Lit. (a. →Juden [Überblick]; →Antisemitismus; →Holocaust): W. Köbsch, Die Juden im Vielvölkerstaat Jugoslawien 1918–1941. Zwischen mosaischer Konfession u. jüdischem Nationalismus im Spannungsfeld des jugoslawischen Nationalitätenkonflikts. Münster u. a. 2013; V. Bányai, Zsidók Kárpátalján: történelem és örökség a dualizmus korától napjainkig. Budapest 2013; Between Minority and Majority. Hungarian and Jewish/Israeli ethnical and cultural experiences in recent centuries. Hgg. P. Hatos/A. Novák. Budapest 2013; G. Komoróczy, A zsidók története Magyarországon. Pozsony 2012; Gy. Konrád, Zsidókról. ebd. 2011; K. Fenyves, Képzelt asszimiláció? Négy zsidó értelmiségi nemzedék önképe. ebd. 2010; E. Kiss, Judentum – Emanzipation – Mitteleuropa. Neuere Studien. ebd. 2009; Das Judentum im pannonischen Raum vom 16. Jh. bis zum Jahr 1914. Internationales Kulturhistorisches Symposion Mogersdorf 2009. Kaposvár 2009; K. Frojimovics, Szétszakadt történelem. Zsidó vallási irányzatok Magyarországon 1868–1950. Budapest 2008; N. Popović, Jevreji u Srbiji 1918–1941. Beograd 1997; M. Švob, Židovi u Hrvatskoj. Migracije i promjene u židovskoj populaciji. Jews in Croatia. Migrations and and Changes in Jewish Population. Zagreb 1997 (zweisprachig); H. Pass-Friedenreich, The Jews of Yugoslavia. A Quest for Community. Philadelphia 1984. St. G.
Aseniden. Herrscherdynastie (1185–1277) bulg.-kumanischen Ursprungs. Zu den Gründern zählen die drei Brüder u. ersten bulg. Herrscher Peter (1185–1187 u. 1196–1197), Asen (1187–1196)
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Aseniden / Athen
u. Kalojan (1197–1207). Sie hatten 1185–1187 im Raume Tărnovo einen erfolgreichen Aufstand gegen die Oberherrschaft des byz. Kaisers organisiert u. ein unabhängiges bulg. Reich geschaffen. Dieses sog. Zweite →Bulgarische Reich (1185–1393/96) vereinte auf dem Höhepunkt seiner territ. Ausdehnung die zentralbalkanischen Landschaften u. drängte im Süden die →Lateinerherrschaft auf das unmittelbare Vorfeld Konstantinopels zurück. Herausragende Herrscherpersönlichkeiten waren in der Gründergeneration Kalojan, der 1204 die Unterstützung des Papstes für eine Zarenkrönung u. für eine eigene Kirchenorganisation unter einem bulg. Patriarchen gewann, u. sein Neffe Ivan Asen II. (1218–1241), der den Usurpationsversuch seines Onkels Boril (1204–1218) mit russ. Truppenunterstützung beendete u. durch den gezielten Einsatz diplomat. u. milit. Mittel (→Klokotnica) seine gefährlichsten innerbalkanischen Konkurrenten in →Epirus u. Konstantinopel (→Komnenen) auszuschalten wusste. Eine geschickte Heiratspolitik brachte die Aseniden in verwandtschaftliche Beziehungen zum ung., serb. u. epirotischen Herrscherhaus sowie zu den Lateinern in Konstantinopel u. zu den Griechen in Nikäa. Die Aseniden starben 1257 mit Kaliman II. (1256–1257) in der direkten männlichen Linie aus. Lit. (a. →Bulg. Reich): A. Madegearu, Asăneştii. Istoria politico-militară a statului dinastiei Asan (1185–1280). Târgovişte 2014; M. Dolmova-Lukanovska, Tărnovskite care. Insignii, ceremonii, dvorec. Veliko Tărnovo 2011; P. Stephenson, Byzantium’s Balkan Frontier. A Political Study of the Northern Balkans, 900–1204. Cambridge 2000; I. Božilov, Familijata na Asenevci (1186–1460). Genealogija i prosopografija. Sofija 1985 [Ndr. 1994]; G. Cankova-Petkova, Bălgarija pri Asenevci. Sofija 1978; V.N. Zlatarski, Istorija na bălgarskata dăržava prez srednite vekove. Bd. 3: Vtoro bălgarsko carstvo. Bălgarija pri Asenevci 1187–1280. Sofija 1940; Epochata na Asenevci 1185–1242. Pismata na Kalojan do Inokenti III. Hgg. St. S. Šangov/D. Gjulov. Sofija 1921. E. H.
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Athen. Stadt auf der Halbinsel Attika, seit 1834 Hauptstadt, wirt. u. kult. Zentrum Griechenlands; 664.064 E im Stadtgebiet, im Großraum A.-Piräus: 3,074.160 E (2011). Die antike Geschichte der Stadt endete zw. 578 u. 585, als →Awaren u. Slaven (→Slavische Landnahme) Teile A.s zerstörten. Seit ca. 690 gehörte A. zum byz. →Thema Hellas (nach 1000 zum Thema Hellas u. Peloponnes). Archäologisch lässt sich ab dem 10. Jh. ein bescheidener Aufschwung der Stadt nachweisen, der zur Errichtung v. Vorstädten im Bereich der nordwestl. Agora u. auf dem Kolonos u. zahlreicher kleiner Kreuzkuppelkirchen (sog. alte Metropolis, Theotokos Kapnikarea, Hagios Theodoros) führte u. bis um 1180 anhielt. Der Parthenon wurde zu einer der Gottesmutter geweihten Kathedralkirche des Metropoliten von A. umgebaut, dem im 12. Jh. zwölf Suffragane unterstanden. 1018 besuchte Basileios II. A. u. den Parthenon, um der Gottesmutter für die Unterwerfung der Bulgaren zu danken (→Bulg. Reich). Ein wenig erfreuliches Bild v. der Situation A.s am Ende des 12. Jh.s zeichnen die Schriften des Metropoliten Michael Choniates (1182–1204), in denen der Verfall der Stadt, die Armut ihrer Bewohner u. die fiskalische Ausbeutung durch den praitor u. die hohen Beamten der Provinzverwaltung beklagt werden. Choniates konnte die Stadt 1204 zwar erfolgreich gegen Leon Sguros verteidigen, aber die Eroberung durch Bonifaz v. Montferrat u. die Errichtung eines fränk. Herzogtums unter den burgundischen de la Roche (1205–1308) sowie
Athen
eines lat. Erzbistums nicht verhindern (→Lateinerherrschaft). Nach der Schlacht v. Halmyros (15.3.1311) fiel A. an die Katalanische Kompanie (vgl. →Katalanen), die den aragonesischen Kg. v. Sizilien als Oberherrn anerkannte, 1388 an den Florentiner Nerio I. Acciajuoli. 1456 musste Franco Acciajuoli A. dem osm. Feldherrn Omar Paşa übergeben. In osm. Zeit wurde der Parthenon zur Moschee umgebaut. Auf der Akropolis waren ca. 400 →Janitscharen stationiert. Während der Belagerung Athens durch dt. Söldner Venedigs zerstörte ein Volltreffer am 26.9.1687 den Parthenon. Zwar übergaben die Osmanen die Akropolis am 29.8.1687, doch räumten die Venezianer bereits am 10.4.1688 unter Evakuierung der gr. Bevölkerung wieder die Stadt (→Türkenkriege; →Venezianisches Überseereich). Besaß A. zu Beginn des 19. Jh.s noch 8.000 E, so war diese Zahl infolge der Kämpfe v. 1821 u. 1827 (osm. Rückeroberung, s. a. →Befreiungskriege, nationale) auf 2.000 abgesunken, als Otto I. von →Wittelsbach die Stadt am 18.9.1834 zur Hauptstadt des neuen →Griechenland erhob. In den folgenden Jahrzehnten wurde A. durch die Bauten der Architekten Klenze, Gärtner, Schaubert, Kleanthes, Ziller, Christian u. Hansen im klassizistischen Stil ausgebaut. Einen gewaltigen Bevölkerungszuwachs erhielt die Stadt nach 1923 durch die Ansiedlung v. ca. 300.000 Flüchtlingen aus Kleinasien (→Lausanne), die zahlreiche Stadtteile im Nordwesten (z. B. Nea Ionia u. Nea Philadelpheia) u. im Süden der Stadt (Nea Smyrnē) gründeten. Im 2. →Wk. u. v. a. während des →Bürgerkrieges strömten ca. 200.000 weitere Zuwanderer nach A., so dass die Einwohnerzahl zw. 1922 u. 1951 um eine dreiviertel Mio. zunahm u. bereits 1981 mit über 3 Mio. E mehr als ein Drittel der gr. Gesamtbev. umfasste. Lit.: D.N. Karidis, Athens from 1456 to 1920. The town under Ottoman rule and the 19th-century capital city. Oxford 2014; Kl.-P. Todt, Venezianer, Deutsche und Osmanen im Kampf um Griechenland (1645–1718), Thetis 18 (2011), 130-165; Ch. Mpuras, Byzantinē Athēna (10os–12os aiōnas). Athen 2010; A.E. Kaldelles, The Christian Parthenon. Classicism and Pilgrimage in Byzantine Athens. Cambridge 2009; R. Waterfield, Athens: a history, from ancient ideal to modern city. New York 2004; A. Papageorgiu-Venetas, Hauptstadt Athen. Zur Planungsgeschichte der Neugründung der Stadt im 19. Jh., in: Das ottonische Griechenland. Aspekte der Staatswerdung. Hg. ders. Athen 2002, 277–300; E. Bastea, The Creation of Modern Athens. Planning the Myth. Cambridge 2000; Das neue Hellas. Griechen u. Bayern zur Zeit Ludwigs I. Hg. R. Baumstark. München 1999 (u. gr. Parallelbd., vgl. Rez. SOF 59/60, 2000/2001, 558–569); G. Kairophylas, Hē romantikē Athēna. Athen 1996; A. Papageorgiou-Venetas, Hauptstadt Athen. Ein Stadtgedanke des Klassizismus. München 1994; S. Chtouris/E. Heidenreich/D. Ipsen, Von der Wildnis zum urbanen Raum. Zur Logik der peripheren Verstädterung am Beispiel Athen. Frankfurt/M. 1993; G. Kairophylas, He Athena tu mesopolemu. ebd. ²1988; ders., Hē Athēna meta ton polemo. ebd. 1988; G. Hering, Die Metamorphose Athens: Von der planmäßigen Anlage der Residenzstadt zur Metropole ohne Plan, in: Hauptstädte in Südosteuropa. Geschichte – Funktion – Nationale Symbolkraft. Hg. H. Heppner. Wien, Köln, Weimar 1994, 109–132; H. Hunger, Athen in Byzanz. Traum u. Realität, Jahrbuch der österreichischen Byzantinistik 40 (1990), 43–61; C. Lienau, Griechenland. Darmstadt 1989, 231–244; J. Koder/F. Hild, Hellas u. Thessalia. Wien 1976; K. Setton, Athens in the Middle Ages. London 1975 (mit Literaturbericht); ders., Catalan Domination of Athens 1311–1388. Cambridge/MA 1948 (London ²1975); A. Orlandos/L. Branusēs,
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Athos
Ta charagmata tu Parthenōnos. Athen 1973; H. Thompson, Athenian Twilight: A.D. 267–600, Journal of Roman Studies 49 (1959), 61–72; F. Gregorovius, Geschichte der Stadt Athen im Mittelalter. 2 Bde. Stuttgart 1889 (einbändiger Ndr. München 1980). K.-P. T.
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Athos (gr. auch Hagion Oros, „Heiliger Berg“). Südöstlichster Ausläufer der nordgr. Halbinsel Chalkidike mit dem gleichnamigen Berg (2033 m) u. Mönchsrepublik von zwanzig „regierenden“ Klöstern. Das →Mönchtum begründeten dort im 9. Jh. die Einsiedler Petros u. Euthymios. Euthymios sammelte seine Schüler in einer Hüttensiedlung (laura). Sein Gefährte Johannes Kolobos gründete um 870 bei Ierissos das erste Kloster. Als ältestes heute noch existierendes Kloster auf dem A. entstand vor 944 Xēropotamu. Ab 961 errichtete Athanasios, der Beichtvater Nikephoros’ II. Phokas (963–969), die Megistē Laura. Der Tragos, das erste Typikon des A. 970/971 von Ks. Johannes I. Tzimiskes (969–976) unterzeichnet, regelte das Zusammenleben v. koinobitischen Mönchen, Kellioten u. Einsiedlern auf dem A. Ab 979/980 erbaute Johannes Tornik das georgische Kloster Iviron (gr. tōn Ibērōn, d. h. der Georgier), das ab der Mitte des 14. Jh.s von gr. Äbten regiert wurde. Es folgte die Gründung der Klöster Vatopedi (vor 985), Xenophontos (um 1000) Philotheu, Chelandarion, Stauronikēta (vor 1015), Docheiariu (1030), Esphigmenu, Kastamonitu, Zographu (vor 1050) u. Karakallu (vor 1100). Zographu u. Stauronikēta erlangten jedoch erst um 1270 bzw 1541 den Status eines „regierenden“ Klosters, d. h. Vertretung in den Gremien des Regierungssitzes Karyes (heute ektaktos synaxis u. hiera koinotēs). Im 12. Jh. kamen die Klöster Panteleimonos (vor 1142), das einzige russ. unter den „regierenden“ Klöstern, u. Kutlumusiu (E. 1169) hinzu. 1198/1199 restaurierten der ehem. Serbenfürst Stefan Nemanja (als Mönch Symeon; →Nemanjiden) u. sein Sohn Sava das verfallene Chelandarion, das spätere serb. Hilandar. Bereits 1060 war in einer sl. Urkunde den Frauen der Zutritt zum A. verboten worden (Avaton). Das Verbot gilt bis zur Gegenwart. Nach 1204 u. 1307–1309 plünderten Kreuzfahrer (vgl. →Lateinerherrschaft) u. →Katalanen die Klöster u. trugen damit ebenso wie die v. den Mönchen abgelehnte Unionspolitik Michaels VIII. (1259–1282) zur Ausbildung einer strikt antiwestlichen Haltung auf dem A. bei. Im November 1312 unterstellte Andronikos II. (1282–1328) die Klöster der Jurisdiktion des →Patriarchen v. Konstantinopel. Obwohl der hesychastische Streit (→Hesychasmus), die byz. Bürgerkriege u. das Vordringen der Osmanen (→Osmanisches Reich) auch den A. erschütterten, wurden im 14 Jh. die Klöster Simonos Petras (vor 1345), Grēgoriu (um 1347), Pantokratoros (1363) u. Dionysiu (1366/1374) gegründet. Zwischen 1400 u. 1700 löste die Idiorrhythmie, die den Mönchen Besitz erlaubte u. die Autorität der Äbte untergrub, das gemeinschaftliche (koinobitische) Leben in den Klöstern auf. Erst 1784 setzte eine heute fast abgeschlossene Rückkehr zum gemeinschaftlichen Leben ein. In osm. Zeit (1430–1912) erfreuten sich die Klöster zwar der Protektion des Sultans, litten aber unter ruinöser Besteuerung. Geldspenden u. Landschenkungen der Fürsten der →Walachei u. der →Moldau u. der russ. Zaren trugen entscheidend zum Überleben der Klöster bei. Der Versuch, die →Aufklärung durch Gründung einer →Akademie (1749) auf dem A. zu verbreiten, scheiterte nach wenigen Jahrzehnten am Widerstand der Mönche.
Athos / Attentat von Sarajevo
Im 19. Jh. u. 20. Jh. zogen eine milit. Okkupation durch die Osmanen (1821–1830), die Enteignung der Klosterbesitzungen in →Rumänien (1862–1864) u. →Griechenland (1923), die Rivalität zw. gr. u. russ. Mönchen (1840–1917), der 1. Wk., der 1924 ausgebrochene Kalenderstreit (→Zeitrechnung; auf dem A. gilt nach wie vor der julianische Kalender), der gr. →Bürgerkrieg (1946–1949) u. die Auseinandersetzungen mit dem ökumenischen Patriarchat über eine Annäherung zw. orth. u. röm.-kath. Kirche die Klöster z. T. erheblich in Mitleidenschaft, doch konnte 1963 das Millenium des A. gefeiert werden. Seit 1912 gehört der A. zu Griechenland. Die Autonomie der Mönchsrepublik garantieren der Vertrag v. →Lausanne, die A.-Verfassung vom 10.5.1924 u. die gr. Gesetzgebung. Nach einem Tiefstand um 1970 lebten zur Jahrhundertwende wieder ca. 1.500 Mönche auf dem A., 2014 waren es schon über 2.200. 1988 wurde der Hl. Berg zum Weltkulturerbe der UNESCO erklärt. Quellen: Archives de l’Athos. Begr. G. Millet. 45 Bde. Paris 1937–2006; R. Billetta, Der heilige Berg Athos in Zeugnissen aus sieben Jahrhunderten. 5 Bde. Wien 1992–1995; Ph. Meyer, Die Haupturkunden für die Geschichte der Athosklöster. Leipzig 1894. Lit.: L. Fajfer, Modernisierung im orthodox-christlichen Kontext. Der Heilige Berg Athos u. die Herausforderung der Modernisierungsprozesse seit 1988. Frankfurt/M. 2013; A. Müller, Berg Athos. Geschichte einer Mönchsrepublik. München 2005; B. Melcer, Manastir Hilandar. Bibliografija. Niš, Beograd 2003; P.M. Mylonas, Bildlexikon des Heiligen Berges Athos. 3 Bde. Tübingen 2000; A. Fotić, Sveta Gora i Hilandar u osmanskom carstvu (XV–XVII vek). Beograd 2000; Medjunarodni Naučni Skup „Osam Vekova Hilandara“. Istorija, duhovni život, književnost, umetnost i arhitektura, oktobar 1998. Hg. V. Korać. Beograd 2000; D. Bogdanović/V.J. Djurić/D. Medaković, Hilandar. Heiliger Berg 1997 [Text- u. Bildbd., dt.]; Mount Athos and Byzantine Monasticism. Papers from the Twenty-eighth Spring Symposium of Byzantine Studies, Birmingham, March 1994. Hg. A. Bryer. Aldershot 1996; Mount Athos and the European Community. Hg. A.-E.N. Tachiaos. Thessaloniki 1993; D. Papachrysanthu, Hō Athōnikos Monachismos. Arches kai organōsē. Athen 1992; K. Gnoth, Antwort vom Athos. Die Bedeutung des heutigen gr.-orthodoxen Mönchtums für Kirche u. Gesellschaft nach der Schrift des Athosmönchs Theoklitos Dionysiatis „Metaxy Ouranou kai Ges“ (Zwischen Himmel u. Erde). Göttingen 1990; P. Năşturel, Le Mont Athos et les Roumains. Recherches sur leur relations du milieu du XlVe siècle à 1654. Rome 1986; E.A. de Mendieta, Mount Athos. The Garden of the Panaghia. Berlin u. a. 1972; I.P. Mamalakēs, To Hagion Oros (Athōs) dia mesu tōn aiōnōn. Thessaloniki 1971; F.W. Hasluck, Athos and its Monasteries. London 1924. K.-P. T.
Attentat von Sarajevo. Das A. auf den österr.-ung. Thronfolger, Ehz. Franz Ferdinand, am 28. Juni (→Vidovdan) 1914 löste unmittelbar den 1. →Weltkrieg aus. Der Besuch Franz Ferdinands in Bosnien, das seit dem →Berliner Kongress v. Österreich-Ungarn verwaltet u. 1908 annektiert worden war (→Annexionskrise) fiel in eine Zeit, da die Beziehungen zw. der Doppelmonarchie u. dem Kgr. Serbien wegen →Bosnien-Herzegowina u. der →Südslav. Frage aufs höchste gespannt waren. Während die Regierung in Belgrad unter Ministerpräsident Nikola Pašić ihre Handlungsweise den realpolitischen Gegebenheiten anpasste u. eine
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Attentat von Sarajevo
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offene Konfrontation mit dem Habsburgerreich hinausschob, gerieten die nationalrevolutionären Kreise in Bosnien u. Serbien (→Vereinigung oder Tod) in wachsende Ungeduld. Die Initiative zum A. ging von den Mitgliedern des →Jungen Bosnien (Mlada Bosna) aus. Der Attentäter Gavrilo Princip, der einer serb. Familie im bosn.-kroat. Grenzland entstammte, u. mehrere seiner Gesinnungsgenossen waren weniger als 21 Jahre alt. Sie strebten die Vereinigung Bosnien-Herzegowinas mit →Serbien oder die Bildung eines jugoslawischen Staates an u. unterhielten enge Kontakte zu den Nationalrevolutionären in Belgrad, von denen sie während ihres Aufenthalts in der serb. Hauptstadt mit Waffen, Munition u. Zyankali versorgt wurden. Die Frage, ob die Belgrader Regierung unter Ministerpräsident Nikola Pašić für das A., bei dem der österr.-ung. Thronfolger u. seine Frau tödlich verletzt wurden, verantwortlich oder mitverantwortlich waren, ist bis heute umstritten. Fest steht, dass die Wiener Behörden offiziell gewarnt worden waren, wenngleich in einer Form, die Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Warnung aufkommen ließ. Fest steht ferner, dass die Sicherheitsvorkehrungen in Sarajevo höchst unzulänglich waren. Dass die serb. Regierung v. konkreten Attentatsplänen gewusst oder sie gar gefördert habe, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit auszuschließen. Angesichts der großen Verluste an Menschen u. Material in den vorangegangenen →Balkankriegen kam ein Krieg i. J. 1914 denkbar ungelegen. Fest steht andererseits, dass die „Jungbosnier“ mit der Belgrader Geheimorganisation „Vereinigung oder Tod“ in Verbindung standen u. von dieser unterstützt worden waren. Der führende Kopf der Geheimorganisation, Dragutin T. Dimitrijević (genannt „Apis“), war zugleich Chef des Geheimdienstes beim serb. Generalstab. Die Regierung war über die Umtriebe von „Apis“ (wenn auch nicht über alle Details) mit Sicherheit unterrichtet. Allerdings stellte die Geheimorganisation eine Art Staat im Staate dar, der von der Regierung nicht wirksam kontrolliert werden konnte. („Apis“ wurde 1917 wegen des Konflikts mit dem pol. Establishment u. dem Prinzregenten Alexander Karadjordjević v. einem serb. Militärgericht in Saloniki zum Tod verurteilt.) Am 28. Okt. 1914 befand das Kreisgericht in Sarajevo 16 der wegen Vorbereitung u. Ausführung des A.s Angeklagten für schuldig, von denen fünf zum Tod durch den Strang verurteilt wurden (zwei wurden später begnadigt). Da die Hauptbeteiligten am A., Princip, Nedeljko Čabrinović u. Trifko Grabež, nach österr. Recht noch nicht volljährig waren, entgingen sie der Todesstrafe. Zur Abbüßung ihrer 20jährigen Haft wurden sie in die böhmische Festung Theresienstadt überstellt, wo sie alle drei vor Ende des Weltkriegs unter menschenunwürdigen Bedingungen an Tuberkulose zugrunde gingen. Das A. bot den für einen „Präventivschlag“ gegen Belgrad eintretenden Kreisen in Wien um Generalstabschef Conrad v. Hötzendorf, der seit langem für einen Krieg gegen Serbien eingetreten war (im Unterschied zum Thronfolger, der mit Rücksicht auf die Instabilität der Doppelmonarchie keinen Krieg riskieren wollte) einen willkommenen Anlass, um „Serbien durch eine Kraftäußerung für immer unschädlich zu machen“, wie Außenminister Leopold v. Berchtold am 7. Juli formulierte. Trotz der Warnungen des ung. Ministerpräsidenten István Tisza vor der „furchtbaren Kalamität eines europäischen Krieges“ glaubte der Ministerrat in Wien an die Eingrenzbarkeit des Konflikts u. einen schnellen Sieg über Serbien. Am Abend des 23. Juli übergab der österr.-ung. Gesandte in Belgrad ein auf 48 Stunden befristetes Ultimatum, in dem u. a. eine Beteiligung österr.-ung. Organe an den Untersuchungen in Serbien zur Aufklärung des A. gefordert wurde.
Attentat von Sarajevo
Obwohl sich Belgrad zur Erfüllung der meisten Bedingungen des Ultimatums bereit erklärte, fiel die Antwort im österr. Sinn (wie erwartet) unbefriedigend aus. Da die Bereitschaft zur friedlichen Verständigung fehlte u. sich Österreich-Ungarn der Rückendeckung Deutschlands („Blankoscheck“), Serbien der Unterstützung Russlands u. dieses der Hilfe Frankreichs sicher waren, löste die österr.-ung. Kriegserklärung vom 28. Juli 1914 an Serbien in rascher Folge den Kriegseintritt der wichtigsten europ. Staaten u. damit den 1. →Wk. aus. Die Erinnerung an Princip u. die Jungbosnier blieb im Kgr. Jugoslawien (schon aus ideolog. Gründen) ambivalent. Erst im sozialist. Jugoslawien wurden sie als Wegbereiter von „Brüderlichkeit u. Einheit“ der jug. Völker geehrt. Nach dem blutigen Ende Jugoslawiens drifteten die →Erinnerungskulturen weit auseinander. Während Princip in der serb. Erinnerung als „Held“ gefeiert wird, ist er für die Mehrheit der Bosniaken nur ein Attentäter u. „Verbrecher“. In der Forschung zur Julikrise 1914 stehen sich drei Positionen gegenüber. Die Einen machen das A. u. die vermeintliche Verstrickung Serbiens in dessen Vorbereitung für den Kriegsbeginn verantwortlich. Diese These, die v. a. in der dt. u. österr. Forschung lange Zeit vertreten wurde, ist international nicht mehrheitsfähig. Die Vertreter der zweiten Richtung messen dem A. dagegen nur eine marginale Bedeutung für den Beginn des Wk.s zu: Denn auch ohne die Schüsse v. Sarajevo wäre der Krieg früher oder später – u. unausweichlich – ausgebrochen. In Fritz Fischers Werk „Griff nach der Weltmacht“ v. 1961 wird der Name v. Gavrilo Princip daher nicht ein einziges Mal erwähnt; die Verantwortung für den Krieg habe in erster Linie beim wilhelminischen Deutschland gelegen. In jüngeren Arbeiten (v. Christopher Clark, Margaret McMillan, Sean McMeekin u. a.) wird dieser Determinismus u. die scharfe Trennung v. Anlass (Attentat) u. Ursache (dt. Weltmachtstreben) in Frage gestellt. Hier stehen das intern. Beziehungensystem, insbes. auch die Rolle →Russlands u. Frankreichs, sowie die Bedeutung des Balkanraums für die Politik der Großmächte stärker im Fokus der Untersuchungen. Dass es auch ohne das A. zum Krieg gekommen wäre, gilt als reine Spekulation. Quellen u. Lit. (a. →Weltkrieg, Erster): G. Mayer, Verschwörung in Sarajevo. Triumph u. Tod des Attentäters Gavrilo Princip. St. Pölten u. a. 2014; G. Princip, Dokumenti i sećanja. Hg. M. Ković. Novi Sad, Beograd 2014; D. Milenković, Pucanj u srce imperije: Sarajevo 1914. Atentat Gavrila Principa na austrijskog nadvojvodu Franju Ferdinanda. Beograd 2014; Z. Šehić, Sarajevski atentat – varnica koja je zapalila svet, Gračanski glasnik. Časopis za kulturnu historiju 19 (2014), 27– 94; Ch. Clark, The Sleepwalkers. How Europe Went to War in 1914. London 2012; D.J. Smith, eath!’: Gavrilo One Morning in Sarajevo: 28 June 1914. London 2008; P. Jackson, ‘Union or D Princip, Young Bosnia and the Role of ‘Sacred Time’ in the Dynamics of Nationalist Terrorism, Totalitarian Movements and Political Religions 7 (2006), H 1, 45–65; V.G. Aleksandrov, Vănša politika i terorizam. Atentăt v Sarajevo: pričini i posledici. Sofija 2005; V.R. Berghahn, Sarajevo, 28. Juni 1914. Der Untergang des alten Europa. München 1997; L. Cassels, The Archduke and the Assassin. Sarajevo, June 28th 1914. New York 1995; G. Brook-Shepherd, Die Opfer von Sarajevo: Erzherzog Franz Ferdinand u. Sophie von Chotek. Stuttgart 1988; W.A.D. Owings, The Sarajevo Trial. The Monumental Story of the Assassination that Began World War I. Übers., Hgg. ders./E. Pribic/N. Pribic. 2 Bde. Chapel Hill 1984; F. Würthle, Dokumente zum Sarajevoprozeß. Ein
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Quellenbericht. Wien 1978; V. Dedijer, Die Zeitbombe. Sarajevo 1914. Wien u. a. 1967; Sarajevski atentat 28.VI.1914. Pisma i saopštenja. Hg. V. Bogićević. Sarajevo 1965; B. Čulić/N.D. Trišić, Sarajevski atentat u svjetlu bibliografskih podataka. Sarajevo 21964; Sarajevski atentat. Izvorne stenografske bilješke sa glavne rasprave protiv G. Principa i drugova, održane u Sarajevu 1914. god. Hg. V. Bogićević. Sarajevo 1954; Der Sarajevo-Prozeß. Deutsche Übersetzung der Anklageschrift... u. amtliche deutsche Übersetzung des Urteils aus dem Haus-, Hof- u. Staatsarchiv Wien. Bearb. E. Brandenburg. Berlin 1933; R. Gooss, Das österreichisch-serbische Problem bis zur Kriegserklärung Österreich-Ungarns, 28. Juli 1914, in: Das Werk des Untersuchungsausschusses der Verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung u. des Dt. Reichstages 1919–1930. Reihe 1, Bd. 10. Berlin 1930, 1–302 (Ndr. Hannover 2007). H. S.
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Aufklärung (gr. diafotismos; ung. felvilágosodás; rum. iluminismul; kroat./serb. prosv(j) etiteljstvo; bulg. prosveštenie; alb. iluminizmi; jiddisch haskalah; frz. les Lumières; engl. Enlightenment; it. illuminismo). Die europ. Geistesbewegung der A. hat die Intelligenzgruppen der Völker SOEs auf verschiedenen Wegen erreicht u. als moralisch-pädagogische Herausforderung ebenso wie als Kritik am Despotismus Tendenzen v. überregionaler Bedeutung hervorgerufen. Dabei lassen sich mehrere Etappen unterscheiden. Von England, den Niederlanden u. aus dem alten Dt. Reich gelangten Nachrichten über die Früh-A. in den Donau-Karpatenraum u. zu den Bildungseinrichtungen der westl. Balkanhalbinsel. Von Leiden, Halle, Leipzig, Göttingen, Wien u. Padua aus förderten die gemäßigten Aufklärer u. Vertreter des →Josephinismus seit der Mitte des 18. Jh.s die Popularisierung der Lehren v. Locke, Leibniz, Newton, Christian Wolff, Thomasius, Voltaire, Diderot, d’Alembert, Montesquieu, Rousseau, Friedrich Christian Baumeister, Martini, Lessing, Sonnenfels, Hume, Bentham, Mendelssohn in SOE. Vermittler der A. unter den Balkanvölkern waren die in den Diasporagemeinden der →Donaufürstentümer u. der →Habsburgermonarchie, aber auch in Sachsen u. Preußen lebenden frühbürgerlichen Eliten der Griechen, Serben, Aromunen, Moldauer, Walachen u. Bulgaren, die dort günstigere sozio-kulturelle Entwicklungsmöglichkeiten gefunden hatten als in den osm. beherrschten Kerngebieten des Binnenlandes →Bürgertum hist.Ungarn →Phanarioten, →Bojaren u. Angehörige des Kaufmanns- u. Bildungsbürgertums sorgten für die Abfassung v. Kompilationen zur Einführung in Mathematik, Physik, Astronomie, Erdkunde u. Pädagogik. Aufklärungsliteratur aus den Druckorten Venedig, Leipzig, Halle, Paris, Wien u. Ofen-Pest (→Buchdruck) gelangten zu den Schuleinrichtungen der Griechen an den Küsten Kleinasiens u. auf den Inseln. Die bürgerfreundliche Lockerung der Zensurgesetze durch Ks. Joseph II. (11.6.1781) begünstigte das Erscheinen v. Zeitungen in soe. Sprachen, die Informationen über kult. u. pol. Ereignisse vermittelten. Sie trugen insbesondere zu den sprachlich-kult. Emanzipationsbewegungen bei, die das Nationalbewusstsein förderten. Forderungen frz. Aufklärer, „von nichts anderem abzuhängen als von den Gesetzen“, u. der Appell des gr. Freiheitskämpfers Rigas Velestinlis, „sich für die Freiheit mit dem Schwert zu gürten“, beantworteten die →Hohe Pforte u. das Ökumenische →Patriarchat v. Konstantinopel mit dem Verbot der Schriften
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Voltaires u. anderer Aufklärer. Auch die Verbreitung des heliozentrischen Systems, das seit 1783 bei Serben u. Griechen der Habsburgermonarchie durch vorsichtig formulierte Kompilationen bekannt geworden war, wurde kirchlicherseits untersagt. Engl. u. frz. Theorien der A. waren über deutschsprachige Veröffentlichungen, aber auch in Originalausgaben zu den Intellektuellen Ungarns, Siebenbürgens, der Donaufürstentümer u. der Südslaven gelangt. Die Lehren der Mediziner Boerhave u. van Swieten wurden v. Ärzten in SOE verbreitet, die an „europ.“ Universitäten studiert hatten (→Studentenmigration). Ärzte, geistliche Würdenträger u. Angehörige v. →Freimaurerlogen traten auch für die naturrechtlich begründete Forderung nach Glaubens- u. Gewissensfreiheit ein. Der einige weltliche Lebensbereiche verändernde Säkularisierungsprozess hatte sich zunächst aber nur im Donau-Karpatenraum manifestiert. Er wirkte durch Vermittlung einheimischer Intelligenzgruppen über die Randgebiete der Habsburgermonarchie hinaus, konnte aber auf dem →Balkan die Loslösung aus überkommenen geistigen Bindungen erst während der Phase der Spät-A. beeinflussen. Die Kulturorientierung der Oberschichten hatte die A.s-Rezeption begünstigt, führte jedoch zu Spannungen mit der stärker in der Volks- u. Alltagskultur verharrenden übrigen Bevölkerung. Der gr. Aufklärer Adamantios Koraïs, der in Wien, Neapel u. Paris studiert hatte, kritisierte die kons. Kräfte in der Ostkirche u. die ihm unnötig lang erscheinende Dauer der Liturgie. Stimmen gegen den kirchl. Supranaturalismus der Orthodoxen fanden kein nennenswertes Interesse. Auch Kritik an Missständen in Klöstern (→Mönchtum, orth.) u. an Höfen der Despoten (Bischöfe) war selten. Der serb. Aufklärer Dositej Obradović blieb trotz seiner Kritik an Missbräuchen u. Finsternis bei serb. Klerikern in der ostkirchl. Überlieferung verankert. Das „Licht der Vernunft“ verbreitete er über Fabeln v. Äsop u. Lessing, die seit 1790 auch ins Magyarische übertragen wurden. Rum. Fabeln erschienen später u. dienten ähnlich wie die Schüler- u. Laientheater in Jassy/→Iaşi, →Bukarest, Odessa u. Triest der Volksaufklärung u. der nationalen Bewusstseinsbildung (→Nationsbildung). Ein weites Betätigungsfeld fanden Aufklärer beim Aufbau des muttersprachlichen Schulunterrichts u. der Bekämpfung des Aberglaubens, der sich die Mitglieder der siebenbürg. A. (Şcoala Ardeleană) mit Nachdruck gewidmet haben. Gheorghe Şincai hatte die „Volksnaturlehre zur Bekämpfung des Aberglaubens“ v. J.H. Helmuth ins Rum. übersetzt, ebenso wie vor ihm gr. Aufklärer. Um die trad. Lehrbücher gr. Schulen des 18. Jh.s, den Oktoichos u. das Psaltirion, durch ansprechendere Texte zu ersetzen, übersetzte Konstantinos Bellios 1792 Johann Heinrich Campes Abenteuerroman „Robinson der Jüngere“ ins Griechische. Wegbereiter moderner pädagogischer u. gemäßigter philosophischer Lehrmeinungen waren häufig orth. u. unierte Kleriker, die in Ioannina, Kozani u. an den Schulen des Donau-Karpatenraums wirkten. Die Verbreitung erkenntnistheoretischer Elemente der kantischen Philosophie erfolgte auf verschiedenen Wegen, wobei prot. Geistliche u. Gelehrte maßgeblich beteiligt waren. Nachhaltige Breitenwirkungen gingen v. der gemäßigten kath. Spät-A. aus, die in Verbindung mit den Auswirkungen des Reformabsolutismus u. dem Frühliberalismus den Boden für die Volks-A. u. die v. rationalen Ansätzen getragenen freiheitlichen Denkgewohnheiten vorbereitet hatte. Grundsätze v. Religions- u. Geistesfreiheit wurden in den Randzonen SOEs akzeptiert, in denen die bürgerliche Rechtskultur über Generationen institutionalisiert
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war u. Einflüsse der gemäßigten A. in den staatl. Bildungsstätten Eingang gefunden hatten. Dasselbe gilt für die Säkularisierung des Geisteslebens u. für die naturwiss. fundierte Anthropologie einschließlich der Schöpfungsgeschichte. Deistische Tendenzen waren bei Orthodoxen die Ausnahme, ebenso Bibelkritik, denn die Hierarchie der gr. u. serb. Landeskirchen (→Orthodoxie u. Nationalkirchen) hatte sich gemeinsam mit dem Ökumen. Patriarchat erfolgreich gegen Übersetzungen in die Volks- u. Literatursprache gewehrt. Aufgeschlossenheit gegenüber Einflüssen einer kult. Okzidentalisierung zeigten einige jüd. Gemeinden der →Aschkenasim in der →Bukowina u. der →Moldau, die sich in der Zeit des →Vormärz für die aus dem dt. Sprachraum vermittelten Impulse der „Haskalah“ geöffnet hatten, ohne den Boden strenger relig. Bindungen zu verlassen, so dass die jüd. A. praxisbezogen blieb.
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Lit.: Katholische Aufklärung u. Josephinismus. Rezeptionsformen in Ostmittel- u. Südosteuropa. Hgg. R. Bendel/N. Spannenberger. Köln, Wien, Weimar 2015; Felvilágosodás – Magyar századforduló. A VII. Hungarológiai Kongresszus Filozófia Szekcióinak előadásai. Hg. P. Egyed. Kolozsvár 2012; I. Zelepos, Orthodoxe Eiferer im osmanischen Südosteuropa. Die Kollyvadenbewegung (1750–1820) u. ihr Beitrag zu den Auseinandersetzungen um Tradition, Aufklärung u. Identität. Wiesbaden 2012; Dositej i (srpska) škola. Zbornik radova. Hg. D. Ivanić. Beograd 2011; Adamantios Korais and the European Enlightenment. Hg. P. Kitromilidis. Oxford 2010; Dositej Obradović. Hg. M.D. Stefanović. Novi Sad 2010 [Anthologie]; Delo Dositeja Obradovića 1807–2007. Zbornik radova. Hgg. D. Ivanić/V. Jelić. Beograd 2008; W. Fischer, Dositej Obradović als bürgerlicher Kulturheld. Zur Formierung eines serbischen bürgerlichen Selbstbildes durch literarische Kommunikation 1783–1845. Frankfurt/M. 2007; Late Enlightenment. Emergence of the Modern „National Idea“. Hg. B. Trencsényi. Budapest u. a. 2006; Evgenios Vulgaris u. die neugriechische Aufklärung in Leipzig. Hg. G. Henrich. Leipzig 2003; C. Hopf, Sprachnationalismus in Serbien u. Griechenland. Theoretische Grundlagen sowie ein Vergleich von Vuk Stefanović Karadžić u. Adamantios Korais. Wiesbaden 1997; V. Makrides, Die religiöse Kritik am kopernikanischen Weltbild in Griechenland zwischen 1794 u. 1821. Frankfurt/M. 1995; P. Kitromilidis, Enlightenment, Nationalism, Orthodoxy. Studies in the culture and political thought of Southeastern Europe. Aldershot 1994; G. Podskalsky, Die Auseinandersetzung mit der Aufklärung: Rückzug auf die eigenen Quellen 1727–1821, in: ders., Griechische Theologie in der Zeit der Türkenherrschaft (1453–1821). München 1988, 329–385; Les Lumières en Hongrie, en Europe Centrale et en Europe Orientale. Actes du colloque de Mátrafüred. 6 Bde. Budapest 1971–1987; E. Turczynski, Von der Aufklärung zum Frühliberalismus. München 1985; C.Th. Dimaras, Neoellinikos diafotismos. Athen 1983; Aufklärung u. Nationen im Osten Europas. Hg. L. Sziklay. Budapest 1983; M. Csáky, Von der Aufklärung zum Liberalimus. Studien zum Frühliberalismus in Ungarn. Wien 1981; A. Andea, Cultura românească şi filozofia kantiană in prima jumătate a secolului al XIXlea, Anuarul Institutului des Istorie 22 (1979), 185–189; E. Turczynski, Die Verbreitung des modernen Weltbildes bei den Südslawen, Anzeiger für Slavische Philologie 7 (1977), 329–352; ders., Die städtische Gesellschaft als Träger der Frühaufklärung in Dalmatien, in: Structure sociale et développement culturel des villes Sud-Est Européennes et Adriatiques aux XVIIe–XVIIIe siècles. Bucarest 1975, 23–41; ders., The Role of the Orthodox Church in Adapting and Transforming the Western Enlightenment in Southeastern Europe, East European Quarterly 9 (1975), Nr. 4, 415–440; ders., Gestaltwandel u.
Ausgleich, österreichisch-ungarischer
Trägerschichten der Aufklärung in Ost- u. Südosteuropa. ebd., 23–49; Aufklärung. Schrifttum der Siebenbürger Sachsen u. Banater Schwaben. Hgg. C. Göllner/H. Stănescu. Bucureşti 1974; V. Georgescu, Ideile politice şi iluminismul în Principatele Române 1750–1831. ebd. 1972; S. Kostić, Ausstrahlungen deutscher literarisch-volkstümlicher Aufklärung im südslawischen Raum unter besonderer Berücksichtigung des Schulwesens, in: Die Aufklärung in Ost- u. Südosteuropa. Hgg. E. Lesky u. a. Köln u. a. 1972, 175–194; H. Stuke, Aufklärung, in: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Bd. 1. Hgg. O. Brunner u. a. Stuttgart 1972, 243–342; A. Papaderos, Metakenosis. Griechenlands kulturelle Herausforderung durch die Aufklärung in der Sicht des Korais u. des Oikonomos. Meisenheim/Glan 1970. E. T.
Ausgleich, österreichisch-ungarischer. Nach dem Zusammenbruch des Systems des →Neoabsolutismus, zwei verlorenen Kriegen (1859 u. 1866) u. den gescheiterten Verfassungsexperimenten Anfang der 1860er Jahre sah sich Ks. Franz Josef dazu gezwungen, einen A. mit →Ungarn einzugehen, das heißt einen Kompromiss der Krone mit den v. Ungarn erhobenen Forderungen nach Wiederherstellung der 1848er Gesetze (→Revolution v. 1848/49, Ungarn). Für Ungarn bedeutete diese Zielsetzung, in der Innenpolitik völlige Autonomie u. eine verfassungsmäßige Kontrolle seiner Regierung zu erlangen, dies jedoch unter Einbeziehung des Landes in die Gesamtmonarchie, denn nur mit dieser sahen die ung. Staatsmänner die Sicherheit ihres Landes sowie die Stellung einer Großmacht gewahrt, deren Außenpolitik sie in Zukunft mitgestalten wollten. Geführt wurden die ab Sommer 1866 immer intensiveren Verhandlungen auf ung. Seite v. dem dafür eigens gebildeten 15köpfigen Ausschuss des ung. Landtags unter der Leitung v. Gyula Andrássy u. Ferenc Deák, seitens der Wiener Regierung v. dem im Juli 1865 ins Amt berufenen Staatsminister Graf Richard Belcredi u. dem im Okt. 1866 zum Außenminister ernannten Freiherrn (später Graf ) Friedrich Ferdinand von Beust, der nach dem im Februar 1867 erfolgten Rücktritt Belcredis dessen Nachfolge antrat u. vom Juni 1867 bis zu seinem Rücktritt 1871 als „Reichskanzler“ amtierte. Das Ergebnis dieser Verhandlungen bildete der ung. Gesetzesartikel XII vom 12.6.1867, der zus. mit den Gesetzen des Wiener Reichsrates vom Dezember 1867 (Dezemberverfassung) als A. bezeichnet wird. Seine Entstehungsgeschichte verweist darauf, dass der eigentliche A. nur zw. der Krone u. dem ung. Parlament (→Országyűlés) als Vertretung der ung. Nation geschlossen wurde u. die darin getroffenen Regelungen nachträglich vom Wiener Reichsrat sanktioniert u. für die „im Reichsrat vertretenen Königreiche u. Länder“ (→Zisleithanien) in Kraft gesetzt wurden, was wiederum im ung. A.-Gesetz zur Vorbedingung der Gültigkeit des A.s gemacht worden war. Dieser daher nur dem Ergebnis nach staatsrechtliche A. zw. Österreich u. Ungarn besteht aus zwei parallelen, vom Ks. sanktionierten Gesetzeskomplexen im Verfassungsrang, die die konstitutionelle Ordnung beider Staaten u. ihr gegenseitiges Verhältnis sowie die Stellung des Monarchen regelten. Gleichgerichtet im Inhalt, aber nicht gleichlautend im Text, schufen beide Ausgleichsgesetze v. Anfang an Raum für auch divergierende Interpretationen, die bis 1918 das gegenseitige Verhältnis belasteten. Die Voraussetzung des A.s war die Verbindung zweier unabhängiger u. gleichberechtigter Staaten, die einen als Ks. in Österreich u. als Kg. in Ungarn gemeinsamen Herrscher besa-
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Ausgleich, österreichisch-ungarischer
ßen. Diese dualistischen Staaten – daher die im A. verwendete Bezeichnung →Dualismus – besaßen die im A. festgelegten gemeinsamen Angelegenheiten. Der A. besiegelte daher nicht nur eine Personalunion, sondern auch eine Realunion. Es gab die dauernd gemeinsamen, die „pragmatischen“ Angelegenheiten, bezeichnet nach der für die Gemeinsamkeit maßgebenden →Pragmatischen Sanktion v. 1713: das Herrscherhaus, die Außenpolitik, für die das Außenministerium zuständig war, u. die Armee, die unter der Befehlsgewalt des Monarchen stand u. vom gemeinsamen Kriegsministerium verwaltet wurde. Als Prärogative der Krone blieb somit ihre unumschränkte Führung der Armee u. der Außenpolitik bestehen. Der Monarch hatte das Recht, Verträge abzuschließen, den Krieg zu erklären, u. nur bei Handelsverträgen bestand ein Zustimmungsrecht beider Parlamente. Daneben gab es die „dualistischen“ gemeinsamen Angelegenheiten, für die mit Ausnahme der Entscheidung über die Rekrutenkontingente (worüber beide Parlamente zu beschließen hatten) das gemeinsame Finanzministerium zuständig war. In seine Kompetenz fielen das einheitliche Währungssystem, die Notenbank: die „Österreichisch-ungarische Bank“, die Regelung der vor 1867 entstandenen Staatsschulden, die Fortführung der Zollunion beider Staaten sowie eine gemeinsame Zollgesetzgebung nach außen, die Gesetzgebung über die indirekten Steuern u. die durch beide Staatsgebiete führenden Eisenbahnen. Die dualistischen gemeinsamen Angelegenheiten waren durch die jeweils auf 10 Jahre abzuschließenden A.-Verträge zu regeln. Im Mittelpunkt der Ausgleichsverhandlungen stand die Festlegung der Quote, die den Finanzierungsanteil beider Reichshälften für die gemeinsamen Ausgaben bestimmte: 1867 wurde sie mit 70 zu 30 (für Ungarn) festgesetzt, u. bis 1918 hat der ung. Anteil 36,4 % (v. 1907) niemals überschritten. Es gab darüber hinaus noch zwei gemeinsame Institutionen: den gemeinsamen Ministerrat, der aus den gemeinsamen Ministern u. den Ministerpräsidenten beider Staaten unter dem Vorsitz des Außenministers gebildet wurde u. die Delegationen, d. h. die v. den Parlamenten beider Staaten gewählten, aber i. d. R. voneinander getrennt tagenden Ausschüsse mit je 60 Mitgliedern, die abwechselnd in Wien u. Budapest zusammentraten, das gemeinsame Budget bewilligten u. die Arbeit der gemeinsamen Ministerien kontrollieren sollten, dazu jedoch über keine wirkungsvollen Kompetenzen verfügten. Die 1848 begonnenen u. nach Aufhebung des neoabsolutistischen Systems 1860 intensivierten Debatten um die Reichsreform wurden mit dem A. endgültig entschieden. Er machte allen Versuchen ein Ende, Österreich-Ungarn in einen föderalistischen Staat, der sich auf die hist.-pol. Einheiten seiner Länder gründen wollte, umzuwandeln, oder in einen Bundesstaat seiner Völker, wie das unter dem Eindruck der verschärften Nationalitätenkämpfe nach der Jahrhundertwende v. Karl Renner oder Aurel Popovici vorgeschlagen wurde. Der A. als Grundgesetz des Systems des bis 1918 währenden Dualismus garantierte u. zementierte die magyarische Vorherrschaft in der östl. u. die dt. in der westl. Reichshälfte. Er verhinderte v. vornherein jede weitere Verfassungsreform, die in Gestalt des →Trialismus eine pol. Partizipation des in der Gesamtheit numerisch stärksten, nämlich des slav. Bevölkerungselements der Doppelmonarchie in irgendeiner Weise ermöglichen wollte, sei es in Gestalt des um 1870/71 versuchten u. folgerichtig gescheiterten A.s mit den Tschechen, oder eines nach 1900 vielfach diskutierten A.s mit den →Südslaven. 100
Quellen u. Lit.: A. Schmied-Kowarzik, Unteilbar u. untrennbar? Die Verhandlungen zw. Cisleit-
Ausgleich, ungarisch-kroatischer
hanien u. Ungarn zum gescheiterten Wirtschaftsausgleich 1897. Innsbruck u. a. 2010; J. Balogh, Der österreichisch-ungarische Ausgleich 1867. Budapest 2008; M. Kozári, A dualista rendszer (1867–1918). Budapest 2005; A kiegyezés. Hg. A. Cieger. ebd. 2004; P. Hanák, 1867 – európai térben és időben. Hg. É. Somogyi. Budapest 2001; K. Olechowski-Hrdlicka, Die gemeinsamen Angelegenheiten der Österreichisch-Ungarischen Monarchie. Vorgeschichte – Ausgleich 1867 – staatsrechtliche Kontroversen. Frankfurt/M. u. a. 2001; B. Haider, Die Protokolle des Verfassungsausschusses des Reichsrates vom Jahre 1867. Wien 1997; É. Somogyi, Der österreichisch-ungarische Ausgleich 1867 u. seine Protagonisten, ÖOH 35 (1993), 413–429; dies., Vom Zentralismus zum Dualismus. Der Weg der deutschösterreichischen Liberalen zum Ausgleich von 1867. Wiesbaden 1983; J. Galantai, Der österreichisch-ungarische Dualismus 1867–1918. Budapest, Wien 1990; Quellen zur Genesis des ungarischen Ausgleichsgesetzes von 1867. Der „österr.-ungar. Ausgleich“ von 1867. Hg. J. Garamvölgyi. München 1979; Der österreichisch-ungarische Ausgleich 1867. Materialien. Hg. L. Holotik. Bratislava 1971; Der österreichisch-ungarische Ausgleich von 1867. Seine Grundlagen u. seine Auswirkungen. Hg. T. Mayer. München 1968; Der österreichisch-ungarische Ausgleich von 1867. Vorgeschichte u. Wirkungen. Hg. P. Berger. Wien 1967. G. S.
Ausgleich, ungarisch-kroatischer (ung. magyar-horvát kiegyezés; kroat. hrvatsko-ugarska nagodba). Nachdem →Kroatien am 19.4.1848 seine Beziehungen mit →Ungarn mit Ausnahme der Personalunion, also der Gemeinsamkeit des Herrschers, abgebrochen hatte (→Revolution v. 1848/49, Kroaten), verabschiedete am 13.6.1861 der kroat. Landtag (→Sabor) den Gesetzesartikel XLII/1861, in dem die Bedingungen umrissen wurden, nach denen das Land bereit war, seine konstitutionellen Bindungen mit Ungarn zu erneuern. Er enthielt als wichtigste Forderungen: Erstens Anerkennung der Personalunion; zweitens die Vereinigung aller v. Kroaten bewohnten Siedlungsgebiete in einem Staat u. drittens die vollkommene Unabhängigkeit Kroatiens in Angelegenheiten der inneren Verwaltung, der Gerichtsorganisation, v. Kultus u. Unterricht. Der am 18.11.1868 vom kroat. (Gesetz I/1868) u. am darauffolgenden Tag vom ung. Parlament (Gesetz XXX/1868) beschlossene ung.-kroat. A. hat nur die dritte Forderung erfüllt, mit der wesentlichen Einschränkung, dass Kroatien-Slawonien laut Artikel 1 mit Ungarn „eine u. dieselbe Staatsgemeinschaft“ nach innen wie nach außen bilden, andererseits Kroatien eine „ein besonderes Territorium besitzende pol. Nation“ ist u. „in seinen inneren Angelegenheiten eine eigene Gesetzgebung u. Regierung besitzt“ (Art. 59). Auf Drängen der aristokratischen Mehrheit der kroat. Verhandlungsdelegation wurden alle wirt. u. finanziellen Angelegenheiten als gemeinsame definiert u. der ung. Verwaltung übertragen. Dies geschah gegen die Empfehlung v. Ferenc Deák, der darin ein Ungleichgewicht erkannte, das in Zukunft seiner – wie sich später herausstellte zutreffenden – Meinung nach große Spannungen heraufbeschwören sollte. Kroatien erkannte ferner den österr.-ung. A. (→Ausgleich, österr.-ung.) an u. trug zur ung. Ausgleichsquote 6,44 % für die gemeinsamen Angelegenheiten der Doppelmonarchie bei, ein Betrag, der zum damaligen Zeitpunkt bereits das Steueraufkommen des Landes überstieg u. seine völlige finanzielle Abhängigkeit v. Budapest besiegelte. Alle in Kroatien
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Ausgleich, ungarisch-kroatischer
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erzielten Staatseinnahmen wurden in zwei Teile geteilt: 45 % für den autonomen Haushalt u. 55 % für die gemeinsamen Ausgaben. Für ein im Lande entstandenes Finanzdefizit musste Ungarn aufkommen. Die gemeinsamen Angelegenheiten, insbesondere der alle zehn Jahre zu erneuernde Finanzausgleich, wurden im gemeinsamen Reichstag (→Országgyűlés) in Budapest verhandelt, in dem Kroatien mit 29 (nach Auflösung der →Militärgrenze ab 1881 mit 40) Abgeordneten vertreten war. Bei der Regierung in Budapest wurde ein besonderer Minister für Kroatien eingesetzt, der gemeinsam mit dem Banus (dieser als Vorsitzender der kroat. Landesregierung; →Ban) alle Kroatien betreffenden Gesetze gegenzuzeichnen hatte. Der Banus wurde auf Vorschlag des ung. Ministerpräsidenten vom Kg. ernannt u. war nur formell dem kroat. Landtag verantwortlich. Sowohl in den autonomen wie auch in den gemeinsamen Angelegenheiten wurde die kroat. Sprache als Amtssprache voll anerkannt. Der Hafen →Rijeka/Fiume blieb vom Territorium Kroatiens ausgenommen u. wurde unmittelbar der ung. Krone als „corpus separatum“ angegliedert. Der A. wurde auf unbegrenzte Zeit abgeschlossen u. Abänderungen waren nur über denselben Modus möglich, wie er entstanden ist (Artikel 70). Budapest erkannte →Dalmatien als rechtmäßigen Bestandteil Kroatiens an u. versprach, für seine Rück- bzw. Eingliederung einzutreten, doch verblieb dieses österr. Kronland de facto dauerhaft bei →Zisleithanien. Ähnlich wie beim österr.-ung. A. von 1867 war der kroat. Text mit dem ung. nicht identisch. Der ungarische vermied es, v. „Königreichen“ zu sprechen, während der kroat. Text stets dieses Attribut benützte. Ferner bezeichnet die ung. Fassung den Ausgleich als gemeinsames Grundgesetz Ungarns u. Kroatiens, →Slawoniens u. Dalmatiens, was in der kroat. weggelassen wurde. Dies eröffnete die Möglichkeit, den A. von kroat. Seite als Vertrag zw. zwei Staaten zu interpretieren, wovon im staatsrechtl.-pol. Diskurs bis 1918 intensiv Gebrauch gemacht wurde. Andererseits wurde ungarischerseits in die kroat. Fassung noch nachträglich, d. h. nach der Verabschiedung durch den kroat. Landtag, durch Überkleben die vom ung. Parlament sanktionierte Bestimmung betreffend Fiume/Rijeka als Corpus separatum (Artikel 66) eingefügt. Als die Öffentlichkeit 1881 davon erfuhr u. sich in Kroatien darüber erregte, wurde dieses überklebte Papier als das „Fetzchen von Rijeka“ bezeichnet. Der A. sicherte der ung. Regierung die uneingeschränkte Kontrolle über die Autonomie Kroatiens, das v. Budapest weiterhin nur als ein mit besonderen Kompetenzen ausgestatteter Teil des einheitlichen ung. Kgr.s u. damit gleichsam als „Nebenland“ angesehen u. behandelt wurde. Unter Berufung auf die Vertragstheorie, die kroat. Staatlichkeit u. die Interpretation des A.s als Realunion, gleichrangig dem österr.-ung. A., versuchten die kroat. Politiker bis 1914, den A. zugunsten einer stärkeren Selbständigkeit des Landes zu revidieren. Allerdings waren sie selbst in drei Lager aufgespalten: die Unionisten, die für den A. als non plus ultra eintraten; die Nationalpartei, die für seine Revision kämpfte u. die (Staats-) Rechtspartei v. Starčević, die den A. völlig ablehnte u. für Kroatien die gleiche Stellung wie die Österreichs oder Ungarns forderte u. damit eine Lösung der nach wie vor als ungelöst betrachteten „kroatischen Frage“ in Richtung eines →Trialismus anstrebte. Den Modernisierungsbestrebungen innerhalb des Landes war nicht nur abträglich, dass der A. der Budapester Zentrale zu große Machtbefugnisse einräumte, die entsprechend ihrer Interessen Kroatien nur als ihre Peripherie behandelten, sondern auch die Frage nach der
Ausgleich, ungarisch-kroatischer / Austromarxismus
Priorität v. →Modernisierung oder Durchsetzung des kroat. Staatsrechts, die der innenpol. Auseinandersetzung bis zum Ende des Dualismus die Richtung wies. Als dieser zerbrach u. der A. vom kroat. Landtag am 29.10.1918 außer Kraft gesetzt wurde, setzte sich als antidualistische Alternative der →Jugoslawismus durch, allerdings mit der vom ung. Staatsmann Ferenc Deák bereits 1868 vorausgesagten Einschränkung, „dass nicht Agram der Mittelpunkt dieses Staates sein wird, sondern Belgrad“. Lit.: L. Heka, Hrvatsko-ugarski javnopravni prijepori, Zbornik Pravnog fakulteta u Zagrebu 63 (2013), 1257–1292; L. Katus, Deák Ferenc és a horvát kiegyezés, in: ders., Sokszolamú történelem. Pécs 2008, 255-272; D. Čepulo, Hrvatsko-ugarska nagodba i reforme institucija vlasti u Hrvatskom saboru 1868.–1871., Zbornik Pravnog fakulteta Sveučilišta u Rijeci. Supplement (2001), H. 1, 117–148; M. Gross, Die Anfänge des modernen Kroatien. Wien u. a. 1993; dies., The Character of Croatian Autonomy in the First Decade after the Hungarian-Croatian Compromise of 1868, in: The Mirror of History. Essays in Honor of Fritz Fellner. Hg. S. Wank. Oxford 1988, 275–294; V. Krestić, Hrvatsko-ugarska nagodba 1868. godine. Beograd 1969; G. Horn, Le compromis de 1868 entre la Hongrie et la Croatie et celui de 1867 entre l’Autriche et la Hongrie. Paris 1907. G. S.
Austromarxismus. Eine kurz vor 1914 von L.B. Boudin geprägte Bezeichnung für die marxist. Schule österr. Sozialdemokraten (Otto Bauer, Max Adler, Rudolf Hilferding, Karl Renner, Friedrich Adler), die sich 1903 im Verein „Zukunft“ sammelten, ab 1904 die Marx-Studien u. ab 1907 die Monatsschrift Der Kampf herausgaben. Der A. suchte einen „dritten Weg“ zw. sozialdemokr. Reformismus u. Bolschewismus. Die Kant einbeziehende Hinterfragung der Marx-Rezeption u. der methodologischen, wissenschafts- u. erkenntnistheoret. Fundierung der Marxschen Theorie ermöglichte den Austromarxisten die Einsicht, dass der Marxismus „kein Schema ist, das uns beherrscht, sondern nur eine Methode, die wir beherrschen“, woraus folgte, „das jede Generation ihren Marx“ (Otto Bauer) bzw. ihren Marxismus zu erarbeiten hatte, mit der Möglichkeit, neue ökon., soz. u. pol. Phänomene in dessen Sinne zu bearbeiten. Im habsb. Vielvölkerstaat erhielt in diesem Zusammenhang die Nationalitätentheorie des A. eine besondere u. über seinen Zusammenbruch noch hinausweisende Bedeutung. Das 1899 verabschiedete sozialdemokr. Brünner Nationalitätenprogramm, das die Umwandlung Österreichs in einen Nationalitätenbundesstaat auf der Grundlage einer national-kulturellen Autonomie vorsah, manifestierte zwar die Aussöhnung der Arbeiterschaft mit dem Vielvölkerstaat, stellte jedoch für die divergierenden nationalen Gliedparteien der österr. Sozialdemokratie nur einen formalen Kompromiss dar, der den Bruch der Partei dank der überlegenen Taktik ihres Führers Viktor Adler immerhin bis 1911 hinauszögerte. Wesentlich radikalere u. theoretisch begründete Vorschläge für eine umfassende Lösung der Nationalitätenfrage erarbeiteten Karl Renner u. Otto Bauer. Renner ist insbesondere durch seine konstitutionellen Reformvorschläge hervorgetreten, die eine nationale Föderalisierung →Zisleithaniens vorsahen. Den demokr. Bund der österr. Völker wollte er durch die Einrichtung national-kult. Autonomie sowohl auf territorialer als
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Austromarxismus
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auch auf personaler Grundlage entsprechend den jeweiligen Siedlungsverhältnissen gewährleisten. Ausgehend v. der Annahme, dass die Nation „geistige Kultur-, nicht materielle Wirtschaftsgemeinschaft“ sei, glaubte Renner, durch Herauslösung der kult. Angelegenheiten aus den gesamtstaatlichen Aufgaben die „nationale Machtfrage“ auf ihren kult. Kern reduzieren zu können u. damit zugleich auch den Nationalismus zu entpolitisieren. Nationale Selbstverwaltungseinheiten auf genossenschaftlicher Grundlage (Personalitätsprinzip) sollten die kult. Agenda wahrnehmen. Damit setzte Renner an die Stelle bloßen →Minderheitenschutzes die staatsrechtliche Konstituierung der Nationalitäten mit eingeschränkten Souveränitätsrechten. Das v. ihm vorgeschlagene mehrstufige Regierungssystem auf der Grundlage eines nationalen Besitzstandkatasters fand zum Teil 1906 im mährischen u. 1911 im bukowinischen Ausgleich (→Bukowina) seine Anwendung u. bildete das Vorbild noch für die 1925 verwirklichte estländische Kulturautonomie. Die v. Renner angestrebte Kombination v. national einheitlichen Gebietskörperschaften mit Personalverbänden, die in ethn. gemischten Gebieten zu errichten waren, intendierte v. vornherein eine weitgehende Dezentralisierung der Verwaltung u. eine Konfliktregulierung auf lokaler Ebene. Damit ließ sich allerdings der über die regionale Autonomie hinausstrebende, auf Staatsbildung hin orientierte Machtwille der Nationen mit verfassungsrechtlichen Instrumenten nicht bändigen. Den an den Kremsierer Verfassungsentwurf v. 1849 (→Habsburgermonarchie) u. die zeitlich parallelen Ideen Adolf Fischhofs anknüpfenden Vorschlägen Renners ist zwar häufig der Vorwurf gemacht worden, sie wären um ein halbes Jh. zu spät gekommen; darüber wird freilich übersehen, dass Renner ein über seine Zeit weit hinausreichendes Regulierungskonzept v. Minderheitenkonflikten vorgelegt hat, dessen Möglichkeiten bis heute noch nicht ausgelotet erscheinen. Im Unterschied zu Renner ging es Otto Bauer weniger um eine Lösung des österr. Reichs problems – zumal er den Vielvölkerstaat der Habsburger als eine Anomalie betrachtete –, sondern vielmehr um eine theoret. Grundlegung der Nationalitätenpolitik seitens der österr. Sozialdemokratie. Die Besonderheit seines Ansatzes liegt in seiner hist. Ableitung der Nationalität, die er als hist. Schicksalsgemeinschaft mit einer jeweils spezifischen Individualität definierte. Nicht auf Gleichartigkeit der Klassenlage, sondern auf arbeitsteilige Verkehrsgemeinschaft, deren Werkzeug die gemeinsame Sprache ist, u. aufgrund der infolge eines Integrationsprozesses der aufsteigenden soz. Klassen entstandenen Schicksalsgemeinschaft erwächst die Kulturgemeinschaft als spezifischer Inhalt der Nation. Bauer antizipierte damit den späteren Begriff der Kommunikationsgemeinschaft v. Karl W. Deutsch. Nationale u. soziale Emanzipation verlief nach Bauer parallel, wobei nur die Erfüllung der nationalen die Geschlossenheit der Arbeiterklasse im Kampf für ihre soz. Emanzipation garantiere. Allerdings gestalte sich die Verkettung beider Emanzipationsbewegungen bei den hist. Nationen anders als bei denjenigen Völkern, die im Sinne Hegels vorübergehend eine eigene Geschichte entbehrt hätten, deren Historizität v. Bauer jedoch ausdrücklich hervorgehoben wird. Die Klassenideologie der Arbeiter besitze bei den bisher unterdrückten Nationen einen nationalen Charakter, da sie sich gegen eine fremdnationale herrschende Klasse richte; bei den hist. Nationen erhalte sie hingegen einen internationalen Charakter. Die soz. Emanzipation der Arbeiter ziele über die Vergesellschaftung der Produktionsmittel hinausgehend immer auch auf die Teilnahme der Arbeiter an den Gütern der nationalen Kultur, die erst im Sozialismus in vollem Umfang
Austromarxismus
gewährleistet sei. Bauers Ziel war die Realisierung der Nation als demokr. Kulturgemeinschaft u. sein Konzept erhält damit Züge eines nationalen Sozialismus. Wenn H. Heller 1925 in Berufung auf Otto Bauer folgerte: „Sozialismus bedeutet keineswegs das Ende, sondern die Vollendung der nationalen Gemeinschaft, nicht die Vernichtung der nationalen Volksgemeinschaft durch die Klasse, sondern die Vernichtung der Klasse durch eine wahrhaft nationale Volksgemeinschaft“, so endete damit Bauers Versuch, den internationalen Klassenkampf des Proletariats mit der Anerkennung nationaler Werte zu verknüpfen, in einer Aporie. Nach Kriegsende stieg Bauer 1918 zum unumstrittenen Führer der deutschösterr. Sozialdemokratie auf, als der er für die Selbstbestimmung der Nationalitäten u. damit für ihre Loslösung v. der Donaumonarchie mit gleicher Vehemenz eintrat, wie er für den Anschluss Deutsch-Österreichs an das Deutsche Reich plädierte. Mit seinem Werk bahnte er einer realistischeren Auffassung des Nationalismus den Weg u. überwand die kosmopolitischen Utopien der Arbeiterbewegung ebenso wie die Fehleinschätzung des nationalen Faktors bei Marx u. Engels. Auch wenn Stalin u. die Vertreter der leninistischen Theorie Bauer aus pol.-taktischen Gründen scharf bekämpften, so ist doch nicht zu übersehen, dass die Nationalitätenpolitik der Sowjetunion u. auch andererer sozialist. Regime nach 1945 wesentliche Anregungen aus der Schule des A. bezogen hat. Texte: K. Renner (Pseud.: Snyoptikus), Staat u. Nation. Zur österreichischen Nationalitätenfrage. Wien 1899; ders. (Pseud.: Karl Springer), Der Kampf der österreichischen Nationen um den Staat. Teil 1: Das nationale Problem als Verfassungs- u. Verwaltungsfrage. Wien 1902 (2. Aufl. u. d. T.: Das Selbstbestimmungsrecht der Nationen in besonderer Anwendung auf Österreich. Teil 1: Nation u. Staat. Wien 1918); ders., Grundlage u. Entwicklungsziele der Österreichisch-Ungarischen Monarchie. Wien 1906; ders., Die Nationalitätenfrage u. die Sozialdemokratie. Wien 1907 (²1924); O. Bauer, Deutschtum u. Sozialdemokratie. Wien 1907; K. Kautsky, Patriotismus u. Sozialdemokratie. Leipzig 1907; Ders., Die Befreiung der Nationen. Leipzig 1917; G. Radbruch, Kulturlehre des Sozialismus. Stuttgart, Berlin 1922; H. Heller, Sozialismus u. Nation. Berlin 1925 (²1932). Lit.: O. Leisse, Der Untergang des österreichischen Imperiums. Otto Bauer u. die Nationalitätenfrage in der Habsburger Monarchie. Marburg 2012; Otto Bauer. Zur Aktualität des Austromarxismus. Konferenzband 9. Juli 2008. Hgg. P. Amon/St.-I. Teichgräber. Frankfurt/M. u. a. 2010; P. Goller, Otto Bauer – Max Adler: Beiträge zur Geschichte des Austromarxismus (1904–1938). Wien 2008; G. Mozetič, Die Gesellschaftstheorie des Austromarxismus. Darmstadt 1987; M. Blum, The Austro-Marxists 1890–1918. A Psychobiographical Study. Lexington 1985; E. Glaser, Im Umfeld des Austromarxismus. Ein Beitrag zur Geistesgeschichte des österreichischen Sozialismus. Wien 1981; Otto Bauer u. der „dritte Weg“. Die Wiederentdeckung des Austromarxismus durch Linkssozialisten u. Eurokommunisten. Hg. D. Albers. Frankfurt/M. u. a. 1979; H. Mommsen, Arbeiterbewegung u. soziale Frage. Göttingen 1979; ders., Die Sozialdemokratie u. die Nationalitätenfrage im habsburgischen Vielvölkerstaat. Bd. 1 Wien 1963; N. Leser, Zwischen Reformismus u. Bolschewismus. Der Austromarxismus als Theorie u. Praxis. Wien u. a. 1968 (²1985); H.B. Davis, Nationalism and Socialism. Marxist and Labor Theories of Nationalism to 1917. New York 1967; R. Ratković, Politička teorija austromarksizma. Beograd 1965. G. S.
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Austroslawismus
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Austroslawismus (a. Austroföderalismus). Politische Bewegung in der Habsburgermonarchie mit dem Ziel der Gleichberechtigung der slav. Völker des Reiches (Tschechen, Slowaken, Polen, Ukrainer bzw. Ruthenen, Slowenen, Kroaten u. Serben) mit den zwei „staatstragenden Nationen“, den Deutschen u. Magyaren. Einen A. ganz im Sinne der herrschenden Dynastie vertrat bereits 1791 der tschech. Gelehrte u. Historiker Josef Dobrovský (1753–1829) in seiner Adresse an Ks. Leopold II. (vgl. Lit.). Einen dynastischen A. verfocht auch der erste Kustos der Wiener Hofbibliothek, der Slowene Jernej (Bartholomäus) Kopitar (1780–1844), der Österreich mit seiner slav. Bevölkerungsmehrheit als einen „viel besseren slawischen Staat“ als Russland bezeichnete u. nicht etwa St. Petersburg oder Moskau, sondern Wien als ein ideales (künftiges) Zentrum der slav. Kultur u. Wissenschaft ansah. Zu einer entsprechenden pol. Bewegung wurde der A. erst im Revolutionsjahr 1848. Die ideologische Basis des pol. A. bildete der berühmte Brief František Palackýs (1798–1876) vom 11. April 1848 an die dt. Nationalversammlung in Frankfurt mit der klaren Absage an den Gedanken eines großdt. Staates. Im Namen der Tschechen u. anderer Slaven der Habsburgermonarchie forderte er das Recht auf nationale Selbstbestimmung u. die föderale Umgestaltung der Monarchie auf ethnischer Basis. In der so umgestalteten „Österreichischen Monarchie“ als einer „slavischen Monarchie“, u. nicht etwa in der damals bestehenden, realen Habsburgermonarchie, sah Palacký ein Bollwerk gegen die „Gefahr des Pangermanismus“ wie gegen den „russischen →Panslawismus“. In diesem Sinne sprach er von Österreich, das, hätte es nicht bereits existiert, „im Interesse Europas u. im Sinne der Humanität“ geschaffen werden müsste. Die radikale Umgestalung der Habsburgermonarchie wurde auf dem 1. Slavenkongress in Prag 1848 erörtert, zu dem Palacký u. sein Mitarbeiter Karel Havlíček-Borovský (1821–1856) aufgerufen hatten (die Initiative zur Einberufung hatte zuvor der Kroate Ivan KukuljevićSakcinski ergriffen). Vor seiner Auflösung traten auf dem Kongress große Interessensunterschiede u. gegensätzliche Vorstellungen über die Umgestaltung des multinationalen Habsburgerreiches unter den Vertretern verschiedener slav. Nationen zu Tage. Einig waren sich die meisten jedoch trotz des Bekenntnisses zu slav. Wechselseitigkeit u. gesamtslav. Solidarität in der Ablehnung Russlands als etwaiger Führungsmacht. Die „Österr. Monarchie“ wurde als der einzig mögliche Rahmen für die Lösung der „slav. Frage“ angesehen (für Beispiele weiterer Konzepte v. 1848/49 zur föderalen Umgestaltung des Habsburgerreiches auf ethn. Basis mit austroslawist. Ausrichtung →Südslavische Frage). Als konkretes pol. Programm scheiterte der A. zwar schon zu Beginn (1848), die Idee der Umgestaltung des multinationalen Staates lebte jedoch weiter. Nach dem Ende des →Neoabsolutismus u. der (Wieder)einführung des Konstitutionalismus wurde von pol. Parteien der slav. Völker die Forderung nach Gleichberechtigung der Nationalitäten mit Nachdruck erhoben. Dies führte allerdings zu keinem Erfolg, sondern meistens nur zur Verschärfung der Nationalitätenkonflikte mit den beiden „staatstragenden Völkern“, v. a. nach dem österr.-ung. →Ausgleich 1867, durch den sich die „kleinen“ slav. Völker benachteiligt u. hintergangen fühlten. Im Jahr des Ausgleichs wurde in Moskau der zweite Slavenkongress abgehalten, der auch von den Slaven der Habsburgermonarchie beschickt wurde – als eine Demonstration des
Austroslawismus / Autokephalie
Widerstandes gegen den →Dualismus u. die deutsch-magyarische Hegemonie. In Wien u. Pest wurden die „slav. Pilgerfahrt“ nach Moskau heftig kritisiert u. deren Teilnehmer des Hochverrats bezichtigt. Nach dem misslungenen Ausgleichsversuch der (Alt-)Tschechen mit dem Kabinett Hohenwart 1871 verlor der A. lange jede Bedeutung. Anfang des 20. Jh.s versuchte der Gründer der Kroatischen Bauernpartei Stjepan Radić, den A. wiederzubeleben. Er plädierte für die Umwandlung der Habsburgermonarchie in einen Staatenbund, bestehend aus Böhmen, Galizien, Ungarn, Kroatien u. dem „Deutschen Alpenstaat“. Dies fand zwar Eingang in das Programm der Kroatischen Bauernpartei, außerhalb Kroatiens wurden Radićs Ideen jedoch kaum wahrgenommen. Die Gründe für das endgültige Scheitern des A. sind nicht allein im Widerstand der deutschösterr. u. magyarischen pol. →Eliten der Habsburgermonarchie gegen deren Föderalisierung zu suchen, sondern auch in den Konflikten zw. pol. Parteien u. Einzelpersönlichkeiten verschiedener slav. Völker in der Frage einer möglichen bzw. erwünschten Umgestaltung des gemeinsamen multinationalen Staates. Während z. B. tschechische, kroatische u. teilweise polnische Politiker jeweils eine trialistische Lösung (als einzige Alternative zum Dualismus) u. damit praktisch die Bildung (weiterer) Quasinationalstaaten anstrebten (→Trialismus), widersetzten sich die Serben in Kroatien u. die Ukrainer (Ruthenen) in Galizien solchen Plänen, weil sie dadurch zu Minderheiten in den neuen „Nationalstaaten“ geworden wären. Texte: J. Dobrovský, Über die Ergebenheit u. Anhänglichkeit der slavischen Völker an das Erzhaus Österreich. Vorgelesen den 25. Sept. 1791 im Saale der Böhm. Gesellschaft der Wissenschaften in Gegenwart (Seiner Majestät des Kaisers) Leopold II. Prag 1791; F. Palacký, Idea státu rakouského. Praha 1866; Palacký’s politisches Vermächtnis. Autorisierte dt. Übers. Prag 21872; K. Havlíček-Borovský, Politické spisy. Bd. 1. Praha 1900; S. RadiĆ, Slovanská politika v Habsburgske monarchii. Praha 1902. Lit.: Habsburg u. die Slavia. Hgg. G.-B. Kohler u. a. Frankfurt/M. u. a. 2008; I. Merchiers, Cultural Nationalism in the South Slav Habsburg Lands in the Early Nineteenth Century. The scholarly network of Jernej Kopitar (1780–1844). Wien u. A. 1996; Der Austroslawismus. Ein verfrühtes Konzept zur politischen Neugestaltung Mitteleuropas. Hg. A. Moritsch. Wien u. a. 1996; M. Šesták, Palackého „idea státu rakouského“, Slovanský přehled 3 (1976), 177–195; ders., Vídenský „slovanský sjezd“ 1866, ebd. 1 (1969), 27–34; F. Zwitter u. a., Les problèmes nationaux dans la monarchie des Habsbourg. Beograd 1960; J. Šidak, Austroslavizam i Slavenski kongres u Pragu 1848, Historijski pregled 6 (1960), 204–218; V. Žáček, Slovanský sjezd v Praze roku 1848. Sbirka dokumentů. Praha 1958; Josef Dobrovský 1753–1953. Sborník studií k dvoustém výročì narození. Hgg. B. Havránek/J. Dolanský. ebd. 1953. A. I.
Autokephalie. Bez. für die völlige Eigenständigkeit einer orth. Kirche bei der Wahl u. Weihe ihres (→Patriarch/Katholikos, Erzbischof oder Metropolit genannten) Ersthierarchen u. ihrer Bischöfe sowie der Regelung ihrer inneren, nicht die eigentliche Glaubenslehre betreffenden Angelegenheiten (a. →Orthodoxie). Zu den ältesten a. Kirchen neben den Patriarchaten
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Autokephalie / Awaren
v. Alexandria, Antiochia, Jerusalem u. →Konstantinopel zählen die Kirche der →Armenier (4. Jh.) sowie diejenige v. →Zypern (5. Jh.) u. Georgien (8. Jh.). Im MA entstanden in SOE nach byz. Vorbild mehrere autokeph. Reichskirchen, so in Bulgarien (927–1018 u. 1235–1396) (→Bulg. Reich) u. Serbien (1219–1459) (→Serben). Eine territoriale A. besaß das Erzbistum von →Ohrid (1019/20–1767). In der →Habsburgermonarchie war die (nach 1766) autokeph. Metropolie von Karlowitz (serb. Sremski Karlovci) anfangs für alle Orthodoxen zuständig, später entstanden zusätzlich die autokeph. Metropolie von Sibiu/Hermannstadt für die rum. Orthodoxen in Siebenbürgen (1864) u. die für die Orthodoxen →Zisleithaniens zuständige Metropolie v. →Czernowitz (1873). Im 19. u. 20. Jh. wurde die A. in SOE ausschließlich im nationalkirchlichen Sinn verstanden, wie es sich in der Entstehung der autokeph. Kirche von Griechenland (1833, 1850 A. von Konstantinopel anerkannt), Serbien (1879), des bulgarischen →Exarchats (1870 bzw. 1945), von Albanien (1929 bzw. 1937) u. Makedonien (1967, bis heute von keiner anderen orthodoxen Kirche anerkannt), widerspiegelt. S. a. →Orthodoxie u. Nationalkirchen. Lit.: Kanon. Jahrbuch der Gesellschaft für das Recht der Ostkirchen XXI: Autonomie in den Ostkirchen. Hennef 2010; K.-C. Felmy, Autokephalie. In: Theologische Realenzyklopädie. Bd. 5 (1980), 1–4; Die Kirche u. die Kirchen. Autonomie u. Autokephalie (= Kanon 4 [1980] u. 5 [1981]). E. K.
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Awaren (türk.: avar „rebellisch, ungehorsam“). Aus Zentralasien stammendes reiternomad. Volk, dessen Name, ethn. Herkunft (Juan-juan, Hephthaliten) u. sprachl. Zugehörigkeit (türk. oder mongol.) bis heute aus Mangel an Quellen u. awar. Sprachdenkmälern nicht eindeutig geklärt werden konnte. Verbürgt ist nur, dass sich zw. 552 u. 555 etwa 20.000 awar. Krieger aus dem Verband des Türkenreiches lösten u. auf ihrem Zug nach W. die türk. Onoguren, Utiguren u. Kutriguren in den pontischen Steppen ebenso unterwarfen wie die ostslav. Anten. Mit →Byzanz hatten die A. bereits 558 Kontakt aufgenommen. 562 erschienen sie an der unteren Donau. Da aber Ks. Justinian I. (527–65) ihre Forderung nach Land zurückwies, eroberte der A.-Khagan Bajan im Bündnis mit dem langobard. Kg. Alboin 567 das Gepidenreich im Theißgebiet. Nach dem Abzug der Langobarden besetzten die A. 568 auch →Pannonien u. 582 Sirmium. Das Karpatenbecken mit seinen für die awar. Großviehzüchter überaus günstigen ausgedehnten Weideflächen war nun Kernraum eines Reiches, das auf dem Höhepunkt seiner Machtentfaltung zu Beginn des 7. Jh.s vom Kuban bis zu den Ostalpen u. von Thüringen bis Dalmatien reichte. Es war zugleich Ausgangsbasis für zahlreiche im Verein mit slavischen (→Slavische Landnahme) u. anderen Hilfsvölkern unternommene, ergiebige Streifzüge auf byz. Gebiet, deren Ertrag sich z. T. in den reich ausgestatteten awar. Fürstengräbern (Kunbábony, Bócsa, südl. v. Budapest, u. a.) niederschlug. Byz. Gegenstöße unter Kaiser Maurikios (582–602) vermochten die Invasionen nur vorübergehend einzudämmen. Erst der Aufstand der slav. Karantanen unter Samo 623 (→Kärnten), die nach der missglückten Belagerung v. Konstantinopel 626 einsetzende allg. Abfallbewegung der Balkan slaven u. die Rebellion der Bulgaren (→Protobulgaren) unter Kuvrat 635 in den pontischen Steppen gegen das Khaganat beschränkten dessen Machtbereich auf das Karpatenbecken.
Awaren
Doch trug um 670 die Zuwanderung v. innerasiat.-„türk.“ Verbänden, die sich auch archäologisch belegen lässt (Funde der „Greifen- u. Rankengruppe“), zur erneuten Konsolidierung des Awarenreiches u. zur Ausweitung des awar. Siedlungsgebietes entscheidend bei. Erst gegen Ende des 8. Jh.s führten die Niederlagen im Zweifrontenkrieg gegen das →Bulgarenreich des Zaren Krum (805) u. das karoling. Imperium (Feldzüge Karls d. Großen u. Pippins v. 791, 793 u. 795/6) u. mehr noch die inneren Wirren des Khaganats zu dessen Untergang. Die hochentwickelte, v. chinesischen u. persisch-sassanidischen Einflüssen geprägte Zivilisation der A., v. a. deren überlegene Militärtechnik u. Bewaffnung (Säbel, Reflexbogen, Steigbügel), hatte bei Byzantinern u. Slaven schon vorher bereitwillige Aufnahme gefunden. Als politisch weit bedeutsamer u. langfristig folgenreicher aber erwies sich die Rolle, die die A. als Wegbereiter der Slavisierung weiter Bereiche SOEs gespielt hatten (→Slav. Landnahme). Quellen: Gesta Avarorum: elveszett krónika. Hg. A. Kiss. Pomáz 2009; S. Szádeczky-Kardoss, Az avar történelem forrásai 557-től 806 ig. – Die Quellen der Awarengeschichte v. 557 bis 806. Budapest 1998; Glossar zur frühma. Geschichte im östl. Europa. I, Lfg. 1–5. Hgg. J. Ferluga u. a. Wiesbaden 1973–75, 173–75. Lit.: L.A. Tyszkiewicz, Słowianie i Awarowie: organizacja plemienna Słowian. Wrocław 2009; The Other Europe in the Middle Ages. Avars, Bulgars, Khazars, and Cumans. Hg. F. Curta. Leiden, Boston 2008; Reitervölker aus dem Osten. Hunnen u. Awaren. Hgg. F. Daim u. a. Eisenstadt 1996; Cs. Bálint, Kelet, a korai avarok és Bizánc kapcsolatai. Szeged 1995; ders., Probleme der archäologischen Forschung zur awar. Landnahme, in: Ausgewählte Probleme europäischer Landnahmen des Früh- u. Hochmittelalters. Bd. I. Hgg. M. Müller-Wille/R. Schneider. Sigmaringen 1993, 195–273; H. Göckenjan, Die Landnahme der A. aus historischer Sicht, ebd. 275– 302; Awarenforschungen. Hg. F. Daim. 2 Bde. Wien 1992; S. Szádeczky-Kardoss, The Avars, in: The Cambridge History of Early Inner Asia. Hg. D. Sinor. Cambridge 1990, 206–228; Cs. Bálint, Die Archäologie der Steppe. Steppenvölker zwischen Volga u. Donau vom 6. bis zum 10. Jh. Wien u. a. 1989, 147–192; Germanen, Hunnen u. a. Schätze der Völkerwanderungszeit. Hgg. W. Menghin u. a. Nürnberg, Frankfurt/M. 1988; W. Pohl, Die Awaren. Ein Steppenvolk in Mitteleuropa 567–822 n.Chr. München 1988 (22002); S. Szádeczky-Kardoss, Avarica. Über die Awarengeschichte u. ihre Quellen. Szeged 1986; Awaren in Europa. Schätze eines asiatischen Reitervolkes 6.–8. Jh. Hgg. W. Meier-Arendt/G. Bott. Frankfurt/M. 1985; A. Avenarius, Die Awaren in Europa. Amsterdam 1974; A. Kollautz/H. Miyakawa, Geschichte u. Kultur eines völkerwanderungszeitlichen Nomadenvolkes. Die Jou-Jan der Mongolei u. die Awaren in Mitteleuropa. 2 Bde. Klagenfurt 1970; J. Deér, Karl der Große u. der Untergang des Awarenreiches, in: Karl der Große, Werk u. Nachleben. Bd. I: Persönlichkeit u. Geschichte. Hg. H. Beumann. Düsseldorf 1965, 719–791; Gy. László, Études archeólogiques sur l’histoire de la société des Avars. Budapest 1954. H. G.
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Bailo / Balkan
Bailo (venez., abgeleitet vom lat. bajulus „Lastträger“, it. baiulo). Titel venez. Amtsträger im Mittelmeerraum. B. diente vornehmlich als Bezeichnung für den venez. Gesandten im Byz. u. im Osm. Reich sowie für die Vorsteher der venez. Kolonien in der Levante. Der B. von Konstantinopel war nicht nur diplomatischer Vertreter Venedigs beim Kaiser oder Sultan, sondern gleichzeitig auch der Leiter der dortigen venez. Kolonie, die auch seiner Rechtsprechung unterstand. Er wurde vom „Großen Rat“ (Maggior Consiglio) in Venedig ernannt; seine Amtszeit betrug ein bis drei Jahre. Der B. stand dabei an der Spitze eines mehrköpfigen Gremiums (Regimen), das für den Fall seiner Abwesenheit oder Krankheit einen Vize-B. mit der Wahrnehmung der Geschäfte zu beauftragen hatte. Die edierten Berichte der B. am Sultanshof stellen eine wertvolle Quelle zur osm. Geschichte v. a. im 16. u. 17. Jh. dar. Lit.: E. Dursteler, Venetians in Constantinople. Nation, Identity, and Coexistence in the Early Modern Mediterranean. Baltimore 2006; C. Coco/F. Manzonetto, Baili veneziani alla Sublime Porta. Storia e caratteristiche dell’ambasciata veneta a Costantinopoli. Venezia 1985; Chr.A. Maltezu, Ho thesmos tu en Kōnstantinupolei Benetu Baïlu (1268–1453). L’istituzione del bailo di Venezia a Costantinopoli. Athen 1970; N. Barozzi/G. Berchet, Le relazioni degli stati europei lette al Senato dagli ambasciatori veneziani nel secolo decimosettimo. Ser. V. volume unico. Venezia 1886; E. Albèri, Le relazioni degli ambasciatori veneti al Senato. Ser. III, 1-3. Firenze 1840–1855. P. B.
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Balkan (türk.: „ Gebirge“): 1) Balkan-Gebirge, 2) Balkan-Halbinsel, 3) Westbalkan, 4) Balkan als hist. Raum, 5. Balkan als Kulturlandschaft, 6. Balkan als „mental map“. 1) Gebirge in Bulgarien (bulg.: Stara Planina, in der Antike: Haemos od. Haemus). Der B. erstreckt sich über eine Länge von 420 km (bei einer durchschnittlichen Breite v. 30–50 km) in einem west-östl. Bogen v. der Donau unterhalb des Eisernen Tores in Richtung Schwarzes Meer u. trennt den nördl. Teil Bulgariens (Donaubulgarien) vom südl. Teil (Hochbulgarien). Das Gebirge gliedert sich in den Westl. B., den Hohen B. (höchste Erhebung 2376 m) u. den Östl. B. Dank zahlreicher Pässe (darunter Šipka-Pass, 1333 m) stellte der B. auch vor Beginn der modernen Verkehrsrevolution kein unüberwindbares Hindernis dar (→Verkehr). 2) B.-Halbinsel, die östlichste der drei ins Mittelmeer ragenden südeurop. Halbinseln. Die Bezeichnung „B.-Halbinsel“ wurde 1808 v. dem Berliner Geographen Johann August Zeune geprägt. Zeune teilte die irrige Vorstellung antiker Geographen, dass sich das Balkangebirge über den gesamten soe. Raum v. den slowen. Alpen bis zum Schwarzen Meer erstrecke u. eine ähnlich prägende Bedeutung für den Gesamtraum habe wie der Apennin für die it. Halbinsel. Nachdem die Unhaltbarkeit dieser Annahme erkannt worden war, stießen die Begriffe „B.-Halbinsel“ oder „Hämus-Halbinsel“ auf zunehmende Kritik. 1893 regte der Geograph Theobald Fischer an, den Begriff „B.-Halbinsel“ durch „Südosteuropäische Halbinsel“ zu ersetzen, doch hat sich sein Vorschlag nur teilweise durchsetzen können. Zwar werden B. u. →SOE mitunter synonym verwendet, doch ist es aus hist. Sicht sinnvoll, zw. dem engeren B.- u. dem weiteren SOE-Begriff zu unterscheiden. Während die B.-Halbinsel an drei Seiten durch Meere (Schwarzes, Marmara, Ägäisches, Ionisches u. Adriatisches Meer) begrenzt wird, existiert keine geogr. ausgeprägte Nordgrenze. I. d. R. wird dafür die
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Save-Donau-Linie verwendet. Unterschiedliche Auffassungen gibt es hinsichtlich der Abgrenzung im äußersten NW u. am Unterlauf der Donau. So wird gelegentlich die Kupa/ Kolpa, zumeist aber die Una (beides Nebenflüsse der Save) als Nordwestgrenze betrachtet. Im ersten Fall wird Hoch-Kroatien bzw. das Gebiet der ehem. kroat. →Militärgrenze zum B. gerechnet, im zweiten Fall nicht. Gelegentlich wird der B.-Begriff auch auf die →Walachei u. →Moldau ausgedehnt (wobei es zu Überlappungen zw. dem geogr. u. dem unter 4) zu behandelnden hist. B.-Begriff kommt). Die Fläche der B.-Halbinsel östl. der Una sowie südl. v. Save u. Donau beträgt rd. 473.000 km2 (im Vergleich dazu beträgt die Fläche Metropolitan-Frankreichs 547.026 km2) u. umfasst derzeit zehn Staaten oder Teilgebiete v. Staaten: Bosnien-Herzegowina, Serbien (ohne Vojvodina), Kosovo, Montenegro, (Vardar-)Makedonien, Bulgarien, die →Dobrudscha, die →Europ. Türkei (Ostthrakien), Griechenland u. Albanien. (Aus histor. u. pragmatischen Gründen wird häufig auch das geteilte Zypern mit 9.251 km2, das geografisch zu Asien gehört, dem B.raum zugerechnet.) In der Nord-Süd-Erstreckung misst die B.-Halbinsel etwa 1.300 km, in West-Ost-Erstreckung etwa 1.000 km (im N) bzw. 300 km (im S). Vom benachbarten Kleinasien ist die Halbinsel durch die leicht überwindbaren Meerengen v. Bosporus u. Dardanellen getrennt. Der breite Nordteil der Halbinsel ähnelt einem Trapez. Der südl. Teil (im wesentlichen die gr. Halbinsel) ist bedeutend schmaler u. wird v. zahlreichen tief ins Landesinnere greifenden Buchten gegliedert. Die →Peloponnes im äußersten Süden ist an allen Seiten vom Meer umgeben u. besitzt nur bei Korinth eine schmale Verbindung mit dem Festland. Der W der B.-Halbinsel wird durch die Gebirgssysteme der Dinariden-Helleniden geprägt, die v. den Julischen Alpen im NW über das Gebirgsmassiv der Dinariden, die Nordalbanischen Alpen u. den Pindos bis in den S der Halbinsel reichen, v. wo sie sich über die Peloponnes u. die Ägäischen Inseln bis nach Kleinasien fortsetzen. Zwischen den Dinariden im W u. dem Balkangebirge im O liegt die Thrakische Masse mit dem Rhodopen-Gebirge. Größere Ebenen u. Becken finden sich südl. der Donau nur in Nordbulgarien, in den Küstenregionen Albaniens, in Makedonien u. südl. des Balkangebirges im Tal der Marica u. in Ostthrakien. Klimatisch lässt sich die B.-Halbinsel in einen mediterranen u. einen gemäßigt kontinentalen Bereich gliedern. Das mediterran beeinflusste Gebiet mit milden, regenreichen Wintern u. trockenen, warmen bis heißen Sommern umfasst ganz Griechenland u. reicht entlang der dalmatinischen Küste nach N. Der kontinentale Binnenraum zeichnet sich durch strenge Winter u. gleichmäßigere Verteilung der Niederschläge aus. Auf der B.-Halbinsel lebten an der Wende vom 20. zum 21. Jh. rd. 45 Mio. Menschen unterschiedlicher nationaler, ethn. u. relig. Zugehörigkeit (über 40 % Südslawen, gefolgt v. Griechen, Türken, Albanern u. a.). Es gibt insges. 9 Normsprachen (6 slav.: Serb., Kroat., Bosn., Montengr., Makedon., Bulg., 2 weitere indogerm. Sprachen: Griech., Alb. sowie eine nicht-indogerm. Sprache: Türkisch) (→Sprachen) mit 3 →Alphabeten (kyrillisch, lat., gr.). Religiös gliedert sich die Bev. seit der FNZ in 3 größere Glaubensgemeinschaften (Orthodoxe, Muslime sowie Katholiken [v. a. im bosn-herzegowin. u. nordalb. Raum]). Bis zum →Holocaust stellten die →Juden (mehrheitlich →Sepharden) die vierte größere Glaubensgemeinschaft. Die durchschnittliche Bevölkerungsdichte (→Bevölkerung) ist infolge der geogr. Gegebenheiten mit ca. 87 E/km2 im Vergleich zu West- u. Mitteleuropa
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(z. B. Niederlande 380 E/km2, Deutschland 225 E/km2) deutlich niedriger. Zu den ältesten, heute noch vertretenen Einwohnern (bzw. Sprachgruppen) der B.-Halbinsel zählen die →Griechen, →Albaner u. die Reste der romanisierten Bevölkerung (Teile der →Vlachen sowie →Aromunen). Im Früh-MA kamen die →Südslaven – z. T. in enger Verbindung mit Reiternomaden (→Awaren, →Chazaren, →Protobulgaren) – hinzu (→Slavische Landnahme). Zur jüngsten Bevölkerungsschicht (seit dem ausgehenden MA) gehör(t)en →Türken, →Sepharden, →Armenier, →Tataren u. a. 3) West-B. Der Ende der 1990er Jahre in der EU eingeführte Begriff „Westbalkan“, der die postjug. Staaten (ohne Slowenien) u. Albanien bezeichnet, ist ein pol. terminus technicus, der wiss. nicht begründbar ist. 4) B. als hist. Raum: Die heutigen pol. Grenzen innerhalb des B.s u. gegenüber angrenzenden Räumen sind im Wesentlichen das Ergebnis zweier Umbruchphasen: der post-osm. u. der post-sozialist. Transformation. „Legitimiert“ wurden die Grenzen unter Rückgriff auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker u./oder mit Verweis auf Grenzen in früheren Jahrhunderten (auch wenn letztere im Konflikt zum Selbstbestimmungsrecht standen). In der Wissenschaft zeichneten sich im Verlauf des 20. Jh.s Ansätze zu einem strukturellen Verständnis des B.-Raums (engl. the Balkans, frz. les Balkans, russ. Balkany, jeweils Pl.) ab, das v. mehreren Disziplinen (darunter Sprachwissenschaft, Ethnographie, Anthropologie u. Geschichte) getragen wurde. Strukturen werden hier nicht in Opposition zu Akteuren verstanden. Denn Strukturen existieren nicht a priori, sondern sind das Ergebnis v. Handlungen u. Praktiken. Sie sind zu Merkmalen u. Erfahrungen geronnene Handlungen, die langlebig sein können, weil sie über längere Zeiträume reproduziert werden, aber grundsätzlich veränderbar sind. Aus vergleichender, strukturgesch. Sicht stellt sich der B. als eigene hist. Region Europas oder als Subregion →SOEs dar, die die Gebiete südl. v. Save u. Donau, fallweise auch die früheren rum. Fürstentümer Walachei u. Moldau umfasst. Der dalmatin. Raum mit seiner romanisch-slav. Symbiose u. einer vom Hinterland oft unterschiedlichen histor. Entwicklung nimmt eine Sonderstellung ein. Infolge der offenen Grenzen des B.raums im NW, N u. O gegenüber Kroatien, Ungarn, Rumänien u. Kleinasien (Anatolien) hat sich die pol. Geographie wiederholt verändert. Der B. war nie ein geschlossener Raum, sondern über Jahrhunderte hinweg Teil größerer Imperien, die weit über den B.raum hinausreichten, mit fluktuierenden Grenzen gegenüber benachbarten Räumen („imperial borderlands“). Dennoch weist der B. ein Cluster v. z.T. sich mit Nachbarräumen überlappenden Merkmalen u. Erfahrungen auf, das in dieser Form nirgendwo sonst existiert. Die einzelnen Elemente, aus denen sich das Cluster zusammensetzt, finden sich in gleicher oder ähnlicher Form auch in anderen Räumen, aber in unterschiedlich zusammengesetzten Clustern bzw. in unterschiedlicher Verdichtung. Die Geschichte des B.s seit der Slav. Landnahme (beginnend Ende des 6. Jh.s) lässt sich grob wie folgt periodisieren: 1. die Periode des Byz. Reiches u. der ma. Balkanstaaten, 2. die 400–500jährige Periode direkter oder indirekter osm. Herrschaft u. 3. die Periode der neuzeitlichen Staats- u. Nationsbildung seit Beginn des 19. Jh.s (→Befreiungskriege, →Nationalstaatenbildung, →Nationsbildung) bis zur Gegenwart. In allen
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drei Perioden finden sich zahlreihe Phänomene, die seit einigen Jahren unter den Begiffen „shared history“, „entangled histories“, „histoire croisée“ diskutiert werden. Das byzantinische Millennium (→Byzanz) u. das halbe Millennium osm. Herrschaft (→Osm. Reich) haben im B. (ähnlich wie in großen Teilen Anatoliens) als hist. Aktions- u. Erfahrungsraum allein schon wegen der langen Dauer tiefe Spuren hinterlassen. Aber während die „Turkifizierung“ Inneranatoliens seit der byz. Niederlage gegen die Seldschuken (Schlacht v. Mantzikert 1071) u. infolge innerbyz. Wirren zügig voranschritt, blieb sie im B.raum ein Randphänomen, weshalb Anatolien nicht dem B. zugerechnet wird. Die vergleichsweise kurzlebigen balkanslav. Staaten des MA (das erste u. zweite →Bulg. Reich u. das →Serb. Reich) orientierten sich vornehmlich am Vorbild Byzanz („Byzantine Commonwealth“) , mit dem sie wiederholt um die Vorherrschaft auf dem B. rangen. (Das ma. Kgr. →Bosnien nahm infolge seiner exponierten Lage eine Sonderstellung ein.) Zu den langfristig strukturprägenden Merkmalen des B.s gehören: a) Die Instabilität der Siedlungsverhältnisse u. die daraus resultierenden ethn. Gemengelagen auf kleinem Raum: Infolge der Brückenlage zw. Kleinasien u. Mitteleuropa u. der offenen Zugänge an den Peripherien war die B.-Halbinsel seit der ausgehenden Antike starken Bevölkerungsbewegungen ausgesetzt, die durch die sukzessiven (multiethn.) Großstaatenbildungen verstärkt wurden. Vor u. nach der →Slav. Landnahme drangen immer wieder →Reiternomaden in den Raum ein. Aufgrund v. Kriegen u. Zwangsumsiedlungen, wie sie in byz. u. osm. Zeit systematisch betrieben wurden, ferner infolge soz., religiös oder pol. bedingter →Migrationen (insbes. im Zeitalter der →„Türkenkriege“) sowie der bis in die Neuzeit stark verbreiteten Wanderviehzucht (→Transhumanz, →Vlachen) befanden sich die ethn. Strukturen großer Teile der Region in permanenter Fluktuation. Die dadurch bedingte ethn. Gemengelage in einem Raum, der deutlich kleiner ist als Frankreich, löste nach der neuzeitlichen Staats- u. Nationsbildung neue Wellen v. →Zwangsmigrationen (a. →ethnische Säuberung) aus. b) Das byz.-orth. Erbe: Nach der Verlegung der röm. Reichshauptstadt v. Rom nach →Konstantinopel i.J. 330 u. der Verwaltungsteilung des Imperium Romanum (395) setzte in der oström. Hälfte eine neue hist. Epoche ein (→Byzanz), in deren Verlauf das antike Erbe transformiert u. weitgehend verschüttet wurde. Die Verwaltungsgrenze zw. den beiden Reichshälften verlief mitten durch den westl. B. (Meridian v. Shkodra/Skutari) u. deckte sich annähernd mit dem späteren Grenzsaum zw. den Jurisdiktionsbereichen der Kirchen v. Rom u. Konstantinopel. Für den überwiegenden Teil der B.-Halbinsel wurde das „Modell Byzanz“ (mit Christentum als Staatsreligion u. dem Ideal der „Harmonie“ v. weltlicher u. geistlicher Macht) geschichtsprägend. Das enge Verhältnis v. weltl. Macht u. Kirche fand ihren Ausdruck u. a. in den pol. Heiligenkulten. Im Einflussbereich der →Orthodoxie bzw. der orth. autokephalen Kirchen (→Autokephalie) blieben jene Entwicklungen aus oder kamen nur vermindert zur Geltung, die maßgeblich das Erscheinungsbild des abendländischen Europa prägten (jahrhundertelanger Kampf zw. weltlicher u. geistlicher Macht, frühe Rezeption des röm. Rechts u. des rationalen Wahrheitsbegriffs, Aufwertung des Individuums gegenüber der Gemeinschaft u. dem Staat, Entfaltung eines Stadtrechts mit autonomer Bürgerschaft, Renaissance, Humanismus, →Reformation, Gegenreformation, →Aufklärung, Säkularisie-
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rung etc.). Der osm. Eroberung ab Mitte des 14. Jh.s ging eine schwere pol. u. wirt. Krise im Balkanraum voraus: die Zersplitterung der ma. Reiche u. eine daraus resultierende feudale Anarchie auf der einen u. eine Wirtschafts- bzw. Agrarkrise (mit ausgeprägter Statusverschlechterung für die Bauern) auf der anderen Seite. Die rel. Spaltung zw. Konstantinopel u. Rom (→Schisma), die Erinnerung an den vierten →Kreuzzug u. die →Lateinerherrschaft lähmten darüber hinaus die Widerstandskraft gegen die Osmanen. c) Das osm.-isl. Erbe: Die bis zu einem halben Jahrtausend währende osm. Herrschaft auf der B.-Halbinsel schuf einen Raum ohne Binnengrenzen u. hat die Region nachhaltig geprägt u. verändert. Sie war begleitet v. der Eliminierung des altbalkanischen →Adels, der Ansiedlung neuer ethn. Gruppen, der Ausbreitung des osm. →Stadttyps sowie der →Islamisierung eines Teils der altbalkanischen Bevölkerung (besonders intensiv in Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Albanien u. Teilen Bulgariens) (a. →Konvertiten). Sie unterstrich die Bedeutung der Glaubensgemeinschaften u. der Geistlichen (Gliederung der Gesellschaft in Muslime u. „Ungläubige“, innere Selbstverwaltung der geduldeten Buchreligionen [→Millet], starke Position des gr.-orth. →Patriarchats v. Konstantinopel) u. begünstigte – da das Osm. Reich ein Überschichtungsstaat war – die Konservierung ererbter Sozialformen u. Rechtsordnungen auf lokaler Ebene (unterhalb des osm. Verwaltungsapparats) (a. →Rechtsgeschichte, Rechtskulturen). Schließlich verstärkte sie in einigen Teilen des B. die schon vorher komplizierte ethn. u. konfessionelle Gemengelage. d) Ges. u. ökon. „Rückständigkeit“ in der Neuzeit: Seit dem Spät-MA verlagerte sich das Zentrum der „Weltwirtschaft“ allmählich vom Mittelmeerraum an die Nordatlantikküste, so dass sich die wirt. u. ges. Entwicklung des B.s im Vergleich zu West- u. Mitteleuropa verlangsamte (vgl. →kapitalist. Weltsystem). Ob u. in welchem Ausmaß klimatische Veränderungen (Kleine Eiszeit) diese Entwicklung mitverursacht haben, ist unklar, da sich die hist. Klimatologie insbesondere für den Balkanraum noch in einem Anfangsstadium befindet. Die nach dem Ende der osm. Expansionsphase u. territorialen Verlusten sich verschärfende fiskalische Dauerkrise des Osm. Reiches zog auch das Wirtschaftsleben in Mitleidenschaft, führte zu Missbräuchen u. zunehmender Rechtsunsicherheit. Der russ.-osm. Krieg 1768–1774 u. der russ.-österr. Türkenkrieg 1787–1792 lösten im westl. B. teilw. anarchische Zustände aus u. begünstigten die Verbreitung v. →Haiduken, →Klephten u. musl. (zumeist albanischstämmigen) Räubern. Ansätze zu einer kapitalistischen Wirtschaftsweise u. zu einem Bürgertum entwickelten sich daher i.d.R. (v. wohlhabenden →Kaufleuten einmal abgesehen) erst gegen Ende oder nach Beseitigung der osm. Herrschaft u. konnten sich auch in der Folgezeit nur langsam entfalten (→Kapitalismus; Bürgertum [Balkan]). e) Mit der Rezeption/Adaption der west- u. mitteleurop. Modelle Nation u. Nationalstaat setzte im Verlauf des 19. Jh.s ein komplizierter, wechselhaft verlaufender Prozess der „Europäisierung“ ein. Die Ethnisierung des Nationsverständnisses, die Nationalisierung der Religionszugehörigkeit, die Verknüpfung des modernen Konstrukts Nation mit vorosm. Reichsideen u. die Vermengung v. Selbstbestimmungsrechten mit hist. „Rechten“ bei der →Nationalstaatenbildung erzeugten angesichts der ethn. Gemengelage eine überaus explosive Situation, bes. seit Ende des 19. Jh.s (→Makedonische Frage, →Balkankriege). Die Probleme bei der Übernahme u. Adaption westl. Institutionen sowie die Rezeption des
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Römischen Rechts (→Modernisierung; Rechtsgeschichte, Rechtskulturen) führten überall zu tiefen Verwerfungen in der Gesellschaft u. lösten scharfe Konflikte zw. „Westlern“ u. Verfechtern autochthoner Entwicklungsmodelle aus. Die sozialist. Umgestaltung des nördl. Teils der B.-Halbinsel nach dem 2. Wk. verzögerte den Prozess der Demokratisierung u. Pluralisierung. f ) Die Interventionen der europ. Großmächte u. innerbalkanische Rivalitäten: Der fortschreitende Verfall der osm. Macht weckte die Begehrlichkeiten der europ. Großmächte an der Hinterlassenschaft des Reiches (→Orientalische Frage, 1774–1923; Orientalische Krise, 1875–1878; Meerengenfrage). Während Russland u. die Habsburgermonarchie territ. Interessen verfolgten, waren es bei Großbritannien u. Frankreich in erster Linie wirt. u. strategische Interessen (→Imperialismus). Während des 19. u. 20. Jh.s haben europ. Mächte (zusätzlich zu den genannten auch →Deutschland u. Italien) immer wieder massiv in die inneren Angelegenheiten der B.-Halbinsel eingegriffen (→Befreiungskriege, →Berliner Kongress, →Annexionskrise, →Weltkriege). Die Regierungen der B.-Staaten haben ihrerseits die Unterstützung der Großmächte zur Stärkung ihrer Position gegenüber den Nachbarstaaten gesucht. Von wenigen, zumeist kurzlebigen Verständigungsversuchen abgesehen (→Balkanpakt, →Balkanföderation), blieben die B.-Länder untereinander zerstritten u. haben dadurch die Intervention v. außen teils erleichtert, teils bewusst forciert. Das Kriegsjahrzehnt 1912–1922, der 2. →Wk. u. die →postjugoslawischen Kriege 1991–1999 haben mit Millionen v. Toten, Invaliden, Witwen u. Waisen, mit immensen materiellen Schäden, häufigen Grenzveränderungen u. der Verschiebung ganzer Bev.gruppen tiefsitzende traumatische Erfahrungen hinterlassen. 5) Kulturlandschaft: Die Reichs- u. Staatsbildungen im Laufe der Jahrhunderte sowie kleinräumige Zonen, die sich der staatl. Penetration z.T. bis in die neueste Zeit entzogen, haben eine außerordentlich vielfältige Kulturlandschaft hervorgebracht (→Kulturgeographische Zonen). Den Abgrenzungen auf der Ebene der Hochkultur stehen Ähnlichkeiten u. wechselseitige Durchdringungen in der →Volkskultur gegenüber. Die Nationsbildner u. die moderne Staaten waren mit wechselndem Erfolg bestrebt, die kulturellen Unterschiede in ihren jeweiligen Territorien zu beseitigen u. durch eine einheitliche, exklusive Nationalkultur zu ersetzen. 6) B. als „mental map“ (Fremd- u. Selbstbilder): Die Entstehung u. Verbreitung des Begriffs „B.-Halbinsel“ fiel in eine Zeit, da die →Orientalische Frage in zunehmendem Maße die europ. Mächte u. die Öffentlichkeit beschäftigte. Die schrittweise Auflösung des osm. Imperiums, die Entstehung rivalisierender Balkanstaaten, die →Balkankriege u. die vielfältigen territ. Konfliktherde auf dem Balkan ließen die Region zu Anfang des 20. Jh.s als „Pulverfass Europas“ erscheinen. Zur Bezeichnung konfliktreicher staatlicher Fragmentierungsprozesse bürgerte sich nach dem 1. Wk. das pol. Schlagwort „Balkanisierung“ ein, das bald auch auf andere Teile Europas u. der außereurop. Welt übertragen wurde. Paul Scott Mowrer, langjähriger Korrespondent der „Chicago Daily News“, definierte „Balkanization“ 1921 als „the creation, in a region of hopelessly mixed races, of a medley of small states with more or less backward populations, economically and financially weak, covetous, intriguing, afraid, a continual prey to the machinations of the great powers, and to the violent promptings of
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their own passions”. Das pejorative B.-Bild erlebte in den 1990er Jahren eine Neuauflage. Ausgelöst durch die Darstellung der →postjugoslawischen Kriege in westl. Massenmedien u. populärwiss. Abhandlungen entzündete sich eine Diskussion über die Wahrnehmung des B.s in „westlichen“ Gesellschaften als bes. gewaltbereit u. rückständig („Balkan Ghosts“). In Anknüpfung an das „Orientalismus“-Paradigma v. Edward Said wurde das pejorative B.-Bild als Versuch des „Westens“ gedeutet, sich vom „Andersartigen“ innerhalb Europas abzusetzen („Balkanismus“). „Wie im Falle des Orients hat der B. als ein Müllplatz für negative Charakteristika gedient, gegen den ein positives u. selbstbeweihräucherndes Image des ‚europäischen Europäers’ u. des ‚Westens’ konstruiert worden ist“ (M. Todorova). Der B. hat als negative Alteritätsfolie des „Westens“ v. a. in Zeiten akuter Krisen im B.raum fungiert. In konfliktarmen Zeiten bildete er in der Wahrnehmung des „Westens“ dagegen eher eine Leerstelle. Die Neigung, den B. lediglich als „kognitive Landkarte“ – als „mental map“ – zu verstehen, wurde durch die postmod. Kritik an Räumen, Strukturen u. Kulturen verstärkt. Ende der 1990er Jahre setzte jedoch die „Wiederentdeckung des Raums“ ein, mit einem – im Vergleich zu früher – modifizierten Raumverständnis. Im Zuge dieses „spatial turn“ versachlichte sich auch die wiss. Diskussion über den B. – In den innerbalkanischen Diskursen nehmen die Auseinandersetzungen über Autochthonität, Volkszugehörigkeit, „natürliche“ u. „künstliche“ Nationen, „korrekte“ Ethnonyme, Toponyme etc. sowie Vorstellungen v. einer kulturellen/zivilisatorischen „Überlegenheit“ gegenüber den Nachbarn (z. B. christl. vs. muslim. Bev.gruppen) einen zentralen Platz in den jeweiligen Fremd- u. Selbstbildern ein. Nach wie vor stereotyp u. düster ist die Wahrnehmung des Osm. Reiches u. der osm. Herrschaft im B.raum. Das propagandistische „Türkenbild“ christl. Autoren aus der FNZ wurde v. den christl. Balkangesellschaften komplett übernommen u. lebt als „Orientalismus“ bis zur Gegenwart fort.
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Lit. (a. →Südosteuropa; →Kulturgeographische Zonen): 1. Allgemein, Raumbegriff u. Geographie: Handbuch Balkan. Hgg. U. Hinrichs/Th. Kahl/P. Himstedt-Vaid. Wiesbaden 2014 [behandelt: Raum, Geschichte, Europäisierung, Sprachen u. Kulturen]; P. Jordan, Der Naturraum Balkan als Ort menschlichen Handelns, ebd. 49–85; D. Müller, Southeastern Europe as a Historical Meso-region: Constructing Space in Twentieth-Century German Historiography, European Review of History 10 (2003), H. 2, 393–408; M. Todorova, Der Balkan als Analysekategorie: Grenzen, Raum, Zeit, Geschichte u. Gesellschaft 28 (2002), 470–492; H. Sundhaussen, Europa balcanica. Der Balkan als historischer Raum Europas, ebd. 25 (1999), 626–653. – D.P. Hupchick/H.E. Cox, The Concise Historical Atlas of the Balkans. New York u. a. 2001; Historical Geography of the Balkans. Hg. F.W. Carter. London u. a. 1977; A. Blanc, Géographie des Balkans. Paris 1965, J. Cvijić, La péninsule balkanique. Géographie humaine. Paris 1918 (erw. serbokroat. Ausgabe: Balkansko poluostrvo i južnoslovenske zemlje. 2 Bde. Beograd 1922/31 [Ndr. 1966]); Th. Fischer, Die südosteuropäische (Balkan-) Halbinsel, in: Länderkunde von Europa. Bd. 2,1. Hg. A. Kirchhoff. Prag, Leipzig 1893, 65–281. 2. Geschichte, Kultur u. Politik: Entangled Histories of the Balkans. Bd. 1: National Ideologies and Language Policies. Bd. 2: Transfers of Political Ideologies and Institutions. Bd. 3: Shared Pasts, Disputed Legacies. Hgg. R. Daskalov/Tch. Marinov. Leiden 2013–15; Poverty and Exclusion in the Western Balkans. New Directions in Measurement and Policy. Hgg. C. Ruggeri Laderchi/S.
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Balkanföderation
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Balkanföderation. Das politische Konzept des Zusammenschlusses zweier, mehrerer oder sämtlicher Staaten des engeren →Balkanraums bzw. ganz →SOEs zu einem Bundesstaat (Föderation) oder einem Staatenbund (Konföderation). Einen ersten konkreten Ansatz hierzu stellte zu Beginn des 19. Jh.s eine Übereinkunft gr., serb., rum., bulg. u. alb. Emigranten im russ. Odessa dar, welche die Gründung einer Konföderation aller vom „türkischen Joch“ zu befreienden Balkanvölker vorsah, ohne tats. konföderale Folgen (→Geheimbünde [Griechenland]). 1844 entwarf der serb. Minister Ilija Garašanin in seinem Načertanije den Plan einer südslav.-serb. dominierten Balkan-Konföderation. Eine polnisch-ung. Dominanz wies das Projekt einer ganz Ostmittel- u. SOE sowie →Neurussland umfassenden Konföderation auf, das der im Pariser Exil lebende poln. Politiker Adam Jerzy Fürst Czartoryski 1849 präsentierte. Im selben Jahr konzipierte der ung. Revolutionsführer Lajos Kossuth eine Donauföderation, die gleich dem Czartoryski-Projekt eine Stoßrichtung gegen das Zarenreich enthielt.
Balkanföderation
Während all diese Projekte national-emanzipatorischen u. anti-imperialen Charakter besaßen, kamen in der Spätphase der Habsburgermonarchie auch Konzepte einer föderativ-demokr. Umgestaltung der Doppelmonarchie mit integrativer Zielsetzung auf (vgl. →Trialismus). Der „Belvedere-Kreis“ um den Thronfolger Franz Ferdinand, die →Austromarxisten um Karl Renner u. Otto Bauer sowie der Rumäne Aurel Popovici mit seinem Plan eines aus 15 Föderationssubjekten bestehenden Bundesstaates namens „Vereinigte Staaten v. Großösterreich“ dachten in diese Richtung. Die im Dezember 1909 in Belgrad tagende Erste Konferenz der Sozialdemokratischen Parteien des Balkans forderte die Errichtung einer Föderativen Balkanrepublik, u. eine Zweite Konferenz vom Juli 1915 in Bukarest rief die Sozialdemokratische Arbeiterföderation des Balkans ins Leben. 1920 faßte die →Komintern ihre soe. Mitgliedsparteien (die bulg., jug., gr. u. rum. KP) in einem losen Zusammenschluss in der Kommunistischen B. mit dem Organ La Fédération balcanique zusammen. Während des 2. Wk.s arbeiteten ostmittel- u. soe. Exilregierungen auf brit. Veranlassung hin verschiedene Pläne für Konföderationen im Raum zw. Ostsee u. Ägäis aus. Sowohl die Sowjetunion als auch gr. Exilpolitiker lehnten dergleichen Projekte ab. In der pol. Wirklichkeit des 19. u. der ersten H. des 20. Jh.s hatte das föderative Prinzip für SOE keine Bedeutung. Erst 1944/1945 entstand auf dem Balkan ein formal föderativer Staat: →Jugoslawien. Zu einer echten Föderation bildete sich dieser zunächst straff zentralistisch organisierte, aus sechs Teilrepubliken bestehende nominelle Bundesstaat aber erst in der zweiten H. der 60er Jahre um, nun unter der Bezeichnung Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien (SFRJ). Versuche des Staatsgründers Josip Broz („Tito“) in den Jahren 1944 bis 1948, die benachbarten Volksrepubliken Bulgarien u. Albanien unter dem Rubrum Balkanföderation als weitere Teilrepubliken seinem neuen Jugoslawien einzugliedern, waren am Veto der Hegemonialmacht Sowjetunion gescheitert (→Kominformkonflikt). 1991 zerfiel die jug. Föderation in fünf Nachfolgestaaten, unter denen sich wiederum zwei föderativ verfasste befanden: Die 1992 proklamierte Föderative Republik Jugoslawien (FRJ), ab 2002 „Staatengemeinschaft Serbien u. Montenegro“, bestand aus den Teilrepubliken Serbien u. Montenegro u. löste sich 2006 auf. Die 1994 gegründete Bosniakisch-Kroatische Föderation bildet seit 1995 zusammen mit der Serbischen Republik (Republika Srpska) die ihrerseits föderierte Republik →Bosnien u. Herzegowina (→Dayton-Abkommen). Ein Vorschlag des kosovoalb. Politikers Adem Demaçi v. 1997 zur Neuordnung der FRJ in Form einer aus Serbien, Montenegro u. dem Kosovo bestehenden Konföderation namens Balkanien (Ballkania) stieß in Belgrad auf Ablehnung. Auch im zwischenstaatlichen Bereich ist das Konzept innerbalkanischer pol. Kooperation, regionaler Integration, gar einer Balkan(kon)föderation seit 1948 verschüttet. Subregionale Organisationen wie die 1996 gegründete Southeast European Cooperative Initiative beschränken sich ausschließlich auf die Bereiche Ökonomie u. Ökologie. Auch hat das Streben sämtlicher Staaten SOEs in die EU keinen gesamtbalkanischen Integrationsprozess (kon-)föderaler Art ausgelöst. Lit.: E. Campus, Ideea federală în perioada interbelică. Bucureşti 1993; B. Petranović, Balkanska federacija, 1943–1948. Beograd 1991; Friedenssicherung in Südosteuropa. Föderationsprojekte u.
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Balkanforschung, Balkanologie
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Balkanforschung, Balkanologie. Regionalwissenschaft zur Erforschung des →Balkan(raums) im engeren oder →SOEs im weiteren Sinn (Südosteuropaforschung). Beteiligte Disziplinen sind Sprachwissenschaft, Archäologie, Geographie, Geschichte, Ethnologie, Volkskunde u. Kulturwissenschaften. Zu den Pionieren der B. gehören der kroat. Slavist Vatroslav Jagić (1838–1923), Mitbegründer der „Kommission für die historisch-archäologische u. philologisch-ethnographische Durchforschung der Balkanhalbinsel“ (gegr. 1897, 1950–2011: „Balkan-Kommission“) der Österr. Akademie d. Wissenschaften, ferner der österr. Archäologe u. Historiker Carl Ludwig Patsch (1865–1945), der 1904 das „Bosnisch-Herzegowinische Institut für Balkanforschung“ in Sarajevo ins Leben rief (aufgelöst im Nov. 1918) u. nach dem Krieg seine Tätigkeit in Wien fortsetzte. Neue Impulse erhielt die B. in den 1930er Jahren durch die Sprachwissenschaftler Petar Skok (1891–1956) in Zagreb, Milan Budimir (1891– 1975) in Belgrad u. den Historiker Victor Papacostea (1900–1962) in Bukarest. Ihr Ziel war die Überwindung der nationalzentrierten Forschung in den soe. Ländern durch vergleichende Untersuchungen u. Studium der Wechselbeziehungen im Rahmen einer breiten Palette von Fächern (Linguistik, Geschichte, Religionswissenschaft, Volkskunde, Wirtschaft, Recht usw.). Den Balkan verstanden sie als Raum der Interaktionen, Migrationen u. wechselseitiger Beeinflussungen. Ein besonderer Aspekt dieser Initiative war die Entdämonisierung der osm. Herrschaft. Auf Betreiben der genannten Forscher u. ihrer Mitstreiter sowie mit Rückendeckung ihrer Regierungen im Umfeld des →Balkanpakts entstanden weitere Balkan-Institute (1934 in Belgrad u. 1937 in Bukarest) sowie die Zeitschriften „Revue internationale des études balkaniques“ (Belgrad) u. „Balcania“ (Bukarest). Das 1930 in München gegr. Südost-Institut, das sich zunächst auf die Erforschung des dt. Volkstums in SOE spezialisiert hatte, bezog ab 1935 auch die Geschichte u. Kulturgeschichte der soe. Länder intensiv ein. Ab 1933 gab es die Buchreihe „Südosteuropäische Arbeiten“ u. ab 1936 die „Südostdeutschen Forschungen“ (ab 1940: „Südost-Forschungen. Intern. Zeitschr. f. Geschichte, Kultur u. Landeskunde SOEs“) heraus. Die Umsetzung dieser sehr weit gespannten B.-Programme von Anfang der 1930er Jahre wurde durch den 2. Wk. abgebrochen. Nach dem Krieg spaltete sich die B. in verschiedene Teilbereiche (mit jeweils spezielleren Untersuchungsschwerpunkten) auf. Die B. im engeren Sinn versteht sich als inter-/multidisziplinär u. komparativ ausgerichtete Regionalwiss. mit den Schwerpunkten Sprachen u. Kulturen, während die „Balkanstudien“ – wie auch die Südosteuropaforschung – hist. u. sozialwiss. Themen in ihr Zentrum rücken. Anfang der 1950er Jahre wurde das Südost-Institut in München (2007 verlagert nach: Regensburg,
Balkanforschung, Balkanologie
dort 2012 mit dem Osteuropa-Institut fusioniert zum „Institut für Ost- u. Südosteuropaforschung“) wiederbelebt. Es entstanden neue Balkan-Institute (1953 in Saloniki, 1954 bzw. 1963 in Sarajevo, 1964 in Sofia) sowie neue Zeitschriften u. Buchreihen. Vereinzelt konnte sich die B. auch als Studienfach an den Universitäten etablieren (z. B. an der Freien Universität, Berlin). Nach dem Umbruch 1989 in Osteuropa geriet die B. – gleich anderen „area studies“ – in die Krise, aus der sie sich rd. ein Jahrzehnt später wieder befreien konnte. Zeitschriften/Buchreihen: Schriften der Balkankommission. Wien 1900 ff. [Buchreihe = BR]; Zur Kunde der Balkanhalbinsel. Sarajevo 1904–1918 [BR]; Schriften zur Kunde der Balkanhalbinsel. Wien 1922-22 [sic]; Südosteuropäische Arbeiten. Bd. 1 ff. München 1933ff. [BR]; Südostdeutsche Forschungen (ab 1940: Südost-Forschungen). Bd. 1 ff. 1935 ff.; Revue internationale des études balkaniques. 1–4. Beograd 1934–1939/40; Balcania. Revue de l’Institut d’études et recherches balkaniques 1–8. Bukarest 1938–1945[?]; fortgesetzt u.d.T. Balcania. Revista Institutului de Studii Balcanice “Victor Papacostea” 1ff. Craiova 2004 ff.; Godišnjak. Centar za balkanološka ispitivanja Bd. 1ff. Sarajevo 1957ff.; Balcanica. Annuaire de l’Institut des études balcaniques. 1 ff. Beograd 1960ff.; Balkan Studies. A annual/biannual publication of the Institute for Balkan Studies. Bd. 1 ff. Saloniki 1960 ff.; Zeitschrift für Balkanologie. 1 ff. Wiesbaden 1962/63 ff.; Revue des études sud-est européennes. 1 ff. Bukarest 1963 ff.; Études balkaniques. 1 ff. Sofia 1964 ff.; Zur Kunde Südosteuropas. Bd. 1 ff. Graz 1972 ff. [BR]; Balkanologische Veröffentlichungen. Bd. 1 ff. Wiesbaden 1979 ff. [BR]; Balkanistika. 1 ff. Sofia 1986 ff.; Balkanologie. Revue d’études pluridisciplinaires. 1 ff. Paris 1997 ff. [gedr. nur bis 2005]; Ethnologia balcanica. 1 ff. Berlin u. a. 1997 ff.; Balkanologie. Beiträge zur Sprach- u. Kulturwissenschaft. Bd. 1 ff. Berlin u. a. 2007 ff.; Balkan Studies Library. Bd. 1 ff. Leiden 2010 ff. [BR]. Lit. 1. (Konzepte u. Wissenschaftsgesch.; a. →Sprachen, B: Balkansprachbund): O.J. Schmitt, Balkanforschung an der Universität Wien, in: 650 Jahre Universität Wien. Aufbruch ins neue Jahrhundert. Bd. 3: Reichweiten u. Außensichten. Hgg. M. Grandner/Th. König. Göttingen 2015, 61–97; K. Steinke, Institutionalisierung der Balkanwissenschaften weltweit, in: Handbuch Balkan. Hgg. U. Hinrichs/Th. Kahl/P. Himstedt-Vaid. Wiesbaden 2014, 831–844; Ch. Marchetti, Balkanexpedition. Die Kriegserfahrung der österreichischen Volkskunde – eine historisch-ethnographische Erkundung. Tübingen 2013; Südostforschung im Schatten des Dritten Reiches. Institutionen – Inhalte – Personen. Hgg. M. Beer/G. Seewann. München 2004; S. Gruber, Austrian Contributions to the Ethnological Knowledge of the Balkans since 1850, Ethnologia Balkanica 2 (1998), 209–224; N. Reiter, Grundzüge der Balkanologie. Ein Schritt in die Eurolinguistik. Berlin 1994; D. Burkhart, Die Stellung der Volkskunde in der Balkanologie: Explikation u. Thesen zur Balkan-Ethnologie, Zeitschrift für Balkanologie 15 (1979), 13–29; Südostforschung in der Bundesrepublik Deutschland u. in Österreich. Hg. K.-D. Grothusen. Boppard/Rhein 1979; Südosteuropa u. Südosteuropa-Forschung. Zur Entwicklung u. Problematik der Südosteuropa-Forschung. Hg. K.-D. Grothusen. Hamburg 1976; K. Horálek, Ein Beitrag zur volkskundlichen Balkanologie, Fabula 7/1 (1964), 1–32; M. Budimir/P. Skok, But et signification des études balkaniques, Revue internationale des études balkaniques 1 (1934/35), 1–28; J. Ancel, L’unité balkanique, ebd., 117–139.
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Balkankriege (1912/13)
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Balkankriege (1912/13). In beiden B.n ging es um dasselbe: v.a. militärische Ziel, nämlich um die letzten beim Osm. Reich verbliebenen Territorien in SOE: Albanien, Kosovo, →Sandschak v. Novi Pazar, Makedonien u. →Thrakien. Der 1. B. (Oktober 1912 – Mai 1913) wurde v. einer Koalition aus Serbien, Griechenland, Bulgarien u. Montenegro (dem kurzfristig geschlossenen Balkanbund) durch einen Angriff auf die osm. Truppen ausgelöst. Diese mussten sich bis kurz vor Konstantinopel zurückziehen. Die europ. Großmächte u. Unterzeichnerstaaten des →Berliner Vertrages v. 1878, die den Balkanstaaten die Souveränität gewährt hatten, beschränkten sich auf ihren Botschafterkonferenzen in London darauf, den milit. Konflikt auf den Balkan einzugrenzen. So wurde die Skutari-Krise (um die Stadt Shkodra, die v. Montenegro beansprucht wurde, aber v. den Großmächten Albanien zugesprochen worden war) friedlich beigelegt. Hinzu kamen das Interesse Russlands, durch eine Vergrößerung Serbiens seine eigene Stellung in SOE zu stärken u. die Absicht Wiens, genau dies zu verhindern. So wurde, um Serbien wenigstens den Ausgang zur Ägäis zu versperren, die 1912 proklamierte staatliche Unabhängigkeit →Albaniens 1913 von den Mächten zwar anerkannt, aber das Land unter der Kontrolle aller Großmächte gestellt. Der Präliminarvertrag v. London (unterzeichnet am 30.5.1913 zw. den Mitgliedern des Balkanbundes u. der Türkei) kam ebenfalls unter Mithilfe der Mächte zustande. Darin gestand die Pforte den Verbündeten alle Gebiete westl. einer zw. Enos (an der Ägäis) u. Midia (am Schwarzen Meer) gezogenen Linie zu. Über die Verteilung dieser Regionen brach ein neuer Krieg zw. den Balkanstaaten aus, der 2. B. (Juni – Juli 1913). Serbien, Griechenland sowie Montenegro waren dabei auf den anfänglichen bulg. Angriff vorbereitet. Sie wurden unterstützt v. Rumänien, das in der Süddobrudscha (→Dobrudscha) vorrückte. Die Türkei nützte die Gelegenheit u. reokkupierte Ostthrakien mit Adrianopel/Edirne. Im Vertrag v. Bukarest (13.8.1913), der die Bestimmungen des Vertrages v. London bestätigte, musste der Verlierer Bulgarien auf weite Teile Makedoniens (a. →Makedonische Frage) verzichten, dessen Hauptgebiete zw. Serbien (das zudem den Großteil Kosovos u. einen Teil des Sandschaks v. Novi Pazar erhielt) sowie Griechenland geteilt wurden. Letzteres erhielt überdies eine Anzahl v. Ägäis-Inseln (darunter Kreta; nicht aber den 1912 it. besetzten →Dodekanes); bedeutend für Athen war auch der →Athos sowie in wirt. Hinsicht Thessa-
Balkankriege (1912/13)
loniki/→Saloniki. Die südl. →Dobrudscha fiel an Rumänien; Montenegro wurde um die andere Hälfte des Sandschaks, Nordwestkosovo (→Metohija) sowie an der nordöstl. Grenze erweitert. Serbien, Griechenland u. Montenegro konnten somit ihre Territorien verdoppeln; Bulgarien, das sich kurz darauf mit der Türkei über die Teilung →Thrakiens einigte, konnte sich durch die Zugewinne im Süden (v. a. Westthrakien) ebenfalls gegenüber dem Vorkriegsstand vergrößern. Die Kriege wurden insges. brutal u. ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung geführt. Die international besetzte, v. privater Seite initiierte Carnegie-Kommission legte eine Untersuchung der v. den Truppen aller beteiligten Staaten begangenen Grausamkeiten vor. Insges. waren rund 380.000 Soldaten umgekommen oder verwundet worden. Zu den weiteren Folgen der B. gehörten umwälzende Bevölkerungsbewegungen in den betroffenen Gebieten, da die neuen Herrscher auf dem Balkan eine rigorose Politik gegenüber den Angehörigen anderer Nationalitäten oder Religionen, v. a. gegenüber Türken bzw. Muslimen, einleiteten (Zwangstaufen, →Zwangsmigrationen). Nach den Friedensschlüssen mit der Türkei (bulg.-osm. Vertrag vom 29.9.1913, gr.-osm. Vertrag vom 14.11.1913, serb.-osm. Vertrag vom 14.3.1914) wurde kein anhaltender Frieden erreicht, da es zu permanenten Guerilla-Übergriffen türk., bulg., alb. u. anderer revisionistischer Formationen kam. Unter den kriegführenden Staaten, die nach den B. finanziell u. militärisch erschöpft waren, konnte Rumänien, das nur wenige milit. Kräfte – u. diese erst im 2. B. – eingesetzt hatte, eine Art Vorreiterrolle erlangen. Wie der Angriff auf das Osm. Reich sowie die zwischenstaatlichen Grenzfestlegungen nach den Kriegen gezeigt hatten, waren die Balkanstaaten entschlossen, sich aus der Abhängigkeit der Großmächte zu lösen u. außenpol. künftig eigenmächtig zu handeln. Des weiteren spitzte sich der Konflikt zw. Serbien u. Österreich-Ungarn zu: Das Ultimatum Wiens vom 18.10.1913 an Belgrad, das sich geweigert hatte, alb. Gebiet zu verlassen, wurde erfüllt, das nächste Ultimatum Wiens nach dem →Attentat v. Sarajevo führte dann zum Ausbruch des Weltkrieges. Quellen u. Lit.: Les guerres balkaniques (1912–1913). Conflits, enjeux, mémoires. Hg. C. Horel. Bruxelles u. a. 2014; Die Balkankriege 1912/1913 u. Griechenland. Hg. H.-D. Blume. Münster 2014; The Balkan Wars. British Consular Reports from Macedonia in the Final Years of the Ottoman Empire. Hgg. B. Destani/R. Elsie. London u. a. 2014; Alerte en Europe. La guerre dans les Balkans (1912–1913). Hgg. C. Durandin/C. Folschweiller. Paris u. a. 2014; War and Nationalism: The Balkan Wars 1912–1913 and their sociopolitical implications. Hgg. M.H. Yavuz/I. Blumi. Salt Lake City 2013; K.S. Brown, “Wiping out the Bulgar race”: hatred, duty, and national self-fashioning in the Second Balkan War, in: Shatterzone of empires. Coexistence and violence in the German, Habsburg, Russian, and Ottoman borderlands. Hgg. O. Bartov/E.D. Weitz. Bloomington/Ind. u. a. 2013, 298–316; S. Kuneralp/G. Tokay, Ottoman Diplomatic Documents on the Origins of World War I: The Balkan Wars 1912–1913. 2 Bde. Istanbul 2012; I. Despot, The Balkan Wars in the Eyes of the Warring Parties. Perceptions and Interpretations. Bloomington 2012; H. Sundhaussen, Wie „balkanisch“ waren die „Balkankriege“ des 20. Jh.s?, Jahrbuch für Europäische Geschichte 13 (2012), 3–25; V.A. Tankova, Balkanskite vojni 1912–1913 g. Pamet i istorija. Sofija 2012; A.F. Biagini, L’Italia e le guerre balcaniche. Roma 2012; D.R. Porjazov, Pogromăt
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Balkanpakt
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Balkanpakt. Die Bezeichnung zweier innerbalkanischer Bündnisschlüsse der Jahre 1934 u. 1953/54. a) Am 9.2.1934 schlossen die Republik Türkei, das Kgr. Jugoslawien, das Kgr. Rumänien u. das Kgr. Griechenland auf Belgrader Initiative hin in Athen einen Beistandsvertrag, in welchem sie ihre Sicherheit u. gemeinsamen Grenzen gegen Aggression durch andere Balkanstaaten garantierten u. sich verpflichteten, pol. Übereinkünfte mit Nicht-Signatarstaaten auf dem Balkan nur nach vorheriger Konsultation zu treffen. Hintergrund war die seit 1924 auf die Einkreisung (accerchiamento) des Kgr.s der Serben, Kroaten u. Slowenen (Kgr. SHS, ab 1929: Kgr. →Jugoslawien) zielende Balkanpolitik des faschist. Italien. Der Balkanpakt war insofern eine Verlängerung der frz. inspirierten, 1921/22 v. der Tschechoslowakei, Rumänien u. dem SHS-Staat gebildeten →Kleinen Entente. Während dieses Regionalbündnis sei-
Balkanpakt
nerseits den it. Brückenkopf Ungarn einkreiste, gelang die bündnispolitische Umzingelung, Neutralisierung oder auch Abwerbung der anderen soe. Verbündeten Italiens, nämlich Bulgariens u. Albaniens in den 20er Jahren nicht. Erst v.1930 an machte die nun doppelgleisig fahrende Belgrader Balkandiplomatie diesbezüglich Fortschritte. Im Jahresrhythmus fanden nun Konferenzen der späteren Paktsignatare statt, die im Zeitraum 1930–1933 in gr.-türk., jug.-türk. u. rum.-türk. Verträgen resultierten. Bulgarien war damit gleichsam umstellt, aber dennoch hielt Belgrad die Tür zum Beitritt Sofias zum Balkanpakt offen. Obwohl die bulg. Diplomatie Anfang 1934 dieses Angebot ausschlug, kam es in der Folge des Sofioter Putsches vom 19.5.1934 (→Bulgarien) zu einer deutlichen Verbesserung der Beziehungen des Landes zu Jugoslawien u. zu den übrigen Nachbarstaaten. Seine ursprüngliche, nämlich anti-bulg. u. damit anti-italienische Raison d’être verlor der Balkanpakt i. J. 1937. Am 24.1.1937 schlossen Jugoslawien u. Bulgarien einen Vertrag über Freundschaft u. Zusammenarbeit, u. am 25.3.1937 unterzeichneten Belgrad u. Rom ein Nichtangriffs- u. Neutralitätsabkommen. Nagelprobe u. zugleich formales Ende des Balkanpaktes war am 28.10.1940 der it. Angriff auf Griechenland, der vom Territorium des 1939 durch Italien faktisch annektierten Albanien vorgetragen wurde. Die drei anderen Balkanpaktpartner erfüllten ihre Bündnispflicht nicht, sahen sie doch den Bündnisfall nicht gegeben. b) Beim Balkanpakt v. 1953/54 handelt es sich um insges. vier, zw. der Republik Türkei, dem Kgr. Griechenland u. der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien geschlossene Verträge u. Abkommen, unter denen der Vertrag v. Ankara über Freundschaft u. Zusammenarbeit vom 28.2.1953 u. der Vertrag v. Bled über Allianz, Politische Kooperation u. Gegenseitigen Beistand vom 9.8.1954 die beiden wichtigsten waren. Gemeinsamer Nenner des Balkanpakts 1953/54 der beiden untereinander feindseligen Nato-Staaten Türkei u. Griechenland mit dem blockfreien Jugoslawien war die Eindämmung der Hegemonialpolitik der Sowjetunion in SOE. Ziel des Bündnisses war der Erhalt des territ. Status quo in der Region, wie er in den Waffenstillstandsverträgen v. 1944/1945 sowie im Friedensvertrag v. Paris 1947 festgeschrieben worden war. Initiator des Paktes war das föderative Jugoslawien, das im Zeichen sowj. Bedrohung seine Neutralität zw. den Blöcken Nato u. →Warschauer Pakt zu bewahren suchte. Dass die mit dem Paktschluss erfolgte de facto-„Assoziierung“ Jugoslawiens an die Nato pol. nicht zum Tragen kam, lag an dem Umstand, dass der Tod Josip V. Stalins am 5.3.1953 u. die daraus resultierende Kursänderung sowj. Balkanpolitik den Pakt wenige Tage nach seiner Unterzeichnung gleichsam überflüssig gemacht hatte. Die Formulierung einer jug. Außenpolitik der Blockfreiheit 1955 u. der 1956 erfolgte Ausgleich mit Moskau seitens Belgrads sowie die dramatische Verschlechterung der türk.-gr. Beziehungen durch die →Zypern-Frage 1954 ließen den Balkanpakt gegenstandslos werden. Obwohl es zu keiner offiziellen Kündigung des mit einer Laufzeit bis 1974 geschlossenen Paktes kam, wurde das Ständige Sekretariat 1960 aufgelöst. Lit.: G. Caroli, L’Italia e il patto balcanico, 1951–1955. Una sfida diplomatica tra Nato e Mediterraneo. Milano 2011; A. Bicer, Le Pacte balkanique et le jeu des alliances de 1933 à 1939 d’après les attachés militaires français en Turquie, Revue historique des Armées 226 (2002), 93–106; Ž. Avramovski, Balkanska antanta (1934–1940). Beograd 1986; K.-D. Grothusen, Der Balkanpakt als Instrument der Friedenssicherung für Südosteuropa nach dem 2. Weltkrieg, in: Friedenssicherung in
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Ban (Banus)
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Ban (Banus) (lat. banus; kroat. ban; ung. bán). Hoher Würdenträger im ma. u. neuzeitlichen →Ungarn, bzw. →Kroatien u. →Bosnien sowie auch im walach. →Oltenien. Das Wort stammt aus dem südslav. pan, das auf eine türk. Wurzel (awar. Fürstenname Bajan) zurückgehen dürfte, u. bedeutete zunächst einen Großen im frühma. Kroatien. Der Titel B. ist zuerst um 1146 für den Stellvertreter des Kg.s von Ungarn im neu erworbenen Kroatien u. Dalmatien belegt. Im MA standen B.e an der Spitze der Verwaltung nicht nur dieser Nebenländer, sondern auch dem in →Komitate geteilten →Slawonien u. jenen, v. a. der Landesverteidigung dienenden Gebieten südl. der Save u. an der unteren Donau, die Banate genannt wurden (nicht mit dem neuzeitl. →Banat identisch). Während die Bane v. Kroatien-Dalmatien u. dem mit jenen Ländern oft verbundenen Slawonien sowohl reiche als auch einflussreiche Magnaten waren, gelegentlich auch Mitglieder der Königssippe mit Herzogstitel, hatten die übrigen Banate, deren südl. Grenzen den wechselnden Machtverhältnissen zw. Ungarn u. Byzanz (später den Staaten des Nordbalkans, dann dem Osm. Reich) entsprachen, unterschiedliche Bedeutung. Im MA änderten sich der Titel u. das Amtsgebiet der kroat.-slawon.-dalmatinischen B.e mehrfach, oft gab es gesonderte B.e für die einzelnen Landesteile, oft mehrere für jeden. Nach 1526 – u. besonders nach dem Verlust der kroat. Teile des Kgr.s Ungarn – blieb das Amt zwar erhalten u. war mehrfach v. bedeutenden Magnaten wie die Zrínyi/Zrinski u. Frangepán/Frankopani-Frankapani besetzt, doch wurde deren Gebiet im wesentlichen durch den Hofkriegsrat verwaltet, dann teilweise in die österr. →Militärgrenze einverleibt. Ein Teil der Militärgrenze, die →Banija, unterstand jedoch dem B. Erst im 19. Jh., mit der Zunahme des kroat. Nationalbewußsstseins, wuchs die Rolle der B.e grundlegend. (B. Josip Jelačić; Ivan Mažuranić). Gemäß dem ung.-kroat. →Ausgleich 1868 war der B. v. Kroatien-Slawonien-Dalmatien (bis 1918) als Spitze der kroat. Autonomie dem Budapester Kabinett verantwortlich, blieb allerdings weiterhin der dritthöchste Würdenträger des Königreichs. Im SHS-Kgr. (→ Jugoslawien) bestanden Titel u. Funktion eines Banus von Dalmatien, Kroatien u. Slawonien noch bis 1921. Im neuen zentralistischen Jugoslawien der diversen „Banschaften“ (banovine) hieß der höchste Verwaltungsbeamte ebenfalls B., desgleichen in der 1939–1941 eingerichteten, freilich nur ephemeren „Banschaft Kroatien“ (Banovina Hrvatska). – B. war schließlich auch der Titel des mold. Fürstenstellvertreters, der v. 14. Jh. an mit Sitz in Craiova der Verwaltung in →Oltenien vorstand, bis das Amt 1831 durch die →Organischen Statute aufgehoben wurde.
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Lit.: A.M. Stoenescu, Istoria Olteniei. București 2011 (Kap. 8: Banatul Olteniei); Gy. Kristó, Különkormáyzat az Árpád-kori Drávátálon és Erdélyben, Történelmi Szemle 1977, 53–72; H. Sirotković, Die Verwaltung im Königreich Kroatien u. Slawonien 1848–1918, in: Die Habsbur-
Ban (Münze) / Banat
germonarchie 1848–1918. Bd. 2. Wien 1973, 67–98; Hrvatska Enciklopedija. Bd. 2 Zagreb 1941, 176–183; J. Deér, Die Anfänge der ungarisch-kroatischen Staatsgemeinschaft, Archivum Europae Centro-Orientali 2 (1936), 5–45; Io.C. Filitti, Banii și caimacami Craiovei. Craiova [1924]; I. Korbuly, A báni méltóság. Pest 1868. J.M. B.
Ban (Münze) (Pl. Bani). Rum. Scheidemünze; 100 Bani = 1 →Leu. Ursprünglich Silberdenar des ung. Banus v. Slawonien, der auch in Siebenbürgen u. in der Walachei in Umlauf war. Der B. entsprach einem halben Denar, ähnlich wie der ung. Obol u. wog 0,35 gr. Seit 1867 als 1, 2, 5 u. 10 B. des Fsm.s Rumänien – seit 1882 Kgr. – in Kupfer geprägt. 50 B. seit 1873 in Silber. Seit 1900 alle B.-Münzen in Kupfer, seit 1921–27 in Aluminium, seit 1947 in Kupfer-Zink u. Kupfer-Aluminium. 1914–27 wurden auch Banknoten zu 10, 25 u. 50 B. gedruckt. Die Bezeichnung ban, bani wird rum. allg. auch für den Begriff „Geld“ gebraucht. Lit.: G. Buzdugan/O. Luchian/C.C. Oprescu, Monede şi bancnote româneşti. Bucureşti 1977; A. Rauta, Modern Romanian Coins 1867–1966. Madrid 1974; O. Iliescu, Moneda în România. Bucureşti 1970; C.C. Kiriţescu, Sistemul bănesc al leului şi precursorii lui. 3 Bde. ebd. 1967–71. E. T.
Banat. Von den drei Flüssen Maros (im N), Theiß (im W) u. Donau (im S) u. den siebenbürgischen Karpaten umgrenzte Region um den Hauptort Temesvár/Timişioara, die mit dem Friedensschluss v. →Passarowitz 1718 aus der osm. Oberhoheit (1552–1716) in den Besitz des Kaisers gelangte u. als Verwaltungseinheit unter dem Namen B. geschaffen wurde. Zur Begriffsgeschichte vgl. unter →Banus; von den sechs ma. →Komitaten des Kgr.s Ungarn (Csanád, Arad, Torontal, Keve, Temes u. Krassó), die territorial das spätere B. ausmachten, hatte allerdings nur Krassó-Szörény den Rang eines ma. B.s. Die Tatsache, dass die Region, die noch im Friedensvertrag v. →Karlowitz 1699 als „Regio (Provincia) Temesvariensis“ bezeichnet worden war, v. 1718 bis 1778 direkt vom Wiener Hof (Hofkriegsrat u. Hofkammer) militärisch als „ärarische Provinz“ verwaltet wurde, hat wahrscheinlich zur Namensgebung von 1718 angeregt, die für die Periode der Neuzeit singulär geblieben ist. Mit Ausnahme der 1765–1768 entlang der Donau geschaffenen drei →Militärgrenzbezirke (dt., illyr. u. rum. Regiment) wurde der Kameralbesitz weitgehend privatisiert u. das B. deshalb 1779 mit dem Kgr. Ungarn vereinigt, das dort eine Zivilverwaltung im Rahmen der drei wiedererrichteten Komitate Torontal, Temes u. Krassó einführte. Auf einer Kirchen- u. Volksversammlung (crkveno-narodni sabor) in Temesvár 1790 wurde Stevan Stratimirović (1757–1836) zum Metropoliten der Serben in der Habsburger Monarchie mit Sitz in Karlowitz gewählt. Er gilt als einer der bedeutendsten serb. Kirchenführer in der Monarchie u. setzte sich energisch für die Verbesserung des serb. Schulwesens ein. Die Forderung der Versammlung v. Temesvár, dem B. einen Autonomiestatus zu verleihen, wurde v. Wien jedoch abgelehnt. Vom 18.11.1849 bis zum 20.10.1860 gehörte das B. der neu geschaffenen „Wojwodschaft Serbien u. Temescher Banat“ an (→Vojvodina; →Revolution von 1848/49, Serben). Danach wurde es als Teil Ungarns wieder in das Verwaltungssystem der Komitate überführt, dem 1872/73 auch das Territorium der aufgelösten Militärgrenze angeschlossen wurde.
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Banat
1910 lebten hier auf einem Territorium v. 28.523 km2 1,582.133 E. Die Grenzziehung nach dem 1. Wk. mit der von ihr geschaffenen u. bis heute gültigen Dreiteilung des Banats hat die regionale Gesamtidentität des B.s zerstört: Der größte Teil fiel an Rumänien (18.715 km2 mit 941.521 E); 9.307 km2 mit 561.958 E wurden dem Südslawischen Kgr. angegliedert (heute Teil Serbiens bzw. der →Vojvodina) u. 271 km2 mit 18.583 E verblieben bei Ungarn (heute Teil des Komitats Csongrád). Der im B. im Zeitraum v. 1718 bis 1786 angesichts der strategischen Bedeutung der Region B. für die Auseinandersetzung der Habsburger mit den Osmanen staatlich gelenkte Kolonisationsprozess (→Kolonisation) schuf unter Aufwendung erheblicher finanzieller Mittel zum Teil völlig neue Strukturen: Es entstand eine Vielzahl neuer Dörfer mit einer geometrisch planmäßigen, schachbrettförmigen Struktur, die die Dreifelderwirtschaft ermöglichte. Auch durch den Bau v. Kanälen, Dämmen, Straßen u. Brücken wurde eine dichte Infrastruktur geschaffen u. in weiten Landstrichen die zahlreichen Sümpfe trockengelegt. Bei der staatlich organisierten Neuanlage der Dörfer kamen zwei Systeme zur Anwendung: eine Ödlandbesiedlung im Fall dafür ausreichender Siedlungsgründe, u. eine Transferierungs-Kolonisation, in deren Rahmen die einheimische Bev., die in den Quellen als „Nationalisten“ (v. a. Serben u. Rumänen) bezeichnet wird, umgesiedelt wurde: das alte Haufendorf wurde aufgegeben u. in seiner Gemarkung entweder das neue dt. Dorf oder häufig zwei neue Dörfer errichtet: eines für die dt. Kolonisten u. eines für die einheimische Bev. Eine vom Landesbeamten Johann Jakob Ehrler verfasste Bilanz der Banater Kolonisation verzeichnet bis zum Jahre 1774: 220.000 Vlachen, 100.000 Serben u. Aromunen („Griechen“), 53.000 Deutsche u. 2.400 Magyaren u. Bulgaren neben 340 Juden. Die im B. sich häufig gegenseitig blockierende Konkurrenz zweier Wirtschaftssysteme: traditionelle Weidewirtschaft versus importierte intensive Ackerbauwirtschaft, wurde erst unter Joseph II. zugunsten der letzteren endgültig aufgehoben. Der v. erheblichen Investitionsleistungen begleitete Kolonisationsprozess, der das B. letztlich zur Kornkammer der Donaumonarchie machte, stellt ein gelungenes Beispiel dafür dar, wie im aufgeklärten →Absolutismus aus einer wirtschaftlich rückständigen Peripherie ein multikulturelles Zentrum entstehen konnte, dessen Prosperität selbst noch im 20. Jh. zahlreiche Neuansiedler anlockte. Die lange Zeit disparate länderweise historische Forschung zu den beiden Hauptteilen des Banats erfolgt seit einigen Jahren unter verstärkten rum.-serb. Wissenschaftskontakten.
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Banija
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Banija. Gebiet im S Mittelkroatiens zw. mittlerer u. unterer Kupa im N sowie unterer Una im SO (1.803 km2); grenzt im S u. SO an Bosnien, im W an den →Kordun. Hauptort: Petrinja (24.671 E, 2011), das 1240 den Status einer →Freistadt erhielt. Im MA gehörte das Gebiet zum Kgr. Kroatien-Slawonien (→Kroatien) u. war in drei slawon. Gespanschaften (→Komitat) aufgeteilt. Vom Ende des 16. bis Ende des 17. Jh.s befand es sich großenteils (mit Ausnahme eines schmalen, vom kroat. Banus zu verteidigenden Grenzstreifens südl. der Kupa, der „Banal-Grenze“) unter osm. Herrschaft. Nach Verdrängung der Osmanen (Friede v. →Karlowitz 1699) wurden die eroberten Gebiete (Neoaquisata) (mit einem zunächst umstrittenen Status) Teil der →Militärgrenze. Im Unterschied zum Karlstädter u. Warasdiner Generalat befand sich jedoch die B. (mit Ausnahme der Festung Petrinja, die bis Mitte des 18. Jh.s eine Exklave des Warasdiner Generalats bildete) unter dem Befehl des kroat. →Banus u. wurde Bestandteil der „Banal-Grenze“ („Banska krajina“ bzw. „Banovina“); es verblieb damit im Verbund des Kgr. Kroatien. 1750 wurde die Organisationsstruktur der Banal-Grenze den Verhältnissen in der übrigen kroat.-slawon. Militärgrenze angeglichen, allerdings blieb die Banal-Grenze (mit den zwei Grenzregimentern Glina u. Petrinja) auch künftig dem Kgr. Kroatien staatsrechtlich erhalten u. wurde nach Auflassung der Militärgrenze 1871/81 voll in das Kgr. integriert. Nach Zurückdrängung der Osmanen hatten sich in der dünn besiedelten Banal-Grenze (ähnlich wie in der übrigen kroat.-slawon. Militärgrenze) „vlachische“ (gr.-orth. bzw. serb.) Flüchtlinge aus Bosnien als freie Wehrbauern angesiedelt. Mitte des 18. Jh.s soll die Bev. der Banal-Grenze zu etwa 4/5 aus „Vlachenfamilien“ u. zu 1/5 aus kath. Familien bestanden haben. Nach der Zählung v. 1857 setzte sich die Bev. der Banal-Grenze bzw. der beiden Grenzregimenter zu 67 % resp. 62 % aus Serben zusammen. Ihr prozentualer Anteil hat sich während des darauf folgenden Jh.s nur geringfügig verändert. Von den rd. 95.000 E
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Banija / Baranya
i. J. 1971 waren 61 % Serben u. 37 % Kroaten. Seit Formierung der modernen Nationen bildete die B. mit ihrer serb. Bevölkerungsmehrheit im Rahmen Kroatiens einen potentiellen Konfliktherd. In Reaktion auf die Serbenverfolgungen des Ustaša-Regimes während des 2. Wk.s (→Unabhängiger Staat Kroatien) formierte sich in der B. massiver Widerstand, so dass das Gebiet zum Schauplatz heftiger Vergeltungsmaßnahmen des Regimes, nationalistischer Exzesse u. milit. Auseinandersetzungen wurde. Nach dem Auseinanderbrechen des zweiten jug. Staats 1991 wurde die B. Bestandteil der v. den kroat. Serben proklamierten „Serbischen Republik →Krajina“, die im August 1995 v. kroat. Truppen zurückerobert wurde. Die ethn. Zusammensetzung der Bev. wurde im Verlauf dieser Ereignisse zweimal – zunächst zugunsten des serb., dann zugunsten des kroat. Elements – gewaltsam u. grundlegend verändert. So lebten z. B. in der Stadtgemeinde Glina 1991 23.040 E, davon 60,6 % Serben u. 34,9 % Kroaten. 2011 betrug die Bev. nur noch 9.283 E, davon 69,7 % Kroaten u. 27,5 % Serben. Lit.: A. Dupalo, Banija i Sisak u NOP-u 1941. Dogadjaji, svjedočanstva, dokumenti. Zagreb 2014; A.D. Kukoleča, Banija u statistici. (Popis stanovništva u drugoj polovini XX veka). Beograd 2010; S. Gregurović, Odnos prema Drugome: istraživanje etničkih granica na primjeru Petrinje, Migracijske i etničke teme 23 (2007), H. 1–2, 65–83; I. Golec, Stjepan Pejaković i Gospodarstvena bratovština petrinjska (1864.–1871.), Petrinjski zbornik 4 (2001), H. 4, 29–58; A. Malić, Sisačka Posavina i Banija, in: Geografija SR Hrvatske. Bd. 2: SrediŠnja Hrvatska. Zagreb 1974, 155–178. H. S.
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Baranya (kroat. Baranja). Im SW Ungarns gelegener Verwaltungsbezirk mit 4487 km2 u. 418.642 E (1990), der im S an die Drau u. Kroatien, im O an die Donau, im N an das Komitat Tolna u. im W an das Komitat Somogy grenzt, sowie kroat. Gebietsteil nördlich der Drau nahe Osijek. Dieses anfänglich von Slaven besiedelte Gebiet gehörte nach der →Ungarischen Landnahme bereits im 10. Jh. wie Somogy u. Tolna zum Herrschaftsgebiet der →Arpaden. Namensgebendes Zentrum wurde die wahrscheinlich nach dem ersten Gespan (→Ispán) benannte Burg Barona/Borona/Barana (Erstbeleg um 1150, in der Form B. 1198, aus dem bulg. Personennamen Branislav), später Baranyavár (heute Branjin Vrh in Kroatien), die an der Stelle liegt, an der die wichtige Heeresstraße Buda-Belgrad den Fluss Karasó (Karašica) überbrückt (für die Zeit um 1040 bezeugt als „duldumast“ < slav. dolgo most für lange Brücke). Als Grenzmark wurde die B. auch v. →Széklern u. Kavaren oder Kabaren (Teil der türk. →Chazaren, die sich im Verlauf der ungar. Landnahme den magyar. Stämmen angeschlossen hatten) besiedelt. Parallel zum Ausbau der 1009 gegründeten Diözese Fünfkirchen (Pécs) entwickelte sich allmählich die territ. Organisation des Komitats, deren Gespane ab 1193 in den Urkunden auftreten. Die Umwandlung in ein vom Adel selbstverwaltetes →Komitat fällt in die zweite H. des 13. Jh.s, die erste Komitatsversammlung wird urkundlich für das Jahr 1327 erwähnt. Die B. umfasste im MA auch Gebiete südl. der Drau, die sich v. Valkovár/Vukovar im O über Eszég/Osijek/dt. Esseg bis Rahoca/Orahovica u. dem Fluss Lysniche/Mali Strug im W, u. im S bis zur Save erstreckten, woraus im 13. Jh. die v. den B. abgetrennten Komitate Valkó u.
Baranya
Pozsega (slav. Požega) entstanden sind. Die Toponyme belegen, dass es bereits im MA neben der slav. auch eine dt. u. „wallonische“ (it.-lombardische) Besiedlung gegeben hat. Györffy schätzt für die Arpadenzeit die Zahl der Einwohner auf 62.500 (auf 6.200 km2) in 500 Orten. Die Zahl der steuerzahlenden Porta betrug i. J. 1494/95 15.018 in – nach Csánki – 950 Orten. 1543 fällt mit Pécs (dt. Fünfkirchen, kroat. Pečuh, serb. Pečuj) das Komitat in die Hand der Osmanen, die 1566 schließlich auch als letzte die Festung Szigetvár erobern. Der größte Teil der B. wird zunächst als Mohácser, nach 1566 als Pécser →Sancak verwaltet, der ab 1600 dem →Vilayet v. Nagykanizsa unterstand. Bereits in dieser Epoche setzte eine starke südslav. Einwanderung ein, die nach der Befreiung v. den Türken 1686 um 1690 ihren Höhepunkt erreichte. Im Verlauf des 18. Jh.s wurde aus wirt. Gründen (Ablösung der extensiven Weidewirtschaft durch eine steuerlich profitablere intensive Ackerbauwirtschaft) an vielen Orten die serb. Bev. durch eine planmäßige Ansiedlung v. →Deutschen aus Südwest- u. Mitteldeutschland verdrängt. Nach dem 1. Wk. wurden am 14.11.1918 zwei Drittel des Komitats v. serb. Truppen besetzt. Dem neugegründeten SHS-Königreich (→Jugoslawien) ging es v. a. um den strategisch bedeutsamen Besitz der Kohlegruben rund um Pécs. Die v. Belgrad geplante Annexion scheiterte zunächst am Widerstand der Bevölkerung, der sich in Pécs zu einem 17tägigen Generalstreik (21.2.–13.3.1919) zuspitzte. In der Zeit der ung. →Räterepublik kooperierten sodann die rechtsgerichteten Politiker u. der Klerus mit der vom SHS-Königreich eingesetzten Verwaltung, nach der Einsetzung des Horthy-Regimes sodann die Vertreter der pol. Linken; beide Lager sahen in der Präsenz der serb. Truppen einen willkommenen Schutz vor der jeweils in Budapest herrschenden Regierung. Das pol. Ziel der durch demokr. Wahlen vom 29.–30.8.1920 an die Macht gekommenen Sozialisten unter der Führung v. Béla Linder (ehem. Kriegsminister im Kabinett Károlyi) war die Errichtung einer autonomen Provinz B. unter dem Schutz des Völkerbundes u. des Belgrader Besatzungsregimes. Der am 14.8.1921 auf einer Massenversammlung der Gewerkschaften in Pécs ausgerufenen Baranyaer Serbisch-Ungarischen Republik (Baranyai Szerb-Magyar Köztársaság) schlossen sich tags darauf die Gemeinden Mohács, Siklós, Szigetvár, Barcs u. Baja an. Dies geschah in völliger Unkenntnis der Haltung der Alliierten, auf deren Druck die Truppen des SHS-Königreichs die B. nur wenige Tage später, am 20.–24. August 1921 räumen mussten. Mit den abziehenden Truppen verließen ca. 30.000 in der B. u. im übrigen Ungarn ansässige Serben u. Kroaten zus. mit 2.700 pol. Flüchtlingen das Land. Im Friedensvertrag v. →Trianon wurde Jugoslawien ein Fünftel des Komitats (1.143 km2 v. damals insges. 5.107 km2) mit 33 Dörfern u. 51.321 E zugesprochen, der seit 1945 Teil Kroatiens ist u. heute (zus. mit dem nordöstl. Teil →Slawoniens) zur Gespanschaft Osijek-Baranja gehört. Eine letzte adm. Grenzveränderung erfolgte 1950, als der Kreis v. Szigetvár u. die Gemeinde Felsöszentmárton vom Komitat Somogy an die (ung.) B. angeschlossen wurden. 2001 lebten in der ung. B. 407.448 E, davon 92,2 % Ungarn, in der kroat. B. 42.633 E, davon 55,6 % Kroaten, 20,2 % Serben u. 16,7 % Ungarn. Lit.: D. Taslidžić/D. Taslidžić Herman, Osmanska Baranja (16. i 17. stoljeće na tlu Baranje u osvit osmanskih osvajanja). Beli Manastir 2013; C.H. Gattermann, Die Baranya in den Jahren 1686 bis 1713. Kontinuität und Wandel in einem ungarischen Komitat nach dem Abzug der Türken.
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Batschka
Göttingen 2005; J. Kovacscics, Baranya megyei népességtörténeti lexikon. Budapest 2003; Baranja: Visitationes cannonica. Bd. 1: Baranya, 1729.–1810. Bd. 2: 1829.–1845. Hg. St. Sršan. Osijek 2003/4; Nemzetiségi ügyek dokumentumai Baranyában. Hg. M. Füzes. Bd. 1: 1923-1938; Bd. 2: 19381944. Bd. 3: 1945-1950; Bd. 4: 1950-1990. Pécs 2000-2003; E. Szüts, Az elmerült sziget. A baranyai szerb-magyar köztársaság. Pécs 1991; L.C. Tihany, The Baranya Republic and the Treaty of Trianon, in: Essays on World War I. Total War and Peacemaking. A Case Study on Trianon. Hg. B.K. Király. New York 1982, 297–320; L. Szita, Válogatott dokumentumok a baranyai háromszög politikai történetéhez 1941–1944. Eszék 1980; A. Mitrović, Razgraničenje Jugoslavije sa Madjarskom i Rumunijom 1919–1920. Novi Sad 1975; I. Csekey, Baranya és Pécs bibliográfiája. Könyvek és folyoiratcikkek. Pécs 1964; Gy. Györffy, Baranyavármegye, in: ders., Az Árpad-kori Magyarország történeti földrajza. Bd. 1. Budapest 1963, 247–412; Baranya multja és jelene. 2 Bde. Hg. F. Várady. Pécs 1896/97. G. S.
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Batschka (serb. Bačka; ung. Bácska). Südl. der Linie Baja-Szeged gelegenes Zwischenstromland, begrenzt im W u. S von der Donau, im O von der Theiß; heute bis auf einen kleinen nördl. Streifen, der zum 1950 gebildeten ung. Komitat Bács-Kiskun gehört, der westl. Teil der serb. autonomen Provinz →Vojvodina. Hauptorte: Novi Sad (dt. Neusatz, ung. Újvidék), Hauptstadt des Disktriks Süd-B., Sombor, Hauptstadt des Disktriks Nord-B. u. Sombor, Hauptstadt des Distriks West-B. Als Regionalbegriff wurde B. zum ersten Mal im Friedensvertrag v. →Karlowitz 1699 verwendet. Das neuzeitliche Toponym B. ist hist.-ethymologisch auf die nahe der Donau gelegene, wahrscheinlich nach ihrem ersten Gespan (→Ispán) benannte Burg Bács zurückzuführen, die seit Stefan I. als Mittelpunkt des kgl. Komitats diente. Das ursprünglich slav. besiedelte Gebiet stand bis zur →Ung. Landnahme unter der Herrschaft des bulg. Kaiserreiches. Nach der Eroberung des angrenzenden →Syrmien durch die Ungarn 1072 verlegten sie 1093 den dortigen Bischofssitz nach Bács u. katholisierten es im Verlauf des 12. Jh.s. 1266 wurde es mit dem Erzbistum v. Kalocsa vereinigt. Nördl. des Komitats Bács entstand um die im Tatarensturm 1241 untergegangene Burg Bodrog (Ersterwähnung: 1093, heute Bački MonoŠtor) das gleichnamige Komitat, dessen Grenzen zum Bácser Komitat häufig verändert wurden. In der Zeit der Osmanenherrschaft v. 1526 bis 1690/1699 war die B. Teil des →Sancaks v. Szeged. Nach der Befreiung v. den Osmanen wurde das Komitat Bodrog nicht mehr wieder erneuert, sondern 1729 offiziell aufgehoben. In dieser Epoche wurden seit 1690 die ab dem 16. Jh. vornehmlich serb. besiedelten Grenzgebiete der B. an Donau u. Theiß in die österr. →Militärgrenze eingegliedert. 1750 wurde dieser Abschnitt der Militärgrenze mit Ausnahme des serb. Tschaikistendistrikts um Titel wieder aufgelöst, letzterer erst 1873 in die Zivilverwaltung reinkorporiert. 1802 wurden die Territorien beider Komitate als Komitat Bács-Bodrog vereinigt, das in dieser Form bis 1918 bestand (Fläche: 11.079 km2, Zahl der Einwohner im J. 1910: 632.560), unterbrochen allerdings durch die Einrichtung der Serbischen Woiwodschaft in der Zeit des →Neoabsolutismus 1849–1860 (vgl. →Vojvodina), wobei die Reorganisation der Komitatsverwaltung erst nach dem →Ausgleich v. 1867 erfolgte. Die Auflösung der Militärgrenzeinrichtungen gab den Weg frei für die v. der Ungarischen Hofkammer betriebene Ansiedlungstätigkeit in der B., die v. 1749 bis 1787 andauerte, wo-
Batschka
bei fast das gesamte Gebiet als Theißer Kameralbezirk v. 1751 bis 1791 direkt dieser Behörde unterstellt war. Den merkantilistischen Bestrebungen des aufgeklärten →Absolutismus folgend wurde die eine extensive Weidewirtschaft betreibende südslav. serb.-orth. wie auch kath. (→Bunjewatzen u. →Schokatzen) Bev. zurückgedrängt durch eine breit angelegte, auf Ackerbau konzentrierte Ansiedlung v. aus dem N hereinströmenden Magyaren, Slowaken, Tschechen u. Ruthenen u. von aus dem W angeworbenen frz. Lothringern u. Deutschen. Letztere stammten v. a. aus Südwestdeutschland (Schwaben, Oberrhein, Franken, Pfalz u. Hessen). Die B. wurde somit zu einem Hauptsiedlungsgebiet der nach 1918 als →Donauschwaben bezeichneten Deutschen. Nach 1918 wurden im Friedensvertrag v. →Trianon 86 % der B. an Jugoslawien angeschlossen; bei Ungarn verblieben 1.517 km2, die Truppen des SHS-Staates bis Juli 1921 besetzt hielten. Nach dem Überfall des „Dritten Reiches“ auf Jugoslawien wurde die B. im April 1941 v. Ungarn besetzt u. mit Gesetz XX/1941 vom 31. Dezember in das ung. Staatsgebiet wiedereingegliedert. Serb. Kolonisten, die nach dem 1. Wk. dort angesiedelt worden waren, wurden vertrieben. Im Jan. 1942 fielen mehrere tausend Menschen (überwiegend Serben u. Juden) im Zuge der Partisanenbekämpfung (→Partisanen) einer v. ungar. Einheiten im Raum Novi Sad durchgeführten „Razzia“ zum Opfer. Die dt. Bev. sah sich bei Kriegsende Vergeltungsmaßnahmen ausgesetzt. Diejenigen, die überlebten, konnten anschließend flüchten oder ausreisen (→Volksdeutsche). Die Grenzen v. 1938 (bzw. v. Trianon) wurden durch den Beschluss der Außenministerkonferenz der vier Großmächte vom 7.5.1946 u. endgültig durch den Pariser Frieden vom 10.2.1947 wiederhergestellt. In dem zur Vojvodina gehörige Teil der B. lebten 2002 über 1 Mio. E, davon 54,7 % Serben u. 21,7 % Ungarn. Lit.: Gy. Zoltán, Imenski fond bačkog kmetovskog stanovništva 1522. godine. Novi Sad 2014; Die katholischen Donauschwaben in der Habsburgermonarchie vom Beginn ihrer Ansiedlung bis zum Ausgleich zwischen Österreich und Ungarn: 1683–1867. Im Zeichen von Absolutismus und Aufklärung. Bd. 1,1: Batschka, schwäbische Türkei, Sathmar, Westbanat. Hg. S.P. Teppert. Stuttgart 2013; I. Silling, Nyugat-bácskai magyar nyelvatlasz. Újvidék 2012; Identitet bačkih Hrvata. Zbornik radova. Hg. R. Skenderović. Zagreb 2010; Bačka. Hgg. M. Okuka/D. Zabarah. Klagenfurt 2010 [Anthologie]; Z. Györe, Gradovi i varoši Bačke početkom XIX veka. Novi Sad 2007; G. Hein, Die Einwohner von Neuwerbaß in der Batschka 1785–1944 u. ihre Herkunft. 2 Bde. Sindelfingen 2004/8; M. Petrov, Bačka u revoluciji 1848–1849. Novi Sad 1999; M. Palić, Srbi u Madjarskoj-Ugarskoj do 1918. Novi Sad 1995; A. Sekulić, Bački Hrvati. Zagreb 1991; E.A. Sajti, Délvidék 1941–1944. A magyar kormányok délszláv politikája. Budapest 1987; S. Gavrilović/I. Jakšić, Gradja za privrednu i društvenu istoriju Bačke v XVIII veku. Beograd 1986; J. Mirnić, Nemci u Bačkoj u drugom svetskom ratu. Novi Sad 1974; N.L. Gačeša, Agrarna reforma u Bačkoj 1918–1941. Novi Sad 1968; Gy. Györffy, Bácsvármegye, in: ders., Az Árpad-kori Magyarország történeti földrajza. Bd. 1 Budapest 1963, 201–245; H. Rüdiger, Die Donauschwaben in der südlichen Batschka. Stuttgart 1931; D. Popović, Vojvodina. Bd. 1: Opšti deo. Bačka. Prilozi proučavanju etničkih odnosa od sredine XVI veka do 1921 g. Beograd 1925; G. Dudás, Bács-Bodrog vármegye egyetemes monografiája. 2 Bde. Budapest 1896. G. S.
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Bauern (Frühe Neuzeit)
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Bauern (Frühe Neuzeit). Die rechtliche, soz. u. ökon. Lage war für die B. SOEs sehr unterschiedlich, v. einem einheitlichen Bauerntum kann keine Rede sein. Während sich in den habsb. Bereichen die rechtlichen u. ökon. Verhältnisse in der FNZ verschlechterten (→Bauernaufstände) u. erst mit der →Urbarialregulierung im späten 18. Jh. wieder besserten, verloren die B. der Fürstentümer Moldau u. Walachei gerade erst ihre alten Freiheiten (→Dorf, Dorfgemeinschaft; →Adel). In den osm. Gebieten konnten die B. unter den →Timar-Beziehungen ihre persönliche Freiheit bewahren, die christl. B. jedoch waren den musl. gegenüber benachteiligt (vgl. →Reaya). In Dalmatien herrschte das aus der röm. Zeit stammende, auf Privatverträgen beruhende System der Kolonatsbeziehungen vor (→Kolonen), u. in der →Militärgrenze bildete sich ein freies Wehrbauerntum heraus. Im kroat. Binnenland verloren die bäuerlichen Gemeinden seit dem 12. Jh. ihre alten Freiheiten. Damit stellten sich Agrarbeziehungen nach mitteleurop. Muster ein (→Feudalismus). Durch den in der FNZ einsetzenden Prozess einer Vergrößerung der grundherrlichen Allodialwirtschaften durch Rodungen u. Abstiftungen – hervorgerufen durch den Preissturz für landwirt. Produkte (in den vierziger Jahren des 16. Jh.s) bei gleichbleibendem Grundzins für die Untertanengüter – verlagerte sich der Schwerpunkt der Abgaben v. Geld- auf Robotleistungen. Letztere hatten bis dahin eine kollektive Leistung der Dorfgemeinde gebildet, nun wurden sie zur individuellen Verpflichtung. So vertieften sich die feudalen Beziehungen (Einführung der Schollenpflicht); kroat. Historiker sprechen in diesem Zusammenhang v. einer „Refeudalisierung“ oder „Zweiten Leibeigenschaft“ (a. →Sklaverei, Leibeigenschaft). Im eigentlichen Ungarn entwickelten sich zwei Haupttypen bäuerlicher Untertanenverhältnisse heraus. Im N u. W des Landes, wo Allodialwirtschaften ausgeprägt waren, dominierte die schollenpflichtige Erbuntertanenschaft (perpetua rusticitas). Die Schollenpflicht war erst 1514 nach dem großen Bauernaufstand (→Dózsa-Aufstand) durch den Reichstag eingeführt worden. Weitere Elemente waren: die Veräußerungsmöglichkeit der Untertanen durch den Grundherrn, die Beschränkung der Heiratsfreiheit, der Berufswahl u. der Verfügung über den mobilen Besitz. In der Tiefebene (→Alföld) herrschte bis zur Etablierung grundherrlicher Großbetriebe um die Mitte des 18. Jh.s ein freizügiges Untertanentum (coloni liberae migrationis) vor. Neben der Nichtgebundenheit an die Scholle genossen die B. hier noch weitere Vorzüge: Sie hatten beispielsweise wesentlich weniger an Robot zu leisten oder erbrachten die Nona-Abgabe (den neunten Teil der Ernte) in natura. Ein Großteil der B. SOEs fiel im Bereich des Osm. Reichs in die Sphäre v. sogenannten →Timar-Beziehungen, die – bereits in der zweiten H. des 15. Jh.s etabliert – seit Ende des 16. Jh.s immer stärker vom →Çiftliksystem überlagert wurden. Das Timarsystem war noch am ehesten den Kolonatsbeziehungen vergleichbar, denn die B. waren den Inhabern v. Timaren (→Spahi) rechtlich nicht unterworfen. Die Rechte u. Pflichten der B. wurden in speziellen Verordnungen regional unterschiedlich festgelegt. Generell lässt sich jedoch folgendes festhalten: der B. hatte das ihm zugewiesene Land in permanenter Pacht inne u. konnte es den regionalen Gewohnheiten entsprechend kultivieren; die Robot spielte in diesem System keine Rolle, da der Spahi bloß Nutznießer der bäuerlichen Abgaben war. Diese bestanden in erster Linie im abzuführenden Zehent sowie in der Grundsteuer, die für die christl. B. etwas höher als für muslimische war. Dem Staat gegenüber waren nichtmusl. B. zur Zahlung der →Kopf-
Bauern (Frühe Neuzeit) / Bauern (19./20. Jh.)
steuer u. alle B. zu einer geringen Kleinviehsteuer verpflichtet. Dazu konnten noch, vorläufig nur in Kriegszeiten eingehobene, außerordentliche Steuern in Naturalien kommen. Insges. kommen Historiker zur Ansicht, dass im 16. Jh. die Lage der B. im Osm. Reich, verglichen mit jener der europ., keineswegs nachteilig gewesen sei. Sie waren keine Leibeigenen (→Sklaverei, Leibeigenschaft), sondern rechtlich gesehen freie Menschen, konnten mit geringen Einschränkungen ihre Scholle verlassen. Auf der anderen Seite konnte ihnen Grund u. Boden nur genommen werden, wenn sie diesen nicht kultivierten. Ausgenommen v. diesen Regelungen u. v. den meisten Steuerleistungen befreit waren „vojnuci“ (Vojnuken: B., die militärische Dienste leisteten, hierzu a. →Osm. Reich), „dervendži“ (→Derbenci), „korudži“ (Waldwächter), „martolozi“ (→ Armatolen/Martolosen) u. ähnliche spezielle Gruppen v. Bauern. Lit. (a. →Urbarialregulierung): J.M. Bak, Servitude in the Medieval Kingdom of Hungary: A Sketchy Outline, in: Forms of Servitude in Northern and Central Europe: Decline, Resistance, and Expansion. Hgg. P. Friedmann/M. Boruin. Turnhout 2005, 387–400; S. Faroqhi, Ottoman peasants and rural life: the historiography of the twentieth century, Archivum Ottomanicum 18 (2000), 153–182; F. Adanir, The Ottoman Peasantries c. 1360 – c.1860, in: The Peasantries of Europe from the Fourteenth to the Eighteenth Centuries. Hg. T. Scott. London/New York 1998, 268–310; P. Gunst, Agrarian Development and Social Change in Eastern Europe, 14th–19th Centuries. Aldershot 1996; H. Sundhaussen, Der Wandel in der osteuropäischen Agrarverfassung während der frühen Neuzeit: Ein Beitrag zur Divergenz der Entwicklungswege von Ost- u. Westeuropa, SOF 49 (1990), 15–56; F. Adanir, Tradition and Rural Change in Southeastern Europe During Ottoman Rule, in: The Origins of Backwardness in Eastern Europe. Hg. D. Chirot. Berkeley 1989; M. Prodan, Iobăgia în Transilvania în secolul al XVII-lea. 2 Bde. Bucureşti 1986/87; S. Vukosavljević, Istorija seljačkog društva. 3 Bde. Beograd 1957–1982; B. McGowan, Economic Life in Ottoman Europe. Taxation, Trade and the Struggle for Land, 1600–1800. Cambridge 1981; J. Adamček, Agrarni odnosi u Hrvatskoj od sredine XV do kraja XVII stoljeća. Zagreb 1980; S. Faroqhi, Rural Society in Anatolia and in the Balkans During the Sixteenth Century, Turcica 9 (1977), 161–195; 11 (1979), 103–153; Aus der Geschichte der ostmitteleuropäischen Bauernbewegungen im 16.–17. Jh. Hg. G. Heckenast. Budapest 1977; L. Makkai, Neo-Serfdom: Its Origin and Nature in East Central Europe, Slavic Review 34 (1975), 225–238; E. Grozdanova, Bălgarskata selska obština prez XV– XVIII vek = La commune rurale bulgare aux XV–XVIII s. Sofija 1979; Zs.P. Pach, Die ungarische Agrarentwicklung im 16.–17. Jh. Abbiegung vom westeuropäischen Entwicklungsgang. Budapest 1964; L. Revesz, Der osteuropäische Bauer. Seine Rechtslage im 17. u. 18. Jh. Unter besonderer Berücksichtigung Ungarns. Bern 1964; D. Prodan, Die Leibeigenschaft in Siebenbürgen vom 16. bis zum 18. Jh., SOF 33 (1964), 62–84; D. Roller, Agrarno-proizvodni odnosi na području Dubrovačke republike od XIII. do XV. stoljeća. Zagreb 1955. K. K.
Bauern (19./20. Jh.). Die Bauernschaft SOEs durchlebte während des 19./20. Jh.s einschneidende Veränderungen, in deren Verlauf die außerordentliche Vielfalt der ererbten feudalen oder feudalähnlichen Agrarverfassungen schrittweise zugunsten einer frühkapitalistischen Wirtschaftsordnung beseitigt wurde. In den meisten Ländern der Region musste
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Bauern (19./20. Jh.)
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der agrarische Frühkapitalismus nach dem Ende des 2. Wk.s einer sozialist. Agrarverfassung weichen. Zu den wichtigsten Wendepunkten der Umgestaltungsprozesse gehörten 1. das Ende der osm. Herrschaft u. die Aufhebung der vorherigen Agrarverfassung in den Balkanregionen zu unterschiedlichen Zeitpunkten während des 19. (u. beginnenden 20.) Jh.s, 2. die →Bauernbefreiung in den Ländern der Habsburgermonarchie während der →Revolution von 1848 u. die Sonderentwicklung in den rum. Fürstentümern nach der Agrarreform von 1864 (→Rumänien), 3. die →Bodenreformen nach dem 1. u. 2. Wk. sowie 4. die Kollektivierung in den sozialist. Ländern während der 50er u. 60er Jahre bis zum Umbruch Ende 1989 (→Bodenreformen). Die Entwicklung während des 19. u. der ersten Jahrzehnte des 20. Jh.s zielte auf die Beseitigung feudaler Barrieren, die volle Kommerzialisierung der Landwirtschaft u. die Entstehung eines freien, in die Marktwirtschaft integrierten Bauernstands ab. Aus vormals erbuntertänigen B., Teilpächtern, →Kmeten, →Çiftlikarbeitern u. →Kolonen sollten eigenverantwortlich wirtschaftende B. (alternativ Landarbeiter oder billige Arbeitskräfte für die Industrie) werden. Im Zuge dieses Prozesses, der v. einer „demographischen Revolution“, der Auflösung der Großfamilien u. ihres Gemeinschaftsbesitzes (→Großfamilien) sowie der Durchsetzung des Realerbrechts begleitet wurde, nahm die soz. Differenzierung innerhalb der Landbev. zu. Aber nur in Ungarn kam es zur Entstehung leistungsfähiger Großbetriebe. In den Balkanländern blieb die Expropriation der B. bzw. die „primäre Kapitalakkumulation“ auf dem Lande (Karl Marx) – entgegen den Behauptungen der marxist. Historiographie – im Ansatz stecken. Dies lag z. T. an den Gesetzen zum Schutz der bäuerl. Heimstätte (Serbien, Bulgarien; →Bodenrecht), zum anderen Teil an der Schwäche des landwirt. Unternehmertums. Die zahlreichen Wucherer (Balkanländer) u. Pächter (Rumänien) saugten zwar die B. aus, trugen jedoch nicht zur Modernisierung der Landwirtschaft bei. Einer verhältnismäßig kleinen Gruppe v. erfolgreichen Großbauern stand eine gegen Ende des 19. Jh.s rasch wachsende Zahl pauperisierter Parzellenbauern (in den Balkanländern) oder Tagelöhner (v. a. in Ungarn) gegenüber. Die trad. familiären Organisationsformen u. die Dorfgemeinschaften verloren ihre vormalige Bedeutung, so dass sich die bäuerliche Lebenswelt grundlegend veränderte. Die rasche Transformation des institutionellen Umfelds eilte dem mentalen Wandel voraus, zumal die →Alphabetisierung der Landbev. (v. a. in den Balkanländern) sehr schleppend verlief. Nur schwer konnten sich die B. auf die neuen Herausforderungen – Marktwirtschaft, Bevölkerungswachstum, Funktionsverlust der trad. bäuerlichen Institutionen – einstellen. Die Folge war eine weitverbreitete Unzufriedenheit (die sich vor dem 1. Wk. in verschiedenen →Bauernaufständen u. 1918 in weitverbreiteter sozialer Unrast artikulierte), eine fortschreitende Orientierungslosigkeit u. wachsende Existenzängste. Von wenigen Ausnahmen abgesehen kümmerten sich die pol. Eliten kaum um die konkreten Belange der Landbev. bzw. rafften sich nur in Extremsituationen (z. B. am Ende des 1. Wk.s, →Bodenreformen, oder während der →Weltwirtschaftskrise) zu Unterstützungsmaßnahmen auf. Die Selbsthilfeorganisationen der Bauern (in Gestalt der →Genossenschaften vom Raiffeisen-Typ) nahmen zwar in den ersten Jahrzehnten des 20. Jh.s rasch zu, konnten jedoch die angestauten Probleme (Kapitalarmut, Absatzprobleme, rückständige Produktionsmethoden etc.) nicht mehr meistern.
Bauern (19./20. Jh.)
Noch zu Beginn des 20. Jh.s bestanden 50–60 % der ung. u. 80–85 % der rum., serb. u. bulg. Bev. aus Bauern. In Albanien war ihr Anteil höher, in Griechenland etwas niedriger (ca. 75 % der Bev.). Der durchschnittliche balkanische Bauer der Zwischenkriegszeit war ein Kleinlandwirt, der seine Parzellen mit den extensiven Methoden der Dreifelderwirtschaft (oft eingebunden in den Flurzwang der →Dorfgemeinschaft) zum Zweck der familiären Bedarfsdeckung bewirtschaftete. Von einer betriebswirt. Rationalisierung u. Kapitalisierung konnte zumeist keine Rede sein. Die Geräteausstattung war extrem mangelhaft, die Marktbeziehungen blieben schwach (so dass nur sehr bedingt v. einer kapitalistischen Landwirtschaft gesprochen werden kann). Richtschnur des Arbeitseinsatzes war die Befriedigung der durch Herkommen u. Brauch definierten (bescheidenen) Bedürfnisse. Im Falle v. Missernten reichte die eigene Produktion oft nicht zur Subsistenzsicherung aus. Die Rückzahlung v. Schulden (als Entschädigung für zugeteiltes Land oder zur Abzahlung v. Saatgut u.ä.) war unter diesen Umständen kaum möglich. Die geringe Produktivität u. die extensive Wirtschaftsweise der Kleinbetriebe ging mit einem dramatisch steigenden Überschuss an Arbeitskräften Hand in Hand. Nach unterschiedlichen Berechnungen waren in der soe. Landwirtschaft Anfang der 30er Jahre v. insges. rd. 36 Mio. Menschen, die v. der Agrarwirtschaft lebten, zw. 10 u. 18 Mio. „überflüssig“. Gemäß der ungünstigsten Berechnungsmethode belief sich der Arbeitskräfteüberschuss in Albanien auf fast 78 %, in Jugoslawien auf 62 %, in Bulgarien u. Rumänien auf 51–53 % sowie in Ungarn auf über 22 % der Landbev. (→Bevölkerung, 3.: Über-, Untervölkerung) . Die im 19. Jh. eingeleitete Umstrukturierung der bäuerlichen Lebenswelt endete damit in einer Sackgasse. In den Jahrzehnten nach dem 2. Wk. änderte sich die Lage der Landbev. abermals dramatisch. Infolge der forcierten →Industrialisierung in den sozialist. Ländern wanderte die marginalisierte bäuerliche Bev. scharenweise in die Industrie (u. Städte) ab. Zwischen 1950 u. 1970 verließen in Bulgarien 1,4 Mio., in Ungarn 822.000 u. in Rumänien 1,3 Mio. Menschen die Landwirtschaft. In Ungarn sank der Anteil der Agrar- an der Gesamtbev. bis Anfang der 80er Jahre auf 21 %, in Rumänien auf 29 % u. in Bulgarien auf 37 %. In Jugoslawien verringerte sich der Anteil v. 61 % (1953) auf 20 % (1981). Ähnlich verlief die Entwicklung im nichtsozialist. Griechenland. Nur in Albanien nahm die ländliche Bev. deutlich langsamer ab. Infolge der Landflucht kam es vielerorts zu einer Überalterung der zurückgebliebenen Dorfbevölkerung. Mit der Kollektivierungskampagne in den sozialist. Ländern (mit Ausnahme Jugoslawiens, wo sie Anfang 1953 nach aktivem u. passivem Widerstand sowie Missernten abgebrochen wurde) während der 50er u. 60er Jahre wurde die wirt. u. soz. Schicht der verbliebenen B. aufgelöst u. durch spezialisierte Arbeiter in landwirt. Produktionsgenossenschaften ersetzt. In weiten Teilen SOEs konnte seither von B. nur noch in einem stark eingeschränkten Sinn gesprochen werden. Die in unterschiedlichen Formen verlaufene Reprivatisierung des Bodens nach 1989 hat nur in Ausnahmefällen zu einer Revitalisierung des ländlichen Raums geführt. Lit. (a. →Bauernaufstände [19./20. Jh.]; →Bauernbefreiung; →Bodenreformen; →Bodenrecht; →Dorf, Dorfgemeinschaft): R. Daskalov, Agrarian Ideologies and Peasant Movements in the Balkans, in: Entangled Histories of the Balkans. Bd. 2. Hgg. ders./T. Marinov. Leiden 2014, 281–353; The Collectivization of Agriculture in Communist Eastern Europe. Comparisons and
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Bauernaufstände (Frühe Neuzeit)
Entanglements. Hgg. A. Bauerkämper/C. Iordachi. Budapest 2014; C. Micu, From Peasants to Farmers? Agrarian reforms and modernisation in twentieth century Romania: A case study: Bordei Verde Commune in Brăila County. Frankfurt/M. u. a. 2012; G. Kligman/K. Verdery, Peasants Under Siege: the collectivization of Romanian agriculture, 1949–1962. Princeton/NJ u. a. 2011; Bauerngesellschaften auf dem Weg in die Moderne. Agrarismus in Ostmitteleuropa [u. SOE] 1880 bis 1960. Hgg. H. Schultz/A. Harre. Wiesbaden 2010; Agrarreformen u. ethnodemographische Veränderungen. Südosteuropa vom ausgehenden 18. Jh. bis in die Gegenwart. Hg. K.-P. Krauss. Stuttgart 2009; Transforming Peasants, Property and Power. The collectivization of agriculture in Romania, 1949–1962. Hgg. C. Iordachi/D. Dobrincu. Budapest 2009; D. Müller, Agrarpopulismus in Rumänien. St. Augustin 2003; A. Saurer, Modernisierung u. Tradition. Das rumänische Dorf 1918–1989. ebda. 2003; P. Gunst, Hungarian agrarian society from the emancipation of Serfs (1848) to the re-privatization of land. Boulder/Colo. 1998; V. Živkova, Bălgarskoto selo 1878–1944 (sociologičeski analiz). Sofija 1993; Št. Popović, Seljaštvo na vlastelinstvima u Hrvatskoj 1848. Sastav seljačkog posjeda na hrvatsko-slavonskim vlastelinskim imanjima u doba ukidanja feudalizma. Zagreb 1993; P. Gunst, Die bäuerliche Gesellschaft Ungarns in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen. Budapest 1991; S. Obad, Dalmatinsko selo kroz prošlosti. Od sredine 18. stoljeća do prvog svjetskog rata. Split 1990; H. Sundhaussen, Die verpaßte Agrarrevolution. Aspekte der Entwicklungsblockade in den Balkanländern vor 1945, in: Industrialisierung u. gesellschaftlicher Wandel in Südosteuropa. Hg. R. Schönfeld. München 1989, 45–60; D. Djordjević, The Balkan Peasantry, 1740–1914: A Synthesis, in: Essays on War and Society in East Central Europe, 1740–1920. Hgg. St. Fischer-Galati/B.K. Király. New York 1987, 193–222; V. Živkova, Bălgarskoto selo prez vekovete. Sofija 1985; K. Verdery, Transylvanian Villagers: Three Centuries of Political, Economic, and Ethnic Change. Berkeley/Ca. 1983; The Modernization of Agriculture. Rural Transformation in Hungary, 1848–1875. Hg. J. Held. New York 1980; H.H. Stahl, Traditional Romanian Village Communities. The Transition from the Communal to the Capitalist Mode of Production in the Danube Region. Cambridge u. a. 1980; P. Gunst, Development of agriculture in Hungary from 1848 to the First World War, in: Animal Husbandry in Hungary in the 19th–20th Centuries. Hgg. L. Gaál/P. Gunst. Budapest 1977, 11–63; N.P. Mouzelis, Greek and Bulgarian Peasants: Aspects of their Sociopolitical Situation During the Interwar Period, Comparative Studies in Society and History 18 (1976), 85–105; B. Stojsavljević, Povijest sela. Hrvatska – Slavonija – Dalmacija 1848–1918. Zagreb 1973; Ders., Prodiranje kapitalizma u selo 1919–1929. ebd. 1965; Ders., Seljaštvo Jugoslavije 1918–1941. ebd. 1952; I.T. Sanders, Rainbow in the Rock: The People of Rural Greece. Cambridge/MA 1962; J.M. Halpern, A Serbian Village. New York 1958; K. Kozucharov, Selskoto stopanstvo v Bălgarija pri kapitalizma. Sofija 1959; N. Vučo, Položaj seljaštva. 1. Ekspropriacija od zemlje u 19. veku. Beograd 1955; S. Vukosavljević, Istorija seljačkog društva. 1. Organizovanje seljačke zemljišne svojine. ebd. 1953; W.E. Moore, Economic Demography of Eastern and Southern Europe. Geneva 1945. H. S.
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Bauernaufstände (Frühe Neuzeit). B., die jenen in Zentraleuropa an Intensität u. Massenbeteiligung vergleichbar waren, sind nur für das nichtosm. SOE festzustellen. Die offenbar vergleichbar günstige ökon. Lage der Bauern sowie die frühneuzeitlich straffe osmanische
Bauernaufstände (Frühe Neuzeit)
Verwaltung waren die wahrscheinlichen Ursachen dafür. Bäuerliche Widerstandsformen im osm. Bereich manifestierten sich in der charakteristischen Form v. flexiblen Haidukenbanden (→Haiduken). Außerhalb dieses Gebiets sind v. a. für den Verlauf des 16. Jh.s massive Bauernaufstände sowohl für die slowen. als auch für die kroat. u. ung. Gebiete festzustellen. Die Ursachen sind jenen für die großen Bauernaufstände Zentraleuropas vergleichbar: Unzufriedenheit mit der Höhe v. Abgaben u. Robotleistungen, mit den weltlichen u. kirchl. Grundherren sowie mit den bestehenden Untertanenverhältnissen im Allgemeinen. Der erste große B. war der sog. →Dózsa-Aufstand 1514. Den pol. Kontext bildete ein vom damaligen ung. Erzbischof Tamás Bakócz inspiriertet u. vom Papst genehmigter Kreuzzug gegen das in Richtung der ung. Gebiete vordringende osm. Heer. Im folgenden Jahr (1515) brach in den slowen. Gebieten →Innerösterreichs ein gewaltiger B. aus, an dem sich rund 80.000 Aufständische beteiligt haben dürften („Windischer Bauernkrieg“). Der Aufstand begann Mitte Mai auf Grundherrschaften in Krain (zw. Vrhnika u. Laibach sowie im Bereich Bled-Bohinj) – am 17. Mai wurde Mehovo bei Novo Mesto eingenommen – u. breitete sich rasch auf die Untersteiermark u. Südkärnten aus. In der zweiten Junihälfte schlossen sich auch kleinere Städte den aufständischen Bauern an, die das Ziel der Beseitigung des feudalen Systems u. die Errichtung eines „Bauernstaats“ verfolgten. Seit Ende Juni/Anfang Juli schaltete sich jedoch das ksl. Heer auf Seiten der Grundherrn ein. In der ersten Julihälfte musste das Bauernheer bei Cilli/Celje eine entscheidende Niederlage hinnehmen, u. gegen Ende des Monats war der Aufstand niedergeschlagen. Der dritte große B. des 16. Jh.s war jener in den kroat. u. slowen. Gebieten i. J. 1573 („Windischer Bauernaufstand v. 1573“). Den Ausgangspunkt bildeten die kroat. Grundherrschaften Stubica u. Susjedgrad; ein Aufstandsrat wurde eingesetzt u. drei bäuerliche Rebellenarmeen aufgestellt. Auch dieses Mal war die Errichtung eines „Bauernstaats“ (mit der Hauptstadt Zagreb) das Ziel. Unter der Führung v. Matija Gubec, Ilija Gregorić u. Ivan Pasanec konnte seit Ende Januar eine Reihe v. Orten erobert werden; der Aufstand breitete sich rasch in die Untersteiermark u. in angrenzende Teile von Unterkrain aus. Allerdings wurde bereits am 6. Februar die bäuerliche Hauptarmee besiegt. Zwischen 12.000 u. 16.000 Bauern hatten am Aufstand teilgenommen, 4.000 bis 5.000 kamen im Verlauf der Kampfhandlungen ums Leben. Alle drei B. (1514; 1515; 1573) endeten mit der öffentlichen Hinrichtung der Anführer u. einem zumindest vorübergehenden erhöhten Abgabendruck. Diese großen B. des 16. Jh.s wurden v. unzähligen kleinen regionalen bzw. lokalen Aufständen, die lediglich die Verbesserung v. Missständen auf einzelnen Grundherrschaften zum Ziel hatten, begleitet. Einzelne größere Aufstände fanden in SOE auch zuvor oder danach statt: Zu erwähnen wären der Aufstand im slowen. Bereich Kärntens i. J. 1478, die sog. Şeimani-Revolte in den Fürstentümern Moldau u. Walachei (1655) u. der →Horea-Aufstand in Siebenbürgen (1784). Spezifische Ursachen hatten die kleineren kroat. B. im Verlauf des 17. Jh.s: Nach den Verwüstungen im Zuge der Auseinandersetzungen mit den osm. Angriffstruppen (→Militärgrenze) während des 15./16. Jh.s wurden im nördl. Kroatien, in dem die Grundherrschaften unter der Jurisdiktionsgewalt des kroat. Adels verblieben, Neuansiedlungen v. bäuerlichen Kolonisten (→Kolonisation) notwendig. Um Ansiedler zu gewinnen, versprachen die Grundherren – der größte war das Zagreber Kapitol/Bistumskapitel; →Zagreb – zeitlich
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begrenzte Abgabenfreiheiten. Nach beendeter Kolonisation bemühten sich die Grundherren, die Stellung der Siedler derjenigen der Untertanen des Hinterlandes anzugleichen. Die Folge war eine Reihe von B. im Verlauf des 17. Jh.s auf den seit Beginn des Jh.s wiederbesiedelten kroat. Grundherrschaften (v. a. auf der Grundherrschaft Sisak u. auf Grundherrschaften der Posavina). Ziele: Widerstand gegen die Erhöhung feudaler Lasten u. Wiederherstellung des „alten Rechts“. Im 18. Jh. führte die behördliche Aufarbeitung eines größeren Aufstands rund um den kroat. Ort Križevac zu spürbaren Änderungen innerhalb der habsb. Verwaltung u. in der Behandlung der Stände im Vorfeld der theresianisch-josephischen Reformen (→Josephinismus). Lit.: I. Horbec, U pozadini seljačke bune 1755. godine: prijedlozi za bolju hrvatsku upravu, Povijesni prilozi 44 (2013), 203–233; J. Adamček, Seljačka buna 1573. Zagreb o.J.; ders., Bune i otpori. Seljačke bune u Hrvatskoj u XVII stoljeću. ebd. 1986; N. Škarica, Socijalno pravni aspekti seljačke bune Matije Gupca s osvrtom na feudalne odnose kod nas i neke socijalno pobunjeničke pokrete u XVI-om stoljeću. Zagreb 1986; J. Adamček, Seljačke bune u Hrvatskoj u XVII stoljeću. Gradja. ebd. 1985; J.M. Bak, Delinquent Lords--Abandoned Serfs: On War and Society in 15th-16th- Century East Central Europe, in: Society in Change. Studies in Honour of Béla Király. Boulder/CO 1983, 291–304; D. Djordjević/S. Fischer-Galati, The Balkan Revolutionary Tradition. New York 1981; Zs.P. Pach, Der Bauernaufstand vom Jahre 1514 u. die „zweite Leigbeigenschaft“, in: Aus der Geschichte der ostmitteleuropäischen Bauernbewegungen im 16.–17. Jh. Hg. G. Heckenast. Budapest 1977, 275–301; B. Grafenauer, Boj za staro pravdo v 15. in 16. stoljetju na Slovenskem. Slovenski upor 1515 in hrvaško-slovenski kmečki upor 1572/73 s posebnim obzirom na razvoj programa slovenskih puntarjev med 1473 in 1573. Ljubljana 1974; W. Schulze, Der Windische Bauernaufstand von 1573. Bauernaufstand u. feudale Herrschaft im späten 16. Jh., SOF 33 (1974), 15–61; N. Klaić, Seljačke bune u Hrvatskoj u XVII st., Historijski zbornik 13 (1960), 119–154; 14 (1961), 89–118; 15 (1962), 183–216; St. Antoljak, Bune pučana i seljaka u Hrvatskoj. Zagreb 1956; F. Čulinović, Seljačke bune u Hrvatskoj. ebd. 1951. K. K.
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Bauernaufstände (19./20. Jh.). Im Verlauf des 19. Jh.s kommt es in den europ. Provinzen des Osm. Reiches angesichts der sich dramatisch verschlechternden Situation der →Bauern zu einer allmählichen Verschmelzung von B. u. (nationalen)→ Befreiungskriegen. Letztere wiesen in ihrer Anfangsphase noch viele Elemente bäuerlicher Protestbewegungen (gegen Abgabendruck oder Verletzungen des „guten alten Rechts“ (z. B. gegen Eingriffe in die Selbstverwaltung des →Dorfes) auf. Dies gilt für den Beginn der Unruhen in Serbien 1804 ebenso wie für die Rebellionen in Bosnien-Herzegowina (1857/58 u. 1861/62), die schließlich im Sommer 1875 nach einer vorangegangenen Missernte die sog. Große →Orientalische Krise auslösten. Auch in den neuen, postosm. Nationalstaaten wehrten sich die Bauern − oft angestachelt u. geführt von kons. lokalen Honoratioren − gegen die Durchsetzung des staatl. Gewaltmonopols u. die Steuerpflicht (→Nationalstaatenbildung). Ihre Ziele waren i.d.R. rückwärtsgewandt (Wiederherstellung eines früheren, vermeintlich oder tatsächlich besseren Zustands). Das Aufbegehren bäuerlicher, patriarchalisch strukturierter Gemeinden gegen die v. den nationalen Regierungen beanspruchte Allzuständigkeit des Staates zog sich in Gestalt lokaler bäuerlicher
Bauernaufstände (19./20. Jh.)
Revolten oft über mehrere Jahrzehnte hin. Im ostserbischenTimok-Gebiet (→Timok) kam es Mitte Okt. 1883 zu einem der letzten „klassischen“ B. (Timočka buna), der durch die Weigerung der wehrdienstfähigen Männer zur Ablieferung ihrer persönlichen Waffen ausgelöst wurde. Der Protest richtete sich gegen das Gewaltmonopol des Staates u. die rasch fortschreitende Bürokratisierung. Mit Übernahme der Aufstandsführung durch Mitglieder der in den vorangegangenen Wahlen siegreichen, aber durch Kg. Milan Obrenović v. der Regierungsbildung ausgeschlossenen Radikalen Partei (→Parteien, Jugoslawien) weitete sich der Aufstand aus u. konnte erst Mitte November 1883 v. königstreuen Truppen niedergeschlagen werden. Auch der junge alb. Staat sah sich schon kurz nach seiner Proklamation mit bäuerlicher Ablehnung konfrontiert. Im Mai 1914 brach ein Aufstand musl. Bauern in Mittelalbanien gegen den Fürsten Wilhelm zu Wied aus. In dieser Bewegung, nach ihrem Führer „Haxhi-Qamil-Aufstand“ benannt, verband sich soz. u. relig. Protest der Bauern mit der rückwärtsgewandten Option einer weitgehenden Rückkehr in das Osm. Reich. Der Aufstand trug zum Sturz des Fürsten bei u. wurde schließlich vom ursprünglichen Verbündeten der Aufständischen, Esat Toptani, mit Unterstützung serb. Truppen im Sommer 1915 niedergeschlagen. Anders als die Erhebungen in Serbien u. Albanien war die Unrast unter der rum. u. thessalischen Landbev. „nur“ sozioökon. bedingt. Die wirtschaftlich u. soz. verheerende Situation eines zunehmend großen Teils der rum. Bauern nach der →Bauernbefreiung v. 1864 führte bereits Ende der 80er Jahren zu Unruhen u. mündete im März 1907, ausgehend von gewaltsamen, vornehmlich gegen Juden gerichteten Ausschreitungen in der Nordmoldau (→Antisemitismus), in einen landesweiten B. Großgrundbesitzer u. Pächter (unter ihnen viele Juden), die das Land an die Bauern weiter verpachteten, wurden zum Angriffsziel der soz. Wut der Bauern. Dieser größte B. in SOE im 20. Jh. wurde durch das Militär blutig erstickt. Tausende v. Bauern (ihre genaue Zahl ist umstritten) wurden hingerichtet. Die im März 1910 in →Thessalien aufgebrochene „Agrarrevolution“, mit der die landlosen Pächter auf den →Çifliks gegen die ausgebliebene Aufteilung des vormals osm. Großgrundbesitzes u. die rücksichtslosen Praktiken der Eigentümer aufbegehrten, hatte nur regionalen Charakter u. wurde durch Einsatz des Militärs beendet. Gegen Zwangsablieferungen u. die kommunist. Kollektivierungen (→Bodenreformen) richteten sich verschiedene kleinere B., mit der „Cazinska buna “ in Nordwestbosnien (1950) als auffälligstem Beipiel. Quellen u. Lit.: M.D. Abazović, Državna bezbjednost NR Bosne i Hercegovine i Cazinska buna 1950. Činjenice i kontroverze. Sarajevo 2009; V. Kržišnik-Bukić, Cazinska buna 1950. Sarajevo 1993; M. Badea, The Great Romanian Peasant Revolt of 1907. Bucarest 1991; Timočka buna 1883. Gradja. 7 Bde. Hg. Arhiv Srbije. Beograd 1954–1989; A. Radenić, Radikalna stranka i Timočka buna. Istorija Radikalne stranke – Doba narodnjaštva. 2 Bde. Zaječar 1988; Timočka buna 1883. i njen društveno-politički značaj za Srbiju XIX veka. Zbornik radova. Hg. V. Čubrilović. Beograd 1986; D. Djordjević, The 1883 Peasant Uprising in Serbia, Balkan Studies 20 (1979), 235–255; K. Scheerer, Die rumänischen Bauernaufstände vom Frühjahr 1907. Bern 1974; Ph.G. Eidelberg, The Great Rumanian Peasant Revolt of 1907: Origins of a modern jacquerie. Leiden 1974; Documente privind marea răscoală a ţăranilor din 1907. 5 Bde. Bucureşti 1977–1987. H. S.
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Bauernbefreiung
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Bauernbefreiung. Unter B. versteht man die Summe aller Maßnahmen zur Aufhebung der bäuerlichen Untertänigkeitsverhältnisse in den spätfeudalen europ. Gesellschaften, insbes. die Beseitigung der persönlichen Unfreiheit der →Bauern u. die Ablösung der damit verbundenen persönlichen u. dinglichen Lasten. Dieser sich oft über mehrere Jahrzehnte hinweg erstreckende Prozess kam in Westeuropa mit der Frz. Revolution, in Mittel- u. Osteuropa dagegen erst im Verlauf des 19. Jh.s zum Abschluss. Die v. physiokratischen, naturrechtlichen u. aufklärerischen Ideen (→Aufklärung) angestoßene B. diente dem Ziel, die feudalen Barrieren auf dem Lande niederzureißen u. den Agrarsektor in das System freier Konkurrenzwirtschaft einzugliedern. Die aufgehobenen Bindungen der abhängigen Landbev. bezogen sich 1. auf die Person des Bauern (Aufhebung der Erbuntertänigkeit u. der daraus abgeleiteten Verpflichtungen, wie Schollenbindung, unentgeltliche Arbeitsleistung für den Herrn, Gesindezwangsdienst u. ä.), 2. auf die Verfügungsgewalt über den Boden (Umwandlung der verschiedenen Besitz- oder Nutzrechte in Eigentum) sowie 3. auf hoheitliche Rechte (Abschaffung der gutsherrlichen Gerichtsbarkeit u. Polizeigewalt). Für diesen komplexen Prozess des rechtlichen, ökon. u. soz. Umbaus der Agrarverfassung hat sich in der Forschung seit den Untersuchungen v. Georg Friedrich Knapp (1887) der Begriff B. eingebürgert. Die Zeitgenossen sprachen v. „Regulierung“, „Grundentlastung“ oder „Ablösung“. In den meisten Ländern oder Provinzen der →Habsburgermonarchie herrschte bis zur B. das System der Erbuntertänigkeit vor, für das im Kgr. Ungarn auch der Terminus perpetua rusticitas verwendet wurde (→Sklaverei, Leibeigenschaft). Die ersten staatl. Maßnahmen zur Regulierung des Verhältnisses zw. Bauern u. ständischen Grundherren reichten in die zweite H. des 17. Jh.s zurück u. dienten v. a. fiskalischen Zwecken (Schutz des besteuerbaren Bauernlandes vor dem Zugriff der Grundherren, d. h. Verhinderung des Bauernlegens). Diese Maßnahmen erwiesen sich als weitgehend wirkungslos. Auch die Verordnungen aus der ersten H. des 18. Jh.s, die die Bauern vor den gröbsten Unterdrückungen bewahren sollten, führten zu keinen spürbaren Verbesserungen. Erst in der Epoche des aufgeklärten →Absolutismus – nach der Thronbesteigung Maria Theresias – begann die eigentliche Reform der überlebten Agrarverfassung. Die Einziehung bäuerlichen Landes wurde endgültig verboten u. die adeligen Ländereien der Steuerpflicht unterworfen. In den Robotpatenten (ab 1772) wurden die Abgaben u. sonstigen Verpflichtungen der Bauern gegenüber den Herren (v. a. die Arbeitsverpflichtung: Robot, Fron) genau fixiert. In den Ländern der ung. Krone trat an die Stelle des Robotpatents das Urbarium v. 1776 (→Urbar[ialregulierung]). Weitergehende Vorschläge zur Reformierung der Agrarverfassung scheiterten am Widerstand des Adels u. konnten nur auf den Krongütern zur Anwendung gebracht werden. Alles in allem hatte die Agrargesetzgebung Maria Theresias mehr regulierenden als revolutionierenden Charakter. Dies änderte sich grundlegend unter Joseph II. (→Josephinismus). In den zehn Jahren seiner Alleinherrschaft (1780–90) nahm er einen radikalen Umbau der ländlichen Verfassung in Angriff. Durch das Strafpatent v. 1781 wurden die gerichtlichen Befugnisse der Grundherren über die Bauern eingeschränkt. Das Leibeigenschafts-Aufhebungspatent vom 1.11.1781 beseitigte die persönliche Unfreiheit der Bauern (die Einschränkung des Eheschließungsrechts, die Bindung an die Scholle, die Einschränkung der Berufsfreiheit, den Gesindezwangsdienst etc.). Die Bestimmungen dieses Gesetzes wurden 1782 auf Galizien, 1783 auf Siebenbür-
Bauernbefreiung
gen u. 1785 auf Ungarn u. Kroatien ausgedehnt. Gleichzeitig erfolgte eine Verbesserung der bäuerlichen Grundbesitzrechte. Die Urbarialregulierung vom 10.2.1789 sah schließlich die Zwangsumwandlung aller herrschaftlichen Ansprüche an die Bauern in eine einheitliche Geldleistung (zu einem herabgesetzten Wert) vor. Das Gesetz stieß überall auf den erbitterten Widerstand der Herrschaften u. fand auch bei den unvorbereiteten Bauern wenig Verständnis. Kurz vor seinem Tod musste Joseph II. alle seine Reformen in Ungarn (mit Ausnahme des Leibeigenschafts-Aufhebungspatents) zurücknehmen. Die Frz. Revolution u. die napoleonischen Kriege blockierten anschließend alle Modernisierungsmaßnahmen (auch in den österr. Erbländern) u. machten nach dem Wiener Kongress einem erzkonservativen Beharrungswillen Platz. Die B. wurde daher zu einem der wichtigsten Programmpunkte der →Revolution v. 1848/49. Die Bauern stellten nach Ausbruch der Revolution ihre untertänigen Leistungen überall sofort ein u. verlangten eine gesetzliche Regelung ohne Entschädigung für die Grundherren. In Ungarn wurden die Entschädigung des Adels für die Aufhebung seiner Abgabenansprüche („Grundentlastung“) u. die Beseitigung der Patrimonialgerichtsbarkeit schon in den Aprilgesetzen v. 1848 verkündet. Am 26.7.1848 forderte der junge Abgeordnete Hans Kudlich im Wiener Reichstag für dier dort vertretene westl. Reichshälfte („→Zisleithanien“) die sofortige Beendigung der Erbuntertänigkeit. Der Antrag wurde einstimmig angenommen. In der Entschädigungsfrage konnten sich die Bauernvertreter dagegen nicht durchsetzen. Die Durchführung der Entschädigung („Grundentlastung“) fiel im habsb. Gesamtstaat bereits dem siegreichen →Neoabsolutismus zu, der das Problem mit großer Energie in ziemlich kurzer Zeit sowie in einer für die Bauern verhältnismäßig günstigen Weise löste. Der schnelle Sieg der Gegenrevolution war nicht zuletzt durch das Desinteresse der Bauern möglich geworden. Nachdem der Reichstag die Aufhebung der Erbuntertänigkeit verkündet hatte, verloren die Bauern jedes weitere Engagement für die Revolution u. fielen in ihren trad. Konservativismus zurück. Dass es dennoch bei der Aufhebung der Erbuntertänigkeit blieb, war maßgeblich der veränderten Interessenlage des Grundadels zuzuschreiben, der bereits in den Jahrzehnten vor der 48er Revolution aus ökon. Überlegungen für diese Maßnahme plädiert hatte, ohne dass die damaligen Regierungen darauf eingegangen wären. In den europ. Provinzen des →Osm. Reiches hat es eine B. im oben definierten Sinn nicht gegeben. Rechtlich waren die dortigen Bauern frei, wenngleich die Situation auf den →Çiftlik-Gütern vielerorts derjenigen in den ostmitteleurop. Gutshöfen ähnelte. Erst mit der Befreiung v. der osm. Herrschaft wurden auch die Bauern aus ihrer drückenden Abhängigkeit befreit. Nur in →Bosnien-Herzegowina verzögerte auch nach Ende der osm. Herrschaft die österr.-ung. Verwaltung nach 1878 eine grundlegende Reform der überlebten Agrarverfassung. Eine Sonderstellung nahmen die rum. →Donaufürstentümer Moldau u. Walachei ein. Die Abhängigkeit der Bauern v. den →Bojaren u. Klöstern hatte sich in einem langwährenden Prozess ständig verschlechtert u. spitzte sich im Verlauf des 19. Jh.s mit wachsender Bedeutung der rum. Agrarexporte weiter zu. Obwohl die Schollenbindung der Bauern in der Walachei 1746 u. in der Moldau 1749 aufgehoben worden war, hatte dies an den bedrückenden Verhältnissen kaum etwas geändert. Die zu Fronarbeit verpflichteten Bauern besaßen zwar das Recht auf Freizügigkeit, doch blieb dieses Recht an Vorbedingun-
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gen geknüpft, die häufig uneinlösbar waren. Im Unterschied zu den habsb. Ländern, wo schon lange vor der B. eine Trennung v. Herren- u. Bauernland erfolgt war, gab es in den Donaufürstentümern kein staatlich geschütztes Land der Dorfgemeinschaften. Die in staatsstreichähnlicher Form durchgeführte Agrarreform des Fürsten Alexander Cuza v. 1864 kam daher einer B. gleich. Doch musste das den →Dorfgemeinschaften zugeteilte Land in der Folgezeit unter ungünstigsten Bedingungen abgearbeitet werden. Das 1866 erlassene „Gesetz über die landwirt. Arbeitsverträge“ zwang der ländlichen Bev. erdrückende Pacht- u. Arbeitsvereinbarungen auf, die faktisch auf eine Wiedereinführung der bäuerlichen Abhängigkeit (Neoiobăgia; vgl. →Jobagyen) hinausliefen. Dies löste 1888 u. 1907 große →Bauernaufstände aus, die vom Militär blutig niedergeschlagen wurden. Lit.: K.H. Schneider, Geschichte der Bauernbefreiung. Stuttgart 2010; I. Orosz, A jobbágyvilág megszűnése Magyarországon. Debrecen 2010; Landwirtschaft u. industrielle Entwicklung. Zur ökonomischen Bedeutung von Bauernbefreiung, Agrarreform u. Agrarrevolution. Hg. T. Pierenkemper. Wiesbaden u. a. 1989; I. Wellmann, Kontinuität u. Zäsur in Ungarns Bauernleben zur Zeit Maria Theresias u. Josephs II., in: Österreich im Europa der Aufklärung. Bd. 1. Wien 1985, 87–119; S. Vilfan, Die Theresianischen u. Josephinischen Reformen der agrarrechtlichen Verhältnisse auf jugoslawischem Boden, ÖOH 25 (1983), 308–323; P. Hidas, The Emancipation and its Impact on the Hungarian Peasantry in 1848–1850, in: The Modernization of Agriculture: Rural Transformation in Hungary, 1848–1975. Hg. J. Held. New York 1980, 7–20; J. Barta, Das Bauernideal des aufgeklärten Absolutismus in Osteuropa, Egyetemes történeti tanulmányok 8 (1974), 15–84; D. Prodan, Die Aufhebung der Leibeigenschaft in Siebenbürgen, SOF 29 (1970), 3–42; N. Adaniloaie/D. Berindei, La réforme agraire de 1864 en Roumanie et son application. Bucarest 1966; J. Šidak, Seljačko pitanje u hrvatskoj politici 1848, Jugoslovenski istorijski časopis 2 (1963), H. 2, 3–30; E. Niederhauser, A jobbágyfelszabaditás Kelet-Európában. Budapest 1962; R. Bićanić, Oslobodjenje kmetova u Hrvatskoj godine 1848, in: Počeci kapitalizma u hrvatskoj ekonomici i politici. Zagreb 1952, 65–126; J. Blum, Noble Landowners and Agriculture in Austria, 1815–1848. A Study in the Origins of the Peasant Emancipation of 1848. Baltimore 1948; Gy. Ember, Magyar parasztmozgalmak 1848-ban. Forradalom és szabadságharc 1848–1849, in: Forradalom és szabadságharc 1848–1849. Hgg. A. Mód u. a. Budapest 1948, 189–265; I. Szabó, A jobbágybirtok problémái 1848–49-ben., in: ders., Tanulmányok a magyar parasztság töténetéböl. Budapest 1948, 313–396; A. Jelačić, Seljački pokret u Hrvatskoj i Slavoniji g. 1848–1849, i ukidanje kmetske zavisnosti seljaka. Zagreb 1925; R.F. Kaindl, Das Unterthanenwesen in der Bukowina. Ein Beitrag zur Geschichte des Bauernstands u. seiner Befreiung, Archiv für österreichische Geschichte 86 (1899), 551–714; G.F. Knapp, Die Bauernbefreiung u. der Ursprung der freien Landarbeiter in den älteren Theilen Preussens. 2 Bde. Leipzig 1887. H. S.
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Befreiungskriege (nationale). Als „nationale B.“ oder „nationale Revolutionen“ werden in der Südosteuropa-Historiographie zumeist jene Aufstände u. Kriege bezeichnet, die zur Errichtung der Nationalstaaten seit Anfang des 19. Jh.s führten. Die Bezeichnung impliziert den Willen zur →Nationalstaatenbildung u. setzt ein nationales Bewusstsein der Akteure
Befreiungskriege (nationale)
voraus. Inwieweit jedoch diese Voraussetzungen bei Beginn der B. in den europ. Provinzen des Osm. Reiches im ersten Drittel des 19. Jh.s gegeben oder erst Ergebnis erfolgreich beendeter Kriege u. anschließender Staats- u. Nationsbildungsprozesse waren, ist umstritten. Während die Geschichtsschreibung in den Balkanländern die Erhebungen in Serbien 1804–15, in den rum. Fürstentümern 1821 sowie auf der Peloponnes u. auf dem gr. Festland (Rumelien) 1821–28 i.d.R. als Ausdruck des nationalen Befreiungswillens der dortigen christl. Bev. gegen die osm. Herrschaft oder Oberherrschaft interpretiert u. häufig auch die früheren Aktionen von →Haiduken u. →Klephten in die nationalen Emanzipationsbestrebungen miteinbezieht, geht die außerregionale Forschung zumeist davon aus, dass die Masse der bäuerlichen Aufständischen traditionelle Ziele verfolgte (Wiederherstellung der alten Ordnung; →Bauernaufstände, 19./20. Jh.), dass sie mit den Konzepten Nation u. Nationalstaat noch nichts anzufangen wusste (→Nationsbildung) u. dass sich unter den Aufständischen auch viele gewöhnliche Banditen befanden, die den „Befreiungskrieg“ als Möglichkeit zur Befriedigung individueller Bedürfnisse nutzten. Selbst die Führungsschichten waren hinsichtlich der Ziele in einen konservativen u. einen (v. ausländischen Vorbildern beeinflussten) nationalideologischen Flügel gespalten. Angesichts der Uneinigkeit der Führungsschichten sowie des fehlenden nationalen Bewusstseins der Bauern bzw. ihrer begrenzten lokalen Interessen waren Haltung u. Beschlüsse der europ. Großmächte in der →Orientalischen Frage von größter Bedeutung für den Ausgang der B. Die Auflehnung der Bev. gegen die inneren Zersetzungserscheinungen u. Missbräuche im spätosm. Reich, die Orientalische Frage u. die Anfänge der Nationsbildung waren untrennbar miteinander verbunden. Anfang 1804 brach im →Paschaluk Belgrad unter Führung von Djordje Petrović, genannt „Karadjordje“ (Schwarzer Georg), ein Aufstand der serbischen Bauern gegen die Willkürherrschaft der →Dahije aus. Dieser sog. „erste serbische Aufstand“ hatte anfangs den Charakter eines →Bauernaufstands. Innerhalb weniger Wochen brach die osm. Herrschaft im Paschaluk (vorerst mit Ausnahme der Garnisonsstädte Belgrad u. Smederevo) zusammen. Karadjordje u. seine Unterführer traten anfangs nicht gegen die Souveränität des Sultans auf, sondern forderten die Wiederherstellung regionaler Selbstverwaltungsrechte u. den Abzug der →Janitscharen. Zwar ging Sultan Selim III. auf die Forderungen ein, doch lehnte die →Hohe Pforte die von Karadjordje zusätzlich verlangten Garantien ab, so dass sich der Aufstand über die Grenzen des Paschaluks Belgrad ausweitete u. auch durch Einsatz osm. Truppen nicht niedergeschlagen werden konnte. Im →Bukarester Frieden von 1812 zw. Russland u. dem Osm. Reich wurde in Art. 8 eine beschränkte Autonomie für Serbien unter osm. Oberhoheit, die Wiederherstellung der türkischen Garnisonen in den Städten u. eine Amnestie für die Aufständischen vereinbart. Da Karadjordje diese Vereinbarungen für unzureichend hielt, setzte er den Krieg fort, ohne sich gegen die an der äußeren Front entlasteten Osmanen auf Dauer durchsetzen zu können. Im Sommer 1813 besetzten osm. Truppen die befreiten Gebiete u. beendeten damit den ersten serb. Aufstand. Karadjordje u. vieler seiner Mitstreiter flohen ins Ausland. Nach einer lokalen Revolte u. drastischen Repressalien des osm. Gouverneurs stellte sich Miloš Obrenović im April 1815 an die Spitze eines zweiten serb. Aufstands. Mit Rücksicht auf die intern. Lage (Ende der napoleonischen Kriege) u. Russlands Drängen auf Einlösung der Vereinbarungen von 1812 zeigte sich die Pforte kompromissbereit. Der Gouverneur wurde ausgetauscht;
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zw. seinem Nachfolger, Maraşli-Ali Paşa, u. Miloš Obrenović kam es im November 1815 zu einer mündlichen Übereinkunft: Miloš wurde darin als oberster →Knez v. Serbien anerkannt u. das Land erhielt eine begrenzte Autonomie, die von Sultan Mahmud II. einige Monate später schriftlich anerkannt wurde. Damit zeichneten sich die Umrisse eines serb. Fürstentums unter osm. Oberhoheit ab, dessen Autonomierechte 1830 vertraglich fixiert wurden. Der gr. B. hatte zwei geographisch getrennte Ausgangsregionen: die weit vernetzte Welt der →Kaufleute, der →Phanarioten u. der Diaspora-Griechen zum einen u. die innere Welt Griechenlands mit ihren lokalen Militärführern u. Bauern zum anderen. Der erste Aufstand hatte sein Zentrum in den →Donaufürstentümern, während der zweite aus den Verhältnissen in Griechenland selbst bzw. aus den Versuchen Sultan Mahmuds II. entsprang, die Revolte des Regionalpotentaten Ali Paşa v. Janina niederzuschlagen. Die erste Erhebung war v. Mitgliedern der Philike Hetairia (→Geheimbünde [Griechenland]) unter Leitung von Alexandros Ipsilantis vorbereitet worden u. verfügte über eine Ideologie, die stark von westeurop. Ideen beeinflusst war, die zweite (vergleichbar dem serb. Aufstand) stellte die typische Reaktion einer →segmentären Gesellschaft gegen Misswirtschaft, Chaos u. Rechtlosigkeit dar. Ipsilantis strebte die Errichtung einer breiten Balkanfront der christl. Völker gegen die Osmanen an u. hoffte auf russ. Unterstützung. Vergeblich versuchte er, Miloš Obrenović zu einem neuen Aufstand zu veranlassen. Erfolgreicher verliefen seine Verhandlungen mit dem rum. Revolutionär Tudor Vladimirescu, der sich der Philike Hetairia angeschlossen hatte. Die von langer Hand vorbereitete Erhebung begann Anfang Febr. 1821 in der westl. →Walachei. Auf die Nachricht, dass Ipsilantis in die →Moldau einmarschiert sei, brach Vladimirescu mit seiner rd. 16.000 Mann starken Truppe nach Bukarest auf, das er Anfang April besetzte. Der Aufstand erwies sich als Desaster: Eine allg. Erhebung der Balkanvölker blieb aus, Serbien unternahm keinerlei Aktionen, um die osm. Kräfte zu zersplittern, u. Russland missbilligte den Aufstand ebenso wie Österreich. Damit wurde das gesplante milit. Vorgehen gegen die Osmanen aussichtslos, so dass sich Vladimirescu auf Verhandlungen verlegte, was ihn in den Augen der Hetairia zum Verräter stempelte. Hinzu kam ein weiteres Problem: die Erhebung rum. Bauern war eben kein nationaler B. Die bäuerlichen Rebellen interessierten sich nicht für die Zielsetzungen der Hetairia; ihre Gegner waren nicht der Sultan oder das Osm. Reich, sondern die Großgrundbesitzer vor Ort, darunter auch →Phanarioten u. Mitglieder der Hetairia. Zwischen der „Welt“ der rechtlosen, ausgebeuteten rum. Bauern auf der einen u. der „Welt“ der Phanarioten u. Hetairisten existierte keine tragfähige Brücke, so dass es nicht gelang, die „großen Ziele“ des Geheimbunds mit den Alltagsnöten u. Sorgen der Bauern in Übereinstimmung zu bringen. Als Vladimirescu den Großgrundbesitzern Zugeständnisse machte, um ihre Unterstützung zu gewinnen, entfremdete er sich von seinem bäuerlichen Anhang. Eine Verschwörergruppe aus den eigenen Reihen nahm ihn Anfang Juni 1821 gefangen u. lieferte ihn an das Hauptquartier der Hetairia aus, wo er erschossen wurde. Das rum. Revolutionsheer erlag bald darauf zusammen mit den Hetairisten den osm. Truppen, die bis Ende Juli 1821 den letzten Widerstand in den Donaufürstentümern brachen. Parallel zum Aufstand in der Moldau u. Walachei kam es Anfang April 1821 zu schlecht vorbereiteten u. unkoordinierten Rebellionen auf der →Peloponnes, die teilweise lokale Ur-
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sachen hatten. Die Hohe Pforte, die bereits mit den Unruhen in den Fürstentümern u. dem Kampf gegen Ali Paşa in Anspruch genommen war, sah sich zu keinen wirksamen Gegenmaßnahmen imstande, so dass die Aufständischen innerhalb kurzer Zeit faktisch die gesamte Peloponnes u. Teile des gr. Festlands befreien konnten. Sowohl auf seiten der Aufständischen wie der Osmanen kam es dabei zu blutigen Vergeltungsaktionen gegen die Zivilbev. der anderen Seite. Den osm. Truppen gelang es bis 1825 nicht, die Hochburgen der Rebellen einzunehmen. Die Guerillataktik der Aufständischen in einem unwegsamen Gelände, die langen Versorgungswege der osm. Truppen, ihre schlechte Ausrüstung u. Disziplin sowie der Privatkrieg gr. Reeder gegen die Verbindungslinien zu Wasser gestalteten die Rückeroberung der befreiten Gebiete außerordentlich schwierig. 1825 rief der Sultan den Pascha von Ägypten, Muhamed Ali, zu Hilfe, der sehr erfolgreich gegen die Rebellen operierte, so dass die Niederschlagung des gr. B. nur noch eine Frage der Zeit zu sein schien. Die Aufstandsbewegung wies gravierende innere Schwächen auf. Nach den Anfangserfolgen von 1821/22 waren die innergr. Konflikte in den Vordergrund getreten. Die schwer überbrückbaren Gegensätze zw. Verfechtern der frz. Revolutionsideale u. Anhängern westl. Bildungsideen auf der einen u. bodenständigen, konservativen, untereinander rivalisierenden Honoratioren (→Archonten) mit ihrem bäuerlichen Anhang auf der anderen Seite, zw. Mitgliedern der Hetairia u. →Klephtenführern sowie generell zw. Repräsentanten unterschiedlicher Sozialgruppen u. Regionen lösten einen Bürgerkrieg aus, der parallel zum B. geführt wurde. Der Bürgerkrieg stellte sich v. a. als Machtkampf rivalisierender Patrone, als Konflikt zw. Peloponnesiern (Moreaten) u. Festlandgriechen (Rumelioten) sowie als Gegensatz zw. bodenständigen u. Diaspora-Griechen („Heterochthonen“) mit divergierenden Zielvorstellungen dar. Im Unterschied zu den serb. Aufständen, die jeweils mit einer Führerpersönlichkeit (zuerst Karadjordje, dann Miloš) verbunden waren, wechselten die Führungsrollen im gr. B. ständig u. vereitelten die Bildung einer stabilen nationalen Regierung u. eines militärischen Oberkommandos. Auch in Serbien mit seiner weitgehend egalitären Gesellschaft war dies nicht einfach gewesen, da die Distriktältesten nur ungern etwas von ihrer Selbständigkeit aufgaben – in Griechenland mit seinen ausgeprägten soz. Statusunterschieden, seiner außerordentlichen regionalen Vielfalt u. seinen konkurrierenden Klientelverbänden erwies sich die Bündelung aller Kräfte als Quadratur des Kreises. Unter diesen Umständen blieben die mühsam verabschiedeten Beschlüsse der Nationalversammlungen von Epidaurus, Astros, Troizene, Argos u. Pronoia sowie die heftig diskutierten Verfassungsentwürfe von Epidaurus, Troizene u. Nauplion weitgehend Makulatur. Auch die Hetairia verlor bald jede Bedeutung. So deutete alles auf ein Scheitern des B. hin. Rettung brachte schließlich die zw. Petersburg u. London abgesprochene „Humanitätsintervention“ der europ. Mächte, die dem öffentlichkeitswirksamen →Philhellenismus geschuldet war u. im Gegensatz zu der 1815 von der Hl. Allianz vereinbarten Absage an alle nationalen u. lib. Bewegungen stand. Im Oktober 1827 kam es in der Bucht von Navarino zu einer Schlacht zw. alliierten u. osm. Kriegsschiffen, in der letztere vernichtet wurden. Im August des folgenden Jahres zog Muhamed Ali seine ägyptischen Truppen von der Peloponnes ab. An ihre Stelle trat ein frz. Expeditionskorps, das im Auftrag der Großmächte die Sicherung des Friedens überwachen sollte. Mit den Londoner Protokollen vom 22. März 1829 u. 3. Febr. 1830 wurde ein souveräner gr. Staat ins Leben gerufen, der die Pelopon-
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nes, die westägäischen Inseln u. den südl. Teil des gr. Festlands umfasste (→Griechenland). – Auch die postosm. Staatsbildungen im weiteren Verlauf des 19. Jh.s waren mit Aufständen u. Aktivitäten irregulärer (paramilit.) Formationen auf der einen sowie mit der Entwicklung der intern. Beziehungen u. den Reaktionen der Großmächte auf der anderen verbunden. Dies gilt insbes. für die sog. Große →Orientalische Krise von 1875–78, die durch einen →Bauernaufstand in der Herzegowina im Sommer 1875 ausgelöst wurde, v. dort auf Bosnien u. Anfang April 1876 auch auf die bulg. Siedlungsgebiete übergriff. Zunächst hatte es so ausgesehen, als ob es sich wieder um einen jener endemischen Bauernaufstände handle, die durch den Wandel der spätosm. Agrarverfassung (→Çiflik) verursacht worden waren u. auf Beseitigung der Missstände zielten. Die weiter reichenden Ziele der Aufstandsführer, die Kriegserklärung Serbiens u. Montenegros an die Pforte, die verheerende Niederlage der Balkanstaaten Anfang November 1876, die Erregung der europ. öffentlichen Meinung über die „türkischen Greuel“ anlässlich der Niederschlagung des bulg. Aprilaufstands (→Bulgaren) sowie die Reformunwilligkeit der Hohen Pforte führten zu einer Internationalisierung der Krise u. lösten schließlich im April 1877 den Krieg Russlands gegen das Osm. Reich u. in dessen Ergebnis den →Berliner Kongress aus . Die Großmächte übernahmen damit die Neugestaltung der pol. Landkarte des Balkanraums. Fortan waren die Erfolgschancen für Aufstände, die Befreiungscharakter trugen oder beanspruchten (z. B. die Unruhen auf Kreta 1896/97 sowie im alb. oder mak. Raum, etwa die Erhebung in Makedonien am Elias-Tag 1903: →Ilinden) mehr noch als im ersten Drittel des 19. Jh.s v. der internationalen Kräftekonstellation (d.h. von der Interessenlage der Großmächte u./oder der konkurrierenden Balkanstaaten) abhängig, während die Wünsche der Bev. in den umstrittenen Gebieten oft keine oder nur eine untergeordnete Rolle spielten.
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Beg (a. Bey; türk. beğ). Ähnlich wie →Aga Ehrentitel ungeklärten Ursprungs; möglicherweise auf chin. bó „weiß“, „Ältester“, „dritter Rang des Adels“ oder auf iranisch bag „Herr“, „Gott“ zurückzuführen. Die Orchon-Inschriften (8. Jh.) Zentralasiens unterscheiden zw. dem Herrscher (khagan), der Nobilität (begler, pl. von beg) sowie den Stämmen, Clans u. gemeinen Leuten (bodun), dem „Volk“. In der allg. Bedeutung von „Herr“ findet sich die Verbindung von B. mit ağa als beğ ağa oder ağabeğ /ağabey „Lord elder brother“. Im frühen osm. Sprachgebrauch ist B. (wie das arab. Synonym amīr, Emir) Ehrentitel für den Herrscher sowie einige Heerführer höchsten Ranges. Auch Stammesoberhäupter trugen den Titel B. Im Zuge der Durchsetzung der osm. Zentralgewalt auf Kosten der Unabhängigkeit bestimmter Stammesoberhäupter u. Militärführer unter Murad I. (1362–1389) verlor der Titel B. an Prominenz; der osm. Herrscher begann, sich als „Herr aller Heerführer“ (arab. amīr al-umarā’ ) u. „Sultan“ zu titulieren. In der Folgezeit fand B. (dem Namen nachgestellt) als Titel für Stammesführer, hohe milit. u. ziv. Amtsträger sowie für Angehörige bestimmter Personenkreise (z. B. die männliche Nachkommenschaft von →Paschas) weite Verbreitung, ohne indes an spezifische Funktionen u. Pflichten gebunden zu sein. Erst ein Kompositum wie sancak beği (türk. für „Kommandierender eines Bannerbezirks“; vgl. →Sancak) impliziert fest umrissene Aufgabenbereiche (u. Einkünfte) des Titelinhabers. In Bosnien-Herzegowina unter österr.-ung. Herrschaft (1878–1918) bildeten die Begs eine Art neu gefestigten Adels, der sich zusammensetzte aus den reichsten Großgrundbesitzern sowie aus Personen, die traditionell einflussreichen Familien entstammten. Lit.: H. Kamberović, Begovski zemljišni posjedi u Bosni i Hercegovini od 1878. do 1918. Sarajevo 2 2005; L. Bazin, Beg, in: EI2; I. Beldiceanu-Steinherr, Recherches sur les actes des règnes des sultans Osmân, Orkhân et Murâd Ier. Munich 1967; dies., La conquête d’Adrianople par les Turcs: la pénétration turque en Thrace et la valeur des chroniques ottomanes, Travaux et Mémoirs, Centre de recherche d’histoire et civilisation byzantines 1 (1965), 439–461; G. Doerfer, Türkische u. mongolische Elemente im Neupersischen. Bd. 2, Wiesbaden 1965, 389–406. M. U.
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Bektaschi / Belgrad
Bektaschi. Bez. für Angehörige der stark von →Synkretismus geprägten Bruderschaft der Bektaschije (türk. Bektaşiye) mit Zentrum in Zentralanatolien (Raum Kayseri). Nach jüngsten Forschungen ist die Bruderschaft aus der Fusion zweier Stammesgruppen, den Çepni u. den Bektaşlu hervorgegangen, deren →Begs sich als Nachfahren von Hadschi Bektasch Weli (13. Jh.) ausgaben u. ihre Anhängerschaft im Namen der Bruderschaft mit dem Zehnten belegten. Als einziger der im →Osm. Reich verbreiteten →Derwisch-Orden steht der der B. eigentlich außerhalb des sunnitischen →Islams; er gleicht in manchem mehr einer Sekte als einer Tarika (arab. ṭarīqa). – Ritual u. Lehren erhielten erst im frühen 16. Jh. ihre endgültige Form. Die besondere hist. Bedeutung der B. lag in ihrer engen Verbindung zu den →Janitscharen. Seit der zweiten H. des 17. Jh.s (u. wieder seit 1991) ist →Albanien eine der Hochburgen der B.; in der Türkei wurde der Orden 1925 aufgelöst. Niederlassungen der B. finden sich häufig in der Nähe bekannter (vorosm./vorisl.) Wallfahrtsorte, wo sie „relig. Fremdgut“ (Hans-Joachim Kißling) aufnahmen. Zu den aus dem Christentum entlehnten Elementen zählt man die Initiation neuer Mitglieder mit Brot u. Käse (nach dem Vorbild der altchristl. Sekte der Artotyriten), die Existenz einer Form von Beichte mit Absolution, zölibatäre Lebensformen bestimmter Mitglieder, das Kreuzzeichen als Verehrungsgeste, Toleranz gegenüber dem Genuss von Alkohol u. Schweinefleisch sowie die Erlaubnis, dass Frauen unverschleiert an Feiern teilnehmen dürfen. Auffallend wenig Wert wird auf die Einhaltung der isl. Glaubenspflichten wie Gebet oder Fasten gelegt. Ausgeprägt (seit 16. Jh.) sind schiitische Tendenzen in den Lehren der B. Im Zentrum ihrer Verehrung steht Ali, der Schwiegersohn des Propheten u. Erster Imam des schiitischen Islams, der mit Muhammad u. Allah bei den B. zu einer Art Dreifaltigkeit verbunden wird. Lit.: A. Kiriakidis, Bektaschitum u. griechisches orthodoxes Mönchtum: Religionskontakt u. Vergleich zweier mystischer Traditionen. Berlin 2010; Bektashizmi në Shqipëri: bibliografi. Hgg. M. Gjinaj/P. Bezhani/N. Çuni. Tiranë 2004; Bektachiyya. Étude sur l’ordre mystique des Bektachis et les groupes relevant de Hadji Bektach. Hgg. A. Popovic/G. Veinstein. Istanbul 1995; I. Beldiceanu-Steinherr, Les Bektašī à la lumière des recensements ottomans (XVe–XVIe siècles), Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes 81 (1991), 21–79; N. Clayer, L’Albanie, pays des derviches. Berlin 1990; I. Mélikoff, L’ordre des Bektaşî après 1826, Turcica 15 (1983), 155–178; S. Faroqhi, Der Bektaschi-Orden in Anatolien (vom späten 15. Jh. bis 1826). Wien 1981; J.K. Birge, The Bektashi Order of Dervishes. London 1937. M. U.
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Belgrad (serb. Beograd, ung. Nándorféjervár, dt. histor. Griechisch-Weißenburg). Hauptstadt der Republik Serbien, 1,2 Mio. E (2011) (im Großraum 1,7 Mio. E, davon 1,417 Mio. Serben). B. liegt am Zusammenfluss von Donau u. Save. Wie die antike Vorgängersiedlung Singidunum weist es mit seinem Kernsiedlungsgebiet um die Burg Kalemegdan eine typische Grenzlage zw. dem Balkanraum (→Balkan) u. dem pannonischen Becken auf (→Pannonien). Die Stadt liegt am Endpunkt der schon im späten Altertum bedeutsamen Heerstraßen →Konstantinopel/Istanbul–→Sofia–B. (→Verkehr) u. der Straße B.–→Saloniki entlang der Morava–Vardar–Furche. Bis 1918 erfüllte B. fast durchgehend die Funktion
Belgrad
einer Grenzfestung, die den Eingang zur Balkanwelt ebenso kontrollierte wie die Schiffahrt auf der mittleren Donau. Der Fall Singidunums (582) markiert den eigentlichen Zusammenbruch der röm. Donaugrenze u. der byz. Kontrolle über den Balkan. Der Raum um B. wurde von der →Slavischen Landnahme erfasst, die Siedlung selbst erscheint erst Ende des 9. Jh.s. (878) wieder in den Quellen. Im Früh- u. Hochma. ist B. durch seine Peripherielage zw. Bulgarien (→Bulg. Reich), Byzanz u. Ungarn gekennzeichnet. 1018 gelangte die Stadt für eineinhalb Jahrhunderte an Byzanz, das B. als Operationsbasis für Interventionen im pannonischen Becken benützte. Von 1183 bis 1521 gehörte B., mit kurzen Unterbrechungen bulg. u. serb. (1284) Herrschaft, zum Kgr. →Ungarn (Banschaft Mačva). B.s strategische Bedeutung erwies sich bei den Durchzügen der Teilnehmer der ersten drei →Kreuzzüge. Zu Beginn des 15. Jh.s baute der serb. Despot Stefan Lazarević im Zuge der Nordverschiebung des serb. Despotats (→Despoten) als Vasall der ung. Krone für B. u. für südungarische Gebiete B. für einige Jahre zur Residenz aus (1402–1427). Von 1427 bis 1521 diente B. der ung. Krone als Stützpunkt für die Offensivschläge Johann Hunyadis gegen das Osm. Reich, bald aber als zentrale Stellung im defensiven Festungsgürtel gegen die Osmanen. Die erfolgreich abgewehrte osm. Belagerung (1456) erregte in ganz Europa großes Aufsehen. Der Fall B.s 1521 leitete das Ende des ung. Kgr.s ein (1526; →Mohács). Zunächst bis 1688 war B. eine osm. Festung. Als Sitz eines →Paschas fungierte es im nach Norden ausgedehnten Osm. Reich als Zentrum von Heer, Verwaltung u. Handel. In den habsb.-osm. Konflikten des 17. u. 18. Jh.s (→Türkenkriege) kam B. eine milit. Schlüsselstellung zu. 1688–1690, 1717–1739 (1717 Sieg Prinz Eugens von Savoyen; Friede von B. 1739) sowie 1789–1791 wurde B. habsb. verwaltet. Es wurde damit u. durch die langfristige Festigung der habsb. Grenze im direkten Vorfeld Belgrads links von Save u. Donau (mit Semlin, serb. Zemun, als habsb. Grenzstadt) wieder zur Peripherie an der Grenze zweier Imperien. Die zahlreichen Konflikte führten zu mehrfachen massiven Bevölkerungsverschiebungen im stark multiethnisch geprägten B. Unter osm. Herrschaft dominierten neben der musl. Bevölkerung Ragusaner, armenische, balkanorthodoxe u. jüdische Händlergruppen (→Kaufleute), während die serb. Bev. eine Minderheit darstellte. Die zeitweilige habsb. Herrschaft förderte die Ansiedlung von ksl. Untertanen, die sich jedoch 1739 nach Norden zurückzogen. 1806 fiel B. für einige Jahre in die Hand der serb. Aufständischen (bis 1813; →Befreiungskriege). In der ersten H. des 19. Jh.s betrieb das auton. serbische Fürstentum (→Serbien, seit 1830) die Ansiedlung von Serben aus habsb. u. osm. Gebieten. Bis 1867 verblieb in B. eine osmanische Besatzung. Deren Abzug bzw. die völkerrechtliche Unabhängigkeit Serbiens 1878 (→Berliner Kongress) ermöglichten den Aufschwung B.s zur Hauptstadt Serbiens u. zum Zentrum des serb. Kulturlebens (vgl. →Nationalstaatenbildung). Anlässlich der Volkszählung von 1834 wurden in B. außerhalb des Festungsbereichs 7033 Bewohner in 769 Häusern registriert (5503 Serben u. 1530 Juden). Hinzu kamen etwa 5700 Muslime, darunter 1104 Soldaten, in 830 Häusern. Diese „Türken“ lebten v. a. innerhalb des Festungsbereichs, d.h. in der Oberen u. Unteren Stadt (in der alten Zitadelle u. im heutigen Park Kalemegdan), sowie im Stadtteil Dorćol (Wasserstadt) am rechten Donauufer. Die Serben waren in der „Raitzen(=Serben)stadt“ am weiter westl. gelegenen rechten Save-Ufer beheimatet, während die Juden in der jüdischen Mahala in Dorćol siedelten. Nach Abzug
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Belgrad
der osm. Garnison begann die Entosmanisierung der Stadt: Fast alle Baudenkmäler, die an die osm. Herrschaft erinnerten, darunter zahlreiche Moscheen, wurden beseitigt. In drei Schüben von →Modernisierung u. Urbanisierung (Ende 19. Jh.–1914, Zwischenkriegszeit u. nach 1945) wuchs B. außerordentlich stark (1895: 59.000 E; 1921: 112.000 E; 1940: 320.000 E; 1953: 438.000 E; 1977 nach Eingemeindungen: 1,37 Mio E; vgl. →Urbanisierung) u. erhielt alle Attribute eines pol., kult. u. wirt. Zentrums (z. B. →Akademie 1886, Elektrifizierung 1893, →Universität 1905). Seit 1879 ist B. Sitz des →Patriarchen der serb.-orth. Kirche. – B. entwickelte sich zu einem Zentrum des Handels. Eine breitere →Industrialisierung setzte erst nach 1918 ein. Im 1. Wk. war B. von Österreich-Ungarn besetzt (Herbst 1914; 1915–1918). Nach 1918 wurde es zur Hauptstadt des neugeschaffenen SHS-Staates (→Jugoslawien) u. legte durch die Gewinnung der →Vojvodina seine periphere Lage ab. Eine starke Bautätigkeit verwandelte B. architektonisch von einer Balkan- in eine europäische Stadt. 1941 wurde es durch dt. Bombenangriffe schwer beschädigt. Während der dt. Besatzung bestanden in B. u. Umgebung drei Konzentrationslager: das „Judenlager“ in Topovske Šupe in der Belgrader Innenstadt, das „Juden-“ bzw. spätere „Anhaltelager“ in dem 1934 eingemeindeten Stadtteil Zemun auf dem ehem. Belgrader Messegelände (Sajmište) am linken Ufer der Save sowie das Lager im damaligen Vorort Banjica. – Nach dem Ende der dt. Besatzung (1944) wurde B. Hauptstadt des komm. Jugoslawiens u. der Teilrepublik Serbien u. erlebte ein starkes Bevölkerungswachstum sowie einen massiven Ausbau von Industrie, Infrastruktur u. Bildungswesen. Markantesten Ausdruck fand der Aufschwung in dem als „sozialist. Musterstadt“ auf dem linken Save-Ufer aus dem Boden gestampften Neu-B. (Novi Beograd), das 1952 eingemeindet wurde. 1999 wurde B. im Rahmen der Nato-Intervention gegen (Rest-)Jugoslawien abermals bombardiert.
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Lit.: N. Münnich, Belgrad zwischen sozialistischem Herrschaftsanspruch u. gesellschaftlichem Eigensinn. Die jugoslawische Hauptstadt als Entwurf u. urbane Erfahrung. Wiesbaden 2013; K. Dimitrijević, Vekovi Beograda: starobeogradska hronika. Beograd 2011; D. Stojanović, Kaldrma i asfalt: urbanizacija i evropeizacija Beograda 1890–1914. ebd. 2009; N. Mišković, Basare u. Boulevards: Belgrad im 19. Jh. Wien u. a. 2008; D. Petrović, Istorija industrije Beograda: razvoj i razmeštaj industrije Beograda u XIX i XX veku. Beograd 2006; S. Bogunović, Arhitektonska enciklopedija Beograda XIX i XX veka. 3 Bde. ebd. 2005; Vekovi Beograda (XVI–XX vek). Hgg. B. Branković/J. Veselinović. ebd. 2005; R. Gašić, Beograd u hodu ka Evropi. Kulturni uticaji Britanije i Nemačke na beogradsku elitu 1918–1941. ebd. 2005; R. Vučetić Mladenović, Evropa na Kalemegdanu. “Cvijeta Zuzorić” i kulturni život Beograda 1918–1941. ebd. 2003; Beograd u delima evropskih putopisaca. Hg. Dj.S. Kostić. ebd. 2003; Živeti u Beogradu: dokumenta uprave grada Beograda. Hg. Istorijski arhiv Beograda. 6 Bde. ebd. 2003–08; M. Kostić, Uspon Beograda, Poslovi i dani trgovaca, privrednika i bankara u Beogradu 19. i 20. veka. 2 Bde. ebd. 1994/2001; Đ.O. Piljević, Beograd u dvadesetom veku. ebd. 2001; Beograd. Hgg. S. Pandurović/B. Gavrilović/R. Parežanin. ebd. 2000; M. Pavić, Kratka istorija Beograda. A short history of Belgrade. ebd. 1998; Beli grad. Kulturna istorija Beograda. Hg. B. Miloradović. ebd. 1997; D. Djurić-Zamolo, Beograd kao orijentalna varoš pod Turcima 1521–1867: arhitektonsko-urbanistička studija. ebd. 1977; P.J. Marković, Beograd izmedju
Berat / Bergbau (Mittelalter)
Istoka i Zapada 1948–1965. ebd. 1996; Beograd u XIX veku: kafanske i kulturne dogodovštine. Hg. D. Milenković. ebd. 1996; P.J. Marković, Beograd i Evropa 1918–1941. Evropski uticaji na proces modernizacije Beograda. ebd. 1992; T. Bogavac, Stanovništvo Beograda 1918–1991. ebd. 1991; Istorija Beograda. 3 Bde. Hg. V. Čubrilović. ebd. 1974; J. Kalić-Mijušković, Beograd u srednjem veku. ebd. 1967; Gradja za istoriju Beograda: od 1806. do 1867. Bd. 1. Hg. R.L. Veselinović. ebd. 1965 [mehr nicht erschienen]; D.J. Popović, Beograd kroz vekove. ebd. 1964. O.J. Sch.
Berat (v. arab. barāca „Entlastung, Befreiung“). Ernennungsurkunde, Verleihungsdiplom, ausgestellt im Namen des →Sultans, oft mit dem Zusatz hümayun „großherrlich“ verbunden. Im B. üblichen Formats finden die Rechte u. Pflichten des Urkundeninhabers im Einzelnen Erwähnung. Formal im Stil des sog. „offenen Befehls“ gehalten, verfügt das B. über keine eigentliche Adresse. Hochrangige Würdenträger wie →Großwesire, Großadmirale (→ Kapudan →Pascha) u. Kirchenfürsten wurden im →Osm. Reich ebenso mittels eines B. (hier meist menşur genannt) bestallt wie einfache Moscheeangestellte, Stiftungsverwalter u. →Kadis, die allerdings später rüus genannte Ernennungspatente erhielten. Auch Vasallenfürsten wie die siebenbürg. Fürsten (→Siebenbürgen) nahmen ihre offiz. Anerkennung seitens des osm. Sultans in Gestalt eines B. entgegen. Desweiteren benötigten sämtliche Inhaber von →Timaren (bzw. von „Großlehen“ wie →Has u. →Zeamet) oder auch Steuerpachtbezirken ein gültiges B., das wie alle Verleihungsdiplome ad personam verliehen wurde u. nach Thronbesteigung eines neuen Herrschers erneuert werden musste. Das Recht der →Beylerbeyi, als Vertreter des Sultans in den Provinzen Timare u. Zeamets mittels eigener B. zu vergeben, wurde nach 1530 auf die kleineren Timare eingeschränkt. Lit.: M. Kütükoğlu, Osmanlı Belgelerinin Dili (Diplomatik). İstanbul 1994; J. Matuz, Das Kanzleiwesen Sultan Süleymāns des Prächtigen. Wiesbaden 1974 (Bibl.); J. Kabrda, Le système fiscal de l’église orthodoxe dans l’empire ottoman (d’après les documents turcs). Brno 1969. M. U.
Bergbau (Mittelalter). Kurz nach der →Ung. Landnahme lässt sich außer dem Waschen v. Gold in den Flüssen auch Erz- u. Salzbergbau nachweisen. Die Salzgewinnung in den nordöstl. Karpaten u. in Siebenbürgen dürfte gar v. den Bulgaren bereits im 8. Jh. begonnen worden sein u. blieb durch das ganze MA eine bedeutende Größe unter den Regaleinkünften der Krone. Die an Erzen reichsten Gebiete des Landes lagen am Fluss Garam (→niederungarische Bergstädte), in der →Zips, im Nordosten (→Oberungarn) u. in →Siebenbürgen. Eisen wurde anfangs in Westungarn (Vasvár), später im Zipser Erzgebirge (Gölnicbánya/ Gelnica/Göllnitz) gefördert. Im 13. Jh. begann der Aufschwung des Abbaus des mit Kupfer vermischtem Silbers, dank der technischen Erfahrung der einwandernden dt. („sächsischen“; s. a. →Deutsche) Bergleute. Um 1300 dürfte der ung. Silberbergbau jährlich an die 10.000 kg erbracht haben. Nach der Reform unter den →Anjou um 1320 – Einführung der den Grundherren zustehenden urbura (Bergzins), kgl. Edelmetallmonopol, Gründung u. Privilegisierung neuer Bergstädte – erreichte der ung. Bergbau seine Blütezeit. Sein Ertrag zw.
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Bergbau (Mittelalter) / Berliner Kongress, Präliminarfriede v. San Stefano
1320 u. 1370 wird auf jährlich 2–2.500 kg Gold geschätzt. Dem Aufschwung im 14. Jh. folgte ein rascher Niedergang: nach Erschöpfung der oberflächennahen Erzschichten mussten immer tiefere Schächte getrieben werden, was nicht nur kostspieliger wurde, sondern auch zu Problemen durch Wassereinbruch führte. Erst die technischen u. unternehmerischen Neuerungen der Thurzó-Fuggerschen Unternehmen im späten 15. u. frühen 16. Jh. brachten eine allmähliche Zunahme der Kupfer- u. Silbergewinnung. Von Ungarn kamen „sächsische“ Bergleute im 13. Jh. auch nach Serbien u. Bosnien. Erstmals erwähnt werden sie 1254 am Oberlauf der Tara im heutigen Montenegro. Anfang des 14. Jh.s entwickelte sich Novo Brdo (Kosovo) zum bedeutendsten Bergwerksort auf dem Balkan. In der Hauptfaktorei von Novo Brdo wurden durch den Umsatz v. Edelmetallen große Gewinne erwirtschaftet, die dem ma. serb. Reich u. den serb. →Despoten zu Wohlstand verhalfen. Auch das ma. Bosnien profitierte vom Bergbau, insbes. von den reichen Silbervorkommen. Das ostbosn. Srebrenica (dt. veraltet: Silberin) stieg Ende des 14. Jh.s zu einem Zentrum des Silberbergbaus auf. Der Vertrieb lag in den Händen der →Kaufleute aus Ragusa/→Dubrovnik. Lit.: Ungarn: O. Paulinyi, Gazdag föld – szegény ország. Tanulmányok a magyarországi bányaművelés múltjából. Hgg. J. Buza/I. Dráskoczy. Budapest 2005; K. Gündisch, „Saxones“ im Bergbau von Siebenbürgen, Bosnien u. Serbien, in: Die Deutschen in Ostmittel- u. Südosteuropa. Hgg. G. Grimm/K. Zach. Bd. 2. München 1996, 119–132; G. Heckenast, Das Eisenwesen im mittelalterlichen Ungarn: Die Produktions- u. Eigentumsverhältnisse, Der Anschnitt 35 (1983), 2–11; O. Paulinyi, The crown monopoly of the refining metallurgy of precious metals and the technology of the cameral refineries in Hungary and Transylvania (1325–1700) with data and output, in: Precious Metals in the Age of Expansion. Hg. H. Kellenbenz. Stuttgart 1981, 27– 39; P. Ratkos, Das Kupferwesen in der Slowakei vor der Entstehung der Thurzo-Fuggerschen Handelsgesellschaft, in: Der Außenhandel Ostmitteleuropas 1450–1650. Die ostmitteleurop. Volkswirtschaften u. ihre Verflechtung mit Mitteleuropa. Hg. I. Bog. Köln u. a. 1971, 584–99. Balkan: S. Božanić, Rudarstvo u srednjevekovnoj Srbiji i Bosni, Spomenica Istorijskog arhiva Srem (2002), H. 1, 77–141; St. Andrev/E. Grozdanova, Iz istorijata na rudarstvoto i metalurgijata v bălgarskite zemi prez XV-XIX vek. Sofija 1993; S. Rizaj, Rudarstvo Kosova i susednih krajeva. Priština 1968; M. Dinić, Za istoriju rudarstva u srednjevekovnoj Srbiji i Bosni. Beograd 1962; N. Radojčić, Zakon o rudnicima despota Stefana Lazarevića. ebd. 1962; V. Skarić, Staro rudarsko pravo i tehnika u Srbiji i Bosni. ebd. 1939; C.J. Jireček, Die Handelsstrassen u. Bergwerke von Serbien u. Bosnien während des Mittelalters. Historisch-geographische Studien. Prag 1879. J.M. B./B. N.
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Berliner Kongress, Präliminarfriede v. San Stefano. Bez. für die vom 13. Juni – 13. Juli 1878 in der dt. Hauptstadt tagende Konferenz der europ. Großmächte Großbritannien, Frankreich, Österreich-Ungarn, Deutschland u. Russland unter Beteiligung des Osm. Reiches zur Regelung der erneut aufgebrochenen Gegensätze in der →Orientalischen Frage. Das Übergreifen der anti-osm. Aufstandsbewegung von 1875 in der Herzegowina u. Bosnien auf den bulg. Bereich 1876, die milit. Intervention Serbiens u. Montenegros sowie
Berliner Kongress, Präliminarfriede v. San Stefano
schließlich deren Niederlage gegen die osm. Armee im selben Jahr bewirkte eine Krise, die zu entschärfen den Großmächten mit diplomatischen Mitteln nicht gelang (→Orientalische Krise). In dieser Situation erklärte das sich als Schutzmacht der Balkanchristen gerierende →Russland im April 1877 der Hohen Pforte den Krieg. Nach einem verlustreichen Vormarsch stand die russ. Armee im Januar 1878 vor den Toren Istanbuls. Sultan Abdülhamit II. sah sich am 3.3.1878 zum Abschluss des Vorfriedens (Präliminarfriedens) von San Stefano (türk. Yeşilköy) gezwungen, der den europ. Territorialbestand seines Reiches drastisch reduzierte: Serbien, Montenegro u. Rumänien wurden in erweiterten Grenzen zu unabh. Staaten erklärt u. ein unter informeller russ. Kontrolle stehendes, sich von der →Dobrudscha bis Mittelalbanien, von der Donau bis an die Ägäis erstreckendes autonomes Fsm. →Bulgarien wurde vertraglich geschaffen. Der mächtepolitische Vorstoß des Zarenreichs auf den Balkan u. an das Mittelmeer war für das brit. Weltreich wie für die Habsburgermonarchie nicht hinnehmbar, so dass sie St. Petersburg mit Krieg drohten. Unter diesem Druck erklärte sich das milit. geschwächte Russland zu einer Revision des San Stefano-Vertrages bereit. Des scharfen brit.-russ. Interessengegensatzes wegen gestalteten sich die Verhandlungen in Berlin kompliziert u. langwierig. Der Berliner Vertrag vom 13.7.1878 stellte einen Kompromiss dar, der zu Lasten des Zarenreiches, der Hohen Pforte u. der Bulgaren ging: 1. Das in San Stefano geschaffene „Großbulgarien“ wurde in drei Teile untergliedert: Der mak. Westen verblieb unter der Herrschaft der Hohen Pforte, die sich zu Reformen in der Region verpflichtete; der thrakische Südosten erhielt unter der Bezeichnung →Ostrumelien Autonomie innerhalb des Osm. Reiches; u. der Nordosten wurde ein unter der Suzeränität des Sultans stehendes autonomes Fsm. Bulgarien. 2. Österreich-Ungarn erhielt freie Hand zur Besetzung →Bosniens u. der Herzegowina sowie zur Stationierung von Truppen im →Sandschak von Yenipazar (türk.; serb. Novi Pazar). 3. Rumänien, Serbien u. Montenegro wurden zu unabh. Staaten erklärt u. erhielten zusätzliche Territorien, wenngleich nicht in dem von ihnen angestrebten Umfang. 4. Griechenland u. das Osm. Reich wurden aufgefordert, sich über eine Grenzberichtigung zu verständigen. Dies führte 1881 zum Anschluss →Thessaliens an Griechenland. 5. Die Balkanstaaten u. Rumänien wurden zum Schutz relig. Minderheiten (insbes. Juden u. Muslime) verpflichtet (Diskriminierungsverbot). Bezüglich des Kerns der Orientalischen Frage sind jedoch die Großmächte auf dem Berliner Kongress zu keiner Lösung gelangt: Weder wurde eine Entscheidung in Richtung auf eine nachhaltige Stabilisierung des „Kranken Mannes am Bosporus“ getroffen noch die entgegengesetzte Richtung eingeschlagen (also eine umfassende territ. Aufteilung der „europäischen Türkei“ unter den Balkanstaaten beschlossen). V. a. die Vertagung einer dauerhaften Regelung des Bosnien-Problems sowie die Verschärfung der →Makedonischen Frage, d. h. der Rivalität Serbiens, Griechenlands u. nun auch des neuen Bulgarien um den Besitz der weiterhin von der Hohen Pforte regierten balkanischen Kernregion Makedonien, sorgten dafür, dass die Kette von Balkankrisen auch in den Jahrzehnten bis zu den Kriegen der Jahre 1912–1918 nicht abriß. Auch das Diskriminierungsverbot wurde von den Staaten zumeist nicht eingehalten. 155
Bessarabien
Quellen: Der Berliner Kongreß. Protokolle u. Materialien. Hg. I. Geiss. Boppard 1978; Die Große Politik der Europäischen Kabinette 1871–1914. Sammlung der Diplomatischen Akten des Auswärtigen Amtes. Hgg. J. Lepsius/A. Mendelssohn Bartholdy/F. Thimme. Bd. 2: Der Berliner Kongreß u. seine Vorgeschichte. Berlin 1922. Lit.(a. →Orientalische Krise): War and Diplomacy. The Russo-Turkish War of 1877–1878 and the Treaty of Berlin. Hgg. M.H. Yavuz/P. Sluglett. Salt Lake City 2011; F. Scherer, Adler u. Halbmond. Bismarck u. der Orient 1878–1890. Paderborn u. a. 2001; Der Berliner Kongreß von 1878. Die Politik der Großmächte u. die Probleme der Modernisierung in Südosteuropa in der zweiten Hälfte des 19. Jh.s. Hgg. R. Melville/H.-J. Schröder. Wiesbaden 1982; Bismarcks Außenpolitik u. der Berliner Kongress. Hg. K.O. von Aretin. Wiesbaden 1978; D. Geyer, Der russische Imperialismus. Studien über den Zusammenhang von innerer u. auswärtiger Politik 1860–1914. Göttingen 1977; A. Novotny, Quellen u. Studien zur Geschichte des Berliner Kongresses 1878. Bd. 1: Österreich, die Türkei u. das Balkanproblem im Jahre des Berliner Kongresses. Graz u. a. 1957. St. T.
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Bessarabien (russ. Bessarabija; rum. Basarabia). Das fruchtbare Land zw. dem Pruth im W, Dnjestr (ukr. Dnistr) im O u. Donaudelta im S war bis 1812 keine politische Einheit. Die Bezeichnung soll auf den wal. Vojvoden Basarab I. zurückgehen, der seine Herrschaft im 14. Jh. bis dorthin ausdehnen konnte. In der Antike war B. von geto-dakischen Stämmen besiedelt, die durch die Römerherrschaft romanisiert wurden. Seit dem 6. Jh. kamen vom Nordwesten slav. Stämme u. ließen sich auf dem Gebiet von B. nieder. Sie traten in enge Verbindungen mit den romanisierten Geto-Dakern u. trugen zur Ethnogenese der Rumänen bei. Zwischen dem 11. u. 12. Jh. gehörte B. zuerst zum Einflussbereich der →Kumanen, dann zu dem des Kiever Reiches u. des Fsm.s Galizien-Wolhynien (Halyč). Im 13. Jh. gehörte es zum Chanat der Goldenen Horde (→Mongolen; →Tataren). Im 14. Jh. lag das Gebiet im Schnittpunkt des Einflusses mold. u. walach. →Vojvoden, im 15. Jh. wurde es Teil des mold. Vojvodats. Unter der Bezeichnung Budschak (rum. Buceag) wurde 1538 der Südosten von B. in das →Osm. Reich einverleibt. Durch die Ausdehnung Russlands in Richtung SOE (vgl. →Griechisches Projekt; →Krim) fanden im 18. Jh. auf dem Gebiet von B. mehrere osm.russ. Kriege statt. Als Russland das Gebiet durch den →Bukarester Vertrag 1812 in Besitz nahm, wurde die Bezeichnung B., die bis dahin nur den Süden des Budschak fasste, auf das gesamte Gebiet zw. Dnjestr u. Pruth übertragen. Um der Fluchttendenz der mold. Bevölkerung entgegenzuwirken, hatte B. anfangs einen autonomen Status (Hauptstadt →Chişinău) u. wurde erst 1828 eine russ. Provinz (ab 1873 Gouvernement). Weil das ca. 45.000 km2 große Gebiet schwach besiedelt war, förderten die Zaren die Einwanderung v. russ., ukr. u. dt. Bauern. Außerdem zogen viele Juden sowie einige Bulgaren u. →Gagausen nach B., so dass die Einwohnerzahl stetig anstieg v. 250.000 (1812) auf 412.000 (1829). Nach dem →Krimkrieg musste Russland 1856 den südl. Teil (Cahul, Bolgrad, Ismail) an die Moldau ab- bzw. zurückgeben (→Paris, Friede v. 1856). Durch den Pariser Frieden wurde die untere Donau samt Delta internationalisiert, wodurch es zu einem wirt. Aufschwung kam. In B. ist v. a. Getreide angebaut u. exportiert worden. Nach dem →Berliner Kongress 1878 kam der Süden wieder zu Russland. Die eine Variante des Rumänischen sprechenden Moldauer stellten 1897
Bessarabien
mit 47,6 % die relative Mehrheit der Bev. u. waren zumeist analphabetische Bauern. In der Industrie u. im Handel waren die Juden überproportional vertreten. Nach der Februarrevolution entstand die Moldauische Nationalpartei, aufgrund deren Initiative im November 1917 der Landesrat (Sfatul Ţării) gebildet wurde. Er bestand aus Delegierten der pol. Organisationen. Die Moldauer waren mit über 70 % überrepräsentiert (selbst wenn man die Angaben der rum. Volkszählung v. 1930 mit 1.610.700 d.h. 56,2 % zugrunde legt). Als B. durch die Unabhängigkeit der Ukraine v. Russland abgetrennt wurde, proklamierte der Landesrat am 15.12.1917 die autonome Moldauische Demokratische Republik. Einige ihrer neu ernannten Minister sahen sich bald v. bolschewistischen Kräften bedroht u. verlangten deshalb den Schutz der Armee Rumäniens. Nachdem diese im Januar 1918 einmarschiert war, erklärte der Landesrat am 6. Februar die vollständige Unabhängigkeit v. Russland u. am 9.4.1918 den freiwilligen Anschluss an Rumänien. Im Oktober 1920 wurde der Anschluss v. Frankreich u. Großbritannien bestätigt, jedoch v. Seiten Sowjetrusslands nicht anerkannt. Wegen sowj. Interventionsversuche stand das Grenzgebiet zur UdSSR zumeist unter Kriegsrecht u. die Bürgerrechte der Ukrainer sowie Russen (1930: gemeinsam 666.100, d.h. 23,3 %) wurden missachtet. Die dt. Minderheit (1930: 81.100, 2,8 %) hatte v. a. unter der forcierten Rumänisierung zu leiden. Die jüd. Bev. (1930: 204.800, 7,2 %) wurde ab 1938 noch zusätzlich durch Sondergesetze diskriminiert. Infolge des →Ribbentrop-Molotov-Paktes verlangte die Sowjetunion in einem Ultimatum am 26.6.1940 die Räumung von B. Angesichts der militärischen Übermacht musste Rumänien die Verwaltung u. Armee abziehen. B. wurde aufgeteilt: der größte Teil kam zur Moldawischen SSR (→Moldau, Republik), der Süden zur Ukrainischen SSR. Ab 1940 veränderte sich die ethn. Bevölkerungsstruktur von B. entscheidend. Im Sommer 1940 war manchen Rumänen die Flucht nach Rumänien gelungen. Im Herbst wurde die dt. Minderheit ins Dt. Reich umgesiedelt. Als die Armee Rumäniens im Sommer 1941 an der Seite des Dt. Reiches B. zurückeroberte, wurden viele Juden ermordet. Im Herbst 1941 deportierten die rum. Militärbehörden die übrigen Juden in das benachbarte →Transnistrien. Im Frühjahr 1944 rückten sowj. Truppen ein u. B. wurde erneut zw. der Moldawischen SSR u. der Ukrainischen SSR aufgeteilt. Lit. (a. →Chişinău; →Moldau, Rep.; →Transnistrien): A. Kuško/V. Taki, Bessarabija v sostave Rossijskoj Imperii (1812–1917). Moskva 2012; U. Schmidt, Bessarabien: Deutsche Kolonisten am Schwarzen Meer. Postdam 22012; S. Suveică, Basarabia în primul deceniu interbelic (1918–1928). Modernizare prin reforme. Chişinău 2010; M. Hausleitner, Deutsche u. Juden in Bessarabien 1814–1941. Zur Minderheitenpolitik Russlands u. Großrumäniens. München 2005. A. Moraru, Istoria Românilor. Basarabia şi Transnistria. Chişinău 1995; W.P. van Meurs, The Bessarabian Question in Communist Historiography. New York 1994; G. Ciorănescu, Bessarabia. Disputed Land between East and West. Bucureşti 1993; E. Völkl, Bessarabien – Moldova, in: Der ruhelose Balkan. Hg. M. Weithmann. München 1993, 44–63; The Tragic Plight of a Border Area: Bessarabia and Bucovina. Hg. M. Manoliu-Manea. Los Angeles 1983; N. Dima, Bessarabia and Bukovina. The Soviet-Romanian Territorial Dispute. Boulder u. a. 1982; A.V. Boldur, Istoria Basarabiei. 2 Bde. Chişinău 1937/40 (Ndr. Bucureşti 1992). M. H.
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Bevölkerung. 1) Bev.bewegung, 2) Bev.dichte u. –verteilung, 3) Über-, Untervölkerung, 4) Bev.politik. 1. Bevölkerungsbewegung Unter B. versteht man die quantitative Veränderung (Zunahme oder Abnahme) einer Population im zeitlichen Verlauf. Sie ist das saldierte Ergebnis der Geburten u. Sterbefälle (natürliche B.) auf der einen u. der grenzüberschreitenden Wanderbewegungen (räumliche B.) auf der anderen Seite. Im folgenden wird nur die natürliche B. behandelt (zu den räumlichen Veränderungen →Migrationen u. →Zwangsmigrationen). Der Saldo von Geburten u. Todesfällen wird durch eine Vielzahl von Faktoren beeinflusst, darunter Häufigkeit der Eheschließungen, Heiratsalter, Fruchtbarkeit, →Familienformen, außereheliche Geburten, Scheidungsraten, Säuglings- u. Kindersterblichkeit sowie durchschnittliche Lebenserwartung der Bevölkerung. In vorstatistischer Zeit wurden Eheschließungen, Geburten, Taufen u. Todesfälle in Pfarreiregistern erfasst. Während sich die Anlage solcher Register in den katholischen u. protestantischen Ländern etwa seit Mitte des 17. Jh.s durchsetzte, nahm sich der orthodoxe Klerus erst mit 150–200jähriger Verspätung dieser Aufgabe an. Mit der Gründung statistischer Ämter u. der Einführung standesamtlicher Erfassung wurden die demographischen Erhebungsmethoden seit den letzten Jahrzehnten des 19. Jh.s schrittweise systematisiert u. verbessert. Schätzungen aufgrund stabiler Bevölkerungsmodelle ergaben jedoch für die Balkanländer noch an der Wende vom 19. zum 20. Jh. eine Unterregistrierung zw. 8 u. 14 %. Dennoch lassen sich zumindest die längerfristigen Trends der natürlichen B. in großen Teilen Südosteuropas seit Mitte oder Ende des 19. Jh.s einigermaßen zuverlässig rekonstruieren. Über Jahrhunderte hinaus war der Balkanraum im Vergleich zu West- u. Mitteleuropa relativ dünn besiedelt. Kriege, Epidemien u. Krankheiten ließen die Bevölkerung – wenn überhaupt – nur langsam wachsen. Eine grundsätzliche Dynamisierung der B. (Beginn der „demographischen Transition“) setzte erst in den 80er Jahren des 19. Jh.s (etwa ein Jh. später als in Westeuropa) ein. Unter demographischer Transition versteht man „den Übergang von einer Bevölkerungsweise mit sowohl hohen Geburten- wie auch hohen Verstorbenenraten... zu einer solchen mit niedriger Natalität u. Mortalität. Im allgemeinen setzt sie mit einem Sinken der Sterblichkeit ein, während die Geburtenhäufigkeit vorerst hoch bleibt u. erst allmählich zurückgeht. Das Bevölkerungswachstum ist sowohl vor wie nach der demographischen Transition relativ gering; während der Übergangsphase kommt es dagegen zu einer ‘Bevölkerungsexplosion’“ (Imhof ). Aufgrund einer relativ guten Datenlage lässt sich der demographische Übergang am Beispiel Serbiens anschaulich rekonstruieren. Die Sterblichkeit, die in den 60er u. 70er Jahren des 19. Jh.s noch weit über 30 Promille betragen hatte, sank Anfang der 80er Jahre spürbar ab, während die Geburtenrate hoch blieb u. 1884 mit annähernd 48 Promille ihren absoluten Höchststand erreichte. Die demographische Schere war damit weit geöffnet; der Geburtenüberschuss stieg zeitweilig auf über 20 Promille an. Im Jahrzehnt 1881–90 wies Serbien nach Russland u. gefolgt von Ungarn unter allen europäischen Staaten die höchste Geburtenrate auf. Dies war v. a. eine Folge des niedrigen Heiratsalters (bei Frauen im Durchschnitt 21, bei Männern 24 Jahre) u. des überdurchschnittlich hohen Anteils verheirateter Männer u. Frauen an der Gesamtbevölkerung über 15 Jahren.
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In den Balkanländern u. Russland lebten weitaus mehr gebährfähige Frauen in der Ehe als in Westeuropa. „An der westlichen Grenze Ungarns zog sich eine wichtige demographische Grenzlinie entlang u. teilte Europa u. die Habsburgermonarchie in zwei Teile. Westlich von dieser Linie heirateten die Menschen im allgemeinen spät, u. die Verhältniszahl derjenigen, die überhaupt nicht heirateten, war groß. Für den östlichen Teil Europas war die allgemeine u. frühe Heirat charakteristisch; das Zölibat bildete die Ausnahme“ (Katus). Der Index der allgemeinen Fruchtbarkeit war in Russland, den Balkanländern u. Ungarn Ende des 19. Jh.s deutlich höher als in den west- u. nordeuropäischen Staaten. Allerdings war auch die Sterblichkeit (insbes. die Säuglings- u. Kindersterblichkeit) noch überdurchschnittlich hoch. Der Verminderung der Sterbeziffer folgte relativ rasch das Sinken der Geburtenziffer. Anfang der 1930er Jahre zeichnete sich das Ende der Transitionsphase ab. Der Geburtenboom nach Ende des 2. Wk.s unterbrach diese Entwicklung zwar noch einmal kurzfristig, doch gegen Ende der 50er Jahre pendelte sich der Geburtenüberschuss (mit regionalen Unterschieden bzw. Ausnahmen hinsichtlich der muslimischen Bevölkerung) auf unter 10 Promille (mit stetig weiter absinkender Rate) ein. Anfang des 21. Jh.s verzeichneten die meisten Länder SOEs infolge v. Auswanderung u./oder rückläufiger Fertilitätsrate eine abnehmende Bev.zahl (Albanien, Bosnien-Herzegowina, Bulgarien, Kroatien, Rumänien, Serbien). In Griechenland stagnierte die Bev.entwicklung, während Slowenien u. Montenegro leichte Zuwächse verzeichneten. Um 2010 belief sich die Bev. ganz →SOEs auf rd. 90 Mio. 2. Bevölkerungsdichte, -verteilung Zum Zeitpunkt der ersten Volkszählung im Fsm. Serbien von 1834 betrug die durchschnittliche Bev.dichte 12,5 E/km2, in Griechenland waren es 1839 20,0 E/km2 (gegenüber 58,9 E/km2 1801 in England u. Wales oder 80,3 E/km2 1829 in den Niederlanden). In den rumän. Fürstentümern lebten 1859 durchschnittlich 29,5 E/km2 u. im Kgr. Ungarn 1850 40,6 E/km2. Trotz Bev.zunahme blieb der Abstand gegenüber West- u. Mitteleuropa auch in den folgenden Jahrzehnten – z.T. bedingt durch die unterschiedlichen geophysischen Gegebenheiten, z. T. durch sozioökonom. Faktoren – groß. Zu Beginn des 20. Jh.s (1910) belief sich die Bev.dichte in Montenegro auf 24,6, in Bosnien auf 37,1, in Griechenland auf 41,6, in Bulgarien auf 45,0, in Rumänien auf 55,0, in Serbien auf 60,3 u. im Kgr. Ungarn auf 64,3 E/ km2 (gegenüber England u. Wales mit 238,7, den Niederlanden mit 171,4 u. Deutschland mit 120,0 E/km2). Das Gefälle in der Bev.dichte von Westen nach SO veränderte sich seitdem nicht mehr grundlegend. Anfang des 21. Jh.s (um 2010) wiesen Kosovo mit ca. 160 E/km2 sowie die Slowakei u. Albanien mit 111 E/km2 die höchste Bev.dichte auf. Es folgten Ungarn mit 108 E/km2, die Rep. Moldau u. Slowenien mit 105 E/km2 u. Serbien mit 101 E/km2. Die übrigen Staaten (Rumänien, Griechenland, Makedonien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Bulgarien u. Montenegro) bewegten sich zw. 90 E/km2 (Rumänien) u. 45 E/km2 (Montenegro) (Deutschland: 229 E/km2). Auch hinsichtlich der Bev.verteilung zw. Stadt u. Land unterscheidet sich SOE von Westu. Mitteleuropa. In Serbien lebten um 1900 noch knapp 86 % der Bevölkerung auf dem Lande, in Bulgarien u. Rumänien waren es jeweils mehr als 80 %, in Griechenland dagegen nur noch 67 %, ähnlich wie im Königreich Ungarn mit 69 %. Dagegen betrug der Anteil der ländlichen Bevölkerung in England u. Wales 23 % u. in Deutschland 44 %. Das heißt in
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Serbien waren nur 14,1 % der Bevölkerung in „Städten“ beheimatet. In Rumänien u. Bulgarien waren es 17,6 bzw. 19,8 % der Einwohner. Griechenland u. das Königreich Ungarn wiesen mit 33 bzw. 31 % einen deutlich höheren „Urbanisierungsgrad“ auf. Da jedoch die Definition dessen, was eine „Stadt“ ist, von Land zu Land erheblich schwankte, sind diese Zahlen nur bedingt vergleichbar. Eine andere Möglichkeit des Vergleichs ergibt sich, wenn man „Städte“ ausschließlich nach ihrer Bevölkerungszahl (u. nicht nach ihren Funktionen oder ihrem administrativen Status) definiert. So lebten z. B. in Griechenland 1907 nur 17 % der Gesamtbevölkerung in Orten mit mehr als 10.000 Einwohnern. Und sofern man die Bevölkerung in Gemeinden bis zu 5000 Einwohnern dem „Landvolk“ zurechnet, erhöht sich dessen Anteil an der griechischen Gesamtbevölkerung auf rd. drei Viertel. Zwar ist die Einwohnerzahl ein höchst umstrittenes Kriterium zur Bestimmung einer „Stadt“, aber oft das einzige, das einen internationalen Vergleich erlaubt. Nimmt man also alle Orte mit mehr als 10.000 Einwohnern u. rechnet deren Zahl auf ein fiktives Territorium von 100.000 km2 um (unabhängig von der tatsächlichen Größe des Landes), so erhält man für die Wende vom 19. zum 20. Jh. folgende Daten: für Serbien 17, für Rumänien 18, für Griechenland 19, für Bulgarien 22 „Städte“ pro 100.000 km2; für Ungarn 24 u. für Bosnien-Herzegowina 8 Orte. In Belgien gab es zum gleichen Zeitpunkt 299, in den Niederlanden 209, in Deutschland dagegen nur 87 Orte dieser Größenordnung auf jeweils 100.000 km2. Auch in der Zeit zw. den beiden Weltkriegen verlief der Urbanisierungsprozess in SOE ziemlich schleppend. Erst nach dem 2. Wk. setzte eine stürmische Phase der Verstädterung ein, so dass Ende des 20. Jh.s 50–70 % der Bev. in Städten lebten (→Urbanisierung). 3. Über-, Untervölkerung Etwa seit Ende des 19. Jh.s zeichnete sich in vielen ländl. Regionen SOEs (ungeachtet der im Vergleich zu Westeuropa geringen durchschnittlichen Bev.dichte) eine zunehmende Bodenknappheit ab, da die Bev. schneller wuchs als die gesamtwirtschaftl. Produktivität bzw. die Schaffung neuer Arbeitsplätze außerhalb der Landwirtschaft („malthusianische Schere“). Die unterschiedlichen Wachstumskurven führten zu dem, was in der Zwischenkriegszeit unter dem Stichwort „ländl. Übervölkerung“ intensiv diskutiert wurde. Ländl. Übervölkerung ist ein relativer Begriff, der nicht nur zur landwirtschaftl. Nutzfläche, sondern auch zu Bodenqualität, Kapitalausstattung, Bewirtschaftungsweise u. „know how“ der →Bauern in Beziehung gesetzt werden muss. Eine extensiv betriebene Landwirtschaft erfordert mehr Boden als eine intensiv betriebene. Die infolge der Bev.vermehrung u. Realteilung zunehmende Verkleinerung der bäuerl. Höfe (bei nach wie vor extensiver Wirtschaftsweise: Dreifelder- statt Fruchtwechselwirtschaft) u. die damit verbundene ländl. Armut (v. a. in den landwirtschaftl. „passiven“ Teilen Jugoslawiens u. Griechenlands) schufen nach Beginn der →Weltwirtschaftskrise eine explosive Situation. Zur Bekämpfung von „Übervölkerung“ u. Armut wurden v. Agrarexperten u. Bev.wissenschaftlern in der Zwischenkriegszeit eine Fülle von Maßnahmen vorgeschlagen, die aber nur z.T. umgesetzt wurden u. keine nachhaltigen Erfolge erzielten. Erst die energisch vorangetriebene →Industrialisierung u. die damit verbundene Urbanisierung nach dem 2. Wk. lösten das Übervölkerungsproblem zumindest partiell. Im privatwirtschaftl. Agrarsektor Jugoslawiens mit seinen politisch gewollten Kleinbetrieben kam es jedoch (ähnlich wie in Griechenland) infolge der Landflucht der Jüngeren
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u. der Vergreisung der Älteren zu einer Untervölkerung, so dass etwa ab den späten 1970er Jahren viele Dörfer vom Aussterben bedroht waren. 4. Bevölkerungspolitik Das Auf u. Ab der Bev.bewegung u. die unterschiedlichen Wachstumsraten der ethn. u./ oder relig. Gruppen haben auch die Politik in den soe. Staaten intensiv beschäftigt. Die weit verbreitete Auffassung, dass Bev.wachstum mit einem Machtzuwachs des Staates gleichzusetzen sei, stand von Anfang an in einem Spannungsverhältnis zur sozialen Realität. Unter dem Einfluss des Siegeszugs von Medizin, Biologie, Anthropologie u. Rassenkunde seit dem ausgehenden 19. Jh. entwickelte sich in der Zwischenkriegszeit eine Bev.wissenschaft, deren Vertreter vielfältige Überlegungen zur „Optimierung“ der Bev. (Verbesserung von Hygiene u. medizinischer Versorgung, Bekämpfung von Erbkrankheiten mittels Eugenik) anstellten. Die Bev. wissenschaftler orientierten sich oft an ausländischen „Vorbildern“ u. plädierten entweder für eine Senkung der allg. Geburtenrate oder für eine selektive Beschränkung der Geburten, namentlich in sozial marginalisierten Schichten. Die meisten Vorschläge blieben jedoch auf dem Papier, weil die infrastrukturellen Voraussetzungen für ihre Umsetzung fehlten oder die Politiker vor derartigen Maßnahmen zurückschreckten. Die stetig sinkenden Geburtenraten nach dem 2. Wk. lösten dann in vielen Ländern erneut eine Alarmstimmung aus. Die sozialist. Regime, die sich von der Überzeugung leiten ließen, dass die Bev. aufgrund der guten Lebensbedingungen im Sozialismus kontinuierlich wachsen würde, waren aufs höchste beunruhigt u. versuchten, das reproduktive Verhalten der Bev. durch eine pronatalistische Politik zu beeinflussen. Besonders menschenverachtende Züge nahm diese Politik in der Spätphase der Diktatur Nicolae Ceauşescus in Rumänien an. Der „Nationalkommunist“ (→Kommunismus) Ceauşescu wünschte sich zur Jahrtausendwende ein Volk von 30 Mio. Um dieses (utopische) Ziel zu erreichen, wurden drakonische Maßnahmen gegen Frauen ergriffen, die ihrer „Reproduktionspflicht“ nicht nachkamen, u. gegen Ärzte, die illegale Abtreibungen durchführten. Angesichts der katastrophalen Lebensverhältnisse in Rumänien in den 1980er Jahren führte diese forcierte Geburtenpolitik zu einer sprunghaft ansteigenden Säuglings- u. Kindersterblichkeit. Alarmierend wirkte auch der Umstand, dass die musl. Bev. (z. B. in Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Makedonien oder Bulgarien) schneller wuchs als die jeweilige Titularnation. Die oft systematisch geschürten Ängste vor einem „demographischen Niedergang“ der Nation oder deren „Überfremdung“ trugen vielerorts zur nationalen Mobilisierung der Bev. in der Spätphase der sozialist. Regime bei. Abnehmende oder stagnierende Geburtenraten u. ethnonationale Konkurrenz haben obendrein ein stetig zunehmendes Interesse soe. Politiker an ihren im Ausland lebenden (ehem.) Konnationalen geweckt. Lit.: (zu 1 u. 2) F. Rothenbacher, The Central and East European Population since 1850. Basingstoke 2012 [behandelt alle ehem. sozialist. Länder Ost-, Ostmittel- u. Südosteuropas]; M. Todorova, Balkan Family Structure and the European Pattern. Demographic Developments in Ottoman Bulgaria. Washington 1993; Studies on the Historical Demography of Romania. Hgg. I. Bolovan/S. Bolovan. Cluj-Napoca 1992; H. Sundhaussen, Historische Statistik Serbiens 1834–1914. Mit europäischen Vergleichsdaten. München 1989 [Kap. 1 u. 2]; J. Gelo, Demografske
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Beylerbeyi
promjene u Hrvatskoj od 1780. do 1981. g. Zagreb 1987; M. Jackson, Comparing the Balkan Demographic Experience, 1860 to 1970, Journal of European Economic History 12 (1985); L. Katus, Die Probleme des demographischen Übergangs in Ungarn vor dem ersten Weltkrieg, in: Demographie, Bevölkerungs- u. Agrarstatistik. Hg. G. Erdödy. Budapest 1982, 61–87; A.E. Imhof, Einführung in die Historische Demographie. München 1977; I. Banco, Studien zur Verteilung u. Entwicklung der Bevölkerung von Griechenland. Bonn 1976; I. Szabó, La répartition de la population de Hongrie entre les bourgades et les villages, dans les années 1449–1526. Budapest 1970; W.E. Moore, Economic Demography of Eastern and Southern Europe. Geneva 1945. (zu 3) R. Bićanić, Agrarna prenapučenost. Zagreb 1940; R. Popović, Agrarna prenaseljenost Jugoslavije. Beograd 1940; N. Mirkowitsch, Die Bevölkerungsentwicklung Jugoslawiens u. das Problem der agrarischen Übervölkerung, Weltwirtschaftliches Archiv 50 (1939), H. 1, 98–144; O. Frangeš, Problem relativne prenapučenosti u Jugoslaviji, Arhiv Ministarstva poljoprivrede 5 (1938), H. 11, 3–46. (zu 4) M. Turda, Eugenics and nation in early 20th century Hungary. Houndmills, Basingstoke 2014; Health, Hygiene and Eugenics in Southeastern Europe to 1945. Hgg. Chr. Promitzer/S. Trubeta/M. Turda. Budapest 2011; S. Balantzova, Demography and Nation. Social legislation and population policy in Bulgaria, 1918–1944. ebd. 2010; M.Turda, Eugenism şi antrologia rasială în România 1874–1944. Bucureşti 2008; „Blood and Homeland“: Eugenics and Racial Nationalism in Central and Southeast Europe (1900–1940). Hgg. M. Turda/P. Weindling. Budapest, New York 2007; U. Brunnbauer/K. Taylor, Creating a “socialist way of life”: family and reproduction policies in Bulgaria, 1944–1989, Continuity and Change 19 (2004), H. 2, 283–312; M. Bucur, Eugenics and Modernization in Interwar Romania. Pittsburgh/Pa. 2002. H.P. David, From Abortion to Contraception. A resource to public policies and reproductive behaviour in Central and Eastern Europe from 1917 to the present. Westport/Conn. 1999; G. Kligman, The Politics of Duplicity. Controlling Reproduction in CeauȘescu’s Romania. Berkeley, Los Angeles, London 1998. H. S.
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Beylerbeyi (türk. beğlerbeği „→Beg der Begs“, analog zum seldschukischen malik al-umarā’ „Oberbefehlshaber“). Wie andere Titel erfuhr B. im Laufe der Zeit eine Abwertung, u. zwar von „Oberkommandierender“ über „Provinzgouverneur“ zum bloßen Ehrentitel für verschiedene Amtsträger der osm. Territorialverwaltung. Im Osm. Reich ist B. (erstmals durch Murad I. [1362–1389] verliehen) ursprünglich der Titel für den Oberkommandierenden der osm. Hauptstreitkräfte. Seit 1392 gab es zwei B. mit territ. Zuständigkeiten, je einen für die europ. u. asiatischen Provinzialtruppen (genannt Rumili beylerbeyisi u. Anadolu beylerbeyisi). Unter Murad II. (1421–1451) fungierten diese bereits als Generalgouverneure in den jeweiligen Reichshälften, zuständig für die Aufsicht über die →Spahis ihrer Region u. deren Mobilisierung im Kriegsfall. Im Zuge der Ausdehnung des Osm. Reiches u. der Schaffung neuer Provinzen (→Eyalet) wuchs die Zahl der B. bis zum Ende des 16. Jh.s auf nahezu vierzig. Dem B. von Rumili (→Rumelien), der seit 1536 Sitz im großherrlichen →Diwan hatte, kam im Hofzeremoniell – gleich nach den →Wesiren – Vorrang vor allen übrigen B. zu. Sein Amt nahm gelegentlich der →Großwesir wahr. Bereits unter Mehmed II. (1451–1481) war B. (u. seit dem Ende des 17. Jh.s Rumili beylerbeyisi) neben der Amtsbezeichnung auch als bloßer Ehrentitel gebräuchlich (häufig in der persischen Form mīrmīrān oder mīr-i mīrān). Ein B.
Beylerbeyi / Bilderstreit (Ikonoklasmus)
trug wie ein Wesir den Paschatitel, daher hieß der dem B. direkt unterstellte Zentral-→Sancak einer Provinz „Sancak des Pascha“ (in Rumili z. B. die Gebiete um →Sofia u. Manastır/ Bitola). Seit dem 18. Jh. findet sich für B. zunehmend der Ausdruck →Wali; nach 1864 (vgl. →Tanzimat) wird dieser zur offiz. Bezeichnung für den Provinzgouverneur. Lit.: V.L. Ménage, Beglerbegi, in: EI2; H. İnalcık, Eyālet, ebd.; M. Kunt, The Sultan’s Servants. The Transformation of Ottoman Provincial Gouvernment, 1550–1650. New York 1983; ders., Bir Osmanlı Valisinin Yıllık Gelir-Gideri Diyarbakır, 1670–71. İstanbul 1981. M. U.
Bilderstreit (Ikonoklasmus). Innerbyz. relig.-ges. Kontroverse über die Verehrung von Bildern Christi, der Gottesmutter u. der Heiligen. Obwohl viele Theologen der Alten Kirche der Anfertigung von Bildern Christi, der Gottesmutter u. der Heiligen eher ablehnend gegenüberstanden, brach sich das Verlangen nach Bildern, in denen der Dargestellte in wundertätiger Weise präsent ist, im 6 u. 7. Jh. Bahn. Eine innerkirchliche Oppositionsbewegung um die Bischöfe Konstantin von Nakoleia u. Thomas von Klaudiopolis fand 726 die Unterstützung Ks. Leons III. (717–741), doch erst 729/730 wandte sich ein ksl. Edikt gegen die Verehrung von Bildern in der Kirche. Seinen Höhepunkt erreichte der Kampf gegen die Bilderverehrung in der Regierungszeit Konstantins V. (741–775), der nicht nur eine theol. Streitschrift gegen die Bilder verfasste, sondern im Februar 754 in Hiereia eine Reichssynode versammelte, die die Bilder verwarf, weil sich die Vereinigung der göttlichen u. der menschlichen Natur in Christus einer bildlichen Darstellung entziehe. Da weder Rom noch die drei gr.-orth. Patriarchate (→Patriarch) des Nahen Ostens Vertreter nach Hiereia entsandt hatten, fiel es den Bilderverehrern leicht, die Ökumenizität des Konzils zu bestreiten. Wahrscheinlich erst nach 767 kam es zu Verfolgungsmaßnahmen gegen Mönche, die der Ks. wohl nicht nur wegen einer Neigung zur Bilderverehrung bekämpfte, sondern weil sie sich dem Militärdienst u. der Steuerpflicht entzogen. Erst nach 780 leitete Kaiserin Eirene, die für den minderjährigen Konstantin VI. (780– 797) die Regentschaft führte, einen bilderfreundlichen Kurswechsel ein, der der Wiederherstellung der Kirchengemeinschaft mit Rom u. den Patriarchaten des Nahen Ostens dienen sollte u. vom 28.9.–23.10.787 auf dem siebten ökumenischen Konzil in Nikaia offiziell vollzogen wurde. Die dogmatische Definition des Konzils betonte, dass die Verehrung nicht dem Bild, sondern nur dem auf ihm Dargestellten erwiesen werde u. unterschied strikt zw. der Anbetung (latreia), die ausschließlich Gott zukomme, u. der Verehrung (proskynesis), die man Bildern u. Reliquien erweise. Die milit. Misserfolge Eirenes u. ihrer Nachfolger führten unter Leon V. im April 815 zur Wiederaufnahme einer bilderfeindlichen Kirchenpolitik, die unter Theophilos (829–842) ihren Höhepunkt erreichte, aber bereits 843 durch die Maßnahmen der Kaiserin Theodora (Regentin 842–856) u. des Patriarchen Methodios I. (843–847) revidiert wurde. Eine Synode setzte die Beschlüsse von 787 wieder in Kraft u. führte das Fest der →Orthodoxie ein, das bis heute am ersten Sonntag der Großen Fastenzeit vor Ostern gefeiert wird. Seither ist das Kult- u. Heiligenbild (Ikone, aus altgr. eikon: Bild, Abbild) ein fester Bestandteil des Bildprogramms der orth. Kirchen. Die meist auf Holz gemalten Bilder sind
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Bilderstreit (Ikonoklasmus) / Bildungswesen
kirchlich geweiht (bereits ihre Hestellung ist ein liturgischer Akt) u. besitzen für die Theologie u. Spiritualität eine sehr große Bedeutung. Der Zweck der Ikonen ist, Ehrfurcht zu erwecken u. eine existenzielle Verbindung zw. dem Betrachter u. dem Dargestellten herzustellen, indirekt auch zw. dem Betrachter u. Gott. Ikonen werden in der orthodoxen Kirche nicht als schöpferisches Werk eines Künstlers u. auch nicht als Kunstwerk, sondern als Erscheinung, Selbstabdruck des himmlischen Urbildes verstanden. Für Außenstehende sind sie dagegen ein wesentlicher Bestandteil der byz. geprägten Kunst. Lit.: Bilderstreit: L. Brubaker, Inventing Byzantine Iconoclasm. London 2012; Şt. Pop-Curşeu, L’iconoclasme et son revers: Naissance d’une philosophie de l’image à Byzance, Ekphrasis 2 (2010), 26–63; M.-F. Auzépy, L’histoire des iconoclastes. Paris 2007; J.S. Codoñer, El periodo del segundo Iconoclasmo en Theophanes Continuatus. Amsterdam 1995; G. Dagron, Ikonoklasmus u. Begründung der Orthodoxie (726–847), in: Geschichte des Christentums, Bd. 4: Bischöfe, Mönche u. Kaiser (642–1054). Hgg. G. Dagron/P. Riché/A. Vauchez. Dt. Ausgabe Hg. E. Boshof. Freiburg u. a. 1994, 97–175; H.-G. Thümmel, Bilderlehre u. Bilderstreit. Arbeiten zur Auseinandersetzung über die Ikone u. ihre Begründung vornehmlich im 8. u. 9. Jh. Würzburg 1991; P. Schreiner, Der byz. Bilderstreit: kritische Analyse der zeitgenössischen Meinungen u. das Urteil der Nachwelt bis heute, in: Bisanzio, Roma e l’Italia nell’Alto Medieovo. Spoleto 1988, 319–427; Der byz. Bilderstreit. Sozialökonomische Voraussetzungen – ideologische Grundlagen – geschichtliche Wirkungen. Hg. J. Irmscher. Leipzig 1980; Iconoclasm. Papers Given at the Ninth Spring Symposium of Byzantine Studies, March 1975. Hgg. A. Bryer/J. Herrin. Birmingham 1977. Ikone: K.L. Marsengill, Portraits and Icons. Between reality and spirituality in Byzantine art. Turnhout 2013; A. Stolić/A. Vujnović, Ikona: srpska duhovna i istorijska slika. The icon: a Serbian spiritual and historical picture. Beograd 2011; T. Rakićević, Ikona u liturgiji. Smisao i uloga povodom osam vekova od oslikavanja studeničke Bogorodičine crkve i osam vekova ktitorskog natpisa Svetoga Save u manastiru Studenici. Studenica 2010; B.V. Pentcheva, The Sensual Icon. Space, ritual, and the senses in Byzantium. University Park/ Penn. 2010; La tradizione ortodossa della Bulgaria. Icone e manoscritti dal XIV al XIX secolo. The orthodox tradition of Bulgaria. Icons and manuscripts from XIV to XIX century. Hg. P. Simone. Milano 22007; S.K. Paskaleva, Icônes de Bulgarie. Sofia 1987; C. Nicolescu, Rumänische Ikonen. Berlin 1973; K. Weitzmann u. a., Frühe Ikonen. Sinai, Griechenland, Bulgarien, Jugoslawien. Wien, München 1965; D. Talbot Rice, Byzantine Icons. London 1959. K.-P. T.
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Bildungswesen. Den Beginn des B. im Früh- u. Hoch-MA setzte die →Christianisierung, als kirchl. Schulen entstanden, die sich neben Lesen u. Schreiben um die Vermittlung der Glaubenslehre bemühten. Markstein war die von Byzanz initiierte Mission durch die →„Slavenapostel“ Konstantin-Kyrill u. Methodius sowie die darauf aufbauende Kultur in Bulgarien (→Bulgarisches Reich) u. ihre Ausstrahlung in die von der Ostkirche erfassten Nachbarländer. Mit dem Aufkeimen des Handels, des Städtewesens u. des Humanismus im 14. u. 15. Jh. erweiterte sich dann nicht nur das Netz der Bildungseinrichtungen, sondern stieg auch der Bildungsbedarf (→Universitäten, deren spätma. Gründungen in SOE allerdings nur im Bereich von Ungarn erfolgten).
Bildungswesen
In den habsb. Ländern SOEs kam es sowohl zur fortgesetzten Übernahme u. Verarbeitung von Impulsen aus dem übrigen Europa (→Reformation, Rationalismus, →Aufklärung) als auch zur Förderung des B. aus staatspolitischen Gründen. Kaiserin Maria Theresia u. Ks. Joseph II. legten den Grundstein für ein allg. Grundschulwesen u. für den späteren Aufstieg der höheren Schulen (→Josephinismus). Weitere tiefgreifende Schritte erfolgten allerdings erst mit den Reformen ab 1848/49 bzw. in der konstitutionellen Ära ab 1867. Nun wurden auch die ländlichen Zonen stärker erfasst, so dass bis zu Beginn des 20. Jh.s die →Alphabetisierung – je nach Region u. Infrastruktur unterschiedlich stark – voranschritt. Für das B. wichtig waren außerdem die auf nationale Interessen ausgerichteten Institutionen zur Förderung der Volkskultur u. Wissenschaften (sog. →„Matice“ u. →Akademien) sowie – für die Serben u. Rumänen – diverse kirchliche Zentren (z. B. Karlowitz/Sremski Karlovci, Blasendorf/Blaj, Hermannstadt/Sibiu). Hierdurch kam es bei den einzelnen nationalen Gruppen zur Herausbildung u. Verbreitung der Hochsprachen sowie zum Aufkeimen eines modernen Kulturverständnisses (→Nationsbildung). In den europ. Provinzen des Osm. Reiches fiel das B. bis ins 19. Jh. hinein in die Zuständigkeit der Religionsgemeinschaften: Muslime, Christen u. Juden (hauptsächlich →Sephardim) unterhielten ihre eigenen Bildungseinrichtungen. Das christl B. war im wesentlichen auf die Klöster beschränkt u. erreichte nur einige wenige. Selbst die Angehörigen des niederen Klerus konnten kaum lesen oder schreiben. Erst nach der →Nationalstaatenbildung setzte in den →Donaufürstentümern (wo neben den Klöstern auch die Fürstenhöfe als Bildungseinrichtungen tätig gewesen waren) u. in den Balkanländern der Aufbau moderner Verhältnisse ein. Da es an Erfahrung u. finanziellen Mitteln fehlte, kam das B. bis zum 1. Wk. jedoch kaum über den städtischen Bereich hinaus, weshalb auch die Analphabetenrate nur bescheiden zurückging. Außerdem blieb die Abhängigkeit vom Ausland relativ stark (Lehrkräfte, Lehrmittel, Lehranstalten, Bildungsinhalte, →Studentenmigration). Ein neue Phase der Entwicklung des B. setzte erst nach 1918 ein. Zum einen kam es nun zwar zur Gründung oder zum Ausbau neuer Bildungsanstalten (besonders höhere u. Fachschulen), zum anderen geriet aber das B. der ethn. →Minderheiten (v. a. in →Jugoslawien u. →Rumänien) unter den steigenden Druck nationalistischer Politik. Trotz vieler Bemühungen konnten die Strukturschwächen (Rückständigkeit, Stadt-Land-Gegensatz, a. →Urbanisierung) bis zum 2. Wk. nicht behoben werden, weshalb die komm. Regime ab 1944 der Bildungspolitik große Aufmerksamkeit zuwandten. Oberstes Ziel in der sozialist. Ära wurde die Beseitigung des Analphabetentums. Weitere Maßnahmen bezogen sich auf den Aufbau eines differenzierten u. regional verteilten Fachschulwesens, um v. a. den Bedürfnissen der →Industrialisierung zu genügen, auf die Erweiterung der Bildungschancen für breitere Bevölkerungsschichten sowie auf die Anpassung an das sowj. Leitbild. Das B. stand nun allerdings im Zeichen der Abschottung gegenüber der westlichen Außenwelt, der Bekämpfung kritisch-rationalen Denkens sowie der Behinderung freien Wissensaustausches. Mit der Wende von 1989/90 haben sich für die Entwicklung des B. neue Chancen eröffnet, doch setzten pol. Rücksichten u. finanzielle Schwierigkeiten einem raschen, grundlegenden Wandel Grenzen. 165
Blutrache
Lit.(a. →Universitäten): P. Zgaga u. a., Higher Education in the Western Balkans: Reforms, Developments, Trends. Ljubljana 2013; European unification and educational challenges in the Balkans. Hg. N.P. Terzis. Thessaloniki 2008; Ch. Katsikas/K.N. Therianos, Istoria tēs neoellēnikēs ekpaideusēs. Apo tēn idrysē tu ellēniku kratus mechri to 2007. Athēna 2007; Nationalstaat oder multikulturelle Gesellschaft? Die Minderheitenpolitik in Mittel-, Ost- u. Südosteuropa im Bereich des Bildungswesens 1945–2002. Hg. P. Bachmaier. Frankfurt/M. u. a. 2003; P.T. Nagy, A magyar oktatástörténet szociológiai narratívája, Szociológiai Szemle 2002/3, 24–42; S.A. Somel, The Modernization of Public Education in the Ottoman Empire, 1839–1908: Islamization, Autocracy and Discipline. Leiden 2001; I. Mârza, Etape şi momente din istoria învăţământului în Transilvania sec. XVIII–XIX. Sibiu 2002; I. Kasumović, Školstvo i obrazovanje u Bosanskom ejaletu za vrijeme osmanske uprave. Mostar 1999; Allgemeinbildung als Modernisierungsfaktor. Zur Geschichte der Elementarbildung in Südosteuropa von der Aufklärung bis zum Zweiten Weltkrieg. Hgg. N. Reiter/H. Sundhaussen. Wiesbaden 1994; Südosteuropa-Handbuch. 8 Bde. Hg. K.-D. Grothusen. Göttingen 1975–1998; V. Gjuzelev, Bulgarien zwischen Orient u. Okzident. Wien 1993; Revolution des Wissens. Europa u. seine Schulen im Zeitalter der Aufklärung. Hgg. W. Schmale/D.L. Dodde. Bochum 1991; H. Hunger, Schreiben u. Lesen in Byzanz. Die byzantinische Buchkultur. München 1989; H. Engelbrecht, Geschichte des österreichischen Bildungswesens. 5 Bde. Wien 1982–1988; Die Habsburgermonarchie 1848–1918. Bd. III/1–2: Die Völker des Reiches. Hgg. A. Wandruszka/P. Urbanitsch. Wien 1980; M. Knežević, Školstvo Srbije 1804–1918. Dokumenti i kazivanja. Beograd 1980; Povijest školstva i prosvjete u Hrvatskoj. Hg. D. Franković. Zagreb 1958. H. He.
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Blutrache (it. vendetta; alb. gjak[marrje]; serb. krvna osveta). Sühne für Verbrechen mittels Tötung des Täters oder v. dessen „Verwandten“; einst in vielen Teilen der Welt verbreitet. Im neuzeitl. SOE findet sich diese durch das Gewohnheitsrecht (für den alb. Bereich: →Kanun des Leka Dukagjin) sanktionierte Form der Selbstjustiz in Nordalbanien, Kosovo, Montenegro, Bosnien u. Makedonien, in Kreta u. auf der Peloponnes. Die B. entstand u. entwickelte sich in →Stammesgesellschaften, vornehmlich in Gebirgsregionen. Sie diente ursprünglich der Selbsterhaltung v. Verwandtschaftsverbänden in Gebieten, wo eine übergeordnete staatliche Autorität fehlte oder nicht ausreichend wirksam war. Mit dem Aufkommen von Staatlichkeit artete sie aus u. hatte als – in der Reiseliteratur oft heimlich bewunderter – Ausdruck „heroischer Lebensformen“ überaus negative Auswirkungen auf das ges. Leben. Der B. unterlagen nicht nur Mord, sondern auch (landschaftlich unterschiedlich) Vergehen wie Entführung, Ehebruch, Verleumdung, Bruch des gegebenen Wortes, falsche Zeugenaussage vor Gericht usw. Ausgeübt wurde sie von den männlichen Mitgliedern der Hausgemeinschaft. Sie richtete sich nicht nur gegen den Übeltäter, sondern gegen das ganze Haus, das „Blut schuldete“. Frauen (→Frau, ges. Stellung) waren von der B. ausgenommen, sie konnten weder rächen noch Opfer einer Rache werden, außer im seltenen Fall der deklarierten Aufgabe ihrer weiblichen Identität (sog. virgjinesha). Indirekte Opfer der B. wurden die Frauen dennoch, denn sie hatten die Last der Arbeiten außer Haus zu tragen, während die Männer rächten oder sich vor den Rächern verbargen. Die Rache durfte für bestimmte Zeiten ausgesetzt u. auf bestimmten Wegen oder an bestimmten Plätzen (z. B. Kirchen) nicht ausgeübt
Blutrache / Bodenrecht
werden. Da sich die B. nicht nur gegen den Übeltäter, sondern gegen dessen ganzes Haus richtete, waren die Blutkonten selten ausgeglichen; die B. konnte sich über mehrere Generationen hinziehen. Eine Aussöhnung der verfeindeten Parteien war möglich u. wurde zumeist von der Geistlichkeit vermittelt. Gewöhnlich erfolgte sie erst, wenn eine Familie durch den Tod mehrerer männlicher Mitglieder vom Aussterben bedroht war oder Gefahren von außen die Gesamtgemeinschaft bedrohten. Die Bemühungen staatlicher Behörden im spätosm. Reich, in den postosm. Staaten u. während der kommunist. Zeit um Eindämmung der B. waren nicht überall erfolgreich. Das teilweise Wiederauftauchen der B. in Albanien nach der Wende ist häufig v. nur rudimentärer Einhaltung der einstigen gewohnheitsrechtl. Regeln begleitet. Eine eindrucksvolle literarische Schilderung der B. findet sich in Ismail Kadares Roman „Der zerrissene April“ (Prilli i thyer). Lit. (a. →Rechtsgeschichte, Rechtskultur; →Kanun des Leka Dukagjin): A. Tsantiropoulos, Collective Memory and Blood Feud. The case of mountainous Crete, Crimes and Misdemeanours 2 (2008), H. 1, 61–80; K. Mile, Gjakmarrja: mes kanunit dhe shtetit mbi qasjen institucionale dhe sociale ndaj dukurisë së gjakmarrjes. Tiranë 2007. [Text alb. u. engl.]; M.R. Hickok, Homicide in Bosnia, in: The Ottomans Balkans, 1750–1830. Hg. F.F. Anscombe. Princeton 2006, 35–60; D. Gellci, Gjakmarrja. Albanian Highlander’s Blood Feud as social obligation. Tirana 2005; M. Šćepanović, O krvnoj osveti. Krivičnopravni prikaz. Podgorica 2003; A. Young, Women Who Become Men. Albanian Sworn Virgins. Oxford 2000; S.S. Djurić, Osveta i kazna: sociološko istraživanje krvne osvete na Kosovu i Metohiji. Niš 1998; Honor and shame and the unity of the Mediterranean. Hg. D.D. Gilmore. Washington 1987; M. Herzfeld, The Poetics of Manhood. Contest and Identity in a Cretan Mountain Village. Princeton/N.J. 1985; Ch. Boehm, Blood Revenge. The Anthropology of Feuding in Montenegro and Other Tribal Societies. Lawrence/KS 1984; M. Zurl, Krvna osveta u Kosovu. Zagreb 1978; J. Black-Michaud, Cohesive Force. Feud in the Mediterranean and the Middle East. New York 1975; A. Matkovski, Dietot – krvninata vo Makedonija i na Balkanskiot poluostrov za vreme na turskoto vladeenje. Skopje 1973; Honor and Shame: The Values of Mediterranen Society. Hg. J.G. Peristiany. London 1965; M. Hasluck, The Unwritten Law in Albania. Cambridge 1954; I.M. Jelić, Krvna osveta i umir u Crnoj Gori i severnoj Arbaniji. Istorisko-pravna studija. Beograd 1926; F. Baron Nopcsa, Beitrag zur Statistik des Mordes in Nordalbanien, Mitteilungen der K.K. Geographischen Gesellschaft Wien (1907), 429–437. P. B.
Bodenrecht. Das Bodenrecht kann in den Gesellschaften SOEs, die bis in die jüngste Zeit stark agrarisch geprägt waren, als eine der wirkungsmächtigsten Institutionen gelten. Der gewohnheitsrechtliche u. formaljuristische Umgang mit Verfügungsrechten über das Eigentum an Grund u. Boden ist daher immer wieder Gegenstand von auf →Modernisierung abzielenden Reformbestrebungen der →Eliten sowie von eigensinnigen Beharrungskräften der bäuerlichen Akteure gewesen (→Bauern). Weit über seine juristische Dimension als Kern des Zivilrechts hinaus, hat das B. Bedeutung in wirt. Hinsicht als Grundlage des Agrarregimes, in pol. Hinsicht als Basis bäuerlicher Partizipation in der Gesellschaft u. als Grundlage bäuerlicher Lebensweise in identitär-kultureller Hinsicht.
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Bodenrecht
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Seit dem frühen 19. Jh. kann die Geschichte des B.s in fünf, idealtypisch gefasste Abschnitte gegliedert werden: 1) Gewohnheitsrecht bei schwacher Durchdringung der ländlichen Gesellschaft durch ferne Überschichtungsstaaten; 2) bürgerlich-individualistisches Recht der jungen Nationalstaaten; 3) national überformtes Recht, vornehmlich in der Zwischenkriegszeit; 4) sozialistisches Recht sowie 5) erneut bürgerlich-individualistisches Recht. Zwischen keiner dieser Perioden ist es möglich, eine trennscharfe Linie zu ziehen; jederzeit u. überall in SOE ist vielmehr von Rechtspluralismus auszugehen, also von der zeitgleichen Wirksamkeit mehrerer, häufig im Widerspruch zueinander stehender bodenrechtlicher Systeme, mindestens aber verschiedener Normsysteme. Bei der Einführung bürgerlichen Rechts im 19. Jh. wurden bezüglich des Bodenrechts i. d. R. signifikante Ausnahmen gemacht. Im serbischen Bürgerlichen Gesetzbuch von 1844 wurden Erbschaftsregelungen aus dem Gewohnheitsrecht der Zadruga (→Großfamilie) übernommen u. in der okućje-(Heimstätte-)Gesetzgebung wurde ein Mindestmaß an Garten- u. Ackerland aus dem Geltungsbereich des allgemeinen Schuld- u. Vertragsrecht ausgenommen. In Rumänien geschah diese Einführung systemfremder Elemente in bürgerliches Recht dadurch, dass das in Agrarreformen (→Bodenreformen) an Bauern ausgegebene Land mit mehrjährigen Veräußerungsverboten belegt wurde. Solche Maßnahmen wurden mit der Absicht des Gesetzgebers begründet, traditionale Sozialstrukturen zu bewahren bzw. langsam an die Moderne heranzuführen. Mit zunehmender Nationalisierung der Gesellschaften im ausgehenden 19. Jh. u. verstärkt wieder in den Agrarreformen der Zwischenkriegszeit traten ethnonationale Motive hinzu. Die Umverteilung von Bodeneigentum wurde zugunsten der Titularnation vorgenommen, wobei das individuelle Eigentumsrecht an Grund u. Boden diskursiv in eins fiel mit der Wiedereinsetzung des entsprechenden Ethnokollektivs in seine hist. Eigentumsrechte an einer bestimmten Provinz. In zugespitzter Form äußerte sich diese Eigentumspolitik in teilweise großangelegten Kolonisierungsprojekten in neuerworbenen Provinzen, wie der Süddobrudscha (→Dobrudscha), des →Kosovo u. →Makedoniens nach den Balkankriegen sowie der →Vojvodina, der Norddobrudscha, →Siebenbürgens u. →Bessarabiens nach dem 1. Wk. mit Mitgliedern der Titularnation zuungunsten der dort ansässigen ethn. →Minderheiten. Beginnend mit den Agrarreformen der Zwischenkriegszeit spiegelt die Bodenrechtspolitik auch ein sich veränderndes Verständnis von Staatlichkeit. Die traditionellen, ihre Macht auf Grundbesitz u. staatliche Ämter basierenden Eliten setzten ebenso wie Politiker aus Bauernparteien keine großen Hoffnungen in die Fähigkeiten der Bauern, mit ihrem neuen Boden wirt. verantwortlich umzugehen. Während das Agrarreformland in das Eigentum der Bauern überging, blieben zentrale Verfügungsrechte darüber in den Händen staatlicher Akteure. Dieses Misstrauen in den Markt u. bäuerliche Marktakteure wird nicht zuletzt darin deutlich, dass in keinem der Länder SOEs Informationssysteme wie Kataster u. Grundbücher aufgebaut wurden, die für Rechts- u. Erwartungssicherheit auf dem Bodenmarkt so wichtig sind. Staatliches Handeln bei der Festsetzung von Preisen u. beim Export landwirtschaftlicher Güter, beim restriktiven Import von Landmaschinen, beim Zugang zu Bankkrediten etc. stellten die Rahmenbedingungen für die wirtschaftspol. Dimension des Bodeneigentums dar. Spätestens mit dem Preisverfall für landwirtschaftliche Produkte in der
Bodenrecht
→Weltwirtschaftskrise begann sich auch der Erwartungshorizont der Bauern zunehmend auf staatliches Handeln hin zu orientieren, von dem Wege aus der Überschuldung u. der Enge des Marktes erwartet wurden. Die Agrarreformen unmittelbar nach dem 2. Wk., in denen erneut Land vornehmlich aus den Händen ethn. Minderheiten in die von Mitgliedern der Titularnation überging (vgl. →Volksdeutsche), war in ethnopol. Hinsicht eine Radikalisierung der Agrarreformen der Zwischenkriegszeit, gleichzeitig aber mutet der dabei waltende Etatismus wie der Auftakt zur Kollektivierung an. Die Herausbildung sozialist. Bodeneigentumsregime in SOE nach 1945 verdankt vieles dem sowjetischen Vorbild (→Volksdemokratien). Dieser Prozess war jedoch ebenso wenig wie derjenige der Einführung eines liberal-individualistischen Eigentumsbegriffs im 19. Jh. eine simple Kopierung, vielmehr wurde das Vorbild im Laufe des Transfers erheblich an lokale wirt., pol. u. kult. Bedingungen adaptiert. Hinter der juristisch so klar anmutenden Trias des (Boden-)Eigentums – staatliches, gesellschaftliches u. als Residualgröße privates bzw. persönliches Eigentum – im staatssozialistischen SOE bestanden erhebliche Grauzonen zw. den Kategorien innerhalb der einzelnen Gesellschaften sowie große Unterschiede zw. den Ländern. Während in Jugoslawien die Kollektivierung früh abgebrochen u. viel Mühe in die Definition u. Ausgestaltung des gesellschaftlichen Eigentums aufgewandt wurde (vgl. zum jug. Gesamtzusammenhang →Selbstverwaltung), erfasste die Kollektivierung in Rumänien, Bulgarien u. Albanien den überwiegenden Teil des Agrarlandes. Bei allen Grauzonen u. Unterschieden ist jedoch überall eine Präferenz für staatliches u. ges. Bodeneigentum zu beobachten. Dabei tendierten die realen Verfügungsrechte von Inhabern privaten sowie ges. Bodeneigentums angesichts der staatlichen Allokationspolitik von Investitionsmitteln, von festgelegten Ablieferungs- u. Ankaufpreisen sowie der unterschiedlichen Besteuerung gegen Null. In historischer Perspektive wurde die im Vergleich zu westeurop. Gesellschaften intensivere staatlich-gesellschaftliche Bindung des Bodeneigentums im „langen 19. Jh.“ unter staatssozialist. Auspizien weitergeführt u. intensiviert. Die volle Verfügung über Bodeneigentum als Grundlage bäuerlichen Lebens wurde im Staatsozialismus abgelöst u. ersetzt durch Ansprüche an staatliche bzw. gesellschaftliche Institutionen, wie die verschiedenen landwirt. Produktionsgemeinschaften (→Genossenschaften, 2) sowie an die Sozialversicherungssysteme. Die hohen Erwartungen an die (Wieder-)Einführung des liberal-individualistischen Bodeneigentums in den ländlichen Räumen SOEs nach 1989 haben sich nur für Wenige erfüllt. Auf der Ebene der Produktion brachen zunächst die Kollektiv- u. Staatsbetriebe überwiegend zusammen, der reprivatisierte Boden konnte angesichts kleiner Flächen sowie mangelnden Wissens u. Investitionskapitals kaum kompetitiv bestellt werden u. die ebenfalls kollabierten Sozialversicherungssysteme müssen auf niedrigerem Niveau wieder aufgebaut werden, wobei das Anspruchsniveau für Bauern u. Arbeitnehmer im ländlichen Raum besonders niedrig ist. Die Sonderstellung des Bodeneigentums im Vergleich zu anderen Eigentumsarten ist auch in der Phase des Umbruchs nach 1989 dadurch deutlich geworden, dass alle Staaten SOEs im Zuge ihres Beitritts zur EU Karenzzeiten aushandelten, in denen Ausländer keinen Grund u. Boden erwerben konnten. 169
Bodenreformen
Lit. (a. →Rechtsgeschichte, Rechtssysteme; →Bauern [19./20. Jh.]; →Bodenreformen; →Genossenschaften): Konflikt und Koexistenz. Die Rechtsxxxxxxxxxgen Südosteuropas im 19. und 20. Jahrhundert. Hg. M. Stolleis (Mitarb.)/G. Bender/J. Kirov. Frankfurt/M. (im Druck); Property in East Central Europe. Notions, Institutions, and Practices of Landownership in the Twentieth Century. Hgg. H. Sigrist/D. Müller. New York, Oxford 2015; D. Müller, Die Institutionalisierung von Eigentumsformen in Ostmittel- u. Südosteuropa im 20. Jh. Für eine Kulturgeschichte des Rechts, in: Institutionen u. Kultur in Südosteuropa. Hgg. W. van Meurs/D. Müller. München 2014, 119–162; Transforming rural societies. Agrarian property and agrarianism in East Central Europe in the nineteenth and twentieth centuries. Hgg. D. Müller/A. Harre. Innsbruck u. a. 2011; J. Kirov, Prolegomena zu einer Rechtsgeschichte Südosteuropas, Rechtsgeschichte 18 (2011), 140–161; ders., Foreign Law Between „Grand Hazard“ and Great Irritation: The Bulgarian Experience After 1878, Theoretical Inquiries in Law 10 (2009), 699–722; H. Küpper, Einführung in die Rechtsgeschichte Osteuropas. Frankfurt/M. 2005; T. Thelen, Privatisierung u. soziale Ungleichheit in der osteuropäischen Landwirtschaft: zwei Fallstudien aus Ungarn u. Rumänien. Frankfurt/M. 2003; K.Verdery, The Vanishing Hectare. Property and Value in Postsocialist Transylvania. Ithaca/N.Y. 2003; T. Giaro, Westen im Osten. Modernisierung osteuropäischer Rechte bis zum Zweiten Weltkrieg, Rechtsgeschichte 2 (2003), 123–139; Handbuch der Quellen u. Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte. Hg. H. Coing. Bd. 3: Das 19. Jh., 5. Tbd.: Südosteuropa. München 1988; A.G. Chloros, Yugoslav Civil Law. History. Family. Property. Oxford 1970; S.V. Vukosavljević, Istorija seljačkog društva. Bd. 1: Organizovanje zemljišne svojine. Beograd 1953; J. Petrović, Okućje ili zaštita zemljoradničkog minimuma. Beograd 1930; K. Jowanowitsch, Die Heimstätte oder die Unangreifbarkeit des ländlichen Grundbesitzes. Tübingen 1908. D. M.
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Bodenreformen (a. Bodenbesitzreformen). Im engeren Sinne die grundlegende Veränderung der Eigentums- bzw. Besitzverhältnisse an der landwirt. Nutzfläche aus soz., wirt. oder pol. Gründen. Das Ziel der B. ist entweder 1) die Abschaffung oder Beschränkung des Großgrundbesitzes zur Versorgung der landarmen oder landlosen Agrarbevölkerung mit eigenem Boden oder 2) die Aufhebung bzw. Einschränkung individueller Eigentumsrechte zugunsten ges. oder staatl. Großbetriebe (Sozialisierung oder Verstaatlichung des Bodens). B. im Sinne von 1) kamen nach dem 1. Wk. in allen soe. Staaten (mit Ausnahme Albaniens) zur Anwendung. Besonders betroffen waren jene Gebiete, in denen sich latifundistische (postfeudale) Besitzstrukturen über die →Bauernbefreiung im 19. Jh. hinaus erhalten hatten (insbes. im eh. Kgr. Ungarn, in Kroatien-Slawonien, in Dalmatien, im rum. Altreich/→Regat u. in Bessarabien) sowie jene Regionen, die noch Reste der osm. Agrarverfassung aufwiesen (wie Bosnien-Herzegowina, Makedonien oder Kosovo). Die unzureichende Versorgung der vormals abhängigen Bauern mit Land, das starke natürliche Bevölkerungswachstum u. die weit verbreitete Praxis der Realteilung nach Auflösung der →Großfamilienverbände) hatten seit dem ausgehenden 19. Jh. zu einer rasch fortschreitenden Parzellierung des Bodens u. damit zur Pauperisierung großer Teile der Landbev. geführt. Unter dem Eindruck der russ. Oktoberrevolution v. 1917 sahen sich die soe. Regierungen gezwungen, die gärende soz. Unruhe auf dem Lande durch eine Umverteilung des Bodens u. die Auflösung
Bodenreformen
überkommener Teilbau- u. Pachtverhältnisse einzudämmen. Der Druck zur Umgestaltung der Agrarverhältnisse wurde durch die Unterbringung v. Flüchtlingen (z. B. in Griechenland u. Bulgarien; →Zwangsmigration) oder die Versorgung v. Kriegsveteranen mit Grund u. Boden (v. a. in Jugoslawien) verschärft. Wo sich der Großgrundbesitz in den Händen v. Personen oder Institutionen befand, die nicht der jeweiligen Titularnation angehörten, wurde die Umverteilung des Bodens auch zur Stärkung der letzteren („Kolonisation“) bzw. zur wirt. Schwächung der ethn. →Minderheiten (z. B. der Russen in Bessarabien, der Polen in der Bukowina, der Ungarn u. Deutschen in Siebenbürgen, Kroatien-Slawonien oder der Vojvodina, der Albaner in Kosovo etc.) genutzt. (Die Ansiedlung der gr. Kleinasienflüchtlinge in Ägäisch-Makedonien u. die Aussiedlung der dort lebenden Muslime in die Türkei aufgrund des Vertrags v. →Lau sanne stellte einen extremen Sonderfall der Bodenumverteilung dar.) Die Reformen wurden in allen Ländern unmittelbar bei oder nach Kriegsende eingeleitet, danach wiederholt modifiziert u. zogen sich mit ihren Folgewirkungen (v. a. Entschädigungszahlungen) über die gesamte Zwischenkriegszeit hin. Bis Ende der 20er Jahre wurden in Rumänien rd. 6 Mio. ha, in Jugoslawien 2 Mio., in Griechenland 1,3 Mio. (unter Einbeziehung der folgenden Jahre: 1,7 Mio.), in Ungarn 0,7 u. in Bulgarien 0,2 Mio. ha von den B. erfasst. Begünstigt waren rd. 2 Mio. Kleinbauern, Teilpächter, Tagelöhner, Flüchtlinge u. Kriegsveteranen mit ihren Familien. In den balkanslav. Ländern u. in Griechenland spielte der Großgrundbesitz (über 100 ha) fortan keine prägende Rolle mehr (sofern er nicht schon vor dem 1. Wk. bedeutungslos gewesen war, wie in Serbien u. Bulgarien). Auch in Rumänien schrumpfte der Umfang des früheren adligen Großgrundbesitzes drastisch (auf 10,4 % der Ackerfläche) zusammen. In Ungarn dagegen erstreckten sich die großen Besitzungen Anfang der 30er Jahre noch immer über 41 % der landwirt. Nutzfläche. (Die in Albanien 1930 beschlossene Agrarreform, die eine teilweise Enteignung des Großgrundbesitzes vorgesehen hatte, blieb weitgehend auf dem Papier.) Der Gini-Koeffizient zur Messung der Konzentration des Bodenbesitzes betrug in den 30er Jahren für Ungarn 0,76, für Rumänien 0,59, für Jugoslawien 0,47 u. für Bulgarien 0.39. Das heißt: in Ungarn war die Konzentration bzw. Ungleichverteilung des Bodenbesitzes verhältnismäßig stark, in Bulgarien dagegen sehr schwach ausgeprägt. Die B. nach 1918 stellten einen tiefen Einschnitt in der Agrargeschichte der Balkanländer dar. Die sozialrevol. Spannungen auf dem Lande wurden vorübergehend entschärft, überlebte Agrarstrukturen (wie das Kolonat in Dalmatien, →Kolonen), das →Kmetenverhältnis in Bosnien-Herzegowina, die Teilpachtverhältnisse in Griechenland u. Rumänien oder die Reste des →Çiftlik-Systems in den vormals osm. Gebieten) wurden beseitigt. Aber der verfügbare Boden reichte bei weitem nicht aus, um die ständig wachsende Landbev. mit entwicklungsfähigen Bodengrößen auszustatten. Zeitgenössische Beobachter hielten eine Hofgröße v. 5–15 ha für notwendig, um unter den gegebenen Produktionsmethoden die Versorgung einer Familie sicherzustellen. Demgegenüber verfügten in Rumänien u. Jugoslawien drei Viertel, in Bulgarien etwa zwei Drittel aller ländlichen Familien über Besitzungen mit weniger als 5 ha (die sich zudem häufig auf eine Vielzahl weit gestreuter Parzellen verteilten). In Ungarn blieben die krassen Besitzunterschiede auch nach den B. erhalten: den Latifundienbesitzern standen die oft zitierten „drei Millionen Bettler“ gegenüber, die über kein eigenes Land oder allenfalls über Zwergbetriebe verfügten. Keine der soe. Regierungen sah sich in der Lage, die
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Bodenreformen
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Umstrukturierung der Besitzverhältnisse, die v. a. soz. u. nationalpol. Zielen diente, mit einer grundlegenden Agrarmodernisierung (Flurbereinigung, Verbesserung des ländlichen Kredits, Förderung der →Genossenschaften, Hebung des bäuerlichen Kompetenzniveaus etc.) zu verbinden. Im Unterschied zu den soz. wurden die ökon. Konsequenzen der B. daher zumeist skeptisch bis negativ beurteilt, v. a. dort, wo (wie z. B. in den ehemals habsb. Gebieten) kommerzialisierte Großbetriebe v. der Aufteilung betroffen waren (Abnahme des landwirt. Gesamtertrags, partieller Rückgang der Produktivität, Zunahme des bäuerlichen Eigenkonsums). Da der sekundäre Sektor nicht schnell genug wuchs, um den Arbeitskräfteüberschuss auf dem Lande zu absorbieren (→Industrialisierung), u. die Intensivierung der landwirt. Produktion weit hinter den Erfordernissen zurückblieb, nahm die Übervölkerung auf dem Lande gegen Ende der Zwischenkriegszeit dramatische Ausmaße an (→Bevölkerung, 3). Nach Abschluss des 2. Wk.s kam es in allen soe. Ländern zu einer neuen Welle von B. vom Typ 2). Betroffen waren die verbliebenen Großgrundbesitzungen, das Eigentum v. tatsächlichen oder vermeintlichen Kriegsverbrechern u. Kollaborateuren, der Landbesitz v. ausgesiedelten, geflohenen oder vertriebenen Deutschen (v. a. in Jugoslawien u. in geringerem Umfang in Rumänien; →Donauschwaben; Zwangsmigration) sowie (z.T.) der Besitz v. Kirchen u. anderen Institutionen. Die Landverteilung fiel am radikalsten in Ungarn aus, wo mehr als ein Drittel der ländlichen Nutzfläche enteignet u. verteilt wurde. In Jugoslawien wurden ca. 15 %, in Rumänien 8 % u. in Bulgarien 2 % der Agrarfläche in die Reform einbezogen. Die alb. Regierung löste in mehreren Schritten ab August 1945, die gr. Regierung durch eine Reform v. 1952 den verbliebenen Großgrundbesitz auf. In den sozialist. Ländern SOEs kam es im Verlauf der 50er u. 60er Jahre zu B. vom Typ 2). Deren Ziel war die Bildung ländlicher Großbetriebe in Form v. sozialist. Produktionsgenossenschaften oder Staatsgütern, v. denen eine deutliche Steigerung der Produktivität u. Produktion erwartet wurde. In Jugoslawien, wo die Kollektivierungskampagne bereits Anfang 1949 begonnen hatte, wurde das Experiment 1953 zugunsten einer limitierten Reprivatisierung (mit einem Maximum v. 10 ha) abgebrochen. In den übrigen sozialist. Ländern erreichte die Kollektivierung der Landwirtschaft zw. 1957 u. 1965 ihren Kulminationspunkt. 1960 wurden in Albanien 85 % des Ackerlands v. Kollektivwirtschaften u. Staatsbetrieben bewirtschaftet, in Bulgarien (wo die Zurückdrängung der Privatwirtschaft in großem Stil bereits früher eingesetzt hatte) waren es 91 %, in Rumänien 84 % u. in Ungarn 77 % (dagegen in Jugoslawien nur 10,4 %). Die Politik der sozialist. Regierungen gegenüber den privaten Hofparzellen war i. d. R. restriktiv (besonders in Albanien, wo zwischenzeitlich sämtlicher privater Grundbesitz verboten war, u. Rumänien). Nur in Ungarn wurde die private Produktion als wichtiger Wirtschaftsfaktor anerkannt u. gefördert. Nach dem Umbruch Ende 1989 sahen sich die postsozialist. Gesellschaften mit dem rechtlich u. ökon. schwierigen Problem der Reprivatisierung des Bodens konfrontiert. Infolge der raschen →Urbanisierung in den Nachkriegsjahrzehnten u. der Tatsache, dass die in den ländlichen Genossenschaften tätige Bev. die zur Führung einer eigenständigen Bauernwirtschaft erforderlichen Kenntnisse verloren hatte, gehörte die Reprivatisierung der Landwirtschaft (oft zusätzlich erschwert durch unklare Rechtstitel) zu den kompliziertesten Bereichen der ökon. u. rechtl. Transformation.
Bogomilen
Lit.: (a. →Bauern, 19./20. Jh.; →Bodenrecht; →Genossenschaften, 2): The Collectivization of Agriculture in Communist Eastern Europe. Comparisons and Entanglements. Hgg. A. Bauerkämper/C. Iordachi. Budapest 2014; G. Kligman/K. Verdery, Peasants under Siege: the Collectivization of Romanian Agriculture, 1949–1962. Princeton/NJ u. a. 2011; Agrarreformen u. ethnodemographische Veränderungen. Südosteuropa vom ausgehenden 18. Jh. bis in die Gegenwart. Hg. K.-P. Krauss. Stuttgart 2009; H. Sundhaussen, Von der Befreiung zur Marginalisierung der Bauern. Zwei Jahrhunderte Agrarreformen in Südosteuropa, in: ebd., 25–48; J. Sipos, A pártok és a földreform 1918–1919. Budapest 2009; E. Mutapčić, Agrarna reforma u Bosni i Hercegovini i njeno zakonodavstvo (1918.–1941.). Gradačac 2007; B. Lekić, Agrarna reforma i kolonizacija u Jugoslaviji 1945.–1948. Beograd 1997; K.-E. Wädekin, Die Agrarwirtschaft Südosteuropas im Wandel. München 1992; The Economic History of Eastern Europe 1919–1975. 5 Bde. Hg. M.C. Kaser. Oxford 1985 ff.; M. Obradović, Agrarna reforma i kolonizacija na Kosovu, 1918–1941. Priština 1981; D. Şandru, Reforma agrară din 1921 în România. Bucureşti 1975; I.T. Berend/Gy. Ránki, Economic Development in East-Central Europe in the 19th and 20th Centuries. New York, London 1974; C. Petrov, Agrarnite reformi v Bălgarija 1880–1944. Sofija 1975; N. Gaćeša, Agrarna reforma i kolonizacija u Banatu 1919–1941. Novi Sad 1972; S. Mariadis, Die Entwicklung der Agrarfrage in Griechenland seit Entstehung des neugriechischen Staats (1821) bis zum Zweiten Weltkrieg. Bonn 1966; M. Erić, Agrarna reforma u Jugoslaviji 1918–1941. god. Sarajevo 1958; J. Tomasevich, Peasants, Politics, and Economic Change in Yugoslavia. Stanford u. a. 1955; B. Alivisatos, La réforme agraire en Grèce. Paris 1932; Die agrarischen Umwälzungen im außerrussischen Osteuropa. Ein Sammelwerk. Hg. M. Sering. Berlin u. a. 1930; D. Mitrany, The Land and the Peasant in Rumania. The War and Agrarian Reform (1917–1921). Oxford 1930. H. S.
Bogomilen (a. Bogumilen). Der Name geht auf einen, vielleicht legendären, bulg. Dorfpriester namens Bogomil oder Bogumil, was dem gr. Theophilos (auf deutsch: Gottlieb) entspricht. Er lebte im 10. Jh. u. verkündete einen gemäßigten relig. Dualismus. Nach seiner Auffassung wurde das ganze Universum v. einem guten Gott geschaffen. Aber der einheitliche gute Kosmos zerbrach durch die Rebellion eines Teiles v. Engeln. Diese rebellischen Engel wurden aus dem Himmel vertrieben u. in die Welt der Materie eingeschlossen, über die sie als Teufel die Herrschaft übernahmen. Dann sandte Gott in seiner unendlichen Barmherzigkeit einen guten Engel in menschlicher Gestalt auf die Erde: Christus, der nur scheinbar v. dem Engel Maria geboren wurde u. auch auf dem Kreuz nur scheinbar starb. Damit gaben Bogomil u. seine Anhänger dem Christentum eine ausgesprochen doketistische u. spiritualistische Interpretation. In seiner weiteren Entwicklung nahm der anscheinend in Tradition der →Paulikianer stehende Bogomilismus seit dem 11. Jh. radikale u. gemäßigte Richtungen (radikaler oder ontologischer u. gemäßigter oder asketischmoralischer Dualismus) an. Die praktische Anwendung der dualistischen Grundposition führte zur Dämonisierung der materiellen Welt, zur Ablehnung des AT sowie der Bilderverehrung, des üblichen Gottesdienstes, der Sakramente u. anderer relig. Symbole, sowie auch der Hierarchie in der Kirche. Gegen die kirchl. Hierarchie richteten die B. eine wirkungsvolle Kritik an den Sitten des Klerus u. entwickelten eine Soziallehre, die sie in entschiedenem Gegensatz
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Bogomilen / Bogomoljci
nicht nur zur Geistlichkeit, sondern auch zum Laientum ihrer Zeit brachte. Die bogomilische Alternative, zumindest für den engeren Kreis der Eingeweihten (perfecti), war das Ideal eines reinen „apostolischen“ Lebens. Dies bestand in Ehelosigkeit, Meidung physischer Arbeit, sowie v. Fleisch u. Weingenuss, in Beten, Fasten u. Pilgern. Solche Einstellungen führten die B. in Konflikt mit der Großkirche u. auch mit Staat u. Gesellschaft. Soziale Spannungen u. Konflikte der ma. Gesellschaften lassen sich weitgehend als Ketzerverbreitung u. Ketzerverfolgung überschreiben. Der Bogomilismus verbreitete sich v. a. im Ursprungsland Bulgarien (→Bulg. Reich), dann im byz. Kaiserreich, in den anderen Balkanländern u. in Russland. Einflüsse auf ähnliche abendländische Ketzerbewegungen (Albigenser, Katharer u. a.) sind zwar unumstritten, aber ihre genauere Bestimmung ist schwierig. Das gilt ebenso für die Verbindungen mit der ma. →Bosnischen Kirche. Auch die Zuordnung der den B. häufig zugeschriebenen Grabsteine (stećci) in Bosnien-Herzegowina ist umstritten. Was den bogomilischen Lehrgehalt betrifft, weist die Forschung über den persönlichen Anteil des Priesters Bogomil hinaus auf den Ursprung aus dem älteren Dualismus der Manichäer u. der genannten →Paulikianer hin. Außerdem bedienten sich die Verbreiter bei der Einpflanzung ihrer Lehren in die breiten Volksschichten zweifellos anschaulicher Mythen u. zahlreicher apokrypher Texte. Lit. (a. →Häresien; →Bosnische Kirche): M. Lorenz, Bogomilen, Katharer u. bosnische ‚Christen‘: der Transfer dualistischer Häresien zwischen Orient u. Okzident (11.–13. Jh.), in: Vermitteln – Übersetzen – Begegnen: Transferphänomene im europäischen Mittelalter u. in der Frühen Neuzeit. Interdisziplinäre Annäherungen. Hgg. B.J. Nemes/A. Rabus. Göttingen 2011, 123–136; D. Dragojlović, Bogomilstvo na Balkanu i u Maloj Aziji. Beograd 2009; E. Kikarina, Bogomilstvoto i bogomilskata knižnina: X v.–XXI v. Anotiran bibliografski ukazatel. Sofija 2009; K.M. Gečeva, Bogomilstvoto i negovoto otraženie v srednovekovna christijanska Evropa. Bibliografija. Sofija 22007; D. Angelov, Bogomilstvoto. Sofija 1993 (Kurzfassung: The Bogomil Movement. Sofia 1987); Š. Bešlagić, Stećci – kultura i umjetnost. Sarajevo 1982; M.D. Lambert, Medieval Heresy. Popular Movements from Bogomil to Hus. London 11977 (²1992) (dt. u. d. T.: Ketzer. Häresien von Bogumil bis Hus. München 1981); M. Brandt, Die bosnische dualistische Bewegung, KAIROS. Zeitschrift f. Religionswissenschaft u. Theologie 21 (1979), H. 4, 300–319; M. Loos, Dualist Heresy in the Middle Ages. Prague u. a. 1974; G. Wild, „Bogu mili“ als Ausdruck des Selbstverständnisses der mittelalterlichen Sektenkirche, Kirche im Osten. Studien zur osteuropäischen Kirchengeschichte u. Kirchenkunde 6 (1963), 16–33; E. Werner, Die Bogomilen in Bulgarien: Forschungen u. Fortschritte, Studi medievali. Ser. III,3 (1962), 249–278; M. Wenzel, Bosnian and Herzegovinian tombstones – who made them and why, SOF 21 (1962), 102–143; D. Obolensky, The Bogomils. A Study in Balkan Neo-Manicheism. Cambridge 1948 (Ndr. 1972); St. Runciman, The Medieval Manichee. A study of the Christian dualist heresy. Cambridge 1947; H.-Ch. Puech/A. Vaillant, Le traité contre les Bogomiles de Cosmas le Prêtre. Paris 1945. S.M. Dž.
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Bogomoljci (sing.: bogomoljac, serb. „Gottesanbeter“). Die B. waren eine spirituelle, serb.orth. Laienbewegung, die sich Anfang des 20. Jh.s im damaligen Südungarn (→Vojvodina)
Bogomoljci / Bojaren
u. anschließend auch im Innern →Serbiens formierte u. während der Zwischenkriegszeit ihren Höhepunkt erlebte. Die B. zeichneten sich durch spirituelle Aktivitäten wie gemeinsame Bibellektüre, Hausandachten, Wanderprediger, Wallfahrten u.ä. aus u. gingen (wie die →Nazarener in Ungarn u. Serbien) auf Distanz zur Kirchenhierarchie. Obwohl viele Priester u. Bischöfe der Serb. Orth. Kirche die B. zunächst mit Argwohn beobachtet oder als Häretiker eingestuft hatten, war die Serb. Kirche nach dem 1. Wk. bestrebt, die Laienbewegung zu integrieren u. für ihr serb.-nationales Programm zu gewinnen. 1920 verabschiedeten die B. auf einer Versammlung (sabor) ein Statut u. nahmen die Selbstbezeichnung „Nationale Christliche Gemeinschaft“ (Narodna Hrišćanska Zajednica) an. Im Jahr darauf wurde das Statut vom Patriarchen genehmigt. Mit Billigung des Synods der serb. Kirche förderte der junge Bischof Nikolaj Velimirović (1880–1956) die B.-Bewegung, um die wachsende relig. Indifferenz der Bev., die Aktivitäten der Adventisten u. die Ausbreitung des Bolschewismus zu bekämpfen. Ende der 1930er Jahre zählten die „Gottesanbeter“, die enge Beziehungen zur serb. Diaspora in den USA pflegten u. seit Mitte der 1930er Jahre personell eng mit Dimitrije Ljotićs faschistischer →Zbor-Bewegung verflochten waren, rund 200.000 Mitglieder. Unter den Auspizien v. Velimirović rückten die B. immer weiter nach rechts u. entwickelten sich zu einer antiwestlichen, serbisch-nationalistischen Bewegung mit unverkennbaren Sympathien für den →Antisemitismus. Ihre Zeitschrift „Hrišćanska zajednica“ (Christliche Gemeinschaft) veröffentlichte bereits 1926 Auszüge aus dem „Protokoll der Weisen von Zion“ – gut zehn Jahre bevor die vollständige serbische Übersetzung der „Protokolle“ erschien (u. verboten wurde). In einer Rede, tituliert „Der Nationalismus des hl. Sava“, pries Velimirović Adolf Hitler u. verglich ihn hinsichtlich seiner Bedeutung mit dem hl. Sava. Ausdrücklich lobte er Hitlers Bestrebungen zur Schaffung einer „deutschen Nationalkirche“. Mit dem 2. Wk. erlosch die B.-Bewegung u. konnte im sozialist. Jugoslawien nicht erneuert werden. Erst in den 1990er Jahren gab es Bestrebungen zu einer Wiederbelebung. 2003 wurde Velimirović v. der Serbisch-Orth. Kirche heiliggesprochen. Lit. K. Buchenau, Auf russischen Spuren. Orthodoxe Antiwestler in Serbien, 1850–1945. Wiesbaden 2011; J. Byford, Denial and Repression of Anti-Semitism. Post-communist Remembrance of the Serbian Bishop Nikolaj Velimirović. Budapest u. a. 2008; A. Micich, Bishop Nikolai Velimirovic and the Bogomoljacki Pokret. New York 2000; D. Subotić, Episkop Nikolaj i Pravnoslavni bogomoljački pokret. Beograd 1996; Th. Bremer, Ekklesiale Struktur u. Ekklesiologie in der Serbischen Orthodoxen Kirche im 19. u. 20. Jh. Würzburg 1992. H. S.
Bojaren. Die B. waren nach dem Fürsten (→Hospodar) die wichtigste, staatstragende Gruppe in der →Walachei u. →Moldau, aus ihrer Mitte wurden die Staatswürdenträger aller Ränge ernannt. Anfänglich bedeutete B. einfach Grundbesitzer, unabhängig von der Besitzgröße, später bezog er sich auf den Großgrundbesitzer u. die staatl. Amtsträger. Im 17. Jh. entstand eine Sinnverwandtschaft des B.tums mit den Amtsträgern, vom 17. zum 18. Jh. leitete er sich von diesen ab. Der B.stand war nicht gleichbedeutend mit dem →Adel (Fehlen der Adelstitel, keine adelige Herkunft, keine Erblichkeit). Der B. stieg ursprünglich aus der
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Bojaren
Bauernschicht (răzeş) als milit. Anführer der Gemeinde oder Gemeinden empor. Die Bez. selbst ist nach neueren Forschungen rum. Herkunft, die Existenz der B. seit dem 10. Jh. nachweisbar, insbesondere bei den Kämpfen gegen die ung. Macht (Litovoj, Posada 1330, Bogdan). Von den Anfängen bis 1550 gab der Grundbesitz den Ausschlag für die Rolle des B. im Staate. Ab der Mitte des 16. Jh.s bis in die Mitte des 18. Jh.s drängten die B. zu den Staatsämtern. Von der Mitte des 18. Jh.s bis in die Mitte des 19. Jh.s trat diese Funktion wieder mehr in den Hintergrund. Durch die Reformen von Constantin Mavrocordat (vgl. a. →Walachei) von 1739 u. 1741 galt nur mehr derjenige als B., der ein fürstliches Amt bekleidete oder bekleidet hatte. In der ersten H. des 19. Jh.s wurden B.titel nur mehr ad personam vergeben (Ehrentitel). Von da an galten B. nur mehr als Nachfahren von Inhabern hoher Staatsämter. Der B.besitz konnte sich zw. einem oder einem Dutzend von Dörfern bewegen, in Ausnahmsfällen noch mehr. Nach dem Rückgang der fürstlichen Güterschenkungen im 17. Jh. kam es dazu, dass Bauern auf B.gütern die dem Fiskus zukommenden Abgaben nun den B. leisteten (scutelnici). Die Einkommensquellen der B. waren die im MA üblichen Monopole (Furten, Mühlen, Dorfschenken, Walkmühlen, Fischerei, Holz etc.). Das Verhältnis der B. zu den Fürsten war nicht ohne Gegensätze, es kam zu wiederholten Verschwörungen gegen die Zentralmacht wie etwa im 16. Jh. mit oftmaligen Hinrichtungen der Verschwörer, aber auch Fürstenabsetzungen oder gewaltsamer Beseitigung des Herrschers. Im 17.–19. Jh. gab es innerhalb der B. zwei bzw. drei Gruppierungen, die das Verhältnis zu den benachbarten Großmächten betrafen (Movilă – polonophil, Cantacuzenen – austrophil; 18.–19. Jh. Majorität turkophil, russophile u. austrophile Gruppe). Vom 17. Jh. an führten die rum. B. einen stetigen Kampf gegen das Eindringen von Griechen in die Staatsämter (vgl. →Phanarioten), aber erst 1832 wurde wieder die Bevorzugung einheimischer B. festgelegt. Entsprechend dem fürstlichen Beispiel fungierten die B. auch als Kirchenstifter, wobei die Stiftungen in der Walachei (Cantacuzino; a. →Kantakuzenen) zahlreicher waren als in der Moldau. Der in den Quellen oft auftretende Begriff der hiclenie bezeichnet ein inkorrektes Verhalten der B. gegenüber dem Fürsten (Lehensverrat, Komplott zum Sturze, bewaffneter Aufstand, Verklagen bei der Pforte etc.) u. wurde i. d. R. mit der Hinrichtung geahndet. Andererseits war die hiclenie die einzige Möglichkeit einer Opponierung gegen die starke Macht des Fürsten, die ihrerseits wiederum sehr oft kurzlebig war u. einer Kontinuität der B. nachstand.
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Lit. (a. →Adel [SOE ohne Ungarn]): C.N. Apetrei, Resedinţele boierești din Ţara Româneascǎ și Moldova în secolele XIV–XVI. Brǎila 2009; C.R. Zach, Staat u. Staatsträger in der Walachei u. Moldau im 17. Jh. München 1992; I. Ţhigiliu, Boierimea din Ţara-Românească (secolele XIV– XVII): componenţă şi evoluţie structurală, Revista istorică S.N. 2 (1991), 651–665; O. Sachelarie/N. Stoicescu, Instituţii feudale din ţările române. Dicţionar. Bucureşti 1988, 52–54; N. Djuvara, Les Grands Boiars ont-ils constitué dans les principautés roumaines une veritable oligarchie institutionelle et héréditaire?, SOF 46 (1987), 1–56; C.-R. Simionescu, Sozial-politische Betrachtung über das rumänische Bojarentum im 14. bis 17. Jh., Buletinul Bibliotecii Române [Freiburg] 1979/80, 331–56; C.C. Giurescu, Istoria românilor. Bd. 2/2: Dela Mircea cel Bătrân şi Alexandru Cel Bun până la Mihai Viteazul. Bucureşti 41943, 470–476. M. St.
Bosniaken
Bosniaken. Die Benennung der Einwohner des ma. →Bosnien-Herzegowina hieß Bošnjani (Pl.; Sing.: Bošnjanin). Die Form wird in den abendländischen zeitgenössischen Quellen folgendermaßen übertragen: Bosn(i)enses (lat.), Bosnesi u. Bosignani (it.). Erst nach der osm. Eroberung im 15. Jh. tauchte die türkisierte Form Boşnak (türk. Pl.: Boşnaklar) auf. Seit dieser Zeit bis in das 19. Jh. benutzten etwa die bosn. Franziskaner beide Formen wechselweise zur Bezeichnung aller bosn. Einwohner, der Muslime u. Nichtmuslime. Dagegen heißt die moderne regionale Bezeichnung für sämtliche bosn. Einwohner – Kroaten, Muslime, Serben u. a. – auf kroat. u. serb. Bosanci (Sing.: Bosanac). Osm. Autoren wie z. B. Evliya Çelebi wendeten die Benennung B. (Boşnaklar) nicht auf die nichtmusl. Bev. (die sie zumeist einfach →Reaya oder →Vlachen nannten) an, sondern nur auf die Muslime aus Bosnien. In diesem Zusammenhang sind indes die B. zu erwähnen, die als Lanzenreiter in den preußischen, dänischen u. anderen europ. Heeresverbänden im 18. Jh. dienten. Die österr.-ung. Verwaltung unter Leitung des gemeinsamen Finanzministers Benjámin Kállay (1839–1903) versuchte die Benennung B. für die gesamte Bev., Muslime wie Nichtmuslime, einzuführen. Der Versuch wurde von den bosn. Kroaten u. Serben strikt abgelehnt, u. von den damaligen bosn. Muslimen nur sehr begrenzt akzeptiert. Noch im zweiten →Jugoslawien (1945–1991/92) galten die bosn. Muslime zunächst nur als Religionsgemeinschaft, deren Angehörige sich früher oder später zum Kroaten- oder Serbentum bekennen würden. Da die Muslime mehrheitlich diese Option aber ablehnten, wurden sie im Verlauf der 1960er Jahre zunächst als eigenständige ethnische Gruppe, dann als (säkular verstandene) Nation unter der Bezeichnung „Muslimani“ (geschrieben mit großem „M“, im Unterschied zu den Muslimen im relig. Sinn, die mit kleinem „m“ geschrieben wurden) anerkannt (→Bosn. Muslime). Die Nationsbezeichnung „Muslimani“ löste jedoch immer wieder Missverständnisse u. Irritationen aus. Anfang 1993 – nach Beginn des Krieges in Bosnien (→postjugosl. Kriege) – nahm eine Versammlung von Intellektuellen in Sarajevo nach langwierigen, oft kontroversen Diskussionen die Selbstbezeichnung „B.“ an, die seither für die bosn. Muslime offiziell Verwendung findet (u. die auch von vielen südslav. Muslimen im →Sandschak Novi Pazar u. in →Montenegro übernommen wurde). Im Unterschied zu B. bezeichnet das Wort „Bosnier“ (Bosanci) alle Einwohner Bosnien-Herzegowinas, unabhängig von ihrer nationalen Zuordnung. Lit. (a. →Bosnische Muslime): Dž. Sarač-Rujanac, Odnos vjerskog i nacionalnog u identitetu Bošnjaka od 1980. do 1990. godine. Sarajevo 2012; Rasprave o nacionalnom identitetu Bošnjaka. Zbornik radova. Hg. H. Kamberović. ebd. 2009; The New Bosnian Mosaic: Identities, Memories and Moral Claims in a Post-War Society. Hgg. X. Bougarel/E. Helms/G. Duijzings. Aldershot 2007; M. Filipović, Ko smo mi Bošnjaci? Sarajevo 2007; C. Dick, Aus Muslimen wurden Bosniaken. Der Beitrag Adil Zulfikarpašićs zur Konstruktion u. Anerkennung des „Bosniakentums“, Jahrbücher für Geschichte u. Kultur Südosteuropas 4 (2002), 109–129; M. Imamović, Historija Bošnjaka. Sarajevo 1996 (21998); M. Memić, Bošnjaci-muslimani Sandžaka i Crne Gore. ebd. 1996; A. Babuna, Die nationale Entwicklung der bosnischen Muslime. Frankfurt/M u. a. 1996; S.M. Džaja, BosnienHerzegowina in der österreichisch-ungarischen Epoche (1878–1918). Intelligentsia zwischen Tradition
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Bosnien-Herzegowina
u. Ideologie. München 1994; S. Balić, Bosnien u. der deutschsprachige Kulturraum. Eine historischzeitgenössische Skizze. Köln u. a. 1992; ders., Das unbekannte Bosnien. ebd. 1992; Čelebi Evlija, Putopis. Odlomci o jugoslovenskim zemljama. Hg. H. Šabanović. Sarajevo 11954 (²1957, ³1979 u. a.). S.M. Dž.
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Bosnien-Herzegowina (bosn., kroat. u. serb. Bosna i Hercegovina; für die früheren Epochen wird in der Folge v. a. das engere Bosnien behandelt, abgek. B.; zu Spezifika der →Herzegowina s. dort). Seit 1992 souveräner Staat (51.129 km2) mit der Hauptstadt →Sarajevo. 1991 lebten in B.H. 4,4 Mio. E, davon 43,4 % Muslime [→Bosniaken; →Bosnische Muslime], 31,2 % orth. →Serben, 17,4 % kath. geprägte →Kroaten sowie 8,0 % „Jugoslawen“ u. Minderheiten. Beim Zensus im Okt. 2013 wurden insges. 3,8 Mio. E gezählt, davon 2,4 Mio. in der bosniakisch-kroatischen Föderation u. 1,3 Mio. in der Republika Srpska. (Die Verteilung nach Nationalitäten lag bei Abschluss der Redaktion noch nicht vor.) – In den erhaltenen hist. Quellen wird B. zum ersten Mal von dem byz. Chronisten Ks. Konstantinos VII. Porphyrogennetos († 959) erwähnt. Ihm zufolge erstreckte sich das „Ländlein Bosnien“ nur auf den Oberlauf des Flusses Bosna (die Region um das heutige →Sarajevo) u. machte ungefähr ein Fünftel der heutigen Fläche aus. Bis zum 12. Jh. wechselte die Oberhoheit über B. zw. →Byzanz, Frankenreich u. →Kroatien im 8. u. 9. Jh., dann zw. →Raszien u. Kroatien im 10. Jh., zw. dem →Bulg. Reich, Byzanz, Kroatien u. Duklja (dazu →Zeta) im 11. Jh.; Anfang des 12. Jh.s geriet B. zus. mit Kroatien in die ung. Machtsphäre (→Ungarn) u. blieb unter ung. Oberhoheit bis zur osm. Eroberung im 15. Jh. – mit einer Unterbrechung zw. 1167–1180 während der Herrschaft des byz. Kaisers Emanuel I. Komnenos (1143–1180; →Komnenen). Nach der awarisch-→slavischen Landnahme im 6./7. Jh. wurde B. erst im 9. Jh. (re)christianisiert aus zwei Richtungen: von W aus der Metropole Salona (Split) u. von N aus dem kyrillomethodianischen Zentrum Syrmium (das heutige Sremska Mitrovica; vgl. →Slavenapostel). Ein bosn. Bistum ist zwar erst ab 1089 in den Quellen greifbar, aber es dürfte schon früher existiert haben. In kirchenpol. Hinsicht stand B. die ganze Zeit unter der Jurisdiktion von Rom. Bis zum Ende des 11. Jh.s befand es sich in der Zuständigkeit der Metropolie von Split, dann wurde es der neugegründeten Metropolie Antivari (Bar) zugeschlagen, wieder an Split zurückgegeben u. Ende des 12. Jh.s dem Bistum der Stadtrepublik Ragusa (→Dubrovnik) unterstellt. In kult. Hinsicht ähnelte das frühma. B. am meisten Kroatien u. seiner glagolitischen Tradition (kroat. kirchenslav. Ritus; →Alphabete), u. zwar wegen der römischen Kirchenjurisdiktion auf der einen u. der kirchenslav. Liturgiesprache auf der anderen Seite. Mit dem Zusammenbruch von Byzanz Ende des 12. Jh.s bahnte sich für B. wie für andere Balkanländer eine neue pol. u. kirchenpol. Epoche an, die sich mit folgenden Stichwörtern kennzeichnen läst: der pol. Aufstieg des ma. Bosnien, der religionspol. Konflikt mit dem kirchl. Zentrum in Rom u. eine wachsende Okzidentalisierung. Die Oberhoheit der ung. Könige war mehr formell als tatsächlich. Denn ihr zum Trotz gelang es den bosn. Herrschern, die Grenzen des bosn. Staates auszuweiten. →Ban Kulin (1180–1204) erweiterte seine Herrschaft im N bis zur Save, Ban Stjepan II. Kotromanić (1314–1353) schloss →Zahumlje im S an, sein Neffe u. Nachfolger Stjepan Tvrtko I. Kotromanić (1353–1391) dehnte seine
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Macht auf Teile →Dalmatiens u. Kroatiens im W u. Serbiens (→Serben) im O aus u. ließ sich 1377 zum „Kg. v. →Raszien, Bosnien, Dalmatien u. dem Küstenland“ krönen. B. erlangte damit eine Vormachtstellung im Balkanraum, die sich ökonomisch auf die reichen Silbervorkommen (z. B. in Srebrenica, altdt. „Silberin“) stützte. Dennoch blieben die Territorialherren immer stark u. behielten die tatsächliche Macht in ihren Händen. Die kgl. Macht blieb zumeist schwach, nicht zuletzt wegen des Fehlens einer gut organisierten Kirche, die konsequent zugunsten einer Sakralisierung u. Festigung des Königsamtes wirkte. Denn der Kampf zw. der →Bosnischen Kirche, die zur Zeit Ban Kulins mit dem Establishment von Rom in Konflikt geriet u. in die →Häresie fiel, dauerte bis zum Untergang des Kgr.s durch die osm. Eroberung 1463 an. Als Inquisitoren u. Missionare wurden die Dominikaner eingesetzt, die von den →Franziskanern in den 1330er Jahren abgelöst wurden. Die Franziskanermission erwies sich viel erfolgreicher als die der Dominikaner. Es gelang ihnen, die Angehörigen der Bosn. Kirche (die oft mit den→„Bogomilen“ in Verbindung gebracht werden) vor der osm. Eroberung im großen und ganzen zu (re)katholisieren u. sich tief im bosn. Boden zu verwurzeln. Zusammen mit den Kaufleuten von Dubrovnik (denen bereits Ban Kulin in einer Urkunde vom 29.8.1189 Handelsfreiheit in B. garantiert hatte) u. „sächsischen“ (=dt.) Bergleuten (→Bergbau, MA) entwickelten sie eine ma. Stadtkultur, die aber infolge der osm. Eroberung nicht ausreifen konnte. Die Osmanen haben die Gebiete des heutigen B.-H. in der Zeitspanne von 1386 (der erste quellenbelegte Einfall in Bosnien) bis 1592 (Fall der damals kroat. Stadt Bihać) erobert. Stichjahr der Eroberung Bosniens ist das J. 1463, als Zentralbosnien v. den Truppen Mehmeds II. eingenommen u. der letzte bosn. Kg., Stjepan Tomašević (1461–1463), hingerichtet wurde. Die Auffassung von einem kontinuierlichen Übergang des ma. zum osm. Bosnien, untermauert einmal durch den vermeintlichen Übertritt der „Bogomilen“ sozusagen en bloc zum Islam, u. zum zweiten durch die Errichtung des bosn. →Eyalet als Nachfolger des bosn. Kgr.s, verbreitete sich nach der österr.-ung. Okkupation 1878 unter den Muslimen des Landes zwar immer mehr, aber sie konnte keinen Rückhalt in der kritischen Historiographie finden. Die osm. Eroberung nämlich führte eine mehrfache Diskontinuität in B. herbei: eine verwaltungspolitische, urbanistische, demographische u. eine religiöse. Verwaltungspolitisch wurden die bosn.-herzeg. Gebiete, jeweils nach der Eroberung einzelner Teile, zunächst als →Sancaks organisiert u. oft mit nichtbosn. Nachbargebieten zusammengeschlossen; der Sancak B. wurde 1463 gegründet, derjenige der Herzegowina 1470, der v. Zvornik (Ostbosnien mit Teilen Serbiens) 1480/81, der v. Klis (Westbosnien mit Teilen Dalmatiens) 1537, von Bihać (für das sog. Türkisch-Kroatien) vor 1620. Das Eyalet (a. →Paschaluk) B. wurde erst 1580 errichtet u. erstreckte sich nicht nur auf B.H., sondern auch auf die osm. Eroberungen in →Slawonien, Kroatien u. Dalmatien sowie den späteren →Sandschak v. Novi Pazar. Mit der Zurückdrängung der Osmanen Ende des 17. Jh.s aus Ungarn, Kroatien u. Dalmatien erhielt B.H. seine heutigen Grenzen gegenüber den kroat. Ländern. Die ma. Stadtkultur wurde durch die massive isl.-osm. Urbanisierung v. a. im 16. Jh. verdrängt u. überlagert. Die zahlreichen österr.-osm. u. venez.-osm. Kriege (→Türkenkriege) haben rege Bevölkerungswanderungen verursacht. Abwanderer aus B.H. waren v. a. Katholiken, Zuwanderer waren serb.-orth. Viehzüchter (→Vlachen) u. Mitglieder
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des osm. Staatsapparates in der Eroberungsphase, anschließend die im Zuge der habsb. u. venez. Gebietsgewinne weichenden Muslime aus Ungarn, Kroatien u. Dalmatien an der Wende vom 17. zum 18. Jh. u. dann aus dem selbständig werdenden Serbien im 19. Jh. Die intensiven →Islamisierungsprozesse auf bosn. Boden haben überwiegend im 16. Jh. stattgefunden. Von ihnen wurde zwar die ganze Bev. – sowohl die alteingesessenen Katholiken, als auch die zugezogenen orth. Vlachen – erfasst; dennoch rekrutierten sich die →Konvertiten zum Islam vorwiegend aus den Katholiken, was manche Interpreten veranlasste, die Haupt ursache des Glaubenswechsels in der „bogomilischen“ Vergangenheit zu suchen. Tatsache bleibt, dass der Rechtstatus der kath. Kirche im →Osm. Reich viel schlechter war als der Status der orth. Kirchen; aus diesem Grunde waren die Katholiken für eine Islamisierung viel anfälliger als die Orthodoxen (vgl. →Albanien als Parallele; a. →Katholizismus). Der zweite Grund für die intensive Islamisierung Bosniens ist in der planmäßigen umfangreichen isl.-osm. Urbanisierung zu suchen. Da die isl. Konvertiten in B. zumeist slav. (bosn. wie außerbosnischer) Herkunft waren, behielten die bosn. Muslime ihre slav. (bosnische) Sprache u. entwickelten eine eigene kult. u. pol. Identität im Rahmen der isl. Zivilisation. Was die kulturpol. Identität der bosn. Katholiken auf der einen u. der bosn. Orthodoxen auf der anderen Seite betrifft, so basiert ihr modernes Bekenntnis zum Kroatentum respektive Serbentum auf der hist. Entwicklung, die zum Zeitpunkt der osm. Eroberungen als Folge von umfangreichen Migrationen einsetzte. Denn auf ihren hist. Wanderungen im Westbalkanraum blieben die Vlachen Angehörige der serb. Kirche (→Orthodoxie [u. Nationalkirchen], 2.5) u. partizipierten durch diese Anbindung an allen Entwicklungsprozessen der serb. Kirche u. des serb. Volkes. Die bosn. Katholiken ihrerseits pflegten mit dem kroat. Raum nicht nur Geschäftskontakte, wie z. B. die bosn. Muslime, sondern auch relig. Kontakte u. tauschten darüber hinaus Kulturwerte u. pol. Vorstellungen aus. Damit war der Einstieg in das moderne Kroatentum vorbereitet u. präjudiziert; erfolgt ist er in dem Augenblick, als das osm. Regime nicht mehr in der Lage war, das Aufkommen eines modernen pol. Selbstverständnisses zu unterbinden (→Nationsbildung). Im Vorfeld u. nach Beginn der Reformpolitik im Osm. Reich (→Tanzimat) formierte sich unter den bosn. Muslimen der Widerstand gegen die Pforte. Die Beseitigung des →Janitscharen-Korps u. die infolge des Friedensvertrags von →Adrianopel bevorstehenden Gebietsabtretungen an das entstehende Fsm. →Serbien beantworteten die Muslime unter Führung von Husein Gradaščević, dem „Drachen von Bosnien“ (Zmaj od Bosne), mit einem milit. organisierten Aufstand. Sie forderten Autonomie für B.H., mussten jedoch im Juni 1831 gegen die Armee des →Großwesirs u. dessen Verbündeten aus der →Herzegowina eine schwere Niederlage einstecken. 1850/51 kam es erneut zur Konfrontation zw. den bosn. →Ajanen u. ihrer Gefolgschaft auf der einen u. der Armee des Sultans unter Befehl von Omer-paša Latas auf der anderen Seite. Latas brach zwar den Widerstand der bosn. Muslime gegen die Reformpolitik, doch war die Zeit bis zum Beginn der →Orientalischen Krise zu kurz, um die Unrast der um den Erhalt ihrer Privilegien besorgten Muslime u. die zunehmenden Spannungen zw. den Religionsgemeinschaften eindämmen zu können. Durch den Beschluss des →Berliner Kongresses von 1878 wurde Österreich-Ungarn bevollmächtigt, B.H. zu besetzten u. zu verwalten. Die Okkupation wurde gegen den heftigen
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Widerstand der musl. (u. z. T. der orthodoxen) Bev. durchgeführt. Die vom Berliner Beschluss nicht vorgesehene Annexion erfolgte 1908 u. verursachte die internationale →„Annexionskrise“, die schließlich in den 1. Wk. 1914 einmündete (a. →Attentat v. Sarajevo). Auch nach der Annexion behielt B.H. seinen staatsrechtl. Sonderstatus, da es weder der österr. noch der ungar. Reichshälfte zugeschlagen wurde (vgl. →Dualismus). Mit der Okkupation hatte ein mühsamer Weg für die bosn.-herzeg. multikulturelle Gesellschaft in die pol., kult. u. wirt. Modernität begonnen. Die dualistische Struktur des Habsburger Staates seit dem →Ausgleich v. 1867 erschwerte nicht nur die pol. Integration B.H.s, sondern vereitelte auch manche Modernisierungsschritte, weil v. a. Budapest sie oft als nicht vereinbar mit den eigenen Interessen betrachtete u. weil sich beide Reichshälften darauf verständigt hatten, dass die →Modernisierung der Provinz aus Landesmitteln zu erfolgen habe (Selbstfinanzierungsprinzip). Umso mehr sind manche durchgeführten Modernisierungsmaßnahmen im Wirtschaftsbereich, im Verwaltungs u. Justizwesen u. nicht zuletzt bei der →Industrialisierung beachtenswert. Dass die Lösung der Agrarfrage verschoben u. die Investitionen in den Aufbau des Bildungswesens unzureichend blieben, gehört zu den folgenreichen Versäumnissen der österr.-ung. Herrschaft in B.H. Ob diese als „Kolonialismus“ (Semi- oder Quasi-Kolonialismus, interner Kolonialismus etc.) einzustufen ist, ist unter Wissenschaftlern seit Aufkommen der „post-colonial studies“ umstritten (→Imperialismus, Kolonialismus). Pol. bzw. nationalpol. scheiterte die Donaumonarchie in B.H.: Der Versuch des für die Provinz zuständigen k.u.k. Finanzministers Benjamin Kállay, die bosn. Katholiken, Muslime u. Serbisch-Orthodoxen in nationale →„Bosniaken“ umzuwandeln u. von den südslav. modernen nationalen Bewegungen zu trennen, erlebte nicht nur eine heftige Konfrontation mit dem serb. u. kroat. Nationalismus, sondern stieß auch auf die nationale Indifferenz der musl. Bevölkerung. Das letzte Jahrzehnt der österr.-ung. Herrschaft in B.H. verlief im Klima pol. Radikalisierung, insbesondere unter der Schuljugend (→Jungbosnier, →Attentat von Sarajevo) mit dem anschließenden Weltkrieg u. endete mit dem Untergang der Donaumonarchie. Im 1918 neugegründeten „Staat der Serben, Kroaten u. Slowenen“ (ab 1929 →Jugoslawien) verlor B.H. seine hist.-pol. Individualität, d. h. der pol. Eigenstatus (corpus separatum), den es in der Doppelmonarchie innehatte, wurde abgeschafft u. dem großserb. zentralistischen Staatskonzept stufenweise geopfert. In der 1922 durchgeführten administrativen Einteilung behielt B.H. zwar noch seine hist. Grenzen, aber die 6 bosn.-herzeg. Kreise wurden Belgrad direkt unterstellt. Außerdem wurde die Möglichkeit eines Zusammenschlusses der einzelnen Kreise mit außerbosnischen vorgesehen. Dies geschah nach Einführung der Königsdiktatur 1929 (→Diktaturen), als der jug. Staat in 9 größere Verwaltungsbezirke, sog. „Banschaften“ (banovine) eingeteilt wurde. B.H. wurde dabei in vier Banschaften zerstückelt, die mit Teilen Serbiens, Montenegros u. Kroatiens verbunden wurden. Nach dem kroat.-serb. Abkommen (→Sporazum) von 1939 wurde ein Teil B.H.s der sog. Kroat. Banschaft, die anderen Teile den sog. „serb. Ländern“ zugeschlagen. Der schon im österr.-ung. Zeitalter (1878–1918) begonnene Kampf um die Kroatisierung u. Serbisierung der Muslime wurde in Jugoslawien fortgesetzt u. verstärkt. Die Mehrheit der musl. Bev. zeigte dabei eine passive
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Resistenz gegen solche Versuche u. bestand ausschließlich auf einer isl. Identität. Am Vorabend des 2. Wk.s u. der Zerschlagung des kgl. Jugoslawien 1941 entstand das Netzwerk der →Jungen Muslime (Mladi muslimani), die die pol. u. kult. Kroatisierung u. Serbisierung ablehnten u. auf die Intensivierung der Beziehungen zur isl. Welt setzten. Das nachmalige komm. Regime zerschlug diese Organisation, ähnlich wie alle anderen pol. Gegner, im ersten Jahrzehnt nach dem 2. Wk mit großer Brutalität. Nach der Besetzung u. Zerstückelung Jugoslawiens im 2. →Wk. wurde B.H. dem sog. →„Unabhängigen Staat Kroatien“ angegliedert. In milit. Hinsicht wurde die gesamte Region in eine dt. u. eine it. Machtsphäre geteilt (bis 1943), wobei die Demarkationslinie quer durch B.H. lief, so dass →Deutschland Nord u. Zentralbosnien einschließlich der Stadt Sarajevo kontrollierte, während die Herzegowina u. Westbosnien unter it. Kontrolle kamen. Das Bestreben der →Ustaše, B.H. zu „kroatisieren“ bzw. zu „ustašisieren“, war begleitet von Serbenverfolgung u. Judenvernichtung (→Holocaust). Die Kriegsjahre 1941–1945 brachten B.H. nicht nur die Besetzung, sondern zugleich einen grausamen →Bürgerkrieg, in dem sich großkroat. Nationalisten (Ustaše), großserb. Monarchisten (→Četnici) u. Kommunisten (→Partisanen) gegenseitig bekämpften. Ustaše u. Četnici nahmen in den v. ihnen kontrollierten Gebieten außerdem →ethn. Säuberungen vor. Greueltaten wurden von allen kämpfenden Parteien, einschließlich der Besatzungstruppen, begangen. Von insges. etwa 1.000.000 Kriegsopfern auf dem gesamten jug. Territorium entfielen auf B.H. zw. 320.000 u. 380.000. Im jug. Vergleich nahm B.H. damit die erste Stelle in der Opferbilanz ein. Die Ustaše, in deren Reihen auch bosn. Muslime kämpften, haben Greueltaten an Serben u. Juden in Kroatien u. B.H. verübt, die Četnici an Muslimen u. Kroaten im Sandschak (→S. Novi Pazar), in B.H. u. Teilen Kroatiens, die Kommunisten nach Beendigung des Krieges v. a. an kroat. Soldaten u. Zivilisten in den sog. Todeskolonnen. Das komm. Jugoslawien (1945–1991/92) wurde nicht mehr zentralistisch, sondern nach dem sowjet. Modell föderalistisch organisiert. B.H. erhielt den Status einer Teilrepublik, aber ohne ein eigenes bosn.-herzeg. Staatsvolk, sondern mit den drei im späteren Verlauf gleichrangig eingestuften Völkern: Serben, Kroaten u., ab Ende der 60er Jahre, als Nation offiziell anerkannt →Bosn. Muslime. Deren Promotion zu einem Volk (narod) gleichrangig den anderen Völkern in →Jugoslawien erfolgte im Klima der verstärkten Beziehungen mit der isl. Welt, welche Tito im Rahmen seiner blockfreien Politik mit der Dritten Welt aufgenommen hatte. Ihre hist. Vollendung erreichte die →Nationsbildung der bosn. Muslime durch die Selbstumbenennung in →Bosniaken im Zuge des Bosnienkrieges (→Bosnische Muslime; →postjugosl. Kriege). Am 29.2/1.3. 1992 hatte sich eine Mehrheit der Bev. in einem (v. den bosn. Serben boykottierten) Referendum für die Unabhängigkeit ihrer Rep. unter Präsident Alija Izetbegović (1925–2003) ausgesprochen. Am 6./7.4. erfolgte die intern. Anerkennung. Die bosn. Serben unter der pol. Führung v. Radovan Karadžić erkannten die Unabhängigkeitserklärung nicht an. Die Folge war ein dreieinhalbjähriger Krieg (mit rd. 100.000 Toten u. 2 Mio. Flüchtlingen oder Vertriebenen), in dem die bosn. Serben mit Unterstützung aus Belgrad gegen Bosniaken u. bosn. Kroaten (u. zeitweilig auch Kroaten mit Bosniaken) kämpften. Innerhalb kürzester Zeit brachten die waffentechnisch weit überlegenen Serben unter Befehl v. General Ratko Mladić – in Kooperation mit paramilitärischen
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Banden – mehr als zwei Drittel des Territoriums von B.H. unter ihre Kontrolle (→postjugosl. Kriege). Höhepunkt der →ethn. Säuberungen war die Ermordung v. rd. 8.000 musl. Männern in der ostbosn. UN-„Schutzzone“ Srebrenica im Juli 1995. Weder die UN noch die USA oder die EG/EU besaßen zunächst ein Konzept, wie sie mit der Gewalteskalation umgehen sollten. Die Offensive kroat. u. bosn. Regierungstruppen mit Luftunterstützung durch die Nato brachte schließlich ab Mitte 1995 die Wende. Im Nov. wurde in Dayton/Ohio ein Friedensabkommen ausgehandelt (→Dayton-Abkommen), das den Erhalt B.H.s als Staat mit zwei „Entitäten“, der (bosniakisch-kroat.) Föderation B.H. mit 51 % des Gesamtterritoriums u. der „Republika Srpska“ mit 49 %, vorsah. So erfolgreich das Dayton-Abkommen bei der Beendigung der Gewalt war, so ungeeignet erwies es sich für die Staatsbildung. Das höchst komplizierte Daytoner Modell für B.H. hat sich binnen zwei Jahrzehnten seiner Umsetzung als kontraproduktiv für die pol. Kultur wie auch für die wirt. Stabilität des Landes erwiesen. In pol. Hinsicht fördert das Modell statt dem. Integration die Majorisierung der jeweils kleineren Ethnien durch die zahlenmäßig stärkeren u. bedroht damit ihre Gleichstellung, kapselt die Gruppen voneinander ab u. verhindert den erforderlichen dem. Konsens unter den pol. Parteien. In Finanzfragen ist das Modell höchst bürokratisch u. kostspielig angelegt, Vetternwirtschaft u. →Korruption ist Tür u. Tor geöffnet. Der Staat wird zusehends destabilisiert u. gleitet in chaosähnliche Zustände. Eine erfolgreiche Initiative zum institutionellen Umbau kann wohl wieder nur von jenen internat. Faktoren erwartet werden, die das Daytoner Modell maßgeblich mitgestaltet u. auf den Weg gebracht haben. In ihrem Implosionspotential ist die Lage in B.H. gravierend nicht nur für die eigene Bev. u. für die Nachbarstaaten, sondern auch für die Stabilität in Europa insgesamt. Annotierte Bibl.: G. Seewann, Bosnien, in: HBK. Bd. I: Mittelalter, T. 2, 1421–1454. Lit. (a. →Bosniaken; →Bosnische Muslime): Osmansko osvajanje Bosanske kraljevine. Hg. H. Kamberović. Sarajevo 2014; S.M. DŽaja, The Bosnian-Herzegovinian Croats: A Historical-Cultural Profile, Croatian Studies Review 8 (2012), 63–90; M.A. Hoare, The Bosnian Muslims in the Second World War: A History. Oxford 2012; Bosna i Hercegovina 1941: Novi pogledi. Hg. H. Kamberović. Sarajevo 2012; D. Tolksdorf, Die EU u. Bosnien-Herzegowina. Außenpolitik auf der Suche nach Kohärenz. Baden-Baden 2012; V. Katz, Društveni i ekonomski razvoj Bosne i Hercegovine 1945.–1953. Sarajevo 2011; H. Kamberović, Hod po trnju. Iz bosanskohercegovačke historije 20. stoljeća. ebd. 2011 [Aufsatzsammlung]; The Bosnian Diaspora. Integration in transnational communities. Hgg. M.Valenta/S.P. Ramet. Farnham 2011; Peace Without Politics. Ten years of international state-building in Bosnia. Hg. D. Chandler. London u. a. 2010; R. Smajić, Bosanska krajina: historija, legende i mitovi. Sarajevo 2009; V. Džihić, Ethnopolitik in Bosnien-Herzegowina: Staat u. Gesellschaft in der Krise. Baden-Baden 2009; J. Mrgić, Severna Bosna. 13–16. vek. Beograd 2008; A. Cuvalo, Historical Dictionary of Bosnia and Herzegovina. Lanham u. a. 22007; M.A. Hoare, The History of Bosnia. From the Middle Ages to the Present Day. London u. a. 2007; The New Bosnian Mosaic: Identities, Memories and Moral Claims in a Post-War Society. Hgg. X. Bougarel/E. Helms/G. Duijzings. Aldershot 2007; R. Okey, Taming Balkan Nationalism. The Habsburg „Civilizing Mission“ in Bosnia, 1878–1914. Oxford 2007; D. Gratz, Elitozid in Bosnien u. Herzegowina 1992–1995. Baden-Baden 2007; D. Lovrenović,
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Bosnische Kirche
Bosnische Kirche (missverständlich a. „→Bogomilen“). Die ersten Nachrichten über das Auftauchen der →Häresie in →Bosnien fielen zusammen mit dem Niedergang der Großmacht Byzanz Ende des 12. Jh.s, dem der pol. Aufstieg Bulgariens im Ost- u. Serbiens im Zentralbalkan folgten (→Bulg. Reich; →Serb. Reich), u. als gleichzeitig ein stärkerer Einfluss Ungarns u. der römischen Kurie auf Bosnien spürbar wurde. Fürst Vukan v. Duklja (→Zeta) schrieb um die Jahreswende 1199/1200 an Papst Innozenz III., in Bosnien wimmele es v. „Ketzern“, denen sich der bosn. Herrscher Ban Kulin (1163–1204), seine Frau u. über zehntausend Christen angeschlossen hätten (→Konvertiten). Von diesem Zeitpunkt an bis zur osm. Eroberung des bosn. Kgr.s i. J. 1463 wiederholen sich in kürzeren u. längeren Zeitabständen die Nachrichten über das „Ketzertum“ in Bosnien, das als Zufluchtsort für Häretiker galt, einerseits u. über das Eingreifen der Päpste u. der ung. Könige, die mehrere „Kreuzzüge“ organisierten, andererseits. Die ersten osm. Steuerverzeichnisse nach der Eroberung verzeichneten lediglich noch „bogomilische Überreste“. − Seit der Mitte des 19. Jh.s bis heute wird in Geschichtsschreibung u. pol. Publizistik eine sehr lebhafte Diskussion über Herkunft, häretischen Charakter, Verbindungen mit den östl. (→Bogomilen) u. westl. ketzerischen Bewegungen (Albigenser, Waldenser u. Katharer) sowie über das Verschwinden der B.K. geführt. Wegen der Spärlichkeit u. Lückenhaftigkeit der erhaltenen Quellen einerseits u. ihrer verschiedenen pol. u. kulturmorphologischen Provenienz (einheimisch, östl. u. westl.) bezogen die Autoren mannigfaltige u. konträre Positionen bei der Interpretation dieses hist. Phänomens. Fest steht: Die zeitgenössischen Quellen wissen weder um die Benennung der bosn. Ketzer als Bogomilen noch um ihre Verbindungen mit diesen. Die Verbindungen mit den westl. ketzerischen Bewegungen sind zwar durch Quellen belegt, aber zu vage u. tendenziös; darin werden sie den Manichäern gleichgestellt u. Patarener benannt. Dagegen hieß die Selbstbenennung ausschließlich Krstjani („Christen“) u. ihre Organisation nannten sie B.K. (Crkva bosanska). Die verbreitete Auffassung, die bosn. „Bogomilen“ bzw. Krstjani hätten die osm. Eroberer als Befreier empfangen (oder gar zur Hilfe gerufen) u. wären bald danach in Scharen zum Islam übergetreten, hat keine wiss. Stütze u. ist als eine pol. motivierte Legende einzustufen, die insbesondere unter den heutigen →Bosniaken beliebt geworden ist. Allem Anschein nach war das bosn. „Ketzertum“ keine soziopolitische, sondern eine traditionalistische örtliche Bewegung, die sich gegen röm.-kath. Eingriffe sperrte u. im Laufe der Zeit ein eigenes Kirchenverständnis mit eigener Organisation entwickelte. Die Tatsache, dass die osm. Steuerbehörden in den ersten zwei Jahrzehnten nach der Eroberung lediglich an die 135 Haushalte der bosn. Krstjani registrierte u. im 16. Jh. nur kristian-Toponyme kennt (insgesamt 93), sowie der Sachverhalt, dass eine intensivere →Islamisierung erst Anfang des 16. Jh.s eingesetzt hat, sprechen indirekt für die These, dass es den →Franziskanern gelungen war, die bosn. Krstjani vor der osm. Eroberung im großen u. ganzen zu rekatholisieren. Die zeitgenössischen franziskanischen Quellen sprechen demnach wohl etwas überschwänglich, jedoch nicht ohne Grundlage v. diesem Vorgang. Lit. (s. a. →Bogomilen; →Bosniaken): J.V.A. Fine Jr., The Bosnian Church: its Place in State and Society from the Thirteenth to the Fifteenth Century. A new interpretation. London u. a.
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Bosnische Muslime (ethnoreligiöse Gruppe und Nation)
2007 (zuerst u.d.T.: The Bosnian Church. A New Interpretation. New York 1975); S.M. DŽaja, Srednjovjekovna Crkva bosanska u procijepu suprostavljenih kontekstualizacija, Status. Magazin za političku kulturu i društvena pitanja 10 (2006), 250–255; Fenomen „Krstjani“ u srednjevekovnoj Bosni i Humu. Zbornik radova. Hg. F. Šanjek. Zagreb 2005; P. Ćošković, Crkva bosanska u XV. stoljeću. Sarajevo 2005; Fenonem „krstjani“ u srednjovjekovnoj Bosni i Humu. Zbornik radova. Hg. F. Šanjek. Sarajevo u. a. 2005; Z. Štimac, Die bosnische Kirche.Versuch eines religionswissenschaftlichen Zugangs. Frankfurt/M. u. a. 2004; F. Šanjek, Bosansko-humski krstjani u povijesnim vrelima 13.–15. st. Zagreb 2003; D. Dragojlović, Krstjani i jeretička crkva bosanska. Beograd 1987; H. Noflatscher/E. Springer, Studien u. Quellen zu den Beziehungen zw. Rudolf II. u. den. bosn. Christen, MÖStA 36 (1983), 31–82; S. M. Džaja, Die „Bosnische Kirche“ u. das Islamisierungsproblem Bosniens u. der Herzegowina in den Forschungen nach dem Zweiten Weltkrieg. München 1978; M.D. Lambert, Medieval Heresy. Popular Movements from Bogomil to Hus. London 11977 (²1992); F. Šanjek, Bosanskohumski krstjani i katarskodualistički pokret u srednjem vijeku. Zagreb 1975 (frz. u. d. T.: Les chrétiens bosniaques et le mouvement cathare XIIe–XVe siècles. Bruxelles u. a. 1976; J. Šidak, Studije o „Crkvi bosanskoj“ i bogumilstvu. Zagreb 1975; S. Ćirković, Die bosnische Kirche, in : Atti del Convegno internazionale sul tema: L’Oriente christiano nella storia della civiltà. Roma 1964, 547–575; D. Knievald, Hierarchie u. Kultus bosnischer Christen, in : ebd., 579–605; D. Mandić, Bogomilska crkva bosanskih krstjana. Chicago/IL.1962; M. Miletić, I „krstjani“ di Bosna alla luce dei loro monumenti di pietra. Roma 1957. S.M. Dž.
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Bosnische Muslime (ethnoreligiöse Gruppe und Nation). Bis in die zweite H. des 20. Jh.s bestanden in →Bosnien-Herzegowina konkurrierende Konzepte der →Nationsbildung. Vor dem 1. Wk. setzte sich weder die Vereinnahmung der auf drei Konfessionen verteilten Gesamtbev. als Serben oder Kroaten verschiedener Konfession durch, noch gelang speziell die Vereinnahmung der Muslime als Kroaten oder Serben. Ebenso wenig erfolgreich war der Versuch, eine konfessionsübergreifende Territorialidentät der →Bosniaken zu schaffen. Stattdessen bildeten sich die konfessionellen Abgrenzungen zw. Katholiken, Orthodoxen u. Muslimen in zugleich nationale Abgrenzungen zw. Kroaten, Serben u. Muslimen um. – Mit einer gewissen Verzögerung gegenüber der kroat. u. der serb. Nationalbewegung entfaltete sich unter den b. M. seit dem Ende 19. Jh.s in Gestalt der Autonomiebewegung ein auf die Elite beschränkter, noch nicht schichtenübergreifender Protonationalismus. Im →Jugoslawien der Zwischenkriegszeit hatten die Muslime staatlich vorgegeben nur über die Konfession die Möglichkeit, sich als eigene Gruppe zu deklarieren. So war auch die Jugoslovenska muslimanska organizacija unter der Führung von Mehmed Spaho eine eher konfessionell u. kulturell definierte Partei; ihre Orientierung an der „Übernation“ des Jugoslawentums schützte die Identität der Gruppe in Abgrenzung von Serben- u. Kroatentum u. ermöglichte die rechtliche Existenz der Partei. Unabhängig davon, dass die →Ustaša-Ideologie die b. M. zu Kroaten isl. Konfession erklärte, sahen sich die Muslime im 1941 etablierten →Unabhängigen Staat Kroatien vielfach der Bevormundung u. Benachteiligung ausgesetzt. Sowohl diese Erfahrung als auch die Massaker der →Četnici an Muslimen in den Kriegsjahren bestärkten die Abgrenzung gegenüber Serben u. Kroaten. – Bis Ende der 50er Jahre ging die Nationa-
Bosnische Muslime (ethnoreligiöse Gruppe und Nation)
litätenpolitik der Kommunisten indes davon aus, die b. M. würden sich national als Serben oder Kroaten deklarieren; doch die meisten bevorzugten die nunmehr zugelassene Selbstbezeichnung als „national nicht erklärter Muslim“. In der Volkszählung von 1961 bestand erstmals die Möglichkeit, sich als „Muslim im ethnischen Sinne“ zu bekennen. 1963 wurden die Muslime in der bosn. Republiksverfassung als eines der narodi ([Staats-]Völker, Nationen) v. Bosnien-Herzegowina aufgezählt, 1968 erhielten sie auch auf Föderationsebene die Anerkennung als narod. Außer in Makedonien partizipierten, nunmehr staatlich anerkannt, auch die übrigen slavischsprachigen Muslime Jugoslawiens an der bosn.-musl. Nationsbildung. Seit der Volkszählung von 1971 machten die b. M. in großem Maße von der Möglichkeit Gebrauch, sich national als Muslim zu deklarieren. Über den Säkularisierungsprozess wie auch durch pol. Normensetzung wurde aus der konfessionellen protonationalen eine primär national definierte Gruppe, ohne dass sich ihr Umfang dabei änderte. Gerade seit die Muslime die relative Bevölkerungsmehrheit in der Republik bildeten, sahen sie Bosnien-Herzegowina zunehmend als ihre „Heimatrepublik“ analog zur Funktion der anderen Republiken für die jeweiligen Staatsvölker an, ohne allerdings daraus den Anspruch auf Homogenisierung der Bev. abzuleiten. Der aufgezwungene Krieg 1992–1995 (→postjug. Kriege) hat die Affirmation der aus der Konfession der Muslime hervorgegangenen Nation zum Abschluss gebracht. Die 1993 eingeführte Selbstbezeichnung als Bošnjaci (→Bosniaken) ist auf das Territorium bezogen, auch wenn durch den Turzismus in der Wortbildung – statt Bosanci (Bosnier) – der Verweis auf die musl. Tradition erhalten geblieben ist. Entsprechend der nationalen Konnotation des Sakralen bei Serben u. Kroaten hat die Betonung sakraler Zeichen als Symbole nationaler Identität, angefangen durch den Bau v. Moscheen, an Bedeutung gewonnen. Lit. (a. →Bosniaken; →Bosnien-Herzegowina): S. Bandžović, Bošnjaci i Turska: deosmanizacija Balkana i muhadžirski pokreti u XX stoljeću. Sarajevo 2014; D. Abazović, Bosanskohercegovački muslimani izmedju sekularizacije i desekularizacije. Zagreb, Sarajevo 2012; A. Djozić, Studije o bošnjaštvu. Prilog sociologiji nacionalnih zajednica u Bosni i Hercegovini. Tuzla 2012; Mehmed Spaho. Hgg. A. Lavić/E. Subašić. Sarajevo 2010; Ph. Gelez, Safvet-beg Bašagić (1870–1934). Aux racines intellectuelles de la pensée nationale chez les musulmans de Bosnie-Herzégovine. Athènes 2010; H. Kamberović, Mehmed Spaho (1883–1939). Politička biografija. ebd. 2009; Ders., Stav političke elite o nacionalnom identitetu Muslimana u Bosni i Hergovini sredinom 1960-ih godina, Prilozi 38 (2009), 165–191; A. Alibašić, Traditional and Reformist Islam in Bosnia and Herzegovina. Cambridge 2003; M. Imamović, Historija Bošnjaka. Sarajevo 21998; Š. Filandra, Bošnjačka politika u XX. stoljeću. ebd. 1998; L. Steindorff, Von der Konfession zur Nation: Die Muslime in Bosnien-Hercegovina, Südosteuropa-Mitteilungen 37 (1997), H. 4, 277–290; R.J. Donia/J.V. Fine, Bosnia and Hercegovina. A Tradition Betrayed. London ²1997; A. Babuna, Die nationale Entwicklung der bosnischen Muslime. Mit besonderer Berücksichtigung der österreichisch-ungarischen Periode. Bern u. a. 1996; F. Friedman, The Bosnian Muslims: Denial of a Nation. Boulder 1996; T. Bringa, Being Muslim the Bosnian Way. Princeton 1995; The Muslims of Bosnia-Herzegovina. Their Historic Development from the Middle Ages to the Dissolution of Yugoslavia. Hg. M. Pinson. Cambridge/Mass. 1993 (21996); P. Ramet, Die Muslime Bosniens als Nation, in: Die Muslime in der Sowjetunion u. in Jugoslawien. Hgg. A. Kappeler/G. Simon/G. Brunner. Köln 1989, 107–
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Bratislava/Pressburg
114; W. Höpken, Die jugoslawischen Kommunisten u. die bosnischen Muslime, ebd., 181–210; V. Murvar, Nation and Religion in Central Europe and the Western Balkans. The Muslims in Bosnia-Herzegovina and Sandžak. Brookfield 1989; R. Donia, Islam under the Double Eagle. The Muslims of Bosnia-Herzegovina 1878–1914. New York 1981; N. Šehić, Autonomni pokret Muslimana za vrijeme austrougarske uprave u Bosni i Hercegovini. Sarajevo 1980. L. St.
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Bratislava/Pressburg (slowak. hist. Prešporok mit Nebenformen; lat. Posonium, Isterpolis; ung. Pozsony). Hauptstadt der Slowak. Republik (seit 1993); 2013: 417.389 E. – Die Besiedlung durch keltische Bojer der La-Têne-Zeit ist durch Münzfunde (Biatecgruppe) belegt. Durch die verkehrsgeographisch günstige Lage (Donau bzw. nordsüdl. Bernsteinstraße) errichteten die Römer – nach Unterwerfung der Kelten u. Quaden – die Festungen Gerulata/Rusovce, Theben/Devín, Stampfen/Stupava u. B. u. machten B. zu einem bedeutenden Handelsplatz. Im 6. Jh. zogen →Awaren u. Slaven ein (→Slav. Landnahme); z.Zt. der Frankenherrschaft bildeten sich westslav. Fürstentümer aus. Durch Zusammenschluss des Fsm.s Neutra/Nitra (Pribina) mit den mährischen Fürstentümern der Mojmír-Dynastie entstand im 9. Jh. das →Großmährische Reich mit den Burgen v. Theben u. B. Urkundlich wird B. i.J. 907 als „Braslavespurch“, „Brezalauspurc“ erstmals erwähnt, anlässlich des Sieges der Ungarn über die Bayern. 1189 wählte Ks. Friedrich Barbarossa bei der Vorbereitung des 3. Kreuzzuges die Burg als Treffpunkt der Heere. 1211 fand hier die Verlobung Elisabeths, der Tochter des Ungarnkönigs Andreas mit dem Markgrafen Ludwig v. Thüringen statt. 1261 eroberte Přemysl Ottokar II. den Ort. Das Stadtrecht wurde 1291 verliehen. 1467 gründete Matthias Corvinus hier die erste Hochschule Ungarns, die Academia Istropolitana. Nach der Niederlage der Ungarn bei →Mohács (1526) suchte Königin Maria, die Witwe Ludwigs II., Zuflucht in B. Sie berief den Reichsrat ein u. ließ ihren Bruder, Ks. Ferdinand v. Habsburg, zum ung. Kg. ausrufen (→Habsburgermonarchie). 1531 übersiedelten die Zentralämter aus Ofen (Buda; →Budapest) nach B. u. nach der Besetzung Ofens durch die Osmanen erklärte Ferdinand 1536 B. zur Hauptstadt Ungarns (dies galt bis 1783). B. war nun Ständerats- u. Krönungsstadt, Residenz des ung. Obergespans (vgl. Ispán) u. seit 1543 auch Sitz des Graner Erzbischofs. Die Kronjuwelen waren auf Anordnung des Reichstags im südwestlichen Burgturm („Kronturm“) hinterlegt. Im Dom zu St. Martin wurden vom 16. bis zur Mitte des 19. Jh.s elf Könige u. acht Königinnen gekrönt. Ende des 17. Jh.s, nach der Niederlage der Osmanen, entwickelte sich B. zum Mittelpunkt des Handels u. Verkehrs mit Osteuropa u. gleichzeitig zum Kulturzentrum. Im 18. Jh. erschienen die ersten Zeitungen. Matthias Bél (Bel, Belius), 1714 Rektor u. 1719 Prediger der ev.-dt. Gemeinde v. Pressburg, gab 1721 die erste regelmäßig erscheinende Zeitung Nova Posoniensia heraus u. wurde v. Ks. Karl VI. zu seinem Geschichtsschreiber ernannt u. geadelt. 1764 gründete Béls Schüler, Karl Gottlieb Windisch, die Preßburger Zeitung, 1780 folgten Magyar Hírmondó u. 1793 die Prešpurské noviny. Bis zur Regierungszeit Maria Theresias wurden in B. alle politischen ung. Landesfragen entschieden. Joseph II. ließ sich jedoch nicht zum ung. Kg. krönen, verlegte 1783 die Zentral ämter nach Ofen u. ließ die ung. Kronjuwelen nach Wien überführen. Damit verschärfte
Bratislava/Pressburg
sich der Gegensatz der Habsburger zum ung. →Adel. Nach der Schlacht bei Austerlitz zw. Napoleon, dem russ. Zaren u. dem österr. Kaiser, wurde im Primatialpalast am 26.12.1805 der Pressburger Friede zw. Österreich u. Frankreich geschlossen, durch den Österreich u. a. seine westl. Provinzen verlor. 1809 stand B. unter Beschuss der frz. Truppen, 1811 brannte die Burg nieder. Anfang des 19. Jh.s war B. noch eine überwiegend dt. Stadt mit einer traditionsreichen jüd. Gemeinde; nach 1840 ließen sich hier mehr u. mehr Ungarn nieder. Auch die slowak. Nationalbewegung hatte in B. eines ihrer Zentren (→Revolution 1848: Slowaken). Am 22.12.1918 wurde B., das damals nach einigen Jahrzehnten spürbarer städtebaulicher Expanion 78.223 Einwohner hatte, darunter 11 Prozent Slowaken, durch den frz. Marschall Ferdinand Foch den Tschechen übergeben. Zu Neujahr 1919 besetzten tschechische u. Entente-Truppen die Stadt, die ab 4.1.1919 zu Ehren des US-Präsidenten W. Wilson (zum Hintergrund vgl. →Vereinigte Staaten von Amerika) „Wilsonovo mesto“ heißen sollte. Am 10.2.1919 waren das Prager Verteidigungsministerium u. das Ministerpräsidium noch unentschlossen hinsichtlich der Namensgebung: Prešpurk, Wilsonov, Wilsonovo mesto oder Bratislav standen zur Debatte. Der Prager Ministerrat entschied sich am 19.2.1919 für Bratislav (bereits 1837 v. P.J. Šafárik rekonstruiert). Der Name Bratislava wurde erst am 27.3.1919 amtlich fixiert. Slowakischer Regierungssitz war vorerst (11.12.1918–3.2.1919) Sillein (Žilina). Am 14.3.1939 wurde B. Hauptstadt der selbständigen Slowakei, im Februar 1948 Sitz der slowak. politischen Zentralverwaltungsorgane der ČSSR. Die Umgestaltung zur eigentlichen Großstadt mit ausgeprägten institutionellen Hauptortfunktionen für die Slowakei erfolgte in der Zwischenkriegszeit, v. 1939–1945 als Hauptstadt einer selbständigen →Slowakei (mit Souveränitätserklärung gestützt auf NS-→Deutschland), 1969–1990 als Hauptstadt der SSR (als Teilrepublik der ČSSR), 1990–92 der SR (innerhalb der ČSFR) u. seit 1993 als Hauptstadt der Slowakischen Republik. Nach 1945 umfangreiche Eingemeindungen u. ausbreitende →Urbanisierung, besonders a. durch sozialist. Plattenbauviertel. Lit.: Dejiny Bratislavy. 5 Bde. Bratislava 2012; I. Engelmann, Die Slowakisierung Bratislavas: Universität, Theater u. Kulturgemeinden 1918–1948. Wiesbaden 2012; D. Luther, Z Prešporka do Bratislavy. Bratislava 2009; Á. Tóth, Polgári stratégiák. Életutak, családi sorsok és társadalmi viszonyok Pozsonyban 1780 és 1848 között. Pozsony 2009; P. van Duin, Central European Crossroads. Social democracy and national revolution in Bratislava (Pressburg), 1867–1921. New York 2009; J. Tancer, Im Schatten Wiens. Zur deutschsprachige Presse u. Literatur im Pressburg des 18. Jh.s. Bremen 2008; D. Kováč, Bratislava 1939–1945. Mier a vojna v meste. Bratislava 2006; Plattenbausiedlungen in Wien u. Bratislava. Zwischen Vision, Alltag u. Innovation. Hgg. V. Mayer/A. Bacová. Wien 2006; E. Babejova, Fin-de-Siède Pressburg. Conflict and Cultural Coexistence in Bratislava, 1897–1914. Boulder 2003; Dejiny Bratislavy. Výberová regionálna bibliografia dejín hlavného mesta Slovenskej republiky od najstarších čias po súčasnost’. Bratislava 2000; Beiträge zur ältesten Besiedlung der Slowakei. Hg. V. Sedlák. ebd. 1994; H. Štefan, Die historische Architektur in Preßburg, Südostdeutsche Vierteljahresblätter 42 (1993), 300–305; F. Nourissier, Bratislava. Paris 1990; L. Kiss, Földrajzi nevek etimológiai szótára. Budapest 1980; Dejiny Bratislavy. Hgg. V. Horváth/D. Lehotská/J. Pleva, Bratislava 1978; V. Horváth/E. Rákos/J. Watzka, Bratislava,
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Bruderschaften (westkirchliche) / Buchdruck
hlavné mesto Slovenska. Pripojenie Bratislavy k Československej republike roku 1918–1919. Dokumenty. ebd. 1977; E. Portisch, Geschichte der Stadt Bratislava-Preßburg. 2 Bde. Preßburg 1933; T. Ortvay, Geschichte der Stadt Preßburg 1892–1912. 7 Bde. ebd. 1892–1917. M. Gl.
Bruderschaften (westkirchliche). Die Anfänge des Bruderschaftswesens liegen in der Spätantike. In den westkirchl. geprägten Teilen des ma. u. frühneuzeitlichen Europa gehörten die B. parallel zu Gilde, Zunft, Stadtgemeinde oder Universität (im vormodernen Sinne) zu den Formen der Einung. Innerhalb SOEs kennen wir seit dem 13. Jh. B. aus den istrischen u. dalmatinischen Städten wie auch aus dem Bereich der ostmitteleurop. Stadt: →Slawonien, →Ungarn einschließlich →Siebenbürgen. Die B. waren primär durch relig. Anliegen definiert: gemeinsame liturgische Feiern, Mildtätigkeit, Krankensorge, Sterbegeleit u. Sicherung des Totengedenkens dienten der solidarischen Sicherung des Seelenheiles u. wirkten zugleich als Teil des Netzes sozialer Bindung. Konstitutiver Teil des Lebens in der Bruderschaft war das gemeinschaftsstiftende Mahl. Das gemeinsame Feiern reichte, wie für die B. der Schuster u. Schneider aus →Dubrovnik bekannt, sogar bis zur Tanzverpflichtung. Der Zusammenschluss zur Bruderschaft konnte durch ein gemeinsames relig. Anliegen (zum Beispiel Unterhalt der durch ihre Totentanz-Fresken bekannten Friedhofskapelle bei Beram in →Istrien), durch gemeinsamen Stand (Kleriker) oder Beruf begründet sein. Dabei überschnitten sich im konkreten Falle häufig die Funktionen von B. u. Zünften, deren Primärziel die Vertretung berufsständischer Interessen war. B. (etwa in Dalmatien) schlossen dabei Frauen keineswegs grundsätzlich v. der bloßen Mitgliedschaft aus, wohl aber i. d. R. v. der Mitwirkung in den Organen der B. Die Säkularisierung durch Joseph II. (→Josephinismus) bzw. für den bis 1797 venez. Bereich unter der napoleonischen Herrschaft (→Illyrische Provinzen) betraf auch einen Großteil der B. – Nach dem Vorbild kath. B. entstanden im 16. Jh. orth. B. in Kiev wie auch in der →Moldau. – Die für 1048 belegte Bruderschaft von Naupaktos bei Theben ist ein Einzelfall im byz. Raum. (Zu den isl. B. →Derwische). Lit.: St. Razum, Bratovština Sv. Barbare u Brdovcu, Tkalčić: godišnjak Društva za povjesnicu zagrebačke nadbiskupije. annales Societatis historicae archiepiscopatus zagrabiensis 15 (2011), 387–458; V. Pezelj, Žene u bratovštinama srjednovjekovnih dalmatinskih gradova, Zbornik radova Pravnog fakulteta u Splitu 47 (2010), H. 1, 155–173; M. Mikelić, Bratovština Presvetog Oltarskog Sakramenta u Vranjicu. Solin 2009; B. Purgarić-Kužić, «Bratjo brata sprovodimo» – «Gratis et amor». Pogrebni običaji hrvatskih srednjovjekovnih bratovština, Otium. Časopis za povijest svakodnevnice 2 (1994), 39–44; V. Štefanić/B. Metod, Bratovštine, in: Enciklopedija Jugoslavije2. Bd. 1 Zagreb 1982, 408–412; W.J. Nesbitt, A Confraternity of the Comnenian Era, Byzantinische Zeitschrift 68 (1975), 360–384; E. Pavlescu, Economia breslelor în Moldova. Bucureşti 1939. L. St.
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Buchdruck. SOE liegt an der Nahtstelle zw. der abendländischen Christenheit u. dem →Islam, u. daher ergeben sich die signifikanten Verzögerungen in der Übernahme des Drucks mit beweglichen Lettern im südl. Teil der Region entweder direkt aus Verboten oder aus
Buchdruck
der allg. schlechten ökon. Lage der Christen unter osm. Herrschaft. Im Osm. Reich war der Buchdruck v. Bayezid II. u. Selim I. ausdrücklich verboten worden u. wurde erst im 18. Jh. zugelassen. Zwar haben →Juden in →Saloniki 1515 u. in Adrianopel/Edirne 1554 Druckereien gegründet, die jedoch illegal waren u. ihre Tätigkeit früher oder später wieder einstellen mussten. Wenn in Montenegro, Serbien, Bosnien-Herzegowina, Bulgarien, Albanien u. Griechenland erst seit dem 19. Jh. kontinuierlich Bücher u. Zeitungen gedruckt werden, dann liegt dies nicht an mangelndem Ingenium, sondern an den fehlenden Voraussetzungen entweder für die Herstellung oder die Verbreitung v. Druckschriften. Denn der B. setzt Vielfältiges voraus: Kapital zur Anschaffung v. Presse, Typen u. Papier, eine Schriftsprache, die beim Leser auf Akzeptanz stößt (→Sprachkodifizierung), u. Rezipienten, die mit den gedruckten Texten etwas anfangen können. Eine agrarische Gesellschaft, in der nur der Klerus lesen kann, wird keine weltlichen Schriften hervorbringen können. Grundsätzlich lässt sich daher die Verbreitung des B.s auch als eine Art Gradmesser für die Entwicklung eines bürgerlichen Publikums definieren; wo spät oder überhaupt nicht gedruckt wurde, dort gibt es, so darf man umgekehrt schließen, kein →Bürgertum. Die Kleriker, die zwar auch Bücher benötigen, sind mit einer viel geringeren Anzahl an Titeln u. Exemplaren zufriedenzustellen. Wenn im folgenden v. sporadisch erfolgten frühen Ansätzen des B.s in SOE die Rede ist, dann handelt es sich immer um Initiativen, die primär darauf zielen, die gottesdienstlich benötigten Schriften auf praktischere Weise als durch Abschreiben v. Hand herzustellen. Dabei handelt es sich um mechanische Imitationen v. Prachthandschriften des 15. Jh.s; Zeitungen, Schulfibeln u. ä., die wesentlich schmuckloser sind, treten sogar an den nördl. Rändern des Areals erst im 18. Jh. auf u. gewinnen auf keinen Fall irgendeine zahlenmäßige Prominenz. Chroniken u. Kalender sind die ersten populären weltlichen Gattungen v. Druckschriften, u. Gesetzbücher sind die ersten Amtsdruckschriften im Buchumfang. Sie treten in Ungarn (inkl. Siebenbürgen u. →„Oberungarn“, hier im Sinne der →Slowakei) sowie in der Moldau relativ früh auf. Die Auflagen bewegten sich gewöhnlich bei 200–400 Stück, u. die Preise waren so hoch, dass auch später noch gedruckte Bücher v. Hand kopiert werden mussten. In Ungarn wurden fünf Inkunabeln gedruckt. Vor 1526 gab es 17 Verleger, die 72 Werke in Auftrag gaben. 1724 entstand eine neue Druckerei in Buda (dt. Ofen); die Stadt wurde jedoch v. Pest an Bedeutung überflügelt. Im 19. Jh. spielte Pest als Druckort für die noch unter osm. Herrschaft lebenden christl. Völker eine Rolle. 1529 wurden in Hermannstadt, u. 1538/39 in Kronstadt Druckereien errichtet; sie brachten relig. Schriften, aber auch das Rechtsbuch der →Siebenbürger Sachsen (1583) heraus. In Klausenburg wirkte Gáspár Heltai; die v. ihm 1550 gegründete Druckerei veröffentlichte über 200 Schriften, die Hälfte davon auf Ungarisch (vgl. →Reformation). In dem seinerzeit zum →Partium gehörenden Debrecen wurde ab 1561 vorwiegend kalv. Literatur gedruckt. – In „Oberungarn“ entwickelte sich im 17. Jh. das Veröffentlichungswesen in mehreren Sprachen durch die →Gegenreformation, besonders in Tyrnau u. Kaschau (a. →Slowaken). Slowakische Schriften (z. B. Kalender) wurden in Kaschau u. →Bratislava/Pressburg seit dem 18. Jh. gedruckt. – In Siebenbürgen entwickelte sich zur Reformationszeit ein eifriges Publikationswesen in rum. Sprache. Um 1550 druckte Filip Moldoveanu (bzw. Pictor) in Hermannstadt/Sibiu ein zweisprachiges kirchenslav.-rum. Evangeliar. Coresi stellte 1558–1582 in Kronstadt/BreŞov 23 Arbeiten her –
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Buchdruck
liturgische Bücher, Homilien u. Rechtstexte. Seit 1639 druckte auch die fürstliche Druckerei Georg I. Rákóczis in Karlsburg/Alba Iulia rumänischsprachige Werke. – Das erste in der →Walachei gedruckte Buch war ein kirchenslavisches Messbuch, das 1508 in Târgovişte erschien. Fürst Vasile Lupu (1634–1653) richtete in →Iaşi die erste Druckerei der Moldau ein. Der südslav. Buchdruck begann in Venedig mit Drucken in glagolitischer Schrift u. kroat. Sprache (Missale 1483, Brevier 1493, a. →Alphabete). Die erste südslav. kyr. Druckerei arbeitete 1494 in →Cetinje (bzw. in Obod/Montenegro) u. brachte mindestens vier liturgische Bücher hervor. In der Reformationszeit, im Zusammenhang mit den Aktivitäten v. Primož Trubar, der 1561–1564 zus. mit dem Kärntner Hans Ungnad in Tübingen bzw. Urach (Württemberg) in slow. (3) u. kroat. (26) Sprache veröffentlichte, erlebte der südslav. Buchdruck eine vorübergehende Blüte (→Reformation; a. →Slowenen). Die Bücher waren in glagolitischer (→Alphabete), kyr. u. lat. Schrift gedruckt. Als erster Belgrader Drucker gilt Trojan Gundulić aus Dubrovnik, der 1552 ein Tetraevangelium druckte. In Bulgarien wurde erst im 19. Jh. gedruckt; 1806 erschien das erste bulg. gedruckte Buch, eine Homiliensammlung unter dem Titel Kyriakodromion, das aber in Râmnicu/Rimnik (Rumänien) hergestellt worden war. Ab 1835 wurde in Samokov v. Nikola Karastojanov gedruckt. Vor 1878 erschienen rd. 1.700 bulg. Bücher, aber zumeist im Ausland. – In Moschopolis (Voskopoja/Albanien) (→Aromunen) wurden 1731–1769 dreizehn Akoluthien u. vier weitere Bücher in gr. Sprache gedruckt. Albanischsprachige Bücher erschienen zunächst in Italien (Missale v. Gjon Buzuku, 1555); erst ab 1876 lassen sich in Shkodra hergestellte Bücher aus der Druckerei des Jesuitenkollegs belegen, das 1859 gegründet worden war. – Griechenland wurde seit 1476, als in Mailand das erste gr. Buch gedruckt wurde, v. Italien aus mit Druckschriften versorgt. Vor 1821 gab es allerdings auf dem →Athos (1759), in Izmir (1762) u. auf einigen Inseln gr. Druckereien. Während des Aufstandes (→Befreiungskriege, nationale) wurde 1821 sofort eine Druckerei in Kalamata errichtet, die später nach Messolongi verlegt wurde. Ab 1831 existiert die v. Kapodistrias ins Leben gerufene Nationaldruckerei, ab 1835 in Athen tätig. – 1627 wurde die erste gr. Druckerei in Istanbul errichtet, aber schon im kommenden Jahr wurde sie v. →Janitscharen gestürmt u. vernichtet. 1756 u. 1798 wurden wieder neue gr. Druckereien in Istanbul ins Leben gerufen; vereinzelt erschienen dort auch armen. u. frz. Bücher. 1729 gelang es einem zum Islam konvertierten, aus Klausenburg gebürtigen Ungarn, der als Ibrahim Müteferrika in die Geschichte einging, ein Privileg für den türk. Buchdruck in Istanbul zu erlangen. Aus dieser Werkstatt gingen bis 1794 insges. 29 Titel mit weltlichem Inhalt hervor. Erst 1803 wurde im Osm. Reich das Verbot für den Druck von isl. theolog. Werken aufgehoben, u. bis zu den →Tanzimat blieb die Bedeutung des osmanisch- oder arabischsprachigen B. im Reich gering. 1860 erschien die erste osmanischsprachige Zeitung.
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Lit.: N.M. Teodosiev, Katalog na bălgarskite pečatni knigi 1508–1878. Sofija 2007; M. Peters, Der älteste Verlag Albaniens u. sein Beitrag zu Nationalbewegung, Bildung u. Kultur. Die „Buchdruckerei der Unbefleckten Empfängnis“ zu Shkodra (1870–1945). Hamburg 2007; Chr. Rother, Siebenbürgen u. der Buchdruck im 16. Jh. Mit einer Bibliographie. Wiesbaden 2002; J.V. Ecsedi, A könyvnyomtatás Magyarországon a kézisajtó korában 1473–1800. Budapest 1999; A. Hetzer, Die Anfänge des Buchdrucks in Südosteuropa. Eine Skizze, Balkan-Archiv 19/20 (1994/95), 433–447; Pet
Budapest
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Budapest. Hauptstadt Ungarns (2013 1,7 Mio. E, 525 km2), an beiden Ufern der Donau gelegen, entstand aus drei ma. Städten (Buda/Ofen, Pest u. Óbuda/Alt-Ofen) u. anliegenden Dörfern, die 1872 vereinigt u. durch Einverleibung einer Anzahl vorstädtischer Siedlungen 1950 zu Groß-Budapest erweitert wurden. Bereits in vorgeschichtlicher Zeit besiedelt, war das im heutigen Stadtgebiet liegende Aquincum Hauptstadt der röm. Provinz Pannonia inferior (um 10 v. Chr.–409 n. Chr.), dann wahrscheinlich Zentrum des Hunnenreichs unter Attila („Etzelburg“) u. der ersten Fürsten der →Magyaren. Das Kapitel v. Buda (dt.: Ofen, wohl nach den Kalköfen im Siedlungsgebiet) erhielt bereits 1148 Marktrecht. Nach dem Mongolensturm v. 1241 (→Mongolen) wurden die Einwohner v. der verwüsteten Stadt Pest auf der östl. Flussseite (dessen aus einer slav. Sprache stammender Name ebenfalls „Ofen“ bedeutet) nach Ofen umgesiedelt u. mit einem Privileg versehen. Vom 13. Jh. an galt Buda als „Hauptstadt“ des Königreichs, wenn auch die Residenz im 14. Jh. zeitwei-
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Budapest
lig in Temesvár u. dann in Visegrád war. Anfangs v. kgl. ernannten Rektoren (Ritterbürgern) geführt, erhielt Buda im 14. Jh. einen gewählten Rat u. Richter; das Stadtrecht wurde 1405–21 aufgezeichnet. Burg u. Stadt entwickelten sich besonders unter Kg. Sigismund u. seinen Nachfolgern u. Ofen wurde – auch auf Kosten anderer →Freistädte – die führende Handelsstadt des Landes mit ausgedehnten it. u. – später – süddt. Geschäfts- u. Familienverbindungen. Im späten 15. Jh. zählte Buda mit Vororten etwa 12–15.000, Pest 1.000 u. Óbuda (wo 1395 eine – allerdings kurzlebige – →Universität gegründet wurde) etwa 6.000 Einwohner. 1526 v. den Osmanen abgebrannt u. v. 1541 bis 1686 unter osm. Herrschaft (Sitz des Paschas v. Buda, während die kgl. ung. Hauptstadtfunktion bei →Bratislava/Pressburg lag) stehend, begann der Wiederaufbau der Städte im 18. Jh., jetzt mit der großenteils v. Serben u. Deutschen besiedelten Kaufmannsstadt Pest an der Spitze. 1777 zog die Universität aus Tyrnau ( Nagyszombat/Trnava) nach Pest, 1783 wurden mehrere ung. Regierungsbehörden nach Buda übersiedelt. Im →Vormärz zunehmend zum kult. u. auch pol. Zentrum des Landes geworden, wurde Buda-Pest 1848 auch offiziell zur Hauptstadt (u. 1849 von der revol. ung. Regierung in seinen drei Bestandteilen erstmals administrativ vereinigt), obwohl Pest durch die große Überschwemmung v. 1823 u. dann Ofen während des Freiheitskrieges 1848/49 viele Verluste erlitt. Der spektakuläre Aufschwung v. B. begann in der Gründerzeit nach 1870, als die rasche →Industrialisierung u. die Bauindustrie (Ringstraße, Prachtbauten u. Untergrundbahn zum Millennium 1896, usw.) Tausende in die Hauptstadt zog. Zwischen 1847 u. 1900 versechsfachte sich die Bev. Um die Jahrhundertwende wurde die B.er Kultur u. Politik weitgehend vom assimilierten dt. u. jüd. →Bürgertum bestimmt. Da in den Revolutionen 1918/19 (→Räterepublik) B. eine führende Rolle spielte, wurde es v. der Konterrevolution Horthys als „sündige Stadt“ betrachtet. Um 1930 lebte ein Fünftel aller Landesbewohner in B. Am Ende des 2. →Wk.s erlitt B. enorme Schäden: alle Donaubrücken wurden v. den dt. Truppen gesprengt, ein Großteil der Häuser in den Luftangriffen u. Straßenkämpfen vernichtet oder beschädigt. Nachdem die sowj. Truppen am 14.2.1945 die letzten Reste des Widerstandes beseitigt hatten, begann mit großem Elan der Wiederaufbau der Stadt. Nach der komm. Machtübernahme wurde 1949 die Munizipalverfassung aufgehoben u. die Stadt einem Rat sowj. Stils unterstellt. Obwohl die Konzentration der Industrie in B. vermindert u. der Zuzug in die Großstadt beschränkt werden sollte, blieb es das Wirtschaftszentrum des Landes u. wuchs in den 1970er/80er Jahren zu einer Zweimillionenstadt. Der Volksaufstand v. 1956 wurde v. a. in B. ausgefochten, demgemäß erlitt auch die Stadt die meisten Schäden v. den Straßenkämpfen. Erst in den 1980er Jahren begann sie ihr früheres lebhaftes Gesicht zurückzugewinnen. Die ersten Massendemonstrationen 1988/89, die den Missmut der Bevölkerung am Kádár-Regime ausdrückten, fanden in B. statt. 1991 wurde die gewählte Selbstverwaltung sowohl der Hauptstadt als auch ihrer 23 Bezirke wiederhergestellt.
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Quellen: Források Budapest történetéhez. 5 Bde. Budapest 1971–1988 [Bd. 1 auch übers. u.d.T.: Sources relative à l’histoire de Buda, Pest et Óbuda. Budapest 1971]. Lit.: J. Hauszmann, Kleine Geschichte Budapests. Regensburg 2012; K. Nevenkin, Take Budapest! The Struggle for Hungary, Autumn 1944. Stroud 2012; J. Richers, Jüdisches Budapest.
Bukarest
Kulturelle Topographien einer Stadtgemeinde im 19. Jh. Köln u. a. 2009; B. Dent, Budapest. A Cultural History. Oxford u. a. 2007; Budapest várostörténeti monográfiái. Tanulmányok Budapest múltjából. Bde. 11 (1956)–31 (2003); P. Csendes, Budapest u. Wien. Technischer Fortschritt u. urbaner Aufschwung im 19. Jh. Budapest u. a. 2003; K. Ungváry, Die Schlacht um Budapest. Stalingrad an der Donau. München 1999; P. Hanák, The Garden and the Workshop. Essays on the Cultural History of Budapest and Vienna. Vorw. C.E. Schorske. Princeton 1998; A. Sipos, Várospolitika és városigazgatás Budapesten, 1890–1914. Budapest 1996; Wien – Prag – Budapest. Blütezeit der Habsburgermetropolen; Urbanisierung, Kommunalpolitik, gesellschaftliche Konflikte (1867–1918). Hgg. G. Melinz/S. Zimmermann. Wien 1996; Budapest lexikon. Hg. L. Berza. 2 Bde. Budapest 21993; Familien in Wien u. Budapest. Hg. L. Cseh-Szombathy. Wien u. a. 1993; Budapest im Mittelalter [Ausstellungskatalog]. Hg. G. Biegel. Braunschweig 1991; J. Lukacs, Ungarn in Europa. Budapest um die Jahrhundertwende. Berlin 1990; M.C. Rady, Medieval Buda: A Study of Municipal Government and Jurisdiction in the Kingdom of Hungary. New York 1985; F. Greszl, Ofen-Buda. Entwicklungsgeschichte der königlichen Residenzstadt Ungarns im 18. Jh. Eine kirchen-, pastoral-, kultur- u. kunstgeschichtliche Untersuchung im Lichte der Graner (Esztergomer) erzbischöflichen Visitationsprotokolle im Zeitraum zwischen 1686 u. 1822. München 1984; Budapest története. 5 Bde. Hg. L. Gerevich. Budapest 1973–1980; A. Kubinyi, Die Anfänge Ofens. Gießen u. a. 1972; L. Gerevich, The Art of Buda and Pest in the Middle Ages. Budapest 1971; Budapest történetének bibliográfiája. 7 Bde. Hg. J. Zoltán. ebd. 1963–74; Budapest műemlékei. 2 Bde. Hg. F. Pogány. ebd. 1955–62. J.M. B.
Bukarest (rum. Bucureşti). Hauptstadt →Rumäniens (1,9 Mio. E, 2011). B. liegt im Tief land der Großen Walachei an den Flüssen Dîmboviţa u. Colentina, eine Besiedlung ist bis in das Paläolithikum nachweisbar. Als Gründer der Stadt gelten der Hirte Bucur (Namensgebung) oder Basarab I. (Negru-vodă, 1330–1352) (→Walachei). Nach ersten Erwähnungen einer Festung Dîmboviţa 1368 u. 1396/97 (wohl ident. mit B.) findet sich die erste präzise Nennung in einer Urkunde des Fürsten Vlad Ţepeş (→Dracula) vom 20.9.1459. In der Folge residierten die Herrscher noch wahlweise in Tîrgovişte oder schon in B. Wirtschaftlich nahm B. unter Mircea Ciobanul (d. Hirte) Mitte des 15. Jh.s einen bedeutenden Aufschwung, aus seiner Zeit stammt die Palastkirche „Curtea Veche“ (ältestes Bauwerk von B.). In dieser Zeit wurde die Stadt ein wichtiger Umschlagplatz auf der Handelsroute von Kronstadt/Braşov zum Schwarzen Meer. Die 1594 von Michael d. Tapferen errichtete Kirche hat sich trotz des 1595 von Sinan Pascha gelegten Feuers erhalten. Ruhigere Zeiten in den Auseinandersetzungen mit den Osmanen waren B. nur unter Matei Basarab (1632– 1654) beschieden. Unter Mihnea III. erfolgte 1658 die Fertigstellung u. Einweihung der Metropolitankirche (Sitz der Metropolie ab 1661), Şerban Cantacuzino (1678–1688; →Kantakuzenen) schuf die Grundlagen für die spätere →Akademie u. begann mit dem Bau des Klosters Cotroceni. Im 17. Jh. breitete sich die Stadt vom linken auf das rechte Ufer der Dîmboviţa aus u. wurde unter Constantin Brîncoveanu (1688–1714) definitiv zur Residenzstadt der Walachei. In seine Zeit fällt die Fertigstellung der Kirche Sf. Gheorghe, Mihail Cantacuzino, der Onkel Ştefan Cantacuzinos (1714–1715), ließ Turm u. Kirche von Colţea
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Bukarest
fertig bauen u. unter Nicolae Mavrocordat wurden die Creţulescu- u. Stavropoleos-Kirche sowie das Kloster Văcăreşti errichtet. In der →Phanariotenzeit (1716–1821) gab es einerseits einen wirt. Rückgang, andererseits wurden Schulen, Spitäler u. Manufakturen gegründet. 1716, 1789–1791 sowie 1854–1856 waren die Walachei u. ihre Hauptstadt v. den Österreichern, 1769, 1806–1812, 1828–1834, 1848–1851, 1854 u. 1877 v. den Russen besetzt. 1812 hier Schließung des Friedens v. →Bukarest (s. u.), 1821 war die Stadt vom Aufstand Tudor Vladimirescus betroffen. Ab 1829 nahm die wirt. Lage einen erheblichen Aufschwung (Wegfall des osm. Getreide- u. Viehmonopols). Eine sorgfältige Verwaltung ließ B. der russ. General Pavel Dmitrievič Kiselev angedeihen (Trockenlegung von Sümpfen, Errichtung von Plätzen, Märkten, Friedhöfen sowie einer öffentlichen Beleuchtung). Die von den Osmanen u. Russen niedergeschlagene →Revolution v. 1848 war in erster Linie eine Rev. der Bukarester (Nicolae Bălcescu u. anderen). Nach der Vereinigung der →Donaufürstentümer unter Ion Cuza 1859 wurde B. 1862 zur Hauptstadt →Rumäniens. Unter Kg. Carol I. (1866–1914) wurde B. endgültig zur Großstadt (bereits 1870 war es mit Abstand die größte Stadt im soe. Raum zw. Budapest u. Istanbul) u. nahm den Charakter einer westeurop. Stadt an (Palastbau, Schaffung der Boulevards, große Parkanlagen, prächtige Jugenstilvillen, elektrische Beleuchtung etc.). Vielen Zeitgenossen erschien die Stadt als „Paris des Ostens“. 1913 beendete der Frieden v. B. den zweiten →Balkankrieg. Im 1. →Wk. wurde die Stadt Ende 1916 v. den Mittelmächten besetzt, im Mai 1918 kam es mit diesen zum Friedensvertrag v. B. Nach der →Weltwirtschaftskrise ging die vor 1929 eingeleitete →Industrialisierung weiter, zahlreiche Bauten stammen aus jener Zeit (Nordbahnhof, Nationalbank, Ministerien). Die von Kg. Michael I. am 23. August vorgenommene Verhaftung des „Conducator“ Ion Antonescu bewirkte in der Folge dt. Luftangriffe auf B., die große Schäden anrichteten. Nach dem 2. Wk. kam es zur Ansiedlung weiterer großer Industriebetriebe. V. a. durch Zuzug vom Lande verdoppelte sich die Einwohnerzahl in den folgenden vier Jahrzehnten. Schwere Zerstörungen verursachte ein Erdbeben am 4.3.1977. Seit 1984 wurde ein Großteil der Altstadt südl. der Dîmboviţa abgerissen, um gemäß den Plänen von Nicolae Ceauşescu Platz für ein großes sozialist. Zentrum zu schaffen, das nach seinem Tode 1989 unvollendet blieb. Gegenüber dem Bevölkerungshöchststand von 1992 (2,067 Mio. E) hat B. inzwischen knapp 200.000 E verloren, doch ist aufgrund seiner weiter vorhandenen großen innerstaatlichen Attraktivität der relative Rückgang in der Hauptstadt deutlich geringer als in Rumänien insgesamt.
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Lit.: A. Majuru, Stadt der Verlockungen. Das vormoderne Bukarest zwischen Orient u. Europa. Berlin 2014; Documente feudale privind istoria orašului București și a satelor învecinate în colecţia Muzeului Municipiului București 1545–1800. București 2006; J. Vossen, Bukarest. Die Entwicklung des Stadtraums von den Anfängen bis zur Gegenwart. [Berlin] 2004; G. Potra, Bucureştii văzuţi de călători străini (secolele XVI şi XIX). Bucureşti 1992; C.C. Giurescu, Istoria Bucureştilor din cele mai vechi timpuri pînă în zilele noastre. ebd. ²1979; ders., Geschichte der Stadt Bukarest. Bukarest 1976 (engl Ausg. 1976); Şt. Ionescu, Bucureştii în vremea fanarioţilor. Cluj 1974; ders., Cum a devenit oraşul Bucureşti capitală a României, Materiale de istorie şi muzeografie 8 (1971), 309–318; N. Vatamanu, Istoria bucureşteană. Bucureşti 1973; I. Ionaşcu, Die
Bukarest, Friedensschlüsse v. / Bukowina
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Bukarest, Friedensschlüsse v. 1. (28.5.1812): Beendete den Krieg v. 1806 bis 1812 zw. dem Russ. u. dem Osm. Reich, dessen Anlass in der vertragswidrigen Amtsenthebung der Fürsten der Walachei u. der Moldau 1806 durch die Pforte lag. Als darauf die russ. Armee in die Fürstentümer einmarschierte, antwortete Istanbul mit einer Kriegserklärung. Nach einem Waffenstillstand (24.8.1807) nahm Russland 1809 die Kampfhandlungen wieder auf. Mit den Serben, seit 1804 im Aufstand (→Serben), wurden ab 1810 gemeinsame Aktionen gegen osm. Stützpunkte unternommen. Die im November 1811 begonnenen Friedensverhandlungen kamen in Bukarest zum Abschluss. Russland erhielt den östl. Teil des Fsm.s Moldau, zw. Pruth, Dnjestr, Donau u. Schwarzem Meer, fortan →Bessarabien genannt. Der nördl. Donaumündungsarm wurde unter gemeinsame Oberhoheit gestellt. Russ. Kriegsschiffe durften ihn bis zur Mündung des Pruth befahren, also soweit die Donau die neue Grenze darstellte. Ebenfalls bestätigt wurde die Autonomie der →Walachei u. der →Moldau, mit indirektem Bezug auf den Frieden v. →Küçük-Kaynarca u. mit direktem Bezug auf den Frieden v. Iaşi (1791/1792). Wie bei letzterem ging es u. a. darum, nachträglich für die Kriegszeit keine Tribute einzuziehen. Den Serben, „ab antiquo“ tributpflichtige Untertanen des Sultans, wurde eine vage umschriebene Autonomie (eigene Regelung der „inneren Angelegenheiten“) sowie eine Generalamnestie zugestanden. Russland hatte wegen des sich abzeichnenden Krieges mit Napoleon weiterreichende Forderungen – die →Donaufürstentümer sowie Küstengebiete des Kaukasus – zurückgenommen. Die Serben unter Karadjordje waren v. dem Vertrag so enttäuscht, dass sie ihn nicht anerkannten (→Befreiungskriege, nationale). 2. (3.3.1886) →Serbien (seit 1830); 3. (13.8.1913) →Balkankriege (1912/13); 4. (7.5.1918) →Weltkrieg, Erster. Lit.(zu 1): U. Tischler, Die habsburgische Politik gegenüber den Serben u. Montenegrinern 1791– 1812. München 2000 [darin 141–156]; I. Žarkuckij/Vl. Mischevca, Pacea de la Bucureşti. (Din istoria diplomatică a încheierii tratutului de pace ruso-turc de la 16 (28) mai 1812). Chişinău 1992; M.S. Anderson, The Eastern Question 1774–1923. New York 1966; Vnešnjaja politika Rossii XIX i načala XX veka. Dokumenty Rossijskogo Ministerstva Inostrannych Del. Serie 1: 1801–1815. Bd. 6 (Nr. 164 Vertragstext, Nr. 165 Zusatzartikel, frz. u. russ.). E. V.
Bukowina (dt. auch Buchenland; rum. Bucovina; ukr. Bukovyna). Bis zur österr. Besetzung von 1774 war die B. keine gesonderte pol. Einheit. Die Bezeichnung ist ein alter Flurname u. enthält den slav. Begriff für Buche „buk“. Das 10.442 km² große Gebiet wird im N von den Flüssen Dnjestr u. Czeremosch, im S von der Goldenen Bistritz u. im W vom Gebirgskamm der Karpaten begrenzt. Das Gebiet gehörte im 10./11. Jh. zum Kiewer Reich u. im 12./13. Jh. zum Fsm. Galizien-Wolhynien (Halyč). Im 14. Jh. war die B. Kernland des mold.
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Bukowina
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Vojvodats (→Vojvode), der Fürstensitz war zuerst in Sereth, später in Suceava. In den beiden Ortschaften entstanden Marktflecken, weil die wichtige Handelsstraße von Lemberg nach Kaffa auf der →Krim u. nach Konstantinopel über die B. führte. Seit dem 16. Jh. war das Gebiet – wie das Fsm. →Moldau insges. – unter der Oberhoheit der Osmanen (vgl. a. →Donaufürstentümer). Während des russ.-osm. Krieges besetzten 1769 russ. Truppen das Gebiet u. 1774 eine österr. Militäreinheit. Die Habsburger wollten eine direkte Verbindung zw. ihren Truppen in Nordsiebenbürgen u. denen im 1772 annektierten Galizien errichten u. brachten 1775 die osm. Behörden dazu, ihnen die B. abzutreten. Bis 1786 stand sie unter Militärverwaltung u. wurde dann dem Lemberger Gubernium unterstellt u. somit zu einem Teil v. →Cisleithanien. Die einheimischen mold. Großgrundbesitzer erhielten durch ein Hofdekret 1787 ihre Adelstitel anerkannt, wodurch sie im Lemberger Landtag Stimmrecht hatten. Einige Adelige bekleideten auch höhere Verwaltungsstellen u. setzten sich in Wien für Autonomie der B. ein, die sie mit der Hauptstadt →Czernowitz 1849–1860 vorübergehend erlangten. Trotz des Widerstandes des poln. Adels wurde die B. 1861 endgültig ein eigenständiges österr. Kronland im Rang eines Herzogtums. Die Habsburger hatten sich im 18. Jh. um die Ansiedlung dt. Kolonisten (→Kolonisation) u. Handwerker bemüht. Als Anreiz erhielten diese eigenen Grundbesitz u. Steuerfreiheit. Die Zuwanderung von Juden wuchs nach der Einführung der Duldungsscheine 1816. Insges. hat sich die Bevölkerungszahl zw. 1775 u. 1900 verzehnfacht. Bei der Volkszählung von 1869 dominierten noch die Rumänisch sprechenden Moldauer mit 40,4 % gegenüber den ostslav. →Ruthenen u. →Huzulen mit 36,6 %, deren Anzahl jedoch danach durch die Zuwanderer aus Galizien schnell anstieg. Bei der Volkszählung von 1880 gaben nur mehr 33 % Rumänisch als Umgangssprache an u. bereits 42 % Ruthenisch (seit Ende des 19. Jh.s auch Ukrainisch genannt). Die Volkszählung von 1910 ermittelte knapp über 800.000 E, von denen 38 % Ruthenisch sprachen, 34 % Rumänisch, 20 % Deutsch (wovon etwa 60 % Juden waren) u. der Rest Polnisch, Ungarisch, Russisch u. a. Bis zum 1. Wk. lebten die vielen Völker der Bukowina relativ friedlich zusammen. Bei den Landtagswahlen gab es zwar kein allg. Wahlrecht wie seit 1907 für den österr. Reichsrat, doch sicherte der „Ausgleich“ v. 1910 eine annähernd proportionale Vertretung aller Gruppen. In die k.u.k. Beamtenschaft nahm man v. a. diejenigen auf, die außer Deutsch auch Rumänisch u. Ruthenisch sprachen. An den Volksschulen wurde in der Muttersprache der Mehrheit der Schüler unterrichtet, es gab daher dt., rum., ruthen., poln. u. ung. Klassen. Der kosmopol. Geist endete 1918 mit der Habsburger Ära u. dem Ende des Kronlands B. Die neu entstandene Westukraine beanspruchte im Oktober 1918 auch die Kontrolle über den Nordwesten der B. samt Czernowitz. Doch der selbsternannte Rumänische Nationalrat verlangte am 27. Oktober 1918 die Vereinigung der gesamten B. mit →Rumänien. Der letzte österr. Landespräsident versuchte am 6.11.1918 erfolglos, ein rum.-ruthen. Kondominium in der B. zu institutionalisieren. Der Rum. Nationalrat rief die Armee Rumäniens zu Hilfe u. die ruthen. Militäreinheiten mussten der Übermacht weichen. Am 12. November übernahm der Rum. Nationalrat die Regierungsgeschäfte. Bereits am 28.11.1918 wurde ein „Generalkongress“ einberufen, von dessen 100 Mitgliedern 74 rum. Honoratioren waren. Dieses nichtgewählte Gremium, in dem die Rumänen überrepräsentiert waren, beschloss den bedingungslosen Anschluss an Rumäni-
Bukowina
en. Die Proteste des Ukrainischen u. Jüdischen Nationalrates wurden ignoriert, ebenso die Forderung der Sozialdemokratie nach einem Plebiszit in dem mehrheitlich ruthen. (ukr.) Nordwesten der B. Die Pariser Friedenskonferenz (→Pariser Vorortverträge) bestätigte im September 1919 den Anschluss der Südbukowina u. im August 1920 der Nordbukowina an Großrumänien. Die Zwischenkriegszeit war durch forcierte Rumänisierung gekennzeichnet, die bei einem Minderheitenanteil von 55,5 % (1930) für erhebliche Unruhe sorgte. In der Wirtschaft war jedoch ein Aufschwung zu verzeichnen. Infolge des →Ribbentrop-Molotov-Paktes musste Rumänien im Juni 1940 den Norden der B. räumen, er wurde am 28.6.1940 in die Ukr. SSR integriert. Seit 1940 kam es in der B. zu starken Veränderungen in der ethn. Struktur. Mit der rum. Verwaltung u. Armee war bereits im Sommer ein Teil der rum. Bev. geflohen. Die dt. Minderheit wurde im Herbst 1940 aus der sowj. Nordbukowina vollständig evakuiert (→Volksdeutsche), in der rum. Südbukowina verblieben nur diejenigen, die nicht ins Dt. Reich umgesiedelt werden wollten. Als die Armee Rumäniens im Juli 1941 wieder in die Nordbukowina einrückte, wurden viele Juden an Ort u. Stelle ermordet (→Holocaust). Im Herbst begannen die rum. Behörden eine Massendeportation in das neu eroberte →Transnistrien: von den 120.000 (1940) Bukowiner Juden kam dadurch etwa die Hälfte um. Als im März 1944 die sowj. Armee die B. erreichte, wurde die Nordbukowina erneut in die Ukr. SSR integriert. Wie schon 1940/41 erfolgten wieder Deportationen derjenigen, die als Feinde der Sowjetherrschaft galten. Durch die →Industrialisierung stieg nach 1945 der Anteil der slav. Bevölkerung. Seit August 1991 gehört der Norden der B. zur unabhängigen Ukraine. Die Ukrainer stellten im Czernowitzer Kreis mit 666.095 (1991) 65 % der Bevölkerung; Rumänen u. Moldauer waren die größte Minderheit mit 184.836 (18 %). In der größeren Südbukowina, die nach 1944 bei Rumänien blieb, gibt es kaum mehr Minderheiten (1,4 % Ukrainer, 0,7 % Roma, 0,3 % Deutsche u. a.). Lit.: I. Lihaciu, Czernowitz 1848–1918. Das kulturelle Leben einer Provinzmetropole. Kaiserslautern 2012; Th. Hensellek, Die letzten Jahre der kaiserlichen Bukowina. Studien zur Landespolitik im Herzogtum Bukowina 1909–1914. Hamburg 2011; K. Scharr, Die Landschaft Bukowina. Das Werden einer Region an der Peripherie 1774–1918. Wien u. a. 2010; Gelebte Multikulturalität. Czernowitz u. die Bukowina. Hg. V. Popovici. Frankfurt/M u. a. 2010; C. Ungureanu, Învăţământul primar din Bucovina, 1774–1918. Chișinǎu 2007; M.Şt. Ceaușu, Parlamentarism, partide şi elită politică în Bucovina habsburgică (1848–1918). Contribuţii la istoria parlamentarismului în spaţiul central-est european. Iași 2004; M. Hausleitner, Die Rumänisierung der Bukowina. Die Durchsetzung des nationalstaatlichen Anspruchs Großrumäniens 1918–1944. München 2001; M.V. Nykyforak, Deržavnyj lad i pravo na Bukovyni v 1774–1918 rr. Černivci 2000; M. Şt. Ceaușu, Bucovina Habsburgică. De la anexare la congresul de la Viena. Iosefinism şi postiosefinism (1774–1815). Iaşi 1998; Die Bukowina. Vergangenheit u. Gegenwart. Hgg. I. Slawinski/J.P. Strelka. Bern 1995; E. Turczynski, Geschichte der Bukowina in der Neuzeit. Wiesbaden 1993; A. Žukovskyj, Istorija Bukovyny. 2 Bde. Černivci 1991/93 (1Paris u. a. 1956); J. Leslie, Der Ausgleich in der Bukowina von 1910: Zur österreichischen Nationalitätenpolitik vor dem Ersten Weltkrieg, in: Geschichte zwischen Freiheit u. Ordnung. Gerald Stourzh zum 60. Geburtstag. Hgg E. Brix u. a. Graz u. a. 1991, 113–144; M. Iacobescu, Din istoria Bucovinei. Bd. 1: 1774–1862. Bucureşti
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Bulgaren
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Bulgaren. Südslav. Nation im heutigen →Bulgarien u. den umliegenden Staaten (2011 knapp 85 % der 7,4 Mio. E Bulgariens). – Ethnogenese: Grundsätzlich ist zu unterscheiden zw. den B. im frühen MA u. der bulg. Nation der Neuzeit. In der Wissenschaft bedient man sich dazu der Termini →Protobulgaren u. Bulgaren (bulg. prabălgari bzw. bălgari). Im MA war diese Unterscheidung nicht üblich. In den reichlich vorhandenen Quellen zur Frühgeschichte der B. ist immer von „B.“ die Rede. Man meinte damit das →Turkvolk der Protobulgaren. Später setzte sich dann die Bezeichnung B. für die Bewohner der bulg. Staatsgebilde durch. Wegen des Ethnonyms, das mit der turksprachigen Wurzel *bulga-/*bulğa- = „(ver-)mischen“ (vgl. auch die ma. Bildungen blăgarskă, Blăgarino im 14.Jh.) in Verbindung gebracht wird, geht man heute davon aus, dass es sich bei den frühen B. um eine Föderation verschiedener Turkstämme handelte (zu ihrer früheren Siedlungsgeschichte →Protobulgaren). 680 überquerten diese Stämme die Donau u. gründeten nach Kämpfen gegen Byzanz zus. mit einigen (der Überlieferung nach: sieben) slav. Stämmen im heutigen Nordost-Bulgarien das Erste →Bulg. Reich, das 681 anerkannt wurde. Die Bevölkerung bestand überwiegend aus Slaven, aber auch aus Thrakern, Goten, Armeniern u. anderen, wobei unklar ist, zu welchem Maß diese Bevölkerung christianisiert war. Die neue bulg. Herrschaftsschicht, die einem heidnischen Glauben anhing (Glaube an einen Schöpfer der Welt, den Hauptgott Tangra/ Tengra; Tierverehrung, Verehrung der Sonne, Mond, Sterne) soll etwa 50.000 Menschen umfasst haben. Die ständigen kriegerischen Auseinandersetzungen mit dem byz.-christl. Kaiserreich u. die allmähliche territoriale Ausdehnung des Bulgarenreiches dürften mit der Zeit die Gegensätze zw. der herrschenden Schicht der (Proto-) Bulgaren u. der restlichen Bev. gefördert haben. 864 übernahm daher Chan Boris das (Ost-) Christentum als Staatsreligion u. ermutigte die →Slavenapostel zur Missionstätigkeit unter den Bulgaren. Da die turkstämmigen Bulgaren zu diesem Zeitpunkt sprachlich bereits weitgehend slavisiert waren (das slav. Idiom – geschrieben in glagolitischer Schrift; →Alphabete – wurde 893 als offizielle Sprache eingeführt), wurde die Assimilation der verschiedenen Bevölkerungsteile erleichtert. Dieser Prozess erfuhr zwar durch das Aufkommen der →Bogomilen im 10. Jh. Rückschläge, doch nach dem Untergang des Reiches u. dessen Eingliederung in das byz. Kaiserreich im 12. Jh. u. verschiedenen Ketzerprozessen scheint die Verschmelzung zu einem christl.-slav. geprägten Volk der B. weiter vorangeschritten u. in der Zeit des Zweiten Bulg. Reiches abgeschlossen gewesen zu sein. Dazu trug wohl auch die weitgehende Bulgarisierung des niederen Klerus u. die frühe Einführung einer slav. Liturgie bei. Als das Zweite Bulg. Reich Ende des 14. Jh.s unter dem osm. Ansturm zusammenbrach, erwies sich die Kirche – begünstigt durch das osm. System weitgehender Kirchenautonomie – als Bewahrerin bulg. Traditionen. Gleichwohl dürfte sich so etwas wie ein bulg. Nationalgefühl erst viel später – im 19. Jh. – herausgebildet haben. Sporadische Aufstände gegen die osm. Zentralgewalt im 16. u. 17., aber auch im 19. Jh. hatten eher soz. Hintergründe (z. B. Tărnovo 1598 u. 1686
Bulgaren
oder Niš u. Pirot 1834) oder waren mit Hoffnung auf Unterstützung durch habsb. Truppen verbunden (Čiprovec 1688 oder der „Karpoš-Aufstand“ bei Skopje 1689). Das Gebiet des späteren Bulgarien hatte dabei neben der orth. eine bis zum 19. Jh. fast ebenso starke musl. Bev. (überwiegend durch Zuwanderung, aber auch durch Übertritte von Slavischsprachigen zum Islam; →Islamisierung), die an den kirchl. u. mit der Nationsbildung sich herausbildenden polit.-institutionellen Entwicklungen der B. keinen Anteil hatte. Nationsbildung. Die bulg. →Nationsbildung begann in den 1830er Jahren u. verlief im wesentlichen auf zwei Ebenen: Zum einen gab es Bestrebungen zu einer nationalen u. staatlichen Unabhängigkeit vom →Osm. Reich, zum anderen einen Kampf um eine unabhängige bulg. Kirche (→Orthodoxie [u. Nationalkirchen]). Zu dieser Zeit hatte sich durch die veränderten wirt. u. soz. Bedingungen im Osm. Reich eine schmale kleinbürgerliche Schicht bulg. Handwerker, Händler u. (nach der Auflösung der →Timare) Grundbesitzer von der breiten Masse überwiegend bäuerlicher bulg. Bev. absetzen können. Diese neue Schicht hatte wegen der für die Versorgung Konstantinopels mit Nahrungsmitteln, Vieh u. handwerklichen Produkten (bes. Wollstoffen) wichtigen Lage Bulgariens gewisse Privilegien (teilweise lokale Selbstverwaltung) erreicht, so dass in ethnisch homogen bulg. Gebieten einige neue Zentren des Handels u. Handwerks entstanden (z. B. Gabrovo, Kotel, Panagjurište u. andere). In dieser Schicht wuchs unter dem Eindruck der sich neugestaltenden Wirtschaftsbeziehungen u. neuen technischen Herausforderungen das Bedürfnis nach verbesserten Bildungseinrichtungen, die in erster Linie von den erstarkten Zünften (→Esnaf ) unterhalten wurden. Die neuen Bildungseinrichtungen orientierten sich zunächst stark an gr. Vorbildern (Griechisch war neben dem Osmanischen Lingua franca im Osm. Reich) u. hatten neben den geistlichen auch weltliche Inhalte. Die neugegründeten Schulen, denen ab den 1836 Jahren auch rein bulg. Schulen folgten (→Bildungswesen), dienten in erster Linie der Ausbildung des niederen Klerus in der vom gr. →Patriarchat in Konstantinopel dominierten orth. Kirche, aber auch der Heranziehung einer neuen Lehrerschaft, die sich bald als „inteligencija“ sah u. nach Ämtern strebte. Der Umstand, dass für diese neue gebildete Schicht nur wenige Positionen in Kirche, Bildungswesen u. Gemeindeverwaltungen zur Verfügung standen, trug zus. mit der Rezeption westeurop. Nationalideologien ebenso zu deren Radikalisierung bei, wie die Einsicht, Angehörige einer unterprivilegierten Nation zu sein. Eine Lösung des Problems wurde bald in der Unabhängigkeit eines bulg. Staates gesucht. Der bulg. Nationalideologie des 19. Jh.s lag eine sprachnationalistische Gesinnung zugrunde, die sich mehr u. mehr gegen das Griechische als Sprache der Gebildeten richtete. Anders als bei den →Griechen oder →Serben herrschte aber grundsätzliche Einigkeit darüber, dass die Sprache des einfachen Volkes (u. nicht eine Kunstform wie das Kirchenslavische oder die Katharevousa) – von Fremdwörtern gereinigt – zur Nationalsprache erhoben werden sollte. Auch die Suche nach einer Dialektbasis für diese Sprache nahm nicht die Ausmaße wie im serbokroatischen Sprachraum an. Vielmehr kam es durch eine reichhaltige Publikationstätigkeit nach anfänglichem Überwiegen westbulg. Mundarten zu einer allmählichen Dominanz ostbulg. Dialekte, die durch die Herkunft der Publizisten (Sofronij Vračanski, Neofit Rilski, Petăr Beron, G.S. Rakovski, P.R. Slavejkov, Chr. Botev, Ivan Vasov u. andere) bedingt war. Einige der Publizisten schlossen sich später den in der bulg. Diaspora u. Emigration (u. a. in Kons-
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tantinopel, Smyrna, Odessa, Belgrad, Brăila, Bukarest) in Anlehnung an die russ. narodniki entstandenen nationalrevolutionären Zirkeln an (z. B. das „Bulg. Revolutionäre Zentralkomitee“ in Bukarest, gegr. 1869; vgl. a. →Geheimbünde). Die revol. Ideen wurden besonders durch die Gründung einer nationalen bulg. Kirche, dem Exarchat (1870; →Exarch) gefördert. Vorreiter dieser zunächst gegen das gr. Patriarchat u. die gr. Bischöfe in Bulgarien gerichteten Bewegung waren Neofit Bozveli u. Ilarion Makariopolski. Dabei konnten sie sich der Sympathie eines Teils der bäuerlichen Bev. gewiss sein, da die gr. Geistlichen oft korrupt waren u. durch die Praxis des Ämterkaufs gezwungen waren, ihre eigenen Ausgaben an die ländliche Bev. weiterzugeben, was wiederholt zu Auseinandersetzungen zw. den lokalen Selbstverwaltungen u. der Kirche führte (z. B Vraca 1820). Der →HattiŞerif von Gülhane (1839), der die osm. Untertanen gleichstellen sollte (→Tanzimat), lieferte den Bulgaren ein Argument gegen die Bevormundung durch die Griechen – v. a. auf kirchenpol. Ebene. Dieser Protest endete in den vierziger Jahren immer häufiger mit Revolten. 1849 lenkte die Pforte ein u. erlaubte den Bulgaren in Konstantinopel eine Kirche (Sv. Stefan) zu bauen, in der die Liturgie in bulg. Sprache abgehalten wurde. Als 1850 den Protestanten im Osm. Reich ein eigenes →Millet zugesprochen u. die autokephale Nationalkirche Griechenlands anerkannt wurde, wuchsen die Hoffnungen auf eine eigenständige bulg. Kirche. 1860 erklärten sich mehrere Bistümer auf bulg. Gebiet vom Patriarchat unabhängig, ohne jedoch einen institutionellen Rahmen zu haben. Erst 1870 erkannte ein →Firman des Sultans die Existenz des unabhängigen bulg. Exarchats (mit Sitz in Konstantinopel) an. Die breite öffentliche Anteilnahme an dem Kirchenkampf u. dessen Erfolg mag die Nationalrevolutionäre in ihrer Annahme gestärkt haben, dass die Zeit reif sei für einen nationalen Aufstand gegen die osm. Oberhoheit. Im Frühjahr 1876 (April-Aufstand; →Orientalische Krise) schlugen sie unter der Führung des Revolutionären Zentralkomitees los; da sie jedoch nicht von der Bev. unterstützt wurden, wurde der Aufstand schnell von irregulären osm. Einheiten (başı bozuk) blutig beendet. Der internationale Aufschrei gegen die „Bulgarian atrocities“ (Gladstone) führte nach erfolglosen diplomatischen Verhandlungen zur Kriegserklärung Russlands an das Osm. Reich im April 1877. Nach fast einjährigem Krieg wurde die osm. Niederlage im Präliminarfrieden von San Stefano (3.3.1878) unterzeichnet. Damit wurde ein de facto unabhängiger bulg. Staat geschaffen. Auf dem →Berliner Kongress (Juli 1878) wurde der Präliminarfrieden jedoch revidiert: Es entstanden das Fsm. Bulgarien u. das autonome Gebiet →Ostrumelien. Mit der Schaffung des bulg. Staates 1878 wurden auch die ersten Schritte unternommen, ein einheitliches bulg. Bildungssystem aufzubauen. Die bulg. Nationsbildung konnte dadurch einen institutionellen Rahmen finden.
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Bulgarien (ab 1878). Die Republik B. (bulg. Bălgarija) umfasst seit dem Vertrag von Craiova (7.9.1940, →Dobrudscha) eine Fläche von 110.993 km2 (2001 7,9 Mio. E, davon knapp 84 % Bulgaren, 9,4 % Türken, 4,7 % Roma u. andere; 2011: 7,4 Mio. E, davon 84,8 % Bulgaren, 8,8 % Türken, 4,9 % Roma, 1,5 % andere). Seit den 1990er Jahren ist die Bev.zahl B.s – v. a. infolge v. starker Abwanderung – geschrumpft. B. setzt sich aus den historischen Gebieten des Fsm.s Bulgarien, →Ostrumeliens, der Süddobrudscha (→Dobrudscha) sowie Pirinmakedoniens (→Makedonien, Region) zusammen. Das mit B. bezeichnete Territorium hat im Verlauf seiner Geschichte mehrfach seine geogr. Lage u. seinen Umfang verändert. Hauptstadt ist seit 1879 →Sofia. Nach der Niederlage des Zweiten →Bulg. Reiches im 14. Jh. gab es für annähernd 500 Jahre keinen bulg. Staat mehr. Erst als sich im Verlauf des 19. Jh.s unter dem Eindruck anderer soe. →Nationalstaaten- u. →Nationsbildungen auch eine bulg. Nationalbewegung formierte, gewannen Pläne für die Wiederbelebung eines bulg. Staates erneut an Bedeutung (→Bulgaren).
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Nach vereinzelten Aufständen u. v. a. nach dem Aprilaufstand (20.4. [alte Zeitrechnung]) von 1876 (→Orientalische Krise) ergriff Russland die Sache der Aufständischen. Nach dem dadurch ausgelösten russ.-osm. Krieg 1877/78, der mit dem Präliminarfrieden von San Stefano (3.3.1878) endete, wurde ein Großbulgarien (einschließlich Vardar-Makedonien, Westthrakien u. Zugang zur Ägäis in Alexandropolis) ins Leben gerufen, das aber auf dem →Berliner Kongress (Berliner Vertrag, 13.7.1878) revidiert wurde. Dort wurde das San-Stefano-Bulgarien geteilt in ein Fürstentum B. unter osm. Suzeränität mit einer provisorischen russ. Regierung (die nördl. des Balkangebirges gelegenen Gebiete des heutigen B.), das autonome Gebiet →Ostrumelien u. Makedonien, das nun doch unter osm. Herrschaft verblieb (→Makedonische Frage). Als Staatsform des Fsm.s war eine konstitutionelle Monarchie nach westeurop. Vorbild vorgesehen. Die verfassungsgebende Versammlung konstituierte sich Anfang 1879 in Tărnovo u. verabschiedete die Verfassung am 16.4.1879. Zum Fürsten (knjaz, →Knez) von B. wurde Alexander Battenberg gewählt. Außenpol. auf eine Revision des Berliner Vertrages hoffend u. internationale Anerkennung des Fürsten suchend, kam es im Inneren zu ersten Konflikten zw. dem konservativen Fürsten u. der von der liberalen Partei gebildeten Regierung um die Durchsetzung der Verfassung, die schließlich am 13.7.1881 suspendiert wurde. Nach diesem faktischen Staatsstreich herrschte Alexander beinahe uneingeschränkt bis 1883, als die Verfassung rehabilitiert wurde. Gleichzeitig wuchs die Spannung zw. dem Fürsten u. dem russ. Zaren. Die bulg.-russ. Krise brach schließlich über der Vereinigung des Fsm.s mit Ostrumelien (6.9.1885) aus. Griechenland u. Serbien forderten Kompensation für die territoriale Erweiterung B.s (Kriegserklärung →Serbiens an B. 13.11.1885, rasche Niederlage der serb. Armee). Die Vereinigungskrise wurde mit dem Vertrag von Bukarest (3.3.1886) beendet, der eine Personalunion des bulg. Fürsten u. des Generalgouverneurs von Ostrumelien vorsah. Wegen Alexanders angespannten Verhältnisses zu Russland, seiner einseitigen Innenpolitik zugunsten der Konservativen u. wegen des als unwürdig erachteten Bukarester Vertrags wurde Alexander schließlich von Offizieren abgesetzt (9.8.1886). Zu Alexanders Nachfolger wurde Ferdinand von Sachsen-Coburg-Gotha (→Sachsen-Coburg-Koháry) gewählt (25.6.1887), dem zunächst die internationale (v. a. russ.) Anerkennung ebenso verwehrt blieb wie zuvor Alexander. Bestimmt wurde die bulg. Politik seit 1887 von Stefan Stambolov (Ministerpräsident bis 19.5.1894). Nach dessen erzwungenem Rücktritt lag die Macht in Ferdinands Händen. 1896 wurde er schließlich von Russland anerkannt (12.2.), nachdem er zugestimmt hatte, dass sein Sohn, der spätere Kg. Boris III., den orth. Glauben empfangen würde. Die sich abzeichnende wirt. Stabilisierung B.s stand jedoch in Widerspruch zu den außen- u. innenpol. Problemen, denen sich das Land während Ferdinands Regierungszeit gegenübersah. Als Höhepunkt dieser Epoche wird die Erklärung der vollständigen Unabhängigkeit (5.10.1908 im Windschatten der jungtürkischen Revolution, →Jungtürken) angesehen. Die auch auf innenpol. Druck hin revisionistische Außenpolitik (Ziel: ein B. in den Grenzen des San-Stefano-Vertrages) führte in letzter Konsequenz mit zum Ausbruch des Ersten →Balkankrieges 1912/13. Mit der Verteilung des eroberten Territoriums (v. a. der Aufteilung Vardar-Makedoniens zw. Griechenland u. Serbien) unzufrieden, löste B. 1913 den Zweiten Balkankrieg aus, den es mit großen Gebietsverlusten beendete (Friede v. Bukarest, 13.8.1913).
Bulgarien (ab 1878)
Unter dem Eindruck dieser „nationalen Katastrophe“ u. der kriegsbedingten ökonomischen Erschöpfung erfolgte eine Annäherung des neutralen B. an das Deutsche Reich. 1915 trat es auf der Seite der Mittelmächte in den 1. →Wk. ein, den es auf der Verliererseite mit weiteren Gebietsverlusten (in Westthrakien) beendete (→Neuilly-sur-Seine, Friede v. [1919]). Als Konsequenz dieser erneuten Niederlage trat Ferdinand zugunsten seines Sohnes Boris III. zurück. Die Zwischenkriegszeit war in B. von einer zunehmenden Tendenz zum autoritären Staat geprägt. Ständige innere Unruhen durch die Aktivitäten der →IMRO u., nach 1923, der Kommunisten, destabilisierten das Land. Nach 1918 hatte die wirt. Not durch den Krieg die Agrarierregierung unter A. Stambolijski (Ministerpräsident des Bulg. Nationalen Bauernbundes [Bălgariski zemedelski naroden săjuz/BZNS], 1918–1923) begünstigt, deren Hauptziel die Modernisierung der Wirtschaft u. der Ausgleich mit den Nachbarstaaten war. Nach einem überwältigenden Wahlsieg des BZNS im April 1923 wurde die Regierung durch einen Putsch unter Beteiligung der Armee, mak. Aktivisten u. der „Nationalen Eintracht“ (Naroden sgovor) gestürzt (9.6.1923). Auf Druck aus Moskau (vgl. →Komintern) versuchten die Kommunisten einen Aufstand im September 1923, der jedoch von der neuen Regierung unter A. Cankov unterdrückt werden konnte. Nach einem verheerenden Bombenattentat auf die Kirche Sv. Nedelja in Sofia durch die KP wurde 1925 das Kriegsrecht verhängt. Die Regierung unter Cankovs Nachfolger A. Ljapčev (ab 1926) war zu schwach, in der →Weltwirtschaftskrise Akzente zu setzen u. den seit Jahren existierenden „Staat im Staate“ IMRO zu bekämpfen. Die aus den Wahlen von 1931 siegreich hervorgegangene Koalitionsregierung des „Volksblockes“ (Naroden blok) aus Nationalisten, Liberalen, Radikalen, Nationalliberalen u. Teilen des Bauernbundes unter Nikola Mušanov konnte das mak. Problem nicht beenden u. auch die Wirtschaftskrise nicht lösen. Die Stärkung von Bewegungen wie der des früheren Ministerpräsidenten Cankov, die nun mit den dt. Nationalsozialisten sympathisierte, der Militärliga u. der elitären Vereinigung „Zveno“ (Kettenglied) waren die Folge. Um eine Machtübernahme der Cankov-Bewegung zu verhindern, stürzten am 19.5.1934 Mitglieder der Militärliga u. des Zveno-Bundes die Regierung. Ziel der Regierung unter Oberst Kimon Georgiev war ein autoritärer Ständestaat; dazu wurden die Parteien u. die IMRO verboten sowie die Verfassung außer Kraft gesetzt. Die republikanischen Tendenzen innerhalb der Regierung ließen es allerdings Kg. Boris III. geboten erscheinen, die Regierung Georgiev durch royalistische Kräfte zu ersetzen. Die Schwäche der Regierungen Zlatev, Tošev u. Kjoseivanov bedeutete gleichzeitig eine Stärkung der Position Boris III. Da der Kg. die von Georgievs Regierung eingeführten Beschränkungen nur zum Teil rückgängig machte, kam es zu einer Königsdiktatur (→Diktaturen). Die zunehmende wirt. Abhängigkeit B.s vom Dt. Reich u. das gemeinsame Ziel der Revision der Pariser Vorortverträge wurde zunächst mit der Rückgabe der Süddobrudscha 1940 (Vertrag von Craiova 7.9., →Wiener Schiedssprüche) belohnt u. endete mit B.s Beitritt zum Dreimächtepakt (1.3.1941). Der Erfolg der bulg.-dt. Annäherung (Gebietsgewinne im jug. u. gr. Teil Makedoniens sowie in Thrakien) nach dem dt. Balkanfeldzug (→Weltkrieg, Zweiter) schienen auch die innenpol. Anpassung B.s an das Dritte Reich seit 1940 zu rechtfertigen. Aufgrund des gewendeten Kriegsverlaufes nach der dt. Niederlage bei Stalingrad u. des Widerstands führender Persönlichkeiten unterblieb aber
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Bulgarien (ab 1878)
die von Hitler geforderte Deportation von etwa 44.000 Juden aus B.; aus den von B. besetzten Gebieten wurden jedoch etwa 14.000 Menschen in die Vernichtungslager deportiert (→Holocaust). Nach dem plötzlichen Tod Boris‘ (28.8.1943) vertrat eine Regentschaft unter Vorsitz Bogdan Filovs den minderjährigen Kg. Simeon. Die Regierungen Božilov, Bagrjanov (1.6.–4.9.1944) u. Muraviev (4.–9.9.1944) versuchten, einen Ausweg aus der Krise zu finden u. einen neutralen Kurs zu steuern. Als dieser scheiterte, bereitete B. einen Seitenwechsel vor u. erklärte angesichts der in B. einmarschierenden Roten Armee Deutschland den Krieg (8.9.1944). Am 9.9.1944 stürzte die kommunistisch dominierte „Vaterländische Front“ (Otečestven front/OF) die Regierung Muraviev. Der stärkste innenpol. Gegner der Kommunisten, der BZNS unter Nikola Petkov u. Dr. Georgi M. Dimitrov (Gemeto) wurde bis 1947 liquidiert (Hinrichtung Petkovs am 23.9.1947). Durch die Abschaffung der Monarchie per Referendum (8.9.1946) wurde B. Volksrepublik. Die Nachkriegszeit bis 1990 lässt sich grob in vier Phasen unterteilen: Konsolidierung der komm. Herrschaft (1944–47), stalinistische Periode unter dem Parteichef Vălko Červenkov (1947–53), Entstalinisierung u. Aufstieg Todor Živkovs (1953–62) u. dessen Alleinherrschaft (1962–1989). Außenpol. war B. international ein treuer Vasall der UdSSR u. ein nicht-widerständiges Mitglied im →Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe. Eigene Ansätze wie die Annäherung zw. B. u. Jugoslawien nach 1944 wurden von Stalin unterdrückt. Die Zeit seit 1956 war von wiederholten Experimenten in der Nationalitäten- u. Wirtschaftspolitik geprägt. Die langwährende Assimilierungspolitik gegenüber der türk. Minderheit u. die aus ihrer Zuspitzung in den 1980er Jahren resultierende internationale Isolation B.s sowie der Unwillen, pol. Reformen nach sowj. Vorbild (Perestrojka) durchzuführen, veranlassten führende BKP-Mitglieder, Živkov am 10.11.1989 in einer Palastrevolution abzusetzen. Im Juni 1990 ging aus den ersten freien Parlamentswahlen die Bulg. Sozialist. Partei (ehemalige BKP) als Wahlsiegerin hervor, im August 1990 wurde der Oppositionelle Želju Želev erster frei gewählter Staatspräsident B.s. Der anschließende Transformationsprozess in B. erwies sich als ähnlich schwierig u. wechselhaft wie in vielen anderen postsozialist. Ländern. Regierungskrisen, hohe Arbeitslosigkeit, Korruption, Probleme bei der Umstellung der Landwirtschaft, ein mitunter ausufernder Nationalismus auf der einen u. enge Zusammenarbeit mit dem Westen auf der anderen Seite kennzeichneten die Jahre des Umbruchs. Während sich das Verhältnis zur türk. Minderheit entspannte, nahmen die Ausfälle gegen Roma zu. 2004 trat B. der Nato bei u. wurde 2007 Mitglied der EU. Doch auch in den Jahren danach kritisierte die EU-Kommission wiederholt die Diskriminierung v. →Minderheiten, die unzureichende Korruptionsbekämpfung sowie Defizite bei der Durchsetzung v. Rechtsstaatlichkeit.
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Bulgarisches Reich (Erstes, Zweites)
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Bulgarisches Reich (Erstes, Zweites). Die Entstehungsgeschichte des 1.B.R.s ist in einem engen Zusammenhang mit den ephemären Reichsbildungen turksprachiger →Reiternomaden in der Steppenzone des nördlichen Schwarzmeerbereiches zu sehen. An der →Ethnogenese der Bulgaren waren als ethn. Substrat Reste der verbliebenen thrakischen Bevölkerung zus. mit den slav. Neusiedlern u. dem namengebenden Turkvolk der sog. Ur- oder →Proto-Bulgaren beteiligt. Diese hatten längere Zeit dem hunnischen Stammesverband angehört. Nach dem Tode des Hunnenherrschers Attila (453) teilten sie sich in mehrere Verbände auf. Byz. Quellen berichten wiederholt von Kriegs- u. Plünderungszügen der Bulgaren. 480 holte sie Ks. Zeno (474–475/476–491) gegen die Ostgoten zu Hilfe. In der Folgezeit suchten sie häufig auf Streifzügen das Reichsterritorium heim. 619 stießen sie gemeinsam mit den stammesverwandten →Awaren, in deren Abhängigkeit sie vorübergehend geraten waren, bis Thessaloniki (→Saloniki) u. 626 bis unmittelbar vor die Mauern Konstantinopels vor. Um 632 hatte Chan Kobrat (Kovrat) protobulg. u. onogurische Stämme zu einem „Großbulgarischen Reich“ im nördl. u. nordwestl. Vorfeld des Kaukasus zusammengeführt. Kobrat hatte mehrere Jahre am byz. Kaiserhof verbracht u. war in Konstantinopel getauft worden. Nach seinem
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Tode sahen sich unter seinen Söhnen Teile der Bulgaren durch die nachrückenden →Chazaren zum Abzug veranlasst. Kotrag gründete wolgaaufwärts das Wolgabulgarische Reich. Asparuch (Isperich) wandte sich nach W, führte sein Volk an die untere Donau u. erzwang 679 den Übertritt auf byz. Reichsterritorium. Die gr. Quellen sprechen v. einer vertraglichen Übereinkunft mit den Führern der Sewerier u. der „sieben Stämme“ der ansässigen Slaven. Auf lange Sicht sollte sich die assimilatorische Kraft der zahlenmäßig überlegenen bäuerlichen Slaven gegenüber der milit. Führungsschicht der Steppenreiter durchsetzen. Die innenpol. Wirren im byz. Reich an der Wende zum 8. Jh. erlaubten es Chan Tervel (700–721), von seinem befestigten Lager in Pliska (NO-Bulgarien, nordwestl. v. Varna) seinen Machtbereich weiter südwärts über das Balkangebirge auszudehnen u. auf die Besetzung des byz. Thrones Einfluss zu nehmen. Er half Ks. Leon III. 717–718 bei der Zerschlagung des arabischen Belagerungsringes um →Konstantinopel. Die drohende Bulgarengefahr mobilisierte in Konstantinopel die Gegenwehr. Über zwei Jahrhunderte tobte ein erbitterter byz.-bulg. Grenzkrieg um die Beherrschung der zentralbalkanischen Landschaften. Die Zerschlagung des Awarenreiches eröffneten den Bulgarenzaren zu Anfang des 9. Jh.s weitere Expansionschancen im Donauraum u. in Pannonien. Chan Krum (802–814) besetzte 809 Serdika u. wehrte einen Gegenstoß v. Ks. Nikephoros I. (802–811), der sich bis Pliska durchgekämpft hatte, erfolgreich ab. Der Kaiser fiel 811 in der Schlacht. Krum dehnte seine Herrschaft auf Thrakien aus u. rüstete 813 zum Sturmangriff auf Konstantinopel. In der Jahrhundertmitte nutzte Chan Boris (852–889) die Verlagerung der byz. Verteidigungsanstrengungen an die kleinasiat. Front, die zur Abwehr der Araber notwendig geworden war, u. baute seine innerbalkanische Machtstellung weiter aus. Er gewann ganz Makedonien u. alb. Territorium bis zur Adriaküste hinzu. Als er 863 weitergehende Absprachen mit Ludwig dem Deutschen (→Heiliges Röm. Reich) treffen wollte, zwang ihn eine Flottendemonstration des Ks.s zum Einlenken. Boris fand sich zur Taufe durch Glaubensboten aus Konstantinopel bereit u. erhielt den christl. Taufnamen Michail nach seinem ksl. Paten (→Christianisierung). Der Bulgarenchan war weiterhin um den Aufbau einer eigenständigen Kirchenorganisation bemüht u. suchte in dieser Angelegenheit auch den Kontakt zu Papst Nikolaus I. 886 bot er den aus Mähren vertriebenen Schülern der →Slavenapostel in seinem Machtbereich eine neue Wirkungsstätte. 889 entsagte er zugunsten seines Sohnes Vladimir des Thrones u. zog sich in ein Kloster zurück. Nur wenige Jahre später sah er sich zur Abwehr einer drohenden heidnischen Reaktion nochmals zur Rückkehr gezwungen. Auf einer Reichsversammlung ließ er Simeon, seinen jüngeren Sohn, zum Nachfolger küren u. die slav. Liturgie sanktionieren. Unter dem Szepter Simeons (893–927) erreichte das 1. B. R. seine größte territ. Ausdehnung u. drohte, das krisengeschüttelte →Byzanz in den Schatten zu stellen. Gegen die von der byz. Diplomatie mobilisierten →Magyaren holte Simeon die →Petschenegen zu Hilfe. 913 verhandelte er innerhalb der Mauern Konstantinopels mit der byz. Reichsführung u. erzwang aus der Hand des →Patriarchen eine – in ihrer staats- u. völkerrechtlichen Bedeutung allerdings umstrittene – Krönung. Seither titulierte er sich selbstbewusst als Kaiser der Bulgaren u. der Griechen. Simeon ließ seine neue Residenz Preslav (NO-Bulgarien, südwestl. der ersten Hauptstadt Pliska) prunkvoll zu einer Reichsmetropole ausbauen. Er erteilte großzügige Bauaufträge u. sammelte Übersetzer u. Dichter (u. a. Johannes den Exarchen,
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Konstantin von Preslav, Chrabr) um sich. Preslav entwickelte sich während des Goldenen Zeitalters Simeons zu einem Zentrum der altbulg. Kunst u. Literatur. Die beeindruckenden Erfolge des ksl. Feldherrn Nikephoros Phokas, der eine Epoche der Eroberungen einleitete u. schließlich den byz. Kaiserthron usurpierte, sowie innerbulg. Wirren (u. a. Sektenbewegung der sog. →Bogomilen) veranlassten Chan Peter (927–969), einen Ausgleich mit der erstarkenden byz. Militärmacht zu suchen. 969 zwang Ks. Nikephoros II. Phokas (963–969) mit der Waffenhilfe des Kiever Fürsten Svjatoslav die Bulgaren in die Knie u. stellte 971 im Nordostteil der Balkanhalbinsel die byz. Oberhoheit wieder her (→Byzanz). Im mak. Westteil um Prespa u. →Ohrid führten die vier Söhne des „comes“ Nikola, die sog. Kometopuli-Brüder, den Widerstand fort. Samuil gewann 983 das umkämpfte Larissa, zerschlug 986 das von Basileios II. entsandte byz. Heer u. weitete seinen Herrschaftsbereich über Südmakedonien u. →Thessalien bis nach Dyrrhachion (Durrës) an die Adriaküste aus. 997 ließ er sich zum bulg. Zaren krönen, erlag aber nach heftiger Gegenwehr 1014 den überlegenen byz. Invasionstruppen am Belašica-Pass. Das bulg. Territorium wurde von 1018–1186 als byz. Provinz verwaltet. Ein Neubeginn bulg. Staatlichkeit setzte i. J. 1185 mit dem erfolgreichen Aufstand von Peter u. Asen, einem Brüderpaar bulg.-kumanischer Abstammung (→Kumanen), gegen die byz. Vorherrschaft ein (→Aseniden). Ihrem jüngsten Bruder Kalojan (1197–1207) gelang im Zusammenspiel mit dem Papst die pol. u. kirchl. Festigung der neuerrungenen Eigenständigkeit. Zu internationalem Ansehen verhalf dem 2. B. R. die herausragende Herrscherpersönlichkeit des Ivan Asen II. (1218–1241). Er zerschlug 1230 in der Schlacht bei →Klokotnica die hochfliegenden Pläne des epirotischen Konkurrenten Theodoros Angelos (→Epirus) u. gewann vorübergehend die innerbalkanische Vormachtstellung zurück. Unter seinem Zepter reichten die Grenzen des Bulgarenreiches bis an die Adria, die Ägäis u. das Schwarze Meer. In der zweiten H. des 13. Jh.s setzte im Gefolge der Tatareninvasion im Donauraum (→Tataren; →Mongolen) sehr rasch der Niedergang ein. Bulgarien zerfiel nach dem Aussterben der Aseniden im Mannesstamm 1257 in mehrere Teilherrschaften, die unter den Einfluss auswärtiger Mächte gerieten u. schließlich ein Opfer der vorrückenden osm. Eroberer wurden. Gegen die serb. (→Nemanjiden), ung. u. byz. Expansionspolitik, in deren Einzugsbereich vorübergehend nach der Niederlage von →Velbužd 1330 das bulg. Territorium geraten war, behauptete Zar Ivan Alexander (1331–1371) aus dem Geschlecht der Šišmaniden einen Restbestand der schwindenden Zentralgewalt. Während seiner langen Regierungszeit erlebte die bulg. Kultur unter dem Patriarchen Euthymios (Eftimij) von Tărnovo eine letzte Hochblüte, die auf die benachbarten orth. Länder ausstrahlte (sog. zweiter südslav. Einfluss in Russland). Der Sohn u. Nachfolger Ivan Alexanders, Zar Ivan Šišman (1371–1393), sah sich schon bald zur Zusammenarbeit mit den vorrückenden osm. Eroberern genötigt, ohne jedoch auf Dauer die Zweifel an seiner Loyalität zerstreuen zu können. Das Reich von Tărnovo endete am 17. Juli 1393, als die Residenzstadt des Zaren nach dreimonatiger Belagerung kapitulieren musste. Nur drei Jahre länger, bis Ende 1396, hielt sich das Restreich von Vidin unter Ivan Sracimir, dem jüngeren Stiefbruder des Zaren. Annotierte Bibl.: D. Kulman, Bulgarien, in: HBK. Bd. I: Mittelalter, T.1, 423–516. Lit. (a. →Bulgaren): T.D. Slavova, Slavjanskijat prevod na poslanieto na patriarch Fotij do Knjaz
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Bunjewatzen
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Bunjewatzen (kroat., serb. sing. Bunjevac, pl. Bunjevci). Name einer Volksgruppe mit Siedlungsschwerpunkten in der →Batschka (2002 in der gesamten →Vojvodina 19.766 ethn. deklarierte B. oder 0,97 % der Gesamtbev., 2011 noch 16.469 B.) sowie – ohne die ansonsten geltende ethnokonfess. Konnotation – vereinzelt im nord- u. mittelkroat. Küstenland (südöstl. v. Rijeka, beiderseits des Velebit-Gebirges [für eine dortige hist. Nennung der B. →Lika], im Gebiet der Zrmanja u. im nördl. Svilaja-Gebirge). Die B. sprechen eine štokavisch-ikavische Mundart (→Sprachen), die eng mit der Mundart der →Schokatzen verwandt ist, u. sind röm.-kath. Konfession. Die früher verbreitete Annahme, dass sie aus dem Einzugsgebiet des Buna-Flusses in der Herzegowina (südl. v. Mostar) stammten u. von daher ihren Namen hätten, ist weitgehend aufgegeben worden. Ausgehend v. sprachlichen Befunden wird das Herkunftsgebiet der B. im Raum des Dinar- u. Svilaja-Gebirges vermutet (nördl. v. Split). Da die B. in den Quellen gelegentlich als „Catolici Vlachi alias Bunjevci“ bezeichnet werden, handelt es sich möglicherweise um sprachlich „kroatisierte“ →Vlachen. Ihr Name soll v. bunja, einer spezifischen Hausform, abgeleitet worden sein. Als Bezeichnung für ein Dorf in der Batschka werden die B. erstmals 1622 erwähnt. Nach einem niedergeworfenen Aufstand gegen die osm. Herrschaft wanderten viele B. seit Anfang des 17. Jh.s aus dem dalmatinischen Küstenland in Teile (des unter habsb. Herrschaft stehenden) Kroatien-Slawoniens u. nach Südungarn (v. a. in die Batschka u. →Baranya) ab. Die Migrationen erreichten Ende des 17. Jh.s ihren Höhepunkt. Nach Herstellung eines dauerhaften Friedens in Südungarn normalisierte sich das Leben der B. in der Batschka. Ihre wichtigsten Siedlungsschwerpunkte, Subotica u. Sombor, wurden 1779 resp. 1749 zu kgl. →Freistädten erklärt. Die Führungsschichten der B. wurden in der Folgezeit (v. a. im 19. Jh.) weitgehend magyarisiert. In der zweiten Hälfte u. verstärkt gegen Ende des 19. Jh.s setzte ein Prozess ethn. Bewusstseinsbildung u. zunehmender Widerstand gegen die Magyarisierungsbestrebungen ein. Auf einer großen Volksversammlung erklärten die B. am 10.11.1918 in Subotica die Loslösung v. Ungarn u. sprachen sich für die Gründung eines süd
Bunjewatzen / Burgenland
slav. Staates aus. Die nach dem Frieden v. →Trianon in Ungarn verbliebenen B. sahen sich einem massiven Magyarisierungsdruck ausgesetzt. Die B. in der Vojvodina orientierten sich in der Zwischenkriegszeit mehr u. mehr an den Positionen der Kroatischen Bauernpartei, doch blieb ihre nationale Selbst- u. Fremdzuordnung – ob als Kroaten oder als eigene ethn. Gruppe – bis zur Gegenwart umstritten. In den Volkszählungen der Republik Serbien werden die B. seit 1991 als eigenständige Volksgruppe aufgelistet. Lit.: M. Vuković, Problem podrijetla Šokaca i njegov odraz u historiografi, Zbornik Odsijeka za povijesne znanosti Zavoda za povijesne i društvene znanosti HAZU 30 (2012), 327–358; R. Skenderović, Bunjevačko-šokačka stranka 1920–1926, Časopis za suvremenu povijest 38 (2006), 795–816; M. Černelić, Pristup istraživanju bunjevačkih identiteta, Studia ethnologica Croatica 17 (2005), 25– 49; V. Belaj, Tradicijsko planinsko stočarstvo na Velebitu i bunjevačka etnogeneza, ebd. 16 (2004), 5–31; Leksikon podunavskih Hrvata – Bunjevaca i Šokaca. Hg. S. Bačić. Subotica 2004 ff.; T. Vereši, Bunjevačko pitanje danas. Subotica 1997; A. Sekulić, Bački Bunjevci i Šokci. Zagreb 1990; R. Pavelić, Bunjevci. ebd. 1973; I. Kujundžić, Bunjevačko-šokačka bibliografija. ebd. 1969; M. Petrić, Prilog za proučavanje porijekla Bunjevaca, Glasnik Zemaljskog muzeja Bosne i Hercegovine u Sarajevu. Etnologija N.S. 17 (1966), 87–103; J. Erdeljanović, O poreklu Bunjevaca. Beograd 1930; R. Horvat, Hrvati u Bačkoj – Bunjevci i Šokci. Osijek 1922. H. S.
Burgenland (ung. Felsőőrvidék; kroat. Gradišće). Jüngstes Bundesland der Republik Österreich mit einer Fläche v. 3.961 km2 u. 286.691 E (2013), das im O an Ungarn, im W an Niederösterreich u. →Steiermark grenzt. Das Gebiet des heutigen B.s wurde seit dem FrühMA (Karolingerzeit) in mehreren Wellen v. Deutschen, Slaven u. Magyaren besiedelt u. war bis zu den →Pariser Vorortverträgen Teil des Kgr.s →Ungarn (a. →Transdanubien). – In Reaktion auf die ung. Nationalitätenpolitik erschienen bereits 1906 mehrere Artikel in Wiener Zeitungen, die den Anschluss „Deutsch-→Westungarns“ an „Deutsch-Österreich“ forderten, der auch in dem im gleichen Jahr erschienenen Buch „Die Vereinigten Staaten v. Groß-Österreich“ des Rumänen Aurel Popovici mitsamt den Städten Pressburg (→Bratislava), Wieselburg, Ödenburg, Güns u. St. Gotthard vorgesehen war. Proösterr. Kundgebungen im Herbst 1918, die kurzweilige Ausrufung einer Republik „Heinzenland“ am 6.12.1918 in Mattersburg, die wirt. Orientierung des nördl. Landesteiles am Großraum Wien, links- wie rechtsgerichtete, in Wien u. Ödenburg zentrierte Anschlussbewegungen veranlassten den deutschösterr. Staatskanzler Karl Renner aufgrund eines entsprechenden Beschlusses der Provis. Nationalversammlung vom 12.11.1918, die Anschlussforderung in die Pariser Friedensverhandlungen einzubringen. Ausschlaggebend jedoch war der zur gleichen Zeit vom Außenminister der Tschechoslowakei, Eduard Beneš, eingebrachte Antrag auf Einrichtung eines slav. (auf die kroat. Siedlungen des B.s sich stützenden) Korridors v. Pressburg zu den jug. Adriahäfen. Dieser Antrag stieß auf den heftigsten Widerstand Italiens, so dass schließlich im zweiten Entwurf des Friedensvertrags der Forderung Renners stattgegeben wurde. In dem am 10.9.1919 unterzeichneten Friedensvertrag v. →Saint Germain wurden Österreich daher die westl. Teile der drei ung. Komitate Wieselburg (Moson), Ödenburg (Sopron) u.
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Burgenland
Eisenstadt (Vasvár) in einem Umfang v. 4.320 km2 u. einer Gesamtbev. v. 340.000 E zugesprochen. In Anlehnung an diese Namen wurde am 6.9.1919 die Bezeichnung B. für das neu erworbene Gebiet vorgeschlagen u. unter dieser auch als eigenes Bundesland in die österr. Bundesverfassung vom 1.10.1920 aufgenommen. Die für den 28.8.1921 festgesetzte Inbesitznahme des B.s scheiterte zunächst am heftigen milit. Widerstand ung. Freikorps, so dass das Land mit einiger Verspätung offiziell erst am 5.12.1921 der Republik Österreich übergeben wurde. Das auf it. Vermittlung zustande gekommene „Protokoll v. Venedig“ vom 13.10.1921 sah für Ödenburg, an dem Ungarn unbedingt festhalten wollte, eine Volksabstimmung vor, die unter umstrittenen Umständen am 14./15.12.1921 das ungarischerseits erwünschte Ergebnis brachte. Dieser Verlust warf die Frage nach einer neuen Landeshauptstadt auf; die Wahl des am 30.4.1925 zusammengetretenen Landtags fiel auf Eisenstadt, das allerdings erst 1965 offiziell den Status einer solchen erhielt, da man offenbar noch lange nicht die Hoffnung auf eine „Rückkehr“ Ödenburgs aufgegeben hatte. Nach dem Anschluss Österreichs an das Dritte Reich verfügte Adolf Hitler am 23.5.1938 die Einverleibung des B.s in den Gau Steiermark. Die darauf einsetzende Entrüstung v. a. in Niederösterreich führte eine Woche später zur Revision dieser Entscheidung, das B. wurde nun mit Wirkung ab 15.10.1938 aufgeteilt: der nördl. Teil mit den Bezirken Neusiedl am See, Eisenstadt, Mattersburg u. Oberpullendorf kam an den Gau Niederdonau, die drei südl. Bezirke Oberwart, Güssing u. Jennersdorf an die Steiermark. Nach dem 2. Wk. hat die Wiener Regierung mit dem Verfassungsgesetz vom 29.8.1945 das Bundesland B. wiederhergestellt. Bei der Volkszählung v. 2001 gaben 16.245 Burgenländer an, B.-Kroatisch zu sprechen (6,1 % der Bev.; in ganz Österreich: 19.412). In den Quellen werden diese Kroaten erstmals im 16. Jh. erwähnt, als sie vor den Truppen des Osm. Reiches auf habsburgisches Territorium flüchteten. Die B.-kroat. Sprache (gradišćansko-hrvatski jezik) (einst auch „Wassercroatisch“ genannt), die auch v. kroat. Minderheiten in Westungarn, der südwestlichen →Slowakei u.dem südlichen Tschechien gesprochen wird, war an der Herausbildung einer einheitlichen kroat. Standardsprache auf der Grundlage des Štokavischen im 19. Jh. (→Sprachkodifizierung) nicht beteiligt. Stattdessen bildete sich eine eigene schriftsprachliche Norm heraus, die vorwiegend auf den örtlichen čakavischen Dialekten basiert, die auch in den Medien der durch den Österr. Staatsvertrag v. 1955 (Art. 7) ebensowie die →Slowenen in →Kärnten u. der Steiermark völker- u. verfassungsrechtlich bindend anerkannten (→Minderheiten/Minderheitenschutz), in 47 Gemeinden verankerten Volksgruppe verwendet wird. Lediglich das moderne kroat. Alphabet wurde auch von den burgenländ. Kroaten übernommen. Die 2001 rd. 19.400 Burgenlandkroaten konzentrieren sich auf vier Gemeinden im mittleren B.: nur in einer davon, Unterwart (ung. Alsóőr), stellen sie die Mehrheit.
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Lit. (a. →Westungarn): Das Burgenland an der Zeitenwende. Hg. H. Widmann. Wien 2013; C. Habres, Jüdisches Burgenland: Entdeckungsreisen. ebd. 2012; Historischer Atlas Burgenland. Red. J. Tiefenbach. Eisenstadt 2011; M. Vares, The Question of Western Hungary/Burgenland 1918-1923. Jyväskyla 2008; Insich(t) & Ansich(t). Das Burgenland von 1921 bis 2011. Red. J.M.
Bürgerkrieg (Griechenland)
Perschy. Eisenstadt 2011; F. Hannabauer, Erstes Burgenländisches Mundart-Wörterbuch. Oggau 2007; Burgenland 1921. Anfänge, Übergänge, Aufbau. Wiss. Leitung R. Kropf. Eisenstadt 1996; P. Haslinger, Der ungarische Revisionismus und das Burgenland 1922-1932. Frankfurt/M. 1994; A. Ernst, Geschichte des Burgenlandes. Wien u. a. ²1991; Ch. Heidrich, Burgenländische Politik in der Ersten Republik. Deutschnationale Parteien u. Verbände im Burgenland (1918–1933). ebd. 1982; L. Kerekes, Von St. Germain bis Genf. Österreich u. seine Nachbarn 1918–1922. Budapest u. a. 1979; L. Fogarassy, Die Volksabstimmung in Ödenburg (Sopron) u. die Festsetzung der österreichisch-ungarischen Grenze im Lichte der ungarischen Quellen u. Literatur, SOF 35 (1976), 150–182; K. Soós, Burgenland az európai politikában 1918–1921. Budapest 1971; A.F. Burghardt, Borderland. A Historical and Geographical Study of Burgenland, Austria. Madison 1962; O. Guglia, Das Werden des Burgenlandes. Eisenstadt 1961. G. S.
Bürgerkrieg (Griechenland). Bezeichnung für die innergr. Auseinandersetzungen zw. 1944 u. 1949. Schon im →Befreiungskrieg war es 1824 zw. Landesbewohnern unterschiedlicher soz. u. pol. Bestrebungen zu Kämpfen gekommen. Im Herbst des Jahres 1916 war Hellas wiederum nicht weit v. einem Bürgerkrieg entfernt. Der Überfall Mussolinis im Oktober 1940 (2. →Wk.) schien das Land noch einmal zusammenzuschweißen, aber bereits zu Anfang 1943 wendeten Widerstandsgruppen unterschiedlicher Parteifärbung die Waffen auch gegeneinander. Bis zum Abzug der dt. Besatzungstruppen im Oktober 1944 hatte die republikanisch u. linksorientierte ELAS (Ellinikós/Ethnikós Laikós Apelevtherotikós Stratós: Gr. Volksbefreiungsarmee) das Land milit. weitgehend unter Kontrolle, lediglich im →Epirus hielten sich die mehr kons.-monarchistische EDES (Ethnikos Dimokratikos Ellinikos Syndesmos: Nationale Republikanische Griechische Liga) noch u. in der →Peloponnes die mit den dt. Truppen zusammenarbeitenden „Sicherheitsbataillone“ (Tagmata asphalias). Im April 1944 hatten in Ägypten v. der Exilregierung aufgestellte Truppen gemeutert, waren daraufhin v. Regierungsgegnern gesäubert worden u. kehrten nach dem 4. Oktober, verstärkt durch brit. Einheiten, in die Heimat zurück. Etwa zur gleichen Zeit hatten Churchill u. Stalin in Moskau ihre Einflussanteile (Prozentabkommen; näheres unter 2. →Weltkrieg) abgesteckt. Das hinderte die ELAS nicht, die EDES aus dem →Epirus zu verdrängen u. ihre Position in Athen zu verstärken. Am 3. Dezember schoss die Polizei in der Hauptstadt auf ELAS-Teilnehmer einer verbotenen Demonstration, woraus sich erbitterte Straßenkämpfe mit den Regierungstruppen u. den rasch verstärkten brit. Truppen unter General Hawkesworth entwickelten. Die ELAS musste sich aus Athen zurückziehen, ermordete oder verschleppte eine beträchtliche Zahl v. Geiseln. Das v. den Briten vermittelte Abkommen v. Varkiza (12.2.1945) beendete vorläufig die Kämpfe, aber Anhänger der Regierung verübten im Süden, Anhänger der ELAS im Norden, vielfach Racheakte. Gestützt auf die in den Besatzungsjahren aufgebaute Infrastruktur, begann vor den Wahlen vom 31.3.1946 die ELAS unter Führung v. Markos Vaphiades (General M.) mit zeitweilig 25.000 Mann einen Partisanenkrieg außerhalb der größeren Städte. Sie wurde dabei v. Albanien, Jugoslawien u. Bulgarien unterstützt. Während die brit. Regierung am 3.3.1947 wegen ihrer großen wirt. Schwierigkeiten die Einstellung ihrer Hilfe für Griechenland erklärte, verkündete US-Präsident Truman am 12. März die nach
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Bürgerkrieg (Griechenland) / Bürgerkrieg (Jugoslawien)
ihm benannte →Truman-Doktrin (a. →Kalter Krieg). Sie lieferte der Athener Regierung militärische Berater u. zunehmend materielle Hilfe. Am 24. Dezember rief General Markos eine Gegenregierung aus, die aber nicht einmal v. den komm. Staaten anerkannt wurde. Unter der neuen Führung v. Zachariades (KP-Vorsitzender) versuchte sie, in offener Feldschlacht den Regierungstruppen entgegenzutreten, verlor aber gegen deren Führer Papagos (den Sieger gegen die Italiener v. 1940) rasch an Boden. Nach Schlachten in den nordgr. Grenzgebirgen (Grammos u. Vitsi) erklärte die KP durch ihr ZK am 9.10.1949 die „vorläufige“ Einstellung der Kämpfe. Etwa 5.000 Männer wurden im B. auf beiden Seiten hingerichtet, etwa 15.000 Regierungssoldaten sind gefallen, fast die dreifache Zahl Andarten (→Partisanen; zum Begriff s. u. Četnici). Etwa 28.000 Kinder wurden v. den Aufständischen in die komm. Nachbarländer verschleppt, um dort zu künftigen Kämpfern erzogen zu werden. Lit.: H.A. Richter, Griechenland 1940–1950. Die Zeit der Bürgerkriege. Mainz u. a. 2012; J. Fontaine, De la résistance à la guerre civile en Grèce 1941–1946. Paris 2012; L.M. Danforth/R. Van Boeschoten, Children of the Greek Civil War. Refugees and the Politics of Memory. Chicago 2012; K. Dreidoppel, Der griechische Dämon. Widerstand u. Bürgerkrieg im besetzten Griechenland 1941–1944. Wiesbaden 2009; Ph.B. Minehan, Civil War and World War in Europe: Spain, Yugoslavia, and Greece, 1936 – 1949. New York u. a. 2006; After the War was over: Reconstructing the Family, Nation, and State in Greece, 1943–1960. Hg. M. Mazower. Princeton u. a. 2000; Studies in the History of Greek Civil War 1945–1949. Hgg. L. Baerentzen/J.O. Iatrides/O.L. Smith. Copenhagen 1987; Dokumenti za učestvoto na Makedonskiot narod od egejskiot del na Makedonija vo grag´anskata vojna vo Grecija. 7 Bde. Skopje 1971–1987; Lawrence S. Wittner, American Intervention in Greece 1943–1949. New York 1982; Ho Hellenikos stratos kata ton antisymmoriakon polemon. 2 Bde. Athen 1970/1971 [hg. vom Generalstab]. G. G.
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Bürgerkrieg (Jugoslawien). – B. ist ein bewaffneter Kampf zw. verfeindeten Gruppen innerhalb eines Staates um die pol. Macht. Im Unterschied zu Revolution u. Putsch handelt es sich beim B. um eine gewaltsame Auseinandersetzung v. beträchtlicher Länge (mit einer hohen Anzahl Beteiligter). – Nach dem „Blitzfeldzug“ Hitlers u. seiner Verbündeten gegen Jugoslawien u. der bedingungslosen Kapitulation der jug. Armee am 17. April 1941 wurde das besiegte Land in eine Vielzahl besetzter, annektierter u. scheinsouveräner Territorien aufgeteilt (→Jugoslawien, 2. →Weltkrieg). Der Kg. u. die jug. Regierung erklärten im Exil, dass sie den Kampf auf Seiten der Alliierten fortsetzen würden. Der These Deutschlands u. seiner Verbündeten vom Auseinanderfallen des jug. Staates setzten die Exilregierung u. die Alliierten ihre Auffassung vom völkerrechtl. Fortbestand des Staates entgegen. Diese Position wurde durch die Rechtsprechung der Kriegsverbrechertribunale nach dem Ende des 2. Wk.s bekräftigt. Die bewaffneten Auseinandersetzungen in Jug., die seit Mitte 1941 zunehmend weite Teile des Landes (zunächst v. a. den →Unabhängigen Staat Kroatien u. das dt. Besatzungsgebiet Serbien) erschütterten u. scharfe Repressalien der Okkupationsmächte nach sich zogen, wurden in der jug. Historiographie nach 1945 ausschließlich als „Befreiungskrieg“ der jug. Völker gegen die Besatzungsmächte u. ihre „Kollaborateure“ (ins-
Bürgerkrieg (Jugoslawien)
bes. →Ustaše u. →Četnici) dargestellt. Aber sowohl auf Seiten der „Kollaborateure“ wie auf Seiten der (kommunist.) „Widerstandskämpfer“ (→Partisanen) gab es sehr unterschiedliche pol. Strömungen, u. ein Wechsel von einer Seite zur anderen war keine Seltenheit. Die Kämpfe in Jugoslawien wiesen v. Anfang an auch Elemente eines B.s auf, die im Verlauf des Krieges an Bedeutung zunahmen. Hauptakteure des Widerstands waren die KPJ unter Führung Josip Broz-Titos bzw. die jug. „Volksbefreiungsbewegung“ (Narodnooslobodilački pokret, NOP) auf der einen u. die Četnici unter dem Kommando Draža Mihailovićs auf der anderen Seite. Da sich beide Widerstandsbewegungen nicht auf ein gemeinsames pol. u. milit. Konzept einigen konnten, gingen sie gegen Ende 1941 zu einer Doppelstrategie gegen den äußeren wie inneren Gegner über. Neben dem Kampf gegen das Besatzungsregime u. seine Helfer trat der innerjug. Kampf um die künftige pol. Macht. Und je mehr sowohl die KPJ als auch Mihailović v. der künftigen Niederlage der Dreimächte-Pakt-Staaten überzeugt waren, desto größere Bedeutung erhielt der innerjug. Machtkampf um die Nachkriegsordnung. Während die Četnici großserbische u. pol.-restaurative Ziele verfolgten, trat die komm. geführte „Volksbefreiungsbewegung“ für die Gleichberechtigung aller jug. Völker in einem föderativen, sozialist. umgestalteten Jugoslawien ein. Zur Gleichberechtigung der Nationen sollte die Gleichberechtigung der Geschlechter kommen, so dass sich auch viele Frauen der „Volksbefreiungsbewegung“ anschlossen. Die pol. zerstrittene Exilregierung u. die Alliierten (einschließlich der Sowjetunion) erkannten zunächst Mihailović als rechtmäßigen Repräsentanten des jug. Widerstands u. damit als kriegführende Partei an. Infolge der abwartenden Taktik Mihailovićs entschlossen sich die westl. Alliierten jedoch Ende 1943 zur milit. Anerkennung Titos u. zur Aufgabe Mihailovićs. Die UdSSR folgte Anfang 1944 dem Kurswechsel ihrer Verbündeten. Widerstand u. B. waren untrennbar miteinander verwoben u. wurden durch ethnonational aufgeladene Gegensätze zusätzlich verschärft. „Ethn. Hass“ war weniger Ursache als Folge des Krieges, obwohl es (insbes. bei den Kommunisten) Bestrebungen gab, die nationalen Gegensätze zu überwinden (was nicht immer gelang, auch in den eigenen Reihen nicht). Der Kampf zw. kroat. Ustaše, serb. Četnici u. →bosn. Muslimen sowie die Konfrontation zw. Kommunisten („Roten“) u. Antikommunisten („Weißen“) drängten den Kampf gegen die Besatzungsmächte mehr u. mehr in den Hintergrund. Insbes. die Četnici gingen im Kampf gegen die kommunist. Partisanen immer wieder taktische Bündnisse mit den Besatzungsmächten, allen voran mit Italien, ein. Auch bei den Kommunisten kam der Vernichtung der Četnici zeitweilig (z.B. im ersten Halbjahr 1943, als Spekulationen über eine zweite Front der Alliierten auf dem Balkan kursierten) eine größere Bedeutung zu als dem Kampf gegen die Besazungsmächte u. ihre Kollaborateure. Besonders intensiv tobten die B.-Kämpfe in →Bosnien-Herzegowina, wo es zu vielfältigen lokalen Allianzen u. Gegnerschaften – oft jenseits ideologischer Überzeugungen – kam. Nach den schweren Niederlagen der Četnici im Verlauf des Jahres 1943 zeichnete sich der künftige Sieg der Tito-Bewegung deutlich ab. Viele Četnici wechselten gegen Kriegsende die Seiten. Die Abrechnung mit den innenpol. Gegnern zog sich noch über das offizielle Ende des 2. Wk.s hinaus. Betroffen waren außer Četnici u. Ustaše auch antikommunist. Kroaten, Slowenen, „→Volksdeutsche“ u. a. Die Zahl der B.-Toten ist ebenso umstritten wie die Zahl der jug. Kriegsopfer insges. Letztere wird auf rd. 1 Mio. Menschen
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Bürgerkrieg (Jugoslawien) / Bürgertum (Balkan)
geschätzt. Mit dem Zerfall Jugoslawiens setzte eine grundsätzliche Neubewertung des B. in der Historiographie u. im öffentl. Gedenken der Nachfolgestaaten ein. Missverständlich als „jug. B.“ werden in westl. Medien oft auch die →postjug. Kriege bezeichnet. Lit.: →Weltkrieg, Zweiter; →Jugoslawien; →Četnici; →Partisanen; →Unabhängiger Staat Kroatien; →Ustaše. H. S.
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Bürgertum (Balkan). Dass sich auf dem →Balkan kein dem west- oder zentraleurop. vergleichbares ökon. u. quantitativ starkes B. entwickeln konnte, hat weit in die Geschichte zurückreichende Wurzeln. Als eine der Hauptursachen darf wohl die osm. Eroberung gelten, die zu einer Zeit erfolgte, als in Westeuropa Urbanisierungsprozesse einsetzten u. sich ein frühkapitalistisches Bürgertum entfalten konnte. Die Beantwortung der Frage, ob es auf dem Balkan zu einer analogen Entwicklung hätte kommen können, muss offenbleiben. Fest steht jedenfalls, dass das →Osm. Reich eine solche Entwicklung durchkreuzte, indem es die Herausbildung eines Stadtrechts u. eines bürgerl. Genossenschaftsverbands nicht zuließ (→Stadt, Stadttypen: osm.). Die musl. städtische Führungsschicht war aus verschiedenen Gründen nicht sehr an der Entwicklung v. Binnen- u. Fernhandel interessiert, was nicht nur für diesen u. für die Weiterentwicklung v. Handwerk u. Gewerbe, sondern speziell auch für die Ausbildung eines B.s von Nachteil war. So dominierte lange Zeit der Direktverkauf ohne Einschaltung v. Händlern, u. der Fernhandel wurde v. speziell privilegierten Händlern aus →Dubrovnik, Venedig (→Venezianisches Überseereich) u. Genua bzw. v. jüdischen u. aromunisch-„griechischen“ Kaufleuten dominiert (vgl. →Vlachen). Erst sehr spät, nämlich im 19. Jh., entstand durch einsetzende Marktproduktion im landwirt. Bereich u. dem Recht für christl. →Bauern, Grundeigentum besitzen zu dürfen, eine schmale Schicht reicherer Bauern, die die Grundlage für die Herausbildung eines B.s bilden sollte. Ein zweiter Anknüpfungspunkt für die zögerliche Entwicklung kapitalistischer Beziehungen waren seit Ende des 18./Anfang des 19. Jh.s Kaufleute, die als protoindustrielle Verleger tätig wurden. Diese Form des kaufmännischen Kapitals arbeitete in den Dörfern, abseits hinderlicher städtischer Zunftorganisationen (→Esnaf ). Dennoch, die Rahmenbedingungen dafür blieben ungünstig, da eine weitere Grundbedingung, die Sicherheit v. Person u. Eigentum, im Rahmen des Osm. Reichs weiterhin nicht gewährleistet war (→Haiduken). Aber auch in den nördl. u. östl. Randgebieten des Balkans setzte die Entwicklung eines B.s vergleichsweise spät ein. In der →Militärgrenze war durch den hohen Militarisierungsgrad der Gesellschaft jegliche Entwicklung in Richtung Stadt u. städtisch-bürgerlicher Bev. unterbunden. In Zivilkroatien wurde diese Entwicklung durch die ges. u. ökon. Dominanz des →Adels bis in das beginnende 19. Jh. verzögert. In den rum. →Donaufürstentümern stieg eine Gruppe reicher →Bojaren seit der ersten H. des 19. Jh.s in den nationalen u. internationalen Handel ein. Der Adel im Zusammenwirken mit den zahlreichen jüd. Geschäftsleuten, die in ihrem Aktionsradius allerdings gesetzlich behindert wurden, bildeten hier die Grundlage für ein entstehendes B. Während also im einen Fall (im ehemaligen osm. Bereich) die Aufgabe war, eine großteils bäuerliche in eine bürgerliche Gesellschaft umzuwandeln, musste im anderen Fall eine
Bürgertum (Balkan)
vom Adel dominierte in eine bürgerliche transformiert werden. Dass es unter diesen Bedingungen im Verlauf des 19. Jh.s zu keiner →Industrialisierung kommen konnte, sollte nicht verwundern. Es fehlte an entsprechendem in- u. ausländischem Investitionskapital. So ist es auch nicht erstaunlich, dass der Staat in den meisten Fällen herausgefordert war, das nicht vorhandene B. zu substituieren u. staatl. gelenkte Investitionen vorzunehmen (vgl. →Modernisierung). Jedenfalls blieb den Balkangesellschaften also hist. bedingt nicht die entsprechende Zeit, die für die Herausbildung eines starken B.s vonnöten gewesen wäre. Wie schwer diese hist. Hypothek wiegt, kann man etwa an der gr. Gesellschaftsentwicklung ablesen. →Griechenland brachte vergleichbar günstige Voraussetzungen für die Entwicklung eines B.s mit: das Land befreite sich relativ früh v. der osm. Herrschaft, verfügte über ein zum Teil in das Land zurückkehrendes Handelsbürgertum u. damit über relativ wohlhabende Reeder- u. Kaufmannsfamilien. Dennoch konnte sich lediglich auf einigen Inseln ein starkes B. entwickeln. In den Städten des Festlandes jedoch sollte es bis zur Wende zum 20. Jh. dauern, bis v. einem „aufstrebenden“ B. die Rede sein konnte. Interessanterweise ist das B. hier in den größeren Städten nicht wie in den entwickelten Industriegesellschaften nach unten hin, sondern nach oben hin differenziert. Das bedeutet, dass eine breite, wirt. aktive Mittelschicht fehlt. An der Spitze der kleinen Oberschicht, bestehend aus Reedern, Bankiers, Großkaufleuten u. Unternehmern, stehen oftmals jene Familien, die ihre Herkunft bis auf die →Phanarioten zurückführen können. Unter diesen Voraussetzungen gestaltete sich auch die Transformation in den ehemals komm. Ländern nach 1989 schwierig. Die aus dem Umgestaltungsprozess hervorwuchernden kleinen Gruppen neureicher Profiteure, die sich wie ein Aristoteles Onassis in den 1960er/70er Jahren gerieren, soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Weg zur Herausbildung eines stabilen B.s noch lang sein kann. Lit. (a. →Stadt, Stadttypen): H. Sundhaussen, Südosteuropäische Gesellschaft u. Kultur vom Beginn des 19. Jh.s bis zur Mitte des 20. Jh.s, in: Geschichte Südosteuropas. Vom frühen Mittelalter bis zur Gegenwart. Hgg. K. Clewing/O.J. Schmitt. Regensburg 2011, 345–425; W. Höpken, Die „fehlende Klasse“? Bürgertum in Südosteuropa im 19. u. 20. Jh., in: Clio im südosteuropäischen Diskurs. Festschrift f. Andrej Mitrović. Hgg. D. Dahlmann u. a. Bonn 2007, 77–117; Eliten in Südosteuropa. Rolle, Kontinuitäten, Brüche in Geschichte u. Gegenwart. Hgg. W. Höpken/H. Sundhaussen. München 1998; K. Roth, Bürgertum u. bürgerliche Kultur in Südosteuropa, in: Soll u. Haben. Alltag u. Lebensformen bürgerlicher Kultur. Hg. U. Gyr. Zürich 1995, 245–260; M.C. Kaser/E.A. Radice (Hgg.), The Economic History of Eastern Europe 1919–1975. Bd. 1: Economic Structure and Performance Between the Two Wars. Oxford 1985; I.T. Bérend/Gy. Ránki, Wirtschafts- u. Sozialgeschichte Südosteuropas 1850–1914, in: Ost- u. Südosteuropa 1850–1914. Hgg. A. Kahan u. a. Stuttgart 1980, 97–144; D.J. Delivanis/H. Sundhaussen, Wirtschafts- u. Sozialgeschichte Griechenlands 1830–1914, in: a. a. O., 145-159; H.J. Kissling, Die türkische Stadt auf dem Balkan. München 1968; M K. Evelpides, Oikonomiki kai koinoniki istoria tis Ellados. Athen 1950. K. K.
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Bürgertum (hist. Ungarn)
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Bürgertum (hist. Ungarn) (ung. polgárság; kroat. gradjanstvo). Im Zeitraum v. 1820 bis 1870 sind auch in Ungarn jene grundlegenden Änderungen zu beobachten, die die Voraussetzung für die Umgestaltung der feudalen zur bürgerlichen Gesellschaft schufen – wie →Urbanisierung, Kapitalbildung (→Kapitalismus), Klassendifferenzierung, Änderung der Arbeitsorganisation u. technologische Verbesserung der Produktion in Verbindung mit der industriellen Revolution (→Industrialisierung), wobei letztere in Ungarn etwa zwei Jahrzehnte später als in Österreich u. Böhmen – etwa um 1840 – einsetzte. Eine wichtige Voraussetzung dafür bildete die Differenzierung der Stadtbev. bereits im Verlauf der zweiten H. des 18. Jh.s: Zu dem Bürgertum der kgl. →Freistädte, die infolge ihrer Selbstverwaltungsrechte den vierten Stand im System des →Feudalismus bildeten (a. →Stände), sich jedoch ihrer Kapitalisierung widersetzten u. daher nur ihre bürgerlichen Tugenden in das neue Zeitalter einbrachten, gesellte sich die immer erfolgreicher emanzipierte Gruppe der kapitalstarken Händler nichtung. Herkunft: Griechen, →Aromunen, Serben, Juden (→Aschkenasim) u. →Armenier; ferner die zahlenmäßig stark zunehmende Gruppe der im Gewerbe, Handel u. Bergbau Erwerbstätigen, die über keine ständischen Bürgerrechte verfügte, jedoch im Zeitraum v. 1787 bis 1850 sich quantitativ verdoppelte u. ihren Anteil v. 10 auf 14 % der männlichen Bev. vergrößerte; sodann die zahlenmäßig geringe, für Verwaltung, pol. Leben u. Bildung jedoch immer wichtigere Schicht der Beamten, Ärzte, Juristen u. Professoren, die sich quantitativ im Zeitraum v. 1787 bis 1843 vervierfachte u. zus. mit den Lehrern u. Geistlichen die im gleichen Zeitraum um 81 % vermehrte Intelligenzschicht des Landes bildete (→Eliten). Im Prozess der Verbürgerlichung, der in der zweiten H. des 19. Jh.s eine starke Eigendynamik entfaltete, spielten aus der früheren „Adelsgesellschaft“ abgeleitete Traditionen u. Kontinuitäten eine bestimmende Rolle. Zu exemplifizieren ist das an der Stellung der Gentry, wie damals bereits der Teil des Adels genannt wurde, der infolge der wirt. Veränderungen seinen Landbesitz weitgehend verloren hatte u. sich den Teil der bürgerlichen Berufe zu sichern wusste, durch den er Macht u. Privilegien u. damit den Charakter einer Herrenschicht wie seine Adelsmentalität bewahren konnte: die oberen u. mittleren Positionen der Staatsverwaltung u. die Offizierslaufbahn. Um 1900 wurde die Gentry zur prägenden Kraft sowohl in der Lebensweise als auch im Denken der ung. Mittelschichten (→Adel, Ungarn). In ihr spiegelten sich die Widersprüche des soz. Wandels wider: gesellschaftlich, pol. u. ökon. stand sie im Schatten des Großgrundbesitzes, war im Rahmen ihrer beruflichen Karriere eng an den Staat gebunden u. wurde zu einem ausgeprägten kons. Element, das den Kapitalismus, der ihre Adelsexistenz ursprünglich zerstört hatte, emotional ablehnte u. im Nationalismus u. →Antisemitismus ihr Heil suchte. Da die Juden eine starke Stellung sowohl im Großbürgertum als auch in den bürgerlichen Mittelschichten in den Bereichen v. Handel, Bankwesen, bürgerlicher Intelligenz u. freien Berufen einnahmen, nährte die Gentry das Vorurteil, Kapitalismus, bürgerliche Kultur u. Liberalismus seien mit dem Judentum identisch. Kulturpessimismus, Antimodernismus u. Antiliberalität nahmen hier ihren Anfang. Auch das Großbürgertum, das keineswegs der Ständegesellschaft eines rückständigen Agrarlandes entstammte u. daher meist nichtung. Herkunft war, passte sich im öffentlichen Leben der trad. führenden Schicht der über den Großgrundbesitz verfügenden Aristokratie an. In ihrem Geschäftsleben u. in ihrer Wirtschaftstätigkeit hat das Großbürgertum jedoch die bürgerl. Tugenden
Bürgertum (hist. Ungarn)
bewahrt, v. denen ihr Erfolg abhing, der sich in der Modernisierung der ung. Wirtschaft, im Aufbau des modernen Kreditwesens u. der Großindustrie konkretisierte. Aber auch die übrigen bürgerl. Schichten, die sich gleichfalls zu einem wesentlichen Teil aus Assimilierten zusammensetzten, u. sich etwa in →Oberungarn aus der ehemaligen dt. Stadt- u. der in die Stadt gezogenen dt. u. slowak. Agrarbev. rekrutierte, das Besitz- u. Bildungsbürgertum u. die große Gruppe der in kleinbürgerlichen Verhältnissen lebenden Erwerbstätigen, orientierten sich am Vorbild des gentryhaften „ungarischen Herrn“. Die bürgerliche Emanzipationsbewegung hat in Ungarn ihr Ziel einer pol. Partizipation abgesehen v. kurzfristig revolut. Phasen wie 1848/49, 1918/19 oder 1956 keineswegs erreicht u. die Verbürgerlichung der ung. Gesellschaft ist über eine partielle, segmentartige Durchsetzung derselben bis zum Beginn des sozialist. Zeitalters nicht hinausgekommen. Denn die im Verlauf des 19. Jh.s entstandenen Mittelschichten blieben dem Denken, den Institutionen u. Werten aus vorindustr. Zeit verhaftet u. konnten sich in dem v. ihnen mit aufgebauten industrialisierten Agrarstaat ihres feudalistischen Erbes, wenn überhaupt, nur teilweise u. halbherzig entledigen. Diese Mängel unterstreicht der pol. Misserfolg der nach der Jahrhundertwende entstandenen Bewegung der Bürgerlich-Radikalen. Angeführt v. Oszkár Jászi u. der 1900 gegründeten Zeitschrift Huszadik Század („Zwanzigstes Jh.“) als ihrem Sprachrohr kritisierten sie zwar leidenschaftlich die Missstände u. forderten eine Reihe v. Reformen, um die Rückständigkeit des Landes zu überwinden: pol. Demokratisierung, Beseitigung des Großgrundbesitzes, Einführung der sprachlich-kult. Autonomie der Nationalitäten etc. Sie begeisterten damit die junge Intelligenz, Künstler u. Schriftsteller, die sich um Endre Ady u. die Zeitschrift Nyugat („Westen“) sammelten. Doch eine tatsächliche Veränderung v. Politik u. Gesellschaft vermochte auch diese, ges. zu geringfügig verankerte bürgerliche Bewegung nicht durchzusetzen, da es ihr nicht gelang, trotz aller Sympathie sich mit den übrigen Kräften der Opposition: Sozialdemokratie, Bauernparteien u. den Nationalitäten zusammenzuschließen u. dadurch die herrschende Elite unter Druck zu setzen. Auch in →Kroatien u. bei den Serben in Südungarn (→Vojvodina) formierte sich im Verlauf des 19. Jh.s ein Bürgertum, das in Konkurrenz zu Adel u./oder Klerus um pol., wirt., ges. u. kult. Einfluss rang. Hauptbettätigungsfeld waren das nicht-landwirt. Gewerbe u. das Bildungswesen. Auf die wenigen größeren Städte beschränkt u. durch ein hohes Zensuswahlrecht eingeengt, konnte das B. jedoch nur begrenzte Wirkung entfalten. Lit. (a. →Stadt, Stadttypen): I. Iveljić, Očevi i sinovi. Privredna elita Zagreba u drugoj polovici 19. stoljeća. Zagreb 2007; B.A. Szelényi, The Failure of the Central European Bourgeoisie. New perspectives on Hungarian history. New York u. a. 2006; D. Kosáry, Ujjáépítés és polgárosodás 1711–1867. Budapest 2001; Z. Fónagy Modernizáció és polgárosódás. Debrecen 2001; A. Freifeld, Nationalism and the Crowd in Liberal Hungary, 1848–1914. Baltimore, Maryland 2000; Bürgerliche Familien. Lebenswege im 19. u. 20. Jh. Hg. H. Stekl. Wien u. a. 2000 [behandelt Österreich, Ungarn, Slowenien]; Bürgertum in der Habsburgermonarchie. 9 Bde. Hg. E. Bruckmüller. Wien u. a. 1990–2000; H. Rumpler, Eine Chance für Mitteleuropa. Bürgerliche Emanzipation u. Staatsverfall in der Habsburgermonarchie. Wien 1997 [Ndr. 2005]; Gy. Ránki, Die Entwicklung des ungarischen Bürgertums vom späten 18. zum frühen 20. Jh., in: Bürgertum im 19. Jh. Deutschland
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im europäischen Vergleich. Eine Auswahl. Hg. J. Kocka. Göttingen 1995, 247–265; Magyarország társadalomtörténete. 2 Bde. Hg. Gy. Kövér. Budapest 1994/95; Bürgerliche Wohnkultur des Fin de siècle in Ungarn. Hg. P. Hanák. Wien u. a. 1994; A. Gerő, Magyar polgárosodás. Budapest 1993; M. Gross/A. Szabo, Prema hrvatskom gradjanskom društvu. Zagreb 1992; Die Auswirkungen der Französischen Revolution auf die Entwicklung des Bürgertums im pannonischen Raum (1789–1830). Internationales Kulturhistorisches Symposion Mogersdorf 1989. A francia forradalom kihatásai a pannón térség polgárságának fejlődésére (1789–1830). Hg. R. Widder. Eisenstadt 1992; J. Lukács, Ungarn in Europa. Budapest um die Jahrhundertwende. Berlin 1990; Bürgertum u. bürgerliche Entwicklung in Mittel- u. Osteuropa. 2 Bde. Hg. V. Bácskai. Budapest 1986; P. Hanák, The Bourgeoisification of the Hungarian Nobility – Reality and Utopia in the 19th Century, in: Etudes historiques hongroises 1985. Bd. 1, Budapest 1985, 403–421; ders., Ungarn in der Donaumonarchie. Probleme der bürgerlichen Umgestaltung eines Vielvölkerstaates. Wien u. a. 1984. G. S.
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Burzenland (rum. Ţara Bârsei; ung. Barcaság). Eine nach dem Burzenbach benannte, etwa 1.650 km2 große, fruchtbare Senke im südöstl. Karpatenbogen bzw. im SO →Siebenbürgens, die vom Alt (Olt) u. seinen Nebenflüssen durchzogen wird. Wichtigste Stadt: Braşov/Kronstadt. Ende des 12. Jh.s gelangte das B. in den ung. Herrschaftsbereich, 1211 wurde seine Verteidigung dem →Deutschen Ritterorden anvertraut. Nach dessen Vertreibung aus Siebenbürgen (1225) wurde das B. ein →Komitat, dem der Széklergraf (→Széklerland) vorstand. Während des 14. Jh.s stieg die Bedeutung der im Süden des B. gelegenen Stadt Kronstadt, die den Einfluss des Széklergrafen im B. zurückdrängte. 1422 wurden die Rechte des Andreanums (vgl. →Siebenbürger Sachsen) auf das B. übertragen. In der zweiten H. des 15. Jh.s schloss sich das B. noch stärker an die sächsische Nationsuniversität an. Als südöstl. Vorposten der siebenbürg.-sächs. Gebietskörperschaften spielte das B. eine wichtige Rolle in der Türkenabwehr. Mit Geldzahlungen u. Treuebekundungen gegenüber dem →Sultan u. dem Kaiser versuchte das B., die eigene Bev. nicht gänzlich dem Kriegsgeschehen auszuliefern. In kriegerischen Zeiten gab Johannes Honterus (1498–1549) 1543 ein „Reformationsbüchlein“ heraus, mit dem die →Reformation im B. eingeführt wurde. Nach den Pestepidemien des 17. Jh.s u. des frühen 18. Jh.s setzte eine verstärkte Zuwanderung rum. Familien in das B. ein, die von Wien gefördert wurde. Seit Beginn des 18. Jh.s wurden im B. mehr Rumänen als Deutsche gezählt, seit den 1950er Jahren stellten die Rumänen die absolute Mehrheit. 1974 wies die Statistik 21.388 Deutsche, 282.503 Rumänen, 49.722 Ungarn u. 5.036 „andere“ aus. Mit dem 1873 erfolgten Anschluss an die erste Strecke des siebenbürg. Eisenbahnnetzes von Arad nach Karlsburg, u. mit der Eröffnung einer zweiten Strecke von Kronstadt über den Predeal-Pass nach Bukarest (1878) kam es zu einem ökonomischen Aufschwung (vgl. →Verkehr). Allein in Kronstadt erhöhte sich die Zahl der Fabriken von 10 i. J. 1870 auf 36 i. J. 1895. Wirt. bedeutend war die 1889 in Brenndorf von der Ung. Zuckerindustrie-Aktiengesellschaft gegründete Zuckerfabrik. Viele Bauern stellten auf den Zuckerrübenbau um, der gute Erträge abwarf. Heute ist das B. ein bedeutendes industr. Zentrum Siebenbürgens. Kronstadts Bev. war seit der in den 1960er Jahren einsetzenden forcierten →Industrialisierung auf eine Drittelmillion E angewachsen (1990), ist danach allerdings wieder auf 253.000 zurückgegangen (2011).
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Lit. (a. →Siebenbürgen; →Siebenbürger Sachsen): Generalprobe Burzenland. Neue Forschungen zur Geschichte des Deutschen Ordens in Siebenbürgen u. im Banat. Hg. K. Gündisch. Köln u. a. 2013; Kronstadt u. das Burzenland. Beiträge von Studium Transylvanicum zur Geschichte u. Kultur Siebenbürgens. Hg. B. Heigl. Kronstadt 2011; G.M.G. von Herrmann, Das alte Kronstadt. Eine siebenbürgische Stadt- u. Landesgeschichte bis 1800. Hgg. B. Heigl/Th. Şindilariu. Köln u. a. 2010; H. Zimmermann, Der Deutsche Orden im Burzenland. Eine diplomatische Untersuchung. ebd. 2000; K. Stephani, Zur Geschichte des Burzenlandes in Siebenbürgen. St. Katharinen 1996; M. Philippi, Die Bürger von Kronstadt im 14. u. 15. Jh. Köln u. a. 1986; Beiträge zur Geschichte von Kronstadt. Hg. P. Philippi. ebd. 1984; Das Burzenland. 3 Bde. Hg. E. Jekelius. Kronstadt 1928/29; Das sächsische Burzenland. Zur Honterusfeier. ebd. 1898; G.M.G. von Herrmann, Das Alte u. Neue Kronstadt. Ein Beitrag zur Geschichte Siebenbürgens im 18. Jh. Bearb. O. von Meltzl. 2 Bde. Hermannstadt 1883/1887. A. Sch.
Byzanz. 1. Begriff u. geogr. Lage; 2. Geschichte; 3. Institutionen; 4. Byzanz u. SOE. – 1. Begriff u. geogr. Lage. Mit dem Begriff B. wird seit der Renaissance ein Staatswesen belegt, das sich selbst im Bewusstsein ununterbrochener Kontinuität mit dem Imperium Romanum des Altertums als basileia tōn Rhōmaiōn (Kaiserreich der Römer) bezeichnete u. dessen Bewohner sich unabhängig von ihrer ethn. Herkunft als Rhōmaioi (Römer) verstanden. Nach der klassischen Definition von Ostrogorsky kann B. als Synthese aus röm. Staatswesen, gr. Kultur u. christl.-orth. Glauben aufgefasst werden. Die Synthese dieser Elemente vollzog sich im wesentlichen in den drei Jahrhunderten zw. der Erhebung →Konstantinopels zur östl. Kaiserresidenz durch Konstantin den Großen (11.5.330) u. der Regierungszeit des Herakleios (610–641), in der das Griechische das Latein als Amts- u. Kommandosprache endgültig verdrängte. Geogr. lag der Schwerpunkt des Reiches nach den durch die Expansion der Araber verursachten territ. Verlusten in einem Gebiet, das v. a. die Mitte u. den Süden der Balkanhalbinsel, die Ägäis u. Kleinasien umfasste u. pol.-adm., kirchl.-relig. u. kult. von der Kaiser- u. Patriarchenresidenz in →Konstantinopel dominiert wurde. 2. Geschichte. Die mehr als tausendjährige byz. Geschichte wird im allgemeinen in eine frühbyz. (330–610), eine mittelbyz. (610–1204) u. eine spätbyz. Phase (1204–1453) periodisiert. In frühbyz. Zeit kommt v. a. der Herrschaft Theodosius’ I. (379–395) Bedeutung zu, weil er durch das Edikt von Thessaloniki (28.2.380), das Konzil von Konstantinopel (381) u. das Verbot der heidnischen Kulte (392) entscheidend zur Ausbildung der christl. Orthodoxie als relig. Grundlage des Staates beigetragen u. durch die Reichsteilung (395) eine bis heute spürbare pol.-kult. Trennlinie markiert hat. Justinian I. (527–565) konnte durch seine Politik der Renovatio Imperii bis 554 zwar Nordafrika, Italien, Südspanien u. den Südosten der →Krim zurückgewinnen, überforderte aber damit die durch persische Angriffe an der Ostgrenze u. eine Pestepidemie (seit 541) stark geschwächte Kraft des Reiches. Zukunftsweisender waren seine Leistungen auf kult. (537 Vollendung der Hagia Sophia) u. auf rechtspol. Gebiet (Corpus Iuris Civilis, Digesten, Institutionen, Novellen) (→Rechtsgeschichte, Rechtskulturen). Justinians Nachfolger mussten sich auf den Kampf gegen die persischen Sassaniden u. die ins südl. der Donau gelegene Reichsgebiet vordringenden →Awaren u. Sla-
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ven (→Slav. Landnahme) konzentrieren. Der letzte persische Angriffskrieg (603–629) u. die kurz danach einsetzende arabische Invasion der Ostprovinzen (ab 633) zwangen B. zu einem mehr als 150 Jahre währenden Existenzkampf (Belagerungen von Konstantinopel 626, 674– 678 u. 717/718), der durch tiefgreifende Reformen des Staatsapparates (→Themen) u. durch den Einsatz des „Griechischen Feuers“ bestanden wurde. Nordafrika u. Mittelitalien gingen an Araber u. Langobarden verloren. Das Papsttum wandte sich nach 751 den Karolingern zu. Mit der Krönung Karls des Großen in Rom (25.12.800) entstand das Zwei-Kaiser-Problem, da jetzt auch der abendländ. Herrscher beanspruchte, der wahre röm. Ks. zu sein, was von B. niemals akzeptiert wurde. Nach dem Ende des →Bilderstreites (843) setzte unter den Kaisern der sog. Makedonischen Dynastie (867–1056) ein machtpol. u. kult. Aufschwung ein. Zwar verlor B. Sizilien bis 902 an die Araber u. befand sich auch auf dem →Balkan eher in der Defensive, aber seit 927, dem Jahr des Abschlusses eines über 30 Jahre währenden Friedens mit dem 1. →Bulgarischen Reich, eroberten byz. Heere weite Gebiete an der Ostgrenze zurück (934 Melitene, 961 Kreta, 965 Kilikien, 969 Antiocheia u. Nordsyrien, 1032 Edessa). Basileios II. vollendete in langjährigem Kampf (986–1018) gegen den bulg. Zaren Samuel die von Johannes I. Tzimiskes 971 begonnene Unterwerfung des gesamten Balkans unter byz. Herrschaft. Durch die Heirat seiner Schwester Anna mit dem Kiever Fürsten Vladimir (989) nahm →Russland den orth. Glauben an. Mit dem Tode Konstantins VIII. (14./15.11.1028) begann eine Phase pol. Instabilität, in der nur die beiden überlebenden Töchter Konstantins VIII., Zoē u. Theodōra, die dynastische Legitimität verkörperten (bis 1055). Durch die unter Konstantin IX. Monomachos (1042–1055) eskalierenden Einfälle der →Petschenegen, Uzen u. Seldschuken in die zentralen Reichsprovinzen auf dem Balkan bzw. in Kleinasien (Schlacht v. Mantzikert 1071) geriet B. milit. in die Defensive. Zahlreiche Aufstände, dynastische Kämpfe u. Usurpationsversuche verstärkten v. a. unter Michael VII. Dukas (1071–1078) die Destabilisierung des Reiches u. trugen maßgeblich zum Verlust Süditaliens an die Normannen (bis 1071) u. Kleinasiens an die Seldschuken (bis 1081) bei. Erst Alexios I. Komnenos (1081–1118) u. seinen Nachfolgern Johannes II. (1118–1143) u. Manuel I. (1143–1180) gelang die Etablierung einer dauerhaften Dynastie, da sie den Staatsapparat systematisch mit Verwandten besetzten (→Komnenen). Alexios I. wehrte Normannen u. Petschenegen ab, stellte die byz. Herrschaft in der Ägäis wieder her u. eroberte mit Hilfe der Kreuzfahrer Westkleinasien zurück, so dass seine Nachfolger eine in den Nahen Osten, nach Ungarn u. Italien ausgreifende imperiale Politik betreiben konnten. Aber das kirchliche →Schisma zw. Rom u. den östl. Patriarchaten (seit 1054; →Patriarch), der byz. Anspruch auf die Oberherrschaft über die Kreuzfahrerstaaten, der Konflikt mit den unteritalienischen Normannen, die Rivalität zw. Manuel I. u. Friedrich I. Barbarossa u. das Vordringen der it. Seerepubliken in den byz. Wirtschaftsraum belasteten das Verhältnis zum Westen, wo seit dem 2. Kreuzzug (1147–1149) Pläne zur Eroberung Konstantinopels umgingen. Nach 1180 leiteten dynastische Auseinandersetzungen eine Schwächung des Reiches ein, die zum Verlust von Teilen des Balkans u. Zyperns führte u. am 12.4.1204 Kreuzfahrern u. Venezianern die Eroberung Konstantinopels (→Kreuzzüge) u. die Aufteilung des byz. Reiches ermöglichte (→Lateinisches Kaiserreich; →Kaiserreich v. Nikäa; →Kaiserreich v. Trapezunt).
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Zwar gelang Michael VIII. (1259–1282), der die letzte byz. Kaiserdynastie der →Paläologen begründete, von Nikaia aus 1261 die Rückeroberung Konstantinopels, aber sowohl die fränk.-venez. Herrschaften im ägäisch-gr. Raum (→Lateinerherrschaft) als auch die nach 1204 entstandenen Rivalen Nikaias, →Epirus u. Trapezunt (unabh. Kaiserreich bis 1461) konnten sich behaupten. In der Regierungszeit Andronikos’ II. (1282–1328) ging der größte Teil Westkleinasiens bis 1300 an die türk. →Osmanen u. Mehmed Aydinoğlu verloren. Unter dem Enkel v. Michael VIII., Andronikos III. (1328–1341), der die Herrschaft erst nach einem Bürgerkrieg (1321–1328) hatte übernehmen können, scheiterte der letzte Versuch, Nordwestkleinasien gegen die Osmanen zu behaupten. Doch im ägäischen Raum u. in Nord- u. Mittelgriechenland operierten der Ks. u. der megas domestikos Johannes Kantakuzenos so erfolgreich (1333–1337 Rückgewinnung Thessaliens u. des Epirus), dass sich für B. zumindest eine Zukunft als führende Macht auf dem Balkan zu eröffnen schien. Der Tod dieses Kaisers u. der dadurch provozierte Kampf um die Regentschaft für den unmündigen Thronerben Johannes V. (1341–1391) löste einen weiteren Bürgerkrieg (1341–1347) aus, der den Untergang des Reiches einleitete. Bis zum Ende der 1360er Jahre ging der Großteil des Reichsgebietes an →Serben u. Osmanen (→Osm. Reich) verloren. Gelegentliche Militärhilfe aus dem Abendland, die freilich mit unpopulären Verhandlungen über eine Union zw. der byz. u. der abendländischen Kirche erkauft werden musste (1439 Union von Florenz; vgl. →Unierte), u. der Sieg der →Mongolen Timurs über Bayazid I. bei Angora/Ankara (28.7.1402) ermöglichten B. ein Überleben bis zum 29.5.1453, als die Artillerie Mehmeds II. die bis dahin unüberwindlichen Landmauern Konstantinopels zerstörte. 3. Institutionen. Als Nachahmer Gottes (mimētēs tu Theu) regierte ein in der Theorie absoluter u. nur Christus verantwortlicher Ks. (offiz. Titel: „[jeweiliger Name] en Christō tō theō pistos basileus tōn Rhomaiōn“) das Reich. Dieser stand zwar über den Gesetzen, sollte aber seine Macht im Rahmen derselben (ennomos archē) u. in Gerechtigkeit (dikaiosynē) u. Menschenliebe (philanthrōpia) zum Wohle der Untertanen (euergetēs) ausüben. Zwar konnte der Ks. auf die Administration, das Recht u. die Hierarchie der Kirche durch Einberufung von Synoden, Gesetzgebung u. die Ernennung des →Patriarchen von Konstantinopel (zeitweise auch der anderen Patriarchen sowie der Erzbischöfe von Zypern u. Bulgarien, →Ohrid) im Rahmen der orth. Tradition erheblichen Einfluss nehmen, doch scheiterte er, wenn er eigenmächtig das Dogma der Kirche zu bestimmen versuchte, so dass von Caesaropapismus in B. keine Rede sein kann (→Orthodoxie). Meist wurde das Kaisertum vom Vater auf den Sohn vererbt, bzw. ein Ks. ohne Nachkommen designierte seinen Nachfolger. Während in diesen Fällen die Beteiligung v. Senat, Heer u. Volk an der Regelung der Nachfolge eher zeremonieller Natur war, konnte außer dem Heer in Krisenzeiten auch der Senat in Zusammenwirken mit der Bev. von Konstantinopel maßgeblichen Einfluss auf die Kaiserwahl nehmen. Die Krönung erfolgte in mittelbyz. u. spätbyz. Zeit in der Hagia Sophia durch den Patriarchen von Konstantinopel. Eine komplizierte Hierarchie von Ehrentiteln (axiai dia brabeiōn), die z. T. auch von den Herrschern Bulgariens u. Serbiens übernommen wurde (z. B. despotēs [→Despoten], sebastokratōr, kaisar, magistros, prōtospatharios), regelte die Rangordnung am Kaiserhof u. diente der Auszeichnung von Verwandten, Gefolgsleuten u. Beamten (a. →Adel, SOE ohne Ungarn). Die wichtigsten Minister in mittelbyz. Zeit waren der logo-
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thetēs tu geniku, zuständig für die Steuern, u. der logothetēs tu dromu, dem das Straßensystem, die Post, der Geheimdienst u. die Betreuung fremder Gesandter unterstanden. Um die Versorgung des Heeres kümmerte sich der logothetēs tu stratiōtiku. Viele Kaiser bedienten sich zur Koordination u. Leitung der Verwaltung eines Vertrauten, der als paradynasteuōn oder mesazōn bezeichnet wurde. In der Provinzverwaltung ersetzten die →Themen bis zum Ende des 8. Jh.s die spätantiken Provinzen. Da die Strategen zu Usurpationen neigten, gewannen ab der Mitte des 8. Jh.s die in Konstantinopel u. Umgebung stationierten u. direkt dem Ks. unterstehenden tagmata an Bedeutung. Während die Dienstpflicht der Soldaten in den Themen ab dem 10. Jh. zunehmend fiskalisiert wurde, erkämpften primär die tagmata unter den beiden domestikoi tōn scholōn des Westens u. des Ostens die großen milit. Erfolge im 10. u. 11. Jh. Ab dem 11. Jh. bildeten Kontingente fremder Söldner (Waräger, Lateiner [vgl. →Levantiner], →Petschenegen, →Kumanen) das Rückgrat des byz. Heeres. 4. Byzanz u. SOE. Nach dem Tode Theodosius’ I. (17.1.395) kam der östl. der Drina gelegene Teil der Prätorianerpräfektur Illyricum mit den Diözesen Dacia u. Macedonia zum östl. Reichsteil unter Ks. Arcadius (395–408). Die seit der Regierungszeit Anastasios’ I. (491–518) einsetzenden slav. Einfälle in die byz. Balkanprovinzen gingen in der zweiten H. des 6. Jh.s in die regelrechte →Slav. Landnahme über. Seit den 80er Jahren standen die Slaven unter der Oberherrschaft der →Awaren, unter deren Führung sie 626 Konstantinopel vergeblich belagerten. Durch die Feldzüge Konstans’ II. u. Justinians II. gegen die zuvor enstandenen slav. Siedlungsgebiete (Sklavinien; →Südslaven; →Slav. Landnahme) zw. Konstantinopel u. Thessaloniki (658 u. 688/689) u. den Feldzug des Staurakios (783) bis in die →Peloponnes, durch die erfolgreiche Verteidigung von Patras gegen slav. Angreifer (805) u. die Befreiung Ragusas (→Dubrovnik) von arabischer Belagerung (867), v. a. aber durch die Schaffung der Themen Thrakien, Makedonien, Strymon, Thessalonike, Hellas, Peloponnes, Nikopolis, Dyrrhachion u. →Dalmatien konnte B. bis zur Mitte des 9. Jh.s die Küstengebiete u. einen Großteil des Hinterlandes wieder unter seine Kontrolle bringen. Ein gefährlicher Gegner erwuchs B. jedoch in den →Proto-Bulgaren, die sich unter Asparuch südl. der Donau festsetzten u. die dortigen Slaven unterwarfen (um 680). Zwar brachten die Feldzüge Konstantins V. (ab 756) Bulgarien in Bedrängnis, doch in den Kriegen von 789–792, 811–814, 894–896 u. 912–927 kämpften die Bulgaren erfolgreich u. vergrößerten ihr Staatsgebiet auf Kosten von B. (1. →Bulg. Reich). Aber zw. 971 u. 1018 konnte B. Bulgarien, das 864 das orth. Christentum übernommen hatte, sowie Serbien (→Serben) u. →Bosnien seiner direkten oder mindestens indirekten Herrschaft unterwerfen. Erst ab Ende 1185 machten die Brüder Peter u. Asen mit Hilfe von →Vlachen u. →Kumanen der byz. Herrschaft über Bulgarien ein Ende. Die Serben in →Raszien erlangten nach dem Tode Manuels I. (24.9.1180) unter Stefan Nemanja (→Nemanjiden) ihre Unabhängigkeit, die Isaak II. im Herbst 1190 anerkennen musste. Unter Kalojan (1197–1207) u. Ivan II. Asen (1218–1241) stieg Bulgarien infolge der Zersplitterung von B. nach der Eroberung Konstantinopels (1204) u. den Siegen von Adrianopel (1205) u. →Klokotnica (1230) zur Hegemonialmacht in SOE auf (2. →Bulg. Reich), verlor aber 1246 seine Eroberungen in Thrakien u. Makedonien an Johannes III. Vatatzes (1222–1254) u. war bis zur osm. Eroberung trotz einiger Grenzkriege keine Bedrohung mehr für B. Die Besetzung →Skopjes (1282) durch Kg. Stefan Uroš II. Milutin (1282–1321) leitete die Eroberung
Byzanz
byz. Gebiete durch die Serben ein, die ihren Höhepunkt unter Stefan IV. Dušan (1331–1355) erreichte (→Serb. Reich). Am 16.4.1346 ließ sich Dušan in Skopje zum Ks. der Serben u. Griechen krönen. 1347 u. 1348 konnte er zwar noch Epirus u. Thessalien erobern, aber das Fehlen einer Flotte hinderte ihn an der Einnahme Konstantinopels. Die Konfrontation zw. B. u. Stefan IV. Dušan nutzte langfristig nur den Osmanen, die 1352 auf der Halbinsel Gallipoli Fuß gefaßt hatten. Ihrem Vordringen fielen v. den ma. Staatsgebilden auf ehemals byz. Boden Bulgarien (1393), B. selbst (1453) u. Serbien (1459) zum Opfer. Als entscheidende Voraussetzung für die Ausbreitung des orth. Christentums u. der byz. Kultur in SOE erwies sich die Schaffung einer slav. Schriftsprache u. →Alphabete (Glagolica, Kyrillica) durch Konstantin-Kyrill, seinen Bruder Method (→Slavenapostel) u. ihre 885 nach Bulgarien emigrierten Schüler. Diese ermöglichte die Übersetzung biblischer, apokrypher, liturgischer, hagiographischer, kanonistischer u. theol. Werke der patristischen u. byz. Literatur ins Altkirchenslavische. Aus der profanen Literatur der Byzantiner rezipierten die Südslaven v. a. Welt-Chroniken (Johannes Malalas, Georgios Monachos, Konstantin Manasses), Florilegien (die Melissa-Pčela) u. den Physiologus. Im Bereich der Kunst orientierte sich Bulgarien stark an B. In Serbien folgte man dem byz. Vorbild in der Wand-, Buch- u. Ikonenmalerei. Dagegen waren Architektur u. Bauplastik bis zum Ende des 13. bzw. bis zur Mitte des 14. Jh.s stärker von abendländischen Vorbildern beeinflusst. Auch nach dem Untergang v. B. lebte das byzantin. Erbe in vielfältigen Formen fort, bes. ausgeprägt in den →Donaufürstentümern (Iorga: „Byzance après Byzance“). Annotierte Bibl.: W. Hörandner, Byzanz, in: HBK. Bd. I: Mittelalter, T. 1, 131–408; Byzantinische Zeitschrift 1 (1892). Lit.: M. Grünbart, Das Byzantinische Reich. Darmstadt 2014; From Rome to Byzantium AD 363 to 565. The Transformation of Ancient Rome. Hg. A.D. Lee. Edinburgh 2013; J. Herrin, Byzanz. Die erstaunliche Geschichte eines mittelalterlichen Imperiums. Stuttgart 2013; dies., Margins and Metropolis. Authority across the Byzantine Empire. Princeton 2013; D. Nicolle, Mantzikert 1071: The Breaking of Byzantium. Botley, Oxford 2013; J. Haldon, The Byzantine Wars. London 2013; R. D’Amato, Byzantine Imperial Guardsmen 925–1025. The Tághmata and Imperial Guard. New York 2012; F. Curta, The Edinburgh History of the Greeks, c. 500 to 1050. The Early Middle Ages. Edinburgh 2011; B. Moulet, Évêques, pouvoir et société à Byzance, VIIIe–XIe siècle. Territoires, communautés et individus dans la société provinciale byzantine. Paris 2011; P. Schreiner, Byzanz zwischen Systematisierung und Atomisierung. Zwei neue Handbücher aus England, HZ 292 (2011), 425–442; A.U. Sommer, Die Münzen des Byzantinischen Reiches 491–1453. Mit einem Anhang: Die Münzen des Kaiserreichs von Trapezunt. Regenstauf 2010; The Byzantine World. Hg. P. Stephenson. London u. a. 2010; T.E. Gregory, A History of Byzantium. Malden/MA 22010; Regesten der Kaiserurkunden des Oströmischen Reiches von 565–1453. Bearb. F. Dölger. Bd. 1 ff. München 22009 ff.; A Social History of Byzantium. Hg. J. Haldon. Malden/MA u. a. 2009; Byzantium to Turkey 1071–1453. Hg. K. Fleet. Cambridge u. a. 2009; P. Schreiner, Byzanz 565–1453. München 32008; The Cambridge History of the Byzantine Empire, c. 500–1492. Hg. J. Shepard. Cambridge u. a. 2008 (vgl. dazu die Rez. JÖB 60 [2010], 264–267 und HZ 292 [2011], 426–435); The Oxford Handbook of Byzantine Studies. Hgg. El. Jeffreys/J. Haldon/R. Cormack. Oxford,
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Byzanz
New York 2008 (vgl. dazu die Rez. HZ 292 [2011], 435–441); D. Angelov, Imperial Ideology and Political Thought in Byzantium, 1204–1328. Cambridge 2007; C. Hillenbrand, Turkish Myth and Muslim Symbol. The Battle of Mantzikert. Edinburgh 2007; The Expansion of Orthodox Europe. Byzantium, the Balkans and Russia. Hg. J. Shepard. Aldershot u. a. 2007 [Geschichte 1000–1500]; A. Laiou/C. Morrisson, The Byzantine Economy. Cambridge 2007; Economie et société à Byzance, VIIIe–XIIe siècle. Textes et documents. Hgg. S. Métivier/P. Pagès. Paris 2007; Chr.R. Kraus, Kleriker im späten Byzanz. Anagnosten, Hypodiakone, Diakone u. Priester 1261– 1453. Wiesbaden 2007; R.-J. Lilie, Einführung in die byzantinische Geschichte. Stuttgart 2007; Zwischen Polis, Provinz u. Peripherie. Beiträge zur byzantinischen Geschichte u. Kultur. Hgg. L.M. Hoffmann/A. Monchizadeh. Wiesbaden 2005; C. Holmes, Basil II and the Governance of Empire (976–1025). Oxford 2005; Le Monde byzantin. Hgg. C. Morrisson/J.-C. Cheynet/A. Laiou. 3 Bde. Paris 2004–2011; R.-J. Lilie, Byzanz. Das zweite Rom. Berlin 2003; J.J. Norwich, Byzanz. Aufstieg u. Fall eines Weltreiches. Berlin, München 2002; P. Stephenson, Byzantium’s Balkan Frontier: A Political Study of the Northern Balkans, 900–1204. Cambridge 2000; J.F. Haldon, Warfare, State and Society in the Byzantine World, 565–1204. London 1999; Byzanz u. seine Nachbarn. Hg. A. Hohlweg. München 1996; Die Byzantiner u. ihre Nachbarn. Die De administrando imperio genannte Lehrschrift des Kaisers Konstantinos Porphyrogennetos für seinen Sohn Romanos. Übers., Hgg. K. Belke/P. Soustal. Wien 1995; E. Trapp/Mitarb. W. Hörandner, Lexikon zur byzantinischen Gräzität. (Besonders des 9.–12. Jh.s). Bd.1, Fasz.1. Wien 1994 ff.; H.-G. Beck, Das byzantinische Jahrtausend. München 21994; A.E. Laiou, Mariage, amour et parenté à Byzance aux XIe–XIIIe siècles. Paris 1992; J. Beaucamp, Le statut de la femme à Byzance, 4e–7e siècle. 2 Bde. Paris 1990, 1992; A. Ducellier, Byzanz. Das Reich u. die Stadt. Frankfurt/M. u. a. 1990; A. Harvey, Economic Expansion in the Byzantine Empire, 900–1200. Cambridge 1989; G. Weiss, Byzanz. Kritischer Forschungs- u. Literaturbericht 1968–1985. München 1986; Byzance et le monde orthodoxe. Hg. A. Ducellier. Paris 1986; J. Koder, Der Lebensraum der Byzantiner. Graz u. a. 1984; J. Karayannopulos/G. Weiss, Quellenkunde zur Geschichte von Byzanz (324–1453). Wiesbaden 1982; H.-G. Beck, Geschichte der orthodoxen Kirche im byz. Reich. Göttingen 1980; ders., Kirche u. theologische Literatur im byz. Reich. München 1959 (²1977); F. Dölger, Byzanz u. die europäische Staatenwelt. Darmstadt 31976; Das byzantinische Herrscherbild. Hg. H. Hunger. Darmstadt 1975; I. Dujčev, Medioevo Bizantino-Slavo. 3 Bde. Roma 1965–1971; D. Obolensky, The Byzantine Commonwealth. Eastern Europe, 500–1453. London 1971; W. Ohnsorge, Abendland u. Byzanz. Gesammelte Aufsätze zur Geschichte der byzantinisch-abendländischen Beziehungen u. des Kaisertums. Darmstadt 1958 (Ndr. 1979); O. Treitinger, Die oströmische Kaiser- u. Reichsidee. Nach ihrer Gestaltung im höfischen Zeremoniell. Darmstadt 1956; J. Burckhardt, Die Zeit Constantins des Grossen. Wien [ca 1950]; G. Ostrogorsky, Geschichte des byz. Staates. München 1940 (³1963); N. Iorga, Byzance après Byzance. Continuation de l’Histoire de la vie byzantine. Bucarest 1935 (engl. Byzantium after Byzantium. Iaşi 2000). K.-P. T.
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Calviner
Calviner (Reformierte, im Bereich der ehem. Habsburgermonarchie a.: Angehörige der ev. Kirche helvetischen Bekenntnisses [H.B.]). Schon bevor es zur Vereinigung der verschiedenen Strömungen der Schweizer →Reformation kam, hatte Johannes Calvin (1509–1564) Kontakte in andere Länder aufgenommen. In Frankreich u. England im W, Ungarn u. Polen im O sind die Korrespondenzpartner seiner Briefe gewesen. Der Einfluss war seit 1550 so groß, dass sich relativ bald ein erheblicher Teil der reformatorisch Gesinnten vom Luthertum (→Lutheraner) abwendete, auch wenn z. T. erst relativ spät eine wirkliche Trennung erfolgte. Gleichzeitig kam es zu einem Aufblühen v. verschiedenen Sondergruppierungen (Socinianer/→Unitarier). In →Siebenbürgen u. Ungarn ist rasch ein erheblicher Teil der Adeligen (→Adel, Ungarn) reformiert geworden u. geblieben. Die pol. Situation in diesen Ländern hat dazu geführt, dass sich das reformierte Bekenntnis mit pol. Freiheiten u. Handlungsweisen verband. Nicht zuletzt waren es staatsrechtliche Überzeugungen, die mit theol. Vorstellungen (Bundesgedanke) eine Partnerschaft eingingen u. das grundsätzliche Rüstzeug für die Auseinandersetzung dieses Adels mit dem habsb.-kath. Zentralismus in Wien bot (→Habsburgermonarchie; Gegenreformation), die sich in wechselnden Formen bis weit ins 19. Jh. hinein fortsetzte („Septemberpatent“ v. 1859). Da die Grundherren in Ungarn 1608 bzw. 1645/47 das ius reformandi erlangt hatten, befand sich das reformierte Kirchenwesen in starker Abhängigkeit v. ihnen. Die agrarisch-feudalen Verhältnisse mit ihren großen ges. u. bildungsmäßigen Unterschieden (→Feudalismus, Ungarn) führten zur Ausbildung einer eigenartigen, nicht unbedingt calv. Kirchenorganisation, wobei der Macht der domini terrestres ein selbstbewusster u. autoritärer Pfarrerstand gegenüberstand. Es gelang in Ungarn, eine weitgehende Identifikation zw. nationaler u. konf.-reformierter Identität zu erreichen, die die Position der Kirche bis ins 20. Jh. hinein auf weite Strecken bestimmte. Das hinderte zugleich zu einem erheblichen Teil den Anschluss anderer Nationalitäten an den C., wenngleich es – v. a. in Abhängigkeitsverhältnissen – auch dazu gekommen ist. Der Friede v. →Trianon zerschnitt dieses Kirchenwesen, das erst 1881 eine neue Verfassung erhalten hatte; große Teile mussten sich in der Tschechoslowakei u. in Rumänien neu organisieren, was mit erheblichen Schwierigkeiten erst lange nach der Abtrennung gelang. Anders als bei den Lutheranern bedeutete hingegen das Ende des 2. Wk.s (→Zwangsmigration) keine derartigen Erschütterungen für den soe. Calvinismus. Lediglich kleine Teile wurden unmittelbar betroffen. Insges. war in den Jahrzehnten danach die Lösung aus den alten ges. Bindungen wichtig, wenngleich sich in den Kirchen in der →Slowakei u. in →Rumänien die nationalen Bindungen nach wie vor als bedeutsam erwiesen. Dort leben etwa 800.000, fast ausschließlich ung. Reformierte, in der Slowakei sind es etwa 64.000 Ungarn u. 9.000 Slowaken. In Ungarn leben etwa 1,6 Mio. Reformierte (C. u. Mitglieder der Ung. Reformierten Kirche). Zentren sind in Ungarn Debrecen (das mit seinem reformierten Kollegium zeitweilig als „calvinistisches Rom“ bezeichnet wurde), Sarospáták, Budapest, wo auch theol. Fakultäten bestehen, in Siebenbürgen Klausenburg (Cluj-Napoca/Kolozsvár), mit ebenfalls einer Fakultät, sowie Straßburg am Mieresch (Aiud, Nagyenyed) mit einem reformierten Kollegium. Die hist. Eigenart ist z. T. bis in die Gegenwart erhalten geblieben, gibt es doch (seit 1885)
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Calviner / Çamen
Bischöfe als leitende Geistliche, die innerhalb des synodalen Systems eine starke Position haben. Lit.: Calvin u. Reformiertentum in Ungarn u. Siebenbürgen. Helvetisches Bekenntnis, Ethnie u. Politik vom 16. Jh. bis 1918. Hgg. M. Fata/A. Schindling. Münster 2010; I. Keul, Early Modern Religious Communities in East-Central Europe. Ethnic Diversity, Denominational Plurality, and Corporative Politics in the Principality of Transylvania (1526–1691). Leiden 2009; G. Murdock, Calvinism on the Frontier, 1600–1660: International Calvinism and the Reformed Church in Hungary and Transylvania. Oxford u. a. 2000; Evangelisches Kirchenlexikon3. 5 Bde. Göttingen 1985–1997 (Länderartikel); R.J.W. Evans, Calvinism in East Central Europe: Hungary and Her Neighbours, in: International Calvinism, 1541–1715. Hg. M. Prestwich. Oxford 1985, 167–197; B. Geissler/G. Stoekl, In oriente crux. Versuch e. Geschichte der reformatorischen Kirchen im Raum zw. Ostsee u. dem Schwarzen Meer. Stuttgart 1963. G. R.
Çamen. Im allg. u. sprachwiss. Sinne Sprecher des südlichsten alb. Dialekts innerhalb des geschlossenen alb. Sprachgebiets, in einem schmalen Küstengebiet beiderseits der 1912/13 im Gefolge der →Balkankriege etablierten alb.-gr. Grenze in →Epirus. Die (Eigen-)Bez. Ç. (gr. Entsprechung: Tsamides) bezieht sich dagegen meist nur auf die mit der Grenzziehung entstandene alb.sprachige Minderheit auf gr. Staatsgebiet u. wird bes. griechischerseits gewöhnlich nur für die musl. Ç. u. nicht auch für die orthodoxen (vgl. →Sulioten) verwendet. Obwohl offiziell v. gr.-türk. Bevölkerungsaustausch (→Lausanne) ausgenommen, waren diese Muslime schon in der Zwischenkriegszeit erheblichem agrar- u. ethnopol. motivierten Verdrängungsdruck des gr. Staates ausgesetzt (vgl. →Bodenreformen). Unter dem Vorwurf kollektiver Kollaboration mit den it. bzw. dt. Besatzungstruppen u. mit der v. diesen ab 1941 installierten örtl. alb. Zivilverwaltung im 2. →Wk. wurden die verbliebenen ca. 20.000 musl. Albaner 1944 von gr. Truppen kollektiv nach Albanien vertrieben. Heute behaupten Interessenvertreter dieser sich nach 1990 in Albanien verbandsmäßig u. (in der Partia Drejtësi Integrim Unitet, PDIU) parteipolit. organisierenden Gruppe die Existenz v. ca. 200.000 Vertriebenen bzw. deren Nachkommen in Albanien u. versuchen bislang erfolglos beim gr. Staat eine Eigentumsrückgabe oder Entschädigung zu erlangen. Innerhalb des nationalist. Geschichtsbildes in Albanien kommt den Ç. bzw. dem einst von ihnen besiedelten Gebiet („Çamëria“) hohe symbolische Bedeutung zu, oft verbunden mit der fälschlichen Annahme, der Großteil des heute gr. Epirus sei bis 1944 albanischsprachig gewesen.
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Lit.: The Cham Albanians of Greece. A Documentary History. Hgg. R. Elsie/B. Destani. London, New York 2013; J. Pettifer, Woodhouse, Zerva dhe Çamët. Woodhouse, Zervas and the Chams. Tirana 2010; G. Kretsi, Verfolgung u. Gedächtnis in Albanien. Eine Analyse postsozialistischer Erinnerungsstrategien. Wiesbaden 2007 [mit Schwerpunkt auf der Flüchtlingsgemeinde]; L. Culaj, Shqipëria dhe çështja e Çamërisë, 1912–1939. Prishtinë 2006; M. Vickers, The Cham Issue. Albanian National and Property Claims in Greece, SOE 51 (2002), 228–249; G. Kretsi, Austauschbar – nicht austauschbar. Albanophone Muslime (Çamen) u. andere Grenzbevölkerun-
Čaršija
gen des Epirus der Zwischenkriegszeit im Kräftefeld zwischen ethnischer Identitätskonstruktion u. Entmischungspolitik, Jahrbücher für Geschichte u. Kultur Südosteuropas 4 (2002), 205–231; Dokumente për Çamërinë, 1912–1939. Hg. K. Naska. Tiranë 1999; D. Michalopoulos, The Moslems of Chamuria and the Exchange of Populations Between Greece and Turkey, Balkan Studies 27 (1986), 303–313. K. C.
Čaršija (bosn., serb., kroat, v. türk. çarşı „Markt“). Der wirt. Mittelpunkt der orientalisch-isl. Stadt einschließlich ihres Umlandes, ohne jede Wohnfunktion (→Stadt, Stadttypen: osm.). Synonyme wie arab. sūq u. pers. bāzār/pāzār bezeichnen darüber hinaus den außerhalb der Stadt stattfindenden periodischen Markt panayır „Messe“. – Die Č. ist nach einem bestimmten räumlichen Schema gegliedert; besonders charakteristisch ist die Sortierung v. Handwerk u. Gewerbe nach Branchen (vgl. →Esnaf ). Einzel-, Fern- u. Außenhandel werden über die vollentwickelte Č. ebenso abgewickelt wie private u. öffentliche Dienstleistungen sowie das regionale u. überregionale Finanz- u. Kreditwesen. Die Č. ist Nachrichtenbörse u. als öffentliche Sphäre mit Konak, Gerichtsgebäude usw. relig. u. pol. bedeutsamer Standort (vgl. →Kadi, Moschee, →Medrese, →Hamam). Ihm stehen die Wohnquartiere (mahalle) der Stadt als nicht-öffentlicher Bereich gegenüber. – Die Bausubstanz der Č. als Marktareal im engeren Sinne dient ausschließlich wirt. Zwecken. Sie wird ganz überwiegend v. →Vakufs unterhalten. Eine zentrale Rolle spielen hier der die Karawanserei bzw. die Herberge (türk. han), wo die Fernkaufleute ihre Packtiere (im Erdgeschoss) unterstellen u. im Obergeschoss übernachten können, sowie der Bedesten (südslav. Bezisten/Bezistan), ein überdachtes, abschließbares, hallen- oder straßenförmig angelegtes Gebäude zur Aufbewahrung hochwertiger Waren, persönlichen Besitzes u. selbst v. Urkunden. Das Vorhandensein bzw. die Größe des Bedesten entschied vielfach über den Rang einer Stadt. Sarajevo z. B. besaß zwei große B.s (Brusa Bezistan u. Husrev-beg Bezistan). Im sog. Kapalı Çarşı v. Istanbul sind heute auf einer Fläche v. über 30 ha ca. 3.000 Läden, zwei Bedestens u. 13 Herbergen zu einem Ganzen verbunden. Lit.: S. Gerasimova-Mateska, Čaršijata vo arhitektonsko-urbanistička struktura na gradovite vo Republika Makedonska. Skopje 2009; K. Kreiser, Bedesten-Bauten im Osmanischen Reich. Ein vorläufiger Überblick aufgrund der Schriftquellen, in: ders., Istanbul u. das Osmanische Reich. Istanbul 1995, 61–96 (mit Überblickskarte); S. Faroqhi, Peasants, Dervishes and Traders in the Ottoman Empire. London 1986; dies., Towns and Townsmen of Ottoman Anatolia, 1520–1650. Cambridge 1984; N. Todorov, The Balkan City, 1400–1900. Seattle u. a. 1983; Ç. Gülersoy, Story of the Grand Bazar. Istanbul 1980; H. İnalcık, The Hub of the City: The Bedestan of Istanbul, International Journal of Turkish Studies 1 (1980), 1–17 (Ndr. in ders., Studies in Ottoman Social and Economic History. London 1985); M. Scharabi, Der Bazar: das traditionelle Stadtzentrum im Nahen Osten u. seine Handelseinrichtungen. Tübingen 1985; W. Müller-Wiener, Der Bazar von Izmir: Studien zur Geschichte u. Gestalt des Wirtschaftszentrums einer ägäischen Handelmetropole, Mitteilungen der Fränkischen Geographischen Gesellschaft 27/28 (1980/81), 420–454; H. İnalcık, Capital Formation in the Ottoman Empire, The Journal of Economic History 29 (1969),
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Cetinje
97–140; R. Mantran, Istanbul dans la seconde moitié du XVIIe siècle. Essay d’histoire institutionelle, économique et sociale. Istanbul u. a. 1963; H. Kreševljaković, Naši bezistani, Naše starine 2 (1954), 233–244 ; Ders., Sarajevska čaršija, njeni esnafi i obrti za osmanlijske uprave, Narodna starina 6/14 (1927), 15–58. M. U.
Cetinje. Hist. Hauptstadt von Montenegro, 16.657 E (2011). C. wurde 1440 als Besitzung der →Crnojevići erstmals erwähnt. 1484 ließ Ivan Crnojević dort ein Kloster errichten, das 1485 Sitz des Metropoliten der →Zeta wurde. Zur gleichen Zeit verlegte auch Ivan Crnojević seine Residenz von Obod (Rijeka Crnojevića) nach C., das damit geistliches u. weltliches Zentrum der Oberen Zeta wurde, für die sich damals bereits die Bezeichnung Montenegro durchzusetzen begann. Unter Ivans Sohn u. Nachfolger Djuradj wurde das Kloster C. Sitz einer Druckerei, die 1494 von Obod nach dort verlegt wurde. Die kurze Rolle als Hauptstadt endete 1499, als die Osmanen das Land endgültig in Besitz nahmen. Das Kloster C. behielt allerdings seine Rolle als Zentrum der mont. Gebiete die ganze Osmanenzeit hindurch bei. Dort fand regelmäßig am „Petrovdan“ (Peter u. Paul, 29. Juni) der „Opštecrnogorski zbor“, die mont. Stammesversammlung, statt, zu deren Aufgaben auch die Wahl des Metropoliten gehörte. C. war auch Sammelpunkt der mont. Kämpfer bei milit. Auseinandersetzungen u. hatte deswegen 1685, 1692 (Zerstörung der Klostergründung v. Ivan Crnojević), 1712, 1714 u. 1785 unter osm. Strafexpeditionen zu leiden. Eine neue Phase in der Entwicklung von C. begann, als 1697 Danilo zum Metropoliten gewählt wurde. Danilo u. seine Nachfolger, die fast alle der Familie →Petrović Njegoš angehörten, begannen planmäßig die Staatswerdung Montenegros zu fördern. C. wurde Sitz von Zentralbehörden – 1713 eines Bischofshofes, 1803 der ersten mont. Regierung. Seit 1833 gab es in C. wieder eine Druckerei; 1834 wurde dort die erste mont. Grundschule eröffnet u. 1869 eine Mittelschule eingerichtet. All das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass C. noch lange seinen dörflichen Charakter behielt. 1860 zählte es außer dem Kloster u. dem Bischofspalast („Biljarda“) insges. 34 Häuser. Die Entwicklung zur Kleinstadt erfolgte erst nach der völkerrechtlichen Anerkennung Montenegros durch den →Berliner Kongress 1878. Die europ. Mächte errichteten in C. ihre diplomatischen Vertretungen; öffentliche Gebäude (Theater 1884, neues Schloss 1894–95, Ministerien) u. Parkanlagen entstanden. 1910 wurden elektrische Beleuchtung u. Kanalisation eingeführt. Vor dem 1. Wk zählte die Residenzstadt 5.300 E. In der Zwischenkriegszeit war C. Hauptort der jug. Banschaft Zeta (Zetska banovina). 1946 wurde es als mont. Hauptstadt durch →Podgorica (Titograd) ersetzt, blieb aber Sitz einiger zentraler kultureller Institutionen (u. a. Staatsarchiv u. Nationalbibliothek).
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Lit.: B.Dj. Milić, Urbano nasledje Crne Gore sa posebnim osvrtom na razvoj Cetinja. Beograd 2013; G. Radović, Arhitektura Cetinja. Od XV vijeka do drugog svjetskog rata. Podgorica 2012; D. Agičić, Cetinje als Hauptstadt Montenegros, in: Hauptstädte in Südosteuropa. Geschichte – Funktion – Nationale Symbolkraft. Hg. H. Heppner. Wien u. a. 1994, 171–183; D.J. Martinović, Cetinje, in: Crna Gora. Hg. M. Maletić. Beograd 1976, 971–988; B.D. Mihailović, Cetinjski manastir. Cetinje 1965; B. Živković/B. Radonjić, Cetinje u. das montenegrinische Küstenland.
Četnici
Beograd 1955; L. Popović, Cetinje. Istorijski pregled, in: Cetinje i Crna Gora. Hg. D. Vulović. Beograd 1927, 17–32. P. B.
Četnici (serbokroat., bulg. „Mitglieder einer četa = Freischar“; dt. a. Tschetniks). Die Č. waren irreguläre (unbesoldete) Kämpfer. Das slav. Wort „četa“ taucht bereits in osm. Quellen der FNZ auf (türk. çete) im Sinne v. Freikorps, Räuberbande. Seit der zweiten H. des 19. Jh.s bezeichnet er v. a. christl. Freischärler, die im mak. u. bulg. Raum gegen die osm. Herrschaft einen Kleinkrieg führten. Ihre gr. Entsprechungen wurden – ebenfalls bis ins 20. Jh. – als „Andarten“ (sg. Andartis, gr. Αντάρτης) bezeichnet. Die Č. organisierten sich in Kleingruppen unter Führung eines →„Vojvoden“, überfielen die Repräsentanten der osm./türk. Macht, organisierten Aufstände unter der christl. Bev. u. unternahmen Beutezüge. Frühformen finden sich im mont. Raum seit dem ausgehenden 17. Jh. Besonders aktiv waren bulg., gr. u. serb. Freischärler während der →„Orientalischen Krise“ 1875–1878. Nach dem →Berliner Kongress konzentrierten sich die Č. in erster Linie auf Makedonien (→Makedonische Frage, →IMRO, →Komitadschi), wo es vor u. während der →Balkankriege zu intensiven Č.-Aktivitäten kam. Infolge divergierender nationaler Zielsetzungen gerieten serb., bulg., mak. u. gr. Freischärler immer mehr in erbitterte Gegnerschaft. Im 1.→Weltkrieg beteiligten sich serb. Č. am Kampf gegen die Mittelmächte. In der Zwischenkriegszeit unterhielten die Č. sowohl im ersten jug. Staat wie in Bulgarien eigene Organisationen zur Pflege ihrer Tradition. 1938 waren in Jugoslawien rd. 1.000 Č.-Vereinigungen mit ca. 50.000 Mitgliedern registriert. Nach der Zerschlagung →Jugoslawiens im April 1941 (→Weltkrieg, Zweiter) schlossen sich mehr u. mehr Serben den neu auflebenden Četnikverbänden in der Ravna gora (im westserb. Mittelgebirge) unter Oberst Draža Mihailović an, der seinerseits von der jug. Exilregierung in London u. den Alliierten als Führer des Widerstands im Lande anerkannt wurde. Die Četnik-Bewegung war allerdings alles andere als homogen. Einige Gruppen kämpften um ihr bloßes Überleben, andere führten einen Vergeltungs- u. Beutekrieg auf eigene Faust, u. wieder andere betrachteten sich als Teil des v. den Alliierten anerkannten Widerstands. In einer Instruktion des „Kommandos der Četnik-Verbände der Jugoslawischen Armee“ vom 20.12.1941 (v. den Verteidigern der Č. – u. a. von M. Samardžić – als Fälschung bezeichnet) heißt es über die Ziele der Bewegung: „Schaffung eines großen Jugoslawien u. in ihm eines ethn. reinen Großserbien in den Grenzen Serbiens (einschließlich des Kosovo-Gebiets u. Makedoniens), Montenegros, Bosnien-Herzegowinas, Syrmiens, des Banats u. der Batschka.“ In anderen Četnik-Dokumenten war darüber hinaus eine Angliederung von Teilen Kroatiens, Slawoniens u. Dalmatiens sowie von Teilen Albaniens an Großserbien vorgesehen. Alle Gebiete, in denen Serben lebten, sollten künftig zu Serbien gehören; u. dieses Großserbien sollte – mittels Umsiedlung oder Vertreibung nichtserb. Bevölkerungsgruppen (gedacht wurde an rd. 2,7 Mio. Menschen) – ethn. „gesäubert“ werden (→ethnische Säuberung). In den Grundzügen deckt sich der Inhalt dieser Instruktion mit der Denkschrift „Velika Srbija“ (Großserbien), die Stevan Moljević, Mitglied des Zentralen Komitees der Četnikverbände Ende Juni 1941 formuliert hatte. Die Č. kämpften anfänglich sowohl gegen die
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Četnici
Besatzungsmächte wie gegen die →Ustaše u. die komm. →Partisanen (→Bürgerkrieg [Jugoslawien]). Der Versuch, die Č. u. die Tito-Bewegung im Herbst 1941 zu einer gemeinsamen Widerstandsfront zu vereinen, scheiterte an den unvereinbaren nationalen, ideologischen u. taktisch/strategischen Gegensätzen. Zwischen der großserb.-restaurativen Zielsetzung der Č. u. der jug.-komm. Zielsetzung der Tito-Bewegung gab es ebensowenig einen Kompromiss wie zw. der „Defensivtaktik“ Mihailovićs (zum Schutz serb. Lebens vor den Vergeltungsmaßnahmen der Besatzungsmächte) u. der bedingungslosen „Offensivtaktik“ Titos. Und je mehr die Tito-Bewegung durch ihre pausenlosen Aktionen die Besatzungsmächte reizte, desto bedrohlicher erschien Mihailović die Gefahr für die serb. Nation u. desto vordringlicher wurde der Kampf gegen den inneren Gegner. Nachdem die Alliierten im Herbst 1943 beschlossen hatten, Mihailović infolge seiner Passivität fallenzulassen u. künftig Tito zu unterstützen, suchten die Č. immer häufiger die Kooperation mit der dt. Besatzungsmacht (als dem „kleineren Übel“). Der Kampf gegen die Partisanen u. die nationalistischen Exzesse gegenüber →bosn. Muslimen u. Kroaten diskreditierten die Č. als Widerstandsbewegung. Gegen Kriegsende liefen viele Č. zur „Volksbefreiungsbewegung“ über. Nach dem Krieg wurde Mihailović vor ein jug. Militärgericht gestellt u. als „Verräter u. Kriegsverbrecher“ am 17.7.1946 hingerichtet. In der Historiographie des titoistischen Jugoslawien wurden die Č. zw. 1945 u. 1985 fast ausnahmslos unter den Begriffen „Kollaboration u. Kriegsverbrechen“ abgehandelt u. in eine Reihe mit den Ustaše oder der von der dt. Besatzungsmacht in Serbien eingesetzten Administration des Generals Milan Nedić gerückt. Erst in der zweiten H. der 80er Jahre zeichnete sich eine schrittweise Umbewertung u. Rehabilitierung der Č. in der serb. Geschichtsschreibung u. Publizistik ab. Radikal-nationalistische Strömungen unter den Serben im auseinanderbrechenden Jugoslawien seit Anfang der 1990er Jahre sahen sich z.T. in direkter Nachfolge der Č. Zeitweilig entfaltete sich ein regelrechter Č.- u. Ravna gora-Kult.
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Quellen u. Lit. (a. →Bürgerkrieg [Jugoslawien]): M. Samardžić, Draža i opšta istorija četničkog pokreta. 15 Bde. Beograd 2005–2010; K. Nikolić, Italijanska vojska i četnici u Drugom svetskom ratu u Jugoslaviji: 1941–1943. ebd. 2009; T. Dulić, Utopias of Nation. Local Mass Killing in Bosnia and Herzegovina, 1941–1942. Uppsala 2005; J. Radovanović, Dragoljub Draža Mihailović u ogledu istorijskih dokumenata. Beograd 22004; K. Nikolić, Istorija ravnogorskog pokreta. 3 Bde. ebd. 1999; S. Trew, Britain, Mihailović and the Chetniks, 1941–42. Houndmills, New York 1998; F. Jelić-Butić, Četnici u Hrvatskoj 1941–1945. Zagreb 1986; M. Lees, The Rape of Serbia. San Diego/Ca. 1990; L. Karchmar, Draža Mihailović and the Rise of the Chetnik Movement, 1941– 1942. 2 Bde. New York u. a. 1987, M. Minić, Četnici i njihova uloga u vreme NOB 1941–1945. Beograd 1987; N. Milovanović, Draža Mihailović. Zagreb 1985; Zbornik dokumenata i podataka o narodnooslobodilačkom ratu naroda i narodnosti Jugoslavije. Bd. XVI, Tbd. 1: Četnička dokumentacija. Beograd 1981; J. Marjanović, Draža Mihailović. Izmedju Britanaca i Nemaca. Bd. 1: Britanski štićenik. Zagreb u. a. 1979; Patriot or Traitor: The Case of General Mihailovich. Proceedings and Report of the Commission for Inquiry of the Committee for a Fair Trial for D. Mihailovich. Hg. M. David. Stanford/CA 1978; J. Tomasevich, War and Revolution in Yugoslavia, 1941– 1945. The Chetniks. ebd. 1975; W.R. Roberts, Tito, Mihailović and the Allies, 1941–1945. New Brunswick/NJ 1973; Dokumenti o izdajstvu D. Mihailovića. Beograd 1945; J. Hadži Vasiljević,
Chazaren
Četnička akcija u Staroj Srbiji i Makedoniji. ebd. 1928; M. Škarić, Četnici i dobrovoljci u ratovima za oslobodjenje i ujedinjenje. Novi Sad 1925. H. S.
Chazaren (von türk.: q‘azar „Nomade, Flüchtling“). Turkvolk von →Reiternomaden, das im 5./6. Jh. zum Reich der Hephthaliten in Zentralasien gehörte. Nach dessen Zerfall wandten sich die Ch. nach W u. suchten Zuflucht im nördl. Dagestan, wo sie an die Spitze eines Bündnisses von alan. u. türk. Verbänden traten. Seit 567 unter der Herrschaft des Westtürk. Reiches, errangen sie um 630 ihre Unabhängigkeit, die der Ch.-fürst, der vermutlich aus der türk. Ašjina-Dynastie stammte, durch die Annahme des Khagan-Titels unterstrich. Die Ch. förderten ihren pol. Aufstieg durch einen ersten Sieg über die 653 nach N vordringenden Araber u. übernahmen nach dem Ende des 1. →bulg. Reiches 642 dessen Vormachtstellung im nordpont. Steppenraum (am Nordufer des Schwarzen Meeres). Hist. äußerst bedeutsam sollte sich das Bündnis auswirken, das →Byzanz u. die Ch. zur Abwehr der arab. Expansionsbestrebungen schlossen u. durch mehrere dynast. Ehen (die Verbindungen Justinians II. u. Konstantins V. mit chazar. Prinzessinnen) zu festigen suchten. Den größten Erfolg verzeichnete diese Politik mit dem glänzenden Sieg, den die Ch. im Dez. 730 bei Ardab‘il über die Araber errangen. Zwar gelang es dem arab. Feldherrn Marwān, in einem Gegenangriff 737 die Ch. zu schlagen u. ihren Khagan zur Annahme des Islam zu nötigen, doch schuf der Dynastiewechsel, von den Omaijaden zu den Abbasiden, der um 750 im Kalifat eintrat, Voraussetzungen für eine beiderseitige Annäherung. Ein reger Handelsverkehr setzte ein, der die Einfuhr von arab. Silbermünzen, Luxusartikeln, Waffen u. Gewürzen im Austausch gegen nord. Pelze, Sklaven, Bernstein, Honig u. Wachs ermöglichte. In das 9. u. 10. Jh. fiel aber auch die Blütezeit des west-östl. Transithandels, der Spanien, Byzanz u. die Rus‘ über das Chazarenreich mit Transoxanien u. China verband u. den Ch. die Möglichkeit bot, den Zehnten von allen Transitwaren zu erheben. Außenpolitisch gewannen der Khagan u. die chazar. Oberschicht durch ihren – zeitlich umstrittenen, aber wahrscheinlich um 800 erfolgten – Übertritt zum jüd. Glauben, Spielraum gegenüber den christl. u. musl. Nachbarreichen. Vier Jahrhunderte lang hatten die Ch. die Invasionen der Steppennomaden erfolgreich abgewehrt. Weniger gewachsen zeigten sie sich gegenüber den Raubzügen der Rus‘. Das Schicksal des Ch.reiches war daher besiegelt, als Großfürst Svjatoslav von Kiev im Bündnis mit den →Petschenegen 965 die chazar. Hauptstadt Atil eroberte. Lit.: B. Živkov, Chazarija prez IX i X vek. Sofija 2010; B.B. Irmuchanov, Chazary i kazachi. Svjaz’ vremen i narodov. Almaty 2003; F. Wozniak, Byzantium, the Pechenegs, and the Khazars in the Tenth Century: The Limitations of a Great Power’s Influence on Its Clients, AEMA 4 (1984), 299–316; Gy. Moravcsik, Byzantinoturcica. 2 Bde. Berlin 31983; N. Golb/O. Pritsak, Khazarian Hebrew Documents of the Tenth Century. Ithaca 1982; D. Ludwig, Gesellschaft des Chazarenreiches im Licht der schriftl. Quellen. Münster/W. 1982; P.B. Golden, Khazar Studies. 2 Bde. Budapest 1980; A. Pletnjowa, Die Chasaren. Wien 1979; K. Dąbrowski u. a., Hunowie europejscy, Protobułgarzy, Chazarowie, Pieczyngowie. Wrocław u. a. 1975; M.I. Artamonov, Istorija chazar.
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Chişinău
Leningrad 1962; K. Czeglédy, Bemerkungen zur Geschichte der Chazaren, Acta Orientalia Academiae Scientiarum Hungaricae 13 (1961), 239–51; D.M. Dunlop, The History of the Jewish Khazars. Princeton 1954; A. Zajączkowski, Ze studiów nad zagadnieniem chazarskim. Kraków u. a. 1947. H. G.
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Chişinău (russ. Kišinëv, daher in dt. Schreibung lange üblich Kischinjow, älter a. Kischinew). Hauptstadt der Republik →Moldau. Nach der Volkszählung v. 2004 lebten in der Stadt 589.446 E, davon 64,3 % Moldauer, 15,7 % Russen, 9,2 % Ukrainer, 4,3 % Rumänen. Der Ursprung des Ortsnamens ist umstritten. 1666 wird Ch. erstmals in einer Urkunde als Marktfleck erwähnt, bewohnt v. Christen u. Juden. Damals war das Gebiet zw. Pruth u. Dnjestr als Teil der historischen →Moldau unter osm. Oberhoheit, der gesamte Handel orientierte sich nach Istanbul. Einen Aufschwung erfuhr Ch. erst, als →Bessarabien 1812 unter russ. Herrschaft kam. Ein Zarenerlass bestimmte Ch. 1818 zur Hauptstadt des neu erworbenen Gebiets, u. danach zogen viele russ. Verwaltungsbeamte u. Offiziere dorthin. Seit dem →Krimkrieg setzte eine Russifizierungspolitik ein, die aber aufgrund des hohen Anteils der Analphabeten v. a. die Oberschicht erfasste. Ch. wurde zum pol. u. kult. Zentrum Bessarabiens. Die Bevölkerung nahm schnell zu: v. 7.000 (1812) auf 87.000 (1861) u. 122.912 E (1892). Ein hoher Anteil der Stadtbev. waren Juden (→Aschkenasim), weil Ch. in dem Gebiet lag, in dem Juden sich ansiedeln durften. Sie trugen entscheidend zum Wachstum des Handels u. der industr. Ansätze bei. Im April 1903 kam es in Ch. zu einem blutigen Pogrom; im Oktober 1905 gab es erneut antisemitische Ausschreitungen (→Antisemitismus). Während der russ. Revolution v. 1905 hatten die rumänischsprachigen Moldauer erstmals die Verwendung ihrer Muttersprache in Schulen u. Kirchen gefordert. Nach der Februarrevolution v. 1917 kam es in Ch. zu neuen pol. Aktivitäten: Es entstanden Arbeiter-, Bauernu. Soldatenräte sowie der bessarab. Landesrat (Sfatul Ţării). Vier Monate lang war Ch. die Hauptstadt der unabhängigen Mold. Demokratischen Republik. Nach dem Anschluss an →Rumänien im April 1918 erfuhr Ch. eine Rückstufung zur Kreisstadt. Im Zuge der Rumänisierung wurden das Nationaltheater (1923) errichtet sowie die theolog. Fakultät (1926) u. danach die agrarwiss. Fakultät (1933) v. →Iaşi dorthin verlegt. Durch die gezielte Förderung rum. Institutionen wuchs der Anteil der rum. Bewohner bis 1930 auf 42 % an. Die Juden stellten fast 37 %, die Russen 17 % u. andere Gruppen 4 %. Nachdem Rumänien infolge v. Stalins Ultimatum (im Gefolge des →Ribbentrop-Molotov-Paktes) Bessarabien im Sommer 1940 geräumt hatte, wurde die Stadt unter dem schon zur Zarenzeit offiziellen russ. Namen Kišinëv Hauptstadt der Unionsrepublik Moldawien (→Moldau, Republik). Im Juli 1941 rückten rum. Militär u. die dt. Einsatzgruppe D ein, die viele Juden ermordeten (→Holocaust). Ab Oktober wurden die verbliebenen Juden in das benachbarte →Transnistrien vertrieben, wo etwa 53.000 Bürger aus Ch. umkamen. Nach der Rückeroberung durch die sowj. Armee im Frühjahr 1944 entstanden in Ch. zahlreiche Bildungsinstitutionen u. industr. Unternehmen. Es zogen viele Slaven aus allen Teilen der Sowjetunion in das Ballungszentrum, in dem 17 % (1989) der moldauischen Republiksbevölkerung lebten. Ab 1988 wurde Ch. zum Zentrum der Aktivitäten der Moldauischen Volksfront. Die slav. Bewohner wurden aus den staatlichen Institutionen verdrängt u. dominierten anschließend im Wirt-
Chișinǎu / Christianisierung
schaftsbereich. Nach dem formellen Austritt Moldawiens aus der Sowjetunion am 27.8. 1991 wurde Ch. Hauptstadt des neuen Staates. Lit.: B. Gangal, Centrul istoric al Chişinăului la începutul secolului al XXI-lea. Repertoriul monumentelor de arhitectură. Chişinău 2010; A. Eşanu, Chişinău. File de istorie. Chişinău 1998; Chişinău. Enciclopedie. Hg. I. Colesnic. ebd. 1997; E.H. Judge, Ostern in Kischinjow. Anatomie eines Pogroms. Mainz 1995; I. Livezeanu, Cultural Politics in Greater Romania. Regionalism, Nation Building and Ethnic Struggle 1918–1930. Ithaca u. a. 1995; H. Heppner, Hauptstadt in Moldawien – ein Problem? in: Hauptstädte in Südosteuropa. Hg. ders. Wien u. a. 1994, 87–107; Tezaure din muzeele oraşului Chişinău: secolele XVI–XVIII. Hg. V.M. Butnariu. Chişinău 1994; Istorija Moldavsko SSR. Bd. 1 Kišinev 1987; C. Uhlig, Die bessarabische Frage. Eine geopolitische Betrachtung. Breslau 1926; I. Nistor, Istoria Basarabiei. Cernăuţi 1924 (Ndr. Bucureşti 1991). M. H.
Christianisierung. Mit der christl. Lehre sind die Völker auf der Balkanhalbinsel erstmals schon in der röm. Kaiserzeit in Berührung gekommen. Seit der Hinwendung Ks. Konstantins d. Gr. zum Christentum fanden Glaubensboten, die zuvor vereinzelt in den küstennahen Handelsplätzen u. in Legionslagern entlang des Donaulimes aufgetreten waren, den notwendigen staatlichen Rückhalt für ihre Bekehrungsarbeit. Die Stürme der Völkerwanderungszeit u. die →Slavische Landnahme seit dem 6. Jh. im Balkanraum u. der nachfolgende Einbruch der →Magyaren (a. →Ungarische Landnahme) im Donauraum 896 zerstörten weitgehend die Kirchenorganisation in der provinzialromanischen Bev., die auf der Flucht vor den „Barbaren“ in die geschützteren Küstenregionen der Balkanhalbinsel abgedrängt wurde. Der Neubeginn eines kirchl. Lebens erwuchs aus Grenzsicherungsmaßnahmen, die der Pazifizierung u. pol. Neuordnung des Gesamtraumes dienten u. die dauerhafte Integration der Barbarenvölker in die christl. Staaten- u. Völkerrechtsgemeinschaft zum Ziel hatte. Den Missionaren ebnete ein pol. Arrangement mit den Führungsschichten den Weg. I. d. R. besiegelte die Fürstentaufe den endgültigen Sieg des Christentums über das überkommene Heidentum. Am Christianisierungsvorgang beteiligten sich konkurrierende weltliche u. kirchl. Kreise mit unterschiedlichen Interessen. Im Donauraum traten zunächst die bairischen Herzöge der Agilolfinger u. seit dem Sturz Tassilos III. 788 die fränkischen Herrscher als bestimmende Macht auf. Träger der Missionsarbeit waren die grenznahen Bistümer Regensburg, Freising, Passau u. Salzburg sowie Missionsklöster wie Innichen im Pustertal, Kremsmünster u. Mondsee. Auf diese Aktivitäten der fränkischen Kirche verweisen frühe schriftliche Zeugnisse der Slavenmission wie die „Conversio Bagoariorum et Carantanorum“, eine um 870 entstandene Salzburger Quelle, u. die „Freisinger Denkmäler“, zwei Beichtformeln u. eine Bußmahnung in slowen. Sprache aus der zweiten H. des 10. Jh.s. Das Missionsgebiet von Karantanien (→Kärnten) suchte das Patriarchat von Aquileia, das die Bekehrung der Slaven in Istrien u. Friaul in Gang gebracht hatte, den Salzburger Bischöfen streitig zu machen. Eine Abgrenzung der beiden Kirchensprengel entlang der Drau wurde erst 811 durch Verfügung Karls d. Gr. erreicht. Die missionarischen Bemühungen der gr. Kirche im →Großmährischen Reich riefen die bairischen Bischöfe auf den Plan u.
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Christianisierung
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veranlassten den Papst in Rom, seine jurisdiktionellen Ansprüche auf das gesamte Illyricum occidentale zu erneuern, das ihm einst durch ksl. Spruch 732 entzogen u. dem Patriarchen v. Konstantinopel zugeschlagen worden war. Im dalmatinischen Raum sollen nach einer umstrittenen Information bei Konstantin VII. Porphyrogennetos aus der Mitte des 10. Jh.s erste Missionierungsbemühungen unter den eingewanderten →Kroaten noch einvernehmlich zw. Rom u. Konstantinopel eingeleitet worden sein. Unter den →Serben wurde im adriat. Küstenbereich die lat. Mission bestimmend, während im Landesinneren über bulg. Einfluss die gr. Kirche Fuß fasste. Der Gegensatz zw. der lat. geprägten Küstenzone u. dem nach Konstantinopel orientierten Binnenland ist erst unter den Nemanjidenbrüdern Stefan u. (Hl.) Sava zu Anfang des 13. Jh.s gelöst worden (→Nemanjiden; →Zeta). Sie haben die Weichen für die endgültige Anbindung der serb. Kirche an das ökumenische →Patriarchat unter dem Metropoliten Sava gestellt. Der byz. Reichskirche kam bei der Slavenmission zugute, dass sie sich schon frühzeitig im innerkirchlichen Sprachenstreit für die volkstümliche Variante entschieden hatte u. der Patriarch nicht abgeneigt war, in den peripheren Zonen territorialkirchl. Organisationsstrukturen zuzulassen. Als Antwort auf das Missionsersuchen des Mährerfürsten Rastislav v. J. 862 hatten Ks. Michael III. u. Patriarch Photios das gr. Brüderpaar Kyrillos/Konstantinos u. Methodios entsandt (→Slavenapostel). Methodios holte sich auf seiner Romreise 867 die päpstliche Bestätigung für die Slavenmission. Er kehrte als päpstl. Legat u. Ebf. →Pannoniens mit Sitz in Sirmium, der alten Hauptstadt der Präfektur Illyrien, zurück, scheiterte aber am massiven Einspruch der bairischen Bischöfe. Nach seinem Tode 885 verloren seine Schüler den päpstl. Rückhalt u. zogen sich nach Dalmatien u. Bulgarien zurück. Naum u. Kliment bemühten sich erfolgreich, in Westmakedonien um →Ohrid ein slav. Bildungs- u. Kirchenzentrum aufzubauen u. die Tradition der slav. Liturgiesprache weiterzupflegen. Sie leisteten ihren Beitrag zur Abwehr der zunächst erfolgreicheren lat. Missionsoffensive im →Bulgarischen Reich, dessen Chan Boris sich i. J. 864 oder 865 mit dem byz. Kaiser geeinigt u. die Taufe empfangen hatte. Sein Nachfolger Simeon (†927), der am byz. Kaiserhof erzogen worden war, begünstigte die Gräzisierungstendenzen. Unter seinem Einfluss setzte sich fast überall endgültig das Kyrillische, eine Adaption des gr. Alphabets an die Erfordernisse des slav. Lautsystems, vor den schwer erlernbaren glagolit. Schriftzeichen durch (→Alphabete). Die Übersetzungsleistungen der bulg. Kirche gaben der gr. Slavenmission eine solide Grundlage. Diese Vorarbeit erleichterte die Missionierung der Ostslaven, die durch den Taufakt des Kiever Fürsten Vladimir i. J. 988 eingeleitet wurde. Selbst die rum. Kirche bediente sich zunächst dieser in Bulgarien vorgeprägten kirchenslav. Liturgiesprache. Die kirchliche Arbeit unter den Balkanslaven behinderten allerdings schon früh Divergenzen zw. Rom u. Konstantinopel. Sie entzündeten sich an einzelnen Kontroverspunkten wie dem →Bilderstreit, der Filioque-Frage, dem Primat des Papstes oder dem Sprachenproblem. Eine durchgehende Trennungslinie zw. einem Christentum abendländisch-lat. u. gr.-orth. Prägung hat sich allerdings in dieser Frühphase trotz unleugbarer Irritationen u. persönlicher Animositäten noch nicht verfestigt u. selbst die in spektakulären Formen vollzogene offizielle Kirchenspaltung des Jahres 1054 (→Schisma) bedeutete noch keine radikale Ablehnung jeglicher interkonfessioneller Kontakte.
Çiftlik
Lit.: R. Born, Die Christianisierung der Städte der Provinz Scythia Minor. Ein Beitrag zum spätantiken Urbanismus auf dem Balkan. Wiesbaden 2012; Christianization and the Rise of Christian Monarchy: Scandinavia, Central Europe and Rus‘ c.900–1200. Hg. N. Berend. Cambridge 2010; L. Steindorff, Die Christianisierung des östlichen Europa: Ein Schritt zur Integration, in: Geschichte und Geschichtsvermittlung. Festschrift für Karl Heinrich Pohl. Hgg. O. Hartung/K. Köhr. Köln, Bielefeld 2008, 27–40; G. Schramm, Slawisch im Gottesdienst. Kirchenwortschatz u. neue Schriftsprachen auf dem Weg zu einem christlichen Südosteuropa. München 2007; Christianstvo v stranach Vostočnoi, Jugovostočnoj i Central’noj Evropy na poroge vtorogo tysjačeletija. Hg. B.N. Floria. Moskva 2002; G. Podskalsky, Theologische Literatur des Mittelalters in Bulgarien u. Serbien 865–1459. München 2000; G. Schramm, Anfänge des albanischen Christentums. Freiburg i. Br. 21999; F. Glaser, Frühes Christentum im Alpenraum. Eine archäologische Entdeckungsreise. Graz, Wien, Köln 1997; R. Bratož, Christianisierung des Nordadria- und Westbalkanraumes im 4. Jh., in: Westillyricum und Nordostitalien in der spätrömischen Zeit. Zahodni Ilirik in severovszhodna Italija v poznorimski dobi. Ljubljana 1996, 299–366; Die Anfänge des Christentums unter den Völkern Ost- u. Südosteuropas. Hg. A.M. Ritter. Heidelberg 1990; Prinjatie christianstva narodami Centralʼnoj i Jugovostočnoj Evropy i kreščenie Rusi. Hg. G. Litavrin. Moskva 1988; V. Gjuzelev/R. Pillinger, Das Christentum in Bulgarien u. auf der übrigen Balkanhalbinsel in der Spätantike u. im frühen Mittelalter. Wien 1987; P. Kawerau, Ostkirchengeschichte. Bd. 4: Das Christentum in Südost- u. Osteuropa. Lovanii 1984; L. Waldmüller, Die ersten Begegnungen der Slawen mit dem Christentum u. den christlichen Völkern vom VI. bis VIII. Jh. Die Slawen zwischen Byzanz u. Abendland. Amsterdam 1976; A.P. Vlasto, The Entry of the Slavs into Christendom. An Introduction to the Medieval History of the Slavs. Cambridge 1970. E. H.
Çiftlik (türk. Ableitung v. pers. ğuft „Paar“; in den slav. Balkansprachen vielfach als čifluk oder čitluk bekannt). Häufig als landwirt. Großbetrieb (miss-)verstanden. In den osm. Quellen bezeichnet Ç. je nach Raum, Zeit u. besonders Kontext verschiedene Dinge. Im „klassischen“ Bodensystem des Osm. Reiches ist Ç. zunächst die Basiseinheit einer Bauernwirtschaft (etwa „Hufe“), die vom Familienoberhaupt mit Hilfe eines Ochsengespanns (türk. çift) unter den Pflug (türk. ebenfalls çift) genommen wird (bei guten Böden ca. 80, bei schlechter Bodenqualität bis ca. 130 dönum à 920 m2 Fläche). Zweitens versteht man unter Ç. den Landbesitz einer musl. Bauernfamilie, die entweder →Reaya-Status besaß oder zur Kategorie der Bev. mit Sonderstatus gehörte (vgl. →Jürüken, →Derbenci, →Armatolen/ Martolosen usw.). Hier ähnelt Ç. der Baština (→Adel [Balkan]). Analog steht Ç. gelegentlich für den Kernbereich (arab. ḫāṣṣa) eines →Timar, den der →Spahi i. d. R. selbst bewirtschaftet. Besonders seit dem Ende des 17. Jh.s spielt ein solches hassa çiftlik im Wirtschaftsleben des Timarioten eine zunehmend wichtige Rolle. Daneben bezeichnet Ç. kleinere oder größere Einheiten v. →Miri-Land, die im Zuge der graduellen Auflösung des osmanischen →Timar-Systems u. nach Aufkommen teilweise auf Lebenszeit vergebener Steuerpachten (malikane) in private Hände fallen, nicht selten zugunsten städtischer Steuerpächter. – Mehrere Formen der Bildung v. Ç. lassen sich unterscheiden: 1) durch Ausdehnung eines hassa çiftlik auf Bauernland; 2) durch Aneignung bäuerlicher Fluren u. bäuerlicher Allmende;
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Çiftlik / Crnojevići
3) durch Aneignung aufgelassener Bauernstellen landflüchtiger Reaya; 4) durch Einverleibung v. Bauernland gegen Gewährung v. „Schutz“ gegen Übergriffe der Behörden; 5) durch Aneignung verpfändeten Landes verschuldeter Bauern u. schließlich 6) durch Kauf oder kaufähnlichen Transfer v. Miri-Ländereien trotz entsprechender Verbote. Ursachen, Art u. Umfang der Akkumulation v. Ç. waren nicht in allen Teilen des Reiches dieselben. Regional, besonders in Küstenregionen, fruchtbaren Beckenlandschaften u. verkehrsgünstig gelegenen Zonen konnten die Betriebsgrößen mitunter schon im 17. Jh. beträchtliche Ausmaße annehmen. Doch waren dies eher Ausnahmen. Die große Mehrheit der nur wenige Hofstellen umfassenden Ç. wurde auch im 18. Jh. noch gewöhnlich durch Pächter u. noch nicht überwiegend durch Lohnarbeiter bewirtschaftet. In der Ç.-Region v. Vidin betrugen die Betriebsgrößen während des 18. Jh.s bereits zw. 30 u. 500 Hektar. Konzentrationen umfangreicher Ç. sind für die Küstenregionen des Schwarzen Meeres, das Hinterland v. →Saloniki, Teile →Makedoniens u. →Thessaliens sowie für das Küstengebiet der Adria um Durrës schon für die erste H. des 18. Jh.s wahrscheinlich gemacht worden. Das „typische“ Ç. mit Herrenhaus, steinernem Wehrturm (türk. kule), Wirtschaftsgebäuden u. Stallungen sowie den charakteristischen reetgedeckten Arbeiterhütten u. ausgedehnter, zusammenhängender Feldflur dürfte in den meisten Landstrichen des Balkans eine Erscheinung erst des 19. Jh.s sein. Lit.: H. İnalcık, Chiftlik, in: EI²; An Economic and Social History of the Ottoman Empire, 1300–1914. Hgg. H. İnalcık/D. Quataert. Cambridge 1994; H. İnalcık, The Emergence of Big Farms, çiftliks: State, Landlords and Tenants, in: Contribution à l’histoire économique et sociale de l’Empire ottoman [=Collection Turcica 3 (1984)], 105–126 (Ndr. in ders.: Studies in Ottoman Social and Economic History. London 1985, VIII.); B. McGowan, Economic Life in Ottoman Europe. Cambridge 1981; Y. Nagata, Some Documents on the Big Farms (çiftliks) of the Notables in Western Anatolia. Tokyo 1976; G. Veinstein, Āyān de la région d’Izmir et le commerce du Levant (deuxième moitié du XVIIIe siècle), Revue de l’Occident musulman et de la Méditerranée 20 (1975), 131–147; A. Sućeska, O nastanku čifluka u našim zemljama, Godišnjak Društva istoričara Bosne i Hercegovine 16 (1965), 37–57; T. Stoianovich, Land Tenure and Related Sectors of the Balkan Economy, 1600–1800, Journal of Economic History 13 (1953), 398–411; R. Busch-Zantner, Agrarverfassung, Gesellschaft u. Siedlung in Südosteuropa unter besonderer Berücksichtigung der Türkenzeit. Leipzig 1938. M. U.
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Crnojevići. Adels- u. Herrscherfamilie in der →Zeta (Montenegro). Die Besitzungen der C. waren zunächst auf das Hinterland von Kotor u. Budva beschränkt, wurden von diesen aber – in Auseinandersetzungen mit den Balša (alb. Balsha, s. →Albaner) u. den serb. →Despoten – schrittweise auf die ganze Zeta ausgedehnt. Residenz der C. war zunächst Žabljak, dann Obod u. schließlich →Cetinje. Erster bekannter Vertreter der Familie war Radič Crnojević, der 1396 im Kampf gegen Djuradj II. Stracimirović Balša fiel. Der eigentliche Machtaufstieg der C. begann mit Stefan (Stefanica), 1426–1465. Stefan war mit Maria, einer Schwester des Albanerfürsten Skanderbeg, verheiratet. Seit 1452 war er Vasall Venedigs (→Venezianisches Überseereich), dessen Hilfe er für
Crnojevići / Csángós
seinen Kampf gegen den serb. Despoten Djuradj Branković u. zur Verteidigung seiner Besitzungen gegen die Osmanen benötigte. Sein Sohn u. Nachfolger Ivan (in der Volkstradition Ivan Beg (1465–1490) betrieb zunächst eine antivenez. Politik u. unternahm 1465 einen Überfall auf Kotor, worüber es zum Krieg mit der Markusrepublik kam. Durch Vermittlung Herzog Stefan Vukšić Kosačas v. der →Herzegowina, mit dessen Schwester Mara Ivan verheiratet war, wurde der Konflikt bereits im folgenden Jahr beigelegt. Ivan unterstellte sich der venez. Oberhoheit u. beteiligte sich am venez. Abwehrkampf gegen die Osmanen in Nordalbanien (a. →Albaner). Als die Venezianer 1479 mit diesen Frieden schlossen, musste Ivan nach Italien fliehen. Er kehrte jedoch nach dem Tode Sultan Mehmeds II. (1481) wieder in die Zeta zurück u. erneuerte seine Herrschaft. Als osm. Vasall beherrschte er aber nur noch die Obere Zeta (Gornja Zeta), während die Untere Zeta (Donja Zeta) mit der alten Hauptstadt Žabljak osm. blieb. Nach Ivans Tod übernahm sein ältester Sohn Djuradj (1490–96) die Macht. Er versuchte, zw. Venedig u. der Pforte zu lavieren u. hatte sich dazu noch der Versuche seines jüngeren Bruders Stefan zu erwehren, der mit osm. Hilfe die Herrschaft zu übernehmen trachtete. In die Kreuzzugspläne Kg. Karls VIII. von Frankreich verwickelt, musste Djuradj 1496 nach Venedig fliehen, während sein Bruder Stefan bis 1499 als Vertrauensmann des Sultans den Staat der C. verwaltete. Als letzter Vertreter der C. übte Ivans Sohn Staniša administrative Funktionen in der Zeta aus: Als Geisel an den Hof Bayezids II. gekommen, hatte er den Islam u. den Namen Skender angenommen. Als Skenderbeg-Ivanbegović war er 1513–1530 Statthalter im osm. →Sancak Montenegro. In der hist. Überlieferung der Montenegriner nehmen die C. eine ähnliche Stellung ein wie die →Nemanjiden in Serbien. Mit ihnen wird eine Zeit pol. u. kultureller Blüte in Verbindung gebracht, an die man zur Zeit der nationalen „Wiedergeburt“ wieder anknüpfen konnte (→Nationsbildung). Lit. (a. →Montenegriner; →Zeta): Crnojevići. Radovi sa Skupa Crnojevići – Značaj za Crnogorsku državu i kulturu. Hg. Č. Drašković. Cetinje u. a. 2011; S. Ćirković u. a., Istorija Crne Gore. Bd. 2: Od kraja XII do kraja XV vijeka. Teilbd.2: Crna Gora u doba oblasnih gospodara. Podgorica 2006 [Ndr. der Ausgabe v. 1970]; J.B. Markuš, Rodoslovi srpskih dinastija iz Zete i Crne Gore. Cetinje 2004; Dj. Batrićević, Crnojevići i Crna Gora. [Podgorica] 2002; J.N. Tomić, Crnojevići i Crna Gora (1479.–1528.). Istorijska rasprava. Beograd 1901; F. Miklosich, Die serbischen Dynasten Crnojevići. Wien 1886. P. B.
Csángós (ung.: csángó, Esterwähnung 1781, vielleicht aus dem Beiwort „elcsángál“, „herumschweifend“). Ung. Volksgruppe röm.-kath. Konfession in der →Moldau (Rumänien), mit Siedlungen v. a. im Flussgebiet des Seret. Bewohner einiger Dörfer in der Nähe v. Kronstadt in →Siebenbürgen werden „Siebenbürger Cs.“ genannt. Sie gehören als einzige Gruppe, die den Namen Csángó führt, der luth. Konfession an. In den Ostkarpaten, im Passgebiet des Ghimeş, leben die sog. Gyimeser Cs. Weitere Cs. siedeln seit 1883 u. a. in der Umgebung von Deva, in der →Vojvodina u. seit 1940/44/45 in →Ungarn. Sie sind hautpsächlich Nachfahren der Bukowiner →Székler. – Die Csángódialekte (die einzigen bedeutend v. der Standardsprache abweichenden im ung. Sprachgebiet) u. Folklore im Bereich der Sach-, Mu-
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Csángós / Czernowitz
sik u. Erzählkultur belegen die Herkunft aus Siebenbürgen, aber auch aus anderen Teilen Ungarns und bes. v. →Magyaren aus dem →Széklerland hin. Die Anfänge der Besiedlung der Moldau durch Ungarn (→Magyaren) geht ins 13. u. 14. Jh. zurück u. ist als Phänomen mit der ma. dt. Ostkolonisation (→Deutsche) zu vergleichen. Die Cs. sind sicherlich weder Reste der landnehmenden Magyaren (→Ung. Landnahme), die jenseits der Karpaten verblieben (wie von Teilen der ung. Wissenschaft im 19. Jh. angenommen wurde), noch sind sie „magyarisierte Rumänen“, wie neuerdings rum. Theorien behaupten. Bereits im 14. Jh. als bedeutende Volksgruppe belegt, wurden sie im 15. Jh. durch zahlreiche hussitische Flüchtlinge verstärkt, die jedoch im dortigen ung. katholischen Umfeld aufgingen. Die fortschreitende Verschlechterung der rechtlichen Gegebenheiten für einen Teil der Székler in der frühen Neuzeit u. ung. Leibeigener in Siebenbürgen trieb regelmäßig neue Auswanderer in die Moldau; eine große Zahl floh nach dem Massaker an den gegen die Zwangsmusterung protestierenden Széklern („Siculicidium“ v. Mádéfalva, 1764). Obwohl viele ihrer kath. Pfarreien – Grundpfeiler der ethn. Identität – oft Jahrhunderte lang vernachlässigt worden waren, existiert diese ethnographische Gruppe bis in die Gegenwart. Aufgrund massiven Drucks durch kath. Kirche (Diözese Jassy/Iaşi, errichtet 1884) u. Staat sind heute rd. 200.000 der 240.000 Cs. in der Moldau nach Muttersprache und Identität rumänisiert. Rund 40.000 beherrschen noch auf unterschiedlichem Niveau die ung. Sprache. Rd. 50.000 weitere weitestgehend rumänisierte Cs. leben seit den Umsiedlungen in der komm. Zeit in Siebenbürgen u. Bukarest sowie mittlerweile bes. im europäischen Ausland. Bemerkenswert sind bei vergleichsweise vielen Cs. bis in die Gegenwart vornationale, konfessionsbezogene Identitätsformen. Im Rahmen divergierender ung. u. rum.-römisch-kath. nationalpolitischer Diskurse gibt es seit den 1980er Jahren intensive Auseinandersetzungen um die Cs. in der Moldau. Lit.: V. Tánczos, Language Shift among the Moldavian Csángós. Cluj-Napoca 2012; Language Use, Attitudes, Strategies and Ethnicity in the Moldavian Csángó Villages. Hgg. ders./L. Peti. ebd. 2012; A moldvai csángók bibliográfiája. Hgg. F. Pozsony u. a. Kolozsvár 2006; F. von Klimstein, Die Csángo-Problematik der Neuzeit. Temeswar 2006; M. Arens, Die Minderheit der Moldau-Ungarn im historischen Kontext einer ethnisch u. konfessionell gemischten Region, Saeculum 54 (2003), H. 2, 213–270; F. Poszony, Ceangii din Moldova. Cluj 2002; Hungarian Csángós in Moldavia. Essay on the Past and Present. Hg. L. Diószegi. Budapest 2002; V. Tánczos, Aufgetan ist das Tor des Ostens. Volkskundliche Essay u. Aufsätze. Csíkszereda 1999; Moldvai csángó-magyar okmánytár 1467–1706. 2 Bde. Hg. K. Benda. Budapest 1989. M. A.
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Czernowitz (rum. Cernăuţi; ukr. Černivci). Stadt in der Westukraine, traditionell Hauptort der Bukowina. 1991 lebten in der Stadt rd. eine Viertelmillion E, wovon 66,5 % Ukrainer, 17,7 % Russen, 7,4 % Rumänen u. Moldauer, 6 % Juden, der Rest kleinere Minderheiten waren. Die Existenz von Cz. lässt sich bis ins 15. Jh. zurückverfolgen, doch Bedeutung erlangte der Ort erst, als sich 1775 die zentrale österr. Militärbehörde dort niederließ (→Bukowina). Vom 14. bis 18. Jh. lag Cz. im Fsm. →Moldau u. war eine Zollstation an der Grenze zu Polen. Die erste urkundliche Erwähnung findet sich in einem Vertrag des Fürsten Alexander mit der
Czernowitz
Lemberger Kaufmannsgilde von 1408. Im 16. Jh. geriet die Moldau in osm. Abhängigkeit u. die Handelsstraße, die über Cz. führte, verlor an Bedeutung infolge der Kriege mit Polen u. Russland. Als die Habsburger 1774 das Gebiet der Bukowina besetzten u. eine Volkszählung durchführten, lebten in Cz. zus. mit den drei dörflichen Vororten nur 359 Familien. Nach der Vereinigung der Bukowina mit Galizien 1786 wurde Cz. Sitz eines Kreisamtes. Es entwickelte sich im 18. Jh. zu einem Verwaltungs- u. Handelszentrum, dessen Einwohnerzahl bis 1900 auf 65.800 anwuchs. Zu einem kult. Zentrum wurde Cz. v. a. nach der Eröffnung der deutschsprachigen Universität 1875 mit den drei Fakultäten: Philosophie, Recht u. Theologie. Mit dem Anwachsen der rum. u. ruthen. Nationalbewegung seit Ende des 19. Jh.s entstanden in Cz. nicht nur viele nationale Bildungseinrichtungen, sondern auch Verlage, Kreditgemeinschaften u. Genossenschaften. Das Amt des Bürgermeisters hatten zw. 1864 bis 1914 abwechselnd je ein Armenier u. Pole, zwei Deutsche u. zwei Juden inne. In der Bev. dominierten 1910 die Juden mit 28.613, gefolgt von 15.253 Ukrainern, 14.893 Polen, 13.440 Rumänen, 12.747 Deutschen u. anderen. Nach dem Anschluss der Bukowina an →Rumänien von 1918 versuchten die neuen Machthaber, Cz. in eine rum. Stadt umzuwandeln. Nicht nur die dreisprachigen Straßenschilder in Rumänisch, Deutsch u. Ruthenisch verschwanden. An der Universität wurde die rum. Unterrichtssprache eingeführt u. der Lehrstuhl für ukr. Sprache u. Literatur abgeschafft. Die Schulen der Juden, Deutschen u. Ukrainer konnten nur noch mit privaten Mitteln betrieben werden. Auch wenn durch Strafandrohungen versucht wurde, die dt. Sprache aus dem Geschäftsverkehr zu verdrängen, gelang dieses erst im 2. Wk. Durch den ökon. Aufschwung wuchs Cz. von 1919: 91.900 u. 1930: 112.400 auf 1940: 140.000 E. Ein tiefer Einschnitt in der Bevölkerungsstruktur war 1940/1941 zu verzeichnen, nachdem 1940 im Gefolge der dt.-sowjet. vereinbarten Grenzziehungen des →Ribbentrop-Molotov-Paktes v. 1939 durch ein sowj. Ultimatum Cz. mitsamt der übrigen Nordbukowina an die Sowjetunion gefallen war, u. die Zahl der Bewohner erstmals drastisch auf 78.800 zurückging. Ursache waren die Deportationen der sowj. Behörden sowie die Umsiedlung der dt. Minderheit. Ein noch größerer Aderlass erfolgte nach der Wiederbesetzung von Cz. durch rum. Truppen im Juli 1941, als viele Juden von der dt. Einsatzgruppe D ermordet wurden (→Holocaust). Im Herbst 1941 sowie Sommer 1942 deportierten die rum. Behörden insges. 28.391 Juden aus Cz. nach →Transnistrien. Bevor die sowj. Armee im März 1944 Cz. erreichte u. die Stadt mit Umland wieder an die ukr. Sowjetrepublik anschloss, floh ein Teil der Bev. nach Rumänien. Bis zu Stalins Tod gab es noch Deportationen. Erst als die Kreisstadt in den 60er Jahren zu einem Industriezentrum ausgebaut wurde, wuchs die Einwohnerzahl wieder. Seit 1991 gehört Cz. zur damals unabhängig gewordenen Ukraine. Lit.: I. Lihaciu, Czernowitz 1848–1918. Das kulturelle Leben einer Provinzmetropole. Kaiserslautern-Mehlingen 2012; Mythos Czernowitz. Eine Stadt im Spiegel ihrer Nationalitäten. Potsdam 2008; Czernowitz: Die Geschichte einer untergegangenen Kulturmetropole. Hg. H. Braun. Berlin 2005; Czernowitz. Die Geschichte einer ungewöhnlichen Stadt. Hg. H. Heppner. Köln u. a. 2000; Jüdisches Städtebild Czernowitz. Hg. A. Corbea-Hoisie. Frankfurt/M. 1998; E. Turczynski, Czernowitz am Pruth, Hauptstadt der Bukowina, in: Hauptstädte in Südosteuropa. Hg. H. Heppner. Wien u. a. 1994, 69–85; J.S. Gusar/S.M. Rozumnyj, Černivci. Kiiv 1991; H. Stiehler,
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Dahije / Dakoromanismus
Czernowitz. Zur kulturgeschichtlichen Physiognomie einer Stadt, in: Die Bukowina. Studien zu einer versunkenen Literaturlandschaft. Hgg. D. Goltschnigg/A. Schwob. Tübingen 1990, 15–26. M. H.
Dahije (v. serb. dahije aus türk. dayı „Onkel mütterlicherseits“). Im 16. Jh. Titel untergeordneter →Janitscharen-Ränge. Mit der Übernahme der faktischen Regierungsgewalt in mehreren nordafrikanischen Besitzungen des Osm. Reiches (Tunis, Algier u. Tripolis) durch unbotmäßige Janitscharen-Einheiten seit Ende des 16. Jh.s u. der Einrichtung einer Art Militärdemokratie unter Führung des dey (so die über das Französische vermittelte Form) wurde der Titel hier für die Inhaber der tatsächlichen pol. u. milit. Macht, die dem →Beylerbeyi aus den Händen geglitten war, gebräuchlich. In dieser Bedeutung (jedoch in der Form dahi) übernahmen ihn die vier Kommandanten der Janitscharen-Hilfstruppen (yamak) in Serbien unter der Führung von Halil Aga, Janitscharen-Oberst von →Belgrad, deren tyrannisches Regime über dessen Hinrichtung im August 1804 hinaus andauerte, woraufhin sich Kara djordje – gegen den Willen des Sultans u. unter Verstoß gegen den →Reaya-Status der Serben – zum Aufbau einer modernen serb.-christl. Armee veranlasst sah, was zum Bruch mit der osm. Regierung führte (→Befreiungskriege, nationale; →Serben). Lit.: R. le Tourneau, Dayi, in: EI²; S.J. Shaw, Between Old and New. The Ottoman Empire Under Sultan Selim III. 1789–1807. Cambridge/MA 1971; St. Novaković, Ustanak na dahije 1804. Ocena izvora, karakter ustanka, vojevane 1804. S kartom beogradskog Pašaluka. Beograd 1904. M. U.
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Dakoromanismus. Beim Versuch, die Völkerverteilung der Gegenwart hist. herzuleiten, hat der Humanismus – seit Poggio Bracciolini 1451 – unterstellt, nördl. der unteren Donau habe sich seit den Tagen Kaiser Trajans eine Kolonie mit lat. bzw. romanischer Sprache erhalten. Das einzigartige Bildzeugnis der Trajanssäule in Rom, das die Unterwerfung der Daker eindrücklich festhält, tat das seine, um die Idee einer raschen Verschmelzung von Eroberern u. Eroberten zu verankern. Als sich Ende des 18. Jh.s in →Siebenbürgen gegen die aufkommende Nationalbewegung der Ungarn unter den siebenbürg. Rumänen ein geistiger Widerstand formierte, war es nur natürlich, dass – namentlich unter den nach Rom orientierten →Unierten – das Bewusstsein, die ältesten eingesessenen Bewohner des Landes zu sein, zur Achse der hist. Selbstvergewisserung wurde. Die lat., seit der Antike ungebrochene Autochthonie (oder Permanenz) in den rum. Ländern wurde im 19. Jh. zu einer Grundüberzeugung, in der sich Volk u. Gelehrte in Rumänien einig wissen. Gewiss, noch bis zum 2. Wk. haben einzelne Wissenschaftler erwogen, ob die Autochthonie für Teile des modernen dakorum. Volksbodens besser preiszugeben sei. Eine Zuwanderung (Admigration) romanischer Elemente vom Süden könne wesentlich zur Ausbildung des dakorum. Volkes beigetragen haben. Aber unter den Bedingungen komm. Herrschaft erstarrte die Sacherörterung zu einer auf Differenzierungen verzichtenden, stereotypen Argumentationskette (vgl. →Erinnerungskulturen). Mittlerweile aber gab es längst – von dem Grazer Professor Robert Roesler 1871 erstmals klarsichtig u. objektiv zusammengestellt (nach ihm etikettiert man in Rumänien die Leugnung
Dahije / Dakoromanismus
Czernowitz. Zur kulturgeschichtlichen Physiognomie einer Stadt, in: Die Bukowina. Studien zu einer versunkenen Literaturlandschaft. Hgg. D. Goltschnigg/A. Schwob. Tübingen 1990, 15–26. M. H.
Dahije (v. serb. dahije aus türk. dayı „Onkel mütterlicherseits“). Im 16. Jh. Titel untergeordneter →Janitscharen-Ränge. Mit der Übernahme der faktischen Regierungsgewalt in mehreren nordafrikanischen Besitzungen des Osm. Reiches (Tunis, Algier u. Tripolis) durch unbotmäßige Janitscharen-Einheiten seit Ende des 16. Jh.s u. der Einrichtung einer Art Militärdemokratie unter Führung des dey (so die über das Französische vermittelte Form) wurde der Titel hier für die Inhaber der tatsächlichen pol. u. milit. Macht, die dem →Beylerbeyi aus den Händen geglitten war, gebräuchlich. In dieser Bedeutung (jedoch in der Form dahi) übernahmen ihn die vier Kommandanten der Janitscharen-Hilfstruppen (yamak) in Serbien unter der Führung von Halil Aga, Janitscharen-Oberst von →Belgrad, deren tyrannisches Regime über dessen Hinrichtung im August 1804 hinaus andauerte, woraufhin sich Kara djordje – gegen den Willen des Sultans u. unter Verstoß gegen den →Reaya-Status der Serben – zum Aufbau einer modernen serb.-christl. Armee veranlasst sah, was zum Bruch mit der osm. Regierung führte (→Befreiungskriege, nationale; →Serben). Lit.: R. le Tourneau, Dayi, in: EI²; S.J. Shaw, Between Old and New. The Ottoman Empire Under Sultan Selim III. 1789–1807. Cambridge/MA 1971; St. Novaković, Ustanak na dahije 1804. Ocena izvora, karakter ustanka, vojevane 1804. S kartom beogradskog Pašaluka. Beograd 1904. M. U.
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Dakoromanismus. Beim Versuch, die Völkerverteilung der Gegenwart hist. herzuleiten, hat der Humanismus – seit Poggio Bracciolini 1451 – unterstellt, nördl. der unteren Donau habe sich seit den Tagen Kaiser Trajans eine Kolonie mit lat. bzw. romanischer Sprache erhalten. Das einzigartige Bildzeugnis der Trajanssäule in Rom, das die Unterwerfung der Daker eindrücklich festhält, tat das seine, um die Idee einer raschen Verschmelzung von Eroberern u. Eroberten zu verankern. Als sich Ende des 18. Jh.s in →Siebenbürgen gegen die aufkommende Nationalbewegung der Ungarn unter den siebenbürg. Rumänen ein geistiger Widerstand formierte, war es nur natürlich, dass – namentlich unter den nach Rom orientierten →Unierten – das Bewusstsein, die ältesten eingesessenen Bewohner des Landes zu sein, zur Achse der hist. Selbstvergewisserung wurde. Die lat., seit der Antike ungebrochene Autochthonie (oder Permanenz) in den rum. Ländern wurde im 19. Jh. zu einer Grundüberzeugung, in der sich Volk u. Gelehrte in Rumänien einig wissen. Gewiss, noch bis zum 2. Wk. haben einzelne Wissenschaftler erwogen, ob die Autochthonie für Teile des modernen dakorum. Volksbodens besser preiszugeben sei. Eine Zuwanderung (Admigration) romanischer Elemente vom Süden könne wesentlich zur Ausbildung des dakorum. Volkes beigetragen haben. Aber unter den Bedingungen komm. Herrschaft erstarrte die Sacherörterung zu einer auf Differenzierungen verzichtenden, stereotypen Argumentationskette (vgl. →Erinnerungskulturen). Mittlerweile aber gab es längst – von dem Grazer Professor Robert Roesler 1871 erstmals klarsichtig u. objektiv zusammengestellt (nach ihm etikettiert man in Rumänien die Leugnung
Dakoromanismus
der Kontinuität als teoria lui Roesler) – schwerwiegende Gründe, die gegen eine Autochthonie sprechen. Sie sind inzwischen insbesondere durch Erkenntnisse der Namen- u. Lehnwortforschung, durch vergleichende Überlegungen zur sprachlichen Romanisierung als Folge röm. Herrschaft u. durch genauere Einsicht in die Siedlungsgeschichte von Siebenbürgen ausgebaut worden, das am ehesten als Rückzugsraum einer von den Stürmen der Völkerwanderung bedrohten Romanität in Frage kam. So überzeugend es auf den ersten Blick scheinen mag, SOEs größtes Volk, das zudem in einem ethn. weithin buntgemischten Subkontinent die ethn. geschlossensten Großflächen einnimmt, habe seit alters dort gewohnt, wo es heute sitzt: die Gründe, die gegen einen solchen Schluss sprechen, sind nach heutigem Einsichtsstand vermutlich stärker. Die Anhänger der Permanenz haben auch unter den nunmehr günstigen Bedingungen einer zunehmend offenen Wissenschaftslandschaft noch keine Anstrengungen unternommen, sich ihnen in ernstzunehmender Weise mit neuen Argumenten zu stellen. Die Ablösung alteingesessener Sprachen durch das Latein war, wo sie überhaupt stattfand, ein langsamer Vorgang, der bis zum Ende der Antike nur relativ niedrig gelegene Ausschnitte SOEs erfasst hatte. Für Dakien, das nur vom J. 111/117 bis etwa 275 in röm. Hand war, ist ein Sieg des Lateinischen ganz unwahrscheinlich. Die Minderheit, die hier um 270 Latein sprach, gehörte vermutlich zu dem enger in die Reichszivilisation eingebundenen Bevölkerungsteil, an dessen Umsiedlung in den S der Donau Kaiser Aurelian besonders lag, u. wurde deshalb bei der Räumung der Provinz wohl sehr weitgehend verpflanzt. Sämtliche Flussnamen Rumäniens, die sich aus der Antike erhalten haben, sind nachweislich nicht in ungebrochener Weitergabe von einer romanischen Generation an die nächste tradiert worden, sondern setzen die Aufeinanderfolge einer dakischen, slavischen u. dann erst romanischen (in Siebenbürgen zusätzlich: einer magyarischen) Etappe voraus. Eine flächige slav. Besiedlung, die der roman. Aufsiedelung vorausging, lässt sich für große Teile Rumäniens sichern. Sie erklärt, wieso die Dakorumänen (als einwandernde Hirten) die speziellere Landwirtschaftsterminologie von Slaven lernen mussten. Aus diesen u. anderen Argumenten folgt, dass sich ein Rumänentum nicht als zurückgelassene Romania nördl. der Donau, sondern als Fluchtromania des beginnenden 7. Jh.s südl. der Donau formierte: als neue ethn. Mehrheit in einer makedonischen Städtekette vom heutigen Südalbanien bis Serres u. als Hirtenromania in der Zentralen Balkanischen Berggruppe um die heutige Westgrenze Bulgariens u. Ostmakedoniens. Hier stellten sich die Romanen von einer Bauernwirtschaft, die sie südl. der Donaugrenze betrieben hatten, auf eine Schaf- u. Ziegenhaltung um, für die sie die auf dem Balkan noch unerprobte Form des Bergnomadismus als ihr ethn. Spezifikum entwickelten. Eine anzunehmende enge Symbiose mit den gleichfalls christl. Bessen der Zentralen Balkanischen Berggruppe liefert den Schlüssel für die tiefgreifenden Gemeinsamkeiten zw. Rumänisch u. dem – nach unserer Auffassung das Bessische fortsetzenden – Albanischen. Sie bleiben rätselhaft, solange man für die →Albaner eine Autochthonie in Albanien u. für die Rumänen in Rumänien annimmt. Erst die These, dass beide Völker vom 7.–9. Jh. über weite Strecken durchmischt wirtschafteten, erklärt die sprachlichen Befunde u. liefert einen hist. Schlüssel für den sog. Balkan. Sprachbund (→Sprachen, Balkansprachbund), der außer sämtlichen Zweigen des Rumänischen u. des Albanischen noch die mak.-bulg. Slavia u. den torlakischen Dialekt des
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Dakoromanismus / Dakoslaven / Dalmatien
Serbischen einschließt. Dass ein Teil der Bessen Anfang des 9. Jh.s ins Vorfeld von Dyrrachium/Durrës in Nordalbanien umgesiedelt wurde, während sich die Urrumänen unter dem Schutz des (christianisierten) ersten →Bulgarischen Reiches über alle Berg- u. Weidelandschaften SOEs (ab dem 12. Jh. unter Einschluss v. Teilen der Walachei) ausbreiten konnten (vgl. →Vlachen), macht die heutige weite Dimensionierung des Sprachbundes von der südl. Adria bis zum Dnjestr historisch verständlich. Seit dem späten 12. Jh. ist v. einer stufenweisen Einwanderung der Rumänen in die Landschaften südl. der Karpaten u. darauf im 13. u. 14. Jh. folgend nach Siebenbürgen, das östl. Ungarn u. in die Moldau auszugehen. Lit.: R. Roesler, Romänische Studien. Untersuchungen zur älteren Geschichte Rumäniens. Leipzig 1871; [zur älteren Geschichte des Permanenzgedankens:] A. Armbruster, La romanité des Roumains. Histoire d’une idée. Bucarest 1977; [zum Gang der Forschung in Rumänien:] S. Schwerthöffer, Die Romanität der Rumänen. Probleme der rumänischen Ethnogenese in der Diskussion der rumänischen Geschichtsforschung der Nachkriegszeit, Münchner Zeitschrift für Balkankunde 3 (1980), 181–218; [in Ungarn:] I. Bona, in: Kurze Geschichte Siebenbürgens. Hg. B. Köpeczi. Budapest 1990, 62–106; [gegen die Permanenz:] G. Schramm, Frühe Schicksale der Rumänen. Acht Thesen zur Lokalisierung der lateinischen Kontinuität in Südosteuropa, Zeitschrift für Balkanologie XXI/2 (1985), 223–241; XXII/1 (1986), 104–124; XXIII/1 (1987), 78–94; ders., Ein Damm bricht. Die römische Donaugrenze u. die Invasionen des 5.–7. Jh.s im Lichte von Namen u. Wörtern. München 1997; [zur bessisch-alb. Sprachkontinuität:] ders., Anfänge des albanischen Christentums. Die frühe Bekehrung der Bessen u. ihre langen Folgen. Freiburg i. Br. 1994; [für die Permanenz:] ; K. Strobel, Die Frage der rumänischen Ethnogenese. Kontinuität-Diskontinuität im unteren Donauraum in Antike und Frühmittelalter, Balkan-Archiv 30/32 (2005–2007), 59–166. G. Sch.
Dakoslaven. Zunächst allg. Bezeichnung für die einst in Dakien ansässigen Slaven, dann von Reichenkron (1941) als eigene von den übrigen Ost- u. Westslaven unterschiedene Gruppe in →Siebenbürgen betrachtet, die allmählich von den →Rumänen assimiliert wurde, aber in der rum. Sprache spezifische Spuren hinterließ: Lexik, Ortsnamen; z. B. nur im Rum. belegt: zapada, omăt – „Schnee“, motâlcă – „Beule“, pleşug – „kahl“ u. ä. Von Rosetti (1978, 678) u. a. wird diese Hypothese angezweifelt. Popović (1960) stellt schließlich sogar eine direkte Verbindung zu den →Karaschowanern her u. betrachtet diese als Nachfahren der D. Lit.: G.R. Solta, Einführung in die Balkanlinguistik mit besonderer Berücksichtigung des Substrats u. des Balkanlateinischen. Darmstadt 1980; A. Rosetti, Istoria limbii române. Bucureşti 2 1978; I. Popović, Geschichte der serbokroatischen Sprache. Wiesbaden 1960; G. Reichenkron, Der rumänische Sprachatlas u. seine Bedeutung für die Slavistik, Zeitschrift für slavische Philologie 17 (1941), 143–168. K. St.
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Dalmatien. Landschaft an der Adriaostküste in Kroatien. Der Begriff „D.“ erfuhr durch die Jahrhunderte vielfache Bedeutungsveränderung. Am Anfang des 1. Jh.s richteten die Römer
Dalmatien
eine von der Adria bis an den Rand des Savetales reichende Provinz ein, die sie nach dem illyr. Stamm der Delmatae „Dalmatia“ benannten. Im Gegensatz zur urbanisierten Küstenregion mit der Metropole Salona wurde das Binnenland nur oberflächlich romanisiert. Nach der Zeit ostgotischer Herrschaft ab 489/90 gelangte D. im Zuge der Justinianischen Reconquista unter byz. Herrschaft (→Byzanz). In Folge der Errichtung der Awarenherrschaft u. der →Slav. Landnahme im 7. Jh. reduzierte sich die Provinz D. auf eine Reihe von Küsten- u. Inselstädten. Hierzu gehörten die Inseln im Kvarner: Osor (it.: Ossero; im MA zugleich gemeinsamer Name für die Inseln Cres u. Lošinj), Krk (Veglia) u. Rab (Arbe). Während Zadar (Zara), Trogir (Traù) u. Kotor (Cattaro) in räumlicher Kontinuität zur Antike standen, entwickelte sich Split (Spalato) anstelle des v. den →Awaren um 614 zerstörten Salona im alten Diokletianspalast. →Dubrovnik (Ragusa), ursprünglich nur eine Fluchtburg, war die Nachfolgesiedlung des antiken Epidaurus. Pol. Zentrum der Provinz war Zadar; hier saß bis 971 der byz. Stratege (Statthalter) des 869 errichteten Thema (→Themen) D.; später war die Herrschaft meistens nominellen Charakters. Die eigentlich dem Strategen zugedachten Zahlungen der Städte gingen seit 878 als tributum pacis an die Herrscher im Hinterland. Um 1000 wurde Dubrovnik Zentrum eines eigenen Thema Dalmatia superior. Die Regierung der einzelnen Städte lag in den Händen von Prior u. Bischof, war doch jede Stadt entsprechend antiker Tradition zugleich Bischofssitz. – Die Städte wurden zu wirt. u. kult. Zentren auch für die jungen Herrschaftsbildungen im Hinterland: →Kroatien; Narentanien, zu dem auch die Inseln Brač (Brazza), Hvar (Lessina) u. Korčula (Curzola) gehörten; →Zahumlje, Travunien u. Duklja (→Zeta). Sie wirkten als Vermittler bei der →Christianisierung seit dem Ende des 8. Jh.s. Während die dalmat. Bistümer seit 751 Konstantinopel unterstanden hatten, wurde auf Synoden in Split 925 u. 928 eine Rom unterstellte Kirchenprovinz mit dem Metropolitensitz in Split eingerichtet; sie umfasste neben den Städten D.s auch Kroatien. 1089 entstand im Süden die Kirchenprovinz Bar (Antivari); spätestens 1142 war auch Dubrovnik als Metropole anerkannt. Die endgültige Abgrenzung zw. Bar u. Dubrovnik erfolgte erst 1255. Durch die Einrichtung der Kirchenprovinz Zadar 1154 wurden die damals venez. Gebiete D.s aus der Provinz Split herausgelöst. Das Bistum Kotor gehörte ab 1178 zur (it.) Provinz Bari. Seit dem 9., v. a. im 11. Jh. wurden zahlreiche Benediktinerklöster im Raum der Adriaostküste errichtet (z. B. auf den Inseln Rab, Mljet, Pašman, Lokrum u. im Gebiet der →Poljica); im 13. Jh. gelangten →Franziskaner u. Dominikaner in die Städte. Neben dem Latein entfalteten sich v. a. im Norden D.s auch kirchenslav.-kroat. Liturgie u. glagolitische Schriftlichkeit (→Alphabete). Aus Mitteldalmatien sind auch Texte in kroatischer Kyrilliza (bosančića) überliefert. Einsetzend mit der Einnahme der Städtereihe von Krk bis Split durch den ung.-kroat. Kg. Koloman 1105, strebten im 12. Jh. verschiedene Mächte danach, die dalmat. Städte in ihren Herrschaftsbereich einzubeziehen. Nach wechselvollen Jahrzehnten standen 1205 die Städte von Osor bis Zadar unter venez. Herrschaft, ebenso Dubrovnik (→Venezianisches Überseereich). Trogir u. Split erkannten den ung.-kroat. Kg. an, Kotor den serb. Großžupan. Die Erneuerung der byz. Herrschaft 1165–1180 bis Split (vgl. →Komnenen) u. die Oberhoheit Siziliens über Dubrovnik 1174/86–91 blieben Episoden. Zuerst in den Städten unter venez. Herrschaft trat im 12. Jh. an die Stelle des Prior der
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comes (slav. →knez), der städtisches Oberamt u. Vertretung des →Dogen in einer Person vereinte; auch in den anderen Städten verschwand das Priorat. In Split u. Trogir gelangte das Amt des comes im 13. Jh. in die Hände kroat. Magnaten. Die Städte organisierten sich im 12. Jh. als Kommunen u. bildeten im 13. Jh. eine Ratsverfassung aus. Zwischen Kirche u. weltlicher Gewalt entstand eine klare Abgrenzung. Es bildete sich eine umfangreiche, vom Notariat getragene pragmatische Schriftlichkeit aus; seit dem 13. Jh. kennen wir Statuten (→Stadt, Stadttypen: D., Istrien). In den Städten entwickelte sich ein differenziertes Handwerk, das allerdings, von der Textilproduktion in Dubrovnik seit dem 15. Jh. abgesehen, keine überregionale Bedeutung erlangte. Die zentrale wirt. Funktion der Stadtlandschaft D. ergab sich aus ihrer Verkehrslage in Schnittpunkten der Transitroute entlang der Adriaostküste u. der Routen v. der Gegenküste u. weiter ins Binnenland. Wein- u. Olivenanbau wie auch Kleinviehzucht dominierten im Agrarbereich; Getreide war stets defizitär. Salinen bildeten wichtige Einnahmequellen für einige der Städte. Charakteristisch für die Agrarbeziehungen auf dem Territorium der Städte war das Kolonat: die Bewirtschaftung durch Pächter (→Kolonen), die zwar persönlich frei, doch wirt. häufig dauerhaft abhängig waren. Um den Konflikten zw. kroat. Magnaten u. dem ung.-kroat. Kg. Karl I. von →Anjou zu entgehen, unterstellten sich Trogir u. Split 1322/27 Venedig, ebenso fast zeitgleich Šibenik (Sebenico) u. Nin (Nona), die sich, auf kroat. Territorium entstanden, wirt. u. soz. zunehmend den alten dalmat. Städten angeglichen hatten. Eine weitere Vereinheitlichung des Raumes bedeutete der Frieden von Zadar 1358, als Venedig alle seine Besitzungen an der Adriaostküste einschließlich Dubrovnik an den ung.-kroat. Kg. Ludwig von Anjou abtreten musste; die Lösung aus der Reglementierung durch Venedig ermöglichte eine wirt. Blütezeit für die Städte. 1371 kam auch Kotor unter Ludwigs Herrschaft. Im Zuge der dynastischen Krise in Ungarn u. Kroatien konnte Venedig bis 1420 seine Herrschaft an der Adriaostküste wieder herstellen u. um Venezianisch Albanien erweitern, zu dem die Bucht von Kotor u. ab 1442 Budva gehörten. Allein für Dubrovnik begann im 15. Jh. die Zeit als selbständige Republik. Die frühe Neuzeit bedeutete für D. eine Zeit der wirt. Stagnation. Die Festlandsstädte verloren mit dem Vordringen der Osmanen ihre Anbindung an das Hinterland u. sahen sich direkter Bedrohung ausgesetzt. Dennoch konnte sich gerade in dieser Zeit ein intensives literarisches Leben entfalten. Ein Bauzeugnis davon ist das 1612 begründete Theater über dem Arsenal von Hvar. In mehreren Phasen, erstmals 1649 nach dem Kandischen Krieg (→Kreta), gelang es Venedig, das Territorium D.s ins Binnenland bis einschließlich Knin zu erweitern; der 1718 (→Passarowitz) gezogenen Grenze entspricht in D. noch heute die Grenze zw. Bosnien-Herzegowina u. Kroatien. Durch die Territorialgewinne gelangten auch orthodoxe →Vlachen unter venez. Herrschaft. Sie waren im 17. Jh. in Leerräume eingesiedelt, die durch Fluchtbewegungen der kroat. kath. Bev. vor den Osmanen entstanden waren. Im 19. Jh. definierten sie sich national als Serben. Im Frieden von Campo Formio 1797, der das Ende der Republik Venedig besiegelte, kamen deren Besitzungen an Österreich. Von 1805 (de facto 1806) bis 1809 dem Kgr. Italien angeschlossen, gehörte D. bis 1813 zu den frz. →Illyrischen Provinzen. Die Regierung unter dem Generalgouverneur Marmont brachte mit der Aufbrechung der altständischen Strukturen einen ersten Modernisierungsschub.
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Das österr. Kronland D. mit Sitz des Gouverneurs (später „Statthalters“) in Zadar umfasste ab 1813/15 die Territorien von Venez. D. u. Venez. Albanien wie auch der 1808 aufgelösten Republik Dubrovnik; die Inseln Cres, Lošinj u. Krk wurden →Istrien angeschlossen. Die kirchl. Grenzen wurden 1828 durch Bildung einer Kirchenprovinz D. mit Sitz des Metropoliten in Zadar den politischen angeglichen. Speziell bis zur Okkupation von Bosnien-Herzegowina 1878 blieb die Region in einer die wirt. Entwicklung hemmenden Randlage innerhalb der Monarchie. Die trad. Segelschiffahrt verfiel; am Aufbau moderner Flotten hatten die dalmat. Städte kaum Anteil. Weder entsprechende Rohstoffe noch vorhandenes Kapital gaben den Anstoß zu einer nennenswerten Industrialisierung. Die schwierigen Lebensbedingungen führten vor 1900 zu einer bis weit ins 20. Jh. starken Auswanderungsbewegung. Auch aufgrund des schwierigen Terrains erfolgte der Anschluss an das europ. Eisenbahnnetz erst spät. Die Normalspurbahn von Split u. Šibenik Richtung Zagreb wurde erst 1925 fertiggestellt. Trotz alledem erfolgten im 19. Jh. wichtige Schritte in der städtebaulichen Erneuerung, im Ausbau von Verwaltung, Schul- u. Gesundheitswesen, in der ges. →Modernisierung, u. wir finden Anfänge des Tourismus. Das 19. Jh. war für D. geprägt von der Ausbildung konkurrierender Nationalismen. Seit 1848 erhoben dalmat. kroat. pol. Vertreter die zuvor bereits von den kroat.-slawon. u. ung. →Ständen erhobene Forderung nach Vereinigung von D. mit Kroatien-Slavonien; im ung.-kroat. →Ausgleich von 1868 wurde der Anspruch auf Vereinigung gemeinsamer ung. u. kroat. Rechtsstandpunkt. Demgegenüber setzten sich die Slawo- u. Italodalmatiner u. später die „Autonomisten“ in den Städten für die Eigenständigkeit D.s innerhalb der österreichischen Reichshälfte ein; sie schwankten zw. der Pflege eines Regionalbewusstseins u. der expliziten Orientierung auf Italien. Serbische Politiker standen in wechselnden Koalitionen. Bei den Landtags- u. Gemeinderatswahlen setzten sich im letzten Drittel des 19. Jh.s außer in Zadar überall die kroat. narodnjaci (Anhänger der „Nationalpartei“) gegen die Autonomisten durch, was die Durchsetzung des Kroatischen als dominierende Verkehrs-, Schul- u. Amtssprache ermöglichte. Nach dem 1. Wk. gelangte ganz D. an das neue „Kgr. der Serben, Kroaten u. Slowenen“ (→Jugoslawien). Allein Zara/Zadar (sowie die Insel Lastovo) wurde zur it. Exklave. Durch die Bildung der oblasti 1921 u. der banovine 1929 hörte D. als pol.-adm. Einheit zu existieren auf. Die anfangs positive Grundeinstellung gegenüber dem neuen Staat, begründet in der Tradition des →Jugoslawismus u. verstärkt wegen der drohenden it. Irredenta (→Irredentismus), wich wie in den nördl. kroat. Siedlungsräumen schnell der Ernüchterung. Die regionalen Entwicklungsprobleme sorgten zusätzlich für eine erstmals umfassende Politisierung der breiten ländlichen Bevölkerung durch die Kroat. Bauernpartei (Hrvatska seljačka stranka). Mit der Bildung der banovina im Abkommen Cvetković-Maček 1939 (→Sporazum) wurden das hist. D. u. das hist. Kroatien-Slawonien erstmals in einer adm. Einheit zusammengefasst. Die Regierung des →„Unabhängigen Staates Kroatien“ trat 1941 die nördl. Gebiete D.s bis einschließlich Split wie auch die südlichen Inseln Mljet u. Korčula an Italien ab; nach der Kapitulation Italiens 1943 rückten hier dt. Truppen ein. Zadar wurde 1944 durch Bombardements der Alliierten schwer getroffen u. v. seiner it. Bev. verlassen. Der südlichste Teil des einstigen österr. D.s um Kotor wurde bei der föderalen Neuordnung Jugoslawiens 1945 Montenegro zugeschlagen. Der Großteil hingegegn kam bei Bewahrung der hist. Grenzen
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gegenüber Bosnien-Herzegowina an Kroatien. In den vergangenen Jahrzehnten wurde v. a. in der Region um Split einige Industrie aufgebaut; die kleinbäuerliche Landwirtschaft verlor wegen mangelnder Rentabilität u. attraktiverer Verdienstmöglichkeiten an Bedeutung. Der Tourismus wurde zum zentralen Wirtschaftsfaktor. Während des Krieges 1991–1995 war Dalmatien von Nordkroatien weitgehend abgeschnitten u. nur auf weiten Umwegen zu erreichen. Aus den Gebieten Dalmatiens, die 1991 unter serbische Kontrolle gelangt waren, war die kroat. Bevölkerung vertrieben oder geflohen. Die Rückgewinnung der „→Krajina“ durch kroat. Truppen 1995 löste den weitgehenden Exodus der dort lebenden serb. Bev. aus; nur ein geringer Teil von ihr ist seitdem zurückgekehrt. Neuzugesiedelt sind v. a. Kroaten aus Bosnien-Herzegowina. Während die Wirtschaftsentwicklung im Hinterland Dalmatiens unbefriedigend bleibt, profitiert die Küste vom Wiederaufblühen des Tourismus. Die Fertigstellung der Autobahnverbindung mit Nordkroatien hat die Integration D.s in das europ. Verkehrsnetz erheblich verbessert. – Ohne die Intensität des istrischen Regionalismus zu erreichen, hat sich, unabhängig vom nationalen Bekenntnis der Bevölkerung, ein dalmatinisches Regionalbewusstsein bis heute erhalten.
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Lit. (a. → Stadt, Stadttypen: D., Istrien): A. Jakir/M. Trogrlić, Dalmatien, in: Das Südosteuropa der Regionen. Hgg. O.J. Schmitt/M. Metzeltin. Wien 2015, 91–132; Roher Diamant Dalmatien. Die habs. Verwaltung, ihre Probleme u. das Land, wie beschrieben v. seinem Gouverneur Lilienberg für Kaiser Franz I. (1834). Hg. K. Clewing. München u. a. 2015; M. Trogrlić/N. Šetić, Dalmacija i Istra u 19. stoljeću. Zagreb 2015; D. Kirchner Reill, Nationalists Who Feared the Nation. Adriatic multi-nationalism in Habsburg Dalmatia, Trieste, and Venice. Stanford/Calif. 2012; H. Lacmanović-Heydenreuter, Dalmatien in Wien. Die dalmatinischen Abgeordneten im Wiener Reichsrat 1867–1918. Hamburg 2011; Dalmatien als europäischer Kulturraum. Hgg. W. Potthoff u. a. Split 2010; A. Cetnarowicz, Die Nationalbewegung in Dalmatien im 19. Jh. Vom „Slawentum“ zur modernen kroatischen u. serbischen Nationalidee. Frankfurt/M. u. a. 2008; M.M. Stanić, Dalmatien: Kleine Kunstgeschichte einer europäischen Städtelandschaft. Köln u. a. 2008; T. Raukar, Studije o Dalmaciji u srednjem vijeku. Split 2007; J. Vrandečić/M. Bertoša, Dalmacija, Dubrovnik i Istra u ranome novom vijeku. Zagreb 2007; Thomae Archidiaconi Spalatensis: Historia Salonitanorum atque Spalatinorum pontificum. Archdeacon Thomas of Split: History of the Bishops of Salona and Split. Hgg. D. Karbić/M. Matijević-Sokol/J.R. Sweeney. Budapest 2006; M. Anderle, Die Loggia communis an der östlichen Adria. Weimar 2002; L. Steindorff, Kroatien. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Regensburg 2001; K. Clewing, Staatlichkeit u. nationale Identitätsbildung. Dalmatien in Vormärz u. Revolution. München 2001; L. Wolff, Venice and the Slavs: The Discovery of Dalmatia in the Age of Enlightenment. Stanford 2001; A. Jakir, Dalmatien zwischen den Weltkriegen. Agrarische u. urbane Lebenswelt u. das Scheitern der jugoslawischen Integration. München 1999; G. Schödl, Kroatische Nationalpolitik u. „Jugoslavenstvo“. Studien zu nationaler Integration u. regionaler Politik in Kroatien-Dalmatien am Beginn des 20. Jh.s. München 1990; I. Fisković, Dalmatinski prostori i stari majstori. Split 1990; Ž. Rapanić, Predromaničko doba u Dalmaciji. Split 1987; L. Steindorff, Die dalmatinischen Städte im 12. Jh. Studien zu ihrer politischen Stellung u. gesellschaftlichen Entwicklung. Köln u. a. 1984; Š. Peričić, Dalmacija uoči pada mletačke republike. Zagreb 1980; G. Praga, Storia di Dalmazia. Padova 1954 (21981; engl. u. d. T. „History of Dalmatia“
Dayton-Abkommen (1995)
Pisa 1996); G. Novak, Prošlost Dalmacije. Zagreb 1944; F. Šišić, Genesis des historischen Begriffes Dalmatien, SOF 3 (1938), 667–674. L. St.
Dayton-Abkommen (1995). Am 21. Nov. 1995 paraphrasierten die Staatspräsidenten Serbiens (Slobodan Milošević), Kroatiens (Franjo Tudjman) u. Bosnien-Herzegowinas (Alija Izetbegović) nach dreiwöchigen, von der Außenwelt völlig abgeschirmten Verhandlungen im US-Luftwaffen-Stützpunkt Dayton/Ohio ein Friedensabkommen, das am 14. Dez. in Paris unterzeichnet wurde u. sofort in Kraft trat. Damit wurde der dreieinhalbjährige Krieg in →Bosnien-Herzegowina beendet (→postjug. Kriege). Die unter Federführung des US-Sonderbeauftragten für den Balkan, Richard Holbrooke (→Vereinigte Staaten v. Amerika), aber auch unter starker Beteiligung →Deutschlands ausgehandelten u. vom UN-Sicherheitsrat bekräftigten Regelungen sahen den Erhalt Bosnien-Herzegowinas als souveräner Staat in seinen bish. Grenzen u. mit der gemeinsamen Hauptstadt →Sarajevo vor. Der Staat gliedert sich in zwei „Entitäten“, die (kroat.-bosniakische) „Föderation von Bosnien-Herzegowina“ (FBiH, Hauptstadt: Sarajevo) mit 51 % des Territoriums u. die „Serbische Republik“ (Republika Srpska, RS, heutige Hauptstadt: Banja Luka) mit 49 %. Beide Entitäten haben jeweils eigene Präsidenten, Regierungen u. Parlamente. Der zw. dem westl. u. östl. Teil der RS gelegene, strategisch wichtige Distrikt Brčko an der Save erhielt einen Sonderstatus u. wird seit 2000 von beiden Entitäten als Kondominium verwaltet. Bosn. Serben, bosn. Kroaten u. →Bosniaken erhielten den Status gleichberechtigter Staatsvölker, die gemäß einem ethnonationalen Proporzsystem an der Macht beteiligt sind. Zur Überwachung u. notfalls gewaltsamen Durchsetzung des militärischen Teils des D.A.s wurde eine 60.000 Mann starke internationale Friedenstruppe (Implementation Force, IFOR, später umbenannt in Stabilisation Force, SFOR) unter Führung der Nato stationiert. Die Kontrolle über die Implementierung des zivilen Teils des Abkommens fiel in die Zuständigkeit eines „Hohen Repräsentanten“ der internationalen Gemeinschaft, sodass Bosnien-Herzegowina fortan einem internationalen Semi-Protektorat ähnelte. Die in Annex IV des Dayton-Abkommens verankerte Verfassung erwies sich in vieler Hinsicht als Hindernis auf dem Weg zur Staatsbildung, da sie noch weniger Klammern für den Gesamtstaat enthält als die Verfassung →Jugoslawiens von 1974. Sie gewährt den gesamtstaatlichen Organen – dem dreiköpfigen Staatspräsidium (bestehend aus einem Bosniaken, einem Serben u. einem Kroaten), dem Zweikammerparlament sowie der Regierung in Sarajevo – nur sehr begrenzte Zuständigkeiten u. Handlungsspielräume (in den Bereichen Außenpolitik, Außenhandel, Zoll- u. Geldpolitik sowie einiges mehr, später auch bei der Armee). Demgegenüber erhielten die beiden „Entitäten“ weitreichende Kompetenzen, die ihnen ein hohes Maß an Unabhängigkeit sichern. Namentlich Politiker aus der RS u. Repräsentanten der bosn. Kroaten haben den Aufbau eines funktionierenden Gesamtstaats immer wieder behindert bzw. bekämpft, so dass eine grundlegende Verfassungsänderung oder die Verabschiedung einer neuen Verfassung scheiterte. Während die RS zentralistisch organisiert ist, gliedert sich die FBiH in zehn Kantone, die ihrerseits weitreichende Autonomierechte besitzen. Pol. Entscheidungen werden somit auf vier Ebenen getroffen: 1. auf der Ebene des Gesamtstaats, 2. auf der
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Dayton-Abkommen (1995) / Defter
Ebene der beiden „Entitäten“ (u. des Distrikts Brčko), 3. auf der Ebene der Kantone (in der FBiH) u. 4. auf der Ebene der Verwaltungsbezirke u. größeren Städte. Oberhalb dieser vier Ebenen agiert ein Vertreter der internationalen Gemeinschaft auf einer politischen Metaebene. Der „Hohe Repräsentant“ wird vom Friedensimplementierungsrat“ (Peace Implementation Council, PIC) ernannt, der sich aus Vertretern von 55 Staaten zusammensetzt. Von Ende 1995 bis Ende 2010 haben sich sieben Politiker (alle aus EU-Staaten) mit unterschiedlichen Konzepten in diesem Amt abgelöst. Eine langfristig angelegte Strategie gab es nicht. Das in Annex VII des D.-A.s erstmals seit dem Frieden v. →Lausanne aus dem J. 1923 verankerte Rückkehrrecht für Flüchtlinge u. Vertriebene stellte ein völkerrechtl. Novum dar, dessen Umsetzung sich als außerordentlich schwierig erwies. In den Jahren 1996–98 erreichte die Rückkehrwelle ihren Höhepunkt, fiel dann aber zurück u. versiegte ab 2005 fast gänzlich. Alles in allem sollen bis dahin nach Schätzungen des UNHCR insges. rund eine Mio. Flüchtlinge oder „displaced persons“ – etwa die Hälfte aller Betroffenen – in ihre früheren Wohnorte in Bosnien-Herzegowina zurückgekehrt sein, darunter über 447.000 Personen in Gemeinden, in denen sie nicht die – derzeitige – nationale Mehrheit repräsentieren („minority returns“). Quelle: Office of the High Representative (Hg.), Bosnia and Herzegovina: Essential Texts. (Zagreb o.J.; ca. Ende 1996). Lit.: G. Toal/C. Dahlman, Bosnia Remade: Ethnic Cleansing and its Reversal. Oxford, New York 2011; V. Dzihic, Ethnopolitik in Bosnien-Herzegowina. Staat u. Gesellschaft in der Krise. Baden-Baden 2010; Peace Without Politics? Ten Years of International State-Building in Bosnia. Hg. D. Chandler. London [u. a.] 2010; K. Clewing, Gaining Power and Status through Engagement and Active Diplomacy: The Croatia Policy of United Germany, in: Croatia since Independence. War, Politics, Society, Foreign Relations. Hgg. S. Ramet/K. Clewing/R. Lukić. München 2008, 381–405; Peacebuilding and Civil Society in Bosnia-Herzegovina. Ten Years after Dayton. Hg. M. Fischer. Berlin, Münster 22007; R. Kostić, Ambivalent Peace. External Peacebuilding, Threatened Identity and Reconciliation in Bosnia and Herzegovina. Uppsala 2007; R. Belloni, State Building and International Intervention in Bosnia. London 2007; D. Chollet, The Road to the Dayton Accords: A Study of American Statecraft. New York 2005; T. Donais, The Political Economy of Peacebuilding in Post-Dayton Bosnia. New York 2005; Dayton and Beyond: Perspectives on the Future of Bosnia and Herzegovina. Hgg. C. Solioz/T.K. Vogel. Baden-Baden 2004; A. Heinemann-Grüder, Turning Soldiers into a Working Force: Demobilization and Reintegration in Post-Dayton Bosnia and Herzegovina. Bonn 2003; M. Ducasse-Rogier, A la recherche de la Bosnie-Herzégovine: la mise en oeuvre de l’accord de paix de Dayton. Paris 2003; S. Bose, Bosnia after Dayton. Nationalist partition and international intervention. London 2002; E.M. Cousens/Ch.K. Cater, Toward peace in Bosnia: implementing the Dayton accords. Boulder/Co. 2001. H. S.
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Defter („Aufstellung, Register[-buch], Kodex“; ursprünglich Schreibunterlage aus Haut, v. gr. diphthera). In gebundener Form im isl. Raum seit der Mitte des 8. Jh.s (arab. daftar) zunächst im Irak u. in Iran, mit Durchsetzung des Papiers als Hauptschreibstoff seit dem 9. Jh. bald auch in den Kanzleien (→Diwan) der übrigen isl. Welt verbreitet. Größere archi-
Defter / Defterdar
valische Bestände an D. sind jedoch nur für das Osm. Reich erhalten. Diese lassen sich, sieht man von den am Sitz der osm. →Kadis geführten →Sidschillen ab, in drei Hauptgruppen einteilen: 1) →Tahrir Defteri; 2) Mühimme Defteri (Register „wichtiger“, d. h. Staatsangelegenheiten), von 1544/45 u. 1552 – mit Unterbrechungen – bis 1905 reichend. Sie enthalten (gekürzte) Abschriften ausgehender Sultansbefehle (→Firman). Eng mit diesen verwandt sind Ahkam- u. Şikayet-D. („Beschwerdebücher“, ab 1649 bis Anfang 19. Jh.); 3) D. der Finanzverwaltung (maliye). Hierzu zählen die Register über die von den nichtmusl. Untertanen entrichtete →Kopfsteuer (diese Serie umfasst den Zeitraum von 1551–1840). Lit.: S. Faroqhi, Mühimme Defterleri, in: EI²; B. Lewis, Daftar, in: a. a. O.; E. Balta, L’Eubée à la fin du XVe siècle. Économie et population. Les registres de l’année 1474. Athènes 1989; Die Steuerkonskription des Sandschaks Stuhlweißenburg aus den Jahren 1563 bis 1565. Hg. J. Matuz, Mitarb. I. Hunyadi. Bamberg 1986; E. Kovačević, Mühimme defteri – dokumenti o našim krajevima. Sarajevo 1985; A.S. Aličić, Turski katastarski popisi nekih područja zapadne Srbije XV i XVI vek. 3 Bde. Čačak 1984/85; Das osmanische „Registerbuch der Beschwerden“ (Şikayet Defteri) vom Jahre 1675. Bd. 1. Hg. H.G. Majer. Wien 1984; Ö.L. Barkan, 894 (1488/1489) Yılı Cizyesinin Tahsilâtına Âit Muhasebe Bilânçoları, Türk Tarih Kurumu Belgeler. Türk Tarih Belgeleri Dergisi 1 (1964), 1–120 (mit Karte: Rumelien im 15. Jh.). M. U.
Defterdar. Bez. für hohe u. höchste Finanzbeamte im Osm. Reich, wörtlich „Verwahrer der →Defter“. 1838 wurde das Amt des Obersten D. in „Finanzministerium“ (maliye nezareti) umbenannt. – Wie zahlreiche Charakteristika der osm. Finanzverwaltung geht auch die Bezeichnung D. auf die mongolischen Il-Chane zurück. Der Oberste D. (türk. başdefterdar) hatte Sitz im großherrlichen →Diwan. Zu seinen Aufgaben zählte die alljährliche Vorlage der Staatseinnahmen u. -ausgaben sowie die Verwaltung der Großlehen (→Has) u. Steuerpachten →Rumeliens (daher auch Rumili defterdarı genannt). Ihm unterstanden Finanzbeamte niederen Ranges u. speziellerer Aufgabenbereiche, die z. T. auch den Titel D. trugen. Unter Bayezid II. (1481–1512) wurde das Amt eines Zweiten D. zur Verwaltung der anatolischen Finanzquellen geschaffen (Anadolu defterdarı). Im Verlauf des 16. Jh.s entstanden, angefangen mit dem D. „für Arabien u. Persien“ (defterdar-i arab ve acem) mit Sitz in Aleppo, weitere räumlich definierte Finanzverwaltungen (kalem); daneben erhielten die D. von Rumelien u. Anatolien ergänzende Abteilungen unter je einem weiteren D. Lit.: Y. Cezar, Osmanlı Maliyesinde Bunalım Ve Değişim Dönemi (XVII. yy. ‘dan Tanzimat‘a Mali Tarih). İstanbul 1986; A. Velkov, Les başdefterdar ottomans et leur „signatures à queue“ (XVIe–XVIIIe s.), Turcica 16 (1984), 173–209; H.G. Majer, Ein osmanisches Budget aus der Zeit Mehmeds des Eroberers, Islam 59 (1982) 40–63; J. Matuz, Das Kanzleiwesen Sultan Süleymāns des Prächtigen. Wiesbaden 1974; K. Röhrborn, Die Emanzipation der Finanzbürokratie im osmanischen Reich (Ende 16. Jh.), Zeitschrift der dt. morgenländ. Ges. 122 (1972), 118–139; L. Fekete, Die Siyāqat-Schrift in der türkischen Finanzverwaltung. 2 Bde. Budapest 1955. M. U.
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Deliorman / Derbendci
Deliorman. Geogr. Region in Nordostbulgarien. Offizielle Bezeichnungen: bis 1942 Deliorman (türk.: deli orman „verrückter/wilder Wald“; nicht zu verwechseln mit dem rum. Verwaltungsbezirk Teleorman), bis 1950 Polesie („Vorwald“), danach Ludogorie (als Übersetzung der türk. Bezeichnung). Als Teil der hügeligen Donauebene grenzt der D. im O u. NO an die →Dobrudscha (entlang der Linie Tutrakan, Sucha reka); im W wird der Beli lom, im S das Tal der Provadijska reka als Grenze angenommen. Die wichtigsten Städte sind Razgrad (auch als Verwaltungssitz), Isperich, Kubrat u. Dulovo. Offiziell werden die leicht südl. des D. gelegenen größeren Städte Tărgovište u. Šumen ebenso wie die Donaustadt Ruse nicht dem D. zugerechnet, gelegentlich aber mit einbezogen. Die Bezeichnung verweist auf einen früheren, heute weitgehend verschwundenen dichten Waldbestand des ressourcenarmen Gebiets. In administrativer Hinsicht bedeutungslos, wird der D. als Geschichtsregion besonders wegen seiner dichten musl., vorwiegend türk. Bev. erwähnt, die im Gegensatz zu der Mehrheit der sunnitischen Muslime →Bulgariens eher der schiitischen Glaubensrichtung (kăzălbaši/kızılbaşi, →Aleviten) zuneigte. Heutige Statistiken lassen gravierende Unterschiede bei den Siedlungsschwerpunkten der einzelnen musl. Glaubensrichtungen in Bulgarien allerdings nicht mehr erkennen. Während der osm. Herrschaft scheint der D. zunächst für Sekten u. später marodierende Banden (kărdžalii/kırcali) ein Rückzugsgebiet gewesen zu sein, das in den russ.-osm. Kriegen des 18. u. 19. Jh.s strategische Bedeutung erlangte. Seit der Mitte des 19. Jh.s u. besonders nach 1878 verstärkte sich der Zuzug der bulg. Bev. in das Gebiet, während der Anteil der türkischen stetig abnahm. Lit.: T. Kowalski u. a., Deli-Orman: Deli-Orman, in: EI2. Bd. 2, 202f.; V.G. Dojkov, Ludogorie. Sofija 1965; V. Marinov, Deliorman. Sofija 1941; W. Stubenrauch, Kulturgeographie des Deli-Orman (Nordostbulgarien). Stuttgart 1933. U. B.
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Derbendci (aus pers. darband „Riegel, Engpass, Gebirgspass“; mit türk. Ableitungssuffix in der Bedeutung von „Passwächter“ gebraucht). Ursprünglich bezeichnete D. die waffenfähige Bewohnerschaft ganzer Siedlungen an strategisch bedeutsamen Punkten (an Meeresküsten, Flussübergängen, v. a. jedoch an entlegenen Gebirgspässen entlang wichtiger Verkehrsadern). D. waren in den →Tahrir Defteri registrierte Untertanen vornehmlich christl. Religionszugehörigkeit (es gab aber auch musl. D.), die trotz ihres Status als →Reaya bzw. →Zimmi befugt waren, Waffen wie Lanzen u. Säbel, später auch Gewehre zu tragen. In Einheiten zu je etwa 30 Mann (tapan „Trommel“) vom einem Truppenführer (türk. çeri başı) kommandiert u. mit einem →Berat versehen oblag es den D., wie es in einem osm. →Defter für Prilep heißt, „die Durchreisenden vor Unheil u. Banditen zu beschützen“ (1468). Außerdem hatten sie Amtspersonen zu beherbergen u. für die Instandhaltung von Wegen u. Brücken zu sorgen (vgl. ähnliche Maßgaben im sog. →Zakonik Stefan Dušans, Paragraphen 157, 158 u. 160). Als Gegenleistung erhielten die D. Steuernachlässe (z. B. 10 statt 25 →Akçe pro Haushalt für die Steuer namens ispence) oder Steuerbefreiung (regelmäßig von den sog. „außerordentlichen“ Umlagesteuern; ausnahmsweise von der →Kopfsteuer). Generell jedoch
Derbendci / Derwisch
fiel die steuerliche Entlastung der D. deutlich geringer aus als bei den Falknern, →Armatolen u. Vojnuken (→Osmanisches Reich), die als weitere Beispiele von Bevölkerungsgruppen mit speziellen Aufgaben im Osm. Reich einen ähnlichen Status wie die D. genossen. Lit.: M. Kiel, Art and Society of Bulgaria in the Turkish Period. Assen u. a. 1985; A. Stojanovski, Dervendžistvoto vo Makedonija. Skopje 1974; C. Orhonlu, Osmanlı İmperatorluğunda Derbend Teşkilatı. İstanbul 1967. M. U.
Derwisch (Ethymologie unklar, der Inhalt wurde mit „sect der geistlichen Münich“ [Georgius de Hungaria, 15. Jh.] schon früh missverständlich umschrieben; persisch darwīš = Bettler, dar = Tür, Tor). Als D. oder Sufi (arab. Ṣūfī) werden die Anhänger des Sufismus bezeichnet. Dieser erst Anfang des 19. Jh.s aufgekommene Neologismus ist eine Sammelbezeichnung für asketische u. spirituelle Strömungen im Islam, die häufig unter dem Begriff „Mystik“ zusammengefasst werden. Die wenigsten D. lebten nach Art christl. oder buddhistischer Mönche zölibatär im „Kloster“. Ihre Gemeinschaften sind trotz Heiligenkult u. anderer Formen unorth. Frömmigkeit sunnitischer Observanz (Sektencharakter hat freilich die Bruderschaft der →Bektaschi). Man kann sie definieren als „hierarchisch organisierte initiatorische Verbände, die auf einem mystischen Konzept des Islams beruhen“ (F. de Jong); andere Forscher sehen in ihnen eine „männerbündliche“ Verfassung (H.-J. Kißling). Jede relig. Bruderschaft (arab. ṭarīqa „Weg“ im übertragenen Sinne) führt sich auf einen namensgebenden „Ordensheiligen“ (pers. pīr „Lehrer“) zurück, der keineswegs immer mit dem tatsächlichen Begründer identisch ist. An ihrer Spitze steht einer seiner „Nachfolger“ (arab. ḫalīfa) – bei Zweigbildung sind es mehrere – in Gestalt des Ordensscheichs (arab. šayḫ oder muršid). Die Angehörigen einer typischen Bruderschaft gliedern sich in drei „Kreise“. Nur die des inneren Kreises (arab./pers. huğra-nišīn, wörtlich „Zellensitzer“) leben nach dem Grundsatz der Besitzlosigkeit zönobitisch im Konvent (tekye, tekke, hangah; kleinere Niederlassungen heißen zaviye). Zahlenmäßig ist diese Gruppe am kleinsten: das Bektaschi-Zentrum Kızıl Deli bei Dimetoka umfasste 1825/6 150 unverheiratete D. sowie 40–50 „Diener“. Typischer, mindestens in der Reichshauptstadt, sind Größenordnungen v. vier bis sieben Zelleninsassen. Solche D., die die tekye nur vorübergehend zu relig. Zwecken aufsuchen u. sonst ein normales Privatleben führen, gehören dem äußeren Kreis an. Den weitaus größten Teil der Anhängerschaft bildet der Kreis der Sympathisanten (arab./pers. muḫibbān „Freunde“). Die meisten Bruderschaften tolerieren Mehrfach-Zugehörigkeit. Die liturg. Formen u. relig. Übungen variieren; gemeinsam ist das Streben nach Jenseitserfahrung. Berühmt sind der Rundtanz der Mevlevi-D. u. der waffentanzartige zıkır (die litaneiartige Anrufung Gottes) der Rifaije (sog. „heulende“ D.), deren Mitglieder sich Selbstverletzungen ohne Blutverlust beizubringen verstehen. Bei der auf dem Balkan weitverbreiteten Halvetije (vgl. →Aleviten) findet sich ein bis zu vierzigtägiges Fasten mit Schlafentzug (arab. arba‘īn „Quadragesima“). – Einige Bruderschaften, z. B. eben die Halvetije, haben bei der →Islamisierung besonders seit dem 18. Jh. („Zweite Islamisierungswelle“) eine wichtige, wenn auch im einzelnen noch kaum näher erforschte Rolle gespielt. Zwischen Vertretern des orth. Hochislam u. einigen D.-Orden kam es wiederholt
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Derwisch / Despoten
zu Auseinandersetzungen, in denen die D. als „Häretiker“ verurtelt u. verfolgt wurden. Die im Balkanraum, insbes. in Albanien, Kosovo u. Bosnien-Herzegowina vertretenen D.-bruderschaften überlebten das Ende der osm. Herrschaft. Während des Sozialismus waren sie allerdings entweder verboten oder marginalisiert u. konnten sich erst nach dem Umbruch v. 1989/90 wieder revitalisieren. Bibl.: M. Gjinaj/P. Bezhani/N. Çuni, Bektashizmi në Shqipëri. Bibliografi. Tiranë 2004. Lit.: K. Filan, Sufije i kadizadelije u osmanskom Sarajevu, Anali Gazi Husrev-begove biblioteke 29–30 (2009), 163–186; J.W. Frembgen, Reise zu Gott. Das mystische Herz des Islam. Eine Einführung. Freiburg i.Br. 2005; J. Rexhepagiqi, Dervishët dhe teqetë në Kosovë, në Sahxhak dhe në rajonet tjera përreth. Pejë 2003; A. Schimmel, Sufismus. Eine Einführung in die islamische Mystik. München 2000; Les Voies d’Allah. Les ordres mystiques dans le monde musulman des origines à aujourd’hui. Hgg. A. Popovic/G. Veinstein. Paris 1996; K. Kreiser, Istanbul u. das Osmanische Reich. Derwischwesen, Baugeschichte, Inschriftenkunde. Istanbul 1995; M. Balivet, Islam mystique et révolution armée dans les Balkans ottomans: vie du Cheikh Bedreddîn, le «Hallâj des Turcs» (1358/59–1416). Istanbul 1995; A. Popovic, Les derviches balkaniques hier et aujourd’hui. ebd. 1994; H.T. Norris, Islam in the Balkans. Religion and Society Between Europe and the Arab World. London 1993; Manifestations of Sainthood in Islam. Hg. G.M. Smith. Istanbul 1993; R. Lifchez, The Dervish Lodge. Berkeley 1992; N. Clayer, L’Albanie, pays de derviches. Les ordres mystiques musulmans en Albanie à l’époque post-ottomane (1912–1967). Berlin, Wiesbaden 1990; J. Baldwick, Mystical Islam. An Introduction to Sufism. London 1989; E. de Vitray-Meyerovitch, Rûmî and Sufism. Sausalito/Ca. 21989; H.J. Kissling, Dissertationes Orientales et Balcanicae Collectae. Bd. 1: Das Derwischtum. München 1986; Dž. Čehajić, Derviški redovi u jugoslovenskim zemljama sa posebnim osvrtom na Bosnu i Hercegovinu. Sarajevo 1986; G. Schweizer, Die Derwische. Heilige u. Ketzer des Islam. Salzburg 1980; F.W. Hasluck, Christianity and Islam under the Sultans. Oxford 1929. M. U.
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Despoten (von gr. despotēs, d. h. Herr, Herrscher). Ab der Mitte des 12. Jh.s Bezeichnung für die Inhaber des höchsten Würdentitels in der byz. Hofrangordnung. Despotēs war zunächst eine in Briefen sowie auf Münzen u. Siegeln häufig verwendete Bezeichnung des byz. Kaisers. Als regelrechter, vom Kaisertum unterschiedener Würdentitel wurde er erstmals 1163 v. Manuel I. (1143–1180) dem ung. Kronprinzen u. Verlobten seiner Tochter Maria, Béla-Alexios, verliehen, um diesen damit für die Nachfolge als Ks. zu designieren. Doch wurden diesem Titel u. Thronfolge nach der Geburt Alexios’ II. (10.9.1169) wieder entzogen. Auch Alexios III. Angelos (1195–1203) bediente sich des Titels D., um nacheinander seine Schwiegersöhne Alexios Palaiologos u. Theodōros Laskaris für die Thronfolge zu qualifizieren. Der D. trug eine mit Perlen geschmückte Kopfbedeckung u. zweifarbige (weiß u. violett) Schuhe. Auch Teile seines Zaumzeugs waren in diesen, ihm reservierten Farben gehalten. Seine mit silbernen Siegeln beglaubigten Urkunden (argyrobulla) unterzeichnete er mit dunkelroter Tinte. Nach Errichtung des →Lateinischen Kaiserreiches (1204) erhielten die Dogen v. Venedig u. die venez. Podestà v. Konstantinopel vom lat. Ks. den Titel D. 1209 wurde Aleksij Slav,
Despoten / Deutsche (Mittelalter, Frühe Neuzeit)
Herr v. Melnik, v. seinem Schwiegervater, dem lat. Ks. Heinrich, mit diesem Titel ausgezeichnet. Unter den →Paläologen empfingen die Brüder u. die jüngeren Söhne des Ks.s, die nicht für die Thronfolge vorgesehen waren, den Titel D., z. B. 1259 Johannes Palaiologos v. seinem Bruder Michael VIII. für seinen Sieg bei Pelagonia. Grundsätzlich besaß nur ein Ks., u. zwar primär der byz., das Recht, den Titel D. zu verleihen. Da dieser nicht erblich war, war er auch nicht automatisch mit der Beherrschung u. Verwaltung bestimmter Gebiete verbunden. Deshalb sollten diese Territorien (→Epirus, →Peloponnes-Morea, Thessaloniki) besser nicht als Despotate bezeichnet werden, da ihre Beherrscher den Titel D. nur trugen, wenn er ihnen jeweils persönlich auf Grund ihrer Zugehörigkeit zur ksl. Familie oder als ksl. Auszeichnung eher vor als nach der Übernahme einer Herrschaft eigens verliehen wurde. Auch die beiden ersten bulg. D. Jakob Svetoslav u. Georgij Terter empfingen vom byz. Kaiser Michael VIII. Palaiologos ihre Titel. Der erste serb. Aristokrat mit diesem Titel war Jovan Oliver (um 1340), doch wurde er damit wahrscheinlich v. Andronikos III. oder Johannes VI. Kantakuzenos ausgezeichnet. Nach seiner Kaiserkrönung in Skopje (16.4.1346) erhob Dušan seinen Halbbruder Simeon u. den Bruder seiner Gemahlin Helena, Ivan Šišman, zu D. Die serb. D. des 15. Jh.s erhielten ihre Titel v. 1402–1453 immer vom byz. Ks., danach vom ung. Kg. Lit.: K. Giakoumis, The Ottoman Advance and Consolidation in Epirus and Albania during the Fourteenth and Fifteenth Centuries, Ēpeirōtiko hēmerologio 25 (2004), 217–244; D.M. Nicol, The Despotate of Epiros, 1267–1479. Cambridge 1984; A. Failler, Les insignes et la signature du despote, Revue des études byzantines 40 (1982), 171–186; B. Ferjančić, Despoti u Vizantiji i južnoslovenskim zemljama [dt. Nebentitel: Die Despoten in Byzanz u. den südslawischen Ländern]. Beograd 1960; R. Guilland, Le Despote, Revue des études byzantines 17 (1959), 52–89 (= ders., Recherches sur les institutions byzantines. Bd. 2. Berlin u. a. 1967, 1–24); G. Ostrogorsky, Urum-Despotes. Die Anfänge der Despoteswürde in Byzanz, Byzantinische Zeitschrift 44 (1951), 448–460 (= ders., Zur byz. Geschichte. Darmstadt 1973, 153–165). K.-P. T.
Deutsche (Mittelalter, Frühe Neuzeit). Die dt. Ostsiedlung des MA war Teil einer v. W nach O verlaufenden europ. Wanderungsbewegung, hervorgerufen durch den Bevölkerungszuwachs in den wirt. besonders entwickelten Gebieten Westeuropas. Nachdem hier der Landesausbau seine damaligen technischen u. räumlichen Grenzen erreicht hatte, setzte die v. landsuchenden Freibauern, v. Kaufleuten, Handwerkern u. niederem Adel getragene Wanderungsbewegung ein, um durch Rodung u. Urbarmachung bisher landwirt. nicht extensiv benutzter Böden in menschenarmen u. wirt. kaum erschlossenen Räumen im östl. Europa den Ackerbau zu intensivieren, durch Städtegründungen den Handel u. das Handwerk heimisch zu machen oder zu stärken u. durch Bergbau die Bodenschätze zu erschließen. So ist die dt. Ostsiedlung als ein integrativer u. nicht zu trennender Bestandteil eines zahlreiche europ. Länder phasenverschoben erfassenden Aufbauprozesses anzusehen. Nach einer ersten Phase im Früh-MA (v. Bayern ausgehende Besiedlung der im Ostalpenraum u. in Pannonien – dem heutigen Westungarn u. Burgenland – unter Karl dem Großen eingerichteten Marken bzw. der nach dem Ungarnsturm wiedererrichteten, nunmehr überwiegend auf den
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Deutsche (Mittelalter, Frühe Neuzeit)
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Ostalpenraum beschränkten ottonischen Marken) erreicht sie im Hoch-MA, im 12. u. 13. Jh. ihren Höhepunkt u. wurde durch die erste, ganz Europa heimsuchende Pestepidemie v. 1348–1352 u. ihren Folgen (Bevölkerungsrückgang, Wirtschaftsrezession) schlagartig beendet. Der keineswegs spektakuläre, sondern in kleinen Schüben verlaufende Ansiedlungsvorgang dt. Kolonisten, die in den ma. Urkunden wie in Westeuropa als coloni oder hospites bezeichnet werden, wurde in erster Linie v. den Landesherren, später auch v. geistlichen (Bischöfen u. Klöstern) u. weltlichen Grundherren in Gang gesetzt u. hat sich in der jeweils nachfolgenden Phase durch Tochtersiedlungen demographisch weitgehend selbst getragen u. fortgesetzt. So rief der ung. Kg. Géza II. im 12. Jh. „Saxones et Flandrenses“ nach Siebenbürgen u. Saxones in die →Zips, die als →Siebenbürger bzw. Zipser Sachsen ganz wesentlich zur Erschließung u. Kultivierung des ihnen zugewiesenen Gebietes beigetragen haben. Als Sachsen wurden auch die im 12.–14. Jh. angesiedelten Bergleute in Bosnien, Serbien u. in den übrigen Balkanländern bezeichnet (→Bergbau). Während letztere wahrscheinlich tatsächlich aus den sächsischen Bergbaugebieten stammten, wurde im Kgr. Ungarn der Name „Sachse“ als Sammelbezeichnung für die dt. Kolonisten verwendet, die aus dem Rheinland, aus Moselfranken, aus Flandern u. Luxemburg, aus Thüringen u. aus Niedersachsen kamen, aber auch aus anderen Gebietes des Reiches angeworben wurden. Nach dem Tatarensturm 1241 (→Mongolen), der viele soeben besiedelte Gebiete verwüstet hatte, konzentrierten sich die ung. Kg.e Béla IV., Karl I. Robert, Ludwig I. u. Sigismund v. a. darauf, durch die Gründung v. Handwerks-, Handels- u. Bergwerksstädten einerseits die wirt. Entwicklung, durch deren Befestigungsanlagen andererseits auch die Verteidigung des Landes zu stärken. Zu diesem Zweck wurden neue Siedler angeworben u. strategisch wie handelspol. günstig gelegene Orte durch Privilegien gefördert. Entlang des Karpatenbogens entstand, vorrangig in der Nähe der Pässe, eine Kette dt. Handelsstädte, die v. Pressburg über Tyrnau, Trentschin, Sillein, Käsmark, Leutschau, Kaschau u. Beregsaß bis nach Siebenbürgen, nach Bistritz, Kronstadt u. Hermannstadt (→Königsboden) reichte u. stellenweise auch über die Karpaten hinausgriff (Lemberg, Sereth, Suceava, Akkerman, Langenau/Cimpolung in der Walachei). In den erz- oder salzreichen Gebieten entstanden die →niederungarischen Bergstädte (Schemnitz, Karpfen, Kremnitz u. Neusohl), die Bergstädte in der Unterzips (Göllnitz u. Schmöllnitz), Frauenbach u. Rodenau am Fuße der Marmaroscher Berge (→Maramureş) u. Offenburg u. Schlatten im Siebenbürgischen Erzgebirge. Im Inneren des Landes blühten, durch dt. wie auch „lateinisches“ (Italiener, Franzosen) Patriziat getragen u. angeführt, Gewerbe u. Handel rund um administrative oder geistliche Zentren: Ofen u. Pest (→Budapest), Güns, Raab, Stuhlweißenburg, Gran, Vac, Fünfkirchen, Großwardein, Klausenburg. Im S des Landes entwickelten sich v. a. Agram (→Zagreb), Varasdin u. Esseg zu wichtigen dt. Städten Kroatiens u. Slawoniens. Außerhalb des Kgr.s Ungarn entstanden im MA in Kolonien der Bischöfe v. Bamberg u. Freising in →Krain u. im Krainischen Karst bedeutende dt. Rodungssiedlungen. Gerufen v. dem damaligen Grundherrn, den Grafen v. Ortenburg, ließen sich in der →Gottschee um 1330 Bauern aus Kärnten, Tirol, Bayern u. Franken nieder. Aufgrund der in den Kolonisten- u. Stadtrechten zusammengefassten Privilegien u. Steuervergünstigungen sowie der technischen Neuerungen, die v. den Siedlern eingeführt
Deutsche (Mittelalter, Frühe Neuzeit)
wurden, ist ein zweiseitiger struktureller Angleichungsprozess in den betroffenen Ländern festzustellen. Zunächst im rechtlichen Bereich, da „deutsche“ Kolonisten- wie Stadtrechte auch nichtdeutschen, in immer umfangreicherem Maße auch einheimischen Kolonisten u. Stadtbürgern gewährt wurden, wodurch das dt. Stadtrecht weit nach Osten auch in nichtdt. Gebieten eine weite Verbreitung fand u. die Schicht der Freibauern bedeutend zugenommen hat. Im Bereich der Bewirtschaftung waren es folgende technische Neuerungen, die die „agrarische Revolution“ des Westens nach O getragen haben: Der eiserne Wendepflug, die eiserne Egge, die Sense, der zweigeteilte Dreschflegel, die Dreifelderwirtschaft u. die Wassermühlen, die allmählich auch v. den Handwerkern zum Tuchwalken, zum Brettsägen, zum Antrieb v. Schleifrädern etc. genützt wurden. Am Ende dieses ma. Angleichungsprozesses stehen dann bereits technische Großanlagen, etwa die Eisenhämmer u. Glashütten. Rasch wurden die rechtlichen u. technischen Neuerungen auch v. den einheimischen Völkern dazu benützt, nun auch ihrerseits den Prozess der Rodung u. wirt. Erschließung bislang rückständiger Gebiete voranzutreiben, so dass der dt. u. europ. Ostsiedlung des MA v. a. eine Initiativrolle u. katalysatorische Funktion im Landesausbau des östl. Europas zukommt. Abgesehen v. der frühma. Phase, in der die dt. Ansiedlung im Ostalpenraum mit einer Ausdehnung auch der pol. Herrschaft u. der dt. Sprachgrenze gekoppelt war, entwickelten sich zw. den Kolonisten – deren Siedlung meist in einer terra deserta nur selten bereits Ansässige verdrängte – u. den Einheimischen weitgehend friedliche Beziehungen, schließlich ein Miteinander, das beide Seiten kulturell u. wirt. stimuliert u. bereichert hat. Die Kolonisten, ob Bauern oder Stadtbürger, erwiesen sich später als wichtige Stützen des jeweiligen Staates, den sie als einen Garanten ihrer erworbenen Rechte betrachteten. Die Ausdehnung der osm. Herrschaft auf größere Landesteile Ungarns hat den dort nach dt. Stadtrecht lebenden Gemeinden ein Ende bereitet. Mit dem siegreichen Vordringen der kaiserlichen Truppen (→Türkenkriege) entstand nach 1686 in den traditionellen, auch aufgrund milit. Gesichtspunkte wiederrichteten städtischen Zentren wie Fünfkirchen, Esseg, Temeswar oder im gegenüber der Donaufestung Peterwardein neu angelegten Neusatz/Novi Sad ein dt. geprägtes Bürgertum, das sich aus der Einwanderung aus Österreich, Böhmen u. Süddeutschland rekrutierte. Die nach den Friedensschlüssen v. →Karlowitz (1699) u. →Passarowitz (1718) sich entfaltende →Kolonisation der v. den Türken eroberten Gebiete war v. vielen ethn. Gruppen getragen, die v. den Rändern u. Nachbarregionen des Kgr.s Ungarn in seinen mittleren u. südl. Landesteil strömten. Als Bezeichnung der in diesem Zusammenhang nach Ungarn eingewanderten Deutschen hat sich nach 1918 v. a. in den Herkunftsgebieten der Begriff →Donauschwaben, später auch →Volksdeutsche eingebürgert. Lit. (vgl. a. die Lit. bei den Verweislemmata): G. Seewann, Geschichte der Deutschen in Ungarn. Bd. 1: Vom Fühmittelalter bis 1860. Marburg 2012; Die Ansiedlung der Deutschen in Ungarn. Beiträge zum Neuaufbau des Königreiches nach der Türkenzeit. Hgg. ders./K.-P. Krauss/N. Spannenberger. München 2010; T. Tu, Die Deutsche Ostsiedlung als Ideologie bis zum Ende des Ersten Weltkrieges. Kassel 2009; The Germans and the East. Hg. C.W. Ingrao. West Lafayette 2008; Deutsche Geschichte im Osten Europas: Zwischen Adria u. Karawanken. Hg. A. Suppan. Berlin 1998; Deutsche Geschichte im Osten Europas: Land an der Donau. Hg. G. Schödl. Berlin
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Deutscher Ritterorden
1995; I. Eberl, Die deutsche Siedlung u. Kultur in Ost- u. Südosteuropa, in: Flucht, Vertreibung, Eingliederung. Baden-Württemberg als neue Heimat. Sigmaringen 1993, 13–52; P. Erlen, Europäischer Landesausbau u. mittelalterliche deutsche Ostsiedlung. Marburg 1992; W. Conze, Ostmitteleuropa von der Spätantike bis zum 18. Jh. München 21993; F. Gottas, Die Deutschen in Südosteuropa. Ein Überblick, Südostdeutsches Archiv 34/35 (1991/92), 5–22; L. Dralle, Die Deutschen in Ostmittel- u. Osteuropa. Darmstadt 1991; Ch. Higounet, Die deutsche Ostsiedlung im Mittelalter. München 1990. G. S.
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Deutscher Ritterorden (a. Ritterorden der Deutschherren; lat. Ordo fratrum hospitalis sanctae Maria Theutonicorum lerosolimitanorum). Seine Gründung erfolgte ebenso wie die des Johanniterordens u. des Templerordens in Zusammenhang mit den ma. →Kreuzzügen. In der Gemeinschaft mit Gleichgesinnten karitative Dienste zu leisten u. die Waffen gegen unchristl. Feinde zu führen, erschien gerade nachgeborenen Söhnen als erstrebenswertes Lebensziel. Die Ursprünge des Ritterordens der Deutschherren sollen in einem Hospital liegen, das dt. Pilger 1120 neben einer Marienkirche in Jerusalem gegründet hatten. Erst nach der Rückeroberung der Stadt durch die Muslime wurde diese dt. Krankenpflegerbruderschaft im Kreuzfahrerheer v. Akkon 1199 vom Papst als Ritterorden bestätigt. Die späte Gründung des Ritterordens erklärt, dass er im Hl. Land keine allzu große Rolle mehr spielen konnte u. daher Aufgaben in anderen Ländern übernahm. Unter dem Hochmeister Hermann v. Salza (1209–1239) folgte der D.R. 1211 dem Ruf des ung. Kg.s Andreas II. nach →Siebenbürgen, wo er die Verteidigung der Ostgrenze des Reiches übernehmen u. Kumanien (→Kumanen) missionieren sollte. Dem D.R. wurde das →Burzenland zugewiesen, dessen Grenzen in der Königsurkunde v. 1211 genau umrissen wurden: v. dem Burzenländer Gebirge im S reichte es bis zum Fluss Alt (rum. Olt) im N. Im W sollte die Burg Halmagen, im O der Tartlaubach die Grenze markieren. Der D.R. baute dort Holz- u. Steinburgen u. versuchte, das Land wirt. zu erschließen. Der Hauptsitz des D.R. im Burzenland war wohl die Marienburg am Alt, die 1240 erstmals urkundlich bezeugt ist. Das Verhältnis zum ung. Kg. u. zum siebenbürg. Bf. gestaltete sich v. Anfang an spannungsreich. Über Fragen der Münzhoheit u. der Abwerbung dt. Siedler vom siebenbürg. →Königsboden kam es zu Auseinandersetzungen. 1222 verbot der Kg. dem D.R. ausdrücklich, eigene Münzen zu prägen u. Siedler abzuwerben. Gleichzeitig wurde der D.R. mit einer Vergrößerung seines Herrschaftsgebiets auf das Kumanenland in der östl. →Walachei, also über die Karpaten hinaus, belohnt. Nach einem nicht genau zu datierenden Versuch des Kg.s, den D.R. des Landes zu verweisen, suchte dieser in Rom um Unterstützung nach u. wurde 1224 unter besonderen päpstl. Schutz gestellt. Als der D.R. mit Hilfe v. Papst Honorius III. u. Ks. Friedrich II. versuchte, einen eigenständigen Ordensstaat, einen „Staat im Staat“ zu errichten, wurde er vom ung. Kg. 1225 vertrieben. Das Vorspiel in Siebenbürgen diente Hermann v. Salza für die Errichtung des Ordensstaates in Preußen. Für die ung. Grenzverteidigung war der D.R. so bedeutend gewesen, dass die ung. Könige später noch versuchten, den D.R. wieder ins Land zurück zu rufen. Der Burzenländer Episode folgte noch ein kürzerer Aufenthalt (1429–1437) des D.R. im →Severiner Banat, das der Kg. dem
Deutscher Ritterorden / Deutschland (19./20. Jh.)
Orden für die Abwehr der Türken zugewiesen hatte. Der D.R. versuchte bis 1708 vergeblich, die siebenbürg. Besitzungen im Burzenland zurückzugewinnen. Lit.: Generalprobe Burzenland. Neue Forschungen zur Geschichte des Deutschen Ordens in Siebenbürgen u. im Banat. Hg. K. Gündisch. Köln u. a. 2013; K. Militzer, Die Geschichte des Deutschen Ordens. Stuttgart 2005; H. Zimmermann, Der Deutsche Orden im Burzenland: eine diplomatische Untersuchung . Köln u. a. 2000 (22011); ders., Der Deutsche Ritterorden in Siebenbürgen, in: Die geistlichen Ritterorden Europas. Hgg. J. Fleckenstein/M. Hellmann. Sigmaringen 1980, 267–298. A. Sch.
Deutschland (19./20. Jh). Die Befreiung der christlichen Balkanvölker v. osman. Herrschaft bewirkte nicht nur eine Fortschritt fördernde Öffnung nach West- u. Mitteleuropa u. damit die Einbeziehung in die kapitalistische europäische Wirtschaft, sie brachte auch eine neue Abhängigkeit v. den Großmächten u. ihrer imperialistischen „Interessensphärenpolitik“. Seit dem Serbischen Aufstand v. 1804 (→Serben; →Befreiungskriege) ist SOE in Schüben mehr oder weniger stark v. der „Verwestlichung“ erfasst (vgl. →Modernisierung) u. in der Folge großer Kriegsereignisse wiederholt in seiner pol. Struktur verändert worden (1878, 1912/13, 1918–20, 1940/41, 1944/45, 1991–99). Während der nördl. Teil schon frühzeitig v. der unmittelbaren Nachbarschaft des dt.-österr. Kulturraumes sowie durch dt. Einwanderer beeinflusst worden war (vgl. →Deutsche; →Studentenmigration), begannen dt. Einflüsse südlich der Donau-Save-Linie erst seit dem 18. Jh. zu wirken. Zwar hat der dt. Einfluss die Völker bis hinunter in den Südbalkan kulturell u. zivilisatorisch angeregt u. ihre moderne →Nationsbildung entscheidend gefördert, aus Furcht vor einem Übergewicht Österreichs (→Habsburgermonarchie; →Österreich-Ungarn) – u. hinter ihm der aufstrebenden preußisch-dt. Großmacht – wurde dieser Einfluss im Verlauf des 19. Jh.s jedoch zugunsten des französischen zurückgedrängt. Mit Ausnahme der Griechen u. Bulgaren, bei denen es keine dt. Minderheiten u. keine Erfahrungen mit den Habsburgern gab, verschlechterte sich das Verhältnis D.s u. in anderem Maß auch Österreichs zu den Völkern SOEs zusehends. Während gleichzeitig das kulturelle Sendungsbewusstsein in den Hintergrund trat, waren dt. Industrie u. Technik seit der zweiten H. des 19. Jh.s in den Südostländern auf dem Vormarsch, u. die Wirtschaftsbeziehungen wurden schließlich zum zentralen Anknüpfungspunkt. Als Erster hat sich Friedrich List seit den 30er Jahren des 19. Jh.s für eine Intensivierung der Handelsbeziehungen mit den Balkanländern eingesetzt, um dem zu schaffenden dt. Einheitsstaat einen entwicklungsfähigen Wirtschaftsraum in Europa zu gewährleisten („Ergänzungsraum“). Bis zum 1. Wk. entwickelte sich „Mitteleuropa“ v. einer Ziel- u. Wunschvorstellung zum imperialistischen Kampfbegriff, ohne dass konkrete Schritte folgten. Auf der Grundlage wirt. Kraft wurde der „mitteleuropäische Großraum“ unter dt. Führung dennoch die dauerhafteste Zielvorgabe dt. Großmachtpolitik. Trotz einer spürbaren Belebung der dt. Wirtschaftsinteressen spielten weder der Balkan noch der Orient vor 1914 ökon. eine wesentliche Rolle, wenn auch mit Hilfe der Bagdad-Bahn eine „friedliche Durchdringung“ des →Osm. Reiches betrieben werden sollte.
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Die Südosteuropapolitik des Dt. Reiches erreichte mit dem →Berliner Kongress 1878 einen ersten friedlichen Höhepunkt u. trug entscheidend zum Ausbau eines Systems v. Nationalstaaten (→Nationalstaatenbildung) bei. Da der dt. Einheitsstaat keine eigenen Balkaninteressen besaß, konnte Bismarck als „ehrlicher Makler“ auftreten u. die Konstellation der Großmächte in seinem Sinne beeinflussen. Die endgültige Lösung der nationalen Frage sollte hinausgeschoben werden, um die Dinge in der Schwebe zu halten. Doch schon 1879 schloss Berlin mit dem Habsburgerreich den „Zweibund“ u. band damit das Schicksal des Reiches auf Gedeih u. Verderb an die österr. Balkanpolitik. Italien, das sich 1882 anschloss, hoffte seinerseits auf ein Stück v. der osm. Hinterlassenschaft. Im Hintergrund aber grollte →Russland, dessen Balkanpolitik in Berlin zum Scheitern gebracht worden war u. das sich auf dem Weg nach Konstantinopel (a. →Meerengenfrage) einem neuen gefährlichen Gegner gegenüber sah. Damit waren die Weichen für die große Kriegskonstellation gestellt. Das „orientalische Geschwür“, das Bismarck hatte offen halten wollen, um eine Einheitsfront der Konkurrenten D.s zu verhindern, wurde zu einem unkalkulierbaren Risiko. Die dt. Machtpolitik betrachtete v. a. die südslav. Nationalbewegungen mit Misstrauen, weil sie Mitteleuropa vom Orient abzuschneiden drohten, u. entwickelte gegenüber Serbien eine besondere Feindseligkeit. Hatte Bismarck noch große Bedenken, sich in die „orientalischen Angelegenheiten“ einzumischen – sie seien nicht „die Knochen eines einzigen gesunden pommerschen Musketiers werth“ –, erfasste die expansive Dynamik der dt. Wirtschaft seit der Jahrhundertwende auch den Balkan u. führte zu einem starken Übergewicht des „Deutschen“. Als nach dem →Attentat v. Sarajevo der Bündnispartner Österreich im Juli 1914 die Entscheidung gegen Serbien u. das hinter ihm stehende Zarenreich suchte, trat D. an der Seite Österreich-Ungarns in den Großen Krieg ein (→Weltkrieg, Erster). Während der Krieg für die Serben durch das dt. Eingreifen zu einer nationalen Katastrophe wurde u. Hass zw. beiden Völkern säte, entwickelte sich mit Türken u. Bulgaren eine „Waffenbrüderschaft“, die noch lange nachwirken sollte. Die Brechung des hartnäckigen serb. Widerstands eröffnete auch Plänen, die Balkanstaaten wirt. eng an Mitteleuropa anzuschließen, gute Aussichten. Der Balkan galt als das erweiterte Mitteleuropa, u. Belgrad sollte das „Tor nach Osten“ werden. Zum Hauptverfechter der „Mitteleuropa“-Konzeption wurde Friedrich Naumann, der ihr 1915 in seinem berühmten Buch propagandistischen Ausdruck gab. Es wurde jedoch wenig getan, um die Südostvölker auf die Integration in einen fremdbestimmten Großraum vorzubereiten. 1918 musste vorläufig Abschied v. „Mitteleuropa“ genommen werden. Gleichwohl hielt sein Hauptverfechter den Grundgedanken – die Schaffung eines „überstaatlichen Organismus“, die Verminderung der Nationalitätenkämpfe u. die Mehrung des wirt. Nutzens – für zukunftsträchtig. Dafür sprach auch, dass die frühere österr. u. russ. Konkurrenz nicht mehr gegeben war. Die Beschränkungen des Versailler Vertrages u. die Unwägbarkeiten der nach Abschluss der Nationalstaatsbildungen entstandenen Lage ließen Zurückhaltung gegenüber SOE geraten erscheinen, ohne jedoch die Pflege v. Handelsbeziehungen als Voraussetzung für geregelte pol. Verhältnisse u. nicht zuletzt als Mittel zur Schwächung der frz. Vormacht in Europa aus den Augen zu verlieren. Schon vor der →Weltwirtschaftskrise waren die soe. Agrarstaaten wichtige Handelspartner des Reiches, seit 1930 wurde zielstrebig die Verbreite-
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rung der wirt. Grundlagen D.s nach Südosten betrieben. Sprachrohr der dt. SOE-Interessen war der 1925 gegründete „Mitteleuropäische Wirtschaftstag“. Ein geschützter mittel- u. soe. Wirtschaftsraum unter dt. Führung gewann im Verlauf der Weltwirtschaftskrise an Aktualität. Nach dem Machtwechsel 1933 wurde dieses Ziel konsequent verfolgt u. der dt. Einfluss unter Zurückdrängung des französischen u. des britischen zu einer Hegemonialposition ausgebaut. Die schwächeren Partner im Südosten profitierten durchaus davon, dass ihre Waren auf dem dt. Markt bevorzugt abgenommen wurden, den neuen Machthabern ging es langfristig aber um die Beherrschung des Südostraumes u. seine Einbeziehung in eine autarke „Großraumwirtschaft“. Die Ausnutzung der v. D. zu Höchstpreisen übernommenen Agrarkontingente war den Regierungen der Südostländer zunächst wichtiger als die Abwägung der aus einer allzu engen Bindung resultierenden Nachteile. Über die akute Absatzkrise hinaus waren alle soe. Staaten als landwirtschaftlich übervölkerte u. kapitalarme „Entwicklungsländer“ zur Erschließung ihrer produktiven Ressourcen u. zur →Industrialisierung auf die Hilfe des Auslands angewiesen. Und hier kamen in den 30er Jahren die attraktivsten Angebote, mit langfristigen Lieferverpflichtungen für Investitionsgüter im Austausch gegen Agrar- u. Bergbauprodukte, eben aus D. Frankreichs Bündnispolitik in Ostmittel- u. SOE (vgl. →Kleine Entente) erwies sich dagegen in Krisenzeiten als Phantom – wirtschaftlich u. politisch. Daher blieb den v. a. unter der Absatzkrise bei Agrarprodukten leidenden Südoststaaten keine andere Wahl, als ihren Außenhandel auf D. auszurichten u. eine starke Abhängigkeit zu riskieren. So wurden Ungarn, Rumänien u. Jugoslawien zu den bedeutendsten Handelspartnern des Reiches. Während der Anteil SOEs an den dt. Exporten zw. 1932 u. 1938 immerhin v. 4,8 % auf 15,7 % stieg, erreichte der dt. Anteil am Außenhandel SOEs 1938 die 40 %-Marke, u. mit dem „Anschluss“ Österreichs sowie der Zerschlagung der Tschechoslowakei begann die Abhängigkeit auch pol. bedrohlich zu werden. In dieser Situation, als auch Großbritannien die dt. Hegemonialstellung in SOE praktisch hingenommen hatte, verbündete sich Ungarn mehr oder weniger freiwillig mit dem „Dritten Reich“ u. erhielt dafür einen Teil der 1920 verlorenen Gebiete zurück (→Wiener Schiedssprüche). Mit dem nahenden Kriegsbeginn wurden auch Jugoslawien u. Rumänien auf die Seite der „Achsenmächte“ gedrängt. Nach der Niederlage Frankreichs im Sommer 1940 blieb Großbritannien die einzige Macht, auf deren Unterstützung gegen die völlige Einvernahme durch Nazi-D. die Regierungen in Belgrad u. Athen ihre letzte Hoffnung setzten. Der Donau-Balkanraum spielte in der nationalsozialist. Groß- u. Lebensraumideologie keine bevorzugte Rolle. Die geplanten Eroberungen im Osten, d. h. in Russland u. der Ukraine, sollten vielmehr durch Ruhe an der Südostflanke abgesichert werden. Als Rohstoff- u. Lebensmittellieferanten kam den soe. Ländern allerdings kriegswirtschaftlich eine erhebliche Bedeutung zu. Die konkurrierenden it. Interessen auf dem Balkan verhinderten jedoch, die Erhaltung des Status quo, u. mit Mussolinis verunglücktem Griechenland-Feldzug vom Oktober 1940 kamen Verwicklungen in Gang, die im Frühjahr 1941 zum dt. „Blitzkrieg“ gegen Jugoslawien u. Griechenland führten u. in der ganzen Region ein Chaos verursachten (→Weltkrieg, Zweiter). Die nationalsozialistische „Neuordnung“ des Südostraumes folgte dem Prinzip des „teile u. herrsche“, d. h. dem alten Verhalten der Großmächte, wonach keiner sich mit seinem Nachbarn vertragen sollte. Daher konnte v. einer „Neuen Ordnung“
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keine Rede sein. Angesichts der Konzentration auf den Russland-Feldzug gerieten die viel zu schwachen dt. Besatzungskräfte zusehends in Schwierigkeiten u. verstrickten sich im Kampf gegen die →Partisanen in Jugoslawien u. später auch in Griechenland u. Albanien heillos in einen Zirkel v. Gewalt u. Vergeltung. Zugleich erwiesen sich die mangelhafte Infrastruktur u. die strukturellen volkswirt. Schwächen der Südostländer als gravierendes Hindernis sowohl für jede Form v. Kooperation als auch für kriegswirt. Ausbeutung. Zudem verhinderten innenpol. Faktoren, v. a. der Partisanenkrieg, eine effektive Nutzung der wirt. Ressourcen. Die Kosten überstiegen daher schnell den Nutzen u. brachten auch die einheimischen Volkswirtschaften an den Rand des Zusammenbruchs. Durch den Anspruch auf Vorherrschaft der „germanischen Herrenrasse“, die pol. Instrumentalisierung der dt. Bev.gruppen in SOE (→Volksdeutsche), willkürliche Eingriffe in die staatlich-politische Gliederung des Südostraumes u. die Entfesselung eines Existenzkampfes der Völker u. Volksgruppen mit Exzessen faschistischen Terrors u. nationalist. Gegengewalt hat die nationalsozialist. Maßlosigkeit die Mitteleuropapolitik völlig diskreditiert. Der erfolgreiche Widerstandskampf der jug. →Partisanen, das Vordringen der Roten Armee u. die Einigung mit den Angloamerikanern brachten die weitgehende Wiederherstellung der Vorkriegsgrenzen – die Sowjetunion annektierte dabei →Bessarabien. Die Ablösung der dt. durch die sowj. Vormacht führte seit 1948 jedoch zu einer neuen imperialen Gleichschaltung u. zur Unterdrückung der Souveränität kleiner Völker. Mit dem Zerwürfnis zw. Belgrad u. Moskau (→Kominformkonflikt) u. dem Ende des griechischen →Bürgerkrieges 1948/49 wurde der Südosten ebenfalls gespalten, trat dafür aber in eine mehr als 40jährige Friedensperiode ein. Die pol. Beziehungen zu D. bzw. den beiden dt. Teilstaaten wurden infolge des →„Kalten Kriegs“ auf eine völlig neue Grundlage gestellt. Doch konnten sich die wirt. Beziehungen dessen ungeachtet neu entfalten. Die Bundesrepublik nahm im Westhandel Jugoslawiens, Ungarns, Rumäniens u. Bulgariens schon bald den ersten Platz ein u. wurde zum bedeutendsten westlichen Abnehmer v. soe. Agrarprodukten im Tausch gegen nach wie vor begehrte dt. Fertigwaren. Aber auch Kulturabkommen u. ein wachsender Touristenstrom in Richtung Südosten halfen, die Entfremdung zw. Deutschen u. SO-Europäern allmählich zu überwinden. Die große Zahl v. jug. Gastarbeitern in der Bundesrepublik leistete schließlich neben der Wirtschafts- eine nicht zu unterschätzende Verständigungshilfe. Zwar brach die Bundesrepublik 1957 in Ausführung der „Hallstein-Doktrin“ die dipl. Beziehungen zu Jugoslawien ab, nachdem Belgrad die DDR u. die Oder-Neiße-Grenze anerkannt hatte. Doch nach Bildung der Großen Koalition in Bonn mit Willy Brandt als Außenminister konnten die Beziehungen nach langwierigen Verhandlungen am 31. Januar 1968 wieder aufgenommen werden u. entwickelten sich danach zum Vorteil beider Seiten. Bis Mitte 1991 unterstützte D. den Erhalt Jugoslawiens, rückte jedoch nach Beginn der militärischen Auseinandersetzungen in Slowenien u. Kroatien (→postjugoslawische Kriege) von dieser Politik ab. Die entgegen der anderweitigen Zeitabsprache mit den Partnern der Europ. Gemeinschaft am 23. Dez. 1991 vorgezogene diplomatische Anerkennung Kroatiens u. Sloweniens durch das vereinte D. sorgte für schwere Irritationen. Den neugewonnenen Einfluss nützte die dt. Diplomatie zu einem spürbaren Statusgewinn im internationalen System. Nach der dramatischen Zuspitzung der Lage in →Kosovo u. dem Scheitern des intern. Abkommens von Rambouillet
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b. Paris (18.3.1999) beteiligte sich die Bundeswehr nach heftigen innenpolitischen Auseinandersetzungen u. Debaten über die „Verhinderung einer humanitären Katastrophe“ am Luftkrieg der Nato gegen Rest-Jugoslawien (24.3.–9.6.1999). Auch an den zur Friedenssicherung in Bosnien-Herzegowina u. Kosovo stationierten internationalen Truppen (IFOR/SFOR u. KFOR) nahmen dt. Kontingente teil u. übernahmen in Kosovo zeitweilig die milit. Führung in dessen südwestl. Sektor. Mit der v. D. wie der Mehrheit der EU-Mitglieder anerkannten Unabhängigkeit v. →Kosovo (17.2.2008) wurde die Auflösung des früheren Jugoslawien vorerst abgeschlossen. Bei den Verhandlungen rund um die EU-Beitrittsperspektive des sog. „Westbalkans“ u. den darum gegründeten innerregionalen Aussöhnungs- u. Kooperationsinitiativen spielt D. heute diplomatisch eine zentrale Rolle. Lit. (vgl. a. die Lit. bei den Verweislemmata, sowie für die früheren Epochen a. →Heiliges Römisches Reich): C. Freytag, Deutschlands „Drang nach Südosten“. Der Mitteleuropäische Wirtschaftstag u. der „Ergänzungsraum Südosteuropa“ 1931–1945. Göttingen 2012; Auslandseinsätze der Bundeswehr. Hgg. B. Chiari/M. Pahl, Paderborn u. a. 2010; Am Rande Europas? Der Balkan – Raum u. Bevölkerung als Wirkungsfelder militärischer Gewalt. Hgg. B. Chiari/G.P. Gross. München 2009; K. Thörner, „Der ganze Südosten ist unser Hinterland“. Deutsche Südosteuropapläne von 1840 bis 1945. Freiburg/Br. 2008; A.A. Beck, Deutsches Konfliktmanagement im ehemaligen lewing, GainJugoslawien 1991–1998 zwischen Anspruch u. Wirklichkeit. Saarbrücken 2008; K. C ing Power and Status through Engagement and Active Diplomacy: The Croatia Policy of United Germany, in: Croatia since Independence. War, Politics, Society, Foreign Relations. Hgg. S.P. Ramet/K. Clewing/R. Lukic. München 2008, 381–405; M. Wien, Markt u. Modernisierung. Deutsch-bulgarische Wirtschaftsbeziehungen 1918–1944 in ihren konzeptionellen Grundlagen. München 2007; M. Fuhrmann, Der Traum vom deutschen Orient. Zwei deutsche Kolonien im Osmanischen Reich 1851–1918. Frankfurt/M., New York 2006; N.J. Korczynski, Deutschland u. die Auflösung Jugoslawiens. Von der territorialen Integrität zur Anerkennung Kroatiens u. Sloweniens. Hamburg 2005; F. Roland, Die deutsche Außen- u. Sicherheitspolitik im Kosovo-Konflikt. Wiesbaden 2005; Deutsche Konfliktbewältigung auf dem Balkan. Erfahrungen u. Lehren aus dem Einsatz. Hg. R. Biermann. Baden-Baden 2002; D. Nećak, Hallsteinova doktrina in Jugoslavija: Tito med Zvezno republiko Nemčijo in Nemško demokratično republiko. Ljubljana 2002; F. Scherer, Adler u. Halbmond. Bismarck u. der Orient 1878–1890. Paderborn u. a. 2001; J. Elvert, Der Balkan u. das Reich. Deutsche Südosteuropapläne zwischen den Weltkriegen, in: Der Balkan. Eine europäische Krisenregion in Geschichte u. Gegenwart. Hg. Ders. Stuttgart 1999, 133–180; Z. Konstantinović, Deutsch-serbische Begegnungen. Überlegungen zur Geschichte der gegenseitigen Beziehungen zweier Völker. Berlin 1997; Germany and Southeastern Europe. Aspects of relations in the twentieth century. Hg. R. Schönfeld. München 1997; F.-J. Kos, Die politischen u. wirtschaftlichen Interessen Österreich-Ungarns u. Deutschlands in Südosteuropa 1912/13. Die Adriahafen-, die Saloniki- u. die Kavallafrage. Wien 1996; C. Farmakis, Die „makedonische Frage“ in der deutschen Politik. Ein Beitrag zum Nationalitätenproblem auf dem Balkan. Frankfurt/M. 1994; H. Sundhaussen, Jugoslawisch-deutsche Beziehungen zwischen Normalisierung, Bruch u. erneuter Normalisierung, in: Unfertige Nachbarschaften. Die Staaten Osteuropas u. die Bundesrepublik Deutschland. Hgg. O.N. Haberl/H. Hecker. Essen 1989, 133–151; W.S. Grenzebach Jr., Germany’s Informal Em-
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Diktaturen
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Diktaturen. Unter „Diktatur“ im modernen Sinn wird ein auf Dauer angelegtes pol. System verstanden, in dem ein einzelner oder eine oligarchische Gruppe de facto die gesamte pol. Gewalt monopolisiert hat u. allenfalls dem äußeren Schein nach andere hohe Staatsorgane (z. B. ein Parlament als Akklamationsforum) neben sich duldet. Die Übergänge zw. defekten demokr.-parl. u. diktatorischen Herrschaftssystemen können fließend sein, so dass eine klare begriffliche u. zeitliche Abgrenzung nicht immer möglich ist. In SOE lassen sich während des 20. Jh.s konservative, faschistische u. kommunistische D. unterscheiden. In der Zeit zw. den Weltkriegen setzten sich in allen soe. Staaten früher oder später kons. Diktaturen durch, die auf dem →Balkan die spezifische Form der Königsdiktatur annahmen (Albanien: Kg. Ahmed Zogu, September 1928 – April 1939; Jugoslawien: Kg. Alexander Karadjordjević, Januar 1929 – Oktober 1934; Bulgarien: Kg. Boris III., Januar 1935 – August 1943 u. Rumänien: Kg. Carol II., Februar 1938 – September 1940). Einen Sonderfall stellte die Diktatur des Generals Ioannis Metaxas in Griechenland dar („Diktatur des 4. August 1936“, bis Januar 1941), da die beherrschende Figur dieser Jahre nicht Kg. Georg II., sondern Metaxas war. In Jugoslawien wurde die Diktatur nach Ermordung des Kg.s im Oktober 1934 in modifizierter Form unter einem Regentschaftsrat bis zur Zerschlagung des Landes im April 1941 fortgesetzt. In Rumänien trat an die Stelle der Diktatur Carols im September 1940 (zum Hintergrund →Wiener Schiedssprüche) die Diktatur Marschall Ion Antonescus (bis August 1944). Die Königs-D. gingen mit dem europ. Trend zur Etablierung antidemokr. Systeme konform, unterschieden sich aber von diesen durch die starke Position des Monarchen, die bereits in vordiktatorischen Verfassungen verankert worden war. Die Hintergründe für die Etablierung der Königs-D. sind in der Schwäche der „Bürgergesellschaft“ u. der Instabilität der demokr.-parl. Systeme nach dem 1. Wk. zu suchen, die im Falle Großrumäniens u. des neuen „Kgr. der Serben, Kroaten u. Slowenen“ (→Jugoslawien), aber auch im jungen alb. Staat durch gewaltige Integrationsprobleme zusätzlich verstärkt wurden. In Griechenland kam die tiefe
Diktaturen
Spaltung der Gesellschaft in Royalisten u. Republikaner hinzu, die schon vor 1936 für wiederholte Staatsstreiche u. kurzfristige Diktaturen gesorgt hatte. Der Verliererstaat Bulgarien litt v. a. unter einem frustrierten Nationalismus u. den Aktivitäten der mak. Irredenta (→Irredentismus). Überall waren es die Unfertigkeit des Parteiensystems, der pol. Klientelismus (→Klientelsystem), die Manipulation von Wahlen, die weit verbreitete Gewaltbereitschaft, die Schwäche derjenigen Schichten, die einen funktionierenden pol. Pluralismus hätten tragen können, die Schwäche u. Ineffizienz intermediärer Institutionen u. der oft fehlende pol. Grundkonsens, die die demokr. Systeme funktionsuntauglich machten u. die Staaten mehr als einmal an den Rand der Unregierbarkeit rückten. Hinzu kamen die vielfältigen Modernisierungskrisen, die den Umbau der noch stark trad. geprägten Gesellschafts- u. Wirtschaftssysteme begleiteten, sowie die schwelende ökon. Strukturkrise, die Ende 1929 in die konjunkturelle →Weltwirtschaftskrise einmündete. Vor dem Hintergrund der in vielen Ländern Europas zunehmenden Verdrossenheit gegenüber dem demokr. Parlamentarismus wirkten der it. Faschismus u. der spätere Nationalsozialismus in Deutschland als „Vorbilder“, die in Teilaspekten zur Nachahmung reizten (→Faschismus). Im Unterschied zu diesen „Modellen“ stützten sich die Königs-D. auf dem Balkan jedoch nicht auf pol. Massenbewegungen, wenngleich einzelne Monarchen (z. B. Kg. Alexander oder Kg. Carol II.) nach Etablierung der Diktatur versuchten, als Ersatz für die verbotenen alten Parteien neue Regimeparteien (die „Jugoslawische Nationalpartei“ resp. die „Front der nationalen Wiedergeburt“ in Rumänien) ins Leben zu rufen. Diese Regimeparteien blieben jedoch in sich heterogen u. konnten die Opposition der großen illegalen Parteien nicht oder nur partiell bzw. vorübergehend überwinden. Gestützt wurden die Königs-D. durch einflussreiche Vertreter des Militärs u. des Unternehmertums, durch Teile der bisherigen pol. Eliten sowie durch Mitglieder der Bürokratie. Die Träger der D. strebten keine grundlegende Systemveränderung an; ihre Regime waren nicht totalitär (auch wenn sie einzelne Elemente totalitärer Regime kopierten), sondern autoritär u. zutiefst nationalkonservativ. Zum Teil erhielten die D. durch Erlass neuer Verfassungen (Jugoslawien: September 1931, Rumänien: Februar 1938) ein pseudo-parl. Gepräge, zum Teil bewahrten sie eine Art Rumpf-Parlamentarismus (z. B. Bulgarien). Zu den wichtigsten Zielen der D. gehörten die pol. u. ges. „Erneuerung“, die Stärkung des Staates u. die nationale Integration (Pseudo-Jugoslawismus, „dritte griechische Kultur“ u.ä.). Sie grenzten sich gegenüber einheimischen faschistischen Bewegungen u. radikalen Bauernparteien ebenso ab wie gegenüber den illegalen Kommunisten. Faschistisch geprägte D. konnten sich in SOE nur mit auswärtiger Hilfe etablieren (→Faschismus; →Hlinka-Garde, →Pfeilkreuzler, →Ustaše, →Unabh. Staat Kroatien). Das Regime von Miklós Horthy in Ungarn (1920–1944) kann den D. nicht oder nur mit großen Einschränkungen zugerechnet werden. Mit seiner Wahl zum „Reichsverweser“ am 1.3.1920 erhielt Horthy für die Zeit der Thronvakanz kgl. Prärogative, die er weitgehend ausschöpfte. Das erst Ende 1918 liberalisierte Wahlrecht wurde 1922 wieder eingeschränkt. Bis 1938 erfolgte die Stimmabgabe öffentlich (mit Ausnahme der städtischen Wahlbezirke), wodurch die Entfaltung eines pol. Pluralismus schwer behindert wurde. Dieses auf Militär u. die herrschenden Schichten (Aristokratie, Bürokratie, Unternehmer) gestützte „Königreich ohne König“ verstand sich als „christl.-nationale“ Antwort auf die 1918/19 gescheiterte bürgerliche Revolution u. die ihr folgende Räterepublik sowie als Überwindung von Liberalis-
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mus u. Sozialismus. Hauptziel war die Wiederherstellung des Reiches der →Stephanskrone (→Revisionismus). Treffend ist das Horthy-Regime als „konservativ-autoritäres Regime mit liberalen Reststrukturen wie einer relativ freien Presse, einem gewählten Parlament, einem unabhängigen Gerichtswesen, freien (wenn auch disziplinierten) Gewerkschaften u. einem Mehrparteiensystem“ charakterisiert worden, das von einer übermächtigen Regierungspartei (die sich selbst als „Einheitspartei“ bezeichnete) dominiert wurde (Szöllösi-Janze). In allen soe. Ländern (mit Ausnahme Griechenlands) kam es infolge des 2. →Wk.s zur Errichtung komm. D., die sich zunächst eng an das sowj. „Vorbild“ anlehnten, bald jedoch (zuerst in Jugoslawien) auch eigene, voneinander abweichende Wege einschlugen (→Volksdemokratien, →Sozialismus). Im Unterschied zu den D. der Zwischenkriegszeit wiesen die komm. Regime der Nachkriegszeit einen totalitären Anspruch mit ideologischem Charakter auf u. waren (mehr oder minder erfolgreich) bestrebt, alle Bereiche des öffentlichen (sowie große Teile des privaten) Lebens zu durchdringen. Etablierung u. Aufrechterhaltung der komm. D. waren überall mit einem Höchstmaß an Repression gegen tatsächliche oder vermeintliche Gegner unterschiedlichster Art („Kollaborateure“ früherer Regime, Oppositionspolitiker, Vertreter zivilges. Einrichtungen, unliebsame Mitwisser in den eigenen Reihen, Bauern, die sich der Kollektivierung widersetzen, „widerspenstige“ ethn. Minderheiten, etc.) verbunden. Die Phase des unverhüllten stalinistischen Massenterrors (→Stalinismus) ging ab Mitte der 60er Jahre allmählich u. in einem von Land zu Land unterschiedlichen Ausmaß in eine Phase indirekter Repression über. Am repressivsten blieben die Regime in Rumänien u. Albanien, während sich in Ungarn im Verlauf der 60er Jahre ein Kompromiss zw. Regime u. Gesellschaft abzeichnete. Ende der 80er Jahre sahen sich alle komm. Parteien gezwungen, ihr Machtmonopol aufzugeben. Wie schwierig sich der Weg zu einem demokr.-pluralistischen Parlamentarismus auch ohne die (unter sowj. Hegemonie oder aus eigener Kraft errichteten; → Russland/Sowjetunion) komm. D. gestaltete, belegt das Beispiel → Griechenland mit der Militärdiktatur von 1967 bis 1974.
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Dinar / Diwan
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Dinar. Der Name geht zurück auf Denar, Denarius (lat., von deni „je zehn“), die Hauptsilbermünze im Römischen Reich, die im griechischsprachigen Teil sowie im späteren →Byzanz als „denarion“ bezeichnet wurde. Im 7. Jh. wurde der Name von den Arabern zur Bezeichnung einer Goldmünze (entsprechend dem byz. Solidus) übernommen. Aus dem Byz. Reich gelangte der Name „dinarion“ (zur Bezeichnung einer Silbermünze) auch zu den Balkanslaven. Im ma. Serbien (→Serben) wird der D. erstmals 1321 schriftlich erwähnt. Die Ausprägung der altserb. Dinare (nach dem Vorbild der venez. Groschen) hatte bereits im Verlauf des 13. Jh.s begonnen. Auch im ma. →Bosnien u. in Ragusa/→Dubrovnik (von 1337 bis 1621) wurden Dinare geprägt. Als das Fsm. →Serbien (ab 1830) Ende 1873 seine Anlehnung an die lat. Münzunion erklärte, wurde der D. (unterteilt in 100 Para) als neue serb. Münzeinheit anstelle der osm. Münzen eingeführt u. dem frz. Silberfranc gleichgestellt. Nach Gründung des „Königreichs der Serben, Kroaten u. Slowenen“ (→Jugoslawien) Ende 1918 wurden die fünf bis dahin auf seinem Territorium gültigen Währungssysteme vereinheitlicht. Mit dem Gesetz über die Notenbank vom Januar 1920 ging der Name D. auf die jug. Währung über. Als Folge der Zerschlagung Jugoslawiens 1941 ging auch die Währungseinheit wieder verloren, wurde aber am Ende des 2. Wk.s in Form des D. bis zur Auflösung Jugoslawiens 1991 wiederhergestellt (u. danach im restjug. Staat u. nach dessen Auflösung in Serbien beibehalten). Lit.: B. Hinić/Lj. Đurđević/M. Šojić, Serbia/Yugoslavia: from 1884 to 1940, in: South-Eastern European Monetary and Economic Statistics from the Nineteenth Century to World War II. Athens, Sofia, Bucharest, Vienna 2014, 291-354; Š. Ljubić, Opis jugoslavenskih novaca. Ndr. Zagreb 1975; M. Ugričić, Novčani sistem Jugoslavije. Beograd 1967. H. S.
Diwan. Bez. vermutlich arab. Herkunft für (unter den ersten Kalifen) die Stammrolle der Armee, später für die (zentrale) Steuerverwaltung, Rechnungskammer, Staatskanzlei verwendet. Im Osm. Reich gewöhnlich in der Form D.-i Hümayun für den Großherrlichen Staatsrat
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Diwan / Dobrudscha
gebraucht, der seit Bayezid II. (1481–1512) unter Vorsitz des →Großwesirs tagte. In ihm hatten Sitz u. Stimme u. a. die übrigen sog. Kuppelwesire (s. u.), die Heeresrichter, die →Defterdare von →Rumelien u. Anatolien sowie der Nischandschi (Sekretär für den Namenszug des Sultans) , nicht jedoch der →Schejch ül-Islam. Andere Würdenträger wie der →Kapudan Pascha oder der →Beylerbeyi von →Rumelien wurden im Laufe des 16. Jh.s zugelassen. Der Kanzler (reisülküttab) protokollierte, nahm an den Beratungen selbst aber nicht teil. Aus dem D.-i Hümayun entwickelte sich im 19. Jh. der Ministerrat. – Während des 16. Jh.s tagte der D.-i Hümayun gewöhnlich samstags bis dienstags; die Sitzungen fanden, wenn sich der Sultan in Istanbul aufhielt, im zweiten Hof des Topkapı-Palastes im sog. Kuppelsaal (kubbe altı) statt, wo der Sultan den Beratungen hinter einer Abschirmung verborgen beiwohnen konnte. Diese betrafen nur wichtige Staatsangelegenheiten; weniger bedeutsame Gegenstände u. die Anhörung vieler Petitionen wurden an den sog. Nachmittags-D. verwiesen. Letzterer Aufgabe widmete sich der Reichsrat in seiner Funktion als oberstes Zivilgericht. – Auf Provinzebene nahm der dem Reichsrat nachgebildete Provinz-D. ähnliche Aufgaben wahr. Lit.: B. Lewis, Dīwān-i Humāyūn, in: EI²; A. Mumcu, Hukuksal Ve Siyasal Karar Organı Olarak Diwan-i Hümayun. Ankara 1976; K. Dilger, Untersuchungen zur Geschichte des osmanischen Hofzeremoniells im 15. u. 16. Jh.s. München 1967; J. von Hammer, Des osmanischen Reichs Staatsverfassung u. Staatsverwaltung. Wien 1815. M. U.
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Dobrudscha (rum. Dobrogea; bulg. Dobrudža). Hist. Landschaft zw. der unteren Donau u. dem Schwarzen Meer, pol. geteilt zw. Bulgarien u. Rumänien. (Rumän. N-D. 15.570 km2 mit 970.000 E, bulg. S-D: 7.692 km2 mit 357.000 E). Im W u. im N ist die D. begrenzt durch die Donau u. ihr Delta, im O durch das Schwarze Meer u. im S durch die bergige Landschaft Ludogorie. Im N der D. erhebt sich das Massiv v. Tulcea, ein waldiges Bergland, bis zu 467 m Höhe. Mitte u. Süden werden v. einem 60–240 m hohen Plateau bestimmt, dessen Ränder steil zum Schwarzen Meer abfallen. Die Küste im Norden läuft in flachen Sandstränden aus. Die D. hat kontinentales Klima bei geringer Niederschlagsmenge. Wirt. Grundlage ist Getreideanbau (Mais, Weizen), Viehwirtschaft (Schafe), Weinbau (im Norden), Fischwirtschaft (an der Schwarzmeerküste u. der Donau) sowie Tourismus in der Küstenregion. Wichtige Städte sind Constanţa am Schwarzen Meer in der N-D. u. Silistra (oder Silistria) an der Donau inder S-D. Das Gebiet der D. besiedelten thrakische Stämme, als im 7. u. 6. Jh. vor Chr. die Griechen Handelskolonien an der Küste des Schwarzen Meeres gründeten. Ab dem 1. Jh. vor Chr. gehörte die D. zum Röm. Reich. Als Teil des Thrakerreiches wurde sie 45 n. Chr. in die röm. Provinz Moesia einbezogen u. 285 durch die Reichsreform des Diokletian in die selbständige Provinz Scythia umgewandelt. 395 übernahmen die Byzantiner die Herrschaft. Die D. war das Kerngebiet des Ersten →Bulgarischen Reiches (681–971), geriet nach dessen Vernichtung wieder unter byz. Herrschaft u. war ebenso Teil des Zweiten Bulgarischen Reiches (1187–1279). Der Name der D. ist wahrscheinlich auf den Despoten Dobrotič zurückzuführen, der ab der Mitte des 14. Jh.s ein unabh. Fsm. gründete.
Dobrudscha
1393 fiel die D. unter osm. Herrschaft. Wesentliches Merkmal der osm. Epoche war der ethnodemogr. Wandel infolge einer systematischen Kolonisation des Landes mit überwiegend musl. Bevölkerung. Schon für die Jahre 1263/64 wird berichtet, dass sich 10.000–12.000 anatolische →Türken in der D. niedergelassen hätten. Am Ende des 14., im 15. u. im 16. Jh. folgen weitere Einwanderungen v. Türken aus Anatolien u. Kleinasien sowie v. →Tataren aus dem Gebiet nördl. des Schwarzen Meeres u. aus →Bessarabien. Im frühen 17. Jh. ist die D. hauptsächlich v. Türken u. Tataren bewohnt. Landkarten des 16. u. 17. Jh.s bezeichnen sie dementsprechend als Tartari Dobrucenses. Größere Siedlungen mit christl. Bev. (Bulgaren, →Gagausen, Roma, Griechen, Juden, Rumänen, Armenier) existieren im N, am Schwarzen Meer u. an der Donau. Die D. besaß für das zerfallende Osm. Reich entscheidende militärstrategische Bedeutung. Sie war Hauptschauplatz der russ.-osm. Kriege am Ende des 18. u. Anfang des 19. Jh.s. Für die Bev. bedeutete dies Vertreibung oder Emigration. Nach 1829 wird daher die Gesamtbev. auf höchstens 40.000 geschätzt. Parallel zu dieser Entwicklung initiierten die Osmanen erneut eine forcierte Kolonisation des Landes. Nach der Annexion der →Krim durch das Russ. Reich 1783 u. nach dem →Krimkrieg wurde ein großer Teil der tatarischen Flüchtlinge u. Immigranten in das Osm. Reich im Donaugebiet der D. angesiedelt. Ihre Zahl wird allein für 1854–66 mit 100.000 angegeben. Um die Mitte des 19. Jh.s stellen die Tataren noch vor den Türken, die v. a. im südl. Teil des Landes leben, die Hälfte der Gesamtbevölkerung. Seit Beginn des 19. Jh.s siedeln altgläubige Russen (→Altgläubige) v. a. an der Donau u. am Schwarzen Meer. Nach 1842 wandern die ersten dt. Kolonisten aus Bessarabien ein, weitere Einwanderungswellen aus dem Süden Russlands folgen nach 1873 u. 1890. Nach der Besetzung des Kaukasus durch russ. Truppen 1864 sollen 70.000–90.000 Tscherkessen vorwiegend in den nördl. Teil der D. gekommen sein. Schon während der Kriegshandlungen 1877/78 (→Orientalische Krise) hatte eine massenhafte Abwanderung der musl. Bev. begonnen, darunter ca. 90.000 Türken u. Tataren. Die Tscherkessen mussten nach 1878 die D. vollständig verlassen. Der →Berliner Kongress beendete die osm. Herrschaft in der D. u. schlug den nördl. Teil mit ungefähr 16.000 km2 Rumänien zu, den südl., etwa halb so großen Teil, genannt Cadrilater, dem Fsm. Bulgarien. Diese pol. Teilung des im Grunde geschlossenen Gebietes hatte den Grundstein für die nun folgenden Auseinandersetzungen zw. Rumänien u. Bulgarien um den Besitz des gesamten Gebietes gelegt. Die Bukarester Regierung verfolgte in dem ihr zugesprochenen nördl. Teil eine gezielte Rumänisierungspolitik. Diese bewirkte zum einen weitere Abwanderungen der musl. u. bulg. Bev., zum anderen eine kontinuierliche Ansiedlung v. Rumänen, die 1878 etwa ein Viertel der Gesamtbevölkerung ausgemacht hatten. 1909 stellten die Rumänen in der Nordd. etwas mehr als die Hälfte der Gesamtbev., der Anteil der Muslime u. Bulgaren war gesunken auf 11 % bzw. 14,5 %. Im südl. Teil hatten Emigration u. Einwanderung bis 1910 ein Verhältnis v. 42 % Muslimen zu 48 % Bulgaren geschaffen. Der Frieden v. Bukarest (10.8.1913) (→Balkankriege, 1912/13) erkannte Rumänien auch den Süden der D. zu. Im Herbst 1916 besetzten die Mittelmächte die D. u. Bulgarien übernahm gemäß des Bündnisvertrages vom 6.9.1915 die Verwaltung des Cadrilaters, nach dem Frieden v. Bukarest (7.5.1918) des gesamten Gebietes (→Weltkrieg, Erster). Der Frieden v. →Neuilly (27.11.1919) brachte die gesamte D. wieder an Rumänien.
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Dobrudscha / Dodekanes
Sowohl die rum. als auch die bulg. Besatzungspolitik lösten weitere Bev.verschiebungen aus, die die ethn. Homogenisierung der D. vorantrieben. 1930 lebten im Norden der D. 65 % Rumänen, 8 % Bulgaren, 6 % Türken, 3,5 % Tataren u. im Süden 38 % Bulgaren, 34 % Türken, 20 % Rumänen, 2 % Tataren. Im Vertrag v. Craiova (7.9.1940) (a. →Wiener Schiedssprüche) vereinbarten Rumänien u. Bulgarien die endgültige Teilung der D. entsprechend des Grenzverlaufs v. 1913. Vertraglich festgelegt wurde auch ein Austausch der rum. u. bulg. Bev. In den folgenden Monaten sind 100.000 Rumänen u. 61.000 Bulgaren zwangsumgesiedelt worden. Nach vertraglicher Vereinbarung zw. Rumänien u. dem Deutschen Reich wurden 1940 die in der D. lebenden Deutschen (ca. 1,5 % der Bev.) umgesiedelt. Die Bestätigung des Abkommens v. Craiova erfolgte im Pariser Frieden (10.2.1947). Seither gibt es weder v. bulg. noch v. rum. Seite territ. Ansprüche auf das gesamte Gebiet der D. Lit.: H. Ağuiçenoğlu, Zwischen Bindung u. Abnabelung. Das „Mutterland“ in der Presse der Dobrudscha u. der türkischen Zyprioten in postosmanischer Zeit. Würzburg 2012; Die Dobrudscha: ein neuer Grenzraum der Europäischen Union. Sozioökonomische, ethnische, politisch-geographische u. ökologische Probleme. Hgg. W. Heller/J. Sallanz. München u. a. 2009; Th. Kahl/J. Sallanz, Die Dobrudscha, in: Rumänien. Raum u. Bevölkerung – Geschichte u. Geschichtsbilder – Kultur – Gesellschaft u. Politik heute – Wirtschaft – Recht – Historische Regionen. Hgg. Th. Kahl/M. Metzeltin/M. Răzvan Ungureanu. 2. Bd. Wien, Berlin 22008, 857–879; C. Iordachi, Citizenship, Nation and State-Building. The Integration of Northern Dobrogea into Romania 1878–1913. Pittsburgh 2001; A. Schmidt-Rösler, Die Auswanderung der Türken aus der Dobrudscha in der Zwischenkriegszeit, Münchner Zeitschrift für Balkankunde 10–12 (1996), 125–162; dies., Rumänien nach dem Ersten Weltkrieg: Die Grenzziehung in der Dobrudscha u. im Banat u. die Folgeprobleme. Frankfurt/M. 1994; Izvori za istorijata na Dobrudža. Bd. 1: 1878–1919; Bd. 2: 1919–1941. Red. P. Todorov u. a. Sofija 1992/93; A. Kuzmanova, Rumănskite predstavi za bălgarskija charakter na Dobrudža prez 1878–1949 godine. Propaganda i otčitane na realnosti. Dobrič 1992; P. Todorov, Etnodemografski procesi v Južna Dobrudža, 1913–1940, Dobrudža 1 (1984), 13–25; A. Rădulescu/I. Bitoleanu, Istoria românilor dintre Dunăre şi Mare. Dobrogea. Bucureşti 1979; H. İnalcık, Dobrudja, in: EI2 Bd. 2 [1965], 610–613; I. Georgiev, Dobrudža v borbata za sloboda 1913–1940. Spomeni i beležki za dobrudžanskoto revoljucionno dviženie. Sofija 1962; J. Sego, Charakteristika ethničkého složeni Dobrudže, Československá Ethnografie 3 (1955), 271–306; Dobrudscha, in: Handwörterbuch des Grenz- u. Auslandsdeutschtums. Hg. C. Petersen u. a. Bd. 2 Breslau 1936, 278–290. S. T.
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Dodekanes (gr. Dōdekanēsos, > gr. dōdeka, „zwölf“). Gruppe v. eigentlich dreizehn – u. nicht zwölf – Inseln (Patmos, Leros, Kalymnos, Kōs, Astypalaia, Nisyros, Symē, Telos, Chalkē, Rhodos, Kasos, Karpathos u. Kastellorizo) in der südöstl. Ägäis, die seit 1955 innerhalb der gr. Verwaltungsgliederung einen Nomos bilden: 188.506 E, 2010. In der Spätantike gehörte der D. zusammen mit den östl. Kykladen, Samos, Chios u. Lesbos zur provincia insularum, die unter Justinian I. aus der Diözese Asiana ausgegliedert u. dem quaestor exercitus zugeordnet wurde. Um 780 unterstand diese spätantike Provinz großenteils dem drun-
Dodekanes
garios tēs Dōdekanēsu, d. h. mit dem Begriff D. wurde damals ein größeres Gebiet bezeichnet als heute. Doch ist zu dieser Zeit auch ein drungarios v. Kōs nachweisbar. Rhodos gehörte im 10. Jh. zum Thema Kibyrraiōton. Die nördl. Inseln des heutigen D. waren wahrscheinlich Teil des →Themas Samos. 1088, als Christodulos auf dem unbewohnten Patmos das Johannes-Kloster gründete, unterstanden Patmos u. Kōs dem krites der Kykladen. Im 11. Jh. wurde Karpathos, im 12. auch Kōs u. Rhodos v. dukes/katepano regiert. Zwischen 1310 u. 1313/14 unterwarfen die Johanniter die Inseln Rhodos, Chalkē, Symē, Telos, Leros, Kalymnos, Kōs u. Nisyros. Dagegen gehörte Karpathos v. 1306–1538 der venez. Familie Cornaro. Unter dem Schutz der Johanniter gedieh der Handel u. wuchs die Bev., so dass durch Pirateneinfälle entvölkerte Inseln wieder besiedelt wurden, z. B. 1413 Astypalaia. 1440 besiegten die Johanniter eine mamelukische Flotte vor Kastellorizo. 1444 hielten sie einer Belagerung durch die Mameluken stand. Osm. Angriffe in den Jahren 1456–1457 auf Kōs, Symē, Telos, Nisyros, Kalymnos u. Leros zwangen die Johanniter zur Räumung der kleineren Inseln. Im Sommer 1480 verteidigten sie →Rhodos erfolgreich gegen die Osmanen, mussten aber die Stadt u. den D. Ende 1522 an Süleyman II. übergeben. Da die Inseln des D. mit Ausnahme v. Rhodos u. Kōs kampflos kapituliert hatten, erhielten sie u. das Johannes-Kloster gegen Zahlung eines Tributes Autonomie, Handelsfreiheit u. das Recht zur Selbstverteidigung gegen Piraten. Im 17. Jh. litten die Inseln unter Angriffen v. Seeräubern u. westl. Flotten. 1601 u. 1604 plünderten Spanier u. Johanniter Kōs, 1648 zerstörten die Venezianer Leros. Den stärksten Anteil am gr. →Befreiungskrieg nahm im D. Kasos, das vom 27.–29.5.1824 v. einem ägypt. Expeditionskorps vernichtet wurde. Trotzdem erfreute sich der D. auch weiterhin seiner trad. Autonomie. Erst nach 1866 begannen die Osmanen z. T. mit milit. Gewalt damit, der Inselbev. osm. Beamte u. Richter aufzuzwingen. Im Juli 1909 wurden im Gefolge der Rev. der →Jungtürken alle Privilegien annulliert u. Türkisch als Amtssprache eingeführt. Vom 14.4.–19.5. 1912 besetzte ein it. Expeditionsskorps im Zuge des it. „Tripoliskriegs“ gegen das Osm. Reich den D. Zwar verpflichteten sich die Italiener im Vertrag v. Lausanne (18.10.1912), den D. nach einer Räumung Tripolitaniens durch die Osmanen zurückzugeben, hielten dies aber ebensowenig ein wie das Pariser Abkommen vom 29.7.1919, in dem sie Griechenland die Übergabe des D. mit Ausnahme v. Rhodos zugesagt hatten. Unter Mussolini, der den D. am 24.7.1923 annektierte, wurde zwar die Wirtschaft gefördert, doch versuchten die Italiener, die gr. Bev. durch Einführung des Italienischen als Unterrichtssprache u. durch Abtrennung der Kirche vom ökumenischen →Patriarchat zu assimilieren. Nach der Kapitulation Italiens (8.9.1943) kam es auf Rhodos, Kōs, Leros u. Karpathos zu Kämpfen zw. Italienern, Briten u. dt. Verbänden. Bis zur formellen Abtretung des D. an Griechenland im Vertrag v. Paris (10.2.1947) hielten brit. Truppen den D. besetzt. Quellen u. Lit. (a. →Rhodos): J.-B. de Vaivre/L. Vissière, Tous les déables d’enfer. Relations du siège de Rhodes par les Ottomans en 1480. Genève 2014; M.G. Pasqualini, L’esercito italiano nel Dodecanneso 1912–1943. Speranze e realtà. I documenti dell’Ufficio storico dello Stato maggiore dell’Esercito. Roma 2005; E. Vittorini, Isole dimenticate. Il Dodecaneso da Giolitti al massacro del 1943. Firenze 2002; S. Martinoli/E. Perotti, Architettura coloniale italiana nel Dodecaneso,
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Doge / Donaufürstentümer
1912–1943. Torino 1999; Z.N. Tsirpanlēs, Italokratia sta Dodekanēsa 1912–1943. Rhodos 1998; The Dodecanese: the long road to union with Greece. Diplomatic documents from the historical archives of the Ministry of Foreign Affairs. Hg. L. Divani. Athens 1997; M. Losse, Der Johanniterstaat in der Ägäis, 1309–1522. Aspekte der Burgen- und Festungspolitik des Johanniter-Ordens im Bereich des heutigen Griechenland sowie der Türkei. Speyer 1993; J. Holland, The Aegean Mission: Allied Operations in the Dodecanese 1943. New York 1988; P. Kypriōtēs, Dōdekanēsiakē ethnikē antistasē sta chronia tes italo-germano-anglokratias, 1912–1948. Rhodos 1988; E. Malamut, Les îles de l’Empire byzantin, VIIIe–XIIe siècles. 2 Bde. Paris 1988; S. Surasē-Logothetē, To historiko archeio Dōdekanēsu, Dōdekanēsiaka Chronika 10 (1984), 218–237; Byzantina Engrapha tēs monēs Patmu. Bd. I: Autokratorika. Hg. E.L. Branusē; Bd. II: Dēmosiōn leiturgōn. Hg. M. Nystazopulu-Pelekidu. Athen 1980; R. Kasperson, The Dodecanese: Diversity and Unity in Island Politics. Chicago 1966, 143–167. K.-P. T.
Doge (it., > lat. dux). Titel des höchsten Würdenträgers der Republik Venedig (zeitweise auch Genuas). Zunächst wohl von Byzanz ernannt, wurde der D. von Venedig ab Ende des 10. Jh.s von der Volksversammlung u. später vom „Großen Rat“ (consilium Maius, Maggior Consiglio) gewählt. Dieser war ab 1297 geschlossen (serrata), d. h. Neuzugänge waren nur noch in Ausnahmefällen möglich. Die Wahl geschah auf Lebenszeit. Das Amt war nicht erblich, obwohl anfänglich (Familien Candiano, Orseolo) Tendenzen bestanden, es zu einem solchen zu machen. Der D. führte keine Alleinregierung; ihm standen seit dem 12. Jh. Räte (sapientes) u. Richter (iudices) zur Seite, deren Willen er respektieren musste. Seit 1192 musste er bei seinem Amtsantritt eine Wahlkapitulation (promissio) abgeben. Zusammen mit 6 Räten, die die Stadtviertel (sestieri) Venedigs repräsentierten, u. den drei Vorstehern der „Quarantia“ (Appellationsgerichtshof ) bildete der D. die „Serenissima Signoria“, die Regierung der Republik. Im Laufe der Jahrhunderte wurde der D. immer mehr zu einer reinen Repräsentationsfigur, wenn auch einzelne D.n es vermochten, kraft ihrer Persönlichkeit wirkliche Macht auszuüben. Im Titel des D. kam auch die territoriale Ausweitung des venez. Staates zum Ausdruck: Ab 1000 führten die D.n →Dalmatien in ihrer Titulatur (dux Dalmatiae), u. von 1204 bis 1358 nannten sie sich „dominator quartae et dimidiae partis totius imperii Romaniae“ (Herr von drei Achteln des ganzen Reiches der Rhomäer) (→Venezianisches Überseereich; →Rhomäer). Lit.: H. Dumler, Venedig u. die Dogen. Darmstadt 2011; I Dogi. Hg. G. Benzoni. Milano 1982; G. Maranini, La costituzione di Venezia dalle origini alla serrata del Maggior Consiglio. Firenze 1927; H. Kretschmayr, Geschichte von Venedig. Bd. 1. Gotha 1905 (Ndr. Aalen 1964). P. B.
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Donaufürstentümer (frz. „Principautés danubiennes“). 1. Von der europ. Diplomatie verwendete Außenbezeichnung für die →Walachei u. die →Moldau. Sie war im 18. u. 19. Jh. bis zur Unabhängigkeit Rumäniens nach dem →Berliner Kongress (1878) im Gebrauch, ab 1862 in der Variante „Vereinte Fürstentümer Moldau u. Walachei“. Die Benennung war aufge-
Donaufürstentümer
kommen, nachdem die unter Oberherrschaft des osm. Sultans stehenden Fürstentümer nach der Rückgewinnung des Donau-Karpaten-Raumes durch Habsburg (Friede von →Karlowitz 1699) u. nach dem russ. Vordringen zum Schwarzen Meer (18. Jh.) in den Blick Österreichs u. v. a. des Russ. Reiches (→Russland) gerieten, dann auch Englands, Frankreichs, Preußens u. Sardinien-Piemonts. Die Fürstentümer in ihrer exponierten Lage an der Peripherie des Osm. Reiches wurden zum Objekt der hauptsächlich gegen die Expansionsbestrebungen Russlands gerichteten u. ansonsten in unterschiedlichen Interessen sich auspendelnden „Orientpolitik“ der Mächte (→Orientalische Frage). Petersburg erzwang die Einhaltung der Autonomie der Fürstentümer (Frieden von →Küçük Kaynarca 1774, →Bukarest 1812 u. →Adrianopel 1829). 1829 entfiel auch das osm. Handelsmonopol völlig. Ebenfalls auf Druck Russlands hin war 1802 der Status der Fürstentümer durch Erlasse des Sultans präzisiert worden (Festlegung des jährlichen Tributs auf eine fixe Summe; Anhebung der Amtszeit der Fürsten auf sieben Jahre). Russland nahm als „Protektoratsmacht“ Einfluss auf die inneren Verhältnisse der Fürstentümer (→Organische Statute). Auf die →Revolution von 1848 hin einigten sich Petersburg u. Istanbul zur Vermeidung weiterer Unruhen auf eine Überwachung: Abschaffung der freien Fürstenwahl sowie der aus Wahlen hervorgegangenen Parlamente; Kontrolle durch einen russ. u. einen osm. Kommissar in den Hauptstädten (Konvention von Balta Lima 1849). Nach dem für Russland verlorenen →Krimkrieg, zu dessen Beginn russ. u. dann österr. Truppen einmarschiert waren, übernahmen die Mächte gemeinsam mit dem Osm. Reich die Verantwortung. Der Friede von →Paris (1856) u. die „Konvention zur definitiven Organisierung der Fürstentümer“ (Paris 1858) regelten deren innere Verfassung sowie das Verhältnis zum Osm. Reich neu: Die Fürstentümer hatten, unter lockerer Oberhoheit des Sultans, getrennt zu bleiben, mit eigenen Fürsten, Regierungen u. Administrationen, aber konnten ein gemeinsames Revisionsgericht u. eine gemeins. Kommission zur Erarbeitung von Gesetzen gemeins. Interesses einrichten. Gesellschaftspol. wichtig wurde die Abschaffung der Vorrechte u. der Ränge der →Bojaren. Allerdings setzte man sich mit der Personal- u. der Realunion (1859 u. 1861) sowie mit der Wahl eines ausländischen Fürsten (Karl I. von →Hohenzollern 1866) über die Pariser Beschlüsse hinweg (→Regat) u. gab sich 1864 eigenständig eine Verfassung („Statut zur Weiterentwicklung der Pariser Konvention“). Das seit 1862 in der Moldau u. der Walachei übliche „Rumänien“ fand ab 1878 auch international offizielle Anwendung. 2. In der nicht-rumän. Lit. wird der Begriff „D.“ häufig auch für die ältere Zeit (vor dem 18. Jh.) verwendet. Damit werden Entwicklungen u. Merkmale beschrieben, die beiden Fürstentümern gemeinsam waren. In der rumän. Historiographie werden die Fürstentümer Walachei u. Moldau dagegen unter der Bezeichnung „ţările române“ (rumän. Länder) zusammengefasst. Lit. zu 1. u. 2. (vgl. a. →Moldau; →Walachei): L. Rădvan, At Europe’s borders. Medieval towns in the Romanian principalities. Leiden u. a. 2010; Negustorimea în Ţările Române, între Societas Mercatorum şi individualitatea mercantilă, în secolele XVI–XVIII. Hg. C. Luca. Galaţi 2009; A. Pippidi, Tradiţia politică bizantină în ţările române în secolele XVI–VIII. Bucureşti 2001; M. Maxim, L’Empire Ottoman au nord du Danube. Istanbul 1999; A.-F. Platon, Geneza burgheziei în principatele Române. (A doua jumătate a secolului al XVIII-lea – prima jumătate a secolului al
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Donauschwaben
XIX-lea). Preliminariile unei istorii. Ias̨i 1997; K. Hitchins, The Romanians, 1774–1866. Oxford 1996; L.E. Semenova, Dunajskie knjažestva v meždunarodnych otnošenijach v Jugo-Vostočnoj Evrope (konec XIV – pervaja tret’ XVI v.). Moskau 1994; N.B. Farca, Rußland u. die Donaufürstentümer 1826–1856. München 1992; V. Roman, Rumänien im Spannungsfeld der Großmächte. Bd.1: 1774–1878. Die Donaufürstentümer vom osmanischen Vasallentum zur europäischen Peripherie. Offenbach 1987; B. Jelavich, Russia and the Formation of the Romanian National State 1821–1878. Cambridge 1984; H. Heppner, Österreich u. die Donaufürstentümer 1774–1812. Ein Beitrag zur habsburgischen Südosteuropapolitik. Graz 1984; L. Boicu, Geneza chestiunii române ca problemă internaţională. Iaşi 1975; N. Iorga, Byzance après Byzance. Continuation de l’Histoire de la vie byzantine. Bucarest 1935. E. V.
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Donauschwaben. Von den Geographen Robert Sieger (Graz) u. Hermann Rüdiger (Stuttgart) 1922 eingeführte Sammelbezeichnung für das bis 1918 im Kgr. Ungarn beheimatete, nach der Auflösung der Habsburgermonarchie auf die drei Staaten Ungarn, Jugoslawien u. Rumänien verteilte Deutschtum im pannonischen Raum. Allerdings hat R. Sieger in seinen Schriften den Begriff D. niemals verwendet, er selbst zog 1926 den Begriff der „Südostschwaben“ als Bezeichnung für die in SOE ansässigen Deutschen dem der D. vor. Nachdem „Schwabe“ als Synonym für →Deutsche in Ungarn seit 1510 – u. ab dem 18. Jh. v. a. für Deutsche bäuerlicher Schichten – in Verwendung war, bot sich offenbar seine begriffliche Kombination mit dem Toponym „Donau“ als nähere geogr. Bestimmung für die Bezeichnung der Gruppe dt. Kolonisten an, die sich nach den →Türkenkriegen, insbesondere nach den Friedensverträgen v. →Karlowitz u. →Passarowitz in größerer Zahl v. a. in der Periode v. 1718 bis 1786 innerhalb der Grenzen des damaligen Kgr.s Ungarn niederließen. Nicht durchgesetzt hat sich der v. Raimund Friedrich Kaindl 1907 eingeführte Begriff der „Karpatendeutschen“ als Sammelbezeichnung für alle diesseits u. jenseits der Karpaten ansässigen Deutschen in Galizien, der Bukowina, Rumänien u. Ungarn. Der im Gegensatz dazu unscharfe, nur eine bestimmte Ansiedlungsepoche (18. Jh.) herausgreifende u. damit räumliche wie zeitliche Überschneidungen ignorierende Begriff der D. für die aus den heutigen dt. Bundesländern Baden-Württemberg, Hessen, Bayern, der Pfalz sowie aus Österreich u. dem Elsass stammenden Kolonisten impliziert Vorstellungen v. Homogenität u. Gemeinsamkeiten dieser Siedlergruppe, die hist. gesehen keineswegs zutreffen. Nur eine Minderheit der eingewanderten Kolonisten war tatsächlich schwäbischer Herkunft. Sie waren vielmehr ethn. wie dialektal sehr heterogen, konf. gespalten, u. auch in ihrer soz. Schichtung sehr unterschiedlich, wobei insbesondere der Anteil an Handwerkern unter den Kolonisten in der zweiten H. des 18. Jh.s erheblich zugenommen hat. Ihre Ansiedlung war regional sehr unterschiedlichen Bedingungen unterworfen u. sie selbst waren sich bis zum 20. Jh. keiner Gemeinsamkeit bewusst u. unterhielten kaum Beziehungen zu ihren Herkunftsländern oder untereinander. Als Siedlungsgebiete der D. sind die Regionen →Banat, →Batschka, Sathmar, das südl. → Transdanubien (Komitate →Baranya, Tolna, Somogy, oft unter dem Begriff der →„Schwäbischen Türkei“ zusammengefasst), der Bakonyer Wald nördl. des Plattensees u. das Bergland rund um Ofen/Buda anzuführen. Im Verlauf des 19. Jh.s wurde noch
Donauschwaben
das Gebiet zw. Drau u. Save: →Slawonien u. →Syrmien, als Tochtersiedlungsgebiet mit Deutschen aus dem Gebiet nördl. der Drau u. aus der →Batschka kolonisiert. Regionale Überschneidungen gibt es durch Einsiedlungen von D. in der →Zips, in der heutigen →Karpato-Ukraine u. Ostslowakei, in der →Bukowina u. in der zweiten H. des 19. Jh.s auch in Bosnien. Umgekehrt haben sich Deutsche aus der Zips u. →Bessarabien auch im Banat angesiedelt u. ist die im engeren Sinne nicht zu den D. zählende Gruppe der Dobrudschadeutschen ganz auf Tochtersiedlungen (ab 1842) aus Bessarabien u. der Ukraine zurückzuführen (→Dobrudscha). An der →Kolonisation der v. den Osmanen zurückeroberten Gebiete waren viele ethn. Gruppen beteiligt, neben den Magyaren sind hier Tschechen, Slowaken, Ruthenen, Rumänen, Bulgaren, Slowenen, Kroaten u. Serben zu nennen. Vor allem der Süd-Nord-Wanderungsbewegung der Serben, die bereits vor der Periode der Türkenherrschaft in Ungarn im 15. u. 16. Jh. einsetzt u. bis zum Ende des 17. Jh.s in größerer Zahl die Donau-Linie Komorn-Szentendre erreicht, kommt eine besondere Rolle im Zusammenhang mit der zeitlich späteren Ansiedlung dt. Kolonisten zu. Denn diese wurden v. a. dazu benützt, die bereits anwesenden Serben aus den Dörfern zu verdrängen, was dazu führte, dass die „Raitzen“ (ung. rácok, in den damaligen Quellen verwendeter Ausdruck für Südslaven u. Serben) mit wenigen Ausnahmen in die Gebiete der heutigen →Vojvodina u. nach Slawonien zurückwanderten. Ausschlaggebend für diesen Verdrängungsprozess waren in erster Linie wirt. Gründe, denn den Grundherren ging es darum, die südslav. Weide- u. Subsistenzwirtschaft, die im allgemeinen gar keine oder nur sehr geringe Steuerleistungen erbrachte, durch eine intensive Ackerbauwirtschaft abzulösen, die auch die Grundlage für den Ausbau ihrer Majoratswirtschaft bildete. Ein weiterer wichtiger Grund war angesichts der ständig zunehmenden Binnenwanderung die drohende Abwanderung ihrer eigenen hörigen →Bauern, die trotz jährlich erneuerter Wegzugsverbote nur durch Einwanderung fremder Untertanen einigermaßen in Grenzen gehalten werden konnte. Den Behauptungen der älteren Historiographie, dass Menschenleere u. Verwüstung der betreffenden Siedlungsgebiete die Hauptgründe für die verbreitete Ansiedlung dt. Kolonisten gebildet habe, ist hier ein differenzierteres Bild gegenüberzustellen. Es bestand i. d. R. eine vornehmlich durch Serben u. auch andere ethn. Gruppen begründete Siedlungskontinuität einerseits, also keineswegs Menschenleere, freilich eine relativ dünne Besiedlung. Die dt. Kolonisten haben sich rasch in Wirtschaft, Gesellschaft u. Kultur ihrer neuen Heimat integriert. Die erste, einige Generationen umspannende Phase ihrer Integration ist v. Ausgleichsprozessen innerhalb ihrer dt. Ansiedlung geprägt (Sprachausgleich, Trachtenangleichung etc.). In der zweiten, länger anhaltenden Phase kommt es sodann zu interethn. Ausgleichs- u. Akkulturationsprozessen, zur wechselseitigen Aneignung v. Teilen der materiellen u. geistigen Volkskultur sowie zum Ausbau v. Sprachbeziehungen durch gegenseitigen vorübergehenden Kindertausch, in einer dritten, sich zeitlich wohl überschneidenden Phase zum Ausbau v. Markt- u. Nachbarschaftsbeziehungen. Gefördert durch das Anerbenrecht (→Bodenrecht) entwickelte sich eine gegenüber den übrigen ethn. Gruppen überdurchschnittliche horizontale (Tochtersiedlung) u. vertikale Mobilität, wobei letztere auch zu einer Intensivierung v. Assimilationsprozessen führte, da der soz. Aufstieg, die „Verbürgerlichung“
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im ung. Nationalstaat der Dualismusperiode (1867–1918) vielfach mit der Magyarisierung der „Aufsteiger“ verbunden war. Gerade dagegen agitierte die 1906 v. Edmund Steinacker in Werschetz (Vršac) gegründete u. im Banat erfolgreiche „Ungarländisch-Deutsche Volkspartei“, die erste Sammelbewegung der D., finanziell vom Alldeutschen Verband aus Deutschland u. ideell vom „Deutsch-Ungarischen Kulturrat“ aus Wien unterstützt. Die Gründung dieses Vereins ging auf die Initiative des in Wien als Theaterdirektor wirkenden Schriftstellers Adam Müller-Guttenbrunn zurück, der als erster in seiner Erzählprosa seine Banater Heimat schilderte u. mit dem Roman „Der große Schwabenzug“ (1913) die Grundlage für das bis heute recht verbreitete, romantisierte Geschichtsbild der D. lieferte. Der Begriff D. ist für die meisten der in den Heimatländern verbliebenen Deutschen bis heute eine Fremdbezeichnung geblieben, denn ihr Gruppenbildungsprozess trug zuerst lokale (Dorfgemeinschaft), später regionale („Banater Schwabe“) sowie vor u. nach 1918 an dem jeweiligen Nationalstaat orientierte Züge („Deutschungar“ versus „Ungarndeutscher“, später auch „Rumäniendeutscher“, „Jugoslawiendeutscher“). Erst in der Epoche des Nationalsozialismus hat dieser Prozess die bis dahin gültigen Staatsgrenzen überschritten u. im Sinne der Volksgemeinschaftsideologie die ganze Gruppe der D. erfasst u. damit als solche konstituiert. Für die späten 1930er Jahre hat man eine Gesamtzahl der D. von 1,25 Mio. Menschen in allen soe. Nachfolgestaaten der Habsburgermonarchie errechnet. Entscheidende Faktoren für die pol. Mobilisierung der D. bildeten der 1. Wk., danach Umsturz, Revolution u. die Entstehung neuer Nationalstaaten, deren Grenzziehung bis dahin zusammengehörende Siedlungsgebiete der D. wie das Banat u. die Batschka zerschnitt u. daher bei den sich noch immer Ungarn zugehörig fühlenden D. vielfach auf Ablehnung stieß. Nach 1918 entstanden in allen Nachfolgestaaten dt. Minderheitenverbände: Der „Schwäbisch-Deutsche Kulturbund“ unter der Leitung v. Stefan Kraft in Jugoslawien, der „Ungarländische Deutsche Volksbildungsverein“ angeführt v. Jakob Bleyer in Ungarn u. die „Deutsch-Schwäbische Volksgemeinschaft“ unter Kaspar Muth im rum. Banat. Ihr Ziel war es, ein Identitätsmanagement in Zusammenarbeit mit den jeweiligen Regierungen u. damit loyal zu ihrer Heimat zu betreiben. Im Verlauf der 30er Jahre wurden diese Verbände u. ihre Führer auch aus Gründen ihrer weitgehenden Erfolglosigkeit v. der radikaleren „Volksgruppenpolitik“ der sog. Generation der „Erneuerer“ (Franz Basch in Ungarn, Sepp Janko in Jugoslawien, Andreas Schmidt in Rumänien) abgelöst. Ihr auf Segregation u. Dissimilation abzielendes, die völkische Identität verabsolutierendes Konzept, das die Konfrontation mit den gleichfalls immer nationalistischer agierenden Heimatländern herbeiführte, kam aus Deutschland u. war ganz eng mit den Organisationsformen u. -inhalten des Nationalsozialismus verbunden. Inwieweit dieser in breiteren Schichten der D. tatsächlich Fuß gefasst hat, ist bis heute nur unzureichend erforscht. Anhand der Quellen ist v. einer zumindest vordergründigen Begeisterung unterer u. kleinbürgerlicher Schichten für das „Dritte Reich“ u. die NS-Ideologie auszugehen, die für die Erneuerungsbewegung die relativ begrenzte Massenbasis ausmachten. Die „Erneuerer“ waren bei der Durchsetzung ihrer Ziele u. ihrer Volksgruppenorganisation ganz auf die pol. wie materielle Unterstützung der Reichsregierung angewiesen, eine Abhängigkeit, die in die v. der „Volksdeutschen Mittelstelle“ (der SS unterstehende Leitzen-
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trale des Auslandsdeutschtums) in Berlin gesteuerte Gleichschaltung aller Organisationen der D. mündete (→Volksdeutsche) u. dadurch ihre Instrumentalisierung, insbesondere ihrer Wirtschaftskraft u. ihrer Wehrkraft (SS-Rekrutierung) im Dienste der expansiven Ziele des „Dritten Reiches“ ermöglichte. Diese in den Kriegsjahren 1941–1945 immer tragischere Züge annehmenden, für den Zeitgenossen in ihrer Konsequenz kaum absehbaren Prozesse bereiteten den Boden für die nach dem Ende des 2. Wk.s erhobenen Pauschalvorwürfe seitens der führenden Repräsentanten u. der meisten pol. Parteien der Heimatländer: genereller Faschismusvorwurf, die Zuschreibung einer pol. aktiven, landesverräterischen Rolle als „Fünfte Kolonne“ (Staat im Staate) sowie eine hieraus abgeleitete Kollektivschuld dienten der prinzipiellen ideologisch-pol. Rechtfertigung v. Aussiedlung, Vertreibung, Deportation (in die Sowjetunion), Zwangsarbeit, Enteignung u. pol. Diskriminierung als Maßnahmen kollektiver Vergeltung u. „antifaschistischer Selbstverteidigung“ der jungen, nach dem Kriegsende entstandenen →Volksdemokratien. Den Erfolg v. →Zwangsmigrationen hat schon Adolf Hitler in 15 vertraglich geregelten Umsiedlungsmaßnahmen im Zeitraum v. 1939 bis 1944 vorgeführt (betroffen davon waren u. a. die Deutschen aus Bessarabien, der Bukowina, der →Dobrudscha, der →Gottschee, Bulgarien, Bosnien). Ein detailliertes u. an Radikalität nicht zu übertreffendes Drehbuch für den „Transfer“ aller dt. Minderheiten aus dem östl. Europa nach Deutschland hatten die Briten 1943/44 insgeheim entworfen u. der tschechische Staatspräsident im Londoner Exil, Edvard Beneš, hat sich selbst zum eifrigsten Protagonisten des Vertreibungsgedankens gemacht. Der diesbezügliche Beschluss der Potsdamer Konferenz vom 2.8.1945 betreffend eine „geregelte u. humane“ Durchführung des „Bevölkerungstransfers“ sanktionierte nur mehr einen Vorgang, der in Polen u. in der Tschechoslowakei schon längst im Gange war u. in Ungarn auf Betreiben der Regierung bereits im Mai 1945 auf die Tagesordnung gesetzt wurde. In Jugoslawien war die völlig ungeregelte Vertreibung in Gestalt der Todeslager u. zahlreicher Massaker an D. mit einem grausamen Genozid gekoppelt, u. der erst im Januar 1946 bei dem Alliierten Kontrollrat in Berlin eingereichte Antrag, die Vertreibung der D. aus Jugoslawien international noch nachträglich im Sinne des Beschlusses der Potsdamer Konferenz zu legitimieren, zeigt, zu wieviel Menschenverachtung das Tito-Regime in dieser Frage fähig war. In Rumänien waren die Personenlisten zum Zweck der Vertreibung schon fertiggestellt, doch ist sie aus bislang unbekannten Gründen unterblieben. Verbannung in die Baragan-Steppe im Südosten des Landes oder Zwangsarbeit durch Deportation in die Sowjetunion neben der Enteignung waren die dort angewandten Formen der kollektiven Bestrafung. Insges. wurden aus Ungarn 190.000 D. (ca. 45 %) vertrieben u. 60.000 in die Sowjetunion deportiert, aus Jugoslawien 400.000 D. (ca. 80 %, davon allerdings ungefähr ein Drittel massakriert) vertrieben u. 30.000 in die Sowjetunion deportiert (a. →Zwangsmigrationen). Das Gemeinschaftserlebnis der Kriegsgeneration, die bittere Gemeinsamkeit v. Heimatverlust u. Vertreibung, Flüchtlingslos u. Integration als Fremde in die „neue Heimat“ waren die Grundlage für die aus dem Donauraum stammenden, seit den 1950er Jahren in Landsmannschaften organisierten Deutschen in Deutschland u. Österreich, den Begriff des D. als Eigenbezeichnung anzunehmen, die in der Namensgebung vieler ihrer Institutionen (Haus
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der Donauschwaben in Sindelfingen, Donauschwäbisches Zentralmuseum in Ulm) u. Publikationen (Zeitung „Der Donauschwabe“) u. in Verein mit dem v. ihnen propagierten Bild ihrer Gruppengeschichte zu einem identitätstiftenden Merkmal geworden ist. Quellen: Archivführer zur ungarndeutschen Geschichte in den Komitatsarchiven Ungarns 1670– 1950. Bearb. E. Apró/A.Tóth. München 2013. Lit. (a. →Volksdeutsche): M. Hausleitner, Die Donauschwaben 1868–1948. Ihr Rolle im rumänischen u. serbischen Banat. Stuttgart 2014; M. Weifert, Volksgruppenidentität, sozialer u. kultureller Identitätswandel bei den sogenannten Donauschwaben (1683–2008). München 2013; C. Bethke, (K)eine gemeinsame Sprache? Aspekte deutsch-jüdischer Beziehungsgeschichte in Slawonien, 1900–1945. Münster 2013; G. Seewann, Geschichte der Deutschen in Ungarn. Bd. 2: 1860–2006. Marburg 2012; Die Ansiedlung der Deutschen in Ungarn. Beiträge zum Neuaufbau des Königreiches nach der Türkenzeit. Hgg. ders. u. a. München 2010; ] Donauschwäbische Geschichte. Bd. 3: Die Tragödie der Selbstbehauptung im Wirkfeld des Nationalismus der Nachfolgestaaten 1918 – 1944. Hg. G. Wildmann. München 2010; C. Bethke, Deutsche u. ungarische Minderheiten in Kroatien u. der Vojvodina 1918–1941. Identitätsentwürfe u. ethnopolitische Mobilisierung. Wiesbaden 2009; S.O. Schüller, Für Glaube, Führer, Volk, Vater- oder Mutterland? Die Kämpfe um die deutsche Jugend im rumänischen Banat (1918–1944). Berlin 2009; Donauschwäbische Geschichte. Bd. 1: Das Jahrhundert der Ansiedlung 1689-1805. Hg. O. Feldtänzer. München 2006; Z. Janjetović, Between Hitler and Tito. The Disappearance of the Vojvodina Germans. Belgrad 2000; A. Röder, Deutsche, Schwaben, Donauschwaben. Ethnisierungsprozesse einer deutschen Minderheit in Südosteuropa. Marburg 1998; Donauschwäbische Geschichte. Bd. 2: Wirtschaftliche Autarkie und politische Entfremdung 1806–1918. Hg. I. Senz. München 1997; G. Seewann, Der Vertreibungsprozeß im u. nach dem Zweiten Weltkrieg aufgrund britischer Quellen, in: Migrationen u. ihre Auswirkungen. Das Beispiel Ungarn 1918–1995. Hg. ders. München 1997, 55–89; ders., Siebenbürger Sachse, Ungarndeutscher, Donauschwabe? Überlegungen zur Identitätsproblematik des Deutschtums in Südosteuropa, in: Minderheitenfragen in Südosteuropa. Hg. ders. ebd. 1992, 139–156; Deutsche Geschichte im Osten Europas: Land an der Donau. Hg. G. Schödl. Berlin 1995; H.-U. Wehler, Nationalitätenpolitik in Jugoslawien. Die deutsche Minderheit 1918–1978. Göttingen 1980; R.F. Kaindl, Geschichte der Deutschen in den Karpathenländern. 3 Bde. Gotha 1907–1911. G. S.
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Dönme (türk. für „Rückkehrer, Konvertit“). Seit dem 18. Jh. Bezeichnung für eine Sekte im Osm. Reich u. in der Türkischen Republik, die im späten 17. Jh. durch die (äußerliche) Konversion einer Gruppe v. →Juden zum Islam in Nachahmung ihres „Messias“ Shabbetai Sevi (a. Zvi,Tzevi bzw. Šabbetay Ṣevî) aus Izmir (1626–76), der seit September 1666 als Muslim den Namen Aziz Mehmed Efendi führte, entstanden ist. Noch zu Lebzeiten Shabbetai Sevis hatten sich etwa 200 jüd. Familien, vornehmlich aus balkanischen Gebieten, zum Islam bekannt, jedoch unter Ablehnung v. Eheschließungen mit den „eigentlichen“ Muslimen bei gleichzeitiger Geheimhaltung ihrer wahren Religion sowie ihres Glaubens an Sevis messianischen Auftrag. Kurz nach seinem Tod, wohl 1683, konvertierten weitere 300 jüd.
Dönme / Dorf, Dorfgemeinschaft (Balkan)
Familien, vornehmlich aus der Hafenstadt →Saloniki, zum Islam, wo sie bis zum Bevölkerungsaustausch zw. Griechenland u. der Türkei (→Lausanne) eine Sekte bildeten, deren Mitglieder einer Mischung v. trad. u. kabbalistischen Überzeugungen des sephardischen Judentums (→Sephardim) anhingen, v. der jüd. Gemeinde Salonikis als minim (Sektierer), v. den Muslimen eben als dönme (→Konvertiten) unterschieden wurden. Die Mehrheit der Anhänger Shabbetai Sevis jedoch verblieben als shabbetaim (Anhänger des Sevi), sich selbst als ma‘aminim (Gläubige) bezeichnend, Mitglieder der jüd. Hauptgemeinde. Die D. betrachteten Shabbetai Sevi als Messias. Seinen Übertritt zum Islam erklärten sie damit, dass die Seele des Messias bis zum Grund der Sünde hinabsteigen müsse, um die Funken göttlichen Lichts zu erlösen, die dort gefangen seien.Unter der Leitung des Yakub Çelebi (Jacob Querido) u. später des Osman Baba (Baruhia Russo), die sich als Verkörperung der messianischen Seele Shabbetai Sevis betrachteten, was bei einem Teil der Gemeindeangehörigen auf Ablehnung stieß, zerbrach die Sekte der D. 1689 zunächst in zwei u. schließlich 1720 in drei Zweige, genannt 1) die Yakubiler (Ya‘akoviyyim, meist Angehörige der mittleren u. unteren Gesellschaftsschicht), 2) die Karakaschlar (Konyosos, die Fraktion Osman Babas u. radikalste Gruppe, einem relig. Nihilismus zuneigend, mit ausgeprägter Missionstätigkeit u. a. in Ost- u. Mitteleuropa) u. 3) die Kapandschilar (auch als „die aus Izmir“ sowie cavalleros „Aristokraten“ bezeichnet, Traditionalisten). Karsten Niebuhr zählte 1774 in →Saloniki, der jüd. „Hauptstadt“ des Osm. Reiches, 600 judeo-spanisch sprechende D.-Familien; am Vorabend des 1. Wk.s dürften dort zw. 10.000 u. 15.000 D. gelebt haben. Heute wird die Zahl der D. in der Türkei auf 30–40.000 Personen geschätzt; sie leben v. a. in Istanbul, aber auch in Edirne, Izmir, Ankara u. Bursa. Lit.: M. D. Baer, The Dönme. Jewish converts, Muslim revolutionaries, and secular Turks. Stanford 2010; R. N. Bali, A Scapegoat for All Seasons. The Dönmes or Crypto-Jews of Turkey. Istanbul 2008; J. Freely, The Lost Messiah. In search of Sabbatai Sevi. London 2002; L. Neyzi, Remembering to forget: Sabbateanism, national identity, and subjectivity in Turkey, Comparative Studies in Society and History 44 (2002), H. 1, 137–158; M.D. Baer, Revealing a Hidden Community: İlgaz Zorlu and the Debate in Turkey over the Dönme/Sabbateans, The Turkish Studies Association Bulletin 23 (1999), H. 1, 68–75; A. Levi, The Sephardim in the Ottoman Empire. Princeton 1992; A.H. Dervis, Sabbetai Sevi Olayï ve ’Döruneler, Tarih ve Toplum 30 (1986), 329–34; G.S. Scholem, Sabbatai Sevi, The Mystical Messiah, 1626–1676. Princeton 1973 (dt.: Der mystische Messias. Frankfurt/M. 1992); N. Slousch, Les Deunmeh. Une secte judéo-musulmane de Salonique, RMM 6 (1908), 483–95. M. U.
Dorf, Dorfgemeinschaft (Balkan). Aufgrund der unterschiedlichen rechtl. bzw. gewohnheitsrechtl. Traditionen u. kult. Überlagerungen im Laufe der Zeit, können wir keine kontinuierlichen Entwicklungslinien hinsichtlich des D.es feststellen. Dennoch ist es möglich, einige Trends herauszuarbeiten. Während in West- u. Zentraleuropa zw. dem 8. u. 10. Jh. der individuelle Landbesitz den kollektiven der D.gemeinschaft ablöst, ist ein analoger Prozess auf dem Balkan nur dort zu beobachten, wo die gr. Bev. nicht durch die slav. Zusiedler
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Dorf, Dorfgemeinschaft (Balkan)
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verdrängt worden war. Während sich im gr. Bereich die röm., den individuellen Besitz betonende Rechtstradition behaupten konnte, können wir im südslav., aber auch im alb. u. rum. Bereich bis in das 20. Jh. Formen des kollektiven Eigentums der D.gemeinschaft beobachten (a. →segmentäre Gesellschaft). In der röm.-byz. Tradition wurde das D. als Steuergemeinde aufgefasst. Die D. bildete keine kollektive Besitzgemeinschaft. Im Unterschied zur slav. Umgebung bildete der Landanteil der einzelnen →Bauern dessen erbliches u. vererbbares Eigentum – zumindest bis zum Einsetzen v. Feudalisierungsprozessen (→Adel). Trotz dieses ausgeprägten individuellen Eigentumsrechtes kann v. einer D.gemeinschaft gesprochen werden. Dem Staat gegenüber bildete sie eine Steuergemeinde, die ein bestimmtes Steueraufkommen (bestehend v. a. aus Grund- u. Herdsteuer) sicherzustellen hatte. Institutionen, wie etwa die Epivolí (zwangsläufige Zuweisung der verödeten u. verlassenen Grundstücke an Mitglieder der D.gemeinschaft), das Alliléngion (Steuerpflicht für verlassene Güter) oder der Protimisis (Vorkaufsrecht für angrenzende Grundbesitzer) sollten dieses gewährleisten. Die stärkste Klammer zw. den Mitgliedern der D.gemeinschaft war also die gegenseitige Steuerhaftungsverpflichtung. Das byz. D. bildete also eine bloße finanzielle u. adm. Einheit. In den slav., alb. u. rum. Gebieten blieben freie D.gemeinschaften in den Ackerbaugebieten der Ebenen solange ein konstitutives Merkmal der soz. Entwicklung, bis diese ihre trad. Rechte sukzessive an adelige Herren abtreten mussten. Dies war etwa im kroat. Bereich relativ früh u. in den rum. Gebieten relativ spät der Fall. In den kroat. Gebieten waren die Massen der bäuerlichen Bev. bis etwa zum 12. Jh. Mitglieder freier bäuerlicher D.gemeinschaften. Jeder Haushalt erhielt offensichtlich durch Losentscheid soviel an Land zugeteilt, wie seine Mitglieder bearbeiten konnten bzw. wieviel für deren Überleben nötig war. Im Laufe der Zeit wurden die Bauern, wie es scheint, Eigentümer der zugelosten Parzellen, u. sie konnten über diese völlig frei verfügen. Im serb. Bereich konnten solche freibäuerlichen D.gemeinschaften offenbar etwas länger bestehen. Obwohl sich auch hier der adelige Zugriff auf sie im 13. Jh. verstärkte, fasst das Gesetzbuch Stefan Dušans (Mitte des 14. Jh.s; →Zakonik) das D. noch als Gemeinschaft mit kollektiver Verantwortung auf. Eine spezifisch ausgeprägte Tradition hatten bis in die erste H. des 20. Jh.s die freien D. gemeinschaften in den rum. Gebieten. Noch i. J. 1912 galten 19 % der Dörfer als freie, 64,8 % als Untertanendörfer u. der Rest als gemischte. D.gemeinschaften waren zu Konföderationen zusammengeschlossen, die unter sich insofern eine gerechte Landverteilung vornahmen, als jedem D. Anteile an Fluren mit besserem u. schlechterem Kulturland zugewiesen wurden. Wahrscheinlich ursprüngliche Stammesbindungen ersetzend, dürfte die Herausbildung solcher Konföderationen in das 10. Jh. zurückreichen. In den Dokumenten des 13. Jh.s werden solche Konföderationen slav. als „Voievodate“ u. deren Chefs als „Voievoden“ (→Vojvode) bezeichnet. Die Dorfvorsteher werden als →„Knezen“ bezeichnet. Noch im 20. Jh. regelte in den freien Dörfern die Dorfversammlung alle wichtigen Angelegenheiten u. hob auch die staatlichen Steuern ein. Um das Land im Besitz der D.gemeinschaft zu halten, waren die Heiraten endogam, das heißt die Ehepartner mussten aus demselben D. stammen, da sowohl Männer als auch Frauen erbberechtigt waren (→Frau, rechtl. Stellung). Eine ganz andere Entwicklung hingegen können wir in den Viehzuchtzonen des westl. u.
Dorf, Dorfgemeinschaft (Balkan) / Dorf, Dorfgemeinschaft (Ungarn)
zentralen Balkans feststellen. Hier, auf den höhergelegenen Zonen des dinarischen u. nördl. Pindos-Gebirges, entwickelten sich D.gemeinschaften auf der Grundlage patrilinearer Abstammungsgruppen. Sie bildeten hier nicht primär steuerliche oder adm. Einheiten, sondern verwandtschaftliche. Die D.gemeinschaften waren homogener, wenn sie lediglich aus einer einzigen Abstammungsgruppe bestanden. Bestanden sie aus mehreren, konnte es in Bereichen, in denen die osm. Verwaltung nicht präsent war, zu blutigen Auseinandersetzungen zw. den einzelnen Gruppen kommen. Im Unterschied zu den rum. D.gemeinschaften herrschte hier Heirats-Exogamie, da alle Bewohner des D.es oder eines Teiles untereinander verwandt waren u. ohnedies nur die Männer erbberechtigt waren. In konzentrierter Form sind solche D.gemeinschaften auf verwandtschaftlicher Grundlage – wenngleich auch hier bereits durch moderne Administrationsformen überlagert – heute nur mehr in Nordalbanien u. im Kosovo anzutreffen (→Großfamilie). Lit.: H.H. Stahl, Household, Village and Village Confederation in Southeastern Europe. New York 1986; E. Grozdanova, Über einige Besonderheiten der bulgarischen Dorfgemeinde im 15.–18. Jh., Recueils de la Société Jean Bodin 45 (1986), 219–243; N.F. Pavković, Le village en tant que communauté rituelle et religieuse. (Slaves des Balkans, XVIIIe–XXe s.), ebd., 57–75; H.H. Stahl, Traditional Romanian Village Communities. Cambridge 1980; J.M. Halpern/B. Kerewsky-Halpern, A Serbian village in historical perspective. New York 1972; G. Ostrogorsky, Die ländliche Steuergemeinde des byzantinischen Reiches im X. Jh. Amsterdam 1969; L. Ćirić-Bogetić, Komunice u Crnoj Gori u XIX i početkom XX veka. Titograd 1966; J. Karayannopulos, Die kollektive Steuerverantwortung in frühbyzantinischer Zeit, Vierteljahrschrift für Sozial- u. Wirtschaftsgeschichte 43 (1956), 289–322; B. Peruničić, Srpsko srednjevekovno selo. Beograd 1956; St. Novaković, Selo. Beograd 21953; M. Urban, Die Siedlungen Südalbaniens. Öhringen 1938; T. Djordjević, Selo kao društvena zajednica za vreme prve vlade kneza Miloša, Prilozi za književnost, jezik, istoriju i folklor 2 (1922), 129-138; M. Wlainatz, Die agrar-rechtlichen Verhältnisse des mittelalterlichen Serbiens. Jena 1903. K. K.
Dorf, Dorfgemeinschaft (Ungarn). Das ung. Dorf (ung. falu, wohl aus fal, wörtlich Wand, Palisade, die die Lager der Nomaden u. Halbnomaden umgab, „das Umnommene“) entwickelte sich aus den Winterlagern der landnehmenden →Magyaren (→Ung. Landnahme). Im 9.–11. Jh. dürften viele Dörfer – von denen es etwa 2.500–2.600 gegeben haben könnte – spezialisierte Dienstsiedlungen zur Verpflegung der Herrscher gewesen sein, worauf ihre Namen, die oft auf bestimmte handwerkliche oder sonstige Leistungen hinweisen, deuten. Obwohl in den lat. Quellen vom 11. Jh. an villa – wie damals sonst ein fest gesiedeltes Dorf hieß – genannt, wurden sie erst im 12./13. Jh. mit der Zunahme des sesshaften Ackerbaus zu festen Siedlungen (die Gesetze des 11. Jh.s verboten noch eigens, dass sich die villa von ihrer Kirche entfernt). Nach der Zunahme während des Landesausbaus im 12.–13., u. den Wüstungen im 13.–14. Jh. (in denen u. a. die predium genannten kleinen Siedlungen verschwanden) erreichte die Zahl der D.er etwa 20.000, mit jeweils durchschnittlich 15–20 Familien. Die Mehrzahl bestand aus mit Holz bzw. mit Lehm befestigtem Geflecht gebauten Häusern u. war entweder
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Dorf, Dorfgemeinschaft (Ungarn) / Dózsa-Aufstand
Straßen- (bzw. Anger-) oder Haufendorf (letzteres meist auf der Tiefebene, →Alföld). − Die Osmanenherrschaft veränderte das Siedlungsbild eines Drittels des Landes: Riesendörfer entstanden, mit zahlreichen kleinen Weilern (ung. tanya) in ihrer ausgedehnten Umgebung, die den Bedürfnissen der Viehwirtschaft entsprachen. Um 1800 zählten die meisten Dörfer 70– 250 Familien (300–1000 Seelen), aber es dauerte ein weiteres Jh., bis die Häuser aus Lehmziegel oder Ziegelstein umgebaut wurden u. steinerne Bauten (Kirche, Post, usw.) entstanden. Im 20. Jh. erschienen die nichtbäuerlichen Dörfer: Arbeitersiedlungen, Erholungsorte. Die Dorfflucht begann zwar in manchen Gegenden im späten 19. Jh., wurde jedoch erst in der Periode der komm. →Industrialisierung eine massenhafte Erscheinung u. hält noch an. Soweit aus den Quellen ersichtlich, stand an Spitze des D.s seit dem 11. Jh. ein villicus, später, wegen seiner Rechtsprechung auf lokaler Ebene, Richter (ung. bíró, lat. iudex) genannt, der sowohl herrschaftliche Interessen vertrat als auch der – besonders nach der Verbreitung der geregelten Feldwirtschaft bedeutend gewordenen – Dorfgemeinde vorstand. Ob u. gegebenenfalls in welchen Gegenden eine archaische Marktgenossenschaft existierte, lässt sich nicht entscheiden. In vielen Dörfern lebten Leute verschiedener Rechtsstellung u. Hörige mehrerer Herrn zusammen, die oft ihre eigenen Vorsteher hatten. Das mündlich überlieferte Gewohnheitsrecht wurde erst im 16.–18. Jh. in Urbarien u. Dorfordnungen schriftlich niedergelegt. Die Richter wurden zunehmend von den Gutsherrn ernannt (nach 1767 vom D. aus drei Kandidaten der Herrschaft gewählt), aber dessen Gehilfen (Notar, Beisitzer) weiterhin frei gewählt. 1871 wurde die Verfassung der Gemeinden – in Klein- u. Großgemeinden (kisközség, nagyközség) geteilt – neu geordnet u. blieb bis zur Einführung des sowj. Ratssystems 1950 (eingeführt im Zuge der sozialist. Umgestaltung auch der ländl. Verhältnisse; bis 1990) unverändert. Lit.: M. Takács, falu, in: Korai magyar történeti lexikon (9–14. század). Budapest 1994, 207–210; Peter D. Bell, Peasants in Socialist Transition. Life in a Collectivized Hungarian Village. Berkeley u. a. 1984; Gy. Györffy, Zur Herkunft der ungarländischen Dienstleute, Studia Slavia Acad. Sc. H. 22 (1976), 40–83, 311–337; F. Maksay, A magyar falu középkori településrendje. Budapest 1971; I. Szabó, The praedium: studies on the economic history and the history of settlement of early Hungary, Agrártörténeti Szemle 5 (1963), Suppl., 1–24; I. Győrffy, Magyar falu, magyar ház. Budapest 1943. J.M. B.
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Dózsa-Aufstand. Herkömmliche Bezeichnung des Bauernkrieges (→Bauernaufstände, frühe Neuzeit) von 1514 in Ungarn, als dessen Anführer Georg Székely (in einigen Quellen Dó zsa), ein Soldat von freier →Székler-Herkunft, bezeichnet wird. Das aufgrund einer von Ebf. Tamás Bakócz verkündeten päpstlichen Kreuzzugsbulle im Frühjahr 1514 versammelte Bauernheer, an die 40.000 Mann, meist aus den →Oppida-Marktflecken des →Alföld, wandte sich infolge von radikalen Predigten mancher Bettelmönche u. wegen der vermeintlichen Verhinderung der Teilnahme ihrer Hintersassen am Kreuzzug durch einige Herren gegen den Adel, der als „böser denn die Heiden“ angeprangert wurde. Ende Mai 1514 kam es in Südungarn zum ersten Zusammenstoß zw. dem Bauernhaufen u. den Truppen der Barone.
Dózsa-Aufstand / Drachme
Obwohl bereits kurz davor der Kreuzzug abgesagt worden war, versammelten sich Aufständische in mehreren Gegenden des Landes (um Pest, Erlau/Eger, Großwardein/Nagyvárad/Oradea) u. stießen mit der adeligen Miliz zusammen. Durch eine Art millenarischer Rhetorik angefeuert, plünderten u. brandschatzten die Bauern adelige Landsitze u. eroberten mehrere Burgen, v. a. in Südostungarn, um dann bei der Belagerung von Temesvár/Timişoara von den Truppen des siebenbürgischen Woiwoden (→Vajda), Johann von Zápolya (Szapolyai), Mitte Juli zerstreut zu werden. Dózsa wurde um den 20.7.1514 lebendig verbrannt, seine Kapitäne zum Kannibalismus gezwungen u. tausende von Bauern mit schweren Schatzungen belegt. Das von dem im Oktober–November 1514 tagenden Landtag (→Országgyűlés) verabschiedete Gesetz „bestrafte“ die rebellierenden Bauern mit „ewiger Hörigkeit“, doch in der Tat wurde diese erst Jahrzehnte später u. nur in Teilen Ungarns eingeführt. Der D. wurde von den Radikalen des 19. Jh.s (Petőfi), dann von den Agrarsozialisten u. Kommunisten popularisiert. Lit.: P. Freedmann, The Hungarian Peasant Revolt of 1514, in: Grafenauerjev zbornik. Hgg. Vincenc Rajšp u. a. Ljubljana 1996, 431–46; J.M. Bak, Delinquent Lords – Abandoned Serfs: On War and Society in 15th-16th- Century East Central Europe, in: Society in Change. Studies in Honour of Béla Király. Boulder/CO 1983, 291–304; J. Szűcs, Die Ideologie des Bauernkrieges, in: Aus der Geschichte der ostmitteleuropäischen Bauernbewegungen im 15.–17. Jh. Hg. G. Heckenast. Budapest 1977, 157–87; A. Fekete-Nagy/A.G. Barta, Parasztháború 1514-ben. ebd. 1973; Gy. Székely, A török hódítók elleni védelem ügye a Dózsa-parasztháborútól Mohácsig. ebd. 1952. J.M. B.
Drachme (v. altgr. drachmē, „Handvoll“). In bewusstem Rückgriff auf die Antike wählte der neugr. Staat am 8.2.1833 die Währungseinheit D. für seine bimetallische Währung (1 D.= 100 Lepta), die mit einem Metallwert von 4,4 Gramm Silber, bzw. 0,29 Gramm Gold etwa dem frz. Franken entsprach. Erst mit der Gründung der Nationalbank (Ethnikē Trapeza) am 30.3.1841 wurden auch Banknoten ausgegeben. Im Zuge des gr. Beitritts zur lat. Münzunion (1867) wurde der Metallgehalt der D. in Anpassung an den Franc auf 5 Gramm Silber bzw. 0,32 Gramm Gold erhöht u. blieb so bis 1914. Danach häuften sich in Folge der pol. Kalamitäten die Währungskrisen, v. a. nach der kleinasiatischen Katastrophe (→Griechenland) u. während der Besatzungszeit im 2. →Wk. Erst die Währungsreform vom April 1953 mit einer 50 % Abwertung der D., die sich seit 1946 am Dollar orientierte, leitete eine Phase der Stabilität ein, die bis zum Beginn der 70er Jahre anhielt. Am 1.1.2001 löste der Euro die D. ab. Lit.: S. Lazaretou, Greece: from 1833 to 1949, in: South-Eastern European Monetary and Economic Statistics from the Nineteenth Century to World War II. Athens, Sofia, Bucharest, Vienna 2014, 101-170; G. Stasinopulos, Nomismatikē theōria kai politikē stēn Hellada tu 19o aiōna. Athen 2000; H. Sundhaussen, Griechenland von 1914 bis zur Gegenwart, in: Handbuch der europäischen Wirtschafts- u. Sozialgeschichte. Hg. W. Fischer u. a. Bd. 6. Stuttgart 1987, 916–945; D. Delivanis/H. Sundhaussen, Griechenland 1830–1914, in: a. a. O., Bd. 5. ebd. 1985, 649–663. K.-P. T.
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Dracula
Dracula. Beiname des vlach. →Vojvoden Vlad III. (Ţepeş) u.Vampirgestalt. Der Name Dracul (Ersterwähnung 1070), D. oder Drăculea ist v. rum. dracul = Drache bzw. Teufel abgeleitet. Der hist. Fürst Vlad D. war einer der fünf Söhne v. Vlad II. Dracul, der nach dem ihm verliehenen Orden einen Drachen im Wappen führte u. vermutlich daher seinen Beinamen erhielt. Sein Sohn Vlad (*1431, †1476) mit dem Patronymicum D. war, wie sein Vater, berühmt als „Türkenkämpfer“, nachdem er zeitweilig als osm. Geisel festgehalten worden war, u. hatte 1448, dann 1456–62 u. 1476 den Thron der Walachei inne. Im Dez. 1476 wurde er gestürzt u. floh u. kam kurz danach ums Leben. In Rumänien ist er eher mit dem Beinamen Ţepeş, der Pfähler (Ersterwähnung 1506), bekannt, weil Pfählen die v. ihm favorisierte Bestrafungsart darstellte. Während in der rum. Volks- u. Kunstliteratur u. in der russ. handschriftlichen Überlieferung D. überwiegend als strenger, aber gerechter Herrscher figuriert, dominiert in den dt. Handschriften u. Druckversionen die Charakterisierung v. Vlad III. D. als Schreckensgestalt u. Tyrann von ungewöhnlicher Grausamkeit. Ursprünglich bestand zw. Fürst D. u. dem Vampirismus keine Verbindung. Erst als literarische, d. h. fiktive Figur wurde er durch den irischen Autor Bram Stoker 1897 in dessen Schauerroman „D.“ zum Vampir, der nicht nur in Transsylvanien sein Unwesen treibt, sondern auch ganz England erobern will u. erst nach längerer Verfolgungsjagd unschädlich gemacht werden kann. Durch eine Verbindung v. Motiven des bisherigen Vampirromans, der damaligen Wissensbestände über den Vampirglauben u. hist. Legenden über Vlad D. schuf Stoker mit seinem bleichen, schwarz gekleideten u. blutgierigen „Grafen D.“ eine Vampirgestalt, die – ähnlich wie Frankenstein u. später Superman u. ä. Figuren – ihrerseits zu einer folkloristischen Gestalt der Alltagsmythologie wurde. Dass Stoker mit seinem prototypischen D.-Roman ein neues Subgenre der Gattung gothic novel u. hier speziell des Vampirromans geschaffen hat (mit zahllosen Nachahmungen u. Adaptionen in allen Medien, allein über 150 Verfilmungen), hat dazu geführt, dass heute D. mit Vampir gleichgesetzt wird. Die Faszination, die v. der D.-Figur ausgeht, nämlich eine Hypostasierung v. Todesfurcht, Blutdurst u. Sexbegierde, die v. den Psychologen als Verkörperung v. verdrängten dunklen Seiten der menschlichen Psyche erkannt wurde, hat ihre Wurzeln in dem popularen Vampirglauben. Der Vampir, wie ihn die soe. Volkskunde kennt (bulg. văpir/vampir[in], serb., kroat. lampir/vampir/upir/vukodlak, alb. lugat/kukudhi, gr. vurkólakas, rum. strigoi/moroi, arom. muroniu/priccoliciu), ein unverwest aus dem Grab wiederkehrender Toter, der v. lebenden Menschen (u. Tieren) Blut saugt u. v. a. mit dem ehemaligen Lebensgefährten Sexualkontakt pflegt, wird in zahlreichen Erzählungen u. Memoraten thematisiert. Dabei spielen hauptsächlich drei Fragenkomplexe eine Rolle: wer ein V. wird (Gesetzlose; von zwei Unehelichen Gezeugte; mit bestimmten Anomalien Geborene; Vampiropfer etc.), wie der V. aussieht u. agiert (Auftreten in jeder beliebigen Gestalt; als Mensch aufgedunsen, knochenlos, bleich, rotlippig, in ein Leichentuch gehüllt) u. wie er unschädlich gemacht werden kann (Anwendung apotropäischer Mittel wie Knoblauch u. Durchbohrung mit Weißdornpfahl, Köpfen, Verbrennen; christl. Heilmittel: Weihwasser, Hostie, Kreuz). Der V.glaube ist in SOE rezent u. findet sich als Mythologem in verschiedenen Bereichen des Alltagslebens (als literarisches Motiv z. B. bei Milorad Pavić in „Hazarski rečnik“, 1984). 284
Dualismus (Österreich-Ungarn)
Quellen: Corpus Draculianum. Dokumente u. Chroniken zum walachischen Fürsten Vlad dem Pfähler 1448–1650. Hgg. T.M. Bohn/A. Gheorghe/A. Weber. 3 Bde. Wiesbaden 2013 [Bd. 3] – [gepl.] 2016. Lit.: H. Haumann, Dracula. Leben u. Legende. München 2011; Vampirglaube u. magia posthuma im Diskurs der Habsburgermonarchie. Hgg. Chr. Augustynowicz/U. Reber. Münster 2011; C. Dobrilă, Entre Dracula et Ceauşescu. Les représentations exogènes et endogènes de la tyrannie chez les Roumains, du milieu de XVIe à la fin du XXe siècle. Bucureşti 2006; M. Cazacu, Dracula. Paris 2004; P.M. Kreuter, Der Vampirglaube in Südosteuropa. Studien zur Genese, Bedeutung u. Funktion. Rumänien u. der Balkanraum. Berlin 2001; D. Burkhart, Kulturraum Balkan. Studien zur Volkskunde u. Literatur Südosteuropas. Berlin u. a. 1989 (Kap. 4: Vampirglaube in Südosteuropa); J. Perkowski, The Darkling. A Treatise on Slavic Vampirism. Columbus/OH 1989; F. Oinas, Essays on Russian Folklore and Mythology. ebd. 1985 (Kap. 11: East European Vampires); R.-P. Märtin, Dracula. Das Leben des Fürsten Vlad Țepeș. Frankfurt/M. 1980; N. Stoicescu, Vlad Ţepeş. Prince of Walachia. Bucharest 1978; T.P. Vukanović, The Vampire, in: Vampires of the Slavs. Hg. J.L. Perkowski. Cambridge/MA 1976, 201–234; R. McNally/R. Florescu, In Search of Dracula: A True History of Dracula and Vampire Legends. Greenwich 1972; J. Striedter, Die Erzählung vom walachischen Vojevoden Drakula, Zeitschr. für slav. Philologie 29 (1961), 398–427. D. B.
Dualismus (Österreich-Ungarn). Als D. wird bereits im Gesetz betreffend den österr.-ung. →Ausgleich v. 1867 das v. diesem geschaffene pol. System der durch eine Personal- wie eine Realunion verbundenen Doppelmonarchie bezeichnet, die in abgekürzter Form als →Österreich-Ungarn auftrat. In der ung. Historiographie hat sich seit Gustav Gratz der D. auch als Epochenbegriff durchgesetzt. Da die „paktierten“ Angelegenheiten des Ausgleichs, insbesondere der als „Quote“ bezeichnete Anteil an der Finanzierung der gemeinsamen Angelegenheiten, alle 10 Jahre neu verhandelt werden mussten, entwickelte sich eine Periodizität u. eine damit verbundene Dynamisierung des Ausgleichs, die v. vielen Zeitgenossen auch als eine gefährliche Destabilisierung des D. angesehen wurden. Ausschlaggebend dafür war die v. ung. Seite konsequent verfolgte Strategie, in den Ausgleichsverhandlungen wirt. u. staatsrechtl. Fragen in Form eines Junktims miteinander zu verbinden, um den eigenen Staat u. seine Selbständigkeit weiter auszubauen. Da sich die Krone mit Ausnahme der Armee dieser Politik gegenüber häufig zu Kompromissen geneigt zeigte, sah sich die Wiener Regierung bei den Ausgleichsverhandlungen zunehmend unter Druck gesetzt: nicht nur v. Budapest, sondern auch seitens der im Wiener Reichsrat vertretenen Parteien, da die Deutschnationalen wie die Christlichsozialen unter Karl Lueger, aber auch die Abgeordneten der Tschechen u. anderer Völker die ung. Forderungen immer entschiedener als zu weitgehend ablehnten. So wurde die Innenpolitik →Zisleithaniens ganz wesentlich v. den Auseinandersetzungen Wiens mit Budapest mit geprägt. Beispielsweise trat das 1897 bereits ausverhandelte Ausgleichsgesetz niemals in Kraft, weil durch den Ausbruch der Badeni-Krise sich seine Verabschiedung im Wiener Reichsrat als unmöglich erwies. Von den dadurch nötig gewordenen Ausgleichsverhandlungen des Jahres 1902 ist nur der gemeinsame Zolltarif in Geltung gesetzt worden. Erst das selbstbewusste
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Dualismus (Österreich-Ungarn)
Auftreten des österr. Ministerpräsidenten Baron Beck hat zusammen mit der Drohung, das allgemeine Wahlrecht auch in Ungarn einzuführen, den Abschluss des Ausgleichs v. 1907 mit der günstigsten Quote (v. 63,6 zu 36,4 %), die jemals für Wien erzielt wurde, ermöglicht. Um zur Beruhigung der Diskussion über die staatsrechtlichen Beziehungen Wiens mit Budapest beizutragen, wurde der geheim ausgehandelte Ausgleich v. 1917 auf 20 Jahre für die Zeit bis 1937 abgeschlossen u. zugunsten dieses Ziels die ung. Quote wiederum auf 32,4 % gesenkt, zugleich jedoch wurden die Industrie- u. Agrarzölle für Budapest erhöht. Freilich wurde dieses Gesetz v. beiden Parlamenten niemals verabschiedet. Denn in der Nacht vom 30. zum 31.10.1918 wurde die vollständige staatliche Unabhängigkeit Ungarns proklamiert, die Realunion auf eine reine Personalunion reduziert u. auch diese mit der Ausrufung der Volksrepublik Ungarn am 15. November endgültig aufgelöst. Die Periodizität u. Dynamisierung des Ausgleichs hat allerdings den fortgesetzten Anpassungsprozess an die sich rasch verändernden wirt. u. pol. Rahmenbedingungen ermöglicht u. damit – im Gegensatz zum Urteil vieler Zeitgenossen – wesentlich zur Konsolidierung des D. u. der erheblichen Stärkung des durch ihn geschaffenen gemeinsamen Wirtschaftsraumes beigetragen. Gerade in diesem Bereich ist eine stattliche Reihe v. Integrationsprozessen zu beobachten, die auch die peripheren Gebiete der Monarchie erfassten u. damit einer großen Allgemeinheit zugute kamen. Die solche Aspekte kaum zur Kenntnis nehmende, v. a. mit staatsrechtlichen u. hist. Argumenten geführte Diskussion, ob der D. als eine Verbindung zweier gesonderter Staaten aufzufassen sei, der gegenüber Dritten als ein gemeinsamer Staat auftrat – so die ung. Interpretation –, orientierte sich freilich an den immer vehementer artikulierten pol. Forderungen der beiden staatstragenden Nationen der Deutschösterreicher u. der →Magyaren auf der einen Seite u. der in beiden Reichshälften lebenden Nationalitäten, der Kroaten, Serben, Rumänen u. Ruthenen auf der anderen Seite. Diese v. den realen Verhältnissen oft ziemlich abgehobene Diskussion hat den D. zunehmend in Frage gestellt. In eine ähnliche Richtung wiesen auch die vom Kreis um den Thronfolger Franz Ferdinand angestellten „großösterreichischen“ Überlegungen, die Sonderstellung Ungarns zu beseitigen. Nach der Jahrhundertwende erhoben südslav. Abgeordnete mehrerer Kronländer es zu ihrem Programm, die →„Südslav. Frage“ in Form eines →Trialismus zu lösen. Die um 1900 sich intensivierenden Spannungen zw. den Anhängern des D., die jede Veränderung ihres bizentralistischen Systems ablehnten u. den Befürwortern einer föderalistischen Lösung, spitzten sich jedoch erst im Verlauf des 1. →Wk.s zu, bis der v. außen herbeigeführte Zusammenbruch der Habsburgermonarchie den Weg für eine völlig neue, ausschließlich nationalstaatliche Lösung freimachte.
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Lit. (→Ausgleich, österr.-ung.; →Österreich-Ungarn): L. Höbelt, Franz Joseph I. Der Kaiser und sein Reich, eine politische Geschichte. Wien, Köln 2009; E. Somogyi, Hagyomány és átalakulás: állam és bürokrácia a dualista Habsburg Monarchiában. Budapest 2006; G. Schall, Der österreichisch-ungarische Dualismus als Integrationskonzept. Hamburg 2001; Die gemeinsamen Angelegenheiten der Österreichisch-Ungarischen Monarchie. Vorgeschichte – Ausgleich 1867 – staatsrechtliche Kontroversen. Hg. K. Olechowski-Hrdlicka. Frankfurt/M. u. a. 2001; É. Somogyi, A „közös ügyek“ 1867–1914. Budapest 1995; G. Stourzh, Die dualistische Reichsstruktur,
Dubrovnik/Ragusa
Österreichbegriff u. Österreichbewußtsein 1867–1918, in: Innere Staatsbildung u. gesellschaftliche Modernisierung in Österreich u. Deutschland 1867/71 bis 1914. Hg. H. Rumpler. Wien u. a. 1991, 53–68; J. Galántai, Der österreichisch-ungarische Dualismus 1867–1918. Budapest, Wien 1990; É. Somogyi, Vom Zentralismus zum Dualismus. Der Weg der deutsch-österreichischen Liberalen zum Ausgleich von 1867. Wiesbaden 1983; B. Sutter, Die Ausgleichsverhandlungen zwischen Österreich u. Ungarn 1867–1918, in: Der österreichisch-ungarische Ausgleich von 1867. München 1968, 71–111; G. Gratz, A dualizmus kora 1867–1918. Budapest 1934. G. S.
Dubrovnik/Ragusa. Stadt u. ehemalige Republik an der Adriaostküste/Kroatien. Der hist., durch die Mauer umgebene Stadtkern umfasst eine ehemalige Insel u. den Fuß des gegenüberliegenden Berges Srđ. Der älteste Siedlungskern liegt auf der einstigen Insel. An sie ist der illyr., später romanisierte Name Ragusa gebunden; er hat sich im Romanischen auf das ganze Stadtgebiet ausgedehnt. Ebenso wurde der slav. Name Dubrovnik, abgeleitet von dub, „Eiche“, u. ursprünglich nur auf eine Lokalität auf der Festlandsseite, dem Prijeko, bezogen, auf das ganze Stadtgebiet übertragen. Der Kanal zw. Insel u. Festland wurde schon im 11. Jh. geschlossen; auf seiner Fläche entstand später die breite Straße Stradun. Die Einbeziehung des Prijeko in die Ummauerung war 1296 abgeschlossen. Heute erstreckt sich das Stadtgebiet weiter nach NW bis zum modernen Hafen Gruž u. zur Halbinsel Lapad. In der Antike war der wichtigste Ort der Region Epidaurus (heute dort Cavtat < civitas vetus) ca. 20 km südöstl. der Stadt. Schon in justinianischer Zeit setzte die Siedlungsverlagerung auf die besser geschützte Insel u. Fluchtburg Ragusa ein. D. gehörte zur Reihe der dalmat. Städte unter byz. Herrschaft. Ab 878 zahlte die Stadt an die Fürsten der jungen slav. Herrschaftsbildungen →Zahumlje u. Travunien einen Friedenstribut, der später auf den serb. Großžupan bzw. Kg. überging. D. unterstand 1172/86–92 der normannischen Oberhoheit; der Versuch der Unterwerfung durch den serb. Großžupan Nemanja (→Nemanjiden) 1186 schlug fehl. 1205 gelangte die Stadt unter venez. Herrschaft (→Venezianisches Überseereich). Das Bistum D. wurde spätestens 1142 zum Erzbistum erhoben (aufgelöst 1828). Im 13. Jh. begann der große Aufschwung von D. dadurch, dass der Handel mit dem Binnenland, v. a. dank der Entfaltung des Bergbaus, aufblühte. An einer Reihe von Orten in Serbien u. Bosnien bestanden über längere Zeiträume ragusanische Kaufmannskolonien. Seit dem 12. Jh. finden wir Zeugnisse der Selbstorganisation der Stadt als Kommune; im 13. Jh. bildete sich die Ratsverfassung aus, die v. a. mit Venedig gemeinsame Züge aufweist. Das Statut der Stadt wurde 1272 zusammengestellt (→Stadt, Stadttypen: Dalmatien, Istrien). Im Frieden von Zadar 1358 gelangte auch D. unter die Herrschaft des ung.-kroat. Kg.s Ludwig von →Anjou. Doch im Vergleich zu den nördl. Städten blieb die Herrschaft weitgehend nominell. Während die nördl. Städte wie auch Kotor (Cattaro) am Anfang des 15. Jh.s alle unter venez. Herrschaft zurückkehrten, begann für D. die Zeit der faktischen Unabhängigkeit bei Zahlung eines Tributes an den ung. Kg. bis 1526; regelmäßig seit 1458 erhielt auch der Sultan einen Tribut. Ab 1400 bezeichnete sich die Stadt als Republik. Ursprünglich auf den Stadtraum u. ein nur kleines Territorium beschränkt, erwarb die Kommune allmählich ein Gebiet von der Halbinsel Pelješac bis nach Prevlaka an der Bucht von Kotor einschließlich
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Dubrovnik/Ragusa
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der vorgelagerten Inseln. Der wichtigste Ort war das befestigte Ston, bis Anfang des 13. Jh.s orth. Bistum, das dann ins Binnenland verlegt wurde; hier wurde Meersalz gewonnen. Die pol. Stabilität D.s wurde durch Ratsverfassung u. Heiratsstrategien garantiert, die einen steten Kräfteausgleich innerhalb des Patriziates, des 1332 festgeschriebenen Kreises der ratsfähigen Familien, ermöglichten. Der seit 1359 für jeweils nur einen Monat gewählte Rektor hatte eine viel schwächere Stellung als der venez. →Doge; erst recht konnte er sein Amt nicht zum Ausbau einer dauerhaften Machtposition vergleichbar der Signoria in it. Städten nutzen. Im 16. Jh. hatte D. ca. 10.000 E, auf dem Territorium der Republik lebten 40.000 Menschen. Auch nach der Durchsetzung der osm. Herrschaft auf der Balkanhalbinsel behielt D. seine Rolle als Mittler im Handel zw. Balkan u. mediterranem Raum (zu Einzelheiten →Osm. Reich). In fast allen wichtigen Handelszentren des europ. Teils des Osm. Reiches sowie in angrenzenden Gebieten gab es Niederlassungen ragusanischer Kaufleute. Darüber hinaus bestanden Handelsverbindungen zum westl. Mittelmeerraum u. zu den Nordseehäfen. Die pol. u. wirt. Emanzipation der Republik schuf auch die Rahmenbedingungen für ein reiches künstlerisches u. literarisches Schaffen in Renaissance u. Barock; es entstanden Werke in kroat. (lateinschriftlicher), lat. u. in it. Sprache; die bekanntesten Dichter sind Marin Držić u. Ivan Gundulić (die in der Oligarchie noch isoliert fortlebende örtliche Variante des Dal matischen war um 1500 erloschen). Mit der Verlagerung der Handelsräume, der zunehmenden relativen Rückständigkeit SOEs, der Ausbildung von Territorialstaaten in Mittel- u. Westeuropa verlor D. seit dem 17. Jh. an pol. u. wirt. Gewicht; auch die Verluste u. Schäden durch das Erdbeben 1667 trugen dazu bei. Die Spaltung der im Großen Rat vertretenen Familien in zwei gegnerische Gruppierungen (Salamankezi u. Sorbonezi; die Herkunft dieser Bezeichnungen ist unklar) seit Ende des 16. Jh.s lähmte die innere Entwicklung des Gemeinwesens. In der Altstadt ist die Verteilung urbaner Funktionen auf dem Stand der frühen Neuzeit sehr gut erhalten: Die Ummauerung mit Hafenbecken, der Platz mit Zollhaus (Divona, heute Archiv), Kirche des Stadtpatrons St. Blasius (Sv. Vlaho) u. Rolandstatue (ein Unikum im mediterranen Raum), der Rektorenpalast, der Barockneubau der Kathedrale, Franziskaneru. Dominikanerkloster mit gotischer Bausubstanz jeweils an einem der Stadttore, die nach dem Erdbeben 1667 planmäßig wiederhergestellte Häuserreihe am Stradun, vor der Stadt das der Quarantäne dienende Lazarett. 1806 wurde die Stadt von frz. Truppen besetzt, 1808 die Republik offiziell aufgehoben u. das Gebiet 1809 in die →Illyrischen Provinzen inkorporiert. 1815 bis 1918 bildete D. einen Teil des österr. Kronlandes →Dalmatien. Vom wirt. Aufschwung im 19. Jh. blieb die Stadt wegen ihrer Verkehrslage weitgehend ausgeschlossen; auch boten die naturräumlichen Gegebenheiten keinen Raum für bedeutendere Industrialisierung. Erst der 1901 erfolgte Anschluss an das Schmalspurbahnnetz in Bosnien-Herzegowina brachte einen gewissen Wandel. Im 20. Jh., v. a. seit den 60er Jahren, erlangte der Tourismus eine überragende Stellung als Wirtschaftsfaktor. 1979 wurde die gesamte Altstadt von der UNESCO in die Liste des Weltkulturerbes aufgenommen. Belagerung u. Beschießung durch serb. Einheiten während des Krieges 1991/1992 führten zu Zerstörungen u. Verwüstungen im Stadtgebiet u. in der Umgebung; der hist. Stadtkern hat, von einzelnen Schäden abgesehen, den Krieg allerdings weitgehend unversehrt überstanden. Laut Volkszählung hatte die Stadt 2001 knapp 44.000 E (2011: 42.615 E).
Eiserne Garde
Annotierte Bibl.: H. Sundhaussen, Ragusa – Dubrovnik, in: HBK, Bd. I: Mittelalter, T. 2. 1373– 1419. Quellen u. Lit.: N. Vekarić, Vlastela grada Dubrovnika. 4 Bde. Zagreb u. a. 2011–2013; The Statute of Dubrovnik of 1272. Liber statutorum Civitatis Ragusi compositus anno MCCLXXII. Hg. N. Lonza. Dubrovnik 2012; N. Lonza, Kazalište vlasti. Ceremonijal i državni blagdani dubrovačke Republike u 17. i 18. stoljeću. Zagreb, Dubrovnik 2009; V. Miović, The Jewish Ghetto in the Dubrovnik Republic (1546–1808). Zagreb, Dubrovnik 2005; D. Živanović, Dubrovačke arhitektonske studije: oblici i tipologija. Beograd 2005; St. Ćosić/N. Vekarić, Dubrovačka vlastela izmedju roda i države: Salamankezi i Sorbonezi. Zagreb u. a. 2005; R. Harris, Dubrovnik: A History. London 2003; St. Ćosić, Dubrovnik nakon pada republike (1808.–1848.). Dubrovnik 1999; Z. Janeković-Römer, Okvir slobode. Dubrovačka vlastela izmedju srednjovjekovlja i humanizma. ebd. u. a. 1999; B.I. Bojović, Raguse (Dubrovnik) et l’Empire Ottoman (1430–1520). Les actes imperiaux ottomans en Vieux-Serbe de Murad II à Selim Ier. Paris 1998; Statut grada Dubrovnika. Übers. J. Kolanović. Zagreb 1997; S.M. Stuard, A State of Deference. Ragusa, Dubrovnik in the Medieval Centuries. Philadelphia 1992; Likovna kultura Dubrovnika 15. i 16. stoljeća. Hg. I. Fisković. Zagreb 1991; Ragusa e il Mediterraneo. Ruolo e funzioni di una repubblica marinara tra Medioevo ed età Moderna. Hg. A. di Vitorio. Bari 1990; B. Stulli, Židovi u Dubrovniku. Zagreb 1989; B. Stulli u. a., Dubrovačka republika, Dubrovnik, in: Enciklopedija Jugoslavije2. Bd. 3 ebd. 1984, 607–664; V. Foretić, Povijest Dubrovnika do 1808. g. 2 Bde. ebd. 1980; F.W. Carter, Dubrovnik (Ragusa). A Classic City-State. London u. a. 1972; B. Krekić, Dubrovnik in the 14th and 15th Centuries. A City Between East and West. Oklahoma City 1972; N. Biegman, The Turco-Ragusan Relationship. According to the Firmans of Murad III (1575–1595) extant in the State Archives of Dubrovnik. Den Haag 1967; J. Tadić, Jevreji u Dubrovniku do polovine XVII stoljeća. Sarajevo 1937. L. St.
Eiserne Garde (rum. Garda de Fier). 1927 v. Corneliu Zelea-Codreanu unter dem Namen „Legion Erzengel Michael“ (Legiunea Arhanghelul Mihail) gegründete faschist. Organisation in Rumänien. Weitere Bezeichnungen: „Gruppe Corneliu Zelea-Codreanu“, „Alles für das Land“ (Totul pentru Ţară). Bei den Parlamentswahlen im Dezember 1937 erhielt die TPŢ fast 16 % der Stimmen u. wurde drittstärkste Partei. Nach Zuspitzung der pol. Gegensätze erfolgte der Staatsstreich König Carols II. am 10.2.1938 (→Diktaturen). Die Garde wurde systematisch verfolgt, ihr Führer ermordet (Oktober 1938). Die außenpol. Ereignisse des Sommers 1940 (Abtrennung →Bessarabiens, der nördlichen →Bukowina [a. →Ribbentrop-Molotov-Pakt], Nordsiebenbürgens [2. →Wiener Schiedsspruch] u. der Süddobrudscha [→Dobrudscha]) u. die vermeintliche dt. Unterstützung für die Garde ermöglichten dieser einen Neubeginn. Der am 14.9.1940 ausgerufene nationallegionäre Staat teilte die Regierungsbefugnis zw. den Militärs unter General Ion Antonescu u. der Legion unter Horia Sima, ohne dass beide Seiten zur Zusammenarbeit fähig gewesen wären. Als die Legion im Januar 1941 durch einen Putsch die Macht an sich reißen wollte, wurde sie mit Billigung Hitlers, der gerade den Angriff auf die UdSSR plante, endgültig zerschlagen. Ihre führenden Mitglieder flüchteten nach Deutschland. Die Geschichte der Legion „Erzengel Michael“ ist einerseits verbunden mit der „Epoche
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Eiserne Garde
Annotierte Bibl.: H. Sundhaussen, Ragusa – Dubrovnik, in: HBK, Bd. I: Mittelalter, T. 2. 1373– 1419. Quellen u. Lit.: N. Vekarić, Vlastela grada Dubrovnika. 4 Bde. Zagreb u. a. 2011–2013; The Statute of Dubrovnik of 1272. Liber statutorum Civitatis Ragusi compositus anno MCCLXXII. Hg. N. Lonza. Dubrovnik 2012; N. Lonza, Kazalište vlasti. Ceremonijal i državni blagdani dubrovačke Republike u 17. i 18. stoljeću. Zagreb, Dubrovnik 2009; V. Miović, The Jewish Ghetto in the Dubrovnik Republic (1546–1808). Zagreb, Dubrovnik 2005; D. Živanović, Dubrovačke arhitektonske studije: oblici i tipologija. Beograd 2005; St. Ćosić/N. Vekarić, Dubrovačka vlastela izmedju roda i države: Salamankezi i Sorbonezi. Zagreb u. a. 2005; R. Harris, Dubrovnik: A History. London 2003; St. Ćosić, Dubrovnik nakon pada republike (1808.–1848.). Dubrovnik 1999; Z. Janeković-Römer, Okvir slobode. Dubrovačka vlastela izmedju srednjovjekovlja i humanizma. ebd. u. a. 1999; B.I. Bojović, Raguse (Dubrovnik) et l’Empire Ottoman (1430–1520). Les actes imperiaux ottomans en Vieux-Serbe de Murad II à Selim Ier. Paris 1998; Statut grada Dubrovnika. Übers. J. Kolanović. Zagreb 1997; S.M. Stuard, A State of Deference. Ragusa, Dubrovnik in the Medieval Centuries. Philadelphia 1992; Likovna kultura Dubrovnika 15. i 16. stoljeća. Hg. I. Fisković. Zagreb 1991; Ragusa e il Mediterraneo. Ruolo e funzioni di una repubblica marinara tra Medioevo ed età Moderna. Hg. A. di Vitorio. Bari 1990; B. Stulli, Židovi u Dubrovniku. Zagreb 1989; B. Stulli u. a., Dubrovačka republika, Dubrovnik, in: Enciklopedija Jugoslavije2. Bd. 3 ebd. 1984, 607–664; V. Foretić, Povijest Dubrovnika do 1808. g. 2 Bde. ebd. 1980; F.W. Carter, Dubrovnik (Ragusa). A Classic City-State. London u. a. 1972; B. Krekić, Dubrovnik in the 14th and 15th Centuries. A City Between East and West. Oklahoma City 1972; N. Biegman, The Turco-Ragusan Relationship. According to the Firmans of Murad III (1575–1595) extant in the State Archives of Dubrovnik. Den Haag 1967; J. Tadić, Jevreji u Dubrovniku do polovine XVII stoljeća. Sarajevo 1937. L. St.
Eiserne Garde (rum. Garda de Fier). 1927 v. Corneliu Zelea-Codreanu unter dem Namen „Legion Erzengel Michael“ (Legiunea Arhanghelul Mihail) gegründete faschist. Organisation in Rumänien. Weitere Bezeichnungen: „Gruppe Corneliu Zelea-Codreanu“, „Alles für das Land“ (Totul pentru Ţară). Bei den Parlamentswahlen im Dezember 1937 erhielt die TPŢ fast 16 % der Stimmen u. wurde drittstärkste Partei. Nach Zuspitzung der pol. Gegensätze erfolgte der Staatsstreich König Carols II. am 10.2.1938 (→Diktaturen). Die Garde wurde systematisch verfolgt, ihr Führer ermordet (Oktober 1938). Die außenpol. Ereignisse des Sommers 1940 (Abtrennung →Bessarabiens, der nördlichen →Bukowina [a. →Ribbentrop-Molotov-Pakt], Nordsiebenbürgens [2. →Wiener Schiedsspruch] u. der Süddobrudscha [→Dobrudscha]) u. die vermeintliche dt. Unterstützung für die Garde ermöglichten dieser einen Neubeginn. Der am 14.9.1940 ausgerufene nationallegionäre Staat teilte die Regierungsbefugnis zw. den Militärs unter General Ion Antonescu u. der Legion unter Horia Sima, ohne dass beide Seiten zur Zusammenarbeit fähig gewesen wären. Als die Legion im Januar 1941 durch einen Putsch die Macht an sich reißen wollte, wurde sie mit Billigung Hitlers, der gerade den Angriff auf die UdSSR plante, endgültig zerschlagen. Ihre führenden Mitglieder flüchteten nach Deutschland. Die Geschichte der Legion „Erzengel Michael“ ist einerseits verbunden mit der „Epoche
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des →Faschismus“, spiegelt andererseits die spezifischen Strukturverwerfungen Rumäniens zw. 1918–1941 wider. Dazu zählen: der unvorbereitete Übergang zur Massendemokratie, die schwierige Integration bis dahin unter fremder Herrschaft lebender Provinzen, das Zusammenleben mit erheblichen ethn. Minderheiten, die prekäre außenpolitische Lage, die Überbesetzung des staatsorientierten, akademisch gebildeten Mittelstandes, die Krise der Landwirtschaft sowie die Verunsicherung großer Teile der Bev. infolge der krisenhaften Modernisierung. Vorläufer der Legion waren a) die „Garde des nationalen Bewusstseins“ (Garda Conştiinţei Naţionale) in Jassy/Iaşi 1919/20 mit ihrer Verbindung v. Nationalismus, Sozialismus, verweltlichtem Christentum u. paramilitärischer Stoßtrupptaktik, b) die antisemit. Studentenbewegung der 20er Jahre. Die Legion nahm die Tradition des rum. Vorkriegsnationalismus auf u. formte ihn unter dem Einfluss des 1. Wk.s zu einem spezifisch rum. Faschismus um. Kennzeichnend waren: der →Antisemitismus, eine pol. relig. Form des orth. Christentums, die Betonung bäuerlich-agrarischer Symbolik (a. →Populismus). Nachdem 1930 eine „Eroberung“ Bessarabiens gemäß dem Muster des Marsches auf Rom gescheitert war, setzte Zelea-Codreanu auf die v. der NSDAP erfolgreich angewandte Legalitätstaktik. Erst jetzt erhielt die Garde nennenswerten Zulauf. Ende 1930 zählte sie 6.000 Mitglieder, Dezember 1933 waren es schon 28.000 u. im Dezember 1937 etwa 270.000. Die Legion profitierte v. der Krise des pol. Systems nach der überraschenden Rückkehr des Kg.s aus dem Exil (→Hohenzollern-Sigmaringen), v. a. aber spiegelte sie die soz. Verwerfungen der →Weltwirtschaftskrise u. der seit 1934 forcierten Industrialisierung wider. In ihrem Kern repräsentierte die Garde die aufstrebenden, jugendlichen Mittelschichten, denen eine angemessene Beschäftigung im Staatsdienst verwehrt blieb. Diese kompensierten ihr Gefühl der Heimatlosigkeit durch den Widerstand gegen die als fremd empfundene Welt der „alten Generation“ u. stellten ihr den fasch. Voluntarismus entgegen. Mit ihrem grundsätzlichen Protest gegen soz. u. pol. Unzulänglichkeiten sprach die Legion immer breitere Bevölkerungsschichten an (auch in der Arbeiterschaft), deren Hoffnung auf Erneuerung abwechselnd alle großen Parteien enttäuscht hatten. Sie wurde so zu einer universellen Protestpartei, die als Folge ihrer grundsätzlichen Gewaltbereitschaft u. der nur negativ definierten Ziele unfähig war, Mitglieder u. Wählerschaft langfristig zu binden. Unter den Schlägen der Königsdiktatur wandelte sich die Garde v. einer Massenbewegung zur terroristischen Kaderorganisation. Die Zusammenarbeit v. General Antonescu u. der Legion (→Rumänien) beruhte daher auf ganz anderer Grundlage als die Kooperation v. NSDAP bzw. PNF mit den kons. Kräften in Italien u. Deutschland. Horia Sima, der nach dem Frontwechsel Rumäniens im August 1944 in Wien eine Exilregierung bildete, die nicht mehr zum Einsatz kam, hatte nie die Möglichkeit, ein charismatisch begründetes Herrschaftssystem aufzubauen wie Hitler oder Mussolini.
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Lit.: T. Sandu, Un fascisme roumain. Histoire de la Garde de fer. Paris 2014; R.H. Dinu, Faschismus, Religion u. Gewalt in Südosteuropa. Die Legion Erzengel Michael u. die Ustaša im historischen Vergleich. Wiesbaden 2013; Inszenierte Gegenmacht von rechts. Die „Legion Erzengel Michael“ in Rumänien 1918–1938. Hgg. A. Heinen/O.J. Schmitt. München 2013; R. Clark, Eu-
Elite(n)
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Elite(n). Was Eliten von Nichteliten unterscheidet, ist im Detail umstritten. Weitgehend Einigkeit besteht darüber, dass der Besitz v. oder die Verfügungsgewalt über ges. Ressourcen ein wesentliches Kriterium für die Identifizierung v. Positions- u./oder Funktionseliten ist. Die Ressourcen können materieller oder immaterieller Art sein. Entscheidend ist, dass ihr „Kapital“ (im Bourdieuschen Sinn) knapp, erstrebenswert, appropriierbar u. akkumulierbar ist u. dass der Zugang zu ihm durch Ausschlussregeln verwehrt werden kann. Mittels dieser Eigenschaften lassen sich vier Bereiche der Verfügungsmacht unterscheiden: die Ordnungsmacht, die Wirtschaftsmacht, die Deutungsmacht u. Wissen. Zur Ordnungsmacht gehören pol. wie rechtssetzende oder -interpretierende Kompetenzen. Der Besitz v. oder die Verfügung über materielle Ressourcen war stets ein herausragendes Merkmal von Macht. Zur Deutungsmacht zählen die frühere priesterliche Gewalt ebenso wie die säkularisierte kollektive Sinngebungskompetenz, mit deren Hilfe ges. u. pol. Ziele legitimiert werden. Dass Wissen Macht ist, gilt als Allgemeinplatz. Gemeint ist hier das institutionalisierte, z. B. in →Universitäten akkumulierte Wissen, das von der Gesellschaft als transkontextuell relevant u. gültig akzeptiert wird. Die Grenzen zw. Eliten u. Nichteliten variieren je nach Gesellschaftstyp bzw. nach dem Grad der ges. Funktions- u. Arbeitsteilung. Die Frage, wie Verfügungsmacht über Ressourcen erworben wird (z. B. durch Vererbung, Appropriation bzw. Okkupation, durch Leistung, Vertrag oder Charisma) u. wie Verfügungsgewalt abgesichert wird (durch relig. Theorien, institutionelle bzw. staatliche Eigentumsgarantie, individuelle Vorsorge etc.), ist über Jahrhunderte hinaus kontrovers diskutiert u. beantwortet worden. In den vormodernen (frühneuzeitlichen) Gesellschaften SOEs nördl. der Donau wurde die Zugehörigkeit zur Elite im Wesentlichen durch den ständischen Aufbau u. die damit verbundenen Privilegien vorgegeben. Das Ausmaß der Privilegierung bestimmte über die Zugehörigkeit zur Elite (z. B. zum höheren →Adel oder Klerus). I. d. R. waren diese Privilegien vererbbar. Südlich der Donau gingen die Ansätze zur ständischen Schichtung infolge der osm. Eroberungen in den meisten Teilregionen verloren. Den hierarchisierten adelig-bäuerlichen Gesellschaften im N standen die überwiegend akephalen Bauern-, Hirten- u. Stammesgesellschaften im S gegenüber, die im Rahmen des osm. Überschichtungsstaates (mit seinen zunächst nach meritokratischen Prinzipien rekrutierten Eliten) weitgehende Selbstverwaltungsrechte besaßen. Es gab weder einen Adel noch ein Patriziat noch ein Bürgertum.
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Gleichwohl gab es auch in diesen herrschaftsfreien Gemeinschaften eine Art Oberschicht (z. B. Stammes-, Dorf- oder Distrikt-Älteste). Doch die Zugehörigkeit zur Honoratiorenschicht blieb temporär u. personen- bzw. „familien“-bezogen. D.h. es existierten keine normierten u. differenzierenden Aneignungsregeln, die in einer →segmentären Gesellschaft mit einer überschaubaren Anzahl von Mitgliedern auch nicht erforderlich waren. Mit der modernen Staats- u. →Nationsbildung im 19. u. 20. Jh. verschob sich das Verhältnis von Eliten zu Nichteliten. Nördl. der Donau (in Ungarn u. Rumänien) konnten sich allerdings feudale oder feudalähnliche, ständische oder quasi-ständische Schichtungsmodelle (→Feudalismus, Ungarn) bis ins 19. Jh. hinein erhalten u. lebten auch nach den großen Umbrüchen im Gefolge der →Revolution v. 1848/49 in modifizierter Form (stellenweise bis zum Ende des 2. Wk.s) fort. Mittels intra- u. interfamiliärer Netzwerke (Nepotismus, aus lat. nepos: Enkel/Neffe; dt. a. Vetternwirtschaft) u. den Aufbau v. →Klientelsystemen (Patronage) sicherten sich die E. ihren Einfluss, doch konnten sie die Partizipation des aufstrebenden →Bürgertums auf Dauer nicht verhindern. Dennoch glich z. B. die rum. Elite bis zum 2. Wk. noch einem großen Familiennetzwerk (D. Paruševa). Einschneidender waren die Veränderungen in den postosm. Staaten des Balkanraums, wo ein einheimischer Adel fehlte. Pol., milit., wirt., rechtliche u. kult. Verfügungsrechte, die bisher bei der Hohen Pforte u. ihren mehr oder minder loyalen/illoyalen Repräsentanten konzentriert waren, gingen auf die neuen Staaten u. Nationen bzw. ihre Führungsschichten über. Staats- u. →Nationsbildung, d. h. der Kompetenzenzuwachs von außen u. der neue Regelungsbedarf im Innern, hatten eine institutionelle Revolution zur Folge, die einen bisher nicht da gewesenen Kampf um die Verfügungsgewalt über ges. Ressourcen auslöste. Akteure dieses Kampfes waren die traditionellen Honoratioren u. die Anführer der →Befreiungskriege auf der einen sowie die neue Schicht der höheren Staatsbeamten, der aus der Diaspora zugewanderten Träger von wirt. oder kult. „Kapital“ (→Bürgerum [Balkan]) u. die aus dem Bauerntum aufgestiegenen Parvenus auf der anderen Seite. Familiennetzwerke spielten auch hier eine bedeutende Rolle. Namentlich in Griechenland, wo in der zweiten H. des 19. Jh.s fast die Hälfte der Minister Söhne oder sonstige Verwandte v. Ministern waren. Obendrein waren pol. u. wirt. E. oft eng miteinander verzahnt. Die Gelehrten (Deutungseliten) spielten als Nationsbildner eine Schlüsselrolle. Und institutionalisiertes Wissen wurde zur Grundvoraussetzung im Umgang mit den nach „europäischen“ Mustern implementierten Institutionen (administrativer, rechtlicher oder kult. Art). Bis weit ins 20. Jh. hinein waren das Studium an einer ausländischen Universität sowie darauf basierende soz. Netzwerke ein nahezu unverzichtbares Requisit für den Aufstieg in die Elite (→Studentenmigration). Der normierte, zentralisierte u. regulierende Nationalstaat als Leitidee der „europa“-orientierten Führungsschichten u. als Demiurg der Entwicklung drängte die traditionellen Honoratioren (einschließlich der Priester) in die Defensive u. geriet überall in einen scharfen Gegensatz zum trad. Normenu. Wertsystem der bäuerlichen Nichteliten, das auf Dezentralisierung, lokaler Autonomie, face-to-face-Demokratie u. Gewohnheitsrecht basierte. Das Ergebnis dieser Entwicklung war nicht nur eine Spaltung der Gesellschaft, sondern auch eine Spaltung der Eliten. In Opposition zu dem pro-„westlichen“ Teil der Elite formierte sich im Kampf um Ressourcen u. Deutungsmacht ein anti-„westlicher“ Flügel, der unter Rekurs auf die „Traditi-
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on“ u. mit populistischen Programmen (→Populismus) Unterstützung bei der Bevölkerung suchte oder eine Mischung von „Tradition“ u. „Moderne“ (in unterschiedlichsten Varianten) anstrebte. Zu den Vertretern dieses anti-„westlichen“ Flügels gehörten nicht nur orth. Geistliche, die das Ideengut von →Aufklärung u. Französischer Revolution als „Teufelswerk“ interpretierten, sondern auch Gelehrte, Künstler u. Literaten, die die tatsächlichen oder vermeintlichen Spezifika ihres „Volkes“ vor Nivellierung u. Untergang bewahren wollten. Kulturelle u. wissenschaftliche Vereine sowie staatliche Institutionen (z. B. →Akademien) entwickelten sich (partiell) zu Bollwerken gegen die befürchtete Universalisierung der gerade erst konstruierten oder noch im Aufbau befindlichen nationalen Identität. Die aus Russland im 19. Jh. bekannten Auseinandersetzungen zw. „Westlern“ u. „Russophilen“ fanden in ähnlicher Form auch in den orth. Balkanländern statt. Aber anders als Russland, wo eine staatskritische u. -ferne Intelligencija (das aus dem franz. u. dt. Sprachgebrauch übernommene Kollektivum „intelligencija“ ist seit 1861 in der russ. Sprache belegt) mit einer ausgeprägten sozialethischen Gesinnung die Identitätsdiskurse maßgeblich vorantrieb, zeichnete sich die Balkanintelligenz v. a. durch ihre Staatsnähe u. den „Drang zum Amt“ aus. Erst in der Zwischenkriegszeit, als die Staatsapparate der meisten soe. Länder bereits mit Akademikern überbesetzt waren (bei einem nach wie vor hohem Anteil v. Analphabeten in der Gesamtbev.; →Alphabetisierung), suchten die jüngeren Angehörige der Intelligenz alternative Orientierungsmuster, die sie z. T. im →Sozialismus/Kommunismus, z. T. im rechtsextremen oder faschistischen Lager (z. B. in der →Eisernen Garde) fanden. Die Etablierung sozialistischer Regime nach dem 2. Wk. u. deren Zusammenbruch Ende der 1980er/Anfang der 1990er Jahre waren abermals begleitet vom Kampf um ges. Ressourcen. In beiden Fällen hat ein Elitenwechsel nur begrenzt stattgefunden, da die für einen Ersatz der alten Eliten notwendigen neuen Eliten nicht im erforderlichen Umfang zur Verfügung standen. Die sozialist. Regime haben durch eine von oben gesteuerte Bildungs- u. Kaderpolitik versucht, eine aus der Arbeiter- (u. Bauern-)schaft rekrutierte Elite heranzuziehen, die nicht aufgrund ihres Eigentums, sondern ihres institutionalisierten Wissens über die Redistribution des ges. Mehrwerts bestimmte. Das systemerhaltende Fachwissen wurde zum wichtigsten „Kapital“ der sozialist. Intelligenz, die sich mittels rigider Ausschließungsstrategien ein Verfügungsmonopol sicherte u. damit den „Weg zur Klassenmacht“ ebnete (Konrád/Szelényi). Die durch den Zusammenbruch des realexistierenden Sozialismus ausgelöste Orientierungslosigkeit in der Gesellschaft eröffnete sowohl „gewandelten“ sozialist. Intellektuellen wie vormals antisozialist. „Dissidenten“ neue Spielräume im Ringen um Deutungsmacht, wobei der Rekurs auf den Nationalismus zur wichtigsten Ressource wurde u. insbesondere im früheren →Jugoslawien seit der 2. H. der 1980er Jahre desaströse Dimensionen erlangte. Lit.: (allg. u. Südosteuropa insges.): Elites and politics in Central and Eastern Europe (1848–1918). Hgg. J. Pál/V. Popovici. Frankfurt/M. 2014; Prowestliche u. antiwestliche Diskurse in den Balkanländern/Südosteuropa. Hgg. G. Schubert/H. Sundhaussen. München 2008; A. Sterbling, Eliten, Intellektuelle, Institutionenwandel. Untersuchungen zu Rumänien u. Südosteuropa. Hamburg 2001; Eliten in Südosteuropa. Rolle, Kontinuität, Brüche in Geschichte u. Gegenwart. Hgg. W. Höpken/H. Sundhaussen. München 1998; A. Sterbling, Überlegungen zur Schlüsselbe-
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Epirus
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Epirus (v. gr. Epeiros „Festland“). Hist. Landschaft in SOE mit häufig wechselnden Abgrenzungen (heute geteilt zw. Albanien u. Griechenland), begrenzt im N von der Bucht von Valona (Vlora), im W vom Ionischen Meer, im S vom Golf von Ambrakia (Arta) u. im O vom Pindosgebirge, das E. von Thessalien trennt: eine stark gebirgige Region mit vielen Kleinlandschaften (unter ihnen →Himara). Im Altertum war E. besiedelt von weitgehend hellenisierten illyr. Stämmen, von denen es die Molosser unter Kg. Pyrrhos (297–272 v. Chr.) zu einer Großmachtstellung brachten. Im 2. Jh. v. Chr. von den Römern erobert, gehörte E. zunächst zur Provinz Achaia, ab 148 v. Chr. zu Macedonia u. wurde Mitte des 2. Jh. n. Chr. eigene Provinz. Durch die Verwaltungsreform des Ks. Diokletian (284–305) kam es zur Bildung von zwei Provinzen, die den Namen E. trugen: Alt-E. (E. Vetus) u. Neu-E. (E. Nova), von denen nur E. Vetus mit der Haupstadt Nikopolis den eigentlichen E. umfasste, während E. Nova mit dem bisherigen südl. Illyricum identisch war. In der Völkerwanderungszeit vor übergehend v. Goten u. Vandalen besetzt, wurde E. Ende des 6. Jh.s von der →Slavischen Landnahme betroffen. →Byzanz konnte seine Herrschaft erst Ende des 8./Anfang des 9. Jh.s wiederherstellen, nachdem die →Themen Dyrrhachion (heute Durrës), Kephallenia u. Nikopolis eingerichtet worden waren. Ein Teil der Bev. wurde regräzisiert. Eine selbständige pol. Rolle begann E. nach dem 4. →Kreuzzug zu spielen: Michael I. Dukas (1204–1214), ein Vetter des byz. Ks. Isaak II. u. Alexios III., setzte sich im Thema Nikopolis fest u. errichtete in E. einen unabhängigen Staat, dessen Zentrum Arta war. Er beherrschte bald ein Territorium, das von Naupaktos im S bis Dyrrhachion im N reichte. Die Lehenshoheit Venedigs (→Venezianisches Überseereich), dem das Gebiet bei der Partitio terrarum imperii Romaniae zugesprochen worden war, erkannte er 1210 an. Nach seiner Ermordung übernahm sein Halbbruder Theodor Komnenos Dukas (1215–30) die Herrschaft. Dieser betrieb eine expan-
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Epirus
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sive Außenpolitik u. nahm nicht nur den gerade gekrönten lat. Ks. (→Lateinisches Kaiserreich) Peter v. Courtenay gefangen (1217), sondern wandte sich auch gegen das benachbarte lat. Kgr. Thessaloniki, das er 1224 erobern konnte. Er beherrschte damit ein Gebiet, das von der Adria bis zur Ägäis reichte. Angesichts dieser Machtfülle nahm er 1227 den Ks.titel an. Neben Nikaia (→Kaiserreich v. Nikäa) war damit ein zweites gr. Nachfolgereich entstanden. Ziel beider war die Rückeroberung von Konstantinopel, wobei sich zw. E. u. Nikaia ein Konkurrenzkampf entwickeln musste. In diesem obsiegte letztendlich Nikaia, denn der Vormarsch der epirot. Truppen wurde durch die Bulgaren gebremst, die 1230 bei →Klokotnica das Heer von Theodor vernichtend schlugen u. den Ks. gefangennahmen. Theodors Neffe u. Nachfolger Michael II. Dukas Komnenos (ca. 1231–1267) konnte seine Herrschaft nur noch in E. u. Teilen Thessaliens behaupten. Er führte nurmehr den →Despotentitel u. versuchte, durch ein Bündnis mit Wilhelm II. Villehardouin, Fürst v. Achaia, u. Kg. Manfred v. Sizilien dem weiteren Vordringen von Nikaia Einhalt zu gebieten. Mit Manfred verheiratete er seine Tochter Helena u. gab ihm Korfu, Valona (Vlora) u. a. Küstenplätze als Mitgift. Die Verbündeten erlitten aber 1259 in der Schlacht von Pelagonia eine Niederlage, die den Kampf zw. E. u. Nikaia entschied. Nach der Rückeroberung Konstantinopels durch Ks. Michael VIII. Palaiologos (→Paläologen) 1261 weigerte sich der Despot, die erneuerte Reichsgewalt anzuerkennen u. kämpfte für die Unabhängigkeit von E., diesmal im Bunde mit Karl v. →Anjou, der Kg. Manfred 1266 bei Benevent geschlagen u. dessen Besitzungen in E. übernommen hatte. Mit Hilfe der Anjou konnte Michaels Sohn Nikephoros I. (1267– ca. 1297) die Selbständigkeit von E. behaupten. Erst 1340 wurde E. von Ks. Andronikos III. wieder dem Byz. Reich angegliedert. Im S ließen sich seit Anfang des 14. Jhs. zahlr. Albaner nieder, die kurzlebige Familienherrschaften begründeten. 1348 wurde E. von den Serben erobert u. von Zar Stefan Dušan (→Nemanjiden; →Serb. Reich) seinem Halbbruder Simeon Uroš zur Verwaltung überlassen. Nach dem Tode Stefan Dušans (1355) versuchte der entmachtete Despot Nikephoros II., die Albaner aus E. zu vertreiben, wurde von diesen aber 1359 in der Schlacht am Acheloos geschlagen. In E. entstanden zwei Despotate: ein serb. unter Thomas Preljubović in Ioannina u. ein alb. unter Peter Losha u. dann Gjin Bua Shpata in Arta. Die Bev. in Teilen des E. war offenbar ethnisch stark gemischt. Nach der Ermordung von Preljubović 1384 versuchten dessen Nachfolger Esau del Buondelmonti (1385–1411) u. Carlo Tocco (1411–29) durch eine Schaukelpolitik zw. den Osmanen u. Venedig (→Venezian. Überseereich) ihre Herrschaft zu erhalten. Toccos Nachkommen gelang das nicht mehr: 1430 eroberten die Osmanen Ioannina, 1448 Arta u. 1479 fielen ihnen die letzten Besitzungen der Tocchi in die Hände. Das Despotat E. wurde dem →Osm. Reich eingegliedert. Ende des 16. Jhs. setzte die →Islamisierung v. Teilen der Bev. ein. Sowohl die muslimische wie die orth. Bev. gliederten sich sprachlich in mehrere Untergruppen. Während Ioannina im S des E. ein wichtiges Zentrum der orth. Kultur darstellte, entwickelte sich Moschópolis (alb. Voskopoja) im N (bei Korça) zu einem überregional bedeutenden Handelszentrum der →Aromunen. An der Wende vom 18. zum 19. Jh. erkämpfte sich der albanischstämmige Ali Pascha v. Tepelena („der Löwe v. Janina“) ein eigenes Teilreich, das bis zu seinem Tod 1822 große Teile v. E. sowie Thessaliens u. der Peloponnes umfasste. Im Zuge der →Nationalstaaten- u. →Nationsbildung seit dem 19. Jh. wurde E. mit seiner ethn., sprachl. u. relig.
Epirus / Epochen
gemischten Bev. zum Zankapfel zw. Griechen u. Albanern. Bei der Aufteilung der Region im Gefolge der →Balkankriege erhielt Griechenland (das bereits 1881 einen Gebietsteil im Süden um die Stadt Arta erhalten hatten) den größeren südlichen, Albanien den nördlichen Teil. 1944 vertrieben gr. Truppen etwa 20.000 muslimische Albaner aus dem gr.-alb. Grenzgebiet (alb. Çamëria, →Çamen). Dies sowie das vom gr. →Irredentismus reklamierte →Nordepirus hatten eine dauerhafte Belastung des gr.-alb. Verhältnisses zur Folge. Bibl.: L. Drulia/V. Konti, Iporitiki Vivliografia 1571–1980. Athen 1984. Lit. (a. →Despoten; →Nordepirus): O.J. Schmitt, Epirus, in: Das Südosteuropa der Regionen. Hgg. O.J. Schmitt/M. Metzeltin. Wien, 677–733; M. Veikou, Byzantine Epirus. A Topography of Transformation. Settlements of the Seventh–Twelfth Centuries in Southern Epirus and Aetoloacarnania, Greece. Leiden, Boston 2012; S.F. Green, Notes from the Balkans. Locating Marginality and Ambiguity on the Greek-Albanian border. Princeton u. a. 2005; T. Winnifrith, Badlands – Borderlands. A History of Northern Epirus/Southern Albania. London 2002; P. Petta, Despoti d’Epiro, Principi di Macedonia. Lecce 1999; K.E. Fleming, The Muslim Bonaparte. Diplomacy and orientalism in Ali Pasha’s Greece. Princeton/N.J. 1999; Fr.C.H.L. Pouqueville, Travels in Epirus, Albania, Macedonia and Thessaly. Hg. J. Pettifer. [London] [1998] (Original: London 1820); G. Prinzing, Epirus u. die ionischen Inseln im Hochmittelalter: Zur Geschichte der Region im Rahmen des Themas Nikopolis u. der Inselthemen Kerkyra u. Kephallenia im Zeitraum ca. 1000–1204, SOF 56 (1997), 1–25; D.M. Nicol, The Despotate of Epiros, 1267–1479. Cambridge 1984; A. Ducellier, La façade maritime de l’Albanie au Moyen âge. Durazzo et Valona du XIe au XVe siècle. Thessaloniki 1981; N.G.L. Hammond, Epirus. The Geography, the Ancient Remains, the History and the Topography of Epirus and Adjacent Areas. Oxford 1967; D.M. Nicol, The Despotate of Epiros, 1204–1267. Oxford 1957. P. B.
Epochen. Epocheneinteilungen sind Gliederungsversuche globaler hist. Prozesse, die in einem kontinuierlichen Strom der Ereignisse erste Orientierungshilfen anbieten sollen. Sofern sie Sinndeutungen hist. Entwicklungsvorgänge implizieren, beruhen alle Periodisierungsvorschläge auf mehr oder minder willkürlichen Zäsuren. Ihre Kriterien können daher je nach fachspezifischer Fragestellung oder subjektiver Einschätzung erheblich divergieren. Bei der Betrachtung der Geschichte SOEs ergeben sich unterschiedliche Gewichtungen aus der abweichenden Perspektive einer Innen- bzw. einer Außensicht. Eine schematische Übertragung der Epochengliederung Altertum, Mittelalter u. Neuzeit wird den Besonderheiten des Geschichtsverlaufes auf der Balkanhalbinsel (→Balkan) nicht gerecht. Für die nationale Geschichtsschreibung markieren naturgemäß die ethn. Prozesse, die zur Herausbildung des eigenen Volkes (→Ethnogenese) führten, u. die Wechselfälle des Selbstbehauptungskampfes gegen fremde Eroberer die entscheidenden Fixpunkte. Die Außenansicht orientiert sich mehr an den Reichsbildungen, in die jahrhundertelang die balkanische Volksgeschichte eingebunden war u. an länderübergreifenden politischen, wirt. u. geistig-kult. Wandlungsprozessen, die v. externen Kräften angestoßen u. gesteuert wurden. Sucht man nach derartigen globalen Entwicklungszusammenhängen, dann dürften im
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Epochen / Epos
chronologischen Ablauf vom Frühmittelalter bis zur Gegenwart folgende epochalen Vorgänge besonders ins Auge fallen: Landnahme (→Slavische, Ungarische L.) u. →Ethnogenese, frühma. Staatsgründungen u. →Christianisierung, Phasen konkurrierender imperialer Machtentfaltung im Kampf um die innerbalkanische Vorherrschaft während des sog. byz. Jahrtausends (330–1453; →Byzanz), osm. Eroberung u. isl. Fremdherrschaft (→Osmanisches Reich), nationale „Wiedergeburt“ u. Freiheitskampf (→Nationsbildung; →Befreiungskriege), Phase der →Modernisierung u. der →Nationalstaatenbildungen, Periode des gescheiterten →Parlamentarismus u. der Königsdiktaturen (→Diktatur) in der Zwischenkriegszeit, Zeit der komm. Parteiherrschaft (→Kommunismus) u. des →Kalten Krieges, demokr. Neubeginn u. ges. Transformationen. Eine mehr an den kulturgesch. Entwicklungszusammenhängen orientierte Sichtweise wird eine Periodisierung nach den epochenübergreifenden Akkulturations- u. Adaptionsprozessen der Romanisierung, Hellenisierung, Slavisierung, →Islamisierung u. Europäisierung bevorzugen. Lit.: R. Daskalov, Periodization of the History of the Balkans – Some Considerations, Wiener Zeitschrift zur Geschichte der Neuzeit 1 (2002), H. 2, 96–101. E. H.
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Epos. Hauptgattung erzählender Dichtung. Mündliches Epos: erzählende Volksdichtung, die schriftlos entsteht u. oral tradiert wird. – In SOE wird die Darstellung mythischen, sagenhaften oder hist. Geschehens in sprachlich überhöhter, metrisch gebundener Form in erster Linie durch das mündliche Epos oder epische Lied (bulg. epičeska pesen, serb. epska pesma, kroat. epska pjesma, gr. epikó tragúdi, alb. këngë epike, rum. cîntec epică) geleistet. Es ist die gesteigerte Wirklichkeit, die der epische Sänger thematisiert. So lebt das soe. Heldenlied (bulg. junaška pesen, serb. junačka pesma, kroat. junačka pjesma, gr. akritikó tragúdi, alb. këngë heroike/k. trimash/k. kreshnikësh, rum. cîntec bătrînesc) v. der Spannung zw. hist. Wirklichkeit u. epischer Wahrheit, wobei die Realität in der epischen Umgestaltung eine ideologische Steigerung erfährt. Die Zuhörer verlangen vom epischen Lied mit heroischer Thematik (serb. muška pesma „Männerlied“) Vorbilder. Diese Heldengestalten sind weitgehend typisiert: der physisch gewaltige Held, der kluge Held, der alte, erfahrene Held, seltener das Heldenkind, das heldische Mädchen. Im Mittelpunkt dieser Heldenlieder stehen Kampf u. Sieg. Handelt es sich bei den älteren epischen Liedern noch vorwiegend um den ritterlichen Zweikampf, wobei häufig ein Drachenkampf, eine Auseinandersetzung des Helden mit der Fee (kroat., serb. vila, bulg. samovila, samodiva, [nord-]alb. zânë), eine Brautgewinnung mit heldischen Proben, ein Kampf zw. einem christl. Helden u. seinem nicht-christl. Gegner, die Heimkehr des Helden aus der Gefangenschaft etc. thematisiert wird, so findet sich in den jüngeren, aus den antitürkischen Befreiungskämpfen geborenen Freischärlerliedern – den Haidukenliedern der Bulgaren, Serben u. Rumänen (→Haiduken), den Klephtenliedern der Griechen (→Klephten) sowie den in osm. Zeit entstandenen jüngeren, sog. „historischen“ Liedern der Albaner – ein neuer Liedtyp mit verhältnismäßig knapper u. dynamischer Darstellung realistischer Einzelheiten der Ereignisse, die mehr oder weniger lyrisch oder szenisch gestaltet sein können. In den Haidukenliedern der Kroaten u. Serben (→Haiduken) ist formal eine
Epos
Kontinuität des alten narrativ-epischen Heldenliedtyps zu beobachten, wobei in sog. Heldenkatalogen anachronistisch auch ältere Helden (z. B. Kraljević Marko, 14. Jh.; Sibinjanin Janko, 15. Jh.) mit solchen des 18. u. 19. Jh.s zusammen genannt werden. Bei den in musl. Milieu entstandenen bosn. u. alb. Liedern ist das Feindbild umgekehrt: Hier sind Djerzelez Alija/Gjergjelez Ali, Mujo/Mujë u. Halil, Musa, Kuna Hasan-aga u. a. musl. Gestalten die Helden u. christliche Gegner die Feinde. Im Gegensatz zu den soe. lyrischen Liedern u. Brauchtumsliedern (serb. ženske pesme „Frauenlieder“) sowie dem Mischgenre der episch-lyrisch-dramatischen Balladen werden in den epischen Liedern Themen, Heldentypen u. Ideologeme verarbeitet u. tradiert, die durch die Jahrhunderte für das hist. u. pol. Bewusstsein der Liedgemeinschaft v. äußerster Relevanz waren. Was bei den Griechen die Akritenlieder über Digenis, Porphyris u. den Sohn des Andronikos, bei den Rumänen die epischen Lieder über den Vojvoden Ştefan u. bei den Albanern die Heldenlieder über Skanderbeg sind, entspricht bei den Südslaven der Liedzyklus um den Helden Marko (kroat., serb. Kraljević Marko, bulg. Krali Marko) u. der sog. Kosovo-Zyklus v. Liedern, welche die christl.-musl. „Schicksalsschlacht“ 1389 auf dem Amselfeld (→Kosovo polje) besingen („Boj na Kosovu“, „Car Lazar i carica Milica“ u. Lieder, in denen die Opposition v. Lazars Schwiegersöhnen – dem treuen Ritter Miloš Obilić u. dem Verräter Vuk Branković – thematisiert wird etc.) oder damit in Zusammenhang stehen („Kosovska devojka“, „Majka Jugovića“ etc.). Diese Zyklen mit ihrem komplexen Ideologembestand zeigen eine geradezu unerschöpfliche Aktualisierungs- oder Revitalisierungskraft, v. der sowohl die Literatur (Folkloretexte als Prätexte für eine literarische Verarbeitung in Lyrik, Epik u. Dramatik) wie auch die pol. Propaganda bis heute zehren. Vor allem der als serb. Nationalmythos geltende Kosovo-Mythenkomplex (mit der damit verquickten Lazar-Legende u. dem Mythologem des Opfertodes der Serben für das Himmelreich) darf als signifikantes Beispiel dafür dienen, wie in der Gegenwart auf gefährliche Weise Geschichtliches u. Mythisches vermischt u. fatalerweise sogar Rechtstitel daraus abgeleitet werden. Geschaffen u. mündlich tradiert v. meist analphabetischen epischen Sängern (serb. Guslaren v. gusla „Kniegeige“, alb. Lahuta-Spieler), denen die Formelhaftigkeit (d. h. hohe Wiederholungsdichte in Bezug auf Textbausteine bei Beschreibungen, Liedein- u. ausgängen, syntaktischen Modellen etc.) u. Metrik der strophen- u. reimlosen Lieder wichtige mnemotechnische Stützen bildeten, verweisen die ältesten soe. Heldenlieder auf eine Entstehung in ma. Zeit. Der Umfang der epischen Lieder mit ihren ältesten Ausprägungen in Form der sog. Langzeilenlieder (bei den Griechen der meist jambische stichós politikós, ein Dekapentasyllabos mit 8 + 7 Silben, im kroat. u. serb. Raum die bis zum 18. Jh. aufgezeichneten trochäischen „Bugarštica“-Lieder mit 8 + 7-silbigen Verszeilen u. kürzeren Refrain-Zeilen) u. den jüngeren 8-10-Silber-Liedern (am berühmtesten der serb. u. kroat. epische deseterac, ein trochäischer Zehnsilber mit Zäsur nach der 4. Silbe) schwankt zw. ca. 50 bis 450 Verszeilen u. kann – v. a. bei den bosn. Liedern, welche die langen Ramadan-Abende u. -Nächte zu füllen hatten – bis zu 2.000 u. mehr Verse betragen. Die systematische Aufzeichnung der soe. epischen Lieder erfolgte im Zeitalter der Nationalbewegungen u. Freiheitskämpfe seit der Romantik (z. B. durch den Herzegowiner
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Epos / Erinnerungskultur
Vuk St. Karadžić [1787–1864], der serb., kroat., bosn. u. bulg. Lieder sammelte, a. →Nationsbildung). Dank der Vermittlung durch Jakob Grimm u. Johann Wolfgang v. Goethe in Deutschland, Walter Scott in England etc. wurden die Lieder in Europa sehr positiv aufgenommen u. stellten jahrelang geradezu eine Sensation dar. Ihre wiss. Erforschung (Fragen der Sujet- u. Motivwanderung bzw. Polygenese u. Autochthonie, Versprobleme, Metaphorik, rhetorische Figuren u. ä.) in komparatistischen oder monographischen Untersuchungen setzte in der zweiten H. des 19. Jh.s ein, erfuhr in der ersten H. des 20. Jh.s einen großen Aufschwung u. wird v. a. seit den 60er Jahren auf nationaler u. internationaler Ebene betrieben, wobei die gewonnenen Erkenntnisse immer auch wertvolle Rückschlüsse auf das folkloristische Faktum generell ermöglichen. Texte u. Lit.: Balkan Epic. Song, history, modernity. Hgg. Ph.V. Bohlman/N. Petković-Djordjević. Landham/Md. u. a. 2012; Književnost i istorija VIII: Transpozicija istorijskih dogaćaja i ličnosti u epskoj pesmi, spevu i epu. Zbornik izlaganja sa Medjunarodnog naučnog skupa održanog u Nišu 28. Sept. 2006. Hg. M.M. Stojanović. Niš 2006; M. Popović, Vidovdan i časni krst. Ogled iz književne arheologije. Beograd 31998; Serbische Heldenlieder. Hgg. H.-B. Harder/H. Lemberg. München 1996 (eBook 2012); Epos – etnos – etos. Hg. R. Ivanova. Sofija 1995; R. Lauer, Das Wüten der Mythen. Kritische Anmerkungen zur serbischen heroischen Dichtung, in: Das jugoslawische Desaster. Hgg. R. Lauer/W. Lehfeldt. Wiesbaden 1995, 107–148; I. Čolović, Bordell der Krieger. Folklore, Politik u. Krieg. Osnabrück 1994; Serbo-Croatian heroic poems. Epics from Bihać, Cazin and Kulen Vakuf. Hg. D.E. Bynum. New York u. a. 1993; Zmaj, junak, vila. Antologija usmene epike iz Dalmacije. Hg. D. Dukić. Split 1992; J. Kolsti, The Bilingual Singer. A Study in Albanian and Serbo-Croatian Oral Epic Tradition. New York u. a. 1990; V.St. Karadžić, Srpske narodne pesme. 4 Bde. Beograd 1987 [u. zahlr. weitere Ausgaben]; B. Krstić, Indeks motiva narodnih pesama balkanskih Slovena. Beograd 1984; E.K. Teodorov, Bălgarski naroden geroičen epos. Sofija 1981; M. Maticki, Srpskohrvatska graničarska epika. Beograd 1974; D. Burkhart, Untersuchungen zur Chronologie u. Stratigraphie der südslavischen Volksepik. München 1968; I. Deter-Grohmann, Das neugriechische Volkslied. ebd. 1968; V. Gacak, Vostočnoromansij geroičeskij épos. Moskva 1967; A. Schmaus, Die balkanische Volksepik, Zeitschrift für Balkanologie 1 (1962/63), H. 1/2, 133–152; M. Braun, Das serbokroatische Heldenlied. Göttingen 1961 [serb. Übers. Beograd 2004]; Junaški pesmi. Hg. I. Burin. Sofija 1961; V. Schirmunski, Vergleichende Epenforschung. Berlin 1961; A.B. Lord, The Singer of Tales. Cambridge/ MA 1960; S. Skendi, Albanian and South Slavic Oral Epic Poetry. Philadelphia 1954. D. B.
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Erinnerungskultur. Unter dem Ende der 1980er Jahre geprägten Neologismus E. werden kollektive, mehr oder minder kodifizierte Vorstellungen von Vergangenheit in der (jeweiligen) Gegenwart bzw. ihre mediale Umsetzung in Texten, Bildern, Denkmälern, Museen, Symbolen, Feiern etc. verstanden. Im Zuge der kulturwiss. Wende in den Human- u. Geisteswissenschaften („cultural turn“) entwickelte sich die Beschäftigung mit E. – unter Rückgriff auf die Forschungen von Maurice Halbwachs über das kollektive Gedächtnis aus den 1920er/30er Jahren – zu einem zentralen Forschungsfeld der Kulturwissenschaften, in dem
Erinnerungskultur
es um Entstehung, Inhalt, Präsentation, Bedeutung/Funktion sowie Möglichkeiten der Musealisierung/Konservierung kollektiv ausgehandelter Erinnerungen geht. Einigkeit besteht darin, dass kollektive Erinnerungen kein getreues Abbild von Vergangenem im Gedächtnis einer Gruppe sind, sondern sich im Verlauf u. als Ergebnis des Erinnerns verändern u. sozial ausgehandelt werden, bevor sie im „kulturellen Gedächtnis“ einer Gesellschaft abgespeichert werden. Über das Verhältnis von Geschichte u. Erinnerung oder Gedächtnis wird dagegen immer wieder gestritten. Während einige Forscher u. Forscherinnen die fließenden Übergänge betonen, bestehen andere – zumindest idealtypisch – auf einer Trennung zw. „Geschichte als Wissenschaft“ u. „Geschichte als Erinnerung“: „Die Geschichte als Wissenschaft ist Sache der Experten. Sie tritt uns entgegen als kritisch-distanzierte Anwendung fester Regeln für die Interpretation u. Analyse von Quellen u. Überresten aus der Vergangenheit, mit dem Anspruch auf Überprüfbarkeit u. objektive Gültigkeit ihrer Ergebnisse. (…) Das Gedächtnis dagegen dient existentiellen Bedürfnissen von Gemeinschaften, für die die Gegenwärtigkeit des Vergangenen einen entscheidenden Teil ihres kollektiven Wesens darstellt’.“ (É. François/H. Schulze) Die E. als eine für die Gruppe/Nation aufbereitete Form der Vergegenwärtigung von Vergangenheit tritt in zwei Varianten auf: einmal basierend auf (aber nicht identisch mit) den Ergebnissen wiss.-histor. Forschung (Geschichte als Wissenschaft), zum anderen in Gestalt von hist. Mythen u. Deutungen, die i. d. R. einen hist. Kern haben, dessen Ausgestaltung aber weder beweisbar noch widerlegbar ist oder im Gegensatz zu den Ergebnissen wiss. Forschung steht (Geschichte als Gedächtnis). Beide Varianten der E. unterliegen von Zeit zu Zeit – insbes. nach tiefen politisch-gesellschaftlichen Umbrüchen sowie in Abhängigkeit von Fragestellungen, gesellschaftlichen Bedürfnissen u. Machtverhältnissen – Veränderungen, werden konstruiert, dekonstruiert u. evtl. rekonstruiert. Doch unterscheiden sie sich hinsichtlich der Konstruktionsmethode (eher empirisch-analytisch oder eher intuitiv-ganzheitlich). Fixpunkte der E.en sind die „Erinnerungsorte“ (Pierre Noras „lieux de mémoire“), die ebenso materieller wie immaterieller Natur sein können, also nicht nur Orte im räumlichen Sinn darstellen. Zu ihnen gehören etwa reale oder mythische Gestalten, Ereignisse, Gebäude u. Denkmäler, Institutionen u. Begriffe, Literatur, Gemälde usw. Seit dem 1992 von Eric Hobsbawm u. Terence Ranger hg. Sammelband „The Invention of Tradition“ ist viel über die „Erfindung“ von Traditionen u. Vergangenheit sowie über die „Erfindung v. Erinnerungen“ geforscht worden. Die Kehrseite der Medaille – die „Erfindung“ der Gegenwart mittels Vergangenheit („Erinnerung“) blieb dagegen weitgehend ausgeklammert. Aber so wie die Gegenwart die „Erinnerung“ u. Deutung der Vergangenheit beeinflusst, so beeinflusst auch die „Erinnerung“ v. Vergangenheit die Wahrnehmung u. Deutung der Gegenwart. Die Vergegenwärtigung der Vergangenheit u. die „Historisierung“ der Gegenwart bedingen u. durchdringen sich wechselseitig. Dieser Umstand verleiht den E.en ihre gegenwarts- u. zukunftsbezogene Relevanz. Im Folgenden geht es um die E.en, die während oder nach der →Nations- u. →Nationalstaatenbildung von wiss., kulturellen oder pol. →Eliten, oft unterstützt v. den Kirchen, gesetzt u. mittels Geschichtspolitik in den Köpfen der jeweiligen Bev. verankert wurden. Die E.en setzten sich zumeist zusammen aus älteren, ehemals lokalen histor. Mythen (insbes. Ursprungs- u. Gründungsmythen), der Erinnerung an herausragende Persönlichkeiten
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(Herrscher, Heilige, Krieger, Gelehrte, „Helden“ unterschiedlichster Art), der Memorierung wichtiger Ereignisse (Christianisierung, Siege, Niederlagen, Revolutionen) oder historischer Verdienste (z. B. Schutzmauer der Christenheit: antemurale Christianitatis), die zum Zweck der nationalen Identitätsbildung, der Abgrenzung gegenüber den Nachbarn, der Sinnstiftung sowie als Vorbild oder Warnung der Bev. zu einem in sich geschlossenen Erinnerungspanorama zusammengefügt wurden. Reduzierung v. Komplexität oder Kontingenzbewältigung, nationale Emanzipation, Herrschaftslegitimation sowie nationale Integration standen dabei im Vordergrund. Aus vormals ethn. neutralen Mythen, die v. unterschiedlichen ethn. Gruppen gepflegt worden waren (vgl. →Epos), wurden im Verlauf des 19. Jh.s nationale (pol.) Mythen, die der Abgrenzung dienten. Häufig vermittelten die nationalen Mythen u. E.en auch die Vorstellung v. der „Auserwähltheit“ des betreffenden Volkes u. seiner „zivilisatorischen Mission“. Die Liste der „Erinnerungsorte“ in SOE ist lang. Sie aufzuzählen, verbietet sich aus Platzgründen. Die Botschaften der E.en in SOE (v. a. ethnische/nationale Autochthonität u. Kontinuität; vgl. als Bsp. →Dakoromanismus; Freiheit bzw. Befreiung, Glaube u. Religion, Bedrohungsszenarien) sowie die Formen der medialen Ausgestaltung unterscheiden sich nicht grundsätzlich von den E.en anderer europäischer (u. vieler außereuropäischer) Nationen, sondern variieren nur hinsichtlich der jeweiligen Details. Die 1998 im Deutschen Historischen Museum in Berlin gezeigte Ausstellung „Mythen der Nationen“, in der auch zwei soe. Länder (Griechenland u. Ungarn) vertreten waren, machte deutlich, wie ähnlich sich die nationalen Mythen in ihrer Grundstruktur sind – auch u. gerade dort, wo sie gegeneinander gerichtet waren oder wo ein u. dasselbe Ereignis mit unterschiedlichen nationalen, sich einander ausschließenden Vorzeichen versehen wurde. Je nach pol. Konjunktur u. Opportunität veränderten sich auch die E.en. Am Bsp. Ungarns hat Árpád v. Klimó demonstriert, wie die →Räterepublik nach dem 1. Wk, das Horthy-Regime in der Zwischenkriegszeit u. die im Gefolge des 2. Wk.s an die Macht gelangten Kommunisten unterschiedliche Akzente im Umgang mit den E.en gesetzt haben. Mal stand der national-revolutionäre Kult der →Revolution v. 1848 im Vordergrund, dann wieder der national-konservative Kult des Hl. Stephan (→Arpaden). Mal wurde der Nationalstaatsgedanke u. die Souveränität betont, dann die Zugehörigkeit zum „Westen“ resp. „Osten“. Mal wurden „Freiheit“ u. „Unabhängigkeit“ akzentuiert, dann der „Internationalismus“ oder auch die „nationale Mission“ (z. B. gegenüber Slawen u. Balkanvölkern). Ähnliche Oszillationen weisen auch die E.en anderer Nationen auf. Lässt man länderspezifische Besonderheiten (wie z. B. Regimewechsel, Untergang oder Gründung neuer Staaten) außer Betracht, so kam es erstmals nach dem 2. →Wk. überall zu einem tiefen Bruch in den E.en der europ. Nationen u. zu einer Auseinanderentwicklung zw. Ost u. West. Zwar zeichnete sich zunächst sowohl im Westen wie im Osten eine Distanzierung gegenüber den nationalistisch geprägten E.en der Vorkriegszeit ab, doch in den westl. Gesellschaften wurden die neuen E.en diskursiv ausgehandelt, während sie in den sozialist. Ländern v. der jeweiligen Partei mittels Geschichtspolitik oktroiert wurden. „Reaktionäre“ u. Heilige wurden durch „Revolutionäre“ u. „progressive“ Volksmassen ersetzt. Besonders radikal fiel der Wandel in →Jugoslawien aus, wo nicht nur der Regimewechsel (wie in den anderen „Volksdemokra-
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tien“), sondern auch der gemeinsame Vielvölkerstaat mittels einer neuen E. „legitimiert“ werden musste. An die Stelle der älteren – auf Herrscher, Heilige, Siege u. Niederlage fokussierten – Mythen der Serben, Kroaten etc. trat der aus dem 2. Wk. bzw. aus dem „Volksbefreiungskampf (→Partisanen) u. der sozialist. Revolution“ abgeleitete ethn. neutralisierte Gründungsmythos des sozialist. Jugoslawien. Der serb. Kosovo-Mythos (die Erinnerung an die Schlacht auf dem Amselfeld/→Kosovo polje v. 1389, an seine Helden u. Bösewichte) oder der Kult des Hl. Sava, des Begründers der serbischen autokephalen Kirche (→Nemanjiden), verschwanden aus der öffentl. E. ebenso wie die Verehrung des „reaktionären“ kroat. Feldherrn Josip Jelačić u. seiner Rolle in der →Revolution v. 1848/49. Der →Holocaust, der in den E.en westl. Länder einen zunehmend zentralen Platz einnahm, spielte in den E.en der soe. Länder dagegen keine oder allenfalls eine völlig untergeordnete Rolle. In der Nachfolge der o.e. Ausstellung „Mythen der Nationen“ zeigte das Dt. Histor. Museum i.J. 2005 eine Ausstellung über „1945 – Arena der Erinnerungen“, in der die unterschiedlichen Wege zur Auseinandersetzung mit dem 2. Wk., mit Völkermord, Okkupation, Widerstand, Befreiung, Vertreibung usw. in Ost u. West dokumentiert wurden. Mit dem Umsturz von 1989 u. dem Zerfall Jugoslawiens kam es in den Ländern SOEs (ohne Griechenland) zu einem zweiten tiefen Wandel in den E.en, dessen Ende noch nicht abzusehen ist. Einerseits wurden die sozialist. E.en an den 2. Wk u. die Nachkriegszeit dekonstruiert u. umkodiert, zum anderen wurden die vorsozialist. E.en aus der Versenkung geholt u. rekonstruiert (sofern sie nicht bereits in der spätsozialist. Zeit wieder aufgewertet worden waren). Eine Welle von Denkmalstürzen, die Umbenennung von Städten, Plätzen, Straßen u. Institutionen, die Einführung neuer Nationalfeiertage, Wappen u. Symbole, die Verurteilung sozialist. „Helden“ (angefangen von Marx, Engels u. Lenin bis zu den kommunist. Führern in der jeweiligen Gesellschaft) u. die Rehabilitierung vormaliger „Verbrecher“ (des Marschalls u. Staatsführers Ion Antonescu, des kroat. Kardinals Alojzije Stepinac, des serb. Erzbischofs Nikolaj Velimirović, des serb. Tschetnikführers Draža Mihailović usw., →Weltkrieg, Zweiter) leiteten die zweite radikale Wende in den soe. E.en seit der Nationalstaatsbildung ein. Der „Krieg um die Erinnerung“ u. die Deutungshoheit über Vergangenheit, Gegenwart u. Zukunft waren begleitet von einem exklusiven Nationalismus u. neuen/alten Feindbildern, die v. a. im auseinanderbrechenden Jugoslawien orientierungs- u. handlungsleitend wurden. Die Integration der postsozialist. Staaten SOEs in europ. Strukturen, allen voran die Aufnahme oder angestrebte Aufnahme in die EU, nimmt auch maßgeblichen Einfluss auf die Ausgestaltung der E.en sowie auf die Geschichtspolitik u. führt zu einer schrittweisen Übernahme „europ. Erinnerungsstandards“ (Zurückdrängung der Mythen zugunsten einer wissenschaftsbasierten Sicht der Vergangenheit). Die nahezu manichäische Deutung der Welt mittels Freund- u. Feindstereotypen macht allmählich einem „europa“-kompatiblen Vergangenheitsdiskurs Platz, in dem auch der Holocaust seinen Platz findet. Eine kritische Auseinandersetzung mit den tradierten nationalen E.en (dem serb. Kosovo-Mythos, dem Massaker von Batak in Bulgarien, dem alban. Nationalhelden Skanderbeg usw.) löst aber nach wie vor höchst emotionale Reaktionen in den betreffenden Ländern aus. In jüngster Zeit haben auch relig. Erinnerungsorte das Interesse der intern. Forschung geweckt. 303
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Esnaf (pl. von sınıf „Sorte, Klasse“ arab. ṣinf ). Bez. für gildenartige Zusammenschlüsse v. Kaufleuten u. Handwerkern oft hochgradiger Differenzierung (so hat es z. B. eigene Zünfte für die Flechter v. Feuerwehrseilen u. die Kastrierer v. Sklaven gegeben). Zur Durchsetzung des Zunftzwanges kontrollierten die E. die Ausbildung des Nachwuchses ebenso wie den Zuzug v. Fremden. Preisabsprachen dienten der Unterbindung ruinösen Wettbewerbs. Als eine Art Mittler zw. Obrigkeit u. (städtischer) Bev. kam ihnen eine wichtige „selbstverwaltende“ Funktion in der isl. bzw. osm. Stadt (→Stadt, Stadttypen: osm.) zu. An der Spitze stand der Älteste;
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Esnaf / Ethnie, ethnische Gruppe
er war dem Staat gegenüber nicht nur für die Einhaltung obrigkeitlicher Anordnungen u. für die Bereitstellung einer garantierten Warenmenge u. -qualität durch „seine“ Zunft verantwortlich, sondern auch für das Steueraufkommen ihrer Mitglieder. Ihm zur Seite standen i. d. R. ein Vertreter/Zeremonienmeister, oft dazu ein Scheich als relig. Oberhaupt (vgl. →Derwisch), sowie ein aus mehreren Meistern (usta) gebildeter Rat. In besonderen Fällen trat die Hauptversammlung aller Mitglieder, genannt Londscha (aus it. loggia), teils beratend, teils beschließend hinzu. Für wohltätige Zwecke u. für Notfälle gab es Rücklagen in der Zunftkasse. Den Meistern oblag die Ausbildung der Lehrlinge (çırak). Ein komplexes Zeremoniell (Gürtelbinde-Ritual) begleitete deren Übernahme in den Stand eines Gesellen (kalfa). Die Verleihung des Meistertitels war mit der Zahlung einer erheblichen Summe verbunden. – Die meisten E. setzten sich aus Angehörigen nur einer Religionsgemeinschaft zusammen; konf. heterogene E. waren jedoch bis weit ins 19. Jh. gerade auf dem Balkan weit verbreitet. Lit.: T. Kuran, Mahkeme Kayıtları Işığında 17. Yüzyıl İstanbul‘unda Sosyo-Ekonomik Yaşam. Esnaf Ve Loncalar, Hıristiyan Ve Yahudi Cemaat İşleri, Yabancılar. Guilds and guildsmen, communal affairs of Christians and Jews, foreigners. Istanbul 2010; R. Hajdarević, Defteri sarajevskog esnafa 1726–1823. Sarajevo 1998; An Economic and Social History of the Ottoman Empire, 1300–1914. Hgg. H. İnalcık/D. Quataert. Cambridge 1994; D. Quataert, Social Disintegration and Popular Resistance in the Ottoman Empire, 1881–1908. New York 1983; S. Faroqhi, The Fieldglass and the Magnifying Lens. Studies of Ottoman Crafts and Craftsmen, Journal of the European Economic History 26 (1991), 29–57; dies., Towns and Townsmen of Ottoman Anatolia. Trade, Crafts and Food Production in an Urban Setting, 1520–1650. Cambridge 1984; H. Gerber, Economy and Society in an Ottoman City: Bursa, 1600–1700. Jerusalem 1988; F. Taeschner, Zünfte u. Bruderschaften im Islam. Texte zur Geschichte der Futuwwa. Zürich u. a. 1979; G. Baer, The Administrative, Economic and Social Functions of Turkish Guilds, International Journal of Middle East Studies 1 (1970), 28–50; H. Kreševljaković, Esnafi i obrti u starom Sarajevu. Sarajevo 1958. M. U.
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Ethnie, ethnische Gruppe. Die E. (aus gr. éthnos: Volk; ursprüngl. nicht-gr., „fremde“ Bev. gruppe) ist ein umstrittener u. vieldeutiger Begriff, der in enger Beziehung zum Begriff „Nation“ steht. In der Historiographie wurde der Begriff lange Zeit nicht oder nur selten verwendet. Stattdessen war vom „Volk“ die Rede, wobei Volk u. Nation oft als Synonyme verstanden wurden (u. werden). Das slav. Wort „narod“ bezeichnet sowohl Volk wie Nation, während das Wort „nacija“ als Neologismus bzw. Fremdwort gemieden wird. Im „Lexicon Serbico-Germanico-Latinum“ des Sprachkodifizierers Vuk Karadžić v. 1818 heißt es: „národ, m. das Volk, gens, populus, natio“. Sofern zw. Volk u. Nation differenziert wird, so wird Volk zumeist als vormoderne Form der Nation verstanden. Es unterscheidet sich v. dieser dadurch, dass es (noch) keinen eigenen Staat hat oder anstrebt oder dass es den eigenen Staat als Folge v. Fremdherrschaft verloren hat. In einigen Kontexten (z. B. im Zusammenhang mit der →Ethnogenese) wird der Begriff „E.“ zwar schon seit längerer Zeit verwendet, wird aber ebenso wie der Begriff „Volk“ als Vorform des mod. Volkes=Nation, als Nation ohne Staat verstanden. Dahinter verbirgt sich die (essentialistische) Vorstellung, dass es das Volk/
Ethnie, ethnische Gruppe
die Nation – als Abstammungsgemeinschaft u. biologisches Kontinuum – seit uralten Zeiten gibt. In neueren Arbeiten wird unter dem Einfluss der Nationalismusforschung (→Nationsbildung) zwar konzediert, dass die Nation ein relativ rezentes Phänomen ist, aber der „Stoff“, aus dem die Nation hervorgegangen sein soll, ist die E., die dann ihrerseits (wiederum als Abstammungsgemeinschaft, als primordiale Gruppe) essentialisiert wird. Abstammung ist ein sehr rigides Merkmal zur Bestimmung v. Gruppen, da der Einzelne sich die Abstammung nicht wählen u. auch nicht ablegen (allenfalls verheimlichen) kann. Das heißt: Menschen werden in die ethn. Gruppe (in das Volk oder die Nation) hineingeboren (natio im wörtl. Sinn) u. haben weder die Möglichkeit noch das Recht, ihre Gruppenzugehörigkeit abzulegen. Da eine gemeinsame Abstammung über lange Zeiträume aber empirisch nicht nachweisbar ist, wird sie an bestimmten Identifizierungsmerkmalen (wie z. B. Sprache, Religion, Territorium) festgemacht. Wenn Menschen diese Merkmale wechseln, indem sie z. B. eine Religion oder eine Sprache annehmen, die nicht mit der Religion oder Sprache „ihrer“ Ursprungsgruppe übereinstimmt, verstoßen sie gegen die „Gesetze der Natur“. Daraus entwickelte sich das Paradigma der Eigentlichkeit: eine Gruppe mit distinktiven Merkmalen wird v. einer anderen Gruppe vereinnahmt, weil die erste „eigentlich“ – unter Berufung auf eine vermeintlich gemeinsame Abstammung – Teil der letzteren sei. Es waren v. a. Soziologen u. Anthropologen/Ethnologen, die die Essentialisierung u. „Natürlichkeit“ der ethn. Gr. in Frage gestellt u. deren Konstruiertheit betont haben. Max Weber definierte die ethn. Gr. wie folgt: „Wir wollen solche Menschengruppen, welche auf Grund von Ähnlichkeiten des äußeren Habitus oder der Sitten oder beider oder von Erinnerungen an Kolonisation u. Wanderung einen subjektiven Glauben an eine Abstammungsgemeinsamkeit hegen, derart, dass dieser für die Propagierung von Vergemeinschaftungen wichtig wird, dann, wenn sie nicht ‚Sippen‘ darstellen, ‘ethnische‘ Gruppen nennen, ganz einerlei, ob eine Blutsgemeinsamkeit objektiv vorliegt oder nicht. Von der ‚Sippengemeinschaft‘ scheidet sich die ‚ethnische‘ Gemeinsamkeit dadurch, dass sie eben an sich nur (geglaubte) ‚Gemeinsamkeit‘, nicht aber ‚Gemeinschaft‘ ist, wie die Sippe, zu deren Wesen ein reales Gemeinschaftshandeln gehört. Die ethnische Gemeinsamkeit (im hier gemeinten Sinn) ist demgegenüber nicht selbst Gemeinschaft, sondern nur ein die Vergemeinschaftung erleichterndes Moment. Sie kommt der allerverschiedensten, vor allem freilich erfahrungsgemäß: der politischen Vergemeinschaftung, fördernd entgegen.“ Anthropologen/Ethnologen verstehen E. als eine – durch bestimmte Merkmale – abgrenzbare Wir-„Gruppe“, einen locker gefügten Verband zumeist kleiner Gemeinschaften, die v. a. durch sprachliche Ähnlichkeitsbeziehungen, gemeinsame Religion, Abstammungsu. Vergangenheitsmythen sowie ein gemeinsames Territorium miteinander verbunden sein können. E.n unterscheiden sich von Nationen u. a. durch einen deutlich geringeren ges. u. pol. Organisationsgrad. Was ihnen insbesondere fehlt, ist ein festgefügtes Zusammengehörigkeitsbewusstsein u. das Streben nach einem Staat. Für die Mitglieder der Ethnie spielt der Staat keine oder nur eine sehr untergeordnete Rolle. Dominante soz. Bezugsformen sind →Stamm, Sippe oder →Dorf/Dorfgemeinschaft, kurz: die Segmente einer →segmentären Gesellschaft. Das Zusammengehörigkeitsbewusstsein zw. diesen Kleingruppen ist mitunter sehr labil, so dass die E. nur in vagen Umrissen erkennbar ist. Und wenn Interaktion
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das konstitutive Merkmal einer Gruppe (im Unterschied zu einer Klasse) ist, dann sind E.n dieser Art (im Unterschied zu kleineren Segmenten) keine Gruppen. Der Soziologe Rogers Brubaker hat 2002 folgerichtig von „Ethnicity without groups“ gesprochen. Und bereits 1984 hat der Linguist u. Ethnologe Norbert Reiter in einer wenig rezipierten Arbeit zw. Gruppe u. Klasse unterschieden. Wenn Menschen bestimmte übereinstimmende Merkmale aufweisen, so lassen sie sich zu einer Klasse (im Sinne der Logik) oder zu einer Menge (im mathematischen Sinn) zusammenfassen. Aber zur Gruppe werden sie erst durch die integrierende, wechselseitige Interaktion. Eine Gruppe ist nicht einfach „da“, auch wenn die zu ihrer Bestimmung herangezogenen Merkmale da sind. Erst durch spezifische gruppendynamische Prozesse u. Praktiken wird aus der Klasse eine Gruppe. „Mit anderen Worten: ein soziales System besteht nicht aus festen Strukturen, die – wie ein Auto – auch da sind, wenn das ganze nicht funktioniert. Ein soziales System hört auf zu existieren, wenn es nicht mehr funktioniert; denn der Charakter des Systems wird bestimmt durch die Beziehungen zw. einzelnen Handlungen v. Individuen“ (D. Katz). „Ethnicity, race and nation“, so Brubaker, „should be conceptualized not as substances or things or entities or organisms or collective individuals … but rather in relational, processual, dynamic, eventful and disaggregated terms. This means thinking of ethnicity, race and nation not in terms of substantial groups or entities but in terms of practical categories, cultural idioms, cognitive schemas, discursive frames, organizational routines, institutional forms, political projects and contingent events.“ Wenn man E. z. B. durch die Gemeinsamkeit v. Sprache u. Religion definiert, so hat es E.n immer gegeben, aber nicht unbedingt als Gruppe. Und da man Sprache u. Religion wechseln kann (vgl.→Konvertiten) ebenso wie man das Territorium wechseln kann (→Migrationen), konnte sich die Zusammensetzung der E. verändern: einige schieden aus, andere kamen hinzu. Die E. als Merkmalsklasse blieb zwar erhalten, aber die Herkunft ihrer Mitglieder konnte mehr oder minder heterogen sein. Die Sprache mag ungeachtet größerer oder kleinerer Veränderungen in den Grundzügen geblieben sein, was sie war, aber die Sprecher der Sprache x vor mehreren hundert Jahren sind nicht zwangsläufig die (biologischen) Vorfahren der Sprecher der Sprache x von heute. (Hinzu kommt, dass die Bestimmung/ Abgrenzung einer Sprache vor der jeweiligen →Sprachkodifizierung bei Fällen fließender Übergänge viele unlösbare Probleme aufwirft.) Ähnliches gilt für Ethnonyma. Sie sind häufig sehr langlebig u. überdauern Jahrhunderte. Aber auch hier gilt, dass diejenigen, die heute mit dem Ethnonym x bezeichnet werden, nicht zwangsläufig die Nachfahren derjenigen sind, die vor mehreren hundert Jahren mit demselben Ethnonym bezeichnet wurden. Kurzum: die Zusammensetzung v. E.n befand sich über Jahrhunderte hinweg in Fluktuation (auch wenn die Merkmale u. Ethnonyme gleich blieben). Und die Ethnizität des Individuums spielte nur im Rahmen kleiner (interaktiver) Gemeinschaften eine Rolle. John A.V. Fine spricht zutreffend von einer Zeit „when ethnicity did not matter in the Balkans“. Erst im Zuge der →Nationsbildung erlangte sie über die Kleingruppe hinaus als Instrument „pol. Vergemeinschaftung“ eine identitätsstiftende Bedeutung für eine „imaginierte Gemeinschaft“ (Benedict Anderson), die es bis dahin in dieser Form nicht gegeben hatte. Das bedeutet nicht, dass die Nation in all ihren Facetten eine reine Erfindung der Moderne ist. Sie kann ethn. Wurzeln besitzen (Anthony Smith), die aber erst infolge der Nationsbildung ihre integrierende Kraft
Ethnie, ethnische Gruppe
(über die früheren Kleingruppen hinaus) entfalten u. die nicht mit biologischer Kontinuität gleichzusetzen sind. Da die Geschichte SOEs u. insbes. des Balkanraums zu wesentlichen Teilen Migrationsgeschichte ist (eine Geschichte v. räumlichen u. kulturellen →Migrationen), fällt dem Verständnis v. E., Volk, Nation eine zentrale Bedeutung für die Beschäftigung mit der Geschichte der Region zu. Ethnographen/Volkskundler, die sich seit dem letzten Viertel des 19. Jh.s – ebenso wie Historiker – häufig als Nationsbildner betätigten, haben im Verein mit Politikern u. Statistikern die Bev. anhand bestimmter ethn. Kriterien klassifiziert. Sofern die Ergebnisse mit dem Selbstverständnis der Betroffenen übereinstimmten (was häufig schwer zu überprüfen ist), lässt sich gegen ihre Methode nichts einwenden. Doch sofern zw. den Ergebnissen der Klassifizierung u. der Selbstzuschreibung der Bev. eine Diskrepanz bestand (wie geradezu exemplarisch bei →Juden u. →Roma, bei →Makedoniern, →bosn. Muslimen u. →Pomaken), waren Konflikte fast unvermeidbar. Wie sich ethn. Gruppen in der Gegenwart formieren, lässt sich beispielhaft an den →Ägyptern u. Ashkali ablesen. Da die Begriffe „E.“ u. „ethn. Gruppe“ zunehmend auch in der Historiographie Verwendung finden (zur Bezeichnung einer Bev. mit bestimmten Merkmalen, aber ohne eigenen Staat), sollte beachtet werden, dass es sich dabei i. d. R. nicht um stabile, gegen den Wandel in der Zusammensetzung ihrer Mitglieder resistente Gemeinschaften handelt, die sich v. Generation zu Generation reproduzieren, sondern um Gemeinschaften, deren Komposition fluid ist u. deren Merkmale mittels Inklusions- u. Exklusionsstrategien ausgehandelt werden. Lit.: W. Pohl, Ethnische Identität in Südosteuropa als Forschungsproblem, in: Jakob Philipp Fallmerayer (1790–1860). Der Gelehrte u. seine Aktualität im 21. Jh. Hg. C. Märtl. München 2013, 143–153; Nationalism and Ethnosymbolism: History, Culture and Ethnicity in the Formation of Nations. Hgg. A.S. Leoussi/St. Grosby. Edinburgh 2007; J.V.A. Fine, When Ethnicity Did Not Matter in the Balkans. A study of identity in pre-nationalist Croatia, Dalmatia and Slavonia in the medieval and early-modern periods. Ann Arbor 2006; R. Greenberg, Language and Identity in the Balkans. Oxford 2004; R. Brubaker, Ethnicity without groups, Achives Européennes de Sociologie 43 (2002), H. 2, 162–189; Th. Eriksen, Ethnicity and Nationalism. London 22002; F. Heckmann, Ethnische Minderheiten, Volk u. Nation. Soziologie interethnischer Beziehungen. Stuttgart 1992; G. Elwert, Nationalismus u. Ethnizität. Berlin 1989; ders., Nationalismus u. Ethnizität. Über die Bildung von Wir-Gruppen, Kölner Zeitschrift für Soziologie 41 (1989), H. 3, 440–464; P.M. Kitromilides, „Imagined Communities“ and the Origins of the National Question in the Balkans, European History Quarterly 19 (1989), H. 2, 149–192; A.D. Smith, The Ethnic Origins of Nations. Oxford 1986; N. Reiter, Gruppe – Sprache – Nation. Berlin 1984; D. Katz, Nationalismus als sozialpsychologisches Problem, in: Nationalismus. Hg. H.A. Winkler. Königstein/Ts. 1978, 67–84; M. Weber, Ethnische Gemeinschaftsbeziehungen, in: Ders., Wirtschaft u. Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie. 5. rev. Aufl. Hg. J. Winckelmann. Tübingen 1976, 234–244; Ethnic Groups and Boundaries. The Social Organization of Culture Difference. Hg. F. Barth. Bergen, London 1969; E. Francis, Ethnos u. Demos. Soziologische Beiträge zur Volkstheorie. Berlin 1965 H. S. 309
ethnische Säuberung
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Ethnische Säuberung. Nach Beginn des Krieges in →Bosnien-Herzegowina im Frühjahr 1992 tauchte der Begriff „e.S.“ (etničko čišćenje) in serb. Medien zur Bezeichnung der gegen →bosnische Muslime u. Kroaten gerichteten Kriegsziele auf. Im Ausland wurde er als „verharmlosende Bezeichnung“ für die systematische, gewaltsame Vertreibung von ethn. Gruppen aus ihrer Heimat oder als „Euphemismus für Völkermord“ verstanden u. zunächst nur mit Anführungszeichen benutzt. Inzwischen hat sich der Begriff in der intern. Forschung durchgesetzt u. Eingang gefunden in Dokumente der Vereinten Nationen u. des →Haager Kriegsverbrechertribunals für das ehem. Jugoslawien. Das Wort „Säuberung“ bzw. verwandte Begriffe wie „Reinigung“ u. ihre Entsprechungen in anderen Sprachen zur Bezeichnung der „Entfernung politisch missliebiger Personen in großer Zahl aus leitenden, aber auch nachgeordneten Stellungen in Staat u. Gesellschaft“ haben bereits vor 1992 vielfache Verwendung gefunden. Stellvertretend erwähnt seien die Säuberungen (čistka) in der Sowjetunion in der zweiten H. der 1930er Jahre. Neben der Entfernung pol. missliebiger Personen tauchte das Wort „Säuberung“ (oder Begriffe aus seinem semantischen Umfeld) seit dem 1. Weltkrieg auch vereinzelt im Sinne einer Entfernung ethnisch/national oder rassisch missliebiger Personen auf. So propagierte der Alldeutsche Verband nach 1914 die „völkische Feldbereinigung“ als Methode zur Germanisierung der neu erworbenen Gebiete an der Ostgrenze des Deutschen Reiches u. forderte eine „Politik der Ausräumung u.Verpflanzung“ der frz. Bev. in den Westgebieten. Ital. Nationalisten setzten sich während des I. Wk.s für die Aussiedlung der Südtiroler ein, um das Land südlich des Brenners von dt. „Verunreinigungen“ (inquinamenti) zu säubern. Im faschist. Italien war von einer „ethnischen Melioration“ (bonifica etnica) u. im Rumänien des Diktators Antonescu von „ethnischer Purifizierung“ die Rede. E.S.en lassen sich definieren als die von einem modernen Staat oder Para-Staat u. seinen Akteuren initiierten u. ausgeführten, ermunterten oder geduldeten Maßnahmen, die darauf abzielen, eine aufgrund ihrer Ethnizität als „fremd“, „bedrohlich“, oft auch „minderwertig“ stigmatisierte Bevölkerungsgruppe von einem bestimmten Territorium zu beseitigen. Ziel der e.S. ist nicht primär der Völkermord, sondern die räumliche Entfernung der ethn. „fremden“ u. „feindseligen“ Bevölkerungsgruppe(n) oder die erzwungene Beseitigung ihrer differenzierenden Merkmale, um auf diese Weise Staatsterritorium, Staatsvolk, „Kultur“ u. „Volkstumsboden“ in Übereinstimmung zu bringen. Die angestrebte „Reinigung“ kann in Form v. erzwungener Assimilation, v. Animation zur Flucht (durch Gräuelpropaganda, Diskriminierung, Demütigung, sexuelle Gewalt oder Zerstörung der wirt. Grundlagen) sowie durch Zwangsumsiedlung (→Zwangsmigration), Vertreibung oder Genozid der unerwünschten Bevölkerung erfolgen. Diese Akte werden begleitet von der systematischen Eliminierung des kulturellen Erbes der Zielgruppe. Mit der Zerstörung von sakralen Gebäuden, Denkmälern, Archiven, Museen u. Bibliotheken sollen die bisherige kulturelle Präsenz sowie das materialisierte kollektive Gedächtnis der Feinde, ihre bisherige „Heimat“, ausgelöscht werden (Domicid). Ziel ist eine neue (monoethnische) Raumordnung. E.S.en – als eine Form des „ethnischen Unternehmertums“ – kommen v. a. dort zur Anwendung, wo die Wir-Gruppe der Akteure als biologische Gemeinschaft verstanden wird u. Teile ihres tatsächlichen oder beanspruchten Territoriums v. Bevölkerungsgruppen bewohnt werden, die nicht der eigenen Wir-Gruppe oder Titularnation angehören u. als „Sicherheitsrisiko“
ethnische Säuberung
oder „Bedrohung“ empfunden werden. Im Unterschied zu pol. oder relig. motivierten Säuberungen steht also bei e.S.en die andersartige Ethnizität der Zielgruppe im Vordergrund, die in früheren Jahrhunderten nur eine untergeordnete oder keine Rolle gespielt hatte. Die ethn. Merkmale können durchaus mit relig. u. pol. Merkmalen interferieren (z. B. wenn die Religionszugehörigkeit ein konstitutives Merkmal der ethn. Zuordnung bildet oder wenn pol. Gegnerschaft das Resultat ethn. Differenz ist). Aber im Kern geht es um die Ethnizität. E. S.en sind zumeist mit extremer (i. d. R. als „Verteidigung“, „Notwehr“ oder „Vergeltung“ etikettierter) Gewalt verbunden u. werden vorrangig im Verlauf v. Kriegen oder im Übergang vom Krieg zum Frieden durchgeführt. Die Maßnahmen erfolgen gezielt (intentional) u. systematisch (auch wenn kein ausdrücklicher Befehl vorliegt, da die Akteure wissen, was v. ihnen erwartet wird), werden aber auch begleitet von Handlungen, die das Resultat eines Konfliktverlaufs bzw. der Gewaltdynamik sind: prozessuale oder „funktionale“ Formen e.S. Stets gibt es (paramilitärische) Banden organisierter Akteure, die e.S.en als „windows of opportunity“ zur Verwirklichung ihrer individuellen (häufig kriminellen) Absichten nutzen, die sich durch Beutemachen bereichern oder es genießen, Macht über andere Menschen auszuüben. Dazu bedarf es nicht einmal eines – wie immer etikettierten – Hasses. Und je länger ein Krieg währt, desto größer wird auch die Zahl derjenigen, die den Krieg als Business betreiben (mitunter über feindliche ethn. Grenzen hinweg). Das heißt: Im Rahmen dessen, was als „e. S.“ etikettiert wird, kommt es i. d. R. auch zu Gewaltakten, die mit e.S.en im oben definierten Sinn nichts oder nur entfernt etwas zu tun haben, sondern die primär dem Rollenspiel, dem Beutemachen, der Begleichung offener Rechnungen, dem Bedürfnis nach Rache o.ä. dienen. „Top-down“ u. „bottom-up“-Prozesse durchdringen sich wechselseitig. Zu den Exekuteuren der Massengewalt gehören sowohl Überzeugungstäter wie Mitläufer/ Befehlsempfänger u. Kriminelle. Zu den Merkmalen e. S.en gehört, dass die Unterscheidung zw. Kombattanten u. Zivilisten aufgehoben wird, denn es ist die gegnerische Bev. in ihrer Gesamtheit (Kinder, Jugendliche, Männer, Frauen, Greise), die als „Bedrohung“ wahrgenommen werden u. zu „entfernen“ oder zu beseitigen sind. Die Leitideen der e.S. wurzeln in der Entwicklung des europ. Nationalismus seit dem letzten Drittel des 19. Jh. u. sind untrennbar verbunden mit der Formierung ethn. definierter Nationen (Volksnationen im Unterschied zu Staatsnationen) u. deren Territorialisierung (dem Streben nach Deckungsgleichheit von „Volkstumsboden“ u. Staatsterritorium). Daraus erklärt sich die auffallende Häufung e. S.en im 20. Jh. in Gebieten, die ethn. heterogen besiedelt waren u. von ethn. definierten Titularnationen beansprucht wurden. Die ersten u. letzten e.S.en großen Stils im Europa des 20. Jh. fanden im Balkanraum während der →Balkankriege von 1912/13 u. während der post-jugoslawischen Kriege von 1991 bis 1999 statt (→postjugosl. Kriege; →Krajina; →Bosnien-Herzegowina; →Kosovo). Zwischen diesen beiden Eckdaten kam es zu mehreren Wellen e. S.en (vgl. u. a. →Lausanne, →Unabhängiger Staat Kroatien, →Zwangsmigrationen). Lit.: M. Schwartz, Ethnische „Säuberungen“ in der Moderne. Globale Wechselwirkungen nationalistischer u. rassistischer Gewaltpolitik im 19. u. 20. Jh. München 2013; Ph.Ther, Die dunkle Seite der Nationalstaaten. „Ethnische Säuberungen“ im modernen Europa. Göttingen 2011; P.
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Ethnogenese
Mojzes, Balkan Genocides. Holocaust and Ethnic Cleansing in the Twentieth Century. Lanham/ Maryland 2011; V. Solonari, Purifying the Nation. Population exchange and ethnic cleansing in Nazi-allied Romania. Washington u. a. 2010; K. Mulaj, Politics of Ethnic Cleansing. Nationstate building and provision of in/security in twentieth-century Balkans. Lanham u. a. 2010; C. Carmichael, Genocide Before the Holocaust. New Haven/CT, London, 2009; Late Ottoman Genocides. The Dissolution of the Ottoman Empire and Young Turkish Population and Extermination Policies. Hgg. D.J. Schaller/J. Zimmerer. London 2009; M. Mann, Die dunkle Seite der Demokratie. Eine Theorie der ethnischen Säuberung. Hamburg 2007; J. Sémelin, Säubern u. Vernichten. Die politische Dimension von Massakern u. Völkermorden. Hamburg 2007; Verfolgung, Vertreibung u. Vernichtung der Christen im Osmanischen Reich 1912–1922. Hg. T. Hofmann. Münster u. a. 22007; Definitionsmacht, Utopie, Vergeltung. „Ethnische Säuberungen“ im östlichen Europa des 20. Jh.s. Hgg. U. Brunnbauer/M.G. Esch/H. Sundhaussen. Münster 2006; B. Liebermann, Terrible Fate. Ethnic Cleansing in the Making of Modern Europe. Chicago 2006; N.M. Naimark, Flammender Hass. Ethnische Säuberung im 20. Jh. München 2004 (engl. Original: Fires of Hatred. Ethnic Cleansing in Twentieth Century Europe. Cambridge/MA 2001); Auf dem Weg zum ethnisch reinen Nationalstaat? Europa in Geschichte u. Gegenwart. Hg. M. Beer. Tübingen 2004; Ethnic Cleansing in Twentieth Century Europe. Hgg. S.B. Vardy/T.H. Tooley. Boulder/Co. 2003; A. Krieg-Planque, “Purification ethnique”. Une formule et son histoire. Paris 2003; E.D. Weitz, A Century of Genocide. Utopias of Race and Nation. Princeton, Oxford 2003; C. Carmichael, Ethnic Cleansing in the Balkans. Nationalism and the destruction of tradition. London, New York 2002; S. Weine, When History is a Nightmare. Lives and Memories of Ethnic Cleansing in Bosnia-Herzegovina. New Brunswick 1999; A. BellFialkoff, Ethnic Cleansing. New York, Oxford 1996; J. McCarthy, Death and Exile. The ethnic cleansing of Ottoman Muslims 1821–1922. Princeton 1995. H. S.
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Ethnogenese (von gr. ethnos u. genesis, „Volk“ u. „Entstehung“). In den Kulturwissenschaften eingeführter Begriff, der u. a. in Europa für Vergesellschaftungsprozesse innerhalb der frühma. Stammesgesellschaften (→Stamm) Verwendung findet, die zur Herausbildung raumbeherrschender ges. Großgruppen führten. Der Begriff setzt voraus, dass „Völker“ keine unwandelbaren ewigen Gebilde sind, sondern ihre Geschichte haben u. dem Wandel unterworfen sind. „Reinrassige“ Völker, die sich auf nur eine Wurzel zurückführen lassen, sind eine historische Fiktion. Jakob Philipp Fallmerayer hatte 1830 mit seinem bekannten Diktum, dass in den Adern moderner Griechen kein Tropfen antiken Blutes mehr zu finden sei, noch heftigen Anstoß unter den Philhellenen aller Länder erregt, die v. der Wiedergeburt des antiken Griechenland träumten (→Philhellenismus). Nach dem heutigen Stand der Forschung ist nicht mehr zu bestreiten, dass die in den ma. Quellen genannten Völker aus ethn. heterogenen Kleingruppen (→Ethnie, ethn. Gruppe) entstanden sind u. dass daher bei der Erforschung der E. neben den lokalen autochthonen Entwicklungsanstößen innerhalb einer kleinräumigen gentilen Gesellschaft auch vielfältige Migrations-, Diffusions-, Assimilations- u. Akkulturationsprozesse zu berücksichtigen sind, die auf tiefgreifende äußere Einwirkungen verweisen.
Ethnogenese
Aus dieser Sachlage ergeben sich zwangsläufig unterschiedliche Gewichtungen u. Divergenzen in der Einschätzung einzelner hist. fassbarer Sachverhalte. Die wiss. Diskussion ist zudem nicht ohne Rücksicht auf nationales Prestigedenken u. aktuelle pol.-territ. Ansprüche geführt worden. Streitpunkte betreffen u. a. die Eingrenzung des jeweiligen engeren Formierungsraumes u. die räumlich-zeitliche Dimension der E.prozesse, die Frage nach der Herkunft (Urheimat) u. nach der Siedlungskontinuität der Bewohner (vgl. als bes. Bsp. →Dakoromanismus) vornehmlich in jenen Durchzugs- u. Übergangsgebieten, die v. mehreren Nachbarvölkern beansprucht werden. In der Zeit der modernen →Nationalstaatenbildungen war es daher unvermeidlich, dass die Geschichtsschreibung in den Parteienstreit um die Festlegung der Territorialgrenzen hineingezogen wurde u. ihre Erkenntnisse für das tagespol. Geschäft nutzbar gemacht wurden (→Historiographie, 19./20. Jh.; →Erinnerungskultur). Die Bevölkerungsgeschichte der Balkanhalbinsel ist durch ein andauerndes Neben-, Mitu. Gegeneinander v. „Eroberern u. Eingesessenen“ (G. Schramm) gekennzeichnet. Zuwanderer hatten bei allen Balkanvölkern einen entscheidenden Anteil an der E. Die Spuren einer vorindogermanischen Bevölkerung im gesamten östl. Mittelmeerraum (Karer, Leleger, Pelasger) sind v. nachfolgenden Zuwanderungswellen verwischt worden. Wiederholte Einbrüche turksprachiger Steppenvölker (→Reiternomaden) an der Donaugrenze (Hunnen, Ogurenvölker, →Awaren, →Chazaren, →Petschenegen, Uzen, →Kumanen, →Proto-Bulgaren), die Landnahme der →Magyaren im pannonischen Raum (896) u. die Siedlungsausbreitung der Slaven (→Slav. Landnahme) über den Donaulimes seit dem 6. Jh. n. Chr. sowie in späterer Zeit das Vordringen der Seldschuken u. Osmanen (→Osm. Reich) über Kleinasien u. die Siedlungsausbreitung der →Albaner haben die Bevölkerungskarte SOEs innerhalb eines Jahrtausends ebenso nachhaltig verändert wie jene säkularen kult. Transformationsprozesse, die v. wechselnden äußeren Macht- u. Kulturzentren angestoßen wurden. In einzelnen Entwicklungsphasen sind unter der andauernden Einwirkung v. Romanisierung, Hellenisierung, →Islamisierung u. Europäisierung bestehende Eigenheiten der Stammesgesellschaften überformt u. lokale Unterschiede eingeebnet worden. Die Ethnogenese der →Griechen vollzog sich im Ausgleich zw. den seit 2000 v. Chr. eingewanderten Frühgriechen u. den im 12. vorchr. Jh. nachfolgenden Dorern. In einer späteren Phase wurden auch die Makedonen einbezogen, die zunächst außerhalb der hellenischen Gemeinschaft standen. Die Ausläufer der Slavischen Landnahme reichten bis in die →Peloponnes u. zu den küstennahen gr. Inseln. Die Vorfahren der späteren Slowenen, Kroaten, Serben u. Bulgaren haben dabei auf unterschiedlichen Wegen das Innere der Balkanhalbinsel erreicht (→Südslaven). In das heute ein südslav. Idiom sprechende Volk der Bulgaren sind die turksprachigen Steppennomaden der →Proto-Bulgaren, das thrakische Substrat u. die nordostbalkanischen Slavenstämme aufgegangen. Der bulg. Ethnogeneseprozess fand erst im 10. Jh. mit der weitgehenden Slavisierung der Bev. seinen Abschluss. Die →Albaner leiten sich v. einer teilromanisierten Provinzialbevölkerung her, in der noch das illyrische Erbe weiterlebte. Die Rumänen verstehen sich als die unmittelbaren Nachkommen der Daker. Walachische Elemente (→Vlachen, →Aromunen) sind sowohl v. den Albanern wie später v. den Serben integriert worden. 313
Europäische Türkei
Lit.: S. Pabst, Bevölkerungsbewegungen auf der Balkanhalbinsel am Beginn der Früheisenzeit und die Frage der Ethnogenese der Makedonen, Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts 124 (2009), 1–74; Z. Mirdita, Vlasi. Starobalkanski narod od povijesne pojave do danas. Zagreb 2009; L. Margetić, O etnogenezi Hrvata i Slavena. Split 2007; O. Majorov, Velikaja Chorvatija: ėtnogenez i rannjaja istorija slavjan Prikarpatskogo regiona. St. Peterburg 2006; I. TomaŽiČ, Slovenske korenine. Ljubljana 2003; F. Curta, The Making of the Slavs. History and Archaeology of the Lower Danube Region, c. 500–700. Cambridge u. a. 2001; Slovenija in sosednje dežele med antiko in karolinško dobo. Začetki slovenske etnogeneze . Slowenien und die Nachbarländer zwischen Antike und Karolingischer Epoche. Anfänge der slowenischen Ethnogenese. Hg. R. Bratož. Ljubljana 2000 (Ergänzungsbd. 2002); Wege zur Genese griechischer Identität. Die Bedeutung der früharchaischen Zeit. Hg. Ch. Ulf. Berlin 1996; P. Veres, The Ethnogenesis of the Hungarian People. Problems of Ecologic Adaptation and Cultural Change. Budapest 1996; Etnogeneza Hrvata. Ethnogenesy of the Croats. Hg. N. Budak. Zagreb 1995; J. Reisinger/G. Sow, Das Ethnikon Sclavi in den lateinischen Quellen bis zum Jahr 900. Stuttgart 1990; Cs. Bálint, Die Archäologie der Steppe. Steppenvölker zwischen Wolga u. Donau vom 6. bis zum 10. Jh. Wien u. a. 1989; I. Mužić, Podrijetlo Hrvata.(Autohtonost u hrvatskoj etnogenezi na tlu rimske provincije Dalmacije). Zagreb 1989; G. Weiss, Das Ethnikon Sklabenoi, Sklaboi in den griechischen Quellen bis 1025. Stuttgart 1988; Die Völker Südosteuropas im 6. bis 8. Jh. Hg. B. Hänsel. München 1987; Ethnogenese europäischer Völker. Aus der Sicht der Anthropologie u. Vor- u. Frühgeschichte. Hgg. W. Bernhard/A. Kandler-Pálsson. Stuttgart u. a. 1986; G. Schramm, Eroberer u. Eingesessene. Geographische Lehnnamen als Zeugen der Geschichte Südosteuropas im ersten Jahrtausend n. Chr. Stuttgart 1981; D. Angelov, Die Entstehung des bulgarischen Volkes. Berlin 1980; Š. Kulišić, O etnogenezi Crnogoraca. Titograd 1980; Ethnogenese u. Staatsbildung in Südosteuropa. Hg. K.-D. Grothusen. Göttingen 1974; L’éthnogenèse des peuples balkaniques. Symposium International sur L’Ethnogenese des peuples balkaniques, Plovdiv, 23–28 Avril 1969. Hg. Vl.I. Georgiev. Sofia 1971. E. H.
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Europäische Türkei (frz. la Turquie d’Europe, engl. Turkey in Europe, osm. Avrupa-i Osmânî). 1. E.T. ist ein Begriff der pol. Geographie, der vom 18. bis zu Beginn des 20. Jh.s für die Besitzungen des →Osm. Reiches in Europa, als Pendant zur „Asiatischen Türkei“, verwendet wurde. Die Osmanen selbst bevorzugten die Bezeichnung Rumeli (→Rumelien). Die Entstehung des Begriffs reicht in die Zeit zurück, als man in Europa v. den Verhältnissen auf dem Balkan unter osm. Herrschaft keine genauen Kenntnisse hatte. Für die ganze Region wurden abwechselnd Bezeichnungen wie die „europäische Levante“, die „südöstliche Europäische Halbinsel“ oder die „slav.-gr. Halbinsel“ gebraucht. Als das Interesse an diesem Raum parallel zur Entwicklung der →Orientalischen Frage seit dem 18. Jh. zunahm, waren zunächst die Militärs bestrebt, an Informationen aus erster Hand zu gelangen. So dienten viele Beobachtungen noch aus dem frühen 19. Jh. primär zur „Rekognoszierung“ des Terrains. Bald folgten aber Expeditionen, die z. T. wissenschaftliche Beschreibungen v. Land u. Leute der E.T. lieferten, die auch wirt. u. pol. Zwecken dienen konnten (→Reiseberichte). Der geographische Umfang der E.T. schrumpfte nach jeder milit. Niederlage des Osm. Reiches. Zählte man z. Zt. des →Krimkrieges neben den Provinzen „Rumelien, Bulgarien, Ma-
Europäische Türkei / Exarch
cedonien, Thessalien, Albanien, Bosnien“ auch „die mittelbaren Länder Serbien, Walachei u. Moldau“ zur E.T., betrachtete man nach dem →Berliner Kongress (1878) Gebiete wie Bosnien-Herzegowina u. Bulgarien, obwohl völkerrechtlich nach wie vor unter osm. Oberhoheit, als nicht mehr dazu gehörig. Während die sechs osm. →Vilayets in Europa um die Wende zum 20. Jh. (Edirne/Adrianopel, Saloniki, →Kosovo, Monastir/Bitola, Janina, İşkodra/Skutari) weiterhin als E.T. benannt wurden, sprach man Rumänien, Bulgarien, Serbien, Montenegro u. Bosnien-Herzegowina zunehmend entsprechend der sich inzwischen etablierenden neuen Bezeichnung der Halbinsel als die Balkanländer an (→Balkan; →Nationalstaatenbildung). Infolge der →Balkankriege (1912/13) wurde die E.T. praktisch liquidiert. Die Niederlage im 1. →Wk. implizierte für die Türken zeitweilig sogar den Verlust →Istanbuls (→Sèvres). Die militärischen Erfolge der nationalen Kräfte in den Jahren 1919–1922 brachten jedoch in →Lausanne →Thrakien bis zur Marica-Grenze zurück. 2. Heute liegen 23.721 km2 des türk. Staatsgebietes (3,2 % der Gesamtfläche der Republik) auf dem Balkan: O-Thrakien (türk. Doğu Trakya oder Trakya Bölgesi). Die vier thrakischen Vilayets: Istanbul, Tekirdağ, Kırklareli u. Edirne bilden somit weiterhin den Bestand der E.T. Als Folge der →Zwangsmigrationen gemäß der Konvention v. →Lausanne 1923 wurde die Zusammensetzung der Bev. zulasten der Christen u. zugunsten des muslim. Elements radikal verändert. Im Zuge der „Türkisierung“ O.-Thrakiens wurden auch die dort lebenden Juden ausgegrenzt; 1934 kam es zum Pogrom. Anlässlich der Völkszählung v. 2007 lebten in O.-Thrakien 9,7 Mio. E, ganz überwiegend Türken, ferner musl. Albaner, →Bosnische Muslime, →Pomaken u. andere. Lit.: B. Pekesen, Nationalismus, Türkisierung u. das Ende der jüdischen Gemeinden in Thrakien 1918–1942. München 2012; H. Bayraktar, „Zweideutige Individuen in schlechter Absicht“. Die antisemitischen Ausschreitungen in Thrakien 1934 u. ihre Hintergründe. Berlin 2011; H.-J. Kornrumpf, Die Territorialverwaltung im östlichen Teil der europäischen Türkei vom Erlaß der Vilayetsordnung (1864) bis zum Berliner Kongreß (1878). Freiburg i.Br. 1976; H.R. Wilkinson, Maps and Politics. A Review of the Ethnographic Cartography of Macedonia. Liverpool 1951; Ch. Eliot, Turkey in Europe. London 1900; A.P. Irby/G. MuirMackenzie, Travels in the Slavonic Provinces of Turkey in Europe. 2 Bde. London 1877; H. Barth, Reise durch das Innere der Europäischen Türkei im Herbst 1862. Berlin 1864; G. Lejean, Ethnographie de la Turquie d’Europe. Ethnographie der Europäischen Türkei. Gotha 1861; F.H. Ungewitter, Die Türkei in der Gegenwart, Zukunft u. Vergangenheit. Erlangen 1854; A. Boué, La Turquie d’Europe. 2 Bde. Paris 1840 (dt. in 2 Bde.n Wien 1889). F. A.
Exarch (v. gr. exarchos, „Urheber, Anführer, Visitator“). Der Titel E. wurde in der Spätantike sowohl für milit. wie für kirchl. Amtsträger verwendet. 584 bzw. 591 werden erstmals die E.en von Ravenna u. Karthago erwähnt, die den milit. Oberbefehl u. die oberste ziv. Gewalt in Italien bzw. in Nordafrika besaßen. Für die Geschichte SOEs sind jedoch v. a. die kirchlichen E.en von Bedeutung. Während im Kanon 6 der Synode v. Sardica (343) der exarchos tēs eparchias dem Metropoliten einer Provinz entsprach, wurden in den Kanones 9 u. 17 des vierten ökumenischen Konzils v. Chalkedon mit diesem Titel nur die über den Metropoliten
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Exarch
stehenden Bischöfe der Hauptstädte v. Reichsdiözesen (exarchos tēs dioikēseōs) bezeichnet, die als Appellationsinstanz für Prozesse gegen Metropoliten fungieren sollten. Solche E.en waren z. B. der Bf. v. Kaisareia für die Diözese Pontos, derjenige v. Ephesos für die Diözese Asianē u. der v. Herakleia für die Diözesen Thrakia u. Makedonia. In mittelbyz. Zeit wurde E. zur Bezeichnung für Metropoliten, die in einer Kirchenprovinz Rechte, die ihnen der ökumen. →Patriarch übertragen hatte, ausüben konnten. Im 14. Jh. besaßen 41 Metropoliten des ökumen. Patriarchates diesen Titel. Z. B. waren die Metropoliten v. Thessaloniki, Korinth u. Adrianopel jeweils E.en v. Thessalien, der Peloponnes u. Haimimontos. Auch heute führen Erzbischöfe u. Metropoliten des ökumen. Patriarchates häufig den Titel E. So sind die Metropoliten v. Rhodos sowie Nord- u. Südamerikas E.en des Patriarchen für die Kykladen bzw. für das Gebiet des Atlantik u. des Pazifik, während der Metropolit v. Deutschland als E. für Zentraleuropa fungiert. In der serb. Kirche waren die Metropoliten v. Krušedol, dann Karlovci (Karlowitz) u. v. Cetinje E.en des →Patriarchen v. Peć für die Habsburgermonarchie u. für Montenegro, doch wurde dort der Titel schon 1769 abgeschafft. Auf Grund eines →Firmans des Sultans Abdülaziz vom 12.3.1870 konstituierte im Herbst 1870 eine Versammlung v. Bischöfen u. Laien ein Exarchat als autokephale Kirchenorganisation für die orth. Bulgaren (→Autokephalie; →Othodoxie u. Nationalkirchen). Am 18.3.1871 wurde Metropolit Anthimos v. Vidin zum E. gewählt, so dass es nun zwei orth. Kirchen im Osm. Reich gab. Für die bulg. →Nationsbildung u. deren teilw. institutionelles Ausgreifen auch auf heute nicht bulg. Gebiete etwa in Makedonien (→Makedonische Frage) war dieses Exarchat v. größter Bedeutung. Das ökumen. Patriarchat verurteilte im September 1872 die Gründung des bulg. Exarchats als „Phyletismus“ (der Begriff „phyle“ wurde als Synonym für „ethnos“: Nation gebraucht) u. exkommunizierte die Gläubigen dieser Kirche. Das →Schisma zw. Patriarchats- u. Exarchatskirche wurde erst nach dem 2. Wk. aufgehoben. Offiziell bestand das bulg. Exarchat bis zum 31.12.1950 (bis zur Wiederherstellung des bulg. Patriarchats), doch war der Thron des E. zw. dem 3.7.1915, dem Todestag des E. Josif, u. dem 21.1.1945, als Metropolit Stephan v. Sofia zum E. gewählt wurde, unbesetzt. Das Kirchenrecht der mit Rom unierten Ostkirchen (→Unierte) kennt apostolische u. patriarchale E.en, die im Auftrag des Papstes oder eines unierten Patriarchen Angehörige ihrer Kirche betreuen, die entweder in der westeurop. u. amerik. Diaspora leben, oder noch im Jurisdiktionsgebiet des Patriarchates, aber in großer Entfernung v. der Residenz des nächsten Ortsbischofs wohnen. – Neben den bischöflichen E.en gab es Patriarchalbeamte mit diesem Titel, die vom ökumen. Patriarchen v. a. zur Visitation stauropegialer (vgl. zum Begriff unter →Patriarch) Klöster (exarchos tōn monasteriōn) u. zur Wahrung patriarchaler Rechte (exarchos tōn patriarchikōn dikaiōn) in die Kirchenprovinzen entsandt wurden. Diese E.en waren meist Diakone, Priester oder Äbte. Im Dezember 1350 beauftragte Patriarch Kallistos I. in jedem Stadtbezirk v. →Konstantinopel je einen Priester, der ebenfalls als E. bezeichnet wurde, mit der Belehrung u. Überwachung des übrigen Klerus. In der serb. Kirche wurden die Mönche als E.en bezeichnet, die für den Patriarchen u. den Episkopat den Zehnten einsammelten.
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Lit.: I.A. Galčev, Zdravno-socijalnata dejnost na Bǎlgarskata Ekzarchija vo Makedonija i Trakija. Sofija 2012; E.Ch. Suttner, Der bulgarische Phyletismus – ein geistliches oder ein weltliches The-
Eyalet / Faschismus
ma?, Ostkirchliche Studien 48 (1999), 299–305; M. Paizi-Apostolopulu, Ho thesmos tēs patriarchikēs exarchias. 14os–19os aiōnas. Athen 1995; J. Faris, The Eastern Catholic Churches: Constitution and Governance. New York 1992, 630–640; J. Kolev, The Bulgarian Exarchate as a National Institution and the Position of the Clergy (1878–1912), Études balkaniques 27 (1991), 40–54; Z.K. Markova, Bălgarskata ekzarchija, 1870–1879. Sofija 1989; G. Hering, Der Konflikt des Ökumenischen Patriarchats u. des bulgarischen Exarchats mit der Pforte 1890, SOF 47 (1988), 187–208; I. Pēlidēs, Titloi, Ophphikia kai axiōmata en tē byzantinē autokratoria kai tē christianikē orthodoxō ekklēsia. Athen 1985, 115–118; M. Pundeff, Hundert Jahre bulg. Exarchat, 1870–1970, ÖOH 12 (1970), 352–358; J. Darrouzès, Ekthésis néa, Manuel de pittakia du XIVe s., Revue des études byzantines 27 (1969), 5–127; V. Pospischil, Der Patriarch in der serb.-orthodoxen Kirche. Wien 1966, 149–151; H.-G. Beck, Kirche u. theologische Literatur im byz. Reich. München 1959. K.-P. T.
Eyalet (v. arab. iyāla „Machtausübung, Verwaltung“). Im Osm. Reich größte Territorialeinheit unter einem →Beylerbeyi. In dieser Form jedoch offiz. erst seit Ende des 16. Jh.s gebräuchlich; bis dahin hießen die Provinzen Beylerbeyilık oder →Vilayet (letzteres in der Bedeutung v. „Amtsbereich“ im allg.). Ein E. umfasste i. d. R. mehrere →Sancaks oder Liwas (arab. für „Banner“). Das E. von Rumili (→Rumelien) bildete das älteste u. lange Zeit auch das größte Beylerbeyilık. Am Beginn der Regierungszeit Süleymans des Prächtigen (1520– 1566) war das Reich in folgende Großprovinzen aufgeteilt: Rumili (mit 30 Sancaks); Anadolu (20 S.); Karaman (8 S.); Rum (5 S.); Arab (15 S.) u. Diyarbekir (9 S.). Um 1609 betrug die Zahl der E. mindestens 32; davon bildeten 23 „reguläre“, d. h. auf das →Timar-System gestützte Provinzen, während 9 (mit besoldeten Amtsträgern u. an die Staatskasse abzuführendem Steueraufkommen) als sog. Salyane-E. geführt wurden (darunter Ägypten, Bagdad, der Jemen u. die nordafrikanischen Territorien). – Unter der E.-Verfassung waren die →Kadis u. die obersten Finanzbeamten (→Defterdar) in ihren Entscheidungen nicht vom Beylerbeyi abhängig, sondern konnten sich in strittigen Fragen direkt an die Pforte wenden. Dasselbe gilt für den Oberkommandierenden der →Janitscharen-Garnisonen in den größeren Städten. Unter Mahmud II. (1808–1839) in Müschirijets umgestaltet (bei vermehrter Machtkonzentration in den Händen des Müschir/müşir genannten Gouverneurs), wurde die E.-Verfassung seit 1864 durch das →Vilayet-System ersetzt. Lit.: H. İnalcık, Eyālet, in: EI²; M. Kunt, The Sultan’s Servants. The Transformation of Ottoman Provincial Government, 1550–1650. New York 1983. M. U.
Faschismus (von it. „fascio“ = Rutenbündel [Symbol der Partei Mussolinis]). Bezeichnet in der wiss. Diskussion a) soziolog.: ein spezifisches Politikmodell, b) hist.: jene Bewegungen u. Systeme, die – gleichermaßen antiliberal, antisozialist. u. antikonservativ – in Europa die Jahre 1918 bis 1945 maßgebend prägten. Von der klassischen Rechten unterscheidet sich der Faschismus durch den militaristischen Aktionsstil, das Selbstverständnis als Bewegung, die Hinwendung zu den Massen, die bündisch-klientelistische Gefolgschaftsstruktur. Daraus
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ma?, Ostkirchliche Studien 48 (1999), 299–305; M. Paizi-Apostolopulu, Ho thesmos tēs patriarchikēs exarchias. 14os–19os aiōnas. Athen 1995; J. Faris, The Eastern Catholic Churches: Constitution and Governance. New York 1992, 630–640; J. Kolev, The Bulgarian Exarchate as a National Institution and the Position of the Clergy (1878–1912), Études balkaniques 27 (1991), 40–54; Z.K. Markova, Bălgarskata ekzarchija, 1870–1879. Sofija 1989; G. Hering, Der Konflikt des Ökumenischen Patriarchats u. des bulgarischen Exarchats mit der Pforte 1890, SOF 47 (1988), 187–208; I. Pēlidēs, Titloi, Ophphikia kai axiōmata en tē byzantinē autokratoria kai tē christianikē orthodoxō ekklēsia. Athen 1985, 115–118; M. Pundeff, Hundert Jahre bulg. Exarchat, 1870–1970, ÖOH 12 (1970), 352–358; J. Darrouzès, Ekthésis néa, Manuel de pittakia du XIVe s., Revue des études byzantines 27 (1969), 5–127; V. Pospischil, Der Patriarch in der serb.-orthodoxen Kirche. Wien 1966, 149–151; H.-G. Beck, Kirche u. theologische Literatur im byz. Reich. München 1959. K.-P. T.
Eyalet (v. arab. iyāla „Machtausübung, Verwaltung“). Im Osm. Reich größte Territorialeinheit unter einem →Beylerbeyi. In dieser Form jedoch offiz. erst seit Ende des 16. Jh.s gebräuchlich; bis dahin hießen die Provinzen Beylerbeyilık oder →Vilayet (letzteres in der Bedeutung v. „Amtsbereich“ im allg.). Ein E. umfasste i. d. R. mehrere →Sancaks oder Liwas (arab. für „Banner“). Das E. von Rumili (→Rumelien) bildete das älteste u. lange Zeit auch das größte Beylerbeyilık. Am Beginn der Regierungszeit Süleymans des Prächtigen (1520– 1566) war das Reich in folgende Großprovinzen aufgeteilt: Rumili (mit 30 Sancaks); Anadolu (20 S.); Karaman (8 S.); Rum (5 S.); Arab (15 S.) u. Diyarbekir (9 S.). Um 1609 betrug die Zahl der E. mindestens 32; davon bildeten 23 „reguläre“, d. h. auf das →Timar-System gestützte Provinzen, während 9 (mit besoldeten Amtsträgern u. an die Staatskasse abzuführendem Steueraufkommen) als sog. Salyane-E. geführt wurden (darunter Ägypten, Bagdad, der Jemen u. die nordafrikanischen Territorien). – Unter der E.-Verfassung waren die →Kadis u. die obersten Finanzbeamten (→Defterdar) in ihren Entscheidungen nicht vom Beylerbeyi abhängig, sondern konnten sich in strittigen Fragen direkt an die Pforte wenden. Dasselbe gilt für den Oberkommandierenden der →Janitscharen-Garnisonen in den größeren Städten. Unter Mahmud II. (1808–1839) in Müschirijets umgestaltet (bei vermehrter Machtkonzentration in den Händen des Müschir/müşir genannten Gouverneurs), wurde die E.-Verfassung seit 1864 durch das →Vilayet-System ersetzt. Lit.: H. İnalcık, Eyālet, in: EI²; M. Kunt, The Sultan’s Servants. The Transformation of Ottoman Provincial Government, 1550–1650. New York 1983. M. U.
Faschismus (von it. „fascio“ = Rutenbündel [Symbol der Partei Mussolinis]). Bezeichnet in der wiss. Diskussion a) soziolog.: ein spezifisches Politikmodell, b) hist.: jene Bewegungen u. Systeme, die – gleichermaßen antiliberal, antisozialist. u. antikonservativ – in Europa die Jahre 1918 bis 1945 maßgebend prägten. Von der klassischen Rechten unterscheidet sich der Faschismus durch den militaristischen Aktionsstil, das Selbstverständnis als Bewegung, die Hinwendung zu den Massen, die bündisch-klientelistische Gefolgschaftsstruktur. Daraus
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folgt: der pseudorelig. Anspruch, der Glaube an die Machbarkeit der Welt, die Ästhetisierung der Politik, der revolutionäre Impetus, der Kult der Jugendlichkeit, schließlich die Gewaltverherrlichung. Faschistisch in diesem Sinne waren der Partito Nazionale Fascista (PNF), die NSDAP, die →Eiserne Garde, die →Pfeilkreuzler, die →Ustaše, nicht jedoch die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) in Deutschland, die Liga zur christlichen nationalen Verteidigung (LANC) u. die National-Christliche Partei (PNC) in Rumänien, die Heimwehren in Österreich oder die →IMRO in Bulgarien. Wo der F. Bedeutung gewann, war er soziale Bewegung. Als solche unterlag er dem permanenten Zwang zur Veränderung, spiegelte er eine akute ges. Krise wider. Der F. kann verstanden werden als spezifische Erscheinung seiner Epoche. Zu nennen sind: die Krise des Fortschrittsglaubens, die Erschütterung bürgerlichen Selbstverständnisses durch die Oktoberrevolution, die Mobilisierung der Massen im 1. Wk., das Entstehen neuer, wenig gefestigter Demokratien, die nationalen Spannungen in Ost- u. Mitteleuropa mit Grenzkonflikten u. Minderheitenproblemen, der Zusammenbruch des Kapitalismus während der →Weltwirtschaftskrise. Wir beobachten das Entstehen von →Diktaturen mit äußerlich fasch. Merkmalen, die das westl. Vorbild aufnahmen, um die Massenmobilisierung zu kanalisieren (Griechenland unter Metaxas, die Königsdiktatur Carols in Rumänien, Guyla Gömbös in Ungarn, Franco in Spanien), schließlich die Herausbildung der eigentlichen fasch. Bewegungen u. Systeme. Weder in den gefestigten Nationalstaaten mit parlamentarischer Tradition des Westens hatte der F. eine Chance, noch in den wenig aufgebrochenen Gebieten Süd- u. Osteuropas. Er blieb erfolglos, wo rigide pol. Regime die Herausbildung einer starken fasch. Bewegung verhinderten. Dass solche gleichwohl in Österreich u. Ungarn entstanden, hing zus. mit den Strukturverzerrungen u. der speziellen Nachkriegssituation in beiden Ländern (a. →Revisionismus), resultierte andererseits wesentlich aus Veränderungen im internationalen Machtgefüge, da der Aufstieg des nationalsozialist. Deutschlands die Abwehrkräfte der autoritären Regierungssysteme schwächte. Einflussreiche autonome fasch. Bewegungen gab es nur in Italien, Deutschland u. Rumänien, Folge des krisenhaften Zusammenfallens von →Nationsbildung, →Industrialisierung u. Demokratisierung. Während Deutschland u. Italien vergleichsweise entwickelte Industriestaaten waren, resultierte die Anfälligkeit Rumäniens aus der Schwäche der kons.-autoritären Kräfte bei vergleichsweise stabiler Verfassungsordnung. Hier überlebte die parlamentarische Demokratie länger als in anderen Ländern Süd- u. Osteuropas. Erst nachdem die Eiserne Garde alle etablierten Gruppen zu gefährden schien, konnte Kg. Carol 1938 den Putsch wagen. In Deutschland u. Italien war eine solch autoritäre Lösung aus der Krise nicht möglich. So kam es zur Ausbildung voll-fasch. Systeme. Idealtypisch lassen sich 1) vier Arten fasch. Gruppierungen unterscheiden, mit jeweils eigenen Organisationsprinzipien, Politikzielen, Handlungsformen u. Mitgliederstrukturen, zudem 2) fünf Etappen fasch. Regimebildung. Zu 1) Unmittelbar nach dem Ende des 1. Wk.s gab es in Italien, Deutschland u. Rumänien kleine, im engeren Sinne national-sozialistische Gruppen, die sich zum Ziel setzten, die „Arbeiterschaft mit der Nation zu versöhnen“ (Mussolini in
Faschismus
Mailand, Deutsche Arbeiterpartei (DAP) in München, Garde des nationalen Bewusstseins in Jassy/Iaşi, s. →Eiserne Garde). Davon abzugrenzen ist der Squadrismus als bewaffnete, terroristische Offensive gegen die Linke bzw. die Staatsmacht (Italien seit Herbst 1920, NSDAP 1923, Eiserne Garde 1930). Während jenseits der Alpen das Ausmaß außerstaatlicher Gewaltanwendung immer erheblich gewesen war u. den Squadren ausreichenden Spielraum gab, waren die sich neu formierende NSDAP 1925 u. die Eiserne Garde ab Dezember 1930 auf eine Politik der scheinbaren Legalität als Wahlpartei verwiesen. Alle Energien richteten sie nach außen. Mechanismen innerparteilicher Meinungsbildung fehlten. Die „Legalitätspolitik“ setzte voraus, dass eine reale Chance bestand, durch Wahlen die Macht zu erobern. Unter der Königsdiktatur Carols II. wandelte sich die Eiserne Garde von einer Massenbewegung zu einer terroristischen Kaderorganisation. (Dasselbe Strukturprinzip kennzeichnete die Ustaše.) Zu 2) Das Regime Mussolinis u. das nationalsozialist. Herrschaftssystem sind nur z. T. vergleichbar. Betrachtet man jedoch den Verlaufsprozess, so machten beide Staaten eine ähnliche Entwicklung mit. Wolfgang Schieder hat die erste Etappe als eine faschistische Vermittlungsdiktatur charakterisiert. Sie dauerte in Deutschland wenige Wochen, in Italien zwei Jahre. Es folgten Gleichschaltung, Abstoppen der Parteirevolution, eine Zeit eher kons. Machtkonsolidierung, welche schließlich in die Radikalisierung des Regimes mündete. Der F. bedurfte zur Machteroberung der Hilfe konservativer Partner. Daraus resultierte anfangs ein Zurückdrängen der destruktiven Logik des F., der Aufbau der charismatischen Herrschaftspositionen Mussolinis u. Hitlers, schließlich die staatlich-bürokratische Organisation des Terrorapparates. Selbständige fasch. Systeme gab es allein in Italien u. Deutschland. Die kroat. Ustaše oder die ungarischen Pfeilkreuzler kamen nur infolge des 2. →Wk.s (→Unabhängiger Staat Kroatien) dank dt. Unterstützung u. wegen des Fehlens anderer kollaborationsbereiter Kräfte an die Macht. Nicht die bürokratisch-zielgerichtete Planung des Völkermords wie in Deutschland (→Holocaust) war hier das Auffallende, sondern die ungebrochene zerstörerische Wut aufgeputschter Parteianhänger. Der Staat zerfiel unter den Schlägen der gewaltbereiten Banden. Ohne das Nebeneinander von Normen- u. Maßnahmestaat, ohne Phase fasch. Vermittlungsdiktatur, Abstoppens der Parteirevolution u. bürokratischer Machtkonsolidierung brach das fasch. Regime unmittelbar im eigenen Terror zusammen. Lit.: Der Faschismus in Europa. Wege der Forschung. Hgg. Th. Schlemmer/H. Woller. München 2014; W. Schieder, Der italienische Faschismus 1919–1945. München 2010; W. Wippermann, Der Faschismus: Eine Weltgeschichte vom 19. Jh. bis heute. Darmstadt 2009; A. Bauerkämper, Der Faschismus in Europa 1918–1945. Stuttgart 2006; Der Einfluss von Faschismus u. Nationalismus auf Minderheiten in Ostmittel- u. Südosteuropa. Hgg. M. Hausleitner/H. Roth. München 2006; M. Petreu, An Infamous Past. E.M. Cioran and the Rise of Fascism in Romania. Chicago 2005; E. Colotti/L. Klinkhammer, Zur Neubewertung des italienischen Faschismus, Geschichte u. Gesellschaft 26 (2000), H. 2, 285–307; J.W. Borejsza, Schulen des Hasses. Faschistische Systeme in Europa. Frankfurt/M. 1999; H. Woller, Rom, 28. Oktober 1922. Die faschistische Herausforderung. München 1999; Fascist Italy and Nazi Germany. Comparisons and Contrasts. Hg. R. Bessel. Cambridge 1996; A. de Grand, Fascist Italy and Nazi Germany: The „Fascist“ Style of Rule. New York 1996; S.G. Payne, A History of Fascism, 1914–1945. Madison
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Fetwa / Feudalismus (Byzanz u. mittelalterlicher Balkan)
1995; M. Ruck, Bibliographie zum Nationalsozialismus. Köln 1995; W. Wippermann, Faschismustheorien. Darmstadt 61995; ders., Europäischer Faschismus im Vergleich, 1922–1982. Frankfurt/M. 1983; W. Schieder, Faschismus, in: Fischer Lexikon Geschichte. Hg. R. van Dülmen. ebd. 1990, 177–195; P. Milza, Les fascismes. Paris 1985; Native Fascism in the Successor States, 1918–1945. Hg. P.F. Sugar. Santa Barbara/CA 1971. A. Hei.
Fetwa (v. arab. fatwā). Förmliche, auf Anfrage erstellte schriftliche Auskunft über Fragen des isl. Rechts u. Kultus. Da das isl. Recht, die →Scharia, nicht kodifiziert vorliegt, sondern sich aus zahlreichen Rechtsquellen speist (mit Abstand die wichtigsten bilden Koran u. Sunna), war (u. ist) es für eine ihr gemäße Lebensführung erforderlich, auftretende Zweifelsfragen durch eine (oder mehrere) anerkannte Autorität(en) klären zu lassen. Diese können Männer oder Frauen sein, als Privatpersonen oder in staatl. Auftrag handeln. – Ein F. besteht aus dem Sachverhalt (als abstrakter Rechtsfall unter Verwendung fiktiver Namen formuliert) sowie aus Frage (auf den Fragesteller zurückgehend) u. Antwort (des Gutachters, Müfti). Einfache Anfragen werden schlicht mit ja oder nein beschieden; komplexere erfordern eine Begründung (z. T. unter Angabe der Quellen). Ein F. hat in jedem Fall eine Entscheidung herbeizuführen. Der Rechtsentscheid ist für den Fragesteller jedoch keineswegs bindend (anders im schiitischen Islam). In manchen Nachfolgestaaten des →Osm. Reiches hat sich der Aufgabenbereich des Müfti erweitert: hier ist er Vorsteher der isl. Glaubensgemeinschaft mit weitreichenden Befugnissen. Lit.: A. Verskin, Oppressed in the Land? Fatwās on Muslims living under non-Muslim rule from the Middle Ages to the present. Princeton/NJ 2013; M.Kh. Masud/B.M. Messick/D.St. Powers, Islamic legal interpretation: muftis and their fatwas. Cambridge/Mass. 1996; H. Gerber, State, Society and Law in Islam. Ottoman Law in Comparative Perspective. New York 1994; B. Krawietz, Die Hurma. Schariatrechtlicher Schutz vor Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit nach arabischen Fatwas des 20. Jh.s. Berlin 1991; E. Debus, Die islamischrechtlichen Auskünfte der Millî Gazete im Rahmen des „Fetwa-Wesens“ der Türkischen Republik. Berlin 1984; H. Krüger, Fetwa u. Siyar. Zur internationalrechtlichen Gutachtenpraxis der osmanischen Şeyh ül-Islâm vom 17. bis 19. Jh. Wiesbaden 1978; J. Benzing, Islamische Rechtsgutachten als volkskundliche Quelle. Mainz u. a. 1977; U. Heyd, Some Aspects of the Ottoman Fetvā, Bulletin of the School of Oriental and African Studies 32 (1969), H. 1, 35–56; J. Schacht, The Origins of Muhammadan Jurisprudence. Oxford 1959. M. U.
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Feudalismus (Byzanz u. mittelalterlicher Balkan). Zunächst ist zu konstatieren, dass in der Forschung keine Übereinstimmung darüber besteht, ob u. gegebenenfalls wie der nicht verbindlich definierte u. ideologisierte Begriff des F. auf Byzanz u. die Reiche der orth. Südslaven angewendet werden kann. Versteht man F. strikt im Sinne des zugrundeliegenden mittellat. Begriffes feudum als Lehnswesen, d. h. als Rechtssystem, in dem das Verhältnis zw. einem Lehnsherren u. seinem Vasallen u. die Vergabe von Land u. abhängigen Bauern gegen milit. Dienstleistung geregelt werden, so kann der Begriff eigentlich nur auf die nach
Feudalismus (Byzanz u. mittelalterlicher Balkan)
1204 auf byz. Reichsgebiet errichteten Lateinerstaaten (→Lateinerherrschaft) Anwendung finden. Erst eine erweiterte, aber häufig unpräzise Verwendung des Begriffs F. für eine ges. u. wirt. Ordnung, in der unfreie →Bauern weltlichen u. geistlichen Großgrundbesitzern, deren Gerichtsbarkeit sie ganz oder teilweise unterliegen, Abgaben u. Frondienste leisten müssen, oder für ein verfassungsgeschichtliches Entwicklungsstadium oder für eine Produktionsweise (Haldon), lässt eine Übertragung des ursprünglich v. a. auf West- u. Mitteleuropa angewendeten Terminus auf Byzanz u. SOE diskutabel erscheinen. Im Sinne der zuerst genannten Variante wurde die allmähliche Ausbildung einer Aristokratie von hohen Militärs u. Zivilbeamten v. a. von der marxist. Byzantinistik in der Sowjetunion als Feudalisierung gedeutet, da es dieser Klasse mit Hilfe ihrer Machtstellung in der Provinz- u. Zentralverwaltung gelang, Großgrundbesitz zu bilden u. sich hauptsächlich nach 927 einen quantitativ schwer abschätzbaren Teil des ursprünglich freien Kleinbauerntums als Abgaben zahlende u. Frondienste leistende →Paröken unterzuordnen. Von Romanos I. (920–944) bis zu Basileios II. (976–1025) setzten die Kaiser der Zerstörung der auch als fiskalische Einheit fungierenden kleinbäuerlichen →Dorfgemeinschaft u. der Aufsaugung der steuerlich privilegierten Soldatengüter (stratiōtika ktēmata) durch den expandierenden weltlichen u. monastischen Großgrundbesitz in vierzehn Novellen Widerstand entgegen, doch nach 1050 förderten sie den aristokratischen u. monastischen Großgrundbesitz durch Befreiung von Steuern u. Abgaben sowie von Dienstleistungen für durchreisende Beamte u. Truppen (exkusseia). Als byz. Gegenstück zum abendländischen Lehen wurde v. a. von Georg Ostrogorsky die ab dem 12. Jh. häufiger auftretende →Pronoia angesehen, doch sind dagegen zunehmend Bedenken vorgebracht worden, da dem Inhaber einer Pronoia für den von ihm i. d. R. übernommenen Militärdienst keine Eigentumsrechte, sondern nur die Steuersumme (posotēs nomismatikē) u. die Frondienste, die die Paröken ansonsten dem Staat zu leisten hatten, auf Lebenszeit übertragen wurden. Die Aristokratie in Bulgarien u. Serbien (vgl. a. →Adel [Balkan]) ging aus den Fürstenfamilien der slav. u. bulg. Landnahmezeit (boljari) bzw. der Sippenaristokratie der →Župane hervor. Ab dem 13. Jh. bildete sich neben der alten Aristokratie im Umkreis der Herrscher ein weniger begüterter Dienstadel (serb. vlasteličići), der hauptsächlich aus Soldaten (vojnici) bestand. Im 14. Jh. fand in Serbien auch die byz. pronoia Eingang. Ein Großteil der bäuerlichen Bev. Bulgariens u. Serbiens gelangte durch Schenkungen der Herrscher in eine dem byz. paroikos (daher das bulg. u. serb. Lehnwort parik; serb. auch meropah, pl. meropsi genannt) vergleichbare Abhängigkeit von Klöstern u. weltlichen Herren. Schon Ende des 12. Jh.s waren die serb. meropsi an die Scholle gebunden u. einer freilich durch kgl. Prärogativen eingeschränkten Gerichtsbarkeit ihrer Herren unterworfen, doch besaßen sie noch im 1349 in Kraft getretenen →Zakonik Stefans IV. Dušan das Recht, gegen ihren Grundherrn zu prozessieren. Lit.: C. Popa-Gorjanu, The Question of Feudalism in the Romanian Principalities in the Middle Ages, in: Feudalism: New Landscapes of Debate. Hgg. S. Bagge/M.H. Geltling/Th. Lindkvist. Turnhout 2011, 21–32; G. Duby, Qu’est-ce que la société féodale? Paris 2011; A. Kazhdan/S. Ronchev, L’aristocrazia bizantina dal principio dell’XI alla fine del XII secolo. Palermo 1997; J. Haldon, The Feudalism Debate once more: The Case of Byzantium, The Journal of Peasant Studies 17 (1989),
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Feudalismus (Osmanisches Reich)
5–40 (=ders., State, Army and Society in Byzantium. Aldershot 1995, Nr. IV [mit Additional note]); L. Maksimović/S. Cirković, Art. Feudalismus. B. Byzantinisches Reich, Südost- u. Osteuropa, in: Lexikon des Mittelalters. Bd. IV München u. a. 1989, Sp. 415–420; Z. Oudaltsova/K.A. Ossipova, Traits distinctifs des rapports féodaux de Byzance, Byzantiaka 7 (1987), 9–54; Besonderheiten der byzantinischen Feudalentwicklung: eine Sammlung von Beiträgen zu den frühen Jahrhunderten. Hg. H. Köpstein. Berlin 1983; F. Winkelmann, Byzanz im 7. Jahrhundert. Untersuchungen zur Herausbildung des Feudalismus. Berlin (O) 1978; E. Patlagean, „Economie paysanne et féodalité byzantine“, Annales. Economies. Sociétés. Civilisations 6 (1975), 1371–1396 (=dies., Structure sociale, famille, chrétienté à Byzance. IVe–XIe siècle. London 1981, Nr. III); K.-P. Matschke, Die Entwicklung der Konzeption eines byz. Feudalismus durch die sowjetische marxistische Byzantinistik 1930– 1966, Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 15 (1967), 1065–1086; J. Ferluga, La ligesse dans l’empire byzantin. Contribution à l’étude de la féodalité à Byzance, Zbornik radova Vizantološkog instituta 7 (1961), 97–123; G. Ostrogorsky, Pour l’histoire de la féodalité byzantine. Bruxelles 1954. K.-P. T.
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Feudalismus (Osmanisches Reich). Zunehmende feudale Zersplitterung u. Segmentierung im Sinne des „klassischen“ Feudalismus war in den Staaten u. Herrschaften, auf die die osm. Expansion während des 14. u. 15. Jh.s in den Balkanregionen stieß, charakteristisches Kennzeichen des ges. Transformationsprozesses nach dem Auseinanderbrechen der balkanischen „Reiche“ (→Bulg. Reich; →Serb. Reich). Diesen Prozess sollte die osm. Herrschaft nicht nur anhalten, sondern umkehren. Wenn auch vielerorts vorosm. Besitzverhältnisse u. Herrschaftsstrukturen bewahrt bzw. assimiliert wurden, so geschah dies doch ohne formale Anerkennung feudaler Abhängigkeiten, im Gegenteil. Seit der osm. Eroberung, genauer: der direkten Eingliederung dieser Gebiete in die reguläre osm. Territorialverwaltung, galt alles landwirt. genutzte Land als Eigentum des Emirs, d. h. des Herrschers (→Miri); jedwede Mediatisierung der steuerzahlenden Untertanen (→Reaya) war prinzipiell ausgeschlossen. – Frühe osm. →Tahrir Defteri helfen, den Eingliederungsprozess der vorosm. Eliten in die osm. Herrschaftsstrukturen zu verdeutlichen. Nicht wenige der frühosm. Verwaltungseinheiten (→Vilayet) sind nach ihren ehemaligen Feudalherren (türk. tekfur aus armen. thakavor „Fürst, König“) benannt. Besonders in Albanien (→Albaner) u. Thessalien leben hierin die Namen jener Grund- u. Lehnsherren fort, die der osm. Herrschaft erstmals Tribut leisteten u. als Gegenleistung (zunächst) in der Kontrolle über Land u. Leute belassen wurden, u. dies keineswegs immer erst nach Übertritt zum Islam (→Islamisierung; →Konvertiten). Zu den markantesten Beispielen solcher in osm. Abhängigkeit stehender Herrschaften (türk. il) zählen in diesem Gebiet: Yuvan ili (Kastriota), Balşa ili (in der Hand der Familie der Balsha; →Albaner; →Zeta), Karlı ili (unter Carlo Thopia), Zenebiş ili (Zenebissi) u. solche, in denen die kompletten Namensformen erhalten sind, wie Pavlo Kurtik ili, Bogdan Ripe ili, Kondo Miho ili sowie das il des Todor Muzak. Auch manche →Timare u. verschiedene Formen v. Landbesitz im engeren Sinne knüpfen personell u. territ., ja selbst in fiskalischer Hinsicht an vorosm. Feudalstrukturen an. Von den Reiterkriegern aus vorosm. Zeit (kadimi sipahi „alte Spahi“) haben nicht wenige selbst als Christen Aufnahme in die Reihen der Timarioten gefunden, während andere zum Islam konvertiert sind. Nach Untersuchungen
Feudalismus (Osmanisches Reich)
v. Halil İnalcık lassen sich 1431 allein im Sancak Arvanid (Arnawudluk, Albanien) 335 Timarioten nachweisen, davon 60 christl. Religion; im Sancak Tırhala (→Thessalien) zählt er um die Mitte des 15. Jh.s v. insges. 182 Lehnsreitern (→Spahi) 36 Christen. Obgleich Timare i. d. R. nur gegen Militärdienst verliehen wurden, konnten selbst kirchl. Würdenträger wie Bischöfe u. Metropoliten (ähnlich übrigens wie →Kadis) in ihren Genuss gelangen. Betroffen waren ganz überwiegend orth. Amtsträger. Am Einzelfall lässt sich nachweisen, wie die aus vorosm. Zeit stammenden Besitzungen in Form eines Timars „bestätigt“ wurden, was jedoch den Verlust der Eigentumsrechte bei Beibehaltung lediglich des Nutzungsrechts (tasarruf) bedeutete. Ähnliches gilt für Klosterbesitz. Feudaler Grundbesitz kleineren Umfangs hat unter bestimmten Umständen seine Rechtstitel auch nach der osm. Eroberung nicht sofort verloren. Besonders deutlich ist dies am Beispiel der bosn. Kleinadeligen (→Bosnien-Herzegowina) nachzuvollziehen. Ihre am Vorabend der osm. Eroberung durchweg erblichen, veräußerbaren u. von (den meisten) Abgaben befreiten Dienstlehen vermochten viele v. ihnen als steuerlich privilegierte „Baschtina“ (südslav. baština, türk. baştina) unter den ersten Sultanen im Familienbesitz zu halten. Ähnlich erfolgreich waren v. a. in Serbien u. Makedonien die Voynuken (christl. Auxiliartruppen unter eigenem Kommando), die ihren feudalen Kleinbesitz aus vorosm. Zeit dem Zugriff des Fiskus bis ins 16. Jh. hinein zu entziehen imstande waren. Insges. jedoch bildet eine solche Übernahme feudalen Eigentums in das osm. Präbendalsystem eine Ausnahme; dieses basiert nicht auf Eigentum an Grund u. Boden, sondern auf zentralstaatl. Zuweisung v. Einkünften aus Grund u. Boden (sowie städtischen Einnahmequellen im Falle größerer Timare). Der Inhaber eines typischen osm. „Dienstlehens“ sicherte seinen Unterhalt aus staatl. Zuweisungen v. Steuern u. Dienstleistungen „seiner“ Bauern, die an die (staatl.) Scholle (durch namentliche Aufnahme ins Tahrir Defteri) gebunden waren u. im Falle der Landflucht oder bloß Nichtbestellung des Bodens gerichtlich verfolgt werden konnten. Die Gerichtsbarkeit über die Bauern, selbst die niedere, lag indes nicht beim Timarioten, sondern allein beim →Kadi, was Abweichungen hiervon u. Missbräuche nicht ausschloss, zumal dem Timar-Herrn die Aufsicht über die örtlichen Verhältnisse, die Durchsetzung v. Ruhe u. Ordnung sowie Aufgaben in der lokalen Verwaltung zukamen. Verletzte dieser aber seine Aufgebotspflicht, so sah das Gesetz vor, dass das „Militärlehen“ an den Staat u. er selbst in den Stand der Untertanen (→Reaya) zurückfiel. Damit war die Stellung der osm. Timarioten gegenüber der Bauernschaft auf der einen u. der obersten Herrschergewalt auf der anderen Seite v. der des Grund- u. Leibherrn im Feudalismus des europ. MA grundverschieden. Erst die zunehmende Praxis der Unterstellung v. Bauern unter den „privaten“ Schutz (Patrocinium) v. Steuerpächtern u. →Çiftlik-Herren im Zuge der Dezentralisierung des osm. Militär- u. Verwaltungsapparates seit dem späten 16 Jh. erinnert erneut an Formen des „klassischen“ Feudalismus. Lit.: An Economic and Social History of the Ottoman Empire, 1300–1914. Hgg. H. İnalcik/D. Quataert. Cambridge 1994; H. İnalcik, Osmanlı İmperatorluğu. Toplum Ve Ekonomi. İstanbul 1993; H. Berktay, The „Other“ Feudalism. A Critique of Twentieth-Century Turkish Historiography and its Particularisation of Ottoman Society. London 1991; New Approaches to State and Peasant in Ottoman History. Hgg. H. Berktay/S. Faroqhi (=The Journal of Peasant Studies 18
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Feudalismus (Ungarn)
[1991], H. 2–3, 1–266 [Sonderheft]); V.P. Moutafchieva, Agrarian relations in the Ottoman Empire in the 15th and 16th centuries. Boulder/Co. 1988; A. Schölch, Was There a Feudal System in Ottoman Lebanon and Palestine? in: Palestine in the Late Ottoman Period. Hg. D. Kushner. Jerusalem u. a. 1986, 130–145; ders., Zum Problem eines außereuropäischen Feudalismus: Bauern, Lokalherren u. Händler im Libanon u. in Palästina in osmanischer Zeit, Peripherie 5–6 (1981), 107–121; E. Werner, Die Geburt einer Großmacht – die Osmanen (1300–1481). Ein Beitrag zur Geschichte des türkischen Feudalismus. Weimar 1985. M. U.
Feudalismus (Ungarn). Im streng lehnsrechtlichen Sinne gab es in Ungarn keinen F.; im frühen 19. Jh. wurde das Wort gelegentlich, wie auch anderswo, ohne genauen Inhalt zur Bezeichnung des Ancien régime benutzt: 1851 schrieb man über Graf Stefan Szécheny, dass er den F. „beseitigt“ hätte. Der soziologisch verstandene Begriff wurde v. der marxist. Forschung (Emma Lederer, Erik Molnár) für das ung. MA so angepasst, dass man für die letzte Phase der Wanderung der Magyaren sowie für die Landnahme- u. die Fürstenzeit (8.–10. Jh.) v. einem „barbarischen F.“, für das 11./12. Jh. vom „Früh-F.“ u. für das Spät-MA sowie die frühe Neuzeit (bis 1848) vom „späten F.“ u. „zweiter Leibeigenschaft“ (→Sklaverei, Leibeigenschaft) sprach. Falls F. im allgemeinen eine Gesellschaft mit einer landbesitzenden Herrenschicht u. einem in irgendeiner Form Tribut zahlenden u. juristisch abhängigen Bauerntum benennen soll, trifft dies im großen u. ganzen auch für das ung. MA u. die frühe Neuzeit zu, nur ist er ein zu pauschaler Begriff, um der hist. Analyse nützlich zu sein. Die ung. Elite war nicht in jenem kontraktual-gegenseitigen Verhältnis zueinander u. zu den Herrschern gebunden, wie das z. B. für das hochma. Westeuropa typisch zu sein scheint. Vielmehr erhielten freie (anfangs auch minder freie) Leute kgl. Schenkungen für ihre Treue (fidelitas) zur Krone u. wurden unter Umständen damit zu Adeligen (→Adel. Ungarn). Wegen derselben Treue waren alle Adeligen zu (nach 1222 allmählich begrenzten) Kriegs- u. sonstigen Königsdienst verpflichtet. Obwohl der Topos eines quid pro quo in Schenkungsurkunden vom 13. Jh. an gelegentlich auftaucht, bedeutete er nie eine formale Lehnsabhängigkeit. Auch war es nicht üblich, dass ein Gut als Benefiz nur für die Lebenszeit des „Vasallen“ verliehen wurde; im wesentlichen wurden alle Adelsgüter Sippeneigentum u. im Mannesstamme unbegrenzt erblich. Im 14. Jh. vergaben die Herrscher lokale u. regionale Ämter als honores, eine Form, die dem Namen nach einem Lehen glich, doch blieben diese immer an das Wohlwollen des Königs (ad beneplacitum regis) gebunden, d.h., sie waren Amtsgüter im engeren Sinne. Viele, weniger oder gar nicht begüterte, Adelige traten in den Dienst ihrer bessergestellten Standesgenossen u. erhielten dafür Lohn (sehr selten Landbesitz). Diese Gefolgsleute (familiares) waren ihren Herren (domini) nur in Sachen des Dienstes untertan u. verloren ihr Adelsrecht u. ihre „Königsunmittelbarkeit“ de jure nie, d.h. sie wurden nicht, wie viele im Westen, mediatisiert. „Familiaritas“ wurde gelegentlich mit dem westl. Lehenswesen verglichen, doch war sie nie so formal, nie so gegenseitig u. fast nie erblich.
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Lit.: J.M. Bak, Feudalism in Hungary?, in: Feudalism: New Landscapes of Debate. Hgg. S. Bagge/M.H. Gelting/Th. Lindkvist. Turnhout 2011, 203–217; M. Rady, Nobility, Land and
Firman
Service in Medieval Hungary. Basingstoke u. a. 2000; E. Fügedi, The Elefánthy. The Hungarian Nobleman and his Kindred. Budapest 1998; L. Solymosi, A földesúri járadékok új rendszere a 13. századi Magyarországon. ebd. 1998; P. Engel, Honor, castrum, comitatus. Studies in the government system of the Angevin Kingdom, Questiones Medii Aevi Novae 1 (1996), 91–100; Vl. Bromlej, Stanovlenie feodalizma v Horvatii. (K izučeniju processa klassoobrazovanija u Slavjan). Moskva 1964; Zs.P. Pach, Das Entwicklungsniveau der feudalen Agrarverhältnisse in Ungarn in der zweiten Hälfte des XV. Jahrhunderts. Budapest 1960; E. Lederer, A feudalizmus kialakulása Magyarországon. ebd. 1959; Gy. Bónis, Hűbériség és rendiség a középkori magyar jogban. Kolozsvár [1944?]; E. Mályusz, Magyar társadalom a Hunyadiak korában, in: Mátyás király emlékkönyv. Hg. I. Lukinich. Budapest [1940], 318–332; M. Lanović, Zapadno-evropski feudalizam i ugarsko-hrvatski donacionalni sustav. Zagreb 1928; Gy. Szekfű, Szerviensek és familiárisok. Vázlat a középkori magyar alkotmány- és közigazgatástörténet köréből. ebd. 1912 (dt. Kurzfassung: Servienten u. Familiaren im ung. Mittelalter, Ungarische Rundschau 2, 1912, 524–557). J.M. B.
Firman (aus altpers. framāna, neupers. farmān „Befehlsgewalt, Befehl“). Befehlsschreiben, mit Adjektiven wie hümayun oder alişan in der Bedeutung „großherrlicher Befehl“. Nach Form, Inhalt u./oder Funktion v. →Berat u. herrscherlichen Urkunden anderer Art zu unterscheiden. Im Osm. Reich sind die meisten F. nicht auf Befehl des Sultans selbst, sondern (in allg. Angelegenheiten) auf Veranlassung des →Großwesirs (später auch seines Stellvertreters, des →Kaymakam), des →Defterdar (in Finanzsachen) oder der beiden Heeresrichter (in Angelegenheiten der →Scharia) lediglich im Namen des Sultans ausgestellt worden, u. zwar unter Anfügung der sultanischen Handfeste (Tughra, türk. tuğra) durch den Nischandschi. Das Recht einiger →Beylerbeyi im →Wesirs-Rang, die Handfeste über v. ihnen promulgierte Befehlsschreiben zu setzen, wurde bis zur Mitte des 17. Jh. aufgehoben. Dem Großwesir händigte man, zog dieser zu Felde, mit einer Tughra versehene Blanko-F. aus, damit die Reichsgeschäfte an Ort u. Stelle erledigt werden konnten. Die Begünstigten eines F. waren häufig ausdrücklich befugt, den F. zu behalten, nachdem er dem Adressaten (oft der zuständige →Kadi) vorgelegen hatte u. von diesem ins →Sidschill übertragen worden war. In formaler Hinsicht ähnelt der osm. F. in Vielem abendländischen Herrscherurkunden, doch trägt er weder Unterschrift noch (üblicherweise) irgendwelche Siegel. Die überwältigende Mehrzahl osm. F. ist auf Osmanisch-Türkisch abgefasst; bis ins 16. Jh. fanden jedoch neben dem Arabischen, Griechischen u. Slavischen gelegentlich auch abendländische Sprachen im lat. Alphabet Verwendung. Lit.: M. Kütükoğlu, Osmanlı Belgelerinin Dili (Diplomatik). İstanbul 1994; Osmanlı padişah fermanları. Imperial Ottoman Fermans. Hg. A. Nadir. London u. a. 1986; V. Stojanov, Die Entstehung u. Entwicklung der osmanisch-türkischen Paläographie u. Diplomatik. Mit einer Bibliographie. Berlin 1983; V. Boškov, Odnos srpske i turske diplomatike, Jugoslavenski istorijski časopis 19 (1980), 219–236; J. Matuz, Das Kanzleiwesen Sultan Süleymāns des Prächtigen. Wiesbaden 1974. M. U.
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Forint / Franziskaner
Forint. Ung. Münze; das Wort erscheint in lat. Quellen im späten 13. Jh., in ung. Form im 15. Jh. u. stammt von dem Namen der in Florenz gemünzten, mit Lilien verzierten fiorino (aus it. fiore, Blume) genannten Goldmünzen: F. wurde in Ungarn die nach der Finanzreform Karls I. Robert von →Anjou zuerst um 1325 mit ca. 3,25 g Gewicht in Umlauf gebrachte u. jahrhundertelang in gleicher Feinheit geprägte Goldmünze genannt. Im 16. Jh. sprach man auch v. einem „ungarischen“ oder „Kammer-F.“, was jedoch keine Goldmünze, sondern eine Rechnungseinheit v. 100 Denaren (Pfennigen) bezeichnete. Ebenfalls in der Neuzeit wurde die Rechnungseinheit rénes F. (Rheinischer Gulden) eingeführt, der 240 Wiener Pfennige wert war. Die F. genannte heutige Münze der Republik Ungarn wurde bei der auf die Nachkriegsinflation des Pengő folgenden Währungsreform am 1.8.1946 eingeführt. Lit.: A. Kubinyi, A középkori körmöcbányai pénzverés és történeti jelentősége, in: Emlékezés a 650 és Körmöcbányára. Hg. I. Gedai. Budapest 1980, 9–39; L. Huszár, Der ungarische Goldgulden im mittelalterlichen Münzverkehr, Hamburger Beiträge zur Numismatik 24-26 (1970–72), 71– 88; G. Probszt, Quellenkunde der Münz- u. Geldgeschichte der ehemaligen Österreichisch-Ungarischen Monarchie. Graz 1954; B. Hóman, La circulazione delle monete d’oro in Ungheria dal X al XIV secolo e la crisi europea dell’oro nel secolo XIV, Rivista Italiana di Numismatica 35 (1922), 109–156; L. Réthy, Corpus nummorum Hungariae. 2 Bde. Budapest 1899/1907. J.M. B./B. N.
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Franziskaner. Kath. →Orden, benannt nach dem Ordensstifter, dem hl. Franziskus von Assisi (1181–1226); dieser hatte ihn Ordo Fratrum Minorum (Abk. OFM), zu dt. „Minoriten“ oder „Minderbrüder“ genannt, u. so heißt auch die offizielle Benennung. Als Aussteiger aus einer wohlhabenden Familie hat Franziskus von Assisi das Leben in extremer Armut u. völliger Besitzlosigkeit zum besonderen Anliegen seines Ordens gemacht. Dies hat zu heftigen Armutskontroversen u. schließlich zur Ordensspaltung in die Spiritualen (oder sog. Fraticelli), Observanten u. Konventualen geführt, welche sich durch ein strengeres oder lockeres Verhältnis zum Armutsideal voneinander unterschieden. Die F. wirkten zwar als Lehrer an den ma. europ. Universitäten, aber sie haben sich v. a. der niederen Schichten der städtischen Bev. angenommen (daher auch der Name „Minderbrüder“) sowie sich der missionarischen Tätigkeit gewidmet. Der F.orden hat sich in u. außerhalb Europas schnell verbreitet, so dass er bereits 1300 ca. 40.000 Mitglieder zählte. Nach SOE sind die F. noch zu Lebzeiten des hl. Franziskus gekommen, u. zwar 1217 nach Dalmatien u. 1220 (z. Zt. der →Lateinerherrschaft) nach →Konstantinopel. Ihre Präsenz in den anderen Balkanländern (Albanien, Bosnien, Bulgarien u. Serbien) ist Mitte des 13. Jh.s bezeugt. Die Tätigkeit in den Balkanländern vor u. nach der osm. Eroberung begrenzte sich mehr oder weniger auf die seelsorgerische Betreuung der kath. Minderheiten in den Bergwerksstädten u. in anderen kath. Balkankolonien mit den beiden Ausnahmen: Albanien u. v. a. Bosnien. Nach Bosnien sind die F. mit dem Auftrag gekommen, die inzwischen häretisch gewordene →Bosnische Kirche abzulösen u. den Katholizismus in diesem Lande nach römischem Muster zu festigen. Im Zusammenhang mit →Bosnien-Herzegowina wurden die F. zum ersten Mal 1248 erwähnt. Dann schweigen sich die hist. Quellen über ihre dortige
Franziskaner
Präsenz bis 1291 aus. Ab diesem Jahr zeichnet sich ihre Verwurzelung im bosn. Boden immer deutlicher ab. 1337 gelang es ihnen, die Dominikaner, die als Inquisitoren u. Missionare vor den F. nach Bosnien gekommen waren, völlig abzulösen. Mit Unterstützung des bosn. Herrscherhauses Kotromanići wurde 1339/40 eine Verwaltungseinheit des Franziskanerordens in Bosnien, die sog. Vicaria Bosnae, gegründet. Durch diese Gründung u. die erfolgreiche seelsorgerische Tätigkeit vor u. nach der osm. Eroberung ist Bosnien zum Stammland der F. im Balkanraum geworden. Im ma. Bosnien haben die F. ca. 40 Klöster errichtet (darunter Kraljeva Sutjeska, nördl. v. Sarajevo, östl. v. Zenica; Kreševo; Fojnica) u. durch ihre missionarische Tätigkeit die meisten Angehörigen der „häretischen“ Bosn. Kirche vor der osm. Eroberung i. J. 1463 zum kath. Glauben zurückgeführt. Sultan Mehmed II. erteilte den F. in einer Urkunde (ahdnama) die Erlaubnis zur weiteren Tätigkeit. 1517 wurde die Vicaria Bosnae zur Ordensprovinz erhoben u. auf Bosna Croatiae (außerhalb der v. den Osmanen eroberten Gebiete) u. Bosna Argentina aufgeteilt (unter osm. Herrschaft u. mit Ordenszentrum im 16. Jh. zunächst im Hauptort des bosn. Silberbergbaus, Srebrenica, daher der Bezug auf argens, „Silber“, in Bosna Argentina). Allerdings musste der bosn. Katholizismus starke zahlenmäßige u. andere Verluste hinnehmen, u. zwar wegen der intensiven →Islamisierungsprozesse sowie der Abwanderung der Katholiken aus Bosnien. Zu den bedeutendsten kult. Repräsentanten der F. im 17. Jh. gehörte Matija Divković (1563–1631), dessen in der slav.-bosn. Landessprache verfasste Schrift „Nauk krstjanski za narod slovinski“ 1611 in Venedig gedruckt wurde (das erste gedruckte Buch aus Bosnien). In den zahlreichen österr.-osm. u. venez.-osm. Kriegen wurden die meisten Klöster u. Kirchen zerstört. Ihr Wiederaufbau unter isl.-osm. Bedingungen war mit vielen Hemmnissen verbunden u. kostspielig, so dass im 18. Jh. nur drei Franziskanerklöster u. fünf Kirchengebäude in ganz Bosnien-Herzegowina übriggeblieben waren. Seit der Mitte des 19. Jh.s u. dann nach der österr.-ung. Okkupation i. J. 1878 hat sich die Lage wesentlich verbessert, u. die Kirchen- u. Klosterbautätigkeit expandierte immer mehr. Auch außerhalb Bosniens haben sich bosn. F. zeitweilig als Missionare (z. B. in →Niederungarn) betätigt. Nach Einführung der ordentlichen kath. Hierarchie in Bosnien i. J. 1881 kam es immer wieder zu Rivalitäten u. mitunter scharfen Konflikten zw. den Ortsbischöfen bzw. dem Diözesanklerus u. den F.n. Der in den 1980er Jahren ausgebrochene Streit über angebliche Marienerscheinungen im heutigen Wallfahrtsort Medjugorje (westl. Herzegowina), die v. den örtl. Franziskanern anerkannt, vom Bischof in Mostar angezweifelt werden, dauert bis zur Gegenwart an. Lit.: F.I. Gavran Lucerna lucens? Odnos Vrhbosanskog Ordinarijata prema bosanskim Franjevcima (1881–1975). Dossier „Dobir Pastir“ – Rasprave i polemike o Udruženju katoličkih svećenika. Sarajevo 2012; Franjevačka književnost u Bosni u XVIII. stoljeću. Hg. M. Karamatić. Zagreb 2011; Hrvatski franjevački biografski leksikon. Hg. E. Hoško. Zagreb 2010; I.Gy. Tóth, Franjevci Bosne Srebrene u osmanskoj Madjarskoj i Transilvaniji od 16. do 18. stoljeća, Bosna Franciscana 22 (2005), 16–42; Acta Franciscana Hercegovinae. Hg. B.S. Pandžić. Mostar u. a. 2003; A. Barun, Svjedoci i učitelji – povijest franjevaca Bosne Srebrene. Sarajevo, Zagreb 2003; V. Blažević, Bosanski franjevci i nadbiskup dr. Josip Stadler. Sarajevo 2000; B.S. Pandžić, Bosna Argentina. Studien zur Geschichte des Franziskanerordens in Bosnien u. der Herzegowina. Köln u. a. 1995; M.
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Frau, gesellschaftliche Stellung
Karamatić, Franjevci Bosne Srebrene u vrijeme austro-ugarske uprave 1878–1914. Sarajevo 1992; J. Džambo, Die Franziskaner im mittelalterlichen Bosnien. Werl 1991; A.S. Kovačić, Biobibliografija franjevaca Bosne Srebrene – prilog povijesti hrvatske književnosti i kulture. Sarajevo 1991; K. Zach, Dis bosnische Franziskanermission des 17. Jh.s im südöstlichen Niederungarn. Aspekte ethnisch-konfessioneller Schichtung in der Siedlungsgeschichte Niederungarns. München 1979; K. Esser, Pregled povijesti Franjevačkog reda. Sarajevo 1972; D. Mandić, Franjevačka Bosna. Razvoj i uprava bosanske vikarije i provincije 1340.–1735. Rim 1968. S.M. Dž.
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Frau, gesellschaftliche Stellung. Trotz offiz. Gleichberechtigung ist die ges. Stellung der F. in SOE bis heute eine untergeordnete. Die hauptsächlichen Ursachen liegen in der ursprünglich weit verbreiteten komplexen Familienform (→Großfamilie) des patriarchalen Typs (→Patriarchalismus; →Verwandtschaft) u. dem damit verknüpften Status der Mutter u. Ehefrau, sowie in der überlieferten Arbeitsteilung der Geschlechter. Im Lauf des 20. Jh.s erreichte Verbesserungen wurden seit den 1990er Jahren z. T. wieder rückgängig gemacht, als Folge der Kriege im ehem. Jugoslawien (→postjug. Kriege) u. der Reislamisierung in der Türkei, u. allg. als Folge des Aufschwungs männerzentrierter autoritärer Herrschaft in ganz SOE seit der Jahrtausendwende. Traditionell war der Status der Mutter u. Ehefrau determiniert durch die Patrilinearität der Familie, die in den westl. Gebirgsregionen der Halbinsel ausgeprägter war als im Osten. Beziehungen unter Blutsverwandten der männlichen Linie hatten größeres Gewicht als die Beziehung zw. Mann u. F.; das Heiratsalter war niedrig. In den westl. Gebirgsregionen u. in musl. Familien waren arrangierte Heiraten die Regel. In den Tiefebenen u. entlang der Küste gab es bei der Partnerwahl mehr Freiheit. Verheiratete Paare lebten bei den Eltern des Mannes (Patrilokalität). Die Stellung einer jungen Ehefrau war besonders schwach. Sie musste sich ihrem Mann u. seiner Familie dienend u. schweigend unterordnen. Durch die Geburt von Kindern – in den westl. Gebirgsregionen nur im Falle von Söhnen – verbesserte sich ihre Stellung. Hohes Ansehen genoss eine F. im Alter dank ihrem Einfluss auf die (erwachsenen) Söhne u. ihrer Macht über die Schwiegertöchter. Die Arbeitsbereiche von Mann u. F. waren traditionell getrennt. Der Bereich der F. umfasste die Sorge für die Kinder u. die Tätigkeiten im Haus (Kochen, Putzen, Waschen, Kleiderherstellung). Der Mann kümmerte sich generell um den außerhäuslichen Bereich. Diese Regel wurde in der Landwirtschaft häufig durchbrochen: Die Mithilfe der F. auf dem Feld war unentbehrlich, insbesondere wenn der Beruf des Mannes lange Abwesenheiten erforderlich machte (entlang der Küsten [Seefahrt]; in Bulgarien, Makedonien, Albanien, Kosovo u. Serbien in den Verbreitungsgebieten der Saisonarbeit [serb. pečalba, alb. kurbet]). Die F. erwarb sich dadurch Ansehen u. größere Selbständigkeit. Männer waren dagegen nie im weiblichen Bereich tätig. Nur unter bestimmten Bedingungen (Marktwirtschaft, Prestige) übernahmen Männer trad. weibliche Arbeiten u. übten sie als →Handwerk aus (Schneider, Koch). Politik u. Krieg waren reine Männerdomänen. Die nationale Unabhängigkeitsbewegung stimulierte in der 2. H. des 19. Jh.s in fast ganz SOE die Gründung v. Frauenvereinen. Ihre Mitglieder rekrutierten sich aus den gebildeten
Frau, gesellschaftliche Stellung
städtischen →Eliten. In Bulgarien war die nationale Bindung besonders stark: der „fortschrittliche“ Nationalcharakter der christl. Bulgarin hatte sich von dem „rückständigen“ der Muslimin abzuheben. Ziel dieser Vereine waren Wohltätigkeit u. der Kampf für die Mädchenbildung. Um 1900 entstanden lib. Frauenvereine für das Frauenwahlrecht u. die sozialist. Frauenbewegung. Im Jugoslawien der 1930er Jahre war die Frauenbewegung so stark, dass sie begehrte Bündnispartnerin der KPJ wurde u. maßgeblich zum Sieg der →Partisanen 1945 beitrug. In den komm. Staaten Albanien, Bulgarien, Jugoslawien, Rumänien u. Ungarn wurde die F. 1945 dem Mann rechtlich gleichgestellt (→F., rechtl. Stellung). Das Ziel der ges. Gleichstellung der F. sollte mittels Vollbeschäftigung erreicht werden. Alphabetisierungskampagnen u. die Öffnung aller Schulen hoben das Bildungsniveau der F. beträchtlich (→Alphabetisierung). Die Förderung der Erwerbstätigkeit ermöglichte den Frauen die Ausübung v. qualifizierten Berufen u. verschaffte ihnen eine gewisse materielle Unabhängigkeit. Der Frauenanteil unter den Erwerbstätigen überstieg nach 1970 in allen betroffenen Ländern die 30 %-Marke. Doch die alten Traditionen wirkten nach. Partnerschaftliches Aufteilen v. Hausarbeit u. Kindererziehung stand nicht zur Diskussion. Die Erwerbstätigkeit der F. führte in ganz Osteuropa zur typischen Dreifachbelastung (Kinder, Haushalt, Beruf ). Die Dreigenerationenfamilie wurde aufrechterhalten, um der Wohnungsnot zu begegnen u. die Kinderbetreuung durch die Großmütter sicherzustellen. In Bulgarien blieb selbst das vorindustrielle Ehemuster bestehen: 1975 waren 93 % der weiblichen Arbeitskräfte verheiratet u. nur 7,4 % kinderlos. Die Diskrepanz zw. Familienstruktur u. weiblicher Erwerbstätigkeit ließ die Scheidungsraten in die Höhe schnellen. Auch im Arbeitsleben war die F. Diskriminierungen ausgesetzt. Frauenlöhne waren gewöhnlich tiefer als Männerlöhne. Prestigeträchtige Berufe u. Kaderpositionen blieben den Männern vorbehalten. Typisch war die Feminisierung gewisser Berufssparten (Sozial- u. Gesundheitswesen). In Rumänien führte die erzwungene Berufstätigkeit der F. zur Feminisierung der Landwirtschaft, da viele Frauen die flexiblen Arbeitszeiten schätzten (1975: 59,4 % der Erwerbstätigen). Politik blieb Männersache. Adm. Maßnahmen zur Hebung des Frauenanteils in der Politik dienten in erster Linie der Schönung der Statistiken. In Rumänien u. Albanien betrieb der Staat eine aggressive Geburtenpolitik u. verbot die Abtreibung: Jede Rumänin sollte vier Kinder gebären u. einmal im Monat zur gynäkologischen Kontrolle vorsprechen. Lange nachwirkendes Misstrauen gegen den Staat u. der Rückzug ins Privatleben waren die Folge. Als sich in Ungarn Ende der 1960er Jahre die ökon. Bedingungen verschlechterten, führte ein dreijähriger Mutterschaftsurlaub zur schrittweisen Entfernung der F. aus dem Arbeitsmarkt. In Jugoslawien u. Bulgarien ersetzte die Abtreibung die Verhütungsmittel. Die Gleichberechtigung der F. blieb im Sozialismus weitgehend ein Lippenbekenntnis. Die Frauenerwerbstätigkeit ist primär ein Instrument der Wirtschaft. Seit der Wende verliert die F. auf dem Arbeitsmarkt an Boden. In Griechenland u. der Türkei entwickelten sich Frauenbildung u. -erwerbstätigkeit wesentlich langsamer. Lit. (a. →Frau, rechtliche Stellung; →Großfamilie; →Patriarchalismus): S. Friedrich, Politische Partizipation u. Repräsentation von Frauen in Serbien. Berlin 2014; G. Schubert, Entwürfe von
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Frau, gesellschaftliche Stellung
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Frau (Osmanisches Reich)
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Frau (Osmanisches Reich). Die Forschungen zum Geschlechterverhältnis u. zur Stellung der Frau im Osm. Reich, insbes. zu derjenigen der Unterschichten, befinden sich noch in der Anfangsphase u. werden durch die Spärlichkeit der Quellen erschwert. Die Stellung musl. u. nichtmusl. (christl. u. jüd.) Frauen richtete sich nach den jeweiligen Religionsgesetzen u./oder lokalen Gewohnheitsrechten, durch die v. a. das Ehe- u. Erbrecht geregelt wurden. Musl. wie christl. Frauen waren den Männern untergeordnet. Vergleichende Untersuchungen gibt es noch kaum. Ausnahmen sind die Arbeiten v. Başak Tuğ, Olga Todorova u. Karl Kaser. Hinsichtlich der musl. Frauen wird im allg. die Rechtlosigkeit, die Marginalisierung im öffentlichen Raum, das Verschleierungsgebot, die nach isl. Recht (→Scharia) erlaubte Polygamie, das Leben im →Harem, den Ausschluss der Frau aus dem Bildungssystem oder das Arbeitsverbot verwiesen. In der Praxis war die Situation aber sehr viel differenzierter u. wies erhebliche regionale Unterschiede auf. So war z. B. die Polygamie bei den Muslimen in →Bosnien, die auch noch während der österr.-ung. Herrschaft (1878–1918) gesetzlich erlaubt war, eine große Ausnahme. Noch am besten erforscht ist die Haremskultur im Sultanspalast, v. a. die Zeit der sog. „Weiberherrschaft“, als die Sultanshauptfrauen (1520–1566) u. die Sultansmütter (1566–1656) eine herausragende u. einmalige Machtposition im Reich erlangten. Weniger bekannt ist, dass es in der FNZ Frauen gab, die in einzelnen Branchen v. Produktion u. Handel regional dominierten (z. B. im Textilbereich v. Bursa während des 16. u. 17. Jh.s), die in der Frauenheilkunde oder als Hebammen tätig waren oder die als „Hausiererinnen“ Waren von Haus zu Haus vertrieben. Vereinzelt traten Frauen auch als Stifterinnen (→Vakuf ) auf (z. B. Shahdidar, die Frau von Gazi Husrev-beg, des bedeutendsten Stifters v. Sarajevo u. Bosnien) oder nahmen wichtige Positionen in den muslim. Bruderschaften (→Derwische) ein. Während der osm. Reformperiode im 19. Jh. (→Tanzimat) formierte sich auch eine Frauenbewegung im Osm. Reich. Die ges. u. rechtl. Stellung der Frau verbesserte sich (Reformen des Ehe- u. Erbschaftsrechts, Gründung v. Mittelschulen für Frauen u. Herausgabe von Frauenzeitschriften). Es waren v. a. Frauen aus dem großstädtischen Oberschichtenmilieu, Ehefrauen u. Töchter des Handels- u. Beamtenstandes sowie des Militärs, die sich nun einen Platz in der Öffentlichkeit erkämpften. Lit.: B. TuĞ, Gender and Ottoman Social History, International Journal for Middle East Studies 46 (2014), 379–381; dies., Gendered Subjects in Ottoman Constitutional Agreements, ca. 1740-1860, European Journal of Turkish Studies [Online], 18 (2014), http://ejts.revues.org/4860; R.V. Mende Altayli, Die Polygamiedebatte in der Spätphase des Osmanischen Reiches. Kontroversen u. Reformen. Berlin 2013; B. TuĞ, Ottoman women as legal and marital subjects, in: The Ottoman world. Hg. C. Woodhead. London 2012, 362–377; M. Zilfi, Women and Slavery in the Late Ottoman
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Frau, rechtliche Stellung
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Frau, rechtliche Stellung. Im Osm. Reich unterlag die Regelung der rechtl. Stellung der F. den Religionsgemeinschaften (→Millet-System). In der Praxis begründete dies die hohe Relevanz des Gewohnheitsrechtes (für einen speziellen Fall →Kanun des Leka Dukagjin) bis weit ins 19. Jh. Es galt die absolute Männerherrschaft: Geschlecht wurde höher bewertet als z. B. Alter. In den westl. Gebirgszonen der Balkanhalbinsel u. in Anatolien war die Familie, d. h. die Blutsverwandtschaft der väterlichen Linie, wichtiger als die Ehebeziehung. Ehen wurden zwischen Familien arrangiert. Die F. hatte Anspruch auf Schutz, der durch Vater, Bruder u./oder durch den Ehemann gewährleistet wurde. Das Erbsystem des gleichberechtigten Männererbes (westl. Balkan, Ungarn, Bulgarien, Griechenland außer Ägäisinseln, Anatolien) schloss die F. vom Bodenerbe aus. Die F. hatte Anspruch auf eine Mitgift, über die sie frei verfügen konnte. Am Besitz der Familie des Ehemannes hatte sie Nutzungsrecht. Mit der →Nationalstaatenbildung im 19. Jh. wurde das Zivilrecht kodifiziert. Das Gewohnheitsrecht blieb jedoch in Gebrauch, teils subsidiär, teils als Bestandteil des Zivilgesetzes (Bestimmungen über die Zadruga [→Großfamilie, komplexe Familienformen] im Serbischen Zivilgesetzbuch von 1844) (a. →Rechtsgeschichte). Gleichzeitig stieg infolge v. Gesetzeslücken der Einfluss der Glaubensgemeinschaften im Familien-, insbesondere im Eherecht. Der Verzicht auf die Einführung eines einheitl. Zivilrechts führte im Zwischenkriegs-→Jugoslawien zu Rechtsunsicherheit u. Ungleichbehandlungen. Entsprechende Vorstöße scheiterten am Widerstand der Glaubensgemeinschaften. Im ung. Teil der →Habsburgermonarchie war die rechtl. Stellung der F. besser: Mit dem Eherecht von 1894 wurden
Frau, rechtliche Stellung / Freimaurer
die standesamtliche Eheschließung u. -scheidung eingeführt. Abweichend von der damals üblichen Praxis wurde die F. dort nicht der Gewalt des Ehemannes unterstellt. Der Mann legte den Wohnsitz fest, doch die F. war nicht verpflichtet, bei seinen Verwandten zu wohnen. Güterrechtlich galt die Errungenschaftsbeteiligung, u. die F. war rechts- u. geschäftsfähig. Hingegen scheiterte die Einführung des allg. Wahlrechts für Männer u. Frauen. In den 1920er Jahren führten die kemalistischen Reformen in der Türkei zur Besserstellung der F.: 1926 löste ein Zivilgesetzbuch nach schweizerischem Vorbild das isl. Recht ab, bereits im Jahr davor wurde die Verschleierung verboten. 1934 erhielt die Türkin als erste Südosteuropäerin die pol. Rechte, die Griechin 1982 als letzte (→Parlamentarismus). In den komm. Staaten wurde die F. 1945 dem Mann rechtlich gleichgestellt. Die Änderungen im Familienrecht bezogen sich auf das Namensrecht, auf das eheliche Güterrecht u. auf das elterliche Sorgerecht. Die Gleichberechtigung der F. im Familienrecht beeinflusste das innerfamiliäre Verhalten kaum. Die trad. patriarchalen Strukturen blieben weitgehend bestehen (→F., gesellschaftl. Stellung). Im Erbrecht zeigten sich traditionalistische Einflüsse. So erbte bei Kinderlosigkeit der überlebenden Ehefrau die Familie des Verstorbenen in Albanien u. Jugoslawien mit. Das Arbeitsrecht sah großzügige Regelungen für den Mutterschutz vor (gewöhnlich 1 Jahr bezahlten Urlaub mit Arbeitsplatzgarantie). Die Vertretung der F. in den politischen u. Parteigremien blieb marginal. Die Bilanz der Gleichstellungspolitik in den komm. Staaten fällt ebenso ernüchternd aus wie in der kemalistischen Türkei. Dass die Parteiideologen nicht wirklich an der Beteiligung der F. an der Macht interessiert waren, zeigt das Beispiel Jugoslawiens. Dort wurde die am Sieg der →Partisanen maßgeblich beteiligte Antifaschistische Frauenfront (AFŽ) in den Nachkriegsjahren kontinuierlich zurückgestuft u. 1953 aufgelöst. Gewalt gegen Frauen hat in allen ehem. komm. Gesellschaften seit 1989 wieder zugenommen, befördert durch Krieg bzw. in der Gesamtregion durch die wirt. Krise. Auch in der Türkei ist das Problem virulent. Lit. (a. →Frau, ges. Stellung): H. Elver, The Headscarf Controversy. Secularism and Freedom of Religion. Oxford 2012; B. Somersan, Feminismus in der Türkei. Die Geschichte und Analyse eines Widerstands gegen hegemoniale Männlichkeit. Münster 2011; F. SütÇü, Zwangsheirat und Zwangsehe. Falllagen, rechtliche Beurteilung und Prävention. Frankfurt/M. 2009; K. Kaser, Macht u. Erbe. Männerherrschaft, Besitz u. Familie im östlichen Europa (1500–1900). Wien u. a. 2000; S. Zimmermann, Die bessere Hälfte? Frauenbewegungen u. Frauenbestrebungen im Ungarn der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918. Wien u. a. 1999; N. Božinovic, Žensko pitanje u Srbiji u XIX i XX veku. Beograd 1996; Chr. Höcker-Weyand, Die Rechtsstellung der Frau auf dem Balkan in Geschichte u. Gegenwart, in: Die Stellung der Frau auf dem Balkan. Hg. N. Reiter. Wiesbaden 1987, 203–217. N. M.
Freimaurer (Balkan). Die F. sind eine v. Großbritannien in der ersten H. des 18. Jh.s ausgehende humanitäre Bewegung mit vielschichtigen Organisationsformen u. der Öffentlichkeit gegenüber abgeschirmt. Sie breitete sich über Frankreich rasch nach Mittel-, Süd- u. Osteuropa aus, gefördert durch die frz. Revolution u. Napoleon I. Die ersten Logengründungen
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Freimaurer (Balkan) / Freimaurer (Habsburgermonarchie, Ungarn)
in SOE erfolgten 1759 in Glina durch einen kroat. Offizier, der während des Siebenjährigen Krieges als Gefangener F. geworden war, 1773 in Osijek (Esseg) u. 1780 von Venedig aus auf Korfu. Die weitere Ausbreitung ging vom Habsburgerreich, von Frankreich, England, Italien, Russland, später auch von der Schweiz u. den USA aus. Der Leitgedanke der Brüderlichkeit führte Menschen verschiedener Ethnien in den Logen zusammen, förderte soziale Verbesserungen (Hebung des Schul- u. Gesundheitswesens, Erleichterungen für Leibeigene), ermunterte auch den Einsatz für die Befreiung der Balkanvölker von osm. Herrschaft. Mitglieder waren in erster Linie Angehörige der gebildeten Schichten (Verhandlungssprache der Logen teilweise Latein, Deutsch oder Französisch): Minister, Professoren, Ärzte, Juristen, Offiziere u. Kaufleute. Trotz der Autonomie vieler Logen setzte sich insges. die Tendenz zur Bildung von Großlogen innerhalb eines Staatsgebietes durch, öfter unterbrochen durch Abspaltungen u. Neugründungen einer anderen Richtung. Gegen die F. wandten sich v. a. die Amtskirchen u. später die totalitären Parteien von Rechts u. Links. Um 1930 gab es jeweils einige hundert F. in Jugoslawien, Bulgarien u. Rumänien, in Griechenland 6–10.000. Die Zugehörigkeit zu den F. ist gesichert bei Rigas Pheraios u. Alexander Ypsilanti, bei Erzbischof Germanos von Patras u. später dem Gründer der Philikē Hetaireia (→Geheimbünde [Griechenland]), Emmanuēl Xanthos, bei Alexander von Battenberg, Janko Graf Drašković, Sima Milutinović (dem Erzieher Peters II. von Montenegro), Peter I. Karadjordjević, bei Ion C. Brătianu u. Mihail Kogălniceanu, bei Murad V. (Stiefbruder des F.-feindlichen Abdul Hamid) u. dem jungtürkischen Innenminister Talaat Pascha. Lit.: M. Lopušina, Masoni u Srbiji. Beograd 2010; B. Stamenković/S.G. Marković, Kratak pregled istorije Slobodnog zidarstva Srbije. ebd. 2009; A. Douay/G. Hertault, Napoléon III et la Roumanie. Influence de la franc-maçonnerie. Paris 2009; M. Stojanov, Masonstvoto, bălgarskata revoljucija i Levski. Sofija 2006; D. Berindei, Românii şi francmasoneria în epoca modernă. Contribuţii şi precizări, in: ders., Românii in Europa în francmasoneria în epoca modernă. Bucureşti 1997; Z.D. Nenezić, Masoni u Jugoslaviji: 1764–1980. Beograd 1988; V. Georgiev, Masonstvoto v Bălgarija. Sofija 1986. G. G.
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Freimaurer (Habsburgermonarchie, Ungarn). In ihrer Organisationsform auf die ma. Bauzünfte zurückzuführende Bewegung, deren Logen genannte Vereinigungen sich um eine Reform der Gesellschaft im Sinne der →Aufklärung bemühten. 1717 in England gegründet, breitete sich der Freimaurerbund rasch in Westeuropa aus u. fasste auch in der Habsburgermonarchie Fuß, als 1742 die erste Loge in Prag u. Wien errichtet wurde. Der Gemahl Maria Theresias, Herzog Franz Stephan von Lothringen, war bereits 1731 in Den Haag der englischen Großloge beigetreten u. als Kaiser (1745–1765) wusste er die Publikation der gegen die F. gerichteten päpstlichen Bannbullen zu verhindern. Das 1764 von Maria Theresia erlassene Verbot der F. zwang diese dazu, im Geheimen zu wirken, was ihre Ausbreitung über die ganze Monarchie eher noch begünstigte. In Siebenbürgen entstanden Logen in Kronstadt u. Hermannstadt 1749 bzw. 1765, in Ungarn 1770 die erste Loge in Eperjes, dem im Verlauf der 1770er Jahre zahlreiche Logengründungen folgten. Eine größere Bedeutung erlangte das
Freimaurer (Habsburgermonarchie, Ungarn)
vom Grafen Johann Draskovich zus. mit Graf István Niczky 1775 entworfene F.-Statut, das er nach seiner Versetzung nach Buda 1776 in der von ihm geführten Loge in Pest verwirklichte, da er das Prinzip der bürgerlichen Gleichheit gegenüber der trad. Dominanz des ung. Adels durchsetzte. Unter Kaiser Joseph II. entfaltete sich insbesondere auch die Publikationstätigkeit der F., die 1784 in Loslösung von ihrer bis dahin gültigen Berliner Observanz sich auf der Ebene der Habsburgermonarchie in einer österr. Nationalloge mit sieben Provinziallogen-Distrikten (Österreich mit den Logen in Wien, Freiburg im Breisgau, Görz, Graz, Klagenfurt, Innsbruck, Linz, Passau u. Triest; Böhmen, Galizien, Lombardei, Siebenbürgen, Ungarn, schließlich diejenige der österr. Niederlande, die sich Wien allerdings nicht unterstellte) vereinigten. Um diese Zeit versammelten sich innerhalb der gesamten Monarchie bis zu 5.000 F. in 47 Logen, in der Mehrheit kamen sie aus den Reihen der Beamten u. der freiberuflichen Intelligenz, aber auch Hof- u. Grundbesitzeradel, Kaufleute u. Bankiers, auch Geistliche waren in großer Anzahl vertreten. Überall waren die Logen ethn. wie konf. gemischt. Neben drei orth. Kirchenfürsten war (angeblich) der Bf. von Zagreb, Maksimilijan Vrhovac, Logenmitglied, ebenso das gesamte Professorenkollegium der theol. Fakultät Lemberg. In Ungarn fanden sich unter den weltlichen F. mehr Protestanten als Katholiken. Eine schwere Beeinträchtigung der F.-Aktivitäten bedeutete das F.-Patent Josephs II. vom 11. Dezember 1785, das die F. zwar legalisierte, aber die Logen der Aufsicht des Staates unterstellte (vgl. →Josephinismus), wozu auch die Meldung ihrer Mitgliederlisten an die Staatsbehörden gehörte. Viele bis dahin führende F. wie der Staatsrat Ignaz von Born oder Joseph Freiherr von Sonnenfels zogen sich daraufhin aus den Logen zurück, die von Kaiser Leopold II. noch stärker kontrolliert u. von Franz II. unter dem Eindruck der →Jakobiner-Verschwörung 1795 ganz verboten wurden. Die Bedeutung der F. im 18. Jh. liegt in ihrer Vorkämpferrolle für die Ziele der Aufklärung, die sie einerseits durch Verwirklichung des ges. Gleichheitsideals, durch Bildung, relig. Toleranz u. Linderung der Not im engeren Kreis selbst praktizierten, andererseits durch ihre Publizistik auch breiteren Kreisen der Gesellschaft vermittelten. Kálmán Benda bezeichnet die F. als „inoffizielle Organisation“ der josephinischen Intelligenzschicht, wobei die Effizienz der Logen darin bestand, dass sie Anhänger der Aufklärung organisatorisch zusammenfassten u. auf diese Weise den bereits vorhandenen Tendenzen u. Strömungen zum Durchbruch verhalfen. Die F. waren die eigentlichen Träger der Reformtätigkeit Josephs II. u. Leopolds II., doch da sie mit ihrem bürgerlichen Gleichheitsideal die überkommene Gesellschaftsstruktur in Frage stellten, forderten sie indirekt auch die Herrschaftsstruktur des →Absolutismus heraus. Deutlich wird dies durch die direkte Verbindung von F. u. Jakobinern, da praktisch alle Personen, die nach 1790 zu deren Anhängern zählten u. deren pol. Ziele verfolgten, vorher F. gewesen waren. Nach dem →Ausgleich von 1867 wurden die F. in Ungarn reorganisiert u. erlebten in der Epoche des →Dualismus eine neue Blütezeit. Um 1914 zählte man im Kgr. 126 Logen mit 13.000 Mitgliedern, die pol. u. a. für die Trennung von Kirche u. Staat, die Einführung des allgemeinen u. geheimen Wahlrechts, die Ausdehnung der bürgerlichen Freiheitsrechte auf alle Staatsbürger, den unentgeltlichen Schulunterricht, eine Reform des Bildungswesen u. die Beseitigung der Arbeitslosigkeit eintraten. Als F. engagierten sich beispielsweise so unterschied-
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Freimaurer (Habsburgermonarchie, Ungarn) / Freistädte, königliche
liche Persönlichkeiten wie Ferenc Pulszky, Endre Ady, Dezső Kosztolányi, Lajos Szádeczky, Sándor Wekerle, Oszkár Jászi, Emil u. Frigyes Kornféld, Leo Weiss, Ákos Zwack u. Ferenc Chorin. Von der Räterepublik 1919, vom Horthy-Regime 1920 u. von der Volksrepublik 1950 u. damit wiederholt verboten, gelang es ihnen nicht, im Verlauf des 20. Jh.s die bedeutende Rolle fortzuführen, die sie im 18. u. in der zweiten H. des 19. Jh.s eingenommen haben. Lit.: V. Attila, Documenta masonica Hungarica. Frontispicii şi peceţi. Cluj-Napoca 2013; Th. Şindilariu, Freimaurer in Siebenbürgen 1749–1790. Die Loge „St. Andreas zu den drei Seeblättern“ in Hermannstadt (1767–1790). Ihre Rolle in Gesellschaft, Kultur u. Politik Siebenbürgens. Kronstadt 2011; V. Attila, Elite masonice maghiare. Loja Unio din Cluj (1886–1926) în documente inedite. Cluj-Napoca 2010; E.Raffay, Szabadkőművesek Trianon előtt. Budapest 2010; J. Jászberényi, A magyarországi szabadkőművesek története. Budapest 2005; G. Kiszely, A szabadkömüvesség. História, titkok, szertartások. Budapest 1999; Z.L. Nagy, Szabadkömüvesek. ebd. 1988; Z.L. Nagy, Szabadkömüvesseg a XX. században. ebd. 1977; H. Reinalter, Aufgeklärter Absolutismus u. Revolution. Zur Geschichte des Jakobinertums u. der frühdemokratischen Bestrebungen in der Habsburgermonarchie. Wien u. a. 1980; K. Benda, Probleme des Josephinismus u. des Jakobinertums in der Habsburgermonarchie, SOF 25 (1966), 38–71; L. Abafi [=Aigner, Ludwig], A szabadkömüvesség története Magyarországon. Budapest 1905 (Ndr. 1993); ders., Geschichte der Freimaurerei in Österreich-Ungarn. 5 Bde. ebd. 1890–1899. G. S.
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Freistädte, königliche (ung.: szabad királyi városok, lat.: liberae regiae civitates). Die juristische Bezeichnung der seit dem frühen 15. Jh. unmittelbar dem Kg. unterstellten Städte im Kgr. Ungarn. Zwar gehörten die wichtigsten Städte zu dieser Gruppe, doch die Bezeichnung F. beinhaltete keine wirt. oder ges. eindeutige Vorrangstellung. Unter den sich nach dem Mongolensturm 1241 (→Mongolen) rasch entwickelnden städt. Siedlungen, die aus der Jurisdiktion des →Ispáns u. des →Komitats befreit wurden, erhielten die wirt. u. bevölkerungsmäßig bedeutendsten das Privileg einer F., v. a. das Recht der freien Richterwahl. Hinzu kamen das Recht der Pfarrerwahl bzw. das Patronatsrecht über städtische Kirchen, der Genuss der sog. minderen Regalienrechte, Zoll- u. Ausfuhrzollfreiheit u. das Recht der Bürger zur freien testamentarischen Verfügung über ihr Hab u. Gut. Die Stadt entrichtete die kgl. Steuer u. andere Abgaben pauschal, die der Magistrat auf die Bürger verteilte. Die F. lebten nach eigenem Recht, unter denen das Ofner Stadtrecht (→Budapest) das bekannteste war. Es war üblich, neuen Städten die Freiheiten einer bestehenden Stadt – meist die von Székesfehérvár/Stuhlweißenburg/Alba Regia oder Buda/Ofen – zu verleihen. Als Bestandteile des kgl. „Krongutes“ standen die F. unter der Aufsicht des Tarnak- oder Tavernikalmeisters (ung.: tárnokmester, lat.: magister tavarnicorum), der im 14. Jh. die kgl. Einkünfte verwaltete. Nach ca. 1380 wurde das Tavernikalgericht, das anfangs mit Adeligen, seit der Mitte des 15. Jh.s mit städtischen Beisitzern Recht sprach, zum Appellationsforum der meisten F.; 1405 rief Kg. Sigismund die Städte (nicht nur die F., sondern auch die →Oppida u. die sog. liberae villae) zu einer Versammlung, in der das Dekret über Stadtrecht erlassen wurde, welches den F. die Ummauerung der Stadt sowie die Appellation an das kgl. Gericht („per-
Freistädte, königliche / Gagausen
sonalis presentia regis“) erlaubte. 1445 wurden die F. auch zum Landtag (→Országgyűlés) eingeladen, doch ihre Präsenz in der vom →Adel beherrschten Versammlung blieb ephemer. Im 15. Jh. zählten zu den sog. Tavernikalstädten Bártfa/Bartfeld/Bardejov, Buda, Eperjes/ Prešov, Kassa/Kaschau/Košice, Nagyszombat/Tyrnau/Trnava, Pozsony/Pressburg/→Bratislava, Sopron/Ödenburg, u. nach 1480 auch Pest. Die Städte Esztergom/Gran, Székesfehérvár u. Lőcse/Leutschau/Levoča waren nicht dem Tavernikalmeister, sondern unmittelbar dem kgl. Gericht untergeordnet u. wurden unter Matthias I. Corvinus nach der Neugründung des Personalgerichts (lat. „personalis presentia regis in iudiciis“) zu sog. Personalstädten. Zu der Gruppe der F. zählten weiters die sieben →niederungarischen Bergstädte. Im 16. Jh. gerieten die F. unter die Verwaltung der Ungarischen Kammer u. ihre Zahl nahm ständig zu. Zusammen mit den Bergstädten gab es im späten 17. Jh. bereits 32 F. Der Landtagsadel (→Országgyűlés) protestierte gegen die Privilegierung weiterer Städte, bis im Gesetzartikel 1687: XVII ihr Recht auf Zustimmung zur Errichtung neuer F. anerkannt wurde. Im Gesetzesartikel 1870: XLII, der eine moderne Stadtverfassung einführte, verloren dann alle F. ihre Sonderstellung. Die meisten wurden, mit vielen anderen Städten, zu Munizipalitäten (ung.: „törvényhatósági jogú város“) erklärt. Lit. (a. →Stadt, Stadttypen: hist. Ungarn): V. Bácskai, Városok Magyarországon az iparosodás előtt. Budapest 2002; E. Déak, Das Städtewesen der Länder der ungarischen Krone (1780–1918). 2: Ausgewählte Materialien zum Städtewesen. A. Königliche Freistädte, Munizipalstädte. Wien 1989; A. Špiesz, Slobodné král’ovské mestá na Slovensku v rokoch 1680–1780. Košice 1983; A. Kubinyi, Zur Frage der Vertretung der Städte im ungarischen Reichstag bis 1526, in: Städte u. Ständestaat. Hg. B. Töpfer. Berlin 1980, 215–46 (Ndr. in A. Kubinyi, König u. Volk im spätmittelalterlichen Ungarn. Herne 1998, 6–102); ders., Einige Fragen zur Entwicklung des Städtenetzes Ungarns im 14.–15. Jh., in: Die mittelalterliche Städtebildung im südöstlichen Europa. Hg. H. Stoob. Köln u. a. 1977, 164–183; ders., Der ungarische König u. seine Städte im 14. u. beginnenden 15. Jh., in: Stadt u. Stadtherr im 14. Jh. Hg. W. Rausch. Linz 1972, 193–228; I. Bertényi, Die städtischen Bürger u. das Gericht der königlichen Anwesenheit im 14. Jh., Annales Univ. Sc. Budapestiensis, Sectio historica 11 (1970), 3–31; E. Fügedi, Die Entstehung des Städtewesens in Ungarn, Alba Regia 10 (1969), 101–118 (Ndr. in ders., Kings, Bishops, Nobles, and Burghers in Medieval Hungary. London 1986, Kap. IX); J. Szűcs, Városok és kézművesség a XV. századi Magyarországon. Budapest 1955. J.M. B.
Gagausen (bulg., russ.: gagauzi). →Turkvolk christl.-orth. Religion in Bulgarien, Rumänien, der Republik Moldau, in Südrussland, der Ukraine, Kasachstan, Kirgistan, Uzbekistan. – Die →Ethnogenese der G. ist umstritten. Die Ursprünge einem bestimmten Turkstamm zuzuordnen, ist bislang nicht gelungen. Die wiss. Meinung bringt die G. 1. mit den →Kumanen (oder Polovcern), 2. mit den aus den russ. Chroniken bekannten Karakalpaken (Čërnie klobuki „Schwarzmützen“) in Verbindung. Die Karakalpaken hatten unter russ. Herrschaft den christl.-orth. Glauben angenommen, waren Nachfolger der Torken oder Uzen u. wahrscheinlich mit den Kumanen verwandt. 3. Aus bulg. Sicht handelt es sich bei den G. wiederum um die Nachkommen der ebenfalls turksprachigen →Proto-Bulgaren oder um 4.
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Freistädte, königliche / Gagausen
sonalis presentia regis“) erlaubte. 1445 wurden die F. auch zum Landtag (→Országgyűlés) eingeladen, doch ihre Präsenz in der vom →Adel beherrschten Versammlung blieb ephemer. Im 15. Jh. zählten zu den sog. Tavernikalstädten Bártfa/Bartfeld/Bardejov, Buda, Eperjes/ Prešov, Kassa/Kaschau/Košice, Nagyszombat/Tyrnau/Trnava, Pozsony/Pressburg/→Bratislava, Sopron/Ödenburg, u. nach 1480 auch Pest. Die Städte Esztergom/Gran, Székesfehérvár u. Lőcse/Leutschau/Levoča waren nicht dem Tavernikalmeister, sondern unmittelbar dem kgl. Gericht untergeordnet u. wurden unter Matthias I. Corvinus nach der Neugründung des Personalgerichts (lat. „personalis presentia regis in iudiciis“) zu sog. Personalstädten. Zu der Gruppe der F. zählten weiters die sieben →niederungarischen Bergstädte. Im 16. Jh. gerieten die F. unter die Verwaltung der Ungarischen Kammer u. ihre Zahl nahm ständig zu. Zusammen mit den Bergstädten gab es im späten 17. Jh. bereits 32 F. Der Landtagsadel (→Országgyűlés) protestierte gegen die Privilegierung weiterer Städte, bis im Gesetzartikel 1687: XVII ihr Recht auf Zustimmung zur Errichtung neuer F. anerkannt wurde. Im Gesetzesartikel 1870: XLII, der eine moderne Stadtverfassung einführte, verloren dann alle F. ihre Sonderstellung. Die meisten wurden, mit vielen anderen Städten, zu Munizipalitäten (ung.: „törvényhatósági jogú város“) erklärt. Lit. (a. →Stadt, Stadttypen: hist. Ungarn): V. Bácskai, Városok Magyarországon az iparosodás előtt. Budapest 2002; E. Déak, Das Städtewesen der Länder der ungarischen Krone (1780–1918). 2: Ausgewählte Materialien zum Städtewesen. A. Königliche Freistädte, Munizipalstädte. Wien 1989; A. Špiesz, Slobodné král’ovské mestá na Slovensku v rokoch 1680–1780. Košice 1983; A. Kubinyi, Zur Frage der Vertretung der Städte im ungarischen Reichstag bis 1526, in: Städte u. Ständestaat. Hg. B. Töpfer. Berlin 1980, 215–46 (Ndr. in A. Kubinyi, König u. Volk im spätmittelalterlichen Ungarn. Herne 1998, 6–102); ders., Einige Fragen zur Entwicklung des Städtenetzes Ungarns im 14.–15. Jh., in: Die mittelalterliche Städtebildung im südöstlichen Europa. Hg. H. Stoob. Köln u. a. 1977, 164–183; ders., Der ungarische König u. seine Städte im 14. u. beginnenden 15. Jh., in: Stadt u. Stadtherr im 14. Jh. Hg. W. Rausch. Linz 1972, 193–228; I. Bertényi, Die städtischen Bürger u. das Gericht der königlichen Anwesenheit im 14. Jh., Annales Univ. Sc. Budapestiensis, Sectio historica 11 (1970), 3–31; E. Fügedi, Die Entstehung des Städtewesens in Ungarn, Alba Regia 10 (1969), 101–118 (Ndr. in ders., Kings, Bishops, Nobles, and Burghers in Medieval Hungary. London 1986, Kap. IX); J. Szűcs, Városok és kézművesség a XV. századi Magyarországon. Budapest 1955. J.M. B.
Gagausen (bulg., russ.: gagauzi). →Turkvolk christl.-orth. Religion in Bulgarien, Rumänien, der Republik Moldau, in Südrussland, der Ukraine, Kasachstan, Kirgistan, Uzbekistan. – Die →Ethnogenese der G. ist umstritten. Die Ursprünge einem bestimmten Turkstamm zuzuordnen, ist bislang nicht gelungen. Die wiss. Meinung bringt die G. 1. mit den →Kumanen (oder Polovcern), 2. mit den aus den russ. Chroniken bekannten Karakalpaken (Čërnie klobuki „Schwarzmützen“) in Verbindung. Die Karakalpaken hatten unter russ. Herrschaft den christl.-orth. Glauben angenommen, waren Nachfolger der Torken oder Uzen u. wahrscheinlich mit den Kumanen verwandt. 3. Aus bulg. Sicht handelt es sich bei den G. wiederum um die Nachkommen der ebenfalls turksprachigen →Proto-Bulgaren oder um 4.
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Gagausen
unter osm. Herrschaft sprachlich assimilierte Bulgaren, die ihren christl. Glauben beibehalten hätten. Die Bezeichnung „Gagausen“ rührt nach W. Zajączkowski wahrscheinlich von einem oghusischen (a. →Petschenegen) Herrscher namens Kay Kā‘ūs, der 1261 von Ks. Michael VIII. Paläologos mit Land in der heutigen →Dobrudscha belehnt wurde u. einen unabhängigen Staat mit der Hauptstadt Karvuna (heute: Kavarna) gründete. Die Bezeichnung „Gagausen“ soll erst im Verlauf des 19. Jh.s in russ. u. westeurop. Quellen aufgekommen sein, was Anlass zu der Vermutung gibt, dass es sich um eine pol. motivierte Benennung handeln könnte (I. Gradešliev). In osm. Quellen ist nie die Rede von G., da diese wegen ihres christl. Glaubens dem christl. orth. →Millet angehörten. Auch über die gagaus. Sprache herrscht Uneinigkeit. Während G. Doerfer sie den balkan osmanischen Dialekten zuordnet, die sich lediglich durch ihren Slavisierungsgrad (v. a. der Syntax u. des Wortschatzes) v. anderen Dialekten abhebt, versuchte T. Kowalski Einflüsse nördl. Turksprachen nachzuweisen. Zajączkowski zählt das Gagausische zu der südl. Gruppe der Turksprachen, zu denen auch das Türkei-Türkische u. das Aserbeidschanische gehören, wobei auch er den slav. Einfluss hervorhebt. Die G. in der UdSSR erhielten 1957 ein eigenes Alphabet (auf kyrillischer Basis), seit 1958 das – nie umgesetzte – Recht auf muttersprachlichen Unterricht in Elementarschulen. Ab Mitte der 80er Jahre wurden den G. in der Moldauischen SSR kulturelle Zugeständnisse gemacht, bis hin zur Territorialautonomie ab 1995 (→Moldau, Republik). Ursprünglich nur auf dem Gebiet des heutigen Bulgarien siedelnd, ist ein Großteil der G. während des 18. u. 19. Jh.s in mehreren Wellen aus dem Osm. Reich wegen der wachsenden Verunsicherung durch marodierende Banden u. wegen der russ.-osm. Kriege über die Donau in den Budžak (türk. Bucak) genannten Südteil →Bessarabiens ausgewandert (1750–91 u. 1806–1812); 1819 erhielten die G. per Dekret steuerliche Privilegien als Kolonisten zugesprochen. 1897 lebten etwa 56.000 G. im Russ. Reich, in Bulgarien 1905 dagegen nur noch knapp 11.000 (1919 nach der Abtretung der nördl. Dobrudscha an Rumänien nur noch etwa 4.000 Personen). 1989 wurden in der UdSSR etwa 200.000 G. gezählt (davon 150.000 in der Moldauischen SSR), in Bulgarien waren es 1992 knapp 1.500, wovon nur 400 Gagausisch als Muttersprache angaben.
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Lit.: F. Angeli, Očerki istorii gagauzov – potomkov Oguzov (seredina VIII–načalo XXI vv.). Kišinev 2007; Istorija i kul’tura gagauzov. Očerki. Hg. B. St. Stepanovič. Chişinău 2006; O. Radova, The Problem of the Gagauz Ethno-Demographic Development in the 19th Century, SOF 54 (1995), 263–270; I. Gradešliev, Gagauzite. Dobrič 21994; V. Socor, Gagauz in Moldavia Demand Separate Republic, Radio Liberty Report on the USSR, vol. 2, no. 36, Sept. 7, 1990, 8–13; I. Svanberg, Gagavouzika and Juručki. Urgent Tasks for Turkologists, Central Asiatic Journal 32 (1988), H. 1–2, 109–116; W. Zajączkowski, Gagauz, in: EI2. Leiden, London 1965, 971–972; G. Doerfer, Das Gagausische, Philologiae Turcicae Fundamenta 1 (1959), 260–271; T. Kowalski, Les Turcs et la langue turque de la Bulgarie du Nord-Est. Kraków 1933; V. Moškov, Gagauzy Benderskogo uezda, in: Ėtnografičeskoe Obozrenie. 1900–1902, Bde. XLIV, XLVIII, XLIX, LI, LIV, LV; C. Jireček,
Gegenreformation
Einige Bemerkungen über die Überreste der Petschenegen u. Kumanen, sowie über die Völkerschaften der sog. Gagauzi Surguči im heutigen Bulgarien, Sitzungsberichte der Königl. böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften, Classe für Philosophie, Geschichte u. Philologie 1889, 1–30. U. B.
Gegenreformation. Der Begriff (Erstbeleg 1654) bezeichnet zunächst ganz allgemein die Reaktionen der kath. Kirche auf die ev. Reformationsbewegung, im engeren Sinn jedoch v. a. die gewaltsamen Rekatholisierungsmaßnahmen im Rahmen der konf. Auseinandersetzungen des 16. u. 17. Jh.s. Nachdem Leopold von Ranke die →„Reformation“ zum Epochenbegriff gemacht u. als erster den einheitlichen Charakter der kath. Gegenbewegung hervorgehoben hatte, hat Moritz Ritter mit seinem Werk „Deutsche Geschichte im Zeitalte der G.“ auch G. als Epochenbezeichnung durchgesetzt. Neuere Forschungen (Hubert Jedin, Karl Eder, Joseph Lortz) haben die Bedeutung des Reformkatholizismus für die G. hervorgehoben. Über den damit vieldeutigen Begriff der G. auch inhaltlich hinausgehend, sucht der in den 1980er Jahren entwickelte Begriff der Konfessionalisierung die strukturelle Verzahnung von Religion u. Politik, Staat u. Kirche unter den spezifischen Bedingungen der frühneuzeitlichen Vergesellschaftung zu verdeutlichen. Die neueste Forschung hebt hervor, dass es hier um konfessionsübergreifende, vielfach gleichgerichtet u. parallel verlaufende Prozesse der kath., luth. u. reformierten Konfessionalisierung geht, die als Katalysator ges. Wandels zur Monopolisierung der Kirche u. des relig. Lebens durch den Konfessionsstaat geführt haben. Nach dem Augsburger Religionsfrieden v. 1555 erhielt der Konfessionalismus eine pol. u. ges. Leitfunktion, die sich erst im Verlauf des 30jährigen Krieges erheblich abschwächte, als konfessionsgeleitete Integration im Zeitalter des höfischen →Absolutismus jedoch noch über ein Jh. ein wichtiger allgemeingeschichtlicher Wirkfaktor geblieben ist. Erst als der territ. Ausbau der Konfessionskirchen wie des Konfessionsstaates abgeschlossen war, vermochten überkonfessionelle Formen der Frömmigkeit wieder Fuß zu fassen: der Pietismus bei den Protestanten u. der Jansenismus bei den Katholiken, womit Ansätze zur Überwindung des konf. Zeitalters wie zur Entkonfessionalisierung pol. Handelns geschaffen waren, die dann in der Epoche des aufgeklärten →Absolutismus programmatisch zusammengefasst u. pol. umgesetzt wurden (vgl. →Josephinismus). Der Siegeszug der →Reformation in beinahe allen Erbländern der Habsburger u. die nunmehrige Koppelung ständischer mit relig. Freiheit, die das Steuerbewilligungsrecht der →Stände zum Angelpunkt religionspol. Kompromisse der kath. gebliebenen habsb. Landesherren mit den prot. gewordenen Ständen machte (u. die nötigen Verteidigungsmaßnahmen gegen die Osmanen zum willkommenen Verhandlungsinstrument; →Türkenhilfe; a. →Innerösterreich) schließlich der Machtzuwachs derselben Anfang des 17. Jh.s im Bruderzwist v. Habsburg (Erzherzog Matthias gegen den auch relig. sehr auf Äquidistanz bedachten Kaiser Rudolf II.) brachten das im Verlauf des 16. Jh.s immer mühsamer aufrecht erhaltene Gleichgewicht ständischer gegenüber fürstlicher Gewalt endgültig ins Wanken. Diese pol.-relig. Krise wurde andererseits durch das zunehmend aggressive Auftreten des Reformkatholizismus verstärkt, der zunächst in Gestalt der von Peter Canisius geleiteten Jesuiten in der zweiten Jahrhunderthälfte in Wien, Graz, Innsbruck u. Böhmen Fuß gefasst hatte u. immer offener die „Wiedererobe-
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Gegenreformation
rung“ der an den Protestantismus verlorengegangenen Gebiete plante. In der Person des jungen, 1598 zum Regenten Innerösterreichs aufgestiegenen Erzherzog Ferdinands hatten die sich sammelnden, vom Papst, Spanien u. Bayern unterstützten Kräfte der G. ihren pol. Anführer gefunden. Sogleich nach seinem Regierungsantritt hat sich die G. in seinem innerösterr. Machtbereich u. damit dem gesamten slowen. Siedlungsgebiet mit Nachdruck entfaltet. Die Protestanten wurden aus den Städten Innerösterreichs vertrieben, aus den pol. bedeutsamen Gremien verbannt u. ihre Schulen, Kirchen u. soeben eingerichteten Verwaltungsbehörden geschlossen. Nachdem der steirische Erzherzog nach dem Tode des Ks.s Matthias als Ferdinand II. dessen Nachfolge im Reich, in Böhmen, Ungarn u. Österreich (ober u. unter der Enns) angetreten hatte, gab ihm die erfolgreiche Niederschlagung des Aufstandes der böhmischen Stände (Schlacht am Weißen Berg 1618/20) die Möglichkeit, die G. auf ganz Böhmen u. seine Nebenländer u. danach auf die österr. Herzogtümer auszudehnen. Allerdings haben die dt. Habsburger ein Eindringen aller Formen von Inquisition in ihre Länder stets verhindert. Mit der G. eng verknüpft errichtete Ferdinand II. sein pol. System des konf. →Absolutismus, der von einer neuen Elite, dem aus Hocharistokratie u. Klerus zusammengesetzten Hofadel getragen wurde u. mit dem der Monarch alle Schlüsselpositionen einer allmählich zentralisierten u. vereinheitlichten Verwaltung besetzte. Soweit auch in Ungarn Schlüsselpositionen v. Repräsentanten dieses Hofadels (z. B. den Esterházys) besetzt wurden, ist auch dieses Land, allerdings in deutlich begrenztem Ausmaß, in dieses System einbezogen worden. Erst das Toleranzpatent Josephs II. v. 1781 hat die Epoche der G., die noch im 18. Jh. immer wieder zu Vertreibungsmaßnahmen v. Protestanten aus den Erbländern geführt hatte, endgültig beendet. Neuere Forschungen heben die Modernisierungseffekte der Konfessionalisierung hervor: zunächst im Bereich der Staatsbildung durch den Ausbau des territorialen Konfessionsstaats mit bedeutender gesamtges. Integrationskraft, sodann auf den Bildungs- u. Schulbereich u. schließlich auf Familienstruktur u. Mentalität breiter Gesellschaftsschichten.
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Lit.: A. Kohler, Von der Reformation zum Westfälischen Frieden. München 2011; M.A. Mullett, Historical dictionary of the Reformation and Counter-Reformation. Lanham/Md. u. a. 2010; Kirchen- u. Theologiegeschichte in Quellen. Hg. H.A. Oberman. Bd. 4: Vom Konfessionalismus zur Moderne. Neukirchen-Vluyn 32010; Staatsmacht u. Seelenheil. Gegenreformation u. Geheimprotestantismus in der Habsburgermonarchie. Hgg. R. Leeb/S.C. Pils/Th. Winkelbauer. Wien u. a. 2007; Staatsmacht und Seelenheil: Gegenreformation u. Geheimprotestantismus in der Habsburgermonarchie. Hg. R. Leeb. München 2007; M. Fata, Ungarn, das Reich der Stephanskrone im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Multiethnizität, Land und Konfession 1500 bis 1700. Münster 2000; Ostmitteleuropa. Wirkungen des religiösen Wandels im 16. u. 17. Jh. in Staat, Gesellschaft u. Kultur. Hgg. J. Bahlcke/A. Strohmeyer. Stuttgart 1999; H. Louthan, The Quest for Compromise. Peacemakers in Counter-reformation Vienna. Cambridge 1997; Crown, Church and Estates. Central European Politics in the Sixteenth and Seventeenth Centuries. Hgg. R.W. Evans/T.V. Thomas. London 1994; Die Territorien des Reiches im Zeitalter der Reformation u. Konfessionalisierung. Bd. 1: Der Südosten. Hgg. A. Schindling/W. Ziegler. Münster 1989; H. Schilling, Die Konfessionalisierung im Reich., Historische Zeitschrift 246 (1989), 1–45; H. Lutz, Reformation u. Gegenreformation. München u. a. 1979; E.W. Zeeden,
Geheimbünde
Das Zeitalter der Gegenreformation. Freiburg/Br. 1967; H. Sturmberger, Kaiser Ferdinand II. u. das Problem des Absolutismus. München u. a. 1957. G. S.
Geheimbünde (Überblick). Esoterische Gruppen, i. d. R. Männerbünde, die sich zur Realisierung ihrer Ziele Methoden bedienen, in die die Öffentlichkeit u. insbes. die Obrigkeit keinen Einblick haben sollen. Sie knüpfen häufig an kulturgesch. ältere Formen männerbündischer Zusammenschlüsse an u. weisen teilw. Querverbindungen zu den →Freimaurern auf. In Westeuropa fiel die Blütezeit der G. in die Jahrzehnte zw. Frz. Revolution u. →Vormärz, während sie im Balkanraum erst im zweiten Jahrzehnt des 19. Jh.s einsetzte u. weit ins 20. Jh. hineinreichte. Bekannte pol. G. im okzidentalen Europa, die späteren Organisationen auf dem Balkan als Vorbild dienten, waren die Carbonari u. die Camorra in Italien oder der „Tugendbund“ in Deutschland. In den Balkanländern waren die Aktivitäten der G. untrennbar verbunden mit der im 19. Jh. einsetzenden →Nationsbildung u. zielten auf die Durchsetzung nationaler Ideale (in Form des Risorgimento, des Sezessionismus oder des →Irredentismus) unter Einsatz aller – zumeist auch gewaltsamer – Mittel ab. Zu den Merkmalen der meisten G. gehörten die Festlegung der Ziele u. Methoden in einem Statut, der zeremonielle Formalismus (darunter die rituelle Eidesleistung), die Verehrung v. Symbolen (Fahnen u. Siegel mit Totenkopf, Bombe, Pistole, Giftflasche u.ä.) als Ausdruck der Gewalt- u. Aufopferungsbereitschaft, die streng hierarchische Gliederung u. der unbedingte Gehorsam der Mitglieder, der Aufbau v. konspirativen Zellen u. Netzen, die Bildung v. paramilit. Gruppen (→Četnici, →Komitadschi), die Bevorzugung des „kleinen Krieges“ (in Form der Guerilla oder des Attentats) sowie das Bestreben, die jeweilige Gesellschaft u. ihre Institutionen v. innen her zu durchdringen. Der Eintritt in einen G. galt i. d. R. auf Lebenszeit; Austritt wurde ebenso wie Verrat mit der Todesstrafe bedroht. Die Liste der pol. G. auf dem Balkan reicht v. 1814 (Philike Hetairia, →Geheimbünde, Griechenland) über den 1841 v. Georgi Rakovski u. dem späteren bulg. Bischof Ilarion in Athen aus der Taufe gehobenen „Makedonischen Verein“, dem bald andere Vereinigungen (darunter die bulg. „Geheime Gesellschaft“ in Istanbul) folgen sollten, das 1870 v. Vasil Levski, Ljuben Karavelov u. Christo Botev in Bukarest gegründete „Zentrale Bulgarische Revolutionskomitee“, die spätere →„Innere Makedonische Revolutionäre Organisation“ (IMRO), die serb. Organisation →„Vereinigung oder Tod“ bzw. „Schwarze Hand“ bis zu mehreren weniger bekannten G. in der Zwischenkriegszeit u. den kroat. →Ustaše in den 1930er Jahren. Lit.: Politische Vereine, Gesellschaften u. Parteien in Zentraleuropa 1815–1848/49. Hg. H. Reinalter. Frankfurt/M. u. a. 2005; I. Bjelica, Tajna društva u Srbiji. Od srednjeg veka do danas. Beograd 2004; A. Grebenarov, Tajni strukturi na makedonskite Bălgari (1919–1941). Sofija 1998; D. MacKenzie, Violent Solutions: Revolutions, Nationalism, and Secret Societies in Europe to 1918. Lanham/MD u. a. 1996; E. Lennhoff, Politische Geheimbünde. Zürich u. a. 1931; F. Schweyer, Politische Geheimverbände. Freiburg i.Br. 1925 (Ndr. 2011); A Dictionary of Secret and Other Societies. Hg. A. Preuss. St. Louis 1924 (Ndr. 1966). H. S.
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Geheimbünde (Griechenland)
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Geheimbünde (Griechenland). Seit dem Entstehen v. Logen der →Freimaurer in der Habsburgermonarchie, den Donaufürstentümern u. auf den →Ionischen Inseln wurden das geheimnisvolle Aufnahmeritual u. das Organisationsmodell v. Griechen übernommen. Konstantinos Rigas Pheräos (Velestinlis) gründete in Wien den ersten Geheimbund, der sich die Befreiung v. der Osmanenherrschaft durch eine allg. Erhebung zum Ziel gesetzt hatte. Von einem Landsmann verraten, wurde Rigas in Triest verhaftet, im Mai 1798 den osm. Machthabern in Belgrad ausgeliefert u. hingerichtet. Der 1814 v. örtlichen Griechen in Odessa gegründete G. „Philike Hetairia“ hatte klare Zielvorstellungen: Aufstand gegen die osm. Machthaber u. Gründung eines unabh. gr. Staates. Die Zusammenarbeit mit den übrigen Völkern des Donau-Balkanraums wurde durch die Aufnahme vieler Nichtgriechen eingeleitet, darunter Karadjordje Petrović u. Tudor Vladimirescu. Die Masse der Mitglieder bildeten Griechen, die in Russland oder den Donaufürstentümern lebten; später breitete sich der G. über den ganzen gr. Siedlungsraum einschließlich Konstantinopel aus. 1821 gab die Ph.H. den entscheidenden Anstoß zur Erhebung in den →Donaufürstentümern u. zum Freiheitskampf auf der Peloponnes (→Griechenland; →Befreiungskriege). Die Vorstellung v. einem aus eigener Kraft gewonnenen Befreiungskampf trug zur Verherrlichung der Philiker u. zur Gründung mehrerer Nachfolgeorganisationen bei, die die Fortsetzung des Befreiungskampfes der „versklavten Völker“ planten. Den Anfang machte 1836 eine „Phönix-Gesellschaft“, ihr folgte 1839 die „Philorthodoxe Gesellschaft“ u. 1848 ein irredentistischer G. „Megale Adelfotes“ (Große Bruderschaft), die die Vereinigung aller gr. Regionen u. die Befreiung der Kirche aus der Vormundschaft des Staates anstrebten. Auf →Korfu (gr. Kerkyra) entstand 1862 ein ephemerer G. „Anagenneses“ (Regeneration), der ähnliche Ziele verfolgte. Ein „Geheimkomitee zur Befreiung der versklavten Völker des Orients“ ist für 1870/71 belegt, dem auch der Ministerpräsident Alexandros Koumoundouros angehörte. 1894 gründeten junge Offiziere in Athen den G. „Ethnike Hetairia“ (Nationale Gesellschaft), der nach dem Vorbild der „Philike Hetairia“ u. der Freimaurerlogen organisiert war, um als militante Einrichtung die Christen →Kretas im Befreiungskampf zu unterstützen. Sie zählte Ende 1896 3.185 Mitglieder in 56 bzw. 83 Zweigstellen im Kgr. bzw. in der Diaspora, nachdem auch prominente Zivilisten Aufnahme gefunden hatten. Infolge der Verelendung der Hirten u. Landarbeiter wuchs die Zahl der Räuberbanden, die irredentistische Aktivitäten entfalteten u. gelegentlich Züge von G. aufwiesen, wenn sie sich als Blutsbrüderschaften konstituierten (→Klephten). Die nationalistisch gestimmte Öffentlichkeit wollte mangels Realitätssinn die Fortsetzung des Befreiungskampfes von 1821. Mit Hilfe der 1896 zur mitgliederstärksten Vereinigung gewordenen Ethnike Hetairia, die über geheime Kontakte zum Thronfolger verfügte, wurde 1897 der Krieg gegen die Türkei entfesselt, der zur ersten milit. Katastrophe für die Griechen führte (→Griechenland). Obwohl dieser G. wegen der Schuld am Kriege aufgelöst wurde, kam es seit 1901 zur Gründung v. Komitees zur Befreiung Makedoniens (→Makedonische Frage) u. von anderen G., die gelegentlich mit Billigung v. Regierungsmitgliedern agierten. Anfang der 50er Jahre entstand ein „Heiliger Bund griechischer Offiziere“ (Ieros Demos Ellenon Axiomatikon = IDEA), dem u. a. auch der spätere Diktator Georgios Papadopoulos angehörte u. 1965 die „Aspida“ (Schild), eine Konspiration einiger Offiziere mittlerer Ränge, die auf →Zypern
Geheimbünde (Griechenland) / Genossenschaften
einen Vertreter hatte (Aris Bouloukos), der zu Andreas Papandreou Kontakte hatte. G. behielten ihre Beliebtheit u. genossen gelegentlich Unterstützung einflussreicher Politiker. Lit.: Die Revolutionsschriften: Rhiga Velestinli. Hg. D. Karaberopoulos. Athen 2010; Colloque International Rhigas Vélestinlis (1757–1798): Intellectuel et Combattant de la Liberté. Paris 2002; I. Zelepos, Die Ethnisierung griechischer Identität 1870–1912. Staat u. private Akteure vor dem Hintergrund der „Megali Idea“. München 2002; P. Tzermias, Politik im neuen Hellas. Tübingen 1997; G. Hering, Die politischen Parteien in Griechenland 1821–1936. 2 Teile München 1992; E. Turczynski, Das Verfassungsprojekt des Rigas Pheraios u. der gesamtbalkanische Hintergrund der „Filiki Etairia“, in: Friedenssicherung in Südosteuropa. Hgg. M. Bernath/K. Nehring. München 1985, 21–33; G. Veloudis, Velestinlis, Rigas Pheräos, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. IV, 399–402; O. Katsiardi-Hering, O Rigas Pheraios. Nea stichia apo ta archia tis Tergestis, Mnimon 7 (1979), 150–174; G.D. Frangos, Philiki Etairia: A premature National Coalition, in: The Struggle for Greek Independence. Hg. R. Clogg. London 1973, 87–103; G. Lyritsis, I Ethniki Etairia kai i drasis avtis. Kozani 1970; G.L. Arš, Eteristkoe dviženije v Rosii. Moskva 1970; B. Jelavich, The Philorthodox Conspiracy of 1839, Balkan Studies VII (1966), 89–102; N.I. Pantazopoulos, Rigas Velestinlis. I politiki ideologia tou ellinismou, proangelos tis epanastaseos. Thessaloniki 1964. E. T.
Genossenschaften. In der Wirtschaftsgeschichte SOEs seit dem ausgehenden 19. Jh. haben zwei Typen von G. eine wichtige Rolle gespielt: 1. G. im Sinne von Raiffeisen oder Schulze-Delitzsch unter kapitalistisch-marktwirt. Bedingungen u. 2. G. als Teil der sozialist. Planwirtschaft. Erstere sind als freiwillige Zusammenschlüsse v. Wirtschaftssubjekten zu verstehen, „die durch Leistungen einer gemeinsam getragenen Unternehmung die Förderung ihrer eigenen Wirtschaften“...„bezwecken“, d.h. als „besondere Form der Selbsthilfe in der Gruppe..., die mit Selbstverantwortung u. Selbstbestimmung verbunden ist“ (E. Boettcher). Die Entstehungs- u. Entwicklungsgeschichte der G. vom Typ 1 ist mit den großen wirt. Umbrüchen im Verlauf des 19. Jh.s u. den Selbstbehauptungsproblemen der Kleinproduzenten (v. a. in Landwirtschaft u. Handwerk) oder der Konsumenten verknüpft. Gegen Ende des 19. Jh.s hatten sich in den Ländern SOEs, insbes. bei der Agrarbev., ähnliche sozioökon. Problemlagen herausgebildet wie in den mittel- u. westeurop. Pionierländern der Kooperativbewegung einige Jahrzehnte zuvor. Kapitalmangel, rückständige Produktionsmethoden, fehlende Marktinformationen, geringe Betriebsgrößen u. zunehmende Bodenzersplitterung konfrontierten die →Bauern mit Problemen, die sie auf sich allein gestellt nicht lösen konnten. Die Übernahme der mitteleurop. Kooperativbewegung mit der Idee gemeinschaftlicher Selbsthilfe bot Ansatzpunke zur Überwindung der Engpässe. In Österreich-Ungarn u. in den Balkanstaaten kam es daher im letzten Viertel des 19. u. Anfang des 20. Jh.s zur Gründung erster G., zumeist von Kredit-G. nach dem Raiffeisen-Modell (1874 im slowenischen Bereich, 1890 in Bulgarien, 1894 in Serbien, 1896 in Dalmatien, 1897 in Bosnien-Herzegowina etc.). Obwohl die Regierungen die gesetzlichen Grundlagen für die Errichtung der G. schufen, stellten sich die angestrebten Erfolge nur schleppend ein. Dies lag zum einen an der Unkenntnis der Bauern, zum anderen an den Begehrlichkeiten der Politiker, die die G. bald
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Genossenschaften
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für kurz- oder langfristige, für parteipol., populistische oder auch nationale u. konfessionelle Ziele zu instrumentalisieren suchten. Die weitere Entwicklung wurde durch gravierende Mängel in der G.-gesetzgebung, unzulängliche Kontrollmechanismen u. Mangel an geschultem u. erfahrenem G.-personal erschwert. In Bulgarien wurde zwar 1924 eine Akademie für G.-wesen gegründet, die 1927 den Rang einer Hochschule erhielt, aber 1931 schon wieder geschlossen wurde. Insges. hatten während dieser Zeit nur 139 Studierende die Schule erfolgreich absolviert (in einem Land, dessen Bev. noch zu 80 % von der Landwirtschaft lebte)! Insges. nahm die Zahl der G. nach den →Bodenreformen der 20er Jahre deutlich zu, insbes. dort, wo sich einflussreiche →Parteien (wie z. B. die Bauernunion Alexander Stambulijskis in Bulgarien oder die Kroatische Bauernpartei Stjepan Radićs in Jugoslawien) um deren Förderung bemühten. Das Bestreben Stambulijskis, die Kooperativbewegung zur Basis eines „Dritten Weges“ zw. Kapitalismus u. Sozialismus auszugestalten, waren in ökon. Hinsicht nicht hilfreich, ebensowenig wie die Versuche Radićs, die G. als Hilfsorganisationen der kroat. Nationalbewegung zu instrumentalisieren. In Bulgarien gab es gegen Ende des 2. Wk.s über 3.100 Primär-G. mit rd. 1,5 Mio. Mitgliedern, die in 22 Dachverbänden organisiert waren. In Jugoslawien wurden 1938 knapp 11.000 G. mit insges. 1,4 Mio. Mitgliedern gezählt. Ausstattung u. Leistungskraft der einzelnen G. unterlagen starken Schwankungen. Infolge der fortschreitenden bäuerlichen Verschuldung (die teils aus purer Unkenntnis der Geld- u. Marktwirtschaft, teils aus Ablöseverpflichtungen für zugeteiltes Land resultierten) hatten sich die Kredit-G. überall relativ schnell entfalten können, doch die weitere Ausdifferenzierung der G.-bewegung schritt erheblich langsamer voran. Das erdrückende Übergewicht der Kredit-G. (zu denen in Jugoslawien Ende der 20er Jahre 63 % u. in Bulgarien Mitte der 30er Jahre knapp 70 % aller G. gehörten) war keineswegs unproblematisch. Mitunter mag die Rolle der ländlichen Kredit-G. sogar kontraproduktiv gewesen sein, da sie den Bauern einen verhältnismäßig bequemen Ausweg aus soz. Notlagen wiesen, ohne die ökonomischen Ursachen dieser Notlagen − die geringe Produktivität u. die Absatzprobleme − zu beheben. Zwar nahm die Zahl der Einkaufs- u. Vertriebs-G. allmählich zu, doch Produktions-G. blieben eine Ausnahme. Überdurchschnittlich ausdifferenziert war das G.-wesen der deutschen Bauern in SOE. 2. Nach der komm. Machtübernahme im Gefolge des 2. Wk.s kam es zur Gleichschaltung der G. u. ihrer Einbindung in die sozialist. Planwirtschaft. Dies geschah entweder direkt durch Enteignung des genossenschaftl. Eigentums oder indirekt durch die Vorgabe von Produktions- u. Umsatzsoll sowie durch Umwandlung der Verbände in „Transmissionsriemen“ der Planungsbehörden. Darüber hinaus setzte eine planmäßige Neugründung v. landwirt. Produktions-G. ein, die durch Kollektivierungskampagnen flankiert wurde, wodurch das Bodeneigentum der Bauern in Kollektiveigentum umgewandelt u. die priv. Bauernschaft entweder verschwand oder an den wirt. u. ges. Rand gedrängt wurde (in Jugoslawien wurde diese Politik Anfang der 50er Jahre wieder aufgegeben) (→Bodenrecht; Bodenreformen 2). In einigen sozialist. Ländern (z. B. Bulgarien u. Rumänien) forcierten die Regierungen in den 70er u. 80er Jahren die Gründung v. agrarindustr. Komplexen. Mit dem Kollaps der sozialist. Systeme brach auch das durch die vorangegangenen Erfahrungen diskreditierte landwirt. G.-wesen Ende der 1980er Jahre zusammen.
Gewerkschaften
Lit. (a. →Bauern, 19./20. Jh.; →Bodenrecht; →Bodenreformen, 2): The Collectivization of Agriculture in Communist Eastern Europe. Comparisons and Entanglements. Hgg. A. Bauerkämper/C. Iordachi. Budapest 2014; A. Dimou, Towards a Social and Cultural History of Cooperative Associations in Interwar Bulgaria, in: Beyond the Balkans. Towards an inclusive history of Southeastern Europe. Hg. S. Rutar. Wien u. a. 2014, 123–160; Kligman/K. Verdery, Peasants under Siege. The collectivization of Romanian agriculture, 1949–1962. Princeton/NJ u. a. 2011; A. Vári, Agrarians, Peasant Party and Rural Co-operatives in Hungary 1886–1922, in: Bauerngesellschaften auf dem Weg in die Moderne. Agrarismus in Ostmitteleuropa. Hgg. H. Schultz/A. Harre. Wiesbaden 2010, 179–193; K. Roth/P. Petrov, Gefangen in der Tradition? Genossenschaften u. bäuerliche Mentalitäten in Bulgarien, in: ebd., 195–207; Cooperatives in Ethnic Conflicts: Eastern Europe in the 19th and early 20th Century. Hg. T. Lorenz. Berlin 2006; Genossenschaften in Osteuropa – Alternative zur Planwirtschaft? Hgg. E. Oberländer/H. Lemberg/H. Sundhaussen. Wiesbaden 1993; M. Raducanu, Die Genossenschaftsbewegung in Rumänien. Dresden 1941; V. Rieger, Das landwirtschaftliche Genossenschaftswesen in den kroatischen Ländern. Berlin 1938; K. Peyer, Die Gewerkschafts- u. Genossenschaftsbewegung in Ungarn. Budapest 1930. H. S.
Gewerkschaften. Die schwache →Industrialisierung der Länder SOEs hat auch dem Entstehen einer Gewerkschaftsbewegung v. a. im 19. u. frühen 20. Jh. nur geringe Anreize geboten. Allenfalls in den ansatzweise industrialisierten soe. Gebieten der Habsburgermonarchie u. auch dies erst um 1900 hin konnten sich Ansätze etablieren. Ihre Ursprünge nahmen die G. zumeist aus berufsspezifischen, oftmals in handwerklichen Traditionen wurzelnden materiellen Solidaritätsvereinen u. Unterstützungskassen (vgl. →Esnaf ), wovon sie sich nur langsam zu branchenübergreifenden Organisationen entwickelten. Dort, wo sich seit dem späten 19. Jh. sozialdem. Parteien etablieren konnten, ging dies zumeist auch mit Gewerkschaftsgründungen einher. Die Zwischenkriegszeit sah dabei zwar in fast allen Ländern (mit Ausnahme Albaniens u. der Türkei) eine organisatorische Konstituierungsphase der G., die die sich nunmehr verstetigenden Industrialisierungstendenzen in den meisten Ländern widerspiegelte, aber auch jetzt blieben die G. relativ unbedeutende ges. u. pol. Akteure. Die Spaltung der sozialist. Bewegung in eine v. a. an den Traditionen der dt. Sozialdemokratie orientierten reformistischen Flügel u. eine v. den Vorbildern des russischen Bolschewismus beeinflusste KP (→Sozialismus; →Kommunismus) ging zudem zumeist einher mit ähnlichen Spaltungstendenzen innerhalb der G. u. schwächte deren Einfluss u. Verankerung weiter. Waren die G. schon unter parl.-demokr. Verhältnissen immer wieder auch reglementierenden Einflüssen u. Behinderungen durch ihre jeweiligen Regierungen ausgesetzt, so gerieten sie in den sich seit den späten 1920er Jahren in praktisch überall etablierenden →Diktaturen u. autoritären Herrschaftssystemen weiter unter Druck, sei es, dass sie verboten oder in ihrem Wirkungskreis gesetzlich eingeengt wurden, sei es, dass sie in die Konkurrenz staatlich organisierter u. präferierter korporativer Vertretungsorgane der →Arbeiter u. Angestellten gerieten. Erst die Etablierung komm. Herrschaftssysteme in den Ländern SOEs (mit Ausnahme Griechenlands) etablierte die G. auf breiter Front u. mit großer Mitgliederschaft, nunmehr
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freilich unter den Bedingungen der Einparteienherrschaft u. gemäß den Funktionsbestimmungen der marxistisch-leninistischen Ideologie. Funktional wurden sie überall als Transmissionsriemen v. Partei u. Staat begriffen u. zumeist auch institutionell in das System der Planwirtschaft eingebaut. Ihre Rolle war v. a. eine mobilisierende (Planerfüllung), eine edukative sowie eine sozialpolitische (Vermittlung v. Wohnraum oder Erholungsplätzen, Beteiligung u. eine gewisse Kontrolle in Fragen der Arbeitssicherheit u. ä.). V. a. mit dem Ende des →Stalinismus erhielten die G. dabei z. T. auch stärkere konsultative Rechte in der Plangestaltung u. Umsetzung sowie im Bereich des Arbeitsrechts; in einzelnen Ländern wurden sie auch institutionell in das pol. Vertretungssystem integriert. Nirgends jedoch folgten sie in ihrem Selbstverständnis einem Konfliktmodell, welches die G. als autonome Interessenvertreter der Beschäftigten sah. Eine gewisse Ausnahme v. diesem Rollenverständnis der G. lässt sich lediglich in →Jugoslawien feststellen. Auch hier fügten sich die G. nach Kriegsende zunächst völlig ein in das dem Vorbild der UdSSR entlehnte Konzept des Transmissionsorgans. Das im Gefolge des →Kominformkonflikts v. 1948 eingeführte System der (Arbeiter-)→Selbstverwaltung erzwang jedoch eine Modifikation des Selbstverständnisses u. der Aufgaben der G.: z. T. wurden ihre Aufgaben hinfällig, so etwa hinsichtlich ihrer mobilisierenden Funktionen für das planwirt. System, das mit den Jahren in Jugoslawien stark zurückgedrängt wurde, z. T. gingen Funktionen, die zuvor v. den G. ausgeübt wurden, nunmehr in die Kompetenz der Organe der Arbeiterselbstverwaltung über. Abgesehen v. den ihr verbliebenen sozialpolitischen u. erzieherischen Aufgaben wurden die G. auf verschiedene Weise als koordinierende, z. T. aber auch kontrollierende Instanz in das System der Arbeiterselbstverwaltung eingebaut. Aber auch in diesem Rahmen wuchsen die G. nie wirklich aus der Rolle eines v. Staat u. Partei politisch abhängigen Organs heraus. Deutlich wurden diese im System begründeten Funktionsgrenzen der G. im Zusammenhang mit Streiks, die seit den späten 1960er Jahren zu einem zwar illegalen, gleichwohl aber immer häufiger anzutreffenden Phänomen in der jug. Wirtschaft wurden. Nachdem die G. Streiks lange Zeit verurteilt hatten, fanden sie sich in den 1970er Jahren immerhin zu deren Hinnahme bereit u. boten sich als vermittelnde u. präventive Instanz bei Arbeitskonflikten an. Zu einem wirklichen Interessenvertretungsorgan machte sie dies aber noch nicht. Obwohl sie institutionell in das pol. Vertretungssystem eingebaut war, blieb auch ihr pol. Einfluss gering. Bei den Beschäftigten genossen die G. auch in Jugoslawien, wie überall in Osteuropa, daher ein eher schlechtes Renommee. Erst die „Wende“ der späten 1980er Jahre ließ auch in den zuvor sozialist. Staaten eine freie u. pluralistische Gewerkschaftsbewegung entstehen. Dem Zugewinn an Organisationsu. Koalitionsfreiheit u. an ungehinderter pol. Artikulationsmöglichkeit steht freilich ein z. T. dramatischer Einbruch an Mitgliedern u. ein auch weiterhin nur sehr begrenzter faktischer ges. Einfluss gegenüber. Zwar entstand überall schnell ein äußerst vielfältiges Bild: neben den alten G. der sozialist. Zeit, die sich mehr oder weniger erfolgreich bemühten, sich vom Image des verlängerten Arms des alten Staates u. seiner Herrschaftspartei zu emanzipieren u. den neuen Verhältnissen v. Marktwirtschaft u. Demokratie anzupassen, kam es zu einer Vielzahl an mehr oder weniger stabilen Neugründungen v. G., sei es auf Branchenebene oder auch in Form konkurrierender Gewerkschaftsverbände. Nur langsam kehrte dabei ein
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relatives Maß an organisatorischer Stabilität ein. Stärker noch setzten die soz. u. ökon. Transformationsfolgen der Rolle u. dem Einfluss der G. zu. Die mit dem Ende der Planwirtschaft vielerorts einhergehende Deindustrialisierung schwächte die Klientel der G. empfindlich (→Arbeiter) u. gab den G. häufig nur wenig realen Chancen, sich politisch als eine wirkliche Interessenvertretung zu etablieren. Vielfach orientierte sich der Übergang zur Marktwirtschaft zudem eher an den Grundsätzen eines radikalen Wirtschaftsliberalismus denn an denen einer institutionell abgefederten sozialen Marktwirtschaft. Formen der Sozialpartnerschaft, in denen den G. eine institutionell verankerte u. akzeptierte Rolle zugewiesen wird, sind daher in der Praxis bislang kaum realisiert. Wenngleich formell etabliert, sind die G. heute in den meisten Ländern Südosteuropas noch nicht wirklich Teil einer post-kommunistischen Zivilgesellschaft geworden. – Unter anderen Bedingungen entwickelten sich – zumindest nach 1945 – die G. in Griechenland u. der Türkei. Auch hier jedoch konnte sich nur zeitweilig u. unter großen Schwierigkeiten eine westlichen Vorstellungen entsprechende Gewerkschaftsbewegung etablieren. Wie in den anderen soe. Ländern bildete sich dabei auch in Griechenland erst nach 1918 ein substantieller organisatorischer Nukleus heraus. Die rasch steigende Zahl der Arbeitervereine erreichte im Laufe der 1920er Jahre eine beachtliche Zahl der Arbeitnehmer v. ca. 20 %, die Zahl der Streiks stieg, bevor die →Diktatur General Metaxas’ ab 1936 die G. staatlicher Kontrolle unterstellte. Nach dem Zweiten Weltkrieg u. →Bürgerkrieg geriet der Gewerkschaftsverband in den Sog der allgemeinen pol. Verhältnisse. Die Militärdiktatur zw. 1967 u. 1974 machte dann eine unabhängige Gewerkschaftsaktivität unmöglich; die G. blieben zwar bestehen, jedoch unter enger Kontrolle der Junta. Erst mit der Wiedereinführung der Demokratie u. dem Beitritt des Landes zur EG 1981 konnten die G. wieder an pluralistisch-demokratischen Organisations- u. Funktionsprinzipien anknüpfen. Die enge Verbindung der G. zum Staat u. zu den jeweiligen Regierungsparteien wie auch eine starke organisatorische u. lokale Fragmentierung blieb jedoch ein Merkmal der gr. G. u. hat ihrer ges. u. pol. Rolle Grenzen gesetzt. Schwieriger noch ließ sich die Entwicklung der G. in der Türkei an. Die pol. u. ökon. Bedingungen des späten Osm. Reiches standen ihr lange Zeit entgegen. Lediglich nach der →Jungtürkischen Revolution 1908 konnte bis zum gesetzlichen Verbot v. Streiks u. Vereinsgründungen 1909 eine Reihe v. Arbeitervereinen entstehen. Die Türkische Republik garantierte zwar in ihrer Verfassung v. 1924 die Koalitionsfreiheit, u. im Zeichen einer staatlich forcierten Industrialisierungspolitik begann die Zahl der Arbeitervereine zu steigen. Die staatlichen Disziplinierungsinstrumente blieben jedoch beträchtlich u. verhinderten autonome Arbeitnehmerorganisationen, die auch auf das Instrument des Streiks zurückgreifen konnten. Erst nach der Aufhebung des Vereinsgründungsverbotes 1938 u. insbesondere mit dem Übergang zum Mehrparteiensystem nach dem Zweiten Weltkrieg erhielten die G. die volle Organisationsfreiheit, nicht jedoch das Tarif- u. Streikrecht. Diese garantierte erst die Verfassung v. 1961. Die organisatorische Aufwärtsentwicklung in den 1960er u. 1970er Jahren war dabei begleitet v. einer Spaltung u. Polarisierung zw. den zwei konkurrierenden Gewerkschaftsverbänden Türk-iş u. dem sich radikal marxistisch begreifenden Verband DISK. Die G. gerieten zunehmend in den Sog der mit immer größerer Schärfe u. Gewalt ausgetragenen pol. Konfrontation, die 1980 v. den Generälen der
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Armee zum Anlass eines Putsches genommen wurde. Mit der Etablierung der Militärdiktatur wurde auch eine freie Gewerkschaftsbewegung unterbunden; die Türk-iş durfte zwar unter strenger Regierungskontrolle weiter bestehen bleiben u. auch der kleinere islamische Gewerkschaftsverband blieb bestehen; die DISK wurde jedoch verboten u. das Streikrecht u. die Tarifautonomie aufgehoben. Erst mit dem Ende der Militärdiktatur begann sich ein weltanschaulich wie organisatorisch plurales Gewerkschaftssystem wieder zu etablieren. Lit.: J. Evers, Internationale Gewerkschaftsarbeit in der Habsburgermonarchie. Ein Beitrag zur europäischen Gewerkschaftsgeschichte unter besonderer Berücksichtigung der Entwicklung der „Reichsgewerkschaftskommission“ u. ihrer deutsch-tschechischen Arbeit vor 1914. Wien 2010; Trade union strategies in Central and Eastern Europe. Towards decent work. Hg. D. Dimitrova/J. Vilrokx. Budapest 2005; P. Kubicek, Organized labor in postcommunist states. From solidarity to infirmity. Pizzsburgh 2004; Die politischen Systeme Osteuropas. Hg. W. Ismayr. Opladen 2002; Südosteuropa Handbuch. 8 Bde. Hg. K.-D. Grothusen. Göttingen 1975–2000; Gewerkschaften und Arbeitsmarkt in Südosteuropa. Hg. Friedrich-Ebert Stiftung. Bonn 1999; European Labor Unions. Hg. J. Campbell. Westport u. a. 1992; P. Sipos, Die Sozialdemokratische Partei Ungarns u. die Gewerkschaften 1890–1944. Budapest 1991; Internationales Gewerkschaftshandbuch. Hg. S. Mielke. Opladen 1983. W. H.
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Goldene Bulle. Wegen seiner Besiegelung so bezeichnetes Privileg des ung. Kg.s Andreas II., erlassen in einer Adelsversammlung im August 1222 u. 1231 mit Abänderungen erneuert. Mit Bezug auf die legendären „Freiheiten des heiligen Königs Stefan“ wurden u. a. die Rechte der nobiles (hier auch jobagiones, →Jobagyen, genannt u. wohl vornehmlich auf die →Magnaten bezogen), aber auch der servientes regis (→Adel) vom Kg. garantiert. Der Herrscher versprach, jährlich am St. Stefanstag einen offenen Gerichtstag zu halten, keinen Adeligen ohne Urteil zu verhaften (habeas corpus), keine Abgaben von ihnen einzutreiben u. ihren Kriegsdienst nur unter kgl. Führung u. innerhalb der Landesgrenzen in Anspruch zu nehmen. Als Garantie der Einhaltung dieser Zugeständnisse wurde dem Adel „einzeln u. gemeinsam“ das Widerstandsrecht eingeräumt, das 1231 zum Recht u. zur Pflicht des Primas abgeändert wurde, den Kg. durch geistliche Strafen zur Einhaltung zu zwingen. Auf Drängen der servientes erließ Kg. Béla IV. 1267 ein Privileg, das die in der GB. enthaltenen Privilegien im wesentlichen auf einen weiten Kreis der Freien ausdehnte. Jahrzehntelang anscheinend vergessen, tauchte die GB. im 14. Jh. wieder auf u. wurde v. Kg. Ludwig I. 1351 wortwörtlich erneuert mit der Ausnahme des freien Verfügungsrechts über Adelsgut, das – wohl dem schon immer geltenden Gewohnheitsrecht entsprechend – im Mannesstamme unbegrenzt vererbbar sein sollte (Avitizität). Von diesem Zeitpunkt wurde die G. bis in die Neuzeit, als „Eckstein der Verfassung“ bezeichnet, immer wieder (wenn auch nicht ausnahmslos) in die kgl. Krönungspatente aufgenommen, manchmal mit, manchmal ohne die ursprüngliche Widerstandsklausel. Ausdrücklich verzichteten die ung. →Stände auf das Widerstandsrecht erst im 17. Jh. (als Dank für die Befreiung Ungarns v. der Osmanenherrschaft durch Habsburg), doch die „Grundrechte“ der GB. blieben bis 1848, zumal durch ihre Aufnahme ins →Tripartitum, geltend.
Görz(-Gradisca)
Quellen u. Lit.: M. Rady, Hungary and the Golden Bull of 1222, Banatica 24 (2014), 87—108; J. Lux, A magyarországi szakszervezetek történetéből. Budapest 2008; De Bulla aurea Andreae II Regis Hungariae MCCXXII. Hgg. L. Besenyei/G. Érszegi/M. Pedrazza Gorlero. Verona 1999; G. Érszegi, Az Aranybulla. Budapest 1990; J. Szűcs, Az 1267. évi dekrétum és háttere. Szempontok a köznemesség kialakulásához, in: Mályusz Elemér Emlékkönyv. ebd. 1984, 341–394; Gy. Kristó, Az aranybullák évszázada. ebd. 1981; J. Gerics, Von den universi servientes regis bis zur universitas nobilium regni Hungariae, in: Album Elemér Mályusz. Bruxelles 1976, 97–108; J. Deér, Der Weg zur Goldenen Bulle, Schweizer Beiträge zur allgemeinen Geschichte 10 (1952), 104– 138; Herrschaftsverträge des Spätmittelalters. Die Goldene Bulle Andreas‘ II. von Ungarn 1222. Die aragonischen Privilegien von 1283 u. 1287. Die Joyeuse Entrée von Brabant 1356. Der Vergleich des Markgrafen Albrecht von Brandenburg 1472. Der Tübinger Vertrag von 1514. Hg. W. Näf. Bern 1951; E. Mályusz, Die Entstehung der Stände im mittelalterlichen Ungarn, in: L’organsiation corporatif du moyen âge à la fin de l’ancien régime. Louvain 1939, 15–30. J.M. B.
Görz(-Gradisca). Die zum →Heiligen Röm. Reich gehörige Grafschaft Görz (G.) – rechtlich im 12. Jh. Bestandteil der Grafschaft Friaul u. noch im 14. Jh. Aquileaer Lehen – mit der gleichnamigen, am Isonzo gelegenen Stadt G. (slowen. Gorica, it. Gorizia) als ihren Mittelpunkt, wird seit 1107 urkundlich als Besitz der Grafen Meinhard u. Engelbert von G. ausgewiesen, die aus der Ehe Diemuts von Spanheim/Görz mit dem Grafen Meginhard vom oberen Lurngau (Lienz) hervorgingen u. die Görzer Dynastie begründeten. Ihr Aufstieg ist mit dem Aussterben der Adelsgeschlechter der Aribonen (1104), Eppensteiner (1122) u. Lurner (1135) verbunden, da sie v. der Neuaufteilung der betreffenden Besitztümer erheblich zu profitieren vermochten: So erbten sie neben Millstatt umfangreiche Güter in Kärnten (Eberstein), das Pustertal u. erwarben in Verbindung mit dem Patriarchen Sigehard von Aquileia nach 1077 große Lehensgüter in Friaul u. →Istrien, darunter auch ihren Stammsitz G. Als Vögte über Aquileia (seit ca. 1122) u. als Generalkapitäne des Patriarchats bauten sie ihre Stellung weiter aus. Die 1237 geschlossene Ehe Meinhards III. mit Adelheid, der Tochter Graf Alberts III. von Tirol, führte zum Erwerb dieser Grafschaft durch seinen Sohn Meinhard IV. (II.) in zwei Schüben 1254 u. 1263. Im Teilungsvertrag mit seinem jüngeren Bruder Albert von 1271 behielt er Tirol für sich, während Albert die Stammburg G. mit den Besitzungen in Istrien, Friaul, Kärnten u. das Pustertal erhielt. Der Görzer Landbesitz erstreckte sich damit über ein weites Gebiet von der Quelle des Inn u. der Etsch im NW entlang des Pustertales u. der Drau bis hin zu den Karnischen u. Julischen Alpen u. in einem weiten Streifen entlang des Isonzo/Šoca u. der Wippach/Vipava über den Karst nach Inneristrien, an dessen östl. Küste er die Adria erreichte. Meinhard wurde als Parteigänger Rudolfs von Habsburg 1286 mit dem Herzogtum →Kärnten belehnt u. zum Reichsfürsten erhoben u. erhielt auch das Herzogtum →Krain als Pfandschaft. Mit dem Tod seines Sohnes Heinrichs (1307–1310 auch Kg. von Böhmen u. Polen) i. J. 1335 fielen Kärnten u. Krain an die Habsburger, seine Tochter Margarethe „Maultasch“ trat 1363 Tirol an Herzog Rudolf IV. von Österreich ab u. mit ihr erlosch 1369 die meinhardinische Linie des Hauses G.
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Görz(-Gradisca)
Die albertinische Linie, die unter Heinrich II. von G. (†1323) Cividale, Treviso u. Padua erworben u. 1307 G. zur Stadt erhoben hatte, wurde im Verlauf des 12. u. 13 Jh.s (1271, 1307, 1342) auf vier Herrschaften aufgeteilt u. verlegte ihre Residenz von der „inneren“ Grafschaft G. nach Lienz, das Zentrum der „vorderen“ Grafschaft G. (heute Osttirol). Meinhard VII. erreichte zwar 1365 seine Anerkennung als Reichsfürst, aber sein Bruder Albert IV. vermachte 1364 die Grafschaft Mitterburg (Pisino/Pazin) in Inneristrien u. die Windische Mark mit Möttling den Habsburgern. 1430 wurde der Familienbesitz durch Heinrich IV. wieder in einer Hand vereinigt. Im Streit um das Erbe der Grafen von Cilli – mit denen sie 1437 einen Erbvertrag geschlossen hatten – unterlagen die Görzer gegen Ks. Friedrich III. u. mussten 1460 alles Land östl. der Lienzer Klause an diesen abtreten. Mit dem Tod des letzten Grafen von G., Leonhard, fiel auch die vordere Grafschaft G. aufgrund eines Erbvertrags an Ks. Maximilian I., der diese von Kärnten abtrennte u. Tirol anschloss. 1511 erwarb er von Venedig das Gebiet von Gradisca, das 1647 zu einer Grafschaft erhoben u. den Fürsten von Eggenberg als erbliches Reichslehen übertragen wurde. Nach deren Aussterben kam 1711 Gradisca wieder an die Habsburger u. wurde 1754 endgültig mit G. verbunden. G. war von 1564 bis 1747 Teil →Innerösterreichs u. wurde ab 1717 von einem Landeshauptmann als Vertreter des Landesfürsten regiert. 1805–1813 war G. u. Gradisca auf das Kgr. Italien u. die →Illyrischen Provinzen aufgeteilt, nach 1813 wurde es wieder dem Kaisertum Österreich angeschlossen u. als Görzer Kreis Teil der unter dem Namen →Küstenland administrativ vereinigten Länder unter dem Gubernium (ab 1849: Statthalterei) in Triest. In der Zeit von 1861 bis 1918 wurde G. mit Gradisca (2918 km2 mit 260,721 E, 1910, v. denen 59,3 % Slowenen u. 34,6 % Italiener waren) wiederum von einer autonomen Landesbehörde als Kronland mit einem Landeshauptmann an der Spitze regiert. Während des 1. →Wk.s kam es am Isonzo zu 12 Schlachten, in denen die k.u.k. Armee den Vorstoß der Italiener abwehren konnte: mit großen Menschenverlusten auf beiden Seiten u. schweren Materialschäden für das Kronland. Im Friedensvertrag v. →Saint Germain fiel G. u. Gradisca an Italien. Nach dem 2. →Wk. gelangte fast das gesamte Hinterland (ohne Gradisca u. einen Großteil der Stadt G.) an →Jugoslawien u. gehört seit dessen Zerfall zu →Slowenien. In der Erinnerungskultur Italiens u. Jugoslawiens/Sloweniens nimmt das hart umkämpfte Grenzland – ebenso wie →Triest – einen prominenten Platz ein.
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Lit.: B. Marušič, Gli Sloveni nel Goriziano dalla fine del medioevo ai giorni nostri. Udine 2005; R. Wörsdörfer, Krisenherd Adria 1915–1955. Konstruktion u. Artikulation des Nationalen im italienisch-jugoslawischen Grenzraum. Paderborn u. a. 2004; Nazionalismi di frontiera. Identità contrapposte sull’Adriatico nord-orientale 1850–1950. Hg. M. Cattaruzza. Soveria Mannelli 2003; R. Härtel, Görz u. die Görzer im Hochmittelalter, MIÖG 110 (2002), 1–66; Th. Meyer/K. Karpf, Zur Herkunft der Grafen von Görz, SOF 59/60 (2000/2001), 34–98; Goriziani nel Medioevo. Conti e cittadini. Hg. S. Tavano. Gorizia 2001; W. Baum, Die Grafen von Görz in der europäischen Politik des Mittelalters. Klagenfurt 2000; P. Štih, Studien zur Geschichte der Grafen von Görz. Die Ministerialen u. Milites der Grafen von Görz in Istrien u. Krain. Wien u. a. 1996; Ch. Thomas, Kampf um die Weidenburg. Habsburg, Cilli u. Görz 1440–1445, MÖStA 24 (1972), 1–86; H. Schmidinger, Patriarch u. Landesherr. Die weltliche Herrschaft der Patriarchen von Auquileja bis zum Ende der Staufer. Graz u. a. 1954; H. Wiesflecker, Die politische Entwicklung
Gottschee
der Grafschaft Görz u. ihr Erbfall an Österreich, MIÖG 56 (1948), 329–384; F. Cusin, Il confine orientale d’Italia nella politica Europea del XIV e XV secolo. Milano 1937 (Ndr. 1977). G. S.
Gottschee (slowen. Kočevje). Ca. 900 km2 großes, waldreiches, karstiges u. sehr dünn besiedeltes Mittelgebirgsland im SO Sloweniens in Unterkrain (→Krain). Bis 1941/42 war die G. eine dt. Sprachinsel mit ca. 12.500 dt.-sprachigen Bewohnern (1880: 18.898, 1910: 17.016) in 170 ganz oder überwiegend dt.-sprachigen, durchwegs kleinen, über die gesamte G. inselartig im Wald verstreuten Weilern u. Dörfern. Einzige urbane Siedlung u. zentraler Ort ist die Stadt G. In der zuvor fast unbewohnten G. siedelten die Grafen v. Ortenburg in zwei größeren Kolonisationswellen in den 1330er u. 1360er Jahren hauptsächlich Kolonisten aus ihren Besitzungen in Oberkärnten u. Osttirol an. Im 15. u. 16. Jh. war die G. häufig Türkeneinfällen ausgesetzt (→Türkenhilfe; T.kriege). 1492 erhielten die Gottscheer v. Ks. Friedrich III. das Privileg des Hausierhandels. Bis gegen Ende des 19. Jh.s lebten die weit überwiegend aus Kleinbauern u. Häuslern bestehenden Gottscheer v. ihrer Landwirtschaft, der Wald- u. Saisonarbeit, dem Hausgewerbe u. dem Klein- u. Hausierhandel. In den 1880er Jahren setzte eine heftige Auswanderung ein, so dass bis 1941 die Zahl der Auslands-Gottscheer mit 16.000 jene in der G. bereits überwog; davon 11.000 in den USA, mit starker Konzentration in Brooklyn. Im Nationalitätenkampf ab dem letzten Drittel des 19. Jh.s haben sich die Gottscheer mit Hilfe des Dt. Schulvereins (1880) u. des dt.-völkischen Schutzvereins „Südmark“ national organisiert. Nach der Eingliederung in das Kgr. SHS (→Jugoslawien) wurden unter heftigem Slowenisierungsdruck ab 1923 die dt.-nationalen Organisationen erneuert. Ab 1934/35 wurden diese vom Schwäbisch-Deutschen Kulturbund (vgl. →Donauschwaben) dominiert (25 Ortsgruppen 1939) u. gerieten unter nationalsozialist. Einfluss (a. →Volksdeutsche). Mit der Okkupation Jugoslawiens im April 1941 u. seiner Aufteilung (2. →Weltkrieg) wurde die G. Italien zugesprochen. Aufgrund des zw. Hitler u. Mussolini am 31.8.1941 geschlossenen Umsiedlungsvertrags optierten 97 % der Gottscheer für das Dt. Reich. Vom 15.11.1941 bis 22.1.1942 wurde der Großteil der Optanten in das Ranner Dreieck (Brežice) in der Untersteiermark umgesiedelt, v. wo vorher an die 37.000 Slowenen vertrieben worden waren. Im Zuge der Partisanenbekämpfung hat die it. Armee 1942 einen großen Teil der v. der dt. Bevölkerung geräumten Siedlungen in der G. niedergebrannt. Nach der Kapitulation Italiens (September 1943) wurde die G. zum Zentrum des slowen. nationalen Befreiungskampfes. Der Zusammenbruch Hitler-Deutschlands endete für die 1941/42 umgesiedelten Gottscheer in Flucht u. Vertreibung. Die Karsthöhlen der entvölkerten G. verwendeten die Tito-Partisanen als Massengräber für Tausende ermordete Antikommunisten (z. B. Hornwald/Kočevski Rog; vgl. allg. →Bürgerkrieg [Jugoslawien]). Lit.: Spurensuche in der Gottschee. Deutschsprachige Siedler in Slowenien. Hgg. M. Ferenc/J. Hösler. Potsdam 2011; E. Petschauer, Das Jahrhundert der Gottscheer. Wien 1980; 500 let mesta Kočevje. Kočevje 1971; H.H. Frensing, Die Umsiedlung der Gottscheer Deutschen. München 1970. A. M.
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Griechen, Hellenen
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Griechen, Hellenen (v. lat. Graeci, wahrscheinlich zunächst für die Einwohner der Stadt Cumae an der Westküste Italiens – Kampanien – gebraucht). Die erste Sammelbezeichnung für die Vorfahren der heutigen G. war Achaioi (Achäer), seit etwa 700 vor Chr. tritt die heutige Selbstbezeichnung Hellenen (Éllines) auf. In den Jahrhunderten des oström. Reiches verschwand sie zugunsten v. Romaioi (→Rhomäer). Erst die gr. „Wiedergeburt“ im 19. Jh. (→Nationsbildung) hat den alten Namen wieder eingeführt. Die Vorfahren der G. dürften als Sprecher indogermanischer Idiome um 2000 v. Chr. von Norden in das heutige Hellas eingewandert sein. Hier trafen sie auf eine mittelmeerische Vorbevölkerung u. vermischten sich mit ihr. Sie waren die Schöpfer der auf der Verarbeitung v. Bronze ruhenden mittelhelladischen Kultur, auf die im 16. Jh. die mykenische mit ihren gewaltigen Palastbauten folgte. Sie nahmen Anregungen der minoischen Kultur v. Kreta u. bald auch v. den Kulturzentren des nahen Orients auf. Im 12. Jh. traten neue Einwanderungswellen v. Norden auf, die mit den Dorern gleichgesetzt werden. Zwischen 1200 u. 800 v. Chr. wird die →Ethnogenese der alten G. angenommen. An pol. Gestaltungen haben die G. der Antike den Staat der Spartaner u. als besonderen Typus die „Polis“, häufig mit der benachbarten Polis in Rivalität verstrickt, geschaffen. Beide Typen kannten monarchische u. republikanische Führungen, beide wiesen hierarchisch gestufte Bevölkerungsschichten auf. Während die Poleis die Träger der klassischen Kultur (Tempelbauten, Bildwerke, Theaterdichtung u. vieles andere) waren u. sich öfter in Städtebünden zusammenschlossen, formte sich nach langen kriegerischen Auseinandersetzungen innerhalb der Kleinstaatenwelt u. nach erfolgreicher Abwehr der vom Perserreich drohenden Eroberung am Nordrand des heutigen Hellas das Imperium der Makedonen, das in Alexander dem Großen den Überwinder der politischen Zerrissenheit Griechenlands, auch den Schöpfer einer freilich kurzlebigen pers.-gr. Kultursymbiose fand. Sein v. gr. Wissen u. Können durchpulstes Reich zerfiel zwar nach seinem Tode, öffnete aber die hellenistischen Nachfolgereiche der Diadochen für die Griechen. Das pol. Erbe traten die Römer an, in deren pol. Zentrum, ebenso wie in den Provinzen, gebildete Griechen u. Kaufleute eine tragende Rolle spielten. In ihrer Sprache wurden die ältesten Texte des NT aufgezeichnet u. die Mission im Römerreich betrieben. Über das 5. Jh. n. Chr. konnte die Reichseinheit im Mittelmeerraum u. seinen nördlichen, südlichen u. östlichen Randgebieten nicht behauptet werden. Nach 330 wurde die uralte gr. Kolonialstadt Byzantion als →Konstantinopel zum neuen Mittelpunkt des Imperiums (→Byzanz). Von hier aus erfolgte die dogmatische Ausformung des christl. Glaubens (die ersten acht ökumenischen Konzilien), v. hier wurde die →Christianisierung der Ost- u. Südslaven betrieben u. ihnen eine Schriftsprache (das Kirchenslavische; →Slavenapostel) vermittelt. Hier war die uneinnehmbare Bastion des Byz. Reiches, das den Anprall der zu Muslimen gewordenen Araber auffing, das sich erfolgreich der Angriffe v. Bulgaren u. Serben (→Bulg. Reich; →Serb. Reich) erwehrte, das im →Patriarchen v. Konstantinopel eine geistliche Spitze behielt, die auch die Päpste respektieren mussten. Zwar konnten die Ritter des 4. →Kreuzzuges 1204 die Kaiserstadt am Bosporus erobern u. die Beute unter sich aufteilen (→Lateinerherrschaft), aber noch nicht sechzig Jahre später war ein byz. Reich wieder errichtet u. konnte noch einmal fast 200 Jahre pol. überdauern. Gr.-byz. Vorbilder haben in den Slavenreichen des Balkans in Politik, Kunst u. Literatur vielfältig gewirkt. Erst die osmanischen
Griechen, Hellenen
→Türken konnten 1453 Konstantinopel erobern (→Osm. Reich) u. nutzten klug die Kenntnisse u. Fähigkeiten ihrer gr. Untertanen als Pfortendolmetscher, Steuereintreiber, Matrosen u. →Handwerker, während flüchtende Gelehrte mit bis dahin im Abendland unbekannten Handschriften die Wissenschaft der Renaissance mächtig belebten. Aus dem gr. →Phanar rekrutierten sich im 18. Jh. die vom Sultan eingesetzten →Hospodaren der →Moldau u. der →Walachei. Von den Ägäisinseln aus betrieben G. einen einträglichen Seehandel u. nützten die erzielten Gewinne auch zur Förderung v. Bildungseinrichtungen (Schulen, Bibliotheken). Gleichwohl bewirkten die Jahrhunderte der osm. Herrschaft („Turkokratia“) zunächst einen einschneidenden Rückgang des soz. u. kulturellen Niveaus, wovon die erst 1471 eroberte Insel →Zypern, die erst 1669 osm. gewordene Insel →Kreta u. später die v. Venedig behaupteten →Ionischen Inseln fast gar nicht betroffen wurden. Unter den ersten Bewohnern der Balkanhalbinsel, die die osm. Herrschaft abzuschütteln trachteten, waren die G. Sie erreichten als erste einen souveränen Staat (→Griechenland). Dass die G. schon in der Antike mancherlei nichtgr. Elemente aufnahmen, ist ebenso sicher, wie dass sie letztlich dank Sprache u. Kultur die Oberhand behielten. Im MA gelangten im Zuge der →Slavischen Landnahme Slaven als Krieger u. Wanderhirten bis in die südliche →Peloponnes, erlagen aber binnen zwei Jahrhunderten der Assimilationskraft v. Staat u. Kirche. Wie hoch der Anteil der gräzisierten Slaven an der gr. Bev. ist, bleibt heftig umstritten. In Kleinasien verlor das gr. Volkstum angesichts der ununterbrochenen Auseinandersetzung mit den musl. Eroberern zw. dem 11. u. 15. Jh. zunehmend an Boden. Sozusagen als Ausgleich (an orth. Bevölkerung) schoben sich →Albaner (Arvaniten) über den Epirus schon in byz. Zeit nach Mittelgriechenland vor, v. dort aus später nach Böotien u. Attika, bis auf die Peloponnes u. die Schifferinseln (Salamis, Hydra, Poros). Sie kämpften im 19. Jh. zu Lande u. zur See mit den G. um die Befreiung des Landes (→Befreiungskriege), stiegen in Politik u. Militärführung bis zur Spitze auf. Allmählich verloren sie fast völlig ihre sprachliche Identität u. fühlen sich i.d.R. als G. (ihre Zahl als Herkunftsgemeinschaft) wird heute auf ca. 1,5 Mio. geschätzt). Ähnliches geschah den aromunischen Wanderhirten, die im Jahreskreislauf weite Strecken zurücklegten (→Transhumanz) u. beim Berufswechsel sich auch als wagnisfreudige Händler erwiesen (→Aromunen). Die in Griechenland in der osm. Verwaltung u. in Teilgebieten (Euböa, →Thessalien) ansässigen musl. Grundbesitzer u. Stadtbewohner wurden 1830–1923 schrittweise verdrängt, lediglich im westl. →Thrakien wurden die musl. Bevölkerungsgruppen im Zuge des gr.-türk. Friedens v. →Lausanne (1923) in ihrer Existenz dauerhaft (als rel. →Minderheit) geschützt. Diese Konvention sicherte umgekehrt die rechtl. Daseinsmöglichkeit für die damals noch bedeutende gr. Bev. v. →Konstantinopel/Istanbul, deren Existenz allerdings durch Abwanderung im Nachklang zu pogromartigen Ausschreitungen v. 1955 in den 1960er/70er Jahren bis auf geringe Reste faktisch zu Ende ging. Für das traditionsreiche kleinasiat. Griechentum war dieses Schicksal durch die griechischerseits so genannte „Kleinasiatische Katastrophe“ v. 1922 (a. →Griechenland) u. den in Lausanne 1923 verrechtlichten türk.-gr. „Bevölkerungsaustausch“ besiegelt worden. Im (späterhin) gr. Staatsgebiet nicht assimilierbar waren ähnlich wie die musl. Bev. auch die sephardischen Juden in →Saloniki, die dort um 1890 in spätosm. Zeit fast die Hälfte der Einwohner stellten u. Opfer der Hitlerschen Judenvernichtung wurden (→Holocaust). Erheblich an Zahl waren
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im nördl. Griechenland die Träger bulg.-mak. slav. Dialekte (offiziell „slavophone Griechen“ genannt). Die Ethnopolitik im Kgr. Hellas war in der Tendenz durchgängig minderheitenunfreundlich; im Ganzen waren jedoch freiwillige Anpassung u. soz. Druck stärker als planmäßige Assimilierung. Vertreibungen u. Bevölkerungsaustausch im Gefolge der →Balkankriege u. des 1. Wk.s hatten indessen in der Zwischenkriegszeit die nationale Zusammensetzung der Staatsbürger bereits stark vereinheitlicht. Durch die zahlreichen Emigranten, oft Heimkehrer nach erfolgreichem Arbeitsleben in der Fremde, drangen neue Ideen in die gr. Gesellschaft ein u. auch ethnische Mischehen nahmen zu. Nicht zuletzt die kleinasiatischen Griechen stellten zunächst ein schwer integrierbares Element dar. Die gr. Sprache (→Sprachen) hat innerhalb Europas die längste Überlieferung. Die Sprache der auf Kreta gefundenen Linear-B-Schrift ist mit ziemlicher Gewissheit als ein altertümliches Gr. einzuordnen. Sie ist auf das 14. vorchristl. Jh. datierbar. Im 11. Jh. übernahmen die Hellenen das phönizische Alphabet u. gestalteten es zu der bis heute verwendeten Schrift um. Das klassische (Alt-)Griechisch des perikleischen Athen wandelte sich in der frühchristl. Zeit beträchtlich (Koine), wurde bereits im 3. Jh. wichtigste Verkehrssprache im östlichen Mittelmeerraum u. in byz. Zeit weiter verändert. Dabei trat eine zunehmend größere Entfremdung zw. der in Kirche u. Literatur, in Staat u. Verwaltung verwendeten Reinsprache u. der gesprochenen Umgangssprache (Dimotiki) ein, die Schüler im 19. u. 20. Jh. dazu zwang, die Reinsprache d. Katharevousa beinahe wie eine Fremdsprache zu lernen. Erst 1975 wurde durch einen Parlamentsbeschluss dieser Zustand (Diglossie) geändert. Die kulturellen Leistungen der G. in ihrer Gesamtgeschichte wurden v. wenigen anderen Völkern erreicht oder übertroffen. Wurden die Schöpfungen der klassischen Antike schon in der Renaissance in Europa bewundert, im 18. Jh. dann als absolutes Maß für Kunst gewertet (Winckelmann, →Philhellenismus), so wurden erst im 19. Jh. die Bauten der byz. Zeit, der Kirchen- u. Buchschmuck, die Ikonen u. Elfenbeinschnitzereien, richtig gewürdigt; die Erzeugnisse schließlich der vorklassischen Zeit wurden seit der Wende vom 19. zum 20. Jh. durch langwierige Ausgrabungen aufgedeckt. Einen vergleichbaren Rang haben die Kunstwerke, die die G. seit der Befreiung ihres Landes geschaffen haben, nicht erreicht. Eines ihrer wichtigsten Betätigungsfelder meist außerhalb der Heimat war u. ist der Handel. Im Byz. Reich mussten sie hinter die it. Seestädte (Genua, Venedig) zurücktreten, um dann unter den Türkensultanen einerseits ein dichtes Handelsnetz über den Balkan zu spannen, v. →Saloniki bis Wien u. Leipzig, andererseits als Kauffahrer im östlichen Mittelmeer konkurrenzfähig gegenüber den Handelsrepubliken zu sein (vgl. →Kaufleute). Im Kriegsfall konnte dann das Handelsschiff rasch zum Piratenschiff umgerüstet werden. Viele der alten gr. Handelskolonien in den Städten des östlichen Mitteleuropas, aber auch in Venedig, Triest oder Marseille, haben nach der Bildung des gr. Kgr.s (1830) an Bedeutung verloren, im 19.u. 20. Jh. haben dann Arbeits- u. politische Emigration neue Griechensiedlungen hervorgebracht oder alte neu belebt. So haben die Vereinigten Staaten ebenso wie Australien (Melbourne, die größte gr.stämmige Stadtbev. nach Athen u. Thessaloniki) ihre gr. Minderheit, die Ukraine (aus der Zeit der Türkenkriege Katharinas II.; →Griechisches Projekt; →Neurussland) ebenso wie Städte in Afrika v. Alexandria über Nairobi bis Johannesburg. Ihre Beziehungen zur Heimat der Eltern oder Großeltern sind unterschiedlich, aber
Griechen, Hellenen / Griechenland (ab 1821)
abgerissen sind sie i. d. R. nicht. Die gr. Minderheit in Südalbanien hingegen ist in der jüngsten Zeit zum größten Teil abgewandert. Zu den 10,5 Mio. G. in Griechenland u. den 778.000 G. auf Zypern (2011) kommen G. in vielen Teilen der Welt (USA, Kanada, Australien, Deutschland etc.). Ihre Definition u. Zahl wird höchst kontrovers diskutiert. Soweit aus Volkszählungen ersichtlich ist, gibt es rd. 3 Mio. G. im Ausland. Dagegen geht der Rat der Übersee-G. von rd. 7 Mio. aus. Lit. (a. →Griechenland): S. Anagnostopulu, Mikra Asia, 19os ai.–1919. Oi Ellēnorthodoxes Koinotitēs. Apo to Millet tōn Rōmiōn sto ellēniko ethnos. Athen 22013; G. Tolias, Mapping Greece, 1420–1800: a history. Maps in the Margarita Samourkas Collection. New Castle/Del. 2012; Sp.I. Asdrachas u. a., Greek Economic History 15th–19th Centuries. 2 Bde. Athens 2007; D. Güven, Nationalismus u. Minderheiten: Die Ausschreitungen gegen die Christen u. Juden der Türkei, 6./7. September 1955. München 2012; T. Dragostinova, Between Two Motherlands. Nationality and emigration among the Greeks of Bulgaria, 1900–1949. Ithaca/NY 2011; N. Doumanis, A History of Greece. Basingstoke u. a. 2010 [von der Antike bis zur Gegenwart]; D. Brewer, Greece. The Hidden Centuries. Turkish Rule from the Fall of Constantinople to Greek Independence. London 2010; Greek diaspora and migration since 1700. Society, politics and culture. Hg. D.Tziovas. Farnham u. a. 2009; E. Tastsoglou, Women, Gender, and Diasporic Lives. Labor, community, and identity in Greek migrations. Lanham/MD u. a. 2009; Hellenisms. Culture, Identity and Ethnicity from Antiquity to Modernity. Hg. K. Zacharia. Aldershot 2008; The Greek World under Ottoman and Western Domination: 15th–19th Centuries. Hgg. P.M. Kitromilides/M. Paschalis. New York 2008; M. Rozen, Homelands and Diasporas. Greeks, Jews and their migrations. London u. a. 2008; Ē kathēmerinē zōē tōn Neoellēnōn (1700–1950). Hgg. D. Arbanitakēs/K. Korre-Zōgraphu. Athen 2005; S. Mpozē, O ellēnismos tēs Konstantinupolēs. Koinotēta staurodromiu-peran 19os–20os aiōnas. ebd. 2002; I. Zelepos, Die Ethnisierung griechischer Identität 1870–1912. Staat u. private Akteure vor dem Hintergrund der „Megali idea“. München 2002; R. Clogg, The Greek diaspora in the Twentieth Century. Basingstoke u. a. 2001; Griechische Migration in Europa. Geschichte u. Gegenwart. Hg. E. Konstantinou. Frankfurt/M. u. a. 2000; S.-S. Spiliotis, Transterritorialität u. nationale Abgrenzung. Konstitutionsprozesse der griechischen Gesellschaft u. Ansätze ihrer faschistoiden Transformation, 1922/24–1941. München 1998; R. Clogg, Anatolica: Studies in the Greek East in the 18th and 19th Centuries. Aldershot 1993; D.C. Constas/A.G. Platias, Diasporas in World Politics. The Greeks in Comparative Perspective. Basingstoke, London 1993; The Hellenic Diaspora from Antiquity to Modern Times. Hgg. J.M. Fossey/J. Morin. 2 Bde. Amsterdam 1991; A. Kitroeff, The Greeks in Egypt 1919–1937. Ethnicity and class. London 1989; A.B. Bakalopulos, Ho charaktēras tōn Hellēnōn. Saloniki 21983; ders., Historia tu neu Hellēnismu. Thessaloniki Bde. 1–2² 1974–1976, 3–8 1968–1988; Historia tu hellēniku ethnus. 15 Bde. Athen 1970–1978; D.A. Zakythinos, The Making of Modern Greece. Oxford 1976; K.N. Triantaphyllos, Pankosmios hellēnodeiktēs. Patras 1972; A. Pulianos, Hē proeleusē tōn Hellēnōn. Athen 31968 [42001]. G. G.
Griechenland (ab 1821). Staat in SOE (heutige amtl. Bez. Ellinikí Dimokratía = Hellenische Republik): 131.957 km2, 10,8 Mio. E (ortsanwesende Bev., 2011), davon 91,6 % gr. Staatsbür-
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ger, daneben als größte Ausländergruppe 4,4 % (481.000) Albaner; Hauptstadt →Athen. – Der am 3.2.1830 durch das Londoner Protokoll völkerrechtlich als souverän anerkannte (neu) gr. Staat, der mit ca. 47.500 km2 nur ein gutes Drittel des heutigen G. umfasste (mit etwa 750.000 E), war aus dem Aufstand der Hellenen gegen die osm. Herrschaft hervorgegangen (vgl. →Befreiungskriege). Er war vorbereitet worden durch die Philike Hetaireia (→Geheimbünde, Gr.), hatte am 6.3.1821 mit dem Übertritt von Alexander Ypsilantis mit der „Heiligen Schar“ über den Pruth in die Moldau u. dem Kampfesaufruf des Ebf. Germanos von Patras am 6. April begonnen. Obwohl die erwartete Unterstützung durch Russland zunächst ausblieb, gelang es im gr. Siedlungsgebiet Aufstandsführern (→Klephten) rasch, große Teile des südl. G. u. der Ägäisinseln in ihre Hand zu bekommen. Der noch durch seinen Konflikt mit dem halbsouveränen Ali Pascha von Janina (vgl. →Albaner) gebundene Sultan konnte die Griechen zunächst nur durch die Ermordung des →Patriarchen in →Konstantinopel bestrafen. Im Aufstandsgebiet bildeten sich mehrere „Regierungen“ u. „Parlamente“, die am 27.1.1822 die Verfassung von Epidauros verabschiedeten. Die Rolle der Führer der bewaffneten Kräfte sollte bis in die zweite H. des 20. Jh.s für das Schicksal des Staates maßgebend werden. Trotz der Unterstützung durch einige hundert nichtgr. „Philhellenen“ (→Philhellenismus) geriet die Erhebung seit 1824 durch das Eingreifen Ibrahim Paschas von Ägypten in eine schwere Krise. Sie wurde erst durch die konzertierte Intervention Englands, Frankreichs u. Russlands überwunden (20.10.1827 Seesieg bei Navarino, April 1829 Beginn des russ.-osm. Krieges). Im Frieden von →Adrianopel musste der Sultan die Schwächung seiner Stellung auf dem Balkan hinnehmen. Nach der Ermordung des im April 1827 von der gr. Nationalversammlung als Staatsoberhaupt gewählten Grafen Kapodistrias verständigten sich die drei Großmächte am 11.5.1832 auf den jüngeren Prinzen Otto von Wittelsbach als Kg. für das erste unabhängig gewordene Land SOEs. Während er u. seine bayer. Ratgeber (Bavarokratie; →Wittelsbacher) – zunächst von 1833–1835 noch als Regenten – sich um die Schaffung der Grundlagen für ein geordnetes Staatsleben in dem verwüsteten Lande bemühten, träumte die gr. Führungsschicht von der →„Megali Idea“. Die Schutzmächte verfolgten ihrerseits miteinander konkurrierende Interessen. In beträchtlichem Umfang wurde die Modernisierung des Landes angegangen: Errichtung der →Universität Athen (1837), planmäßiger Ausbau der Hauptstadt u. Schutz der erhaltenen Monumente der Antike, Verbreiterung des Schulwesens u. Schaffung einer europ. Rechtsordnung. 1833 wurde die orth. Landeskirche, zunächst einseitig, vom Patriarchen getrennt (→Autokephalie). Die Wiedereingliederung der Freischärler u. der Aufbau eines regulären Heeres bereiteten große Schwierigkeiten. Im September 1843 erzwang ein Militärputsch die Gewährung einer Verfassung (in Kraft gesetzt am 2.3.1844), die dem Monarchen noch beträchtliche Einwirkungsmöglichkeiten beließ. Weder die Unruhen in →Kreta (April 1841) noch der →Krimkrieg konnten zu weiteren Territorialgewinnen genutzt werden. Nach einem weiteren Militärputsch musste am 22.10.1862 der kinderlose Otto seine Absetzung hinnehmen. Nachfolger wurde der dänische Prinz Wilhelm als Kg. Georg I. (1863–1913) (→Sonderburg-Glücksburg). Die 1864 revidierte Verfassung blieb bis 1911 in Kraft. Großbritannien trat die ihm seit 1815 gehörenden →Ionischen Inseln mit ihrem beträchtlichen kulturellen Potential an Griechenland ab. Eine Art Zweiparteiensystem, mit allerdings häufigem Wechsel der
Griechenland (ab 1821)
Regierungsverantwortung, formte sich aus (→Parteien [Griechenland]). Die wissenschaftliche Erforschung des Landes wurde auch durch einheimische Kräfte vorangetrieben, Seetransport u. bald auch Fremdenverkehr verbesserten die wirt. Situation des Landes, während der Eisenbahnbau nur langsam vorankam. Der neue russ.-osm. Krieg von 1877/78 brachte dem Lande zunächst nichts. Doch durch zweiseitige Verhandlungen nach dem →Berliner Kongress konnte Athen →Thessalien u. den Süden des →Epirus gewinnen (Konvention vom 24.5.1881). Das verbesserte nachhaltig die Ernährungsgrundlage des Landes. Die Staatsfinanzen liefen indessen aus dem Ruder, so dass sich Griechenland 1893 einer internationalen Finanzkontrolle unterwerfen musste. Prestigegewinn bedeuteten die 1896 erneuerten Olympischen Spiele in der gr. Hauptstadt. Von Athen unterstützte Aufstandsbewegungen auf der Insel →Kreta führten zu einem militärischen Zusammenstoß mit dem Osm. Reich, dessen Streitkräfte durch dt. Militärberater wesentlich an Schlagkraft gewonnen hatten. Nach wenigen Wochen mussten die Griechen am 18.5.1897 um Waffenstillstand bitten, u. nur dank der Unterstützung durch die Großmächte blieben sie im Frieden von größeren Einbußen verschont. Der gr. Prinz Georg konnte von 1898–1906 die Insel Kreta als Gouverneur verwalten. Die 1909 gegründete Militärliga brachte im folgenden Jahr den überragenden Politiker Venizelos an die Regierung. Er schloss für sein Land mit den Nachbarstaaten Serbien, Bulgarien u. Montenegro den Balkanbund, dessen erster Krieg (→Balkankriege) 1912 Griechenlands Territorium mit Saloniki, Zentralepirus u. dem südl. Makedonien um 70 % erweiterte u. ihm weitere landwirtschaftliche Kolonisationsgebiete verschaffte. Innenpolitisch hat der Sprachenstreit (Katharevousa) viele Wunden geschlagen (→Sprachkodifizierung). Über den Eintritt in den 1. →Wk. kam es zu einer Spaltung der Nation. Der sich dafür einsetzende Venizelos bildete am 18.10.1916 in dem von alliierten Truppen besetzten →Saloniki eine Gegenregierung gegen Kg. Konstantin I. Dieser musste unter dem Druck der Entente sogar das Land verlassen. Gr. Truppen schlossen sich der aus Franzosen, Italienern, Briten u. Serben gebildeten Orientarmee an, die am 15.9.1918 die bulg. Front zw. Černa u. Vardar durchbrach u. zunächst Bulgarien, dann Österreich-Ungarn dazu zwang, um Waffenstillstand zu bitten. Im Frieden von →Neuilly (27.11.1919) musste Bulgarien die 1913 gewonnene thrakische Ägäisküste an Griechenland abtreten, im Frieden von →Sèvres das zusammengebrochene Sultansreich Ostthrakien u. die Hafenstadt Smyrna mit ihrem Umland aufgeben. Mit stillschweigender Unterstützung der Siegermächte drangen gr. Truppen in Kleinasien vor, beteiligten sich auch an den Versuchen, von der Ukraine aus die junge Sowjetmacht zu stürzen. Die Lasten des anatolischen Feldzugs führten zu einem innenpolitischen Umschwung, der Kg. Konstantin auf den Thron zurückführte. Er konnte freilich nicht verhindern, dass die sich rasch regenerierenden türk. Truppen das gr. Heer stoppten, dann besiegten u. in panikartige Flucht trieben („kleinasiatische Katastrophe“). Ihm schlossen sich auch große Teile der Zivilbevölkerung an. Im Frieden von →Lausanne wurde die Umsiedlung (u. hinsichtlich der zumeist schon geflohenen kleinasiat. gr. Christen: deren Nicht-Rückkehr) von etwa 1,5 Mio. Griechen u. 600.000 Türken vereinbart (→Zwangsmigration). Folge des gescheiterten gr. Traumes waren innenpolitische Instabilitäten (mehrfache Wechsel der Staats- u. Regierungsform, Putsche) bei hohen Anforderungen an Verwaltung u. Steuerzahler zur Integration der Neubürger (teilweise bewältigt mit Hilfe des Völkerbundes). Die →Weltwirt-
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schaftskrise trug zusätzlich dazu bei, die gr. Gesellschaft zu erschüttern. Der geringe Grad der →Industrialisierung erzwang Auswanderung, v. a. in die Neue Welt. Die gr. Währung verlor drei Viertel ihrer Kaufkraft. Die allmähliche Erholung seit Mitte der 30er Jahre wurde mit einer Handelsabhängigkeit von Deutschland u. Italien erkauft. Im September 1935 führte ein Plebiszit Kg. Georg wieder nach Athen zurück. Er nahm im August 1936 die Bildung eines autoritären Regimes unter General Metaxas hin (→Diktaturen). Dieser versuchte zwar, sein Land aus dem 2. →Wk. herauszuhalten, aber Mussolini sandte am 28. Oktober nach einem vagen Ultimatum eine Armee über die Südgrenze →Albaniens. Erfolgreich wehrte sich das gr. Heer, bis Hitler am 6.4.1941 seinem Bundesgenossen mit einem Angriff über die bulg. Südgrenze u. nach der Durchquerung des jug. Makedoniens durch das Vardartal zu Hilfe kam. Nach dem Waffenstillstand vom 23. April konnten sich die unzureichenden britisch geführten Commonwealth-Truppen nicht mehr in G. halten u. verloren Ende Mai auch die Insel Kreta gegen einen dt. Angriff aus der Luft. Abgesehen von einigen dt. besetzten strategischen Positionen (Saloniki, Kreta) wurde G. zw. einer it. u. einer bulg. Besatzung aufgeteilt. Auflehnung dagegen, nach der it. Kapitulation dann gegen dt. Besatzung, führten zu einer vielfältigen →Partisanenbewegung, während Teile des Establishments mit der Besatzung kollaborierten. Hunger u. Krankheiten, Kämpfe sowie brutale Vergeltungsmaßnahmen der dt. Besatzungsmacht (u. a. in Kalavryta, →Peloponnes) u. die Judendeportation (→Holocaust) fügten der Bevölkerung schwere Opfer zu (über eine halbe Mio. Tote). Der anschließende →Bürgerkrieg (1946–49) forderte weitere Opfer, deren Zahl unbekannt ist, u. vertiefte die pol. Spaltung der Gesellschaft über Jahrzehnte hinaus. Die Heimkehr Georgs II. wurde wiederum an eine Volksabstimmung geknüpft (Sept. 1946). Der Friedensvertrag mit Italien bescherte G. den →Dodekanes. Der Beitritt zur Nato (1952) bot außenpolitische Rückendeckung, konnte aber den Streit mit der Türkei um die Zukunft →Zyperns nicht beilegen. Ein Militärputsch unter dem Obersten Georgios Papadopoulos am 21.4.1967 ersetzte die Zivilregierung durch eine Militärdiktatur mit einer extrem nationalistischen Ideologie u. beseitigte am 1.6.1973 auch die Monarchie. Nach ihrem Scheitern in der Zypernpolitik mussten die „Obristen“ am 24.7.1974 wieder einem zivilen Regime weichen. Die Verfassung vom 7.6.1975 schuf eine Präsidialdemokratie zunächst unter dem aus dem Exil zurückgekehrten Konstantinos Karamanlis an der Spitze der Nea Demokratia (1975–1980), dann unter dem linksorientierten Andreas Papandreou u. der v. ihm geführten PASOK (1981–1989). Ein Plebiszit hatte am 8.12.1974 die Republik bestätigt, am 1.1.1986 wurde Griechenland 10. Vollmitglied der EG. Die Verfassungsrevision vom März 1986 hat die Stellung des Präsidenten geschwächt, die parlamentarische Regierung gestärkt (Oktober 1993 Ablösung der ND durch Kabinette der PASOK). Das Verhältnis zur Türkei u. zu der aus dem Zusammenbruch Jugoslawiens hervorgegangenen Republik →Makedonien blieb gespannt. Die personelle Überbesetzung des Staatsapparats, hohe Auslandsschulden, eine unsolide Haushaltspolitik u. die globale Banken- u. Finanzkrise führten G. an der Jahreswende 2009/10 an den Rand des Staatsbankrotts, so dass die Reg. die EU u. den Intern. Währungsfonds um Finanzhilfen ersuchen musste. Die im Gegenzug verhängten drastischen Sparmaßnahmen bzw. deren Konsequenzen (Verarmung großer Teile der Bev., hohe Arbeitslosigkeit: amtl. 27,5 %, 2013) lösten Massenproteste der Bev. aus u. brachten die bis dahin führenden Parteien (Nea De-
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mokratia u. PASOK) in Misskredit, während die „Koalition der Radikalen Linken“ (Syriza) unter Alexis Tsipras rasch an Popularität gewann u. Anfang 2015 bei vorzeitigen Neuwahlen zur stärksten u. regierungsbildenden Partei wurde. Von der Krise besonders betroffen waren auch die seit Anfang der 90er Jahre zumeist illegal nach Griechenland eingeströmten alb. „Gastarbeiter“, die sich zunehmender Fremdenfeindlichkeit ausgesetzt sahen. Lit.: I. Zelepos, Kleine Geschichte Griechenlands. Von der Staatsgründung bis heute. München 2014; E. Karamouzi, Greece, the EEC and the Cold War, 1974–1979. The Second Enlargement. Houndmills, Basingstoke 2014; K. Simitis, The European Debt Crisis: the Greek Case. Manchester 2014; Th. Pelagidis/M. Mitsopoulos, Greece. From Exit to Recovery? Washington 2014; P.M. Kitromilides, Enlightenment and Revolution: The Making of Modern Greece. Cambridge/Mass. u. a. 2013; H.A. Richter, Griechenland 1950–1974. Zwischen Demokratie u. Diktatur. Mainz u. a. 2013; Greece’s Horizons: Reflecting on the Country’s Assets and Capabilities. Hgg. P. Sklias/N. Tzifakis. Berlin, Heidelberg 2013; A. Repousis, Greek-American Relations from Monroe to Truman. Kent/Ohio 2013; Th. G. Zervas, The Making of a Modern Greek Identity. Education, Nationalism, and the Teaching of a Greek National Past. Boulder/Colo. 2012; J. Fontaine, De la résistance à la guerre civile en Grèce 1941–1946. Paris 2012; J. Koliopoulos/Th. Veremis, Modern Greece. A History since 1831. Oxford 2010; Networks of Power in Modern Greece. Essays in Honour of John Campell. Hg. M. Mazower. London 2008; E. Hatzivassiliou, Greece and the Cold War. Frontline state 1952–1967. London 2006; Eleftherios Venizelos. The Trials of Statesmanship. Hg. P. Kitromilidis. Edinburgh 2006; Minorities in Greece. Hgg. S. Trubeta/ Chr. Voss. München 2005; E. Turczynski, Sozial- u. Kulturgeschichte Griechenlands im 19. Jh. Von der Hinwendung zu Europa bis zu den ersten Olympischen Spielen der Neuzeit. Mannheim/Möhnesee 2003; K. Kostis, The formation of the state in Greece, 1830–1914, in: Disrupting and Reshaping. Early Stages of Nationalism in the Balkans. Hgg. M. Dogo/G. Franzinetti. Ravenna 2002, 47–64; After the War was over. Reconstructing the Family, Nation and State in Greece, 1943–1960. Hg. M. Mazower. Princeton 2000; P. Tzermias, Neugriechische Geschichte. Eine Einführung. Tübingen 21993; R. Clogg, A Concise History of Greece. Cambridge 1992; G. Hering, Die politischen Parteien in Griechenland 1821–1936. 2 Bde. München 1992; C. Lienau, Griechenland. Geographie eines Staates der europäischen Südperipherie. Darmstadt 1989; G.O. Anastasiades, Ho diorismos kai he pausē tōn kybernēseōn stēn Hellada. Thessaloniki 1981; I. Banco, Studien zur Verteilung u. Entwicklung der Bevölkerung von Griechenland. Bonn 1976; D. Dakin, The Unification of Greece 1770–1823. London 1972; J. Campbell/Ph. Sherrard, Modern Greece. London 1968; É. Driault/M. Lhéritier, Histoire diplomatique de la Grèce. 5 Bde. Paris 1925/26. G. G.
Griechisches Projekt. Einer der vielen Teilungspläne, die in der Phase des Niederganges des →Osm. Reiches entwickelt worden sind. Im Unterschied zu den oftmals realitätsfremden Vorschlägen, die seit dem Fall →Konstantinopels in vielen Memoranden v. Einzelgängern entwickelt worden waren, hatte die Urheberin des Teilungsprojektes, die russ. Zarin Katharina II., immerhin schon spektakuläre Waffenerfolge im Türkenkrieg v. 1768–1774 aufzu-
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Griechisches Projekt
weisen (→Küçük Kaynarca). Sie hatte während des Flottenunternehmens unter A.G. Orlov mit flammenden Appellen an die gr. Glaubensbrüder um Unterstützung für ihre Befreiungspläne werben lassen. Die Proklamation eines russ. Fürstentums Archipelagos, bestehend aus 14 ägäischen Inseln (Paros u. a.), überdauerte den Friedensschluss nicht. Und ein 1770 auf der →Peloponnes gelandetes russ. Expeditionskorps konnte zwar einen Aufstand entfachen, doch wurde dieser schnell niedergeschlagen. Die Geburt ihres zweiten Enkels 1779 nutzte Katharina zu einer provokativen Demonstration gegen das Sultansregime. Sie ließ ihn auf den symbolträchtigen Namen Konstantin taufen u. v. einer gr. Amme großziehen. Bei ihren konkreten offensiven Planungen konnte Katharina II. teilw. auf Überlegungen zurückgreifen, die schon in den 1720er u. 30er Jahren v. Fürst A.I. Osterman ausgearbeitet worden waren. Die Grundzüge ihres eigenen Projektes entwickelte sie im priv. Briefwechsel 1782 mit Joseph II. Sie stützte sich dabei auf Vorlagen ihres engsten außenpol. Beraters A.A. Bezborodko. Den Boden für gemeinsame russ.-österr. Absprachen an der Türkenfront hatte sie auf dem Treffen mit Joseph II. in Mogilev im Frühjahr 1780 vorbereitet. Katharinas offensive Orientpläne verlangten eine Abkehr v. der preußischen Allianz u. v. dem bis dahin v. Fürst Panin favorisierten Nordischen System. Sie war im geheimen Bündnisvertrag v. 1781 mit dem Wiener Hof besiegelt worden. In ihrem Briefwechsel mit Joseph II. zog Katharina die Konsequenzen aus der Option für den österr. Bündnispartner u. trug im Schreiben vom 18.9.1782 ihre Visionen v. einer künftigen Bereinigung der →Orientalischen Frage vor. Diese sahen bei einem weiteren Zurückdrängen der Türken russ. Gebietserwerbungen an der Nordküste des Schwarzen Meeres u. einen abgestuften Interessenausgleich mit Wien im Balkanraum vor. Als nächsten Schritt nach der Befreiung der →Donaufürstentümer Moldau u. Walachei schlug sie die Schaffung eines unabhängigen Staates „Dazien“ unter einem christl. Potentaten vor. Bei einem endgültigen Zerfall der Osmanenherrschaft sollte in Konstantinopel das gr.-orth. Kaiserreich als russ. Sekundogenitur unter dem Szepter Konstantins wiedererstehen u. im Gegenzug bot sie den Habsburgern territ. Kompensationen an. Über deren Ausmaß konnte allerdings zw. den beiden Monarchen ebensowenig Einigkeit erzielt werden wie über die notwendige diplomat. Absicherung der milit. Operationen an den westlichen Höfen. Der österr. Diplomatie haben letztlich nur die einschneidenden Veränderungen der internat. Rahmenbedingungen zugunsten des Osm. Reiches den sich abzeichnenden Konflikt zw. den Bündnisverpflichtungen u. den Postulaten der Staatsräson erspart. Für Russland blieb der Erwerb der →Krim 1783 vorerst der einzige Gewinn aus den weitergehenden Orientplänen Katharinas (vgl. →Neurussland). Die Spekulationen u. Mutmaßungen über die weitere Geltung des „Gr. P.“ haben bei den Westmächten ein grundsätzliches Misstrauen geweckt u. die Bemühungen der europ. Diplomatie verstärkt, einen russ. Alleingang bei der Lösung der Orientalischen Frage zu verhindern.
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Lit. (a. →Russland): Rossija v Sredizemnomorʼe. Archipelagskaja ėkspedicija Ekateriny Velikoj. Hgg. M.B. Smiljanskaja/E.B. Smiljanskaja/I.M. Veližev. Moskva 2011; Vek Ekateriny II. Dela balkanskie. Hg. V. N. Vinogradov. Moskva 2000; Vek Ekateriny II. Rossija i Balkany. Hg. I. I. Leščilovskaja. ebd. 1998; N.Ch. Pappas, Greeks in Russian Military Service in the Late Eighteenth and Early Nineteenth Centuries. Thessaloniki 1991; D.M. Griffiths, Greek Project, in: The Mo-
Großfamilie, komplexe Familienformen
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Großfamilie, komplexe Familienformen. Obwohl die jüngere hist.-anthropologische Familienforschung nicht die Größe v. Familien als entscheidendes Charakteristikum v. Familienstrukturen ansieht, sondern deren Komplexität, hat sich der Begriff „Großfamilie“ im allg. Sprachgebrauch behauptet. Von Komplexen Familienformen (K.F.) ist prinzipiell dann die Rede, wenn zwei oder mehr Kernfamilieneinheiten einen gemeinsamen Haushalt bilden. Dass komplexe Familienzusammensetzungen vielfach auch eine erstaunliche Größe aufweisen, ist eine Sekundärerscheinung. K.F. traten in historischen Zeiten in vielen Teilen Europas auf. In der Art der Familienformierung, der Dichte des Auftretens solcher Formen, der Ursache u. Funktion der K.F. weist jedoch →Südosteuropa u. dort speziell der →Balkan charakteristische Besonderheiten auf. K.F. in SOE werden vielfach mit dem südslav. Terminus „Zadruga“ bezeichnet (abgeleitet aus drug = Genosse, Gefährte). Der serb. Sprachreformer Vuk Karadžić übersetzte den Begriff in seinem Wörterbuch v. 1818 mit „Hausgenossenschaft (im Gegensatze der einzelnen Familien), plures familiae in eadem domo (more Serbico)“. In letzter Zeit ist jedoch Kritik an dieser Bezeichnung geäußert worden. Diese richtet sich einerseits gegen die naheliegende, doch falsche Assoziation, es handle sich bei K.F. um eine Erscheinung, die auf die südslav. Bevölkerung begrenzt sei, u. andererseits dagegen, dass damit lediglich eine bestimmte Stufe in einem ständigen Zyklus, der vereinfacht aus Kernfamilie – Erweiterung zu K.F. – Teilung in einzelne Kernfamilien besteht, hervorgehoben wird. Dazu kommt das zusätzliche Argument, dass sich hinter diesem Begriff zwei recht unterschiedliche Typen von K.F. verbergen u. auf einem jeweils unterschiedlichen kult. Hintergrund aufbauen. Der eine Typ war um die Mitte des vergangenen Jh.s in den west- u. zentralbalkanischen Gebieten verbreitet, konkret in den heutigen Grenzen v. Albanien, Kosovo, Nordgriechenland, Makedonien, Westbulgarien, Serbien (bis zur Morava), Montenegro, Bosnien-Herzegowina u. Südkroatien (hier ungefähr der Bereich der ehemaligen →Militärgrenze); die generelle Bez. dafür war in den südslav. Gebieten zadruga oder kuća (Haus, Haushalt) (in der dt.sprachigen Lit. a. Hauskommunion), neben zahlreichen regionalen Termini, in den alb. Gebieten galt die Bez. shtëpia (e madhe). Heute ist eine größere Zahl von K.F. nur mehr unter der alb. Bev. in Nordalbanien, Westmakedonien u. Kosovo anzutreffen mit Haushalten, die sogar an die 100 Mitglieder erreichen können. Zu den wirt. u. rechtl. Merkmalen der zadruga gehörten (neben dem familialen Moment): 1. Das reale Moment, d.h. das ungeteilte Gemeinschaftseigentum (v. a. an Gebäuden sowie an Grund u. Boden, an Vieh u. an Gerätschaften), 2. das ökonomische Moment in Form der gemeinschaftlichen Wirtschaftsweise sowie 3. die volle Rechtsgemeinschaft der Hausgenossen. Im serb. Bürgerlichen Gesetzbuch v. 1844 heißt es über die zadruga: „§ 507. Eine Hauskommunion besteht dort, wo die Gemeinschaft des Lebens u. des Vermögens durch Verwandtschaftsbande oder
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Großfamilie, komplexe Familienformen
durch Aufnahme in die Kommunion natürlich begründet u. befestigt worden ist. § 508. Alles in der Hauskommunion befindliche Vermögen u. alle Habe gehört nicht einem einzelnen, sondern allen insgesamt… § 510. Ohne Zustimmung aller volljährigen u. verheirateten Männer ist das eine oder andere Mitglied nicht berechtigt, über das Gemeinschaftsvermögen zu verfügen, dieses zu verkaufen oder zu beleihen. Nur der Hausvater [domaćin, starešina] allein hat die Hausgenossen zu leiten u. Anordnungen über die Arbeit u. die Nutzung des Vermögens zu treffen, aber eigenmächtig darf er weder etwas veräußern oder beleihen…“ Der kult. Hintergrund, vor dem dieser erste Typ von K.F. entstanden ist, ist die pastorale Weidewirtschaft in den Gebirgsbereichen v. a. des Dinarischen u. Epirotischen Gebirges sowie des nördl. Pindos (→Transhumanz), die sich in unterschiedlichen Formen seit der Antike entwickelt hat (a.→Patriarchalismus). Ein Vergleich beispielsweise mit Hirtengesellschaften im Kaukasus zeigt, dass vergleichbare Wirtschaftsformen ähnliche Formen der Familienorganisation hervorbrachten. Beginnend mit dem Ende des 17. Jh.s, verstärkt jedoch im 18. u. 19. Jh., gingen Tausende v. Hirtenfamilien in die Ebenen, die nur sehr dünn besiedelt waren, um sich dort anzusiedeln. Trotz der damit meist verbundenen Umstellung der Wirtschaftsweise führten sie über Generationen das Leben in den gewohnten Familienstrukturen weiter. Charakteristika dieses Typs waren: Patrilinearität; Verwandtschaftsorganisation in Form der patrilinearen Abstammungsgruppe; die Frau (→F., ges. Stellung) spielte für die Konstitution v. Verwandtschaft nur eine geringe Rolle, Frauen waren rechtlos u. auch nicht erbberechtigt; patrilokale Ehe (Einheirat in den Haushalt des Vaters des Bräutigams); Ahnenbewusstsein u. kultische Ahnenverehrung; starke Bruder-Bruder- sowie Vater-Sohn-Beziehungen als Kern des balkanischen Patriarchats. Der Verbreitungsbereich des zweiten Typs von K.F. erstreckte sich anschließend daran auf Teile Dalmatiens, auf die meisten Teile des nördl. Kroatiens (ehem. Zivilkroatien) sowie auf einige ung. Bereiche. Wie es scheint, ist dieser Typ erst relativ spät, wahrscheinlich seit dem 18. Jh. entstanden. Der Grund war, nach den Forschungsergebnissen ung. Historiker, ein ökonomischer: um die ökon. schädliche übliche Erbteilung v. Grund u. Boden zu gleichen Teilen auf alle Söhne zu vermeiden, war es sowohl im Interesse der Grundherren als auch der bäuerlichen Familien, zusammenzubleiben u. die Haushalte nicht zu teilen. Es bedarf noch spezifischer Untersuchungen, um diese Frage endgültig zu klären. Das oben angeführte Argument scheint durch die Beobachtung gestützt, dass in Kroatien nach der →Bauernbefreiung v. 1848 u. Freigabe des Grundverkehrs sich die meisten K.F. nach wenigen Jahrzehnten aufgelöst haben. Ihnen fehlten die stark patriarchalischen Charakteristika des ersten Typs, sie standen in einem bilinearen Verwandtschaftssystem, u. auch die Lage für die Frau war günstiger. Gemeinsam war beiden Typen, dass sie, sobald sie den →Modernisierungsprozessen ausgesetzt wurden, trotz Gegensteuerungsversuchen einiger Regierungen sehr rasch u. endgültig auseinanderfielen. Bewusst gesetzte Interventionen der kommunistischen Staatsbürokratien ließen die meisten nach dem 2. Wk. noch bestehenden K.F. zerbrechen.
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Großmährisches Reich (Mähren – lat.: Moravia; tschech.: Morava – ist abzuleiten vom Flussnamen March, tschech. Morava von *mar,*mor „Sumpf“; der einzige ma. Beleg für „Großmähren“ ist die von Konstantin VII. Porphyrogennetos (De adm. Imper. 13,5) im 10. Jh. verwendete Bezeichnung Megálē Morabía). Umstritten bleibt die Lage des Reiches: Während die meisten Gelehrten dessen Kernraum im Norden der mittleren Donau u. an deren linken Nebenflüssen suchten, vermuteten andere (I. Boba, Ch. Bowlus, M. Eggers), er habe sich weiter südl. auf dem Gebiet des antiken Pannonien befunden. Der Kritik nicht standhalten konnte die Hypothese Bobas, nach der die Hauptstadt „Morava“ auf dem Boden des spätantiken Sirmium gelegen habe. Die slav. Mährer , die sich im Donaubecken in zwei Siedlungswellen um 530 u. 600 niedergelassen hatten (vgl. →Slavische Landnahme), verfügten im 9. Jh. nach Mitteilung des Geographus Bavarus über elf „civitates“. Das Land lag am Schnittpunkt wichtiger Fernverkehrswege, die die Ostsee mit der Adria u. das Frankenreich mit SOE verbanden. Schon in der Raffelstettener Zollurkunde wird 904 als Fernhandelsplatz ein „mercatum Marahorum“ (Mikulčice ?) erwähnt; ursprgl. wohl zum Reich des fränkischen Kaufmanns Samo gehörend, treten die Mährer als selbständige pol. Kraft erstmals 822 in Erscheinung, als ihre Gesandten am Reichstag in Frankfurt teilnahmen. Ihr erster namentlich bekannter Fürst Mojmír I. (ca. 830–46), dessen Herkunft im Dunkeln liegt, vertrieb um 833 den Fürsten Privina von Nitra (Neutra) u. ernannte seinen Neffen Rastislav zu dessen Nachfolger. Als Mojmír sich jedoch von Ostfränkischen Reich zu lösen suchte, unternahm Ludwig der Deutsche 846 einen Feldzug gegen das G.R., vertrieb Mojmír u. verhalf Rastislav zur Macht. Doch auch Rastislav fand sich nicht mit einer Vasallenrolle ab. Er setzte sich wiederholt erfolgreich gegen ostfränk. Angriffe zur Wehr, verbündete sich 861 mit Ludwigs rebellierendem Sohn Karlmann u. versuchte, die kirchl. Suprematie des
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Großmährisches Reich / Großwesir
bayer. Klerus, die dieser seit 828 ausübte, zu beseitigen. Da Papst Nikolaus I. seine Zustimmung verweigerte, bat Rastislav in Byzanz um Hilfe. Patriarch Photios entsandte 863 die Brüder Konstantin u. Method (→Slavenapostel), die in dem bei ihrer Ankunft bereits weitgehend christianisierten Land eine eigenständige Kirchenorganisation mit slav. Liturgiesprache schufen. Obwohl Papst Hadrian II. die neue „Landeskirche“ anerkannte u. 870 Method zum Ebf. von Sirmium ernannte, führte Ludwig der Deutsche 864 u. 869 Krieg gegen das G.R. u. setzte Rastislav ab. Ebf. Methodios wurde 870 von einer Regensburger Synode in Haft genommen u. erst 873 auf Intervention von Papst Johannes VIII. wieder freigelassen. Rastislavs Nachfolger Svatopluk I. (870–94) sah sich zwar auf Weisung Papst Stephans V. genötigt, den Nachfolger Methods, Gorazd, u. dessen Anhänger auszuweisen u. musste 874 im Frieden von Forchheim Ludwig dem Deutschen den Treueid leisten, der in den Verträgen von Monte Comiano (884) u. Omuntesperch (890) erneuert wurde. Doch konnte er, gestützt auf eine schlagkräftige Gefolgschaft (družina) u. ein weitverzweigtes Burgensystem, seine Herrschaft auf Böhmen u. Kleinpolen ausweiten. Erst die unter seinen Söhnen Svatopluk II. u. Mojmír II. ausbrechenden Thronstreitigkeiten schwächten das G.R. so sehr, dass ihm die Ungarn 902 ein abruptes Ende bereiten konnten. Quellen: Magnae Moraviae fontes historici (MMFH). Prameny k dějinám Velké Moravy. Hg. D. Bartoňková. Brno 2008; Magnae Moraviae Fontes Historici. 4 Bde. Hgg. L. Havlik u. a. Brno 1966–77; E. Herrmann, Slavisch-germanische Beziehungen im südostdeutschen Raum von der Spätantike bis zum Ungarn-Sturm. Ein Quellenbuch mit Erläuterungen. München 1965. Lit.: M. Betti, The Making of Christian Moravia (858–882). Papal Power and Political Reality. Leiden u. a. 2014; M. Eggers/Ch. Bowlus, 863/864 – eine „internationale“ Konfrontation in Südosteuropa, SOF 59/60 (2000/2001), 14–33; Velká Morava mezi východem a západem. Sborník příspěvků z mezinárodní vědecké konference (Uherské Hradiště, Staré Město, 28.9.–1.10.1999). Hg. L. Galuška. Brno 2001; M. Eggers, Das „Großmährische Reich“. Realität oder Fiktion? Eine Neuinterpretation der Quellen zur Geschichte des mittleren Donauraumes im 9. Jh. Stuttgart 1995; Symposium Methodianum. Hgg. K. Trost/E. Völkl/E. Wedel. 1988; Ch.R. Bowlus, Die geographische Lage des mährischen Reiches anhand fränkischer Quellen, Bohemia 28 (1987), 1–24; Salzburg u. die Slawenmission. Zum 1100. Todestag des hl. Methodius. Hg. H. Dopsch. Salzburg 1986; I. Boba, Moravia’s History Reconsidered. Den Haag 1971, F. Dvornik, Les Slaves, Byzance et Rome au IXe siècle. Paris 1970; K. Bosl, Das Großmährische Reich in der politischen Welt des 9. Jh.s, Sitzungsberichte der Bayer. Akad. d. Wiss., phil.-hist. Kl. 1966, Heft 7, 1–33; Cyrillo-Methodiana. Zur Frühgeschichte des Christentums bei den Slaven 863–1963. Hgg. M. Hellmann u. a. Köln u. a. 1964. H. G.
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Großwesir (arab./pers. ṣadri a‘ẓam „Oberster Würdenträger“). Mit Sitz, im Unterschied zu den übrigen →Wesiren, im Großherrlichen →Diwan, dessen Vorsitz der G. in Vertretung des Sultans führte (seit Mitte des 16. Jh.s regelmäßig). Auch wenn die Kompetenzen des G. gegenüber den Vertretern der →Ulema u. dem Obersten →Defterdar (mindestens de jure) eingeschränkt waren, so galt der G. doch schon im sog. Gesetzbuch Mehmeds II. (1451–1481) als der uneingeschränkt Bevollmächtigte des Sultans „in sämtlichen Angelegen-
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heiten“. Als der mächtigste Mann im Staate nach dem Großherrn ernannte der G. die ziv. u. milit. Würdenträger des Osm. Reiches, führte, wenn der Sultan nicht selbst an der Spitze des Heeres ritt, das Oberkommando über die Armee u. sprach, unterstützt v. den beiden Heeresrichtern, im Namen des Sultans Recht. Außerdem sorgte er in der Hauptstadt für Ruhe u. Ordnung. Um den Hals trug er das großherrliche Siegel; auch konnte der G. Erlasse im Namen des Herrschers ausstellen (→Firman). Anfangs wohl lediglich ausführendes Organ sultanischer Weisungen wurde der G., der erst seit dem 17. Jh. in einem eigenen Palastbezirk residierte, zum de facto Inhaber der Regierungsgewalt, ohne indes gegenüber Versuchen der Einflussnahme durch die Palastparteien (vgl. →Harem) immun zu sein. Das Amt des G. blieb, trotz verschiedener Schritte zur Umbenennung u. Neubestimmung der Kompetenzen seit 1837, bis zum Ende des Reiches bestehen. – Während in der Frühzeit vielfach noch Angehörige des türk. Militäradels der Eroberungszeit (→Türken) den G. stellten (berühmt ist die Dynastie der Dschandarlı-Wesire), so entstammten die G. später für lange Zeit größtenteils der Gruppe der aus der →Knabenlese hervorgegangenen „Pfortensklaven“ (türk. kul). Sieben der neun G. Süleymans des Prächtigen (1520–1566) waren ehem. Christen. Unter den 47 G. der Zeit zw. 1453 u. 1623 zählt man lediglich fünf G. türk. Herkunft; Mehmed Pascha Köprülü (G. seit 1656), der Begründer einer zweiten G.-Dynastie (sie stellte insges. deren sieben), kam aus Albanien. Lit.: M. Kunt, Ṣadr-i A‘ẓam, in: EI² (Bibl.); E. Çelebi, The Intimate Life of an Ottoman Statesman, Melek Ahmed Pasha (1588–1662). Übers., Hg. R. Dankoff. New York 1991; V. Çabuk, Köprülüler. İstanbul 1988; C.V. Findley, Bureaucratic Reform in the Ottoman Empire. The Sublime Porte 1789–1922. Princeton 1980; İ.H. Uzunçarşılı, Çandarlı Vezir Ailesi. Ankara 1974; K. Röhrborn, Untersuchungen zur osmanischen Verwaltungsgeschichte. Berlin u. a. 1973; Kara Mustafa vor Wien. Das türkische Tagebuch der Belagerung Wiens 1683. Hg. R.F. Kreutel. Graz ³1966. M. U.
Haager Kriegsverbrechertribunal. Die Einrichtung des Intern. Kriegsverbrechertribunals für das ehem. Jugoslawien (International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia, ICTY) mit Sitz in Den Haag wurde mit Resolution 827 des UN-Sicherheitsrats vom 25.5.1993 unter Bezug auf Kapitel VII der UN-Charta beschlossen. Es handelt sich um einen zeitlich befristeten Ad-hoc-Strafgerichtshof zur Verfolgung von Kriegsverbrechen u. schweren Menschenrechtsverletzungen, die seit 1991 auf dem Territorium des ehem. →Jugoslawien begangen wurden. Der 1998 ebenfalls in Den Haag eingerichtete ständige Internationale Strafgerichtshof (International Criminal Court, ICC) nimmt grundsätzlich ähnliche Aufgaben wahr wie das Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien (oder das Ende 1994 eingerichtete Kriegsverbrechertribunal für Ruanda), wird aber nur in denjenigen Fällen aktiv, für die keine zeitlich befristeten Sondertribunale existieren. Der ICTY ist befugt, schwere Verletzungen der Genfer Konventionen, Verstöße gegen die Gesetze oder Gebräuche des Krieges, Verbrechen gegen die Menschheit u. Völkermord, begangen von natürlichen Personen (nicht von Staaten oder Organisationen), zu verfolgen u. genießt Vorrang vor den einzelstaatlichen Gerichten. Dem Tribunal gehören 16 ständige Richter aus unterschiedlichen Ländern an, die mehrheitlich von
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heiten“. Als der mächtigste Mann im Staate nach dem Großherrn ernannte der G. die ziv. u. milit. Würdenträger des Osm. Reiches, führte, wenn der Sultan nicht selbst an der Spitze des Heeres ritt, das Oberkommando über die Armee u. sprach, unterstützt v. den beiden Heeresrichtern, im Namen des Sultans Recht. Außerdem sorgte er in der Hauptstadt für Ruhe u. Ordnung. Um den Hals trug er das großherrliche Siegel; auch konnte der G. Erlasse im Namen des Herrschers ausstellen (→Firman). Anfangs wohl lediglich ausführendes Organ sultanischer Weisungen wurde der G., der erst seit dem 17. Jh. in einem eigenen Palastbezirk residierte, zum de facto Inhaber der Regierungsgewalt, ohne indes gegenüber Versuchen der Einflussnahme durch die Palastparteien (vgl. →Harem) immun zu sein. Das Amt des G. blieb, trotz verschiedener Schritte zur Umbenennung u. Neubestimmung der Kompetenzen seit 1837, bis zum Ende des Reiches bestehen. – Während in der Frühzeit vielfach noch Angehörige des türk. Militäradels der Eroberungszeit (→Türken) den G. stellten (berühmt ist die Dynastie der Dschandarlı-Wesire), so entstammten die G. später für lange Zeit größtenteils der Gruppe der aus der →Knabenlese hervorgegangenen „Pfortensklaven“ (türk. kul). Sieben der neun G. Süleymans des Prächtigen (1520–1566) waren ehem. Christen. Unter den 47 G. der Zeit zw. 1453 u. 1623 zählt man lediglich fünf G. türk. Herkunft; Mehmed Pascha Köprülü (G. seit 1656), der Begründer einer zweiten G.-Dynastie (sie stellte insges. deren sieben), kam aus Albanien. Lit.: M. Kunt, Ṣadr-i A‘ẓam, in: EI² (Bibl.); E. Çelebi, The Intimate Life of an Ottoman Statesman, Melek Ahmed Pasha (1588–1662). Übers., Hg. R. Dankoff. New York 1991; V. Çabuk, Köprülüler. İstanbul 1988; C.V. Findley, Bureaucratic Reform in the Ottoman Empire. The Sublime Porte 1789–1922. Princeton 1980; İ.H. Uzunçarşılı, Çandarlı Vezir Ailesi. Ankara 1974; K. Röhrborn, Untersuchungen zur osmanischen Verwaltungsgeschichte. Berlin u. a. 1973; Kara Mustafa vor Wien. Das türkische Tagebuch der Belagerung Wiens 1683. Hg. R.F. Kreutel. Graz ³1966. M. U.
Haager Kriegsverbrechertribunal. Die Einrichtung des Intern. Kriegsverbrechertribunals für das ehem. Jugoslawien (International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia, ICTY) mit Sitz in Den Haag wurde mit Resolution 827 des UN-Sicherheitsrats vom 25.5.1993 unter Bezug auf Kapitel VII der UN-Charta beschlossen. Es handelt sich um einen zeitlich befristeten Ad-hoc-Strafgerichtshof zur Verfolgung von Kriegsverbrechen u. schweren Menschenrechtsverletzungen, die seit 1991 auf dem Territorium des ehem. →Jugoslawien begangen wurden. Der 1998 ebenfalls in Den Haag eingerichtete ständige Internationale Strafgerichtshof (International Criminal Court, ICC) nimmt grundsätzlich ähnliche Aufgaben wahr wie das Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien (oder das Ende 1994 eingerichtete Kriegsverbrechertribunal für Ruanda), wird aber nur in denjenigen Fällen aktiv, für die keine zeitlich befristeten Sondertribunale existieren. Der ICTY ist befugt, schwere Verletzungen der Genfer Konventionen, Verstöße gegen die Gesetze oder Gebräuche des Krieges, Verbrechen gegen die Menschheit u. Völkermord, begangen von natürlichen Personen (nicht von Staaten oder Organisationen), zu verfolgen u. genießt Vorrang vor den einzelstaatlichen Gerichten. Dem Tribunal gehören 16 ständige Richter aus unterschiedlichen Ländern an, die mehrheitlich von
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der UN-Vollversammlung gewählt werden. Der Anklagebehörde steht ein unabhängiger Chefankläger vor, der vom UN-Sicherheitsrat ernannt wird. Erster Chefankläger war der Südafrikaner Richard Goldstone (1994–96), ihm folgten die Kanadierin Louise Arbor (1997–98) u. die Schweizerin Carla del Ponte, die 2008 durch den Belgier Serge Brammertz abgelöst wurde. Der ICTY war das erste intern. Kriegsverbrechertribunal seit den Tribunalen von Nürnberg u. Tokio nach dem Zweiten Weltkrieg. Mit seiner Gründung wurde das Ende der Straflosigkeit für Staatsoberhäupter u. Regierungschefs eingeleitet. Jede Person, gleich welchen Ranges, kann seither für völkerrechtliche Verbrechen strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Obwohl die Einrichtung des ICTY einstimmig von den Mitgliedern des Sicherheitsrats gebilligt wurde (nur China enthielt sich der Stimme), bestanden bis Ende der 1990er Jahre erhebliche Vorbehalte gegen dessen Tätigkeit. Wiederholt hat die internationale Gemeinschaft aus „realpolitischen“ Abwägungen die strafrechtliche Verfolgung von hochrangigen vermutlichen Kriegsverbrechern, die als Verhandlungspartner zur Beendigung der Kriege unverzichtbar erschienen, in den Hintergrund gerückt. Das Gericht konnte deshalb seinen Aufgaben in den ersten Jahren seiner Existenz nur schleppend nachkommen. Dies änderte sich erst nach Abschluss der →postjugoslawischen Kriege. Insgesamt hat das ICTY gegen 161 Personen Anklage wegen Mords, Folter, Vergewaltigung, Versklavung, Zerstörung von Eigentum u. a. Verbrechen erhoben. In fast allen Fällen ging es um verschiedene Formen →ethnischer Säuberungen. Der Massenmord an rd. 8000 Bosniaken in der Umgebung von Srebrenica im Juli 1995 wurde in verschiedenen Verfahren sowohl vom ICTY wie vom Internationalen Gerichtshof der UN (International Court of Justice, ICJ; dt. IGH) – zuständig für zwischenstaatliche Klagen, ebenfalls mit Sitz in Den Haag – als „Völkermord“ eingestuft. (Dagegen hat der IGH die Völkermordklage Bosniens gegen Serbien in einem Urteil vom 26.2.2007 ebenso zurückgewiesen wie die Völkermordklagen Kroatiens gegen Serbien u. Serbiens gegen Kroatien im Urteil vom 3.2.2015.) – Das Kriegsverbrechertribunal für das ehem. Jug. machte es sich zur Aufgabe, nicht nur die unmittelbaren Exekuteure von Verbrechen, sondern auch die „Schreibtischtäter“ sowie sonstige Mittäter zur Verantwortung zu ziehen. Zu diesem Zweck entwickelte es – unter Berufung auf das Völkergewohnheitsrecht – die Doktrin des gemeinsamen kriminellen Unternehmens („joint criminal enterprise“, JCE). Vereinfacht gesprochen geht es dabei darum, dass nicht nur diejenigen schuldig sind, die eine Straftat ausführen, sondern auch diejenigen, die deren Tat billigend in Kauf nehmen bzw. sich an einer gemeinsamen Aktion beteiligen, die eine Straftat nach sich zieht oder diese zumindest als Risiko impliziert. Viele derjenigen, die nach Auffassung der Anklage an einem JCE beteiligt waren, konnten jedoch infolge ihres Todes nicht mehr zur Verantwortung gezogen werden. Der prominenteste unter ihnen war der erste Präsident des unabhängigen Kroatien, Franjo Tudjman. Zu den Angeklagten gehören ehem. Staatschefs, Ministerpräsidenten, Generalstabsoffiziere, Innenminister sowie hohe oder mittelrangige Angehörige von Armee- u. Polizeieinheiten sowie paramilitärischen Gruppierungen („warlords“). Unter den Angeklagten befinden sich mehrheitlich Serben (aus Bosnien-Herzegowina u. Serbien), ferner Kroaten, Bosniaken u. Kosovo-Albaner. Besonderes Interesse erregte der Prozess gegen Slobodan Milošević, der erstmals in der Geschichte als amtierendes Staatsoberhaupt (während des Kosovo-Kriegs 1999) angeklagt u. im April 2001
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auf Veranlassung des serb. Ministerpräsidenten Zoran Djindjić verhaftet u. nach Den Haag überstellt wurde, wo er im März 2006 vor Abschluss seines Prozesses verstarb. Ferner der im Okt. 2009 eröffnete Prozess gegen den jahrelang flüchtigen ehem. Staatschef der bosn. Republika Srpska (→Bosnien-Herzegowina), Radovan Karadžić, ebenso wie der bereits 2001 abgeschlossene Prozess gegen seine Nachfolgerin, Biljana Plavšić, der Prozess gegen den ehem. UÇK-Führer u. zeitweiligen Ministerpräsidenten des Kosovo, Ramush Haradinaj, der im April 2008 mangels an Beweisen freigesprochen wurde (bestätigt im Berufungsverfahren Ende Nov. 2012), sowie der Prozess gegen die verantwortlichen kroat. Generäle bei der Rückeroberung der „Serbischen Republik Krajina“ (→Krajina) im Sommer 1995 (Ante Gotovina u. a., die in erster Instanz verurteilt, im Berufungsverfahren dagegen freigesprochen wurden). Erst im Mai u. Juli 2011 wurden die beiden letzten flüchtigen Angeklagten des Tribunals, der serbisch-bosnische Generalstabschef Ratko Mladić sowie Goran Hadžić, vormals Präsident des serb. „Autonomen Distrikts Slawonien, Baranja u. Westsyrmien“, in Serbien verhaftet u. an das ICTY überstellt. Anfang 2015 waren noch vier Verfahren in erster Instanz (gegen Karadžić, Mladić, Hadžić u. Vojislav Šešelj) nicht abgeschlossen. Ähnlich wie die Dokumente der Nürnberger Prozesse (vor dem Intern. sowie dem amerikan. Militärtribunal), so stellt auch die mehrere Millionen Seiten umfassende Dokumentation des ICTY eine wichtige u. unverzichtbare hist. Quelle zur Aufarbeitung der postjugosl. Kriege dar. Dennoch – oder deswegen – stehen große Teile der Bevölkerung – sowohl in Serbien u. Kroatien wie in der bosnischen Republika Srpska oder Kosovo – dem Haager Tribunal ablehnend gegenüber oder akzeptieren dessen Tätigkeit nur deshalb, weil sie Nachteile von ihrem Land abwehren wollen, da die Kooperation mit dem Haager Tribunal eine der Voraussetzungen für die Aufnahme in die EU ist. Zwar hat die Bereitschaft der Regierungen in den einzelnen postjugosl. Staaten zur Zusammenarbeit mit dem ICTY im Verlauf des ersten Jahrzehnts des 21. Jh.s deutlich zugenommen, doch in der Wahrnehmung großer Teile der Bev. haben die Angeklagten nur in Verteidigung gehandelt u. können keine Verbrechen begangen haben. Dass das Kriegsrecht für Kriege aller Art gilt u. auch in „Verteidigungskriegen“ nicht alles erlaubt ist, war vielen Bürgern nicht klar. Das ICTY gilt immer dann als „pol.“ Gericht u. als einseitig, wenn Angehörige der eigenen Nation verurteilt werden. Die Tatsache, dass alle vormaligen Konfliktparteien schwere Menschenrechtsverletzungen u. Kriegsverbrechen begangen haben, wird oft dahingehend gedeutet, dass alle – gleichermaßen – schuldig seien. Viele Kritiker sind daher der Auffassung, dass Verurteilungen durch das ICTY – sofern schon die eigenen Landsleute davon nicht ausgenommen werden können – auf die Mitglieder aller vormaligen Kriegsparteien entsprechend einer Art Proporzsystem verteilt werden müssten. Zu denjenigen, die die Einrichtung des ICTY grundsätzlich für unzulässig halten, kommen Kritiker, die die Unabhängigkeit des Gerichts (z. B. gegenüber Staaten wie USA u. Großbritannien) bezweifeln oder die Überfrachtung einzelner Prozesse u. deren lange Dauer (z. B. im Verfahren gegen Milošević) beklagen. Nicht zuletzt wurde immer wieder auch die Forderung erhoben, dass die Prozesse nicht vor dem ICTY, sondern vor nationalen Gerichten durchgeführt werden sollten, obwohl die Voraussetzung dafür infolge des langwierigen rechtlichen Transitionsprozesses (transitional justice) lange Zeit nicht gegeben waren.
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Quellen: Dokumente, Prozessprotokolle, Anklagen u. Urteile sind auf der Homepage des ICTY abrufbar: http://www.icty.org. Eine Auswahl gedruckter Dokumente in: Annotated leading cases of international criminal tribunals. Bearb. A. Klip/G. Sluiter. Bde. 1, 3–5, 7, 8, 11, 14, 15, 19, 20, 24, 26: The International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia. Antwerpen [u. a.] 1998– 2011. [Enthält die Verhandlungen vor dem ICTY von 1993–2005.] Lit.: Prosecuting War Crimes. Lessons and legacies of the International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia. Hg. J. Gow. London u. a. 2014; The Milošević Trial. An autopsy. Hg. T.W. Waters. New York u. a. 2013; U. Möntnich, Aufarbeitung nach Bürgerkriegen. Vom Umgang mit konkurrierender Erinnerung in Bosnien u. Herzegowina. Frankfurt/M. 2013; Media and National Ideologies. Analysis of Reporting on War Crime Trials in Former Yugoslavia. Hgg. A. Džihana/Z. Volčić. Sarajevo 2011; J. Armatta, Twilight of Impunity: The War Crimes Trial of Slobodan Milosevic. Durham/NC 2010; C. del Ponte, Im Namen der Anklage. Meine Jagd auf Kriegsverbrecher u. die Suche nach Gerechtigkeit. Frankfurt/M. 2009; Ch. Kamardi, Die Ausformung einer Prozessordnung sui generis durch das ICTY unter Berücksichtigung des Fair-Trial-Prinzips. Berlin u. a. 2009; R. Heinsch, Die Weiterentwicklung des humanitären Völkerrechts durch die Strafgerichtshöfe für das ehemalige Jugoslawien u. Ruanda. Zur Bedeutung von internationalen Gerichtsentscheidungen als Rechtsquelle des Völkerrechts. Berlin 2007; K.N. Calvo-Goller, The Trial Proceedings of the International Court. ICTY and ICTR Precedents. Leiden 2006; R.C. Kerr, The International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia. An exercise in law, politics and diplomacy. Oxford 2004; C. Stephen, Judgement Day. The trial of Slobodan Milosevic. London 2004; S. Drakulić, Keiner war dabei. Kriegsverbrechen auf dem Balkan vor Gericht. Wien 2004; P. Hazan, Justice in a Time of War. The true story behind the International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia. College Station 2004; M.P. Scharf/P.R. Williams, Peace with Justice? War Crimes and Accountability in the Former Yugoslavia. Lanham/MD u. a. 2002; N.L. Cigar/P. Williams, Indictment at the Hague. The Milosevic regime and crimes of the Balkan wars. New York u. a. 2002; J. Hagan, Justice in the Balkans. Prosecuting war crimes in the Hague Tribunal. Chicago u. a. 2003. H. S.
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Habsburgermonarchie. Nach der Erwerbung der Herzogtümer Österreich u. →Steiermark 1282, →Kärntens 1335, Tirols 1363 u. der Gebiete bis zur Adria einschließlich →Istriens u. Triests errang der 1437 zum Kg. von Böhmen u. Ungarn gewählte Habsburger Albrecht II. 1438 die dt. Königskrone, die mit Ausnahme der Jahre 1741–45 bis zum Ende des →Heiligen Römischen Reiches (1806) im Besitz der Habsburger verblieb. Der frühe Tod Albrechts 1439 u. seines Sohnes Ladislaus Posthumus als Kg. von Ungarn u. Böhmen 1457 hat die dauerhafte, dynastisch begründete Verbindung der drei Länderkomplexe, nämlich der österr. Erbländer mit den Ländern der Wenzels- u. →Stephanskrone zur H. noch einmal um drei Generationen verzögert. Allerdings machten die erbitterten Kämpfe zw. Ks. Friedrich III. u. Kg. Matthias Corvinus um den Besitz Österreichs u. insbesondere der Residenzstadt Wien bereits deutlich, dass nur eine länderübergreifende ostmitteleurop. Reichsbildung – um die es beiden Regenten ging – diesen Raum vor der Expansion des →Osm. Reiches bewahren konnte. Eine solche Reichsbildung ist 1526 mit der Wahl des Bruders Ks. Karls V., Erzherzog Ferdinands (ab 1531 auch dt. Kg.) zum Kg. von Böhmen u. v. Ungarn zustande gekommen.
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Auch wenn Ferdinand I. durch die Gründung wichtiger Zentralbehörden (die als Hofrat, Hofkammer, Hofkanzlei u. Hofkriegsrat bis 1848 Bestand hatten) das erworbene Länderkonglomerat zu vereinheitlichen u. seine Herrschaft zu verdichten suchte, dauerte es bis Mitte des 18. Jh.s, bis die Reichsbildung im Zuge der mariatheresianischen Staatsreform (→Josephinismus) als abgeschlossen u. die H. als moderner Staat betrachtet werden kann. Von Anfang an standen die Wiener Habsburger vor drei großen Herausforderungen: Erstens den mit Frankreich durch das burgundische Erbe hervorgerufenen pol. Gegensatz zu meistern, der sich in der zweiten H. des 17. Jh.s zu einem Wettstreit um die Hegemonie in Europa zuspitzte; zweitens die osm. Aggression, die in den zwei Belagerungen Wiens 1529 u. 1683 gipfelte, einzudämmen – eine Aufgabe, die in diesem Zeitraum durch die Errichtung der kroat.-slawon. →Militärgrenze u. eines v. der Adria bis zu den Ostkarpaten reichenden Festungsgürtels gelöst wurde; u. drittens der durch die konf. Spaltung, die →Reformation, verursachten Probleme Herr zu werden. Nach der 1521 vorgenommenen Teilung des Hauses Habsburgs in eine spanische u. eine österr. Linie war bis zum Ende des 17. Jh.s die dynastische Achse Wien-Madrid der Angelpunkt habsb. Politik. Diese dynastisch bedingte Westorientierung der Politik des Wiener Hofes ließ nur dann größere pol. u. milit. Bemühungen in Richtung Osten u. Südosten zu, wenn die ksl. Kräfte nicht durch Konflikte im Westen gebunden waren. Ein Beispiel dafür war die Lage in →Ungarn nach 1526, als dort Ferdinand seine Herrschaft gegenüber den ung. Gegenkönig Johann Zápolya u. die Osmanen nicht durchzusetzen vermochte. Ungarn blieb für Wien daher bis 1683 ein Nebenkriegsschauplatz. Bedingt durch die Weltmachtstellung der Spanier im 16. Jh. war die dort regierende Linie der Habsburger der gebende u. dominierende Teil. Im Verlauf des 17. Jh.s kehrte sich dieses Verhältnis allmählich um, als Wien in langwierigen u. häufig erfolglosen Kämpfen Gebiete an der Grenze zu Frankreich verteidigte, die ein Jh. zuvor noch v. den Spaniern behauptet worden waren. Nach innen konzentrierte sich die Politik des Wiener Hofes bis 1648 ganz auf die Bewältigung der durch die Reformation herbeigeführten Krise seiner Herrschaft. Denn die mit Windeseile alle Erbländer, Böhmen u. Ungarn sich erobernde Reformation stellte mit den erstarkenden, v. ihr profitierenden →Ständen – dem Adel u. den Städten – die Herrschaft der kath. verbliebenen habsb. Zentralgewalt zunehmend in Frage. Im Kampf der Stände um Behauptung u. Garantie ihrer relig. u. der damit verknüpften pol. Freiheiten zielte die Politik Ferdinands I., Maximilians II. u. Rudolfs II. zunächst darauf ab, die Stellung der Dynastie über alle relig. Parteien hinweg zu festigen. Erst zögernd u. zunächst noch beschränkt auf die →Innerösterreich beherrschende Linie der Habsburger beschritt das Haus Österreich nach mehr als einem halben Jh. geübter Toleranz u. Verständigung einen neuen Weg: den der →Gegenreformation. Die unter Ks. Ferdinand II. ab 1619 auf die ganze H. ausgedehnte Politik des konf. →Absolutismus setzte sich mit der Schlacht auf dem Weißen Berg 1620 über die prot. böhmischen Stände als das neue pol. System durch, das die reformationsbedingte Patt-Situation mit den Ständen überwand u. alle pol. Schlüsselpositionen mit der im Geiste des Reformkatholizismus erzogenen Elite des Hofadels besetzte. Als pol. Grundeinstellung des Wiener Hofes setzte sich das Prinzip durch, dass relig. gegenüber pol. Einheit überall der Vorrang eingeräumt werden sollte, auch wenn die ksl. Regierung oft nicht in der Lage war,
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dies in allen Teilen der H. durchzusetzen. Dies gilt im besonderen Maß für Ungarn, auch wenn die Dynastie nach der Rückeroberung des Landes 1687 größere Rechte als bisher, etwa das Erbrecht der Krone für sich erlangen konnte. In Verteidigung ihrer Privilegien, insbesondere ihrer Steuerfreiheit, widersetzten sich die ung. Stände lange Zeit den als Absolutismus verteufelten Modernisierungsbemühungen des Wiener Hofes. Ihre retrograde Politik der eigensüchtigen Bewahrung ihres Besitzstandes scheute auch vor Aufstands- u. Bündnisversuchen mit ausländischen Mächten gegen Wien nicht zurück. Diese mit den Namen Bocskai, Thököly u. Rákóczi verbundenen „Freiheitskriege“ (→Kuruzzen) markieren die Grenze für die Integration Ungarns in einen Einheitsstaat, der auch deshalb mit Ausnahme des kurzfristigen Experiments des →Neoabsolutismus niemals zustande gekommen ist. Die lange Zeit defensiv geführten →Türkenkriege des 16. u. 17. Jh.s wurden oft unterbrochen durch einen kurz- oder längerfristigen Waffenstillstand, den jeweils ein entsprechender, etwas irreführend als Friedensschluss bezeichneter Vertrag einleitete. Erst die erfolgreiche Entsatzschlacht vor Wien im September 1683 führte in die Offensive u. dieser 15jährige Krieg endete mit dem Friedensschluss v. →Karlowitz 1699, der die Eroberung des alten Kgr.s Ungarn bis an die Save-Donau-Linie besiegelte. Mit dem Friedensschluss v. →Passarowitz 1718 kamen noch das →Banat u. der nördliche Teil Serbiens als Hinterland der Festung Belgrad hinzu. Zusammen mit den Gebieten, die 1714 mit dem Frieden v. Rastatt Ks. Karl VI. als Ergebnis des spanischen Erbfolgekrieges hinzugewann: den bislang spanisch regierten Gebieten in Italien (Mailand, Neapel, Sizilien) u. der kath. Niederlande, erreichte die H. im ersten Drittel des 18. Jh.s ihre territorial größte Ausdehnung. Der Übergang zum absolutistisch regierten Territorialstaat, zur Einrichtung eines stehenden Heeres u. eines zentralisierten Verwaltungssystems unter Beseitigung des ständischen Partikularismus hat diese Expansion u. damit den Aufstieg der H. zu einer europ. Großmacht ermöglicht. In diese Zeit fielen auch die ersten Bemühungen, aus diesem nur durch die Dynastie zusammengehaltenen Verband höchst unterschiedlicher Länder u. Provinzen ein „totum“, einen Gesamtstaat zu machen, der sich mit der →Pragmatischen Sanktion 1713/23 das erste Staatsgrundgesetz gab, sich im Verlauf des 18. Jh.s in immer stärkerem Maß aus den Verband des Alten Reiches (→Heiliges Römisches Reich) herauslöste, erstmals fortlaufend erscheinende Gesetzbücher herausbrachte u. mit der „Pietas Austriaca“ so etwas wie eine Gesamtstaatsidee mit dazugehöriger Staatssymbolik schuf, die im österr. Barock u. der davon geprägten Residenzstadt Wien ihren epochenübergreifenden Ausdruck fand. Die durch den Österr. Erbfolgekrieg 1740–1748 ausgelöste Krise, die hinter den glänzenden Barockfassaden gewaltige Strukturdefizite des Staates offenbarte, führte zur Ablösung des pol. Systems des konfessionellen durch das des aufgeklärten Absolutismus. Die v. Maria Theresia unmittelbar nach dem Erbfolgekrieg durchgesetzte Staatsreform leitete eine so gut wie alle Lebensbereiche erfassende, tiefgreifende Modernisierung ein. Zunächst war es eine auf Effizienz bedachte, die Länder vereinheitlichende Reform der Zentral- u. Regionalverwaltung u. eine auf Steigerung der Steuerleistung zur Finanzierung des stehenden Heeres abzielende Wirtschafts- u. Sozialpolitik, wobei letztere durch die gesamtstaatlich durchgeführte →Urbarialregulierung die Lage der breitesten Bevölkerungsschicht, nämlich der Bauern, nachhaltig zu verbessern u. durch Festlegung ihrer Arbeit- u. Abgabenverpflichtung gegenüber dem
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Grundherrn die nötige Rechtssicherheit zu geben suchte, um soz. Unruhen zu unterbinden. Hinzu kam die Einführung der Volksschule (→Bildungswesen) u. der allg. Schulpflicht, die zusammen mit einer großzügigen Ansiedlungspolitik die Emanzipationsbewegung der ethn. Gruppen einleitete, die bis dahin im noch immer ständisch-hierarchisch gefassten Rahmen des pol. Lebens noch keinen Platz gefunden hatten u. allmählich ihre nunmehr national bestimmte Identität entdeckten. Die häufigen Kriege des 18. Jh.s brachten überwiegend Territorialverluste; Territorialgewinne konnte die Diplomatie der H. v. a. am Verhandlungstisch verzeichnen, so die aus den beiden Teilungen Polens 1772 u. 1795 zugefallenen Gebiete v. Galizien u. Lodomerien mit Krakau sowie der Rückfall der 1412 an Polen verpfändeten 13 Zipser Städte 1779 (→Zips); ferner die Erwerbung der zuvor mold. →Bukowina 1775. Die Einverleibung der Toscana 1738 als Sekundogenitur war freilich nur ein Ersatz für den endgültigen Verlust Lothringens. Verloren gingen im Polnischen Erbfolgekrieg 1737 Neapel mit Sizilien u. die Lombardei, im Türkenkrieg 1737/39 Belgrad mit dem nördl. Teil Serbiens, nach dem Österr. Erbfolgekrieg im Frieden v. Aachen 1748 der Großteil der Provinz Schlesien. Damit war Preußen unter Friedrich II. zum erfolgreichen Gegenspieler der Habsburger im Reich aufgestiegen, der zweimal 1778 u. 1785 die Pläne Josephs II., Bayern zu erwerben, verhinderte; Joseph II. musste sich 1779 deshalb mit der Einverleibung des bayr. Innviertels begnügen. Die aus der allg. Reformbewegung hervorgegangene Herrschaftsform des →Josephinismus suchte den →Katholizismus als erstrangiges Kohäsionselement der Dynastie u. Monarchie in verstaatlichter Gestalt zu bewahren, um es mit den effizienzbedachten rationalistischen Strömungen der neuen Zeit zu verbinden. Mit Ks. Joseph II., der sich als erster Diener seines Staates diesem unterordnete, gewann der Staat deutlich an Abstraktion u. begann eine das Leben des Einzelnen immer stärker normierende Tätigkeit zu entfalten. Die tatsächlich Aufgeklärten bildeten die Avantgarde des entstehenden Liberalismus, organisiert in einem sich über die ganze Monarchie hinziehenden Netz v. →Freimaurerlogen. Sie waren prinzipiell antiklerikal u. Vorläufer wie auch Wegbereiter nationalistischer Erneuerungsbewegungen, die nach 1830, kulminierend im Völkerfrühling v. 1848, gegen die starre Staatsideologie des im wesentlichen noch immer barocken Supranationalismus Sturm laufen sollten. Die sich gegen den Josephinismus formierende, unter dem Eindruck der Frz. Revolution noch wesentlich bestärkte kons.-kath. Opposition artikulierte ihre Vorstellungen mit den Ideen der nach 1800 entstandenen Romantik, die pol. für eine föderalistische Struktur der Monarchie im Rahmen der alten Ländergrenzen eintrat, wie eine solche auch im Verfassungsentwurf des Reichstags v. Kremsier (1849) vorgesehen war. Der Romantik bediente sich auch der pathetische Patriotismus der napoleonischen Freiheitskriege, die vom glanzvollen Wiener Kongress 1814/15 beendet wurden. Nach erheblichen Gebietsverlusten in den Friedensschlüssen v. Campo Formio 1797, Lunéville 1801, Pressburg 1805 u. Schönbrunn 1809 wurde die H. in v. a. in Italien erweiterten Grenzen (Oberitalien mit der Lombardei, Venetien u. den habsb. Nebenlinien in der Toscana, Modena u. Parma) wiederhergestellt. Zugunsten einer größeren territ. Geschlossenheit verzichtete die Wiener Regierung auf die Rückerstattung ihrer ehemals westl. Gebiete: Belgien wurde mit den Niederlanden vereinigt, die Reste des schwäbischen Vorderösterreichs erhielten Baden, Würt-
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temberg u. auch Bayern. Der Besitz des erstmals 1797 v. der H. einverleibten venez. →Dalmatien unter Einschluss des neuerworbenen Gebietes der eh. Republik Ragusa (→Dubrovnik) wurde bestätigt. Die H. umfasste ab diesem Zeitpunkt folgende Länder: Erzherzogtum Österreich, die Herzogtümer →Steiermark, Salzburg, →Kärnten u. →Krain, die Gefürstete Grafschaft Tirol mit Vorarlberg, das →Küstenland (→Görz-Gradisca, →Istrien, Triest), das Kgr. →Dalmatien, das Kgr. Böhmen, die Markgrafschaft Mähren, das Herzogtum Schlesien, das Kgr. →Ungarn, das Kgr. →Kroatien-Slawonien, das Großfürstentum →Siebenbürgen, das Kgr. Galizien u. Lodomerien, das Herzogtum →Bukowina u. das Kgr. Lombardei-Venetien. Mit Ausnahme des letzteren, das nach den verlorenen Kriegen 1859/66 an Piemont bzw. Italien abgetreten werden musste, blieb dieser Bestand nach außen bis 1918 erhalten. Hinzu kamen noch 1846 das dann an Galizien angeschlossene Krakau sowie die 1878 besetzten u. 1908 gleichsam als „Reichsland“ annektierten Provinzen →Bosnien u. Herzegowina. Der pol. Kurs des Wiener Hofes in der ersten H. des 19. Jh.s ist gekennzeichnet durch eine grundsätzliche u. wenig flexible Defensivposition gegen beinahe alles, was man „Zeitgeist“ oder „Moderne“ nennen könnte. Dieses bis 1848 mit dem Namen des Staatskanzlers Metternich verknüpfte, v. Ks. Franz I. mit einer grundkonservativen Ausrichtung versehene System war jedoch auch auf Kontinuität bedacht u. zu dieser gehörte die, wenn auch beschränkte, Fortführung des josephinischen Reformerbes. Eingeschlossen darin war beispielsweise der für die Entwicklung der verschiedenen Nationalitätenkulturen so bedeutsame Ausbau des Schulu. Bildungswesens, der auch die Formierung eines Bürgertums beförderte, u. nicht zuletzt die Gründung technischer Lehranstalten, die eine notwendige Voraussetzung für die in diesem Zeitalter einsetzende Industrialisierung schufen. Die v. der →Industrialisierung ausgehenden Modernisierungsimpulse wurden im zentralistisch-technokratischen Herrschaftsmodell des →Neoabsolutismus 1849–1860(/67) zwar weitgehend umgesetzt, doch scheiterte dieses an der Megalomanie seiner Pläne u. Vorhaben u. nicht zuletzt an der mangelnden Zustimmung der seit 1848 zu neuem Selbstbewusstsein erwachten Völker der H. Die 1849 noch besiegte (→Revolution v. 1848/49: Ungarn), 1867 in der östl. Reichshälfte jedoch v. Ungarn durchgesetzte Idee des Nationalstaates – dem in Gestalt der westl. Reichshälfte ein nicht ausreichend begründeter u. damit wesentlich schwächerer Nationalitätenstaat gegenüberstand – stellte alle bis dahin gültigen Identitäten der H. grundlegend in Frage. Die Aporie des Vielvölkerreiches im Zeichen des unwiderstehlich wirksamen, ganz eng mit der →Modernisierung verkoppelten Nationalstaates erwies sich als nicht auflösbar, auch wenn das 1867 (→Ausgleich, österr.-ung.) eingeführte System des →Dualismus mit seinen gewaltigen Erfolgen im wirt., soz. u. kult. Bereich über die Brüchigkeit dieser aus einem Kompromiss hervorgegangenen Staatskonstruktion v. →Österreich-Ungarn lange Zeit hinwegtäuschte. Doch erst der milit. Zusammenbruch v. 1918 in Verein mit dem erklärten Willen v. a. seiner slav. Völker, sich nationalstaatlich zusammenzuschließen, brachten diese Konstruktion zum Einsturz, die nicht nur vom „letzten“ Ks. Franz Joseph (1848–1916) bereits als „Anomalie“ betrachtet worden war.
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Lit. (a. →Dualismus; →Österreich-Ungarn; →Türkenkriege): Die Habsburgermonarchie 1848–1918. [bisher] 11 Bde. Hgg. A. Wandruszka u. a. Wien 1973–2014; J. Bérenger, Les Habsbourg et l’ar-
Haiduken
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Haiduken (a. Hajduken, Haiducken, Heiducken; osm.-türk. Haydut; bulg. chajduk u. chajdutin; rum. haiduc; kroat. u. serb. Hajduk; ung. hajdú). Viehhirten, Söldner, Räuber, Kämpfer gegen die osm. Herrschaft.
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Etymologisch geht das Wort auf ein in den Turksprachen weit verbreitetes Verb ayda-, hayda- „treiben“ zurück. Wahrscheinlich durch kumanische Vermittlung gelangte es schon vor der osm. Eroberung des Balkans in die südslav. Sprachen u. später, vermutlich durch vlachische Vermittlung (über Siebenbürgen), in das Ungarische. Hier verstand man unter einem H. im frühen 16. Jh. zunächst einen „Viehhirten“, daneben aber auch einen „Fußsoldaten“. Erst ab Mitte des 16. Jh.s – auch in Gebieten südl. der Donau – ist die Verwendung des Wortes in einer weiteren Bedeutung als „Räuber“ belegt. Brigantentum war, speziell in schwer zugänglichen Gebirgsregionen der Balkanhalbinsel, eine chronische Erscheinung schon zu byz. Zeit bzw. in den ma. Reichen der Bulgaren u. Serben. Unter den gewandelten wirt., ges. u. pol. Bedingungen der osm. Herrschaft seit dem späten 16. Jh. nahm es die Form eines virulenten Sozialbanditentums (Hobsbawm) an (a. →segmentäre Gesellschaft). Folgende Entwicklungen spielten dabei eine maßgebende Rolle: 1. beeinträchtigte die Ausweitung des Ackerbaus im 16. Jh. die Interessen viehzüchtender Gruppen, deren tradit. Weidegebiete eingeschränkt u. Wanderungswege dorthin (→Trans humanz) vielfach abgeschnitten wurden. Dadurch verschärfte sich die latente Konfliktsituation zw. der sesshaften Bev. u. den mobilen u. i. d. R. auch bewaffneten Wanderhirten erheblich. 2. brachte der Ausbau des vormodernen „Steuerstaates“ im 17.–18. Jh. einen empfindlichen Statusverlust für jene Gruppen, die in der Phase der osm. territorialen Expansion diesem Staat in einer „halbmilitärischen“ Funktion – etwa als Krieger (voynuk, →Armatolen [Martolosen]) oder Passwächer (→Derbendci) – gedient hatten. Nunmehr Opfer einer soz. Nivellierung, kämpften auffällig viele v. ihnen als H. um ihr „altes Recht“. Parallel dazu ist, 3., die Intensivierung des regionalen wie überregionalen Handels u. überhaupt eine gewisse Kommerzialisierung des Lebens im Verlauf des 17.–18 Jh.s zu berücksichtigen. So kommen in den Quellen Kaufleute aus →Dubrovnik, jüd. Händler aus →Saloniki u. Verwalter v. →Çiftlik-Gütern – neben Steuerpächtern u. sonstigen Vertretern des Fiskus – am häufigsten als Opfer v. H.-Überfällen vor. Schließlich schufen, 4., die →„Türkenkriege“ günstige Bedingungen für Brigantentum, da H. wie →Klephten jetzt im Rahmen eines imperial sanktionierten Kleinkriegs, teilweise v. sicheren Stützpunkten entlang einer →„Militärgrenze“ aus, operieren konnten. So ist das verwandte Phänomen Uskokentum (→Uskoken) eng mit der Institution der österr. Militärgrenze verbunden. Die ideologische Atmosphäre des „heiligen Krieges“ erleichterte es den H. zudem, sich mit der Aura des Heldentums im Kampf gegen die musl. Fremdherrschaft zu umgeben. Ihre (Un-)Taten wurden in epischen Liedern tradiert (→Epos). Bei der Verfolgung der H. verließ sich die osm. Herrschaft weitgehend auf die Dienste traditioneller Söldnergruppen, die unter Bezeichnungen wie Martolosen oder Panduren bekannt sind. In konfessioneller Hinsicht wie nach soz. u. regionaler Herkunft waren diese mit den Verfolgten verwandt. Nicht selten wurden Anführer v. H.-Scharen offiziell damit beauftragt, andere Räuber zu verfolgen. Einmal im Amt, versuchten diese Personen, wegen des soz. Prestiges ebenso wie wegen der beachtlichen materiellen Begünstigungen, ihre neuen Stellungen zu behalten. Einigen Familien gelang es sogar, den Polizeidienst in ihren Gebieten regelrecht zu monopolisieren. So entstand eine ländliche Elite, die auch politisch eine Vermittlerrolle zw. der Zentralregierung u. der lokalen Bev. wahrnehmen konnte (a.
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→Osm. Reich). Angehörige dieser Schicht beteiligten sich zwar an den →Befreiungskriegen des 19. Jh.s durchaus. Doch wurden sie v. den Bürokratien der jungen Nationalstaaten überwiegend als Hindernis für Modernisierung betrachtet u. konsequent bekämpft, was z. T. erklärt, warum das H.-tum für eine gewisse Zeit auch nach Ende der osm. Herrschaft als ges. Problem bestehen blieb. In der →Erinnerungskultur der christl. Balkannationen leben H. (ebenso wie →Klephten) als Kämpfer gegen „feudale“ Unterdrückung u. Vorkämpfer der nationalen Befreiung fort. Doch schon der serb. Sprachreformer Vuk Karadžić übersetzte „hajduk“ in seinem 1818 erschienenen Wörterbuch mit „Straßenräuber…(in diesem Lande weniger abscheulich, näher dem Heldenthume)“ u. fügte hinzu: „Wirklich gehen viele Männer nicht zu den Hajduken, um Böses zu tun, doch wenn ein Mensch (besonders ein einfacher) einmal von der menschlichen Gesellschaft abfällt, […] so beginnt er…auch Böses zu tun. So begehen die Hajduken Böses auch an ihrem eigenen Volk, das sie […] liebt u. bedauert, aber dem Hajduken erscheint es noch heute als größter Schimpf u. Schande, wenn man ihm sagt, er sei ein Strauchdieb u. niederträchtiger Räuber.“ Lit.: J. Varga, Heiducken u. Heiduckenstädte in Ungarn, in: Kollektive Freiheitsvorstellungen im frühneuzeitlichen Europa (1400–1850). Hgg. G. Schmidt/M. van Gelderen/Ch. Snigula. Frankfurt/M. u. a. 2003, 267–278; W. Bracewell, „The Proud Name of Hajduks“: Bandits as Ambiguous Heroes in Balkan Politics and Culture, in: Yugoslavia and Its Historians. Understanding the Balkan Wars in the 1990s. Hgg. N.M. Naimark/H. Case. Stanford 2003, 22–36; M. Ivanics, Anmerkungen zur Etymologie hajdú „Heiduck“, Acta Orientalia Academiae Scientiarum Hungaricae 48 (1995), 391–403; C.W. Bracewell, The Uskoks of Senj. Piracy, Banditry, and Holy War in the Sixteenth Century Adriatic. Ithaca u. a. 1992; J.S. Koliopoulos, Brigands with a Cause. Brigandage and Irredentism in Modern Greece 1821–1912. Oxford 1987; S. Gavrilović, Hajdučija u Sremu u XVIII i početkom XIX veka. Beograd 1986; M. Stojanović, Hajduci i klefti u narodnom pesništvu. Beograd 1984; A. Matkovski, Otporot vo Makedonija vo vremeto na turskoto vladeenje. Bd. III: Ajdutstvoto. Skopje 1983; ders., Turski izvori za ajdutstvoto i aramistvoto vo Makedonija, I: 1620–1650, II: 1650–1700, III: 1700–1725, IV: 1725–1775, V: 1775–1810. Skopje 1961–1980; F. Adanır, Heiduckentum u. osmanische Herrschaft. Sozialgeschichtliche Aspekte der Diskussion um das frühneuzeitliche Räuberwesen in Südosteuropa, SOF 41 (1982), 43–116; B. Lory, Problèmes du brigandage en Bulgarie 1878–1883, in: Părvi meždunaroden kongres po bălgaristika. Bd. I. Sofija 1982, 510–515; D. Djordjević/S. Fischer-Galaţi, The Balkan Revolutionary Tradition. New York 1981; M.C. Bartusis, Brigandage in the Late Byzantine Empire, Byzantion 51 (1981), 386–409; M. Stojanović, The Motive of Hayduk in Serbian and Greek Nineteenth Century Poetry, Balcanica 6 (1975), 281–295; B. Cvetkova, Chajdutstvoto v bălgarskite zemi prez 15–18 vek. Sofija 1971; I. Rácz, A hajdúk a XVII. században. Debrecen 1969; M. Vasić, Martolosi u jugoslovenskim zemljama pod turskom vladavinom. Sarajevo 1967; A. Matkovski, Biographische Beiträge zur Geschichte des mazedonischen Haiduckenwesens von 1622 bis 1650, SOF 27 (1968), 324–346; ders., Maßnahmen der osmanischen Regierung zur Unterdrückung des Haiduckenwesens in Mazedonien in der ersten Hälfte des 17. Jh.s, SOF 26 (1966), 46–71; G. Rosen, Die Balkan-Haiduken. Ein Beitrag zur inneren Geschichte des Slawenthums. Leipzig 1878 (Ndr. Berlin 2009). F. A.
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Hamam / Handwerker
Hamam (arab. ḥammām). Öffentliches Bad; diese aus der Antike ererbte Einrichtung bildet bis in die Gegenwart hinein ein unentbehrliches Element der isl. Stadtkultur (→Stadt, Stadttypen: osm.). Da bestimmte rituelle Waschungen üblicherweise im Bad vorgenommen wurden, konnte der Besuch des H. eine geradezu sakrale Funktion erhalten. Besonders der Umkleideraum erfüllte darüber hinaus eine wichtige Funktion als Stätte der Geselligkeit. Öffentliche Bäder stehen grundsätzlich allen städt. Bevölkerungsgruppen offen, Muslimen wie Nichtmuslimen, Männern wie Frauen. Wo es sich nicht um reine Männer- oder Frauenbäder bzw. Doppel-H. handelt, gibt es getrennte Öffnungszeiten für Frauen. – Zu den frühesten Bädern aus osm. Zeit in Europa gehört das des Gazi Mihal in Edirne (erbaut um 1420), dessen Kuppel auf nur aus der türk. Kunst bekannte Weise mittels Dreiecken zum quadratischen Baderaum überleitet. Im Unterschied zu manchen Mineralbädern aus osm. Zeit mit durchweg bescheidenen Dimensionen (schöne Beispiele aus dem 16. Jh. sind in Budapest bis heute in Gebrauch geblieben), verfügen die z. B. in →Skopje u. →Saloniki erhaltenen H.-Bauten über beachtliche Dimensionen. Machiel Kiel hat hierfür den treffenden Ausdruck „Kathedralen der Hygiene“ geprägt. Lit.: A. De Miranda, Lʼhammam nellʼIslam occidentale fra lʼVIII e il XIV secolo. Roma 2010; R. Vırmiça, Kosova Hamamları. Ankara 2002; J. Sourdel-Thomine, Ḥammām, in: EI²; M. Kiel, Osmanische Baudenkmäler in Südosteuropa, in: Die Staaten Südosteuropas u. die Osmanen. Hg. H.G. Majer. München 1989, 23–76; H. Kreševljaković, Banje u Bosni i Hercegovini (1462– 1916). Sarajevo 21952. M. U.
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Handwerker. Die ges. Arbeitsteilung in den agrarisch strukturierten Gesellschaften SOEs, in denen die landwirt. Erzeugung in annähernd geschlossenen Familienwirtschaften (→Großfamilie) vorherrschte, hatte sich bis ins 19. Jh. nur in Ansätzen in den Städten bis zur gewerblichen Erzeugung von Waren für einen Markt durch H. entwickelt. Die Landbev. stellte die von ihr benötigten Gegenstände des häuslichen u. wirt. Bedarfs in trad. Weise weitgehend selbst her (Hauswerk). Mit der Spezialisierung einzelner Hauswirtschaften auf bestimmte Arbeitsbereiche neben der Landwirtschaft u. dem lokalen Austausch der Erzeugnisse entstanden erste Übergänge zu handwerklicher Produktion (Heimwerk; typische Vertreter: Müller, Schmied). Jährlich wiederkehrend u. dabei saisonal begrenzt gingen (v. a. männliche) Mitglieder der Landbev. in Gruppen unter der Führung eines „Meisters“ organisiert als Wanderhandwerker von Ort zu Ort, z. B. in Serbien herumziehende Bauhandwerker aus Makedonien oder Bosnien, ebensolche albanische in den Zentren des Osm. Reiches u. Rumänien, oder aus Bulgarien kommende Gärtner in weiter nördl. gelegenen Anbaugebieten (serb. pečalbari, alb. kurbetçi/kurbetlli/gurbetçarë, von türk. gurbet „die Fremde“). Die Entlohnung (in Naturalien oder Geld) diente den Familien als Zubrot zur agrarischen Erzeugung. Die städtischen H. im osm. Reich arbeiteten im Bazar (→Čaršija), der gleichzeitig Produktionsort, Lager- u. Verkaufsstätte ihrer Erzeugnisse war. Dieselben Gewerbe lagen räumlich in Gebäuden oder Straßen nebeneinander. Die Standorte einzelner Handwerkssparten in den überdachten Teilen bzw. den offenen Randzonen des Bazars (für lärm- oder gerucherzeugen-
Handwerker / Harem
de Handwerksgruppen) zeigten in ihrer Nähe bzw. Ferne zur Moschee auch eine Hierarchie der Handwerksberufe an. Die H. waren in Zünften (→Esnaf ) organisiert. Privilegien bzw. Verbote bestimmter Berufe waren auch an die ethn. Zugehörigkeit der H. gebunden (Bulgaren lieferten z. B. Tuche für das osm. Heer nach Istanbul; Serben z. B. war die Betätigung als Hufschmied verboten). Rohstoffe u. Nachfrage begünstigten eine regional unterschiedliche Entwicklung verschiedener Berufssparten. In Ungarn u. Siebenbürgen waren seit dem MA dt. Kolonisten als H. tätig u. förderten dementsprechende Berufe u. Organisationsformen (zum MA →Deutsche; zur Neuzeit →Kolonisation). Im 19. Jh., bereits unter den Bedingungen der neuen Nationalstaaten, gelang es den H. nicht, gegen die Konkurrenz der v. a. aus den westeurop. Ländern importierten billigeren Fabrikerzeugnisse zu bestehen (z. B. in Serbien ab 1823 Gesetze zur Handwerksförderung; Gewerbefreiheit in Rumänien 1834, in Ungarn im Zuge des →Neoabsolutismus 1859). Damit war eine Situation entstanden, in der die H. bereits am Beginn einer breiteren Entfaltung der ges. Arbeitsteilung u. Ausfächerung der Berufe durch die fortgeschrittenere industr. Entwicklung Westeuropas überholt wurden. Ihnen blieben örtliche Dienstleistungen u. Reparaturen, womit sie eine moderne wirt. Entwicklung weder anstoßen noch vorantreiben konnten. Nach dem 2. Wk. standen H. als selbständige Warenproduzenten im Widerspruch zur sozialistischen Ideologie. Die aktive Pflege „alter“ Handwerke im Sinne eines „Volkskunst-Schaffens“ sollte dagegen der heimischen Bevölkerung Objekte zur nationalen Identifikation anbieten u. die Staaten nach außen repräsentieren. Lit. (a. →Esnaf ): S. Faroqhi, Artisans of Empire: crafts and craftspeople under the Ottomans. London, New York 2009; IV. Nemzetközi Kézmüvesipartörténeti Szimpózium/IV. Internationales handwerksgeschichtliches Symposium Veszprém 1994. Budapest 1995; O. Domonkos/P. Nagybákay, Magyarország kezmüvesipartörténetének válogatott bibliográfiája. Budapest 1992; VII. Kézmüvesipartörténeti Szimpózium Veszprém 1990. Veszprém 1991; H. Sundhaussen, Historische Statistik Serbiens 1834–1914. München 1989; Handwerksgeschichte in Ungarn: vom ausgehenden 16. bis zum frühen 19. Jh. Hg. R. Elkar. Bochum 1989 (mit Berufsregister); Handwerk in Mittel- u. Südosteuropa. Mobilität, Vermittlung u. Wandel im Handwerk des 18. bis 20. Jh.s. Hg. K. Roth. München 1987; W. Finke u. a., Traditionelles Handwerk in der Türkei. Horn 1983; G. Fehér, L’artisanat sous la domination ottomane en Hongrie. Budapest 1975; J. SzŰcs, Városok és kézművesség a XV. századi Magyarországon. Budapest 1955; H. Gross, Südosteuropa, Bau u. Entwicklung der Wirtschaft. Leipzig 1937; J. Petrović, Pečalbari. Naročito iz okoline Pirota. Beograd 1920. G. W.
Harem (arab. ḥarīm „geheiligter, unverletzlicher Ort“). Im abgeleiteten Wortsinn gebraucht für (1) den Wohnbereich des orient. Hauses, den kein Fremder betreten darf (türk. haremlık im Gegensatz zu den „Empfangsräumen“, selamlık); (2) die Frauengemächer der Herrscherpaläste; (3) die Gesamtheit der weiblichen Angehörigen eines Haushalts, speziell die Haupt- u. Nebenfrauen eines Herrschers, dazu seine weiblichen Verwandten u. Sklavinnen, aber auch seine Kinder u. Eunuchen; (4) ein abgegrenzter Bereich neben einer Moschee (mit Grabmälern). In der Hauptstadt des Osm. Reiches →Istanbul bildete der H. den ab-
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Harem / Häresie
geschlossenen Teil des Inneren Hofes (enderun) im Sultanspalast, den der Sultan als einziger zeugungsfähiger Mann betreten durfte. Schwarze Eunuchen, denen selbst der Penis amputiert wurde, sorgten hier für rigorose Disziplin. Die höchste Autorität über den gesamten H. mit seiner komplexen Hierarchie kam der Mutter des regierenden Herrschers mit dem Titel Valide Sultan zu. Ihr Einfluss auf den Sultan, den Regierungsapparat u. die Staatsgeschäfte einschließlich der Regelung der Nachfolge („Sultanat der Frauen“) erreichte im 17. Jh. mit Kösem Sultan (†1651), Mutter der Sultane Osman II. (1618–1622), Murad IV. (1623–1640) u. Ibrahim I. (1640–1648) seinen Höhepunkt. Lit.: İ. Ortaylı, Private and Royal Life in the Ottoman Palace. New York 2014; Harem, House of the Sultan: Topkapı Palace, the Imperial Harem. Hg. A. Takin. Istanbul 2012 [Ausstellungskatalog]; R. Gost, Der Harem. Köln ²1994; L. Peirce, The Imperial Harem. Women and Sovereignty in the Ottoman Empire. New York u. a. 1993; H.G. Majer, The Harem of Mustafa II (1695–1703), Osmanlı Araştırmaları 12 (1992), 431–444; G. Necipoğlu-Kafadar, Architecture, Ceremonial and Power. The Topkapi Palace in the Fifteenth and Sixteenth Centuries. Cambridge/MA 1991; F. Mernissi, Der politische Harem. Mohammed u. die Frauen. Frankfurt/M. 1989; B. Sagaster, Im Harem von Istanbul. Osmanisch-türkische Frauenkultur im 19. Jh. Hamburg 1989; Ph. Mansel, Sultans in Splendor: Monarchs in the Middle East, 1869–1945. New York u. a. 1988; Ç. Uluçay, Padişahların Kadınları Ve Kızları. Ankara 1980; N. Penzer, The Harēm. An Account of the Institution as it Existed in the Palace of the Turkish Sultans. London 1936. M. U.
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Häresie (altgr. haíresis: Denkart, Spaltung, Ketzerei): aus kirchlicher Sicht eine v. der Rechtgläubigkeit (Orthodoxie im ursprüngl. Sinn) abweichende relig. Lehrmeinung. Ihre Anhänger werden als Ketzer bezeichnet (aus mittellat. Cathari=Katharer/die „Reinen“, das seinerseits aus mittelgr. Katharōi, einer Substantivbildung aus katharós=rein abgeleitet ist). Das häresiologische Schrifttum der byz. Kirche enthält kaum Anhaltspunkte für die Annahme, dass der Balkanraum einen besonders fruchtbaren Nährboden für Sektierer u. Ketzer abgegeben habe. Allenfalls boten die landschaftlichen Gegebenheiten Kleingruppen, die v. den Lehrmeinungen der Großkirchen abwichen, in entlegenen Rückzugsgebieten günstige Überlebensmöglichkeiten u. einen relativen Schutz vor staatl. oder kirchl. Verfolgungsmaßnahmen. Die kirchl. Überlieferung kennt in der ma. Geschichte der Balkanhalbinsel mehrfach häretische Umtriebe. Meist handelt es sich um Einzelgänger, deren Vergehen nur schwer einzuordnen sind. Eine spezifisch balkanische Komponente fehlt. Für größere Spannungen in der byz. Reichskirche hatten zunächst vor allem die östlichen Reichsteile (Armenien, Syrien, Ägypten) gesorgt. Dort war die territ. Basis der Arianer, Monophysiten u. Nestorianer, die sich nach den dogmatischen Entscheidungen der ökumenischen Konzile im Zusammenhang mit den christologischen Streitigkeiten (Nikaia 325, Chalkedon 451) abgespaltet hatten u. eigene Kirchen gründeten. Im Osten fand auch die ikonoklastische Bewegung (→Bilderstreit) des 8.–9. Jh.s den stärksten Rückhalt. Schon in frühchristl. Zeit brachten Bewohner der östl. Randprovinzen Unruhe in die Kirche. Aus dem kleinasiat. Phrygien stammten die apokalyptischen Schwarmgeister der Montanisten des 2. Jh.s, in Ägypten breiteten sich zur
Häresie
gleichen Zeit die Markioniten u. weitere gnostische Sekten aus. Die rigoristische Sekte der Novatianer hatte im 3. Jh. in Italien, Nordafrika, Spanien u. Gallien ihre Hochburgen, aus Syrien stammten die messalianischen Mystiker (Messalianer, Euchiten oder Choreuten) des 4. Jh.s, die ein dualistisches Weltbild vertraten. Die verblassende Erinnerung an sektiererische Gruppierungen aus den frühchristl. Jahrhunderten wurde im gr. polemischen Schrifttum festgehalten. Es waren zahlreiche Ketzerkataloge in Umlauf, die in sehr formelhaften Wendungen eine Vielzahl verwerflicher Lehrmeinungen auflisteten u. bei der Ausgrenzung u. Bekämpfung neu auftretender oppositioneller Bewegungen ein gut sortiertes Waffenarsenal zur Verfügung stellten. Sie vermittelten handlich aufbereitete Einsichten in ketzerische Filiationen, die immer wieder auch zu voreiligen u. unbegründeten Identifizierungen neuer oppositioneller Gruppierungen mit längst anathematisierten Vorläufern verführten. Auf der Balkanhalbinsel begegnete die byz. Reichskirche dem im vorderasiat. Raum weit verbreiteten Dualismus (Manichäismus) zunächst in Gestalt der militanten →Paulikianer. Die Anhänger dieser dualistischen Sekte hatten in der zweiten H. des 7. Jh.s in Armenien u. den benachbarten östl. Reichsgebieten Fuß gefasst. Nach der Rückeroberung dieser Territorien im 9. Jh. musste ihr erbitterter Widerstand gegen den Ks. u. die Reichskirche mit brutaler Waffengewalt gebrochen werden. Zwangsumsiedlungen nach Thrakien brachten den sektiererischen Geist der Paulikianer auf die Balkanhalbinsel (a. →Armenier), wo er in der antihierarchischen dualistischen Bewegung der →Bogomilen fortlebte, die sich in der zweiten H. des 10. Jh.s im →Bulgarischen Reich verbreitete. Die Ausstrahlung dieser „bulg. Häresie“ reichte über die Patarener in Norditalien bis zu den südfrz. Katharern. Die sog. →Bosnische Kirche wiederum entwickelte sich auf einer mönchischen Grundlage zu einer bosn. Institution, die das ung. Königtum im 13. u. 14. Jh. zu mehreren Kreuzzugsunternehmungen herausforderte. Ihr genuin häretischer Charakter ist in der Forschung umstritten. Im Einzugsbereich der lat. Kirche waren es vornehmlich die radikalen Ausläufer der reformatorischen Bewegung, die auf dem Boden →Siebenbürgens unter den günstigen verfassungsrechtlichen Voraussetzungen eines multiethn. u. multikonfessionellen Staatswesens ein Eigenleben entfalteten. Unter dem ung. Bürgertum u. teilw. bei den →Széklern fand die extreme Richtung des →Antitrinitarismus treue Anhänger, die allen Verfolgungsmaßnahmen trotzten. Ihre Symbolfigur wurde Ferenc Dávid (Franz Hertel, 1510–1579). Er hatte seine theolog. Laufbahn als kath. Priester in seiner Geburtsstadt Klausenburg begonnen. Nach seinem Bekenntnis zur luth. Lehre wurde er 1556 zum ev.-luth. Bischof gewählt. 1559 trat er zum Calvinismus (→Calviner) über. Als geistlicher Berater am Hof Kg. Johann Sigismunds ließ er sich im Bann der humanistischen Religionskritik zu immer radikaleren Positionen im Trinitätsstreit drängen. Er gehörte zu den Begründern des siebenbürg. Unitarismus (→Unitarier), der seit dem Landtag v. 1568 zu den anerkannten Religionen (religiones receptae) im Fürstentum zählte, trennte sich aber bald v. dem gemäßigten Flügel unter dem fürstlichen Leibarzt Giorgio Biandrata (Blandrata). Über seinen Schüler Mathias Vehe-Glirius wurde er zum Wegbereiter der →Sabbatarier, einer ursprünglich böhmischen Sekte, die die Gottgleichheit Christi leugnete u. das NT verwarf. Ein Seitenzweig der Davidisten, die sog. Judaizanten, wandte sich später ganz dem Judentum zu. F. Dávid starb 1579 kurz nach dem Antritt einer lebenslangen Haft, zu der ihn ein Landtagsbeschluss verurteilt hatte.
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Häresie / Has
Der Begriff H. wird häufig auch für Abweichungen in den anderen monotheistischen Religionen (→Islam, Judentum) gebraucht. So blieb z. B. die isl. Staatsreligion auf soe. Boden nicht v. häretischen Anfechtungen verschont. Sektiererische Schwärmer sammelten sich vornehmlich in den schwer kontrollierbaren Verzweigungen der →Derwischorden. Lit. (a. →Bogomilen; →Bosnische Kirche; →Konvertiten; →Paulikianer; →Unitarier): N. Baker-Brian, Manichaeism. An ancient faith rediscovered. London u. a. 2011; Orthodoxy and Heresy in Byzantium. The definition and the notion of Orthodoxy and some other studies on the heresies and the non-Christian religions: Hg. A. Rigo. Roma 2010; Ch. Auffarth, Die Ketzer: Katharer, Waldenser und andere religiöse Bewegungen. München 2009; T.M. Kolbaba, Inventing Latin heretics: Byzantines and the Filioque in the ninth century. Kalamazoo/MI 2008; H.T. Norris, Popular Sufism in Eastern Europe: Sufi Brotherhoods and the Dialogue with Christianity and „Heterodoxy“. London 2006; Religious Quest und National Identity in the Balkans. Hgg. C. Hawkesworth/M. Heppel/H.T. Norris. Basingstoke 2001; J. W. Frembgen, Reise zu Gott. Sufis und Derwische im Islam. München 2000; Yu. Stoyanov, The Other God: Dualist Religions from Antiquity to the Cathar Heresy. New Haven u. a. 2000; T. M. Kolba, The Byzantine lists: errors of the Latins. Urbana/ Ill. u. a. 2000; Christian dualist heresies in the Byzantine world, c. 650– c. 1450. Selected sources. Hgg. J. Hamilton/B. Hamilton. New York 1998; J. Hamilton/B. Hamilton, Christian Dualist Heresies in the Byzantine World c. 650 – c.1405. Manchester 1998; Yu. Stoyanov, The Hidden Tradition in Europe. The Secret History of Medieval Christian Heresy. London 1994; P. Eleuteri/A. Rigo, Eretici, dissidenti, Musulmani ed Ebrei a Bisanzio. Una raccolta eresiologica del XII secolo. Venezia 1993; St. Runciman, Häresie u. Christentum. Der mittelalterliche Manichäismus. München 1988 (Original: The Medieval Manichee. A Study of the Christian Dualist Heresy. Cambridge 1947); C. T. Berkhout/J B. Russel, Medieval Heresies. A Bibliography 1681–1979. Toronto 1981; E. Roll, Ketzer zwischen Orient und Okzident: Patarener, Paulikianer, Bogomilen. Stuttgart 1978; I. Rochow, Zu einigen oppositionellen religiösen Strömungen, in: Byzanz im 7. Jh. Untersuchungen zur Herausbildung des Feudalismus. Hg. F. Winkelmann. Berlin 1978, 225–288; M. Loos, Dualist Heresy in the Middle Ages. Prague 1974; E. Werner, Ketzer und Weltverbesserer. Zwei Beiträge zur Geschichte Südosteuropas im 13. und 15. Jahrhundert. Berlin 1974; P. Lemerlé, L’histoire des Pauliciens d’Asie Mineure d’après les sources grecques, Travaux et mémoires 5 (1973), 1–144; D. Angelov, Bogomilstvoto v Bălgarija. Sofija 31969 A. Pirnáth, Die Ideologie der Siebenbürger Antitrinitarier. Budapest 1961; Earl M. Wilbur, A History of Unitarism. Bd. 2 Cambridge 1952; A. Schmaus, Der Neumanichäismus auf dem Balkan, Saeculum 2 (1951), 271–299; D. Angelov, Der Bogomilismus auf dem Gebiet des byzantinischen Reiches. Ursprung, Wesen u. Geschichte, Godišnik na Sofijskija universitet. Istoriko-filologičeski fakultet 44 (1947/48) 2, 1–71 u. 46 (1949/50) 2, 1–57. E. H.
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Has (arab. ḫāṣṣ „privat, persönlich, dem Herrscher gehörig“). Bez. speziell für die sultanischen Ländereien; daneben, seit dem 15. Jh., für die bedeutendsten „Dienstlehen“ (vgl. →Feudalismus, Osm. Reich) in den Händen von →Wesiren, Emiren, Provinzgouverneuren (→Beylerbeyi) u. Angehörigen des Großherrlichen →Diwan. Für einen Wesir war laut sog. Gesetzbuch Mehmeds II. (1451–1481) ein H. mit 1,2 Mio. →Akçe Ertrag vorgesehen, für
Has / Hattișerif
einen Beylerbeyi ein solches im Nennwert von 1 Mio., für einen →Defterdar ein Dienstlehen im Umfang von 600.000 Akçe. Der Militärgouverneur des →Sancak von Simendire (Smederevo) verfügte 1527/8 über das bestdotierte H. unter Seinesgleichen (622.000 Akçe). Auch die Frauen des Herrschers (vgl. →Harem) kamen in den Genuss von H., Paschmaklik genannt, das im Unterschied zu den obengenannten Dienstlehen auf Lebenszeit verliehen wurde. Seit dem 16. Jh. setzte sich für die sultanischen H. der Ausdruck Miri Mukataa (etwa „staatliche Steuerpacht“; vgl. a. →Miri) durch; in diese zentrale Steuerpachtverwaltung gingen schließlich die H. der meisten Staatsfunktionäre u. Provinzgouverneure ein, bis lediglich die H. des →Großwesirs, Großadmirals (→Kapudan Pascha) u. des Nischandschi (des Sekretärs für dem Namenszug des Sultans) verblieben. Mitunter wurde die Bez. zum Ortsbzw. Regionsnamen, so etwa im Falle der zw. Albanien u. Kosovo geteilten Bergregion H. westl. der Linie Prizren-Gjakova (serb. Djakovica). Lit.: C. Orhonlu, Khāṣṣ, in: EI2 (Bibl.); An Economic and Social History of the Ottoman Empire, 1300–1914. Hgg. H. İnalcık/D. Quataert. Cambridge 1994; H. İnalcık, Military and Fiscal Transformation in the Ottoman Empire, 1600–1700, Archivum Ottomanicum 6 (1980), 283–337 (auch in: ders., Studies in Ottoman Social and Economic History. London 1985). M. U.
Hattişerif (von arab. ḫaṭṭ „[Hand-] Schreiben [des Sultans]“, regelmäßig mit Zusatz şerif oder häufiger hümayun „edel, großherrlich“). Im osm. Kanzleigebrauch allg. verwendet für 1) Anmerkungen des Sultans auf Vorlagen des →Großwesirs; 2) bestimmte Ernennungsu. Beförderungsschreiben; 3) Schreiben mit Weisungen des Sultans an den Großwesir u. 4) →Firmane, an deren Kopf der Sultan zum Inhalt handschriftlich Stellung nimmt. – Im besonderen ist als H. bekannt das sog. Edikt von Gülhane („Rosensaal“), mit dem am 3.11.1839 das Reformprogramm der →Tanzimat feierlich eingeleitet wurde. Dieses maßgeblich von Mustafa Reşid Pascha (1800–1858) konzipierte Dokument verkündete als erste Schritte zur Reichsreform noch nicht explizit die Gleichstellung aller osm. Untertanen vor dem Gesetz ohne Ansehen ihrer Religionszugehörigkeit (Widerspruch zur →Scharia!), sondern vorerst nur die Unverletzlichkeit von Leben, Ehre u. Besitz (Konfiskationsverbot); ordentliche Gerichtsverfahren; dem Staat direkt zu entrichtende, nach dem Prinzip der Leistungsfähigkeit bemessene Steuern; Aufhebung der Steuerpacht (iltizam); Neuregelung der Einberufungen. Lit. (a. →Tanzimat): C. Orhonlu, Khaṭṭ-i Humāyūn and Khaṭṭ-i Sherīf, in: EI²; Th. Scheben, Verwaltungsreformen der frühen Tanzimatzeit. Gesetze, Maßnahmen, Auswirkungen. Frankfurt/M. 1991; H.-J. Kornrumpf, Die türkischen Reformdekrete von 1839 u. 1856 u. ihre Bewertung in zeitgenössischen Akten u. Presseerzeugnissen, in: Südosteuropa in der Wahrnehmung der deutschen Öffentlichkeit vom Wiener Kongreß (1815) bis zum Pariser Frieden (1856). Hgg. J. Matešić/K. Heitmann. München 1990, 113–121; G. Rosen, Geschichte der Türkei vom Siege der Reform im Jahre 1826 bis zum Pariser Tractat vom Jahre 1856. 2 Bde. Leipzig 1866/67. M. U.
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Heerstraße, kaiserliche / Heiliges Römisches Reich
Heerstraße, kaiserliche (lat. via militaris, via publica; türk. tarik-i âm „Hauptstraße“, sah-rah „Königsstraße“; serb. carigradiski put/drum). Die bedeutendste Landstraße SOEs verband schon in der Antike den Orient mit dem Okzident. Der ca. 950 km lange Weg führte von Belgrad (Singidunum) über Niš (Naissus), Sofia (Serdica), Plovdiv (Philippopolis), Edirne (Hadrianopolis) nach Istanbul (Byzantion, Konstantinopolis). Den ersten Abschnitt entlang dem Moravatal bauten die Römer 33 n. Chr., den östl. durch Thrakien führenden Teil 29–61 n. Chr. Unter Ks. Trajan erlangte die K.H. ihren optimalen Ausbau mit Herbergen, Wechselstationen für Pferde u. Wagen, Wirtshäusern, Überwachungstürmen u. Kastellen. Im MA wurde die Straße von den Byzantinern streckenweise erneuert, jedoch nur von wenigen Kreuzfahrerverbänden (Gottfried von Boullion) benutzt. Zur Zeit der Osmanen – besonders unter Sultan Süleyman I. – wurde die K.H. als Heeres- u. Handelsmagistrale z. T. auf alten röm. Fundamenten, aber auch durch neue Wegführungen erneuert u. ausgebaut. Entlang der Strecke wurden Kurier- u. Poststationen (Menzilhane), Herbergen (Karawansereien) u. Gasthäuser (Hane) errichtet. Pässe u. Brücken bewachten die →Derbendci, denen auch die Reparatur der Straßen oblag; Kaufleute, Pilger, Gesandtschaften u. a. vertrauten sich ihrem Schutz an. Zu ihrer Sicherheit schlossen sie sich in Karawanen zusammen, die für die Bewältigung der Strecke Belgrad – Istanbul 26 bis 30 Tage brauchten; die „Posttataren“ legten den gesamten Weg mit häufigen Pferdewechsel in 5 Tagen zurück. Durch den Eisenbahnbau am Ende des 19. Jh.s verlor die K.H. an Bedeutung. Die noch nicht ganz fertiggestellte Autobahn Belgrad – Istanbul folgt wieder der Streckenführung der K.H. (Serbien) oder verläuft nördlich parallel zur alten Wegtrasse (Sofia–Istanbul). Lit. (a. →Verkehr): E. Borromeo, Voyageurs occidentaux dans l’Empire ottoman (1600–1644). 2 Bde. Paris 2007; M. Popović, Die Wahrnehmungen der Reisenden des 15. u. 16. Jh.s auf der Heerstraße von Budapest nach Konstantinopel, Österreichische Osthefte 44 (2002), H.3–4, 643–656; S. Yerasimos, Les voyageurs dans l’Empire Ottoman (XIVe–XVIe siècles). Ankara 1991; O. Zirojević, Zur historischen Topographie der Heerstraße nach Konstantinopel zur Zeit der osmanischen Herrschaft, Etudes balkaniques 23 (1987), H. 2, 81–106; 2, 46–64; K. Nehring, Iter Constantinopolitanum. München 1984; C. Jireček, Die Heerstraße von Belgrad nach Konstantinopel u. die Balkanpässe. Prag 1877. K. N.
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Heiliges Römisches Reich. Das v. Otto I. 962 errichtete Reich verknüpfte, spätantiken Vorstellungen folgend, die bereits mit der Kaiserkrönung Karls d. Großen i. J. 800 verlebendigte Tradition des Römischen Reiches mit der christl. Heilsgeschichte. Es trat die Nachfolge des Römischen Reiches (Translatio imperii) an bzw. wurde 998 von Ks. Otto III. als dessen Erneuerung (Renovatio imperii) gefeiert Als solches beanspruchte es einen Primat über alle übrigen Herrscher der Christenheit u. damit die universale Geltung seiner Herrschaft. Der mit dem Papst gleichrangige Kaiser, seit 976 „Imperator Romanorum“, regierte das seit 1034 als „Imperium Romanum“, seit 1157 als „Sacrum Imperium“ u. seit 1254 als „Sacrum Imperium Romanum“ bezeichnete Reich, das drei Regna übergeordnet war: dem seit 1070 als „Regnum Teutonicorum“ auftretenden Deutschland, Italien u. Burgund. Seit Kaiser Karl IV. finden
Heiliges Römisches Reich
sich in den Urkunden auch dt. Bezeichnungen wie „Heiliges Reich“ u. „Heiliges Römisches Reich“ (1361). Der Zusatz „deutscher Nation“ kam erstmals 1409 u. im Verlauf des 15. Jh.s immer häufiger in Gebrauch u. wurde 1512 amtlich sanktioniert, womit in Abgrenzung zu den westl. Königreichen Frankreich u. England die v. den Humanisten entworfene Konstruktion einer auf Abstammung beruhenden germanisch-dt. Nation die imperiale römische Tradition allmählich überlagerte u. – begünstigt durch den Ausgliederungsprozess der beiden übrigen Regna – das Reich mit dem Regnum Teutonicorum als seinen eigentlichen Kern zu einer untrennbaren Einheit verband. Anteil an SOE hatte es bis zu seiner Auflösung i. J. 1806 durch die Territorien des späteren →Innerösterreich (u. dadurch fast dem ganzen Siedlungsgebiet der →Slowenen, mit Ausnahme nur der wenigen, die auf venezian. Gebiet bzw. in dem ung. →Prekmurje siedelten), daneben auch mit nordwestlichen Randgebieten der →Kroaten (das östl. →Istrien, konkret die histor. Markgrafschaft Istrien mit dem Zentrum Mitterburg/Pazin, sowie vom Hochma. bis zur Übertragung des Gebiets an die Länder der →Stephanskrone den Bereich von →Rijeka/Fiume). Mit der soe. Geschichte war das HRR darüber hinaus insbesondere durch die Kaiser aus den Häusern Luxemburg u. v. a. Habsburg (→Habsburgermonarchie) sowie in der Epoche der →Türkenkriege verbunden. Das Reich als lehensrechtlich verfasster, streng hierarchisch gegliederter u. als solcher bis 1806 bestehender Personenverband wurde allmählich v. Prozessen territ. Staatsbildung überlagert. Dies gilt sowohl für eine Reihe ansehnlicher Landesherrschaften als auch für das Reich selbst. Eine wesentliche Zäsur dieser Verstaatung bildete der Reichstag v. Worms 1495, der sich selbst erstmals als solcher bezeichnete u. sich als höchstes Forum des Interessenausgleichs zw. Kaiser u. Reichsständen institutionalisierte. Die Einführung einer einheitlichen Gerichtsbarkeit in Gestalt des Reichskammergerichts u. die Verkündigung des Ewigen Landfriedens durch Ks. Maximilian I. regelten das Gewaltmonopol im Sinne der entstehenden Fürstenstaaten. Kaiser u. Stände machten zusammen das Reich aus, symbolisiert durch den mit der Krönung Sigismunds 1433 eingeführten Doppeladler. Der räumliche Schwerpunkt des Reiches dt. Nation befand sich in Süddeutschland u. zum Reich im engeren, pol. Sinn gehörten um 1600 im W noch das Elsass u. die Freigrafschaft Burgund, im S u. SO die habsb. Erblande u. die Bistümer Brixen u. Trient, im N die Mark Brandenburg, die Neumark, Pommern u. Schlesien sowie Holstein. Nur dem Reichslehensverband zugehörig u. damit kaum an der Reichspolitik beteiligt waren das Kgr. Böhmen (obwohl es eine meist aber nicht zur Geltung gekommene Kurstimme besaß), Oberitalien, die Schweiz – die, seit 1499 bereits faktisch unabhängig, 1648 endgültig aus dem Reichsverband ausschied –, der Herzog v. Lothringen, die Bistümer u. Reichsstädte Metz, Toul u. Verdun u. das Herzogtum Burgund mit den Niederlanden. Beide Länder waren durch die burgundische Heirat Maximilians an die Habsburger gekommen, gerieten unter Karl V. unter spanische Herrschaft, gegen die sich 1568 die 1579 in der Union v. Utrecht vereinigten nördl. Provinzen, die Vereinigen Niederlande (oder Generalstaaten), auflehnten u. 1581 für unabhängig erklärten. Das Reich war seit altersher eine Wahlmonarchie. Die Wahl des „römischen Königs“ (der bis 1508 erst nach seiner Krönung in Rom durch den Papst den Kaisertitel erwarb) blieb dem 1273 eingerichteten, 1356 mit der Goldenen Bulle bestätigten Kollegium der Kurfürsten
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Heiliges Römisches Reich
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vorbehalten, das zugleich als vornehmste der drei Kurien des Reichstages fungierte. Die drei geistlichen Kurfürsten, die Ebf.e von Mainz, Köln u. Trier amtierten zugleich als Reichskanzler v. Deutschland, Italien u. Burgund. Zu den ursprünglich vier weltlichen Kurfürsten v. Böhmen, Brandenburg, Sachsen u. der Pfalz kamen 1648 Bayern u. 1692 Hannover hinzu. Das 1480 entstandene Kollegium der Fürsten, das die zunehmende Territorialisierung ihrer pol. Macht zum Ausdruck brachte, bildete zusammen mit den Reichsgrafen u. Prälaten die zweite Kurie, in der die Fürsten einzeln abstimmten (Virilstimmen), während Grafen u. Prälaten nur kollektiv über je zwei Kurialstimmen verfügten. Die Zahl der Fürstenstimmen stieg bis 1750 nominell auf 100 an, auch infolge der Rangerhöhung vieler Grafen, doch durch Territorialerwerbungen seitens der mächtigeren u. Säkularisierungen geistlicher Fürstentümer war ihre tatsächliche Zahl auf rund 60 gesunken. Der Prozess der Bildung vereinheitlichter Flächenstaaten wird durch die starke Verminderung der Zahl der Reichsgrafen u. -prälaten im Zeitraum vom frühen 16. Jh. bis 1792 gleichfalls verdeutlicht, denn diese sank v. 140 Grafen u. 79 Prälaten auf 99 Grafen u. 41 Prälaten, deren Existenz ganz vom Schutz durch den Kaiser, das Reichsrecht u. die bis Mitte des 18. Jh.s noch gut funktionierende Reichsgerichtsbarkeit (Reichshofrat u. Reichskammergericht) abhing. Obwohl bereits seit 1471 die Reichsstädte ihre Interessen auf regelmäßig abgehaltenen Städtetagen artikulierten, die 1495–1545 parallel zu den Reichstagen u. ab 1582 zusammen mit diesen abgehalten wurden, wurden sie erst 1648 als dritte Kurie anerkannt, wobei sich ihre Zahl v. 87 auf 51 im 18. Jh. verminderte. Nach 1648 erfolgte die Abstimmung im Reichstag entweder nach Kurien oder nach den beiden konfessionellen corpora. Der Reichstag selbst kann nicht als Ständeparlament bezeichnet werden, da auf ihm nicht alle →Stände vertreten waren, aber er war das pol. bestimmende Gremium, ohne das der Kaiser seit 1648 auch keine Gesetze verabschieden bzw. die Entscheidung über Krieg u. Frieden herbeiführen konnte. 1663 verwandelte er sich zu dem immerwährend tagenden Reichstag zu Regensburg u. weitete seine Funktion durch Koordinierung der Sicherheits- u. Wirtschaftspolitik erheblich aus. Durch seine Permanenz bremste er die aus dem Westfälischen Frieden v. 1648 gestärkt hervorgegangen föderalist. Kräfte erheblich ab u. stabilisierte die trad. hierarchische Struktur des Reiches u. damit in engem Zusammenhang die Zentralgewalt des Kaisers, der die Agenda vorgab, über ein Vetorecht verfügte u. durch seinen Prinzipalkommissar den Gang der Verhandlungen entscheidend beeinflusste, auch wenn nominell der Kurfürst v. Mainz als Reichserzkanzler den Vorsitz führte. Der Historiker Georg Schmidt spricht v. einem „komplementären Reichs-Staat“, in dem verschiedene Institutionen die staatlichen Aufgaben sich wechselseitig ergänzend wahrnahmen, denn Verteidigung, Rechtssprechung, Durchsetzung der Urteile u. Verwaltung waren auf Kaiser u. Reich, Reichskreise, Territorien u. Städte verteilt. König u. Stände brauchten u. bedingten sich, was sich auch in dem besagten Reichswappen mit dem Doppeladler symbolisierte. Solche, wenn auch komplizierte Strukturen ermöglichten immerhin – im Gegensatz zu Westeuropa – die Integration verschiedener Konfessionen u. die Stabilisierung des Reiches selbst in Abwehr gegen äußere Gefahren in den Türkenkriegen u. gegenüber den Expansionsbestrebungen seitens Frankreichs unter Ludwig XIV. Ungeeignet dafür, Eroberungskriege zu führen, erwiesen sich die Reichsstrukturen infolge ihrer feudalist. Grundna-
Heiliges Römisches Reich / Herzegowina
tur allerdings auch allen, im 18. Jh. immer mehr aufkommenden Modernisierungsbestrebungen gegenüber als weitgehend resistent, so dass sich die Reformtätigkeit des aufgeklärten →Absolutismus auf die wenigen großen Territorialstaaten konzentrierte. Diese Reformunfähigkeit hat in Verein mit dem Dualismus der beiden Großmächte Österreich u. Preußen im Sturm der Frz. Revolution u. der Napoleonischen Kriege die Auflösung des Reiches i. J. 1806 herbeigeführt. Von 1438–1740 u. von 1745–1806 trugen die Habsburger die Kaiserkrone u. ihr weitverzweigtes Beziehungsgeflecht als führende europ. Dynastie, die nur noch durch Frankreich herausgefordert wurde, hat die pol. Entwicklung des Reiches wesentlich mitgeprägt u. zu deren Internationalisierung beigetragen. Der habsb. Kaiser hatte bis zur Beendigung des Spanischen Erbfolgekrieges 1711 permanent einen doppelten Rollenkonflikt zu bewältigen: Neben dem traditionellen zw. seiner Hausmacht, den Erblanden, u. dem Reich kam ab 1521 der zw. Reichsinteressen einerseits u. den dynastischen, Spanien u. die Erblande verbindenden Interessen andererseits hinzu. Der spanisch-frz. Konflikt wurde beispielsweise zu einem österr.-frz. Konflikt u. das Reich wurde deshalb häufig in die Auseinandersetzungen um die Hegemonie in Europa hineingezogen. Sowohl das Reich als auch die Habsburgermonarchie übernahmen hier eine Scharnierfunktion, vermittels derer Kaiser, Reichsstände u. Wiener Hof die pol. Fragen im allgemeinen bis 1740 in komplementärem Zusammenwirken zu lösen suchten. Das Reich als Instrument der Friedenssicherung u. Friedensbewahrung für die europ. Mitte erfreute sich nach 1945 einer zunehmenden Wertschätzung, die zu seiner abwertenden Wahrnehmung seitens der kleindeutschen, auf Preußen konzentrierten u. bis 1945 im deutschsprachigen Raum dominierenden Geschichtsbetrachtung in einem scharfen Kontrast steht. Lit.: H. Petersen, Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation: Entstehung u. Geschichte. Tübingen 2011; B. Stollberg-Rilinger, Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation. Vom Ende des Mittelalters bis 1806. München 2006; Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation 962 bis 1806: Altes Reich u. neue Staaten 1495 bis 1806. Bd. 2: Essays. Hg. H. Schilling. Dresden 2006; P. C. Hartmann, Das Heilige Römische Reich deutscher Nation in der Neuzeit 1486–1806. Stuttgart 2005; T.C.W. Blannig, The Culture of Power and the Power of Culture: Old Regime Europa 1660–1789. Oxford 2002; G. Schmidt, Geschichte des alten Reiches. Staat u. Nation in der Frühen Neuzeit 1495–1806. München 1999; P.H. Wilson, The Holy Roman Empire 1495–1806. Basingstoke u. a. 1999; K.O. von Aretin, Das Alte Reich 1648–1806. 3 Bde. Stuttgart 1993–1997; H. Neuhaus, Das Reich in der Frühen Neuzeit. München 1997; V. Press, Das Alte Reich. Ausgewählte Aufsätze. Berlin 1997; Sacrum Imperium. Das Reich u. Österreich 996–1806. Hgg. W. Brauneder/L. Höbelt. Wien 1996; Heiliges Römisches Reich u. moderne Staatlichkeit. Hg. W. Brauneder. Frankfurt/M. u. a. 1993 G. S.
Herzegowina (bosn., kroat. u. serb. Hercegovina). Region im SW von →Bosnien-Herzegowina (BiH) zw. dem Hinterland der Adria im S u. der Grenze des engeren Bosnien im N u. O; im SO grenzt sie an Montenegro, im S u. SW an Kroatien, bei Neum hat sie einen Zugang zum Meer. Die H. umfasst 12.276 km2 (etwa ein Viertel des Territoriums von BiH). Hauptort ist Mostar, eine osm. Neugründung aus dem 16. Jh. Die Region wird geprägt vom
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Herzegowina
Dinarischen Gebirgsmassiv mit ausgedehnten Karstlandschaften u. eingelagerten fruchtbaren Tälern (polje). Sie ist stellenweise sehr dünn besiedelt. Die Zahl der E wurde Anfang des 21. Jh.s auf etwa 450.000 Personen geschätzt (knapp 12 % der E v. BiH). Seit dem →Dayton-Abkommen von 1995 ist die H. entlang der Neretva administrativ geteilt zw. den zwei „Entitäten“ des Gesamtstaats, der (bosniakisch-kroat.) „Föderation BiH“ im W u. der „Republika Srpska“ im O. Zur Föderation gehören die Kantone 7 (H.-Neretva), 8 (West-H.) u. der sö. Teil des Kantons 10 (Herceg-Bosanska). Die O-H. setzt sich aus sieben Gemeinden zusammen: von Trebinje im S bis O-Mostar u. Gacko im N. In der W der H. überwiegt die kroat., im O die serb. Bev., jeweils durchmischt mit →Bosniaken. Die H. entstand aus der Vereinigung der beiden ma. südslav. Fürstentümer →Zahumlje im W u. Travunien im O. unter dem Landesherrn Sandalj Hranić Kosača (ca. 1370–1435). Den Namen H. (abgeleitet aus dt. Herzog, südslav. herceg) erhielt sie unter Stjepan Vukčić Kosača (*1404,†1466), der 1448 den Herzogstitel annahm u. geschickt zw. Katholizismus, Orthodoxie u. →Bosn. Kirche lavierte. Nach mehreren vorangegangenen Einfällen wurde die H. 1482 von den Osmanen vollständig erobert u. in einen →Sancak umgewandelt, der rd. hundert Jahre danach dem →Paschaluk bzw. dem späteren →Eyalet Bosnien angegliedert wurde. Nach Niederschlagung des von Husein Gradaščević (1802–1834) angeführten Widerstands der bosn. Muslime gegen die Militärreform der →Hohen Pforte (1831) wurde die H. administrativ von Bosnien getrennt. Als Dank für seine Unterstützung gegen die bosn. Rebellen ernannte der Sultan den Verwalter v. Stolac, Ali-paša Rizvanbegović (1783– 1851), zum →Wesir der H. Rizvanbegović förderte die Landwirtschaft u. war bestrebt, die Eigenständigkeit der H. gegenüber Bosnien zu stärken. Als es 1850/51 in Bosnien erneut zu einer Rebellion gegen die osm. Reformpolitik (→Tanzimat) kam, stellte sich Rizvanbegović gegen die Pforte, da die Reformen auch seine Macht gefährdeten. Diese Entscheidung bezahlte er mit seinem Leben. 1851 wurde die H. wieder dem Eyalet Bosnien zugeschlagen, dessen Schicksal sie seither teilte. Nach 1851 kam es in Teilen d. H. zu Unruhen, die schließlich 1875 die →Orientalische Krise auslösten. 1877/78 gelangten Teile der vormaligen H. (rund um Nikšić) an →Montenegro. Im 2. Wk. gehörte die H. zum →Unabhängigen Staat Kroatien. Während des Bosnienkrieges 1992–95 kam es in der H. zu erbitterten Kämpfen zw. serb., bosniakischen u. kroat. Einheiten, unter denen insbes. Mostar (u. a. Zerstörung der inzwischen wieder hergestellten Alten Brücke) zu leiden hatte. 2013 zählte Mostar rd. 75.000 E. Die Bosniaken leben überwiegend östl., die Kroaten westl. des Neretva-Ufers.
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Bibiographie: S. Srndović, Gradja za bibliografiju radova o Hercegovini. Bd. 1: Monografske publikacije. Beograd 2000. Lit. (a. →Bosnien-Herzegowina): H. Grandits, Herzegowina, in: Das Südosteuropa der Regionen. Hgg. O.J. Schmitt/M. Metzeltin. Wien 2015, 133–175; Opširni katastarski popis za oblast Hercegovu iz 1585. godine. Hg. A.S. Aličić. Sarajevo 2014; E. Kurtović, Veliki vojvoda bosanski Sandalj Hranić Kosača. ebd. 2009; H. Grandits, Herrschaft u. Loyalität in der spätosmanischen Gesellschaft. Das Beispiel der multikonfessionellen Herzegowina. Wien u. a. 2008; ders., Zur Modernisierung der spätosmanischen Peripherie: Die Tanzimat im städtischen Leben der Herzegowina, in: Schnittstellen. Gesellschaft, Nation, Konflikt u. Erinnerung in Südosteuropa. Fest-
Hesychasmus
schr. f. Holm Sundhaussen. Hgg. U. Brunnbauer/A. Helmedach/St. Troebst. München 2007, 39–56; S.M. DŽaja, Herzegowina, in: Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Hgg. E. Hösch/K. Nehring/H. Sundhaussen. Wien u.a. 2004; H. Kapidžić, Ali-paša Rizvanbegović i njegovo doba. Sarajevo 2001; D. Berić, Ustanak u Hercegovini 1852–1862. Beograd 1994; V. Atanasovski, Pad Hercegovine. ebd. 1979; H. Šabanović Bosanksi pašaluk. Postanak i upravna podjela. Sarajevo ²1982 (Erstaufl. 1959). H. S.
Hesychasmus (v. gr. hēsychazein, „ ruhen, sich ruhig verhalten“ bzw. hēsychia, „Ruhe, Stille, Zurückgezogenheit“). Eine hauptsächlich v. Mönchen praktizierte Form des individuellen Gebetes, die durch Fasten u. Psalmodieren vorbereitet wird u. in der durch beständige Rezitation des Jesusgebetes („Herr Jesus Christus, Sohn Gottes, erbarme dich meiner“) vollkommene Leidenschaftslosigkeit (apatheia), innere Ruhe (hēsychia), Schau der Herrlichkeit Gottes u. eine Vorahnung der Seligkeit des Paradieses (epigeios uranos) erlangt werden können. War die Meditation mit Hilfe des Jesusgebetes schon dem altchristl. u. mittelbyz. →Mönchtum geläufig (Apophthegmata Patrum, Neilos v. Ankyra, Diadochos v. Photikē, Johannes Klimakos, Symeōn der Neue Theologe u. a.), so verband v. a. die um 1300 verfasste Schrift des Nikēphoros Hagioreites über die Nüchternheit u. die Bewahrung des Herzens (Peri nēpseōs kai phylakēs kardias) das Jesusgebet mit einer bestimmten Atemtechnik. Grēgorios Sinaitēs (ca. 1260–1337) identifizierte das Licht, zu dessen Schau der Mönch durch die Übung des Jesusgebetes gelangen sollte, mit dem Licht, in dem Christus auf dem Berg Tabor verklärt wurde (Matthäus 17, 2; Markus 9, 2–3; Lukas 9, 29). Als Barlaam v. Kalabrien ab 1337 die Ansicht der Mönche, man könne durch das Jesusgebet zur Anschauung Gottes gelangen, bekämpfte, verteidigte der Athos-Mönch Gregorios Palamas diese Gebetspraxis, indem er zw. dem unzugänglichen Wesen Gottes (usia) u. seinen ungeschaffenen, aber erfahrbaren Wirkungsweisen (enhypostatoi energeiai) unterschied („Hesychasmusstreit“). Zwar erklärten bereits zwei Synoden im Juni u. August 1341 den H. für rechtgläubig, doch erst nach der Machtübernahme Johannes’ VI. Kantakuzenos (3.2.1347; →Kantakuzenen) setzten dieser Ks. u. die drei palamitischen →Patriarchen Isidoros (1347– 1350), Kallistos I. (1350–1353/ 1355–1363) u. Philotheos Kokkinos (1353–1354/ 1364–1376) die Anerkennung des H. u. der palamitischen Unterscheidung zw. dem Wesen u. den Energien Gottes als rechtgläubige Lehre gegen starken Widerstand durch (Synodaltomos vom Juli 1351). Schon vor seinem Sieg in Byzanz hatte der H. in Bulgarien Fuß gefasst, wo Gregorios Sinaites 1325 mit Hilfe des Zaren Ivan Alexander das Kloster Paroria gegründet hatte. Seine Schüler Teodosij v. Tărnovo u. Romylos verbreiteten den H. in Bulgarien u. v. a. ab 1375 auch in Serbien. Teodosijs Schüler Evtimij, der letzte Patriarch v. Bulgarien (1375–1393), übernahm das Anathem gegen die Antipalamiten ins bulg. Synodikon. Das hesychastische Schrifttum des 4.–15. Jh.s wurde v. Nikodemos Hagioreites (1749–1809) u. dem Metropoliten Makarios v. Korinth (1731–1805) in der Philokalia vereinigt (1782 in Venedig gedruckt) u. v. Paisij Veličkovskij (1722–1794) ins Kirchenslavische übersetzt. 387
Himara
Lit.: Werke des Patriarchen von Bulgarien Euthymius (1375–1393). Hg. E. Kaluzniacki. Veliko Tărnovo 2010 (Ndr. der Ausgabe Wien 1901); G.G. Blum, Byzantinische Mystik: ihre Praxis u. Theologie vom 7. Jh. bis zum Beginn der Turkokratie, ihre Fortdauer in der Neuzeit. Münster 2009; A.M. Ammann, Die Gottesschau im palamitischen Hesychasmus. Ein Handbuch der spätbyzantinischen Mystik. Würzburg 52002; A. Rigo, Gregorio il Sinaita /R.E. Sinkiewicz, Gregory Palamas /J. Nadal CaÑellas, Gregorio Akíndinos /Y. Spiteris/C.G. Conticello, Nicola Cabasilas Chametos, sämtlich in: La théologie byzantine et sa tradition. Bd. 2 (XIIIe-XIXe s.). Hgg. C.G. Conticello/V. Conticello. Turnhout 2002, 35–130, 131–188, 189–314 u. 315–410; G. Podskalsky, Theologische Literatur des Mittelalters in Bulgarien und Serbien 865–1459. München 2000; R. Flogaus, Theosis bei Palamas u. Luther. Ein Beitrag zum ökumenischen Gespräch. Göttingen 1997; M. LaBauvre Hébert, Hesychasm, Word-Weaving and Slavic Hagiography: The Literary School of Patriarch Euthymius. München 1992; I. Kakridis, Codex 88 des Klosters Dečani u. seine griechischen Vorlagen. Ein Kapitel der serb.-byz. Literaturbeziehungen im 14. Jh. München 1988; G. Podskalsky, Theologie u. Philosophie in Byzanz. München 1977, 124–173; L. Clucas, The Hesychast Controversy in Byzantium in the 14th C. 2 Bde. Los Angeles 1975; J. Meyendorff, St. Gregory Palamas and Orthodox Spirituality. Crestwood/NY 1974; ders., Byzantine Hesychasm: Historical, Theological and Social Problems. London 1974; A.-E. Tachiaos, Le mouvement hésychaste pendant les dernières decennies du XIV siècle, Klēronomia 6 (1974), 113–132; D. Stiernon, Bulletin sur le Palamisme, Revue des études byzantines 30 (1972) 231–341. K.-P. T.
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Himara (alb. Himarë, Himara; lat. Chimaera; gr. Chimaíra; it. C[h]imarra). Landschaft in Südalbanien, am Abhang des Akrokeraunischen Küstengebirges südl. v. Valona (Vlora) gelegen. Die Landschaft erhielt ihren Namen v. der antiken Siedlung Chimaera, die ein Zufluchtsort der illyr. Chaoner war. Ks. Justinian I. (527–65) errichtete dort eine Befestigung. 1020 wurde der Ort H. als Bischofssitz erwähnt. 1081–85 war die H. Schauplatz v. Kämpfen zw. Ks. Alexios I. Komnenos u. den Normannen unter Robert Guiscard u. seinem Sohn Bohemund. Im 13. Jh. gehörte H. zunächst zum Despotat →Epirus, kam dann zum „Regnum Albaniae“ (→Albaner) der →Anjou u. war dann schließlich 1358–1417 Bestandteil des Despotats Valona. Nach der osm. Eroberung 1417 gehörte die H. wechselnden Verwaltungseinheiten (Sancak-i Arvanid, den →Sancaks Valona u. Delvina) an. In der Osmanenzeit war die H. ein Unruheherd. Die Himarioten, die in patriarchalischen Gesellschaftsverhältnissen lebten, waren jeglicher staatlicher Zentralgewalt abhold. Der osm. Herrschaft leisteten sie v. Anfang an Widerstand. Während fast jeden →Türkenkriegs kam es in der H. zum Aufstand – so 1481 im Zusammenhang mit der Italienexpedition Mehmeds II., während des venez.-osm. Krieges 1499–1503, während der Belagerung v. Korfu durch die Osmanen 1537, während des Zypernkrieges 1570–73, des „Langen Türkenkrieges“ 1593–1606, des Kretakrieges 1645–1669, des „Großen Türkenkrieges“ 1683–99 u. während des russ.-osm. Krieges 1768–74. Die Himarioten unterhielten Beziehungen zu allen auswärtigen Feinden des Sultans – zu den Venezianern, den Spaniern, den Päpsten, zu Neapel, zum Ks. u. zu Russland. Himarioten dienten als Söldner in verschiedenen europ. Heeren; in Neapel bestand seit 1738 ein „Regimento Real Macedone“, das hauptsächlich aus Bewohnern der H. bestand. In Zusammenhang mit den
Himara / Historiographie (Mittelalter bis 19. Jh.)
Hilfegesuchen an Rom kam es zu Versuchen, in der orth. H. die Kirchenunion durchzusetzen. Die kath. Kirche betrieb dort seit 1628 Mission, ohne irgendwelche Erfolge erzielen zu können. Im Verlauf der →Balkankriege 1912/13 wurde H. trotz einer starken griechischsprachigen Bev. dem neuen albanischen Staat zugeteilt. Doch blieb das Gebiet zw. Albanien u. Griechenland als gesondert wahrgenommener Teil des gr. beanspruchten →Nordepirus weiterhin umstritten. Heute bekennt sich eine Mehrheit der Himarioten zum Albanertum. Lit. (a. →Epirus): Himara në shekuj. Hg. L. Nasi. Tiranë 2006; T.J. Winnifrith, Badlands – Borderlands. A History of Southern Albania/Northern Epirus. London 2002; P. Bartl, Zur Topographie u. Geschichte der Landschaft Himara in Südalbanien, Münchner Zeitschrift für Balkankunde 7–8 (1991), 311–354. P. B.
Historiographie (Mittelalter bis 19. Jh.). Frühe schriftliche Aufzeichnungen zur Geschichte der Völker SOEs spiegeln zunächst ausschließlich die Sicht außenstehender Beobachter wider. Röm. u. byz. Geschichtsschreiber berichteten schon früh über einzelne Balkanvölker im Zusammenhang mit ksl. Gesandtschaften oder Feldzügen (z. B. Priskos, um 420– nach 472, über die Hunnen, Prokopios von Kaisareia, 490/507– ca. 562, über Perser-, Vandalen- u. Ostgotenkriege, Agathias, um 531–vor 582, zu den Kämpfen in Italien u. gegen die Perser, Jordanes, †nach 551, zu den Ostgoten, Theophylaktos Simokattes, †ca. 628, zu den Awaren- u. Perserkriegen). Zu den wichtigsten Quellen für die Besiedlungsgeschichte der →Balkanhalbinsel u. die Frühgeschichte der →Kroaten, →Serben, →Bulgaren u. →Ungarn (a. →Magyaren) zählt das Staatshandbuch „De administrando imperio“, das Ks. Konstantin VII. Porphyrogennetos in der Mitte des 10. Jh.s (948–952) zur Belehrung des Thronfolgers zusammenstellen ließ. Die von K. Krumbacher in der Byzanzforschung eingeführte Unterscheidung von Chronistik u. Geschichtsschreibung bietet nur eine grobe Orientierungshilfe. Unter den überlieferten Denkmälern byz. Geschichtsschreibung finden sich populäre, der Trivialliteratur zuzurechnende annalistische Werke (Welt- u. Mönchschroniken), die meist in einfacher Sprache einen mit anekdotenhaften Episoden angereicherten Abriss der Welt- u. Heilsgeschichte versuchen (u. a. Johannes Malalas, †nach 574, Georgios Monachos Hamartolos, †vor 867, Theophanes Homologetes/Confessor, um 752–818, Nikephoros Patriarches, um 758–829, Johannes Skylitzes, um 1050– nach 1092, Michael Dukas, um 1400– nach 1462) u. anspruchsvollere Einzelwerke oder memoirenhafte Darstellungen, die einen begrenzten Zeitabschnitt behandeln, sich des hochsprachlichen Idioms bedienen u. in Aufbau u. Darstellung antike Vorbilder nachahmen (u. a. Leon Diakonos, um 950– nach 992, Michael Attaleiates, um 1030– nach 1085, Michael Psellos, 1018–1079, Anna Komnene (1083–1153/4), Niketas Choniates, um 1155–1216, Georgios Akropolites, 1217–1282, Georgios Pachymeres, 1242– um 1310, Nikephoros Gregoras, um 1295– um 1361, Johannes VI. Kantakuzenos, 1295/6–1383, Laonikos Chalkokondyles, um 1430– um 1490, Michael Kritobulos, nach 1400– um 1470). Die altosm. Geschichtsschreibung ist vornehmlich durch annalistisch angelegte Geschichtskalender in der Frühzeit u. durch Welt- u. Reichschroniken vertreten (u. a. Chronik
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Historiographie (Mittelalter bis 19. Jh.)
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des Mehmed Neşrî, †um 1520, die in persischer Sprache verfasste Reichsgeschichte des Idrīs Bitlīsī, †1520, u. die türkischsprachige Geschichte des Ahmed Şemseddîn Kemâl-Paşa-Zâde, †1535). Für die balkanische Innengeschichte im osm. Machtbereich wichtig sind die eingehende länderkundliche Beschreibung der Provinzen →Rumelien, →Bosnien, Budin (= Ungarn) u. des Temescher →Banats durch den Polyhistor Mustafa ibn ‘Abdullah, genannt Kâtib Çelebi, Hāǧǧī Halifa (1609–1658) u. das zehnbändige Reisewerk des Evliya Çelebi (1611– um 1685). Die großzügige Förderung durch die →Sultane ließ im Osm. Reich durch die Jahrhunderte immer wieder vielbändige Werke einer Reichsh. entstehen, die den Ruhm des Herrscherhauses mehren sollte (u. a. Sa‘deddīn b. Hasan, 1533–1599, Âli Mustafa b. Ahmed, †1599, Na‘imâ, †1716, Ahmed Wāşif, †1806). Im Zeitalter der Renaissance u. des Humanismus u. unter dem Eindruck der osm. Eroberungen u. der drohenden Türkengefahr erwachte im Abendland ein wiss. Interesse an der Balkanhalbinsel. Gr. Gelehrte brachten auf ihrer Flucht in den Westen alte Handschriften mit u. weckten die Neugier an der byz. Geschichte u. der orth. Kirche. Die großen frz. Editionsunternehmungen des 17. u. 18. Jh.s (bearbeitet u. a. von Gelehrten wie Philippe Labbé, Charles Dufresne du Cange u. der Benediktiner-Reformkongregation der Mauriner) stellten ein vielschichtiges Quellenmaterial für die Geschichtswissenschaft bereit. Wegbereiter für die moderne Slavenkunde u. die Erforschung der Balkangeschichte waren im 18. Jh. u. a. der Göttinger Universalhistoriker August Ludwig Schlözer (1735–1809), der Schwede Hans Erich Thunmann (1746–1778) in Halle u. der Zipser Sachse Johann Christian von Engel (1770–1814). Unter den Balkanvölkern ist eine eigenständige Geschichtsschreibung zunächst in enger Anlehnung an gr. u. lat. Vorbilder entstanden. Am verbreitetsten ist das Genre der Chroniken u. der Heiligenviten u. -legenden, deren Verfasser nicht selten gr. Vorlagen benutzten. Die in Bulgarien 1344–1347 entstandene illuminierte Prachthandschrift der „Manaseva letopis“ enthält eine Übersetzung der byz. Weltchronik des Konstantinos Manasses (†1187), die Zar Ivan-Aleksandr (1331–1371) in Auftrag gegeben hatte. Während der osm. Herrschaft verfassten u. kopierten Geistliche, die in einen orthodoxen Kommunikationsraum eingebunden waren, anachronistisch-chronographische Texte, die aber weniger der hist. Realität als einer überzeitlichen Typologie verpflichtet waren. Im kroat.-dalmatinischen Raum entstanden als erste erzählende Quellen im 12. Jh. die lat. Chronik des zum Erzbistum Bar (Antivari) gehörenden anonymen Presbyters von Diocleia (Pop Dukljanin), dem heutigen Montenegro (→Zeta), u. im 13. Jh. die „Historia Salonitana“ des Archidiakons Thomas des Spliter Domkapitels (†1268). In Ungarn begann die Geschichtsschreibung um 1200 mit den anonymen „Gesta Hungarorum“. Ein knappes Jh. später verarbeitet Simon von Kéza (Simon Kézai) in seinen „Gesta Hungarorum“, entstanden zw. 1282 u. 1285, frühere Überlieferungen der Wanderungs- u. Landnahmezeit (u. a. Hunnenmythos). Eine Kompilation älterer Nachrichten bietet die berühmte Wiener Bilderchronik (Chronicon pictum Vindobonense. Bécsi Képes Krónika), die um 1358 entstanden ist. Der Beginn einer weltlichen Geschichtsschreibung ist im Ungarn der Humanistenzeit verbunden mit den Namen János Thuróczi (†nach 1487) u. Antonio Bonfini (1434–1503).
Historiographie (Mittelalter bis 19. Jh.)
In den →Donaufürstentümern setzte die H. im 15. u. 16. Jh. in der Moldau mit Chroniken in slav. Sprache ein. Eine eigenständige rum.sprachige Geschichtsschreibung beginnt mit dem „Letopiseţul Ţării Moldovei“ des Grigore Ureche (um 1590–1647), dem sich im 17. Jh. Miron Costin (1633–1691) u. Dimitrie Cantemir (1673–1723) anschließen. In Serbien entwickelte sich aus den hagiographischen Herrscherbiographien Stefan Nemanjas, die Kg. Stefan der Erstgekrönte u. sein Bruder Ebf. Sava dem Stammvater der →Nemanjiden-Dynastie gewidmet hatten, ein besonderer Typus ma. Hofgeschichtsschreibung. Verfasser der zahlreichen Viten serb. Herrscher u. Erzbischöfe waren die beiden Athosmönche (→Athos) Domentijan u. Teodosije im 13. Jh. u. Ebf. Danilo II. (1323–1337) u. seine Schüler in der ersten H. des 14. Jh.s. Eine meisterhafte Ausgestaltung des Genres bot der aus Bulgarien stammende Konstantin von Kostenec (1370/80–1440/50) in der Vita des serb. Despoten Stefan Lazarović (→Serb. Reich). Den ersten Versuch einer zusammenfassenden Geschichte der Slaven („Il regno degli Slavi“) hatte 1601 der aus Kotor oder Dubrovnik stammende Benediktinermönch Mauro Orbini († um 1614) in Pesaro veröffentlicht. Das Werk inspirierte das hist. Denken bei allen Balkanslaven. Die neuzeitliche serb. Geschichtsschreibung nahm ihren Anfang im habsb. Südungarn mit der „Slavisch-Serbischen Chronik“ des Grafen Djordje Branković (1645–1711) u. der vierbändigen „Geschichte der verschiedenen slavischen Völker, v. a. der Bulgaren, Kroaten u. Serben“ des Jovan Rajić (1726–1801). Unter dem Einfluss aufklärerischer Ideen (→Aufklärung) zeichnete sich im Verlauf des 18. Jh.s auch bei den orthodoxen Geschichtsschreibern im osm. SOE eine neue, systematische Art der Beschäftigung mit Geschichte u. Geographie ab, die eine Veränderung tradierter Wahrnehmungsmuster v. Zeit u. Raum sowie die Formierung einer ethno-relig. Identität beförderte. Zentrale Bedeutung für die bulg. „Wiedergeburt“ gewann die zunächst nur handschriftlich verbreitete „Slavenobulgarische Geschichte“, die der Athosmönch Paisij Chilendarski 1762 zum Ruhme u. zur Verteidigung seines Volkes gegen den Hochmut der Griechen verfasst hatte. Im 19. Jh. knüpfte die entstehende nationale Geschichtsschreibung (→Nationsbildung) unter den einzelnen Balkanvölkern an diese Vorarbeiten an. Die philologischen Grundlagen wurden von Gelehrten der Donaumonarchie an den Universitäten Wien, Prag u. Pest (→Austroslawismus) gelegt, u. a. von den Tschechen Josef Dobrovský (1753–1829), Josef Jungmann (1773–1847) u. Josef Konstantin Jireček (1854–1918), dem Slowenen Bartholomäus Kopitar (1780–1844), dem prot. Slowaken Pavol Jozef Šafárik/ Šafařik (1795–1861), den Kroaten Vatroslav Jagić (1838–1923) u. Milan von Šufflay (1879–1931) u. dem Ungarn Lajos (Ludwig) von Thallóczy (1854–1916) gelegt worden. Texte (Auswahl): Chronica de gestis Hungarorum e codice picto saec. XIV. Chronicle of the Deeds of the Hungarians from the Fourteenth-Century Illuminated Codex. Hgg. u. übers. J.M. Bak/L. Veszprémy. Budapest, New York (im Druck); Anonymi Bele regis notarii Gesta Hungarorum. Anonymus, Notary of King Béla: The Deeds of the Hungarians. Hgg. u. übers. M. Rady/L. Veszprémy. Budapest, New York 2010; Stefan Prvovenčani, Domentija, Teodosije. Hg. Lj.J. Georgievska. Novi Sad 2012; Simon of Kéza, Gesta Hungarorum. The Deeds of the Hungarians. Hg. u. übers. L. Veszprémy/F. Schaer. Budapest 1999; Chronica Johannis Thuroczy. 2 Bde. Hgg. E. Mályusz/Gy. Kristó. Budapest 1989; Rumänische Geschichtsschreiber. Hgg. M. Bernath/G.
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Historiographie (19./20. Jh.)
Stökl. Graz u. a. 1980f.; Ungarns Geschichtsschreiber. Hg. Th. von Bogyay. ebd. 1979 ff.; Slawische Geschichtsschreiber. Hg. G. Stökl. ebd. 1958 ff.; Osmanische Geschichtsschreiber. Hg. R.F. Kreutel. ebd. 1955 ff.; Byzantinische Geschichtsschreiber. Hg. E. von Ivánka. ebd. 1954 ff. Lit.: K. Petrovszky, Geschichte schreiben im osmanischen Südosteuropa: Eine Kulturgeschichte orthodoxer Historiographie des 16. u. 17. Jh.s. Wiesbaden 2014; W.T. Treadgold, The Middle Byzantine Historians. Basingstoke u. a. 2013; J.N. Ljubarskij, Vizantijskie istoriki i pisateli. Sankt Peterburg 22012; P. Kulcsár, Humanista történetírás Magyarországon. Budapest 2008; W.T. Treadgold, The Early Byzantine Historians. New York u. a. 2007; K. Kaser, Südosteuropäische Geschichte u. Geschichtswissenschaft. Wien u. a. 22002 (hier 3. Kap.: Die Geschichtsschreibung [bis in das 19. Jh.], 127–172); M. Stassinopoulou, Weltgeschichte im Denken eines griechischen Aufklärers. Konstantinos Michail Koumas als Historiograph. Frankfurt/M. 1992; V.A. D’jakov, Istoriografija i istočnikovedenie stran Central'noj i Jugo-Vostočnoj Evropy. Moskva 1986; Gy. Moravcsik, Byzantinoturcica. Bd. 1: Die byzantinischen Quellen der Geschichte der Turkvölker. Berlin 31983; J. Karayannopuolos/G. Weiss, Quellenkunde zur Geschichte von Byzanz (324–1453). 2. Halbbd., Teil 4: Hauptquellen. Allgemeine Quellenlage (nach Jahrhunderten geordnet). Wiesbaden 1982; Enciclopedia istoriografiei româneşti. Bucureşti 1978; H. Hunger, Die hochsprachliche profane Literatur der Byzantiner. Bd. 1: Philosophie-Rhetorik-Epistolographie-Geschichtsschreibung-Geographie. München 1978 (hier 4. Kap.: Geschichtsschreibung, 243-504); S.B. Vardy, Modern Hungarian Historiography. Boulder 1976; Outline of Rumanian Historiography until the Beginning of the 20th Century. Bucharest 1964; S. Hafner, Studien zur altserbischen dynastischen Historiographie. München 1964; Historians of the Middle East. Hgg. B. Lewis/P.M. Holt. London 1962; I. Dujčev, Übersicht über die bulgarische Geschichtsschreibung, in: Antike u. Mittelalter in Bulgarien. Berlin 1960, 51–69; D.S. Radojičić, Die politischen Bestrebungen in der serbischen mittelalterlichen Geschichtsschreibung, SOF 19 (1960), 87–102; C.A. Macartney, The Medieval Hungarian Historians. A Critical and Analytical Guide. Cambridge 1953; G. Stadtmüller, Die Entwicklung der geschichtlichen Südosteuropa-Forschung, in: ders., Geschichte Südosteuropas. München 1950, 401–415; F. Babinger, Die Geschichtsschreiber der Osmanen u. ihre Werke. Leipzig 1927; F. Šišić, Priručnik izvora hrvatske historije. Bd. 1, Teilbd. 1 Zagreb 1914. E. H.
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Historiographie (19./20. Jh.). In der H. seit dem 19. Jh. lassen sich in SOE grob drei Phasen unterscheiden: 1. die bürgerliche H. von der →Nationalstaatenbildung bis zum Ende des 2. Wk.s bzw. bis zur Etablierung sozialist. Systeme, 2. die am Marxismus-Leninismus bzw. am Histor. Materialismus orientierte Geschichtsschreibung der sozialist. Ära u. 3. die postsozialist. H. nach 1989. In der 1. Phase kam es dank intensiver Archivarbeit u. grundlegender Quelleneditionen zur Verwissenschaftlichung der Geschichtsschreibung in SOE, zur Professionalisierung der Historiker u. zur Etablierung der Geschichte als Unterrichts- u. Wissenschaftsfach. Diese Phase stand im Zeichen der Nationalisierung einer (vornationalen) Vergangenheit u. eines auf →Nation u. Staat fokussierten Forschungsinteresses, wobei die Nation bzw. das „Volk“ weit in die Vergangenheit zurückprojiziert wurde (a. →Ethnie). Staat u. Volk wurden im Sinne Leopold v. Rankes als „Gedanken Gottes“ verstanden. Ihre Verabsolutierung gab den
Historiographie (19./20. Jh.)
Interpretationsrahmen ab für die Ausgestaltung der nationalen Narrative (einschließlich nationaler Mythen, →Erinnerungskultur), womit die Historiker einen wichtigen Beitrag zur →Nationsbildung leisteten. Im Zentrum dieser „Nationalhistoriographien“ standen die pol. Geschichte (einschließlich der Rechtsgesch.), die Taten „großer „Männer“ u. die Ideengesch. Gegen Ende des 19. Jhs. kam die „Volksgeschichte“ (in Verbindung mit Ethnographie/Ethnologie) als vierte Säule hinzu. Wie in vielen anderen europ. Ländern, kam es auch in SOE zu einer fortschreitenden Politisierung der Geschichtsschreibung, mit deren Hilfe nationale Forderungen begründet u./od. „legitimiert“ werden sollten. Nach Etablierung der sozialist. Systeme setzte ein grundlegender Paradigmenwechsel ein. Gemäß dem Histor. Materialismus wurde Geschichte nun als eine durch ökonomische Prozesse gesetzmäßig bestimmte Entwicklung der menschlichen Gesellschaft verstanden. Um den Sozialismus bzw. die Herrschaft der Arbeiterklasse in noch überwiegend agrarischen Gesellschaften begründen zu können, wurde die Vergangenheit entsprechend dem Marxschen Ablaufschema (um)gedeutet. Die Historiker, die sich im Vergleich zu Kollegen in westlichen Staaten eines hohen gesellschaftlichen Prestiges erfreuten, bemühten sich um den Nachweis, dass die Geschichte in ihren Ländern – wenn auch mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung – den gleichen teleologisch verstandenen Entwicklungsphasen gefolgt seien (Feudalismus – Kapitalismus – Sozialismus) wie die v. Marx untersuchten Länder/Gesellschaften. Deshalb versuchten sie u. a., eine „primäre Kapitalakkumulation“ auf dem Lande selbst dort nachzuweisen, wo es keinen nennenswerten Großgrundbesitz gegeben hatte. Aus den Anfängen der →Industrialisierung wurde eine „industr. Revolution“ mit einer selbstbewussten Arbeiterschaft. Und die Gesellschaften der Zwischenkriegszeit wurden retrospektiv in (weitgehend fiktive) Klassen unterteilt. Aber ungeachtet der häufig vulgär-marxist. Verfahrensweise (mit deutlichen Unterschieden v. Land zu Land) entstanden in dieser Phase viele quellengesättigte Untersuchungen aus dem Bereich der Wirtschafts- u. Sozialgeschichte, die große Lücken in der vorherigen H. schlossen. Der anfängliche Internationalismus der Geschichtsschreibung wich früher oder später allerdings einer erneuten nationalen Verengung, die von den Regimen zunächst geahndet, dann immer mehr gefördert oder gefordert wurde u. in deren Verlauf auch die einst verurteilte bürgerliche H. wieder partiell zu Ehren gelangte. Mit Beginn der 3. Phase begann ein erneuter Umbruch in der H. Betroffen waren zunächst die Tabus der sozialist. Ära. Die teilw. Öffnung bisher unzugänglicher Archivbestände ermöglichte die Aufarbeitung kommunist. Verbrechen. Zugleich erlaubte die Beseitigung ideolog. Mauern die Beschäftigung mit vorherigen „Unpersonen“ sowie die Neukodierung sozialist. Freund- u. Feindbilder. Die vorsozialist. Zeit wurde vielfach verklärt, u. an die Stelle der sozialist. traten vor- oder postsozialistische Mythen, die einen ausgeprägt ethnozentrischen Charakter hatten. Das gilt selbst für Quellensammlungen, die nicht „falsch“, aber mitunter extrem einseitig waren. Im Ringen um Deutungshoheit setzten sich zunächst die nationalistisch orientierten Historiker – sowohl ehem. „Sozialisten“ wie ehem. „Dissidenten“ – durch. Doch ihre Position wurde zunehmend in Frage gestellt. Die neue Forschungsu. Reisefreiheit sowie die Einbindung soe. Historikerinnen u. Historiker in intern. wiss. Netzwerke u. Forschungsprojekte führten zu einer schrittweisen Neuorientierung der Geschichtswiss.: weg vom nationalen Exklusivismus, hin zu einer transnationalen, zunehmend
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Historiographie (19./20. Jh.) / Hlinka-Garde
fächerübergreifenden Beschäftigung mit Vergangenheit (unter Vernachlässigung der Wirtschaftsgeschichte). Im Rückgriff auf die „Annales“-Schule sowie anknüpfend an den „cultural turn“ u. postmoderne Fragestellungen eröffneten sich neue Zugänge u. Forschungsfelder. Die Diskursanalyse fand Eingang in die soe. H., bislang vernachlässigte Themen (Alltagsgeschichte, Geschlechtergeschichte, Sexualität, Erinnerung/Gedächtnis usw.) wurden in Angriff genommen, so dass sich die soe. H. grob in zwei Lager spaltete, in eine nach wie vor eher „traditional“ u. national(istisch) orientierte Strömung sowie in eine neue Richtung, die sich hinsichtlich thematischer Vielfalt u. Methodik nicht von der H. in westlichen Ländern unterscheidet. Die breitenwirksame Umsetzung dieser neuen H. (in Schulbüchern, öffentlichen Diskursen, Museen oder Denkmälern) stößt jedoch noch auf starke Vorbehalte in der Bev. Lit. (→ a. Erinnerungskulturen): U. Brunnbauer, Academic Historiography in the Balkans after 1944/5, in: The Oxford History of Historical Writing. Hgg. A. Schneider/D. Woolf. Bd. 5. Oxford u. a. 2011, 353–375; R. Radić, Srbi pre Adama i posle njega: istorija jedne zloupotrebe. Slovo protiv „novoromantičara“. Beograd 32011; GegenErinnerung. Geschichte als politisches Argument im Transformationsprozess Ost-, Ostmittel- u. Südosteuropas. Hg. H. Altrichter. München 2006; Beruf u. Berufung. Geschichtswissenschaft u. Nationsbildung in Ostmittel- u. Südosteuropa im 19. u. 20. Jh. Hgg. M. Krzoska/H.-Chr. Maner. Münster 2005; (Re)Writing History. Historiography in Southeast Europe after Socialism. Hg. U. Brunnbauer. Münster 2004; H. Sundhaussen, Serbische Volksgeschichte. Historiker u. Ethnologen im Kampf um Volk u. Raum vom Ende des 19. bis zum Ende des 20. Jh.s, in: Volksgeschichten im Europa der Zwischenkriegszeit. Hg. M. Hettling. Göttingen 2003, 301–325; K. Kaser, Südosteuropäische Geschichte u. Geschichtswissenschaft. Wien u. a. 22002 (hier 4. Kap.: Tendenzen der Geschichtswissenschaften im 19. u. 20. Jh., 173–211); Klio ohne Fesseln? Historiographie im östlichen Europa nach dem Zusammenbruch des Kommunismus. Hgg. A. Ivanišević u. a. Wien u. a. 2002 (=ÖOH 44); Clio in the Balkans. The Politics of History Education. Hg. Chr Koulouri. Thessaloniki 2002; Dj. Stanković/Lj. Dimić, Istoriografija pod nadzorom. Prilozi istoriji istoriografije. 2 Bde. Beograd 1996; O. Janša-Zorn/E. Holz/N. Kandus, Slovenian historiography in foreign languages: published from 1918–1993. Ljubljana 1995; A Guide to Historiography in Slovakia. Hgg. E. Mannová/D.P. Daniel. Bratislava 1995; M. Gross, Wie denkt man kroatische Geschichte? Geschichtsschreibung als Identitätsstiftung, ÖOH 35 (1993), 73–98; I. Banac, Historiography of the Countries of Eastern Europe: Yugoslavia, The American Historical Review 97 (1992), H. 4, 1084–1104; K.P. Beer, Die Interdependenz von Geschichtswissenschaft u. Politik in Rumänien von 1945 bis 1980, Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 32 (1984), 241–274. H. S.
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Hlinka-Garde. Seit der ersten Hälfte des Jahres 1938 versuchte der radikale Flügel v. Hlinkas Slowakischer Volkspartei (Hlinkova slovenská ľudová strana, HSL’S, →Parteien: Slowakei), eine parteieigene paramilitärische Ordnungstruppe aufzubauen. Er berief sich auf die um 1923 v. Vojtech Tuka gegründete Rodobrana (Vaterlandswehr), die den Fasci di combattimento (→Faschismus) u. der SA nachgebildet war u. überwiegend aus enttäuschten Kriegsheimkehrern u. Studenten bestand.
Hlinka-Garde
Ein Teil der „Rodobrantzen“ fühlte sich den kroat. →Ustaše verbunden, die jungen Intellektuellen bewunderten v. a. die rum. „→Eiserne Garde“, eine Hlinka persönlich nahestehende Gruppe um Karol Sidor, den Gründer der HG, verfolgte einen polonophilen Kurs mit dem Ziel einer Föderation. 1927 wurde die ca. 5.000 Mitglieder zählende autonomistische Rodobrana wegen Staatsgefährdung verboten u. Tuka des Hochverrats angeklagt. Im Sommer 1938 trat die Rodobrana jedoch wieder an die Öffentlichkeit u. bildete das Kernstück der HG. Die ersten Einheiten der HG entstanden im Juni 1938 in Pressburg/Bratislava, im Juli in Tyrnau/Trnava u. Neutra/Nitra ohne amtliche Genehmigung. Die formelle Gründung folgte am 8.10.1938. Durch eine Verordnung der inzwischen autonomen slowak. Regierung vom 28.10.1938 wurde die HG – äußerlich bereits in den faschistischen Schwarzhemden der SS – die einzige Verteidigungsorganisation auf dem Gebiet der Slowakei. Im Organisationsstatut vom 5.12.1938 gab sie sich die ideologische u. organisatorische Grundlage: nationalistisch, christlich, anti-sozialistisch, antitschechisch, der Regierung direkt untergeordnet. Ein Generalstab u. ein Berufsoffiziers- sowie -unteroffizierscorps sollten Ausbildung u. Einsatz der HG nach militärischen Kriterien ermöglichen. Erster Oberbefehlshaber wurde Karol Sidor (bis 1939). Die Mitgliederzahlen schwanken zw. 10.000 (1938) u. 56.000 (1942). Nach der Unabhängigkeitserklärung der →Slowakei (14.3.1939) definierte eine Verordnung vom 5.9.1939 die HG als paramilitärische Organisation u. setzte auch bei den Nebenorganisationen (Hlinka-Jugend = HM, gegründet im Dezember 1938, für Sechs- bis Zwanzigjährige) die Beitrittspflicht aller männlichen Mitglieder vom 6. bis zum 60. Lebensjahr fest. Diese Verfügung stieß auf Widerstand in der Bevölkerung. Daher erklärte eine Verordnung vom 21.12.1939 die HG zur paramilit. Organisation mit freiwilliger Mitgliedschaft. Die Rodobrana war bis zur Fusion mit der HG im Juni 1940 ein selbständiges Glied der HG, die ihre Elite bildete u. sich das Recht auf Kontrolle der HG u. des gesamten ges. Lebens vorbehielt. Stellung u. Aufgabe der HG wurden endgültig mit Verordnung vom 5.7.1940 festgesetzt. An der Spitze stand das Oberkommando mit Untergliederungen auf Gau-, Bezirks- u. Ortsebene u. jeweils militärisch organisierten Einheiten. Hinzu kamen Spezialeinheiten (die AHG für Akademiker, die ZHG für das Ausland, die DHG für das Transportwesen u. die POHG als Bereitschaftsabteilung beim Ausbruch des Slowakischen Nationalaufstandes [→Slowakei] im August 1944). Die Elite-Offiziere wurden in der Napola in Sennheim/Oberelsass ausgebildet, die übrigen in einer eigenen Schule in Bojnice/Weinitz unter der Führung der SS. Trotz enger Zusammenarbeit mit Hitler-Deutschland kam es unter den Gardistenführern immer wieder zu Kompetenz- u. Führungsstreitigkeiten; nach Gesprächen mit Hitler in Salzburg (28.7.1940) siegten die Radikalen. Die HG übte auch polizeiliche Kontrollaufsicht im öffentlichen Leben aus (bei Arbeiterstreiks, Demonstrationen, Liquidationen v. Vereinen). Das Konfidentennetz kontrollierte mit Gestapo-Methoden das gesamte öffentliche Leben. Beim Bau v. KZs u. bei der Deportation u. Liquidation v. ca. 57.000 slowak. Juden (→Holocaust) sowie an der Vertreibung der Tschechen in der Slowakei war die HG entscheidend beteiligt. Die letzten HG-Truppen wurden v. der SS in der Einheit „Slovakia“ zusammengefasst u. beim Prager Aufstand im Mai 1945 gegen die Tschechen eingesetzt, kurz bevor die sowj. Truppen eintrafen. Die Überlebenden wurden in Bratislava vor Gericht gestellt.
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Hohe Pforte / Hohenzollern-Sigmaringen
Lit.: P. Sokolovič, Hlinkova garda 1938–1945. Bratislava 2009; T. Tönsmeyer, Das Dritte Reich u. die Slowakei 1939–1945. Politischer Alltag zwischen Kooperation u. Eigensinn. Paderborn u. a. 2003; F. Vnuk, Andrej Hlinka. Tribún slovenského národa. Bratislava 1998; J.R. Felak, „At the Price of the Republic.“ Hlinka‘s Slovak People‘s Party, 1929–1938. Pittsburgh u. a. 1994; J.K. Hoensch, Die Slowakische Volkspartei Hlinkas, in: Die Erste Tschechoslowakische Republik als multinationaler Parteienstaat. Hg. K. Bosl. München u. a. 1979, 305–322; Y. Jelinek, The Parish Republic: Hlinka’s Slovac People’s Party 1939–1945. New York 1976; ders., Stormtroopers in Slovakia: The Rodobrana and the Hlinka Guard, Journal of Contemporary History 6 (1971) H. 3, 97–119; J. Kramer, Slovenské antonomistické hnutie v rokoch 1918–1928. Bratislava 1962. M. Gl.
Hohe Pforte (arab./pers. bāb-i ‛ālī). Bez. für den Sitz der osm. Regierung. Bereits im Altertum, z. B. bei den Sasaniden in Iran, war es üblich, das Zentrum der herrscherlichen Macht mit „Schwelle“ oder „Pforte“ zu umschreiben; pers. dargāh ist als dergah noch im osm. Sprachgebrauch synonym für arab. bāb „Tor“. Nachdem sich die osm. Sultane zunehmend aus den Regierungsgeschäften zurückgezogen hatten, fand der Ausdruck H., so wie er über das frz. Sublime Porte im Abendland allg. üblich wurde, für den Sitz der Reichsregierung Verwendung, den →Diwan u. – im 18. u. v. a. während des 19. Jh.s – Wohnung u. Amtssitz des →Großwesirs nahe der Hagia Sophia. Die unter Mahmud II. (1808–1839) eingerichteten u. vom Großwesirat unabh. Ministerien des Inneren, des Äußeren u. der Finanzen galten bis zum Ende des Osm. Reiches als Bestandteile der H. Mit der H. nicht zu verwechseln ist die sog. „Großherrliche Pforte“ (bab-i hümayun), 1478/9 von Mehmed II. (1451–1481) erbaut, durch die man den Äußeren Hof des Topkapı Sarayı betritt. Lit.: G. Necipoğlu-Kafadar, Architecture, Ceremonial and Power. The Topkapi Palace in the Fifteenth and Sixteenth Centuries. Cambridge/MA 1991; C.V. Findley, Bureaucratic Reform in the Ottoman Empire. The Sublime Porte 1789–1922. Princeton 1980. M. U.
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Hohenzollern-Sigmaringen. In Sigmaringen (Württemberg) befindet sich das Stammhaus der rum. Könige. Hohenzollern-Sigmaringen gehörte zusammen mit Hohenzollern-Hechingen zur kath. gebliebenen schwäbischen Linie der Hohenzollern. 1849 hatten beide Fürsten zu Gunsten des Kg.s von Preußen abgedankt. Seit dem Erlöschen der Hechinger Linie 1869 trägt der Inhaber der verbleibenden Linie den Titel „Fürst von Hohenzollern“, beginnend mit Karl Anton (1811–1885) u. gefolgt v. seinem Sohn Leopold. Der zweite Sohn Karl Antons, Karl (1839–1914), kam 1866, bestätigt durch eine Volksabstimmung, nach Rumänien, als man sich für eine nichtlandeseigene Dynastie entschieden hatte. Unter dem Namen Carol I. wurde er erblicher Fürst in einer konstit. Monarchie, 1881 „Kg. von Rumänien“. Seine lange Amtszeit ist gekennzeichnet durch die beginnende Entstehung eines modernen Staates (→Regat), sowie durch äußere u. innere Kontinuität. Charakteristisch für Person u. Herrschaftsstil waren Pflichtbewusstsein u. Arbeitsdisziplin. An das Königspaar erinnert das in einem „altdeutschen“ Stil errichtete Schloss Peleş (bei
Hohenzollern-Sigmaringen / Holocaust
Sinaia). Aus der Ehe mit der Prinzessin Elisabeth v. Wied (1843–1916), die als „Carmen Sylva“ schriftstellerisch hervortrat, entstammte die früh verstorbene Tochter Maria (1870–1874). Als Thronfolger wurde 1876 sein Neffe Ferdinand (*1865 in Sigmaringen, †1927), zweiter Sohn Leopolds von H., bestimmt, der nach Offizierslaufbahn u. Studium in Deutschland ab 1889 in Rumänien lebte. 1892 heiratete er die engl. Prinzessin Marie v. Sachsen-Coburg (1875– 1939), Verfasserin v. Lebenserinnerungen. In seine Amtszeit fielen der Kriegseintritt Rumäniens 1916, die Entstehung „Groß-Rumäniens“ u. die Krönung Ferdinands 1922 als „Kg. der Rumänen“. Das Königspaar bezog ein neben Peleş errichtetes Landschloss, Pelişor. Der Sohn Carol II. (geb. 1893 in Sinaia, †1953 in Estoril/Portugal), Kg. 1930–1940, kam durch seine Thronfolgeverzichte 1918 u. 1925 u. durch die „Affaire“ mit Elena Lupescu in die Kritik. 1938–1940 hatte er in der „Königsdiktatur“ die gesamte pol. Macht inne (→Diktaturen). Staatschef Antonescu erzwang seinen Rücktritt u. Carol ging für immer ins Exil. Der Sohn Carols u. seiner Gemahlin Elena (1896–1982) v. Griechenland, Mihai I., (geb. 1921) stand 1927–1930, vertreten durch eine Regentschaft, u. 1940–1947 als Kg. an der Spitze des Landes. Am 1947 durch die komm. Regierung zum Rücktritt gezwungen, floh er mit seiner Mutter in die Schweiz. Rumänien wurde Republik. Mihai betrat erst 1990 wieder rum. Boden. Lit. (a. →Rumänien): S. Cristescu, Carol I și politica României 1878–1912. București 2007; M. Kroner, Die Hohenzollern als Könige von Rumänien. Lebensbilder von vier Monarchen 1866– 2004. Heilbronn 2004; E. Binder-Iijima, Die Institutionalisierung der rumänischen Monarchie unter Carol I. 1866–1881. München 2003; Io. Scurtu, Criza dinastică din România 1925–1930. Bucureşti 1996; ders., Monarhia în România 1866–1947. Bucureşti 1991; Gh. Tutui/M. Popa, Hohenzollernii în România. Bucureşti 1962; P. Lindenberg, König Karl von Rumänien. 2 Bde. Berlin 1923; Marie, Queen of Rumania, My country. London 1916; Aus dem Leben König Karls von Rumänien. Aufzeichnungen eines Augenzeugen. 4 Bde. Stuttgart 1894–1900. E. V.
Holocaust (holocaustum: gr.-lat. = völlig verbrannt; Brandopfer). Im übertragenen Sinn: systematische Ermordung der europ. Juden während des 2. →Weltkrieges. – Nach der Wannseekonferenz am 20.1.1942, auf der die obersten Behörden des „Dritten Reiches“ vom Chef des Sicherheitsdienstes Reinhard Heydrich über die „Endlösung“ der Judenfrage in Europa unterrichtet worden waren, sah sich die jüd. Bev. in den v. Deutschland besetzten oder mit ihm verbündeten Ländern SOEs v. verschärfter Verfolgung bis hin zum Völkermord bedroht. Die Lage der Juden differierte allerdings v. Land zu Land, mitunter v. Region zu Region, beträchtlich. Der Grad ihrer Bedrohung richtete sich nach Stärke u. Ausdrucksform des einheimischen →Antisemitismus u. der daraus resultierenden Kollaborationsbereitschaft mit den NS-Organen, nach dem Ausmaß des Druckes, den die dt. Politik ausüben konnte, nach pol. Opportunitätserwägungen der jeweiligen Regierung (Rücksichtnahme auf die Alliierten für den Fall eines separaten Waffenstillstands) u. nicht zuletzt nach der öffentlichen Meinung in den einzelnen Ländern. Während im dt. besetzten →Serbien u. im gesondert verwalteten →Banat der Massenmord an den über 17.000 Juden bereits vor der Wannseekonferenz begonnen hatte u. in der
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weitgehenden Ausführung durch die Wehrmacht mit der Bekämpfung des Widerstands (→ Četnici; →Partisanen) verbunden worden war, verzögerte er sich in den it. Besatzungszonen Griechenlands, Jugoslawiens u. „Großalbaniens“ (wo nur eine kleine jüd. Gemeinde lebte) bis zum Herbst 1943. Grund für die Verzögerung war die Hinhaltetaktik der Italiener, die eine einheitliche Politik gegenüber den Juden im nationalsozialist. Sinn unmöglich machte. Die Italiener setzten der Deportation v. Juden in die NS-Vernichtungslager nachhaltigen Widerstand entgegen (die Motive dafür sind in der Forschung umstritten), so dass die „Endlösung“ i.d.R. erst nach der it. Kapitulation in Angriff genommen werden konnte. Etwa 59.000 (der insges. über 70.000) Juden in Griechenland wurden abtransportiert u. ermordet (die überwiegende Mehrheit davon im KZ Auschwitz). – Anders lagen die Verhältnisse beim dt. Bündnispartner Bulgarien. Dort hatte der Antisemitismus keine herausragende Rolle gespielt, wenngleich es auch in Bulgarien unter dt. Druck zu antijüd. Gesetzen u. Diskriminierungsmaßnahmen gekommen war. Während die rd. 50.000 Juden (in den Grenzen Bulgariens bis 1940) ebenso wie die Juden in der Süddobrudscha, die die bulg. Staatsangehörigkeit erhalten hatten, vom H. verschont blieben, gab die Sofioter Regierung die Juden in den okkupierten Gebieten Makedoniens u. Westthrakiens (insges. über 11.000 Menschen) den NS-Verfolgern im Frühjahr 1943 preis. Bei der Opferung der mak. u. thrakischen Juden kannten die Bulgaren offenbar keine Skrupel, da es sich nicht um ihre „eigenen“, sondern um „fremde“ Juden handelte. – Auch die rum. Regierung unter Marschall Ion Antonescu differenzierte zw. den Juden in den ab Sommer 1941 zurückeroberten oder neu gewonnenen Gebieten u. denen im übrigen Rumänien. Die überwiegende Mehrheit der mehr als 310.000 Juden im übrigen Rumänien (ohne Nordsiebenbürgen), die das NS-Regime ins Generalgouvernement deportieren wollte, überlebte den 2. →Wk. trotz eines weit verbreitetes Antisemitismus u. gelegentlicher Pogrome (z. B. Ende Juni 1941 in →Iaşi). Dagegen wurden die Juden in der gesamten →Bukowina u. →Bessarabien (soweit sie nicht schon im Gefolge des →Ribbentrop-Molotov-Pakts) v. den sowj. Behörden verschleppt worden waren) seit Sommer 1941 nach →Transnistrien deportiert. Die meisten v. ihnen (etwa 140.000 Personen) bezahlten die Deportation mit dem Leben. Andere durften 1944, als sich die Niederlage der Hitler-Koalition deutlich abzeichnete u. Antonescu fürchtete, zur Verantwortung gezogen zu werden, in ihre Herkunftsgebiete zurückkehren. Von den etwa 440.000 Juden, die in den Grenzen Rumäniens vom Sommer 1941 lebten (ohne die Juden in Nordsiebenbürgen u. ohne die v. der Sowjetunion zw. Sommer 1940 u. Sommer 1941 aus der Nordbukowina u. Bessarabien Deportierten), sind insges. etwa 120.000 dem H. zum Opfer gefallen. Die Zahl der insges. in den rumän. Hoheit unterstehenden Gebieten ermordeten oder umgekommenen Juden wird auf 280.000–380.000 geschätzt. Erst i. J. 2003 gab Rumänien offiziell die Mitwirkung des Antonescu-Regimes am H. zu. Eine internationale Historikerkommission begann daraufhin mit der Aufarbeitung der Verbrechen. – In Ungarn, wo der soz. u. pol. motivierte Antisemitismus seit Niederschlagung der →Räterepublik offizielles Programm war, blieben die rd. 725.000 Konfessions-Juden (in den ung. Grenzen v. 1941, d.h. einschließlich der Südslowakei, der Karpato-Ukraine, Nordsiebenbürgens, der Südbaranja u. der Batschka) trotz massiven dt. Drucks bis zum Frühjahr 1944 v. der Massenvernichtung verschont. Erst nach der dt. Besetzung des Landes (Unternehmen „Margarethe“) konnten
Holocaust
der für die Deportation der Juden in die NS-Vernichtungslager zuständige Referatsleiter im Reichssicherheitshauptamt Adolf Eichmann u. seine Gehilfen (sowohl v. dt. als auch v. ung. Seite, vgl. →Pfeilkreuzler; daneben aber auch zahlreiche Profiteure aus der „Mitte der ung. Gesellschaft“) mit dem Abtransport der Juden ins „Generalgourvernement“ u. mit vorbereitenden massiven Ausschreitungen noch an Ort u. Stelle in Ungarn beginnen. Insges. wurden rd. 550.000 ung. Juden bis Kriegsende ermordet. Die Slowakei u. der →„Unabhängige Staat Kroatien“, die ihre Existenz der nationalsozialist. „Neuordnung Europas“ verdankten, übernahmen die „Rassegesetzgebung“ des „Dritten Reiches“ nahezu wörtlich. Da es aber in beiden Ländern Juden gab, auf deren Qualifikation die Machthaber nicht verzichten konnten, wurden für die betreffenden Personen Sonderbestimmungen erlassen. Die Mehrheit der übrigen slowak. Juden wurde ab Frühjahr 1942 in einheimischen Konzentrationslagern interniert u. nach der dt. Besetzung des Landes im Spätsommer 1944 ermordet. Der größere Teil der kroat. Juden kam im Lande selbst um, die übrigen wurden den NS-Schergen ausgeliefert. Von den knapp 90.000 slowak. u. den 35.000–39.000 Juden in Kroatien fielen ca. 65.000 bzw. 30.000 Personen dem Massenmord zum Opfer. Die Gesamtzahl der H.-Opfer in SOE wird man mit allen quellen- u. forschungsmäßig bedingten Vorbehalten auf mindestens 850.000 Männer, Frauen u. Kinder beziffern können. Die Abhängigkeit der soe. Staaten vom „Dritten Reich“ führte in Verbindung mit pol. Opportunismus, autochthonem Antisemitismus, Raub des jüd. Vermögens u. dem Streben nach ethnonationaler „Homogenisierung“ der jeweiligen Staatsbevölkerung zur Katastrophe für die Juden in der Region. Ein Großteil derjenigen, die den H. überlebten, verließ nach dem 2. Wk. SOE, um in Israel oder anderswo eine neue Heimat zu finden. Eine größere jüdische Gemeinschaft verblieb lediglich in Ungarn. Zum teilweisen Holocaust an den soe. →Roma s. dort. Quellen: Die Verfolgung u. Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933–1945. Im Auftrag des Bundesarchivs u. a. hgg. von S. Heim u. a. München 2008 ff. Bd. 13: Slowakei, Rumänien, Bulgarien 1939–1945, Bd. 14: Südost- u. Südeuropa 1941–1945, Bd. 15: Ungarn 1944–1945 [alle in Vorbereitung]; German Foreign Office documents on the Holocaust in Greece (1937–1944). Hg. I. Dublon-Knebel. Tel Aviv 2007; Die Vernichtung der Juden in Jugoslawien durch die Nazis in den Jahren 1940–1945. Dokumentensammlung. Hg. T. Friedmann. Haifa 2000; Martiriul Evreilor din România 1940–1944. Documente şi mărturii. Hg. S. Stanciu. Bucureşti 1991. Lit.: H. Glass, Deutschland u. die Verfolgung der Juden im rumänischen Machtbereich 1940–1944. München 2014; S. Geissbühler, Blutiger Juli. Rumäniens Vernichtungsfeldzug u. der vergessene Massenmord an den Juden 1941. Paderborn u. a. 2013; The Auschwitz Reports and the Holocaust in Hungary. Hgg. R.L. Braham/W. van den Heuvel. Boulder/CO 2011; R.L. Braham, Bibliography of the Holocaust in Hungary. Boulder/CO 2011; Chr.R. Browning, Die „Endlösung“ u. das Auswärtige Amt: das Referat D III der Abteilung Deutschland 1940–1943. Darmstadt 2010; V. Solonari, Purifying the nation. Population exchange and ethnic cleansing in Nazi-allied Romania. Washington, DC [u. a.] 2010; C.U. Schminck-Gustavus, Winter in Griechenland: Krieg, Besatzung,
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Horea-Aufstand
Shoah: 1940–1944. Göttingen 2010; Holocaust an der Peripherie. Judenpolitik u. Judenmord in Rumänien u. Transnistrien 1940–1944. Hgg. W. Benz/B. Mihok. Berlin 2009; St.B. Bowman, The agony of Greek Jews, 1940–1945. Stanford 2008; A. Heinen, Rumänien, der Holocaust u. die Logik der Gewalt. München 2007; The Holocaust in Hungary: sixty years later. Hg. R.L. Braham. New York/NY 2006; Jasenovac and the Holocaust in Yugoslavia: analyses and survivor testimonies. Hg. B.M. Lituchy. New York/NY 2006; Ungarn u. der Holocaust: Kollaboration, Rettung u. Trauma. Hg. B. Mihok. Berlin 2005; Th. Schlemmer/H. Woller, Der italienische Faschismus u. die Juden 1922 bis 1945, Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 53 (2005), H. 2, 164–203; D. Rodogno, Italiani brava gente? Italian Policy Toward the Jews of the Balkans, European History Quarterly 35 (2005), H. 2, 213–240; International Commission on the Holocaust in Romania: Final Report. Hg. T. Friling. Iaşi, Bucureşti 2005; Das letzte Kapitel. Der Mord an den ungarischen Juden 1944–1945. Hgg. C. Gerlach/G. Aly. Frankfurt/M. 2002; M. Hausleitner, Rumänien u. der Holocaust. Zu den Massenverbrechen in Transnistrien 1941–1944. Berlin 2001; I. Goldstein, Holokaust u Zagrebu. Zagreb 2001; The Fragility of Goodness: Why Bulgaria’s Jews Survived the Holocaust. A Collection of Texts. Hg. T. Todorov. London 2001; R. Ioanid, The Holocaust in Romania. The Destruction of Jews and Gypsies under the Antonescu Regime, 1940–1944. Oxford 2000; G. Nissim, Der Mann, der Hitler stoppte. Dimităr Pešev u. die Rettung der bulgarischen Juden. Berlin 2000; The Destruction of Romanian and Ukrainian Jews during the Antonescu Era. Hg. R.L. Braham. New York 1997; Studies on the Holocaust in Hungary. Hg. ders. Columbia/OH 1990; Genocide and Rescue: The Holocaust in Hungary 1944. Hg. D. Cesarani. New York 1997; Enzyklopädie des Holocaust. Die Verfolgung u. Ermordung der europäischen Juden. 3 Bde. Berlin 1993; W. Manoschek, „Serbien ist judenfrei“. Militärische Besatzungspolitik u. Judenvernichtung in Serbien 1941/42. München 1993; I.C. Butnaru, Waiting for Jerusalem. Surviving the Holocaust in Romania. London 1993; ders., The Silent Holocaust. Romania and its Jews. New York 1992; Dimension des Völkermords. Die Zahl der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus. Hg. W. Benz. München 1991 (darin: G. Grimm, Albanien, 229–239, H. Fleischer, Griechenland, 241–274, H.-J. Hoppe, Bulgarien, 275–310, H. Sundhaussen, Jugoslawien, 311–330, L. Varga, Ungarn, 331–351, E. Hartmann, Tschechoslowakei, 353–379, K. Zach, Rumänien, 381–409); A.J. Edelheit/H. Edelheit, Bibliography on Holocaust Literature. Boulder u. a. 1986; R.L. Braham, The Politics of Genocide. The Holocaust in Hungary. 2 Bde. New York 1981; L. Lipscher, Die Juden im Slowakischen Staat 1939–1945. München 1980; J. Romano, Jevreji Jugoslavije 1941–1945. Žrtve genocida i učesnici NOR-a. Beograd 1980; L. Rothkirchen, The Destruction of Slowak Jewry. A Documentary History. Jerusalem 1961. H. S.
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Horea-Aufstand (a. Hora-Aufstand; rum. răscoala lui Horea). Weit über die Grenzen →Siebenbürgens bekannt gewordener →Bauernaufstand v. 1784, in dem sich soz. Emanzipationsbestrebungen der Siebenbürger Rumänen mit einer erstmals deutlich ethn. Note Bahn brachen. Wenn sich an dem Aufruhr auch vereinzelt ung. u. sächs. Hörige beteiligt hatten, so handelte es sich doch im wesentlichen um eine Auseinandersetzung zw. rum. Leibeigenen u. ung. Grundherren. Die Durchführung der josephinischen Reformen (→Josephinismus) hatte bei den rum. Bauern große Hoffnungen erregt: In der Abschaffung ständischer Privilegien glaubten sie die
Horea-Aufstand
kaiserliche Unterstützung in ihrem Streben nach Freiheit erkennen zu können. Unmittelbaren Anlass zum Aufstand boten die Kontributionserhöhungen auf den kgl. Domänen, die nach Meinung der Fiskalbauern nicht dem Willen des Kaisers entsprechen konnten, u. die im Sommer 1784 einsetzende Militärkonskription. Mit ihr kam das Gerücht auf, wenn sich Hörige als Soldaten meldeten, wären sie v. der Untertänigkeit befreit u. der Grund u. Boden, den sie bearbeiteten, ginge in ihr Eigentum über. Daraufhin meldeten sich die Bauern massenhaft zum Militärdienst u. verweigerten anschließend ihren Grundherren den Dienst. Der Aufstand brach auf dem Kameralgut Kleinschlatten (Zalatna) aus, wo sich ein Bauer namens Nicolai Ursu, genannt Horea (1730–1785), schon seit längerem mit Beschwerden über die zu hohen Lasten u. die Unregelmäßigkeiten der dortigen Beamten hervortat. Horea, der bereits früher am Wiener Hof die Anliegen der rum. Hörigen vertreten hatte, erweckte den Eindruck, im Namen des Ks.s die Erhebung anzuzetteln. Als es Ende Oktober 1784 nach mehreren Unruhen zu ersten blutigen Auseinandersetzungen im →Komitat Zarand gekommen war, breitete sich der Aufstand in kürzester Zeit über ganz Westsiebenbürgen aus u. erreichte seinen Höhepunkt am 11.11.1784, als Horea u. seine Leute eine Art Ultimatum an den Adel in Deva stellten, in dem sie die Enteignung des Adels u. die Verteilung des Bodens unter die Bauern forderten. Die siebenbürg. Behörden reagierten hilflos, da nicht nur der ung. Adel Joseph II. der Komplizenschaft mit den rum. Hörigen verdächtigte. Selbst der kommandierende General Siebenbürgens weigerte sich, ohne ausdrücklichen Befehl aus Wien seine Truppen in Bewegung zu setzen. Joseph II. wollte die Lage der →Bauern jedoch durch Reformen v. oben u. keineswegs durch Selbsthilfeaktionen der Betroffenen geändert sehen. Außenpol. Schwierigkeiten wegen der Scheldeschiffahrt ließen den Kaiser eine schnelle u. wenig Aufsehen erregende Niederschlagung des Aufstandes fordern. Die Truppen wurden am 26.11.1784 gegen die Aufständischen eingesetzt, anfänglich wurde sogar das Standrecht verhängt, was den Nimbus Horeas schnell schwinden ließ. Aufständische, die Schwerstverbrechen bezichtigt wurden, verurteilte man zum Tode oder zu Gefängnisstrafen. Ende Dezember wurde Horea mit Hilfe v. Bauern aus seinem Heimatort Albac gefangengenommen, auch die beiden Unterführer Cloşca u. Crişan gerieten in Gefangenschaft. Bis auf diese drei Anführer begnadigte Joseph II. alle zum Tode Verurteilten. Nachdem sich Crişan im Gefängnis das Leben genommen hatte, wurden Horea u. Cloşca am 28.2.1785 vor einer zusammengetriebenen Bauernmenge in Karlsburg gerädert. Die immer wieder aufflackernden Bauernunruhen der folgenden Jahre konnten unterdrückt werden u. erreichten nie mehr das Ausmaß des H.-A. Trotz der grausamen Niederschlagung des Aufstandes erlosch das Vertrauen der Rumänen in Joseph II. nicht. Das im Sommer 1785 erlassene Patent über die Aufhebung der Leibeigenschaft verstärkte den Eindruck der rum. Bauern, der Kaiser unterstütze ihre Forderungen, u. die Verantwortung für die blutige Niederschlagung des Aufstandes läge nur beim Adel u. den siebenbürg. Beamten. Quellen u. Lit.: Izvoarele răscoalei lui Horea. Seria A: 5 Bde. Seria B: 5 Bde. Hg. Şt. Pascu. Bucureşti 1982–2007; N. Edroiu/T. Pompiliu, Rǎscoala lui Horea (1784). Studii şi interpretări istor. Cluj-Napoca 1984; F. Dudaş, Răscoala lui Horea în tradiţia poporului. Bucureşti 1984; D.
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Hospodar / Hunyadi
Prodan, Răscoala lui Horea. 2 Bde. ebd. 1979; Gh. Bartoş/D. Prodan, Răscoala lui Horea: bibliografie analitică. ebd. 1976; M. Auner, Zur Geschichte des rumänischen Bauernaufstandes in Siebenbürgen 1784. Hermannstadt 1935. A. Sch.
Hospodar (rum. a. domn). Bez. für die Fürsten der →Walachei u. →Moldau. Titel bzw. Amt H. bedeuten die absolute (theokratische) Herrschaft über das ganze Land der Walachei u. Moldau (dominium eminens). Die ersten unabhängigen Herrscher nannten sich Voevoden (→Vojvoden). H. ergibt sich aus den altslav. Urkunden wie „gospodin“ (Walachei) u. „gospodar“ (Moldau). Grenzen der fürstlichen Macht waren der Landesbrauch, der Nomokanon, die Pravila u. ab dem 16. Jh. die eingeschränkte Außenpolitik (osm. Oberhoheit). Die Wahl des H.s erfolgte durch das Land, d. h. die →Bojaren u. Spitzen des Hofes. Es bestand keine Primogenitur, i. d. R. folgte bis ins 16. Jh. der Sohn auf den Vater. Der H. ist der Oberbefehlshaber des Heeres (das er bis in das 17. Jh. hinein meist selbst ins Feld führte), er ist der Chef der gesamten Verwaltung, er ernennt die hohen Würdenträger (Verwaltung: ban/Großbanus, →Ban; logofăt/Großkanzler; vornic/Großstatthalter; pîrcălab/Burggraf; hatman/Hetman etc. Hofhaltung: vistiernic/Großschatzmeister; postelnic/Großkämmerer; paharnic/Großmundschenk; stolnic/Großtruchsess etc.), ist Herr über Wälder u. Weiden, letzte Instanz in der Rechtsprechung, Schirmherr der Kirche (Stiftungen) u. schließt pol. sowie Handelsverträge ab. Die Machtbefugnisse übt er mit Hilfe des fürstlichen Rates aus. Die Einnahmen des H.s rekrutierten sich aus den Staatseinnahmen wie fürstlicher Grundbesitz, Steuern, Zölle, Geldbußen u. aus dem Privatvermögen (Krondomänen). Insignien sind bis zum 16. Jh. eine fünfzackige Krone, dann den Fürstenhut (cuca), eine Pelzmütze mit Brillantagraffe u. Straußenfeder, später vereinzelt wieder eine Krone. In den osm. Quellen werden die H. zumeist als Vojvoden bezeichnet u. genießen als →Bey den gleichen Rang wie andere Provinzgouverneure des Osm. Reiches. (Sie unterscheiden sich v. diesen dadurch, dass sie Christen u. bis 1710 Einheimische waren.) Ab der zweiten H. des 16. Jh.s erfolgte die Nominierung der Hospodare immer öfter, ab 1711 (Moldau) u. 1716 (Walachei) fast ausschließlich durch die Pforte (→Phanarioten). Erst durch die →Organischen Statute wurde 1831/32 der alte Zustand wieder hergestellt. Lit.: s. die allg. Titel unter →Bojaren. M. St.
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Hunyadi. Ung. Adelsfamilie, erstmals 1409 in einer Urkunde Kg. Sigmunds erwähnt, in der dem wahrscheinlich aus einer vlachischen →Bojarenfamilie stammenden Hofritter Vajk († vor 1419), Sohn des Serba, Burg u. Landgut Hunyad (heute Hunedoara) in →Siebenbürgen verliehen wurde. Von seinen Kindern sind der spätere Reichsverweser Johannes Hunyadi (d. Ä.), Johannes d. J., Ban v. Severin († vor 1442) u. Klara (†1450) bekannt. Johannes H. (*1407/09, †11.8.1456) nahm als ung. Feldherr an den Kriegen gegen die Hussiten u. Osmanen (Niederlagen bei Varna 1444 u. auf dem Amselfeld 1448) teil. 1446 bis zur Mündigkeit Kg. Ladislaus V. Postumus 1453 wurde er zum ung. Reichsverweser gewählt. Als Generalkapitän Ungarns u. Verwalter der kgl. Einkünfte sicherte er sich seinen legendären Ruhm durch
Hunyadi / Huzulen
den Sieg über das Heer Sultan Mehmeds II. bei Belgrad am 22.7.1456 (→Türkenkriege). Aus der Ehe Johannes d. Ä. mit der aus einer einflussreichen ung. Adelsfamilie entstammenden Elisabeth Szilágyi gingen die Söhne Ladislaus (* um 1431, †16.3.1457) u. Matthias Corvinus hervor. Ladislaus erbte v. seinem Vater die Würde eines Generalkapitäns v. Ungarn, die der junge König v. Ungarn Ladislaus V. Postumus, mit den im Besitz der Hunyadi befindlichen kgl. Burgen dem Grafen Ulrich II. v. Cilli übertragen wollte. Ladislaus Hunyadi vereitelte dies durch Ermordung des Grafen während einer Ratssitzung in Belgrad (9.11.1456), worauf ihn der Kg. in Ofen hinrichten ließ. Während der Regierungszeit seines jüngeren Bruders Matthias, Kg. v. Ungarn 1458–90, erreichte die Familie Hunyadi den Höhepunkt wirt. u. pol. Macht. In den Kriegen gegen Friedrich III. u. die Könige v. Böhmen eroberte Matthias Mähren, Schlesien, große Teile v. Niederösterreich u. 1485 Wien. Die Errichtung eines ständigen Heeres reduzierte den Einfluss der Magnaten. Die Reform des Steuerwesens bildete den Höhepunkt seiner Zentralisationsbestrebungen. Mit dem Ausbau der Höfe in Ofen u. Visegrád sowie der Gründung der weltberühmten „Bibliotheca Corviniana“ schuf Matthias in Ungarn ein bedeutendes Zentrum der it. Renaissance. Da die Ehen v. Matthias mit Katharina v. Podiebrad (1461) u. Beatrix v. Aragon (1476) kinderlos blieben, betrieb der ung. Kg. die Thronfolge seines illegitimen Sohnes Johannes Corvinus (*2.4.1473, †12.10.1504), Herzog v. Liptau u. Troppau, Banus v. Kroatien u. Slawonien. Die Absicht v. Matthias, gegen Ansprüche der Habsburger u. Jagiellonen, in Ungarn eine Dynastie der Hunyadi zu errichten, scheiterte nach seinem Tode an den Partikularinteressen der ung. Magnaten. Mit Johannes, der 1496 Beatrix Gräfin Frangepán (†1510) heiratete, starb die Familie Hunyadi aus. Erbe des Familienbesitzes in Siebenbürgen wurde der zweite Gatte der Witwe, Markgraf Georg v. Brandenburg. Lit.: Mattia Corvino e Firenze. Arte e umanesimo alla corte del re di Ungheria. Hg. P. Farbaky. Firenze 2013 [Ausstellungskatalog]; Matthias Rex: 1458–1490. Hungary at the dawn of the Renaissance . Hg. E. Bartha. Debrecen 2012; Matthias Corvinus u. seine Zeit. Europa am Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit zwischen Wien u. Konstantinopel. Hgg. Chr. Gastgeber u.a. Wien 2011; A. Kalous, Matyáš Korvín (1443– 1490). Uherský a český král. České Budějovice 2009; Matthias Corvinus, the King. Tradition and renewal in the Hungarian Royal Court, 1458–1490. Hg. P. Farbaky. Budapest 2008 [Ausstellungskatalog]; A. Kubinyi, Matthias Corvinus. Die Regierung eines Königreichs in Ostmitteleuropa 1458–1490. Herne 1999; K. Nehring, Matthias Corvinus, Kaiser Friedrich III. u. das Reich. München 21989; J. Held, Hunyadi. Legend and Reality. New York 1985. Matthias Corvinus u. die Renaissance in Ungarn 1458–1541. Hgg. T. Klaniczay/G. Stangler. Wien 1982 [Ausstellungskatalog]. K. N.
Huzulen (Ersterwähnung 1816; ukr. Huculy; rum. huţuli/huţani; poln. huculi/hucuły; ung. huculok). Östlichster der drei ukr.-ruthen. Gebirgsstämme oder „Goralen“ (neben den anderen sog. „ethnographischen Gruppen“ der Lemken/Lemaky u. Bojken/Bojky) in der sog. „Hucul’štyna/Hucul’ščyna“, d. h. in den Waldkarpaten Südostgaliziens (a. →Karpato-Ukraine), der →Maramureş u. der →Bukowina. Die heute etwa 150.000 Individuen zählen-
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Huzulen / Iași
den H. sind in sprachlicher u. volkskundlicher Hinsicht v. den benachbarten →Rumänen beeinflusst, es wurden aber auch turksprachige Substrate erwogen. Die H. lebten traditionell v. Forstwirtschaft (samt Flößerei) u. Viehzucht (Almwirtschaft, →Transhumanz mit Schafen) sowie vom damit verbundenen Handwerk u. sind durch eine nach ihnen benannte gebirgstüchtige kleine Pferderasse „Huzulen“, ähnlich dem Tarpan) sowie durch den „Huculka“-Tanz bekannt, ferner durch ihre vielfältigen Schnitzereien u. Holzkirchen, ihre bunten Ostereier, ihre prächtigen Trachten (bestickte Pelzjacken) u. ihre Pfeife rauchenden u. Pferde reitenden Frauen sowie durch die an byz. Vorbilder gemahnende dreifärbige (braun-grün auf beiger Engobe) Keramik v. Kuty (u. a. Ofenkacheln mit surrealistischen Szenen). Volkskultur u. freiheitsliebende Traditionen der Huzulen (→Haiduken u. „Räuber“ des 19. Jh.s. – das rum. „hoţul“ wurde zur Etymologie des ursprüngl. bojkischen pejorativen Ethnonyms vorgeschlagen), wurden mehrfach literarisch dargestellt, u. a. von Karl Emil Franzos (1848–1904) u. ukr. Autoren wie jüngst Valentyn Moroz u. Jurij Andruchovyč (Andruchowytsch). Schon vor dem 1. Wk. gab es unter den Huzulen u. den anderen Karpatenbewohnern die unterschiedlichsten pol. Orientierungen, u. so wurde im Dorf Jasinja am 5.2.1919 eine v. a. gegen ung. Ansprüche gerichtete H.-Republik (mit ca. 20.000 Einwohnern) ausgerufen, die Teile v. Marmarosch/Maramureş kontrollierte u. erst am 11. Juni d.J. von rum. Truppen besetzt wurde. Lit.: F.A. Ossendowski, Huculszczyzna. Gorgany i Czarnahora. Poznań o.J. (Ndr. Wrocław 1990); Encyclopedia of Ukraine. Bd. 2. Hg. V. Kubijovyč. Toronto u. a. 1988, 284–290; P.R. Magocsi/F. Zapletal, Holzkirchen in den Karpaten. Wien 1982; P.R. Magocsi, The Shaping of a National Identity. Subcarpathian Rus‘, 1848–1948. Cambridge u. a. 1978; I. Senkiv, Die Hirtenkultur der Huzulen. Eine volkskundliche Studie Marburg/Lahn 1981; S. Vincenz, Na wysokiej połoninie. 3 Bde. Warszawa, London 1936–1974; A. de Vincenz, Traité d’anthroponymie houtzoule. München 1970; S. Mierczyński, Muzyka Huculszczyzny. Hg. J. Steszewski. Kraków 1965. M.D. P.
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Iaşi (deutsch hist. Jassy). Stadt im O Rumäniens, am unteren Lauf des Bahlui, einem Zufluss des Pruth. I. ist die bedeutendste Stadt der hist. Region →Moldau u. mit über 380.000 E (im Großraum; Stadtgebiet: 290.000 E [2011]) die zweitgrößte Stadt Rumäniens nach →Bukarest. Die Etymologie wird oft mit dem Ethnonym Jas[y], As[y], Az[y] u. ä. in Verbindung gebracht, das im Altrussischen u. in vielen Turkdialekten als Sammelbezeichnung für die Alanen oder Turkstämme verwendet wurde (→Jassen). Auch die Namen vieler anderer Siedlungen in der Moldau u. in der Walachei sind mit dem Auftauchen der Spätwandervölker in der Region im 10.–13. Jh. zu erklären. Von einigen Forschern wird der Name I. auch aus slav. Jaseń („Esche“) abgeleitet. Die archäologischen Funde auf dem Gebiet der heutigen Stadt deuten auf die Existenz menschlicher Siedlungen schon seit der Steinzeit hin. Von bes. Interesse sind die Funde aus der Zeit der sogenannten Cucuteni-Kultur (4.–3. Jahrt. v. Chr.). I. wird zum ersten Mal um 1388 in einer russ. Quelle neben anderen moldauischen Städten u. Burgen erwähnt. 1408 gab es ein Zollamt, spätestens seit 1434 existierte ein fürstlicher Hof. Zur wachsenden Rolle v. I. als pol. Zentrum des mold. Fürstentums trug seine günstige geogr. u. handelsverkehrmäßige
Huzulen / Iași
den H. sind in sprachlicher u. volkskundlicher Hinsicht v. den benachbarten →Rumänen beeinflusst, es wurden aber auch turksprachige Substrate erwogen. Die H. lebten traditionell v. Forstwirtschaft (samt Flößerei) u. Viehzucht (Almwirtschaft, →Transhumanz mit Schafen) sowie vom damit verbundenen Handwerk u. sind durch eine nach ihnen benannte gebirgstüchtige kleine Pferderasse „Huzulen“, ähnlich dem Tarpan) sowie durch den „Huculka“-Tanz bekannt, ferner durch ihre vielfältigen Schnitzereien u. Holzkirchen, ihre bunten Ostereier, ihre prächtigen Trachten (bestickte Pelzjacken) u. ihre Pfeife rauchenden u. Pferde reitenden Frauen sowie durch die an byz. Vorbilder gemahnende dreifärbige (braun-grün auf beiger Engobe) Keramik v. Kuty (u. a. Ofenkacheln mit surrealistischen Szenen). Volkskultur u. freiheitsliebende Traditionen der Huzulen (→Haiduken u. „Räuber“ des 19. Jh.s. – das rum. „hoţul“ wurde zur Etymologie des ursprüngl. bojkischen pejorativen Ethnonyms vorgeschlagen), wurden mehrfach literarisch dargestellt, u. a. von Karl Emil Franzos (1848–1904) u. ukr. Autoren wie jüngst Valentyn Moroz u. Jurij Andruchovyč (Andruchowytsch). Schon vor dem 1. Wk. gab es unter den Huzulen u. den anderen Karpatenbewohnern die unterschiedlichsten pol. Orientierungen, u. so wurde im Dorf Jasinja am 5.2.1919 eine v. a. gegen ung. Ansprüche gerichtete H.-Republik (mit ca. 20.000 Einwohnern) ausgerufen, die Teile v. Marmarosch/Maramureş kontrollierte u. erst am 11. Juni d.J. von rum. Truppen besetzt wurde. Lit.: F.A. Ossendowski, Huculszczyzna. Gorgany i Czarnahora. Poznań o.J. (Ndr. Wrocław 1990); Encyclopedia of Ukraine. Bd. 2. Hg. V. Kubijovyč. Toronto u. a. 1988, 284–290; P.R. Magocsi/F. Zapletal, Holzkirchen in den Karpaten. Wien 1982; P.R. Magocsi, The Shaping of a National Identity. Subcarpathian Rus‘, 1848–1948. Cambridge u. a. 1978; I. Senkiv, Die Hirtenkultur der Huzulen. Eine volkskundliche Studie Marburg/Lahn 1981; S. Vincenz, Na wysokiej połoninie. 3 Bde. Warszawa, London 1936–1974; A. de Vincenz, Traité d’anthroponymie houtzoule. München 1970; S. Mierczyński, Muzyka Huculszczyzny. Hg. J. Steszewski. Kraków 1965. M.D. P.
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Iaşi (deutsch hist. Jassy). Stadt im O Rumäniens, am unteren Lauf des Bahlui, einem Zufluss des Pruth. I. ist die bedeutendste Stadt der hist. Region →Moldau u. mit über 380.000 E (im Großraum; Stadtgebiet: 290.000 E [2011]) die zweitgrößte Stadt Rumäniens nach →Bukarest. Die Etymologie wird oft mit dem Ethnonym Jas[y], As[y], Az[y] u. ä. in Verbindung gebracht, das im Altrussischen u. in vielen Turkdialekten als Sammelbezeichnung für die Alanen oder Turkstämme verwendet wurde (→Jassen). Auch die Namen vieler anderer Siedlungen in der Moldau u. in der Walachei sind mit dem Auftauchen der Spätwandervölker in der Region im 10.–13. Jh. zu erklären. Von einigen Forschern wird der Name I. auch aus slav. Jaseń („Esche“) abgeleitet. Die archäologischen Funde auf dem Gebiet der heutigen Stadt deuten auf die Existenz menschlicher Siedlungen schon seit der Steinzeit hin. Von bes. Interesse sind die Funde aus der Zeit der sogenannten Cucuteni-Kultur (4.–3. Jahrt. v. Chr.). I. wird zum ersten Mal um 1388 in einer russ. Quelle neben anderen moldauischen Städten u. Burgen erwähnt. 1408 gab es ein Zollamt, spätestens seit 1434 existierte ein fürstlicher Hof. Zur wachsenden Rolle v. I. als pol. Zentrum des mold. Fürstentums trug seine günstige geogr. u. handelsverkehrmäßige
Iaşi
Lage im Gefolge der Ausdehnung der Moldau auf den Bereich zw. Pruth u. Dnjestr bei. 1564/65 wurde die Hauptstadt des Fürstentums Moldau endgültig v. Suceava nach I. verlegt u. blieb dort bis zur Vereinigung der →Donaufürstentümer zu →Rumänien 1859/1861 u. der Festlegung →Bukarests als Hauptstadt des neuen Staates 1862. Während des →1. Wk.s fungierte I. vorübergehend (Nov./Dez. 1916–Nov. 1918) als Hauptstadt Rumäniens. Ende des 16. u. im 17. Jh. wurde I. ständig erweitert. Neben den Verwaltungsgebäuden wurden auch mehrere wichtige Kirchen u. Klöster gebaut (am bedeutendsten: die Kirche zu den drei Hierarchen, mit der Grabstätte des Aufklärers u. Fürsten Dimitrie Cantemir, u. die Klöster Golia, Cetăţuia u. Galata). Seine Blütezeit erlebte I. in der FNZ während der Regierungszeit v. Vasile Lupu (1634–1653). 1642 wurde die erste Druckerei gegründet, in welcher in der Folgezeit wichtige kirchliche Werke, Rechtsbücher u. Chroniken gedruckt wurden (vgl. →Buchdruck). 1642 fand in I. eine Synode der Ostkirche statt. In der Neuzeit war die Stadt auch das wichtigste Wirtschaftszentrum der Moldau. Im 17. Jh. gab es ca. 30 Handwerker- u. Händlergilden. Die pol. Bedeutung u. die wirt. Anziehungskraft machten I. zw. 1510 u. 1686 wiederholt zur Zielscheibe v. Plünderzügen u. Übergriffen durch Tataren, Türken u. Kosaken. Seit dem 18. Jh. rückte I. im Zuge der entstehenden →Orientalischen Frage immer mehr in das Blickfeld der europ. Politik. Im Juni/Juli 1711 befand sich dort Peter d. Große, um zusammen mit dem mold. Fürsten Dimitrie Cantemir den gemeinsamen Krieg gegen die Osmanen zu planen. Am 8.–12. Juli 1711 verlor jedoch die russ.-mold. Armee die Schlacht bei I. (Stănileşti am Pruth), u. Cantemir begab sich ins russ. Exil. Am 9. Januar 1792 wurde in I. ein Friedensvertrag zw. Russland u. dem Osmanischen Reich abgeschlossen, der die Angliederung des Gebiets zw. Bug u. Dnjestr an Russland besiegelte. Nach dem Einmarsch der russ. Truppen in I. im Nov. 1806 begann ein neuer russ.-osm. Krieg, mit dessen Ende (→Bukarest, Friede v.) →Bessarabien 1812 Teil des Zarenreiches wurde. Der Übertritt aus dem Zarenreich nach I. durch einige Führer der „Filiki Etairia“ (→Geheimbünde [Griechenland]) am 6.3.1821 gilt als Anfang der gr. Befreiungskriegs (→Griechenland; →Befreiungskriege). Im 19. u. im frühen 20. Jh. war I. eines der wichtigsten Zentren der panrumänischen kult. u. pol. Bewegung: hier fand 1816 die erste Aufführung eines Theaterstückes in rum. Sprache statt; 1829 erschien die erste Zeitung in rum. Sprache (Albina românească) im rum. Bereich; 1835 wurde die erste rum. Hochschule („Academia Mihăileană”) eröffnet; 1839 fand die erste rum. Ausstellung (der Pflanzen u. exotischen Blumen) statt; 1840 erschien die erste hist. Zeitschrift in rum. Sprache (Arhiva românească); 1856 wurde der erste botanische Garten auf dem Territorium des heutigen Rumänien eröffnet, 1859 die Vereinigung der Donaufürstentümer proklamiert, 1860 die erste rum. →Universität gegründet. 1863 entstand hier der wichtigste rum. literar. u. pol. Verein des 19. Jh.s. („Junimea“). In I. lebten im 19. Jh. u. im frühen 20. Jh. führende Gestalten des rum. Literatur-, Kultur- u. Wissenschaftslebens. Trotz des Verlustes an pol. Bedeutung konnte die Stadt in den Jahrzehnten nach 1860 dank eines breiten Netzes an Kultur-, Bildungs- u. Forschungseinrichten ihre Stellung als „kulturelle Hauptstadt Rumäniens“ behaupten. Im 19. u. zu Anfang des 20. Jh.s. wurden in I. neue moderne Gebäude nach europ. Vorbildern errichtet (u. a. 1894–1896 das I.er Nationaltheater, nach Plänen v. Ferdinand Fellner u. Hermann Helmer, Wien; aber auch das Universitätsgebäude, die Metropolie u. der Haupt-
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Iaşi
bahnhof ). An die Stelle des eh. fürstlichen Hofes wurde Anfang des 20. Jh.s. ein repräsentativer neugotischer Palast gesetzt. Seit Mitte des 19. Jh.s. erfuhr I. einen schnellen Anstieg der Bevölkerungszahl (→Urbanisierung). Dazu trugen die →Industrialisierung u. der einhergehende Zuzug v. Arbeitskräften aus den umliegenden Dörfern bei, wie auch die Einwanderung vieler →Juden (→Aschkenasim) aus Galizien. 1859 hatte I. ca. 68.000 E, zu je 47 %–48 % Rumänen bzw. Juden. 1899 waren v. rd. 78.000 E ca. 39.500 (50,5 %) Juden. Damit war I. um 1900 zur „heimlichen Hauptstadt“ der Juden Rumäniens geworden u. zu einem der wichtigsten Zentren mit jüd. Bevölkerung in Ost- u. SOE. Trotz erheblicher Integrationshindernisse durch pol. u. v. den Behörden geförderte wirt. Diskriminierung (den meisten Juden wurde u. a. der Erwerb der rum. Staatsbürgerschaft erschwert; →Antisemitismus) spielten die Juden eine wichtige Rolle in der lokalen Wirtschafts- u. Kulturgeschichte; jüd. Händlern waren z. B. die berühmten Jahrmärkte von I. zu verdanken. 1876 wurde in I. das erste professionelle jüd. Theater gegründet; bis zum 2.Wk. erschienen zahlreiche jüd. Publikationen; 1939 gab es 13 jüd. Schulen u. ein großer Teil der Studenten an der Universität I. war jüd. Abstammung. In der Zwischenkriegzeit behauptete sich I. neben →Chişinău als wichtigste Stadt der hist. Moldau (1930 ca. 103.000 E). Der 2.Wk. hatte schwerwiegende demogr. (1948 nur noch 87.000 E) u. wirt. Folgen, insbesondere durch den →Holocaust. Nach der Annexion Bessarabiens wurde I. Ende Juni 1940 zum Ziel vieler Tausender Flüchtlinge. Kurz nach dem Überfall der dt. u. rum. Truppen auf die UdSSR (22.6.1941) fand in I. ein antijüd. Pogrom statt, bei dem durch Gewalttaten der rum. Polizei u. Armee sowie der in I. stationierten dt. Truppen mehrere Tausend Juden ermordet wurden. Viele E starben auch während der Kampfhandlungen im Sommer 1944. Mit I. ist der Name einer der wichtigsten Schlachten des 2. Wk.s verbunden (die Operation I.- Chişinău), die am 20.–24. August 1944 zum Durchbruch der Roten Armee durch die dt.-rum. Verteidigungslinie in der Moldau u. in Bessarabien u. zur Kapitulation Rumäniens führte. In den Jahrzehnten der „→Volksdemokratie“ erlebte I. infolge der forcierten →Industrialisierung ein schnelles Bevölkerungswachstum: 113.000 (1956), 161.000 (1966), 265.000 (1977) u. 345.000 (1992). Die Stadtgrenzen wurden ständig erweitert, u. es entstanden mehrere Arbeiterviertel (→Urbanisierung). In den 1950er/1960er Jahren dominierte in der Wirtschaftsstruktur die Textil- u. chemische Industrie. Seit den 1970er Jahren wuchs aber die Bedeutung der Schwerindustrie. Nach der Wende v. 1989 blieb die E.-Zahl anders als in vielen anderen Städten Rumäniens, die im gleichen Maße v. der Wirtschaftskrise u. der Abwanderung der Arbeitskräfte betroffen wurden, dank der stetig steigenden Zahl der Studierenden stabil.
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Quellen u. Lit.: Gh. Iacob/I. Agrigoroaiei, Iaşi. Memoria unei capitaler. Iaşi 2008; V. Mihăilescu-Bîrliba/A. Poruciuc, The great medieval coin hoard of Iaşi. Historical significance of the great medieval coin hoard of Iaşi. Iaşi 2006; G. Voicu, Pogromul de la Iaşi 28–30 iunie 1941. Prologul Holocaustului din România. Iaşi 2006; Istoria României în date. Hgg. D. C. Giurescu u. a. Bucureşti 2003; Documente privitoare la istoria oraşului Iaşi. Hg. I. Caproşu. 5 Bde. Iaşi 1999–2001 [Dokumente 1408–1755]; N.A. Bogdan, Oraşul Iaşi. Monografie istorică şi socială, ilustrată. Iaşi 1997; P. Pachet, Conversations à Jassy. [Paris] 1997 [Juden, Antisemitismus, Geschichte 1800–1997];
Ilinden (1903) / Illyrische Provinzen
C.-L. Rusu u. a., Iaşi. Iaşi 1994; Al. Andronic, Iaşii pînă la mijlocul secolului al XVII-lea. Iaşi 1986; D. Bădărău/I. Caproşu, Iaşii vechilor zidiri. Pînă la 1821. Iaşi 1974; Au. Leon, Jassy. Bukarest 1965. F. S.
Ilinden (1903) („Eliastag“, 2. August). I. steht in der bulg. u. mak. Nationalgeschichtsschreibung für den Aufstand, der am Eliastag 1903 im →Vilayet Manastır (Bitola) ausbrach. Die Führung der „Inneren Makedonischen Revolutionären Organisation“ (→IMRO) erhoffte sich v. dieser Aktion die Intervention der Großmächte, damit eine autonome Provinz Makedonien bestehend aus den Vilayets Selanik (Thessaloniki), Manastır u. Kosovo im Rahmen des →Osm. Reiches gebildet würde. Doch ließen sich weder die Mächte noch das benachbarte →Bulgarien zum direkten Eingreifen bewegen. Auf eigene Faust konnten die Aufständischen zwar in das Bergstädtchen Kruševo eindringen, um dort eine (kurzlebige) Republik auszurufen. Bereits im September war jedoch die Aufstandsbewegung weitgehend unterdrückt. Die IMRO konnte sich v. diesem Rückschlag nicht mehr ganz erholen. So geriet sie ab 1904 gegenüber ihren gr. u. serb. Rivalen zunehmend in die Defensive. Die Teilung Makedoniens in den →Balkankriegen 1912/13 war damit antizipiert. Heute stellt der Ilinden-Aufstand 1903 eines der Schlüsselereignisse im mak. Nationalen Narrativ u. in der →Erinnerungskultur dar. Quellen u. Lit. (a. →Makedonische Frage): İ.K. YosmaoĞlu, Blood Ties. Religion, Violence, and the Politics of Nationhood in Ottoman Macedonia, 1878–1908. Ithaca/NY u. a. 2014; K.S. Brown, Loyal unto Death. Trust and terror in revolutionary Macedonia. Bloomington u. a. 2013; G. Georgiev, Ilindensko-preobraženskoto văstanie 1903 g. Sofija 2006; The Events of 1903 in Macedonia as Presented in European Diplomatic Correspondence. Hgg. A.A. Chotzidis u. a. Thessaloniki 1993; Ilindensko-Preobraženskoto văstanie ot 1903 g. Voenna podgotovka i proveždane. Hg. L. Panajotov. Sofija 1992; D.M. Perry, The Politics of Terror. The Macedonian Liberation Movements 1893–1903. Durham/NC u. a. 1988; Osemdeset godini Ilindensko-Preobraženskoto văstanie. Hg. Ch. Christov. Sofija 1988; A. Hristov u. a., Prilozi za Ilinden 1978. Hgg. A. Hristov u. a. 2 Bde. Kruševo 1978/79; M. Pandevski, Ilindenskoto vostanie vo Makedonija 1903. Skopje 1978; G. Georgiev/J. Šopov, Ilindenskoto văstanie. Sofija 1969; Kniga za Ilinden. Zbornik na trudovi po povod 65-god. od Ilindenskoto vostanie. Skopje 1969; Ilinden 1903. Materiali od simpoziumot po povod 65-godišninata vo Ohrid. Skopje 1970; D.G. K’osev, Ilindensko văstanie. Sofija 1953; Ilindenski zbornik 1903–1953. Hgg. L. Lape u. a. Skopje 1953; Ch. Siljanov, Osvoboditelnite borbi na Makedonija. Bd. 1: Ilindenskoto văzstanie. Sofija 1933 (Ndr. 1983). F. A.
Illyrische Provinzen (frz. Provinces Illyriennes; it. Provincie Illiriche; slow. Ilirske province; kroat. Ilirske pokrajne). Nach dem Frieden v. Schönbrunn (14.10.1809) durch Dekret Kaiser Napoleons I. geschaffene, zu Frankreich gehörige Verwaltungseinheit, deren staatsrechtliche Stellung nicht genau definiert war. Ihren Namen verdankten sie den Illyrern des Altertums, die damals für die Vorfahren der Südslaven gehalten wurden. Zu den I.P. gehörten neben der einstigen Republik Ragusa (→Dubrovnik) u. den bis 1797 venez. Besitzungen in →Dalmati-
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Illyrische Provinzen / Illyrismus
en u. →Istrien die althabsb. Gebiete →Kärnten (Kreis Villach), →Görz, Triest, der vormals habsb. Teil v. Istrien, Fiume (Rijeka), →Krain, das westliche Zivilkroatien u. die →Militärgrenze zw. Save u. Adria; nach der Niederschlagung des Tiroler Aufstandes kamen noch die Osttiroler Landkreise Lienz u. Sillian hinzu (28.2.1810). Die I.P. umfassten ca. 55.000 km2 mit 1,5 Mio. E (Slowenen, Kroaten, Deutsche, Italiener, Serben). Hauptstadt des sehr langgestreckten Staatsgebildes (Nord-Süd-Ausdehnung 750 km) war Laibach (→Ljubljana). Die I.P. waren in 6 zivile u. eine militärische Provinz (Bereich der Militärgrenze, wo das bisherige System bestehen blieb) unterteilt. An der Spitze der Verwaltung standen der General-Gouverneur (der erste war Marschall August Frédéric Marmont), der General-Intendant u. der Justizkommissär, die zus. die Regierung der I.P. bildeten. Die frz. Gesetzgebung wurde schrittweise eingeführt (Code Napoléon im Januar 1812). Die Franzosen bemühten sich, die Wirtschaft zu modernisieren, u. sie förderten das Schulwesen in den Landessprachen. Ihre Herrschaft war indes zu kurz, um bleibende Auswirkungen haben zu können. Im Winter 1813/14 besetzten österr. Truppen die I.P., die auf dem Wiener Kongress 1815 Österreich zugesprochen wurden. Für die südslav. Einigungsbewegung (→Illyrismus) hatte die kurzfristige Existenz eines „illyrischen“ Staatswesens eine nicht zu unterschätzende Bedeutung. Lit.: Sv.B. Šterbenc/M. Godeša, Zgodovinske dimenzije Ilirskih provinc. Ljubljana 2012; Pod Napoleonovim orlom. 200 let ustanovitve ilirskih provinc. Sous les aigles napoléoniennes. Hg. A. Dular. Ljubljana 2010 [Ausstellungskatalog]; F. Zwitter, Les Provinces illyriennes: cinq études. Hg. A. Jejcic. Paris 2010; Hrvati i Ilirske pokrajine (1809.–1813.). Zbornik radova s Medjunarodnoga znanstvenog skupa Hrvatske Akademije Znanosti i Umjetnosti prigodom dvjestote obljetnice proglašenja Ilirskih pokrajina. Hg. F. Šanjek. Zagreb 2010; Napoléon et son administration en Adriatique orientale et dans les Alpes de l’Est 1806–1814. Hgg. J. Kolanović/J. Šumrada. Zagreb 2005; D. Roksandić, Vojna Hrvatska: La Croatie Militaire. Krajiško društvo u Francuskom Carstvu (1809–1813). 2 Bde. Zagreb 1988; F.J. Bundy, The Administration of the Illyrian Provinces of the French Empire, 1809–1813. New York u. a. 1987; G.J. Prpić, French Rule in Croatia: 1806–1813, Balkan Studies 5 (1964), 222–276; M. Pivec-Stelé, La vie économique des Provinces Illyriennes (1809–1813), suivie d’une bibliographie critique. Paris 1930. P. B.
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Illyrismus (kroat. Ilirizam, Ilirski pokret). Kulturelle u. pol. Erweckungsbewegung der Südslaven in der Habsburger Monarchie, ca. 1830–1848. Bezugnehmend auf die Illyrer als vermeintliche Vorfahren der Südslaven, beruhend auf dem Gedankengut der dt. Romantik (Herder) u. ausgehend v. einem neuen slav. Gemeinschaftsbewusstsein (Ján Kollár), strebten die „Illyrier“ die Schaffung einer einheitlichen Literatursprache für alle im „illyr. Dreieck“ Skutari-Varna-Villach lebenden Südslaven an, für die auch der „illyr .Name“ als gemeinsame Bezeichnung gebraucht werden sollte. Hauptvertreter des I. war der Kroate Ljudevit Gaj (1809–1872), der 1835 mit Erlaubnis des Wiener Hofes die Zeitung Novine Horvatzke (Kroat. Zeitung) herauszugeben begann. Diese Zeitung, die eine literarische Beilage „Danica“ (Morgenstern) hatte, wurde bereits 1836 in Ilirske Narodne Novine (Illyr. Nationalzeitung) umbenannt u. erschien gleichzeitig auch nicht mehr im kajkavischen, sondern im weiter verbreiteten štokavischen
Illyrismus
Dialekt (→Sprachen). Sie sollte fortan dem I. als Sprachrohr dienen. Politisches Ziel des I. war zunächst die Gleichberechtigung der Kroaten bzw. des Kroatischen im Kgr. Ungarn. Als Fernziel wurde die Errichtung eines „Illyr. Königreiches“ im Rahmen der Habsburgermonarchie propagiert, das neben Kroatien, der Militärgrenze u. Dalmatien auch noch Bosnien u. die Siedlungsgebiete der Slowenen umfassen sollte (Drašković). Nicht klar erkennbar ist, ob auch über Bosnien hinaus ein staatlicher Zusammenschluss mit den Südslaven außerhalb der Monarchie in Erwägung gezogen wurde. Ein Memorandum, das Gaj 1838 an den russ. Zaren Nikolaus I. richtete u. seine beiden Reisen nach Serbien (1846, 1847) könnten dafür sprechen. Das pol. Programm des I. wurde v. a. vom Grafen Janko Drašković (1770–1856) vertreten, der 1831 in seiner „Disertatia iliti Razgovor“ als Erster die Forderung nach einem Illyr. Königreich formuliert hatte. Er war auch maßgeblich an der Gründung der „Čitaonica ilirska“ (Illyr. Lesehalle) 1838 in Zagreb u. an der anderer kultureller Institutionen (Zagreber Nationaltheater 1840, „Matica ilirska“ 1842, →Matica) beteiligt. Als zu Beginn der 40er Jahre in Ungarn die ersten pol. Parteien entstanden u. sich der magyarophile kroat. Adel in der „Horvatskovugerska stranka“ (Kroat.-ung. Partei, im Volksmund „Madjaroni“) organisierte, antworteten die Vertreter des I. 1841 mit der Gründung der „Ilirska stranka“ (Illyr. Partei), nach dem (vorübergehenden) Verbot des illyr. Namens 1843 umbenannt in „Narodna stranka“ (Nationalpartei). Diese trat für das Recht Kroatiens auf Selbstverwaltung u. für die Einführung des „Illyrischen“ als Amtssprache ein. 1848/49 (→Revolution 1848/49. Kroaten) standen die Illyrier auf seiten der Wiener Regierung u. erlebten die Genugtuung, dass Kroatien-Slawonien v. Ungarn abgetrennt u. zu einem eigenen Kronland erklärt wurde (18.11.1849), als dessen Banus weiterhin der 1848 vom →Sabor gewählte Josef Baron Jelačić fungierte. Weitergehende kroat. Wünsche, wie Anschluss der →Militärgrenze u. →Dalmatiens, erfüllten sich nicht. Zu Zeiten des →Neoabsolutismus wurde 1854 vielmehr noch Deutsch als Amtssprache eingeführt. Der I. blieb im wesentlichen auf den kroat. Raum beschränkt u. wirkte funktional primär als Teilmoment der kroat. →Nationsbildung; bei den Slowenen hatte er nur wenige (u. a. Stanko Vraz) u. bei den Serben kaum Anhänger. Die Bulgaren wurden v. ihm überhaupt nicht erfasst. Lit.: K. Novak, Višejezičnost i kolektivni identiteti iliraca. Jezične biografije Dragojle Jarnević, Ljudevita Gaja i Ivana Kukuljevića Sakcinskoga. Zagreb 2012; I. Pederin, Bečki dvor i ilirizam, Godišnjak Njemačke narodnosne zajednice 17 (2010), 277–303; N. Stančić, Svehrvatska ideja Ljudevita Gaja. Slika hrvatske povijesti ranog srednjeg vijeka u ideologiji pripremnog razdoblja Hrvatskog narodnog preporoda. (Iz rukopisne ostavštine Ljudevita Gaja), Starine 62 (2004), 99–133; K. Clewing, Staatlichkeit u. nationale Identitätsbildung. Dalmatien in Vormärz u. Revolution. München 2001; A.P. Maissen, Wie ein Blitz schlägt es aus meinem Mund. Der Illyrismus: Die Hauptschriften der kroatischen Nationalbewegung 1830–1844. Bern 1998; J. Šidak/V. Foretić/J. Grabovac u. a., Hrvatski narodni preporod Ilirski pokret. Zagreb 11988, 21990; W. Kessler, Politik, Kultur u. Gesellschaft in Kroatien u. Slawonien in der ersten Hälfte des 19. Jh.s. Historiographie u. Grundlagen. München 1981; I.I. Leščilovskaja, Illirizm. K istorii chorvatskogo nacional’nogo vozroždenija. Moskva 1968; A. Barac, Hrvatska književnost od Preporoda do stvaranja Jugoslavije. 1. Književnost Ilirizma. Zagreb 1954; F. Petre, Poizkus ilirizma pri Slovencih (1835–1849). Ljubljana 1939. P. B.
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Ilmiye / Imam
Ilmiye (aus arab. ͑ ilm „Wissenschaft“). Moderne Bezeichnung für den Stand der osm. →Kadis, Muftis u. Professoren, die man zusammenfassend als →Ulema bezeichnet, sowie für die durch sie repräsentierten osm. Staatseinrichtungen zur Pflege von Religion, Recht u. Erziehung (vgl. →Medrese). Die für die isl. Welt insges. gänzlich untypische Struktur der osm. I. erinnert in ihrer hochgradigen Differenzierung an kirchl. Hierarchien des Abendlandes, während die Amtsbezirke der osm. →Kadis an kirchl. Sprengel denken lassen. Seit dem Anfang des 16. Jh.s stand an der Spitze der Hierarchie der Mufti von Istanbul in Gestalt des →Schejch ül-Islam. Die „klassische“ I. (16.–19. Jh.) schrieb eine allg. Laufbahnstufung in Medrese-Student, Medrese-Lehrer u. schließlich Kadi vor; daneben gab es den Usus, wonach einer hauptstädtischen Laufbahn der Vorrang vor einer solchen in der Provinz zukam. Gleichzeitig galt, dass die Ulema außerhalb der Reichshauptstadt gewöhnlich nur im Rahmen von drei gegeneinander abgegrenzten Großregionen (nämlich →Rumelien, Anatolien u. Ägypten) aufsteigen konnten. – Nach Hammer-Purgstall bildeten die Gottes- u. Rechtsgelehrten der I. „die einzige Aristokratie des Osm. Reiches“. Sie waren von der regulären Besteuerung ausgenommen. Lit.: M.C. Zilfi, The Politics of Piety: The Ottoman Ulema in the Postclassical Age (1600–1800). Minneapolis 1988; R.C. Repp, The Müfti of Istanbul. A Study in the Development of the Ottoman Learned Hierarchy. Oxford 1986; G.H. El-Nahal, The Judicial Administration of Ottoman Egypt in the Seventeenth Century. Minneapolis u. a. 1979; H.G. Majer, Vorstudien zur Geschichte der Ilmiye im Osmanischen Reich. Bd. 1: Zu Uşakîzade, seiner Familie u. seinem Zeyl-i Şakayık. München 1978. M. U.
Imam (arab.; im Koran im Sinne von „Vorbild, Führer“). Vorbeter; ursprünglich der oberste Leiter der isl. Gemeinde (Kalif ); nach dem Auseinanderbrechen der isl. Glaubensgemeinschaft in verschiedene Richtungen u. Schulen (unter denen die Schia eine vom sunnitischen Islam grundverschiedene Imamatslehre entwickelte) deren jeweiliges geistliches Oberhaupt; schließlich Leiter beim rituellen Gemeinschaftsgebet (arab. ṣalāt). Grundsätzlich kann jeder Muslim (wenn die Gemeinschaft der Betenden nur aus weiblichen Mitgliedern besteht, auch Frauen) das Amt des Vorbeters übernehmen, das durchweg vergütet wird. Der I. muss jedoch ausreichend Arabischkenntnisse besitzen u. in der Lage sein, das Gebet korrekt auszuführen. In der Praxis wurde, besonders an bedeutenderen Moscheen, eine theol.-jurist. Ausbildung vorausgesetzt, wie dies heute ganz allg. geschieht. In osm. Zeit war der I. durchweg auf zusätzliche Einnahmequellen angewiesen, etwa aus der Tätigkeit als Verwalter (mütevelli) einer Stiftung zu wohltätigen Zwecken (→Vakuf ), als Lehrer an einer →Medrese oder als Eigentümer von Immobilien. Eher selten gehörte der I. zu den wohlhabenden Mitgliedern seiner Gemeinde. Vom Zehnten abgesehen, unterlag er keiner Besteuerung.
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Lit.: W. Madelung, Imāma, in: EI²; H. Halm, Die Schia. Darmstadt 1988; M.C. Zilfi, The Politics of Piety: the Ottoman Ulema in the Postclassical Age (1600–1800). Minneapolis 1988; H.G. Majer, Ulema u. „kleinere Religionsdiener“ in einem Defter der Jahre vor 1683, in: Osmanisti-
Imperialismus, Kolonialismus
sche Studien zur Wirtschafts- u. Sozialgeschichte. In memoriam Vančo Boškov. Hg. H.G. Majer. Wiesbaden 1986, 104–119; A.K. Lambton, State and Government in Medieval Islam. An Introduction to the Study of Islamic Political Theory: The Jurists. Oxford u. a. 1981. M. U.
Imperialismus, Kolonialismus. I. (abgeleitet v. lat. imperare: befehlen bzw. imperium: Befehl) bezeichnete zunächst die Militär- u. Amtsgewalt, später auch die Herrschaft insges. im Römischen Reich. Bis zur Eroberung Konstantinopels 1453 verstand sich →Byzanz als Fortsetzung des Imperium Romanum. Doch seit dem 11. Jh. beanspruchte auch das Westreich, ausschließlicher Nachfolger des Imperium Romanum zu sein („translatio imperii“). Jürgen Osterhammel definiert Imperium als „großräumigen, hierarchisch gegliederten Herrschaftsverband polyethn. u. multireligiösen Charakters, dessen Kohärenz durch Gewaltandrohung, Verwaltung, indigene Kollaboration sowie die universalistische Programmatik u. Symbolik einer imperialen Elite (zumeist mit monarchischer Spitze) gewährleistet wird, nicht aber durch gesellschaftliche u. polit. Homogenisierung u. die Idee allg. Staatsbürgerrechte“. Übernimmt man diese Definition, dann waren sowohl das Byz. wie das Osm. Reich Imperien. In der Neuzeit erhielten der Begriff „Imperium“ u. der daraus abgeleitete Begriff „I.“ zunehmend negative Bedeutung. Der Brockhaus definierte I. 1884 wie folgt: „Imperialismus ist der Zustand eines Staates, in welchem die auf die Soldaten gestützte Willkür des Regenten herrscht.“ Das Streben nach Weltherrschaft drängte die Herrschaftsform (Willkür) jedoch bald in den Hintergrund, so dass der Begriff auch auf das Britische Imperium u. dessen Weltherrschaftsambitionen angewandt wurde, obwohl es dort keine Alleinherrschaft (etwa im Stil Napoleons III.) gab. Als „klassisches“ Zeitalter/Epoche des I. – I. jetzt verstanden als Bestreben eines Staates, andere Länder u. Völker dem eigenen Einfluss pol., wirtschaftl. u. kulturell unterzuordnen – gelten die letzten Jahrzehnte vor dem 1. Wk. Die Schwierigkeit im Umgang mit dem Begriff „I.“ besteht v. a. darin, dass es lange vor dem späten 19. Jh. vielfältige Formen v. I. (im ursprünglichen Sinn) gegeben hat u. dass letztlich alle vormodernen multiethnischen Reiche (u. viele modernen Staaten) mehr oder minder imperialistische Politik betrieben. Die Methoden haben sich im Lauf der Zeit verändert, aber das Streben v. Staaten oder Herrschaftsgebilden nach Expansion u. Einverleibung anderer Länder u. Völker ist uralt. Ob man in SOE im Zusammenhang mit dem Byz. Reich, dem Osm. Reich, der Habsburgermonarchie oder dem Russischen Reich (→Bessarabien 1812–1918) u. darüber hinaus mit Blick auf die ma. (multiethn.) balkanslav. Reiche von I. sprechen kann oder soll, hängt wesentlich von der Präzisierung des umstrittenen I.-Begriffs ab, der oft auch als Kampfbegriff verwendet wurde. Als Signum für eine zeitlich begrenzte Epoche vor dem 1. Wk. hat sich der I.-Begriff jedoch durchgesetzt. Ähnlich problematisch ist die Verwendung des Begriffs „Kolonialismus“ (v. lat. colonia: Ansiedlung, Niederlassung), der häufig als Synonym für I. gebraucht wird. K. im engeren Sinn bezeichnet die Herrschaft europ. Staaten über außereurop. Gebiete mit dem hauptsächlichen Ziel der wirtschaftl. Ausbeutung, während der Aspekt Ansiedlung (→Kolonisation) in den Hintergrund rückte. Mit Bezug auf SOE ist K. v. a. in Verbindung mit der →Habsburgermonarchie diskutiert worden. In der älteren ungar. Historiographie ist auch
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Imperialismus, Kolonialismus
→Ungarn gelegentlich als Kolonie Wiens bezeichnet worden. Zwar bestanden innerhalb der Monarchie bedeutende wirtschaftl. Ungleichgewichte zw. Zentralräumen u. Peripherien, u. a. auch zw. den österr. Erbländern u. dem Kgr. Ungarn, doch der Vergleich des letzteren mit einer Kolonie war v. a. einer pol. Polemik geschuldet. Seit den 1990er Jahren wird über K. im Zusammenhang mit der österr.-ung. Herrschaft über →Bosnien-Herzegowina (1878–1918) diskutiert, seltener mit Blick auf die russ. Herrschaft in Bessarabien. In beiden Beispielen entfällt die Trennung zw. Europa u. Außereuropa, u. in beiden Fällen bestand das Bestreben, die zunächst als „fremd“ empfundenen Grenzprovinzen als Teil des „Eigenen“ zu vereinnahmen. Die österr.-ungar. Okkupation Bosniens u. der Herzegowina war primär nicht der wirtschaftl. Ausbeutung, sondern dem Bestreben geschuldet, die Provinzen als Bollwerk gegen serb. oder südslav. Vereinigungsbestrebungen bzw. gegen Errichtung eines südslav. Staats (außerhalb der k.u.k. Monarchie) zu nutzen (vgl. →Jugoslawismus; →Serbien). Die Herrschaft der Doppelmonarchie in Bosnien (u. die russ. Herrschaft in Bessarabien) wiesen gleichwohl Ähnlichkeiten mit der Kolonialherrschaft in Übersee auf (einschließlich des Überlegenheitsgefühl des Zentrums gegenüber der Peripherie). In den post-colonial studies, die maßgeblich v. Edward Saids Orientalismus-Paradigma angestoßen wurden, wird Bosnien zw. dem Berliner Kongress u. dem Ende des 1. Wk.s daher oft als „Kolonie“, „Semi-Kolonie“ oder „interne Kolonie“ apostrophiert. Ob diese Ausweitung des K.-Begriffs zu einem Erkenntnisgewinn oder zu zunehmender Polyvalenz des Begriffs führt, bleibt vorerst offen.
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Lit.: (allg.) G. Schöllgen/F. Kiessling, Das Zeitalter des Imperialismus. München 2009; H. Münkler, Imperien. Die Logik der Weltherrschaft – vom Alten Rom bis zu den Vereinigten Staaten. Berlin 2005; J. Osterhammel, Europamodelle u. imperiale Kontexte, Journal of Modern European History 2 (2004), 157–182; ders., Kolonialismus: Geschichte, Formen, Folgen. München 1995; R. Walter, Imperialismus, in: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Hgg. O. Brunner/W. Conze/R. Kosselleck. Bd. 3. Stuttgart 1982, 171–236. (SOE) M. Reinkowski, Hapless Imperialists and Resentful Nationalists: Trajectories of Radicalization in the Late Ottoman Empire, in: Helpless Imperialists. Imperial failure, fear and radicalization. Hgg. M. Reinkowski/G. Thum. Göttingen 2013, 47–67; Images of Imperial Legacy. Modern Discourses on the Social and Cultural Impact of Ottoman and Habsburg Rule in Southeast Europe. Hgg. T. Sindbaek/M. Hartmuth. Berlin, Münster 2011; B. Aleksov, Habsburg’s „Colonial Experiment“ in Bosnia and Hercegovina revisited, in: Schnittstellen. Gesellschaft, Nation, Konflikt u. Erinnerung in Südosteuropa. Festschrift für H. Sundhaussen. Hgg. U. Brunnbauer/A. Helmedach/St. Troebst. München 2007, 201–216; R.J. Donia, The Proximate Colony. Bosnia-Herzegovina under Austro-Hungarian, in: www.kakanien.ac.at (11.9.2007); Zentren, Peripherien u. kollektive Identitäten in Österreich-Ungarn. Hgg. E. Hárs u. a. Tübingen 2006; C. Ruthner, „K.u.k. Kolonialismus“ als Befund, Befindlichkeit u. Metapher. Versuch einer weiteren Klärung, in: Habsburg postcolonial. Machtstrukturen u. kollektives Gedächtnis. Hgg. U. Prutsch/J. Feichtinger/M. Csáky. Innsbruck [u. a.] 2003, 111–128; E. Kolm, Die Ambitionen Österreich-Ungarns im Zeitalter des Hochimperialismus. Frankfurt/M. u. a. 2001; A. Suppan, Zur Frage eines österreichisch-ungarischen Imperialismus in Südosteuropa: Regierungspolitk u.
IMRO
öffentliche Meinung um die Annexion Bosniens u. der Herzegowina, in: Der Donauraum u. die südslavische Frage. Hgg. A. Wandruszka/R. Plaschka. Wien 1978, 103–136. H. S.
IMRO. Am 23.10.1893 gründeten bulg. Lehrer u. Intellektuelle in Saloniki die „Innere Makedonische Revolutionäre Organisation“ (bulg.: VMRO: Vătrešna Makedonska Revoljucionna Organizacija), die bis 1902 noch den Zusatz „Bulgarisch“ im Organisationsnamen enthielt. Durch Volksaufstände sollten die Großmächte zur Intervention zugunsten der Christen im osm. Makedonien bewegt werden (→Makedonische Frage). Die Gründung der IMRO war zugleich eine Reaktion auf die Unterdrückung des russophilen Lagers in →Bulgarien nach der Wahl Ferdinands zum Fürsten (1887; →Sachsen-Coburg-Koháry). Die IMRO forderte eine Autonomie Makedoniens im →Osm. Reich. Ursprünglich als Vorstufe zum Anschluss an Bulgarien gedacht, führten Konflikte mit Sofia u. dem 1895 gegr. „Oberen Makedonischen Komitee“ dazu, dass die Autonomie zum Ziel an sich wurde. Eine wichtige Rolle spielte dabei der starke sozialist. Einfluss, der eine Abkehr vom →Panslawismus förderte u. zur Öffnung der IMRO für andere Nationalitäten seit 1902 führte. Der Bedeutungsverlust nach dem Scheitern des Aufstandes in der Stadt Kruševo am 2.8.1903, dem St.-Elias-Tag (→Ilinden), wurde von z.T. blutigen innerorganisatorischen Abrechnungen begleitet. In der jungtürk. Revolution 1908 kooperierten Teile der IMRO (Föderative Volkspartei) mit den →Jungtürken. Wegen der Pläne zur Teilung Makedoniens opponierten die linken Strömungen in den →Balkankriegen gegen die bulg. Politik. Doch an der bulg. Besatzung des ab 1912 serb. Vardar-Makedoniens im 1. Wk. beteiligten sich alle Teile der IMRO. Bei der Neugründung der IMRO 1919 verdrängten die rechten Gruppen die Sozialrevolutionäre. Im bulg. Bezirk Petrič (Pirin-Makedonien) herrschte die IMRO unumschränkt u. unternahm v. dort aus bewaffnete Aktionen gegen Serbien bzw. das Kgr. SHS (→Jugoslawien) in Vardar-Makedonien. Die mehr als 100.000 mak. Flüchtlinge in Bulgarien bildeten das wichtigste Rekrutierungspotential der IMRO. Die milit. Stärke u. ihre Rolle beim Schutz der Monarchie 1919 sowie bei der Ermordung des bulg. Ministerpräsidenten Stambolijski 1923 sicherten ihr eine dominante Stellung in der Politik Bulgariens bis 1934. Konflikte um Kontakte zur UdSSR 1924 führten zu einer neuen Welle pol. Morde in der Organisation. Die jetzt v. Ivan Mihajlov geführte IMRO suchte die Unterstützung v. Mussolinis Italien u. verlegte sich auf Attentate (u. a. Ermordung des jug. Kg.s Alexander 1934 in Marseille). Nach dem Staatsstreich vom 19.5.1934 wurde die IMRO in Bulgarien zerschlagen. Linke Gruppen um Dimităr Vlachov gründeten 1924 in Anlehnung an die →Komintern die „Vereinigte IMRO“. In den 30er Jahren meldeten sich dort erste Stimmen, die die Makedonier als eigenständige Nation behandelten. In den ersten Jahren nach dem 2. Wk. gaben sich verschiedene Organisationen oppositioneller Oberschüler im jug. Makedonien den Namen IMRO. Seit 1990 gibt es dort eine legale Partei IMRO-DPMNE, die 1998 erstmals die Parlamentswahlen gewann. 1990 wurde in Bulgarien wieder eine großbulg. Organisation IMRO gegründet. Quellen: Vătrešnata makedono-odrinska revoljucionna organizacija (1893–1919 g.). Dokumenti na
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Industrialisierung
centralnite răkovodni organi (ustavi, pravilnici, mamoari, deklaracii, okrăzni, protokoli, naredbi, rezoljucii, pisma). Hg. C.V. Biljarski. Bd. 1 ff. Sofija 2007 ff. Lit. (a. →Makedonische Frage; →Ilinden): V. Kitanov, Aspekti na političeskite otnošenija na VMORO s Turcija 1903–1914 g. Blagoevgrad 2009; St. Troebst, Das makedonische Jahrhundert. Von den Anfängen der nationalrevolutionären Bewegung zum Abkommen von Ohrid 1893–2001. Ausgewählte Aufsätze. München 2007; D.M. Perry, The Politics of Terror. The Macedonian Revolutionary Movement, 1893–1903. Durham u. a. 1988; St. Troebst, Mussolini, Makedonien u. die Mächte 1922–1930. Köln u. a. 1987; J. de Jong, Der nationale Kern des makedonischen Problems. Ansätze u. Grundlagen einer makedonischen Nationalbewegung (1890–1903). Frankfurt/M. u. a. 1982; F. Adanir, Die Makedonische Frage. Ihre Entstehung u. Entwicklung bis 1908. Wiesbaden 1979; St. Fischer-Galati, The Internal Macedonian Revolutionary Organization: Its Significance in „Wars of National Liberation“, East European Quarterly 6 (1973) H. 4, 454–472. H. W.
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Industrialisierung. Der Übergang v. der handwerklichen Produktion (→Handwerker) zum großbetrieblichen Fabriksystem setzte in SOE während der letzten Jahrzehnte des 19. Jh.s ein. Angesichts schwacher inländischer Kapitalbildung, fehlenden Knowhows, einer dünnen Unternehmerschicht u. geringer Massenkaufkraft auf dem Binnenmarkt verlief der Prozess stockend u. wurde durch die wirt. Konkurrenz der europ. Industriestaaten zusätzlich erschwert. Obwohl fast alle soe. Regierungen seit den 1880er Jahren mit einer gezielten Industrieförderungspolitik begannen (Ungarn 1881, Rumänien 1887, Serbien 1893 u. Rumänien 1894) u. die staatlichen Unterstützungmaßnahmen bis zum 1. Wk. immer weiter ausgebaut wurden, konnte v. einer „industr. Revolution“ (im Sinne einer tiefgreifenden Umgestaltung v. Wirtschaft u. Gesellschaft) allenfalls in der ung. Hälfte der Habsburgermonarchie gesprochen werden. Ungeachtet der →Modernisierung in allen Wirtschaftszweigen blieb allerdings auch Ungarn ein Agrarland, dessen I. unausgewogen u. widerspruchsvoll verlief. Die v. direkter oder indirekter osm. Herrschaft befreiten Staaten Serbien, Griechenland, Rumänien u. Bulgarien konnten sich dagegen bis zur Jahrhundertwende nicht aus den präu. protoindustr. Formen v. Wirtschaft u. Gesellschaft lösen. Die der industr. Revolution eigentümliche Dynamik fehlte. Trotz Verbesserung der Infrastruktur (→Verkehr) u. Imports moderner Technologien blieb die I. lange Zeit inselhaft u. litt unter den schwachen Verknüpfungen mit anderen Wirtschaftsbereichen, insbesondere unter der geringen Leistungsfähigkeit des agrarischen Sektors (→Bauern, 19./20. Jh.). Erst nach der Jahrhundertwende begann auch in den Balkanländern ein industr. „Boom“, der jedoch die großen Entwicklungsdefizite bis zum Ausbruch der →Balkankriege nicht mehr auszugleichen vermochte. Schwerpunkt der frühen I. war die Lebensmittelindustrie, in weitem Abstand gefolgt v. der Eisen- u. Maschinenindustrie sowie anderen – v. Land zu Land wechselnden – Branchen. Neben der staatlichen Unterstützungspolitik, durch die vorteilhafte Rahmenbedingungen für die I. geschaffen werden sollten, spielte das Auslandskapital, das insbesondere in den Eisenbahnbau, in den Bergbau u. in das Kreditwesen SOEs investiert wurde, auch für die I. eine zunehmend wichtige Rolle.
Industrialisierung
In der Zwischenkriegszeit wurde die I. (neben den bereits ererbten Defiziten) durch die Umstellungsprobleme nach dem 1. Wk. u. die →Weltwirtschaftskrise beeinflusst. Zur Absicherung ihrer pol. wie ökon. Unabhängigkeit verstärkten die soe. Staaten ihre Industrieförderungspolitik, indem sie die Zollmauern zum Schutz der inländischen Produktion nach Kriegsende massiv erhöhten. Unter den Zwängen der Großen Depression Anfang der 30er Jahre nahmen der Protektionismus u. die staatliche Intervention weiter zu. Deutlich zeichnen sich zwei industr. Expansionsphasen ab: die erste fiel in die Zeit des weltweiten Konjunkturaufschwungs während der zweiten H. der 20er Jahre u. wurde durch das rasch einströmende Auslandskapital gestützt. Die zweite Phase relativ schneller u. nun eigenständiger industr. Entwicklung setzte um 1934 ein, war Folge einer neuen Dimension staatsinterventionistischer Wirtschaftspolitik u. korrespondierte mit dem Ausbau der Handelsverbindungen zu →Deutschland. Obwohl die Wachstumsraten der industr. Produktion in beiden Expansionsphasen bemerkenswert hoch waren, blieb die I. weit hinter den Anforderungen der gesamtwirt. Transformation u. des Arbeitsmarkts zurück. So stand insbesondere die Zunahme der industr. Beschäftigung in keinem angemessenen Verhältnis zum Bevölkerungswachstum (mit Ausnahme Ungarns). Nur ein Bruchteil der Neuzugänge am Arbeitsmarkt konnte in der Industrie beschäftigt werden, der weitaus größere Teil verblieb in der Landwirtschaft. Das Problem der wachsenden landwirt. Übervölkerung (→Bevölkerung) wurde durch den Industrieausbau somit nicht verringert oder gar gelöst. Von der gesamten erwerbstätigen Bev. waren Anfang der 30er Jahre in Ungarn 23 %, in Griechenland 16 %, in Jugoslawien 11 %, in Bulgarien u. Rumänien nur 9 % in Industrie u. Bergbau beschäftigt (→Arbeiter). In Albanien war der Anteil noch viel kleiner. Die Arbeitsproduktivität in der Industrie lag weit unter den Werten in den führenden Industriestaaten. Dies lag weniger an der technologischen Ausstattung der Betriebe als an der Subventionspolitik des Staates, der fortschreitenden Kartellbildung, der vorindustr. Arbeitsmoral u. der unzulänglichen Qualifikation der ersten Generation v. Industriearbeitern (darunter viele schlecht bezahlte „Arbeiter-Bauern“ u. Frauen). Die Richtung der industr. Entwicklung wurde durch die Konsumgüterindustrie u. einen geringen, aber wachsenden Anteil der Produktivgüterindustrie geprägt. Die lange Zeit in den Balkanländern dominierende Nahrungs- u. Genussmittelindustrie wurde seit Mitte der 30er Jahre v. der boomenden Textilindustrie überrundet. Unter den Produktivgütern dominierte die Erzeugung industr. Rohstoffe u. Halbfertigwaren. Daneben gab es einzelne, zumeist staatlich betriebene Großunternehmen mit modernster Technologie im Bereich der Schwer- u. Rüstungsindustrie. Doch die volkswirt. Bedeutung dieser Betriebe war relativ gering; sie blieben großindustr. Enklaven in einer weitgehend agrarischen Umwelt, waren international nicht wettbewerbsfähig u. produzierten (wegen der beschränkten Absatzmöglichkeiten auf dem Binnenmarkt) nur geringe Stückzahlen zu entsprechend hohen Kosten. Nachhaltige Kettenreaktionen zw. Konsum- u. Produktionsgüterindustrie blieben aus. Insges. machte die I. SOEs in der Zwischenkriegszeit aber durchaus Fortschritte. Der Beitrag des sekundären Sektors zum Volkseinkommen schwankte in den Balkanländern Ende der 30er Jahre zw. 16 % (Bulgarien) u. knapp 23 % (Jugoslawien). Nur in Ungarn war dieser Beitrag deutlich höher u. lag bei etwa 36 %. Der Wandel v. Agrar- zu industriellen Schwellenländern erfolgte erst in den Jahrzehnten nach dem 2. Wk. In den sozialist. Ländern wurden die Industriebetriebe in der zweiten
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Industrialisierung
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H. der 40er Jahre verstaatlicht. Die ersten (zw. 1947 u. 1951 verabschiedeten) mittelfristigen Volkswirtschaftspläne orientierten sich an der Industrialisierungspolitik der Sowjetunion in den 30er Jahren. Ihr Ziel war eine rasche, staatlich gelenkte I. um jeden Preis, unter besonderer Berücksichtigung der Grundstoff- u. Schwerindustrie (was z.T. den Intentionen der sowj. Führungsmacht widersprach). Die Konzentration der ökon. Macht in den Händen des Staates, die Zurückdrängung des privaten Konsums zugunsten der staatlichen Akkumulation sowie der zentral gesteuerte Kapitaleinsatz ermöglichten den Aufbruch in die industr. Revolution. Das Tempo des strukturellen Wandels war atemberaubend. Millionen v. Menschen fanden in der Industrie einen neuen Arbeitsplatz. Mitte der 80er Jahre war das produzierende Gewerbe in Ungarn mit 47,2 %, in Bulgarien mit 61,2 % u. in Rumänien mit 63,3 % am Nationaleinkommen beteiligt. Auch in Jugoslawien mit seinem →Selbstverwaltungsmodell liest sich die Geschichte der I. wie eine geradlinige Erfolgsbilanz. Der Umfang der industr. Produktion stieg in den 30 Jahren v. 1951 bis 1981 um 1.200 %, der Produktionswert (zu konstanten Preisen v. 1972) nahm um annähernd 1.100 % zu. Der Beitrag der Industrie (einschließlich Bergbau u. Energiewirtschaft) zum Nationaleinkommen wuchs v. 21 % auf über 40 %. Doch die Erfolge wurden überall mit gewaltigen Problemen erkauft. Die industr. Produktion blieb extrem energie- u. materialintensiv, ihre Produkte waren auf dem Weltmarkt kaum absetzbar. Der Raubbau an Ressourcen, die Vernachlässigung der Qualität zugunsten der Quantität („Tonnenideologie“), die mangelnde internationale Wettbewerbsfähigkeit, das Zurückbleiben hinter der technologischen Entwicklung in den westl. Industriestaaten u. die Unbeweglichkeit der überdimensionierten staatl. Steuerungsapparate lenkten die sozialist. I. in eine Sackgasse. Das extensive Wirtschaftswachstum war bereits Ende der 50er Jahre erstmals an seine Grenzen gestoßen. Trotz wiederholter Reformanstrengungen gelang es jedoch nicht, die Industrie v. den Fesseln der staatl. Reglementierung zu befreien. Pol. Prestigeobjekte u. wirt. Gigantomanie (z. B. der Aufbau der rum. Mineralölindustrie oder einer alb. Stahlindustrie) führten zur Errichtung gewaltiger Industrieruinen. Entsprechend dramatisch war der Absturz Ende der 80er Jahre (De-Industrialisierung), der die scheinbar erfolgreichen sozialist. Staaten teils auf die Stufe v. Entwicklungsländern zurückwarf. In Griechenland verlief die Entwicklung deutlich langsamer, aber stetiger als in den sozialist. Ländern SOEs. Die I. kam nur schleppend in Gang. Nach der Betriebsstatistik v. 1959 beschäftigten annähernd 95 % aller I.-Betriebe weniger als zehn Arbeiter. Auch der „Industrialisierungsboom“ in den 60er u. 70er Jahren veränderte dieses Bild kaum. 1973 beschäftigten noch immer 93,5 % aller Betriebe weniger als zehn Arbeiter, darunter in vielen Fällen fast ausschließlich Familienangehörige. Allerdings nahm der Anteil der in größeren Unternehmungen (mit mehr als 20 Beschäftigten) tätigen Arbeiter v. 39 % aller Erwerbstätigen (1958) auf 48 % (1973) zu. Die regionale Verteilung blieb dagegen unausgewogen. Rund die Hälfte aller Industriearbeiter war Anfang der 70er Jahre im Großraum →Athen beschäftigt. Diese „Kopflastigkeit“ der Hauptstadt konnte auch in der Folgezeit nicht wirksam abgebaut werden. Seit Ende der 60er Jahre lag der Beitrag des industr. Sektors zum Bruttoinlandsprodukt über dem Beitrag des landwirt. Sektors. Anfang der 80er Jahre waren 28 % aller Erwerbspersonen im produzierenden Gewerbe beschäftigt. Griechenland gesellte sich damit zum „harten Kern“ der industr. Schwellenländer. Es hatte die agrarlastige Rückständigkeit
Industrialisierung / Innerösterreich
durchbrochen, war aber noch weit v. der Vollindustrialisierung entfernt. Die Aufnahme Griechenlands in die Europäische Gemeinschaft (1981) konnte die weitere wirt. Entwicklung vor tiefen Einbrüchen zunächst bewahren. Lit.: Demographic changes in the time of industrialization (1750–1918). The example of the Habsburg monarchy. Hg. I. Bolovan. Cluj-Napoca 2009; M. Palairet, The Balkan Economies, c. 1800–1914. Evolution without development. Cambridge 1997; M.-J. Calic, Sozialgeschichte Serbiens 1815–1941. Der aufhaltsame Fortschritt während der Industrialisierung. München 1994; I. Karaman, Industrializacija gradjanske Hrvatske (1800–1941). Zagreb 1991; J.H. Moore, Growth with self-management. Yugoslav industrialization 1952–1975. Stanford/CA 1980; S. Djurović, Državna intervencija u industriji Jugoslavije 1918–1941. Beograd 1986; N.P. Mouzelis, Politics in the Semi-Periphery: Early Parliamentarism and Late Industrialisation in the Balkans and Latin America. Basingstoke 1985; M.R. Jackson/J. R. Lampe, The Evidence of Industrial Growth in Southeastern Europe before the Second World War, East European Quarterly 16 (1983), 385–415; I. Berend/Gy. Ránki, The European Periphery and Industrialization 1780–1914. Budapest 1982; N. Vučo, Razvoj industrije u Srbiji u XIX veku. Beograd 1981; D. Turnock, The Industrial Development of Romania from the Unification of the Principalities to the Second World War, in: A Historical Geography of the Balkans. Hg. F.W. Carter. London u. a. 1977, 319–378; J.R. Lampe, Varieties of Unsuccessful Industrialization: The Balkan States before 1914, Journal of Economic History 35 (1975), 56–85; M.F. Iovanelli, Industria românească, 1934–1938. Bucureşti 1975; Vom Agrarland zur Industriegesellschaft. Hg. B. Balla. Stuttgart 1974 [Ungarn]; D. Leonties, Die Industrialisierung Rumäniens bis zum Zweiten Weltkrieg. München 1971; W. Zorn, Umrisse der frühen Industrialisierung Südosteuropas im 19. Jh., Vierteljahrsschriften für Sozial- u. Wirtschaftsgeschichte 57 (1970), 500–533; M. Despot, Industrija gradjanske Hrvatske 1860–1873. Zagreb 1970; P.F. Sugar, The Industrialization of Bosnia-Hercegovina, 1878–1941. Seattle 1963; A. Gerschenkron, Some Aspects of Industrialization in Bulgaria, 1878–1939, in: ders., Economic Backwardness in Historical Perspective. Cambridge/MA 1962, 198–234; I. Berend/Gy. Ránki, Das Niveau der Industrie Ungarns zu Beginn des 20. Jh.s im Vergleich zu dem Europas, in: Studien zur Geschichte der Österreichisch-Ungarischen Monarchie. Budapest 1961, 267–285; N.P. Arcadian, Industrializarea României. Bucureşti 1936; L. Pasvolsky, Bulgaria’s Economic Position. Washington 1929; X. Zolotas, Griechenland auf dem Weg zur Industrialisierung. Leipzig u. a. 1926. H. S.
Innerösterreich. Die Bezeichnung folgt der im Laufe des 15. Jh.s entstandenen Benennung „innere Lande“ (Erstbeleg 1447), die als Sammelbezeichnung der drei Länder →Steiermark, →Kärnten u. →Krain diente. Als pol. Einheit ist diese Ländergruppe erstmals infolge der habsb. Erbteilung v. 1411 in Erscheinung getreten, als Herzog Ernst Graz zu seiner Residenz machte. Diese steirische Linie des Hauses Habsburg wird durch den späteren Ks. Friedrich III. fortgesetzt, der 1463 die Albrechtinische Linie (Österreich ober u. unter der Enns) beerbt u. dessen Sohn Maximilian I. 1490 die Gebiete der Tiroler Linie übernimmt. 1554 verfügte Ks. Ferdinand I. eine dem Muster v. 1411 folgende Erbteilung, der zufolge nach seinem 1564 eingetretenen Tod sein jüngster Sohn Karl (1540–1590), als Regent Karl II., den damals be-
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Innerösterreich
reits als I. benannten Länderkomplex erhielt. Dieser umfasste die Herzogtümer Steiermark, Kärnten u. Krain sowie die „incorporierten Herrschaften Windische Mark, Möttling, Ysterreich u. Carst“, das ist die 1374 habsb. gewordene Grafschaft →Istrien um Mitterburg/Pazin sowie die 1382 bzw. 1466 erworbenen Städte Triest u. St. Veit am Flaum (→Rijeka/Fiume), schließlich die gefürstete Grafschaft →Görz, deren Besitzungen im Isonzo-Tal u. in Friaul Ks. Maximilian i. J. 1500 erworben hat. Mit einem Gebiet v. 47.776 km2 (mit einer für 1617 auf eine Mio. geschätzten Einwohnerzahl) kann I. als größtes geschlossenes Territorium des →Heiligen Römischen Reiches dieser Epoche angesehen werden (zum Vergleich: Brandenburg 38.100 u. Bayern 27.400 km2). Den besonderen Zusammenhang der innerösterr. Länder begründet seit der zweiten H. des 15. Jh.s die Türkengefahr u. die damit lange Zeit in erster Linie v. den →Ständen getragenen Abwehrmaßnahmen, die im Rahmen v. Ausschusslandtagen der drei Landschaften ab 1462 beschlossen wurden. Ab 1522 sind die Stände I.s als gemeinsame Gesandtschaften auch auf den Reichstagen zur Verhandlung der →Türkenhilfe vertreten. Zur gleichen Zeit übernahmen sie Organisation, Verwaltung u. Finanzierung (jährlich eine halbe Mio. Gulden) des Grenzschutzes, der 1538 als kroatischer u. windischer Bezirk der um diese Zeit entstandenen →Militärgrenze organisiert wurde. Deren Verwaltung wurde dem 1578 eingerichteten Grazer Hofkriegsrat übertragen, den bis 1704 die Stände I.s dominierten, bis er in diesem Jahr dem Wiener Hofkriegsrat unterstellt u. i. J. 1743 endgültig aufgelöst wurde. Die Defensionsmaßnahmen I.s u. seiner Stände haben entscheidend zu einem Landesbewusstsein u. -patriotismus u. zur Integration des Territorialstaates I. beigetragen. Wie in vielen anderen Gebieten des Hl. Röm. Reiches trug die Türkengefahr zur Ausbreitung u. Konsolidierung des Protestantismus auch in I. entscheidend bei. Um die finanziellen Mittel zur Türkenabwehr v. den Ständen bewilligt zu bekommen, sah sich Karl zu religionspol. Zugeständnissen gezwungen. Im Streit über die im „Brucker Libell“ 1578 zusammengefassten Religionsrechte der Stände, der Karl eine eigene Fassung entgegensetzte, die die Religionsfreiheit der Städte nicht bestätigte, traf der Landesherr jedoch immer entschiedenere gegenreformatorische Maßnahmen. Dazu gehörte auch die v. ihm bereits 1565 verfügte Verbannung des slowen. Reformators Primož Trubar (→Reformation) aus I. Mit der Gründung der v. den Jesuiten geleiteten Grazer Universität (1585) entwickelte sich diese zur Keimzelle der →Gegenreformation in I. Doch erst sein Sohn, der spätere Ks. Ferdinand II., der 1598 aus der Hand seiner Mutter (Maria Anna v. Bayern) die Regentschaft übernahm, machte den konfessionellen →Absolutismus zum leitenden Prinzip seiner Politik. 1619 vereinte Ferdinand nach dem Tod v. Ks. Matthias die österr. mit der steirischen Linie der Habsburger. Doch behielt I. mit seinen bereits v. Karl geschaffenen Zentralbehörden (neben dem Hofkriegsrat der Geheime Rat u. die Hofkammer) seine Sonderstellung bei u. an der österr. Hofkanzlei in Wien wurde eine innerösterr. Abteilung zur unmittelbaren Entgegennahme der kaiserlichen Befehle für die Grazer Stellen eingerichtet. Diese hielten eifersüchtig an ihrer Selbständigkeit fest, bis sie im Zuge der mariatheresianischen Staatsreform 1749 aufgelöst wurden (vgl. →Josephinismus).
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Lit.: K. Keller, Erzherzogin Maria von Innerösterreich (155 –1608). Zwischen Habsburg und Wittelsbach. Wien 2012; Napoleon und seine Zeit: Kärnten – Innerösterreich – Illyrien. Hg.
Ionische Inseln
C. Fräss-Ehrfeld. Klagenfurt 2009; Die Jesuiten in Innerösterreich. Die kulturelle u. geistige Prägung einer Region im 17. u. 18. Jh. Hgg. W. Drobesch/P.G. Tropper. Klagenfurt u. a. 2006; L‘Autriche intérieure. Hg. T. Busset. Zürich 2005; Ein Leben zwischen Laibach u. Tübingen. Primus Truber u. seine Zeit. Intentionen, Verlauf u. Folgen der Reformation in Württemberg u. Innerösterreich. Hg. R.-D. Kluge. München 1995; Katholische Reform u. Gegenreformation in Innerösterreich 1574–1628. Hg. F.M. Dolinar. Klagenfurt u. a. 1994; A.A. Wallas, Stände u. Staat in Innerösterreich im 18. Jh. Die Auseinandersetzung um die Gerichts- u. Verwaltungsorganisation zwischen den Kärntner Landständen u. der zentralistischen Reformpolitik Wiens. Klagenfurt 1987; W. Schulze, Landesdefension u. Staatsbildung. Studien zum Kriegswesen d. innerösterr. Territorialstaates 1564–1619. Wien u. a. 1973; H.J. Mezler-Andelberg, Erneuerung des Katholizismus u. Gegenreformation in Innerösterreich, Südostdeutsches Archiv 13 (1970), 97–118; Innerösterreich 1564–1619. Red. A. Novotny/B. Sutter. Graz 1968; J. Loserth, Innerösterreich u. die militärischen Maßnahmen gegen die Türken im 16. Jh. Graz 1934; V. Thiel, Die innerösterreichische Zentralverwaltung 1564–1749, Archiv für österreichische Geschichte 105 (1916), 1–210; J. Loserth, Die Reformation u. Gegenreformation in den innerösterreichischen Ländern im 16. Jh. Stuttgart 1898. G. S.
Ionische Inseln (gr. Iónia Nisiá): 2.307 km², 207.855 E (2011); Hauptstadt: Korfu. Gruppe v. sieben Inseln vor der West- u. Südküste Griechenlands (Korfu, Paxos, Antipaxos, Leukas, Ithakē, Kephallēnia u. Zakynthos). In der Spätantike gehörten die Ion. I. zu den Provinzen Epirus Vetus (Kerkyra, Paxos, Antipaxos, Leukas, Ithakē) u. Achaea (Kephallēnia, Zakynthos). Wahrscheinlich um die Mitte des 8. Jh.s wurde Kephallēnia Zentrum eines maritimen →Themas, dem auch die anderen Ion. I. angehörten; u. das den Zugang zur Adria u. den Verbindungsweg ins byz. Italien gegen arab. Angriffe verteidigte. 1185 besetzten die Normannen die Ion. I. Während →Korfu nach 1185 noch einmal byz. wurde, gehörten Kephallēnia, Ithakē u. Zakynthos zunächst dem normannischen Admiral Margaritus u. fielen dann 1194 an Maio Orsini, dessen Nachkommen um 1300 auch Leukas beherrschten, die Inseln aber 1318 an das Kgr. Neapel verloren. Seit 1357 herrschten die neapolit. Tocci über Kephallēnia, Zakynthos u. Ithakē, seit 1362 auch über Leukas. 1479 entrissen die Türken Leonardo III. Tocco seine vier I., doch eroberten die Venezianer 1482 u. 1483 Zakynthos u. Kephallēnia. Kephallēnia mussten sie zwar 1485 an Bayazid II. abtreten, konnten es aber Ende 1500 mit spanischer Hilfe zurückgewinnen. Bis auf Leukas standen damit alle Ion. I. unter venez. Herrschaft. Leukas blieb bis Anfang August 1684 osm. u. wurde dann v. den Venezianern eingenommen. Diese verloren die Insel im Oktober 1715, eroberten sie aber 1716 zurück (→Venezianisches Überseereich). Nach dem Ende Venedigs (1797) wurden die Ion. I., zu denen in dieser Zeit auch Kythēra u. Antikythēra zu zählen sind, zunächst v. den Franzosen besetzt. Nachdem eine russ.-osm. Flotte diese 1799 zum Abzug gezwungen hatte, wurden die Ion. I. zu einer „Republik der sieben Inseln“ (Heptanēsos Politeia) vereinigt, die dank des Einsatzes des Grafen Johannes Kapodistrias auch den Wiener Kongress überstand u. v. 1815–1864 ein brit. Protektorat war. 1848/1849 erhoben sich die Einwohner v. Kephallēnia gegen die Briten. Auf Zakynthos u. ab
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Ionische Inseln / Irredentismus
1828 auf Korfu lebte der gr. Nationaldichter Dionysios Solomos (1798–1857). Im Juni 1864 durfte die „Republik der sieben Inseln“ sich anlässlich der Thronbesteigung Georgs I. mit →Griechenland vereinigen. Im Mai 1941 wurden die Ion. I. v. den Italienern besetzt. Auf Korfu u. Kephallēnia kam es nach der Kapitulation Italiens vom 13.–25.9.1943 zu erbitterten Kämpfen zw. den Italienern u. Verbänden des dt. XXII. Gebirgskorps. 1948 verwüstete ein Erdbeben Leukas. 1953 richtete ein weiteres auf Kephallēnia, Ithakē u. Zakynthos schwere Schäden an. Lit.: N. Zečević, The Tocco of the Greek realm. Nobility, Power and Migration in Latin Greece (14th – 15th Centuries). Sarajevo 2014; Venezia e le Isole Ionie. Hg. Chr.A. Maltezou. Venezia 2005; Chr. Papadopoulos, Die Ionischen Inseln von der Venezianerherrschaft bis zum Wiener Kongreß. Eine völkerrechtliche Analyse unter dem Aspekt der Staatensukzession. Münster u. a. 2003; St.S. Zapantē, Kephalonia 1500–1571. He synkrotēsē tēs koinōnias tu nēsiu. Thessaloniki 1999; G. Prinzing, Epirus u. die ionischen Inseln im Hochmittelalter. Zur Geschichte der Region im Rahmen des Themas Nikopolis u. der Inselthemen Kerkyra u. Kephallenia im Zeitraum ca. 1000–1204, SOF 56 (1997), 1–25; Levante veneziano. Aspetti di storia delle Isole Ionie al tempo della Serenissima. Hg. M. Costantini. Roma 1996; G. Rochat/M. Venturi, La divisione „Acqui“ a Cefalonia, Settembre 1943. Milano 1993; W.D. Wrigley, Hellenic Culture and Greek Nationalism in Ionian Society, 1453–1821, SOF 51 (1992), 51–64; E. Malamut, Les îles de l’Empire Byzantin VIIIe–XIIe siècles. 2 Bde. Paris 1988; R.T. Rontogiannēs, Historia tēs nēsu Leukados. 2 Bde. Athen 1980/82; P. Soustal (mit J. Koder), Nikopolis u. Kephallēnia. Wien 1981; G. Yannopulos, State and Society in the Ionian Islands, 1800–1830, in: Balkan Society in the Age of Greek Independence. Hg. R. Clogg. London 1981, 40–62; M. Pratt, Britain’s Greek Empire. London 1978. K.-P. T.
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Irredentismus (v. it. terra irredenta „unerlöstes Land“). Politisches Programm, das die Vereinigung der unter Fremdherrschaft stehenden „nationalen Territorien“ mit dem (benachbarten) Staat der „Mutternation“ anstrebt. Die Reklamation „unerlöster Gebiete“ erfolgt unter Berufung auf die (mitunter umstrittene) nationale Identität der dort lebenden Bev. (bzw. eines mehr oder minder namhaften Teils davon) u./oder unter Hinweis auf „historische Rechte“. Seine programmatische Ausprägung erlangte der I. während der zweiten H. des 19. Jh.s im Verlangen nach Angliederung der v. it. Nationalisten reklamierten Gebiete Österreichs (Trient/Triest, Istrien u. dalmatinische Küste) an den neuen it. Staat. Der I. trübte zunehmend die Beziehungen zw. Italien u. Österreich-Ungarn u. führte 1915 zum Kriegseintritt Italiens an der Seite der Entente (1. →Weltkrieg). Als die Versprechen der Alliierten durch die →Pariser Vorortverträge nicht voll erfüllt wurden, besetzte der Dichter u. Freischarführer Gabriele d’Annunzio im Sept. 1919 die zw. Italien u. dem neuen jug. Staat umstrittene Stadt →Rijeka/Fiume in einem Handstreich u. bereitet deren spätere Angliederung an Italien vor (Vertrag v. Rom 1924). Seither wurde d’Annunzio als Nationalheld verehrt. Irred. Bewegungen sind in SOE im Zuge der →Nationalstaaten- u. →Nationsbildung in vielfältiger Form aufgetreten. In nahezu allen Nationalbewegungen spielte der I. eine entscheidende Rolle. Dies gilt für die geheime Denkschrift (Načertanije) des serb. Innen-
Irredentismus / Islam, Muslime
ministers Ilija Garašanin v. 1844 (das u. a. die Vereinigung der serb. Irredenta in →Bosnien-Herzegowina mit dem Fsm. →Serbien vorsah) ebenso wie für die großgr., großrum., großbulg., großalb. etc. Nationalprojekte. Zumeist wurde der I. mit dem nationalen Selbstbestimmungsrecht begründet, doch reichten die konkreten Forderungen oft über das Selbstbestimmungsrecht (weit) hinaus. Der gr. I. (Alytrotismos) z. B. war nur insofern durch das Selbstbestimmungsrecht legitimiert, als er auf die Befreiung der v. Griechen mehrheitlich u. kompakt bewohnten Gebiete im →Osm. Reich u. deren Vereinigung (Enosis) mit dem Mutterland abzielte. Die Forderung nach Schaffung eines neo-byz. Imperiums (→Megali Idea) ging dagegen entschieden weiter. Während der serb. u. rum. I. durch den Ausgang des 1. →Wk.s befriedigt wurde, lebte der I. anderer Nationen (z. B. der Albaner u. Bulgaren) unvermindert fort oder wurde durch die →Pariser Vorortverträge erst geweckt (→Revisionismus). So wurde z. B. in →Trianon-Ungarn am 31.1.1919 der Ungarische Verband der Irredenta (Magyar Irredenta Szövetség) gegründet. Wie der griechische ging der ung. I. z. T. weit über die Befreiung der in fremden Staaten lebenden magy. Minderheiten (→Magyaren) hinaus u. zielte auf die Wiederherstellung des Reiches der →Stephanskrone ab. In →Bulgarien wurde die Forderung nach „Erlösung“ der Makedonier (→Makedonische Frage) u. deren Anschluss an Bulgarien v. der →IMRO u. ihren Absplitterungen verfochten. Die mak. Irredentisten spielten in Politik u. Wirtschaft Bulgariens in den 20er u. Anfang der 30er Jahre eine wichtige Rolle u. trugen maßgeblich zur Radikalisierung bzw. Brutalisierung des pol. Lebens bei. Wo immer die konkreten Staatsgrenzen hinter den territ. Forderungen der Nationalprogramme zurückblieben u. die →Minderheitenfrage/Minderheitenschutz nicht gelöst wurde, konnte sich der I. artikulieren. In vielen Fällen führte dies zu Umsiedlung, Vertreibung u. Bevölkerungsaustausch (→Zwangsmigrationen). Lit.: A. Riosa, Adriatico irredento: Italiani e Slavi sotto la lente francese (1793–1918). Napoli 2009; M. Zeidler, A Magyar irredenta kultusz a két világháború között. Budapest 2002; I. Zelepos, Die Ethnisierung griechischer Identität 1870–1912. Staat u. private Akteure vor dem Hintergrund der „Megali idea“. München 2002; Irredentism and International Politics. Hg. N. Chazan. London 1991; P. Kitromilides, Greek Irredentism in Asia Minor and Cyprus, Middle Eastern Studies 26 (1990), 3–17; T.G. Tatsios, The Megali Idea and the Greek Turkish War of 1897: The Impact of the Cretan Problem on Greek Irredentism 1866–1897. New York 1984; R.A. Kann, The „Sick Heart“ of Modern Europe. The Problem of the Danubian Lands. Seattle u. a. 1975; R.A. Kann, Das Nationalitätenproblem der Habsburger Monarchie. 2 Bde. Graz, Köln 21964; A. Sandonà, L’irredentismo. 3 Bde. Bologna 1932–38. H. S.
Islam, Muslime. Vereinzelte Quellen berichten schon für das hohe MA v. der Anwesenheit musl. Bevölkerungsgruppen auf dem Balkan u. in SOE, so z. B. in Ungarn u. in Bulgarien. Die ethn. bzw. linguist. Zugehörigkeit dieser Gruppen bleibt z. T. umstritten; vermutlich ist ihre Herkunft überwiegend in den südruss. Steppen bis nach Choresmien hin zu suchen (→Turkvölker). Sie alle unterlagen in der Folgezeit der →Christianisierung. Keine der
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Islam, Muslime
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gegenwärtigen isl. Religionsgemeinschaften auf dem Balkan u. in SOE lässt sich auf diese frühesten musl. Siedlergruppen zurückführen. Vielmehr verdanken sie alle ihre Entstehung der Expansion des →Osm. Reiches nach Europa seit der Mitte des 14. Jh.s. Nach den Entstehungsumständen kann man mit Alexandre Popovic unterscheiden 1) Bevölkerungsgruppen überwiegend türk. Zunge u. anatolischer Herkunft, die sich während bzw. nach Abschluss der osm. Eroberungen in den neuerworbenen Territorien unter Führung ihres →Begs niederließen; 2) musl. Siedler, z. T. aus dem städt. Milieu verschiedener, auch nichtosm. Teile der isl. Welt, die v. den osm. Behörden im Lande (z. T. zwangs-) angesiedelt wurden; 3) einheimische Bevölkerungsgruppen vornehmlich slav. u. alb. Zunge, die sich zum Islam bekehrten oder zum Übertritt gezwungen wurden (→Islamisierung; →Konvertiten). Keineswegs in jedem Fall war der I. dieser Gläubigen der der isl. Orthodoxie; die Bedeutung des „Volksislam“ (zu unterscheiden v. Kryptochristentum u. Kryptojudentum; →Kryptochristen; →Dönme) erklärt sich z. T. aus der Rolle der isl. Bruderschaften bzw. →Derwisch-Orden bei der →Islamisierung des Landes. Die musl. Gemeinden des Balkans u. SOEs bekennen sich quasi ausnahmslos zum sunnitischen I. hanafitischer Rechtsschule. Sie setzen sich aus Sprechern v. etwa zehn Sprachen zusammen, unter denen – neben dem Türkischen – das Albanische, Serbokroatische u. Bulgarische auch zahlenmäßig die wichtigsten sind. Zur Geographie des I. in SOE heute: Die isl. Glaubensgemeinschaft, die sich während der Zeit der osm. Herrschaft in Ungarn gebildet hatte (1526–1699), fand mit der osm. Räumung des Landes ihr Ende. Erst mit der Besetzung →Bosniens u. der Herzegowina durch die Doppelmonarchie 1878 entwickelte sich hier erneut eine kleine musl. Gemeinde, deren Bedeutung allerdings bis heute stark zurückgegangen ist. – In Rumänien bilden, nachdem die kleine Kolonie auf der Donauinsel Ada Kale 1968 umgesiedelt werden musste, Muslime v. a. in der →Dobrudscha ein auffälliges Bevölkerungselement, das sich überwiegend aus →Türken u. →Tataren zusammensetzt. – In Griechenland haben sich nach dem Bevölkerungsaustausch v. 1923 u. den Vertreibungen (→Lausanne, Friede v.; →Zwangsmigrationen) Muslime vornehmlich in drei Gebieten halten können: im östl. West-→Thrakien (meist Türken u. Romi; →Roma) u. in den westthrakischen Rhodopen (→Pomaken) sowie in geringer Zahl auf den Inseln des →Dodekanes, besonders auf Rhodos u. Kos (überwiegend Türken). Bis zu ihrer Vertreibung 1944 sind hier auch die alb. →Çamen im nordwestl. gr. →Epirus zu nennen. – Die Muslime Bulgariens setzen sich aus vier verschiedenen ethn. Gruppen zusammen. Türken bilden die größte Untergruppe; sie siedeln u. a. in →Deliorman, der →Dobrudscha, entlang der Donau u. in den westl. Rhodopen. In den Rhodopen leben darüber hinaus die bulg.-sprachigen →Pomaken, die des Türkischen nicht mächtig sind. Auch einige tatarische Gruppen haben sich in Bulgarien halten können, gehen aber zunehmend in der türk. Sprachgruppe des Landes auf. Bei den bulg. →Tataren ist hervorzuheben, dass sie zweierlei Konfessionen angehören: die überwiegende Mehrheit bekennt sich wie alle übrigen Muslime SOEs zum sunnitischen I. der hanafitischen Schule. Im Gebiet v. Deli Orman existiert jedoch noch eine (schiitisch-)alevitische Gruppierung (→Aleviten), die örtlich als Kızılbaş bezeichnet wird. – In Albanien bildet die musl. Glaubensgemeinschaft eine in ethn. u. sprachlicher Hinsicht besonders homogene Mehrheitsbevölkerung. Lediglich eine Minderheit bekennt sich zur (zu Beginn des 20. Jh.s zeitweilig
Islam, Muslime / Islamisierung
weit größeren) Anhängerschaft der →Bektaschi, der mit Beginn der komm. Herrschaft dieselbe Anerkennung als Religionsgruppe zuteil geworden war wie den Sunniten sowie den orth. u. röm.-kath. Christen, bevor sich Albanien 1968 zu e. atheistischen Staat erklärte u. alle Religionsgemeinschaften verbot. Die Wiederbelebung der Religiosität im Albanien v. heute wird in der isl. Welt insges. aufmerksam verfolgt. – In den Gebieten des ehemaligen Jugoslawien leben Muslime v. a. in Bosnien-Herzegowina, im Kosovo u. in Makedonien unter jeweils grundverschiedenen Rahmenbedingungen. Die Gewährung des Status einer eigenen Nation für die Muslime →Bosnien-Herzegowinas (→bosn. Muslime) auf der 17. Vollversammlung des ZK des Bundes der Kommunisten v. Bosnien-Herzegowina i. J. 1968 markiert den ersten Höhepunkt einer Sonderentwicklung, die unter dem Eindruck der Existenzbedrohung durch die serb. u. in zweiter Linie kroat. Kriegsführung 1992–1995 zum definitiven Abschluss ihrer →Nationsbildung geführt hat (→Bosniaken). Die Muslime →Kosovos, ganz überwiegend alb. Zunge (wie in den Nordwestgebieten Makedoniens), beanspruchen gemeinsam mit der kath.-alb. Minderheit Unabhängigkeit für ihr Gebiet, das die Serben als Kerngebiet des hist. Serbien betrachten (Amselfeld, →Kosovo polje). In →Makedonien setzen sich die Anhänger des I. aus Gruppen verschiedener ethn., sprachl. u. geogr. Herkunft zus. u. umfassen neben der alb. Mehrheit Türken, makedonischsprachige →Torbeschen, →Ägypter u. Zigeuner/→Roma. Wie in Albanien spielen in den ehem. jug. Gebieten die isl. Derwisch-Orden eine nicht zu unterschätzende, regional gar zunehmend größer werdende Rolle. Lit. (a. →Islamisierung; zur Gesellschafts- u. Rechtsordnung a. →Millet): N. Clayer/X. Bougarel, Les musulmans de l’Europe du Sud-Est. Des Empires aux États balkaniques. Paris 2013; I. Merdjanova, Rediscovering the Umma. Muslims in the Balkans between Nationalism and Transnationalism. Oxford 2013; Balkans and Islam: Encounter, Transformation, Discontinuity, Continuity. Hgg. A.Z. Furat/H. Er. Cambridge 2012; K. Tsitselikis, Old and New Islam in Greece: From Historical Minorities to Immigrant Newcomers. Leiden, Boston 2012; N. Gramatikova, Neortodoksalnijat isljam v bălgarskite zemi. Minalo i sravremennost. Sofija 2011; Islam u. Muslime in (Südost)Europa im Kontext von Transformation u. EU-Erweiterung. Hgg. Chr. Voss/J. Telbizova-Sack. München 2010; A. Popovic, Muslimūn (I) The Old-Established Muslim Communities of Eastern Europe, in: EI2 (Bibl.); Le nouvel islam balkanique: les musulmans, acteurs du post-communisme, 1990–2000. Hgg. X. Bougarel/N. Clayer. Paris 2001; K. Karpat, The Politicization of Islam. Reconstructing Identity, State, Faith, and Community in the Late Ottoman State. Oxford 2001; Muslim Identity and the Balkan State. Hgg. H. Poulton/S.Taji-Farouki. New York 1997; H.T. Norris, Islam in the Balkans. Religion and Society Between Europe and the Arab World. London 1993; A. Popovic, L’Islam balkanique. Les musulmans du sud-est européen dans la période post-ottomane. Berlin, Wiesbaden 1986. M. U.
Islamisierung. Der Übertritt christl., seltener auch jüd. Bevölkerungsgruppen u. Einzelpersonen zum Islam (ein spektakuläres Beispiel bildet hier die Bewegung des Shabbetai Sevi oder Tzevi mit der Entstehung der Gemeinschaft der sog. →Dönme in →Saloniki)
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Islamisierung
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fand im Verlauf der osm. Herrschaft unter wechselnden Rahmenbedingungen statt (vgl. →Konvertiten). Nach über 100 Jahren relativer Indifferenz auf relig. Gebiet machte sich mit dem ausgehenden 15. Jh. unter Bayezid II. (1481–1512) ein wachsendes Selbstverständnis des →Osm. Reiches als eines isl. Gemeinwesens geltend. Die tiefgreifende Transformation v. Staat u. Gesellschaft v. a. seit dem 17. Jh. bereitete – z. T. als Antwort auf vermehrte Missionierungstätigkeit der lat. Kirche im Osm. Reich unter Führung der Jesuiten – Zwangsmaßnahmen u. Repressalien des Staates u. seiner Organe gegenüber Nichtmuslimen den Boden, unter deren Folgen der Exodus jener angeblich 37.000 serb. „Seelen“ (in der Lit. oft fälschlich als „Familien“ wiedergegeben) aus dem Osm. Reich auf ung. Territorium 1690 (→Migrationen; →Serben) zu den dramatischsten Episoden ihrer Art zählt. – Grundsätzlich lassen sich verschiedene Formen v. I. unterscheiden – v. soz. u. wirt. motivierter, sonst aber „freiwilliger“ Annahme der herrschenden Religion durch die autochthone Bev. bis hin zur systematischen Zwangsislamisierung durch den Staat u. seine Träger. Die Balkanländer wurden v. der I. besonders stark in drei Hauptregionen betroffen. Hierbei handelt es sich um 1) Bosnien u. die Herzegowina, 2) Albanien mit angrenzenden Regionen sowie 3) →Thrakien u. benachbarte Teile Bulgariens u. Griechenlands. Jede dieser Regionen ist durch unterschiedliche Voraussetzungen u. Verlaufsformen der I. gekennzeichnet. In den beiden erstgenannten Fällen sind breite Schichten der balkanischen Gesellschaften unter Beibehaltung ihrer eigenen Sprache zum Islam konvertiert, während im Großraum 3) die I. mit sprachl. u. kult. Türkisierung großen Ausmaßes einherging. Auf diese Regionen wird weiter unten näher eingegangen. In den übrigen Landstrichen der Balkanhalbinsel konnte der →Islam bis zum Ende der osm. Herrschaft nirgendwo eine vergleichbare Rolle spielen. Auf dem flachen Lande war sein Vordringen besonders zögernd u. sporadisch. Ebenen wie das untere Vardar-Schwemmland mit früher qipčaqischer (→Kumanen; →Tataren) u. turkmenischer Ansiedlung um die osm. Neugründung Yenice Vardar (Ende 14. Jh.) durch Evrenos Beg bilden hierbei ebenso eine Ausnahme wie musl. Siedlungskonzentrationen in manchen Berggebieten wie der Crna Gora/Karadag nördl. v. →Skopje, dem alten Zentrum osm. Expansion in den nördl. u. westl. Balkan. Obgleich der Islam in den Städten bereits früh in Gestalt v. milit. u. Verwaltungspersonal sowie der Geistlichkeit (→Ilmiye; →Ulema) aber auch Handwerkergruppen Fuß fassen konnte, deren Herkunft wie die verschiedener im städt. Umland angesiedelter Nomaden u. Bauern durchweg in Anatolien zu suchen sein dürfte, machte die I. selbst im städt. Milieu zunächst nur langsam Fortschritte. Nie hat die I. in der Geschichte des Osm. Reiches jemals die Gesamtbev. einer balkanischen Stadt erfasst, mindestens nicht vor dem 18. Jh. Untersuchungen v. Alexandar Stojanovski für Makedonien belegen, dass während des 15. Jh.s v. 19 Städten nur drei, nämlich Serres, Skopje u. Veles, mehrheitlich musl. Abgabepflichtige beherbergten; in der zweiten H. des 16. Jh.s verfügten erst 13 v. 34 Städten u. stadtähnlichen Siedlungen auf dem Boden der heutigen Republik Makedonien über eine musl. Majorität unter den registrierten Steuerzahlern (Militärs, Staatsdiener u. Geistliche, die v. der Steuer befreit waren, nicht eingerechnet). In →Saloniki bestand die größte Bevölkerungsgruppe gar aus jüd. →Sepharden – einzigartig in der Geschichte des balkanischen Städtewesens (→Stadt, Stadttypen [Osmanisch]). Selbst Yenice Vardar, mit Elbasan in Albanien, Novi Pazar u. →Sarajevo sowie Yenişehir
Islamisierung
(Larissa) in →Thessalien eine der wenigen musl. Gründungen auf europ. Boden, bot langfristige Existenzmöglichkeiten für mehrere christl. Familien. Man darf vermuten, dass sich die Mehrheit der städt. Muslime dieses Raumes bis zum Ende des 15. Jh.s aus Menschen nichtbalkanischer Herkunft zusammensetzte. Erst mit dem 16. Jh. ist in nennenswertem Umfang mit →Konvertiten in den unteren Gesellschaftsschichten zu rechnen. Angaben in den →Tahrir Defteri erlauben mindestens grobe Schätzungen: Patronyme wie „Sohn des Abdallah“ (d. h. „Knecht Gottes“) sowie die pers. Wendung nev-muslim(ān) „Neu-Muslim“, zus. mit Namensformen wie „Kasim, Sohn des Todorče“ suggerieren z. T. beträchtliche Anteile v. Konvertiten unter der musl. Stadtbev. Während die Größenordnungen für die Zeit um 1478 durchweg noch deutlich unter 20 % liegen, zeigen die Defter knapp ein Jh. später (1569/70) Werte v. über einem Drittel. Auffallend ist, dass sich unter den „Söhnen des Abdallah“ zahlreiche Träger v. Namen türk. u. pers. Herkunft ohne isl. Konnotation wie Atmaca, Aydın, Şahin u. Karagöz oder Şirmerd finden. Dies lässt darauf schließen, dass parallel zur I. (z. T. dieser zeitlich vorgeschaltet) ein im Namensgut nachweisbarer Prozess der sprachl. u. kult. Türkisierung stattfand, den man (wie im übrigen auch die I.) in solchen Fällen als Teilprozess einer auf vielen Gebieten wirksamen Osmanisierung deuten kann. Zu den Teilräumen: 1) Bosnien u. die Herzegowina. Das ungewöhnliche Ausmaß der I. in diesem Gebiet hat zu der These Anlass gegeben, die Bev. sei angesichts anhaltender Unterdrückung ihres arianischen Bekenntnisses (→Bogomilen) durch die lat. Kirche quasi in einem einzigen Bekehrungsakt zum als wesensgleich empfundenen Islam übergetreten, u. zwar als geschlossene Gruppe, u. habe sich auf diese Weise ihre „bosnische“ Identität bis auf den heutigen Tag erhalten können. Jedoch zeigen die Tahrir Defteri, dass die I. hier keinesfalls auf einmal erfolgt ist; auch dürfte als erwiesen gelten, dass die →Bosnische Kirche lange vor Einverleibung des Landes unter osm. Herrschaft bereits praktisch zerschlagen war u. die Bev. – mindestens nach außen hin – sich zum lat. bzw. orth. Ritus bekannte. Wahrscheinlich hingegen hat die I. in den Kreisen der eh. Anhänger der sog. Bosn. Kirche besonders umfassend gewirkt, u. dies über einen längeren Zeitraum hinweg. Zahlreiche bosn. „Lehnsherren“ (v. denen zunächst noch manche Christen blieben) wurden in die Reihen der mit einem →Timar ausgestatteten →Spahis übernommen – in einigen Fällen sogar unter Wahrung vorosm. Eigentums in Gestalt (erblicher) →Çiftliks (aufgehoben erst im Laufe des 16. Jh.s). Auch viele Bauern traten in Bosnien u. der Herzegowina zum Islam über, v. a. in Stadtnähe. Wie überall war das musl. Element in den urbanen Zentren, allen voran in Sarajevo, am stärksten vertreten. Bis ins 17. Jh. hinein wurden viele dieser Konvertiten verdächtigt, den Islam nur oberflächlich angenommen zu haben, insgeheim aber am Christentum festzuhalten (→Kryptochristen, „Poturi“). Als Besonderheit ist hervorzuheben, dass im Unterschied zu allen übrigen Landesteilen die →Knabenlese in Bosnien auch die Söhne musl. Familien – Edle wie →Reaya – betraf u. ihnen entsprechende Aufstiegsmöglichkeiten gewährte, wie dies sonst nur für Knaben aus christl. Milieu galt. 2) Albanien u. angrenzende Regionen. Auch nach der Gründung v. Elbasan (türk. wörtlich: „die das Land beherrscht“) zwei Jahre vor dem Tode Skanderbegs i. J. 1468 hatte die I. zunächst noch nicht weit über die wenigen städt. Zentren der osm. Herrschaft in diesem Lande hinaus wirksam werden können, sondern schwerpunktmäßig die im Besitz v. Tima-
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Islamisierung
ren befindliche feudale Oberschicht erfasst (→Feudalismus). Selbst hier hielten sich Spahis christl. Religion noch bis zum Ende des 15. Jh.s. Zu Beginn des 16. Jh.s zählten die →Sancaks v. Elbasan, Ohrid, Avlonya (Vlora) u. Iskenderiye (Shkodër) zusammen nicht mehr als ca. 3.000 steuerpflichtige →Reaya-Haushalte. Lat. Quellen schätzen, dass sich um 1622 lediglich ein Dreißigstel der Bev. Albaniens zum Islam bekannte. Wesentlich stärker war die I. zu dieser Zeit jedoch bereits unter dem alb. Bevölkerungsteil im Kosovo u. Makedonien vorangeschritten, zumal in den Städten. Übertritte breiter Bevölkerungsschichten zum Islam infolge v. Repressalien seitens der Pforte, die die christl. Untertanen im sich zuspitzenden osm.-venez. u. osm.-habsb. Konflikt gern der Komplizenschaft mit dem Feind verdächtigte (vgl. →Türkenkriege), kennzeichnen in Albanien die zweite H. des 17. Jh.s, während im 18. u. frühen 19. Jh. ganze Dorfschaften – typischerweise auf Veranlassung lokaler Magnaten vom Format eines Ali Pascha Tepedelenli – zum Islam konvertierten. Bei der I. weiter Teile Albaniens u. angrenzender Regionen hat daneben das →Derwisch-Wesen (darunter besonders der Orden der →Bektaschi, zu deren Kreisen auch Ali Pascha gehört haben soll) eine kaum zu überschätzende Rolle gespielt, v. a. seit dem 18. Jh. Die moderne Forschung, die die Verbindungen Ali Paschas auch zur Halvetije u. anderen Bruderschaften untersucht, betont die Doppelfunktion der Derwische als Träger von I. u. (alb.) Kolonisation über die Grenzen des Arnawutluk hinaus. 3) Östl. Balkanregion. Spätestens seit 1402 war es hier zu einer umfassenden Osmanisierung des Landes gekommen, was die Ansiedlung anatolischer u. pontischer Bevölkerungsgruppen türk. Zunge u. – mindestens im Äußeren – isl. Religion einschloss. Filibe (Plovdiv) zählte um 1455 neben 50 nichtmusl. steuerpflichtigen Haushalten bereits 600 muslimische. Aber gerade außerhalb der Städte war das musl. Bevölkerungselement (z. T. durch Zwangsumsiedlung, türk. sürgün, hierher gelangt) ungewöhnlich stark vertreten, besonders in →Thrakien, Ostbulgarien, im Maritza-Tal sowie in der →Dobrudscha. Obgleich die I. die bäuerlichen Christengemeinden außer in Stadtnähe u. im Umkreis v. musl. Dorfschaften während des 14. u. 15. Jh.s noch kaum nennenswert betroffen haben dürfte, sieht man v. der auch hier intensiv praktizierten Knabenlese ab, so ist sie doch etwa für das Tal der Maritza u. die östl. Balkan-Pässe schon früh belegt. In den Rhodopen scheint die I. im Zuge des osm.-venez. Krieges („Kandischer Krieg“; 1645–1669) in ein neues Stadium getreten zu sein; überhaupt gelten die 40er bis 80er Jahre des 17. Jh.s in der bulg. Forschung als Periode weitverbreiteter Zwangsbekehrungen durch die osm. Behörden, an ihrer Spitze →Großwesir Mehmed Köprülü. (Das Verhältnis v. „Zwang“ zu „Freiwilligkeit“ ist allerdings umstritten.) Große Gruppen slav. sprechender Muslime (darunter →Pomaken u. →Torbeschen) sind – wie in Bosnien u. analog bei den →Albanern – ein charakteristisches Anzeichen für eine großflächig wirksame I. unter den →Reaya, wie eine solche auch durch das Vorhandensein eines ausgedehnten Kryptochristentums bestätigt wird, das sich bis weit ins 18. Jh. hinein u. örtl. darüber hinaus zu halten vermochte. Im griechischen Bereich bildete →Kreta einen Schwerpunkt der I.
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Bibl.: Les conversions à l’Islam en Asie Mineure et dans les Balkans aux époques seldjoukide et ottomane. Bibliographie raisonnée (1800–2000). Hgg. G. Grivaud/A. Popovic. Athènes 2011. Lit. (a. →Kryptochristen; →Konvertiten): T. Krstić, Contested Conversions to Islam: Narratives
Ispán
of Religious Change in the Early Modern Ottoman Empire. Stanford 2011; M.D. Baer, Honored by the Glory of Islam. Conversion and Conquest in Ottoman Europe. Oxford u. a. 2008; A. Minkov, Conversion to Islam in the Balkans. Kisve Bahası Petitions and Ottoman Social Life, 1670–1730. Leiden, Boston/MA 2004; O. Zirojević, Islamizacija na južnoslovenskom prostoru. Dvoverje. Beograd 2003; A. Zhelyazkova, Islamization in the Balkans as a Historiographical Problem: The Southeast European Perspective, in: The Ottomans and the Balkans. A Discussion of Historiography. Hgg. F. Adanir/S. Faroqhi. Leiden 2002, 223–266; Imperial Legacy. The Ottoman Imprint on the Balkans and the Middle East. Hg. C. Brown. New York 1996; N. Clayer, Mystiques, État et Société. Les Halvetis dans l’aire balkanique de la fin du XVe siècle à nos jours. Leiden u. a. 1994; H.T. Norris, Islam in the Balkans. Religion and Society between Europe and the Arab World. London 1993; B. Zlatar, Širenje islama i islamska kultura u Sarajevu i okolini, Prilozi za orijentalnu filologiju 41 (1991), 253–267; A. Željazkova, Razprostranenie na isljama v zapadnobalkanskite zemi pod osmanska vlast. XV–XVIII vek. Sofija 1990; E. Grozdanova, Bălgarskata narodnost prez XVII vek. Demografsko izsledvane. ebd. 1989; A. Stojanovski, Gradovite na Makedonija od krajot na XIV do XVII vek. Demografska proučavanja. Skopje 1981; S.M. Džaja, Die „bosnische Kirche“ u. das Islamisierungsproblem Bosniens u. der Herzegowina in den Forschungen nach dem Zweiten Weltkrieg. München 1978. M. U.
Ispán (dt. Gespan, lat. comes). Wohl aus dem slav. →Župan stammende Bezeichnung der Vorsteher der →Komitate in Ungarn. Mit dem Ausbau der kgl. Burgbezirke scheint jeweils ein I. an deren Spitze vom Kg. ernannt u. mit der Verwaltung, Steuereinnahme, Rechtspflege u. milit. Befehlsgewalt beauftragt worden zu sein. Der Ausdruck wurde – in Wortverbindungen wie udvarispán, nádorispán (→Palatin) usw. (lat. comes curiae, comes palatinus etc.) – auch für die Hofwürdenträger angewandt. Trotz des Verfalls des kgl. Komitats im 13. Jh. wurden der I. u. dessen Vertreter, die alispánok (Vize-Gespane, vicecomites), meist Gefolgsleute (familiares) des I., die die eigentliche Verwaltung v. dem sich zum Ehrenamt entwickelnden Gespanat übernahmen, allmählich kgl. Würdenträger. Im Spät-MA wurde es üblich, Adelige (auch Patrizier der →Freistädte) als comites zu bezeichnen, ohne dass sie unbedingt das Amt eines I. innegehabt hätten. Seit dem 11. Jh. erhielten Prälate, später auch weltliche Herren das „ewige Gespanat“ (comes perpetuus) ihres Bezirkes. In der Neuzeit waren die I. (nunmehr főispán, Obergespan, genannt) meist lokal begüterte Großgrundbesitzer, um dann im 20. Jh. durch hohe Beamte (weiterhin oft aristokratischer Herkunft) ersetzt zu werden. Das Amt wurde 1950 mit der Reform der Regionalverwaltung abgeschafft u. durch den Vorsitzenden des Exekutivkomitees des Komitatsrates ersetzt. Lit.: Gy. Székely, Evaluations de la structure et de la culture de la classe dominante laїque dans la Hongrie des Árpád, Acta Historica Academiae Scientiarum Hungariae 15 (1969), 223–252; F. Eckhart, Magyar alkotmány – és jogtörténet. Budapest 1946; J. Holub, A főispán és alispán viszonyának jogi természete, in: Fejérpataky Imre Emlékönyv. ebd. 1917, 186–211. J.M. B. 427
Istrien
Istrien. Halbinsel an der Nordostküste der Adria, heute zu →Slowenien u. großteils →Kroatien gehörig. Der Name leitet sich v. den illyr. Histrern ab, die die im Altertum Histria genannte Landschaft bevölkerten. 178–177 v. Chr. v. Rom unterworfen, bildete I. ab 42 v. Chr., zus. mit Venetien, die 10. Region des röm. Italien. Nach dem Zerfall des weström. Reiches geriet I. kurzfristig unter die Herrschaft Odoakers u. dann der Ostgoten, wurde 539 v. →Byzanz zurückerobert u. dem Exarchat Ravenna angegliedert. Ab Ende des 6. Jh. begannen slav. Volksgruppen, sich im Innern v. I. niederzulassen (→Slav. Landnahme); teilweise wurden sie auch v. den Byzantinern als Grenzwächter angesiedelt. Diese Entwicklung setzte sich fort, als I. 788 an das Frankenreich kam. In dieser Zeit wurden die Grundlagen gelegt für die bis in die neueste Zeit bemerkbare Zweiteilung in roman./it. Stadt- u. slav. Landbevölkerung. 952 dem Hzm. Bayern u. 976 dem Hzm. →Kärnten angegliedert, wurde I. im 11. Jh. eine eigene Markgrafschaft u. abwechselnd v. den Patriarchen v. Aquileia sowie dt. Adelsgeschlechtern (Weimar-Orlamünder, Eppensteiner, Spanheimer, Andechs-Meranier) verwaltet. Ab dem 10. Jh. begann sich Venedig in den istr. Küstenstädten Handels- u. Schutzrechte zu sichern. Im Laufe des 13. u. 14. Jh. kamen die westl. Küstenstädte unter venez. Oberhoheit, während Mittel- u. Ost-I. als Grafschaft Mitterburg (Pisino, Pazin) als Teil des →Heiligen Röm. Reiches zunächst den Grafen v. Görz u. ab 1374 den Habsburgern unterstand. Nach dem Frieden v. Campoformio (1797) wurde ganz I. österreichisch, kam dann nach dem Frieden v. Schönbrunn 1809 zu den →Illyrischen Provinzen, wurde 1814 v. Österreich zurückgewonnen u. bildete dann ab 1849 als eigenes Kronland einen Bestandteil des „Österr.-Illyr. →Küstenlandes“, zu dem auch noch →Görz u. Gradisca u. Triest gehörten. Es hatte einen eigenen Landtag mit Sitz in Parenzo (Poreč). Durch den Vertrag v. Rapallo (1920) kam das v. der Entente bereits im Londoner Abkommen 1915 den Italienern versprochene I. zum Kgr. Italien, bei dem es bis Ende des 2. Wk.s verblieb. Von Mussolini zeitweise verfolgte Pläne zur Aussiedlung der slav. Bev. wurden nicht verwirklicht, verwirklicht wurde aber nach Kriegsende die Vertreibung des größten Teils der it. Stadtbevölkerung (→Zwangsmigrationen). Durch den Friedensvertrag mit Italien 1947 wurde I. geteilt: Während der Hauptteil des Gebietes unmittelbar an →Jugoslawien kam, wurde der Nordwesten v. I. der jug. Militärverwaltung unterstehenden Zone B des Freistaates Triest zugeschlagen (→Triestfrage). 1954 kam die Zone B unter jug. Zivilverwaltung u. wurde 1975 schließlich (Vertrag v. Osimo) Jugoslawien völkerrechtlich angegliedert. Nach dem Zerfall Jugoslawiens wurden die alten Republikgrenzen zw. Slowenien u. Kroatien auch in I. Staatsgrenzen, wobei die Frage der Ausdehnung der beidseitigen Hoheitsgewässer in der Bucht von Piran noch umstritten ist.
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Lit.: P. Purini, Metamorfosi etniche. I cambiamenti di popolazione a Trieste, Gorizia, Fiume e in Istria, 1914–1975. Udine 2010; E. Ivetić, L’Istria moderna, 1500–1797. Una regione di confine. [Verona] 2010; Grenzland Istrien. Borderland Istria. Hg. S. Rutar. München 2007 (=Jahrbücher für Geschichte u. Kultur Südosteuropas 8); B. Banovac, Etničnost i regionalizam u Istri: povijesni i suvremeni kontekst, Migracijske i etničke teme 12 (1996), H. 4, 267–288; E. Ivetić, Oltremare. Istria nell’ultimo dominio veneto. Venezia 2000; D. Darovec, Pregled zgodovine Istre. Koper 1992; M. Bertoša, Mletačka Istra u XVI i XVII stoljeću. 2 Bde. Pula 1986; G. de Vergottini,
Istrorumänen / Ius Valachicum
Lineamenti storici della costituzione politica dell’Istria durante il medio evo. Trieste 1974; Istra i Slovensko Primorje. Borba za slobodu kroz vjekove. Hg. J. Hrženjak. Beograd 1952; B. Benussi, L’Istria nei suoi due millenni di storia. Trieste 1924. P. B.
Istrorumänen (Ersterwähnung als „Rumeri“ 1698; rum. Istroromâni; kroat. Istrorumunji sowie Ćići od. Ćiribirci; it. Istrorumeni). Ethn. Restgruppe v. weniger als 1500 Sprechern des bisher nicht als Schriftsprache kodifizierten u. in mehrere Mundarten gespaltenen „istrorum.“ Dialekts des Rumänischen (→Rumänen, nicht zu verwechseln mit den istroroman. Mundarten Südwest-Istriens) im kroat. Sprachgebiet →Istriens, u. zwar heute nur noch in den Ortschaften Šušnjevica (istror. Susnieviţa), Nova Vas (istror. Noselo), Jasenovik (istror. Sucodru) usw. im SW der Učka Gora (Monte Maggiore) sowie – linguistisch isoliert u. daher mit auch grammatikalisch eigenständiger Mundart – in dem Dorf Žejane (istror. Žeiån) auf dem Tschitschenboden (→Tschitschen). Dort dient auch der Ortsname für die istror. Eigenbezeichnung (žeiånti/žeiånski), sonst nennen sie sich nach ihrem Wohnort oder Vlåš (sg. vlås). Ihr Dialekt (istror. vlåški oder einfach po nåšu) ist durch den Rhotazismus bekannt u. ironisiert worden: „čiribirski“ (i. Ţiribirţi/ţiribirski für schriftsprachlich rum. cine = wer u. bine = gut, steht aber trotz moderner čakav.-kroat. u. it. Einflüsse dem Dakorumänischen viel näher als dem Aromunischen (→Aromunen), weshalb die I. als Nachfahren nordbalkanischer vlach. (→Vlachen) Flüchtlinge aus der Zeit der osm. Expansion im 15./16. Jh. gelten, deren früher (?) Übertritt zum Katholizismus die sprachliche Assimilation erleichtert hat (alle I. sind mindestens zweisprachig, im S sprechen die Älteren zusätzlich it.). Argumente der Toponymie u. Ethnographie lassen vermuten, dass die I. früher eine weitere Verbreitung im Zentrum Istriens sowie auf Krk (Veglia) hatten, ferner auf dem weiteren Tschitschenboden, dessen Bevölkerung aber schon zur Zeit Jernej Kopitars (1780–1844) als slavisch galt. I. u. Tschitschen sind daher mit Ausnahme der Sprecher des Istrorum. in Žejane keine kongruenten Termini. Pol. Bedeutung erlangten die I. wegen ihrer romanischen Sprache nur während der it. Okkupation Istriens in der Zwischenkriegszeit. Lit.: G. Filippi, Istrorumunski ligvistički atlas. Atlasul lingvistic istroromân. Atlante linguistico istrorumeno. Pula 2002; A. K[ovače]c, s.v. Istrorumunjski, in: Enciklopedija Jugoslavije. Bd. 5 Zagreb ²1988 (Bibl.); ders., Descrierea istroromânei actuale. Bucureşti 1971; M. Caragiu-Marioţeanu, Compendiu de dialectologie română. ebd. 1975, 189–215; I. Coteanu, Cum dispare o limba (istroromâna). ebd. 1957; S. Puşcariu, Die rumänische Sprache. Ihr Wesen u. ihre volkliche Prägung. Leipzig 1943, 276–284; S. Puşcariu, Studii istroromâne. 3 Bde. Bucureşti 1906–1929; F. Miklosich, Rumunische Untersuchungen. Bd. 1. Wien 1881. M.D. P.
Ius Valachicum. Die frühe Geschichte u. Herkunft der →Vlachen liegt weitgehend im Dunkeln. Dies ist auch darin begründet, dass ein Großteil v. ihnen nomad. u. halbnomad. Schafu. Ziegenhalter (→Transhumanz) waren, die, in →Katunen (pastorale Arbeitseinheiten) organisiert u. zumeist außer Reichweite der jeweiligen staatl. Verwaltungen stehend, ihrer
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Ius Valachicum
Tätigkeit nachgingen. Im Laufe ihrer Geschichte wurde ihnen eine Reihe schriftlich fixierter Privilegien zuerkannt, die man unter dem Begriff I.V. zusammenfassen könnte u. die uns diese vlach. Viehhalter als eine spezifische soz. Gruppe erscheinen lässt. Für die Häupter dieser Vlachenkatune sind verschiedene Bezeichnungen bekannt: Primićur, Katunar oder Čelnik. Ein →Knez war gewöhnlich das Haupt einer Gruppe v. Katunen, daneben war ein →Vojvode für die milit. Führung u. Sicherung dieser Gruppe verantwortlich. Allg. bestanden die Privilegien der Vlachen in völliger oder großzügiger Steuerbefreiung u. in der Freiheit, nach ihren gewohnheitsrechtlich tradierten Organisationsformen zu leben. Sie mussten für die jeweiligen staatlichen Administrationen ihrem Lebensstil entsprechende Sonderleistungen erbringen: die Bewachung v. Gebirgspässen u. Straßen (vgl. →Derbendci), die Durchführung u. den Schutz v. Transporten aller Art, aber auch die gelegentliche Teilnahme an Kriegszügen. Auch noch in der frühen Zeit der osm. Herrschaft wurden ihnen ihre trad. Privilegien weiterhin zugesichert. Eine Reihe v. einschlägigen Verordnungen zeugt davon. Sie erfreuten sich weiterhin ihrer Selbstverwaltung; ihre Vojvoden erhielten lediglich neue Titel, die osm. Armeerängen entsprachen: Harambaša, Odabaša, Juzbaša usw. Analog zu früheren Zeiten wurden sie auch zur Durchführung v. Spezialaufgaben herangezogen. Wie es jedoch scheint, gingen sie im Verlauf des 16. u. 17. Jh.s dieser Privilegien zunehmend verlustig. Dies dürfte einer der Hauptgründe dafür gewesen sein, dass seit Ende des 16. u. im Verlauf des 17. Jh.s eine bemerkenswert große Zahl v. Vlachenfamilien die Grenze vom Osm. zum Habsb. Reich überschritt u. sich im Bereich der sich ausbildenden →Militärgrenze gegen Zusicherung ihrer alten Privilegien als Wehrbauern niederließ. Diese Privilegien sollten mehr oder weniger die Konturen der entstehenden Grenzergesellschaft vorformen. Für den oberslawonischen Befehlsbereich der Militärgrenze (das sogenannte Warasdiner Generalat) wurden die Rechte u. Pflichten der vlach. Militärgrenzer gegen den Willen der kroat. →Sabors durch Kg. Ferdinand fixiert. Am 5.10.1630 unterzeichnete er weitreichende Privilegien für die dortigen Vlachen, die als „Statuta Valachorum“ in die Geschichte eingehen sollten. Im einzelnen waren die wichtigsten Rechte u. Pflichten: freier Grundbesitz (den Vlachen war es erlaubt, ihre Grundstücke zu verkaufen, zu verpfänden oder zu verschenken); Selbstverwaltung (Grundlage der vlach. Selbstverwaltung war das Dorf mit seinen als Dorfvorsteher u. Richter wirkenden Knezen); unbesoldeter Militärdienst (in den besoldeten Dienst wurden nur wenige aufgenommen. Die Vlachen waren zu zwei Arten v. Dienstleistungen verpflichtet: zum Wachdienst in den Festungen u. Wäldern u. zur Arbeitshilfe beim Ausbau der dem eigenen Schutz dienenden Festungen). Die Bestimmungen der Statuta Valachorum blieben bis etwa zur Mitte des 18. Jh.s in Kraft. Sie stellen das hist. gesehen letzte Beispiel des praktizierten I. V. dar u. gleichzeitig eine hochinteressante Anwendung eines dem röm. Recht vielfach diametral entgegenstehenden alten Gewohnheitsrechts, was nur durch die Besonderheit der Grenzlage erklärbar ist.
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Quellen u. Lit. (a. →Vlachen): Statuta Valachorum. Prilozi za kritičko izdanje. Hg. D. Roksandić. Zagreb 1999 [lat. Text m. skr. Übers.]; K. Kaser, Freier Bauer u. Soldat. Die Militarisierung der agrarischen Gesellschaft an der kroatisch-slawonischen Militärgrenze (1535–1881). Graz 21997; T.J. Winnifrith, The Vlachs. The History of a Balkan People. New York 1987; M. Filipović, Struktura
Jakobiner
i organizacija srednjovjekovnog katuna, in: Simpozijum o srednjovjekovnom katunu. Sarajevo 1963, 45–112; J. Trifunoski, Geografske karakteristike srednjovjekovnih katuna, in: a. a. O., 19–39; B. Sučević „Razvitak“ „Vlaških prava“ u Varaždinskom generalatu, Historijski zbornik 6 (1953), 33–70; K. Czoernig, Ethnographie der Österreichischen Monarchie. Bd. 2 Wien 1857. K. K.
Jakobiner. Politischer Kampfbegriff des ausgehenden 18. Jh.s für Personen, die – in Kleingruppen organisiert – sich pol. an der Frz. Revolution (freilich nur in Einzelfällen an der Pariser J.herrschaft) orientierten u. deren Elan in Gestalt radikaler pol. u. ges. Veränderungen auf ihr Heimatland übertragen wollten. In der →Habsburgermonarchie waren es v. a. bürgerliche Beamte, aber auch Intellektuelle, Schriftsteller, fast ausnahmslos Mitglieder v. Logen der →Freimaurer, die starke Sympathien für die Ideen der Frz. Revolution zeigten. Ausgehend v. den weitgespannten, aber vielfach unvollendet gebliebenen josephinischen Reformen (→Josephinismus) u. angeregt v. der konstitutionsfreundlichen Politik Ks. Leopolds II., der durch seinen geheimen Mitarbeiterkreis die Josephiner aus der Gruppe des oppositionellen Adels u. Klerus in sein Lager hinüberziehen suchte, baute sich ein großer Erwartungsdruck in Richtung tiefgreifender Reformen auf. Deren Anhänger wurden durch die Restaurationspolitik v. Ks. Franz II. bitter enttäuscht. Es entstand 1792–1794 eine bewusste Opposition außerhalb des Rahmens der privilegierten →Stände, die sich zum Teil in Reaktion auf die starre Haltung des Hofes in einen zunehmend konspirativ vorgehenden Hort des entschiedenen pol. Widerstandes u. – in →Ungarn – des potentiellen Aufruhrs verwandelte. Die entsprechenden Gruppen wurden v. ihren Verfolgern, den ksl. Polizeibehörden, unter Hinweis auf das gleichzeitige Terrorregime in Paris zur Abschreckung der Öffentlichkeit als J. bezeichnet. Führende Persönlichkeiten der späteren J.-Bewegung waren bereits unter Leopold II. mit pol. Programmvorschlägen an den Ks. herangetreten. In einem solchen forderte Ignaz v. Martinovics 1791 die Wiedereinführung der aufgehobenen josephinischen Gesetze u. sprach sich für die Säkularisierung der bischöflichen Kapitelgüter zugunsten der „nützlichen Klassen“ aus. Ungefähr zu selben Zeit schlug Baron Andreas Riedel (früherer Erzieher des späteren Ks. Franz II.) dem Ks. den Entwurf einer Proklamation an die Völker der Monarchie vor, die eine gewählte parlamentarische Repräsentation für den Gesamtstaat in Aussicht stellen sollte. Wortführer u. Aktivisten der Wiener J. waren neben Riedel der Offizier Franz Hebenstreit, der Dichter u. Freimaurer Aloys Blumauer u. der aus Böhmen stammende Schreiber der Ungarischen Hofkanzlei Georg Ruzsitska. Die Verbreitung ihrer revolutionären, in erster Linie an bäuerliche u. städtische Unterschichten adressierten Propaganda war infolge Zensur u. Polizeikontrollen nur handschriftlich u. konspirativ möglich. An einen weiteren Kreis gerichtet war der im Juli oder Oktober 1792 verfasste, einen gewaltsamen Umsturz propagierenden „Aufruf an alle Deutschen zu einem antiaristokratischen Gleichheitsbund“ v. Riedel, der viele Aufklärer u. führende Beamte in den dt. Staaten erreichte u. v. diesen selbst als eines der wichtigsten Zeugnisse revol. Propaganda bezeichnet wurde. Im „Eipeldauerlied“, das Hebenstreit gemeinsam mit Hauptmann Beck verfasste, rühmte er die Frz. Revolution als
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Jakobiner
i organizacija srednjovjekovnog katuna, in: Simpozijum o srednjovjekovnom katunu. Sarajevo 1963, 45–112; J. Trifunoski, Geografske karakteristike srednjovjekovnih katuna, in: a. a. O., 19–39; B. Sučević „Razvitak“ „Vlaških prava“ u Varaždinskom generalatu, Historijski zbornik 6 (1953), 33–70; K. Czoernig, Ethnographie der Österreichischen Monarchie. Bd. 2 Wien 1857. K. K.
Jakobiner. Politischer Kampfbegriff des ausgehenden 18. Jh.s für Personen, die – in Kleingruppen organisiert – sich pol. an der Frz. Revolution (freilich nur in Einzelfällen an der Pariser J.herrschaft) orientierten u. deren Elan in Gestalt radikaler pol. u. ges. Veränderungen auf ihr Heimatland übertragen wollten. In der →Habsburgermonarchie waren es v. a. bürgerliche Beamte, aber auch Intellektuelle, Schriftsteller, fast ausnahmslos Mitglieder v. Logen der →Freimaurer, die starke Sympathien für die Ideen der Frz. Revolution zeigten. Ausgehend v. den weitgespannten, aber vielfach unvollendet gebliebenen josephinischen Reformen (→Josephinismus) u. angeregt v. der konstitutionsfreundlichen Politik Ks. Leopolds II., der durch seinen geheimen Mitarbeiterkreis die Josephiner aus der Gruppe des oppositionellen Adels u. Klerus in sein Lager hinüberziehen suchte, baute sich ein großer Erwartungsdruck in Richtung tiefgreifender Reformen auf. Deren Anhänger wurden durch die Restaurationspolitik v. Ks. Franz II. bitter enttäuscht. Es entstand 1792–1794 eine bewusste Opposition außerhalb des Rahmens der privilegierten →Stände, die sich zum Teil in Reaktion auf die starre Haltung des Hofes in einen zunehmend konspirativ vorgehenden Hort des entschiedenen pol. Widerstandes u. – in →Ungarn – des potentiellen Aufruhrs verwandelte. Die entsprechenden Gruppen wurden v. ihren Verfolgern, den ksl. Polizeibehörden, unter Hinweis auf das gleichzeitige Terrorregime in Paris zur Abschreckung der Öffentlichkeit als J. bezeichnet. Führende Persönlichkeiten der späteren J.-Bewegung waren bereits unter Leopold II. mit pol. Programmvorschlägen an den Ks. herangetreten. In einem solchen forderte Ignaz v. Martinovics 1791 die Wiedereinführung der aufgehobenen josephinischen Gesetze u. sprach sich für die Säkularisierung der bischöflichen Kapitelgüter zugunsten der „nützlichen Klassen“ aus. Ungefähr zu selben Zeit schlug Baron Andreas Riedel (früherer Erzieher des späteren Ks. Franz II.) dem Ks. den Entwurf einer Proklamation an die Völker der Monarchie vor, die eine gewählte parlamentarische Repräsentation für den Gesamtstaat in Aussicht stellen sollte. Wortführer u. Aktivisten der Wiener J. waren neben Riedel der Offizier Franz Hebenstreit, der Dichter u. Freimaurer Aloys Blumauer u. der aus Böhmen stammende Schreiber der Ungarischen Hofkanzlei Georg Ruzsitska. Die Verbreitung ihrer revolutionären, in erster Linie an bäuerliche u. städtische Unterschichten adressierten Propaganda war infolge Zensur u. Polizeikontrollen nur handschriftlich u. konspirativ möglich. An einen weiteren Kreis gerichtet war der im Juli oder Oktober 1792 verfasste, einen gewaltsamen Umsturz propagierenden „Aufruf an alle Deutschen zu einem antiaristokratischen Gleichheitsbund“ v. Riedel, der viele Aufklärer u. führende Beamte in den dt. Staaten erreichte u. v. diesen selbst als eines der wichtigsten Zeugnisse revol. Propaganda bezeichnet wurde. Im „Eipeldauerlied“, das Hebenstreit gemeinsam mit Hauptmann Beck verfasste, rühmte er die Frz. Revolution als
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eine „große Handlung der Gerechtigkeit“, da sich die bislang unterdrückte Schicht zu ihrer natürlichen Menschenwürde emporschwinge u. ihre Unterdrücker zur Rechenschaft ziehe. Der v. Ruzsitska verfasste „Aufruf an das Landvolk“ bemüht sich, ausgehend v. der bildhaften Darstellung der äußeren soz. Unterschiede die grundsätzlichen soz. Klassenunterschiede deutlich zu machen. Die v. ihm geforderte Solidarität zw. Bürgern, Bauern u. Soldaten sollte den revol. Umsturz ermöglichen. In Oberösterreich, Steiermark, Kärnten, Krain, Tirol u. Vorarlberg kam es ebenfalls zur Bildung v. J.-Klubs, die mit den Wiener u. den ung. J. Verbindungen unterhielten. Die ung. J. mit Klubs in Pest u. Buda, in Kaschau/Košice, Großwardwein/Oradea, Güns/ Kőszeg, Käsmark/Kežmarok u. Leutschau/Levoča unterschieden sich äußerlich kaum v. ihren westl. Gesinnungsgenossen. Doch unter dem Einfluss der Frz. Revolution u. unter der Wirkung der reaktionären Haltung des Wiener Hofes radikalisierten sich die ung. J. in ihren nationalen wie in ihren pol.-soz. Forderungen. Sie traten überwiegend aus den Freimaurerlogen aus u. bildeten eigene Gruppen. Ihr Ziel war ein unabhängiger Nationalstaat, der die bürgerliche Umgestaltung Ungarns sichern u. den →Adel entmachten sollte (→Bürgertum; →Stände). Zu ihrem auch organisatorisch führenden Kopf entwickelte sich der 1781 aus dem Franziskanerorden entlassene, v. Ks. Franz zum Titularabt beförderte Ignaz Joseph Martinovics (1755–1795) (a. Ignjat Martinović, da er einer nach Ungarn eingewanderten südslav. Familie entstammte). Er gehörte dem geheimen Mitarbeiterkreis Leopolds II. an u. stand danach im Dienst des Polizeiministers Pergen, den er bis zum Herbst 1793 mit Spitzelberichten über regierungsfeindliche, zum Teil v. ihm erfundene Umtriebe versorgte. Wahrscheinlich aus unbefriedigtem Ehrgeiz u. fehlender Anerkennung seiner Tätigkeit kündigte er seine Polizeidienste auf u. reiste Anfang 1794 nach Ungarn. Dort gründete er in Kooperation mit József Hajnóczy zwei Geheimgesellschaften: „Die Gesellschaft der Reformatoren“, in der er die Oppositionellen des kleinen u. mittleren Adels zusammenfasste, u. „Die Gesellschaft der Freiheit u. Gleichheit“, die vorwiegend aus radikalen Demokraten bestand. Die erste Gesellschaft war nur als ein Instrument der zweiten konzipiert, die nach dem angepeilten Umsturz die Führung übernehmen u. den Adel beiseite schieben sollte. Diese Organisationsstruktur korrespondierte mit dem Zweiphasenplan v. Martinovics, dem zufolge zuerst die „Reformer“ Ungarns Unabhängigkeit v. Wien mit Waffengewalt erkämpfen u. danach die zweite, eigentlich jakobinische Gesellschaft, die egalitäre Republik errichten sollten. Die Zahl der aus der breiten oppositionellen Strömung rekrutierten Verschwörer wird v. Kálmán Benda auf insges. 200 bis 300 Personen geschätzt. Auch in →Siebenbürgen (J.-Klub in Hermannstadt) u. in →Kroatien fanden jakob. Ideen Verbreitung. Das bezeugen kroat. Revolutionslieder u. ein 1794 in Agram/Zagreb auf dem Marktplatz aufgestellter Freiheitsbaum, der die deutschsprachige Aufschrift „Es lebe die Freiheit u. Gleichheit“ trug u. mit einer Jakobinermütze dekoriert war. Denunziationen führten im Juli 1794 zur Verhaftung der führenden Wiener J. u. von Martinovics’, der als Mitglied des Wiener Hackel-Kreises auf die Liste der „Verschwörer“ gelangte u. die Polizei über alle Einzelheiten seiner Tätigkeit in Ungarn informierte. Daraufhin wurden auch alle seine ung. Mitarbeiter verhaftet u. im November 1794 zur Verurteilung an das kgl. Gericht in Ofen überstellt. Die folgenden J.-Prozesse endeten im Juli 1795 mit einer Reihe v. Todesurteilen, davon 18 in Ungarn, v. denen schließlich sieben, darunter Martino-
Jakobiner / Janitscharen
vics, vollstreckt wurden. Die restlichen Todesurteile wandelte der Ks. in Gefängnisstrafen v. unbestimmter Dauer um. Quellen: A magyar jakobinusok iratai. 3 Bde. Hg. K. Benda. Budapest 1952–57. Lit.: L.M. Röthlisberger, Die Jakobiner in Österreich. Verfassungsdiskussionen in der Habsburgermonarchie zur Zeit der französischen Revolution. Ablauf u. Ideen. Frankfurt/M. 2013; Handbuch zur Geschichte der demokratischen Bewegungen in Zentraleuropa. Von der Spätaufklärung bis zur Revolution 1848/49. Hg. H. Reinalter. Frankfurt/M. 2012; Aloys Blumauer und seine Zeit. Hg. F.M. Eybl. Bochum 2007; H. Reinalter, Der Jakobinismus in Mitteleuropa. Stuttgart 1981; ders., Aufgeklärter Absolutismus u. Revolution. Zur Geschichte des Jakobinertums u. der frühdemokratischen Bestrebungen in der Habsburgermonarchie. Wien u. a. 1980; K. Benda, Die ungarischen Jakobiner, in: Jakobiner in Mitteleuropa. Hg. H. Reinalter. Innsbruck 1977, 381–404; E. Wangermann, Von Joseph II. zu den Jakobinerprozessen. Wien 1966; D. Silagi, Jakobiner in der Habsburger-Monarchie. Wien 1962; ders., Ungarn u. der geheime Mitarbeiterkreis Kaiser Leopolds II. München 1961. G. S.
Janitscharen (türk. yeni çeri „neue Truppe“). Bez. für osm. Truppenverbände, bestehend aus sog. „Pfortensklaven“. Im Unterschied zu den Lehensaufgeboten der →Spahi bildeten die besoldeten J. das stehende Heer (seit Anfang des 16. Jh.s auch mit Feuerwaffen ausgerüstet). Schon die ersten osm. Herrscher kannten, ähnlich wie andere musl. Dynasten vor u. neben ihnen, Sklaventruppen als besonderes Machtinstrument des Großherrn, die sich vielfach aus ehem. Kriegsgefangenen zusammensetzten. Vermutlich ursächlich im Zusammenhang mit dem Aufbau der „neuen Truppe“ stehend (ob bereits v. Orhan praktiziert, bleibt umstritten), wurde die Rekrutierungsbasis der J. erstmals in der isl. Welt auf im eigenen Staatsverband lebende, meist christl. →Reaya ausgedehnt (zunächst allein auf dem Balkan, seit Mitte des 16. Jh.s auf Anatolien ausgeweitet), wobei man diese Reaya einer periodischen Aushebung unterwarf, der sog. →Knabenlese. – Das Kommando über das J.-Korps hatte der →Aga der J. inne, dessen Rang etwa dem eines Generals gleichkam. Ihm unterstanden die drei Divisionen der cemaat („Gruppe“), sekban („Hundeführer“) u. ağa bölükleri („Kompanien der Agas“), die in Abteilungen zu je 60–70 Mann unterteilt waren. Sie standen sämtlich ständig unter Waffen, waren ursprünglich kaserniert u. lebten streng zölibatär. Letzteres sowie bestimmte Rangbezeichnungen u. Einzelheiten ihrer Tracht erinnern an das →Derwisch-Wesen. Bekannt ist ihr enges Verhältnis (das 1591 offiz. Charakter annahm) zu den →Bektaschi, deren Feldprediger vor der Schlacht Ali, den Ahnherrn der Schiiten, anrief. Der →Imam der Truppe, selbst Janitschar, konnte in bestimmten Situationen einen nachhaltigen Einfluss auf die Mannschaften ausüben u. zur Revolte anstacheln. 1622 fiel Sultan Osman II. (1618–1622) einer solchen J.-Revolte zum Opfer. – Die Soldzahlungen für die „neue Truppe“, deren Gesamtstärke der venez. →Bailo 1496 auf etwa 8.000 Mann schätzte, machten 1527 bereits 31 % aller Staatsausgaben aus (1567 bei ca. 12.000 Mann gar 42 %); am Ende des 16. Jh.s betrug die Zahl der J. nominell 35.000. Bis dahin aber hatte sich das Korps der J. nach Zusammensetzung, innerer Verfassung, Wehrkraft u. Rolle im Staat grundlegend gewandelt. Abgesehen
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Janitscharen / Jassen
v. den Söhnen musl. Bauern aus Bosnien (→Islamisierung) standen die Ränge der J. traditionell allein geeigneten Söhnen christl. Familien offen. Dementsprechend waren die J. ihrer ethn. Herkunft nach mehrheitlich Balkanslaven, Albaner, gelegentlich Griechen, daneben „Lateiner“. Erst nach der Aufhebung des Eheverbots durch Selim I. (1512–1520) u. des Verbots außersoldatischer Berufstätigkeit begannen freigeborene Muslime in immer größerer Zahl u. mit immer geringeren soldatischen Qualifikationen J.-Patente zu erwerben, was der Disziplin u. Schlagkraft derart abträglich war, dass reformwillige Kreise in der Reichshauptstadt (darunter als einer der ersten der glücklose Sultan Osman II.) mit der Aufstellung neuer Truppen(-teile), z. T. nach westl. Vorbild, zu liebäugeln begannen. Doch erst die Vernichtung der J. durch Mahmud II. (1808–1839) i. J. 1826 (genannt das „glückbringende Ereignis“, vgl. →Tanzimat) gab den Weg zu umfassenden Reformen im osm. Militärwesen frei. Lit.: H. İnalcık, s.v. Ghulām IV. Ottoman Empire u. s.v. Ḳapı Ḳulu, in: EI²; F.L. Turhan, The Ottoman Empire and the Bosnian uprising. Janissaries, Modernisation and Rebellion in the Nineteenth Century. London 2014; O. Sakin, Yeniçeri ocağı: tarihi ve yasalar. İstanbul 2011; G. Goodwin, The Janissaries. London 1994 (Neuaufl. 2006); St. A. Dimitrov, Sultan Machmud II i krajat na eničarite. Sofija 1993; Cv.B. Georgieva/A. Peneva, Eničarite v bălgarskite zemi. Sofija 1988; I.E. Petrosjan, The Mabda-i Kanun-i Yeniçeri Ocağı Tarihi on the System of Devşirme, in: Between the Danube and the Caucasus. Hg. Gy. Kara. Budapest 1987, 217–227; H. İnalcık , Military and Fiscal Transformation in the Ottoman Empire, 1600–1700, Archivum Ottomanicum 6 (1980), 283–337 (a. in: ders., Studies in Ottoman Social and Economic History. London 1985); P. Crone, Slaves on Horses: The Evolution of the Islamic Polity. Cambridge 1980; K. Mihailović, Memoirs of a Janissary. Übers. B.A. Stolz. Hg. S. Soucek. Ann Arbor 1975 (Princeton 22001) (vgl. Rez. von V.L. Ménage in: BSOAS 40 [1977], 155–160); K. von Ostrovica, Memoiren eines Janitscharen oder türkische Chronik. Hg. R. Lachmann/C.-P. Haase/G. Prinzing. Graz 1975 (Paderborn u. a. 2 2010); C. Georgieva, Organisations et fonctions du corps des janissaires dans les terres bulgares du XVIe jusqu’au milieu du XVIIIe siècles, Études Historiques 5 (1970), 319–336; J.A.B. Palmer, The Origin of the Janissaries, Bulletin of the John Rylands Library 35 (1953), 448–481; İ.H. Uzunçarşılı, Osmanlı Devletinin Teşkilatından Kapukulu Ocakları. 2 Bde. Ankara 1943/44. M. U.
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Jassen (lat. Jazones, Jazyges, Philistaei; ung. jászok; altruss. Jasy). Aus dem Kaukasus u. dessen nördl. Vorland stammendes iranisches Volk, das v. den sarmat. Alanen abstammt u. dessen Idiom zum nordwestl. Zweig der iran. Sprachfamilie gehört. Der Name geht auf die in der Antike am Don siedelnden alan. Asaioi zurück u. bedeutet wohl „die Schnellen“ (avest. āsu- „schnell“, M. Vasmer). Alan. Verbände waren wiederholt in die Wirbel der ost-westl. Völkerwanderungen geraten (Hunnen, →Awaren). Mit iran. Ethnien waren auch die Ungarn vor ihrer Landnahme im Karpatenbecken (→Ungarische Landnahme) in Berührung gekommen. Von einer Begegnung zw. Ungarn u. Alanen am Nordufer des Azovschen Meeres berichtet noch im 13. Jh. Simon v. Kéza. Für enge Kulturbeziehungen beider Völker in der Frühzeit spricht zudem die Existenz alan. Lehnwörter im Ungarischen. Der Mongolensturm (→Mongolen) löste unter den J.-Alanen eine neue Massenflucht
Jassen / Jobagyen
nach Westen aus. Zwar werden J. in Ungarn urkundlich erst 1318 erwähnt, doch scheint eine erste Welle zus. mit den →Kumanen des Fürsten Kötöny 1239 nach Ungarn gelangt zu sein u. wurde v. Kg. Béla IV. in deren Nachbarschaft angesiedelt. Andere Gruppen ließen sich in der →Moldau bei Iaşi (ung.: Jászvasar „Jassenmarkt“) u. der →Walachei nieder, 10.000 v. ihnen wurden 1283 zur Verteidigung der byz. Reichsgrenze umgesiedelt. Kriegsgefangene J. aus der Gegend v. Vidin (Bulgarien, 1365) wurden als unfreie Bauern ansiedelt (auf den Gütern des ung. Palatins Nikolaus Konth). J. bewährten sich als Soldaten im ung., byz. u. bulg. Heer. Die ung. Könige verliehen ihnen zum Ausgleich Privilegien (1323 u. 1407), zu denen Steuerfreiheit u. die freie Wahl ihrer Hauptleute (capitanei) u. Richter gehörten. Das Gros saß in der Jászság („Jassenland“), einem „Stuhl“-bezirk zw. Donau u. Theiß im S des Matragebirges. Auf außerhalb des Stuhles liegende Streusiedlungen der J. weisen sieben Ortsnamen Eszlár, Oszlár (ās-lar mit dem trk. Pluralsuffix -lar) hin. Das bedeutendste Sprachdenkmal der ungarländ. Jassen ist die 1422 erstellte Wörterliste v. Jászfalu, deren Sprache dem modernen Digorisch-Ossetischen sehr nahe steht. Sie starb in Ungarn erst im 17. Jh. aus. Lit.: N. Berend, At the Gate of Christentom: Jews, Muslims and „Pagans“ in Medieval Hungary, c. 1000–c. 1300. Cambridge 2006; A. Alemany, Sources on the Alans. A Critical Compilation. Leiden u. a. 2000; Alany. Istorija i kul’tura. Vladikavkaz 1995; Gy. Györffy, A magyarság keleti elemei, Budapest 1990; A. Pálóczi Horváth, Petschenegen, Kumanen, Jassen. Steppenvölker im mittelalterlichen Ungarn. Budapest 1989; K. Czeglédy, From East to West: The Age of Nomadic Migrations in Eurasia, AEMA 3 (1983), 25–125; L. Szabó, A jász etnikai csoport. Szolnok 1979; J. Németh, Eine Wörterliste der Jassen, der ungarländischen Alanen. Berlin 1958; M. Kring, Kun és jász társadalomelemek a középkorban, Századok 66 (1932), 35–63, 169–188; Z. Gombocz, Osseten-Spuren in Ungarn, in: Streitberg-Festgabe. Leipzig 1924, 105–110; I. Gyárfás, A jász-kunok története. 4 Bde. Kecskemét u. a. 1870–85. H. G.
Jobagyen (ung. jobbágy, wohl aus jobb, „besser“, urspr. im Sinne von „bessere Leute“; latinisiert: jobagio). Sammelbegriff für die persönlich freien, aber in grundherrlicher Abhängigkeit lebenden →Bauern im ma. u. neuzeitlichen Ungarn. Ursprünglich (etwa noch 1222) hießen die höchsten Königsdiener (Hofwürdenträger) J., doch im Laufe des folgenden Jh.s änderte sich die Bedeutung des Wortes so, dass man im 14. Jh. unter J. die aus der Leibeigenschaft (servilitas) befreiten u. zum Zins u. anfangs leichtem Robot verpflichteten Hintersassen verstand. Das Dekret v. 1351 legte ihre Lasten im allgemeinen als Zehnt an die Kirche, Neunt (nona, zweiter Zehnt) nebst gelegentliche Abgaben an den Grundherrn fest. Wiederholte Dekrete sicherten den J. das Recht, nach bezahltem Grundzins u. Schulden frei zu einem anderen Grundherrn ziehen zu können, u. untersagten gleichzeitig die wegen Mangel an Arbeitskräften übliche „Entführung“ der Hörigen, die v. a. die Güter des Kleinadels zu gefährden drohte. Im 14./15. Jh. dürften viele J. wirt. aufgestiegen sein, obwohl durch Erbteilung ihre Hufe (sessio) oft zum Achtel (od. kleiner) einer ursprünglich zum Lebensunterhalt einer Familie ausreichenden Parzelle schrumpfte. Seit dem späteren 15. Jh. wurde die Freizügigkeit der J. begrenzt u. ihre Lasten, auch die der Fronarbeit, oft auf wöchentlich 1–2 Tage
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Jobagyen / Josephinismus
erhöht, so dass ihr Großteil, v. a. auf den marktorientierten Großgütern der Aristokratie, im 16./17. Jh. zu einer an die Scholle gebundenen Hörigenschicht herabgedrückt wurde (sog. „zweite Leibeigenschaft“; →Sklaverei/Leibeigenschaft). J. hießen aber weiterhin nicht nur diese, meist auf den Latifundien lebenden Bauern, sondern alle nichtadeligen Landesbewohner mit einem formalen Anspruch auf eine (wenn auch nur Teil-) Hufe oder gar Städter ohne Privilegien. Von ihrer Entrechtung de jure seit Joseph II. (1783, 1785; →Josephinismus) befreit, wurde der J.-Status erst 1848 abgeschafft, doch de facto dauerte die soz. u. wirt. →Bauernbefreiung mindestens bis zum Ende des 19. Jh.s. Lit. (a. →Bauern, frühe Neuzeit): S.K. Nagy, Az jobbágyság története magyarországon. Budapest 2012 (Repr. d. Ausg. Nagy-Becskereken 1891); J. Berlász, Erdélyi jobbágyság – magyar gazdaság. Válogatott tanulmányok. Hg. J.Buza/D. Meyer. ebd. 2010; J.M. Bak, Servitude in the Medieval Kingdom of Hungary: A Sketchy Outline, in: Forms of Servitude in Northern and Central Europe: Decline, Resistance, and Expansion. Hgg. P. Friedmann/M. Boruin. Turnhout 2005, 387–400; I. Bolla, A jogilag egységes jobbágyosztály kialakulása Magyarországon. Budapest 1983; J. Szűcs, Megosztott parasztság – egységesülő jobbágyság. A paraszti társadalom átalakulása a 13. században, Századok 115 (1981), 3–65; A. Komjáthy, Hungarian Jobbágyság in the Fifteenth Century, East European Quarterly 10 (1976), 77–111; I. Szabó, Jobbágyok – parasztok. Értekezések a magyar parasztság történetéből. Budapest 1976; J. Varga, Jobbágyrendszer a magyar feudalizmus kései századaiban 1556–1767. ebd. 1969; ders.,Typen u. Probleme des bäuerlichen Grundbesitzes in Ungarn (1767–1849). ebd. 1965; L. Revesz, Der osteuropäische Bauer. Seine Rechtslage im 17. u. 18. Jh. unter besonderer Berücksichtigung Ungarns. ebd. 1964; Á. Várkonyi, Hapsburg Absolutism and Serfdom in Hungary at the Turn of the 17th and 18th Centuries, in: Nouvelles Études Historiques. Bd. 1 ebd. 1965, 355–88; I. Acsády, A magyar jobbágyság története. ebd. 1906. J.M. B.
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Josephinismus. Der sogenannte J., benannt nach Ks. Joseph II., (geb. 1741, Mitregent Maria Theresias seit 1765, Alleinherrscher 1780–1790), wird gemeinhin als Spielart der kath. →Aufklärung in Österreich umschrieben. Seine Periodisierung ist strittig, zumal „josephinische“ Politik im Sinne eines verschärften Staatskirchentums v. Staatskanzler Kaunitz bereits um 1760 eingeleitet wurde. Die auf dem Höhepunkt des aufgeklärten →Absolutismus unter Joseph II. schroff in Erscheinung tretende Strömung konnte sich ungeachtet des pol. Scheiterns des genialischen Habsburgers über den Nachmärz hinaus behaupten u. ist in mannigfacher Verästelung bis in die Gegenwart spürbar geblieben. Strittig ist bis heute auch die Definition des J., insbesondere unter dem Gesichtspunkt seiner Bedeutung für die östl. Landesteile der Habsburgermonarchie. Hier scheidet die v. einigen Autoren vertretene engere kirchenpol. Begriffsbestimmung aus, da sie auf den ostkirchlichen Bereich SOEs, der v. den säkularen Ausprägungen des J. stärker beeinflusst wurde, kaum anwendbar ist. Daher stand für die Vertreter einer breiteren Definition sowohl die staats- u. sozialpolitische als auch die im weitesten Sinne ideengeschichtliche Erscheinungsform des J. im Vordergrund. Zweifelsohne ist in Österreich unter allen europ. Staaten der energischste Versuch einer Reform vor der Frz. Revolution unternommen worden. Die ethisch-reformerisch begründete
Josephinismus
staatspol. Komponente des J. ist für den Donau-Karpatenraum – namentlich für die südöstl. Territorien der Monarchie u. die ethnogr. mit ihnen verwandten u. über sie hinausgreifenden Randgebiete – v. großer Bedeutung gewesen. Von dieser Erscheinungsform des J. sind tiefgreifende gesellschafts- u. nationsbildende Wirkungen auf SOE ausgegangen. Soweit aus seinen eigenen Äußerungen geschlossen werden kann, ging es Joseph II. darum, die konfessionellen, soz. u. pol. Verwerfungen innerhalb der Monarchie zu mildern u. die bunt gemischten ethn. Elemente unter dem Dach einer Art „Staatsnation“ (mit dt. Verwaltungs- u. Verkehrssprache) zusammenzufassen, ohne die Besonderheit der einzelnen Völkerschaften in Sprache, Sitte usw. anzutasten. Den zunehmend mit Josephinern durchsetzten Wiener Regierungsstellen war daran gelegen, den Einfluss der Kath. Kirche zurückzudrängen, die relig. Toleranz durchzusetzen u. eine rationelle, v. ständischen Schranken befreite, mit ihren Impulsen bis in die pol. bis dahin „mediatisierten“ unteren Bevölkerungsschichten durchdringende, um die mentale „Erzügelung“ der Untertanen bemühte Staatsverwaltung aufzubauen. Sie leiteten den Aufbau eines Volksbildungswesens u. die Pflege der Landessprachen auch bei Ukrainern, Kroaten u. Slowenen, Serben u. Rumänen ein u. gaben damit den Anstoß zur Entstehung bürgerlicher Schichten (→Bürgertum) u., unwillentlich, zur nationalkulturellen Bewusstwerdung dieser Völker. Nicht weniger folgenreich waren die namentlich gegen den Widerstand der ung. Komitatsversammlungen ins Werk gesetzten sozialpol. Maßnahmen der josephinischen zivilen u. militärischen Zentralbehörden: Aufhebung der Erbuntertänigkeit (→Bauernbefreiung), Besteuerung des Adels, Einbeziehung auch der Rumänen in die der Feudalität entzogene Militärgrenze, Herstellung soz. Mobilität usw., – Reformen, die allmählich zur rechtlichen Gleichstellung auch der unteren Schichten u. zu deren Integration in die werdenden Nationen führten. In dem vorliegenden Zusammenhang erscheint der J. somit als eine Richtung des pol.-philosophischen Denkens u. der staatsmännischen Praxis, die den zentralisierten, einheitlichen Rechts- u. Obrigkeitsstaat unter den widersprüchlichen ethn., soz. u. religiös-kulturellen Bedingungen SOEs anstrebte u. dadurch mittelbar zur ges. Entfaltung u. zur →Nationsbildung schließlich auch der Völker des orth. Bereichs der Monarchie beitrug. Quellen: Der Josephinismus. Ausgewählte Quellen zur Geschichte der theresianisch-josephinischen Reformen. Hg. H. Klueting. Darmstadt 1995; F. Maass, Der Josephinismus. Quellen zu seiner Geschichte in Österreich 1760–1850. 5 Bde. Wien, München 1951–1961. Lit. (a. →Absolutismus, Aufgeklärter A.): D. Beales, Joseph II. Bd. 2: Against the World, 1780– 1790. New York 2009; Josephinismus als Aufgeklärter Absolutismus. Hg. H. Reinalter. Wien u. a. 2008; Josephinismus – eine Bilanz. Échecs et réussites du Joséphisme. Hgg. W. Schmale/R. Zedinger/J. Mondot. Bochum 2008; J. Bérenger, Joseph II., serviteur de l’État. Paris 2007; A. Szántay, Regionalpolitik im alten Europa. Die Verwaltungsreformen Joseph II. in Ungarn, in der Lombardei u. in den österreichischen Niederlanden 1785–1790. Budapest 2005; H. Klueting, Der Josephinismus. Darmstadt 2000; Der Josephinismus. Bedeutung. Einflüsse u. Wirkungen. Hg. H. Reinalter. Frankfurt/M. u. a. 1993; A. Schaser, Josephinische Reformen u. sozialer Wandel in Siebenbürgen. Die Bedeutung des Konzivilitätsreskriptes für Hermannstadt. Stuttgart 1989; E. Josupreit-Neitzel, Die Reformen Josephs II. in Siebenbürgen. München 1986; L. Hajdu, II.
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Juden (Überblick)
József igazgatási reformajai Magyarországon. Budapest 1982; M. Bernath, Habsburg u. die Anfänge der rumänischen Nationsbildung. Leiden 1972; H. Rieser, Der Geist des Josephinismus u. sein Fortleben. Der Kampf der Kirche um ihre Freiheit. Wien 1963; E. Winter, Der Josefinismus. Die Geschichte des österreichischen Reformkatholizismus 1740–1848. Berlin 21962; O. Sashegyi, Zensur u. Geistesfreiheit unter Joseph II. Budapest 1948; P. von Mitrofanov, Joseph II. Seine politische u. kulturelle Tätigkeit. 2 Bde. Wien u. a. 1910. M. B.
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Juden (Überblick). In der Geschichte der J. SOEs lassen sich – ungeachtet aller Probleme bei der Definition des Begriffs „J.“ – vier Bev.gruppen (die mitunter auch als ethn. oder ethno-religiöse Gruppen verstanden werden) mit verschiedenen Alltagssprachen unterscheiden: 1. Romanioten, 2. →Sephardim, 3. →Aschkenasim u. 4. Karäer/→Karaimen. Letztere werden trotz ihrer Ablehnung der rabbinischen Tradition dem Judentum zugerechnet. Eine Sonderstellung nahmen die Shabbetaim ein, die äußerlich zum Islam konvertiert waren, aber im priv. Leben am jüd. Glauben festhielten (Kryptojuden) (→Dönme; →Saloniki). Vermutlich befanden sich auch unter den „Marranos“ (Schimpfwort in der Bedeutung v. „Schwein“, eigentl. Conversos oder Neuchristen, span.: cristianos nuevos), die unter großem Druck in Spanien zum Christentum konvertiert waren u. z. T. zusammen mit den Sephardim ins Osm. Reich auswanderten (u. a. nach →Saloniki u. Dubrovnik), Kryptojuden. J. sind bereits im antiken Griechenland nachweisbar (in Thessalien, Makedonien, Ätolien, Böotien, Attika, Argos, Korinth, Kreta, Samos, Rhodos, Kos, Delos u. Ägina). In hellenistischer Zeit entwickelte sich in der jüdischen Diaspora das hellenistische Judentum. Spätestens seit dem Jüdischen Krieg (66–70 n.Chr.) bzw. der Zerstörung des Jüdischen Tempels in Jerusalem unter Kaiser Hadrian sowie nach Niederschlagung des Bar-Kochba-Aufstands (132–136 n.Chr.) zerstreuten sich die J. aus ihrer ursprünglichen Heimat u. siedelten sich zu einem großen Teil innerhalb des Römischen Reiches an. Im MA werden J. in Ungarn, Kroatien u. Dalmatien erwähnt (u. a. in Zadar 1309, in Dubrovnik 1326, in Zagreb 1355). Im Byz. Reich nahmen sie in Anlehnung an die Selbstbezeichnung des Oström. Reiches als „Romania“ (vgl. →Rhomäer) die Bezeichnung „Romanioten“ an. Sie übernahmen die gr. Sprache, die sie mit hebräischen Buchstaben schrieben (Juden-Griechisch/Romaniotisch/ Jevanisch) u. legten sich häufig auch gr. Namen zu, bewahrten aber ihre jüd. Religion u. das Hebräische als Liturgiesprache. Bis zum 15. Jh. folgten sie dem Talmud aus Jerusalem, der seit hellenistischer Zeit unverändert geblieben war u. entwickelten ein einheitliches liturgisches Ritual, den Minhag, der im Gebetbuch „Machsor Romania“ v. 1510 enthalten ist. Wichtige Zentren des romaniotischen Judentums waren Ioannina, wo seit dem 9. Jh. eine jüd. Gemeinde bestand, u. Konstantinopel. Nach dessen Eroberung durch die Osmanen (1453) bestätigte Sultan Mehmed II. den byz. (romaniotischen) Rabbiner Moshe Kapsali (od. Capsali) (1420–1496) als Oberrabbiner der Stadt. Als „Schutzbefohlene“ (→Zimmi) erhielten die J. im Osm. Reich das Recht, ihre inneren Angelegenheiten selbst zu regeln. Nach Ankunft der Sephardim setzte der Verfallsprozess der Romanioten ein. Die Sephardim brachten aus ihrer iberischen Heimat wichtige Innovationen mit (z. B. im Bereich der Waffentechnik, der Schiffahrt, der Kartographie); auch im Bankwesen, im Fernhandel u. in der
Juden (Überblick)
Wissenschaft (insbes. in der Medizin) nahmen sie herausragende Positionen ein. Die überwiegende Mehrheit der Romanioten passte sich den Sephardim an u. übernahm auch deren Sprache (Judenspanisch/Spaniolisch/Ladino). Der Adaptionsprozess zog sich allerdings über einen längeren Zeitraum hin. Namentlich in Konstantinopel, wo die J. etwa ein Zehntel der Bev. u. damit die drittgrößte Gruppe (nach Türken u. Griechen) stellten, waren die Romanioten Anfang des 17. Jh.s mit 1152 v. insges. 2195 jüd. Haushalten stark vertreten, während die Sephardim nur 539 Haushalte zählten. Der Rest der jüd. Bev. in Istanbul verteilte sich auf Aschkenasim u. Karäer. Zur weiteren Entwicklung der J. im Osm. Reich →Sepharden; →Dönme. Die Nachfahren derjenigen J., die teilw. schon seit Ende der Antike im Rheinland, im Norden Frankreichs u. Italiens, in England u. später auch in Osteuropa ansässig waren, die jiddisch-sprachigen Aschkenasim, wanderten vereinzelt schon im Spät-MA u. in der FNZ in das Byz. u. Osm. Reich ein, doch in größerer Zahl siedelten sie zunächst v. a. wesentlich weiter nördlich (im Bereich von Polen-Litauen), bevor die Einwanderung ins habsb. Ungarn u. in die →Moldau seit Ende des 18. Jh.s deutlich an Dynamik gewann. Zu Einzelheiten →Aschkenasim. Der (relig.) Antijudaismus spielte im Osm. Reich keine Rolle. Erst im 20. Jh. kam es in der türk. Republik zu Pogromen gegen Juden (vgl. →Europ. Türkei). Der (rassische) →Antisemitismus entfaltete sich seit dem ausgehenden 19. Jh. zunächst v. a. nördlich der Donau u. richtete sich gegen die Aschkenasim. Die Distanz zw. Aschkenasim u. Sephardim konnte erst spät überwunden werden. In Jugoslawien schlossen sich 1919 die bis dahin autonomen jüd. Gemeinden zum „Bund der jüdischen religiösen Gemeinden“ zusammen. Obwohl sich der Zionismus in der Zwischenkriegszeit zunehmender Popularität erfreute, hielt sich die Auswanderung nach Palästina in engen Grenzen. Unter dem Einfluss des Nationalsozialismus setzte sich dann der rass. Antisemitismus durch, der alle Juden ohne Unterschied traf. Zur weiteren Entwicklung →Holocaust. Lit. (a. →Sephardim; →Aschkenasim; →Karaimen; →Dönme; →Antisemitismus; →Holocaust): The Jewish-Greek Tradition in Antiquity and the Byzantine Empire. Hgg. J.K. Aitken/J.N. Carleton Paget. New York 2014; A History of Jewish-Muslim Relations. From the Origins to the Present Day. Hgg. A. Meddeb/B. Stora. Princeton/NJ. 2013; W. Köbsch, Die Juden im Vielvölkerstaat Jugoslawien 1918–1941. Zwischen mosaischer Konfession u. jüdischem Nationalismus im Spannungsfeld des jugoslawischen Nationalitätenkonflikts. Berlin u. a. 2013; M. Rozen, A History of the Jewish Community in Istanbul. The formative years, 1453–1566. Leiden 2010; G. Dagron, Juifs et Chrétiens en Orient byzantine. Paris 2010; The last Ottoman century and beyond. The Jews in Turkey and the Balkans 1808–1945. Proceedings of the International Conference on “The Jewish Communities in the Balkans and Turkey in the 19th and 20th Centuries through the End of World War II”. Hg. M. Rozen. Tel Aviv 2005; M. Jacobs, Islamische Geschichte in jüdischen Chroniken. Hebräische Historiographie des 16. u. 17. Jh.s. Tübingen 2004; M. Frejdenberg, Jewish Life in the Balkans (15th to 17th Centuries). Tel Aviv 1999; S. Panova, Die Juden zwischen Toleranz u. Völkerrecht im Osmanischen Reich. Die Wirtschaftstätigkeit der Juden im Osmanischen Reich (die Südosteuropaländer) vom 15. bis zum 18. Jh. Frankfurt/M. u. a. 1997; M.N. Frejdenberg, Evrei na Balkanach na ischode srednovekov’ja. Moskva 1996; The Jews
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of the Ottoman Empire. Hg. A. Levy. Princeton 1994; S. Kili, The Jews of Turkey: A Question of National and International Identity, in: Nationalism, Ethnicity, and Identity. Cross-National and Comparative Perspectives. Hg. R.F. Farnen. Brunswick/NJ. 1994, 299–317; E. Bashan, Economic Life of the Jews in the Balkans and Anatolia 1453–1600. Oxford 1989; B. Lewis, Die Juden in der islamischen Welt. Vom frühen Mittelalter bis ins 20. Jh. München 1987; St.B. Bowman, The Jews of Byzantium, 1204–1453. Tuscaloosa/AL 1985; A. Schmuelevitz, The Jews of the Ottoman Empire in the Late 15th and 16th Centuries. Leiden 1984; Christians and Jews in the Ottoman Empire. The Functioning of a Plural Society. Hgg. B. Braude/B. Lewis. Bd. 1: The Central Lands. New York u. a. 1982; M.A. Epstein, The Ottoman Jewish Communities and their Role in the Fifteenth and Sixteenth Centuries. Freiburg 1980. H. S.
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Jugoslawien. Das am 1.12.1918 in Belgrad proklamierte „Königreich der Serben, Kroaten u. Slowenen“ (Kraljevina Srba, Hrvata i Slovenaca, SHS) entstand durch Vereinigung der Kgr.e →Serbien u. →Montenegro mit den südslav. besiedelten Teilen Österreich-Ungarns. Bereits während des Krieges war zw. Vertretern der serb. Exilregierung u. südslav. Emigranten aus der Habsburgermonarchie über einen gemeinsamen südslav. (jug.) Staat verhandelt worden, ohne dass ein tragfähiger Konsens erzielt worden wäre. Die serb. Regierung strebte vorrangig eine Vereinigung aller Gebiete mit serb. (oder vermeintlich serb.) Bev. an u. ließ sich nur widerstrebend auf die Idee eines südslav. Staates ein (Ministerpräsident Nikola Pašić betrachtete den →Jugoslawismus als kroat. Erfindung). In der Deklaration v. Korfu aus dem Jahre 1917 konnten sich beide Seiten nur auf vage Grundsätze einigen, nach denen innerhalb geschlossener Siedlungsgebiete in Anwendung des nationalen Selbstbestimmungsrechts ein Königreich SHS unter der serb. Dynastie →Karadjordjević errichtet werden sollte. Eine gemeinsame Nationalbezeichnung (Jugoslawen) kam aufgrund serb. Vorbehalte nicht zustande; statt dessen wurde die Formel v. der „dreinamigen Nation“ (troimeni narod), zusammengesetzt aus den drei „Stämmen“ v. Serben, Kroaten u. Slowenen, verwendet. Die Verfassung des Staates (u. damit die Entscheidung über seinen zentralistischen oder föderativen Aufbau) sollte v. einer „zahlenmäßig qualifizierten Mehrheit“ in der künftigen Konstituante beschlossen werden. Der Zerfall Österreich-Ungarns u. die territ. Forderungen Italiens an der Adria (→Irredentismus) setzten die südslav. Politiker unter starken Zeitdruck. Noch ehe in irgendeiner Grundsatzfrage ein Konsens mit der Belgrader Regierung erzielt werden konnte, kam es zur Proklamation des neuen Staates, dessen Grenzen durch die →Pariser Vorortverträge u. nachträgliche Vereinbarungen mit Italien festgelegt wurden. Wichtigste Aufgabe der Innenpolitik nach der Staatsgründung war die Verabschiedung einer gemeinsamen Verfassung. Während die serb. Politiker für eine zentralistische Monarchie (unter serb. Führung) kämpften u. die Staatsgründung als Anschluss der habsb. Südslaven an Serbien verstanden, setzte sich die aus den allg. Wahlen v. 1920 siegreich hervorgegangene Kroatische (Republikanische) Bauernpartei für eine Konföderation (zw. einer kroat. oder südslav. Bauernrepublik u. dem Kgr. Serbien) sowie die Anerkennung ihrer nationalen Eigenständigkeit u. Gleichberechtigung ein. Die Vertreter der Slowenen u. →bosn. Muslime strebten mit der Forderung nach breiter regionaler Autonomie einen Kompromiss zw.
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den beiden Extremen an. In der Ende 1920 gewählten Konstituante setzten sich die serb. Zentralisten unter Führung des Ministerpräsidenten Pašić dank massiver Manipulationen u. geschickter Koalitionsvereinbarungen auf der einen u. des Parlamentsboykotts der kroat. Abgeordneten auf der anderen Seite mit ihren Zielvorstellungen durch. Die am traditionsreichen 28. Juni (→Vidovdan) 1921 mit knapper serb. Mehrheit gegen den Willen der Repräsentanten Kroatiens u. Sloweniens verabschiedete Verfassung erhob den amtlich propagierten Unitarismus der „dreinamigen Nation“ in den Rang eines Verfassungsprinzips u. verknüpfte ihn nach dem Grundsatz „eine Nation – ein Staat“ mit einer zentralistischen Verwaltungsgliederung. Da die Serben die relativ stärkste Gruppe im Staat stellten, wurden sie durch die zentralistische Verfassung automatisch begünstigt, was ihnen – namentlich seitens der Kroaten – den Vorwurf „großserbischer Hegemonie“ eintrug. Strukturelle Probleme: Südslawien war der mit deutlichem Abstand national heterogenste Staat im SOE des 20. Jh.s . Anlässlich der Volkszählung v. 31.1.1921 wurden auf einem Territorium v. 247.500 km2 12,02 Mio. E gezählt. 74,4 % der Bev. (knapp 9 Mio.) gaben Serbokroatisch als Muttersprache an (neben Serben, Kroaten, Montenegrinern u. bosn. Muslimen auch die →Makedonier, die ihre Sprache indessen auch gar nicht anders bezeichnen durften). Die →Slowenen stellten mit 8,5 % der Bev. – etwa einer Mio. – die zweitstärkste Gruppe, gefolgt v. Deutschen, Ungarn u. Albanern mit jeweils rd. einer halben Mio. sowie einer Reihe kleinerer ethn. Gruppen (Rumänen, Türken, Juden, Slowaken, Tschechen, Italiener, Russen u. a.). 5,6 Mio. oder annähernd 47 % der Einwohner bekannten sich zur Ostkirche, 4,7 Mio. (bzw. 39 %) zum Katholizismus u. 1,3 Mio. (oder 11 %) zum Islam. Kombiniert man die Kriterien Muttersprache u. Konfession, so stellten die Serben nach den Ergebnissen der Volkszählung v. 1931 schätzungsweise 42,7 % der Bev., gefolgt v. den Kroaten mit 23,1 %, den Slowenen mit 8,1 %, den bosn. Muslimen mit 5,3 % u. den Makedoniern mit 4,6 %. Die restlichen 16,2 % verteilten sich auf eine Vielzahl von ethn. Gruppen, unter denen Deutsche, Ungarn u. Albaner die größten Anteile hatten. Fast 2/3 der Bev. waren in den vormals habsb. Gebieten beheimatet. Entsprechend der offiz. Ideologie v. der „dreinamigen Nation“ verstand sich das Kgr. SHS als Nationalstaat, obwohl die Realität täglich bewies, dass es sich um einen Vielvölkerstaat handelte, in dem keine der Nationen über eine absolute Mehrheit verfügte. Selbst wenn man die zeitgenössische Definition des serb. „Stammes“ der „dreinamigen Nation“ übernimmt u. Montenegriner, bosn. Muslime u. Makedonier (ohne deren Zustimmung) zu den „Serben“ rechnet, lag deren Anteil an der Gesamtbev. nur bei gut 50 %. Nie zuvor in ihrer langen Geschichte hatten die Mitglieder der „dreinamigen Nation“ in einem gemeinsamen Staat gelebt. Die Idee des →Jugoslawismus hatte lediglich bei den Südslaven der Habsburgermonarchie zeitweilig Fuß fassen können, während in Serbien die großserb. Idee überwog. Die nationale Frage stand daher v. Anfang an im Zentrum der jug. Innenpolitik u. belastete auch die Beziehungen zu den Nachbarstaaten (Italien, Bulgarien, Albanien, Österreich u. Ungarn). Die sich schnell zuspitzenden nationalen Kontroversen im Kgr. SHS wurden durch die ausgeprägten regionalen Entwicklungsunterschiede verschärft. Etwa 80 % der Gesamtbev. lebten v. der Landwirtschaft, u. das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen entsprach dem in unterentwickelten Ländern. Dennoch gab es ein deutliches Wohlstands- u. Zivilisationsgefälle v. NW nach SO u. von N nach S, v. den ehemals habsb. zu den vormals
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osm. Gebieten des Landes. Nach der jug. Staatsgründung stellte sich nicht nur die Aufgabe, die ererbten unterschiedlichen Agrar-, Währungs-, Steuer-, Bildungssysteme etc. zu harmonisieren, sondern auch durch Abbau des Wohlstandsgefälles für größere Chancengleichheit in allen Teilen des Landes zu sorgen sowie die ökon. u. ges. „Rückständigkeit“ durch umfassende →Modernisierung zu überwinden. Selbst in einem national homogenen Staat wäre die Lösung dieser Aufgaben mit gewaltigen Konflikten beladen gewesen, im Kgr. SHS aber drohte sie, den Staat u. die „dreinamige Nation“ auseinanderzusprengen, bevor an eine Integration auch nur zu denken war. Die Benachteiligung v. Staatsbediensteten u. Offizieren, die vor 1918 in habsb. Dienst gestanden hatten, eine Währungsumstellung, die v. den Besitzern der früheren Kronenwährung als partielle Enteignung empfunden wurde, die Unausgewogenheiten in der steuerlichen Belastung u. in der regionalen Allokation staatlicher Investitionen etc. verschärften den zunehmend national etikettierten Kampf um knappe Ressourcen. In vielen Teilen des neuen Staates – in Kosovo u. Makedonien ebenso wie in den ehem. habsb. Gebieten (v. a. in Kroatien, Bosnien-Herzegowina u. der Vojvodina) machte sich wachsende Unzufriedenheit bemerkbar. Vom Parlamentarismus zur Diktatur: Das Parteienspektrum im Kgr. SHS (→Parteien) entwickelte sich v. Anfang an zum getreuen Spiegelbild der nationalen Vielfalt. Das in der Verfassung v. 1921 verankerte parl. System erwies sich infolge des mangelnden pol. Grundkonsenses, der nach nationalen oder regionalen Sonderinteressen ausgerichteten Parteienlandschaft, institutioneller Defizite u. des Fehlens geeigneter Trägerschichten als funktionsschwach. →Korruption, Vetternwirtschaft u. Wahlmanipulationen blühten. Die Regierungen kamen u. gingen in rascher Folge. In den zehn Jahren v. der Staatsgründung bis Ende 1928 lösten sich 24 Kabinette (z.T. unter staatsstreichähnlicher Mitwirkung des Monarchen) ab. Alle Regierungschefs sowie die Mehrzahl der Minister u. höchsten Staatsbeamten waren Serben. Die formale Amtsperiode einer Regierung schwankte zw. einer Woche u. knapp einem Jahr. Nachdem der populäre Führer der Kroatischen Bauernpartei Stjepan Radić 1928 dem Attentat eines proserbischen Parlamentariers zum Opfer gefallen war, hob Kg. Alexander Karadjordjević am 6.1.1929 die Verfassung auf u. führte die Königsdiktatur (→Diktaturen) ein. Unter jug.-unitaristischem Vorzeichen (programmatisch verdeutlicht in der neuen Staatsbezeichnung „Königreich J.“) versuchte der Monarch im Alleingang u. mit obrigkeitsstaatlichen Mitteln, die bislang gescheiterte Integration herbeizuzwingen. Aber weder unter seiner Diktatur noch unter der am 3.9.1931 oktroyierten Verfassung (mit der ein scheinparl. System installiert wurde) machte die innere Konsolidierung Fortschritte. Im Oktober 1934 wurde der Kg. anlässlich eines Staatsbesuchs in Frankreich v. kroat. u. mak. Extremisten (→Ustaše u. →IMRO) ermordet. Die nach seinem Tod unter Prinzregent Paul Karadjordjević in Vertretung des minderjährigen Thronfolgers fortgesetzten autoritären Regime vermochten keinen Ausweg aus der Krise zu finden. Auch der im August 1939 erzielte →Sporazum, der die Einrichtung einer autonomen Banschaft Kroatien vorsah, führte zu keiner grundlegenden Entspannung, da er zu spät kam, zu halbherzig war u. nicht nur v. der serb. Führungsschicht, sondern auch v. kroat. Nationalisten u. bosnischen Muslimen abgelehnt wurde. Zerschlagung des ersten u. Gründung des zweiten jug. Staates: Die außenpol. Lage J.s hatte sich im Verlauf der 30er Jahre grundlegend verändert. Die →Kleine Entente u. das Bündnis
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mit Frankreich hatten sich seit der →Weltwirtschaftskrise als brüchig erwiesen. Die Folge war eine schrittweise Annäherung J.s an das nationalsozialist. Deutschland, zunächst ökon., dann auch pol. Bei der Vorbereitung des für Frühjahr 1941 geplanten Griechenland-Feldzuges versuchte Hitler, das seit Kriegsbeginn neutrale J. in das Bündnissystem der „Achsenmächte“ zu integrieren. Auf dt. Druck hin trat die Belgrader Regierung am 25.3.1941 dem „Dreimächtepakt“ bei, wurde jedoch zwei Tage später durch einen Putsch serb. Offiziere (mit Unterstützung des brit. Geheimdienstes) gestürzt. Hitler gab daraufhin Order, J. „militärisch u. als Staatsgebilde zu zerschlagen“. Der Angriff begann am 6.4. u. endete 11 Tage später mit der bedingungslosen Kapitulation der jug. Armee (→Weltkrieg, Zweiter). Der Staat wurde in ein buntes Mosaik annektierter, besetzter u. scheinsouveräner Territorien zerstückelt. Bedeutende Teile des Staatsgebiets fielen an Deutschland, Italien, Ungarn u. Bulgarien; Serbien u. das Banat kamen getrennt unter NS-Besatzung, u. auf dem Territorium Kroatiens u. Bosnien-Herzegowinas entstand der →Unabhängige Staat Kroatien. Die willkürliche Aufteilung des Landes, die Ausrottungspolitik der Ustaše gegenüber den Serben u. das rücksichtslose Vorgehen der Besatzungsmächte trieben immer mehr Menschen in den Widerstand, der sich in einen konservativ-monarchistischen Flügel mit großserb. Ausrichtung (→Četnici) u. einen komm. organisierten Flügel mit jug. Orientierung aufspaltete (a. →Partisanen). Eine Einigung zw. der Četnik-Bewegung u. der v. Josip Broz (Tito) geführten „Jugoslawischen Volksbefreiungsbewegung“ scheiterte an unüberbrückbaren pol. u. taktisch-strategischen Gegensätzen u. leitete zu einem blutigen →Bürgerkrieg über. Das v. der „Volksbefreiungsbewegung“ verkündete Programm nationaler Gleichberechtigung für alle jug. Völker u. das Versprechen auf Errichtung eines föderativen Staates verschaffte Tito wachsenden Zulauf. Damit entstand die einzige komm. Widerstandsbewegung im besetzten Europa, die sich im wesentlichen aus eigener Kraft die Macht erkämpfte. Auf der 2. Sitzung des „Antifaschistischen Rates der Volksbefreiung Jugoslawiens“ (AVNOJ) vom 29.–30.11.1943 im bosn. Jajce wurden die Grundlagen für den zweiten jug. Staat gelegt. Bei Kriegsende erfolgte die Abrechnung mit all jenen, die v. der KPJ als „Verräter u. Kollaborateure“ eingestuft wurden. Die Kriegsverluste J.s lassen sich nach realistischen Berechnungen auf ca. 1 Mio. Menschen beziffern. „Ära Tito“ 1945–1980: Mit Errichtung v. sechs Republiken (Slowenien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Serbien, Montenegro u. Makedonien) sowie zweier Autonomer Provinzen (→Kosovo u. →Vojvodina innerhalb der Republik Serbien) versuchte Tito, J. auf eine völlig neue Grundlage zu stellen. Die →Makedonier u. →Montenegriner wurden erstmals als eigenständige →Nationen anerkannt. Am 29.11.1945 wurde die Monarchie abgeschafft u. die „Föderative Volksrepublik J.“ ausgerufen. Zwei Monate später wurde eine neue Verfassung verabschiedet, die in ihren Grundzügen der sowj. Verfassung v. 1936 nachgebildet war. Obwohl die KPJ eine stalinistische Organisation war (→Stalinismus), kam es 1948 zum Bruch mit Stalin (→Kominformkonflikt). Die jug. Kommunisten sahen sich – nach einer Übergangsphase, in der sie ihre „Linientreue“ u.a. durch eine forcierte, schließlich aufgegebene Kollektivierungskampagne unter Beweis zu stellen versuchten – aus Gründen der „Legitimierung“ in der Folge gezwungen, ein eigenständiges Sozialismus-Modell zu entwickeln (→Selbstverwaltung, SV). Doch die Abkehr vom Stalinismus vollzog sich nur äußerst schleppend u. gegen hartnäckigen Widerstand innerhalb der Partei. Der v. zahllosen Ex-
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perimenten, Stagnationen u. Rückschlägen begleitete Auf- u. Ausbau des SV-Modells zog sich bis zur vierten Nachkriegsverfassung v. 1974 u. dem „Gesetz über die vereinte Arbeit“ v. 1976 hin. In der Praxis erwies sich der SV-Sozialismus als ineffizient u. unpraktikabel. Auf eine Phase forcierter →Industrialisierung u. extensiven Wirtschaftswachstums in den ersten beiden Nachkriegsjahrzehnten folgte eine Periode schleppender u. krisenhafter Entwicklung. Zwar verwandelte sich J. v. einem rückständigen Agrarland in ein industr. Schwellenland, doch das Wirtschaftsgefälle v. NW nach SO bestand unvermindert fort oder vergrößerte sich. Mit den ökon. Rückschlägen u. verschärften Verteilungskämpfen wurden auch die latenten nationalen Spannungen wiederbelebt. 1971 löste eine auch innerparteilich verankerte nationale Protestbewegung in Kroatien die erste schwere Belastungsprobe für das zweite J. aus. Mit der Verfassung v. 1974 (u. den vorangegangenen Verfassungsänderungen) wurde die Macht der Republiken u. Autonomen Provinzen zu Lasten der Bundesorgane deutlich gestärkt. Das Machtmonopol des „Bundes der Kommunisten“ (BdK) blieb bis Ende der 1980er Jahre zwar unangefochten, verlagerte sich jedoch immer mehr v. der Bundespartei auf die acht Parteien der föderativen Einheiten. Staatszerfall: Nach Titos Tod am 4.5.1980 nahmen die desintegrativen Tendenzen zu. Die Sonderinteressen der föderativen Einheiten, die sich verschärfende ökon. Krise, die enorme Auslandsverschuldung J.s, die Zerrissenheit u. Unfähigkeit der Bundespartei, die blutigen Zusammenstöße zw. Albanern u. Serben im →Kosovo sowie die höchst unterschiedlichen Vorstellungen der pol. Führungsschichten in Serbien auf der einen sowie in Slowenien (u. später Kroatien) auf der anderen Seite über einen Ausweg aus der Krise trieben im Verlauf der 1980er Jahre die desintegativen Tendenzen voran. Knapp zwei Jahre nach der Wahl Slobodan Miloševićs zum Parteivorsitzenden des BdK Serbien (Mai 1986) begann eine Phase massiver serb.-nationalistischer Agitation („Meetings der Wahrheit“), die v. Vertretern der orth. Kirche, Schriftstellern u. Mitgliedern der Serbischen →Akademie der Wissenschaften seit Jahren ideologisch vorbereitet worden war. Die Ablösung der pol. Führungsschichten in der Vojvodina, in Montenegro u. Kosovo durch Milošević-Anhänger („antibürokratische Revolution“) 1988/89 sowie die Aushöhlung der bisherigen Autonomiestatute für Kosovo u. Vojvodina durch eine serb. Verfassungsänderung im März 1989 verschoben die innerjug. Machtbalance u. leiteten das Ende des Bundesstaats J. ein. Im Mai 1989 übernahm Milošević auch das Amt des serb. Staatspräsidenten u. festigte seine Position in den Bundesorganen. Der letzte jug. Ministerpräsident in den Jahren 1989–91, der Kroate Ante Marković, versuchte zwar mittels grundlegender Reformen, die wirtschaftliche Krise J.s zu überwinden, konnte aber den pol. Verfall u. die sich verschärfenden Kontroversen zw. der serb. Führung (Milošević) u. der slowen. Führung (Milan Kučan) nicht überwinden. Bei den ersten freien Wahlen seit 1927 setzten sich in den einzelnen Republiken (mit Ausnahme Serbiens u. Montenegros) im Verlauf des Jahres 1990 die Gegner der Kommunisten/Sozialisten durch. Ein mehr oder minder aggressiver Nationalismus beherrschte die öffentlichen Diskurse in allen Teilen J.s. Der neu gewählte kroat. Präsident Franjo Tudjman u. seine Partei, die Kroatische Demokratische Gemeinschaft (HDZ), heizten mit ihrer antiserbischen Rhetorik die Atmosphäre an u. versetzten die in Kroatien beheimateten Serben in Aufruhr. Wiederholte Beratungen der sechs Republikspräsidenten über die künftige Gestalt des Gesamtstaats
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(Rezentralisierung oder loser Staatenbund) verliefen ohne Ergebnis. Auch der vom Ausland bis Mitte 1991 wiederholt geforderte Erhalt J.s konnte die Entwicklung nicht mehr bremsen. Nach vorangegangenen Volksabstimmungen erklärten sich Slowenien u. Kroatien für unabhängig (25.6.1991; in Kraft gesetzt am 8.10.1991), gefolgt v. Makedonien (17.9.1991) u. Bosnien-Herzegowina (6.3.1992), so dass sich die Bundesrepublik J. auf Serbien u. Montenegro reduzierte. Wiederholt hatte Milošević erklärt, dass sich Serbien bzw. Rest-J. auf alle Gebiete erstrecken müsse, in denen Serben als Mehrheit oder Minderheit lebten. Parallel zum Auseinanderfallen J.s kam es daher zur Proklamation zahlreicher (in erster Linie serb.) Autonomer Gebiete oder Republiken auf dem Territorium Kroatiens (→Krajina) u. Bosnien-Herzegowinas u. zu verschärften gewaltsamen Auseinandersetzungen. Nach einer kurzen, vergeblichen Intervention der „Jugoslawischen Volksarmee“ in Slowenien (Juni/August 1991) verlagerte sich der Schwerpunkt des Krieges zunächst nach Kroatien (Herbst 1991), dann nach Bosnien-Herzegowina (Frühjahr 1992 bis Herbst 1995) u. löste eine Endlosspirale →„ethnischer Säuberungen“ aus, in die gegen Ende der 1990er Jahre auch Kosovo einbezogen wurde (→postjugoslawische Kriege). Das Auseinanderbrechen J.s u. der Beginn der gewaltsamen Konflikte trafen die internat. Gemeinschaft völlig unvorbereitet. Das Ende des Ost-West-Gegensatzes, der Zusammenbruch der realsozialist. Systeme, die Vereinigung der beiden dt. Staaten, die Unsicherheit über den Fortbestand der Sowjetunion u. der zweite Golfkrieg hatten die Koordinaten der intern. Politik verschoben u. die Diplomaten überfordert. Ein Konzept, wie man mit den Ereignissen in J. umgehen sollte, fehlte. Bis Mitte 1991 hatten sowohl die europ. Staaten wie die USA den Erhalt J.s gefordert. Nach den Unabhängigkeitserklärungen Sloweniens u. Kroatiens u. der Eskalation der Gewalt hatte Deutschland einen Kurswechsel vollzogen, der in die Anerkennung Sloweniens u. Kroatiens am 23.12.1991 mündete u. dem die anderen Staaten der EG im Januar 1992 widerwillig folgten. Die am 27.4.1992 proklamierte Bundesrepublik Jugoslawien, bestehend aus Serbien u. Montenegro, wurde im Febr. 2003 durch den lockeren Staatenbund „Serbien u. Montenegro“ ersetzt, der sich nach einem Referendum in Montenegro im Mai 2006 auflöste. Bibl.: R. Matulić, Bibliography of sources on the region of former Yugoslavia. 2 Bde. New York, Boulder 1998, 2007; G.M. Garth, Yugoslav History. A bibliographic index to English-language articles. Nottingham 1990; M.B. Petrovich, Yugoslavia. A bibliographical guide. Washington 1974. Nachschlagewerke: Enciklopedija Jugoslavije. Hgg. M. Krleža u. a. 8 Bde. Zagreb 1955–1971; 2. überarb. Aufl. Bd. 1–6 (A–Kat). ebd. 1980–1990 [m.n.e.]. Südosteuropa-Handbuch. Bd. 1: Jugoslawien. Hg. K.-D. Grothusen. Göttingen 1975; Osteuropa-Handbuch. Jugoslawien. Hg. W. Markert. Köln, Graz 1954. Quellen: R. Dizdarević, Put u raspad. Stenogrami izlanganja Raifa Dizdarevića u raspravama iza zatvorenih vrata državnog i političkog vrha Jugoslavije. Sarajevo 2011; Nikola Pašić – predsedniku vlade. Strogo poverljivo, lično, Pariz 1919–1920. Pašićeva pisma sa Konferencije mira. Hgg. M. Milošević/B. Dimitrijević. Zaječar 2005; S. Trifunovska, Yugoslavia Through Documents: From Its Creation to Its Dissolution. Dordrecht u. a. 1994; Jugoslavija 1918–1988. Statistički godišnjak. Hg. Savezni zavod za statistiku. Beograd 1989; Jugoslavija 1918–1984. Zbirka dokumenata. Hgg.
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Jugoslawismus Die südslav. Idee geht v. der Vorstellung besonders enger sprachlicher, kultureller, verwandtschaftlicher (schließlich auch pol./staatl.) Beziehungen zw. den südslav. Ethnien aus. In ihrer theoretisch weitesten Form erstreckte sie sich auf alle →Südslaven (einschließlich der Bulgaren), verengte sich in der Praxis aber zumeist auf die in der Habsburgermonarchie oder im späteren →Jugoslawien beheimateten Südslaven. Die Ansichten über die Zahl der südsl. „Stämme“ resp. Völker oder Nationen – eine Nation mit mehreren „Stämmen“ oder eine Gruppe v. Nationen –, die Frage ihres gemeinsamen Namens (z. B. „Illyrer“, „Südslawen“, „dreinamige Nation v. Serben, Kroaten u. Slowenen“), die Art ihrer Beziehungen sowie das Ausmaß der Ähnlichkeiten u. Unterschiede zw. ihnen unterlagen im Lauf der Zeit immer neuen Interpretationen. Die Auffassung von einer – v. a. durch Sprache u. Abstammung begründeten – Verbundenheit zw. den (Süd-)Slaven wurde vereinzelt schon im Spätmittelalter u. wiederholt in der frühen Neuzeit formuliert (Vinko Pribojević, Juraj Križanić, Pavao Ritter Vitezović u. a.). Durch die Begründung des wissenschaftlichen →Panslawismus u. der Slavistik Anfang des 19. Jh.s (u. a. durch die Slowaken Ján Kollár, 1793–1852, u. Pavel J. Šafárik, 1795– 1869) wurde der Gemeinschaftsgedanke (nicht zuletzt unter dem Einfluss von Johann G. Herders „Slawenkapitel“) auch bei den südslav. Gelehrten gestärkt. Aber erst mit der Konstruktion moderner →Nationen u. der Suche nach geeigneten Definitionskriterien gewann der J. im Verlauf des 19./20. Jh.s an Bedeutung. Im Unterschied zum Pseudo-J. (der sich der jug. Idee nur zur Bemäntelung des Vormachtstrebens einer der jug. Nationen bedient) geht der echte J. (jugoslavenstvo) entweder (1) v. einer einheitlichen südslav.Nation (in der Serben, Kroaten etc. allenfalls regionale Ausprägungen, aber keine Nationen darstellen) oder (2) v. einem Verbund eng verwandter u. grundsätzlich gleichberechtigter Nationen aus.
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Jugoslawismus
Infolge spezifischer historischer Umstände hat der J. insbesondere bei der →Nationsbildung in Kroatien-Slawonien-Dalmatien seit dem Vormärz in Gestalt des →Illyrismus u. daraus hervorgegangener Parteien (Nationalpartei bzw. National(liberale) Partei) eine wichtige Rolle gespielt. Unterstützt wurde diese Entwicklung durch die Tatsache, dass die Sprachreformer bei Kroaten u. Serben, Ljudevit Gaj u. Vuk St. Karadžić, das Štokavische zur Grundlage ihrer schriftsprachlichen Kodifizierung wählten, wodurch aber nicht nur der J., sondern auch sich wechselseitig ausschließende panserbische u. pankroatische Ideologeme gefördert wurden. Der J. u. der Kroatismus (in unterschiedlichen Varianten) blockierten sich zeitweilig wechselseitig, so dass sich die kroatische Nationsbildung (im Unterschied zur serbischen Nationsbildung, die sich im Rahmen eines eigenen Staates vollzog) weiter verzögerte. Einerseits erhielt der südslav. Einheitsgedanke im Wirken des Bischofs von Djakovo Josip Juraj Strossmayer u. des kroat. Historikers Franjo Rački in der zweiten H. des 19. Jh.s seine programmatische Ausformung, gleichzeitig vollzog sich jedoch eine schrittweise Kroatisierung des J. Im Jahrzehnt vor dem 1. Wk. erlebte dieser in den südslav.Teilen der Habsburger Monarchie durch die Zusammenarbeit kroat. u. serb. Politiker einen interessenpol. bedingten Aufschwung, machte aber nach Gründung →Jugoslawiens schneller Ernüchterung Platz. Der echte J. wich zunehmend einer spezifisch-kroat. Identitätsfindung auf der einen u. einem Pseudo-J. großserbischer Orientierung auf der anderen Seite. Im ersten jug. Staat wurde amtlicherseits die Existenz einer ethnisch definierten Gesamtnation mit drei „Stämmen“ (Serben, Kroaten u. Slowenen) propagiert, die bis 1929 als „dreinamige Nation“ (troimeni narod), anschließend als „jug. Nation“ etikettiert wurde. Integrative Wirkung konnte dieses Konstrukt infolge zunehmender serbisch-kroatischer Spannungen u. der zunehmend ethno-relig. Positionierung der orth. u. kath. Kirche (→Orthodoxie, 1; →Katholizismus) nicht entfalten. Im titoistischen Jugoslawien wurde der J. in seiner zweiten Variante amtlich propagiert u. gefördert. An die Stelle des ethn. trat der staatsbürgerliche J. (in Form einer Solidargemeinschaft im Sinne v. Ernest Renan). Das ermöglichte es vielen Bürgern, sich sowohl als Serben, Kroaten etc. (im ethnonationalen) wie auch als Jugoslawen (im pol. Sinn) zu verstehen. Die weitergehende Hoffnung auf eine aus der Staatsbürgerschaft abgeleitete jug. Nationsbildung (nach frz. Vorbild) erfüllten sich allerdings nicht bzw. nur ansatzweise, da die einzelnen Nationsbildungsprozesse entweder schon seit Jahrzehnten abgeschlossen (Serben, Kroaten, Slowenen), bereits weit fortgeschritten waren (Makedonier) oder gerade konkrete Gestalt annahmen (→bosn Muslime). Obendrein lehnten Tito u. die komm. Führung einen ethnonationalen J. ab. Die 5,4 % der Bevölkerung, die sich bei der Volkszählung 1981 als „Jugoslawen“ deklarierten, mögen sich als Vorhut einer jug. Nation verstanden haben, als ethnische oder nationale Kategorie gab es sie offiziell jedoch nicht u. infolge der rasch um sich greifenden Krise während der 80er Jahre gerieten sie zunehmend in einen Identitätskonflikt.
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Lit.: J. Bakić, Der Jugoslawismus Josip Broz Titos: Kontinuität oder Diskontinuität?, in: PostPanslavismus. Slavizität, slavische Idee u. Antislavismus im 20. u. 21. Jahrhundert. Hg. A. Ga̜sior. Göttingen 2014, 109–126; K. Buchenau, Katholizismus u. Jugoslawismus. Zur Nationalisierung der Religion bei den Kroaten 1918–1945, in: Religion u. Nation – Nation u. Religion. Beiträge zu
Junge Muslime
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H. S.
Junge Muslime (bosn. Mladi Muslimani). Name einer Vereinigung in Sarajevo. Die Anfänge gehen zurück auf ein Netzwerk muslimischer Schüler, Studenten u. Jungakademiker, die sich ab 1939 zusammenschlossen u. sich im März 1941 auf einer Versammlung in Sarajevo als Verein unter dem Vorsitz v. Tarik Muftić konstituierten. Ziel des Netzwerks bzw. Vereins war die Förderung des geistigen, kult. u. materiellen Fortschritts der →bosn. Muslime, die „Wiederbelebung“/Stärkung des Islam im Geist des Panislamismus u. insbes. die Erziehung der Jugend. Nach Gründung des →„Unabhängigen Staates Kroatien“ im April 1941 gehörten die J.M. – gleich allen anderen legalen Jugendorganisationen – zum Dachverband der Ustaša-Jugend, doch schlossen sich ihre Mitglieder i.d.R. weder den kroat. →Ustaše noch der bosniakisch-muslim. SS-Division „Handžar“ an. Nach dem Sieg der Tito-Partisanen u. dem Beginn der antirelig. Politik im sozialist. Jugoslawien wurden die J.M. dennoch der Kollaboration mit den vormaligen Feinden u. des Strebens nach einem islamischen Staat beschuldigt. 1946 wurden führende J.M. verhaftet u. zu Gefängnisstrafen verurteilt, unter ihnen Alija Izetbegović, der spätere erste frei gewählte Präsident Bosnien-Herzegowinas, der für drei Jahre ins Gefängnis musste. Danach entwickelte sich die Vereinigung zu einer Geheimorganisation mit Mitgliederzellen in verschiedenen Städten u. Dörfern. 1949 folgte eine Welle neuer Prozesse gegen die J.M. Mehrere tausend Mitglieder wurden verhaftet. Im Aug. 1949 verurteilte ein Gericht in Sarajevo in einem undurchsichtigen Verfahren vier Angeklagte zum Tod, andere zu langen Haftstrafen. Nach ihrer Entlassung aus der Haft bauten die J.M. ihr Netzwerk im Stillen wieder auf, doch blieb ihr Einfluss auf die muslimische Bevölkerung gering. 1970 verfasste Alija Izetbegović gemeinsam mit anderen Jungmuslimen (u. im engen Kontakt zur Muslimbruderschaft in Ägypten u. a. Ländern) die „Islamische Deklaration“, für die er 1983 (zusammen mit zwölf anderen muslimischen Intellektuellen) zu vierzehn Jahren Haft verurteilt wurde. Das Gericht warf der „Gruppe“ Pläne zur Errich-
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Junge Muslime / Junges Bosnien
tung eines islamischen Staats u. feindliche Propaganda vor. Tatsächlich war die 1990 erstmals vollständig veröffentlichte „Islamische Deklaration“ eine panislamisch ausgerichtete relig. Erneuerungsschrift, kein pol. Programm u. enthielt auch keinerlei Bezug zu Bosnien-Herzegowina. Das Verfahren wurde 1984 vom Obersten Gerichtshof für Bosnien-Herzegowina u. im Jahr darauf vom Bundesgerichtshof in Belgrad erneut aufgerollt. Ein Teil der Anklagepunkte wurde fallengelassen, die Haftstrafen reduziert. Nach heutigem Kenntnisstand war der (von einer extrem einseitigen Medienkampagne begleitete) Prozess von 1983 ein politischer Schauprozess (ähnlich den Prozessen v. 1946 u. 1949) mit fabrizierten Anklagen. Ziel war es, die Existenz eines muslimischen Nationalismus u. einer islamistischen Bedrohung „nachzuweisen“ u. zugleich die Entschlossenheit der bosnisch-herzegowinischen Führung zu dokumentieren, die Dissidenten in ihrer Republik mit allen Mitteln zu bekämpfen. Nach dem Kollaps des sozialist. Systems u. Jugoslawiens wurde die Organisation „J.M.“ v. überlebenden Mitgliedern 1991 neu gegründet, während Izetbegović zum Präsidenten Bosnien-Herzegowinas avancierte. Lit.: A. Omerika, Islam in Bosnien-Herzegowina u. die Netzwerke der Jungmuslime (1918–1991). Wiesbaden 2014; D. Bećirović, Islamska zajednica u Bosni i Hercegovini za vrijeme avnojevske Jugoslavije (1945–1953). Zagreb u. a. 2002; O. Behmen, Na dnu dan: život i djelo. Sarajevo 2006; E. Bakšić u. a., Mladi Muslimani 1939–1999. ebd. 2001; S. Trhulj, Mladi muslimani. Zagreb 1992; Sarajevski proces. Sudjenje muslimanskim intelektualcima 1983. godine. Sabrani dokumenti. Hg. A. Zulfikarpašić. Zürich 1987. H. S.
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Junges Bosnien (Mlada Bosna). Bez. für den Kreis nationalrevol. u. jug. orientierter Schüler u. Studenten, zu deren Mitgliedern auch der Attentäter von Sarajevo, Gavrilo Princip, gehörte (→Attentat v. Sarajevo). Der Name „Mlada Bosna“ tauchte vereinzelt ab 1907 auf, setzte sich aber erst nach 1918 allmählich durch. Die geistigen Wurzeln der Jungbosnier gehen auf den von Giuseppe Mazzini 1831 gegründeten →Geheimbund „Junges Italien“ (Giovine Italia) zurück. Im Unterschied dazu war das J.B. allerdings keine festgefügte Organisation, sondern ein spontan aus lokalen Schülerunruhen in →Bosnien-Herzegowina seit dem ausgehenden 19. Jh. entstandenes Netzwerk, das auch in anderen südslav. Gebieten Österreich-Ungarns, in Serbien u. Montenegro einige Anhänger besaß. Unter den Jugendlichen befanden sich anfangs v. a. bosn. Serben, erst in den letzten Jahren vor dem 1. Wk. stießen auch Kroaten u. →bosn. Muslime zur Bewegung. Als geistiger Führer des J.B. gilt der in der südl. Herzegowina geborene Vladimir Gaćinović (1890–1917), der u. a. von den Ideen der russ. Narodniki u. Anarchisten sowie von den Lehren Tomáš Garrigue Masaryks beeinflusst war. Die Jungbosnier strebten die staatliche Vereinigung der Südslaven nach dem Vorbild des it. „Risorgimento“ an. Sie verurteilten die ethn. u. konf. Intoleranz ihrer Landsleute; waren Atheisten u. überzeugte Republikaner mit teils sozialist., teils anarchist. Neigungen. Das Attentat als pol. Mittel wurde v. ihnen ausdrücklich befürwortet u. unter Rückgriff auf die antike Theorie des Tyrannenmords philosophisch „legitimiert“. Da einige Jungbosnier die offiz. Politik Serbiens als zu vorsichtig empfanden, knüpften sie Kontakte zur serb. Ge-
Junges Bosnien / Jungtürken
heimorganisation →„Vereinigung oder Tod“ bzw. „Schwarze Hand“. Das →Attentat von Sarajevo auf den österr.-ung. Thronfolger, Ehz. Franz Ferdinand, am 28.6.1914 ging jedoch nicht auf die Initiative der serb. Geheimorganisation, sondern auf die der Jungsbosnier (G. Princip) zurück. Quellen u. Lit.: Spomenica Mlade Bosne 1914–2014. Hg. V. Maksimović. 2 Bde. Pale 2014; R. Gaćinović, Mlada Bosna. Beograd 2014; R. Parežanin, Gavrilo Princip u Beogradu: Mlada Bosna i Prvi svetski rat. ebd. 2013; P. Palavestra, Young Bosnia: Literary Action 1908–1914, Balcanica 41 (2010), 155–184; S. Džaja, Bosnien-Herzegowina in der österreichisch-ungarischen Epoche (1878–1918). München 1994; W.S. Vucinich, Mlada Bosna and the First World War, in: The Habsburg Empire and the First World War. Essays on the Intellectual, Military, Political and Economic Aspects of the Habsburg War Effort. Hgg. R.A. Kann u. a. Boulder/Col. 1977, 45–70; V. Dedijer, Die Zeitbombe: Sarajevo 1914. Wien u. a. 1967; P. Palavestra, Književnost Mlade Bosne. 2 Bde. Sarajevo 1965 (3. Aufl. 2012); D. Ljubibratić, Mlada Bosna i sarajevski atentat. ebd. 1964; Mlada Bosna: pisma i prilozi. Hg. V. Bogićević. ebd. 1954; V. Masleša, Mlada Bosna. Beograd 1945 [Ndr. 2013]. H. S.
Jungtürken (türk. Jön bzw. Genç Türkler, v. frz. Jeuns Turcs). Mitglieder einer oppositionellen Bewegung, die sich in den 1890er Jahren zunächst in Istanbul u. danach im Exil aus ethn. disparaten Elementen formiert hatte. Das Ziel war, den Bestand des Osmanenreiches im Rahmen eines noch zu etablierenden konstit. Regimes zu sichern. Bereits auf dem ersten J.-Kongress in Paris 1902 kam es zu einer Spaltung der Bewegung: Während eine Mehrheit – darunter Albaner, Armenier u. christl. Araber – für die administrative Dezentralisation mit entsprechenden Autonomierechten für Großregionen eintrat u. um dieses Zieles willen sogar bereit war, die europ. Mächte zur Intervention aufzufordern, pochte die „zentralistisch“ denkende Minderheit auf die Respektierung der osm. Souveränität. Den „Zentralisten“ sollte es auf dem zweiten J.-Kongress 1907 gelingen, die übrigen Gruppierungen auf ihr Programm zu verpflichten. Gemeinsam forderte man nun die Einberufung des Parlaments u. die Wiederinkraftsetzung der Verfassung v. 1876. In jener Zeit gärte es auch innerhalb der osm. Streitkräfte. Als Offiziere der in Makedonien stationierten Verbände im Sommer 1908 aus Protest gegen den Absolutismus rebellierten, sah sich der Sultan gezwungen, die Wiedereinführung der Verfassung zu verkünden (24.7.1908). Diese „J.-Revolution“ löste eine spektakuläre Völkerverbrüderung v. a. in den städtischen Zentren der Europäischen Türkei aus, u. die heimkehrenden Exil-J. wurden überall als Helden der Freiheit begrüßt. Indes waren nationale Gegensätze keineswegs nachhaltig entschärft. Die Unabhängigkeitserklärung →Bulgariens, die Annexion Bosniens u. der Herzegowina durch Österreich-Ungarn (→Annexionskrise) sowie die proklamierte Vereinigung der Insel →Kreta mit Griechenland, die als koordinierte Handlungen hintereinander stattfanden (5.–7.10.1908), wurden zudem als eine bewusste Brüskierung des neuen Regimes wahrgenommen. Flagrante Unregelmäßigkeiten bei den Parlamentswahlen im Spätherbst 1908 untergruben das Vertrauen zum J.-Komitee „Einheit u. Fortschritt“ zusätzlich. Am 13.4.1909 folgte
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Jungtürken
dann eine „konterrevolutionäre“ Verschwörung in Istanbul, welche die J. erst nach massivem Einsatz v. Streitkräften unterdrücken konnten. Unter dem zunehmenden Einfluss des Militärs zeigte man sich nunmehr entschlossen, die Zügel im Sinne eines strengen Zentralismus straffer anzuziehen, was freilich mehr Widerstand provozierte. Besonders der alb. Aufstand 1910 zwang die J.-Führung einzugestehen, dass ihr pol. Konzept gescheitert war. Die it. Invasion v. Tripolis (September 1911) ermöglichte den J. eine baldige Rehabilitation. Offiziere aus den eigenen Reihen, darunter der später berühmt gewordene Mustafa Kemal (Atatürk), wurden als Freiwillige nach Nordafrika entsandt, um den Widerstand der Stämme zu organisieren. Es war gleichermaßen ein Glück für die J., dass sie nicht an der Macht waren, als die Staaten des Balkanbundes im Oktober 1912 das Osm. Reich angriffen (→Balkankriege). Die Verantwortung für die bald eingetretene Niederlage lastete auf den liberalen „Alttürken“. So konnte das J.-Komitee durch einen Staatsstreich (23.1.1913) erneut die Macht ergreifen, um das Reich bis 1918 mit eiserner Hand zu regieren. Den Weltkrieg betrachteten die J. auch als Chance, ihr – inzwischen wirtschaftsnationalistisches – Programm in die Tat umzusetzen. Besonders konfliktträchtig entwickelten sich daher ihre Beziehungen zu →Armeniern u. Griechen. Die Niederlage an der Kaukasusfront im Winter 1914/15, die Kollaboration eines Teils der armenischen Bev. mit den einmarschierenden Russen sowie den bevorstehenden Angriff der Entente-Flotten auf die Dardanellen nahm das J.-Komitee zum Anlass, die Deportation der armenischen Bev. aus der „Kampfzone“ in Anatolien in andere Gebiete im Süden (Syrien u. Mesopotamien) zu verfügen, – eine Zwangsmaßnahme, die viele Armenier (nach realistischen Schätzungen etwa 800.000) mit dem Leben bezahlten. Wegen dieses Verbrechens, das v. vielen Historikern als Völkermord eingestuft wird, wurden 17 J.-Führer nach dem Krieg v. einem osm. Militärgericht zum Tode verurteilt (Enver, Talat u. Cemal in Abwesenheit); 3 Todesurteile wurden vollstreckt. Angesichts der Teilungsabsichten der Siegermächte in bezug auf Kleinasien (→Sèvres) entstanden jedoch vielerorts „Komitees zur Verteidigung der Rechte“, deren Träger durchweg dem regionalen Kader des Komitees „Einheit u. Fortschritt“ angehörten. So konnten viele J. die Gründung der Republik Türkei 1923 gewissermaßen als Erfüllung ihrer Mission betrachten.
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Jürüken
Revolution of 1908 in Turkey. Leiden u. a. 1997; H. Kayalı, Arabs and Young Turks. Ottomanism, Arabism, and Islamism in the Ottoman Empire, 1908–1918. Berkeley 1997; G.F. Minassian, Les relations entre le Comité Union et Progrès et la Fédération Révolutionnaire Arménienne à la veille de la Première Guerre mondiale d’après les sources arméniennes, Revue d’histoire arménienne contemporaine 1 (1995), 45–99; T.Z. Tunaya, Türkiye‘de Siyasal Partiler. Bd. 3: İttihat Ve Terakki. İstanbul 1989; E.J. Zürcher, The Unionist Factor. The Rôle of the Committee of Union and Progress in the Turkish National Movement 1905–1926. Leiden u. a. 1984; F. Ahmad, Unionist Relations with the Greek, Armenian, and Jewish Communities of the Ottoman Empire, 1908–1914, in: Christians and Jews in the Ottoman Empire. The Functioning of a Plural Society. Hgg. B. Braude/B. Lewis. New York u. a. 1982, Bd. 1, 401–434; V.I. Špil’kova, Mladotureckaja revoljucija 1908–1909 gg. Moskva 1977; J.A. Petrosjan, Mladotureckoe dviženie (vtoraja polovina XIX–načalo XX vv.) Moskva 1971; F. Ahmad, The Young Turks. The Committee of Union and Progress in Turkish Politics, 1908–1914. Oxford 1969; M. Pandevski, Mladoturskata revolucija Makedonija. Skopje 1968; [Ş. Mardin], Jön Türkrklerin siyasi fikirleri 1895–1908. Ankara 1964; ders., The Genesis of Young Turk Ottoman Thought. A Study in the Modernization of Turkish Political Ideas. Syracuse/N.Y. 1962; E.E. Ramsaur Jr., The Young Turks. Prelude to the Revolution of 1908. Princeton 1957. F. A.
Jürüken (a. Yürüken; v. türk. yürümek, „gehen, wandern“). Stammesmäßig organisierte, nomadische oder halbnomadische Bevölkerungsgruppen, die, anfänglich nur im westl. Kleinasien zu Hause, seit dem 14. Jh. vielfach auch auf dem Balkan anzutreffen sind. Die in Kleinasien eingewanderten Turkmenen hatten sich recht früh den geogr. Gegebenheiten des Landes angepasst: Neben Regionen des intensiven Ackerbaus gab es hier ausgedehnte, fast menschenleere Gebiete v. a. in Gebirgsgegenden, die den raschen Übergang vom trad. Nomadentum zur Wanderschaftshaltung (→Transhumanz) zw. Gebirge u. Tallandschaften bedingten. Diese Entwicklung brachte die gewöhnlich antifeudalen Viehzüchter dem Zugriff der Zentralgewalt näher, was eine gewisse Zersetzung u. Territorialisierung der Stammesstrukturen zur Folge hatte. So erscheinen J. in den Quellen des 15. Jh.s als eine quasi-militärische Bevölkerungskategorie mit verschiedenen Dienstpflichten für das osm. Heer. Ihre blutsverwandtschaftlichen, kommunal-territorialen u. soz. Strukturen sind durch eine offizielle, militäradministrative u. fiskalische Terminologie überlagert. Schon in der frühen Phase der osm. Expansion siedelten J. nach →Rumelien um, wo sie Höfe zugewiesen bekamen. Die Schaffung einer J.-Organisation unter einem eigenen →Beg (mîr-i yörügân) beschleunigte diesen Prozess. Dünn bevölkerte Gebiete des östl. Balkan zw. Aytos u. Stara Zagora u. einige Landkreise in den Rhodopen u. Makedonien wiesen bald eine turksprachige Mehrheit auf (vgl. →Islamisierung). Die steppenartigen Ebenen der →Dobrudscha nördl. v. Varna u. Šumen waren fast nur v. J. bevölkert. Sie kamen auch in den Höhen nördl. v. Skopje u. im Gebirge v. Kratovo südwestl. v. Küstendil (Kjustendil) vor. Dagegen gab es im westl. Teil der Balkanhalbinsel nur sporadische J.-Konzentrationen. J. spielten – wie die christl. →Vlachen – eine bedeutende Rolle im Wirtschaftsleben des Osm. Reiches. Sie betrieben neben Viehzucht auch Landwirtschaft, indem sie neue Böden in Sumpfgebieten erschlossen, um z. B. Getreide, Baumwolle oder Reis anzubauen. Ihre vielfäl-
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Jürüken / Kadi
tigen Aktivitäten trugen zur Belebung des Handels bei: Nicht nur traten sie als Lieferanten v. Weizen, Reis, Wachs, Hanf, Alaun, Opium, Valonia, Seide, Häute, Milchprodukten u. besonders Wolle auf, sondern auch als Transportunternehmer, die mit ihren Kamelkarawanen diesen Bereich fast monopolisierten. Das osm. Heer blieb lange Zeit auf die Transportleistungen der J. angewiesen. Im Laufe des 18. Jh.s ging jedoch die milit. Bedeutung der J. allmählich zurück, bis ihre Privilegien in der Reformperiode →Tanzimat gänzlich abgeschafft wurden. Immer mehr J. ließen sich nun inmitten der dörflichen Gesellschaft nieder. Infolgedessen wurden die durch Endogamie gezogenen Grenzen allmählich durchlässig u. J. glichen sich v. a. in den östl. Regionen der Balkanhalbinsel immer mehr an die örtliche musl. Bevölkerung an. Die Bezeichnung „Yürük“ blieb aber auf der Balkanhalbinsel wie in Anatolien als Begriff für eine ethn.-kulturell eigenständige, turksprachig-musl. Gemeinschaft bis weit in das 20. Jh. hinein erhalten. Lit.: Osmanlıdan Cumhuriyete Yörükler ve Türkmenler. Hg. H. Beşirli. Ankara 2008; A. Kal’onski, Jurucite. Sofija 2007; A. Hof, Zur materiellen Kultur des Sesshaftwerdens. Yürüken in Südost-Anatolien zwischen Zelt u. Haus. Frankfurt/M. u. a. 2001; M. İnbaŞi, Rumeli Yörükleri (1544–1675). Erzurum 2000; H. İnalcık, The Yürüks: Their Origins, Expansion and Economic Role, in: The Middle East and the Balkans under the Ottoman Empire. Bloomington 1993, 97– 136; Ethnic Groups in the Republic of Turkey. Hg. P.A. Andrews. Wiesbaden 1989; Etnogeneza na Jurucite i nivnoto naseluvanje na Balkanot. Hg. K. Tomovski. Skopje 1986; I. Svanberg, A Bibliography of the Turkish-speaking Tribal Yörüks. Uppsala 1982; E.M. Şerifgil, Rumeli’de eşkinci yürükler, Türk Dünyası Araştırmaları Dergisi 12 (Juni 1981), 64–80; E. Arıcanlı, Osmanlı İmparatorluğu’nda Yörük Ve Aşiret Ayırımı, Boğaziçi Üniversitesi Dergisi. Beşeri Bilimler 7 (1979), 27–34; D.G. Bates, Nomads and Farmers: A Study of the Yörük of Southeastern Turkey. Ann Arbor 1973; K. Özbayri/H. Gonnet, Tahtacılar ve Yörükler. Paris 1972; M. Sokoloski, Za jurucite i juruškata organizacija vo Makedonija od XV–XVIII vek., Istorija 9 (1973), H. 1, 85–99; D.E. Eremeev, Jurjuki (Tureckie kočevniki i polukočevniki). Moskva 1969; M.T. Gökbilgin, Rumeli’de Yürükler, Tatarlar Ve Evlâd-ı Fâtihan. İstanbul 1957; S. Çetintürk, Osmanlı İmparatorluğun›da yürük sınıfı ve hukukî statüleri, Ankara Üniversitesi Dil ve Tarih-Coğrafya Fakültesi Dergisi 2 (1943), 107–116. F. A.
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Kadi (türk. kadı, v. arab. qāḍī). Richter; zugleich Inhaber zahlreicher nichtrichterlicher Funktionen. Im Osm. Reich gilt er als der Vertreter des →Sultans auf lokaler Ebene, woraus sich vielfache Aufsichtsverpflichtungen ableiten. Die Einbindung des K. in das komplexe Ausbildungs- u. Laufbahnsystem der →Ilmiye sowie seine zentrale Bedeutung für das Funktionieren des Staatsapparates an der Basis zeichnen den osm. K. gegenüber seinesgleichen in der übrigen isl. Welt aus. Innerhalb seines Amtssprengels (→Kaza) spricht er auf der Grundlage der →Scharia, aber auch des →Kanun, Recht (die Bezeichnung „Scheriatsrichter“ ist deshalb zu eng), u. zwar primär für die Muslime seines Amtsbezirks. Doch können sich auch Nichtmuslime, trotz eigener Gerichtsbarkeiten (vgl. →Millet), an ihn wenden. Daneben nimmt er notarielle Aufgaben u. Funktionen bei der Aufsicht über Fromme Stiftungen
Jürüken / Kadi
tigen Aktivitäten trugen zur Belebung des Handels bei: Nicht nur traten sie als Lieferanten v. Weizen, Reis, Wachs, Hanf, Alaun, Opium, Valonia, Seide, Häute, Milchprodukten u. besonders Wolle auf, sondern auch als Transportunternehmer, die mit ihren Kamelkarawanen diesen Bereich fast monopolisierten. Das osm. Heer blieb lange Zeit auf die Transportleistungen der J. angewiesen. Im Laufe des 18. Jh.s ging jedoch die milit. Bedeutung der J. allmählich zurück, bis ihre Privilegien in der Reformperiode →Tanzimat gänzlich abgeschafft wurden. Immer mehr J. ließen sich nun inmitten der dörflichen Gesellschaft nieder. Infolgedessen wurden die durch Endogamie gezogenen Grenzen allmählich durchlässig u. J. glichen sich v. a. in den östl. Regionen der Balkanhalbinsel immer mehr an die örtliche musl. Bevölkerung an. Die Bezeichnung „Yürük“ blieb aber auf der Balkanhalbinsel wie in Anatolien als Begriff für eine ethn.-kulturell eigenständige, turksprachig-musl. Gemeinschaft bis weit in das 20. Jh. hinein erhalten. Lit.: Osmanlıdan Cumhuriyete Yörükler ve Türkmenler. Hg. H. Beşirli. Ankara 2008; A. Kal’onski, Jurucite. Sofija 2007; A. Hof, Zur materiellen Kultur des Sesshaftwerdens. Yürüken in Südost-Anatolien zwischen Zelt u. Haus. Frankfurt/M. u. a. 2001; M. İnbaŞi, Rumeli Yörükleri (1544–1675). Erzurum 2000; H. İnalcık, The Yürüks: Their Origins, Expansion and Economic Role, in: The Middle East and the Balkans under the Ottoman Empire. Bloomington 1993, 97– 136; Ethnic Groups in the Republic of Turkey. Hg. P.A. Andrews. Wiesbaden 1989; Etnogeneza na Jurucite i nivnoto naseluvanje na Balkanot. Hg. K. Tomovski. Skopje 1986; I. Svanberg, A Bibliography of the Turkish-speaking Tribal Yörüks. Uppsala 1982; E.M. Şerifgil, Rumeli’de eşkinci yürükler, Türk Dünyası Araştırmaları Dergisi 12 (Juni 1981), 64–80; E. Arıcanlı, Osmanlı İmparatorluğu’nda Yörük Ve Aşiret Ayırımı, Boğaziçi Üniversitesi Dergisi. Beşeri Bilimler 7 (1979), 27–34; D.G. Bates, Nomads and Farmers: A Study of the Yörük of Southeastern Turkey. Ann Arbor 1973; K. Özbayri/H. Gonnet, Tahtacılar ve Yörükler. Paris 1972; M. Sokoloski, Za jurucite i juruškata organizacija vo Makedonija od XV–XVIII vek., Istorija 9 (1973), H. 1, 85–99; D.E. Eremeev, Jurjuki (Tureckie kočevniki i polukočevniki). Moskva 1969; M.T. Gökbilgin, Rumeli’de Yürükler, Tatarlar Ve Evlâd-ı Fâtihan. İstanbul 1957; S. Çetintürk, Osmanlı İmparatorluğun›da yürük sınıfı ve hukukî statüleri, Ankara Üniversitesi Dil ve Tarih-Coğrafya Fakültesi Dergisi 2 (1943), 107–116. F. A.
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Kadi (türk. kadı, v. arab. qāḍī). Richter; zugleich Inhaber zahlreicher nichtrichterlicher Funktionen. Im Osm. Reich gilt er als der Vertreter des →Sultans auf lokaler Ebene, woraus sich vielfache Aufsichtsverpflichtungen ableiten. Die Einbindung des K. in das komplexe Ausbildungs- u. Laufbahnsystem der →Ilmiye sowie seine zentrale Bedeutung für das Funktionieren des Staatsapparates an der Basis zeichnen den osm. K. gegenüber seinesgleichen in der übrigen isl. Welt aus. Innerhalb seines Amtssprengels (→Kaza) spricht er auf der Grundlage der →Scharia, aber auch des →Kanun, Recht (die Bezeichnung „Scheriatsrichter“ ist deshalb zu eng), u. zwar primär für die Muslime seines Amtsbezirks. Doch können sich auch Nichtmuslime, trotz eigener Gerichtsbarkeiten (vgl. →Millet), an ihn wenden. Daneben nimmt er notarielle Aufgaben u. Funktionen bei der Aufsicht über Fromme Stiftungen
Kadi / Kaimakam / Kaiserreich von Nikäa
(→Vakuf ) öffentliche Gebäude wie Moscheen, Schulen, Bäder, Herbergen u. Armenküchen wahr. Außerdem wird er staatlicherseits für den guten Zustand wichtiger Straßen, Brücken, Proviantlager, Verteidigungsanlagen usw. verantwortlich gemacht. Das örtliche Marktgeschehen mitsamt der Fixierung der Höchstpreise unterliegt seiner Kontrolle; Steuerpacht- u. →Timar-Wesen stehen unter seiner allg. Aufsicht. Lit.: T. Paić-Vukić, The world of Mustafa Muhibbi, a kadi from Sarajevo. Istanbul 2011; G.K. Nagy, Ḳāḍī. Ottoman Empire, in: EI²; R. Gradeva, Orthodox Christians in the Kadi Courts: The Practice of the Sofia Sheriat Court, Seventeenth Century, Islamic Law and Society 4 (1997), H. 1, 37–69; R.C. Jennings, Limitations of the Judicial Powers of the Kadi in 17th c. Ottoman Kayseri, Studia Islamica 50 (1979), 151–184; ders, Kadi, Court, and Legal Procedure in 17th c. Ottoman Kayseri, a. a. O. 48 (1978), 133–172; ders., Zimmis (non-Muslims) in Early 17th Century Ottoman Judicial Records. The Sharia Court of Anatolian Kayseri, Journal of the Economic and Social History of the Orient 21 (1978), 225–293; E. Tyan, Histoire de l’organisation judiciaire en pays d’Islam. Leiden ²1960. M. U.
Kaimakam (arab. qāʼimmaqām „Platzhalter“). Bez. für den Stellvertreter schlechthin, speziell jedoch den des →Großwesirs (genannt sadaret bzw. rikab-i hümayun kaymakamı). Wie der Großwesir selbst konnte dessen K. →Firmane ausstellen u. Würdenträger ernennen; sich in Angelegenheiten des Heeres im Operationsgebiet einmischen durfte er nicht. Die Notwendigkeit für einen K. ergab sich nur, wenn u. solange sich der Großwesir, etwa zu Feldzügen oder Jagdvergnügen, fern der Hauptstadt aufhielt. Selbst dann noch konnten zahlreiche Staatsgeschäfte auch im Feldlager in Anwesenheit des Großherrn erledigt werden. Erst als die Praxis der gemeinsamen Abwesenheit von Großwesir u. Sultan von der Reichshauptstadt gegen Ende des 16. Jh.s zunehmend unüblich wurde, setzte sich das Amt eines „K. von Istanbul“ durch. – Die Nebenresidenzen von Provinzstatthaltern konnten gleichfalls von einem K. im Rang eines Sancak Beyi verwaltet werden. Im Gefolge der frühen →Tanzimat-Reformen wurde der Titel K. zunächst für den obersten Verwaltungsbeamten eines →Sancak allgemein üblich, dann, seit der →Vilayets-Neuordnung ab 1864, für den Vorsteher eines →Kaza. Lit.: E. Kuran, Ḳāʼim-Maḳām, in: EI²; Th. Scheben, Verwaltungsreformen der frühen Tanzimatzeit. Gesetze, Maßnahmen, Auswirkungen. Frankfurt/M. 1988; H.-J. Kornrumpf, Die Territorialverwaltung im östlichen Teil der europäischen Türkei vom Erlaß der Vilayetsordnung (1864) bis zum Berliner Kongreß (1878). Freiburg/Br. 1976. M. U.
Kaiserreich von Nikäa. Größter der drei byz. Nachfolgestaaten nach Eroberung Konstantinopels durch die Kreuzfahrer u. Venedig (1204). Ein Schwiegersohn des byz. Kaisers Alexios III., Theodor I. Laskaris, floh v. Konstantinopel nach Nikäa/Nicaea (türk. İznik) in Bithynien (NW-Kleinasien), wo er 1206 den Kaisertitel annahm. Nikäa, bekannt durch die ökume-
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Kaiserreich von Nikäa / Kaiserreich von Trapezunt
nischen Konzile v. 325 u. 787, war auch Sitz des exilierten →Patriarchen v. Konstantinopel. Aufgrund seiner geogr. Nähe zur früheren Reichshauptstadt besaß das K.v.N., das sich über die früheren röm. Provinzen Bithynien u. Asia erstreckte u. schließlich auch das (latein.) Kgr. Thessaloniki (→Lateinerherrschaft) unter seine Gewalt brachte, günstigere Voraussetzungen für die Wiederherstellung v. Byzanz als die beiden anderen Nachfolgestaaten, das →Kaiserreich v. Trapezunt u. das Despotat v. →Epirus. Der 1259 zum Mitkaiser gekrönte Michael VIII. Palaiologos (→Paläologen) ging 1260 zum Angriff auf das →Lateinische Kaiserreich u. Konstantinopel über, das er im folgenden Jahr einnehmen konnte. Kurz darauf wurde er zum Ks. des wiederhergestellten byz. Reichs gekrönt, das aber nur noch einen Schatten seiner früheren Größe darstellte. Nikäa wurde 1331 v. den Osmanen erobert. Lit.: Ē. Giarenēs, Hē synkrotēsē kai hē hedraiōsē tēs autokratorias tēs Nikaias. Ho autokratoras Theodōros I. Komnēnos Laskaris. Establishment and consolidation of the empire of Nicaea. Athen 2008; M. Angold, A Byzantine government in exile. Government and society under the Laskarids of Nicaea (1204–1261). London 1975; A.M. Schneider, Die römischen u. byzantinischen Denkmäler von İznik-Nicaea. Berlin 1943. H. S.
Kaiserreich von Trapezunt (gr. Basileion tēs Trapezuntas): Neben dem →Kaiserreich v. Nikäa u. dem Despotat v. →Epirus einer der byz. Nachfolgestaaten nach der Eroberung Konstantinopels durch die Kreuzfahrer u. Venedig (1204) (→Kreuzzüge) u. Gründung des →Latein. Kaiserreichs. Hauptstadt des neuen Staates war Trapezunt (türk. Trabzon), die östliche Hafenstadt an der Südküste des Schwarzen Meers, eine wichtige Handelsstation an der ma. Seidenstraße. Die beiden Enkel des Ks.s Andronikos I. aus der Dynastie der →Komnenen, Alexios u. David Komnenos, richteten dort ihre Herrschaft mit Unterstützung der Königin Thamar v. Georgien ein. Alexios I. wurde 1204 Kaiser v. Trapezunt, sein jüngerer Bruder David versuchte, das Reich nach W auszudehnen, scheiterte aber in Westkleinasien am →Kaiserreich Nikäa. Seit 1204 besaßen die Genuesen eine Kolonie in Trapezunt u. 1319 gründeten die Venezianer eine Handelsniederlassung. Als Knotenpunkt der Handelsrouten in den Mittelmeerraum, nach Russland u. in den Mittleren Osten erlebte Trapezunt nach dem Einfall der →Mongolen Mitte des 13. Jh.s eine Blütezeit. Trotz äußerer Bedrohungen, inneren Intrigen u. häufiger Herrscherwechsel konnte die Hauptstadt Trapezunt ihre Bedeutung als wichtiger Umschlagplatz bis ins 15. Jh. hinein behaupten u. entwickelte sich zu einem Zentrum spätbyz. Kultur. Nach der Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen konnte sich das K.v.T. noch acht Jahre behaupten. 1461 wurde es v. Mehmed II. erobert. Der letzte Ks., David Komnenos, wurde nach Konstantinopel gebracht u. dort Ende 1463 erdrosselt. Den wohlhabenden Teil der Bev. v. Trapezunt ließ der Sultan nach Konstantinopel umsiedeln, andere gerieten in →Sklaverei oder wurden den →Janitscharen zugeteilt.
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Lit.: H.W. Lowry, The islamization & turkification of the city of Trabzon (Trebizond), 1461–1583. Istanbul 2009; S.P. Karpov, Istorija Trapezundskoj imperii. Sankt-Peterburg 2007; İ. Karagöz, Grek, Bizans ve eski türk kaynaklarına göre Trabzon yer adları (köken ve anlamlar). Ankara 2004;
Kalter Krieg
K.-P. Todt, Das Griechentum im Pontos u. das Kaiserreich von Trapezunt, Hellenika (1985), 152–180; A. Bryer, The Empire of Trebizond and the Pontos. London 1980; O. Retowski, Die Münzen der Komnenen von Trapezunt. Braunschweig 1974; J.Ph. Fallmerayer, Geschichte des Kaiserthums von Trapezunt. 1827 (Neuaufl. 1964, 1980; gr. Übers.: Historia tēs Autokratorias tēs Trapezuntas. Thessalonike 32003). H. S.
Kalter Krieg. Vom Journalisten Herbert Bayard Swope vorgeschlagener, durch den Politiker Bernard Baruch im April 1947 öffentlich eingeführter u. v. Publizisten Walter Lippmann popularisierter Begriff zur Kennzeichnung eines zw. Krieg u. Frieden befindlichen Zustands der scharfen, wenn auch nicht mit kriegerischen Mitteln (also nicht in einem „Heißen Krieg“) ausgetragenen Konfrontation der beiden nach dem 2. Wk. dominierenden Mächte USA (→Vereinigte Staaten v. Amerika) u. UdSSR (→Russland, Sowjetunion) bzw. der von ihnen repräsentierten Systeme u. geführten Blöcke. So geläufig der Begriff, so unterschiedlich die Auffassungen über Charakter, Ursachen u. Dauer des K. K.s. In den vorherrschenden Denkrichtungen war er entweder v. a. eine machtpol. Auseinandersetzung, die von 1945 (bzw. 1947) bis zum Herbst 1990 (Vereinigung Deutschlands bzw. KSZE-Gipfel in Paris) dauerte, oder in erster Linie der pol.-ideolog. Aufeinanderprall der Systeme, der mit entsprechender Rückwirkung auf den Zeitraum von der Oktoberrevolution 1917 bis zur Auflösung der UdSSR im Dezember 1991 datiert wurde. Einige Autoren im Westen machten neben den ideolog. Trennlinien einen soziokult. Graben zw. Ost u. West aus u. sprachen deswegen dem Konflikt eine noch viel tiefere u. dauerhaftere Dimension zu. Urteilt man nach dem Bewusstsein u. der Begrifflichkeit der Zeitgenossen, so ist der Kernzeitraum des K. K.s von 1947 bis kurz nach Beendigung der Kuba-Krise von 1962 anzusetzen. Als Ordnungsrahmen der internat. Politik enthielt der Kalte Krieg sowohl trad. Züge wie auch neue Elemente u. Dimensionen. Zu den erstgenannten zählten typische Faktoren der Mächterivalität (Wettrüsten; Suche nach Verbündeten; Bildung von Bündnissen u. Koalitionen; Schaffung – u. Duldung – von Einflusssphären; ein kontrollierter Interventionismus; dialektisches Verhältnis von Zuständen u. Phasen der Spannung u. solchen der Entspannung). Auch der Gegensatz von Ideologien u. Gesellschaftssystemen war, wenngleich nicht typisch, keineswegs ein Novum in der europ. u. der Weltpolitik. Neu waren die bipolare Ordnungsstruktur, die dazu analoge Blockbildung in Europa sowie das unblutige Ende dieser hist. Periode, die nicht, wie seit 1815 üblich, erst im Gefolge eines Krieges einer Neuordnung Platz machte, sondern durch die Abdankung einer Macht u. der von ihr geführten Allianz dahinschied. Es gehörte im übrigen zu den eigentümlichen wie kennzeichnenden Merkmalen des K. K.s, dass ein veritabler Krieg zw. den Hauptkontrahenten während der gesamten Periode zwar einige Male bedrohlich nahe schien, aber niemals stattgefunden hat. In dieser Hinsicht hielten sich die Hauptrivalen mit einer wirksamen atomaren Abschreckung gegenseitig in Schach. Als globale machtpol. Auseinandersetzung nahm der K. K. seinen Ausgang in der Rivalität um Europa. Die – v. a. in der Deutschland-Frage u. der Osteuropapolitik – in der Endphase des 2. →Wk.s deutlich zutage getretenen Differenzen unter den „Großen Drei“
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Kalter Krieg
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der Anti-Hitler-Koalition verdichteten sich in den beiden ersten Nachkriegsjahren zusehends häufiger u. systematischer zu einer globalen Frontenstellung zw. den USA (mit Großbritannien an der Seite) u. der UdSSR. In einem fließenden Übergang vollzog sich innerhalb des Verhältnisses von Kooperation u. Konflikt eine spürbare Verschiebung zugunsten der konfrontativen Elemente. 1947 formulierten beide Seiten ihre strateg. u. pol.-ideolog. Grundpositionen, die über Jahrzehnte hinweg die Weltpolitik prägen sollten. Mit der im März verkündeten →Truman-Doktrin, die die Strategie der Eindämmung (containment) sowj. Macht von einer „Zwei-Lebensarten-Theorie“ her begründete, u. der Gründung des →Kominform im September, bei der Ždanov die „Zwei-Lager-Theorie“ präsentierte, setzten sich zwei Varianten dichotomistischer Weltsicht durch, die die ideolog. Basis für den Prozess der bipolaren Blockbildung lieferten. Diese verfestigte sich durch die Teilung Deutschlands u. dann v. a. durch die Bildung der von den Supermächten angeführten Allianzen, der Nato (gegründet 1949) u. des →Warschauer Pakts (WP, gegründet 1955), womit auch die Spaltung Europas fürs erste festgeschrieben wurde. Wenngleich Europa stets Kernstück u. prinzipielles Hauptkampffeld des K. K.s blieb, wirkte sich dieser von Beginn an auch in außereuropäischen Gebieten aus. Schon in den ersten Nachkriegsjahren waren einige asiatische Länder (China, Japan, Korea) von seinen Folgen betroffen, u. ab den 50er Jahren machte sich zusehends die Tendenz bemerkbar, dass er zahlreiche Konfliktherde in verschiedenen Teilen der Dritten Welt beeinflusste oder gar überlagerte. Dies galt namentlich für Asien, für den Nahen u. Mittleren Osten sowie für die Entwicklungen im Zuge der antikolonialen Revolutionen in Afrika, in etwas geringerem Maße auch für einige Konflikte in Mittel- u. Südamerika. Allerdings wäre es falsch, den K. K. allein unter dem Gesichtspunkt der Feindschaft u. der Spannungen darzustellen u. ihn damit auf eine – die konfrontative – Dimension zu reduzieren. Er generierte in der Tat zahlreiche Einzelfälle u. Perioden von Krisen u. Konflikten (wie etwa die beiden großen Berlin-Krisen 1948 u. 1958, die Kuba-Krise 1962, die heftigen Spannungen im Gefolge der arabisch-israelischen Kriege von 1967 u. 1973, die ebenfalls scharfe Konfrontation nach dem Einmarsch der UdSSR in Afghanistan im Dezember 1979), umfasste aber auch Zeiträume spürbarer Entspannung wie etwa in der ersten Phase nach Stalins Tod im Jahre 1953, in der Zeit unmittelbar nach Beilegung der Kuba-Krise, in der Ära der Entspannung Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre unter dem Eindruck der Nixon-Kissinger-Doktrin u. in der zweiten H. der 80er Jahre im Gefolge der Gorbačevschen Umgestaltung der UdSSR. Über die Ursachen, die zum K. K. führten, herrscht bis heute Dissens. In der westl. Forschung sind drei Denkrichtungen vorherrschend: die traditionelle, die revisionistische u. die post-revisionistische. Die trad. Auffassung, die in den 1950er Jahren eine dominierende Stellung einnahm (Autoren wie McNeill, Feis oder Fontaine), sah den Grund in der Ideologie, in dem System u. in der daraus resultierenden expansiven Machtpolitik der Sowjetunion. Die revisionistische, die in der 2. H. der 1960er Jahre stärkeren Einfluss gewann (Autoren wie Kolko, Alperowitz oder Paterson), schrieb die Verantwortlichkeit vor allem den soziopol. Strukturen u. dem ökon. Expansionismus der USA zu, wobei sie die Politik Stalins eher als defensiv-sicherheitsorientiert denn als der Weltrevolution verpflichtet interpretierte. Die postrevisionist. Richtung, die in den 1970er Jahren in den Vordergrund rückte (Autoren wie Yergin oder Gaddis), distanzierte sich von beiden Arten einseitiger Parteinahme u. Schuld-
Kalter Krieg
zuweisung u. sah die Entstehung des K. K.s nicht als Ergebnis der planmäßigen Ausführung fest umrissener Intentionen, sondern als Resultante der Interaktion unterschiedlicher Weltsichten u. wechselseitiger Fehlperzeptionen. In den 1990er Jahren näherten sich einige Autoren der postrevisionistischen Schule als Folge der Publikation bis dahin unbekannten Materials aus den einstmals sowj. Archiven zumindest in einigen Fragen der trad. Sichtweise an. SOE nahm zu Beginn des K. K.s eine große Rolle in den Beratungen u. Auseinandersetzungen der Mächte ein. Im Oktober 1944 noch hatte Churchill versucht, sich mit Stalin durch das berühmt gewordene Percentage agreement über eine Aufteilung der Einflusssphären in der Region zu einigen (2. →Wk.). Allerdings wurde bald nach der Konferenz von Jalta (Februar 1945) deutlich, dass die dort verabschiedete „Deklaration über das befreite Europa“ unterschiedlich interpretiert wurde, wobei die Entwicklungen in einigen soe. Staaten (Bulgarien, Rumänien, Ungarn) den Anlass für scharfe Konflikte zw. den USA u. der UdSSR lieferten. Auf der Konferenz von Potsdam (Juli u. August 1945) konnten sich die „Großen Drei“ über diese Fragen nicht einigen, so dass die Differenzen erstmals öffentlich sichtbar wurden. In der Folgezeit kamen weitere Konfliktherde in der Region hinzu: Jugoslawien suchte nach Kriegsende seine territorialen Ansprüche im Nordwesten u. namentlich auf Triest (→Triestfrage) durch eine offensive u. zuweilen offensiv antiwestl. Außenpolitik durchzusetzen u. scheute dabei nicht vor (kleineren) milit. Auseinandersetzungen mit Streitkräften der Westalliiierten zurück. Und in Griechenland kulminierten die starken inneren Konflikte im Dezember 1945 zum (bis Oktober 1949 andauernden) →Bürgerkrieg. Angesichts dieser Ansammlung von Spannungen in der Region war es kein Wunder, dass SOE den unmittelbaren Auslöser u. ersten Bezugspunkt der Truman-Doktrin, man kann sogar sagen: die erste Nahtstelle des global werdenden Ost-West-Konflikts bildete. Interessanterweise trat mit der generellen Festigung der bipolaren Konstellationen SOE dann weniger als Spannungsregion in Erscheinung. Hier wirkte sich der Umstand aus, dass →Jugoslawien seit dem →Kominformkonflikt 1948 u. →Albanien seit Beginn der 60er Jahre auf Distanz zur UdSSR gegangen waren u. →Rumänien seit Mitte der 60er Jahre eine eigenständigere Außenpolitik betrieb. Das allianzpolitisch bunte Bild in SOE mit zwei Nato-Mitgliedstaaten (Griechenland u. Türkei), drei WP-Mitgliedstaaten (Ungarn, Bulgarien u. das für die UdSSR nicht unbedingt verlässliche Rumänien) u. zwei blockungebundenen Staaten (Jugoslawien u. Albanien) schuf eine gewisse Balance. Und es gehört zu den bemerkenswerten Umständen der Geschichte des K. K.s in SOE, dass der einzige handfeste Krieg in der Region in der Periode zw. 1949 u. 1991 nicht etwa ein Bürgerkrieg oder ein zwischenstaatlicher Krieg zw. Angehörigen unterschiedlicher Allianzen war, sondern der →Zypern-Krieg 1974 zw. der Türkei u. Griechenland. Lit. (a. →Russland, Sowjetunion; →Vereinigte Staaten v. Amerika): B. Stöver, Der Kalte Krieg. Geschichte eines radikalen Zeitalters, 1947–1991. München 22011; The Balkans in the Cold War. Balkan federations, Cominform, Yugoslav-Soviet conflict. Hg. V.G. Pavlović. Belgrade 2011; The Cambridge History of the Cold War. Hgg. M.P. Leffler/O.A. Westad. 3 Bde. Cambridge 2010; The Encyclopedia of the Cold War. A political, social, and military history. Hg. Sp. C. Tucker. 5 Bde. Santa Barbara/Calif. u. a. 2008; Lj. Dimić, Jugoslavija u Hladnom ratu. Beograd 2008; J.L.
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Kantakuzenen
Gaddis, Der Kalte Krieg. Eine neue Geschichte. München 2007; E. Hatzivassiliou, Greece and the Cold War. Frontline state, 1952–1967. London u. a. 2006; W. Loth, Die Teilung der Welt. Geschichte des Kalten Krieges 1941–1955. Erw. Neuausg. München 2000; L.M. Lees, Keeping Tito Afloat: The United States, Yugoslavia and the Cold War. University Park/Pa. 1997; Th.S. Arms, Encyclopedia of the Cold War. New York 1994; B. Heuser, Western “Containment” Policies in the Cold War: The Yugoslav Case, 1948–53. London 1989; D. Bekić, Jugoslavija u Hladnom ratu. Odnosi s velikim silama 1949–1955. Zagreb 1988; D. Yergin, Shattered Peace. The Origins of the Cold War and the National Security State. Boston 1977; The Origins of the Cold War. Hg. Th.G. Paterson. Lexington u. a. 21974; ders., Soviet-American Confrontation. Postwar Reconstruction and the Origins of the Cold War. Baltimore u. a. 1973; J. u. G. Kolko, The Limits of Power. The World and United States Foreign Policy, 1945–1954. New York u. a. 1972; G. Kolko, The Politics of War. The World and United States Foreign Policy, 1943–1945. New York 1968. M. H.
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Kantakuzenen. Aristokratische Familie byz. Herkunft, deren Name wahrscheinlich v. dem Ort Kuzenas bei Smyrna abgeleitet ist. Der erste bekannte Kantakuzene war der im Kampf gegen →Kumanen u. Normannen erfolgreiche Heerführer Alexios I. (1081–1118). Vor 1170 heiratete Johannes K. Eirene Angelinē, die Schwester Isaaks II., der ihn 1185 zum kaisar erhob. Schon vor 1204 besaßen die K. Großgrundbesitz auf der Peloponnes, wo zwei K. 1262 u. 1286–1294 als Militärgouverneure tätig waren. Im 13. u. 14. Jh. waren die K. v. a. in Thrakien u. Makedonien bei Serres begütert. Bedeutendster Vertreter der Familie war der vielseitige Johannes K. (ca. 1295–1383), der zunächst als megas domestikos die Politik Andronikos’ III. Palaiologos (1328–1341) mitbestimmte u. in einem verheerenden Bürgerkrieg (1341–1347) seine Anerkennung als Regent für Johannes V. Palaiologos (1341–1391) u. zeitweiliger Hauptkaiser (1347–1354) erkämpfen musste. Nach Abdankung (Anfang Dez. 1354) u. Rückzug ins Kloster verfasste er ein bedeutendes Geschichtswerk u. theol. Streitschriften zur Verteidigung des Palamismus sowie gegen Juden u. Muslime. Sein im April 1353 zum Mitkaiser erhobener ältester Sohn Matthaios musste 1357 in Epibatai auf den Kaisertitel verzichten. Der jüngere Manuel K. regierte v. 1349–1380 als despotes (→Despoten) den byz. Teil der →Peloponnes. Johannes K.s Töchter Helēnē, Theodōra u. Maria waren mit Johannes V. Palaiologos (→Paläologen), dem osm. Sultan Orhan u. Nikephoros II. v. →Epirus verheiratet. Am 26.12.1414 heiratete Eirene K., eine Enkelin des Matthaios, Georg Branković, der 1427 Despot v. Serbien wurde u. Eirenes Vater u. ihre Brüder nach Serbien holte. Eirenes Onkel Andronikos K. nahm als letzter megas domestikos an der Verteidigung Konstantinopels teil u. wurde Anfang Juni 1453 v. den Türken hingerichtet. Sein Sohn Michael Kantakuzenos, der am 22.6.1522 in Konstantinopel starb, ist das Bindeglied zw. den byz. u. den rum. K., die v. seinem Urenkel Andronikos K. (1553–1601), einem Mitstreiter Michaels des Tapferen u. Sohn des am 3.3.1578 in Anchialos hingerichteten Finanzmagnaten Michael Kantakuzenos Şaitanoğlu, abstammen. Andronikos Enkel Şerban Cantacuzino (1634–1688) nahm als Fürst der →Walachei (1678–1688) an der osm. Belagerung Wiens teil u. suchte im Herbst 1688 ein Bündnis mit dem Kaiser. Sein Neffe Stephan C. regierte ab 1714 die Walachei, wurde aber im Juni 1716 mit seinem Vater u. anderen Fami-
Kantakuzenen / Kanun
lienangehörigen wegen Konspiration mit den Österreichern in Konstantinopel hingerichtet. Trotzdem spielten die K. als Politiker, Unternehmer u. Generäle im 19. u. 20. Jh. in der Geschichte Rumäniens u. Russlands (dort seit 1774) eine wichtige Rolle. Quellen: J. Kantakuzenos, Christentum u. Islam. Apologetische u. polemische Schriften. Hg. K. Förstel. Altenberge 2005 [gr. u. dt.]; Johannes Kantakuzenos, Geschichte. Hgg., übers. G. Fatouros/T. Krischer, 3 Bde. Stuttgart 1982, 1986, 2011. Lit.: D. Nicol, The Reluctant Emperor. A Biography of John Cantacuzene, c. 1295–1383. Cambridge 1996; ders., The Byzantine Family of Kantakouzenos 45 (Cantacuzenus) ca. 1100–1460. Washington D.C. 1968; J.M. Cantacuzène, Mille ans dans les Balkans. Chronique des Cantacuzènes dans la tourmente des siècles. Paris 1992; K.-P. Todt, Kaiser Johannes VI. Kantakuzenos u. der Islam. Würzburg u. a. 1991; E. Trapp (mit R. Walther/H.-V. Beyer), Prosopographisches Lexikon der Palaiologenzeit. Fasz. 5 Wien 1981, 86–98. K.-P. T.
Kanun (arab. qānūn, v. gr. kanón „Maß, Steuermaß, Steuer“). In den osm. Quellen wird der Begriff K. verwandt für (1) rechtliche Vorschriften allgemein, einschließlich die des relig. Gesetzes (→Scharia); (2) eine einzelne Bestimmung des weltlichen Gesetzes, oft Fragen des Steuerwesens betreffend, getroffen im Namen u. auf Veranlassung des →Sultans; (3) eine Sammlung solcher Bestimmungen u. Verfügungen, thematisch oder regional zusammengestellt u. gewöhnlich als Kanunname bezeichnet; (4) die Gesamtheit des weltlichen im Gegensatz zum relig. Gesetz. Synonym hierzu findet sich die Bezeichnung örf „Gewohnheit“, was häufig spezifischer als „Gewohnheitsrecht“ (a. →Kanun des Leka Dukagjin) zu lesen ist. In der Theorie kam K. allein die Aufgabe zu, die →Scharia zu erläutern u. – wo nötig – zu ergänzen. Doch in der Praxis enthält der K. Rechtsbestimmungen u. sultanische Anordnungen, die sich keineswegs auf die Scharia beziehen oder dieser gar widersprechen, so z. B. im Strafrecht, wo der K. gewöhnlich eine „mildere“ Strafe vorsieht als das relig. Gesetz. Die Bemühungen des berühmten Juristen u. →Schejch ül-Islam Ebüssuud Efendi (*1490 in İskilip; † 1574) um die Aussöhnung zw. Scharia u. K. gipfelten in dessen Formulierung, es könne keinen Sultansbefehl geben, der nach der Scharia ungesetzlich wäre. Quellen u. Lit.: Y.L. de Bellefonds/C. Cahen/H. İnalcık, Ḳānūn, in: EI²; H. İnalcık, Ḳānūnnāme, in: a. a. O.; C. Heywood, The Evolution of the Ottoman Provincial Law-Code (Sancak Kānūn-nāme): The Kānūn-nāme-i Livā-i Semendire (I), Turkish Studies Association Bulletin 15 (1991), 223–251; U. Heyd, Studies in Old Ottoman Criminal Law. Hg. V.L. Ménage. Oxford 1973; Kanuni i kanun-name za bosanski, hercegovački, kliški, crnogorski i skadarski sandžak. Bearb. B. Djurdjev u. a. Sarajevo 1957; Sultanische Urkunden zur Geschichte der osmanischen Wirtschaft u. Staatsverwaltung am Ausgang der Herrschaft Mehmeds II., des Eroberers. 1: Das Qânûn-nâme-i sultânî ber mûdscheb-i ‚örf-i ‚osmânî (Handschrift ancien fonds turc 39 der Bibliothèque Nationale zu Paris). Hg. F. Babinger. München 1956. M. U. 461
Kanun des Leka Dukagjin
Kanun des Leka Dukagjin (alb. Kanuni i Lekë Dukagjinit = „Gesetz v. Lekë Dukagjin“). Mündlich überliefertes alb. Gewohnheitsrecht, benannt nach Lekë (Alexander) Dukagjin (†nach 1479), einem lokalen adeligen Herrscher in Nordalbanien. Neben dem Kanun der Labëria u. dem Kanun Skanderbegs ist der KLD eines der wichtigsten Gewohnheitsrechte der Albaner. Er galt (u. gilt teilweise noch) im nordalb. Bergland (Dukagjin, Malësia e Lezhës, Mirdita, Shala, Shoshi) sowie in Teilen v. →Kosovo. Gesammelt u. aufgezeichnet wurde das Gewohnheitsrecht 1898–1928 v. dem kosovarischen Franziskaner Shtjefën Gjeçovi (1873–1929), nach dessen jugoslawischerseits pol. motivierter Ermordung es 1933 erstmals vollständig veröffentlicht wurde. Gjeçovi unterteilte seine Sammlung in 12 Bücher (Kirche, Familie, Heirat, Haus u. Hausrat, Arbeit, Darlehen u. Schenkungen, das gegebene Wort (besa), Ehre (hier auch Gastrecht, Verwandtschaft), Sachschäden, Verbrechen, Recht der Ältesten, Befreiungen u. Privilegien) u., unabhängig davon, in 24 Kapitel, 159 Artikel u. 1263 Paragraphen. Der KLD spiegelt die ges. u. Rechtsverhältnisse in den patriarchalisch bestimmten Stammesgebieten Nordalbaniens wider (→Patriarchalismus; →Stamm, Stammesges.). Verhängnisvolle Auswirkungen hatte besonders die durch den KLD legitimierte Institution der →Blutrache u. die untergeordnete Stellung der →Frau, der im KLD der Status einer eigenen Rechtsperson verweigert wurde. Das KLD wurde während der Osmanenzeit u. in Ausnahmefällen auch noch unter Kg. Zogu während der Zwischenkriegszeit in der lokalen Rechtsprechung berücksichtigt. Unter Enver Hoxha wurde es nach 1945 als Relikt einer überholten Gesellschaftsordnung bekämpft, scheint aber das komm. Regime in Teilen überlebt zu haben. Varianten des KLD sind der „Kanuni i Maleve“ (Gesetz der Berge), gültig in der Malësia e Madhe u. bei einigen nordalb. Bergstämmen, der „Kanuni i Skanderbegut“ (Gesetz Skanderbegs), verbreitet in Dibra, Mati u. Kruja, sowie der „Kanuni e papa Zhulit“ (Gesetz des Popen Zhuli) in Südalbanien.
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Editionen des KLD u. anderer gewohnheitsrechtlicher Texte sowie Übersetzungen: Sh. Gjeçov, Kanuni i Lekë Dukagjinit. Shkodër 2010; Der Kanun. Das albanische Gewohnheitsrecht nach dem sogenannten Kanun des Lekë Dukagjini kodifiziert von Shtjefën Gjeçovi. Einführung M. Schmidt-Neke. Hg. R. Elsie. Pejë 2001 (enthält Wiederabdruck von: M.A. Freiin von Godin, Das albanische Gewohnheitsrecht, Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft 56 [1953], 1–46; 57 [1954], 5–73; 58 [1955/56], 121–198); Il Kanun di Lek Dukagjini. Le basi morali e giuridiche della società albanese. Übers. P. Dodaj. Lecce 1997; J.V. Ivanovna, Pamjatniki obyčnogo prava albancev osmanskogo vremeni. Moskva 1994; I. Elezi, E drejta zakonore e Labërisë në planin krahasuese. Tiranë 1994; F. Illia, Kanuni i Skanderbegut. Mbledhe e kodifikue nga Imzot Frano Illia Argjipeshkev Metropolit i Shkodrës. Shkodër 1993; Kanuni i Lekë Dukagjinit. The code of Lekë Dukagjini. Hg. L. Fox. New York 1989; Sh. Gjeçov, Kanuni i Lekë Dukagjinit. Tiranë 1989; Sh. Gjeçov, Kanuni i Lekë Dukagjinit. Hg. S. Pupovci. Prishtinë 1972; Studime e tekste. Studi e testi. I: Juridike. Giuridica. N. 1. Roma 1943; Sh. Gjeçov, Kanun i Lek Dukagjinit. Veper postume. Shkodër 1933. Lit.: D. Martucci, Die Gewohnheitsrechte der albanischen Berge. Die Kanune. Mit einem unedierten Manuskript über den Kanun der Mirdita. Hamburg 2013; N. Bardhoshi, Albanian communism and legal pluralism. The question of Kanun continuity, Ethnologia Balkanica 16 (2012), 107–125; I. Redi, Der Kanun in Albanien. Gewohnheitsrecht im modernen Staat? Wien 2011; M.
Kapitalismus
Reinkowski, Gewohnheitsrecht im multinationalen Staat: Die Osmanen u. der albanische Kanun, in: Rechtspluralismus in der islamischen Welt. Gewohnheitsrecht zwischen Staat u. Gesellschaft. Hgg. M. Kemper/M. Reinkowski. Berlin u. a. 2005, 121–142; I. Elezi, E drejta zakonore penale e shqiptarëve dhe lufta për zhdukjen e mbeturinave të saj në Shqipëri. Tiranë 1983; La legge delle montagne albanesi nelle relazioni della missione volante 1880–1932. Hg. G. Valentini. Firenze 1969; S. Pupovci, Gradjanskopravni odnosi u Zakoniku Lekë Dukadjinija. Priština 1968; M. Hasluck, The Unwritten Law in Albania. Cambridge 1954; G. Valentini, La famiglia nel diritto tradizionale albanese. Roma 1945; S. Villari, Le consuetudini giuridiche dell’Albania. Il Kanun di Lek Dukagjin. Roma 1940. P. B.
Kapitalismus. Eine im 19. Jh. (in Anlehnung an u. in Auseinandersetzung mit Karl Marx) aufgekommene Bez. für ein Wirtschaftssystem, das auf der kapitalmäßigen Verwertung v. Geld, auf Privateigentum an den Produktionsmitteln, auf der Trennung v. Kapitalbesitzern u. Arbeitern sowie auf Gewinnstreben, Risiko u. Eigenverantwortung der Unternehmer beruht u. in dem Produktion, Distribution u. Konsum über den Markt gesteuert werden. Die Frage, unter welchen Bedingungen v. der Existenz eines kap. Systems gesprochen werden kann, wird sehr unterschiedlich beantwortet. Die Schwierigkeiten resultieren v. a. aus der Tatsache, dass es Merkmale gibt, die kap. wie vor- oder nichtkap. Systemen gemeinsam sein können (wie z. B. Geldwirtschaft oder die Existenz einer professionellen Händlerschicht). In der wirtschaftshist. Literatur zu SOE (in der marxist. wie nichtmarxist. Literatur gleichermaßen) besteht die Tendenz, die Anfänge des K. möglichst weit in das 19. Jh. (mitunter sogar in die letzten Jahrzehnte des 18. Jh.s) zurückzudatieren. Weitgehende Übereinstimmung besteht darüber, dass der K. nach Aufhebung der feudalen Barrieren auf dem Lande →Bauernbefreiung, →Revolution v. 1848/49) oder nach Befreiung v. der osm. Herrschaft (→Befreiungskriege) zum dominanten Wirtschafts- u. Gesellschaftssystem in SOE geworden sei. Zur Begründung wird auf die Ausbreitung des Handels u. der Geldwirtschaft, die fortschreitende soz. Differenzierung u. die Anfänge der →Industrialisierung verwiesen. Der primären Kapitalakkumulation auf dem Lande (Marx) wird häufig eine Initialzündung zugewiesen, selbst für jene Regionen, in denen ein nennenswerter, nach kap. Prinzipien betriebener Großgrundbesitz nicht existierte (wie etwa im postosm. Serbien oder Bulgarien). Beschränkt man den Begriff „K.“ auf jene Systeme, in denen kap. Merkmale als strukturprägende Massenerscheinung nachweisbar sind, ergibt sich für große Teile SOEs ein abweichender Befund. Angesichts der Tatsache, dass noch in der Zwischenkriegszeit rd. drei Viertel der Bev. auf dem Balkan v. der Landwirtschaft lebten u. dass sich die Mehrheit der →Bauern an einer nichtkap. Wirtschaftsweise orientierte, wird man in Anlehnung an Werner Sombart allenfalls v. einer frühkap. Entwicklungsphase vor dem 2. Wk. sprechen können. Mit „Frühkapitalismus“ ist das Nebeneinander von kap. u. vorkap. Produktionsweisen u. Wirtschaftsgesinnungen gemeint. Das Wirtschaftsverhalten der freien bäuerlichen Familienbetriebe auf dem Balkan vor 1945 entsprach weitgehend den empirischen Befunden, die den russ. Agrarwissenschaftler Aleksandr Čajanov zur Entwicklung seiner „Theorie der nichtkap. Wirtschaftssysteme“ veranlassten. Gemäß Čajanovs Beobachtungen orientiert
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Kapitalismus / Kapitalistisches Weltsystem (Frühe Neuzeit)
sich die Steuerung des Arbeitsaufwandes in trad. bäuerlichen Familienbetrieben am jeweiligen Bedarf, der durch die Normen der soz. Umgebung vorgegeben wird, u. nicht an kap. oder betriebswirt. Rentabilitätserwägungen. Der jährliche Arbeitsertrag der Familie wird bestimmt durch das „Gleichgewicht zw. der Beschwerlichkeit der Arbeit u. dem Maß der Bedürfnisbefriedigung“. Kap. Erwerbsstreben ist diesen Betrieben fremd. Wo sich die Mehrheit der Bev. den „Gesetzen des Marktes“ entzieht u. die Entwicklung der nichtagrarischen Sektoren über bescheidene Anfänge nicht hinausgelangt ist, wird man v. einem kap. System schwerlich sprechen können. Mit anderen Worten: Vor Etablierung des →Sozialismus hat es in SOE (mit Ausnahme Ungarns u. einiger Modernisierungsenklaven) keinen ausgeformten K. gegeben. Die private inländische Kapitalbildung blieb schwach, die Zahl der Unternehmer klein; die Kapitalakkumulation auf dem Lande wurde durch die →Bodenreformen zurückgeworfen. Die Bedeutung des staatlichen Sektors nahm nach 1918 u. verstärkt nach Ausbruch der →Weltwirtschaftskrise ständig zu u. zog der weiteren Ausbreitung kap. Elemente enge Grenzen. Mit der Etablierung sozialist. Systeme nach dem 2. Wk. (→Sozialismus) wurde der K. eliminiert u. konnte sich erst während der Transformationsphase nach dem Umbruch v. 1989, belastet durch einen Prozess der De-Industrialisierung, die Vernichtung industr. Arbeitsplätze u. durch viele mehr oder minder illegale Privatisierungen, einen (entfesselten) Neuanfang starten. Lit.: South-Eastern European Monetary and Economic Statistics from the Nineteenth Century to World War II. Athens, Sofia, Bucharest, Vienna 2014; L. Cernat, Europeanization, varieties of capitalism and economic performance in Central and Eastern Europe. Basingstoke, Hampshire u. a. 2006; „Durch Arbeit, Besitz, Wissen u. Gerechtigkeit“. Hgg. H. Stekl u. a. Wien, Köln, Weimar 1992; A. Tsaklidis, Die Entstehung der Warenproduktion unter den Bedingungen der gescheiterten Konsolidierung des bürgerlichen Nationalstaats. Zu den Besonderheiten der kapitalistischen Entwicklung Griechenlands seit der Staatsgründung. Oldenburg 1985; I. Karaman, Problemi ekonomskog razvitka hrvatskih zemalja u doba oblikovanja gradjansko-kapitalističkog društva do prvog svjetskog rata, in: Društveni razvoj u Hrvatskoj (od 16. stoljeća do početka 20. stoljeća). Hg. M. Gross. Zagreb 1981, 307–342; N.P. Mouzelis, Capitalism and the Development of the Greek State, in: The State in Western Europe. Hg. R. Scase. London 1978, 241–273; M. Nikolinakos, Materialien zur kapitalistischen Entwicklung in Griechenland (1. Teil), Das Argument 57 (1970), 164–215; K. Kosev, Za kapitalističeskoto razvitie na bălgarskite zemi prez 60-te i 70-te godini na XIX vek. Sofija 1968; R. Bićanić, Počeci kapitalizma u hrvatskoj ekonomici i politici. Zagreb 1952; P. Ercuţă, Die Genesis des modernen Kapitalismus in Rumänien. Diss. Berlin 1940; A. Čajanov, Zur Frage einer Theorie der nichtkapitalistischen Wirtschaftssysteme, Archiv für Sozialwissenschaft u. Sozialpolitik 51 (1924), 577–613; W. Sombart, Der moderne Kapitalismus. Historisch-systematische Darstellung des gesamteuropäischen Wirtschaftslebens von seinen Anfängen bis zur Gegenwart. 2 Bde. München u. a. 21916. H. S.
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Kapitalistisches Weltsystem (Frühe Neuzeit). Die folgenreichen Veränderungen zu Beginn der FNZ: die Entdeckung u. Erschließung der Neuen Welt, die Innovationen in der
Kapitalistisches Weltsystem (Frühe Neuzeit)
Transporttechnologie u. der dadurch ermöglichte Welthandel „neuen Typs“ (expandierender Fernhandel mit Massenkonsumgütern), die Einfuhr von Edelmetallen aus den überseeischen Kolonien sowie die „Preisrevolution“ des 16. Jh.s u. ihre konjunkturellen Ausstrahlungen leiteten eine Wende in der europ. Wirtschafts- u. Sozialgeschichte ein. Dies sei der Beginn des „modernen Weltsystems“ gewesen, „das sich im 16. Jh. als europazentrierte Weltwirtschaft herausbildete“. So lautet die Ausgangsthese des v. Immanuel Wallerstein entwickelten „Weltsystem“-Konzepts. Dieses System sei seit dem 16. Jh. in Zyklen von Expansion u. Kontraktion gewachsen, „u. zwar in geograph. Hinsicht [...], im Hinblick auf seine Produktionskapazität [...], bezüglich seiner Integration als Ganzes [...] u. der Durchdringung u. Organisierung der ges. Verhältnisse“. Insges. wirke das System „räumlich“ als „allgegenwärtige Trennung“ in Zentren u. Peripherien, „verbunden u. reproduziert durch Prozesse der Kapitalakkumulation u. des ungleichen Tauschs“. Das Verhältnis Zentrum – Peripherie ist für das „Weltsystem“-Konzept zentral, insofern „es die eine, allumfassende Arbeitsteilung bezeichnet, welche die Weltökonomie in ihren aufeinander folgenden Entwicklungsphasen bestimmt u. begrenzt. ‚Zentrum-Peripherie‘ u. ‚Peripherie-Zentrum‘ bilden u. entwickeln sich stets u. ausschließlich im Verhältnis zueinander, per definitionem.“ Während die Zentren durch die zahlreichen Beziehungsstränge charakterisiert werden, die von ihnen ausgehen u. zu ihnen hinführen, sind die v. den Peripherien ausgehenden u. zu ihnen hinführenden Beziehungen quantitativ gering u. legen sie darauf fest, „Austragungsort für Aktivitäten des Weltsystems zu sein“. Die Spezialisierung der einen Region habe die mehr od. minder zwangsläufige Spezialisierung der anderen Region zur Folge. Oder anders ausgedrückt: Die Zentren zwingen den Ländern der Peripherie mittels Arbeitsteilung u. ungleichen Tauschs Produktionsstrukturen auf, die letzteren eine autonome Entwicklung versperren u. sie funktional dem Reproduktionsprozess der Metropolen zuordnen. Im Zuge u. als Folge dieses Prozesses werden die Metropolen immer reicher, die Peripherien immer ärmer. Während Nordwest- u. Westeuropa während des 16. Jh.s ins ökonomische u. pol. Zentrum des neuen Weltmarkts rückten, weil hier das Handelskapital zuerst eine intensive proto-industrielle Anlage fand u. der Markt sowohl entpolitisiert wie herrschaftlich gesichert werden konnte, rückten Ostmitteleuropa u. die Kolonialländer in Amerika an die Peripherie des „modernen Weltsystems“. Der Mittelmeerraum, der lange Zeit das Zentrum des „Welthandels“ gewesen war, verlor im Zuge des neuen Globalisierungsschubs mehr u. mehr an Bedeutung. Für das 16. Jh. unterteilt Wallerstein die Welt in vier große Regionen: 1. die frühkapitalist. Kernstaaten an der westeurop. Atlantikküste, 2. die durch eine „wirtschaftl. Zwischenstellung“ charakterisierte Semiperipherie von Spanien bis Westdeutschland, 3. die durch ungleichen Tausch ausgebeutete u. in ihren wirt. u. soz. Strukturen auf den Kern bezogene Peripherie von Ostmitteleuropa bis zu den amerikanischen Kolonien u. 4. den großen Block „externer“ Gebiete vom Moskauer Reich über das Osm. Imperium bis Ostasien. Die Kriterien, nach denen „externe“ Regionen u. „periphere“ Gebiete voneinander zu trennen sind, erscheinen weder theoretisch noch empirisch völlig geklärt. Für Wallerstein war der Handel mit weltwirtschaftl. Bedarfsgütern (essentials) für die Zuordnung zum Weltsystem ausschlaggebend. Daher hat er den Ostseeraum als Getreidekammer Westeuropas in das frühneuzeitliche Weltsystem einbezogen, Russland u. das Osm. Reich dagegen bis
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zum 18. Jh. als „externe“ Regionen ausgeklammert. Er bestreitet nicht, dass Wirtschaftsbeziehungen zw. externen Regionen u. Teilen des Weltsystems bestanden, aber diese hätten in Quantität u. Qualität einen anderen Charakter gehabt als die Austauschbeziehungen innerhalb des Weltsystems (zw. Zentren, Semiperipherien u. Peripherien). Immerhin aber hätten die Wirtschaftsbeziehungen des Osm. Reiches u. Russlands zu den Zentren des Weltsystems ausgereicht, um beide Imperien der latenten Gefahr der „Peripherisierung“ auszuliefern. Verschiedene Anhänger Wallersteins gehen deutlich weiter, indem sie das Osm. Reich schon im 16. Jh. als Peripherie des kapitalist. Weltsystems (u. nicht mehr als Region außerhalb des Systems) betrachten. Wie der Prozess der „Peripherisierung“ ausgesehen haben könnte, hat der türk. Wirtschaftshistoriker Ömer Lutfi Barkan – allerdings ohne Bezug auf Wallersteins Konzept – in einem 1975 veröffentlichten Aufsatz dargestellt. Seiner Meinung nach habe die vom atlantischen Wirtschaftsraum ausstrahlende Sogwirkung das auf Autarkie ausgerichtete Osm. Reich bereits im 16. Jh. voll erfasst. In seiner Abhandlung über die Preisrevolution im östl. Mittelmeerraum betont Barkan mit Nachdruck u. mehrfach, dass der Verfall der trad. osman. Wirtschafts- u. Sozialordnung das Ergebnis von Kräften gewesen sei, die sich außerhalb des Herrschaftsbereich der Pforte entwickelt u. schließlich das ökon. Gleichgewicht des Imperiums restlos zerstört hätten. Die rasch steigenden Preise für Grundnahrungsmittel im atlantischen Wirtschaftsraum sowie das Preisgefälle von W nach O hätten einen zunehmenden Export lebensnotwendiger Güter aus dem Osman. Reich zur Folge gehabt u. dort zu Verknappungen u. Preissprüngen geführt. Es sei unmöglich gewesen, den aus der Preisdifferenz resultierenden Güterabfluss mit den trad. Methoden der osman. Administration wirksam u. dauerhaft zu bekämpfen. Das Eindringen der „dominanten“ atlantischen Wirtschaft in die →Levante sei die unvermeidbare Konsequenz der Preisunterschiede zw. beiden Wirtschaftszonen gewesen. Die osmanische „Preisrevolution“ in der zweiten H. des 16. Jh.s erscheint in dieser Argumentation als das Produkt des zunehmenden Kontakts mit der „atlantischen Ökonomie“ bzw. als Folge einer aus dem Westen „importierten“ Inflation. Zur gleichen Zeit, als das osman. Preissystem Schritt für Schritt den destabilisierenden Einflüssen der „dominanten Wirtschaft“ unterlag, hätten sich auch die Rahmenbedingungen für das einheimische Gewerbe, teils als Folge des Ressourcenabflusses, teils – u. zwar zum größeren Teil – als Folge der atlantischen Exportoffensive mit Fertigprodukten verschlechtert. Barkan verweist in diesem Zusammenhang – pars pro toto – auf den Niedergang der Seidenindustrie in Bursa u. der Mohairindustrie in Ankara, ohne zu überprüfen, inwieweit diese Beispiele wirklich repräsentativ sind. Der neue europ. Außenhandel mit Fertigprodukten des Massenkonsums sei eine der Hauptursachen für die wirt. Stagnation im Osm. Reich seit dem 16. Jh. gewesen. Der Austausch zw. der Levante u. Europa habe „kolonialen“ Charakter angenommen u. der Türkei die Rolle eines Rohstofflieferanten im Austausch gegen europ. Fertigprodukte zugewiesen. Diese „asymetrischen“ Austauschbeziehungen u. die verheerenden Konsequenzen der Inflation im 16. Jh. hätten die osm. Staatsfinanzen u. damit den gesamten Verwaltungs- u. Militärapparat des Reiches zerrüttet u. jene Kette von wechselseitigen Verursachungen ausgelöst, die schließlich zum Kollaps der gesamten Staats- u. Gesellschaftsordnung führen sollte. Folgt man den Thesen Barkans, so war die „Deindustria-
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lisierung“ u. die ges. Rückentwicklung im Osm. Reich also weitgehend eine Folge der im 16. Jh. aus dem atlantischen Wirtschaftsraum (bzw. aus den Zentren des „kapital. Weltsystems“) eindringenden Störfaktoren. Hier ergeben sich nun eine Reihe von Fragen u. Widersprüchen. Stimmt man Wallerstein zu u. klammert man das Osm. Reich aus dem frühneuzeitlichen Weltsystem aus, so verliert Barkans Argumentation erheblich an Gewicht. Die Austauschbeziehungen zw. der Levante u. dem abendländischen Europa könnten dann kaum so intensiv gewesen sein, dass sie die osm. Wirtschafts- u. Sozialordnung in ihren Grundfesten hätten erschüttern können. Stimmt man dagegen Barkan zu, so besteht kein plausibler Grund, das Osm. Reich vom Weltsystem des 16.–18. Jh. abzukoppeln. Allerdings stellt sich dann die Frage, ob die Rolle des Außenhandels in der FNZ nicht generell überbewertet wird. Barkan sowie die Verfechter der „Kolonial“- bzw. „Peripherisierungsthese“ beziehen ihre Hauptargumente aus der Preisgeschichte u. den Austauschbeziehungen. Es ist unbestritten u. durch zahlreiche Einzeluntersuchungen belegt, dass ein Preisgefälle von W nach O tatsächlich existierte. Ob dies jedoch von vorneherein mit einseitigem Werttransfer oder ungleichem Tausch gleichgesetzt werden darf, erscheint fraglich. Der Export von Nahrungsmitteln hätte schließlich auch zu einer Quelle der Kapitalakkumulation u. der Investitionstätigkeit werden können. Dass dies offenbar nicht der Fall war, hat mit dem Außenhandel selbst nichts zu tun, sondern war eine Konsequenz der inneren Machtverhältnisse u. der damit verbundenen Einkommensdistribution. Die Ursachen der wirtschaftlich-sozialen „Devolution“ sind gewiss nicht in den Außenhandelserlösen, sondern in ihrer Distribution u. Verwendung zu suchen. Von „kolonialen“ Austauschbeziehungen könnte in diesem Zusammenhang nur dann gesprochen werden, wenn die Handelspartner die pol. u. wirt. Macht besessen hätten, die Distribution selbst zu steuern (wie in den tatsächlichen Kolonien). Dies war zu Beginn der FNZ im Osman. Reich aber mit Sicherheit nicht der Fall. Barkan übergeht diesen Gesichtspunkt u. konzentriert sich ausschließlich auf die angeblich exportbedingten Verknappungen u. Teuerungen bei Lebensmitteln. Die von ihm vorgelegten Indices zeigen, dass sich die Lebensmittelpreise in Istanbul zw. 1489 u. 1606 (also innerhalb von 117 Jahren) nominal um 531 %, real dagegen (d. h. berechnet in Silber) um 165 % erhöhten. Daraus ergibt sich eine durchschnittliche jährl. Teuerungsrate (bei einfacher Mittelung) von nominal 4,5 % bzw. real 1,4 %. Unter Berücksichtigung der Zinseszinsrechnung reduziert sich die nominale Steigerungsrate auf ca. 1,7 % pro Jahr. Ob diese Teuerung ausreicht, um von einer „Preisrevolution“ zu sprechen, sei dahingestellt. Barkan behauptet nun pauschal einen Zusammenhang von Außenhandel u. Inflation, versäumt jedoch, diesen Zusammenhang anhand konkreter Beispiele u. anhand seiner eigenen Preisindices zu untermauern. Ein Grund für dieses Versäumnis mag darin zu suchen sein, dass über den Gesamtumfang der osman. Getreideexporte keinerlei gesicherte Angaben existieren. Feststeht, dass das Osman. Reich seit 1555 wiederholt Ausfuhrverbote erließ. Die wiss. Diskussion konzentriert sich daher darauf, ob diese Verbote wirksam überwacht werden konnten bzw. wie umfangreich der illegale Handel war. Barkan selbst betont an einer Stelle die Bedeutung der Konterbande. Auch andere Autoren sprechen von einem illegalen Handel großen Stils in den Küstenregionen bzw. von „chronischer Konterbande“. Die Befunde sind
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allerdings keineswegs eindeutig. Weitgehende Übereinstimmung besteht jedoch darüber, dass die Konterbande im 17. Jh. (nach dem erneuerten Ausfuhrverbot in den →Kapitulationen von 1604) zugenommen habe. Die türk. Kollegen Islamoğlu u. Keyder behaupten, dass der Getreideschmuggel seit Ende des 16. Jh.s „an der Tagesordnung“ gewesen sei. Eine preistreibende Wirkung kann davon aber nicht ausgegangen sein, da der Preisindex nach Barkans Berechnungen in der ersten H. des 17. Jh.s einen ausgeprägten Abwärtstrend zeigt: Er fiel von 265 Punkten i.J. 1606 auf 184 Punkte nach der Jahrhundertmitte zurück! Kehren wir noch einmal ins 16. Jh. zurück. Der von einigen Autoren (darunter Fernand Braudel) konstatierte Höhepunkt der osman. Getreideexporte fiel in die Jahre 1548–63 (in die Regierungszeit Süleymans) u. stand im Zusammenhang mit den Missernten in Italien. Dieser Boom erfuhr durch das osman. Ausfuhrverbot von 1555 eine erste vorübergehende Unterbrechung. Der reale Preisindex für Lebensmittel in Istanbul lag in diesem Jahr um 35 Pkte. über dem Basiswert von 1489. Dies war alles andere als eine exzeptionelle Teuerung. In den folgenden Jahren stiegen die Lebensmittelpreise weiter an u. erreichten Mitte der 1580er Jahre ihren ersten Höhepunkt. Zu diesem Zeitpunkt war jedoch der Getreideexportboom aus dem Osm. Reich bereits zum Stillstand gekommen. Zur Erklärung der osm. Teuerungswelle in den 80er Jahren kommt der Außenhandel damit kaum in Frage. Mehrere Missernten u. der Krieg gegen Persien (1578–1590) dürften den Ausschlag unter den (kurzfristig) preistreibenden Faktoren gegeben haben. Gegen Ende des 16. Jh.s kletterten die Preise dann abermals steil in die Höhe u. erlangten kurz vor Abschluss des Friedens von →Zsitvatorok 1606 ihren absoluten Höchststand. Aber auch in diesem Fall dürften die Kriegsereignisse (der „15jährige Krieg“ mit Habsburg) u. die heftigen sozialrevolutionären Unruhen in Anatolien (der Celali-Aufstand seit 1596) weitaus gewichtiger als der Außenhandel gewesen sein. Nach Wiederherstellung des Friedens sanken denn auch die Lebensmittelpreise deutlich ab. Es scheint also, dass die Bedeutung des Außenhandels für die Inflation u. die einsetzende ökon. Regression im Osm. Reich v. Barkan (u. a.) weit überschätzt wurde, zumindest wenn man sich an das von Barkan vorgelegte Beweismaterial hält. Sein Index verdeutlicht einen säkularen Trend, der bereits Mitte des 15. Jh.s – also ein Jh. vor dem osm. Getreideexportboom u. vor dem Einströmen amerikanischer Edelmetalle ins östl. Mittelmeer – eingesetzt hatte. Es ist bemerkenswert, dass Barkan u. die Verfechter der „Kolonialthese“ den wirtschaftlichen Konsequenzen der Kriege u. der demograph. Entwicklung nur einen nachgeordneten Platz in ihrer preisgeschichtlichen Analyse einräumen. In einer Fußnote erklärt Barkan, dass es bislang unmöglich sei, eine direkte Verbindung zw. Bev.wachstum u. Preisbewegung herzustellen. Eine Begründung für diese Behauptung gibt er nicht. Sie überrascht umso mehr, als gerade Barkan in anderen Arbeiten wertvolles statist. Material über den Bev.zuwachs vorgelegt hat. Aus diesem Material geht deutlich hervor, dass die Zuwachsrate der Bev. im 16. Jh. in groben Zügen der realen Teuerungsrate bei Lebensmitteln entsprach. So wuchs die Bevölkerung in den 50 Jahren zw. 1520/35 u. 1570/80 in Anatolien um durchschnittlich 1,1 % pro Jahr, in Rumelien um 1,4 % u. in den 12 größten Städten des Imperiums (mit Ausnahme von Istanbul, Aleppo u. Damaskus) um 1,8 %, während die reale Teuerungsrate für Grundnahrungsmittel knapp 1,4 % erreichte! Diese Parallelität wird man schwerlich als Zufall in-
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terpretieren können. Es bleibt daher festzuhalten, dass die schweren wirt. Erschütterungen, die das Osman. Reich seit der zweiten H. des 16. Jh.s erfassten (u. nie wieder gänzlich losließen) aller Wahrscheinlichkeit nach nicht auf den ungleichen Tausch mit dem atlantischen Wirtschaftsraum (u. damit auf externe Faktoren), sondern auf interne Faktoren (Erosion der „klassischen“ osman. Strukturen) zurückzuführen sind. Lit.: L. Zündorf, Zur Aktualität von Immanuel Wallerstein: Einleitung in sein Werk. Wiesbaden 2010; I. Wallerstein, Das moderne Weltsystem. 4 Bde. Frankfurt/Main 1986–2012; K. Kaser, Die Peripherisierungstheorie, in: ders., Südosteuropäische Geschichte u. Geschichtswissenschaft. Eine Einführung. Wien, Köln 1990, 130–142; F. Braudel, Sozialgeschichte des 15. bis 18. Jh.s. Aufbruch zur Weltwirtschaft. Frankfurt/M. 1986; H. Sundhaussen, Die „Preisrevolution“ im Osmanischen Reich während der zweiten Hälfte des 16. Jh.s: „Importierte“ oder intern verursachte Inflation? (Zu einer These Ö.L. Barkans), SOF 42 (1983), 169–181; B. McGowan, Economic Life in Ottoman Europe. Taxation, trade and the struggle for land, 1600–1800. Cambridge u. a. 1981; H. Islamoğlu/Ç. Keyder, Ein Interpretationsrahmen für die Analyse des Osmanischen Reiches, in: Kapitalistische Weltökonomie. Kontroversen über ihren Ursprung u. ihre Entwicklungsdynamik. Hg. D. Senghaas. Frankfurt/M. 1979, 201–234; Ö.L. Barkan, The Price Revolution of the Sixteenth Century: A turning point in the economic history of the Near East, International Journal of Middle East Studies 6 (1975), 3–28. H. S.
Kapitulationen (osm. kapitülasyon; auch ahdnâme, v. arab. ʿahd ‚Versprechen, Wort‘ u. persisch nāme, ‚Brief, Schreiben‘). Der Begriff kommt von den nach Kapiteln (capitule) abgefassten Texten. Er bezeichnet Zugeständnisse („Privilegien“, arab. imtiyāzāt) isl. Herrscher, womit diese ausländischen Kaufleuten u. Handelsgesellschaften z. B. im Osm. Reich den Schutz der Person, der Waren u. eigener, exterritorialer Gerichtsbarkeit verbrieften, darüber hinaus Zollerleichterungen u. das Recht, an bestimmten Orten (Handels-)Niederlassungen zu gründen. I. d. R. wurden K. an Untertanen solcher Mächte vergeben, denen der Sultan auf die Zusicherung v. Freundschaft u. Frieden hin eine Sicherheitsgarantie (arab. amān) gewährt hatte, u. zwar in Form eines (befristeten) Vertrages (arab./pers. ʿahdnāme). Entfiel die Voraussetzung v. Freundschaft u. Frieden, konnten die Zugeständnisse an die „zeitweiligen Schutzgenossen“ (arab. mustaʼ mīn „die den amān für sich in Anspruch nehmen“) jederzeit wieder rückgängig gemacht werden. Obgleich unilateralen Charakters, ging man bei den K. stillschweigend davon aus, dass die in ihnen verbrieften Zugeständnisse für beide Seiten galten. – Zu den schon in den Vertragsschlüssen der osm. Herrscher mit Genua u. Venedig als den führenden Handelsmächten im Osm. Reich festgehaltenen Zugeständnissen gehört das Recht der K.-Inhaber auf Vertretung durch eigene →Bailos oder Konsuln mit exterrit. Status, denen nach dem Prinzip des ius sanguinis die Jurisdiktion über die Angehörigen ihrer Nation (arab. ṭāʼifa; vgl. →Millet; a. →Kultusprotektorat) zukam. Während die Konsuln der europ. Mächte anfangs durch die Kammern der großen Handelsstädte zum Schutz ihrer Händlerkolonien u. als Mittler zw. diesen u. den osm. Behörden ernannt worden waren, erfolgte deren Entsendung später im offiz. Auftrag ihrer Regierungen. – Die ersten
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Kapitulationen / Kapudan Pascha
Entwürfe für K. zw. dem Osm. Reich u. Frankreich datieren v. 1536; in ihnen war vorgesehen, dass die mustamin nicht, wie nach hanafitischem Recht vorgeschrieben, nach bereits einem, sondern erst nach zehn Jahren Ansässigkeit zur Zahlung der →Kopfsteuer herangezogen würden. Zur Ratifizierung v. K. zw. dem Osm. Reich u. Frankreich kam es jedoch erst 1569, mit England 1580/83 (1581 Levant Company), mit Holland 1612, während Venedig während des Kriegszustandes mit dem Großherrn (1645–1669, 1684–1699) gezwungen war, seinen Levantehandel unter fremder Flagge abzuwickeln. Habsburg, das 1667 eine erste Handelskompanie gegründet hatte, erhielt 1699 im Frieden v. →Karlowitz die Meistbegünstigungsklausel u. 1718 im Frieden v. →Passarowitz K., die wie alle K. mehrfach erneuert wurden. Erst Russland zwang die Pforte 1774 mit einem Zusatzabkommen zum Friedensschluss v. →Küçük Kaynarca zur Anerkennung eines bilateralen Vertrages im eigentlichen Sinne. Die immer größer werdende Zahl christl. (u. regional auch jüd.) Untertanen des Sultans, die sich der Jurisdiktion ausländischer Vertretungen zu unterstellen u. sich dadurch der Kontrolle durch die Behörden zu entziehen suchten, stellten nicht zuletzt den osm. Fiskus vor unlösbare Aufgaben. Im 19. Jh. gelang es mehreren europ. Staaten zudem, ihre Vorrechte bis hin zur faktischen Kontrolle über Banken, Eisenbahn-, Post- u. Telegrafenwesen sowie andere öffentliche Einrichtungen auszudehnen, so dass in der osm. Öffentlichkeit die Forderung nach Aufhebung der K. immer lauter wurde. Am 8.9.1914 verfügte der Sultan deren einseitige Aufkündigung, im Vorfeld des osm. Kriegseintritts auf Seiten der Mittelmächte in den beginnenden 1. →Weltkrieg. Lit.: H. İnalcık: Imtiyāzāt II. The Ottoman Empire, in: EI² (Bibl.); J. Matuz, Apropos de la validité des capitulations de 1536 entre l’Empire Ottoman et la France, Turcica 24 (1992), 183–190; L’Empire Ottoman, la Republique de Turquie et la France. Hgg. H. Batu/J.-L. Bacqué-Grammont. Istanbul u. a. 1986; R. Owen, The Middle East in the World Economy 1800–1914. London u. a. 1981; A.H. De Groot, The Ottoman Empire and the Dutch Republic, 1610–1630. Leiden 1978; S. Skilliter, William Harborne and the Trade with Turkey, 1578–1582. Oxford 1977. M. U.
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Kapudan Pascha. Titel des →Beylerbeyi des sog. „Eyalet des Meeres“ als des Oberbefehlshabers der osm. Flotte; in dieser Form erst seit etwa 1567 gebräuchlich. Bis zur Regierungszeit Selims I. (1512–1520) war der Kommandeur von Gelibolu (Gallipoli) im Range eines Sancak Beyi Oberkommandierender der Flotte (mit Gerichtsbarkeiten hier u. im anatolischen Izmid). Zum wichtigsten Flottenstützpunkt wurde nach 1517 Istanbul (dort Galata) mit dem „neuen Arsenal“ (1557 mit 123 Dockanlagen). Nachdem der eh. Pirat Hayruddin „Barbarossa“ in osm. Dienste getreten war, wurde er als Flottenadmiral 1534 zum Beylerbeyi des →Eyalet von Algier ernannt, das später zum Sitz des K. avancierte. Der territ. Zuständigkeitsbereich des K. umfasste zur Zeit seiner größten Ausdehnung im 17. Jh. zwölf →Sancaks, darunter in Europa Negroponte, Lepanto, Karlieli, Mitylene, Mistra, Rhodos, Chios, Naxos, Andros u., seit 1670, Zypern (nicht jedoch Kreta). Barbarossa bereits erwirkte als Vierter →Wesir für den K. Sitz u. Stimme im →Diwan. Als im Zuge der →Tanzimat die Jurisdiktion des K. aufgehoben wurde, bestand das „Eyalet des Meeres“ nur noch aus sechs Sancaks (Biga, Rhodos, Chios, Mitylene, Lemnos u. Zypern). Als offiz. Titel wurde K. 1863 abgeschafft.
Karadjordjevići
Lit.: İ.H. Uzunçarşılı, Bahriyya. III. The Ottoman Navy, in: EI²; S. Özbaran, Kapudan Pasha, in: a. a. O.; The Kapudan Pasha: His Office and His Domain. Hg. E. Zachariadou. Rethymnon 2002; C. Imber,The Navy of Süleyman the Magnificent, Archivum Ottomanicum 6 (1980), 211–282. M. U.
Karadjordjevići. Serb. u. (ab 1918) jug. Dynastie. Stammvater der K. war Djordje Petrović, gen. Karadjordje (der „Schwarze Georg“). Karadjordje (*um 1762 in Viševac, Rača; †26.7. 1817 in Radovanje), Bauernsohn, brachte es durch Viehhandel zu Wohlstand u. wurde 1804 Führer des 1. serb. Aufstandes (→Befreiungskriege), der sich zunächst nur gegen die Willkürherrschaft der →Janitscharen im →Paschaluk Belgrad richtete. Nachdem im Juli 1804 die Janitscharen abgezogen waren, stellten Karadjordje u. seine Anhänger weitergehende Forderungen, die auf eine vollständige Unabhängigkeit v. der osm. Herrschaft hinzielten. Militärisch erfolgreich (1806 Einnahme v. Belgrad), wurde Karadjordje 1811 v. der serb. Nationalversammlung zum Obersten Führer (Vrhovni vožd) der Serben ernannt. Er versuchte, Österreich u. Russland für die Unterstützung des serb. Freiheitskampfes zu gewinnen. Während des russ.-osm. Krieges 1806–12 kämpften Serben auf russ. Seite. Mit der im Frieden v. →Bukarest 1812 versprochenen Autonomie nicht zufrieden, setzte Karadjordje den Kampf auf eigene Faust fort, konnte sich aber gegen die Osmanen nicht behaupten. 1813 floh er nach Österreich u. dann nach Russland, kehrte 1817 heimlich nach Serbien zurück u. wurde im Auftrag seines Rivalen Miloš Obrenović, der 1815 die Leitung des 2. serb. Aufstandes übernommen hatte, ermordet. Beide Familien – die K. u. die →Obrenovići – sollten sich in der Folgezeit in der Herrschaft über →Serbien abwechseln. 1842 wurde Karadjordjes Sohn Aleksandar (1842–58) auf den serb. Fürstenthron berufen. Seine Reformbemühungen u. seine vorsichtige Außenpolitik stießen bei der breiten Masse der bäuerlichen Bev. auf Ablehnung. Nach seiner Abdankung übernahm wieder die Familie Obrenović die Regierung. Erst nach der Ermordung v. Aleksandar I. Obrenović (1903) kamen die K. wieder an die Macht. Unter Petar I. (serb., dann jugoslaw. Kg. 1903–1921), dem Sohn des Fürsten Aleksandar, erfuhr Serbien in den →Balkankriegen eine bedeutende Erweiterung seines Territoriums. An der Entstehung des „Kgr.s der Serben, Kroaten u. Slowenen“ war Petar, für den bereits seit 1914 sein Sohn Aleksandar die Regentschaft führte, nicht mehr direkt beteiligt. Aleksandar I. (1921–34) gelang es, den neuen südslav. Einheitsstaat, der seit 1929 den Namen „→Jugoslawien“ trug, außenpolitisch abzusichern. Es gelang ihm aber nicht, dessen innere Konsolidierung zu erreichen. Nach seiner Ermordung führte sein Vetter Pavle für den minderjährigen Thronfolger Petar die Regentschaft. Pavle wurde 1941 durch einen Militärputsch gestürzt, der Petar II. (1941–45) auf den jug. Thron brachte. Dieser musste nach dem dt. Angriff im April 1941 das Land verlassen. Durch die Proklamation der Volksrepublik Jugoslawien am 29.11.1945 verloren Petar II. u. die K. die Herrschaftsrechte. Lit.: D.R. Živojinović, Kralj Petar I Karadjordjević u izgnanstvu 1844–1903. Beograd 2003; B. Gligorijević, Kralj Aleksandar Karadjordjević. 3 Bde. ebd. 2002; R. Ljušić, Vožd Karadjordje. 2 Bde. ebd. 1995; D.R. Živojinović, Kralj Petar I. Karadjordjević 1844–1921. 3 Bde. ebd. 1988– 1994; Yugoslavia’s Royal Dynasty. Hgg. U. Loring/J. Page. London 1976 (mit genealog. Tafel); J.
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Karaimen / Karaschowaner
Ćetković, Karadjordje i Miloš 1804–1830. Beograd 1960; D. Stranjaković, Karadjordje. ebd. 1938; M.M. Vukićević, Karadjordje. 2 Bde. ebd. 1907/1912 (Ndr. 1981). P. B.
Karaimen (a. Karäer, Karaiten, v. hebr.: qārā‘īm „die Schriftkundigen, die Schriftausleger, die Bekenner der Hl. Schrift“). Jüd. Sekte, gegr. im 8. Jh. n. Chr. v. Anan b. David. Im Gegensatz zum orth. Judentum beriefen sich die K. ausschließlich auf das AT als Grundlage ihres Glaubens u. lehnten das im Talmud kodifizierte relig. Recht strikt ab. Unterschiede zum rabbin. Judentum bestanden u. a. im Festkalender, den Ehegesetzen u. Speiseverboten. Ursprünglich v. a. in Persien u. Mesopotamien heimisch, verbreitete sich die Bewegung im 9.–12. Jh. über Palästina u. Nordafrika bis nach Spanien. In der zweiten H. des 11. Jh.s verlagerte sich das geistige Zentrum der K. nach Byzanz (mit Tochtergemeinden in Thessaloniki [→Saloniki] u. Adrianopel), wo so herausragende Theologen u. Bibelexegeten wie Tobias b. Moses u. Jakob b. Simeon wirkten. Erst unter osm. Herrschaft kam es hier im 15. u. 16. Jh. zu einer Annäherung zw. rabbin. Juden u. K. Bezeugt sind K. für das 12. Jh. in den pontischen Steppen bei den →Kumanen (Petachia v. Regensburg) u. für das 13. Jh. in der →Krim. Nach karaim. Überlieferung siedelte Großfürst Witold v. Litauen nach 1392 K. in Trakai bei Wilna, in Łuck u. Halič an. Umstritten ist, ob sich auch K. unter den jüd. →Chazaren u. unter den turkspr. Kabaren befanden, die an der →Ungarischen Landnahme im Karpatenbecken teilnahmen. Für die kuman. Herkunft der poln.-litauischen K. spricht jedoch, dass sie noch heute eine türk. Sprache (Karaimisch) sprechen, die dem Kumanischen sehr nahe steht. Lit.: H. Malkhasy, Karäer in Konstantinopel: Eine Abhandlung zur Entstehungs- u. Siedlungsgeschichte der Karäer in Konstantinopel, Pardes. Zeitschrift d. Vereinigung f. jüd. Studien 19 (2013), 161–174; H. Müller, Religionswissenschaftliche Minoritätenforschung. Zur religionshistorischen Dynamik der Karäer im Osten Europas. Wiesbaden 2010; M. Kizilov, The Karaites of Galicia. An Ethno-Religious Minority Among the Ashkenazim, the Turks, and the Slavs, 1772–1945. Leiden 2008; A. Dubiński, Caraimica. Prace karaimoznawcze. Warszawa 1994; S. Szyszman, Les Karaites d’Europe. Uppsala 1989; Z. Ankori, Karaites in Byzantium. New York ²1968; O. Pritsak, Das Karaimische, PTF I, Wiesbaden 1959, 318–40; A. Zajączkowski, Karaimi na Wołyniu, Rocznik Wołyński 3 (1934), 149–91; T. Kowalski, Über die polnischen Karaimen, ihre Sprache u. deren Verhältnis zu den anderen kipcakischen Sprachen, in: Oostersch Genootschap in Nederland. Verslag van het vijfde Congres gehouden te Leiden. Leiden 1927, 14–19. H. G.
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Karaschowaner (rum. Caraşoveni; serb. Krašovani, Karašani, Karašavci, Karaševci). Vom Namen der rum. Stadt Caraşova (im Banater Bergland) abgeleitete Bezeichnung für eine im Judeţ Caraş-Severin ansässige südslav., kath. Minderheit (ca. 7.000). Zunächst identifizierte man sie wegen ihres Glaubens mit den ebenfalls im →Banat lebenden bulg. →Paulikianern. Petrovici (1923) geht aufgrund sprachlicher Gemeinsamkeiten mit den Kosovo-Resava-Mundarten v. ihrer Zugehörigkeit zum Serbokroatischen aus (frühere Hinweise schon
Karaschowaner / Karlowitz, Friede von (21.1.1699)
von Miletić) u. vermutet eine Zuwanderung aus Altserbien vor dem Ende des 15. Jh.s in den Süden des damaligen Ungarn. Popović (1960) sieht in dieser Mundart einen Rest der Sprache der →Dakoslaven u. verwirft, ohne die Gemeinsamkeiten mit dem Serbischen zu leugnen, ihre Zuwanderung von dort. Sprachliche Merkmale sind: der Erhalt des auslautenden u. silbischen l, Jervokal zu e, Komparativbildung mit po; ferner einige wohl über das kirchl. Schrifttum eingedrungene Kroatismen. Lit.: C.M. Grgin, Prilog poznavanju vjerske povijesti karaševskih Hrvata u ranom novom vijeku, Povijesni prilozi 27 (2004), 5770; M.N. Radan, Graiurile carașovene azi. Fonetica și fonologia. Timișoara 2000; M.M. Deleanu/S. Vultur, Insemnari despre carașoveni. Interferenţe lingvistice și culturale specifice Europei Centrale. Reșiţa 1999; A. Peco, Pregled srpskohrvatskih dijalekata. Beograd 1977; M. Živković, Svedočanstva o srpsko- (jugoslovensko-) rumunskim kulturnim i književnim odnosima. Bukurešt 1976, 271–320; I. Popović, Geschichte der serbokroatischen Sprache. Wiesbaden 1960; P. Ivić, Die serbokroatischen Dialekte. ’s-Gravenhage 1958; E. Petrovici, Graiul caraşovenilor. Studiu de dialectologie slavă meridională. Bucureşti 1935; J. Živojnović, Krašovani (Karašani, Karašavci). Beležke, narodni običaji i primeri jezika, Letopis Matice Srpske 83 (1907), Bd. 242/2, 42–67; 242/3, 52–79; L. Miletić, Über die Sprache u. die Herkunft der sogenannten Krašovaner in Süd-Ungarn, Archiv für slavische Philologie 25 (1903), 161–181. K. St.
Karlowitz, Friede von (21.1.1699). In die am 13.11.1698 eröffneten Friedensverhandlungen zu K. (Sremski Karlovci) trat das →Osm. Reich zum ersten Mal in seiner Geschichte als milit. Verlierer des 15jährigen, mit der Belagerung Wiens 1683 begonnenen Krieges ein (→Türkenkriege). Ungeachtet der vernichtenden Niederlage des osm. Heers in der Schlacht v. Zenta (Senta) im vorausgegangenen Jahr haben die beiden Bevollmächtigten des Sultans, der Reisülküttab Rami Mehmed Efendi (Kanzler des →Großwesirs) u. der Großdragoman Alexandros Mavrokordatos (mit türk. Namen Iskerletzade Iskender Bey) die Verhandlungen so geschickt u. offensiv geführt, dass sie wesentlich bessere Ergebnisse erreichten, als die Vertreter der Mächte der Heiligen Liga angesichts der Lage jemals erwartet hatten. Für den Ks. waren dies die Grafen Schlick, Öttingen u. Marsigli, für Polen Graf Stanisław Malachowski, für Venedig deren Wiener Gesandter Cavaliere Carlo Ruzzini u. für Zar Peter I. Graf Prokofej Bogdanovič Voznicyn. Als Vermittler betätigten sich der im Verkehr mit der Hohen Pforte erfahrene engl. Botschafter Lord William Paget, der auch den Vorsitz übernahm, sowie der niederländ. Botschafter Jakob Coyler (auch Collier). Angesichts des bevorstehenden spanischen Erbfalls u. des damit zu erwartenden Krieges mit Ludwig XIV. waren sowohl die Seemächte als auch der Ks. sehr an einem Friedensschluss interessiert; im Gegensatz zu Zar Peter, der sich anlässlich seines Besuchs im Juni 1698 in Wien vehement gegen das mit der Pforte bereits vereinbarte Prinzip des „uti possidetis“ als Grundlage der Verhandlungen aussprach. Er wollte zur Eroberung v. Azov die v. Kerč hinzufügen, da diese Festung seiner Flotte den Ausgang ins Schwarz Meer versperrte. Auch die Polen wollten sich wegen der in osm. Hand verbliebenen Festung Kameniec Podolski mit dem Status quo nicht zufrieden geben.
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Karlowitz, Friede von (21.1.1699) / Karlsbader Beschlüsse
Bereits am dritten Verhandlungstag setzten die Türken am Präzedenzfall des →Banats ihre eigenwillige Interpretation des „uti possidetis“ durch, derzufolge der aktuelle Besitz des Hauptortes (in diesem Fall v. Temesvár/Timişoara) über den endgültigen Verbleib der gesamten u. damit ungeteilten Provinz entschied. Dasselbe, den Osmanen günstige Prinzip kam im Fall v. Bihać (Bosnien) sowie gegenüber Venedig (→Venezianisches Überseereich) zur Anwendung, das zur Räumung der nördl. Küste des Golfs v. Korinth (samt Lepanto) u. →Athens samt Umgebung gezwungen war u. nur die →Peloponnes behielt u. die Schuld an diesem negativen Ergebnis schließlich der ksl. Diplomatie zuwies. Nur auf großen Druck der Vermittler lenkte Polen schließlich gegenüber dem osm. Vorschlag ein, für den Erwerb v. Kameniec Podolski den bereits okkupierten nördl. Teil der →Moldau herauszugeben. Die Unnachgiebigkeit der Russen, deren Vertreter vergeblich auf genauere Instruktionen wartete, ermöglichte nur den Abschluss eines zweijährigen Waffenstillstandes. Mit der am 26.1.1699 erfolgten Unterzeichnung des Friedensvertrages mit dem Kaiser, Polen u. Venedig waren das Kgr. →Ungarn (mit Ausnahme des Banats) u. das Fsm. →Siebenbürgen sowie →Slawonien u. der Großteil →Kroatiens endgültig v. den Osmanen befreit. Vereinbarungen betreffend die Schleifung mehrerer Grenzfestungen auf neuhabsb. Gebiet u. die Räumung aller v. den ksl. Truppen besetzten Gebiete südl. der Save-Una-Linie halfen zwar dem Sultan, sein Gesicht zu wahren. Doch der mit K. einsetzende Schrumpfungsprozess des Osm. Reiches legte die Grundlage für den Aufstieg der österr. Habsburger u. ihres Länderkomplexes zur europ. Großmacht (→Habsburgermonarchie). Lit.: Frieden und Konfliktmanagement in interkulturellen Räumen. Das Osmanische Reich und die Habsburgermonarchie in der Frühen Neuzeit. Hg. A. Strohmeyer. Stuttgart 2013; M.R. Popovic, Der Friede von Karlowitz (1699). Paderborn 2012 (Ndr. v. 1893); La paix de Karlowitz, 26 janvier 1699: les relations entre l’Europe centrale et l’Empire ottoman. Hg. J. Bérenger. Paris 2010; Empires and peninsulas. Southeastern Europe between Karlowitz and the Peace of Adrianople, 1699–1829. Hg. P. Mitev u. a. Münster u. a. 2010; Chr. Weigel, Mappa der zu Carlovitz geschlossenen u. hernach durch zwey gevollmächtigte Commissarios vollzogenen Kaiserlich-Türkischen Gräntz-Scheidung, so in dem früh-Jahr 1699 angefangen u. nach verfliessung 26 Monaten vollendet worden. [Ndr.]. [Vrnjačka Banja] [2006]; Ottoman diplomacy: conventional or unconventional? Hg. A.N. Yurdusev. Basingstoke 2004; Ž. Dimić, Veliki bečki rat i Karlovački mir: 1683–1699. (Hronologija). Beograd 1999; W.B. Slottman, The Anglo-Dutch Mediation at Carlowitz, in: ders., Ferenc II. Rákóczi and the Great Powers. Boulder 1997, 11–195; A. Bues, Ein venezianischer Bericht zu den Friedensverhandlungen von Karlowitz 1698/99, Münchner Zeitschrift für Balkankunde 10/11 (1996), 163–243; Vojne krajine u jugoslovenskim zemljama u novom veku do Karlovačkog mira 1699. Hg. V. Čubrilović. Beograd 1989; R.A. Abou-El-Hay, Ottoman Diplomacy at Karlowitz, Journal of the American Oriental Society 87 (1967), 498–512. G. S.
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Karlsbader Beschlüsse. Der vom 6. bis 31.8.1819 abgehaltene Kongress v. Karlsbad war Teil des vom österr. Staatskanzler Metternich eingerichteten Interventionssystems, demzufolge in Absprache unter den fünf Großmächten (der „Pentarchie“: Frankreich, Großbritannien,
Karlsbader Beschlüsse / Kärnten
Österreich, Preußen, Russland) jede revol. Regung als ein Anschlag auf die Legitimität der herrschenden pol. Ordnung notfalls auch durch milit. Eingreifen unterdrückt werden sollte. Metternich sah zu diesem Zeitpunkt die Gelegenheit gekommen, die liberale u. nationale Bewegung, an deren gemeinsamen Aktionsplan durch Studenten, Professoren u. die soeben in Süddeutschland eröffneten Landtage er glaubte, mit einem Schlag niederzuwerfen. Die allg. Revolutionsfurcht der dt. Höfe erleichterte sein Vorgehen. Bevor jedoch der Kongress zusammentrat, beschloss Metternich mit Preußen in der Teplitzer Punktation vom 1.8.1819 ein gemeinsames Aktionsprogramm, das das Restaurationssystem in Mitteleuropa eigentlich erst begründet hat. Die beiden dt. Hauptmächte einigten sich darüber, dass innerhalb des Dt. Bundes keine mit seiner Existenz unvereinbaren Grundsätze angewendet werden dürfen. Dies richtete sich insbesondere gegen alle, nach den Franzosenkriegen sehr erstarkten Bestrebungen in Richtung einer nationalen Einigung u. Bildung eines dt. Nationalstaates, wie sie beispielsweise auf dem Wartburgfest v. 1817 ganz deutlich artikuliert wurden. Die dann verabschiedeten K.B. befassten sich mit der Polizeiaufsicht der geistigen, insbesondere der akad. Aktivitäten an den dt. u. österr. Universitäten, ferner jeglicher konstitut. Bestrebungen seitens der Landtage. Die K.B. wurden am 20.9.1819 unter dem Druck Österreichs u. Preußens durch den Bundestag in Frankfurt einstimmig angenommen u. sahen eine strenge Beaufsichtigung der Universitäten u. die Entfernung aller Professoren vor, deren Tätigkeit u. Wirkung auf die Jugend als subversiv bewertet werden konnte. Alle Studentenvereinigungen u. insbesondere alle Burschenschaften wurden verboten, strenge Zensurbestimmungen für alle Veröffentlichungen, gerade auch für Broschüren u. Flugschriften erlassen u. eine Zentraluntersuchungskommission des Dt. Bundes mit Sitz in Mainz gegründet, die mit der Aufgabe betraut war, jede aufrührerische Betätigung zu untersuchen u. pol. verdächtige Personen auf eine schwarze Liste zu setzen. Die K.B., die ursprünglich nur auf fünf Jahre in Geltung bleiben sollten, wurden auf Verlangen Österreichs u. Preußens i. J. 1824 auf unbestimmte Zeit verlängert u. erst im März 1848 endgültig aufgehoben. Langfristig gesehen haben sie Prozesse der Verbürgerlichung der Gesellschaft verzögert (a. →Vormärz), durch die Kriminalisierung des pol. →Liberalismus die Emanzipation des →Bürgertums gerade auch in wesentlichen Teilen der Habsburgermonarchie behindert u. damit indirekt zum Scheitern der liberalen Parteien im Revolutionsjahr 1848 u. in der zweiten H. des 19. Jh.s beigetragen. Lit.: A. Bleyer, Das System Metternich. Die Neuordnung Europas nach Napoleon. Darmstadt 2014; W. Siemann, Metternich. Staatsmann zwischen Restauration und Moderne. München 2 2013; E. Büssem, Die Karlsbader Beschlüsse von 1819. Die endgültige Stabilisierung der restaurativen Politik im Deutschen Bund nach dem Wiener Kongreß von 1814/15. München 1974. G. S.
Kärnten. Mit 9.533 km2 fünftgrößtes österr. Bundesland; grenzt im N u. O an Salzburg u. Steiermark, im W an Osttirol u. im S an Italien u. Slowenien; Hauptstadt: Klagenfurt. Gemäß der Volkszählung v. 2001 lebten in K. 559.404 E; die Zahl der Personen mit slowen. Umgangssprache wurde mit 14.010 abgegeben. Die Zahl der Slowenischsprachigen ist seit langem rückläufig. Sie betrug 1818 noch rd. 137.000 (in freilich leicht anderen Landesgren-
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Kärnten
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zen als heute, s. u. zu 1919/20) u. sank nach dem 1. Wk. auf 34.650 E (1923). – Aus den nach dem Mons Carantanus (heute Ulrichsberg), nach trad. Auffassung nach der auf diesem Berg befindlichen Karnburg, benannten Carontani = Karantaner als Bewohner des Landes leitete sich die Landesbezeichnung Carantanum = Karantanien (Paulus Diaconus um 800) ab, woraus sich lat. Carinthia (Ersterwähnung 1002) u. dt. K. entwickelte. Für ein Schutzbündnis gegen die →Awaren hat das nach dem Zerfall des Samo-Reiches um 658 unabhängig gewordene slav. Fürstentum Karantanien unter Fürst Boruth 740 die Oberhoheit Herzogs Odilo v. Bayern anerkannt. 772 hat Herzog Tassilo III. das Land dann endgültig unterworfen. Die darauf einsetzende Christianisierung u. die seit 822 nachweisbare dt. Kolonisation integrierten K. immer stärker in den bayr.-fränk. Herrschaftsbereich. Dies bezeugt auch der steile Aufstieg des 876 als Herzog eingesetzten Arnulfs, ein unehelicher Sohn Karlmanns, Enkel Ludwigs des Deutschen, der 887 als ostfränk. Kg. anerkannt wurde u. 896 die Kaiserwürde erhielt. Nachdem das Kerngebiet den Ungarnsturm der nachfolgenden Jahre unversehrt überstanden hatte, wurde i. J. 976 K. v. Bayern abgetrennt u. zum Reichsherzogtum (vgl. →Heiliges Römisches Reich) erhoben, dem auch die Marken an der Mur (Kerngebiet der späteren →Steiermark), an der Drau u. an der Sann, Verona (bis 1151), Friaul (bis 1077), →Istrien (ca. 1050 bis 1173) u. →Krain (bis 1090) angegliedert waren. Im Gegensatz zur Steiermark hat der rasche Wechsel der Herzogswürde zw. einzelnen Geschlechtern (Salier, Eppensteiner, Spanheimer) sowie die große Anzahl exemter, v. a. geistl. Herrschaften (der Bistümer Salzburg, Freising, Brixen, Passau, Bamberg u. Aquileia) – unter den weltl. allen voran die Grafen v. →Görz – die Ausbildung einer starken zentralen Herzogmacht verhindert. Nachdem 1279 mit dem Tod Philipps v. Spanheim das letzte einheimische Herzogsgeschlecht ausgestorben war, wurde K. nach einem kurzen Intermezzo Pržemysl Ottokars (1269–1278) v. den Grafen Görz-Tirol regiert, bis es 1335 an Habsburg fiel. Nach dem Tod des letzten Grafen v. Görz, Leonhard I., i. J. 1500 fiel auch das Lienzer Gebiet („Vordere Grafschaft Görz“) an Habsburg, das allerdings v. Kaiser Maximilian I. an Tirol angegliedert wurde. Nachdem bereits 1230 das Gebiet um Neumarkt, im 15. Jh. Windischgraz u. bis 1521 Murau u. St. Lambrecht an die Steiermark gekommen waren, haben sich die Grenzen K.s v. dieser Zeit an bis 1809 nicht mehr verändert. 1809/10 wurde der Villacher Kreis sowie das Lienzer Gebiet den →„Illyrischen Provinzen“ angegliedert, 1816 dem wiederum Wien unterstellten „Königreich Illyrien“ einverleibt, an das 1825 auch der Klagenfurter Kreis angeschlossen wurde. Gegen die 1848 in Wien u. Laibach erwogenen Pläne, unter Einbeziehung Südkärntens ein Kgr. Slowenien (→Slowenen) zu schaffen (→Revolution von 1848/49: Slowenen), wandte sich der erste freigewählte K.er Landtag, der sich mit den Stimmen seiner slowen. Abgeordneten am 31.8.1848 für ein unteilbares Herzogtum K. aussprach, das daher am 11.3.1849 als selbständiges Kronland restituiert wurde. Der langen Periode des friedlichen Zusammenlebens der vielfach in einer Gemengelage siedelnden Slowenen u. Deutschen setzten die immer stärker werdenden Germanisierungsbestrebungen in der zweiten H. des 19. Jh.s ein Ende. Die dadurch bedingten ethn. Spannungen entluden sich nach dem 1. Wk. Die am 31.10.1918 gebildete slowen. Nationalregierung in Laibach/→Ljubljana forderte die Abtretung v. über einem Drittel des Landes mit den Städten Villach, Klagenfurt u. Völkermarkt u. begann im November 1918 mit der Besetzung dieser Gebiete. Der daraufhin im Dezember ausgebrochene u. v. kärntnerdt.
Kärnten / Karpato-Ukraine
Freiwilligenverbänden getragene „Abwehrkampf“ veranlasste im Frühjahr 1919 die Alliierten, milit. u. pol. einzugreifen u. für die umstrittenen Gebiete eine Volksabstimmung auszuschreiben, in der am 10.10.1920 59 % der Stimmen für deren Verbleib bei Österreich votierten, wobei ca. 10.000 slowen. Stimmen den Ausschlag gaben. Das davon ausgenommene Mießtal mit Unterdrauburg musste im Frieden v. →St. Germain an Jugoslawien, das Kanaltal an Italien abgetreten werden. Im „Dritten Reich“ bildete K. einen Reichsgau, dem am 1.10.1938 Osttirol u. im Frühjahr 1941 das Mießtal sowie Oberkrain angegliedert wurden. Die 1945 einmarschierten jug. Truppen mussten K. auf amerikanisch-britischen Druck wieder verlassen u. mit den Landtagswahlen vom 25.11.1945 wurde das Land in den Grenzen vom 1.1.1938 wiederhergestellt u. durch die Unterzeichnung des Staatsvertrages v. 1955 auch v. Seiten Jugoslawiens endgültig anerkannt. In Art. 7 des Staatsvertrags wurden die „Rechte der slowenischen u. kroatischen Minderheiten“ in Österreich geregelt, doch kam es danach gelegentlich zu Spannungen (Ortstafelstreit mit Höhepunkt in den 1970er Jahren, komplett beigelegt erst 2011). Lit.: M. Klemencic/V. Klemencic, Die Kärntner Slowenen u. die zweite Republik. Zwischen Assimilierungsdruck u. dem Einsatz für die Umsetzung der Minderheitenrechte. Klagenfurt u. a. 2010; A. Hanisch-Wolfram, Protestanten u. Slowenen in Kärnten. Wege u. Kreuzwege zweier Minderheiten 1780–1945. Klagenfurt 2010; Die Kärntner Volksabstimmung 1920 u. die Geschichtsforschung. Leistungen, Defizite, Perspektiven. Hg. H. Valentin. ebd. 2002; P. Gleirscher, Karantanien: das slawische Kärnten. Klagenfurt 2000; H.-D. Kahl, Der Mythos vom Zollfeld/Gosposvetsko polje, in: Karantanien – Ostarrichi. 1001 Mythos. Hg. A. Moritsch. ebd. u. a. 1997, 51–92; A. Suppan, Grenzkonflikt zwischen Nachbarn, in: ders., Jugoslawien u. Österreich 1918–1938. Wien, München 1996, 468–656; C. Kromer, Die Vereinigten Staaten von Amerika u. die Frage Kärnten 1918–1920. Klagenfurt ²1996; Karantanien u. der Alpen-Adria-Raum im Frühmittelalter. Hgg. G. Hödl/J. Grabmayer. Wien u. a. 1993; C. Fräss-Ehrfeld, Geschichte Kärntens. Bd. 1: Das Mittelalter. Bd. 2: Die ständische Epoche. Klagenfurt 1984/1994; W. Neumann, Abwehrkampf u. Volksabstimmung in Kärnten 1918–1920. ebd. 1970. G. S.
Karpato-Ukraine ([hist.] a. Transkarpatien, Ruthenien, Karpato-Russland; ukr. Karpatska Ukraina; slowak. Zakarpatská Ukrajina; ung. Kárpátalja; tschech. hist. Podkarpats’ká Rus). Das Gebiet wird im NO v. dem ruth. Karpatenkamm begrenzt, im W im wesentlichen v. der Slowakei, Ungarn im SW u. Rumänien im S. Es ist heute verteilt zw. dem autonomen Transkarpaten-Gebiet in der Ukraine, das 12.800 km2 umfasst u. Teilen der kleineren Prešov-Region in der östlichsten Slowakei. Seit dem 10. Jh. bewohnten Magyaren die Ebenen u. der ostslav. Stamm der →Russinen u. →Huzulen (auch Kleinrussen, →Ruthenen oder Ukrainer genannt) die Hänge der Waldkarpaten. Bis zum Ende des 1. Wk.s gehörte die K.-U. zum Kgr. Ungarn. Durch regionale Unterentwicklung u. Magyarisierung konnte sich die mehrheitlich ostslav. Bev. kulturell nur begrenzt entfalten (um 1900 60 % Analphabeten). Die meisten Ostslaven der K.-U. gehörten seit der Union v. Užhorod 1646 zur gr.-kath. Kirche (→Unierte), ein kleinerer Teil blieb gr.-orth. Im Dezember 1918 akzeptierte die ung. Regierung v. Mihály Károlyi den autonomen Status der Russka Krajina. In der Zeit der
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Karpato-Ukraine
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Ung. →Räterepublik okkupierten die Armeen der Tschechoslowakei u. Rumäniens Teile der K.-U., in dem östlichsten Teil entstand für kurze Zeit die Republik der Huzulen. Der Frieden von →Trianon brachte die Angliederung ganz „Rutheniens“ an die Tschechoslowakei. Emigranten aus der K.-U. hatten bereits im November 1918 in den USA mit Tomás Garrigue Masaryk ein diesbezügliches Abkommen geschlossen u. Wilson dafür gewonnen. Es gab jedoch in der K.-U. auch Kräfte, die im ung. Staat verbleiben wollten oder den Anschluss an die im Januar 1919 entstandene Ukr. Demokratische Republik anstrebten. Die Mehrheit der 604.593 E stellten 1921 mit 62 % die Russinen (Ukrainer) u. Russen, gefolgt v. 17 % Ungarn, 13 % Juden u. 8 % anderen. Bei der Pariser Friedenskonferenz war ein Autonomiestatut für die K.-U. vereinbart worden. Das tschechoslowak. Parlament nahm zwar den Minderheitenschutz in die 1920 verabschiedete Verfassung auf u. stellte auch Mittel für die Entwicklung der rückständigen Region bereit. Doch der Regionalrat Rutheniens hatte lediglich beratenden Charakter u. die Bev. konnte sich erst ab 1924 an den Wahlen zum Prager Parlament beteiligen. Sie gab ihrer Unzufriedenheit Ausdruck, indem 25,6 % i. J. 1930 die Kommunisten wählten. Ab 1930 wuchs der Einfluss der panukr. Kräfte. Die Prager Regierung reagierte erst nach dem Münchner Abkommen u. ernannte am 11.10.1938 eine autonome Verwaltung für die K.-U. Durch den ersten →Wiener Schiedsspruch vom 2.11.1938 erhielt Ungarn einen Teil der K.-U. Nach der dt. Besetzung der Tschechoslowakei konnte Ungarn im März 1939, den geringen Widerstand der ukr. Sič-Verbände brechend, auch den restlichen Teil der K.U. annektieren. Der Druck der ung. Behörden war so stark, dass viele Russinen/Ukrainer in das benachbarte Galizien flohen, das infolge des →Ribbentrop-Molotov-Pakts zu diesem Zeitpunkt zur Sowjetunion gehörte. Am härtesten traf es die jüd. Bev.: ein Teil wurde im August 1941 vertrieben, andere deportierten ung. Behörden im Sommer 1944 in dt. Vernichtungslager (→Holocaust). Als im Oktober 1944 sowj. Truppen in die K.-U. einrückten, übernahm František Nemec im Namen der tschechoslowak. Exilregierung die Verwaltung in der K.-U. Dieser war im Mai 1944 v. sowj. Seite die Integrität der Vorkriegsgrenzen zugesagt worden, doch nun wurden v. den Sowjets die komm. Kräfte unterstützt. Diese warben für den Anschluss an die Sowjetukraine, dem sie durch eine Unterschriftensammlung im Nov. 1944 Nachdruck verliehen. Die Prager Regierung stimmte unter Druck am 29.6.1945 dem Anschluss der K.-U. an die Sowjetukraine zu. Die Bev. des formal autonomen Transkarpaten-Gebietes in der Ukrainischen SSR betrug 1989 1,2 Mio., davon waren 78,4 % Ukrainer, 12,5 % Ungarn, 4 % Russen, 2,4 % Rumänen, 1,1 % Slowaken u. 1,6 % noch kleinere Minderheiten. 1989/1990 entstand in der K.-U. die Gesellschaft der Karpato-Russinen, die den Status einer autonomen Republik forderte, worauf die Sowjetbehörden aber nicht reagierten. Seit August 1991 gehört die K.-U. zur unabhängigen Ukraine, u. bei einem Referendum im Dezember 1991 stimmten 78 % der Bev. der K.-U. für Selbstverwaltung. Allen Minderheiten der K.-U. wurden seit 1992 bessere Entfaltungsmöglichkeiten als in der Sowjetzeit eingeräumt. 2001 lebten in der K.-U. (Oblast Transkarpatien) rd. 1,3 Mio. E, davon 80,5 % Ukrainer, 12,1 % Ungarn, 2,6 % Rumänen, 2,5 % Russen, 1,1 % Roma sowie andere. Wichtigste Städte sind Užhorod (ung. Ungvár; russ. Užgorod) u. Munkačevo (ung. Munkács). Das Gebiet wird hauptsächlich landwirtschaftlich genutzt, Holz- u. Lederverarbeitung sowie Lebensmittelherstellung sind die wichtigsten Industriezweige.
Katalanen
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Katalanen. Volk in Nordostspanien. In SOE wurden die K. durch eine Söldnertruppe, die „Katalanische Kompanie“, bekannt. Das Gros der Truppe bildeten die „Almogávares“ (vom arab. al-mugâwir „Grenzläufer“), freie Söldner aus den Gebirgsregionen Kataloniens. Sie standen als Fußtruppe im Dienste der aragones. Krone u. unterstützten u. a. auch Kg. Friedrich III. v. Sizilien im Kampf gegen die →Anjou. Als sie dort durch den Frieden v. Caltabellotta 1302 beschäftigungslos geworden waren, bot sie ihr Führer Roger de Flor dem byz. Ks. Andronikos II. Palaiologos (→Paläologen) an. Etwa 6.000 K. (darunter 4.000 Almogávares, der Rest Reiter u. andere Infanteristen) trafen 1303 in Konstantinopel ein. Sie wurden erfolgreich zum Kampf gegen die →Türken in Kleinasien eingesetzt, verheerten aber nicht nur türk., sondern auch byz. Gebiet, so dass sie vom Ks. nach Europa zurückberufen werden mussten, wo sie in Gallipoli stationiert wurden. 1304 traf dort Berengar d’Entença mit weiteren K. ein. Der Anführer der K., de Flor, hatte bereits 1303 den Titel Megas dux erhalten u. war mit der ksl. Prinzessin Maria (Tochter Ivan Asens III. u. Nichte Andronikos II.) verheiratet worden. Als er 1305 auch noch den Caesarentitel erhielt, sah Michael IX., Mitkaiser u. Sohn v. Andronikos, seine eigene Stellung gefährdet. Er ließ am 30. April 1305 de Flor durch alanische Söldner ermorden. Die K., die nach dem Mord ihre Verpflichtungen gegenüber Byzanz als erledigt betrachteten, verwüsteten aus Rache Thrakien u. Makedonien. 1310 traten sie in den Dienst Walters (Gautier, Gualtier) v. Brienne, Hrzg. v. Athen. Wegen säumiger Soldzahlungen kam es bereits 1311 zw. dem Hrzg. u. den K. zum Bruch. Walter v. Brienne verlor am 15.3.1311 am Kephissos (Böotien) im Kampf gegen die K. Schlacht u. Leben. Die K. setzten sich in den Besitz des Herzogtums Athen u. unterstellten dieses Friedrich III. v. Sizilien. Durch die nachfolgende Eroberung des Herzogtums Neopatras u. einiger thessal. Städte wurden sie zu einem Machtfaktor in Mittelgriechenland. Die Herrschaft der K. dauerte bis 1388, bis zur Eroberung Athens durch Nerio Acciaiuoli, an. Die Geschichte der Katalanischen Kompanie ist v. deren Schatzmeister Ramon Muntaner in seiner „Crònica“ beschrieben worden. Wegen ihrer Grausamkeit haben die K. auch Eingang in die balkanische Volksüberlieferung gefunden (z. B. alb. katallani „einäugiger Riese“, Menschenfresser). 479
Katholizismus
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Katholizismus. Nachdem im soe. Raum früh entlang der wichtigsten Verkehrswege u. der Küste missioniert worden war, verschwand durch den Zuzug der slav. Stämme (→Slav. Landnahme) das Christentum zunächst wieder, außer im gr. Bereich (→Byzanz) u. entlang der Adria. Ab dem 8. Jh. erfolgte eine erneute Missionierung, die auch die lokalen Fürstenhäuser erfasste u. so den Aufbau kirchl. Strukturen ermöglichte. Dieser Missionierungsprozess fand 864/65 mit der →Christianisierung der Bulgaren seinen Abschluss (→Slavenapostel). Im 11. Jh. wurden mit dem Vordringen der Magyaren die ersten Bistümer (wieder-) begründet, nachdem die antiken Sitze untergegangen oder bedeutungslos geworden waren (so etwa Gran/Esztergom 1001, Erlau/Eger 1006/9, Kalocsa 1009, Fünfkirchen/Pécs 1009, Neutra/Nitra 1024, →Zagreb 1091). Anfangs überwog im soe. Raum der kirchl. Einfluss Roms. Die Aufteilung des Illyricums in einen westl. u. einen östl. Teil wurde kirchlicherseits zunächst nicht mitvollzogen. Im zeitlichen Zusammenhang mit dem Ikonoklasmus (→Bilderstreit) wurde im 8. Jh. die päpstliche Jurisdiktion über das Illyricum aufgehoben u. dem Patriarchen v. Konstantinopel übergeben. Doch wie es bis zum 9. Jh. noch starken lat. Missionseinfluss gegeben hat, v. a. im westl. Teil, so gab es etwa an der Adriaküste bis ins 11. Jh. byz. Einflüsse, auch nachdem 923 Ks. u. →Patriarch v. Konstantinopel de facto auf ihre Ansprüche in Dalmatien verzichteten. Bei den Serben ist am deutlichsten zu sehen, dass die kirchl. Festlegung erst relativ spät erfolgte (noch 1217 akzeptierte Stefan Prvovenčani v. Rom die Krone; →Nemanjiden). Erst die Schaffung v. festeren Machtstrukturen durch die →Osmanen (→Osman. Reich) brachte eine Stabilisierung der kirchl. Verhältnisse zugunsten der →Orthodoxie mit sich, zumal dadurch auch die „→Bosnische Kirche“ unterging. Die röm. Kirche, die in Gegnerschaft zu den Osmanen stand, verlor nahezu jeden Einfluss u. konnte sich nur in Randgebieten (z. B. im nördl. alban. Bereich) behaupten. Einen Sonderstatus genossen die →Franziskaner in →Bosnien. In Ungarn haben Einflüsse aus ganz Europa (u. a. vermittelt durch die →Kreuzzüge) für die Ausgestaltung des K. dort gesorgt (besondere Bedeutung v. Monarchie [→Stephanskrone], Domkapitel u. →Orden). Hier konnte sich die →Reformation, auch durch manche →Magnaten begünstigt, besonders schnell durchsetzen. In der katholischen Restauration seit Ende des 16. Jh.s u. später durch die Unterstützung der Habsburgerkönige konnte der K. in Ungarn wieder an Boden gewinnen (→Gegenreformation; wichtige Rolle der Orden, v. a. von Jesuiten u. Piaristen für das Schulwesen). In den Gebieten der →Habsburgermonarchie genoss der K. generell eine privilegierte Stellung, war aber auch den Versu-
Katholizismus
chen staatl. Kontrolle unterworfen. Der →Josephinismus hielt den K. bis zum Konkordat v. 1855 unter Bevormundung des Staates. Nach 1918 gab es in den neuen Staatsgebilden SOEs nur in Ungarn (u. der Tschechoslowakei) eine kath. Mehrheit, während in den Ländern mit orth. Mehrheit die Möglichkeiten relig. Lebens für Andersgläubige oft eingeschränkt waren. Insbes. im ersten →Jugoslawien kam es zw. der kath. u. der serb. orthodoxen Kirche zu scharfer Konfrontation. Im 2. Wk. stellten sich viele Repräsentanten des K. auf die Seite des jeweiligen faschist. Regimes, auch wenn ihre Rolle noch immer nicht ganz geklärt ist (→Unabhängiger Staat Kroatien; →Slowakei; →Ungarn). Nach 1945 befand sich der K. fast überall in SOE unter komm. Herrschaft u. musste Verfolgung u. Einschränkungen seiner Aktivitäten hinnehmen (Prozesse gegen Kardinal József Mindszenty in Ungarn u. den späteren Kardinal Alojzije Stepinac in Jugoslawien, der 1998 von Papst Johannes Paul II. selig gesprochen wurde). Heute sind Slowenien, Kroatien, die Slowakei u. Ungarn eher kath. geprägte Länder, während es in Bosnien-Herzegowina, Rumänien u. Albanien signifikante kath. Minderheiten gibt. In Serbien, Kosovo, Montenegro, Makedonien, Griechenland u. Bulgarien bilden die Katholiken nur eine jeweils sehr kleine u. unbedeutende Minderheit. V. a. in Kroatien, mit Einschränkung in Ungarn u. Slowenien, wurde dem Umstand Rechnung getragen, dass die kath. Kirche Mehrheitskirche ist, indem ihr die staatl. Behörden nach dem Ende des komm. Regimes einen hohen Stellenwert einräumten. Während die kath. Kirche in den Ländern, wo ihre Angehörigen eine absolute Minderheit darstellen, ges. praktisch keine Rolle spielt, sind die Verhältnisse dort häufig schwierig, wo die Kirche eine bedeutende Minderheit bildet, zumal die Katholiken dann auch oft in Status oder Anzahl eine nationale Minderheit sind (Ungarn in Rumänien, Kroaten in Bosnien-Herzegowina). Die kath. Kirchen SOEs haben – ebenso wie die orthodoxen u. der →Islam – aufgrund ihrer Geschichte oft eine wichtige Rolle bei der Bewahrung der ethn., später der national ausgerichteten Identität ihrer Gläubigen gespielt, v. a. nach der zunehmenden Identifizierung von konf. u. nat. Zugehörigkeit im 19. Jh. (→Nationsbildung). Bei den Kroaten gilt das v. a., weil der Konfessionsunterschied neben der unterschiedlichen hist. Entwicklung entscheidendes Abgrenzungsmerkmal gegenüber den →bosn. Muslimen u. den orth. Serben war, so dass also das Festhalten an der kath. Identität auch die Erhaltung bzw. Bewusstseinsbildung des Kroatentums (etwa in Bosnien in österr.-ung. Zeit oder im ersten Jugoslawien) bedeutete. In Rumänien gibt es Konflikte entlang der nationalen Grenze auch innerhalb des K., also zw. Katholiken ung. Nationalität u. kath. Rumänen (a. → Csángós). Auch hier spielt der nationale Gegensatz eine wichtige Rolle. In SOE gab u. gibt es auch kath. Gläubige des byz. Ritus (→ „Unierte“), v. a. in Rumänien (→ Siebenbürgen), der Slowakei, Kroatien, Serbien (Vojvodina) u. Makedonien. Während sie in Rumänien unter den Kommunisten gewaltsam unterdrückt u. in der ČSSR gerade noch toleriert wurden, konnten sie sich im einstigen Jugoslawien relativ ungestört entwickeln. Nach der Möglichkeit einer offiz. Registrierung gr.-kath. Gemeinden in Rumänien 1990 kam es zu schweren Auseinandersetzungen zw. Unierten u. Orthodoxen u. zu Störungen der Beziehungen zw. der rum. orth. u. der kath. Kirche, bis hin zur Belastung des offiziellen ökumenischen Dialogs zw. Orthodoxie u. K. auf Weltebene.
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Auffallend ist das reich entwickelte Ordensleben (→Franziskaner, Jesuiten, Benediktiner, zahlreiche Frauengemeinschaften). In Bosnien-Herzegowina, wo bis zur Errichtung einer weltgeistlichen Hierarchie 1888 nur Franziskaner tätig waren, ist ihr Einfluss heute noch sehr groß (im Bistum Mostar fast 2/3 der in der Gemeindeseelsorge tätigen Priester!), ebenso in Kroatien. Neben der Seelsorge spielen Ordensleute v. a. im Schul- u. Bildungswesen eine wichtige Rolle. Viele Entwicklungen, die sich in den westl. kath. Ortskirchen in den letzten Jahrzehnten vollzogen haben, sind in SOE nicht vonstatten gegangen. Das hängt damit zus., dass die dortigen kath. Ortskirchen in den letzten Jahrzehnten in einer Umgebung leben mussten, die allen relig. Phänomenen gegenüber feindlich gesonnen war, u. sich daher auf Gebieten wie kirchl. Jugendarbeit, Religionspädagogik, kirchl. Präsenz in den Medien oder theol. Publikationen nicht wie die westeuropäischen Kirchen entwickeln konnten. Die Beschlüsse des 2. Vatikanischen Konzils wurden – wenn überhaupt – oft nur sehr träge in die Realität umgesetzt. Das ist umso bemerkenswerter, als viele Theologen ihre Ausbildung in westl. Ländern erhalten haben. Die Erklärung für den kons. Zug dieser Kirchen ist auch in vorkomm. Umständen zu suchen. Die ländliche Prägung des K. in SOE mit der besonderen soz. Position des Priesters ist ein Grund dafür; die besondere Konzentration auf die eigene Geschichte u. die eigene Nation ist ein weiterer, der dazu beigetragen hat, dass sich die kath. Ortskirchen SOEs den Notwendigkeiten ökumenischer Beziehungen zu anderen Christen u. den Herausforderungen der Welt, in der sie leben, nicht immer gewachsen zeigen.
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Katun / Kaufleute
Katun (arom. Cătun; it. cantone, > lat. cantus). Organisationsform der Sommer- bzw. Winterweidetätigkeit balkanischer Wanderhirten (→Transhumanz). Der Begriff ist schon im „Strategikon“ v. Kekaumenos (10. Jh.) belegt. Im MA verstand man darunter überwiegend Hüttensiedlungen vlachischer oder alb. Viehzüchter im Gebirge. Im →Zakonik des Stefan Dušan wird K. zunächst als eine Siedlungsform – neben →„Dorf“ – erwähnt, dann als eine administrativ-pol. Organisationseinheit neben Stadt u. Gau (župa). Die osm. Quellen des 15.–17. Jh.s definieren K. vornehmlich als eine fiskalische Kategorie, u. zwar im Zusammenhang mit dem Vlachenstatus (→Vlachen) einiger Bevölkerungsgruppen: So wurden 20 Haushalte im Gebiet von Braničevo (bzw. 50 Haushalte im Gebiet von Smederevo) als ein K. aufgefasst, mit der Auflage, dem Sancakbey jährlich ein Zelt, einen Laib Käse, drei Seile, sechs Halfter, einen Sack Butter u. einen Widder zu liefern sowie einen Knecht zur Verfügung zu stellen – Verpflichtungen, die auf die wirt. Möglichkeiten der Wanderhirten abgestimmt waren. Seit Ende des 15. Jh.s betrieben immer mehr K.s auch etwas Landwirtschaft, was mit dem gleichzeitig zu beobachtenden Prozess der Sesshaftwerdung viehzüchtender Bevölkerungsgruppen einherging. So bedeutete das Wort mancherorts (Nordalbanien) nur noch schlicht „Dorf“ (katund). Seine Relevanz für das Wirtschafts- u. Sozialleben transhumanter Hirtengesellschaften auf dem Balkan behielt jedoch der K. bis in das 20. Jh. bei. Lit.: K. Kaser, Hirten, Kämpfer, Stammeshelden. Ursprünge u. Gegenwart des balkanischen Patriarchats. Wien u. a. 1992, 107–110; A. Matkovski, About the Wallachian Livestock Breeding Organization in the Balkans with Special Attention to Katun, Review/Glasnik 31 (1987), H. 3, 199–221; N. Beldiceanu/P.Ş. Năsturel, La Thessalie entre 1454/55 et 1506, Byzantion 53 (1983), 104–156; S. Pulaha, Formation des régions de selfgovernment dans les Malessies du sandjak de Shkodër aux XV–XVIIe siècles, Studia Albanica (1976), 173–179; W.S. Vucinich, A Study in Social Survival: Katun in the Bileća Rudine. Denver 1975; P.St. Koleradov, Kăm văprosa za razvitieto na selištnata mreža i na nejnite elementi v središnata i iztočnata čast na Balkanite ot VII do XVIII v., Izvestija na Instituta za istorija pri BAN 18 (1967), 89–146; N. Beldiceanu/I. BeldiceanuSteinherr, Quatre actes de Mehmed II concernant les Valaques des Balkans slaves, SOF 24 (1965), 103–118; B. Djurdjev, Teritorijalizacija katunske organizacije do kraja XV veka (katun-knežinepleme), in: Simpozijum o srednjevjekovnom katunu. Hg. M.S. Filipović. Sarajevo 1963, 143–170; M.S. Filipović, Katun u našoj istoriografiji, in: a. a. O., 9–17; B. Hrabak, O hercegovačkim vlaškim katunima prema poslovnoj knjizi Dubrovčanina Dživana Pripčinovića, Glasnik Zemaljskog muzeja Bosne i Hercegovine 11 (1956), 29–39; N. Jokl, Katun. Zur Geschichte eines Balkanwortes, Indogermanische Forschungen. 33 (1913/14), 420–433; C. Jireček, Staat u. Gesellschaft im mittelalterlichen Serbien. Studien zur Kulturgeschichte des 13.–15. Jh.s. 3 Teile Wien 1912. F. A.
Kaufleute (gr. oi emporoi, oi emporeuomenoi, ai pragmateutai; bulg. tărgovci; kroat. u. serb. trgovci; türk. tüccâr). K. bewegten sich in der vorindustriellen Gesellschaft SOEs in einem pol. reglementierten Rahmen. Vorrang hatte in Byzanz wie im Osm. Reich stets die Sicherung des Bedarfs des Heeres u. der Flotte, der urbanen Zentren u. des Hofes. Dies mag einerseits die Bedeutung v. Monopolen – z. B. im Handel mit Metallen, Salz oder Alaun – erklä-
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ren, andererseits aber auch, warum Einfuhr gegenüber Ausfuhr begünstigt wurde. Generell gilt jedoch, dass der Fiskus an der Entwicklung des Kommerzlebens interessiert war, da ein beträchtlicher Teil der Einkünfte durch die Besteuerung v. Handel u. Gewerbe erzielt wurde. Dementsprechend hatten K., wie wenig sie auch pol. mit den milit.-adm. Eliten konkurrieren konnten, eine gewisse Verhandlungsstärke vis à vis der Zentralmacht. Umgekehrt war besonders der überregionale Großhandel auf die Protektion seitens einer starken Regierung angewiesen. Stimmten die mächtepolitischen Rahmenbedingungen nicht, so drohte den einheimischen Händlern wirt. Marginalisierung, wie sie in Byzanz seit dem 12. Jh. eingetreten war: Venezianer u. Genuesen erlangten aufgrund ihrer Privilegien eine dominierende Stellung im Ostmittelmeer-, Ägäis- u. Schwarzmeerraum, während im balkanischen Binnenland der Handel hauptsächlich v. K. aus →Dubrovnik (Ragusa) organisiert wurde. Der Aufstieg der osm. Macht seit dem 14. Jh. markiert insofern eine Wende, als die Vorherrschaft der Italiener zugunsten der einheimischen K. beseitigt wurde. Die Schließung des Schwarzen Meeres für die europ. Schiffahrt seit Beginn des 16. Jh.s u. die Ausweitung des osm. Machtbereiches in den vorderasiatisch-nordafrikanischen Raum hinein schufen die Grundlagen für ein weitläufiges Handelsnetzwerk. Die osm. Muslime u. Christen trieben Handel nunmehr sogar in Italien, wie die Existenz eines Fondaco dei Turchi in Venedig belegt. Im Balkanraum selbst durften die Ragusaner ihre Tätigkeit zu noch günstigeren Bedingungen fortsetzen. Bevölkerungszunahme, Urbanisierung sowie die relative Sicherheit der Landstraßen sind als weitere positive Faktoren zu erwähnen. Mit der Einwanderung der sephardischen Juden seit 1492 (→Sephardim), die kaufmännische Erfahrung, neue Produktionsverfahren u. beachtliches Kapital ins Land brachten, erhielt das Handelsleben zusätzliche Impulse. Seit dem frühen 17. Jh. genossen osm. Untertanen gr.-orth. Glaubens einen privilegierten Status in den Donaufürstentümern Walachei, Moldau u. Siebenbürgen. „Orientalische Waren“ fanden nun auf den Märkten Ungarns, Polens u. Russlands guten Absatz. Die eigenständige gr.-orth., der Herkunft nach vielfach aromunische (→Aromunen) Kaufmannsgilde, wie sie sich zuerst auf dem südl. Balkan entwickelt hatte, erwies sich hier als die beherrschende Organisationsform der überregionalen Handelstätigkeit. Ähnlich positiv wirkte sich der Levantehandel der Westeuropäer aus. Das 18. Jh. sah den Aufstieg einiger Küstenstädte (z. B. Smyrna/İzmir) zu wichtigen Kommerzzentren im östl. Mittelmeer. Neben den Niederlassungen v. Engländern, Franzosen u. Holländern behaupteten sich die einheimischen, nichtmusl. K. erfolgreich. Unverzichtbare Partner der Europäer im Orient, etablierten sie sich auch in den Hafenstädten des westl. Mittelmeeres, wobei Marseille zu einem Sammelpunkt der balkanchristl. Diaspora wurde. Die Habsburger, die im Friedensvertrag v. →Passarowitz (1718) eine vorteilhafte Position im Orienthandel erlangt hatten, bedienten sich ebenfalls der Vermittlung gr.-orth. K. Reeder aus dem Archipel erhielten das Privileg, v. Triest aus das Mittelmeer unter österr. Flagge zu befahren. Mit den Friedensverträgen v. →Küçük Kaynarca (1774) u. →Iaşi (1792), die das osm. Schwarzmeer-Monopol beendeten, öffnete sich auch der pontische Raum für die Unternehmungen gr. K., zumal das Zarenreich selbst über keine Handelsflotte verfügte. So entwickelte sich eine Neugründung wie Odessa im Laufe des 19. Jh.s zu einem wichtigen Importhafen für Olivenöl, Trocken-
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früchte, Wein, Baumwolle u. Seide aus dem Süden u. zu einem Exporthafen für Kaviar, Pelze u. Getreide des Nordens. Die Kontinentalsperre in der Ära der napoleonischen Kriege erwies sich als ein „goldenes Zeitalter“ für die balkanchristl. K. Man führte Wolle, Baumwolle, Seide, Textilien, Tabak, Wachs, Häute, Duftstoffe, Gewürze, Safran u. a. nach Wien, Regensburg oder Leipzig aus. Thessalische Bergsiedlungen wie Ambelakia wuchsen zu Produktionsstätten v. Textilien für Zentraleuropa. Importiert wurden aus den deutschen Erbländern der Habsburgermonarchie Wolltücher (Mähren u. Böhmen), Baumwolltextilien (Schlesien), Glas (Böhmen), Eisenwaren, Waffen u.ä. Auf habsburgischem Territorium – so in Wien, Buda-Pest, Szegedin, Debrecen, Temesvár (Timişoara) – formierten sich neue Kolonien v. K. aus dem Balkan. Orte entlang der Landroute durch die Flusstäler (Vardar, Morava, Donau), die den Südbalkan mit Zentraleuropa verbindet, erlebten in dieser Zeit einen Aufschwung. So entwickelte sich die Hafenstadt →Saloniki, die den südl. Endpunkt dieser Route markiert, im 18. Jh. zu einem Handelszentrum v. internationaler Bedeutung. Mit dem Beginn der österr. Donauschiffahrt während der vierziger Jahre des 19. Jh.s schließlich erhielten die kleineren Orte an der Donau wie Kladovo, Rusçuk (Ruse), Vidin, Svištov oder Lom die Chance, zu Handelshäfen ihres jeweiligen Hinterlandes heranzuwachsen. Auf lange Sicht waren jedoch die osm. K. gegenüber ihren europ. Konkurrenten benachteiligt: Die letzteren genossen im Rahmen der →Kapitulationen weitgehende Privilegien, so z. B. Exterritorialität einschließlich Niederlassungs- u. Steuerfreiheit auf osm. Boden, was immer mehr einheimische K. dazu veranlasste, selber den Status eines „Protégés“ einer ausländischen Macht anzustreben (zur kath. Teilgruppe →Levantiner). Unfähig, das Kapitulationsregime abzuschaffen, suchte die osm. Regierung die Position der eigenen K. dadurch zu stärken, dass sie ihnen einen vergleichbaren Status gewährte (die sog. beratlı- u. hayriye-K.) Unter Freihandelsbedingungen seit 1838 gerieten die osm. K. in zunehmende Abhängigkeit v. europ. Kapital, wenn auch sie ihre dominierende Stellung im Wirtschaftsleben des Reiches bis zum 1. Wk. bewahren konnten. In den jungen Nationalstaaten litt der Handel unter vielfältigen Strukturschwächen, nicht zuletzt unter den Folgen der Auflösung hist. gewachsener Marktbeziehungen. Die inneren soz. Umwälzungen (→Bodenreformen, Zwangsaustausch v. Bevölkerungen [→Zwangsmigrationen] u. a.) traten als erschwerende Faktoren hinzu. So stellte eine ländliche Genossenschaftsbewegung (in Bulgarien u. Kroatien) die Rolle der trad. Kaufmannsschichten grundsätzlich in Frage. Der Aufschwung der zweiten H. der 1920er Jahre wurde v. der →Weltwirtschaftskrise eingeholt. Etatistische Maßnahmen zur Überwindung der Krise (z. B. das Clearing-System) setzten die freie Marktwirtschaft de facto außer Kraft. Die negativen Tendenzen wurden durch die Zerstörungen des 2. Wk.s noch verstärkt. Die Volksdemokratien in einem Großteil SOEs in der Nachkriegszeit ließen dann ohnehin keinen Raum mehr für eine freie Marktwirtschaft. Die einheimischen K. in SOE haben es auch im Rahmen des privatwirt. Wiederaufbaus seit Ende des 20. Jh.s schwer, sich angesichts einer weitgehend globalisierten Konkurrenz zu behaupten. 485
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Kaza / Kisalföld
Kaza (a. Kasa, aus arab. qaḍāʼ). Gerichtssprengel, Amtsbezirk des →Kadi im Osm. Reich. Abgesehen von Ausnahmen wie dem Sancak von Istanköy (Kos), der aus einem einzigen K. bestand, war jeder →Sancak in mehrere K. u. diese wiederum in mehrere (Gerichts-) →Nahiye gegliedert. In den Kernländern des Osm. Reiches ähneln die K. im Umfang gelegentlich den antiken Stadtbezirken (civitas). Ein K. wurde vom gleichnamigen Hauptort (in der Verwaltungssprache nefs „selbst“ genannt) mit Sitz des zuständigen Kadi aus verwaltet. Um 1850 umfassten die elf →Eyalets auf europ. Boden (ohne Moldau, Walachei, Belgrad u. Serbien) bei 46 Sancaks insges. 370 K. (unter Ausschluss Istanbuls). Lit.: K.-Grenzen für das gesamte Osm. Reich der Zeit um 1900 enthält das Kartenwerk (Maßstab 1:1.500.000) von R. Huber (bearbeitet von F. Loeffler), Empire Ottoman, Division Administrative. Dressé d’après le Salnamé de 1899/1317; M.K. Özergin, Rumeli Kadılıkları‘nda 1078 Düzenlenmesi, in: İ. Hakkı Uzunçarşılı‘ya Armağan. Ankara 1976, 251–309; A. Hurremi-Zade, Popis kadilukâ u Evropskoj Turskoj od Mostarca Abdullah Hurremovića. Hg. H. Šabanović, Glasnik hrvat. zemaljskog Muzeja 54 (1942), 307–356. M. U.
Kisalföld („Kleine Tiefebene“). Im Gegensatz zum →Alföld so genanntes Tiefland an beiden Seiten der mittleren Donau in Westungarn u. der südwestl. Slowakei (für deren Anteil slowak. mittlerweile auch Podunajská nížina, „Donautiefland“ als separater Landschaftsname eingebürgert ist), einschließlich der Großen und Kleinen Schüttinsel und des heute österr. Seewinkels, v. etwa 7.000 km2 Fläche. Die entwickelte Landwirtschaft (auch Weinbau) u. die alten, teilweise auf röm. Gründungen zurückgehenden Städte des K. (Ödenburg, Pressburg, Raab usw.) machten es seit dem MA zu einem reichen u. strategisch wichtigen Gebiet. In der Türkenzeit nur teilweise an die Osmanen verloren oder verwüstet, beheimatete das K. im 16.–18. Jh. die ung. Regierungsämter (→Bratislava/Preßburg) u. die 1635 als Jesuitenkolleg neu gegründete Universität v. Tyrnau (bis zu deren Verlagerung nach Ofen/Buda 1777; →Universitäten). Das im Westen des K. – um den Neusiedlersee – gelegene Marschland (Hanság) lieferte Fisch u. Schilf. Die fruchtbare Ebene, meist in Großgrundbesitz, zeichnete sich durch höchstentwickelte Landwirtschaft aus. Das K. hat bis heute das dichteste Eisenbahnnetz in Ungarn. 1920 wurde der Teil des K. links der Donau der Tschechoslowakei (→Slowakei) u. der westl. Teil Österreich (→Westungarn; →Burgenland) zugesprochen. 1978 begann die Planung des Stausystems der Donau bei Gabčikovo u. Nagymaros im K., die einerseits zu den ersten Massendemonstrationen im spätkomm. Ungarn, andererseits zu Spannungen zw. den beiden Nachbarländern führten. Lit.: B. Borsos, Dunántúl Kisalföld Alföld. Budapest 2011 (A magyar népi kultúra régiói, 1); A Kisalföld és a Nyugatmagyarországi peremvidék. Hgg. L. Ádám/S. Marosi. Budapest 1976 (Magyarország tájföldrajza, 3). J.M. B. 487
Kleine Entente
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Kleine Entente. Bündnissystem zw. der Tschechoslowakei (ČSR), dem „Kgr. der Serben, Kroaten u. Slowenen“ (resp. →Jugoslawien) u. →Rumänien. Die in Erinnerung an die Weltkriegs-Entente von Zeitgenossen (zunächst spöttisch) bezeichnete „Kleine Entente“ ging aus drei bilateralen Verträgen (zw. Jugoslawien u. der ČSR vom 1.8.1920, zw. Rumänien u. der ČSR vom 23.4.1921 sowie zw. Jugoslawien u. Rumänien vom 7.6.1921) hervor. Die Vereinbarungen zw. den drei Nachfolgestaaten Österreich-Ungarns dienten in erster Linie der milit. Einschüchterung des Verliererstaats →Ungarn sowie der Abwehr v. Bestrebungen zur Restauration der Habsburgerdynastie. Bei der Abwehr des ung. →Revisionismus erwies sich die K.E. bis zu ihrer faktischen Auflösung im Herbst 1938 als durchaus effektiv. Dem im Verlauf der 20er u. Anfang der 30er Jahre entwickelten Anspruch, in Zusammenarbeit mit Frankreich den durch die →Pariser Vorortverträge geschaffenen Status quo umfassend zu sichern, konnte das Bündnis auf längere Sicht dagegen nicht gerecht werden. Im Sommer 1934 erklärte der tschechoslowak. Außenminister Edvard Beneš: „In Mitteleuropa hat die K.E. drei fest entschiedene u. statuierte Ziele, in denen sie unerschütterlich, kompromisslos u. unnachgiebig ist u. bleibt. Sie ist gegen territoriale Revision, sie ist gegen den Anschluss [Österreichs an Deutschland], sie ist gegen die Restauration der Habsburger in welcher Form auch immer.“ Nimmt man noch die entschiedene Frontstellung der K.E. gegen jegliche Änderung der milit. Klauseln der Friedensverträge hinzu, so hat man die vier wesentlichen Teilziele in der Status-quo-Politik der K.E. Mit diesem umfassenden Abwehrprogramm fügte sich die Allianz in das frz. Sicherheitssystem ein, aber nur gegenüber Ungarn u. dem jug.-rum. Gegner →Bulgarien war eine derartige Politik auch vertraglich fixiert. Die außenpol. Hauptsorgen der K.E.-Staaten blieben dagegen im Vertragswerk unberücksichtigt. Furcht vor →Deutschland bei der ČSR, Furcht vor Italien bei Jugoslawien u. Furcht vor →Russland/Sowjetunion bei den Rumänen überlagerten den vertraglich festgeschriebenen Bündniszweck der K.E. u. drohten, ihn zusehends in den Hintergrund zu rücken. Gelegentliche Initiativen zur Ausweitung der Casus-foederis-Klauseln gegen jeden Aggressor u. zum Abschluss eines umfassenden Allianzvertrages zw. der K.E. u. Frankreich zerschlugen sich infolge der divergierenden außenpol. Nöte der K.E.-Staaten. Auch der im Februar 1933 geschlossene „Organisationspakt“ führte nicht zu einer stärkeren pol. Koordination zw. den Partnern. Am bedeutungsvollsten war noch Art. 6, der die Mitgliedstaaten dazu verpflichtete, eine gemeinsame Außenpolitik in jede Richtung zu führen. Faktisch verlor auch dieser Artikel schnell seine Bedeutung, da auf den Konferenzen der K.E. in den Jahren 1935/36 das Recht jedes Mitgliedstaates auf die unabhängige Ausgestaltung seiner Beziehungen zur Sowjetunion u. zum Dt. Reich ausdrücklich anerkannt wurde. Nicht nur die außenpol., sondern auch die wirt. Interessen der ČSR, Jugoslawiens u. Rumäniens waren so grundverschieden, dass an eine gemeinsame Politik nicht zu denken war. Ohne Abstimmung der Sicherheitspolitik mit den Handelsinteressen standen jedoch die K.E. wie auch die bilateralen Verträge der drei Staaten mit Frankreich auf einem brüchigen Fundament. Als Teil des frz. Bündnissystems zur Sicherung des Status quo war die K.E. seit Anfang der 30er Jahre zunehmend ins Visier der dt. Außenpolitik geraten. Die verheerenden Auswirkungen der →Weltwirtschaftskrise auf die Agrarstaaten Jugoslawien u. Rumänien boten ihr in der Endphase der Weimarer Republik u. verstärkt nach Hitlers Machtübernahme
Kleine Entente / Klephten
die Möglichkeit, mit Hilfe handelspol. Instrumentarien (Präferenzabkommen, Clearingverträge), die pol. u. finanz. Dominanz Frankreichs im SO zu unterlaufen. Die zunehmende wirt. Abhängigkeit Jugoslawiens, später auch Rumäniens vom „Dritten Reich“ führte zur allmählichen Isolierung der ČSR u. zugleich zur Aushöhlung des frz. Sicherheitssystems. Die letzte Zusammenkunft des „Ständigen Rates“ der K.E. fand am 28.8.1938 in Bled (Jugoslawien) unmittelbar vor dem Münchener Abkommen statt. Der tschechischen Politik gelang es nicht, die Unterstützung der beiden Bündnispartner gegen die Bedrohung der ČSR durch Deutschland zu erhalten. Nach dem Münchener Abkommen (29.9.1938) bestand die K.E. faktisch nicht mehr. Mit ihrer unbeweglichen Status-quo-Politik hatte sie dazu beigetragen, die Spaltung des Donau-Balkan-Raums in Sieger u. Verlierer des 1. Wk.s zu zementieren, ohne jedoch stark genug zu sein, das Ungleichgewicht milit. u. wirt. effektiv zu sichern. Lit.: C. Ailianos, La Grèce et la Petite Entente, 1918–1939. Thessaloniki 2011; Československá zahraniční politika a vznik Malé dohody. Bd. 1: 4. červen 1920–31. květen 1921. Bd. 2: 1. Červen–31. prosinec 1921. Praha 2004/05; C. Prévélakis, Entre alliance et crise de confiance: la politique balkanique de la France et son échec (1938–1940), Balkanologie 7 (2003), 137–146; Z. Sládek, Malá dohoda 1919–1938: její hospodářské, politické a vojenské komponenty. Praha 2000; M. Adám, The Little Entente and Europe (1920–1929). Budapest 1993; M. Ádám, Richtung Selbstvernichtung. Die Kleine Entente 1920–1938. Budapest, Wien 1988; H. Sundhaussen, Die Rolle der Kleinen Entente bei der Stabilisierung u. Destabilisierung des Friedens im Donau-Balkan-Raum, in: Friedenssicherung in Südosteuropa. Föderationsprojekte u. Allianzen seit dem Beginn der nationalen Eigenstaatlichkeit. Hgg. M. Bernath/K. Nehring. München 1985, 139–153; H. Lemberg, Die Tschechoslowakei in der Kleinen Entente, in: Gleichgewicht – Revision – Restauration. Die Außenpolitik der Ersten Tschechoslowakischen Republik im Europasystem der Pariser Vorortverträge. Hg. K. Bosl. München u. a. 1976, 265–276; G. Reichert, Das Scheitern der Kleinen Entente. Internationale Beziehungen im Donauraum v. 1933 bis 1938. München 1971; M. Vanku, Mala Antanta 1920–1938. Titovo Užice 1969; E. Campus, Mică Inţelegere. Bucureşti 1968; M. Ádám, Magyarország és a kisantant a harmincas években. Budapest 1968. H. S.
Klephten (gr. kleptēs, klephtēs, „Räuber“). K., wie die Briganten in dem gr. geprägten Teil der Balkanhalbinsel hießen, gehörten zum Alltag, v. a. in jenen Regionen, in denen die transhumante Viehhaltung (→Transhumanz) die Grundlage des Lebens bildete. Die Landschaften Agrapha, die den südl. Teil des thessalisch-epirotischen Pindus umfasst, u. Zagoria u. →Himara im Norden galten dabei als besonders gefährliche Gebiete. Die Expansion des Wanderhirtentums seit der Epoche der Kreuzzüge, als alb. u. vlach. Viehzüchter in immer größeren Zahlen in Epirus, Thessalien u. der Peloponnes erschienen, trug zum Rückgang des Ackerbaus u. damit zur Verdünnung des ländlichen Siedlungsnetzes auch in den großen Ebenen u. Beckenlandschaften bei, u. parallel dazu brach die öffentliche Ordnung in diesen Zonen der intensiveren Agrikultur fast völlig zusammen. Die Osmanen, die seit Ende des 14. Jh.s als neue Herren auf dem gr. Festland auftraten, versuchten, die Lage dadurch zu meistern, dass sie die Wanderhirten für die Sicherheit der
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Klephten
Bergpässe haftbar machten. Die Folge war die Institution der →Armatolen. Die Verhältnisse auf dem Lande blieben aber trotzdem noch lange prekär. Denn die viehzüchtenden u. vielfach noch nomadisierenden Bevölkerungsgruppen lebten unter äußerst ungünstigen Bedingungen. Um sich selbst u. ihre Herden ernähren zu können, waren sie manchmal auf Raub angewiesen. Angesichts der Schwäche bzw. des Fehlens einer übergeordneten (staatlichen) Autorität entwickelte sich unter ihnen als Regulativ für soz. Verhalten ein spezifischer Ehrenkodex, wobei die „Ehre“ offenkundig zur Behauptung des eigenen, wenig gesicherten Besitzes diente. Ahnenstolz, →Blutrache, Wettkampf um Prestige sowie eine gewisse Verachtung für die ackerbauende Bev. waren in diesem Milieu die Grundzüge eines heroischen Menschenbildes, das der Jugend als Ideal vorschwebte. K. operierten in Banden v. bis zu 100 Burschen unter einem Anführer. Die Sommer verbrachten sie in den Bergen, praktisch in Tuchfühlung mit den Wanderhirten. Zur Überbrückung der kalten Jahreszeit waren sie auf die Hilfe v. Bewohnern v. festen Dörfern in den Niederungen angewiesen. Auch mit den Armatolen, den Verantwortlichen für die Einhaltung v. Ruhe u. Ordnung, standen sie hier in enger Beziehung – beide gleichsam im Bewusstsein dessen, dass ihre diametral entgegengesetzten Rollen im Grunde jederzeit austauschbar waren. Denn wie im übrigen SOE bei den →Haiduken die Neigung zum Martolosendienst (→Armatolen), so fühlten sich v. a. ältere K. zu einer Stellung in der Armatolenmiliz geradezu berufen. In Kriegszeiten kollaborierten die K. mit dem jeweiligen Feind des Osm. Reiches – anfänglich mit Venedig (→Venezianisches Überseereich), später mit →Russland oder dem revolutionären Frankreich. An ihrer archaischen Eigenständigkeit machten sie jedoch gerade Europäern gegenüber keine Abstriche, wie viele →Philhellenen z. Zt. des gr. Aufstandes bitter erfahren mussten. Sogar der gr. Nationalstaat war außerstande, die K. u. die mit ihnen assoziierten Gruppen zu kontrollieren (→Griechenland; →Befreiungskriege). Der nationale →Irredentismus gegenüber dem Osm. Reich (→Kreta, →Makedonien [Region]) einerseits u. die Integration v. K. in paramilitärische Verbände andererseits dienten als Ventile, ges.-pol. Spannungen abzubauen. Erst nach der kleinasiatischen Katastrophe v. 1922 (→Megali Idea) verschwand das K.-Problem endgültig.
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Lit.: D.Gr. Kampuroglu, Armatōloi kai klephtes (1453–1821). Athen 2012; J. Koliopoulos, Brigands with a Cause. Brigandage and Irredentism in Modern Greece, 1821–1912. Oxford 1987; ders., Captains, Brigands, and Irregulars of Central Greece in Times of Crisis and Revolution, 1833–1854, in: East Central European Society and War in the Era of Revolution, 1775–1856. Hg. B.K. Király. New York 1984, 303–329; ders., „Enemy of the Nation“: Attitude towards Brigandage in Nineteenth-Century Greece, in: New Trends in Modern Greek Historiography. Hgg. A.L. Macrakis/P.N. Diamandouros. Hanover/NH 1982, 39–51; A. Politis, Brigandage – excédents économiques – élevage: Hypothèses pour une définition de l’interimbrication de ces éléments dans un circuit commun (XVIIe–XIXe s.), in: Économies méditerranéennes équilibres et intercommunications, XIIIe–XIXe siècles. Bd. II. Athènes 1986, 155–170; ders., To dēmotiko tragudi. Kleftika. Athen 1981; J. Alexander, Brigandage and Public Order in the Morea, 1685–1806. Athens 1985; Sp.J. Asdrachas, Quelques aspects du banditisme social en Grèce au XVIIIe siècle, Études
Klientelsystem
balkaniques 1972/4, 97–112; W.St. Clair, „That Greece Might Still Be Free“. The Philhellenes in the War of Independence. London 1972; Th. Kolokotronis, Memoirs from the Greek War of Independence 1821–1833. Chicago 1969; The Memoirs of General Makriyannis, 1797–1864. Hg. H.A. Lidderdale. London 1966; I.K. Basdrabellēs, Armatōloi kai klephtēs eis tēn Makedonia. Thessaloniki 1948 (²1970). F. A.
Klientelsystem (v. lat. clientela: Gefolgschaft v. Schutzbefohlenen). Ein soz. Treueverhältnis, in dem ein Mächtiger (patronus, daraus abgeleitet: Patronage) seine amtliche Stellung, seine Beziehungen, seine Kenntnisse oder seinen Besitz zum Schutz v. Schwächeren gebraucht, die ihm diesen Einsatz durch vielfältige Gegenleistungen, v. a. milit. u. pol. Gefolgschaft, lohnen. In der byz. Gesellschaft (→Byzanz) mit ihrem relativ hohen Maß an soz. Mobilität ermöglichte der Eintritt in die Gefolgschaft (hetaireia) des Kaisers oder eines mächtigen (dynatos) Amtsträgers oder Höflings, der Patronage (prostasia) gewährte, einem geschickten Gefolgsmann (dulos, oikeios, anthrōpos) den Erwerb v. Ämtern, Landbesitz u. Reichtum. Mit Hilfe seiner Gefolgschaft konnte ein Mächtiger den Kaiserthron erobern u. sichern (Michael II. 820, Basileios I. 867) oder entscheidend in den Kampf um ihn eingreifen (z. B. Basileios Lakapenos 963 für Nikephoros Phokas). Noch in spätbyz. Zeit, als aristokratische Familien in höherem Maße das pol. Geschehen bestimmten, konnte ein Mann v. unbedeutender Herkunft wie Alexios Apokaukos über die Gefolgschaft des Andronikos Asan bis zum megas dux u. Lenker der Reichspolitik v. 1341–1345 aufsteigen. Johannes XIV. Kalekas u. Philotheos Kokkinos bestiegen trotz niedriger Abkunft dank der Protektion des megas domestikos u. zeitweiligen Kaisers Johannes VI. Kantakuzenos den Patriarchenthron. Große Bedeutung bei der Festigung v. K.verhältnissen kam in Byzanz wie in der gr. Gesellschaft der Neuzeit (→Griechenland) der Herstellung v. geistlichen Verwandtschaften zu, in denen der Patron entweder als Taufpate der Kinder seiner Klienten (anadochos, synteknos, kumparos) oder als Brautführer (paranymphos) auftritt. In der Neuzeit förderte der Patron meist als Anwalt die Anliegen seiner Klientel, die ihm dafür mit ihren Stimmen einen Sitz im Athener Parlament sicherte. – Klientelismus/Patronage als asymetrische Austauschbeziehung zw. einem Patron u. seinem Klienten ist in vielen Gesellschaften verbreitet. Die Grenze zw. Klientelismus u. →Korruption ist fließend; in der Gegenwart werden sie häufig als Synonyme verwendet. Klientelismus gilt dabei vielfach als typisches Merkmal des staatlichen u. ges. Institutionengefüges in SOE (s. a. →Verwandtschaft/Netzwerke). Lit.: A. Vári/J. Pál/St. Brakensiek, Herrschaft an der Grenze. Mikrogeschichte der Macht im östlichen Ungarn im 18. Jahrhundert. Köln u. a. 2014 [behandelt die Herrschaftspraxis im ung. Komitat Szatmár; mit einer Weiterentwicklung des Klientelismus-Konzepts]; P.K. Georgiev, Corruptive patterns of patronage in South East Europe. Wiesbaden 2008; A. Mączak, Ungleiche Freundschaft. Klientelbeziehungen von der Antike bis zur Gegenwart. Osnabrück 2005; R. Macrides, The Byzantine Godfather, Byzantine and Modern Greek Studies 11 (1987), 139–162; V. Vuidaskis, Tradition u. sozialer Wandel auf der Insel Kreta. Meisenheim 1977, 75–115; Patrons and Clients in Mediterranean Societies. Hgg. E. Gellner/J. Waterbury. London 1977; H-G. Beck,
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Klokotnica / Kmeten
Byzantinisches Gefolgschaftswesen, Sitzungsberichte der Bayer. Akademie der Wiss., phil.-hist. Kl. 1965, Heft 5 (= ders., Ideen u. Realitäten in Byzanz. London 1972, Nr. XI). K.-P. T.
Klokotnica. Heute ein kleines Dorf in Bulgarien nahe v. Chaskovo, an der Straße v. Sofia nach Istanbul gelegen (bis 1906 Semichča), war am 9.3.1230 Schauplatz einer der großen Entscheidungsschlachten um die Beherrschung der südl. Balkanhalbinsel. Als dem Bulgarenherrscher Ivan II. Asen (1218–1241; →Aseniden) die Vormundschaft über den noch minderjährigen Thronfolger des →Lateinischen Kaiserreiches in Konstantinopel Balduin II. angetragen wurde, brach der epirotische Herrscher Theodoros Angelos Dukas Komnenos (1215–1230) u. byz. Gegenkaiser in Thessaloniki (1224–1230) den seit 1218 bestehenden Bündnisvertrag mit seinem bulg. Konkurrenten u. holte zum Präventivschlag aus (→Epirus). Ivan II. Asen wehrte den Einfall der epirotischen Truppen bei K. erfolgreich ab u. nahm Theodoros Komnenos mit seinem Gefolge gefangen. Bulgarien erreichte den Höhepunkt seiner Macht u. seiner territ. Ausdehnung (2. →Bulgarisches Reich). Der Bulgarenherrscher kontrollierte zeitweise ein Areal, das an drei Meere (Adria, Schwarzes Meer u. Ägäis) angrenzte. Zur Erinnerung an den glanzvollen Sieg errichtete Ivan II. Asen in seiner Residenzstadt Tărnovo die Kirche der heiligen 40 Märtyrer. Er ließ eine Ruhmestafel anbringen u. sich als „wahren Zaren von Christi Gnaden, Alleinherrscher über die Bulgaren“ feiern, der das ganze Land „von Adrianopel bis Durazzo u. dazu griechisches, albanisches u. serbisches Land“ erobert hat. Lit.: →Bulgarisches Reich; Epirus. E. H.
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Kmeten. Der Begriff kmet (Sing.) dürfte allem Anschein nach altslav. Herkunft sein, aber seine Etymologie ist unsicher. Hist. genommen gehört er in die Agrargesellschaften des feudalen Zeitalters u. bezeichnet die Abhängigkeit der Bauern v. den Grundherren in unterschiedlicher Weise u. Stufe – v. der Verpflichtung auf verschiedene Abgaben u. Frondienste bis zur persönlichen Gebundenheit an die Scholle (glebae adscripti), d. h. zur Leibeigenschaft (→Bauern, FNZ; →Sklaverei, Leibeigenschaft). Im soe. Raum war der Begriff in Slowenien, Kroatien u. v. a. in Bosnien-Herzegowina verbreitet. In anderen soe.Gebieten bzw. Balkanländern wurden ähnliche ges. Zustände mit anderen Begriffen bezeichnet, z. B. parik (→Paröken) u. meropah im ma. Serbien. Dort wurde dagegen das Wort kmet zur Bezeichnung für Dorfschulzen oder Kirchengemeinderäte verwendet. Die Verpflichtungen der Kmeten gegenüber den Grundherren in →Bosnien-Herzegowina unter osm. Herrschaft waren nach Ort u. Zeit unterschiedlich belastend, doch wurden die bosn.-herzeg. Kmeten nie in Leibeigene der Grundherren verwandelt (→Feudalismus [Osm. Reich]). Allerdings verschlechterte sich ihre Lage in spätosm. Zeit deutlich. Die osm. Regelung des K.-Status v. 1859 hat Österreich-Ungarn nach der Okkupation 1878 übernommen u. während seiner 40jährigen Herrschaft mit einigen Anpassungen praktiziert. Eine moderne →Bodenreform samt Abschaffung des K.-Status wagte das österr.-ung. Regime aus
Kmeten / Knabenlese/Devșirme
nationalpol. u. finanziellen Gründen nicht. Erst in den Untergangsstunden der Donaumonarchie entledigten sich die bosn.-herzeg. K., zum größten Teil christlicher Religion, ihrer Bürden, manchmal mit Gewalttätigkeiten gegen ihre musl. Grundherren. Lit.: A. Babić, Društvo srednjovjekovne bosanske države, in: Prilozi za istoriju Bosne i Hercegovine. Bd. 1 Sarajevo 1987, 21–83; F. Hauptmann, Die Österreichisch-Ungarische Herrschaft in Bosnien u. der Hercegovina 1878–1918. Wirtschaftspolitik u. Wirtschaftsentwicklung. Graz 1983 (serbokroat. u. d. T.: Privreda i društvo Bosne i Hercegovine u doba austrougarske vladavine 1878–1918, in: Prilozi … [wie oben]. Bd. 2 Sarajevo 1987, 99–211); N. Klaić, Povijest Hrvata u razvijenom srednjem vijeku. Zagreb 1976; dies., Društvena previranja i bune u Hrvatskoj u XVI i XVII stoljeću. Beograd 1976; H. Kapidžić, Agrarno pitanje u Bosni i Hercegovini u vrijeme austrougarske uprave 1878–1918. Sarajevo 1973; M. Erić, Agrarna reforma u Jugoslaviji 1918–1941. god. ebd. 1958; V. Mažuranić, Prinosi za hrvatski pravno-povjestni rječnik. Zagreb 1908–1922 (Ndr. 1975); Ć. Truhelka, Historička podloga agrarnog pitanja u Bosni, Glasnik Zemaljskog muzeja u Bosni i Hercegovini 27 (1915), 109–218; Ders., Die geschichtliche Grundlage der bosnischen Agrarfrage. Sarajevo 1911. S.M. Dž.
Knabenlese/Devşirme (türk. devşirme; gr. paidhomázoma). Bez. für die periodische Aushebung christl. Knaben für die →Janitscharentruppe, den Palast oder den Verwaltungsapparat des →Osm. Reiches. Das türk. Wort für K. wurde bereits für die Praxis der Abführung eines Fünftels der Kriegsbeute, speziell an Gefangenen aus Feindesland, an den Herrscher gebraucht, aus der sich die K. im engeren Sinne entwickelt haben dürfte: Die Rekrutierung v. geeigneten Knaben aus den Reihen der im Osm. Reich lebenden →Zimmis zwecks Verwendung als kul („Sklave, Dienstmann“) im (erweiterten) Haushalt des Herrschers. Da nach Meinung bestimmter Juristen die Versklavung v. Untertanen eines isl. Staates – im Gegensatz zu Kriegsgefangenen – verboten ist, betonen manche Rechtsgelehrte seitdem den Unterschied zw. →Sklaverei als solcher u. Dienst für den Sultan (beides türk. kulluk genannt). Es ist gar argumentiert worden, nach schafiitischer Auffassung hätten all jene Bewohner des Landes, die erst nach Offenbarung des Koran zum Christentum bekehrt worden seien (d. h. die Hauptmasse der slav. Bev. des Balkans, nicht aber die Griechen) keinen Anspruch auf Behandlung als „Schutzbefohlene“ (Zimmi) des isl. Staates. – Die Rekruten (Angaben über die Altersgrenzen schwanken zw. 8–20 u. 15–20 Jahren) kamen vornehmlich aus der bäuerl. Bev.; Städter galten als verweichlicht (doch gibt es Beispiele von K. in Städten wie Athen). Verheiratete waren grundsätzlich ausgenommen, desgleichen Christengemeinden, die sich den Osmanen während der Eroberung kampflos ergeben hatten (z. B. Galata, Rhodos, Chios), sowie einige andere, darunter Istanbul sowie die Fürstentümer der →Moldau u. →Walachei. Juden blieben als Städter v. der K. mindestens de facto meist unberührt; Armenier unterlagen ihr nachweislich in späterer Zeit. Ausgenommen v. der K. waren alle Muslime – allein die slav. sprechenden →bosn. Muslime bilden eine Ausnahme. So zeigt ein undatiertes Dokument, dass aus dem →Kaza v. Yenipazar (Novi Pazar) in Bosnien unter 60 Knaben 16 christl. u. 44 musl. Religion auf dem Wege der K. ausgehoben wurden, um ohne Umweg
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Knabenlese/Devșirme / Knez
über die sonst für Rekruten obligatorische Unterweisung im Türkischen durch anatolische Familien direkt in den Dienst für den Sultan übernommen zu werden. – Auch Anatolien war v. der K. betroffen, angefangen möglicherweise beim bis 1461 christl. regierten →Kaiserreich v. Trapezunt. Die Gebiete des ehemaligen Kleinarmenien unterlagen der K. spätestens 1564, Batum 1584. Bis 1623 erstreckte sich das Rekrutierungsgebiet der K. im Osten auf fast ganz Anatolien. Dabei dürften sich regelmäßige, ein- bis fünfjährige Rekrutierungsintervalle erst im Laufe des 16. Jh.s entwickelt haben; bis dahin wird man nach Bedarf ausgehoben haben. Die neuere Forschung hat nachgewiesen, dass es neben der „offiziellen“ K. durch Organe des Zentralstaates auch „private“ Formen der Rekrutierung u. Verwendung v. Knaben christl. (allein im Falle Bosniens auch musl.) Herkunft in den Haushalten mancher Großen gegeben hat: So hinterließ ein aus Bosnien stammender →Aga nach seinem Tod 1557 156 Dienstleute, darunter 52 Bosniaken u. 16 Albaner, v. denen angenommen werden darf, dass sie den Weg über die „private“ K. gegangen sind, u. zwar aus freien Stücken, anders als die 23 Circassier, 22 Ungarn, sieben „Franken“ u. drei Deutschen, die wohl als Kriegsgefangene über die Sklavenmärkte in den Besitz ihres Herrn gelangt waren u. nun in den Dienst des Sultans übernommen zu werden baten. – Bis zum Beginn des 17. Jh.s waren die Reihen der Janitscharen bereits derart mit freigeborenen Muslimen überfüllt, dass die K. nur noch unregelmäßig Anwendung fand. Der letzte bezeugte Einsatz der K. fand Anfang des 18. Jh.s statt. Lit.: H. İnalcık, Ghulām IV. Ottoman Empire, in: EI2; V.L. Ménage, Devshirme, in: a. a. O; V. Demetriades, Some Thoughts on the Origins of the Devşirme, in: The Ottoman Emirate (1300–1389). Hg. E. Zachariadou. Rethymnon 1993, 23–33; M. Kunt, Transformation of Zimmi into Askerî, in: Christians and Jews in the Ottoman Empire. The Functioning of a Plural Society. 2 Bde. Hgg. B. Braude/B. Lewis. New York 1982, Bd. 1, 55–67; V.L. Ménage, Some Notes on the Devshirme, BSOAS 29 (1966), 64–78; A. Matkovski, Prilog pitanju devširme, Prilozi za orijentalnu filologiju 14–15 (1964–65), 273–309; B. Papoulia, Ursprung u. Wesen der „Knabenlese“ im Osmanischen Reich. München 1963 (vgl. Rez. V. Sp.Vryonis, Balkan Studies 5 [1964], 145–153); P. Wittek, Devşirme and Shari‘a, BSOAS 17 (1955), 271–278. M. U.
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Knez („Fürst“, in lat. Quellen mit „comes“ oder „princeps“ übersetzt). Südslav. Form eines in allen slav. Sprachen bekannten Terminus, abgeleitet vom urgerman. *„kuningaz“ oder got. *„kuniggs“ (König). Im südslav. Sprachraum taucht K. das erste Mal in der glagolit. Inschrift v. Baška auf Krk (Bašćanska ploča; zum Glagolitischen →Alphabet) Anfang des 12. Jh.s auf; der Begriff hatte im MA unterschiedliche Bedeutungen: In Serbien (→Serben; →Serb. Reich) u. →Bosnien war er die Amtsbezeichnung für Angehörige des Herrscherhauses, wenn diese größere Teilgebiete verwalteten. Nach dem Aussterben der →Nemanjiden wurde K. auch Herrschertitel (so K. Lazar, 1371–89). In Bosnien war K. auch ein Hofamt (dvorski knez). In →Kroatien nannten sich Häupter mächtiger Adelsgeschlechter (z. B. der Šubići) K. Auch die Stadtoberhäupter in den dalmat. Küstenstädten u. in →Dubrovnik führten den Titel. Während der Osmanenzeit trat eine Bedeutungsminderung ein: K. nannten sich die Vorsteher der lokalen Selbstverwaltung der Christen auf Distriktebene sowie die Dorfschulzen der christl.
Knez / Kolonen
Gemeinden. Den K.-Titel gab es auch bei den Rumänen (cnez oder cneaz) – als Bezeichnung für den Dorfrichter u. auch allgemein für den freien u. grundbesitzenden Bauern. Nach der Wiedererringung der staatlichen Selbständigkeit war K. der Titel des serb. (bis 1882) u. des mont. (1851–1910) Herrschers. Die bulg. Entsprechung war knjaz (Herrschertitel 1879–1908). Lit.: D. Kovačević-Kojić, O knezovima u gradskim naseljima srednjovjekovne Bosne, Radovi Filozofskog fakulteta Sarajevo 6 (1970–71), 333–345; B. Djurdjev, O knezovima pod turskom upravom, Istoriski časopis 1 (1948), 132–166; J. Bogdan, Ueber die rumänischen Knesen, Archiv für slavische Philologie 25 (1903), 522–543; 26 (1904), 100–114; D. Daničić, Rječnik iz književnih starina srpskih. Bd. 1. Beograd 1863 (Ndr. Graz 1962), 451–457. P. B.
Kolonen. Im Herrschaftsbereich der Republik Venedig (→Venezianisches Überseereich) wurde ein Agrarsystem praktiziert, das sich sowohl von den benachbarten osm. Agrarverhältnissen (→Kmeten) als auch von der osteurop. Gutswirtschaft unterschied: das Kolonatssystem (it. colonato, kroat. kolonat, težaština) (a.→Bauern, FNZ). Im hauptsächlichen soe. Verbreitungsgebiet →Dalmatien u. →Istrien wurde es auch unter österr. Herrschaft trotz zahlreicher soz. Spannungen u. adm. Reformvorschläge unter Verweis auf den Charakter als privatrechtliche Institution nicht abgeschafft u. erst im Gefolge der Agrarreform (→Bodenreformen) im ersten →Jugoslawien ab 1931 schleppend beseitigt. – Die Ursprünge des Systems reichen in die Zeit des Römischen Reichs zurück. Es beruhte auf folgenden Grundlagen: 1) Die Bauern lieferten den Zehent an den Staat sowie ein Viertel oder ein Drittel der Erträge an den die längste Zeit fast immer adeligen Grundeigentümer ab. 2) Ähnlich wie die Stadtbev. genossen die Kolonen (it. coloni, kroat. težaci) der dörflichen Umgebung persönliche Freiheit; der Grundherr (it. padrone, proprietario; kroat. posjednik) hatte i. d. R. keinerlei rechtl. Befugnis über die Bauernfamilien. Die bäuerliche Bev. kannte weder Leibeigenschaft noch Schollenbindung u. ausgedehnte Frondienstleistungen. 3) Es bestanden allerdings wirt. Abhängigkeiten. Die Abgaben u. ihre Höhe hingen davon ab, unter welchen privatrechtl. Bedingungen man sich mit dem Grundeigentümer arrangierte. Verkaufs- u. Erbrechte variierten in Art u. Dauer der Verpflichtungen. Der Kolone durfte nicht ohne Erlaubnis u. Feststellung der Ertragshöhe durch den Landeigentümer mit den Erntearbeiten beginnen. Das Haus des Bauern war vom Grundeigentümer zu errichten u. gehörte diesem. Es bestanden im wesentlichen zwei Arten von Vertragsbeziehungen: 1) In einem Grundherr-Landarbeiter-Vertrag übernahm die bäuerl. Familie kleine Weingärten oder Olivenhaine zur Bearbeitung u. leistete Naturalabgaben in der Höhe eines Viertels der Ernte u. den Zehent an den Eigentümer. Solche Verträge wurden unbefristet abgeschlossen. 2) In einem Grundherr-Bauern-Vertrag erhielt das Familienoberhaupt eine Bauernansässigkeit zur Bearbeitung. Obwohl der Grundeigentümer auch Eigenland besaß, scheinen erzwungene Arbeitsleistungen der Bauern auf diesen Eigenwirtschaften nicht sehr ausgeprägt gewesen zu sein; sie spielten offenbar weder für das Einkommen des Grundherrn noch für die bäuerl. Familie eine besondere Rolle. Seit der zweiten H. des 16. Jh.s wurden die Verträge zw. Adel u. Bauern ohne zeitliche Beschränkungen abgeschlossen.
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Kolonisation, Kolonistenrechte
Lit: J. Defilippis, Dalmatinska poljoprivreda u prošlosti. Split 2001; Z. Šimončić-Bobetko, Agrarno pitanje u Dalmaciji izmedju dva rata (1918–1941.), Povijesni prilozi 8 (1989), 91–141; J. Tomasevich, Peasants, Politics and Economic Change in Yugoslavia. Stanford u. a. 1955; A. Hribar, Kolonat ili težaština. Kmetski odnosi u Primorju. Zagreb 1923; H. Leithe, Dalmatinische Agrarprobleme. Wien 1912. K. K.
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Kolonisation, Kolonistenrechte. Die hier behandelte neuzeitliche K. im Kgr. →Ungarn beruht auf mehreren Wanderungsbewegungen, v. denen die Süd-Nord-Migration der Südslaven u. die West-Ost-Wanderung der →Deutschen die bedeutendsten sind (a. →Migrationen). Die Süd-Nord-Migration der Südslaven aus Dalmatien, Bosnien, Montenegro, Kosovo, dem Morava-Vardar-Becken, der Ibar-Region u. Ostserbien setzte bereits Ende des 14. Jh.s ein, überschritt im Verlauf des 15. Jh.s die Donau-Save-Linie u. erreichte Ende des 17. Jh.s den nördl. Donauabschnitt zw. Komorn u. Szentendre. Bereits während der Osmanenherrschaft ist eine massenweise K. kath. (auch orth.) Südslaven aus Bosnien u. Dalmatien im →Banat, in der →Batschka, in →Slawonien u. in den transdanubischen Komitaten (→Transdanubien; →Komitat, aber auch in Gebieten nördl. der Maros am westl. Rand des siebenbürg. Erzgebirges festzustellen. Es handelt sich hier um eine teils spontane Wanderungsbewegung, teils um eine v. der osm. Verwaltung (→Osm. Reich) aus milit. u. wirt. Gründen planmäßig angesiedelte südslav. Bev., die durch Verleihung v. Privilegien zur K. veranlasst wurde u. weniger Steuern zahlte als die ung. Bauern. Auch die ung. Grundherrn besiedelten ihre Dörfer mit südslav. Bauern, um den Bevölkerungsverlust durch die Flucht ihrer Untertanen in die sichereren Oppida (→Oppidum) zu vermindern. Diese K.-Welle überdauerte auch die Osmanenzeit. Dies gilt um so mehr, als die Fluchtbewegung der →Serben um 1690 (mit 30.000 bis 40.000 Personen) ihren Höhepunkt erreichte (→Migrationen). In den ehemals osm. Gebieten stellten die Südslaven um 1700 beinahe überall die Bevölkerungsmehrheit. In dem nach den Friedensschlüssen v. →Karlowitz (1699) u. →Passarowitz (1718) vielfach spontan sich entfaltenden u. auch deshalb sehr uneinheitlichen K.s-Prozess der neu eroberten Gebiete (Neoacquistica) war das deutsche zunächst nur ein zahlenmäßig bescheidenes Element unter den vielen ethn. Gruppen, die überwiegend v. den Rändern u. Nachbarregionen des Kgr.s Ungarn in seinen mittleren u. südl. Landesteil strömten. Dieser war zwar mit wenigen Ausnahmen weder menschenleer noch verwüstet, wie fälschlich bis heute behauptet wird, sicherlich jedoch wirt. rückständig u. mit zum Teil schon aus dem MA stammenden Wüstungen durchsetzt. Sein Boden wurde besitzmäßig neu verteilt, was vielen →Bauern die attraktive Möglichkeit eröffnete, einen eigenen Hof in Erbpacht zu übernehmen u. damit einen rechtl. wie wirt. vorteilhafteren Status zu erlangen. Zahlenmäßig ins Gewicht fielen die v. a. nach 1718 einsetzenden, v. merkantilistischen Gesichtspunkten geleiteten Populationsmaßnahmen, die sich seitens der staatl. Zentralbehörden (Wiener Hofkriegsrat u. Hofkammer) auf das Banat konzentrierten, seitens der Ung. Hofkammer nach 1750 auf die Batschka, u. seitens der adeligen Großgrundbesitzer über das ganze neugewonnene Land verteilten.
Kolonisation, Kolonistenrechte
Da die privaten Grundherren i. d. R. keine großen Werbeaktionen (durch Agenten oder Lokatoren) in den Herkunftsgebieten der dt. Kolonisten veranstalten konnten, profitierten sie v. der staatl. organisierten K., v. der sie viele Einwanderer auf der Durchreise, oft schon in Wien, abwarben. Allerdings haben sie dt. Kolonisten häufig erst nach mehreren, wenig erfolgreichen K.s-Versuchen aus drei Gründen bevorzugt: Sie waren Ausländer u. entlasteten den durch die sprunghaft angestiegene Binnenwanderung gefährdeten einheimischen Arbeitsmarkt an hörigen Bauern, die durch strenge Wegzugsverbote oft vergeblich daran gehindert wurden, ihre angestammte Grundherrschaft zugunsten des Neulandes im Stich zu lassen (vgl. →Sklaverei, Leibeigenschaft); zweitens waren die dt. Kolonisten Träger einer intensiven Ackerbauwirtschaft durch die drittens die aus der osm. Zeit überkommene, ethn. gesehen v. den Südslaven, v. a. von den Serben getragene extensive Weidewirtschaft abgelöst oder verdrängt werden konnte. Dadurch haben sich die Großgrundbesitzer einerseits wesentlich höhere Steuereinkünfte gesichert, andererseits konnten sie mit Hilfe der Kolonisten ihre eigene Gutswirtschaft einrichten u. betreiben. Ein hervorragendes Beispiel dafür bot Graf Sándor Károlyi, der durch seine private, bereits ab 1711 einsetzende u. v. seinen Nachkommen bis in die Mitte des 19. Jh.s fortgeführte K. ein ganzes Siedlungsgebiet, nämlich das der Sathmarer Schwaben begründete. So kam es zu einer v. der staatl. wie der privaten K. betriebenen größeren dt. Einwanderung in mehreren, konjunkturell bedingten Schüben, für die die gesteigerte Nachfrage nach Getreide, ausgelöst durch Kriege wie den Türkenkrieg 1737/39, den österr. Erbfolgekrieg 1740–1748, den Siebenjährigen Krieg 1756–1763, u. schließlich die Alleinregentschaft Ks. Josephs II. die Zäsuren setzten. Die Kolonisten ließen sich südl. u. nördl. der Karpaten ab 1711 im Kgr. Ungarn, in Galizien (seit 1772 Teil der Habsburgermonarchie) u. in der 1775 erworbenen →Bukowina nieder. Die auf Einwanderung beruhende K. wurde im gesamten Habsburgerreich Ende 1786 auf Befehl Josephs II. eingestellt, die Binnenkolonisation dauerte jedoch weiter an (zur Bezeichnung der im Zuge der K. nach Ungarn eingewanderten Deutschen hat sich erst nach 1918 der Begriff →Donauschwaben eingebürgert). Staatl. u. private K. wiesen erhebliche Unterschiede auf. Während letztere darauf ausgerichtet war, mit möglichst geringen Eigeninvestitionen seitens der Grundherrn die K. in Anpassung an bereits vorhandene Siedlungs- u. Wirtschaftsstrukturen vorzunehmen, schuf die staatl. K. unter Aufwendung erheblicher finanzieller Mittel zum Teil völlig neue Strukturen: Neben einer Vielzahl neuer Dörfer mit einer geometrisch planmäßigen, schachbrettförmigen Struktur, die die Dreifelderbewirtschaftung ermöglichte, erbaute sie Kanäle, Dämme, Straßen u. Brücken u. legte in weiten Landstrichen des Banats u. der Batschka die Sümpfe trocken. Bei der Neuanlage der Dörfer kamen hier zwei Systeme zur Anwendung: eine Ödlandbesiedlung im Fall dafür ausreichender Siedlungsgründe, u. eine Transferierungs-K., der zufolge die einheimische Bev. (v. a. Serben u. Rumänen) umgesiedelt wurde: das alte Haufendorf wurde aufgegeben u. in seiner Gemarkung entweder das neue dt. Dorf oder häufig zwei neue Dörfer errichtet: eines für die dt. Kolonisten u. eines für die angesessene Bevölkerung, beide jedoch entsprechend den Planrichtlinien eines geometrischen Grundmusters. Die v. preußischen Vorgaben beeinflusste – weil mit ihr auch im Wettbewerb um die Kolonisten stehende –, im Unterschied zur karolinischen bereits systematisierte mariatheres-
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ianische K. beruhte auf dem Antizipationssystem, d. h. Hausbau, Verpflegung bis zur ersten Ernte oder noch länger u. Beschaffung des Wirtschaftsinventars wurden vom Ärar (der staatl. Finanzverwaltung) übernommen u. die Kosten als Hypothek auf die Hofstelle verbucht, die im Laufe der Jahre abgetragen werden sollten. Um die Schuldenlast möglichst gering zu halten, wurde in den ersten Jahren vielerorts eine Kollektivwirtschaft eingeführt: Gemeinsame Feldbestellung, Verpflegung u. Hausbau. Das führte allerdings zu großen Reibungsverlusten u. organisatorisch bedingten Mängeln an Proviant, Zugtieren, Bauholz etc. Zusammen mit der Schuldenbelastung u. der damit verbundenen Rückzahlpflicht stellten solche Mängel den Erfolg der K. oftmals in Frage. Aufgrund solcher Erfahrungen hat die josephinische K. auf eine Rückzahlung völlig verzichtet u. die Finanzierung der K.s-Maßnahmen als einmalige staatl. Investition abgebucht. Im Gegensatz zu der auf bloße Anhebung der Bevölkerungszahl ausgerichteten Ansiedlungspolitik Maria Theresias (Populationistik) war Joseph II. bestrebt, Ausländer nur dann zur Ansiedlung heranzuziehen, wenn v. ihnen eine Verbesserung der landwirt. Methoden u. die Anlage v. Musterwirtschaften zur Schulung der einheimischen Bevölkerung zu erwarten war (Physiokratismus; vgl. →Josephinismus); sein Leitmotiv war daher die Erschließung des Bodens u. die Verbesserung der Bodenkultur neben der Erweiterung der Anbaufläche. Die im Banat u. abgeschwächt auch in der Batschka wirksame, in der Entwicklung sich häufig gegenseitig blockierende Konkurrenz zweier Wirtschaftssysteme: trad. Weidewirtschaft vs. importierte intensive Ackerbauwirtschaft, wurde erst unter Joseph II. zugunsten der letzteren aufgehoben, womit der Ks. nur dem Beispiel der privaten K. folgte, da der Teil der ansiedlungswilligen ung. Grundherren sich bereits in der ersten H. des 18. Jh.s auf die in →Transdanubien u. den östl. Randgebieten der Tiefebene profitablere Ackerbauwirtschaft u. den Weinbau festgelegt hatte. Allerdings gab es auch den Teil des ung. Großgrundbesitzes, der auf seinen Besitzungen v. a. in der Tiefebene an der extensiven Weidewirtschaft festhielt u. wegen der Steuerfreiheit seiner Allodialwirtschaft eine Besiedlung der in Ungarn als Prädien bezeichneten Wüstungen verhinderte, die sodann die Form der später romantisch verklärten „Puszta“ (unbewohntes, nur durch Viehzucht bewirtschaftetes Ödland) annahmen. Joseph II. hat auch die Privatisierung der Kameralansiedlung des Banats mit Ausnahme des →Militärgrenzbezirkes angeordnet. Mit der Privatisierung u. der Deklassierung der freien Bauern zu Hörigen war die Übergabe des Banats an Ungarn u. die Einführung der Komitatsverfassung (1779; →Komitat) verbunden. Damit kam es auch dort zur Einführung der privatwirt. K., die bis 1848 anhielt. Die neuen Grundherren, die häufig im Kgr. Besitzungen hatten, holten v. dort weniger dt. als vielmehr ung. u. slowak. Bauern, wobei die ung. Bauern v. a. für den Tabakanbau angeworben wurden. Diese Privatansiedlung wurde noch dadurch gefördert, dass viele dt. Bauern, die mit den neuen Verhältnissen nicht einverstanden waren, in den Militärgrenzbezirk umsiedelten, in denen sie ihre gewohnte Rechtsstellung beibehalten konnten. Es entstanden dadurch im Zivilbanat durch Migration u. Binnenkolonisation viele ethn. u. relig. gemischte Dörfer u. damit die bunte Siedlungsstruktur, wie sie für diese Region bis 1945 kennzeichnend war (vgl. →Volksdeutsche). Im Ablauf des privaten K.s-Prozesses sind fünf Phasen auszumachen. In der unmittelbar der Vertreibung der Osmanen folgenden Epoche bis ca. 1720/30 wurden noch überwiegend
Kolonisation, Kolonistenrechte
„Raitzen“ (→Serben) genannte Südslaven angesiedelt. Doch ihre extrem hohe Mobilität, ihre Vorliebe für extensive Viehzucht u. der ihnen zum Vorwurf gemachte Hang zu Raub u. Diebstahl, schließlich ihr Pochen auf die kaiserlichen Privilegien (womit erhebliche Schwierigkeiten verbunden waren, die Steuern u. Abgaben einzutreiben), machten sie in den Augen der auf Konsolidierung, Ertragsoptimierung u. Modernisierung bedachten Grundherrn zunehmend zum Hindernis. Da ein Wirtschaftsaufschwung schließlich ausblieb, änderten die Grundherren ihre K.s-Strategie u. intensivierten die Ansiedlung durch Deutsche. Zunächst wurden diese in Wüstungen angesiedelt (Phase 2); zeitlich etwas später oder parallel dazu in bereits bestehenden Siedlungen (Phase 3). Die damit verbundene Koexistenz zweier verschiedener Wirtschaftssysteme führte jedoch zu erheblichen Spannungen u. Übergriffen u. erwies sich daher als unproduktiv. Deshalb griff man in der vierten Phase (nach 1740) zu einer planmäßigen Aussiedlung der „Raitzen“, um den neuankommenden Deutschen systematisch Platz zu machen. In der zweiten H. des 18. u. der ersten H. des 19. Jh.s erfolgten als fünfte Phase wirt. Verdrängungsprozesse in Form einer dt. Einsiedelung in bereits vorhandene Dörfer. Diese hatte ihre Ursache in der differierenden Arbeitsmentalität u. der erfolgreichen Kapitalakkumulation der dt. Kolonisten. So berichtet Miksa Hölbling in seiner 1846 erschienenen Monographie zur →Baranya, dass die „strebsamen“ Deutschen – bedingt durch das Anerbenrecht waren das v. a. die nachgeborenen Söhne – die Grundstücke der Serben eines nach dem anderen aufkauften u. sich immer mehr bereicherten, während es immer weniger „Raitzen“ gab. Die Folgen der dt. K. sind an der v. ihr ausgelösten wirt. Dynamik u. einem überdurchschnittlichen Wachstum der Erträge nicht nur für die Gutsherrn, sondern auch für die Kolonisten auszumachen. Für den relativ kurzen Zeitraum v. 1734 bis 1771 konnte beispielsweise die 27 Dörfer umfassende Grundherrschaft Boly (Komitat Baranya) der Familie Batthyányi ihre Jahreseinnahmen v. durchschnittlich 3.000 auf 18.000 Gulden u. damit um das Sechsfache, zeitweise sogar um das Neunfache steigern. Im angegebenen Zeitraum ist der dt. Anteil an der Gesamtbev. v. 12 auf 49 % gestiegen, an den Erträgen der Grundherrschaft v. 11 auf 58 %. Die Quellen dieser Steigerung bildeten die Zinserträge (Pachtzins), die höheren Weizenerträge durch Verbreitung der Dreifelderwirtschaft u. die Intensivierung des Weinanbaus. Die erstaunlich rasche, oft bereits in der zweiten Generation eingetretene wirt. Konsolidierung auch der Kolonistenfamilien trug zu ihrer überdurchschnittlichen horizontalen, im 19. Jh. auch vertikalen Mobilität bei, die sich in einer den Landesausbau verdichtenden u. noch vorhandene wirt. Peripheriegebiete erfassenden Binnenkolonisation (wie z. B. im Verlauf des 19. Jh.s v. Slawonien) umsetzte. Was den dt. Kolonisten zusätzlich attraktiv machte, war die Tatsache, dass er um 20 % höhere Steuern für seine Hofstelle (Pachtzins) als die übrigen Bauern zahlte (serb. zahlten nur eine Kopfsteuer für jeden männlichen Verheirateten). Im Gegenzug dazu war er zu einer geringeren, meist auf einen Tag in der Woche beschränkten Robotleistung verpflichtet. Zogen die Kolonisten in v. Serben freigemachte Dörfer ein, wodurch sie bebautes Land u. infrastrukturelle Vorgaben übernahmen, so mussten sie entgegen der sonstigen anfänglichen teilw. Abgabenfreiheit bereits im ersten Jahr den halben Pachtzins zahlen, auch wenn sie die übernommene Infrastruktur durch Umbau der Häuser (oft auch des ganzen Dorfes) u. Um-
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Kolonisation, Kolonistenrechte
wandlung der Flureinteilung in die für die Dreifelderwirtschaft tauglichen Gewannfluren erheblich veränderten. Die im allg. in der Sprache der Kolonisten verfassten Ansiedlungsverträge wurden v. den Grundherrn nur für die ersten Jahre der K. als bindend („ad interim“) erachtet. Danach setzte ein Prozess zunehmender Rechtsverschlechterung ein, der erst durch die Theresianische →Urbarialregulierung v. 1768 zugunsten einer allg. verbindlichen Standardisierung der Abgaben u. Arbeitsleistungen aufgehoben wurde. Rechtlich unterschieden sich die Kolonisten (einschließlich der Serben) v. den übrigen, an die Scholle gebundenen Untertanen v. a. durch ihr Recht auf Freizügigkeit, das die Grundherrschaft jedoch durch verschiedene Maßnahmen zu regulieren suchte. Wer seine Hofstelle aufgab u. wegzog, musste 10–15 % des für diese erzielten Kaufpreises als Steuer an den Grundherrn abführen. Für den Fall, dass ein Bauer heimlich wegzog, oder eine Hofstelle durch Wegzug längere Zeit unbewirtschaftet blieb, haftete für den daraus entstandenen Schaden i. d. R. die Dorfgemeinschaft. Im Rahmen der überdurchschnittlichen Binnenmigration in der ersten H. des 18. Jh.s waren derlei Fälle recht häufig, kamen jedoch nach 1750 immer weniger vor. Etwas großzügiger war die Steuer- u. Abgabenregelung bei der staatl. organisierten K. bemessen, die im Umgang mit viel größeren Kolonistengruppen mit größeren, meist organisatorisch bedingten Risiken verbunden war. Allerdings war auch der Rechtsstatus des Kolonisten ein anderer, denn er war nicht nur freizügig, sondern blieb auch v. einigen Pflichten u. Lasten eines dem Grundherrn hörigen Bauern einschließlich der Patrimonialgerichtsbarkeit befreit. Die Befreiung v. öffentl. Abgaben differierte zw. drei bis sechs Jahren, eine Befreiung v. den an das Ärar (Hofkammer) zu entrichtenden Naturalabgaben des Neuntels (der Ernteerträge) u. des Zehents (für die Kirche) wurde i. d. R. auf drei Jahre gewährt. Robotleistungen waren i. d. R. nicht vorgeschrieben, allerdings gab es begrenzte Arbeitsverpflichtungen für öffentl. Bauten wie Straßen, Brücken, Dämme, Kanäle etc. Handwerker erhielten eine Steuerbefreiung hinsichtlich ihrer öffentl. Abgaben auf 10 bis 15 Jahre. Die josephinische K. erhöhte für die Bauern im Fall außergewöhnlicher Leistungen wie der Urbarmachung des Ackerbodens (in der Batschka) die Zahl der Steuerfreijahre auf 10 Jahre. Die K. des 18. Jh.s u. die v. ihr ausgelöste u. bis in das erste Drittel des 20. Jh.s nachwirkende Binnenkolonisation hat wesentlich zum Wiederaufbau des Landes, zu seiner Bevölkerungsverdichtung u. zu seiner →Modernisierung im Bereich der Agrarwirtschaft, schließlich zur Überwindung wirt. Rückständigkeit in peripheren Gebieten beigetragen. (Zur K. im 20. Jh. im Gefolge der →Nationalstaatenbildung vgl. →Bodenreformen.)
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Lit.: M. Fata, Migration im kameralistischen Staat Josephs II. Theorie u. Praxis der Ansiedlungspolitik in Ungarn, Siebenbürgen, Galizien u. der Bukowina von 1768 bis 1790. Münster 2014; G. Seewann, Geschichte der Deutschen in Ungarn. Bd. 1: Vom Frühmittelalter bis 1860. Bd. 2: 1860 bis 2006. Marburg 2012; Die Ansiedlung der Deutschen in Ungarn. Beiträge zum Neuaufbau des Königreiches nach der Türkenzeit. Hgg. G. Seewann/K.-P. Krauss/N. Spannenberger. München 2010; Kirchen als Integrationsfaktor im Südosten der Habsburgermonarchie im 18. Jh. Hgg. R. Bendel/N. Spannenberger. Münster 2010; K.-P. Krauss, Deutsche Auswanderer in Ungarn. Ansiedlung in der Herrschaft Bóly im 18. Jh. Stuttgart 2003; G. Seewann, Migration in Südost-
Kominform, Kominformkonflikt
europa als Voraussetzung für die neuzeitliche West-Ostwanderung, in: Migration nach Ost- u. Südosteuropa vom 18. bis zum Beginn des 19. Jh.s. Hgg. M. Beer/D. Dahlmann. Stuttgart 1999, 89–108; Deutsche Geschichte im Osten Europas: Land an der Donau. Hg. G. Schödl. Berlin 1995; S. Gavrilović/I. Jakšić, Gradja za privrednu i društvenu istoriju Bačke u XVIII veku. Beograd 1986; A. Ţinţă, Colonizările habsburgice în Banat 1716–1740. Timişoara 1972; Vojvodina. 2 Bde. Hg. D. Popović. Novi Sad 1939/1941; K. Schünemann, Österreichs Bevölkerungspolitik unter Maria Theresia. Berlin 1935. G. S.
Kominform, Kominformkonflikt. 1. Kominform. Informationsbüro der Kommunistischen u. Arbeiterparteien, internationale Organisation zur Information u. Koordinierung der Tätigkeit v. zunächst neun, später acht Parteien (KPdSU, KP Bulgariens, KP der Tschechoslowakei, frz. KP, it. KP, Polnische Vereinigte Arbeiterpartei, Rumänische Arbeiterpartei, Ungarische Partei der Werktätigen, bis 1948 KP Jugoslawiens/KPJ), gegründet auf seiner ersten Sitzung in Szklarska Poręba (Polen, 22.–28.9.1947), aufgelöst am 17.4.1956. Sitz des K. war bis Juni 1948 Belgrad u. danach Bukarest, v. wo jeweils das Organ des K. „Für dauerhaften Frieden, für Volksdemokratie!“ in mehreren Sprachen herausgegeben wurde. An den Sitzungen des K. nahmen ausschließlich (meist zwei) Vertreter der Zentralkomitees der beteiligten Parteien teil. Insgesamt trat das K. nach der Gründungssitzung nur noch zwei weitere Male zusammen: Die zweite Sitzung fand vom 19.–23.6.1948 in Bukarest u. die dritte (u. letzte) vom 16.–19.11.1949 in Budapest statt. Da die Auseinandersetzung zw. den Führungen der KPdSU u. der KPJ i. J. 1948 u. der folgende sowj.-jug. Bruch auch auf der Ebene des K. ausgetragen wurden bzw. sich darauf auswirkten, werden sie häufig auch unter dem Stichwort Kominformkonflikt (s. u., 2.) subsumiert. Das K. unterschied sich in Größe, Struktur, Funktionsweise u. Aufgabenstellung deutlich v. der →Komintern. Es war bedeutend kleiner, agierte formell nicht auf der Basis einer zentralistischen Struktur, war folglich nicht weisungsbefugt, u. besaß an ständigen Einrichtungen einzig das Büro. Die Zusammenkünfte beschränkten sich auf Treffen v. ZK-Vertretern, die Tätigkeit auf Europa (u. hier fast ausschließlich auf Osteuropa). In einer wesentlichen Hinsicht aber waren Analogien gegeben: Das K. sollte ebenfalls ein Instrument sowj. Politik sein, das der Vereinheitlichung der beteiligten komm. Parteien unter der Führung Moskaus zu dienen hatte. Als Reaktion auf den Marshall-Plan u. einige nicht nur in Zusammenhang damit auftretende zentrifugale Tendenzen in Osteuropa initiierte die sowj. Führung die Gründung des K., auf dessen erster Sitzung eine Basis für die institutionalisierte multilaterale Koordination der beteiligten komm. Parteien gelegt wurde. Die Resolutionen der Gründungssitzung folgten der v. A. Ždanov vorgetragenen sowj. Version der „Zwei-Lager-Theorie“ (das „imperialistische u. antidemokratische Lager“ unter Führung der USA u. das „antiimp. u. demokr. Lager“ mit der UdSSR u. den Volksdemokratien als Grundlage; vgl. →Kalter Krieg). Sie verhießen drei unmittelbar zu erwartende Konsequenzen: Konsolidierung des Blocks durch Vereinheitlichung unter sowj. Ägide, pointierte antiwestliche Ausrichtung der Außenpolitik der →Volksdemokratien u. schärfere Auseinandersetzungen mit den „rechten Sozialisten“.
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Kominform, Kominformkonflikt
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Wenn auch keine definitive Aufkündigung der Ost-West-Kooperation erfolgte u. Moskau sich (noch) nicht für den Kurs scharfer Konfrontation entschied, deuteten auch die gesellschaftspolitisch relevanten Aussagen auf die Tendenz zu einer generellen Verhärtung hin. 2. Kominformkonflikt. In der Folgezeit wurden die Entwicklungen des K. fast vollständig v. den Auseinandersetzungen zw. der KPdSU u. der KPJ bestimmt, die Anfang 1948 einsetzten. Dabei ging es nicht um ideologische Differenzen (die KPJ war zu dieser Zeit eine stalinist. Partei; s. →Stalinismus), sondern um Machtpolitik. Unmittelbarer Auslöser war die offensive Balkan-Politik →Jugoslawiens, namentlich dessen Ambitionen gegenüber →Albanien u. die fortgesetzte militärische Unterstützung für die v. der KP geführte Partisanenbewegung im gr. →Bürgerkrieg. Im Zentrum der Auseinandersetzung aber standen unterschiedliche Vorstellungen v. der Hierarchie unter den komm. Parteien. Die Führung der KPJ, die als engster Verbündeter Moskaus angesehen wurde u. auf der Gründungssitzung des K. noch die Rolle des „glänzenden Zweiten“ gespielt hatte, weigerte sich, den sowj. Wünschen zu folgen, u. setzte ihre Balkan-Aktivitäten fort, die auf eine Art regionaler jug. Hegemonie zielten (a. →Balkanföderation). Gleichzeitig wehrte sie sich ihrerseits gegen Bevormundung u. Einmischungsversuche durch Moskau u. dessen Repräsentanten in Jugoslawien. Im März 1948 berief die sowj. Führung ihre Militärberater, Instrukteure u. zivilen Sachverständigen aus Jugoslawien zurück u. eröffnete mit dem ersten v. insges. drei Briefen den parteioffiziellen Globalangriff auf die KPJ-Spitze. Dabei warfen Stalin u. Molotov dieser vor, beim inneren Aufbau des Landes einen im Gegensatz zu den sozialist. Prinzipien stehenden Weg eingeschlagen zu haben. Die jug. Parteiführung wies in ihren Antwortschreiben diese Anwürfe zurück u. weigerte sich, auf der Anklagebank der dann eilends einberufenen zweiten Sitzung des K. zu erscheinen. Die dort v. Vertretern aller K.-Parteien außer der KPJ verabschiedete, am 28. Juni bekanntgemachte Resolution folgte der sowjetischen Leitlinie u. rief die „gesunden Elemente“ innerhalb der KPJ auf, ihre Führung zur Kurswende zu zwingen oder, falls diese sich als „unfähig“ dazu erweise, zu stürzen u. durch eine „neue internationalistische“ zu ersetzen. Damit war das erste öffentliche Schisma in der komm. Bewegung ausgesprochen worden (→Kommunismus). Viele Mitglieder der KPJ waren verwirrt u. stellten sich auf die Seite des Informbüros. Diese „ibeovci“ (wie sie in Abkürzung genannt wurden) sahen sich bis Ende 1950 scharfen Verfolgungen ausgesetzt. Schätzungsweise 55.000 Mitglieder wurden aus der Partei ausgeschlossen. Ein Teil davon kam zur „Umerziehung“ in ein Internierungslager auf der Adriainsel Goli otok, wo sie häufig zu Tode schikaniert wurden. – Mit dem sowj.-jug. Bruch schränkte sich der Aktionsradius des K. weiter ein. Es diente Ende der 40er Jahre faktisch nur noch der Isolierung Jugoslawiens, das seinerseits dem sich verschärfenden Druck standhielt. Die dritte u. letzte Sitzung des K. hatte lediglich die Funktion, eine propagandistische Einschwörung auf den Kampf gegen den Titoismus in Zeiten der Schauprozesse u. der offenen Hexenjagd zu liefern. In den 50er Jahren spielte das K. überhaupt keine Rolle mehr, zumal sich die Koordination im „Block“ mehr u. mehr v. der Partei- zur Staatsebene verlagerte. Mit der 1955 öffentlich bekundeten sowj.-jug. Wiederannäherung im Zuge der Entstalinisierung wurde es vollends obsolet, u. kurz darauf erfolgte die Auflösung.
Komintern
Quellen u. Lit.: J. Perović, The Tito-Stalin Split. A reassessment in light of new evidence, Journal of Cold War Studies 9 (2007), H. 2, 32–63; G.M. Adibekov, Das Kominform u. Stalins Neuordnung Europas. Hgg. B.H. Bayerlein/J. Mothes. Frankfurt/M. u. a. 2002; J. Perović, Der Balkanknoten u. der sowjetisch-jugoslawische Konflikt von 1948, Osteuropa 49 (1999) 1, 55–70; L.J. Gibianskij, Ot „nerušimoj družby“ k bespoščadnoj bor’be: Model’ „socialističeskogo lagerja“ i sovetsko-jugoslavskij konflikt 1948 g., in: U istokov „socialističeskogo sodružestva“: SSSR i vostočnoevropejskije strany v 1944–1949 gg. Moskva 1995, 189–206; ders., The Soviet-Yugoslav Conflict and the Formation of the „Socialist Camp“ Model, in: The Soviet Union in Eastern Europe, 1945–1989. Hg. A.O. Westad. London u. a. 1994, 26–46; The Cominform. Minutes of the Three Conferences, 1947, 1948, 1949. Hg. G. Procacci. Milano 1994; I. Banac, With Stalin against Tito: Cominformist Splits in Yugoslav Communism. London 1988; At the Brink of War and Peace. The Tito-Stalin Split in a Historic Perspective. Hg. W. Vucinich. New York 1982; Dokumenti 1948. Hg. V. Dedijer. 3 Bde. Beograd 1980; L. Marcou, Le Kominform. Le communisme de guerre froide. Paris 1977; Yugoslavia and the Soviet Union, 1939–1973. A Documentary Survey. Hg. St. Clissold. London 1975; R. Radonjić, Sukob KPJ sa Kominformom i društveni razvoj Jugoslavije 1948–1950. Zagreb 1975; F. Claudin, La crise du mouvement communiste. Du Komintern au Kominform. Paris 1972. M.A. H.
Komintern (a. Dritte oder Kommunistische Internationale, KI). Vereinigung komm. Parteien u. Organisationen, gegründet auf ihrem 1. Weltkongress in Moskau (2.–6.3.1919), aufgelöst am 15.5.1943. Insgesamt fanden sieben Weltkongresse statt (alle in Moskau, die Eröffnungssitzungen des 2. u. des 4. in Petrograd), der letzte i. J. 1935. Die Zahl der Sektionen der KI (aller ihr angehörenden Parteien u. Organisationen) schwankte in den frühen 20er Jahren beträchtlich; zw. dem 6. Weltkongress (17.7.–1.9.1928) u. der Auflösung lag sie meist zw. 65 u. 75. Oberstes Leitungsgremium war das Exekutivkomitee (EKKI), das das Zentralorgan der KI, die Zeitschrift „Kommunistische Internationale“, herausgab; an der Spitze des EKKI stand ein Präsidium. Die Beschlüsse der Weltkongresse u. des EKKI waren für alle Sektionen der KI bindend. Die KI ging aus dem revolutionären Flügel der sozialist. Bewegung (→Sozialismus; →Kommunismus) hervor, die sich während des 1. Wk.s in drei Richtungen spaltete. Die Mehrheit der Parteien der II. (sozialist.) Internationale unterstützte die Kriegsteilnahme der jeweiligen nationalen Regierung, ein zentristischer Teil plädierte für eine allg. Friedenspolitik, während die in der Minderheit befindlichen Linken, angeführt v. den Bolschewiki u. Lenin, die Umwandlung des Krieges in einen übernationalen Klassenkrieg propagierten. Während die II. Internationale mit Kriegsbeginn faktisch zu existieren aufhörte, schlug Lenin 1915 die Bildung einer neuen mit revol. Zielrichtung vor u. realisierte dies eineinhalb Jahre nach der Machtergreifung der Bolschewiki, womit zugleich Versuche zur Wiederbelebung der II. Internationale unterminiert wurden. Der Kampf für die Weltrevolution u. die scharfe Abgrenzung v. der Sozialdemokratie bestimmten bis zum II. Weltkongress (19.7. u. 23.7.–7.8.1920), auf dem Statut u. 21 Leitsätze über die Bedingungen der Aufnahme in die KI verabschiedet wurden, die Ausrichtung. Mit dem Abebben der revol. Welle traten andere Schwerpunkte in den Vordergrund: die
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Komintern
Einheitsfrontpolitik u. die Unterstützung Sowjetrusslands (bzw. später der Sowjetunion) als Vorposten des Weltkommunismus. Zusehends trat der zweite Aspekt in dem v. Beginn an janusartigen Charakter der KI zutage, Instrument sowohl der Weltrevolution als auch der sowj. Politik zu sein. Die Strategie der KI wurde im wesentlichen den jeweiligen Ausrichtungen der sowj. Führung angepasst. Die KI vollzog dementsprechend die wichtigsten Kurswechsel in den Auseinandersetzungen gegen „linke“ u. „rechte“ „Abweichungen“ nach, u. über sie wurde die „Bolschewisierung“ der komm. Parteien gemäß den sowj. Vorstellungen durchgesetzt. So folgte die radikale Linie des VI. Weltkongresses (17.7.–1.9.1928) der sowj. Einschätzung, v. der Sozialdemokratie gehe die Hauptgefahr aus („Sozialfaschismus“-These); u. in der vom VII. Weltkongress (25.7.–20.8.1935) propagierten, auf antifaschistische Koalitionen orientierenden Volksfront-Politik spiegelte sich die zwischenzeitlich vorgenommene Wende Moskaus zur Kooperation mit den demokr. Staaten u. zur kollektiven Verteidigung gegen Hitler-Deutschland. Nach 1935 u. erst recht mit Beginn des 2. Wk.s spielte die KI faktisch keine Rolle mehr. Ihr tatsächlicher Nutzen für die Sowjetunion in dieser Phase bleibt zweifelhaft, während sie nach Bildung der Anti-Hitler-Koalition 1941 infolge der immer wieder erhobenen Vorwürfe der internationalen Subversion offensichtlich hinderlich war. Deswegen u. vielleicht auch mit Blick auf die Nachkriegsordnung erfolgte 1943 die Selbstauf lösung. Im Hinblick auf SOE war die KI in zweifacher Hinsicht v. Bedeutung. Zum einen gehörten ihr alle komm. Parteien aus der Region an, deren Politik in wesentlichen Fragen daher durch die Maßgaben der KI mitbestimmt wurde. Zum anderen nahm sie als eigene Balkansektion die am 15.1.1920 in Sofia gegründete Kommunistische →Balkanföderation (KBF) auf. Obwohl die KBF als Organisation nur minimalen Einfluss auf die Entwicklungen auf dem Balkan nehmen konnte, spielten die in ihr u. in ihrem Umfeld geführten Debatten für die Positionen der einzelnen Parteien insbesondere in bezug auf die nationale Frage, einige für die ganze Region wichtige Angelegenheiten (z. B. die →Makedonische Frage) u. ihre Beziehungen untereinander eine gewisse Rolle. Die KBF wurde 1934 aufgelöst. Unabhängig davon blieben wichtige regionale Fragen Gegenstand v. Beratungen u. Beschlüssen der KI; so entschied diese nach der Okkupation Vardar-Makedoniens durch Bulgarien 1941, dass die Kontrolle über die dortige Parteiorganisation bei der jug. KP verbleiben u. nicht der bulg. zufallen sollte. Allerdings zeigten die auch danach anhaltenden Kontroversen zw. den beiden Parteien in dieser Frage, dass zentralistische Strukturen u. generelle Richtlinienkompetenz der KI keineswegs zwingend ihre Durchsetzungsfähigkeit sicherstellten. Bei unterschiedlicher Interessenlage einzelner Sektionen in wichtigen nationalen Angelegenheiten – u. Makedonien wurde v. der jug. wie auch der bulg. u. der gr. KP für eine solche erachtet – konnte jedenfalls auch die KI keine reibungslose Koordination u. schon gar nicht eine dauerhafte Vereinheitlichung herbeiführen.
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Quellen u. Lit.: A.Ju. Vatlin, Die Komintern. Gründung, Programmatik, Akteure. Berlin 2009; Die Weltpartei aus Moskau. Der Gründungskongress der Kommunistischen Internationale 1919. Protokoll u. neue Dokumente. Hg. W. Hedeler. Berlin 2008; Bolshevism, Stalinism and the Comintern. Perspectives on Stalinization, 1917–53. Hg. N. LaPorte. Basingstoke u. a. 2008; International Communism and the Communist International, 1919–1943. Hgg. T. Rees/A. Thorpe.
Komitadschi
Manchester u. a. 1998; P. Broué, Histoire de l’Internationale Communiste, 1919–1943. Paris 1997; G.M. Adibekov/E.N. Šachnazarova/K.K. Širinja, Organizacionnaja struktura Kominterna 1919–1943. Moskva 1997; K. McDermott/J. Agnew, The Comintern. A History of International Communism from Lenin to Stalin. Basingstoke u. a. 1996; B.M. Lazitch, Biographical Dictionary of the Comintern. Stanford/CA 21986; Bibliography of the Communist International (1919–1979). Leiden u. a. 1990; E.H. Carr, The Twilight of Comintern, 1930–1935. London u. a. 1982; Protokolle der KomIntern-Kongresse. Erster–Sechster Weltkongreß. 17 Bde. Frankfurt/M. 1982–1983 (Ndr.); P. Frank, Histoire de l’Internationale communiste, 1919–1943. Paris 1979; A. Helmstaedt, Die Kommunistische Balkanföderation im Rahmen der sowjetrussischen Balkanpolitik zu Beginn der zwanziger Jahre. Phil. Diss. Berlin 1976; Protokoll des VII. Weltkongresses der Kommunistischen Internationale. 2 Bde. Stuttgart 21976; F. Borkenau, World Communism. A History of the Communist International. Ann Arbor 31971. M.A. H.
Komitadschi (türk. komitacı; von türk. komita, > frz. comité. Mitglied einer pol. Untergrundbewegung bzw. eines revolutionären Komitees). Die Begriffsgeschichte weist auf die bulg. nationale Befreiungsbewegung der 1860er Jahre zurück, als revol. Komitees vom benachbarten Serbien oder Rumänien aus versuchten, durch Entsendung v. Freischärlern (→Četnici) Volksaufstände in Bulgarien zu entfachen. In diesem Rahmen wurde die romantische Figur des Räubers zum Freiheitskämpfer verklärt (vgl. →Haiduken), u. K.s als Organisatoren des Freiheitskampfes konnten Einfluss auf das pol. Geschehen auch nach der nationalen Befreiung behalten, zumal die Gemüter noch für Jahrzehnte v. irredentistischen Gefühlen bewegt blieben. Die nationalen Auseinandersetzungen in den mak. Provinzen des Osm. Reiches (→Makedonische Frage) v. den 1890er Jahren bis zu den →Balkankriegen 1912/13 wurden nicht nur v. Mitgliedern der →IMRO, sondern in hohem Maße auch v. K.s aus Bulgarien, Serbien u. Griechenland getragen. Auch die →Jungtürken, die sich seit den 1890er Jahren gegen das Regime des Sultans auflehnten, hatten v. a. ihre milit. Basis in Makedonien. Sie knüpften unmittelbar an die Erfahrungen der K.s (mak., bulg. oder armenischer Provenienz) an. Aufgrund der Tatsache, dass ihre pol. Organisation, das Komitee für Einheit u. Fortschritt, auch nach der erfolgreichen Revolution v. 1908 geheimnisvoll hinter den Kulissen agierte u. dabei einen ungeduldigen Aktionismus an den Tag legte, warf man den Jungtürken „K.-Methoden“ vor. Daher ist K. auch ein Politiker, der seine Ziele auf geheimbündlerischer Art (→Geheimbünde) zu realisieren trachtet, wobei Gewalt als Mittel der Politik nicht ausgeschlossen ist. So werden auch Perioden, die v. politischem Avantgardismus geprägt erscheinen, v. manchen Beobachtern als vom K.-Geist (komitacı ruhu) durchdrungen charakterisiert. Lit.: Z.D. Zlatev, Komitetskata organizacija v Bălgarija 1870–1872. Sofija 2007; M.A. Firkatian, The Forest Traveler. Georgi Stoikov Rakovski and Bulgarian Nationalism. New York u. a. 1996; Ş. Mardin, Collapse of Empires; Consequences: The Ottoman Empire, in: After Empire: Multiethnic Societies and Nation-Building: The Soviet Union and the Russian, Ottoman, and Habsburg Empires. Hgg. K. Barkey/M. von Hagen. Boulder/CO u. a. 1997, 115–128; Z. Markova, Četata
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Komitat
ot 1868 godina. Sofija 1990; D.M. Perry, The Politics of Terror, The Macedonian Liberation Movements 1893–1903. Durham/NC u. a. 1988. F. A.
Komitat (dt. a., u. für den kroat. Bereich vornehmlich: Gespanschaft [kroat. županija, →Župan]; ung. vármegye, megye; lat. Civitas, comitatus). Ursprünglich Bezeichnung einer Einheit der kgl. Domäne mit einer Burg im Mittelpunkt (Burgbezirk) im Ungarn des 11. Jh.s. Im 12./13. Jh. Wurde das K. zur Verwaltungseinheit des Landes, um nach etwa 1270 allmählich zum Lokalverband des kleinen u, mittleren →Adels umgewandelt zu werden. Der Name K. wurde im Sinne einer regionalen u. adm. Einheit bis heute beibehalten. Nach den Anfängen unter Kg. Stefan I. hatte das Kgr. mit der Ausdehnung seines Herrschaftsgebietes im 12. Jh. 54 K.e. Der allmähliche Zerfall des Königsgutes ließ die Königsleute (servientes regis) ohne Schutz, worauf sie sich zum adeligen K. zusammenschlossen u. teilw. im kgl. Auftrag, die ursprünglichen Aufgaben der K.e u. deren Anführer (→Ispán) übernahmen. Die gewählten Vertreter des Adels (judices nobilium od. servientium, ung. szolgabíró, dt. Stuhlrichter) verwalteten danach die K.e gemeinsam mit den vom Kg. ernannten Würdenträgern u. entsandten ihre Delegierten zum Landtag (→Országgyűlés). Die Autonomie des K.s wuchs v. a. unter schwachen Königen u. während der Interregna, um dann in der Neuzeit zum wichtigen Instrument des adeligen (nationalen) Selbstschutzes u. im 18./19. Jh. auch des Widerstandes gegen habsb. Zentralisations- u. Modernisierunsbestrebungen zu werden. Das adelige Leben im K. – Wahlversammlungen, Gerichtstage, Feierlichkeiten – bildete einen Rahmen für die „nationale Wiedergeburt“ sowohl im kult. als auch im pol. Bereich (→Nationsbildung). Obwohl die K.e wegen ihres parochialen u. engstirnig ständischen Horizonts auch v. den zentralistischen Reformern (z. B. József Eötvös) als Hindernis auf dem Wege zu einem modernen Staat angeprangert wurden, änderten sie sich wenig bis zum Ende des alten Ungarn. Nach 1920 schrumpfte die Zahl durch Gebietsverlust u. Zusammenlegungen auf 25. Trotz mehrfacher Kritik an ihren anachronistischen Grenzen u. jeglicher Regionalplanung trotzenden Parochialität blieben die K.e weiterhin dem Innenminister untergeordnete Verwaltungseinheiten. 1945 wurde ihre Zahl auf 19 vermindert. Kurz danach übernahmen K.s-Parteisekretäre nicht nur die Machtbefugnisse der ehem. adeligen Lokalpotentaten, sondern oft auch ihre Lebensweise. 1990 wurde die frei gewählte Munizipalität der K.e wieder hergestellt. Das heutige Kroatien ist adm. in 21 K.e bzw. Gespanschaften (einschließlich der Hauptstadt Zagreb) gegliedert. Lit.: M. Rady, Nobility, Land and Service in Medieval Hungary. Basingstoke u. a. 2000, insbes. 158–78; G. Vági, Magunk, uraim. Tanulmányok a helyi közigazgatás köréből. Budapest 1993; Gy. Kristó, A vármegyek kialakulása Magyarországon. ebd. 1988; H. Haselsteiner, Joseph II. u. die Komitate Ungarns. Wien u. a. 1983; Gy. Györffy, Die Entstehung der ungarischen Burgorganisation, Acta Archaelogica Academiae Scientiarum Hungaricae 28 (1976), 323–58; ders., A magyar nemzetségtől a vármegyéig, Századok 92 (1958), 12–87, 565–615. J.M. B. 506
Kommunismus
Kommunismus. Mit u. unmittelbar nach der definitiven Spaltung der sozialist. Bewegung (→Sozialismus) wurden nach dem Ende des 1.Wk.s außer in Albanien überall in SOE Komm. Parteien gebildet, die sich dann auch der 1919 gegründeten III., der Kommunistischen Internationale (KI, →Komintern) anschlossen. In zwei Staaten der Region gingen sie aus sozialdem. Organisationen der II. Internationale hervor: In Bulgarien benannten sich die „Engsozialisten“ (→Sozialismus) 1919 zur KP um, in Jugoslawien wurde ebenfalls 1919 die „Sozialistische Arbeiterpartei (Kommunisten)“ aus sozialdem. Organisationen Serbiens, Kroatiens, Bosniens, Sloweniens u. der Vojvodina gegründet, die sich ab 1920 KP nannte. In den anderen Staaten handelte es sich um Neugründungen: 1918 die KP in Ungarn, ebenfalls 1918 die „Sozialistische Arbeiterpartei“ in Griechenland (ab 1924 KP), 1921 die KP in Rumänien. In Albanien wurde die KP erst 1941 formiert. 1920 wurde zudem die Kommunistische Balkanföderation (→Balkanföderation), ein loser Zusammenschluss der bulg., jug., gr. u. später auch der rum. KP, gebildet, die der KI als deren Balkansektion beitrat, aber nur eine marginale Rolle spielte. In der Zwischenkriegszeit besaß mit Ausnahme der bulg. KP, die 1923 einen erfolglosen Umsturzversuch („Septemberaufstand“) initiierte, keine der Parteien nennenswerten Einfluss, auch die ung. nicht, die 1919 die 133 Tage währende →Räterepublik angeführt hatte. Alle waren während fast der ganzen Periode verboten, zahlreiche ihrer Führer im (zumeist sowj.) Exil. Im Gefolge der „Bolschewisierung“ der KPen u. der zunehmenden Verquickung von KI u. sowj. Außenpolitik wuchs auch bei den KPen der Region die Abhängigkeit von Moskau. Die international bekanntesten KP-Funktionäre aus SOE, die auch im KI-Apparat eine größere Rolle spielten, waren der Ungar Béla Kun (1886–1939 [?]), der dem Stalinschen Terror zum Opfer fiel, u. der Bulgare Georgi Dimitrov (1882–1949), der durch sein Auftreten im Reichstagsbrandprozess berühmt geworden war u. in der KI von 1934 bis zu ihrer Auflösung 1943 den Posten des Generalsekretärs bekleidete. Im Laufe des 2.Wk.s konnten die KPen der Region durch ihre Rolle im Widerstand u. die Bildung volksfrontähnlicher Zusammenschlüsse ihren Einfluss in unterschiedlichem Maße steigern. Am meisten erstarkte die jug. KP unter Josip Broz Tito (1892–1980), die eine breite Partisanenbewegung initiierte (→Weltkrieg, Zweiter; →Partisanen). Die Vertreibung der Okkupationstruppen u. der Sturz der autoritären pro-deutschen bzw. pro-italienischen Regimes geschah zwar überall unter dem Einfluss der vorrückenden Roten Armee, aber v. a. in Jugoslawien u. auch in Albanien konnten die KPen eine relativ selbständige Machtergreifung für sich reklamieren. In diesen beiden Staaten war auch die Dominanz der KPen schon in der Übergangsphase 1944–1948 (→Volksdemokratien) eindeutig u. sichtbar, während in den anderen Staaten der Region außer in Griechenland die Vorherrschaft der KPen in volksfrontähnlichen Koalitionsregierungen vorwiegend durch die sowj. Besatzungsmacht gewährleistet wurde. Im Laufe der Jahre 1947 u. 1948 wurde auch in diesen Staaten mit der Liquidierung oder Gleichschaltung der nichtkomm. Parteien das Machtmonopol der KPen (in Ungarn ab 1948 Partei der Ungarischen Werktätigen, ab 1956 Ungarische Sozialistische Arbeiterpartei) etabliert. Nur in Griechenland konnte die KP nicht an die Macht gelangen. Gemäß dem Churchill-Stalin-Agreement über den Balkan vom Oktober 1944 enthielt sich Moskau der Hilfe für die griechische KP, die im →Bürgerkrieg 1946–1949 der von Großbritannien u. den USA unterstützten Gegenseite unterlag.
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Kommunismus
Die rund 40jährige Alleinherrschaft der KPen in – bis auf Griechenland u. der Türkei – allen Staaten der Region trug zu Beginn fast identische sozioökon., innen- u. außenpolitische Grundzüge: Machtmonopol der KP, Enteignungen u. Verstaatlichungen, beschleunigte →Industrialisierung, starker Ausbau eines inhaltlich-ideologisch auf Machterhalt u. Kontrolle ausgerichteten →Bildungswesens, Kollektivierung der Landwirtschaft (nach den →Bodenreformen in der Übergangsphase), Anbindung an die UdSSR. Vieles hiervon blieb in den meisten Staaten dem Prinzip nach bis zum Ende der KP-Herrschaft erhalten. Dennoch machte der scheinbare Monolithismus bald einem diversifizierten Bild Platz. Schon 1948 erfolgte mit dem jugoslawisch-sowjetischen Bruch (→Kominform, Kominformkonflikt) das erste öffentliche Schisma der komm. Bewegung. In der Folgezeit machte sich die jug. KP (ab 1952 Bund der Kommunisten) von der KPdSU unabhängig, wurde Mitinitiator der Blockfreienbewegung u. entwickelte einen eigenen Typus des Selbstverwaltungssozialismus (→Selbstverwaltung). In →Ungarn begann wenige Jahre nach der v. der Roten Armee niedergeschlagenen Revolution v. 1956 die unter János Kádár (1912–1989) neu formierte Partei eine v. a. im ökon. Bereich flexiblere Linie einzuschlagen („Gulaschkommunismus“). Anfang der 1960er Jahre rückte die alb. Partei unter Enver Hoxha (1908–1985) v. der KPdSU ab, stellte sich im sino-sowjetischen Konflikt auf die Seite Pekings u. verhärtete noch ihre ohnehin drakonische Auslegung u. Anwendung marxistisch-leninistischer Theorie u. Praxis. Wenig später begann sich die rum. Partei unter Nicolae Ceauşescu (1918–1989) außenpol. langsam v. Moskau zu lösen u. entwickelte eine eigene Art von „Nationalkommunismus“, der im übrigen innenpolitisch rigide blieb u. mit einem ausufernden Personenkult um Ceauşescu verbunden wurde. Selbst in der bulg. Partei, die unter Todor Živkov (1911–1998) lange als treuester Verbündeter der KPdSU galt, machten sich in der zweiten H. der 1980er Jahre Absatzbewegungen breit, als sie eine Übernahme der Gorbačevschen Linie ablehnte. Die Haltung zur Sowjetunion stellte im übrigen auch innerhalb der nicht an der Macht befindlichen gr. KP stets einen wesentlichen u. dauerhaften Konfliktherd dar, der in den 1960er Jahren zu einer organisatorischen Spaltung der Partei führte. Der Niedergang der an der Macht befindlichen Parteien in der Region setzte in den 1980er Jahren ein. In Jugoslawien war dies die Folge der Führungsschwäche nach Titos Tod, zunehmender wirt. Schwierigkeiten u. schließlich offen ausbrechender ethnopolitischer Konflikte. In den anderen Staaten gesellten sich zum chronischen Legitimationsdefizit der herrschenden Parteien sprunghaft wachsende ökon. Probleme, Stagnation im Lebensstandard u. schließlich die Streichung der sowj. Unterstützungs-, Interventions- u. Machtgarantie, die für alle außer Albanien gegolten hatte. Die Macht der KPen hatte sich in einem langen Prozess ausgezehrt, ehe sie Ende der 1980er u. Anfang der 1990er Jahre zusammenbrach. Die jug. Partei zerfiel Anfang 1990, noch vor dem Zerfall des Staates. In den anderen Staaten der Region verwandelten sich die KPen zu Beginn der 1990er Jahre teils mit, teils ohne direkte Rechtsnachfolge in mehr oder minder reformierte Sozialistische (Ungarn, Bulgarien, Albanien) bzw. Sozialdemokratische (Rumänien, Makedonien) Parteien (→Sozialismus).
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Lit. (a. →Parteien; vgl. auch die Lit. bei den Länderlemmata): D. Ursprung, Personenkult im Bild. Stalin, Enver Hoxha u. Nicolae Ceauşescu im Vergleich, in: Die Führer im Europa des 20.
Komnenen
Jh. Hgg. H. Hein-Kircher/B. Ennker. Marburg 2010, 50–73; A. Brown, Aufstieg u. Fall des Kommunismus. Berlin 2009; The Leader Cult in Communist Dictatorship. Stalin and the Eastern Block. Hgg. B. Apor u. a. Chippenham-Eastbourne 2004; Gleichschaltung unter Stalin? Die Entwicklung der Parteien im östlichen Europa 1944–1949. Hgg. S. Creuzberger/M. Görtemaker. Paderborn u. a. 2002; J. Rothschild/N.M. Wingfield, Return to Diversity. A Political History of East Central Europe Since World War II. Oxford u. a. 32000; R.J. Crampton, Eastern Europe in the Twentieth Century. London u. a. 1994; T. Gilberg, Nationalism and Communism in Romania. The Rise and Fall of Ceausescu’s Personal Dictatorship. Boulder u. a. 1990; A. Helmstaedt, Die Kommunistische Balkanföderation im Rahmen der sowjetrussischen Balkanpolitik zu Beginn der zwanziger Jahre. Phil. Diss. Berlin 1976; J. Rothschild, East Central Europe between the Two World Wars. Seattle u. a. 1974; P.S. Shoup, Communism and the Yugoslav National Question. New York 1968; J. Braunthal, Geschichte der Internationale. 3 Bde. Hannover 1961–1971. M.A. H.
Komnenen. Aristokratische Familie u. Kaiserdynastie, die das byz. Reich v. 1081–1185 u. das →Kaiserreich v. Trapezunt v. 1204–1461 regierte. Die Familie stammte aus Kleinasien, war hauptsächlich bei Kastamon in Paphlagonien begütert u. trat erstmals mit Manuel K. Erotikos, der 978 Nikaia gegen den Usurpator Bardas Skleros verteidigte, u. mit Nikephoros K., der 1026 nach einem Usurpationsversuch geblendet wurde, in Erscheinung. Als Führer einer Erhebung der kleinasiat. Generalität gegen Michael VI. (1056/1057) gelangte Isaak K., der älteste Sohn des Manuel Erotikos u. Gemahl der Aikatherinē v. Bulgarien, mit Unterstützung des →Patriarchen Michael I. Kerullarios im September 1057 auf den Thron, dankte aber bereits Ende November 1059 unter dem Einfluss des Psellos ab. Da sein Bruder Johannes K. die Thronfolge ablehnte, gelang es erst im April 1081 dem dritten Sohn des Johannes, Alexios, mit Unterstützung seiner Mutter Anna Dalassena, seines älteren Bruders Isaak u. des kaisar Johannes Dukas, dessen Enkelin Irene Alexios 1078 geheiratet hatte, den Thron zu gewinnen u. eine Dynastie zu gründen. Durch weitgehend erfolgreiche Feldzüge gegen Normannen, →Petschenegen, →Kumanen, Armenier, „Franken“, Türken u. Ungarn (vgl. →Dalmatien) u. durch eine geschickte Diplomatie u. Heiratspolitik gelang es Alexios I. (1081–1118), seinem Sohn Johannes II. (1118–1143) u. seinem Enkel Manuel I. (1143–1180), das byz. Reich wieder als Führungsmacht SOEs u. des östl. Mittelmeerraumes zu etablieren. Um ihre Herrschaft zu sichern, besetzten diese Kaiser den größten Teil der adm. u. milit. Führungsposten des Reiches mit Familienangehörigen u. Verwandten. Alexios‘ I. Tochter Anna, verheiratet mit dem kaisar Nikephoros Bryennios, versuchte 1118 ihrem Bruder Johannes den Thron zu entreißen u. verfasste nach ihrem Rückzug ins Kloster die Alexias, ein Geschichtswerk zum Ruhme ihres Vaters. Als Manuel I. K. am 24.9.1180 starb, war sein Sohn Alexios II. noch minderjährig. Gegen die unpopuläre Regentschaft der Kaiserin Xene u. des protosebastos Alexios K. erhob sich Manuels Vetter Andronikos K. Er stürzte im Mai 1182 die Regentschaft, ließ sich im September 1182 zum Ks. krönen u. kurze Zeit später Alexios II. erdrosseln. Im September 1185 bereitete ein Volksaufstand gegen Andronikos I. der Herrschaft der K. ein blutiges Ende. Andronikos‘ I. Enkel Alexios u. David K. besetzten im April 1204 Trapezunt an der östl. Südküste des
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Komnenen / Königsboden
Schwarzen Meers, wo ihre Nachkommen ein kleines, aber wirt. u. kulturell prosperierendes Reich (→Kaiserreich v. Trapezunt) regierten, das erst im Frühjahr 1461 v. Mehmed II. erobert wurde. Dieser ließ am 26.3.1463 den Ex-Kaiser David K. v. Trapezunt zusammen mit seinen Söhnen in Adrianopel verhaften u. am 1.11.1463 in Konstantinopel hinrichten. Lit. (a. →Kaiserreich v. Trapezunt): V. Stanković, Komnini u Carigradu (1075–1185). Evolucija jedne vladarske porodice. Beograd 2006; J.W. Birkenmeier, The development of the Komnenian army, 1081–1180. Leiden u. a. 2002; M. Angold, Church and Society in Byzantium under the Comneni, 1081–1261. Cambridge u. a. 1995; P. Magdalino, The Empire of Manuel I Komnenos, 1143–1180. ebd. 1993; J.-C. Cheynet, Pouvoir et contestations à Byzance (963–1210). Paris 1990; K. Barzos, Hē genealogia tōn Komnēnōn. 2 Bde. Thessaloniki 1984; R.-J. Lilie, Des Kaisers Macht u. Ohnmacht. Zum Zerfall der Zentralgewalt in Byzanz, in: Poikila byzantina. Bd. 4: Varia I. Bonn 1984, 9–120; E. Trapp (mit R. Walther/H.-V. Beyer), Prosopographisches Lexikon der Palaiologenzeit. Fasz. 5. Wien 1981, 219–231; A. Bryer, The Empire of Trebizond and the Pontos. London 1980; E. Janssens, Trébizonde en Colchide. Bruxelles 1969, 64–163; W. Hecht, Die byzantinische Aussenpolitik zur Zeit der letzten Komnenenkaiser (1180–1185). Neustadt/Aisch 1967; A. Hohlweg, Beiträge zur Verwaltungsgeschichte des Oströmischen Reiches unter den Komnenen. München 1965. K.-P. T.
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Königsboden (a. Sachsenland; lat. fundus regius; rum. Pămîntul craiesc; ung. Királyföld). Ursprünglich die vom ung. Kg. den „Deutschen jenseits des Waldes“ (Theutonici Ultrasilvani) bei der Ansiedlung überlassenen, mit besonderen Rechten ausgestattete Gebiete in →Siebenbürgen. Kg. Andreas II. verbriefte 1224 den →Siebenbürger Sachsen die Eigenart ihres Rechtes u. die Unabhängigkeit ihrer Rechtspflege für die Provinz Hermannstadt mit den „Sieben Stühlen“ Broos, Mühlbach, Reußmarkt, Leschkirch, Schenk, Reps u. Schässburg. Dieser älteste, im Original nicht erhaltene Freibrief der Sachsen wurde 1317 in der Bestätigung durch Kg. Karl Robert wiedergegeben u. auf die benachbarten „Zwei Stühle“ Mediasch u. Schelk ausgedehnt. Später wurden dem K. noch das →Nösnerland mit Bistritz im Norden u. das →Burzenland mit Kronstadt im Südosten zugeschlagen. Bis 1627 wurde das Andreanum (→Siebenbürger Sachsen) von weiteren zehn ung. Königen bzw. siebenbürg. Fürsten konfirmiert. Die im Andreanum formulierten Rechte wurden 1486 von Kg. Matthias auf alle königsunmittelbaren sächs. Gebiete, d. h. das ganze Selbstverwaltungsgebiet der sog. sächs. Nationsuniversität, ausgedehnt. Vom 15. Jh. an wurden frühere Grenzburgen, das Kerzer Abteigebiet u. Einzeldörfer auf Komitatsboden einzelnen Stühlen oder Städten auf K. verliehen. Diese zählten zwar nicht zum K. im engeren Sinn, wurden jedoch aus der Verwaltung der Komitate ausgegliedert u. sächs. Gebietskörperschaften unterstellt. Zu diesen Gebieten zählten die Hermannstädter Filialstühle Talmesch u. Selischte, die sog. Siebenrichtergüter, die Hermannstädter u. Kronstädter Stadtgüter sowie die Grundherrschaften Rodna u. Törzburg, zeitweilig auch Teile des Fogarascher Distrikts u. andere Gebiete. Bereits in der ersten H. des 16. Jh.s bemühte sich die Nationsuniversität, alle hergebrach-
Königsboden / Konstantinopel/Istanbul
ten Gewohnheitsrechte zu ordnen u. zusammenzufassen. 1583 gaben sich die „hospites Theutonici“ schließlich eine Rechtsordnung, das sog. Eigen-Landrecht, das 270 Jahre lang auf dem K. die Rechtssprechung bestimmen sollte. Die siebenbürg.-sächs. Statuten regelten in vier Teilen den Rechtsgang, das Familien- u. Erbrecht, das Schuldrecht u. das Strafrecht. Stephan Báthory bestätigte dieses Rechtsbuch am 18.2.1583 als „ewig währendes Recht“. Bis zu seiner Aufhebung zur Zeit des →Neoabsolutismus i. J. 1853 begründete dieses Eigen-Landrecht der einstigen Kolonisten die Existenz des territorial zersplitterten Sachsenlandes auf K. Lit.(a. →Siebenbürgen; →Stadt, Stadttypen [Kgr. Ungarn]): R. Schuster, UNESCO-Weltkulturerbe Schäßburg. Bauten u. Baugestalt einer einst deutsch besiedelten Stadt in Rumänien. Saarbrücken 2013; Kronstadt u. das Burzenland. Beiträge von Studium Transylvanicum zur Geschichte u. Kultur Siebenbürgens. Hgg. B. Heig/Th. Şindilariu. Kronstadt, Heidelberg 2011; H. Roth, Kronstadt in Siebenbürgen. Eine kleine Stadtgeschichte. Wien u. a. 2010; D. Moldt, Deutsche Stadtrechte im mittelalterlichen Siebenbürgen: Korporationsrechte – Sachsenspiegelrecht – Bergrecht. Köln u. a. 2009; H. Roth, Hermannstadt. Kleine Geschichte einer Stadt. Wien u. a. 2006; Kronstadt. Eine siebenbürgische Stadtgeschichte. Hg. ders. München 1999; Das Eigen-Landrecht der Siebenbürger Sachsen (1583). Ndr. ebd. 1973; G.E. Müller, Stühle u. Distrikte als Unterteilungen der Siebenbürgisch-Deutschen Nationsuniversität 1141–1876. Hermannstadt 1941 (Ndr. Köln u. a. 1985). A. Sch.
Konstantinopel/Istanbul (türk. im Osm. Reich im amtl. Gebrauch vielfach Ḳusṭanṭinīye, sonst İstanbul): heute die bevölkerungsreichste Stadt in der Türkei mit 14,6 Mio. E (2013). Die Geschichte der Stadt beginnt mit der Gründung v. Byzantion um 660–658 v. Chr. Seit 146 v. Chr. förmlich mit Rom verbunden, ordnet Ks. Konstantin 324 die Wiederherstellung der seit Ende des 2. Jh.s wiederholt zerstörten Befestigungsanlagen an. Mit der Umbenennung in K. u. deren Bestimmung zum neuen Regierungssitz (endgültig 328) erhält die Stadt imperialen Charakter u. als „Nea Roma“ (330) ein an Rom erinnerndes Stadtbild mit Hippodrom, Großem Palast u., 373 fertiggestellt, Aquädukt. Der Bf. von K. bekommt 381 seine den alten Patriarchen abgerungene Stellung bestätigt. Bis zur Fertigstellung der (ersten) Hagia Sophia (360) ist die Irenenkirche Bischofssitz u. Hauptkirche. Ein unter Theodosius II. (408–450) errichteter neuer Befestigungsring umfasst 14 Stadtregionen mit einer Bev. von bis zu einer Million. Er wurde in der Geschichte der Stadt nur zweimal v. angreifenden Truppen durchbrochen: 1204 durch die Heerhaufen des 4. →Kreuzzuges, die dem lat. Ks. Baudouin (→Lateinisches Kaiserreich; →Lateinerherrschaft) zur Macht über Byzanz verhelfen; u. 1453, als Mehmed der Eroberer (1451–1481) den auf das Stadtgebiet geschrumpften Rest des 1261 durch Michael VIII. Palaiologos restaurierten Reiches (→Paläologen), v. wohl nicht einmal mehr 10.000 Mann verteidigt, erobert. Die Wiederbesiedlung der nun I. genannten Metropole mit ihren 13 →Nahiye vollzog sich anfangs vornehmlich durch Zwangsumsiedlungen (türk. sürgün), später durch freiwilligen Zuzug. Neben Muslimen waren hierdurch v. a. Griechen u. Armenier sowie Juden (→Juden [Überblick]) betroffen, die aus einigen Städten des Balkans (vgl. →Saloniki) u. Anatoliens in großen Gruppen nach I. umgesiedelt
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Konstantinopel/Istanbul
wurden. Vermutlich um dem als Bedrohung empfundenen Einfluss der lat. Kirche einen Riegel vorzuschieben, übertrug der Sultan dem Anführer der Anti-Unionisten, Gennadios, Amt u. Würde des ökumenischen →Patriarchen (1454) mit Sitz in I. (→Orthodoxie; vgl. a. →Millet); wenig später errichtete Mehmed analog dazu ein armen. Patriarchat am Goldenen Horn (1461) sowie ein jüd. „Oberrabbinat“. Ansonsten erfuhr „die Stadt“ (eine gr. Bez., v. der sich der Name I. herleiten dürfte) in dieser Zeit eine nachhaltige Umgestaltung im isl. Sinne mit (z.T. durch Umwandlung v. Kirchen) Moscheen (darunter die Hauptmoschee der Aya Sofya), →Medresen, Stiftungskomplexen (→Vakuf ) sowie dem sog. Fatih-Imaret u. Einrichtungen für Handel u. Gewerbe wie überdachte Märkte (Bedesten; →Čaršija) u. Karawansereien. Um 1465–70 begannen die Bauarbeiten an einem neuen Sultanspalast (Topkapı), der den „alten Palast“ am ehemaligen Forum Tauri ersetzen sollte. Insgesamt zählt man unter Mehmed II. 190 neue Moscheen, 24 Mektebs u. Medresen sowie 32 neue Badanlagen (→Hamam). Zu den vielleicht markantesten Ausbauten aus späterer Zeit gehören der Stiftungskomplex Bayezids II. (Moschee v. 1500–06), derjenige Selims I. (Moschee fertiggestellt 1522), die Schehzade-Moschee v. 1543–48 u. der Süleymaniye-Komplex, erbaut 1550–57, beide durch den Hofbaumeister Sinan, sowie die Baugruppe Sultan Ahmeds I. (abgeschlossen 1617). Trotz solcher Großbauten imperialen Charakters blieb das Stadtbild v. den ein- bis zweigeschössigen Holzhäusern u. winkligen Gassen der Wohnviertel geprägt (vgl. →Stadt, osm.). Feuersbrünste wie die v. 1856 u. 1865 mussten sich hier großflächig auswirken u. erlaubten so seit dem 19. Jh. umfassende Sanierungen u. städtebauliche Maßnahmen nach westeurop. Vorbild, angeregt durch Europäer wie v. Moltke, Arnodin u. Bouvard. Zu den wichtigsten Architekten dieser Zeit zählen Angehörige der armenischen Familie der Balyan. Die Bev.entwicklung I.s verlief im 20. Jh. außerordentlich dynamisch: von 874.000 E (1885) auf über 14 Mio. Die ethn. u. rel. Minderheiten in der Stadt sind dagegen drastisch geschrumpft (→Griechen, →Armenier, →Sephardim, →Levantiner). Die stärkste Minderheit mit 2–3 Mio. stellen heute die Kurden.
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Lit. (a. →Patriarchat v. Konstantinopel; →Phanar): H. İnalcık, Istanbul, in: EI²; M. Anastassiadou, Les Grecs dʼIstanbul au XIX siècle. Histoire socioculturelle de la communauté de Pera. Leiden 2012; N. Lévy-Aksu, Ordre et désordres dans l’Istanbul ottomane (1879–1909). De l’état au quartier. Paris 2012; D. Güven, Nationalismus u. Minderheiten. Die Ausschreitungen gegen die Christen u. Juden der Türkei vom September 1955. München 2012; Y. Köse, Westlicher Konsum am Bosporus. Warenhäuser, Nestlé & Co. im späten Osmanischen Reich (1855–1923). ebd. 2010; K. Kreiser, Geschichte Istanbuls. Von der Antike bis zur Gegenwart. ebd. 2010; From Byzantion to Istanbul: 8000 Years of a Capital. Hgg. İ. Delemen u. a. İstanbul 2010; N.I. Komandorova, Russkiî Stambul. Moskva 2009; K.-P. Matschke, Das spätbyzantinische Konstantinopel. Alte u. neue Beiträge zur Stadtgeschichte zwischen 1261 u. 1453. Hamburg 2008; P. Schreiner, Konstantinopel. Geschichte u. Archäologie. München 2007 [behandelt die byz. Epoche]; P. Gilles 1490–1555, Itinéraires byzantins: lettre à un ami. Du Bosphore de Thrace. De la topographie de Constantinople et de ses antiquités. Hg. J.-P. Grélois. Paris 2007; Istanbul: vom imperialen Herrschersitz zur Megalopolis. Historiographische Betrachtungen zu Gesellschaft, Institutionen u. Räumen. Hg. Y. Köse. München 2006; St. Runciman, Die Eroberung von Konstantinopel 1453. ebd. 52005; K.R. Dark,
Konvertiten
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Konvertiten (abgeleitet aus lat. conversio: Umkehr, Umwendung). Der Übertritt v. einer Religion zu einer anderen gehört zu den höchst umstrittenen, emotional geladenen Themen, insbesondere dann, wenn Religionszugehörigkeit nicht als Privatangelegenheit, sondern als konstitutives Merkmal einer Gemeinschaft u. ihrer vermeintlich zeitlosen, seit altersher tradierten Kultur u. wenn Religion als alleinige u. für alle verbindliche Wahrheit verstanden wird. Konversion tritt v. a. in zwei Varianten auf: 1. als Übertritt v. einer kanonisierten zu einer anderen kanonisierten Religion, 2. als „Abweichung“ (→Häresie) vom „reinen“ Glauben, wie er v. dessen Hütern festgeschrieben wurde. Im Kontext der zweiten Variante wird oft auch v. rel. →Synkretismus oder rel. Hybridität gesprochen. Beide Begriffe sind nicht unproblematisch, da auch die als „rein“ apostrophierten Religionen oft synkretistische Wurzeln haben u. weil Religionen ebenso wandelbar u. facettenreich sind wie Kulturen oder →Nationen. Glaubenswechsel wird v. der Herkunftsgemeinschaft als Apostasie (gr. ἀποστασία ‚Abfall‘) bzw. „Verrat“ gewertet, u. die K. gelten als Apostaten, Abtrünnige oder Renegaten (aus lat. re „wieder“ u. negare „leugnen, verneinen“), während die Aufnahmegemeinschaft den K. als Proselyten (gr. προσήλυτος ‚Hinzugekommener‘) begrüßt. Wo die Machtverhältnisse es zuließen, wurden Apostaten in MA u. FNZ rücksichtslos verfolgt, insbes. in kath. Ländern nach Einführung der Inquisition im 13. Jh. Das Foltern v. K. bzw. „Ketzern“ war allgemein üblich u. wurde mit viel Phantasie praktiziert. – Glaubenswechsel oder „Migration“ zwischen den Religionsgemeinschaften hat es zu allen Zeiten gegeben. In der Geschichte SOEs nehmen die →Christianisierung, die →Islamisierung, der Wechsel zw. den christl. Konfessionen (v. der →Orthodoxie zum →Katholizismus oder umgekehrt, vom Katholizismus zum →Protestantismus, v. der Orthodoxie zu den →Unierten), der Wechsel zur →Bosnischen Kirche u. zu „häretisch“ oder „heterodox“ eingestuften Gemeinschaften (vgl. →Häresien; →Paulikianer; →Bogomilen; →Anabaptisten; →Aleviten u. a.) oder der Übertritt v. Juden zum Islam (→Dönme), die Rückkehr v. „christianisierten“ Juden zum Judaismus sowie die mit einem Glaubenswechsel häufig verbundenen Phänomene (z. B. „Poturi“ oder →Kryptochristen) eine herausragende Rolle ein. Das Verhältnis v. „Zwang“ u. „Freiwilligkeit“ des Glaubenswechsels lässt sich in vielen Fällen nicht eindeutig klären, da beide Begriffe vage sind u. unterschiedlich interpretiert werden. Auch die Motive des „freiwilligen“ Religionswechsels – v. relig. Überzeugung oder „Erleuchtung“ bis zu Assimilation, Pragmatismus oder Opportunismus – sind häufig infolge unzureichender Quellen oder mit Rücksicht auf flie-
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Konvertiten
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ßende Übergänge nicht widerspruchsfrei zu bestimmen. Zu Konversionen kam es v. a. immer dann u. dort, wo die relig. Gruppenkontrolle institutionell schwach war oder wo starke Push- u. Pull-Effekte wirt., kult. oder pol. Art zum Tragen kamen (Anreize materieller Art, Steigerung des Sozialprestiges; R.W. Bulliet spricht in diesem Kontext von „social conversion“) oder wo massiver Druck eingesetzt wurde (→Sklaverei; →Knabenlese sowie Zwangsumtaufen bis ins 20. Jh. hinein, z. B. während der →Balkankriege oder im →Unabhängigen Staat Kroatien). In der FNZ waren es v. a. die Islamisierung in den europ. Provinzen des Osm. Reiches u. die →Reformation in den Gebieten nördl. v. Save u. Donau, die die relig. Karte SOEs nachhaltig veränderten. Auch wiederholter Glaubenswechsel (z. B. vom Christentum zum Islam oder vom Katholizismus zum Protestantismus u. zurück) war zeitweilig weit verbreitet. Für den Übertritt zum Islam genügte das Sprechen der Schahada, des Glaubensbekenntnisses („Es gibt keinen Gott außer Gott [arab. Allah], u. Mohammed ist sein Gesandter“) vor zwei Muslimen als Zeugen, verbunden mit dem gemeinsamen Gebet, um als Muslim zu gelten. Beides musste auf Arabisch gesprochen werden u. bei vollem Bewusstsein geschehen. Die nachträgliche Zirkumzision wurde in der Regel v. den K. gefordert, war aber keine Bedingung für die Konversion. Viele K. zum Islam nahmen einen arabischen Vornamen an, oft ergänzt durch das Patronym „Sohn des Abdallah“ („Knecht Gottes“). So unkompliziert sich der Übertritt vom Christentum zum Islam gestaltete, so schwierig war die Rückkehr. Die Konversion vom Islam zu einer anderen Religionsgemeinschaft (Apostasie, arab. ridda, irtidād) wird nach klassischem islamischen Recht mit dem Tode bestraft, obwohl der Koran selbst keine Strafe für den Apostaten (arab. murtadd) im Diesseits vorsieht. Doch gemäß der →Scharia wurde öffentlich verkündeter Abfall vom Islam mit dem Tode bestraft, wenn die Aufforderung zur Rückkehr zum islamischen Glauben (istitāba) nicht befolgt wurde. Im Osm. Reich wurde der Abkehr vom Islam (auf Intervention der Großmächte) nach 1844 bzw. nach Verkündung der Religionsfreiheit 1859 nicht mehr mit dem Tod, sondern mit einer Verbannung des K. an einen Ort geahndet, an dem ausschließlich Christen lebten. Konversionen lösten aber auch in den Jahrzehnten danach größte Erregung in der Öffentlichkeit aus. Das gilt auch für Bosnien unter österr.-ung. Herrschaft (1878–1918). Obwohl die Zahl der Glaubenswechsler sehr gering war, sorgten sie für Konflikte, „weil der Abfall vom Glauben den im Lande befindlichen Konfessionen als ein Greuel gilt u. als eine der ganzen Glaubensgenossenschaft angetane Schmach gefühlt wird, sodass sich in solchen Fällen aller Glaubensgenossen eine große Aufregung bemächtigt u. von jeder Konfession eine Parteinahme der Regierung verlangt wird“ (F. Schmid). K. wurden nicht nur v. ihrer Herkunftsgemeinschaft als „Verräter“ verdammt oder als Opfer v. Zwang bedauert (verbunden mit der Erwartung, dass sie unter veränderten Bedingungen zum Glauben ihrer Ahnen zurückkehren), sondern oft auch v. der Aufnahmegemeinschaft als „Opportunisten“ verdächtigt u. waren damit starkem Bewährungsdruck ausgesetzt. Dies dürfte einer der Gründe gewesen sein, warum viele K. zum Islam im Osm. Reich eine steile Karriere (bis hin zum Amt des →Großwesirs) absolvierten. Oft wurde u. wird den K. auch ein bes. ausgeprägter „Hass“ auf ihre vormaligen Glaubensgenossen nachgesagt. Die Kontroversen über K. u. darüber, welcher Glaubensgemeinschaft deren Vorfahren angehört haben (vgl. u. a. →bosn. Muslime; →Pomaken), dauern daher bis zur Gegen-
Konvertiten
wart an u. haben mit der Nationalisierung der Religionen seit dem 19. Jh. noch an Schärfe gewonnen. K. u. ihre Nachkommen haben aus dieser Perspektive nicht nur ihre „ursprüngliche“ Religion u. Kultur, sondern auch ihre „eigentliche“ Nation „verraten“, selbst wenn der Glaubenswechsel Jahrhunderte zurückliegt u. zu einer Zeit erfolgte, da es noch keine Nation gab. So schreibt z. B. der serb. Kulturforscher Bojan Jovanović (stellv. für viele andere) über die Islamisierung, Katholisierung u. Unierung v. „Serben“: „Durch den Übertritt zum Islam zum Zwecke der Bewahrung alter Privilegien u. der Erlangung neuer, wurden Serben zu intoleranten u. erbitterten Gegnern ihrer bish. ethn. Brüder. Diese neue Identität der K., die man mit den Eroberern identifizierte, führte zu einem unbewussten inneren Konflikt, für den Irrationalität ein typisches Merkmal war. Da die Bewahrung der ethn. Identität die Vorbedingung der Kontinuität einer Kultur ist, war die Annahme einer anderen Religion der entscheidende Schritt zur ethn. Entfremdung, die sich mit ihren negativen Konnotationen manifestierte. (…) Die Unierung u. Taufe der Serben [sic] im westl. Teil der balkan. Halbinsel, in Dalmatien u. Kroatien [→Unierte], durchgeführt zum Zwecke der Verneinung ihrer ethn. Identität, nahm im vergangenen Krieg [1941–45], wie allg. bekannt, die Gestalt eines Völkermords an.“ (zit. nach Aleksov; zum Diskurs der ??? a. →Ethnie). Bibl.: Les conversions à l’Islam en Asie Mineure et dans les Balkans aux époques seldjoukide et ottomane. Bibliographie raisonnée (1800–2000). Hgg. G. Grivaud/A. Popovic. Athènes 2011. Lit. (a. →Islamisierung): M. Quakatz, „Conversio Turci“. Konvertierte u. zwangsgetaufte Osmanen. Religiöse u. kulturelle Grenzgänger im Alten Reich (1683–1710), in: Ein Raum im Wandel. Die osmanisch-habsburgische Grenzregion vom 16. bis zum 18. Jh. Hgg. M. Spannenberger/Sz. Varga. Stuttgart 2014, 215–234; A. Margalit, Apostasie. Tübingen 2012; S. Deringil, Conversion and Apostasy in the Late Ottoman Empire. Cambridge 2012; R. Gradeva, Conversion to Islam in Bulgarian Historiography, in: Religion, Ethnicity and Contested Nationhood in the Former Ottoman Space. Hg. J. Nielsen. Leiden 2012, 178–222; T. Krstic, Contested Conversions to Islam: narratives of religious change in the early modern Ottoman Empire. Stanford/Ca. 2011; F. Konrad, Soziale Mobilität europäischer Renegaten im frühneuzeitlichen Osmanischen Reich, in: Religion u. Mobilität. Zum Verhältnis von raumbezogener Mobilität u. religiöser Identitätsbildung im frühneuzeitlichen Europa. Hgg. H.P. Jürgens/Th.Weller. Göttingen 2010, 213–234; A. Meyuhas Ginio, Returning to Judaism: the reconversion of “New Christians” to their ancestral Jewish faith in the Ottoman Empire during the sixteenth century, Medieval History Journal 12 (2009), H. 2, 383–404; M.D. Baer, Honored by the Glory of Islam: conversion and conquest in Ottoman Europe. New York, Oxford 2008; Z. Milutinović, Sword, Priest and Conversion: On Religion and Apostasy in South Slav Literature in the Period of National Revival, Central Europe 6 (2008), 17–46; Ph. Gelez, Se convertir en Bosnie-Herzégovine (c. 1800–1918), SOF 67 (2008), 86–130; B. Bennasar/L. Bennasar, Les Chrétiens d’Allah. L’histoire extraordinaire des renégats, XVIe et XVIIe siècles. Paris 2006; St.A. Epstein, Purity Lost. Transgressing Boundaries in the Eastern Mediterranean, 1000–1400. Baltimore 2006 (Kap.4: Renegades and Opportunists, 137–172); B. Aleksov, Adamant and treacherous: Serbian historians on religious conversions, in: Myths and Boundaries in South-Eastern Europe. Hg. P. Kolstø. London 2005, 158–190; A. Minkov, Conversion to Islam in the Balkans: Kisve bahası petitions and Ottoman social life, 1670–1730.
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Kopfsteuer
Leiden 2004; M. Todorova, Conversion to Islam as a Trope in Bulgarian Historiography, Fiction and Film, in: Balkan Identities. Hg. Dies. London 2004, 129–157; B. Aleksov, Die Interpretation des religiösen Bekenntniswechsels bei der Herausbildung des serbischen Nationalbewusstseins, Jahrbücher für Geschichte u. Kultur Südosteuropas 4 (2003), 39–67; Y. Friedmann, Tolerance and Coercion in Islam. Interfaith Relations in the Muslim Tradition. Cambridge 2003; J. Vermeulen, Sultans, slaven en renegaten. De verborgen geschiedenis van het Ottomaanse rijk. Leuven u. a. 2001; R. Gradeva, Apostasy in Rumeli in the Middle of the Sixteenth Century, Arab Historical Review for Ottoman Studies 22 (2000), 29–73; L. Rambo, Understanding Religious Conversion. New Haven 1993; R.W. Bulliet, Conversion to Islam in the Medieval Period: An Essay in Quantitative History. Cambridge/Mass., London 1979; F. Schmid, Die Abgrenzung u. der Schutz der nationalen (religiösen) Interessen, in: Ders., Bosnien u. die Herzegowina unter der Verwaltung Österreich-Ungarns. Leipzig 1914, 253–260. H. S.
Kopfsteuer (türk. cizye, v. arab. ǧizya). Wer den Status eines →Zimmi besaß oder annahm, musste als „Schutzgeld“ bzw. (so eine spätere Interpretation) zur Kompensation nicht geleisteten Militärdienstes (das Tragen von Waffen war Zimmis grundsätzlich verboten, was allerdings vornehmlich an der Reichsperipherie nicht immer durchsetzbar war) die K. entrichten (Frauen, Knaben bis zur Pubertät, arbeitsunfähige Männer u. unter Umständen Geistliche der Nichtmuslime sind nach hanafitischem Recht von der K. ausgenommen). Bestimmte nichtmusl. Gruppen (wie Vojnuken, →Vlachen u. →Armatolen/Martolosen) waren im Osm. Reich – ähnlich wie die →Derbendci – gegen Erfüllung besonderer Dienstleistungen für den Staat von der K. befreit, ebenso Ausländer (vgl. →Kapitulationen), wenn sie nicht länger als ein Jahr (nach anderen Auffassungen drei Monate) im Osm. Reich ansässig waren. Händler aus →Dubrovnik (Ragusa) blieben von der K. unberührt, da die Republik eine Art kollektiver K. an die →Hohe Pforte entrichtete. – Nach hanafitischem Recht soll die K. für den Wohlhabenden 48, den durchschnittlich Begüterten 24 u. den Minderbemittelten 12 Dirhem Silber betragen. Umfassende Berücksichtigung fand diese Vorschrift jedoch erst nach einer Reform der K. i. J. 1690/1. Bis dahin wurde die K. nicht auf der Basis von Individuen, sondern nach Haushalten erhoben, wobei der Hebesatz von Region zu Region schwankte. Allgemein scheint die Höhe der K. bis zum späten 16. Jh. unter dem Regelsatz gelegen zu haben. Der seit dem ausgehenden 16. Jh. um sich greifende Verfall der osm. Silberwährung (vgl. →AkÇe)führte zum Anstieg der K. nominell wie real, verschärft durch die Praxis kollektiver Steuerhaft für ganze Gemeinden, Steueraufschläge sowie Missbrauch bei der Eintreibung wie Missachtung der Altersgrenze. – Unter der Bez. bedel-i askeriye „Äquivalent für den Militärdienst“ wurde die K. erst 1909 endgültig abgeschafft.
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Lit.: H. İnalcık, Djizya II. Ottoman Empire, in: EI2; N. Moačanin, Slavonija i Srijem u razdob lju osmanske vladavine. Slavonski Brod 2001; B. McGowan, Economic Life in Ottoman Europe. Taxation, Trade and the Struggle for Land, 1600–1800. Cambridge 1981 (v. a. Kap. 3: Head tax data for Ottoman Europe, 1700–1815); H. Hadžibegić, Glavarina u osmanskoj državi. Sarajevo 1966. M. U.
Kordun / Korfu
Kordun. Mikroregion in →Kroatien südl. v. Karlovac (Karlstadt), zu beiden Seiten der Korana. Im W wird das schwach besiedelte Gebiet durch die Gebirgszüge v. Velika u. Mala Kapela, im Osten durch das Bergland der Petrova Gora begrenzt. Hauptort: Slunj (5.000 E, 2011). Die spätma. Festung Slunj befand sich im Besitz der (v. der Insel Krk stammenden) Magnatenfamilie Frankapani/Frankopani. In den 50er Jahren des 16. Jh.s wurde das umliegende Gebiet wiederholt v. osm. Truppen heimgesucht, wobei sich der 1567 zum Banus v. Kroatien u. Slawonien ernannte Franjo Slunjski Frankopan große Verdienste bei der Verteidigung erwarb. 1578 fiel Slunj für kurze Zeit in die Hände der Osmanen. Ende Oktober 1584 brachten der Hauptmann der kroat. →Militärgrenze Josef Thurn u. der kroat. →Banus Tamás Erdödy dem vom Beglerbeg Ferhad-paša Sokolović kommandierten osm. Heer bei Slunj eine schwere Niederlage bei. Seit Ende des 16. Jh.s war der Ort ein wichtiger Stützpunkt der Militärgrenze (Karlstädter Generalat) u. diente zur Sicherung des Grenzgebiets gegenüber dem Osm. Reich. Der K. (aus frz. cordon) gehörte v. 1809–1815 zu Frankreich (→Illyrische Provinzen). Nach Auflassung der Militärgrenze 1871/81 wurde der K. mit Zivilkroatien vereinigt. Die Bev. des wirt. zurückgebliebenen K. setzte sich mehrheitlich aus Serben bzw. orth. →Vlachen zusammen, die dort (v. a. seit Ende des 17. Jh.s) als Flüchtlinge aus dem Osm. Reich zur Verteidigung der Grenze angesiedelt wurden. Zur Zeit des →Unabhängigen Staates Kroatien 1941–45 kam es zu Massenverfolgungen der Serben im K. Nach der Auflösung Jugoslawiens 1991 gehörte das Gebiet zunächst zur „Serbischen Republik →Krajina“, bis es im Sommer 1995 v. kroat. Truppen zurückerobert wurde. Infolge v. Flucht u. Vertreibung änderte sich die ethn. Bevölkerungsstruktur zunächst zugunsten des serb., dann zugunsten des kroat. Elements. 2001 belief sich die Bev. des K. auf rd. 29.000 E, von denen 73 % Kroaten, 24 % Serben u. 3 % Bosniaken waren. Lit.: B. Vranješević, Tromedja na kojoj Srba više nema: Bosanska Krajina, Banija i Kordun. Novi Sad 2014; S. Vlatković, Lički Kordun kroz vijekove: Nebljuški kraj. ebd. 2003; M. Radeka, Kordun u prošlosti. Zagreb 1989; D. Korać, Kordun i Banija u narodnooslobodilačkoj borbi i socijalističkoj revoluciji. Zagreb, Beograd 1981. H. S.
Korfu (v. it. Corfù; gr. Kerkyra). Nördlichste der Ionischen Inseln: 593 km² mit 100.854 E (2011). In der Spätantike gehörte K. zur Provinz Epirus Vetus, in mittelbyz. Zeit ab der Mitte des 8. Jh.s zum Thema Kephallēnia. Wahrscheinlich war es ab dem 10. Jh. ein eigenes →Thema. 1081, 1147 u. 1185 eroberten die Normannen K., doch 1085, 1149 u. nach 1185 gewannen die Byzantiner die Insel zurück. 1204 fiel sie an Venedig, das die Insel 1207 in Besitz nahm, aber 1214 an →Epirus verlor. 1259 kam K. als Mitgift der Helena von Epirus an Manfred v. Sizilien. Von 1267–1386 gehörte K. zum Kgr. Neapel u. wurde 1294–1373 v. einer angevinischen Seitenlinie (→Anjou) regiert. 1386 erwarb Venedig K., wo sich im 15. Jh. Albaner u. gr. Flüchtlinge v. der Peloponnes ansiedelten. 1432 u. 1537 wurde die Insel erfolgreich gegen osm. Angriffe verteidigt. Dank der in den Jahren 1577–1588 u. 1645–1669 ausgebauten Festungsanlagen der Inselhauptstadt hielt diese einer weiteren osm. Belagerung vom 5.7.–22.8.1716 erfolgreich stand. Nach dem Ende Venedigs (1797) besetzten die Franzosen K., wurden aber
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im März 1799 v. einer russ.-osm. Flotte zur Räumung der Insel gezwungen. Seit 1799 gehörte K. zur „Republik der sieben Inseln“ (Heptanēsos Politeia), die v. 1814 engl. Protektorat war bis zur Vereinigung mit Griechenland (→Ionische Inseln). Anfang 1916 evakuierten alliierte Schiffe die serb. Armee nach K., wo sich der serb. Ministerpräsident Pašić u. der Führer des Londoner „Jugoslawischen Komitees“, Trumbić, in einer Deklaration vom 20.7.1917 über die Gründung Jugoslawiens verständigten. 1923 u. von Mai 1941 bis September 1943 hielten die Italiener K. besetzt. Am 24. u. 25.9.1943 kam es nach der Kapitulation Italiens zu schweren Kämpfen zw. Deutschen u. Italienern auf der Insel, die schließlich am 30.9.1944 v. dt. Truppen geräumt wurde. Lit. (a. →Ionische Inseln): A. Dierichs, Korfu – Kerkyra. Die grüne Insel im Ionischen Meer von Nausikaa bis Kaiser Wilhelm II. Mainz 2004; Sp.N. AsŌnitĒs, Andēganikē Kerkyra (13os-14os aiōnas). Kerkyra 1999; A. Nikēphoru, Dēmosies teletes stēn Kerkyra kata tēn periodo tēs Benetikēs Kyrarchias 14os–18os aiōnas. Athen 1999; V. Marsico, Italianità di Corfù. Fasano di Brindisi 1994; N. Karapidakis, Civis fidelis: L’avènement et l’affirmation de la citoyenneté corfiote (XVIème–XVIIème siècles). Frankfurt/M. u. a. 1992; A.A. Longo, Per la storia di Corfù nel XIII secolo, Rivista di studi bizantini e neoellenici n. s. 22–23 (1985–1986), 209–243; E. Bacchion, Il dominio veneto su Corfù (1386–1797). Venezia 1956. K.-P. T.
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Korruption. Zum verbreiteten negativen Bild SOEs gehört, dass die Region als korrupt gilt. Unter den 178 Ländern, deren K.swahrnehmung 2014 v. der unabhängigen Organisation „Transparency International“ erfasst wurden, rangierten Albanien u. Kosovo auf Platz 110, gefolgt von der Republik Moldau (Pl. 103), Bosnien-Herzegowina (Pl. 80), Serbien (Pl. 78), Bulgarien, Rumänien u. Griechenland (Pl. 69), Makedonien (Pl. 64), Kroatien (Pl. 61) u. Ungarn (Pl. 47) u. Slowenien (Pl. 39). Insgesamt haben sich die Platzierungen in den letzten Jahren leicht gebessert. Das Gros der aktuellen Literatur zum Thema konzentriert sich mehr auf Bekämpfung als auf Ursachenforschung; wo letztere doch betrieben wird, verortet man die Wurzeln der Korruption meistens in der Transformationsphase nach 1989 sowie in der vorangegangenen sozialist. Epoche. In hist. Perspektive besonders interessant ist der (ebenfalls nicht seltene) Verweis auf das osm. Erbe. Einerseits spricht einiges für die Annahme, die osmanische Herrschaft habe sich korruptionsfördernd ausgewirkt: Hier fällt etwa das in osmanischer Zeit „erlernte“ Misstrauen der Bevölkerung gegen den Staat ins Auge, ebenso der Rückzug auf Dorfgemeinschaft (→Dorf/Dorfgemeinschaft, Balkan) u. Abstammungsgruppe, wodurch sich Vorstellungen vom Allgemeinwohl nur schwer verbreiten konnten u. es als akzeptabel galt, wenn sich eine lokale Gemeinschaft auf Kosten des Staates oder anderer Gemeinschaften bereicherte. V. a. ab dem 17. Jh., als die Stellung der Zentralmacht verfiel u. lokale Potentaten immer mehr Spielraum zur willkürlichen Extraktion v. Ressourcen erlangten, geriet staatliche Herrschaft bei den Beherrschten zunehmend in Verruf, erschienen eigene Regelverletzungen mehr u. mehr selbstverständlich. Zur Vorgeschichte der K. gehören auch bestimmte osmanische Praktiken wie der Ämterkauf, welcher zur Vergabe von Staats- u. Kirchenämtern
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an den Meistbietenden führte, der seine Auslagen dann über das Amt „erwirtschaften“ musste u. daher mehr Interesse an Profitmaximierung als an korrekter Amtsführung hatte. Ferner die Steuerpacht, d. h. das Eintreiben von Steuern durch einen Pächter, der eine feste Summe an die Zentralregierung abliefern musste u. einen „Überschuss“ für sich behalten durfte. Hier lag das Problem nicht so sehr in der Steuerpacht an sich – sie war auch im übrigen frühneuzeitlichen Europa verbreitet – sondern in der zunehmenden Schwäche der Zentralmacht, wodurch sich die Praxis besonders lange erhielt u. die Steuerpächter sich oft besonders große Freiheiten herausnehmen konnten. Auch Steuerpächter mussten sich ihr Amt erkaufen, was ihr Renditeinteresse steigerte. Beim Verweis auf das osm. Erbe muss allerdings beachtet werden, dass es sich hier häufig nicht um K. im direkten Sinne handelte. Über die Definition des Begriffs wird seit langem gestritten, allerdings hat es aus hist. Sicht wenig Sinn, v. K. zu sprechen, wenn es keine klare Trennung zw. privat u. öffentlich gibt oder eine „korrupte“ Praxis nicht durch entsprechende rechtliche Normen geächtet ist. In West- u. Mitteleuropa wurde seit der FNZ eben jener Rahmen errichtet, der klientelistische Tauschbeziehungen unter bestimmten Umständen als Bestechung, Untreue, Amtsmissbrauch o. ä. abwertete. Die osmanische Herrschaftspraxis entwickelte sich im 17. u. 18. Jh. bekanntlich in eine gegenüber west- u. mitteleurop. Zuständen umgekehrte Richtung, d. h. hier kam es zu einer meist unkontrollierten, nicht durch rechtliche Maßnahmen flankierten Dezentralisierung u. Destandardisierung der Herrschaftsausübung. Insofern gehört das osm. Erbe mit Sicherheit zur Vorgeschichte der K. in SOE, ohne dass man allerdings das →Osm. Reich als im engeren Wortsinn korrupt bezeichnen könnte. Auf dem Balkan, inbesondere in →Serbien, wurde nach 1918 auch die Gegenthese diskutiert – nämlich ob die K. ein westliches u. insbesondere ein habsburgisches Erbe sei. Befürworter dieser Ansicht führten ins Feld, dass K. erst durch komplizierte bürokratische Strukturen, durch die moralische Dekadenz des Stadtbürgertums usw. Einzug gehalten hätte – also durch Züge, die man v. a. bei den „bürgerlichen“ Südslawen jenseits von Save u. Donau (prečani) auszumachen glaubte. Die eigene ges. Tradition porträtierte man dagegen als moralisch gradlinig, geprägt v. strengen patriarchalen Maßstäben u. Egalitarismus, welcher die Bereicherung des Einzelnen auf Kosten des Kollektivs nicht zugelassen habe. Mit K. identifiziert wurden auch andere Protagonisten ges. Modernisierung wie etwa Ausländer u. ausländische Großunternehmen, die posthabsburgische Bourgeoisie, die eigene, zunehmend „vom Volk entfremdete“ →Elite u. in den 1930er Jahren im Zuge wachsenden →Antisemitismus auch zunehmend die →Juden. Aus den Diskursen über die Ursachen der K. ergibt sich nicht zuletzt die Frage nach der (Dis-) Kontinuität der pol. Kultur nach dem Ende der osmanischen Herrschaft. Die „nationalen“ →Befreiungskriege der Serben u. Griechen wurden militärisch v. a. von christlichen Honoratioren u. Warlords getragen. Ihr Verständnis v. Herrschaft war stark von osm. Realitäten geprägt u. hatte wenig gemein mit Vorstellungen moderner, formalisierter u. ausdifferenzierter Staatlichkeit. Eine Trennung zw. Staats- u. Privatkasse war den gr. →Archonten der Mani (→Manioten) genauso fremd wie den serb. →Knezen in der →Šumadija. Zur schmerzhaften Seite der Nationalstaatsbildung gehörte, dass die patriarchale Herrschaftspra-
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xis dieser trad. →Eliten nun unter dem Einfluss westlichen Ideen- u. Institutionenimports zunehmend delegitimiert wurde. Zentrales Kampffeld war ein Diskurs über Amtsmissbräuche, der in beiden Ländern alsbald entstand. Die Kritiker des überkommenen Herrschaftsmodells kamen in beiden Fällen von außen; in Miloš Obrenovićs Serbien waren es die teilw. westlich gebildeten „Verfassungsverteidiger“ (ustavobranitelji), in →Griechenland Mitglieder der kosmopolitischen →Phanariotenelite u. die Vertreter der „Bayernherrschaft“ (bavarokratia). Da der erste serb. Fürst Miloš Obrenović (reg. 1817–39, 1858–60; →Obrenovići) selbst zu den Warlords trad. Typs zählte, verlief der Bruch hier etwas weniger radikal als in Griechenland, wo die Archonten von auswärtigen, aufgeklärten Absolutisten (1827–31 Ioannis Kapodistrias, 1832–62 König Otto I. v. →Wittelsbach) direkt bekämpft wurden, das politische Zentrum also v. Beginn an die trad. Herrschaftsmentalität attackierte. Für die serb. Führung der 1820er u. 30er Jahre war ein Nebeneinander nepotistischer Praktiken u. elementarer rechtsstaatlicher Neuerungen typisch. Fürst Miloš trennte nicht zw. Staats- u. Privatkasse, verschenkte Dörfer an Getreue, zwang eigentlich freie Bauern zur Arbeit an seinen Residenzen. Seine Klienten, die lokalen Knezen, taten es dem Fürsten gleich. Steuern wurden wie in osm. Zeiten weitgehend willkürlich erhoben, die Höhe der Zahlungen u. ihre Verwendung kaum dokumentiert. Für die Lenkung eines Staates erwies sich das allerdings als unzureichend, hinzu kam die Opposition aus den Reihen der Gebildeten, die oft aus den habsb. Gebieten stammten u. auf deren Fähigkeiten Fürst Miloš in seinem jungen Fsm. nicht verzichten konnte (a. →Nationalstaatenbildung). So fallen bereits in Fürst Milošs Herrschaftszeit Anordnungen, dass Verwandte bei Stellenbesetzungen nicht bevorzugt, Steuergelder oder sonstige Ressourcen aus dem eigenen Amt nicht zu Privatzwecken eingesetzt werden, dass nur Staatsbeamte Uniformen tragen u. nur sie auch Pässe ausstellen dürften. Erst derlei Normsetzung berechtigt den historischen Betrachter, jetzt tatsächlich v. Korruption im engeren Sinne zu sprechen. Die in der sozialwissen. K.sforschung verbreitete Auffassung, dass bei K. ein Agent (Beamter) gemeinsam mit einem Klienten (einem Bürger, Unternehmer o. ä.) den Prinzipal (den Staat) betrüge, scheint für ein Regime wie das v. Miloš Obrenović aber immer noch unangemessen – denn hier war es oft genug das Staatsoberhaupt selbst, das gegen gesetzte Normen verstieß, so dass in der serb. Realität die Prinzipalstelle unausgefüllt blieb bzw. eher in einem theoretischen Staatsideal bestand. Auch die jetzt einsetzende K.sbekämpfung ist nicht einfach zu werten – mitunter waren es in Ungnade gefallene Klienten oder wirtschaftliche Konkurrenten des Fürsten, die wegen Amtsmissbräuchen abgestraft wurden. Schon in diesem frühen Stadium zeigte sich, wie die Synthese traditionaler u. moderner Herrschaftspraktiken in eine selektive Justiz führen kann, wie wir sie in Europa heute noch beobachten können – damals wie heute dient der K.svorwurf mitunter nur vorgeblich der K.sbekämpfung, tatsächlich aber als Mittel, um politische oder wirtschaftliche Konkurrenten zu beseitigen. Im weiteren Verlauf des 19. Jh.s nahmen die Regelungsdichte wie auch die Professionalisierung des Staatsapparats immer weiter zu. Die Balkanstaaten erließen Gesetze u. Verordnungen über die Staatsfinanzen, Gebührenkataloge, Regelungen zum Umgang mit Gerichts- u. Gemeindekassen, u. sie richteten Rechnungshöfe ein – alles nicht zuletzt mit dem Ziel, die korrekte Verwendung öffentlicher Gelder sicherzustellen. Eine Geschichte dieser
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Maßnahmen u. v. a. ihrer Durchsetzung ist bislang noch nicht geschrieben. Sicher aber ist, dass mit den gesetzlichen Regelungen auch Disziplinarstrafen gegen Staatsdiener häufiger wurden, insbesondere im Falle von Regierungswechseln, welche häufiger v. K.svorwürfen u. -untersuchungen gegen die jeweils „alte Garde“ begleitet wurden. Dass ordentliche Gerichte die Ergebnisse derartiger Sonderkommissionen nicht immer überzeugend fanden u. die Angeklagten freisprachen (so in →Serbien nach dem Dynastiewechsel von 1858), verweist wiederum auf das Problem der selektiven Justiz. Bemerkenswert ist, wie häufig Anti-K.snormen erneut bekräftigt werden mussten – so wurden in Serbien während des 19. Jh.s mehrfach Verbote wiederholt, Verwandte bei Stellenbesetzungen zu bevorzugen. Meritokratische Normen hatten es nicht leicht, sich gegen die fest verwurzelte Patronageethik durchzusetzen. Auch in der Zwischenkriegszeit änderte sich daran wenig, wie etwa die große Zahl klientelistischer Interventionen in verschiedenen Ministerien des ersten →Jugoslawiens zeigt. Der Klientelismus (→Klientelsystem) hat auch die Zäsuren von 1945 u. 1989 überlebt, wenn auch mit Veränderungen. Sowohl das sozialist. Albanien, das postsozialistische Montenegro oder aber das seit Jahrzehnten in westliche Strukturen eingegliederte Griechenland sind daher als „Familienstaaten“ charakterisiert worden. Die meisten Gesellschaften beschreiben ihre Korruptionsgeschichte in Metaphern von Aufstieg u. Verfall. Das ist auch in SOE so, wobei oft dem gloriosen MA die vermeintlich korrupte osm. Periode gegenübergestellt wird, dem heroischen 19. Jh. die dekadente Zwischenkriegszeit u. dem verhältnismäßig gerechten →Sozialismus der ungerechte u. korrupte Postsozialismus. Die seriöse Forschung hat sich bislang noch nicht an eine Bewertung dieser Stereotypen herangewagt. Ob das Auf u. Ab der K.sdiskurse tatsächlich mit dem Niveau korrupter Praktiken korreliert, lässt sich aufgrund der überwiegenden Verborgenheit des Phänomens wahrscheinlich nie abschließend beantworten. Als sicher kann allerdings gelten, dass K.svorwürfe immer dann Konjunktur hatten, wenn die Gesellschaft als ungerecht u. insbes. die Schere zw. arm u. reich als problematisch empfunden wurde. Hier stellen die Jahre 1918 u. 1989 Zäsuren dar: sie markieren den Übergang v. relativ egalitären Gesellschaften zu unübersichtlichen, sozial ausdifferenzierten u. hierarchisierten Gebilden. Der Bruch v. 1918 war in den Siegerländern Jugoslawien u. →Rumänien vermutlich besonders tiefgehend, weil hier Staaten entschieden gewachsen u. deutlich komplexer geworden waren. Tatsächlich gab es im ersten Jugoslawien mehr u. größere K.saffären als im Königreich Serbien. Sie trugen zu einer Untergangsstimmung bei, die sich aus dem Gefühl näherte, dass Werte wie Heldenmut u. Ausdauer im Niedergang begriffen u. stattdessen Oberflächlichkeit, innere Leere u. Gier auf dem Vormarsch seien – Unwerte, mit denen die mühsam erreichte politische Größe des Landes verspielt werde. Eher pessimistisch ist auch der postsozialist. Diskurs, wobei sich die Medien am breiten Publikum orientieren, dessen Lebenschancen sich längst nicht so positiv entwickelt haben wie jene der wirt. u. pol. Eliten. Ähnlich wie in der Zwischenkriegszeit ist die Auffassung weit verbreitet, dass die wachsenden sozialen Unterschiede nicht Folge von Verdiensten der neuen Elite seien, sondern das Resultat von Raffgier u. Rücksichtslosigkeit. Bezeichnenderweise machen heute die meisten Bürger der soe. Gesellschaften einen Unterschied zw. der eigenen „kleinen“ K. im Alltag, die sie als Überlebensstrategie rechtfertigen, u. der verabscheuungswürdigen „großen“ K. der Elite.
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Trotz aller prinzipiellen Unschärfe ist zu vermuten, dass nicht nur der K.sdiskurs, sondern auch korrupte Praktiken bestimmten Konjunkturen unterliegen. Denn der Boom der K.saffären in der Zwischenkriegszeit wie auch im Postsozialismus fand unter deutlich korruptionsfördernden Rahmenbedingungen statt: 1918 wie 1989 nahm die ges. Pluralisierung sprunghaft zu u. die soziale Kontrolle ab; in beiden Fällen strömte verstärkt Auslandskapital ins Land, welches zu seiner Platzierung der Hilfe gut vernetzter „Helfer“ bedurfte, die sich vor Ort auskannten, gegebenenfalls bürokratische Hindernisse aus dem Weg räumten u. dafür die Hand aufhielten. In beiden Fällen wuchs ein staatliches Vergabewesen für Infrastrukturprojekte heran, das sich als notorisch korruptionsanfällig erwies. Gemeinsam war beiden Situationen auch, dass sich die Bezahlung der Beamten aufgrund leerer Staatskassen zeitweise negativ entwickelte, was die Neigung zur Bestechlichkeit gefördert haben dürfte. Interessant ist auch der Zusammenhang von K. u. territorialer Expansion. Bekanntlich verfolgten die Balkanstaaten seit dem 19. Jh. ehrgeizige Eroberungspläne (→Nationsbildung; →Nationalstaatenbildung). Griechen, Serben u. Bulgaren warben beständig um die Sympathien der „noch nicht befreiten Brüder“ im Osm. Reich (→Irredentismus), wobei sie dessen Herrschaft als Inbegriff des Unrechts u. sich selbst als rechtmäßige, berechenbare, wohlwollende Staatsmacht darstellten. Als das Fsm. Serbien 1833 nach S expandierte, verkündete Miloš Obrenović umgehend die Einführung v. Gerichten, um die Rechtssicherheit zu gewährleisten. Dennoch war der Zusammenhang v. territ. u. rechtsstaatlicher Expansion gebrochen. Denn einerseits fanden Eroberungen in aller Regel unter ethnonationalen Vorzeichen statt, so dass sich das rechtsstaatliche Versprechen nicht auf die Mitglieder der gegnerischen Gruppen bezog – sie wurden im Gegenteil verfolgt u. ausgegrenzt. Da dieses Vorgehen aber längerfristig nicht durch die Großmächte gedeckt war, welche sowohl auf dem →Berliner Kongress als auch bei den →Pariser Vorortverträgen die Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz einforderten, blieben die Balkanstaaten auf informelle Prozeduren angewiesen, um ihre ethnokratische Politik durchzusetzen. So konnten in der Zwischenkriegszeit gut vernetzte serb. Weltkriegshelden Gerichte manipulieren, damit diese ihnen das Land musl. Bauern zusprachen (→Bodenreformen). Ein ähnlicher Fall ist Griechenland, wo Unregelmäßigkeiten bei Immobilien-Transaktionen sich auch deshalb etablieren konnten, weil der Staat im 19. Jh. die Anlegung eines Landkatasters versäumt hatte. Die so aufrechterhaltene Informalität erleichterte v. a. im N des Landes die Aneignung musl. Ländereien durch christl. Bauern, ohne dass durch einen offenen Rechtsbruch internationales Aufsehen erregt worden wäre. Grundsätzlich ist informelle Politik (u. damit auch pol. K.) aber ethnisch neutral – es gab auch Fälle, in denen musl. Grundbesitzer ihre Enteignung verhinderten, indem sie – etwa im →Bosnien der 1930er Jahre – christl. Beamte u. Politiker bestachen. Durch die fortgesetzte Expansion auf osm. Territorium kamen im 19. Jh. zu den neuen Staaten immer wieder Regionen hinzu, die bis dahin v. lokalen Machthabern in weitgehend unstandardisierter Art regiert worden waren, wodurch immer wieder von neuem mit der Einführung v. Normen korrekter Amtsführung begonnen werden musste. Den postosm. Balkanstaaten fehlte dazu häufig das Potenzial – sie hatten selbst nicht genügend professionelle Staatsdiener. Da in den neuerworbenen Gebieten meistens kaum Infrastruktur (Straßen, Schulen,
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medizinische Versorgung) vorhanden war, meldeten sich nur wenige Beamte freiwillig zum Dienst in derartigen Gegenden, aller patriotischer Rhetorik zum Trotz. Im Ergebnis konnten freie Stellen nur schwer besetzt werden u. es kam – etwa im jugosl. Makedonien der 1920er u. 1930er Jahre – zu einer Negativauslese u. zu gehäuften Amtsmissbräuchen. Die Beamtenwillkür wurde weiter begünstigt durch die nationale Ideologisierung des Behördenapparats u. die im Vergleich zu den nationalen „Kernregionen“ noch weniger entwickelte Zivilgesellschaft der neu eroberten Territorien, welche den Staatsvertretern kaum Paroli bieten konnte. Indirekt, so scheint es, hat auch der Nationalismus dazu beigetragen, das K.sproblem zu verstetigen. Dass die Umsetzung nationaler Einheit durch Willkür übende Staatsapparate letzten Endes zu weiterer nationaler Aufsplitterung beitragen kann, gehört zu den bitteren Ironien der Geschichte. Lit. (a. →Klientelsystem): K. Buchenau, Ein Dritter Weg ins Zwielicht? Korruption im sozialist. Jugoslawien, Südosteuropäische Hefte 4 (2015), H. 1, 23–45; ders., Korruption im ersten Jugoslawien (1918–1941). Eine Skizze zu Diskurs u. Praxis, SOF 74 (2014), 98–132; Korruption, soziales Vertrauen u. politische Verwerfungen. Unter besonderer Berücksichtigung südosteuropäischer Gesellschaften. Hgg. B. Balla/W. Dahmen/A. Sterbling. Hamburg 2012; S. Schüler, Erscheinungsformen u. Hintergründe politischer Korruption im heutigen Bulgarien, ebd., 93–112; C. Giordano, Korruption u. personalisiertes Vertrauen. Balkanische u. mediterrane Parallelen, ebd., 57–74; S. Hensell, Albanien als Familienstaat. Zur Genealogie des bürokratischen Feldes in Südosteuropa, in: Herrschaft in Südosteuropa. Kultur- u. sozialwissenschaftliche Perspektiven. Hgg. M.-D. Grigore/R.H. Dinu/M. Živojinović. Göttingen 2012, 97–118; T. Olteanu, Korrupte Demokratie? Diskurs u. Wahrnehmung in Österreich u. Rumänien im Vergleich. Wiesbaden 2012; V. Jovanović, Vardarska banovina 1929–1941. Beograd 2011; Integration, Legitimation, Korruption. Politische Patronage in Früher Neuzeit u. Moderne. Hgg. R.G. Asch/B. Emich/J.I. Engels. Frankfurt/M. u. a. 2011; G. Bulanova-Hristova, Von Sofia nach Brüssel. Korrupte Demokratisierung im Kontext der europäischen Integration. Berlin 2011; I. Krastev, Korruption u. Anti-Korruption. Gefühlslagen u. Rechtsordnungen in den post-kommunistischen Gesellschaften, in: Korruption. Mosse-Lectures 2010 an der Humboldt-Universität zu Berlin. Hgg. E. Wagner/B. Wolf. Berlin 2011, 53–75; M.M. Cosgel/B.A. Ergene/H. Etkes/T.J. Miceli, Controlling Corruption in Law Enforcement. Incentives, Safeguards, and Institutional Change in the Ottoman Empire. Leiden 2011; D. Petričić, Hrvatska u mreži mafije, kriminala i korupcije. Zagreb 2009; V. Devine/H. Mathisen, Corruption in Bosnia and Herzegovina 2005. Bergen 2005; M. Trivunović/V. Devine/H. Mathisen, Corruption in Serbia 2007. Bergen 2007; L.T. Darling, Revenue-Raising and Legitimacy. Tax Collection and Finance Administration in the Ottoman Empire, 1560–1660. Leiden, New York 1996; J.S. Koliopoulos, Brigandage and Irredentism in Nineteenth Century Greece, European History Quarterly 19 (1989), 193–228. K. Bu.
Kosovo (alb. indefinit Kosovë, definit Kosova, amtl. Republika e Kosovës, serb. Kosovo, nach amtl. serb. Standpunkt „Kosovo i Metohija“; türk.-osm. Kosova). Seit 2008 unabhängige Republik, vormals Autonome Provinz der Republik →Serbien, von Juni 1999 bis Februar 2008 unter Verwaltung der Vereinten Nationen: 10.887 km2, ca. 1,8 Mio. E (2011; Zensus
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ohne Einschluss der nördlichsten Gemeinden u. eines Teils der übrigen serb. Minderheit). Nach Schätzung des Jug. Statist. Bundesamts v. 1991 waren v. den damals insges. 2,0 Mio. E 1,6 Mio. (81,6 %) Albaner u. 194.190 (9,9 %) Serben. Zu K. gehört das in seinem W gelegene Gebiet →Metohija. Als Verwaltungseinheit gibt es K. erst seit 1874, als K. zus. mit einem Teil Makedoniens ein eigenes →Vilayet dieses Namens wurde (Hauptstadt →Skopje). K., im Altertum Siedlungsgebiet der zu den illyr. Stämmen gerechneten Dardaner, wurde nach der →Slav. Landnahme weitgehend slavisiert. Politisch gehörte es zum byz. u. zeitweise zum bulg. Staat. Nach der Gründung des Reiches der →Nemanjiden geriet K. in dessen Einflussbereich u. wurde unter Stefan Uroš II. Milutin (1282–1321) Bestandteil des serb. Staates, ohne eine gesonderte territoriale Einheit zu bilden. Auf Grund seiner reichen Bodenschätze schuf K. für einige Jahrzehnte die wirt. Grundlage für die serb. Machtentfaltung. In K. lag seit der Errichtung des →Patriarchats v. Peć (1346) auch das kirchl. Zentrum Serbiens. Die Bev. K.s dürfte im MA überwiegend serb. gewesen sein; ein alb. Bevölkerungselement (Wanderhirten u. Bauern) war aber vorhanden u. wurde seit Ende des 13. Jh.s durch Zuwanderung aus den umliegenden Gebirgslandschaften verstärkt. 1389 fand auf dem Amselfeld (→Kosovo polje) in K. jene Schlacht statt, die das Ende des ma. Serbien einleitete (→Serb. Reich). 1455 wurde K. endgültig osm. Unter der Herrschaft des →Osm. Reiches fand ein kontinuierlicher, teils freiwilliger, teils v. den Osmanen erzwungener Zuzug weiterer Albaner nach K. statt. Diese Albaner nahmen mehrheitlich den Islam an. Während des „Großen Türkenkrieges“ schlossen sich 1690 zahlreiche Serben aus K. unter Patriarch Arsenije III. Crnojević den kaiserlichen Truppen an. Nach deren erzwungenem Rückzug flohen etwa 30.000 Serben aus K. u. zentralserb. Gebieten; ihre Plätze wurden in Kosovo v. alb. Siedlern übernommen (a. →Migrationen). Zur Albanisierung K.s trug bei, dass sich ein Teil der serb. Bev. ebenfalls islamisierte u. in der Folgezeit albanisierte (Arnautaši), auch wenn die Bedeutung dieses Faktors seitens der serb. Forschung weit überschätzt wird. Im 19. Jh. war K. dann eines der Zentren, v. denen aus sich die alb. Nationalbewegung entwickelte. Als nach dem russ. Türkenkrieg 1877/78 die territorialen Verhältnisse auf dem Balkan neu geregelt werden sollten (Präliminarfrieden v. San Stefano u. →Berliner Kongress 1878), war auch die Abtretung alb. Siedlungsgebietes an die christl. Balkanstaaten vorgesehen. Die Albaner reagierten darauf mit der →Liga v. Prizren, die gegen die Abtretungen mit Waffengewalt Widerstand leistete. K. spielte auch eine wichtige Rolle während der jungtürkischen Revolution (→Jungtürken), zu deren Gelingen die Albaner K.s maßgeblich beitrugen. Als die Serben nach den →Balkankriegen 1912/13 K. aus der Konkursmasse des Osm. Reiches in Europa übernahmen, erwarben sie eine Provinz mit mehrheitlich musl. u. alb. Bevölkerung. Die serb. u. später die jug. Regierung waren bestrebt, die Bevölkerungsstruktur in diesem v. ihnen als „Altserbien“ (Stara Srbija) bezeichneten Gebiet zu verändern. Dafür standen drei Möglichkeiten zur Verfügung: Auswanderung der Albaner nach Albanien oder in die Türkei, slav. Kolonisation u. Assimilierung der alb. Restbevölkerung. Alle drei Möglichkeiten wurden erprobt u. schlugen fehl, obwohl die Albaner im ersten →Jugoslawien keinerlei Minderheitenrechte genossen. Alb. Versuche, die Regierung auf pol. („Džemijet“-Partei) oder gewaltsamen (Kaçak-Bewegung) Wege zu Zugeständnissen zu veranlassen, scheiterten. Während des 2. →Wk.s kam nach der Kapitulation Jugoslawiens (17.4.1941) ein
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großer Teil v. K. unter it. Besatzung u. wurde v. den Italienern am 12.8.1941 mit Albanien vereinigt. Dieses „Großalbanien“ blieb auch unter dt. Besatzung (ab 8.9.1943) bestehen. Die →Partisanen Titos fanden deshalb in K. nur wenig Unterstützung. Trotzdem kam es wegen der K.-Frage bereits während des Krieges zu einem Konflikt zw. jug. u. alb. Kommunisten. Auf einem Treffen in Mukja bei Kruja (1.2.8.1943) einigten sich Vertreter der komm. u. der nichtkomm. Widerstandsorganisationen Albaniens auf die Schaffung bzw. Beibehaltung eines „ethnischen“ Albanien, das K. einschließen sollte, u. die Kommunisten K.s forderten in der Resolution v. Bujan (2.1.1944) für die Albaner Jugoslawiens das Selbstbestimmungsrecht, das Recht auf Sezession eingeschlossen. Die jug. KP erhob gegen beide Beschlüsse Einspruch. Nach Kriegsende wurden K. u. Metohija als Autonome Region Kosmet (mit dem Hauptort Priština/→Prishtina) Serbien angeschlossen. Da die Albaner als unzuverlässiges Element galten, wurde in K. ein Polizeiregime eingeführt, das bis zur Entmachtung des jug. Innenministers Aleksandar Ranković 1966 andauerte. 1969 wurde K., das bereits 1963 als Kosmet Autonome Provinz geworden war, „Sozialist. Autonome Provinz“. Durch weitere Verfassungsänderungen erhielt es 1974 einen republikähnlichen Status. Nach Titos Tod (4.5.1980) kam es zu einer Radikalisierung der Situation in K. Während vielen serb. Nationalisten die Zugeständnisse an die Albaner zu weit gingen, waren sie für die meisten alb. Nationalisten noch nicht ausreichend. Im März 1981 kam es in Priština/Prishtina zu Massendemonstrationen, bei denen eine Republik K. u. v. einigen sogar die Loslösung K.s v. Jugoslawien gefordert wurde. Auf der anderen Seite demonstrierten in den Folgejahren Serben u. Montenegriner aus K. in Belgrad gegen alb. Übergriffe („Genozid am serb. Volk“). Die serb. Regierung nützte die Gelegenheit, um im Juni 1988 die Autonomie K.s einzuschränken u. die Provinz der „vorübergehenden“ Kontrolle der Republiksregierung zu unterstellen. Durch die Änderung der serb. Verfassung am 28.3.1989 wurde diese Maßnahme legalisiert. Als Reaktion darauf u. die verstärkte Repression riefen die alb. Abgeordneten des K.-Parlaments am 2.7.1990 die Republik K. aus. Am 4.7.1990 erklärte das serb. Parlament Regierung u. Parlament v. K. für aufgelöst. Am 7.9.1990 wurde auf einem geheimen Treffen der Albaner in Kačanik/Kaçanik eine Verfassung für die Republik K. verabschiedet, zu deren Präsidenten am 24.5.1992 der Schriftsteller Ibrahim Rugova gewählt wurde; am gleichen Tage wurden auch die Abgeordneten für das K.-Parlament gewählt. Die serb. Regierung bezeichnete die Wahlen als illegal, duldete sie aber ebenso wie die alb. Parallelinstitutionen, die auf dem Gebiet des Bildungs- u. Gesundheitswesens in K. entstanden. Präsident Rugova trat in der Folgezeit für eine gewaltfreie Lösung der K.frage ein u. gab sich Belgrad gegenüber gesprächsbereit, hielt aber gleichzeitig an der Vision eines unabhängigen Staates K. fest. Nach dem →Dayton-Abkommen über Bosnien vom November 1995 begann sich bei Teilen der K.-alb. Führung die Ansicht durchzusetzen, dass der Einsatz von Gewalt der Internationalisierung der K.frage dienlich sein könnte. 1996 begann die „K.-Befreiungsarmee“ (alb. Abkürzung UÇK) Anschläge gegen serb. Polizeiposten u. alb. „Kollaborateure“ zu verüben, was Vergeltungsmaßnahmen serb. Sicherheitskräfte zur Folge hatten, die sich 1998 zu einer ersten Phase des Kosovokriegs (→postjugoslawische Kriege) auswuchsen. Die OSZE u. schließlich die Nato schalteten sich ein. Nach dem Scheitern der Konferenzen von Rambouillet u. Paris (Februar/März 1999) kam es zur völkerrechtl. umstrittenen milit. Intervention der Nato
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(24.3.–12.6.1999), die eine massenhafte Vertreibung der Albaner aus K. durch die serb. Seite zur Folge hatte. Nach dem Ende des Nato-Kriegs flohen dann viele Serben oder wurden vertrieben, während viele alb. Flüchtlinge/Vertriebene nach K. zurückkehrten. Nach dem 1.7.1999 unterstand K. der „United Nations Interim Administration Mission in Kosovo“ (Unmik). Nach langjährigen ergebnislosen serb.-kosovarischen Verhandlungen über den künftigen Status des K. proklamierte das Parlament in Prishtina am 17. Februar 2008 die Unabhängigkeit des Territoriums, die bis 2014 von derzeit 108 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen, aber nicht v. Serbien anerkannt wurde. Obwohl sich die Serben im N K.s (Mitrovica), mit finanzieller u. organisatorischer Unterstützung Serbiens, gegen den neuen Staat auflehnten u. es immer wieder zu gewaltsamen Zwischenfälle kam, unterzeichneten die Premierminister Serbiens u. K.s, Ivica Dačić u. Hashim Thaçi, am 17.4.2013 ein „historisches“ Abkommen zur Normalisierung der Beziehungen zw. Serbien u. K., unter Ausklammerung der Anerkennungsfrage. Trotz dieses Fortschritts war K. 2014/15 – neben →Bosnien-Herzegowina – das einzige Balkanland, das noch keinen EU-Beitrittsantrag gestellt hatte.
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Kosovo polje (1389, 1448)
Kosovo polje (1389, 1448) (alb. Fushë Kosova; dt. a. Amselfeld; lat. Campus Turdorum, Campus Merularum; ung. Rigómező). Ebene südl. v. Priština/→Prishtina im →Kosovo. Schauplatz zweier Schlachten (1389, 1448), v. denen die erste eine symbolhafte Bedeutung für die serb. Geschichte erlangte. Am St. Veitstag (Vidovdan) 1389 (15.6. a. St./28.6. n. St.) trafen auf dem K. die Truppen Sultan Murads I. u. die einer serb.-bosn. Koalition unter der Führung des Serbenfürsten (in der Überlieferung auch fälschlich als Zar bezeichnet) Lazar Hrebeljanović (a. →Nemanjiden) aufeinander. Über den Verlauf der Schlacht gibt es in den Quellen unterschiedliche Angaben. Als erwiesen kann gelten, dass der Kampf für beide Seiten sehr verlustreich war, u. dass beide Herrscher – Murad u. Lazar – den Tod fanden. Als erwiesen kann ferner gelten, dass die Schlacht, obwohl frühe christl. Berichte v. einer osm. Niederlage sprechen, mit einem Sieg der Osmanen endete. Die serb. epische Überlieferung (→Epos), die die spätere Geschichtsschreibung nachhaltig beeinflusste, bringt den Tod des Sultans mit der Tat des (in den Quellen nicht verifizierbaren) Serben Miloš Obilić (auch Kobilić) in Verbindung, der sein Leben opferte, um Murad im türk. Lager zu ermorden. Die Niederlage des christl. Heeres soll der Legende nach durch den „Verrat“ von Lazars Schwiegersohn, des serb. Teilfürsten (in Kosovo) Vuk Branković, verursacht worden sein, wofür es keinerlei hist. Belege gibt. Die Schlacht auf dem K. brachte zwar nicht das unmittelbare Ende der serb. Staatlichkeit mit sich, leitete dieses aber ein. Die Herrschaft über das Teilfürstentum im N des ehem. →Serb. Reiches übernahm zunächst Lazars Gattin, Fürstin Milica, bis zur Volljährigkeit ihres Sohnes Stefan Lazarević (Fürst, dann Despot 1393–1427). Fürst Lazar, zunächst in Priština beigesetzt u. dann in das v. ihm gegründete Kloster Ravanica überführt (1391), wurde v. der serb. Kirche heiliggesprochen (ebenso wie Fürstin Milica u. Stefan Lazarević). Während der osm. Herrschaft wurde Lazar Gegenstand eines v. Mönchen gepflegten Kultes, der bis in die Gegenwart fortwirkt. Der Untergang v. Fürst Lazar u. seinem Heer gewann in der Überlieferung u. damit im hist. Bewusstsein des serb. Volkes die Bedeutung des Märtyrertodes für das „Himmlische Reich“ (nebesko carstvo). Die milit. Niederlage wurde so in einen geistigen Triumph umgewandelt. Durch die Kirche u. die Volksdichtung wurde die Erinnerung an die tragischen Ereignisse auf dem K. bewahrt. Der Märtyrerfürst machte auch die sog. „Große Wanderung“ (Velika seoba) der Serben 1690 nach Norden mit (→Migrationen): 1697 brachten Mönche des aufgegebenen Klosters Ravanica seine Gebeine auf habs. Gebiet in das Kloster Vrdnik in der Fruška Gora, wo der Lazarkult eine neue Blüte erlebte. Im 19. Jh. verschmolzen dann der kirchl. Lazarkult u. der weltliche, in Liedern tradierte Kosovo-Mythos (mit dem Opfertod des Miloš u. dem Verrat des Vuk Branković) zu einer Einheit. Dieser nunmehr nationale Mythos gehörte zu den ideologischen Grundlagen für die Wiedererrichtung des serb. Staates u. den nationalen →Irredentismus (a. →Erinnerungskultur). 1989 kehrten die sterblichen Überreste Lazars im öffentl. Triumphzug nach Ravanica zurück. Die zweite Schlacht auf dem K. fand zw. dem 17. u. dem 19.10.1448 statt. Gegner waren das osm. Heer unter Sultan Murad II. u. ung.-walach. Truppen unter der Leitung des ung. Reichsverwesers Johann Hunyadi (a. →Ungarn). Der Kampf endete nach dem Überlaufen der walach. Hilfstruppen mit einer vernichtenden Niederlage der Ungarn. Hunyadi wurde auf der Flucht nach Belgrad vom serb. →Despoten Djuradj Branković gefangengenommen
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Kosovo polje (1389, 1444) / Krain
u. erst gegen ein horrendes Lösegeld wieder freigelassen. Die Schlacht v. 1448 besiegelte die osm. Vorherrschaft auf dem Balkan. Obwohl sie folgenreicher war als die erste Schlacht auf dem K., ist sie aus dem kollektiven Gedächtnis der Serben verschwunden. Lit.: R. Radić, Der serbische Kosovomythos, in: Religiöse Erinnerungsorte in Ostmitteleuropa. Konstitution u. Konkurrenz im nationen- u. epochenübergreifenden Zugriff. Hgg. J. Bahlcke/St. Rohdewald/Th. Wünsch. Berlin 2013, 823–832; D. Bandić, Carstvo zemaljsko i carstvo nebesko. Ogledi o narodnoj religiji. Beograd 32008; H. Sundhaussen, Kriegserinnerung als Gesamtkunstwerk u. Tatmotiv: Sechshundertzehn Jahre Kosovo-Krieg (1389–1999), in: Der Krieg in religiösen u. nationalen Deutungen der Neuzeit. Hg. D. Beyrau. Tübingen 2001, 11–40; O. Zirojević, Das Amselfeld im kollektiven Gedächtnis, in: Serbiens Weg in den Krieg. Kollektive Erinnerung, nationale Formierung u. ideologische Aufrüstung. Hgg. Th. Bremer/N. Popov/H.-G. Stobbe. Berlin 1998, 45–61; R. Mihaljčić, Junaci kosovske legende. Beograd 1993; Kosovo: Legacy of a Medieval Battle. Hgg. W.S. Vucinic/Th. Emmert. Minneapolis 1991; Th. Emmert, Serbian Golgotha: Kosovo, 1389. New York 1990; R. Mihaljčić, The Battle of Kosovo in History and in Popular Tradition. Belgrade 1989; Ders., Lazar Hrebeljanović. Istorija – kult – predanje. Beograd 1984; M. Popović, Vidovdan i časni krst. Ogled iz književne arheologije. Beograd 1976 (frz. Kosovo: histoire d’un mythe. Essai d’archéologie littéraire. Paris 2010); F. Kämpfer, Der Kult des heiligen Serbenfürsten Lazar. Textinterpretationen zur Ideologiegeschichte des Spätmittelalters, SOF 31 (1972), 81–139; P. Tomac, Kosovska bitka. Beograd 1968; D. Trifunović, Srpski srednjovekovni spisi o knezu Lazaru i kosovskom boju. Kruševac 1968; G.A. Škrivanić, Kosovska bitka (15 juna 1389). Cetinje 1956; M. Braun, „Kosovo“. Die Schlacht auf dem Amselfelde in geschichtlicher u. epischer Überlieferung. Leipzig 1937. P. B./H. S.
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Krain (lat. Carniola; altslowen. Krajna, slowen. Kranjska). Kernland des heutigen →Slowenien mit dem Hauptort →Ljubljana/Laibach; grenzte im MA im W an Friaul u. Görz, im SW an Istrien, im S u. O an Kroatien, im O u. N an die Steiermark u. im N an Kärnten. Nach dem 568 erfolgten Abzug der Langobarden nach Italien v. slav. Stämmen besiedelt (→Slav. Landnahme), wurde K. nach dem Sieg Karls des Großen über die →Awaren um 795/96 als Teil Unterpannoniens dem fränk. Herrschaftsbereich einverleibt, kirchl. fast ganz dem Patriarchat v. Aquileia unterstellt u. 828 in K. die fränk. Grafschaftsverfassung eingeführt. Bei der Errichtung des ottonischen Markensystems (als Bestandteil des Heiligen Röm. Reiches) wurde K. nach 960 in zwei Marken geteilt: in die 973 genannte „Creina marcha“ (Oberkrain) u. die Mark Saunien mit dem Sanntal, die spätere Grafschaft Cilli, die auch die Gebiete südl. der Save unter Einschluss der Windischen Mark (Unterkrain) umfasste. In der dem Herzogtum →Kärnten unterstellten Markgrafschaft wird seit 989 ein Landesherr bezeugt, der seit 1040 ausdrücklich als Markgraf (Eberhard) ausgewiesen wird. Kg. Heinrich IV. verlieh die Mark K. 1077 u. endgültig 1093 an das Patriarchat v. Aquileia, die im 12. Jh. das Markgrafenamt an die in K. ansässigen mächtigen Grafen v. Andechs-Meranien vergaben. Durch die Andechserin Agnes kam die K. 1232 an den Babenberger Herzog Friedrich II. v. Österreich u. Steiermark, nach dessen Tod 1246 an den Sponheimer Herzog Ulrich III. v. Kärnten, den 1269 der Kg. Pržemysl Otakar II. v. Böhmen beerbte.
Krain
Rudolf v. Habsburg behandelte K. u. die Windische Mark nach 1278 als Reichslehen, das er 1282 seinen Söhnen verlieh, gleichzeitig aber dem neuen Herzog v. Kärnten, Grafen Meinhard II. v. →Görz u. Tirol, verpfändete. 1311 wurde der nördl. Teil der Mark Saunien, das Sanntal, an die Habsburger abgetreten u. der Steiermark einverleibt. Mit dem Aussterben der Tiroler Linie der Grafen v. Görz fiel K. mit Kärnten 1335 an die Habsburger, die das K.er Herrschaftsgebiet bis an die Adria erweiterten (Erwerbung v. Duino, des Kvarner u. 1382 v. Triest) u. es 1364 unter Rudolf IV. zum Herzogtum erhoben. Durch Erbverträge kamen 1374 die Görzer Herrschaften in der Windischen Mark (Möttling) u. in →Istrien die Grafschaft Mitterburg (Pazin) hinzu. Die K. blieb ein slowen. Bauernland (→Slowenen) mit dt. oder assimilierten Adel u. Klerus, nur in den im Verlauf des 13. Jh.s entstandenen Städten u. in der Hauptstadt Laibach/ Ljubljana errang das dt. Bürgertum einen maßgebenden Einfluss. Im unbewohnten Waldgebiet zw. der Reifnitz/Ribnica u. Kolpa/kroat. Kupa entstand im 14. Jh. mit der →Gottschee/ Kočevje die größte dt. Rodungssiedlung der K. Die v. den Osmanen ausgehende Bedrohung mit immer häufigeren Einfällen seit 1471 führten zu einer sich im 16. Jh. intensivierenden Zusammenarbeit mit den →Ständen der Steiermark u. Kärnten, bis K. 1564 an die durch Erbteilung gebildete habsb. Ländergruppe →Innerösterreichs angegliedert wurde. Erst die mariatheresianische Verwaltungsreform v. 1747/48 brachte wieder eine etwas größere Selbständigkeit, auch wenn die Landeshauptmannschaft K. 1763 neuerlich (bis 1803) dem Grazer Gubernium unterstellt wurde. 1809–1813 war K. Teil der frz. →Illyrischen Provinzen, ab 1825 verwaltete das Gubernium zu Laibach die als Kgr. Illyrien vereinten Kronländer K. u. Kärnten. Diese Union wurde 1849 wieder aufgehoben u. K. bis 1918 v. einer eigenen Landesregierung verwaltet, die v. 1860 bis 1868 der Statthalterei zu Triest unterstellt war (→Küstenland). (Zum Nationsbildungsprozess der Slowenen in K. →Slowenen.) Lit.: D. Kos, In Burg u. Stadt. Spätmittelalterlicher Adel in Krain u. Untersteiermark. Wien, München 2006; J. Hösler, Von Krain zu Slowenien. Die Anfänge der nationalen Differenzierungsprozesse in Krain u. der Untersteiermark von der Aufklärung bis zur Revolution 1768 bis 1848. München 2006; A.T. Linhart, Versuch einer Geschichte von Krain u. den übrigen Ländern der südlichen Slaven Österreichs. Klagenfurt u. a. 2001 [Ndr. v. 1788/1791]; Deutsche Geschichte im Osten Europas: Zwischen Adria u. Karawanken. Hg. A. Suppan. Berlin 1998; Karantanien u. der Alpen-Adria-Raum im Frühmittelalter. Hg. G. Hödl. Wien 1993; S. Vilfan, Die deutsche Kolonisation nordöstlich der oberen Adria u. ihre sozialgeschichtlichen Grundlagen, in: Die deutsche Ostsiedlung des Mittelalters als Problem der europäischen Geschichte. Hg. W. Schlesinger. Sigmaringen 1975, 567–604; ders., Rechtsgeschichte der Slowenen bis zum Jahre 1941. Graz 1968; L. Hauptmann, Krain, in: Erläuterungen zum historischen Atlas der österreichischen Alpenländer. Abt. 1, Teil 4. Wien 1929, 309–484; A. Dopsch, Die Kärnten-Krainer Frage u. die Territorialpolitik der ersten Habsburger in Österreich, Archiv für österr. Geschichte 87 (1899), 1–111; A. Globočnik, Übersicht der Verwaltungs- u. Rechtsgeschichte des Landes Krain. Laibach 1893; Urkunden- u. Regestenbuch des Herzogtums Krain. Hg. F. Schumi. 2 Bde. Laibach 1883/84. G. S. 529
Krajina
Krajina (von serb., kroat. krajni „äußerst, extrem“; serb., kroat., slowen. kraj „Ende, Rand, Saum“, aber a. „Gegend, Landschaft, Bezirk“). 1. „Grenzgebiet, Mark“ (i. S. v. lat. confinium, frz. marche) bzw. „Grenze“ (i. S. von engl. frontier, border lands, nicht aber border, borderline, denn lineare, festgeschriebene Grenzen sind erst im Zeitalter der Nationalstaaten zum Normalfall geworden). Gemeint ist ein Grenzsaum, der von einer Grenzerbev. bewohnt wird, die unter Umständen eine eigene Grenzergesellschaft ausgebildet haben kann. Krajina bezeichnete zeitgenössisch die milit. strukturierten Grenzgebiete seit der FNZ im →„Triplex Confinium“, der „dreifachen Grenzmark“ der Habsburger (a. →Militärgrenze), Osmanen u. Venezianer. Zahlreiche weitere Zusammensetzungen beziehen sich auf kleinere geograph. Gebiete, etwa Bosanska (bosnische) K., Negotinska (Negotiner) K. bzw. Timočka K. (→ Timok ) oder Bela Krajina (Weißkrain, vgl. →Krain). 2. Im serb. u. kroat. Sprachgebrauch seit den 1990er Jahren wird der Begriff K. häufig (aber nicht durchgängig) verengt auf die zw. 1991 u. 1995 der kroat. Staatsgewalt entzogene sog. Republik Srpska K., d. h. den teils oder überwiegend von Serben (den Nachfahren der einstigen Militärgrenzer) besiedelten Raum entlang der bosn.-herzeg. Staatsgrenze von Karlovac bis ins Hinterland v. Split mit den Kerngebieten →Kordun, →Banija, östliche →Lika u. der „Hauptstadt“ Knin in Dalmatien. Dem drohenden Zerfall Jugoslawiens u. dem um sich greifenden kroat. Nationalismus (u. Chauvinismus) setzten die K.-Serben – gestützt auf Volksbefragungen sowie unter Berufung auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker zunächst ihre Forderung nach Autonomie, später nach Unabhängigkeit der K. mit dem Ziel einer Vereinigung mit Serbien („Alle Serben in einem Staat“) entgegen. Bereits im Dez. 1990 hatten örtl. Serbenführer das „Serbische Autonome Gebiet K.“ proklamiert u. mit der Aufstellung eigener Milizen begonnen. Am 19. Dez. 1991 wurde das Autonome Gebiet in die „Serbische Republik K.“ (RSK) umgewandelt. Nach Anschluss der serb. kontrollierten Gebiete in West- u. Ostslawonien umfasste die RSK gut 17.000 km2. Die Einrichtung der serb. Republik war begleitet von →ethn. Säuberungen (→postjugosl. Kriege). Unter den 555.000 E dieser Gebiete hatten sich gemäß Volkszählung vom Frühjahr 1991 (nachdem bereits Serben aus anderen Teilen Kroatiens in diese Gebiete umgesiedelt waren) 59,7 % Serben, 30,2 % Kroaten sowie 10,1 % andere, nicht-serbische Bev.gruppen befunden. Nach Etalierung der RSK sank der Anteil der Nichtserben auf 9 %. Bei der Rückeroberung der RSK durch kroat. Truppen wurden dann die Serben Opfer ethn. Säuberungen: 150.000-200.000 Serben (Militärs u. Zivilisten) flüchteten aus der K., wobei es auch v. kroat. Seite zu Rache- u. Vergeltungsakten kam.
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Kreta
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Kreta / Kreuzzüge
terie-Division zog sich die übrige dt. Besatzung im Oktober 1944 in den Raum v. Chania zurück u. hielt diesen bis zur Kapitulation am 9.5.1945. Quellen: Ottoman diplomatic documents on the “Eastern question”. Crete and Turco-Greek relations (1869–1896). Hg. S. Kuneralp. Istanbul 2012; Ottoman diplomatic documents on the “Eastern Question”. The Cretan uprising 1866–1869. Hg. S. Kuneralp. 2 Bde. Istanbul 2010. Ch. GasparĒs, Catastici Feudorum Crete. Catasticum Sexterii Dorsoduri 1227–1448. 2 Bde. Athen 2004; S. Mackee, Wills from Late Medieval Venetian Crete. 3 Bde. Washington/DC 1998. Lit.: A. Beevor, Crete 1941: the battle and the resistance. New York 2014; P. Şenişık, Transformation of Ottoman Crete. The Revolts, Politics and Identity in the Late Nineteenth Century. London 2011; B. Mugnai/A. Secco, La guerra di Candia, 1645–69. The War of Candia. 2 Bde. [Zanica] 2011, 2012; H.A. Richter, Operation Merkur. Die Eroberung der Insel Kreta im Mai 1941. Mainz u. a. 2011; M. von Xylander, Kreta im Zweiten Weltkrieg. Die Deutsche Besatzung von 1941– 1945, Thetis 18 (2011), 243–253; The Eastern Mediterranean under Ottoman Rule. Crete, 1645–1840. Hg. A. Anastasopoulos. Rethymno 2008; G. Passarelli, Creta. Tra Bisanzio e Venezia. Milano 2007; D. Meyer-Bauer, Europäische Integration. Kultureller Wandel in Westkreta. Berlin 2003; M. Greene, A Shared World. Christians and Muslims in the Early Modern Mediterranean. Princeton/NJ 2000; Venezia e Creta. Atti del convegno internazionale. Hg. G. Ortalli. Venezia 1998. M. Kremp, Arabisches Kreta. Das Emirat der Andalusier (827–961). Frankfurt/M. 1995; C. MacDonald, The Lost Battle. Crete 1941. New York 1993; Literature and Society in Renaissance Crete. Hg. D. Holton. Cambridge 1991; M. von Xylander, Die dt. Besatzungsherrschaft auf Kreta 1941–1945. Freiburg i. Br. 1989; W. Elz, Die europäischen Großmächte u. der kretische Aufstand 1866–1867. Stuttgart 1988; D. Tsugarakēs, Byzantine Crete from the 5th Century to the Venetian Conquest. Athens 1988; Krētē: Historia kai politismos. Hg. N. Panagiotakēs. 2 Bde. Herakleion 1987/1988; Th. Detorakēs, Historia tēs Krētēs. Athen 1986; K. Gallas/K. Wessel/M. Burbudakis, Byzantinisches Kreta. München 1983. K.-P. T.
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Kreuzzüge. Vom Papst proklamierte u. häufig auch v. päpstl. Legaten geleitete Feldzüge, die zur Befreiung des Heiligen Grabes u. der im isl. Machtbereich lebenden Christen des Orients u. Spaniens unternommen, ab der Mitte des 12. Jh.s aber auch gegen Heiden (Wenden), nichtkath. Christen oder Häretiker (→Häresie) gerichtet wurden. Besonders die vier ersten K. sind für die Geschichte SOEs v. Bedeutung. Auch wenn ein Ersuchen Alexios‘ I. um milit. Unterstützung gegen die türk. Seldschuken, das byz. Gesandte im März 1095 auf der Synode von Piacenza vorbrachten, zu dem Kreuzzugsaufruf Urbans II. am 27.11.1095 in Clermont beigetragen hat, so verursachte schon der Durchzug großer Volksmassen u. ritterlicher Kontingente durch das byz. Gebiet während der drei ersten K. (1095–1099, 1147–1148 u. 1189/1192) große Versorgungsprobleme, die zu Kämpfen zw. plündernden Kreuzfahrern u. begleitenden byz. Verbänden führten. Während die Byzantiner die Kreuzfahrer auf Grund ihrer eigenen Kämpfe mit den Normannen v. Anfang an mit Misstrauen betrachteten, machten diese in zunehmendem Maße „byz. Verrat“ für das Scheitern der K. von 1100/1101 u. 1147/1148 verantwortlich. Die Errichtung v. Kreuzfahrerstaaten auf eh. byz. Gebiet u. die
Kreuzzüge
Ersetzung des orth. Episkopats durch lat. Prälaten in den Patriarchaten v. Antiocheia u. Jerusalem provozierte byz. Feldzüge zur Rückeroberung oder Unterwerfung Antiocheias u. brachte das →Schisma, das sich trotz zahlreicher theol. Disputationen u. Unionsverhandlungen (z. B. 1089, 1112, 1124, 1136 u. 1166) als unüberwindlich erwies, ins gegenseitige Bewusstsein. Im Herbst 1147 erwogen frz. Kreuzfahrer erstmals den Angriff auf Konstantinopel. Zum Glück für das seit 1180 geschwächte Byzanz machte Friedrich I. Barbarossa während seines Durchzuges durch SOE v. den Bündnisangeboten der Serben u. Bulgaren, die sich seit 1186 der byz. Herrschaft entzogen hatten, auch dann keinen Gebrauch, als der mit Saladin verbündete Isaak II. ihn am Übergang nach Kleinasien hindern wollte. Im Frieden v. Adrianopel (Februar 1190) wurde der Konflikt beigelegt. Die Eroberung u. Plünderung →Konstantinopels durch die Teilnehmer des Vierten Kreuzzuges u. die Venezianer (12.4.1204) sowie die nachfolgende Aufteilung des byz. Reiches (→Lateinisches Kaiserreich) führte durch die Entstehung dreier byz. u. zahlreicher lat. Staaten zur pol. Zersplitterung im soe.-ägäischen Raum, vertiefte die Kluft zw. Abendland u. der orth. Welt u. machte alle Bestrebungen zu einer Kirchenunion illusorisch. Die Zerschlagung bzw. massive Verkleinerung v. Byzanz ermöglichte zwar im 13. u. 14. Jh. unter Ivan Asen II. (1218–1241) u. Stefan Dušan (1331–1355) kurzlebige bulg. u. serb. Großreichsbildungen (→Bulg. Reich; →Serb. Reich), erleichterte aber auch die osm. Eroberung SOEs entscheidend. Gegen das Vordringen der Osmanen in der Ägäis u. auf dem Balkan waren die K.e des 14. u. 15. Jh.s gerichtet. Am 28.10.1344 eroberte die Flotte eines v. Clemens VI. organisierten Kreuzzuges, an dem Venedig, Zypern u. die Johanniter teilnahmen, Smyrna, das Zentrum der türk. Ägäispiraterie. Im Zuge des K.es des Grafen Amadeus VI. v. Savoyen wurde zwar das osm. Gallipoli im August 1366 eingenommen, doch verwandelte sich das Unternehmen zu einem Feldzug gegen Bulgarien, der dem mit Amadeus VI. verwandten byz. Ks. Johannes V. die Durchreise erzwingen sollte. 1396 unternahm Kg. Sigismund v. Ungarn einen K. gegen die Osmanen, um diesen Vidin zu entreißen u. das seit 1394 v. den Türken blockierte Konstantinopel freizukämpfen, unterlag aber am 25.9.1396 bei Nikopolis den Truppen Bayezids I. Am 10.11.1444 scheiterte ein poln.-ung. Kreuzzug bei Varna. Dagegen fügte ein v. dem ung. Feldherrn Johannes Hunyadi u. dem Franziskaner Giovanni di Capistrano geführtes Kreuzzugsheer Mehmed II. im Juli 1456 vor Belgrad eine schwere Niederlage zu (zur begrenzten Langzeitwirkung →Ungarn). Lit.: Chr. Tyerman, The practices of crusading. Image and action from the eleventh to the sixteenth centuries. Farnham 2013; N. Jaspert, Die Kreuzzüge. Darmstadt 62013; S.A. Rakova, The fourth crusade in the historical memory of Eastern orthodox Slavs. Sofija 2013; B. Weber, Lutter contre les turcs. Les formes nouvelles de la croisade pontificale au XV. siècle. Rome 2013; A. Simon, Crusading between the Adriatic and the Black Sea: Hungary, Venice and the Ottoman Empire after the Fall of Negroponte, Radovi (Zavod za hrvatsku povijest) 42 (2010), 195–230; P. Frankopan, The First Crusade: The Call from the East. Cambridge/Mass. 2012; J. Riley-Smith, The Crusades, Christianity, and Islam. New York 2008; The Fourth Crusade Revisited. Hg. P. Piatti. Rome 2008; The Fourth Crusade. Event, Aftermath, and Perception. Hg. Th.F. Madden. Aldershot 2008; J. Phillips, The Second Crusade: Extending the Frontiers of Christendom. New Haven, London 2007; C. Imber, The Crusade of Varna, 1443–1445. Aldershot, Burlington/Vt.
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Krim
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Krim. Halbinsel im Schwarzen Meer, wichtiger Umschlagplatz des Fernhandels seit dem Altertum. In der Antike Taurischer Chersones; seit dem 6. Jh. v. Chr. von Griechen kolonisiert u. z. T. hellenisiert. Um 480 Zentrum des nach der Straße von Kertsch so bezeichneten Bosporanischen Reiches; seit 47 v. Chr. unter röm. Oberhoheit. Im 4. Jh. n. Chr. von Ostgoten u. Alanen besiedelt, die sich den Hunnen unterstellten. Küstengebiete im 6. Jh. byz.; bis zum 8. Jh. dann wie der innere Teil der K. unter Herrschaft der →Chazaren. 1016 mit byz. Hilfe Errichtung einer warägischen Herrschaft (Kiever Rusʼ) in Tmutarakan, der antiken gr. Kolonie Harmonassa an der Meerenge zw. Schwarzem u. Azovschem Meer. Seit 1239 ist die K. von den Herrschern der (mongolischen) Goldenen Horde abhängig (→Mongolen), die bis 1381 auch die Aufsicht über die genuesischen Besitzungen (seit 1266) u. venez. Faktoreien führten. Intensive Verbindungen während dieser Zeit zum mamelukischen Ägypten leisteten der Ausbreitung des Islams sunnitischer Richtung auf der K. Vorschub, deren jüd. Bev. (→Karaimen) ebenso wie die Lateiner u. Orthodoxen über eigene Jurisdiktion u. Gemeindestrukturen (vgl. zum Prinzip →Millet) verfügten. Zahlreich waren die →Armenier, die dem Land den Beinamen Armenia Magna bzw. Armenia Maritima eintrugen. Infolge der Schwächung der Goldenen Horde gelang es Giyas ud-Din, dem Oberhaupt einer Familie, die sich auf Činggis Chan zurückführte, zu Beginn des 15. Jh.s die Herrschaft seines Clans über die K. zu festigen. Seinem ältesten Sohn gab er den Beinamen Giray (vielleicht in der Bedeutung „kleiner Riese“). Nach heftigen Kämpfen zw. dessen Söhnen u. in einer Situation äußerer Bedrohung, in der um osm. Hilfe ersucht wurde, belehnte Sultan Mehmed der Eroberer (1451–1481) 1478 Mengli Giray mit der Chanswürde, die in der Familie erblich, jedoch Angelegenheit des Großherrn in Istanbul bleiben sollte. Der südl. Teil der Halbinsel, bis dahin in den Händen der (seit 1454 tributpflichtigen) Genuesen (vgl. →Lateinerherrschaft), war schon 1475 dem Osm. Reich direkt eingegliedert worden (er gehörte bis 1568 zu →Rumelien). Zum Einflussbereich des Chans gehörte hingegen das Nordufer des Schwarzen Meeres von der mold. Grenze (seit 1526: vom Dnjepr) bis zum Kaukasus. Die Residenz des Chan hieß anfangs Kırk Yer („Vierzig Ortschaften“), dann Bachtschesaray (Bağçesaray, „Gartenpalast“). Die Armee bestand aus den Kontingenten der krimtatarischen Stämme (→Krimtataren), den Nogaier-Truppen u. den nach dem Vorbild der osm. →Janitscharen aufgestellten „Pfortensklaven“. Seit dem Ende des 16. Jh.s waren krimtatarische Verbände
Krim
regulärer Bestandteil des osm. Heeres. V. a. die leichte Reiterei der K.-Chane verbreiteten in Europa u. Asien Furcht u. Schrecken. 1571 fiel gar Moskau ein letztes Mal in tatarische Hände; seine Außenbezirke wurden niedergebrannt. Erst Peter der Große befreite sein Land endgültig von den letzten Tributpflichtigkeiten. Am Ende der Koalitionskriege 1682–1699 fiel Azak (Azov) erstmals an →Russland, während die russ. Invasion der K. 1737/38 neben der Zerstörung von Bachtschesaray zur endgültigen Abtretung von Azov führte (1739). Nach dem verlustreichen osm.-russ. Krieg von 1768–1774 war die Pforte im Frieden von →Küçük Kaynarca (Art. 3) gezwungen, das Chanat der K. 1774 in die Unabhängigkeit zu entlassen. Die Festungen von Kertsch, Yenikale (1699 anstelle Azovs erbaut) u. Kaffa verblieben unter russ. Besatzung. Unter dem in Saloniki u. Venedig aufgewachsenen russlandfreundlichen Schahin (Şahin) Giray (seit 1777) stießen moderne Reformen nach russ. Vorbild auf heftigen Widerstand unter der musl. Bev.; Staatsschulden, Revolten u. falsche Versprechungen Katharinas II. zwangen Schahin Giray 1783 zur Abtretung seines Landes – einschließlich Kaffa – an Russland (a. → Griechisches Projekt). Massaker unter der Bev. im Zuge der Umwandlung des Chanats in die sog. Taurus-Region u. (seit 1796) in das Gouvernement von →Neurussland führten zu ersten nachhaltigen Veränderungen in der ethn. Zusammensetzung der K., deren musl. Bev. in großer Zahl ins Osm. Reich emigrierte. 1854 wurde die K. zu einem der Hauptschauplätze (u. Namengeber) des →Krimkriegs (a. →Krimtataren). Im Russischen Bürgerkrieg hielten Weiße Garden die K. besetzt. Nach deren Niederlage marschierte die Rote Armee ein. 1921 wurde die K. zur Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik (ASSR). Von der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik war sie verwaltungstechnisch getrennt. Im 2. →Wk. wurde die Halbinsel nach heftigen Kämpfen um Sewastopol von 1942 bis 1944 durch die Wehrmacht besetzt. Nach Rückeroberung der K. durch die Rote Armee wurden am 18. Mai 1944 die →Krimtataren auf Stalins Befehl hin als kollektive Strafe wegen tatsächlicher oder vermeintlicher Kollaboration mit den Deutschen nach Zentralasien deportiert. Bei dem Transport in Viehwaggons kam etwa die Hälfte der Krimtataren um. Stalin hob die Autonomie der K. innerhalb der Sowjetunion auf. 1954 wurde die K. der Ukraine zugeschlagen, die im Dez. 1991 ihre Unabhängigkeit erklärte. 2001 lebten in der Autonomen Republik K. (26.844 km2) (ohne Sewastopol) 2,0 Mio. E, von denen 58,5 % Russen, 24,4 % Ukrainer u. 12,1 % Tataren waren. Der tatar. Bev.teil geht auf Rückkehrer seit 1989 zurück; bis dahin war den Deportierten u. ihren Nachkommen die Wiederansiedlung auf der K. behördlich verboten. Im März 2014 löste sich die K. in Anwesenheit russ. Truppen v. der Ukraine u. wurde in die Russ. Föderation aufgenommen, ein Akt, der von der Ukraine u. der großen Mehrheit der Staatenwelt als völkerrechtswidrige Annexion begriffen wird. Lit.: E. Armandon, La Crimée entre Russie et Ukraine. Un conflit qui n’a pas eu lieu. Bruxelles 2013; St. Albrecht, Quellen zur Geschichte der byzantinischen Krim. Mainz 2012; The Crimean Khanate between East and West (15th –18th century). Hg. D. Klein. Wiesbaden 2012; D. Kołodziejczyk,The Crimean Khanate and Poland-Lithuania. International diplomacy on the European periphery (15th – 18th century). A study of peace treaties followed by annotated documents. Leiden 2011; G. Sasse, The Crimea Question: Identity, Transition, and Conflict. Cambridge/Mass. 2007; K.S. Jobst, Die Perle des Imperiums. Der russische Krim-Diskurs im Zaren-
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Krimkrieg
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Krimkrieg (1853–1856). Benannt nach der Halbinsel →Krim, dem Schauplatz der entscheidenden milit. Ereignisse in der späten Phase des K. (1854/1855). Unter dem Druck Frankreichs hatte die osm. Regierung römisch-kath. Orden 1852 Vorrechte in bestimmten Heiligtümern im Heiligen Land eingeräumt (vgl. →Kultusprotektorat). Die russ. Regierung protestierte, da sie darin eine Verletzung der Rechte erblickte, die vorher den v. ihr protegierten gr.-orth. Klöstern zuerkannt worden waren. Um ihrem Protest Nachdruck zu verleihen, entsandte sie den Fürsten Aleksandr Sergeevič Menšikov im März 1853 nach Konstantinopel. Dieser begnügte sich allerdings nicht damit, die Frage der Heiligtümer lösen zu wollen, sondern verlangte im Namen der russ. Regierung das Recht, gr.-orth. Gläubige in allen osm. Herrschaftsbereichen zu schützen. Da diese Forderung als eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten der →Hohen Pforte verstanden werden konnte, weigerte sich diese, sie zu akzeptieren. Der Schritt des Zaren Nikolaus I. († 18. Febr./2. März 1855) stieß auch auf allg. Ablehnung in England u. Frankreich u. wurde dahingehend interpretiert, dass Russland den „kranken Mann am Bosporus“ endgültig zerstören wolle, v. a. nachdem im Juli 1853 russ. Truppen in die →Donaufürstentümer einmarschiert waren, um dieses unter osm. Suzeränität stehende Territorium gleichsam als Pfand zu behalten. Am 4. Okt. erklärte das Osm. Reich Russland den Krieg. In England u. Frankreich fiel der Entschluss zum Eingreifen Ende November 1853, als die Russen die osm. Flotte in Sinope am Schwarzen Meer zerstörten (die offizielle Kriegserklärung folgte Ende März 1854). Beide westl. Länder waren aus wirt. u./ oder strategischen Gründen am Erhalt des Osm. Reiches interessiert. Hervorzuheben ist die vermittelnde Rolle Österreichs unter Außenminister Graf Buol, der in Wien seit Beginn der Krise eine Gesandtenkonferenz der beteiligten Mächte leitete. Aus Angst vor russ. Interventionen u. vor nationalen Revolutionen in der Habsburgermonarchie ließ sich Buol – trotz mannigfachen Drängens der Westmächte – nicht von seiner neutralen Haltung abbringen. Er zwang somit die Alliierten, Russland nur an den Flanken des Imperiums anzugreifen, an der Krim u. an der Ostsee, v. a. nachdem Österreich selbst nach Räumung der Donau-
Krimkrieg
fürstentümer durch die Russen im August 1854 in diese einmarschiert war, um gleichsam einen Keil zw. den Westmächten u. dem russ. Imperium zu bilden. Die Alliierten landeten ihre Truppen im September 1854 auf der Krim u. begannen mit der Belagerung der Festung Sevastopol’, benötigten aber trotz einiger Erfolge bei Alma, Balaklava u. Inkerman ein Jahr, um die wichtige Festung zu Fall zu bringen. Auf beiden Seiten der Front gab es dabei gravierende Kommunikationsprobleme u. milit. Fehlentscheidungen. Im November 1855 besuchte der neue russische Zar Alexander II. die Krim. Dort überzeugte er sich von der Notwendigkeit, Frieden zu schließen, zumal Österreich gedroht hatte, sich den Gegnern Russlands anzuschließen. Damit war der Weg frei zum Frieden v. →Paris 1856. Zu den Verlusten im Krimkrieg gibt es sehr unterschiedliche Schätzungen, die von 160.000 bis über 500.000 Tote reichen, von denen ein erheblicher Teil an Seuchen u. Epidemien starb. Die höchsten Kriegsverluste hatte Russland zu verzeichnen. – Die hist. Forschung der letzten Jahre hat auf die Schwierigkeit hingewiesen, den K. ausschließlich als einen erneuten, gewaltigen Höhepunkt der →Orientalischen Frage darzustellen: denn an ihm beteiligten sich direkt oder indirekt nicht nur die genannten Länder, sondern auch Sardinien-Piemont, die →Habsburgermonarchie, Preußen u. neutral gebliebene Staaten wie Schweden, Griechenland, Spanien u. Portugal, oder auch der Deutsche Bund. Der Friede wurde letzten Endes möglich, weil Russland pol. isoliert war u. der Sohn v. Zar Nikolaus I., Zar Alexander II., sowie sein Kronrat sich zur Beendigung des Krieges gezwungen sahen. Der Krimkrieg erschütterte das bisherige Gleichgewicht zw. den fünf Großmächten Europas (Pentarchie, „Konzert der Mächte“) u. beendete die starke Rolle, die Russland nach den napoleonischen Kriege als „Gendarm Europas“ gespielt hatte. Die russ. Niederlage offenbarte zugleich die großen inneren Probleme, mit denen sich das Zarenreich konfrontiert sah u. löste in der Folgezeit weitreichende Reformen aus. Auch Österreichs Position veränderte sich. Seine Vormachtstellung im Dt. Bund geriet ins Wanken. Sowohl Russland wie die Westmächte waren von Wien enttäuscht, was sich im Sardinischen Krieg (1859) u. im Deutschen Krieg (1866) rächte. – Der K. gilt vielen Autoren als erster Krieg der Moderne, als erster industrieller Krieg, u. zugleich als Beginn einer neuen Epoche in der medialen Darstellung v. Kriegen. Quellen: British battles of the Crimean Wars, 1854–1856. Alma, Inkerman, Sevastopol, battle of the Balaclava – the charge of the Light Brigade. Hgg. J. Grehan/M. Mace. Barnsley 2014; Akten zur Geschichte des Krimkrieges. Serie I–IV. Hg. W. Baumgart. München 1979–2005. (Ser. 1: Österr. Akten; Ser 2: Preußische Akten; Ser 3: Englische Akten; Ser. 4: Französische Akten). Lit. (a. Orientalische Frage): M. Kozelsky, The Crimean War and the Tatar Exodus, in: RussianOttoman Borderlands. The Eastern Question Reconsidered. Hgg. L.J. Frary/M. Kozelsky. Madison/WI 2014, 165–192; O. Figes, Krimkrieg. Der letzte Kreuzzug. Berlin 32012; The Crimean War 1853–1856. Colonial skirmish or rehearsal for World War? Empires, nations, and individuals. Hg. J.W. Borejsza. Warszawa 2011; A.D. Lambert, The Crimean War. British grand strategy against Russia, 1853–56. Farnham u. a. 22011; C. Badem, The Ottoman Crimean war. Leiden 2010; Der Krimkrieg als erster europäischer Medienkrieg. Hgg. G. Maag/W. Pyta/M. Windisch. Berlin 2010; M. Springman, The Guards Brigade in the Crimea. Barnsley 2008; I. Fletcher/N.A. Ishchenko, The Crimean War. A Clash of Empires. Staplehurst 2004; G. Arnold, Historical
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Krimtataren. Turkophone Volksgruppe, benannt nach ihrem ursprünglichen Hauptsiedlungsgebiet auf der →Krim. Unter ihrem Chan bildeten die K. seit dem Auseinanderbrechen der mongolischen Goldenen Horde (→Mongolen; →Tataren) eine Stammeskonföderation, in der die vier „königlichen“ Stämme, angeführt vom Oberhaupt des Clans der Şirin, eine Schlüsselrolle spielten. Um sich ihrer Loyalität zu versichern, war es üblich, dass die Chane mit den Führern der leitenden Clans Heiratsallianzen eingingen. Als unantastbare Rechtsgrundlage tribaler u. staatl. Organisation galt der Stammesaristokratie die sog. Yasa, das „Gesetz“ Činggis Chans. Doch zielte die Politik der Chane der K. schon bald darauf ab (mit oder ohne Hilfe durch ihren Oberherrn, den osm. Sultan,), die eigene Position gegenüber der Stammesaristokratie zu festigen. Sahib Giray (reg. 1532–1551) setzte hierzu Feuerwaffen u. „Pfortensklaven“ (→Janitscharen) nach osm. Vorbild ein u. baute ein geordnetes Fiskalsystem auf, das regelmäßige Staatseinnahmen garantieren sollte. Große Verbände v. K. wurden dem Sultan als Auxiliartruppen zur Verfügung gestellt, die besonders bei Feldzügen im Westen u. Norden als berittene Vorhut (als „Renner u. Brenner“, türk. Akıncı), aber auch etwa gegen Iran zum Einsatz kamen u. wegen ihrer Beweglichkeit gefürchtet waren. – Schon bald nach der russ. Annexion der Krim 1783, als zahlreiche K. ins Osm. Reich emigrierten, besonders aber seit 1855, als im Zuge des →Krimkrieges große Teile der K. umgesiedelt wurden oder flohen, veränderte sich die Bevölkerungskarte der Krim grundlegend (Rückgang der K. von ca. 500.000 auf vielleicht weniger als 200.000). Von ihrer Heimat aus oder in ihrem (osm.) Exil sollten K. in der Folgezeit noch eine wichtige Rolle auf kult.-pol. Gebiet spielen, allen voran der Pädagoge u. Publizist Ismail Bey Gaspıral/Gasprinskij (1851–1914). 1883 erschien in Bachtschesaray die erste Nummer seines „Tercüman/Perevodčik“ in türk. u. russ. (seit 1905 nur noch türk.) Sprache, in der er seiner Überzeugung v. der Dringlichkeit v. Reformen im Erziehungswesen, der Öffnung nach Westen u. der Verbreitung des Panturkismus Ausdruck verlieh. Diese Zeitung, in der Ismail Bey eine türk. „Gemeinsprache“ auf der Grundlage eines vereinfachten Osmanisch-Türkisch propagierte, ist für die Entwicklung einer türk. Identität in weiten Teilen der turksprachigen Welt v. erheblicher Bedeutung gewesen. Sie hatte bis 1917 Bestand. – Nach der Oktoberrevolution scheiterte der Versuch der K., die Unabhängigkeit zu erlangen. 1944, nach dem Abzug der dt. Truppen, wurde die Gesamtheit der K. wegen angeblicher Kollaboration mit der Besatzungsmacht unter größten Verlusten nach Kasachstan, ins Ural-Gebiet, nach Zentralasien u. Sibirien deportiert, um erst 1967 „rehabilitiert“ zu werden. Seit 1989 konnten die K. wieder auf die Krim zurückkehren u. Grundbesitz erwerben. – Die Sprache der K. gehört, abgesehen vom sog. Krim-Osmanisch im Süden der Halbinsel, mit der Sprache anderer →Tataren zur Qipčaq- bzw. West-Gruppe der Turksprachen.
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Kroaten. Südslav. Nation. Anlässlich der Volkszählung in der Rep. →Kroatien von 2011 bekannten sich 3,9 Mio. als K. (90,4 % der Gesamtbev.); 1991 hatten sie mit 3,74 Mio. nur 78,1 % der Republiksbev. gestellt. Zum damaligen Zeitpunkt lebten im ehem. →Jugoslawien insges. 4,6 Mio. K. (19,7 % der jug. Gesamtbev.), 80 % davon in der Rep. Kroatien, 16,4 % in →Bosnien-Herzegowina (wo sie mit 0,76 Mio. 17,4 % der Republiksbev. repräsentierten) u. 2,1 % in der →Vojvodina (98.000 = 4,8 % der dortigen Bev.). Kr. Diaspora-Gemeinden gibt es u. a. in Österreich u. Deutschland, in Nord- u. Südamerika sowie in Australien. Die K. sind überwiegend röm.-kath. Konfession. Ihre Schriftsprache basiert (gleich dem Serbischen) auf štokavischen Mundarten. Die im 19. Jh. herausgebildete kroatoserbische (oder serbokroatische) Schriftsprachengemeinschaft verschiedener Varianten wurde jedoch v. den Nationalideologen seit den 1960er Jahren in Frage gestellt u. schließlich zugunsten einer spezifisch kroat. Normsprache aufgelöst (→Sprachkodifizierung). Ethnogenese: Herkunft u. Bedeutung des Namens K. (Hrvati) sind umstritten. Die vielfältigen Versuche, das Wort K. auf slav., illyr., iranische, kaukasische oder andere Wurzeln zurückzuführen, haben bislang kein konsensfähiges Ergebnis erbracht. Unklar ist auch, ob es sich ursprünglich um die Bezeichnung für eine ethn. oder eine soz. Gruppe handelte. Toponomastische Reste des kroat. Namens im heutigen Polen, in Tschechien, Österreich etc. geben weitere Rätsel auf. Die spärlichen u./oder widersprüchlichen Quellen lassen keine zweifelsfreien Aussagen über die ethn. Herkunft der K., ihre ursprüngliche Ausbreitung u. den Zeitpunkt der Landnahme in ihren heutigen Siedlungsgebieten zu. Die wiederholt geäußerte These v. einer gotischen Abstammung der ersten K. ist höchst spekulativ. Die Mehrheit der Forscher geht v. einer slav. Herkunft der K. aus u. nimmt an, dass sie zw. dem 6. u. 8. Jh. v. Norden her im Zuge der →Slav. Landnahme in das heutige Kroatien einwanderten, wo sie auf Reste der älteren illyr.-kelt. (größtenteils romanisierten) Bev. stießen. Die erhaltene Aufschrift „Dux Cruatorum“ (um 880) bezeugt die abgeschlossene Landnahme. Sowohl das mit „Kroatien“ bezeichnete Territorium als auch der kroat. Name haben im Laufe der Jahrhunderte ihre Lokalisierung wiederholt verschoben. Bis ins 10. Jh. hinein liegt die Geschichte der K. weitgehend im Dunkeln. Erst mit der v. Rom u. Konstantinopel her
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betriebenen →Christianisierung, dem Übergang v. der Stammesorganisation zur feudalen Gesellschaft u. der Herausbildung eines Staatsgebildes unter der Herrschaft der →Trpimiriden (vgl. auch →Kroatien) verdichten sich allmählich die Informationen über die pol. Verhältnisse, während die →Ethnogenese weiterhin unscharf bleibt. Die zur Staatsbildung u. zur ma. Geschichte Kroatiens (in häufig wechselnden Grenzen) überlieferten Quellen sagen nur wenig über die ethn. Merkmale der Bev. u. die Siedlungsgrenzen aus. Die v. kroat. Nationalisten häufig vorgenommene Gleichsetzung v. Katholiken auf den spätma. Territorien des heutigen Kroatien u. Bosnien-Herzegowina mit ethn. Kroaten ist gewöhnlich nicht belegbar. Die intensiven Flucht- u. Wanderbewegungen, die zu den prägenden Merkmalen der hist. Demographie SOEs gehören (→Migrationen) u. die insbes. durch die osm. Expansion, die „→Türkenkriege“ u. die Anlegung der →Militärgrenze intensiviert wurden, lassen infolge diffuser Aussagen in den spärlichen Quellen eine zweifelsfreie Gliederung der ma. u. frühneuzeitlichen ethn. Siedlungsverhältnisse in ihrer Gesamtheit nicht zu. Unstrittig sind die kroat. Fluchtbewegungen in Richtung Westen u. Norden (a. →Burgenland) im Verlauf des 15./16. u. gegen Ende des 17. Jh.s. Nach Ausweis ihrer Sprache gehören die K. zu den Südslaven. In älteren Dokumenten wird ihre Sprache zumeist als „slavisch“ (slovjenski, slovinski, slovenski) oder „illyrisch“ bezeichnet. Die Gliederung in drei verschriftlichte Mundarten (Štokavisch, Čakavisch u. Kajkavisch) wurde im Schriftgebrauch erst im Zuge der modernen →Nationsbildung zugunsten des Štokavischen überwunden. Die älteste v. den K. gebrauchte Schrift ist die lat. Schrift in Verbindung mit der lat. Sprache. Durch das Wirken der →Slavenapostel setzte sich in den dalmatinischen Städten u. im kroat. Binnenland im Verlauf des 9. u. 10. Jh.s die kirchenslav. Liturgiesprache (kroat. Redaktion) in glagolit. Schrift (→Alphabete) als Sakralsprache (stellenweise auch als Verwaltungs- u. Rechtssprache) durch. Parallel dazu entwickelten sich Ansätze einer Schriftsprache auf Grundlage der čakavischen, später auch der štokavischen Mundart in glagolit. u. lat. Schrift. Ihre ersten Höhepunkte erlangte diese volkssprachliche Literatur im 16./17. Jh. in der „dalmatinischen Renaissance“ u. im Barock, der sich insbes. in der Stadtrepublik →Dubrovnik/Ragusa entfaltete. Die pol. Zerrissenheit der kroat. Siedlungsgebiete behinderte aber noch bis ins 19. Jh. hinein die Herausbildung einer einheitlichen Schriftsprache u. Kultur. Nationsbildung: Die Formierung der modernen kroat. Nation, die unter der irreführenden Bezeichnung „Wiedergeburt“ (preporod) in die Geschichtsschreibung eingegangen ist, setzte im Verlauf des 19. Jh.s ein (→Nationsbildung). Bis dahin hatten zur „natio“ nur die Mitglieder der →Stände (Adel, Klerus u. Stadtbürgertum unterschiedlicher ethn. Herkunft) gehört (→Nation). Die überwältigende Mehrheit der Bev., die bis zur →Bauernbefreiung 1848 im engeren Kroatien erbuntertänigen →Bauern, galten nicht als Angehörige der „natio“. Die Überwindung dieses ständischen (u. grundsätzlich ethn. neutralen) zugunsten eines modernen, alle Schichten der Gesellschaft umfassenden Nationsbegriffs wurde eingeleitet durch die „Illyrische Bewegung“ (→Illyrismus) unter Führung v. Ljudevit Gaj (1809–1872) u. der in Opposition zur ung. Nationalbewegung stehenden kroat. Adligen (Graf Janko Drašković u. a.). In Anlehnung an den Volksbegriff Johann Gottfried Herders u. die Forschungen der frühen Slavisten u. allslav. Patrioten (Pavel J. Šafárík, Ján Kollár u. a.) enfalte-
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ten die Träger der „Illyrischen Bewegung“ im Vormärz eine intensive kult. Tätigkeit: Herausgabe einer Zeitung in der Volkssprache, Gründung v. Lesehallen u. Kulturvereinen (darunter die →Matica Ilirska), Einführung einer neuen Orthographie, Aufgabe des als provinziell empfundenen nordkroat. kajkavischen Dialekts u. Etablierung des Štokavischen als gemeinsamer südslav. Schriftsprache. Der ebenfalls provinziell stigmatisierte Name „K.“ (Horvati), der primär zur Bezeichnung der kajkavischsprachigen Bev. in Zagreb u. Umgebung diente, wurde zugunsten des „illyrischen“ Namens zurückgedrängt. Mit dieser neutralen Bezeichnung sollte auch anderen Sprechern des Štokavischen (z. B. →Serben u.→ bosn. Muslimen) eine Identifikationsmöglichkeit geboten werden. Mit Ausbruch der →Revolution v. 1848/49 erhielt der Nationsbildungsprozess in Kroatien neben dem kult. auch einen pol. Inhalt. Fortan konkurrierte die vorwiegend auf dem Sprachkriterium u. dem Konzept der „slavischen Wechselseitigkeit“ basierende südslav. Integrationsideologie (→Jugoslawismus) mit einem aus dem kroat. Staatsrecht abgeleiteten hist.-etatistischen Nationsverständnis. Zu den Repräsentanten des jug. Konzepts in der zweiten H. des 19. Jh.s gehörten der Bf. v. Djakovo u. Begründer der Jugoslawischen Akademie der Wissenschaften u. Künste (→Akademie), Josip Juraj Strossmayer (1815–1905), sowie der Historiker Franjo Rački (1828–1894). Unter den Vertretern des staatsrechtlichen Konzepts nahm Ante Starčević (1823–1896) die Rolle des Pioniers ein. Starčević hatte sich seit 1850 vom „illyrischen“ Gedankengut gelöst u. einer kroatozentrischen Nationsideologie zugewandt. Dies wurde in der Auseinandersetzung mit dem serb. Sprachreformer u. Gelehrten Vuk St. Karadžić um die Kodifizierung einer modernen kroato-serbischen (oder serbo-kroat.) Schriftsprache deutlich. Starčević lehnte die Vuksche Sprachkonzeption u. Orthographie ebenso ab wie dessen sprachnationalistische Gleichung „alle Sprecher des Štokavischen sind Serben“. Statt dessen erklärte er die Sprecher des Štokavischen zu „Kroaten“, proklamierte die bosn. Muslime zum „reinsten Teil“ der kroat. Nation u. sprach dem serb. Volksnamen eine eigenständige ethn. Grundlage ab. In seiner Abhandlung über den „Namen Serbe“ (Ime Serb, 1868) versuchte er nachzuweisen, dass „Serbe“ kein Volksname sei u. es in der Vergangenheit „keine Spur eines serbischen Volkstums, keine serbische Literatur u. keine serbische nationale Geschichte“ gegeben habe (die →Nemanjiden betrachtete er als kroat. Dynastie!). Ausgehend v. der Prämisse, dass das Kgr. Kroatien-Slawonien-Dalmatien durch die Personalunion mit Ungarn v. 1102 (→Pacta conventa) u. später mit den Habsburgern nichts v. seiner staatl. Souveränität aufgegeben habe, forderte Starčević eine vertragliche Neuregelung der staatsrechtl. Beziehungen Kroatiens (einschließlich Slawoniens, Dalmatiens, der kroat.-slawon. Militärgrenze, Bosnien-Herzegowinas, des Zwischenmurgebiets u. „Sloweniens“) mit Ungarn u. Österreich. Die aus hist.-trad. Argumenten der kroat. „Adelsnation“ u. Grundsätzen des Rousseauschen „contrat social“ kombinierte „Vertragstheorie“ bildete den Mittelpunkt v. Starčevićs „Rechtsideologie“, dem alle anderen pol. u. soz. Fragen untergeordnet wurden. Die über den Bachschen →Neoabsolutismus u. den ung.-kroat. →Ausgleich v. 1868 hinaus andauernden ungünstigen pol. Rahmenbedingungen sowie die konkurrierenden Nationalkonzepte erschwerten den zügigen Abschluss der kroat. Nationsbildung. Wer um die Jahrhundertwende die Einwohner Kroatiens danach befragt hätte, wer oder was die kroat. Nation sei, hätte darauf sehr unterschiedliche Antworten erhalten. Noch immer standen
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sich ein staatsrechtl. geprägter Nations- u. ein romantisch gefärbter Volksbegriff gegenüber. Gemeinsam war beiden Konzeptionen, dass die vorgestellte kroat. Nation weit in die Vergangenheit (zumindest bis zur Staatsbildung im 10. Jh.) zurückprojiziert wurde. Die Vollendung der kroat. Nationsbildung, d.h. die Verankerung eines kroat. Nationalgefühls in der großen Mehrheit der Zielgruppe, wird man erst in die Zeit zw. den beiden Weltkriegen datieren können. Mehrere Faktoren waren für die endgültige Herausbildung des nationalen Wir-Gefühls in den ersten Jahrzehnten des 20. Jh.s verantwortlich: 1. Der →Weltkrieg hatte bis in die untersten soz. Schichten hinein als Mobilisierungsfaktor bisher unbekannten Ausmaßes gewirkt u. die Menschen mit neuen Erfahrungen, neuen Ideen u. neuen Feindbildern konfrontiert. 2. Die Auflösung der Habsburgermonarchie u. die Proklamierung des nationalen Selbstbestimmungsrechts ließen einen Gestaltungsraum entstehen, der durch einen ungeheuren Erwartungsdruck ausgefüllt wurde. 3. Die durch den Zusammenbruch der alten Ordnung geweckten Hoffnungen wurden im neuen jug. Staat rasch u. in nahezu jeder Hinsicht enttäuscht, wodurch auch der jug. Nationalideologie der Boden entzogen wurde. Das Ergebnis war eine um sich greifende Entfremdung u. Frustration. 4. Die Entfremdung bot einen günstigen Nährboden für nationale Differenzierung u. Abgrenzung, die v. a. in der Auseinandersetzung mit dem serb. Nationalismus erfolgte. 5. Die nach dem 1. Wk. erfolgte Ausweitung des Wahlrechts auf alle erwachsenen Männer bedeuteten den Beginn einer neuen kroat. Öffentlichkeitskultur u. hatte folgenschwere Auswirkungen auf den nationalen Diskurs. Die Inszenierung u. Dramatisierung des Nationalen erfolgte fortan durch die Kroat. Bauernpartei unter ihrem charismatischen Führer Stjepan Radić (1871–1928). Unter dem Einfluss der „realistischen Schule“ des tschechoslowak. Staatspräsidenten Tomáš Masaryk gab Radić die staatsrechtl. zugunsten der naturrechtlichen Argumentation Schritt für Schritt auf u. verknüpfte die kroat. Nationalideologie mit dem Prinzip der Volkssouveränität. Populismus u. Nationalismus waren in Radićs Denken untrennbar miteinander verbunden. Das Bauerntum (u. nicht die vormoderne „Adelsnation“) avancierte zum Träger u. Hüter der nationalen Identität u. Kultur. Allerdings blieb die Verknüpfung v. Nation u. vermeintlichen „hist. Rechten“, die aus der größten Ausdehnung des ma. Kgr. Kroatien abgeleitet wurden, auch über den Tod Radićs hinaus erhalten u. erfuhr unter dem Regime der →Ustaše im 2. Wk. (→Unabhängiger Staat Kroatien) eine extreme Ausprägung. Als Ergebnis des komplizierten u. langwierigen nationalen Selbstfindungsprozesses setzte sich schließlich die Vorstellung v. den K. als Abstammungsgemeinschaft mit tausendjähriger staatlicher Tradition, röm.-kath. Konfession, eigener Kultur u. Sprache durch.
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Kroatien (Mittelalter, Neuzeit). Die Republik K. umfasst seit Ende des 2. Wk.s eine Fläche v. 56.542 km2. 1991: 4,78 Mio. E, darunter 78,1 % Kroaten, 12,2 % Serben, 2,2 % „Jugoslawen“, der Rest Gruppen unter 1 %; 2011: 4,28 Mio. E, darunter 90,4 % Kroaten, 4,4 % Serben, der Rest Gruppen unter 1 %. Das Staatsterritorium setzt sich im wesentlichen aus dem vormaligen Kgr. Kroatien (einschließlich →Slawoniens), dem österr. Kronland →Dalmatien (ohne die Bucht v. Kotor) sowie einem Teil des ehem. österr. →Küstenlandes (→Istrien) zusammen. Das mit K. bezeichnete Territorium hat im Verlauf der Geschichte mehrfach seinen geogr. Schwerpunkt u. Umfang verändert. Das in der Antike v. Illyrern u. Kelten bewohnte Gebiet des heutigen K. kam unter Kaiser Augustus zur röm. Provinz →Pannonien. Nach der Landnahme der kroat. Stämme (→Kroaten) in den ersten Jahrzehnten des 7. Jh.s erhielt das Gebiet im Hinterland der nördl. Adriaküste den Namen „Chorbatia, Chrobatia, Croatia“. Es stand nacheinander unter awar., fränk. u. byz. Oberhoheit u. wurde schnell christianisiert. Unter den Fürsten aus dem kroat.
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Kroatien (Mittelalter, Neuzeit)
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Geschlecht Trpimir (→Trpimiriden, Mitte des 9. Jh.s –1091) formierte sich ein quellenmäßig spärlich belegter Staat, der sein geogr. Zentrum zunächst in Hoch-K. hatte u. sich unter Tomislav (ca. 910–928) über das Kapela-Gebirge nordostwärts nach Slawonien (auch als „Pannonisch K.“ bezeichnet) ausdehnte. Dank dem Bündnis mit Byzanz gegen den bulg. Zaren Simeon gelangte Tomislav auch (vorübergehend) in den Besitz Dalmatiens u. nahm den Königstitel an. Die wenigen, oft widersprüchlichen Quellen lassen viele Fragen über Status u. Ausdehnung des hochma. K. im Spannungsfeld zw. Byzanz, Bulgarien, Venedig u. Ungarn offen. Dies betrifft insbes. die häufig wechselnde Herrschaft über Dalmatien mit seinen hochentwickelten Städten. Unter den Königen Petar Krešimir IV. (1058–1074) u. Zvonimir (1075–1087/88) erlebte der frühfeudale kroat. Staat seinen Höhepunkt (u. erstreckte sich kurzfristig weit über das heutige Territorium K. hinaus), verfiel jedoch danach in Agonie u. Anarchie. Als das Geschlecht der Trpimiriden 1091 ausstarb, bemächtigten sich die ung. Kg.e Slawoniens, dann Kroatiens u. (teilweise) Dalmatiens (dessen Städte sie auf Dauer allerdings nicht gegen Venedig behaupten konnten). Mit den bis heute heftig umstrittenen →Pacta conventa v. 1102 erkannten die kroat. Adligen die →Arpaden als kroat. Könige an u. verpflichteten sich zur Heeresfolge. Die damit begründete ung.-kroat. Union währte bis Ende 1918. Ob es sich dabei rechtlich um eine Personalunion (unter Aufrechterhaltung der kroat. Eigenstaatlichkeit) oder um eine Realunion (mit Verlust oder partiellem Verlust der Souveränität an Ungarn) handelte, lässt sich infolge der problematischen Quellenlage nicht zweifelsfrei beantworten. Faktisch war K. nach 1102 kein eigenständiger Staat mehr, sondern besaß im Rahmen des Kgr. Ungarn einen Sonderstatus, dessen praktische Ausgestaltung wiederholten Modifikationen ausgesetzt war. An der Spitze der Staatsgewalt stand der gemeinsame ung.-kroat. König, dessen Rechte durch die Stände bzw. die Ständeversammlung (→Sabor) eingeschränkt wurden. Die oberste vollziehende Gewalt fiel dem →Ban(us) zu, der den Sabor einberief u. den Vorsitz führte. Im Innern war K. nach Gespanschaften (županije; →Župan, →Komitat) mit eigenen adligen Gespanschaftsversammlungen (congregationes nobilium) untergliedert. 1260 wurde das bis dahin v. einem Ban regierte Kgr. K. in zwei Banschaften (die Kgr. Kroatien u. Slawonien mit jeweils eigenem Ban: banus maritimus u. banus totius Sclavoniae) geteilt, wobei sich das Kgr. Kroatien auf Hoch-K. (etwa bis zum Kapela-Gebirge) beschränkte. Infolge der Niederlage gegen die Osmanen auf dem Krbavsko polje 1493 wurde der kroat. Adel drastisch dezimiert. Im Zuge der weiteren osm. Expansion nach Ungarn ging im Verlauf des 16. Jh.s auch Slawonien (östl. der Ilova-Senke) u. ein Großteil K.s (südöstl. v. Karlovac) verloren. Hatten die Kgr.e Kroatien u. Slawonien vor der Schlacht v. →Mohács 1526 noch rd. 50.000 km2 umfasst, so waren es Ende des 16. Jh.s nur noch 16.800 km2. 1527 wählten die kroat. Adligen den Habsburger Ferdinand, der nach dem Tod des letzten ung. Königs in der Schlacht v. Mohács die →Stephanskrone für sich beanspruchte, auch zum kroat. König. Nach Vertreibung der Osmanen aus Ungarn gegen Ende des 17. Jh.s wurde das Kgr. Slawonien in reduzierter Form (östl. der Ilova) wiederhergestellt. Die Herrschaftsverhältnisse auf dem heutigen Territorium K. stellten sich äußerst kompliziert dar. Der Rechtsanspruch auf Dalmatien war nach einer wechselvollen Vorgeschichte Anfang des 15. Jh.s v. Ungarn an Venedig verkauft worden (wenngleich die Zugehörigkeit Dalmatiens zu K. in der
Kroatien (Mittelalter, Neuzeit)
Titulatur – „Königreiche Dalmatien, Kroatien, Slawonien“ – als Anspruch aufrechterhalten wurde). Auf dem an das Osm. Reich grenzenden Gebiet des ma. Kgr. K. hatten die Habsburger Ende des 16. Jh.s mit dem systematischen Aufbau der →Militärgrenze begonnen, die der Verwaltung durch den kroat. Banus u. Sabor entzogen u. direkt den Wiener Behörden unterstellt wurde. Die Trennung zw. Zivil-(Provinzial-, Banal-)K. u. der kroat. Militärgrenze dauerte bis 1871/81. Auch das wiedereroberte Slawonien wurde in einen ziv. u. milit. Bereich unterteilt. Die →Komitate in Zivil-Slawonien unterstanden der Gewalt des kroat. Banus, waren jedoch in Fragen der Landessteuer – anders als Zivil-K. – dem ung. Statthaltereirat direkt unterstellt. Ab 1751 entsandten die slawon. Komitate ihre Vertreter nicht nur in den kroat. Sabor, sondern auch unmittelbar in den ung. Reichsrat (→Országgyűlés). Wie in vorosm. Zeit nahm Zivil-Slawonien somit auch jetzt – bis zum ung.-kroat. →Ausgleich v. 1868 – eine vom übrigen K. unterschiedene Stellung ein, blieb aber mit ihm verbunden. Die kroat.-slawon. Militärgrenze (ohne die Peterwardeiner Regimenter) umfasste nach der amtl. Erhebung v. 1857 eine Fläche v. knapp 19.000 km2 u. war damit etwa gleich groß wie Banal-K. u. -Slawonien. Unter der Regentin Maria Theresia u. im →Josephinismus wurde die Staatlichkeit K.s deutlich geschwächt, u. nach den Beschlüssen des kroat. Sabor v. 1790 stellte sich das ung.-kroat. Verhältnis de facto als Realunion dar. Der →Vormärz stand daher im Zeichen der Auseinandersetzung mit Ungarn, u. während der →Revolution v. 1848/49 versuchten der kroat. Sabor u. Banus Josip Jelačić, die Eigenstaatlichkeit K. wiederherzustellen u. die Real- in eine Personalunion zu verwandeln. Die Protagonisten der modernen kroat. →Nationsbildung beriefen sich dabei auf die These v. der staatsrechtlichen Kontinuität des Kgr.s K. seit dem MA. K. habe durch die Pacta conventa (u. nachfolgende Beschlüsse) formalrechtlich nichts v. seiner staatlichen Qualität verloren – eine Auffassung, die v. ung. Seite nachdrücklich bestritten wurde. Durch den österr.-ung. u. den ung.-kroat. →Ausgleich v. 1867/68 wurde K. (ohne die ung. Herrschaft unterstehende Hafenstadt →Rijeka/Fiume) zwar als besondere staatliche Einheit innerhalb der ung. Reichshälfte bestätigt u. die „gemeinsamen“ ung.-kroat. Angelegenheiten gesetzlich geregelt. Doch v. einer Eigenstaatlichkeit konnte keine Rede sein. Der Banus wurde fortan auf Vorschlag des ung. Ministerpräsidenten vom Kg. ernannt, blieb allerdings nach wie vor dem kroat. Landtag verantwortlich. In der Praxis hatte dieser Zusatz nur geringe Bedeutung, da der Banus de facto den Sabor jederzeit auflösen oder seine Einberufung aufschieben konnte; ein Verfahren, v. dem zw. 1868 u. 1918 wiederholt Gebrauch gemacht wurde. 1881 wurde die aufgelöste kroat.-slawon. Militärgrenze in die Verwaltung des übrigen K. integriert. Losgelöst vom heutigen Territorium K. blieben nach wie vor das österr. Kronland Dalmatien, ferner Istrien u. Rijeka. Am 5./6.10.1918 konstituierten sich 73 südslav. Reichsrats-, Reichstags- u. Landtagsabgeordnete zum „Nationalrat der Slowenen, Kroaten u. Serben“ in Zagreb, der am 8.10. die Vereinigung aller Südslawen der Habsburgermonarchie in einem „freien u. unabhängigen Staat“ zum Programm erhob. Der kroat. Sabor löste auf seiner letzten Sitzung am 29.10.1918 die staatsrechtl. Beziehungen zu Ungarn u. Österreich auf u. übertrug dem „Nationalrat“ die oberste vollziehende Gewalt. Der damit konstituierte „Nationalstaat der Slowenen, Kroaten
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Kroatien (Mittelalter, Neuzeit)
u. Serben, SHS“ war nur v. kurzer Dauer, da der „Nationalrat“ unter starkem außenpol. Druck (v. a. seitens Italiens) bereits am 24.11.1918 die Vereinigung mit dem Kgr. Serbien beschloss. Im neuen zentralistisch verfassten „Kgr. der Serben, Kroaten u. Slowenen, SHS“ (→Jugoslawien) hörte K. auf zu bestehen. Durch das Gesetz über die adm. Gliederung Jugoslawiens vom 3.10.1929 wurden die Hauptsiedlungsgebiete der Kroaten in die Save- u. Küstenbanschaft zerteilt. Erst der →Sporazum vom August 1939 sah die Einrichtung eines autonomen K. (unter Einschluss von Teilen →Bosnien-Herzegowinas) innerhalb Jugoslawiens vor. Nach der Zerschlagung Jugoslawiens im April 1941 riefen Hitler u. Mussolini den →„Unabhängigen Staat Kroatien“ ins Leben, der realiter ein Satellitenstaat der „Achsenmächte“ bzw. des „Dritten Reiches“ war. Bei Ende des 2. Wk.s wurde K. in seinen heutigen Grenzen eine der 6 „souveränen“ Republiken des Bundesstaats Jugoslawien, der seinerseits durch eine nationalkroat. Protestbewegung, den „kroat. Frühling“, von 1971 in eine schwere Krise gestürzt wurde, der Repressionen u. eine Periode des „Schweigens“ folgte. Im Zuge des inneren Verfalls der Föderation trieb die aus den ersten freien Wahlen seit 1927 im April/ Mai 1990 als Siegerin hervorgegangene „Kroat. Demokratische Gemeinschaft“ (HDZ) unter Führung Franjo Tudjmans (1922–1999) die Verselbständigung K.s voran u. trug maßgeblich zur Verschärfung der Spannungen zw. Kroaten u. Serben bei. Am 26.6.1991 erklärte das Parlament in Zagreb die volle Unabhängigkeit K.s, die an der Jahreswende 1991/92 international anerkannt wurde. Die auf seinem Territorium lebenden Serben (rd. 12 % der Bev., v. a. in den Gebieten der früheren Militärgrenze, →Lika, →Kordun, →Banija, West- u. Ostslawonien) setzten der Abtrennung K.s v. Jugoslawien in einer nationalistisch aufgeheizten Atmosphäre bewaffneten Widerstand entgegen, wobei sie v. der Jug. Armee unterstützt wurden, u. schlossen sich zur „Serbischen Republik →Krajina“ zusammen. Rd. ein Viertel des kroat. Territoriums, aus dem die kroat. Bev. systematisch vertrieben wurde, war damit der Kontrolle durch die Zagreber Regierung entzogen (→postjugosl. Kriege). Im Sommer 1995 eroberten kroat. Truppen die „Krajina“ (ohne Ostslawonien) zurück. Aus Furcht vor Vergeltung verließen nahezu alle Serben die strittigen Gebiete. Ihr Anteil an der Gesamtbev. betrug bei der Volkszählung i. J. 2001 nur noch 4,5 %. Unter der Präsidentschaft Tudjmans (1992–1999), der v. vielen Kroaten als „Pater patriae“ verehrt wurde, entwickelte sich K. zu einem autoritären Staat. Nach seinem Tod im Dez. 1999 setzte ein Demokratisierungsprozess ein. Das Präsidialsystem wurde durch ein parlamentarisches System ersetzt. Die angestrebte Annäherung an die EU gestaltete sich jedoch schwierig, weil K. der Verpflichtung zur Zusammenarbeit mit dem →Haager Kriegsverbrechertribunal nur zögerlich nachkam u. viele Reformvorhaben (in Justiz, Verwaltung, bei der Umsetzung v. Minderheitenrechten, der Rückkehr von Flüchtlingen, der Bekämpfung der Korruption) nur langsam vorankamen. Nach langwierigen Verhandlungen wurde K. am 1. April 2009 Mitglied der Nato u. am 1. Juli 2013 28. Mitglied der EU.
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Kryptochristen
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Kryptochristen. Christen, die sich öffentlich als Muslime ausgaben, heimlich aber weiter ihren alten Glauben praktizierten. In der FNZ waren die K. - „les Chrétiens d’Allah“ (Bennasar) im Mittelmeerraum weit verbreitet (a. →Konvertiten). In SOE gab es K. v. a. in →Bosnien u. bei den →Albanern. In Bosnien wurden sie zumeist als „Poturi“ bezeichnet. (Die Herkunft des Wortes „Potur“ ist umstritten, zumeist wird es mit „Vertürkter“ oder „Halbtürke“ übersetzt.) Berichte über Poturen tauchen v. a. im 15. u. 16. Jh. auf; im 17. Jh. versickern sie allmählich, was eventuell darauf hindeutet, dass aus Poturen Muslime geworden waren. (Später erhielt das Wort „potur“ einen pejorativen Beigeschmack im Sinne eines
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Kryptochristen
ignoranten u. derben muslimischen Bauern.) Bei den Albanern werden K. zu Beginn des 18. Jh.s das erste Mal erwähnt. Die →Islamisierung, die zumeist aus wirt. Gründen erfolgte (Befreiung v. der →Kopfsteuer), hatte bei den Betroffenen zunächst den Charakter einer rein äußerlichen Annahme der neuen Religion. Die Islamisierten nahmen musl. Vornamen an, besuchten v. Zeit zu Zeit die Moschee u. traten so der Außenwelt gegenüber als Muslime auf. Im Kreise der Familie, die oft christl. geblieben war (meistens trat nur das Familienoberhaupt zum Islam über), hielten sie am Christenglauben fest, zumal nur selten eine ausführlichere Belehrung über den neuen Glauben stattfand. Die K. besuchten auch weiterhin den christl. Gottesdienst, ließen ihre Kinder taufen, heirateten kirchl., besuchten christl. Wallfahrtsorte usw. In Albanien wurden diese K. laraman (v. „bunt, gescheckt, doppelgesichtig“) genannt. Im allgemeinen erlagen die K. spätestens in der dritten Generation den Einflüssen ihrer musl. Umgebung. In abgelegenen Gebieten hielt sich das Kryptochristentum allerdings bis Ende des 19. Jh.s, als die K. es wagen konnten, sich unter dem Schutz der konsularischen Vertreter der Großmächte wieder zu ihrem alten Glauben zu bekennen. Von der christl. Geistlichkeit vor Ort wurden die K. stillschweigend geduldet, obwohl zumindest die alb. kath. Kirche auf ihrem 1. Nationalkonzil 1703 bestimmt hatte, dass K. nicht mehr zu den Sakramenten zuzulassen seien. In der Praxis hielt man sich aber nicht daran, u. auch die kath. Kirche zog daraus die Konsequenzen: Auf dem 3. Nationalkonzil (1895) wurde der besonderen Situation in der Erzdiözese →Skopje (Üsküb), in der besonders viele K. lebten, Rechnung getragen. Die K. wurden zwar weiterhin aufgefordert, sich öffentlich zu ihrem Glauben zu bekennen, sie brauchten das aber nicht mehr gegenüber den osm. Behörden, sondern nur noch vor der versammelten Gemeinde tun. Zentren des Kryptochristentums waren bei den kath. Albanern die Berggebiete zw. Prizren u. Peć/Peja sowie der Nordfuß des Karadağ u. bei den orth. Albanern die Landschaft Shpati in Mittelalbanien. Den Behörden scheint die Existenz v. K. lange Zeit verborgen geblieben zu sein; vielleicht wollte man sie aber auch nicht kennen, um keine Maßnahmen gegen sie ergreifen zu müssen, die den europ. Mächten Interventionsmöglichkeiten gegeben hätten. Aufsehen in Europa erregte ein Fall, der sich 1846 in der Skopska Crna Gora (türk. Karadağ, alb. Karadak) ereignete: Dort hatten sich die angeblich musl. Bewohner einiger Dörfer geweigert, Militärdienst zu leisten, weil sie in Wirklichkeit Christen waren. Sie wurden mit ihrem kath. Pfarrer nach Anatolien verbannt, wo der größte Teil v. ihnen umkam. – K. soll es – unter anderen Voraussetzungen – heute noch in einigen Dörfern in Kosovo geben, bes. in der südöstl. Gebirgsregion des Karadak sowie in der Umgebung von Gjakova (Đakovica).
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Küçük Kaynarca, Friede von (21.7.1774)
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Küçük Kaynarca, Friede von (21.7.1774). Der bei K. K. (türk. = Kleine Thermalquelle; Nord ostbulgarien) abgeschlossene Friede beendete den 5. Russischen →Türkenkrieg 1768–1774. Unter Katharina II. erhielt →Russland zwei Bereiche an der nördl. Schwarzmeerküste: ein zw. Bug u. Dnjepr bis zu deren Mündungen keilförmig zusammenlaufendes Gebiet einschließlich der vorgelagerten Festung Kinburn, des weiteren Positionen am Azovschen Meer (im Süden Enikale u. Kerč, im Norden Azov an der Donmündung). Die übrige Küste vom Dnjestr bis zum Kuban, mit Ausnahme der Festung Očakov an der Mündung des Bug, wurde eigenständig (→Krim-Chanat); der Sultan behielt aber als Kalif die relig. Oberaufsicht. Zudem erkannte die Pforte die russ. Herrschaft über Kaukasusgebiete (Große u. die Kleine Kabardei sowie Teile Georgiens u. Mingreliens) an. Dem Schutz der christl. Untertanen des Sultans in den im Krieg durch Russland besetzten Gebieten war durch eine Amnestie Rechnung zu tragen. Die Autonomie der →Donaufürstentümer war wieder herzustellen (Privilegien, „wie sie unter Sultan Mehmed IV. bestanden“). Zur Wahrung ihrer Interessen konnten sie in Istanbul Bevollmächtige unterhalten; Russland erhielt hinsichtlich der Fürstentümer ein Interventionsrecht auf diplomatischer Ebene. Beide Seiten sicherten sich freie Handelsschiffahrt in den anliegenden Meeren zu; russ. Handelsschiffe durften fortan die Meerengen passieren. Das Osm. Reich öffnete sich russ. Kaufleuten u. Russland erhielt das Recht, Konsulate einzurichten sowie mit den nordafrikanischen Vasallenstaaten des Sultans Handelsverträge abzuschließen. Mehrfach ging es um die freie Religionsausübung der christl. Bev. („Schutz des christl. Gesetzes u. seiner Kirchen“). Die Einrichtung einer „gr.-russ.“ Kirche in Galata/Karaköy (→Konstantinopel/Istanbul) wurde gestattet u. Russland in deren Angelegenheiten ein Vorspracherecht bei der Hohen Pforte eingeräumt. Diese Regelung wurde in der Politik u. in der Historiographie als Schutzrecht (→Kultusprotektorat) Russlands über die Gesamtheit der orth. Christen im Osm. Reich ausgelegt. Weitere Bestimmungen reichten v. der Erlaubnis für russ. Pilger, Jerusalem u. die anderen heiligen Stätten aufzusuchen, über die Anerkennung des russ. Kaisertitels (in der türk. Form: padişah) bis zur Zahlung einer Kriegskontribution. Der Vertrag öffnete dem Russ. Reich den Weg zur Annexion der nördl. Schwarzmeerküste sowie zu einer offensiven Balkan- u. Orientpolitik (→Griechisches Projekt; →Russland). Lit. (a. →Türkenkriege; →Russland): B.L. Davies, Empire and Military Revolution in Eastern Europe. Russia’s Turkish Wars in the Eighteenth Century. London u. a. 2011; Handbuch der Geschichte Russlands. Bd. 2 Stuttgart 1988; R.H. Davidson, Russian Skill and Turkish Imbecility: The Treaty of Kuchuk Kainardji Reconsidered, Slavic Review 35 (1976), 463–483; E.I. Družinina, Kjučuk-Kajnardžijskij mir 1774 goda. Moskva 1955 (hier russ. Vertragstext, 349–360; it. Fassung in: G.F. Martens, Recueil des prinicipaux traités, 2. ed., Bd. 2/1 Göttingen 1817, 286–322). E. V.
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Kulturgeographische Zonen (SOE)
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Kulturgeographische Zonen (SOE). Die fachwiss. Etablierung einer eigenständigen Geschichtsregion →„Südosteuropa“ ist heutzutage kein ernsthafter Diskussionsgegenstand mehr. Erhebliche Meinungsverschiedenheiten bestehen allerdings weiterhin über die genauere territ. Eingrenzung. Als Bezeichnung für das Gesamtareal hat sich der Begriff SOE erst verhältnismäßig spät in der 2. H. des 19. Jh.s durchgesetzt. Zuvor waren andere Bezeichnungen – u. a. Hellenische oder Griechische Halbinsel, Illyrische Halbinsel, →Europäische Türkei oder →Balkan in Gebrauch. Zuordnungsprobleme bereiten aus hist. Sicht insbesondere die transdanubischen Gebiete wie die Slowakei, die als →„Oberungarn“ über ein Jahrtausend hinweg ein fester Bestandteil Ungarns gewesen war, oder die →Donaufürstentümer Walachei u. Moldau, die während der osm. Zeit eine Zwischenstellung zw. dem christl. u. dem isl. Machtbereich einnahmen. Als Ausweg bot sich der Begriff des Donau- bzw. Karpatenraumes an, der eine nördl. Übergangszone nach Mitteleuropa hin v. der eigentlichen Balkanhalbinsel abgrenzen sollte. In den 1980/90er Jahren stellte eine ausufernde „Mitteleuropa“-Diskussion erneut die Nordgrenze der Balkanhalbinsel in Frage u. gegen eine undifferenzierte Zuweisung zum „Balkan“ wurden erhebliche Vorbehalte unter den betroffenen Völkern SOEs vorgebracht, weil diesem Sammelbegriff fast durchgehend nur noch eine pejorative Konnotation beigegeben wurde. Zu den Wesensmerkmalen SOEs zählen die ungewöhnliche Vielgestaltigkeit der landschaftlichen Gegebenheiten u. eine kleinräumige Verschachtelung der Siedlungsgebiete. Sie haben eine multiethn. Bevölkerungsstruktur u. eine erstaunliche Vielfalt der Lebensformen u. interethn. Kontakte auf oft engstem Raume hervorgebracht. Unbestritten ist, dass die jahrhundertelange Herrschaft des Osm. Reiches in den südl. u. zentralen Regionen der Balkanhalbinsel tiefe Spuren hinterlassen hat u. dass das südöstl. Ausgreifen der ung. Königsmacht u. der habsb. Kaiser v. nachhaltigen pol., ges. u. kult. Anstößen begleitet war, die bis in die Gegenwart nachwirken. Ebenso ist schon am äußeren Erscheinungsbild der städtischen Siedlungen an der adriatischen Küstenregion (→Stadt, Stadttypen: dalm.-istr. Stadttyp) noch heute der einst beherrschende it. Einfluss ablesbar. Diese auffallenden kulturlandschaftlichen Unterschiede haben Kulturgeographen u. Kulturanthropologen wiederholt zum Anlass genommen, eine Kartierung der k.Z. auf der Balkanhalbinsel zu versuchen. Diese markieren vornehmlich Einflussbereiche äußerer Kultureinflüsse u. überlagern die bestehenden nationalstaatlichen Abgrenzungen. Verfechter einer bipolaren Raumteilung in SOE diagnostizierten eine ausgeprägte Dichotomie in allen Lebensbereichen, deren Wurzeln teilw. bis in die gr. bzw. röm. Antike zurückzuverfolgen seien. Sie habe entlang einer horizontalen Trennungslinie, die quer durch die Balkanhalbinsel verläuft, zwei gegensätzliche Kulturwelten hervorgebracht. Ihre Wirkungsmacht spiegele sich in der Reichsteilung v. 395 u. in späteren Jahrhunderten in der großen Kirchenspaltung (→Schisma) wider, die auf Dauer einen orth. Kulturkreis v. einem lat. abtrennte. Walter Schamschula führte in diesem Zusammenhang die Unterscheidung zw. den „stationären Kulturen“ der Orthodoxie u. des Islam v. der westl. „dynamischen Kultur“ ein. Schon Friedrich Machatschek hatte in SOE das Nebeneinander einer mitteleurop. u. einer mediterranen Kulturlandschaft ausgemacht. Er folgte dabei dem serb. Geographen u. Ethnographen Jovan Cvijić (1865–1927), einem der Begründer der Anthropo- u. Kulturgeographie SOEs, der v.
Kulturgeographische Zonen (SOE)
einem Gebiet des „patriarchalischen Regimes“ im NW u. einem Gebiet der „umgeformten byz. Zivilisation“ im SO der Balkanhalbinsel sprach. Cvijić machte allerdings innerhalb dieser Zweiteilung noch weitere kleinere Kulturareale aus, so die schmale Küstenzone der romanisch-medit. Einflüsse, außerdem die Zonen der medit. Einflüsse, der türk.-osm. Einflüsse u. der mitteleurop. Einflüsse. Gerhard Gesemann teilte den südslav. Boden in die vier Kulturzonen des patriarchalischen Regimes, der balkanisch-byz. Zivilisation, der mitteleurop. Zone u. der Zone der italoslav. Adriakultur. In ähnlicher Weise spricht André Blanc v. einer Zone des dt. Kultureinflusses mit dem geogr. Schwerpunkt in Slowenien u. Nordkroatien, einer medit. oder lat. Zone vornehmlich im adriat. Küstenbereich, einer gr.-byz. Zone u. einem isl. Einflussbereich. Ein sehr viel differenzierteres Gesamtbild entwarf auf volkskundlicher Grundlage Milovan Gavazzi. Sein kulturgeogr. Gliederungsvorschlag SOEs listet insges. 12 Kulturprovinzen auf: Ostdonaugebiet, Balkan-Gebiet, Thrakisches Gebiet, Rhodopen-Gebiet, Makedonisches Gebiet, Schopen-Gebiet, Morava-Gebiet, Dinarisches Gebiet u. (nord- u. mitteladriatisches, südadriatisches u. ionisch-ägäisches) Mittelmeergebiet sowie südalbanisch-epirotisch-pindisches Zwischengebiet. Seine Unterscheidungskriterien gewinnt er sowohl aus dem Bereich der materiellen Kultur (Wirtschaftsformen, Geräte, Siedlungs- u. Hauswesen, Nahrung, Handfertigkeiten, Transportwesen, Kleidung) wie aus dem Bereich der soz. Überlieferungen (Familienverfassung, Verwandtschaftsformen, Rechtsüberlieferungen, Formen der kooperativen Einrichtungen u. der Geselligkeit) u. der geistigen Überlieferung (Volkspoesie, Musik, künstlerische Gestaltung, Volksglaube, Brauchtum). Karl Kaser schlägt aus hist.-anthropol. Perspektive, angelehnt an unterschiedliche Erbmuster im ländlichen Bereich, an der Frage nach der Institutionalisierung v. Sozialbeziehungen u. an andere lebensweltliche Zusammenhänge, eine Gliederung in drei Zonen vor, eine medit. auf antiker gr.-röm. Grundlage, eine westlich-germanische u. eine östl. Zivilisation in der Tradition eurasischer Zuwanderungskulturen (a. →Reiternomaden). Bei allen genannten Bemühungen handelt es sich immer nur um vorläufige Annäherungsversuche, um Einheit u. Vielfalt in den balkanischen Lebensformen beschreibend zu erfassen u. in ihren mannig fachen regionalen Ausprägungen auf den Begriff zu bringen. Lit. (a. →Südosteuropa): A.N. Sobolev, Osnovy lingvokul’turnoj antropogeografii Balkanskogo poluostrova. Bd. 1: Homo balkanicus i ego prostranstvo. München 2013; H.-J. Bürkner, Reduktionistische Raumansichten und diskursive Schließung. Zum Stand geographischer und landeskundlicher Südosteuropa-Forschung, Geographische Revue 13 (2011), H. 1/2, 93–114; D. Turnock, The Human Geography of East Central Europe. London 2003; K. Kaser, Südosteuropa. Der Begriff u. seine Vorläufer, in: ders., Südosteuropäische Geschichte u. Geschichtswissenschaft. Wien u. a. 22002; E. Hösch, Kulturgrenzen in Südosteuropa, Südosteuropa 47 (1998) 601–623; W. Schamschula, Gedanken zu einer Kulturmorphologie Ostmittel- u. Westmitteleuropas, in: Westmitteleuropa Ostmitteleuropa. Vergleiche u. Beziehungen. Festschrift für Ferdinand Seibt. Hgg. W. Eberhard u. a. München 1992, 47–58; J. Koder, Der Lebensraum der Byzantiner. Historisch-geographischer Abriß ihres mittelalterlichen Staates im östlichen Mittelmeerraum. Darmstadt 1984; K. Zernack, Osteuropa. Eine Einführung in seine Geschichte. München 1977; A. Beuermann, Fernweidewirtschaft in Südosteuropa. Ein Beitrag zur Kulturgeographie des östlichen Mittelmeergebietes. Braunschweig
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Kultusprotektorat
1967; A. Blanc, Géographie des Balkans. Paris 1965; F. Valjavec, Die Eigenart Südosteuropas in Geschichte u. Kultur, in: ders., Ausgewählte Aufsätze. München 1963, 65–71; M. Gavazzi, Die kulturgeographische Gliederung Südosteuropas, SOF 15 (1956), 7–21; O. Maull, Einheit u. Gliederung Südosteuropas, Leipziger Vierteljahrsschrift für Südosteuropa 1 (1937), 3–20, 2 (1938), 75–86; J. Ancel, L’unité de la civilisation balkanique, La géographie 48 (1927), 178–193; N. Krebs, Zur Anthropogeographie der Balkanhalbinsel, Geographische Zeitschrift 27 (1921), 120–126; ders., Die anthropogeographischen Räume der Balkanhalbinsel, in: Festband Albrecht Penk. Stuttgart 1918, 296–324. E. H.
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Kultusprotektorat (frz.: protection des chrétiens d’Orient). Schutzrecht christl. Staaten über christl. Religionsgemeinschaften in nichtchristl. Staaten, ausgeübt v. a. im Osm. Reich. Ein K. praktizierten Frankreich u. Österreich unter Rückgriff auf die betreffenden →Kapitulationen gegenüber den dortigen Katholiken. Russland beanspruchte ab dem 18. Jh. das Schutzrecht über die orth. Untertanen des Sultans (vgl. →Küçük Kaynarca; →Russland). Im 19. Jh. (Frieden von →Paris 1856, →Berliner Kongress 1878) wurden allen europ. Staaten Schutzrechte für relig. Einrichtungen eingeräumt, die ihren Staatsbürgern unterstanden. Das K. beruhte auf Vertragsbasis u. wurde zuerst v. Frankreich beansprucht, wofür die →Kapitulationen mit dem Osm. Reich (erste 1536, danach mehrfach erneuert) die rechtliche Grundlage bildeten. Diese gestanden Frankreich den Schutz frz. Geistlicher, Pilger u. relig. Einrichtungen zu, denen freie Religionsausübung zugesichert wurde. Später konnte Frankreich sein K. auf alle Katholiken im Osm. Reich ausdehnen, wobei es sich in der Praxis aber zumeist auf die Hauptstadt u. den asiatischen Teil des Reiches beschränkte; im 19. Jh. erfolgte eine Ausdehnung auch in den später bulg. u. mak. Bereich (bes. durch die Missionen der z. T. auch auf eine Union der Orthodoxen [a. →Unierte] hinwirkenden Ordensgemeinschaften der Lazaristen u. Assumptionisten). Das österr. K. hatte die Friedensverträge mit dem Sultan (1606, 1615, 1681) zur Grundlage. Darin wurde den Katholiken im Osm. Reich das Recht der freien Religionsausübung zugesichert. Erst durch den Frieden von →Karlowitz 1699 erhielt der ksl. Gesandte in Konstantinopel (Internuntius) aber das Recht, zu Gunsten der Katholiken bei der Pforte zu intervenieren. Dieses Recht wurde durch die Friedensverträge von →Passarowitz (1718), Belgrad (1739) u. Sistowa/Svištov (1791) bestätigt. Das österr. Schutzrecht war nicht lokal begrenzt, es wurde aber, von wenigen Ausnahmen (oberägypt. Franziskanermission, koptische Katholiken) abgesehen, nur im europäischen Teil des Osm. Reiches wahrgenommen: in den Donaufürstentümern, Bosnien u. der Herzegowina, in einigen katholischen Pfarreien in Bulgarien (hier z. T. parallel zum frz. K.) u. im alb. Siedlungsgebiet. In Albanien war das österr. K. am weitesten entwickelt: Der österr. Gesandte suchte bei der Pforte um die osm. Bestallungsurkunde (→Berat) für die alb. Bischöfe an, die diesen dann durch die österr. Konsulate überreicht wurde. Er besorgte auch die Genehmigungen zum Bau neuer Kirchen. Spätestens ab 1877 versuchte man österreichischerseits auch durchzusetzen, dass alb. Geistliche nicht mehr direkt mit osm. Behörden verhandelten, sondern sich der Vermittlung österr. Konsularvertreter bedienten. Auch andere europ. Mächte sollten in Albanien in Kultusangelegenheiten nur über die österr. Konsularämter tätig werden. Die Ordensniederlassungen standen unter direktem österr. Schutz, was durch Anbringung des
Kultusprotektorat / Kumanen
ksl. Wappens an den Gebäuden kenntlich gemacht wurde. Schließlich wurde die kath. Kirche in Albanien v. Wien auch subventioniert. Sie war dafür verpflichtet, den österr. Konsuln in den Kirchen Ehrenplätze zuzuweisen u. den Namenstag des Kaisers durch ein Hochamt zu feiern; der Name des Kaisers sollte in offiziellen Gebeten erwähnt werden. In Albanien sollte das K. also zweifellos den pol. Interessen Österreich-Ungarns dienen. Man wollte die kath. Bev. gewinnen u. einer Einflussnahme anderer Staaten (Italien) entgegenwirken. Im 19. Jh. stieß das K. zunehmend auf Widerstand, u. zwar von Seiten der Pforte, des Vatikans u., im Falle Albaniens, auch v. Seiten Italiens. Von der osm. Regierung wurde es nach der rechtlichen Gleichstellung der Christen (Hatt-i Hümayun 1856, →Hattişerif; →Tanzimat) als überflüssig u. Unrecht empfunden. Die Römische Kurie strebte die Abschaffung aller nationalen Protektorate an u. wollte direkte Beziehungen zur Pforte aufnehmen. Als der unierte armenische Patriarch Stefanos Azarian 1887 in Rom auftauchte, um im Auftrag der osm. Regierung Konkordatsverhandlungen anzubieten, erklärte sich Papst Leo XIII. grundsätzlich zum Abschluss eines Konkordats bereit, er wollte dafür aber die Zustimmung Österreich-Ungarns haben, die nicht zu erreichen war. In dem Dekret „Aspera rerum conditio“ vom 22.Mai 1888 entschied die päpstl. Glaubenskongregation Propaganda Fide, dass das frz. u. österr. K. in den Gebieten, in denen es bestand, weiterhin ausgeübt werden sollte. Die it. Regierung beanspruchte seit den 1890er Jahren in Albanien das Schutzrecht über die Missionsschulen mit it. Unterrichtssprache u. über die Geistlichen it. Staatsbürgerschaft, stieß dabei aber nicht nur auf den Widerstand Österreich-Ungarns, sondern auch des Vatikans, der den laizistischen Kurs der it. Regierung ablehnte. Das K. blieb offiziell bis zur Aufhebung der Kapitulationen durch die osm. Regierung 1914 in Kraft. Lit.: E. Deusch, Das k.(u.)k. Kultusprotektorat im albanischen Siedlungsgebiet in seinem kulturellen, politischen u. wirtschaftlichen Umfeld. Wien u. a. 2009; B. Haider-Wilson, Das Kultusprotektorat der Habsburgermonarchie im Osmanischen Reich. Zu seinen Rechtsgrundlagen u. seiner Instrumentalisierung im 19. Jh. (unter besonderer Berücksichtigung Jerusalems), in: Das Osmanische Reich u. die Habsburgermonarchie. Akten des Internationalen Kongresses zum 150-jährigen Bestehen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, Wien, 22.–25. September 2004. Hg. M. Kurz. Wien u. a. 2005, 121–147; E. Hösch, Rußland u. das Kultusprotektorat über die orthodoxen Balkanchristen, in: Südosteuropa unter dem Halbmond. Untersuchungen über Geschichte u. Kultur der südosteuropäischen Völker während der Türkenzeit. Hgg. P. Bartl/H. Glassl. München 1975, 113–124; H.D. Schanderl, Die Albanienpolitik Österreich Ungarns u. Italiens 1877–1908. Wiesbaden 1971; A.H. Benna, Studien zum Kultusprotektorat Österreich-Ungarns in Albanien im Zeitalter des Imperialismus (1888–1918), MÖStA 7 (1954), 13–46; J. Lammeyer, Das französische Protektorat über die Christen im Orient, historisch, rechtlich u. politisch gewürdigt. Diss. Erlangen. Borna u. a. 1919; Th.A. Ippen, Das religiöse Protectorat Österreich-Ungarns in der Türkei, Die Kultur 3 (1901/02), 298–310. P. B.
Kumanen (v. türk. Qipčaq „Steppen[volk]“ oder Qun „Kraft, Macht“; ung.: Kun; lat.: Cuni, Cumani; gr. Koumanoi; altruss.: Polovci; mhd. Valwen, Falben, v. „fahl, gelblich“). Turk-
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Kumanen
volk von →Reiternomaden zentralasiat. Herkunft. (Bedeutendstes Sprachdenkmal ist der „Codex Cumanicus“). Um 1050 beherrschten die Qipčaq-K. ein v. der Donau im Westen bis zum Talas-Fluss in Zentralasien reichendes Gebiet, das seither v. oriental. Autoren als Dašt i-Qipčaq „Steppe der Qipčaq“ bezeichnet wurde. 1055 erschienen sie in der Kiever Rus’, mit der sie fortan eine wechselvolle Nachbarschaft verband. K. dienten russ. Fürsten als Grenzwachen u. waren z. T. sogar mit ihnen verschwägert. Andere Verbände, die „wilden Polovcer“, fielen häufig in die Rus’ ein. Einer der russ. Gegenangriffe, 1185 v. Fürsten Igor Svjatoslavič unternommen, lebt im „Igorlied“ fort. Kriegerische Einfälle der K. in das →Byz. Reich erfolgten u. a. 1087, 1094 u. 1160 u. konnten, wie 1094 u. 1114 durch Kaiser Alexios I. Komnenos, nur mühsam abgewehrt werden. K. nahmen aber auch – z. T. als Inhaber v. Militärlehen (Pronoiare; →Pronoia) – an der Reichsverteidigung teil u. wurden in Thrakien, Makedonien u. Kleinasien angesiedelt. Vermutlich waren die Dynastien des Zweiten →Bulg. Reiches (1186–1396), die →Aseniden, Terter u. Šišman ebenso wie die vlach. Fürstenfamilie der Basarab kuman. Herkunft. In →Ungarn fielen die K. zum ersten Mal 1086 ein, wurden jedoch v. Kg. Ladislaus I. (1077–95) geschlagen (Kämpfe geschildert in der Ladislauslegende; zahlr. bildl. Darstellungen: Wiener Bilderchronik; Wandfresken in ung. Kirchen, 13.–15. Jh.). Der Mongolensturm (→Mongolen), in dessen Verlauf die K. gemeinsam mit russ. Fürsten 1223 an der Kalka u. 1238 an der Wolga geschlagen wurden, löste eine Massenflucht nach Ungarn aus. Kg. Béla IV., der seit 1233 auch den Titel „Kg. v. Kumanien“ führte, siedelte 1239–45 etwa 20.–40.000 K. zw. Donau u. Theiß an, die als Hilfsvölker an zahlr. Feldzügen ung. Kg.e teilnahmen. Kg. Ladislaus IV., „der Kumane“, stellte die kuman. Begs dem ung. Adel in den „Articuli Cumanorum“ gleich. Dieses sog. Zweite Kumanengesetz ist höchstwahrscheinlich eine moderne Fälschung. Die Rechts- u. Verwaltungsautonomie der K. fand ihren Ausdruck in der Einrichtung v. „sechs kuman. Stühlen“, die auf der kuman. Stammesverfassung basierte. Christianisierung u. Sesshaftwerdung der K. kamen aber erst im 14. Jh. zum Abschluss. Die kuman. Sprache erlosch in Ungarn im 16. Jh. Lit.: N. Berend, At the Gate of Christentom: Jews, Muslims and „Pagans“ in Medieval Hungary, c. 1000–c. 1300. Cambridge 2006; V. Spinei, The Great Migrations in the East and South East of Europe from the 9th to the 13th Century. Amsterdam ²2006; I. Vásáry, Cumans and Tatars. Oriental military in the pre-ottoman Balkans, 1185–1365. Cambridge u. a. 2005; Il codice cumanico e il suo mondo. Atti del colloquio internazionale, Venezia, 6–7 dicembre 2002. Hgg. F. Schmieder/P. Schreiner. Roma 2005; Gy. Györffy, A magyarság keleti elemei. Budapest 1990, 200–324; A. Pálóczi Horváth, Petschenegen, Kumanen, Jassen. ebd. 1990; The Cambridge History of Early Inner Asia. Hg. D. Sinor. Cambridge 1990; P.B. Golden, Cumanica, AEMA 4 (1984), 45–87; 6 (1988), 5–29; Gy. Moravcsik, Byzantinoturcica. 2 Bde. Berlin 31983; O. Pritsak, The Polovcians and the Rus’, AEMA 2 (1982), 321–80; L. Rásonyi, Les Turcs non-islamisées en Occident, PTF 3 (1970), 1–20 ; D.A. Rasovskij, Polovcy, Seminarium Kondakovianum 7 (1935), 245–62; 8 (1936), 161–82; 9 (1937), 71–85; 10 (1938), 155–78; 11 (1940), 95–128 ; J. Marquart, Über das Volkstum der Kumanen, Abhandlungen der kgl. Gesellschaft der Wiss. Phil.-hist. Kl. 1913. Göttingen 1914, 25–238. H. G. 554
Kuna / Kurusch / Kuruzzen
Kuna. Kroat. Währungseinheit (von k.=Marder, Marderfell), entspricht 100 Lipa (lipa=Linde). Die K. (kroat. Abk.=kn; intern.=HRK) entsprach 2014 rd. 0,13 Euro (1 Euro=7,6 HRK). – Der Marder wurde 1018 erstmals auf der Insel Cres als Zahlungsmittel erwähnt. Mit ihm konnten Steuern u. Abgaben bezahlt werden. Seit dem 13./14. Jh. erscheint der Marder auf Silbermünzen, die v. den kroat. Vizekönigen (Ban[us]) geprägt wurden, u. entwickelte sich in der Folgezeit zu einem wichtigen heraldischen Symbol in den kroat.Ländern, das auf verschiedenen Münzen u. offiziellen Dokumenten verwendet wurde (heute noch vertreten im Wappen Slawoniens). Im →„Unabhängigen Staat Kroatien“ während des 2. Wk.s wurde die K. offiziell als Währungsmittel eingeführt, musste aber nach Kriegsende dem →Dinar weichen. Nach der Unabhängigkeitserklärung Kroatiens 1991 galt zunächst der „kroat. Dinar“ als provisorische Währung, der am 30.5.1994 durch die K. abgelöst wurde. Lit.: St. Granić, From fur money to modern currency: the kuna, Review of Croatian History 4 (2008), H. 1, 87–109. Red.
Kurusch (türk. guruş). Der „Piaster“ der älteren Reiseliteratur. Bereits die verschiedenen im Osm. Reich umlaufenden europ. Silberstücke wurden zusammenfassend als K. („Groschen“) bezeichnet; weit verbreitet waren die „Löwentaler“ (türk. esedi guruş). Erst Süleyman II. (1687–1691), unter dem auch eine Reform des →Kopfsteuer-Wesens durchgeführt wurde, ließ – angeblich in der Absicht, die leicht zu fälschenden ausländischen Sorten durch eigene Prägungen zu ersetzen – erstmals eine große osm. Silbermünze nach europ. Vorbild prägen. Ob es sich hierbei um den Zolota zu 90 →Akçe handelte, oder bereits um den K. zu 120 Akçe u. 40 →Para, bleibt in der Numismatik umstritten. Lit.: →Akçe. M. U.
Kuruzzen. Seit 1679 nachweisbare Bezeichnung für den Teil des ung. →Adels u. v. Teilen auch der bäuerlichen Bev., die unter Führung v. Ferenc Wesselényi u. Péter Zrinyi (Petar Zrinski 1664–1670), später Imre Thököly (1678–1685) u. schließlich Ferenc II. Rákóczi (1703–1711) in mehreren Aufstandsbewegungen gegen die habsb. Herrschaft rebellierten. Der seiner Herkunft nach bislang ungeklärte Begriff bedeutet eigentlich heimatloser, umherirrender Exulant u. bezog sich zunächst auf ung. Adelige, die durch Aufdeckung der Wesselényi-Verschwörung ihre vom Kg. konfiszierten Güter verloren hatten u. deshalb nach →Siebenbürgen geflüchtet waren. Die v. Matthias Bél geäußerte u. bis heute vielfach tradierte Annahme, dass K. auf crucius oder cruciatus u. damit auf die Bezeichnung des Kreuzfahrerheeres v. György Dózsa 1514 (→Dózsa-Aufstand) zurückzuführen sei, wird v. der ung. Sprachwissenschaft aus Gründen der Wortgeschichte wie der Phonetik als inakzeptabel zurückgewiesen. Die Gründe, die jeweils zum Aufstand der K. führten, variieren. Ausgangspunkt für die Wesselényi-Verschwörung war der für Ungarn ungünstige Friedensschluss Ks. Leopolds I.
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Kuruzzen
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mit der Pforte in Vasvár 1664 sowie die starken gegenreformatorischen Bestrebungen des Wiener Hofes, die als Bedrohung der relig. Freiheit des prot. Adels angesehen wurden (→Gegenreformation). Die nach Siebenbürgen geflüchteten K. organisierten sich mit Unterstützung des Fürsten Apafi militärisch u. wählten 1678 Imre Thököly zu ihrem Anführer. Dieser brach mit seinem Gefolge in →Oberungarn ein, zettelte dort einen sehr erfolgreichen Aufstand an u. erhielt 1682 die Anerkennung der Hohen Pforte als Fürst v. Oberungarn. Als solcher wollte Thököly eine gegen Habsburg gerichtete Landesherrschaft errichten. Doch die Niederlage der Osmanen vor Wien 1683 (→Türkenkriege) führte auch zu seinem Zusammenbruch u. ein großer Teil seiner Anhänger schloss sich dem gegen die Osmanen ins Feld ziehenden kaiserlichen Heer an. Thököly selbst wurde 1685 vom Ofener Pascha in Großwardein gefangengenommen u. zog sich nach seiner Freilassung mit nur wenigen Getreuen in das osm. Exil zurück. Von dort suchte er wiederholt auf osm. Seite in den Krieg gegen den Kaiser einzugreifen u. war damit nur 1690 erfolgreich, als er nach dem Tod des Fürsten Apafi mit Hilfe osm. u. tatarischer Hilfstruppen in Siebenbürgen eindrang u. sich vom Landtag zum Fürsten wählen ließ. Seine Herrschaft wurde jedoch nach zwei Monaten v. der ksl. Armee beendet u. Thököly aus dem Land geworfen. Nach dem Friedensschluss v. →Karlowitz 1699 wurde er mit seinem Gefolge v. 1500 Mann nach Nikomedia (heute Izmit) verbannt. Die letzte großen Aufstandsbewegung der K. unter Ferenc II. Rákóczi ist auf Steuerpläne des Wiener Hofes zurückzuführen, gegen die große Teile des ung. Adels rebellierten. Um den drohenden Staatsbankrott am Ende des Türkenkrieges abzuwenden, sah sich Wien 1698 gezwungen, Kriegskosten v. 12 Mio. Gulden zu decken, wozu Ungarn 4 Mio. beitragen sollte. Um eine gleichmäßige Belastung der Bev. zu gewährleisten, schlugen die kaiserlichen Minister eine erstmalige Besteuerung des ung. Adels in der Höhe v. 2 Mio. Gulden vor. Dieser war über die Verletzung des für ihn sakrosankten Steuerprivilegs empört u. bot nach zähen Verhandlungen am Jahresende 1699 die höchst bescheidene Steuerleistung v. 133.333 Gulden – ein Dreißigstel der Gesamtsumme – an. Ks. Leopold gab sich daraufhin mit einem Sechzehntel, nämlich mit 250.000 Gulden (soviel zahlten auch die ung. Städte), als sein letztes Wort zufrieden. Bis heute ist nicht geklärt, wieviel an Zahlungen tatsächlich eingegangen ist. Jedenfalls waren diese so wenig ausreichend, dass neuerliche Verhandlungen über eine Beitragsleistung zur Deckung v. 10 Mio. Schulden für das gesamte Reich anstanden. Der Abzug einer großen Anzahl ksl. Truppen an die Fronten des Spanischen Erbfolgekrieges ermutigte 1703 den Adel, sich seiner vom Kg. geplanten Besteuerung nunmehr offen zu widersetzen u. zu den Waffen zu greifen. Ein großer Teil der ostung. Bauern u. Stadtbürger schloss sich begeistert dem Aufstand an, da die K. allen ihren Soldaten für die Zeit ihres Kampfeinsatzes Steuerfreiheit gewährten. Der Konzept- u. pol. Hilflosigkeit der führenden Vertreter des Wiener Hofes stand eine sehr erfolgreiche Propaganda der K. gegenüber, der es gelang, die vorhandene u. offenbar tiefgehende Unzufriedenheit zahlreicher Bevölkerungsschichten zu artikulieren u. diese für die Ziele der Aufständischen zu mobilisieren. Doch dem ung. Adel ging es in erster Linie um die Behauptung seiner althergebrachten Steuer- u. Selbstverwaltungsprivilegien, auch auf Kosten seiner bäuerlichen Mitstreiter, die wiederum – freilich ganz vergeblich – sich v. der Rebellion eine Verbesserung ihrer soz. Lage erhofften. Die in den Kategorien des Nationalstaates urteilende ung. Geschichtsschreibung des 19. Jh.s hat die
Kuruzzen / Küstenland / Lateinerherrschaft
Parolen Rákóczis v. seinem angeblichen Kampf gegen den Wiener Absolutismus u. Zentralismus dankbar aufgegriffen u. darüber den grundlegenden Charakter dieser stürmischen Jahre als eine Zeit des Übergangs u. eines umfassenden Systemwechsels im Rahmen einer nach der Türkenzeit nötigen Neuordnung der wirt. wie pol. Verhältnisse (mit ihren Gewinnern u. Verlierern) faktisch bis heute übersehen. Quellen u. Lit.: Correspondance diplomatique relative à la guerre d’indépendance du prince François II Rákóczi (1703–1711). Édition de documents. Hg. F. Tóth. Paris 2012; Thököly Imre fejedelem leveleskönyve: 1691–1692-iki. Hg. K. Thaly. Budapest 2007 (Repr. d. Ausgabe v. 1896); J.J. Varga, Válaszúton: Thököly Imre és Magyarország 1682–1684-ben. ebd. 2007; B. Köpeczi, Tanulmányok a kuruc szabadságharcok történetéből. ebd. 2004; A. Magyari, Rákóczi és az érdelyi kurucmozgalom. Csikszereda 2003; W. Slotman, Ferenc II. Rákóczi and the Great Powers. Boulder u. a. 1997; E. Boka, La politique étrangère de Imre Thököly (1678–1685), SOF 48 (1989), 51–86; J. Barta, Miért halt meg Zrínyi Péter? A Wesselényi összeesküvés története. Budapest 1986; A Thököly felkelés és kora. Hg. L. Benczedi. ebd. 1983; B. Köpeczi, Staatsräson u. christliche Solidarität. Die ungarischen Aufstände u. Europa in der zweiten Hälfte des 17. Jh.s. ebd., Wien u. a. 1983; ders., A Rákóczi szabadságharc és Európa. Budapest 1970; S. Márki, II. Rákóczi Ferenc. 3 Bde. ebd. 1907–1912; D. Angyal, Thököly Imre. 2 Bde. ebd. 1888/1889; G. Pauler, Wesselényi nádor és társaink összeesküvése 1664–1671. 2 Bde. ebd. 1876. G. S.
Küstenland (a. Littorale, Litorale). Das „Österr.-illyr. K.“ (it. Litorale; kroat. Primorska) entstand 1822. Es knüpfte an ältere Verwaltungseinheiten (unter der Bez. „Littorale“) wechselnden Umfanges seit 1748 an, die der territ. Vereinheitlichung zugunsten der Zentralgewalt dienten. Das „K.“ war seit 1825 in drei aus hist. Territorien hervorgegangene Kreise gegliedert: →Görz u. Gradisca, Triest u. →Istrien. Mit der Einführung des Konstitutionalismus 1861 gingen die meisten staatl. Aufgaben von der Statthalterei in Triest über auf die eh. Kreise, die nun jeweils eine eigene Regierung u. Legislative (Landtag) erhielten. Das K. kam nach dem 1. Wk. an Italien. Die im Sept. 1943 nach der it. Kapitulation von den dt. Besatzungsbehörden aus den Provinzen Udine, Gorizia (Görz), Triest, Pula sowie Ljubljana, Susak u. Bakar gebildete „Operationszone Adriatisches K.“ sollte die Namenstradition wieder aufgreifen. Lit.: St. di Giusto, Operationszone Adriatisches Küstenland. Udine, Gorizia, Trieste, Pola, Fiume e Lubiana durante l’occupazione tedesca, 1943–1945. Udine 2005; Staat – Land – Nation – Region. Gesellschaftliches Bewußtsein in den österreichischen Ländern Kärnten, Krain, Steiermark u. Küstenland, 1740 bis 1918. Hg. H. Krahwinkler. Klagenfurt u. a. 2002; E. Faber, Das Litorale Austriaco. Das österreichische u. kroatische Küstenland, 1700–1780. Trondheim, Graz 1995; P. Dorsi, Il Litorale nel processo di modernizzazione della Monarchia Austriaca. Istituzioni e archivi. Udine 1994. L. St.
Lateinerherrschaft. Periode in der Geschichte des südl. SOEs, in der weite Gebiete v. Adeligen vorwiegend frz. u. it. Herkunft („Lateiner“, Synonym für „Westeuropäer“, auch:
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Kuruzzen / Küstenland / Lateinerherrschaft
Parolen Rákóczis v. seinem angeblichen Kampf gegen den Wiener Absolutismus u. Zentralismus dankbar aufgegriffen u. darüber den grundlegenden Charakter dieser stürmischen Jahre als eine Zeit des Übergangs u. eines umfassenden Systemwechsels im Rahmen einer nach der Türkenzeit nötigen Neuordnung der wirt. wie pol. Verhältnisse (mit ihren Gewinnern u. Verlierern) faktisch bis heute übersehen. Quellen u. Lit.: Correspondance diplomatique relative à la guerre d’indépendance du prince François II Rákóczi (1703–1711). Édition de documents. Hg. F. Tóth. Paris 2012; Thököly Imre fejedelem leveleskönyve: 1691–1692-iki. Hg. K. Thaly. Budapest 2007 (Repr. d. Ausgabe v. 1896); J.J. Varga, Válaszúton: Thököly Imre és Magyarország 1682–1684-ben. ebd. 2007; B. Köpeczi, Tanulmányok a kuruc szabadságharcok történetéből. ebd. 2004; A. Magyari, Rákóczi és az érdelyi kurucmozgalom. Csikszereda 2003; W. Slotman, Ferenc II. Rákóczi and the Great Powers. Boulder u. a. 1997; E. Boka, La politique étrangère de Imre Thököly (1678–1685), SOF 48 (1989), 51–86; J. Barta, Miért halt meg Zrínyi Péter? A Wesselényi összeesküvés története. Budapest 1986; A Thököly felkelés és kora. Hg. L. Benczedi. ebd. 1983; B. Köpeczi, Staatsräson u. christliche Solidarität. Die ungarischen Aufstände u. Europa in der zweiten Hälfte des 17. Jh.s. ebd., Wien u. a. 1983; ders., A Rákóczi szabadságharc és Európa. Budapest 1970; S. Márki, II. Rákóczi Ferenc. 3 Bde. ebd. 1907–1912; D. Angyal, Thököly Imre. 2 Bde. ebd. 1888/1889; G. Pauler, Wesselényi nádor és társaink összeesküvése 1664–1671. 2 Bde. ebd. 1876. G. S.
Küstenland (a. Littorale, Litorale). Das „Österr.-illyr. K.“ (it. Litorale; kroat. Primorska) entstand 1822. Es knüpfte an ältere Verwaltungseinheiten (unter der Bez. „Littorale“) wechselnden Umfanges seit 1748 an, die der territ. Vereinheitlichung zugunsten der Zentralgewalt dienten. Das „K.“ war seit 1825 in drei aus hist. Territorien hervorgegangene Kreise gegliedert: →Görz u. Gradisca, Triest u. →Istrien. Mit der Einführung des Konstitutionalismus 1861 gingen die meisten staatl. Aufgaben von der Statthalterei in Triest über auf die eh. Kreise, die nun jeweils eine eigene Regierung u. Legislative (Landtag) erhielten. Das K. kam nach dem 1. Wk. an Italien. Die im Sept. 1943 nach der it. Kapitulation von den dt. Besatzungsbehörden aus den Provinzen Udine, Gorizia (Görz), Triest, Pula sowie Ljubljana, Susak u. Bakar gebildete „Operationszone Adriatisches K.“ sollte die Namenstradition wieder aufgreifen. Lit.: St. di Giusto, Operationszone Adriatisches Küstenland. Udine, Gorizia, Trieste, Pola, Fiume e Lubiana durante l’occupazione tedesca, 1943–1945. Udine 2005; Staat – Land – Nation – Region. Gesellschaftliches Bewußtsein in den österreichischen Ländern Kärnten, Krain, Steiermark u. Küstenland, 1740 bis 1918. Hg. H. Krahwinkler. Klagenfurt u. a. 2002; E. Faber, Das Litorale Austriaco. Das österreichische u. kroatische Küstenland, 1700–1780. Trondheim, Graz 1995; P. Dorsi, Il Litorale nel processo di modernizzazione della Monarchia Austriaca. Istituzioni e archivi. Udine 1994. L. St.
Lateinerherrschaft. Periode in der Geschichte des südl. SOEs, in der weite Gebiete v. Adeligen vorwiegend frz. u. it. Herkunft („Lateiner“, Synonym für „Westeuropäer“, auch:
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Lateinerherrschaft
„Franken“) oder v. Vertretern it. Seerepubliken beherrscht wurden. Zwar waren bereits vor 1204 Gebiete an der Peripherie des byz. Reiches unter lat. Herrschaft geraten (1185 Ithaka, Kephallēnia u. Zakynthos; 1191 →Zypern), doch erst nach der Einnahme →Konstantinopels durch die Kreuzfahrer (→Kreuzzüge) u. Venezianer (→Venezianisches Überseereich) (12.4.1204) kam es zur Errichtung fränk. u. venez. Herrschaften im byz. Kerngebiet. Während das Kgr. v. Thessaloniki u. das →Lateinische Kaiserreich schon 1224 u. 1261 byz. Rückeroberungsbestrebungen erlagen u. nur noch als Titularherrschaften weiterbestanden, bildeten sich in Mittel u. Südgriechenland langlebige Fürstentümer heraus, v. a. das Fsm. v. Achaia (1205–1432), das Herzogtum v. →Athen (1205–1456) u. die Markgrafschaft v. Bodonitsa (1205–1414). Venedig war nach 1204 nicht in der Lage, die ihm zugesprochenen drei Achtel des byz. Reiches (dazu →Lat. Kaiserreich) tatsächlich in Besitz zu nehmen. 1206 besetzte eine venez. Flotte →Korfu u. die peloponnesischen Hafenstädte Koron u. Modon u. begann mit der Eroberung →Kretas, das zwar bis 1669 venez. blieb, dessen Bewohner aber häufig Aufstände unternahmen. Auf Euboia kontrollierte Venedig zunächst nur einzelne Viertel in Chalkis (Negroponte) u. anderen Städten der Insel, während der Rest v. Lehensleuten der Republik, v. a. den dalle Carceri, beherrscht wurde. Erst 1390 gelangte die ganze Insel unter direkte venez. Herrschaft (bis 1470). 1207 unterwarf der venez. Adelige Marco Sanudo mit eigenen Schiffen die Inseln Naxos, Paros u. Syros u. errichtete das Herzogtum des Archipelagus (1207–1566; seit 1383 unter den Crispi). Als seine Vasallen übernahmen Marino Dandolo, die Ghisi u. die Querini die Herrschaft über Andros, Tinos, Mykonos u. Astypalaia. Genua konnte erst mit dem Vertrag v. Nymphaion (12.3.1261) im byz. Reich Fuß fassen. 1275 erhielt Manuel Zaccaria v. Michael VIII. Phokaia. Sein Bruder Benedetto besetzte 1304 Chios, das jedoch 1329 v. Andronikos III. zurückerobert wurde u. erst ab 1346 dauerhaft unter genuesischer Herrschaft stand (bis 1556). Auf Lesbos regierten v. 1356–1462 die Gattilusii als Verwandte u. Verbündete der byz. →Paläologen. In vielen Gegenden überdauerte die L. den Untergang des byz. Reiches (1453), doch wurden die meisten Gebiete bis 1715 v. den Osmanen erobert. Nur auf den →Ionischen Inseln hielt sich die venez. Herrschaft bis 1797. Die meist nur wenigen röm.-kath. Lateiner konzentrierten sich auf die Städte. Der relig. Gegensatz zw. Lateinern u. Orthodoxen erschwerte Mischehen u. verstärkte die Isolation der Lateiner. Während der L. verschlechterte sich die rechtliche Situation der gr. →Paröken, die nun teilweise der Gerichtsbarkeit lat. Grundherren unterstanden u. für Heirat u. wirt. Aktivitäten deren Erlaubnis einholen mussten. Das unter der L. geltende Recht wurde um 1340 im Fsm. Achaia in den „Assizen der Romania“ zusammengestellt u. galt ab 1452 auch in den venez. Gebieten.
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Lit.: Contact and Conflict in Frankish Greece and the Aegean, 1204–1453. Crusade, Religion and Trade between Latins, Greeks and Turks. Hg. N.G. Chrissis. Farnham u. a. 2014; Chr. Wright, The Gattilusio lordships and the Aegean world, 1355–1462. Leiden u. a. 2014; R. Pokorny, Der territoriale Umfang des lateinischen Königreichs von Thessaloniki, Deutsches Archiv zur Erforschung des Mittelalters 62 (2006), 537–606; P. Lock, The Franks in the Aegean, 1204–1500. London 1995; D. Jacoby, Social Evolution in Latin Greece, in: A History of the Crusades. Hg. K.M. Setton. Bd. 6. Madison/WI 1989, 175–221; Latins and Greeks in the Mediterranean after 1204. Hgg. B.
Lateinisches Kaiserreich
Arbel/B. Hamilton. London 1989; Les Italiens à Byzance. Edition et présentation de documents. Hgg. M. Balard/A.E. Laiou/C. Otten-Froux. Paris 1987; A. Luttrell, Latin Greece, the Hospitallers and the Crusades 1291–1440. London 1982; P. Topping, Studies on Latin Greece A.D. 1205–1715. ebd. 1977; D. Jacoby, La féodalité en Grèce médiévale: les „Assises de Romanie“. Paris 1971; A. Bon, La Morée franque. Recherches historiques, topographiques et archéologiques sur la principauté d’Achaia (1205–1430). 2 Bde. ebd. 1969; J. Longnon, L’Empire Latin de Constantinople et la principauté de Morée. ebd. 1949. K.-P. T.
Lateinisches Kaiserreich. Bereits vor der Eroberung →Konstantinopels verständigten sich Kreuzfahrer (→Kreuzzüge) u. Venezianer (→Venezianisches Überseereich) auf die Errichtung eines l.K.s. Am 12.5.1205 wurde Graf Balduin v. Flandern auf Betreiben des Dogen Enrico Dandolo zum ersten lat. Ks. gewählt u. am 16.5. in der Hagia Sophia vom neugewählten lat. Patriarchen Tommaso Morosini, gekrönt. In der Partitio terrarum Romaniae einigten sich die Eroberer darauf, dass der lat. Kaiser ein Viertel des byz. Reiches (→Byzanz) erhielt, während die übrigen drei Viertel jeweils zur Hälfte an die Kreuzfahrer u. an Venedig gingen. Balduins I. Unfähigkeit im Umgang mit der byz. Aristokratie löste im Frühjahr 1205 in Thrakien einen großen Aufstand gegen die →Lateinerherrschaft aus. Die Aufständischen riefen den bulg. Zaren Kalojan (1197–1207) zu Hilfe, der dem L.K. bereits am 14.4.1205 bei Adrianopel, wo Balduin I. in Gefangenschaft geriet u. ein Großteil seiner Vasallen fiel, einen vernichtenden Schlag versetzte. Balduins jüngerer Bruder u. Nachfolger Heinrich (zunächst Regent, dann nach seiner Krönung am 20.8.1206 Ks.) gewann die byz. Bevölkerung für sich, behauptete sich gegen Kalojan, schlug 1208 den bulg. Usurpator Boril u. 1211 Theodoros I. Laskaris v. Nikäa. 1209/1210 brachte er seine Oberherrschaft über das Kgr. Thessalonike u. die Lateinerstaaten Mittelgriechenlands erfolgreich zur Geltung. Heinrichs Schwager u. Nachfolger Peter v. Courtenay wurde im April 1217 in San Lorenzo in Rom gekrönt, geriet aber in →Epirus in Gefangenschaft. Im März 1221 übernahm Robert v. Courtenay, der zweite Sohn Peters, die Herrschaft, wurde aber 1224 v. Johannes III. Vatatzes bei Poimanenon schwer geschlagen, so dass das L.K. alle Besitzungen in Kleinasien verlor. Bis 1228 entriss ihm Theodoros Dukas v. Epirus auch sein europ. Territorium. Für Roberts minderjährigen Bruder u. Nachfolger Balduin II. (1228–1261), den letzten lat. Kaiser, der sich häufig im Abendland aufhielt (z. B. 1237–1239, 1243/1244–1249) führte Johannes v. Brienne v. 1231–1237 die Regentschaft. 1235 u. 1236 hielt er Konstantinopel nur mit Hilfe Venedigs u. Gottfrieds II. v. Achaia gegen eine byz.-bulg. Koalition. Seit 1247 beherrschten die Byzantiner (→Kaiserreich v. Nikäa) das thrakische Vorfeld Konstantinopels. Als der größte Teil der venez.-fränk. Besatzung gerade abwesend war, gelang dem byz. Heerführer Alexios Stratēgopulos am 25.7.1261 die Rückeroberung →Konstantinopels. Balduin II. floh ins Abendland, verheiratete seinen Sohn Philipp mit Beatrice, der Tochter Karls I. von →Anjou u. Neapel, u. gewann im Vertrag v. Viterbo (27.5.1267) dessen Unterstützung für seine Rückeroberungspläne. Am 3.7.1281 verbündeten sich der lat. Titularkaiser Philipp v. Courtenay u. Karl I. von Anjou mit Venedig in Orvieto, um das L.K. durch eine maritime Expedition wiederherzustellen, doch vereitelte die sizilianische Vesper (März 1282) dieses Unternehmen. Im 14. Jh. unternahmen
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Lateinisches Kaiserreich / Lausanne (Friede von, 1923), griechisch-türkischer Krieg (1921/22)
Philipp v. Tarent (lat. Titularkaiser v. 1313–1331) u. seine Gemahlin Katharina v. Valois, die Enkelin Balduins II., vom Fürstentum Achaia aus erfolglose Versuche, byz. Territorium zu erobern u. das L.K. wieder herzustellen. Lit.: Contact and conflict in Frankish Greece and the Aegean, 1204–1453. Crusade, religion and trade between Latins, Greeks and Turks. Hgg. N.G. Chrissis/M. Carr. Farnham, Surrey, Burlington/VT 2014; N.G. Chrissis, Crusading in Frankish Greece. A study of Byzantine-Western relations and attitudes, 1204–1282. Turnhout 2012; F. van Tricht, The Latin “Renovatio” of Byzantium. The Empire of Constantinople (1204–1228). Leiden u. a. 2011; Identities and allegiances in the eastern Mediterranean after 1204. Hgg. J. Herrin/G. Saint-Guillain. Farnham, Surrey u. a. 2011; 800 godini ot bitkata pri Odrin. Zbornik statii. Hg. N. Nedelčev. Šumen 2007; The Latin Empire. Some Contributions. Hgg. V.D. van Aalst/K.N. Ciggaar. Hernen 1990; B. Hendrickx, Regestes des empereurs Latins de Constantinople (1204–1261/1272), Byzantina 14 (1988), 7–222; ders., Les institutions de l’Empire latin de Constantinople (1204–1261), ebd. 6 (1974), 87–154 u. 9 (1977), 187–217; A. DanČeva-Vasileva, Bălgarija i Latinskata imperija (1204–1261). Sofja 1985; R.L. Wolff, Studies in the Latin Empire of Constantinople. London 1976; A. Carile, Per una storia dell’impero latino di Costantinopoli. Bologna 1972 (²1978); G. Prinzing, Der Brief Kaiser Heinrichs von Konstantinopel vom 13. Januar 1212, Byzantion 43 (1973), 395–431; E. Dade, Versuche zur Wiedererrichtung der lat. Herrschaft in Konstantinopel im Rahmen der abendländischen Politik 1261 bis etwa 1310. Jena 1938. K.-P. T.
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Lausanne (Friede von, 1923), griechisch-türkischer Krieg (1921/22). Die rigorosen Bestimmungen des Friedensvertrags von →Sèvres, die v. den Alliierten gebilligte Stationierung gr. Truppen in der kleinasiat. Hafenstadt Smyrna/Izmir im Mai 1919 u. der v. Großbritannien ermunterte Vormarsch der Griechen in Anatolien u. Ostthrakien weckten die Widerstandsbereitschaft der Türken unter Führung v. Mustafa Kemal („Atatürk“), der in offener Rebellion gegen Sultan Mehmed VI. die Anerkennung des Vertrags v. Sèvres verweigerte. Der überraschende Machtwechsel in Griechenland Ende 1920 (die Wahlniederlage Venizelos’ u. die Rückkehr Kg. Konstantins) änderte nichts an dem Bestreben der gr. Führung, die →Megali Idea zu realisieren. Ende März 1921 starteten ihre Truppen eine neue, milit. überaus riskante Offensive in Richtung Zentral-Anatolien, die fünf Monate später v. Mustafa Kemals Einheiten am Sakarya-Fluss in einer für beide Seiten verlustreichen Schlacht gestoppt wurde. Mitte September musste die demoralisierte gr. Armee den Rückzug antreten. Mittlerweile hatten sich Sowjetrussland, Italien u. Frankreich mit Mustafa Kemal arrangiert, so dass die Griechen nur noch v. Großbritannien unterstützt wurden. Am 26.8.1922 ordnete Mustafa Kemal die Gegenoffensive an, die zur Katastrophe für die gr. Truppen u. die in der Region siedlungsgeschichtlich bis in die Antike zurückreichende gr. Bevölkerung führte (→Griechen). Der Großteil der gr. Armee u. viele Flüchtlinge konnten auf die ägäischen Inseln evakuiert werden, bevor Kemal am 9. September in Smyrna einrückte. Am 14. September wurde die traditionsreiche gr. Stadt in Schutt u. Asche gelegt. Die schwachen brit. Truppen im Bereich der Meerengen konnten die türk. Erfolge nicht mehr aufhalten. Gut fünf
(Friede von, 1923), griechisch-türkischer Krieg (1921/22)
Wochen nach Unterzeichnung eines Waffenstillstands in Mudanya begann am 20.11.1922 eine neue Friedensrunde in der Schweiz, die nach schwierigen u. zeitweilig unterbrochenen Verhandlungen am 24.7.1923 mit dem Vertrag von Lausanne beendet wurde. Die Türkei war damit der einzige Verliererstaat des 1. Wk.s, der sich erfolgreich der Annahme eines →Pariser Vorortvertrages widersetzt hatte. Durch das Lausanner Abkommen erhielt sie ganz Anatolien, die Meerengen, Ost-Thrakien (→Europ. Türkei, 2) sowie die den Dardanellen vorgelagerten Inseln Imbros u. Tenedos zurück. Sie wurde v. allen Reparationszahlungen u. den →Kapitulationen befreit. Nur in der →Meerengenfrage musste sie sich auf Betreiben Großbritanniens mit einem Kompromiss begnügen. In einem separaten, bereits am 30.1.1923 unterzeichneten Abkommen vereinbarten die Türkei u. Griechenland den obligatorischen „Bevölkerungsaustausch“ ihrer jeweiligen Minderheiten. Es war der erste realisierte Vertrag in der europ. Geschichte, der eine flächendeckende u. zwangsweise Aussiedlung v. ethn. oder konf. Minoritäten vorsah bzw. – sofern die Betroffenen bereits geflüchtet waren – nachträglich sanktionierte (Umsiedlung; →Zwangsmigrationen). Auf diese Weise wurden die Türkei (mit Ausnahme v. →Konstantinopel/Istanbul) u. Griechenland (mit Ausnahme West-Thrakiens) v. der Minderheit der Gegenseite „gesäubert“. Betroffen waren rd. 1,3 Mio. Griechen aus Kleinasien, die zu großen Teilen in Ägäisch-Makedonien angesiedelt, u. 400.000 Türken bzw. Muslime, die aus Nordgriechenland nach Ost-Thrakien u. Kleinasien umgesiedelt wurden. Die ethn. Struktur der Bev. Griechisch-Makedoniens änderte sich dadurch grundlegend zugunsten des gr. Elements, während Ost-Thrakien fast rein türkisch wurde (→Makedonien [Region]; →Thrakien). Das Lausanner Abkommen, das späteren Umsiedlungsverträgen als „Modell“ diente, hat sowohl bei zeitgenössischen Politikern wie bei Historikern heftige Kontroversen ausgelöst. Die einen sahen darin eine zwar schmerzliche, aber letztlich konfliktreduzierende Maßnahme, während die anderen das Abkommen als inhumanen Präzedenzfall u. „Vorbild“ für Umsiedlungen u. Vertreibungen während u. nach dem 2. →Weltkrieg verurteilten. Einigkeit besteht dagegen darüber, dass der gr. Traum v. der Megali Idea durch den Lausanner Friedensvertrag u. das Bevölkerungsabkommen endgültig begraben wurde. Lit. (a. →Zwangsmigrationen): R. Banken, Die Verträge von Sèvres 1920 u. Lausanne 1923. Eine völkerrechtliche Untersuchung. Münster u. a. 2014; O. Yildirim, Diplomacy and Displacement: Reconsidering the Turco-Greek Exchange of Populations, 1922–1934. New York u. a. 2006; E. Kontogiorgi, Population Exchanges in Greek Macedonia: The Forced Resettlement of Refugees, 1922–1930. New York 2006; B. Clark, Twice a Stranger. How Mass Expulsion Forged Modern Greece and Turkey. London 2006; Crossing the Aegean. An Appraisal of the 1923 Compulsory Population Exchange between Greece and Turkey: Hg. R. Hirschon. New York u. a. 2003; A. Karagiannis, Greece’s Quest for Empire at the Paris Peace Conference, 1919–1920: The Diplomacy of Illusions. Ann Arbor/MI 1992; R. Hirschon, Heirs of the Greek Catastrophe. The Social Life of Asia Minor Refugees in Piraeus. Oxford 1989; M. Housepian Dobkin, Smyrna 1922. The Destruction of a City. Kent/OH u. a. 1988; K. Svolopoulos, The Lausanne Peace Treaty and the Cyprus Problem. Greece and Great Britain During World War I. Thessaloniki 1985; J.A. Petropoulos, The Compulsory Exchange of Populations: Greek-Turkish Peace Making, 1922–1930, Byzantine and Modern Greek Studies 2 (1976), 135–160; D. Dakin, The Conference of Lausanne.
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Lek / Lepanto
Famagusta 1973; H.J. Psomiades, The Eastern Question: The Last Phase. A Study in Greek-Turkish Diplomacy. Thessaloniki 1968; D. Pentzopoulos, The Balkan Exchange of Minorities and its Impact on Greece. The Hague 1962; S. Ladas, The Exchange of Minorities: Bulgaria, Greece and Turkey. New York 1932; A. Devedji, L’échange obligatoire des minorités grecques et turques en vertu de la Convention de Lausanne du 30 janvier 1923. Paris 1929; G. Streit, Der Lausanner Vertrag u. der griechisch-türkische Bevölkerungsaustausch. Berlin 1929; M. Chater, History’s Greatest Trek, National Geographic Magazine XLVIII (1925), No. 5, 533–590. H. S.
Lek. Alb. Währungseinheit. Der Name leitet sich vermutlich v. Alexander (= alb. Lek) dem Großen ab, dessen Kopf die erste 1926 geprägte L.Münze zeigte. Nach der alb. Unabhängigkeitserklärung 1912 kursierten in →Albanien zunächst noch diverse ausländische (osm., österr., it., frz. u. a.) Geldnoten u. Münzen, lokale Notgeldscheine (bekannt v. Shkodra, Berat, Vlora) sowie Francnoten der im 1. Wk. v. den Franzosen eingesetzten Republik Korça. Nachdem am 25.6.1921 der Goldfranken (Franka Ari/Frangu Ari, = FrA) als Verrechnungseinheit eingeführt u. im März 1925 eine Alb. Nationalbank gegründet worden war, wurde durch Gesetz vom 31.7.1925 der FrA Staatswährung. Teilwerte waren L. (5 L. = 1 FrA) u. Qindarka (100 Qindarka = 1 L.). 1947 wurde der FrA aufgegeben u. der L. (= 100 Qindarka) alleinige Währungseinheit. Lit.: A. Pisha/B. Vorpsi/N. Hoxhaj, Albania: from 1920 to 1944, in: South-Eastern European Monetary and Economic Statistics from the Nineteenth Century to World War II. Athens, Sofia, Bucharest, Vienna 2014, 355-377; A. Pick, Papiergeld Lexikon. Regenstauf 1992; O.H. Göbel, Albanien. Geschichte u. Münzwesen, Die Münze 11 (1980), 436–443; G. Battaglia, La monetazione albanese dal 1925 ai giorni nostri. Rovigo 1975. P. B.
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Lepanto (gr. Naupaktos). Stadt in Griechenland, an der Südküste v. Ätolien, im MA v. den Italienern L. genannt, 1499 v. den Osmanen erobert, berühmt geworden durch den Sieg, den eine christl. Flotte unter Don Juan de Austria am 7.10.1571 über die Osmanen errang. Die Schlacht fand zwar bei den Oxia-Inseln vor dem Eingang in den Golf v. Korinth statt, sie wurde aber nach dem Ausgangsort der osm. Flotte L. benannt. Die Seeschlacht stand im Zusammenhang mit dem venez.-osm. Krieg 1570–73, bei dem es um den Besitz v. →Zypern ging. Als die Flotte der christl. Verbündeten (Hl. Liga, abgeschlossen am 25.5.1571 zw. Venedig, Spanien u. dem Papst) am 15.9.1571 v. Messina aufbrach, war die Entscheidung auf Zypern bereits gefallen: Am 1. August hatte Famagusta, die letzte venez. Besitzung auf der Insel, kapitulieren müssen. Der Generalkapitän der Liga erfuhr davon aber erst vor den Ionischen Inseln. Don Juan beschloss, die im Hafen v. L. versammelte Flotte der Osmanen zur Schlacht zu stellen, u. auch diese, die etwa gleich stark war (beide Flotten verfügten über ca. 200 Galeeren u. zusätzliche Begleitschiffe), suchte den Kampf u. fuhr der Ligaflotte entgegen. Der etwa fünfstündige Kampf am 7. Oktober endete mit einer vernichtenden Niederlage der Osmanen, die zwei Drittel ihrer Schiffe durch Eroberung oder Versenkung
Lepanto / Leu
verloren; die Verluste der Liga beliefen sich auf nur 13 Galeeren. Die Menschenverluste waren auf beiden Seiten etwa gleich hoch: je 8.000 Mann an Toten u. etwa 20.000 Verwundete. 3.500 Osmanen gerieten in Gefangenschaft, etwa 15.000 christl. Galeerensklaven wurden befreit. Der christl. Sieg wurde in Venedig am 18. Oktober bekannt. Dort wie überall in Europa kam es zu Dankmessen u. Freudenkundgebungen. In Dichtungen u. Malereien wurde dieser erste große Sieg der Christen in einem der →Türkenkriege über die „Ungläubigen“ gefeiert. Von Papst Gregor XIII. wurde zur Erinnerung an den Sieg 1573 das Rosenkranzfest eingeführt, das am ersten Sonntag im Oktober begangen wurde. Die Bedeutung der Schlacht v. L. liegt darin, dass der Nimbus der osm. Unbesiegbarkeit gebrochen wurde. Sonst wurde der Sieg v. der christl. Liga nicht ausgenützt. Während die Osmanen 1572 ihre Flotte rasch wieder aufbauten, ließ die Liga, da man sich über ein gemeinsames Ziel nicht einigen konnte, die Zeit mit kleineren Aktionen vor der Küste der Peloponnes verstreichen. Die Venezianer schließlich sahen sich am 15.3.1573 gezwungen, einen Separatfrieden mit den Osmanen abzuschließen, der diesen Zypern beließ u. die Markusrepublik zur Zahlung einer hohen Kriegsentschädigung verpflichtete. Lit.: M. Lesure, Lépante: la crise de l’Empire ottoman. [Paris] 22013; P. Brummett, The Lepanto paradigm revisited. Knowing the Ottomans in the sixteenth century, in: The Renaissance and the Ottoman world. Hgg. A. Contadini/C. Norton. Farnham, Surrey u. a. 2013, 63–93; La bataille de Lépante. Traduction d’un texte anonyme. Hg. J. Pagès. Biarritz 2011; M.G. Paulson/T. Alvarez-Detrell, Lepanto. Fact, Fiction and Fantasy, with a Critical Edition of Luis Vélez de Guevara’s ‘El águila del agua’. Lanham/MD u. a. 1986; J. Beeching, The Galleys at Lepanto. London u. a. 1982; Il Mediterraneo nella seconda metà del ’500 alla luce di Lepanto. Hg. G. Benzoni. Firenze 1974; C. Rosell, Historia del combate naval de Lepanto. Madrid 1971; F. Hartlaub, Don Juan d’Austria u. die Schlacht von Lepanto. Berlin 1940; G.A. Quarti, La guerra contro il Turco a Cipro e a Lepanto 1570–1571. Storia documentata. Venezia 1935. P. B.
Leu (Mz. Lei). Rum. Währungseinheit seit April 1867, entsprach dem Goldfranken (1 L = 0,3226 gr. Gold im Verhältnis 900/1000). →Rumänien übernahm das Zweimetallsystem der Lateinischen Münzunion. Scheidemünze ist der →Ban. Die Bezeichnung Leu geht auf den seit dem 16. Jh. in den →Donaufürstentümern im Verkehr befindlichen holl. Löwenthaler (leul = der Löwe) zurück. Seit der zweiten H. des 18. Jh.s war der Leu als Rechen- u. Währungseinheit im Gebrauch. Sein Wert belief sich auf 120 Bani u. war damit dem türk. Piaster gleichgestellt. Seit 1852 durch Gesetz in der →Moldau offiz. Recheneinheit. Seit 1868 wurden Kupfer, Silber- u. Goldmünzen v. 1 Ban bis 20 Lei geprägt. Seit 1945 überwiegend in Leichtmetall u. Papier. Lit. (a. →Ban): G.V. Stoenescu u. a., Romania: from 1880 to 1947, in: South-Eastern European Monetary and Economic Statistics from the Nineteenth Century to World War II. Athens, Sofia, Bucharest, Vienna 2014, 243–289; M.N. Popa, La circulation monétaire et l’evolution des prix en Valachie 1774–1831. Bucureşti 1978; D. Patapievici, Circulaţia bănească in România. ebd. 1972;
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Lev / Levante / Levantiner
C. Secăşanu, De cînd circula „leulmonedă“ în ţara noastră, Studii şi cercetări de numismatica 4 (1968), 423–428. E. T.
Lev (dt. „Löwe“). Bulg. Währungseinheit. Außerhalb Bulgariens auch Lewa (Leva) genannt (v. bulg. leva = Numerativ zu lev). 1 lev[a] = 100 stotinki (dt. „Hunderter“). Die Bezeichnung lev/Löwe geht auf das bulg. Wappentier zurück. Der L. wurde 1880 im Fsm. Bulgarien per Gesetz anstelle der osm. Währung eingeführt, 1881 von der Bulg. Nationalbank als Kupfermünze, 1882 als Silbermünze, 1885 als Banknote u. 1894 als Goldmünze ausgegeben. Im Zeitraum 1913–1941 sank sein Goldgehalt von 0.290 auf 0.007 Gramm. Bis zum 1. Wk. war er an den frz. Franc gekoppelt, in der Zwischenkriegszeit dann an den US-Dollar. 1947 wurde er dem Kurs des sowj. Rubel angeglichen. Im selben Jahr wurden die bis dahin mit zarischen Symbolen versehenen L.-Münzen u. -Banknoten durch solche mit den Symbolen der Volksrepublik Bulgarien ersetzt. 1952 sowie 1962 kam es im Zuge von Währungsreformen zu Neuprägungen u. -drucken. Im Nach-„Wende“-Jahr 1990 erfolgte eine Rückkehr zur Anbindung des L. an den US-Dollar sowie ein neuerlicher Austausch von Münzen u. Banknoten. Der Anbindung an ein Currency Board 1997 u. 1998 im Kurs v. 1:1 an die Deutsche Mark folgte am 1.1.2001 die Anbindung an den Euro. St. T./N. P.
Levante (it.: Osten/Morgenland, abgeleitet aus it. levarsi: aufgehen [Sonne]). Im MA u. in der FNZ verwandten it. Kaufleute den Begriff L. für den östl. Mittelmeerraum, insbes. die gr. Halbinsel, die Ägäischen Inseln, das Küstengebiet Anatoliens u. Zypern. Im weiteren Sinn bezeichnet L. die Anrainerstaaten des östl. Mittelmeers zw. Anatolien u. Ägypten. Red.
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Levantiner. L. ist ein Exonym, das in der FNZ alle nichtmuslimischen Bewohner ostmittelmeerischer Hafenstädte bezeichnete u. daher lange Zeit höchst ungenau war. Eine begriffliche Verengung auf die weiter unten verwendete Definition erfolgte erst im 19. Jh., verbunden mit einem rasch an Schärfe gewinnenden negativen Levantinerdiskurs besonders europäischer Zuwanderer, die sich v. dieser neben ihnen „europäischsten“ Gruppe unter den osmanischen Christen (u. Juden) abgrenzen wollten. Eine eigene deutlich erkennbare Eigenbezeichnung besteht nicht, da die L. im Osm. Reich keine Rechtsgemeinschaft (→Millet) bildeten, sondern formell zumeist Protégés oder Angehörige ausländischer Staaten waren, mithin kein Interesse hatten, als eigene Gruppe in einem osmanischen Rechts- u. Gesellschaftsrahmen aufzutreten. L. – definiert als europäischstämmige, zumeist griechischsprachige Angehörige der römisch-kath. Kirche im östl. Mittelmeer, besonders im Ägäisraum – formierten sich als Gemeinschaft in einem sich v. Hochmittelalter bis zum frühen 20. Jh. erstreckenden, besonders im 19. Jh. dynamisierten Prozess, wobei zw. der Bildung römisch-kath. Gemeinschaften europäischer Herkunft ab ca. 1850 u. der Formierung einer der hier zugrundegelegten Definition entsprechenden Gemeinschaft seit dem späten 18. Jh. deutlich zu unterscheiden ist.
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→Kreuzzüge (v. a. 1204) u. die ostmittelmeerische Ausdehnung it. Handelsrepubliken schufen die Grundlage für eine neue Form der Ansiedlung sog. Franken (→Lateinerherrschaft), die verbunden war mit pol. Herrschaft, dauerhafter Niederlassung u. sprachlicher Gräzisierung bei Beibehaltung des kath. Glaubens als Zeichen der pol. Privilegierung u. sozio-kulturellen Abgrenzung. Die osm. Eroberung des Ägäisraums (bis 1566/1645; vgl. etwa →Rhodos) veränderte diese Rechtsstellung grundlegend: L. waren nunmehr gegliedert in die Rechtskategorien der →Zimmis (christliche Untertanen im Osm. Reich), Protégés europäischer Mächte im Rahmen der sog. →Kapitulationen oder Untertanen europäischer Staaten. Die Gemeinschaft verfügte über keinen einheitlichen Rechtsstatus, sondern bestand als konfessionelle u. soziale Realität. Die ma. Niederlassungen im Ägäisraum (Andros, Tinos, Syros, Santorin u. von dort aus in Migration nach Smyrna u. Konstantinopel) erfuhren ab dem 17. Jh. durch mehrere Wellen v. Zuwanderung bedeutende Veränderungen: neben kath. Europäern sind arabischsprachige Aleppiner, überwiegend turkophone Armenier aus Nachitschewan (die sog. „Perser“ in Smyrna), griechischsprachige Inselkatholiken aus der Ägäis, gräkophone Katholiken v. den Ionischen Inseln sowie Maltesen als Elemente der hafenstädtischen Gesellschaften zu erwähnen. Zu Beginn des 19. Jh.s wuchs nicht nur das seit dem MA bestehende Istanbuler Hafenviertel Galata (türk. Karaköy) mit dem angegliederten Diplomatenviertel Pera (türk. Beyoğlu), sondern Smyrna (türk. İzmir) entwickelte sich zum bedeutendsten Zentrum einer Levantinergemeinschaft (dort ca. 10 % Bevölkerungsanteil). Der aufkommende Nationalismus im Osm. Reich, die Periode von Kriegen des Osm. Reiches mit den L. schutzgebenden europäischen Staaten (1911–1918), die Aufhebung der Kapitulationen (1914) u. schließlich die nationalistische Politik u. Gesetzgebung der türkischen Republik ab 1923 setzten den Levantinergemeinschaften weitgehend ein Ende. Bis in das 19. Jh. bildete die kath. Kirche die einzige Einrichtung, um die sich die L. sammelten; die Konsulate/Gesandtschaften verdeutlichten demgegenüber die gewollte „Fremdheit“ der L. Mangels Schriftquellen ist eine artikulierte Gruppenidentität schwer nachweisbar. Am ehesten sind Erinnerungen an Privilegien als Form der Gemeinschaftserinnerung zu deuten. Sichtbar wird Gruppenidentität vielmehr in der soz. Praxis – ausgedehnte Heiratsnetzwerke u. Nachbarschaft in sog. „Frankenvierteln“ (Frankomachalás in Smyrna). Häufig waren interkonfessionelle Heiraten besonders mit den sprachverwandten gr. Orthodoxen, wobei in unteren soz. Schichten Konversionen zur Orthodoxie nicht selten waren. Bei der Ehe eines kath. Mannes gehobenerer Schichten (v. a. aber kürzlich eingewanderter Europäer) mit einer orth. (oder armenischen) Partnerin hingegen war ein Konfessionswechsel des Mannes ausgeschlossen, da er ansonsten seinen privilegierten Rechtsstatus verloren hätte. Neue Formen des Gemeinschaftslebens bildeten sich besonders seit dem zweiten Drittel des 19. Jh.s unter dem Einfluss europäischer Zuwanderer aus. Als typisch europäisch empfundene Formen der Soziabilität – Kasinos, Clubs, Theater, karitative Vereine – entstanden, ebenso eine Presse in zumeist frz. Sprache, die aber mehr Interessen europäischer Mächte oder des Osm. Reichs denn Gruppeninteressen zum Ausdruck brachte. Im späten 19. Jh. drangen nationalorientierte Vereine europ. Mächte vor, die an der Nationalisierung ihrer jeweiligen levantinischen Protégés interessiert waren (z. B. die Società Dante Alighieri). Das aufkommende nationale Schulwesen europäischer Staaten wirkte ebenfalls trennend, brachte L. aber in
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Kontakt mit Schülern aus anderen religiösen Gemeinschaften; dies galt freilich zumeist nur für die Elite u. teilweise die Mittelschicht. Mit Ausnahme eines sehr kurzlebigen Plans eines levantinisch beherrschten Stadtstaates in Smyrna (1862) sind keine pol. Bewegungen der L. festzustellen. In der zweiten H. des 19. Jh.s sahen sie sich vielmehr nationalisierenden Tendenzen der sie beschützenden europ. Staaten ausgesetzt. Konnte um 1800 der Schutzstatus weitgehend problemlos gewechselt werden, da europäische Staaten Protégés als Möglichkeit der Einflussnahme regelrecht umwarben, verlangten um 1900 dieselben Staaten Loyalität u. ein eindeutiges nationalpolitisches Bekenntnis. Als genuin levantinische Ausdrucksform sind v. a. in Smyrna kath. Drucke in gr. Sprache, aber lat. Alphabet nachweisbar (sog. Frankochiótika). Das im Levantinermilieu schriftlich verwandte Griechisch unterschied sich vom archaisierenden Griechisch der orth. Gräkophonen deutlich u. wirkt heute sprachlich erstaunlich modern (einem gepflegten heutigen Neugriechisch nahe verwandt). Frankochiótika kam auch in privater Korrespondenz zur Anwendung, von der nur wenig erhalten ist. L. waren stark im Handel vertreten u. wirkten in den Warenströmen zw. Europa u. dem Osm. Reich als wichtige Mittler. Traditionell war ihre Rolle in der Diplomatie, v. a. als Übersetzer (Dragomane), die inoffiziell oftmals die Diplomatie an der →Hohen Pforte bestimmten. Erst die Professionalisierung der europ. Diplomatie im 19. Jh. verdrängte sie aus dieser Schlüsselstellung. Im 19. Jh. entstand eine elitäre Schicht v. Großkaufleuten u. Bankiers, durch Zuwanderung nach 1850 aber auch eine überwiegend it. Arbeiterschicht (v. a. in Smyrna). Die massive Zuwanderung nach dem →Krimkrieg beförderte die ges. Ausdifferenzierung. Besonders im Handel tätige L. pflegten ausgedehnte Beziehungsnetze, ähnlich den gr.-orth., armenischen u. jüd. Netzwerken im östlichen Mittelmeerraum, auch wenn der Radius der L. räumlich beschränkter war. L. präsentierten sich anderen Angehörigen der osm. Gesellschaft gerne als „europäische“ Gemeinschaft u. versuchten, im 19. Jh. aus dem stark gestiegenen Prestige des Abendlandes Nutzen zu ziehen. Ihr Verhältnis zur orth. gr. Gemeinschaft war vielschichtig: auf das MA zurückreichender konfessioneller Gegnerschaft u. (seit dem 18. Jh.) zunehmender wirt. Konkurrenz standen sprachliche Nähe u. punktuelle Soziabilität gegenüber. Ihr Kommunikatorenrolle im Handel ging mit Mehrsprachigkeit zumindest bei Teilen der männlichen Bevölkerung einher, wenngleich dieses Phänomen nicht überschätzt werden sollte. In ihrem starken Bemühen nach konfessioneller Außenabgrenzung unterschieden sich die L. wenig v. anderen religiös verfassten osm. Gemeinschaften des 19. Jh.s. Im Gegensatz zu Orthodoxen u. →Armeniern entgingen sie der dem osm. Rechts- u. Gesellschaftssystem innwohnenden Diskriminierung der Christen. Der Schutz europäischer Mächte, oftmals durch Präsenz v. Kriegsschiffen verdeutlicht, wirkte ausschlaggebend. Der Beitrag der L. zur →Modernisierung des Osm. Reiches ist bescheiden. Neuerungen u. Reformen wurden v. Zuwanderern aus Europa eingeführt. Die stark konfessionell verfassten L. zeigten sich modernen Strömungen seit der Frz. Revolution weitgehend verschlossen u. grenzten sich insbesondere v. agnostischen/religionsfernen Einwanderern aus Europa ab. Sie waren nicht Akteur, sondern Objekt ges. Veränderungen: als Gemeinschaft mit rein konfessioneller Identität, ohne pol. Selbstvertretung, abhängig v. europäischen Staaten, sozial aber Teil der osm. Gesellschaft wurden sie in den Konflikten des frühen 20. Jh.s weitgehend zerrieben.
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Lit.: M. Kreutz, Das Ende des levantinischen Zeitalters. Europa u. die Östliche Mittelmeerwelt 1821–1939. Hamburg 2013; R. Marmara, La communauté levantine de Constantinople de l’Empire byzantin à la République turque. Istanbul 2012; Ph. Mansel, Levant: splendour and catastrophe on the Mediterranean. New Haven/Conn. u. a. 2011; Smyrne, la ville oubliée? 1830–1930. Mémoires d’un grand port ottoman. Hg. M.-C. Smyrnelis. Paris 2006; O.J. Schmitt, Levantiner. Lebenswelten u. Identitäten einer ethnokonfessionellen Gruppe im osmanischen Reich im „langen 19. Jh.“. München 2005; M.-C. Smyrnelis, Une société hors de soi. Identités et relations sociales à Smyrne aux XVIIIe et XIXe siècles. Paris 2005; R. Marmara, Pancaldi: quartier levantin du XIXe siècle. Istanbul 2004; M. de Testa/A. Gautier, Drogmans et diplomates européens auprès de la Porte ottomane. Istanbul 2003; E. Eldem, French Trade in Istanbul in the Eighteenth Century. Leiden, Boston, Köln 1999; M.-C. Smyrnelis, Les Arméniens catholiques à Smyrne aux XVIIIème et XIXème siècles, Revue du Monde Arménien Moderne et Contemporain 2 (1995–1996), 25–44; Enfants de langue et Drogmans – Dil Oğlanlarī ve Tercümanlar. Hg. F. Hitzel. Istanbul 1995. O.J. Sch.
Liberalismus. Der Liberalismus in SOE war, wie auch andere pol. Ideologien des 19. Jh.s, ein Importgut, das seinen Weg aus West- u. Mitteleuropa in den europäischen SO nahm. In fast allen Ländern der Region (mit Ausnahme Albaniens u. des Osm. Reiches) bildeten sich zumindest zeitweilig Parteien u. parteiähnliche Gruppierungen, die sich explizit oder von ihrer programmatischen Ausrichtung her als liberal verstanden. In ihrer organisatorischen Verfasstheit, in ihrer programmatischen Ausrichtung wie auch in ihrem politischen Gewicht unterschieden sich die liberalen Parteien SOEs untereinander allerdings beträchtlich (a. →Parteien [Länderartikel]). In einigen Ländern, wie v. a. Rumänien (ab den 1870er Jahren u. bis 1928), in Serbien, Bulgarien (beide Anfang der 1880er) u. Griechenland (ab 1910) etablierten sich vorübergehend organisatorisch relativ verfestigte lib. Parteien, die zeitweilig das politische Leben ihrer Länder in beträchtlichem Maße mitgestalteten oder es sogar als Regierungspartei bestimmten. Deutlich weniger Gewicht als in den im Laufe des 19. Jh.s selbständig werdenden, zudem (bis auf Rumänien) sozial stark egalitären u. „adelslosen“ Gesellschaften der neuen →Nationalstaaten konnte der L. dort erlangen, wo das Parteispektrum sich unter den Bedingungen ständisch-feudaler Strukturen u. v. a. im Rahmen noch bestehender Imperien entwickelte. Das Bestehen ständischer Partizipationsbeschränkungen, die noch starke politische Rolle des →Adels wie in Teilen der Habsburgermonarchie oder auch das Fehlen bürgerlicher Schichten u. Bildungseliten wie in den beim Osm. Reich verbliebenen Regionen (vgl. →Eliten) erschwerten hier das Entstehen lib. Gruppierungen. V. a aber konnte sich ein organisierter L. dort nur schwer etablieren, wo die Parteienbildung ganz von der nationalen Frage bestimmt war. Am ehesten konnte sich der organisierten L. hier noch unter den Slowenen entfalten. Die ältere, von Fritz Valjavec vertretene These, dass der L. in SOE nicht über den unmittelbaren geogr. Einflussbereich der →Aufklärung hinausgelangt sei, bedarf insofern zwar der Relativierung; ebenso bleibt das bis heute geläufige u. in derartigen Vorstellungen wurzelnde Ausklammern SOEs aus einer vergleichenden L.-Forschung sachlich unbefriedigend.
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Zweifelsohne aber weist der L. in SOE vielfältige Besonderheiten auf. Anders als in West- u. Mitteleuropa war hier das Entstehen des L. nirgends Teil einer entstehenden oder gar ausgebildeten bürgerl. Gesellschaft. Der L. entstand hier unter noch weitgehend vorbürgerlichen Bedingungen u. die Schwäche des →Bürgertums gaben den lib. Parteien in allen soe. Staaten ein anderes soz. Gepräge, als dies in Mittel- u. Westeuropa gemeinhin der Fall war. Zwar repräsentierten auch die soe. lib. Parteien häufig das junge u. zahlenmäßig schmale Wirtschaftsbürgertum; bestimmender als Trägerschichten aber waren Angehörige der „politischen Klasse“ u. der mit dem Staat verbundenen Intelligenzija, z. T. (in Rumänien oder Kroatien) auch des mittleren oder niederen Adels oder des Klerus. Ungeachtet des programmatischen u. nominellen Bezugs auf das Gedankengut des L. waren die meisten lib. Parteien in SOE zudem auch keine wirklichen Weltanschauungsparteien. Zum einen spielten theoret. u. ideolog. Fragen des L. im Selbstverständnis u. mehr noch in der konkreten Politik der Liberalen keine wirklich ausschlaggebende Rolle; zudem gab es zw. den liberalen Parteien in einzelnen soe. Ländern (ebenso wie im Vergleich mit den west- u. mitteleuropäischen Liberalen) beträchtliche programmatische Divergenzen, ja sie vertraten zum Teil sogar gegensätzliche Positionen. Von einem soe. L. zu sprechen, wäre daher verfehlt. Zwar erwiesen sich die meisten der lib. Parteien als Protagonisten einer konstitutionell monarchischen Ordnung, die die Macht des Herrschers begrenzen u. die entscheidende gesetzgeberische Kompetenz dem Parlament zugewiesen wissen wollte, die (in aller Regel) für ein weithin unbeschränktes u. gleiches Männerwahlrecht eintraten u. die sich auch zum Anwalt bürgerlicher Freiheiten machten (vgl. →Parlamentarismus). Hierin bewegten sie sich im weitesten Sinne im Kanon lib. Staats- u. Gesellschaftsvorstellungen u. einer gesamteuropäischen lib. „Gesinnungsgemeinschaft“. Auffallend, wenn auch nicht grundsätzlich von mitteleurop. Strömungen verschieden, ist zudem ein enger Zusammenhang von L. u. nationaler Frage in SOE. Liberale erwiesen sich als besonders entschiedene Vorreiter nationaler Emanzipations- u. Einigungsbestrebungen u. die Grenzen zw. L. u. einem romantischen Nationalismus waren fließend; der Nationalismus verdrängte die staatsrechtlichen u. lib. Gesellschaftsprinzipien dabei auch zunehmend oder aber diese standen von vorneherein hinter der nationalen Frage (vgl. →Nationsbildung). Zugleich wies das programmatische Profil vieler lib. Parteien u. mehr noch ihrer konkreten Politik aber auch Akzente auf, die sich nur schwer einfügen lassen in den Rahmen lib. Theorie. In Serbien etwa war es gerade die Liberale Partei, die sich in ihrem Verhältnis zur bäuerlichen Bev. als Verfechter eines modernisierungsskeptischen Paternalismus erwies u. die aus Angst vor einer drohenden Proletarisierung der Landbev. eine Kommerzialisierung der ländlichen Wirtschaft oder auch eine Aufhebung der Zunftbindung für →Handwerker behinderte. Liberale Parteien erwiesen sich in SOE oftmals als Verfechter einer ausgesprochen protektionistischen u. etatistischen Wirschaftspolitik, die im Staat den entscheidenden Modernisierungsakteur sah u. die darin von den wirtschaftslib. Gedanken ihrer west- u. mitteleuropäischen „Gesinnungsfreunde“ weit entfernt waren. Insbes. in Rumänien baute die Liberale Partei in ihrer Entwicklungskonzeption bis in die Zwischenkriegszeit hinein auf einen starken Etatismus u. Protektionismus, der zwar grundsätzlich den Ideen einer privaten Marktwirtschaft folgte, jedoch in staatlicher Intervention u. einem gegen ausländisches Kapital gerichteten ökonom. Nationalismus das geeignete Mittel einer nachholenden →Modernisierung
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erblickte. In ihrer konkreten Politik erwiesen sich lib. Parteien oftmals zudem nicht weniger anfällig für den Gebrauch autoritärer oder gar repressiver Maßnahmen als ihre konservativen Gegner. Unter lib. Regierungen fanden in praktisch allen soe. Staaten genauso Verfassungsbrüche u. Wahlmanipulationen statt wie unter der Ägide anderer Parteien. Insgesamt fehlte es so in SOE weithin an vergleichbaren sozialen Voraussetzungen u. pol. Traditionen wie in Mittel- u. Westeuropa. Es gab eine Vielzahl an lib. Parteien, herausragende lib. Politiker u. auch manches bemerkenswerte Element einer lib. Staatsordnung, nicht aber einen wirklich sozial u. politisch-kulturell verankerten L. Nicht ohne Grund ist argumentiert worden, dass es eben das Fehlen eines solchen war, welches dem Übergang zum Autoritarismus in den 1930er Jahren (→Diktatur) u. zur komm. Herrschaft seit den 1940er Jahren (→Kommunismus; →Sozialismus) vorgearbeitet habe. Diese sozialhistorisch angelegte Schwäche des L. hat sich naturgemäß auch nach dem Ende der komm. Herrschaft bemerkbar gemacht. Zwar bildeten sich praktisch überall nach 1989 lib. Parteien, oftmals – so etwa in Rumänien – in Anknüpfung an entsprechende Vorläufer aus vorkommunistischer Zeit. Nur in wenigen Ländern haben diese sich allerdings längerfristig etablieren können, u. auch hier haben sie mittlerweile mit Ausnahme Rumäniens meist erheblich an pol. Einfluss eingebüßt. So entstanden in Ungarn mit dem „Bund Freier Demokraten“ und in Slowenien mit der aus dem eh. sozialist. Jugendverband hervorgegangenen „Liberalen Demokratie“ einflussreiche Parteien, die in den 1990er Jahren den Prozess der Transformation in der Regierungsverantwortung mitprägten. In der Person Janez Drnovšeks stellte die slowen. Liberale Partei sogar lange Zeit den Staatspräsidenten. Beide Parteien haben, nicht zuletzt auch als Folge pol. Skandale und/oder Abspaltungen, ihren parlament. Einfluss mittlerweile weithin eingebüßt. In Ungarn sucht die Nachfolgepartei der „Liberalen Bürgerbewegung“ an die ursprünglichen lib. Programmatik der Nach-Wende-Zeit anzuknüpfen, ohne jedoch bislang zu einem nennenswerten Gegengewicht gegenüber der mittlerweile populistischen und rechtskonservativen FIDESZ-Partei geworden zu sein. Auch in Kroatien konnte sich nach 1989 in Gestalt der „Kroatischen Sozial-Liberalen Partei“ (HSLS) eine relativ stabile lib. Partei etablieren, die in den 1990er Jahren die Vertreterin der bürgerlichen Opposition gegenüber der Partei und der Herrschaft des kroat. Staatspräsidenten Tudjman bildete. Durch (zeitweilige oder dauerhafte) Abspaltungen geschwächt, hat auch sie mittlerweile ihr Gewicht für die parteipol. Landschaft des Landes weithin eingebüßt. In Rumänien wurde nach 1990 die National Liberale Partei (PNL) in Anknüpfung an die gleichnamige, 1947 verbotene Partei wiederbegründet. Sie gelangte zwischen 1996 und 2000 wie auch 2012–14 in die Regierungsverantwortung. Abspaltung, Neugründungen und Fusionen fragmentierten zwar auch in Rumänien die lib. Parteienlandschaft u. es bildeten sich neue Parteien mit lib. Anspruch. Eine davon hat sich aber sehr erfolgreich etabliert, die Demokratisch-Liberale Partei (PDL), die nach den Wahlen von 2008 bis 2012 als Teil einer Koalition an die Regierung gelangte u. seitdem aktuell (2015) die größte Oppositionsfraktion stellt. Auch in Bulgarien, das vor dem Zweiten Weltkrieg eine breite Palette an oftmals konkurrierenden, sich in ihrer programmatischen Substanz allerdings nur wenig unterscheidenden lib. Parteien gekannt hatte, kam es nach 1989 zur Re-Etablierung einzelner Parteien, so der Demokratischen Partei, die an ihren linkslib. Vorkriegsvorläufer anknüpfte. Solche „Traditionsparteien“ blieben jedoch Episode.
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Ein stabiles lib. Lager hat sich im Lande nicht etablieren können. Die sich 2001 bildende u. (rechts-)liberal verstehende „Nationale Bewegung Simeon II“ des bis 1947 minderjährig amtierenden letzten bulg. Monarchen Simeon Sakskoburggotski (→Sachsen-Coburg-Koháry) errang zwar 2001 einen überraschenden Wahlsieg, verlor im Gefolge vieler auch persönlicher Skandale bereits 2005 wieder das Vertrauen der Wähler; seine Partei ist mittlerweile wieder von der pol. Bühne verschwunden. Der in der Mitgliedschaft in der Liberalen Internationalen zum Ausdruck kommende L.-Anspruch der „Bewegung für Rechte und Freiheit“ (DPS), die seit 1990 durchgängig in allen Parlamenten vertreten und an vielen Regierungen beteiligt war, ist durch Ideologie und Programmatik der Partei kaum gedeckt, versteht sie sich doch in erster Linie als Sammelvertretung der türk. und musl. Bev. Bulgariens. Politisch durchgängig bedeutungslos sind schließlich die lib. Parteigründungen in Serbien, Albanien, Bosnien, Mazedonien und im Kosovo geblieben. In Serbien kam die 2005 durch Abspaltung von der Demokratischen Partei gegründete Liberaldemokratische Partei immerhin zeitweilig auf 5 %, zuletzt bei den Wahlen des Jahres 2014 aber noch auf 3 % der Stimmen. Ohne jeglichen parlament. Einfluss bleiben die sich dem organisierten L. zugehörig fühlenden Parteien in den übrigen Ländern, teils weil die Parteienlandschaft dort stark ethnopolitisch fragmentiert ist (wie in Bosnien-Herzegowina oder Makedonien), teils weil es an den sozialen Voraussetzungen eines etablierten L. mangelt. Das Fehlen einer breiten wirtschaftsbürgerlichen Mittelschicht u. die soziale Erosion bildungsbürgerlicher u. professioneller Sozialgruppen im Prozess der Transformation lassen es gegenwärtig an einer soz. Basis für einen entwickelten L. fehlen. Hinzu kommt, dass wesentliche Prinzipien des L., mit denen sich dieser in früherer Zeit von ihren kons. (oder sozialistischen u. agrarischen) Gegenspielern unterschieden, wie etwa die Frage einer industriegesellschaftlichen Modernisierung oder der parlamentarisch-republikanischen Staatsordnung (→Parlamentarismus) heute in allen pol. Lagern unumstritten sind, so dass es dem L. schwer fällt, eigenständige pol. Positionen zu besetzen. Ganz ähnlich wie im 19. Jh. ist so in SOE nach der pol. Wende zwar eine Vielzahl an Parteien entstanden, die sich – z. T. in Wiederanlehnung an hist. Vorbilder – als liberal bezeichnen. Wie damals ist dies aber häufig ein eher diffuser „Bekenntnis-L.“, dem es an einer sozialen Basis u. an einer wirklichen Verankerung in der Gesellschaft mangelt.
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Lit. (a. →Parteien): J. Kwan, Liberalism and the Habsburg monarchy, 1861–1895. Basingstoke u. a. 2013; K. Hitchins, Ionel Brătianu. London 2011; C. Voiculescu, Vintilă Brătianu. Personalitatea şi activitatea sa. Târgovişte 2011; N. ŽutiĆ, Liberalizam i Srbi u prvoj polovini XX vijeka. Iz historije ideologije građanskog liberalizma. Beograd 2007; D. Mishkova, The Interesting Anomaly of Balkan Liberalism, in: Liberty and the Search for Identity. Liberal Nationalisms and the Legacies of Empires. Hg. I.Z. Dénes. Budapest 2006, 399–455; B. Bešlin, Evropski uticaji na srpski liberalizam u XIX veku. Novi Sad 2005; Hrestomatija liberalnih ideja u Hrvatskoj. Hgg. T. Cipek/J. Vrandečić. 2 Bde. Zagreb 2004; P. Blogger, Modernity in Romania. 19th Century Liberalism and its Discontents. San Domenico 2003; D. StojanoviĆ, Srbija i demokratija 1903–1914. Beograd 2003; D. MiŠkova, Prisposobjavane na svobodata. Modernost–legitmnost v Sărbija i Rumănija prez XIX. vek. Sofija 2001; Liberalna misao u Srbiji. Prilozi istoriji liberalizma
Liga von Prizren
od kraja XVIII do sredine XX veka. Hgg. J. Trkulja/D. Popović. Beograd 2001; Zv. Bergant, Slovenski klasični liberalizem. Idejno-politični značaj slovenskega liberalizma v letih 1891–1921. Ljubljana 2000; H.-Ch. Maner, Parlamentarismus in Rumänien 1930–1940. München 1997; J. Perovšek, Liberalizem in vprašanje slovenstva. Nacionalna politika liberalnega tabora v letih 1918–1929. Ljubljana 1996; M.St. Palangurski, Liberalnata (Radoslavistka) partija v sistemata na balgarskata palamentarna demokracija (1900–1904). Sofija 1995; G. Hering, Die politischen Parteien in Griechenland 1821–1936. München 1993; A. Stan, Ion C. Braţianu şi liberalismul român. Bucureşti 1993; M. Subotić, Sricanje slobode. Studije o počecima liberalne političke misli u Srbiji u 19. veku. Beograd 1992; L. Maier, Rumänien auf dem Weg zur Unabhängigkeitserklärung. Schein u. Wirklichkeit liberaler Verfassung u. staatlicher Souveränität 1866–1877. München 1989; I. Stojanov, Liberalnata partija v Knjažestvo Balgarija 1879–1886. Sofija 1989; D. Sazdov, Demokratičeska partija v Balgarija 1897–1908. Sofija 1987; E. Turczynski, Von der Aufklärung zum Frühliberalismus. Politische Trägergruppen u. deren Forderungskatalog in Rumänien. München 1985; R. Vierhaus, Liberalismus, in: Geschichtliche Grundbegriffe. Hgg. O. Brunner/W. Conze/R. Koselleck. Stuttgart 1982, 741–785; G. Stokes, Legitimacy through Liberalism. Vladimir Jovanović and the Transformation of Serbian Politics. Seattle u. a. 1975; J. Šidak, Prilozi historiji stranačkih odnosa u Hrvatskoj uoči 1848, Historijski zbornik 13(1960), 167–207; J. Skerlić, Omladina in njena književnost. Beograd 1906 (Ndr. 1966); M. Polić, Parlamentarna povijest Kraljevine Hrvatske, Slavonije i Dalmacije. 2 Bde. Zagreb 1900/10. W. H.
Liga von Prizren (alb. Lidhja e Prizrenit). Nationale Widerstandsbewegung der Albaner, um die durch den Präliminarfrieden v. San Stefano u. auf dem →Berliner Kongress verfügten Abtretungen alb. Siedlungsgebietes an Montenegro, Serbien u. Griechenland zu verhindern. Die Initiative dazu ging v. einem geheimen „Zentralkomitee zur Verteidigung der Rechte der alb. Nation“ in Istanbul aus, das für den 10.6.1878 eine Versammlung nach Prizren (im S →Kosovos) einberief, auf der die L. gegründet wurde. Prizren (Hauptstadt des gleichnamigen →Sancaks bzw. in den Vorjahren des gleichnamigen kurzlebigen →Vilayets) war eine bedeutende Handelsstadt, die 1874 44.000 E gezählt haben soll. Nach ihren Statuten („Kararname“, 18.6.1878) war die L. eine musl. Organisation; die Rechte des Sultans wurden ausdrücklich anerkannt. Als Ziele der L. wurden genannt: 1. keine Gebietsabtretungen an Serbien, Montenegro u. Griechenland, 2. alle bereits v. Serben u. Montenegrinern besetzten Gebiete sollten zurückgegeben werden, 3. Entsendung einer Abordnung zum Berliner Kongress u. 4. Autonomie für Albanien im Rahmen des Osm. Reiches. Die Hauptaktivitäten der L. richteten sich gegen →Montenegro, das nach intern. Beschluss den Bezirk Plav-Gusinje erhalten sollte, was L.truppen mit Waffengewalt verhinderten. Auf it. Vorschlag hin sollte Montenegro dann einen Landstreifen am Cem (serb. Cijevna) im nordalb. Stammesgebiet erhalten, was ebenfalls am Widerstand der L., die hierin v. den kath. Bergstämmen unterstützt wurde, scheiterte. Daraufhin beschlossen die Großmächte, Montenegro Ulcinj (it. Dulcigno, alb. Ulqin) u. die Küste bis zur Bojana (alb. Buna) zu überlassen. Osm. Truppen mussten die v. der L. verteidigte, damals rein alb. Stadt besetzen u. den Montenegrinern übergeben (26.11.1880). Die anderen im Berliner Vertrag vorgesehenen Gebietsabtretungen
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Liga von Prizren / Lika
erfolgten rasch u. problemlos: Die →Serbien zugefallenen Gebiete (Kuršumlje, Vranje) waren schon zuvor v. serb. Truppen besetzt u. die dort lebenden Albaner zumeist vertrieben worden. Die Festlegung der neuen osm.-gr. Grenze wurde erst am 24.5.1881 abgeschlossen; an teilweise v. Albanern bewohntem Gebiet fielen Arta u. Umgebung an →Griechenland. Die L. hatte in ihrem Kampf gegen die Abtretungen also nur gegenüber Montenegro Erfolg, u. auch hier wurde nur ein alb. Siedlungsgebiet gegen ein anderes ausgetauscht. Trotzdem waren die Jahre 1878–1881 v. entscheidender Bedeutung für die neuere alb. Geschichte: Damals entstand bei den Albanern eine Nationalbewegung (→Nationsbildung), u. die europ. Öffentlichkeit wurde sich erstmals der Existenz einer Alb. Frage bewusst. Da Istanbul bei der Verteidigung ihrer Interessen versagt hatte, wuchs bei den Albanern die Tendenz, diese verstärkt selbst wahrzunehmen. Ziel wurde jetzt eine Autonomie Albaniens. Es sollte ein alb. →Vilayet gebildet werden, mit Albanisch als Unterrichts- u. Amtssprache u. mit eigener Miliz. Dieses Autonomieprogramm entsprach im wesentlichen den Forderungen der pol. Führer aus Südalbanien (Abdyl Frashëri), es wurde aber auch v. den Kosovaren unterstützt. Da die osm. Regierung auf die alb. Autonomiewünsche nicht einging, begann die L. Druck auf die Regierung auszuüben, indem sie die Verwaltung selbst übernahm. Das geschah im Frühjahr 1881 im Vilayet Kosovo, zu dem außer Kosovo auch Teile →Makedoniens u. der →Sandschak Novi Pazar gehörten. Die Hohe Pforte musste ihre Autorität in der unbotmäßigen Provinz im April/Mai 1881 mit Waffengewalt wiederherstellen. Die Herrschaft der L., die sich aus einer v. der Regierung wohlwollend geduldeten alb. Notgemeinschaft zu einer in osm. Augen staatsfeindlichen Organisation entwickelt hatte, war damit beendet. Quellen u. Lit.: Lidhja shqiptare e Prizrenit 1878–1881. Konferenca shkencore ndërkombëtare, Prishtinë, 10–11 qershor 2008: përmbledhje të punimeve. Hg. J. Bajraktari. Prishtinë 2011; R. Abdyli, Lidhja shqiptare e Prizrenit në burimet angleze. 2 Bde. Prishtinë 2004; K. Frashëri, Lidhja Shqiptare e Prizrenit (1878–1881). Tiranë 1997; La Ligue Albanaise de Prizren: 1878–1881. Documents. Hg. S. Pulaha. Tirana 1988; P. Bartl, Die Liga von Prizren im Lichte vatikanischer Akten (Archiv der Propagandakongregation), SOF 47 (1988), 145–186; K. Frashëri, Abdyl Frashëri (1839–1892). Tiranë 1984; Konferenca Kombëtare e Studimeve per Lidhjen Shqiptare të Prizrenit 1878–1881. 2 Bde. ebd. 1979; I.G. Senkevič, Albanija v period Vostočnogo krizisa (1875–1881 gg.). Moskva 1965; B. Stulli, Albansko pitanje (1875–1882), Rad JAZU 318 (1959), 287–391; Xh. Belegu, Lidhja e Prizrenit e veprimet e sajë 1878–1881. Tiranë 1939. P. B.
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Lika. Hist. Landschaft im W Kroatiens zw. den Gebirgszügen Mala Kapela im O u. Velebit im W mit dem Hauptort Gospić (6.561 E, 2011). Das verkarstete Hochbecken der L. (Ličko polje) u. die umliegenden großenteils kahlen Gebirge sind landschaftlich v. außerordentlicher Schönheit (weithin berühmt sind die Plitvicer Seen), aber karg u. für landwirt. Nutzung wenig geeignet. Gemäß dem byz. Ks. Konstantin Porphyrogennetos gehörten die Gespanschaften (županije) Lika, Gacka u. Krbava in der 1. H. des 10. Jh.s zu Kroatien u. wurden v. einem gemeinsamen →Banus verwaltet. Als die Osmanen bei ihren Kriegszügen von 1493 u. 1529/32 weite Teile von Bosnien, Kroatien u. Dalmatien eroberten, flüchtete
Lika / Lipowaner
der Großteil der kroat. Bewohner der L. nach u. nach in durch Krankheit, Agrarkrise u. →„Türkenkriege“ teilentvölkerte Gebiete in →Westungarn, Niederösterreich, Südmähren u. der Südwestslowakei, die nicht nur fruchtbarer, sondern auch osm. Übergriffen weniger ausgesetzt waren. Dafür rückten bald orth. slavische Siedler (→Vlachen) aus dem Inneren des Osm. Reiches nach. Nach dem Frieden v. →Karlowitz 1699 fiel die L. an Österreich, 1712 wurde sie in die →Militärgrenze integriert u. blieb als „Likkaner Regiment“ deren Teil bis zur Auflösung (1881). Bei der Konskription v. 1712, die großenteils erhalten geblieben ist u. heute eine wichtige Grundlage der Forschung bildet, waren die 38 Dörfer der L. von etwa 25.000–30.000 Menschen bewohnt, die von der habsb. Verwaltung zunächst in Katholiken, Bunjevcen (vgl. →Bunjewatzen), →Vlachen u. Neochristiani (d. h. zum Christentum übergewechselte Muslime) untergliedert wurden. Die nun in der Mehrheit befindlichen orth. Bewohner bezeichneten sich mit dem Einsetzen der →Nationsbildungsprozesse in der Region als Serben. Während des Zerfalls des zweiten Jugoslawien 1991 schlossen sie Teile des Gebiets der „Serbischen Republik →Krajina“ an; die kroat. Bev. wurde aus diesem Territorium vertrieben. Bei der kroat. Rückeroberung 1995 floh der Großteil der Serben, von denen die meisten auf die Rückkehr verzichteten. Auch zehn Jahre nach der Wiederherstellung des Friedens lagen in der L. noch viele Häuser in Trümmern. Zum Zeitpunkt der Volkszählung von 2001 setzte sich die Bev. der Gespanschaft (vgl.→Župan) L.-Senj (insges. 53.677 E) zu 86,15 % aus Kroaten zusammen, während der Anteil der Serben auf 11,54 % geschrumpft war. Bis zur Volkszählung von 2011 ging die Bev. der Gespanschaft auf 50.927 E zurück. Lit.: P. Runje, Tragom stare ličke povijesti. Prinosi za kulturnu i crkvenu povijest područja novoosnovane Gospičko-senjske biskupije. Zagreb 22007; M. Marković, Ličani kroz prošlost. Zagreb 2 2006; Ž. Holjevac, Gospić u Vojnoj krajini (1689.–1712.–1881.). Prilog slici gospićke prošlosti. ebd. 2002; Ders., Ličke bune u 17. i 18. stoljeću (1609–1755), Lička revija (2002), H. 2, 1–15; H. Grandits/K. Kaser, Familie u. Gesellschaft in der Habsburgischen Militärgrenze: Lika u. Krbava zu Beginn des 18. Jh.s, in: Microhistory of the Triplex Confinium. Hg. D. Roksandić. Budapest 1998, 27–68; S. Gruber, Die Konskription in der Lika 1712. Einige quellenkritische u. demographische Überlegungen, in: ebd., 69–87; D. Pešut, Etnička i konfesionalna podjela nakon oslobodjenja Like od Turaka, Senjski zbornik 24 (1997), 85–130; St. Pavičić, Seobe i naselja u Lici. Zagreb 11962 (Gospić 2 1990); Lika u prošlosti i sadašnjosti. Karlovac 1973; R. Horvat, Lika i Krbava. 2 Bde. Zagreb 1941. A. Hd.
Lipowaner (rum. Lipoveni; russ. lipovjane). →Altgläubige, zunächst nach ihrem Führer Philipp (†1742), einem entflohenen Soldaten, Philiponen benannte Gruppe der Pomorcy-Bespopovcy. (Daneben volksetymologisch v. „Linde“ [russ. Lipa] abgeleitet.) In →Rumänien bald allg. Bezeichnung für alle dort lebenden Altgläubigen (heute ca. 39.000), welche sich als Popovcy meist der an die Stelle v. Belaja Krinica getretenen Metropolie v. Galaţi unterordnen. Lit.: J. Sallanz, Das Ende einer ethnischen Minderheit in Rumänien? Die russischen Lipowaner aus der Dobrudscha auf dem Weg nach Westeuropa, in: Migrationsprozesse. Hg. A. Sterbling. Hamburg 2006, 75–87; F. Ipatiov, Ruşii-lipoveni din România. Studiu de geografie umană. Cluj-
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Ljubljana/Laibach
Napoca 2001; W. Bihl, Lippowaner, in: Die Habsburgermonarchie 1848–1918. Bd. 3: Die Völker des Reiches. Wien 1980, 968–970; J. Polek, Die Lippowaner in der Bukowina. 3 Bde. Czernowitz 1896–1899; Melchisedec [rum. Bischof ], Lipovenismul, adică Schismaticii sau Răscolnicii şi Ereticii ruseşti. Bucureşti 1871. K. St.
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Ljubljana/Laibach. Hauptstadt, wirt. u. kult. Zentrum der Republik Slowenien (2013: 274.800 E); am Südrand des Laibacher Beckens am Schnittpunkt bedeutender europ. Verkehrswege gelegen: v. NO nach SW geht über L. die kürzeste Verbindung zw. Pannonischer Tiefebene u. Adria, u. das Savetal verbindet das nordwestl. mit dem südöstl. Europa. Aufgrund dieser Verkehrslage entstand bereits das antike Emona. Als östlichste Stadt des antiken Italien an der Grenze zu Illyrien hatte es strategische Bedeutung, die letzte Nennung erfolgte 579 n. Chr. Das ma. Laibach erscheint unter diesem Namen zum ersten Mal 1146; etymologisch möglicherweise aus dem 1144 bezeugten bairischen Laubach (Moor). L. entstand neben dem antiken Emona zw. Burghügel u. Laibachfluss (Ljubljanica) u. wurde wahrscheinlich in der 2. H. des 12. Jh.s Markt u. um 1230 zur befestigten Stadt. Mit 4.000 bis 5.000 E war L. am Ende des MA eine Stadt mittlerer Größe. Ab der zweiten H. des 15. Jh.s wuchs seine Bedeutung als Hauptort v. →Krain infolge der Kriege der Habsburger sowohl gegen die Türken als auch gegen Venedig. Eine wirt. Blütezeit setzte mit der Ausdehnung der habsb. Herrschaft über die Grenzen des →Heilig. Röm. Reiches hinaus gegen Südosten ein (1526; →Kroatien; →Ungarn). L. profitierte v. a. vom Getreidehandel auf dem Save-Flussweg. 1754 wurden 9.400 E gezählt. Das Stadtbild erhielt damals seine spezifische barocke Ausformung. Zur Pflege des geistigen u. musikalischen Lebens wurden nach it. Vorbild die Academia operosorum (1693) u. die Academia philharmonicorum (1701) (→Akademien) gegründet. 1772 wurde mit dem Bau des Gruber-Kanals u. damit die Trockenlegung des Laibacher Moores begonnen. Von 1809 bis 1813 war L. Hauptstadt der kurzlebigen →Illyrischen Provinzen, 1821 fand hier ein Kongress der Hl. Allianz statt (→Vormärz). Der Übergang L.s v. einer Stadt mit dt. äußeren Erscheinungsbild zur slowen. nationalen Hauptstadt erfolgte allmählich in der zweiten H. des 19. Jh.s. Erst ab 1877 gelang es der slowen. pol. Partei, bei Landtags- u. Reichsratswahlen in L. Siege zu erringen. Ab 1881 ist der L.er Bürgermeister ein Slowene. 1883 wird Slowenisch im Magistrat zur inneren Amtssprache. Für die im gesamten slowen. Sprachgebiet nach 1867 entstandenen zahlreichen slowen.-national orientierten Vereine wurde L. das Zentrum u. begann so die auf sechs Kronländer verteilten →Slowenen national zu verbinden. Hatten 1880 noch 23 % der Bev. Deutsch als ihre Umgangssprache angegeben, waren es 1910 nur noch 14 %. Erst mit der Errichtung der Südbahn (1849 Cilli/Celje-L., 1857 L.-Triest; →Verkehr) begann sich L. auch zu einem industr. Zentrum zu entwickeln. Von Bedeutung war die 1871 gegründete k.k. Tabakfabrik. Ein starker Modernisierungsschub folgte auf das schwere Erdbeben 1895, dem ein Zehntel der Gebäude zum Opfer fiel. Der Wiederaufbau erfolgte nach den Plänen bedeutender Architekten, so Max Fabiani u. Josef Plečnik. Hatte sich die Zahl der Einwohner im 19. Jh. bis zur Zählung 1869 auf 26.879 verdoppelt, so erreichte sie 1910 56.844.
Ljubljana/Laibach / Lutheraner
Als faktische slowen. Hauptstadt im Königreich SHS (→Jugoslawien) erhielt L. 1919 eine →Universität, an der in den Zwischenkriegsjahren jeweils 1.200 bis 2.000 Studenten inskribiert waren. Bis 1941 stieg die Einwohnerzahl L.s infolge verstärkter →Industrialisierung auf 91.612 an. Erst die 1945 erfolgte Vereinigung fast des gesamten slowen. Siedlungsgebiets in der jug. Teilrepublik Slowenien machte L. zur vollwertigen slowen. nationalen Hauptstadt. Gegenüber dem Vorkriegsstand hat sich bis 1991 die Einwohnerzahl verdreifacht. Betrug 1971 der Anteil der aus anderen jug. Teilrepubliken nach L. Zugewanderten erst knapp 9 %, so stieg er bis 1991 auf 19,6 % an. Der rasche Ausbau der Stadt erfolgte nicht mehr konzentrisch, sondern spontan entlang der Einfallsstraßen. Die architektonische Gestaltung bestimmten slowen. Architekten aus der Schule v. Le Corbusier. Seit 1991 hat L. mit der Unabhängigkeit der Republik Slowenien die Funktionen der Hauptstadt eines souveränen Staates zu erfüllen, sieht sich aber bei wachsenden Regionalisierungstendenzen, die an die alte habsburgische Kronlandgliederung anschließen, zunehmend mit der Konkurrenz des slowen. steirischen Zentrums Maribor (Marburg a. d. Drau) u. des küstenländischen Koper (Capodistria) konfrontiert. Lit.: M. Stromberger, Stadt. Kultur. Wissenschaft. Urbane Identität, Universität u. (geschichts) wissenschaftliche Institutionen in Graz u. Ljubljana um 1900. Köln 2004; Jože Plečnik u. Ljub ljana. Hg. B. Podrecca. Ljubljana 2003; R. Kannonier, Urbane Leitkulturen 1890–1914: Leipzig – Ljubljana – Linz – Bologna. Wien 1995; B. Korošec, Ljubljana skozi stoletja: mesto na načrtih, projektih in v stvarnosti. Ljubljana 1991; Zgodovina Ljubljane. Prispevki za monografijo. Hg. F. Gestrin. ebd. 1984; J. Mal, Stara Ljubljana in njeni ljudje. ebd. 1957; Gradivo za zgodovino Ljubljane v srednjem veku. 12. Bde. ebd. 1956–1968; M. Kos, Srednjeveška Ljubljana. ebd. 1955. A. M.
Lutheraner (a. Evangelische; im Bereich der ehem. →Habsburgermonarchie a.: Angehörige der ev. Kirche Augsburger Bekenntnisses [A.B.]). Unmittelbar nach Luthers Thesenschlag (1517) sind Verbindungen nach Osteuropa nachweisbar, wobei es sich zunächst nicht nur um Angehörige der dt. Sprachgruppen handelte, die v. der reformatorischen Strömung erfasst wurden. Zur Ausbildung v. kirchl. Strukturen u. einer Konfessionalisierung im Sinne der luth. →Reformation kam es dennoch in erster Linie unter den →Deutschen. Dazu trug bei, dass Calvins Einfluss in den Jahren nach 1550 anstieg (→Calviner), so dass es zu unterschiedlichen Zeiten, aber jedenfalls vor 1600 in den einzelnen Ländern zur Trennung zw. den beiden reformatorischen Bekenntnissen kam. Da das Deutschtum in diesen ständisch gegliederten Ländern v. a. in den Städten u. unter den Bauern verbreitet war (vgl. →Stände), folgte daraus eine eigenartige, der Entstehung nicht unbedingt adäquate soz. Ausrichtung. Mit der Festigung der territorialen Kirchenwesen, die z. T. in ständiger Auseinandersetzung mit kath. Konfessionalisierungsbemühungen u. unter Ausnützung bestimmter pol. Rechte erfolgte, schlossen sich Angehörige anderer Sprachen (Nationalitäten) ebenfalls dem Luthertum an. Das war in →Oberungarn (→Slowaken), aber auch in →Ungarn selbst der Fall, weniger unter den →Kroaten u. →Slowenen. Gerade dort aber trug eine z. T. v. Tübingen (Urach) aus gesteuerte missionarische Bewegung zur Ausbildung erster schriftsprachlicher Denkmäler bei
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Lutheraner / Mačva
(Primož Trubar; Antun Dalmatin). − Die pol. Situation in SOMitteleuropa verhinderte einen vollen Erfolg der →Gegenreformation, die nicht zuletzt v. den Habsburgern getragen war, ließ aber auch eine völlige Durchsetzung des Luthertums nicht zu, wenn v. einigen Regionen, wie Teilen Oberungarns (Bergstädte, →Zips) u. Siebenbürgen (→Siebenbürger Sachsen), abgesehen wird. In Polen u. Kroatien gelang die zunächst völlige Vernichtung der luth. Kirchenwesen; in das Gebiet der Orthodoxie konnte das Luthertum nie mit Erfolg eindringen, erst im 19. Jh. kam es in der Westukraine zu einer ev. Erweckungsbewegung, die v. Galizien aus getragen wurde (Zöckler, Weidauer). Dort hatte man mit der Festigung der habsb. Macht (1770) Evangelische ansiedeln lassen (Merkantilismus), während die mit den →Zwangsmigrationen („Transmigrationen“) unter Karl VI. u. Maria Theresia nach Siebenbürgen (etwa 10.000 Personen) verbundenen Absichten nur zum Teil erreicht wurden. Nach einer Periode der Festigung im ausgehenden 18. (Toleranzpatent, →Josephinismus) u. im 19. Jh. (u. a. Bildung von v. a. städtischen Diasporagemeinden im Bereich von Slowenien, Kroatien u. nach 1878 auch Bosnien) brachte das 20. Jh. dem soe. Luthertum schwere Einbrüche. − Die seit etwa 1850 (Stefan Ludwig Roth) steigende Affinität zum polit. verstandenen dt. Volkstum führte zu einer Identifikation mit dem National(sozial)ismus u. in der Folge (1944/46) weithin zur Katastrophe. Dt. ev. Kirchen wurden durch Vertreibung ihrer Angehörigen – ganz oder teilweise – vernichtet in: Tschechien, der Slowakei, Jugoslawien, Polen. Mit Ausnahme v. Siebenbürgen blieben nur dort luth. Kirchen bestehen, wo andere Nationalitäten auch Anhänger der Reformation geworden sind. Das sind Serbien (Slowaken 49.000), Kroatien (7.500), Slowenien (19.000), Slowakei (320.000), Ungarn (430.000), Rumänien (nach 1990 nur mehr 17.500 Sachsen, 32.000 Ungarn), Polen (80.000), Tschechien (Schlesien 48.000). − Diese Kirchen hatten sich während der komm. Zeit aus ihrer vorherigen Milieubindung zu befreien u. neue Identitäten zu suchen. Teilw. geschah das durch die Ausbildung einer Sozialethik, die auf Zusammenarbeit mit den Machthabern angelegt war („Diakonie des Dienstes“ in Ungarn), teilw. geschah es eher in einer gewissen Konfrontation, teilw. durch Rückzug auf eigene Existenz. Die seinerzeitige Hilfe aus Deutschland wurde trotz Behinderungen weiter geführt (Gustav Adolf-Werk), der Zusammenschluss im Luth. Weltbund trug zur Stärkung ebenso bei wie die Ausbildung eigener theol. Schulen. Die gegenwärtige Zusammenarbeit mit den reformierten Kirchen ist unterschiedlich gut, das Verhältnis zum →Katholizismus bessert sich erst allmählich, ein solches zur →Orthodoxie ist angesichts völlig verschiedener Vorstellungen v. „Kirche“ nur partiell gegeben. Lit. (a. →Calviner; →Reformation): St. Steiner, Rückkehr unerwünscht. Deportationen in der Habsburgermonarchie der Frühen Neuzeit und ihr europäischer Kontext. Wien u. a. 2014; Formierungen des konfessionellen Raumes in Ostmitteleuropa. Hg. E. Wetter. Stuttgart 2008; Lutherische Weltinformationen 1/1998 (Statistik); W. Elert, Die Morphologie des Luthertums. 2 Bde. München ²1952. G. R.
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Mačva. Gebiet im NW Serbiens (nördl. des Cer-Gebirges) zw. Drina u. Save. Hauptort: Šabac an der Save (v. den Osmanen 1470 an der Stelle des älteren Zaslon gegr.). Die M. wurde wahr-
Lutheraner / Mačva
(Primož Trubar; Antun Dalmatin). − Die pol. Situation in SOMitteleuropa verhinderte einen vollen Erfolg der →Gegenreformation, die nicht zuletzt v. den Habsburgern getragen war, ließ aber auch eine völlige Durchsetzung des Luthertums nicht zu, wenn v. einigen Regionen, wie Teilen Oberungarns (Bergstädte, →Zips) u. Siebenbürgen (→Siebenbürger Sachsen), abgesehen wird. In Polen u. Kroatien gelang die zunächst völlige Vernichtung der luth. Kirchenwesen; in das Gebiet der Orthodoxie konnte das Luthertum nie mit Erfolg eindringen, erst im 19. Jh. kam es in der Westukraine zu einer ev. Erweckungsbewegung, die v. Galizien aus getragen wurde (Zöckler, Weidauer). Dort hatte man mit der Festigung der habsb. Macht (1770) Evangelische ansiedeln lassen (Merkantilismus), während die mit den →Zwangsmigrationen („Transmigrationen“) unter Karl VI. u. Maria Theresia nach Siebenbürgen (etwa 10.000 Personen) verbundenen Absichten nur zum Teil erreicht wurden. Nach einer Periode der Festigung im ausgehenden 18. (Toleranzpatent, →Josephinismus) u. im 19. Jh. (u. a. Bildung von v. a. städtischen Diasporagemeinden im Bereich von Slowenien, Kroatien u. nach 1878 auch Bosnien) brachte das 20. Jh. dem soe. Luthertum schwere Einbrüche. − Die seit etwa 1850 (Stefan Ludwig Roth) steigende Affinität zum polit. verstandenen dt. Volkstum führte zu einer Identifikation mit dem National(sozial)ismus u. in der Folge (1944/46) weithin zur Katastrophe. Dt. ev. Kirchen wurden durch Vertreibung ihrer Angehörigen – ganz oder teilweise – vernichtet in: Tschechien, der Slowakei, Jugoslawien, Polen. Mit Ausnahme v. Siebenbürgen blieben nur dort luth. Kirchen bestehen, wo andere Nationalitäten auch Anhänger der Reformation geworden sind. Das sind Serbien (Slowaken 49.000), Kroatien (7.500), Slowenien (19.000), Slowakei (320.000), Ungarn (430.000), Rumänien (nach 1990 nur mehr 17.500 Sachsen, 32.000 Ungarn), Polen (80.000), Tschechien (Schlesien 48.000). − Diese Kirchen hatten sich während der komm. Zeit aus ihrer vorherigen Milieubindung zu befreien u. neue Identitäten zu suchen. Teilw. geschah das durch die Ausbildung einer Sozialethik, die auf Zusammenarbeit mit den Machthabern angelegt war („Diakonie des Dienstes“ in Ungarn), teilw. geschah es eher in einer gewissen Konfrontation, teilw. durch Rückzug auf eigene Existenz. Die seinerzeitige Hilfe aus Deutschland wurde trotz Behinderungen weiter geführt (Gustav Adolf-Werk), der Zusammenschluss im Luth. Weltbund trug zur Stärkung ebenso bei wie die Ausbildung eigener theol. Schulen. Die gegenwärtige Zusammenarbeit mit den reformierten Kirchen ist unterschiedlich gut, das Verhältnis zum →Katholizismus bessert sich erst allmählich, ein solches zur →Orthodoxie ist angesichts völlig verschiedener Vorstellungen v. „Kirche“ nur partiell gegeben. Lit. (a. →Calviner; →Reformation): St. Steiner, Rückkehr unerwünscht. Deportationen in der Habsburgermonarchie der Frühen Neuzeit und ihr europäischer Kontext. Wien u. a. 2014; Formierungen des konfessionellen Raumes in Ostmitteleuropa. Hg. E. Wetter. Stuttgart 2008; Lutherische Weltinformationen 1/1998 (Statistik); W. Elert, Die Morphologie des Luthertums. 2 Bde. München ²1952. G. R.
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Mačva. Gebiet im NW Serbiens (nördl. des Cer-Gebirges) zw. Drina u. Save. Hauptort: Šabac an der Save (v. den Osmanen 1470 an der Stelle des älteren Zaslon gegr.). Die M. wurde wahr-
Mačva / Magnaten
scheinlich im Zuge der →Slav. Landnahme auf dem Balkan v. „Serben“ besiedelt u. kam im Verlauf der magy. Expansion unter ung. Herrschaft. 1247 richtete der ung. Kg. Béla IV. das Banat M. (Macsó) ein. Vergebens versuchte der serb. Herrscher Uroš I. 1268, die M. zu erobern. Erst 1284 erhielt sein Nachfolger u. Sohn Stefan Dragutin (als Schwager u. Vasall des ung. Kg.s Ladislaus IV.) dieses Banat. Nach Dragutins Tod 1316 kam es im Streit um die M. zu wiederholten serb.-ung. Kriegen mit wechselndem Ausgang. Nach der osm. Niederlage bei Ankara 1402 erhielt der serb. Despot Stefan Lazarević die M. als ung. Lehen; nach seinem Tod 1427 fiel der größere Teil des Gebiets an die ung. Krone zurück. 1459 eroberten die Osmanen das Gebiet. Der ung. Kg. Matthias Corvinus konnte Šabac 1476 den Osmanen noch einmal entreißen, die es 1526 zurückeroberten u. zu einer starken Festung ausbauten. Bis zur Erlangung der Autonomie für das Fürstentum Serbien 1830/33 gehörte die M. (mit Ausnahme der Jahre 1716–1739, als sie unter österr. Herrschaft stand) zum Osm. Reich. Nach dem 2. serb. Aufstand 1815 (→Serben) setzte eine intensive serb. Besiedlung der fruchtbaren M. ein. Während des 1. Wk.s war die M. von Österreich-Ungarn, im 2. Wk. v. Deutschland besetzt. In beiden Kriegen kam es, namentlich in Šabac, zu schweren Kriegsverbrechen an der Zivilbevölkerung. Lit.: Protokol i registar šabačkog Magistrata od 1808. do 1812. godine. Hgg. R. J. Popović/T. Živković. Beograd 2010; Dj. Hardi, Gospodari i banovi onostranog Srema i Mačve u XIII veku, Spomenica Istorijskog arhiva “Srem” 8 (2009), H. 8, 65–80; S. Ćirković, Zemlja Mačva i grad Mačva, Prilozi za književnost, jezik, istoriju i folklor 74 (2008), 3–20; S. Milutinović, Buna u Mačvi 1840. godine, Godišnjak Narodnog muzeja u Šapcu 3 (2002), 57–82; M. Vasiljević, Mačva – istorija, stanovništvo. Bogatić, Beograd 1996; Dj. Simonović, Seoska naselja u Mačvi od Ravaničke povelje do kraja prve vlade kneza Miloša Obrenovića 1839. godine, Glasnik Etnografskog muzeja u Beogradu 51 (1987), 77–111; St. Filipović, Šabac u prošlosti. 4 Bde. Šabac 1970–1984. H. S.
Magnaten (ung. mágnások, főurak). Bezeichnung der mächtigsten Herren im ma. Ungarn, seit der Neuzeit auf jene Aristokraten bezogen, die durch persönliche Einladung am Landtag teilnahmen. Obwohl de jure (zumindest seit 1351) alle Adeligen des Kgr.s gleiche Rechte (unam eademque nobilitatem) besaßen, sonderten sich nicht nur die kgl. Amtsträger (barones), sondern auch ihre u. andere mit Großgrundbesitz u. mehreren Burgen ausgestatteten Sippen als M. vom →Adel ab. Im →Tripartitum bezeichnete Werbőczy jene Großen, die barones solo nomine waren, als M. Allerdings wurden bereits 1468 zahlreiche Familien, ungeachtet ihrer Ämter, barones naturales genannt. Während die barones et prelati seit jeher vom Gemeinadel gesondert getagt hatten, wurde eine formale M.tafel, an der auch der Hochklerus teilnahm, erst 1608 ins Leben gerufen (→Országgyűlés). Als dessen Nachfolger bestand ein Oberhaus im ung. Reichstag bis 1945, wenn auch der Einfluss der M., deren bedeutender Teil monarchisch-habsburgtreu gesinnt war, nach 1920 wesentlich abnahm. Lit. (a. →Adel, Ungarn): B.M. Teleky, Westungarische Magnaten u. die Reformation. Die Auswirkungen des Reformglaubens auf das dreigeteilte ungarische Königreich mit besonderer Berücksichtigung der Hochadelsfamilien Batthyány u. Nádasdy. Herne 2014; F. Federmayer, Magnátske
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Magyaren
rody v našich dejinách 1526–1948. Almanach Slovenskej genealogicko-heraldickej spoločnosti. Martin 2012; A. Vári, Herren u. Landwirte: ungarische Aristokraten u. Agrarier auf dem Weg in die Moderne (1821–1910). Wiesbaden 2008; E. Fügedi, The Aristocracy in Medieval Hungary, in: ders., Kings, Bishops, Nobles, and Burghers in Medieval Hungary. Kap. IV. London 1986; ders., A XV. századi magyar arisztokrácia mobilitása. Budapest 1970; B. Schillee, Az örökös főrendiség eredete Magyarországon. ebd. 1900. J.M. B.
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Magyaren. Volksname der Ungarn, wohl aus der Bezeichnung (*megyer, *megyeri) eines der führenden Stämme des ung. Stammesverbands des 9. Jh.s abgeleitet. Der Name Ungar, Hungarus, usw. geht auf die Teilnahme der M. an dem unter onogurischer Führung bestandenen Völkerverband im 7./8. Jh. zurück. Die heutige Forschung nimmt an, dass die Vorfahren der M. um 1000 v. Chr. das Siedlungsgebiet der Finno-Ugrier am mittleren Ural verließen u. über mehrere Stationen nördl. des Kaukasus in die südruss. Steppe (Levedia), schließlich ins Gebiet zw. Pruth u. Sereth (Etelköz) wanderten, wobei sie mit zahlreichen Völkern u. deren Sprachen in Kontakt kamen. Zu dem in der Syntax noch heute klar erkennbaren finno-ugrischen Substrat kamen in der Wanderungszeit iranische u. turksprachige Einflüsse auf die Sprache der M. hinzu, deren Wortschatz nach der Landnahme (→Ung. L.) im Karpatenbecken besonders durch Entlehnungen aus den slav. Sprachen u. das Lateinische bereichert wurde. Die sog. sieben Stämme der M., ergänzt durch weitere, aus dem →Chazaren-Reich hervorgegangene Stämme (Kabaren), dürften zur Zeit ihrer „Landnahme“ an die 500.000 Personen gezählt haben. Im 15. Jh. wuchs ihre Zahl, nachdem auch die meisten früheren Bewohner des Landes u. viele der Neuankömmlinge („Latini“, Muslime, →Kumanen, →Jassen [Jazygen] usw.) assimiliert worden waren, auf etwa 3,2 Mio., das entspricht etwa 80 % der damaligen Bev. des Kgr.s Ungarn. Die Bevölkerungsbewegungen während der osm. Herrschaft in Mittelungarn, die enormen Verluste in den →Türkenkriegen u. die folgende Neubesiedlung aus dem Balkan u. aus dem dt. Sprachgebiet (→Kolonisation) reduzierten den Anteil der M. auf ein Drittel der Bev. des Kgr.s (um 1780 etwa 3,5 von 9,2 Mio.). Die nationale Kultur u. die magy. Sprache erlebten im 19. Jh., parallel zu ähnlichen Bewegungen in Mitteleuropa, eine Renaissance. Die Spracherneuerung, begleitet v. der Rhetorik eines „Völkertods“, führte nicht nur zur Emanzipation der ung. Sprache gegenüber dem bis dahin im Amtsleben vorherrschenden Latein u. dem in der Hochkultur maßgebenden →Deutschen, sondern auch zu einer oft recht aggressiven Magyarisierung der Minderheiten. Trotz der Assimilierung vieler dt. Stadtbewohner u. der emanzipierten Juden im späten 19. Jh. erreichten die M. nur im Kernland – das nach dem Ende der Doppelmonarchie dem ung. Staat erhalten blieb – die Mehrzahl (1910 waren im alten Ungarn, ohne Kroatien, nur 54,5 % der 21 Mio. E M.). Seit dem Friedensschluss v. →Trianon 1920 leben etwa 10 Mio. M. im heutigen Staatsgebiet; in →Rumänien leben ca. 2 Mio., in der →Slowakei 600.000, in Serbien (→Vojvodina) 350.000, in der →Karpato-Ukraine 200.000 u. im übrigen Ausland (überwiegend in Nordamerika, wohin sie v. a. 1880–1914 zu Zehntausenden emigrierten) eine knappe Mio. Menschen, die sich als M. bezeichnen. Der Bevölkerungszuwachs in Ungarn blieb in den letzen 70 Jahren, u. a. wegen der Kriegsverluste u. der Auswanderungen
Magyaren / Makedonien (Region)
nach 1945 (allein 1956 200.000) niedrig. Das Problem der M. in den Nachbarstaaten, wo sich ihre pol. u. kult. Lage nach etwa 1960 u. dann wieder v. a. im ersten Jahrzehnt nach dem Fall des Kommunismus verschlechterte, wurde in Ungarn bis 1989 aus pol. Gründen weitgehend tabuisiert. Lit. (a. →Ungarn; →Sprachen): I. Zimonyi, Középkori nomádok – korai magyarok. Budapest 2012; A. Róna-Tas, Hungarians and Europe in the Early Middle Ages. An Introduction to Early Hungarian History. Budapest 1999; Gy. László, The Magyars. Their Life and Civilisation. Budapest 1996; K. Kocsis/E. Kocsis-Hodosi, Ethnic Geography of the Hungarian Minorities in the Carpathian Basin. Budapest 1998; P. Veres, The Ethnogenesis of the Hungarian People. Problems of Ecologic Adaptation and Cultural Change. Budapest 1996; J. Szűcs, The peoples of medieval Hungary, in: Études historiques hongroises. ebd. 1990, H. 2, 11–20; I. Fodor, In Search of a Homeland: The Prehistory of the Hungarian People and the Conquest. ebd. 1982; L. Benkő/S. Imre, The Hungarian Language. ebd. 1972; St. [I.] Szabó, Ungarisches Volk. Geschichte u. Wandlungen. ebd. [1944]; I. Kniezsa, Ungarns Völkerschaften im XI. Jh. ebd. 1938 (=Archivum Europae Centro-Orientalis 4 [1938], 241–412). J.M. B.
Makedonien (Region). Hist. Großlandschaft zw. dem Šar-Gebirge im N, der Ägäis im S, den Rhodopen u. dem Fluss Mesta (Nestos) im O u. dem alb. Bergland im W, zu der Gebiete im N Griechenlands, im SW Bulgariens u. die Republik Makedonien (bis 1991 Teilrepublik in Jugoslawien) gehören. Die Oberflächengestalt von M. ist durch Gebirgszüge u. viele isolierte Becken mit zum Teil bedeutenden klimat. Unterschieden gekennzeichnet. Seit der Antike verläuft durch die Morava-Vardar-Furche (von der ehem. →Heerstraße in Niš nach S abzweigend) die einzige Verkehrsverbindung, die Mitteleuropa mit der Ägäis verbindet. Charakteristisch ist die ethn. Vielfalt der Bewohner: Slaven, Griechen, Albaner, Türken, →Aromunen (→Vlachen) u. Roma. In →Saloniki bildeten →sephardische Juden bis zu den beiden →Balkankriegen v. 1912/13 die Mehrheit der Stadtbevölkerung. In der Antike war M. in Niedermakedonien, um den Thermaischen Golf, u. Obermakedonien, um den oberen Axos (Vardar) u. Haliakmon (Aliakmon) sowie das Hinterland v. Chalkidike u. seit Philipp II. das Gebiet bis zum Strymon (Struma) gegliedert. Hauptstadt war Aiga, seit dem 5./4 Jh. Pella. Heeresversammlung u. Adelsgefolgschaft waren kennzeichnend für die Gesellschaft. Landeroberungen führten zur Vorherrschaft der Monarchie u. zur Zurückdrängung dieser aus der Einwanderungszeit tradierten Einrichtungen. Unter Philipp II. (359–336 v.Chr.) u. Alexander dem Großen (336–323) erlangte M. die Vorherrschaft in Griechenland, die in den mak. Kriegen (215–205, 197, 172/171–168) an Rom verloren ging. Seit 148 war M. röm., später byz. Provinz. Im 7. Jh. wanderten →Awaren u. Slaven (→Slavische Landnahme) ein. Die byz. Provinz hieß seit dem 9. Jh. →Thema Bulgaria, während das Thema Makedonia eine Provinz im heutigen Thrakien war. Im MA wurde M. zum Schauplatz ständiger Auseinandersetzungen zw. Byzanz u. den benachbarten slav. Fürstentümern. Unter Samuil (976–1014) u. Stefan Dušan (1331–1355) befand sich hier das Zentrum slav. Großreiche, zu deren Gründer u.
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Makedonien (Region)
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Herrscherschichten auch Griechen, Vlachen u. Armenier gehörten. Immer wieder kam es zu Einfällen v. Normannen (1081), →Petschenegen (1122), Kreuzfahrern (1204, →Kreuzzüge) u. Katalanen (1308). Seit der Schlacht an der →Marica 1371 fiel M. in den Herrschaftsbereich der Osmanen. Als Grenzprovinz für die weitere osm. Expansion in Richtung Westen spielte es eine wichtige Rolle. Die dortigen Ortschaften oder Städte, z. B. Üsküp/→Skopje, Manastır/Monastir/ Bitola, Kalkandelen/Tetovo oder Prilep wurden weitgehend osmanisiert. In der Folge kam es unter Vlachen u. Slaven zu einem Prozess der ges. Nivellierung. Zugleich räumte die ges.pol. Verfassung jeder relig. Gruppe (→Millet) weitgehende Rechte der Selbstverwaltung ein. Die Region gehörte zum →Eyalet Rumili (→Rumelien) u. bildete ab 1864 einen Teil der drei →Vilayete v. Saloniki, Monastir u. Prizren (ab 1877 Vilayet Kosovo mit der Haupstadt Üsküb/Skopje). Unter den Osmanen geriet die Bezeichnung M. in Vergessenheit. Beeinflusst v. der →Aufklärung u. dem →Philhellenismus wurde zu Beginn des 19. Jh.s der Begriff M. ausgehend v. Westeuropa wieder gebräuchlich. Zu den ersten Karten, auf denen M. wieder verzeichnet war, gehörte der 1842 in Paris u. Leipzig herausgegebene „Atlas Ethno-Géographique ou Länder- u. Völkerkarten“ von Wilhelm Müller. Mit dem Machtverfall des Osm. Reiches wurde M. zum Ziel der sich überschneidenden Expansionsbestrebungen der jungen Nationalstaaten Griechenland, Serbien u. Bulgarien (→„Makedonische Frage“). Gleichzeitig kam es seit der Mitte des 19. Jh.s zum Aufschwung nationaler Bewegungen unter der christl. Bev. M.s. Daraus entwickelte sich ein gr.-bulg. Kirchenkampf (→Exarchat). Als Folge des russ.-osm. Krieges (1877/78) sah der Vorfrieden v. →San Stefano (3.3.1878) vor, dass ganz M. dem neuen Fsm. Bulgarien angeschlossen werden sollte. Aufgrund des österr. u. brit. Widerstands auf dem →Berliner Kongress wurden diese Pläne aber nicht umgesetzt. Griechen, Serben u. Bulgaren gründeten in den 90er Jahren des 19. Jh.s →Geheimgesellschaften, die die christl. Bev. zum Aufstand gegen die Osmanen ermuntern sollten. Der wichtigste war der v. der probulgarisch orientierten „Inneren Makedonischen Revolutionären Organisation“ (→IMRO) angeführte Aufstand in der Stadt Kruševo am 2.8.1903 (→Ilinden). In den beiden →Balkankriegen (1912/13) eroberten die verbündeten Staaten Montenegro, Griechenland, Bulgarien u. Serbien M. u. teilten es unter sich auf: Ägäisch-M. fiel an Griechenland, Varadar-M. an Serbien u. das vergleichsweise kleine Pirin-M. an Bulgarien. Im Vertrag v. Bukarest (10.8.1913) wurde die Aufteilung M.s bestätigt. Bulgarien scheiterte bei dem Versuch, als Besatzungsmacht in M. v. 1915–1918 u. Verbündeter Deutschlands im 1. wie im 2. Wk. die Grenzziehung zu eigenen Gunsten zu ändern. Im Vertrag v. →Neuilly-sur-Seine (1919) wurden die bis heute gültigen Grenzen festgeschrieben. Im gr. Teil M.s führte der vereinbarte Bevölkerungsaustausch mit Bulgarien u. der Türkei (Friedensvertrag v. →Lausanne 1923) zu einer grundlegenden Veränderung der ethn. Verhältnisse (Gräzisierung),. Nur noch im Nordwesten gr. M.s hielt sich eine slav. Minorität. Serbien betrieb in seinem Teil (Vardar-M.) eine rigorose Serbisierungspolitik, die zum Widerstand der einheimischen Bevölkerung führte. Im 2. →Wk. wurde M. v. Bulgarien, Italien u. Deutschland besetzt. Dagegen entwickelte sich im jug. Teil ein Partisanenkampf unter komm. Führung. Mit dem Sieg der →Partisanen im September 1944 wurde der jug. Teil zur Republik in →Jugoslawien. Die KP beendete die
Makedonien (Region) / Makedonien (Republik)
Serbisierungspolitik der Zwischenkriegszeit u. forcierte einen Nationsbildungsprozess, durch den die Makedonier zur eigenständigen Nation erklärt wurden. Industrialisierung u. Urbanisierung leiteten einen soz. Wandel ein,der diesen Prozess absicherte. Mit der Auflösung Jugoslawiens wurde die „Republik M.“ 1991/92 selbständig. Annotierte Bibl.: F. Adanır/L. Auburger/G. Bartl, Makedonien, in: HBK. Bd. II: Neuzeit, T. 1, 302–424. Lit. (a. →Makedonier; →Makedonien, Rep.; Makedonische Frage; Ilinden): V. Aarbakke, Die Region Makedonien, in: Das Südosteuropa der Regionen. Hgg. O.J. Schmitt/M. Metzeltin. Wien 2015, 603–639; V. Jovanović, Vardarska banovina 1929–1941. Beograd 2011; N. Boškovska, Das jugoslawische Makedonien 1918–1941. Eine Randregion zwischen Repression u. Integration. Wien u. a. 2009; A. Stojanovski, Makedonija pod turskata vlast (Statii i drugi prilozi). Skopje 2006; B. Opfer, Im Schatten des Krieges. Besatzung oder Anschluss – Befreiung oder Unterdrückung? Eine komparative Untersuchung über die bulgarische Herrschaft in Vardar-Makedonien 1915–1918 u. 1941–1944. Münster 2005; B. Akan Ellis, Shadow Genealogies. Memory and Identity Among Urban Muslims in Macedonia. New York 2003; A. Stojanovski/D. Gorgiev, Naselbi i naselenie vo Makedonija: XV i XVI vek. Skopje 2001; Byzantine Macedonia. Identity, Image and History . Hgg. J. Burke/R. Scott. Melbourne 2000; G. Daskalov, Bălgarite v Egejska Makedonija. Mit ili realnost. Istoriko-demografsko izledvane (1900–1990 g.). 1996; B.C. Gounaris, Social Cleavages and National „Awakening“ in Ottoman Macedonia, East European Quarterly 29/4 (1994), 406–426; St. Troebst, Mussolini, Makedonien u. die Mächte 1922–1930. Köln u. a. 1987; F. Adanir, Die makedonische Frage. Ihre Entstehung u. Entwicklung bis 1908. Wiesbaden 1979; Macedonia. Documents and Material. Hgg. V. Bozhinov/L. Panayotov. Sofia 1979; D. Dakin, The Greek Struggle in Macedonia 1897–1913. Berkeley 1973; H.R. Wilkinson, Maps and Politics. A Review of the Ethnographic Cartography of Macedonia. Liverpool 1951; E. Barker, Macedonia. Its Place in Balkan Power Politics. London u. a. 1950; L. Schultze-Jena, Makedonien. Landschafts- u. Kulturbilder. Jena 1927; Report of the International Commission to Inquire into the Causes and Conduct of the Balkan Wars. Washington/DC 1914 (erw. Ndr. 1993 u. d. T.: The Other Balkan Wars); H.N. Brailsford, Macedonia. Its Races and their Future. London 1906. H. W.
Makedonien (Republik) (mak. Republika Makedonija). Staat im Herzen der Balkanhalbinsel, grenzt im O an Bulgarien, im S an Griechenland, im W an Albanien u. im N an Serbien. Auf 25.713 km2 lebten nach der Volkszählung v. 2002 insges. 2.022.547 Menschen. Davon waren 64,2 % Makedonier, 25,2 % Albaner, 3,9 % Türken, 2,7 % Roma, u. a. (a. →Ägypter); Hauptstadt ist →Skopje, weitere größere Städte sind Tetovo, Bitola, Kumanovo, Gostivar, Prilep, Veles, Štip, Ohrid. Die R.M. ging als einer v. fünf Nachfolgestaaten aus der Auflösung →Jugoslawiens hervor. Wichtige Etappen waren die Unabhängigkeitserklärung (25.1.1991), das Referendum über Unabhängigkeit u. Souveränität (8.9.1991, der 8.9. ist seither Staatsfeiertag) u. die neue Verfassung (angenommen am 17.11.1991, in Kraft getreten am 20.11.1991). Kontinuität u. Gradualismus prägten den Übergang zur Eigenstaatlichkeit, der in starkem Maße v. dem
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Führungs- u. Integrationspotential des ersten Staatspräsidenten Kiro Gligorov profitierte u. im Unterschied zu den Übergängen in den anderen Republiken ohne milit. Auseinandersetzungen vollzogen werden konnte. Zunächst hatte sich die mak. Führung mit derjenigen v. →Bosnien-Herzewogina für die Erhaltung Jugoslawiens auf konföderativer Basis eingesetzt. Nach dem Scheitern dieser Versuche gelang es Skopje, einen Vertrag mit Belgrad über den Abzug der Truppen der Jug. Volksarmee aus der R.M. abzuschließen (21.2.1992), der dann sogar vor Ablauf der Frist (15.4.1992) implementiert wurde (26.3.1992). Von Beginn seiner Existenz an war die Stabilität des neuen Staates v. a. von zwei sich wechselseitig beeinflussenden Faktoren abhängig: den interethn. Beziehungen u. der empfindlichen außenpol. Lage. Die R.M. suchte nach außen durch eine prononcierte Westorientierung die baldmögliche Integration in EU u. Nato zu erreichen u. durch eine Äquidistanz gegenüber den Nachbarn bilaterale oder regionale Konflikte zu entschärfen u. Kooperation zu fördern. Sie konnte dadurch insges. ihre außenpol. Positionen festigen, doch blieb ihre Lage prekär, u. sie war fast ständig ernsthaften Belastungen ausgesetzt. Zunächst schien ein Übergreifen milit. Auseinandersetzungen aus anderen Teilen Ex-Jugoslawiens zu drohen, weswegen von der KSZE (später OSZE) eine Spillover Monitor Mission eingerichtet (ab 25.9.1992 in S kopje) u. v. der UNO eine UNPROFOR- (später: UNPREDEP-)Truppe entsandt wurde (ab Januar u. Februar 1993 in Skopje, Kumanovo u. Tetovo). Daneben sorgten heftige Einwände →Griechenlands gegen Staatsnamen, Staatsflagge („Stern von Vergina“) u. zwei Artikel der Verfassung (3 u. 49), die v. Athen als mögliche Instrumente für Ansprüche Skopjes auf Ägäisch-Makedonien angesehen wurden, für starke Spannungen, die aufgrund des auf beiden Seiten vorhandenen Nationalismus immer wieder aufbrachen. Ungeachtet der Verfassungsänderungen vom 6.1.1992, mit denen jedweder territ. Anspruch u. die Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten ausdrücklich ausgeschlossen wurden, u. der Aufnahme der R.M. in die UNO (8.4.1993 unter der provis. Bez. „Former Yugoslav Republic of Macedonia“) verhängte Griechenland wegen Flagge u. Namen einen Handelsboykott u. sperrte ab 13.2.1994 vollkommen seine Grenze zum nördl. Nachbarstaat. Erst mit dem am 13.9.1995 in New York unterzeichneten Interimsabkommen, mit dem eine Änderung der Staatsflagge (aber nicht des Staatsnamens) verbunden war, kam es zu einer Deeskalation. Der Namensstreit konnte jedoch nicht gelöst werden u. blockiert (Mitte 2015) weiter die Integration der R.M. in die Nato u. EU. In der zweiten H. der 1990er Jahre wurde zusehends deutlich, dass sich der aktuelle Schwerpunkt der →Makedonischen Frage verlagert hatte u. diese nunmehr aufs engste mit der albanischen verknüpft war. Wiewohl seit 1992 in jeder Regierungskoalition eine der pol. Parteien der alb. Volksgruppe vertreten war u. von Beginn an den Minderheiten weitgehende pol. u. kult. Rechte zustanden, hatten sich auf diesem Gebiet immer wieder große Spannungen bemerkbar gemacht u. von Zeit zu Zeit in mitunter gewaltsamen Zusammenstößen entladen. In den Auseinandersetzungen um den verfassungsrechtlich definierten Status der Albaner (Minderheit oder eine von zwei Staatsnationen) u. a. Streitfragen waren Konturen eines strukturellen Konflikts sichtbar geworden, der die größte Bedrohung für die Stabilität u. sogar die Existenz des jungen Staates darstellte. Eine sprunghafte Verschärfung erfuhr der Konflikt, als die R.M. unmittelbar in den Sog der Kosovo-Krise u. des Nato-Angriffs auf Ju-
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goslawien geriet, in dessen Gefolge nach späteren Angaben der Regierung insgesamt 360.000 Kosovo-Albaner zeitweise nach M. flüchteten. Bald darauf wurde die R.M. direkt zum Kampffeld blutiger Auseinandersetzungen. Zwei „Tochterunternehmen“ der in →Kosovo großgewordenen, formal bereits aufgelösten UÇK, die AKSh („Albanische Nationalarmee“) u. die (makedonien-alban.) UÇK („Nationale Befreiungsarmee“) begannen schon im Frühjahr 2000 mit einzelnen Geiselnahmen u. verschärften zw. Januar u. Juni 2001 ihre Aktionen systematisch. Regierung u. Armee antworteten teilweise mit ebenso überzogenen wie sinnlosen Flächenbombardierungen tatsächlicher oder vermeintlicher Stellungen der Terroristen, teilweise schienen sie regelrecht gelähmt. Unter starkem Druck der USA, der Nato u. der EU wurden Verhandlungen zur Beilegung der Krise aufgenommen, die zum Abschluss des Rahmenabkommens v. Ohrid (13.8.2001) führten. Die darin vorgesehenen u. kurze Zeit später vorgenommenen Verfassungs- u. Gesetzesänderungen berücksichtigten einen Großteil der wichtigsten Anliegen der Organisationen der ethn. Albaner (etwa die Erhebung des Albanischen in den Rang einer offiziellen Sprache, die Wahl der lokalen Polizeichefs durch die Stadtu. Gemeinderäte, die Stärkung der lokalen Selbstverwaltung, die Ausweitung der Garantien für die Minderheiten, die Beseitigung der Sonderrolle der Orth. Kirche). Die parteipol. Szene wies eine angesichts der ethnopol. Turbulenzen bemerkenswerte Kontinuität u. relative Ruhe auf. Das Spektrum der einflussreichsten pol. Kräfte umfasste auf der maked. Seite die postkomm. Organisationen, die aus dem „Bund der Kommunisten“ hervorgegangen waren („Sozialdemokratischer Bund Makedoniens“, „Sozialistische Partei“), die neu gegründeten Parteien (wie die nationalorientierte „Innere Makedonische Revolutionäre Organisation-Demokratische Partei für die makedonische nationale Einheit“ [VMRO-DPMNE] u. die „Liberale Partei“) sowie auf alb. Seite die „Partei der demokratischen Prosperität“ (PPD/PDP) u. die „Demokratische Partei der Albaner“ (PDSh/DPA), die 2008 zur PDSh fusionierten, u. seit 2001 die „Demokratische Union für Integration“ (BDI/SDI) unter Leitung des einstigen Führers der mak. UÇK, Ali Ahmeti. Von 1992 bis 1998 regierten die Postkommunisten unter Führung der Sozialdemokraten in Koalition mit der PPD. Nach den Wahlen vom Oktober u. November 1998 wurden sie von einer „Koalition für Veränderung“ aus VMRO-DPMNE u. der „Demokratischen Alternative“ abgelöst, die wiederum Vertreter der PDSh in die Regierung aufnahm. Bei den Wahlen im September 2002 gewannen erneut die Sozialdemokraten, die 2006 durch die VMRO-DPMNE wieder v. der Macht verdrängt wurden. Die pol. u. wirtschaftspol. Differenzen u. Schichtungen traten zu dieser Zeit weniger deutlich zutage als die personellen u. v. a. die ethnischen. Die Lage der R.M. blieb auch nach der Jahrhundertwende prekär. Zwar erhielt das Land im Dez. 2005 den Status eines Beitrittskandidaten der EU, doch die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen scheiterte am Widerstand Griechenlands, ebenso wie der für 2008 geplante Beitritt des Landes zur Nato. Zwischen Makedoniern u. Albanern kommt es immer wieder zu Spannungen. Die Errichtung eines überdimensionalen christl. Kreuzes auf einem Berg oberhalb v. Skopje trug nicht zur Befriedung zw. den Volksgruppen bei. Eine im Oktober 2011 begonnene Volkszählung wurde ohne Einigung auf einen neuen Termin abgebrochen. Wichtigster Streitpunkt: ob Staatsbürger Makedoniens, die länger als ein Jahr außerhalb des Landes lebten, mitgezählt werden sollten, was v. alb. Seite befürwortet, v. slav.-mak. Seite
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abgelehnt wurde. Und das Reiterstandbild Alexanders d.Gr. im Zentrum der Hauptstadt provozierte die Griechen. Zu diesen innen- u. außenpol. Spannungen kamen wirt. Probleme u. eine weit verbreitete →Korruption. Lit.: V.C. De Munck/Lj. Risteski, Macedonia. The political, social, economic and cultural foundations of a Balkan state. London u. a. 2013; S. Ripiloski, Conflict in Macedonia. Exploring a paradox in the former Yugoslavia. Boulder/Co. 2011; M. Vetterlein, Konfliktregulierung durch power-sharing-Modelle. Das Fallbeispiel der Republik Makedonien. Baden-Baden 2010; V. Gaber, Imeto Makedonija: istorija, pravo, politika. Skopje 2009; St. Troebst, Das makedonische Jahrhundert. München 2007; M. Dornfeldt, Das Konfliktmanagement der Organisation für Sicherheit u. Zusammenarbeit in Europa (OSZE): Eine Analyse am Beispiel der interethnischen Konflikteskalation in der Republik Makedonien 2001. Berlin, München 2006; Die Albaner in der Republik Makedonien. Fakten, Analysen, Meinungen zur interethnischen Koexistenz. Hgg. Th. Kahl/I. Maksuti/A. Ramaj. Münsten u a. 2006; K. Brown, The Past in Question: Modern Macedonia and the Uncertainties of a Nation. Princeton 2003; The New Macedonian Question. Hg. J. Pettifer. London 1999; V. Georgieva/S. Konechni, Historical Dictionary of the Republic of Macedonia. Lanham/MD u. a. 1998; La Republique de Macédoine. Nouvelle venue dans le concert européen. Hgg. B. Lory/Ch. Chiclet. Paris u. a. 1998; Makedonien. Geographie, ethnische Struktur, Geschichte, Sprache u. Kultur, Politik, Wirtschaft, Recht. Hgg. W. Lukan/P. Jordan. Wien u. a. 1998 (= ÖOH, Jg. 40, Sonderheft); J. Shea, Macedonia and Greece. The struggle to define a new Balkan nation. Jefferson/NC, London 1997. M.A. H.
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Makedonier. a) Bezeichnung für alle Bewohner der seit 1912/13 dreigeteilten Landschaft Makedonien (M. im regionalen Sinn), b) Selbstbezeichnung der slavophilen M. im Sinn einer Nation. Der seit Ende des 19. Jh.s tobende Streit um die ethnische Zuordnung der Bev. Makedoniens seit der Antike lässt sich letztlich nicht entscheiden, weil 1. Ethnizität kein statisches, sondern ein variables Kriterium ist u. 2. weil die ethn. Zugehörigkeit (im Unterschied etwa zur Religionszugehörigkeit) vor Beginn der mod. →Nationsbildung nur eine untergeordnete − mitunter gar keine − bewusstseinsbildende od. handlungsleitende Rolle spielte. Der Begriff M. wird daher je nach Untersuchungszeitraum u. Betrachtungsperspektive sehr unterschiedlich verstanden. 1) In der Antike Bezeichnung für eine Reihe v. Stämmen unterschiedlicher Herkunft, die nördl. v. Thessalien siedelten u. in der transhumanten Weidewirtschaft (→Transhumanz) ihre Existenzgrundlage hatten. Im engeren Sinn wurde der führende, einen aiolischen Dialekt des Griechischen sprechende, vermutlich aus Thessalien eingewanderte Stammesverband als M. bezeichnet. Der Name leitet sich vom gr. Wort für Hochlandbewohner ab. Ursprünglich galten nur diese als M., während die Bewohner der Ebenen zu den Thrakern gerechnet wurden. Erstmals wurden die M. bei dem gr. Poeten Hesiod um 700 v. Chr. erwähnt. Trotz der gemeinsamen gr. Sprache, die zumindest v. der Oberschicht der M. gesprochen wurde, bezeichneten Thukydides, Demosthenes u. Aristoteles die M. wegen der Unterschiede im Gesellschaftssystem als Barbaren. Ein geringeres Maß soz. Unterschiede, die Abwesenheit
Makedonier
einer auf Sklaven basierenden Wirtschaft u. v. a. die Institution der Monarchie unterschieden die M. v. den Griechen der klassischen Epoche. 2) Im 19. Jh. wurde der Begriff M. v. der Mehrheit der sich im ethn. Sinne als Bulgaren fühlenden slav. Intelligenz Makedoniens mit unterschiedlicher Bedeutung gebraucht. Zum einen bezeichnete man damit im polyethn. Sinn alle Bewohner Makedoniens unabhängig v. ihrer ethn. Zuordnung. Insbesondere v. den Sozialisten u. v. den Kommunisten bis in die Mitte der 1930er Jahre wurde dieses Konzept einer pol. Nation Makedoniens, bestehend aus unterschiedlichen ethn. Gruppen, als Legitimationsgrundlage für die Forderung benutzt, dass Makedonien keinem der benachbarten Balkanstaaten angeschlossen werden, sondern eine eigenständige Einheit in einer Balkanföderation bilden sollte. Andererseits wurden mit M. aber auch nur die slav. Bewohner Makedoniens bezeichnet, die als regionale Gruppe der bulg. Nation angesehen wurden. In diesem Sinne wird M. bis heute in Bulgarien gebraucht. Seit der Mitte des 19. Jh.s gab es aber auch einzelne Stimmen, v. a. unter Emigranten, die die M. als eigenständige, v. den anderen Balkannationen zu unterscheidende Nation ansahen. Dazu zählten u. a. Georgi Pulevski, die Zeitung Loza (1892) u. der Studentenverein Sveti Kliment im russ. St. Petersburg. Krste Misirkov betonte die Unterschiede der ökon. Interessen v. M. u. Bulgaren. Durch die Förderung einer mak. Sprache sollte sich eine mak. Nation bilden. 1908 bezeichnete der serb. Geograph Jovan Cvijić auf einer ethnogr. Karte die Slaven Makedoniens zum erstenmal als „Makedoslawen“. In ihnen sah er Slaven ohne Nationalbewusstsein in einer Übergangszone zw. dem Bulgarischen u. Serbischen. Damit sollte die serb. Expansion nach Süden gerechtfertigt werden. Nach dem 1. Wk. wurde dieses Konzept v. vielen Wissenschaftlern Westeuropas u. in den USA übernommen. Obwohl damit die Herrschaft →Jugoslawiens über Makedonien legitimiert werden sollte, wurden die slav. Bewohner Makedoniens v. Belgrad dessen ungeachtet als „Südserben“ bezeichnet. b) Mit dem Sieg der Partisanen in Jugoslawien verabschiedeten sich die jug. Kommunisten v. dem polyethn. Begriff der mak. Nation. Gleichzeitig mit der Errichtung einer Republik Makedonien 1944 wurde, anknüpfend an vereinzelte Ansätze der Komintern u. des linken Flügels der mak. Nationalrevolutionären Bewegung seit den 1930er Jahren, eine Titularnation dieser Republik − die M. − proklamiert. Diese Nation sollte sich durch eine eigene, 1944 kodifizierte Sprache (→Sprachkodifizierung) u. eine mit der Einwanderung der Slaven im 7. Jh. →Slav. Landnahme) beginnende Geschichte auszeichnen. →Alphabetisierung, →Industrialisierung, →Urbanisierung u. die soz. Aufstiegsmöglichkeiten für M. im titoistischen Jugoslawien begünstigten das mak. „nation-building“, so dass sich heute der ganz überwiegende Teil der orth. slav. Bev. im seit 1991/92 unabhängigen Makedonien als M. im nationalen Sinn versteht. Makedon. Nationalisten sind daraüber hinaus bestrebt, die Kontinuität ihrer Nation seit der Antike zu belegen u. betonen die Unterschiede zw. den antiken M. u. den antiken Griechen. c) Im gr. Teil Makedoniens werden M. u. dopyi (= Einheimische) oftmals synonym gebraucht (im Sinne regionaler Zugehörigkeit). Während im Westteil damit nur die slav. Bev. gemeint ist, werden damit im O sowohl slav.- als auch griechischsprachige Einheimische in Abgrenzung zu den Flüchtlingen aus Kleinasien bezeichnet. Seit der Metaxasdiktatur (→Diktaturen) u. dem gr. Bürgerkrieg (→Bürgerkrieg, Griechenland) begann in der Region Kastoria/Florina/Edessa eine verstärkte Selbstidentifizierung der slav. Bev. als M. im
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Makedonier / Makedonische Frage
nationalen Sinn. Ökonomische Emigration u. Bürgerkriegsflüchtlinge führten dazu, dass heute eine große Gruppe Slaven aus Griechenland in Australien lebt u. als M. mit eigenen Symbolen („Stern von Vergina“) um Anerkennung in der multikulturellen Gesellschaft Australiens kämpft. In Griechenland selbst werden die slavophonen M. nicht als Angehörige einer maked. Nation anerkannt, sondern gelten als slavisierte Griechen bzw. M. im regionalen Sinn. Lit.: (a. →Makedonien, Region; →Makedonien, Rep.) İ.K. Yosmaoğlu, Blood Ties: religion, violence, and the politics of nationhood in Ottoman Macedonia, 1878–1908. Ithaca/NY u. a. 2014; E.N. Damianopoulos, The Macedonians. Their past and present. Basingstoke u. a. 2012; N. Boškovska, Das jugoslawische Makedonien 1918–1941. Eine Randregion zwischen Repression u. Integration. Wien u. a. 2009; A. Rossos, Macedonia and the Macedonians. A history. Stanford/Calif. 2008; A. Jossifidis, Die slawophonen Griechen Makedoniens. Mannheim u. a. 2006; K. Brown, The Past in Question. Modern Macedonia and the Uncertainties of Nation. Princeton u. a. 2003; H. Poulton, Who are the Macedonians? London 22000; T. Szobries, Sprachliche Aspekte des nation-building in Mazedonien. Die kommunistische Presse in Vardar-Mazedonien (1940–1943). Stuttgart 1999; A.N. Karakasidou, Fields of Wheat, Hills of Blood. Passages to Nationhood in Greek Macedonia 1870–1990. Chicago u. a. 1997; L.M. Danforth, The Macedonian Conflict. Ethnic Nationalism in a Transnational World. Princeton 1995; St. Troebst, Yugoslav Macedonia, 1944–1953: Building the Party, the State and the Nation, Berliner Jahrbuch für osteuropäische Geschichte 1 (1994), H. 2, 101–139; ders., Makedonische Antworten auf die „Makedonische Frage“ 1944–1992: Nationalismus, Republiksgründung, Nation-Building, SOE 41 (1992), H. 7–8, 423– 442; N.G.L. Hammond, The Macedonian State. Origins, Institutions and History. Oxford 1989; M. Bernath, Das mazedonische Problem in der Sicht der komparativen Nationalismusforschung, SOF 29 (1970), 237–248; H.R. Wilkinson, Maps and Politics. A review of the ethnographic cartography of Macedonia. Liverpool 1951; G. Weigand, Ethnographie von Makedonien. Berlin 1924; J. Cvijić, Grundlinien der Geographie von Makedonien u. Altserbien. Gotha 1908. H. W.
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Makedonische Frage. Die M.F. entstand in der Mitte des 19. Jh.s als Folge der europ. Expansion in das Osm. Reich u. der →Nationalstaatenbildung auf dem Balkan durch eine scharfe Rivalität Bulgariens, Serbiens u. Griechenlands um die zentralbalkanische Region Makedonien. Gleichzeitig bildete sich mit der Einbeziehung der Balkanhalbinsel in das gemeineurop. Wirtschaftssystem allmählich eine bürgerliche Gesellschaftsschicht unter den Christen Makedoniens. Wegen der blockierten Entwicklung im Osm. Reich fand die entstehende slav. Intelligenz weit eher in Russland oder den benachbarten Staaten eine Beschäftigung als im Dienst der Pforte. Zugleich führte die Reorganisation des osm. →Millet-Systems nach 1860 zu einer Aufwertung der Laien gegenüber dem Klerus in der Kirchenorganisation. Als Folge kam es zu einem Aufschwung nationaler Bewegungen unter der christl. Bev. Aufgrund des Firmans des Sultans (12.3.1870) wurde mit dem bulg. →Exarchat zum erstenmal ein Millet auf ethn. Grundlage zugelassen. Die territ. Abgrenzung der neuen Kirche
Makedonische Frage
vom gr. →Patriarchat hatte einen bulg.-gr. Kirchenkampf in Makedonien u. Thrakien zur Konsequenz, an dem sich später auch die Serben beteiligten. Mit dem Versuch Russlands, nach dem russ.-osm. Krieg (1877/78) im Vorfrieden v. San Stefano (→Berliner Kongress), einen bulg. Staat zu schaffen, der ganz Makedonien einschließen sollte, zeigte sich der entscheidende Einfluss der Großmächte. Aufgrund des österr.-ung. u. brit. Widerstands auf dem →Berliner Kongress wurden diese Pläne nicht umgesetzt. Makedonien verblieb bis 1912 beim Osm. Reich. Mit ihrer tendenziell interventionistischen Politik begünstigten die Großmächte aber die expansiven Bestrebungen der Nachbarstaaten. Mit Ethniki Amina (1894), Sveti Sava (1886) u. Vătrešna Makedonska Revoljucionna Organizacija (VMRO, dt. →IMRO 1893) gründeten Griechen, Serben u. Bulgaren →Geheimgesellschaften, die die christl. Bev. zum Aufstand ermuntern u. die Großmächte zur Intervention bewegen sollten. Interessensgegensätze zw. der IMRO u. dem bulg. Fsm., aber z. T. auch rein taktische Erwägungen führten dazu, dass die IMRO eine Autonomie Makedoniens im Osm. Reich propagierte anstelle eines Anschlusses an Bulgarien. Nach dem Scheitern des v. ihr geführten Aufstandes 1903 in Kruševo (→Ilinden) schrieb die österr.-russ. Übereinkunft v. Mürzsteg den territorialen Status Quo fest u. stellte ein Reformprogramm für Makedonien auf. Gegen diese Bestrebungen der Großmächte in Makedonien gründeten osm. Beamte u. Offiziere 1906 in Thessaloniki die „Osmanische Gesellschaft für Freiheit“ (→Jungtürken). In ihrer Konzeption einer umfassenden Reformierung des Osm. Reiches nach europ. Vorbild fanden sie auch Anklang bei einem Teil der IMRO-Mitglieder (Föderative Volkspartei). Wachsende türkisch-nationalistische Tendenzen führten bald wieder zur Entfremdung der Allianz. In den beiden →Balkankriegen v. 1912/13 teilten die verbündeten Staaten Griechenland, Bulgarien u. Serbien Makedonien unter sich auf. Während im gr. Teil Makedoniens ein Bevölkerungsaustausch mit Bulgarien u. der Türkei nach dem 1. Wk. die ethn. Verhältnisse grundlegend änderte (→Zwangsmigrationen), entwickelte die M.F. sich nun vorrangig zu einem Streit zw. Bulgarien u. Jugoslawien um den seit 1912 serb. Teil Makedoniens. Serbien betrieb dort eine rigorose Serbisierungspolitik, die zum Widerstand der einheimischen Bev. führte. In der IMRO setzten sich gleichzeitig jene Offiziere der bulg. Armee, die im Weltkrieg maßgeblichen Anteil an der Herstellung des Bündnisses mit den Mittelmächten hatten, gegenüber den sozialrevolutionären Gruppen durch. Von 1923–1934 erlangte die IMRO eine dominante Stellung in →Bulgarien u. verpflichtete den Staat auf eine revisionistische Außenpolitik (→Revisionismus) gegenüber Jugoslawien. Mit bewaffneten Aktionen im serb. Makedonien kämpfte die IMRO gegen den territorialen Status quo u. suchte dabei die Unterstützung v. Mussolinis Italien (→Irredentismus) sowie anderer sezessionist. Bewegungen in Jugoslawien (→Ustaše; alb. Kaçaken, vgl. →Kosovo). Dagegen setzte die UdSSR im Kampf gegen Versailles auf die linken Teile der mak. Bewegung. Gegen die bulg.-it. Besatzung des jug. Vardar-Makedoniens im 2. Wk. entwickelte sich ein Partisanenkampf unter komm. Führung. Gegen die bulg. Ambitionen in Makedonien forcierte die KP einen Nationsbildungsprozess, bei dem die slav. Makedonier zur eigenständigen Nation proklamiert wurden. In den Nachkriegsjahren suchte die KPJ Makedonien als Vehikel für eine Vormachtstellung in SOE zu nutzen. Der Anschluss des bulg. Pirin-Make-
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Makedonische Frage
donien sollte den Grundstein für eine bulg.-jug. Konföderation (→Balkanföderation) bilden. Zugleich unterstützte sie im gr. →Bürgerkrieg unter der komm. Guerilla v. a. die Kräfte der Slavischen Volksbefreiungsfront (NOF). Mit dem →Kominformkonflikt (1948) zw. Jugoslawien u. der UdSSR wurden diese Pläne hinfällig. Trotz immer wieder aufflammender wiss. Kontroversen zw. Bulgarien u. Jugoslawien um die Frage der ethn. Zuordnung der Makedonier kam es seit den 50er Jahren zu einer Beruhigung der M.F. Eine Neuauflage aufgrund der Weigerung Griechenlands, die unabhängige „Republik Makedonien“ unter diesem Namen anzuerkennen, sollte mit dem Interimsabkommen zw. Griechenland u. Makedonien (13.9.1995) beigelegt werden. Doch belastet die ungelöste Namensfrage die Beziehungen zw. beiden Ländern nach wie vor. 2001 eskalierte der schwelende innenpol. Konflikt zw. der makedonischen Mehrheit u. der großen alb. Minderheit zu einer begrenzten milit. Auseinandersetzung, die mit dem Rahmenabkommen von Ohrid (13.8.2001) zu einer Neuregelung der ethn. Machtverhältisse führte. Lit. (a. →Makedonien, Region; →Makedonien, Rep.; →Makedonier; →Ilinden; →IMRO): J. Konstantinova, Bălgari i Gărci v borba za osmanskoto nasledstvo. Veliko Tărnovo 2014; İ. Yosmaoğlu, Blood ties: religion, violence, and the politics of nationhood in Ottoman Macedonia, 1878–1908. Ithaca 2014; K. Brown, Loyal Unto Death. Trust and Terror in Revolutionary Macedonia. Bloomington/IN 2013; A. Skordos, Griechenlands Makedonische Frage: Bürgerkrieg u. Geschichtspolitik im Südosten Europas, 1945–1992. Göttingen 2011; Tch. Marinov, La question macédonienne de 1944 à nos jours. Communisme et nationalisme dans les Balkans. Paris 2010; M. Ioannidis, Naming a State: Disputing over Symbols and Statehood at the Example of „Macedonia“, Max Planck Yearbook of United Nations Law 14 (2010), 507–562; D. Livanios, The Macedonian Question. Britain and the Southern Balkans 1939–1949. Oxford, New York 2008; M. Hacisalihoğlu, Die Jungtürken u. die Mazedonische Frage (1890–1918). München 2003; N. Lange-Akhund, The Macedonian Question 1893–1908. From Western Sources. New York 1998; St. Troebst, Mussolini, Makedonien u. die Mächte 1922–1930. Köln u. a. 1987; ders., Die bulgarisch-jugoslawische Kontroverse um Makedonien 1967–1982. München 1983; J. de Jong, Der nationale Kern des makedonischen Problems. Ansätze u. Grundlagen einer makedonischen Nationalbewegung (1890–1903). Frankfurt/M. u. a. 1982; F. Adanir, Die makedonische Frage. Ihre Entstehung u. Entwicklung bis 1908. Wiesbaden 1979; D. Dakin, The Greek Struggle in Macedonia 1897–1913. Berkeley 1973; St.E. Palmer/R.R. King, Yugoslav Communism and the Macedonian Question. Hamden 1971; E. Kofos, Nationalism and Communism in Macedonia. Thessaloniki 1964; H.R. Wilkinson, Maps and Politics. A review of the ethnographic cartography of Macedonia. Liverpool 1951; E. Barker, Macedonia. Its Place in Balkan Power Politics. London u. a. 1950; H.N. Brailsford, Macedonia. Its Races and their Future. London 1906. H. W.
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Maniaten / Maramureș
Maniaten (Mainoten). Bewohner der Halbinsel Mani (Maina) im S der →Peloponnes. Die M. betrachten sich als direkte Nachkommen der alten Spartaner, ihre Herkunft ist aber umstritten. Möglicherweise stellen sie eine Mischung v. Flüchtlingen aus Sparta, Lakedaimoniern u. Leuten dar, die in dem schwer zugänglichen Gebiet Zuflucht vor slav. u. osm. Einfällen suchten. Eine Beimischung v. Taygetos-Slaven (Melinger) ist wahrscheinlich. Die M. galten als freiheitsliebend u. kriegerisch, sie wehrten sich bis in die neueste Zeit gegen jegliche höhere staatliche Autorität. Sie bewahrten einen altertümlichen Ehrenkodex, der die →Blutrache einschloss. Ihren Erwerb bestritten sie aus der Weidewirtschaft u. Fischerei, aber auch aus Raub u. Piraterie. Die M. sollen erst im 9. Jh. christianisiert worden sein. Im Verhältnis zu Byzanz konnten sie eine gewisse Unabhängigkeit behaupten. Gegenüber den Franken (Haus Villehardouin), die im 13. Jh. den Süden der Peloponnes beherrschten (vgl. →Lateinerherrschaft; regional a. →Mistra), gelang ihnen das aber nicht, denn Wilhelm II. v. Villehardouin (1246–78) verstand es, das Gebiet durch den Bau der Festung Großmaina (La Magne, Le Grant Maigne) zu sichern. Durch die Franken drangen auch feudale Lebensformen bei den M. ein. Es entstand eine lokale Aristokratie, die sich heftig befehdete u. durch Wehrtürme absicherte. 1467–79 venezianisch, unterstand die Mani seit 1479 nominell der osm. Herrschaft. Sie blieb aber ein ständiger Unruheherd. Die M. ließen sich immer wieder v. Mächten, die mit den Osmanen im Krieg standen, zu Aufständen verleiten (so 1571–72 u. 1613–14 v. den Spaniern, 1770 v. den Russen). 1777 trennten die Osmanen, um das Gebiet zu befrieden, die Mani v. der übrigen Peloponnes ab u. ließen sie v. einheimischen Adligen, die den Titel →Bey erhielten, verwalten. Am gr. Freiheitskampf (→Befreiungskriege) nahmen die M. unter ihrem Bey Petros Mauromichalis (Petro Bey) bedeutenden Anteil. Es fiel ihnen aber sichtlich schwer, sich in den zentralisierten gr. Staat einzuordnen. Das ganze 19. Jh. hindurch kam es zu Rebellionen der M. 1946–49 war die Mani Operationsgebiet kommunistischer Partisanen (→Bürgerkrieg [Griechenland]); viele Gebirgsdörfer wurden v. ihren Bewohnern verlassen. Lit. (a. →Peloponnes): S. Kugeas/K.D. Mertzios, Ē Manē sta archeia tēs Benetias (1570–1572 & 1692–1699) kai o ippotēs Limperios Gerakarēs (1689–1711). Athen 2011; P. Hartleb, Die messenische Mani. Eine Studie zum Wandel in der Peripherie Griechenlands. Berlin 1989; K. Kassēs, Syntomē historia tēs Manēs. Apo tēn prohistoria mechri sēmera. Athen 1977; D.N. Mexēs, Hē Manē kai oi Maniates. Themata gia tēn historia tus tē laografia kai tēn technē. Athen 1977; P.L. Fermor, Mani. Reise ins unentdeckte Griechenland. München 1960 (Salzburg ²1974); A.B. Daskalakēs, Hē Mani kai hē othōmanikē autokratoria 1453–1821. Athen 1923. P. B.
Maramureş (ung. Máramaros, dt. Marmarosch). Gebirgsgegend in Nordrumänien, v. zwei großen Flüssen durchzogen: dem Oberlauf der Theiß im N u. dem Somesch/Someş im S. Der heutige Kreis M. umfasst 6.304 km2 mit 461.290 E (2011), davon 82 % Rumänen, 7,5 % Ungarn, 6,8 % Ukrainer, 2,7 % Roma, 0,3 % Deutsche. Verwaltungssitz: Baia Mare. „Maramorosio“ wird erstmals 1199 als Jagdgebiet der ung. Kg.e (→Ungarn) erwähnt u. ist v. dem Fluss Maramaris abgeleitet. Die Urkunden des 12./13. Jh.s berichten v. ung.
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Maramureş
Grenzwächtern, welche M. gegen die →Mongolen verteidigten u. dem Kg. v. Ungarn direkt unterstellt waren. 1329 werden außer Ungarn auch einige dt. Kolonisten erwähnt. Seit Anfang des 14. Jh.s sind walachische →Vojvoden belegt, die für den König Abgaben wie das Schaf-Fünfzigstel einsammelten u. nach dem →„Ius valachicum“ die Angelegenheiten ihrer Landsleute regelten. Die aus der →Moldau zugezogene Sippe des Vojvoden Drag wurde in den ung. Adel aufgenommen. Während seine Sippe, die sich nun Dragfy nannte, zum kath. Glauben übertrat, blieben andere Rumänen dem gr.-orth. Glauben treu. Seit dem 14. Jh. galt in M. der admin. Rahmen des ung. →Komitatssystems. 1556 wurde M. an das Fsm. →Siebenbürgen angeschlossen (→Partium) u. 1703 an das Kgr. Ungarn. Seit dem →Ausgleich v. 1867 war M. Teil der transleithanischen Reichshälfte u. in drei Komitate untergliedert: Máramaros, Ugocsa u. Szatmár. Die Hauptstadt des 9.720 km2 großen Komitats war Mármarossziget (rum. Sighetul Marmaţiei), dort lebten hauptsächlich Ungarn u. Juden. 1910 zählte das Komitat Máramaros 357.705 E, davon 44 % →Russinen, 24 % Rumänen, 17 % Deutsche u. 15 % Ungarn. Der Rum. Nationalrat v. Siebenbürgen beanspruchte im Dezember 1918 die Kontrolle über das Gebiet. Die Pariser Friedenskonferenz akzeptierte 1919 den Anschluss v. M. an Großrumänien (ein Teil kam an die Tschechoslowakei) u. veranlasste ein Minderheitenschutzgesetz, durch das auch die Interessen der vielen Ruthenen/Ukrainer, Juden, Ungarn u. Deutschen gesichert werden sollten. Doch es folgte eine forcierte Rumänisierungspolitik, weswegen viele Nichtrumänen M. verließen: die Statistiken verzeichneten bereits 1923 einen beachtlichen Rückgang bei Ungarn, Deutschen u. anderen. Durch den 2. →Wiener Schiedsspruch kam M. am 30.8.1940 zu Ungarn. Von diesem Zeitpunkt an wurden alle Nichtungarn diskriminiert. Besonders hart traf es die breite jüd. Bev. v. M.: Die ung. Behörden deportierten etwa 200.000 Personen, auch aus M., im April 1944 in das dt. Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Sie wurden dort zum großen Teil ermordet (→Holocaust). Im Herbst 1944 nahmen rum. Truppen zus. mit der Sowjetarmee M. wieder ein, u. der Pariser Friedensvertrag v. 1947 sprach das Gebiet Rumänien zu (mit Ausnahme v. Nord-M., das an die Ukraine fiel). Wichtigste Erwerbszweige blieben die Landwirtschaft u. Viehzucht, ansonsten sind Forstwirtschaft u. Erzförderung v. Bedeutung.
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Quellen u. Lit. (a. →Siebenbürgen): Maramureşul din cuvinte. Antologie subiectivă de texte despre Maramureş din colecţiile Bibliotecii Judeţene “Petre Dulfu”. Hg. T. Ardelean. Baia Mare 2011; Diplome maramureşene din secolele XVI–XVIII, provenite din colecţia lui Ioan Mihalyi de Apşa. Hg. I.-A. Pop. Bucureşti 2010; M. Mesnil, Un mythe ethnographique. Le pays du Maramures. Parcours d’un(e) ethnographe dans la Roumanie de Ceauşescu, in: Between East and West. Studies in anthropology and social history. Hg. Şt. Dorondel. Bucureşti 2005, 91–106; C. Karnoouh, Vivre et survivre en Roumanie communiste: rites et discours versifiés chez les paysans du Maramureş. Paris u. a. 1998; A. Filipaşcu, Istoria Maramureşului. Baia Mare 1997 (11940); J. Nouzille, Transylvania. An Area of Contacts and Conflicts. Bucharest 1996; Voievodatul Transilvaniei. 4. Bde. Hg. Şt. Pascu. Cluj 1989; H. Dicker, Piety and Perserverence. Jews from the Carpathian Mountians. New York 1981; E. Illyés, Nationale Minderheiten in Rumänien. Siebenbürgen im Wandel. Wien 1981; G. Posea/C. Moldovan/A. Posea, Judeţul Maramureş. Bucureşti 1980. M. H.
Marica, Schlacht an der (1371) / Matica
Marica, Schlacht an der (1371). Im Tal der Marica (gr. Evros) bei der heutigen Ortschaft Ormenio (bulg. Černomen) (im äußersten NO Griechenlands, an der gr.-bulg. Grenze) wurde am 26. September 1371 ein serb. Heer v. osm. Truppen unter dem Befehl des Beglerbegs Lala Šahin Pascha vernichtet. Die Informationen über die Schlacht sind teilw. widersprüchlich (auch die Datierung ist nicht unumstritten). An der Spitze der serb. Truppen standen König Vukašin Mrnjavčević u. sein Bruder, →Despot Jovan Uglješa (→Serbisches Reich), die über das v. der osm. Expansion bedrohte Makedonien herrschten (→Makedonien [Region]. Anscheinend wurde ihr Heer mit 60.000–70.000 Soldaten, bevor es zur eigentlichen Schlacht kam, nachts in ihrem Feldlager v. den zahlenmäßig weit unterlegenen osm. Truppen überfallen. Vukašin u. sein Bruder sowie der Großteil ihrer Truppen überlebten den Überfall nicht. Ob sich im christlichen Heer auch bulg. Kontingente befanden, ist unklar. Das byz. Restreich dagegen war nicht beteiligt. Die Schlacht an der Marica öffnete den Osmanen unter Murad I. den Weg in den Zentralbalkan, obwohl Makedonien bzw. dessen östlicher Teil (mit Serres, der Chalkidike u. dem Athos) zunächst nicht v. ihnen, sondern – für rd. ein Jahrzehnt – von Byzanz, als osm. Vasallen, eingenommen wurde. Der Tod v. König u. Despot löste unter den serb. Teilherrschern neue Verteilungskämpfe aus. Vukašins Sohn, der legendäre Königssohn Marko (König v. Prilep) wurde osm. Vasall ebenso wie der bulg. Zar Ivan Šišman u. die Brüder Jovan u. Konstantin Dragaš, die das Despotat v. Velbužd (heute Kjustendil), d.h. die Region zw. Struma u. Vardar, beherrschten. Georg Ostrogorski bezeichnet die Schlacht v. 1371 als den „größten u. folgenreichsten Sieg der Türken vor 1453“. Im Unterschied zur Schlacht auf dem Amselfeld v. 1389 (→Kosovo polje), die ereignisgeschichtlich weitaus weniger folgenreich war, ist die Schlacht v. 1371 aus der kollektiven Erinnerung weitgehend verschwunden. Lit.: S. Ćirković, Marica, Schlacht an der (1371), in: Lexikon des Mittelalters, Tl. 6. 1993, Sp. 286–287; G. Ostrogorski, Serska oblast posle Dušanove smrti. Beograd 1965; G. Škrivanić, Bitka na Marici (26. septembra 1371. godine), Vojnoistorijski glasnik (1963), H. 3, 71–94; P. Tomac, Bitka na Marici, ebd. (1956), H. 1, 61–74. H. S.
Matica (serb., kroat. „(Bienen-) Königin“). Bezeichnung für süd- u. westslav. Kulturvereine. Als Reaktion auf die ein Jahr zuvor erfolgte Gründung der Ung. Gelehrtengesellschaft (→Akademien) riefen wohlhabende serb. Kaufleute unter Führung des Rechtsgelehrten Jovan Hadžić 1826 in Pest die serb. M. („Matica serbska“) ins Leben. Ziel des Vereins war die Förderung u. Verbreitung der serb. Kultur im Kgr. →Ungarn durch die Errichtung einer Bibliothek (ab 1838), die Veröffentlichung v. Literatur u. Zeitschriften (darunter der Literaturzeitschrift „Letopis Matice srpske“, ab 1824), die Vergabe v. Preisen, Stipendien u.ä. 1864 verlegte der Verein seinen Sitz nach Novi Sad (→Vojvodina), wo er bis zur Gegenwart eine umfangreiche kult. Tätigkeit (u. a. Herausgabe des Wörterbuchs der skr. Sprache in 6 Bänden, 1967–76, u. des jug. Schriftstellerlexikons in 5 Bänden) entfaltete. Nach dem Vorbild des serb. Kulturvereins entstand 1831 in Prag die tschechische M., der elf Jahre später die Gründung der kroat. M. in →Zagreb folgte. Gleich ihren Vorbildern kämpfte auch die kroat. M., die bis 1843 unter dem Namen „Matica ilirska“ (→Illyrismus) auftrat, für die kult.
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Matica / Medrese
Bewusstwerdung u. Emanzipation der habsb. Slaven bzw. Südslaven. In der adriatischen Küstenstadt Zadar wurde nach einem ersten Versuch (1849) 1862 eine dalmatinische M. begründet, die sich 1911 mit der „Matica Hrvatska“ vereinigte, die seit 1879 auch in →Sarajevo eine Zweigstelle unterhielt. 1863 folgte die Eröffnung der slowak. M. („Matica Slovenská“) in Turčiansky Sv. Martin, die sich schnell zum Zentrum der slowak. →Nationsbildung entwickelte. Nach dem österr.-ung. →Ausgleich 1867 u. dem Beginn der Magyarisierungspolitik wurde die slowak. M. 1875 verboten u. konnte erst nach 1918 ihre Tätigkeit wieder aufnehmen. 1864 schließlich war in →Ljubljana auch eine slowen. M. („Matica Slovenska“) ins Leben gerufen worden. Alle Vereine spielten eine wichtige Vorreiterrolle bei der Ausformung u. Popularisierung der jeweiligen Nationalkultur u. leisteten auch dem pol. Nationalismus mitunter kräftigen Vorschub. Aufgrund ihres nationalpol. Engagements musste z. B. die M. in Zagreb nach dem „kroatischen Frühling“ 1971 ihre Tätigkeit einstellen, die sie erst 20 Jahre später wieder aufnehmen konnte. Lit.: A. Rodinis, Matica Hrvatska Sarajevo: 130 godina, 1879–2009. Sarajevo 2011; N. Došić, Matica Srpska 1941–1945. Novi Sad 2011; V. Aralica, Matica Hrvatska u Nezavisnoj Državi Hrvatskoj. Zagreb 2009; T. Winkler/M. Eliás u. a., Matica Slovenská. Dejiny a prítomnost. Martin 2003; B. Simunović, Matica Srpska u Kraljevini Jugoslaviji. Beograd ca. 1997; Ž. Milisavac, Matica srpska 1826–1964. Novi Sad 1965; J. Ravlić/M. Somborac, Matica hrvatska 1842–1962. Zagreb 1963; Matica srpska 1826–1926. Novi Sad 1927; I. Lah, Začetki Slovenske Matice. Ljubljana 1921; P. Karlić, Matica dalmatinska. 3 Bde. Zadar 1913; T. Smičiklas, Povijest Matice hrvatske (1842–1892). Zagreb 1892. H. S.
Medrese (aus arab. madrasa „Ort, an dem man liest, studiert“). Öffentliche (Hoch-)Schule im Unterschied zur Mekteb („Grundschule“). An der klassischen M. wird in erster Linie isl. Recht, daneben arab. Grammatik, Rhetorik, Logik, Koranexegese, Dogmatik u. Traditionswiss. (arab. ḥadīṯ) sowie Rechnen, Astronomie u. Philosophie gelehrt. Ihre Entstehung wird häufig mit dem seldschukischen Wesir Nizam al-Mulk (†1092) u. seinen Maßnahmen zur Festigung der sunnitischen Orthodoxie in Verbindung gebracht, doch liegen die Ursprünge der M. früher. – Im →Osm. Reich entwickelte sich als Ausbildungsstätte der →Ulema u. Herzstück der →Ilmiye ein komplexes System von M. mit strenger Hierarchie. Vor der Einnahme v. →Konstantinopel spielten die Gründungen zu Iznik, Bursa u. Edirne in der Rangordnung der osm. M. eine führende Rolle (angefangen mit Iznik, deren M. durch Orhans Sohn Süleyman Pascha erbaut wurde u. als ältestes osm. Bauwerk seiner Art erhalten ist). Die v. Mehmed II. (1451–1481) in Istanbul neben seiner Moschee eingerichteten acht mit zahlreichen Zellen für Studenten u. je einen Innenhof ausgerüsteten M. (genannt die sahn-i seman „acht Höfe“) bildeten jedoch seitdem die Spitze der osm. M.-Hierarchie, wo die Anwärter für die höchsten →Kadi-Ämter des Reiches studiert haben mussten.
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Lit.: M. Traljić u. a., Gazi Husrev-begova medresa u Sarajevu. 450 generacija – Sarajevo, 1537./943. h. g.– 2000./1421. h. g. Sarajevo 2000; J. Pedersen/[G. Makdisi]/M. Rahman/R. Hillenbrand, Mad-
Meerengenfrage
rasa, in: EI² (Bibl.); O. Nakičević, Arapsko-islamske znanosti i glavne škole od XV do XVII vijeka (Sarajevo, Mostar, Prusac). Sarajevo 1988; M. Bilge, İlk Osmanlı Medreseleri. İstanbul 1984; D. Brandenburg, Die Madrasa. Ursprung, Entwicklung, Ausbreitung u. künstlerische Gestaltung der islamischen Moschee-Hochschule. Graz 1978; H.G. Majer, Vorstudien zur Geschichte der Ilmiye im Osmanischen Reich. München 1978; C. Baltacı, XV.–XVI. Asırlar Osmanlı Medreseleri. İstanbul 1976. M. U.
Meerengenfrage (türk. Boğazlar Meselesi; eng. Straits Question; fr. Question des Détroits): Die Problematik der Regelung der freien Passage für Handels u. besonders Kriegsschiffe durch die Meerengen der Dardanellen u. des Bosporus sowie durch das dazwischenliegende Marmara-Meer. Die 68 km langen Dardanellen (in der Antike: Hellespont; türk. Çanakkale Boğazı) verbinden die Ägäis mit dem Marmara-Meer; der 30 km lange Bosporus (türk. Boğaziçi) mit Istanbul an seinen beiden Ufern stellt die Verbindung zum Schwarzen Meer her. Die Anfänge der M. gehen auf den Frieden v. →Küçük Kaynarca (1774) zurück, als das Zarenreich zum ersten Mal als eine Schwarzmeermacht anerkannt wurde u. dabei auch das Recht des freien Handels durch die Meerengen erhielt. Mit der Annexion der →Krim (1783) kam →Russland in die Lage, einen wachsenden Einfluss auf die Gestaltung der pol. Verhältnisse auf dem Balkan u. im Nahen Osten auszuüben. Ein wichtiges Ziel seiner Außenpolitik war es, die Meerengen für Kriegsschiffe fremder Staaten zu sperren, während die russ. Flotte freie Passage erhalten sollte. Die M. wurde zu einem wichtigen Bestandteil der →Orientalischen Frage. In der ägyptischen Krise v. 1833 trat das Zarenreich als Beschützer des Sultans auf u. erhielt als Gegenleistung die Zusicherung, dass die Meerengen für fremde Kriegsflotten geschlossen bleiben sollten (Defensivallianz v. Hünkâr İskelesi vom 8.7.1833). England, Österreich u. Preußen konnten jedoch bei der zweiten ägypt. Krise v. 1839–41 diesem russ. Alleingang im Orient wirksam entgegentreten. Auf der Grundlage der Schließung der Meerengen für alle nichtosm. Kriegsschiffe kam mit der Londoner Meerengenkonvention vom 15.7.1841 ein Interessenausgleich zustande, der bis zum →Krimkrieg 1853–56 anhielt u. zur für Russland demütigenden Neutralisierung des Schwarzen Meeres im Frieden v. →Paris 1856 führte. Erst während des preußisch-frz. Krieges v. 1870/71 erreichte Russland eine Revision der sog. Pontusklauseln des Pariser Friedens u. somit das Recht zu erneuter Flottenrüstung am Schwarzen Meer. Mit der →Orientalischen Krise 1875/78 wurde die M. erneut auf die Tagesordnung der europ. Politik gehoben. Als die russ. Armee im Frühjahr 1878 bis vor die Tore Istanbuls vorstieß, entsandte Großbritannien seine Mittelmeerflotte in die Meerengen. Die russ. Diplomatie konnte im Vorfrieden v. San Stefano (1878) dennoch einen spektakulären Einflussgewinn verbuchen, der jedoch auf dem →Berliner Kongress (1878) zu einem erheblichen Teil rückgängig gemacht wurde. Die M. wurde während des 1. →Wk.s erneut Gegenstand der großen Politik. So erkannten die Westmächte am Vorabend ihrer Dardanellen-Offensive das Recht Russlands an, Konstantinopel u. die Meerengen zu annektieren (18.3.1915). Der äußerst verlustreiche Kampf um die Dardanellen zw. den Entente-Mächten u. dem Osm. Reich 1915 (Schlacht v. Gallipoli, in der türk. Historiographie: Schlacht v. Çanakkale) endete mit einer Niederlage der Entente. Am Kriegsende wurden die Meerengen (Vertrag v. →Sèvres) demilitarisiert u.
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Meerengenfrage / Megali Idea
auf der Basis des Prinzips der freien Durchfahrt für Handels wie Kriegsschiffe aller Nationen unter die Kontrolle einer internationalen Kommission gestellt. Der Friede v. →Lausanne (24.7.1923) stellte die Meerengen zwar unter türk. Souveränität, doch wiederum als entmilitarisierte Zone unter Kontrolle eines internationalen Gremiums. Auch der Grundsatz der freien Durchfahrt für alle Handels- u. Kriegsschiffe wurde, mit gewissen Einschränkungen für die letzteren, bestätigt. Die volle Souveränität der Türkei über diese Zone wurde erst in der Meerengenkonvention v. Montreux (20.7.1936) hergestellt. Die bald remilitarisierten Meerengen rückten am Vorabend des 2. Wk.s erneut ins Blickfeld der Mächtepolitik. So versuchte die Sowjetunion im September 1939 erfolglos, eine Revision des Vertrags v. Montreux zu erreichen. Nach dem Beginn des dt. Russlandfeldzuges 1941 sah sich Ankara auch dem Druck der Westmächte ausgesetzt, die die freie Passage für ihre Schiffe verlangten. Die Alliierten erzielten in Potsdam (Juli–August 1945) zwar Einigkeit darüber, dass der Meerengenstatus revidiert werden müsse. Unter dem Eindruck des →Bürgerkrieges in Griechenland kam es jedoch zur Verkündung der →Truman-Doktrin (12.3.1947; a. →Kalter Krieg), die die territ. Unversehrtheit nicht nur Griechenlands, sondern auch der Türkei garantierte. Nach der Aufnahme beider Länder in die Nato (1952) ließ der sowj. Druck auf Ankara merklich nach. Die M. war in letzter Zeit erneut Gegenstand der Diskussion. Unter Hinweis auf die Verdichtung des Schiffsverkehrs u. die voraussehbaren katastrophalen Folgen v. Schiffsunfällen für die Millionenstadt Istanbul strebt die Türkei eine Revision der Reglements betreffend die Durchfahrt an. Vorerst wurde mit den „Maritime Traffic Regulations for the Turkish Straits and the Marmara Region“ vom 1.7.1994 ein System der Verkehrstrennung für die Schiffahrt eingeführt. Lit.: R. Bobroff, Roads to glory. Late imperial Russia and the Turkish Straits. London, New York 2006; S. Seydi, The Turkish Straits and the Great Powers. From the Montreux Convention to the Early Cold War, 1936–1947. Istanbul 2003; St. Birkner, Die Durchfahrtsrechte von Handels- u. Kriegsschiffen durch die türkischen Meerengen. Berlin 2002; Turkish Straits. New Problems, New Solutions. Istanbul 1995; A.L. Macfie, The Straits Question, 1908–36. Thessaloniki 1993; A.R. de Luca, Great Powers Rivalry at the Turkish Straits: The Montreux Convention and Conference of 1936. Boulder/CO 1981; H.N. Howard, Turkey, the Straits and U.S. Policy. Baltimore 1974; B. Jelavich, The Ottoman Empire, the Great Powers, and the Straits Question, 1870–1887. Bloomington u. a. 1973; F.A. Vali, The Turkish Straits and NATO. Stanford/CA, 1972; F.C. Erkin, Les relations turco-soviétiques et la Question des Détroits. Ankara 1968; C. Tukin, Osmanlı İmparatorluğu Devrinde Boğazlar Meselesi. İstanbul 1947; V.J. Puryear, England, Russia and the Straits Question, 1844–1856. Berkeley/CA 1931; S. Gorianow, Le Bosphore et les Dardanelles. Étude historique sur la Question des Détroits. Paris 1910. F. A.
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Megali Idea („Große Idee“). Die M.I. der Griechen hatte sich seit der Verbreitung der im pol. „Katechismus für die neu demokratisierten Griechen“ von Rigas Velestinlis (→Geheimbünde [Griechenland]) niedergelegten Vorstellungen v. seinem „Vaterland in Freiheit“ (1798) auf verschiedenen Wegen weiterentwickelt. Von seinem Plan einer polyethnischen Republik,
Megali Idea
in der Muslime, Katholiken u. Juden volle Religionsfreiheit u. Gleichberechtigung genießen sollten, blieb seit Beginn des gr. Freiheitskrieges v. 1821 (→Befreiungskriege [nationale]) nur der Wunsch nach Vereinigung aller Griechen in einem Nationalstaat. Die M.I. war nicht nur gr. Ursprungs. Friedrich Thiersch, der v. der „Intellektuellenreligion“ faszinierte →Philhellene, trat für die Restauration des Byz. Reiches unter der Ägide der Heiligen Allianz ein, weil das neugr. Reich eine Hauptstütze der europ. Freiheit u. Beschirmerin der Christen des Orients werden sollte. Jules Armand Polignac hatte kurz vor dem Frieden v. →Adrianopel (14.4.1829) in einer Denkschrift vorgeschlagen, →Konstantinopel zur Hauptstadt des befreiten Griechenlands zu machen u. Konstantinos D. Schinas, Vertreter lib. Modernisierungsmaßnahmen in Hellas u. Gründungsrektor der Otto-Universität Athen forderte 1837, die Weisheit der westl. Welt auch dem Orient zu vermitteln. Diese Vorstellung v. der Mittlerfunktion u. der „Erleuchtung“ des Ostens vertiefte Ioannis Kolettis, der mit Thiersch in Verbindung stand, 1844 in der Verfassungsgebenden Nationalversammlung, um die Einheit der im Werden begriffenen Nation u. deren moralische Regeneration zu stärken. Alexandros Rizos Rangavis wollte aus Hellas (→Griechenland) einen Vorbildstaat machen, dessen Ausstrahlung das kult. Niveau der noch außerhalb des Kgr.s lebenden Griechen deutlich heben sollte. Seit der zweiten H. des 19. Jh.s traten die irredentistischen Komponenten der M.I. (a. →Irredentismus) stärker in den Vordergrund pol. Programme, ohne klar definierte Ziele zu entwickeln. Als hist. Mission der Griechen galt neben der Bildungsförderung auch die Angliederung der v. orth. Christen bewohnten Gebiete des Balkans, Kretas u. Kleinasiens. Das gr. Königspaar Otto u. Amalie (→Wittelsbacher) hoffte, seinen Thron nach Konstantinopel verlegen zu können. Die Königin hatte ihr Mustergut Eptalofos (Siebenhügel) genannt, um den Bezug zu der Stadt auf den sieben Hügeln, Konstantinopel, herzustellen u. der Hoffnung auf Rückeroberung der Hauptstadt des Byz. Reiches pol.-historisierenden Ausdruck zu verleihen. Die Identifikation Ottos mit der M.I. u. die ungeklärte Thronfolge führten 1862 zu seiner Absetzung, weil England eine territ. Erweiterung auf Kosten des Osm. Reiches nicht dulden wollte. Charilaos Trikoupis, Iannis Psycharis, Kostas Palamas, Konstantinos Paparrigopoulos u. andere Politiker, Geisteswissenschaftler u. Journalisten haben der M.I. in der zweiten H. des 19. Jh.s Popularität verschafft, die sich auch auf die Architektur auswirkte. Die Glorifizierung des Byz. Reiches hatte sich zu einer unlösbaren Einheit mit dem Anspruch auf die hist. Räume des Griechentums verknotet. Die M.I. mit Hilfe einer kirchl.-ökumen. Erneuerung zu verwirklichen, war der spätphilhellenische Wunschtraum Friedrich Fabris v. der Barmer Missionsgesellschaft. Der Geschichtsmythos v. der Rückeroberung Konstantinopels erhielt durch die Ehe des Kronprinzen Konstantin (→Sonderburg-Glücksburg) mit Prinzessin Sophia, der Schwester Ks. Wilhelms II., in Verbindung mit den 1. Olympischen Spielen v. 1896, neuen Auftrieb. Trotz der milit. Katastrophe v. 1897 (→Kreta) behielt die M.I., ein Griechenland an zwei Kontinenten u. fünf Meeren zu errichten, bis zur „kleinasiatischen Katastrophe“ (→Griechenland) die Vorherrschaft im pol. Handeln. Ihrer Sogwirkung konnte sich bis 1922 kein im öffentlichen Leben stehender Grieche entziehen. Lit. (a. →Griechenland, seit 1821): A. Souraiti/A. Kazamias, The imaginary topographies of the Megali idea. National territory as utopia, in: Spatial conceptions of the nation. Modernizing geo-
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Meglenorumänen
graphies in Greece and Turkey. Hg. P. N. Diamandouros. London u. a. 2010, 11–34; I. Zelepos, Die Ethnisierung griechischer Identität 1870–1912. Staat u. private Akteure vor dem Hintergrund der „Megali Idea“. München 2002; E. Turczynski, Friedrich Thiersch als Förderer der „Großen Idee“, in: Dimensionen griechischer Literatur u. Geschichte. Festschrift für Pavlos Tzermias. Hg. G. Hering. Frankfurt/M. 1993, 177–185; G. Hering, Die politischen Parteien in Griechenland 1821–1936. 2 Teile München 1992; D. Kontos, Konstantinos Paparrigopoulos and the Emergence of the Idea of a Greek Nation. Ann Arbor 1987; T.G. Tatsios, The Megali Idea and the Greek-Turkish War of 1897: The Impact of the Cretan Problem on Greek Irredentism, 1866–1897. Boulder/ CO 1984; G. Laios, Tour la Reine. Athen 1977; D.A. Zakythinos, The Making of Modern Greece. From Byzantium to Independence. Oxford 1976. E. T.
Meglenorumänen (a. unzutreffend u. mehrdeutig: Megleniten, Meglenovlachen; rum. Meglenoromâni u. Megleniţi, Eigenbez. „vla“, pl. „vlaş“, vgl. →Vlachen). Seit etwa 1900 übliche Bezeichnung einer nur noch ca. 5.000–6.000 Personen umfassenden ethn. Gruppe, die in der Landschaft Meglen (Moglena, auch Karadžova, gr. Aridaia) im mak.-gr. Grenzgebiet beheimatet ist, v. a. in den mak. Ortschaften Gevgelija (1500 Personen) u. Bogorodica u. in Griechenland in Archangelos (meglenor. Oşiń), Karpē (meglenor. Ţărnareca), Periklea (meglenor. Birislăv), Skra (meglenor. Liumniţa u. Langadia (meglenor. Lundiń) sowie in allen größeren Orten der Umgebung bis Thessaloniki u. Skopje. Ihre Ethnogenese, die schon C. Jireček beschäftigt hat, ist ebenso ungeklärt wie das hist. Verhältnis ihres stark bulg.-mak. beeinflussten romanischen Idioms (meglenor. vlăşeşte ist keine kodifizierte Schriftsprache) zum Aromunischen (→Aromunen) u. zum Dakorumänischen (→Rumänen). Linguistisch liegt es zw. diesen, u. manche aromun. Subdialekte (mak. Orte Gopeš, Malovište) scheinen ein meglenorum. Substrat aufzuweisen. Von den Aromunen unterscheidet sie aber auch ihre trad. Beschäftigung als Ackerbauern. Im 19. Jh. schlossen sich viele M. der aromun. Nationalbewegung an u. wanderten um 1925 in die rum. →Dobrudscha aus (v. a. Cerna bei Tulcea). Die angeblich im 18. Jh. islamisierten meglenor. Einwohner des heute gr. Ortes Enōtia (meglenor. Notă) gingen um 1925 in die Türkei u. wurden z. T. in Tekirdağ am Marmarameer angesiedelt (guter Spracherhalt). Nach dem gr. Bürgerkrieg gelangten einzelne M. als Flüchtlinge in osteurop. Länder (v. a. Polen) u. nach Zentralasien (Taschkent). Lit.: Th. Kahl, Zur Islamisierung der meglenitischen Vlachen (Meglenorumänen), Zeitschrift für Balkanologie 38 (2002), 31–55; P. Atanasov, Le mégléno-roumain de nos jours. Hamburg 1990; M.G. Papageōrgiu, Paramythia apo mythus archaiōn hellēnikōn poiētikōn ergōn pu chathēkan kai alla paramythia tu blachophōnu chōriu Skra (Liumnitsa). 2 Bde. Thessalonikē 1984; B. Wild, Meglenorumänischer Sprachatlas. Hamburg 1983; M. Caragiu-Marioţeanu, Compendiu de dialectologie română (nord- şi sud-dunăreană). Bucureşti 1975, 266f.; S. Puşcariu, Die rumänische Sprache. Ihr Wesen u. ihre volkliche Prägung. Leipzig 1943, 271-276; T. Capidan, Meglenoromânii. 3 Bde. Bucureşti 1925–[1936]; G. Weigand, Vlacho-Meglen. Leipzig 1892. M.D. P. 596
Metohija / Migrationen
Metohija (v. gr. metochion „Klostergut“). Westl., admin. nicht gesonderter Teil v. →Kosovo: ca. 3.340 km² mit 790.000 E (2002). Wichtigste Städte: Peć/Peja, Djakovica/Gjakova u. Prizren (das hist. nicht immer zum Begriff der M. gerechnet wurde). Der Name weist auf die reichen Besitzungen hin, die serb. Klöster: Dečani, Sv. Arhangel v. Prizren, das Athoskloster Hilandar (→Athos) sowie das →Patriarchat v. Peć im MA dort hatten. Für die v. a. von serb. Seite als solche verstandene Landschaft M. in ihrem heutigen Umfang wurde der Name erst seit 1919 gebraucht. Im MA lagen im Bereich v. M. mehrere Župen (Patkovo, Hvosno, Podrimlje, Kostrc, Drškovina). In osm. Zeit wurde M. Dukagjin genannt (entsprechend auch die heutige alb. Bezeichnung für M. Rrafshi i Dukagjinit „Ebene v. Dukagjin“). M. kam zum größten Teil unter Stefan Nemanja (1166–96; →Nemanjiden) zum serb. Staat u. wurde eine v. dessen dichtest besiedelten Regionen. Peć als Sitz des serb. Erzbischofs u. später des Patriarchen u. Prizren als zeitweilige Residenz des serb. Herrschers trugen dazu bei, dass M. eine der Zentrallandschaften des ma. Serbiens wurde. Unter der osm. Herrschaft (endgültig ab 1455) setzte eine allmähliche Veränderung in der Bevölkerungsstruktur ein. Zuwanderung v. Albanern aus Nordalbanien u. gleichzeitige Abwanderung v. Serben bewirkten, dass die klare Bevölkerungsmehrheit alb. wurde (z. B. 1971 80 %). Nach den →Balkankriegen 1912–13, als der nördl. Teil v. M. mont. u. der südl. serb. wurde u. nach der Gründung des SHS-Kgr.s (→Jugoslawien) setzte eine vom Staat geförderte slav. Kolonisation ein (bis 1936 7.000 Neusiedlerfamilien), die aber die Zusammensetzung der Bev. nicht dauerhaft verändern konnte. Lit. (→Kosovo): B. Bojović, Metohija (Monografija). Priština 1979; M. Lutovac, La Metohija. Étude de géographie humaine. Paris 1935. P. B.
Migrationen. Allg. jede Bevölkerungsbewegung von einem Gebiet in ein anderes bzw. von einem Land in ein anderes. Der Begriff deckt verschiedenste Abläufe u. Situationen ab: Wanderbewegungen innerhalb eines Staates oder in das Ausland; von einem Agrargebiet in ein anderes oder in ein Ballungszentrum, von der Stadt auf das Land u. umgekehrt sowie von einer Stadt in eine andere; Wanderungen von derzeitigen oder ehemaligen Kolonien ins Mutterland u. umgekehrt; es gibt saisonbedingte, grenzüberschreitende, vorübergehende u. permanente, legale u. illegale M. Ähnlich vielfältig sind die Motive: Sie können davon geleitet sein, die finanzielle Lage zu verbessern, das Überleben zu sichern oder sich vor Verfolgung relig. u. pol. Natur zu schützen (→Zwangsmigrationen). Von M. sind alle soz. Gruppen, Länder u. Nationen betroffen. Immigranten u. Immigrantinnen lassen sich zumeist dort nieder, wo bereits Gruppen ihrer ethn. Zugehörigkeit, die zu verschiedenen früheren Zeitpunkten dorthin abgewandert waren u. sich in unterschiedlichen Stadien ihres Migrationszyklus u. ihres Integrationsprozesses befinden, leben. →Südosteuropa war lange Zeit sowohl eine Pull- wie eine Push-Region, in die Menschen zuwanderten u. aus der sie flohen; erst im 19. u. 20. Jh. wurde es vorwiegend zu einer Push-Region, aus der Menschen auf der Suche nach Arbeit in das westl. Europa, in die beiden Amerikas oder nach Australien abwanderten.
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Migrationen
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In dem langen hier relevanten Zeitraum fanden zahlreiche Einzel-, aber auch Gruppenmigrationen statt, gewöhnlich von Ost nach West, aber auch von Nord nach Süd u. umgekehrt. Zu den wenigen West-Ost-Wanderungen, die SOE berührten, sind die Zuwanderung von Bev. der Appeninhalbinsel im Rahmen des Römischen Reichs u. später des →Venezianischen Überseereichs – auch im Rahmen von →Kreuzzügen –, die sog. Deutsche Ostkolonisation (11.–14. Jh.; →Kolonisation; →Deutsche) oder die Abwanderung der jüd. Bev. von der Iberischen Halbinsel Ende des 15. Jh.s in das Osm. Reich (→Sephardim) zu zählen. Die lange Geschichte der Ost-West-Wanderungen begann mit der Zuwanderung der ältesten uns namentlich bekannten ethn. Gruppen: der Griechen, Illyrer u. Thraker im zweiten Jahrtausend v. Chr. aus Asien; im 6. u. 7. Jh. n.Chr. folgte die slav., awarische u. bulg. Bev. u. Ende des 9. Jh.s die ungarische (→Slav., →Ung. Landnahme; →Awaren; →Protobulgaren). Die Fragen von Herkunft, „Urheimat“, Zuwanderung u. Ansiedlung zählen in der →Erinnerungskultur und →Historiographie zu den am heftigsten diskutierten u. politisierten. Hatte sich in kommun. Zeit in manchen dieser strittigen Fragen ein historiograph. „Waffenstillstand“ ergeben, so flackerten die Diskussionen nach 1989 erneut auf. Der vorübergehende Konsens wurde aufgekündigt. So etwa begann in der kroat. Historiographie die These von der altiranischen Abstammung des kroat. Volkes wieder eine vieldiskutierte Rolle zu spielen. In Slowenien wurde das Konstrukt einer vorslavischen – venetischen – Herkunft des slow. Ethnikums diskutiert. Gleichzeitig wurde die beinahe allseits akzeptierte Theorie von der „Urheimat“ der slav. Bev. im Bereich von mittlerer Weichsel u. Don infrage gestellt u. die These einer generellen altiran. Herkunft der Slaven aufgeworfen. Darüber hinaus wurde die bereits beinahe einhellig geteilte Auffassung, wonach das alb. Volk seine Wurzel in den Illyrern hätte, in Zweifel gezogen. Im Gefolge der Ausweitung der osm. Herrschaft seit dem 14. Jh. wanderten weitere Bevölkerungsgruppen in die Region zu: →Türken, →Roma, →Armenier, →Tataren etc. Die vordringende osm. Herrschaft löste Eroberungsmigration, d. h. Umsiedlung von Bevölkerungsgruppen im Vorfeld oder im Anschluss an die milit. Eroberung (z. B. die türk. Besiedlung im Falle →Kretas) aus. Dazu ist auch die Wiederbesiedelung der weitgehend entvölkerten Grenzgebiete im →„Triplex Confinium“, des osm.-habsb.-venez. Grenzgebiets, insbes. durch Vlachenfamilien (→Vlachen; a. →Militärgrenze) zu zählen. Die durch die osm. Eroberungen ausgelösten Migrationsbewegungen wurden Objekt der „Ausbeutung“ durch die nationalen Historiographien im 19. u. 20. Jh. Wieviele Balkan-Christen vor den osm. Eroberern flohen oder v. diesen verschleppt wurden, wird nach wie vor höchst kontrovers diskutiert. Die regional/lokal offenbar in unterschiedlicher Intensität erfolgte Flucht v. Christen lässt sich mangels verlässlicher Quellen nur bruchstückhaft rekonstruieren. Die Betonung der Flucht der alb. Bev. vor der Gefahr der osm. Besatzung nach Griechenland u. Süditalien (→Albaner) sowie die Hervorhebung der „Massenmigrationen“ von Griechen aus Kleinasien auf die Ägäischen Inseln u. die it. Halbinsel ist zwar wirklichkeitsnah, enthält jedoch hist. Fehleinschätzungen u. Übertreibungen. Dem gleichen Erklärungsmodell kann auch die Überbetonung der Abwanderung aus den Ebenen in die Gebirge zugeordnet werden, die während des ersten Jh.s der osm. Herrschaft in SOE zu beobachten war. Diese These wurde teilweise von neueren Untersuchungen revidiert.
Migrationen
Zu den Folgen der milit. Auseinandersetzungen zw. dem Osm. u. dem Habsburgerreich am Ende des 17. Jh.s (→Türkenkriege) zählen die sog. Große Serbische Wanderung von 1690 (→Serben; →Kosovo). Umgekehrt musste infolge der habsb. u. gebietsweisen venez. Eroberungen die musl. Bev. Ungarns u. Slawoniens bzw. des dalmat. Hinterlands in das territorial geschmälerte Osm. Reich abwandern. Die Formierung der postosm. Balkanstaaten im 19. Jh. veranlasste viele Muslime – freiwillig oder unfreiwillig – , ihre bisherige Heimat zu verlassen (muhadžir: Emigrant, Flüchtling). Einen anderen Migrationstyp stellen die saisonal bedingten Binnenmigrationen dar: von Bauern u. Viehzüchtern vom Gebirge in das Flachland u. umgekehrt (Halb- u. Vollnomadismus; →Transhumanz), die Migrationen in die Städte, die Aktionsräume der vielen Räuberbanden (→Haiduken; →Klephten), die saisonbedingten Migrationen von →Kaufleuten u. →Handwerkern (pečalba, kurbet); eine wieder andere die staatl. Siedlungspolitik zur Erhöhung der städt. Bev. sowohl von seiten der Venezianer als auch der Osmanen. Dazu zählt etwa auch die Migration von Griechen von Kreta auf die →Ionischen Inseln u. nach Venedig. Einem weiteren Migrationstyp könnnen die Zuwanderungen fremder Händler in Handelszentren, gewöhnlich die Hafenstädte, zugeordnet werden (etwa Genuesen u. Venezianer in →Konstantinopel/Istanbul; a. →Levantiner). Der generelle Bevölkerungsanstieg seit der zweiten H. des 19. Jh.s in Kombination mit dem gleichberechtigten Männererbrecht (vgl. →Frau, gesellschaftliche Stellung) führte dazu, dass viele Menschen ihre Subsistenzgrundlage verloren u. zur vorübergehenden oder permanenten Auswanderung gezwungen waren. Dies vollzog sich in verschiedenen Formen: als Überseewanderung, von der alle Nationen SOEs betroffen waren, als Abwanderung aus Gebirgsregionen in die Ebenen (etwa Teile der mont. Bev. vom Dinarischen Gebirge in die serb. →Šumadija) oder als landwirt. Saisonarbeit nach Zentral- u. Westeuropa. Diese Tradition wurde in den frühen 1960er Jahren als Arbeitsmigration wieder aufgenommen, sobald Jugoslawien seine Grenzen dafür öffnete. Der Zusammenbruch der komm. Herrschaft 1989/90 löste eine weitere Welle der Arbeitsmigration aus. Diese nahm teilweise Formen der Hungermigration u. Illegalität an (etwa die alb. Emigration v. a. nach Griechenland u. Italien). In vielen Ländern Europas u. Außereuropas enstanden aufs Neue Diaspora-Gemeinden, deren Mitglieder oft enge Beziehungen zu ihren Herkunftsländern pflegen (long-distance nationalism). Migration in Form der Land-Stadt-Wanderung wurde durch die Industrialisierungspolitik in den Ländern SOEs ausgelöst, mit Höhepunkt von den 1950er bis zu den 1970er Jahren (→Arbeiter). Sie resultierte in einem relativ hohen →Urbanisierungsgrad, führte zu neuen, urbanen Lebensformen, zu veränderten Geschlechter- u. Familienbeziehungen. Seit 1989 können wir neben einer allg. Tendenz in diese Richtung auch eine teilweise Revision dieses Prozesses feststellen: V. a. ältere Menschen verlassen die Städte wieder, weil sie mit ihren niedrigen Pensionen auf dem Land bessere Überlebensbedingungen vorfinden. Lit. (a. →Bevölkerung; →Slav. Landnahme; →Ung. Landnahme; →Kolonisation; →Zwangsmigrationen; →ethnische Säuberung): S. Bandžović, Bošnjaci i Turska: deosmanizacija Balkana i muhadžirski pokreti u XX stoljeću. Sarajevo 2014; Gesellschaften in Bewegung. Emigrationen aus
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Migrationen
u. Immigration nach Südosteuropa. Hgg. U. Brunnbauer/K. Novinšćak/Ch. Voss. München 2011; Migracija i ėmigracija v stranach Central’noj i Jugo-Vostočnoj Evropy v XVIII–XX vv. Sochranenie nacional’noj identičnosti i istoriko-kul’turnogo nasledija Rossii. Hg. T. A. Pokivajlova. Sankt-Peterburg 2011; Migrations from and to Southeastern Europe. Hg. A. Krasteva. Ravenna 2010; A. Despot, Migration, 1880–1914. “The distant magnet”. Transkontinentale Migration u. die südosteuropäische Diaspora in der Neuen Welt, in: dies., Amerikas Weg auf den Balkan. Zur Genese der Beziehungen zwischen den USA u. Südosteuropa 1820–1920. Wiesbaden 2010, 189– 236; Transnational Societies, Transterritorial Politics. Migrations in the (Post-)Yugoslav Region, 19th–21st Century. Hg. U. Brunnbauer. München 2009; Migration in, from, and to Southeastern Europe. Bd. 1: Historical and Cultural Aspects Hgg. K. Roth/R. Hayden. Berlin 2009, Bd. 2: Ways and Strategies of Migrating. Hgg. K. Roth/J. Lauth Bacas. ebd. 2011; Greek Diaspora and Migration since 1700. Society, Politics and Culture. Hg. D. Tziovas. Ashgate 2009; Enzyklopädie. Migration in Europa vom 17. Jh. bis zur Gegenwart. Hgg. K.J. Bade/P.C. Emmer/L. Lucassen. Paderborn u. a. 2007; U. Brunnbauer, Emigration aus Südosteuropa, 19.–21. Jh. Kontinuitäten, Brüche, Perspektiven, in: Südosteuropa. Traditionen als Macht. Hgg. E. Brix/A. Suppan/E. Vyslonzil. Wien, München 2007, 119–142; U. Brunnbauer, Jugoslawische Geschichte als Migrationsgeschichte (19. u. 20. Jh.), in: Schnittstellen. Gesellschaft, Nation, Konflikt u. Erinnerung in Südosteuropa. Festschrift f. Holm Sundhaussen. Hgg. Ders./A. Helmedach/St. Troebst. München 2007, 111–132; H. Sundhaussen, Geschichte Südosteuropas als Migrationsgeschichte. Eine Skizze, SOF 65/66 (2006/2007), 422–477; Migration im südöstlichen Mitteleuropa. Auswanderung, Flucht, Deportation, Exil im 20. Jh. Hgg. K. Zach/F. Solomon/C.R. Zach. München 2005; Migrations et diasporas méditerranénnes (Xe–XVe siècles). Hgg. M. Balard/A. Ducellier. Paris 2002; Die weite Welt u. das Dorf. Albanische Emigration am Ende des 20. Jh.s. Hgg. K. Kaser/R. Pichler/St. Schwandner-Sievers. Wien u. a. 2002; O. Katsiardi-Hering, Migrationen von Bevölkerungsgruppen in Südosteuropa vom 15. Jh. bis zu Beginn des 19. Jh.s, SOF 59/60 (2000/01), 125–148; Migration nach Ost- u. Südosteuropa vom 18. bis zum Beginn des 19. Jh.s: Ursachen – Formen – Verlauf – Ergebnis. Hg. M. Beer. Stuttgart 1999; I. Laliotou, Migrating Greece. Historical Enactments of Migration in the Culture of the Nation. Diss.phil Florence 1998; Migration in der Feudalgesellschaft. Hgg. G. Jaritz/A. Müller. Frankfurt/M. 1998; Migration, Migration History, History: Old Paradigms and New Perspectives. Hgg. J. Lucassen/L. Lucassen. Bern 1997; H. Ditten, Ethnische Verschiebungen zwischen der Balkanhalbinsel u. Kleinasien vom Ende des 6. bis zur zweiten Hälfte des 9. Jh.s. Berlin 1993; A. Ducellier u. a., Les Chemins de l’exil. Bouleversements de l’Est européen et migrations vers l’Ouest à la fin du moyen âge. Paris 1992; W. Nugent, Crossings. The great transatlantic migrations, 1870–1914. Bloomington u. a. 1992; Overseas Migration from East-Central and Southeastern Europe, 1880–1940. Hg. J. Puskás. Budapest 1990; Migrations in Balkan History. Hg. I. Ninić. Belgrade 1989; M. Just, Ost- u. südosteuropäische Amerikawanderung 1881–1914. Transitprobleme in Deutschland u. Aufnahme in den Vereinigten Staaten. Stuttgart 1988; I. Tomažič, Unsere Vorfahren – Die Veneter. Wien 1988; O. Katsiardē-Hering, Hē hellenikē paroikia tēs Tergestēs, 1751–1830. 2 Bde. Athen 1986; Lj.St. Kosier, Srbi, Hrvati i Slovenci u Americi. Ekonomsko-socijalni problemi emigracije. Beograd 1926. K. K. 600
Militärgrenze
Militärgrenze. Etwa um die Mitte des 16. Jh.s sollten sich die Grenzen zw. dem militärisch offensiven →Osm. Reich auf der einen Seite u. dem in Defensivstellung befindlichen Venedig (→Venezianisches Überseereich) bzw. Habsburgerreich (→Habsburgermonarchie) stabilisieren. Die Grenzzone verlief zw. der Drau im Osten u. der Adria im Westen quer durch →Kroatien, das erst kurz zuvor Teil des Habsburgerreichs geworden war. Alle drei Mächte entlang dieser Grenzzone begannen noch im 16. Jh., Maßnahmen zur milit. u. soz. Sicherung des jeweiligen Grenzgebiets zu ergreifen (→„Triplex Confinium“). Auf habsb. Seite sollte aus diesen Anstrengungen heraus die sog. M. mit ihrer charakteristischen u. für das neuzeitliche Europa einzigartigen Grenzergesellschaft entstehen. Während auf venez. u. osm. Seite in der ersten H. des 18. Jh.s die Privilegien der jeweiligen Grenzerbevölkerungen wieder zurückgenommen wurden, blieben diese auf habsb. Seite bis zur endgültigen Auflösung der M. i. J. 1881 bestehen. Das milit. u. soz. Projekt M. währte also etwa 350 Jahre. Zur Zeit ihrer größen Ausdehnung in der 2. H. des 18. Jh.s erstreckte sich die M. in einem schmalen v. W nach O verlaufenden Gürtel über ein Territorium von rd. 50.000 km2: v. Teilen Kroatiens (→Lika; Kordun; Banija) u. →Slawoniens über das →Banat bis nach →Siebenbürgen. Es begann damit, dass um das Jahr 1530 einige Gruppen flüchtender →Uskoken die osm.habsb. Grenze überschritten u. um Siedlungsgebiete ersuchten. Damals wies man ihnen relativ sichere im Hinterland zu: die im slow.-kroat. Grenzgebiet gelegenen Žumberačka Gora (Sichelberger Distrikt), auch Uskoken-Gebirge genannt. 1535 wurden ihnen spezielle Privilegien gewährt, die das Vorbild für weitere Privilegien sein u. die Grundzüge der entstehenden Grenzergesellschaft bereits vorformulieren sollten: freier u. abgabenfreier Grundbesitz gegen die Ableistung v. unbesoldetem Militärdienst. In den folgenden zwei Jahrhunderten sollte diese M. Stück für Stück erweitert u. territorial abgeschlossen werden. Zentrum aller milit. u. adm. Anstrengungen diesbezüglich sollten bis zur Mitte des 18. Jh.s der innerösterr. Hofkriegsrat in Graz werden. Die Vertreter →Innerösterreichs hatten in der Epoche der →Türkenkriege großes Interesse an der Festigung des Grenzgebiets in Kroatien u. waren auch bereit, entsprechende Geldmittel dazu zur Verfügung zu stellen. Als sie i. J. 1578 ein umfangreiches Programm zur Stärkung der Grenzfestungen u. für den Aufbau einer militärischen Infrastruktur im Grenzgebiet beschlossen, zeichnete sich noch nicht ab, dass die M. langfristig dem kroat. Staat entzogen u. anfänglich v. Graz u. seit der Mitte des 18. Jh.s v. Wien aus direkt verwaltet werden würde. Dass es so kam, hatte auch mit dem Wiederbesiedlungsprogramm zu tun, das dringend notwendig war, denn das Grenzgebiet war im Verlauf der jahrzehntelangen kriegerischen Auseinandersetzungen v. der bäuerl. Bev. verlassen worden; weite Landstriche waren unbesiedelt, ehemalige Kulturflächen verödeten. Dies bedeutete nicht nur für viele Grundherren den wirt. Untergang, sondern stellte auch aus milit. Überlegungen ein schwerwiegendes Problem dar. Es war klar, dass man die Grenzzone durch den bloßen Aufbau bzw. Renovierung v. Festungen u. Wachtürmen nicht würde halten können; das verödete Grenzgebiet musste wiederbesiedelt werden (wie dies auch auf venez. u. osm. Seite der Fall war). Klar war auch, dass man ohne entsprechend attraktive Privilegien u. Zusicherungen niemand zur Realisierung dieses Wiederbesiedlungsprogramms gewinnen würde. Ein Präjudiz war durch die Sichelberger Uskoken bereits gegeben. Von diesen Privilegien machte im späten 16. u. im
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Verlauf des 17. Jh.s v. a. eine Bevölkerungsgruppe Gebrauch, die auf der anderen Seite der Grenze eben in dieser Phase Gefahr lief, ihre trad. Privilegien zu verlieren: die →Vlachen (a. →Ius Valachicum). Tausende v. orth. Vlachenfamilien sollten die Grenze wechseln u. sich auf der habsb. Seite niederlassen. Freier Grund u. Boden gegen unbesoldete Wehrdienstleistung sollte zur soz. Grundlage für die sich entwickelnde Grenzergesellschaft werden. Bauern aus dem kroat. Hinterland, vielfach v. ihren Grundherrschaften (vgl. →Adel, Balkan; →Bauern) flüchtend, gesellten sich dazu. Damit war nicht nur der Kern der Grenzergesellschaft geschaffen, sondern auch die Grundlage für den administrativen Anschluss der M. an Innerösterreich. Denn obwohl die ehem. Grundherren auf dem Boden der M., allen voran das Zagreber Kapitol (→Zagreb), die Unterwerfung der Siedler unter ihre Jurisdiktion forderten, setzten die Militärbefehlshaber durch, dass die Grenzerbevölkerung unter milit. Jurdisdiktion blieb. Dies bedeutete nicht nur die de facto-Enteignung der kroat. Grundherren, sondern auch die vollständige Unterstellung der M. unter die Jurisdiktion des Hofkriegsrats in Graz. Mit der völligen Verwüstung des Grenzgebiets war auf diese Weise die Grundlage für ein soz. Experiment gelegt worden, das mit „freier Bauer u. Soldat“ treffend umschrieben werden könnte. Was aus Sicht des 16. u. 17. Jh.s möglicherweise sogar als ein sozialrev. Akt erscheinen konnte, sollte sich durch die nicht möglich scheinende soz. Weiterentwicklung als ein starker Hemmschuh erweisen. Das Problem war nämlich, dass das System nur funktionierte, wenn möglichst alle Bewohner der M. in der Symbiose Grundbesitz-Militärdienstleistung lebten. Das bedeutete jedoch, dass Zivilisten, städtische Bev., Handwerker, Händler, Gewerbetreibende u. Schriftsteller in der M. unerwünscht waren. Das bedeutete weiters, dass jegliche ges. Differenzierung ausbleiben musste. Je länger die M. bestand, desto altertümlicher sollte die starre Gesellschaftsordnung anmuten. Um die Mitte des 19. Jh.s waren etwa 98 % der Bewohner im Prinzip wehrdienstpflichtige bäuerliche Bevölkerung. Noch heute ist die ehem. M., die heutige →„Krajina“, v. dieser hist. soz. Hypothek belastet. Als i. J. 1848 in Zivilkroatien die →Bauernbefreiung beschlossen wurde (→Rev. 1848/49: Kroaten), verlor die M. aus soz. Hinsicht jeglichen Sinn. Genossen die Grenzerfamilien bis dahin gegenüber der bäuerl. Bev. Zivilkroatiens den Vorteil des freien Grundbesitzes, so verloren sie diesen Vorteil durch die Bauernbefreiung mit einem Schlag. Die bäuerl. Bev. Zivilkroatiens war nun ebenfalls frei, war jedoch nicht zur Militärdienstleistung verpflichtet. Die M. hatte sich also sozial überlebt. – Als sich die innerösterr. →Stände i. J. 1578 zur Finanzierung der M. entschlossen hatten, wurde auch eine erste adm. Struktur geschaffen, indem zwei sogenannte Generalate eingerichtet wurden: im oberslawonischen Bereich das Warasdiner u. im hochkroatischen Grenzbereich das Karlstädter Generalat mit Sitz in Varaždin bzw. dem neugegründeten Karlovac. Die steirischen Stände finanzierten ersteres, die Kärntner u. Krainer Stände letzteres. Jedes der zwei Generalate war in sog. Hauptmannschaften unterteilt. Diesen war jeweils eine gewisse Anzahl v. besoldeten Berufssoldaten u. unbesoldeten Grenzern mit ihren eigenen Befehlshabern (→Vojvoden) zugewiesen. Die Befehlshaber rekrutierten sich in erster Linie aus den Reihen der innerösterr. Stände. Diese beiden Gebiete bildeten den territorialen Kern der M. Nach der für die habsb. Truppen erfolgreichen milit. Konfrontation mit dem osm. Heer seit 1683 (Friede v. →Karlo-
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witz 1699 u. →Passarowitz 1718) wurde die M. territorial wesentlich erweitert. Im Westen wurde die →Lika angegliedert, im Osten die „Slawonische Grenze“ entlang der Save bis vor Belgrad, weiters die „Banater“ sowie die „Siebenbürger“ Grenze. Gleichzeitig wurden Maßnahmen eingeleitet, die die Schaffung eines geschlossenen Militärgrenzterritoriums zum Ziel hatten. Dies wurde durch großangelegte territoriale Aufkaufs- bzw. Eintauschaktionen erreicht. Im Verlauf der ersten H. des 18. Jh.s waren Innerösterreich immer zahlreichere Kompetenzen durch die Wiener Zentralbehörden entzogen worden, bis um die Mitte des Jh.s der Wiener Hofkriegsrat die Organisation der M. völlig übernahm. Er befand sich damit allerdings in einer zwiespältigen Situation, denn aus milit. Sicht war zu diesem Zeitpunkt klar, dass die M. nicht mehr nötig war; die kroat., aber auch die ung. Stände drängten vehement auf die Rückgabe der Grenzterritorien. Es wurden sogar erste Maßnahmen zur Auflösung der M. unternommen, die allerdings den geschlossenen Widerstand der Grenzerbev. hervorriefen. Kaiserin Maria Theresia entschied sich daraufhin für die Beibehaltung der M. Der Preis, den die Grenzer dafür zu zahlen hatten, war relativ hoch: die völlige Militarisierung. Die M. wurde in eine einzige Kaserne umgewandelt: Die hist. gewachsenen Verwaltungsstrukturen wurden durch neue, die einem Armeeaufbau nachempfunden wurden, ersetzt. Sie wurde in Regimentsbereiche eingeteilt; jeder hatte ein vollständiges Regiment zu stellen. Die Dörfer wurden analog zu Kompanien zusammengefasst. Seit der Mitte des 18. Jh.s wurde jede organisatorische Maßnahme unter dem Gesichtspunkt beurteilt, ob sie im Sinne einer möglichst effizienten Militärdienstleistung war. Dies ging z. B. sogar so weit, dass den Familien (zadruga) die Teilung verboten wurde (vgl. →Großfamilien), da man kleinen Familien keine männliche Arbeitskraft für eine ständige Militärdienstleistung entziehen konnte. Die M. stellte zwar ihre vorgeschriebene Zahl v. Regimentern, die sich auf dem Schlachtfeld bewährten, aber im Grunde beruhte sie auf einem morbiden System, das in seinen letzten Teilen schließlich 1881 aufgelöst u. wieder an Kroatien zurückgegeben werden musste. Lit. (a. →Krajina, 1; vgl. ferner die Lit. bei den Verweislemmata): H. Petrić, Pogranična društva i okoliš. Varaždinski generalat i Križevačka županija u 17. stoljeću. Samobor, Zagreb 2012; D. Roksandić, Triplex Confinium ili O granicama i regijama hrvatske povijesti, 1500–1800. Zagreb 2003; Ottomans, Hungarians, and Habsburgs in Central Europe. The military confines in the era of Ottoman conquest. Hgg. G. Dávid/P. Fodor. Leiden u. a. 2000; V. Dabić, Vojna krajina. Karlovački generalat (1530–1746). Beograd 2000; K. Kaser, Freier Bauer u. Soldat. Die Militarisierung der agrarischen Gesellschaft in der kroatisch-slawonischen Militärgrenze (1535–1881). Graz 21997; R. Egger, Hofkriegsrat u. Kriegsministerium als Zentralverwaltungsbehörden der Militärgrenze, MÖStA 43 (1993), 74-93; Gradja za istoriju Vojne granice u XVIII veku. Hgg. S. Gavrilović u. a. 6 Bde. Beograd 1989–2011; V. Dabić, Banjska krajina 1688–1751. Beograd, Zagreb 1984; M. Valentić, Vojna krajina i pitanje njezina sjedinjenja s Hrvatskom 1849–1881. Zagreb 1981; C. Göllner, Die Siebenbürgische Militärgrenze. München 1974; G. Rothenberg, Die österreichische Militärgrenze in Kroatien 1522–1881. Wien 1970; J. Amstadt, Die k.k. Militärgrenze 1522–1881. Würzburg 1969. K. K. 603
Millet
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Millet (v. arab. milla „Religion“). Vielfach mit „Volk“, „Nation“ übersetzt, bilden die M. nach „klassischem“ Verständnis die Grundbausteine des sog. M.-Systems. Nach weitverbreiteter, jedoch inzwischen z.T. revidierter Ansicht handelt es sich hierbei um ein System zur Verwaltung u. Kontrolle der nichtmusl. Untertanen des →Osm. Reiches im Status v. →Zimmis durch eine Art v. Indirect Rule. Der osm. Staat habe mit seiner Zimmi-Bev. nicht individuell verkehrt, sondern kollektiv über den Repräsentanten der jeweiligen Religionsgemeinschaft (=Millet). Deren geistl. Oberhaupt (türk. millet başı) in Gestalt des →Patriarchen, Katholikos oder Rabbi gilt dabei als osm. Verwaltungsbeamter, der dem Staat gegenüber für seine Glaubensgemeinschaft verantwortlich zeichne, während er dieser gegenüber die Belange des Staates zu vertreten habe. Durch diese Einrichtung eines M.-Systems sei es den nichtmusl. Religionsgemeinschaften im Osm. Reich möglich gewesen, unter Wahrung eigener Jurisdiktion, Besteuerungshoheit u. – in den ihnen durch die →Scharia gewiesenen Grenzen – freier Kultausübung weitgehend außerhalb direkter osm. Einflussnahme fortzuexistieren, um im 19. Jh., wie im Falle v. Griechen u. Südslaven, erneut Staatlichkeit zu erlangen. – Tatsächlich ist dieses überkommene Bild vom „Ethnarchen“ als eines osm. Beamten an der Spitze seiner Glaubensnation, die er quasi als Staat im Staate verwaltet habe, nicht gänzlich falsch, aber gewiss ahistorisch. Am ehesten noch beschreibt es die Verhältnisse, wie sie sich im Laufe des 19. Jh.s unter dem Einfluss westl. Ideen u. moderner osm. Reformen (→Tanzimat) entwickelt haben. Für die Zeit bis zum Ende des 18. Jh.s vermittelt es hingegen einen unzutreffenden Eindruck. Zwar haben die osm. Sultane die v. ihnen unterworfene Bev. extrem heterogener Zusammensetzung in sprachl., relig. u. kult. Hinsicht seit Anbeginn nach bestimmten Verfahrensweisen (sicher z. T. in Anlehnung an die Praxis früherer isl. Staaten) kategorisiert, gruppiert u. organisiert, um sie auf diese Weise besser kontrollieren zu können (u. sei dies nur aus fiskalischen Gründen). Sie haben ihnen dort, wo die Obrigkeit hineinzuregieren keine Veranlassung oder keine Möglichkeit sah, Freiräume u. Autonomien belassen, die es der Bev. erlaubten, eigenen Gebräuchen u. Rechtsnormen zu folgen u. Streitigkeiten wie Steuerumlagen intern zu regeln. Dies gilt jedoch nicht allein für Religionsgemeinschaften (einschließlich der musl.), sondern beispielsweise für Dorfschaften u. →Esnaf in ähnlicher Weise. So konnte Benjamin Braude im Zuge seiner Revision des historiogr. Konstruktes „M.-System“ für das Osm. Reich vor dem 19. Jh. die These aufstellen, ein allg. adm. System zur Integrierung der osm. Nichtmuslime in den Verwaltungs- u. Staatsapparat habe es ebensowenig gegeben wie diesbezügliche Verwaltungsstrukturen oder Verwaltungseinrichtungen. Nicht einmal eine einheitliche Bez. für die relig. definierten Kollektive osm. Zimmis sei in den Quellen auszumachen. – Was genau osm. Kanzleien zu verschiedenen Zeitpunkten u. in wechselnden Zusammenhängen unter M. verstanden haben mögen, ist keineswegs immer eindeutig zu klären. In vielen Fällen ist M. am besten mit „Religion“, „Konfession“ u. „Ritus“ zu übersetzen, was zweifellos der Grundbedeutung v. M. entspricht. In der (abgeleiteten) Bedeutung „Religionsgemeinschaft, Glaubensnation“ bezeichnet M. primär die Gruppe der Muslime (!), daneben ausländische (!) Christen wie die im Lande ansässigen Europäer, wenn diese auch häufiger andere Gruppenbezeichnungen führen. Eine dritte Verwendung v. M. für „(souveräne) Nation“, „Volk“, „Volksteil“ lehnt sich offenbar an den nationes-Begriff des
Millet
Abendlandes an u. findet schon in den ersten Jahrzehnten des 19. Jh.s für die aus dem osm. Staatsverband der jure oder faktisch ausgeschiedenen Serben u. Griechen Verwendung. – Es fällt auf, dass gerade die im Zusammenhang mit dem sog. M.-System erwähnten osm. Zimmis vor dem 19. Jh. keineswegs durchweg als M., sondern oft unter anderen Kollektivbezeichnungen Erwähnung finden. In osm. Verwaltungsakten dieser Zeit fehlt für sie die Bez. M. nahezu gänzlich. Der Grund hierfür ist wohl darin zu suchen, dass M. entgegen weitverbreiteter Ansicht ursprünglich kein Bestandteil des administrativen, sondern des relig.-pol. Vokabulars gewesen ist. Vermutlich verband sich mit ihm die Vorstellung staatl. Protektion, wie sie der osm. Herrscher Untertanen fremder Mächte durch die →Kapitulationen zusicherte u. wie sie die osm. Muslime als Untertanen eines isl. Staates ohnehin genossen. Die besonderen Fälle der Verwendung v. M. für Gruppen osm. Zimmis weisen in dieselbe Richtung. Weit davon entfernt, mit dem Wort M. adm. Einheiten bezeichnen zu wollen, in die die Regierung die Gesamtheit ihrer Zimmis aufgeteilt hätte, um diese besser in den osm. Apparat integrieren zu können, lässt die Verwendung des Terminus durch den Kanzleichef in der Reichshauptstadt die Deutung zu, dass hiermit Kollektive pol. Bedeutung hervorgehoben werden sollten, u. zwar durchaus im Sinne pol. Subjekte. Dabei scheint die Frage keine Rolle gespielt zu haben, ob die fragliche Glaubensgemeinschaft auch über eine einheitliche, reichsweite Hierarchie mit klaren Strukturen verfügte wie im Falle der orth. Christen (→Orthodoxie), oder, wie bei den Juden, die bekanntlich trad. keinerlei Hierarchie kannten, in weitverstreuten u. voneinander unabhängigen Kongregationen lebten (→Juden [Überblick]; →Sephardim). Entscheidend für die Anerkennung einer solchen M. durch die Zentralregierung dürfte vielmehr gewesen sein, dass sie sich der Protektion durch den osm. Zentralstaat erfreute – sei dies auf der Grundlage v. →Kapitulationen, Schutzabkommen (ahdname) oder anderer herrscherlicher Zugeständnisse. Als Mehmed der Eroberer (1451–1481) den Führer der Anti-Unionisten (vgl. →Unierte), Gennadios, 1454 „zum Patriarchen u. Erzpriester der Christen [einsetzte] mit vielen Würden u. Pflichten, indem er ihm unter vielem anderen auch die volle Amtsgewalt der Kirche schenkte sowie ihre sonstige Macht u. Herrschaft im selben Umfang, wie ihr diese auch vorher v. den Kaisern eingeräumt wurden“ (Kritobulos, Übersetzung Diether Roderich Reinsch), da hatte der Sultan in seinem Herrschaftsgebiet nicht zuletzt aus pol. Gründen die Rolle eines Protektors der orth. Christenheit zur Abwehr lat. Unionsbestrebungen übernommen (a. →Katholizismus). Dies mag sehr wohl die Geburtsstunde der orth. M. bedeutet haben, wie (spätere) Überlieferungen (jüngst als „Foundation Myths“ in Frage gestellt) dies auch behaupten. Festzustellen ist jedoch, dass der Terminus M. im obigen Sinne weder in den osm. Quellen des 15. Jh.s, noch in denen des 16. Jh.s vorzukommen scheint. Erst nachdem in der zweiten H. des 16. Jh.s die ersten Kapitulationsverträge mit europ. Mächten geschlossen worden waren u. seit dem 17. Jh. zur Abwehr vermehrter lat. Missionstätigkeit zugunsten der inländischen ostkirchlichen Bekenntnisse seitens der Pforte mehrfach interveniert werden musste, stößt man in manchen Befehlsschreiben (→Firman) aus der Reichskanzlei auf die Bezeichnung M. im angegebenen Sinne. Dies schließt jedoch nicht aus, dass das Konzept, wenn nicht gar die spezifische Verwendung des Terminus, auf das 15. Jh. zurückgeht, um später, nach einer Periode relativer Inaktivität der Kirche Roms im östl. Mittelmeer, im Zuge erneuter Konfrontation seit dem 17. Jh. wieder an Bedeutung zu gewinnen.
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Minderheiten (nationale/ethnische), Minderheitenschutz
Lit.: V. Kursar, Non-Muslim Communal Divisions and Identities in the Early Modern Ottoman Balkans and the Millet System Theory, in: Power and Influence in South-Eastern Europe, 16th to 19th Century. Hgg. M. Baramova u. a. Wien u. a. 2013, 97–108; B. Pekesen, Das osmanische Millet-System – Eine Form des Zusammenlebens unterschiedlicher Kulturen u. Religionen, in: Kulturkonflikte – Kulturbegegnungen. Juden, Christen u. Muslime in Geschichte u. Gegenwart. Hg. G. Gemein. Bonn 2011, 483–497; M. Kenanoğlu, Osmanli Millet Sistemi. Mit Ve Gerçek. Aksaray, Istanbul 2004; B. Hendrich, Milla – millet – Nation: Von der Religionsgemeinschaft zur Nation? Über die Veränderung eines Wortes u. die Wandlung eines Staates. Frankfurt/M. u. a. 2003; M. Ursinus, Millet, in: EI²; ders., Zur Diskussion um „millet“ im Osmanischen Reich, SOF 48 (1989), 195–207; D. Goffman, Ottoman Millets in the Early Seventeenth Century, New Perspectives on Turkey (1994), 135–158; B. Braude, Foundation Myths of the Millet System, in: Christians and Jews in the Ottoman Empire. The Functioning of a Plural Society. Hgg. ders./B. Lewis. Bd. 1. New York, London 1982, 69–88; G. Hering, Das islamische Recht u. die Investitur des Gennadios Scholarios (1454), Balkan Studies 2 (1961), 231–256. M. U.
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Minderheiten (nationale/ethnische), Minderheitenschutz. Minderheit ist ein relationaler Begriff u. setzt die Existenz einer Mehrheit voraus. Wie Mehrheiten, so entstehen u. vergehen auch M. Die Formierung v. Nationen (→Nationsbildung) in ethn. heterogenen Regionen war u. ist verbunden mit der Entstehung (nationaler oder ethn.) M. Die Zahl der M. in SOE verändert sich ständig − sei es infolge neuer Staatsgrenzen, sei es infolge Abspaltung einer Gruppe v. einer anderen Gruppe mittels pol., soz. u./oder kultureller Mobilisierung/ Bewusstwerdung, sei es durch die „Erfindung“ neuer oder die Neubewertung vorh. Merkmale (vgl. etwa →Ägypter/Ashkali). Neben anerkannten gibt es nicht anerkannte („versteckte“) M., u. es gibt M., die sich als Teil einer Nation (in einem anderen Staat) verstehen u. M., die keinen Nationsbildungsprozess durchlaufen haben oder bei denen die Nationsbildung gescheitert ist. Trotz einer Fülle gesetzlicher Regelungen zum M.-Schutz liegt bis heute keine juristische Definition vor, was eine M. ist. Ein solcher Mangel ist wohl darauf zurückzuführen, dass das Phänomen M. mit objektiven Merkmalen allein – wie Sprache u. Religion – nicht hinreichend erfasst werden kann (vgl. a. →Ethnie). Allerdings gibt es eine erhebliche Anzahl v. soziolog. orientierten M.-Definitionen, v. denen diejenigen amerikanischer Provenienz i. d. R. den Aspekt der Diskriminierung u. Benachteiligung hervorheben. Demgegenüber hebt die UNO-Definition v. 1949 das subjektive Merkmal der Identität hervor. Diese Definition ist knapp 30 Jahre später gleichfalls im Auftrag der UNO v. Francesco Capotorti wie folgt weiterentwickelt worden: „M. bedeutet eine Gruppe, die gegenüber dem Rest der Bev. eines Staates zahlenmäßig geringer ist, die sich in einer nichtherrschenden Position befindet, deren Mitglieder – als Staatsbürger des Staates – ethn., relig. oder sprachl. Eigenschaften aufweisen, die sich v. jenen des Restes der Bev. unterscheiden u. die, wenn auch nur indirekt, ein Gemeinschaftsverständnis zeigen, das darauf abgestellt ist, ihre Kultur, ihre Traditionen, ihre Religion oder Sprache zu erhalten.“ Es besteht keine notwendige, reziproke Beziehung zw. M.-Situation u. Diskriminierung, wenn z. B. in konkordanzdemokr. oder föderalist. Herrschaftssystemen alle M.-Gruppen an
Minderheiten (nationale/ethnische), Minderheitenschutz
den legislativen, exekutiven u. judikativen Funktionen entweder nach ihrem zahlenmäßigen Anteil oder prinzipiell gleichberechtigt beteiligt werden. Eine Typologisierung v. M. kann sich - an geogr. Gegebenheiten orientieren (Grenz-M., kompakt siedelnde M., Streu- oder Diaspora-M., in Insellage angesiedelte M.), - an statist. Proportionen (Anzahl u. Größe unterschiedlicher M. innerhalb einer Gesellschaft), - an objektiven Merkmalen (relig. M., Sprach-M., Abstammungsgemeinschaft, ethn. M.), - an subjektiven Merkmalen (Identitätsformen, Nationalität bzw. ethn. Gruppe als Willensgemeinschaft, Differenzierung zw. Selbst- u. Fremdeinschätzung), - an der Genesis der M. (entstanden durch Einwanderung oder durch pol. Entscheidungen wie z. B. Annexion ihres Siedlungsgebietes durch einen ethn. fremden Staat, woraus Francis die Konzeption der primären u. der sekundären M. entwickelt hat), - schließlich an Konfliktkonstellationen zw. Mehrheit u. M. (z. B. exkludierende versus inkludierende Staatsbildung bzw. unifizierende versus differenzierende →Nationsbildung mit Resultaten wie: Interessenausgleich, Autonomie, Assimilation, Auswanderung, Vertreibung, Sezession u. Separation). Im Gegensatz zum Beginn des 21. Jh.s war noch Mitte des 19. Jh.s die ethn. Landkarte SOEs in vielen Gebieten durch Fragmentierung u. Überlagerung gekennzeichnet, d.h. es lebte eine Vielzahl ethn. Gruppen kleinräumig zusammen. Ethn. homogene Siedlungsgebiete bildeten eine Ausnahme u. häufig waren selbst in solchen ethn. unterschiedliche Streusiedlungen anzutreffen. Dieser buntgewebte Teppich ethn. gemischter Siedlungsgebiete war vor allem durch →Migration, Einwanderung u. Neuansiedlungsprozesse während u. nach der osm. Herrschaft im Verlauf des Spät-MA u. der frühen Neuzeit entstanden. Hinzu gesellten sich als Folge relig. Assimilation die islamisierten →Bosniaken, Albaner, Makedonier u. Bulgaren (→Konvertiten), die auch trotz ethn. Verwandtschaft in den neuen Balkanstaaten meist schlechter behandelt wurden als die Religionsgemeinschaft der →Juden. Diese in mannigfacher Hinsicht kult. positiv wirksam gewordene ethn. Vielfalt wurde nach dem Zerfallsprozess der multinationalen Großreiche, des →Osm. Reiches (1878–1912/13) u. der →Habsburgermonarchie 1918 zu einem brisanten Konfliktfeld. Denn die insges. sieben Nachfolgestaaten (deren Zahl nach 1989 zunächst inklusive der →Moldau auf dreizehn, dann auf vierzehn anstieg, →Südosteuropa) plus Zypern verwirklichten i. d. R. einen ethn. definierten Nationalstaat. Ihrem davon bestimmten Streben nach ethn. Homogenität folgend wurden ethn. (u. im Falle der Muslime auch relig.) unterschiedliche M. deshalb ausgegrenzt, als irredentistische Bedrohung der territ. Integrität angesehen u. unterdrückt. Eine solche Vorgangsweise forderte die M. wiederum zu ihrer pol. Mobilisierung auf ethn. Grundlage heraus. Zunehmende Instabilität der betroffenen „Nationalstaaten“ u. eine die homelands der M. mit einschließende Bedrohungsperzeption seitens der Mehrheitsgesellschaft waren die Folgen. Es zeigte sich überall, dass Repression das gesellschaftslegitime Ziel einer Integration der Minderheitenbev. langfristig be- oder gar verhindert u. erheblich zur Desintegration der repressiven Regime u. Gesellschaften beigetragen hat. Als Problem der Mehrheit wurden die M. zum Opfer zahlreicher Diskriminierungs- u. Verfolgungsmaßnah-
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men, die entweder ihre Assimilation, ihre mehr oder weniger restlose Angleichung an die Mehrheitsnation zum Ziel hatten, oder die Vertreibung u. Abwanderung der M.-Bev. oder schließlich Geno- bzw. Ethnozid derselben (→ethn. Säuberung). Im Fall der nach 1918 entstandenen Grenz-M. verfolgte die Patronagepolitik des jeweiligen connationalen Nachbarstaates oftmals das Ziel einer Grenzrevision, der Wiedereingliederung des betreffenden Siedlungsgebietes (so Ungarn u. Bulgarien v. 1920 bis 1940) (→Irredentismus; →Revisionismus). Als im Kern kein M.-Problem, sondern das Problem einer missglückten Nationalstaatsbildung löste die Hegemoniestellung der Tschechen in der Tschechoslowakei u. der Serben im ersten u. im zerfallenden zweiten→Jugoslawien Separations- u. Sezessionsbestrebungen der Slowaken, Kroaten u. Slowenen aus, die sich in ihrem Recht nach Selbstbestimmung u. ihren Forderungen nach zumindest pol. Autonomie übergangen fühlten u. deshalb die nach 1989 sich ergebende Möglichkeit nutzten, ihren eigenen Nationalstaat zu begründen, einen Weg, den aus ähnlichen Gründen auch →Bosnien-Herzegowina, →Makedonien u. die Republik →Moldau einschlugen. Die gegen Diskriminierung u. Verfolgung gerichteten Maßnahmen des M.-Schutzes setzten parallel zum Zerfall der beiden Großreiche 1878 bzw. 1919/20 ein. 1878 ging es v. a. noch um den Schutz der relig. unterschiedlichen M., während nach 1918 die durch Sprache, Herkunftsgemeinschaft oder relig. Bekenntnis v. der dominanten nationalen Gruppe unterschiedene M. – diese verstanden als rein statistischer Begriff – zum Rechtsbegriff avancierte. Die v. den Großmächten sowohl 1878 im Rahmen des →Berliner Kongresses als nach 1918 in den →Pariser Vorortverträgen durchgesetzten u. vertraglich geregelten Schutzbestimmungen wurden v. den neuen Nationalstaaten als v. außen aufgezwungen betrachtet u. fanden deshalb geringe oder überhaupt keine Berücksichtigung, obwohl sie als völkerrechtliche Verträge im allg. Verfassungsrang besaßen. Die Einrichtung der Institution des 1919 geschaffenen Völkerbundes als Garantie- u. Schiedsinstanz im Konfliktfall konnte daran nur vorübergehend, nämlich bis 1934 etwas ändern. Denn der Völkerbund war im Fall v. M.-Petitionen auf die Mitwirkung seiner Mitgliedsstaaten angewiesen. Wurde ein solche verweigert, wie das Deutschland durch seinen Austritt u. Polen durch die Aufkündigung des M.-Abkommens 1934 praktizierte, war das ganze System des völkerrechtlich geregelten M.-Schutzes außer Kraft gesetzt. Insgesamt gingen im Zeitraum v. 1921 bis 1939 950 M.-Petitionen im Völkerbundsekretariat ein, v. denen rd. 550 als solche akzeptiert wurden, davon 137 aus Polen, 81 aus Rumänien, 47 aus Jugoslawien, 44 aus Griechenland u. 37 aus der Tschechoslowakei. Weitere 100 betrafen Oberschlesien. Trotz der überwiegend negativen zeitgenössischen Beurteilung dieses M.-Schutzsystems verbuchte es vor allem in den 1920er Jahren durchaus Erfolge, denn in vielen Fällen bewirkte bereits der moralische Druck, den die Annahme einer Petition oder gar deren Verhandlung auslöste, dass Diskriminierungen zurückgenommen wurden. Solange die Staatengemeinschaft, allen voran die Großmächte, den Völkerbund unterstützten, konnte auch das mit ihm verknüpfte M.-Schutzsystem seine ihm zugedachte Funktion weitgehend erfüllen. Von 1945 bis zum Zusammenbruch des Sozialismus 1989 hat die internationale Politik einen M.-Schutz im Form individualrechtlicher Regelungen auf der Basis der Menschenrechte einem Netz völkerrechtlicher Verträge vorgezogen. Heute ist man sich mehr oder weniger
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darin einig, dass beide Konzepte nicht ausreichen, das Problem des M.-Schutzes zu lösen. Zur Diskussion steht daher die Ergänzung der bisherigen Konzepte um kollektivrechtliche Schutzbestimmungen, doch kann diese Diskussion weder als abgeschlossen angesehen werden, noch ist ein solches Gesamtkonzept in irgendeiner Weise standardisiert u. völkerrechtlich befriedigend verankert. Diskriminierungsverbot u. Gleichstellungsgebot der M.-Angehörigen als die wesentlichsten Schutzklauseln der Verträge v. 1878 u. 1919/20 haben als rechtliche Gewährleistungen auch in die innerstaatl. Gesetzgebung aller Länder SOEs Eingang gefunden. Richtungsweisend hat sich bei allen legislativen Gestaltungsversuchen zur Regelung des Mehrheits-Minderheitsverhältnisses allerdings die Tatsache erwiesen, dass sich die →Verfassungen der im Verlauf des 19. u. 20. Jh.s neugebildeten Staaten inhaltlich an der frz. Verfassung orientierten als an einem unitarischen, straff zentralistisch organisierten Staat, ohne allerdings dessen primär pol. definiertes (freilich auch dort schon mit unifizierender intoleranter Sprachenpolitik verbundenes) Nationsverständnis zu übernehmen, an dessen Stelle sie vielmehr ein stark ethnozentrisch ausgerichtetes Nationalbewusstsein setzten. Dies gilt für die ung. Verfassungsbestrebungen der Jahre 1848/49 u. 1867 genauso wie für die überwiegende Mehrheit der nach 1878, 1918 u. 1989 verabschiedeten Verfassungen der Balkanländer (eine Ausnahme für die Zeit nach 1989 bilden hier nur Slowenien, Ungarn u. unter intern. Vorgaben →Kosovo). Ein derartiges Staats- u. Verfassungsverständnis ist jeglichen Autonomievorstellungen u. Selbstverwaltungs-Regionalismen gegenüber v. vornherein ablehnend oder gar feindselig eingestellt. Auf Personal-, Kultur- oder Territorialautonomie basierende Konzepte, die auf ein friedliches Zusammenleben v. Mehrheit u. M. abzielen bei gleichzeitiger Gewährleistung jeglicher Chancengleichheit für die M.-Angehörigen (was auch als aktiver, Identität bewahrender M.-Schutz bezeichnet wird), haben sich bislang deshalb nur in föderalistisch strukturierten Staaten durchsetzen lassen oder in Ländern, die sich für eine solche Entwicklung offen zeigten. Beispiele dafür sind die österr. Reichshälfte →Österreich-Ungarns v. 1867–1918 (insbes. der mährische, bukowinische u. galizische Ausgleich v. 1905, 1910 u. 1914), Finnland (Åland-Inseln), das Estland der Zwischenkriegszeit, Italien (Südtirol) nach 1945, das sozialist. Jugoslawien u. die Rep. Moldau (Territorialautonomie der →Gagausen 1994). Ein für die M.-Politik in ihrer alltäglichen Ausformung grundlegendes Axiom lässt sich aus folgender Überlegung ableiten: Begreift man Nation nicht als pol. Kollektiv, sondern als pol. Institution, die als Ergebnis der Auseinandersetzungen der Repräsentanten mobilisierter Unter- u. Mittelschichten in Sezession v. den multiethn. Imperien entstanden ist, dann bringen nicht Nationen, sondern pol. Akteure (unter Berufung auf die v. ihnen definierte u. vertretene Nationsidee) Nationalismus hervor (→Nationsbildung). Die davon geprägte pol. Elite der Länder SOEs neigt deshalb v. vornherein dazu, Prinzipien, Normen u. Maßnahmen des M.-Schutzes manipulativ mit der Zielsetzung zu missbrauchen, die Mehrheit vor den M. zu schützen, nicht umgekehrt. Da im Zentrum jeglicher Bemühungen um M.-Schutz die Sicherung der Reproduktion v. entscheidenden ethn. Merkmalen, nämlich v. Sprache, Religion u. Kultur steht, konkretisiert sich Ethnopolitik v. a. in den Bereichen Schule, Kommunikation (Massenmedien), Religions- u. Kulturgemeinschaft. In all diesen Bereichen kann der Assimilations- u. Anpassungsdruck seitens der Mehrheitsgesellschaft so ausschlaggebend
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werden, dass sich die ursprüngliche Schutzfunktion entsprechender Einrichtungen wie Schulen, Zeitungen etc. relativ mühelos ins Gegenteil verkehren lässt. Somit erhalten beispielsweise Nationalitätenschulen eine assimilierende Funktion, wenn der Unterricht primär darauf ausgerichtet ist, die Verbreitung der Staatssprache zu sichern, wie das beispielsweise in Bulgarien auf die Schulen für die türk. M. zutraf (u. zum Teil noch zutrifft) u. der Unterricht der M.-Sprache nur eine Alibifunktion erhält. M.-Politik wurde u. wird daher primär als Bündel v. in erster Linie administrativen Maßnahmen zum Schutz der Mehrheit vor der M. betrieben, wofür auch Bedrohungsperzeptionen, in denen stets der connationale Patronagestaat der jeweiligen M. einbezogen war, die Legitimationsbasis bieten. Auch die sozialist. M.-Politik ist einem solchen Instrumentalisierungskurs im Prinzip treu geblieben, auch wenn sie ein unterschiedliches Ziel verfolgte: anstelle v. Nation trat hier das sozialist. System, in das die M.-Bev. unter totaler Kontrolle der Parteiinstanzen integriert werden sollte. Die Minderheiten in SOE zu quantifizieren, erweist sich als Quadratur des Kreises u. entsprechend unterschiedlich sind die Angaben in der Lit. Das liegt einerseits daran, dass die Betroffenen ihre Selbstzuschreibung ändern können oder dass die Kriterien der Zuordnung verändert werden, andererseits an Problemen der offiziellen Statistiken. Selbst in den Volkszählungen aus der ersten H. des 20. Jh.s wurde i.d.R. nicht nach der nationalen oder ethn. Selbstzuschreibung, sondern nach Muttersprache u. Konfession gefragt. Beide Kriterien sind jedoch unzureichend. Häufig lässt sich erst durch ihre Kombination eine näherungsweise Vorstellung v. der Größe einer Minderheit gewinnen. Und auch diese Schätzungen sind in vielen Fällen umstritten. Zahlenangaben zu den M. finden sich zumeist erst in den Statistiken nach dem Umbruch v. 1989/90.
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Lit.: (allg.): E. Lahnsteiner, Minderheiten: Versuch einer völkerrechtlichen Begriffsbestimmung. Baden-Baden 2014; M.S. Merry, Equality, citizenship, and segregation. A defense of separation. New York u. a. 2013; J. Fisch, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Die Domestizierung einer Illusion. München 2010; R. Brubaker, Ethnizität ohne Gruppen. Hamburg 2007; C. Fink, Defending the Rights of Others. The Great Powers, the Jews, and International Minority Protection. Cambridge 2004; S.E. Szalayné, A kisebbségvédelem jogi intézményrendszere a 20. században. Budapest 2003; M. Scheuermann, Minderheitenschutz contra Konfliktverhütung? Die Minderheitenpolitik des Völkerbunds in den zwanziger Jahren. Marburg 2000; R. Brubaker, Nationalism Reframed. Nationhood and the National Question in the New Europe. Cambridge 1996; W. Connor, Ethnonationalism. The Quest for Understanding. Princeton 1994; F. Ermacora/Ch. Pan, Grundrechte der europäischen Volksgruppen. Wien 1993; J. Stark, Völker, Ethnien, Minderheiten, Jahrbuch für ostdeutsche Volkskunde 31 (1988), 1–55; E.K. Francis, Interethnic Relations. An Essay in Sociological Theory. New York u. a. 1977; E. Viefhaus, Die Minderheitenfrage u. die Entstehung der Minderheitenschutzverträge auf der Pariser Friedenskonferenz 1919. Würzburg 1960; K.W. Deutsch, Nationalism and Social Communication. New York u. a. 1953. (SOE): Minderheitenfragen in Ungarn u. in den Nachbarländern im 20. u. 21. Jh. Hg. E. Dácz. Baden-Baden u. a. 2013; H. Mylonas, The politics of nation-building. Making co-nationals, refugees, and minorities. Cambridge u. a. 2012 [behandelt den Balkanraum]; (Hidden) Minorities.
Miri
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Miri (v. arab. amīrī „herrscherlich“). Im Osm. Reich Staatsland im Unterschied zu →Mülk u. →Vakuf-Land. Besonders nach einschneidenden u. z. T. widerrechtlichen Maßnahmen Mehmeds II. (1451–1481) zur Rückführung v. Privat- (→Mülk) u. Stiftungseigentum an Grund u. Boden in M. gehörte die Hauptmasse des ackerbaulich nutzbaren Bodens zur Kategorie des M. (1528: ca. 87 %). Die christl. u. musl. →Reaya bebauten hier ihre Scholle (çift), an die sie auf vielfältige Weise gebunden waren. Sie waren nicht Eigentümer des Bodens, sondern genossen lediglich ein Nutzungsrecht (tasarruf), dessen sie nur dann verlustig gehen konnten, wenn sie das Land nicht ordnungsgemäß bestellten u. ihre Steuern nicht zahlten. Sie durften das Land vererben, wenn auch nur ungeteilt (u. nur an ihre Söhne) – ein Beispiel dafür, wie die →Scharia, die eine Erbteilung unter Berücksichtigung auch v. Töchtern vorsah, durch →Kanun, der einer Parzellierung entgegenwirken sollte, de facto
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Miri / Mistra
außer Kraft gesetzt werden konnte, auch wenn die Rechtsgelehrten dies zu verschleiern suchten. Zu verkaufen u. übertragen vermochten die Bauern das Land im 16. Jh. nicht, solange die Zustimmung des Timarioten (oder einer entsprechenden Autorität; →Timar) ausstand. Doch wurde eine solche offenbar nicht selten erteilt, weshalb sich seit dem Ende des 16. Jh.s mindestens regional ein schwunghafter Handel mit M.-Land entwickeln konnte; gleichzeitig wurden nun vermehrt auch Töchter als Erben zugelassen, wenn Söhne fehlten. Das osm. Bodengesetz (arazi kanunu) v. 1858 sanktionierte schließlich die Umwandlung v. M. in Privateigentum, wie sie in den Kernlanden des Osm. Reiches seit Jahrhunderten zur Erosion des Staatslandes beigetragen hatte, ähnlich wie durch Verwandlung v. M. in meist v. Pächtern bewirtschaftete →Çiftliks als Eigentum überwiegend städtischer Notabeln. Gleichzeitig aber zielte das Gesetz darauf ab, durch neue Vorschriften diesem Umwandlungsprozess Einhalt zu gebieten, weshalb jede Transaktion ohne Zustimmung der Zentralbehörden untersagt wurde. Lit.: A. Cohen, Mīrī, in: EI²; An Economic and Social History of the Ottoman Empire, 1300– 1914. Hgg. H. İnalcık/D. Quataert. Cambridge 1994; Landholding and Commercial Agriculture in the Middle East. Hgg. Ç. Keyder/F. Tabak. Albany 1991; P. Sluglett/M. Farouk-Sluglett, The Application of the 1858 Land Code in Greater Syria: Some Preliminary Observations, in: Land Tenure and Social Transformation in the Middle East. Hg. T. Khalidi. Beirut 1984; A. Marcus, Men, Women and Property: Dealers in Real Estate in 18th Century Aleppo, Journal of the Economic and Social History of the Orient 26 (1983), 137–163; S. Faroqhi, Rural Society in Anatolia and the Balkans During the Sixteenth Century I, Turcica 9 (1977), 161–195 (fortgesetzt als II, Turcica 11 [1979], 103–153). M. U.
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Mistra (a. Mystras oder Myzēthras). Ruinenstadt u. Festung am östl. Abhang u. auf dem Gipfel (621 m) eines Ausläufers des Taygetos-Gebirges auf der →Peloponnes. Die Festung M. ließ Wilhelm II. Villehardouin ab 1248/1249 errichten, doch musste er sie bereits 1261 an Michael VIII. Palaiologos (1259–1282) abtreten. Ab 1264 entwickelte sich durch Umsiedlung der Bewohner v. Lakedaimonia die Stadt, die v. 1289–1348 Sitz des byz. Militärgouverneurs für die Südostpeloponnes (kephalē) war. Beginnend mit Manuel Kantakuzenos stammten die Gouverneure aus den Kaiserhäusern der →Kantakuzenen u. der →Paläologen (ab 1382) u. trugen deshalb den Ehrentitel →Despoten. Sie residierten in dem hauptsächlich zw. 1350 u. 1400 errichteten Palast, dessen dreistöckige Außenfassade erhalten ist. Anfang des 14. Jh.s vollendete Metropolit Nikephoros Moschopulos die Metropolis Hagios Demetrios. Um 1290 gründeten Daniel u. Pachomios das Brontochion-Kloster u. erbauten bis 1313 die Kirchen der Hl. Theodoroi u. der Gottesmutter Hodēgetria (auch Aphentiko genannt). Aus spätbyz. Zeit stammen die Hagia Sophia (um 1350), das Peribleptos-Kloster (14. Jh.) u. das heute noch v. Nonnen bewohnte Pantanassa-Kloster (1428 gegründet). Am 31.5.1460 übergab der Despot Demetrios Palaiologos die Stadt Mehmed II. Bis 1540 war M. Hauptstadt der osm. Peloponnes. Als die Halbinsel 1574 in zwei →Sancaks aufgeteilt wurde, wurde M. Hauptstadt des östlichen. Von Ende August 1687 bis Sommer 1715 unterstand M. venez.
Mistra / Modernisierung
Herrschaft, dann wurde es wieder osmanisch. Am 19.3.1770 musste die Festung v. M. vor Russen u. →Maniaten kapitulieren, wurde jedoch wenig später v. alb. Truppen der Osmanen zurückerobert. Im September 1825 brandschatzten die Truppen Ibrahim Paschas M., das nach der Neugründung v. Sparta 1834 aufgegeben wurde. Lit.: A.K. Orlandos, Ta palatia kai ta spitia tu Mystra. Athen 2000; M. Chatzidakis, Mistra. Die mittelalterliche Stadt u. die Burg. Athen 1981; St. Runciman, Mistra. Byzantine Capital of the Peloponnese. London 1980 (Repr. 2010); W. Löhneysen, Mistra. Griechenlands Schicksal im Mittelalter. München 1977; I. Medvedev, Mistra. Očerki istorii kultury pozdnevizantijskogo goroda. Leningrad 1973. K.-P. T.
Modernisierung. Der schillernde u. umstrittene Begriff „M.“ bezeichnet im engeren Sinn eine Entwicklungsstrategie, deren Ziele durch die Ergebnisse der industr. Revolution in Westeuropa u. das daraus hervorgegangene ökon. Wachstum vorgegeben sind. Im weiteren Sinn wird M. als vielschichtiger Prozess soz. Wandels verstanden, dessen ökon., ges., pol., rechtl. u. kult. Teilprozesse wechselseitig aufeinander bezogen sind. Leitbild der gesamtges. Veränderung war bis in die zweite H. des 20. Jh.s das durch die industr. u. pol. Doppelrevolution in Westeuropa u. Nordamerika seit Ende des 18. Jh.s ausgeformte „westliche Modell“. Ersatzweise wird daher auch v. „Verwestlichung“, „Okzidentalisierung“ oder „Europäisierung“ gesprochen. „Das Konzept der M. steht in ausdrücklichem Gegensatz zu zyklischen Vorstellungen vom Gang der menschlichen Geschichte“ u. begreift die Entwicklung der letzten Jahrhunderte als ein „Bündel gleichgerichteter Wachstumsprozesse, die in ihrer vielleicht allgemeinsten Form als Wachstum der Anpassungs- u. Selbststeuerungskapazitäten eines ges. Systems interpretiert werden...“ (Flora). Als konstitutive Merkmale der M. gelten (in unterschiedlicher Gewichtung) die kontinuierliche Weiterentwicklung der ges. Leistungs- u. Steuerungskapazitäten (d.h. ein langfristiger Wachstumsprozess) sowie die Breitenwirksamkeit (Durchdringungstiefe) der soz. Veränderungen (bzw. ein tiefgreifender Strukturwandel). Die nach 1945 zunächst in den USA entwickelten M.-Theorien knüpften an älteren Evolutionslehren an u. übertrugen diese auf den (mehr oder minder geradlinig vorgestellten) Übergang v. der „Tradition“ zur „Moderne“. Mit der Fokussierung auf die strukturellen Elemente: Marktwirtschaft, ges. Differenzierung, universalistisches Rechtssystem, Demokratie etc. postulierten die M.-Theoretiker die Überlegenheit des westl. M.-Modells gegenüber den staatlich gesteuerten Wandlungsprozessen u. den diktatorischen Regimen in den sozialist. Ländern. Angesichts der Entwicklungsprobleme in der „Dritten Welt“ u. der starren theoretischen Dichotomisierung v. „Tradition u. Moderne“ auf der einen sowie den zeitweilig beeindruckenden ökon. Wachstumsziffern der sozialist. Gesellschaften auf der anderen Seite kamen seit den 60er Jahren zunehmende Zweifel an den evolutionären Universalien der M.-Theorie auf. Besonders heftig wurden der „Eurozentrismus“ der frühen Entwicklungstheoretiker u. ihre geradlinigen Evolutionsschemata kritisiert. Nach dem Zusammenbruch der zeitweilig als Alternative verstandenen sozialist. Systeme erlebten die mittlerweile verfeinerten M.-Theorien Ende der 1980er Jahre einen erneuten Aufschwung, der in der Folgezeit
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Modernisierung
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durch die unterschiedlichen Verläufe u. Ergebnisse der Transformationsprozesse in einigen postsozialist. Ländern abermals in Frage gestellt wurde. Zu den seit Ende des 2. Wk.s am häufigsten verwendeten Indikatoren für M. gehören →Urbanisierung, →Alphabetisierung, ökon. Wachstum (insbes. →Industrialisierung), Konsum/Wohlfahrt, Institutionenbildung u. pol. Partizipation (→Parlamentarismus). Einige dieser Indikatoren (z. B. Urbanisierung oder Wirtschaftswachstum) werden heute erheblich differenzierter betrachtet als in früheren Jahren. Auch die Vorstellung v. einem geradlinigen Übergang v. der „Tradition“ zur „Moderne“ u. v. einem „Bündel gleichgerichteter Wachstumsprozesse“ ist zugunsten ungleichzeitiger u. widersprüchlicher Teilprozesse aufgegeben worden. Insbesondere die hist., in der Tradition Max Webers stehende M.-Forschung konzentriert sich auf Phänomene der „partiellen M.“ (Eisenstadt), d.h. auf die in vielen Gesellschaften zu beobachtende Verschränkung moderner u. traditionaler Elemente zu komplizierten Strukturen. „Im Gegensatz zur systemtheoretischen Auffassung verzichten die hist. M.-Theorien auf eine generelle Dominanz- oder Interdependenzannahme zugunsten hypothetischer Fragen nach spezifischen Abhängigkeits- u. Indifferenzbeziehungen zw. einzelnen soz. Teilstrukturen oder Subsystemen“ (Sterbling). Dass die Interpenetration der sich wandelnden Teilbereiche v. Wirtschaft, Recht, Gesellschaft, Politik u. Kultur für den durchschlagenden kumulativen Modernisierungseffekt im okzidentalen Entwicklungspfad verantwortlich war, ist weitgehend Konsens, umstritten dagegen bleibt, inwieweit diese wechselseitige Durchdringung eine unverzichtbare Voraussetzung für „nachholende M.s-Prozesse“ ist. Auch das (bei marxist. u. nicht-marxist. Historikern lange verbreitete) Paradigma der „nachholenden M.“ u. die damit verbundene „Konvergenztheorie“, denenzufolge die M. in Ost- u. SOE eine phasenverschobene, zeitl. gestraffte Wiederholung der Entwicklung in W-Europa sei, ist zunehmend in Frage gestellt worden. Alexander Gerschenkron oder Péter Gunst haben bereits in den 1960er/70er Jahren darauf hingewiesen, dass die M. in Ost- u. SOE aufgrund anderer Voraussetzungen, Rahmenbedingungen u. Dynamiken nicht als „Wiederholung“ verstanden werden kann (obwohl sich die dortigen modernisierungswilligen Eliten zumeist an west- u. mitteleurop. „Vorbildern“ orientierten). Instrumente, Trägerschichten u. Ergebnisse „nachholender“ Entwicklung unterschieden sich jedoch oft grundlegend v. denen des „Originals“. In SOE sind die Anfänge der M. untrennbar mit der →Nations- u. →Nationalstaatenbildung verbunden. Bei der Überwindung der – insbesondere in den Balkanländern – tief verwurzelten traditionalen Strukturen (Armut an Institutionen, vorkapitalistische Produktionsweise der bäuerlichen Familienarbeitsbetriebe, marginale Produktivität, weit verbreitete Subsistenzwirtschaft, Analphabetismus der Bev., geringer Verstädterungsgrad, niedriges Niveau ges. Arbeitsteilung, Konfliktregelung nach Gewohnheitsrecht etc.) orientierten sich die modernisierungswilligen Eliten mehr oder minder explizit am okzidentalen Vorbild, das sie der lebhaft empfundenen „Rückständigkeit“ in der eigenen Gesellschaft entgegenstellten. Bei der staatl. Institutionenbildung sowie bei der M. der Rechts- u. Politiksysteme (entsprechend west- u. mitteleurop. Vorgaben) verlief der v. oben induzierte Wandlungsprozess außerordentlich dynamisch, so dass sich die neuen Staaten nach einigen Jahrzehnten in dieser Hinsicht kaum v. anderen europ. Ländern unterschieden. Deutlich schleppender gestaltete sich die wirt., kult. u. ges. M. Die →Bodenreformen leiteten keine grundlegende Agrar-M.
Modernisierung
ein; die Industrialisierung gestaltete sich schwieriger als erwartet (mit deutlichen Unterschieden zw. den eh. habsb. u. den vormals osm. Territorien). Die Produktivität blieb deutlich hinter den Werten der westl. Länder zurück. Und der Wandel der Erwerbsstrukturen (sowie der ges. Arbeitsteilung) schritt bis Ende des 2. Wk.s nur zögernd voran bzw. wurde durch den veränderten Rhythmus der Bevölkerungsbewegung (→Bevölkerung, 1) wieder zunichte gemacht. Die Alphabetisierung war (ebenso wie die Urbanisierung) zu schwach, um die Entwicklungsbarrieren zu durchbrechen. Schwierig u. kostenintensiv war der für die M. unerlässliche Ausbau des Verkehrsnetzes (→Verkehr). Alle soe. Länder blieben außerdem in hohem Maße v. den Industriestaaten u. deren Interessen abhängig. Zwar vollzogen sich überall in SOE tiefgreifende u. irreversible Wandlungsprozesse, aber eine kontinuierliche, breitenwirksame Steigerung der Leistungs- u. Anpassungskapazitäten kam nur eingeschränkt zustande. Viele Beobachter sprechen deshalb v. „symbolischer“ oder „enklavenhafter“ M. Selbst manche Zeitgenossen haben die tiefe Kluft zw. äußerlich moderner Form u. traditionalem Inhalt beklagt u. die Diskrepanz auf die Zählebigkeit tradionaler mentaler Strukturen zurückgeführt. In den bessergestellten städtischen Schichten (unter Politikern, Beamten, Gelehrten, Freiberuflern, Kaufleuten, Unternehmern) formierte sich ein →Bürgertum, das sich im Habitus nicht oder kaum vom Bürgertum in Mittel- u. Westeuropa unterschied u. auch zivilges. Initiativen (z. B. Gründung v. Vereinen unterschiedlichster Art) entfaltete, das aber zahlenmäßig vergleichweise schwach blieb (schätzungsweise weniger als 10 % der Bev. in den meisten Balkanländern). Unter den sozialist. Regimen nach 1944/45 wurden die Wandlungsprozesse durch gezielte Allokation der Ressourcen u. eindeutige Schwerpunktsetzungen (Industrialisierung, Urbanisierung, Alphabetisierung) mit allen Mitteln u. in bewusster Frontstellung zu den westl. M.s-Modellen u. ihren zivilges. Implikationen vorangetrieben. Die schon vorher starke Position des Staates als Motor des Wandels wurde fortan erdrückend. Trotz imposanter Anfangserfolge wurde die Brüchigkeit des wirt. Fundaments, auf dem der forcierte Übergang v. Agrar- zu Industriegesellschaften basierte, seit den 60er Jahren immer offenkundiger. Die permanent abnehmende internationale Wettbewerbsfähigkeit der sozialist. Staaten, die exorbitante Verschwendung v. Ressourcen u. die zunehmende Auslandsverschuldung hinterließen nach dem Systemkollaps Ende der 80er Jahre eine Vielzahl v. M.s-Ruinen. Die v. zahlreichen Krisen, Rückschlägen u. Ungleichzeitigkeiten geprägte M. SOEs seit der Eigenstaatlichkeit war u. blieb ein v. oben induzierter Prozess, der die Lern- u. Anpassungsfähigkeiten der Gesellschaft über Gebühr strapazierte u. die Entfaltung intermediärer Institutionen behinderte. Der Entwicklungsabstand gegenüber Westeuropa führte zu einem komplizierten Prozess der Rezeption, selektiven Adaption u. synkretistischen Vermischung, aber auch zur Abwehr übernommener Vorbilder u. damit zu einem komplizierten (noch unzureichend untersuchten) Nebeneinander v. Moderne u. Tradition. Die vor der Staatsbildung bereits vorhandenen Entwicklungsunterschiede innerhalb SOEs (zw. den ehem. habsb. u. ehem. osm. Gebieten, aber auch zw. den Subregionen innerhalb der beiden Teilgruppen) konnten im Zuge der M. i. d. R. nicht abgebaut werden u. blieben selbst innerhalb neuer Staaten (z. B. in Jugoslawien zw. Slowenien u. der Vojvodina auf der einen, Makedonien u. Kosovo auf der anderen Seite) bestehen. Diese Persistenz ererbter Differenzen deutet auf die
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Modernisierung
Langlebigkeit struktureller Weichenstellungen in unterschiedlichen Kultur- u. Zivilisationspfaden u. auf die Bedeutung der „longue durée“ (Braudel) für Verlauf, Richtung, Erfolg oder Misserfolg v. M.-Prozessen hin. Plausible Thesen lassen sich allerdings erst gewinnen, wenn die gravierenden Forschungsdefizite hinsichtlich der M. SOEs unter Anwendung komparativer Methoden geschlossen werden können.
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Lit.: 1) allg.: F. Borschel, Epochenphänomen Modernisierung. Zur Geschichte der Modernisierung im 20. Jh. Berlin 2012; G. Preyer, Zur Aktualität von Shmuel N. Eisenstadt. Einleitung in sein Werk. Wiesbaden 2011; A. Langenohl, Tradition u. Gesellschaftskritik. Eine Rekonstruktion der Modernisierungstheorie. Frankfurt/M. u. a. 2007; N. Degele/Chr. Dries, Modernisierungstheorie. Eine Einführung. München 2005; S.N. Eisenstadt, Tradition, Wandel u. Modernität. Frankfurt/M. 1979; G. Wiswede/T. Kutsch, Sozialer Wandel. Zur Erklärungskraft neuerer Entwicklungs- u. Modernisierungstheorien. Darmstadt 1978; P. Gunst, Einige Probleme der wirtschaftlichen u. sozialen Entwicklung Osteuropas. Köln 1977; H.-U. Wehler, Modernisierungstheorie u. Geschichte. Göttingen 1975; P. Flora, Indikatoren der Modernisierung. Opladen 1975; ders., Modernisierungsforschung. Zur empirischen Analyse der gesellschaftlichen Entwicklung. ebd. 1974; D. Rüschemeyer, Partielle Modernisierung, in: Theorien des sozialen Wandels. Hg. W. Zapf. Köln u. a 1969, 382–296; A. Gerschenkron, Economic Backwardness in Historical Perspective. Cambridge/Mass. 1962. 2) Modernisierungsgeschichte SOEs: Institutionen u. Kultur in Südosteuropa. Hgg. W. van Meurs/D. Müller. München u. a. 2014; Vorbild Europa u. die Modernisierung in Mittel- u. Südosteuropa. Hg. F. Solomon. Berlin u. a. 2009; Modernisierung auf Raten in Rumänien. Anspruch, Umsetzung, Wirkung. Hgg. K. Zach/C.R. Zach. München 2004; R. Daskalov/H. Sundhaussen, Modernisierungsansätze, in: Südosteuropa. Gesellschaft, Politik, Wirtschaft, Kultur. Ein Handbuch. Hgg. M. Hatschikjan/St. Troebst. München 1999, 105–135; W. Höpken, Beamte in Bulgarien. Zum Modernisierungsbeitrag der Verwaltung 1878–1912, SOF 54 (1995), 219–250; M.-J. Calic, Probleme nachholender Entwicklung in Serbien (1830–1941), Archiv f. Sozialgeschichte 34 (1994), 63–83; H. Sundhaussen, Institutionen u. institutioneller Wandel in den Balkanländern aus historischer Perspektive, in: Institutionen u. institutioneller Wandel in Südosteuropa. Hg. J.C. Papalekas. München 1994, 35–53; A. Sterbling, Strukturfragen u. Modernisierungsprobleme südosteuropäischer Gesellschaften. Hamburg 1993; H. Sundhaussen, Die verpaßte Agrarrevolution. Aspekte der Entwicklungsblockade in den Balkanländern vor 1945, in: Industrialisierung u. gesellschaftlicher Wandel in Südosteuropa. Hg. R. Schönfeld. München 1989, 45–60; J. Lampe, Belated Balkan Modernization and the Consequences for Communist Power, 1918–1948, in: ebd., 21–44; M. Gross, Die Anfänge des modernen Kroatien. Gesellschaft, Politik u. Kultur in Zivil-Kroatien u. Slawonien in den ersten dreißig Jahren nach 1848. Wien u. a. 1993; D.M. Perry, Stefan Stambolov and the Emergence of Modern Bulgaria, 1870–1895. Durham/NC u. a. 1993; W.J. Edgar, The Politics of Westernization: Eleutherios Venizelos’ Third Administration of Greece, June, 1917 – November, 1920. Ann Arbor/MI 1992; V. Georgiadou, Griechenlands nicht-kapitalistische Entwicklungsaspekte im 19. Jh. Frankfurt/M. u. a. 1992; Diverse Paths to Modernity in Southeastern Europe. Hg. G. Augustinos. New York u. a. 1991; Dezvoltare şi modernizare în România interbelică, 1919–1939. Hgg. V. Puşcaş/V. Vasile. Bucureşti 1988; H.-M. Boestfleisch, Modernisierungsprobleme u. Entwicklungskrisen: Die Auseinandersetzungen um die Bürokratie in Serbien 1839–1858. Frankfurt/M. u. a. 1987; N.P. Mouzelis, Politics in the Semi-Peri-
Mohács (1526)
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Mohács (1526). Stadt an der Donau, 45 km nördl. der Mündung der Drau. Synonym für die in ihrer Nähe ausgefochtene Entscheidungsschlacht am 29.8.1526 zw. der osm. Armee des Sultans Süleyman I. u. dem ung.-böhm. Heer unter Kg. Ludwig II. Nachdem Ludwig II. sich 1520 geweigert hatte, den Waffenstillstand gegenüber der Pforte zu verlängern, entschied sich der →Diwan, Ungarn anzugreifen. Nach dem Fall v. Belgrad 1521 stand das Land der osm. Armee offen. Im Sommer 1526, unfähig, dem vorrückenden Heer des Sultans an der Drau zu begegnen, trafen sich die Armeen südl. v. M. Die von Ebf. Tomori befehligten Kräfte schienen die Oberhand zu gewinnen, doch die gut getarnten 200 Kanonen der Osmanen u. die unklug eingesetzte Reserve der Ungarn führten zur ihrer Niederlage. In der Schlacht fielen nebst dem jungen Kg., der auf der Flucht ertrank, ein großer Teil der hohen Würdenträger des Landes u. an die 20.000 Soldaten. Militärhistoriker zählen die Schlacht v. M. zu den letzten Beispielen für die Niederlage einer „mittelalterlichen“ Armee gegenüber einer „modernen“ Streitkraft. Die Osmanen rückten bis nach Buda vor, zerstörten die Hauptstadt, aber zogen sich vorerst wieder auf den Balkan zurück. Erst 1541 besetzte der →Sultan das gesamte mittlere Ungarn. Das Feld von M. erlangte erneut eine Bedeutung bei der Anerkennung der Herrschaft Kg. Johanns Zapolya durch den Sultan 1529 u. dann 1687 als Ort einer entscheidenden Schlacht für die Befreiung Ungarns v. den Osmanen. Der Begriff M. gilt für ung. Historiker als Epochengrenze (Ende des MAs u. Untergang des selbständigen Kgr.s) u. wurde darüber hinaus zum Symbol für tragische Niederlage u. nationale Schmach. Eine rege Diskussion in den 1980er Jahren über die Möglichkeit alternativen Verhaltens vor 1526 (heroischer Widerstand u. Niederlage oder Kompromiss) warf erneut Grundfragen der ung. Politik, einschließlich der Bewertung des Aufstandes von 1956, auf. Lit.: Zs.K. Lengyel, Die Schlacht bei Mohács 1526, in: Religiöse Erinnerungsorte in Ostmitteleuropa. Konstitution u. Konkurrenz im nationen- u. epochenübergreifenden Zugriff. Hgg. J. Bahlcke/St. Rohdewald/Th. Wünsch. Berlin 2013, 851–864; P. Tafiłowski, Mohács 29 VIII 1526.
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Moldau (Fürstentum)
Zabrze 2010; F. Tóth, Mohács (1526). Soliman le Magnifique prend pied en Europe central. Paris 2009; Mohács. Hg. B.J. Szabó. Budapest 2006; G. Perjés, The Fall of the Medieval Kingdom of Hungary: Mohács 1526 – Buda 1541. Boulder/CO 1989; Mohács. Tanulmányok. Hgg. L. Rúzsás/F. Szakály. Budapest 1986; St. Brodericus, De Conflictu Hungarorum cum Solymano Turcarum Imperatore ad Mohach historia verissima. Hgg. P. Kulcsár/Cs. Csapodi. Budapest 1985; D. Kosár, Magyar külpolitika Mohács előtt. ebd. 1978; F. Szakály, A mohácsi csata. ebd. ²1975. J.M. B.
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Moldau (Fürstentum) (rum. Moldova). Landschaft in Rumänien, benannt nach dem Fluss Molda, bis 1861 Fsm.; Fürstensitz war zunächst wohl Baia (Civitas Moldaviae), dann Suceava, ab 1563 →Iaşi. Die weiteste Ausdehnung ist bereits 1408 nachweisbar. Sie reichte v. den Ostkarpaten zum Dnjestr, zum Unterlauf der Donau u. zum Schwarzen Meer. 1388 mit Unterbrechungen bis 1531 erstreckte sich die Herrschaft der mold. Fürsten auch auf die südgalizische Landschaft Pokutien (poln. Pokucie). Zur →Walachei bildete sich eine Abgrenzung vom nördlichsten Punkt der Donau zu den Karpaten heraus. 1484 wurden die Schwarzmeer-Häfen Cetatea Albă (türk. Akkerman; heute Bilhorod Dnistrovs’kyj/Ukraine) u. Chilia v. den Osmanen erobert u. 1538 dieses Küstengebiet ihrem Reich direkt eingegliedert. 1715 kam im N die Festung Hoţin (heute: Hotyn/Ukraine) unter osm. Verwaltung. 1775 gelangte der Nordwestteil mit Cernăuţi (→Czernowitz), fortan →Bukowina, an Österreich, 1812 kam der Ostteil zw. Pruth u. Dnjestr mit →Chişinău u. mit Hoţin sowie dem Küstengebiet, fortan →Bessarabien, zum Russ. Reich. Der südwestl. Teil Bessarabiens war vom →Krimkrieg (1856) bis zum →Berliner Kongress (1878) wieder bei der M. 1859 erfolgte der Zusammenschluss der M. mit der Walachei in Personalunion u. 1861 in Realunion. Die Geschichte der M. verlief vielfach parallel zu derjenigen der Walachei (vgl. →Donaufürstentümer). Östl. der Karpaten etablierte um die Mitte des 14. Jh.s der ung. Kg. eine vorgeschobene Grenzmark. Der erste Voevode (→Vojvode) Dragoş, aus der →Maramureş stammend, wurde der Legende nach v. einem Auerochsen dorthin geleitet, woraus das Landeswappen entstanden sei. Um 1359 setzte sich ein Voevode Bogdan an die Spitze u. bereitete die Grundlage für ein Staatswesen, dessen Eigenstaatlichkeit sich durch eine geschickte Unterwerfungspolitik unter Ungarn, Polen u. für Jahrhunderte unter den osm. Sultan wahren ließ. Ebenso kennzeichnend ist das Fehlen einer geregelten Thronfolgeordnung. Dem Fürsten (domn, voevoda, gospodar) trat ein Rat (sfat, divan) aus Amtsträgern (zu den einzelnen Ämtern u. d. Fürstenamt s. unter →Hospodar) zur Seite; des weiteren entwickelte sich eine gehobene Gesellschaftsschicht v. →Bojaren. Im ausgehenden MA war die M. Transitland zw. dem mittleren Europa u. dem „Orient“. Wichtige Handelsstraßen liefen v. Polen (Lemberg) nach Suceava, v. dort einerseits über Brăila u. Bulgarien nach Konstantinopel u. andererseits nach Cetatea Albă bzw. nach Kaffa (→Krim). 1401 errichtete die →Orthodoxie eine Metropolie mit Sitz in Suceava u. wertete sie 1402 durch die Überführung der Gebeine des zum Nationalheiligen erhobenen „Ioan cel Nou“ („Johann der Neue“) aus Cetatea Albă nach Suceava auf. Im 15. u. 16. Jh. entfaltete sich eine monastische Kultur (→Mönchtum, orth.) in der „Klosterlandschaft“ im breiten Umkreis v. Suceava: Putna (gegründet 1466), Voroneţ (1488), Humor u. Moldoviţa (1530), Suce-
Moldau (Fürstentum)
viţa (1582), Dragomirna (1609) u. andere, bekannt als sog. „Moldauklöster“ durch die farbigen Außenfresken einiger ihrer Kirchen. Der unter Stefan IV. „dem Großen“ (1457–1504) zunächst erfolgreichen Türkenabwehr (Sieg 1475 bei Văslui) folgte eine Niederlage (1476 bei Războieni). Ab 1538 gehörte die M. kontinuierlich dem →Osm. Reich an, bei Wahrung ihrer ges., wirt., kirchl. u. (byz. geprägten) kult. Strukturen. Die Abhängigkeit bestand in einem Vasallitätsverhältnis zum →Sultan, in einer loyalen Außenpolitik, in der Stellung v. Hilfstruppen sowie in Tributleistungen. Außerdem bedurfte die Amtsübernahme der Fürsten, gegen Bezahlung, der Zustimmung des Sultans. In der zweiten H. des 16. Jh.s dehnte Istanbul sein Wirtschaftsmonopol auf die M. (wie auch auf die Walachei) aus. Bestimmte Waren durften nur noch aus osm. Gebiet bezogen u. bestimmte Produkte (Getreide) nur noch dorthin verkauft werden, jeweils zu vorgeschriebenen Preisen. Vasile Lupu (1634–1653) verschaffte der M. wieder pol. u. kult. Gewicht (Gründung einer Höheren Schule in →Iaşi, Einführung des Buchdrucks). Neben das bis dahin als Kanzlei-, Literatur- u. Liturgiesprache verwendete Slavische trat das Rumänische als Schriftsprache, in der M. beginnend 1643 mit der Predigtsammlung „Cazania“ des Metropoliten Varlaam. Erwähnenswert sind die Chronisten Grigore Ureche (ca. 1590–1647), Miron Costin (1633–1691) u. Ion Neculce (1672–1745). Im 18. Jh. geriet die M. wie auch die Walachei in das Blickfeld der Großmächte. In den Kriegen zw. Russland u. dem Osm. Reich (v. Peter dem Großen bis zum 1. Wk.) dienten sie den russ. Truppen als Einfallspforte in den Balkan (→Russland). Als 1711 ein russ. Heer anrückte, unterstellte der Fürst Dmitrie Cantemir sich u. das „moldauische Volk“ Peter dem Großen, musste sich aber nach der Niederlage der Russen ihrem Rückzug anschließen. Die →Hohe Pforte setzte daraufhin die Fürsten unmittelbar ein, nämlich Griechen u. gräzisierte Rumänen. Diese v. 1711 (in der Walachei ab 1716) bis 1821 währende →„Phanariotenzeit“ brachte im Ansatz einer →Aufklärung kult. Impulse u. Modernisierungen: 1803 Reorganisierung der Höheren Schule in Iaşi als →„Akademie“ sowie eine Rechtskodifizierung („Condica civilă“ 1817). Ihnen stand eine wirt. Ausbeutung des Landes gegenüber. Die Aufhebung der Leibeigenschaft 1749 verbesserte die Lage der bäuerlichen Bev. nicht; Abhängigkeiten u. Fronpflicht (clacă) bestanden weiter. Der Zuzug v. Griechen, der bereits in den davorliegenden Jahrzehnten eingesetzt hatte, bewirkte eine Gräzisierung in Teilbereichen v. Staat, Kirche, Gesellschaft u. Kultur u. begünstigte die Fortdauer byz. Kulturelemente („Byzance après Byzance“). Mit der Aktivierung seiner Balkan- u. Orientpolitik erzwang Russland die Einhaltung der Autonomie der →Donaufürstentümer. Der 1821 ausgebrochene gr. Freiheitskampf, der die Phanariotenzeit beendete, hatte hier einen seiner Schauplätze. Von russ. Territorium her kommende Aufständische unter Alexander Ipsilantis bemächtigten sich zeitweise der mold. Hauptstadt u. brachten den Fürsten auf ihre Seite. Dann verlagerte sich die Szenerie in die →Walachei, wo der Aufstand noch im selben Jahr ein Ende fand, auf der Peloponnes jedoch weiterging u. im russ.-osm. Krieg 1828/1829 eskalierte (→ Befreiungskriege). Russland wurde „Protektoratsmacht“ (Friede v. →Adrianopel 1829). Dem Sultan blieb nur eine lockere Oberhoheit. Eine 1834 in Kraft getretene Verfassung (→„Organische Statute“) war die Grundlage umfassender Modernisierungen. 1835 reorganisierte Mihai Sturdza die Akademie in Iaşi (fortan: Academia Mihaileană). Die →Revolution v. 1848 schlug ihre Wellen bis in die Donaufürstentümer. In Iaşi wurde die Protestbewegung rasch unterdrückt; russ. Truppen beugten
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Moldau (Fürstentum) / Moldau (Republik)
einem offenen Ausbruch wie in der Walachei vor. 1856 übernahmen die Großmächte gemeinsam mit dem Osm. Reich die Verantwortung für die Donaufürstentümer. Die Wahl des mold. Fürsten Alexandru Cuza auch zum Fürsten der Walachei (17.1. u. 5.2.1859) eröffnete den Weg zur Entstehung des „Altreiches“ (→Regat) bzw. →Rumäniens. Annotierte Bibl.: M. Stoy/M.-D. Peyfuss, Rumänien, in: HBK. Bd. I : Mittelalter, T. 2, 1455–1618. Lit. (a. →Rumänen, →Rumänien): F. Solomon, Die Moldau, in: Das Südosteuropa der Regionen. Hgg. O.J. Schmitt/M. Metzeltin. Wien 2015, 439–472; J. Eagles, Stephen the Great and Balkan nationalism. Moldova and Eastern European history. London u. a. 2014; I. Eremia, Statutul juridic internaţional al Ţării Moldovei. De la origini până la începutul secolului al XVI-lea. Chişinău 2010; St. Lemny, Les Cantemir. L’aventure européenne d’une famille princière au XVIIIe siècle. Paris 2009; Dimitrie Cantemir. Fürst der Moldau. Gelehrter, Akteur der europäischen Kulturgeschichte. Hgg. K. Bochmann/V. Dumbrava. Leipzig 2008; Stefan der Große – Fürst der Moldau. Symbolfunktion u. Bedeutungswandel eines mittelalterlichen Herrschers. Hgg. E. Binder-Iijima/V. Dumbrava. Leipzig 2005; Şt. Gorovei/M.M. Székely, Princeps omni laude maior. O istorie a lui Ştefan cel Mare. Sfântă Mănăstire Putna 2005; P. Zahariuc, Ţara Moldovei în vremea lui Gheorghe Ştefan voievod (1653–1658), Iaşi 2003; C. Papacostea-Danielopolu, Convergences culturelles Gréco-Roumaines. Thessaloniki 1997; N. Grigoraş, Ţara Românească a Moldovei de la întemeierea statului pînă la Ştefan cel Mare. Chişinău 1992; C. Şerban, Vasile Lupu, Domn al Moldovei (1634–1653). Bucureşti 1991; N. Grigoraş, Moldova lui Ştefan cel Mare. Iaşi 1982; V. Spinei, Moldova în secolele XI–XIV. Bucureşti 1982; St. Papacostea, Stefan der Große, Fürst der Moldau 1457–1504. ebd. 1980; Grausame Zeiten in der Moldau: Die Moldauische Chronik des Miron Costin 1593–1661. Hg. A. Armbruster. Graz 1980; E. Völkl, Das rumänische Fürstentum Moldau u. die Ostslaven im 15. bis 17. Jh. Wiesbaden 1975; Constituirea statelor feudale româneşti. Hg. N. Stoicescu. ebd. 1980; ders., Sfatul domnesc şi marii dregători din Ţara Românească şi Moldova (sec. XIV–XVII). Bucureşti. 1968; Cultura moldovenească în timpul lui Ştefan cel Mare. Hg. Mihai Berza. ebd. 1964; P.P. Panaitescu, Dmitrie Cantemir. ebd. 1958; N. Iorga, Byzance après Byzance. Continuation de l’Histoire de la vie byzantine. Bucarest 1935 (engl. Byzantium after Byzantium. Iaşi 2000); D. Cantemir, Beschreibung der Moldau [Descriptio Moldaviae]. Frankfurt 1771 (Ndr. Bukarest 1973). E. V.
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Moldau (Republik) (a. Moldaurepublik, Moldawien; rum. Moldova, russ. Moldavija): 33.843 km2 (einschl. Transnistrien), 3,4 Mio. E (2004, ohne Transnistrien; 2013 nur noch 3,154 Mio. E), davon 75,8 % Moldauer, 8,3 % Ukrainer, 5,9 % Russen, 4,4 % Gagausen u. 2,2 % Rumänen. Hauptstadt: →Chişinău. Moldawien war seit 1944 Bezeichnung für einen Teil jenes Gebietes zw. Pruth u. Dnjestr, das zur Zarenzeit u. als Teil Großrumäniens →Bessarabien genannt wurde. Die zur Sowjetzeit amtl. Form Moldavija ist abgeleitet von der identischen russ. Form für die gesamte historische Moldau (s. den voranstehenden Eintrag). Weil sich die Sowjetregierung nicht mit dem Anschluss der Mold. Demokratischen Republik an Großrumänien vom April 1918 abfinden wollte (→Bessarabien), schuf sie mit propagandistischer Absicht entlang der linken Seite des Dnjestr am 10.10.1924 die kleine
Moldau (Republik)
Autonome Moldawische Sozialistische Sowjetrepublik innerhalb der Sowjetukraine. Die eine Variante des Rumänischen sprechenden Moldauer, die dort nur ein Drittel der Bevölkerung stellten, erhielten ein gut ausgebautes Schulwesen. Nachdem Rumänien infolge des sowj. Ultimatums Bessarabien geräumt hatte, wurde die ukrainische Autonome Republik mit Bessarabien am 2.8.1940 zur selbständigen Unionsrepublik M. gutteils zusammengeschlossen. Das Gebiet umfasste nur 33.700 km2, denn die Ukrainische SSR erhielt einen Teil der aufgelösten autonomen Republik sowie zwei Distrikte aus dem bessarabischen Erbe (Ismail u. Cetatea Albă). Rumänische Truppen eroberten das Gebiet im Sommer 1941, mussten es jedoch im Sommer 1944 wieder räumen. Der Pariser Friedensvertrag v. 1947 bestätigte die sowj. Grenzen des Ultimatums von 1940. Wie bereits 1940/1941 wurden erneut 1949 diejenigen Personen deportiert, die als Feinde der Sowjetisierung galten. Als seit den 60er/70er Jahren die industrielle Verarbeitung landwirt. Produkte, die Bekleidungs- u. Leichtindustrie vorangetrieben wurde, kamen Arbeitskräfte aus allen Teilen der Sowjetunion in die M.; von den 4,3 Mio. E (1989) wurden 64,5 % als Moldauer angegeben, gefolgt v. Ukrainern, Russen, Gagausen, Bulgaren u. a. Die Mehrheitsbevölkerung galt zu Sowjetzeiten als eigenständiges Volk mit eigener Sprache, u. a. weil diese mehr Slavismen als das Rumänische enthält. Während die Moldauer in der Landwirtschaft mit 79 % (1987) überrepräsentiert waren, dominierten die Slaven in der Industrie u. im Handel. Obwohl die Russen u. Ukrainer gemeinsam nur 26,8 % (1989) der Bev. stellten, nahmen sie viele Leitungspositionen ein. Mit der Perestrojka begannen die Moldauer Forderungen zu stellen: 1989 konnte die „Moldauische Volksfront“ die Einführung des Moldauischen als Amtssprache durchsetzen, während Russisch nur mehr als Sprache der interethn. Kommunikation erhalten bleiben sollte. Das Moldauische (Rumänische) wird seitdem in Lateinschrift u. nicht mehr mit dem kyr. →Alphabet geschrieben. Die Volksfront versuchte danach verstärkt Moldauer in die Führungspositionen der russifizierten Institutionen zu bringen. Die bei den Minderheiten ausgelöste Unsicherheit wurde v. reformfeindlichen Kräften aus dem Parteiapparat genutzt, um Widerstand zu mobilisieren. Aus den Reihen der slav. Stadtbev. bildete sich die „Internationalistische Bewegung für Einheit“ u. im S die „Bewegung des gagausischen Volkes“ (→Gagausen). Nachdem die Mold. Volksfront im Obersten Sowjet der Republik bei den Wahlen im Februar 1990 etwa 1/3 aller Mandate errungen hatte, setzte sie im Juni 1990 die Souveränität der Republik durch. Seitdem wird die Republik auch offiz. im innerstaatlichen u. internationalen Gebrauch mit dem rum. Ausdruck „Moldova“ bezeichnet. Die Organisationen der Slaven befürchteten einen Anschluss an Rumänien u. erklärten ihrerseits in einem Gebiet östl. des Dnjestr die souveräne „Moldawische SSR →Transnistrien“. Dort stellen Ukrainer u. Russen zus. 53 % der Bev. Im S der M., wo es eine relativ kompakte gagausische Bev. gibt, entstand die „Unionsrepublik Gagausien“. Während des Moskauer Putsches im August 1991 drängte die Mold. Volksfront zur Proklamation der staatl. Unabhängigkeit, die am 27.8.1991 erfolgte. Die Regierungstruppen v. M. versuchten, separatistische Einheiten zu entwaffnen. Dabei kam es im Juni 1992 in der Stadt Bender/Tighina zu regelrechten Artilleriegefechten, bei denen Teile der 14. Armee Russlands aus eigener Initiative die Separatisten von →Transnistrien unterstützten. Bei einem Gipfeltreffen der Präsidenten v. M., Russland, Rumänien u. der Ukraine wurden die Voraussetzungen für einen Waffenstillstand ausgehandelt. Eine gemischte Frie-
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Moldau (Republik) / Moldauer
denstruppe aus mold., transnistrischen u. russ. Einheiten sorgte seit Juli 1992 für Ruhe in einer Sicherheitszone entlang des Dnjestr. Gewarnt durch den bewaffneten Konflikt, schlug die neue Regierung v. M. eine Politik ein, die sich um die Partizipation der Minderheiten bemüht. Dieser Kurs wurde v. dem im Februar 1994 gewählten Parlament unterstützt. Die radikalen Kräfte, die eine schnelle Vereinigung mit Rumänien anstrebten, erhielten nur mehr 16,7 % der Stimmen. Das Parlament v. M. bestätigte die wirt. Einbindung in die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten. Eine neue Verfassung wurde verabschiedet, in der die Moldauer zur eigenständigen Nation erklärt werden. Nach langen Verhandlungen billigte das Parlament im Dezember 1994 ein Autonomie-Statut für die Gebiete mit gagausischen Mehrheiten, das wesentlich zur Entspannung in der Region beitrug. Die Republik M. ist in ganz besonderem Maß v. der Abwanderung Hunderttausender Erwerbstätiger sowohl nach Russland wie nach Westeuropa geprägt. Mit den Führern Transnistriens wird ebenfalls über ein solches Statut verhandelt, bislang aber vergeblich. 1998 trat ein Partnerschafts- u. Kooperationsabkommen mit der EU in Kraft; im Januar 2010 wurden in Chișinău im Rahmen der Europäischen Nachbarschaftspolitik der EU die Assoziierungsgespräche mit M. aufgenommen. Am 27.6. 2014 wurde das Assoziierungsabkommen mit der EU in Brüssel unterzeichnet u. am 2.7.2014 v. mold. Parlament angenommen. Lit.: Die Republik Moldau. Republica Moldova. Ein Handbuch. Hgg. K. Bochmann u. a. Leipzig 2012; D.A. Zabarah, Nation- and Statehood in Moldova. Ideological and political dynamics since the 1980s. Wiesbaden 2011; D. Cimpoeşu, Republica Moldava, între România şi Rusia 1989–2009. Chişinău 2010; Transnationale Beziehungen der Russen in Moldova u. der Urkaine. Ethnische Diaspora zwischen Residenz- u. Referenzstaat. Hgg. K. Meyer/D. Schorkowitz/ St.Troebst. Frankfurt/M. 2004; K. Büscher, Die Moldaurepublik vor dem Neubeginn? Aktuelle Studien der F.-Ebert-Stiftung. Kiew 1998; Ch. King, Post-Soviet Moldova. Iaşi 1997; ders., PostSoviet Moldova. A Borderland in Transition. ebd. 1997; W. Crowther, The Politics of Democratization in Postcommunist Moldova, in: Democratic Changes and Authoritarian Reactions in Russia, Ukraine, Belarus and Moldova. Hgg. K. Dawisha/B. Parrot. Cambridge 1997, 282–329; C. Neukirch, Die Republik Moldau. Münster 1996; M. Hausleitner, Nationalitätenprobleme in der Moldaurepublik u. die Beziehungen zu den Nachbarstaaten, in: Nationalismen im Umbruch. Ethnizität, Staat u. Politik im neuen Osteuropa. Hgg. M.A. Hatschikjan/P.R. Weilemann. Köln 1995, 105–121; I. Scurtu u. a., Istoria Basarabiei. De la începuturi păna în 1994. Bucureşti 1994; N. Dima, From Moldavia to Moldova. The Soviet Territorial Dispute. Boulder, New York 1991. M. H.
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Moldauer (auch „Moldawier“; rum. „moldoveni“, russ. „moldovane“, engl. „Moldovan/ Moldavian“). Umstrittener Zugehörigkeitsbegriff; kann als Regionalbezeichnung für die Bewohner der Republik Moldau (→Moldau, Rep.) u. der rumänischen Region →Moldau (ehem. Fsm.), verwendet werden. In der sowjetischen Zeit wurde versucht, im eigenen Herrschaftsraum eine eigenständige Nation, d. h. getrennt von der rumänischen, zu begründen. Dies manifestierte sich 1924 mit der Gründung der östl. des Dnistr (Nistru) gelegenen Autonomen Moldawischen Sozialistischen Sowjetrepublik (RSSM; →Transnistrien) innerhalb
Moldauer / Mönchtum (orthodoxes)
der Ukraine, nachdem →Bessarabien an Rumänien gefallen war, u. fand seine Fortsetzung nach 1940 (mit einer Unterbrechung von 1941–44), als Bessarabien an die Sowjetunion kam. Mit der Bildung einer eigenständigen Unionsrep. Moldawien wurden die Bestrebungen zur Trennung der M. v. den Rumänen fortgesetzt. Die rumänischsprachigen Bewohner des sowj. Moldawien wurden als moldauische Nation (russ. „moldavskaja nacija“) begriffen. Seit 1989/91 wird diese Sicht von Vertretern des pol. u. historiographischen „Rumänismus“ angegriffen. Diese sehen die rumänischsprachigen Einwohner als Rumänen. Die Gegenseite, die „Moldowanisten“, versuchen in der post-sowjetischen Moldaurepublik, die Eigenheit der Nation zu untermauern. Oft, aber nicht in allen Identitätskonstruktionen, werden auch die in der Republik lebenden ethn. Minderheiten in die moldauische Nation einbezogen. So kann man als „M.“ auch die Gesamtheit der Staatsbürger der Moldaurepublik verstehen. Letztendlich handelt es sich aber beim seit 1991 propagierten moldowanistischen Nationsbild i. d. R. ebenfalls um ein ethnisch-exklusives, das sich auf die Rumänischsprecher konzentriert. Vor allem die gegenüber den Rumänen getrennte historische Erfahrung u. Entwicklung des Gebietes u. der Menschen seit 1812, also im Zarenreich u. in der Sowjetunion, werden als konstituierend betont. Über die Begrifflichkeiten u. hist. Interpretationen der Nation in der Moldaurepublik sind seit der Unabhängigkeit mehrere ges. Konflikte ausgebrochen, die sich v. a. auf den schulischen u. universitären Geschichtsunterricht fokussierten. Die in der Moldaurepublik verwendeten Schulbücher gehen v. einer Bevölkerungsmehrheit von „Rumänen“ aus u. negieren den nationalen Zugehörigkeitsbegriff der „Moldauer“. Auch die 1994 in der Verfassung festgeschriebene Bez. der Sprache als „Moldauisch“ wird seit 2013 in Befolgung eines Urteils des Verfassungsgerichts amtlich nicht mehr verwendet. In den bisherigen Volkzählungen (zuletzt 2004) allerdings gibt sich nur eine kleine Minderheit der rumänischsprechenden Einwohner als „Rumänen“ aus, die Mehrheit versteht sich hier, wie schon konstant seit den späten 1950er Jahren, als „Moldauer“. In den Bevölkerungstatistiken anderer Nachfolgestaaten der Sowjetunion werden die Rumänischsprecher ebenfalls meist als Moldauer geführt. Größere Gruppen leben in der Ukraine (mit ca. 250.000 „Moldauern“, sowie ca. 150.000 „Rumänen“) u. der Russländischen Föderation (ca. 150.000). Lit.: Die Republik Moldau/Republica Moldova – Ein Handbuch. Hgg. K. Bochmann u. a. Leipzig 2012; St. Ihrig, Wer sind die Moldawier? Rumänismus versus Moldowanismus in Historiographie u. Schulbüchern der Republik Moldova, 1991–2006. Stuttgart 2008; Sprachliche Individuation in mehrsprachigen Regionen Osteuropas. 1. Republik Moldova. Hgg. K. Bochmann/V. Dumbrava. Leipzig 2007; Ch. King, The Moldovans – Romania, Russia and the Politics of Culture. Stanford 1999; W. van Meurs, The Bessarabian Question in Communist Historiography. Nationalist and Communist Politics and History-Writing. New York 1994. St. I.
Mönchtum (orthodoxes) (v. gr. monachos: der abgesondert Lebende). Als Lebensform geht das orth. M. auf die beiden Ägypter Antonios (251–356) u. Pachomios (287–347) zurück. Während Antonios als Einsiedler in der Wüste lebte, gründete Pachomios seit 320 bei Tabennisi Klöster, in denen Mönche in Hausgemeinschaften ohne Privateigentum unter einer Re-
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Mönchtum (orthodoxes)
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gel arbeiteten u. lebten. V. a. in Ägypten u. in Palästina entwickelten sich die Lauren, deren Mönche an Samstagen u. Sonntagen zu Gottesdiensten u. Mahlzeiten zusammenkamen, in der Woche aber verstreut als Eremiten lebten. Zum Stammvater des orth. M. wurde jedoch Basileios der Große (ca. 329–379), der in seinen Schriften dem Leben im Kloster den Vorzug vor dem Eremitentum einräumte, den Gehorsam gegenüber dem Vorsteher einschärfte, die Arbeit der Mönche in den Dienst der Nächstenliebe stellte, die Ordnung des Stundengebetes festlegte u. die Beichte als Mittel zur Vervollkommnung empfahl. Erste kirchenrechtliche Bestimmungen für das M. erließ das vierte ökumenische Konzil v. Chalkedon (451). Es bestimmte, dass die Mönche ihr Kloster nicht verlassen sollten (stabilitas) u. unterstellte sie der Jurisdiktion des Ortsbischofs, ohne dessen Genehmigung kein Kloster gegründet werden durfte. Justinian I. führte eine dreijährige Probezeit für Novizen ein, band das monastische Leben an Koinobion u. Laura u. bestimmte, dass Anachoreten u. Hesychasten (→Hesychasmus) zwar abgesondert, aber im Bereich eines Klosters wohnen sollten. 463 gründete der Konsul Studios in Konstantinopel das nach ihm tu Studiu benannte Kloster, das seit 798 unter Theodor, einem vielseitigen theol. Schriftsteller u. Verteidiger der Bilderverehrung (→Bilderstreit), zu neuer Blüte gelangte. Die Theodor zugeschriebene Regel für Studiu (Hypotypōsis) wurde zum Vorbild für viele spätere Typika, in denen die Stifter die Verwaltung, das tägliche Leben, die liturg. Ordnung u. die Aufgaben eines Klosters bestimmten. Neben den Klöstern Konstantinopels u. dem Johannes-Kloster auf Patmos (gegründet 1087/1088) erlangten die seit dem 9. Jh. auf dem →Athos errichteten Klöster die größte Bedeutung für das orth. M. Erst in der zweiten H. des 14. Jh.s entwickelten sich die Meteōra-Klöster Thessaliens (am östl. Rande des Pindos-Gebirges). Durch ksl. Privileg oder patriarchales Stauropeg entzogen sich viele Klöster in mittelbyz. Zeit der Jurisdiktion der Ortsbischöfe. Die seit dem 9. Jh. übliche Verwaltung der Klöster durch Laien (Charistikariat) führte dazu, dass die Charistikarier die Klöster wie ihren Privatbesitz behandelten, u. war deshalb immer umstritten. Aus Byzanz übernahmen Bulgaren u. Serben das M. Die ersten Klöster (Ravna, Tutlalăka, Patlejna u. a.) gründeten die Schüler Kyrills u. Methods (→Slavenapostel) in u. um Pliska, Preslav u. →Ohrid. Um 930 entwickelte sich aus der Einsiedelei des Johannes v. Rila (876–946) das gleichnamige Kloster. 1083 gründete Gregorios Pakurianos das ursprünglich georgische Kloster v. Bačkovo. Während des zweiten →Bulgarischen Reiches blühten zahlreiche Klöster in u. um Sofia u. die Hauptstadt Tărnovo (v. a. die Gründungen der hl. Teodosij u. Evtimij, Sv. Bogorodica in Kelifarevo, u. Sv. Troica bei Tărnovo). In der Osmanenzeit (1393–1878) trug das bulg. M. entscheidend zum Erhalt der orthodox-slav. Identität bei. Den wichtigsten Einzelbeitrag dazu leistete Paisij Chilandarski mit seiner 1762 vollendeten „Slavobulgarischen Geschichte“. Eine großartige monastische Kultur entwickelte sich in Serbien seit 1183, als Stefan Nemanja (→Nemanjiden) das Kloster Studenica (südwestl. v. Kraljevo) gründete (seit 1986 UNESCO-Weltkulturerbe). Nach Errichtung der autokephalen Kirche (1219) dienten manche Klöster als Residenzen des Erzbischofs (Žiča, dann nach 1253 →Peć) u. seiner Suffragane (z. B. Toplica, Dabar, Budimjla). 1236 setzte Kg. Vladislav den hl. Sava im Kloster v. Mileševo bei. 1321 wurde das v. Kg. Stefan Uroš II. Milutin gestiftete Gračanica-Kloster (Kosovo; seit 2006 UNESCO-Weltkulturerbe) vollendet. Mit den Klostergrün-
Mönchtum (orthodoxes) / Mongolen
dungen des hl. Nikodim in Vodiţa u. Tismana (1372 u. 1377/1378) begann sich das hesychastische M. auch in den rum. →Donaufürstentümern auszubreiten (für die spätere Bedeutung vgl. →Bukarest). Der Moldauer Fürst Stefan der Große (1457–1504) soll insges. 44 Klöster gegründet oder neu ausgestattet haben, z. B. Neamţ, Bistriţa,Voroneţ u. Putna. Im 16. u. 17. Jh. entstanden meist durch Stiftungen der Fürsten (Petru Rareş, Vasile Lupu, Constantin Brîncoveanu) weitere berühmte Klöster, z. B. Moldoviţa, Suceviţa, Dragormina u. Trei Hierarhi (Iaşi) in der Moldau u. Horezu in der Walachei. Die wichtigsten Unterschiede zw. dem orth. M. u. dem röm.-kath. M. sieht Ernst Benz 1. in der „Klerikalisierung“ der letzteren, d.h. die Mönche der röm.-kath. Kirche sind i. d. R. ordinierte Priester, während die Mönche der orth. Klöster größtenteils Laienmönche sind, u. 2. in der funktionalen Ausdifferenzierung der röm.-kath. →Orden, während die orth. Kirche nur einen Orden – den Orden der „Basilianer“ – kennt, der die Verbindung v. Askese u. Mystik bis zur Gegenwart bewahrt hat. Quellen: Byzantine Monastic Foundation Documents. A Complete Translation of the Surviving Founders’ Typika and Testaments. Hgg. J. Thomas/A. Constantinides Hero, Mitarb. G. Constable. 4 Bde. Washington/DC 2000. Lit.: B. Krönung, Gottes Werk u. Teufels Wirken. Traum, Vision, Imagination in der frühbyzantinischen monastischen Literatur. Berlin 2014; Female Founders in Byzantium and beyond. Hgg. L.Theis/M. Mullett/M. Grünbart. Wien u. a. 2014; V. Marković, Pravoslavno monaštvo i manastiri srednjevekovne Srbije. Sremski Karlovci 22003; Metropolit Seraphim, Hesychasmus. Rumänische Tradition u. Kultur. Würzburg 2003; G. Podskalsky, Theologische Literatur des Mittelalters in Bulgarien u. Serbien 865–1459. München 2000; R. Morris, Monks and Laymen in Byzantium, 843–1118. Cambridge 1995; N. Isar, Le monastère de Sucevita dans le contexte des églises moldaves et de la peinture post-byzantine. Univ. Diss. Paris 1995; J. Koder, Mönchtum u. Kloster als Faktoren der byz. Siedlungsgeographie, Byzantium and the North. Acta Byzantina Fennica 7 (1993/94), 7–44; L. Prăskov/E. Bakalova/S. Bojadžiev, Manastirite v Bălgarija. Sofija 1992; J.P. Thomas, Private Religious Foundations in the Byzantine Empire. Washington D.C. 1987; A.-M. Talbot, An Introduction to Byzantine Monasticism, Illinois Classical Studies 12 (1987), 229–241; H.-G. Beck, Kirche u. theologische Literatur im byz. Reich. München 1959 (²1977 ), 120–140 u. 200–229; T. Špidlik, Das östliche Mönchtum u. das östliche Frömmigkeitsleben, in: Handbuch der Ostkirchenkunde. Hgg. E. von Ivánka/J. Tyciak/P. Wiertz. Düsseldorf 1971, 543–568; E. Benz, Das Mönchtum, in: Ders., Geist u. Leben der Ostkirche. Hamburg 1957, 75–88; P. de Meester, De monachico statu iuxta disciplinam byzantinam. Città del Vaticano 1942; D. Dan, Mânăstirea Sucevita. Cu anexe de documente ale Suceviţei şi Schitului celui Mare. Bucureşti 1923. K.-P. T.
Mongolen. Gruppe v. zentralasiat. Völkern u. Ethnien, die eine Sprachfamilie bilden. Als selbständigen pol. Verband (ulus) unter dem Namen Monggol gegen Ende des 11. Jh.s erstmals erwähnt, wurden die ca. 80 Clans v. Temüĵin (mongol.: „Schmied“) 1195–1206 gewaltsam geeinigt. 1206 v. einer Reichsversammlung zum Großkhan gewählt, berief sich Temüĵin,
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Mongolen
der seither als Činggis Chan („Ozeangleicher Chan“ d. h. Universalherrscher ?) auftrat, auf seine göttl. Sendung. Er ersetzte die alte Stammesaristokratie durch eine ihm persönl. ergebene Gefolgschaft u. schuf ein nach dem Dezimalsystem geordnetes u. v. a. auf türk. („tatarische“) Einheiten gestütztes, schlagkräftiges Heer, das 1211–34 Nordchina u. 1217–22 das westl. Zentralasien unterwarf. Die Eroberungen setzten Kräfte für einen Westfeldzug (1237–42) frei, in dem der Činggis-Chan-Enkel Bātū u. dessen Heerführer Sübe’etei 1237 die Wolgabulgaren u. →Kumanen unterwarfen u. bis 1240 alle russ. Fsm.er mit Ausnahme Novgorods eroberten. Die Weigerung Kg. Bélas IV. (1235–70), nach Ungarn geflohene →Kumanen an Bātū auszuliefern, führte zu zeitl. u. räuml. sorgfältig abgestimmten Operationen geg. Polen u. →Ungarn. Fünf mongol. Armeen drangen 1241 konzentrisch in Ungarn ein. Am 9. April fiel der Piastenherzog Heinrich II. der Fromme v. Schlesien bei Liegnitz; am 11. April unterlag Béla IV. dem Hauptheer Bātūs. Alle Hilfsappelle an Ks. Friedrich II. u. die Kurie verhallten unerhört, während allein in Ungarn etwa die Hälfte der Bevölkerung dem Mongolensturm u. dessen Folgen erlag. Erst der Tod des Großkhans Ögödäi (11.12.1241) veranlasste Bātū zur Räumung des Landes. Die ung. Könige vermochten durch geschickte Diplomatie die Gefahr eines weiteren Angriffs hinauszuzögern. Als die mongol. Heerführer Nohai u. Teleboġa schließlich 1285 eine Offensive einleiteten, war das Land inzwischen militärisch so gefestigt, dass es Kg. Ladislaus IV. gelang, die Invasion zurückzuschlagen. In SOE blieb nur Bulgarien, das v. den M. während ihres Rückzuges 1242 verheert worden war, bis in die zweite H. des 13. Jh.s unter der Tributherrschaft der Goldenen Horde (→Bulg. Reich). Von den Angriffen der M. blieb das um 1241/42 bereits aufgeteilte Byz. Reich (→Kaiserreich v. Nikäa, Despotat →Epirus u. a.) zunächst verschont. Nur das →Kaiserreich Trapezunt wurde v. ihnen verheert u. hatte Tribut zu zahlen. Ks. Michael VIII. Palaiologos v. Nikäa/Nikaia (1261–82) schloss 1261 ein Bündnis mit dem Īlchān Hülägü, das durch eine Ehe der Kaisertochter Maria mit dem Hülägüsohn Abaqa gefestigt wurde u. ein Gegengewicht zur Allianz zw. der Goldenen Horde u. den Mamlūken bildete. Erst wiederholte Einfälle in →Thrakien veranlassten Michael VIII., einen durch dynastische Ehen besiegelten Freundschaftsvertrag mit der Horde abzuschließen u. so endgültig die Gefahr künftiger Invasionen vom wiederhergestellten Byz. Reich abzuwenden.
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Lit.: J. Giebfried, The Mongol invasions and the Aegean world (1241–61), Mediterranean Historical Review 28 (2013), H. 2, 129–139; K. Schmidt, Trauma u. Erinnerung. Die Historisierung der Mongoleninvasion im mittelalterlichen Polen u. Ungarn. Heidelberg 2013; Magistri Rogerii epistola ad carmen miserabile, in: Anonymi Bele regi notarii Gesta Hungarorum. Anonymus and Master Roger. The Deeds of the Hungarians. Hgg., Übers. J. M. Bak/M. Rady. Budapest, New York: 2010, 131–227; St. Conermann/J. Kusber, Die Mongolen in Asien u. Europa. Frankfurt/M., Wien 1997; Die Mönche des Kublai Khan. Die Reise der Pilger Mar Yahballaha u. Rabban Sauma nach Europa. Hg. A. Toepel. Darmstadt 2008; H. Göckenjan, Mongolen, in: Lexikon des Mittelalters. Bd. 6 München 1992, 756–60; Die Mongolen u. ihr Weltreich. Hg. A. Eggebrecht. Mainz 1989; Die Mongolen. Hgg. W. Heissig/C.C. Müller. Innsbruck u. a. 1989; Die Mongolen. Hg. M. Weiers. Darmstadt 1986; Gy. Moravcsik, Byzantinoturcica. 2
Montenegriner
Bde. Berlin 31983; Der Mongolensturm. Berichte v. Augenzeugen u. Zeitgenossen 1235–50. Hgg. H. Göckenjan/J.R. Sweeney. Graz u. a. 1985; W. Heissig, Die Mongolen. Ein Volk sucht seine Geschichte. München 1978; G.A. Bezzola, Die Mongolen in abendländischer Sicht. Bern u. a. 1974; J.J. Saunders, The History of the Mongol Conquests. London 1971 (Neuaufl. Philadelphia 2001); B. Spuler, Die Goldene Horde. Wiesbaden ²1965; H. Dörrie, Drei Texte zur Geschichte der Ungarn u. Mongolen, Nachrichten der Akad. der Wiss. in Göttingen, I, Phil.hist. Kl., Nr. 6. Göttingen 1943, 125–202; Sinica Franciscana. Quaracchi. Hg. A. von der Wyngaert. Firenze 1929; G. Strakosch-Grassmann, Der Einfall der Mongolen in Mitteleuropa 1241–42. Innsbruck 1893. H. G.
Montenegriner (mont., serb. Crnogorci; sing. Crnogorac). Südslav.Volk, in der Mehrzahl Bewohner v. →Montenegro (Crna Gora), das unter diesem Namen erstmals 1276 in einer Urkunde des serb. Kg.s Milutin erwähnt wird; frühere Landesbezeichnungen waren Duklja (Dioclea) u. →Zeta. Über die ethn./nationale Eigenständigkeit der M., von denen viele auch in Serbien leben u. sich als →Serben betrachten, herrscht ein pol. motivierter Streit zw. serb. u. mont. Historikern u. Publizisten. Ein größerer Teil (gemäß Volkszählung v. 2011; →Montenegro) der M. versteht das Montenegrinertum als Ethnie/Nation, ein beträchtlicher anderer Teil als Regionalbezeichnung im Rahmen des Serbentums. Montenegro kam 1499 unter osm. Herrschaft, konnte aber als Grenzgebiet zu Venedig (→Venezianisches Überseereich) eine gewisse Autonomie bewahren. In der Volksüberlieferung der M. führte das zu der Auffassung, ihr Land sei nie richtig unterworfen worden („mont. Legende“). In Wirklichkeit waren die M. aber sowohl zur Steuerzahlung als auch zur Heeresfolge (allerdings nur auf dem eigenen Territorium) verpflichtet. Das →Timarsystem wurde bei den M. nicht eingeführt. Die M. lebten nach einer gewohnheitsrechtlichen Stammesverfassung (→Stamm, Stammesverfassung), die v. den Osmanen nicht angetastet wurde. Versuche zur Einrichtung einer überstammlichen Autorität unternahmen seit Ausgang des 17. Jh.s die Bischöfe v. →Cetinje. Bischof (vladika) Danilo (1697–1735) aus der Familie →Petrović Njegoš schuf 1713 ein zentrales Gericht, das bei Stammesfehden entscheiden u. die Selbstjustiz einschränken sollte. Unter Danilo traten die M. auch (abgesehen v. den Beziehungen zu den in der Bucht von Kotor/Cattaro benachbarten Venezianern) das erste Mal mit einer auswärtigen Macht in Kontakt: Zar Peter I. v. →Russland hatte 1711 Gesandte nach Cetinje geschickt, um die M. zum Aufstand gegen die Osmanen zu bewegen. 1715 reiste Danilo selbst nach Russland. Russlandreisen wurden auch v. seinem Nachfolger Sava (1735–1781) u. v. dessen Vetter Vasilije, der 1744–66 die weltlichen Geschäfte für Sava führte, unternommen. Ziel dieser Reisen war es nicht nur, russ. Unterstützung für die erstrebte Unabhängigkeit v. Osm. Reich zu gewinnen, sondern auch finanzielle Hilfe zu bekommen. Letztere wurde v. den Russen auch gewährt. Die Russland-Orientierung blieb eine Konstante in der mont. Politik. Wieweit das Vertrauen auf die ferne orth. Schutzmacht ging, davon zeugt, dass es 1767 einem Abenteurer unbekannter Herkunft, genannt Šćepan Mali (Stefan der Kleine), gelang, v. den M. als Herrscher anerkannt zu werden. Šćepan Mali (1767–73) gab vor, der russ. Zar Peter III., der ermordete Gatte Katharinas II. zu sein, der durch ein
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Montenegriner
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Wunder am Leben geblieben war. Die Herrschaft des „Lügenzaren“ hatte durchaus positive Auswirkungen für die Einrichtung einer staatlichen Ordnung bei den M.; v. a. gelang es ihm, das Gerichtswesen zu reformieren. Verstärkt wurden die Bestrebungen zur Stärkung der Zentralgewalt unter Peter I. (1784– 1830). Unter ihm gewann die pol. Tätigkeit gegenüber dem geistlichen Amt den Vorrang. Die ersten Jahre seiner Amtszeit waren erfüllt v. militärischen Auseinandersetzungen mit Kara Mahmud Pascha Bushatlliu (vgl. a. →Albaner) v. Skutari (Shkodra), der seit 1785 bestrebt war, Montenegro seinem Machtbereich einzugliedern. Erst 1796 gelang es den M., die alb. Truppen des Paschas zurückzuschlagen. Dieser Sieg hatte mehr als lokale Bedeutung, er stellte vielmehr den Beginn der mont. Unabhängigkeit dar. Erst jetzt, nachdem die äußere Gefahr gebannt war, konnte Petar I. Petrović Njegoš an den Aufbau einer staatlichen Ordnung gehen. Zunächst (August 1796) wurden die nordöstl. gelegenen Brda-Stämme mit Alt-Montenegro zusammengeschlossen. Am 18.10.1798 verabschiedete eine Versammlung der Stammesältesten das erste mont. Gesetzbuch, den „Zakonik obšći crnogorski i brdski“ (Allgemeines Gesetzbuch für Montenegro u. Brda), das v. a. strafrechtlichen Charakter hatte. Gleichzeitig wurde als beratendes Gremium ein „Praviteljstvo suda crnogorskog i brdskog“ (Regierung des Gerichts v. Montenegro u. der Brda) eingeführt. Peter I. kann als Wegbereiter des mont. Staates bezeichnet werden. Während der Napoleonischen Kriege unternommene Versuche, die damals zu den →Illyrischen Provinzen gehörige Bucht v. Kotor zu besetzen u. so einen Zugang zum Meer zu erhalten, scheiterten aber. Peters I. Neffe u. Nachfolger Peter II. (1830–51) fand bereits eine sich vom Stammesdenken zu lösen beginnende Bürokratie vor, die sich zunehmend als Sachwalter der Zentrale verstand. Peter II. führte 1831 eine straffere Zentralverwaltung ein. Das „Praviteljstvo“ wurde – nach russ. Vorbild – durch den „Praviteljstvujušći senat crnogorski i brdski“ (Regierender Senat v. Montenegro u. der Brda) ersetzt, dem 16 unabhängig vom Stammesproporz ausgewählte u. besoldete Senatoren angehörten. Für polizeiliche Aufgaben u. als Grenzschutz wurde eine „Gvardija“ (Garde) geschaffen. Mit der lokalen Verwaltung wurden „Kapetani“ betraut, die allmählich die Stammesältesten zurückdrängten. Als Leibwache diente schließlich die neue Truppe der „Perjanici“ (Federbüsche). Über allem stand der Vladika mit absoluter Herrschergewalt. Alle diese Zentralisierungsmaßnahmen wurden v. der alten Führungsschicht natürlich nicht widerstandslos hingenommen. Es entstand eine Opposition, die sich sogar im fernen Russland Gehör zu verschaffen verstand. Peter II. wurde u. a. vorgeworfen, russ. Unterstützungsgelder veruntreut zu haben. Es gelang diesem aber, bei einem Besuch in St. Petersburg 1837, alle Vorwürfe zu entkräften. In den folgenden Jahren widmete sich Peter II. vorwiegend der Außenpolitik, wobei es ihm v. a. um die Regelung v. Grenzfragen ging. Montenegro, formell weiterhin zum Osmanenreich gehörig, hatte noch keine festen u. international anerkannten Grenzen zu seinen Nachbarn. Nach langwierigen Verhandlungen gelang dem Vladika im Juli 1841 die Festlegung der Grenze zu den österr. Besitzungen im südl. →Dalmatien (Bucht v. Kotor). Zwar war mit dem Grenzvertrag noch keine völkerrechtliche Anerkennung der mont. Unabhängigkeit verbunden, denn Peter II. hatte nur mit den Provinzbehörden, nicht aber mit der Wiener Regierung verhandelt. Dennoch kann die Tatsache, dass Wien den Vertrag genehmigte u. die osm. Regierung überhaupt nicht einge-
Montenegriner
schaltet wurde, als de facto Anerkennung gewertet werden. Am 24.9.1842 schloss Peter II. dann in Dubrovnik mit dem →Wesir der Herzegowina, Ali Pascha Rizvanbegović, ebenfalls einen Vertrag, der die Grenze zur Herzegowina festlegte, u. in dem v. den „nezavisne oblasti Crne Gore“ (unabhängigen Gebieten Montenegros) die Rede war. Unter Peter II. wurde die Staatswerdung Montenegros im wesentlichen abgeschlossen. Aus einem v. Osm. Reich abhängigen, lockeren Stammesverband war ein zentral u. absolut regierter Staat geworden, der auch vom Ausland als de facto selbständig behandelt wurde, wenngleich die förmliche Anerkennung erst 1878 erfolgte. Zur weiteren Entwicklung →Montenegro. Zur literarischen Bedeutung Petars II. →Petrović Njegoš. Quellen: Petar [I. Petrović Njegoš], Poslanice. Hg. Č. Vuković. Podgorica 1996; Petar I Petrović Njegoš. Pisma i drugi dokumenti. Hg. J.M. Milović. 2 Bde. Titograd 1987/88; Petar II. Petrović Njegoš. Gradja 1830–1851. Hg. J.M. Milović. [nachgewiesen: Bde. 2, 4, 5, 6] Titograd 1986–1993; Zbornik dokumenata iz istorije Crne Gore. Hg. J.M. Milović. Cetinje 1956. Lit. (a. →Crnojevići; →Petrović Njegoš; →Montenegro): Crna Gora i Rusija. Materijali za istoriju odnosa Crne Gore i Rusije u periodu vladavine crnogorskih mitropolita Save i Vasilija Petrovića 1642–1766. Hg. A.N. Saharov. Podgorica u. a. 2011; Šćepan Mali. Hgg. D. Kujović/M. Miljić. Podgorica 2010; E. Roberts, Realm of the Black Mountains. A History of Montenegro. London 2007; A. Sbutega, Storia del Montenegro. Dalle origini ai giorni nostri. Rubbettino 2006; C. Heer, Territorialentwicklung u. Grenzfragen von Montenegro in der Zeit seiner Staatswerdung (1830–1887). Bern u. a. 1981; D. Pejović, Crna Gora u doba Petra I i Petra II. Osnivanje države i uslovi njenog razvitka. Beograd 1981; Istorija Crne Gore. Hg. M. Ćurović. Bd. 1: Od najstarijih vremena do kraja XII vijeka. Titograd 1967, Bd. 2: Od kraja XII do početka XV vijeka. 2 Teilbde. ebd. 1970, Bd. 3: Od početka XVI do kraja XVIII vijeka. ebd. 1975; G. Stanojević, Crna Gora pred stvaranje države 1773–1796. Beograd 1962; B. Djurdjev, Turska vlast u Crnoj Gori u XVI i XVII veku. Prilog jednom nerešenom pitanju iz naše istorije. Sarajevo 1953; M.A. Vujačić, Znameniti crnogorski junaci: po istoriskim podacima, tradiciji i narodnoj pjesmi. Bd. 1. Cetinje 1951; J. Erdeljanović, Stara Crna Gora. Etnička prošlost i formiranje crnogorskih plemena. Beograd 1926 (Ndr. 1978). P. B.
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Montenegro (ab 1852)
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Montenegro (ab 1852) (mont./serb. Crna Gora, „Schwarzer Berg“). Staat an der Adria zw. der Südspitze Dalmatiens, der Herzegowina, Serbiens, Kosovos u. Albaniens: 13.812 km2, 620.029 E (2011), davon 44,7 % Montenegriner, 29,0 % Serben, 8,7 % Bosniaken, 4,9 % Albaner, 3,3 % Muslime; der Rest verteilt sich auf eine Vielzahl anderer Gruppen. 72,1 % der Bev. sind orthodox, 19,1 % muslim., 3,4 % katholisch; der Rest andere. Hauptstadt →Podgorica. Der Name „M.“ taucht in lat./ital. Quellen im Spät-MA auf u. wurde in die meisten nichtslav. Sprachen übernommen (alb. hingegen: Mali i Zi). Nach dem Tode v. Peter II., dem letzten Fürstbischof v. M. (19.10.1851) aus der Dynastie der →Petrović Njegoš (a. →Montenegriner), ließ sich dessen testamentarisch zum Nachfolger bestimmter Neffe Danilo (I., 1852–1860) zum ersten weltlichen Fürsten M.s ausrufen. Er wurde v. →Russland u. Österreich (→Habsburgermonarchie) sofort anerkannt, nur die Regierung in Istanbul, die M. immer noch als Bestandteil des →Osm. Reiches betrachtete, erhob Einwände u. ließ Ende 1852 Truppen in M. einmarschieren. Nur einer Intervention Österreichs u. Russlands war es zu verdanken, dass der Angriff eingestellt wurde. Nach der Beseitigung der äußeren Gefahr begann Danilo mit der Modernisierung v. Verwaltung u. Militärwesen, die nicht zuletzt auch der Festigung seiner eigenen Stellung dienen sollte. Um die seit Generationen an der Spitze ihrer Stämme (→Stamm, Stammesgesellschaft) stehenden Familien auszuschalten, unterteilte er M. in 40 Kapetanien, deren Grenzen sich nicht mehr mit denen der einzelnen Stämme deckten. Danilo erließ eine allg. Militärdienstpflicht u. führte eine Militärreform durch, nach der die Montenegriner nicht mehr wie bisher in ihren Stammesverbänden, sondern in festen milit. Einheiten, in denen Angehörige verschiedener Stämme vertreten waren, ins Feld ziehen mussten. Schwieriger gestaltete sich die Regelung der Staatsfinanzen. Danilo konnte zwar Einfuhrzölle durchsetzen, eine regelmäßige Steuerzahlung wäre aber nur mit Gewalt einzuführen gewesen, weshalb die Staatsausgaben auch weiterhin vorwiegend aus russ. Finanzhilfe bestritten werden mussten. Höhepunkt der Reformen war der Erlass eines neuen Gesetzbuches 1855: Der „Obšti zemaljski zakonik“ (Allgemeines Landesgesetz) stellte eine Mischung v. kodifiziertem Gewohnheitsrecht u. modernen Bestimmungen dar, die den neuen Verhältnissen Rechnung tragen sollten (a. →Rechtsgeschichte, Rechtskultur). Außenpolitisches Hauptziel Danilos war die Anerkennung der staatlichen Souveränität M.s. Er konnte dabei mit der Unterstützung der Großmächte rechnen, auf deren Druck hin (Botschafterkonferenz in Konstantinopel, 14.10.–8.11.1858) sich die →Hohe Pforte bereit erklärte, ihre Grenze zu M. festzulegen. Die Grenzziehung erfolgte 1859 (Protokoll 1860) u. brachte einen nicht unbedeutenden Gebietszuwachs: Grahovo, Rudine, die Nikšićka Župa u. Gornji Vasojević kamen an M., das jetzt als de facto unabhängig anerkannt wurde. Trotz der Normalisierung des Verhältnisses lebten die Auseinandersetzungen mit den Osmanen unter Danilos Neffen u. Nachfolger Nikola (1860–1918) wieder auf. Grund dafür waren die Unruhen in der →Herzegowina. 1861 unterstützten die Montenegriner einen dort ausgebrochenen Aufstand. Osm. Truppen drangen in M. ein u. zwangen den Montenegrinern ihre Friedensbedingungen auf (Vertrag v. Rijeka Crnojevića, 8.9.1862): M. musste der Stationierung osm. Truppen entlang der Verbindungsstraße Herzegowina-Albanien, die quer durch mont. Gebiet führte, zustimmen. Außenpolitisch kam es jetzt zu einer Neuo-
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rientierung – an Stelle v. Frankreich wurde wieder Russland Schutzmacht M.s. Mit russ. Unterstützung versuchte Fürst Nikola, eine führende Rolle bei der Befreiung der Balkan slaven v. der Türkenherrschaft zu spielen, was ihm nach der Ermordung des serb. Fürsten Michael Obrenović (10.6.1868; →Obrenovići) zumindest zeitweise auch gelang. Nachdem 1875 in der Herzegowina erneut ein Aufstand ausgebrochen war, erklärten M. u. Serbien am 2.7.1876 dem Osm. Reich den Krieg (→Orientalische Krise). Während die Montenegriner Siege erfochten, mussten die Serben nach Niederlagen bereits am 1.11.1876 Waffenstillstand schließen, dem sich M. anschloss. Ein Friedensvertrag kam (28.2.1877) aber nur zw. Istanbul u. Belgrad zustande, da M. zu hohe Forderungen stellte. Nach dem russ. Kriegsbeitritt (24.4.1877) begann auch M. sofort wieder mit den Kampfhandlungen. Mont. Truppen eroberten Nikšić, Bar (it. Antivari) u. Ulcinj (it. Dulcigno, alb. Ulqin) u. Fürst Nikola trug sich schon mit dem Gedanken, Skutari (Shkodra) anzugreifen, als die Russen am 31.1.1878 mit den Osmanen Waffenstillstand schlossen, in welchem auch M. inbegriffen war. Im Vorfrieden v. San Stefano (3.3.1878) u. dann durch den Berliner Vertrag (→Berliner Kongress) wurde die volle staatsrechtliche Unabhängigkeit M.s anerkannt, das gleichzeitig einen bedeutenden Gebietszuwachs erhielt: Das Territorium M.s vergrößerte sich um 5.118 km2 mit 116.000 Einwohnern auf nunmehr 9.443 km2 mit 286.000 Einwohnern. Mit Bar u. i. J. 1880 Ulcinj (vgl. a. →Liga von Prizren) erhielt M. den erstrebten Zugang zum Meer (während der Hafen Kotor seit Ende der napoleonischen Kriege zum österr. Kronland Dalmatien gehörte). Hatte bis zum Berliner Kongress die Außenpolitik absoluten Vorrang gehabt, begann Fürst Nikola, sich jetzt innenpolitischen Reformen zu widmen. Erstmals in der mont. Geschichte wurde 1879 eine Regierung mit einem Ministerpräsidenten an der Spitze gebildet. Das Gerichtswesen wurde v. der Verwaltung getrennt. Am 29.10.1905 gewährte Nikola seinem Land eine Verfassung. M. wurde eine konstitutionelle Monarchie. Die Rechte des Parlaments waren allerdings sehr eingeschränkt. Die Regierung blieb nur dem Fürsten verantwortlich, der auch das alleinige Recht zur Beamtenernennung hatte. Trotzdem begann sich damals in M. ein parlamentarisches Leben zu entwickeln. Es bildeten sich die ersten Parteien: Der „Klub Narodne Stranke“ (Klub der Nationalpartei = klubaši) trat für eine weitere Demokratisierung u. enge Zusammenarbeit mit Serbien ein; konservativere Zielsetzungen vertrat die „Prava Narodna Stranka“ (Wahre Nationalpartei = pravaši). Anlässlich seines 50jährigen Regierungsjubiläums nahm Nikola am 29.8.1910 den Königstitel an. Im Sommer 1912 trat M. dem Balkanbund bei, der aus Serbien, Bulgarien u. Griechenland bestand u. die „Befreiung“ der noch unter osm. Herrschaft lebenden Balkanchristen zum Ziele hatte (→Balkankriege). Am 8.10.1912 erklärte M. als erster der Bündnispartner dem Osm. Reich den Krieg. M.s Hauptziel war die Eroberung v. Skutari (Shkodra), das nach 7monatiger Belagerung am 22.4.1913 fiel, im Frieden v. Bukarest (10.8.1913) aber dem neuen Fsm. Albanien zugesprochen wurde. M. ging aus den beiden Balkankriegen dennoch mit einem Gebietsgewinn v. 5.000 km2 hervor (u. a. Teile v. →Metohija). Es vergrößerte sein Territorium auf 14.443 km2 mit 350.000 Einwohnern. In den 1. →Wk. trat M. auf der Seite Serbiens ein u. musste am 16.1.1916 vor den österr.-ung. Truppen kapitulieren. Kg. u. Regierung gingen nach Frankreich ins Exil. Nach dem Zusammenbruch der Mittelmächte beschloss eine „Große Nationalversammlung“ in →Podgorica am 26.11.1918 die Vereinigung M.s mit Serbien. Damit hatten sich in M. die „Weißen“
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(Bjelaši, so benannt nach der Farbe der Wahlliste gegenüber den „Grünen“ (Zelenaši) durchgesetzt, die für eine Beibehaltung der mont. Unabhängigkeit eingetreten waren (für Näheres →Petrović Njegoš). Mehrheitlich verstanden sich die Montenegriner damals im ethn. Sinne als Serben (nach der Volkszählung v. 1910 über 90 %). Im Dezember 1918 ging M. im neu gegründeten SHS-Königreich (→Jugoslawien) auf, in dem es als Bezirk (oblast) bzw. ab 1929 Banovina Zeta etwa in seinem alten Umfang, aber ohne irgendwelche Sonderrechte fortbestand. Während des 2. →Wk.s wurde M. v. den Italienern besetzt, die am 12.7.1941 M. wieder zum „unabhängigen“ Staat proklamierten, was wegen des bald ausbrechenden Partisanenkampfes keine Auswirkungen hatte. Seit 1946 bildete M. als Volksrepublik einen Bestandteil der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien. Sein Territorium umfasste erstmals die Bucht v. Kotor, aber nicht mehr den 1912 errungenen nördl. Teil der Metohija, der zum Autonomen Gebiet Kosmet (→Kosovo) u. damit zu Serbien kam. Im Zuge der titoistischen Nationalpolitik wurden die Montenegriner als eigenständige staatstragende jug. Nation (narod) behandelt u. ihre →Nationsbildung vorangetrieben. Nach dem Zerfall der jug. Föderation bildete M. zusammen mit Serbien am 27.4.1992 die „Bundesrepublik Jugoslawien“. Es gab aber schon bald Bestrebungen, M. wieder zu einem unabhängigen Staat zu machen. Deren Wortführer wurde Milo Djukanović, der 1998 das Präsidentenamt in M. übernahm u. die pol. Szene des Landes bereits seit 1991 prägte. Auf Druck der EU erklärte er sich bereit, die Sezession um einige Jahre zu verschieben. Im Februar 2003 wurde die „Bundesrepublik Jugoslawien“ durch den lockeren Staatenbund „Serbien u. Montenegro“ ersetzt. Artikel 60 der Verfassungsurkunde für den neuen Staat bestimmte für beide Mitgliedstaaten das Recht, nach Ablauf von drei Jahren u. einer entsprechenden Volksbefragung aus dem Staatenbund auszutreten. Falls Montenegro von diesem Recht Gebrauch machen würde, sollten alle internationalen Dokumente, die sich auf die „Bundesrepublik Jugoslawien“ bezogen (insbesondere die UN-Resolution 1244, betr. →Kosovo), auf Serbien als Rechtsnachfolger übergehen. Regierung u. Opposition in M. einigten sich nach längerem u. heftigem Streit auf die Abhaltung eines Referendums am 21. Mai 2006. 55,5 % der Abstimmenden sprachen sich für die Unabhängigkeit aus (bei einer Beteiligung von 86,4 %). Nach deren Erlangung bemühte sich Montenegro um Aufnahme in die EU. Trotz noch bestehender Defizite, v. a. bei der Korruptionsbekämpfung (→Korruption) u. im Rechtssystem, erhielt M. im Dez. 2010 den Kandidatenstatus. Die Beitrittsverhandlungen begannen im Juni 2012.
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Lit. (a. →Montenegriner): N. Martinović, Crna Gora i Habsburška monarhija (1715–1918). Bd. 1. Podgorica 2014; Petr II Petrovič Negoš i Rossija: russko-černogorskie otnošenija v 1830–1850-e gg. Dokumenty. Hg. J.P. Anšakov. Moskva 2013; S. Zachova, Černa Gora sled Jugoslavija. Dinamika na identičnostite. Sofija 2013; D. Grabić, Montenegrizität. Sprache u. Kirche im Spiegel des Identitätsdiskurses in der Republik Montenegro 1990–2007. Frankfurt/M. 2010; K. Morrison, Montenegro: A modern history. London u. a. 2009; S. Pavlović, Balkan Anschluss: The Annexation of Montenegro and the Creation of the Common South Slavic State. West Lafayette/ Ind 2008; F. Caccamo, Il Montenegro negli anni di prima Guerra mondiale. Roma 2008; E. Roberts, Realm of the Black Mountain. A history of Montenegro. Ithaca/NY 2007; Š. Rastoder/Ž.
Mülk / Nahiye
Andrijašević, The History of Montenegro. From Ancient Times to 2003. Podgorica 2006; B. Marović, Ekonomska istorija Crne Gore. ebd. 2006; L. Jokić Kaspar, Državno-pravna istorija Crne Gore. ebd. 2002; Vl.D. Jovićević, Tokovi crnogorske državnosti. ebd. 2002; N. Rakočević, Crna Gora u Prvom svetskom ratu 1914–1918. ebd. 1997; P. Vojinović, Crnogorska inteligencija (Od polovine XVIII vijeka do 1918. godine). Nikšić 1989; Dj.D. Pejović, Crna Gora u doba Petra I i Petra II: osnivanje države i uslovi njenog razvitka. Beograd 1981; Istorija Crne Gore. 3 Bde. Titograd 1967–1975; D.-D. Vujović, Ujedinjenjenje Crne Gore i Srbije. ebd. 1962; B. Pavićević, Stvaranje crnogorske države. Beograd 1955; J. Jovanović, Stvaranje crnogorske države i razvoj crnogorske nacionalnosti. Istorija Crne Gore od početka VIII vijeka do 1918 godine. Cetinje 1947; J. Djonović, Ustavne i političke borbe u Crnoj Gori 1905–1910. Beograd 1939. P. B.
Mülk (v. arab. milk „Eigentum“). Im Osm. Reich war der Boden grundsätzlich Eigentum des Herrschers (→Miri; a. →Has) bzw. Staates; Privatbesitz u. Grund u. Boden umfasste lediglich (1) Hausgrundstücke, Gärten u. Weinberge; (2) als Eigentum verbriefte Ländereien. Letztere sind besonders in der Frühzeit der osm. Herrschaft etwa unter Bayezid I. (1389–1402) u. seinen Söhnen während des Interregnums (1402–1412) vornehmlich an verdiente Militärs u. einflussreiche Geistliche zu Eigentum verliehen worden. Ländereien dieser Kategorie v. M. sind aber durch Mehmed II. (1451–1481) bereits wieder (angeblich im Umfang v. zwanzigtausend Dörfern) in Staatsland (zurück-)verwandelt worden – eine Maßnahme, die indes sein Nachfolger Bayezid II. (1481–1512) seinerseits z. T. rückgängig machen sollte. – Daneben gab es Formen v. M., die nicht auf Kosten des Staatslandes entstanden waren u. die manche Herrscher deshalb zu fördern suchten. Hierbei handelt es sich um Land, das nach „Wiederbelebung“ (arab. ihyā‘), d. h. Urbarmachung, dem Inhaber als Eigentum zufiel, etwa nach Bewässerung v. Ödland (speziell zum Anbau v. Reis). Die Eigentümer v. M. haben dieses regelmäßig in →Vakuf-Land zu überführen getrachtet, um es auf diese Weise dem Zugriff des Staates zu entziehen. – Der ausgedehnteste Komplex v. M. im europ. Reichsteil ist wohl der des Gazi Evrenos Bey (†1417) am Unterlauf des Vardar (Axios) bei Yenice-i Vardar (Gianitsa). Er wurde spätestens beim Tod des berühmten Heerführers in ein Vakuf umgewandelt u. umfasste am Ende des 15. Jh.s mehr als 200 kopfsteuerpflichtige Haushalte (→Kopfsteuer). In den etwa 50 Ortschaften dieses Komplexes, der auch Teile städtischer Siedlungen umschloss, müssen darüber hinaus größere Gruppen turksprachiger →Yürüken gelebt haben, die seit dem Ende des 14. Jh.s hier angesiedelt worden waren (→Islamisierung). Lit.: An Economic and Social History of the Ottoman Empire, 1300–1914. Hgg. H. İnalcık/D. Quataert. Cambridge 1994; H. İnalcik, Studies in Ottoman Social and Economic History. Variorum Reprints. London 1985; E. Werner, Die Geburt einer Großmacht – die Osmanen (1300– 1481). Ein Beitrag zur Geschichte des türkischen Feudalismus. Weimar 1985. M. U.
Nahiye (aus arab. nāḥiya „Gebiet Distrikt“). Osm. Territorialeinheit. Ähnlich wie das →Eyalet üblicherweise in mehrere →Sancaks u. diese wiederum in zahlreiche →Kazas unterteilt
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Mülk / Nahiye
Andrijašević, The History of Montenegro. From Ancient Times to 2003. Podgorica 2006; B. Marović, Ekonomska istorija Crne Gore. ebd. 2006; L. Jokić Kaspar, Državno-pravna istorija Crne Gore. ebd. 2002; Vl.D. Jovićević, Tokovi crnogorske državnosti. ebd. 2002; N. Rakočević, Crna Gora u Prvom svetskom ratu 1914–1918. ebd. 1997; P. Vojinović, Crnogorska inteligencija (Od polovine XVIII vijeka do 1918. godine). Nikšić 1989; Dj.D. Pejović, Crna Gora u doba Petra I i Petra II: osnivanje države i uslovi njenog razvitka. Beograd 1981; Istorija Crne Gore. 3 Bde. Titograd 1967–1975; D.-D. Vujović, Ujedinjenjenje Crne Gore i Srbije. ebd. 1962; B. Pavićević, Stvaranje crnogorske države. Beograd 1955; J. Jovanović, Stvaranje crnogorske države i razvoj crnogorske nacionalnosti. Istorija Crne Gore od početka VIII vijeka do 1918 godine. Cetinje 1947; J. Djonović, Ustavne i političke borbe u Crnoj Gori 1905–1910. Beograd 1939. P. B.
Mülk (v. arab. milk „Eigentum“). Im Osm. Reich war der Boden grundsätzlich Eigentum des Herrschers (→Miri; a. →Has) bzw. Staates; Privatbesitz u. Grund u. Boden umfasste lediglich (1) Hausgrundstücke, Gärten u. Weinberge; (2) als Eigentum verbriefte Ländereien. Letztere sind besonders in der Frühzeit der osm. Herrschaft etwa unter Bayezid I. (1389–1402) u. seinen Söhnen während des Interregnums (1402–1412) vornehmlich an verdiente Militärs u. einflussreiche Geistliche zu Eigentum verliehen worden. Ländereien dieser Kategorie v. M. sind aber durch Mehmed II. (1451–1481) bereits wieder (angeblich im Umfang v. zwanzigtausend Dörfern) in Staatsland (zurück-)verwandelt worden – eine Maßnahme, die indes sein Nachfolger Bayezid II. (1481–1512) seinerseits z. T. rückgängig machen sollte. – Daneben gab es Formen v. M., die nicht auf Kosten des Staatslandes entstanden waren u. die manche Herrscher deshalb zu fördern suchten. Hierbei handelt es sich um Land, das nach „Wiederbelebung“ (arab. ihyā‘), d. h. Urbarmachung, dem Inhaber als Eigentum zufiel, etwa nach Bewässerung v. Ödland (speziell zum Anbau v. Reis). Die Eigentümer v. M. haben dieses regelmäßig in →Vakuf-Land zu überführen getrachtet, um es auf diese Weise dem Zugriff des Staates zu entziehen. – Der ausgedehnteste Komplex v. M. im europ. Reichsteil ist wohl der des Gazi Evrenos Bey (†1417) am Unterlauf des Vardar (Axios) bei Yenice-i Vardar (Gianitsa). Er wurde spätestens beim Tod des berühmten Heerführers in ein Vakuf umgewandelt u. umfasste am Ende des 15. Jh.s mehr als 200 kopfsteuerpflichtige Haushalte (→Kopfsteuer). In den etwa 50 Ortschaften dieses Komplexes, der auch Teile städtischer Siedlungen umschloss, müssen darüber hinaus größere Gruppen turksprachiger →Yürüken gelebt haben, die seit dem Ende des 14. Jh.s hier angesiedelt worden waren (→Islamisierung). Lit.: An Economic and Social History of the Ottoman Empire, 1300–1914. Hgg. H. İnalcık/D. Quataert. Cambridge 1994; H. İnalcik, Studies in Ottoman Social and Economic History. Variorum Reprints. London 1985; E. Werner, Die Geburt einer Großmacht – die Osmanen (1300– 1481). Ein Beitrag zur Geschichte des türkischen Feudalismus. Weimar 1985. M. U.
Nahiye (aus arab. nāḥiya „Gebiet Distrikt“). Osm. Territorialeinheit. Ähnlich wie das →Eyalet üblicherweise in mehrere →Sancaks u. diese wiederum in zahlreiche →Kazas unterteilt
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Nahiye / Nation
waren, so besaß auch das Kaza eine Untereinheit, die N. Allerdings ist in den →Tahrir Defteri des 15. u. 16. Jh.s die N. häufigste Untereinheit nicht des Kaza, sondern des Sancak. Der Grund dafür ist darin zu suchen, dass es sich einmal um eine sog. Gerichts-, im anderen Fall um eine sog. Verwaltungs-N. handelt, die in den südslav. u. alb. Gebieten des Osm. Reiches in Lage, Ausdehnung u. manchmal Bezeichnung der vorosm. Župa (vgl. →Župan) entsprechen kann. – In frühosm. Zeit fand die Bezeichnung N. gelegentlich als Synonym für „Sancak“ oder gar „Beylerbeyilik“ bzw. „Eyalet“ Verwendung. Lit.: M.T. Gökbilgin, Nâḥiye, in: İslam Ansiklopedisi; H.-J. Kornrumpf, Die Territorialverwaltung im östlichen Teil der europäischen Türkei vom Erlaß der Vilayetsordnung (1864) bis zum Berliner Kongreß (1878). Freiburg i. Br. 1978; H. Šabanović, Krajište Isa-Bega Ishakovića. Zbirni katastarski popis iz 1455. godine. Sarajevo 1964. M. U.
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Nation (lat. natio, aus nasci=geboren werden, entstammen). Der Begriff N. sowie Begriffe aus seinem semantischen Umfeld (gens, Volk, →Ethnie, populus, demos) haben ihre Bedeutung im Lauf der Zeit u. von Region zu Region immer wieder verändert. Während im lat. geprägten Teil Europas das Wort „natio“ in unterschiedlicher Bedeutung seit der Antike verwendet wurde, fand er im gr./byz., slav. geprägten Teil Europas als Neologismus seit dem 19. Jh. Anwendung. Sehr grob vereinfacht lassen sich zwei Varianten des N.sbegriffs unterscheiden: 1. die vormoderne u. 2. die moderne N. – 1. Im Kgr. Ungarn bezeichnete „natio“ während des MAs u. der FNZ die rechtl. privilegierte Bevölkerungsschicht. Zur „natio hungarica“ gehörten die im ständischen Landtag (Dieta, →Országgyűlés) vertretenen pol. Führungsschichten, bestehend aus →Adel, höherem Klerus u. Repräsentanten der kgl. →Freistädte. Die ethn. Zugehörigkeit war dabei belanglos. Auch in den Königreichen Kroatien u. Slawonien umfasste die „natio“ nur das „Volk“ im pol. u. konstitutionellen Sinn (populus), während das „einfach Volk“ (plebs) nicht Teil der „natio“ war. Die drei in →Siebenbürgen dominanten Stände (nationes): Ungarn, →Székler u. →Siebenbürger Sachsen verstanden sich als Personalverbände mit Rechtscharakter („Nationsuniversität“), nicht als ethn. Gemeinschaften. In ungar. Urkunden des 18. Jh.s wurde der Begriff „natio“ auch für die rechtl. privilegierte slav.sprachige, orth. Bev. des Kgr.s verwendet: „natio Rasciana“ (vgl. →Raszien) oder „natio Illyrica“. Aber auch in diesen Fällen stand der rechtl. Status, nicht die Abstammung im Vordergrund. Daneben diente „natio“ auch zur Bezeichnung der Bewohner bestimmter Gebiete. Die Bezeichnung „natio Illyrica“ oder „natio Illyricae“ wurden in lat. (v. a. kirchl.) Dokumenten seit dem 15. Jh. für die Bevölkerung Dalmatiens u. „Illyriens“ (d.h. Kroatiens, Slawoniens u. Bosniens) gebraucht. So wurde die v. Papst Sixtus V. 1589 in Rom eingeweihte Kirche des hl. Hieronymus der „illyrischen Nation“ gewidmet (Chiesa di San Gerolamo degli Illrici oder degli Schiavoni, heute: dei Croati). Geografisch konnotiert waren ferner die „nationes” (Landsmannschaften) der Studenten an ausländischen Universitäten: Sie gliederten sich nach dem Herkunftsland, nicht nach ethn. Zugehörigkeit. In den genannten Beispielen wird der Begriff „natio“ also entweder für einen rechtl. definierten Personalverband (im deutlichen Gegensatz zum mod. N.sverständnis) oder für eine nach dem
Nation
Siedlungs- oder Herkunftsgebiet unscharf bezeichnete Bev. verwendet. Die „natio Illyrica“ in ungar. u. die „natio Illyrica“ in röm.-kath. Quellen zielten auf Bev.gruppen ab, die sprachlich miteinander zwar verwandt, aber rel. separiert waren u. kein übergreifendes Gemeinschaftsbewusstsein besaßen. – 2. Die mod. N. ist das Ergebnis der →Nationsbildungsprozesse seit dem 19. Jh. Im Gegensatz zur älteren, durch ges. u./oder rechtl, Status definierten „natio“ verstehen sich die Mitglieder der modernen N. als eine schichten- u. klassenübergreifende Gemeinschaft von Gleichen. Die Nationsbildung impliziert die Überwindung früherer Standesbarrieren ebenso wie die Überwindung älterer „face-to-face“-Gemeinschaften (in Form von →Stamm, →Dorfgemeinschaft u. ä.). Die mod. N. ist untrennbar verbunden mit der Forderung nach einem eigenen Staat oder einem staatsähnlichen Gebilde auf der Grundlage der „Volkssouveränität“ u. des „Selbstbestimmungsrechts der Völker“ (in Abgrenzung zu den durch „Gottesgnadentum“, „dynastische Rechte“ oder das „Recht des Eroberers“ „legitimierten“ vornationalen Staaten) (a. →Nationalstaatenbildung). Der Anspruch auf einen Staat unterscheidet die N. von anderen, i.d.R. älteren Wir-Gruppen, die kein staatspolitisches Programm verfolg(t)en. Wie die ältere „natio” ist auch die mod. N. immer das Ergebnis eines Integrations- u. Abgrenzungsprozesses, eines Prozesses von Inklusion u. Exklusion. Denn ohne Abgrenzung nach außen gibt es keine Nation, wie es auch keine Identität ohne Alterität gibt. Nach der Definition des amerikanischen Anthropologen Benedict Anderson ist die Nation „eine vorgestellte pol. Gemeinschaft – vorgestellt als begrenzt u. souverän“. Die vier tragenden Elemente dieser Definition sind: 1. die Nation als imaginierte Gemeinschaft, deren Mitglieder sich nicht persönlich kennen, 2. der pol. Souveränitätsanspruch, 3. die Abgrenzung gegenüber Anderen u. 4. die vorgestellte Gleichheit der Nationsmitglieder. Ausdrücklich distanziert sich Anderson von Ernest Gellner, der die „Erfindung“ der Nation mit der „Herstellung von ‚Falschem’ assoziiert, anstatt mit ,Vorstellen u. Kreieren‘“. Eine notwendige Bedingung für die Entstehung der Nation ist die kollektive Bewusstseinsbildung bzw. die Formierung eines die gesamte Gemeinschaft umfassenden Wir-Gefühls u. einer nationalen Kultur. Sofern dies gelingt, ist die Nation keine bloße Fiktion (mehr), sondern „real“ (gleich vielen anderen Vorstellungen u. Abstraktionen, unabhängig davon, ob sie „richtig“ oder „falsch“ sind). Zumeist geht die mod. N. zu einem erheblichen Teil aus einer vormod. Ethnie oder ethn. Gruppe hervor. Dies hat zur Vorstellung geführt, dass die N. – wenn auch in modifizierter Form – seit altersher existiert (zu Einzelheiten →Ethnie, ethn. Gruppe) u. dass sie monolithisch ist – ebenso wie ihre distinktiv verstandene Kultur. Aber gleich Nationen u. Ethnien sind auch nationale Kulturen in den Worten v. Claude Lévi-Strauss „the result of a mishmash, borrowings, mixtures that have occurred, though at different rates, ever since the beginning of time“. – Die mod. N. tritt in zwei idealtypischen (!) Varianten auf: als Staatsbürgernation (im frz. u. angloamerikanischen Sinn) oder als Volksgemeinschaft (im mittel- u. soe. Sinn) bzw. als ethn. oder Kultur-N. Im ersten Fall wird die N. bestimmt durch die Staatsbürgerschaft, während die ethn. Herkunft der Mitglieder untergeordnet ist. „Staat“ u. „Nation“ werden deshalb häufig synonym verwendet. Im zweiten Fall wird die N. als Fortsetzung der Ethnie verstanden. Zwischen Staatsbürgern u. N. besteht in diesem Fall ein Unterschied: Staatsbürger, die nicht zur Titularnation des Staates gehören, werden als ethn. oder nationale →Minderheiten verstanden. In den Staatsbürger-
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Nation / Nationalstaatenbildung
schaftsgesetzen dieser Staaten dominiert das ius sanguinis (das Recht des Blutes). Zwar wurden die entstehenden Nationalstaaten in SOE v. den Großmächten (oder später v. der intern. Gemeinschaft) gezwungen, Elemente des ethn. neutralen ius soli (Recht des Bodens: nicht das Blut, sondern der Geburtsort entscheidet über die Zugehörigkeit zur N.) in ihre Gesetzgebung aufzunehmen, doch entsprach dies nicht dem Verständnis v. Nation als einer durch Abstammung oder kult. Merkmale wie Sprache, Religion/Kultur definierten Gemeinschaft. Lit. (→Ethnie, ethn. Gruppe; →Nationsbildung): H. Sundhaussen, Unerwünschte Staatsbürger. Grundzüge des Staatsbürgerschaftsrechts in den Balkanländern u. Rumänien, in: Staatsbürgerschaft in Europa. Historische Erfahrungen u. aktuelle Debatten. Hgg. Chr. Conrad/J. Kocka. Hamburg 2001, 193–215; C. Lévi-Strauss, Anthropology, Race, and Politics: A Conversation with Didier Eribon, in: Assessing Cultural Anthropology. Hg. R. Borofsky. New York u. a. 1994, 420–426; B. Anderson, Imagined Communities: Reflections on the Origin and Spread of Nationalism. 1983; E. Gellner, Nations and Nationalism. Oxford 1982; J. Szűcs, Nation u. Geschichte, Budapest 1981; R. Kosselleck u. a., Volk, Nation, Nationalismus, Masse, in: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Hgg. O. Brunner/W. Conze/R. Koselleck. Bd. 7, Stuttgart 1972, 141–431. H. S.
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Nationalstaatenbildung. Die Geburtsstunde der modernen Balkanstaaten schlug mit dem schleichenden Niedergang des Osm. Reiches. Ursachen für die Auflösung des multiethn. isl. Großreiches, das jahrhundertelang die Geschicke der kleinen christl. Völker auf der Balkanhalbinsel bestimmt hatte u. in seiner Glanzperiode den gesamten Balkanraum, den Vorderen Orient u. die Nordküste Afrikas beherrschte, waren sowohl innere Zerfallserscheinungen, die machtbewussten Provinzstatthaltern eine Aufstiegschance boten, wie die milit. Schläge, die v. immer selbstbewusster auftretenden Offensivtruppen der christl. Staatengemeinschaft dem Sultansregime zugefügt wurden (→Orientalische Frage). Seit der vergeblichen zweiten Belagerung Wiens 1683 u. dem nachfolgenden Gegenstoß der ksl. Truppen war der Nimbus der osm. Militärmacht gebrochen (→Türkenkriege). Die Bewegung an der abendländischen Türkenfront nährte Hoffnungen auf eine weitere Zurückdrängung des Islams u. ermunterte die christl. Balkanvölker zur aktiven Gegenwehr gegen Behördenwillkür u. Übergriffe lokaler Machthaber. Dabei wurden die „heroischen“ Einzelkämpfer eines trad. volkstümlichen Banditentums (→Haiduken) schrittweise v. den Wortführern einer Widerstandsbewegung abgelöst, die nationale u. pol. Ziele formulierten. Ihre patriotische Gesinnung war zumeist in der Diaspora außerhalb des osm. Machtbereiches geweckt worden (a. →Studentenmigration). Unter dem Einfluss aufklärerischer Ideen u. der v. der Frz. Revolution ausgehenden freiheitlichen Impulse hatten sie sich der „Erweckung“ u. Befreiung ihrer unterdrückten Landsleute verschrieben. Erst in der Fremde sind sich die nationalen „Erwecker“ (u. a. Adamantios Koraïs bei den Griechen, Dositej Obradović unter den südungar. Serben, der Athosmönch [→Athos] Paisij Chilendarski bei den Bulgaren, der Siebenbürger Samuil Micu/Klein bei den Rumänen) ihrer Herkunft, Geschichte u. Sprache bewusst geworden. Gedanken Johann Gottfried v. Herders u. der dt. Romantik
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aufgreifend, gewannen in den visionären Vorstellungen der Patrioten die Umrisse eines künftigen Staatsgebildes Gestalt, das alle verstreuten Glieder einer Sprach- u. Kulturgemeinschaft zusammenführen sollte. Die Phase der sog. nationalen Wiedergeburt (→Nationsbildung) war daher bei fast allen Balkanvölkern begleitet v. einer Rückbesinnung auf die (vermeintlich) gemeinsame Herkunft u. Geschichte u. v. sprachreformerischen Bemühungen. An der Lösung der Sprachenfrage u. bei den notwendigen Normierungsversuchen (→Sprachkodifizierung) engagierten sich in allen Länder herausragende Vertreter der Bildungselite (Adamantios Koraïs, Vuk Stefanović Karadžić, Petăr Beron u. Neofit Rilski, Samuil Klein/Micu u. Gheorghe Şincai, Sami Frashëri). Die Zersplitterung der Siedlungsgebiete u. Unsicherheiten der sprachlich-ethn. Zuordnungen in den Grenz- u. Übergangsregionen gaben einen guten Nährboden für sprachnationalistische Tendenzen u. begünstigten unter allen Balkanvölkern einen ausgeprägten Risorgimento-Nationalismus, der die nachbarschaftlichen Beziehungen erheblich belasten u. schließlich in nationale Konkurrenzkämpfe einmünden sollte. Die Balkanvölker verdankten es der aktiven Hilfe der europ. Mächte, dass noch während des 19. Jh.s die Staatenkarte SOEs grundlegend verändert u. den Griechen, Serben, Rumänen, Montenegrinern u. Bulgaren eine eigenstaatliche Existenz ermöglicht wurde. Sie mussten es allerdings unter den gegebenen Machtverhältnissen hinnehmen, dass bei der Aufteilung der Beute nach einem erfolgreichen Türkenkrieg die Interessen innerhalb der europ. Pentarchie (aus Großbritannien, Russland, Frankreich, Östereich u. Preußen) Vorrang hatten u. ihnen nur ein sehr beschränktes Mitspracherecht zugestanden wurde. Alle Grenzregelungen unterlagen dem Diktat der Garantiemächte, die auf nationale Wünsche wenig Rücksicht nahmen. Eine Übereinstimmung v. Nation u. Staat ist bei den anstehenden Grenzziehungen daher nur selten erreicht worden. Außerdem mussten die Griechen, Rumänen, Bulgaren u. später auch die Albaner fremdstämmige Herrscher akzeptieren. Die auf das Metternische System (→Vormärz) eingeschworenen Staatsmänner Europas waren zunächst unter der Nachwirkung der frz. Revolutionswirren nur zögerlich bereit, auf die Freiheitswünsche der Balkanvölker (→Befreiungskriege) einzugehen. Den serb. Aufständischen unter ihrem legendären Führer Karadjordje, dem „Schwarzen Georg“ (→Karadjordjevići), hatten sie im J. 1804 nur eine zaghafte Unterstützung gewährt. Nach dem Frieden v. →Bukarest (16./28.5.1812) begnügte sich der russ. Zar mit einer Amnestiezusage u. einer eher vagen Erklärung der osm. Regierung, die den Serben eine innere Autonomie in Aussicht stellte. Den Griechen blieb bei ihrem Freiheitskampf seit 1821 ein ähnliches Schicksal wohl nur deswegen erspart, weil eine breite philhellenische Bewegung (→Philhellenismus) in allen Kulturstaaten auf die öffentl. Meinungsbildung einwirkte u. die zögernden europ. Kabinette sich nach einigen Jahren zu einer Humanitätsintervention gedrängt sahen. Auf dem Fürstenkongress v. Verona im September 1822 waren die aufständischen Griechen noch den Rebellen in Spanien gleichgestellt worden. Nach den Massakern, die v. den gut gerüsteten ägyptischen Invasionstruppen unter Ibrahim Pascha auf der →Peloponnes verübt wurden, einigten sich Russland, Großbritannien u. Frankreich in der Londoner Konvention v. 1827, einen autonomen Hellenenstaat unter osm. Suzeränität einzufordern. Die Zustimmung musste im russ.-osm. Krieg 1828–1829 der →Hohen Pforte mit milit. Gewaltmitteln abgerungen werden. Der Staatsvertrag vom 7.5.1832, der v. England, Frankreich, Russland u. Bayern un-
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terzeichnet wurde, sprach dem →Wittelsbacher Otto, dem Sohn des Griechenfreundes auf dem bayer. Königsthron Ludwig I., die erbliche Königswürde zu. Dem neuen Hellenenstaat gehörte zunächst weniger als ein Drittel der im Osm. Reich lebenden Griechen an (→Griechenland). Die Ausweitung der Grenzen wurde zu einem vorrangigen Ziel gr. Außenpolitik. Ihre Wortführer träumten v. einer Wiedergewinnung gr. Weltgeltung im gesamten östl. Mittelmeerraum (sog. „Große Idee“/→Megali Idea). Für die Serben, die unter habsb. Szepter in Südungarn (→Vojvodina), in dem seit 1852 erblichen Fsm. Montenegro u. unter osm. Herrschaft in Bosnien u. im serb. Fsm. südl. der Donau lebten, wurden die Grenzen des ma. Dušan-Reiches (→Serb. Reich) zum bestimmenden Maßstab (vgl. den programmatischen Entwurf Ilija Garašanins v. 1844 im sog. „Načertanije“). Die Initiative in den Einigungsbemühungen hatte das serb. Fsm. übernommen. Im Jahre 1830 war es dem geschickten Taktiker Miloš Obrenović (1815–1839 u. 1858–1860; →Obrenovići) gelungen, v. der Pforte die Anerkennung der erblichen Fürstenwürde zu erreichen u. die innere Autonomie zu festigen. 1867 verließen die letzten osm. Garnisonen das Land. Ein Jahrzehnt später bestätigte der →Berliner Kongress 1878 die serb. Unabhängigkeit (→Serbien, ab 1830). Außerdem wurden Rumänien u. Montenegro als souv. Staaten anerkannt. Die mont. Stämme (→Stamm) hatten sich schon bis dahin nur nominell der Oberhoheit des Sultans untergeordnet. 1852 war mit Billigung der Pforte unter dem Fürstbischof v. Cetinje Danilo →Petrović Njegoš, dessen Familie seit mehreren Generationen das Fürstenamt verwaltet hatte, ein weltliches Fsm. geschaffen worden (→Montenegro). Um nach der Beilegung der →Orientalischen Krise v. 1875–1878 künftigen irredentistischen Bestrebungen unter den Slaven vorzubeugen, wurde Österreich-Ungarn die Okkupation →Bosniens u. der Herzegowina sowie in abgestufter Form des →Sandschaks v. Novi Pazar zugestanden. Die Rumänen waren 1878 ebensowenig wie die Serben am Ziel ihrer nationalen Ambitionen. Der Zugewinn der →Dobrudscha u. des Donaudeltas vermochte den Verlust des südl. →Bessarabien an Russland u. der Donaufestung Silistria an Bulgarien nicht auszugleichen. 1862 hatten an der Vereinigung der beiden →Donaufürstentümer Moldau u. Walachei, der die Doppelwahl des Fürsten Alexandru Ion Cuza i. J. 1859 vorausging, nur die Rumänen im Altreich (→Regat) teilgenommen. Eine beträchtliche rum. Minderheit in →Siebenbürgen u. in der →Bukowina blieb ausgeschlossen. Als Antwort auf eine zunehmende Magyarisierungspolitik im Kgr. Ungarn gewannen in der Folgezeit irredentistische Bestrebungen an Boden, die auf einen Zusammenschluss aller Rumänen in einem großrum. Staat abzielten (→Irredentismus). Den Bulgaren blieb in Berlin die Gleichbehandlung versagt. Nach dem russ. Friedensdiktat v. San Stefano (3.3.1878) (→Berliner Kongress) war die Schaffung eines großbulg. Reiches schon in greifbare Nähe gerückt. Die weitreichenden Pläne mussten nach dem Einspruch der europ. Mächte revidiert werden. Die Bulgaren hatten sich mit einem autonomen, weiterhin der Pforte tributpflichtigen Fsm. abzufinden, dessen Territorium radikal beschnitten wurde (→Bulgarien [seit 1878]). →Ostrumelien, das bulg. Siedlungsgebiet südl. des Balkangebirges, verblieb als autonome Provinz unter einem christl. Generalgouverneur im Verband des Osm. Reiches. 1885 erzwang eine rev. Erhebung in Ostrumelien gegen den Willen Russlands u. des serb. Nachbarn die Vereinigung mit dem bulg. Fsm. Ein serb. Invasionsversuch
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in Bulgarien wurde blutig zurückgeschlagen. Am Ausgang des 19. Jh.s war am Sieg des Nationalismus in SOE nicht mehr zu zweifeln. Noch ehe nach dem Zusammenbruch der Vielvölkerstaaten im 1. →Wk. v. den Siegermächten das Selbstbestimmungsrecht der Völker zum Organisationsprinzip eines „Neuen Europa“ der kleinen Völker bestimmt wurde, hatten sich auf den Trümmern des zerfallenden Osm. Reiches Nationalstaaten etabliert, deren zudiktierte Grenzziehungen noch keineswegs den ethnogr. Gegebenheiten entsprachen u. die folgerichtig nach einer Ausweitung ihres Territoriums strebten. Der Konflikt mit den Nachbarn u. den jeweiligen Schutzmächten war vorprogrammiert. Er entlud sich an der Wende zum 20. Jh. im blutigen Kampf um das noch osm. Makedonien (→Makedonische Frage) u. führte in der Abfolge der beiden →Balkankriegen v. 1912–1913 zu einer verhängnisvollen milit. Konfrontation zw. den Balkanstaaten, die den geschlagenen Osmanen einen drohenden vollständigen Rückzug vom europ. Kontinent ersparte. Der Rivalität der Großmächte u. der Anrainer verdankten die Albaner als Nachzügler ihre im Nov. 1912 ausgerufene Eigenstaatlichkeit mit. Sie hatten seit den 80er Jahren in mehreren Aufständen um eine Reform des Reiches u. um erweiterte Autonomierechte in ihren Siedlungsgebieten gekämpft. Der Londoner Friedensvertrag v. 1913 sah ein erbliches Fsm. vor, das allerdings weite Teile des alb. Siedlungsgebiets zugunsten der Nachbarn Serbien, Montenegro u. Griechenland ausschloss (→Albanien [seit 1912]). Die Friedensmacher v. Paris (→Pariser Vorortverträge) haben sich nach 1918 in SOE auf eine staatliche Neuordnung nach dem Nationalitätenprinzip geeinigt, das sich in einer heillos verworrenen ethn. Gemengelage kaum ohne willkürliche Trennungslinien umsetzen ließ. Minderheitenschutzverträge u. der Völkerbund als Schiedsinstanz erwiesen sich als wenig taugliche Instrumente, um im pol. Diskurs einen fairen Interessenausgleich herbeizuführen u. eine adm. Diskriminierung der zahlreichen →Minderheiten zu verhindern. Die Großmächte haben im Vertrag v. →Trianon 1920 Ungarn auf seinen ethnogr. Kernraum reduziert u. dabei hingenommen, dass ein Drittel der magy. Bev. als Minderheit in den Nachbarstaaten leben musste. Sie haben durch großzügige Landzuweisungen einen großrum. Staat mit einem erheblichen Minderheitenpotential abgesegnet u. den neuen Vielvölkerstaat SHS (→Jugoslawien) in SOE zugelassen, dessen Protagonisten in einer Phase emotionaler nationaler Begeisterung den Gedanken eines Zusammenschlusses aller Südslaven erneut aufgegriffen hatten (→Jugoslawismus) u. den Slowenen, Kroaten, Montenegrinern u. Serben unter dem Szepter der serb. Dynastie der Karadjordjevići ein gemeinsames Haus anbieten wollten. Das Experiment scheiterte schon im Streit um die Verfassungsrechte der einzelnen Völker u. wurde schließlich nur noch gewaltsam durch die Königsdiktatur (→Diktaturen) u. das komm. Regime Titos zusammengehalten (→Diktaturen). Die Ausgliederung einer mak. Nation (1946) u. die Anerkennung der →bosnischen Muslime als eine quasi-nationale Gruppierung in ihrer Teilrepublik des jug. Bundesstaates (1963) sollten über einer vorsichtigen Föderalisierung der Partei u. des Gesamtstaates der nationalen Frage die Schärfe nehmen. Als nach dem Tode Titos der bisherigen zentralistisch geführten Partei die Zügel entglitten, entfaltete sie eine unwiderstehliche Sprengkraft. Nach der gewaltsamen Suspendierung der Autonomie des →Kosovo u. der Vojvodina durch die serb. Führung i. J. 1989 war der Zerfallsprozess Jugoslawiens nicht mehr länger aufzuhalten. 1991 wählten die ehemaligen
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Teilrepubliken Jugoslawiens den Weg in die Unabhängigkeit, den sich die Kroaten u. die →bosn. Muslime in einem mehrjährigen Krieg freikämpfen mussten (→postjug. Kriege). Im gleichen Jahr löste sich die ehemalige Sowjetrepublik →Moldau (Rep.) aus dem russ. geprägten Staatsverband. Die schrittweise Auflösung des Staatenbundes aus Serbien u. Montenegro (abgeschlossen 2006) u. die Unabhängigkeit Kosovos i. J. 2008 setzten diese zweite Phase von N. in SOE fort. Angesichts der anhaltenden interethnischen Spannungen bleibt die Frage offen, ob der langwierige Prozess der Nationalstaatsgründungen in SOE damit zu einem vorläufigen Abschluss gebracht worden ist. Er war mehr als nur eine Neuorientierung in der pol. Raumordnung. Er war begleitet v. einem Kirchen- u. Kulturkampf. In der Ideologie der modernen Nationalbewegungen hatte unter den orth. Balkanvölkern die Abgrenzung v. der dominierenden gr. Hierarchie einen hohen Stellenwert gewonnen. Kirche u. Nation sind bei der schwierigen Identitätsfindung der Balkanvölker eine verhängnisvolle Verbindung eingegangen, die in der Gegenwart eine Versöhnung über die Grenzen hinweg erschwert. Gegen den erbitterten Widerstand des Ökumenischen →Patriarchats in Konstantinopel sind nach der Trennung vom Osm. Reich mehrheitlich nationale Lösungen in der strittigen Kirchenfrage gesucht worden. Die 1833 vollzogene Trennung der Kirche in Griechenland wurde vom Patriarchen erst 1850 anerkannt; die Bulgaren riskierten 1870 mit der Errichtung eines eigenen Exarchats (→Exarch) ein bis 1945 andauerndes Kirchenschisma (seit 1951 Patriarchat); Serbien gewann 1879 die kirchl. →Autokephalie u. 1920 ein eigenes Patriarchat; die orth. Kirche in Rumänen war seit 1885 autokephal (→Rumänien); die Orthodoxen in Albanien gründeten 1922 eine autokephale Kirche, die erst 1937 den Segen Konstantinopels erhielt. Die Kirche in Makedonien wurde erst 1958 bzw. endgültig 1967 autokephal, doch steht die Zustimmung des serb. Patriarchen immer noch aus (→Orthodoxie u. Nationalkirchen). Mit der N. begann auch ein grundlegend neues Kapitel in der Institutionengeschichte der betroffenen Länder. Die Zielvorstellung der Führungsschichten orientierten sich an zeitgenössischen Modellen West- u. Mitteleuropas, allen voran am Modell des zentralisierten Nationalstaats nach frz. Vorbild. Der Aufbau eines einheimischen Staats- u. Verwaltungsapparats sowie die Bürokratisierung des öffentl. Lebens erfolgten zunächst gegen die Abneigung der Bev.mehrheit, die den Staat seit jeher als potentiellen Gegner empfunden hatte, mit dem Konstrukt Nation noch wenig anfangen konnte u. die neuen Regelwerke als Angriff auf die traditionellen Gewohnheiten erlebte. Namentlich in den beiden ersten postosman. Staaten (Serbien u. Griechenland) kam es zw. der neuen Staatsgewalt u. Vertretern der „alten Ordnung“ u. den Dorfgemeinschaften zu scharfen Konflikten. Dessen ungeachtet schritt der Auf- u. Ausbau der Institutionen zügig voran u. führte häufig zu einer Hypertrophie des öffentl. Sektors.
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Lit. (→Nationsbildung sowie die Artikel zu den einzelnen Ländern): C. Iordachi, Staatsbürgerschaft in Südosteuropa in der spätosmanischen u. nachosmanischen Zeit. Staatsbildung, ausländische Vorbilder u. rechtlich-politische Transfers, in: Institutionen u. Kultur in Südosteuropa. Hgg. W. van Meurs/D. Müller. München 2014, 163–210; K. Clewing, Staatensystem u. innerstaatliches Agieren im multiethnischen Raum: Südosteuropa im langen 19. Jh., in: Geschichte Südost-
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europas. Vom frühen Mittelalter bis zur Gegenwart. Hgg. ders./O.J. Schmitt. Regensburg 2011, 432–553; State and Institution-Building in South Eastern Europe. Hgg. A. Mungiu-Pippidi/W. van Meurs. London 2010; S. Anagnostopoulou, The Passage from the Ottoman Empire to the Nations-States. A long and difficult process: the Greek case. Istanbul 2004; H. Sundhaussen, Institutionen u. institutioneller Wandel in den Balkanländern aus historischer Perspektive, in: Institutionen u. institutioneller Wandel in Südosteuropa. Hg. J. Chr. Papalekas. München 1994, 35–54; Formirovanie nacional’nych nezavisimych gosudarstv na Balkanach: konec XVIII–70-e gody XIX v. Hg. I.S. Dostjan. Moskva 1986; R.G. Plaschka/A. Suppan/H. Haselsteiner, Zum Begriff des Nationalismus und zu seinen Strukturen in Südosteuropa im 19. u. zu Beginn des 20. Jh.s, ÖOH 20 (1978), 48–78; Ch. Jelavich/B. Jelavich, The Establishment of the Balkan National States, 1804–1920. Seattle u. a. 1977; Ethnogenese u. Staatsbildung in Südosteuropa. Hg. K.-D. Grothusen. Göttingen 1974; D. Djordjević, Revolutions nationales des peuples balkaniques 1804–1914. Beograd 1965. E. H.
Nationsbildung. Der aus dem angelsächsischen Schrifttum übersetzte Begriff „N.“ (nation-building) bezeichnet den Formierungsprozess moderner →Nationen im Besitz von oder im Streben nach einem eigenen Staat. Der Begriff impliziert den Konstruktionscharakter von Nationen als zeit- u. kontextgebundener Formen soz. Gruppenidentität. Unter „modernen Nationen“ (im Sinne des N.-Paradigmas) werden schichten- oder klassenübergreifende, relativ komplexe Wir-Gruppen (mit starker vertikaler, horizontaler u. ideologischer Integration) verstanden, deren Mitglieder nicht durch persönliche Beziehungen, sondern durch eine „imaginierte Gemeinschaft“ (B. Anderson) verbunden sind. Nicht das Vorhandensein bestimmter gemeinsamer Merkmale schafft bereits eine Nation, sondern erst das Bewusstsein v. diesen Merkmalen u. die darauf gegründete anonyme Solidarität u. Interaktion zw. ihren Mitgliedern. Integration nach innen u. Segregation gegenüber „den Anderen“ sind konstitutive, wechselseitig aufeinander bezogene Elemente der N. Die Abgrenzungskriterien bilden sich in einem (mitunter langwierigen) Wechselspiel zw. Identität u. Alterität heraus u. weisen meist sowohl Elemente der Selbst- wie der Fremdzuschreibung auf. Die Bestimmungskriterien des Gemeinschaftsgefühls variieren von Nation zu Nation; sie können ein- oder mehrdimensional sein, müssen aber eine differentia specifica gegenüber anderen Nationen/ Gruppen beinhalten. Zu den wichtigsten (nationale Identität stiftenden) Kriterien gehören die tatsächliche, vermutete oder konstruierte Gemeinsamkeit v. Sprache, Kultur u. Geschichte, v. Konfession oder Abstammung oder die Gemeinsamkeit des (pol.) Normen- u. Wertesystems bzw. eine Kombination zweier oder mehrerer dieser Kriterien. Dementsprechend wird zw. Sprachnationalismus, Abstammungsnationalismus, Staatsbürgernationalismus etc. unterschieden. Historiker in SOE verwenden den Begriff „N.“ im allgemeinen nicht, da Nationen nicht als hist. Konstrukte, sondern als epochenübergreifende, natürliche Entitäten begriffen werden (Essentialismus), die zwar zeitweilig unterdrückt, anschließend aber „wiedergeboren“ werden können. Statt von „N.“ ist daher (in Anlehnung an das verwandte it. risorgimento) von „Wiedergeburt“ (serb./kroat. preporod, bulg. văzraždane, alb. Rilindja etc.) die Rede. Ge-
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meint sind damit dieselben Prozesse, die in der westl. Forschung als N. bezeichnet werden. Infolge der differierenden Prämissen kommt es jedoch bei der Analyse zu unterschiedlichen Fragestellungen u. Forschungsergebnissen. Während im „Wiedergeburts“-Theorem die „erwachende“ Nation als bereits existente Größe (entweder als vormoderne N. oder als stabile →Ethnie/ethn. Gruppe) vorausgesetzt wird, steht die Konstruktion der Nation als neuer soz. Organisationsform bzw. als „category of practice“ (R. Brubaker) im Zentrum der N.- u. Nationalismus-Forschung, d.h. die Frage, von wem, warum u. wie Nationen gemacht bzw. wie aus vormodernen soz. Organisationsformen oder Gruppen (z. B. aus der ma.-feudalen natio, aus der →segmentären Gesellschaft, aus der →Ethnie oder aus Glaubensgemeinschaften) moderne Nationen geformt u. wie sie „praktiziert“ werden. In SOE vollzog sich die N. mit unterschiedlichen Anfangs- u. Endphasen während des 19. u. 20. Jh.s. Am Anfang des Prozesses standen überall einzelne Persönlichkeiten (patriotisch gesinnte Adlige oder Vertreter des Stadtbürgertums in den ständischen Gesellschaften der Habsburgermonarchie resp. Geistliche, Kaufleute, Gelehrte, später auch Studenten u. Schüler in den nicht-ständischen Gesellschaften unter Fremdherrschaft), die über ein höheres Maß an Bildung (Zugang zu einer Schriftkultur) u. Kontakten zur „Außenwelt“ verfügten u. damit stärker in überregionale Kommunikationsnetze eingebunden waren als die übrigen Mitglieder der Gesellschaft. Häufig handelte es sich um Angehörige von Schichten, denen entweder soz. Abstieg drohte (Teile des Adels infolge des Verlusts von Privilegien) oder die für ihre soz. u. pol. Emanzipation kämpften (frühbürgerliche Aufsteiger). Neben sozioökon. Motiven (als Folge u. Begleiterscheinung soz. Mobilität) wurden auch ideelle Beweggründe (in Form des Gelehrtenpatriotismus) wirksam. Auf Grund von Auslandsreisen, Studium an ausländischen Universitäten (→Studentenmigration) , Fernhandelsbeziehungen oder Leben in einer Diaspora-Gemeinde kamen die Vorkämpfer der N. in Kontakt mit den west- u. mitteleurop. Ideen von Nation u. Volk, die sich im Zuge der Frz. Revolution u. der napoleonischen Kriege bzw. im Umfeld von →Aufklärung, Idealismus u. Romantik verbreiteten. Neben dem Ideengut Jean Jacques Rousseaus u. der Frz. Revolution war es namentlich Johann Gottfried Herders Verständnis von „Volk“ u. „Nationalcharakter“, das von den Vorkämpfern der N. in Ostmittel- u. SOE rezipiert wurde. Das vom tschechischen Nationalismusforscher M. Hroch entwickelte 3-Phasen-Modell für das „Erwachen“ „kleiner“ (d. h. in der Ausgangssituation pol. u. soz. entrechteter) Nationen – vom Gelehrtenpatriotismus einer zahlenmäßig schwachen, im wesentlichen unpol. Intellektuellengruppe (Phase A) über die zielbewusste pol. Agitation einer nationalbewussten Minorität (Phase B) bis zum integralen Massennationalismus (Phase C) – lässt sich mit einigen Modifizierungen auch auf die von Hroch nicht oder nur am Rande behandelten Balkannationen sowie mit Einschränkungen auf diejenigen Nationen übertragen, deren ständische Führungsschichten sich (mehr oder minder ausgeprägte) Elemente von Eigenstaatlichkeit seit dem MA hatten bewahren können, aber dennoch in Opposition zu einer „herrschenden Nation“ standen (→Ungarn [Staat] u. →Kroatien). Der früher oder später artikulierte Wunsch nach Sezession von den multiethn. Imperien war allen Bewegungen gemeinsam. Unterschiede ergaben sich daraus, dass das Verständnis von Nation bei Ungarn u. Kroaten stark durch einen staatsrechtlichen Traditionalismus u. die Kontinuität der feudalen „natio“
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geprägt wurde (ähnlich in Rumänien), während die Repräsentanten der „geschichtslosen Völker“ (z. B. →Slowaken u. →Slowenen) eher auf volks- u. naturrechtliche Argumente, die Vertreter vormals „staatsbildender Ethnien“ (z. B. Griechen, Serben, Bulgaren) auf einen untergegangenen ma. Staat (→Byzanz; →Bulg. Reich; →Serb. Reich) u. daraus abgeleitete „hist. Rechte“ rekurrierten. In die erste Phase der N. fielen die Kodifizierung von bzw. das Bekenntnis zu einer Nationalsprache, die meist (Ausnahme: Griechisch) auf einer volkssprachlichen Variante basierte (→Sprachkodifizierung). Konkret beinhaltete dies die Entscheidung für ein bestimmtes →Alphabet, die Erstellung von Wörterbüchern, Grammatiken, Lesefibeln u. die Sammlung volkssprachlicher Literatur (→Epos u. ä.). Hinzu kamen die mehr oder minder wiss. fundierte Konstruktion einer nationalen Geschichte (→Historiographie, 19./20. Jh.; →Erinnerungskultur), die möglichst weit in die Vergangenheit zurückprojiziert wurde mit Ursprungsmythen, Siedlungsprioritäten etc. (a. →Ethnogenese), die Nationalisierung von Folklore (a. →Volkskultur) bzw. die „Erfindung von Tradition“ (E. Hobsbawm), die Errichtung nationaler Bildungsstätten (Privatschulen, Lesehallen), die Gründung von Gelehrtenzirkeln u. a. Auf dem Gebiet der Habsburgermonarchie ging die Phase A mit Beginn des →Vormärz oder spätestens mit der →Revolution von 1848 in die Phase B über. Die Formierung von (Honoratioren-) Parteien verlieh der pol. Agitation u. der Forderung nach erweiterten staatl. Rechten oder nach voller Souveränität ungeahnten Auftrieb. Durch die →Bauernbefreiung u. die Proklamierung von „Freiheit, Gleichheit u. Brüderlichkeit“ erhofften sich die nationalbewussten Agitatoren die Überwindung der Standesbarrieren u. die Erlangung einer Massenbasis, doch ging diese Erwartung wegen des fehlenden Nationalbewusstseins der Bauern, die jahrhundertelang nicht zur feudalen „natio“ gehört hatten, nur bedingt oder gar nicht in Erfüllung. Parallel zur Politisierung des Nationalen wurden die kult. Anstrengungen der ersten Phase mittels Institutionalisierung von nationaler Kultur u. Wissenschaft (Gründung von →Akademien, Museen, Gedenkstätten, Ausbau des →Bildungswesens etc.) auf eine breitere Basis gestellt. Der Eintritt in die dritte Phase, die Phase des integralen Massennationalismus, lässt sich beim derzeitigen Forschungsstand u. mit den bisher bekannten Quellen nicht zuverlässig datieren. Der österr.-ung. →Ausgleich von 1867 schuf die Voraussetzungen für eine Magyarisierungspolitik „von oben“ sowie für Inszenierung u. Dramatisierung des Nationalen (mittels Symbolen, Geschichtspolitik, hist. Mythen, Milleniumsfeiern etc.), so dass anzunehmen ist, dass das Konstrukt Nation in den Jahrzehnten nach dem Ausgleich von großen Teilen der magy. u. den assimilationsbereiten Teilen der nichtmagy. Bev. akzeptiert wurde. Komplizierter verlief die dritte Phase bei den Kroaten, da der für sie ungünstige ung.-kroat. →Ausgleich von 1868 u. die widerstreitenden (kroat.-staatsrechtlichen, südslav. [→Jugoslawismus], naturrechtlichen u. austro-slav. [→Austroslawismus]) Nationskonzepte sowie die zw. Autonomie, →Trialismus u. Sezession schwankenden Staatsmodelle der kroat. Eliten die Entfaltung des Nationalbewusstseins erschwerten, so dass der Abschluss der N. vermutlich erst in die Zwischenkriegszeit (vor dem Hintergrund der Erfahrungen im ersten →Jugoslawien) zu datieren ist. Im N.-prozess der Balkanvölker u. Rumänen spielten Vertreter der jeweiligen Diaspora oder Peripherie – v. a. in der ersten Phase – eine entscheidende Rolle (z. B. der Grieche Ada-
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mantios Koraïs in Paris, der Serbe Vuk Stefanović Karadžić in Wien, die „siebenbürgische Schule“ in Transsilvanien [→Siebenbürgen], die bulg. Diaspora in den →Donaufürstentümern etc.). Die N. selbst war aber erst das Ergebnis eines längerwährenden Prozesses. Während bei Serben, Griechen u. Rumänen die Phase B bereits im zweiten Drittel des 19. Jh.s begann, setzte der Übergang von der ersten zur zweiten Phase bei den Bulgaren im letzten Drittel des 19. Jh.s, bei den →Albanern u. →Makedoniern erst im 20. Jh. ein (während die N. der →bosn. Muslime, s. a. →Bosniaken, einen verzögerten Sonderfall darstellt). Für diese Ungleichzeitigkeiten waren – nicht allein, aber in hohem Maße – die unterschiedlichen pol. u. sozioökon. Rahmenbedingungen verantwortlich. Die Errichtung des autonomen Fsm.s Serbien, des souveränen Kgr.s Griechenland sowie das Ende der →Phanariotenherrschaft in den rum. Fürstentümern, die alle ein Ergebnis europ. Interventionspolitik darstellten (→Orientalische Frage), haben den Übergang von der Phase A zur Phase B maßgeblich erleichtert, da die staatlichen Institutionen fortan als nationale Sozialisationsagenturen eingesetzt werden konnten. Dagegen waren die Startbedingungen bei Bulgaren, Makedoniern u. Albanern erheblich ungünstiger. Die Bulgaren lebten im unmittelbaren Vorfeld der osm. Reichshauptstadt u. waren schon durch diesen Umstand stark beeinträchtigt. Die ethn., sprachl. u. konf. fragmentierte Bev. Makedoniens wurde schnell in die nationalen Konkurrenzkämpfe ihrer Nachbarn verstrickt (→Makedonische Frage), u. die vorwiegend musl. Albaner (ebenso wie die bosn. Muslime) unterhielten starke Loyalitätsbindungen zum Osm. Reich u. zum Islam u. waren daher für die N. zunächst nicht erreichbar. Die in den 1830er Jahren entstandenen serb. u. gr. Kernstaaten (→Befreiungskriege) waren außerdem ebenso wie die Donaufürstentümer konf., sprachl. u. ethn. einheitlicher als der spätere bulg. Staat oder als Makedonien, →Thrakien, die →Dobrudscha u. Bosnien. Beginn, Verlauf u. Erfolg der N.-Prozesse wurden somit von einer Vielzahl von Faktoren (darunter Kontakte mit dem Westen, geopol. Lage, sprachl., konf., ethn. u. soz. Gliederung der Bev., unterschiedlich ausgerichtete Loyalitätsbeziehungen u.ä.) beeinflusst. Und je später der N.-Prozess die kritische Phase B erreichte, desto komplizierter gestaltete er sich. Serben u. Griechen hatten sich Anfang des 19. Jh.s noch in einer weitgehend konkurrenzfreien Situation befunden. Das ändert sich, als im letzten Drittel des 19. Jh.s nach Gründung des Exarchats (→Exarch) auch die Bulgaren auf den Plan traten. Und besonders dramatisch wurde es, nachdem zwei weitere Akteure – Albaner u. Makedonier – die Bühne betreten hatten u. die multikonf. sowie multiethn. osm. Reichsidee zunehmend einem türk. Nationalismus wich. Mit jeder neuen N. verschärfte sich der Kampf der rivalisierenden nationalen Führungsschichten in denjenigen Gebieten, die entweder unter Berufung auf ma. Staatsgrenzen oder mit dem Hinweis auf Sprach-, Konfessions- bzw. (vermeintliche) Abstammungskriterien der Bev. von mehreren Nationalbewegungen beansprucht wurden (z. B. Makedonien, Kosovo, Bosnien, Dalmatien, Istrien etc.). Generell gilt: Je früher ein eigener Staat zur Verfügung stand, desto früher u. leichter konnte die Phase C erreicht werden, wobei neben der staatlichen Sprach- u. Geschichtspolitik bzw. der Konstruktion eines „hist. Gedächtnisses“ (→Erinnerungskultur) auch außenpol. Krisen u. Kriege mit ihren Solidarisierungseffekten eine wichtige Rolle spielten. Der entscheidende Punkt in jeder N. war die Überwindung der vornationalen Identi-
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tätsgrenzen sowie die Definition u. Durchsetzung nationaler Bestimmungskriterien zur Abgrenzung gegenüber „den Anderen“, denn nur so konnte die heterogene ethnogr. Karte SOEs national gegliedert werden. Zu diesem Zweck waren spezifische, eindeutige u. plausible Merkmale erforderlich, ohne die jede Klassifizierung undenkbar ist. Derartige Merkmale existierten jedoch bis weit ins 19. Jh. hinein nicht. Entweder waren die vorhandenen Gruppenmerkmale für die Definition v. Nation nicht hinreichend spezifisch (z. B. Muslime, Orthodoxe, Katholiken etc.) oder sie waren auf Kleingruppen fixiert (z. B. →Dorfgemeinschaft; Stamm; segmentäre Ges. etc.) oder ließen sich innerslav. infolge fließender Übergänge nicht eindeutig abgrenzen (z. B. Sprachvarietäten; →Sprachkodifizierung). Insbesondere der Sprachplanung kam in der Phase A herausragende Bedeutung zu, nicht nur als Abgrenzungskriterium u. „Beweis“ für nationale Identiät u. Authentizität, sondern auch als unverzichtbares Vehikel der Kommunikationsverdichtung. Was z. B. in Frankreich bereits mit der kgl. Sprachpolitik im 16. Jh. u. der Gründung der Académie Française 1635 begonnen worden war, sollte im Balkanraum innerhalb weniger Jahrzehnte nachgeholt werden: die Konstruktion u. Durchsetzung von Standardsprachen. Der anfänglich weit verbreitete Sprachnationalismus (nach der Devise: alle Sprecher ein u. derselben Sprache sind Mitglieder ein u. derselben Nation) erwies sich allerdings aus mehreren Gründen als problematisch: 1. Der in weiten Teilen SOEs verbreitete Bi- u. Multilinguismus bzw. das Nebeneinander von Staatssprache, „Muttersprache“, Umgangssprache, Liturgiesprache oder Geschäftssprache sowie konkurrierende Sprachbezeichnungen erschwerten eine eindeutige sprachl. Zuordnung der Individuen. 2. Die Sprache war prinzipiell ebenso austauschbar wie die Konfession. Individuen oder Gruppen konnten – aus welchen Gründen immer – die Sprache ihrer Vorfahren abgelegt u. eine neue angenommen haben. Die Frage, ob sie damit auch eine neue ethn. Identität erworben hatten, gehörte zu den umstrittensten Themen der nationalen Protagonisten. 3. Die neue Normsprache wurde als konstitutives nationales Definitionsmerkmal nur dort akzeptiert, wo sie nicht in Konkurrenz zu anderen – als wesentlich empfundenen – Identitätsmerkmalen einer Gruppe (wie Konfession, Kultur, Geschichte oder Abstammung) stand. Dort, wo in der Anfangsphase bereits ein Staat mit seinen Institutionen als Promotor der N. eingesetzt werden konnte (z. B. in Ungarn), griffen die nationalbewussten Eliten zum Mittel sprachlicher Assimilierung, um eventuell divergierende Definitionsmerkmale in Übereinstimmung zu bringen (ein Unterfangen, das partiellen Erfolg zeitigte). In denjenigen Gebieten, die noch unter Fremdherrschaft standen (z. B. in den osm. Provinzen) beriefen sich die Vorkämpfer der N. dagegen immer häufiger auf ein „objektives“ Nationsmerkmal: die (vermeintlich) gemeinsame Abstammung ihrer Zielgruppe. Dies bot den Vorteil, auch diejenigen Gruppen für die eigene Nation reklamieren zu können, die die „falsche“ Sprache sprachen (z. B. slavophone Makedonier für das Griechentum) oder eine „falsche“ Konfession besaßen (z. B. bosn. Muslime für das Serben- resp. Kroatentum). Mit anderen Worten: Sobald deutlich wurde, dass im konkreten Fall weder Sprache noch Konfession zur eindeutigen Definition einer Nation ausreichten, mussten weitere Merkmale oder Merkmalskombinationen (etwa Sprache + Konfession, z. B. Sprecher des Štokavischen + Katholik = Kroate etc.) gefunden oder erfunden werden. Und letztlich liefen die meisten Definitionen implizit oder explizit sowie früher oder später auf die Abstammungsgemeinschaft (nach „dt. Muster“) hin-
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aus. Begünstigt wurde die bisher wenig untersuchte Biologisierung des Nationsverständnisses durch die zunehmende Verbreitung allg. Abstammungslehren in der zweiten H. des 19. Jh.s. Die Abstammung ist ein extrem rigides Segregationsmerkmal, da man sie weder wählen noch ablegen kann. Da sie andererseits für größere Gruppen über längere Zeiträume nicht nachweisbar ist, öffnet sie der nationalen Manipulation Tür u. Tor. In Gebieten mit ethn. Gemengelagen führte daher das Verständnis der Nation als Abstammungsgemeinschaft fast zwangsläufig zu nicht verhandelbaren Konflikten u. setzte national unentschiedene Bevölkerungsgruppen sowie „Wanderer zw. den Kulturen“ (d. h. Personen, deren Vorfahren Sprache und/oder Glaube gewechselt hatten, vgl. a. →Konvertiten) unter enormen Entscheidungsdruck. Als Ergebnis der N. u. der damit verbundenen Homogenisierung der Bev. in den neuen Staaten wurde die ethnogr. Karte SOEs grundlegend verändert. An die Stelle der trad. Kleingruppen in Gemengelage trat eine großflächige Gliederung nach Nationen. Im Zuge dieses Prozesses wurden multiethn. Regionen entweder geteilt (z. B. →Makedonien [Region], →Banat) oder mittels Vertreibung, Umsiedlung, Massenmord (→Zwangsmigrationen) „ethn. gesäubert“ (z. B. Ägäisch-Makedonien, West-Thrakien, Ost-Thrakien etc.). – Nach dem Zusammenbruch des Sozialismus u. dem Ende Jugoslawiens setzte in den 1990er Jahren eine neue Welle nationaler Selbstvergewisserung u. Staatsbildung ein. In der angelsächsischen Literatur, in der Nation u. Staat häufig synonym verwendet werden u. Nation vorwiegend als Staatsbürgergemeinschaft u. nicht als Abstammungsgemeinschaft verstanden wird, werden diese Prozesse auch als Nation-building beschrieben. Im soe. Kontext ist es jedoch sinnvoll u. notwendig, zw. Staat als pol.-terr. Organisation u. Nation als soz. Organisation zu unterscheiden. Die Staatsbildung der →Kroaten nach 1991 z. B. stellt somit keine N. dar.
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Lit.: 1) allg: M. Hroch, Das Europa der Nationen. Die moderne Nationsbildung im europäischen Vergleich. Göttingen 2005; R. Brubaker, Nationalism Reframed: Nationhood and National Question in the New Europe. Cambridge 1996; The Invention of Tradition. Hgg. E. Hobsbawm/T. Ranger. Cambridge 1992; S.N. Eisenstadt, Die Konstruktion nationaler Indentitäten in vergleichender Perspektive, in: Nationale u. kulturelle Identität. Studien zur Entwicklung des kollektiven Bewußtseins in der Neuzeit. Hg. B. Giesen. Frankfurt/M. 1991, 21–38; E. Gellner, Nationalismus u. Moderne. Berlin 1991; G. Jusdanis, Belated Modernity and Aesthetic Culture. Inventing National Literature. Minneapolis, Oxford 1991; E.J. Hobsbawm, Nations and Nationalism Since 1780. Programme, Myth, Reality. Cambridge 1990; G. Elwert, Nationalismus u. Ethnizität. Über die Bildung von Wir-Gruppen, Kölner Zeitschrift f. Soziologie 41 (1989), 440–464; B. Anderson, Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines folgenreichen Konzepts. Frankfurt/M. 1988; A.D. Smith, The Ethnic Origins of Nations. Oxford u. a. 1988; J. Breuilly, Nationalism and the State. Chicago 1985; N. Reiter, Gruppe – Sprache – Nation. Wiesbaden 1984; Language, Ethnicity and Intergroup Relations. Hg. H. Giles. London 1977; M. Hroch, Die Vorkämpfer der nationalen Bewegung bei den kleinen Völkern Europas. Eine vergleichende Analyse zur gesellschaftlichen Schichtung der patriotischen Gruppen. Praha 1968; K.W. Deutsch, Nationalism and Social Communication. An Inquiry into the Foundations of Nationality. Cambridge/MA, London 21962. 2) SOE (vgl. die Artikel zu den einzelnen Nationen, hier nur allg. u. nationsübergreifende Arbei-
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ten): 2a) Quellen in Übers.: Discourses of Collective Identity in Central and Southeast Europe (1770–1945). Hgg. B. Trencsényi/M. Kopeček. Bd. 1: Late Enlightenment – Emergence of the Modern “National Idea”. Budapest, New York 2006. Bd. 2: National Romanticism – The Formation of National Movements. ebd. 2007. 2b) Darstellungen: Strategies of Symbolic Nation-building in South Eastern Europe. Hg. P. Kolstø. Farnham, Burlington 2014; Entangled Histories of the Balkans. Vol. I: National Ideologies and Language Policies. Hgg. R. Daskalov/Tch. Marinov. Leiden 2013; Conflicting Loyalties in the Balkans. The Great Powers, the Ottoman Empire and Nation Building. Hgg. N. Clayer/R. Pichler. New York 2011; H. Sundhaussen, Dorf, Religion u. Nation. Über den Wandel vorgestellter Gemeinschaften im Balkanraum, Journal of Modern European History 9/1 (2011), 87–116; Ideologies and National Identities. The case of twentieth-century Southeastern Europe. Hgg. J. Lampe/M. Mazower. Budapest 2006; Disrupting and Reshaping. Early Stages of Nationalism in the Balkans. Hgg. M. Dogo/G. Franzinetti. Ravenna 2002; V. Roudometof, Invented Traditions, Symbolic Boundaries, and National Identity in Southeastern Europe: Greece and Serbia in Comparative Historical Perspective (1830–1880), East European Quarterly 32 (1998), H. 4, 429–468; C. Hopf, Sprachnationalismus in Serbien u. Griechenland. Theoretische Grundlagen sowie ein Vergleich von Vuk Stefanović Karadžić u. Adamantios Korais. Wiesbaden 1997; H. Sundhaussen, Nationsbildung u. Nationalismus im Donau-Balkan-Raum, Forschungen zur osteuropäischen Geschichte 48 (1993), 233–258; ders., Der Einfluß der Herderschen Ideen auf die Nationsbildung bei den Völkern der Habsburger Monarchie. München 1973; Nationalrevolutionäre Bewegungen in Südosteuropa im 19. Jh. Hgg. C. Choliolčev/K. Mack/A. Suppan. Wien u. a. 1992; P.M. Kitromilides, „Imagined Communities“ and the Origins of the National Question in the Balkans, European History Quarterly 19 (1989), H. 2, 149–192; Historians as Nation-Builders. Central and South-East Europe. Hgg. D. Deletant/H. Hanak. Basingstoke u. a. 1988; Nationalism in the Balkans. An Annotated Bibliography. Hg. G. Stokes. New York u. a. 1984; L. Sziklay, Die Anfänge des „nationalen Erwachens“, der Aufklärung u. der Romantik in Mittel- u. Osteuropa, in: Aufklärung u. Nationen im Osten Europas. Hg. ders. Budapest 1983; Nationalbewegungen auf dem Balkan. Hg. N. Reiter. Berlin 1983; E. Niederhauser, The Rise of Nationality in Eastern Europe. ebd. 1981; H. Seton-Watson, Nations and States. An Enquiry into the Origins of Nations and Politics of Nationalism. London 1977; ders., „Intelligentsia“ u. Nationalismus in Osteuropa 1848–1918, Historische Zeitschrift 195 (1962), 331 ff.; C. Roger, The Wandering Monk and the Balkan National Awakening, Etudes balkaniques 1976, H. 1, 114–127; E. Turczynski, Konfession u. Nation. Zur Frühgeschichte der serbischen u. rumänischen Nationsbildung. Düsseldorf 1976. H. S.
Nazarener (in diesem Zusammenhang a.: Evang. Täufergemeinden; Neutäufer). Die prot.freikichl. N. gehen auf die Erweckungsbewegungen des 19. Jh.s in der Schweiz zurück. Deren Begründer war Samuel Heinrich Fröhlich (1803–1857), der von den →Anabaptisten des 16. Jh.s inspiriert war u. dessen Anhänger zunächst als „Fröhlichianer“ bezeichnet wurden. Wandergesellen verbreiteten Ende der 1830er Fröhlichs Lehre in Ungarn, deren Anhänger dort anfangs verfolgt u. inhaftiert, aber aufgrund einer Amnestie 1854 wieder freigelassen wurden. Unter der Bezeichnung „N.“ entwickelte sich eine freikirchliche Bewegung, die sich
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in der Habsburgermonarchie, in Serbien, Slawonien, später auch in Rumänien sowie in anderen Teilen Europas u. in Nordamerika verbreitete. „Theologisch fließen in der Geschichte der Neutäufer sowohl evangelisch-erweckliche wie auch täuferisch-freikirchliche Akzente zusammen. Das neupietistisch-erweckliche Erbe kommt in der Betonung der Bekehrungserfahrung, der Mission u. in einer ablehnenden Haltung gegenüber dem theologischen Liberalismus des 19. Jh.s zum Ausdruck. Täuferische Akzente sind in der freikirchlichen Ekklesiologie (Unabhängigkeit vom Staat, freiwillige Mitgliedschaft), in der Taufe auf den Glauben (durch Untertauchen), im kongregationalistischen Gemeindeverständnis sowie in der Wehrlosigkeit zu sehen. Lokale Gemeinden verstehen sich als ‚Versammlungen‘ v. Gläubigen mit einem stark ausgeprägten Gemeinschaftssinn. Die Neutäufer sind historisch eine Laienbewegung ohne ausgebildete u. angestellte Pastoren. Die Gemeinden werden v. Ältesten geleitet, Predigtdienste werden v. ‚Lehrbrüdern‘ wahrgenommen.“ (Mennonitisches Lexikon). Ihre relativ starke Verbreitung unter den südungar. Serben war eine Reaktion auf den ges. Wandel im Zuge der →Modernisierung (nicht zu verwechseln mit Modernisierungsfeindschaft!) – eine Verunsicherung, die v. a. Bauern, Händler u. Handwerker erfasste –, u. war zugleich Ausdruck einer zunehmenden Distanz gegenüber dem Staat u. der etablierten Orth. Kirche. Die N. lehnten die Autorität des Staates u. der Staatskirchen ebenso ab wie den Wehrdienst u. pflegten Formen des Kommunitarismus, verbunden mit Gewaltfreiheit sowie einem ethischen u. relig. Perfektionismus als Nachahmer u. Nachfolger der Urchristen. In ihrer Protestbewegung verbanden sich Frömmigkeit u. Gemeinschaftssinn mit Selbsthilfe u. harter Arbeit. Sowohl in der Habsburgermonarchie u. im Kgr. Serbien als auch später im ersten u. zweiten Jugoslawien wurden die N. vom Staat u. der Kirche mit Misstrauen beobachtet u. – insbes. wegen Ablehnung des Wehrdienstes – oft verfolgt, so dass viele der gegen 1900 im damaligen Ungarn noch ca. 15.000 N. emigrierten (v. a. nach Nordamerika). Die Zahl der N. ging im Verlauf des 20. Jh.s infolge der Auswanderung oder des Wechsels zu einer anderen relig. Bewegung (→Bogomoljci) ständig zurück, während die Orth. Kirche ihrerseits bemüht war, Formen der Volksfrömmigkeit zu adaptieren u. zu integrieren. Lit.: G.A. Kish, The Origins of the Baptist Movement Among the Hungarians. A History of the Baptists in the Kingdom of Hungary from 1846 to 1893. Leiden 2012; B. Aleksov, Religious Dissent between the Modern and the National. Nazarenes in Hungary and Serbia 1850–1914. Wiesbaden 2006 (serb. Beograd 2010); Dj. Slijepčević, Nazareni u Srbiji do 1914. godine. Beograd 1943. H. S.
Nekrasovcy. Nach dem Kosakenataman Ignat Nekrasov benannte, aus dem Dongebiet nach dem Bulanin-Aufstand (1707–09) ins Osm. Reich, dort ins Donaudelta sowie nach Kleinasien (Mainos-See) geflohene u. zunächst als privilegierte Hilfstruppe lebende, meist aus →Altgläubigen bestehende Gruppe. Nach dem Verlust v. Privilegien ab 1860 Aus- bzw. Rückwanderung nach Bulgarien (heute ca. 700), Rumänien, Russland u. in die USA.
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Lit.: O.K. Serdjukova, Slovar’ govora kazakov-nekrasovcev. Rostov na Dona 2005; K. Steinke, Die russischen Sprachinseln in Bulgarien. Heidelberg 1990; A.S. Beliajeff, Nekrasovtsy, in: The
Nemanjiden
Modern Encyclopedia of Russian and Soviet History. Hg. J.L. Wieczynski. Bd. 24 Gulf Breeze/ FL 1981, 136–139; C. Romanska, Folklor na Rusite-Nekrasovci ot s. Kazaško, Varnensko, Godišnik na Sofijskija Universitet. Filologičeski fakultet 53 (1958), H. 2, 493–614; E.P. Pod’skalskaja, Novye materialy o vosstanii na Donu i v central’noj Rossii v 1707–1709 gg., Materialy po istorii SSSR 5 (1957), 503–564. K. St.
Nemanjiden (serb. Nemanjići). Dynastie im ma. Serbien (→Serben; →Serb. Reich); Begründer u. Namensgeber war der Großžupan Stefan Nemanja (1166–96). Die genealogische Einordnung seiner Vorfahren ist umstritten, möglicherweise gehörten sie der Familie an, die die Könige v. →Zeta u. die Großžupane v. →Raszien stellte. Als Urahn der Familie gilt Vukan, der ca. 1083– ca. 1113 Großžupan v. Raszien war (vgl. →Župan). Nemanja wurde um 1113 in Ribnica (Podgorica) geboren u. dort angeblich auch nach lat. Ritus getauft; nach der Rückkehr der Familie nach Raszien erfolgte die Neutaufe nach orth. Ritus. Nach dem Tode seines Vaters Zavida (ca. 1158) erhielt er den Ostteil v. Raszien zur Verwaltung zugewiesen, während sein ältester Bruder Tihomir Großžupan wurde. Im bald ausbrechenden Konflikt mit seinen Brüdern Tihomir, Miroslav u. Stracimir wusste sich Nemanja durchzusetzen u. übernahm 1166 die Herrschaft über ganz Raszien u. die Großžupanswürde. Von →Byzanz wurde diese Machterweiterung nicht anerkannt. 1172 musste sich Nemanja der byz. Oberhoheit unterwerfen, die er erst nach dem Tode Kaiser Manuels I. 1180 (→Paläologen) abschütteln konnte. Gegen die byz. Gefahr versuchte er, sich durch Bündnisse mit Venedig (→Venezianisches Überseereich), →Ungarn u. Ks. Friedrich Barbarossa abzusichern, die er gleichzeitig auch zur Erweiterung seiner territ. Machtbasis brauchte. In den 80er Jahren des 12. Jh.s wurden die Zeta, Teile v. →Kosovo, Gebiete in Nordalbanien u. einige Küstenstädte (darunter Kotor/it. Cattaro, Bar/it. Antivari u. Ulcinj/it. Dulcigno, nicht aber →Dubrovnik/ Ragusa) unterworfen. Nachdem er 1191 mit Byzanz Frieden geschlossen hatte, dankte Nemanja am 25.3.1196 zugunsten seines zweiten Sohnes Stefan ab u. ging als Mönch Simeon in das v. ihm gestiftete Kloster Studenica (südl. v. Kraljevo, seit 1986 UNESCO-Weltkulturerbe). Er eröffnete damit eine Tradition, die v. einer Reihe anderer serb. Herrscher nachgeahmt wurde. Über Nemanja, der v. der serb.-orth. Kirche heiliggesprochen wurde, verfassten seine Söhne Stefan u. Sava Biographien, die die Grundlage für den Herrscherkult der N., der „heiliggeborenen Dynastie“: svetorodna dinastija) legten. In ihnen wird der Eindruck erweckt, dass die serb. Geschichte mit Nemanja begann. Er steht an der Spitze aller altserb. Genealogien, als ob vor ihm nichts dagewesen wäre. Unter Nemanjas Sohn Stefan (1196–1227), nach seiner Königskrönung 1217 Prvovenčani (der Erstgekrönte) genannt, wurden die N. ein Königshaus, das sich im 14. Jh. zur führenden Macht auf dem Balkan entwickelte u. unter Stefan Uroš IV. Dušan (Kg. bzw. Ks. 1331–1355) nach der byz. Kaiserkrone strebte. Stefan Dušan ließ sich 1346 durch den v. ihm zum Patriarchen erhobenen serb. Erzbischof in Skopje zum Kaiser krönen u. nahm den Titel „Stephanos in Christus frommer Kaiser u. Autokrator v. Serbien u. Romanien“ an. Auch sein schwacher Nachfolger, Stefan Uroš V. (1355–1371), trug den (v. Byzanz nicht anerkannten) Kaiser- bzw. Zarentitel. Mit dessen Tod starben die N. in der männlichen Hauptlinie 1371 aus. Eine Nebenlinie, die sich v. Nemanjas ältestem
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Nemanjiden / Neoabsolutismus
Sohn Vukan herleitet, führt bis zu Milica, der Gattin des Serbenfürsten Lazar Hrebeljanović (a. →Kosovo polje). Die Lazarevići – ebenso wie die Brankovići –, also die beiden letzten serb. Herrscherfamilien, waren in weiblicher Linie mit den N. verwandt. – Die Geschichte der Herrscher aus dem Hause der N. weist einige auffällige Gemeinsamkeiten auf: So wurde der Thronfolger fast immer mit der Verwaltung der Zeta betraut, v. wo aus er sich gegen den Vater empörte. Gemeinsam war allen N. auch das Streben nach einer Süderweiterung ihres Reiches ebenso wie die enge Verbindung v. weltlicher Macht u. orthodoxer Kirche. Die Herrscher mehrten den Reichtum der Kirche, u. diese dankte es ihnen, indem sie viele Herrscher (Stefan Nemanja, Stefan Nemanjić, Kg. Stefan Uroš II. Milutin, Kg. Stefan Uroš III. Dečanski u. Zar Uroš, aber nicht Stefan Dušan!) heilig sprach. „Den serb. Staat haben Heilige gegründet“, erklärte der serb. Bischof Nikolai Velimirović 1940 (vgl. a. →Orthodoxie [und Nationalkirchen]; →Erinnerungskultur). Quellen u. Lit. (a. →Serb. Reich): K. Petrovszky, Die heiligen Nemanjiden, in: Religiöse Erinnerungsorte in Ostmitteleuropa. Konstitution u. Konkurrenz im nationen- u. epochenübergreifenden Zugriff. Hgg. J. Bahlcke/St. Rohdewald/Th. Wünsch. Berlin 2013, 583–591; S. Nastarijević, Stefan Dušan. Beograd 2012; Ž. Fajfrić, Nemanjići. Novi Sad 22005; M. Blagojević, Nemanjići i Lazarevići i srpska srednjovekovna državnost. Beograd 2004; Ž. Andrejić, Sveti Sava: mit u istoriji – istorija u mitu. Rača 2004; M. Stevanović, Car Uroš. Beograd 2004; M. Stevanović, Stevan Prvovenčani. ebd. 2003; S. Marjanović-Dušanić, Vladarska ideologija Nemanjića. Diplomatička studija. ebd. 1997; G.Ch. Soulis, The Serbs and Byzantium. During the Reign of Tsar Stephen Dušan (1331–1355) and his Successors. Athens 21995; M. Blagojević, Srbija u doba Nemanjića. Od kneževine do carstva 1168–1371. Ilustrovana hronika. Beograd, Čakovec 1991; J. Leśny, Studia nad początkami serbskiej monarchii Nemanniczów (połowa XI – koniec XII wieku). Wrocław u. a. 1989; M. Blagojević, Srbija u doba Nemanjića. Od kneževine do carstva 1168–1371. Beograd 1989; Studenica i vizantijska umetnost oko 1200. godine. Medjunarodni naučni skup povodom 800 godina manastira Studenice i stogodišnjice SANU, septembar 1986. Hg. V. Korać. ebd. 1988; Sv. Sava: Život Stefana Nemanje/Sava Nemanjić. Hg. M. Bašić. ebd. 21980; F. Kämpfer, Nationalheilige in der Geschichte der Serben, Forschungen zur osteuropäischen Geschichte 20 (1973), 7–22; S. Hafner, Studien zur altserbischen dynastischen Historiographie. München 1964; Serbisches Mittelalter. Altserbische Herrscherbiographien. Übers. St. Hafner. Bd. 1: Stefan Nemanja nach den Viten des hl. Sava u. Stefans des Erstgekrönten. Graz u. a. 1962; Bd. 2: Danilo II. u. sein Schüler: die Königsbiographien. Köln u. a. 1976; Stare srpske biografije. 1. Hg. M.M. Bašić. Beograd 1924. P. B.
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Neoabsolutismus. Bezeichnung für eine Epoche der Geschichte der →Habsburgermonarchie, die mit der Auflösung des Reichstages v. Kremsier am 7.3.1849 u. der Einführung einer oktroyierten Verfassung (4.3.1849) ihren Anfang nahm u. mit der Übergangszeit zu einem konstitutionellen Regierungssystem durch Einberufung des erweiterten Reichsrates (5.3.1860) u. den Erlass des Oktoberdiploms (20.10.1860), letztendlich mit dem →Ausgleich v. 1867 ihren Abschluss fand. In Reaktion auf die den Bestand der Monarchie in Frage stel-
Neoabsolutismus
lenden revol. Ereignisse des Jahres 1848 kam der am 2.12.1848 inthronisierte junge Ks. Franz Joseph u. sein Beraterkreis, in dem der am 21.11.1848 zum Ministerpräsidenten ernannte Fürst Felix Schwarzenberg bis zu seinem Tod am 5.4.1852 die eigentliche Führungsperson darstellte, zu dem Schluss, dass die Donaumonarchie konstitutionell nicht zu regieren, die Einrichtung eines Zentralparlaments nicht opportun u. das zentralistisch zu organisierende Reich nur milit.-bürokrat. zu regieren war, um in einem verspäteten Nachholprozess den integrierten u. einheitlichen Gesamtstaat zu errichten u. zugleich wirt. u. soz. zu modernisieren. Die Habsburgermonarchie erneuerte sich nicht v. unten, sondern wurde v. oben, durch ihre Dynastie, Armee, Bürokratie u. durch das pol.-milit. Zusammenwirken mit Russland (Kapitulation der ung. Armee bei Világos, 13.8.1849; →Revolution v. 1848, Ungarn) als Vormacht der Gegenrevolution wiederhergestellt, ein Vorgang, der die zentrifugalen Tendenzen der nachfolgenden →Dualismus-Periode wiederbelebt u. begünstigt hat. →Bauernbefreiung, Grundentlastung, Eisenbahnbau u. die damit zusammenhängende Förderung der Schwerindustrie durch eine staatl. gelenkte Investitionspolitik (unter Führung des dynamischen Handelsministers Freiherrn Karl Ludwig v. Bruck), der Übergang vom Prohibitiv- zum Schutzzollsystem u. die damit verbundene Aufhebung der Zwischenzollinie gegenüber →Ungarn (1.7.1851), die davon ausgehende Schaffung eines einheitlichen Wirtschaftsraumes, Einrichtung v. Handelskammern, Gewerbegesetzgebung auf der Grundlage der Gewerbefreiheit, Rechtsreform u. Rechtsvereinheitlichung auf der Grundlage der Freizügigkeit, Neugestaltung des höheren Schul- u. Hochschulwesens, das waren eine Reihe tiefgreifender Reformschritte, die die →Modernisierung in dieser Epoche wesentlich vorangetrieben haben. Parallel dazu erfolgte eine grundlegende, v. Alexander v. Bach als Innenminister geleitete Verwaltungsreform u. insbesondere eine Neuorganisation der Verwaltung der untersten Instanz (Verstaatlichung der Patrimonialverwaltung, Gemeindegesetz v. 1849). Die staatl.-adm. Durchdringung des Reiches u. seine v. der Zentrale gesteuerte Vereinheitlichung erreichte erstmals die Masse der Untertanen u. vermochte kurzfristig die Verschmelzung der hist. Länderkomplexe zu einem Staatsganzen zu erreichen. Was unter Joseph II. (→Josephinismus) an Ungarn gescheitert war, schien nach der Niederschlagung der ung. Revolution im Sommer 1849 zu gelingen. Auch Ungarn wurde vollständig in alle Reformen einbezogen, es verlor seine staatsrechtliche Selbständigkeit u. wurde nach Abtrennung v. →Siebenbürgen u. →Kroatien u. der Bildung des neuen Kronlandes der Serbischen Woiwodschaft mit dem Temescher Banat (→Vojvodina) in fünf Distrikte (Pest, Ödenburg, Pressburg, Kaschau u. Großwardein) administrativ gegliedert u. zunächst einer Militärverwaltung, ab 1851 einer Zivilverwaltung unterstellt, deren Spitze die k.k. Statthalterei in Ofen, ab 1853 das k.k. Militär- u. Zilvilgouvernement bildete. Die Aufhebung der Avitizität 1852, des seit dem MA bestehenden adeligen Vorkaufsrechts auf Erbgüter, u. der Leibeigenschaft 1853 (→Sklaverei/ Leibeigenschaft) sowie die Einführung der österr. Rechtsnormen in allen Lebensbereichen haben auch in diesem Land einen Aufschwung v. Handel u. Gewerbe bewirkt u. seine Verbürgerlichung gefördert. Allerdings wurde das Regime gerade hier als Werkzeug der Fremdbestimmung u. Unterdrückung einhellig abgelehnt. Aber der N. scheiterte weniger daran, als an seiner inneren Widersprüchlichkeit u. seinem Unvermögen, seine ehrgeizige Machtpolitik nach außen u. seine weitgespannte Reformpolitik nach innen administrativ ausreichend zu
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Neoabsolutismus / Neuilly-sur-Seine, Friede v. (1919)
koordinieren u. mit den Ressourcen des Reiches in Deckung zu bringen. Die Vereinheitlichung des Steuersystems u. die Intensivierung der indirekten Besteuerung bewirkten zwar eine Steigerung der Steuereinnahmen im Jahrzehnt 1847–1858 um 80 %. Da aber das anvisierte Wachstum der Güterproduktion damit nicht Schritt halten konnte, bedeutete dies eine steigende Belastung der Steuerzahler, was mit dem Auslauf der Konjunktur 1857 u. der einsetzenden Wirtschaftsrezession zu immer stärkeren Widerständen gegen die Wirtschaftspolitik des Regimes seitens der Schichten: Großbürgertum, Hochadel u. Gewerbetreibende führte, die es bis dahin unterstützt hatten. Die Wirtschaftspolitik des N. mit einer defizitfinanzierten Steigerung der Investitionsrate hatte zwar in Verbindung mit dem Eisenbahnbau einen größeren Industrialisierungsschub auslösen können, der freilich unter den spezif. Bedingungen der noch zu geringen →Urbanisierung der Bev. zur Refinanzierung der wachstumspol. Vorleistungen nicht ausreichte. Eine exorbitante u. den N. schließlich zu Fall bringende Defizitwirtschaft bewies, dass der Zuschnitt der neoabs. Militärmonarchie zu groß ausgefallen u. das System auf die Dauer nicht haltbar war. Die außenpol. Isolierung der Monarchie, in die sie die fehlgeleitete Politik des Außenministers Buol-Schauenstein seit dem →Krimkrieg getrieben hatte, u. die damit zusammenhängende Niederlage im Italienfeldzug gegen Frankreich u. Sardinien-Piemont 1859, der den Verlust der Lombardei u. der österr. Vormachtstellung in Italien besiegelte, demonstrierten schließlich mit aller Deutlichkeit auch nach außen, dass der N. an sein Ende gekommen war. Lit.: G. Seiderer, Österreichs Neugestaltung. Verfassungspolitik und Verwaltungsreform im österreichischen Neoabsolutismus unter Alexander Bach, 1849–1859. Wien 2015; Der österreichische Neoabsolutismus als Verfassungs- u. Verwaltungsproblem. Diskussion über einen strittigen Epochenbegriff. Hg. H.-H. Brandt. Wien u. a. 2014; L.L. Mádly, Între reformă şi egală îndreptăţire. Aspecte ale activităţilor politico-naţionale româneşţi şi săseşti în deceniul neoabsolutist. Cluj-Napoca 2014; G.Chr. Berger Waldenegg, Mit vereinten Kräften! Zum Verhältnis von Herrschaftspraxis u. Systemkonsolidierung im Neoabsolutismus. Wien 2002; Á. Deák, „Nemzeti egyenjogúsítás“. Kormányzati nemzetiségpolitika Magyarországon 1849–1860. Budapest 2000; Z.K. Lengyel, Österreichischer Neoabsolutismus in Ungarn 1849–1860. Grundlinien, Probleme u. Perspektiven der historischen Forschung über die Bach-Ära, SOF 56 (1997), 213–278; M. Gross, Die Anfänge des modernen Kroatien. Gesellschaft, Politik u. Kultur in Zivil-Kroatien u. -Slawonien in den ersten dreißig Jahren nach 1848. Wien u. a. 1993; W. Heindl, Bürokratie u. Verwaltung im österreichischen Neoabsolutismus, ÖOH 22 (1980), 231–265; O. Sashegyi, Ungarns politische Verwaltung in der Ära Bach 1849–1860. Graz 1979; H.-H. Brandt, Der österreichische Neoabsolutismus. Staatsfinanzen u. Politik 1848–1860. Göttingen 1978. G. S.
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Neuilly-sur-Seine, Friede v. (1919). Als einer d. fünf →Pariser Vorortverträge regelte der Vertrag v. N. (27.11.1919; ratifiziert 9.8.1920) die Beziehungen zw. Bulgarien u. den Alliierten nach dem 1. →Wk. – Die Grenzziehung mit Rumänien stellte den territ. Status quo vom 1.8.1914 wieder her (Art. 27.5). Bulgarien musste damit die in den →Balkankriegen 1912/13
Neuilly-sur-Seine, Friede v. (1919)
verlorene, im September 1916 besetzte u. im Frieden v. Bukarest (7.5.1918) annektierte Süddobrudscha (→Dobrudscha) an Rumänien abtreten. Ursprünglich hatten die USA wegen des ethn. Prinzips in Paris erwogen, die Süddobrudscha Bulgarien anzugliedern, da Rumänen dort nur 2,2 % der Bev. stellten u. die Mehrheit bulg. (42 %) u. musl. (47 %) war. Als Folge der Entscheidung v. N. nahm Bulgarien ca. 40.000 Flüchtlinge aus der Dobrudscha auf. Abweichend v. der Vorkriegsgrenze trat Bulgarien eine Reihe strategisch wichtiger Gemeinden an der bulg.-serb. Grenze um die Städte Caribrod u. Bosilegrad mit mehrheitlich bulg. Bev. sowie die mak. Stadt Strumica samt Umland (Art. 27.1) an das Kgr. der Serben, Kroaten u. Slowenen (→Jugoslawien) ab. Das seit 1912 bulg. Westthrakien fiel unter alliierte Verwaltung (Art. 48) u. wurde in der Konferenz v. San Remo (19.–24.8.1920) an Griechenland übergeben (→Thrakien). Bulgarien erhielt das allerdings nie umgesetzte Recht auf Nutzung der gr. Ägäishäfen für den Warenverkehr. Griechenland u. Bulgarien vereinbarten am gleichen Tag in N. einen freiwilligen Bevölkerungsaustausch (→Zwangsmigrationen). Mit der Türkei erfolgte eine geringfügige Grenzkorrektur zugunsten Bulgariens nordwestl. v. Edirne. Die bulg. Reparationszahlungen beliefen sich auf 2,25 Mrd. Goldfrancs, zu zahlen in einer Frist v. 38 Jahren ab dem 1.7.1920. In der Relation bedeutete dies ein Vielfaches der dt. Reparationslasten. Trotzdem war Bulgarien einer der pünktlichsten Schuldner. 1923 wurde die Summe auf 550 Mio. reduziert u. 1932 der Rest gestrichen. Zusätzlich wurde Bulgarien verpflichtet, den Nachbarn als Ersatz für Kriegsschäden mehr als 28.000 Stück Vieh zu übergeben sowie Jugoslawien noch 50.000 t Kohle. Bulgarien musste eine 50-km-Zone entlang der Grenze entmilitarisieren u. durfte keine Wehrpflichtigenarmee unterhalten. Die Armee musste auf 20.000 Soldaten, die bewaffneten Polizeistreitkräfte auf 10.000 u. der Grenzschutz auf max. 3.000 Personen reduziert werden. Die große Zahl der entlassenen u. soz. deklassierten Offiziere u. Unteroffiziere bildete das Reservoir pol. Umsturzversuche. Anfänglich hatte Bulgarien Schwierigkeiten, Streitkräfte in dem ihm zugestandenen Umfang überhaupt aufzustellen. Weil dies die innenpol. Sicherheit der Regierung gegen drohende Umstürze bedrohte, weichten die Alliierten die Bestimmungen zeitweilig auf. Dieses nutzte Bulgarien seit 1921 zur Unterlaufung der Militärklauseln des Vertrages. Die Revision des Vertrags v .N. bildete ein wichtiges außenpol. Ziel Bulgariens in der Zwischenkriegszeit (→Revisionismus). Quellen u. Lit. (a. →Pariser Vorortverträge): V.J. Ganev, Dnevnik (1919 g.). Nʹojskijat miren dogovor. Hg. C.V. Biljarski. Sofija 2005; I. Dimitrov, Bulgarien in der europäischen Politik zwischen den beiden Weltkriegen, in: Bulgarische Sprache, Literatur u. Geschichte. Neuried 1980, 203–225; W.V. Temperley, A History of the Peace Conference of Paris. London 1969, 305–358; E.J. Drake, Bulgaria at the Paris Peace Conference. Washington 1967; Der Friedensvertrag zwischen Bulgarien u. den Alliierten u. Assoziierten Mächten, nebst dem Schlußprotokoll gezeichnet in Neuilly-sur-Seine am 27. November 1919, ratifiziert in Paris am 9. August 1920. Autorisierte Ausg. Berlin 1920. H. W.
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Neurussland
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Neurussland (russ. Novorossija, Novorossijskij kraj). Zunächst allg. Bez. für die fortschreitenden moskowitischen Gebietsarrondierungen in der südukr. Übergangszone zum Herrschaftsbereich der Zaporoger Kosaken, der →Krimtataren bzw. der Osmanen, später Gesamtbez. für die Gebiete im nördl. Schwarzmeerbereich, die Russland im Zuge einer erfolgreichen Türkenpolitik in den Friedensschlüssen v. Belgrad (1739), →Küçük Kaynarci (1774), Jassy/Iaşi (1791) u. →Bukarest (1812) erworben hatte. 1775 war das Zaporoger Gebiet u. 1783 die →Krim an N. angegliedert worden. 1775 hatte der damalige Generalgouverneur Potemkin eine Teilung in die Gouvernements Azov u. N. veranlasst. 1783 erfolgte die Umbenennung in die Statthalterschaft Ekaterinoslav, die v. Paul I. wieder aufgelöst wurde, u. 1802 die Aufteilung in die Gouvernements Cherson, Ekaterinoslav u. Taurien. Seit 1803 bildeten Odessa u. Taganrog u. seit 1823 Feodosija eigene Verwaltungseinheiten (russ. Gradonačal’stvo). An der Besiedlung der weithin menschenleeren Grenzregionen beiderseits des Dnepr hatten sich seit den 40er Jahren des 18. Jh.s neben kleinruss. Kosaken u. aus Russland geflohenen leibeigenen Bauern in zunehmendem Maße ausländ. Kolonisten beteiligt. Das größte Kontingent stellten Balkanflüchtlinge (Walachen, Bulgaren, Serben, Griechen), dazu Armenier u. Georgier). Außerdem spielten insbesondere auch dt. Kolonisten, die v. Katharina II. 1763 ins Land gerufen worden waren, beim weiteren Landesausbau eine herausragende Rolle. Schon im Januar 1752 hatte die Zarin Elisabeth, die Tochter Peters d. Gr., aus den nordwestl. Teilen des Zaporoger Territoriums zw. dem Flussgebiet der Sinjucha u. dem Dnepr im späteren Gouvernement Cherson eine eigene Verwaltungseinheit „Neuserbien“ (russ. Novaja Serbija) geschaffen u. serb. Wehrbauern aus Slawonien u. Südungarn unter dem serb. Oberst in österr. Diensten Ivan Horvat-Kurtić angesiedelt. 1753 beteiligten sich weitere serb. Einheiten unter den Offizieren Ivan Šević u. Rajko Preradović am Ausbau einer improvisierten Militärgrenze. Der anhaltende Zuzug bulg., walachischer, gr. u. anderer Balkanflüchtlinge veranlasste die adm. Abtrennung eines Gebietes „Slavisch-Serbien“ (russ. Slavjano-Serbija), das sich südlich des Donec bis zur „Ukrainischen Linie“ u. dem Gebiet der Donkosaken erstreckte. 1764 wurde es zus. mit der aufgelösten „Ukr. Linie“ als Katharina-Provinz (russ. Ekaterinskaja provincija) Teil des neugeschaffenen Gouvernements „N.“ mit dem Zentrum Kremenčuk. Als vorgeschobenes Grenzgouvernement behielt N. seinen halbmilitärischen Charakter. Die wehrhaften Männer der Militärkolonien u. die Kosakenverbände wurden in reguläre Husarenregimenter überführt u. in den Händen der Oberbefehlshaber (seit 1774 G. Potemkin) war die oberste Militär- u. Zivilgewalt vereinigt. Für die Ansiedlung v. Kolonisten wurden großzügige staatl. Hilfen gewährt. Im aufblühenden Handel der städtischen Siedlungen dominierten →Altgläubige u. gr. Kaufleute. Die Erfolge Katharinas II. im →Türkenkrieg v. 1768–1774 brachten weitere territ. Arrondierungen u. verstärkten das gr. Element. Im Friedensvertrag hatte sie sich das freie Abzugsrecht für gr. Kollaborateure zugestehen lassen. Diese ließen sich vornehmlich auf der Krim u. in Cherson nieder. In den folgenden Jahren wurde ein Teil der gr. Neusiedler in das Gouvernement Azov umgesiedelt, wo sie als städtisches Zentrum Mariupol‘ gründeten. In den 1790er Jahren fanden gr. Bewohner der Ägäisinseln in den Küstenstädten des nördl. Schwarzmeerbereiches Aufnahme. Noch heute künden viele Siedlungsnamen in Südrussland mit der Endung -pol’
Neurussland / Niederungarn / niederungarische Bergstädte
(gr. polis) v. den einstigen Siedlungsschwerpunkten der Griechen. Gr. Kaufleute hatten einen wesentlichen Anteil am Ausbau des 1792/95 neugegründeten Odessa zu einem internationalen Handelszentrum u. an den Vorbereitungen des gr. Freiheitskampfes. Nach der russ. Volkszählung vom Jahre 1897 lebten 69.400 Griechen im Gouvernement Ekaterinoslav, nach dem sowj. Zensus vom Jahre 1926 im Gesamtareal der Ukr. SSR 105.000. – Im Zuge der russ. Politik gegen die Ukraine erhielt der Begriff. N. ab 2014 durch den russ. Staatspräsidenten Putin u. die russ. Öffentlichkeit neue Bedeutung zur hist. Legitimation der eigenen Ansprüche zugewiesen. Lit.: A.V. Makidonov, Personal’nyj sostav administrativnogo apparata Novorossii XVIII veka. Zaporože 2011; L.G. Friesen, Rural revolutions in Southern Ukraine. Peasants, Nobles, and Colonists, 1774–1905. Cambridge/MA 2008; Očerki istorii nemcev i mennonitov Juga Ukrainy (konec XVIII–pervaja poloviny XIX v.). Hg. S. I. Bobylevoj. Dnepropetrovsk 1999; D. Brandes, Von den Zaren adoptiert. Die deutschen Kolonisten u. die Balkansiedler in Neurußland u. Bessarabien 1751–1914. München 1993; E.I. Družinina, Južnaja Ukraina v 1800–1825 gg. Moskva 1970; G.I. Arš, Grečeskaja ėmigracija v Rossiju v konce XVIII – načale XIX v., Sovetskaja ėtnografija (1969) H. 3, 85–95; D.F. Lynch, The Conquest, Settlement and Initial Development of New Russia, 1780–1837. Diss. Yale University 1964; N. Polons’ka-Vasylenko, The Settlement of the Southern Ukraine (1750–1775). New York 1955; E.A. Zagorovskij, Voennaja kolonizacija Novorossii. Odessa 1913; M.M. Plochinskij, Inozemcy v staroj Malorossii, in: Trudy dvenadcatago archeografičeskago s-ezda v Char’kove v 1902 g. Bd. 2 Moskva 1905, 175–409; A.A. Skal’kovskij, Chronologičeskoe obozrenie istorii Novorossijskogo kraja. 2 Teile. Odessa 1836. E. H.
Niederungarn. Als Gegenbegriff zu →Oberungarn bezeichnete N. die heutige West- u. Mittelslowakei, die ebenso wie Oberungarn v. der osm. Eroberung freigeblieben war. Die Grenze zw. N. u. Oberungarn verlief v. der Westgrenze des Komitats Szepes/→Zips nach S. Neben dieser engeren Bezeichnung wurde der Begriff N. auch für das gesamte Kgr. Ungarn, ohne die heutige Slowakei, verwendet. Red.
niederungarische Bergstädte. Hist. Bez. für jene Städte, die nach der Gründung der Oberkapitanate (um 1541) in das Gebiet nördl. der mittleren Donau u. westl. v. →Oberungarn gehörten. In diesem westl. Teil der heutigen →Slowakei, dem Fluss Gran/Garam/Hron entlang, entwickelten sich seit dem 14. Jh., als der Großteil des in Ungarn geförderten Silbers, Goldes u. Kupfers (→Bergbau, MA) hier zu Tage gebracht wurde, folgende Bergstädte: Pukantz/Bakabánya/Pukanec, Dullen (oder Diln)/Bélabánya/Banská Belá, Neusohl/ Besztercebánya/Banská Bistrica, Kremnitz/Körmöcbánya/Kremnica, Libethen/Libetbánya/L‘ubietová, Schemnitz/Selmecbánya/Banská Stiavnica u. Königsberg/Újbánya/Nova Bana. Gelegentlich wurde als achte auch Briesen/Breznóbánya/Brezno nad Hronom zu ihnen gerechnet. Sie wurden im 14. Jh. aus grundherrlicher Abhängigkeit zu kgl. →Freistädten privilegiert u. dem Tarnak- oder Tavernikalmeister untergeordnet. Ihre Einwohner entstammten meist eingewanderten dt. sog. „sächsischen“ hospes-Familien (→Deutsche). Im
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niederungarische Bergstädte / Nordepirus
Gesetzartikel 1445:I wurde ihnen die Teilnahme am Landtag (→Országgyűlés) zugebilligt, doch de facto erschienen sie nur selten unter den Adeligen. 1475 gründete der Krakauer Bürger Johann Thurzó – später Geschäftspartner der Augsburger Fugger – eine Gesellschaft zur Entwässerung der teilweise verfallenen Bergwerke der N.B. Nach 1548 wurden die N.B. der niederösterr. Kammer, im 17./18. Jh. (bis 1848) der Hofkammer unterstellt. Mit der Einführung des österr. Bergrechts in Ungarn (1854) verloren sie im Zuge des →Neoabsolutismus ihre Sonderstellung u. wurden nach GA 1870:XLII zu Munizipalitäten (ung.: törvényhatósági jogú város). Quellen u. Lit.: Selmecbánya város középkori jogkönyve. Selmecbánya városi és bányajogi kódexe. Codex des Stadt- u. Bergrechts von Schemnitz. Hg. A. Tóth. Budapest 2009; Das Goldene Bergbuch: Schemnitz, Kremnitz, Neusohl. Zlatá kniha banícka: Banská Štiavnica, Kremnica, Banská Bystrica. Hg. J. Vozár. Košice 22000 [Manuskript v. 1764]; O. Paulinyi, Eigentum u. Gesellschaft in den niederung. Bergstädten, in: Der Außenhandel Osteuropas 1450–1650. Köln 1971, 525–568; G. Probszt, Die niederung. Bergstädte. Ihre Entwicklung u. wirtschaftliche Bedeutung bis zum Übergang an das Haus Habsburg (1546). München 1966; Ders., Die alten 7 niederung. Bergstädte im slowakischen Erzgebirge. Wien 1960; A. Péch, Alsó-Magyarország bányamívelésének története. 2 Bde. Budapest 1884/7; G. Wenzel, Magyarország bányászatának kritikai története. ebd. 1880. J.M. B./B. N.
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Nordepirus (gr. Voreios Ēpeiros). V. a. von gr. Politikern u. Publizisten gebrauchte Bezeichnung für den zeitweise v. →Griechenland beanspruchten Teil Südalbaniens, in dem auch der Hauptteil der gr. Minderheit →Albaniens lebt (nach offiziellen alb. Angaben 1989 60.000, nach gr. 300.000–400.000, realist. damals ca. 100.000–120.000). Die natürliche u. hist. Nordgrenze der Landschaft →Epirus schloss nach Philippson das Stromgebiet der Vijosa (gr. Vojusa, im Altertum Aóos) mit ein, allerdings ohne deren Unterlauf. Zu N. gehörten somit die →Himara, die Städte Përmeti, Këlcyra, Leskoviku, Gjirokastra u. Delvina, nicht aber Stadt u. Bezirk v. Korça, die v. Griechenland ebenfalls beansprucht u. zu N. gerechnet wurden bzw. werden. Griechenland hatte während der →Balkankriege N. besetzt. Als die Londoner Botschafterkonferenz 1913 beschloss, das Gebiet wegen seiner alb. Bevölkerungsmehrheit dem neuen Fsm. Albanien zu überlassen, sagte die gr. Regierung im Dezember 1913 zwar zu, ihre Truppen aus N. zurückzuziehen, zögerte das aber solange hinaus, bis sich in Gjirokastra (gr. Argyrokastron) am 28.2.1914 eine provisorische Regierung des Autonomen Nordepirus unter der Leitung des ehemaligen gr. Außenministers Georgios Christaki Zographos gebildet u. am 2.3.1914 die Unabhängigkeit des N. proklamiert hatte. Die Regierung Zographos, die in Gjirokastra ihren Sitz hatte, gab nicht nur eigene Briefmarken heraus, sondern stellte aus „desertierten“ gr. Soldaten auch eine eigene Armee auf, der die damalige neue alb. Gendarmerie unter dem Kommando des niederländischen Majors Lodewijk Thomson nicht gewachsen war. Die Großmächte beauftragten die Internationale Kontrollkommission für Albanien, mit Zographos zu verhandeln. Am 17.5.1914 wurde auf Korfu ein Protokoll unterzeichnet, das N. einen Autonomiestatus gewährte. Während des 1. →Wk.s wurde N. zunächst trotz alb. Neutralität v. gr. u. im Sommer 1916 v. it. Truppen besetzt. Von Gjirokastra aus proklamierte am 3.6.1917
Nordepirus / Nösnerland
der it. Oberbefehlshaber Generalleutnant Giacinto Ferrero die Unabhängigkeit Albaniens unter it. Protektorat. Die Pariser Friedenskonferenz 1919–20 ließ die N.-Frage ungelöst. Erst am 9.11.1921 einigten sich die Siegermächte, Albanien in den Grenzen v. 1913 wieder herzustellen. Während des 2. Wk.s wurde N. noch einmal kurzfristig (November 1940–März 1941) v. gr. Truppen besetzt. Gr. Versuche, die N.-Frage auf die Tagesordnung der Pariser Friedenskonferenz 1946/47 zu bringen, scheiterten am sowjet. Einspruch. Zu einem nur informellen u. zeitweiligen Verzicht Griechenlands auf N. kam es am 6.5.1971, als die diplomatischen Beziehungen zw. Griechenland u. Albanien wieder aufgenommen wurden, doch lebten die gr. Ansprüche in den 1990er Jahren in neuer Form wieder auf. Heute beziehen sie sich in erster Linie auf eine bis in konkrete alb. pol. Entscheidungen hinein in Anspruch genommene gr. Patronagefunktion zugunsten der in Albanien verbliebenen gr. bzw. von Griechenland als gr. wahrgenommenen Minderheit, u. a. in der →Himara. Lit.: B. Meta, Shqipëria dhe Greqia. 1949–1990: paqja e veshtirë. Tiranë 2007; T.J. Winnifreth, Badlands – Borderlands. A History of Northern Epirus/Southern Albania. London 2002; K. Clewing, Zwischen Instrumentalisierung u. Brückenfunktion. Die griechische Minderheit in Südalbanien als Faktor in der Albanienpolitik Athens, SOE 44 (1995), 413–432; B.P. Papadakis, Histoire diplomatique de la question nord-épirote (1912–1957). Athènes 1958; A. Philippson, Die griechischen Landschaften. Bd. II, 1. Frankfurt/M. 1956; E.P. Stickney, Southern Albania or Northern Epirus in European International Affairs, 1912–1923. Stanford 1926; L. Maccas, La question gréco-albanaise. Nancy u. a. 1921. P. B.
Nösnerland. Von Nösen, dem alten dt. Namen der Stadt Bistritz, abgeleitete Bezeichnung des nordsiebenbürg. Siedlungsgebiets der →Siebenbürger Sachsen. Nach 1876 wurde die Bezeichnung N. auch auf die sächs. Bewohner der ehemals grundhörigen sächs. Gemeinden in der Umgebung v. Bistritz ausgedehnt. Der rum. Begriff Năsăut (Nasoder Distrikt; ung. nur als Ortsname Naszód) bezeichnet eine weiter nördl. gelegene ethnograph. Region, eine direkte Entsprechung zu N. mit seinem spezifisch dt. Sinngehalt existiert bei den siebenbürg. Nachbarvölkern nicht. Das N. wird im Norden vom Ziblesch- u. dem Rodna-Gebirge dominiert, im Osten vom Suhard-, Borgo- u. Caliman-Gebirge. Die Kämme u. Ränder dieser Hochgebirgsketten bilden im Norden die Grenze gegen die →Maramureş, im Osten gegen die →Bukowina u. im Süden gegen das Komitat Mieresch. Eine Reihe v. Flüssen, wie der Große Samosch, die Bistritz, der Dürrbach u. der Schogner Fluss durchziehen das Land. Vor allem nach S u. nach SW fallen die Berghänge nach u. nach ab, so dass sich zw. den Gebirgsgraten u. den sächs. Siedlungen in den Talauen u. Senken ein beträchtlicher Höhenunterschied v. 1500 bis 1800 Metern ergibt. Die Wälder liefern reichlich Holz, in den Tälern wird Ackerbau u. Viehzucht, aber auch Obst- u. Gemüsezucht u. Weinbau betrieben. Nach der Aufgabe Siebenbürgens durch die Römer unter Kaiser Aurelian i. J. 274 existieren nur spärliche Quellen für das N., v. dem vermutet wird, dass sich dort früher als im S Siebenbürgens →Deutsche ansiedelten. Die im N. entstandenen freien Gemeinden wurden
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Nösnerland / Oberungarn
zunächst als Grafschaft vom Széklergrafen (→Széklerland) geleitet. Nach der Ausweitung des Andreanums (→Siebenbürgen) auf das N. (1366) bildeten sie einen eigenen Distrikt. Bis in das 15. Jh. waren die kgl. privilegierten Gastsiedler gezwungen, sich ständiger Übergriffe durch ung. Adelige mit der Verschenkung v. freien Dörfern zu erwehren. 1453 wurde das N. zur Erbgrafenschaft umgewandelt u. an Johannes Hunyadi verliehen. Diesem Zustand bereitete der Aufstand der Bistritzer, deren Stadt sich nach dem Mongolensturm zum Vorort des N. entwickelt hatte, 1458 ein Ende. 1486 schloss sich das N. mit dem →„Königsboden“, den „Zwei Stühlen“ um Mediasch u. dem →Burzenland zur sächs. Nationsuniversität zusammen. Bistritz entwickelte sich als befestigte Stadt, der 1475 das Rodnaer Tal mit seinen damals noch reichen Silbergruben verliehen worden war, in der Folgezeit zu einem blühenden Handelsplatz. Die milit. Auseinandersetzungen des 17. Jh.s, denen Hungersnöte u. die Pest folgten, dezimierten die Bev. des N.; 1766 musste es die beiden Gemeinden Großdorf u. Johannisdorf für die Errichtung der →Militärgrenze abtreten. Nach der Vereinigung Siebenbürgens mit →Ungarn (1867) nahmen auch im N. die nationalen Spannungen durch die Magyarisierungsbestrebungen Budapests zu. 1876 wurde der Bistritzer Distrikt mit dem größtenteils v. Rumänen bewohnten Nassoder Distrikt zum Bistritz-Nassoder Komitat vereinigt. Durch den 2. →Wiener Schiedsspruch (1940) wurde das N. Ungarn zugesprochen. Die schwerwiegendste Folge aus der damit vorgenommenen Teilung Siebenbürgens ergab sich für die jüd. Bev. (→Holocaust), deren Deportation in die Vernichtungslager im Frühjahr 1944 begann. Kurz vor dem Einmarsch russ. Truppen wurden im September 1944 ca. 95 % aller dt. Bewohner planmäßig evakuiert. Ihre Trecks gelangten bis nach Österreich. Lit.: M. Kroner, Geschichte der Nordsiebenbürger Sachsen: Nösnerland u. Reener Ländchen. Nürnberg 2009; G. Zikeli, Bistritz zwischen 1880 u. 1950. Erinnerungen eines Buchdruckers. München 1989; O. Dahinten, Geschichte der Stadt Bistritz in Siebenbürgen. Köln u. a. 1988; Remember. 40 Years since the Massacre of the Jews from Northern Transylvania under Horthyst Occupation. Bucarest 1985; Beiträge zur Geschichte der Stadt Bistritz in Siebenbürgen Bde. 1 (1980) – 6 (1992). A. Sch.
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Oberungarn (ung.: Felsőmagyarország/Felföld/Felvidék; lat.: Partes regni Hungariae superiores; slowak. Horné Uhorsko). Verwaltungsbezirk im 16./17. Jh., der unter Kg. Ferdinand I. nach der osm. Eroberung v. Buda (1541), im Laufe der Aufstellung der Oberkapitanate entstand u. den nordöstl. Teil des habsb. gebliebenen Ungarns umfasste. Die Grenze zw. →Niederungarn u. O. verlief v. der Westgrenze des Komitats Szepes (dt. →Zips) nach Süden. Die wirt.-fiskalische Verwaltung O.s unterstand der 1567 in Eperies/Eperjes/Prešov gegründeten, später nach Kaschau übersiedelten Zipser Kammer (ung.: Szepesi Kamara). Die zu O. gehörenden →Komitate hielten gelegentlich regionale Versammlungen ab, um gemeinsame Angelegenheiten zu beraten. O. war v. a. wegen seines →Bergbaus – neben Edelmetall u. Kupfer auch Eisen – u. seiner Eisenindustrie bedeutend. Der Verband oberung. Bergstädte bestand aus Göllnitz/Gölnicbánya/Gelnica, Neudorf/Igló/Spišská Nová Ves, Jossau/Jászó/Jasov, Rosenau/Rozsnyó/Rožnava, Ruda/Rudabánya, Schmöllnitz/Szomolnokbánya/Smolník u. Telken/
Nösnerland / Oberungarn
zunächst als Grafschaft vom Széklergrafen (→Széklerland) geleitet. Nach der Ausweitung des Andreanums (→Siebenbürgen) auf das N. (1366) bildeten sie einen eigenen Distrikt. Bis in das 15. Jh. waren die kgl. privilegierten Gastsiedler gezwungen, sich ständiger Übergriffe durch ung. Adelige mit der Verschenkung v. freien Dörfern zu erwehren. 1453 wurde das N. zur Erbgrafenschaft umgewandelt u. an Johannes Hunyadi verliehen. Diesem Zustand bereitete der Aufstand der Bistritzer, deren Stadt sich nach dem Mongolensturm zum Vorort des N. entwickelt hatte, 1458 ein Ende. 1486 schloss sich das N. mit dem →„Königsboden“, den „Zwei Stühlen“ um Mediasch u. dem →Burzenland zur sächs. Nationsuniversität zusammen. Bistritz entwickelte sich als befestigte Stadt, der 1475 das Rodnaer Tal mit seinen damals noch reichen Silbergruben verliehen worden war, in der Folgezeit zu einem blühenden Handelsplatz. Die milit. Auseinandersetzungen des 17. Jh.s, denen Hungersnöte u. die Pest folgten, dezimierten die Bev. des N.; 1766 musste es die beiden Gemeinden Großdorf u. Johannisdorf für die Errichtung der →Militärgrenze abtreten. Nach der Vereinigung Siebenbürgens mit →Ungarn (1867) nahmen auch im N. die nationalen Spannungen durch die Magyarisierungsbestrebungen Budapests zu. 1876 wurde der Bistritzer Distrikt mit dem größtenteils v. Rumänen bewohnten Nassoder Distrikt zum Bistritz-Nassoder Komitat vereinigt. Durch den 2. →Wiener Schiedsspruch (1940) wurde das N. Ungarn zugesprochen. Die schwerwiegendste Folge aus der damit vorgenommenen Teilung Siebenbürgens ergab sich für die jüd. Bev. (→Holocaust), deren Deportation in die Vernichtungslager im Frühjahr 1944 begann. Kurz vor dem Einmarsch russ. Truppen wurden im September 1944 ca. 95 % aller dt. Bewohner planmäßig evakuiert. Ihre Trecks gelangten bis nach Österreich. Lit.: M. Kroner, Geschichte der Nordsiebenbürger Sachsen: Nösnerland u. Reener Ländchen. Nürnberg 2009; G. Zikeli, Bistritz zwischen 1880 u. 1950. Erinnerungen eines Buchdruckers. München 1989; O. Dahinten, Geschichte der Stadt Bistritz in Siebenbürgen. Köln u. a. 1988; Remember. 40 Years since the Massacre of the Jews from Northern Transylvania under Horthyst Occupation. Bucarest 1985; Beiträge zur Geschichte der Stadt Bistritz in Siebenbürgen Bde. 1 (1980) – 6 (1992). A. Sch.
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Oberungarn (ung.: Felsőmagyarország/Felföld/Felvidék; lat.: Partes regni Hungariae superiores; slowak. Horné Uhorsko). Verwaltungsbezirk im 16./17. Jh., der unter Kg. Ferdinand I. nach der osm. Eroberung v. Buda (1541), im Laufe der Aufstellung der Oberkapitanate entstand u. den nordöstl. Teil des habsb. gebliebenen Ungarns umfasste. Die Grenze zw. →Niederungarn u. O. verlief v. der Westgrenze des Komitats Szepes (dt. →Zips) nach Süden. Die wirt.-fiskalische Verwaltung O.s unterstand der 1567 in Eperies/Eperjes/Prešov gegründeten, später nach Kaschau übersiedelten Zipser Kammer (ung.: Szepesi Kamara). Die zu O. gehörenden →Komitate hielten gelegentlich regionale Versammlungen ab, um gemeinsame Angelegenheiten zu beraten. O. war v. a. wegen seines →Bergbaus – neben Edelmetall u. Kupfer auch Eisen – u. seiner Eisenindustrie bedeutend. Der Verband oberung. Bergstädte bestand aus Göllnitz/Gölnicbánya/Gelnica, Neudorf/Igló/Spišská Nová Ves, Jossau/Jászó/Jasov, Rosenau/Rozsnyó/Rožnava, Ruda/Rudabánya, Schmöllnitz/Szomolnokbánya/Smolník u. Telken/
Oberungarn / Obrenovići
Telkibánya. Diese Städte waren teilweise in grundherrlicher Abhängigkeit u. wurden nicht zu kgl. →Freistädten, kamen daher auch nicht unter die Verwaltung der Kammer. Die Grundherren der Städte u. Bergwerke waren somit nur dann an der Entwicklung des Bergbaus interessiert, wenn sie selbst Unternehmer waren, deshalb erreichte die Entwicklung der Industrie hier nie das Niveau der →niederung. Bergstädte. Die Oberkapitanate verloren nach der Vertreibung der Osmanen ihre Berechtigung u. wurden aufgelöst, doch die Bezeichnung O. blieb erhalten, u. zwar nunmehr meist – ungenau – als Synonym für das gesamte nördl. hist. Ungarn, die heutige →Slowakei. Lit.: G. Ember, Az újkori magyar közigazgatás története. Budapest 1946. J.M. B.
Obrenovići. Serb. Herrscherdynastie 1817–42 u. 1858–1903. Begründer war Miloš Teodorović, der 1810 v. seinem älteren Stiefbruder, dem →Vojvoden Milan, den Nachnamen O. übernahm. Miloš beteiligte sich am ersten serb. Aufstand (→Befreiungskriege), entzweite sich dann aber mit Karadjordje (→Karadjordjevići) u. ging zur Opposition über. Nach der Flucht Karadjordjes (1813) versuchte er, sich zunächst mit den Osmanen zu arrangieren. 1815 übernahm er die Führung des zweiten serb. Aufstandes. Anders als sein Vorgänger u. Rivale Karadjordje, den er am 25.7.1817 nach dessen Rückkehr aus dem Exil ermorden ließ, verband er milit. Können mit diplomatischem Geschick. In Verhandlungen mit den Osmanen erreichte er, dass die Serben im Belgrader →Paschaluk Autonomierechte erhielten. Am 6.11.1817 v. einer Volksversammlung zum erblichen Fürsten Serbiens gewählt, wurde er als solcher aber erst 1830 durch den Sultan bestätigt. Serbien wurde ein autonomer Vasallenstaat des Osm. Reiches (→Serbien, ab 1830). Während Milošʼ außenpolitische Erfolge im Lande anerkannt wurden, erhob sich gegen seine Innenpolitik nach 1830 Opposition. Miloš regierte Serbien, als ob es sein persönlicher Besitz wäre. Widerstand erhob sich auch gegen seine Bestrebungen, sich persönlich zu bereichern, v. a. gegen den Versuch, den Außenhandel zu seinem Monopol zu machen. Am 13.6.1839 wurde er gezwungen, zugunsten seines Sohnes Mihailo abzudanken. Der minderjährige Mihailo konnte sich gegen die oppositionellen Kräfte im Senat, die bereits den Dynastiewechsel planten, nicht durchsetzen. Er musste 1842 abdanken u. zu seinem Vater ins Exil gehen. Beide, Vater u. Sohn, kehrten 1858 nach der Entthronung v. Alexander Karadjordjević wieder nach Serbien zurück u. kamen erneut auf den serb. Thron (1858–60 bzw. 1860–1868). Der zweiten Herrschaft des Mihailo O. kommt insofern eine besondere Bedeutung zu, als dieser großserb. bzw. großsüdslav. Ideen nicht abgeneigt war. Serbien sollte die Führungsrolle in einem künftigen südslav. Einheitsstaat spielen (vgl. a. →Jugoslawismus). Mit dem Tode des kinderlosen Mihailo erlosch die direkte männliche Linie der O. Auf den Thron kam der Enkel v. Miloš’ jüngerem Bruder Jevrem, Milan O. (1868–1889). Unter ihm erreichte Serbien nicht nur die völkerrechtliche Anerkennung seiner Unabhängigkeit (1878, →Berliner Kongress), es wurde 1882 mit österr.-ung. Unterstützung auch Königreich. 1889 dankte Milan zugunsten seines Sohnes Alexander (1889– 1903) ab. Der letzte O. scheiterte nicht nur am Konflikt zw. Liberalen u. Radikalen, er machte sich auch durch seine als Mesalliance empfundene Heirat mit Draga Mašin unbeliebt. Seine Ermordung durch eine Offiziersclique (11.6.1903) beendete die Konkurrenz zw. den Häusern
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Obrenovići / Ohrid, Erzbistum von
O. u. Karadjordjević, gleichzeitig aber auch die österreichfreundliche Orientierung der serb. Außenpolitik, für die die meisten O. eingetreten waren. Das Verhältnis zw. Serbien u. Österreich-Ungarn verschlechterte sich in der Folgezeit dramatisch. Lit. (a. →Serbien, ab 1830): Ž. Fajfrić, Dinastija Obrenović. Sremska Mitrovica 2009; Novovekovne srpske dinastije u memoaristici. Hg. P.V. Krestić. Beograd 2007; Knez Miloš priča o sebi. Hg. M.Dj. Milićević. ebd. 2001; R. Ljušić, Milan Obrenović. Vojvoda, komandant i savetnik Rudničke nahije. Gornji Milanovac 1995; M. Gavrilović, Miloš Obrenović. 3 Bde. Beograd 1908– 1912 (Ndr. 1978); K. Gladt, Kaisertraum u. Königskrone. Aufstieg u. Untergang einer serbischen Dynastie. Graz u. a. 1972; V. Stojančević, Miloš Obrenović i njegovo doba. Beograd 1966; S. Jovanović, Druga vlada Miloša i Mihaila (1858–1868). ebd. 1923. P. B.
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Ohrid, Erzbistum von. Benannt nach der Stadt im südwestl. Makedonien am Ostufer des gleichnamigen Sees (in der Spätantike Lychnidos); 2002: 42.000 E, davon rd. 85 % orth. →Makedonier. Unter der gr. Namensform Achrida wird O. im MA erstmals in den Akten des Konzils von Konstantinopel 879/880 als Bischofssitz erwähnt. Gegen Ende des 9. Jh.s wirkten dort die Schüler der →Slavenapostel, Kliment u. Naum. Der nach seinem Tod bald kanonisierte Ebf. Kliment v. O. (ca. 840–916) hatte eine große Zahl v. Schülern, die sich der Pflege u. Verbreitung der altkirchenslav. Liturgie widmeten. Damals gehörte O. pol. u. kirchlich zum ersten →Bulgarischen Reich. Um 1000 war O. Residenz des Zaren Samuel (ca. 986–1014) u. des Oberhauptes der bulg. Kirche, wurde aber 1018 byz. Basileios II. nahm dort die bulg. Zarenfamilie gefangen. Als Hauptstadt eines →Themas war O. im 11. u. 12. Jh. Teil des Dukates „Bulgaria“, kirchlich aber blieb es Zentrum des nunmehr autokephalen Erzbistums (→Autokephalie) von „Bulgarien“, dessen Jurisdiktionsgebiet Basileios II. in drei Privilegurkunden um 1020 bestätigte. Seit 1037 ernannten die byz. Kaiser Griechen aus dem Klerus der Konstantinopler Hagia Sophia zu Erzbischöfen. Unter diesen ragten Leon (1037–1056), Mitstreiter Michaels I. Kerullarios im Kampf gegen Rom, u. der Literat u. Theologe Theophylakt (um 1100) besonders hervor. 1157 verwendete Johannes-Adrian Komnenos erstmals offiziell den Titel „Erzbischof von Prima Justiniana u. Bulgarien“, der durch die Identifikation O.s mit dem spätantiken Justiniana Prima den innerkirchlichen Rang des Erzbistums erhöhen sollte, aber erst ab dem 13. Jh. von den Erzbischöfen regelmäßig gebraucht wurde. 1187 verlor O. die Jurisdiktion über Westbulgarien, um 1204 geriet es auch pol. unter bulg. Herrschaft, doch um 1215 eroberte Theodōros Dukas von →Epirus das Gebiet zurück. Ebf. Dēmētrios Chōmatēnos (ca. 1216/17 bis nach 1236), ein bedeutender Kanonist, protestierte 1219 vergeblich gegen die vom ökumen. →Patriarchat der serb. Kirche gewährte Autokephalie. 1227 krönte er Theodōros Dukas zum Kaiser. Ab 1259 gehörte O. zum Herrschaftsgebiet Michaels VIII. Palaiologos, der 1272 O.s kirchliche Privilegien in einer in ihrer Echtheit angezweifelten Urkunde bestätigte. 1334 wurde O. serbisch. Ebf. Nikolaos nahm an Stefan Dušans Kaiserkrönung in Skopje (16.4.1346) teil u. musste auch die Erhebung des serb. Ebf.s zum →Patriarchen akzeptieren. Um 1390 kam O. zum osm. Reich. Von 1459–1557 unterstanden den Erzbischöfen auch Bistümer Serbiens. Am 16.1.1767 hob eine Synode unter Patriarch Samuel v. Konstantino-
Ohrid, Erzbistum von / Oltenien
pel das in der Osmanenzeit auch als Patriarchat bezeichnete Erzbistum auf u. vereinigte sein Jurisdiktionsgebiet mit dem ökumen. Patriarchat. Die Proklamation der Autokephalie der Makedonischen Orthodoxen Kirche auf einer Synode in O. (17.–19.7.1967) wurde bewusst als Wiederaufnahme der 1767 unterbrochenen Tradition vollzogen, aber bislang v. den übrigen orth. Kirchen als solche nicht anerkannt (→Orthodoxie und Nationalkirchen). O. ist reich an Monumenten der byz. u. osm. Zeit. Lit.: G. Prinzing, The Autocephalous Byzantine Ecclesiastical Province of Bulgaria/Ohrid: How independent were its archbishops?, Bulgaria Mediaevalis 3 (2012), 355–383; I. Iliev, Sv. Kliment Ochridski – život i delo. Plovdiv 2010; H.-D. Döpmann, Kirche in Bulgarien von den Anfängen bis zur Gegenwart. München 2006; Kliment Ochridski. Život i delo. Hg. S. Nikolova. Sofija 2000; J. Belčovski, Ohridska arhiepiskopija od osnovanjeto do paganjeto na Makedonija pod turska vlast. Skopje 1997; M. Mullet, Theophylact of Ochrid. Aldershot 1997; B. Deribeev, Achrida. Plovdiv 1986; J. Zečević Božić, Die Autokephalieerklärung der Makedonischen Orthodoxen Kirche. Würzburg 1994; G. Prinzing, Art. Ochrid, in: Lexikon des Mittelalters. Bd. 6. München u. a. 1993, Sp. 1376–1380; ders., Entstehung u. Rezeption der Justiniana-Prima-Theorie im Mittelalter, Byzantinobulgarica 5 (1978), 269–287; D. Dragojlović, Archevêché d’Ochrid dans la hiérarchie des grandes églises chrétiennes, Balcanica 22 (1991), 43–55; I. Snegarov, Istorija na Ochridskata archiepiskopija (ot osnovaneto do zavladevaneto na Balkanskija poluostrov ot Turcite). 2 Bde. Sofija 1924/1932 (Ndr. 1995); H. Gelzer, Der Patriarchat von Achrida. Geschichte u. Urkunden. Leipzig 1902 (Ndr. Aalen 1980). K.-P. T.
Oltenien (a. Kleine Walachei; rum. Oltenia). Gebiet des westl. Teiles der →Walachei (Zentrum Craiova), begrenzt durch Donau, Alt (rum. Olt) u. Südkarpaten. O. gehörte zu der vom röm. Ks. Trajan nach Beendigung der Dakerkriege i. J. 106 geschaffenen Provinz Dacia (Inferior), später zur Dacia Malvensis mit dem Zentrum Malva (dak.), heute Răcari. Unter dem Ansturm der Goten u. Gepiden wurde die Provinz unter Kaiser Aurelian 270 aufgegeben, wobei einzelne romanische Elemente im Lande verblieben sein dürften. Allerdings gehörte das Gebiet v. O. noch im 4. Jh. zum unmittelbaren Einflussbereich des röm. Reiches, Bodenfunde sprechen gegen die früher angenommenen festen „sedes“ der Taifalen. Nachdem noch die Hunnen, Slaven, →Awaren, →Petschenegen u. →Kumanen das Land durchzogen hatten, tauchte es am Beginn des 13. Jh.s im Zusammenhang mit dem sog. ung. →Severiner Banat wieder auf, in der Zwischenzeit stand es unter bulg. Herrschaft (8.–10. Jh.; →Bulgarisches Reich), danach war es möglicherweise unabhängig. In einem vom ung. Kg. Bela IV. den Johannitern gewährten Diplom (1247) werden für O. erwähnt das Wojwodat (vgl. →Vojvoden) des Litovoj im Jiu-Tal (dt. Schil-Fluss) sowie die Knesate (vgl. →Knez) des „Farkas“ (Vîlcea) u. „János“ (ehem. Kreis Romanaţi). Nach der Gründung des Fsm.s Walachei durch Basarab I. (1310–1352) unter Einbeziehung v. O. blieb das Gebiet ein privilegierter Bereich, der mit bedeutenden adm., jurisdiktionellen u. milit. Befugnissen ausgestattete Großbanus stand an der Spitze der zivilen Würdenträger der Walachei, wobei die Position nicht selten ein Sprungbrett zur Erlangung der Fürstenwürde war (Michael d. Tapfere). Im 16. Jh. befand sich eines der
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Oltenien / Omladina
beiden walachischen Bistümer in O. (Rîmnicul Vîlcea). In dieser Zeit spielte auch die Bojarenfamilie (→Bojaren) der Craioveştii eine zunehmend wichtige Rolle. Im Frieden v. →Passarowitz 1718 kam O. bis zum Frieden v. Belgrad 1739 unter österr. Verwaltung (Reformen der Voraufklärung), die in der rum. Historiographie negativ beschrieben wird (hohe Abgaben, Unterdrückung der Orthodoxie, Ansiedlung v. Ausländern, Emigration v. Rumänen, stagnierender Handel), an Stelle des Banus amtierte ein Rat v. vier Bojaren. Im Jahre 1821 nahm die Revolution Tudor Vladimirescus ihren unmittelbaren Ausgang v. O. Mit der Abschaffung des Banus durch das →Organische Statut v. 1831 verlor das Gebiet seine Sonderstellung, doch blieben Besonderheiten der Regionalentwicklung u. ein Regionalbewusstsein erhalten. Lit.: A.M. Stoenescu, Istoria Olteniei. București 2011 (Kap. 8: Banatul Olteniei); G. Croitoru, Orașele din Oltenia, 1859–1916. Craiova 2011; Ş. Papacostea, Oltenia sub stăpînirea austriacă 1718–1739. București ²1998; C.C. Giurescu/D. Giurescu, Istoria românilor din cele mai vechi timpuri pînă astăzi. Bucureşti ²1975; I. Petrescu/V. Osiac, Anul revoluţionar 1848 în Oltenia. Craiova 1973; A. Vasilescu, Oltenia sub Austriaci 1716–1739. Bd. 1 ebd. 1928; C. Giurescu/C.C. Giurescu, Material pentru istoria Olteniei supt Austriaci. 3 Bde, Registerband București 19131947; T.G. Bualt, Contribuţiuni documentare la istoria Olteniei. Secolul XVI, XVII și XVIII. Râmnicul-Vâlcea 1925; P. Jacubenz, Die Cis-Alutanische Walachei unter kaiserlicher Verwaltung 1717–1739, Mitteilungen des k.u.k. Kriegsarchivs N. F. 12 (1900), 173–250. M. St.
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Omladina (serbokroat. „Jugend“). Sammelbezeichnung für nationale Bewegungen bei Serben u. Kroaten im letzten Drittel des 19. u. Anfang des 20. Jh.s. 1) Auf Initiative der serb. Studentenvereinigung „Zora“ („Morgenröte“) in Wien gründeten Ende August 1866 Vertreter v. 16 Studenten-, Schüler- u. Gesangsvereinen aus Serbien u. der südung. →Vojvodina in Novi Sad die „Ujedinjena omladina srpska“ („Vereinigte Serbische Jugend“). Ziel der ohne feste Organisationsform wirkenden O. war die Förderung v. Bildung, Kultur u. Wissenschaft sowie die Stärkung des nationalen Bewusstseins bei den Serben in der Habsburgermonarchie, im Fsm. Serbien u. im Osm. Reich. Der serb. Literaturhistoriker u. Kritiker Jovan Skerlić beschrieb die O. als „eine allgemeine Bewegung aller energievollen Elemente im Volk mit dem Ziel, das Volk bewusst zu machen, zu erheben u. für die neuen Bedingungen des Lebens u. des Existenzkampfes zu befähigen, etwa nach Art des deutschen ‚Tugendbunds‘. Schließlich gab es dort auch die revolutionäre Auffassung, man müsse das Volk auf den ‚gewissen Augenblick‘ vorbereiten, das Werk der nationalen Befreiung u. Vereinigung ausführen, unter Nachahmung des it. Karbonarentums, des ‚Jungen Italiens‘, der Bewegung des ‚Risorgimento‘, der Aktion Mazzinis u. Garibaldis. Die ‚Vereinigte Serbische Jugend‘ stellt eine Mischung v. akademischer Vereinigung, deutscher Burschenschaft u. deutschem Tugendbund, griechischer Hetärie u. italienischem Karbonarentum u. ‚Jungem Italien‘ dar“ (zit. nach Behschnitt). Die erwähnten Vorbilder machen deutlich, dass die O. den Zielen der →Geheimbünde nahestand, auch wenn sie selbst keiner war. Zwar pflegte die O. Kontakte zu anderen Südslaven, blieb jedoch im Kern eine serb.-irredentistische Nationalbewegung (→Irredentismus). Das Schwergewicht ihrer Aktivitäten lag auf kult. Gebiet, doch
Omladina / Oppidum
war die pol. Brisanz ihrer Ideologie offenkundig, so dass die Organisation 1871 verboten wurde. 2) In den anderthalb Jahrzehnten vor 1914 erlebte die O.-Bewegung in den südslav. Ländern der Habsburgermonarchie ihren Höhepunkt. In scharfer Opposition zum →Dualismus schlossen sich Teile der südslav. studentischen Jugend (mit Zentren an den Universitäten v. Prag u. Zagreb) zusammen, um unter wechselnden Namen u. mit teilweise modifizierten ideologischen Programmen für die nationale Einheit v. Kroaten u. Serben zu kämpfen: „Napredna omladina“ („Fortschrittliche Jugend“), „Ujedinjena hrvatska i srpska akademska omladina“ („Vereinigte kroatische u. serbische akademische Jugend“), „Hrvatska napredna omladina“ („Kroatische Fortschrittliche Jugend“), „Srpska napredna omladina“ („Serbische Fortschrittliche Jugend“), „Hrvatsko-srpska napredna omladina“ („Kroato-serbische Fortschrittliche Jugend“), „Srpska i hrvatska nacionalno-radikalna omladina“ („Serbische u. kroatische Nationalradikale Jugend“), „Ujedinjena nacionalistička omladina“ („Vereinigte Nationalistische Jugend“) u. a. Die O.-Bewegungen vertraten unterschiedliche Varianten des →Jugoslawismus u. unterhielten vielfältige Kontakte zu anderen legalen oder illegalen nationalen Bewegungen (→Junges Bosnien, Narodna odbrana, →Vereinigung oder Tod). Gemeinsam war der O.-Bewegung die Überwertigkeit des Nationalen sowie die zunehmende Radikalisierung u. Militarisierung ihrer Mitglieder. Die „fortschrittlichen“ Studentenvereinigungen u. Mittelschülerorganisationen, die ursprünglich mehr oder weniger kult. Charakter gehabt hatten, entwickelten sich am Vorabend des 1. Wk.s zu teils geheimen nationalistisch-revol. Kampfgruppen, die immer ungestümer eine „direkte Aktion“ forderten u. die die verschiedenen Attentate u. Attentatsversuche auf ranghohe Vertreter Österreich-Ungarns entweder selbst ausführten oder begrüßten. Lit.: J. Horvat, Pobuna omladine 1911–1914. Hg. B. Matan. Zagreb 2006; W.D. Behschnitt, Nationalismus bei Serben u. Kroaten 1830–1914. München 1980; M. Gross, Die „Welle“. Die Ideen der nationalistischen Jugend in Kroatien vor dem 1. Weltkrieg, ÖOH 10 (1968), 65–86; dies., Studentski pokret 1875–1914, in: Spomenica u povodu proslave 300-godišnjice Sveučilišta u Zagrebu. Bd. 1 Zagreb 1969, 451–479; N. Bartulović, Od revolucionarne omladine do Orjune. Istorijat jugoslovenskog omladinskog pokreta. Split 1925; Ujedinjena omladina srpska. Zbornik radova. Hg. Ž. Milisavac. Novi Sad 1968; J. Skerlić, Omladina i njena književnost (1848–1871). Beograd 2 1925. H. S.
Oppidum (ung. mezőváros). Nichtprivilegierte städtische Siedlung im ma. u. frühneuzeitl. →Ungarn. Seit dem 14. Jh. wurden jene Marktorte („Marktflecken“) die keine kgl. Privilegien (wie das Recht des Mauerbaus, Selbstverwaltung, persönliche Freiheit der Bürger) erhielten, in den Quellen im Plural oppida genannt. Meist auf agrarische Monokulturen (Weinbau, Viehzucht) ausgerichtet, mit begrenztem Handwerk, war ihr Handel v. a. auf den lokalen Markt ausgerichtet (manche O. versorgten auch den Vieh- u. Weinexport). Die Bewohner, aus den umliegenden Dörfern zugezogen, behielten ihren →Jobagyen-Status, doch erhielten sie vom Stadtherrn (anfangs meist Bischöfe, aber auch weltliche Herren einschließlich des Königs u. der Königin) verschiedene Freiheiten. Sie zahlten ihren Zins pauschal,
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Oppidum / Orden, katholische
durften oft ihre Vorsteher, gelegentlich auch die Pfarrer, selbst wählen u. eine begrenzte Selbstverwaltung ausüben. Viele O. glichen eher großen Dörfern, sie sicherten aber ihren „Ackerbürgern“ größere persönl. u. wirt. Rechte (→Dorf, Dorfgemeinschaft) als Dorfbewohner sie besaßen. Ihre Zahl nahm schnell zu u. am Ende des MAs dürften an die 800 O., mit einer Einwohnerzahl, die fast ein Drittel der Bauernschaft ausmachte, bestanden haben. Die O.-cives empfanden die Begrenzung bäuerlicher Freiheiten im 15. Jh. besonders bedrückend, versuchten sich zu Wehr zu setzten u. nahmen auch am →Dózsa-Aufstand in großer Zahl teil. Im osm. beherrschten Ungarn wurden viele O. zu sog. →has-Städten, die, dem Sultan untergeordnet, weiterhin bessere Lebensmöglichkeit für ihre Bürger sicherten u. viele Flüchtlinge aus den Dörfern aufnahmen. Im 19. Jh. verlor ihre Rechtsstellung an Bedeutung: manche wurden zu echten Städten, die meisten blieben große Dörfer, je nach geogr. Lage u. wirt. Entwicklung. Mit der Modernisierung der Gemeindeverfassung 1886 wurden die meisten O. zu Munizipalitäten mit begrenzter Autonomie (rendezett tanácsú város). Lit. (a. →Stadt, Stadttypen [hist. Ungarn]): V. Bácskai/L. Nagy, Piackörzetek, piacközpontok és városok Magyarországon 1828-ban. Budapest 1984; V. Bácskai, Mezővárosok Magyarországon a XV. században. ebd. 1965; E. Fügedi, Die Ausbreitung der städtischen Lebensform: Ungarns oppida im 14. Jh., in: Stadt u. Stadtherr im 14. Jh. Hg. W. Rausch. Linz 1972, 165–92. J.M. B.
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Orden, katholische. Die kath. O. entwickelten sich aus dem abendländischen Mönchtum schon im Früh-MA, als im karolingischen Zeitalter die Mönche des Hl. Benediktus v. Nursia (480/90–550/60) fest organisiert wurden u. außerklösterliche Aufgaben wie Kultur- u. Missionstätigkeit in der damaligen abendländischen Gesellschaft übernahmen; bei der →Christianisierung der nord- und mitteleurop. Länder spielten sie eine zentrale Rolle. Im 11. u. 12. Jh., im Zusammenhang mit den →Kreuzzügen, entstanden die Ritterorden (Johanniter oder Hospital(l)er, Templer, →Deutschritterorden) mit dem Ziel, die Pilger u. das Hl. Land zu schützen, außerdem aber auch Kranke u. Verwundete zu pflegen. Außer den üblichen Mönchsgelübden (Gehorsam, Armut, Keuschheit) forderten sie v. ihren Mitgliedern – die in Ritter, dienende Brüder u. Kapläne gegliedert waren – den Kampf gegen die „Ungläubigen“ (Nichtchristen). Im frühen 13. Jh. kamen neue O. auf, die zwar die monastischen Ideale (Weltflucht, Askese, vita communis u. drei Gelübde) behielten, aber die monastische stabilitas loci (Ortsgebundenheit) aufgaben u. sich als bewegliche Personalverbände mit Beschäftigungsbereichen außerhalb des Klosters (Lehrtätigkeit, Missionierung u. ä.) organisierten. Außerdem bestritten sie ihre Existenz nicht mehr durch Arbeit in den Klosterbetrieben wie die Mönche, sondern lebten vorwiegend v. Spenden u. Almosen. Deshalb erhielten sie den Namen Bettel orden. Zu diesen zählen die Karmeliter, Augustinereremiten u. v. a. die Dominikaner u. die →Franziskaner. Mit der →Reformation, →Gegenreformation u. der europ. Entdeckung der Neuen Welt begann die neuzeitliche kath. Ordensgeschichte, in der nicht nur die ma. O. Umgestaltungen erlebten, sondern auch eine große Zahl neuer Ordensgemeinschaften zu verzeichnen ist.
Orden, katholische / Organische Statute
In der kirchlichen Sprachregelung werden sie zumeist unter dem Sammelbegriff Kongregationen geführt. Zu den Neugründungen gehören v. a. die Jesuiten (Societas Jesu – Abk. S.J.) u. zahlreiche Frauenkongregationen. Die Neuzeit ist v. der Präsenz der kath. O. inner- u. außerhalb Europas deutlich geprägt. Die kath. Ordensleute waren aktiv insbesondere in humanitären Hilfswerken, im Gesundheits- u. im Schul- bzw. →Bildungswesen. Sie betätigten sich ferner als Missionare, z. B. in den v. den Habsburgern eroberten u. angrenzenden Gebieten oder (seit Mitte des 19. Jh.s) im nordalb. Siedlungsraum (vgl. →Kultusprotektorat). In den Säkularisierungsprozessen der modernen Gesellschaften wurden die kath. O. als hemmender Faktor behandelt u. v. den modernen säkularen Staaten gemaßregelt, bis zu Aufhebungen (z. B. die Jesuitenaufhebung 1773; Wiederzulassung 1814) u. Verfolgungen; dies gilt v. a. für die sozialist. Staaten des 20. Jh.s. Was SOE betrifft, verlief die kath. Ordensgeschichte in dem kath. bzw. kath. gebliebenen Teil in ähnlicher Weise wie in den anderen europ. Ländern. Im MA waren die Benediktiner, Ritter u. Bettelorden, v. a. Dominikaner u. Franziskaner, tätig, später kamen die Jesuiten u. die anderen Kongregationen hinzu. In den Balkanländern wirkten die kath. Ordensleute als Seelsorger in den kath. Balkankolonien, u. zwar vor u. nach der osm. Eroberung. Dabei ist die ständige seelsorgerische Präsenz der Franziskaner in Bosnien vom 14. Jh. bis heute hervorzuheben. Lit. (a. →Franziskaner; →Rhodos): P. Shore, Narratives of adversity: Jesuits in the Eastern peripheries of the Habsburg realms (1640–1773). Budapest u. a. 2012; N.I. Tsougarakis, The Latin religious orders in medieval Greece, 1204–1500. Turnhout 2012; J. Sarnowsky, Die Johanniter. Ein geistlicher Ritterorden in Mittelalter u. Neuzeit. München 2011; Benediktinci na području Dubrovačke Nadbiskupije. Zbornik radova. Dubrovački Benediktinci. Hg. Ž. Puljić. Dubrovnik 2010; Zs. Hunyadi, The Hospitallers in the medieval kingdom of Hungary, c. 1150–1387. Budapest 2010; J.P. Shore, Jesuits and the politics of religious pluralism in eighteenth-century Transylvania: culture, politics, and religion, 1693–1773. Aldershot u. a. 2007; G. Bikfalvi, Magyar jezsuiták történeti névtára, 1853–2003. Budapest 2007; I.A. Murzaku, Catholicism, Culture, Conversion: The History of the Jesuits in Albania (1841–1946). Roma 2006; W.O. Oldson, The politics of rite: Jesuit, uniate, and Romanian ethnicity in 18th century Transylvania. Boulder/Colo. 2005; F. Šanjek, Kršćanstvo na hrvatskom prostoru. Pregled religiozne povijesti Hrvata (7–20 st.). Zagreb 1991; Handbuch der Kirchengeschichte. 7 Bde. Sonderausgabe. Hg. H. Jedin. Freiburg/Br. u. a. 1985, passim (s. Index); M. Heimbucher, Die Orden u. Kongregationen der katholischen Kirche. 2 Bde. Paderborn [11896/97, Ndr. 1965] 31933/34. S.M. Dž.
Organische Statute (frz. règlements organiques; rum. regulamente organice; russ. Organičeskie reglamenty). Der Begriff – „Organisches Statut“ bedeutete zeitgenössisch eigentlich schlicht ein Synonym für „Grundregelwerk“ oder „Grundgesetz“, so auch im Falle der russisch oktroyierten Landesverfassung Polens v. 1832 – bezeichnet im soe. Zusammenhang zwei 1831 in der →Walachei sowie 1832 in der →Moldau (in Kraft getretene u. 1834 durch den Sultan anerkannte →Verfassungen, die umfangreiche Reformen in Staat, Administration, Gerichtswesen
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Organische Statute
u. Agrarbereich vorschrieben. Unter Oberaufsicht u. auch direktem Einfluss des 1829–1835 in den beiden →Donaufürstentümern eingesetzten russ. Beauftragten Pavel Kiselev war ein Entwurf erarbeitet, in Petersburg abgeändert u. durch außerordentliche verfassungsgebende Versammlungen in den Hauptstädten →Bukarest sowie →Iaşi verabschiedet worden. Die – in einzelnen Punkten voneinander abweichenden, 371 bzw. 425 Artikel (Walachei bzw. Moldau) umfassenden – Statuten brachten die Gewaltenteilung zw. den v. einer besonderen Wahlversammlung auf Lebenszeit zu wählenden Fürsten, die eine starke Stellung behielten (alleinige Gesetzesinitiative, Ernennung u. Entlassung der Minister), u. dem jeweiligen Ministerrat (sfat administrativ extraordinar) einerseits sowie den Parlamenten andererseits. Das Parlament (adunare obştească) mit 42 bzw. 35 Deputierten setzte sich, neben einigen wenigen Vertretern der hohen Geistlichkeit ex officio, ausschließlich aus Vertretern der →Bojaren zusammen, zusätzlich mit einem durch ein Zensuswahlrecht ermöglichten überproportionalen Gewicht der Großbojaren. Die Gewaltenteilung erfasste, wenn auch die Unabsetzbarkeit der Richter lediglich in Aussicht gestellt wurde, auch das Justizwesen, das neu gegliedert, durch lokale „Friedensgerichte“ ergänzt u. im Hinblick auf die allg. Rechtssicherheit verbessert wurde. Das Steuersystem wurde durch Abschaffung der kollektiven Besteuerung sowie zahlreicher Einzelsteuern, Gebühren u. Binnenzölle vereinfacht u. auf eine direkte Steuer konzentriert, allerdings bei Steuerfreiheit der Bojaren u. Geistlichen. Die beiden Länder hatten ihr Finanzwesen durch Haushaltspläne zu ordnen; der Etat der Fürsten war v. den Staatsfinanzen zu trennen. Desweiteren ging es um die Effizienz u. Zuverlässigkeit der Staatsbediensteten, um das Gesundheitswesen, die Aufstellung eines kleinen stehenden Heeres, die Modernisierung der Städte (Beleuchtung, Straßenpflasterung) u. die Verkehrsinfrastruktur. Den Bauern ermöglichte die Steuervereinfachung mehr Schutz vor Willkür, aber allg. verschlechterte sich ihre Lage. Etwa ein Drittel des Grund u. Bodens ging unmittelbar an die Grundherren als volles Eigentum u. damit zur uneingeschränkten Verfügung über, so dass den Bauern entsprechend weniger Land zur Nutzung gemäß den trad. Rechten blieb, überdies zu noch ungünstigeren Bedingungen u. nach anderen Aufteilungskriterien. Die hierfür zu erbringenden Fronleistungen waren zwar weiterhin gesetzlich normiert (in der Moldau 24 u. in der Walachei 12 Tage), ließen aber die Möglichkeit offen, überzogen zu werden, was in der Praxis weitgehend geschah. Den zahlreichen Ansätzen zu Modernisierungen stand eine eindeutige Bevorzugung der Bojarenschicht gegenüber. Die Statuten erfuhren 1849 (Konvention v. Balta Liman) als Folge der →Revolution von 1848 eine Abänderung (Abschaffung der freien Fürstenwahl u. der gewählten Parlamente), behielten aber insgesamt Gültigkeit bis 1858 (Konvention von Paris, dazu →Donaufürstentümer).
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Lit.: N. Farca, Russland und die Donaufürstentümer 1826–1856. München 1992; I. Grosul, Reformy v Dunajskich knjažestvach i Rossija. Moskva 1966; P. Negulescu/G. Alexianu, Regulamentele Organice ale Valahiei şi Moldovei. Bucureşti 1944 (beide Texte); C. Filitii, Principatele Române de la 1828 la 1834. ebd. 1934; Règlement organique de la principauté de Moldavie. NewYork (sic) o. J. [1834]. E. V.
Orientalische Frage
Orientalische Frage. Begriff der europ. Diplomatiegeschichte; er wurde 1822 auf dem Fürstenkongress v. Verona geprägt u. ungeachtet der jeweiligen geogr. Gegebenheiten in alle Weltsprachen übernommen (z. B. engl. Eastern Question, russ. vostočnyj vopros). Im engeren Sinne bezeichnet der Terminus technicus jene permanente Krisensituation an der soe. Peripherie, die durch den milit. Niedergang des →Osm. Reiches seit dem Ausgang des 17. Jh.s u. die aufbrechenden Rivalitäten unter den europ. Staaten heraufbeschworen worden war. Ausgelöst wurde die O.F. nach der zweiten Belagerung Wiens 1683 v. der Gegenoffensive der ksl. Truppen, die tief in das Innere der Balkanhalbinsel vorstießen u. eine Periode erfolgreicher →Türkenkriege einleiteten. Angesichts der Wirren der Frz. Revolution u. der Napoleonischen Kriege waren die das Kriegsgeschehen begleitenden Bemühungen der europ. Diplomatie zur Konfliktlösung vornehmlich darauf gerichtet, bei der Beerbung des „kranken Mannes am Bosporus“ eine überhastete Eile zu vermeiden u. das europ. Gleichgewicht nicht zu gefährden. Die führenden Staatsmänner innerhalb der europ. Pentarchie (aus Großbritannien, Russland, Frankreich, Österreich u. Preußen) verband bei der Suche nach einvernehmlichen Regelungen nur der Minimalkonsens, Alleingänge einer einzelnen Macht in SOE u. in der Mittelmeerregion zu verhindern. Dennoch scheiterten ihre Vermittlungsbemühungen während der großen Orientkrisen des 18. u. 19. Jh.s an dem grundsätzlichen Dilemma, eine verträgliche Lösung zw. den Freiheitswünschen der christl. Balkanvölker, die auf eine rasche Zerschlagung der isl. Fremdherrschaft drängten, sowie den handfesten ökon. u. strategischen Interessen der Einzelstaaten auf der einen Seite u. den Erfordernissen der Staatsräson auf der anderen Seite erreichen zu wollen. Gegen die Überzeugungskraft des nationalen Gedankens hatte das Metternichsche System, das in letzter Konsequenz auch den →Sultan als legitimen Herrscher u. das Osm. Reich als europ. Ordnungsfaktor anerkannte, keine Überlebenschance mehr. Die aufbrechenden Konflikte waren nur mehr über territ. Kompensationen auf Kosten der Integrität des Osm. Reiches beizulegen. Nationale Egoismen u. die sehr unterschiedliche Interessenlage der beteiligten Mächte, die um strategische Vorteile im östl. Mittelmeer u. um künftige Absatzmärkte kämpften, erschwerten eine Generalbereinigung. Frankreich hatte 1798 mit dem Angriff Napoleons auf Ägypten ein jahrhundertelanges diplomatisches Zusammenspiel mit der →Hohen Pforte gegen den habsb. Erbfeind abrupt beendet. Es förderte separatistische Tendenzen in den Randprovinzen des Osm. Reiches u. trat unter Napoleon III. (1848–1870) als Anwalt der unterdrückten Völker auf. Wien u. London setzten angesichts der unabsehbaren innen- u. außenpol. Konsequenzen für das monarchische System in Europa immer mehr auf eine Reformfähigkeit des Sultansregimes u. unterstützten die Modernisierungsbemühungen der →Tanzimat-Periode. Weitergehende Eroberungswünsche wurden seit den v. Katharina II. offengelegten Teilungsplänen (→Griechisches Projekt) der russ. Militärmacht nachgesagt. Die Kriegserfolge hatten dem Zarenreich einen breiten Zugang zum Schwarzen Meer (→Neurussland) u. mit dem Protektoratsanspruch über die orth. Balkanvölker (→Kultusprotektorat) ausbaufähige strategische Vorteile an der Türkenfront eingebracht. Dennoch gaben die Herrscher des 19. Jh.s der Fortexistenz eines schwachen u. v. ihrem Wohlwollen abhängigen türk. Nachbarn vor den immer unkalkulierbareren Risiken weiterer Teilungserfolge den Vorzug. Vorrangiges Ziel blieb in der ersten H. des 19. Jh.s
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Orientalische Frage
die Sicherung der freien Durchfahrt für russ. Schiffe durch die Meerengen (→Meerengenfrage). Sie wurde notfalls in direkter Absprache mit dem Sultan (1799–1806 russ.-osm. Kondominium über die →Ionischen Inseln, 1833 Vertrag v. Unkiar Skelessi) zu erreichen gesucht. Im Konfliktfall sah man sich aber immer wieder gezwungen, Rücksicht auf die oftmals überzogenen Erwartungen der orth. Glaubensbrüder zu nehmen, die mit einer russ. Interventionsbereitschaft rechneten u. auf eine wirksame diplomatische Unterstützung ihrer Forderungen hofften. Die Folge waren periodische Orientkrisen, deren oftmals mühsame Beilegung mit einer schrittweisen Zurückdrängung des Osm. Reiches aus SOE verbunden war. Die Balkanvölker verdankten die Wiedergewinnung ihrer pol. Eigenständigkeit vornehmlich der aktiven Beteiligung der russ. Militärmacht u. den „humanitären Interventionen“ der Großmächte zugunsten der jeweiligen christl. Bev. (→Nationalstaatenbildung). Wesentl. Etappen in der Entwicklung der O.F. markieren die erfolgreichen Türkenkriege Katharinas II., der gr. Freiheitskampf (1821–1829; →Befreiungskriege; →Griechen), die Orientkrisen der 30er u. 40er Jahre, der →Krimkrieg (1853–1856), die →Orientalische Krise 1875–1878, die großen Aufstandsversuche auf →Kreta (1866–69 u. 1897–98), die bosn. →Annexionskrise (1908) u. die →Balkankriege v. 1912–13. Den Schlussstrich unter die O.F. setzte der Friedensvertrag v. →Lausanne am 24.7.1923. Er bestätigte nach der gewaltsamen Vertreibung der Griechen aus Kleinasien die territ. Aufteilung des Osm. Reiches. In der strittigen Meerengenfrage wurde in dem internat. Abkommen, das am 20.7.1936 in Montreux unterzeichnet wurde, eine Regelung gefunden, die seither mit wenigen Korrekturen Bestand hat.
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Lit. (a. →Orientalische Krise; →Berliner Kongress): Russian-Ottoman Borderlands. The Eastern Question Reconsidered. Hgg. L.J. Frary/M. Kozelsky. Madison/WI 2014; M. Šedivý, Metternich, the Great Powers and the Eastern Question. Pilsen 2013; Ottoman diplomatic documents on the „Eastern Question“. Bd. 2: Lord Strangford at the Sublime Porte (1822). Hg. Th.C. Proussis. Istanbul 2012; D. Rodogno, Against Massacre: Humanitarian Interventions in the Ottoman Empire, 1815–1914. Princeton/NJ 2012; V. Ciobanu, Problema Orientală (1856–1923). Iași 2009; M. Ković, Dizraeli i Istočno pitanje. Beograd 2007; A. Bitis, Russia and the Eastern Question. Army, government and society, 1815–1833. Oxford u. a. 2006; J. Milojković-Djurić, The Eastern Question and the Voices of Reason. Austria-Hungary and the Balkan States, 1875–1908. New York 2002; A.L. Macfie, The Eastern Question, 1774–1923. London u. a. 1996; G. Schöllgen, Imperialismus u. Gleichgewicht. Deutschland, England u. die orientalische Frage. München 1984; G.G. Arnakis, The Near East in Modern Times. Vol. 1. The Ottoman Empire and the Balkan States to 1900. Austin, New York 1969; M.S. Anderson, The Eastern Question, 1774–1923. A Study in International Relations. New York 1966 (verbesserter Ndr. London 1983); R.W. Seton-Watson, Disraeli, Gladstone and the Eastern Question. A study in diplomacy and party politics. Repr. London 1962; J. Ancel, Manuel historique de la question d’Orient (1792–1930). Paris 41931; J.A.R. Marriott, The Eastern Question. A Historical Study in European Diplomacy. Oxford 1917 (41940, Ndr. 1968); K. Strupp, Ausgewählte diplomatische Aktenstücke zur orientalischen Frage. Gotha 1916; C. von Sax, Geschichte des Machtverfalls der Türkei bis Ende des 19. Jh.s u. die Phasen der „Orientalischen Frage“ bis auf die Gegenwart. Wien 21913. E. H.
Orientalische Krise (1875–1878) / Országgyűlés
Orientalische Krise (1875–1878) (a. Große Orientkrise, Balkankrise). Mit der O.K. erreichte die →Orientalische Frage einen neuen Höhepunkt. Auslöser war ein Aufstand vorwiegend orth. Bauern in der →Herzegowina (in der Umgebung v. Nevesinje) gegen ihre muslimischen Grundherren im Juli 1875. Der Aufstand, der zunächst weniger pol. oder national, sondern sozial motiviert war, breitete sich über →Bosnien ins bulg. Siedlungsgebiet aus (Aprilaufstand 1876, der von den osm. Truppen blutig niedergeschlagen wurde: „Bulgarische Gräuel“) (→Bulgaren). Das Fsm →Serbien u. Montenegro erklärten dem →Osm. Reich Ende Juni 1876 den Krieg. Serbien sollte Bosnien, Montenegro die Herzegowina erhalten. Die Verbündeten mussten jedoch eine empfindliche Niederlage hinnehmen, die nur dank der Intervention →Russlands keine territ. Verluste zur Folge hatte. Am 24.4.1877 erklärte Russland, geleitet von panslawist. Ideen (→Panslawismus) u. dem Wunsch nach einem freien Zugang zum Mittelmeer durch den Bosporus, dem Osm. Reich den Krieg, dem sich Serbien, Montenegro u. →Rumänien anschlossen. Die großen Geländegewinne der Russen u. ihrer Verbündeten zwangen die Hohe Pforte im März 1878 zum Vorfrieden von San Stefano, dessen Bestimmungen den Widerspruch der anderen europ. Großmächte hervorrief u. auf dem →Berliner Kongress 1878 revidiert wurden. Lit. (→Orientalische Frage; →Berliner Kongress): H. Haselsteiner, Bosnien-Hercegovina: Orientkrise u. Südslavische Frage. Wien u. a. 1996; F.-J. Kos, Die Politik Österreich-Ungarns während der Orientkrise 1874/75–1879. ZumVerhältnis von politischer u. militärischer Führung. Köln, Wien 1984; S.L. Černov, Rossija na zaveršajuščem ėtape vostočnogo krizisa: 1875–1878 gg. Moskva 1984; R. Millman, Britain and the Eastern Question, 1875–1878. Oxford 1979; R.T. Shannon, Gladstone and the Bulgarian Agitation 1876. Hassocks 21975; Medjunarodni naučni skup povodom 100-godišnjice ustanaka u Bosni i Hercegovini, drugim balkanskim zemljama i Istočnoj krizi 1875–1878. godine. 3 Bde. Sarajevo 1977; G. Hünigen, Nikolai Pavlovič Ignatiev u. die russische Balkanpolitik 1875–1878. Göttingen 1968; M. Ekmečić, Ustanak u Bosni 1875–1878. Sarajevo 1960; M.D. Stojanovic, The Great Powers and the Balkans, 1875–1878. Cambridge 1939; D. Harris, A diplomatic history of the Balkan crisis, 1875–1878. Stanford u. a. 1936. H. S.
Országgyűlés (dt. Landtag, Reichstag; lat. dieta, diaeta). Ständische (Landtag), dann parlamentarische Versammlung (Reichstag) in Ungarn, deren Wurzeln auf das frühere MA zurückgehen, doch erst seit der Mitte des 15. Jh.s mehr oder weniger institutionell fassbar sind. Nach den kgl. Gerichtstagen (→Goldene Bulle) versammelten sich die „regnicolae“ zu „parlamenta“ bereits in den 1290er Jahren, dann seltener im 14. Jh. u. immer häufiger unter Kg. Sigismund (1387–1437). Seit dem 14. Jh. wurden außer den Mitgliedern des kgl. Rates („prelati et barones“) 2–4 Abgesandte aus jedem →Komitat u. gelegentlich auch aus den →Freistädten zum O. (das immer häufiger auf dem Rákosfeld südöstl. v. Pest zusammentrat) gesandt, um über Steuern, Kriegszüge u. ihre Wünsche gegenüber der Krone zu verhandeln. Nach 1608 kam es zur Bildung eines Zweikammer-Landtags, bestehend aus der Magnatentafel (Aristokratie, Hochklerus) u. Ablegatentafel (Vertreter abwesender Magnaten, Komitatsabgesandte, mittlerer Klerus u. – seit 1687 mit nur einer Stimme – Vertreter aller Freistädte). In dieser Form bestand
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Országgyűlés / Orthodoxie (und Nationalkirchen)
der O. im wesentlichen bis 1848. Das gewählte Parlament von 1848 wurde nach der Niederlage des Freiheitskampfes aufgelöst u. erst 1861 wieder einberufen. 1867–1914 u., mit wenigen Änderungen, 1920–1945, bestand ein aus begrenzter – bis 1918 nur männlicher – Wahlberechtigung (teilweise in offener Wahl) hervorgegangenes Parlament mit Unter- u. Oberhaus. Zwar finden sich bereits während der Reformlandtage des Vormärz (→Reformzeitalter) die ersten Ansätze v. Parteien, doch bildeten sich parlamentarische Parteien erst nach 1867. Der Typ einer die Regierung unterstützenden Sammelpartei der Mehrheit blieb bis ins 20. Jh. für das parl. Leben bestimmend. Nach den freien Wahlen v. 1945 u. den darauf folgenden manipulierten, aber noch pluralistischen Wahlen v. 1947 wurde der O. durch diktatorische Methoden 1948/49 zu einem, für den volksdemokratischen Kommunismus typischen, machtlosen Scheindasein degradiert. Erst 1986 wurde es möglich, gelegentlich alternative Kandidaten aufzustellen, so dass im letzten komm. O. auch gemäßigt oppositionelle Standpunkte vertreten werden konnten. 1989 verabschiedete der O. wichtige Gesetzesänderungen, die den friedlichen Übergang zum wieder frei gewählten O., das am 2.5.1990 zusammentrat, ermöglichte. Lit.: M.I. Szijártó, The Diet: The Estates and the Parliament of Hungary, 1708–1792, in: Bündnispartner u. Konkurrenten des Landesfürsten? Die Stände in der Habsburgermonarchie. Hgg. G. Ammerer u. a. Wien, München 2007, 119–139; ders., A diéta: a magyar rendek és az országgyűlés 1708–1792. Budapest 2005; J. Bérenger/Ch. Kecskeméti, Parlement et vie parlementaire en Hongrie, 1608–1918. Paris 2005; A. Gerő,The Hungarian parliament (1867–1918). A mirage of power. New York u. a. 1997; J.M. Bak, Königtum u. Stände in Ungarn im 14.–16. Jh. Wiesbaden 1973; A. Toth, Parteien u. Reichstagswahlen in Ungarn, 1848–1892. München 1973; L. Révész, Die Anfänge des ung. Parlamentarismus. ebd. 1968. J.M. B.
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Orthodoxie (und Nationalkirchen). 1. Die orth. Gesamtkirche. 2. Die orthodoxen Kirchen Südosteuropas: 2.1 Das ökumenische Patriarchat v. Konstantinopel; 2.2 Die orthodoxe Kirche v. Griechenland; 2.3 Die orthodoxe Kirche v. Zypern; 2.4 Die bulgarische orthodoxe Kirche; 2.5 Die serbische orthodoxe Kirche; 2.6 Die makedonische orthodoxe Kirche; 2.7 Die rumänische orthodoxe Kirche; 2.8 Die albanische orthodoxe Kirche. 1. Die orthodoxe Gesamtkirche. Der Begriff O. (gr. orthodoxos, „rechtgläubig“) ist an sich keine Konfessionsbezeichnung, sondern beschreibt wie derjenige der Katholizität eine Wesenseigenschaft der Kirche. Sein Gegenbegriff ist der der →Häresie (gr. hairesis, „Irrlehre, Sekte“). In den schweren kirchenpol. u. theol. Auseinandersetzungen um das Wesen Gottes (Trinität), um das Verhältnis v. Gottheit u. Menschheit in der Person Christi, um die Verehrung der Bilder (Ikonen, →Bilderstreit) u. um die innere Ordnung der Kirche u. ihr Verhältnis zum Kaisertum, entwickelte sich bis 843 in der byz. Reichskirche ein Gefüge v. verbindlichen Lehraussagen (Dogmen) u. Rechtssätzen (Kanones), das zunächst in den Beschlüssen der sieben ökumenischen Konzilien des ersten Jahrtausends (Nikäa I 325, Konstantinopel I 380/381, Ephesos 431, Chalkedon 451, Konstantinopel II 553, Konstantinopel III 680/681 u. Nikäa II 787), in den Schriften der Kirchenväter (v. a. der Kappadoker Basileios v. Kaisareia, Gregor v. Nazianz, Gregor v. Nyssa, der Alexandriner Athanasios u. Kyrill u. der Antiochener
Orthodoxie (und Nationalkirchen)
Johannes Chrysostomos u. Johannes v. Damaskus) u. in den Gebeten u. Hymnen für den kirchlichen Gottesdienst zur Entfaltung kam u. als unverzichtbares altkirchliches Erbe O. inhaltlich definiert. Bibel u. Tradition bilden nach orth. Verständnis eine Einheit, da sie beide aus dem Hl. Geist hervorgehen. V. a. im authentischen Nicaeno-Constantinopolitanum (d. h. ohne den in den abendländischen Kirchen seit dem 8. Jh. gebräuchlichen Zusatz filioque), das seit 517 in jeder orth. Liturgie v. den Klerikern u. den Gläubigen gesprochen wird, sind die Glaubenslehren enthalten, die die dogmatische u. sakramentale Einheit der orth. Kirche in der gesamten Welt konstituieren u. die in den v. allen orth. Kirchen verwendeten liturg. Texten (v. a. in den Liturgien des Hl. Johannes Chrysostomos u. des Hl. Basileios des Großen) zum Ausdruck kommen. O. bedeutet deshalb nicht nur Rechtgläubigkeit im dogmatischen Sinne, sondern schließt auch die Realisierung dieses Glaubens in der rechten Anbetung u. Verehrung Gottes mit ein. Grundprinzipien orth. Ekklesiologie sind →Autokephalie u. Synodalität. Letztere bedeutet, dass Entscheidungen niemals allein vom Ersthierarchen, sondern mindestens v. allen Bischöfen, in manchen Kirchen auch mit Beteiligung des übrigen Klerus u. der Laien, getroffen werden. Im Verlauf der →Nationalstaaten- u. →Nationsbildung seit dem 19. Jh. verstanden sich die autokephalen orth. Kirchen mehr u. mehr als Nationalkirchen (u. nicht mehr vorrangig als Territorialkirchen) u. leisteten damit der Nationalisierung der Religion Vorschub. 2. Die orth. Kirchen SOEs. 2.1 Das ökumenische Patriarchat v. Konstantinopel. Seit dem →Schisma v. 1054 gilt der ökumen. →Patriarch v. Konstantinopel als Ersthierarch der orth. Gesamtkirche. Diese Stellung beruht auf den Kanones der altkirchlichen ökumen. Synoden, die ihm als dem Bf. der Reichshauptstadt den Ehrenprimat in der Gesamtkirche nach dem Bf. von Rom zusprachen (Kanon 3 von Konstantinopel I 380/381), ihn als höchste innerkirchl. Appellationsinstanz anerkannten u. ihm das Weiherecht für die Metropoliten der Reichsdiözesen Pontos, Asia u. Thrakien sowie für die jenseits der Reichsgrenzen tätigen Bischöfe übertrugen (Kanones 9, 17 u. 28 von Chalkedon 451). Wahrscheinlich um das Jahr 732 erhielt der ökumen. Patriarch v. Ks. Leon III. auch die Jurisdiktion über die bisher dem Papsttum unterstellten Bistümer des Illyricums u. Unteritaliens. Da ab dem 10. Jh. in SOE ausgedehnte Autokephalkirchen existierten, standen meist nur die Metropolien in dessen südl. Hälfte unter seiner Jurisdiktion. Seine Rechte übte der ökumen. Patriarch seit 382 gemeinsam mit der sog. synodos endēmusa, dem Konzil der gerade in Konstantinopel anwesenden Metropoliten u. Bischöfe, u. mit Hilfe eines Mitarbeiterstabes aus, an dessen Spitze in mittelbyz. Zeit die exōkatakēloi, die Inhaber der fünf megala archontika ophphikia standen: der megas oikonomos, der Verwalter des Kirchenvermögens, der megas sakellarios u. der ho epi tu sakelliu, zuständig für die Klöster u. Pfarreien der Diözese v. Konstantinopel, der megas skeuophylax, der Verwalter der liturgischen Geräte u. Gewänder, u. der chartophylax, der Kanzleichef u. Archivar des Patriarchen. In osm. Zeit kamen noch die Ämter des megas logothetēs, des megas rhētōr u. des megas ekklēsiarches hinzu. Mit Ausnahme des megas rhētor, des Sprechers des Patriarchen, waren diese Ämter ursprünglich Klerikern vorbehalten, wurden aber nach 1554 zunehmend v. reichen Laien ausgeübt, die nach ihrem Wohnviertel →Phanar, wo sich seit 1600 die Residenz des Patriarchen befand, →Phanarioten genannt wurden. (Zur
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Orthodoxie (und Nationalkirchen)
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weiteren Geschichte →Patriarchat v. Konstantinopel). Im soe. Bereich unterstehen dem Patriarchat heute vier Metropolien in der Türkei, das halbautonome Erzbistum →Kreta u. die vier Metropolien des →Dōdekanēs sowie die Klöster des →Athos u. der Insel Patmos. Größte Bedeutung für das Patriarchat hat die Jurisdiktion über die gr.-orth. Metropolien in West- u. Mitteleuropa, Amerika u. Australien. 2.2 Die orthodoxe Kirche v. →Griechenland. Um die Metropolien des Kgr.s dem Einfluss des im osm. Machtbereich residierenden ökumen. Patriarchen zu entziehen, verfügte die Regentschaft für Kg. Otto am 23.7.1833 die Autokephalie der orth. Kirche im Kgr. Griechenland u. schuf als oberstes Leitungsgremium eine hl. Synode, die aus fünf Metropoliten u. einem kgl. Bevollmächtigten bestand. Diese Autokephalie wurde am 29.6.1850 vom ökumen. Patriarchat anerkannt. 1917 u. 1923/1924 spalteten der Konflikt zw. Kg. Konstantin u. Ministerpräsident Venizelos u. die Einführung des Gregorianischen Kalenders die Kirche (→Zeitrechnung). Durch Patriarchal- u. Synodalakt vom 4.9.1928 wurden die Bistümer in den 1912/1913 (→Balkankriege) eroberten Gebieten vom ökumen. Patriarchat der Kirche v. Griechenland zur Verwaltung unterstellt. Nach dem Militärputsch vom 21.4.1967 wurde der Hofprediger Hieronymos Kotsonēs, ein Vertrauter der Obristen, durch eine unkanonische „Synode der Besten“ zum Ebf. v. Athen gewählt. Kotsonēs‘ überstürzte Reformbestrebungen stießen auf Widerstand im Episkopat, an den theol. Fakultäten u. bei den Mönchen des Athos. Am 31.3.1973 musste er zurücktreten. Ihm folgten Seraphim Tikkas (1973–1998), Christodulos Paraskevaidis (1998–2008) u. Ioannis Liapis (seit 16.2.2008) als Ebf.; am 17.5.1977 erhielt die Kirche durch Parlamentsbeschluss eine neue Grundordnung. 2.3 Die orth. Kirche v. →Zypern. Die Autokephalie der orthodoxen Kirche →Zyperns wurde bereits 431 im Kanon 8 der dritten ökumen. Synode v. Ephesos bestätigt u. 488 dank der Entdeckung des Grabes des Apostels Barnabas erfolgreich gegen Patriarch Petrus Fullo v. Antiocheia verteidigt. Nach 965 ernannte der byz. Ks. den Ebf. von Zypern. Schwer zu leiden hatte die orth. Kirche Zyperns während der Herrschaft der röm.-kath. Lusignan (1192– 1489) u. der Venezianer (1489–1571). 1260 wurde die orth. Hierarchie v. Papst Alexander IV. auf vier Bischöfe reduziert u. dem lat. Episkopat untergeordnet. Erst 1572 nach der osm. Eroberung der Insel konnte wieder ein gr. Ebf. gewählt werden. Während der brit. Herrschaft auf Zypern (1878–1960) unterstützte die orth. Hierarchie den Wunsch der gr. Bev. nach einer Vereinigung mit Griechenland. Ebf. Makarios III. (1950–1977) wurde deswegen im März 1956 auf die Seychellen verbannt. Nach der Unabhängigkeit der Insel (1.8.1960) übernahm er das Amt des Staatspräsidenten, das er bis zu seinem Tode (3.8.1977) ausübte. 2.4 Die bulg. orth. Kirche. Nach einigem Schwanken zw. Byzanz u. dem Papsttum ließ sich der bulg. Chan Boris 865 nach byz. Ritus taufen (→Bulgarisches Reich). Ein Schiedsspruch der Vertreter der östl. Patriarchate auf dem Konzil v. Konstantinopel (3.3.870) unterstellte die bulg. Kirche dem ökumen. Patriarchen. Die 885/886 nach Bulgarien emigrierten Schüler Kyrills u. Methods (→Slavenapostel), v. a. allem Kliment u. Naum, u. die Mitglieder der Schule v. Preslav (Bf. Konstantin, Joann Exarch, Chrabr) vertieften durch die Slavisierung v. Liturgie u. Predigt sowie durch Übersetzungen u. eigene Werke die Christianisierung des Landes. Die v. Zar Symeon (893–927) proklamierte Autokephalie der bulg. Kirche wurde 927 v. Byzanz anerkannt, Ebf. Damian auf Befehl Ks. Romanos I. Lakapenos vom byz. Senat
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mit dem Patriarchen-Titel ausgezeichnet. Nach dem Untergang des ersten Bulg. Reiches reorganisierte Basileios II. die bulg. Kirche als autokephales Erzbistum v. →Ohrid. Im Zuge der Errichtung des zweiten Bulg. Reiches löste sich auch die bulg. Kirche 1186 vom Patriarchat v. Konstantinopel. Die Erhebung der bulg. Kirche zum Patriarchat erlangte Zar Ivan Asen II. 1235 v. Patriarch Germanos II. v. Konstantinopel u. den Patriarchen v. Antiochien u. Jerusalem. Nach der Verbannung des letzten bulg. Patriarchen Evtimij durch die osm. Eroberer (1393) beauftragte Patriarch Antonios IV. v. Konstantinopel den Metropoliten Jeremias v. Mauroblachia im August 1394 mit der Verwaltung der Diözese Tărnovo. Das Erzbistum v. Ohrid, das jetzt allein die autokephale Tradition Bulgariens verkörperte, wurde 1767 aufgehoben, seine Bistümer dem ökumen. Patriarchat unterstellt. Erst das Streben der bulg. Nationalbewegung nach kirchlicher Unabhängigkeit vom ökumen. Patriarchat führte am 12.3.1870 zur Errichtung des bulg. Exarchates (→Exarch). Eine Synode des ökumen. Patriarchates exkommunizierte im September 1872 Hierarchie u. Kirchenvolk des bulg. Exarchates u. verursachte damit ein Schisma, das erst am 22.2.1945 mit der offiz. Anerkennung der bulg. Autokephalie durch Konstantinopel beendet wurde. Das Religionsgesetz vom 1.3.1949 unterwarf die bulg. Kirche nach sowj. Vorbild der Kontrolle durch ein Komitee v. komm. Staatsfunktionären. Am 31.12.1950 genehmigte die Regierung ein neues Kirchenstatut, das die Wiederherstellung des bulg. Patriarchates vorsah. Am 10.5.1953 wurde Metropolit Kyrill v. Plovdiv zum Patriarchen gewählt. Ihm folgte am 4.7.1971 der bisherige Metropolit Maksim v. Loveč im Amt. 2.5 Die serb. orth. Kirche. Obwohl die Christianisierung der Serben wahrscheinlich schon gegen Ende des 9. Jh. abgeschlossen war, gab es bis zum 13. Jh. in Serbien nur die Diözese v. Ras, die dem Erzbistum v. →Ohrid unterstand. 1219 erlangte der Hl. Sava (1175–1235; →Nemanjiden) vom byz. Ks. u. vom ökumen. Patriarchen Manuel I. in Nikaia die Autokephalie für die Kirche Serbiens u. wurde dort auch zum erstem Ebf. geweiht. Nach seiner Rückkehr richtete er acht neue Diözesen ein u. unterstellte vier Diözesen Ohrids seiner Jurisdiktion. Auf der Synode v. Skopje (9.4.1346) ließ Zar Stefan Dušan den serb. Ebf. Joannikije zum Patriarchen erheben. Als Dušan dem serb. Patriarchat Metropolien des ökumen. Patriarchates eingliederte, kam es zur Unterbrechung der Kirchengemeinschaft zw. Konstantinopel u. der serb. Kirche. Zwar wurde diese 1375 wiederhergestellt, doch ist unklar, ob Konstantinopel dabei den Patriarchentitel des serb. Ersthierarchen bestätigte. Nach dem Untergang des serb. Staates (1459) u. dem Tod des Patriarchen Arsenije II. (um 1463) kam die serb. Kirche unter die Jurisdiktion des Erzbistums v. Ohrid. Dank der Bemühungen des →Großwesirs Mehmed Pascha Sokullu (eigentlich Sokolović) erfolgte am 4.11.1557 die Wiederherstellung des serb. Patriarchates unter Mehmeds Bruder Makarije mit Residenz in →Peć. Durch die Massenemigrationen v. 1690 u. 1737 geschwächt (→Migrationen), wurde dieses zweite serb. Patriarchat am 13.9.1766 v. Sultan Mustafa III. aufgehoben, seine Diözesen Konstantinopel unterstellt. 1832 erhielt die Kirche im serb. Fsm. (→Serbien) vom ökumen. Patriarchat zunächst die Autonomie, dann am 16.10.1879 auch die Autokephalie. Für die bis zu 40.000 Serben, die 1690 unter Arsenij III. in die Habsburgermonarchie emigriert waren (vgl. →Kolonisation), wurde die Metropolie v. Sremski Karlovci (Karlowitz) geschaffen, der auch die orth. Rumänen Siebenbürgens bis 1864 unterstanden. Die 1808 u. 1870 gebildeten dalm-
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atinischen orth. Diözesen v. Šibenik u. Kotor wurden 1873 der Metropolie v. Czernowitz zugeordnet. Faktisch autokephal waren die Fürstbischöfe v. →Montenegro, die ihr Land seit 1516 auch politisch regierten u. von 1697–1851 aus der Familie →Petrović Njegoš stammten. Die orth. Kirche in →Bosnien-Herzegowina blieb bis 1918 de jure dem Patriarchat v. Konstantinopel unterstellt; nach 1878 führten hier die österr.-ung. Behörden eine Ablösung der phanariotischen Metropoliten durch einheimische Bischöfe herbei. Erst nach der Gründung →Jugoslawiens kam es durch kgl. Dekrete vom 17.6. u. 12.9.1920 zur Neubildung des serb. Patriarchates, in dem sich die Metropolen v. Belgrad, Sremski Karlovci, Montenegro, Bosnien u. die Diözesen v. Šibenik u. Kotor vereinigten. Sowohl im ersten jug. Staat wie in der Verfallszeit des zweiten Jugoslawien haben sich Vertreter der orth. Kirche auf Seiten der serb. Nationalisten positioniert u. zur Verschärfung nat. Konflikte beigetragen. 2.6 Die mak. orth. Kirche. Von 1019/1020–1767 war das nördl. →Makedonien (Region) Kerngebiet des autokephalen Erzbistums →Ohrid. Seit 1870 war die orth. Bev. des Landes in Anhänger des ökumen. Patriarchates u. des bulg. →Exarchen gespalten. 1912/1913 wurden die Diözesen im v. Serbien eroberten nördl. Landesteil in die serb. Kirche eingegliedert. Am Ende des 2. Wk.s kehrten diese, die v. 1941–1944 der bulg. Kirche unterstanden hatten, zwar noch einmal unter die Jurisdiktion des serb. Patriarchates zurück, aber seit 1943 artikulierte sich in der orth. Bev. der 1944/1945 errichteten jugosl. Teilrepublik Makedonien das Bestreben, an die Tradition des Erzbistums v. Ohrid anzuknüpfen. Am 17.6.1959 bestätigte die Synode des serb. Patriarchates die bereits am 4.10.1958 proklamierte Autonomie der Erzdiözese v. Ohrid u. Makedonien. Als aber das dritte volkskirchliche Konzil u. die Bischofssynode der mak. Kirche am 18.7.1967 in Ohrid die Autokephalie verkündeten, kam es zum Bruch (→Schisma) mit dem serb. Patriarchat (14./15.9.1967), das die Anerkennung der mak. Autokephalie durch die weltweite Orthodoxie bislang verhindern konnte. 2.7 Die rum. orth. Kirche. Ansätze zu einer eigenständigen Kirchenorganisation in den rum. Ländern ergaben sich erst im 14. Jh. Mit Zustimmung des ökumen. Patriarchen Kallistos I. u. seiner Synode vom 12.5.1359 übernahm Hyakinthos, der bisherige Metropolit v. Bitzina (Vicina), die auf Ersuchen des Fürsten Alexander Basarab errichtete Metropolie Ungroblachia. Die →Moldau gehörte zunächst zur Metropolie Halyč. Erst im Juli 1401 erhob Patriarch Matthaios I. v. Konstantinopel den in Halyč geweihten Bischof Joseph zum Metropoliten v. Moldoblachia. Unter den Moldauer Metropoliten Varlaam (1632–1653) u. Dosoftei (1671–1686) ersetzte das Rumänische das Kirchenslavische als Liturgiesprache (Liturghierul 1679). Nach der Abtretung →Bessarabiens an Russland (1812) kam dieses Gebiet unter die Jurisdiktion des Hl. Synod der russ. Kirche, der dort das Bistum Kišinev (→Chişinău) einrichtete. Durch das organische Dekret vom 6.12.1864 vereinigte sich der rum. Episkopat zu einer zentralen Synode unter dem Metropolit-Primas v. Bukarest. Die in diesem Dekret proklamierte Autokephalie der rum. Kirche wurde jedoch erst am 5.4.1885 vom ökumen. Patriarchat anerkannt. In →Siebenbürgen sind rum. Bistümer u. Klöster seit dem 13. Jh. nachweisbar. Nach 1564 waren die orth. Rumänen dort calv. Bekehrungsdruck ausgesetzt, dem sich ein Teil v. Klerus u. Kirchenvolk durch eine Union mit der röm.-kath. Kirche Ungarns (1697–1701) entzog (→Unierte). Die Rumänen, die orthodox blieben, wurden 1758 in der Diözese Hermannstadt (rum. Sibiu), die dem serb. Metropoliten v. Karlo-
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witz unterstand, zusammengefasst. Bischof Andrei Şaguna (1846–1873) erwirkte durch ksl. Dekret vom 24.12.1864 die Erhebung dieser Diözese zur autokephalen Metropolie u. gab ihr am 28.5.1868 ein demokratisches Organisationsstatut. Die orth. Rumänen der →Bukowina kamen zu der am 23.1.1873 für die ganze westl. Reichshälfte der Habsburgermonarchie errichteten autokephalen Metropolie Czernowitz. Nach der Vereinigung Siebenbürgens, der Bukowina u. Bessarabiens mit Altrumänien schloss sich der orth. Episkopat Großrumäniens am 30.11.1919 in Bukarest zusammen. Miron Cristea, seit dem 18.12.1919 Metropolit-Primas v. Bukarest u. Oberhaupt der rum. Orthodoxie, erhielt durch Synodalbeschluss vom 4.2.1925 den Titel Patriarch. Dem am 24.5.1948 gewählten Patriarchen Justinian Marina (1901–1977) gelang es dank guter Beziehungen zu führenden Politikern der am 30.12.1947 proklamierten Volksrepublik u. durch Unterstützung der komm. Außen- u. Sicherheitspolitik, dem neuen Statut der rum. orth. Kirche am 14.2.1949 die staatl. Anerkennung zu verschaffen u. sie selbst weitgehend vor größeren staatl. Repressionen zu bewahren. 2.8 Die alb. orth. Kirche. Die orth. Bev. →Albaniens von ca. 20 % der Gesamtbev. besteht v. a. aus südalb. Tosken (mehrheitlich), Griechen u. →Aromunen u. konzentriert sich in u. um die Städte Gjirokastra, Korça, Vlora u. Berat. Kirchlich gehörte Albanien zur Metropolie v. Dyrrhachion (unter dem Patriarchen v. Konstantinopel), v. a. aber (ab 1019) zum autokephalen Erzbistum v. →Ohrid, dann ab 1767 insges. zum ökumen. Patriarchat v. Konstantinopel. Vorkämpfer der Albanisierung war Fan Stylian Noli (1882–1965), der am 22.3.1908 in Boston erstmals die Liturgie in alb. Sprache feierte u. seit 1919 Bf. der orth. Albaner in den USA war. Nach Ausweisung des gr. Episkopats rief eine Versammlung v. Klerikern u. Laien am 12.9.1922 die Autokephalie der alb. Orthodoxie aus, die am 12.4.1937 vom ökumen. Patriarchat anerkannt wurde. Am 25.8.1949 ersetzte das komm. Regime Ebf. Christoph Kisi durch den bisherigen Bf. Paisi v. Korça. 1967 wurde die alb. orth. Kirche im Zuge der antirelig. Kampagne der Kommunisten zerschlagen. Seit der Wiederherstellung der Religionsfreiheit (9.5.1990) u. der Einsetzung des gr. Missionsbischofs Anastasios Giannulatos als Ebf. u. Exarch des Patriarchats Anfang 1991 begann die mit der Bildung der Hl. Synode am 18.7.1998 abgeschlossene Wiederherstellung der autokepalen orth. Kirche. Lit.: 1. Orth. Gesamtkirche: Eastern Christianity and Politics in the Twenty-First Century. Hg. L.N. Leustean. Abingdon, New York 2014; Die orthodoxen Kirchen der byzantinischen Tradition. Hgg. Th. Bremer/H.R. Gazer/Chr. Lange. Darmstadt 2013; G. Larentzakis, Die orthodoxe Kirche. Ihr Leben u. ihr Glaube. Wien u. a.32012; P.M. Kitromilides, An Orthodox Commonwealth. Symbolic Legacies and Cultural Encounters in Southeastern Europe. Aldershot u. a. 2007; M. Burgess, The Eastern Orthodox churches. Concise histories with chronological checklists of their primates. Jefferson/NC u. a. 2005; H.-Ch. Maner, Zwischen Staat u. Nation. Die orthodoxen Kirchen in Südosteuropa im 20. Jh., Jahrbücher f. Geschichte u. Kultur Südosteuropas 3 (2001), 27–62; Ch. Hannick, Zur Rolle der Orthodoxen Kirche in Südosteuropa, in: Handbuch der Südosteuropa-Linguistik. Hg. U. Hinrichs. Wiesbaden 1999, 945–977; Handbuch der Ostkirchenkunde. Hgg. W. Nyssen/H.-J. Schulz/P. Wiertz. 3 Bde. Düsseldorf 1984–1997; K. Onasch, Lexikon Liturgie u. Kunst der Ostkirche. Leipzig, Berlin 1993; G. Podskalsky, Griechische Theologie in der Zeit der Türkenherrschaft (1453–1821). München 1988; Eastern Christianity and Po-
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Osmanen. Musl. Herrscherdynastie, die sich auf Osman, Sohn des Ertogrul als den Begründer des →Osm. Reiches zurückführt; Eigenbezeichnung der Mitglieder der osm. Dynastie sowie der Angehörigen des (erweiterten) herrscherlichen Haushaltes, der „Pfortensklaven“ (türk. kapı kulları); schließlich Bez. für die Untertanenschaft des osm. Sultans (seit 1839) ohne Ansehen von Funktion, Sprache u. Religionszugehörigkeit. Der Ausdruck „osmanische Nationen“ (osmanlı milletleri) für die Juden, Christen u. Muslime im Osm. Reich (→Millet) kommt vor dem Beginn der →Tanzimat in türk. Sprache jedoch nur in Übersetzungen europ. Vorlagen vor. Die Idee einer osm. „Staatsnation“ wurde im Osm. Reich erst seit dem →Hattișerif von Gülhane als Ausdruck der Politik des osmanlılık („Osmanismus“) propa-
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giert. – Auch wenn der Vatersname Osmans inzwischen numismatisch gesichert erscheint, so bleibt doch fraglich, ob tatsächlich „Osman“ u. nicht etwa türk. „At(a)man“ zu lesen ist, wie dies sein Zeitgenosse Pachymeres tut. Weder Osmans Vater Ertogrul noch Osmans Sohn Orhan trugen einen Namen mit isl. Konnotation oder nannten sich gar nach einem der vier rechtgeleiteten Kalifen, sondern führten einen Namen türk. bzw. altaiischen Ursprungs. Lit.: C.E. Bosworth u. a., ʻOthmānlĭ, in: EI² (Bibl.). M. U.
Osmanisches Reich. Die Anfänge des Fürstentums Osmans (→Osmanen) liegen in NW-Anatolien. Der Sohn des Dynastiegründers, Orhan (ca. 1324–1362), eroberte 1326 Bursa (erste osm. Hauptstadt). Adrianopel (Edirne), das die Sultane gegen Ende des 14. Jh.s als ihre neue Hauptstadt bezogen, wurde wahrscheinlich 1361 (oder 1369) osmanisch. Es blieb (Sommer-) Residenz auch nach 1453, als →Konstantinopel (Istanbul) Reichszentrum wurde. – Die osm. Eroberungen auf dem Balkan datieren in die Zeit nach 1352, als mit Tzympe am Marmarameer die erste Festung auf europ. Boden in osm. Hände fiel, noch bevor der Brückenkopf Gallipoli (Gelibolu), 1354 durch Erdbeben zerstört, v. den Osmanen eingenommen wurde. Bei den Eroberungszügen entfalteten osm. Prinzen u. manche z.T. aus anderen anatolischen Fürstentümern stammende →Begs, wie Evrenos u. Haci Ilbeyi, starke Eigen initiative. Häufig führten die Operationen zunächst lediglich zur Unterstellung der einheim. christl. Herrschaften unter osm. Oberhoheit u. erst später zur Annexion des Landes. 1384 war Arta nahe der alb. Küste erreicht. →Saloniki, wohin sich Manuel zurückgezogen hatte, der Sohn des den Osmanen tributpflichtigen byz. Ks.s, fiel erstmals 1387 an die Osmanen. Damit war ganz Südmakedonien in osm. Hand. →Skopje bekam als Operationsbasis gegen Serbien u. Bosnien nach der Schlacht auf dem Amselfeld (→Kosovo polje) 1389 eine starke osm. Garnison. Die Herrscher v. Bulgarien (→Bulg. Reich) u. Serbien (→Serb. Reich) wurden im Laufe des späten 14. Jhs. osm. Vasallen, Bulgarien gar schon vor 1396 osm. Provinz, als die christl. Kreuzfahrerheere vor Nikopolis scheiterten. Mircea, der →Vojvode der →Walachei, musste gegen Ende der Herrschaft Mehmeds I. (1413–1421) dem Sultan den Treueeid schwören. Damit ist die Ausgangsbasis umrissen, v. der aus die Osmanen ihre Herrschaft über nahezu die Gesamtheit der Länder SOEs zu errichten vermochten, die in einigen Gebieten, wie z. B. in Makedonien, ununterbrochen über 500 Jahre währen sollte. Mit dem Ende der Expansionsphase geriet das Reich zunehmend in finanzielle Schwierigkeiten, die die „pax ottomanica“ erschütterten (zur Prolematik →kapitalist. Weltsystem). Wenn auch der für die Osmanen katastrophale Ausgang der zweiten Belagerung v. Wien i. J. 1683 (die erste war 1529 abgebrochen worden) mit der anschließenden Räumung Ungarns das Ende ihrer Herrschaft über weite norddanubische Teile SOEs bedeutete (→Türkenkriege; →Karlowitz, Friede v.), so sollten doch noch über 200 Jahre vergehen, bis das unter den sog. Reformsultanen seit Ende des 18. Jh.s, modernisierte (→Tanzimat) u. zunehmend zentralistisch regierte Sultanat sich schließlich auch aus seinen europ. Kernprovinzen zurückziehen musste. Mit den →Balkankriegen (1912/13) fand die osm. Herrschaft, sieht man v. dem thrak. Rest der →Europäischen Türkei ab, in Europa ihr Ende. Das osm. Sultanat hatte bis 1923 Bestand.
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Als einer der Hauptgründe für die Dauerhaftigkeit der osm. Herrschaft über die geradezu sprichwörtliche balkanische Heterogenität in ethn., sprachl., konf. usw. Hinsicht (→Balkan) wird gern auf die Tatsache verwiesen, dass die Osmanen dieser Vielfalt weniger durch Assimilierung u. Nivellierung bzw. gar Zwangsislamisierung oder -türkisierung zu begegnen suchten, als vielmehr durch Inkorporierung u. Modifizierung vorgefundener Verhältnisse u. Strukturen (vgl. →Feudalismus, osm.) in das osm. „System“. Für die sog. Blütezeit des Reiches lassen sich, je nach Art u. Intensität der osm. Herrschaft, drei Teilräume SOEs erkennen (Gilles Veinstein). Da sind zunächst die nördl. v. Donau u. Save gelegenen Länder zu nennen, allen voran →Moldau u. die →Walachei. Sie standen in einem Vasallenverhältnis zum Sultan, dem sie als unterworfene christl. Herrschaften Tribut entrichteten (daher haracgüzar, „kopfsteuerpflichtig“), ohne je weiter in den osm. Staatsverband integriert worden zu sein. Nach innen unterstanden die Fürstentümer einem Voyvoda (→Vojvode; →Donaufürstentümer), der aus den Reihen der einheimischen (später →phanariotischen) Aristokratie gewählt u. v. der →Pforte bestätigt wurde. Landverfassung, pol. Strukturen u. Außenbeziehungen galten als Angelegenheit des Voyvoden, nicht der Pforte, deren ziv., milit. u. relig. Amtsträger keinen Zugang zu den Fürstentümern hatten. Ausgenommen v. dieser vertraglichen Regelung waren solche kleinere Landesteile (wie die Häfen v. Chilia/Kili, Cetatea Alba/Akkerman, Turnu Severin, Giugiu u. Braila oder die Provinz Budschak [türk. Bucak] um Bender am Dnjestr), die der unmittelbaren osm. Territorial- u. Militärverwaltung unterstellt worden waren. – Komplizierter lagen die Verhältnisse in →Ungarn. Vermutlich hatte Süleyman dem Prächtigen (1520–66) ein den Donaufürstentümern ähnliches Vasallenverhältnis vorgeschwebt, als er Johann Zapolya nach der Niederlage Ludwigs II. auf dem Schlachtfeld v. →Mohaćs (1526) zum Kg. über ganz Ungarn einsetzen wollte. Aber der Tod Zapolyas u. die Minderjährigkeit seines Sohnes Johann Sigismund, verbunden mit den Ansprüchen Ferdinands v. →Habsburg überzeugten den Sultan v. der Undurchführbarkeit einer solchen Lösung. Er unterstellte das Zentrum des Landes als Provinz des →Beylerbeyi v. Buda direkter osm. Kontrolle (1541) u. überließ Johann Sigismund als seinem Vasallen lediglich den Ostteil des Landes mit dem Großfürstentum →Siebenbürgen (türk. Erdel), dem Status nach den Donaufürstentümern vergleichbar. Die Vasallenpflichten Erdels waren indes geringfügiger als die der Moldau u. der Walachei. Das sog. kgl. →Ungarn im Westen u. Norden verblieb bei Habsburg. Nach dem Frieden v. Szatmár (Satu Mare) vom Jahre 1565 (bestätigt 1570) erkannte Sigismund außer der osm. obendrein noch die Suzeränität Habsburgs an, woraus sich ein doppeltes Vasallitätsverhältnis mit unvermeidlichen Loyalitätskonflikten u. pol. lnstabilität ergab. Der Komplexität Siebenbürgens in ethn., sprachl. u. konf. Hinsicht entsprach, jedoch unter weitgehender Missachtung der rumänischsprachigen Mehrheit orth. Glaubens, die innere Organisation des Landes. Parallel zu den drei „nationes“ der →Magyaren, →Székler u. →Siebenbürger Sachsen (türk. Macar, Sigel u. Saz) erkannte der Fürst vier Glaubensrichtungen ausdrücklich an: den Katholizismus u. Calvinismus (→Calviner) der Ungarn, das Lutheranertum der Sachsen (→Lutheraner) sowie die Unitarische Kirche (→Unitarier), zu der sich vornehmlich Székler bekannten. Juden, Armenier u. Orthodoxe wurden geduldet, genossen jedoch keinen vergleichbaren offiz. Status. – In deutlichem Gegensatz zu Siebenbürgen war der Zentralteil →Ungarns zusam-
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men mit weiten Teilen →Kroatiens u. dem →Banat zur osm. Provinz geworden, gegliedert nach →Sancaks u. Gerichtssprengeln (→Kaza) u. aufgeteilt in →Timare, →Zeamets, u. →Has. Die musl. Bev., die sich im engeren Ungarn vornehmlich aus Soldaten, Verwaltungsbeamten, Kaufleuten u. Händlern sowie deren Familien zusammensetzte, konzentrierte sich auf einige wenige befestigte Plätze u. Städte wie Buda, Pest, Pécs, Székésfehervár u. Szeged. Sie bestand zum überwiegenden Teil nicht aus Türken, sondern kam aus dem benachbarten →Bosnien. Demgegenüber war das flache Land fast ausschließlich christl. bewohnt. Einige Dörfer, darunter Nagykörös, Kecskemét u. Cegléd, hatten als sog. Puszta-Dörfer (ung. mezövárosok) innerhalb der vorosm. Feudalstruktur des Landes eine besondere Rolle gespielt. Auch die osm. Herrscher sollten ihnen weitreichende Autonomierechte ähnlich denen der Fürstentümer gewähren. Infolgedessen erfuhren auch sie in der Folge eine Art doppelter osm.-habsb. Suzeränität: Neben dem osm. Fiskus forderten die eh. Feudalherren jener Dörfer, die sich längst im Kgr. Ungarn niedergelassen hatten, auch weiterhin ihre Fiskal- u. Justizialrechte v. ihren Hintersassen auf osm. Territorium ein. Einen zweiten Teilraum bilden die Länder südl. v. Donau u. Save, begrenzt im Osten durch Westbulgarien u. das Tal des Vardar. Nach G. Veinstein stellen diese Gebiete eine intermediäre Zone dar, charakterisiert durch relativ große Entfernung vom Reichszentrum bei relativ geringer Distanz zu Habsburg u. Venedig (→Venezianisches Überseereich). Auch hier war die musl. Bev. lange auf die Städte u. Siedlungen entlang der Hauptstoßrichtungen der osm. Eroberung konzentriert. Wo man Muslime auf dem flachen Lande antraf, handelte es sich meist um →Konvertiten (a. →Islamisierung) u. nicht um musl. Kolonisten. Dieser Teilraum umschließt im wesentlichen Bosnien u. die →Herzegowina, →Montenegro, →Serbien, →Kosovo, →Albanien u. →Griechenland. Grundsätzlich unterlagen all diese Gebiete der regulären osm. Territorial- u. Militärverfassung, doch mit einigen wichtigen Nuancierungen, Ausnahmen u. Sonderformen. Sie gehörten zu den wichtigsten Rekrutierungsgründen der →Knabenlese, wenn man v. den autonomen u. halbautonomen Gebieten (darunter Montenegro) am Rande dieser Zone einmal absieht. – Die Kaufmannsrepublik Ragusa (→Dubrovnik) hatte ihre Sonderrolle auch unter osm. Herrschaft bewahren können. Seit der zweiten H. des 14. Jh.s unterhielt Ragusa Beziehungen zum Staat der Osmanen. 1458 wurde die Seerepublik u. Rivalin Venedigs endgültig osm. Vasall, bei einem jährlichen Tribut in Höhe v. (1481) 12.500 Golddukaten. Dafür erhielt sie v. der Pforte nicht nur das Recht innerer Autonomie verbrieft, sondern darüber hinaus umfassende Handels- u. Zollprivilegien: Freizügigkeit des Handels im ganzen Reich; zweiprozentige Einfuhr- u. Ausfuhrzölle; lediglich bei Verkauf in Istanbul, Edirne u. Bursa sollte der Einfuhrzoll 5 % betragen. Ihren Handel vermochte Dubrovnik dabei über ein Netz v. Niederlassungen (it. plazza) abzuwickeln, die sich unter einem Ältestenrat selbst verwalteten u. steuerliche Sonderrechte genossen. – Auch wenn Montenegro keine vergleichbare staatliche Einheit bildete wie Ragusa, so genoss es unter osm. Herrschaft dennoch beträchtliche innere Autonomien. Bis 1499 hatten die Bergstämme der Crna Gora den osm. Eroberern widerstehen können. Nach deren Unterwerfung u. der Einführung der regulären osm. Bodenverfassung mit →Timar u. →Sipahi führten Aufstände unter der Bev. dazu, dass man diesen Schritt rückgängig machte u. das ganze Land in ein →Has des Sultans überführte, das bis Ende des 16. Jh.s vom →Sancak Is-
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kenderiye (Shkodër) oder Dukagin (Dukagjin) angeschlossen blieb. Diese Form der loseren Einbindung in den osm. Gesamtstaat erlaubte die Errichtung einer Art theokratischer Herrschaft über die Stämme unter dem orth. Bf. v. Cetinje, der seit 1515 als Fürstbischof (Vladika; a. →Petrović-Njegoš) unter osm. Oberherrschaft die Geschicke des Landes bestimmte. – In Albanien war die direkte osm. Herrschaft über das flache Land durch die Erhebungen unter Führung v. Georg Kastriotis (Skanderbeg) zw. 1444 u. 1466 in Frage gestellt worden. So blieb die Ausdehnung der unmittelbaren osm. Territorialverwaltung zunächst auf die weniger gebirgigen südl. Landesteile beschränkt. In den Berggebieten des Nordens jedoch, unter den gegischen Bergstämmen, blieb die vorosm. Gesellschaftsstruktur u. Stammesverfassung größtenteils erhalten: Die Grundeinheit bildete der Familienverband; diesem übergeordnet war der „Banner“ (türk. bayrak), eine autonome Territorialeinheit, die vom bayrakdar angeführt wurde, dem „Bannerträger“, der nach ungeschriebenem Gewohnheitsrecht sein Gebiet verwaltete u. Recht sprach. Mehrere „Banner“ zusammen bildeten den Stamm (alb. fis; →Stamm, Stammesgesellschaft), der v. einem Mitglied der angesehensten Familie geleitet zu werden pflegte. Ein vom Distriktsgouverneur (türk. sancakbeyi) ernannter bölükbaşı „Divisionschef“ repräsentierte die osm. Staatsmacht vis à vis den Familienverbänden u. Stämmen. Wenn sich eine reguläre Steuererhebung unter solchen Umständen auch als undurchführbar erwies, so stellten die Bergstämme doch Auxiliartruppen für die Armee des Sultans, gutteils unabhängig v. ihrer musl. oder kath. Religionszugehörigkeit – eine Praxis, die ab Ende des 16. Jh.s an Bedeutung zugenommen hat, auch wenn es sich bei diesen um →Reaya gehandelt hat (vgl. →Knabenlese). – Auch Griechenland erwies sich aus naturräumlichen Gründen als schwer integrierbar. Manche Landesteile wie die Halbinsel v. Mani (→Maniaten), der Distrikt v. Suli (→Sulioten) in Epirus oder der v. Agrapha im Pindus blieben praktisch unabhängig. Auch einige Inseln der Ägäis wie →Rhodos oder Chios verwalteten sich de facto auch unter osm. Herrschaft selbst. Die Republik der →Athosklöster bildete eine weitere christl. Theokratie, die die Autorität des Sultans umgehend anerkannt hatte. Gegen Zahlung eines jährlichen Tributs mit umfassenden Privilegien u. innerer Autonomie ausgestattet, lag der Heilige Berg jenseits der Zuständigkeit der benachbarten osm. Verwaltungsorgane. Ähnliches, wenn auch in geringerem Maße, gilt auch für einige wenige Städte mit mehrheitlich musl. Bev. wie →Sarajevo oder Ioannina, deren „Freibriefe“ den Zugriff der osm. Militär- u. Zivilverwaltung mehr oder minder deutlich einschränkten, besonders bei der Einquartierung v. Truppen u. der Entrichtung besonderer Steuern u. Abgaben (zum Regelfall vgl. hingegen →Stadt, osm.). – In manchen Gebieten südslav. Zunge hatte die Bev. ihre überkommenen, auf vorosm. Zeit zurückgehenden Autoritäten bewahrt, die sich der Anerkennung durch die osm. Behörden erfreuten: auf Distriktsebene den →Knez, auf der Ebene des Dorfes den primikür, starešin oder kocabaşı. Über den Aufgabenbereich eines solchen knez legt die Autobiographie eines der Väter des unabhängigen Serbien, Matija Nenadović (hg. v. L.F. Edwards), beredtes Zeugnis ab, speziell bei der Umlage der Steuerlast auf die Abgabepflichtigen im Auftrag des →Pascha v. Belgrad. Deutlich wird hier die Vermittlerrolle solcher Notabeln aus dem christl. Milieu zw. Staatsmacht u. unterworfener Bev., besonders zw. Fiskus u. Steuerzahler. In Bosnien u. der Herzegowina war, so will es scheinen, der alteingesessenen vorosm. Feudalaristokratie durch frühzeitigen Übertritt zum Islam (vgl. →Islamisierung)
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eine Sonderrolle zugefallen: Geschlossener als anderswo hat sich hier eine vorosm. Elite ihren Besitz u. ihren Einfluss auch unter osm. Herrschaft zu sichern verstanden. In anderen Regionen leisteten christl. Bevölkerungsgruppen, durchweg in Anlehnung an vorosm. Verhältnisse, als →Armatolen/Martolosen u. →Derbendci milit. u. „polizeiliche“ Hilfsdienste im Namen der osm. Staatsmacht. Sie unterstanden einer eigenen Hierarchie u. genossen steuerliche Privilegien. Besonders in den Ländern südslav. Zunge waren solche christl. Auxiliarverbände, zu denen auch die voynuk (Vojnuken) zu zählen sind, weit verbreitet. Letztere Hilfstruppen, die u. a. für die Betreuung der großherrlichen Pferde zuständig waren, hatten – obgleich intern nach türk. Gruppengezeichnungen gegliedert – für den Gesamtverband ihre südslav. Bezeichnung erhalten. – Auch wenn Entsprechungen der geschilderten Autonomien u. Formen indirekter Herrschaft in den nachfolgend genannten osm. Besitzungen in SOE nicht gänzlich fehlten, so gilt doch für →Bulgarien, →Thrakien, →Makedonien (Region) u. die →Dobrudscha, dass hier – als drittem Teilraum – die zentralstaatliche Kontrolle Istanbuls mindestens zur „Blütezeit“ des Reiches nachhaltiger spürbar war als anderswo, was sich u. a. in der Durchsetzung des regulären Systems der osm. Militär- u. Territorialverwaltung in all diesen Gebieten manifestiert. Dies waren Landschaften, die ausnahmslos schon früh der osm. Herrschaft unterstellt worden waren (u. zwar einer unmittelbaren) u. gegen Ende des 16. Jh.s bereits auf eine über zweihundertjährige osm. Vergangenheit zurückblickten. Das musl. Element war hier auch außerhalb der Städte präsent, besonders in Ostbulgarien, der Dobrudscha u. in Teilen Makedoniens. Im Falle dieses dritten Teilraumes wird man v. den inneren Kernländern des Osm. Reiches auf europ. Boden zu sprechen haben. Annotierte Bibl.: K. Kreiser, Osmanisches Reich, in: HBK. Bd. II: Neuzeit, T. 1, 1–299. Lit. (a. →Islamisierung): Osmanen u. Islam in Südosteuropa. Hgg. R. Lauer/H.G. Majer. Berlin, Boston/Mass. 2014; R. Gradeva, Frontiers of Ottoman Space, Frontiers in Ottoman Society. Istanbul 2014; M.S. Birdal, The Holy Roman Empire and the Ottomans: from Global Imperial Power to Absolutist States. London u. a. 2014; Osmanischer Orient u. Ostmitteleuropa. Perzeptionen u. Interaktionen in den Grenzzonen zwischen dem 16. u. 18. Jh. Hgg. R. Born/A. Puth. Stuttgart 2014; Das osmanische Europa. Methoden u. Perspektiven der Frühneuzeitforschung zu Südosteuropa. Hgg. A. Helmedach u. a. Leipzig 2013; The Ottoman Empire as a World Power, 1453–1603. Hgg. S. Faroqhi/K. Fleet. Cambridge u. a. 2013; The European Tributary States of the Ottoman Empire in the Sixteenth and Seventeenth Centuries. Hg. G. Kármán. Leiden u. a. 2013; Y. Yıldız, Osmanlı-Habsburg İlişkileri: Kânûnî – Şarlken – Busbecq. Ankara 2013; J. Matuz, Das Osmanische Reich. Grundlinien seiner Geschichte. Darmstadt 72012; Political Initiatives „From the Bottom Up“ in the Ottoman Empire. Hg. A. Anastassopoulos. Herakleion 2011; S. White, The Climate of Rebellion in the Early Modern Ottoman Empire. Cambridge 2011; D. Nicolle, Cross and crescent in the Balkans. The Ottoman conquest of South-Eastern Europe (14th–15th centuries). Barnsley 2010; S. Faroqhi, Geschichte des Osmanischen Reiches. München 52010; Byzantium to Turkey. Hg. K. Fleet. Cambridge u. a. 2009; C. Imber, The Ottoman Empire 1300–1650. Basingstoke 22009; R. Kasaba, A Moveable Empire: Ottoman Nomads, Migrants & Refugees. Seattle 2009; K. Barkey, Empire of Difference. The Ottomans in Comparative Perspective. Cambridge 2008; M.Ş. Hanioğlu, A Brief History of the Late Ottoman Empire. Prin-
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der Person des gemeinsamen Finanzministers) seit 1878 →Bosnien-Herzegowina als einziges Reichsland. Im übrigen sah die 1867 geschaffene Ordnung des →Dualismus vor, dass sich beide Monarchien selbständig regierten mit Ausnahme der gemeins. Angelegenheiten, die in die Zuständigkeit der drei gemeins. Ministerien (für Außenpolitik, Krieg u. den für beide Staatsgebiete zuständigen Bereich der Finanzen) fielen u. der nach wie vor absolutistischen, weil parlamentarisch nur formal kontrollierten Regierungsgewalt des Herrschers unterstanden. Ö-U. hatte eine Ausdehnung v. 625.518 km2, nach der 1908 erfolgten Annexion v. Bosnien-Herzegowina 676.615 km2 mit insges. 52,8 Mio. E (1914). Dieses Staatswesen stand in der Tradition der durch die Dynastie 1526 geschaffenen u. nach ihr benannten →Habsburgermonarchie, die seit der zweiten H. des 18. Jh.s zunehmend im Stil eines bürokratischen Zentralismus regiert u. lange Zeit durch national übergreifende Kräfte wie der kath. Kirche, der Armee u. dem Adel zusammengehalten wurde. Letzterer hat sich freilich mit Ausnahme des Wiener Hofadels im Verlauf des 19. Jh.s immer stärker mit den nationalen Bestrebungen der einzelnen Völker identifiziert. Andererseits kamen im Verlauf des 19. Jh.s neue, die Gesamtmonarchie bejahende Kräfte hinzu wie das Großkapital, die Juden u. die Sozialdemokratie. Doch nicht nur die ethn. wie relig. Heterogenität der Bev. (11 große Völker, 12 weitere ethn. u. relig. Minderheiten sowie 6 große Religionsgemeinschaften), sondern auch große strukturelle Unterschiede zw. beiden Staatsgebieten schufen Reibungsflächen, Spannungen u. eine Reihe so wenig auflösbarer wie übersehbarer Gegensätze u. Zweideutigkeiten, die sich schon in der Frage nach der Bezeichnung dieses Staatsgebildes manifestierten. Offiziell hieß es seit 1868 die „Österreichisch-Ungarische Monarchie“, verkürzt Ö.-U., doch im öffentlichen Sprachgebrauch wie in einer Reihe internationaler Verträge war es bald üblich geworden, die zur Bezeichnung des westl. Staatsgebiets im Ausgleichsgesetz verwendete Formel „der im Reichsrat vertretenen Länder“ durch den wohl kürzeren, aber keineswegs präziseren Begriff Österreich zu ersetzen, eine Praxis, die erst 1915 gesetzlich sanktioniert wurde. Denn mit diesem Begriff wurde häufig – vielfach auch international – die gesamte Doppelmonarchie bezeichnet, was dem in der westl. Hälfte vorhandenem, hist. begründetem Bewusstsein, in einem beide Staaten übergreifenden Reich zu leben, zwar entsprach, aber seitens Ungarns heftige Ablehnung u. Proteste auslöste. Doch selbst Gyula Andrássy als einer der Väter des Ausgleichs stellte die Existenz eines Gesamtreiches nicht in Abrede, dessen Angelegenheiten in der Präsidialsektion des Außenministeriums verwaltet wurden u. das in der bis 1911 amtlichen Namensgebung des k. u. k. „Reichskriegsministeriums“ fortlebte. Deshalb ist die bis heute gebrauchte Bezeichnung v. östl. u. westl. Reichshälfte im Sinne der Ausgleich-Gesetze nicht ganz korrekt, aber auch nicht unzutreffend, wobei für die westl. auch die Bezeichnung →Zisleithanien sowie für die östliche →Transleithanien in Umlauf kam. Strukturell gesehen hatten die beiden dualistisch miteinander verbundenen Staaten große Unterschiede aufzuweisen. Hier seien nur einige v. ihnen herausgegriffen. Dem als unitarischen Nationalstaat definierten, zentralistisch u. betont liberal regierten, administrativ in 65 →Komitaten (mit immer eingeschränkteren Selbstverwaltungsrechten) untergliederten Ungarn, das mit dem teilweise autonomen →Kroatien nur über ein „Nebenland“ verfügte, standen 17 Kronländer gegenüber, denen die Wiener Zentralregierung eine Fülle v. Kom-
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petenzen einräumte. Dazu gehörte insbesondere die Möglichkeit, in der Schlüsselfrage, nämlich der nationalen, eigene Wege einzuschlagen, v. der die beiden Kronländer Mähren u. →Bukowina mit dem Ausgleich v. 1905 bzw. 1910 modellhaft Gebrauch machten u. damit wesentlich zu ihrer inneren Befriedung beitrugen. (Der für Galizien 1914 vereinbarte Ausgleich wurde infolge des Kriegsbeginns nicht mehr umgesetzt.) Zisleithanien war daher seiner inneren Verfassung nach im wesentlichen föderalistisch ausgerichtet. Ungarn war ein Nationalstaat mit einer beträchtlichen Anzahl v. nationalen Minderheiten, Zisleithanien hingegen ein Nationalitätenstaat, der den Rechtsanspruch auf Gleichberechtigung v. Nationalität u. Sprache einzulösen suchte u. zu diesem Zweck eine sehr nützliche Verfassungsu. Verwaltungsgerichtsbarkeit entwickelte, die in Ungarn in vergleichbarer Form fehlte. Da die für Zisleithanien gültige Dezemberverfassung v. 1867 einen Katalog der Grundrechte enthielt, konnte auf dieser Grundlage ein in vielen Aspekten vorbildhafter Rechtsstaat aufgebaut werden (vgl. →Rechtsgeschichte), der vielfach zur Konfliktprävention u. -regulierung – allerdings nicht auf gesamtstaatl. Ebene – beigetragen hat. Die nach der Jahrhundertwende immer mehr verbreitete Idee der nationalen Autonomie der einzelnen Völker innerhalb der einzelnen Kronländer hat die Nationen zu den eigentlichen pol. Subjekten gemacht. Allein schon diese Gewichtsverlagerung, die auch eine unterschiedliche Grundorientierung im öffentlichen Leben anzeigte, hat den Graben zw. westl. u. östl. Reichshälfte erheblich vertieft. Karl Renner hat diese Idee vom Primat der Nationen als konstitutives Element u. Träger einer anstehenden radikalen Reichsreform mehrmals artikuliert (→Austromarxismus). Das Völkermanifest Ks. Karls vom 16.10.1918 hat diese Idee als das „Selbstbestimmungsrecht der Völker, auf das sich das neue Reich gründen wird“, allerdings bereits zu spät, noch einmal aufgegriffen, der Nationalismus der Nachfolgestaaten dieselbe Idee jedoch als Instrument gegen die Koexistenz vieler Völker in einem multinationalen Staatsverband eingesetzt u. diesen damit zu Fall gebracht. Der Pluralismus der in Zisleithanien zusammenlebenden Nationen verfügte über kein länderübergreifendes, gesamtstaatliches Forum des Interessenausgleichs, da der →Parlamentarismus eine solche, ihm zukommende Funktion mangels arbeitsfähiger Mehrheitsbildung keineswegs zu erfüllen vermochte, woran auch die Einführung des allgemeinen, gleichen u. geheimen Wahlrechts 1907 nichts änderte. Der Grund dafür ist in einer zu großen, ethnopol. bedingten Aufsplitterung der Parteienlandschaft zu sehen. Selbst die Deutschen, die im allg. als die Zisleithanien dominierende Nation angesehen werden, waren nach dem Scheitern ihrer liberalen, in der 1848er Tradition verwurzelten Bewegung in den 1870er Jahren nicht in der Lage, ihren Führungsanspruch im Widerstreit ihrer nunmehr deutschnational geprägten Gruppierungen mit der Christlichsozialen u. Sozialdemokratischen Partei parlamentarisch durchzusetzen. Auch in dem im Mai 1907 gewählten Parlament mit seinen 28 Fraktionen ließ sich keine arbeitsfähige Mehrheit bilden, so dass die Zentralregierung wie bisher gezwungen war, mit Hilfe des Notverordnungsparagraphen 14 zu regieren. Ein solcher Mangel eines gesamtstaatlich organisierten Interessenausgleichs, gepaart mit dem unüberwindlichen Problem, die Österreich innewohnende Pluralität glaubwürdig zu definieren u. damit eine staatliche, über die literarische „Kakanien“-Metapher hinausführende Identität zu schaffen, führte dazu, dass die Wiener Regierung als Interessenvertretung Zisleithaniens
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der einheitlichen u. straff geführten Politik des ung. Nationalstaats gegenüber sich häufig unterlegen zeigte (→Dualismus). Im Interessenausgleich zw. beiden Reichshälften übernahm der Monarch infolge seiner in Reichsangelegenheiten absolutistischen Stellung eine zentrale, vermittelnde Funktion. Bei Streitfragen, die seine Prärogativen nicht berührten, neigte er im allg. dazu, Ungarn mehr als Österreich entgegenzukommen; wurden letztere jedoch seitens Ungarn in Frage gestellt, zeigte er sich erstaunlich kompromisslos, wie im berühmt gewordenen Armeebefehl v. Chlopy vom 16.9.1903, dem zufolge das Heer unter seinem Oberbefehl gemeinsam u. einheitlich bleiben solle „wie es ist“. Verfallserscheinungen – freilich ganz anderer Natur – zeigte auch das parlamentarische System der ung. Monarchie, auf dessen Mitwirkung – im Gegensatz zu Zisleithanien – auf längere Zeit jedoch weder Regierung noch Krone verzichten konnten. Das Land regierte eine zahlenmäßig kleine Führungsschicht, eine Oligarchie v. adeligem Großgrundbesitz, liberalem Großbürgertum u. mittlerem Gentry-Adel (→Adel; →Bürgertum, Ungarn), der die Positionen im Staatsapparat in seiner Hand vereinigte. Diese Oligarchie war in erster Linie darum bemüht, aus dem Reich der Stephanskrone einen starken magy. Nationalstaat u. aus den nationalen Minderheiten patriotisch fühlende ung. Staatsbürger zu machen. Das zu diesem Zweck skrupellos eingesetzte Instrument der Magyarisierung des gesamten öffentlichen Lebens einschließlich der Schulen stieß auf immer heftigeren Widerstand der Nationalitäten, die im Parlament selbst durch das restriktive Wahlrecht so gut wie gar nicht vertreten waren: fünf Mio. Rumänen, Slowaken u. Ruthenen – ein Viertel der Gesamtbevölkerung – stellten im Reichstag v. 1905 zus. nur acht Abgeordnete v. insges. 453. Das gleiche galt übrigens auch für die breiten ung. Volksschichten, die gleichfalls nicht im Parlament vertreten waren. Das traf auch auf die sich in Richtung einer Massenpartei entwickelnde Sozialdemokratie zu, deren durch zahlreiche Streiks unterstützte Forderung nach Einführung des allg. Wahlrechts am hartnäckigen Widerstand jener Oligarchie scheiterte (→Parlamentarismus). Abgesehen v. diesen negativen, v. der Führungsschicht als soz. u. nationale Frage u. als Demokratiedefizit kaum zur Kenntnis genommenen Rahmenbedingungen wurde das pol. Leben Ungarns ganz v. der Auseinandersetzung über das staatsrechtl. Verhältnis des Landes zu Österreich beherrscht. Aus der jahrhundertealten Tradition einer prinzipiellen Opposition des ung. Adels (v. a. der östl., calvinistisch dominierten Landeshälfte) gegen die landesfremde Dynastie der Habsburger u. deren Zentralisierungsbestrebungen entwickelte sich nach 1867 ein erbittert geführter Kampf um den Ausbau des ung. Nationalstaates u. seiner souveränen Rechte gegenüber Wien, in dem sich die Gemäßigten als Befürworter des Ausgleichs v. 1867 u. die radikale Opposition als Träger der rev. Tradition v. 1848 häufig gegenseitig blockierten u. das Land mehrmals an den Rand der Anarchie brachten, wie das insbesondere 1906 der Fall war, als Ungarn kurzfristig durch kgl. Kommissare regiert werden musste. Der sich um die Jahrhundertwende zuspitzende Kampf der Nationalitäten in Zis- wie Transleithanien um nationale Autonomie u. Gleichberechtigung bekam im Falle all derjenigen Nationalitäten eine besondere Brisanz, die in beiden Staaten lebten u. mit ihren pol. Forderungen, die prinzipiell auf einen →Trialismus hinausliefen, das System des Dualismus zunehmend in Frage stellten. Gerade in der →Südslav. Frage verbanden sich Probleme der Innenpolitik mit solchen der Außenpolitik zu einem kaum mehr lösbaren Knoten. Denn
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v. den drei südslav. Nationalitäten lebten die Slowenen im westl. Staatsgebiet, die Kroaten nicht nur in ihrem Kgr., sondern auch in Istrien, Dalmatien u. in Bosnien-Herzegowina u. die Serben schließlich innerhalb der Doppelmonarchie in Südungarn u. Kroatien, aber auch in Bosnien-Herzegowina u. Dalmatien. Die Serben fanden ihren nationalen Rückhalt in dem benachbarten Kgr. →Serbien u. waren daher besonders empfänglich für die v. dort ausgehende Propaganda für ein gemeinsames Reich, das alle Serben oder alle Südslaven vereinigen sollte (als Form v. [Pseudo-]→Jugoslawismus. Kompliziert wurden diese Verhältnisse noch dadurch, dass die kath. Slowenen u. Kroaten sich dem westl.-abendländischen Kulturkreis, die gr.-orth. Serben relig. u. kult. den süd-östl. Balkanslaven u. den Russen verbunden fühlten. Indem sich Ö.-U. mit dem Zweibundvertrag seit 1879 außenpol. stark an das Dt. Reich anlehnte, vermochte es die v. Russland ausgehenden Gefahren eines panslavistischen (→Panslawismus) →Irredentismus bis 1914 einzudämmen u. der Doppelmonarchie eine lange Friedenszeit zu sichern. Allerdings wurde diese v. einer im letzten Jahrzehnt vor 1914 zunehmenden Zahl v. Konflikten überschattet, die im Kern eine immer stärkere außenpol. Isolierung der beiden Mittelmächte Deutschland u. Ö.-U. anzeigten u. die für den Kriegsausbruch 1914 kennzeichnende Mächtekonstellation vorbereiteten. Der seit 1903 eskalierende Konflikt mit Serbien u. die →Annexionskrise v. 1908/09, in der die Wiener Diplomatie mit ihrer leichtfertig-oberflächlichen Einschätzung ihrer eigenen bescheidenen Möglichkeiten u. der weltpol. Zusammenhänge erstmals einen europaweiten Konflikt heraufbeschwor, hat Ansehen u. Autorität der Regierungen in Wien u. Budapest nach innen wie nach außen erheblich untergraben. Die erbitterte Feindschaft zw. Ö.-U. u. Serbien führte am 28. Juni 1914 zum Attentat des bosnischen Serben Gavrilo Princip in Sarajevo, bei dem der österr.-ung. Thronfolger Franz Ferdinand u. seine Gattin getötet wurden (→Attentat v. Sarajevo). In einem merkwürdigen, ja faszinierenden Gegensatz zu der gleichzeitigen Blüte v. Wissenschaft, Literatur, Kunst u. Musik in der ausgesprochen kosmopolitischen Residenzstadt Wien u. den alten u. doch neuen, völlig verwandelten urbanen Zentren der Doppelmonarchie hat der pol. Niedergang Ö.-U.s zum Höhenflug des „Fin de siècle“ u. zugleich zu einer weit verbreiteten Endzeitstimmung beigetragen, die noch einmal ungeahnte Energien freisetzte. So überzeugend diese auch im Bereich der Kultur fruchtbar geworden sind, so sehr haben sie die Politik als Schauplatz allzu unfruchtbar gewordener Auseinandersetzungen gemieden. Doch erst unter dem Druck v. vier Kriegsjahren u. der v. den Kriegsgegnern systematisch geförderten nationalen Bestrebungen der slav. u. roman. Völker ist im letzten Kriegsjahr in Reaktion auf die immer stärkere Anlehnung der Doppelmonarchie an das Dt. Reich international die Bereitschaft gewachsen, Ö.-U. im Falle seiner Niederlage zu zerschlagen u. sein Territorium dem nationalen Prinzip u. dem mit ihm verknüpften Selbstbestimmungsrecht in Anlehnung an Woodrow Wilsons „14 Punkte“ folgend (→Vereinigte Staaten v. Amerika) auf seine Nachfolgestaaten aufzuteilen. Die in den →Pariser Vorortverträgen ausgearbeitete Nachkriegsordnung hat sich jedoch nicht als langlebig erwiesen. Denn einige der Nachfolgestaaten haben nicht nur das Erbe der Doppelmonarchie, sondern auch ihres Nationalitätenproblems angetreten u. sind gerade mit
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ihm ebensowenig oder noch schlechter zurecht gekommen (→Minderheiten), was im Zuge einer lang anhaltenden u. immer wieder erneuerten Kontinuität des Nationalstaatsgedankens gleichfalls ihr Ende herbeiführte. Solange Ö.-U. als Großmacht seine Länder sicherheitspol. erfolgreich gegen die dt. u. die russ. Expansion zu behaupten vermochte, wurde es v. den übrigen Großmächten als eine für den Donau-Balkanraum unentbehrliche Ordnungsmacht respektiert. Ihre diesbezügliche Glaubwürdigkeit hat sie 1917/18 verloren, als sie sich selbst für die dt. Expansionsbestrebungen in Richtung SOE (Naumanns Mitteleuropa-Plan) instrumentalisieren ließ. Der 1920 errichteten Nachkriegsordnung fehlte der Kristallisationskern eines sicherheitspol. Systems, eine Funktion, die die neue Garantiemacht Frankreich nicht zu übernehmen vermochte. Das somit entstandene sicherheitspol. Vakuum wurde zuerst (bis 1944/45) von der dt., dann von der russ.-sowj. Expansion gefüllt, wovor bereits rund ein Jh. zuvor weitsichtige Persönlichkeiten wie František Palacký, István Széchenyi u. József Eötvös gewarnt hatten. Quellen: Die Protokolle des gemeinsamen Ministerrates der österreichisch-ungarischen Monarchie. Hg. É. Somogyi. [bisher:] Bd. 1/1: 1867–1870; Bd. 1/2: 1870–1871; Bd. 4: 1883–1895; Bd. 5: 1896–1907; Bd. 7: 1914–1918. Budapest 1966–2011. Lit. (a. →Habsburgermonarchie; →Ausgleich, österr.-ung.; →Dualismus): M. Senghaas, Die Territorialisierung sozialer Sicherung: Raum, Identität und Sozialpolitik in der Habsburgermo narchie. Wiesbaden 2015; Die Habsburgermonarchie 1848–1918. [bisher] 11 Bde. Hgg. A. Wandruszka u. a. Wien 1973–2014; J.P. Bled, L’Agonie d’une monarchie: Autriche-Hongrie, 1914– 1920. Paris 2014; C. Jobst/Th. Scheiber, Austria-Hungary: from 1863 to 1914, in: South-Eastern European Monetary and Economic Statistics from the Nineteenth Century to World War II. Athens, Sofia, Bucharest, Vienna 2014, 55–100; C. Hämmerle, Heimat/Front: Geschlechtergeschichte/n des Ersten Weltkriegs in Österreich-Ungarn. Wien [u. a.] 2014; W. Heindl-Langer, Bürokratie u. Beamte in Österreich. Bd. 2: Josephinische Mandarine, 1848–1914. Wien u. a. 2013; M. Rauchensteiner, Der Erste Weltkrieg u. das Ende der Habsburgermonarchie 1914–1918. Wien u. a. 2013; Räume u. Grenzen in Österreich-Ungarn 1867–1918. Kulturwissenschaftliche Annäherungen. Hgg. W. Fischer u. a. Tübingen 2010; J. Bérenger/Ch. Kecskeméti, La Hongrie des Habsbourg. 2 Bde. Rennes 2010/11; L. Katus, Hungary in the Dual Monarchy 1867–1914. Boulder, New York 2008; Nation u. Nationenbildung in Österreich-Ungarn, 1848–1938: Prinzipien und Methoden. Hg. E. Kiss. Münster u. a. 2006; Zentren, Peripherien u. kollektive Identitäten in Österreich-Ungarn. Hgg. E. Hárs u.a. Tübingen, Basel 2006; Die letzten Jahre der Donaumonarchie. Der erste Vielvölkerstaat im Europa des frühen 20. Jh.s. Hg. M. Cornwall. Wegberg 2 2006; A. Komlosy, Grenze u. ungleiche regionale Entwicklung. Binnenmarkt u. Migration in der Habsburgermonarchie. Wien 2003; Bürgertum in der Habsburgermonarchie. 10 Bde. [Mit wechselnden Hgg.] Wien u. a. 1990–2003; Die Doppelmonarchie Österreich-Ungarn: ein politisches Lesebuch (1867 - 1918). Hg. E. Philippoff. Villeneuve-d‘Ascq 2002; H. Rumpler, Österreichische Geschichte 1804–1914. Eine Chance für Mitteleuropa. Bürgerliche Emanzipation u. Staatsverfall in der Habsburgermonarchie. Wien 1997; É. Somogyi, Der gemeinsame Ministerrat der österreichisch-ungarischen Monarchie 1867–1918. Wien u. a. 1996; Metropole u. Provinzen in Altösterreich (1880–1918). Hgg. A. Corbea-Hoisie/J. Le Rider. Wien u. a. 1996; E. Palotás,
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Ostrumelien
Machtpolitik u. Wirtschaftsinteressen. Der Balkan u. Rußland in der österreichisch-ungarischen Außenpolitik 1878–1895. Budapest 1995; F.R. Bridge, The Habsburg Monarchy among the Great Powers 1815–1918. New York 1990; Gesellschaft, Politik u. Verwaltung in der Habsburgermonarchie 1830 bis 1918. Hgg. F. Glatz/R. Melville. Stuttgart 1987; G. Stourzh, Die Gleichberechtigung der Nationalitäten in der Verfassung u. Verwaltung Österreichs 1848 bis 1918. Wien 1985; F.R. Bridge, From Sadowa to Sarajevo. The Foreign Policy of Austria-Hungary, 1866–1914. London, Boston 1972; P. Hanák, Ungarn in der Donaumonarchie. Probleme der bürgerlichen Umgestaltung eines Vielvölkerstaates. Wien 1984; C.A. Macartney, The Habsburg Empire 1790–1918. London 1969; R.A. Kann, Das Nationalitätenproblem der Habsburgermonarchie. Geschichte u. Ideengehalt der nationalen Bestrebungen vom Vormärz bis zur Auflösung des Reiches. 2 Bde. Graz u. a. 1964; E. Palotás, Az Osztrák-Magyar Monarchia balkáni politikaja a Berlini kongresszus után 1878–1918. Budapest 1962; O. Jászi, The Dissolution of the Habsburg Monarchy. Chicago 1929 (Neuaufl. 1961). G. S.
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Ostrumelien (türk. Şarkî Rumeli Vilâyeti; bulg. Iztočna Rumelija). Bez. einer durch den →Berliner Kongress) vom 1.7.1878 geschaffenen, 32.978 km2 großen autonomen Region im europ. Teil des Osm. Reiches, die v. der Sredna Gora (Balkangebirge) im N, den Rhodopen im S u. der Schwarzmeerküste im O begrenzt wurde. Ca. zwei Drittel der 815.000 E waren Bulgaren, etwa ein Viertel Türken u. →Pomaken, die übrigen Griechen, Armenier, Juden, Roma, Aromunen u. a.; Hauptstadt war Filibe (bulg. Plovdiv, gr. Philippopolis). Am 14.4.1879 erließ eine Europäische Kommission für O. eine Verfassung (Organisches Statut), die am 26. September d. J. in kraft trat. Sie sah als Obersten osm. Beamten einen vom Sultan in Übereinstimmung mit den Großmächten auf fünf Jahre zu bestellenden christl. Generalgouverneur vor, dem ein Assistenzrat, bestehend aus fünf Direktoren sowie dem Kommandanten der Miliz u. der Gendarmerie, beigeordnet war. Die Legislative bildete eine aus 36 gewählten, 10 vom Generalgouv. ernannten u. 10 ex officio-Mitgliedern bestehende Regionalversammlung, die aus ihren Reihen ein zehnköpfiges Ständiges Komitee wählte, das zusammen mit dem Generalgouv. die Regierung O.s bildete. Die bulg. Mehrheit in der Regionalversammlung bestimmte Bulgarisch zur Binnenamtssprache – neben den beiden Außenamtssprachen Französisch u. Russisch – u. bewirkte die Besetzung fast aller Regierungs-, Miliz- u. Gendarmerieposten sowie der Verwaltungspositionen in den sechs Departements u. 28 Kantonen mit Bulgaren. Zum ersten Generalgouv. der umgangssprachlich Avtonomijata („die Autonomie”) genannten Region wurde am 13.3.1879 der osm. Diplomat u. orth. Christ Aleko Bogoridi Paşa ernannt. Nach Ablauf seiner Amtszeit folgte ihm am 8.5.1884 der Direktor für Innere Angelegenheiten O.s, Gavril Krîsteviç Paşa, nach. Am 6.9.1885 führte ein „Bulg. Geheimes Zentrales Revolutionskomitee“ (Bălgarski Taen Centralen Revoljucionen Komitet) (→Geheimbünde) einen unblutigen Staatsstreich mit dem Ziel der Vereinigung des Autonomiegebiets mit dem benachbarten Fsm. Bulgarien durch (a. →Bulgarien, ab 1878). Ungeachtet osm. u. russ. Drucks zog das Staatsoberhaupt Bulgariens, Fürst Aleksandăr I., am 9. September in Filibe ein. Die am 24.10.1885 in Istanbul einberufene Botschafterkonferenz zur Ostrumelienfrage der Signatarmächte des Berliner Vertrages
Ostrumelien / Pacta Conventa
sanktionierte am 5.4.1886 die selbstproklamierte Vereinigung in Form einer Personalunion u. setzte am 25. April Aleksandăr I. auf fünf Jahre hinaus als Generalgouverneur O.s ein. Auch nach Ablauf dieser Frist blieb O. unter bulg. Verwaltung. Im Zuge der bosnischen →Annexionskrise erklärte der bulg. Fürst Ferdinand I. am 5.10.1908 die Unabhängigkeit seines aus Ostrumelien u. Bulgarien bestehenden Staates. Mit der Anerkennung dieses Schrittes durch das Osm. Reich am 19.4.1909 hörte O. auch völkerrechtlich auf zu existieren. Lit.: M.M. Stojanov, Kogato Plovdiv beše stolica. (Očerci za Iztočna Rumelija). Plovdiv 2008; P. Kucarov, Ruskata imperija i săedinenieto. [Sofija] 2001; E. Statelova/A. Pantev, Sǎedinenieto na knjažestvo Bǎlgarija i iztočna Rumelija 1885 godina. Sofija 21995; M. Aydın, Şarkî Rumeli Vilâyeti. Ankara 1992; R.J. Crampton, Bulgaria 1878–1918: A History. Boulder/CO u. a. 1983; E. Statelova, Iztočna Rumelija (1879–1885). Ikonomika, politika, kultura. Sofija 1983. St. T.
Pacta Conventa. Herkömmliche Bez. eines etwa 250 Worte langen Textes (Incipit: Qualiter), das – in einem Manuskript der Chronik des Erzdiakons Thomas v. Split überliefert – von einem auf 1102 datierten vermeintlichen Vertrag zw. Kg. Koloman v. Ungarn u. den Kroaten (genauer den „zwölf Geschlechtern“ der Kroaten) berichtet. Demnach soll der Kg. auf eine Schlacht an der Drau verzichtet u. den namentlich aufgeführten kroat. Großen das Recht eingeräumt haben, ihre Besitzungen beizubehalten, keine Steuer zu zahlen u. nur begrenzten Kriegsdienst zu leisten. Die Authentizität dieses „Vertrages“ – der heute von den meisten Kennern als ein Zusatz aus dem 14. Jh. angesehen wird – wurde im politisierten Kontext der Nationalitätenkämpfe des 19. Jh.s von kroat. Seite ebenso unkritisch verteidigt wie von ung. Seite abgelehnt. Die hist. Situation um 1102, als Kg. Koloman nach der Eroberung Kroatiens u. dem Ausgleich mit Venedig sich in Biograd (heutiges Dalmatien) zum Kg. krönen ließ u. aller Wahrscheinlichkeit nach eine Adelsversammlung einberief, lässt die Existenz irgendeiner Vereinbarung annehmen, wenn auch der Wortlaut der P.C. eher die Vorrangstellung der „zwölf Geschlechter“ (die erst im 14. Jh. als solche auftauchen u. keine eindeutig identifizierbare Elite darstellen) hist. untermauern sollte. Quellen u. Lit.: Temelji državnoga prava Hrvatskoga kraljevstva. (Fundamenta juris publici Regni Croatiae). Najstarije doba: Pacta conventa. Hg. N. Tomašić. Zagreb 2010 [Ndr. der Ausgabe v. 1910]; L. Margetić, Odnosi Hrvata i Madjara u ranije doba. U povodu 900. obljetnice hrvatskog priznanja ugarskog kralja Kolomana za hrvatskog kralja, Starine 63 (2005), 1–90; St. Antoljak, Pacta ili Concordia od 1102. godine. Zagreb 1980; H. Jurčić, Die sogenannten „Pacta conventa“ in kroatischer Sicht, Ungarn-Jahrbuch 1 (1969), 11–22; N. Klaić, Tzv. „pacta conventa“ ili tobožnji ugovor izmedju plemstva dvanaestero plemena i kralja Kolomana 1102. godine, Historijski pregled 9 (1960), 107–20; A. Dabinović, Hrvatsko državno pravo u davnini. Prilozi za proučavanje postanka ugovora 1102. (pacta conventa) i trogirske diplome. Zagreb 1937; J. Deér, Die Anfänge der ungarisch-kroatischen Staatsgemeinschaft, Archivum Europae Centro-orientalis 2 (1936), 5–45. J.M. B.
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Ostrumelien / Pacta Conventa
sanktionierte am 5.4.1886 die selbstproklamierte Vereinigung in Form einer Personalunion u. setzte am 25. April Aleksandăr I. auf fünf Jahre hinaus als Generalgouverneur O.s ein. Auch nach Ablauf dieser Frist blieb O. unter bulg. Verwaltung. Im Zuge der bosnischen →Annexionskrise erklärte der bulg. Fürst Ferdinand I. am 5.10.1908 die Unabhängigkeit seines aus Ostrumelien u. Bulgarien bestehenden Staates. Mit der Anerkennung dieses Schrittes durch das Osm. Reich am 19.4.1909 hörte O. auch völkerrechtlich auf zu existieren. Lit.: M.M. Stojanov, Kogato Plovdiv beše stolica. (Očerci za Iztočna Rumelija). Plovdiv 2008; P. Kucarov, Ruskata imperija i săedinenieto. [Sofija] 2001; E. Statelova/A. Pantev, Sǎedinenieto na knjažestvo Bǎlgarija i iztočna Rumelija 1885 godina. Sofija 21995; M. Aydın, Şarkî Rumeli Vilâyeti. Ankara 1992; R.J. Crampton, Bulgaria 1878–1918: A History. Boulder/CO u. a. 1983; E. Statelova, Iztočna Rumelija (1879–1885). Ikonomika, politika, kultura. Sofija 1983. St. T.
Pacta Conventa. Herkömmliche Bez. eines etwa 250 Worte langen Textes (Incipit: Qualiter), das – in einem Manuskript der Chronik des Erzdiakons Thomas v. Split überliefert – von einem auf 1102 datierten vermeintlichen Vertrag zw. Kg. Koloman v. Ungarn u. den Kroaten (genauer den „zwölf Geschlechtern“ der Kroaten) berichtet. Demnach soll der Kg. auf eine Schlacht an der Drau verzichtet u. den namentlich aufgeführten kroat. Großen das Recht eingeräumt haben, ihre Besitzungen beizubehalten, keine Steuer zu zahlen u. nur begrenzten Kriegsdienst zu leisten. Die Authentizität dieses „Vertrages“ – der heute von den meisten Kennern als ein Zusatz aus dem 14. Jh. angesehen wird – wurde im politisierten Kontext der Nationalitätenkämpfe des 19. Jh.s von kroat. Seite ebenso unkritisch verteidigt wie von ung. Seite abgelehnt. Die hist. Situation um 1102, als Kg. Koloman nach der Eroberung Kroatiens u. dem Ausgleich mit Venedig sich in Biograd (heutiges Dalmatien) zum Kg. krönen ließ u. aller Wahrscheinlichkeit nach eine Adelsversammlung einberief, lässt die Existenz irgendeiner Vereinbarung annehmen, wenn auch der Wortlaut der P.C. eher die Vorrangstellung der „zwölf Geschlechter“ (die erst im 14. Jh. als solche auftauchen u. keine eindeutig identifizierbare Elite darstellen) hist. untermauern sollte. Quellen u. Lit.: Temelji državnoga prava Hrvatskoga kraljevstva. (Fundamenta juris publici Regni Croatiae). Najstarije doba: Pacta conventa. Hg. N. Tomašić. Zagreb 2010 [Ndr. der Ausgabe v. 1910]; L. Margetić, Odnosi Hrvata i Madjara u ranije doba. U povodu 900. obljetnice hrvatskog priznanja ugarskog kralja Kolomana za hrvatskog kralja, Starine 63 (2005), 1–90; St. Antoljak, Pacta ili Concordia od 1102. godine. Zagreb 1980; H. Jurčić, Die sogenannten „Pacta conventa“ in kroatischer Sicht, Ungarn-Jahrbuch 1 (1969), 11–22; N. Klaić, Tzv. „pacta conventa“ ili tobožnji ugovor izmedju plemstva dvanaestero plemena i kralja Kolomana 1102. godine, Historijski pregled 9 (1960), 107–20; A. Dabinović, Hrvatsko državno pravo u davnini. Prilozi za proučavanje postanka ugovora 1102. (pacta conventa) i trogirske diplome. Zagreb 1937; J. Deér, Die Anfänge der ungarisch-kroatischen Staatsgemeinschaft, Archivum Europae Centro-orientalis 2 (1936), 5–45. J.M. B.
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Paläologen
Paläologen. Byz. aristokratische Familie u. letzte Kaiserdynastie (1259–1453). Der erste bekannte P. war Nikephoros, der unter Michael VII. (1071–1078) den Dukat Mesopotamia verwaltete. Sein Sohn Georgios gehörte zu den engsten Gefolgsleuten u. besten Generälen Alexios‘ I. Komnenos (1081–1118; →Komnenen). Im 12. Jh. dienten P. als Truppenbefehlshaber, so z. B. Alexios P. als megas domestikos u. Georgios P. 1166 als megas hetaireiarches (Kommandeur der Garde) oder als Militärgouverneure (dukes), so z. B. Michael P. in Thessalonike u. Nikephoros P. in Trapezunt. Ein weiterer Alexios P. heiratete im Frühjahr 1199 Eirēnē, die Tochter Alexios‘ III. Angelos‘ (1195–1203), u. wurde gleichzeitig zum →Despoten u. Thronfolger erhoben. Doch erst 60 Jahre später gelangte Michael Palaiologos, der Enkel des despotes Alexios P. u. Sohn des megas domestikos Andronikos P., auf den Kaiserthron (→Kaiserreich v. Nikäa). Durch die Ermordung des Georgios Muzalon (25.8.1258) verschaffte er sich die Regentschaft für den minderjährigen Johannes IV. Laskaris, ließ sich im Januar 1259 zum Mitkaiser krönen, übernahm Ende 1261 nach der Rückeroberung →Konstantinopels u. der Blendung Johannesʼ IV. die Alleinherrschaft u. begründete damit die Herrschaft seiner Dynastie. Sein Sohn Andronikos II. (1282–1328) verlor Kleinasien an die Türken. Dessen Enkel Andronikos III., der Sohn des bereits 1320 verstorbenen Mitkaisers Michael IX., musste sich die Thronfolge u. die Machtübernahme in einem regelrechten Bürgerkrieg (1321–1328) gegen den Großvater erkämpfen. Sein vorzeitiger Tod (15.6.1341) löste eine weitere Periode v. Bürgerkriegen (1341–1347 und 1352–1357) aus. Die innerdynast. Kämpfe zw. Johannes V. u. seinem zweiten Sohn Manuel P. einerseits u. dem ältesten Kaisersohn Andronikos IV. andererseits (1376–1379) führten zu einer Aufteilung der stark zerplitterten Reichsterritorien unter die Mitglieder der Dynastie. Andronikos IV. u. sein Sohn Johannes VII. erhielten Selymbria. Der vierte Kaisersohn Theodoros herrschte seit 1382 auf der →Peloponnes. Manuel II. Palaiologos (1391–1425), der auch ein brillianter Literat u. Theologe war, versuchte durch eine große Westreise (1399–1403) Hilfe gegen die Osmanen zu erlangen. Auf seinen kinderlosen Sohn Johannes VIII. (1425–1448), der 1438/1439 am Konzil v. Ferrara/Florenz teilnahm, folgte dessen Bruder Konstantin XI., der als letzter byz. Kaiser am 29.5.1453 bei der Verteidigung Konstantinopels fiel. Durch Heiraten waren die P. mit Herrscherhäusern u. aristokratischen Familien in Deutschland (Braunschweig-Grubenhagen), Italien (Savoyen, Montferrat), Epirus, Bulgarien, Serbien, Trapezunt u. Moskau verschwägert.
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Lit.: K.-P. Todt, Byzanz und Braunschweig-Grubenhagen im 14. Jh., in: 50 Jahre Deutsch-Griechische Gesellschaft/Germano-Hellēnikos Syllogos Wiesbaden 1959–2009. Hg. H. Lamm. Wiesbaden 2009, 75–84; R. Radić, Jovan V Paleolog, vizantijski car (1341–1391). Beograd 2008; N.Th. Geōrgiadēs, Ta nomismata tōn Palaiologōn (1259–1453). Eeikonographikē prosengisē. Thessalonikē 2007; E. Fryde, The Early Palaeologan Renaissance (1261– c. 1360). Leiden u. a. 2000; Geschichte u. Kultur der Palaiologenzeit. Referate des Internationalen Symposions zu Ehren von Herbert Hunger (Wien, 30. November bis 3. Dezember 1994). Hg. W. Seibt. Wien 1996; R. Radić, Vreme Jovana V Paleologa (1332–1391). Beograd 1993; D.M. Nicol, The Immortal Emperor. The Life and Legend of Constantine Palaiologos. Cambridge 1992; E. Trapp (mit H.-V. Beyer/S. Kaplaneres), Prosopographisches Lexikon der Palaiologenzeit. Fasz. 9 Wien 1989, 61–107; J.-F.
Palatin / Pannonien
Vannier, Les premiers Paléologues, in: Études prosopographiques. Hgg. J.-C. Cheynet/J.-F. Vannier. Paris 1986, 123–187; D.M. Nicol, The Last Centuries of Byzantium, 1261–1453. London 1972 (Cambridge ²1993). K.-P. T.
Palatin (lat. comes palatinus; ung. nádorispán – aus →Ispán unter Hinzufügung des aus slav. dvor, „Hof“ stammenden Hinweises auf den Königshof –, später einfach palatinus oder nádor). Ursprünglich Vorsteher der kgl. Hofleute in Ungarn, seit spätestens 1138 Richter der Hofleute u. anderer Adeliger, seit Anfang des 12. Jh.s höchster Würdenträger des Kgr.s, Stellvertreter des Kg.s. (bis zur →Revolution v. 1848/49 [Ungarn]). Im 13. Jh. wurde dem P. die Jurisdiktion über die angesiedelten →Kumanen u. das Gespanat des →Komitats Pest übertragen. In den folgenden Jh.n spielten die P.e v. a. als reisende Richter in besonderen Komitatsversammlungen (congregatio generalis palatinalis) eine wichtige Rolle. Die Namen der P.e sind seit dem 12. Jh. fast lückenlos bekannt, sie stammten aus den Familien der Hocharistokratie. Um 1300, während der Thronwirren, beanspruchten den Titel mehrere Oligarchen, doch nach 1308 stellte sich die Ordnung wieder her. Die sog. Palatinalen Artikel (herkömmlich falsch auf 1485/86 datiert), allem Anschein nach im 16. Jh. zusammengestellt, widerspiegeln die Verhältnisse unter den ersten Habsburgern auf dem ung. Thron. Mit der Entwicklung des Ständestaats galt der P. als Sprecher der →Stände, die seit dem 15. Jh. – mit gelegentlichem Erfolg – auf ihr Recht, den P. zu wählen, beharrten. Seit 1608 war der P. Vorsitzender der Magnaten-Tafel (→Országgyűlés). In der Habsburgerzeit wurde das Amt des P. nach 1554 nicht besetzt, u. es galt als Sieg der ung. Stände, dass 1608 ihr Recht zur Wahl des P. aus den vom Kg. vorgeschlagenen Herren beschlossen wurde (GA 1608 ante cor.: 3). Danach hielten Mitglieder der größten aristokratischen Familien (Esterházy, Pálffy, u. a. m.) das Amt inne, um 1790 bis 1848 von Habsburger Erzherzögen (Alexander, Josef, Stephan) abgelöst zu werden. Lit.: N.C. Tóth, A nádori cikkelyek keletkezése, in: Rendiség és parlamentarizmus Magyarországon a kezdetektől 1918-ig. szerk. Hgg. T. Dobszay u. a. Budapest 2014, 36–45; József nádor (1776– 1847) Pest-Budán. Kiállítás a Budapesti Történeti Múzeumban. Palatin Joseph (1776-1847) in PestOfen. Ausstellung in dem Historischen Museum der Stadt Budapest, September 1997–Februar 1998. Budapest 1997; F. Eckhart, Magyar alkotmány – és jogtörténet. Budapest 1946; V. Fraknói, Az 1485-ik évi nádori czikkelyek, Századok 33 (1899), 482–506; V. Frankl [Fraknói], A nádori és országbírói hivatal eredete és hatáskörének történeti kifejlődése. ebd. 1863. J.M. B.
Pannonien (lat.: Pannonia). Das Land der illyrisch sprechenden Pannonier, das seit 12 v. Chr. von Tiberius erobert u. zunächst der röm. Prov. Illyricum angegliedert wurde, umfasste das heutige Westungarn (→Transdanubien), das Wiener Becken u. das heutige →Burgenland, das Gebiet zw. Save u. Drau (→Slawonien) sowie einen ca. 30 km breiten Streifen südl. der Save. Seit 8 n. Chr. als Prov. Pannonia von einem konsular. Statthalter verwaltet, wurde P. zw. 103 und 106 n.Chr. in die westl. P. superior u. die östl. P. inferior gegliedert, die man um
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Pannonien
296 erneut entlang der Drau teilte, die P. superior in eine nördl. P. prima u. südl. Savia, die P. inferior in eine nördl. Valeria u. südl. P. secunda. Nach der röm. Niederlage von Adrianopel wurden Ostgoten, Alanen u. Hunnen als Föderaten angesiedelt. Die röm. Verwaltung u. das Limes-Verteidigungssystem hörten allmählich auf zu existieren. P. geriet um 433 unter die Herrschaft der Hunnen. Nach dem Tode Attilas (453) eroberten die Gepiden Teile P.s u. erhoben Sirmium zu ihrer Königsresidenz, unterlagen aber 567 den verbündeten →Awaren u. Langobarden. Erst der Abzug der Langobarden nach Italien verhalf den Awaren, die 582 auch Sirmium einnahmen, zu einer zwei Jh.e dauernden Herrschaft über P. Auch slav. Verbände scheinen sich im Gefolge der Awaren vor Ende des 6. Jh.s in P. niedergelassen zu haben. Die Awarenkriege Karls d. Gr. (788–96, 799, 802/03) führten zur Angliederung P.s ans Frankenreich. Der Ks. unterstellte das eroberte Land dem Präfekten des bayer. Ostlandes (Orientalis plaga), beließ jedoch den Awaren ein eigenes Tributärfsm. zw. Carnuntum u. Savaria (805–828). Das Gebiet zw. Enns u. Raab wurde der kirchl. Aufsicht des Bistums Passau unterstellt, während Salzburg das Land zw. Raab, Donau u. Drau u. das Patriarchat von Aquileia die Region südl. der Drau zugeteilt erhielten. Als ein Aufstand des Slavenfürsten Liudevit von Siscia/Sisak scheiterte, wurde 828 die fränk. Grafschaftsverfassung eingeführt, die Raab als Grenze zw. P. superior u. P. inferior bestimmte. Ein neues Herrschaftszentrum bildete sich unter dem Slavenfürsten Privina (838– 60) u. dessen Sohn Kocel († ca. 875), die als fränk. Statthalter im unterpannon. Moosburg an der Zala residierten. Kocel öffnete sein Fsm. 866 für die Missionsarbeit der aus Mähren (→Großmährisches Reich) vertriebenen →Slavenapostel Konstantin u. Method. Letzterer führte bis 879 den Titel eines Ebf.s von P. 876 kam Moosburg zus. mit dem übrigen P. und Karantanien, dem Fsm. Siscia u. der Gft. an der oberen Save unter die unmittelbare Herrschaft Arnulfs von →Kärnten (876– 99), doch litt das Land sehr unter den wiederholten Einfällen der Mährer (883, 884) u. seit 894 der Ungarn. Selbst der Versuch Arnulfs, dem slav. Fürsten Brazlavo von Sisak 896 den „Schutz von P. mit der Moosburg“ zu übertragen, vermochte nicht zu verhindern, dass die Ungarn den Tod des Kaisers 899 zum Anlass nahmen, P. im darauffolgenden Jahr zu erobern (→Ung. Landnahme). Schon im 11. Jh. verwendete man daher in der abendländ. Welt den Begriff Pannonia bzw. regnum Pannonicum als Synonym für das gesamte Kgr. →Ungarn. Bisweilen bezeichneten sich auch die ersten Könige der →Arpaden als rex Pannoniae (Pannonicorum). Der Name taucht auf den Münzen von Kg. Peter (1038–41, 1044–46) bis zu Géza I. (1074–77) auf u. blieb im ON Pannonhalma (Sacer Mons Pannoniae) erhalten. Seit dem 12. Jh. bürgerte sich für das eigtl. P. in Ungarn der Begriff →Transdanubien (ung.: Dunántúl) ein, der vermutl. auf die Blickrichtung der von Osten her landnehmenden Ungarn zurückzuführen ist. International wird P. heute oft als Synonym für das Land Ungarn oder im weiteren geogr. Sinne für das pannon. Becken verwendet.
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Lit.: Christentum in Pannonien im ersten Jahrtausend. [Internationale Tagung im Balaton Museum in Keszthely vom 6. bis 9. November 2000]. Hg. R. Müller. Zalaegerszeg 2002; H.
Panslawismus
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Panslawismus. Ideologie u. Bewegung, die die sprachlich-kult. u. in der späteren Entwicklung auch pol. Einheit aller Slaven zum Ziel hatte. Erstbeleg 1826 als Begriff des slowak. „Nationalerweckers“ Ján Herkel’, u. zwar als Bezeichnung für die Verwandtschaft der slav. Sprachen. Als bekanntester Vorläufer des P. gilt der kroat. Jesuit Juraj Križanić (1618–1683), der von einer sprachlich-kult., konf. u. pol. Einheit aller Slaven unter der Führung des russischen Zaren, den er für seine Ideen erfolglos zu gewinnen suchte, geträumt hatte. Križanić schuf eine Kunstsprache, eine Mischung aus Russisch, Altkirchenslavisch u. Kroatisch, die nach seinen Vorstellungen zur Einheitssprache aller Slaven werden sollte. Von einem Zusammengehörigkeitsgefühl der einzelnen slav. Völker bzw. deren pol. Eliten zu einer kult. oder gar pol. Nation kann jedoch erst ab dem 19. Jh. gesprochen werden. Bezeichnenderweise entstand der P. nicht in Russland, sondern unter den (kleinen) slav. Völkern der →Habsburgermonarchie zur Zeit der sog. nationalen „Wiedergeburtsbewegungen“ (→Nationsbildung). Die Ideologen des P. sahen ihre Völker von den großen „fremden“ Nachbarn, v. a. den Deutschen u. Magyaren, in ihrer Existenz bedroht u. beschworen die sprachlich-kult. Einheit aller Slawen unter der Führung Russlands. Wichtige Impulse kamen von Johann Gottfried Herder (1744–1803), der in seinem Werk „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit“ (im berühmten „Slawenkapitel“), ein Idealbild des „slawischen Volkes“ entwarf u. diesem eine große Zukunft in Europa prophezeite, sowie von der dt. Nationalbewegung, die gleichzeitig als Bedrohung empfunden wurde. Der Slowake Ján Kollár (1793–1852), der eigentliche Begründer des P. (er selbst sprach von der „slav. Wechselseitigkeit“), zeichnete ein Idealbild der Slaven in der Vergangenheit u. verhieß der „einheitlichen, großen slav. Nation“ u. deren Kultur eine glorreiche Zukunft. Die einheitliche slav. Kultur sollte die Dominanz der germanisch-romanischen brechen u. die führende Rolle in Europa übernehmen. Eine pol. Einheit der Slaven strebte Kollár nicht an; sein romantischer P. beschränkte sich auf den kult.-sprachl. u. literar. Bereich. Er bemühte sich v. a. um Errichtung von Lehrstühlen für die „slav. Sprache“ u. die Vereinheitlichung der Rechtschreibung. Ähnliches gilt auch für seine Landsleute Pavol Jozef Šafarík (1793–1852) und L’udovit Štúr (1815–1856) (a. →Slowaken). Auf dem Gedanken slav. Wechselseitigkeit bzw. ethn. und sprachl. Einheit aller Slaven beruhte auch die in →Kroatien unter der Führung Ljudevit Gajs (1809–1872) entstandene
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Panslawismus
Illyrische Bewegung (→Illyrismus), die aber außerhalb Kroatiens meist als Vereinnahmungsversuch für ein Großkroatentum abgelehnt wurde. Der erste 1848 in Prag unter dem Vorsitz v. František Palacký abgehaltene (All)Slavenkongress beschränkte sich nur auf die Slaven in der Habsburgermonarchie. Die Teilnehmer, v. a. die tschechischen u. die polnischen, erteilten Russland als möglicher pol. Führungskraft der Slaven eine klare Absage (→Austroslawismus). In Russland selbst manifestierte sich P. seit den 1830er Jahren als Slavophilentum, das im Gegensatz zur Bewegung der sog. „Westler“ (zapadniki) stand. Typisch ist die Glorifizierung Russlands u. der Orthodoxie – der „reinen und ursprünglichen“ Form des Chistentums – als dessen Seele durch den Begründer der Bewegung, Aleksej Stepanovič Chomjakov (1804– 1860). Er vertrat die Theorie von einer besonderen hist. Rolle der Slaven unter Leitung v. Russland als führender slav. Macht u. Hort der Orthodoxie, das dazu berufen sei, die westliche bzw. die gesamte Welt zu „erlösen“ (russ. Messianismus). Nikolaj Jakovlevič Danilevskij (1828–1885) war überzeugt, Russland sei aufgrund seiner besonderen relig. u. gesellschaftspol. Situation zur Führungsrolle der Slaven berufen. Diese sollte es von der Fremdherrschaft befreien, in einem großen Slavenreich, mit →Konstantinopel als Hauptstadt, vereinigen u. für den unvermeidlichen Kampf gegen die „lateinisch-germanische Zivilisation“ vorbereiten. Nach dem russ.-osm. Krieg v. 1877/78 (vgl. →Berliner Kongress), dessen Ausbruch die panslawist. Agitation zweifellos begünstigt hatte, erlebte der P. seinen Niedergang. Zu Beginn des 20. Jh.s lebte der Gedanke der slav. Solidarität wieder auf – im Zusammenhang mit dem sich verschärfenden Konflikt zw. Russland u. Österreich-Ungarn um den Balkan, der schließlich in den 1. →Wk. mündete. In diesem Kontext ist auch die Entstehung des sog. Neoslawismus in der Habsburgermonarchie zu sehen, dessen prominentester Vertreter der tschech. Politiker Karel Kramář (1860–1937) war. Als Reaktion auf die „antislav. Politik“ Wiens u. Budapests (Annexion Bosniens u. der Herzegowina, →Annexionskrise; Agramer Hochverratsprozess) setzte er sich für eine verstärkte kult. u. wirt. Zusammenarbeit der Slaven der Monarchie u. für intensivere Beziehungen zu denjenigen außerhalb des Reiches ein. Nach dem Zerfall der Habsburgermonarchie arbeitete Tomáš Garrigue Masaryk (1850–1937) als Präsident der Tschechoslowakei an der praktischen Annäherung der Slaven (Gründung des „Slovanský ustav“ in Prag 1928); infolge der Konflikte zw. einzelnen slav. Völkern (Polen u. Ukrainer, Tschechen u. Slowaken, Serben u. Kroaten) wurde der Gedanke der slav. Solidarität jedoch obsolet. P. war insges. nie ein konkretes pol. Programm; als solches existierte er nur als Bedrohungsvorstellung in den Köpfen der dt. u. ung. Nationlideologen. Entscheidend dafür, dass er nur Ideologie geblieben ist, waren die Interessengegensätze zw. einzelnen slav. Völkern, die (berechtigte) Angst der kleinen vor der Hegemonie der großen „Brüder“ sowie die mangelnde Bereitschaft, die erst entdeckte nationale Eigenheit einer fiktiven slav. Gemeinschaft zu opfern. Im Prozess der nationalen „Selbstwerdung“, der parallel zur Entstehung der slav. „Solidargemeinschaft“ verlief, gerieten die beiden in Konflikt, wobei der Drang nach nationaler Eigenart u. Selbständigkeit über das slav. Zusammengehörigkeitsgefühl siegte.
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Para
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Para (aus pers. pāre „Stück“). Im vorosm. Ägypten ursprünglich kleinere Silbermünze unter der Bezeichnung medin, niṣf fiḍḍah oder ḳiṭʻa („Stück“) vom Gewicht eines halben Dirham. Nach der osm. Eroberung Ägyptens 1517 blieb der P. hier bis ins 18. Jh. die grundlegende Rechnungseinheit sowie die wichtigste Münzsorte für tägliche Transaktionen. Das osm. Provinzgesetzbuch (kanunname) von 1524 bestimmte, dass 250 P. aus je 100 Dirham mit 84 % Silberanteil zu schlagen waren. So belief sich der Feingehalt des P. anfangs auf 1,075 g Silber (ca. 50 % mehr als im Falle der zeitgenössischen →Akçe), woraus sich ein Wechselverhältnis zw. P. u. Akçe von 1,5 ergab. Noch während des 16. Jh. wurde der P. auch in osm. Münzstätten außerhalb Ägyptens geschlagen, so in Syrien (v. a. in Damaskus u. Aleppo), Ostanatolien (hier besonders in Diyarbakır), dem Irak, Jemen, in Tripoli, Tunis u. Algier. Münzverschlechterungen wie die v. 1585/86 (als der P. regional um die Hälfte seines Wertes verlor) führten zu wiederholter Abwertung gegenüber dem Goldstandard, jedoch konnte sich der P. gegenüber der sich noch rapider verschlechternden →Akçe behaupten. Gegen 1640 betrug der Silber-
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Para / Paris, Friede von (1856)
wert des in Istanbul ausgegebenen P. das Dreifache eines Silberlings u. den vierzigsten Teil eines Reichstalers (kara guruş). Diese Relation v. 1:40 zw. P. u. →Kurusch (dessen Teildenominationen nach ihrem P.-Wert wie yirmilik „Zwanziger“ bezeichnet zu werden pflegten) wurde bis ins 20. Jh. beigehalten. Seit der Zeit Sultan Abdülmedschids (reg. 1839–1861) prägte man den P. nicht mehr in Silber, sondern nur noch in Kupfer (in Stücken zu 1, 5, 10, 20 und 40 P.), ab 1909 in Nickel. In der heutigen Türkei, aber auch in vielen Ländern SOEs ist „P.“ die gängige Bezeichnung für „Geld“ generell. Lit. (a. →Akçe): E. Eldem, Banknotes of the Imperial Ottoman Bank (1863–1914). İstanbul 1999. M. U.
Paris, Friede von (1856). Der F.v.P. beendete den →Krimkrieg. Die eigentlichen Friedensverhandlungen fanden vom 25.2. bis zum 30.3.1856 unter Teilnahme v. Vertretern Russlands (Orlov u. Brunnov), Englands (Clarendon u. Cowley), Frankreichs (Walewski u. Bourqueney), des Osm. Reiches (Ali Paşa u. Mehmed Cemil), Österreichs (Buol u. Hübner) u. Sardiniens (Cavour u. Villamarina) statt. Am 18. März kamen die Vertreter Preußens hinzu (Manteuffel u. Hatzfeld). Das vorläufige Friedensprogramm war bereits im Wiener Ultimatum an Russland vom 16.12.1855 in den sog: „Vier Punkten“ enthalten. Diese beinhalteten im wesentlichen: Beendigung des russ. Einflusses auf die →Donaufürstentümer Moldau u. Walachei, Freiheit der Donauschiffahrt, Neutralisierung des Schwarzen Meeres (→Meerengenfrage), Verbesserung der Lage der Christen im Osm. Reich. Während der Verhandlungen in Paris wurden diese Punkte bereits als eine Art Präliminarfrieden anerkannt. Ferner kamen hinzu: die Regelung der bessarabischen Frage (→Bessarabien), d. h. die russ. Anerkennung der osm. Kontrolle über die Donaumündung durch Abtretung des bessarab. Gebietes zu beiden Seiten des Flusses an die Pforte; Russland behielt aber Bolgrad, den Mittelpunkt der bulg. Kolonie in Bessarabien; Rückgabe der Festung Kars im Kaukasus durch Russland; russ. Verpflichtung, keine Festung auf den finnischen Åland-Inseln anzulegen. Wichtigster Punkt der Konferenz war das Schicksal der Donaufürstentümer: sie blieben zwar unter osm. Herrschaft, de facto aber unter Aufsicht der Mächte. Somit wurden die Ansprüche Russlands auf das Donaudelta zurückgewiesen. Die vollständige staatliche Unabhängigkeit der dann bereits vereinigten Donaufürstentümer Moldau u. Walachei wurde hingegen erst 1878 erreicht (→Berliner Kongress). Quelle: Traité de paix signé à Paris le 30 mars 1856 entre la Sardaigne, lʼAutriche, la France, le Royaume Uni de la Grande Bretagne et dʼIrlande, la Prusse, la Russie et la Turquie. Milano 1856 (URL: http://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10557776_00001.html? leftTab=toc [25.9.2014]). Lit. (a. →Krimkrieg): W. Baumgart, Vom europäischen Konzert zum Völkerbund. Friedensschlüsse u. Friedenssicherung von Wien bis Versailles. Darmstadt 21987; ders., Der Friede von Paris 1856. Studien zum Verhältnis von Kriegführung, Politik u. Friedensbewahrung. München 1970. A.M. Sch. 696
Pariser Vorortverträge
Pariser Vorortverträge. Bez. für die Friedensverträge, die den 1. →Wk. beendeten u. in Vor orten von Paris unterzeichnet wurden: mit Deutschland in Versailles am 28.6.1919, mit Österreich in →Saint Germain am 10.9.1919, mit Bulgarien in →Neuilly am 27.11.1919, mit Ungarn in →Trianon am 4.6.1920 u. mit der Türkei in →Sèvres am 10.8.1920. Mit Ausnahme des letzten, der am türk. Widerstand scheiterte u. durch den Frieden von →Lausanne (24.7.1923) ersetzt werden musste, begründeten diese 1919/1920 in Paris ausgehandelten Verträge die Nachkriegsordnung Europas, deren pol. Landkarte in Ostmittel- u. besonders SOE mit wenigen, fallweise auch nur zeitweiligen Abänderungen bis 1989 Bestand hatte. An Stelle der beiden dynastisch-konservativen Vielvölkerreiche der Donaumonarchie u. Russlands traten Nachfolgestaaten, die sich zwar auf das Prinzip der nationalen Selbstbestimmung beriefen, aber einer Reihe von kleineren, schwächeren Nationen u. Nationalitäten das Recht verweigerten, gleiche Ansprüche für sich geltend zu machen. Das vom amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson in seinen vierzehn Punkten proklamierte Konzept einer künftigen Nachkriegsordnung (→Vereinigte Staaten v. Amerika), das auf eine Kooperation freier, demokr. legitimierter Nationen abzielte, wurde von den europ. Siegermächten, allen voran Frankreich u. Großbritannien, erfolgreich uminterpretiert. Wilsons Appell, eine Konfliktlösung aufgrund einer gerechten ethn. Grenzziehung u. im Rahmen einer transparenten u. multilateralen Zusammenarbeit aller Mächte herbeizuführen, wurde als ein momentan nicht einlösbarer Scheck auf die Zukunft bewertet – die Gegenwart blieb beherrscht vom übersteigerten Nationalismus der europ. Siegermächte u. der als solche qualifizierten Nachfolgestaaten Polen, Tschechoslowakei, →Jugoslawien (SHS-Staat) u. Rumänien. Diesen gewährte man mit der Selbstbestimmung auch das Recht, ihr Territorium aus nationalistischen, strategischen wie wirt. Gründen in einem Maße abzurunden, das wiederum auf Unterdrückung der zu Minderheiten herabgestuften Deutschen, Magyaren u. anderen ethn. Gruppen hinauslief. Obwohl in alle Friedensverträge Bestimmungen des →Minderheitenschutzes aufgenommen wurden, hatten solche aus Gründen der mangelnden Rechtsstaatlichkeit wie der unitarisch-zentralistischen Verfassungskonzeption der Nachfolgestaaten v. vornherein wenig Chancen, Anwendung zu finden. Als die Friedenskonferenz am 18.1.1919 zu ihrer Eröffnungssitzung zusammentrat, war bereits der Ausschluss der Verliererstaaten aus den Verhandlungen entschieden, was Wilson jede Möglichkeit nahm, als Mediator aufzutreten. Jegliche Rückkehr zu einem status quo ante bellum war ausgeschlossen, denn →Österreich-Ungarn, dessen Erhalt den Entente-Mächten bis Anfang 1918 noch durchaus wünschenswert erschienen war, hatte durch seine Satellitenrolle an der Seite Deutschlands alle Glaubwürdigkeit verloren u. sich inzwischen aufgelöst. Durch den Einsatz von Truppen gezogene Demarkationslinien versuchten die Nachfolgestaaten möglichst günstige Ausgangspositionen auf Kosten Österreichs u. v. a. Ungarns einzunehmen. Auf der Konferenz wurde ihnen der Status von Mächten mit beschränkten Interessen eingeräumt, die sich den arbiträren Entscheidungen der „Großen Fünf“: Frankreich, Großbritannien, Italien, USA u. Japan unter ihrem unumstrittenen Vorsitzenden, dem frz. Ministerpräsidenten Georges B. Clemenceau zu unterwerfen hatten. Allerdings zogen sich Japan bereits im März u. die USA im Dezember 1919 aus diesem Führungsgremium zurück, so dass nur die „Großen Drei“ übrig blieben. Verhandelt wurde
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Pariser Vorortverträge
in zahlreichen, insges. 58 Kommissionen, u. deren Aktivitäten (in insges. 1646 Sitzungen) konzentrierten sich ausschließlich auf die territ. u. materiellen Interessen der Siegermächte, insbesondere der Nachfolgestaaten, die zwar in den Kommissionen nicht vertreten waren, diesen aber ihre Wünsche u. Vorstellungen übermitteln konnten. Es gab keinerlei Möglichkeit, Interessen der besiegten Mächte in den Verhandlungsprozess einzubringen. Zu den ihren Repräsentanten überreichten u. bereits fertigen Vertragsentwürfen konnten diese nur auf schriftlichem Wege u. damit erst in der allerletzten Konferenzphase Einwendungen u. Abänderungsvorschläge vorbringen. Auf dem Hintergrund der aufgrund von Übersetzungsfehlern frühzeitig eskalierten Debatte über die Kriegsschuldfrage hat eine solche Vorgangsweise in den Augen der besiegten Mächte allen Pariser Verträgen den Makel eines im Kern ungerechten u. daher revisionsbedürftigen Diktats der Friedensbedingungen verliehen (→Revisionismus). Es hat sich gezeigt, dass eine solche Friedensordnung nicht von Dauer sein konnte. Darüber hinaus waren die beiden Siegermächte Großbritannien u. Frankreich zu ausschließlich daran interessiert, Deutschland so weit wie möglich zu schwächen u. legten zu wenig Wert darauf, die demokr. Umgestaltung dieses Landes, aber auch Österreichs u. Ungarns nach Kräften zu fördern. Beide Westmächte verfolgten das zu einseitig sicherheitspol. akzentuierte Ziel, die zw. Deutschland u. Russland – das infolge seiner revol. Umwandlung als Machtfaktor kurzfristig ausgeschieden war – neu errichteten Nationalstaaten als einen Sicherheitskordon sowohl gegen dt. Expansionsbestrebungen wie gegen ein Vordringen des Bolschewismus auszurichten. Während London eine föderative u. stufenweise Integration dieser Länder anstrebte, suchte Paris Ostmitteleuropa als eine pol. wie ökon. von Frankreich beherrschte Schutzzone einzurichten. Doch beide Mächte hatten sich von Gläubiger- in Schuldnerländer verwandelt, waren durch die vier Kriegsjahre ausgeblutet u. damit langfristig zu schwach, sich dem Expansionsstreben eines wiedererstarkten Deutschlands (u. nach 1945 der zur Weltmachtrolle aufgestiegenen Sowjetunion) erfolgreich zu widersetzen, so dass ihre Klientelstaaten der doppelten Katastrophe des 2. →Wk.s u. der Sowjetisierung zum Opfer fielen.
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Parlamentarismus (Wahlrecht)
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Parlamentarismus (Wahlrecht). Regierungsform, in der der Regierungschef u. i. d. R. auch die Minister zu ihrer Amtsführung des Vertrauens eines gewählten Parlaments bedürfen. Die Kompetenzen der Volksvertretung beschränken sich nicht auf die Legislative, sondern erstrecken sich auch auf die Regierungsbildung, so dass sich im Idealfall ein Gleichgewicht von Parlament u. Regierung herausbildet. In den Kämpfen um die →Verfassungen der soe. Staaten während des 19. u. 20. Jh.s spielten Kompetenzen u. Wahl der Volksvertretungen eine Schlüsselrolle. Die legislative Gewalt, das Budgetrecht u. die Ministerverantwortlichkeit wurden seit dem letzten Drittel des 19. Jh.s schrittweise, von vielen Rückschlägen begleitet, durchgesetzt (zuerst 1864/75 im Kgr. Griechenland u. 1866 im Fsm. Rumänien). In Serbien zeichnete sich mit der Verfassung von 1888, die nach dem Muster der belgischen Verfassung von 1831 sowie in Anlehnung an andere westeurop., liberale Vorbilder gestaltet war, ein Sieg des Parlamentarismus ab. Zwar fand sich darin noch kein Hinweis auf die Volkssouveränität, aber die Befugnisse des Parlaments als gesetzgebende Körperschaft (mit Budgetrecht u. Ministerverantwortlichkeit) u. die politischen Rechte der Bürger (direktes u. geheimes Wahlrecht für Männer auf der Basis eines Steuerzensus) wurden deutlich gestärkt. Im Zuge eines Staatsstreichs erneuerte Kg. Alexander Karajordjević 1894 jedoch die konstitutionelle Monarchie gemäß der Verfassung v. 1869. Erst nach dem Königsmord v. 1903 begann das „goldene Zeitalter der Demokratie“ in Serbien, das nach den Untersuchungen v. Dubravka Stojanović mit der Demokratie im westeurop. Sinn jedoch wenig gemein hatte. In Ungarn waren die Regierungen bis zum Ende der k.u.k. Monarchie ausschließlich der Krone u. nicht dem Parlament verantwortlich. Die Staatsoberhäupter (Monarchen) in SOE behielten noch in den Verfassungen der Zwischenkriegszeit weitgehende Rechte bei der Einberufung, Vertagung u. Auflösung der Parlamente, so dass von einem voll ausgebildeten P. nur bedingt die Rede sein konnte. Mit dem Beginn der →Diktaturen ab Ende der 1920er Jahre (zunächst Königsdiktaturen, dann
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Parlamentarismus (Wahlrecht)
„sozialist.“ Diktaturen) wurden die Parlamente zu bloßen Akklamationsorganen reduziert u. konnten sich erst nach dem Umbruch v. 1989 wieder entfalten. Ein voll entwickelter P. impliziert die freie, geheime u. allg. Wahl der Parlamente sowie die Durchführung fairer Wahlen. In den postosm. Balkanstaaten, in denen es keine adlige Schicht gab, konnte das allgemeine Wahlrecht für Männer in mehreren Etappen vor 1914 realisiert werden (erstmals, mit einem nur noch geringen Vermögenszensus, 1844 in Griechenland, dann 1869 in Serbien u. 1879 in Bulgarien). In →Zisleithanien wurde Ende 1906 das allg. Männerwahrecht eingeführt, während in den Ländern der →Stephanskrone (einschließlich des Kgr.s Kroatien) u. in Rumänien bis zum Ende des 1. Wk.s resp. bis 1917 ein hoher Steuerzensus bestand, der das Wahlrecht auf einen marginalen Teil der männlichen Bev. beschränkte. Das Ende Oktober 1918 von der bürgerlichen Regierung Ungarns unter Mihály Károlyi erlassene Wahlgesetz gewährte erstmals allen Männern u. Frauen über 21 resp. 24 Jahren das Wahlrecht, doch wurde dieses Zugeständnis während des Horthy-Regimes durch erneute Einführung eines Steuerzensus 1922 zurückgenommen. Danach war nur noch wenig mehr als die Hälfte der erwachsenen Bev. (Frauen nur unter bestimmten Voraussetzungen) wahlberechtigt u. von diesen durften nur etwa 20 % ihre Stimme (bis 1938) geheim abgeben. Während die Frauen in den meisten europ. Staaten nach 1918 die volle staatsbürgerliche Gleichberechtigung erlangten, war dies in den soe. Staaten außer in der Türkei erst nach 1944/45 der Fall (mit Ausnahmen beim kommunalen Wahlrecht in Rumänien, Bulgarien u. Griechenland) (a. →Frau, rechtliche Stellung). Die Gewährung des Wahlrechts bot jedoch ohnehin keine Garantie für die Abhaltung fairer Wahlen. Insbesondere in den Balkanländern wurden die Wahlen in der Zwischenkriegszeit fast regelmäßig durch die vom Monarchen mit der Durchführung beauftragte Regierung manipuliert. Die aus derartigen Abstimmungen hervorgegangenen Parlamente erfüllten daher die Kriterien für einen funktionierenden P. nicht. Die wichtigen pol. Entscheidungen wurden außerhalb des Parlaments u. unabhängig von ihm getroffen.
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Lit. (a. →Parteien): O. Popović-Obradović, The parliamentary system in Serbia 1903–1914. Beograd 2013; Discursuri şi dezbateri parlamentare 1864–2004. Hg. Gh. Buzatu. București 2011; Zs. Boros/D. Szabó, Parlamentarizmus Magyarországon (1867–1944). Parlament, pártok, választások. Budapest 2008; J. Cvirn, Razvoj ustavnosti in parlamentarizma v Habsburški monarhiji: Dunaj ski državni zbor in Slovenci (1848–1918). Ljubljana 2006; J. Prunk u. a., Parlamentarna izkušnja Slovencev 1848–2004. ebd. 22006; J. Bérenger/Ch. Kecskeméti, Parlement et vie parlementaire en Hongrie, 1608–1918. Paris 2005; D. Stojanović, Srbija i demokratija 1903–1914. Istorijska studija o „zlatnom dobu srpske demokratije“. Beograd 2003; Gh. Cosma, Femeile şi politica în România. Evoluţia dreptului de vot în perioda interbelică. Cluj-Napoca 2002; O. Popović-Obradović, Parlamentarizam u Srbiji od 1903. do 1914. godine. Beograd 1998; H.-C. Maner, Parlamentarismus in Rumänien (1930–1940). Demokratie im autoritären Umfeld. München 1997; Scurt istoric al parlamentului României până în anul 1918. Bucureşti 1995; D. Nikolić, Borba za skupštinu u Srbiji 1858–1868. Niš 1992; M. Manolova, Parlamentarizmăt v Bălgarija (1879–1894). Sofija 1989; N.P. Mouzelis, Politics in the Semi-Periphery. Early Parliamentarism and Late Industrialisation
Paröken / Parteien (Albanien)
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Paröken (v. gr. paroikos, „Anwohner, Beisasse“). Bezeichnung in mittel- u. spätbyz. Zeit für die →Bauern, die als Pächter oder Teilpächter an den Eigentümer des Landes außer der Pacht (chōropakton, mortē) noch die Steuern, die der Staat auf das Land erhob, zahlten. Die Rechtsstellung des P. in mittelbyz. Zeit ist aus der Entscheidung des Kosmas Magistros (um 950) u. aus der Peira, einer Sammlung von Urteilen des Richters Eustathios Rhomaios (vor 1050), erkennbar. Bei Kosmas erscheinen die P. eher als wandernde Landarbeiter denn als Bauern. Ohne formellen Pachtvertrag bearbeiteten sie fremdes Land, v. dem sie erst dann nicht mehr vertrieben werden durften, wenn sie bei regelmäßiger Zahlung der Pacht darauf 40 Jahre (in der Peira 30 Jahre) ohne Einspruch des Besitzers ansässig waren. Nach den Angaben der Peira blieben die P. zwar auch nach dieser Frist zur Zahlung der Pacht verpflichtet, wurden aber ansonsten gleichsam als Eigentümer (hōs despotai) des v. ihnen bearbeiteten Landes angesehen. Während der eigentliche Besitzer des Landes die Grundsteuer (telos) direkt an den Staat abführte, musste der P. dem Grundherrn nicht nur diese erstatten, sondern ihm auch an einer bestimmten Anzahl v. Tagen Frondienst (angareia) leisten u. Naturalabgaben (kaniskia) abliefern.Die Skala unter den P. reichte v. völlig besitzlosen u. fiskalisch nicht erfassten Personen (aktēmones, ateleis) bis zu Besitzern v. einem oder zwei Ochsengespannen (zeugaratoi, dizeugitai). Pächter auf Staatsland wurden als dēmosiarioi bezeichnet. Bauern, die sowohl eigenes Land, für das sie selbst die Grundsteuer bezahlten, als auch gepachtetes Land bearbeiteten, hießen hypostatikoi. Alle P. konnten ohne Einwilligung des Grundherrn heiraten, Verträge schließen, als Zeugen auftreten u. über ihr persönliches Eigentum frei verfügen. Lit.: M. Kaplan, Les hommes et la terre à Byzance du VIe au XIe siècle. Paris 1992; N. Oikonomides, The “Peira” of Eustathios Romaios: an Abortive Attempt to Innovate in Byzantine Law, Fontes minores 7 (1986), 169–192; J. Karayannopulos, Ein Problem der spätbyz. Agrargeschichte, Jahrbuch der österr. Byzantinistik 30 (1981), 207–237; P. Lemerle, The Agrarian History of Byzantium from the Origins to the Twelfth Century. Galway 1979; G. Weiss, Die Entscheidung des Kosmas Magistros über das Parökenrecht, Byzantion 48 (1978), 477–500; A.E. Laiou-Thomadakis, Peasant Society in the Late Byzantine Empire. Princeton/NJ 1977, 142–222. K.-P. T.
Parteien (Albanien). P. haben in der Geschichte Albaniens, wo die ersten Parlamentswahlen 1921 stattfanden, lange keine bedeutende Rolle gespielt. Vor der Machtergreifung der Kommunisten können allein die „Demokraten“ Bischof Fan Nolis mit einigen Abstrichen als Par-
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Parteien (Albanien) / Parteien (Bulgarien)
tei bezeichnet werden. Die „Demokratische Partei“ verkündete zwar am 16.6.1924 ein Programm (wichtigste Punkte: Bodenreform u. Errichtung einer bürgerlichen Demokratie), sie besaß aber weder Statuten noch eingeschriebene Mitglieder. Ihre Aktivitäten beschränkten sich auf die Zeit der „Demokratischen Revolution“ Juni–Dezember 1924. Während der it. Besetzung entstand eine „Alb. Faschistische Partei“, die das it. Vorbild kopierte. Die „Komm. Partei Albaniens“ (Partia Komuniste e Shqipërisë, PKSh), 1948 umbenannt in „Partei der Arbeit Albaniens“ (Partia e Punës e Shqipërisë, PPSh), wurde am 8.11.1941 mit Unterstützung der jug. Kommunisten gegründet. Ihr Ziel war der Kampf gegen die Besatzungsmächte u. die Errichtung einer „demokratischen Volksregierung“. Während des Krieges entstandene Konkurrenzorganisationen mit Parteicharakter waren „Balli Kombëtar“ (Nationale Front), national mit sozialrevolutionärem Programm, u. die royalistische „Legaliteti“ (Legalität). Nach 1945 übte die PKSh/PPSh in Albanien die Alleinherrschaft aus, wobei es Enver Hoxha als einzigem Parteichef des Ostblocks, aber ähnlich wie im benachbarten Jugoslawien dessen Staatschef Josip Broz Tito, bis zu seinem Tode 1985 gelang, seine Position zu behaupten. Das Machtmonopol der PPSh wurde im Dezember 1990 beendet, als auch in Albanien das Mehrparteiensystem eingeführt wurde. Insbes. das erste Jahrzehnt des Postsozialismus war geprägt v. wechselseitigen Diffamierungen u. Intrigen der pol. Führungsschichten. Albanien verfügt seitdem über ein breites Parteienspektrum. Dazu gehören: Die „Demokratische Partei Albaniens“, die in „Sozialist. Partei Albaniens“ umbenannte ehemalige PPSh, die „Sozialist. Bewegung für Integration“ sowie eine Reihe v. Splitterparteien, darunter die großalb. „Partei für Gerechtigkeit, Integration u. Einheit“ u. als Vertretung der gr. Minderheit die „Partei Union für die Menschenrechte“. Die beiden erstgenannten P. Prägen dabei seit 1990 die alb. Politik. Lit.: E. Kristo, Politische Schlagwörter im postkommunistischen Albanien (1990–2001). Wiesbaden 2014; M. Schmidt-Neke, Politisches System, in: Südosteuropa-Handbuch. Bd. VII: Albanien. Hg. K.-D. Grothusen. Göttingen 1993, 169–232; I. Beshiri, Pluralismus in Albanien? Südosteuropa 40 (1991), 542–51; P. Bartl/Ch.B. Koerner, Albanien, in: Lexikon zur Geschichte der Parteien in Europa. Hg. F. Wende. Stuttgart 1981, 1–7; Geschichte der Partei der Arbeit Albaniens. Tirana 1971, sowie deren Fortsetzung: wie eben, 1966–1980. Tirana 1981. P. B.
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Parteien (Bulgarien). Hier dominierten die aus der bulg. nationalrevol. Bewegung hervorgegangenen Parteiungen der kons. „Alten“ u. der demokr.-lib. „Jungen“. Als prototypische Patronageparteien betrieben sie Ämtervergabe (partizanstvo) an ihre Klientel, die v. a. dem Bildungswesen, Handwerkertum u. Klerus, zunehmend aber auch den neuen freischaffenden Berufsgruppen sowie dem Offizierskorps entstammte. Zwar unterlagen beide Traditionsparteien tiefgreifenden Spaltungsprozessen, doch hielten sie ihre Dominanz bis zum Ende des 1. Wk.s aufrecht. Vom Ende des 19. Jh.s an entstanden moderne Massen- u. Weltanschauungsparteien wie die Bulg. Sozialdemokratische Arbeiterpartei (1891) u. der Bulg. Nationale Bauernbund (Bălgariski zemedelski naroden săjuz; 1899). In der Zwischenkriegszeit verbreiterte sich das parteipolitische Spektrum beträchtlich, was eine Verschärfung des pol. Klimas mit sich brachte. Zusätzlich zu
Parteien (Bulgarien)
den Vorkriegsparteien entstanden neue P., die ideologisch v. der komm. Sowjetunion, dem faschist. Italien u./oder später vom nationalsozialist. Deutschland inspiriert bzw. finanziert waren. Desgleichen betrat eine Gattung kleiner, sich als P. deklarierender autoritärer Elitezirkel die pol. Szene, die ihrer engen Verbindungen zu Armee u. Reserveoffizierskorps wegen an der Spitze dreier erfolgreicher Staatsstreiche vom 9.6.1923, 19.5.1934 und 9.9.1944 standen. Am 1.4.1924 kam es erstmals zu einem Parteienverbot in Bulgarien. Eine rechtskons. Regierung erklärte die Bulg. Komm. Partei (BKP) eines Aufstandsversuchs vom September 1923 wegen für aufgelöst. Die in Untergrund u. Exil gedrängte BKP gründete daraufhin als legalen Ableger am 20.2.1927 die Bulg. Arbeiterpartei. Im Zuge der Errichtung eines persönlichen Regimes (→Diktaturen) sprach Kg. (car) Boris III. am 21.4.1935 ein Verbot sämtlicher pol. P. aus, das de facto bis zum Einmarsch der Roten Armee 9.9.1944 Bestand hatte. Das parl. System als solches wurde indes nicht angetastet, wie auch führende Parteipolitiker vom Kg. zu Regierungsaufgaben herangezogen wurden. Im Herbst 1944 gründeten sich die meisten P. der Zwischenkriegszeit neu. Jedoch wurden in der am 15.9.1946 ausgerufenen Volksrepublik Bulgarien mit Ausnahme eines Flügels des Bulg. Nationalen Bauernbundes alle nicht-komm. P. sukzessive aufgelöst oder mit der Bulgarischen Arbeiterpartei (Kommunisten) (ab 25.12.1948 erneut BKP) zwangsvereinigt. Im Zuge der pol. „Wende“ vom 9.11.1989 entstanden in Bulgarien etliche Dutzend neuer u. „alter“ P. Zwei v. ihnen, die Sozialdemokratische Partei u. die „Nikola Petkov“-Teilorganisation des Bulgarischen Nationalen Bauernbunds schlossen sich am 7.12.1989 mit sieben dissidenten Organisationen u. Bewegungen zur Union der Demokratischen Kräfte zusammen. Bis zum Wahlsieg der „Nationalen Bewegung Simeon II.“ rund um Simeon (→ Sachsen-Coburg-Koháry) im Juli 2001 stellte dieses um weitere Mitglieder angewachsene Parteienbündnis den Gegenpol zur Nachfolgeorganisation der BKP dar, die sich am 1.4.1990 in Bulg. Sozialistische Partei umbenannt hatte. Lit.: M. Palangurski, Po bălgarskite parlamentarni izbori 1894–1913 g. Veliko Tărnovo 2011; A. Todorov, Graždani, partii, izbori: Bălgarija 1879–2009. Sofija 2010; Ch. Autengruber, Die politischen Parteien in Bulgarien u. Rumänien. Eine vergleichende Analyse seit Beginn der 90er Jahre. Stuttgart 2006; V. Nikolova, Meždu konservatizma i liberalizma. Narodnata partija 1894–1920. Sofija 2004; Revolution auf Raten. Bulgariens Weg zur Demokratie. Hg. W. Höpken. München 1996; Programi. Programi, pogramni dokumenti i ustavi na buržoaznite partii v Bălgarija 1879– 1918. Hgg. V. Nikolova/D. Sazdov. Sofija 1992; M. Kumanov, Političeski partii, organizacii i dviženija v Bălgarija i technite lideri 1879–1949. Kratăk istoričeski spravočnik. Sofija 1991; R.J. Crampton, A Short History of Modern Bulgaria. Cambridge 1987; J.D. Bell, The Bulgarian Communist Party from Blagoev to Zhivkov. Stanford/CA 1986; J.D. Bell, Peasants in Power: Alexander Stamboliiski and the Bulgarian Agrarian National Union, 1899–1923. Princeton/NJ 1977; Lexikon zur Geschichte der Parteien in Europa. Hg. F. Wende. Stuttgart 1981 (darin: W. Oschlies, Bulgarien, 29–44); M. Isusov, Političeskite partii v Bălgarija 1944–1948. Sofija 1978; V. Georgiev, Buržoaznite i drebnoburžoaznite partii v Bălgarija 1934–1939. ebd. 1971. St. T. 703
Parteien (Griechenland)
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Parteien (Griechenland). Nach der Staatsgründung entstanden zunächst in Anlehnung an die drei Schutzmächte lose Interessengemeinschaften u. Klientelverbände, die Einfluss auf pol. Willensbildung nehmen wollten, als „Auslands-“P. Die Französische u. die Englische P. vertraten lib. Positionen u. forderten eine verfassungsmäßig garantierte Gewaltenteilung, die Russische P. vertrat kons. Positionen. Tonangebend waren neben den Heterochthonen (→Befreiungskriege) die Agrar- u. Archontenoligarchie, ferner charismatische Freischarführer. Wortführer der Frz. P. war Ioannis Kolettis, dessen ziv. u. milit. Klientelverbände eine rumeliotische Einheitsfront bildeten. An der Spitze der Engl. P. traten Spyridon Trikoupis u. Alexandros Mavrokordatos hervor, die ihre Anhänger im Kreis der Westler, der Kaufleute u. Intellektuellen hatten, während die Russ. P. (auch Napäer P. genannt), deren Vertreter Theodoros Kolokotronis war, auf der Peloponnes eine starke Gefolgschaft besaß, ebenso unter der gr.orth. Geistlichkeit bis hin zum ökum. →Patriarchen u. den Konfessionsnationalisten. Mit Einführung der Parlamentswahlen 1843 u. der konstitutionellen Monarchie erfuhren die Auslands-P. eine Verbreiterung ihrer Basis. Seit 1844 begann die Entwicklung zum Parteienstaat: Jede Regierung nahm Massenentlassungen u. Stellenvermehrungen vor, um Anhänger einzustellen, weil keine eigenständigen Parteiorganisationen existierten. Für Aufstellung der Kandidaten u. Wahlkampf wurden lokale Interessengemeinschaften gebildet. Ein wesentliches Merkmal der P. war die hellenozentrische Ideologie mit isolationistischer Tendenz. Ideologische u. programmatische Unterschiede waren bis zum Beginn des 20. Jh.s unbedeutend. Die herrschende Stellung der orth. Kirche blieb für alle P. unbestritten, Konfessionsloyalität hatte Vorrang vor Staatsloyalität. Enttäuschung über ständige Einmischungen der Schutzmächte in die Politik der P. brachte das Ende der Auslands-P. Nach den Wahlen v. 1862, der Verkündung der Volkssouveränität 1864 u. dem Bürgerkrieg zw. Berg-P. und Tal- oder Offiziers-P. entstanden eine Vielzahl von P., die für dauernde Regierungskrisen sorgten. Langsam kristallisierten sich zwei große P. heraus: Die P. der gemäßigten lib. Nationalisten unter Alexandros Koumoundouros aus der Berg-P. und aus der Tal-P. die kons. P. unter Dimitrios Voulgaris. Die Entwicklung eines Zweiparteiensystems endete 1896 mit dem Tod v. Chariloas Trikoupis. Der Führer der P. der Liberalen (Komma ton fileftheron), Eleftherios Venizelos, sorgte 1910 für die technische Modernisierung des pol. Systems. Der gegen die Opposition der Volks-P. (Laikon k.) v. Dimitrios Gounaris erfolgte Kriegseintritt (1917) aktivierte die antivenizelistischen P., woraufhin Venizelos mit einer Diktatur der Liberalen die Spaltung der Nation riskierte. Nach dem Wahlsieg der Volks-P. unter Panagis Isaldaris (1933) verstärkte sich der Trend zum Vielparteiensystem, v. dem die Komm. P. profitierte, da sie der Bev. v. Makedonien u. Thrakien das Recht auf Selbstbestimmung u. Unabhängigkeit versprach, um die nichtgr. Minderheiten als revol. Potential zu gebrauchen. Gegner der Linken u. der Liberalen war das Offizierskorps, dessen Pressionen die Lage erneut destabilisierten. Aus der im Vielparteiensystem herrschenden Verwirrung u. dem Ruf der Presse nach einer Diktatur zog Ioannis Metaxas, Führer der kleinen P. der Freisinnigen, Vorteile. Kg. Georg II. ernannte ihn 1936 zum Ministerpräsidenten. Die Uneinigkeit der alten P. der Liberalen u. die Mehrheit der Abgeordneten der kleinen P. sicherten Metaxas am 25.4.1936 mit 241 zu 14 Stimmen die Mehrheit im Parlament. Das diktatorisch-antikomm. Regime v. Metaxas (1936–41; a. →Diktaturen) und Kg. Georg II. bedienten sich einer willfährigen Presse, profitierten
Parteien (Griechenland)
aber auch v. der wohlwollenden Haltung Frankreichs u. Englands. Während des Krieges entwickelten sich die Kommunisten in der Nationalen Befreiungsfront (EAM) zu gut organisierten Widerstandsbewegungen, die sich im Kampf gegen die Besatzungsmächte eine führende Rolle sicherten (→Bürgerkrieg [Griechenland]). Die 1950 gegründete P. Griechische Sammlung (Ellinikos Synagermos), die 1952 mit Alexandros Papagos (†1955) gewann und die v. Konstantinos Karamanlis, seinem Nachfolger, gegründete Nationalradikale Union (ERE) regierten bis 1963, für gr. Verhältnisse sehr lange. Die Wahlen vom Februar 1964 brachten die Zentrumsunion v. Georgios Papandreou mit 52,72 % und 171 v. 300 Abgeordneten an die Macht. Unter dem Vorwand einer drohenden komm. Diktatur leitete am 21.4.1967 ein Militärputsch die siebenjährige Militärdiktatur ein. Nach dem Sturz der Junta am 23.7.1974 gewann Karamanlis mit der Nea Dimokratia am 17. November die Wahlen mit 54,37 % und schuf die Voraussetzungen für eine Abkehr vom konfliktorientierten Politikverständnis u. für das Funktionieren einer demokr. Erneuerung. 1981 gewann die Panhellenische Sozialistische Bewegung (Pasok) mit 48,07 % 172 der 300 Parlamentssitze) u. bildete die erste sozialistische Regierung in Griechenland. Der v. der Pasok eingeleitete Übergang v. einer personalistisch geführten P. zu einer vertikalen ideologisch ausgerichteten Struktur festigte das alternierende Zweiparteiensystem, das erst gut drei Jahrzehnte später im Zuge der gr. Staatsschuldenkrise u. drastischer Sparprogramme durch den Zulauf zu einer oppositionellen linken Partei (Syriza) u. zu Parteien der populist. u. radikalen Rechten aufgebrochen wurde. Lit.: G. Hering, Griechenland vom Lausanner Frieden bis zum Ende der Obristen-Diktatur 1923–1974, in: ders., Nostos. Gesammelte Schriften zur südosteuropäischen Geschichte. Hg. M.A. Stassinopoulou. Frankfurt/M. 1995, 11–47 (Erstabdruck in: Handbuch der europäischen Geschichte 7/2. Stuttgart 1979, 1313–1338); ders., Die politischen Parteien in Griechenland 1821–1936. 2 Teile München 1992 (gr. Übers. Athen 2004); M. Tsapogas, Staatsrationalisierung und Verfassungsbewegung in Griechenland 1832–1843. [Diss. iur. München 1991] Athen 1992; N. Wenturis, Griechenland u. die EG. Die soziopolitischen Rahmenbedingungen griechischer Europapolitiken. Tübingen 1990; R. Clogg, Parties and Elections in Greece. The search for legitimacy. Durham/NC 1987; H. Fleischer, Im Kreuzschatten der Mächte. Griechenland 1941–1944. 2 Bde. Frankfurt/M. 1986; N. Wenturis, Das politische System Griechenlands. Eine soziopolitische Analyse. Mainz 1984; M. Esche, Die Kommunistische Partei Griechenlands 1941–1949. Ein Beitrag zur Politik der KKE vom Beginn der Resistance bis zum Ende des Bürgerkriegs. München, Wien 1982; J.C. Loulis, The Greek Communist Party, 1940–1944. London 1982; Lexikon zur Geschichte der Parteien in Europa. Hg. F. Wende. Stuttgart 1981 (darin: G. Hering, Griechenland, 201–234); H. Korisis, Das politische System Griechenlands. Hersbruck 1980; R. Clogg, A Short History of Modern Greece. Cambridge 1979; B.P. Mathiopoulos, Geschichte der sozialen Frage und des Sozialismus in Griechenland (1821–1961). Bonn ²1974; H. Korisis, Die politischen Parteien Griechenlands: ein neuer Staat auf d. Weg z. Demokratie, 1821–1910. Hersbruck (Nürnberg) 1966. E. T. 705
Parteien (Jugoslawien)
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Parteien (Jugoslawien). 1) Vor der jug. Staatsgründung: Die P. auf dem Territorium des späteren Jugoslawien wiesen infolge der Zugehörigkeit zu mehreren Staaten mit unterschiedlichen pol. Systemen sowie infolge ethn./nationaler Vielfalt ein außerordentlich breites Spektrum auf. In Serbien formierten sich die ersten P. mit Programm, Statut, Parteiorganisation etc. seit Anfang der 80er Jahre des 19. Jh.s (in Anlehnung an die großen P. im übrigen Europa). Sie gingen aus älteren pol. Gruppierungen oder Parlamentsfraktionen (Honoratiorenp. oder Intellektuellenzirkeln) hervor u. repräsentierten die pol. Hauptströmungen der Zeit: →Liberalismus, Konservativismus u. →Sozialismus (in Verbindung mit Populismus). Wichtigste P. waren die Liberale Partei, die (jungkonservative) Serbische Fortschrittspartei, die (sozialist.-populistische) Radikale Volkspartei sowie verschiedene Abspaltungen aus diesen Hauptströmungen. Ab 1903 wurde das pol. Leben in Serbien v. der Radikalen u. der aus ihr hervorgegangenen Unabhängigen Radikalen Partei bestimmt. Die Parteiengeschichte Kroatiens bis 1918 zerfällt in zwei Perioden. Die erste umfasst den Zeitraum v. der Entstehung parteiähnlicher Gruppierungen Anfang der 40er Jahre bis zur →Revolution v. 1848/49. Die zweite setzt mit dem Zusammenbruch des österr. →Neoabsolutismus ein u. endet mit dem 1. Wk. Charakteristisch für nahezu alle P. bis 1918 war der niedrige Organisationsgrad u. die oft nur vage formulierten Programme (so dass v. P. im strengen Sinn des Wortes nur bedingt gesprochen werden kann). Im Mittelpunkt der pol. Auseinandersetzungen stand das staatsrechtliche Verhältnis Kroatiens zu Österreich u. Ungarn sowie der Streit um kroat., großkroat. u. jug. Nationsbildungskonzepte. Der Gegensatz zw. Verfechtern des kroat. Staatsrechts u. Protagonisten des nationalen (kroat. oder jug.) Selbstbestimmungsrechts sowie das Verhältnis zu den Serben in Kroatien (u. Dalmatien) komplizierten das P.spektrum, das durch viele Abspaltungen u. Umgruppierungen charakterisiert war. Politisch bedeutsam waren die verschiedenen (Staats-) Rechtsparteien u. ab 1905 die Kroatisch-Serbische Koalition. Infolge des Zensuswahlrechts spielte die Kroatische (Volks- u.) Bauernpartei vor 1918 dagegen nur eine marginale Rolle. Im österr. Kronland Dalmatien u. in den slowen. Siedlungsgebieten stand die Geschichte der P. ganz im Zeichen der →Nationsbildung u. der nationalen Frage. In Montenegro gab es vor dem 1. Wk. keine Parteien im formalen Sinn. Im 1908 v. Österreich-Ungarn annektierten Bosnien-Herzegowina bildeten sich pol. P. erst nach der Jahrhundertwende, u. zwar (mit Ausnahme der schwachen Sozialdemokratischen Partei) auf konf. oder nationaler Basis (Muslime, Serben, Kroaten). 2) Das jug. Parteienspektrum 1918–1941: Die P.geschichte der Zwischenkriegszeit gliedert sich deutlich in zwei Phasen: die Phase des →Parlamentarismus (1919–1929) sowie die Phase der Königsdiktatur u. autoritären Regime (1929–1941) (vgl. →Diktaturen). Die gewaltigen Integrationsprobleme im Ende 1918 proklamierten „Kgr. der Serben, Kroaten u. Slowenen“ (→Jugoslawien) prägten das parteipol. Erscheinungsbild der Zwischenkriegszeit. Zu den alten Parteien, die bereits vor 1918 in den einzelnen Landesteilen bestanden hatten, traten neue Gruppierungen, die ihre Entstehung der staatlichen Vereinigung u. den dadurch ausgelösten Konflikten verdankten. Die Einführung des allg. Wahlrechts für alle Männer über 21 Jahre sorgte für eine Ausweitung der pol. Partizipationsmöglichkeiten in den vormals außerhalb →Zisleithaniens gelegenen habsb. Gebieten. Die Mehrheit der ca. 40 Parteien Anfang der
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20er Jahre war national/konf. u./oder regional geprägt. Musterbeispiele dafür waren die serb. Radikale Volkspartei, die Kroatische Bauernpartei, die Slowenische Volkspartei oder die Jugoslawische Muslimische Organisation. Kompliziert wurde die Situation dadurch, dass sich infolge der starken ethn. Verklammerung nationale u. regionale Kriterien an vielen Stellen überschnitten, so dass z. B. für die serb. Bev. in Kroatien 1924 eine eigene Partei (die Selbständige Demokratische Partei) entstand. Die einzige der „bürgerlichen“ P., die den Versuch unternahm, den staatlichen Zusammenschluss mit der Gründung einer „jug.“ Partei (vgl. →Jugoslawismus) zu beantworten, war die Demokratische Partei, die jedoch Schritt für Schritt einen zunehmend serb. Charakter annahm; bei den ersten jug. Wahlen v. 1920 war sie mit 22 % der Mandate stärkste Partei im Lande. Nur die Radikale Volkspartei erreichte bei späteren Wahlen einen höheren Anteil, bis zu 37 % der Mandate (sofern man v. den Regime-P. in den 30er Jahren absieht). Im Vergleich zu den nationalen, regionalen u. konf. Unterscheidungskriterien traten die sozioökon. Interessenlagen u. die ideologischen Gegensätze als prägende Kraft des P.spektrums deutlich in den Hintergrund. Selbst in den Parteiprogrammen spielten sie – v. allg. Kennzeichnungen wie „liberal“, „christlich“, „bäuerlich-demokratisch“ etc. abgesehen – keine entscheidende Rolle. Lediglich die grundsätzliche Dichotomie v. „bürgerlichen“ u. „sozialistischen“ P. blieb bestehen, doch haben letztere infolge permanenter Flügelkämpfe keinen nachhaltigen Einfluss auf das pol. Geschehen im Zwischenkriegsjugoslawien ausgeübt, zumal die Kommunistische Partei bereits im Dezember 1920 verboten wurde. Auch Kriterien der soz. Schichtung konnten die nationalen u. regionalen Barrieren nur in Ausnahmefällen überwinden. Eine in allen Teilen des Staatsgebietes unterstützte Bauernpartei kam nicht zustande, obwohl die Masse der Klein- u. Mittelbauern in allen Landesteilen durchaus ähnliche Interessen hatte u. die Agrarfrage zu den brennendsten wirt. u. soz. Problemen der Zwischenkriegszeit zählte. Im Mittelpunkt des pol. Kampfes standen die nationale Frage u. der Streit um die Ausgestaltung des Staates (zentralistisch, autonomistisch, föderalistisch oder konföderalistisch). Während die serb. Parteien (die Demokratische u. die Radikale Volkspartei) ein zentralistisches Modell verfochten u. sich damit in der →Verfassung v. 1921 durchsetzten, kämpften die großen Parteien der Kroaten u. Slowenen für eine Föderation oder für die Autonomie ihrer Landesteile. Da keine Partei eine absolute Mehrheit erreichen konnte, kam es während der 20er Jahre zu vielfältigen Koalitionsregierungen, die sich durch extreme Instabilität auszeichneten. Hauptantagonisten des leidenschaftlichen innenpol. Kampfes waren die Radikale Volkspartei u. die Kroatische Bauernpartei. Nach dem im Parlament erfolgten Attentat auf den kroat. Bauernführer Stjepan Radić 1928 drohte der Staat unregierbar zu werden. Am 6.1.1929 proklamierte Kg. Alexander Karadjordjević die Diktatur. Die v. ihm am 3.9.1931 oktroyierte Verfassung ersetzte die Diktatur durch ein autoritäres Regime mit scheinparl. Elementen (Wahlen mit öffentlicher Stimmabgabe, Zulassung ausschließlich überregionaler Listen, extremes Mehrheitswahlrecht u.ä.). P. auf nationaler oder konf. Grundlage blieben weiterhin verboten u. sollten durch die neu gegründeten Regime-P. (die Jugoslawische Nationalpartei bzw. die spätere Jugoslawische Radikale Union) ersetzt werden. Das Experiment scheiterte jedoch in jeder Hinsicht. Die neuen P. konnten sich mit Hilfe v. Wahlmanipulationen u. massivem Druck auf die Wähler
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nur solange behaupten, wie sie an der Macht waren. Sie vermochten weder eine stabile Massenbasis zu erlangen, noch die Popularität der alten P. zu untergraben. 3) Die komm. Alleinherrschaft 1945/46–1990: Mit dem 2. →Wk. begann ein neuer Abschnitt in der jug. P.geschichte. Die Befreiung des Landes v. den Besatzungsmächten war im wesentlichen das Verdienst der v. der KPJ geführten „Volksbefreiungsbewegung“ (→Partisanen, 3; →Bürgerkrieg [Jugoslawien]). Die Position der Kommunisten unter Führung Josip Broz-Titos war dadurch bei Kriegsende so gefestigt, dass sie die Neugestaltung des Staates bestimmen u. mit Hilfe der „Volksfront“ die Einführung des Einparteisystems ohne nennenswerte Widerstände in kürzester Zeit durchsetzen konnte. Die KPJ erkannte die Gleichberechtigung aller südslav. Nationen in Jugoslawien an u. errichtete einen föderativen Staat, der sich an der sowj. Verfassung v. 1936 orientierte. Nach dem Bruch mit Moskau 1948/49 →Kominform-Konflikt) sah sich die stalinistische KPJ-Führung unter Besinnung auf die Klassiker des Marxismus zur Entwicklung eines sozialist. Alternativmodells (→Selbstverwaltung) gezwungen. Im Nov. 1952 benannte sich die KPJ in „Bund der Kommunisten Jugoslawiens“ (BdKJ) um. Die Entstalinisierung blieb jedoch auf halbem Wege stecken. Die „Neue Klasse“ (Milovan Djilas) der Funktionäre war nicht bereit, ihr Machtmonopol aufzugeben. Die 1971 eingeleitete Verlagerung der Regierungskompetenzen vom Bund auf die Republiken („Föderalisierung der Föderation“) schlug sich mit einer gewissen Verzögerung auch auf Parteiebene nieder u. führte nach Titos Tod 1980 zu einer Stärkung der Republiksparteien zu Lasten der Bundespartei. Die unterschiedlichen Auffassungen über die Bewältigung der ökon. Krise, über die künftige Gestaltung des Staates sowie über Ausmaß u. Tempo der Umgestaltung v. Wirtschaft u. Gesellschaft führten Ende der 80er Jahre zu scharfen Konflikten innerhalb des BdKJ bzw. zw. den Parteiführern der einzelnen Republiken. Auf seinem 14. Kongress im Januar 1990 löste sich der BdKJ faktisch auf. 4) Bei den ersten freien Wahlen seit 1927 setzten sich im Verlauf des Jahres 1990 in Slowenien, Kroatien, Makedonien u. Bosnien-Herzegowina die neu gegründeten antikomm. P. durch, während in Serbien u. Montenegro die „gewandelten“ Kommunisten die Macht behaupten konnten. In allen Republiken ging es vornehmlich um eine nationale Parteinahme, nicht um pol. Pluralismus oder den Aufbau einer Zivilgesellschaft. Wie in den 20er Jahren so triumphierten auch 1990 die „nationalen Ziele“ über die ges. Bedürfnisse. Der Wahlsieg der national exklusiven P., der durch die im Wahlgesetz vorgesehene Mandatsverteilung höher ausfiel als ihr Stimmenanteil, u. ihre Unfähigkeit zum Kompromiss führten 1991 zum Auseinanderbrechen Jugoslawiens.
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Lit.: Vl. Goati, Izbori u Srbiji i Crnoj Gori od 1990. do 2013. i u SRJ od 1992. do 2003. Beograd 2013; V. Mihajlović/Z. Radonjić, Dve decenije višestranačja u Republici Srbiji: ustavi, izbori i nosioci vlasti 1990–2010. ebd. 2011; Programatski dokumenti hrvatskih političkih stranaka i skupina, 1842.–1914. Hgg. T. Cipek/St. Matković. Zagreb 2006; A. Weckbecker/F. Hoffmeister, Die Entwicklung der politischen Parteien im ehemaligen Jugoslawien. München 1997; V. Goati/Z.D. Slavujević/O. Pribićević, Izborne borbe u Jugoslaviji (1990–1992). Beograd 1993; Programi i statuti srpskih političkih stranaka do 1918. god. Hgg. V. Kresić/R. Ljušić. ebd. 1991; G. Stokes, Politics as Development. The Emergence of Political Parties in Nineteenth-Century Serbia. Durham u. a. 1990; V. Koštunica/K. Čavoški, Party Pluralism or Monism. Social Movements
Parteien (Rumänien)
and the Political System in Yugoslavia, 1944–1949. Boulder/CO 1985; Lexikon zur Geschichte der Parteien in Europa. Hg. F. Wende. Stuttgart 1981 (darin: H. Sundhaussen, Jugoslawien, 319–354; Ders.: Kroatien-Slawonien, 355–367; G. Hering, Serbien, 627–637); B. Gligorijević, Parlament i političke stranke u Jugoslaviji 1919–1929. Beograd 1979; B.T. O’Connell, Croatian Politics and Political Parties, 1905–1910. Ann Arbor/MI 1969; I. Avakumović, The History of the Communist Party of Yugoslavia. Aberdeen 1964; T. Stojkov, Opozicija u vreme šestojanuarske diktature 1929– 1935. Beograd 1963; V. Bogdanov, Historija političkih stranaka u Hrvatskoj od prvih stranačkih grupiranja do 1918. Zagreb 1958; D. Janković, O političkim strankama u Srbiji XIX veka. Beograd 1956; J.M. Prodanović, Istorija političkih stranaka i struja u Srbiji. ebd. 1947. H. S.
Parteien (Rumänien). Die Entwicklung des rum. Parteiensystems steht im Zusammenhang mit Veränderungen, die ganz Europa erfasst haben: 1.) „Bürgerlicher“ Parlamentarismus des 19. Jh.s: Kons. u. nationalliberale Strömungen gab es in den v. Rumänen bewohnten Provinzen seit dem beginnenden 19. Jh. Vor allem die junge Generation der nach westl. Standards ausgebildeten mittleren u. kleineren →Bojaren sowie die Vertreter freier Berufe drängten auf Reformen. Nach Vereinigung der beiden →Donaufürstentümer 1859 u. Verabschiedung der Verfassung 1866 schlossen die bis dahin eher lockeren Fraktionen sich zu Parteien zus. Die Liberalen (→Liberalismus) richteten ihre Blicke nach Frankreich, setzten auf Staatsintervention u. forcierten die Industrialisierung; die Konservativen orientierten sich an Deutschland, lehnten Eingriffe in die landwirt. Besitzstruktur ab u. sahen die Zukunft Rumäniens als Agrarstaat. Da Wahlen trotz des Klassenwahlrechts jeweils die Regierung bestätigten, sorgte Kg. Carol I., indem er abwechselnd einen kons., dann einen liberalen Ministerpräsidenten berief, für den notwendigen Ausgleich. Alternative Politikentwürfe, wie sie die Sozialdemokraten, Poporanisten (→Populismus) u. Nationalisten vorlegten, blieben, bedingt durch die rum. Wahlpraxis, auf Intellektuellenzirkel begrenzt. 2) Massendemokratie des 20. Jh.s: Agrar- u. Wahlrechtsreform sowie die Angliederung der neuen Provinzen 1918 veränderten die ges. Verhältnisse. Die Konservativen schieden als politische Kraft aus. Neue Parteien stritten um die Gunst der Wähler. Dennoch schien sich das alte System zweier großer Regierungsparteien wieder einzuspielen. Liberale u. National zaranisten, letztere Vertreter bäuerlicher u. siebenbürgischer Interessen, erreichten 1928 zus. knapp 85 % der Stimmen. Erst die dreifache Krise v. weltwirt. Depression, monarchischem Politikgestaltungsanspruch u. einer zunehmend selbstbewusster werdenden Wählerschaft ließ die alte Ordnung zusammenbrechen. Das Parteiensystem spaltete sich auf, spiegelte die einander überlagernden Konflikte der rum. Gesellschaft wider. Soz. Gegensätze, ethn. Spannungen, regionale Unterschiede, differierende Politikverständnisse, schließlich persönliche Ambitionen einzelner Politiker, die der Kg. bewusst anstachelte, ließen eine Vielzahl selbständiger oder innerhalb der Parteien quasi selbständiger Gruppierungen entstehen. Die Unzufriedenheit über die Mängel der rum. Demokratie begünstigte angesichts der soz. Gegebenheiten u. des zeitbedingten Klimas nicht die Linke, sondern die Rechte. Bei den Wahlen vom 20.12.1937 wurde die →Eiserne Garde drittstärkste politische Kraft. 3) Nationalistisch-autoritäres Einparteienregime: Angesichts der Gefahr v. rechts entschloss sich Kg. Carol II. zum Staatsstreich (10.2.1938; „Königsdikatur“, →Diktaturen). Alle
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Parteien wurden verboten, die „Front der nationalen Wiedergeburt“ an ihre Stelle gesetzt. In den Folgemonaten bestimmten außenpolitische Faktoren die weitere Entwicklung: Umwandlung der Front zur „Partei der Nation“, Ausrufung des nationallegionären Staates, Militärdiktatur Antonescus. 4) Sowjetisierung: Nach dem Einmarsch sowj. Truppen im August 1944 kontrollierten schon bald die Kommunisten die Entwicklung. Vor dem Krieg hatte die KP kaum 1.000 Mitglieder gezählt, 1948 waren es über 1 Million (→Kommunismus). Die KP profitierte vom Nimbus der Macht, wurde zur Nutznießerin der traditionellen Regierungsmitgift. Zu Recht setzte sie auf die Anpassungsbereitschaft der rum. Bürokratie an veränderte Machtverhältnisse. Die „Nationaldemokratische Front“, welche seit März 1945 die Geschicke bestimmte, war dem äußeren Anschein nach ein Zusammenschluss v. Kommunisten, Sozialdemokraten, radikal-agrarischen Splittergruppen u. Abspaltungen der bürgerl. Parteien. Tatsächlich hatte die KP das Sagen. Mitte 1947 wurden die großen demokratischen Parteien verboten, ihre Führer vor Gericht gestellt. Im Februar 1948 erfolgte der Zusammenschluss v. KP u. Sozialdemokraten zur „Rumänischen Arbeiterpartei“ (Partidul Muncitoresc Român). 5) Mehrparteiensystem seit 1989/90: Im seit Ende 1989 entstandenen volatilen u. vielfach polarisierten Parteiensystem des Landes spielen eine prägende Rolle insbesondere der Partidul Social Democrat (PDR, unter diesem Namen seit 2001), der viele ehem. KP-Mitglieder u. deren Netzwerke vereint, dies aber inzwischen mit soz.-dem. Selbstverständnis u. ohne Rechtsnachfolger der einstigen KP zu sein; u. die gleichfalls über diverse Namensänderungen u. Parteizusammenschlüsse hinweg agierenden Nationalliberalen (Partidul Naţional Liberal), die aktuell (Mitte 2015) zwar noch Mitglied der Liberalen Internationalen sind, im Europaparlament aber seit 2014 als Teil der Fraktion der Europ. Volkspartei agieren, gleichsam als Ausdruck der bei den rum. Parteien häufig nur geringen eigentlichen Ideologisierung der Parteienlandschaft. Als Regierungspartner v. beinahe konstanter gesamtstaatlicher Bedeutung hat sich auch die als Sammelpartei der ungarischen →Minderheit agierende Demokratische Union der Ungarn in Rumänien (Romániai Magyar Demokrata Szövetség, RMDSz) dauerhaft etabliert.
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Lit.: România 1945–1989. Enciclopedia regimului communist: instituţii de partid, de stat, obşteşti şi cooperatiste. Hg. D. Cǎtǎnus. București 2012; S. Gherghina, Voturi şi politici. Dinamica partidelor româneşti în ultimele două decenii. Iași 2011; C. Preda/S. Soare, Regimul, partidele şi sistemul politic din România. București 2008 [beh. 1990–2008]; Partide politice şi minorităţi naţionale din România în secolul XX. 6. Bde. Sibiu 2006–2011; Gh. Sbârnǎ, Partidele politice din România 1918–1940. Programe și orientǎri doctrinare. ebd. 2001; I. Bulei, Conservatori și conservatorism în România. ebd. 2000 [beh. 1859-1929]; Partidele politice din România, 1862–1994. Enciclopedie. Hgg. I. Alexandrescu u. a. ebd. 1995; I. Căpreanu, Partidele şi idei politice în România, 1880–1947. ebd. 1995; K. Hitchins, Rumania, 1866–1947. Oxford 1994; I. Scurtu/I. Bulai, Democraţia la Români, 1866–1938. Bucureşti 1990; J. Schmidt, Rumänien, in: Lexikon zur Geschichte der Parteien in Europa. Hg. F. Wende. Stuttgart 1981, 517–548. A. Hei.
Parteien (Slowakei)
Parteien (Slowakei). – Slowakische Nationalpartei (Slovenská národná strana, SNS): Die SNS formierte sich als erste slow. P. Anfang der 1860er Jahre auf der Grundlage des staatsrechtlichen u. pol. Programms des slowak. Memorandums v. 1861, das die Forderung enthielt, die Eigenständigkeit der slowak. Nation verfassungsmäßig zu garantieren u. ein autonomes oberung. Gebiet (→Oberungarn) anzuerkennen. Die offizielle Gründung erfolgte am 6.6.1871 in St. Martin (Turócszentmárton/Turčiansky Svätý Martin). Die SNS orientierte sich pol. an Wien, nicht an Pest u. bemühte sich um serb., russ. u. kroat. Kontakte. Aufgrund mehrerer Misserfolge bei den Parlamentswahlen (u. a. 1872, 1875, 1896) verharrte sie meist in politischer Passivität. Nach Ausbruch des 1. Wk.s stellte sie am 5.8.1914 bis zum Frühjahr 1918 ihre Tätigkeit ein u. bereitete dann die Konstituierung des Slowak. Nationalrates (SNR) vor (Deklaration v. St. Martin 30.10.1918). Nach einer Unterbrechung (vom 10.1.1920 bis 30.3.1921) bewahrte sie bis zur Verkündung der Autonomie der →Slowakei (22.11.1938) ihre pol. Selbständigkeit. Am 25.11.1938 stellte sie ihre Tätigkeit ein. Slowakische Volkspartei (Slovenská l’udová strana) (1918–1925), dann: Hlinkas slowakische Volkspartei u. Vereinigung katholischer Bauern, Häusler, Arbeiter u. christlichsozialer Angestellter (Hlinkova slovenská l’udová strana a sdruženie katolických rol’níkov, domkárov a zamestnancov krest’ansko-sociálnych) (ab 1925): Andrej Hlinka erneuerte am 16.12.1918 die v. ihm im Juli 1913 gegründete Partei. Ursprünglich eine Interessenvertretung des slowak. Katholizismus, verband sie die konfessionelle mit der nationalen Komponente. Das Parteiprogramm sprach sich gegen die v. tschechischer Seite und v. prot. slowak. Kreisen vertretene Idee einer „tschechoslowakischen Nation“ aus. Die Differenzen führten 1921 zur Lösung des Bündnisses mit der tschechoslowak. Volkspartei. Im gleichen Jahr kam der für faschistisch-totalitäre Staatsformen begeisterte Vojtech Tuka zur Partei u. wurde 1926 Generalsekretär. Die Wahlniederlage vom Dezember 1928 (Gemeindewahlen) u. Tukas Verurteilung zu 15 Jahren Zuchthaus wegen Hochverrats bewirkten den Rückzug der Partei aus der Regierung. Bei den Wahlen 1929 erhielt die Partei 28 % der slowak. Stimmen. Erst in der zweiten H. der 30er Jahre gewannen die Radikalen an Boden. 1938 wurde die →Hlinka-Garde als Wehrorganisation der Partei gegründet. Nach dem 6.10.1938 erweiterte sie ihre Bezeichnung: HSL’S – SSNJ (Strana slovenskej národnej jednoty), Partei der slowak. nationalen Einheit. Nach Kriegsende wurde sie verboten. Slowakische nationale Bauernpartei (Slovenská národná a rol‘nícka strana): Sie wurde am 10.1.1920 in St. Martin gegründet, durch Vereinigung der Anhänger der SNS u. der Nationalen republikanischen Partei der Arbeiter. Zu ihren Ideologen gehörten Milan Hodža u. Vavro Šrobár. Sie zerfiel Ende 1920, wurde jedoch im März 1921 mit Unterstützung der SNS wieder erneuert. Kommunistische Partei der Tschechoslowakei (Komunistická strana Československa, KSČ): Sie wurde vom 14.–16.5.1921 in Prag gegründet u. auf das Grundsatzprogramm der Komintern verpflichtet. In der Slowakei trug die Gebietsorganisation den Namen Komm. Partei der Slowakei (Komunistická strana Slovenska, KSS). De facto war sie fest mit der KSČ verbunden, in deren Führungsgremien auch Slowaken entscheidende Positionen innehatten. Die KSČ entstand aus den verschiedenen linken Flügeln der sozialdem. Parteien. Auch in der Slowakei war es im Januar 1921 in Lubochňa zur Spaltung gekommen. Die Gegensätze verhinderten zunächst den Zusammenschluss zur tschechoslowak. KP, wie er v. der
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→Komintern gefordert wurde. Erst Lenins persönliche Intervention brachte die Vereinigung der tschechischen, dt., slowak. u. karpatoukrainischen Linken zur KSČ. Der ultralinke Kurs der Partei unter Klement Gottwald fand seinen Niederschlag im Wahlergebnis v. 1929, wo der Stimmenanteil auf 10,2 Prozent fiel. Nach dem Münchner Abkommen stellte die KSČ am 9.10.1938 ihre Tätigkeit in der Slowakei ein, das offizielle Verbot erfolgte am 27.12.1938. Der Aufbau eines Widerstandsnetzes wurde v. der im Oktober 1939 illegal konstituierten KSS getragen, die im slowak. Aufstand v. 1944 (→Slowakei) eine wichtige Rolle spielte u. zuerst unabhängig neben der KSČ bestand. Am 17.9.1944 vereinigte sie sich mit den slowak. Sozialdemokraten auf einem Kongress in Neusohl/Banská Bystrica. Mit Rücksicht auf die internationale Lage u. auf das Kräfteverhältnis im Innern ging die KSČ mit den nichtkomm. Parteien zur „Nationalen Front“ zus. u. schien die Ziele des Kaschauer Regierungsprogramms vom 5.4.1945 anzustreben. Die Vereinigung v. KSČ u. KSS erfolgte am 17./18.11.1948. Erst Anfang der 60er Jahre begann der neue Kurs, der besonders in der Slowakei eine Liberalisierung bewirkte, zumal Alexander Dubček seit dem 8.4.1963 die Position des Generalsekretärs der KSS innehatte. Demokratische Partei (Demokratická strana): Als Zusammenschluss bürgerlicher Widerstandsgruppen aus der Zeit des slowak. Aufstandes konstituierte sie sich offiziell am 12.7.1945. Bei den Wahlen zur Nationalversammlung am 26.5.1946 kandidierte sie nur in der Slowakei. Nach der komm. Machtübernahme im Februar 1948 gründete sie sich am 8.3.1948 neu als Partei der Slowakischen Erneuerung (Strana slovenskej obrody, SSO) im Rahmen der Einheitsliste der Nationalen Front. Partei der Arbeit (Strana práce, SP): gegründet am 20.1.1946 in Bratislava v. rechtsstehenden slowak. Sozialdemokraten. Sie versuchten dadurch, sich der Zusammenfassung v. KSS u. slowak. Sozialdemokraten zu entziehen. Im November 1947 vereinigte sie sich mit der tschechoslowak. Sozialdemokratie u. wurde im Februar 1948 aufgelöst. Minderheitenparteien: 1. Deutsche: Deutsch-ungarische sozialdemokratische Partei (DUSDP): in der Westslowakei 1920 anlässlich der Wahlen v. dt. u. ung. Sozialdemokraten gegründet. Ein Großteil der Anhänger ging zur KP über. Die ung. Sektion bestand bis 1926, die Deutschen schlossen sich der Deutschen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (DSAP) an. Zipser deutsche Partei (ZDP): konstituiert nach dem Vorbild des ungarnfreundlichen Zipser Volksrates (→Zips) u. der dt. Sozialdemokraten am 22.3.1920. Die Partei erfasste bis 1923 mehr als drei Viertel der Zipser Wähler. Ende 1938, nach der Autonomieerklärung der Slowakei (→Slowakei), löste sie sich auf. Die Karpatendeutsche Partei (KdP): gegründet im Juli 1928 in Wagendrüssel/Vondrišel (Nálepkovo); bestand bis 1935 u. schloss sich dann Konrad Henleins Sudetendeutscher Partei an. Nach dem Münchner Abkommen wurde sie amtlich verboten. Am 8.10.1938 entstand als nationalsozialistische Nachfolgeorganisation Die Deutsche Partei (DP), Gründer: Franz Karmasin. Im Jahre 1940 gehörten ihr mit ca. 60.000 Mitgliedern nahezu alle wahlberechtigten Slowakei-Deutschen an (vgl. →Volksdeutsche). 2. Juden: Die Jüdische Partei (Židovská strana) entstand Mitte der 20er Jahre auf der Grundlage zionistischer Organisationen. Sie hatte bis zum 6.10.1938 gesamtstaatlichen Charakter. In der Slowakei galt der Pressburger Advokat Julius Reis als führende Persönlichkeit.
Parteien (Slowakei)
Im November 1938 wurde die Partei verboten, im Januar 1939 aufgelöst. Dies galt auch für Poale Zion, eine jüdisch-zionistische sozialdem. Partei (1919–1938), deren linker Flügel sich 1921 als Jüdische Kommunistische Partei (Židovská KS v Československu) deklarierte u. im Okt. 1921 organisatorisch der KSČ anschloss. 1937 umbenannt in Vereinigte sozialist.-zionistische Arbeiterpartei (Zjednotená scial.-sionistická strana rob.), mit Sitz in Brünn/Brno. Als Hauptrepräsentant gilt der Kaschauer ung. Publizist Leo Spielberger (Spilberg). In der Süd slowakei bestand v. 1919 bis ca. 1929 für die orth. Juden die Jüdische Landespartei (Országos Zsidó Párt), die den ung. Parteien nahestand u. nicht selbständig kandidierte. 3. Ungarn: Christlichsoziale Landespartei (Országos Keresztényszocialista Párt): gegründet im Herbst 1919, den Kern bildeten dt. und ung. kath. Organisationen in Pressburg u. Kaschau/Košice. Ihr Hauptziel war die Autonomie der Slowakei, auf der Basis der Rechte der ethnischen Minderheiten. Daher strebte sie ein Zusammengehen auch mit der Zipser deutschen Partei (ZDP) bei den Wahlen an: am 21.6.1936 vereinigten sie sich mit der Ungarischen Nationalpartei unter der Bezeichnung Vereinigte Ungarische Partei (Egyesült Magyar Párt) mit dem Programm der nationalen Selbstverwaltung im Rahmen einer territorialen Autonomie der Slowakei. Die EMP verstand sich als ausschließliche Vertreterin der ung. Minderheit. Ungarische Nationalpartei (Magyar Nemzeti Párt): entstanden in Komorn/Komárno am 12.2.1920 als Ungarische Landespartei der Landwirte u. Kleinbauern (Országos Magyar Kisgazda és Földműves Párt) in der Absicht, eine einheitliche Nationalpartei für alle Ungarn in der Slowakei zu gründen u. Selbstbestimmung auf kulturellem u. wirt. Gebiet zu verwirklichen (Schulautonomie, eigene Handels- u. Gewerbekammern). 1925 kam es zur Wahlgemeinschaft mit den Zipser Deutschen, dem Bund der Landwirte u. der deutschen Gewerbepartei, eine Zusammenarbeit mit der Regierung wurde angestrebt. Erst 1936 änderte sich das Konzept u. erfolgte der Zusammenschluss mit der Christlichsozialen Landespartei zur EMP. Zur Entwicklung seit 1989/90: V. den insges. 87 Parteien in der Slowak. Republik zw. 1990 u. Ende 1992 traten nach der Teilung der ČSFR am 1.1.1993 noch mindestens fünfzehn Parteien u. Bewegungen aktiv in der Öffentlichkeit auf. Lit.: M. Glettler, Die Slowaken, in: Die Habsburgermonarchie 1848–1918. Bd. 8: Politische Öffentlichkeit u. Zivilgesellschaft. Hgg. H. Rumpler/P. Urbanitsch. Wien 2006, 1321–1347; L. Lipták, Politické strany na Slovensku 1860–1989. Bratislava 1992; L.G. Nardini, The Political Programme of President Tiso. Padova 1984; Českoslovenští politici 1918/1991. Stručné životopisy. Bearb. M. Hodný. Praha 1991; Dokumente zur Autonomiepolitik der Slowakischen Volkspartei Hlinkas. Hg. J.K. Hoensch. München u. a. 1984; Lexikon zur Geschichte der Parteien in Europa. Hg. F. Wende. Stuttgart 1981 (671–713: Tschechoslowakei); Die Erste Tschechoslowakische Republik als multinationaler Parteienstaat. Hg. K. Bosl. München u. a. 1979; J.K. Hoensch, Die Slowakei u. Hitlers Ostpolitik. Hlinkas Slowak. Volkspartei zw. Autonomie u. Separation 1938/1939. Köln u. a. 1965. M. Gl. 713
Parteien (Ungarn)
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Parteien (Ungarn). Das ung. Parteiwesen konnte ähnlich wie in manchen anderen Ländern auf ständisch-aristokratische Traditionen zurückgreifen. Die erste Partei, die „Konservative Partei“, wurde von Regierungsanhängern am 12.11.1846 gegründet. Die Liberalen folgten nur widerwillig u. hielten erst am 15.3.1847 eine „beratende Konferenz“ ab, die über das Parteiprogramm der „Opposition“ beschließen sollte (→Reformzeitalter). Sie traten für umfangreiche gesellschaftspol. Reformen ein u. errangen bei den Landtagswahlen im Frühjahr 1848 einen überwältigenden Sieg (→Revolution von 1848/49: Ungarn). Die Konservativen waren durch ihre Regierungsfreundlichkeit kompromittiert, u. es gab bis 1918 keine Partei mehr in Ungarn, die sich jemals offen zum Konservatismus bekannt hätte. Für die Parteienbildung zur Zeit Habsburgs war das staatsrechtliche Verhältnis zu Österreich und dabei für die längste Zeit der →Dualismus bestimmend. Die Regierungsparteien „Deákpartei“ (1866–1875) u. „Liberale Partei“ (LP, 1875–1906) setzten sich mit allen Mitteln für die Bewahrung des →Ausgleichs ein, die „Äußerste Linke“ (1866–1868), die „Achtundvierziger-Partei“ (1869– 1874) u. die „Unabhängigkeitspartei“ (unter verschiedenen Namen, ab 1874) verdammten ihn in der gegebenen Form u. wollten neue, günstigere Vereinbarungen aushandeln. Die P. der Mitte waren in der einen oder anderen Richtung kompromissfreudiger u. konnten sich nur schwer behaupten. Eine neue konservative Partei nannte sich „Opposition der Rechten“ (1875–1878), um einigermaßen Erfolg zu haben, u. ging dann in der „Vereinigten Opposition“, der späteren „Gemäßigten Opposition“ auf. Die Umbenennung 1892 in „Nationalpartei“ war symptomatisch! – Die Widerstandskraft des Systems erlahmte, die Wahlen Anfang 1905 brachten der LP eine vernichtende Niederlage bei. Die Opposition hatte bereits am 19.11.1904 die „Koalition“ gebildet, u. diese übernahm nach neuerlichen Wahlen im Mai 1906 die Regierung. Die Hoffnung auf die Verwirklichung der unrealistischen nationalen Forderungen musste freilich unerfüllt bleiben, u. die Ernüchterung darüber verhalf der neuen, ausgleichsfreundlichen „Nationalen Arbeitspartei“ (Juni 1910 bis Januar 1918) zum Wahlsieg. Abgeordnete mit bürgerl. oder sozialist. Programm konnten erst ab 1900 bzw. 1905 vereinzelt in das Parlament einziehen. Die Abgeordneten der Nationalitäten bildeten nur im Reichstag von 1906 eine parl. Fraktion. Die Zensusbestimmungen des Wahlgesetzes bewirkten eine weitestgehende ges. Gleichförmigkeit des Abgeordnetenhauses. Nach dem Zusammenbruch der Monarchie u. dem Scheitern des kurzlebigen komm. Experiments der →Räterepublik wurden in Ungarn die „christlichen“ u. „nationalen“ P. zur bestimmenden Kraft. An der ersten Koalitionsregierung beteiligte sich die „Partei der Christlich-Nationalen Vereinigung“, die Koalitionspartner István Bethlens waren die „Christliche Partei der Kleinen Landwirte, Landarbeiter u. Bürger“ (Einheitspartei) u. die „Christliche Wirtschafts- u. Soziale Partei“. Ministerpräsident Gyula Gömbös benannte die „Einheitspartei“ in „Partei der Nationalen Einheit“ um. In keinem der Parteiprogramme fehlte die Forderung nach einer „Revision“ des Friedensdiktats von →Trianon (→Revisionismus). – Der Rechtsradikalismus erschien in Ungarn als Folge einer eigenständigen Entwicklung (ab 1928), doch seine Ideologie war nicht homogen, u. die →„Pfeilkreuzler“ konnten erst im März 1944, dank der dt. Besetzung, die Macht ergreifen. Nach Kriegsende u. dem Einmarsch der Sowjets entstanden die lib.-demokr. u. marxist. Parteien in Ungarn von neuem. Die „Unabhängige Partei der Kleinen Landwirte“ (UPKL),
Parteien (Ungarn)
die „Ungarische Kommunistische Partei“ (UKP), die „Sozialdemokratische Partei“ (SDP), die „Nationale Bauernpartei“, die „Bürgerlich-Demokratische Partei“ u. die Gewerkschaften schlossen sich in der „Ungarischen Nationalen Unabhängigkeitsfront“ zusammen und bildeten die Regierung. Die Wahlen vom November 1945 erbrachten einen klaren Sieg der UPKL, doch die oben genannte Regierungskoalition sollte nach einer Absprache unabhängig vom Wahlergebnis beibehalten werden. In den folgenden Jahren zerfiel das ung. Parteiensystem. Die bürgerl. P. hatten gegenüber der UKP, die den vollen Schutz der Besatzungsmacht (→Russland, Sowjetunion) genoss, von vornherein keine Chance. Im August 1947 ist noch einmal gewählt worden, doch nur um mit Hilfe eines neuen, restriktiveren Wahlgesetzes die parl. Position der UKP verbessern zu können. Die SDP musste unter dem Druck der Kommunisten die Verfechter einer eigenständigen Politik aus ihren Reihen entfernen u. ging am 12.6.1948 in der komm. geführten „Partei der Ungarischen Werktätigen“ (PUW) auf. Bis Jahresende waren auch die übrigen Parteien als eigenständige pol. Kraft ausgeschaltet. Bei den kommenden Parlamentswahlen gab es nur noch eine Einheitsliste. Während des Volksaufstands Ende Oktober 1956 wurden die Parteien wieder zugelassen u. Ministerpräsident Imre Nagy bildete ein Koalitionskabinett aus Vertretern der Regierungskoalition von 1945/47. Die PUW zerfiel u. wurde am 1.11.1956 als „Ungarische Sozialistische Arbeiterpartei“ (USAP) neugegründet, die nach der Niederschlagung des Aufstands durch die Sowjets wieder die einzige pol. Partei in Ungarn wurde. Als erstes Anzeichen eines pol. Tauwetters erhielten die Wähler zum ersten Mal 1963 die Möglichkeit, die von der „Patriotischen Volksfront“ aufgestellten Bewerber in Versammlungen gegen andere Kandidaten auszutauschen. Das am 11.11.1966 erlassene neue Wahlgesetz erlaubte dann die Aufstellung von mehr Kandidaten, als Mandate zu vergeben waren. Begünstigt durch die offenkundigen Krisenerscheinungen in der Sowjetunion u. den Zusammenbruch des weltpol. Gleichgewichts wurde die ung. Opposition ab 1985 aktiv. Die damals noch einträchtigen, aus der Zwischenkriegszeit stammenden nationalkons. u. lib. Richtungen trennten sich bald: Die noch verbotene demokr. Opposition erließ im Juni 1987 ein eigenes Programm, u. im Herbst beschlossen die Nationalen u. die Reformsozialisten in Lakitelek die Gründung eines „Ungarischen Demokratischen Forums“ (UDF). Der Beschluss des ZK der USAP vom 10./11.2.1989 über die Einführung des Mehrparteiensystems u. die Selbstauflösung der USAP auf dem XIV. Parteikongress am 7.10.1989 am Ende eines Entwicklungsprozesses ermöglichten schließlich den reibungslosen pol. Systemwechsel. Die Reformkräfte der USAP gründeten eine neue Partei, die „Ungarische Sozialistische Partei“ (USP). Bei den Parlamentswahlen im Frühjahr 1990 wurden diejenigen P. bevorzugt, die sich der Interessen möglichst vieler ges. Gruppen annahmen u. ein umfassendes Modernisierungsprogramm vorlegen konnten: das UDF, der „Bund Freier Demokraten“ (BFD) u. der „Bund Junger Demokraten“ (BJD, Fidesz). Die Rivalität der ersten beiden Parteien blieb langfristig bestimmend in den pol. Auseinandersetzungen. Das UDF betonte eher das Nationale, das organisch Gewachsene, der BFD orientierte sich stärker am westeurop. Muster. Mandate errangen noch bei den Wahlen die UPKL, die USP u. die „Christlich Demokratische Volkspartei“ (CDVP). Eine Koalition des UDF, der UPKL u. der CDVP übernahm die Regierung. Die allg. Unzufriedenheit, v. a. wegen der wachsenden wirt. Schwierigkeiten, verhalf der
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Parteien (Ungarn) / Partisanen
USP bei den Wahlen im Frühjahr 1994 zum Wahlsieg. Die Sozialisten bildeten nun zusammen mit dem BFD eine Koalitionsregierung. Sie scheiterte an den Aufgaben, die Wahlen von 1998 erbrachten einen klaren Sieg für die damals noch zweite liberale Partei, den BJD, der 2003 zusätzlich auch noch die Bezeichnung „Ungarischer Bürgerbund“ in seinen Namen aufnahm. Die beiden Sieger der 1990er Wahlen verloren in erheblichem Maße die Wählergunst. Die BJD, die UPKL u. das UDF bildeten eine „bürgerliche“ Koalition. 2002 gelang es den Sozialisten, die absolute Mehrheit zuerlangen, doch bildeten sie eine Koalition mit dem stark geschwächten BFD. Der dreimalige Wandel bestätigte die weitgehende „Atomisierung“ der ung. Gesellschaft um 2000: die ges. Basis der Parteien war unklar, die Wähler entschieden „akzidentiell“ u. „situativ“. Lit.: F. Gottas, Grundzüge der Geschichte der Parteien u. Verbände, in: Die Habsburgermonarchie 1848-1918. Bd. 8: Politische Öffentlichkeit u. Zivilgesellschaft. Teilbd.1: Vereine, Parteien u. Interessenverbände als Träger der politischen Partizipation. Hgg. H. Rumpler/P. Urbanitsch. Wien 2006, 1133-1168 ; D. Szabó, Die politische Organisierung der ungarischen Gesellschaft im Zeitalter des Dualismus, in ebd., 1169-1204; 1956 és a politikai pártok. Válogatott dokumentumok. Red. I. Vida. Budapest 1998; T. Fricz, A magyarországi pártrendszer 1987–1995. [ebd.] 1996; L. Lizsák, Polgári pártok es programjaik Magyarországon 1944–1956. Pécs 1994; R.L. Tökés, Vom Postkommunismus zur Demokratie. Politik, Parteien u. die Wahlen 1990 in Ungarn. Sankt Augustin 1990; Das Parteienwesen Österreich-Ungarns. Hg. G. Erdődy. Budapest 1987; B. von Krusenstjern, Die Ungarische Kleinlandwirte-Partei (1909–1922/1929). München 1981; A. Toth, Ungarn, in: Lexikon zur Geschichte der Parteien in Europa. Hg. F. Wende. Stuttgart 1981, 731–773; ders., Parteien u. Reichstagswahlen in Ungarn 1848–1892. München 1973; S. Balogh, Parlamenti és pártharcok Magyarországon 1945–1947. Budapest 1975; Gy. Mérei, A magyar polgári pártok programjai 1867–1918. ebd. 1971; G. Gratz, A dualizmus kora. Magyarország története 1867–1918. 2 Bde. ebd. 1934; Gy. Mérei, Magyar politikai pártprogrammok 1867–1914. ebd. 1934. A. T.
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Partisanen (sing. Partisan: aus frz. partisan, it. partigiano „Parteigänger“; aus lat. pars „Teil, Partei“). 1. Freischärler bzw. irreguläre Krieger, die entweder als Hilfstruppen einer Staatsmacht oder als Mitglieder kleiner, selbständig kämpfender Formationen agieren (wobei die Übergänge oft fließend sind). Im 20. Jh. in der Bedeutung: irreguläre Widerstandskämpfer gegen eine Besatzungs- oder Kolonialmacht (im letzteren Fall auch Guerillakämpfer/ Guerilleros=Kleinkrieger, aus dem Diminutiv des spanischen Wortes guerra=Krieg). P. (gr. αντάρτες: Andarten) im weiteren Sinn sind unter verschiedenen Bezeichnungen in die Geschichte SOEs eingegangen: als →Haiduken, →Klephten, →Četnici. Auch die im Dienst des Osm. Reiches stehenden Hilfstruppen (→Armatolen/Martolosen) u. die Mitglieder irregulärer Formationen (başı bozuk) entzogen sich oft der staatl. Kontrolle u. betätigten sich als Freischärler. Ein P.- bzw. Guerilla-Krieg fand auch Ende des 20. Jh.s durch die UÇK in →Kosovo statt. 2. Seit Beginn des 2. →Wk.s wurde der Begriff „P.“ zumeist (aber nicht konsequent) nur auf die kommunist. geführten Widerstandskämpfer gegen das „Dritten Reich“ u. sei-
Partisanen
ne Verbündeten angewandt, so z. B. auf die Mitglieder der jugosl. „Volksbefreiungsbewegung“ unter Führung Titos u. der KPJ, nicht aber auf die Četnici des Draža Mihailović (→Bürgerkrieg [Jug.]). Auch die Kämpfer aus den Reihen der gr. „Volksbefreiungsarmee“ (ELAS) werden häufig als P. bzw. Andarten bezeichnet im Unterschied zu den Mitgliedern der (nicht-kommunist.) Nationalen Republikanischen Griechischen Liga (EDES) (→Bürgerkrieg [Gr.]). Ähnliches gilt für die kommunist. „Nationale Befreiungsbewegung” (Lëvizja Nacional Çlirimtare oder Lëvizja Antifashiste Nacional Çlirimtare, LANÇ) in Albanien im Unterschied zur alban.-nationalistischen „Nationalen Front” (Balli Kombëtar). Die Verwendung des Begriffs „P.“ ist in diesen Zusammenhängen oft ungenau u. irreführend, weil er 1. ideologisch eingeengt u. 2. auf Formen der Kriegführung ausgeweitet wird, die mit einem Kleinkrieg nichts mehr zu tun haben. Die typische Kriegführung der P. ist der Kleinkrieg: P. operieren aus dem Hinterhalt gegen einen militär. überlegenen Feind u. dessen Kollaborateure, sie führen Angriffe auf kleinere militär. Verbände des Feindes aus, verüben Sabotageakte oder betreiben Spionage. Ob derartige Aktivitäten nach der Kapitulation einer regulären Armee kriegsrechtlich „legal“ oder „illegal“ sind, ist unter Völkerrechtlern umstritten. Kompliziert wird die Situation dann, wenn sich die Besatzungsmacht ihrerseits nicht an die Bestimmungen des Völker- u. Kriegsrechts hält u. damit einen Notstand provoziert, der bewaffnete Gegenwehr als einzig mögliche Verteidigung erscheinen lässt. Um als Kombattanten im Sinn des Kriegsvölkerrechts anerkannt u. (bei Gefangennahme) entsprechend behandelt zu werden, müssen die P. allerdings mehrere Bedingungen erfüllen: sie müssen eine verantwortliche Befehlsstruktur aufweisen, als Kämpfer deutlich gekennzeichnet sein, ihre Waffen offen tragen u. sich an Gesetze u. Bräuche des Krieges halten. Ist dies nicht der Fall müssen sie mit schweren Konsequenzen (Todesstrafe) rechnen („riskante Kriegführung“). Die dt. Besatzungsmacht in Jugoslawien u. Griechenland hat diese Regelung exzessiv ausgelegt u. als Vergeltung für P.-überfälle nicht nur ganze Dörfer in Schutt u. Asche gelegt, sondern auch Geiseln aus der Zivilbev. („Bandenverdächtige“, „Bandenhelfer“) in großem Umfang genommen u. wahllos exekutiert, darunter viele Juden, die pauschal zu „P.“ deklariert wurden (→Holocaust). Die Kommandeure vor Ort legten die Befehle durchaus unterschiedlich aus. Im besetzten Jugoslawien waren es insbes. die Offiziere, die bereits während des 1. Wk.s in der k.u.k-Armee gedient hatten, die sich durch exzessive Gewaltanwendung „auszeichneten“. Unter den Orten derartiger Kriegsverbrechen seien stellvertretend erwähnt: Kragujevac u. Kraljevo in Serbien (Okt. 1941), Kalavryta im Norden der Peloponnes (Dez. 1943), Distomo in Mittelgriechenland (Juni 1944). 3. P. als Synonym für die „Volksbefreiungsbewegung” (VBB) (skr. Narodnooslobodilački pokret, NOP) im besetzten →Jugoslawien. Die v. der illegalen (u. bei Kriegsbeginn zahlenmäßig schwachen) KPJ u. Josip Broz (Tito) (1892–1980) geführte VBB setzte sich aus einem milit. u. zivilen Flügel zusammen. Zum milit. Teil gehörten die ersten P.-Abteilungen (Partizanski odredi Jugoslavije, POJ), zu denen ab Ende 1941 die ersten „Proletarischen Brigaden” als Kern der im Aufbau befindlichen „Volksbefreiungsarmee Jugoslawiens” (VBA; skr. Narodnooslobodilačka vojska, NOV) hinzukamen. Diese Brigaden (später: Divisionen) waren im Unterschied zu P. im engeren Sinn nicht v. „legalen“ Kampfverbänden zu unterscheiden. Sie wiesen in Gliederung, Abstufung u. Koordination einen deutlich über dem Minimum
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Partisanen
der „Verantwortlichkeit des Führers“ (gemäß Haager Landkriegsordnung) gelegenen Organisationsgrad auf. Tatsächlich haben oberste dt. Kommandostellen in SOE Ende 1942 eine Anerkennung der kommunist. Widerstandsgruppen als kriegführende Partei erwogen. Doch wurden diese Überlegungen nicht umgesetzt. Die Widerstandskämpfer wurden auch weiterhin als „Banden“ eingestuft u. behandelt. Wenn dennoch im Kampf gefangengenommene „P.“ seit August 1943 nicht mehr erschossen, sondern als „Kriegsgefangene“ behandelt wurden, bedeutete dies keine Anerkennung des Kombattantenstatus, sondern war dem außerordentlichen Mangel des „Dritten Reiches“ an Arbeitskräften geschuldet (→Zwangsarbeit). In den v. den „P.“ befreiten Gebieten wurde in Gestalt der „Volksbefreiungsausschüsse“ eine Zivilverwaltung eingerichtet, die sich um die Belange der Bev. kümmerte. Die Tätigkeit dieser Ausschüsse trug wesentlich dazu bei, die Attraktivität der VBB zu erhöhen. Diese stand Angehörigen aller jug. Nationen u. Minderheiten offen, ebenso Frauen. Rd. 100.000 Frauen sollen in der VBA gedient haben, v. denen 25.000 gefallen u. 40.000 verletzt worden seien. In den legendären Schlachten an der Neretva in Bosnien-Herzegowina (Jan.–März 1943) u. an der Sutjeska in Montenegro (15.5.-16.6.1943) konnten sich die „P.“ gegen die Besatzungsmächte u. deren einheimische Verbündete (insbes. →Četnici) behaupten u. die milit. Wende zu ihren Gunsten einleiten. Auf der Konferenz v. Teheran (28.11.–1.12.1943) wurden sie v. den Allierten als kriegführende Partei anerkannt. Und auf der 2. Sitzung des „Antifaschistischen Rates der Volksbefreiung Jugoslawiens“ (AVNOJ) am 19. Nov. 1943 im bosn. Jajce stellten sie die pol. Weichen für die Nachkriegsordnung. Lange vor Kriegsende war der eigentliche P.Krieg mehr u. mehr in den Hintergrund gerückt zugunsten einer Kombination aus frontaler u. P.-kriegführung, die zur offiziellen Verteidigungsdoktrin des sozialist. Jugoslawien wurde. Nachdem der AVNOJ im Nov. 1944 eine Amnestie für alle erlassen hatte, die ihre Hände „nicht dem unschuldigen Blut des Volkes“ befleckt hatten, liefen viele ehem. Gegner zu den „P.“ über. Ideologie spielte dabei oft keine oder nur eine sehr untergeordnete Rolle. Unter der Oberfläche erwies sich die VBB somit als pol. heterogene, v. der KPJ geführte Sammlungsbewegung. Ende 1944 belief sich die Zahl der Soldaten in Titos Armee auf rd. 600.000 Männer u. Frauen in 57 Divisionen. (Zu den weiteren Ereignissen →Jugoslawien).
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Lit. (a. →Weltkrieg, Zweiter; →Bürgerkrieg [Griechenland]; →Bürgerkrieg [Jugoslawien]): B. Shepherd, Terror in the Balkans. German Armies and Partisan Warfare. Cambridge/Mass. 2012; J. Batinić, Gender, Revolution, and War. The mobilization of women in the Yugoslav partisan resistance during World War II. Diss. Stanford Univ. 2009; D. Freudenberg, Theorie des Irregulären: Partisanen, Guerillas und Terroristen im modernen Kleinkrieg. Wiesbaden 2008; B.N. Wiesinger, Partisaninnen. Widerstand in Jugoslawien 1941–1945. Wien u. a. 2008; A. Sidoti, Partisans et tchetniks en Yougoslavie durant la Seconde Guerre mondiale. Idéologie et mythogenèse. Paris 2004; K. Schmider, Partisanenkrieg in Jugoslawien 1941–1944. Hamburg 2002; Leksikon narodnooslobodilačkog rata i revolucije u Jugoslaviji 1941–1945. Bearb. V. Perić. 2 Bde. Beograd 1980; R.H. Bailey, Der Partisanenkrieg. Amsterdam 1980 [behandelt v. a. Jugoslawien u. Griechenland]; M. Djilas, Der Krieg der Partisanen. Memoiren 1941–1945. München u. a. 1978; W. Laqueur, Guerilla: A Historical and Critical Study. London 1977; V. Strugar, Der jugoslawische Volksbefreiungskrieg 1941–1945. Berlin (O) 1969; J. Marjanović/P. Morača, Naš oslobodilački
Partium / Pascha
rat i narodna revolucija 1941–1945. Istoriski pregled. Beograd 1958; J.H. Schmid, Die völkerrechtliche Stellung der Partisanen im Kriege. (Unter bes. Berücks. d. persönl. Geltungsbereiches d. Genfer Konventionen zum Schutz d. Kriegsopfer vom 12. August 1949). Zürich 1956 [Ndr. 1979]. H. S.
Partium (Partium regni Hungariae; a. Partes adnexae; rum. hist.: Țara Ungurească). Bezeichnung östlicher u. nordöstl. Teile des Königlichen →Ungarns (16.–19. Jh.), die sich nach dessen Entstehen zum autonomen Fsm. →Siebenbürgen gesellten. Der Name (Gen. Pl. des lat. Wortes „pars“, Teil) wurde aus dem Titel der Fürsten v. Siebenbürgen – Princeps Transylvaniae, Comes Siculorum Partiumque Regni Hungariae Dominus – entlehnt. Nach der Thronbesteigung v. Fürst Johann Sigismund (1541) huldigten ihm außer Siebenbürgen auch einige ung. →Komitate, u. auf dem siebenbürgischen Landtag v. 1544 erschienen Abgesandte weiterer Komitate, die der Herrschaft Kg. Ferdinands I. die Oberhoheit des Fürsten vorzogen. Im Frieden v. Speyer 1570/71 zw. Maximilian I. u. Johann Sigismund wurde die Zugehörigkeit der Komitate Bihar, Zaránd, Kraszna, Máramaros (→Maramureş) u. Közép-Szolnok (ohne das Gebiet um Kővár) den Fürsten v. Siebenbürgen zuerkannt. Das P. u. Siebenbürgen blieben weiterhin getrennt, obwohl in Personalunion verbunden. Sein Gebiet änderte sich mehrmals nach dem Kräfteverhältnis zw. Habsburg u. dem Fürstentum. 1693 wurde das P. mit Ungarn vereinigt, um 1733 – in etwas abgewandeltem Umfang – bis 1848 wieder Siebenbürgen zugeordnet zu werden. Das P. wurde erst 1876 mit der adm. Neuordnung Ungarns endgültig abgeschafft. Lit. (a. →Siebenbürgen): Cs.M. Kovács, The counties of Transylvania and Partium. A historical-geographical perspective, Studia Universitatis Babeş-Bolyai. Geographia 56 (2011), H. 1, 91–104; Á. Karczag/T. Szabó, Erdély, Partium és a Bánság erődített helyei: várak, várkastélyok, városfalak, templomvárak, barlangvárak, sáncok és erődítmények a honfoglalástól a 19. század végéig. Budapest 2010; I. Lukinich, Erdély területi változásai. Budapest 1918. J.M. B./B. N.
Pascha (aus pers. pādišāh „Großherr“). Titel hoher osm. Würdenträger. In der Frühzeit üblich v. a. für bedeutende Heerführer, von denen einige wenige den Titel →Beg führten (z. B. Gazi Evrenos Beg). Süleyman, Sohn Orhans (ca. 1320–1362) u. Oberbefehlshaber der osm. Hauptstreitkräfte, wurde als P. bzw. Schah tituliert. Lala Şahin P. dürfte den Titel P. 1362 zus. mit dem Amt des ersten →Beylerbeyi v. →Rumelien übertragen bekommen haben. Der P.-Titel war bis etwa zur Mitte des 16. Jh.s ein Hinweis auf den →Wesirs-Rang seines Trägers u. bezeichnete in der Reichshauptstadt in erster Linie den →Großwesir. In den Provinzen sank der P.-Titel im Laufe des 16. Jh.s zur üblichen Titulatur von Provinzgouverneuren (Beylerbeyi) mit lediglich zwei Rossschweifen ab. Selbst Gouverneure von →Sancaks mit nur einem Rossschweif konnten durch Beförderung in den Rang eines Mirimiran (pers. mīr-i mīrān) die P.-Würde erlangen. Seit dem 18. Jh. wurden zunehmend auch Männer ohne jeglichen milit. Hintergrund mit P. tituliert (Norman Itzkowitz: „efenditurnedpasha“ pattern). 1834 wurde P. als milit. Dienstgrad aufgehoben. – Der vom Beylerbeyi direkt verwaltete Sancak einer Provinz heißt P.-Sancak.
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Paschaluk / Passarowitz
Lit.: O. Bouquet, Les pachas du sultan. Essai sur les agents supérieurs de l’État ottoman (1839– 1909). Paris u. a. 2007; J. Deny, Pasha, in: EI²; C.V. Findley, Ottoman Civil Officialdom. A Social History. Princeton 1989; M. Kunt, The Sultan’s Servants. The Transformation of Ottoman Provincial Government, 1550–1650. New York 1983; K. Dilger, Untersuchungen zur Geschichte des osmanischen Hofzeremoniells im 15. u. 16. Jh. München 1967. M. U.
Paschaluk (a. Paschalik; türk. paşalık). Funktion, meist jedoch im Sinne v. Amtsbezirk eines →Paschas im Rang eines →Wesirs. Obgleich im Schrifttum besonders des 19. Jh.s häufig anzutreffen (dies gilt auch für manche einheimische Quellen), war P. im territ. Sinne kein offizieller Terminus der osm. Provinzialverwaltung wie →Eyalet, →Vilayet, Müschirlik oder →Sancak. P. ist nicht zu verwechseln mit Pascha-Sancak, dem zentralen Sancak einer Provinz. Lit.: Beogradski pašaluk 1687–1739. Hgg. R. Tričković/N. Šuletić. Beograd 2013; J. Trokanović, Timočka sela i Vidinski pašaluk. Negotin 2011; N. Konstantinović, Beogradski pašaluk. (Severna Srbija pod Turcima). Teritorija, stanovništvo, proizvodne snage. ebd. 1970; H. Šabanović, Bosanski Pašaluk. Postanak i upravna podjela. Sarajevo 1959; D. Pantelić, Beogradski pašaluk pred Prvi srpski ustanak 1794–1804. Beograd 1949; ders., Beogradski pašaluk posle svištovskog mira 1791–1794. ebd. 1927; J. Müller, Albanien, Rumelien u. die österreichisch-montenegrinische Grenze, oder statistisch-topographische Darstellung der Paschaliks Skutari, Priserend, Ipek, Toli-Monastir, Jakova, Tirana, Kavaja, Elbassan u. Ochrida. Prag 1844. M. U.
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Passarowitz. Der Friede von P. (Požarevac, südöstl. v. Belgrad) beendete den 1716 ausgebrochenen →Türkenkrieg, der mit der habsb. Eroberung des →Banats (1716) u. →Belgrads (16.8.1717) für das →Osm. Reich sehr verlustreich verlaufen war. In einem Brief des früheren →Paschas v. Belgrad aus Niš an Prinz Eugen v. Savoyen, dem auf dem Höhepunkt seiner Laufbahn stehenden Oberbefehlshaber des ksl. Heeres, bekundete die Pforte bereits im September 1717 die Neigung, in Friedensverhandlungen einzutreten. Unter Vermittlung der Seemächte England (vertreten durch Sir Robert Sutton) u. Holland (repräsentiert wie schon in →Karlowitz v. Jakob Coyler/Collier) wurde am 5.6.1718 der Friedenskongress zu P., einem Ort nahe der Mündung der Morava in die Donau, eröffnet. Die Pforte war durch den Silihdar Ibrahim, Mohammed Effendi u. Seifullah Effendi vertreten. Drei Tage später traf Prinz Eugen in Belgrad ein, von wo er – ohne persönlich anwesend zu sein – die Verhandlungen auf ksl. Seite leitete. Die offiz. Bevollmächtigten des Kaisers waren der bisherige Gesandte in Polen, General Graf Virmond u. der Hofkriegsrat Michael v. Talman, der als früherer Resident an der →Hohen Pforte einschlägige Erfahrungen mitbrachte. Wie 19 Jahre zuvor in Karlowitz wurde das Prinzip des „uti possidetis“ den Verhandlungen zugrunde gelegt. Wegen der unsicheren Lage in Italien u. des spanischen Angriffs auf Sardinien u. um möglichst schnell Truppen vom östl. zum westl. Kriegsschauplatz abzuziehen, strebte Prinz Eugen danach, die Verhandlungen möglichst rasch zu einem Abschluss zu bringen u. den Osmanen keinerlei über den milit. Status quo hinausgehende Forderungen zu stellen.
Passarowitz / Patriarch
Der am 21.7.1718 unterzeichnete Friedensvertrag besiegelte die Abtretung des Banats an den Kaiser. Dieser erhielt auch einen Teil Serbiens nördl. der Linie v. Bjelina an der Drina über Čačak u. Stolac zum Timok sowie die westl. Hälfte der →Walachei bis zum Fluss Aluta, womit der bereits am 24.2.1717 mit dem →Hospodar der Walachei, Johannes Maurokordato geschlossene Vertrag über die Abtretung dieses Landesteiles an den Kaiser bestätigt wurde (→Oltenien). Wenige Tage später, am 27. Juli wurde auch ein Handelsvertrag mit der Pforte geschlossen, der den Untertanen des Kaisers auf dem Gebiet des Osm. Reiches alle Vorteile zubilligte, die bis dahin nur die Franzosen u. Holländer genossen hatten (→Kapitulationen). Mit dem Frieden v. P. erreichte das Herrschaftsgebiet des Hauses Österreich nach Südosten hin seine größte Ausdehnung u. die Befreiung →Ungarns v. der Türkenherrschaft war nunmehr endgültig abgeschlossen. Lit.: J. Nouzille, Le prince Eugène de Savoie et le sud-est européen: (1683–1736). Paris 2012; The Peace of Passarowitz, 1718. Hg. Ch.W. Ingrao.West Lafayette/Ind. 2011; V. Bjanki, Istorijski izveštaj o Požarevačkom miru. Požarevac 2008; K.M. Setton, Venice, Austria, and the Turks in the Seventeenth Century. Philadelphia 1991; N.A.Ch Walker, The Peace of Passarowitz, 1714–1718. Boulder/Co. 1980. G. S.
Patriarch. Titel für die ranghöchsten Bischöfe in der orth. Kirche, die an der Spitze autokephaler Kirchen (→Autokephalie) stehen. Als Titel für die Bischöfe v. Rom, →Konstantinopel, Antiochien, Alexandria u. Jerusalem wird er erstmals in der Gesetzgebung Justinians verwendet, doch waren die Rechte u. Jurisdiktionsgebiete dieser fünf P. damals bereits durch die Kanones der ökumen. Konzilien definiert. Der P. weiht das hl. Myron u. die Metropoliten seines Jurisdiktionsgebietes. Diese kommemorieren seinen Namen in der Liturgie. Der P. kann sich durch Entsendung des Patriarchenkreuzes eine Kirche oder ein Kloster in einer Diözese seines Patriarchates direkt unterstellen (stauropegion). Dagegen übt er die Appellationsgerichtsbarkeit u. die Verwaltung seines Jurisdiktionsgebietes nur in Verbindung mit einer v. ihm geleiteten u. in den einzelnen Patriarchaten unterschiedlich zusammengesetzten Synode aus. In →Byzanz wurde der P. vom Kaiser aus einem Dreiervorschlag ernannt u. in sein Amt eingesetzt (problēsis). In SOE tragen neben dem ökumen. P. v. Konstantinopel z. T. seit dem MA die Ersthierarchen der Kirchen v. Bulgarien (927–1018, 1235–1393 u. ab 1950), Serbien (1346–1459, 1557–1766 u. ab 1920) u. Rumänien (seit 1925) diesen Titel. Lit. (a. →Orthodoxie; →Patriarchat v. Konstantinopel): Primum Regnum Dei. Die Patriarchalstruktur der Kirche als Angelpunkt der Wiedervereinigung. Die Konzilsrede von Abt Johannes Hoeck. Hg. F.R. Gahbauer. Ettal 1987; M. von Sardes, Das Ökumenische Patriarchat in der orthodoxen Kirche. Freiburg i. Br. 1980; B. Tzōrtzatos, Hoi basikoi thesmoi dioikēseōs tön orthodoxōn patriarcheiōn meta historikōn anaskopēseōn. Athen 1972; I Patriarcati Orientali nel Primo Millennio. Roma 1968; V. Pospischil, Der Patriarch in der serbisch-orth. Kirche. Wien 1966. K.-P. T. 721
Patriarchalismus
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Patriarchalismus. Die meisten der bestehenden u. vergangenen Kulturen sind v. patriarchalen Strukturen geprägt. Durch die oft oberflächliche Verwendung des Begriffes P. im Alltagsleben hat er viel an inhaltlicher Begründung eingebüßt. Es ist daher genau zu definieren, was P. im soe. Zusammenhang bedeutet. – Zuerst ist festzuhalten, dass sich spezielle patriarchale Strukturen in bestimmten kult. Systemen herausbilden. Aufgrund der vielfältigen u. hist. bedingten kult. Überlagerungen (→kulturgeographische Zonen) haben wir es in SOE auch mit mehreren u. unterschiedlichen patriarchalen Systemen zu tun. Am besten bekannt u. bearbeitet ist ein patriarchales Kulturmuster, das sich über die westl. u. zentralen Balkangebiete erstreckt u. das daher auch als „balkanisches Patriarchat“ bezeichnet wird. Dieses ist durch zwei Gruppen v. Elementen charakterisiert. Die erste weist den Männern im Unterschied zu den Frauen eine ges. nicht nur dominierende, sondern sogar erdrückende Rolle zu (→Frau, ges. Stellung). Die drei konstitutiven Elemente dieser Gruppe stellen die Prinzipien v. Patrilinearität, Patrilokalität u. männerrechtlicher Ordnung dar. Patrilinearität bedeutet in diesem Zusammenhang eine v. zwei möglichen unilinearen Abstammungssystemen: matri- oder patrilinear. Im Unterschied zu einem kognatischen, bilinearen Verwandtschaftssystem, das weibliche u. männliche Abstammung gleichberechtigt anerkennt, akzeptiert ein agnatisches, patrilineares System nur die männliche Linie. Nur sie hat normative Wirkung, die weibliche wird zwar prinzipiell anerkannt, in der Praxis jedoch ausgeblendet. Patrilineare Systeme zeichnen sich meist durch kultische Verehrung der männlichen Ahnen u. durch den Ausschluss v. Ehefrauen u. Töchtern v. Eigentum u. Erbe aus. Patrilinearität geht Hand in Hand mit Patrilokalität. Da die agnatische Gruppe – u. nur sie – gemeinschaftliches Eigentum an beweglichen u. unbeweglichen Gütern besitzt, werden die Frauen zum flexiblen, benachteiligten Teil in den Heiratsbeziehungen. Das Prinzip lautet: Die Ehefrau hat in das angestammte Haus des Mannes zu heiraten. Neolokalität, also die Neugründung des Haushalts bei Eheschließung, ist nicht vorgesehen u. kann es nicht sein, da der Eigentumsanteil des Mannes an beweglichen u. unbeweglichen Gütern nicht mobilisierbar ist, solange der Haushalt nicht geteilt wird. Männerrechtliche Ordnung bedeutet, dass nur Männer den Familienhaushalt nach außen hin vertreten können; nur in Ausnahmefällen ist dies einer Witwe auch möglich (sowie in allerdings nur sehr seltenen u. nur im nordalb.-montenegr. Bergland belegten Fällen eines weiblichen Gender-Wechsels, nach dem die davon Gebrauch machenden sog. „geschworenen Jungfrauen“, alb. virgjineshe, dann vor dem Gewohnheitsrecht als Männer galten). Die Männer vertreten den Haushalt vor Behörden, sie sind für die übrigen Mitglieder verantwortlich, nur ihnen ist es möglich, Verträge abzuschließen u. Vereinbarungen einzugehen. Dieses eindeutige Übergewicht der männlichen Seite einer Gesellschaft führt einerseits zu einer enorm ungünstigen Situation für die Frauen, andererseits ist es nicht so, dass sie – zumindest in gewissen Lebensabschnitten – nicht doch gewisse Entfaltungsmöglichkeiten besäßen. Der starken Polarisierung der Geschlechter in einer patriarchalen Gesellschaft ist es zuzuschreiben, dass Frauen in ges. Kleinsektoren relativ große Bedeutung erlangen können. Die zweite Gruppe v. Kriterien stellt die Herrschaft der älteren Männer über die jüngeren, der Väter über die Söhne, der älteren Generation über die jüngere, der älteren Brüder über die jüngeren sicher (Senioratsprinzip). Dadurch, dass das Verbreitungsgebiet des balkanischen Patriarchats sich ungefähr mit dem des patriarchal orientierten Typs der komplexen
Patriarchalismus / Patriarchat von Konstantinopel
Familienformen (→Großfamilie) deckt, ist unter den dyadischen Familienbeziehungen die Bruder-Bruder- bzw. die Vater-Sohn-Beziehung qualitativ u. quantitativ dominierend. Daher stellt das Senioratsprinzip ein wichtiges Ordnungssystem im Rahmen des balkanischen Patriarchats dar. Durch diese Charakteristika unterscheidet sich das balkanische v. jedem anderen beliebigen patriarchalen System Europas. Diese patriarchale Kultur ist offenbar altbalkanischen Ursprungs u. hat sich unter der primär schaf- u. ziegenhaltenden pastoralen Gesellschaft, in erster Linie im Dinarischen, Epirotischen u. in der nördl. Hälfte des Pindosgebirges ausgebildet. Viehhaltende Slaven, Albaner, →Bunjewatzen, →Vlachen, →Sarakatsanen waren historische Träger u. Weitervermittler des patriarchalen Musters. Sie führten ein nomad. bzw. sesshaftes Leben u. organisierten ihre pastorale Wirtschaft in Formen der Alpwirtschaft, der →Transhumanz u. des Nomadismus. Der patriarchalen Kultur entsprachen soz. Organisationsformen des →Stammes, der patrilinearen Abstammungsgruppe, des Verwandtschaftsdorfes (→Dorf, Dorfgemeinschaft) u. der patriarchal strukturierten Familie. Durch die Abwanderung aus den Gebirgen u. die Sesshaftwerdung in den Ebenen, ein Prozess der bereits zur Zeit der osm. Eroberung einsetzte, jedoch im 18. u. 19. Jh. seinen Höhepunkt erreichte, kam es zu einer weiten Verbreitung dieses Kulturmusters. Eng verbunden mit dem P. ist die hohe Wertschätzung des maskulin „Heroischen“. Lit.: K. Kaser, Patriarchy after Patriarchy: Gender relations in Turkey and in the Balkans, 1500– 2000. Wien u. a. 2008; ders., Macht und Erbe. Männerherrschaft, Besitz u. Familie im östlichen Europa (1500–1900). Wien u. a. 2000; ders., Hirten, Kämpfer, Stammeshelden. Ursprünge u. Gegenwart des balkanischen Patriarchats. ebd. 1992; D. Pejović, Predmet i metod izučavanja patrijarhalnih zajednica u Jugoslaviji. Titograd 1981; A. Beuermann, Fernweidewirtschaft in Südosteuropa. Braunschweig 1967; V.S. Erlich, Family in Transition. A Study of 300 Yugoslav Villages. Princeton 1966; G. Gesemann, Heroische Lebensform. Zur Literatur u.Wesenskunde der balkanischen Patriarchalität. Berlin 1943. K. K.
Patriarchat von Konstantinopel (a. →Orthodoxie, 2.1.). Das „Ökumenische P.v.K.“ (gr. Oikoumenikó Patriarcheío Konstantinoupóleos) ist heute die autokephale Kirche (→Autokephalie) der orthodoxen Christen in der Türkei. Ihr Oberhaupt, der ökumenische →Patriarch v. K., ist zugleich Ehrenoberhaupt (Primus inter pares) der vier Patriarchen v. Alexandrien, Antiochien, Jerusalem u. Moskau u. damit Ehrenoberhaupt der gesamtorth. Ökumene. Gegenüber den anderen autokephalen Kirchen besitzt er kein Weisungsrecht u. setzt auch nicht deren Bischöfe ein. In spirituellen Fragen verfügt er über ein Weisungsrecht in der Mönchsrepublik →Athos. Sitz des P.v.K. ist die Georgskathedrale im →Phanar v. Istanbul (vor der osm. Eroberung Konstantinopels 1453 war es die Hagia Sophia). Nach der Verlagerung der Hauptstadt des Römischen Reiches von Rom nach →Konstantinopel (330) nahm auch die Bedeutung des dortigen Erzbistums, deren Anfänge auf den Apostel Andreas zurückgeführt werden, ständig zu. Der 28. Kanon des Konzils v. Chalcedon (451) bestätigte die Stellung v. Konstantinopel als „Neuem Rom“ u. wies dem dortigen
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Patriarchat von Konstantinopel
Patriarchen nicht nur die Jurisdiktion über die wichtigen Erzdiözesen von Pontus, Asia u. Thrakien zu, sondern hob auch den auf dem Konzil v. Konstantinopel 381 festgelegten Ehrenvorrang Roms vor Konstantinopel auf. Papst Leo I. verweigerte daher dem 28. Kanon seine Zustimmung u. beharrte auf der Vorrangstellung Roms. Das P.v.K. erhob dagegen den Anspruch, das urchristliche Erbe in Glauben u. Leben sowie die rechte Lehre (ortho doxa) in Liturgie u. relig. Brauchtum getreu zu bewahren. Die Streitigkeiten zw. der röm. u. der byz. Kirche über theologische u. kirchenpolitische Fragen, u. a. im Zusammenhang mit der →Christianisierung der Slaven (a. →Slavenapostel; Bulg. Reich) rissen nicht mehr ab. Höhepunkte waren das sog. Photianische Schisma (867–870), das Große →Schisma von 1054 u. die Einrichtung eines Lateinischen Patriarchats nach dem 4. →Kreuzzug. Letzteres wurde als Titulatur auch nach der Rückeroberung Konstantinopels 1261 beibehalten u. erst 1964 im Zuge des II. Vatikanischen Konzils auf der Basis einer zw. Papst Paul VI. u. dem orth. Patriarchen von Konstantinopel Athinagoras getroffenen Übereinkunft abgeschafft. Nach der osm. Eroberung des Balkans sowie der Aufhebung des bulg. Patriarchats v. Tărnovo u. des serb. →Patriarchats v. Peć verzeichnete das P.v.K. einen enormen Machtzuwachs. Dass Sultan Mehmed II. Gennadios Scholarios, einen entschiedenen Gegner der Union mit Rom, mit einem →Berat zum Oberhaupt der orth. Christen im Osm. Reich einsetzte, vereitelte die ohnehin schwierige Wiederannäherung zw. Ost- u. Westkirche. Neben den trad. kirchl. Rechten besaß das P.v.K. die Zuständigkeit für die Regelung des Zivilrechts u. die innere Selbstverwaltung der orth. Christen, für die sich später der Begriff →Millet durchsetzte. Durch die vom →Großwesir Mehmed Sokolović betriebene Wiederbelebung des Patriarchats v. Peć (1557) büßte Konstantinopel zwar vorübergehend seine Machtfülle ein, konnte seine Zuständigkeiten aber nach der erneuten Aufhebung des serb. Patriarchats (1766) sowie des Erzbistums →Ohrid (1767) wieder herstellen. Der Patriarch u. die höchsten kirchl. Würdenträger in den osm. Provinzen stammten nahezu ausschließlich aus den Reihen der im Phanar beheimateten Griechen oder Graekophonen (→Phanarioten), die die finanziellen Aufwendungen für die Bezahlung der Ernennungsurkunde (Berat) anschließend v. den Gläubigen wieder eintrieben, wobei es zunehmend auch zu Willkür u. Ausbeutung kam u. der Unmut der einheimischen slav. Kleriker gegen die „fremden“ gr. Würdenträger zunahm. Angehörige der orth. Glaubensgemeinschaft haben sich auch wiederholt über die zivilrechtl. Befugnisse der Kirche hinweggesetzt u. sich stattdessen – wo immer dies opportun erschien – an den jeweiligen →Kadi gewandt. Der nächste Einbruch der Macht des P.v.K. erfolgte mit der Entstehung der postosm. Balkanstaaten u. der Einrichtung des bulg. Exarchats (1870) (→Exarch). Seit Gründung der Türkei beschränkt sich die Zuständigkeit des P.v.K. auf die dort lebenden orth. Christen, deren Zahl infolge des gr.-türk. Bevölkerungsaustauschs v. 1923 (→Lausanne) u. des Pogroms gegen die orth. Bev. in Istanbul (1955) drastisch gesunken ist. Von den einst rd. 110.000 Griechen in Istanbul blieben ca. ein Jahrzehnt nach 1955 nur noch etwa 2.500 in der Stadt. Da der Patriarch nach geltendem Recht türk. Staatsbürger sein muss, wird die Rekrutierung v. Kandidaten zunehmend schwieriger.
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Quellen: Das Register des Patriarchats von Konstantinopel. Bd. 1 u. 2 Hg. u. Übers. H. Hunger, Bd. 3 Hg. u. Übers. J. Koder. Wien 1981, 1995, 2001; Oeuvres complètes de Georges Scholarios.
Patriarchat von Peć
Publiées pour la première fois par L. Petit/X.A. Sideridès/M. Jugie. 8 Bde. Paris 1928–1936. Lit.: I. Sokolov, The Church of Constaninople in the Nineteenth Century. An essay in historical research. Oxford u. a. 2013; The Register of the Patriarchate of Constantinople. An Essential Source for the History and Church of Late Byzantium. Proceedings of the International Symposium, Vienna, 5th–9th May 2009. Hg. Ch. Gastgeber. Wien 2013; A. Ozil, Orthodox Christians in the Late Ottoman Empire. A Study of Communal Relations in Anatolia. London u. a. 2013; K.A. Pančenko, Bližnevostočnoe Pravoslavie pod osmanskim vladyčestvom. Pervye tri stoletija 1516–1831. (The Middle Eastern Greek Orthodox Community under the Ottoman domination). Moskva 2012; M.-H. Blanchet, Georges-Gennadios Sholarios (vers 1400–vers 1472): un intellectuel orthodoxe face à la dispariton de l’Empire byzantin. Paris 2008; J. Preiser-Kapeller, Der Episkopat im späten Byzanz. Ein Verzeichnis der Metropoliten u. Bischöfe des Patriarchats von Konstantinopel in der Zeit von 1204 bis 1453. Saarbrücken 2008; Le patriarcat oecuménique de Constantinople aux XIVe–XVIe siècles: rupture et continuité. Actes du colloque international, Rome, 5–6–7 décembre 2005. Hgg. A. Casiday u. a. Paris 2007; S. Akgönül, Le Patriarcat grec orthodoxe. De l’isolement à l’internationalisation. 1923–2003. Paris 2004; L. Murr Nehmé, 1453 Chute de Constantinople. Mahomet II impose le schisme orthodoxe. Paris 2003; Th.H. Papadopoullos, Studies and Documents Relating to the History of the Greek Church and People under Turkish Domination. Aldershot 21990; St. Runciman, Das Patriarchat von Konstantinopel. München 1982; Studien zum Patriarchatsregister von Konstantinopel. Hg. H. Hunger. 2 Bde. Wien 1981, 1997; J. Kabrda, Le système fiscal de lʼéglise orthodoxe dans lʼempire ottoman. Dʼaprès les documents turcs. Brno 1969; G. Hering, Ökumenisches Patriarchat u. europäische Politik 1620–1638. Wiesbaden 1968; F.-W. Fernau, Patriarchen am Goldenen Horn. Gegenwart u. Tradition des orthodoxen Orients. Opladen 1967; N.J. Pantazopoulos, Church and Law in the Balkan Peninsula during the Ottoman Rule. Thessaloniki 1967. H. S.
Patriarchat von Peć. 1346 erhob der serb. Kg. Stefan Dušan, nachdem er sich zum „Kaiser der Serben u. Griechen“ hatte krönen lassen (→Nemanjiden), die autokephale serb. Reichskirche in den Rang eines →Patriarchats. Damit wurde Peć (alb. Peja; türk. später İpek) endgültig zum Sitz des Ersthierarchen, der ursprünglich in Žiča gewesen war. Von dort war er im 13. Jh. wegen des Einfalls der →Tataren nach Peć verlegt worden u. wechselte danach mehrfach zw. den beiden Orten. Nach dem Untergang des serb. Staates 1459 wurde auch dessen Patriarchat aufgehoben u. dem Erzbistum von →Ohrid unterstellt, aus dessen Jurisdiktion die serb. Kirche nach Erlangung der →Autokephalie 1219 herausgelöst worden war. 1557 ließ der aus einer orth. Familie in Bosnien stammende Großwesir Mehmed Sokolović das Patriarchat wiederherstellen u. setzte seinen Bruder (oder nahen Verwandten) Makarije als Patriarchen ein. Das P.v.P. gehörte zur alle orth. Christen im Osm. Reich umfassenden Rum →Milleti, an deren Spitze das Ökumenische →Patriarchat v. Konstantinopel stand; es trug sprachlich u. kulturell serb. Charakter u. war in seinem Jurisdiktionsbereich über die rein kirchl. Belange hinaus für alle in den Bereich der Millet-Selbstverwaltung fallenden Angelegenheiten zuständig. Seine Jurisdiktion erstreckte sich v. Skutari (alb. Shkodër, serb. Skadar) u. Skopje im S bis an die damaligen Grenzen des Osm. Reichs in Ungarn u. Kroatien, im O schloss sie Westbulgarien ein. Zunehmende Zweifel der osm. Obrigkeit an
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Patriarchat von Peć / Patronatsrecht
der Loyalität der serb. Patriarchen nach der Flucht von Arsenije III. 1690 u. Arsenije IV. 1739 (→Migrationen) auf habsb. Gebiet u. die Bestrebungen der gr. →Phanarioten, alle Orthodoxen auf dem Balkan direkt Konstantinopel zu unterstellen, mündeten 1766 in die Auflösung des Patriarchats. Peć war nun kein Bischofssitz mehr, der zuständige Bischof saß in Prizren. Das 1920 neugegründete serb. Patriarchat sieht sich in der Nachfolge des P.v.P., was sich im Titel „Ebf. von Peć, Metropolit von Belgrad u. Karlowitz u. Serb. Patriarch“ sowie im Brauch, den neugewählten Patriarchen in Peć zu inthronisieren, widerspiegelt. Lit.: P. Puzović, Srpska patrijaršija: istorija Srpske pravoslavne crkve / The Serbian Patriarchate: a history of the Serbian Orthodox Church. Novi Sad 2010; R. Samardžić, Mehmed Sokolović. Beograd 2010; R.D. Petrović, Stari srpski natpisi u Pećkoj patriaršiji, Arheološki prilozi. Zbornik radova Arheografskog odeljenja Narodne biblioteke Srbije 31/32 (2009/10), 135–267; N. Radosavljević, Pećka patrijaršija, od obnove autokefalnosti do ukidanja (1557–1766). Povodom 450 godina od obnove Pećke patrijaršije, Bratstvo. Časopis Društva „Sv. Sava“ 11 (2007), 11–34; Lj. Čolić, Pećka patrijaršija pod upravom patrijarha Gavrila Drugog (Trećeg) (1753–1755). Kragujevac 1998; V.J. Djurić/S. Ćirković/V. Korać, Pećka Patrijaršija. Beograd 1990 (dt. Der Patriarchensitz Peć. ebd. 1990); O. Zirojević, Crkve i manastiri na području pećke patrijaršije do 1683. godine. Beograd 1984; Dj. Slijepčević, Istorija srpske pravoslavne crkve. 2 Bde. München 1962/66; L. Hadrovics, Le peuple serbe et son église sous la domination turque. Paris 1947. E. K.
Patronatsrecht (lat. ius patronatus; ung. kegyuri jog). Das P. ist der Sammelbegriff für Befugnisse (u. Pflichten), die eine (natürliche oder juristische) Person in Bezug auf eine Kirche oder ein kirchliches Amt bzw. auf eine kirchliche Pfründe besitzt. In →Ungarn seit der Einführung des Christentums ausgeübt, durch die Grundherren bzw. den Herrscher, anfangs unbegrenzt (im Sinne der frühma. Praxis der „Eigenkirche“), später auf die kanonisch anerkannten Rechte begrenzt. Die aristokratischen Sippen gründeten sog. Sippenklöster als kultische Zentren, deren P. auch nach den Güterteilungen bei der Sippe blieb. Nachdem die Gregorianische Reform sich im 12./13. Jh. in Ungarn durchgesetzt hat, vermochten die Prälaten die unbegrenzten Rechte der Grundherren auf Einkünfte der Pfarreien u. Einsetzung des Pfarrers einzuschränken, aber das kgl. P. blieb de facto unangetastet. Im Dekret v. 1404 sicherte Kg. Sigismund den Grundherrn das P., während er das kgl. P. auf dem Konzil v. Konstanz für Ungarn verbriefen ließ. Das P. spielte in der →Reformations- u. →Gegenreformationszeit, als das Prinzip des „cuius regio eius religio“ galt, eine besondere Rolle u. wurde auf den Landtagen von 1608 u. 1618 ausdrücklich bestätigt. Während dies anfangs den prot. Bauern reformierter Herren zugute kam, bedeutete es später, während der Rekatholisierung vieler →Magnaten, Unterdrückung der Protestanten. Nach 1701 durften nur die kath. Herren das P. ausüben.
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Lit.: A. Csizmadia, Die Entwicklung des Patronatsrechtes in Ungarn, Österr. Archiv für Kirchenrecht 25 (1974), 308–327; J. Tomko, Die Errichtung der Diözesen Zips, Neusohl u. Rosenau (1776) u. das königliche Patronatsrecht in Ungarn. Wien 1968; E. Mályusz, Die Eigenkirche in Ungarn, in: Gedenkband für Heinrich Felix Schmid. Wien u. a. 1966, 76–95; ders., Das Konstanzer Konzil
Paulikianer / Peloponnes
u. das königliche Patronatsrecht in Ungarn. Budapest 1959; V. Fraknói, A magyar királyi kegyúri jog Szent Istvántól Mária Teréziáig. ebd. 1895. J.M. B.
Paulikianer (a. Paulikaner, Paulizianer, Paulicianer; bulg. Pavlikeni). Eine im 7. Jh. in Armenien begründete dualistische Sekte (verwandt mit Manichäern), lehnt Teile des AT u. NT, des Kults sowie Taufe, Ehe u. Eucharistie ab, breitet sich in Kleinasien aus, 872 v. →Byzanz unterworfen u. nach →Thrakien verbannt (a. →Armenier). Hier scheint unter ihrem Einfluss das →Bogomilentum entstanden zu sein, das seinerseits oft mit den Katharern in Verbindung gebracht wird. Zur Türkenzeit breiteten sich die P. über Plovdiv nach NW-Bulgarien, Loveč u. Svištov, aus. Zu Beginn des 17. Jh.s treten sie fast geschlossen zum Katholizismus über. Heute ist P. ein Synonym für die in einigen Dörfern nördl. v. Plovdiv u. im rum. →Banat in u. um Vinga wohnhaften kath. Bulgaren. – Der Abagar, das erste 1651 in Rom gedruckte bulg. Buch des kath. Bischofs v. Nikopol, Filip Stanislavov, ist ein frühes schriftliches Zeugnis der P. Lit. (a. →Häresie): Lj.K. Georgiev, Bălgarite katolici v Transilvanija i Banat (XVIII– părvata polovina na XIX v.). Sofija 2010; B. Njagulov, Banatskite bălgari. Istorijata na edna malzinstvena obštnost vav vremeto na nacionalnite daržavi. Sofija 1999; M. Jovkov, Pavlikjani i pavlikjanski selišta v bălgarskite zemi XV–XVIII v. Sofija 1991; St. Runciman, Häresie u. Christentum: der mittelalterliche Manichäismus. München 1988; N.G. Garsoïan, The Paulician Heresy. The study of the origin and development of Paulicianism in Armenia and the eastern provinces of the Byzantine Empire. Den Haag 1967; Lj. Miletič, Našite Pavlikjani, Sbornik za narodni umotvorenija, nauka i knižnina 19 (1903), 1–369; ders., Novi dokumenti za minaloto na našite Pavlikjani, a. a. O. 21 (1905), 1–155; C.J. Jireček, Geschichte der Bulgaren. Prag 1876 (Ndr. Hildesheim, New York 1977); F. Stanislavov, Abagar. Rom 1651 (Ndr. Sofia 1979). K. St.
Peloponnes. (abgeleitet v. der mythologischen Gestalt Pelops, der ein Sohn des sagenhaften Königs Tantalos gewesen sein soll, u. gr. νήσος/nisos = Insel). Halbinsel (21.410 km2) im südl. Griechenland, im MA u. FNZ auch Morea genannt (gr. Moreas, wahrscheinlich v. morea, „Maulbeerbaum“). In der Spätantike gehörte die P. zur Provinz Achaea der Prätorianerpräfektur Illyricum. In der zweiten H. des 6. Jh.s drangen die Slaven auf die P. vor (→Slav. Landnahme), so dass nach den Angaben der Chronik v. Monembasia 587 die Einwohner v. Korinth, Argos, Patras u. Sparta nach Unteritalien oder Ägina emigrierten (vgl. a. →Tsakonen) u. nur die Ostküste unter byz. Herrschaft blieb. Die Pestepidemie v. 746/747 dezimierte die gr. Bev. u. bewirkte eine weitere Ausbreitung der Slaven, doch mit dem Feldzug des Staurakios (783), der erfolgreichen Verteidigung v. Patras (um 805) u. der Gründung des →Themas P. um 811 unter einem strategos mit Sitz in Korinth begann die byz. Rückeroberung, der v. den örtlichen Slaven nur die Melingen u. Ezeriten längere Zeit Widerstand leisteten. Kirchlich unterstand die P. im 9. u. 10. Jh. den Metropoliten v. Korinth u. Patras. Seit dem 11. Jh. bildete sie zusammen mit Mittelgriechenland (Hellas) ein Thema unter einem
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Peloponnes
praitor. Seit 1082 erhielten die Venezianer Zugang zu den Häfen. Sie zerstörten 1125 Methone. 1147 eroberte Roger II. Korinth. Gegen Ende des 12. Jh.s hatte die byz. Verwaltung die Kontrolle über die P. an Archonten wie Leon Sguros v. Argos u. Nauplion verloren. Relativ mühelos gelang Wilhelm v. Champlitte u. Gottfried v. Villehardouin 1205 die Eroberung der P. u. die Errichtung des Fsm.s Achaia (→Lateinerherrschaft). Korone u. Methone wurden venezianisch. Durch den Vertrag v. Konstantinopel (1262), in dem Wilhelm II. Villehardouin Monembasia, Mistra u. Maina abtrat, fasste Byzanz wieder Fuß auf der P. Aus dem Militärgouvernement v. →Mistra entwickelte sich das v. →Kantakuzenen u. ab 1382 v. →Paläologen regierte Despotat v. Morea (1349–1460), das nach der Eroberung v. Patras (1430) fast die ganze P. umfasste, aber 1458 u. 1460 v. Mehmed II. dem Osm. Reich einverleibt wurde. Im August 1500 eroberten die Osmanen Koron u. Modon, 1540 auch Nauplion u. Monembasia. Für die nächsten 145 Jahre blieb die P. unter osm. Herrschaft, doch am 25.6.1685 landeten die Venezianer in Messenien u. eroberten bis 1690 die P., deren Besitz ihnen im Frieden v. →Karlowitz (1699) bestätigt wurde, die sie jedoch schon 1715 wieder an die Osmanen verloren. Die Landung eines russ. Expeditionskorps löste im Frühjahr 1770 einen gr. Aufstand aus (→Griechisches Projekt), der v. alb. u. türk. Truppen der Osmanen niedergeschlagen wurde, so dass erst die Erhebung der Griechen im Frühjahr 1821 zur Befreiung der P. (26.9.1821 Einnahme v. Tripolitsa) führte. Mit der Landung ägypt. Truppen unter Ibrahim Pascha (11.2.1825) kehrte der Krieg auf die P. zurück. Ibrahims Heer verließ erst nach der Seeschlacht v. Navarino (6.10.1827) u. einer frz. Landung (29.8.1828) im Oktober 1828 die P. (→Befreiungskriege). Erste Hauptstadt Griechenlands wurde Nauplion, wo Ministerpräsident Kapodistrias am 27.9.1831 ermordet wurde. Dort landete Otto I. von →Wittelsbach am 30.1.1833. Die 1830 veröffentlichte „Geschichte der Halbinsel Morea während des MA.s“ aus der Feder des Orientalisten Jakob Philipp Fallmerayer, in der dieser die These vertrat, dass die antiken Griechen im MA ausgestorben u. durch hellenisierte Slawen u. Albaner verdrängt worden seien, stieß auf schärfste Kritik bei den →Philhellenen u. sorgt für heftige Kontroversen bis zur Gegenwart. Während des 2. →Wk.s war die P. zunächst (v. Mai bis Juni 1941) v. dt., danach v. it. u. dann von Sept. 1943 bis Anfang Okt. 1944 noch einmal von dt. Truppen besetzt. Ende 1943 wurden in der Provinz Kalavryta (nördl. P.) als „Vergeltung“ für 70 v. ELAS-Kämpfern (→Partisanen) erschossene dt. Soldaten rd. 700 Zivilisten ermordet.
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Lit. (a. →Maniaten): Viewing the Morea: land and people in the late medieval Peloponnese. Hg. Sh. Gerstel. Washington 2013; Kl.-P. Todt, Venezianer, Deutsche u. Osmanen im Kampf um Griechenland (1645–1718), Thetis 18 (2011), 130–165; F. Zarinebaf/J. Bennet/J.L. Davis, A Historical and Economic Geography of Ottoman Greece. The Southwestern Morea in the 18th Century. Athen 2005; P. Mutulas, Peloponnēsos 1940–1945: ē peripeteia tēs epibiōsēs, tu dichasmu kai tēs apeleutherōsēs. Athēna 2004; H.F. Meyer, Von Wien nach Kalavryta. Die blutig Spur der 117. Jägerdivision durch Serbien u. Griechenland. Mannheim, Möhnesee 2002; A. Avramea, Le Péleponnèse du IVe au VIIIe siècle. Changements et persistances. Paris 1997; T. Gritsopulos, Hē Ekklēsia tēs Peloponnēsu meta tēn halōsin. Athen 1992; A. Ilieva, Frankish Morea (1205–1262). Socio-cultural interaction between the Franks and the Local Population. Athen 1991;
Petrović Njegoš
E. Frangakis/M. Wagstaff, Settlement Pattern Change in the Morea (Peloponnisos), c. A.D. 1700–1830, Byzantine and Modern Greek Studies 2 (1987), 163–192; W.von Loehneysen, Griechenlands Schicksal im Mittelalter. Morea unter Franken, Byzantinern u. Osmanen. München 1977; C. Lienau, Bevölkerungsabwanderung, demographische Struktur u. Landwirtschafsform im West-Peloponnes. Räumliche Ordnung, Entwicklung u. Zusammenhänge von Wirtschaft u. Bevölkerung in einem mediterranen Abwanderungsgebiet. Gießen 1976; A. Bon, La Morée franque. Recherches historiques, topographiques, et archéologiques sur la principauté d’Achaie (1205–1430). 2 Bde. Paris 1969; ders., Le Péloponnèse byzantin jusqu’en 1204. Paris 1951; Thanos Krimpas, Hē benetokratumenē Peloponnēsos 1685–1715, Peloponnesiaka 1 (1956), 315–346; D.A. Zakythinos, Le Despotat grec de Morée. 2 Bde. Paris 1932/1953 (Ndr. London 1975). K.-P. T.
Petrović Njegoš. Mont. Dynastie 1697–1918. Die P.N. entstammten der Bruderschaft (bratstvo) Heraković des Stammes Njeguši; Begründer der Dynastie war Danilo, der 1697– 1735 Bischof (vladika) v. →Cetinje war. Von der mont. Stammesversammlung (zbor) gewählt, nahmen die Bischöfe seit Danilo neben ihrem geistlichen Amt auch weltliche Aufgaben wahr. Das Bischofsamt wurde in der Familie P.N. erblich u. i. d. R. vom Onkel auf den Neffen übertragen. Unter Danilo I. (1852–1860) wurde das geistliche vom weltlichen Amt getrennt u. die P.N. eine weltliche Dynastie. Einige Mitglieder der Familie machten sich nicht nur als Politiker, sondern auch als Schriftsteller einen Namen. Dazu zählen Vasilije (1750–66), der Verfasser der ersten gedruckten Abhandlung über die mont. Geschichte (Istorija o Černoj Gori, Moskau 1754), Peter II. (1830–1861) u. Fürst (ab 1910 König) Nikola (1860–1918). Peter II. (Petar II. Petrović Njegoš) gilt als einer der bedeutendsten Dichter in serb. Sprache. Zu seinen Hauptwerken gehören die hist. Epen „Gorski vijenac“ (Der Bergkranz, als mit Abstand bekanntestes Werk) u. „Lažni car Šćepan Mali“ (Der Lügenzar Stefan der Kleine) sowie das religiös-philosophische Epos „Luča Mikrokozma“ (Strahlen des Mikrokosmos). Nikola verfasste ebenfalls patriotische Verse, Epen u. das Drama „Balkanska carica“ (Die Kaiserin des Balkans). Trotz aller Bündnisse bestand seit Beginn des 20. Jh.s eine Konkurrenz zw. den P.N. u. den serb. →Karadjordjevići bzw. zw. den Königreichen →Montenegro u. →Serbien. Beide Dynastien strebten eine Vereinigung des Serbentums an, aber jeweils unter eigener Führung. Während der →Balkankriege u. dann während des 1. →Wk.s wurde der Konkurrenzkampf immer deutlicher spürbar. Die serb. Exilregierung, die über größere finanzielle Möglichkeiten als die mont. verfügte, begann mit Geld für einen bedingungslosen Anschluss Montenegros an Serbien zu werben. Als über die Vereinigung Ende 1918 abgestimmt werden sollte, bildeten sich in Montenegro zwei pol. Lager, die nach der Farbe der Wahllisten für die „Velika narodna skupština“ (Große Nationalversammlung) benannt wurden. Während die „Bjelaši“ (Weißen) für die sofortige Vereinigung mit Serbien unter der Dynastie Karadjordjević eintraten, wollten die „Zelenaši“ (Grünen) Montenegro unter der Dynastie P.N. in den neuen Staat einbringen. Die Abstimmung endete am 26.11.1918 mit einem Sieg der „Bjelaši“ u. der Absetzung der Dynastie P.N., die v. König Nikola nicht anerkannt wurde. 729
Petschenegen
Lit. (a. →Montenegriner, →Montenegro): P.A. Lavrov, Petar II Petrović Njegoš. Vladika crnogorski i njegova književna djelatnost. Podgorica 2013; B. Pavićević, Petar I Petrović Njegoš. ebd. 2007; ders., Danilo I. Petrović Njegoš. Knjaz crnogorski i brdski 1851–1860. ebd. 2007 (1Beograd 1990); A.B. Wachtel, How to use a classic: Petar Petrovic Njegos in the twentieth century, in: Ideologies and National Identities. The case of twentieth-century Southeastern Europe. Hg. J. Lampe/M. Mazower. Budapest u. a. 2006 ,131–153; Dinastija Petrović Njegoš. Radovi sa medju narodnog naučnog skupa, Podgorica, 29. Oktobar–1. novembar 2001. Hg. M. Dašić. Podgorica 2002; K.K. Frančev, France and the Montenegrin Government-in-exile, 1916–1921. Ann Arbor 1989; M. Djilas, Njegoš oder Dichter zwischen Kirche u. Staat. Wien u. a. 1968; Njegoš, Petar II. Petrović, Der Bergkranz. Einl., Übers. u. Kommentar A. Schmaus. München u. a. 1963; G. Stanojević, Crna Gora u doba Vladike Danila. Cetinje 1955. P. B.
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Petschenegen (v. türk.: päçänäg „Schwager[stamm]“). Turkvolk v. →Reiternomaden, sprachl. mit den →Kumanen wohl eng verwandt. Erstmals im 8. Jh. erwähnt, nomadisierten die P. zu dieser Zeit in den Steppen zw. Aral-See u. Syr-Darja. Vor den Angriffen der sprachverwandten Oghuzen u. →Chazaren ausweichend, überquerten sie um 889 oder 893 die Wolga u. verdrängten im Bündnis mit Zar Symeon v. Bulgarien 895/6 (→Bulgarisches Reich) die →Magyaren aus deren bisherigen Sitzen im „Etelköz“ zw. Wolga u. Donau. Der Sieg über die Magyaren gab den Anstoß zu deren Westwanderung u. zur →Ung. Landnahme im Karpatenbecken. Die P. nahmen die pontischen Steppen bis zur unteren Donau in Besitz u. kontrollierten die Flusshandelsroute, die die Kiever Rus’ mit dem Schwarzen Meer u. Byzanz verband. Laut Konstantin VII. Porphyrogennetos verfügten die P. nur über eine schwache Zentralmacht u. gliederten sich in acht Stammesverbände. Oriental. Quellen heben den Reichtum der P. hervor, der auf großen Herden u. Fernhandel u. a. mit der Rus’ u. →Byzanz beruhte. Die P. galten als bes. kriegerisch. Bündnisse mit Byzanz (914, 968, 972) u. der Rus’ (944) hinderten sie nicht an Einfällen in die Nachbarreiche. 972 tötete der P.fürst Kurja den Großfürsten Svjatoslav v. Kiev an den Dnjepr-Stromschnellen. Erst Jaroslav d. Weise bereitete ihnen 1036 eine vernichtende Niederlage. Unter dem Druck der v. O nachdrängenden Uzen u. Kumanen überquerten viele Verbände seit 1048 die Donau. U.a. 1050 bei Adrianopel (Edirne) geschlagen, bedrohten sie z.B. 1091 erneut →Konstantinopel. Erst 1122 wurde v. Ks. Johannes II. Komnenos ein letzter eigenständiger Verband an der unteren Donau bezwungen. Überlebende wurden seit dem 11. Jh. auf byz. Reichsgebiet (Paristrion, Vardartal, bei Niš u. Sofia, Moglena u. a.) angesiedelt oder in das byz. Heer eingereiht. Zu ihren Nachkommen zählt nach Meinung mancher Autoren die noch heute auf dem Balkan lebende Ethnie der türk. Surguč bei Edirne (C. Jireček, V.A. Moskov). Andere Verbände fielen im 11. Jh. in →Ungarn ein, wurden aber – wie 1068 bei Kerlés – besiegt. Petscheneg. Gefangene u. Flüchtlinge traten als Grenzwachen in den Dienst der Könige v. Ungarn u. bildeten zus. mit den →Széklern als leichte Reiterei die Vorhut der ung. Heere. Sie waren bis ins 13./14. Jh. in den schriftlichen Quellen fassbar rechtl. privilegiert u. gingen sprachlich in ihrem ung., rum. oder südslav. Umfeld auf, während ein Teil ihrer Oberschicht dem ung. Adel gleichgestellt wurde.
Pfeilkreuzler
Lit.: Chr. D. Dimitrov, Bălgarija i nomadite do načaloto na XI vek. Plovdiv 2011; O. Schmitt, Die Petschenegen auf dem Balkan 1046–1072, Pontus Euxeneios 10 (2006), 473–490; G.N. Garustovič, Oguzy i pečenegi v evrazijskich stepjach. Ufa 2001; P.B. Golden, An Introduction to the History of the Turkish Peoples. Wiesbaden 1992, 264–70; Gy. Györffy, A magyarság keleti elemei. Budapest 1990, 94–199; The Cambridge History of Early Inner Asia. Hg. D. Sinor. Cambridge 1990, 270– 275; A. Páloczi Horváth, Petschenegen, Kumanen. Jassen. Budapest 1990; Gy. Moravcsik, Byzantinoturcica. 2 Bde. Berlin 31983, Bd. 1, 87–90; O. Pritsak, The Pecenegs, AEMA 1 (1975), 211–235; H. Göckenjan, Hilfsvölker u. Grenzwächter im mittelalterlichen Ungarn. Wiesbaden 1972, 89–113; P. Diaconu, Les Petchénègues au Bas Danube. Bucarest 1970; L. Rásonyi, Les Turcs non-islamisées en Occident, PTF 3 (1970), 5–9; M. Gyóni: Zur Frage der rumänischen Staatsbildungen im 11. Jh. in Paristrion, Archivum Eurasiae et Centro Orientalis 9/10 (1943/44), 83–188. H. G.
Pfeilkreuzler (ung. nyilaskeresztesek, nyilasok). Sammelbezeichnung für die ung. Faschisten, im engeren Sinn für die P.partei (Nyilaskeresztes Párt) des ehem. Generalstabsoffiziers Ferenc Szálasi (6.1.1897–12.3.1946, hingerichtet). Der Name leitete sich vom Parteisymbol, einem Kreuz mit Pfeilspitzen an den Enden, ab. Seit März 1935 gelang es Szálasi, eine fasch. Massenbewegung auf breiter soz. Basis zu organisieren (a. →Faschismus). Entscheidend war, dass seine Partei nicht nur kleine Selbständige (Handwerker, Händler) u. agrarproletarische Schichten in der Provinz ansprach, sondern auch im pol. Zentrum Budapest Zulauf nicht zuletzt aus der Arbeiterschaft hatte. Zwar standen dabei pol. bis dahin nicht organisierte un-/angelernte Arbeiter u. Tagelöhner oft ländlicher Herkunft u. subproletarische Elemente im Vordergrund, doch fassten die Hungaristen, wie sie sich selber nannten, auch im organisierten Industrieproletariat Fuß. In ihrer Ideologie mischten sich sozialrevolutionäre Töne mit einem vehementen →Antisemitismus u. spezifisch auf das Völkergemenge des Karpatenbeckens abgestimmten pol. Ordnungsvorstellungen. Die Machtträger des autoritären Horthy-Regimes bekämpften Szálasis Bewegung mit rechtlichen u. polizeilichen Mitteln. Nach mehreren Verboten u. Wiedergründungen unter anderem Namen konsolidierte sich die P.partei unter dieser Bezeichnung ab März 1939. Sie hatte nun etwa 250.000 bis 300.000 Mitglieder (bei einer Bev. v. rund 10 Mio.). Bei den Parlamentswahlen im Mai 1939 gewann sie trotz der Verzerrungen des restriktiven Mehrheitswahlrechts ein Sechstel der 295 Sitze; hinter diesen 49 Mandaten standen 25 % der Wähler. Da die zentralen Machtpositionen im Besitz der trad. Eliten in Bürokratie u. Armee blieben, behielten die P. ihren Charakter als pol. „outgroup“. Sie wurden nicht in das Regime integriert, obwohl dieses unter dem Einfluss des „Dritten Reichs“ u. dem internen Druck einer „neuen Rechten“ aus radikalisierten mittleren Beamten u. Militärs nach rechts driftete. Nach ihrem pol. Höhepunkt 1939/40 erlebten die P. eine Phase der Stagnation u. des Niedergangs, bedingt nicht zuletzt durch konkurrierende, deutlich an NS-Deutschland orientierte Parteigründungen, die jedoch über keinen Massenanhang verfügten. Die nach der dt. Besetzung des Landes im März 1944 (2.→Wk.) gebildete Kollaborationsregierung schloss die P. explizit aus. Erst als Horthy einen konservativen Kurswechsel einleitete, nach der bereits erfolgten Deportation der Juden aus der Provinz (a. →Holocaust) den Abtransport der Budapester Juden stoppte u. in Moskau geheime Waffenstillstandsverhandlungen führen ließ, gelang-
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Pfeilkreuzler / Phanar
ten die P. mit Hilfe der SS durch einen Putsch am 15.10.1944 an die Macht. Sie dominierten den aus Politikern aller Rechtsparteien gebildeten „Nationalbund“. Der Vormarsch der Roten Armee verhinderte den bereits begonnenen hungaristischen Umbau v. Staat u. Gesellschaft u. setzte Szálasis Terrorregime ein Ende. Lit.: R. Paksa, Szálasi Ferenc. Budapest 2013; ders., Magyar nemzetiszocialisták. Az 1930-as évek szélsöjobboldali mozgalma, pártjai, politikusai, sajtója. Budapest 2013; K. Ungváry, A Horthy-rendszer mérlege. Diszkriminácio, szociálpolitika és antiszemitizmus Magyarországon. Pécs 2012; N.M. Nagy-Talavera, The Green Shirts and the others. A history of fascism in Hungary and Romania. Iaşi u. a. 22001; K. Ungváry, Die Schlacht um Budapest. München 1999 (orig. Budapest ostroma, Budapest 1998; engl.: The Siege of Budapest. New York 2005); M. Szöllösi-Janze, Die Pfeilkreuzlerbewegung in Ungarn. Historischer Kontext, Entwicklung u. Herrschaft. München 1989; E. Karsai/L. Karsai, A Szálasi per. Budapest 1988; E. Teleki, Nyilas uralom Magyarországon. 1944 október 16–1945 április 4. Budapest 1974; M. Lackó, Nyilasok, nemzetiszocialisták 1935–1944. ebd. 1966 (engl.: Arrow-Cross Men, National Socialists 1935–1944. ebd. 1969); C.A. Macartney, October Fifteenth. A History of Modern Hungary 1929–1945, 2 Bde. Edinburgh 1957. M. Sz.-J.
Phanar (türk. Fener). Viertel →Konstantinopels/Istanbuls im nördl. Teil der ummauerten Stadt am Goldenen Horn gelegen; Sitz des Ökumen. Patriarchen seit 1454/6, als Gennadios das ursprünglich mit Nonnen besetzte u. als Grablege des byz. Adels bekannte Pammakaristos-Kloster anstelle der baufällig gewordenen Apostelkirche zu seinem Amtssitz ausbaute. Dieses mit einer starken Umfassungsmauer versehene Klosterareal wurde 1586 zur Erinnerung an die Eroberung Georgiens u. Aserbaidschans durch Murad III. (1574–1595) zum Bau der Fethiye-Moschee umgestaltet. Auch andere Kirchen des Viertels erfuhren in diesen Jahren eine Umgestaltung in Moscheen; eine dem Pammakaristos-Kloster gegenüberliegende, vom →Großwesir Koca Sinan Pascha gestiftete →Medrese wird dem berühmten Reichsbaumeister Sinan (†1588) zugeschrieben. Der Sitz des Patriarchen (→Patriarchat v. Konstantinopel) wurde 1588 an den sog. Blachernenpalast (Theotokos-Kirche), die spätere Residenz der →Hospodare der Walachei (türk. Vlah Sarayı), verlegt. Gegen 1602 erfolgte dann die Übertragung des Patriarchensitzes in das sog. Petrion-Kastell im Zuge der Befestigungsmauern, wo 1614 eine eher bescheidene Anlage in Form eines mehrschiffigen Langhauses errichtet wurde. Diese dem hl. Georg geweihte Kirche ist, nachdem sie 1720 wiedererrichtet wurde, noch heute Amtssitz des Ökumen. Patriarchen (türk. Patrikhane). – Wegen seiner Nähe zum Patriarchat entwickelte sich das Ph.-Viertel zum bevorzugten Wohnsitz der nach ihm benannten →Phanarioten.
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Lit.: A. Sphini, Langue et mentalités au Phanar (XVIIe–XVIIIe siècles). D’après les „Ephémérides“ de P. Codrica et d’autres textes du milieu phanariote. Diss. Paris 1991; W. Müller-Wiener, Bildlexikon zur Topographie Istanbuls. Byzantion – Konstantinupolis – Istanbul bis zum Beginn des 17. Jh.s. Tübingen 1977. M. U.
Phanarioten
Phanarioten. Ursprüngl. nur die Bezeichnung für die Bewohner eines Teils v. →Konstantinopel/Istanbul; im weiteren Sinne auch Bez. für alle Istanbuler Griechen nach 1453 in Abhebung v. den anderen gr. Gemeinden des Osm. Reiches bzw. im engeren Sinne für diejenigen Griechen, die im Dienste des Reiches standen, zunächst als privilegierte Händler für den internat. Warenaustausch u. als Dolmetscher und Diplomaten der →Hohen Pforte, zw. 1711 u. 1821 außerdem als Fürsten (→Hospodar) der →Moldau bzw. der →Walachei. Der Name ist abgeleitet v. gr. Phanari, türk. Fener (Leuchtfeuer, -turm); der gleichnamige Stadtteil →Phanar beherbergte zunächst die überlebende gr. Mittel- und Oberschicht nach der osm. Eroberung Konstantinopels. Im Zuge der Neubesiedelung dieses Stadtteils wurde dessen Bev. ergänzt durch christl. Zuwanderer aus anderen Teilen des Osm. Reiches (Armenien, Trapezunt, Thessaloniki, oder auch die aus dem Epirus stammende alb. Familie Ghica als ein in den Quellen belegtes Einzelbeispiel), sowie auch durch solche aus dem Ausland (wie den Familien Negri und Rosetti aus Italien). Sie alle wurden im Laufe der Zeit hellenisiert. Um 1600 wurde der Sitz des orthodoxen Patriarchen in den Phanar verlegt (→Patriarchat v. Konstantinopel). Um das Patriarchat herum bildete sich eine gr. Verwaltungshierarchie u. eine Unternehmerschicht, die am Salzmonopol, Getreidehandel u. dem Hausbau gut verdiente und ab 1661 die Pfortendolmetscher stellte. Auch eine Reihe von osm. Botschaftern wurde aus dem Kreis der Ph. berufen, die v. a. nach Russland, aber auch Paris und London entsandt wurden. Als sich gegen Ende des 17. Jh.s das Verhältnis zw. der Hohen Pforte u. dem russ. Zaren drastisch verschlechterte u. die aus einheimischen rumän. Familien stammenden Hospodare der Moldau und der Walachei offen ihre Sympathien für Russland zur Schau trugen, begannen die Sultane damit, vereinzelt die Hospodare der →Donaufürstentümer aus den Reihen der vornehmsten Familien des Phanar auszuwählen. Nach 1711 (Moldau) bzw. 1715 (Walachei) wurde dies verstetigt, so dass bis 1821 nur noch Mitglieder phanariotischer Familien auf den Thronen der Donaufürstentümer saßen. Bis 1769 waren es lediglich vier Familien (Callimachi, Ghica, Mavrocordat, Racoviţa), denen es gelang, in buntem Wechsel auf einen der beiden Throne zu gelangen. Die jeweiligen Herrschaftszeiten waren nicht sonderlich lang, aber da es mehrmals zu einem Wechsel v. einem Fürstentum in das andere kam, waren die Gesamtherrschaftszeiten einzelner Persönlichkeiten durchaus beachtlich. So war Constantin Mavrocordat (*1711, †1769) sechsmal Hospodar der Walachei und viermal Hospodar der Moldau, wobei er insgesamt 20 Jahre und einen Monat herrschte. Ab 1770 traten weitere Familien hinzu (Caragea, Hangerli, Mavrogheni, Moruzi, Rosetti, Suţu, Ypsilanti). Da für das Erreichen einer Ernennung zum Hospodar neben guten Beziehungen zum Sultan u. dem Nachweis der Loyalität gegenüber der Hohen Pforte auch der Einsatz großer Geldsummen notwendig war, verschuldeten sich viele Thronanwärter vor ihrer Ernennung derart, dass sie während ihrer Herrschaftszeit darauf angewiesen waren, dieses Geld wieder einzutreiben. Dies führte namentlich nach 1770 zu harten, teils ausbeuterischen Steuermaßnahmen, die auch zentral für den bis heute negativen Ruf diese Epoche im rumän. Geschichtsbild und teils auch in der →Historiographie verantwortlich sind. Dennoch ist gerade für die Phase zwischen 1730 und 1769 das starke Interesse der Herrscher an einer Modernisierung ihrer Fürstentümer zu konstatieren. Zu den geplanten, aber nur z. T. umgesetzten Maßnahmen
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Phanarioten
zählte neben der Abschaffung bzw. Reduzierung des Frondienstes die Hebung des allg. Bildungsniveaus durch die Gründung von Schulen, Bibliotheken und Druckereien, die Förderung der Wissenschaften durch die Einrichtung von →Akademien, die Modernisierung der Infrastruktur insbesondere in den Städten durch Befestigung der Straßen u. Anlage v. Wasserversorgungsnetzen sowie eine vorsichtige Modernisierung des Staatswesens durch Verfassungsprojekte u. Kodifizierung des Gewohnheitsrechts. Einige der pol. Maßnahmen scheiterten am Widerstand des einheimischen Adels (→Bojaren), andere an den allzu kurzen Regierungszeiten oder am Geldmangel. Auch die häufigen kriegerischen Ereignisse auf dem Territorium der Moldau und der Walachei verhinderten eine weitergehende Reform und Modernisierung der Donaufürstentümer. Insgesamt wurde die pol. Lage auch durch den sich beschleunigenden Austausch der Hospodare immer instabiler, so dass die Hohe Pforte mit dem Regulament von 1819 dem Wahlverfahren ein Gerüst geben wollte. Doch mit dem Ausbruch des gr. Aufstandes von 1821, der auch auf die Donaufürstentümer übergriff (→Befreiungskriege), endete die Phanariotenherrschaft. Die Hohe Pforte wählte nun die Hospodare wieder aus dem einheimischen Adel, der allerdings inzwischen über zahlreiche Heiratsverbindungen mit den Phanarioten verwandt war. Die Familien aus dem Phanar blieben auch im 19. Jh. sowohl im Osm. Reich als auch in Griechenland und in den Donaufürstentümern bzw. in Rumänien wirtschaftlich wie politisch einflussreich, u. in den dem Patriarchat von Konstantinopel zugeordneten orth. Bistümern (Eparchien) auf dem osm. Balkan wurden vielfach noch bis Ende des 19. Jh.s die Bischofsstellen mit gr. Klerikern aus dem Phanar besetzt (innerkirchlicher „Phanariotismus“; in Bosnien zum Beispiel bis 1878). Noch 1880 wurde im Phanar mit der gr. Nationalschule ein Bildungsinstitut mit bedeutendem Ruf erbaut. Die Abwanderung der Ph. aus Istanbul, die nach 1821 begonnen hatte, setzte sich indessen im gesamten 19. Jh. fort und fand mit der Vertreibung der allermeisten der verbliebenen Griechen Istanbuls im Nachklang der v. a. gegen sie gerichteten Ausschreitungen v. September des Jahres 1955 ihren Abschluss.
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Lit.: M. Anastassiadou, Les Grecs d’Istanbul au XIX siècle. Histoire socioculturelle de la communauté de Péra. Leiden 2012; Ch.M. Philliou, Biography of an Empire. Governing Ottomans in the Age of Revolution. Berkeley 2010 [im Zentrum steht der Phanariot Stephanos Vogorides, 1780–1859]; A. Camariano-Cioran, Relaţii româno-elene. Studii istorice şi filologice (secolele XIV–XIX). Bucureşti 2008; M. Ţipău, Domnii fanarioţi în ţările române (1711–1821). Mică enciclopedie. ebd. 22008; D. Apostolopulos, Gia tus Phanariōtes: dokmes ermēneias kai mikra analytika. Athen 2003; M. Georgiadou, Vom ersten zum zweiten Phanar u. die Carathéodorys, SOF 59/60 (2000/2001), 164–217; P. Vrankić, Religion u. Politik in Bosnien u. der Herzegowina (1878–1918). Paderborn 1998; J. M. Cantacuzène, Mille ans dans les Balkans. Chronique des Cantacuzène dans la tourmente des siècles. Paris 1992; H. Heppner, Österreich u. die Donaufürstentümer 1774–1812. Ein Beitrag zur habsb. Südosteuropapolitik. Graz 1984; A. Pippidi, Tradiţia politică bizantină în ţările romăne în secolele XVI–XVIII. Bucureşti 1983; Symposion L’époque phanariote, 21–25 Octobre 1970. Thessaloniki 1974; S.D. Sutzos, Ellēnes ēgemones Blachias kai Moldabias. Athen 1972; V. Georgescu, Political Ideas and the Enlightenment in the Romanian Principalities. New York 1971; K.Th. Dēmaras, Peri Phanariōtōn. Athen 1969; B.B. Sphyroeras,
Philhellenismus
Hoi dragomanoi tu stolu. ebd. 1965; J. Gottwald, Phanariotische Studien, Leipziger Vierteljahrsschrift für Südosteuropa 5 (1941), 1–58; N. Iorga, Byzance après Byzance. Bucarest 1935; H.W. Held, Die Phanarioten. Ihre allmähliche Entwicklung zur fürstlichen Aristokratie bis zu deren Untergang. Elberfeld 1920. P.M. K.
Philhellenismus. Bez. für eine freundliche Grundeinstellung zu Griechenland u. seinen Menschen, abgeleitet v. dem schon v. Herodot verwendeten Philhellene (Griechenfreund), als Abstraktum erst um 1830 geprägt. Ein engeres Begriffsverständnis fasst die Sympathiebekundungen der Jahre 1821 bis 1830 zusammen, ein weiteres eine griechenfreundliche Haltung, die mit der Renaissance beginnt u. bis ins 20. Jh. anhält. Während das Abendland im MA Byzanz u. seiner gr. Führungsschicht meist ablehnend oder feindlich gegenübertrat, begannen nach der Eroberung →Konstantinopels (1453) europ. Gelehrte, sich intensiv mit den Texten auch des ma. Griechentums, u. Künstler mit den Überresten der antiken Bau- u. Bildkunst zu beschäftigen. Die gescheiterten Versuche v. prot. Theologen, mit der orth. Führungselite in einen Dialog einzutreten, verschwanden bald aus dem allgemeinen Bewusstsein. Seit dem 16. Jh. nahm die Zahl v. Reisenden nach Hellas stark zu u. ihre Berichte u. Zeichnungen ergänzten die gr. Kulturrelikte in Italien. Im Zeitalter der dt. Klassik deutete Johann Joachim Winckelmann die bildnerischen Leistungen der gr. Antike als einen nicht mehr zu übertreffenden Höhepunkt künstlerischen Schaffens. Über die v. antik-gr. Stoffen gespeiste Dichtung der Klassik u. die systematisch vertiefte Beschäftigung mit dem Altgriechischen drang der Ph. im Neuhumanismus in die bürgerliche Bildungsschicht u. in die Gymnasien ein. Eine selektiv verklärende Sicht auf die antiken Hellenen wurde unreflektiert auf die Neugriechen übertragen, korrespondierend dazu ein stereotyp negatives Bild der Türken als der Unterjocher Griechenlands tradiert. Als dann 1821 Griechen in den →Donaufürstentümern u. auf der →Peloponnes den Aufstand entfachten (→Befreiungskriege), erweckten sie in ganz Europa u. in den USA eine lebhafte Griechenbegeisterung. Sie äußerte sich in einer Flut philhell. Schriften, in mehreren hundert Freischärlern u. in Geldsammlungen, zu denen fast alle soz. Schichten beitrugen. Organisatorisch fanden sie ihre Mittelpunkte zunächst in München, Stuttgart u. Zürich, später in London, Paris u. Genf. Zu den herausragenden Ph. gehörten der württembergische General Karl Graf v. Normann u. der brit. Oberst Richard Church, die Dichter Lord Byron, Chateaubriand u. Wilhelm Müller, Kg. Ludwig I. von Bayern u. der Philologe Friedrich Thiersch, nicht zuletzt der Bankier Jean Gabriel Eynard. Unter Metternichs Einfluss hatten die meisten Regierungen die Bewegung eingedämmt (a. →Vormärz). Nach dem Tode Byrons in Missolunghi u. dem Eingreifen Mehmed Alis v. Ägypten auf der Seite des Sultans nahm der Ph. einen neuen Aufschwung u. ging fast nahtlos in eine spezifisch bayer. Griechenbegeisterung nach 1832 über ( →Wittelsbacher). Gegenstimmen wie die des Orientkenners Jakob Philipp Fallmerayer bewirkten ebenso wenig wie die Berichte enttäuschter Hellasfahrer. In der Mächtepolitik hat der Ph. langfristig kaum etwas bewirkt, dafür nicht wenige Erforscher v. gr. Kultur u. Geschichte motiviert, u. a. den Begründer der modernen Byzantinistik Karl Krumbacher. 735
Podgorica
Lit.: D. Valdez, German Philhellenism. The Pathos of the Historical Imagination from Winckelmann to Goethe. New York 2014; R. Beaton, Byron’s War. Romantic Rebellion, Greek Revolution. Cambridge 2013; S. Maufroy, Le philhellénisme franco-allemand (1815–1848). Paris 2011; Graecomania: Der europäische Philhellenismus. Hgg. G. Hess/E. Agazzi/E. Décultot. Berlin 2009; N. Klein, L’humanité, le christianisme et la liberté. Die internationale philhellenische Vereinsbewegung der 1820er Jahre. Mainz 2000; F. Löbker, Antike Topoi u. Reminiszenzen in der deutschen Philhellenenliteratur zur Zeit des griechischen Unabhängigkeitskrieges 1821–1829. München 1998; Die Rezeption der Antike u. der europäische Philhellenismus. Hg. E. Konstantinou. Frankfurt/M. u. a. 1998; S.L. Marchand, Down from Olympus. Archaeology and Philhellenism in Germany, 1750–1970. Princeton 1996; Der Philhellenismus in der westeuropäischen Literatur 1780–1830. Hg. A. Noe. Amsterdam, Atlanta/GA 1994; Bayerns Philhellenismus: Symposium an der Ludwig-Maximilians-Universität München am 22. u. 23. November 1991. Hgg. G. Grimm/ Th. Nikolaou. München 1993; Ch. Hauser, Anfänge bürgerlicher Organisation. Philhellenismus u. Frühliberalismus in Südwestdeutschland. Göttingen 1990; L. Spaenle, Der Philhellenismus in Bayern 1821–1832. München 1990; Europäischer Philhellenismus. Ursachen u. Wirkungen. Hg. E. Konstantinou. Neuried 1989; R. Quack-Eustathiades, Der deutsche Philhellenismus während des griechischen Freiheitskampfes 1821–1827. München 1984; W.St. Clair, That Greece Might Still be Free. London 1972; M.B. Raizis/A. Papas, American Poets and the Greek Revolution, 1821–1828. A Study in Byronic Philhellenism. Thessaloniki 1971; D. Dakin, British and American philhellenists during the war of Greek independence, 1821–1833. ebd. 1955. G. G.
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Podgorica (von 1946–1992: Titograd). Hauptstadt sowie wirtschaftliches u. kulturelles Zentrum der Republik →Montenegro mit Universität u. Akad. d. Wiss. (1948: 14.369; 2008: 143.718 E, davon 57 % Montenegriner, 26 % Serben, 11 % Albaner u. a.). – Der Ort (zu dt.: unterhalb der Gorica, des kleinen Berges am Rand der Stadt) wurde vermutlich vor dem 11. Jh. gegründet. Unter dem heutigen Namen wird er erstmals in einer Urkunde aus dem Jahr 1326 erwähnt (ältere Namen sind Birziminium u. Ribnica). P. liegt nur wenige Kilometer entfernt v. den Ruinen der antiken Stadt Doclea/Dioclea/Duklja an der Mündung der Zeta in die Morača, an den Ufern der Ribnica sowie am Ende einer fruchtbaren u. verkehrs- sowie handelspolitisch wichtigen Ebene nördl. des Scutari-Sees u. unweit der Adriaküste. Nach einer wechselhaften pol. Geschichte wurde der Ort als Teil der Landschaft →Zeta Ende des 12. Jhs. mit →Raszien, dem Stammland der serbischen →Nemanjiden, vereinigt u. gehörte Mitte des 14. Jhs. zum serbischen Reich des Zaren Stefan Dušan, danach zu den Teilfürstentümern der Balšići (Ballska), der Lazarevići/Brankovići u. →Crnojevići. 1474 wurde P. von den →Osmanen erobert, die im Ort eine große Zitadelle errichteten, um sich vor den Überfällen der mont. u. nordalb. Bergstämme zu schützen. 1864 avancierte P. unter dem osmanisch/türkischen Namen „Böğürtlen“ (Brombeere) zum Sitz eines Gerichtsbezirks (→Kaza) im →Vilayet Shkodra. Auf dem Berliner Kongress 1878 wurde es dem Fsm. Montenegro (mit der damaligen Hauptstadt→ Cetinje) zugesprochen u. entwickelte sich zum wichtigsten Handelsplatz des Landes (1902 Gründung einer Tabakgesellschaft, 1904 Gründung der ersten mont. Bank), blieb aber mit 9.200 E (1916) eine Kleinstadt. Während des 1. Wk.s
Podgorica / Poljica
(→Weltkrieg, Erster) stand P. von 1916–1918 unter österr.-ungar. Besatzung u. fiel danach entsprechend dem Beschluss einer mont. Versammlung in P. an das neue südslawische Kgr. (→Jugoslawien). Während des 2. Wk.s (→Weltkrieg, Zweiter) wurde P. zuerst von den Italienern, dann (ab 1943) von den Deutschen besetzt u. stark zerstört. Nach dem Krieg wurde der wieder aufgebaute u. zu Ehren Titos in „Titograd“ umbenannte Ort die neue Hauptstadt der jug. Teilrepublik Montenegro (bzw. ab 2006 des unabhängigen Montenegro) u. erlebte infolge des Urbanisierungs- u. Industrialisierungsbooms im sozialist. Jugoslawien eine rasante Entwicklung zur größten u. modernsten mont. Stadt mit dem Zentrum in der Neustadt (Nova Varoš). An die Zeit der osman. Herrschaft erinnern noch zwei Moscheen, ein türk. Glockenturm u. die engen Gassen in der Altstadt (Stara Varoš) sowie im Stadtteil Drač. Lit. (a. →Montenegriner; Montenegro): A.V. Lainović, Kratak pogled na prošlost Podgorice. Beograd 42009; Istorija Crne Gore od najstarijih vremena do 2003. Hg. M. Obradović. Podgorica 2006; Podgorica. Hg. D. Ičević. ebd. 2003; B. Hrabak, Podgorica do početka XIX veka. Beograd 2000; Sto dvadeset godina od oslobodjenja Podgorice. Zbornik. Hg. B. Kovačević. Podgorica 2000; V. Ivanović, Podgorički vremeplov: vodič kroz prošlost i sadašnjost grada: Birziminium, Ribnica, Podgorica, Titograd, Podgorica. ebd. 1998; P. Mijović, Od Dokleje do Podgorice. Cetinje 1998. H. S.
Poljica. Spätma./frühneuzeitliche Landgemeinde an der mitteldalmatinischen Küste zw. den Flüssen Žrnovica (östl. v. Split) u. Cetina, hervorgegangen aus einer altkroat. →župa, „Gau“. Im Gebiet der P. lag das 1080 vom Spliter Bürger Petrus Zerni gestiftete Benediktinerkloster St. Peter de Gumay (Supetar), dessen Chartular vom Anfang des 12. Jh.s erhalten ist. Nach wechselnder pol. Unterstellung unter kroat. Magnaten, unmittelbar unter den ung. Kg. u. unter Bosnien kam die P. 1444 bei weitestgehender Autonomie unter venez. Herrschaft (→venez. Überseereich); kirchl. gehörte sie zur Erzdiözese Split. Die Selbstbezeichnung als općina, „Kommune“, seit spätestens dem 15. Jh. entstand unter dem Einfluss der dalmat. Stadtkommunen (→Stadt, Stadttypen: Dalmatien, Istrien); später finden wir auch die Bezeichnung als „Republik“. Die P. war entsprechend der Siedlungsstruktur in zwanzig →Katune gegliedert. Wie das in kroat. Sprache in kyrillischer Schrift verfasste Statut von 1440 zeigt, blieben zahlreiche slav. Rechtsinstitute bewahrt. Die drei Stämme der P. verblassen gegenüber der ständischen Gliederung nach dem aus vlastelići u. didići gebildeten Patriziat (der Tradition zufolge die einen aus Ungarn, die anderen aus Bosnien stammend) u. dem Volk aus landbebauenden kmetići u. Viehzucht treibenden vlašići. Der zbor, die „Versammlung“, aller freien Männer behielt seine Stellung als Entscheidungsträger. Der veliki →knez als Oberhaupt wurde nach 1444 aus Split gewählt, seit dem 16. Jh. zumeist aus dem Kreis der vlastelići. Ab 1514 war die P. für längere Zeit dem Osm. Reich tributpflichtig; 1807 wurde sie unter der frz. Herrschaft aufgelöst. Quellen u. Lit.: M. Brković, Šezdesetak neobjavljenih isprava iz Tugara, Omiški ljetopis 6 (2011), H. 6, 245–285; A. Laušić, Pripadnost i uloga srednjovjekovnih Poljica i Omiša u vrijeme hrvatskih narodnih vladara, ebd., 187–217; M. Kuvačić-Ižepa, Split i Poljica. Odnosi kroz povijest, Kulturna
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Pomaken
baština 37 (2011), 7–32; B. Latković, Estatuto de Poljica. Codificación medieval del Principado Croata de Poljica. Buenos Aires 1995; J. Marušić, Sumpetarski kartular i Poljička Seljačka Republika. Split 1992; A. Laušić, Postanak i razvitak poljičke kneževine. ebd. 1991; M. Pera, Poljički statut. ebd. 1988; B.D. Grekov, Die altkroatische Republik Poljica. Berlin (Ost) 1961; Supetarski kartular. Bearb. V. Novak. Zagreb 1952; Tomo Matić, Statut der Poljica, Wissenschaftliche Mitteilungen aus Bosnien und der Hercegovina 12 (1912), 324–403 (maßgebl. dt. Übers.). L. St.
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Pomaken. Überwiegend sunnitische Muslime in Südbulgarien u. Nordgriechenland, die einen südslav. Dialekt sprechen, der dem Bulg. nahesteht. Aus bulg. Sicht handelt es sich um Bulgarisch, v. gr. Seite wird neuerdings die Ansicht vertreten, es handele sich um eine eigene Sprache Pomakisch (vgl. Theoharides). Alle bisherigen Versuche, die Bezeichnung etymologisch zu erklären, können als fehlgeschlagen angesehen werden. Andere bulg. Fremdbezeichnungen für die P. sind: Bulg. Muslime (bălgari mjusjulmani), Bulgaromohammedaner (bălgari mochamedani), achrjani (v. a. in den Zentralrhodopen), poganci („Untreue“ im südl. Pirin-Gebirge), poturnaci/portunaci, eruli, rupci. Manche Autoren setzen die mak.sprachigen Muslime im heutigen Makedonien (torbeši, makedonci muslimani, apovci; →Torbeschen) mit Pomaken gleich. Die P. siedeln in den West- u. Zentralrhodopen (Mesta-Tal, Smoljan) sowie in kleineren Gruppen in Zentral- (nahe Kazanlăk) u. in Nordbulgarien (bei Loveč). In Nordgriechenland leben die P. v. a. in den Südrhodopen u. in Westthrakien (Xanthi, Drama, Komotini). Man geht davon aus, dass in Bulgarien etwa 200.000 P. leben, in Griechenland etwa 55.000. Bei den P. handelt es sich wahrscheinlich um die während der Osmanenherrschaft zum Islam konvertierten Nachfahren der ortsansässigen südslav. Bevölkerung (orth. Christen, möglicherweise auch christl. Häretiker wie →Bogomilen oder →Paulikianer). Die Gründe für die in mehreren Wellen verlaufene Konversion (→Konvertiten) sind heftig umstritten. Während die ältere – bes. bulg. – Forschung davon ausgeht, dass die Konversion unter Zwang geschah, sehen neuere Forschungen die Gründe v. a. in den Steuerprivilegien (vgl. →Kopfsteuer), die die Muslime im Osm. Reich gegenüber den Nichtmuslimen hatten (A. Željazkova). Über die Geschichte der P. unter osm. Herrschaft ist wenig bekannt. Immerhin sollen einige Anführer v. →Haiduken pomakischer Herkunft gewesen sein. 1876 konnte die osm. Armee Teile der P. unter der Führung lokaler pomak. Notabeln zur Niederschlagung des Aprilaufstandes in Bulgarien mobilisieren. Nach dem Präliminarfrieden v. →San Stefano (3.3.1878) blieben die v. P. besiedelten Gebiete größtenteils außerhalb des unabhängigen Bulgarien. Nach dem →Berliner Kongress wurde das pomakische Siedlungsgebiet zw. →Ostrumelien u. dem Osm. Reich geteilt. Daraufhin gründeten die Notabeln einiger pomakischen Dörfer eine Republik, weil sie die Angliederung an Ostrumelien nicht anerkennen wollten. Nach der Vereinigung Bulgariens u. Ostrumeliens 1885 fiel das Territorium der pomakischen Republik an das Osm. Reich, die Republik wurde aufgelöst. Seit dem Beginn des 20. Jh.s unterlagen v. a. die P. unter bulg. Herrschaft immer wieder staatlich sanktionierten Assimilationsmaßnahmen. Während des ersten →Balkankrieges 1912 wurde in der Gegend v. Nevrokop (seit 1950: Goce Delčev am Fuß des Pirin-Gebirges im heutigen Bulgarien) u. Drama (heute in Griechenland) eine Christianisierungskampagne unter den P. durchgeführt,
Pomaken / Populismus
die aber 1913/1914 nach dem Friedensvertrag v. Konstantinopel (16./29.9.1914, 1.3.1914) u. aus innenpol. Kalkül wieder rückgängig gemacht wurde. In den späten 1930er Jahren wurde eine Organisation namens Rodina („Heimat“) mit dem Ziel gegründet, die Anerkennung der P. als Teil des bulg. Volkes durchzusetzen. Mittel der Organisation waren der Kampf gegen musl. Bräuche u. die islamischen Namen der P. Rodina wurde in den vierziger Jahren verboten. 1964 u. 1972/73 wurden auf Betreiben der BKP Umbenennungskampagnen unter den P. durchgeführt, in deren Verlauf fast alle P. bulg. Namen annehmen mussten). 1990 wurde den P. erlaubt, wieder musl. Namen zu benutzen. Die P. in Griechenland gelten minderheitenrechtlich als Teil der vom gr.-türk. Bevölkerungsaustausch (→Lausanne) ausgenommenen „muslimischen Minderheit“ in →Thrakien. Lit.: K. Ghodsee, Muslim Lives in Eastern Europe: Gender, Ethnicity, and the Transformation of Islam in Postsocialist Bulgaria. Princeton 2009; E. Karagiannis, Flexibilität u. Definitionsvielfalt pomakischer Marginalität. Wiesbaden 2005; P.G. Papadēmētriu, Oi Pomakoi tēs rodopēs. Apo ts ethnotikēs scheseis stus Balkanikus ethnēkismus (1870–1990). Thessaloniki 2003; S. Trubeta, Die Konstitution von Minderheiten u. die Ethnisierung sozialer u. politischer Konflikte. Eine Untersuchung am Beispiel der im griechischen Thrakien ansässigen moslemischen Minderheit. Frankfurt/M. u. a. 1999; J. Telbizova-Sack, Identitätsmuster der Pomaken Bulgariens. Ein Beitrag zur Minoritätenforschung. Marburg 1999; E. Radušev, Demografski i etnoreligiozni procesi v Zapadnite Rodopi prez XV–XVIII vek, Istoričesko bădešte 1 (1998), 46–89; E. Karagiannis, Zur Ethnizität der Pomaken Bulgariens. Münster 1997; B. Aleksiev, Rodopskoto naselenie v bălgarskata chumanitaristika, in: Mjusjulmanskite obštnosti na balkanite i v Bălgarija. Istoričeski eskizi. Hgg. A. Željazkova u. a. Sofija 1997, 57–112; S. Trifonov, Mjusjulmanite v politika na bălgarskata dăržava, in: Stranici ot bălgarskata istorija. Bd. 2 Sofija 1993, 210–223; Y. Konstantinov, An Account of Pomak Conversions in Bulgaria (1912–1990), in: Minderheitenfragen in Südosteuropa. Hg. G. Seewann. München 1992, 342–357; E. Zegkines, Ho mpektasismos ste dytike Thrake. Symbole sten historia tes diadoses tou mousoulmanikou stoiheiou ston helladiko horo. Thessaloniki 1988; A. Željazkova, Social Aspects of the Process of Izlamization in the Balkan Possessions of the Ottoman Empire, Études Balkaniques 21 (1985), H. 3, 107–122; V. Dobruski, Bălgaromochamedanskata republika v rodopskite planini, in: Bălgarija prez pogleda na češkite pătešestvenici. Sofija 1984, 62–84; Iz minaloto na bălgarite mochamedani. Hg. Chr. Christov.Sofija 1958. U. B.
Populismus (aus lat. populus: Volk). P. ist ein unscharfer u. mehrdeutiger Begriff, der eine Geisteshaltung oder Politik bezeichnet, die affirmativ als „Nähe zum Volk“, ablehnend als Erzeugung u. Instrumentalisierung eines vermeintlichen „Volkswillens“ zum Zweck pol. Mobilisierung verstanden wird. 1) Ungarn (ung. Bez. népiség, seine Vertreter népi). Eine Ende der 1920er/Anfang der 1930er Jahre entstandene literar. u. pol. Bewegung. Der literar. P. findet seinen Ursprung in der Solidarisierung gleichgesinnter Schriftsteller. In der zweiten H. der 20er Jahre trat eine Gruppe junger Dichter u. Erzähler auf, die durch Themenwahl, Stil u. Technik miteinander verbunden waren. Sie knüpften an die Traditionen u. Werte der nationalen Literatur an,
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Populismus
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zeigten großes Interesse an dem Schicksal des Bauerntums u. fühlten pol. Verantwortung für die Zukunft des Landes. Ihre Vorbilder waren der Dichter Endre Ady, die Romanschreiber Zsigmond Móricz u. Dezső Szabó, sowie die Musiker Béla Bartók u. Zoltán Kodály. Die bedeutendsten Mitglieder dieser Gruppe waren die Dichter József Erdélyi, Gyula Illyés, István Sinka, Lőrinc Szabó, die Prosaisten László Németh, Áron Tamási, János Kodolányi, Péter Veres und Pál Szabó. Unter dem Einfluss u. der Mitwirkung der Genannten kam die populistische soziographische Literatur, die Dorf- u. Städteforschung zustande, deren bekannteste Vertreter Géza Féja, József Darvas, Ferenc Erdei, Imre Kovács u. Zoltán Szabó waren. Ihre Werke – wie die erfolgreiche Bücherserie „Die Entdeckung Ungarns“ – beantworteten die v. den Populisten gestellte Frage: „Wie lebt das Volk?“ Unter der Leitung der Autoren u. durch die Mitarbeit ihrer Anhänger – meist Studenten, junge Intellektuelle, Lehrer, Journalisten u. prot. Pastoren bäuerlicher Abstammung – entstand der pol. P. Es war ein ureigenes, aus der ung. Gesellschaftsentwicklung entsprungenes Unternehmen u. beeinflusste v. a. einen beachtlichen Teil der Jugend. Er zeigte Ähnlichkeit mit dem russ. P. (Narodniki) v. a. in der bäuerlichen Orientierung, der zentralen Forderung „Boden und Freiheit“ u. der Befürwortung einer Reform der Agrarstruktur, lehnte aber illegale pol. Tätigkeiten, konspirative revol. u. terroristische Aktionen der Narodniki ab. Populisten gründeten 1937 die für Bodenreform u. Demokratie eintretende Märzfront u. 1939 die Nationale Bauernpartei, die 1945 – vom Bauernführer Péter Veres geleitet – Mitglied der Regierungskoalition wurde. Obwohl die Partei linksorientiert war, wurde sie v. den Kommunisten 1949 aus dem pol. Leben gedrängt (→Parteien: Ungarn). Da sich der P. als treibende Kraft in der geistigen Vorbereitung einer ges. Erneuerung erwies, war sie in den Tagen der Ung. Revolution v. 1956 als Petőfi-Partei wiedererstanden. Nach kurzer Tätigkeit wurde sie v. den Kommunisten aufs Neue aus dem öffentlichen Leben ausgeschaltet u. der P. durch Parteibeschlüsse ideologisch verurteilt. In der Nachkriegszeit entstand – v. a. durch die Tätigkeit v. István Bibó – das neue Programm der Populisten. Wichtige Bestandteile waren die Politik eines durch soz. Empfindsamkeit u. Verantwortung gekennzeichneten Dritten Weges, sowie das Eintreten für bürgerliche Freiheiten u. nationale Interessen (die Sorge um das Schicksal der in den Nachbarstaaten lebenden Ungarn inbegriffen, →Magyaren; →Minderheiten). Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus meldete sich der P. mit unterschiedlichem Erfolg erneut zu Wort. 2) Rumänien (rum. poporanismul, in der westl. wiss. Literatur Poporanismus). Ähnlich wie in Ungarn entwickelten sich auch hier ein literar. u. ein pol. P. Die Vertreter des literar. P. entnahmen ihre Themen dem dörflichen Leben u. der Geschichte, schrieben in einer v. breiten Schichten verstandenen Sprache, schilderten die alltäglichen Probleme der Bauern u. die Schönheit des Landes. Manche verbanden die soz. Empfindsamkeit mit einem christl. Humanismus, einige waren Priester. Zu dieser Gruppe zählten der Literaturkritiker Constantin Stere, der Literaturhistoriker u. Schriftsteller Garabet Ibrăileanu, der Lyriker Ştefan Octavian Iosif, die Erzähler Ion Agârbiceanu, Gala Galaction, Calistrat Hogaş. Die Theorie des literar. Poporanismus wurde v. Ibrăileanu ausgearbeitet. Constantin Stere spielte auch im pol. P. eine führende Rolle. Außer ihm war Constantin Dobrogeanu-Gherea die wichtigste Persönlichkeit dieser Bewegung. Beide stammten aus
Populismus
dem Zarenreich, Stere aus Bessarabien, Dobrogeanu-Gherea aus der Ukraine, beide wurden v. den russ. Narodniki beeinflusst, gehörten revol. Kreisen an u. flohen vor Verfolgung nach Rumänien. Dobrogeanu-Gherea war Sozialist, Stere eher liberal. Da Rumänien ein Agrarland war u. 1907 v. einer Bauernrevolte (→Bauernaufstände 19./20. Jh.) erschüttert wurde, standen die Probleme einer bäuerlichen Gesellschaft im Vordergrund. Dobrogeanu-Gherea gedachte, das Elend der armen Bauern durch Verwirklichung sozialist. Programme zu beheben, Stere durch Reformmaßnahmen. Beide befürworteten, dass die Bauern Land bekommen, Veränderungen auf konstitutionellem Weg geschehen, u. die nationale Integrität bewahrt bleibe. Nach einer 1894 verfassten Studie v. Constantin Stere war der Poporanismus keine exakt definierte Doktrin, sondern eher „ein allgemeines Gefühl, eine intellektuelle u. emotionale Atmosphäre“. Er forderte die Liebe zum Volk (d. h. Gesamtheit der Werktätigen), die Verteidigung seiner Interessen, die Aufgabe, es zu einer unabhängigen soz. u. kult. Kraft zu erziehen. Der rum. P. beeinflusste 1918 die Bildung der – agrarsozialist. Forderungen mit einem Bekenntnis zum Parlamentarismus verbindende – Bauernpartei, die sich nach Mäßigung ihres sozialist. gefärbten Agrarprogrammes 1926 der Rumänischen Nationalpartei anschloss. Aus dieser Vereinigung entstand die Nationale Bauernpartei, die später zur bedeutendsten pol. Kraft wurde (→Parteien: Rumänien). 3) Balkan: In den postosm. Balkanländern konnte sich der P. v. a. in den Bauernparteien entfalten, u. zwar im Kontext einer weit verbreiteten Städtefeindschaft (→Urbanisierung). Frühe Beispiele für P. finden sich z. B. in den Reihen der Radikalen Volkspartei (Narodna Radikalna Stranka) in →Serbien seit den 1880er Jahren. Die Partei attackierte die Staatsbürokratie u. die von den Liberalen u. der Fortschrittspartei angestrebte →Modernisierung Serbiens nach „europäischen“ Mustern. Enttäuscht von der dirigistischen Reformpolitik der Liberalen u. inspiriert vom Aufstand der Pariser Kommune suchte sie den Schulterschluss mit den einfachen, armen Leuten. Die Bauern stellten in den Augen der Radikalen die „wahre“ serbische Nation dar. Mit dem Appell an die Bauern als „Souverän“, der anti-bürokratischen Rhetorik sowie den anti-westlichen, anti-österreichischen u. anti-kapitalistischen Ressentiments erreichten die – von den russ. Narodniki inspirierten – Radikalen zunehmend große Teile der Landbevölkerung. Gleich den Liberalen u. der Fortschrittspartei war aber auch die Radikale Volkspartei befreiungsmissionarisch u. nationalistisch orientiert u. berief sich mit ihrer Expansionspolitik auf den „Volkswillen“. Die in allen Balkanländern beobachtbare Spaltung der geistigen →Eliten in einen pro- u. einen anti-„westlichen“ Flügel beförderte sowohl rechte wie linke populist. Strömungen. Das gilt für die Herrschaft der Agrarbundes unter Alexander Stambulijski in Bulgarien (1919–1923) ebenso wie für die →Zbor-Bewegung oder die Kroatische Bauernpartei im Jugoslawien der Zwischenkriegszeit. Einen spektakulären Höhepunkt erreichte der demagogische P. in Serbien während der „Ära Milošević“ (1987–2000). Lit.: 1) Ungarn: J. Lukács, Democracy and Populism: Fear and Hatred. New Haven 2005; K. Salamon, A harmadik út küzdelme. Népi mozgalom 1944–1987. Budapest 2002; G. Gombos, A harmadik út. Budapest 1990; G. Borbándi, Der ungarische Populismus. Mainz 1976; I. András, Entwicklung u. Entstehung der sogenannten „Völkischen Bewegung“ in Ungarn 1920–1956. Wien 1974.
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2) Rumänien: V. Durnea/Gh. Hrimiuc-Toporaș, Anchete literare în perioada 1890–1914. Iași 2005; D. Müller, Agrarpopulismus in Rumänien. Programmatik u. Regierungspraxis der Bauernpartei u. der Nationalbäuerlichen Partei Rumäniens in der Zwischenkriegszeit. St. Augustin 2001; J. Schmidt, Populismus oder Marxismus. Tübingen 1992; Z. Ornea, Poporanismul. Bucuresţi 1972; Populism, Its Meanings and National Characteristics. Hgg. Gh. Ionescu/E. Gellner. London 1969; D. Mitrany, Marxismus u. Bauerntum. München 1956; ders., The Land and Peasant in Rumania. London 1930. 3) Balkan: Populizam. Urušavanje demokratskih vrednosti. Ljudska prava u Srbiji 2012. Hg. Helsinški odbor za ljudska prava u Srbiji. Beograd, Novi Pazar 2013; Prowestliche u. antiwestliche Diskurse in den Balkanländern/Südosteuropa. Hgg. G. Schubert/H. Sundhaussen. München 2008. Gy. B.
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postjugoslawische Kriege (1991–95, 1998/99) (a. jugoslawische Nachfolgekriege; irreführend a. „Balkankriege“ od. „Jugoslawienkrieg“): Sammelbezeichnung für 1. Zehntage-Krieg in Slowenien (1991), 2. Krieg in Kroatien („Kroatienkrieg“, 1991–95), 3. Krieg in Bosnien-Herzegowina („Bosnienkrieg“, 1992–95), 4. Krieg in Kosovo u. Rest-Jugoslawien („Kosovokrieg“, 1998/99). 1. Der Unabhängigkeitserklärung →Sloweniens folgte am 27.6. der Einsatz der Jugoslawischen Volksarmee (JNA) zur „Sicherung der Grenze“ im N Jugoslawiens. Offiziell hieß es, dass der Einsatz der Armee in Slowenien vom letzten jugosl. Ministerpräsidenten Ante Marković als „begrenzte Polizeiaktion“ angeordnet worden sei, wozu Marković aber laut Bundesverfassung nicht befugt war. Zur Überraschung der Generalität leisteten die Einheiten der slowen. Territorialverteidigung (TO) entschlossenen Widerstand, so dass die schlecht vorbereitete „Polizeiaktion“ zu scheitern drohte. Auf Vermittlung der EG stimmte die JNA am 3.7. einem Waffenstillstand zu u. zog sich in die Kasernen zurück. Formell beendet wurde der Zehntage-Krieg, in dem die JNA 44 Tote u. 146 Verwundete u. die slowen. Seite 18 Tote u. 182 Verwundete zu beklagen hatten, durch die „Erklärung von Brioni“ vom 7.7. Darin sicherten Slowenien u. Kroatien zu, den Vollzug ihrer Unabhängigkeit für drei Monate auszusetzen, um über eine friedliche Lösung des Konflikts verhandeln zu können. Die Einheiten der JNA sollten bis Ende Okt. unter Zurücklassung ihrer schweren Waffen Slowenien räumen. Tatsächlich verlagerte die JNA ihre Truppen aber bereits unmittelbar nach der „Erklärung v. Brioni“ v. Slowenien nach Kroatien. 2. Noch während der ergebnislosen Verhandlungen über eine Umgestaltung Jugoslawiens eskalierte die Gewalt in den Gebieten der →Krajina. Die Abspaltung →Kroatiens v. Jugoslawien beantworteten die kroat. Serben mit einer Abspaltung der Krajina v. Kroatien. Seit Spätsommer 1991 herrschte Krieg. Dank der Zusammenarbeit zw. serb. Milizen, paramilitärischen Banden, der JNA u. „Spezialeinheiten“ aus Serbien verlor die kroat. Reg. innerhalb weniger Wochen die Kontrolle über rd. ein Drittel ihres Territoriums. Die JNA, die nur noch den Namen nach eine „Jugoslaw.“ Armee war u. massenhafte Verweigerungen u. Desertionen (nicht zuletzt in Serbien selbst) verzeichnete, intervenierte offen zugunsten der kroat. Serben. Die kroat. TO, die zuvor von der JNA entwaffnet worden war, konnte den
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serb. Einheiten keinen wirksamen Widerstand entgegensetzen (u. eine kroat. Armee musste erst aufgebaut werden). Zw. Aug. u. Dez. 1991 wurden schätzungsweise 80.000 Kroaten aus den serb. kontrollierten Gebieten vertrieben. →Dubrovnik u. a. kroat. Städte wurden beschossen, u. am 20.11.1991 nahmen serb. Einheiten die seit knapp drei Monaten belagerte u. fast vollständig zerstörte ostslawonische Stadt Vukovar ein, wobei es zu schweren Kriegsverbrechen kam. Im Auftrag der UN handelte der ehem. US-Außenminister Cyrus Vance einen Waffenstillstand aus, der am 2.1.1992 vom Präsidenten Serbiens, Slobodan Milošević, angenommen wurde. Dieser erklärte wenige Tage später den Krieg in Kroatien für beendet; die serb. Seite hatte ihre Ziele vorerst erreicht. Die UN entsandten eine („friedenswahrende“) Schutztruppe (UNPROFOR) in die „Serbische Rep. Krajina“ (RSK), wodurch die großen territorialen Gewinne der serb. Seite bis auf weiteres gesichert wurden. Danach trat eine Atempause ein. Doch seit Mai 1995 bahnte sich eine Wende in Kroatien an. Präsident Franjo Tudjman, der nicht länger bereit war, den durch den Waffenstillstand u. die Stationierung der UNPROFOR-Truppen geschaffenen Status quo hinzunehmen, erteilte der mittlerweile aufgebauten u. modern (durch illegale Waffenlieferungen) ausgerüsteten kroat. Armee den Befehl zur Rückeroberung der RSK. Am 1.5.1995 begann die „Operation Bljesak“ (Blitz), mit der Westslawonien zurückerobert wurde. Anfang Aug. folgte die Großoffensive „Oluja“ (Sturm) gegen die Serben in der →Lika, →Kordun u. →Banija. Innerhalb von 84 Stunden wurde ein Großteil der RSK von Truppen unter dem Kommando v. General Ante Gotovina ohne nennenswerten Widerstand eingenommen, während Milošević u. die (rest)jugoslawische Volksarmee – zur Entäuschung u. Empörung der kroat. Serben – in Passivität verharrten. Mehr als 150.000 demoralisierte serb. Milizionäre u. Zivilisten traten die Flucht aus Kroatien an. Andere wurden vertrieben oder sahen sich Racheakten ausgesetzt. Ein Teil der ehem. RSK (Ostslawonien, die Baranja u. West-Syrmien) blieben bis 1998 unter UN-Verwaltung u. wurden anschließend an Kroatien zurückgegliedert. 3. Schon vor dem Referendum über eine Unabhängigkeit →Bosnien-Herzegowinas (B-H) am 29.2./1.3.1992 u. vor der intern. Anerkennung des neuen Staates hatten bosn. Serben u. bosn. Kroaten damit begonnen, die territ. Integrität B-H.s zu unterminieren. Gerüchte über eine Teilung des Landes zw. Serbien u. Kroatien sorgten zusätzlich für Verunsicherung. Bereits am 9.1. 1992 hatten bosn. Serben die „Serbische Republik in B.-H.“ (ab Aug. 1992: „Serbische Republik“ – Republika Srpska, RS) proklamiert. Der radikale Flügel der bosn. Kroaten verkündete Anfang Juli 1992 die „Kroatische Gemeinschaft Herceg-Bosna“ mit der Hauptstadt Mostar. Bereits am 5.4.1992 hatte die JNA den Flughafen v. Sarajevo eingenommen. Am folgenden Tag – nach der intern. Anerkennung B.-H.s – brachen in vielen Teilen des Landes schwere Kämpfe aus. Offiziell zog sich die JNA unter Zurücklassung ihrer schweren Waffen u. Munition aus B.-H. zurück, doch ein erheblicher Teil ihrer Soldaten kämpfte fortan in den Reihen der bosn.-serb. Armee. Innerhalb kurzer Zeit brachten die waffentechnisch weit überlegenen Serben unter Befehl v. General Ratko Mladić – in Kooperation mit paramilitärischen Banden – mehr als zwei Drittel des Territoriums von B.-H. unter ihre Kontrolle u. legten einen Belagerungsring um →Sarajevo. Ziel der serb. Offensive war es, die RS mit Serbien im O u. der RSK im NW territorial zu verbinden u. so einen zusammenhängenden serb. Siedlungsraum zu schaffen. Aus den v. den Serben kontrollierten Gebieten wurde die bosniakische
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u. kroat. Bev. vertrieben, sofern sie nicht bereits geflohen war. Ihr Eigentum wurde geplündert; viele wurden misshandelt oder ermordet. Eine UN-Expertenkommission unter Leitung v. Cherif Bassiouni hat in ihrem „Final Report“ v. 27.5.1994 am Beispiel des Distrikts Prijedor im NW B.-H.s den Verlauf der →ethn. Säuberungen exemplarisch dargestellt. Höhepunkt der Gewalt war die serb. Eroberung der UN-„Schutzzone“ Srebrenica im Juli 1995 („Operation Krivaja 95“) u. die ihr folgende Ermordung v. rd. 8000 musl. Männer u. Jugendlichen (Völkermord v. Srebrenica, festgestellt v. →Haager Kriegsverbrechertribunal). Die b.-h. Regierung unter Präsident Alija Izetbegović in Sarajevo war zunächst machtlos. Ähnlich wie in Kroatien war auch die TO in B.-H. noch in Friedenszeiten entwaffnet worden, u. eine reguläre Armee musste erst aufgestellt werden. Den Abwehrkampf führten zunächst Freiwilligenformationen, die sich gleich ihren Gegnern über das Kriegsrecht hinwegsetzten, mordeten u. plünderten. Angesichts der desolaten Lage der Regierung u. der bosniak. Bev. kam es auf Seiten der Muslime zu Zerwürfnissen u. einer Abspaltung im Raum nö. v. Bihać. Die Lage verschlechterte sich, als im Herbst 1993 bosn.-kroat. Truppen (mit Zustimmung des Präsidenten Kroatiens, Franjo Tudjman) einen Krieg gegen die Reg.truppen u. →Bosniaken begannen, in dessen Verlauf es auf beiden Seiten zu Massakern an der Zivilbev. kam. Dieser sog. „Krieg im Krieg“ wurde unter massivem amerikan. Druck u. auch intensiver dt. Vermittlung im März 1994 durch die Bildung einer bosniakisch-kroat. Föderation beendet. Die intern. Gemeinschaft (UN, EG, →Vereinigte Staaten v. Amerika, →Russland) schaute den Ereignissen rat- u. hilflos zu. Zwar schockierten die Berichte über Massenmorde, Internierungslager, Angriffe auf Zivilisten im belagerten Sarajevo u. anschwellende Flüchtlingsströme die Öffentlichkeit, doch die Politiker der intern. Gemeinschaft konnten sich nur auf Maßnahmen verständigen, die kurzfristig wenig oder nichts bewirkten: Sanktionen gegen Serbien u. Montenegro, Waffenembargo, Verbot militär. Flüge über B.-H. u. diplomatische Vermittlungsbemühungen. Doch die wiederholt vereinbarten Waffenstillstände wurden gebrochen, mehrere Friedenspläne der intern. Gemeinschaft stießen bei der einen oder anderen Konfliktpartei auf Ablehnung. Das von der UN über alle Kriegsparteien verhängte Waffenembargo trug dazu bei, die militär. Überlegenheit der serb. Seite zu verlängern. Die im April u. Mai 1993 eingerichteten sechs „Schutzzonen“ für die Zivilbevölkerung („safe areas“) in Sarajevo, Tuzla, Bihać, Srebrenica, Žepa u. Goražde erwiesen sich als Desaster. Die dort stationierten „Blauhelme“ waren nicht in der Lage, Entscheidungen der UN durchzusetzen u. hatten keinen Kampfauftrag. Ihre Präsenz täuschte eine für Bewohner u. Flüchtlinge trügerische Sicherheit vor, die im krassen Widerspruch zur Realität stand. Auch die zur Durchsetzung des Flugverbots beauftragte Nato konnte mit ihrem eng definierten Auftrag zunächst wenig ausrichten, zumal der Einsatz v. Bodentruppen nie ernsthaft erwogen wurde. Die Weigerung bosn.-serb. Politiker, einen Teil des v. ihnen eroberten Territoriums abzutreten, führte Mitte 1994 zu einem Bruch zw. Milošević u. den bosn. Serben. Aber erst die militär. Wende in Kroatien veränderte auch die Lage in B.-H. grundlegend. Unmittelbar nach Abschluss der „Operation Oluja“ gegen die →Krajina gingen kroat. u. bosniakische Truppen zu einer gemeinsamen Offensive in B.-H. über („Operation Maestral“): Innerhalb weniger Tage schrumpfte das serb. kontrollierte Gebiet von etwa 70 % auf unter 50 %. Die drohende Niederlage der bosn. Serben ermöglichte eine neue intern. Initiative. Am 21.11.1995 unter-
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zeichneten Milošević, Tudjman u. Izetbegović in Dayton/Ohio einen unter Vermittlung der USA, Russlands, Frankreichs, Großbritanniens u. →Deutschlands ausgehandelten Friedensvertrag (→Dayton-Abkommen), mit dem der Krieg in B.-H. beendet wurde. 4. Dass die Lage in →Kosovo (K.) bei den Verhandlungen v. Dayton ausgeklammert worden war, diskreditierte die Politik der Gewaltfreiheit des kosovo-alban. Präsidenten Ibrahim Rugova. Insbes. Jugendliche suchten nach Alternativen zum gewaltfreien Widerstand u. radikalisierten sich. Die Anfang der 90er Jahre gebildete u. bis 1996/97 ganz kleine „Kosovarische Befreiungsarmee“ UÇK (Ushtria Çlirimtare e Kosovës) erhielt nach der Enttäuschung über „Dayton“ allmählich Zulauf. Im Febr. 1996 begann sie mit ersten terrorist. Anschlägen gegen serb. Polizeistationen u. Repräsentanten (Rest)Jugoslawiens, woraufhin die Belgrader Reg. ihre Sicherheitskräfte in K. aufstockte u. massive Repressalien ergriff. Der Zusammenbruch der öffentl. Ordnung im Nachbarland →Albanien infolge des „Pyramidenskandals“ v. 1997 bot der UÇK Gelegenheit, sich billig mit Waffen zu versorgen, ihre Kämpfer in nordalb. Lagern zu trainieren u. im Wettlauf mit dem Milošević-Regime mit typ. Guerillamethoden (→Partisanen) die Spirale der Gewalt weiterzudrehen. Verschiedene Vermittlungsversuche u. Resolutionen der UN führten ins Leere. 1998 eskalierte die Situation immer mehr. Rd. 400.000 Menschen befanden sich bereits auf der Flucht. Die Balkan-Kontaktgruppe (bestehend aus Vertretern Großbritanniens, Frankreichs, Deutschlands, Italiens, Russlands u. der USA) beorderte die Konfliktparteien am 7.2.1999 zu einem Verhandlungsmarathon ins Schloss Rambouillet bei Paris. Das v. den intern. Akteuren vorgelegte „Interims-Abkommen für Frieden u. Selbstverwaltung in K.“, in dem der künftige Status K.s noch nicht entschieden u. die Stationierung einer Nato-geführten Truppe in der Provinz festgelegt wurde, stieß auf Ablehnung beider Seiten. Bei erneuten Verhandlungen in Paris stimmte die kosovo-alb. Delegation nach heftigen internen Auseinandersetzungen schließlich zu. Am 17.3. forderte die Nato die Belgrader Reg. ultimativ zur Annahme des Rambouillet-Abkommens auf u. drohte bei Nichtannahme mit einer Bombardierung Jugoslawiens. Da die jugosl. Delegation bei ihrer Weigerung blieb, endete die Konferenz am 23.3. ergebnislos. Einen Tag später begann die Nato – ohne UN-Mandat, da Russland u. China nicht zugestimmt hätten – mit ihren Luftangriffen. Ziel der Allianz war die Verhinderung einer „humanitären Katastrophe“. Doch zunächst trat das Gegenteil ein. Flucht u. Vertreibung der kosovo-alban. Bev. schnellten nach Beginn der Luftangriffe in die Höhe. Innerhalb weniger Wochen verließen aus Angst vor serb. Racheakten u. unter gezielten Vertreibungsakten mehr als 800.000 Menschen ihre Heimat; die Zahl der kosovo-alban. Kriegstoten betrug insgesamt ca. 10.000. Miloševićs Erwartung, dass die intern. Öffentlichkeit die Nato zum Abbruch ihrer Angriffe zwingen u. Russland sich auf die Seite Serbiens stellen würde, erfüllten sich nicht. Das wirt. ohnehin ausgelaugte Serbien stand vor dem Kollaps. Am 9.6. wurde in Kumanovo (N-Makedonien) eine Militärvereinbarung über die Bedingungen eines Waffenstillstands ausgehandelt. Einen Tag später beendete die Nato den Krieg nach insgs. 35.000 Lufteinsätzen, die 3.000–4.000 jug. Soldaten, Polizisten u. Zivilisten das Leben kosteten. Die am selben Tag verabschiedete UN-Resolution 1244 sah u. a. die Stationierung einer inter. Friedenstruppe in K. (KFOR) u. eine vorübergehende UN-Verwaltung (UNMIK) für die Provinz vor. Der Beendigung des Krieges folgten Flucht u. Vertreibung zahlreicher Kosovo-Serben u. in
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größerem Umfang auch der →Roma sowie v. →Ägyptern u. Ashkali, soweit sie v. der alb. Umgebung für Roma gehalten wurden. Die Angaben über die Zahl der Flüchtlinge u. Vertriebenen dieser Nachkriegsphase schwanken zw. 130.000 u. 220.000. Zu den allg. Merkmalen der p.K. gehören die Aktivitäten der zahlreichen paramilitärischen Einheiten u. ihrer „Warlords“, die völlige Aufhebung der Grenzen zw. Kombattanten u. Zivilisten, die damit verbundenen →ethn. Säuberungen, die schweren Kriegsverbrechen u. Menschenrechtsverletzungen, die system. Zerstörung v. Kulturgütern sowie Plünderung u. Raub. Die p.K. wurden entlang ethn. Trennlinien geführt. Insofern waren es ethn. Kriege. Doch der zur Erklärung herangezogene ethn. Hass war nicht Ursache oder Auslöser, sondern Folge der Kriege. Die Impulse zur exzessiven Gewalt gingen v. Banden aus, die sich aus Kriminellen, Hooligans u. Söldnern zusammensetzen, die in einem rechtsfreien Raum agierten u. politisch instrumentalisiert wurden. Nachdem die Gewalt in Gang gesetzt worden war, erfasste die durch Greueltaten u. Bedrohungsszenarien vorangetriebene Gewaltspirale alle Konfliktparteien. Notwehr, Rache u. Hass vermischten sich mit pol. Zielen auf der einen u. dem Raub fremden Eigentums auf der anderen Seite. In vielen Städten u. Regionen änderte sich die ethn. Zusammensetzung der Bev. radikal. In Verlauf der p.K. fanden schätzungsweise 130.000 Menschen den Tod (davon allein 100.000 in Bosnien-Herzegowina), rd. 3,5 Mio. Menschen flohen oder wurden vertrieben, etwa 200.000 Menschen waren interniert u. Zehntausende Frauen u. Mädchen wurden vergewaltigt. Hinzu kamen Invaliden u. schwer traumatisierte Menschen. Das zur Verurteilung der Hauptverantwortlichen von den UN eingesetzte →Haager Kriegsverbrechertribunal versucht seit gut 20 Jahren, das Geschehen während der p.K. in akribischer Kleinarbeit bei einer oft schwierigen Beweislage zu rekonstruieren.
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Pragmatische Sanktion
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Pragmatische Sanktion. Bez. für eine Reihe der die habsb. Erbfolge betreffenden Haus- u. Staatsakte im Zeitraum v. 1703 bis 1722. Am Beginn steht das am 12.9.1703 zw. Ks. Leopold I. u. seinen beiden Söhnen geschlossene „Pactum Mutuae Successionis“, das als Geheimvertrag die Thronfolge sowohl in Spanien als auch in den Erbländern wechselseitig nach dem Recht der Erstgeburt (Primogenitur) im Mannesstamm u. nach dessen Aussterben auch in weiblicher Erbfolge regelte. Um nach dem Regierungsantritt des immer noch kinderlosen Ks. Karls VI. die weibl. Sukzession endgültig sicherzustellen, gab der Monarch am 19.4.1713 eine öffentl., die Bestimmungen des „Pactums“ wiederholende Erklärung ab, die als „Sanctio Pragmatica über die Erbfolge des Durchlauchtigsten Erzhauses Österreich“ Aufnahme in den Codex Austriacus (Teil III, 1748, S. 683) gefunden hat. Nach der gerade regierenden karolinischen u. der eventuell darauf folgenden josefinischen Linie gebührt das Erbrecht den Töchtern Ks. Leopolds u. dann den übrigen Linien des Erzhauses immer nach der Ordnung der Primogenitur. Die wichtigste, mit der Erbfolgeregelung verbundene Bestimmung war die über die Unteilbarkeit u. Untrennbarkeit der vererbten Kgr.e u. Länder. Nach der Geburt Maria Theresias (15.5.1717) wandte sich Ks. Karl am 19.1.1720 an die →Stände aller seiner Kgr.e u. Länder mit dem Ansuchen u. Befehl, seine 1713 getroffene Regelung, durch welche eine ewige u. untrennbare Union derselben hergestellt werden sollte, als eine „Sanctio pragmatica, lex perpetuo valitura“ anzuerkennen u. zu promulgieren. Dies ist auch im Verlauf der beiden Jahre 1720 u. 1721 in den österr. Erbländern u. in Böhmen geschehen. Am 30.3.1722 gab der Siebenbürg. Landtag seine Zustimmung unter der Betonung, dass alle Länder des Hauses Österreich zu ihrer größeren Sicherheit u. gegenseitigen Verteidigung einen für immer unteilbaren u. untrennbaren Verband bilden sollen. Eine in die gleiche Richtung zielende Forderung hatten die ung. Stände schon in den ersten, 1712 gescheiterten Verhandlungen um Anerkennung der P.S. erhoben. Am 30.6.1722 übernahm nun der ung. Landtag (→Országgyűlés) die P.S. mit Gesetzesartikel II u. III/1722 u. der irrelevant gebliebenen Abänderung, dass nur die röm.-kath. Nachkommen Karls VI. (als ung. Kg. Karl III.), Josephs I. u. Leo-
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Pragmatische Sanktion / Prekmurje
polds I. als erbberechtigt bezeichnet wurden u. nach ihrem Aussterben das Wahlrecht der Stände wieder in Kraft treten sollte. Nach 1720 hat Karl VI. seine ganze Außenpolitik auf eine völkerrechtl. Anerkennung der P.S. ausgerichtet. Eine solche haben 1722 Bayern, 1725 Spanien, 1726 Russland, 1728 Preußen, 1731 England u. Holland, 1732 das →Heilige Röm. Reich u. Dänemark u. 1738 Frankreich u. Sardinien gewährt. Dass solche Garantien weit weniger wert waren als eine gut gerüstete Armee u. eine volle Kriegskasse, worauf Prinz Eugen vergeblich hingewiesen hat, sollte sich nach dem Tod des Kaisers 1740 erweisen. Die P.S. wurde zum grundlegenden u. bis 1918 gültigen dynastischen Hausgesetz u. ihre staatsrechtl. Bedeutung ist v. a. darin zu sehen, dass mit ihr zum ersten Mal in der Geschichte der →Habsburgermonarchie die Zusammengehörigkeit u. Einheit – „unio“ – der böhm.-österr. u. der ung. Ländergruppe einschließlich einer wechselseitigen Garantie des territ. Besitzstandes festgelegt wurde. Diese Festlegung auf eine für alle Länder des Reiches gemeinsame Erbfolgeregelung wurde auch zur Grundlage aller späteren Verfassungsregelungen, so der Proklamation des österr. Kaiserstaates 1804 u. des →Ausgleichs v. 1867. Lit.: S. Karstens, Von der Akzeptanz zur Proklamation. Die Einführung der Pragmatischen Sanktion in den Österreichischen Niederlanden 1720–1725, Zeitschrift für historische Forschung 40 (2013), H. 1, 1–34; A. Philipp, August der Starke und die pragmatische Sanktion. Die Zeit des ersten Wiener Friedens. Bremen 2011; V. Urfus, 19.4.1713 – pragmatická sankce. Rodný list podunajské monarchie. Praha 2002; E. Bartoniek, A magyar királykoronozások története. Budapest 1987; M. Czikann-Zichy, Die Pragmatische Sanktion in der ungarischen Geschichte, Der Donauraum 9 (1964), 18–25; H. Lentze, Die Pragmatische Sanktion u. das Werden des österreichischen Staates, ebd., 3–14; W. Michael, Zur Entstehung der Pragmatischen Sanktion. Basel 1939; G. Turba, Das Original der pragmatischen Sanktion Karls VI. Berlin 1929; ders., Die Grundlagen der Pragmatischen Sanktion. Bd. 1: Ungarn. Bd. 2: Die Hausgesetze. Leipzig u. a. 1911/1912; ders., Die Pragmatische Sanktion. Wien 1906. G. S.
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Prekmurje (dt. Übermurgebiet, ung. Muravidék oder auch Vendság). Nordöstlichster Teil →Sloweniens, benannt nach dem Fluss Mur, im W hügelig, gegen O u. S abflachend mit natur- u. kulturlandschaftlich pannonischem Charakter. Zwei Drittel des ca. 947 km2 großen P. sind Acker-, Garten- u. Rebland. Mit über 100 E pro km2 ist es eines der dichtest besiedelten Gebiete Sloweniens. Wegen der extrem kleinbäuerlichen Besitzstruktur u. schwach entwickelten Industrie ist das P. traditionelles Abwanderungsgebiet. In neuerer Zeit finden Gastarbeiter aus dem P. v. a. im benachbarten Österreich Arbeit. Der Hauptort ist Murska Sobota (ung. Muraszombat), die zweite Stadt des P. Lendava (ung. Lendva). Trotz großzügigem →Minderheitenschutz ist die in P. konzentrierte ung. nationale Minderheit in Slowenien v. 1953 bis 1991 von 11.019 (0,75 %) auf 8.499 (0,43 %) gefallen. Drei Viertel der Bev. sind katholischer, ein Viertel prot. Konfession. Vom Ende des 9. Jh.s bis 1919 war das P. Bestandteil des Kgr. Ungarn (Komitate Vas u. Zala) u. unterscheidet sich in der Folge, ähnlich wie analog die kroat. geschichtsregionale
Prekmurje / Prishtina
Entsprechung des sö. angrenzenden Medjimurje, bis heute in manchen langfristigen Strukturen (etwa hinsichtlich der ethn. u. konf. Zusammensetzung der Bev.) v. übrigen Slowenien. Die hist. u. administrative Sonderstellung behinderte u. a. die Teilnahme an der slowen. nationalen Bewegung. Ende Mai 1919 wurde in Murska Sobota die kurzlebige „Unabhängige Murrepublik“ ausgerufen, die v. der Ungarischen →Räterepublik die Anerkennung des slowen. Selbstbestimmungsrechts forderte. Durch den Friedensvertrag v. →Trianon (1920) kam P. an das Kgr. der Serben, Kroaten u. Slowenen (→Jugoslawien). Von den damals rd. 92.000 E sprachen 80,4 % slowenisch, 15,2 % ungarisch u. 2,6 % dt. Mit der Agrarreform in der Zwischenkriegszeit wurde der umfangreiche Großgrundbesitz enteignet u. auf Kleinbauern aufgeteilt ( →Bodenreformen). Von April 1941 bis April 1945 war das P. wieder Ungarn angeschlossen. Erst nach 1945 entstand eine bescheidene Industrie auf agrarischer Basis. Lit.: A. Gosar, Die Nationalitätenstruktur des Übermurgebietes (Prekmurje). Eine zeiträumliche Betrachtung der deutschen Volksgruppe, in: Historische Regionen u. ethnisches Gruppenbewusstsein in Ostmittel- u. Südosteuropa. Grenzregionen – Kolonisationsräume – Identitätsbildung. Hg. J. Wolf. München 2010, 379–401; Th. Hari, Johannes Kepler in začetki reformacije v Prekmurju: kulturnozgodovinski, topografsko-arheološki in cerkvenozgodovinski prispevki k razvoju protestantizma v Prekmurju. Ob 400-letnici Keplerjevega zavetišča v Prekmurju. Murska Sobota 1999; I. Škafar, Bibliografija prekmurskih tiskov od 1715 do 1919. Bibliographie der Drucke im Dialekt von Prekmurje von 1715 bis 1919. Ljubljana 1978; J. Titl, Murska republika 1919. Murska Sobota 1970; Prekmurski Slovenci v zgodovini. Murska Sobota 1961. A. M.
Prishtina (alb. Prishtinë, definit. Prishtina; serb. Priština; türk. Priștine). Hauptstadt sowie wirt. u. kult. Zentrum v. Kosovo mit größter Universität des Landes u. Akademie der Wiss., 198.897 E (Volkszählung 2011, davon: Albaner 194.452, Türken 2.156, Ashkali [→Ägypter, Ashkali] 557, Serben 430, Bosniaken 400, Goranen 205 u. 697 andere, darunter 8 Ägypter, amtl. Hochrechnung für 31.12.2013: 208.230 E,). Im geschlossenen Stadtgebiet lebten rd. 150.000 E. Am Ort schon frühgeschichtlicher u. antiker Siedlungen gelegen, ist P. (die Etymologie des Wortes ist bis heute ungeklärt), zunächst noch als Dorf, unter dem heutigen Namen in serb. Quellen ab dem 13. Jh. belegt. Auf eine gewisse Bedeutung weisen bis Ende des 14. Jh.s lediglich die Existenz einer serb. Herrscherpfalz mit Festung u. am Ende des Jh.s einer kath. Kirche hin. Unter osm. Herrschaft nahm der Ort früh an Bedeutung zu u. wurde zu einer typischen mittelgroßen osm. Stadt (→Stadt, Stadttypen [osmanisch]), wovon u. a. eine jeweils zu Ehren v. Sultan Mehmed II. errichtete Moschee u. Badeanstalt (Hamam) zeugen. Größeren admin. Rang erlangte der Ort aber offenbar einstweilen nicht. 1566/67 führt das →Defter des →Sancak Vučitrn/Vushtrri für P. 309 musl. u. 351 christl. Haushalte an. 1660 war P. laut dem berühmten osm. Reisenden Evliya Çelebi (→Reiseberichte) Sitz eines →Kadi u. eines zum →Eyalet Rumelien gehörenden →Vojvoden; es zählte ihm zufolge schon 2.060 ansehnliche Häuser, war Wohnort zahlreicher Notabeln u. Ort eines mittelgroßen Bazars (→Čaršija) mit etwa 300 Geschäften. Bald darauf, 1690, erlitt die Stadt schwere
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Prishtina
Schäden durch osm. Vergeltungsmaßnahmen im Gefolge des Aufstands der örtlichen alban. u. serb. Bev., die sich z. T. religionsübergreifend mit den 1689/90 bis Skopje u. Vidin vorstoßenden habsb.-ksl. Truppen verbündet hatte; ähnliche Schäden wiederholten sich nach dem zweiten Vorstoß ksl. Truppen i. J. 1737 (→Türkenkriege). Von den Bevölkerungsverlusten erholte sich P. erst im Laufe des 19. Jh.s. Dass die 1874 eröffnete Bahnlinie v. →Saloniki über →Skopje nach Mitrovica ihren Haltepunkt nicht in P. selbst hatte, sondern westl. der Stadt im Bereich der späteren Ortschaft Kosovo Polje/Fushë Kosova, beeinträchtigte den damaligen Wiederaufschwung v. P. jedoch nicht. Es wurde nun zeitweilig auch Hauptort des neugegründeten Vilajet Kosova u. war auch nach dessen Verlagerung nach Skopje immerhin noch Sitz eines Sancaks. Laut dem osm. Provinzjahrbuch (salname) v. 1900 zählte P. in insg. 13 Stadtvierteln 3.690 Häuser mit 18.223 musl., 1.962 christl., 361 jüd. sowie 1.033 (660 musl., 383 christl.) Roma-Bewohnern, in Summe also 21.587 E. Nach dem gewaltbegleiteten Wechsel v. der osm. zur serb. Herrschaft v. 1912/13 (→Balkankriege) u. dem Ersten Weltkrieg hielt die jug. Volkszählung v. 1921 eine verkleinerte Einwohnerzahl v. nur noch 14.760 fest. Noch 1948 lag die E.zahl bei bloß 19.631. 1947 wurde P. zum Verwaltungssitz des 1945 innerhalb der soz. Teilrepublik Serbien ausgerufenen Autonomen Gebiets „Kosovo u. Metohija“ (→Kosovo), was ungeachtet v. dessen zunächst geringen faktischen Befugnissen den Beginn für die weitgehende Umgestaltung der Stadt zu einem sozialist. Verwaltungszentrum mit zahlreichen neuen Institutionen u. die Erweiterung um neue Stadtviertel nach sich zog. Beginnend mit der im Jahr 1960/61 eingerichteten Philosophischen Fakultät wurden in den 1960er Jahren zunächst in Zuordnung zur Univ. Belgrad einigen Fakultäten errichtet, 1970 dann die zweisprachige Universität P. Die Volkszählung v. 1981 wies für die Kommune P. 109.208 E aus (darunter 76.727 Albaner, 17.167 Serben u. 4.126 Montenegriner). Die serb. Aufhebung der Autonomie v. Kosovo 1989 brachte auch für P. eine institutionelle Aufteilung in die vom serb. Staat kontrollierten Einrichtungen u. solche des 1990/91 gebildeten kosov. „Schattenstaats“; serbischerseits kamen einige ethnopolit. begründete Neugründungen wie 1988 jene des „Instituts für serbische Kultur“ hinzu. Der Kosovokrieg v. 1998/99 (→postjugoslawische Kriege) brachte im Frühjahr 1999 die Vertreibung eines erheblichen Teils der alban. Stadtbevölkerung mit sich u. danach die v. den abziehenden serb. Behörden organisierte Flucht des serb. u. montenegr. Bevölkerungsteils, der auch in den Jahren danach so gut wie nicht in die nunmehr praktisch einheitlich alb. geprägte Stadt zurückkehren konnte. Der bauliche „Turbo-Urbanismus“ seit 1999 u. parallel dazu die zunächst noch sehr schwache internationale u. einheimische Verwaltungsstruktur ließen zur Zeit der Unabhängigkeitwerdung Kosovos i. J. 2008 alle Verantwortlichen von Einwohnerschätzungen bis zu 400.000–500.000 E ausgehen, während die Volkszählung v. 2011 (unter Auschluss v. Zweitwohnsitzen, z. B. v. im Ausland befindlichen Einwohnern der Stadt) auf die nunmehrige amtliche, viel geringere Zahl v. knapp 200.000 kam. Auch damit ist P. unangefochten das urbane Oberzentrum des jungen Staates Kosovo.
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Lit.: J. Osmani, Qytetet, in: Kosova. Vështrim monografik. Hgg. R. Ismajli/M. Kraja. Prishtinë 2011, 109–129; Prishtina is Everywhere. Turbo-Urbanismus als Resultat einer Krise. Hg. K. Vöckler. Berlin 2008; J. Osmani, Vendbanimet e Kosovës. Bd. 1: Prishtina, Kastrioti dhe Fushë-
Pronoia
Kosova. Prishtinë 2003 (v. a. 175–199); Institut za srpsku kulturu Priština (1988–2002). Hg. M. Djordjević. Leposavić 2002; Priština. Prishtina, in: Kosovo. Nekad i danas. Kosova. Dikur e sot. Beograd 1973, 853–902. K. C.
Pronoia (v. gr. pronoia, „Voraussicht, Fürsorge“). Neben den Begriffen oikonomia u. posotēs die Bezeichnung für die Übertragung v. staatl. Einkünften durch den byz. Kaiser an Personen, die dafür zu einer vorwiegend milit. Dienstleistung verpflichtet waren u. deshalb in den Quellen meist als Soldaten (stratiōtai) bezeichnet wurden. I. d. R. handelte es sich um die Einkünfte eines Gutes oder die Abgaben u. Steuern eines Dorfes oder einer genau festgesetzten Anzahl v. bäuerlichen Haushaltungen. Sicher nachweisbar ist die P. erst in der Zeit der →Komnenen (1081–1185). Zwar heißt es in den Quellen (Nikētas Chōniatēs), bereits die ersten Komnenen hätten gelegentlich Soldzahlungen durch Vergabe v. Staatsland, das v. abhängigen Bauern (→Paröken) bearbeitet wurde, an Soldaten ersetzt, doch hat wohl erst Manuel I. (1143–1180) in größerem Umfang v. der P. Gebrauch gemacht. Aus seiner Regierungszeit stammt auch der älteste urkundliche Beleg (1162) für stratiōtai eis pronoian. Zwar blieb das zur P. vergebene Land im Besitz des Staates, der es dem Inhaber der P. jederzeit entziehen konnte, doch mussten die Paröken, die es bearbeiteten, nicht nur die Steuern, die sie zuvor an die Staatskasse gezahlt hatten, an den Inhaber der P. abführen, sondern diesem an 12–24 Tagen auch Frondienste (angareiai) leisten u. ihm dreimal im Jahr eine Naturalabgabe (kaniskion) abliefern. Letztere, deren Umfang im Verhältnis zur Steuersumme festgesetzt war (z. B. ein modios Getreide auf drei hyperpyra Steuer), trug erheblich zur Steigerung des Einkommens der Soldaten bei. Die meist nicht allzu zahlreichen bäuerlichen Haushaltungen, deren Abgaben dem Inhaber einer P. auf der Basis eines ksl. prostagma in einem detaillierten praktikon paradōseōs zugewiesen wurden, waren häufig über mehrere Dörfer verstreut. Dass die Inhaber der P. in den Urkunden meist mit dem Ehrentitel kyr bezeichnet wurden, aber fast nie als Träger höfischer Ehrentitel erscheinen, zeigt ebenso wie die in Urkunden anzutreffende Selbstbezeichnung als kaballarios, dass es sich bei ihnen im Durchschnitt weder um einfache Soldaten noch um Angehörige der großgrundbesitzenden Aristokratie, sondern um in der Stadt wohnende Kavalleristen handelte, die Pferd u. Rüstung v. ihren Einnahmen finanzieren sollten. I. d. R. waren Einzelne Inhaber einer P., doch konnte auch eine ganze Truppe, z. B. die um 1342 in Serres stationierten Klazomiten, auf diese Weise versorgt werden. Da die P. nicht Eigentum ihres Inhabers war, konnte sie meist nur dann auf Nachkommen übergehen, wenn diese die Dienstpflicht erfüllen konnten, doch musste dies in jedem Fall durch eine ksl. Urkunde legitimiert werden. Aus Byzanz gelangte die P. nach Serbien (→Serbisches Reich), wo sie ab ca. 1300 urkundlich nachweisbar ist. Lit.: M.C. Bartusis, Land and privilege in Byzantium. The institution of pronoia. Cambridge u. a. 2012; J. Karayannopulos, Ein Beitrag zur Militärpronoia in der Palaiologenzeit, in: Geschichte u. Kultur der Palaiologenzeit. Hg. W. Seibt. Wien 1996, 71–89; A. Kazhdan, Pronoia: The History of a Scholarly Discussion, Mediterranean Historical Review 10 (1995), 133–163; M. Bartusis, The Late Byzantine Army. Arms and Society, 1204–1453. Philadelphia 1992; G. Ostro-
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Protobulgaren
gorsky, Die Pronoia unter den Komnenen, Zbornik radova Vizantološkog instituta 12 (1970), 41– 54; ders., Pour l’histoire de la féodalité byzantine. Bruxelles 1954; A. Hohlweg, Zur Frage der Pronoia in Byzanz, Byzantinische Zeitschrift 60 (1967), 288–308; B. Krekić, Prilog proučavanju pronije u srednjovekovnoj Srbiji, Zbornik radova Vizantološkog instituta 8 (1964), 227–233. K.-P. T.
Protobulgaren. Moderne Bezeichnung für das turkspr. reiternomad. Volk der Bulgaren, die sie v. den später nach ihnen benannten slav. →Bulgaren unterscheiden soll. Das Ethnonym Bulgar (alttürk.: bulgar „Vermischte“) deutet auf eine Föderation ethn. heterogener Verbände hin. Sie hatte sich im 5.–7. Jh. aus Restgruppen v. Hunnen, die nach dem Tode Attilas (453) in die pontischen Steppen geflohen waren u. türk. Oguren (alttürk.: ogur, oguz „Stammesliga“) gebildet, die um 463 v. den sprachverwandten Sabiren aus ihren Sitzen im heutigen Westsibirien u. Kazachstan nach W verdrängt worden waren. Die neue Liga, der auch die Altungarn (onogur „Zehn Stämme“) u. alanische Elemente angehörten, stand unter Führung des Attilasohnes Irnik (nach der sog. Bulg. Fürstenliste, 7./8. Jh.). Nach 576 v. den →Awaren unterworfen, erhoben sich die P.-Onoguren 635 unter Kobrat (auch Kubrat, *qobrat „sammle [das Volk]“) mit Erfolg gegen deren Herrschaft. Kobrat gründete ein Reich (gr. megalē Boulgaría „Großbulgarien“), das an der Nordküste des Schwarzen Meeres (Hauptstadt Phanagoria, heute: Taman am Azovschen Meer) v. der Maeotis bis zum Kuban reichte u. erst 679 v. den →Chazaren erobert wurde. Deren Angriff ausweichend, überquerte ein Teil der P. unter Kobrats Sohn Asparuch 680 die Donau u. unterwarf die lokale slav. Bevölkerung (Severjanen, Sieben Stämme). Obwohl vom byz. Ks. Konstantin IV. (668–85) 681 in ihrem Herrschaftsbereich um Pliska vertraglich anerkannt, belagerten sie mehrfach (so 705 u. 813) Konstantinopel u. dehnten unter Chan Krum (802–14) ihr Reich nach Westen bis zur Theiß aus. Die Oberschicht der P. erlag aber auf die Dauer dem doppelten Assimilationsdruck, der v. Byzanz u. der slav. Bevölkerungsmehrheit ausgeübt wurde (→Bulgaren; Ethnogenese). Dieser Prozess kam 864/5 mit der →Christianisierung Bulgariens u. der Beseitigung der Bojaren, die sich der Taufe widersetzt hatten, durch Chan Boris zum Abschluss. Das kulturelle Erbe der P. blieb indes in einer Reihe v. Baudenkmälern (Pliska, Silistria u. andere) bildl. Darstellungen (z. B. Reiterrelief v. Madara) u. über hundert Schriftdenkmälern (unter ihnen auch solche in protobulg. Kerbschrift) erhalten.
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Lit.: D. Ziemann, Vom Wandervolk zur Großmacht. Die Entstehung Bulgariens im frühen Mittelalter (7.–9. Jh.). Köln, Weimar 2007; P. Dobrev, Universum Protobulgaricum. Inscriptions and alphabet of the Proto Bulgarians. Bd. 1. Dublin u. a. 1996 [mehr nicht erschienen]; P.B. Golden, An Introduction to the History of the Turkic Peoples. Wiesbaden 1992, 85-107, 244–58; Problemi na prăbulgarskata istorija i kultura. Sofija 1989; D. Ovčarov, Die Protobulgaren u. ihre Wanderungen nach Südosteuropa, in: Die Völker Südosteuropas im 6. bis 8. Jh. Hg. B. Hänsel. München, Berlin 1987, 171–187; Gy. Moravcsik, Byzantinoturcica. 2 Bde. Berlin 31983; J. Werner, Der Grabfund v. Malaja Pereščepina und Kuvrat, Kagan der Bulgaren. München 1984; I. Fodor, On Magyar-Bulgar-Turkish Contacts, in: Chuvash Studies. Hg. A. Róna-Tas. Budapest 1982,
Raszien / Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe
45–81; V. Beševliev, Die protobulgarische Periode der bulgarischen Gesch. Amsterdam 1980; E. Tryjarski, Protobugarzy, in: K. Dąbrowski/T. Nagrodzka-Majchrzyk/E. Tryjarski, Hunowie Europejscy, Protobugarzy, Chazarowie, Pieczyngowie. Wrocław u. a. 1975, 147–376; V. Beševliev, Die protobulgarischen Inschriften. Berlin 1963; O. Pritsak, Die bulgarische Fürstenliste u. die Sprache der Protobulgaren. Wiesbaden 1955; K.H. Menges, Altaic Elements in the Proto-Bulgarian Inscriptions, Byzantion 21, 1951, 85–118; I. Dujčev, Protobulgares et Slaves, Annales de l’Institut Kondakov 10 (1938), 145–54. H. G.
Raszien (serb. Raška; lat. Rascia, Rassia, Raxia; die Bewohner: Rasciani, Rassani, in dt. Quellen: Ratzen, Raizen, in ung.: Ráczok). Hist. Landschaft in Serbien, später auch Bezeichnung für den gesamten ma. serb. Staat. R. lag im Raum zw. den Flüssen Ibar u. Lim u. war territorial in etwa mit dem späteren →Sandschak Novi Pazar identisch. Der Name R. leitet sich vom Bistum Rassa ab (u. dessen Namen wohl von der bei Prokop im 6. Jh. erwähnten röm. Festung Arsa), das im 9. Jh. zur Bekehrung der Serben gegründet wurde u. sein Zentrum in Ras (heute Novi Pazar) hatte. R. stand zunächst unter byz., dann unter bulg. Herrschaft. Unter Kg. Bodin (1081–1101) geriet R. in den Einflussbereich des Staates v. Duklja (→Zeta). Bodin war es wahrscheinlich, der Vukan, den Stammvater der Nemanjidendynastie, zum →Župan v. R. einsetzte. Unter den →Nemanjiden wurde R. zum Kerngebiet des serb. Staates u. Ras Residenzort (stolno mesto) (→Serbisches Reich). Mitte des 15. Jh.s wurde R. v. den Osmanen erobert. Das Bistum Rassa, zunächst wohl dem Erzbistum Split, nach 1018 →Ohrid unterstellt, kam 1219 unter die Jurisdiktion des autokephalen serb. Erzbistums (→Autokephalie; →Patriarchat v. Peć) u. wurde 1346 selbst zum Erzbistum erhoben, das Ende des 18. Jh.s mit Prizren vereinigt wurde. R. war auch namengebend für die „Schule von Raška“ (Raška škola), ein Kunststil, der in Serbien v. der zweiten H. des 12. bis Ende des 13. Jh.s (in der Architektur bis Mitte 14. Jh.) gepflegt wurde u. in dem sich byz. u. westliche Stilelemente verbanden (u. a. die Köster Studenica, Žiča, Sopoćani u. Dečani). Lit. (a. →Serben; →Serbisches Reich): K. Morrison/E. Roberts, The Sandžak. A History. New York 2013; V. Subotić, Stara raška držva. Nastanak i razvoj do Nemanjića, in: Simpozium Seoski dani Sretena Vukosavljevića. Bd. 23. Prijepolje 2008, 145–168; J. Kalić, Das Bistum Ras, in: Pontes slavici. Festschrift für Stanislaus Hafner zum 70. Geburtstag. Graz 1986, 173–177; Istorija srpskog naroda. Bd. I. Beograd 1981; J. Kalić, Naziv „Raška“ u starijoj srpskoj istoriji (IX–XII vek), Zbornik Filozofskog fakulteta Beograd XIV, 1 (1979), 79–92; S. Radojčić, Geschichte der serbischen Kunst. Von den Anfängen bis zum Ende des Mittelalters. Berlin 1969; A. Deroko, Monumentalna i dekorativna arhitektura u srednjevekovnoj Srbiji. Beograd 1962; D.S. Radojičić, Srpsko Zagorje, das spätere Raszien. Zur Geschichte Serbiens in der 2. Hälfte des 10. u. 11. Jh.s, SOF 16 (1957), 259–284. P. B.
Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW, a. unter dem Kürzel COMECON für Council for Mutual Economic Assistance bekannt). Multinationale Organisation für wirt. Koope-
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Raszien / Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe
45–81; V. Beševliev, Die protobulgarische Periode der bulgarischen Gesch. Amsterdam 1980; E. Tryjarski, Protobugarzy, in: K. Dąbrowski/T. Nagrodzka-Majchrzyk/E. Tryjarski, Hunowie Europejscy, Protobugarzy, Chazarowie, Pieczyngowie. Wrocław u. a. 1975, 147–376; V. Beševliev, Die protobulgarischen Inschriften. Berlin 1963; O. Pritsak, Die bulgarische Fürstenliste u. die Sprache der Protobulgaren. Wiesbaden 1955; K.H. Menges, Altaic Elements in the Proto-Bulgarian Inscriptions, Byzantion 21, 1951, 85–118; I. Dujčev, Protobulgares et Slaves, Annales de l’Institut Kondakov 10 (1938), 145–54. H. G.
Raszien (serb. Raška; lat. Rascia, Rassia, Raxia; die Bewohner: Rasciani, Rassani, in dt. Quellen: Ratzen, Raizen, in ung.: Ráczok). Hist. Landschaft in Serbien, später auch Bezeichnung für den gesamten ma. serb. Staat. R. lag im Raum zw. den Flüssen Ibar u. Lim u. war territorial in etwa mit dem späteren →Sandschak Novi Pazar identisch. Der Name R. leitet sich vom Bistum Rassa ab (u. dessen Namen wohl von der bei Prokop im 6. Jh. erwähnten röm. Festung Arsa), das im 9. Jh. zur Bekehrung der Serben gegründet wurde u. sein Zentrum in Ras (heute Novi Pazar) hatte. R. stand zunächst unter byz., dann unter bulg. Herrschaft. Unter Kg. Bodin (1081–1101) geriet R. in den Einflussbereich des Staates v. Duklja (→Zeta). Bodin war es wahrscheinlich, der Vukan, den Stammvater der Nemanjidendynastie, zum →Župan v. R. einsetzte. Unter den →Nemanjiden wurde R. zum Kerngebiet des serb. Staates u. Ras Residenzort (stolno mesto) (→Serbisches Reich). Mitte des 15. Jh.s wurde R. v. den Osmanen erobert. Das Bistum Rassa, zunächst wohl dem Erzbistum Split, nach 1018 →Ohrid unterstellt, kam 1219 unter die Jurisdiktion des autokephalen serb. Erzbistums (→Autokephalie; →Patriarchat v. Peć) u. wurde 1346 selbst zum Erzbistum erhoben, das Ende des 18. Jh.s mit Prizren vereinigt wurde. R. war auch namengebend für die „Schule von Raška“ (Raška škola), ein Kunststil, der in Serbien v. der zweiten H. des 12. bis Ende des 13. Jh.s (in der Architektur bis Mitte 14. Jh.) gepflegt wurde u. in dem sich byz. u. westliche Stilelemente verbanden (u. a. die Köster Studenica, Žiča, Sopoćani u. Dečani). Lit. (a. →Serben; →Serbisches Reich): K. Morrison/E. Roberts, The Sandžak. A History. New York 2013; V. Subotić, Stara raška držva. Nastanak i razvoj do Nemanjića, in: Simpozium Seoski dani Sretena Vukosavljevića. Bd. 23. Prijepolje 2008, 145–168; J. Kalić, Das Bistum Ras, in: Pontes slavici. Festschrift für Stanislaus Hafner zum 70. Geburtstag. Graz 1986, 173–177; Istorija srpskog naroda. Bd. I. Beograd 1981; J. Kalić, Naziv „Raška“ u starijoj srpskoj istoriji (IX–XII vek), Zbornik Filozofskog fakulteta Beograd XIV, 1 (1979), 79–92; S. Radojčić, Geschichte der serbischen Kunst. Von den Anfängen bis zum Ende des Mittelalters. Berlin 1969; A. Deroko, Monumentalna i dekorativna arhitektura u srednjevekovnoj Srbiji. Beograd 1962; D.S. Radojičić, Srpsko Zagorje, das spätere Raszien. Zur Geschichte Serbiens in der 2. Hälfte des 10. u. 11. Jh.s, SOF 16 (1957), 259–284. P. B.
Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW, a. unter dem Kürzel COMECON für Council for Mutual Economic Assistance bekannt). Multinationale Organisation für wirt. Koope-
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Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe
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ration u. Koordination der sozialist. Länder mit Sitz in Moskau, gegründet im Januar 1949 (Beschluss auf der Moskauer Wirtschaftsberatung vom 5.–8.1.1949, Publikation des Gründungskommuniqués am 25.1.1949), aufgelöst am 28.6.1991 auf seiner 46. Plenarsitzung in Budapest. Gründungsmitglieder: Bulgarien, Polen, Rumänien, die UdSSR, Ungarn u. die Tschechoslowakei, bald darauf traten Albanien (Februar 1949) u. die DDR (September 1950) bei. Nachdem auf der Ratstagung 1962 in Moskau die Beschränkung im Statut auf europ. Staaten fallengelassen worden war, kamen außereurop. Vollmitglieder hinzu: die Mongolei (Juni 1962), Kuba (Juli 1972) u. Vietnam (Juni 1978). Jugoslawien, das schon seit Mitte der 50er Jahre gelegentlich als Beobachter an Beratungen der Ratsorgane teilgenommen hatte, unterzeichnete 1964 ein Teilassoziierungs-Abkommen u. beteiligte sich auf dieser Grundlage an bestimmten Aktivitäten des Rates von gemeinsamem Interesse. Albanien stellte 1961 seine Mitarbeit ein, blieb jedoch de jure Mitglied. Die allg. Ziele des RGW bestanden darin, zur Hebung wie auch zur Annäherung, ja Angleichung des sozioökon. Leistungsniveaus der beteiligten Staaten die Kooperation u. Koordination zw. ihnen zu fördern, u. dies namentlich – wenn man die gesamte Dauer seiner Existenz betrachtet – auf den Gebieten der Planungstätigkeit, der Produktion u. Investitionen, der Wissenschaft u. Technik, des Außenhandels, der Valuta- u. Finanzbeziehungen. Die Schwerpunkte variierten in den einzelnen Perioden erheblich. Die Gründung selbst war hauptsächlich pol. motiviert u. erfolgte als Antwort auf den Marshall-Plan u. die von der UdSSR v. a. gegenüber einigen teilnahmebereiten ostmitteleurop. Staaten durchgesetzte Absage daran. Indes fehlte es der UdSSR an wirt. Mitteln zu bedeutenden Hilfeleistungen u. den beteiligten Regierungen am Willen zu gemeinschaftlichem ökon. Handeln. Daher war der RGW in der ersten Periode relativ wenig aktiv u. beschränkte sich fast nur auf Maßnahmen zur Stützung der bilateralen Außenhandelsbeziehungen seiner Mitgliedstaaten. Zu einer Belebung kam es Ende der 1950er/ Anfang der 1960er Jahre, u. nach der 1962 erfolgten Annahme der „Grundprinzipien der internat. sozialist. Arbeitsteilung“ verlagerte sich der Schwerpunkt auf Fragen der Spezialisierung u. Kooperation der Produktion sowie der Koordinierung der nationalstaatlichen Wirtschaftspläne. Integrationspolitische Absichten rückten dann mit dem 1971 verabschiedeten „Komplexprogramm für die weitere Vertiefung und Vervollkommnung der Zusammenarbeit und Entwicklung der sozialist.ökon. Integration der Mitgliedsländer des RGW“ in den Vordergrund, ehe schließlich ein weiteres, 1985 beschlossenes „Komplexprogramm des wissenschaftlich-technischen Fortschritts der Mitgliedsländer des RGW bis zum Jahre 2000“ den Akzent auf die technologische Entwicklung legte. Die Ergebnisse fielen, gerade an den Zielen gemessen, mager aus, was hauptsächlich auf gravierende strukturelle Disproportionen im ökon. Leistungspotential der Mitgliedsländer, erhebliche Interessengegensätze unter ihnen, systembedingte Funktionsschwächen u. im Laufe der Zeit zusehends deutlichere Inkompatibilitäten infolge wachsender Binnendifferenzierung in den wirtschaftspol. Orientierungen zurückzuführen war. Bemerkenswert blieb v. a. der Umstand, dass weitergehende Formen der Kooperation u. Abstimmung weder freiwillig eingegangen wurden noch mit Druck durchzusetzen waren, so dass im Ergebnis die sozialistischen, vermeintlich dem Internationalismus verpflichteten Staaten auch im Hinblick auf Koordination, Integration u. Suprastaatlichkeit weit hinter den diesbezüglichen Entwicklungen in Westeuropa zurückblieben.
Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe / Räterepublik (Ungarn)
Für die Mitgliedsländer des RGW auf dem Balkan stand infolge der Ausgangsbasis u. der Strukturen ihrer Volkswirtschaften das Ziel der Annäherung der wirt. Leistungspotentiale im Vordergrund. Ihre Bestrebungen innerhalb des RGW waren daher v. a. auf sichere Absatzmärkte für ihre Exportprodukte, Entwicklungs- u. Modernisierungshilfe sowie Technologie- u. Innovationstransfer gerichtet. Während sie bei ersterem einigermaßen zuverlässige u. zufriedenstellende Lösungen verbuchen konnten, war dies bei den beiden anderen Punkten nicht der Fall. Der offene u. verdeckte Widerstand aus der Region gegen weitergehende Pläne zur Arbeitsteilung u. Integration erklärte sich denn auch vornehmlich aus der Befürchtung, dass hierdurch die strukturellen Konstellationen u. damit die Rolle der Balkanländer als „Obst- u. Gemüsegärten“ der Wirtschaftsgemeinschaft zementiert würden. Albanien entzog sich 1961 gänzlich, Rumänien sperrte sich ab 1962 offen gegen jedwede überstaatliche Wirtschaftsplanung, u. auch Bulgarien verweigerte sich, wenngleich in dezenterer Form, entsprechenden Absichten. Allerdings war nicht von der Hand zu weisen, dass einige Entwicklungen etwa in der Produktionsspezialisierung namentlich für Bulgarien durchaus Vorteile mit sich brachten u. einiges von den Widerständen gegen umfassendere Integrationsansätze auch durch den Widerwillen gegen Wirtschaftsreformen motiviert war. Lit.: Ökonomie im Kalten Krieg. Hg. B. Greiner/Ch. Th. Müller/Ch. Weber. Hamburg 2010; L. Ţăranu, România în Consiliul de Ajutor Economic Reciproc 1949–1965. București 2007; K. Kaplan, Rada vzájemné hospodářské pomoci a Československo 1957–1967. Praha 2002; Comecon. The Rise and Fall of an International Socialist Organization. Hg. J. Brine. Oxford 1992; K. Eckart, Taschenatlas RGW. DDR, Polen, CSFR, Ungarn, Rumänien, Bulgarien. Braunschweig 1990; A. Zwass, Der Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe 1949 bis 1987. Der dornige Weg von einer politischen zu einer wirtschaftlichen Integration. Wien 1988; Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe. Strukturen u. Probleme. Hg. Ostkolleg der Bundeszentrale für Politische Bildung. Bonn 1987; RGW-Integration u. Südosteuropa. Hg. R. Schönfeld. München 1984; Integration im RGW (COMECON). Dokumente. Hg. A. Uschakow. Baden-Baden 21983; Lexikon RGW. Hgg. M. Engert/H. Stephan. Leipzig 1981; R. Damus, RGW. Wirtschaftliche Zusammenarbeit in Osteuropa. Opladen 1979; J. Bethkenhagen/H. Machowski, Integration im Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe. Entwicklung, Organisation, Erfolge u. Grenzen. Berlin (West) 21976. M.A. H.
Räterepublik (Ungarn). Bez. für die 133 Tage, vom 21.3. bis zum 1.8.1919 währende Herrschaft des „Forradalmi Kormányzótanács“ (Revolutionären Regierenden Rates), der unter Führung v. Béla Kun die Ung. R. proklamierte u. eine revol. Umgestaltung des Landes in Richtung einer Diktatur des Proletariats nach bolschewistischem Muster anstrebte. Béla Kun hatte zwar offiz. nur die beiden Ämter des Volkskommissars für Auswärtige Angelegenheiten u. des Kriegswesens inne, doch war er die beherrschende Führungsfigur gleich Lenin in der Russ. Sowjetrep., dem er ganz bewusst als Vorbild nacheiferte. Er hatte ihn persönlich Ende November 1917 in Petersburg kennengelernt, nachdem er sich als russ. Kriegsgefangener der Partei der Bolschewiki angeschlossen u. für sie in den Reihen seiner ung. Kameraden organisatorisch wie publizistisch aktiv geworden war. Im November 1918 nach Ungarn zurück-
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gekehrt, gründete er am 24. November die „Kommunisták Magyarországi Pártja“ (Partei der Kommunisten Ungarns) u. bereitete trotz seiner am 21.2.1919 erfolgten Verhaftung aus dem Gefängnis den Umsturz vor, indem er den linken Flügel der Sozialdemokratie mit seiner Partei u. den revol. Sozialisten in der am 21.3.1919 gegründeten „Magyarországi Szocialista Párt“ (Sozialistischen Partei Ungarns) vereinigte (vgl. →Sozialisten). Das vorangegangene Regime unter der Führung des am 31.10.1918 zum Ministerpräsidenten ernannten Grafen Mihály Károlyi, der seit dem 11.1.1919 als Präsident der am 16. November proklamierten Ung. Volksdemokratie amtierte, war pol. an den Forderungen der Alliierten u. der Nachfolgestaaten der Donaumonarchie gescheitert, große Teile des Landes an diese anzuschließen, u. solche Ansprüche durch milit. Besetzung derselben zu unterstreichen. Der Machtwechsel wurde durch die Überreichung der Entente-Note durch den frz. Oberstleutnant Vix herbeigeführt, in dem Ungarn zur Räumung einer 50 km breiten Zone vor der gegenüber Rumänien vereinbarten Demarkationslinie aufgefordert wurde. Die Regierung Dénes Berinkey trat im Protest zurück u. am nächsten Tage, dem 21.3.1919, übernahm die vereinigte Linke unter der Führung v. Béla Kun die Macht. Die Entschlossenheit der R., den alliierten Plänen der Aufteilung des Landes mit aller Macht entgegenzutreten, sicherte ihr zunächst eine breitere, über ihre Parteibasis hinausgehende ges. Unterstützung, beispielsweise v. führenden Vertretern der ung. Intelligenz wie Tibor Déry, Beni Ferenczy, Lajos Fülep, Milán Füst, Géza Gárdonyi, Frigyes Karinthy, Lajos Kassák, Dezsö Kosztolányi, Anna Lesznai, György Lukács, Károly Mannheim, Zsigmond Móricz. Der Schriftsteller Gyula Krúdy artikulierte offenbar eine weitverbreitete Stimmung, als er am 16.4.1919 schrieb: „Man braucht keine Angst zu haben vor der neuen Geschichte, vor dem neuen Ungarn, vor der Explosion der Ideale u. eines menschlichen Willens aus ungestümer revolutionärer Kraft. Die alte Welt soll dem Verfall, der Vernichtung u. der Zerstörung anheim gegeben werden.“ Der Hoffnung auf Unterstützung der R. durch die Sowjetrussland sollte auch die milit. Offensive der neu aufgestellten ung. Roten Armee Richtung NO dienen, um eine Landverbindung mit jenem Staat herzustellen. Am 6. Juni eroberte sie Kaschau, 10 Tage später Eperjes/Prešov, wo die Slowakische R. zwar ausgerufen wurde, ohne jedoch deren staatsrechtl. Stellung gegenüber Ungarn zu klären. Die Juli-Offensive gegen die in Ostungarn stationierten rum. Truppen scheiterte. Deren Vormarsch bis Budapest, das am 3. August besetzt wurde, bedeutete das Ende des Regimes. Innenpol. hat dieses v. der althergebrachten Ordnung keinen Stein auf den andern gelassen. Mit seinen überstürzten sozialist. Maßnahmen der Zwangsenteignung u. Verstaatlichung sämtlicher Produktionsstätten, Dienstleistungsbetriebe u. des gesamten Landbesitzes wie auch aller Privatvermögen brachte es in kurzer Zeit alle bedeutenden Schichten der Gesellschaft gegen sich auf. Die Bauern wollten keine Lebensmittel mehr an die Städte verkaufen, da die Räte kein Land verteilten, um es in das geplante System großer Staatsgüter zu überführen. Die Bereitschaft, einmal beschlossene Maßnahmen auch unter Anwendung v. Gewalt durchzusetzen, entfesselte Streiks u. bewaffnete Aufstände u. stürzte das Land immer tiefer ins Chaos. So hat die R. rasch ihre ges. Basis verloren u. die immer längere werdende Reihe ihrer inneren Gegner sowie der milit. Aufmarsch ihrer äußeren Feinde ihren Zusammenbruch herbeigeführt.
Reaya
Texte: Flugblätter u. Flugschriften zur Ungarischen Räterepublik 1919. Deutschsprachige Drucke aus Budapester Sammlungen. Hg. K. Nehring. München 1981. Lit.: Th. Sakmyster, A Communist Odyssey: the Life of József Pogány, John Pepper. Budapest u. a. 2012; K. Salamon, Nemzeti önpusztítás 1918–1920. Budapest 2001; Gy. Borsányi, The life of a communist revolutionary, Béla Kun. New York 1993; M. Molnár, From Béla Kun to János Kádár. Seventy years of Hungarian communism. New York u. a. 1990; L.N. Nežinskij, 133 dnja 1919 goda. Sovetskaja Rossija i Vengerskaja Sovetskaja Respublika. Moskva 1989; P. Fornaro, Crisi postbellica e rivoluzione. LʼUngheria dei Consigli e lʼEuropa danubiana nel primo dopoguerra. Milano 1987; A Magyar Tanácsköztársaság 60. Évfordulója. Hg. B. Köpeczi. Budapest 1980; Räterepublik u. Kultur – Ungarn 1919. Hg. J. Farkas. ebd. 1979; T. Hajdu, The Hungarian Soviet Republic. ebd. 1979; L. Kővágó, A Magyarországi Tanácsköztársaság és a nemzeti kérdés. ebd. 1979; Hungary in Revolution 1918–19. Hg. I. Völgyes. Lincoln 1971; R. Tökes, Béla Kun and the Hungarian Soviet Republic. New York 1967. G. S.
Reaya (v. arab. raʻāyā „behütete Herde“). Steuerpflichtige Untertanen eines musl. Herrschers. In fiskalischer Hinsicht gliederte sich die osm. Gesellschaft in die Kategorien 1) der milit. u. sonstigen Diener des Staates, die nach der wichtigsten Untergruppe „Askeri“ (v. arab. ‘askar „Krieger“) genannt wurden, u. 2) die Produzenten oder R. Während die Askeri als Gegenleistung für ihre Leistungen für den Staat Steuerfreiheit genossen u. einen Sold bzw. ein Entgelt in Form v. Steuereinnahmen erhielten, bildeten die R. die steuerpflichtige Bev. Ähnlich wie die Askeri, in deren Reihen anfangs auch Nichtmuslime vorkamen (vgl. →Islamisierung), setzten sich die R. in „klassischer“ Zeit aus Muslimen u. Nichtmuslimen (→Zimmi) zus. Alle R. waren zur Zahlung grundsätzlich derselben Steuern u. zur Erfüllung derselben Leistungen verpflichtet, nur entrichteten die Zimmis obendrein die →Kopfsteuer. Erst zum 18. Jh. hin wurde der Terminus R. zunehmend als Synonym für die Christen im Osm. Reich, speziell die Orthodoxen, verwendet, während für die Juden der Ausdruck Yehudi üblich blieb. – Zu den Abgaben, die die R. dem Staat (bzw. dem v. diesem eingesetzten →Timar-Herrn oder Steuerpächter) leisteten, gehörte der Zehnte (türk. öşür aus arab. ‘ušr), der meist 1/7 oder 1/8 der Ernteerträge betrug, regional auch deutlich mehr. In Anerkennung ihres Nutzungsrechtes (tasarruf) am Boden, der, sofern →Miri, dem Staat gehörte, zahlten die musl. R. die Feldsteuer (türk. çift resmi oder resmi çift). Diese betrug im 15. und 16. Jh. in den europ. Territorien meist 22 →Akçe pro çift („Joch, Gespann, Pflug“); in anderen Reichsteilen lag sie höher. Die nichtmusl. R. entrichteten stattdessen eine Steuer offenbar vorosm. Ursprungs unter der Bezeichnung ispence v. durchweg 25 →Akçe je „Hufe“. Wurde einer v. ihnen Muslim (→Islamisierung), zahlte er stattdessen die (niedrigere) Steuer namens bennak (vermutlich aus armen. bnak „Haus, Wohnstätte“) wie andere „Kätner/Häusler“, die keiner Feldsteuer unterlagen. Daneben wurden v. den R. Abgaben auf Schafe, Schweine, Mühlen, Fischerei und Imkereierträge u. anderes mehr erhoben, außerdem Gebühren verschiedener Art und Höhe (z. B. anlässlich v. Heiraten). Auch fehlen (trotz der Tendenz zur Ablösung) Hand und Spanndienste keineswegs. Wenn die R. auch nicht denselben Grad der Schollenpflichtigkeit kannten wie die Hörigen des europ. MA (a.
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Reaya / Rechtsgeschichte, Rechtskulturen
→Feudalismus, Osm. Reich), so galten doch auch für sie starke Einschränkungen der Freizügigkeit. Selbst nach 10, 15, 20, ja bis zu 40 Jahren der Abwesenheit (→Firman vom Januar 1635) konnte sie ihr Herr nach einem entsprechenden Entscheid des zuständigen →Kadi mit Gewalt wieder auf ihre Scholle (für die sie im →Tahrir Defteri namentlich registriert waren) zurückbringen lassen. Lit.: N. Moačanin, Slavonija i Srijem u razdoblju osmanske vladavine. Slavonski Brod 2001; An Economic and Social History of the Ottoman Empire, 1300–1914. Hgg. H. İnalcık/D. Quataert. Cambridge 1994; S. Faroqhi, Political Activity Among Ottoman Taxpayers and the Problem of Sultanic Legitimation, Journal of the Economic and Social History of the Orient 35 (1992), 1–39; New Approaches to State and Peasant in Ottoman History. Hgg. H. Berktay/S. Faroqhi. (=The Journal of Peasant Studies 18 [1991], H. 3–4 Special Issue); A. Matkovski, Kreposništvoto vo Makedonija vo vremeto na Turskoto vladeenje. Le servage en Macédoine pendant la domination turque. Skopje 1978. M. U.
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Rechtsgeschichte, Rechtskulturen. Bis ins 19. Jh. hinein bestand in SOE eine kaum überschaubare Vielzahl v. Rechtsordnungen, die miteinander nur lose oder gar nicht verbunden waren, unterschiedliche Geltungsradien besaßen u. im Lauf der Jahrhunderte wiederholt ausgewechselt worden waren. Neben staatlich institutionalisierten (verschriftlichten) Rechtsordnungen mit landesweitem Geltungsanspruch bestanden Rechtsordnungen für Verwaltungsbezirke, städtische Kommunen, für Kirchen u. Glaubensgemeinschaften sowie eine Vielzahl v. Einzelregelungen für bestimmte Bevölkerungsgruppen oder für spezifische Anwendungsbereiche (Landwirtschaft, Viehzucht, Bergbau u. a.). Daneben spielte das ungeschriebene Gewohnheitsrecht bis in die Neuzeit eine herausragende Rolle. Rechtsquellen waren neben der förmlichen Rechtssetzung (durch Einzelgesetze oder Gesetzbücher) das Gewohnheitsrecht, das Richterrecht der Gerichte u. religiöse Vorschriften. Römisches Recht und seine „Rezeption“ Mit der Entstehung des Oströmischen Reiches (→Byzanz) gliederte sich SOE seit Ende des 4. Jh.s hinsichtlich der Rechtskulturen grob in einen oström. (südl.) u. einen weström. (nördl.) Teilbereich. Für die Unterschiede sorgte insbes. das Verhältnis von geistlicher u. weltlicher Macht. Die christl. verbrämte Fortsetzung des antiken Gottkaisertums sowie das Konzept der „Symphonie“ von Kirche u. Staat im oström. Imperium auf der einen u. die Rivalität von weltlicher u. geistlicher Macht im Westen auf der anderen Seite waren über Jahrhunderte hinweg geschichtsprägend. Das oström. Herrschaftsideal u. das →Patriarchat v. Konstantinopel blieben seit dem 4. Jh. eng miteinander verzahnt, ohne ineinander aufzugehen (vgl. zur Nichtexistenz eines ostkirchlichen Cäsaropapismus →Byzanz). Diese „Symphonie“ stand in einem deutlichen Kontrast zur Zwei-Schwerter-Theorie des Papstes Gelasius I. (röm. Papst v. etwa 492 bis ungefähr 496) u. dem jahrhundertelangen Ringen zw. weltlicher u. geistlicher Macht im Westen. Schon früh zeichneten sich damit in Umrissen zwei unterschiedliche Rechtskulturen ab, deren Ausgestaltung u./oder Vermittlung maßgeblich v. den Kirchen bzw. Glaubensgemein-
Rechtsgeschichte, Rechtskulturen
schaften getragen wurden u. die weitreichende Auswirkungen auf alle Bereiche des öffentlichen Lebens hatten. Die wohl wichtigsten Unterscheidungsmerkmale zw. den beiden sich formierenden Rechtsräumen waren: 1. die unterschiedlichen Herrschaftsideale u. die intendierte Einheit oder Trennung der Gewalten, 2. die zunehmende Bedeutung der Individualrechte im Westen im Gegensatz zu den prioritären Gemeinschaftsrechten im Südosten sowie 3. der systematische, abstrakte Charakter des röm. Rechts (sowohl inhaltlich wie verfahrenstechnisch) im Gegensatz zu dem konkreten, fallbezogenen Charakter der Rechtsordnungen im Südosten. Bereits das Bestreben Justinians, dem röm. Recht in seinem Imperium landesweite Geltung zu verschaffen, schlug folgerichtig fehl. Sowohl die Gesetzgebung der oström./byz. Kaiser wie das Gewohnheitsrecht unterminierten die Wirkungskraft des (lat. verfassten) Corpus Iuris Civilis, der allmählich in Vergessenheit geriet. Die ma. Gesetzgebung im westl. Europa stützte sich eher auf gentile Rechtstraditionen, die nur marginal von den vulgärrechtlichen Elementen beeinflusst waren (leges barbarorum). Diese und die Rechtskultur des röm.-dt. Reichs (→Heiliges Röm. Reich) wurden dann teilweise auch in dem lateinischen Teil SOEs (Ungarn, Kroatien, Istrien) rezipiert (etwa in den Gesetzbüchern des Königs Stefans I. d. Hl., 1000–1038, v.Ungarn und seinen Nachfolgern). Anfang des 12. Jh.s wurde das röm. Recht in der Trad. des Corpus Iuris Civilis (CIC) v. Juristen an der Universität Bologna wiederentdeckt u. im lat. geprägten Bereich zum Gegenstand einer aufblühenden Rechtswissenschaft. Das röm.-justinianische Zivilrecht wurde im ganzen lat. Europa bekannt u. fand als allgemeines Recht (ius commune) Eingang in die Geschäfts-, Rechts- u. Gerichtspraxis: zunächst in das röm.-kath. Kirchenrecht u. dann – im Verlauf eines langwährenden, v. Widersprüchen u. Rückschlägen gezeichneten Rezeptionsprozesses – in das weltliche Recht der mittel- u. westeuropäischen Staaten sowie schließlich in deren moderne Rechtskodifikationen, allen voran in den napoleonischen Code Civil (1803-07) u. das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch Österreichs v. 1811. Im Kgr. Ungarn mit seinen Nebenländern sowie in den venezianisch beherrschten oder beeinflussten Küstenstädten u. Inselkommunen kam das röm. Recht neben dem jeweiligen Gewohnheitsrecht schrittweise u. partiell bereits seit dem hohen MA zur Anwendung. Es fand auch Eingang in das Vorwort der berühmten Sammlung des Gewohnheitsrechts (→Tripartitum) des ung. Juristen István Werbőczy, das erstmals 1517 gedruckt u. von den ung. Gerichten bis zur Revolution v. 1848 angewandt wurde (u. somit faktisch – wenn auch nicht formal – Gesetzeskraft besaß). Im Balkanraum u. den rum. Fürstentümern setzte die Rezeption des röm. Zivilrechts hingegen erst um die Mitte des 19. Jh.s ein. Südl. v. Save u. Donau sowie östl. des Karpatenbogens hatte sich nach dem Scheitern des CIC das byz. Recht in Kombination mit dem jeweiligen regionalen Gewohnheitsrecht durchgesetzt. Bes. Erwähnung verdient das Gesetzbuch (→Zakonik) des serb. Zaren Stefan Dušan, das 1349 v. einer Versammlung kirchlicher Würdenträger u. Adliger verabschiedet u. 1354 ergänzt wurde. Damit erhielt das ma. →Serb. Reich kurz vor seinem Zerfall ein eigenes Gesetzbuch, das zwar in der byz. Rechtstradition stand, aber auch neue Elemente enthielt. Im Unterschied dazu stützten sich die ma. bulg. Staaten (→Bulg. Reich) u. die rum. Fürstentümer →Mol-
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dau u. →Walachei fast ausschließlich auf das byz. Recht, insbes. auf das Gesetzbuch (Ekloga) Kaiser Leons III. v. 726 u. die „Basiliken“ (Hexabiblos) Kaiser Leons VI. (entstanden um 888), das umfangreichste Kompendium nach dem CIC. Kirchenrecht In dem lateinisch-christlichen Teil von SOE wurde das röm. kanonische Recht im Laufe der Christianisierung überall angewandt. Zahlreiche Synoden in Ungarn, Kroatien, Dalmatien beschlossen seine Anwendung im kirchlichen, aber auch teilweise im weltlichen Leben. Wie das weltl. Recht südl. v. Save u. Donau, war demgegenüber auch das Recht der autokephalen orth. Kirchen (→Orthodoxie [u. Nationalkirchen]) eine Schöpfung der byz. Epoche. Unter Ks. Justinian I. erreichte die kanonistische Arbeit ihren ersten Höhepunkt. Der bedeutendste Kanonist dieser Zeit war Johannes Scholastikus, der nicht nur die „Symphonie“ von „Staat“ und „Kirche“ regelte, sondern auch das geistliche u. sittliche Leben des Klerus, des →Mönchtums u. der Laien. Die beiden →Slawenapostel Konstantin-Kyrill u. Method haben um 880 seinen Nomokanon ins Altslavische übersetzt u. mit zivilrechtl. Auszügen aus dem Gesetzbuch Leons III. ergänzt. Auch der Begründer der Autokephalie der serb. orth. Kirche, der hl. Sava (→Nemanjiden), schöpfte in seinem Nomokanon Anfang des 13. Jh.s aus diesen byz. Quellen, die Matthaios Blastares 1335 in einer Gesetzessammlung aktualisierte (→Syntagma des M.B.). Staatsrecht Kennzeichnend für den lat. geprägten Rechtsraum ist die partielle Ausformung eines Staatsrechts. Als Beispiele seien die →Pacta conventa v. 1102 genannt, also das angebliche – historisch umstrittene – Abkommen zw. dem ung. Kg. Koloman u. dem kroat. Adel, das die bis 1918 geltende Personalunion zw. den Königreichen Ungarn u. Kroatien-Slawonien begründete; ferner die →Pragmatische Sanktion, die die Unteilbarkeit u. Untrennbarkeit aller habsb. Erbkönigreiche u. Länder sowie die Erbfolgeordnung festgelegte u. die 1722 vom ung. Reichstag angenommen wurde (u. bis 1867 Gültigkeit behielt), des weiteren der österr.-ung. →Ausgleich v. 1867 sowie der kroat.-ung. →Ausgleich v. 1868, mit denen die staatsrechtl. Stellung der zisu. transleithanischen Hälfte v. →Österreich-Ungarn bzw. die Stellung des Kgr.s Kroatiens innerhalb der ung. Reichshälfte verankert wurde. Die Wahlkapitulationen u. Herrschaftsverträge im spätmal. Ung. zeichneten die Umrisse eines Ständestaates ab (→Stände). Osmanische Rechtskultur Mit der osm. Expansion hielten das islamische Recht (→Scharia) (für Muslime) u. das Sultansrecht (→Kanun; →Firman) Einzug in den Balkanraum, während das byz. Zivilrecht (in Gestalt des orth. Kirchenrechts) u. die lokal variierenden Gewohnheitsrechte für große Teile der nicht-muslimischen Bevölkerung ihre Gültigkeit behielten bzw. sich unabhängig vom osm. Recht weiter entwickelten. Das Sultansreich (→Sultan; →Osman. Reich) war also nur bedingt ein islamischer Staat, zumal das osm. Herrscherrecht viele säkulare Züge aufwies. Nicht umsonst trägt Sultan Süleyman (1521–1566) den Beinamen Kanunî (Gesetzgeber). Und die umfangreichen Selbstverwaltungsbefugnisse, die die Sultane den Oberhäuptern der christl. u. jüd. Glaubensgemeinschaften verliehen (im 19. Jh. unter der Bezeichnung →Millet-System zusammengefasst), brachten eine komplizierte Rechtslandschaft hervor, in der osm. Staatsrecht (Sultanrecht), isl., christl. u. jüd. Religionsrecht sowie lokale Gewohn-
Rechtsgeschichte, Rechtskulturen
heitsrechte nebeneinander existierten. Hinzu kam in der osma. Spätphase noch die Konsulargerichtsbarkeit der Großmächte. Gewohnheitsrecht, Sonderrechte Die verschiedenen Gewohnheitsrechte sind zumeist erst spät verschriftlicht worden. Zu den frühen Ausnahmen gehört das Gesetzbuch v. Vinodol (Vinodolski zakon oder V. zakonik) v. 1288. (Vinodol ist ein Gebiet an der nördl. kroat. Adria zw. Bakar u. Novi). Bekannt ist das nordalb. Gewohnheitsrecht, der →Kanun des Leka Dukagjin, benannt nach dem legendären Fürsten Lek (Alexander) Dukagjini (1410–1481) (vgl. a. →Blutrache; →Stamm, Stammessystem). Große Verdienste bei der Erforschung des südslav. Gewohnheitsrechts erwarb sich der aus der Nähe von Dubrovnik stammende Valtazar Bogišić (1834–1908). Neben den erwähnten Rechtsordnungen bestand in MA u. FNZ eine Fülle v. Sonderrechten: für Herrscher u. Grundherren (→Patronatsrecht), für die städtischen Kommunen an der Adria (stellvertretend für viele andere sei das Statut der Stadtrepublik Ragusa/→Dubrovnik v. 1272 erwähnt), für die freien Städte in Ungarn (z. B. das Ofner Stadtrecht aus der ersten H. des 15. Jh.s) (→Stadt, Stadttypen: dalmatin.-istrischer Stadttyp; →Stadt, Stadttypen: Kgr. Ungarn), für die ung. Adelskomitate (→Komitat; →Goldene Bulle) oder für bestimmte Bevölkerungsschichten. Zu den rechtlich privilegierten Gruppen im Kgr. Ungarn gehörten u. a. die mit Eigenrechten ausgestatteten →Székler, die →Siebenbürger Sachsen (namentlich erwähnt sei der Goldene Freibrief König Andreas II., das Andreanum v. 1224), ferner die in der habsb. →Militärgrenze angesiedelten Wehrbauern (die mit den „Statuta Valachorum“ Ks. Ferdinands II. v. 1630 ihr eigenes Recht erhielten, →Ius Valachicum), ebenso wie die 1690 unter Führung ihres Patriarchen nach Südungarn geflüchteten Serben (deren Status durch das leopoldinische Diplom v. 1690 geregelt wurde) oder die gegen Ende des 18. Jh.s für die Aufsiedlung wüst liegender Ländereien angeworbenen Kolonisten (z. B. Ansiedlungspatent Josephs II. v. 1792; →Kolonisation, Kolonistenrechte) u. viele andere Bevölkerungsgruppen. Vereinheitlichung des Rechtslebens Die Bestrebungen absolutistisch-aufgeklärter Monarchen (→Absolutismus, aufgeklärter A.), die verwirrende Vielfalt v. Sonderrechten zu reduzieren, zeitigten nur begrenzte Erfolge. Erst mit der modernen Staats- u. →Nationsbildung sowie der damit verbundenen Aufhebung v. Privilegien u. Sonderrechten bildeten sich allmählich einheitliche, staatliche Rechtsräume heraus. In den Balkanländern u. den rum. Fürstentümern begann die Vereinheitlichung u. „Europäisierung“ des Rechts im Verlauf des 19. Jh.s. Die Transformation des Rechtssystems setzte sich aus drei Teilprozessen zusammen: aus der schrittweisen Entwicklung des neuzeitlichen Verfassungsrechts;. aus der Rezeption des röm. Zivil- u. Strafrechts; sowie aus der Systematisierung des Gerichtswesens u. der Prozessordnungen. In allen drei Fällen ging es um einen Rechtstransfer von Westen nach Osten, um die Adaption des neuen Verfassungsrechts (in Anlehnung an frz., belgische, it. u. a. Vorbilder; →Verfassungen) u. des zunächst ungewohnten röm. Zivilrechts sowie dessen Verknüpfung mit einheimischen Rechtstraditionen. Überall stieß dieser Prozess auf heftige Widerstände, sowohl in großen Teilen der Bevölkerung als auch bei den Vertretern einer historischen (romantischen) Rechtsschule, die – ähnlich wie der Kreis um den dt. Juristen Carl von Savigny (1779–1861) – das röm.
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Rechtsgeschichte, Rechtskulturen
Rechtssystem als „volksfremd“ u. „künstlich“ ablehnten. Lange Zeit klaffte daher zw. Rechtsnorm u. Rechtspraxis ein tiefer Abgrund (sowohl in vorsozialist. wie in sozialist. Zeit) u. von Rechtsstaaten konnte noch keine Rede sein. Erst allmählich setzt(e) sich – beschleunigt nach dem Zusammenbruch der sozialist. Regime 1989 u. im Zuge der Südosterweiterung der Europäischen Union – die Auffassung durch, dass das röm. Recht die gemeinsame Grundlage aller europäischen Rechte u. somit ein gemeinsames europäisches Erbe ist.
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Lit. (a. Angaben bei den Verweislemmata u. →Bodenrecht): U. Wesel, Geschichte des Rechts. Von den Frühformen bis zur Gegenwart. München 42014; J.M. Bak u. a., Decreta regni mediaevalis Hungariae. The Laws of the Medieval Kingdom of Hungary. 5 Bde. Salt Lake City, Budapest. 1989–2013; D. Karbić/M. Karbić, The Laws and Customs of Medieval Croatia and Slavonia. A Guide to the Extant Sources. London 2013; V. Alexandrov, The Syntagma of Matthew Blastares. The Destiny of a Byzantine Legal Code among the Orthodox Slavs and Romanians, 14–17 Centuries. Frankfurt/M. 2012; L. Bénou, Pour une nouvelle histoire du droit byzantin. Théorie et pratique juridiques au XIVe siècle. Paris 2011; E.-R. Karauschek, Fehde u. Blutrache als Beispiele nichtstaatlicher Konfliktlösung: rechtshistorisch u. rechtsanthropologisch. Kiel 2011; U. Wesel, Geschichte des Rechts in Europa. Von den Griechen bis zum Vertrag von Lissabon. München 2010; J. Berchtold, Recht u. Gerechtigkeit in der Konsulargerichtsbarkeit. Britische Exterritorialität im Osmanischen Reich 1825–1914. München 2009; Ch. Radding/A. Ciaralli, The Corpus Iuris Civilis in the Middle Ages. Manuscripts and Transmission from the Sixth Century to the Juristic Revival. Leiden u. a. 2007; Rechtskulturen des modernen Osteuropa. Hgg. T. Giaro u. a. Bd. 1ff. Frankfurt/M. 2006ff.; L. Margetić u. a., Hrvatska pravna povijest u europskom kontekstu. Studijsko gradivo. Zagreb 2006; V. Bogišić, Pravni običaji u Crnoj Gori, Hercegovini i Albaniji. Podgorica 2004 [Ndr:]; Lj. Krkljuš, Pravna istorija srpskog naroda. Novi Sad 2002; J. Kolanović, Hrvatsko običajno pravo prema ispravama XIV. i XV. stoljeća, Arhivski vjesnik 36 (1993), 85–93; J. Barbarić, Neke odredbe Vinodolskog zakona u svjetlu objavljene diplomatičke gradje, ebd., 99–116; L. Kretzenbacher, Geheiligtes Recht. Aufsätze zu einer vergleichenden rechtlichen Volkskunde in Mittel- u. Südosteuropa. Hg. B. Sutter. Wien u. a. 1988; G. Härtel, Römisches Recht u. römische Rechtsgeschichte. Eine Einführung. Weimar 1987; D. Aranitović, Gradja za bibliografiju radova o običajnom pravu jugoslovenskih naroda 1843–1985, Balcanica 16/17 (1987), 385–527; M. Andreev, Bălgarskoto običajno pravo. Sofija 1979 (Ndr. 2001); D.V. Firoiu, Istoria statului şi dreptului românesc. Bucureşti 1976; Оdredbe positivnog zakonodavstva i običajnog prava o sezonskim kretanjima stočara u Jugoistočnoj Evropi kroz vekova. Hg. V. Čubrilović. Beograd 1976; Običajno pravo i samouprava na Balkanu i u susednim zemljama. Hgg. Ders./D. Antonijević. ebd. 1974; Gy. Bónis, Középkori jogunk elemei: római jog, kánonjog, szokásjog. Budapest 1972; H. İnalcik, Süleyman the Lawgiver and Ottoman Law, Archivum Ottomanicum 1 (1969), 105–138; Code de lois coutumières de Mehmed II.: Kitāb-i qavānīn-i ʿörfiyye-i ʿosmānī. Hg. N. Beldiceanu. Wiesbaden 1967; Gy. Bónis, Einflüsse des römischen Rechts in Ungarn. Mediolani 1964; D. Janković, Istorija države i prava feudalne Srbije (12–15 vek). Beograd ²1957; F. Eckhart, Magyar alkotmány-és jogtörténet. Budapest 1946; Á. Timon, Ungarische Verfassungsu. Rechtsgeschichte mit Bezug auf die Rechtsentwicklung der westlichen Staaten. Berlin ²1909. H. S./J.M. B.
Reformation
Reformation (v. lat. reformatio: „Erneuerung, Verwandlung“; als kirchenhist. Begriff erst seit dem 17. Jh. in Gebrauch; ung. reformácio; rum. reformă; kroat., slowen. reformacija). Die durch Luthers Thesenanschlag 1517 in Wittenberg angeregte relig. Bewegung zur Rückführung der abendländischen Kirche auf den Boden der biblischen Überlieferung zeitigte bald auch in Ostmittel- und SOE geistliche, kult. und pol. Wirkung. Das Fehlen oder die Schwächung der landesherrlichen Macht wie der kath. Prälaten fördert nach 1526 diese Entwicklung, die Landstände machen die R. allerorts zu ihrem Kampfmittel (vgl. a. →Türkenhilfe). Eine einheitliche Reformkirche entsteht zwar nicht, wohl aber drei Konfessionskirchen (→Calviner, →Lutheraner, →Unitarier) u. mehrere Sekten (Sakramentarier, →Anabaptisten, Sabbatarier [→Sabbatisten]), eine v. den →Ständen durchgesetzte Mehrfachkonfessionalisierung mit regionalen Zentren v. längerer (Krain, diverse oberung. Städte, Zentralungarn) oder beständiger Dauer (Ostungarn, →Siebenbürgen, →Zips), die im 17. u. 18. Jh. einer staatskirchlichen Konfessionalisierung durch die →Habsburgermonarchie entgegenwirken. Besonders die seit etwa 1550 heftig disputierte Abendmahlspraxis ist Anlass zu Spaltungen. Sie trennt seit 1529 (Marburger Religionsgespräch; 1538 Religionsgespräch in Weißenburg [Gyulafehérvár/Alba Iulia] u. 1559 Neumarkter Konsens [Marosvásárhely/Târgu Mureş] bzw. 1564 Enyeder Synode [Straßburg/Aiud] u. 1568 Weißenburger Disputation im Fsm. Siebenbürgen) bis heute lutherische (ev.) v. reformierten (calv.) u. unitarischen (antitrinitarischen) Gemeinden, erscheint neuerdings aber in der Abendmahlsgemeinschaft als überwindbar (Leuenberger Konkordie 1973). Zunächst finden Luthers Schriften überall im historischen Ungarn Zustimmung u. Verbreitung. Vorwiegend in den Städten →Oberungarns u. Siebenbürgens mit starker dt. Bürgerschaft wie Leutschau, Kaschau, Klausenburg, Hermannstadt bei den Zipser u. den →Siebenbürger Sachsen, aber auch in →Krain u. in Ostungarn sind Lutherschriften u. Liederbücher seit den 1520er Jahren bekannt. Zunächst luth. eingestellte ung. Adelige wie die Drágffy, die Perény, Péter Petrovics, Thomás Nádassdy, Gáspár Illésházy, die Thurzó wenden sich nach 1550 den Reformierten zu u. ihre Nachfahren gehören im 17. Jh. zu den hochadeligen Vertretern der kath. Reform (→Gegenreformation); auf ihre Bauern üben sie entsprechend Druck zum Bekenntniswechsel aus. In Siebenbürgen bleibt die Lehre Wittenbergs für die Siebenbürger Sachsen u. einige ung. Gemeinden bestimmend, die R. wird v. den städt. Magistraten begonnen (ab 1543, Kronstadt u. →Burzenland; Reformationsbüchlein des Johannes Honterus). Die pol. Standesorganisation „Nationsuniversität“ erklärt sie 1547 für alle →Königsbodengebiete (Kirchenordnung aller Deutschen in Sybembürgen), 1550 auch für die dt. Bauern auf Adelsland zur Regel, ein luth. Bf. wird v. der Synode gewählt (1553) u. das Augsburger Bekenntnis angenommen (1572). Ein Katechismusdruck Luthers ist für Kronstadt 1548 erwähnt, muss aber schon früher vorgelegen haben, da 1544 in Hermannstadt eine erste Übersetzung ins Rumänische gedruckt u. von da aus verbreitet wird. Dt. Gesangbücher erscheinen 1543 in Kronstadt (Andreas Moldner) und 1556 (Valentin Wagner), rum. Psalter ab 1570. Die Stadt Klausenburg im Adelsgebiet, wo das Richter- wie das Stadtpfarramt jährlich zw. Ungarn u. Sachsen rotiert, ist ein Beispiel rascher Mehrfachkonfessionalisierung: Hier kommt es nacheinander zu einer Reform im Sinne Luthers (ab 1542), Calvins (1557) wie des antitri-
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Reformation
nitarisch gewordenen Stadtpfarrers Franz Hertel (Dávid Ferenc, 1570, a. →Häresien). 1552 entsteht dort ein Schwerpunkt für ung. Reformationsdrucke, u. a. mit einer Bibelübersetzung (Kaspar Helth/Heltai Gáspár, zehn Jahre vor Péter Melius), Katechismen, Gesang- u. Schulbüchern. Luth. Ansätze für Deutsche u. Slowenen unterstützen auch die Landstände in →Krain (erste Schriften in slowen. Sprache sind 1551 der „windische“ Katechismus, 1555/1584 die Bibelübersetzungen v. Primož Trubar u. Jurij Dalmatin, Gesangbücher, 1564 die Kirchenordnung Trubars). Die 1562 geschaffene Superintendentur v. Laibach aber wird v. den habsb. Landesherren Karl I. (II.) bekämpft, Trubar 1565 verbannt (→Innerösterreich). Um die Mitte des 16. Jh.s greift die Lehre Calvins unter den Ungarn in allen Landesteilen Raum, die Reformierte Kirche mit einem Schwerpunkt in dem zum →Partium gehörenden Debrecen (Ostungarn) wird mit dem Wirken v. Péter Melius Juhász zu ihrem dauerhaften Zentrum (allein 1562 u. a. Confessio catholica, Gesangbücher, ein Katechismus v. Melius, eine Übersetzung des Calvinschen Katechismus u. eine Kirchenordnung für Ostungarn). 1567 erhält diese ung. Kirche eine organisatorische Struktur in Distrikten mit Presbyterialverfassung (Senioren), die auch für →Oberungarn gilt. In Ungarn sind die →Stände bemüht, die Bekenntnisfreiheit für das seit Ende des 16. Jh.s zu etwa 90 % prot. Land zu sichern, z. B. 1604, 1608 (Religionsgesetz) oder 1620 in Landtagsartikeln, 1606, 1645 durch Friedensbeschlüsse. Diese Regelungen werden v. kath. Reformern wie u. a. dem Ebf. Ferenc Forgách, Péter Pázmány u. dem Jesuitenorden) in Ober- u. Westungarn vielfach, schließlich mit Erfolg, unterlaufen (→Gegenreformation). Luth. Ansätze zur R. der Kroaten (1557 Stjepan Konzuls Übersetzung des Neuen Testaments) u. der Rumänen (mehrere Kirchenbücher in der Volkssprache seit 1544) haben wenig Erfolg; v. nachhaltigerer Wirkung ist die calv. Beeinflussung der Rumänen in Siebenbürgen u. in Ostungarn. Von der R. gingen wichtige Impulse zur Aufwertung u. Kodifizierung der Volkssprachen u. zur Formierung ethnisch-konfessioneller Identitäten (z. B. von →Slowaken u. →Deutschen in Abgrenzung zu Magyaren) aus.
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Lit. (a. →Calviner; →Lutheraner): B.M. Teleky, Westungarische Magnaten u. die Reformation. Die Auswirkungen des Reformglaubens auf das dreigeteilte ungarische Königreich mit besonderer Berücksichtigung der Hochadelsfamilien Batthyány u. Nádasdy. Herne 2014; St. Jambrek, Reformacija u hrvatskim zemljama u europskom kontekstu. Zagreb 2013; S. Öze, Reformation u. Grenzgebiete. Zur Verbreitung der Reformation in den ungarisch besiedelten Gebieten. Budapest, Leipzig 2011; Primus Truber 1508–1586. Der slowenische Reformator u. Württemberg. Hg. S. Lorenz. Stuttgart 2011; Reformation, Pietismus, Spiritualität. Beiträge zur siebenbürgisch-sächsischen Kirchengeschichte. Hg. U.A. Wien. Köln u. a. 2011; G.S. Whiting, Medjimurje i reformacija: prilozi poznavanju povezanosti Zrinskij, Medjomurje i reformacije u drugoj polovini 16. stoljeća. Zagreb 2008; A. Müller, Humanistisch geprägte Reformation an der Grenze von östlichem u. westlichem Christentum. Valentin Wagners griechischer Katechismus von 1550. Mandelbachtal u. a. 2000; Reformation zwischen Ost u. West. Valentin Wagners griechischer Katechismus (Kronstadt 1550). Hg. ders. Köln u. a. 2000; Konfessionalisierung in Ostmitteleuropa. Wirkungen des
Reformzeitalter
religiösen Wandels im 16. u. 17. Jh. in Staat, Gesellschaft u. Kultur. Hgg. J. Bahlcke/A. Strohmayer. Wiesbaden 1999; The Reformation in Eastern Europe. Hg. K. Maag. Aldershot 1997; K. Zach, Religiöse Toleranz u. Stereotypenbildung in einer multikulturellen Region. Volkskirchen in Siebenbürgen, in: Das Bild des Andern in Siebenbürgen. Stereotype in einer multiethnischen Region. Hgg. K. Gündisch/W. Höpken/M. Markel. Köln u. a. 1997, 109–154; Ein Leben zwischen Laibach u. Tübingen – Primus Truber u. seine Zeit. Intentionen, Verlauf u. Folgen der Reformation in Württemberg u. Innerösterreich. Hg. R.-D. Kluge. München 1995; M. Păcurariu, Istoria bisericii ortodoxe române. Bd. II–III. Bucureşti ²1994; J. Rotar, Die Nationwerdung der Slowenen u. die Reformation. München 1991; J. Javoršek, Primož Trubar. Ljubljana 21986; K. Reinerth, Die Gründung der evangelischen Kirchen in Siebenbürgen. Köln u. a. 1979; M. Bucsay, Der Protestantismus in Ungarn 1521–1978. Teil I: Im Zeitalter der Reformation, Gegenreformation u. katholischen Reform. Wien u. a. 1977 (Teil II: n. erschienen); K. Benda, Absolutismus u. ständischer Widerstand in Ungarn am Anfang des 17. Jh.s, SOF 33 (1974), 85–124; La Renaissance et la Réformation en Pologne et en Hongrie (1450–1650). Hg. Gy. Székely. Budapest 1963; E. Benz, Wittenberg u. Byzanz. Zur Begegnung u. Auseinandersetzung der Reformation u. der östlich-orthodoxen Kirche. Marburg/L. 1949. Kr. Z.
Reformzeitalter. In der ung. Historiographie erstmals v. Mihály Horváth 1863 verwendete Epochenbezeichnung, die sich mit dem 1923 erschienenen Aufsatz v. Elemér Mályusz „A reformkor nemzedéke“ (Die Generation der Reformzeit) endgültig durchgesetzt hat. Als Begriffspendant zum dt. u. österr. →„Vormärz“ wird mit R. allerdings ein programmatischer Akzent auf die Epoche der Jahre 1830–1848 gesetzt, denn damit wird der Reformdiskurs der Protagonisten der ung. Nationalbewegung als ihr Hauptmerkmal hervorgehoben. Jedoch handelt es sich hier primär um die Auseinandersetzung über die Notwendigkeit einer umfassenden u. tiefgreifenden ges. u. pol. Reform Ungarns u. über deren Inhalte u. die Prioritäten einzelner Reformschritte u. nicht um tatsächlich in die Praxis umgesetzte Reformbemühungen. Solche sind infolge des Widerstands des Wiener Hofes u. des größeren Teil des Adels nur vereinzelt, v. a. im Bereich v. Handel u. Verkehr festzustellen: die Gründung der Kereskedelmi Bank (Handelsbank) 1831 u. der v. István Széchenyi betriebene Ausbau der Schiffahrtswege, insbes. der Donau u. Theiß, u. der 1842–1848 ausgeführte Bau der Kettenbrücke, die mit Buda u. Pest (→Budapest) auch die beiden geogr. Landeshälften miteinander verband (vgl. →Transdanubien). Das 1844 beschlossene Gesetz zur Einführung des Ungarischen als Staatssprache signalisierte allerdings, wie konsequent sich die Bemühungen um Reform, →Modernisierung u. →Nationalstaatsbildung in immer stärkerem Maß miteinander verbunden u. wechselseitig bestärkt haben. Nachdem im 18. Jh. alle v. außen, vom Wiener Hof betriebenen Reformversuche am Widerstand des ung. →Adels gescheitert waren, hat dieser nun erstmals aus eigenem Antrieb u. mit eigener Kraft die Notwendigkeit erkannt, die allg. Rückständigkeit des Landes zu überwinden, zu diesem Zweck die eigenen, einem solchen Ziel im Wege stehenden Privilegien abzuschaffen u. die Errichtung eines bürgerlich-lib., parlamentarisch verfassten Nationalstaates anzustreben. Solchen Zielen dienten die vom Grafen István Széchenyi verfassten Re-
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Reformzeitalter
formschriften: Hitel [Kredit] 1830, Stádium [Stadium] 1831, Kelet népe [Volk des Ostens] 1841, u. v. Baron Miklós Wesselényi (Balítelekről [Über Fehlurteile] 1833, Szózat a magyar és a szláv nemzetiség ügyében 1843 [dt.: Eine Stimme über die ung. u. slav. Nationalität. Leipzig 1844] u. die publizistische Tätigkeit v. Lajos Kossuth in den Jahren 1832–1848, mit der erstmals im Land eine öffentl. Meinungsbildung zugunsten der Reformideen erfolgte. Zum wichtigsten Brennpunkt des pol. Lebens entwickelten sich die sog. Reformlandtage der Jahre 1825/27, 1832/36, 1839/40, 1843/44 und 1847/48 (a. → Országgyűlés). Der Metternichsche Kurs einer zeitweiligen Unterdrückung in den Jahren 1836–1840, in denen gerichtlich gegen die Protagonisten der Reform wie Wesselényi u. Kossuth vorgegangen wurde, hat zur Polarisierung der pol. Szene erheblich beigetragen (→Parteien: Ungarn). Auf der Seite des Wiener Hofes bildete sich unter der Führung des Grafen Aurél Dessewffy eine Konservative Partei, deren Führer 1846 auch die Regierung unter der Leitung des Grafen György Apponyi übernahmen. Gegen sie einigte sich die Opposition am 15.3.1847 auf die Gründung einer Reformpartei unter Führung v. Kossuth, Ferenc Deák u. Graf Lajos Batthyány, der sich auch die junge Schriftstellergarde (Sándor Petőfi, Mór Jókai, János Arany, János Vajda, Mihály Tompa) der 1840er Jahre begeistert anschloss. Zwischen diesen beiden Lagern stand der allmählich zum Einzelgänger gewordene István Széchenyi, der mit Metternich die Furcht vor einer Revolution teilte u. 1841 noch mit Kossuth einen programmatischen Streit darüber austrug, wie u. mit welchen Methoden die Umgestaltung des Landes erreicht werden sollte. Széchenyi wollte keine Reform gegen die Wiener Regierung, sondern nur unter deren Mitwirkung durchführen. Vergeblich wies er auch auf die Gefahr hin, durch eine zu radikale ung. Nationalstaatsbildung den Widerstand der nichtung. Nationalitätenbevölkerung heraufzubeschwören. Kossuth jedoch war bereits klar geworden, dass durch derlei kleine, auf Ausgleich bedachte Schritte niemals die v. ihm angestrebte, radikale bürgerlich-lib. Umgestaltung des Landes verwirklicht werden konnte. Die v. außen gezündete, innen jedoch mit dem R. bereits gründlich vorbereitete →Revolution des Jahres 1848/49 sollte beiden Recht geben: die revol., bürgerlich-lib. Umwälzung der ständisch-feudalen Verhältnisse war nur gegen Wien durchzusetzen, scheiterte jedoch nicht zuletzt auch am Widerstand der Nationalitäten.
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Regat / Reiseberichte
évek elején. ebd. 1982; M. Csáky,Von der Aufklärung zum Liberalismus. Studien zum Frühliberalismus in Ungarn. Wien 1981; G. Bárány, Stephen Széchenyi and the Awakening of Hungarian Nationalism. Princeton 1968; E. Mályusz, A reformkor nemzedéke, Századok 57 (1923), 16–75; M. Horváth, Huszonöt év Magyarország történelméből 1823–1848. 3 Bde. Budapest 1863 (³1886). G. S.
Regat. Bez. für das 1881 zum Königreich (rum. Regat) erhobene Rumänien (amtl. Vollform: Regatul României, nichtamtl. regatul român) in seiner bis zum Ende des 1. Wk.s geltenden Ausdehnung südl. u. östl. der Karpaten; im dt. Sprachgebrauch mit Blick auf die Zeit nach 1918 „Altreich“ (analog rum. nichtamtl.: Regatul vechi) genannt. Die Bez. diente bereits vor 1918 auch schon zur Differenzierung zw. diesen Gebieten u. den rum. Siedlungsgebieten in der Habsburgermonarchie (bes. hinsichtlich v. →Siebenbürgen) bzw. zw. „Reichsrumänen“ u. habsb. Rumänen, in Analogie zu den zeitgenössisch v. a. in Österrreich üblichen Begriffspaaren „Reichsdeutsche“ u. „österr. Deutsche“ bzw. „Reichsitaliener“ (regnicoli) u. „Italiener mit österr.-ung. Staatsbürgerschaft“. Zur Geschichte der 1861 vereinigten →Donaufürstentümer u. des im Zuge dieser Entwicklung 1878 auf dem →Berliner Kongress auch völkerrechtlich unter dem Namen „Rumänien“ anerkannten Staatsgebildes s. →Rumänien (ab 1861) (dort auch Lit.). Red.
Reiseberichte. R. – oder „Reisebeschreibungen“ – sind eine wichtige, häufig genutzte, aber nicht unproblematische Quellengattung zur Geschichte SOEs u. des Osm. Reiches sowie zu den Vorstellungen über diese Gebiete außerhalb der Region. Problematisch sind sie, weil die Reisenden unbewusst v. a. über sich selbst u. ihre „Distanzerfahrungen“ (J. Osterhammel) in der Fremde berichteten, was im Zeitalter des „linguistic turn“ zu einer tiefgreifenden Umwertung des Quellenwertes von R. geführt hat. Indessen hat zwar die Komplexität des Beobachteten die Verstehensfähigkeit der Beobachter häufig überfordert, aber es muss festgehalten werden, dass R., abhängig von Fähigkeiten, Ausbildung u. Zielen ihrer Verfasser, nicht nur über deren Einstellungen, Vorurteile, Auto- u. Heterostereotype Zeugnis geben. Darüber hinaus bieten sie häufig auch interessantes Quellenmaterial etwa zur Geschichte von Handel u. Wandel, zur Alltagsgeschichte, zu Festen u. Feiern, zu Glaubensvorstellungen u. nicht zuletzt zur Entwicklung der Praxis des Reisens sowie der Verkehrswege u. -mittel selbst (→Verkehr). R. waren mehrere Jahrhunderte lang – vom 15. bis zum 19. Jh. – für gebildete West- u. Mitteleuropäer die wichtigste Informationsquelle über SOE u. das Osm. Reich u. sind damit für unsere Kenntnis der Wissensordnungen vergangener Epochen u. der Rolle des geogr., pol., ökon. u. ethnogr. Wissens in jenen von großer Aussagekraft. Bei ihrer Benutzung heute aber sollten neuere quellenkritische Forschungen berücksichtigt werden, laut denen die christl. europ. Reisenden des Spät-MA u. der FNZ das isl. Osm. Reich in festen Schemata als das „ganz andere“ wahrnahmen u. konstruierten, u. dies noch nicht aus einer Position „westlicher“ machtpolitischer Überlegenheit heraus, sowie z. T. – was für die Wissenschaftsgeschichte von besonderer Bedeutung ist – noch vor der Entdeckung u. Beschreibung der Neuen Welt.
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Reiseberichte
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Die ältesten R. über den Donau-Balkan-Raum stammen häufig von Pilgern. Auf ihrem Weg ins Heilige Land war für sie Südosteuropäisches eher nebensächlich; sie lernten es kennen, wenn sie auf dem Landweg oder, sehr viel häufiger, mit venez. Schiffen über die Adria in die Levante reisten. Manche von ihnen wurden – wie auch gefangene Soldaten – als Sklaven im Osm. Reich länger festgehalten; ihre R. sind zugleich Schilderungen des alltäglichen Überlebenskampfes in einer ihnen sehr oft feindlich u. abweisend gegenüberstehenden Umwelt. Seit dem 16. Jh. wurden die ersten dieser Texte durch den Buchdruck einer größer werdenden gebildeten Öffentlichkeit zugänglich u. haben dort für die Vorstellungen von der isl. Welt eine außerordentliche Rolle gespielt. Einige von ihnen – etwa der des Deutschen Hans Dernschwam – bieten tiefe Einblicke in die Alltagswelt des Osm. Reiches, die die Osmanistik für diese Epoche aus anderen Quellen kaum ersetzen kann. Besonders seit 1453 bestimmte die „Türkengefahr“ (→Türkenhilfe) nicht nur ideologische Ausrichtung u. Rezeptionsweisen der ethnogr. Literatur über SOE u. das Osm. Reich, sondern sie wurde auch zum „Impulsgeber“ (Almut Höfert) einer gezielten Politik der Informationsbeschaffung. Botschafter oder Gesandte west- oder mitteleurop. Staaten sowie Mitglieder ihrer Delegationen analysierten Politik u. Gesellschaft des Osm. Reiches, besonders Hof, Regierung u. Militär v. a. im Bewusstsein, einen möglichen Gegner (mitunter auch ein Vorbild) vor sich zu haben. Bei den von ihnen verfassten Berichten – u. zw. 1450 u. 1600 stammten etwa 70 % der R. über das Osm. Reich in it., frz., dt. u. lat. Sprache aus dem Umfeld der Diplomatie – ist der Übergang zur verwandten zeitgenössischen Gattung der Staatsbeschreibungen sowie der relazioni naturgemäß fließend. Der in Briefform gehaltene erste berühmte R. einer Frau über das Osmanische Reich (veröff. postum 1763) v. Lady Mary Wortley Montagu, Gattin eines brit. Gesandten 1717/18, gibt dagegen Einblicke in das Leben der vornehmen Istanbuler Damenwelt. Seit dem 17. Jh. kamen zudem auch Reisende nach SOE, die sich – unabhängig davon, ob sie in offizieller Mission unterwegs waren oder auf eigene Faust – v. a. für antike Altertümer interessierten u. nur am Rande für die osm. Realität. Auch einige dieser Forscher u. Sammler haben der Nachwelt R. hinterlassen. Nicht nur gebildete „Europäer“, sondern auch Osmanen reisten u. hinterließen darüber Berichte; im Osm. Reich allerdings nicht in gedruckter Form. Der bekannteste u. bedeutendste ist der von Evliya Çelebi, der bei seinen ausgreifenden Fahrten in der zweiten H. des 17. Jh.s auch habsb. Länder besucht u. ausführlich über seine Reisen in weiten Teilen SOEs berichtet hat. Für das 18. Jh., in dem mit der Veränderung der pol. Landkarte verstärkt auch nichtosm. Teile SOEs bereist u. beschrieben wurden, ist der „aufgeklärte“ Reisende typisch, der wiss. Kenntnisse suchte u. Entwicklungs- u. politische Projekte entwarf, sich aber auch für das „Pittoreske“ interessieren konnte. Larry Wolff hat vor einigen Jahren gezeigt, dass R., insbesondere der in mehrere Sprachen übersetzte des Paduaner Philosophen Alberto Fortis, bei der „Entdeckung“ Dalmatiens u. seiner „Rückständigkeit“ eine bedeutende Rolle gespielt haben, ohne die wiederum die europ. intellektuelle „Entdeckung“ der Slaven u. die mentale Zweiteilung des Kontinents in West u. Ost nicht zu denken seien. Während manche der von den Reisenden der Aufklärungsepoche verfassten Berichte noch gleichermaßen zur Befriedigung wissenschaftlicher, Bildungs- u. Unterhaltungsinteres-
Reiseberichte
sen der Leserschaft bestimmt waren, ist in der zweiten Jh.hälfte bereits eine interne Differenzierung der Gattung auch bei den SOE gewidmeten Texten zu bemerken. Die Zahl der R. – von denen nach wie vor eine große Zahl nur als Handschrift vorlag u. -liegt – wuchs nun ins Unübersehbare. Unter ihren Verfassern waren auch die ersten Touristen, die Besuche SOEs in ihre „Kavalierstouren“ durch mehr oder weniger große Teile des Kontinents einbezogen. Gegen das Jh.ende schließlich traten erste alleinreisende Frauen mit R. hervor. Noch eine weitere Neuerung des 18. Jh.s erfasste diese Region: die bewusste Bereisung u. Beschreibung v. a. des eigenen Landes. So berichteten seit der zweiten Jh.hälfte geborene Ungarn über Ungarn; zumeist in reformpolitischer Absicht. Andere Südosteuropäer folgten ihnen im 19. Jh. Der Quellenwert dieser Texte – wie auch der von R.n von Südosteuropäern über West- u. Mitteleuropa aus derselben Zeit – kommt der Forschung erst nach u. nach zu Bewusstsein. Im 19. Jh. erlebte die Literatur- u. Quellengattung R. auch für SOE u. das Osm. Reich einen letzten Höhepunkt, während sie im u. für das 20. Jh. hinter andere Textgattungen zurücktritt. Im 19. Jh. kamen geogr. Forschung u. die Erweiterung räumlicher Kenntnis der Region (auch im Zuge militärischer Rekognoszierung, →europäische Türkei) noch nicht ohne – nunmehr zunehmend im modernen Sinn verwissenschaftlichte – R. (genannt sei hier Ami Boué) aus. Zunehmend erschienen nun auch R. explizit journalistischen Charakters u. entfalteten ihre Wirkung in der „europäischen“ Öffentlichkeit. Die von Maria Todorova beschriebene „Erfindung des Balkans“ ist nicht zuletzt das Werk der Autoren dieser Texte. Quellen: R. können in den elektronischen Katalogen großer Bibliotheken problemlos recherchiert werden. Die größte Sammlung vom 16. bis zum 20. Jh. in Deutschland besitzt die Landesbibliothek Eutin, wo auch eine Forschungsstelle zur hist. Reiseliteratur besteht. Unter www.bibliothek-eutin.de sind nicht nur die dort vorhandenen R. zu erschließen, sondern auch eine standortunabhängige Datenbank zur deutschsprachigen Reiseliteratur des 17. bis 20. Jh.s. Unter www.hti. umich.edu/b/bosnia/abouttse.html ist mit „Travels in South Eastern Europe“ eine weitere wichtige Netzressource zu finden, von der auch Volltexte von über 120 R.n heruntergeladen werden können; unter http://www.ios-regensburg.de/bibliothek/digitale-bibliothek/reiseberichte.html finden sich ebfalls 36 weitere (Stand jeweils September 2014). Quellenbeispiele: B. De la Brouquère, Le voyage en Orient: espion en Turquie. Hgg. H. Basso/J. Paviot. Toulouse, Marseille 2010; B. Curipeschitz (a. Kuripešić), Itinerarium oder Wegrayß Küniglich Mayestät potschafft gen Constantinopel zudem Türckischen Keiser Soleyman. Anno 1530. Bearb. von G. Neweklowsky. Klagenfurt 1997; H. Dernschwam, Hans Dernschwams Tagebuch einer Reise nach Konstantinopel u. Kleinasien (1553/55). Hg. F. Babinger. München u. a. 1923; J. von Betzek, Gesandtschaftsreise nach Ungarn u. in die Türkei im Jahre 1564/65. Hg. K. Nehring. München 1979; S. Schweigger, Eine newe Reyssbeschreibung auss Teutschland nach Constantinopel u. Jerusalem [1608]. Einl. R. Neck. Graz 1964 (Neubearb. u.d.T.: Zum Hofe des türkischen Sultans. Hg. H. Stein. Leipzig 1986); E. Çelebi, Seyahatnamesi. 10 Bde. Istanbul, Ankara 1314[1896/97]–1938 [außerdem verschiedene Teilausgaben in mehreren Sprachen, insbesondere: Evliya Çelebi: The relevant sections of the Seyahatname [auch zu finden unter: Evliya Çelebi: Book of Travels. A Corpus of Partial Editions. Hgg. K. Kreiser u. a., diverse Publikationsorte, bisher erschienen Bd. 1–8; sowie in lateinschriftlicher türkischer Edition das Gesamtwerk: Evliya
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Çelebi b. Derviș Muhammed Zıllî. 10 Bde. Istanbul 1996–2007]; M.W. Montagu, Turkish Embassy Letters. Hg. M. Jack. Athens 1993 [div. weitere Ausgaben und Übersetzungen]; A. Fortis, Viaggio in Dalmazia. Venezia 1774 [erw. Ndr. München 1974; Ndr. Venezia 1987]; A. Boué, Recueil d’itinéraires dans la Turquie d’Europe. 2 Bde. Vienne 1854. Anthologien: Anglijski pătepisi za Balkanite (kraja na XVI – 30-te god. na XIX v.). Hg. M. Todorova. Sofija 1987; Balkanot vo delata na stranskite patopisci vo vremenoto na turskoto vladeenje: Janičari, haremi, robovi. Hg. A. Matkovski. Bd. 1: 1402–1657; Bd. 2: 1664–1779; Bd. 3: 1827–1849; Bd. 4; 1850–1864. Skopje 1992. Lit.: M. Zeman, Reise zu den „Illyriern“. Kroatienstereotype in der deutschsprachigen Reiseliteratur u. Statistik (1740–1809). München 2013; N. Berber, Unveiling Bosnia-Herzegovina in British Travel Literature. Pisa 2010; J. Chatzipanagioti-Sangmeister, Griechenland, Zypern, Balkan u. Levante. Eine kommentierte Bibliographie der Reiseliteratur des 18. Jahrhunderts. Eutin 2007; E. Borromeo, Voyageurs occidentaux dans l’Empire ottoman (1600–1644). 2 Bde. Paris 2007; W. Geier, Südosteuropa-Wahrnehmungen. Reiseberichte, Studien u. biographische Skizzen vom 16. bis zum 20. Jh. Wiesbaden 2006; R.C. Müller, Prosopographie der Reisenden und Migranten ins Osmanische Reich (1396–1611). 10 Bde. Leipzig 2006; B. Jezernik, Wild Europe: The Balkans in the Gaze of Western Travellers. London 2004; L. Navari, Greek Civilization Through the Eyes of Travellers and Scholars. From the Collection of Dimitris Contominas, Kotinos 2004; A. Höfert, Den Feind beschreiben. „Türkengefahr“ u. europäisches Wissen über das Osmanische Reich 1450–1600. Frankfurt, New York 2003; A. Wunder, Western Travelers, Eastern Antiquities, and the Image of the Turk in Early Modern Europe, Journal of Early Modern History 7 (2003), 89–120; L. Wolff, Venice and the Slavs. The Discovery of Dalmatia in the Age of Enlightenment. Stanford 2001; S. Faroqhi, Approaching Ottoman History. An Introduction to the Sources. Cambridge 1999; St. Yérasimos, Les voyageurs dans l’empire ottoman (XIVe–XVIe siècles). Bibliographie, itinéraires et inventaire des lieux habités. Ankara 1991; O. Hadžiselimović, Na vratima Istoka. Engleski putnici o Bosni i Hercegovini od 16. do 20. vijeka. Sarajevo 1989; M. Samić, Francuski putnici u Bosni i Hercegovini na pragu XIX. stoljeća. Sarajevo 1966; Sh.H. Weber, Voyages and Travels in Greece, the Near East and Adjacent Regions made previous to the Year 1801. Princeton 1953. A. Hd.
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Reiternomaden („Nomaden“ v. gr.: oi Nomades „Hirten, die mit ihren Herden umherziehen“). In der Literatur werden R. auch als Reitervölker oder Steppenvölker bezeichnet. Dies ist eine Sammelbezeichnung für die Ethnien u. Stammesverbände, die urprünglich in der eurasischen Steppenlandschaft beheimatet waren u. sich von dort weiter verbreiteten. Der Nomadismus (Hirtenpastoralismus) als Wirtschafts- u. Lebensform ist seit der Antike in nahezu allen ariden u. semiariden Klima- u. Vegetationszonen der Alten Welt verbreitet. Zu seinen wesentlichen Merkmalen gehören Herdenviehzucht ohne Stallhaltung u. jahreszeitl. bedingte Wanderungen zw. Sommer u. Winterweiden (→Transhumanz). Man unterscheidet zw. Vollnomaden, die mehr als neun Monate im Jahr wandern u. Halbnomaden, bei denen nur ein Teil des jeweiligen Verbandes nomadisiert, während der andere sesshaft ist u. extensiven Bodenbau als Subsistenzwirtschaft betreibt. Erst die Reitnutzung v. Pferd u. Kamel („Verreiterung“) versetzte die Nomaden in die Lage, Wüsten u. Steppen weiträumig zu durchdringen, Fernhandelsverbindungen aufzu-
Reiternomaden
nehmen u. bei durch Klimaveränderungen (längere Dürreperioden, Frosteinbrüche) hervorgerufenen Existenzkrisen (Viehsterben, Hungersnöte) neue Weidegebiete aufzusuchen oder Raubzüge zu unternehmen. Weitausgreifende Expansionen der R. wurden zusätzlich begünstigt durch deren überlegene Bewaffnung (Reflex- u. Kompositbögen als Fernwaffe, Fangschlinge u. a.) u. die Taktik der Steppenkriegsführung (unvermuteter Angriff, Pfeilgefecht, Einkreisung des Gegners, vorgetäuschte Flucht). Fluchtbewegungen lösten mitunter eine Kette v. Migrationen aus, die v. a. in ost-westl. Richtung verliefen. SOE war in mehrfacher Hinsicht ein verlockendes Ziel für die Invasionen der R. Sie zog besonders der Reichtum u. Glanz des Oström./Byz. Reiches an. →Konstantinopel wurde v. Hunnen (434), →Awaren (626), Bulgaren (705, 813, 913, 924; →Protobulgaren), →Magyaren (934, 959), →Petschenegen, Selğuqen/Seldschuken (1090/91), u. →Türken/Osmanen (1422, 1453) belagert. Der Awarenkhagan Bajan u. der Bulgarenzar Symeon (→Bulg. Reich) strebten sogar nach der byz. Kaiserwürde. Groß war der Gewinn, den die R. durch Kriegsbeute u. Tribute, bes. an Edelmetallen, erzielten. So beliefen sich allein die zw. 559 und 626 v. Byzanz an die Awaren gezahlten Jahrgelder auf insges. sechs Millionen Solidi, umgerechnet 27 Tonnen Gold. Die R. fanden in den westl. Ausläufern des euras. Steppengürtels, der Walachischen u. Moldauischen Ebene, dem Nordbulg. Tafelland (Paristrion, Scythia Minor, →Dobrudscha) u. v. a. im Karpatenbecken vertraute Vegetations- u. Klimazonen vor, die ihnen die Beibehaltung ihrer extensiven Weidewirtschaft u. ihrer halbnomad. Lebensweise gestatteten. Diese Regionen waren zudem Rückzugs- u. Auffanggebiete, an deren Rändern die Sumpfwaldgebiete des Donaudeltas bzw. die Hochgebirgsketten des Karpatenbogens Schutz gegen v. N u. O nachdrängende Steppennomaden boten. Sie bildeten zugleich Basen für Plünderungszüge u. Kernräume für großflächige Reichsbildungen. Vom Paristrion (einer Provinz südl. der unteren Donau) nahm das Erste →Bulg. Reich seinen Ausgang, das auf dem Höhepunkt seiner Machtentfaltung vom Schwarzen Meer bis zur Adria reichte. Das Karpatenbecken bildete dreimal den Zentralraum für die Reiche der Hunnen, Awaren u. Ungarn, deren langlebigstes, das Kgr. Ungarn, sich bis in die Neuzeit bzw. Gegenwart behaupten konnte. Lit. (vgl. a. die Lit. bei den Verweislemmata; ferner →Jassen; →Kumanen): J. Schiel, Mongolensturm u. Fall Konstantinopels. Dominikanische Erzählungen im diachronen Vergleich. Berlin 2011; B. Anke u. a., Reitervölker im Frühmittelalter: Hunnen, Awaren, Ungarn. Stuttgart 2008; T. Stickler, Die Hunnen. München 2007; The Cambridge History of Early Inner Asia. Hg. D. Sinor. Cambridge 1990; H. Göckenjan, Die Welt der frühen Reiternomaden, in: Die Mongolen u. ihr Weltreich. Hg. A. Eggebrecht. Mainz 1989, 7–43; H. Göckenjan/J.R. Sweeney, Der Mongolensturm. Berichte v. Augenzeugen u. Zeitgenossen 1235–50. Graz u. a. 1985; Cs. Bálint, Die Archäologie der Steppe. Wien, Köln 1989; W. Pohl, Die Awaren. Ein Steppenvolk in Mitteleuropa 567–822 n. Chr. München 1988; Popoli delle steppe: Unni, Avari, Ungari. 2 Bde. Spoleto 1988; P.B. Golden, Nomads and Their Sedentary Neighbors in Pre-Cinggisid Eurasia, AEMA 7 (1987–91), 41–81; A.M. Khazanov, Nomads and the Outside World. Cambridge 1984; Gy. Moravcsik, Byzantinoturcica. 2 Bde. Berlin 31983; Gy. Györffy, Wirtschaft u. Gesellschaft in Ungarn um die Jahrtausendwende. Wien u. a. 1983; Nomád társadalmak és államalakulatok. Hg. F. Tökei.
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Revisionismus / Revolution von 1848/49 (Donaufürstentümer)
Budapest 1983; P. Lipták, Avars and ancient Hungarians. ebd. 1983; H. Meyer, Geschichte der Reiterkrieger. Stuttgart 1982; I. Ecsedy, Nomads in History and Historical Research, AOH 35 (1981), 201–27; Die Nomaden in Geschichte u. Gegenwart. Hg. R. Krusche. Leipzig 1981; D. Sinor, Inner Asia and its Contacts with Medieval Europe. London 1977; G.E. Markov, Kocevniki Azii. Moskva 1976; L. Vajda, Untersuchungen zur Geschichte der Hirtenkulturen. Wiesbaden 1968; J. Wiesner, Die Kulturen der eurasischen Völker. Die Kulturen der frühen Reitervölker. Frankfurt/M. 1968 (Handbuch der Kulturgeschichte II, 13/1); Th.v. Bogyay, Die Reiternomaden im Donauraum des Frühmittelalters. München 1958 (Kurzfassg. in: Völker und Kulturen Südosteuropas. Kulturhistorische Beiträge. München 1959, 88–103). H. G.
Revisionismus. Der R. als Bestreben zur Abänderung völkerrechtl. Verträge mit friedlichen Mitteln hat in SOE v. a. nach dem 1. Wk. eine wichtige Rolle gespielt u. war eng mit dem →Irredentismus verbunden. Er richtete sich gegen die Bestimmungen der →Pariser Vorortverträge u. hat insbes. die Politik der Verliererstaaten Ungarn u. Bulgarien in den 20er (u. z. T. noch in den 30er) Jahren maßgeblich geprägt. Die ung. Parole „Nem, nem, soha!“ (Nein, nein, niemals!) brachte die entschiedene Ablehnung des →Trianon-Vertrags auf eine bündige Formel. Die wichtigsten Ziele des R. waren Grenzkorrekturen, die Verminderung der Reparationslasten u. die Gleichbehandlung der Verliererstaaten in Rüstungsfragen. Die ung. u. bulg. Regierungen stützten sich bei ihren Bemühungen zur Grenzkorrektur auf Art. 19 der Völkerbundssatzung, der die Möglichkeit einer friedlichen Revision der Pariser Vorortverträge im wechselseitigen Einverständnis der Mitgliedsstaaten vorsah. Der Artikel war auf brit. Drängen in die Satzung aufgenommen worden, um eine Korrekturmöglichkeit zu Art. 10, d. h. zur Festschreibung des territorialen Status quo, zu schaffen. Die grundsätzliche Erfolglosigkeit der territorialen Revisionspolitik, die insbes. auf den entschiedenen Widerstand der →Kleinen Entente zurückzuführen war, hat die Anlehnung der soe. Verliererstaaten an die revisionist. Führungsmächte Italien u. Deutschland befördert, die sich mehr u. mehr über den Völkerbund hinwegsetzten. – Auch nach dem 2. Wk. sind revisionistische Forderungen erhoben worden, z. B. jugoslawische gegenüber dem Friedensvertrag mit Italien (→Triestfrage). Lit.: Territorial Revisionism and the Allies of Germany in the Second World War. Goals, expectations, practices. Hg. M. Cattaruzza. New York u. a. 2013; M. Zeidler, A revíziós gondolat. Pozsony 22009; A. Kovács-Bertrand, Der ungarische Revisionismus nach dem Ersten Weltkrieg. Der publizistische Kampf gegen den Friedensvertrag von Trianon (1918–1931). München 1997; P. Haslinger, Der ungarische Revisionismus u. das Burgenland 1922–1932. Frankfurt/M. 1994; R.W. Seton-Watson, Treaty-Revision & The Hungarian Frontiers. London 1934. H. S.
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Revolution von 1848/49 (Donaufürstentümer). Junge Rumänen, die beim Studium in Paris (→Studentenmigration) ein konstit. Regierungssystem kennengelernt hatten u. von den nationalen u. radikalen Bewegungen Europas beeinflusst worden waren, planten dort am 20.3.1848 die Revolution auch in ihrer Heimat. Unabhängig davon erhob am 8. April in
Revolution von 1848/49 (Donaufürstentümer)
→Iaşi eine tausendköpfige Versammlung in einer u. a. vom Dichter Vasile Alecsandri u. dem späteren Fürsten Ion A. Cuza redigierten Petition an den Fürsten der →Moldau Mihail Sturdza gemäßigte Forderungen nach wirt. u. pol. Reformen. Der Fürst unterdrückte gewaltsam die Bewegung, ihre Führer wurden verhaftet oder flohen ins Ausland. Am 10. Juli besetzten russ. Truppen Iaşi. Ein Teil der mold. Revolutionäre versammelte sich in der →Bukowina, wo Mihail Kogălniceanu den bedeutendsten Verfassungsentwurf der rum. Revolution ausarbeitete. In der →Walachei plante ein Komitee, zu dem u. a. Nicolae Bălcescu, die Brüder Ion C. u. Dumitru Brătianu u. Ion Ghica gehörten, in Verbindung mit Gheorghe Magheru, der sich auf Truppen in →Oltenien stützen konnte, sorgfältig den Umsturz. Am 21. Juni ließen diese eine Massenversammlung in Islaz an der Donau feierlich die programmatische „Proklamation v. Islaz“ beschwören. Sie propagierte Rede-, Presse-, Versammlungs- u. Religionsfreiheit, Abschaffung aller Standesprivilegien, Judenemanzipation, Befreiung der Zigeunersklaven u. Schulbildung für alle. Die Volkssouveränität sollte eine auf breitester Grundlage gewählte Versammlung verkörpern. Ihr sollten nicht nur Minister u. Beamte, sondern auch der auf fünf Jahre „aus allen Ständen der Gesellschaft“ gewählte Fürst verantwortlich sein. Gegen staatliche Entschädigung der Grundherren sollte die Fron abgeschafft u. die Bauern mit eigenem Land ausgestattet werden. Am 23. Juni unterzeichnete der Fürst Gheorghe Bibescu unter dem Druck v. Massendemonstrationen die als provis. Verfassung dienende Proklamation, floh aber zwei Tage später. Eine provis. Regierung (s. a. →Walachei) übernahm die Macht. Sie suchte der ständigen russ. Interventionsdrohung durch Anlehnung an die brit. u. frz. Konsulate u. ausdrückliche Rücksichtnahme auf osm. Interessen zu begegnen. Als Teil eines Ausgleichsversuchs mit der Pforte trat sie am 6. August zugunsten einer Fürstlichen Statthalterschaft zurück. Die Bauern waren durch Versprechen sozialer Reformen gewonnen, damit aber auch ihre Erwartungen geweckt worden. Sie retteten mehrmals mit Massenversammlungen auf dem Filaret-Feld bei Bukarest die Rev. vor konservativen Umsturzversuchen. Eine paritätisch aus Bauern u. Grundherren zusammengesetzte „Kommission des Eigentums“ tagte vom 21.–31. August, ohne zu einem Ergebnis zu kommen. Ein dauerhafter Interessenausgleich zw. den zu Revolutionären gewordenen Bojarensöhnen (→Bojaren) u. den Bauern, die mit großem Geschick ihre Interessen zu artikulieren verstanden, scheiterte damit. Die Rev. war deshalb schon v. innen gefährdet, als am 25. September osm. Truppen gegen den hoffnungslosen Widerstand der Feuerwehrleute am Dealul Spirii (Spirii-Hügel in Bukarest) die Hauptstadt besetzten. Zwei Tage später folgten russ. Interventionstruppen aus der Moldau. Die Führer der Rev. flohen nach Westeuropa u. ins Osm. Reich. Die Rev. u. die folgende pol. u. diplomat. Tätigkeit im Exil prägten die Generation der „Paşoptişti“ (Achtundvierziger), die zu Architekten des rum. Nationalstaats wurden u. bis in die 1880er Jahre seine Politik bestimmten. Quellen u. Lit.: A. Janiu, A Circle of Friends. Romanian Revolutionaries and Political Exile, 1840–1859. Leiden, Boston 2014; G. Neamţu, Biografii paşoptiste. Culegere de studii. Biographies of outstanding 1848 personalities. 2 Bde. Bucureşti 2006, 2011; P.-E. Barbu, Revoluţia de la 1848 în Oltenia. Craiova 2003; La Révolution de 1848. La France et l’identité nationale roumaine. Actes du
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Revolution von 1848/49 (Kroaten)
Colloque Franco-Roumain qui s’est tenu à Dijon et à Mâcon les 19, 20, 21 novembre 1998. Hg. R. Bordei-Boca. Dijon 2003; L. Maier, Die Revolution von 1848 in der Moldau u. in der Walachei, in: Europa 1848. Revolution u. Reform. Hgg. D. Dowe/H.-G. Haupt/D. Langewiesche. Bonn 1998, 253–282; Revoluţia de la 1848 în Ţările române. Documente inedite din arhivele ruseşti. Hg. I.Varta. Chişinău 1998; Revoluţia română de la 1848 în context European. Hgg. C.M. Lungu/T. Bucur. Bucureşti 1998 [Dokumente]; A. Stan, Revoluţia română de la 1848. Boieri şi ţărani. Bucureşti 1998; D. Berindei, Revoluţia română din 1848– 1849. Considerati̧i şi reflexii. Cluj-Napoca 1997; K. Hitchins, The Romanians 1774–1866. Oxford 1996; I.W. Roberts, Nicholas I and the Russian Intervention in Hungary. New York 1991; 1848 la Români. O istorie în date şi mărturii. Hg. C. Bodea. 2 Bde. ebd. 1982; Documente privind revoluţia de la 1848 în ţǎrile Române. Hg. Şt. Pascu. Bd. 1ff. Bucureşti 1979ff.; Revoluţia de la 1848 în ţările române. Culegere de studii. Hgg. N. Adăniloaie/D. Berindei. ebd. 1974; A. Stan/M. Costescu, Le problème agraire pendant la révolution de 1848 en Valachie. ebd. 1971; C. Bodea, The Romanians’ Struggle for Unification, 1834–1849. ebd. 1970 (rum. ebd. 1967). L. M.
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Revolution von 1848/49 (Kroaten). Der Verlauf der R. bei den Kroaten wurde entscheidend durch die Ausbreitung der nationalen Emanzipationsbewegung u. in Kroatien-Slawonien durch den seit längerer Zeit schwelenden Konflikt mit dem Kgr. →Ungarn geprägt. Nach den ersten Meldungen über den Ausbruch der R. formulierte eine Große Volks-(National) versammlung in Zagreb am 25.3.1848 ein 30-Punkte Programm („Narodna zahtijevanja“), in dem u. a. – neben den Standardforderungen nach Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – die Wahl des Grenzobristen Josip Jelačić (1801–1859) zum kroat. →Banus, die Abschaffung der feudalen Ständeversammlung (→Stände), die Wahl eines Parlaments (→Sabor), die Bildung einer verantwortlichen Regierung, die Aufhebung der Feudalbeziehungen einschließlich der →Bauernbefreiung, die Vereinigung u. pol. Selbständigkeit der kroat. Länder (Kroatien-Slawonien, →Dalmatien u. Fiume/→Rijeka ) sowie die Einführung des Kroatischen anstelle des Lateinischen als Amtssprache festgeschrieben wurden. Am 19. April unterbrach Jelačić alle Beziehungen Kroatiens mit der ung. Regierung bis zur Neuregelung der staatsrechtl. Beziehungen durch einen gewählten Sabor. Am 25. April verkündete er die Abschaffung der bäuerlichen Robot u. Urbariallasten (→Bauernbefreiung). Im Juni/Juli 1848 beschloss das neue Parlament (das erstmals Merkmale eines Repräsentativorgans aufwies), dass die „seit jeher freien, v. Ungarn unabhängigen“ „dreieinigen Königreiche“ Kroatien-Slawonien-Dalmatien in allen Angelegenheiten (mit Ausnahme v. Finanzen, Militär u. Handel) künftig selbständig sein sollten. Für die Verwaltung der drei Ausnahmebereiche wurde ein für die ganze →Habsburgermonarchie verantwortliches Gesamtministerium gefordert. Das „freundschaftliche Bündnis mit den Völkern Ungarns soll(te) im Sinne der →Pragmatischen Sanktion u. auf der Basis v. Freiheit, Gleichheit u. Brüderlichkeit auch für die Zukunft aufrechterhalten werden“, doch wurde die konkrete Ausgestaltung künftigen Vereinbarungen überlassen (Gesetzesartikel XI/1848). Das kroat. Parlament unterstützte ferner die Forderungen der Serben in der →Vojvodina (→Revolution v. 1848/49 [Serben]) u. sprach sich für einen engen „Bund“ zw. der proklamierten serb. Wojwodschaft u. den dreieinigen Königreichen aus.
Revolution von 1848/49 (Kroaten)
Das kroat. Verlangen nach völliger staatlicher Gleichberechtigung mit Ungarn im Rahmen der „österr. Monarchie“ u. die Umgestaltung der Monarchie in einen Bundesstaat gleichberechtigter Nationen, in dem v. a. auch die Slaven ihren gesicherten Platz erhalten sollten (→Austroslawismus), stand in einem unüberbrückbaren Gegensatz zum Programm der ung. Revolutionäre, die auf der territ. Integrität aller Länder der →Stephanskrone insistierten. Dieser Gegensatz ließ bald alle anderen Forderungen u. Errungenschaften der kroat. R. in den Hintergrund treten. Die Repräsentanten der kroat. wie ung. Nationalbewegung stützten sich auf hist.-staatsrechtl. Argumente (Kroatien als unabhängiger Staat auf der einen bzw. als integraler Bestandteil des Kgr.s Ungarn auf der anderen Seite), die nicht miteinander vereinbar waren. Versuche, zu einem Ausgleich zu gelangen, scheiterten an der Kompromisslosigkeit beider Seiten, die ihrerseits – je nach pol. Opportunität u. Einschätzung ihrer milit. Kräfte – bestrebt waren, den ksl.-kgl. Hof auf ihre Seite zu ziehen. Der verwirrte Kg. (u. Ks.) Ferdinand I. u. seine Umgebung sahen sich angesichts der revol. Ereignisse ihrerseits zum Taktieren genötigt u. gaben mal der ung., dann der kroat. Seite nach. Zwar zeigte sich die ung. Regierung Ende August 1848 bereit, Kroatien im äußersten Fall freizugeben, doch ohne grundlegenden Umbau der Gesamtmonarchie erschien die Freiheit der Südslaven nicht gesichert. Gleich dem Vertreter der jungen tschechischen Nationalbewegung, F. Palacký, war Jelačić davon überzeugt: „Wenn es kein Österreich gäbe, so müssten wir es jetzt schaffen.“ Nach den Erfolgen der ksl. Heere in Prag u. Oberitalien entschloss sich der König, nun auch offensiv gegen die ung. Revolutionäre, denen zunächst bedeutende Konzessionen (nicht zuletzt zu Lasten der Südslaven) gemacht worden waren, vorzugehen. Am 4. September wurde der zwischenzeitlich abgesetzte Jelačić neu in seiner Würde als Banus bestätigt. Am 11. September überschritt er mit seinen Truppen (ca. 40.000 Mann) die Drau nach Ungarn u. wandte sich nach einer unentschiedenen Schlacht bei Pákozd am 29. September der unruhigen Kaiserhauptstadt im Westen zu. Fast gleichzeitig waren ihm durch kgl. Manifest kommissarische Vollmachten in Ungarn u. der Oberbefehl über die dortigen Truppen verliehen worden. Jelačić stand damit auf dem Höhepunkt seiner Macht. An seine Stellung knüpften sich die Hoffnungen der österr. Slaven auf eine föderative Umgestaltung der Monarchie. Den reaktionären Kreisen am Hof gelang es allerdings rechtzeitig, Jelačić dem Oberkommando ihres Kandidaten, des Fürsten Alfred zu Windisch-Graetz, beim Sturm auf das aufständische Wien zu unterstellen. Am 30. Oktober besiegte Jelačić das ung. Heer bei Schwechat u. besiegelte damit auch das Schicksal der Wiener Revolution, die v. den slav. Repräsentanten als großdeutsch u. gefährlich für die kleinen slav. Völker betrachtet worden war. Das ständige Erstarken der Reaktion (v. a. nach der Thronbesteigung Franz Josephs I. am 2.12.1848) machte bald deutlich, dass die Erwartungen der Kroaten, Serben, Tschechen etc. auf Föderalisierung u. Demokratisierung der Monarchie einer realen Grundlage entbehrten. Obwohl sich Jelačić für die Durchführung der Beschlüsse des Sabor u. einen engeren Bund der südslav. Gebiete der Monarchie einsetzte, führte er andererseits die Anordnungen der Wiener Regierung u. ihren zunehmend absolutistischen Kurs ohne tatsächlichen Widerstand durch. Nach Niederschlagung der R. in Ungarn wurde auch Kroatien dem Regime des →Neoabsolutismus unterworfen. – Jelačićs Rolle ist in der Historiographie noch immer umstritten. Während J. Šidak, F. Hauptmann u. a. in ihm den kroat.-illyrischen Patrioten
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Revolution von 1848/49 (Kroaten) / Revolution von 1848/49 (Serben)
sehen, kritisiert die Mehrheit der ung. Historiker seine konservative Anhänglichkeit gegenüber dem Haus Habsburg bzw. seine „konterrevolutionäre“ Interventionspolitik in Ungarn u. Wien. Die Dichtomie „revolutionär“/„reaktionär“ wird dem Geschehen jedoch nur bedingt gerecht, da es 1848/49 nach dem Verständnis der Zeitgenossen sowohl um individuelle wie nationale Freiheitsrechte u. Gleichberechtigung ging u. das eine nicht ohne das andere erreichbar schien. Das Unvermögen der kroat. u. ung. Revolutionäre, sich in der nationalen Frage rechtzeitig (vor dem Erstarken der Reaktion) auf einen tragfähigen Kompromiss zu einigen, hat letztlich beide Seiten zur Niederlage u. die „nationale Emanzipation“ zum Scheitern verurteilt. Quellen: Aktenstücke zur Geschichte des kroatisch-slavonischen Landtages u. der nationalen Bewegung vom Jahre 1848. Hg. St. Pejaković. Wien 1861; Hrvatski politički pokret 1848.–1849. godine. Izabrani dokumenti na njemačkom. Hg. T. Markus. Zagreb 2009. Lit.: N. Stančić, Godina 1848. u Hrvatskoj. Središnje državne institucije u transformaciji. Zagreb 2010; Hrvatska 1848. i 1849. Zbornik radova. Hg. M. Valentić. Zagreb 2001; K. Clewing, Staatlichkeit u. nationale Identitätsbildung. Dalmatien in Vormärz u. Revolution. München 2001; I. Pederin, Josip Jelačić i austrijska politika na jugoistoku. Graf Jelačić und die Suedostpolitik der Monarchie, Zadarska smotra 50 (2001), H. 5/6; 27–74; T. Markus, Hrvatski politički pokret 1848.–1849. godine. Ustanove, ideje, ciljevi, politička kultura. Zagreb 2000; A. Sked, Jelačić in the Summer of 1848, SOF 57 (1998), 129–164; N. Stančić, Das Jahr 1848 in Kroatien: unvollendete Revolution u. nationale Integration, ebd., 103-128; A. Mijatović, Ban Jelačić. Zagreb 1990; Dalmacija revolucionarne 1848/49. godine. Odabrani izvori. Hg. St. Obad. Rijeka 1987; J. Šidak, Studije iz hrvatske povijesti za revolucije 1848–49. Zagreb 1979; G.E. Rothenberg, Jelačić, the Croatian Military Border, and the Intervention against Hungary in 1848, Austrian History Yearbook 1 (1965), 45–68. H. S.
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Revolution von 1848/49 (Serben). Als im Frühjahr 1848 immer offensichtlicher wurde, dass →Ungarn sich aus der Habsburgermonarchie lösen wollte, u. als ebenfalls deutlich wurde, dass die ung. Führung nicht bereit war, den in Südungarn lebenden Serben irgendwelche Autonomierechte zu gewähren, kam es dort zu Aktionen des Widerstands. Nachdem im April eine serb. Delegation, die dem ung. Reichstag die Wünsche der Serben nach größerer Selbstverwaltung vorbrachte, abschlägig beschieden worden war, berief Josif Rajačić, serb.-orth. Metropolit v. Karlowitz (Sremski Karlovci) für den 1.5.1848 eine Versammlung der Serben der Monarchie nach Karlowitz ein. Die „Majska skupština“, an der auch Vertreter aus dem Fsm. →Serbien teilnahmen, beschloss die Einrichtung einer autonomen serb. Woiwodschaft (→Vojvodina), bestehend aus Syrmien (Srem), dem →Banat, der →Bačka, der →Baranya u. den zugehörigen Teilen der →Militärgrenze, u. deren späteren Anschluss an das „Dreieinige Königreich Kroatien-Slawonien-Dalmatien“. Zum ersten →Vojvoden wurde Generalmajor Stevan Šupljikac gewählt. Als provisorisches Verwaltungsorgan sollte ein Hauptausschuss (Glavni odbor) fungieren. Die →Skupština beschloss ferner die Wiedererrichtung des serb. Patriarchats (das →Patriarchat v. Peć war 1766 aufgelöst worden), zu dessen erstem Patriarchen Metropolit Rajačić bestimmt wurde. Sowohl das Patriarchat als
Revolution von 1848/49 (Serben) / Revolution von 1848/49 (Siebenbürgen)
auch die Einrichtung der Woiwodschaft wurden Ende 1848 v. Ks. Franz Joseph I. bestätigt. Ab dem 12.5.1848 befand sich das ganze serb. Siedlungsgebiet im offenen Aufstand gegen Ungarn. Serb. Truppen unter der Leitung des Oberstleutnants Georg v. Stratimirović schlossen sich den Aufständischen an. Anfang 1849 war der größte Teil der Woiwodschaft der ung. Kontrolle entzogen. Das Fsm. Serbien hielt sich offiziell aus dem Konflikt heraus, konnte aber die Ereignisse jenseits seiner Landesgrenzen nicht ignorieren, wenn es weiterhin die Rolle eines Einigers der Südslaven spielen wollte. Mit Erlaubnis der serb. Regierung, v. ihr ausgerüstet u. finanziert, nahmen ca. 5.000–8.000 Freiwillige aus Serbien an den Kämpfen gegen die Ungarn teil. Das Kommando über sie führte ein ehemaliges Mitglied des serb. Staatsrates, Stevan Petrović Knićanin. Die Erwartung der Serben, für ihre Beteiligung an der Niederschlagung des Ungarnaufstandes durch umfassende Zugeständnisse der Wiener Regierung belohnt zu werden, erfüllte sich unter den Bedingungen des →Neoabsolutismus für sie ebenso wenig wie für die Kroaten. Die ethn. überaus heterogene u. mehrheitlich nicht serbisch besiedelte Woiwodschaft wurde bereits 1860 wieder aufgelöst u. das Gebiet mit Ungarn vereinigt. Von den serb. Institutionen blieb nur das Patriarchat in Karlowitz bis zum Ende der Monarchie erhalten. Lit. (a. →Vojvodina): D. Popović, Srpski pokret u Vojvodini i buna 1848–1849. Novi Sad 2009; D.M. Pavlović, Srbija i srpski pokret u Južnoj Ugarskoj 1848. i 1849. Beograd 2009 [Erstaufl. 1904]; K. Clewing, Die doppelte Begründung der Serbischen Wojwodschaft 1848–1851. Ethnopolitik im Habsburgerreich, in: Südosteuropa. Von vormoderner Vielfalt und nationalstaatlicher Vereinheitlichung. Festschrift für Edgar Hösch. Hgg. Ders./O.J. Schmitt. München 2005, 253–302; Srbi i Madjari u revoluciji 1848–1849. godine. Hg. V. Krestić. Beograd 1983; S. Gavrilović, Srem u revoluciji 1848–1849. Beograd 1963; J. Savković, Patrijarh Josif Rajačić u Srpskom pokretu 1848–1849. Novi Sad 1954; D.M. Pavlović, Srbija i srpski pokret u Južnoj Ugarskoj 1848 i 1849. Beograd 1904 (²1986). P. B.
Revolution von 1848/49 (Siebenbürgen). Die R., die im Habsburgerreich am 13.3.1848 in Wien ausbrach, griff innerhalb weniger Tage auch auf →Siebenbürgen über. Dort wurden in der durch den „Sprachenstreit“ aufgeheizten Stimmung die pol.-soz. Zielsetzungen der bürgerl. R. schnell durch nationale Forderungen überlagert. Die ung.-siebenbürg. Liberalen forderten noch im selben Monat unter der Losung „Union oder Tod!“ bürgerliche Reformen u. die Union mit Ungarn. Auf dem →Königsboden gestanden die →Siebenbürger Sachsen den Rumänen am 3. April Bürgerrechte zu, während die Rumänen auf einer Versammlung in Blasendorf/Blaj am 15. Mai die Anerkennung als ständische Nation forderten. Am 30.5.1848 wurde auf dem Klausenburger Landtag die Union Siebenbürgens mit Ungarn proklamiert, der auch die sächs. Abgeordneten mehrheitlich zustimmten. Das erste Gesetz dieser Union legte fest, dass Rechtsgleichheit für alle Bewohner des Landes, ohne Unterschied der Nation, Sprache u. Religion, herrschen sollte. Am 6. Juni beschloss der letzte siebenbürg. Ständelandtag die Aufhebung der Grundherrschaft; die Grundherren sollten vom Staat entschädigt werden. An der konkreten Umsetzung der Besitzaufteilungen u. der Regelung der Fronschulden entzündeten sich heftige Streitigkeiten.
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Revolution von 1848/49 (Siebenbürgen)
Diese schlugen in offenen Widerstand der rum. Bauern um, als die ung. Regierung eine Konskription anordnete u. die Bauern befürchteten, gegen die ksl. Truppen eingesetzt zu werden. Zusätzlich angeheizt wurde der Konflikt durch Nationalversammlungen der Rumänen, der Sachsen u. der →Székler, auf denen programmatische Forderungen gestellt wurden. Als der Magyarisierungsdruck auf Sachsen u. Rumänen wuchs u. sich der Gegensatz zw. Ungarn u. dem Wiener Hof verschärfte, kam es im Herbst 1848 zum Bürgerkrieg. Sachsen u. Rumänen kämpften auf der Seite der Kaiserlichen gegen die Ungarn u. Székler, die sich in ihrem „Freiheitskampf“ an der ung. Revolutionsregierung in Debrecen orientierten. Im Frühjahr 1849 brachte ein aus Ungarn vorstoßendes ung. Heer unter Führung des poln. Generals Józef Bem innerhalb weniger Wochen ganz Siebenbürgen in seine Gewalt. Die ksl. Truppen zogen sich nach mehreren Niederlagen in die Moldau u. die Walachei zurück. Daraufhin versuchte die ung. Führung ihre Macht in Siebenbürgen mit despotischer Gewalt durchzusetzen u. ließ zur Abschreckung Rumänen u. Sachsen entgegen der Amnestiepolitik Bems in standgerichtlichen Verfahren zum Tode verurteilen. In einem solchen Verfahren wurde auch der um Ausgleich zw. den Nationen bemühte Pfarrer u. Reformer Stephan Ludwig Roth hingerichtet. Obwohl es auch auf ung. u. rum. Seite nicht an liberalen Stimmen fehlte, die zw. den Nationen zu vermitteln suchten, u. die ung. Regierung Sachsen u. Rumänen Zugeständnisse machte, spitzte sich auf pol. Ebene durch das gegenseitige Misstrauen u. Taktieren die Lage zu. Im Sommer 1849 rief der österr. Kaiser russ. Truppen zu Hilfe, die, aus der Walachei kommend, die Ungarn schlugen (Entscheidungsschlacht am 31.7.1849 bei Schässburg). In der folgenden Ära des →Neoabsolutismus verlor Siebenbürgen jegliche nennenswerte pol. Selbständigkeit. Enttäuschung machte sich auf allen Seiten breit: die Rumänen sahen sich in ihrer Hoffnung auf pol. Gleichberechtigung betrogen, die Ungarn fühlten sich durch die Aufhebung der Union u. die Wiedereingliederung in die Gesamtmonarchie mehr denn je v. Wien gedemütigt u. die Sachsen mussten mit ansehen, wie ihre Selbstverwaltung Schritt für Schritt eingeengt wurde. Die positiven Ansätze zu einem soz. und pol. Ausgleich, die mit der Abschaffung der Grundherrschaft u. der Gleichberechtigung der Rumänen auf dem →Königsboden eingeleitet worden war, gingen weitgehend in den anwachsenden Nationalismen der verschiedenen Bevölkerungsgruppen Siebenbürgens unter.
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Quellen u. Lit.: Documente privind revoluţia de la 1848 în ţǎrile Române. Transilvania: Ancheta Kozma din Munţii Apuseni. Contribuţii documentare. Hg. Şt. Pascu. Bucureşti 2012; Nouă luni în Transilvania (decembrie 1848–august 1949). Generalul Józef Bem în corespondenţă, proclamaţii, documente. Hg. E. Cosma. Cluj-Napoca 2011; Á. Egyed, Erdély 1848–1849. Csíkszereda 2010; G. Neamţu/I. Bolovan, The revolution of 1848–1849 in Transylvania. Contributions to the history of mentalities and of the social imaginery. Cluj-Napoca 2004; G. Neamţu, Faţa necunoscută a revoluţiei române de la 1848–1849 din Transilvania. Cluj-Napoca 2004; A. Vaida, Revoluţia de la 1848–1849 în nordul Transilvaniei. Bucureşti 22004; Revoluţia de la 1848 din Transilvania în memorialistică. Hgg. N. Bocsan u. a. Cluj-Napoca 2000; E.S. Cucerzan, Raportul naţional-social în concepţia revoluţionarilor români de la 1848 din Transilvania. Cluj-Napoca 2000; M. Kroner, Die Siebenbürger Sachsen u. Banater Schwaben in den Revolutionsjahren 1848/49, Zeitschrift für
Revolution von 1848/49 (Slowaken)
Siebenbürgische Landeskunde 17 (1994), 144–155; L. Gyémánt, Das offizielle statistische Bild Siebenbürgens am Vorabend der Revolution von 1848, ebd. 16 (1993), 140–167; Gy. Spira, A nemzetiségi kérdés a negyvennyolcas forradalom Magyarországán. Budapest 1980; C. Göllner, Die Siebenbürger Sachsen in den Revolutionsjahren 1848–1849. Bukarest 1967; S. Dragomir, Studii şi documente privitoare la revoluţia românilor din Transilvania în anii 1848–1849. 3 Bde. Sibiu 1944/46. A. Sch.
Revolution von 1848/49 (Slowaken). Seit Ende der 1830er Jahre gewann die sog. „Troika“ oder „jungslowakische Gruppe“ um L’udovít Štúr (1815–1856), Jozef Miloslav Hurban (1817– 1888) u. Michal Miloslav Hodža (1811–1870) als Vertreter der slowak. Nationalbewegung mehr u. mehr Einfluss. Ihr Konzept betraf im wesentlichen die Sicherstellung der Gleichberechtigung u. staatsrechtliche Garantien einer Eigenständigkeit der slowak. Nation. Fest steht, dass Štúr spätestens im ung. Landtag v. 1847/48 für die Bauernbefreiung eintrat u. dabei die Privatländereien der Großgrundbesitzer mit einschloss. V. a. Hurban entwickelte im März 1848 die Idee, eine nationale Revolution zu organisieren. Am 10.5.1848 kam es zur slowak. Nationalversammlung in Liptau-St. Nikolaus (Liptovský Svätý Mikuláš, Liptószentmiklós). Die Grundsätze des dort verabschiedeten Manifests an die Regierung →Ungarns lauteten: Die Suprematie der Magyaren solle durch eine Gleichberechtigung aller Nationalitäten des Landes ersetzt werden, u. zwar durch nationale Autonomie im Bereich der Verwaltung, des Gerichts- u. Schulwesens u. der Kultur; die Gleichberechtigung sei durch eine Erweiterung der demokratischen Rechte u. Freiheiten zu garantieren (allg. Wahlrecht, Presse-, Versammlungs-, Vereinsfreiheit); darüber hinaus wurde eine Erweiterung des Gesetzes über die Abschaffung der Urbariallasten für alle Bauern u. alles Land gefordert (Rückgabe des Ackerlandes an die Bauern, Aufhebung der Privilegien des Adels; vgl. →Urbarialregulierung; →Bauernbefreiung). Nachdem die ung. Regierung (→Revolution von 1848/49: Ungarn) gegen die Verfasser der Deklaration Haftbefehle erlassen hatte, suchten die slowak. Führer nach Möglichkeiten, diese Fragen in enger Zusammenarbeit mit anderen slav. Nationen des Reiches bzw. durch eine Annäherung an Wien zu regeln. Auf dem Slavenkongress in Prag Anfang Juni 1848 (→Austroslawismus) teilten die slowak. Delegierten noch nicht das Konzept v. F. Palacký hinsichtlich einer Umwandlung der →Habsburgermonarchie auf der Grundlage ethnisch bestimmter Territorien, das die Auflösung Ungarns vorsah. Im Juni 1848 reisten Hurban u. Štúr nach Agram/Zagreb, um finanzielle Unterstützung für einen slowak. Aufstand zu erlangen. Anschließend verhandelten sie in Belgrad mit den Serben in Sachen einer nunmehr übergreifenden anti-magy. Koalition der slav. Völker. Hodža ging infolge seiner schon in Prag betonten österr. Orientierung nach Wien u. bemühte sich dort vergeblich um die Gunst des Reichsverwesers Erzherzog Johann u. des →Banus Jelačić v. Kroatien-Slawonien (→Revolution v. 1848/49: Kroaten). Seit Ende August begannen Štúr, Hurban u. Hodža, in Wien als Freiwilligenarmee die „slowak. Legion“ aufzustellen. Mitte September entstand ebd. eine Art Exilregierung, der „Slowak. Nationalrat“, als Kopf des geplanten Aufstandes. Mit dieser Gefolgschaft, die den Einfall der kroat. Armee unter Jelačić unterstützen sollte, hofften die Slowaken, Aufstände in Nordungarn
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Revolution von 1848/49 (Slowaken) / Revolution von 1848/49 (Slowenen)
auszulösen, nachdem der Slowak. Nationalrat am 19.9.1848 die Abtrennung v. Ungarn beschlossen hatte. In der Folge näherte sich der Slowak. Nationalrat immer stärker der Wiener Regierung an u. die „Legion“ nahm als Teil der Armee des Fürsten Windischgrätz am Krieg gegen die ung. Revolution teil. Im Frühjahr 1849 hofften die slowak. Führer, die ksl. Regierung werde ihrem Projekt eines v. Ungarn unabhängigen Kronlandes Slowakei zum Erfolg verhelfen. Mit zunehmendem milit. Erfolg wies jedoch Wien die Forderungen immer bestimmter zurück. Eine weitere Hoffnung scheiterte, als die zur Hilfe Österreichs 1849 ausgesandten russ. Truppen das Vorhandensein der Slowaken kaum zur Kenntnis nahmen. Dem slowakischerseits hervorgehobenen sozialrevolutionären Moment, die arme Landbev. gegen die ung. Armeen u. Behörden in Bewegung zu setzen, standen sowohl die österr. als auch die russ. Offiziere ablehnend gegenüber. Dadurch wurde jegliche Einmischung der slowak. Führer in die pol. Gestaltung Nordungarns unterdrückt, u. auch die russ. Intervention, v. der entscheidende Änderungen erwartet wurden, blieb ohne Einfluss auf die Entwicklung der slowak. Frage. Lit.: Revolúcia 1848/49 a historická pamät’. Hg. P. Macho. Bratislava 2012; Slováci v revolúcii 1848–1849. Zborník referátov z medzinárodnej vedeckej konferencie v Starej Turej 17.9.–18.9.1998. Hg. I. Sedlák. Martin 2000; Dejiny Slovenska. Bd. 3. Bratislava 1992; R.V. Baumgarten, Slovakia’s role in the 1848 revolutions. Ann Arbor [Diss. Florida State Univ.] 1982; L. von Gogolák, Beiträge zur Geschichte des slowakischen Volkes. Bd. II: Die slowakische nationale Frage in der Reformepoche Ungarns 1790–1848. München 1969; Dokumenty k slovenskému národnému hnutiu v rokoch 1848–1914. Bd. 1. Hg. F. Bokes. Bratislava 1962; D. Rapant, Slovenské povstanie roku 1848–49. Dejiny a dokumenty. 5 Bde. Turčiansky Svätý Martin 1937 (Bde. 1–2), Bratislava 1954 (3-4)/1972 (5); ders., Slovak Politics in 1848–1849, The Slavonic and East European Review 27, 68 (1948), 67–90 u. 27, 69 (1949), 381–403. M. Gl.
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Revolution von 1848/49 (Slowenen). Die R. kam für die Slowenen ebenso unerwartet wie für die anderen nichtdominierenden Nationalitäten der →Habsburgermonarchie. Ein slowen. Bürgertum, das mit dem Bürgertum der dominierenden Nationalitäten, den Deutschen u. den Italienern, die Emanzipation v. der absolutistischen Herrschaft v. Gottes Gnaden erkämpfen hätte wollen, gab es erst in Ansätzen. Revolut. Bereitschaft zeigte wohl die überwiegend bäuerliche slowen. Bev; ihr Anliegen war aber nicht die Emanzipation v. der absolutistischen Herrschaft des Kaisers mittels Konstitution u. Volksvertretung, sondern die Emanzipation v. der grundherrschaftlichen Untertanschaft u. die Erlangung des Grundeigentums. Die revolut. Impulse gingen daher bei den Slowenen hauptsächlich v. wenigen Intellektuellen, insbesondere v. der studentischen Jugend in den Universitätszentren Wien u. Graz aus. Die Nachricht v. den revolut. Vorgängen in Wien (13.3.1848) erreichte Laibach/→Ljubljana am 16. März. Es kam zu kleineren Ausschreitungen. Bürger u. Beamte feierten die Revolution mit einer Festaufführung im Stadttheater. Von einer Festbeleuchtung wurde auf Anraten der Polizei Abstand genommen, um den „Pöbel“ nicht auf die Straße zu locken. Sofort wurde, wie später auch in kleineren Städten u. Märkten, eine Nationalgarde rekrutiert, die
Revolution von 1848/49 (Slowenen)
gemeinsam mit dem Militär Ruhe u. Ordnung aufrecht erhalten sollte. Größere Unruhen löste die R. auf dem Lande aus. Am 21. März überfielen mehr als 300 Bauern die Burg Ig bei Laibach, plünderten sie u. verbrannten Inventar u. die →Urbare. Kleinere Bauernunruhen dauerten im gesamten slowen. Gebiet noch bis Mitte April an. Über →Krain wurde der Ausnahmezustand verhängt, der bis in den Herbst andauerte. Das erste slowen. nationale Programm, das am 29. März in der Zeitung Novice u. etwas erweitert am 11. April in Ljudevit Gajs Zagreber Novine (→Illyrismus) veröffentlicht wurde, formulierte der Klagenfurter Domkaplan Matija Majar. Gefordert wurde der adm. Zusammenschluss aller Territorien mit slowen. Bev., die Einführung der slowen. Unterrichts- u. Amtssprache sowie die enge Verbindung der slowen. mit den kroat. Gebieten. Im Programm, das der Verein Slovenija in Wien am 20. April verkündete, wird weiters die Erhebung Sloweniens zum habsb. Königreich u. die Absage an das dt. Frankfurter Parlament verlangt, wiewohl bis auf das ung. →Prekmurje damals alle heutigen slowen. Gebiete zum Bereich des Deutschen Bundes zählten. In allen slowen. nationalen Programmen wird die Verbundenheit Sloweniens mit Österreich u. die Ergebenheit der Slowenen dem österr. Ks. gegenüber betont. Gelegentlich findet sich auch schon die Forderung nach einer slowen. →Universität. Die in der slowen. Historiographie vertretene Interpretation des „Vereinigten Slowenien“ (Zedinjena Slovenija) als ein radikales revolut. Ansinnen, da gegen das hist. Recht die Abschaffung der alten Kronlandgrenzen verlangt wurde, ist nicht haltbar. Im Zuge der habsburgweiten R. wurden die diversesten ethn. Grenzziehungen v. verschiedenen Seiten erwogen, so z. B. 1849 im Kremsierer Verfassungsausschuss des Reichstages. Auch bot sich den Slowenen, deren Forderung nach einem vereinigten Slowenien mangels national mobilisierender Institutionen nicht nachhaltig sein konnte, keine Alternative. Bei ihrer Aufteilung auf diverse Kronländer (→Slowenen) konnten sie sich auf kein nationales hist. Recht wie die Kroaten u. Tschechen berufen (vgl. →Nationsbildung). Da die nationale Komponente i.d.R. eine fast ausschließlich intellektuelle war u. daher nur geringen Einfluss auf die breitere Bev. gewann, fand die Wahl der Abgeordneten in das dt. Parlament nach Frankfurt statt, wenn auch bei geringer Wahlbeteiligung. Etwas mehr Interesse fanden die Wahlen zum österr. Reichstag. Als am 7.9.1848 die Untertänigkeit der Bauern aufgehoben u. die Grundablöse beschlossen wurde (→Bauernbefreiung), waren die Bauern überzeugt, dies nicht dem Reichstag, sondern der Güte des Ks.s zu verdanken. Alle weiteren Versuche, die R. in Gang zu halten, scheiterten am Einfluss der slowen. kath. Geistlichkeit u. der austroslawischen kaisertreuen Gesinnung der slowen. Bevölkerung (→Austroslawismus). Lit.: J. Hösler, Von Krain zu Slowenien. Die Anfänge der nationalen Differenzierungsprozesse in Krain u. der Untersteiermark von der Aufklärung bis zur Revolution (1768 bis 1848). München 2006; L.A. Kirilina, Slovency i revoljucija 1848–1849 gg. Moskva 2000; Prva odločitev Slovencev za Slovenijo. Dokumenti z uvodno študijo in osnovnimi pojasnili. Hg. St. Granda. Ljubljana 1999; ders., Dolenska v revolucionarnem letu 1848/49. Novo mesto 1995; F. Gestrin/V. Melik, Slovenska zgodovina od konca osemnajstega stoletja do 1918. Ljubljana 1966; J. Apih, Slovenci in 1848. leto. Ljubljana 1888. A. M.
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Revolution von 1848/49 (Ungarn)
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Revolution von 1848/49 (Ungarn). Begünstigt vom Erfolg der Pariser Februarrevolution u. der Zuspitzung der revol. Entwicklung in Wien konnte Lajos Kossuth als einer der Führer der ung. Landtagsopposition durchsetzen, dass die Stände v. Wien ein verantwortliches Ministerium für Ungarn forderten. Zwei Tage nach den Ereignissen in Wien brach am 15.3.1848 in Pest mit der Proklamation v. zwölf Punkten bürgerlicher u. nationaler Freiheiten die R. aus. Bevor sich am 11. April der letzte ung. ständische Landtag (→Országgyűlés) auflöste, wurden jene Gesetze verabschiedet, die trotz ihrer Unzulänglichkeit – die auf die revolut. Situation u. auf die Zurückhaltung des weltl. u. kirchl. Großgrundbesitzes zurückzuführen war – die Wandlung Ungarns vom Ständestaat (→Stände) zum bürgerlichen Nationalstaat einleiteten: gleiches, freies u. persönliches Stimmrecht für die Landtagsabgeordneten, Abschaffung der Leibeigenschaft, Gleichheit vor dem Gesetz, allg. Steuerpflicht, Abschaffung der Avitizität, Errichtung der Nationalgarde (Honvéd), Anschluss des →Partiums u. →Siebenbürgens an Ungarn, Pressefreiheit, Zensuswahlrecht u. a. Die Gesetze zur Aufteilung des Großgrundbesitzes unter den Bauern betrafen nur die Urbarialgüter (vgl. →Urbar[ialregulierung]). Am 7. April ernannte der König das erste verantwortliche ung. Ministerium unter der Leitung v. Lajos Batthyány mit Lajos Kossuth (Finanzen), István Széchenyi (Öffentl. Arbeiten, Verkehr), Ferenc Deák (Justiz), József Eötvös (Unterricht) u. a. Eine der stärksten Belastungen für die neue Regierung war die mangelnde Bereitschaft Ungarns, auf die nationalen Forderungen seiner ethn. Minderheiten einzugehen. Dies schwächte auch die Position jener Gruppen unter den Kroaten, Serben, Rumänen u. Siebenbürger Sachsen, die sich auf die Seite des revol. Ungarn gegen den Wiener Hof gestellt hatten u. schließlich v. der Radikalisierung der Auseinandersetzung beiseite geschoben wurden (vgl. die entsprechenden Parallelartikel zur Rev. 1848/49). Ohne Rücksprache mit dem ung. Ministerium setzte der Wiener Hof – nach seiner Rückkehr aus Innsbruck – am 25.9. den Grafen Lamberg als Oberbefehlshaber v. Ungarn ein u. hob nach dessen Ermordung in Pest den ung. Landtag und die v. ihm verabschiedeten Aprilgesetze auf. Im Rahmen des über Ungarn verhängten Kriegsrechts gingen alle Vollmachten an den v. Wien eingesetzten →Ban(us) v. Kroatien, Josip Jelačić über, dessen Truppen v. den Ungarn am 29.9. bei Pákozd entscheidend geschlagen wurden. Die Verschärfung der Auseinandersetzung führte nach dem Rücktritt der Regierung Batthányi zu einer Machtkonzentration im ung. Landesverteidigungsausschuss unter der Leitung v. Kossuth als „Regierungspräsidenten“ (8.10.). Die milit. Erfolge des ung. Revolutionsheers im Frühjahr 1849 ermutigten Kossuth, sich mit seiner Forderung nach Absetzung des Hauses Habsburg in Ungarn durchzusetzen. Nicht zuletzt als Antwort auf die vom Hof für den Gesamtstaat oktroyierte Verfassung vom 4.3.1849 verabschiedete das ung. Rumpfparlament am 19.4. in Debrecen die Unabhängigkeitserklärung Ungarns. Die Erfolge der ung. Truppen zwangen Ks. Franz Joseph, Unterstützung bei Zar Nikolaus I. zu suchen. Mit der russ . Intervention im Mai 1849 war trotz der Rückeroberung v. Pest und Buda durch das ung. Revolutionsheer der weitere Verlauf des Revolutionskriegs entschieden. Demonstrativ kapitulierte der zu Friedensverhandlungen bevollmächtigte ung. General Artúr Görgey am 13.8.1849 bei Világos vor den russ. Truppen. Die Niederlage Un-
Revolution von 1848/49 (Ungarn) / Rhodos
garns war gleichzeitig der letzte Sieg der „Heiligen Allianz“ in ihrer Abwehr gegenüber den Forderungen nach bürgerlicher u. nationaler Freiheit. Lit.: A. Urbán, Batthyánytól Kossuthig. Hadsereg és politika 1848 nyarán és őszén. [Budapest] 2009; P.K. Zachar, Ellenforradalom és szabadságharc. Az 1848. őszi nyilt dinasztikus elenforradalmi politikai-katonai háttere (szeptember 29.–december 16.). Budapest 2008; Von der Revolution zur Reaktion. Quellen zur Militärgeschichte der ungarischen Revolution 1848–49. Bearb. R. Hermann. Hgg. Chr. Tepperberg/J. Szijj. Budapest u. a. 2005; Az 1848–1849. évi első népképviseleti orzsággyűlés történeti almanachja. Budapest 2002; A. Gergely, 1848-ban hogy is volt? Tanulmányok Magyarország és Közép-Európa 1848–49-es történetéből. Budapest 2001; S.D. Kosáry, Magyarország és a nemzetközi politika 1848–1849-ben. Budapest 1999; G. Bona, The Hungarian revolution and war of independence, 1848–1849. A military history. Boulder, Colo. 1999; Die ungarische Revolution von 1848/49.Vergleichende Aspekte der Revolutionen in Ungarn u. Deutschland. Hg. H. Fischer. Hamburg 1999; E. Hübner, Die Revolutionen von 1848/49 in Ostmitteleuropa. Eine Bibliographie, in: 1848/49 Revolutionen in Ostmitteleuropa. Hgg. R. Jaworski/R. Luft. München 1996, 393–440; I. Deák, Die rechtmäßige Revolution. Budapest, Wien 1989. K. N.
Rhodos. Gebirgige Insel im →Dodekanes in der südöstl. Ägäis: 1.407,94 km², 115.490 E (2011), davon etwa die Hälfte in der Stadt R. Nach der Verwaltungsteilung des Röm. Reiches (395) gehörte R. zum Oström./Byz. Reich. Vom 7.–9. Jh. war die Insel mehrfach Ziel arabischer Flottenunternehmen (654, 807), doch blieb es als Teil des →Themas Kibyrrhaiōton im Besitz v. Byzanz. Im 4. →Kreuzzug fiel R. an Venedig, wurde aber 1250 wieder mit Byzanz vereinigt. Von 1261–1275 wurde die Insel vom →Despoten Johannes Palaiologos verwaltet, danach von genuesischen Abenteurern, die sich zur Durchsetzung ihrer Herrschaftsansprüche 1306 mit dem Johanniterorden (Ordo Hospitalis sancti Johannis Ierosolimitani) verbündeten. Dieser begann 1307 mit der Eroberung der Insel, deren Besitz ihnen am 5.9.1307 von Papst Clemens Vl. zugesprochen wurde. Nach Siegen über die byz. Truppen u. Entmachtung der Genuesen kapitulierte am 15.8.1310 auch die Hauptstadt, die von den Johannitern im 15. Jh. stark ausgebaut u. befestigt wurde (u. a. Großmeisterpalast in der Stadt R.). 1444 u. von Mai bis August 1480 verteidigten die Johanniter R. gegen Mameluken u. Osmanen, mussten aber am 1.1.1523 nach siebenmonatiger Belagerung Stadt u. Insel räumen u. übersiedelten nach Malta (daher a. die Bez. Malteserorden). Von 1523 bis 1912 gehörte R. zum Osm. Reich. Bis Ende des 19. Jh.s durften nur Muslime u. Juden in der Innenstadt von R. wohnen. Am 4.5.1912 besetzten die Italiener R. Unter Mussolini wurde die Infrastruktur von R. ausgebaut, aber die gr. Bev. einer Zwangsassimilation unterworfen. 1936 lebten ca. 9.500 Italiener auf R., v. a. in der Hauptstadt, wo sie 25 % der Einwohner stellten. Nach der Kapitulation Italiens (8.9.1943) besetzten dt. Truppen die Insel. Die ca. 1.700 Juden v. R. wurden im Sommer 1944 nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Von der dt. Kapitulation (9.5.1945) bis zur offiziellen Abtretung des Dodekanes durch Italien (10.2.1947) war R. von britischen Truppen besetzt, dann konnte es sich wie der Rest der Inselgruppe mit Griechenland vereinigen. Die Altstadt von R. gehört seit 1988 zum Weltkulturerbe der UNESCO.
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Rhomäer
Lit.: M. Losse, Die Kreuzritter von Rhodos. Bevor die Johanniter Malteser wurden. Ostfildern 2011; Z.N. Tsirpanlēs, Stē Rodo tu 16u–17u aiōna. Apo tus iōannites ippotes stus othōmanus turkus. Rodos 2002; La prise de Rhodes par Soliman le Magnifique. Chroniques et textes turcs, français, italiens, anglais et espagnols (XVIe–XVIIe siècles). Hg. u. übers. J.-L. Nardone. [FlaujacPoujols] 2010; J. Sarnowsky, Macht u. Herrschaft im Johanniterorden des 15. Jh.s. Verfassung und Verwaltung der Johanniter auf Rhodos (1421–1522). Münster u. a. 2001; A.G.K. Sabbidēs, Hē byzantinē Rhodos kai hoi Musulmanoi (7os–14os aiōnas). Athen 21995; N. Vatin, L’Ordre de Saint-Jean-de-Jérusalem, l’Empire ottoman et la Méditerranée orientale entre les deux sièges de Rhodes (1480–1522). Louvain 1994; A. Luttrell, The Hospitallers of Rhodes and their Mediterranean World. London 1992; Z. Tsirpanlēs, Hē Rhodos kai hoi noties Sporades sta chronia tōn Ioannitōn Hippotōn (14.–16. ai.). Syllogē historikōn meletōn. Rhodos 1991; Ders., Hē Rhodos kai hē historia hōs tēn ensōmatōsē me tēn Hellada, Dōdōnē 20 (1991), 373–417 (Literaturbericht); W.D. Barz, Der Malteserorden als Landesherr auf Rhodos u. Malta im Licht seiner strafrechtlichen Quellen aus dem 14. und 16. Jh. Berlin 1990; E. Malamut, Les îles de l’Empire Byzantin VIIIe– XIIe siècles. 2 Bde. Paris 1988; Ch. Papachristodulos, Historia tēs Rodu apo tus proistorikus chronus heōs tēn Ensōmatōsē tēs Dōdekanēsu (1948). Athen 1972. K.-P. T.
Rhomäer (a. Romäer; von gr. Rhōmaios, „Römer“). Die Selbstbezeichnung der Byzantiner als Rh. u. ihres Kaisers als basileus tōn Rhōmaiōn (Kaiser der Rh.), bzw. des Reiches als Rhōmania sollte die Identität des byz. Reiches mit dem Imperium Romanum zum Ausdruck bringen u. v. a. ab dem 9. Jh. das allein legitime röm. Kaisertum des Herrschers v. Konstantinopel, dem neuen Rom (Nea Rōmē), vom abendländischen „fränkischen“ oder „alamannischen“ Kaisertum abgrenzen. Umgekehrt bezeichneten westliche Kanzlisten u. Schriftsteller den byz. Kaiser betont als imperator oder rex Graecorum. Aber nicht nur Armenier u. Araber verwendeten für die byz. Welt Begriffe wie Horovm oder Rūm, sondern auch für die Kreuzfahrer u. Venezianer des Jahres 1204 (→Lateinerherrschaft) war das v. ihnen eroberte Gebiet Romania (frz. Romanie, it. Romagna). Der Begriff Rh. schloss auch die nichtgr. Bewohner des Reiches u. gelegentlich sogar die Orthodoxen jenseits der Reichsgrenzen (Balsamōn, Patriarch Antonios IV.) mit ein. Zwar bezeichneten sich einzelne Schriftsteller in spätbyz. Zeit da u. dort als Hellēnes, aber als nationale Selbstbezeichnung der Neugriechen setzte sich dieser Name erst im 18. und 19. Jh. durch, ohne die Begriffe Rhōmios oder Rhōmiosynē (z. B. bei Jannis Ritsos; a. →Sarakatsanen) völlig zu verdrängen. Das Osm. Reich übernahm den Begriff in seine Terminologie, vgl. →Rumelien, Rum-i →Millet.
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Lit. (a. →Byzanz): K. Pitsakēs, Conceptions et éloges de la romanité dans l’empire romain d’Orient, in: Idea giuridica e politica di Roma e personalità storiche. Hgg. P. Catalano/P. Siniscalco. Roma 1991, 95–139; J. Koder, Byzanz, die Griechen u. die Romaiosynē – eine „Ethnogenese“ der „Römer“, in: Typen der Ethnogenese unter besonderer Berücksichtigung der Bayern. Bd. 1. Hgg. H. Wolfram/W. Pohl. Wien 1990, 103–111; M. Mantubalu, Romaios-Romios-Romiossyni. La notion de „Romain“ avant et après la chute de Constantinople, Epistēmonikē Epetēris tēs Philosophikēs Scholēs tu Panepistēmiu Athenōn 28 (1979–1985), 169–185; E. von Ivánka, Rhomäerreich u.
Ribbentrop-Molotov-Pakt
Gottesvolk. Das Glaubens-, Staats- u. Volksbewußtsein der Byzantiner u. seine Auswirkungen auf die ostkirchlich-osteuropäische Geisteshaltung. Freiburg/Br. u. a. 1968. K.-P. T.
Ribbentrop-Molotov-Pakt. Mit dem Namen der beiden unterzeichnenden jeweiligen Außenminister oder oft auch als Hitler-Stalin-Pakt wird der am 23.8.1939 in Moskau abgeschlossene dt.-sowj. Nichtangriffsvertrag bezeichnet. Er knüpfte an die dt.-sowj. Vereinbarungen v. 1926 an u. schloss für eine Dauer v. zehn Jahren gegenseitige Gewaltanwendung aus. Die Partner verpflichteten sich zur Neutralität bei Konflikten mit Dritten. Ein geheimes Zusatzprotokoll, dessen Wortlaut erst 1945 bekannt wurde, legte die Interessensphären der beiden nach Expansion drängenden Diktaturen fest. Die UdSSR sicherte sich für den Fall einer territorial-pol. Umgestaltung Finnland, Estland u. Lettland. In Polen sollte die Grenze zw. dem dt. u. sowj. Einflussgebiet an den Flüssen Narev, Weichsel u. San sein. Außerdem wurde das sowj. Interesse an →Bessarabien angemeldet, das seit 1918 zu →Rumänien gehörte. Nach dem dt. Überfall auf Polen besetzte die sowj. Armee am 17.9.1939 die ostpoln. Gebiete bis zum Bug, die definitive Grenze wurde am 28.9.1939 in dem dt.-sowj. Freundschafts- u. Grenzvertrag festgelegt. Die baltischen Staaten wurden im Herbst 1939 genötigt, der Stationierung sowj. Truppen zuzustimmen u. im Oktober 1940 in die UdSSR inkorporiert. Molotov unterrichtete den dt. Botschafter in Moskau am 23.6.1940 über die geplante Besetzung Bessarabiens u. der →Bukowina. Nachdem v. dt. Seite zur Bukowina Einspruch erhoben wurde, forderte Molotov am 26. Juni nur mehr deren Norden. Die rum. Regierung zog aufgrund des auf 24 Stunden bemessenen Ultimatums am 28.6.1940 ihre Verwaltung aus Bessarabien, der Nordbukowina u. dem Gebiet um Herţa ab. Die dt. Regierung hatte den Rumänen zuvor geraten, die sowj. Forderungen zu akzeptieren. Die Gültigkeit des Paktes erlosch mit dem dt. Angriff auf die UdSSR am 22.6.1941, an dem sich auch die rum. Armee beteiligte. In der sowj. Geschichtsschreibung wurde bis 1988 der Nichtangriffspakt als Defensivmaßnahme legitimiert u. die Existenz des Zusatzprotokolls geleugnet. Als die nationalen Bewegungen im Baltikum 1990 die staatliche Unabhängigkeit erklärten, beriefen sie sich auf den völkerrechtswidrigen Charakter der Annexion, die sie v. a. auf den R.-M.Pakt zurückführten. Auch eine Mehrheit im rum. Parlament versuchte nach 1990 unter der Formel „Beseitigung der Folgen des R.-M.-Paktes“ Bessarabien u. die Nordbukowina als zu Rumänien gehörende Territorien zu reklamieren, obwohl die heutigen Grenzen Rumäniens durch den Pariser Friedensvertrag von 1947 festgelegt wurden. Erst der rum.-ukr. Vertrag von 1997 beendete diese Debatte. Quellen u. Lit.: Der Hitler-Stalin-Pakt in den Erinnerungskulturen der Europäer. Hgg. A. Kaminsky/D. Müller/St. Troebst. Göttingen 2011; H. Lindpere, Molotov-Ribbentrop pact. Challenging Soviet history. Tallinn 2009; Der Hitler-Stalin-Pakt. Der Krieg u. die europäische Erinnerung. Hg. M. Sapper. Berlin 2009 (=Osteuropa 59, H.7/8); Jan Lipinsky, Das Geheime Zusatzprotokoll zum deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrag vom 23. August 1939 u. seine Entstehungs- u. Rezeptionsgeschichte von 1939 bis 1999. Frankfurt/M. 2004; F. Constantiniu, 1941 – Hitler, Stalin şi România. România şi geneza operaţiunii „Barbarossa“. București 2002;
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Rijeka
K. Meyer, Zwei Wege nach Moskau: Vom Pakt bis zum Überfall, Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung 47 (1998), H. 2, 215–230; Le pacte Molotov-Ribbentrop et ses conséquences pour la Bessarabie. Recueil de documents. Hgg. I. Chichcanu/V. VĂratic. Chisinău 1991; G. Hass, Der Hitler-Stalin-Pakt. Dokumentation. Berlin 1990; I. Fleischhauer, Der Pakt. Hitler, Stalin u. die Initiative der deutschen Diplomatie 1938–1939. Frankfurt/M. 1990; Hitler-Stalin-Pakt 1939. Das Ende Ostmitteleuropas? Hg. E. Oberländer. ebd. 1989; M. Semirjaga, Die sowjetisch-deutschen Verträge im System der internationalen Beziehungen des Jahres 1939, in: 1939 – an der Schwelle zum Weltkrieg. Die Entfesselung des Zweiten Weltkrieges u. das internationale System. Hgg. K. Hildebrand/J. Schmädke/K. Zernack. Berlin u. a. 1990, 293–301; M.G. Hitchens, Germany, Russia, and the Balkans. Prelude to the Nazi-Soviet Non-Aggression Pact. Boulder 1983. M. H.
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Rijeka (it. Fiume; daraus in der Neuzeit auch dt. u. ung. Fiume; davor dt. St. Veit am Pflaum; lat. Terra Fluminis Sancti Viti): 128.624 E (2011). Hafenstadt an der Nordostküste der Adria, in Kroatien. – R. entstand in der Nähe des röm. Tarsatica (kroat. Trsat) am rechten Ufer des Flusses Rječina (it. Fiumara) u. wird 1230/32 als Richa erstmals urkundlich erwähnt. R. gehörte zunächst zur Herrschaft der Grafen v. Duino, die ihrerseits der Lehenshoheit der Patriarchen v. Aquileia unterstanden. Als 1399 die Grafen v. Duino in männlicher Linie ausstarben, kam R. in den Besitz der Herren v. Walsee u. 1466 schließlich an die Habsburger, unter denen sich die Stadt zu einer autonomen Kommune entwickelte, in der Handel (Öl, Holz, Eisenwaren) u. Schiffsbau blühten. Ab Ende des 15. Jh.s hatte R. unter osm. Überfällen, seit Anfang des 16. Jh.s auch unter den habsb.-venez. Auseinandersetzungen zu leiden. Nachteilig für die Entwicklung der Stadt war auch der Konflikt zw. Venedig u. den →Uskoken, besonders als die Venezianer 1570–1617 den Golf v. R. blockierten. 1719 wurde R. durch Karl VI. zum Freihafen erhoben u. durch eine Straße mit dem Hinterland verbunden, was hauptsächlich den ung. Export erleichtern sollte, u. 1776 durch Maria Theresia als „corpus separatum“ Ungarn angeschlossen, bei dem es bis zur Besetzung durch die Franzosen 1809 (→Illyrische Provinzen) verblieb. 1816–22 Bestandteil des österr. Kgr.s Illyrien, gehörte R. dann bis 1848 wieder zu Ungarn u. danach zu Kroatien, wogegen die zumeist italienischsprachigen Patrizier (Fiumanissimi) waren, die sich von einer Zugehörigkeit zu Ungarn wirt. Vorteile versprachen. Durch den ung.-kroat. →Ausgleich 1868 (umstrittener Art. 66 – „Riječka krpica“ = Fetzchen v. R.) kam R. provisorisch wieder unter ung. Verwaltung, die bis zum Ende des 1. Wk.s andauerte. Nach Kriegsende war die Stadt dann zw. Italien u. dem neuen südslav. Kgr. umstritten, wobei R. für beide Seiten nationalen Symbolwert hatte. In der Nacht vom 11. zum 12.9.1919 besetzten it. „Legionäre“ unter der Leitung des Dichters Gabriele D’Annunzio R. Am 8.9.1920 verkündete D’Annunzio, nachdem er auch noch die Inseln Cres (it. Cherso), Krk (Veglia) u. Lošinj (Lussin) besetzt hatte, die „Reggenza italiana del Carnaro“, um die Pariser Friedensverhandlungen vor vollendete Tatsachen zu stellen. Durch den Vertrag v. Rapallo (12.11.1920) wurde das Gebiet von R. (mit Sušak) zum Freistaat erklärt. D’Annunzio u. seine Legionäre mussten abziehen. Die aus freien Wahlen (24.4.1921) hervorgegangene Regierung des Freistaates unter der Leitung des Autonomisten Riccardo Zanella konnte sich aber gegenüber dem Druck v. Fiumaner Annektionisten u. it. Faschisten
Rijeka / Roma
nicht behaupten u. trat am 3.3.1922 zurück. Im it.-jugosl. Vertrag von Rom (27.1.1924) wurde der Freistaat aufgelöst u. das Territorium geteilt: die Stadt kam an Italien, die Nachbarstadt Sušak an das Kgr.SHS. Die Hafenverwaltung wurde gemeinsam ausgeführt. Fiume/R. hatte zu dieser Zeit ca. 46.500 E (28.911 Italiener u. 10.927 Kroaten). 1947 wurde R. v. den Siegermächten Jugoslawien zugesprochen (u. 1948 um Sušak erweitert). Aus Furcht vor Vergeltung verließ die übergroße Mehrheit der it. Bev. die Stadt. Lit.: B. Strenja, Rijeka i regija u Titovo doba 1945–1990. Rijeka 2012; D. Dukovski, Istra i Rijeka u prvoj polovici 20. stoljeća 1918.–1947. Zagreb 2010; Fiume, DʼAnnunzio e la crisi dello stato liberale in Italia. Hg. R. Pupo. Trieste 2010; Porti di frontiera. Industria e commercio a Trieste, Fiume e Pola tra le guerre mondiali. Hgg. L. Cerasi/R. Petri/St. Petrungaro. Roma 2008; I. Fried, Fiume. Città della memoria, 1868–1945. Udine 2005; Povijest Rijeke. Rijeka 1988; F. Gerra, L’impresa di Fiume. 2 Bde. Milano 1974/75; S. Samani/L. Peteani, Bibliografia storica di Fiume. Roma 1969; F. Čulinović, Riječka država. Od Londonskog pakta i Danuncijade do Rapalla i aneksije Italiji. Zagreb 1953; F. Hauptmann, Rijeka od rimske Tarsatike do hrvatsko-ugarske nagod be. Zagreb 1951; F. Šišić, Abridged Political History of Rieka (Fiume). Paris 1919. P. B.
Roma (sing. Rom, dt. „Mann, Mensch“). Heute weitverbreitete Selbstbezeichnung für die Bev. gruppen, die gemeinhin als „Zigeuner“ bezeichnet wurden u. teils noch werden. Die Selbstbezeichnung lässt sich in zahlreichen Quellen seit der Zuwanderung der R. nach Europa im ausgehenden MA nachweisen. Im Zuge der seit wenigen Jahrzehnten begonnenen pol. Emanzipation gewinnt die Verwendung dieses Oberbegriffs, der mittlerweile Eingang in die (zwischen-) staatlichen Politiken gefunden hat, erneut an Bedeutung; seine Verwendung ist jedoch nicht unumstritten. R. leben heute i. d. R. als Staatsangehörige in allen europ. u. amerikanischen Ländern, in Südafrika u. Australien. Ihre Zahl in Europa wird (unter Ausklammerung der Definitionsprobleme: wer ist ein Rom?) auf 8 Mio. geschätzt. Dabei liegt der deutliche Schwerpunkt in SOE; in geschätzten Zahlen: Slowakei ca. 250.000, Ungarn ca. 500.000–600.000, Rumänien bis zu 2 Mio., Bulgarien ca. 800.000, ehem. Jugoslawien ca. 800.000, Albanien einige 10.000, Griechenland etwa 160.000 (jeweils mit einer Fülle verschiedener [Unter-]Gruppen). Die Angaben lt. Volkszählung liegen zumeist deutlich unter diesen Schätzwerten, z. B. Ungarn: 316.000, Bulgarien: 360.000 u. Rumänien: 622.000 (jeweils 2011). Erst in der zweiten H. des 18. Jh.s konnte anhand sprachwiss. Untersuchungen des Romanes (auch: Romani), der Sprache der Roma, die Herkunft aus dem Nordwesten Indiens nachgewiesen werden. Das Romanes gehört zu den indoeurop. Sprachen. Der allen seinen Zweigen zugrundeliegende Stammwortschatz enthält neben altindischen noch persische, armenische u. insbesondere mittelgriechische Wörter. Hieraus wurde der Schluss gezogen, dass die (europ.) Roma vor 1000 n. Chr. in kleineren Gruppen u. über Generationen hinweg über Persien, Armenien, das Byz. Reich – ohne allzu enge Kontakte mit den Arabern – bis nach SOE gelangten. Da die in Sprache u. Kultur enthaltenen indischen Elemente mit den Kulturen der in Europa lebenden Mehrheits- u. Minderheitsbevölkerungen immer wieder neu verarbeitet
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wurden/werden, ist ihre Kultur stark regionalisiert. Darüber hinaus weisen R. eine Fülle ineinandergreifender Binnendifferenzierungen auf, auf Grund derer sie sich oft z. T. stärker gegeneinander als gegenüber der umwohnenden Mehrheitsbev. abgrenzen. Frühe Quellen weisen darauf hin, dass es seit der Zuwanderung sowohl wandernde als auch – insbes. in den Balkanländern – sesshafte R. gab. Die ersten Niederlassungen der R. im byz.-balkanischen Raum gehen wahrscheinlich auf das 9.–11. Jh. zurück. In gr. Quellen werden sie häufig als athígganoi oder atsígannoi (Unberührbare) bezeichnet, später (im 14./15. Jh.) taucht auch der Begriff „Ägypter“ auf, wobei nicht immer klar wird, ob es sich dabei um eine Untergruppe der R. oder um eine den R. ähnliche Bev.gruppe handelt (zur jüngsten Herausbildung einer Eigengruppe der Balkan-Ägypter, die sich v. a. im albanischsprachigen Raum vollzieht: →Ägypter, Ashkali). Einige Siedlungen sind seit dem 15. Jh. ununterbrochen v. Roma bewohnt gewesen. 1322 wurden vom Reisegewerbe lebende R. auf Kreta beschrieben. In den →Donaufürstentümern Walachei u. Moldau wurden R. ab 1360 immer wieder in (Ver-)Kaufs- u. Schenkungsurkunden erwähnt (→Sklaverei). 1384 beschrieb Nicolo de Frescobaldi – wie nach ihm zahlreiche auf Pilgerreise befindliche dt. Kaufleute – die in Siedlungen lebenden R. in den venez. Herrschaften Modon u. Nauplion (→Peloponnes). Ab 1386 gab es auf Korfu ein „Zigeunerlehen“. In der Republik →Dubrovnik/Ragusa wurden R. 1362 zum ersten Mal urkundlich erwähnt. Da die Berichte bereits strukturierte Verhältnisse beschreiben, ist davon auszugehen, dass die R. mindestens einige Jahrzehnte zuvor eingetroffen waren. Ein Teil wird sich durch das Vordringen der Osmanen zur Abwanderung genötigt gesehen haben; andere werden wohl ohne Kontakt zu den Osmanen etwa auch in dt. (1407 in Hildesheim, 1417 Lüneburg/Hamburg/Lübeck, etc. u. 1424 Regensburg) u. andere west-/ nordeurop. Länder gelangt sein. Die Geschichte der R. ist bis heute eng verknüpft mit jeweiligen hist. Entwicklungen SOEs. In den Ländern unter direkter osm. Herrschaft waren R. im Wesentlichen freie Bürger, jedoch einigen diskriminierenden Maßnahmen ausgesetzt. Das nach Religionszugehörigkeit differenzierende osm. Steuersystem verlangte v. Christen (einschließlich R.) eine höhere Steuer als v. Muslimen. Die musl. R. wiederum mussten eine höhere Steuer zahlen als andere Muslime. Härter war der Umgang mit wandernden R., denen Steuerflucht unterstellt wurde u. die daher zur Steuereintreibung festgesetzt werden konnten. Berichtet wird auch, dass R. genötigt wurden, sich außerhalb der osm. Städte anzusiedeln. Anders entwickelte sich die Situation in den Fürstentümern →Walachei u. →Moldau. Bereits vor Herstellung der dortigen osm. Oberherrschaft waren zahlreiche R. Eigentum v. Fürst/Staat, Kirche u. Großgrundbesitzern. Die Situation verschärfte sich durch den Abgabendruck an die Osmanen. Sesshafte R. wurden Haus- u. Feldsklaven auf den Gütern v. Kirche u. Großgrundbesitzern; die Sklaven des Staates waren überwiegend wandernde R. Aufgehoben wurde die Sklaverei in den Donaufürstentümern erst 1864 (→Sklaverei, Leibeigenschaft). Auf habsb. Gebiet führten Maria Theresia u. ihr Sohn Joseph II. in der zweiten H. des 18. Jh.s eine Reihe v. Gesetzen ein (im Zuge des →Josephinismus), die auf Assimilation und Sesshaftmachung der R. zielten. Für einige Jahrzehnte (oder in der Praxis mitunter auch nur Jahre) durften die dortigen R. ihre Sprache u. Trachten nicht benützen, ihre Kinder wurden
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aus den Familien genommen u. zu Bauernfamilien gegeben, sie mussten Landarbeit verrichten u. durften nicht untereinander heiraten. Vieles dieser Regeln blieb freilich nur auf dem Papier. Die habsb. Regelungen im 19. Jh. u. zu Beginn des 20. zielten weiterhin auf Sesshaftmachung, aber in der Praxis wollten die dann zuständigen Gemeinden die Verantwortung für die anschließende Lage nicht übernehmen u. vertrieben in großer Regelmäßigkeit die R. aus ihrem Gemeindegebiet. Ab der 2. H. des 19. Jh.s hatten die R. auch Teil an der soe. bzw. primär der habsb. Auswanderung in die →Vereinigten Staaten von Amerika. Wie stark das R.-Bild v. den empirischen Daten abweichen kann, macht eine 1893 in Ungarn durchgeführte R.-Studie deutlich. Die überwiegende Mehrheit der dortigen R. war sesshaft, sprach Ungarisch u. ging einer regelmäßigen Beschäftigung nach. Ihre sozioökonomische Lage (u. ihre Wahrnehmung durch die Umwelt) verschlechterte sich aber im selben Maße, wie sich auch die Situation großer Teile der Mehrheitsgesellschaft infolge der ökonomischen →Modernisierung Ungarns verschlechterte. Die in der Zwischenkriegszeit sprichwörtlich gewordenen „drei Millionen Bettler“ (die pauperisierten ungarischen Bauern) verdrängten die Roma aus ihren vorherigen Nischen, weil deren Produkte oder deren Tätigkeiten nicht mehr nachgefragt wurden. Damit verdüsterte sich auch das R.-Bild. Während des „Dritten Reichs“ waren die R. in den Ländern SOEs unterschiedlicher Verfolgungsintensität ausgesetzt. Nach dem dt. Überfall auf Jugoslawien im April 1941 begann im Sommer 1941 die systematische Verfolgung der R. u. Juden in →Serbien; sie wurde mit der Bekämpfung der Partisanen verknüpft u. im wesentlichen v. der Wehrmacht organisiert (vgl. →Holocaust); im Sommer 1942 galt sie als abgeschlossen. Die R. in Makedonien, das zum größeren Teil bulg. annektiert war, waren zahlreichen Bedrohungen, unsystematischen Übergriffen u. Inhaftierung ausgesetzt, blieben aber v. systematischer Verfolgung verschont. Im →„Unabhängigen Staat Kroatien“ wurden sie in Konzentrationslager verschleppt u. insbesondere im Lager Jasenovac umgebracht; weitgehend verschont durch die Intervention musl. Geistlicher blieben die musl. R. des damals zu Kroatien gehörenden →Bosnien. In Rumänien waren insbesondere wandernde R. sowie die R. der Hauptstadt Bukarest verfolgt; sie wurden nach →Transnistrien verschleppt; dort starben sie an Krankheit u. Unterernährung oder wurden durch Massenerschießungen umgebracht. Von den etwa 25.000 deportierten rum. R. haben nur 1.500–6.000 überlebt. In Ungarn wurden die R. parallel zum →Holocaust i. J. 1944/45 zum Opfer v. dt. u. ung. Massengewalt u. Verfolgung; bis zu 50.000 (die Schätzungen sind allerdings sehr unsicher u. beginnen z. T. auch bei „nur“ 5.000 Todesopfern) kamen dabei um. Viele ung. R., v. a. im Westen des Landes, wurden überdies interniert u. zu Zwangsarbeit genötigt. Ähnlich wie überlebende Juden waren nach dem Krieg heimkehrende R. in ihren vorherigen Wohnorten selten willkommen. Eine durchgängige Kontinuität der diskriminatorischen Praxis gegenüber den R. ist in der Forschung zu SOE aber noch nicht so umfassend belegt wie zu Deutschland oder Österreich. Eine Anerkennung u. Wahrnehmung (vgl. →Erinnerungskultur) des Holocaust bzw. Völkermords an den R. (Porajmos) setzte in der Region erst in den 1980er Jahren langsam ein. Die sozialist. Regierungen behandelten unterdessen die R. i. d. R. nicht als auch rechtlich definierte (ethn.) →Minderheit, sondern als sozial marginalisierte Gruppe, die es in die Arbeiterklasse zu assimilieren galt. In einzelnen Ländern (so in Ungarn,
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in der Tschechoslowakei u. in Rumänien) galten gezielte Regelungen, in anderen die Regelungen der allg. Sozialpolitik, um die Bildungs-, Wohnungs- u. Arbeitssituation der R. an die der übrigen Bevölkerung anzugleichen u. zu verbessern. Mitte der 1980er Jahre standen etwa in Ungarn 80 % der Männer u. 35 % der Frauen unter den R. in Beschäftigtenverhältnissen. Lediglich in →Jugoslawien schwankte die offiz. Politik zw. Gleichgültigkeit u. der Anerkennung unter dem nationalitätenrechtlich zweitrangigen Status einer „ethnischen Gruppe“. Eine strukturelle Förderung – analog zur Förderung benachteiligter Regionen – hat es für R. aber nicht gegeben. Sie blieben im Vergleich zu anderen Nationalitäten benachteiligt. Dies führte – verstärkt durch die zunehmende →Industrialisierung, die zahlreiche herkömmliche Gewerbe überflüssig machte – zunächst zu einer ungeregelten Abwanderung u. im Zuge der Anwerbung v. „Gastarbeitern“ zur dauerhaften Einwanderung Tausender v. jug. R. in die Bundesrepublik Deutschland u. nach Österreich (mit Schwerpunkt Wien). Die Systemwechsel 1989/90 brachten den R. auf der einen Seite neue bürgerliche Freiheiten u. Anerkennung. Auf der anderen Seite war eine deutliche Zunahme mitunter pogromartiger Ausschreitungen (in den ersten Jahren, u. insbesondere in Rumänien u. Bulgarien) sowie ein wirt. Niedergang bedingt durch Entlassungen u. Privatisierung der Staatsbetriebe zu verzeichnen. Weil R. zuvor hauptsächlich in angelernten Tätigkeiten beschäftigt gewesen waren, zählten sie nach der Systemwende zu den ersten, die entlassen wurden, u. rangieren sozioök. im Durchschnitt klar unter den Verlierern der neuen marktwirt. Verhältnisse. Während die R. in Makedonien u. Kosovo offiziell in der Verfassung als Minderheit anerkannt werden, haben sie in Serbien u. Bosnien ihren Gruppenstatus verloren. In Bosnien teilten die etwa 40.000 überwiegend musl. R. im Bosnienkrieg (→postjug. Kriege) im wesentlichen das Schicksal der übrigen Muslime. Die pol. Wende v. 1989/90 hat aber auch zu einer v. a. von Roma aus Südost- u. Osteuropa vorangetriebenen Partizipation in Untergremien der internationalen zwischenstaatlichen Organisationen (EU, Europarat, OSZE, UN) geführt.
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Rumänen. Romanische Bev. in SOE. Die östl. Romanitas teilt sich nach sprachlichen Kriterien in die große Gruppe der Dako-R., allgemein R. genannt, sowie in die kleineren Gruppen der Makedo-Rumänen (→Aromunen), →Meglenorumänen u. der →Istrorumänen (Istrien). In →Rumänien leben 16,8 Mio. R. (von 20,2 Mio. E, 2011). Ein erheblicher Teil
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der →Moldauer/Moldawier in der Rep. Moldau (2,6 Mio. v. 3,4 Mio. E) versteht sich als R. Verstreut gibt es R. auch in Serbien (Vojvodina, Zentralserbien/Timokgebiet), der Ukraine u. Ungarn, des weiteren in der Emigration (bereits um 2000 wohl bis zu 2 Mio., damals noch hauptsächlich in den USA, Frankreich, Spanien, Italien u. in zahlreichen anderen Ländern). Von außen her wurden die R. bis ins 19. Jh. als „Walachen“ bezeichnet; vgl. →Walachei. Dies ist auch die Benennung für das bis ins 20. Jh. existierende Berghirtentum in SOE (→Vlachen). Die →Ethnogenese der R. liegt vielfach im Unklaren. Schriftliche Hinweise auf Walachen südl. der Donau gibt es erst ab 976, nördl. der Donau erst aus dem 13. Jh. Unbestritten ist, dass die R. auf die röm.-lat. Welt zurückzuführen sind, die 271 n. Chr. die Provinz Dacia bis zur Donaugrenze aufgegeben hatte u. ab Ende des 6. Jh.s unter dem Vordringen der Slaven in ganz SOE zusammenbrach. Eine romanische bzw. romanisierte, zumindest teilweise bereits (anfangs „lateinisch“) christianisierte Bev. lebte über die folgenden „dunklen“ Jahrhunderte hinweg weiter u. hatte in Bergregionen des gesamten Balkans eine Wirtschafts- u. Lebensform als periodisch die Weideflächen abwandernde Hirten (→Transhumanz) gefunden, verbunden mit großräumigen Migrationen bis nach Griechenland (Pindus) u. in die nördl. Schwarzmeer-Ebene. Aus ihnen entstand das Rumänentum (→Ethnogenese), u. zwar in einem Zusammenleben mit Slaven, sprachgeschichtlich nachweisbar (a. →Dakoslaven) u. dann auch in der Übernahme der →Orthodoxie. Umstritten ist, ob diese Herausbildung auch nördl. der Donau u. v. a. auch im Karpatenbogen (Siebenbürgen) erfolgte, zugespitzt auf die kontrovers, aber auch ausgleichend beantwortete Frage (→Dakoromanismus), ob dort eine römische bzw. romanisierte Bev. ab 271 weitergelebt hatte (Kontinuitätstheorie) oder sich erst nach der →Ungarischen Landnahme (896) dort niederließ (Migrationstheorie). In Serbien u. in Bulgarien traten Vlachen im MA verstärkt in Erscheinung. Im 13.– 15. Jh. gab es Wanderungen aus dem bulg. Gebiet nach N über die Donau, ansonsten gingen die R. im West- und Ostbalkan, abgesehen v. den Makedo- u. den Megleno-R., im Slaventum auf. Ab dem 17. Jh. sind erneut Wanderungen, nun v. der Moldau, der Walachei u. Siebenbürgen ausgehend, feststellbar, im Rahmen der Transhumanz u. aus anderen Gründen, die zu rum. Streusiedlungen im →Timok- u. Vardargebiet sowie über den Dnjestr hinaus (→„Transnistrien“) bis zur →Krim u. sogar bis zum Kaukasus führten. Ab 1878 siedelten R. auch in der damals zu Rumänien gekommenen (Nord-) →Dobrudscha. Zur Staatsbildung gelangten nur die Dako-R., nämlich ab dem 14. Jh. über die →Walachei u. die →Moldau. Bis zum Zusammenschluss mit Rumänien 1918 gehörten R. – in →Siebenbürgen, im →Banat u. in der →Maramureş – zum Staat Ungarn bzw. zum Fsm. Siebenbürgen bzw. zur Habsburgermonarchie, letztere 1775 erweitert um die v. der Moldau abgetrennte →Bukowina. Im MA trugen R. unter eigenen →Knezen u. Voevoden (→Vojvode), mit eigener Rechtsform (→ius Valachicum) u. eigenem kirchlichem Mittelpunkt (Kloster Peri in der Maramureş/Marmarosch, Ende des 15. Jh.s dem ruthenischen Bistum Munkács unterstellt), zur →Kolonisation des Karpatenbogens bei. In der (1437 bis zur Aufhebung des Landtags u. der durchgehenden Einführung des Komitatssystems 1867 bestehenden) Struktur Siebenbürgens waren die R. nicht Bestandteil der etablierten →Stände u. die Orthodoxie nur „religio tolerata“. Die 1697–1700 zustandegekommene Kirchenunion
Rumänen
mit Rom (→Unierte) brachte eine konf., aber keine pol. Gleichstellung, schuf jedoch die Grundlage für ein Selbstbewusstsein, repräsentiert durch den unierten Bischof mit Sitz im siebenbürg. Landtag, sowie für ein nationales „Erwachen“ (→Nationsbildung), repräsentiert in der zweiten H. des 18. Jh.s durch die „Siebenbürgische Schule“. Deren Vertreter (Gheorghe Şincai, Samuil Micu-Klein, Petru Maior) forderten pol. Gleichberechtigung („Supplex Libellus Valachorum“ 1791), propagierten die ursprüngliche Ansässigkeit der R. in Siebenbürgen, die Latinität des Rumänischen sowie die Ablösung des kyrillischen durch das lat. →Alphabet. Diese pol. u. kult. Bestrebungen fanden Unterstützung durch eine wachsende städtisch-bürgerliche Schicht der R. in Siebenbürgen (vgl. →Bürgertum [Ungarn]). In der Walachei u. der Moldau stellten R. nahezu die gesamte Bev. dar; hier entwickelte sich eine eigene „rumänische“ Staats- u. Gesellschaftsstruktur, die auch nach Errichtung der osm. Oberhoheit weiterbestand. Allerdings blieb die Berührung mit der osm.-türk. Welt u. mehr noch mit der Welt der gr. →Phanarioten (18. Jh.) nicht ohne Auswirkungen auf Mentalität u. Lebenseinstellung v. a. der Schicht der →Bojaren, wie andererseits in Siebenbürgen u. im Banat die Kirchenunion, die Zugehörigkeit zu Habsburg sowie die Berührungen mit →Magyaren, →Siebenbürger Sachsen u. →Donauschwaben die dortigen R. prägten. Den „ungarländischen“ R. und den R. in den Fürstentümern waren – in regionalen Varianten – jedoch stets die Sprache, die Religion (ungeachtet längerer regionaler kirchenpol. Dominanz durch serb. höheren Klerus u. auch in der Form der Unierten Kirche, weil diese dennoch rum. blieb) u. ihr geistig-kult. Umfeld sowie eine reiche, im bäuerlichen Leben verankerte Volkskultur gemeinsam. Letztere äußerte sich besonders in der Volksdichtung mit Balladen u. Liedern (doine), in der Musik, in Trachten, kunstvoll gestalteten Gebrauchsgegenständen u. in den Karpaten in Holzkirchen u. mit Ornamenten verzierten Bauernhäusern. In den Fürstentümern förderten Fürsten u. Bojaren die Architektur sowie eine Schriftkultur (Chronik-Schreibung) u. stifteten Kirchen sowie Klöster. Besonders bekannt sind die Moldau-Klöster (a. →Moldau) sowie der nach dem Fürsten der Walachei Constantin Brâncoveanu (1678–1714) benannte Baustil (Brâncoveanu-Stil). Das Rumänische als Schriftsprache, erstmals 1521 nachgewiesen, hatte bis zum 18. Jh. das Kirchenslavische verdrängt, wurde aber während der Phanariotenzeit (1711/1714–1821) in der Walachei u. der Moldau zeitweise durch das Griechische überlagert bzw. überdacht (→Sprachen). Im 19. Jh. verstärkten sich, schwerpunktmäßig in den →Donaufürstentümern, die pol. und kult. Aktivitäten der R. parallel zum nationalen „Erwachen“, zur Befreiung von osm. Oberhoheit u. zur →Nationalstaatsbildung, angeregt durch Ideen aus dem westl. Europa (v. a. aus Frankreich). Getragen v. einer zunehmenden Intelligenzschicht entstand ein breites Kulturleben, sichtbar in der Gründung v. Institutionen (Nationaltheater, Universitäten, Akademie) sowie in zahlreichen Leistungen in Literatur, Musik u. darstellender Kunst. Andererseits lebten die R. auch nach der Entstehung Großrumäniens 1918, trotz städtischer Zentren u. einer beginnenden →Industrialisierung, zu einem großen Teil weiter auf dem Land u. in den bäuerlichen Traditionen. Erst durch die forcierte →Industrialisierung in der komm. Ära sank der Anteil der →Bauern auf ca. 21 % (1989). Nach Verflechtungen mit dem slav., dem isl.-türk. und dem gr. Kulturkreis u. nach der Isolierung unter der Ceauşescu-Herrschaft trat die Zugehörigkeit der R. zum romanischen, auf das westl. Europa hin orientierten Kulturkreis nach 1989 wieder in den Vordergrund.
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Rumänien (ab 1861)
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Rumänien (ab 1861) (rum. România). Das rum. „Altreich“ (→Regat) wuchs als Ergebnis des 1. Wk.s auf mehr als das Doppelte (insges. 294.967 km2). Nach den Veränderungen im 2. →Wk. bzw. im Zuge des Pariser Friedensvertrags v. 1947 verblieb der heutige Gebietsstand (238.391 km2). Bei der Vereinigung der beiden Fürstentümer (1861) hatte die Walachei 2,4 Mio. u. die Moldau 1,4 Mio. E; 1925 zählte Großrumänien 17,5 Mio. E. Die Bev. in den heutigen Grenzen wuchs bis 1992 auf 22,8 Mio. Danach sank sie infolge von Auswanderung u. Geburtenrückgang auf 20,1 Mio. (2011). Davon waren 88,9 % Rumänen, 6,5 % Ungarn u. 3,3 % →Roma. Der Anteil der Deutschen (→Siebenbürger Sachsen; →Donauschwaben) sank bis 2011 auf 0,2 %. Entstanden ist R. 1861 durch die Realunion der →Donaufürstentümer, völkerrechtlich anerkannt u. erweitert 1878 um die Nord-→Dobrudscha (a. →Berliner Kongress). Ab 1881 Kgr., das als Ergebnis des 2. →Balkankriegs 1913 um die Süd-Dobrudscha erweitert wurde. Zu Beginn der staatl. Entwicklung R.s erfolgte unter Alexandru Cuza (1859–1866) der 1861 v. der Pforte zugestandene, in Form eines Zentralstaates (untergliedert in Verwaltungsbezirke; judeţe) umgesetzte Zusammenschluss der →Walachei u. der →Moldau. →Bukarest wurde Hauptstadt. Als Fahne übernahm man die Trikolore „Rot-Gelb-Blau“, die Farben der →Revolution v. 1848. Parallel dazu vereinigten sich 1864 die beiden orth. Metropolien u. erklärten ihre Unabhängigkeit (→Autokephalie) vom Patriarchat Konstantinopel (→Orthodoxie, 2.3). Cuza leitete Reformen ein, darunter Einführung der metrischen Maße u. Gewichte sowie des lat. →Alphabets, Verbesserungen in Verwaltung u. Rechtswesen, Gründung der →Universitäten in dem zu diesem Zeitpunkt noch als Hauptstadt der Moldau fun-
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gierenden →Iaşi (1860) u. in Bukarest (1864). Eine Agrarreform (→Bauernbefreiung) gelang erst, nachdem er 1864 ein neues „Statut“ (Verfassung) in Abänderung der Pariser Konvention v. 1858 (vgl. dazu →Donaufürstentümer) eingeführt hatte: Die Fronleistungen wurden endgültig abgeschafft u. den Bauern gegen Abzahlung ein sehr geringer Teil desjenigen Bodens, den sie bis dahin eigenständig bearbeitetet hatten, als Eigentum übertragen. Als Voraussetzung wurden 1863 die Klostergründe säkularisiert, v. a. diejenigen der seit dem 16. Jh. den Patriarchaten des Orients sowie dem Sinai u. dem →Athos „gewidmeten“ (übereigneten) Klöster, v. denen kontinuierlich Geldsummen aus den Fürstentümern abgeflossen waren. Die Nachfolge des durch eine Palastrevolution abgesetzten Cuza fiel an das Haus →Hohenzollern, beginnend mit Carol I. Dessen Amtszeit (1866–1914) war gekennzeichnet durch die Teilnahme am Krieg Russlands gegen das Osm. Reich (1877/1878) (→Orientalische Krise), die Übernahme der Nord-→Dobrudscha (mit Constanţa) u. damit eines breiten Zugangs zum Schwarzen Meer, die Erlangung der Unabhängigkeit – beides als Ergebnis des →Berliner Kongresses (1878) –, die Rangerhöhung zum Königtum (1881, →Regat), das Bündnis (1883) mit Österreich-Ungarn, dem sich Deutschland anschloss, die Vermittlerrolle bei der Beendigung des 2. →Balkankriegs (Friede v. Bukarest 1913) u. hierbei die Inbesitznahme der Süd-Dobrudscha (Cadrilater; „Quatrelatère“). Die Innenpolitik basierte auf einer Balance zw. dem Monarchen u. zwei sich in der Regierung abwechselnden Parteien: den „Nationalliberalen“ u. den „Konservativen“. Eine neue Verfassung (1866) hatte mit Abänderungen bis 1923 Bestand. Das Land, dessen Wirtschaftskraft im Getreideexport lag, suchte den Anschluss an die „moderne“ Zeit: eigene Landeswährung →Leu (1867), Eisenbahninfrastruktur (beginnend 1872 mit der Linie Bukarest-Giurgiu; 1883 Orientexpress) u. Einstieg in eine Industrialisierung über einen Wirtschaftsprotektionismus. Die Erdölförderung nahm soweit zu, dass R. zum fünftgrößten Produzenten der Erde wurde; im Export allerdings überwogen Mais u. Getreide. Weitere Modernisierungen waren die Gründung der →Akademie der Wissenschaften (1879) u. der Beschluss zur Einführung der allg. Schulpflicht (1896). Die zahlreichen „gründerzeitlichen“ Bauten Bukarests stammen hauptsächlich aus dieser Epoche. Der große Bauernaufstand v. 1907 (→Bauernaufstände, 19./20. Jh.), zeigte die gravierende Schwachstelle: die trotz der Agrarreform 1864 nicht verbesserte Lage der Bauern. R., das sich über Jahrzehnte hinweg zu einer soe. Regionalmacht etabliert hatte, verhielt sich 1914 zunächst neutral u. trat 1916 auf der Seite der Entente in den 1. →Wk. ein. Zurückgedrängt auf die östl. Moldau, musste es mit den Mittelmächten den Friedensvertrag v. Bukarest (7.5.1918) abschließen, der nur wenige Monate Bestand hatte. Nach dem Krieg sicherte sich R., gestützt auf Zusagen der Entente (1916), die Bukowina (mit →Czernowitz u. mit der früheren mold. Residenzstadt Suceava), das östl. Banat mit Temesvar (im Streit mit dem „Königreich der Serben, Kroaten u. Slowenen“, →Jugoslawien) sowie Siebenbürgen (mit Klausenburg; Alba Iulia; Hermannstadt, Kronstadt) u. die Siebenbürgen vorgelagerten Komitate (→Maramureş; Szátmar/Satu Mare/Sathmar; Crişana/Kreischgebiet mit Oradea/Großwardein). Im August 1919 stießen rum. Truppen bis Budapest vor u. brachten durch ihren Anmarsch die ung. →Räterepublik zu Fall. →Bessarabien hatte sich aus dem auseinanderbrechenden Russ. Reich gelöst; ein Landesrat (Sfat Ţării) erklärte die Autonomie (15.12.1917), die Unabhängigkeit (6.2.1918) u. dann die Vereinigung mit Rumänien
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(9.4.1918). Auch in Siebenbürgen u. in der Bukowina sprachen sich Landesräte als Vertreter der dortigen rum. Bevölkerungsteile für eine Vereinigung aus. Die Gebietserwerbungen wurden durch die Friedensverträge v. →Saint Germain (1919), →Neuilly (1919) u. →Trianon (1920) u. hinsichtlich des Banats in einem Vertrag mit dem Kgr. der Serben, Kroaten u. Slowenen sanktioniert. Für Bessarabien jedoch lehnte Moskau eine verbindliche Abtretung ab; die Beziehungen mit Moskau blieben wegen Bessarabien belastet (vgl. a. zur sowj. Politik der Zwischenkriegszeit →Moldau, Republik; →Transnistrien). Administrativ verlief die Eingliederung der neuen Gebiete durch Übertragung des zentralistischen Systems des „Regats“. Die Entstehung „Großrumäniens“ fand ihren Abschluss in der Krönung Ferdinands I. (1914–1927) zum „Kg. der Rumänen“ (1922), statt bisher „Kg. von Rumänien“, sowie in einer neuen Verfassung (1923). Die Staatsform blieb eine parl. Monarchie mit einer starken Stellung des Kg.s. Die um die Metropolien Bukowina u. Siebenbürgen sowie um das Bistum Bessarabien erweiterte Orthodoxie wertete die Metropolie Bukarest zu einem →Patriarchat auf (1925). Mit Klausenburg u. Czernowitz erhielt R. 1918/19 zwei weitere bestehende Universitäten; sie wurden durch Rumänisierung angepasst. Eine Agrarreform (ab 1918; →Bodenreformen) reichte nicht aus, so dass 1938 noch immer ca. 75 % der →Bauern weniger als 5 ha zu eigen hatten. Andererseits gab es nicht genügend Arbeitsplätze, obwohl Industriezonen mit Eisenerz, Kohle u. Maschinenbau (im Banater Bergland u. in Siebenbürgen) hinzugekommen waren u. zahlreiche Betriebe produzierender u. verarbeitender Art in Fortsetzung der protektionistischen Wirtschaftspolitik neu errichtet wurden. Auch das neue R. blieb überwiegend Agrarland, im europ. Vergleich mit einem geringen Pro-Kopf-Einkommen u. mit einer hohen Auslandsverschuldung. →Bukarest, dessen Einwohnerzahl sich mehr als verdoppelte, gewann in seinem Zentrum weltstädtischen Charakter, der Königspalast erhielt seine heutige Gestalt, während weder die ausufernden Ränder der Stadt noch das flache Land mithielten, am wenigsten die rückständigen Gebiete Bessarabien u. Süd-Dobrudscha. Die Gebietsgewinne brachten einen beträchtlichen Anteil (ca. 28 %) an nichtrum. Bev.: v. a. Magyaren (einschließlich der 7,9 % →Székler), Deutsche 4,1 %; Juden 4,1 %; Ukrainer 3,2 %; Russen 2,3 % (1930), so dass die Situation der Minderheiten u. die Politik ihnen gegenüber, in Anwendung des Minderheitenschutzvertrags (1919), zu einer Herausforderung wurde, bei allg. Toleranz u. Gleichberechtigung, aber auch belastet durch Ungleichbehandlung (→Minderheiten). Durch die neuen Gebiete waren in relig. Hinsicht, v. den bereits im Regat anwesenden Juden abgesehen, nun auch die →Unierten, röm. Katholiken, →Calviner u. →Lutheraner vertreten. Die Aufhebung des Zensuswahlrechts hatte das Parteiengefüge verändert (→Parteien, Rumänien). Die „Nationalliberalen“, geprägt durch den bedeutenden Politiker Ion I.C. Brătianu (1864–1927), behielten ihre Stellung, die Partei der Großgrundbesitzer („Konservative“) verschwand, dafür kamen 1927 die „Nationale Bauernpartei“ u. 1930 die rechtsgerichtete u. gewalttätig agierende →„Eiserne Garde“. Die mitgliederschwache KP existierte seit ihrem Verbot 1924 nur noch im Untergrund. Der für R. charakteristische häufigere Machtwechsel zw. Parteien bzw. Parteiengruppierungen, bei Wahlniederlagen für die vorher an der Regierung befindliche Partei, spielte sich wieder ein, erleichtert durch das Wahlgesetz v. 1926, das die jeweils erfolgreichste Partei zusätzlich begünstigte, sowie durch Mithilfe der Staatsverwaltung bei der Steuerung der Wahlen. Eine zunehmende Missstim-
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mung über den Parteienstaat erleichterte es Kg. Carol II. (1930–1940), die Demokratie abzuschaffen u. eine „Königsdiktatur“ (→Diktaturen) mit einer per Volksabstimmung fast „einstimmig“ bestätigten Verfassung u. mit einer Einheitspartei zu errichten. Als Gründe nannte er die Gefährdung des Staates durch die „Eiserne Garde“ sowie die schwieriger gewordene außenpol. Lage. Die Regierungsgewalt wechselte mehrmals. Carol II. übertrug sie (4.9.1940) mit umfangreichen Vollmachten dem General Antonescu (1882–1946), der seinerseits (6.9.1940) den Kg. zur Abdankung zugunsten v. dessen Sohn Mihai (→Hohenzollern; a. →Wiener Schiedssprüche) zwang. Antonescu, „Conducător statului“ u. ab 1941 Marschall, erhob kurzzeitig die „Garde“ zur Staatspartei („Nationallegionärer Staat“), entledigte sich (Januar 1941) ihrer aber auf einen Aufstandsversuch hin u. richtete ein persönliches autoritäres Regime ein. Diese Änderungen hingen mit der Zwangslage Rumäniens zw. dem Dt. Reich u. der Sowjetunion zusammen. R. hatte sich nach dem Ende des 1. Wk.s in dem mit dem Kgr. der Serben, Kroaten und Slowenen und der Tschechoslowakei in bilateralen Verträgen abgeschlossenen →„Kleinen Entente“ u. 1934 im →„Balkanpakt“ (mit Jugoslawien, Griechenland u. der Türkei) außenpol. einen Rückhalt verschafft. Die Verträge erwiesen sich jedoch bereits im Vorfeld des 2. Wk.s als wirkungslos. Nach einer kurzen Phase der Neutralitätspolitik geriet R. in Abhängigkeit v. →Deutschland, die sich verstärkte, als die Sowjetunion auf den →Ribbentrop-Molotov-Pakt hin die Nord-Bukowina u. Bessarabien (Juni 1940) annektierte. Dann erzwangen Deutschland u. Italien (2. →Wiener Schiedsspruch, August 1940) die Abtretung Nord-Siebenbürgens an Ungarn, im September 1940 die Rückgabe der 1913 erworbenen Süd-Dobrudscha an Bulgarien. Am 27.9.1940 folgte der Beitritt Rumäniens zum Bündnis der Achsenmächte („Drei-Mächte-Pakt“); dt. „Lehrtruppen“ kamen zur Absicherung der Ölfelder sowie zum Aufmarsch gegen die Sowjetunion ins Land. Die „dt. Volksgruppe“ erhielt 1940 eine Sonderstellung (→Volksdeutsche). R. schloss sich dem Angriff auf die Sowjetunion an (2. →Weltkrieg), gewann Bessarabien sowie die Nord-Bukowina zurück u. richtete in der Ukraine ein Besatzungsgebiet →„Transnistrien“ (a. →Holocaust) ein. Rum. Truppen gelangten im Verband der Wehrmacht bis zur Krim, zur Wolga u. zum Nord-Kaukasus. Erhebliche Verluste, bereits seit 1941 der Kriegszustand mit Großbritannien u. den USA sowie die zwangsweise Belieferung der dt. Kriegswirtschaft mit Erdöl, waren die Kehrseite. Nach dem kontinuierlichen Rückzug seit der Schlacht um Stalingrad, wo zwei rum. Armeen untergingen, drohte im August 1944 das milit. Ende, als die „Rote Armee“ in die Moldau u. in das südl. Bessarabien vorstieß. Kg. Mihai ließ (in Absprache mit den Führern der Liberalen, der Bauernpartei, der Sozialdemokraten u. der Kommunisten) Antonescu am 23.8.1944 verhaften u. ernannte eine Übergangsregierung. Zwei Tage später erging die Kriegserklärung an Deutschland, aber der Waffenstillstand mit der Sowjetunion (auch im Namen der Westalliierten) konnte erst am 12.9.1944 abgeschlossen werden. Dessen Bestimmungen fanden sich 1947 im Friedensvertrag v. Paris, abgeschlossen mit den Siegermächten des Kriegs, wieder: Rückgewinnung Nord-Siebenbürgens, Abtretung Bessarabiens u. der Nord-Bukowina an die Sowjetunion, Reparationen, Stationierung v. Sowjettruppen. Die letzten Kriegsmonate hatten hohe Schäden in Städten sowie im Erdölgebiet (Ploeşti) hinterlassen.
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R., als sowj. besetztes Land behandelt u. wirt. ausgebeutet, wobei die arbeitsfähige dt. Bev. in die Sowjetunion verschleppt wurde (a. →Siebenbürger Sachsen), stand bis 1947 unter Aufsicht einer v. der Sowjetunion beherrschten alliierten Kontrollkommission. Unter dem Ministerpräsidenten (1945–1952) Petru Groza u. dem dominierenden Chef (1944–1954, 1955–1965) der „Rumänischen Arbeiterpartei“ (ab 1965 „Kommunistische Partei“) Gheorghe Gheorghiu-Dej wurde die sowj. Staats-, Wirtschafts- u. Gesellschaftsordnung übernommen, markiert durch manipulierte Parlamentswahlen (1946), Abschaffung der Monarchie u. Ausrufung der „Volksrepublik“ (1947) sowie durch eine neue Verfassung (1948, geändert 1952 u. 1965). Am Vorbild der Sowjetunion orientierten sich: Einparteienstaat totalitärer Prägung, Gleichschaltung der Presse u. der ges. Organisationen, restriktive Religionspolitik, darunter 1948 Zwangsrückgliederung der unierten Kirche in die Orthodoxie, Monopolisierung v. Kultur u. Bildungswesen, Marxismus-Leninismus als Staatsideologie, Stalin-Kult, Einführung des verpflichtenden Russischunterrichts, aber auch Ausbau des Schulwesens, Beseitigung des Analphabetentums, Gründung weiterer Universitäten (Timişoara 1962, Craiova 1966) u. Einführung des Wahlrechts für Frauen. In der Wirtschaftsordnung waren es Planwirtschaft (ab 1949), Verstaatlichungen, Großkombinate sowie eine forcierte →Industrialisierung mit Priorität der Schwerindustrie. 1959 liefen die 1949 beschlossene Zwangskollektivierung u. die Einrichtung v. Sowchosen voll an, nachdem 1945 durch eine →Bodenreform die Obergrenze landwirt. Güter erneut herabgesetzt u. bestimmte Gruppen (die dt. Bev., „Kriegsverbrecher“ u. „Kollaborateure“ u. a.) ganz enteignet worden waren, zugunsten landloser u. landarmer Bauern, gefolgt 1949 v. weiteren Enteignungen. In den „Ostblock“ wurde R. durch bilaterale Verträge mit der Sowjetunion u. mit den anderen „sozialistischen“ Staaten sowie durch den Wirtschaftsverbund RGW (COMECON) (1949) u. den Militärverbund →Warschauer Pakt (1955) eingegliedert. Das 1948 in die Verfassung übernommene „Nationalitäten-Statut“ (1945) erlaubte eine offene Minderheitenpolitik, nach jahrelanger Verzögerung auch für die dt. Bev.; 1952 entstand eine „Autonome ungarische Region“ im siebenbürgischen →Széklerland. Die Zeit 1965 bis 1989 war geprägt durch Nicolae Ceauşescu (1918–1989), KP-Generalsekretär, ab 1974 auch Inhaber des neu geschaffenen Amtes „Präsident der Republik“. Seine Politik der „nationalen Souveränität“, bereits unter Gheorghiu-Dej vorsichtig eingeleitet, bewirkte eine gewisse, demonstrativ aufrecht erhaltene Eigenständigkeit gegenüber dem „Sowjetblock“ sowie, nach einer lib. Anfangsphase, eine übersteigerte Selbst-Isolierung des Landes u. seiner Bev. nach allen Seiten, die Heraushebung eines rum. Nationalismus, einen Polizeistaat sowie einen Personenkult um den „conducător“. Ende der 60er Jahre setzte Druck auf die nichtrum. Bev. ein, sichtbar am Abbau der „Autonomen ungarischen Region“ (1968). (Eine Folge dieser Politik war auch die Massenauswanderung der Rumäniendeutschen nach der „Wende“ 1989.) Der aufwendige Bau des Donau-Schwarzmeer-Kanals, 1949 begonnen u. 1953 eingestellt, wurde 1975 wieder aufgenommen u. 1984 vollendet. Eine massiv vorangetriebene, betriebs- u. volkswirt. fragwürdige Industrialisierung, die überdies zu Lasten der Landwirtschaft ging, überzogene Großprojekte sowie in den 80er Jahren der Kraftakt einer Rückzahlung der Auslandsschulden zerrütteten die Wirtschaft u. verschlechterten die Lebensbedingungen drastisch. Diese Politik kulminierte im Abriss eines Teils der Bukarester Altstadt zur Errichtung der monumentalen „casa poporului“ sowie in der 1988 anlaufenden
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Abtragung v. Dörfern u. der Zusammenfassung ihrer Bewohner in Siedlungszentren („Systematisierung“). Seit dem Sturz u. der Hinrichtung Ceauşescus (Dezember 1989) beschritt R. als „Reformstaat“ unter den Staatspräsidenten Ion Iliescu (1990–1996), Emil Constantinescu (1996– 2000) u. erneut Iliescu (2000ff.) über neue Verfassungen (1991 u. 2003) u. über zahlreiche Änderungen den mühsamen Weg der Normalisierung, Demokratisierung, Liberalisierung u. Annäherung an das westl. Europa. Die Aufarbeitung der komm. Vergangenheit kam dagegen nur sehr schleppend voran. 2004 trat R. der Nato, 2007 der EU bei. Infolge der Eurokrise u. unpopulärer Sparmaßnahmen, verschärft durch Misswirtschaft u. Korruption sowie durch einen andauernden Machtgegensatz zw. Regierung u. Präsident, stürzte das Land ab 2012 in eine schwere innenpol. Krise. Lit. (a. →Donaufürstentümer): R. Dinu, Diplomaţia vechiului regat 1878–1914. Studii. Bucureşti, Cluj-Napoca 2014; M. Hein, Verfassungskonflikte zwischen Politik u. Recht in Südosteuropa. Bulgarien u. Rumänien nach 1989 im Vergleich. Baden-Baden 2013; L. Stan, Transitional Justice in Post-Communist Romania: The Politics of Memory. Cambridge, New York 2013; N. Staab, Rumänische Kultur, Orthodoxie u. der Westen. Der Diskurs um die nationale Identität in Rumänien aus der Zwischenkriegszeit. Frankfurt/M. u. a. 2011; T. Solomovici, Mareşalul Ion Antonescu. O biografie. Bucureşti 2011; B. Murgescu, Romania şi Europa. Acumularea decalajelor economice (1500–2010). București 2010; Kilometer Null. Politische Transformation u. gesellschaftliche Entwicklungen in Rumänien seit 1989. Hgg. Th. Kahl/L. Schippel. Berlin 2010; Die Hohenzollern in Rumänien, 1866–1947. Eine monarchische Herrschaftsordnung im europäischen Kontext. Hgg. E. Binder-Iijima u. a. Köln u. a. 2010; Texte şi documente privind istoria modernă a Românilor. Bd.1: 1774–1866. Bd 2: 1866–1918. Hg. I. Oncescu. Târgovişte 2009; S. Marton, La construction politique de la nation. La nation dans les débates du Parlament de la Roumanie (1866–1871). Iaşi 2009; Rumänien. Raum u. Bevölkerung – Geschichte u. Geschichtsbilder – Kultur – Gesellschaft u. Politik heute – Wirtschaft – Recht – Historische Regionen. Hgg. Th. Kahl/M. Metzeltin/M.R. Ungureanu. 2 Bde. Wien, Berlin 22008; T. Gallagher, Modern Romania: The End of Communism, the Failure of Democratic Reform, and the Theft of a Nation. New York 2008; A. Drace-Francis, The Making of Modern Romanian Culture. Literacy and the Development of National Identity. London 2006; D. Deletant, Hitler’s Forgotten Ally. Ion Antonescu and his Regime, Romania 1940–44. Basingstoke 2006; S. Balta, Rumänien u. die Großmächte in der Ära Antonescu (1940–1944). Stuttgart 2005; D. Müller, Staatsbürger auf Widerruf. Juden u. Muslime als Alteritätspartner im rumänischen u. serbischen Nationscode. Ethnonationale Staatsbürgerschaftskonzepte 1878–1941. Wiesbaden 2005; E. Binder-Iijima, Die Institutionalisierung der rumänischen Monarchie unter Carol I.: 1866–1881. München 2003; L. Boia, Geschichte u. Mythos. Über die Gegenwart des Vergangenen in der rumänischen Gesellschaft. Köln u. a. 2003; Vl. Tismăneanu, Stalinism for all Seasons. A political history of Rumanian communism. Berkeley/Calif. u. a. 2003; „Bande, bandiţi şi eroi“. Grupurile de rezistenţă şi Securitatea (1948–1968). Documente. Hg. F. Dobre. Bucureşti 2003; M. Bărbulescu u. a., Istoria României. ebd. 2002; O. Kolar, Rumänien u. seine nationalen Minderheiten 1918 bis heute. Wien 1997; H.C. Maner, Parlamentarismus in Rumänien (1930–1940). München 1997;
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Rumelien (türk. Rum ili „Land der →Rhomäer“). Aus dem Türk. abgeleitete Bez. für die Balkanhalbinsel, speziell die ursprünglich den gesamten osm. →Balkan umfassende Provinz (→Eyalet) Rumili. Das Amt des →Beylerbeyi von R. war das erste Beylerbeyilik des Reiches nicht nur nach dem Zeitpunkt seiner Gründung, sondern auch hinsichtlich seines Ranges; es war nach der Eroberung von Adrianopel (Edirne) 1362 erstmals an den Prinzenerzieher (türk. lala) Şahin verliehen worden. Während des 14. und der ersten H. des 15. Jh.s hatte der Beylerbeyi von R. in Edirne, der neuen Hauptstadt des Reiches, seinen Sitz, wo er an den Beratungen des großherrlichen →Diwan teilnahm. Da er mit den →Spahi aus ganz R. die auch zahlenmäßig wichtigsten Kavallerie-Kontingente des Reiches befehligte, war sein Amt gelegentlich mit dem des →Großwesirs in Personalunion verbunden. Die im Laufe des 15. Jh.s dem Reich hinzugewonnenen Territorien auf europ. Boden wurden R. zugeschlagen, einschließlich der Erwerbungen im Schwarzmeergebiet bis zur →Krim. Erst mit Gründung des Beylerbeyilik von Budin (Ofen) 1541 nahm der Prozess der Aufteilung v. R. auf mehrere Statthalterschaften seinen Anfang. Damit wurde das Gebiet des Statthalters v. R. immer kleiner, bis es gegen Mitte des 19. Jh.s nur noch die →Sancaks von Manastir/Bitola (mit 11 →Kaza), Kastoria (8 K.), Ohrid (12 K.) u. Scutari/Shkodër (7 K.) umfasste. – Nach den Aufzeichnungen Iacopo di Promontorio de Campis von 1475 gliederte sich R. in die Amtsbezirke von 17 Sancak-Beyis, die unter dem Banner des Beylerbeyi von R. an die 22.000 Timarioten (→Timar), 8.000 Mann (zumeist unbesoldeter, mit Kriegsbeute belohnter) Streiftruppen („Renner u. Brenner“, türk. akıncı) u. 6.000 Fußsoldaten (türk. azeb) ins Feld führten: 1. Istanbul 2. Gallipoli 3. Adrianopel 4. Nikebolu 5. Vidin 6. Sofia 7. Serbien – Laz ili 8. Serbien – Despot ili 9. Vardar–Evrenos 10. Skopje 11. Albanien – Iskender Beg 12. Albanien – Araniti 13. Bosnien, kgl. Anteil 14. Bosnien, Anteil Stefans 15. Arta, Zituni u. Athen 16. Morea 17.
Rumelien / Russinen / Russland, Sowjetunion
Manastir. 1475 war außerdem Kaffa (auf der Krim) dem Osm. Reich u. damit R. eingegliedert worden, ohne hier bereits erwähnt zu werden (es wurde 1568 eine eigene Statthalterschaft). – Die Gesamtbev. von R. wird für die Zeit um 1535 auf ca. 5 Mio. geschätzt; noch im 19. Jh. überwog mindestens regional der Anteil der Christen (→Islamisierung). R. war Hauptrekrutierungsgebiet der →Knabenlese u. stellte selbst noch nach deren Einstellung aus den Reihen seiner Muslime Großteil der osm. Führungskräfte in Armee u. Verwaltung. Lit. (a. →Osm. Reich): R.S. Gradeva, War and Peace in Rumeli, 15th to beginning of 19th century. Istanbul 2008; dies., Rumeli under the Ottomans, 15th–18th centuries. Institutions and communities. Istanbul 2004; M. Ursinus, Grievance administration (șikayet) in an Ottoman province. The Kaymakam of Rumelia’s Record book of complaints of 1781–1783. London u. a. 2004; H. İnalcık, Rūmeli, in: EI2 (Bibl.). M. U.
Russinen (a. Rusnaken; russin. Rusnaci; slowak., serb. Rusini). Ostslav. Bev. in der →Karpato-Ukraine, →Bukowina, Südpolen, Ostslowakei, v. letzterer ab Mitte des 18. Jh.s Abwanderung eines Teils in die →Batschka, nach →Slawonien u. →Syrmien; früher häufig auch als →„Ruthenen“, z. T. als →„Huzulen“, später meist als „Ukrainer“ oder auch „Lemken“ (in Polen) bezeichnet. Ihre Sprache weist neben ostslav. v. a. auch ostslowak. Züge auf (daneben je nach Umgebung ferner polnische u. südslav. Elemente), so dass es auch als Misch- oder Übergangsdialekt bezeichnet wird. In Jugoslawien erhielt das Russinische (hier wohl meist ostslowakisch geprägt) nach dem 2. Wk. weitgehenden Minderheitenschutz u. entwickelte sich in der →Vojvodina (dort 2002 15.626 R. oder 0,77 % der Gesamtbev.; 2011 noch 13.928 R.) sogar zu einer „Mikro(standard)sprache“; kulturelles Zentrum: Ruski Krstur; Religionszugehörigkeit: vorwiegend griechisch-katholisch (→Unierte). Lit.: Die Ukrainer (Ruthenen, Russinen) in Österreich-Ungarn u. ihr Sprach- u. Kulturleben im Blickfeld von Wien u. Budapest. Hgg. M. Moser/A. Zoltán. Wien u. a. 2008; Encyclopedia of Rusyn history and culture. Hg. P.R. Magocsi. Toronto u. a. 2002; Focus on the Rusyns. International Colloquium. Hg. T. Trier. Kopenhagen 1999; A.L. Petrov, The Oldest Documents Concerning the History of the Carpatho-Rusyn Church and Eparchy, 1391–1498. New York 1998 (11930 Praha, tschech.); P. Rehder, Einführung in die slavischen Sprachen. Darmstadt 31998; P.R. Magocsi, Die Russinen: Ihr gegenwärtiger Status u. ihre Zukunftsperspektiven, Osteuropa 1993/9, 809–824; H.D. Pohl, Die Rusinen – ein Volksstamm slowakischer Herkunft in Jugoslawien, Der Donauraum 20 (1975), 40–46; A.D. Duličenko, Stanovlenie i razvitie rusinskogo literaturnogo jazyka v Jugoslavii, Sovetskoe slavjanovedenie 1972/3, 38–50; M.M. Kočiš, Pravopis ruskogo jazika. Novi Sad 1971; G. Kostel’nik, Grammatika bačvan’skogo-ruskej bešedi. Sremski Karlovci 1923. K. St.
Russland, Sowjetunion. 1. Zarenreich: Das russ. Interesse an der Balkanhalbinsel u. an den Meerengen war sehr alt u. bildete einen wesentl. Bestandteil der russ. Großmachtpolitik seit Peter I. Als mit dem Niedergang des Osm. Reiches die →„Orientalische Frage“ u. damit
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auch die →„Meerengenfrage“ auf die Tagesordnung der europ. Politik kam, geriet SOE zunehmend unter russ. Einfluss u. spielte eine Schlüsselrolle im europ. Mächtegleichgewicht. Insbesondere →Konstantinopel übte auf die einzige orth. Großmacht eine magische Anziehungskraft aus. Obwohl R. sich im 18. Jh. kräftig nach Süden ausdehnte u. bis 1774 auch die osm. Vormacht am Schwarzen Meer brechen konnte (→Küçük Kaynarca; →Krim), ging es stets um mehr als nur um territ. Gewinn. Vielmehr fühlte sich die russ. Regierung zum Schutz der orth. Christen auf dem Balkan aufgerufen, u. hoffte gleichzeitig, irgendwann auch wieder den Halbmond auf der Hagia Sophia durch das Kreuz zu ersetzen (vgl. →Griechisches Projekt). Die entscheidende Wende in den Auseinandersetzungen mit dem Osm. Reich sowie für die Intensivierung der Beziehungen mit den Balkanvölkern über die längst bestehenden kult. u. geistlichen Verbindungen hinaus (zu früheren pol. Einflussnahmen vgl. →Montenegriner) stellte 1774 der Frieden v. →Küçük Kaynarca dar, der R. nicht nur die freie Schiffahrt im Schwarzen Meer u. durch die Meerengen gewährte, sondern ihm mit der osm. Zusage, die christl. Religion u. ihre Kirchen zu schützen, auch die Möglichkeit eröffnete, zugunsten der christl.-orth. Untertanen des Sultans zu intervenieren (→Kultusprotektorat). Das erleichterte die russ. Einflussnahme u. erhöhte die Aussicht, durch eine tatkräftige Unterstützung des Unabhängigkeitsstrebens der christl. Balkanvölker, die „ungläubigen Türken“ aus Europa zu vertreiben. Allerdings stießen die russ. Ambitionen gegenüber SOE schnell auf die Interessen der anderen Großmächte, denen die relig. u. ethn. Motive fehlten u. deren Expansion oder Einflussnahme R. zu verhindern suchte. Mit dem Kampf um die Hegemonie begann die dramatische Verknüpfung v. Mächtekonstellation u. →Nationsbildung in SOE, u. die „Orientalische Frage“ geriet in das Spannungsfeld zw. Russland, dem Westen u. dem Islam. Nachdem die russ. Aufmerksamkeit zunächst den Emanzipationsbestrebungen der Griechen u. Rumänen gegolten hatte, wurde durch die Staatsbildung der Serben seit ihrer nationalen Revolte v. 1804 (→Serben; →Befreiungskriege) in der ersten H. des 19. Jh.s Serbien zum wichtigsten Faktor einer überaus erfolgreichen russ. Balkanpolitik. Während der Revolution v. 1848 stellte sich R. allerdings auf die Seite der kons. Mächte u. intervenierte militärisch in der Moldau u. in Ungarn (→Revolution v. 1848/49 [Donaufürstentümer], [Ungarn]). In der zweiten Hälfte des 19. Jh.s sollte das 1878 v. osm. Herrschaft befreite Bulgarien (→Berliner Kongress) zur Trumpfkarte der russ. Diplomatie gegen die Konkurrenten Österreich-Ungarn u. England werden, ohne dass sich dadurch die frühere Vormachtstellung wiederherstellen ließ. Der Einsatz milit. Macht war das wichtigste Mittel zur Ausdehnung u. Sicherung des russ. pol. Einflusses auf dem Balkan. Am besten garantierten russ. Besatzungen die gewünschte Beeinflussung pol. Entwicklungen, wie im Falle der →Donaufürstentümer Moldau/Walachei u. Bulgariens. Bis 1914 war es nur Albanien, das seine Unabhängigkeit ohne russ. Unterstützung erreichte. Zwar blieb der Einfluss der russ. Literatur u. der radikalen Ideen, die den soz. Wandel betrafen, unvermindert stark, doch nach der Niederlage im →Krimkrieg 1856 verschlechterte sich die machtpol. Position R.s auf dem Balkan, was nicht zuletzt auf die Auswirkungen des pol. u. soz. Wandels im Zarenreich sowie auf die mangelnden wirt. Einflussmöglichkeiten zurückzuführen war. Die hohen Kosten der zahlreichen milit. Interventionen zugunsten der um ihre Freiheit kämpfenden Balkanvölker haben R.s wirt. Schwierigkeiten noch vergrößert u. weder territ. noch machtpol.
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viel gebracht. Zum Dilemma wurde außerdem, dass R. zwar als Befreier willkommen war, als neuer Herrscher aber auf feindselige Ablehnung stieß, u. dass die erwartete „Dankbarkeit“ der befreiten Völker gering blieb. Obwohl man in Petersburg gehofft hatte, durch das russ. Engagement treue Verbündete zu gewinnen, konnten 1914 nur noch Serbien u. Montenegro als solche gelten. Dennoch hielten die meisten russ. Politiker an der Vorstellung fest, dass R. eine hist. Verantwortung gegenüber den „slavischen Brüdern“ habe (→Panslawismus). Insbesondere der diplomatische Vertreter R.s in Belgrad, Nikolai Hartwig, spielte bei der pol. Vorbereitung der →Balkanrkriege eine aktive Rolle u. stärkte in der Julikrise 1914 das serb. Selbstbewusstsein. Bereits zwei Tage nach dem →Attentat v. Sarajevo verfügte Zar Nikolai II. die Lieferung v. über 120.000 Gewehren u. 120 Mio. Schuss Munition an Serbien. So ließ sich R. immer mehr in eine Konfrontation mit Deutschland u. Österreich hineinmanövrieren u. riskierte in Anbetracht der v. Österreich angestrebten „Abrechnung“ mit Serbien schließlich sogar einen großen Krieg. 2. Sowjetunion, Russland ab 1992: Nach der Oktoberrevolution u. der Formierung der Sowjetunion (SU) brachen die meisten Verbindungen zu den Königreichen in SOE ab u. auch der russ. kult. Einfluss ging stark zurück. In der Zwischenkriegszeit konzentrierte sich die SU auf die „Bolschewisierung“ der zumeist nach kurzer Zeit verbotenen Komm. Parteien in der Region (→Komintern), verbunden mit der „Säuberung“ pol. unliebsamer Führungskader. Erst der →Ribbentrop-Molotov-Pakt vom Aug. 1939 eröffnete Stalin neue Handlungsspielräume. In einem Ultimatum forderte er im Juni 1940 Rumänien ultimativ zur Räumung →Bessarabiens u. des nördl. Teils der→Bukowina auf. Ein nach dem Putsch in Belgrad vom 27.3.1941 geschlossener Freundschaftsvertrag mit Jugoslawien blieb dagegen folgenlos. Nach dem Beginn von Hitlers Ostfeldzug, an dem sich auch die rumänische u. ungarische Armee beteiligte, forderte Stalin zwar die Kommunisten zum Widerstand auf, hielt sich mit Rücksicht auf die westl. Verbündeten v. einer aktiven Unterstützung der komm. Widerstandsbewegungen aber lange Zeit zurück. Im Okt. 1944 verständigten sich der brit. Premierminister Churchill u. Stalin auf eine Aufteilung der beiderseitigen Interessensphären (Einzelheiten →Wk., Zweiter). Mit dem Einmarsch der Roten Armee in Rumänien, Bulgarien u. Ungarn u. der Bildung Interalliierter Kontrollmissionen (unter sowj. Vorsitz) konnte die SU ihre Vormachtstellung in den besetzten, später „befreundeten“ Teilen der Region etablieren u. während des →Kalten Krieges zu einem bisher nie gekannten Ausmaß erweitern (→Volksdemokratien; →Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe; →Warschauer Pakt). Dagegen setzten die →Truman-Doktrin v. 1947, der Bruch zw. Moskau u. Belgrad 1948 (→Kominform, Kominformkonflikt) u. die Niederlage der Kommunisten im gr. →Bürgerkrieg 1949 einer weiteren Expansion des sowj. Einflusses Grenzen. Auch →Jugoslawien u. später →Albanien entzogen sich der Moskauer Vormundschaft. Trotz einer zeitweiligen Wiederannäherung zw. dem sozialist. Jugoslawien u. der SU nach Stalins Tod hielt die Belgrader Führung an ihrem eigenen Sozialismus-Modell u. an der Blockfreiheit fest. Die milit. Niederschlagung des Volksaufstands in →Ungarn 1956 u. die milit. Intervention in der Tschechoslowakei 1968 machten deutlich, dass die SU weitere Einbußen ihrer Machtsphäre nicht hinnehmen wollte. Am 12. Nov. 1968 verkündete der sowj. Parteichef Leonid Brežnev auf dem 5. Parteitag der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei die sog. „Brežnev-Doktrin“. Sie ging von der „be-
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Russland, Sowjetunion
schränkten Souveränität“ der sozialist. Staaten aus u. leitete daraus das Recht zur Intervention ab, wenn in einem dieser Staaten der Sozialismus bedroht würde. Der Kernsatz der Doktrin lautete: „Die Souveränität der einzelnen Staaten findet ihre Grenze an den Interessen der sozialist. Gemeinschaft.“ Unter Mihail Gorbačëv rückte die UdSSR in den 1980er Jahren zwar von der Breschnew-Doktrin ab, aber erst mit Krise u. Kollaps der sozialist. Systeme 1989 konnten sich Ungarn, Rumänien u. Bulgarien aus der Vorherrschaft der SU, die sich Ende 1991 auflöste, befreien. Doch schon im Konflikt zw. der Republik →Moldau u. →Transnistrien sowie in den →postjugoslawischen Kriegen u. in der →Kosovo-Frage (Parteinahme zugunsten Serbiens) setzte sich die russ. Einflussnahme auf die pol. Entwicklung in SOE in der alten Tradition fort u. erreichte mit dem Anschluss der →Krim an die Russ. Föderation im März 2014 einen neuen Höhepunkt.
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Lit. 1. Zarenreich (a. →Türkenkriege, →Griechisches Projekt; →Orientalische Frage): War and diplomacy. The Russo-Turkish War of 1877–1878 and the Treaty of Berlin. Hg. M.H. Yavuz. Salt Lake City 2011; E.P. Kudrjavceva, Russkie na Bosfore. Rossiskoje posol’stvo v Konstantinopole v pervoj polovine XIX v. Moskva 2010; A. Dialla, Ē Rōsia apenanti sta Balkania. Ideologia kai politikē sto deutero miso tu 19u aiōna. Athēna 2009; A. Bitis, Russia and the Eastern Question. Army, government and society, 1815–1833. Oxford u. a. 2006; Za balkanskimi frontami Pervoj mirovnoj vojny. Hg. V.N. Vinogradov. Moskva 2002; Vek Ekateriny II: dela balkanskie. Hg. V.N. Vinogradov. Moskva 2000; Aleksandr I, Napoleon i Balkany. Hg. V. N. Vinogradov. Moskva 1997; E. Kraft, Moskaus griechisches Jahrhundert. Russisch-griechische Beziehungen u. metabyzantinischer Einfluß 1619–1694. Stuttgart 1995; B. Jelavich, Russia’s Balkan Entanglements 1806–1914. New York 1991 (Neuaufl. Cambridge u. a. 2004); B. Jelavich, Russia and the Formation of the Romanian National State 1821–1878. New York 1984; L.P. Meriage, Russia and the First Serbian Revolution 1804–1813. ebd. 1987; A. Rossos, Russia and the Balkans. Inter-Balkan rivalries and Russian foreign policy 1908–1914. Toronto u. a. 1981; D. Geyer, Der russische Imperialismus. Studien über den Zusammenhang v. innerer u. äußerer Politik 1860–1914. Göttingen 1977; Ch. Jelavich/B. Jelavich, The Establishment of the Balkan National States 1804–1920. Seattle 1977; D. Beyrau, Russische Orientpolitik u. die Entstehung des Deutschen Kaiserreichs 1866–1870/71. Wiesbaden 1974; T. Stoianovich, Russian Domination in the Balkans, in: Russian Imperialism from Ivan the Great to the Revolution. Hg. T. Hunczak. New Brunswick/NJ 1974, 198–238; G. Hünigen, Nikolai Pavlovič Ignatiev u. die russische Balkanpolitik 1875–1878. Göttingen 1968; M.S. Anderson, The Eastern Question, 1774–1923. A Study in International Relations. London 1966; B. Jelavich, Russia, Britain and the Bulgarian Question, 1885–1888. Seattle 1966; B.H. Sumner, Peter the Great and the Ottoman Empire. Oxford 1965; A.N. Kurat, Der Prutfeldzug u. der Prutfrieden von 1711, Jahrbücher für Geschichte Osteuropas, N.F. 10 (1962), 13–66; Ch. Jelavich, Tsarist Russia and Balkan Nationalism. Russian Influence in the Internal Affairs of Bulgaria and Serbia 1876–1886. Berkeley 1958; B.H. Sumner, Russia and the Balkans, 1870–1880. Oxford 1937. 2. Sowjetunion, Russland ab 1992 (vgl. a. die Lit. bei den Verweislemmata): 1956, une date européenne. Hgg. G. Mink/M. Lazar/M. Sielski. Lausanne 2010; F. Sperlea, From the Royal Armed Forces to the Popular Armed Forces. Sovietization of the Romanian military (1948–1955). Boulder/
Ruthenen
Co. 2009; M. Tejchman/B. Litera, Moskva a socialistické zem na Balkán 1964–1989. Vnjí a vnitní aspekty vývoje a rozpadu sovtského bloku na Balkán. Praha 2009; J. Headley, Russia and the Balkans. Foreign policy from Yeltsin to Putin. London 2008; Gy. Dalos/E. Lessing, 1956. Der Aufstand in Ungarn. München 2006; P. Lendvai, Der Ungarnaufstand 1956 – eine Revolution u. ihre Folgen. München 2006; M. J. Ouimet, The Rise and Fall of the Brezhnev Doctrine in Soviet Foreign Policy. Chapel Hill 2003; D. O’Sullivan, Stalins „Cordon sanitaire”. Die sowjetische Osteuropapolitik u. die Reaktion des Westens 1939–1949. Paderborn u. a. 2003; Gleichschaltung unter Stalin? Die Entwicklung der Parteien im östlichen Europa 1944–1949. Hgg. St. Creuzberger/M. Görtemaker. ebd. 2002; Sovetskij faktor v Vostočnoj Evrope. 1944–1948. Dokumenty. Hgg. V.T. Volokotina u. a. Moskva 2002; I. Scurtu, The Red Army in Romania. Iaşi u. a. 2000; R. Heller, Russische Interessen im Balkankonflikt. Rußland u. die internationale Staatenwelt seit 1992. Hamburg 1998; H. Heppner, Der Balkan, die Westmächte u. die Sowjetunion (1919–1945), in: Der Balkan. Eine europ. Krisenregion in Geschichte u. Gegenwart. Hg. J. Elvert. Stuttgart 1997, 119– 132; G.R. Chafetz, Gorbachev, reform, and the Brezhnev doctrine. Soviet policy toward Eastern Europe, 1985–1990. Westport/Conn. 1993; R.A. Jones, The Soviet concept of “limited sovereignty” from Lenin to Gorbachev. The Brezhnev doctrine. New York 1989. K.-H. Sch.
Ruthenen. Auf der mittellat. Form „Ruthenus“ für ukr. Rusyn, abgeleitet v. Rus’, basierendes Ethnonym: 1. früher übliche Bez. für (West)Ukrainer (vgl. Weißruthenen = Weißrussen). 2. Bezeichnung vornehmlich der österr.-ung. Verwaltung für die in Galizien, in den nordostung. Karpaten sowie in der →Bukowina ansässigen Ostslaven, die häufig als Ukrainer betrachtet werden, sich selbst aber als →Russinen bezeichnen; im Westen (Lemberg u. Ungarn) sind sie meist gr.-kath., sonst orth. Ihnen wurden teilweise schon im 19. Jh. in der →Habsburgermonarchie u. später in der Tschechoslowakei eine begrenzte kult. Selbstverwaltung u. Autonomie zugestanden. Während des 1. Wk.s galten die R. in Galizien als unzuverlässig u. russophil u. sahen sich drastischen Repressalien durch die österr.-ung. Armee ausgesetzt. Zwischen 1918 u. 1945 entstanden verschiedene pol. Gebilde der R.: 1918 die „Rus’ka Krajina“ in Ungarn, 1919 „Rusinsko“ oder „Podkarpatská Rus“ in der Tschechoslowakei, die ab 1938 als →„Karpato-Ukraine“ sogar weitgehende Autonomie erhielt. Die Versuche, staatliche Unabhängigkeit zu erlangen, scheiterten jedoch bald: die Lemken gründeten in Ex-Galizien 1918 eine Republik (16 Monate), die →Huzulen 1919 am Ostrand der Karpaten (5 Monate); die Errichtung der Karpato-Ukraine nach dem Ende der Tschechoslowakei scheiterte ebenfalls. Nach dem 2. Wk. wurden die R., auch um Autonomiebewegungen zu unterbinden, überall zu Ukrainern deklariert. Erst seit dem Ende des Sowjet-Imperiums gibt es v. a. in der Karpato-Ukraine eine Wiederbelebung der russinischen Idee u. damit des Zwiespalts zw. dem Bekenntnis zur eigenen Ethnizität oder zum Ukrainertum. Beim Bekenntnis der meisten R. zur Ukraine spielt auch eine Rolle, dass die ukrainische Sprache nach dem Verbot durch den Zaren (1876) in Galizien Asyl fand u. dort v. den R. gepflegt wurde. Lit.: Encyclopedia of Rusyn history and culture. Hgg. P.R. Magocsi/I. Pop. Toronto 2002; A. Teutsch, Das Rusinische der Ostslowakei im Kontext seiner Nachbarsprachen. Frankfurt/M. u.a.
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Sabbatisten / Sabor
2001; W. Bihl, Die Ruthenen, in: Die Habsburgermonarchie 1848–1918. Bd. 3: Die Völker des Reiches. Wien 1980, 555–584; P.R. Magocsi, The Shaping of a National Identity. Subcarpathian Rus’, 1848–1948. Cambridge/Mass., London 1978; G.Y. Shevelov, Die ukrainische Schriftsprache 1798–1965. Wiesbaden. 1966; I. Žeguc, Die nationalpolitischen Bestrebungen der Karpato-Ruthenen 1848–1918. Wiesbaden 1965; P. Diels, Die slavischen Völker. Wiesbaden 1963, 114; F.T. Žylko, Narysy z dialektolohiï ukrains’koï movy. Kiev 1955, 89–155. K. St.
Sabbatisten (a. Sabbatarier, Sabbatianer; ung. szombatosok). Bez. für verschiedene relig. Gruppen, die auf der Feier des Sabbats (statt des Sonntags) bestanden. Darin zeigte sich die Frage nach der Bedeutung des AT für die Kirche, die zeitweilig zu judaisierenden Strömungen führte. In →Siebenbürgen entstand die Gruppe als Teil der →Unitarier (Socinianer, benannt nach ihren Begründern, Lälius u. Faustus Socinus) durch Andreas Eössi (1588) u. dessen Schüler Simon Péchi, in Schlesien als Abspaltung v. den Täufern (Oswald Glaidt). Mangels einheitlichen Bekenntnisses gab es Entwicklungen zu schwärmerischen Einzelgruppen, die dennoch durch Gesetzesrigorismus gemeinsam gekennzeichnet sind. Besondere Bedeutung hatte eine im ausgehenden 15. Jh. in Russland entstandene Gruppe, die trotz der Unterdrückung (Scheiterhaufen 1504) bis ins 18. Jh. in kleinen Gruppen überdauerte u. sich dann den Baptisten anschloss (1789). In Siebenbürgen verfolgte Georg II. Rákóczi (1630–48) die S., so dass auch hier nur kleine Gruppen überlebten, die später zum jüd. Glauben (z. Zt. des →Dualismus) u. nach der Judenverfolgung im 2. Wk. zur Unitarischen Kirche (→Unitarier) übertraten. Lit.: A. Kovács, Az erdélyi szombatosság nyomában. Csíkszereda 1999; G. Möckel, Die Sabbatarier von Bözödujfalu: Ein Kapitel Siebenbürgischer Toleranz- u. Intoleranzgeschichte, Kirche und Israel 12 (1997), 65–71; D. Róbert, Az erdélyi szombatosok és Péchi Simon. Budapest 1987; L.M. Pákozdy, Der siebenbürgische Sabbatismus. Seine Entstehung u. seine Entwicklung vom Unitarismus zum Judentum sowie sein Untergang. Franz-Delitzsch-Vorlesungen 1969. Stuttgart u. a. 1973; S. Kohn, Die Sabbatarier in Siebenbürgen. Budapest 1894 [engl. Übers. St. Paul/Minn. 1998]. G. R.
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Sabor (kroat., serb. „Versammlung“, „Parlament“, a. im kirchl. Sinne in West- u. Ostkirche: „Konzil, Versammlung“): Bezeichnung für die kroatisch-slawonische(n) Ständeversammlung(en) (bis 1848), den eingeschränkt repräsentativen Landtag (bis 1918) u. das kroat. Parlament (ab 1945). Auch die Provinziallandtage im österr. Kronland →Dalmatien (ab 1861) u. in →Bosnien-Herzegowina (ab 1910) wurden als S. bezeichnet. Der S. als ständische Institution (unter ung. Krone) (→Stände) nahm im Verlauf des 13. Jh.s konkrete Gestalt an. Für 1273 ist erstmals der S. für →Slawonien (congregatio generalis regni Sclavoniae), für 1351 derjenige für das Kgr. →Kroatien-Dalmatien quellenmäßig belegt. Mitglieder des vom →Ban oder seinem Vertreter einberufenen S. waren der höhere u. niedere Adel, der höhere Klerus u. die (mit einer gemeinsamen Stimme ausgestatteten) kgl.
Sabbatisten / Sabor
2001; W. Bihl, Die Ruthenen, in: Die Habsburgermonarchie 1848–1918. Bd. 3: Die Völker des Reiches. Wien 1980, 555–584; P.R. Magocsi, The Shaping of a National Identity. Subcarpathian Rus’, 1848–1948. Cambridge/Mass., London 1978; G.Y. Shevelov, Die ukrainische Schriftsprache 1798–1965. Wiesbaden. 1966; I. Žeguc, Die nationalpolitischen Bestrebungen der Karpato-Ruthenen 1848–1918. Wiesbaden 1965; P. Diels, Die slavischen Völker. Wiesbaden 1963, 114; F.T. Žylko, Narysy z dialektolohiï ukrains’koï movy. Kiev 1955, 89–155. K. St.
Sabbatisten (a. Sabbatarier, Sabbatianer; ung. szombatosok). Bez. für verschiedene relig. Gruppen, die auf der Feier des Sabbats (statt des Sonntags) bestanden. Darin zeigte sich die Frage nach der Bedeutung des AT für die Kirche, die zeitweilig zu judaisierenden Strömungen führte. In →Siebenbürgen entstand die Gruppe als Teil der →Unitarier (Socinianer, benannt nach ihren Begründern, Lälius u. Faustus Socinus) durch Andreas Eössi (1588) u. dessen Schüler Simon Péchi, in Schlesien als Abspaltung v. den Täufern (Oswald Glaidt). Mangels einheitlichen Bekenntnisses gab es Entwicklungen zu schwärmerischen Einzelgruppen, die dennoch durch Gesetzesrigorismus gemeinsam gekennzeichnet sind. Besondere Bedeutung hatte eine im ausgehenden 15. Jh. in Russland entstandene Gruppe, die trotz der Unterdrückung (Scheiterhaufen 1504) bis ins 18. Jh. in kleinen Gruppen überdauerte u. sich dann den Baptisten anschloss (1789). In Siebenbürgen verfolgte Georg II. Rákóczi (1630–48) die S., so dass auch hier nur kleine Gruppen überlebten, die später zum jüd. Glauben (z. Zt. des →Dualismus) u. nach der Judenverfolgung im 2. Wk. zur Unitarischen Kirche (→Unitarier) übertraten. Lit.: A. Kovács, Az erdélyi szombatosság nyomában. Csíkszereda 1999; G. Möckel, Die Sabbatarier von Bözödujfalu: Ein Kapitel Siebenbürgischer Toleranz- u. Intoleranzgeschichte, Kirche und Israel 12 (1997), 65–71; D. Róbert, Az erdélyi szombatosok és Péchi Simon. Budapest 1987; L.M. Pákozdy, Der siebenbürgische Sabbatismus. Seine Entstehung u. seine Entwicklung vom Unitarismus zum Judentum sowie sein Untergang. Franz-Delitzsch-Vorlesungen 1969. Stuttgart u. a. 1973; S. Kohn, Die Sabbatarier in Siebenbürgen. Budapest 1894 [engl. Übers. St. Paul/Minn. 1998]. G. R.
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Sabor (kroat., serb. „Versammlung“, „Parlament“, a. im kirchl. Sinne in West- u. Ostkirche: „Konzil, Versammlung“): Bezeichnung für die kroatisch-slawonische(n) Ständeversammlung(en) (bis 1848), den eingeschränkt repräsentativen Landtag (bis 1918) u. das kroat. Parlament (ab 1945). Auch die Provinziallandtage im österr. Kronland →Dalmatien (ab 1861) u. in →Bosnien-Herzegowina (ab 1910) wurden als S. bezeichnet. Der S. als ständische Institution (unter ung. Krone) (→Stände) nahm im Verlauf des 13. Jh.s konkrete Gestalt an. Für 1273 ist erstmals der S. für →Slawonien (congregatio generalis regni Sclavoniae), für 1351 derjenige für das Kgr. →Kroatien-Dalmatien quellenmäßig belegt. Mitglieder des vom →Ban oder seinem Vertreter einberufenen S. waren der höhere u. niedere Adel, der höhere Klerus u. die (mit einer gemeinsamen Stimme ausgestatteten) kgl.
Sabor / Sachsen-Coburg-Koháry
→Freistädte. 1533 tagten die beiden Versammlungen erstmals gemeinsam; ein gesonderter S. für Slawonien trat ab 1557 nicht mehr zusammen. Die Protokolle des gemeinsamen Landtags mit den Beschlüssen (articuli) sind ab 1567 überliefert. Der S. fungierte als oberstes Gericht, entschied über Fragen der Landesverteidigung u. Finanzen u. fasste staatsrechtlich wichtige Beschlüsse (z. B. die Wahl des Habsburgers Ferdinand zum kroat. König 1527 oder die Annahme der →Pragmatischen Sanktion 1762). Seine sonstigen legislativen u. adm. Vollmachten sowie seine Stellung gegenüber dem ung. Reichstag u. der Krone unterlagen im Verlauf der Jahrhunderte starken Schwankungen. 1790 trat der S. einen Großteil seiner Rechte u. Exekutivgewalt an den ung.-kroat. Reichstag (→Országgyűlés) in Pressburg bzw. den ung. Statthaltereirat ab (bis 1848). Infolge der →Revolution v. 1848/49 verlor der pol. neu gestärkte S. unter Ban Josip Jelačić allmählich seinen ständisch-feudalen Charakter u. verwandelte sich in ein Repräsentativorgan, dessen Mitglieder mehrheitlich (mit Ausnahme der Virilisten) auf der Basis eines stark restriktiven Zensuswahlrechts gewählt wurden. Auf seiner letzten Sitzung am 29.10.1918 hob der kroat. S. die staatsrechtlichen Beziehungen zu Ungarn u. Österreich auf u. ebnete den Weg zur Gründung →Jugoslawiens. Der im →„Unabhängigen Staat Kroatien“ während des 2. Wk.s eingerichtete S. blieb eine Episode. Erst im zweiten jug. Staat u. in der 1991 proklamierten selbständigen Republik Kroatien fungierte der S. wieder als Parlament. Quellen u. Lit.: Hrvatski državni sabor 1848. Hg. I. Iveljić. 4 Bde. Zagreb 2001–2008; Hrvatski državni sabor 1848. Hg. J. Kolanović. 2 Bde. Zagreb 2000/07; I. Perić, Hrvatski državni sabor, 1848.–2000. 2 Bde. Zagreb 2000; Ž. Sabol, Croatian Parliament. Zagreb 1995; H. Sirotković, Organizacija Sabora Hrvatske i Slavonije u nagodbenom razdoblju (1868–1918), Arhivski vjesnik 34–35 (1991–1992), 21–30; F. Čulinović, Državnopravna historija jugoslavenskih zemalja. Zagreb 1961; Hrvatski saborski spisi. 5 Bde. [1526–1630]. Hg. F. Šišić. Zagreb 1912–1918; Zaključci Hrvatskog sabora [ab 1631]. [Wechselnde Hgg.]. Zagreb 1958 ff.; Č. Mitrinović/M.N. Brašić, Jugoslovenske Narodne skupštine i Sabori. Beograd 1937; V. Klaić, Hrvatski sabori do 1790, in: Zbornik Matice Hrvatske o tisućoj godišnjici hrvatskoga kraljevstva. Bd. I/1 Zagreb 1925, 247–310. H. S.
Sachsen-Coburg-Koháry. Nebenzweig des Hauses Sachsen-Coburg-Gotha, der im Zeitraum 1887–1946 den bulg. Thron innehatte. Am 27.6.1887 wählte die Große Volksversammlung des Fsm.s Bulgarien Prinz Ferdinand v. Sachsen-Coburg(-Koháry) als Ferdinand I. zum Nachfolger des am 4.9.1886 zur Abdankung gezwungenen Aleksandăr I. (Battenberg). Am 5.10.1908 (vgl. →Annexionskrise) rief Ferdinand unter der Bezeichnung Kgr. Bulgarien die Unabhängigkeit des Fsm.s u. des 1886 angeschlossenen Ostrumelien sowie sich selbst zum Kg. (car) aus. Der Niederlage Bulgariens im 1. →Wk. wegen musste er am 3.10.1918 zugunsten seines orth. getauften Sohnes Boris abdanken, der als Boris III. bis zu seinem Tod am 28.8.1943 regierte. Am selben Tag wurde Boris‘ minderjähriger Sohn als Simeon II. zum Nachfolger proklamiert u. ihm ein Regentschaftsrat beigeordnet. Am 15.9.1946 wurde die Königsfamilie im Zuge eines in der Abschaffung der Monarchie u. der Ausrufung einer Volksrepublik resultierenden Plebiszits vom 8. September für abgesetzt erklärt u. zum Verlassen des Landes gezwungen. Versuche bulg. Monarchisten, nach 1989 die Monarchie wieder einzuführen u. den sich
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Sachsen-Coburg-Koháry / Sachsengraf
im spanischen Exil als Geschäftsmann betätigenden Simeon als König einzusetzen, blieben erfolglos. Allerdings wurde der Exilkönig als Simeon Borisov Sakskoburggotski am 24.7.2001 vom Parlament zum Ministerpräsidenten der Republik Bulgarien gewählt (bis Aug. 2005). Lit. (a. →Bulgarien): Tajnite dosieta na carja. Sekretnite dokumenti za Simeon Sakskoburggotski, pisani i săbirani o Dăržavna Sigurnost ot 1946 do 1993 g. Hg. A. Dimitrova. Sofija 2009; P. Dimitroff, Boris III of Bulgaria 1894–1943. London 1986; N. Poppetrov, Verfasungsrechtliche Probleme in Bulgarien während der Zeit von Zar Boris III. (1918–1943), SOF 44 (1985), 205–221; J. von Königslow, Ferdinand von Bulgarien. Vom Beginn der Thronkandidatur bis zur Anerkennung durch die Großmächte 1886 bis 1896. München 1970. St. T.
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Sachsengraf (a. Sachsenkomes, Nationsgraf, Sachsengespan; lat. comes nationis Saxonicae). Übliche Bezeichnung für den höchsten Beamten der Nationsuniversität (lat. universitas Saxonum), der politischen Vertretung der →Siebenbürger Sachsen von 1486 bis 1876. Den Kern dieser obersten Verwaltungs- u. Gerichtsbehörde der Sachsen bildete die 1224 mit dem Andreanum privilegierte Hermannstädter Provinz. Nach einem jahrhundertelangen Entwicklungsprozess, in dem die territ. unzusammenhängenden dt. Siedlungsgebiete eine pol. und rechtl. Einigung anstrebten, erkannte Kg. Matthias Corvinus 1486 die Ausdehnung des Andreanischen Freibriefes auf alle sächs. Stühle u. Distrikte an. Die Position des S.s wurde in Personalunion vom Königsrichter v. Hermannstadt bekleidet. Bis 1464 wurde dieser vom Kg. ernannt; 1477 wurde der Stadt das Recht auf die Königsrichterwahl zugestanden. Im selben Jahr hob der Kg. die Betätigung des Hermannstädter Königrichters als S. hervor. Im Fsm. →Siebenbürgen war der S. von Amts wegen Mitglied des fürstlichen Rates, später des Guberniums. Der Hermannstädter Königsrichter wurde auf Lebenszeit gewählt, die Wahl musste vom Kg. bestätigt werden. Der Eid, den der S. bei Amtseinführung zu leisten hatte, verpflichtete ihn, dem Landesherrn, der sächs. Nation u. der Nationsuniversität zu dienen, die luth. Lehre zu befördern u. sämtliche Privilegien der sächs. Nation zu schützen. Im 16. Jh. bildete die sächs. Nationsuniversität nach dem Zerfall des Kgr.s Ungarn als dritter Landesstand eine der wichtigen Säulen des Fürstentums. 1583 wurde den wahlberechtigten Hermannstädtern vom Fürsten Stephan Báthory das Wahlrecht für den S. bestätigt. 1691 bekräftigte Ks. Leopold I. nochmals dieses Privileg. Die gewählten Abgeordneten der Nationsuniversität traten zunächst einmal jährlich am Katharinentag (25. Nov.), unter der Leitung des S. zusammen. Die Nationsuniversität war die höchste Gerichtsinstanz auf dem Königsboden, regelte die Beziehungen innerhalb der sächs. Nation u. verteidigte ihre Privilegien gegen Eingriffe des Landesherrn, des ung. Adels u. gegen äußere Feinde. Sie bewilligte u. verteilte die Steuer- u. Kriegslasten, überwachte Handel u. Gewerbe, Kirche u. Schulen. 1774 bis 1781 blieb das Amt des S. unbesetzt. 1784 wurde die Nationsuniversität u. damit auch das Amt des S. im Rahmen des →Josephinismus ganz aufgehoben. Nach dem Restitutionsedikt v. 1790 lebte die Nationsuniversität wieder auf, wurde jedoch im Zuge der sog. Regulationen (1795–1805) Schritt für Schritt entmachtet. 1796 wurde das Amt des
Sachsengraf / Saint Germain-en-Laye, Friede von (10.9.1919)
Hermannstädter Königsrichters vom Amt des S. getrennt u. aufgehoben. Die Nationsuniversität wurde in ihrer Arbeit behindert, ihr S. Michael v. Brukenthal 1799 kurzfristig vom Amt suspendiert. Die nachfolgenden S. wurden nicht mehr gewählt, sondern vom Hof ernannt. Zwar gelang es, 1846 das Komeswahlrecht kurzfristig zurückzugewinnen, doch nach der Revolution v. 1848 wurde die Nationsuniversität zum zweiten Mal aufgehoben. 1852–1861 konnte im →Neoabsolutismus der S. seine Befugnisse nicht wahrnehmen. Erst 1861 trat die Nationsuniversität, erstmals mit rum. Vertretern in ihren Reihen, wieder zus., da die Wiederherstellung der siebenbürg. Verfassung im Zuge des Februarpatentes angeordnet worden war. 1867 wurde die Nationsuniversität der Budapester Regierung unterstellt, die ein Jahr später den ihr nicht genehmen S. Konrad Schmidt seines Amtes enthob u. Moritz Conrad an dessen Stelle setzte. 1876 wurde der Königsboden aufgelöst u. die Funktion der Nationsuniversität auf die Verwaltung des Vermögens der bisherigen Institution beschränkt. 1937 wurde die Nationsuniversität endgültig aufgelöst u. ihr Vermögen zw. der ev. Kirche der Siebenbürger Sachsen u. der rum.-orth. Kirche aufgeteilt. Lit.: Hermannstadt u. Siebenbürgen. Die Protokolle des Hermannstädter Rates u. der Sächsischen Nationsuniversität 1391–1705. Hg. K. Hientz. Hermannstadt 2007; Gruppenautonomie in Siebenbürgen. 500 Jahre siebenbürgisch-sächsische Nationsuniversität. Hg. W. Kessler. Köln u. a. 1990; R. Kutschera, Landtag u. Gubernium in Siebenbürgen 1688–1869. ebd. 1985; G.E. Müller, Stühle u. Distrikte als Unterteilungen der Siebenbürgisch-Deutschen Nationsuniversität 1141–1876. ebd. 1985 [Nachdr. v. 1941]; ders., Die Sächsische Nation in Siebenbürgen. Ihre verfassungs- u. verwaltungsrechtliche Entwicklung 1224–1876, Archiv des Vereins für Siebenbürgische Landeskunde 44 (1928), 227–424. A. Sch.
Saint Germain-en-Laye, Friede von (10.9.1919). Mit Gesetzesbeschluss der Provis. Nationalversammlung vom 22.11.1918 über „Umfang, Grenzen u. Beziehungen des Staatsgebiets v. Deutschösterreich“, das v. der konstitutierenden Nationalversammlung am 12.3.1919 bestätigt wurde, umfasste der neugeschaffene Staat 122.000 km2 u. zehn Mio. E. Allerdings waren mehr als ein Drittel des Territoriums bereits v. fremden Truppen besetzt, wie die als Deutschböhmen u. Sudetenland bezeichneten Provinzen, Südtirol u. die südl. Teile →Kärntens u. der →Steiermark. Der unter Leitung v. Staatskanzler Karl Renner stehenden Friedensdelegation wurde am 2.6.1919 in Paris ein Vertragsentwurf überreicht (zum Prozedere →Pariser Vorortverträge), der den neuen Staat nur unter der Bezeichnung „Republik Österreich“ anzuerkennen sich bereit erklärte u. die Abtretung Südtirols an Italien, Teilen Kärntens u. der Steiermark an das Kgr. der Serben, Kroaten u. Slowenen u. aller Gebiete, die zu den Ländern der böhmischen Krone gehört hatten, an die Tschechoslowakei vorsah. Der nach den schriftlichen Einwendungen der Delegation fertiggestellte zweite Vertragsentwurf vom 20. Juli sah drei Abänderungen zugunsten Österreichs vor. Unter dem Eindruck des starken Widerstands der Kärntner Bev. gegen die jug. Besatzungsmacht wurde für das umstrittene Klagenfurter Becken eine Volksabstimmung vorgesehen, während das Mießtal u. die Stadt Unterdrauburg (→Kärnten) ohne eine solche abzutreten waren. Letzteres galt auch für die Untersteiermark
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Saint Germain-en-Laye, Friede von (10.9.1919) / Saloniki
einschließlich des v. Österreich beanspruchten Drautals, der Städte Marburg u. Pettau. Das zweite Zugeständnis betraf das dt. besiedelte →Westungarn, das als →Burgenland ohne Volksabstimmung Österreich zugesprochen wurde, gleichfalls die Städte Hohenau, Litschau u. Gmünd in Niederösterreich. Das in seinen Grenzen somit neu festgelegte Territorium Österreichs umfasste nunmehr 84.000 km2 mit 6,5 Mio. E, deren nichtdt. Minderheiten (Tschechen in Wien, Kroaten u. Magyaren im Burgenland u. Slowenen in Kärnten) unter die Bestimmungen zum →Minderheitenschutz aller Pariser Vorortverträge fielen. Die für die Alliierten wichtigste Bestimmung des Friedensvertrages, der sodann am 10.9.1919 im Schloss Germain unterzeichnet wurde, war das Anschlussverbot Österreichs an Deutschland. Die Auffassung der Regierung Renner, dass Österreich nicht als Rechtsnachfolger der →Habsburgermonarchie angesehen werden könne, konnte v. ihr insoweit durchgesetzt werden, dass der Friedensvertrag als „Staatsvertrag“ bezeichnet u. die Schulden u. Verbindlichkeiten der Monarchie auf alle Nachfolgestaaten anteilsmäßig aufgeteilt wurden. Hinzu kamen noch Reparationen u. Abtretungen wie der Handelsflotte, v. Vermögenswerten, Kunstschätzen u. Archivalien an Italien u. die Nachfolgestaaten. Renner selbst bilanzierte, dass „der Friede von St. Germain immerhin noch als Verhandlungs- u. nicht als reiner Diktatfriede gelten konnte“. Allerdings verursachten die erheblichen Einschränkungen der staatl. Souveränität u. der Verfügungsgewalt im Bereich der Wirtschafts- u. Handelspolitik eine verheerende Inflation, die wiederum die ohnehin schon weit verbreiteten Zweifel an der Überlebensfähigkeit dieses neuen Staates nährten u. innenpol. eine langfristige Radikalisierung der Parteienlandschaft förderten. Diesem „Reststaat“ eines einstmals großen Vielvölkerreiches ist erst nach langen inneren u. äußeren Kämpfen ein eigenes Staatsbewusstsein erwachsen, das die in St. Germain festgelegten, zum Teil sehr ungünstigen Startbedingungen für ein neues Gemeinwesen endgültig zu überwinden verstand. Quelle: Der Staatsvertrag von St. Germain samt Begleitnote vom 2. September 1919 u. einem alphabetischen Nachschlageverzeichnisse. Wien 1919; The Treaty of St. Germain. A Documentary History of its Territorial and Political Clauses. Hgg. N. Almond/R.H. Lutz. London 1935. Lit. (a. →Pariser Vorortverträge): Im Schatten von Saint Germain. 15. März 1919 bis 10. September 1919. Hg. K. Koch. Wien 1994; G. Schmitz, Karl Renners Briefe aus Saint Germain u. ihre rechtspolitischen Folgen. ebd. 1991; Als Mitteleuropa zerbrach. Zu den Folgen des Umbruchs in Österreich u. Jugoslawien nach dem Ersten Weltkrieg. Hgg. St. Karner/G. Schöpfer. Graz 1990; F. Ermacora, Der unbewältigte Friede. St. Germain und die Folgen, 1919–1989. Wien 1989; Saint Germain 1919. Protokoll des Symposiums am 29. und 30. Mai 1979 in Wien. Hgg. I. Ackerl/R. Neck. Ebd. 1989; L. Kerekes, Von St. Germain bis Genf. Österreich u. seine Nachbarn 1918–1922. ebd. u. a. 1979. G. S.
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Saloniki (gr. Thessaloniki; slav. Solun; türk., alb. Selanik). Zweitgrößtes urbanes Zentrum Griechenlands mit knapp 1 Mio E (2001) in der Metropolregion, davon 364.000 in der Stadt. Wichtige Hafenstadt am Thermaischen Golf (Bez. nach der Vorgängersiedlung S. Therma); 315 v. Chr. gegründet u. nach einer Halbschwester Alexanders des Großen benannt;
Saloniki
146 v. Chr. Hauptort einer röm. Unterprovinz in Macedonia; verkehrsgünstig auf der (noch heute im Straßenverlauf erkennbaren) →Via Egnatia gelegen. Gegen 300 n. Chr. wird S. zur Residenz des Tetrarchenkaisers Galerius. Nach Bedrohung der Stadt durch die →Slav. Landnahme 597 entwickelt sich S. in der Folgezeit zur zweiten Stadt des Byz. Reiches ( →Byzanz). 904 v. musl. Verbänden, 1185 v. Normannen eingenommen u. geplündert, bildet S. seit 1204 das Zentrum einer fränk. Herrschaft (→Lateinerherrschaft). 1387–1402/3 fällt S. ein erstes Mal in osm. Hände. Die endgültige Eingliederung der Stadt ins Osm. Reich erfolgt nach nochmals byz. und sieben Jahren venez. Kontrolle (seit 1423) erst 1430. Als vorerst einzige Kirche der Stadt wandelte Murad II. (1421–1451) die frühchristl. Acheiropoietos-Basilika in eine Freitagsmoschee (Eski Cuma) um. Die musl. Besiedlung des Stadtgebietes vollzog sich anfangs durch (Zwangs-)Ansiedlung v. Muslimen vermutlich zentral- u. westanatolischer Herkunft inmitten der überwiegend v. Christen bewohnten alten byz. Quartiere, später durchweg spontan unter Bevorzugung der nördl. Stadtteile im Festungsbereich. Die sog. byz. →Juden (Romanioten) v. S. werden offenbar geschlossen nach →Istanbul zwangsumgesiedelt (vor 1478). Ihren Platz nehmen schon bald vornehmlich sephardische Juden (→Sephardim) u. Marranos ein, die S. im Laufe des 16. Jh.s zur einzigen mehrheitlich jüd. bewohnten Stadt des Balkans u. zu einem der wichtigsten geistigen Zentren des europ. Judentums werden lassen. 1518 wurden in der Stadt 1347 musl., 1087 christl. u. 3143 jüd. Familien registriert. 1515 verfügt S. bereits über eine (hebräische) Druckerpresse. Im 17. Jh. führt die messianische Bewegung des Sabbatai Zvi (Šabbetay Ṣevî, 1666 zum Islam zwangsbekehrt) zur äußerlichen Annahme des Islams durch große Gruppen jüd. Einwohner, die bis zum Ende des Osm. Reiches als sog. →Dönme ihre eigene Identität wahren. Produktion v. Wollstoffen für die →Janitscharen u. Salpetergewinnung zur Herstellung v. Schießpulver machen seit dem 16. Jh. wichtige, staatlich geförderte Wirtschaftszweige aus. Handelsverbindungen nach Livorno u. Marseille nehmen nach Krisen in →Dubrovnik/Ragusa (Erdbeben 1667) u. Venedig (Verlust →Kretas 1669) zum 18. und 19. Jh. hin an Bedeutung zu. Im Zuge der →Tanzimat entwickelt sich S. (nach Schleifung v. Teilen der Umfassungsmauern u. dem Bau neuer Hafenanlagen) noch in osm. Zeit zu einer Metropole westl. Prägung (erste Straßenbahn 1893), beschleunigt durch Feuersbrünste (1890, 1917). 1908 nimmt die jungtürkische Revolution gegen das Regime Abdülhamids II. (1876–1909), der in S. unter Hausarrest gestellt wird (Villa Allatini), v. der Stadt ihren Ausgang (→Jungtürken). S. ist Geburtsstadt Mustafa Kemal Atatürks (1881). 1913 wurde S. griechisch u. entwickelte sich über das 20. Jh. hinweg zum zweitgrößten städt. Zentrum Griechenlands. Die bis zu den →Balkankriegen in hohem Maße ethn. und kult. gemischte Stadtbevölkerung wurde im Laufe des 20. Jh.s v. a. durch die Verdrängung und Vertreibung erst der Muslime, dann durch den dt. Völkermord an den S.er Juden im Zuge des →Holocaust sowie durch starke Zuwanderung v. ländlichen u. aus Kleinasien vertriebenen Griechen völlig umgestaltet. S. wurde dadurch u. durch starke weitere →Urbanisierung zu einer genuin gr. Metropole, die innerhalb →Griechenlands als einzige ein Gegengewicht zur Hauptstadt →Athen darstellt. Lit.: P. Christensen, „As if she were Jerusalem“: Placemaking in Sephardic Salonica, Muqarnas 30 (2013) 1, 141–160; B. Lewkowicz, The Jewish Community of Salonika. History, Memory, Identity.
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Sancak
Middlesex 2006; M. Mazower, Salonica, City of Ghosts. Christians, Muslims and Jews, 1430– 1950. New York 2005; D. Jacoby, Foreigners and the Urban Economy in Thessalonike, ca. 1150–ca. 1450, Dumbarton Oaks Papers 57 (2003), 85–132; R. Darques, Salonique au XXe siècle. De la cité ottomane à la métropole grecque. Paris 1999; M. Anastasiadou, Salonique, 1830–1912. Une ville ottomane à l’âge des Réformes. Leiden u a. 1997 (gr. Übers. Athen 2008); A.E. Vacalopoulos, A History of Thessaloniki. Thessaloniki 1993; O. Tafrali, Thessalonique au quatorzième siècle. Thessalonike 1993; A. Levy, The Sephardim in the Ottoman Empire. Princeton/NY 1992; Salonique 1850–1918. La „ville des Juifs“ et le réveil des Balkans. Hg. G. Veinstein. Paris 1992; V. Dēmitriadēs, Topografia tis Thessalonikis, kata tin epohi tis Tourkokratias 1430–1912. Thessaloniki 1983; A. Papajannopoulos, Baudenkmäler Thessalonikis. ebd. 1983; H.W. Lowry, Portrait of a City: the Population and Topography of Ottoman Selânik (Thessaloniki) in the Year 1478, Diptycha 2 (1981), 254–293; J. Nehama, Histoire des Israélites de Salonique. Bd. 1–7. Thessaloniki 1935/36–1978. M. U.
Sancak (türk. sancak; arab. liwā’ „Banner“). Osm. Militär- u. Verwaltungsbezirk unterhalb der →Eyalet-Ebene. Die S.s →Rumeliens gliederten sich entsprechend der Hauptstoßrichtungen der vorrückenden osm. Armeen in drei „Flügel“. So gehörte Tirhala (Trikkala) mit Üsküb (Skopje) zum linken, Filibe (Plovdiv) u. Sofya (Sofia) zum mittleren u. Tirnova (Tărnovo), Nikebolu (Nikopol) u. die Dobrudscha zum rechten Flügel. Auch bestimmte Bevölkerungskategorien wie die Zigeuner/→Roma (türk. çingene) waren nach S.s (ohne territoriale Konnotation) organisiert. An der Spitze eines S.s stand der Sancakbeyi (→Beg eines S.). Je nach Rang erhielt dieser →Has u. andere Einkünfte in unterschiedlicher Höhe, wie ein Dokument aus der frühen Regierungszeit Süleymans des Prächtigen (1520–66) zeigt (es folgen Rangstellung u. Namen der rumelischen S.s [→Rumelien] mit Gehaltsangaben in →Akçe): 1. Pascha (Bezirk unter direkter Verwaltung des →Beylerbeyi, ohne Gehaltsangabe); 2. Bosna 739.000; 3. Mora (Morea), Peloponnes 606.000; 4. Semendire (Smederevo) 622.000; 5. Vidin 580.000; 6. Hersek (Herzegowina) 560.000; 7. Silistre 560.000; 8. Uhri (Ohrid) 535.000; 9. Avlonya (Vlora) 535.000; 10. Iskenderiye (Shkodra) 512.000; 11. Yanya (Ioáninna) 515.000; 12. Gelibolu (Gallipoli) 500.000; 13. Köstendil (Kjustendil) 500.000; 14. Nikebolu (Nikopol) 457.000; 15. Sofya (Sofia) 430.000; 16. Inebahti (Naúpaktos) 400.000; 17. Tirhala (Trikkala) 372.000; 18. Alacahisar (Kruševac) 360.000; 19. Vulçetrin (Vučitrn/Vushtrri) 350.000; 20. Kefe (Feodosija) 300.000; 21. Prizren 263.000; 22. Karli 250.000; 23. Agriboz (Halkís) 250.000; 24. Çirmen (Orménion) 250.000; 25. Vize 230.000; 26. Izvornik (Zvornik) 264.000; 27. Florina 200.000; 28. Ilbasan (Elbasan) 200.000; 29. Çingene (Zigeuner) 190.000; 30. Midilli (Lesbos) 170.000; 31. Karadag (Montenegro) 100.000; 32. Müselleman-i Kirk Kilise (Auxiliartruppe) 81 000 u. 33. Voynuk (Vojnuken) 52.000. Lit.: H. İnalcık, Rūmeli, in: EI² (Bibl.); G. Dávid, The Sancak as the Framework for Research on Ottoman Regional Studies, in: Türkische Wirtschafts- u. Sozialgeschichte von 1071 bis 1920. Hgg. H.G. Majer/R. Motika. Wiesbaden 1995, 51–58. M. U. 812
Sandschak von Novi Pazar
Sandschak von Novi Pazar (serb.: Sandžak N.P.). Osm. Verwaltungsbezirk (→Sancak), heute Landschaft beiderseits der Grenze zw. der Republik Serbien (SW) u. Montenegro (N). Novi Pazar (türk. Yenibazar, „Neuer Markt“) wurde (ähnlich wie →Sarajevo) in der zweiten H. des 15. Jh.s v. den Osmanen gegründet, u. zwar in unmittelbarer Nähe der ma. Festung Ras (→Raszien), das im Spät-MA auch Trgovište (Markt) genannt wurde. Die Stadt war ein wichtiges Handelszentrum u. bis Mitte des 18. Jh.s Sitz einer ragusan. Kaufmannskolonie (→Dubrovnik). Der heute geteilte SNP, das ehem. Raszien, war ein Kerngebiet des ma. serb. Staats der →Nemanjiden (a. →Serb. Reich). Von 1580–1872 gehörte das Gebiet zum osm. →Eyalet Bosnien, bildete 1872 zusammen mit Niš ein eigenes →Vilayet u. wurde 1877 dem neugeschaffenen Vilayet →Kosovo angeschlossen. Der SNP umfasste eine Fläche v. 9.955 km2 mit 168.000 E (Muslimen, Serben, Albanern u. a.). Während der →Orientalischen Krise 1875–78 trat er in das Interessenfeld der österr.-ung. Balkanpolitik. Er trennte Serbien v. Montenegro; eine Aufteilung zw. beiden Fürstentümern, wie v. diesen gewünscht, hätte eine gemeinsame serb.-mont. Grenze geschaffen u. die Entstehung eines südslav. Einheitsstaates begünstigt, was der österr.-ung. Außenminister Graf Julius Andrássy unbedingt verhindern wollte. Durch den Berliner Vertrag (→Berliner Kongress) erhielt Österreich-Ungarn nicht nur das Recht, →Bosnien-Herzegowina zu besetzen, sondern auch im SNP Garnisonen u. andere milit. Einrichtungen zu unterhalten, worüber am 21.4.1879 eine gesonderte Konvention mit dem Osm. Reich unterzeichnet wurde: 4.000–5.000 Mann österr.-ung. u. eine gleiche Anzahl osm. Truppen sollten in Priboj, Prijepolje u. Bijelo Polje stationiert werden. Wirklich realisiert wurde eine entsprechende Truppenstationierung stattdessen nur im Ort Pljevlja (türk. Taşlica), der in der Folge zum Sitz eines seit 1880 vom SNP unabhängigen neuen Sancaks wurde. Die Garnisonen konnten in gegenseitigem Einvernehmen erweitert u. de jure auf andere Städte des SNP ausgedehnt werden, was jedoch nicht erfolgte. Der verkleinerte SNP blieb komplett unter osm. Verwaltung. Österreich-Ungarn dachte zeitweilig auch daran, seine Position im SNP wirt. auszuweiten. Davon zeugen Pläne für den Bau einer Sandžak-Bahn, die v. a. vom österr.-ung. Außenminister Aehrenthal gefördert wurden, aber nicht zur Ausführung kamen. Teile der musl. Bevölkerung des SNP waren gegen die Konvention v. 1879. Widerstandsaktionen unter der Leitung des Mufti v. Pljevlja, Mehmed Vehbi Šemsekadić, blieben jedoch erfolglos. Nach der Annexion Bosniens u. der Herzegowina durch Österreich-Ungarn 1908 (→Annexionskrise) verließen die österr.-ung. Truppen den SNP. In einem Protokoll vom 26.2.1909 verzichtete Österreich-Ungarn gegenüber der Pforte auf alle Rechte in diesem Gebiet. Während des 1. →Balkankrieges wurde der SNP v. serb. u. mont. Truppen besetzt u. durch den Frieden v. London (30.5.1913) zw. beiden Staaten aufgeteilt. Während des 1. Wk.s war das Gebiet von österr.-ung., während des 2. Wk.s von dt. u. ital. Truppen okkupiert. Nach dem 2. Wk. wurde die Zweiteilung des SNP bestätigt. Ähnlich wie im dreigeteilten →Makedonien (Region), im zweigeteilten →Thrakien oder im zweigeteilten →Epirus waren die Kriege im 20. Jh. im SNP verbunden mit einem hohen Maß an ethn. konnotierter Gewalt. Gemäß den Volkszählungen v. 2002 u. 2003 lebten im ehem. SNP insg. mehr als 426.000 Menschen (etwa 60 % im serb., 40 % im mont. Teil). Gut 45 % der Gesamtbev. bezeichneten sich als →Bosniaken, knapp 37 % als Serben, 7 % als Montenegriner u. 6 % als Muslime im nationalen Sinn. Forderungen nach einer Autonomie für den SNP konnten nicht realisiert werden.
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Sarajevo
Lit.: K. Zalewski, Sandžak von Novi Pazar, in: Das Südosteuropa der Regionen. Hgg. O.J. Schmitt/M. Metzeltin. Wien 2015, 177–199; K. Morrison/E. Roberts, The Sandzak. A History. London 2013; T. Scheer, „Minimale Kosten, absolut kein Blut“. Österreich-Ungarns Präsenz im Sandžak von Novipazar (1879–1908). Frankfurt/M. 2013; Ž.M. Andrijašević/Š. Rastoder, Histoire du Monténégro: des temps les plus anciens jusqu’à l’indépendance. Luxembourg 2012; K.M. Zalewski, Naród, religia, rasa: muzułmańskie ideologie i ruchy narodowe pogranicza w Południowo-Wschodniej Europie. Przykład Sandżaka nowopazarskiego w XX wieku. Warszawa 2010; E. Džudžević, Sandžak, multietnička regija. Zbirka medjunarodnih i domaćih dokumenata o regionalizmu. Tutin 2010; M. Vasović u. a., Istorija Pljevalja. Pljevlja 2009; Sandžak: identitet u procesu starog i novog. Hg. S. Biserko. Beograd 2008; R. Hajdarpašić, Sandžak od 1912–1929. Sarajevo 2003; Dokumenti o Raškoj oblasti 1890–1899. Hg. M.F. Petrović. Beograd 1997; S. Bandžović, Iseljavanje muslimana iz Sandžaka. Sarajevo 1991; M. Memić, Bošnjaci-muslimani Sandžaka i Crne Gore. Sarajevo 1996; Novi Pazar i okolina. Beograd 1969; S. Wank, Aehrenthal and the Sanjak of Novibazar Railway Project: a Reappraisal, The Slavonic and East European Review 42 (1963–64), 353–369; K. Isović, Austro-ugarsko zaposjedanje Novopazarskog Sandžaka 1879 godine (Prilog istoriji Novopazarskog Sandžaka), Godišnjak Istoriskog društva Bosne i Hercegovine 9 (1957), 109–137; G. Stern, Das alte Rascien: Der Sandschak Novipazar u. dessen Anland unter der k.u.k. Militärverwaltung. Wien 1916. P. B.
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Sarajevo. Hauptstadt →Bosnien-Herzegowinas. Seit dem →Dayton-Abkommen v. 1995 ist der Großraum S. geteilt: Die Stadt im engeren Sinn sowie der Kanton S. gehören zur Föderation Bosnien-Herzegowina, „Ost-S.“ ist Teil der Republika Srpska. 2013 wurden in der Stadt 291.422 E gezählt (deren nationale Gliederung lag bei Abschluss der Redaktion noch nicht vor). – S. (aus türk. saray=Residenz + ova=Feld: das Feld um die Residenz, oder aus saray mit dem slav. Suffix –evo, das auch in anderen Ortsnamen vorkommt) ist eine osm. Neugründung, die weder mit der ma. „Civitas Vrhbosna“ (= Stadt Oberbosnien) noch mit einer anderen vorhist. oder antiken Siedlung – welche die erfolgreichen archäologischen Ausgrabungen in dieser Gegend ans Tageslicht gefördert haben – in einer urbanistischen u. Siedlungskontinuität steht. Mit einer Stiftungsurkunde (→Vakuf ) v. 1462 legte Isa-beg Is(h)aković als Statthalter des bosn. →Sancaks den Grundstein der Stadt. Die Geschichte des heutigen S. lässt sich vom hist. u. urbanistischen Standpunkt mit Ausnahme der jüngsten Zeitschicht in drei Abschnitte periodisieren: den osm., den österr.ung. u. den jug. Abschnitt. Die osm. (Alt-)Stadt im östl. Teil des Kessels v. S. wurde vorwiegend im 16. Jh. ausgebaut. Der bedeutendste Stifter dieser Jahre war der bosn. Statthalter Ghazi Husrev-beg (1480–1541), Sohn eines →Konvertiten. Das Ensemble seiner Stiftung stellte ein Glanzstück der osm. Architektur auf dem ganzen Balkan dar (→Stadt, Stadttypen [osm.]). Infolge der →Islamisierung ging die christl. Bev. der Stadt (Orthodoxe u. Katholiken) rapid zurück. Neu hinzukamen die Ende des 15. Jh.s aus Spanien u. Portugal vertriebenen Juden (→Sephardim). 1557 u. 1565 werden sie erstmals schriftlich im Protokollbuch (→Sidschill) des Scheriatsgerichts v. Sarajevo erwähnt. 1581 entstand ein Judenviertel mit einer Synagoge. Ende
Sarajevo
des 16. Jh.s soll es in S. nach dem Ausweis der Steuerregister (→Defter) 91 muslimische u. 2 christliche Wohnviertel (Mahal[l]a) sowie ein Quartier für die Sephardim gegeben haben, insges. also 94 Wohnviertel. Setzt man eine Mahala mit durchschnittlich 50 Haushalten zu jeweils 5 Personen an, so kommt man auf 4.700 Häuser mit 23.500 Einwohnern (obwohl Reisende oft wesentlich höhere Zahlen nannten). Bis 1697, als Eugen v. Savoyen (1663–1736) in einem Streifzug die Stadt erreichte u. verbrennen ließ (→Türkenkriege), war S. mit seinen vier Glaubensgemeinschaften nach →Saloniki eines der bedeutendsten Handelszentren im Balkanraum. Nach dem Wiederaufbau konnte S. aber nicht mehr seine vormalige Blütezeit erreichen. Im 18. u. 19. Jh. erlebte es eine Stagnation u. wurde zum Schauplatz mehrerer soz. Unruhen unter der musl. Bevölkerung. Namentlich die Abschaffung der →Janitscharen sowie die Reformpolitik der Hohen Pforte (→Tanzimat) u. insbes. die rechtl. Gleichstellung der Religionen, stießen auf den Widerstand der Muslime, wodurch sich das Verhältnis zur →Hohen Pforte u. die Beziehungen zw. den vier Glaubensgemeinschaften dramatisch verschlechterten. Einen neuen urbanistischen u. kult. Aufschwung erlebte die Stadt in der österr.-ung. Epoche (1878–1918). In diesem Zeitalter entstand der heutige mittlere Stadtteil mit monumentalen öffentlichen Gebäuden, errichtet in einem gemischten Stil aus arabischen u. mitteleurop. Baustilelementen der mitteleurop. Gründerzeit. Unter österr.-ung. Verwaltung wurde S. zu einem modernen Verwaltungszentrum Bosnien-Herzegowinas ausgebaut. Die schon vorhandene multikulturelle Bevölkerungsstruktur verstärkte sich (insbes. durch den Zuzug v. Katholiken aus anderen Teilen Österreich-Ungarns). Die Einwohnerzahl wuchs bis 1910 auf 51.919 an (davon 35,55 % Muslime, 34,74 % Katholiken, großenteils →Kroaten, 16,27 % Serbisch-Orthodoxe bzw. →Serben u. 11,50 % Juden [→Sephardim u. neu zugewanderte →Aschkenasim] sowie verschiedene Minderheiten). Infolge der Nationalisierung der orth. u. kathol. Glaubensgemeinschaft seit etwa Mitte des 19. Jh.s (→Nationsbildung) u. sozialer Missstände verschlechterten sich die Beziehungen zw. den Glaubensgemeinschaften. Das →Attentat von S. auf den Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand v. Habsburg am 28.6.1914 leitete den 1. Wk. ein. Bosnien-Herzegowina wurde in den 1918 neugegründeten jug. Staat eingegliedert, u. zwar nicht als eine einheitliche pol. Einheit, sondern pol. degradiert u. administrativ neu aufgegliedert. Infolgedessen wurde S. v. der Landeshaupt- zu einer Kreisstadt zurückgestuft. Im ersten →Jugoslawien (1918–1941) geriet S. in eine wirt. u. urbanistische Stagnation. Während des 2. Wk.s versuchten die →Ustaše mit geringem Erfolg, S. zu „kroatisieren“. Ein Großteil der Juden fiel dem →Holocaust zum Opfer. Nach dem Krieg wurde Bosnien-Herzegowina im zweiten Jugoslawien (1945–1991/92) pol. neu bewertet. Es erhielt den Status einer Teilrepublik mit der Hauptstadt S. Im sozialist. Zeitalter erlebte S. erneut einen wirt., urbanistischen, demogr. u. kult. Aufschwung. Es entwickelte sich der dritte, größte Stadtteil im W mit mehreren Ballungsgebieten u. Industriekomplexen. Der Höhepunkt wurde durch die Winterolympiade 1984 erreicht. Die Einwohnerzahl stieg bis 1991 auf 361.735 (in S.-Stadt) bzw. 527.289 (im Großraum S.). Von der Stadtbev. waren 50,5 % Muslime, 25,5 % Serben, 6,7 % Kroaten, 13,0 % Jugoslawen, 4,3 % Andere. Ungeachtet der urbanistischen Veränderungen ist S. aber die einzige größere Stadt im Balkanraum, die ihr osm. Erbe zum großen Teil erhalten hat (wenn auch nicht immer im Original).
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Sarajevo / Sarakatsanen
Der Zerfall Jugoslawiens u. die darauffolgende dreieinhalbjährige serb. Belagerung S.s führten zu umfangreichen Zerstörungen u. ca. 10.000 Toten. Viele alteingesessene Bewohner verließen die Stadt, während Flüchtlinge u. Vertriebene aus anderen Teilen Bosnien-Herzegowinas u. auch aus dem →Sandschak v. Novi Pazar darin Schutz suchten u. nach Ende der Belagerung auch dort blieben (→postjug. Kriege; →Zwangsmigrationen). Der ganz überwiegende Teil der E sind seitdem →Bosniaken. Das multiethnische u. multirelig. S. ist weitgehend Geschichte. Lit. (a. →Bosnien): H. Sundhaussen, Sarajevo. Die Geschichte einer Stadt. Wien u. a. 2014; K. Filan, Sarajevo u Bašeskijino doba. Jezik kao stvarnost. Sarajevo 2014; M. Sparks, The development of Austro-Hungarian Sarajevo, 1878–1918. An urban history. London, New York 2014; A. Čusto, Uloga spomenika u Sarajevu u izgradnji kolektivnog sjećanja na period 1941–45. i 1992–95. Komparativna analiza. Sarajevo 2013; E. Greble, Sarajevo, 1941–1945. Muslims, Christians, and Jews in Hitler’s Europe. Ithaca/NY 2011; F. Markowitz, Sarajevo. A Bosnian Kaleidoscope. Urbana/Ill. u. a. 2010; B. Zlatar, Gazi Husrev-beg. Sarajevo 2010; V. Žujo, Leksikon Sarajeva. 2 Bde. ebd. 2009; I. Maček, Sarajevo Under Siege. Anthropology in Wartime. Philadelphia 2009; S. Ferhadbegović, Prekäre Integration: serbisches Staatsmodell u. regionale Selbstverwaltung in Sarajevo u. Zagreb 1918–1929. München 2008; R. Donia, Sarajevo. A Biography. London 2006; F.M. Begović, Staro Sarajevo. Ljudi i dogadjaje. Sarajevo 1999; B. Zlatar, Zlatno doba Sarajeva. ebd. 1996; I. Hadžibegović, Bosanskohercegovački gradovi na razmedju 19. i 20. stoljeća. ebd. 1991; D. Kovačević-Kojić, Gradska naselja srednjovjekovne bosanske države. ebd. 1978; H. Kreševljakovic, Sarajevo za vrijeme austrougarske uprave (1878–1918). ebd. 1969; M.M. Bašeskija, Ljetopis (1746–1804). Übers. M. Mujezinović. ebd. 1968 ; H. Šabanović, Teritorijalno širenje i gradjevni razvoj Sarajeva u XVI stoljeću, Radovi Naučnog društva Bosne i Hercegovine 26, Odjeljenje istoriskofiloloških nauka 8 (1965), 29–53; ders., Postanak i razvoj Sarajeva, ebd.13 bzw. 5 (1960), 71–115; T. Kruševac, Sarajevo pod austro-ugarskom upravom 1878–1918. Sarajevo 1960; H. Šabanović, Dvije najstarije vakufname u Bosni, Prilozi za orijentalnu filologiju 2 (1951), 5–38; V. Skarić, Sarajevo i njegova okolina od najstarijih vremena do austrougarske okupacije. Sarajevo 1937. S.M. Dž.
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Sarakatsanen (a. Karakatschanen; Eigenbez. nach manchen Angaben gr. βλάχοι; Fremdbez. gr. σαρακατσάνοι; südslav. Karakačani). Eine gr.sprachige, christl.-orth. Nomadenbevölkerung v. a. in Nordgriechenland sowie in Bulgarien, Makedonien u. Serbien. Während man über die v. der soz. u. ökon. Organisation her sehr ähnlich organisierten balkanromanischen →Vlachen zumindest seit dem 11. Jh. über schriftliche Hinweise verfügt, ist dies für die S. erst seit dem 18. Jh. der Fall. Dies nährt Spekulationen über ihre Herkunft. Nach den gängisten Meinungen sind sie entweder altgr., neuerer gr. oder gar vlach. Abstammung. Die beiden ersteren Auffassungen werden v. einer Reihe v. gr., letztere u. a. v. rum. Forschern vertreten. Die auffallenden Ähnlichkeiten in der sozialen (etwa Verwandtschaftsorganisation u. -terminologie) u. ökon. Organisation (Nomadismus, Art der pastoralen Organisation) sprechen für eine vlach. Herkunft. Dagegen sprechen ihre eindeutig gr. kult. Orientierung u. Sprache (nordgr. Dialekt, Eigenbez. als Romaikà, →Rhomäer, mit Wörtern aus den Nachbarspra-
Sarakatsanen / Scharia
chen sowie einigen aus keiner anderen Balkansprache bekannten Termini), wobei eine Hellenisierung durch die umliegende Bev. durch den Lebensstil der S. eher unwahrscheinlich ist. Die S. haben eine eigene Theorie über ihre ethn. Herkunft. Danach seien sie ursprünglich sesshafte Bauern in einer Siedlung bzw. einem Gebiet namens Sirako im Pindos-Gebirge gewesen, v. wo sie wegen der Unruhen zur Zeit Ali Paschas v. Ioannina im frühen 19. Jh. geflohen seien. Manche Autoren halten das für wahrscheinlich, da ähnliche Fluchtbewegungen für Pindos-Vlachen in den Quellen belegt sind. Die S. waren bis in die 1960er Jahre hinein i. d. R. Vollnomaden u. verfügten über keine permanenten Siedlungen, sondern lebten in Zelten u. bodenvagen Zweighütten. Ihre Sommerweidegebiete lagen hauptsächlich am Westabhang des Pindos, in der epirotischen Zagoria u. südlich der Linie Metsovo-Ioannina im W, dem Šar (Sharr)-Gebirge im N u. im O den beiden Seiten der Rhodopen, wohin die S. allerdings erst um 1900 ausgewandert waren. In der Zagoria etwa registrierte 1922 der dänische Philologe C. Hoëg 52 Hirtenlager v. S., in denen 528 Familien lebten. J.K. Campbell konnte Mitte der 1960er Jahre hier noch etwa 4.000 S. mit etwa 85.000 Schafen u. 13.000 Ziegen beobachten. In der Winterperiode hielten sich sehr viele S. in den Ebenen v. Ätolien-Arkanien, Thessalien sowie in den küstennahen mak. u. thrak. Gebieten auf. Für die Zeit um 1960 schätzt man die Zahl derer, die sich ihrer sarakatsan. Herkunft noch bewusst waren, auf etwa 80.000 bis 100.000 Menschen. Ausgelöst in erster Linie durch die Grenzziehungen im 19. u. 20. Jh., die die trad. Migrationsströme unterbrachen, begann ein Prozess des Sesshaftwerdens u. der soz. Integration. Diese in jüngerer Zeit auch durch staatliche Maßnahmen unterstützte Entwicklung führte dazu, dass auch in Griechenland um etwa 1970 das trad. Nomadenleben der S. völlig aufgehört hat. Der damit einhergehende Identitätsverlust wurde durch den Usus, endogam zu heiraten, wesentlich verlangsamt. In Bulgarien u. Jugoslawien wurden die dort wesentlich kleineren Gruppen von S. bereits bald nach 1945 u. endgültig bis Mitte der 50er Jahre durch gesetzliche Maßnahmen zur Sesshaftwerdung gezwungen. Lit. (a. →Transhumanz): A. Chatsēmichalē, Sarakatsanoi. 2 Bde. Athen 22007/10; Ž. Pimpireva, Karakačanite v Bălgarija. Sofija 1995; D. Antonijević, Sarakacani, Balcanica 6 (1975), 201–233; J.K. Campbell, Honour, Family and Patronage. New York u. a. 1974; A. Beuermann, Fernweidewirtschaft in Südosteuropa. Braunschweig 1967; G.B. Kavadias, Pasteurs-nomades Méditerranéens. Les Saracatsans de Gréce. Paris 1965; A. C. Hoëg, Les Saracatsans. Une tribu nomade grecque. 2 Bde. Paris u. a. 1925/26. K. K./U. B.
Scharia (arab. šarī‘a, ursprünglich „Weg zur Wasserstelle; Weg, dem zu folgen ist“). Das isl. kanonische Recht. Es enthält nach isl. Auffassung die v. Gott gesetzte u. v. Muhammad offenbarte Rechtsordnung, wie sie bis zum Jüngsten Gericht prinzipiell für die gesamte Menschheit gelten soll. Die Sch. kennt keine Trennung zw. religiös-sakralem u. profan-säkularem Bereich, sondern regelt – theoretisch – die Gesamtheit menschlichen Verhaltens gegenüber Gott u. in der Gesellschaft. In der Praxis ist auch die isl. Gesellschaft ohne „welt-
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Scharia / Schejch-ül-Islam
liche“ Rechtssetzung (→Kanun) nicht ausgekommen. – Die zunächst freie Interpretation der kanonischen Texte (Koran, Hadith) konzentrierte u. disziplinierte sich seit der Mitte des 8. Jh.s in Rechtsschulen, v. denen die des Abu Hanifa (699–767) im →Osm. Reich die wichtigste werden sollte. Mehr als die anderen übte sie Ermessen (opinio) u. aequitas (das Für-Gut-Halten) u. selbst die Praxis des Rechtskniffes. So gilt die hanafitische allg. als die liberalste der vier bedeutenden sunnitischen Rechtsschulen. Seit dem Ende der selbständigen Rechtsfindung, arab. iǧtihād, im 9. Jh. praktizierte man bei den Sunniten taqlīd, d.h. die Anerkennung v. Lehrmeinungen anderer, ohne nach einer Begründung zu fragen. – Das isl. Recht ist ganz überwiegend in privaten Werken überliefert, wobei der private Charakter den Wert einer Sammlung als Basis für Gerichtsentscheide durch den →Kadi oder Rechtsgutachten (→Fetwa) keineswegs schmälerte, wie das Werk des Ibrahim Halabi aus der ersten H. des 16. Jh.s zeigt, das geradezu zum Codex Iuris Osmanorum (Gräf/Krüger) werden konnte. Zu Kodifizierungen in staatlichem Auftrag nach kontinentaleurop. Muster kam es erst im 19. Jh. Das bekannteste Beispiel ist die osm. Medschelle (mecelle, 1869–76 verkündet), eine Art Zivilgesetzbuch auf der Grundlage hanafitischer Quellen, die das Osm. Reich in Jordanien bis 1977, in Kuwait gar bis 1981 überlebt hat. Das osm. Familienrechtsgesetz v. 1917, das noch heute im Westjordanland u. im Gebiet von Gaza gilt, setzt sich aus passenden Elementen verschiedener Rechtsschulen zusammen. In den meisten isl. Ländern ist die Rolle der Sch. unter europ. Einfluss auf die kultischen Vorschriften, das Ehe-, Kindschafts- u. Erbrecht sowie das Recht der Frommen Stiftungen (→Vakuf ) reduziert worden. Selbst dort, wo isl. Staaten heute als Reaktion auf fundamentalistische Strömungen eine Rückkehr zum isl. Strafrecht mit seinen drakonischen Hadd-Strafen verkündet haben, bleibt es gewöhnlich bei symbolischen Gesten. Tatsächlich ist die Sch. in keinem Rechtsgebiet so unvollkommen verwirklicht worden wie in der Strafjustiz. Lit.: A. Akgündüz, Islamic Public Law. Documents on Practice from the Ottoman Archives. Rotterdam 2011; C.V. Findley, Medjelle, in: EI²; H. Krüger, Zum zeitlich-räumlichen Geltungsbereich der osmanischen Mejelle, in: Liber Amicorum. Festschrift Gerhard Kegel. München 2002, 43–63; H. Gerber, Statse, Society and Law in Islam. Ottoman Law in Comparative Perspective. New York 1994; B. Johansen, The Islamic Law on Land Tax and Rent. London 1988; M. Khadduri, The Islamic Conception of Justice. ebd. 1984; N. Anderson, Law Reform in the Muslim World. ebd. u. a. 1976; U. Heyd, Studies in Old Ottoman Criminal Law. Hg. V.L. Ménage. Oxford 1973; N. Coulson, A History of Islamic Law. Edinburgh 1964; J. Schacht, An Introduction to Islamic Law. Oxford 1964. M. U.
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Schejch ül-Islam (arab. šaiḫ al-islām; türk. şeyhülislam). Ursprünglich Ehrentitel für angesehene isl. Theologen u. Mystiker. Im Osm. Reich schon bald an die Person des bedeutendsten Rechtsgelehrten geknüpft, der im Verlauf der ersten H. des 16. Jh.s als Oberster Rechtsgutachter (müfti) des Reiches mit Sitz in Istanbul an die Spitze der →Ilmiye tritt. Seitdem steht der Ausdruck Meschichat (türk. meşihat, v. arab. šaiḫ „Scheich“ abgeleitet) für Amt u. Würde des Sch. als Mufti u. Oberhaupt der →Ulema. Obgleich erst im 19. Jh. Mitglied im Groß-
Schejch-ül-Islam / Schisma
herrlichen →Diwan, ist der Sch. nach Rang u. Einfluss doch nur mit dem →Großwesir zu vergleichen. Im Zweifelsfall entscheidet sein →Fetwa über Kriegseintritt oder Absetzung des Sultans. Hauptaufgabe des Sch. ist es, sicherzustellen, dass die Staatsmacht mit ihren „weltlichen“ Erlassen (vgl. →Kanun) im Einklang mit dem relig. Gesetz (→Scharia) handelt. Bezeichnenderweise ist das Gesetzgebungswerk Sultan Süleymans des Prächtigen bzw. „des Gesetzgebers“ (türk. kanuni) unter dem beherrschenden Einfluss des bedeutendsten osm. Sch., Ebüssuud Efendi (amtierte 1545–1574) entstanden. – Das meşihat wurde zusammen mit dem osm. Kalifat 1924 v. der Türkischen Republik abgeschafft. Lit.: Şeyhülislâmlık (Bâb-ı Meşihat) arşivi defter kataloğu. Hgg. B. Aydın/İ. Yurdukul/İ. Kurt. Istanbul 2006; R.C. Repp, The Müfti of Istanbul. A Study in the Development of the Ottoman Learned Hierarchy. Oxford 1986; E. Kaydu, Die Institution des Scheych-ül-Islamat im Osmanischen Staat. Diss. phil. Erlangen-Nürnberg 1971. M. U.
Schisma (v. gr. schisma, „Spaltung, Riss“). Schismen, d. h. Unterbrechungen der sakramentalen Gemeinschaft zw. Christen auf Grund dogmatischer oder jurisdiktioneller Auseinandersetzungen gab es bereits im ersten Jahrtausend mehrfach sowohl zw. der abendländ. u. der östl. Kirche (z. B. v. 484–519 das Akakianische S.) als auch innerhalb der östl. Kirche, wo es nach 451 zu einem S. zw. Anhängern u. Gegnern der christologischen Zwei-Naturen-Lehre des Konzils v. Chalkedon kam. Spaltungen innerhalb der orth. Glaubensgemeinschaft ohne Ausbildung einer neuen theologischen Auffassung bestehen bis zur Gegenwart. Zumeist wird der Begriff S. jedoch v. a. auf den Abbruch der kirchlich-sakramentalen Gemeinschaft zw. dem →Patriarchat v. Konstantinopel u. dem Papsttum i. J. 1054 angewendet. Die Ursachen dieser Spaltung lassen sich bis ins 8. Jh. zurückführen, als Kaiser Leon III. eine v. den Päpsten unterstützte Revolte der Milizen Mittelitaliens gegen byz. Steuerforderungen mit der Unterstellung der bis dahin unter Roms Jurisdiktion befindlichen Bistümer Unteritaliens u. des Illyricums unter den Patriarchen v. Konstantinopel beantwortete. Die Ablehnung der 787 in Nikaia unter Mitwirkung päpstlicher Legaten formulierten Konzilsbeschlüsse über die Bilderverehrung (→Bilderstreit) durch die fränkische Reichssynode in Frankfurt (794) und v. a. die Einfügung des Zusatzes filioque über den Ausgang des Hl. Geistes nicht nur vom Vater, sondern vom Vater u. vom Sohn in das gesamtkirchliche Glaubensbekenntnis (Nicaeno-Constantinopolitanum) durch die fränk. Kirche (ab 767) führten auch zu einer dogmatischen Kontroverse. Beim Konflikt zw. Papst Nikolaus I. u. seinen Nachfolgern einerseits u. dem byz. Patriarchen Photios andererseits ging es um die Appellationsgerichtsbarkeit des Papstes, die Jurisdiktion über Bulgarien (→Bulg. Reich) u. um das Filioque (Photianisches Schisma), doch wurde dieses 879/880 auf einer Synode in Konstantinopel beigelegt. Erst das normannische Vordringen in Süditalien (ab 1039) führte wieder zu intensiveren Kontakten zw. Rom u. Konstantinopel. Zwar bemühten sich Leo IX. u. der byz. Kaiser Konstantin IX. um ein antinormannisches Bündnis, doch der Streit um die Jurisdiktion über Unteritalien stand dem ebenso im Wege wie die v. den Byzantinern abgelehnte Verwendung ungesäuerten Brotes (Azymon) in der lat. Messe. Auf ekklesiologischem Gebiet
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Schisma / Schokatzen
erwiesen sich der gesteigerte Primatsanspruch des Reformpapsttums u. die byz. Konzeption v. der Leitung der Gesamtkirche durch die Pentarchie (Fünfherrschaft) der →Patriarchen als unvereinbar. Während des bereits v. einem polemischen Briefwechsel vorbelasteten Aufenthaltes einer päpstl. Gesandtschaft in Konstantinopel im Frühjahr 1054 eskalierte der Konflikt. Vor ihrer Abreise deponierten die päpstl. Legaten am 16.7.1054 eine Bannbulle gegen den Patriarchen Michael I. Kerullarios u. seine Anhänger in der Hagia Sophia. Der Patriarch u. seine Synode reagierten am 21. u. am 24.7. mit der Exkommunikation der Legaten u. der Abfassung einer offiz. Darstellung der Vorgänge (sēmeiōma). In den Unionsverhandlungen des 12. Jh.s drängten der Streit um den päpstl. Primat u. das Filioque das Azymen-Problem in den Hintergrund. Im 13. Jh. kam noch das Fegefeuer als Kontroversgegenstand hinzu. Die Eroberung Konstantinopels u. weiter Teile des byz. Reiches durch Kreuzfahrer u. Venezianer (1204; →Kreuzzüge) sowie die Einsetzung einer lat. Hierarchie in den eroberten byz. Gebieten vertieften das S. Die angesichts der osm. Gefahr auf dem Konzil von Ferrara-Florenz (1431–1445) geführten Unionsverhandlungen, an denen der Ebf. v. Nikäa u. Gelehrte Basilius Bessarion (1403–1472) maßgeblichen Anteil hatte, scheiterten an der Ablehnung in Konstantinopel. Selbst die ökumenische Annäherung zw. Rom u. Konstantinopel, die am 7.12.1965 zur Aufhebung der Exkommunikationen v. 1054 führte, konnte die Kirchenspaltung nicht überwinden. Lit.: „Inter graecos latinissimus, inter latinos graecissimus“. Bessarion zwischen den Kulturen. Hgg. C. Märtl/Chr. Kaiser/Th. Ricklin. Berlin, Boston/Mass. 2013; Réduire le schisme. Ecclésiologies et politique de l’union entre Orient et Occident XIIIe–XVIIIe siècle. Hgg. M.-H. Blanchet/F. Gabriel. Paris 2013; A. Riebe, Rom in Gemeinschaft mit Konstantinopel: Patriarch Johannes XI. Bekkos als Verteidiger der Kirchenunion von Lyon (1274). Wiesbaden 2005; Vom Schisma zu den Kreuzzügen 1054–1204. Hg. P. Bruns. Paderborn u. a. 2005; H. Chadwick, East and West. The making of a rift in the Church. From apostolic times until the Council of Florence. Oxford 2005; Das Schisma zwischen Ost- u. Westkirche 950 bzw. 800 Jahre danach (1054 und 1204). Hg. Th. Nikolaou. Münster 2004; A. Bayer, Spaltung der Christenheit. Das sog. Morgenländische Schisma von 1054. Köln u. a. 2002; P. Gemeinhardt, Die Filioque-Kontroverse zwischen Ost- u. Westkirche im Frühmittelalter. Berlin 2002; G. Dagron, Das „Schisma“ zwischen Ost u. West, in: Geschichte des Christentums. Bd. 4: Bischöfe, Mönche u. Kaiser (642–1054). Freiburg i. Br. u. a. 1994, 352–362; A. Papadakis (mit J. Meyendorff ), The Christian East and the Rise of the Papacy. The Church 1071–1453 A.D. Crestwood/NY 1994; F. Tinnefeld, Michael Kerullarios, Patriarch von Konstantinopel (1043–1058), Jahrbuch der österr. Byzantinistik 39 (1989), 95–127; M. Smith, And Taking Bread ... Cerularius and the Azyme Controversy of 1054. Paris 1978; E. Petrucci, Ecclesiologia e politica di Leone IX. Roma 1977; F. Dvorník, The Photian Schism. History and Legend. Cambridge 1948; A. Michel, Humbert u. Kerullarios. Quellen u. Studien zum Schisma des XI. Jh. 2 Bde. Paderborn 1924/30. K.-P. T.
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Schokatzen (südslav. Šokci [sing. Šokac]; ung. Sokácok). Südslav. Bev.gruppe vornehmlich röm.-kath. Konfession; Sprecher eines štokavischen Dialekts mit teils ikavischen, teils ekavi-
Schokatzen / Schwäbische Türkei
schen Merkmalen (eng verwandt mit der Sprache der →Bunjewatzen). Ob es sich um eine eigenständische ethn. Gruppe handelt, ist höchst umstritten. In Kroatien werden sie als Kroaten eingeordnet, während sie in Serbien als ethn. Gruppe anerkannt sind. Ihre Siedlungen finden sich entlang der Flussläufe von unterer Save u. mittlerer Donau: in den histor. Regionen Slawonien, Baranya, Batschka, Banat u. Syrmien sowie in Nordserbien (also im heutigen Ostkroatien, in Südungarn u. in der Vojvodina). Zur Bedeutung des Namens u. zur Herkunft der Sch. gibt es viele Theorien, aber keine empirisch gesicherten Erkenntnisse. Zumeist wird angenommen, dass die Sch. in der gegen Ende des 17. Jh.s aus dem osm. Bosnien über die Save auf habsb. Territorium geflohen sind. Soweit bisher bekannt, werden sie erstmals in einem osm. Steuerregister v. 1615 erwähnt. Angaben über die Zahl der Sch. unterliegen starken Schwankungen: z. T. wurden u. werden sie in amtl. Statistiken nicht als eigene Gruppe ausgewiesen, z. T. haben sie ihre ethn./nationale Selbstzuschreibung verändert. Anlässlich der Volkszählung v. 1840 stuften die Behörden in Kroatien-Slawonien noch 297.747 Personen als Sch. ein (19 % der Bev.). Zu dieser Zeit wurden Sch. auch noch in Bosnien erwähnt, sowohl in osm. Quellen wie auch als Selbstbezeichnung (in der 2. H. des 19. Jh.s wurden sie von kath.-kroat. Seite allerdings aufgefordert, sich als „Kroaten“ zu bezeichnen, so dass ihr Name verschwand). In den heutigen Siedlungsgebieten hat die Zahl der Sch. ständig abgenommen. Nach den Berechnungen Ivan Ivanjićs soll es Ende des 19. Jh.s in der Batschka u. Baranya 52.000 Sch. (u. 101.000 Bunjewatzen) gegeben haben. 2011 bekannten sich in der Vojvodina aber nur noch einige hundert Personen als Sch. In den aktuellen Volkszählungen Kroatiens tauchen sie nicht auf, da sie sich i. d. R. als Kroaten oder Untergruppe der Kroaten definieren (oder definiert werden). Dessen ungeachtet pflegen sie ihre Traditionen, v. a. in Kleidung u. Volksmusik. Lit.: M. Vuković, Problem podrijetla Šokaca i njegov odraz u historiografiji, Zbornik Odsjeka za povijesne znanosti Zavoda za povijesne i društene znanosti Hrvatske akademije znanosti i umjetnosti 30 (2012), 327–358; R. Pšihistal, The ethnomyth of Šokci, Narodna umjetnost 48 (2011), H. 1, 85– 111; G. Rem/V. Rem, Šokci u povijesti, kulturi i književnosti. Osijek 2009; Leksikon podunavskih Hrvata-Bunjevaca i Šokaca. Hg. S. Bačić. Subotica 2008 ff.; P. Živković/I. Jakić, Prilog pitanju podrijetla imena Šokac i Bunjevac. (Naseljavanje i rasprostranjenost u prošlosti), Povijesni zbornik 1 (2007), H. 1/2, 247–253; I. Ivanjić, Bunjevci i Šokci u Bačkoj, Baranji i Lici. Istorija, etnografija, kultura, društveno, brojno i privredno stanje, etničke osobine. Beograd 31899. H. S.
Schwäbische Türkei. Ursprünglich eine ung. Bez. für die nach der Türkenzeit v. Deutschen (→Donauschwaben) besiedelten Gebiete des Komitats →Baranya, die dt. erstmals v. dem oberung. Schriftsteller Adolf Grünhold u. ung. v. dem Stadtpfarrer von Fünfkirchen, Michael Haas 1844 bzw. 1845 bezeugt wird. Haas benennt als S.T. die beiden Kreise Mohács u. Baranyavár, die unter der osm. Herrschaft besonders gelitten hatten u. in denen deshalb die vielfältigen Ergebnisse der dt. Kolonisationstätigkeit (→Kolonisation) in Bezug auf die Flureinteilung, die Ernteerträge im Acker-, Obst- u. Weinbau u. den Wiederaufbau der Dörfer u. Kleinstädte bereits am Beginn des 19. Jh.s besonders auffällig waren. In der nationalistisch aufgeheizten Atmosphäre der Jahre nach 1918 suchte man v. ung. Seite diese Aufbauleistung
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u. damit auch den Begriff S.T. in Zweifel zu ziehen, während in der dt. Publizistik dieser Zeit die Bezeichnung S.T. geradezu als Ausweis dt. Tüchtigkeit auf ein immer größeres Gebiet, schließlich auf die dt. Siedlungsgebiete in den drei Komitaten Baranya, Tolna u. Somogy ausgedehnt wurde. Lit.: M. Gün, Medizinische Versorgung u. Heilwesen in den katholischen Siedlungsgebieten der „schwäbischen Türkei“ vom Anfang des 18. Jh.s bis 1945. Ein Beitrag zu einer „donauschwäbischen“ Medizingeschichte. Aachen 2007; P. Ginder, Die Entdeckung der Schwäbischen Türkei, in: ders., Ungarn u. Deutsche. Aufsätze zur donauschwäbischen Geschichte u. Kulturgeschichte. Budapest 1999, 86–108; Die Schwäbische Türkei. Lebensformen der Ethnien in Südwestungarn. Hg. M. Fata. Sigmaringen 1997; J. Weidlein, Die Schwäbische Türkei. 2 Bde. München 1968/1980. G. S.
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segmentäre Gesellschaft. Der Begriff s.G. wurde 1893 vom frz. Soziologen Émile Durkheim geprägt u. später v. anderen Soziologen u. Ethnologen übernommen u. ausdifferenziert. Das Kennzeichen s.G.en war für Durkheim, „dass sie aus der Wiederholung v. untereinander ähnlichen Aggregaten gebildet sind, analog den Ringen eines Ringelwurmes“. Die Segmente bilden kein ges. System bzw. keine Gesellschaft im Sinne interdependenter Teile, d.h. die Zahl der Segmente kann sich vergrößern oder verkleinern ohne Rückwirkung auf die übrigen Teile der s.G. („Ringelwurm“). Die Segmente sind weitgehend autonom; ihre Verbindung zu anderen Segmenten der s.G. ist meist temporär u. labil. Idealtypisch handelt es sich bei den Segmenten um zahlenmäßig überschaubare, funktional wenig ausdifferenzierte Gemeinschaften, in denen jeder jeden kennt. Die soz. Beziehungen innerhalb der Gemeinschaft sind personifiziert u. orientieren sich am Gewohnheitsrecht bzw. an dem, was durch Sitte u. Brauchtum legitimiert ist. Das Individuum spielt nur eine untergeordnete Rolle, da der Zwang zur Gemeinschaft – schon aus Überlebensgründen – stark ausgeprägt ist. Dies gilt v. a. dort, wo die Segmente gegenüber dem Staat kollektiv für Steuerabgaben u. für Straftaten, die aus ihrer Mitte heraus begangen werden, haften u. wo sie für die Sicherheit ihrer Mitglieder in Zeiten um sich greifender (staatl.) Rechtlosigkeit u. Unsicherheit sorgen müssen. Das Gemeinschaftseigentum an Weiden u. Wäldern, oft auch an Ackerflächen u. Vieh, sowie der Flurzwang schmieden die Mitglieder der Segmente zu einer ökonomischen Einheit zusammen, die sich am Bedarfdeckungsprinzip (Subsistenzwirtschaft) orientiert u. nach wirt. Autarkie strebt. Gewinnstreben ist diesen Gemeinschaften fremd; ihr Bedarf ist soziokulturell normiert; irdische Güter gelten als nicht vermehrbar, ihre Verteilung ist ein Nullsummen-Spiel. Daraus ergibt sich der weitgehend egalitäre Charakter der Segmente. Diese stellen sich somit als multifunktionale, wenig ausdifferenzierte soziale Organisationen dar mit einem dichtmaschigen Netz wechselseitiger Verpflichtungen der Mitglieder. Sie sind ebenso Solidar- wie Zwangsgemeinschaften. Sie sorgen u. haften für ihre Mitglieder, stehen aber Innovationen feindlich gegenüber (da Innovationen per definitionem gegen die Tradition verstoßen). Zu den weiteren Merkmalen s.G. gehört das Fehlen einer pol. Zentralinstanz. Die s.G. u. ihre einzelnen Segmente sind zwar nicht herrschaftsfrei (akephal), aber sie ken-
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nen keine institutionalisierte Macht. Status- u. Hierarchieunterschiede beruhen auf Ansehen u. Tradition, sie können auch v. Generation zu Generation in einer Familie tradiert werden, sind aber nicht institutionalisiert. Wichtige Entscheidungen werden v. den Mitgliedern des Segments in Versammlungen gemeinschaftlich getroffen (face-to-face-Demokratie). Der Zusammenhalt zw. den Mitgliedern der Segmente beruht auf tatsächlicher oder imaginierter gemeinsamer Abstammung u./oder auf dem Territorialprinzip. Das Pendant zur s.G. ist die komplexe Gesellschaft, deren Mitglieder – schon infolge ihrer großen Zahl – sich nicht persönlich kennen, sondern ihre Gemeinschaft nur „imaginieren“. Komplexe Gesellschaften weisen einen hohen Grad v. Arbeitsteilung u. funktionaler Differenzierung auf, worauf ihre wechselseitige Verflechtung u. Abhängigkeit – über Kleingruppen hinaus – beruht. Die Formierung einer komplexen Gesellschaft setzt die Überwindung der segmentären Autonomie voraus. Die s.G. u. die komplexe Gesellschaft schließen sich wechselseitig aus, auch wenn es in der Phase der Transformation v. einem zum anderen Gesellschaftstyp Mischformen geben kann. In SOE tritt die s.G. in zweierlei Gestalt auf: als Stammesgesellschaft in den schwer zugänglichen Gebirgsregionen Nordalbaniens, Montenegros u. der Ostherzegowina (→Stamm, Stammesges.) oder als Dorfgemeinschaft in den übrigen Gebieten des Balkanraums (→Dorf, Dorfgemeinschaft [Balkan]). Da der osm. Herrschaftsapparat nicht willens u. in der Lage war, die ges.u. pol. Integration bis hinunter zur lokalen Ebene durchzusetzen, beließ er den lokalen Segmenten weitgehende Selbstverwaltungsrechte. Stamm u. Dorf regelten die „Grundbedürfnisse“ ihrer Mitglieder autonom u. strukturierten deren soziales Handeln. Stamm u. Dorf als pol., wirt., kulturelle u. rechtl. Einheiten waren die dominanten soz. Bezugsformen des Zusammengehörigkeitsbewusstseins. Zwar kam es zw. diesen trad. Kleingruppen zur Abwendung einer gemeinsamen Bedrohung v. außen auch zu zeitweiligen Kooperationen, diese erwiesen sich aber als labil. Schon die Wahl eines gemeinsamen Führers war oft schwierig u. überdauerte zumeist nur kurze Zeit. Die ethn. Verwandtschaft spielte bei diesen Allianzen bis ins 19. – stellenweise ins 20. Jh. hinein – offenbar nur eine untergeordnete Rolle. Für die Mitglieder der alb. Stämme in der FNZ z. B. war die Loyalität gegenüber dem Stamm unvergleichlich stärker ausgeprägt als die Loyalität gegenüber der →Ethnie. Ähnliches gilt für die montenegrinischen u. herzegowinischen Stämme. Wichtiger für die Allianzbildung waren wirt. Motive oder Eingriffe lokaler osm. Potentaten in die „geheiligte“ Dorf- oder Stammesautonomie. Auch die v. den postosm. „Nationalstaaten“ beanspruchte Allzuständigkeit des Staates stieß auf z.T. massiven Widerstand der segmentären Gemeinschaften (vgl. →Bauernaufstände, 19./20. Jh.). Geradezu exemplarisch lässt sich dies am Prozess der montenegrinischen →Nationalstaatsbildung verfolgen (→Montenegriner). Die Überwindung der Stammesgrenzen bzw. -loyalitäten zugunsten eines ethn. u. staatl. Zusammengehörigkeitsgefühls zog sich daher über mehrere Jahrzehnte hin. Eine typische Protestform s.G.en (Kleingruppen ohne Ideologie) war das (Sozial)Banditentum, z. B. in Gestalt der christl. →Haiduken u. →Klephten oder in Gestalt musl. Räuberbanden, die v. a. in den albanisch besiedelten Gebirgsregionen seit Ende des 18. Jh.s vermehrt auftraten. Die Historiographie hat sich mit s.G.en bisher kaum befasst. Es waren im wesentlichen Ethnologen/Anthropologen, die sich um deren Erforschung bemüht haben (zumeist an
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Hand außereuropäischer Beispiele). In der Historiographie stand dagegen die Nation im Zentrum: entweder als „uralte“ soz. Organisationsform, die zeitweilig unterdrückt worden war, oder als moderne Form einer ethn. Gruppe (→Ethnie), die einen eigenen Staat anstrebt. Die s.G. dagegen sprengt die Paradigmen v. Nation u. ethn. Gruppe. Dies u. der relative Mangel schriftl. Quellen dürfte ein entscheidender Grund dafür sein, dass sie lange Zeit im Schatten der hist. Forschung stand. Lit. (allg.): É. Durkheim, De la division du travail social. Paris 1893, Kap. 6 u. passim (dt.: Über soziale Arbeitsteilung. Studie über die Organisation höherer Gesellschaften. Frankfurt/M. 1996); D. Fröhlich, Nationalismus u. Nationalstaat in Entwicklungsländern. Probleme der Integration ethnischer Gruppen in Afghanistan. Meisenheim am Glan 1970; F.R. Vivelo, Segmentäre Gesellschaften, in: Handbuch zur Kulturanthropologie. Eine grundlegende Einführung. Stuttgart 1981, 198–201; Ch. Sigrist, Regulierte Anarchie. Untersuchungen zum Fehlen u. zur Entstehung politischer Herrschaft in segmentären Gesellschaften. Hamburg 1994. (SOE, ergänzend zur Lit. bei den Verweisartikeln): F.F. Anscombe, Albanians and „Mountain Bandits“, in: The Ottoman Balkans, 1750–1830. Hg. Ders. Princeton/N.J. 2006, 87–113; Y.V. Ivanova, Commune rurale des Albanais (XVIIIe–début du XXe siècle), Recueils de la Société Jean Bodin 45 (1986), 167–187; Običajno pravo i samouprava na Balkanu i u susednim zemljama. Hgg. V. Čubrilović/D. Antonijević. Beograd 1974; E. Grozdanova, Les fondements économiques de la commune rurale dans les regions bulgares (XVe–XVIIIe s.), Etudes balkaniques 13 (1974), 18–42; T. Djordjević, Selo kao sud u našem narodnom običajnom pravu, Zbornik Filozofskog fakulteta (Beograd) 1 (1948), 267–287; ders., Selo kao društvena zajednica za vreme prve vlade kneza Miloša, Prilozi za književnost, jezik, istoriju i folklor 2 (1922), 129–138. H. S.
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Selbstverwaltung (Jugoslawien). Der →Kominformkonflikt von 1948/49 zwang die Kommunistische Partei Jugoslawiens (KPJ) zu einer Überprüfung von Theorie u. Praxis ihres Sozialismuskonzepts. Hatte sie sich in den ersten Nachkriegsjahren ideologisch u. ordnungspolitisch ganz am Vorbild der Stalinschen UdSSR orientiert, so begann seit Mitte 1949 die Suche nach einem anderen u. eigenen Sozialismusmodell. Der Ende der 1940er u. Anfang der 1950er Jahre theoretisch formulierte jug. Gegenentwurf griff dabei zum einen auf die frühen Schriften v. Marx zurück, v. a. auf seine Aussagen zur Entfremdung, die im sowj. kanonisierten Marxismus seit den 1930er Jahren weitgehend ignoriert worden waren; weiter berief er sich auf Leninsche Schriften, wie v. a. dessen „Staat u. Revolution“, führte aber auch in der sowj. Ideologie meist abgelehnte Theoriefragmente der utopischen Frühsozialisten wie Owen u. Fourier sowie eigene Theorietraditionen (wie sie z. B. der ebenfalls vom utopischen Sozialismus beeinflusste serbische Frühsozialist Svetozar Marković zu den Formen einer kommuneartigen Selbstorganisation der Gesellschaft entworfen hatte; →Sozialismus) zusammen. Theoretischer Eckpunkt des neuen jug. Sozialismusverständnisses war dabei die Vorstellung eines mit der sozialist. Revolution beginnenden Absterbens des Staates sowie in langer Sicht auch der monopolistischen Herrschaftspartei. An die Stelle klassischer staatlicher Ordnung sollte eine zunehmende Selbstorganisation der Gesellschaft treten, der immer weitere Berei-
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che des ökon., soz. u. pol. Lebens zur eigenverantwortlichen Gestaltung übertragen werden sollten. Nicht der Staat, wie in den sowjetisch-sozialistischen Ländern (→Volksdemokratien), sondern die Gesellschaft sollte daher auch „Eigentümer“ der Produktions- u. Reproduktionsmittel sein. Innerhalb der Sphäre des Politischen sollte dies einhergehen mit einem Funktionswandel u. in letzter Instanz auch einem Funktionsverlust des Staates sowie auch der KP, die ihr Kontroll- u. Interventionsrecht in der Gesellschaft ebenfalls zunehmend zugunsten der autonomen Produzenten u. Bürger abgeben sollte. Gerade dieser, den Herrschaftsanspruch der KP in letzter Instanz aufhebende Prozess wurde freilich bereits früh schon auf der theoretischen Ebene (ganz zu schweigen von der Alltagspraxis) relativiert. Bereits Anfang der 1950er Jahre erneuerte die Partei in der Auseinandersetzung mit ihrem frühen Kritiker Milovan Djilas, der eine sofortige Umsetzung derartiger Theoriepostulate eingefordert hatte, wieder stärker die konventionellen Herrschaftsansprüche von Staat u. Partei. Die KPJ (ab 1952 Bund der Kommunisten Jugoslawiens, BdKJ) begann zu dieser Zeit damit, ihr Selbstverwaltungsmodell zu realisieren, zunächst in Form einer Neuordnung der Produktion durch die Arbeiterselbstverwaltung. Bei ihrer Einführung 1950 war diese zunächst auf große Industriebetriebe beschränkt u. beließ dem Staat auch noch weiterhin viel an planerischen u. interventionistischen Kompetenzen. Bereits im Laufe der 1950er Jahre wurde es aber auch auf andere Bereiche der Wirtschaft ausgedehnt u. der betriebswirt. Handlungsspielraum der Unternehmen u. ihrer Beschäftigten wurde schrittweise erweitert. Produktionsplanung u. -gestaltung wie auch Lohnverteilung u. Investititonsentscheidungen wurden dabei zunehmend in die Hände der betrieblichen Vertretungsorgane der Beschäftigten gelegt. Eine gravierende Veränderung der ökon. Rahmenbedingungen der Betriebe bedeutete dabei die Wirtschaftsreform von 1965, mit der durch die Zurücknahme planerischer Kompetenzen des Staates u. die Einführung marktwirt. Elemente die Autonomie der Betriebe beträchtlich erhöht werden sollte. Die frühen 1970er Jahre brachten schließlich eine weitere fundamentale Umgestaltung der betrieblichen S., die zu einer faktischen Auflösung der klassischen Betriebsorganisation führte u. die Betriebe in eine Vielzahl sogenannter Grundorganisationen der Vereinten Arbeit (GOVA) verwandelte. Jede in sich selbständige Produktionseinheit eines Betriebes sollte dabei eine GOVA bilden, der die autonome Entscheidung über betriebswirt. Einzelentscheidungen oblag. Gesamtbetriebliche Entscheidungen u. Produktionsabläufe sollten dabei durch „Selbstverwaltungsvereinbarungen“ zw. den einzelnen GOVAs erfolgen. Durch diese, bis zur Atomisierung der Betriebseinheiten getriebene Dezentralisierung der Produktion sollte den Beschäftigten im Sinne des theoret. Gedankens der S. ein Maximum an Entscheidungskompetenzen über seine Arbeit u. damit Selbstbestimmung gesichert werden. Das in der Verfassung v. 1974 u. im „Gesetz über die vereinte Arbeit“ (oft auch als „Grundgesetz“ bezeichnet) v. 1976 kodifizierte System der „vereinten Arbeit“ blieb bis zum Ende des Staates formal in Kraft. Versuche, es im Angesicht eines immer dramatischer werdenden Niedergangs der jug. Wirtschaft zu reformieren, gerieten in den 1980er Jahren bereits in den Sog der schleichenden Desintegrationskrise des Staates u. vermochten keine durchgreifende Wirkung auf die Praxis mehr zu erzielen. Bereits früh hatte man auch begonnen, die betriebliche S. in den gesellschaftlichen Bereich hinein zu verlängern. In den 1950er Jahren erhielten die Kommunen zunehmende S.s-
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rechte, seit Mitte der 1960er Jahre erweiterten sich auch die Kompetenzen der Republiken (vgl. →Jugoslawien). Zunehmend wurde in den 1960er u. 70er Jahren auch der Dienstleistungssektor nach Grundsätzen der S. organisiert, in dem sich hier „Anbieter“ u. „Nutznießer“ solcher Dienstleistungen zu sogenannten „Selbstverwaltungsinteressengemeinschaften“ zum Zwecke der Organisation u. Verwaltung zusammenschließen sollten. Mit der Verfassung von 1974 wurde auch das gesamte politische Vertretungssystem sowie der jug. Föderalismus nach den Grundsätzen der gesellschaftlichen S. reorganisiert. Auf der parlamentarischen Vertretungsebene wurde ein kompliziertes u. (größtenteils) indirektes „Delegiertensystem“ eingeführt, das – ganz dem Gedanken der Rätedemokratie folgend – den Bürgern in ihren Gemeinden wie auch am Arbeitsplatz u. in ges. u. pol. Organisationen einen ständigen u. unmittelbaren Einfluss auf die Entscheidungen der Parlamente u. die Tätigkeit der Abgeordneten gewähren sollte. Auch die jug. Republiken wurden danach als „Selbstverwaltungseinheiten“ definiert, die gegenüber dem Bund über ein hohes Maß an autonomen Entscheidungskompetenzen verfügten u. gemeinsame Entscheidungen über ein System der Verhandlungen u. des Konsenses untereinander wie auch mit den Bundesinstanzen fällen sollten. Auf diese Weise entstand mit der Verfassung von 1974 ein an Komplexität wie an theoretischen Partizipationsansprüchen kaum zu überbietendes, hochkomplexes Modell eines „Verhandlungssystems“. Seine hohen theoretischen Partizipationsansprüche vermochte das System freilich zu keiner Zeit zu erfüllen. Der jugoslawische S.ssozialismus war bestenfalls oberflächlich ein System autonomer, pluraler Interessenvertretung „von unten nach oben“. Ungeachtet einer verwirrenden Vielzahl an Mitwirkungsinstitutionen u. -kanälen blieb die faktische Entscheidungskompetenz des Bürgers in Wirtschaft wie Politik bescheiden. Daran haben auch alle institutionellen Reformen, die das System zunehmend komplexer werden ließen, nichts ändern können. Im Gegenteil: die zunehmende institutionelle Komplexität erwies sich eher als partizipationshemmend. Innerhalb der betrieblichen S. blieb die Entscheidungshierarchie stets ausgesprochen hierarchisch u. begünstigte die Vertreter des Managements, die ihre dominante Position aufgrund ihrer Informationsvorsprünge, aber auch aufgrund ihrer Vernetzung mit staatlichen u. Partei-Institutionen gegenüber den übrigen Beschäftigten zementieren konnten; dem formal bestimmenden Einfluss der Beschäftigten stand demgegenüber eine in der Praxis faktisch weitgehende Einflusslosigkeit gegenüber. Hinzu kam der nie wirklich schwindende Einfluss außerbetrieblicher Entscheidungsfaktoren, wie v. a. lokaler Staats- u. Parteivertreter. Streiks der Arbeiter, die seit den späten 1960er Jahren zu periodischen Erscheinungen wurden (→Gewerkschaften), waren Ausdruck u. Folge dieser in der Praxis vorhandenen Einflussdefizite. Weniger noch konnte das System im pol. u. ges. Bereich seine normativen u. theoretischen Demokratieversprechen einlösen. Hinter der komplexen Vielfalt formaler Mitwirkungsrechte blieb auch hier der kontrollierende u. bestimmende Einfluss der Partei stets unangetastet. In mancher Hinsicht, etwa hinsichtlich der Repräsentanz von Parteimitgliedern in den parlamentarischen Vertretungen, fiel dieser sogar noch größer aus als in anderen sozialist. Staaten. Auch der jug. Sozialismus blieb somit ein von der Partei kontrolliertes „Mitwirkungssystem“. Aufgebrochen wurden die im Einparteiensystem angelegten mono-
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polistischen Strukturen lediglich auf der gesamtstaatlichen Ebene, wo der seit den 1970er Jahren radikalisierte Föderalismus die Entscheidungsmacht zusehends auf die Republiken verlagerte. Gesamtstaatliche Entscheidungen waren hier zunehmend nicht mehr durch zentrale Anordnungen der Bundespartei möglich, sondern waren das Ergebnis eines bargaining mit u. zw. den Republiken. Hat das S.ssystem schon seine Demokratiepostulate somit nicht realisieren können, so produzierte es auf der anderen Seite extrem hohe Effizienz-Einbußen. Insbesondere die „Verhandlungsökonomie“ der 1970er/80er Jahre entwickelte sich zu einem extrem bürokratisierten System, das erheblich zum wirt. Niedergang Jugoslawiens beitrug. Entscheidungs- u. Aushandlungsprozesse erwiesen sich als ausgesprochen zeit- u. kostenaufwendig u. setzten zudem die mit der Wirtschaftsreform von 1965 intendierte stärkere Orientierung an marktwirt. Grundsätzen partiell außer Kraft. Insgesamt konnte auch das jug. Modell, ungeachtet all seiner Unterschiede zum Staatssozialismus sowj. Prägung, Staat u. Gesellschaft nie dauerhaft eine tragfähige Legitimationsgrundlage geben. Angesichts seiner realen Effizienz- u. Demokratiedefizite verlor es in den 1980er Jahren in gleichem Maße an Akzeptanz, wie dies zu dieser Zeit auch in den anderen osteuropäischen Staaten der Fall war. Die Systemkrise, die den jug. Sozialismus erfasste, trug so auch nicht unwesentlich zur Krise der staatlichen Ordnung u. zum Zerfall Jugoslawiens bei. Lit.: Lj. Sirc, Brezpotja socializma. Ljubljana 2010; D. Marković, Samoupravljanje od realnosti do utopije. Politikološka misao na jugoslovenskim prostorima 1945–1990. Beograd 2001; H. Lydall, Yugoslav socialism. Theory and practice. Oxford 1984; W. Höpken, Sozialismus u. Pluralismus in Jugoslawien. Entwicklung u. Demokratiepotential des jugoslawischen Selbstverwaltungssystems. München 1984; St.R. Sachs, Self-management and efficiency. Large corporations in Yugoslavia. London u. a. 1983; Chr. Höcker-Weyand, Die Rechtsinstitute u. Rechtsinstitutionen des jugoslawischen Selbstverwaltungssystems. Baden-Baden 1980; W. Soergel, Arbeiterselbstverwaltung oder Managersozialismus?. Eine empirische Untersuchung in jugoslawischen Industriebetrieben. München 1979; R. Supek, Arbeiterselbstverwaltung u. sozialistische Demokratie. Hannover 1978; G. Leman, Das jugoslawische Modell. Frankfurt/M. 1976; B. Horvat, Die jugoslawische Gesellschaft. Ein Essay. Frankfurt/M. 1969. W. H.
Sephardim. Die Nachkommen der 1492 aus Spanien u. 1497 auch aus Portugal vertriebenen →Juden (daher a. Spaniolen). Der Ortsname „Sepharad“ erscheint zum ersten Mal im AT (Obadja, 20) als Zufluchtsort v. Flüchtlingen aus Jerusalem; in der ma. jüd. Tradition wurde es mit der Iberischen Halbinsel gleichgesetzt. Heute bezeichnet man als S. die orientalischen Juden im Gegensatz zu den →Aschkenasim. Nach der Vertreibung aus Spanien u. Portugal (1492 u. 1497) flüchteten die S. nach Nordafrika, in die Niederlande, nach Italien u. ins →Osm. Reich, dort v. a. nach Palästina, u. auf den →Balkan. Die Sultane nahmen die S. wegen ihrer Fertigkeiten u. ihrer Kontakte zu Westeuropa mit offenen Armen auf u. verliehen ihnen eine Reihe v. Begünstigungen. Ähnlich wie die Christen erhielten die Juden als „Schutzbefohlene“ (→Zimmi) das Recht, ihre
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inneren Angelegenheiten selbst zu regeln. Die Ansiedlung der S. erfolgte in Gruppen je nach Herkunft. Ihre Religion, ihre Sprache (Judenspanisch) u. das hebräische Alphabet behielten sie bei. Die altansässigen →Juden (Romanioten) passten sich in Kultur u. Ritus den Neuankömmlingen an; nur im gr. Bereich erhielten sich stellenweise gr.sprachige Juden. Im 16. Jh. entwickelte sich im Osm. Reich die jüd. Gemeinschaft zur größten der Welt. Zentren der S. in oder nahe an SOE waren neben →Saloniki u. →Konstantinopel die Städte Edirne, Bursa, →Belgrad, →Skopje, →Sarajevo, Izmir, Ioannina, Arta u. die Insel →Kreta. Durch Handel, Wollindustrie sowie Druckereien u. Verlagshäuser erreichten sie einen bemerkenswerten Wohlstand, gefördert durch die materiellen Bedürfnisse des expandierenden Osm. Reiches. Bibliotheken, die Weiterentwicklung des hebräischen Rechts u. die aus Palästina mitgebrachte Kabbala (Hauptströmung des jüd. Mystizismus) führten zu einer kult. Blüte, letztere aber auch wegen des falschen Messias Shabbetai Sevi oder Tzevi (→Dönme) zu einer Krise. Trotz der sich daraus ergebenen kult. Abschottung u. wirt. Probleme gilt das 18. Jh. als das Goldene Zeitalter der sephard. Literatur. Dessen ungeachtet hielt der wirt. u. kult. Verfall der S. an. Eine sephard. Handschrift v. einzigartigem Wert ist die berühmte „Haggada(h) v. Sarajevo“, ein reich bebildertes Büchlein, aus dem im Kreis der jüdischen Familie am Vorabend des Pessach-Festes gemeinsam gelesen u. gesungen wird. Der Kodex ist um 1350 im Kgr. Aragon entstanden, ein Musterbeispiel für die künstlerische Kreativität während der Epoche der „Convivencia“ im multireligiösen ma. Spanien. Auf Umwegen über Norditalien kam das wertvolle Manuskript wahrscheinlich Anfang des 17. Jh.s nach Sarajevo u. wurde 1894 vom dortigen Landesmuseum gekauft. Nach dem Zusammenbruch des Osm. Reiches mussten sich die S. im 19. Jh. den Systemen der neuentstandenen Staaten auf dem Balkan anpassen. Auswanderung nach Nord- u. Südamerika wurde durch Einwanderung ausgeglichen. Durch Übersetzungen frz. Literatur u. Einfluss im Bildungswesen (1860 Gründung der Alliance Israélite Universelle in Paris, die auch im Balkanraum mit Schulgründungen aktiv wurde, u.a. in Šumen u. Pazardžik) entstand das judeofrañol, eine Verschmelzung des Judenspanischen mit dem Französischen. Im 2. →Wk. wurden die jug. u. gr. Gemeinden im →Holocaust fast vollständig vernichtet, die Juden in Altbulgarien (→Bulgarien) entgingen diesem Schicksal knapp. Ende der 40er bis Anfang der 50er Jahre wanderten die meisten jug. u. bulg. Juden nach Palästina aus. Eine zweite Auswanderungswelle bulg. u. alb. S. erfolgte 1990. Heute gibt es noch eine funktionierende Gemeinde in Istanbul, kleinere in →Sofia, →Bukarest u. Sarajevo, ferner in Kanada, Mexiko, Südamerika, Marokko, die größten in den USA u. Israel. Schätzungsweise 100.000 Personen sprechen noch Sephardisch. Ziemlich regelmäßig erscheint die Zeitschrift „Aki Yerushalayim“, kurze judenspanische Beiträge sendet „Radio Kol Israel“. Bei der Sprache der S., dem Judenspanischen, unterscheidet man zw. dem Djudezmo, der gespr. Alltagssprache, u. dem Ladino, einer auf dem Kastilisch-Andalusischen beruhenden Kunstsprache mit hebräischem Alphabet u. zahlreichen Lehnwörtern aus den jeweiligen Kontaktsprachen, es ist die Sprache der relig. Literatur u. der reichen aus Spanien mitgebrachten Folklore. 828
Serail
Lit. (a. →Juden [Überblick]; →Saloniki; →Sarajevo): Ashkenazim and Sephardim: A European Perspective. Hg. A. Kątny/I. Olszewska/A. Twardowska. Frankfurt/M. 2013; Sefarad an der Donau. Lengua y literatura de los sefardíes en tierras de los Habsburgo. Hg. M. Studemund-Halévy. Barcelona 2013; W. Köbsch, Die Juden im Vielvölkerstaat Jugoslawien 1918–1941. Zwischen mosaischer Konfession u. jüdischem Nationalismus im Spannungsfeld des jugoslawischen Nationalitätenkonflikts. Münster u. a. 2013; J.A. Rodrigues da Silva Tavim, Sephardic Intermediaries in the Ottoman Empire, Oriente Moderno 93 (2013), 454–476; A. Benaim, Sixteenth-Century Judeo-Spanish Testimonies. An Edition of Eighty-four Testimonies from the Sephardic Responsa in the Ottoman Empire. Leiden 2012; K. Birri-Tomovska, Jews of Yugoslavia, 1918–1941. A History of Macedonian Sephards. Bern 2012; Macedonian chronicle: the story of Sephardic Jews in the Balkans. Hg. Y. Mais. Skopje 2011; M. Rozen, A History of the Jewish Community in Istanbul. The formative years, 1453–1566. Leiden 2010; G. Bossong, Die Sepharden. Geschichte u. Kultur der spanischen Juden. München 2008; Y. Ben-Naeh, Jews in the Realm of the Sultans. Ottoman Jewish Society in the Seventeenth Century. Tübingen 2008; M. Goldish, Jewish Questions. Responsa on Sephardic life in the Early Modern Period. Princeton 2008; K.E. Fleming, Greece. A Jewish History. Princeton 2007; M. Mazower, Salonica, City of Ghosts. Christians, Muslims and Jews, 1430–1950. New York 2005; R. Molho, Salonica and Istanbul: Social, Political and Cultural Aspects of Jewish Life. Istanbul 2005; E. Benbassa/A. Rodrigue, Die Geschichte der sephardischen Juden. Von Toledo bis Saloniki. Bochum 2005; B. Lewis, Die Juden in der islamischen Welt. München 2004; S. Wagenhofer, Die Osmanischen Juden im Blickwinkel europäischer Reisender des 16. Jh.s. Berlin. 2002; A. Hetzer, Sephardisch. Judeo-español, Djudezmo. Einführung in die Umgangssprache der südosteuropäischen Juden. Wiesbaden 2001; La Herencia de 1492 – una aproximación critica. Hgg. Th. Döring/B. Schmidt. Moers 1995; E. Benbassa, Une diaspora sepharde en transition. Istanbul 19e–20e siècle. Paris 1993; A. Levy, The Sephardim in the Ottoman Empire. Princeton 1992; J. Barnai, The Jews in the Ottoman Empire in the Seventeenth and Eighteenth Centuries, in: Moreshet Sepharad: The Sephardi Legacy. Hg. H. Beinart. Bd. 1. Jerusalem 1992, 134–165; Ottoman and Turkish Jewry. Community and Leadership. Hg. A. Rodrigue. Bloomington/IN 1992; B. Leroy, Die Sephardim: Geschichte des iberischen Judentums. Frankfurt/M. 1991; V. Marcu, Die Vertreibung der Juden aus Spanien. München 1991; K. Vidaković, Kultura španskih Jevreja na jugoslovenskom tlu. XVI–XX vek. Sarajevo 2 1990; A. Pinto, Jevreji Sarajeva i Bosne-Hercegovine. Sarajevo (1987); M. Levy, Die Sephardim in Bosnien. Ein Beitrag zur Geschichte der Juden auf der Balkanhalbinsel. Sarajevo 1911. (Ndr. Klagenfurt 1996); D.H. Müller/J. Schlosser, Die Haggadah von Sarajevo: Eine spanisch-jüdische Bilderhandschrift des Mittelalters. Wien 1898 (Ndr. 2012). M. D.
Serail („Palast“, v. pers. sarāy „Haus, Herberge“). Nach früheren Palastanlagen in Dimetoka u. Edirne (hier ist zw. dem Alten u. dem um 1450 begonnenen Neuen Palast zu unterscheiden) bezog der osm. Hof nach der Eroberung v. →Konstantinopel zunächst eine neue Anlage im Zentrum der Stadt. Um 1465 wurde mit dem Ausbau des heutigen Palastareals (Topkapı Sarayı) begonnen. Dieser weitläufige Komplex, in drei hintereinander liegende, um große Höfe herum entwickelte Baugruppen gegliedert, ist bis zum Bezug v. Dolabahçe
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Serail / Serben
(erbaut 1853) Residenz der osm. Herrscher geblieben u. infolgedessen mehrfach um- u. ausgebaut worden, so dass manche Teile in ihrer ursprünglichen Form u. Funktion heute nicht mehr fassbar sind. Dem europ. Betrachter fallen die aufgelockerte u. niedrige Bauweise auf, in der man „vergeblich nach einem eigentlichen Hauptgebäude sucht“ (von Moltke, 1837). Die früheste osm. S.-Anlage auf europ. Boden, für die wir über bildliche u. beschreibende Darstellungen, wenn auch keine oberirdischen Baureste mehr verfügen, ist der Alte S. zu Edirne, in dem schon Mehmed I. (1413–1421) residierte. Die wohl früheste Beschreibung stammt v. Bertrandon de la Broquière (um 1433), aus der auf einen ummauerten Komplex v. Gebäudegruppen geschlossen werden kann, die sich um mehrere Innenhöfe herum anordnen. Er blieb bis in die Zeit Ahmeds III. (1703–1730) bewohnbar, lange nachdem der Grundstein zum Neuen S. direkt an der Tundža (Tunca, schon 1432 von Murad II.) gelegt worden war. Lit.: I. Ortayli, Topkapi Palace: Milestones in Ottoman History. Clifton/N.J. 2010; G. Necipoğlu-Kafadar, Architecture, Ceremonial and Power. Cambridge/MA 1991; Ph. Mansel, Sultans in Splendor: Monarchs in the Middle East, 1869–1945. New York u. a. 1988; A. Terzioğlu, Die Hofspitäler u. andere Gesundheitseinrichtungen der osmanischen Palastbauten. München 1979; W. Müller-Wiener, Bildlexikon zur Topographie Istanbuls. Byzantion – Konstantinupolis – Istanbul bis zum Beginn des 17. Jh.s. Tübingen 1977. M. U.
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Serben. Südslav. Volk in SOE. Infolge v. Migrationen, Flucht u. Vertreibungen haben sich die Siedlungsgebiete der S. im Laufe der Jahrhunderte wiederholt verschoben. Bei der letzten vollständigen Volkszählung in Jugoslawien (1981) lebten in ganz Jugoslawien 9,3 Mio. S. – 59,8 % aller S. (4,9 Mio.) lebten damals im engeren Serbien (ohne die Autonomen Provinzen Vojvodina u. Kosovo), 16,2 % (1,3 Mio.) in Bosnien-Herzegowina, 13,6 % (1,1 Mio.) in der Vojvodina, 6,5 % (0,5 Mio.) in Kroatien u. 2,6 % (0,2 Mio.) in Kosovo. Der Rest verteilte sich auf Makedonien, Slowenien u. Montenegro. 2011 bekannten sich in der Republik Serbien 6,0 Mio. E als Serben, davon lebten 4,5 Mio. im engeren Serbien u. 1,5 Mio. in der Vojvodina. In Kroatien u. Kosovo ist die Zahl der S. infolge der →postjugoslawischen Kriege deutlich geschrumpft. Aus Bosnien-Herzegowina liegen noch keine endgültigen Ergebnisse vor. – Nach Porphyrogennetos (De adm.imp.) sind die S. im 7. Jh. zus. mit den →Kroaten in SOE eingewandert u. haben sich, mit Zustimmung des byz. Kaisers, südl. der Donau angesiedelt (vgl. →Slav. Landnahme). Dabei ist der Gesamtverband der S. in eine Reihe v. Teilstämmen zerfallen. Das Siedlungsgebiet umfasste das eigentliche Serbien, im Binnenland zw. Kroatien u. Bulgarien gelegen u. wohl mit dem späteren →Raszien identisch, u. die voneinander unabhängigen küstenländischen Territorien →Zahumlje, Travunja, Konavli u. Diokletien (→Zeta). Im 9. Jh. christianisiert, erkannten die S. nominell die byz. Oberhoheit an. Von den frühen serb. Fürsten sind lediglich die Namen bekannt. So herrschte im eigentlichen Serbien im 9. Jh. Vlastimir, von dessen drei Söhnen sich Mutimir (ca. 850–891) als Alleinherrscher durchsetzen konnte. Unter ihm wurden die S. in die bulg.-byz. Auseinandersetzungen verwickelt u. gerieten zeitweise unter bulg. Herrschaft, aus der sie sich
Serben
erst unter Časlav (927 bis ca. 950) wieder vorübergehend lösen konnten. Nach dessen Tod kamen die S. wieder unter bulg. Herrschaft u. nach dem Zusammenbruch des Westbulg. Reiches (1018; →Bulg. Reich) erneut in den Machtbereich v. Byzanz. Im 11. Jh. übernahmen dann die küstenländischen Gebiete, die v. der Zeta aus vereinigt worden waren, die pol. Führungsrolle. Zum Reich Kg. Bodins (1082–1101) gehörten nicht nur die Zeta u. Raszien, sondern auch →Bosnien. Der Versuch, die serb. Stämme vom Küstenland her zu vereinigen, scheiterte nach Bodins Tod an inneren Machtkämpfen u. am Vordringen der Ungarn. Vom Beginn des 12. Jh.s an verlagerte sich der pol. Schwerpunkt wieder nach Raszien, v. wo aus unter der Dynastie der →Nemanjiden die ma. Staatsgründung der S. ihren Abschluss fand. Unter Großžupan Vukan (ca.1083–1113; vgl. →Župan) begannen die Auseinandersetzungen zw. Raszien u. Byzanz, bei denen sich die S. mit den Ungarn verbündeten. Trotz zeitweiliger milit. Erfolge blieben die S. aber unter byz. Oberhoheit. 1163 ließ Ks. Manuel I. Komnenos den Großžupan Desa absetzen. An seine Stelle trat Tihomir, gegen den sich bald Opposition erhob, an deren Spitze sein jüngerer Bruder Stefan Nemanja stand, der den Grundstein für das ma. →Serbische Reich legte. Dem Aufstieg dieses Reiches folgte ab der 2. H. des 14. Jh.s der allmähliche Niedergang, bis das gesamte serb. Siedlungsgebiet südl. v. Save u. Donau unter osm. Herrschaft stand. Das Schicksal der S. im Osm. Reich unterschied sich nicht wesentlich v. dem der anderen unterworfenen christlichen Völker – mit einer Ausnahme: 1557 wurde das serb. →Patriarchat v. Peć wiedererrichtet (bis 1739). Die serb.-orth.Kirche trug mit der Kommemoration der ma. serb. Herrscher-Heiligen wesentlich dazu bei, dass die serb. Staatstradition nicht in Vergessenheit geriet (→Nemanjiden). Als während des „Großen Türkenkrieges“ die kaiserliche Armee bis tief in das Innere der Balkanhalbinsel vorstieß, erhoben sich die S. unter der Leitung ihres Patriarchen Arsenije III. Crnojević gegen die Osmanen. Nach der erfolgreichen osm. Gegenoffensive flohen 1690 angeblich 30.000 S. aus Furcht vor Vergeltung auf kaiserliches Gebiet (velika seoba Srba) (→Migrationen) u. wurden in Südungarn (entspricht annähernd der heutigen →Vojvodina) angesiedelt. Ks. Leopold I. garantierte den Flüchtlingen Glaubensfreiheit u. eine eigene Kirchenorganisation (Leopoldinisches Diplom vom 21.8.1690). Die Stadt Karlowitz in →Syrmien (Sremski Karlovci) wurde 1716 zum Sitz der serb. Metropoliten in der k.u.k. Monarchie erkoren (→Orthodoxie). Von diesen S. in der Habsburgermonarchie, den im späten 19. Jh. so benannten „Prečani“ (abgeleitet vom Adverb preko=drüben, jenseits; gemeint ist jenseits v. Save u. Donau), deren kult. Entwicklung sich deutlich von derjenigen der S. im Osm. Reich („Srbijanci“) unterschied, ging dann die serb. nationale Erweckungsbewegung aus, die die Wiedererrichtung des serb. Staates geistig vorbereitete. Zu den Wegbereitern gehörte der serb.-orth. Metropolit v. Karlowitz, Stevan Stratimirović, der 1790 in Temesvár (→Banat) zum geistl. Oberhaupt gewählt worden war. Der 1. serb. Aufstand, der 1804 im →Paschaluk Belgrad ausbrach (→Befreiungskriege; →Karadjordjevići), hatte zunächst nur das Ziel, die Willkürherrschaft der →Janitscharen zu beseitigen. Nach den ersten Erfolgen kam aber die Forderung nach Autonomie Serbiens hinzu. Von den europ. Mächten, die in die Napoleonischen Kriege verwickelt waren, nur mangelhaft unterstützt, wurde der Aufstand 1813 niedergeschlagen. Der 2. serb. Aufstand, an dessen Spitze Miloš Obrenović (→Obrenovići) stand, fand unter günstigeren Bedingungen statt. Napoleon war endgültig geschlagen, u. →Russland konnte – das wussten die Türken –
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zu Gunsten der S. intervenieren. Sultan Mahmud II. suchte deshalb einen Ausgleich mit den S. u. ernannte Miloš zum „Oberknezen“ des Belgrader Paschaluks. 1830 wurde Miloš erblicher Fürst eines autonomen serb. Staates, der sich zum Zentrum der serb. →Nationsbildung in den nachfolgenden Jahrzehnten entwickelte (→Serbien, ab 1830). Lit. (a. →Serbisches Reich; →Befreiungskriege; →Serbien ab 1830; a. →Unabhängiger Staat Kroatien): B. Čeliković, Naseljavanje Srbije. Naselja, poreklo stanovništva, običaji. Beograd 2011; M. Popović/M. Timotijević/M. Ristović, Istorija privatnog života u Srba. ebd. 2011 [behandelt MA u. Neuzeit]. V.Dj. Krestić, Istorija Srba u Hrvatskoj i Slavoniji 1848–1914. ebd. 2010; Lj. Maksimović, Vizantijski svet i Srbi. ebd. 2009; Znamenita dokumenta za istoriju srpskog naroda 1538–1918. Hgg. D. Mikavica/Vl. Gavrilović/G. Vasin. Novi Sad 2007; E. Wright, Serbia. Oxford 2006 (A Dictionary of World History); M. Stevanović, Patrijarh Arsenije III Crnojević i velika seoba Srba. Beograd 2006; Privatni život u srpskim zemljama u osvit modernog doba. Hg. A. Fotić. Beograd 2005; N. Rumenjak, Politička i društvena elita Srba u Hrvatskoj potkraj 19. stoljeća. Uspon i pad Srpskoga kluba. Zagreb 2005; S.M. Ćirković, Srbi među evropskim narodima. Beograd 2004 (engl. Übers.: The Serbs. Malden/Mass. u. a. 2004); Lj. Krkljuš, Pravna istorija srpskog naroda. Novi Sad 2002; R. Kalabić, Srpska emigracija. Prilozi za istoriju srpskog iseljeništva (1830–1992). Beograd 32001; I. Banac, Srbi u Hrvatskoj jučer, danas, sutra. Zagreb 1998; N.J. Miller, Between nation and state : Serbian politics in Croatia before the First World War. Pittsburgh/PA 1997; O. Zirojević, Srbija pod turskom vlašću 1459–1804. Novi Pazar 1995; D. Roksandić, Srbi u Hrvatskoj. Od 15. stoljeća do naših dana. Zagreb 1991; Izvori o Srbima u Ugarskoj s kraja XVII i početkom XVIII veka. Hg. S. Gavrilović. 4 Bde. Beograd 1987–2005; Istorija Srpskog naroda. Hg. S. Gavrilović. 6 Bde. [mit Teilbd.en] ebd. 1981–2000; St. Stanojević, Istorija srpskog naroda. ebd. 51993; V. Ćorović, Istorija Srba. 3 Bde. ebd. 1989; D.J. Popović, Srbi u Banatu do kraja osamnaestog veka: istorija naselja i stanovništva. ebd. 1955; L. Hadrovics, Le peuple serbe et son église sous la domination turque. Paris 1947; L. Ranke, Die serbische Revolution. Aus serbischen Papieren u. Mittheilungen. Hamburg 1829 (2. Aufl. Berlin 1844, 3. Aufl. u. d. T. Serbien u. die Türkei im neunzehnten Jh. Leipzig 1879). P. B.
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Serbien (ab 1830) (serb. Srbija). Staat in SOE, 74.474 km2 (ohne →Kosovo); 7,2 Mio. E (2011), davon 83,3 % Serben, gefolgt von Ungarn (3,5 %), Roma (2,1 %), Bosniaken (2,0 %) u. a.; gegenüber der Volkszählung v. 1991 hat der Anteil der Serben um rd. 3,5 % zugenommen, doch ist die Gesamtbev. – nicht zuletzt infolge des Exodus vieler, v. a. junger u. gut ausgebilderter Leute in den 1990er Jahren u. nach der Jh.wende u. trotz des Zustroms serb. Flüchtlinge aus anderen Teilen des ehem. Jugoslawien – um 0,6 Mio. geschrumpft. Das Bev. wachstum betrug -0,5 %. S. war seit 1830 in Ausführung des Friedens v. →Adrianopel 1829 ein autonomes, tributpflichtiges Fsm. im Rahmen des Osm. Reiches (mit der Hauptstadt Kragujevac in der →Šumadija) (zur Vorgeschichte →Befreiungskriege [nationale]; →Serben). Osm. Garnisonen bestanden nur noch in einigen Festungen, darunter in →Belgrad. Gegen die autoritäre Herrschaft des ersten Fürsten (Miloš Obrenović, →Obrenovići) erhob sich Opposition, die die-
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sen veranlasste, eine Verfassung nach westl. Vorbild zu erlassen (1835, Sretenjski ustav), v. deren seine Macht einschränkenden Bestimmungen er sich allerdings mit Hilfe des Suzeräns – des Sultans – bald wieder freimachen konnte. Die „Verfassungsverteidiger“ (ustavobranite lji) wandten sich jetzt an das autokratische →Russland als zweiter Schutzmacht S.s, das sich dafür einsetzte, in S. konstitutionelle Verhältnisse einzuführen. Auf russ. Druck hin erließ der Sultan 1838 eine neue Verfassung (Turecki ustav), die dem Fürsten einen Senat an die Seite stellte, dessen auf Lebenszeit ernannte Mitglieder Miloš teilweise in offener Feindschaft gegenüberstanden (a. →Verfassungen). Als der Senat seinen Rücktritt forderte, dankte Miloš 1839 ab u. ging ins Exil. Neuer Fürst wurde sein noch minderjähriger Sohn Michael (Mihailo), der sich gegenüber dem Regentschaftsrat, dem ausschließlich Verfassungsverteidiger angehörten, nicht durchsetzen konnte u. 1842 seinem Vater ins Exil folgte. Am 13.9.1842 beschloss die serb. Nationalversammlung den schon lange vorbereiteten Dynastiewechsel u. berief Alexander (Aleksandar) Karadjordjević (1842–58, →Karadjordjevići) auf den serb. Thron. Unter ihm begann in S. eine Zeit der Reformen, die das Land den Erfordernissen der Neuzeit anpassen sollten. Vorangegangen war ein Wandel in der Sozialstruktur: Die patriarchalischen Lebensformen begannen zu zerfallen. Obwohl zahlenmäßig noch schwach, gewann das Handel u. Gewerbe treibende Bürgertum an wirt. Bedeutung u. verlangte jetzt auch pol. Mitbestimmung. Eine Modernisierung erfolgte v. a. in den Bereichen Volksbildung, Justiz u. Verwaltung. Das Grundschulwesen wurde ausgebaut, eine Literarische Gesellschaft (Društvo srpske slovesnosti, 1842, Vorläuferin der Akademie der Wissenschaften) wurde gegründet, mit dem Bau eines Nationaltheaters begonnen (1852). Handel u. Gewerbe wurden gefördert, die Geldwirtschaft verdrängte allmählich die Naturalwirtschaft. Der Verwaltungsapparat nahm langsam westeurop. Ausmaße an. 1844 wurde ein Bürgerliches Gesetzbuch (Srpski gradjanski zakon) nach österr. Vorbild eingeführt (→Rechtsgeschichte, Rechtskulturen). Die Beliebtheit des Fürsten erhöhte sich durch derartige Modernisierungsmaßnahmen nicht unbedingt, zumal die neuen Beamten zumeist Serben aus der Donau monarchie waren u. die dortigen bürokratischen Praktiken mitbrachten. Wenig Anklang fand auch die vorsichtige Außenpolitik Alexanders. Dieser soll zwar den großserb. Plänen seines Innenministers Ilija Garašanin („Načertanije“, 1844) zugeneigt haben, vermied es aber aus Rücksicht auf Konstantinopel u. Wien, diese in die Tat umzusetzen. Während der →Revolution v. 1848/49 erlaubte er allerdings die Entsendung einer Freiwilligentruppe in die →Vojvodina, die dort ihre Landsleute im Kampf gegen die Ungarn unterstützte. Während des →Krimkrieges blieb S. zum Verdruss der russophilen Partei neutral, was den Fürsten viele Sympathien im Lande kostete, ihm aber das Wohlwollen der Westmächte einbrachte: Durch den Frieden v. →Paris (1856) wurde S. unter die gemeinsame Garantie der Vertragsmächte gestellt. Alexander versuchte, diesen außenpol. Erfolg auszunutzen u. sich der Bevormundung durch die Verfassungsverteidiger im Senat zu entziehen. Er hatte damit keinen Erfolg, da letztere v. den Osmanen unterstützt wurden. Am 30. November a. St. 1858 wurde Alexander v. der St. Andreas-Skupština (Svetoandrejska skupština) zur Abdankung gezwungen. Für zwei Jahre (1858–60) kam noch einmal der greise Miloš Obrenović an die Macht u. nach seinem Tod, ebenfalls zum zweiten Mal, sein Sohn Michael (1860–68). Unter ihm wurden die v. Alexander Karadjordjević begonnenen Reformen fortgeführt u. das Militärwesen
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modernisiert (Einführung der allgemeinen Wehrpflicht 1861). Der Senat wurde weitgehend entmachtet u. die Verwaltung zentralisiert. In der Außenpolitik verfolgte Michael offen die großserb. Ziele Ilija Garašanins, der nunmehr Ministerpräsident wurde. S. sollte aus der Abhängigkeit v. der Pforte befreit, die Türken aus Europa vertrieben u. ein südslav. Staat unter serb. Hegemonie errichtet werden. Mit dem Osm. Reich war es bereits 1862 wegen Spannungen zw. der türk. bzw. musl. u. der serb. Bevölkerung in Belgrad beinahe zum Konflikt gekommen. Er wurde durch eine Konferenz der Großmächte in Konstantinopel verhindert. Nach dem Protokoll vom 8.9.1862 durften die Osmanen nur noch in vier Festungen (Šabac, Belgrad, Smederevo u. Kladovo) Garnisonen unterhalten. 1867 wurden auch diese geräumt; Belgrad wurde neue Hauptstadt. Zur Erreichung des Hauptzieles, der Befreiung aller Südslaven v. der osm. Herrschaft, plante Michael eine Zusammenarbeit mit den anderen Balkanstaaten. Mit Montenegro (5.10.1866), Griechenland (26.8.1867) u. Rumänien (1.2.1868).wurden Bündnisse geschlossen. Gleichzeitig wurden Kontakte zu bulg. Emigranten aufgenommen. Die Ermordung des Fürsten (10.6.1868) bereitete allen Plänen für eine →Balkanföderation unter serb. Führung vorerst ein Ende. Michaels Nachfolger wurde sein minderjähriger Großneffe Milan (1868–89), für den zunächst ein Regentschaftsrat die Geschäfte führte. Am 11.7.1869 wurde eine neue Verfassung verabschiedet, die erstmals nicht dem Sultan zur Billigung vorgelegt wurde. Die Fürstenwürde wurde in der Familie Obrenović erblich. S. erhielt ein Parlament, allerdings mit eingeschränkten Rechten. Die Verfassung begünstigte die Entstehung v. pol. Parteien (Liberale Partei, Radikale Volkspartei, Fortschrittspartei), denen allen gemeinsam war, dass sie das Land modernisieren wollten u. den Anschluss der v. Serben besiedelten Gebiete des Osm. Reiches an S. anstrebten (a. →Parteien, Jugoslawien). Eine pol. Rolle spielte auch die v. den Liberalen initiierte „Vereinigte Serb. Jugend“ (→Omladina). Fürst Milan versuchte nach seiner Volljährigkeit (1872), die Parteien gegeneinander auszuspielen. Angesichts der vorherrschenden irredentistischen Strömungen (→Irredentismus) konnte Milan, als 1875 in →Bosnien u. der Herzegowina ein Aufstand ausbrach (→Orientalische Krise), nicht umhin, der Pforte den Krieg zu erklären (30.6.1876). Der Krieg endete mit einer serb. Niederlage. Allein einem russ. Ultimatum war es zu verdanken, dass S. in seinem Vorkriegsstand erhalten blieb. Als dann die Russen dem Druck der Panslavisten nachgaben u. dem Osm. Reich den Krieg erklärten, nahmen auch die Serben die Kampfhandlungen wieder auf (14.12.1877). Durch den →Berliner Kongress, der 1878 den russ.-osm. Krieg beendete, erhielt S. nicht nur eine bedeutende Gebietserweiterung (11.097 km2 mit 367.000 E), sondern auch die völkerrechtliche Unabhängigkeit. Die nationalen Wünsche der Serben waren damit aber noch nicht erfüllt, da die „serb. Länder“ Bosnien u. die Herzegowina v. Österreich-Ungarn besetzt wurden, das Kosovogebiet u. Makedonien beim Osm. Reich blieben. Als Fürst Milan sich wegen der vermeintlich mangelhaften russ. Unterstützung verstärkt an Österreich anlehnte, was ihm 1882 die Annahme des Königstitels ermöglichte, wandte sich die Stimmung im Lande gegen ihn. Gegen das Protektoratsverhältnis zu Österreich-Ungarn waren nicht nur die serb.-orth. Kirche u. die Kgn. Natalie, sondern auch die Liberalen u. die Radikalen. Die Radikalen unterstützten im November 1883 sogar einen Aufstandsversuch in Ostserbien (Timočka buna, →Bauernaufstände) u. wurden vorübergehend aus dem pol. Leben ausgeschaltet. Die v. Milan erzwungene Kriegserklärung
Serbien (ab 1830)
an Bulgarien (14.11.1885), die mit serb. Kompensationsforderungen für den Anschluss →Ostrumeliens begründet wurde, war nicht geeignet, das Ansehen des Kg.s zu erhöhen. Die Serben erlitten eine vernichtende Niederlage (Slivnica, 17.11.1885) u. mussten auf den v. Österreich vermittelten Frieden v. Bukarest (3.3.1886) eingehen, der alles beim alten beließ. Als Milan sich 1888 auch noch v. Kgn. Natalie scheiden ließ, war seine Popularität in S. auf den Nullpunkt gesunken. Er zog daraus die Konsequenzen u. dankte am 6.3.1889 zugunsten seines Sohnes Alexander ab. Alexander Obrenović (1889–1903) stützte sich zunächst auf die Radikalen, neigte aber seit 1894 zu einer autoritären Regierungsweise. Das u. seine als Mesalliance empfundene Heirat mit Draga Mašin (1900) trugen wesentlich dazu bei, dass er jeglichen Rückhalt in S. verlor. Im Juni 1903 kam es zu einer Offiziersverschwörung, die mit der Ermordung des Herrscherpaares endete. Mit Peter (Petar) I. (1903–21) kehrten die Kara djordjevići wieder auf den serb. Thron zurück. Die parlamentarische Regierungsform wurde wiedereingeführt, gleichzeitig aber auch die Vorherrschaft der Radikalen unter Nikola Pašić (1904–21 fast ununterbrochen Ministerpräsident) gefestigt. Außenpolitisch verfolgte Pašić in Anlehnung an Russland u. Frankreich einen expansiven Kurs. Österr. Versuche, durch wirt. Druck (Zollkrieg 1906–11) dem entgegenzuwirken, blieben erfolglos. Infolge der bosn. →Annexionskrise verschärfte sich die Feindschaft zw. S. u. Österreich-Ungarn. 1912 schloss sich S. dem Balkanbund an u. trat gegen das Osm. Reich in den Krieg. Im 1. →Balkankrieg konnten die Verbündeten fast die gesamte →Europäische Türkei erobern. Über Makedonien kam es dann aber zum Streit zw. den Verbündeten u. zum 2. Balkankrieg. Im Frieden v. Bukarest (10.8.1913) wurde S. Nordmakedonien (Vardar-Makedonien), Kosovo u. der östliche Teil des →Sandschaks v. Novi Pazar zugesprochen. S. konnte sein Territorium nahezu verdoppeln (v. 48.300 km2 mit 2.912.000 E auf 87.300 km2 mit 4.444.000 E). Damit setzten sich serb. Politiker zugleich über das Selbstbestimmungsrecht der Völker (zugunsten „histor. Rechte“) hinweg. Der Zugang zur Adria war S. allerdings durch die von Österreich-Ungarn u. Italien betriebene Gründung des Fsm.s →Albanien verwehrt worden. Außerhalb v. S. lebten jetzt nur noch die Serben in der Habsburger Monarchie, gegen die sich nunmehr die irredentistische Propaganda richtete. Die wachsenden Spannungen entluden sich im →Attentat v. Sarajevo (28.6.1914), für das Österreich-Ungarn die serb. Reg. verantwortlich machte (ein Vorwurf, der nie bewiesen werden konnte). Im 1. →Wk. konnte sich S. bis zum Herbst 1915 gegen Österreich-Ungarn erfolgreich behaupten, dann mussten sich Kg., Regierung u. die Reste der Armee über Albanien nach Korfu absetzen. Dort wurde die Armee reorganisiert u. kam an der Saloniki-Front erneut zum Einsatz. Im Herbst 1918 nahm sie an der Befreiung Serbiens teil. Gemessen an der Bev.zahl hatte S. die meisten Kriegsopfer (über eine Mio. Tote) unter den am Wk. beteiligten Staaten zu beklagen. Bereits am 20.7.1917 hatten sich die serb. Exilregierung u. die im „Südslavischen Ausschuss“ vertretenen Emigranten aus der Donaumonarchie geeinigt, nach Kriegsende ein „Königreich der Serben, Kroaten u. Slowenen“ unter der Dynastie Karadjordjević zu bilden, das am 1.12.1918 durch den Prinzregenten Alexander proklamiert wurde (→Jugoslawien). S.s Existenz als selbständiger Staat war damit beendet. Nach der Zerschlagung Jugoslawiens im April 1941 wurde S. von Deutschland besetzt, während einige Gebiete im O. von Bulgarien annektiert wurden (2. →Wk.). Eine beschränkte Eigenstaatlichkeit erhielt S. erst wieder innerhalb der „Föderativen
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Volksrepublik Jugoslawien“ (Verfassung vom 31.1.1946) zurück. Zur Teilrepublik S. gehörten die beiden Autonomen Provinzen →Vojvodina u. →Kosovo mit einem starken ung. Bevölkerungsanteil bzw. einer alb. Bevölkerungsmehrheit. Beide erhielten durch die serb. u. jug. Verfassungen von 1974 einen den jug. Teilrepubliken ähnlichen Status, gehörten aber formal weiter zur Republik S. Ihre Sonderstellung wurde in der „Ära Slobodan Milošević“ (1987– 2000) nach einer Welle serb. Massendemonstrationen („Meetings der Wahrheit“, „antibürokratische Revolution“) am 28.3.1989 vom serb. Parlament durch eine Verfassungsänderung faktisch aufgehoben, womit die innere Machtbalance des zweiten Jugoslawien empfindlich gestört u. insbes. der Widerstand →Sloweniens gegen eine von Milošević angestrebte Rezentralisierung Jugoslawiens massiv verstärkt wurde. Da sich die Vertreter der Republiken nicht auf ein gemeinsames Konzept zur Umgestaltung Jugoslawiens einigen konnten, brach der Staat 1991/92 gewaltsam auseinander (→postjugoslawische Kriege). Am 27.4.1992 wurde die Bundesrepublik Jugoslawien proklamiert, die nur noch aus S. u. →Montenegro bestand u. die Rechtsnachfolge des ehem. jug. Staates beanspruchte. Milošević überstand das →Dayton-Abkommen u. die Nato-Intervention in Kosovo 1999, scheiterte dann aber an der serb. Demokratiebewegung im Anschluss an die Präsidentschaftswahlen u. trat am 5.10.2000 zugunsten von Vojislav Koštunica, dem Vertreter der „Demokratischen Opposition Serbiens“ (DOS), zurück. Neuer Ministerpräsident wurde Zoran Djindjić v. der Demokratischen Partei (DS), der Milošević an das →Haager Kriegsverbrechertribunal überstellen ließ u. im März 2003 ermordet wurde. Der einsetzende Transformationsprozess wies neben einigen Fortschritten v. a. viele Rückschläge auf, begleitet v. pol. Instabilität. Gemäßigte u. radikale Nationalisten rangen mit wechselhaftem Erfolg um die Macht. Von 2003 bis 2006 war S. Teil des Staatenbundes „Serbien u. Montenegro“, der nach dem Unabhängigkeitsvotum der Montenegriner aufgelöst wurde. In der Präambel zur neuen serb. Verfassung v. 2006 wurde Kosovo als „integraler Bestandteil Serbiens“ festgeschrieben. Das seit 1999 unter UN-Verwaltung stehende Kosovo erklärte dessen ungeachtet am 17.2.2008 seine Unabhängigkeit, die von S. nicht anerkannt wird. Am 22. 12. 2009 reichte das wirt. verarmte Serbien offiziell seine Kandidatur für eine Mitgliedschaft in der EU ein u. erhielt am 1. März 2012 den Status eines Beitrittskandidaten. Ende Jan. 2014 begannen die Beitrittsverhandlungen. Vorausgegangen waren schwierige Gespräche zw. Serbien u. Kosovo über die pragmatische Lösung v. Problemen im beiderseitigen Interesse.
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Serbisches Reich. Der serb. Großžupan Stefan Nemanja, Begründer der →Nemanjiden-Dynastie, errang 1166 die Alleinherrschaft in →Raszien. Gleich seinen Vorgängern setzte er den Kampf gegen Byzanz fort, musste sich aber 1172 unterwerfen. Erst nach dem Tode Ks. Manuels (1180) nahm er die antibyz. Politik wieder auf u. eroberte, im Bunde mit Ungarn u. Ks. Friedrich I. Barbarossa, mit dem er sich 1189 in Niš traf, das Moravagebiet sowie die Küstenstädte Skutari, Ulcinj, Bar u. Kotor. Die Einnahme v. →Dubrovnik/Ragusa gelang ihm allerdings nicht. In der gleichen Zeit erfolgte auch der Anschluss der →Zeta. 1196 dankte Nemanja zugunsten seines zweiten Sohnes Stefan ab u. ging als Mönch Simeon in das Kloster Studenica u. dann nach Hilandar auf dem →Athos, wo er 1199 starb. Von der
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serb. Kirche heilig gesprochen, entwickelte sich um ihn ein Herrscherkult, zu dem die Nemanja-Biographien seiner Söhne Stefan u. Sava die Grundlage legten. Nemanjas Nachfolger Stefan (1196–1227) stand einer neuen außenpol. Konstellation gegenüber, da durch den 4. →Kreuzzug 1204 das byz. Kaiserreich durch ein lat. ersetzt worden war (→Latein. Kaiserreich). Stefan nutzte die Umbruchsituation u. brachte u. a. →Kosovo unter seine Herrschaft, das sich in der Folgezeit zu einem kirchl. u. geistigen Zentrum des ma. Serbien entwickelte. Eine Annäherung an den lat. Westen schien Stefan schon wegen der Ambitionen seines älteren Bruders u. Rivalen Vukan unumgänglich. Er heiratete in zweiter (oder dritter) Ehe Anna Dandolo, eine Enkelin des venez. →Dogen. Verhandlungen mit der röm. Kurie endeten damit, dass Stefan v. Papst Honorius III. die Königskrone erhielt u. 1217 v. einem päpstl. Legaten gekrönt wurde (daher Prvovenčani „der Erstgekrönte“, wobei der ältere Königstitel der Herrscher v. Zeta stillschweigend übergangen wurde). Hatte sich Stefan bezüglich der Königskrone an den Westen gewandt, so regelte er die noch anstehende Frage der kirchlichen Selbständigkeit in Einvernehmen mit dem Osten. Sein Bruder, der Mönch Sava, wurde nach Nikäa (→Kaiserreich v. Nikäa) geschickt u. erreichte dort, dass den Serben ein eigenes autokephales Erzbistum zugestanden wurde (1219). Erster Erzbischof wurde Sava, der im Kloster Žiča (Zentralserbien südl. v. Kraljevo) seinen Sitz nahm. Mit der Erlangung der pol. u. kirchlichen Selbständigkeit hatten Stefan u. Sava Nemanjas Staatsgründung auf rechtliche Fundamente gestellt. Die Leitung v. Staat u. Kirche lagen in der Hand einer Familie u. bot konkurrierenden Ansprüchen keine Möglichkeit. Stefans Söhne u. Nachfolger Stefan Radoslav (1227–33) u. Stefan Vladislav (1233–43) waren schwache Herrscher u. v. auswärtigen Mächten (→Epirus bzw. dem →Bulg. Reich) abhängig. Sie konnten den Besitzstand Serbiens aber wahren. Zum Versuch einer territorialen Expansion kam es erst wieder unter Prvovenčanis jüngstem Sohn Stefan Uroš I. (1243–76). Dieser versuchte 1257 die Rivalitäten zw. Epirus u. Nikaia zu Geländegewinnen in Makedonien auszunützen, was ihm aber nur kurzfristig gelang. Es scheiterte auch sein 1268 unternommener Versuch, die →Mačva zu erobern. Bedeutsamer als die wechselvolle Außenpolitik des Königs war die Förderung, die er Wirtschaft u. Handel Serbiens zukommen ließ. Er berief die ersten „Sachsen“ (sasi, zum Begriff vgl. unter →Deutsche) in das Land, die die seit der Römerzeit darniederliegende Silberförderung wieder aufnahmen(→Bergbau, MA). Als erster Bergwerksort wird 1254 Brskovo (lat. Brescoa, Ruinen bei Mojkovac an der Tara, Montenegro) erwähnt. Uroš ließ auch die ersten serb. Silbermünzen (grossi di Brescoa) prägen. 1276 wurde er v. seinem Sohn Stefan Dragutin (1276–82; König v. →Syrmien bis 1316) mit ung. Hilfe gestürzt. Unter Dragutin machte sich eine gewisse Dezentralisierung in Serbien bemerkbar: Seine Mutter, die französischstämmige Katholikin Jelena, erhielt das Küstengebiet zur Verwaltung, seinem jüngeren Bruder Stefan Uroš II. Milutin (1282–1321) überließ er nach einem Jagdunfall die Regentschaft über die zentralen Gebiete Serbiens. Er selbst beherrschte nur noch Teilgebiete im Nordosten des Landes. Der für die weitere Entwicklung Serbiens bedeutendere v. beiden Herrschern war zweifellos Milutin, der die serb. Südexpansion einleitete (1282–99 Eroberung großer Teile Makedoniens u. Nordalbaniens) u. die Kirche großzügig förderte, was ihm während des Krieges mit seinem Bruder Dragutin (1301–10) zustatten kam. Kirchlicher Vermittlung hatte auch Milutins nach Konstantinopel verbannter
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Sohn Stefan Uroš III. Dečanski (1321–31) die Rückkehr u. Machtübernahme zu verdanken. Unter ihm wurde Serbien in den byz. Bürgerkrieg einbezogen, in dem Uroš III. für den alten Kaiser (Andronikos II.) Partei ergriff, während der Bulgarenzar Michael Šišman mit dessen Enkel Andronikos III. verbündet war. Zwischen Bulgaren u. S. kam es zur milit. Auseinandersetzung, in der die Bulgaren (Schlacht v. →Velbužd/Kjustendil 28.7.1330) eine vernichtende Niederlage erlitten. Der Kampf um Makedonien war damit zugunsten der S. entschieden. Den Höhepunkt erreichte die serb. Expansion unter Urošs III. Sohn Stefan Dušan (geb. ca. 1308; regierte v. 1331–55). Dušan, der wie fast alle serb. Herrscher vor ihm gewaltsam die Macht ergriff (Vater-Sohn-Konflikt), sicherte durch seine Heirat mit Jelena, der Schwester des bulg. Zaren Ivan Aleksandǎr, die serb. Ostgrenze für eine weitere Expansion auf byz. Gebiet, die sich zunächst gegen das südwestl. Makedonien richtete: 1334 wurden Ohrid, Prilep u. Kastoria serb. 1343–45 eroberte Stefan Dušan, die byz. Thronfolgekämpfe nach dem Tode v. Andronikos III. (1341) nutzend, Albanien u. das südöstl. Makedonien (ohne Thessaloniki, aber einschließlich des Athos, dessen Klöster Privilegien u. Schenkungen erhielten). Ostern 1346 ließ er sich, nachdem er den serb. Erzbischof Joanikije zum Patriarchen mit Sitz in →Peć (Kosovo) erhoben hatte, v. diesem in →Skopje zum „Kaiser der Serben u. Griechen“ (car Srbljem i Grkom) krönen. Der Titel hatte durchaus seine Berechtigung, denn das Serbenreich war, nachdem 1347–48 auch noch Epirus, Thessalien u. Akarnien erobert worden waren u. damit fast das gesamte gr. Festland (mit Ausnahme des katalanischen Herzogtums Athen [→Katalanen]) unter Dušans Herrschaft gefallen war, halbgriechisch geworden. Im Aufbau des Hofstaates, der Verwaltung u. in der Rechtsordnung (→Zakonik) schloss es sich weitgehend dem byz. Vorbild an. Byzanz, Konstantinopel, scheint auch das Endziel Stefan Dušans gewesen zu sein. Zu diesem Zweck wurden Kontakte zu Venedig u. zum Papst aufgenommen. Der Plan, der sich sowohl gegen den byz. Reststaat wie gegen die vordringenden Osmanen richten musste, kam nicht mehr zur Ausführung. Die Herrschaft Stefan Dušans wird v. den Serben als Glanzzeit ihrer Geschichte betrachtet. Alles in allem hat das Serb. Reich mit seinen Klosterbauten u. der Monumentalmalerei (Fresken) auch einen bedeutenden Beitrag zur europ. Kunstgeschichte geleistet (vgl. a. →Raszien). Der schon bald nach Stefan Dušans Tod einsetzende Verfall machte deutlich, dass der Bogen der terr. Expansion überspannt worden war. Zar Uroš (1355–71) beherrschte nur noch die serb. Kerngebiete. Sein Onkel, der →Despot Simeon Uroš Palaiologos (1356 bis ca. 1371), ließ sich in Kastoria zum Kaiser proklamieren u. versuchte, seinen Herrschaftsanspruch im gr. Reichsteil durchzusetzen. Beide Kaiser waren aber nicht mehr Herren im eigenen Lande: Uroš musste 1365 Vukašin Mrnjavčević als Kg. u. Mitherrscher akzeptieren u. diesem sowie seinem Bruder Uglješa Makedonien überlassen, Simeon wurde nach Thessalien verdrängt. Die Zeta wurde unter der Familie Balšić (Balša) wieder selbständig, in Albanien ergriffen einheimische Adelsgeschlechter die Macht. Als 1371 die Nemanjiden in der männlichen Hauptlinie ausstarben, zerfielen auch die zentralen Landesteile in einzelne Territorialherrschaften: in Moravaserbien machte sich Lazar Hrebeljanović (1371–89) selbständig, in →Kosovo dessen Schwiegersohn Vuk Branković, in der →Herzegowina Nikola Altomanović. Von Bosnien aus wurde 1377 der Versuch unternommen, die Fiktion eines serb. Einheitsstaates wiederherzustellen. Der bosn. →Ban (Banus) Tvrtko I. (1353–91), der mit
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den Nemanjiden weitläufig verwandt war, ließ sich 1377 am Grabe des hl. Sava im Kloster Mileševa zum „König der Serben, Bosniens u. des Küstenlandes“ (kralj Srbljem i Bosne i Primorja) krönen. Die Krönung hatte wohl eher symbolische Bedeutung, führte aber immerhin dazu, dass sich der bosn. Herrscher an der serb. Abwehrfront gegen die Osmanen beteiligte. Am stärksten bedroht waren zunächst die serb. Teilherrschaften in Makedonien. Kg. Vukašin u. Despot Uglješa unternahmen 1371 einen Feldzug gegen die Osmanen, wurden v. diesen aber bei Černomen an der →Marica vernichtend geschlagen. Makedonien war damit für Serbien verloren. 1389 folgte die mythenbeladene serb. Niederlage auf dem →Kosovo polje; Moravaserbien kam unter osm. Oberhoheit. Vuk Branković setzte den Widerstand noch bis 1392 fort u. wurde dann ebenfalls osm. Vasall. Eine letzte wirt. (→Bergbau) u. kult. Blütezeit (Schreiberschule v. Resava: Resavska škola) erlebte Serbien unter dem Despoten Stefan Lazarević (regierte v. 1393–1427). Stefan vertauschte nach der Schlacht v. Ankara (1402) die osm. gegen die ung. Oberhoheit u. erhielt →Belgrad u. die Mačva als Lehen. 1421 konnte er die Zeta wieder mit Serbien vereinigen. Zu seinem Nachfolger bestimmte er Djuradj Branković (1427–56), dessen Residenz Smederevo/Semendria an der Donau (östl. v. Belgrad) war. Seine Tochter Mara war v. 1436–1451 mit Sultan Murad II. verheiratet. Sie blieb dem Christentum aber treu u. kehrte nach Murads Tod nach Serbien zurück. 1459, nach Kapitulation der Festung Smederevo, erloschen die Reste serb. Staatlichkeit im MA; das Despotat wurde endgültig Bestandteil des Osm. Reiches. Zur weiteren Entwicklung bis zur Entstehung des neuserb. Staates (1830) →Serben (dort auch zur frühma. Epoche).
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Severiner Banat (lat. Banatus Severiensis; ung. Szörényi bánság; rum. Banatul Severinului). Hist. Landschaft im SW →Rumäniens, ehem. Grenzgebiet des hist. →Ungarns jenseits der Karpaten, nördl. der unteren Donau, zw. Orsova u. dem Fluss Olt (dt. Alt). Das S.B. erstreckt sich auf die heutigen rum. Verwaltungsbezirke Caraş-Severin (8514 km2) u. Mehedinţi (4933 km2) mit ganz überwiegend rum. Bevölkerung. – Dominikaner begannen um 1220 das Gebiet zu missionieren u. um 1228 gründete Kg. Béla IV. das Banat mit der Burg Severin (heute Drobeta-Turnu Severin) als Zentrum. Der erste →Ban (Magister Lukas) ist aus dem Jahr 1233 bekannt. Nach dem Mongolensturm (→Mongolen) 1241 wurde das S.B. den Johannitern anvertraut, doch verließen sie das Gebiet – wohl wegen ständiger bulg. Angriffe – bereits um 1260. 1330 vermochte Kg. Karl I. das S.B. bis auf den östl. Teil (→Oltenien; a. →Walachei) gegen den walachischen Fürsten Basarab zu verteidigen; 1368 führte Ludwig I. einen Heerzug für denselben Zweck gegen den Fürsten Lajk. Nachdem dieser die ung. Oberhoheit anerkannt hatte, wurde das S.B. ihm verliehen u. blieb in den Händen seiner Dynastie bis 1419, als Kg. Sigismund es wieder an Ungarn angliederte. 1429 wurden die Burgen des S.B. zur Verteidigung gegen die vorrückenden Osmanen dem →Dt. Ritterorden anvertraut, der jedoch 1433 eine vernichtende Niederlage erlitt. 1439 ernannte Kg. Albrecht János Hunyadi zum Ban des S.B. 1492 stand Pál Kinizsi an der Spitze der Verteidigung des S.B., das schließlich um 1522–24 unter osm. Herrschaft fiel. Nach dem Frieden v. →Passarowitz (1718) gelangte das Gebiet in den Besitz des Kaisers. (Zur weiteren Entwicklung →Banat). Lit.: V. Achim, Politica sud-esticǎ a regatului ungar sub ultimi Arpadieni. București 2008; Io.I. Nistor, Ţara Severinului și Banatul Timișan. ebd. 1946; F. Pesty, A szörényi bánság és Szörényvár története. 3 Bde. Budapest 1877/78. J.M. B./B. N.
Sèvres, Frieden von. Friedensschluss zw. den Siegermächten des 1. →Wk.s u. dem →Osm. Reich am 10.8.1920, einer der →Pariser Vorortverträge. Die Friedensbedingungen waren im wesentlichen durch die während des Krieges ausgehandelten Geheimverträge präjudiziert. Schon der Waffenstillstand vom 30.10.1918 lief auf eine bedingungslose Kapitulation des Osm. Reiches hinaus. Doch die Klärung der Frage, welche Großmacht mit der Kontrolle über Konstantinopel u. die Meerengen betraut werden sollte (→Meerengenfrage), da Russland als Bündnispartner ausgefallen war, bewirkte eine Verzögerung der Friedensregelung,
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zumal die USA nicht bereit waren, Verpflichtungen im Orient zu übernehmen. In Vorwegnahme jeglichen Widerstands okkupierte die Entente am 16.3.1920 die osm. Hauptstadt. Vorsorglich hatte man auch →Griechenland autorisiert, Smyrna (İzmir) u. dessen Hinterland zu besetzen, was schon seit dem 15.5.1919 vollzogen worden war. Diese Handlungen machten deutlich, dass die Siegermächte entschlossen waren, sogar die Kernprovinzen des Osm. Reiches aufzuteilen. Die Widerstandsbewegung zur „Verteidigung der Rechte“ der isl. Bev. Anatoliens u. Thrakiens erhielt dadurch einen starken Impuls. Die osm. Regierung selbst hoffte darauf, aus den gegensätzlichen Interessen der Großmächte einen Spielraum für eigene Initiativen schöpfen zu können. Die brit.-frz. Zwietracht über die Abgrenzung der jeweiligen Einflusszonen im Nahen Osten, die Forderungen der Araber, die ihnen während des Krieges gemachten Versprechungen einzulösen, die Unvereinbarkeit solcher Zusagen mit der in der Balfour-Deklaration enthaltenen Idee einer jüd. Heimstätte in Palästina u. nicht zuletzt die Brüskierung Italiens zugunsten serb. Interessen an der Adria u. gr. Interessen in Kleinasien, schienen denn auch die Verhandlungsposition der →Hohen Pforte zu stärken. Auch die Tatsache, dass die Entente sich Ende Februar 1920 darin einigte, Konstantinopel als Hauptstadt des osm. Sultanats u. Sitz des Kalifen zu belassen, wurde in diesem Sinne gedeutet. Jedenfalls ging die osm. Delegation in ihrem Memorandum an die Friedenskonferenz (23.6.1920) v. der territorialen Integrität des Reiches in seinen Vorkriegsgrenzen aus. Man war nur bereit, auf die erst im Vertrag v. Brest-Litovsk (1918) zurückgewonnenen ostanatolischen Distrikte von Kars, Ardahan u. Batum zu verzichten. Die Konferenz stellte jedoch mit ihrem Ultimatum vom 19.7.1920 klar, dass Gebietsabtretungen beschlossene Sache waren, u. einige Tage später sah sich ein speziell einberufener osm. Reichsrat auch unter dem Eindruck des gr. Vormarsches auf Konstantinopel gezwungen, für die Annahme der Friedensbedingungen zu votieren: Das Vertragswerk v. S. wurde am 10.8.1920 unterzeichnet. Damit lösten sich alle Bindungen zw. den arabischen Provinzen u. dem osm. Sultanat. Großbritannien erhielt Mandate in Palästina, Südsyrien (Transjordanien) u. Mesopotamien (Irak), Frankreich solche in Syrien u. Libanon. Frankreich u. Italien wurden zudem ausgedehnte Einflusszonen im S bzw. SW Kleinasiens versprochen. Die osm. Regierung erkannte Armenien als unabhängige Republik an u. akzeptierte es, die Festlegung ihrer Grenzen in den osm. Vilayets Erzurum, Trabzon, Van u. Bitlis dem Schiedsspruch des US-Präsidenten Wilson zu überlassen. Östl. des Euphrat war ferner ein autonomes kurdisches Gebiet vorgesehen, das jedoch die Provinz Mosul im Süden mit einer kurd. Mehrheit nicht einschloss. Griechenland erhielt Ostthrakien bis zur Çatalca-Linie, die Inseln Imbros u. Tenedos sowie das Vilayet Aydın (İzmir samt dessen Hinterland) in Westanatolien, wo die Bev. nach einer fünfjährigen gr. Verwaltung durch Plebiszit bestimmen sollte, ob sie den endgültigen Anschluss an Griechenland wünschte. Vom Osm. Reich war somit nur ein Rumpfstaat im Norden Kleinasiens mit der Hauptstadt Istanbul übriggeblieben. Die Wirkung dieses Friedens auf die musl. öffentl. Meinung war niederschmetternd. Die Anstrengungen nationalgesinnter Kräfte galten fortan der Revokation v. S., der übrigens v. den Siegermächten selbst – mit Ausnahme Griechenlands – nie ratifiziert wurde. Die Regierung der Großen Nationalversammlung in Ankara konnte zunächst die Republik Armenien mit
Sèvres, Frieden von / Sidschill
dem Vertrag v. Gümrü (2.12.1920) dazu zwingen, auf die Anwendung v. S. zu verzichten. Der Vertrag über Freundschaft u. Bruderschaft mit der Sowjetunion (16.3.1921) bestätigte neben der türk. Souveränität über die Meerengen auch die Gültigkeit v. Brest-Litovsk hinsichtlich der Grenzen im Kaukasus. Die Vereinbarung v. Ankara (20.10.1921) beendete den Kriegszustand mit Frankreich u. enthielt auch eine Revision v. S. im Sinne türk. Territorialinteressen. Der milit. Sieg über Griechenland im August-September 1922 schließlich ebnete den Weg zur Friedenskonferenz v. →Lausanne, die die Revision v. S. völkerrechtlich besiegelte. Lit. (a. →Pariser Vorortverträge): R. Banken, Die Verträge von Sèvres 1920 u. Lausanne 1923. Eine völkerrechtliche Untersuchung. Münster u. a. 2014; A. Mango, From the Sultan to Atatürk: Turkey. London 2009; N.B. Criss, Istanbul under Allied Occupation 1918–1923. Leiden u. a. 1999; B. Gökay, A Clash of Empires. Turkey Between Russian Bolshevism and British Imperialism, 1918–1923. London 1997; R.G. Hovannisian, The Republic of Armenia. Bd. 1: The First Year, 1918–1919; Bd. 2: From Versailles to London, 1919–1920; Bd. 3: From London to Sèvres, February–August, 1920; Bd. 4: Between Crescent and Sickle: Partition and Sovietization. Berkeley u. a. 1971–1996; D. Fromkin, A Peace to End All Peace: Creating the Modern Middle East, 1914–1922. New York 1989; E.L. Knudsen, Great Britain, Constantinople and the Turkish Peace Treaty 1919– 1922. New York u. a. 1987; E. Kedourie, England and the Middle East. The Destruction of the Ottoman Empire 1914–1921. London 21987 (11956); The Great Powers and the End of the Ottoman Empire. Hg. M. Kent. ebd. 1984; N. Petsalis-Diomidis, Greece at the Paris Peace Conference 1919. Thessaloniki 1979; S. Akşin, İstanbul Hükümetleri Ve Millî Mücadele. Bd. 1: Mutlakiyete Dönüş 1918–1919. Bd. 2: Son Meşrutiyet 1919–1920. İstanbul 1976/92; P.C. Helmreich, From Paris to Sèvres. The Partition of the Ottoman Empire at the Peace Conference of 1919–1920. Columbus/OH 1974; M.L. Smith, Ionian Vision. Greece in Asia Minor, 1919–1922. London 1973; H. Temperley, A History of the Peace Conference of Paris. Bd. 6 ebd. 1924. F. A.
Sidschill (türk. sicil, v. arab. siǧill „Register“). Protokollbuch des →Kadi. Ein typisches S. spiegelt Art u. Umfang der Amtsgeschäfte in der Mahkeme (Gericht) detailliert wider. In mehr oder minder chronologischer Anordnung finden sich hierin Eintragungen des Kadi in seiner Rolle als Scheriatsrichter (→Scharia), so z. B. in Sachen des Ehe-, Familien-, Erb- u. Stiftungsrechts (→Vakuf ) sowie in Angelegenheiten der Religion u. des Kultus. Daneben enthält ein S. regelmäßig Eintragungen über Regelungen von →Kanun-Angelegenheiten etwa bodenrechtlicher Natur sowie über verschiedene adm. u. fiskalische Vorgänge, die der allg. oder auch unmittelbaren Aufsicht durch den Kadi unterlagen. Ferner umfasst ein typisches S. die (mehr oder minder kompletten) Abschriften nicht nur solcher Schriftstücke, die am Sitz des Kadi ausgefertigt wurden, sondern auch solcher Schreiben, die, v. übergeordneten Stellen auf Provinz- u. Reichsebene promulgiert, an den Kadi adressiert waren. Da auf diese Weise die im S. vorliegende Dokumentation durchweg Lokalbezug aufweist, zählen Protokollbücher heute zu den wichtigsten Quellen der Regionalgeschichtsforschung. Unter den soe. Ländern verfügen besonders Bosnien-Herzegowina, Bulgarien u. die Republik Makedonien über bedeutende Sammlungen v. S. aus der Zeit vom (16.) 17. bis 20. Jh.
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Lit.: M. Kurz, Das sicill aus Skopje. Kritische Edition u. Kommentierung des einzigen vollständig erhaltenen Kadiamtsregisterbandes („sicill“) aus Üsküb (Skopje). Wiesbaden 2003; A. Gadžo-Kasumović, O sidžilima u Gazi Husrev-begovoj biblioteci, Anali Gazi Husrev-begove biblioteke 21–22 (2003), 41–83; Şer’iye sicilleri. Mahiyeti, Toplu Katalogu Ve Seçme Hükümler. 2 Bde. Hg. Türk Dünyası Araştırmaları Vakfı. Istanbul 1988/89; Sidžil mostarskog kadije 1632–1634. Hg. M. Mujić. Mostar 1987; S. Dimitrov, Osmanski izvori za istorijata na Dobrudža i severoiztočna Bălgarija. Sofija 1981; Die Protokollbücher des Kadiamtes Sofia. Hgg. G.D. Gălăbov/H.W. Duda. München 1960; B. Nedeljković, Sarajevski sidžil iz godine 1555–58. (O jednom važnom izvoru za pravnu istoriju Srba), Arhiv za pravne i društvene nauke 1954, Nr. 2, 189–199; Nr. 3, 419–434. M. U.
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Siebenbürgen (lat. Transsilvania; rum. Transilvania od. Ardeal; ung. Erdély). Ca. 61.600 km2 große hist. Region in →Rumänien. Üblicherweise wird heute mit S. das gleichnamige ehemalige Großfsm. (1765–1867) bezeichnet, während man unter Transsilvanien zusätzlich bis auf die →Bukowina auch die anderen Rumänien nach 1918 zugesprochenen Gebiete der ehemaligen ung. Reichshälfte v. Österreich-Ungarn (→Banat, Sathmar, →Maramureş, Kreischgebiet) versteht. Der dt. Name S. ist die jüngste der Landesbezeichnungen. Im Altertum existierten keine eindeutigen Namen für diesen v. dichten Wäldern umgebenen Raum, der im Hochmittelalter zunächst Ultrasilvania („ultra silvas“, ung. analog Erdély aus „erdö elü“) u. dann Transsilvania genannt wurde. Der Name S. kam erst mit der Ansiedlung dt. Kolonisten (→Deutsche) im 12. u. 13. Jh. auf. Zunächst bezog er sich nur auf das Gebiet um Hermannstadt, dann auf die Hermannstädter Provinz (Gebiet der „Sieben Stühle“, →Königsboden) u. schließlich auf das gesamte Land. Das im Innern des Karpatenbogens gelegene, stark bewaldete Hügelland wird durch die Flusstäler des Mieresch, der Großen u. Kleinen Kokel, des Alt u. des Großen u. Kleinen Somesch gegliedert. Die Gebirgszüge der Karpaten umschließen gleich natürlichen Grenzen das 300–800 m ü. M. gelegene siebenbürg. Hochland, das im W durch das Siebenbürg. Erzgebirge gegen die Pannonische Tiefebene abgegrenzt wird. S. ist umgeben v. den im Norden liegenden Regionen Marmarosch (Maramureş) u. Bukowina, der →Moldau im O, v. der Großen Walachei (Muntenien) u. der Kleinen Walachei (→Oltenien) im S sowie vom Banat u. dem in die Pannonische Tiefebene übergehenden Kreischgebiet im W. Das Land mit gemäßigt kontinentalem Klima ist reich an Bodenschätzen. Heute werden Erdgas, Erze (darunter Gold), Steine u. Erden u. Mineralquellen genutzt, im MA war S. bekannt für seine Salz-, Gold-, Kupfer- u. Eisenvorkommen (a. →Bergbau, MA). Das seit dem Altpaläolithikum besiedelte S. bildete im 2. Jh. v. Chr. den Mittelpunkt des Dakerreiches. 106 n.Chr. richtete Kaiser Trajan die Provinz Dakien ein, die 271 vom Röm. Reich wieder aufgegeben werden musste. Nach der Herrschaft v. Westgoten, Karpen u. Hunnen gehörte S. zum Reich der Gepiden (bis 567) u. →Awaren (bis Ende des 7. Jh.s). Nach dem Jahr 600 tauchten slav. Stämme in der Region auf. Von entscheidender Bedeutung für die weitere Entwicklungs S.s wurde die →Ungarische Landnahme seit Beginn des 10. Jh.s, mit der S. etappenweise erobert wurde. Ob die Ungarn nach der Völkerwanderungszeit in S.
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auf ein weitgehend menschenleeres Gebiet stießen oder ob sich dort eine dako-romanische Bevölkerung durch Rückzug in die Gebirge halten konnte, ist in der Forschung umstritten (→Dakoromanismus). In S. wurden vom ung. Kg. →Székler zur Sicherung der Grenzen angesiedelt. Unter Geisa (Géza) II. (1141–1163) wurde der Grenzsaum v. dem Mieresch an den Alt u. die Karpaten vorverlegt. Die Székler wurden damals in das spätere →„Széklerland“ umgesiedelt u. die geräumte Region als →Königsboden zur Besiedlung für westl. Kolonisten („hospites“), die später sog. →Siebenbürger Sachsen, freigegeben. An den Landtagen des →Adels (Ungarn) nahmen spätestens seit 1289 auch (adelige) Vertreter der Székler u. Sachsen teil. Diese drei →Stände (Ungarn, Székler, Sachsen) vertraten die drei gesonderten Rechts- u. Verwaltungsgebiete S.s: den (ung.) →Komitats- oder Adelsboden, der etwa 3/5 der Fläche einnahm, das Széklerland u. den territ. stark zergliederten Königsboden von je ca. 1/5 der Landesfläche. Während sich auf dem Komitatsboden grundherrschaftliche Verhältnisse herausbildeten u. die Székler allmählich ihre Freiheiten verloren, konnten die Sachsen ihre Privilegien verteidigen. Die →Rumänen lebten in der Mehrzahl als Grundhörige auf dem Komitatsboden, ließen sich aber auch auf dem Königsboden u. im Széklerland nieder. Die Einfälle der Osmanen u. Bauernaufstände auf Komitatsboden veranlassten die drei ständischen Nationen, 1437 eine „brüderliche Union“ gegen innere u. äußere Feinde zu schließen. Die mehrmals erneuerte Union der drei „Nationen“, die als Personalverbände mit Rechtscharakter („Nationsuniversität“) u. nicht als ethn. Gemeinschaften zu verstehen sind, intensivierte die Verselbständigungstendenzen S.s innerhalb des ung. Königreiches. Nach der Schlacht bei →Mohács 1526 entwickelte sich S. in den Auseinandersetzungen zw. Habsburg u. der →Hohen Pforte zu einem eigenständigen Fsm. unter osm. Suzeränität (1526– 1688/1691). Die Autonomie des kleinen, nun die Nahtstelle zw. Okzident u. Orient markierenden Landes, auf das die Habsburger als Könige v. Ungarn weiterhin Anspruch erhoben, gestaltete sich als schwieriger Balanceakt zw. den beiden Großmächten, der nur einen geringen außenpol. Spielraum ließ. Die Stände blieben in inneren Angelegenheiten autonom, wählten ein gemeinsames Oberhaupt, beschlossen die Entsendung eines paritätisch besetzten Fürstenrates u. die Abhaltung v. Landtagen, auf denen gültige Beschlüsse nur zu gesamtsiebenbürg. Fragen u. nur mit der Einwilligung aller drei Stände gefasst werden konnten. Die wiederholte Option für die Oberhoheit der Pforte hing auch mit der Ausbreitung der →Reformation in S. zus., an deren Zurückdrängung die Osmanen keinerlei Interesse hatten. 1550 wurde die luth. Lehre auf dem Königsboden eingeführt (→Lutheraner), 1564 entschied sich der ung. Adel mehrheitlich für den calv. Glauben (→Calviner) u. 1571 konnten die →Unitarier die Anerkennung ihrer Konfession durchsetzen. Um diese Zeit waren bereits 90 % der Angehörigen der Stände Anhänger prot. Konfessionen. Dabei wurde das Glaubensbekenntnis zum groben Unterscheidungskriterium für ethn. Zugehörigkeit: den größten Rückhalt behielt die kath. Kirche noch bei den Széklern, die Sachsen wurden luth., der ung. Adel größtenteils calvinisch. 1571 wurden diese vier „rezipierten Religionen“ neben der Union der „drei privilegierten Stände“ zu einem fundamentalen Bestandteil der siebenbürg. Verfassung. Nach dem Aufstand Stefan Bocskais (1605/06 Fürst v. S.) gegen die Habsburger u. die →Gegenreformation sicherte Ks. Rudolf II. im Wiener Frieden v. 1606 den ung. Pro-
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testanten Religionsfreiheit zu (a. →Zsitvatorok, Friede v.). Die gr.-orth. Rumänen, die keine ständische Vertretung besaßen, konnten nur die Tolerierung, nicht aber Gleichberechtigung ihres Glaubens erwirken. Als sich der Siebenbürgische Landtag 1688 v. der osm. Oberhoheit lossagte, garantierte Leopold I. 1691 im Leopoldinischen Diplom die alten Landesrechte. Mit Anerkennung dieses Diploms u. der →Pragmatischen Sanktion (1722) verzichteten die Stände auf die Fürstenwahl: S. wurde zu einem Erbfsm. der Habsburger (ab 1765 Großfürstentum). Die Wiener Modernisierungs- u. Egalisierungsbestrebungen gerieten zus. mit den gegenreformatorischen Zielsetzungen (u. a. Zwangsumsiedlung v. Protestanten aus den österr. Kernländern nach S: Landler) schnell in Gegensatz zu der landständischen Verfassung S.s, die neben den Privilegien der drei ständischen Nationen u. den Garantien für die vier „rezipierten“ Religionen eine Vielzahl v. Sonderrechten beinhaltete, die einzelnen Städten, Ortschaften u. nichtständischen Personengruppen wie →Armeniern, Griechen u. Juden im Laufe der Zeit zugestanden worden waren. 1751 übernahm die Wiener Hofkanzlei die zentrale Leitung der Landesverwaltung, spielte die Stände gegeneinander aus, wobei sie sich im wesentlichen auf in Schlüsselpositionen eingesetzte kath. Adelige sowie auf die militärische Präsenz des kaiserlichen Heeres stützen konnte. S. wurde im Rahmen des merkantilistischen Wirtschaftskonzepts die Aufgabe eines Rohstofflieferanten zugewiesen, das Fertigprodukte aus anderen Teilen der Monarchie beziehen sollte. Zollschranken behinderten den traditionellen Austausch mit den Nachbarländern im S u. O u. führten in Zusammenhang mit einem neuen Steuersystem, das vor allem den Königsboden stark belastete, zu einer nachhaltigen Beeinträchtigung des siebenbürg. Handels u. Gewerbes. Einen Höhepunkt erreichten die Wiener Bestrebungen im Zeitalter des →Josephinismus. Die seit 1762 vorangetriebene Einbeziehung v. Teilen S.s in das österr. →Militärgrenzsystem brachte eine weitere Einschränkung der ständischen Herrschaft. Durch die Einrichtung v. „Walachen-Regimentern“ trug Wien ebenso wie mit der schon 1699 etablierten →unierten (gr.-kath.) Kirche entscheidend zur Entstehung eines Nationsbewusstseins unter den Rumänen S.s bei, die sich 1784 im Vertrauen auf kaiserliche Unterstützung unter →Horea gegen ihre Grundherren erhoben. Um die wirt. Rückständigkeit zu überwinden u. die Steuerleistung zu erhöhen, ordnete Joseph II. 1784 eine Verwaltungsreform an, die de facto einer Aufhebung der Landesverfassung gleichkam. Die 1790 erfolgte Rücknahme der Reformen konnte nicht verhindern, dass sich die Abwehrhaltung der siebenbürg. Stände gegen Wien verfestigte u. sich die nationalen Fronten innerhalb S.s verhärteten. Die Rumänen, die spätestens seit Mitte des 18. Jh.s die Bevölkerungsmehrheit stellten, sahen ihre Hoffnungen auf soz. und pol. Emanzipation enttäuscht, der ung. Adel strebte eine Union mit Ungarn an u. die Sachsen orientierten sich zunehmend an der dt. Nationalbewegung. In der →Revolution 1848/49 standen Sachsen u. Rumänen auf Seiten der Habsburger den Ungarn u. den Széklern gegenüber, die diesen Krieg als Freiheitskampf gegen den Wiener Herrschaftsanspruch führten. In der anschließenden Ära des →Neoabsolutismus wurde S. ein Kronland ohne nennenswerte pol. Eigenständigkeit. Trotz der Niederlage 1849 sahen die Ungarn durch den österr.-ung. →Ausgleich v. 1867 ihre Forderungen erfüllt, als die Union v. S. u. Ungarn beschlossen wurde. Entgegen einer anfänglich moderaten Nationalitätenpolitik
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kam es mit dem schwindenden Einfluss der ung. Liberalen zu einer Magyarisierungspolitik, die ihre besondere Brisanz aus der Zusammensetzung der ca. 2 Mio. zählenden siebenbürg. Bev. bezog: 1850/51 stellten die Ungarn (zus. mit den Széklern) nur 25,9 %, die Rumänen 59,5 % u. die Deutschen 9,4 %, zudem 3,8 % Zigeuner/Roma, 0,8 % Juden u. 0,6 % Sonstige. In dem Agrarland S. führten am Ende des 19. Jh.s die Umgestaltungsprozesse in der Landwirtschaft, die Erschließung des Landes durch Eisenbahnen, die Errichtung v. Industrie betrieben, die Einrichtung v. Kreditanstalten u. Versicherungsgesellschaften zu einer allmählichen Verbesserung des Lebensstandards der bürgerlichen u. der gehobenen bäuerlichen Schichten. Zeitweilige wirt. Krisen, wie der sog. Zollkrieg mit Rumänien 1886–1889, führten jedoch immer wieder zu Auswanderungswellen. Die wachsende pol. Unzufriedenheit der Rumänen u. Sachsen bewog beide Bevölkerungsgruppen am Ende des 1. →Wk.s, sich für den Anschluss an Rumänien auszusprechen. Ein großer Teil der führenden Schicht der Ungarn S.s zog in das Restungarn, ohne die Besitzansprüche in S. aufzugeben, was das ung.-rum. zwischenstaatliche, aber auch das interethn. Verhältnis stark belasten sollte. Die Euphorie der Sachsen verlor sich auch bald, da die Integration S.s in das neue Großrumänien eine Rumänisierungspolitik mit sich brachte, die den Minderheitenschutzvertrag der Entente mit Rumänien (1920) weitgehend zu Makulatur werden ließ. In Transsilvanien setzte sich nach der Volkszählung v. 1930 die Bev. nun aus 57,8 % Rumänen, 24,4 % Ungarn, 9,8 % Deutschen sowie anderen kleineren Gruppen zusammen. Trotzdem kam es nicht zu einer nennenswerten Zusammenarbeit der ethn. Minderheiten. Der begrenzte ung.-dt. Austausch auf kult. Gebiet, der sich in der Idee des →Transsilvanismus niederschlug, führte zu keiner pol. Bewegung. Im 2. →Wk. wurde S. Opfer der gescheiterten Bemühungen Carols II., Rumäniens Unabhängigkeit u. Integrität zu bewahren. 1940 musste Rumänien gemäß dem 2. →Wiener Schiedsspruch Nordsiebenbürgen u. das Széklerland an Ungarn abtreten. Die Teilung S.s verstärkte den ung.-rum. Antagonismus; die „Dt. Volksgruppe in Rumänien“ ordnete sich vollständig den Berliner Direktiven unter (vgl. →Volksdeutsche). Die schwerstwiegenden Folgen der Teilung hatten die Juden Nordsiebenbürgens zu tragen, die in die dt. Konzentrationslager deportiert wurden (→Holocaust). Die meisten der in S. verbliebenen Juden wanderten nach 1945 in die USA aus. 1941 beteiligte sich Rumänien an dem Überfall auf die Sowjetunion, wechselte jedoch 1944 auf die Seite der Alliierten. Im Pariser Friedensvertrag v. 1947 wurde Nordsiebenbürgen wieder Rumänien zugesprochen u. damit die Teilung S.s beendet. Obwohl die ung. Minderheiten nach dem Krieg eine partielle Verbesserung ihrer Lage erreichen konnten, blieben die Vorbehalte dieser Bevölkerungsgruppe gegenüber der Regierung trotz des rum.-ung. Freundschaftsvertrages v. 1948 (erneuert 1972) bestehen. Die Deutschen wurden zahlreichen Repressionen ausgesetzt, ihr Austausch mit Deutschland rigoros unterbunden. Die forcierte Assimilationspolitik der 60er Jahre führte zum Auflösungsprozess der kleinen Minderheiten. Die Massenauswanderung der Deutschen begann mit der erleichterten Familienzusammenführung 1957 u. setzte sich nach dem Umbruch 1989 intensiv fort. Die nach 1945 einsetzende Industrialisierung wandelte die Besiedlungsstruktur S.s grundlegend. Während vor dem 2. Wk. zwei Drittel der Bev. auf dem Land registriert wurde,
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führte das rasche Anwachsen der Städte dazu, dass bald 50 % in den Städten lebten. Der „rum. Sonderweg“ unter Ceauşescu führte das Land durch eine überzogene Exportpolitik in Verbindung mit einer Energiekrise zu Beginn der 80er Jahre in den wirt. Ruin. Trotz der Auswanderung nicht nur der Deutschen u. Juden, sondern auch zunehmend der ung. u. rum. Eliten, wuchs die Bev. an. 2002 lebten in S. 7,2 Mio. E, davon 74,7 % Rumänen, 19,6 % Ungarn u. 0,7 % Deutsche. Nach dem Umbruch v. 1989 stehen vielversprechende staatliche Ansätze zur Sicherung der kult. Autonomie der →Minderheiten einer wachsenden nationalistischen Bewegung gegenüber, die für ein rein rum. S. eintrat.
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Siebenbürger Sachsen (lat. saxones; rum. saşi; ung. szászok). Bez. für die in →Siebenbürgen lebenden →Deutschen. Die S. sind Nachkommen der unter dem ung. Kg. Geisa (Géza) II. (1141–1162) ins Land gerufenen Kolonisten, die hauptsächlich aus dem Rhein-Mosel-Gebiet ab der Mitte des 12. Jh.s nach Siebenbürgen kamen. Als Gäste (hospites) mit besonderen wirt. u. pol. Rechten ausgestattet, sollten sie die Grenzen sichern u. das Land wirt. erschließen helfen. Die überwiegend, aber nicht ausschließlich aus deutschsprachigen Gebieten stammenden Siedler wurden bald mit dem Sammelbegriff „saxones“ bezeichnet, den sie als Eigenbezeichnung übernahmen. Die S. siedelten auf königsunmittelbarem Grund (→Königsboden) u. gründeten eine Reihe v. Städten u. ca. 300 teilw. mit Kirchenburgen bewehrte Dörfer. Aus der Zeit der Ansiedlung existieren keine schriftlichen Quellen. Der v. Andreas II. 1224 den S. des Hermannstädter Gebietes verliehenen Freibrief („Andreanum“) bestätigte ihnen Territorialautonomie auf dem Königsboden, eigenständige Gerichtsbarkeit u. Selbstverwaltung. Die Freiheiten, die auf dem Königsboden galten, der unter der Leitung eines vom Kg. zuerst ernannten, später gewählten Königsrichters (→Sachsengraf ) stand, wurden 1318 auf die „Zwei Stühle“ um Mediasch, 1366 auf das →Nösnerland u. 1422 auf das →Burzenland ausgedehnt. In den Städten des Sachsenlandes existierte ein hochentwickeltes Zunftwesen. Die älteste überlieferte Zunftordnung v. 1376, die für Hermannstadt, Schässburg, Mühlbach u. Broos galt, gibt für Hermannstadt 19 Zünfte mit 25 Gewerben an. Während auf dem →Komitats- u. z. T. auch im →Széklerland immer mehr →Bauern auf den Status v. Hörigen sanken, deren Lage sich zunehmend verschlechterte, prosperierten auf dem Königsboden trotz aller soz. Unterschiede die Dörfer u. die Städte. Gegen die drohenden Türkeneinfälle schlossen sich 1437 die S. mit dem ung. Adel u. den ebenfalls mit Sonderrechten ausgestatteten →Széklern zu einer Union zusammen, die mehrfach erneuert wurde u. den Grundstein für die ständische Verfassung des Fsm.s Siebenbürgen legte. Diese Union förderte auch den Einigungsprozess der sächs. Gebietskörperschaften, die spätestens seit 1433 v. Seiten des Kg.s als Steuergemeinschaft betrachtet wurden. Die wirt. u. milit. Bedeutung der S. im Abwehrkampf gegen die Türken veranlasste den Kg., Hermannstadt 1453 den Schutz des Roten-Turm-Passes mit dem Gebiet der Talmescher Grenzburgen anzuvertrauen. 1475 wurde Bistritz der Rodnaer Pass zugesprochen, 1498 ging die Törzburger Grundherrschaft mit dem gleichnamigen Pass endgültig an Kronstadt. Nach der Schlacht bei →Mohács 1526 konnten sich die S. im selbständigen Fsm. Siebenbürgen als ständische „Nation“ behaupten. 1550 beschloss ihre oberste Verwaltungs- u. Gerichtsbehörde, die sächs. Nationsuniversität, die Einführung der luth. Lehre (→Reformation, →Lutheraner). Die Zusammenfassung der meisten sächs. Stadt- u. Landgemeinden auf Grundlage des 1583 schriftlich fixierten u. vom Landesherren als verbindlich anerkannten „Eigen-Landrechts“ u. die Gemeinschaft der „Ecclesia Dei Nationis Saxonum“ unterstrichen noch einmal die Autonomie der S. Die Bestimmungen der neuen Kirchenordnung gaben ihrem Schulwesen u. der Armenhilfe entscheidende Impulse. In der wirt. u. kult. Blütezeit der S. im 16. Jh. wurde ihr Anteil an den Steuerleistungen auf den Landtagen laufend erhöht.
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Dies führte in Zusammenhang mit den pol. Wirren u. den kriegerischen Auseinandersetzungen des folgenden 17. Jh.s, die mit Plünderungen, Brandschatzungen, Hungersnöten u. nachfolgenden Seuchen verbunden waren, zum wirt. Niedergang. Zahlreiche Dörfer wurden aufgegeben, in viele zogen →Rumänen nach, die zunächst willkommen waren, da sie zum Steueraufkommen des hoch belasteten Königsbodens beitrugen. Die Integration Siebenbürgens in die →Habsburgermonarchie unter Leopold I. brachte durch die Präsenz der kaiserlichen Truppen u. dem 1703 ausbrechenden →Kuruzzenaufstand für die S. keinen Frieden. 1691 bestätigte Leopold I. ihre Autonomierechte, der ung. Adel verweigerte jedoch deren Anerkennung. Obwohl im Leopoldinischen Diplom die Religionsfreiheit zugesagt worden war, setzten unter Karl VI. gegenreformatorische Maßnahmen ein, die u. a. über die Einführung einer „geometrischen Proportion“ bei der Ämterbesetzung zur Bevorzugung v. Katholiken führten. Aus den österr. Erblanden, in denen die ev. Lehre weiterhin verboten blieb, wurden zw. 1734 u. 1756 zwangsweise Protestanten, sog. Transmigranten oder Landler, auf dem Königsboden angesiedelt (→Gegenreformation), die sich z. T. an die S. assimilierten, z.T. ihre kult. Eigenart bewahrten. Im Rahmen der Egalisierungsbestrebungen des →Josephinismus gerieten die S. in Zusammenhang mit der anwachsenden rum. Bev. auf dem Königsboden, dem Druck des ung. Adels u. der steuerlichen Belastung in der zweiten H. des 18. Jh.s zunehmend in Gefahr, ihren Status als ständische Nation zu verlieren. Während es dem sächs. Gubernator Samuel v. Brukenthal (1721–1803) unter Maria Theresia noch gelang, Verständnis für die besondere Lage der S. in Wien zu gewinnen, mussten die S. unter Joseph II. erst die Aufhebung ihres exklusiven Bürgerrechtes auf dem Königsboden u. dann das Ende ihrer territ. Autonomie hinnehmen. Die sächs. „Nation“ wurde 1784 per Dekret aufgelöst. Obwohl die Verwaltungsreform durch das Restitutionsgesetz 1790 widerrufen wurde, leiteten die josephin. Reformen die Formierung der S. zur nationalen →Minderheit ein, die sich fortan immer schwerer den Übergriffen der Wiener Zentralregierung sowie des ung. u. des sich formierenden rum. Nationalismus erwehren konnte. Auf ihrem Territorium konnten die S. jedoch weiterhin trotz ihrer zahlenmäßigen Minderheit nahezu alle Schlüsselpositionen besetzen. In der →Revolution v. 1848 standen die S. im Kampf gegen die oppositionellen Ungarn an der Seite der Kaiserlichen. Trotz Niederschlagung der Revolution trat Österreich 1867 im sog. →Ausgleich mit der Schaffung der Doppelmonarchie Siebenbürgen an Ungarn ab. Der Magyarisierungsdruck, dem die Sachsen seitdem ausgesetzt waren, gipfelte 1876 in der erneuten Aufhebung des Königsbodens. Die S. hörten damit endgültig auf, als ständische Nation zu existieren u. mussten sich nun als konf. u. kult. Minorität behaupten. Die S. konzentrierten sich aufgrund der Verringerung ihres pol. Gewichts auf die wirt. u. kult. Belange, wobei die luth. Kirche u. zahlreiche neu entstandene sächs. Vereine eine zentrale Rolle spielten. Gleichzeitig intensivierten die S. ihre Beziehungen zum binnendt. Raum. Auf sog. Sachsentagen entschieden sie über die Grundlinien der Politik, deren Vertretung seit 1876 die Sächs. Volkspartei übernahm. Im Auflösungsprozess der Donaumonarchie am Ende des 1. →Wk.s verkündete die separat tagende sächs. Nationalversammlung am 8.1.1919 den Anschluss der S. an Großrumänien (→Rumänien), v. dem man sich einen effektiveren →Minderheitenschutz versprach. Das
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maßgeblich v. Hans Otto Roth konzipierte sächsische Volksprogramm, das am 6.11.1919 angenommen wurde, sollte die Integration der S. in das pol. Leben ihres neuen Staates fördern. Obwohl der Völkerbund die Einhaltung des Minderheitenschutzvertrages in Rumänien zu überwachen suchte, bekamen die S. nun den Bukarester Nationalismus deutlich zu spüren. Besonders die →Bodenreform der Jahre 1921–1924 verschlechterte die Lage der S., deren Nationsuniversität, die als Stiftung das verbliebene Restvermögen der ehemaligen sächs. Nation verwaltete, ihren großen Grundbesitz verlor. Die 1923 verabschiedete Verfassung, die keine Kollektivrechte für Minderheiten enthielt, wurde v. den S. abgelehnt. Die Enttäuschung durch den neuen Staat, die zunehmende Orientierung an Deutschland u. die inneren Auseinandersetzungen aufgrund des soz. Wandels führte bei den S. zu einer pol. Radikalisierung. Die völkischen Traditionen erhielten nach 1930 eine deutlich nationalsozialist. Ausrichtung, die sich 1933 durchsetzte. Die „Deutsche Volksgruppe in Rumänien“ unter „Volksgruppenführer“ Andreas Schmidt bezog als „gleichgeschaltete“ Organisation 1940–1944 ihre Befehle aus Berlin (a. →Volksdeutsche). Infolge des 2. →Wiener Schiedsspruchs v. 1940 kamen 72.000 S. unter ungar. Herrschaft. Mit dem Seitenwechsel Rumäniens zu den Allierten 1944 galten die Deutschen, v. denen ein namhafter Teil in der Dt. Wehrmacht u. SS gedient hatte, als kollektiv schuldig. Während die S. Nordsiebenbürgens Richtung Westen flüchteten (vgl. →Nösnerland), blieben die Südsiebenbürger S. im Land. Sie wurden nicht vertrieben, aber etwa 30.000 arbeitsfähige Männer u. Frauen wurden zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion deportiert. Die S. waren in Siebenbürgen zunächst pol. rechtlos u. wurden durch die Agrarreform vom 23.3.1945 bis auf wenige Ausnahmen enteignet. Diese Maßnahme löste zusammen mit der →Industrialisierung einen entscheidenden soz. Wandel aus: während bis 1945 ca. 70 % der Deutschen in Siebenbürgen in der Landwirtschaft tätig waren, übten 1956 nur noch 22 % ihren Beruf im landwirt. Bereich aus. Die einzige sächs. Einrichtung, die einigermaßen intakt blieb, war die ev. Kirche. Sie übernahm v. 1944 bis zur Verstaatlichung 1948 auch die Verantwortung für das deutschsprachige Schulwesen. Die nach 1957 erleichterte Familienzusammenführung in die Bundesrepublik Deutschland, wohin viele der in die Sowjetunion deportierten S. gelangt waren, entwickelte rasch eine Eigendynamik, die durch den Umbruch 1989 noch verstärkt wurde. Lebten 1939 in Siebenbürgen noch mehr als 250.000 S., so waren es Ende 1989, infolge v. Kriegs-, Nachkriegs-, Abwanderungs- u. Assimilierungsverlusten, nur noch knapp 90.000. 1992 wurden nur mehr ca. 20.000 S. in Siebenbürgen gezählt. Zum Zeitpunkt der Volkszählung v. 2002 befanden sich unter den 60.000 Deutschen in Rumänien nur noch 14.000 S. (0,7 % der Bev. Siebenbürgens). Heute nimmt das „Demokratische Forum der Deutschen in Rumänien“, das im Dezember 1989 gegründet worden war, die Interessen der im Land Gebliebenen wahr. Es bemüht sich um das Weiterbestehen der dt. Schulen, um dt. Kulturveranstaltungen, um die Errichtung u. Betreuung v. Altersheimen u. um den Erhalt u. die langfristige Sicherung der v. den S. hinterlassenen Kulturgüter. Das Demokratische Forum hat in jüngerer Zeit aber bei verschiedenen kommunalen Wahlen Unterstützung weit über die Zahl der verbliebenen S. hinaus erhalten. Der langjährige führende Vertreter des Forums u. seit 2000 als Bürgermeister von Hermannstadt (Sibiu) mehrfach wiedergewählte Klaus Johannis wurde Ende
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2014 im Zuge auch dieser Entwicklung zum ersten aus einer nat. Minderheit stammenden Staatspräsidenten von Rumänien. Lit. (a. →Volksdeutsche): Th. Frühmesser, Hans Otto Roth. Biographie eines rumäniendeutschen Politikers (1890–1953). Köln 2013; Reformation, Pietismus, Spiritualität. Beiträge zur siebenbürgisch-sächsischen Kirchengeschichte. Hg. U.A. Wien. Köln u. a. 2011; W.A. Baumgärtner, Eine Welt im Aufbruch: Die Siebenbürger Sachsen im Spätmittelalter. Sibiu 2008; P. Milata, Zwischen Hitler, Stalin u. Antonescu. Rumäniendeutsche in der Waffen-SS. Wien u. a. 2007; K. Gündisch, Siebenbürgen u. die Siebenbürger Sachsen. München 1998; H. Fabini, Atlas der siebenbürgisch-sächsischen Kirchenburgen u. Dorfkirchen. 2 Bde. Hermannstadt 1998, 2013; Deutsche Geschichte im Osten Europas. [Bd. 5] Land an der Donau. Hg. G. Schödl. Berlin 1995; Die Siebenbürger Sachsen. Lexikon. Hg. W. Myss. Thaur 1994; A. Schenk, Deutsche in Siebenbürgen. Ihre Geschichte u. Kultur. München 1992; E. Wagner, Geschichte der Siebenbürger Sachsen. Ein Überblick. Innsbruck 1981; Quellen zur Geschichte der Siebenbürger Sachsen 1191–1975. Hg. E. Wagner. Köln u. a. 21981; G.D. Teutsch/F. Teutsch, Geschichte der Siebenbürger Sachsen für das sächsische Volk. 4 Bde. Köln u. a. 1984 [Ndr. d. Ausg. 1907–1926]; A.L. Schlözer, Kritische Sammlungen zur Geschichte der Deutschen in Siebenbürgen. ebd. 1979 [Ndr. d. Ausgabe 1795/1797]. A. Sch.
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Sklaverei, Leibeigenschaft. Die im Imperium Romanum weit verbreitete S. wurde auch nach der →Christianisierung im oström. Reich (→Byzanz) auf der Grundlage des Römischen Rechts, des Corpus Iuris Civilis, fortgeführt. An der rechtl. Stellung der Sklaven änderte sich während des byzantin. Millenniums nur wenig. Streitfälle, in denen es um Kauf, Verkauf, Verpfändung u. Freilassung v. Sklaven oder um familien- u. erbschaftsrechtl. Fragen der S. ging, wurden i.d.R. auf der Grundlage der Basiliken entschieden, der Sammlung des byzantin. Rechts, die unter Ks. Basileios I. begonnen u. unter dessen Sohn Leon VI. um 888 fertiggestellt wurde (→Rechtsgeschichte, Rechtskulturen). Auch wenn Vertreter der Kirche eine Milderung der S. einforderten, galt der Sklave nach wie vor als Objekt des Rechts, wurde wie eine Ware gehandelt, konnte vererbt oder verpfändet werden. Sklavenehen u. -familien konnten zwar seit Ende des 11. Jh.s kirchlich abgesegnet werden, doch wurde der juristische Status der Sklaven dadurch nicht berührt. Die Bedeutung der S. in Byzanz ging allerdings nach einem letzten Aufschwung im 9./10. Jh. stetig zurück. Mangels siegreicher Kriege wurden Kriegsgefangenensklaven eine Seltenheit. Es überwogen die Haussklaven, die auf dem zentralen Sklavenmarkt in →Konstantinopel erworben wurden. In der Landwirtschaft verlor die Sklavenarbeit ihre vormalige Bedeutung, da die Großgrundbesitzer erkannt hatten, dass es effizienter war, ihre Ländereien an halbfreie oder unfreie Bauern in Pacht zu geben (→Paröken). So verschwand die S., die einst ein Motor in der antiken Wirtschaft gewesen war, allmählich aus dem produktiven Gewerbe u. beschränkte sich auf den Einsatz im Haushalt. Da die Mehrheit der Byzantiner aber nicht mehr genügend Geld hatte, um am florierenden Sklavenhandel im Mittelmeerraum zu partizipieren, verbesserte sich die ges. Lage der verbliebenen Sklaven.
Sklaverei, Leibeigenschaft
Wie in etlichen anderen Teilen Europas (bis Ende des 18. Jh.s), so lebte die S. auch im Osm. Reich fort. Das isl. Sklavenrecht stütze sich auf die einschlägigen Stellen im Koran. Danach konnte man Sklave als nichtmuslim. Kriegsgefangener oder infolge der Abstammung von Sklaven werden. Diese konnten verkauft, verliehen, vererbt u. verschenkt werden. Allerdings hatten sie Anspruch auf gute Behandlung; u. die Freilassung v. Sklaven (oft verbunden mit dem Übertritt zum Islam; →Islamisierung) galt als gottgefälliges Werk. Namentlich die berittene Vorhut der osm. Truppen, die Akıncı, die „Renner und Brenner“, sowie siegreich geführte Kriege sorgten für Nachschub. Haussklaven fanden sich bei allen wohlhabenden Schichten, in den Städten wie auf dem Lande. Eine Sonderform der S. war die →Knabenlese/Devşirme. Die aus christl. Balkanfamilien eingesammelten, zwangsislamisierten Sklaven der Hohen Pforte wurden aber nicht zur Verrichtung niedriger Tätigkeiten (wie viele Kriegssklaven) eingesetzt, sondern zum Dienst in den Elitetruppen (→Janitscharen) u. zur Ausübung höchster Staatsämter ausgebildet. Viele von ihnen wurden nach einiger Zeit freigelassen, wodurch der bisherige Sklave Mitglied der Klientelverwandtschaft seines Patrons bzw. seines vormaligen Herrn wurde. Unter den Verwaltern der großen Stiftungen (→Vakuf ) fanden sich viele ehem. Sklaven. Die S. hat auch einen wichtigen Beitrag dazu geleistet, die ethn. Verhältnisse in den europ. Provinzen des Osm. Reiches durcheinander zu bringen, da die aus den v. den Osmanen eroberten oder benachbarten Gebieten als Kriegsgefangene bzw. als Kriegsbeute eingebrachten Personen in anderen Teilen des Reiches als Sklaven eingesetzt wurden. Allein aus Kroatien sollen im Zeitraum v. 1462 bis 1520 70.000 Gefangene als Sklaven entführt worden sein. Erst im Verlauf des 19. Jh.s wurde die S. abgeschafft. Auch in den osm. Vasallenfürstentümern →Walachei u. →Moldau waren Sklaven üblich. Diejenigen, die nicht in der Lage waren, die v. den Fürsten u. Klöstern eingetriebenen Abgaben zu leisten u. auch keinen Besitz mehr zu verkaufen hatten, gerieten in Schuldknechtschaft. Ihr Status war dem der Sklaven ähnlich. Die →Roma wurden regulär zu Sklaven (Robi) erklärt. Sie waren nicht an das Land gebunden wie die Leibeigenen, sondern waren persönlicher Besitz ihrer Herrschaft. Roma waren von Geburt an Sklaven, durften keine „Freien” heiraten, u. auch untereinander durften sie nur heiraten, wenn ihr Besitzer es erlaubte. Dieser konnte die Prügelstrafe über sie verhängen, sie foltern oder zum Tod verurteilen. 1856 wurde die S. in Rumänien (gegen Entschädigung der ehem. Herren) aufgehoben. Während westl von Elbe, Saale, Böhmerwald u. Leitha die S. – nicht zuletzt dank des Stadtrechts („Stadtluft macht frei“) u. der starken Stellung der Städte gegenüber Adel u. Landesherren – bereits im MA verschwunden war, ging sie östl. dieser Linie (mit Übergangsräumen zu beiden Seiten) an der Schwelle vom MA zur FNZ in variierende Formen der Leibeigenschaft über, für die Friedrich Engels den missverstädlichen Begriff „zweite Ausgabe der Leibeigenschaft“ prägte. Von einer Leibeigenschaft (engl. serfdom aus mittelfrz. „serf“ bzw. lat. servus=Sklave) im römischrechtl. Sinn kann in Ostmitteleuropa u. Ungarn aber nur mit erheblichen Einschränkungen gesprochen werden. Zutreffender sind die Begriffe „Erbuntertänigkeit“, „perpetua rusticitas“ oder „Grundbehörigkeit“. In der Praxis blieben die Grenzen zw.dem Untertänigkeitsverhältnis in Ostmitteleuropa u. der S. allerdings fließend. Kennzeichnend für die ostmitteleurop. Agrarverfassung waren die Aufhebung der bäuerli-
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Sklaverei, Leibeigenschaft
chen Freizügigkeit, die starke persönl. Abhängigkeit der Grundholden von ihren Herren u. die drückende Rentenlast der Hörigen (mit einem regional unterschiedlich ausgeprägten, aber alles in allem bedeutenden Gewicht der Arbeitsrente) (a. →Jobagyen). Konkret bedeutete dies für die Bauern oder konnte dies bedeuten: Bindung an die Scholle, Einschränkung u. evtl. Aufhebung des erbl. Besitzrechts am Grund u. Boden (extremstenfalls auch an der Fahrhabe), Aufhebung der freien Berufswahl, Gesindezwangsdienst, Eheverbot oder -gebot nach Maßgabe des Herrn, geminderte Rechtsfähigkeit, Leistung v. gemessenen oder ungemessenen Spann- u. Handdiensten u./oder Erbringung sonstiger Leistungen in Natural- oder Geldform. Voraussetzung u. wesentliches Merkmal dieses Systems war die Tatsache, dass Grund-, Gerichts- u. Leibherr in einer Person repräsentiert waren. Erst im Zuge der →Bauernbefreiung wurde dieses System beseitigt.
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Skopje
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Skopje (bulg. Skopie; serb. Skoplje; alb. Shkup; türk. Üsküb). Seit 1991 Hauptstadt der Republik →Makedonien (1870: ca. 20.000, 1912: ca. 40.000, 1945: ca. 70.000, 2002: 506.926 E, davon 66,8 % ethn. Makedonier, 20,5 % Albaner, 4,6 % Roma, 2,8 % Serben u. a.). Die Stadt S. geht auf einen römischen Stützpunkt aus dem 2. Jh. v. Chr. nordwestl. des heutigen Stadtgebiets zurück: Colonia Flavia Aelia Scupi. Vom 4. Jh. bis zu seiner Zerstörung durch ein Erdbeben 518 n. Chr. war S. Bischofssitz. Nach seiner Neugründung (6. Jh.) an der heutigen Stelle (nicht als Iustiniana Prima, wie manchmal behauptet, sondern wohl als Scupi) versank S. zunächst in die Bedeutungslosigkeit. An strategisch wichtiger Stelle gelegen, gehörte es später zum sog. westbulg. Reich (bis 1002), danach mit Unterbrechungen zu Byzanz (bis 1215). Im 13. Jh. fällt es nacheinander an das Despotat v. →Epirus (1215), das II. →Bulgarische Reich (1230) u. das →Kaiserreich von Nikäa (1256). 1282 konnte Stefan Uroš II. Milutin die Stadt für einen längeren Zeitraum für das →Serb. Reich gewinnen. 1346 ließ sich Stefan Dušan (→Nemanjiden) in S. zum Kaiser krönen. Obwohl Residenzstadt, blieb S. eine in pol. u. wirt. Hinsicht eher unbedeutende Siedlung. Für die osm. Eroberer (1392) war S. seit der Mitte des 15. Jh.s als Ausgangspunkt für die Feldzüge nach Bosnien u. Albanien wichtig. Seitdem erlebte es dank mehrerer Stiftungen (→Vakuf ) eine rege Bautätigkeit, die der Stadt ein typisch osm. Gepräge verlieh (→Stadt, Stadttypen, osm.) u. auch die wachsende wirt. Entwicklung symbolisierte, die im 17. Jh. ihren Höhepunkt erreichte. Mitte des 15. Jh.s wurden in der Stadt 5.145 steuerpflichtige Haushalte registriert, von denen 3.300 musl. u. 1.815 christl. waren. Ein Jh. später zählte man 7.425 musl., 2.735 christl. u. 265 jüdische Haushalte (→Sepharden). Mitte des 17. Jh.s setzte sich der Markt v. S. aus mehr als 2.000 Läden zusammen. Aufgrund ihrer zahlreichen niederen u. höheren Koranschulen entwickelte sich die Stadt zu einem Zentrum isl. Gelehrsamkeit, war zugleich aber auch Sitz eines gr.-orth. Metropoliten u. eines röm.-kath. Erzbischofs. Parallel zum wirt. u. kult. Aufschwung der Stadt verlief ihre adm. Aufwertung zur Provinzhauptstadt. Während des Großen →Türkenkriegs wurde S. im Okt. 1689 v. österr. Truppen niedergebrannt u. konnte sich nur langsam wieder erholen. Erst im 19. Jh. erlebte die vorwiegend als Verwaltungs- u. Handwerkerstadt wichtige Siedlung einen erneuten Aufschwung, der jedoch zu Beginn des 20. Jh.s durch die →Balkankriege u. den 1. →Wk. Rückschläge hinnehmen musste. Die wechselnde Zugehörigkeit S.s zu Serbien (1912–1915) bzw. zum Kgr. SHS/Jugoslawien (1918–1941) einerseits u. Bulgarien (1915–1918 u. 1941–1944) andererseits behinderte nachhaltig die Entwicklung der Stadt. Zwar wurden in der Zwischenkriegszeit gewisse Fortschritte erzielt, doch der eigentliche, auch wirt. Aufschwung begann erst nach dem 2. Wk., als S. zur Hauptstadt der Volksrepublik (ab 1963 Sozialist. Rep.) Makedonien innerhalb Jugoslawiens erhoben wurde. 1963 wurde S. v. einem Erdbeben weitgehend zerstört. Der Wiederaufbau (u. a. durch Kenzo Tange) verlagerte das Zentrum auf die rechte Seite des Flusses Vardar, wodurch die schon zuvor bestehende Trennung zw. osm.-islamisch geprägter Altstadt u. europ. Neustadt zementiert wurde u. die sich auch in der ethn. Struktur
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Skopje / Skupština
der Stadt widerspiegelt. Seit der Unabhängigkeit Makedoniens (1991) entstanden in S. neue Monumente, die das mak.-nationale Narrativ visuell umsetzen sollen (u. a. die Reiterstatue Alexanders d. Großen, der Triumphbogen „Makedonija“, die Statue des Zaren Samuil) u. die das Verhältnis zu den Nachbarstaaten nachhaltig belasten. Das i.J. 2000 eingeweihte Millenniumskreuz auf dem Berg Vodno bei S. mit einer Höhe von 66 m irritiert insbes. die musl. Bev. Bibl.: K. Dojčinoski, Skopje niz vekovi. Bibliografski prilog. Skopje through the centuries. Skopje 1994. Lit.: K. Mehmeti, Shkupi. Ese historike. Shkup 2011; M. Mijalkovic/K. Urbanek, Skopje – The World’s Bastard. Architecture of the Divided City. Klagenfurt 2011; Reading the City. Urban space and memory in Skopje. Hgg. St. Herold/B. Langer/J. Lechler. Berlin 2010; M. Boškoski, Skopje i skopskata oblast od VI do krajot na XIV vek. Skopje 2009; M. Kurz, Das sicill aus Skopje. Kritische Edition u. Kommentierung des einzigen vollständig erhaltenen Kadiamtsregisterbandes („sicill“) aus Üsküb (Skopje). Wiesbaden 2003; D. G´ org´ iev, Skopje od turskoto osvojuvanje do krajot na XVII vek. Skopje 1997; F. Adanir, Skopje: eine Balkan-Hauptstadt, in: Hauptstädte in Südosteuropa. Geschichte – Funktion – Nationale Symbolkraft. Hg. H. Heppner. Wien u. a. 1994, 149–169; E. Fraenkel, Skopje from the Serbian to Ottoman Empire: Conditions for the Appearance of a Balkan Muslim City. Diss. Univ. of Pennsylvania 1986; J. Wiseman, Justinia Prima, in: The Princeton Encyclopedia of Classical Sites, Princeton 1979, 428f.; ders., Scupi, ebd., 815; V. Kănčov, Grad Skopie. Beležki za negovoto nastojašte i minalo, in: ders., Izbrani proizvedenija. 2 Bde., Sofija 1970, Bd. 2, 7–181; G.V. Berg, The Skopje, Yugoslavia Earthquake: July 26, 1963. New York 1964; F. Bajraktarević, Üsküb, in: Enzyklopaedie des Islam1. Bd. 4 Leiden u. a. 1934, 1139–1141; J. Hadži Vasiljević, Skoplje i njegova okolina. Istoriska, etnografska i kulturno-politička izlaganja. Beograd 1930. U. B.
Skupština ([narodna] S. = serb. „[Volks-]Versammlung, Parlament“). Name für die Versammlungen angesehener – nach dem Gewohnheitsrecht bestimmter – Persönlichkeiten (starešine) in Serbien u. Montenegro; nach Einführung v. →Verfassungen im 19. Jh. (in Montenegro ab 1905) Name der jeweiligen Volksvertretungen bzw. Parlamente mit unterschiedlicher Zusammensetzung u. unterschiedlichen Kompetenzen (in der →Revolution von 1848/49 [Serben] auch der rev. Volksvertretung der ungarländischen Serben); nach 1918 Name des jug. Parlaments mit Sitz in Belgrad (kroat., bosn. skupćina), heute der Parlamente in Serbien u. in Montenegro. Eine Sonderform der S. ist die ad hoc einberufene Große Nationalversammlung (Velika narodna s.), die in der zweiten H. des 19. Jh.s in Serbien eingeführt wurde. Zu ihren Aufgaben gehörten die Wahl des Fürsten, die Bestimmung des Thronfolgers u. der Regenten sowie die Ausarbeitung einer Verfassung. Ähnliche Institutionen gab es in unterschiedlichen Formen auch in den anderen Balkanländern.
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Lit.: M. Šuković, Podgorička skupština 1918. Podgorica 2006; B. Majdanac, Narodna skupština Srbije. Od običajne ustanove do savremenog parlamenta 1804–2004. Beograd 22004; N. Rakoče-
Slavenapostel
vić, Crnogorska narodna skupština, 1906–1913. Podgorica 1997; D. Janković, Istorija države i prava Srbije u XIX veku. Beograd 31960; A. Radenić, Svetoandrejska skupština. ebd. 1964; Č. Mitrinović/M.N. Brašić, Jugoslovenske Narodne skupštine i Sabori. ebd. 1937; S. Jovanović, Velika narodna skupština. Studija o ustavotvornoj vlasti. ebd. 1900. H. S.
Slavenapostel. S. oder genauer „Slavenlehrer“ ist die gängige Bezeichnung für die aus Thessaloniki stammenden Brüder Konstantin(os) – mit dem erst auf dem Sterbebett angenommenen, aber auch weit verbreiteten Mönchsnamen Kyrill(os) – u. Method(ios), v. denen der jüngere, K. (*um 827, †869 in Rom), geistig bedeutender als sein älterer Bruder M. (*ca. 815, †885 im →Großmährischen Reich) war. Söhne des byz. Drungarios (Befehlshabers) Leon u. seiner Ehefrau Maria, verfolgten sie zunächst recht unterschiedliche Karrieren. Ausgezeichnet durch Rechtsgelehrsamkeit u. adm. Begabung, übernahm M. als →Archon die Leitung eines nicht näher lokalisierbaren, slav. bevölkerten, byz. Verwaltungsbezirks, fand darin aber offenbar keine Befriedigung u. trat in ein Kloster am bithynischen Olymp ein, wo er den uns geläufigen Mönchsnamen erhielt (sein Taufname scheint Michael gewesen zu sein). Um 860 begleitete er seinen Bruder auf dessen Gesandtschaft zu den →Chazaren u. kehrte – nun als Igumen (Abt) – in das Kloster Polychron am Olymp zurück. Im Jahre 862/63 begab er sich dann, wiederum mit seinem Bruder, auf die Reise nach Mähren (→Großmährisches Reich). Noch als Jüngling studierte K. die Schriften der Kirchenväter, besonders die des Gregor v. Nazianz. An der Konstantinopolitaner Hofschule waren Leon der Mathematiker u. der spätere Patriarch Photios seine Lehrmeister. Nach Abschluss des Studiums war K. als Bibliothekar an der hl. Sophienkathedrale tätig. Nach einem kurzen Klosteraufenthalt übernahm er das Amt eines Lehrers („Philosophen“) an der Kaiserlichen Hohen Schule. Nach einer öffentlichen Disputation mit dem abgesetzten, bilderfeindlichen (vgl. →Bilderstreit) Patriarchen Johannes Grammatikos nahm er um 855 an einer Gesandtschaft nach Samarra teil, wo er u. a. erfolgreich Streitgespräche mit musl. Gelehrten führte. Nach seiner Gesandtschaft zu den Arabern zog sich Konstantin zeitweilig in das Kloster seines Bruders zurück, bevor er, nun als Leiter einer byz. Mission, der auch M. angehörte, an den Hof des Chazaren-Chans in Derbent (am Kaspischen Meer) entsandt wurde. Unterwegs hielt er sich in der byz. Kolonie Cherson auf, wo er angeblich einem „Russisch“ sprechenden Mann begegnete, der ihm auch Texte in dieser Sprache zeigte. Um welche Sprache es sich hier handelte – Gotisch, Syrisch oder vielleicht, als späte Einfügung in den Text seiner Vita, Altostslavisch – ist weiterhin umstritten. Außerdem soll K. im Meer an der →Krim auch die Reliquien des legendären, frühchristl. Papstes Klemens I. gefunden haben. Im Jahre 862 erhielt Ks. Michael III. eine Aufforderung des mährischen Fürsten Rastislav, slav. Lehrer in sein damals noch vom Ostfränkischen Königreich bedrohtes Fsm. zu entsenden. Der Kaiser übertrug diese Aufgabe den zweisprachigen K. und M., wobei anzunehmen ist, dass zumindest ersterer noch vor seiner Abreise eine besondere slav. Schrift – die in ihrem Ursprung wenig durchsichtige Glagolica (→Alphabete) – entwickelte. Nach Mähren brachten die Brüder u. ihr Gefolge wahrscheinlich auch bereits eine Anzahl ins Slavische
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Slavenapostel
übersetzte biblische u. liturgische Schriften mit, um so der lat. Seelsorge u. Liturgie der bayerisch-fränkischen Geistlichkeit entgegenwirken zu können. Nach einem 40monatigen Aufenthalt in Mähren wurden die Brüder v. Papst Nikolaus I. nach Rom zitiert, um dort ihre v. Byzanz ausgehende Tätigkeit zu legitimieren. Unterwegs hielten sie u. ihr Gefolge sich eine Zeitlang in der ostfränkischen Markgrafschaft des ihnen wohlgesinnten Fürsten Kocel auf, der ihnen weitere Schüler zur Priesterweihe zuteilte. In Venedig engagierte sich K. in einem weiteren Streitgespräch, diesmal mit den sog. Trilinguisten, welche nur die drei „heiligen“ Sprachen – Hebräisch, Griechisch u. Latein – anerkannten. Von K. wurde diese Lehre als häretisch abgetan. Es mag sein, dass der Ruf der Kurie die Brüder nicht in Mähren, sondern erst am Hofe Kocels bzw. in Venedig erreichte. In Rom wurden sie freundlich u. prunkvoll v. dem Nachfolger des inzwischen verstorbenen Nikolaus I., Hadrian II., empfangen. Nach einem relativ kurzen Aufenthalt in Rom erkrankte K. u. starb dort am 14.2.869. Er wurde in der Basilika des hl. Klemens beigesetzt. Nach seiner Rückkehr nach Mähren fand M. dort sehr veränderte Verhältnisse vor. Der slavenfreundliche Fürst Rastislav war v. seinem Neffen, Svatopluk, durch einen Staatsstreich abgelöst worden, u. auch die geopol. Konstellation v. Mähren u. Bulgarien zw. den „Großmächten“ Byzanz u. Ostfrankenreich war eine andere. M. musste sich jetzt wieder mit dem dt. Klerus auseinandersetzen u. wurde v. dessen Leitern mit Unterstützung Kg. Ludwigs des Deutschen in einem noch nicht endgültig identifizierten Kloster „im Schwabenland“ gefangengesetzt. Erst durch Eingreifen des Papstes kam er wieder frei u. konnte seine Tätigkeit, jetzt als Ebf. v. Mähren (u. Pannonien), fortsetzen. In diese letzte Epoche seines Lebens fallen eine Reihe v. weiteren Übersetzungen biblischer u. weltlicher Texte (darunter des Nomokanons). Um diese Zeit erfolgte auch ein weiterer Besuch in Rom (wo M. Papst Johannes VIII. v. seiner Rechtgläubigkeit überzeugte), eine letzte Reise nach Konstantinopel (v. wo M. speziell ausgebildete Schnellschreiber nach Mähren-Pannonien mitbringen konnte), seine, allerdings nicht sicher bezeugte Taufe des böhmischen Fürsten Bořivoj sowie seine Warnung an den heidnischen Vistulaner-Fürsten. M. starb am 6.4.885 u. sein Grabplatz, wahrscheinlich an einem der archäologischen Fundorte im Marchtal, wurde bisher nicht mit Sicherheit festgestellt. – Nach dem Tode M.s wurde die slav. Kirche rasch verboten, u. der lat.-sprachigen bayerisch-fränkischen angegliedert. Die Schüler der S., Kliment u. Naum, fanden im ersten →Bulgarischen Reich ein neues Betätigungsfeld. →Ohrid entwickelte sich dank ihrer Tätigkeit nun zum Zentrum der altkirchenslav. Liturgie. Die Hauptquellen zum Leben der S. sind die slav. Vita Constantini u. die Vita Methodii sowie die lat., die Überführung der Reliquien des hl. Klemens schildernde, sog. Italische Legende. Angesichts der großen Bedeutung der Slavenlehrer werden sie auch in zahlreichen anderen Texten erwähnt bzw. zelebriert. Sie gelten als Heilige der Ost- wie auch der Westkirche – im 10. oder 11. Jh. v. jener kanonisiert – u. wurden v. Papst Johannes Paul II. zu „Kopatronen“ Europas (neben dem hl. Benedikt) erklärt.
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Lit.: M. Betti, The Making of Christian Moravia (858–882). Papal power and political reality. Leiden u. a. 2014; Kirilo-metodievskoto kulturno nasledstvo i nacionalnata identičnost. Hg. Sv. Nikolova. Sofija 2011; Methodios u. Kyrillos in ihrer europäischen Dimension. Hg. E. Konstan-
Slavische Landnahme
tinou. Frankfurt/M. u. a. 2005; A.-E.N. Tachiaos, Cyril and Methodius of Thessalonica. The acculturation of the Slavs. Crestwood/NY 2001; M. Kantor, Medieval Slavic Lives of Saints and Princes. Ann Arbor 1983, 1–138; Zwischen Rom u. Byzanz. Hg. J. Bujnoch. Graz ²1972 (11958); Die pannonischen Legenden: Das Leben der Slawenapostel Kyrill u. Method. Übers., Hg. N. Randow. Berlin 1972; F. Dvornik, Byzantine Missions among the Slavs: SS. Constantine-Cyril and Methodius. New Brunswick/NJ 1970; A.P. Vlasto, The Entry of the Slavs into Christendom: An Introduction to the Medieval History of the Slavs. Cambridge 1970, 3–85; Cyrillo-Methodiana. Zur Frühgeschichte des Christentums bei den Slaven 863–1963. Hgg. M. Hellmann/R. Olesch/F. Zagiba. Köln, Graz 1964; V. Vavřínek, Staroslovenské životy Konstantina a Metoděje. Praha 1963; F. Grivec, Konstantin u. Method. Lehrer der Slaven. Wiesbaden 1960; Constantinus et Methodius Thessalonicenses. Fontes. Hgg. F. Grivec/F. Tomšič. Zagreb 1960; V. Jagić, Entstehungsgeschichte der kirchenslavischen Sprache. Berlin ²1913 (ber. u. erw. Ausgabe). H. B.
Slavische Landnahme. S.L. ist der geläufige Ausdruck zur Bezeichnung der Ausbreitung der Slaven auf der Balkanhalbinsel u. ihrer ständigen Besiedelung großer Teile davon. An sich könnte er auch für andere Wanderungs- u. Siedlungsbewegungen der Slaven mit Ausgangspunkt v. ihrer „Urheimat“ (wahrscheinlich in einem Gebiet nördl. der Karpaten) in der zweiten H. des ersten Jahrtausends – also v. a. in westl. Richtung, nach dem heutigen Polen u. in weite Gebiete Deutschlands, u. in nordöstl. Richtung, in das Innere u. den N Russlands – verwendet werden. Die Überschreitung bzw. Umgehung der Karpaten u. Besiedelung des mittleren Donaubeckens (→Pannoniens) sowie das Auftauchen slav. Siedler in Böhmen u. Mähren kann allenfalls als eine Vorstufe oder erste Phase der S.L. im engen Sinne gelten. Andererseits lässt sich die slav. Besiedelung des Ostalpenraums nicht v. der S.L. des Balkans trennen. Die Grenzen des Byz. Reiches, d. h. die untere Donau- u. die Save-Linie, erreichten u. überschritten die Slaven erstmals um die Mitte des 6. Jh.s, zur Regierungszeit Ks. Justinians (527–565). Obzwar aus mehreren Stämmen bestehend, lassen sich zunächst zwei Hauptgruppen – die Sklavenen u. Anten – unterscheiden, v. denen Prokopios v. Caesarea bemerkte, sie gebrauchten die gleiche Sprache u. ähnelten einander auch äußerlich. Das bestätigte auch das milit. Handbuch Strategikon, das meist Ks. Maurikios (582–602) zugeschrieben wird, u. das ebenfalls die ähnliche Lebensweise beider Völkergruppen erwähnt. Während es sich zunächst nur um vereinzelte Streifzüge v. Slaven auf byz. Reichsgebiet handelte, nahm ihre Anzahl nach ca. 550 stark zu u. es kam zu ständigen slav. Ansiedlungen im heutigen Serbien u. Bulgarien, wovon auch manche (bereits v. Prokopios verzeichnete) Ortsnamen zeugen. Nach dem Vor- u. Eindringen beweglicher Verbände änderte der slav. Vormarsch jedoch seinen Charakter, u. die eigentliche S.L. erstreckte sich – entweder schon i. J. 587, oder aber erst nach 746 – bis in die →Peloponnes sowie an die Adriaküste. Bereits i. J. 614 erobern Slaven (wohl im Verband mit →Awaren) die Provinzhauptstadt Dalmatiens, Salona (unweit Split), u. in den Jahren 614/16 sowie 618 unternehmen sie allerdings erfolglose Versuche, die zweitgrößte Stadt v. Byzanz auf dem europ. Festland, →Saloniki, zu erobern. Auch ein Angriff auf die Kaiserstadt →Konstantinopel selbst i. J. 626 misslingt. Dennoch ist
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Slavische Landnahme
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anzunehmen, dass große Teile der byz. balkanischen Besitzungen, insbes. in Thrakien, Makedonien, Thessalien u. im Epirus, an slav. Siedler verlorengingen bzw. von der byz. Reichsregierung den Slaven zu ihrer Niederlassung zugewiesen wurden. Das Verhältnis zw. Awaren (a. →Reiternomaden) u. Slaven ist weiterhin nicht restlos geklärt, da wir nicht genau wissen, ob die Slaven als Verbündete oder als v. dem altaischen Steppenvolk im Herzen Europas beherrschte Gefolgsleute auftraten. Weniger umstritten ist das Verhältnis der im unteren Donautal siedelnden Slaven u. dem Turkvolk der Bulgaren (oft auch als →Proto-Bulgaren bezeichnet): das v. dem Bulgaren-Chan Asparuch (auch Isperich) um 679 gegründete Erste →Bulgarische Reich wurde zunächst v. seiner nichtslav. Oberschicht beherrscht u. es dauerte wahrscheinlich bis zum Regierungsantritt des Chans Boris i. J. 852 (getauft 864/65), bis der völlige Slavisierungsprozess abgeschlossen war. Um 800 setzt dann eine v. Byzanz ausgehende gr. Rückeroberung der südl. Balkanhalbinsel ein, ohne jedoch die Spuren slav. Völkerschaften auch in diesen Landstrichen völlig auszulöschen. Die Slavenstämme der Milingen u. Ezeriten in der Peloponnes, deren Existenz bis zur Eroberung durch die Osmanen belegt ist, sind ein solches Zeugnis. Auch Ks. Michaels III. Behauptung (zu Beginn der 860er Jahre, zitiert in der Vita Constantini), alle Thessaloniker sprächen einwandfrei slav. (gemeint ist natürlich als ihre Zweitsprache), zeugen wenn nicht unbedingt v. der Zweisprachigkeit der dortigen gesamten Stadtbev., so doch jedenfalls davon, dass in der unmittelbaren Umgebung Slaven siedelten (wie das auch bis ins 20. Jh. u. teils heute noch der Fall ist). Und schließlich zählt Ks. Konstantin VII. Porphyrogenetos in seiner um die Mitte des 10. Jh.s abgefassten Anleitung De administrando imperio (eigentlich auf gr. „Von den Völkerschaften“) zahlreiche slav. Stämme SOEs auf, wobei deren Lokalisierung durch den Kaiser nicht immer besonders zuverlässig ist. Worüber bis heute eine gewisse Uneinigkeit der Spezialisten besteht, sind die Wege, auf denen die Slaven in den Balkan vorgedrungen sind. Bis vor kurzem herrschte die Auffassung vor, dass sie im wesentlichen entlang zweier Wanderungsrouten den späteren slav. Süden erreicht u. besiedelt hätten. Einerseits dachte man an einen westl. Weg – nach dem Durchbruch durch die Mährische Pforte (zw. Westkarpaten u. Sudeten) – in das Ostalpen- u. Südwestkarpatengebiet, bis in den Westbalkan (das Siedlungsgebiet der heutigen Slowenen bzw. ihrer bedeutend weiter, bis nach Westungarn u. Nordostitalien ausgebreiteten Vorgänger, der Karantanen [vgl. →Kärnten], u. der Sprecher des kajkavischen Dialekts des Kroatischen sowie der inzwischen ebenfalls stark geschrumpften, heute v. a. an der Nord- u. Mitteladriaküste siedelnden Sprecher des čakavischen Dialekts derselben (→Sprache). Womöglich umfasste dieses Gebiet auch einen Teil der yekavisch-štokavisch sprechenden Bevölkerung. Andererseits wurde eine östl. Route postuliert, also durch Umgehung der Ostkarpaten nach Bulgarien (einschließlich des heutigen Makedoniens) u. in das Kerngebiet Serbiens (wo die ekavisch-štokavischen Sprecher beheimatet sind). Während kein Anlass besteht, für das frühe MA zw. (slav.) Bulgaren u. Makedoniern zu unterscheiden (die Grundlage der ersten slav. Schriftsprache, des Altkirchenslavischen, war ein südwestbulg. Dialekt, dem das erst seit etwas über hundert Jahren bestehende u. seit 1945 offiziell anerkannte Makedonisch nahesteht), haben Kroatisch u. Serbisch für diesen Zeitraum wohl eher als zwei zwar nahe verwandte, aber doch unterschiedliche Sprachen (aufgrund mehrerer Kriterien) zu gelten.
Slavische Landnahme / Slawonien
Eine andere Auffassung über die Einwanderungsbewegung wurde vom Verf. dieser Zeilen vertreten, wonach neben den genannten zwei Wanderungsrouten – der westl. u. der östl. – noch eine dritte bestanden haben mag. Nach Überschreitung mehrerer Karpatenpässe hätte ein Teil der slav. Massen, nachdem sie entsprechend angeschwollen waren, die ung. Tiefebene, also entlang der mittleren Donau u./oder der Theiß, durchquert, um sich zunächst in der heutigen Vojvodina u. angrenzenden Gebieten anzusiedeln u. von dort aus weitere Teile des Balkans zu erreichen u. bis an die Adriaküste vorzudringen. Lit.: F. Curta, The Making of the Slavs. History and archeology of the Lower Danube region, c. 500–700. Cambridge u.a. 2001; G. Schramm, Ein Damm bricht. Die römische Donaugrenze u. die Invasionen des 5.–7. Jh.s im Lichte von Namen u. Wörtern. München 1997; H. Kunstmann, Die Slaven. Ihr Name, ihre Wanderung nach Europa u. die Anfänge der russischen Geschichte in historisch-onomastischer Sicht. Stuttgart 1996; H. Birnbaum, Von ethnolinguistischer Einheit zur Vielfalt: Die Slaven im Zuge der Landnahme der Balkanhalbinsel, SOF 51 (1992), 1–19; J.V.A. Fine, Jr., The Early Medieval Balkans: A Critical Survey from the Sixth to the Late Twelfth Century. Ann Arbor 1983 (51989), 25–93; W. Pohl, Die Awaren. Ein Steppenvolk in Mitteleuropa, 567–822 n. Chr. München 1988, 94–162, 261–268, 591–602; Die Völker Südosteuropas im 6. bis 8. Jh. Hg. B. Hänsel. München u. a. 1987; Istorija srpskog naroda. Bd. 1: Od najstarijih vremena do Maričke bitke (1371). Hg. S. Ćirković. Beograd 1981, 109–140 (J. Kovačević u. P. Ivić); P. Ivić, Balkan Slavic Migrations in the Light of South Slavic Dialectology, in: Aspects of the Balkans: Continuity and Change. Hgg. H. Birnbaum/S. Vryonis, Jr. Den Haag u. a. 1972, 66–86; M. Gimbutas, The Slavs. London u. a. 1971, 58–62, 98–132, 191–92. H. B.
Slawonien (kroat. Slavonija; lat. Sclavonia; ung. Szlavónia; das „Slawenland“). Ehem. Königtum, als südlichste Region des pannonischen Beckens Teil des kontinentalen Kroatien, erstreckt sich nach heutigem Verständnis über den Raum zw. der Save im S, Drau u. Donau im N östlich einer Linie Sisak-Bjelovar u. damit über diejenigen Gebiete des kroat. Nordostens, die im 16. u. 17. Jh. dem Osm. Reich angehört haben. Im MA dagegen zählte zu S. im W auch der Raum zw. den Grenzterritorien des →Heiligen Römischen Reiches →Steiermark u. →Krain sowie im SW das Gebiet bis zum dinarischen Gebirgszug mit dem um 1090 als Bischofsitz begründeten →Zagreb. Die heutige Draugrenze zw. S. u. Ungarn entstammt bereits dem MA, die Savegrenze zu Bosnien den Friedensschlüssen zw. Wien u. der Pforte an der Wende vom 17. zum 18. Jh.; bedeutendste Städte u. Industriestandorte sind heute Osijek (dt. Esseg), Slavonski Brod u. (Slavonska) Požega. Der Großteil des heutigen S. (ohne West-Syrmien) setzt sich aus den 4 Gespanschaften (vgl. →Župan; →Komitat) Virovitica-Podravina, Osijek-Baranja, Požega-Slawonien u. Brod-Posavina zusammen, insges. 10.032 km2 mit 626.477 E (2011). Unter Einschluss West-Syrmiens (Gespanschaft Vukovar-Syrmien) vergrößert sich die Fläche auf 12.486 km2 mit 805.998 E. Infolge der →postjug. Kriege hat sich die ethn. Zusammensetzung der Bev. verändert. 2001 lebten in Virovitica-Podravina 89,5 % Kroaten (7,1 % Serben), in Osijek-Baranja 83,9 % Kroaten (8,7 % Serben), in Slawo-
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nisch Požega 88,7 % Kroaten (6,5 % Serben), in Brod-Posavina 94 % Kroaten (6,5 % Serben) u. in Vukovar-Syrmien 78,3 % Kroaten (15,5 % Serben). Die Region gehörte seit dem 1. Jh. v. Chr. als Teil Illyriens zur röm. Provinz Pannonien u. war nach den Reichsteilungen des 3. u. 4. Jh.s Teil des Westreiches, bis um 400 der pannonische Limes überrannt wurde. Die um 600 eingewanderten Slaven (→Slav. Landnahme) gehörten zunächst zum Reich der →Awaren, später erkannten sie die fränkische Oberhoheit an. Im 10. Jh. dem kroat. ma. Staat (→Kroatien) eingegliedert, wurde S. 1089 (→Syrmien bereits früher) dem ung. Kgr. einverleibt, ebenso wie 1091 Kroatien u. 1102 auch Dalmatien (→Pacta conventa). Mit der Krönung des →Arpaden Koloman zum Kg. von Kroatien im selben Jahr begann die bis 1918 bestehende Personalunion zw. Ungarn u. dem später so genannten Regnum tripartium aus Kroatien, S. u. →Dalmatien, das zeitweise auch durch nahe Verwandte des jeweiligen ung. Königs als →Banus regiert worden ist. S. zahlte im MA u. a. eine Naturalsteuer aus Marderfellen (marturina), der Marder (kroat. →kuna) ziert deshalb nicht nur das slawon. Wappen, sondern gab auch der kroat. Währung der Jahre 1941–1945 u. seit 1994 den Namen. Im 13. Jh. erfolgte analog zum übrigen Mitteleuropa ein Landesausbau mit zahlreichen Stadt-, Kloster- u. Dorfgründungen. 1273 tagte der erste slawon. Landtag in Zagreb (→Sabor). In der zweiten H. des 15. Jh.s zeigten sich unter zunehmendem osm. Druck bereits Verödungstendenzen in S., die sich seit dem Ende des 15. Jh.s noch verstärkten. Große Teile der Bev. des östlichen S. zogen in den westl. Landesteil, ins Burgenland, nach Oberungarn u. selbst nach Istrien u. Italien ab. Die pol. Spaltung Ungarns spiegelte sich auch im Regnum Tripartium, wo 1527 der slawon. Landtag für Johannes Zápolyi, der kroatische aber für Ferdinand v. Habsburg votierte. Endgültig seit 1558 bestand jedoch ein gemeinsamer kroat.slawon. Landtag für die habsb. gebliebenen Gebiete, die nun als Kroatien bezeichnet wurden, während der Name S. sich bald ausschließlich auf die osm. gewordenen Gebiete zu beziehen begann, deren Westgrenze am Ende des 16. Jh.s von Sisak (dt. Sissek) nach Virovitica im Drautal verlief. Im selben Jahr wurden auch die kroat. u. slawon. →Militärgrenze vereinigt u. 1577 der Verfügungsgewalt des Banus u. Landtages vollständig entzogen. Auf osmanischer Seite wurde S. in →Sancaks eingeteilt. Verwaltungssitze osm. Provinzen waren u. a. Pakrac u. Požega. Im 17. Jh. war Osijek bereits die größte Stadt des osm. S. Ein erheblicher Bevölkerungsanteil der Region, möglicherweise mehr als die Hälfte, war damals islamischen Glaubens. In der auf den Entsatz von Wien 1683 folgenden Offensive eroberten in den Jahren 1688/89 habsburgische Truppen ganz Slawonien mit Syrmien. Im Frieden von →Karlowitz 1699 musste das Osm. Reich diesen Verlust anerkennen. Die Habsburger richteten entlang der Save neue Abschnitte der Militärgrenze mit dem Schwerpunkt in der Festung Slawonisch (Slavonski) Brod ein, ohne die alten zur Drau hin aufzugeben, so dass Provinzialkroatien, das Land unter der Verwaltung von Banus u. Landtag, bei der Wiedererrichtung der Zivilverwaltung in Teilen S.s 1745 zweigeteilt war. In diesem Jahr erneuerte man die alten slawon. Komitate Virovitica (nunmehr mit Verwaltungssitz in Esseg), Požega u. Syrmien (mit Sitz in Vukovar). Bereits 1708 war in Pakrac eine Eparchie der syrmischen Metropolie Karlowitz (srb. Sremski Karlovci) zur relig. Betreuung der in S. siedelnden orth. Serben eingerichtet
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worden. Neben den Serben zogen auch zahlreiche andere Siedler, darunter viele Deutsche, in das vom →„Türkenkrieg“ verwüstete Land, wobei außerhalb der Militärgrenze der Großteil des Bodens meist durch Kauf in die Hände auswärtiger Adelsfamilien gelangte. Umfangreiche Bautätigkeit prägte das bis heute barocke Gesicht von Städten wie Esseg, Požega oder Vukovar. In der zweiten H. des 18. Jh.s nahm S. so am Bevölkerungswachstum u. an der Zunahme der wirt. Aktivitäten im Habsburgerreich teil. Als Teil des kroat.-slawon. Kgr.s innerhalb des Reiches der →Stephanskrone folgte es in der Zukunft dem Weg Kroatiens mit dem ung.-kroat. →Ausgleich von 1868, der Auflösung der Militärgrenze 1881, der Eingliederung in das Kgr. der Serben, Kroaten u. Slowenen 1918 (→Jugoslawien), der Einbeziehung in den →„Unabhängigen Staat Kroatien“ 1941 u. schließlich in die Sozialistische Republik Kroatien des zweiten Jugoslawien. Beim Zerfall Jugoslawiens 1991 waren weite Teile S.s Schauplatz schwerer Kämpfe zw. Kroaten u. Serben. Während es der kroat. Armee gelang, Westslawonien bis auf einen serb. Brückenkopf um Okučani (der die Autobahn Zagreb-Belgrad blockierte) bis zum Jahresende unter Kontrolle zu bringen, fiel Ostslawonien einschließlich der angrenzenden →Baranya (bzw. deren kroat.-jug. Anteils) bis vor die Tore der Großstadt Osijek in serb. Hand (vgl. →Krajina). Besonders in der nach längerer Belagerung v. serbischen Kräften eroberten, fast vollständigen zerstörten Stadt Vukovar (18.11.1991) kam es zu schweren Menschenrechtsverletzungen. Während der westslawon. Brückenkopf im Mai 1995 durch kroat. Truppen zurückerobert werden konnte, erfolgte die friedliche Reintegration Ostslawoniens in den kroat. Staat auf der Grundlage des im Zusammenhang mit dem →Dayton-Abkommen geschlossenen Vertrages v. Erdut in den Jahren 1995 bis 1998. Lit.(a. →Kroaten; →Kroatien): B. Mimica, Slavonija od antike do XX. stoljeća. Zagreb 2009; Slavonija, Baranja i Srijem – vrela europske civilizacije. Hg. B. Šulc. 2 Bde. ebd. 2009; T. Pálosfalvi, Bajnai Both András és a szlavón bánság. Szlavónia, Európa és a törökök 1504–1513, in: Honoris causa. Tanulmányok Engel Pál tiszteletére. Budapest–Piliscsaba 2009, 251–300; N. Budak, Hrvatska i Slavonija u ranom novom vijeku. ebd. 2007; N. Moačanin, Town and Country on the Middle Danube, 1526–1690. Leiden 2006; ders., Slavonija i Srijem u razdoblju osmanske vladavine, 1500–1691. Slavonski Brod 2001; I. Balta, Kolonizacija u Slavoniji od početka XX. stoljeća s posebnim osvrtom na razdoblje 1941.–1945. godine, Radovi Zavoda za povijesne znanosti HAZU u Zadru 43 (2001), 459–478 I. Karaman, Iz prošlosti Slavonije, Srijema i Baranje. Studi o društvenoj i gospodarskoj povijesti XVIII.–XX. st. Osijek 1997; H. Heppner, Die deutschen Ansiedlungen in Slawonien im 18. Jh., Das achtzehnte Jahrhundert u. Österreich 6 (1992), 71–77; A. Karger, Die Entwicklung der Siedlungen im westlichen Slawonien. Ein Beitrag zur Kulturgeographie des Save-Drau-Zwischenstromlandes. Wiesbaden 1963; T. Smičiklas, Dvijestogodišnjica oslobodjenja Slavonije. Teil 1: Slavonija i druge hrvatske zemlje pod Turskom i rat oslobodjenja. Teil 2: Spomenici o Slavoniji u XVII. vijeku (1640–1702). Zagreb 1891; Fr.W. von Taube, Historische u. geographische Beschreibung des Königreiches Slavonien u. des Herzogthumes Syrmien. Leipzig 1777 (kroat. Übers. 1998). A. Hd. 863
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Slowakei (ab 1918). Die S. als souveräner Staat (seit 1.1.1993) umfasst 49.034 km² mit 5,4 Mio. E (31.12.2011). Zuvor war sie seit 1918 Teil der Tschechoslowakei gewesen. Die staatliche Vereinigung v. Slowaken u. Tschechen wurde während des 1. →Wk.s maßgeblich im Ausland konzipiert, da der etatistische Tschechoslowakismus in der S. selbst zunächst keine große Bedeutung erlangte. Einige in den USA ansässige Slowaken (vgl. →Vereinigte Staaten von Amerika) kamen am 25.10.1915 mit tschechischen Vertretern in Cleveland überein, einen tschecho-slowak. Bundesstaat zu bilden. Bekräftigt wurde das Cleveland-Abkommen am 30.5.1918, als Vertreter tschechischer u. slowak. Organisationen in den USA in Anwesenheit des Vorsitzenden des Tschecho-Slowak. Nationalrats Tomáš Garrigue Masaryk das Pittsburgher Abkommen unterzeichneten, das der S. Autonomie innerhalb des noch zu gründenden Staates zusicherte. In der S. entstand im September 1918 in St. Martin (Turčiansky Svätý Martin/Turócszentmárton) der Slowak. Nationalrat (SNR) als gesamtnational repräsentatives Organ. In seinem Namen verkündete Ferdiš Juriga, damals der einzige slowak. Abgeordnete im ung. Reichstag (→Országgyűlés; zum Sachverhalt a. →Österreich-Ungarn), am 19.10.1918 das Recht auf Selbstbestimmung. Am 28. Oktober wurde der selbständige tschechoslowak. Staat (ČSR) ausgerufen. Als Vertreter der kurz vorher gegründeten Parteien (→Parteien: Slowakei) erklärte sich der SNR in einer Deklaration vom 30.10.1918 in St. Martin mit der Einbeziehung der S. in den tschechoslowak. Staat einverstanden. Die tatsächliche Eingliederung bereitete einige Schwierigkeiten (vgl. →Zips). Am 11.12.1918 gründete sich ein ostslowak. Nationalrat. Die Regierung der „Ostslowak. Republik“ sah sich jedoch bald gezwungen, im Verlauf der Besetzung des Landes durch tschechische Truppen nach →Ungarn zu flüchten. Die Ungarn protestierten mit Waffengewalt. Am 27.4.1919 kam es zum Krieg zw. der Ung. →Räterepublik u. der ČSR, wobei Ungarn in den v. ihm besetzten Teilen der Süd-, Ost- u. Mittelslowakei das komm. Regime einführte. Am 16.6.1919 wurde in Prešov/Eperjes eine „Slowakische Räterepublik“ ausgerufen. Der künftige Grenzverlauf zw. der S. u. Ungarn blieb ungeklärt u. wurde erst im Juni 1920 definiert. Die Prager Zentralregierung gewährte in den folgenden Jahren die zugesicherte Autonomie nicht. Dies löste eine wachsende Opposition der slowak. Nationalpartei u. der kath.-konservativen Slowaken aus, die sich v. a. in Hlinkas Slowakischer Volkspartei (HSL’S →Parteien: Slowakei) organisierten. Die slowak. „Zentralisten“ um Milan Hodža traten für die tschechoslowak. Staatsidee ein.Während der Sudetenkrise gelang es der HSL’S, Staatspräsident Beneš am 23.9.1938 ultimativ zur Annahme der slowak. Autonomieforderungen zu zwingen u. am 6.10.1938 im Abkommen v. Sillein/Žilina die Autonomie zu proklamieren. Der kath. Priester Jozef Tiso wurde erster Ministerpräsident. Er verkündete am 8.11.1938 die Einparteienherrschaft. Anfang November, im 1. →Wiener Schiedsspruch, verlor die S. Teile der Südslowakei (10.423 km2, 859.885 E) an Ungarn. Dies führte zum Föderalisierungsgesetz vom 22.11.1938. Die ČSR wurde in die Č-S-R umbenannt. Am 9.3.1939 enthob die Prager Zentralregierung Tiso seines Amtes u. löste damit den Einmarsch dt. Truppen u. die Errichtung des „Protektorats Böhmen u. Mähren“ aus (15.3.1939), während sich die S. zu einem unabhängigen Staat unter dt. Schutz erklärte (Gesetz vom
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14.3.1939). Nominell garantierte das Dt. Reich durch Vertrag vom 18./23.3.1939 für 25 Jahre die territoriale Integrität u. Unabhängigkeit der S. Außen-, Wehr- u. Wirtschaftspolitik sollten jedoch im engsten Einvernehmen mit →Deutschland geführt u. die Stationierung dt. Truppen in der West-S. garantiert werden. Tiso wurde Staatspräsident, Vojtech Tuka Ministerpräsident. Am 4.4.1939 musste die S. erneut Gebiete an Ungarn abtreten. Nach Beteiligung am Polen-Feldzug erhielt sie jedoch v. Hitler die 1920 an Polen abgegebenen Gebiete (→Zips) zurück. Außenpolitisch trat die inzwischen v. 24 Staaten anerkannte S. am 24.11.1940 dem Dreimächtepakt, am 25.11.1941 auch dem Antikominternpakt bei u. entsandte Truppen an die russ., rum. u. it. Front. Innenpolitisch stand der 38.000 km2 große „Schutzstaat“ des Dritten Reiches mit 2,7 Millionen Einwohnern im Spannungsfeld zw. den slowak. Nationalsozialisten um Tuka u. den Klerikal-Konservativen um Tiso. Letzterer konnte schließlich den Machtkampf für sich entscheiden u. errichtete ab 1943 als „Führer u. Präsident“ (Vodca a prezident) eine Präsidialdiktatur. Die 150.000 S.-Deutschen waren im Landtag u. durch einen Staatssekretär (Franz Karmasin) in der Regierung vertreten (→Volksdeutsche). Die Deportationen der Juden erreichten zw. März u. August 1942 einen Höhepunkt (→Holocaust), wurden jedoch nach Protesten des Vatikans Ende des Jahres abgebrochen. Die seit dem Weihnachtsabkommen v. 1943 als „Slowakischer Nationalrat“ (SNR) im Untergrund tätige Opposition der Kommunisten u. Demokraten plante einen Aufstand. Dieser wurde v. der Roten Armee, v. ukr.-sowj. u. slowak. Partisanen u. v. Teilen der slowak. Armee unterstützt u. begann am 29.8.1944 in Neusohl (Baňská Bystrica). Mit Zustimmung Tisos wurde er v. dt. Truppen Ende Oktober 1944 niedergeschlagen. Die am 5.9.1944 umgebildete slowak. Regierung mit Štefan Tiso, einem Cousin Jozef Tisos, als Ministerpräsident blieb auf Repräsentationsfunktionen beschränkt u. betätigte sich als Erfüllungsgehilfe der dt. Besatzungsmacht. Die Entscheidung über den zukünftigen Status der S. wurde vom SNR in Übereinkunft mit der tschechoslowak. Exilregierung in London getroffen. Mit der Sowjetunion war vereinbart, dass die Rote Armee das Land besetzen solle. Ein Beschluss der Alliierten vom Winter 1943/44 hatte diese Gebiete bereits dem sowj. Machtbereich zugesprochen. Die Exilregierung kam mit den Vertretern der Moskauer Zentrale der KSČ u. des SNR überein, eine Regierung der „Nationalen Front“, d.h. eine Verbindung aller politischen Parteien zu bilden. Die Moskauer Vertreter der Tschechen u. Slowaken folgten der Roten Armee in die Ostslowakei u. errichteten in Kaschau (Košice) ein zeitweiliges Hauptquartier. Am 5.4.1945 konstitutierte sich die Regierung Fierlinger/Gottwald u. erklärte das Kaschauer Programm als verbindlich. Mit dem Tag der Einnahme Pressburgs u. der Bildung der Nationalen Front am 4.4.1945 war der SNR der gesamtstaatlichen Organisation unterstellt worden. Bei den Wahlen am 26.5.1946 erhielten die Kommunisten in der S. zwar nur 30,6 Prozent der Stimmen, sicherten sich jedoch im Lauf d.J. 1947 den Einfluss in den Landesbehörden u. übernahmen nach dem Prager Staatsstreich vom 25.2.1948 die Alleinherrschaft. Unter der Anklage des „bürgerlichen Nationalismus“ wurden 1950/51 die für die slowak. Selbständigkeit eintretenden komm. Po-
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litiker hingerichtet (Vladimír Clementis) oder aus der Partei ausgeschlossen (Gustáv Husák, Ladislav Novomeský, Karol Šmidke) u. erst im August 1963 rehabilitiert. Mit der Verfassung vom 11.7.1960 erklärte sich die ČSSR offiziell als sozialist. Staat, die Autonomie der S. wurde weiter eingegrenzt. Mit dem Regierungsantritt des Slowaken Alexander Dubček erhielt der Föderalisierungsgedanke wieder Gewicht u. am 30.10.1968 wurde die S. (SSR) als Teil eines föderativen Staates der Tschechen u. Slowaken proklamiert. Die Föderalisierung wurde am 1.1.1969 realisiert, aber durch die Normalisierungs-Gesetze 1970/71 in der Praxis bis zur „Samtenen Revolution“ im November 1989 immer wieder eingeschränkt. Im Juni 1990 fanden demokratische Parlamentswahlen statt, überwiegend bereits mit dem Konzept zweier unabhängiger Staaten. Am 17.7.1992 akzeptierte der SNR der Slowak. Republik die Unabhängigkeitserklärung, am 1.9.1992 die Verfassung der S.; am 1.1.1993 wurde die S. ein souveräner, unabhängiger Staat. Unter dem zunehmend autoritär regierenden Ministerpräsidenten Vladimír Mečiar von der Volkspartei – Bewegung für eine demokr. Slowakei (HZDS) ging die S. auf Distanz zur EU. Erst nach den Parlamentswahlen v. 1998 kam es unter dem neuen Ministerpräsidenten Mikoláš Dzurinda v. der kons.-lib. Slowak. Demokr. Koalition (SDK) zu einem Kurswechsel. Der Beitritt zur Nato u. zur Europäischen Union erfolgte 2004, zur Euro-Zone 2009. Lit.: St.J. Kirschbaum, Historical dictionary of Slovakia. Lanham, Md. u. a. 2014; Mythen u. Politik im 20. Jh. Deutsche – Slowaken – Tschechen. Hgg. E. IvaniČková/D. Langewiesche/A. MÍškova. Essen 2013; J.M. Ward, Priest, Politician, Collaborator: Jozef Tiso and the Making of Fascist Slovakia. Ithaca 2013; J. Rychlík, Češi a Slováci ve 20. století. Spolupráce a konflikty 1914–1992. Praha 2012; Slovakia in History. Hgg. M. Teich/D. Kováč/M.D. Brown. Cambridge 2011; T. Tönsmeyer, Das Dritte Reich u. die Slowakei 1939–1945. Politischer Alltag zwischen Kooperation u. Eigensinn. Paderborn u. a. 2003; L. Lipták, Changes of Changes, Society and Politics in Slovakia in the 20th Century. Bratislava 2002; A Guide to Historiography in Slovakia. Hgg. E. Mannová/D.P. Daniel. ebd. 1995; J.A. Mikuš, Slovakia. A Political and Constitutional History (with Documents). ebd. 1995; Im historischen Würgegriff. Die Beziehungen zw. Ungarn u. der Slowakei in der Vergangenheit, Gegenwart u. Zukunft. Hg. R. Aspeslagh. Baden-Baden 1994; B. Kostický, Slovensko: 1848–1948 v zrkadle prameňov. Martin 1983; Dokumente zur Autonomiepolitik der Slowakischen Volkspartei Hlinkas. Hg. J.K. Hoensch. München 1984; K. Schmid, Die Slowakische Republik 1939–1945. Eine staats- u. völkerrechtliche Betrachtung. 2 Bde. Berlin 1982; A. Hrnko, Politický vývin a protifašistický odboj na Slovensku. Bratislava 1988; L. Lipták, Slovensko v dvatsiat’om storočí. ebd. 1968; J.-K. Hoensch, Die Slowakei u. Hitlers Ostpolitik. Hlinkas Slowakische Volkspartei zwischen Autonomie u. Separation 1938/1939. Köln, Graz 1965; Národnosti na Slovensku. Bearb. L’. Haraksim. Bratislava 1933. M. Gl.
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Slowaken. Der Kern des Siedlungsgebietes reicht über die Westkarpaten hinaus bis zur March, die westl. u. südl. Grenze bildet die Verbindungslinie zw. →Bratislava/Pressburg, Nové Zámky/Neuhäusel, Levica [seit 1920]/Lewenta/ung. Léva, Lučenec/ung. Losonc,
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Rožňava/Rosenau, Košice/Kaschau u. Ungvár. Die lat. Terminologie kennt kein spezielles Wort zur Bezeichnung der S.; der ursprüngliche Name wird – ohne ethnische Spezifizierung – auf Slov(i)en oder Slovän, auch Slovan zurückgeführt. Slov(i)en wurde wahrscheinlich an der Wende vom 14./15. Jh. im tschechisch-polnischen Sprachgebiet durch slovak ersetzt. In lat. Urkunden des MAs werden die S. Sclavi, Slavi, Slavoni genannt, im Gegensatz zu Ruteni, Poloni, Bohemi. V. a. im 17. Jh. erscheinen Adjektivformen auf slavonicus, slovenicus, oftmals wird der gleiche Name für die Slowenen, aber auch für die Slawonier gebraucht. Der Ursprung des 1405 erstmals belegten ung. Namen tót ist hinsichtlich seiner keltischen oder türk. Herkunft umstritten. Vom 15.–18. Jh. bekannten sich v. a. die an ausländischen Universitäten studierenden ungarländischen S. (→Studentenmigration, FNZ u. 19. Jh.) meist als „Hungari“. Die Vorfahren dieses westslav. Volksstammes wanderten aus der Region nördl. der Karpaten seit Ende des 5. Jh.s in die heutigen Siedlungsgebiete ein (→Slav. Landnahme). Im 7. Jh. gehörte die Südwest-Slowakei zum Ostteil des virtuellen Reiches v. Samo (623–658), einem System v. Stammesverbänden der Westslaven zum Schutz gegen die →Awaren. Nach dem Sturz des Awarenreiches gründete Pribina das Fsm. Neutra/Nitra im ersten Drittel des 9. Jh.s. Im Jahre 828 wurde die erste christl. Kirche der S. v. Ebf. Adalram v. Salzburg geweiht. Pribinas unabhängiges Fsm. endete kurz nach 833, als Mojmír, der Herrscher des benachbarten Fsm.s Mähren, das Gebiet dem →Großmährischen Reich anschloss. Allmählich lockerte dieses die Abhängigkeit vom Ostfränkischen Reich. Fürst Rastislav bemühte sich weiter um Christianisierung. Nach Ankunft der →Slavenapostel Kyrill u. Method wurde Kirchenslavisch 22 Jahre lang als Liturgiesprache eingeführt. 880 wurden eine unabhängige Kirchenprovinz u. ein Bischofssitz in Neutra geschaffen. Den Kulminationspunkt v. Macht u. Einfluss des Großmährischen Reiches bildete die Regierungszeit Svatopluks 870–894. Nach der →Ung. Landnahme bildete die heutige Slowakei ein zu Ungarn gehörendes Grenzland. Die territoriale Ethnogenese war größtenteils Ende des 12. Jh.s abgeschlossen. 1381 erteilte König Ludwig I., der Große, den S. in Sillein/Žilina ein Privileg, das Gleichheit mit der dt. Bev. vor Gericht u. in der Stadtverwaltung zusicherte. Es folgten die Lex sclavorum 1412, das ius sclavonicum 1434; 1473 wurde in Sillein das Magdeburger Recht in slowakisiertes Tschechisch übersetzt. In den Hussitenkriegen (1428–1433) kämpften slowak. Bauern auf Seiten des ung. Kg.s Matthias. An der Verteidigung gegen die Osmanen waren die S. ebenfalls beteiligt. Infolgedessen nahm der niedere u. mittlere →Adel Nordungarns Elemente slowak. Herkunft in sich auf. Im 14./15. Jh. hinterließ die sog. „walachische Siedlung“ in den →Komitaten Liptau/Liptov/Liptó u. Orava/Árva, in der Gegend v. Rajec u. Kysuce, aber auch in den Komitaten Šariš/Sáros, Gemer/Gömör, Abov/Abauj u. →Zips ihre Spuren (vgl. →Vlachen, 2.). Der walachische Wortschatz beeinflusste seit dem 16./17. Jh. die slowak. Volksdichtung. Einige Worte u. Begriffe des Hirtenlebens sind wal. Ursprungs u. gemeinsam mit denen der balkanischen u. siebenbürgischen Rumänen (bača – Schafhirte, koliba – Hütte, brindza – Schafskäse). Die erste Blütezeit der slowak. Literatur u. Sprache (nach mährischer Rechtschreibung) geht auf Luthers →Reformation zurück, die durch Vermittlung der →nieder- u. oberung.
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Bergstädte den Adel u. das slowak. Volk für sich gewann. V. a. die westlichen Städte (u. a. Tyrnau, Sillein) wurden Mittelpunkte der slowak. lutherischen Literatur. Zwar datiert eine slowak. Urkunden- u. Briefsammlung des Neutraer Domherrn Hynek schon aus dem Jahr 1415; das erste slowak. Buch wurde jedoch in Wittenberg gedruckt, 35 Jahre vor dem Bartfelder (Bardejov) Katechismus (→Buchdruck). Die enge Verbindung mit Luthers Kirche wurde seit den 1620er u. 30er Jahren v. der aus Pressburg u. Tyrnau ausgehenden kath. →Gegenreformation gelockert. Dennoch entstand 1636 das Kirchengesangbuch „Cithara Sanctorum“ des Schlesiers Georgius Tranoscius (Trzanowski, Tranovský, 1591–1637), unter dem Einfluss ev. Palatine u. prot. Kirchenorganisation. Während 1636 im mittelslowakischen Liptau St. Nikolaus/Liptovský Svätý Mikuláš der ev. „Tranoscius“ erschien, hatte im gleichen Jahr Kardinal Peter Pázmány im westlichen Randgebiet die Universität Tyrnau gegründet. Die Wegbereiter der Gegenreformation waren fast alle Angehörige der ung. Hocharistokratie unter Mithilfe des Jesuitenordens. Zudem wirkten v. Norden her Einflüsse der polnischen Gegenreformation in der Zips u. im nördlichen Orava. Die Universität Tyrnau (→Universitäten) u. die v. den Jesuiten u. Piaristen errichteten Schulen dienten v. a. der Rekatholisierung u. waren multi-ethn. besetzt. Ende des 17. Jh.s u. im 18. Jh. zogen Tausende S. in die ungarische Tiefebene, in das →Banat, die →Batschka u. an die →Militärgrenze, wo sie zahlreiche Enklaven bildeten, die z. T. bis heute bestehen. Das geistige Leben der ev. S. fand nun in →Bratislava/Pressburg ein neues Zentrum. Die zentrale Gestalt der neuen Gemeinschaft war Matthias Bél (1684–1749). Die Persönlichkeit dieses Theologen, Historikers, Geographen u. Philologen eröffnet eine neue Epoche. Er war der Prototyp eines Pietisten, der in ganz Ungarn Geltung genoss u. gesamteuropäische Perspektiven vertrat. Das kath. Pendant zu Bél war der Dechant Ján Balthásar Magin (1681–1735). 1723 erschien seine „Apologia“, die den Anteil des authochtonen Adels slowak. Herkunft am Aufbau Ungarns zum Gegenstand hatte u. dem slowak. Selbstbewusstsein Auftrieb gab. Die These v. der Gleichberechtigung der Volksgruppen war bis dahin noch nie mit solcher Entschiedenheit vertreten worden. Die tschechoslowak. Einheitsidee hat Anfänge bereits im Barockzeitalter, als viele tschechische Emigranten nach der Schlacht am Weißen Berg (1620) in slowak. Gebiete kamen. Das Tschechische wurde z. T. Verwaltungs- u. Kirchensprache der slowak. Evangelischen u. erhielt sich in der Slowakei reiner als in den böhmischen Ländern. Die erste gemeinsame Grammatik ist Pavol Doležals „Gramatica Slavico-Bohemica“ (1746). Der Begründer der slav. Philologie, Josef Dobrovský (1753–1829) wandte nun den S. wachsende Aufmerksamkeit zu. Ende des 18. Jh.s bildete sich der Begriff Slovensko (Slowakei) aus. Der ev. Theologe Juraj Ribay (1754–1812) hatte 1793 Statuten für eine tschechoslowak. wissenschaftliche Gesellschaft ausgearbeitet. Bohuslav Tablic (1769–1832) vertrat die These, dass die tschechische Kultur nach 1620 allein bei den S. erhalten geblieben sei. Der Höhepunkt dieser ideengeschichtlichen Entwicklung wurde in der Ära Ján Kollárs (1793–1852) erreicht (→Austroslawismus). Somit gab es zwei Konzeptionen: die prot.-tschechoslowak. u. die kath.-ungarische. Da die slowak. Gebiete im 18. Jh. endgültig mehrheitlich rekatholisiert waren, sollte die slowak. Sprache für das einfache Volk u. für den kirchlichen Alltag ausgebildet werden. Der Pressburger Domherr Jozef Ignaz Bajza (1754–1836) stellte fest, die S. seien keine „Aus-
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tro-Bohemi“, sondern „Slavi in Hungaria“. Auch Anton Bernolák (1768–1813) verwendete den Begriff „Hungaro-Slavi“ u. verstand unter „Heimatsprache“ die v. den slowak. Bauern verstandene u. gesprochene Sprache, die Pronuntiatio Pannonica-Slava, die mit der Sprache der „Bohemi“ nicht identisch sei. Bernolák u. sein Kreis (u. a. Juraj Fándlý, 1750–1811) riefen den S. aber auch die Kontinuitätsidee des (groß-)mährisch-slowakischen Reiches ins Bewusstsein. Die klassisch-epische Dichtung v. Ján Hollý (1785–1849) handelt v. der durch die Magyaren zerstörten Svatopluk-Tradition. Paradoxerweise war das Ringen um die Sprache u. ethn. Identität der S. an den Versuch ihrer Leugnung gebunden, denn die Protestanten Ján Kollár als Archäologe, Dichter u. Geistlicher u. Pavol Jozef Šafárik (1795–1861) als Lehrer in Novi Sad u. Prag suchten die größere Einheit aller Slaven. Ein v. der dt. Romantik beeinflusstes Einheitsgefühl v. Tschechen u. S. sollte zu einer Hebung der Humanität führen, verbreitete jedoch auf der ung. Gegenseite eher den diffamierend gemeinten Vorwurf des →„Panslawismus“. Einen neuen Versuch, die sprachliche Identität zu formulieren, machte L’udovit Štúr (1815–1856), der die Wünsche einer ganzen Generation artikulierte, nämlich die Kluft zw. der bibličtina u. der gesprochenen Sprache zugunsten der letzteren zu schließen u. sich v. der dt. u. magy. Dominanz zu lösen. Gegen den Widerstand der älteren Generation, aber auch der tschechischen Intellektuellen, gewann Štúr langsam an Einfluss. Nach den Ereignissen der Jahre 1848/51 (→Revolution 1848/49) konnte auf einem Treffen der Anhänger Štúrs u. Bernoláks eine Übereinkunft gefunden werden, die der Katholik Martin Hattala (1821–1903) in einer Grammatik als „revidiertes Slowakisch“ (opravená slovenčina) formulierte, das nun rasch Verbreitung fand. Die Wiederbelebung des Konstitutionalismus am Ende des → Neoabsolutismus in Wien bot den S. die Chance eines pol. Neubeginns. Am 6.6.1861 wurde in St. Martin ein Memorandum formuliert, das die Anerkennung als Volk u. die territoriale Abgrenzung des „nordung.-slowak. Gebietes“ mit eigener Verwaltung forderte. Obgleich die S. weder in Budapest noch in Wien Unterstützung fanden, wurde mit der Gründung der Matica slovenská 1863 in St. Martin ein Kulturzentrum geschaffen, das bis 1875 legal arbeiten konnte (→Matica). Der →Ausgleich v. 1867/68 ordnete die S. indes der alleinigen Herrschaft v. Budapest unter. Nach der Liquidierung slowak. Einrichtungen in den 70er Jahren verhärtete sich die Lage bis zum Jahre 1918 durch die Leugnung der Existenz einer slowak. Nation seitens der ung. Regierung (vgl. →Dualismus). – Für die Zeit nach 1918 →Slowakei. Lit.: J. Demmel, A szlovák nemzet születése. L̕udovit Štúr és a szlovák társadalom a 19. századi Magyarországon. Pozsony 2011; J. Baer, Revolution, Modus Vivendi or Sovereignty? The Political Thought of the Slovak National Movement from 1861 to 1914. Stuttgart 2010; I. Mrva, Slovensko a Slováci v 2. polovici 19. storočia. Bratislava 2010; D. Kovač u. a., Slovensko v 20. storoćí. Bd. 1: Na začiatku storočia, 1901–1914. Bd. 2: Prvá svetová vojna, 1914–1918. Bratislava 2006/08; Die unbekannte Minderheit. Slowaken in Wien u. Niederösterreich im 19. u. 20. Jh. Hg. E. Hrabovec. Frankfurt/M. u. a. 2005; Der Erste Weltkrieg u. die Beziehungen zwischen Tschechen, Slowaken u. Deutschen. Hg. H. Mommsen. Essen 2001; Die Habsburgermonarchie u. die Slowaken 1849–1867. Hgg. D. Kovač/A. Suppan/E. Hrabovec. Bratislava 2001; D. Kováč, Dĕjiny Slovenska. Praha 1998; Etnografický atlas Slovenska. Hg. Z. Matula. Bratislava 1990; M. Krajčovič,
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Slovenská spoločnost’ v Uhorsku. ebd. 1986; Encyklopédia Slovenska. Hg. Slovenská akadémie vied. 6 Bde. ebd. 1977–1982; L. von Gogolák, Beiträge zur Geschichte des slowakischen Volkes. Bd. 1: Die Nationswerdung der Slowaken u. die Anfänge der tschechoslowakischen Frage (1526– 1790). München 1963 bis Bd. 3: Zwischen zwei Revolutionen (1848–1919). ebd. 1972; Slovensko. Bd. 1: Dejiny. Red. J. Tibenský. Bratislava 1971; F. Repp/J. Matl, Die Kulturen der Westslawen u. der Südslawen (Tschechen u. Slowaken). Frankfurt/M. 1970; Slováci a ich národný vývin. Bratislava 1966; E. Pauliny, Dejiny spisovnej slovenčiny, in: Slovenská vlastiveda. Bd. V, 1–2: Literatúra a jazyk. ebd. 1948; L. Novák, Jazykovedné glosy k československej otázke. Turč. sv. Martin 1935. M. Gl.
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Slowenen (slowen. Slovenci). Westlichste u. nördlichste südslav. Nation mit eigenem Nationalstaat seit 1991; damals lebten dort laut Volkszählung v. 1991 1.690.388 S., oder 88,3 % der Gesamtbevölkerung (2002: 1,6 Mio. oder 83,1 %). Slowen. nationale Minderheiten gibt es in den angrenzenden Gebieten Italiens, Österreichs (→Kärnten), Ungarns sowie als Diaspora in den Nachfolgestaaten des ehem. Jugoslawien. Mit insges. etwas weniger als zwei Mio. sind die S. die kleinste Nation Mitteleuropas. – Schriftlich findet sich die Selbstbezeichnung Slovenci erstmals 1551 im Vorwort des Katechismus v. Primus Trubar (oder Truber). In den lat. Quellen scheinen die S. als Sclavi, Sclav(e)(i)(a)ni auf, woraus später das it. Sloveni wird. Das dt. Ethnonym für die S. war Wenden, Windische; daraus auch das ung. Vent. Erst mit der modernen slowen. Nationswerdung im Laufe des 19. Jh.s setzte sich im Dt. die Eigenbezeichnung S. durch. Das ethnische Substrat der S. bildeten diverse slav. Stämme, die ab dem Ende des 6. Jh.s bis weit in die Ostalpen einwanderten (→Slav. Landnahme). Toponyme bezeugen die ursprüngliche Ausdehnung des alpenslavischen Siedlungsgebiets bis nach Osttirol, in den salzburgischen Lungau, an die Enns u. die Donau. Während im Nordwesten die altslowen. Siedlung bis in die Mitte des 15. Jh.s durch die bairische Kolonisation auf das südl. Kärnten u. die Untersteiermark zurückgedrängt wurde, blieb die Siedlungsgrenze gegenüber der romanischen Bev. im adriatischen Küstenland u. am Rand der Friulanischen Ebene stabil. Die →Ungarische Landnahme im 10. Jh. bewirkte die Verdrängung der pannonischen Slaven bis an die Raab u. das Übermurgebiet (slowen. →Prekmurje). Die Abgrenzung gegenüber Kroatien hat nicht ethn., sondern pol. Ursachen, da Kroatien nicht erst ab 1102 in Personalunion mit dem Kgr. Ungarn eine andere Entwicklung nahm als das auf dem →Heiligen Röm. Reich gelegene auf, die späteren →innerösterreichischen habsb. Länder aufgeteilte slowen. Siedlungsgebiet. Eine erste pol.-territ. Organisation ist im alpenslavischen Stammesfürstentum Karantanien bezeugt, das v. der Mitte des 7. Jh.s bis zur Mitte des 8. Jh.s weitgehend selbständig war u. sein Zentrum in der Karnburg am Kärntner Zollfeld hatte. Auch als Karantanien um 745 unter bairische u. dann mit Baiern unter fränkische Oberhoheit kam, behielt es noch seine eigenen Fürsten, bis es 822 voll in die fränkische Gauverfassung einbezogen wurde. Die Ausdehnung Karantaniens dürfte sich mit der Verbreitung des Ortsnamens Edling (slowen. Kazaze) decken u. ungefähr mit der röm. Provinz Binnennorikum (Noricum mediterraneum) zusammenfallen. Zurückzuführen ist der Ortsname Edling auf die Edlinger (slowen. kosezi), den in Entstehung begriffenen karantanischen Adel. Aus dem mehrfach bezeugten Brauch der Kärntner Herzogseinsetzung, der 1414 zum letzten Mal stattfand, kann geschlossen wer-
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den, dass die als Wehrbauern fungierenden Edlinger ursprünglich den Karantanerfürsten aus ihrer Mitte wählten u. einsetzten. Der Name Karantaner (vgl. Conversio Bagoariorum et Carantanorum) kam nach der vollen Eingliederung Karantaniens in das Frankenreich außer Gebrauch. Er lebt im Landesnamen →Kärnten weiter. Die →Christianisierung der Karantaner erfolgte v. Salzburg aus u. begann bereits in der Mitte des 8. Jh.s. Zur Beschleunigung der Karantanermission ließ Bayernherzog Tassilo III. an der Grenze zum Slavenland die Klöster Innichen (frühestens 769) u. Kremsmünster (777) errichten. Die Freisinger Denkmäler, das einzige altslowen. Schriftdenkmal u. gleichzeitig der älteste slav. Text in lateinischer Schrift aus dem Ende des 10. Jh.s, entstanden im Zuge dieser Mission. Die hoch- u. spätma. Kolonisation sowie die Gründung v. Märkten u. Städten ergab eine ethn. gemischte slowen.-dt. Siedlungsstruktur. Die dt. Sprachinsel →Gottschee konnte sich bis zur dt.-it. Umsiedlungsaktion 1941/42 halten. Bei der urbanen Bev. setzte sich zunehmend die dt. Schriftsprache als die funktionellere durch, während die slowen. Dialekte ohne Schriftlichkeit auf den bäuerlich-ländlichen Lebensbereich beschränkt blieben. Nationalhistoriker haben die Sprachfunktionalität der ständisch-feudalen Epoche als dt. Kulturträgertum u. die S. als „Bauernvolk“ fehlgedeutet. Der erste Versuch der Schaffung einer slowen. Schriftsprache u. mit ihr eines slowen. konfessionellen Kollektivs durch Primož Trubar (1508–1586) (→Reformation) wurde durch die →Gegenreformation abgebrochen. Auch die Bauernerhebungen des 16. u. 17. Jh.s (→Bauernaufstände, FNZ) können nicht als Beginn einer modernen slowen. Nation gedeutet werden. Die Voraussetzungen dafür wurden erst durch die Reformen des aufgeklärten →Absolutismus Maria Theresias u. Josephs II. geschaffen, mit denen die soz. Unterschichten u. mit ihnen die slowen.-sprachigen Bauern als die eigentlichen Ressourcen des Staates gesellschaftlich aufgewertet wurden (→Josephinismus). Jetzt erst war zum Zwecke der Vermittlung v. Bildung u. der direkten Kommunikation zw. Staat u. Untertanen die moderne slowen. Schriftsprache unumgänglich geworden. Die →Nationsbildung der S. erfolgte unter erschwerten Bedingungen. Außer der erst langsam zur Vollwertigkeit heranreifenden slowen. Schriftsprache u. dem Willen zur soz. Emanzipation fehlten so gut wie alle Voraussetzungen. Die S. waren adm. auf die Kronländer →Krain, →Steiermark, →Kärnten, →Görz-Gradisca, →Istrien u. die freie Stadt Triest aufgeteilt, wovon nur Krain mehrheitlich slowen.-sprachig war (außerhalb Österreich-Ungarns in den Grenzen seit 1866 lebte eine slowen. Minderheit in der Slavia Veneta [Beneška Slovenija] in Italien [nordöstl. Friaul]). Als „geschichtsloses“ Volk verfügten sie über keine protonationalen Institutionen u. konnten sich auf kein „historisches Recht“ berufen. Dazu besaßen die im nationalen Differenzierungsprozess den S. vorauseilenden Deutschen u. im Küstenland die Italiener das ökon. Übergewicht. Ihre frühere ständische Superiorität verstanden diese jetzt als nationale u. entwickelten einen auf kulturellen Hochmut basierenden Nationalismus zum Zwecke der Besitzstandserhaltung. Dem setzten die S. einen aggressiven soz. Emanzipations-Nationalismus entgegen, der im Zuge der Demokratisierung schließlich die Überhand gewann. Vom slowen. Kernland Krain u. dessen Hauptstadt Laibach (→Ljubljana) aus begann sich über die Kronlandgrenzen hinweg ein de facto slowen. nationales Territorium zu formieren. Zuerst setzte sich die slowen. demokratische Mehrheit in Krain durch u. die auch
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in den anderen Kronländern in scharfer Konkurrenz zu den dt. u. it. entstehenden zahlreichen slowen. kult., wirt., pol. u. a. Vereine u. Organisationen schlossen sich den zentralen Verbänden mit dem Sitz in der „nationalen Hauptstadt“ Laibach an. Neben den Tschechen haben die S. als Angehörige der demokratischeren westl. Reichshälfte der Habsburgermonarchie (vgl. →Dualismus) in wenigen Jahrzehnten die →Nationsbildung vollenden können. Hervorgehoben sei dabei, dass dies in enger Anlehnung an die kath. Kirche sowie die habsb. Dynastie u. im Konflikt mit dem dt. u. it. Liberalismus bzw. Nationalismus geschah. Die Auflösung Österreich-Ungarns in Nationalstaaten nach dem 1. Wk. erfolgte für die S. unter spürbarer Missachtung des nationalen Prinzips, indem ca. ein Viertel der slowen.-sprachigen Bev. den Nachbarstaaten Italien, Österreich u. Ungarn angeschlossen wurde. Im südl. →Kärnten erfolgte dies freilich im Zuge einer Volksabstimmung. Als kleinster, aber entwickeltster Teil der dreinamigen südslav. Nation sahen die S. im süd- bzw. jug. Nationalstaat (→Jugoslawien) die unter den gegebenen Umständen beste Lösung. (Zur weiteren Entwicklung →Slowenien). Annotierte Bibl.: I. Bruckmüller/A. Moritsch/G. Seewann, Die Slowenen. Das Gebiet des heutigen Slowenien im Mittelalter, in: HBK. Bd. I: Mittelalter, T. 2, 693–754. Lit. (a. →Slowenien): A. Rahten, Ivan Šusteršič. Der ungekrönte Herzog von Krain. Die slowenische katholische Bewegung zwischen trialistischem Reformkonzept u. jugoslawischer Staatsidee. Wien 2012; Primus Truber 1508–1586. Der slowenische Reformator u. Württemberg. Hg. S. Lorenz. Stuttgart 2011; Slovenski biografski leksikon. Ljubljana 2009 (Online: http://www. slovenska biografija.si); Die Reformation in Mitteleuropa. Beiträge anlässlich des 500. Geburtstages von Primus Truber, 2008. Hg. V. Rajšp. Wien, Ljubljana 2011; P. Simoniti, Humanismus bei den Slovenen. Slovenische Humanisten bis zur Mitte des 16. Jh.s. Hg. M. Wakounig. Wien 2008; P. Štih/V. Simoniti/P. Vodopivec, Slowenische Geschichte. Gesellschaft – Politik – Kultur. Graz 2008; J. Hösler, Von Krain zu Slowenien. Die Anfänge der nationalen Differenzierungsprozesse in Krain u. der Untersteiermark von der Aufklärung bis zur Revolution (1768 bis 1848). München 2006; M. Kacin-Wohinc, Vivere al confine – Sloveni i Italiani negli anni 1918–1941. Gorizia 2004; H.-D. Kahl, Der Staat der Karantanen. Fakten, Thesen u. Fragen zu einer frühen slawischen Machtbildung im Ostalpenraum (7.–9. Jh.). Ljubljana 2002; M. Kacin/J. Pirjevec, Storia degli Sloveni in Italia 1866–1998. Venezia 1998; A. Moritsch, Austria Slovenica. Die Kärntner Slovenen u. die Nation Österreich. Klagenfurt u. a. 1996; Ein Leben zwischen Laibach u. Tübingen. Primus Truber u. seine Zeit. Intentionen, Verlauf u. Folgen der Reformation in Württemberg u. Innerösterreich. Hg. R.-D. Kluge. München 1995; P. Štih/V. Simoniti, Slovenska zgodovina do razsvetljenstva. Ljubljana 1995; M. Kos, Srednejeveška kulturna, družbena in politična zgodovina Slovencev. Izbrane razprave. Ljubljana 1985; Zgodovina Slovencev. Hgg. M. Sluga/C. Jerasa. ebd. 1979; S. Vilfan, Pravna zgodovina Slovencev. ebd. 1961; M. Kos, Zgodovina Slovencev od naselitve do petnajstega stoletja. ebd. 1955. A. M.
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Slowenien (ab 1918). Seit 25.6.1991 eine souveräne parl.-demokr. Republik, Fläche 20.296 km2 mit 1,96 Mio. E (Volkszählg. 2002), davon 83,06 % Slowenen, 1,98 % Serben, 1,81 %
Slowenien (ab 1918)
Kroaten u. viele a. (davon amtl. anerkannte Volksgruppen mit →Minderheitenrechten: Italiener, Magyaren); Haupstadt: →Ljubljana/Laibach. – Seit der →Revolution 1848/49 war eine der slowen. nationalen Forderungen die Vereinigung des nicht nur adm., sondern auch natur- u. kulturräumlich in sich stark differenzierten slowen. Siedlungsgebiets in einer einzigen pol. Einheit. In einem „Königreich S.“ als eigenem habsb. Kronland erhofften sich die Slowenen die soz. u. kult. Emanzipation zur gleichwertigen u. gleichberechtigten Nation. Wohl gelang in den letzten Jahrzehnten der habsb. Ära im eskalierenden Nationalitätenkampf die weitgehende nationale Emanzipation, nicht aber die Schaffung des Vereinigten S. Da sich die Slowenen im Gegensatz zu den Kroaten auf kein „historisches Recht“ berufen konnten u. auch über keine protonationalen Institutionen wie die südungarischen Serben verfügten, neigten sie bis 1918 zunehmend einer südslav. trialistischen Lösung ihres nationalen Problems zu (→Trialismus). Ein letzter vergeblicher Versuch war die sog. Maideklaration vom 30.5.1917 des südslav. Klubs im Wiener Reichsrat. Die folgende Deklarationsbewegung, die an die 350.000 Unterschriften erbrachte, war eine klare Absage an ein dem Dt. Reich untergeordnetes Österreich u. eine ebenso klare Option für einen südslav. Staat im Verband der habsburgischen Nationen. Mit dem nahenden Ende des verlorenen Kriegs begannen ab September 1918 lokale „nationale Räte“ (sing. Narodni svet) zu entstehen. Der zentrale slowen. Nationalrat war schon am 16.8.1918 in Laibach/Ljubljana gebildet worden. Am 17.10.1918 wurde in Zagreb der Nationalrat (Narodno vijeće) aller Südslaven Österreich-Ungarns konstituiert, der am 29.10.1918 die südslav. habsb. Territorien zum souveränen „Staat der Slowenen, Kroaten u. Serben“ proklamierte. Am 31.10.1918 wurde eine slowen. nationale Regierung ernannt, die bis zum Zusammenschluss des „Staates der Slowenen, Kroaten u. Serben“ mit Serbien im „Kgr. der Serben, Kroaten u. Slowenen“ (SHS; →Jugoslawien) am 1.12.1918 relativ selbständig agierte. Der überstürzte Anschluss des „Staates der Slowenen, Kroaten u. Serben“ an das Kgr. SHS hatte mehrere Ursachen: Italienisches Militär besetzte das Italien von der Entente im Londoner Vertrag vom 26.4.1915 für den Kriegseintritt zugesprochene slowen. Gebiet bis zur Linie Triglav, Krainer Schneeberg (Snežnik) u. drang weiter gegen Ljubljana vor. Die Nordgrenze gegenüber Ungarn u. Österreich musste erst errungen u. gesichert werden, wobei es in Südkärnten zu milit. Auseinandersetzungen kam. Außerdem wurde ein bolschewistischer Umsturz befürchtet. So schien ein möglichst rascher Anschluss an die Siegermacht Serbien von Vorteil, dessen Militär u. außenpolitische Reputation genutzt werden sollten. Die Hoffnungen, die die Slowenen mit ihrer Eingliederung in das Kgr. SHS als dem Nationalstaat der „dreinamigen südslawischen Nation“ verbanden, wurden jedoch sehr bald enttäuscht. Das ehemalige österr. →Küstenland mit Triest, ein Teil Innerkrains u. Südkärnten mit zusammen ca. 450.000 slowen.-sprachiger Bev. blieben außerhalb S.s. Außerdem wurde S. adm. auf die beiden Kreise Ljubljana u. Maribor/Marburg aufgeteilt. Konnte die zum jug. Unitarismus u. Belgrader Zentralismus neigende liberale Jugoslawische demokratische Partei (Jugoslovanska demokratska stranka, →Parteien [Jugoslawien]) 1920 in S. bei den Wahlen zur verfassunggebenden Versammlung neben den Sozialdemokaten noch einen Achtungserfolg erringen, so dominierte bei den folgenden Wahlen die konservativ-klerikale Slowen. Volkspartei (Slovenska ljudska stranka) unter ihrem souveränen Führer Anton Korošec, einem kath.
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Geistlichen, die slowen. politische Landschaft absolut (20 von 26 Mandaten). Als nationale Sammelpartei lehnte sie die zentralistische Vidovdan-Verfassung vom 28.6.1921 ab, forderte Autonomie für S. mit eigenem Landtag u. Landesregierung, u. befand sich gemeinsam mit der Kroatischen Bauernpartei des Stjepan Radić zumeist in Opposition. Wirtschaftlich war S. im Kgr. SHS mit 26 % der industr. Produktion bei 8 % der Bevölkerung zwar der entwickeltste Teil, blieb jedoch bei nur wenig beschleunigter →Industrialisierung weiter ein mit Kleinbauern agrarisch übervölkertes Land (vgl. →Bevölkerung). Ein schon in der Habsburgermonarchie organisiertes ländliches Netz v. →Genossenschaften wurde weiter verdichtet u. vermochte die Auswirkungen der →Weltwirtschaftskrise zu mildern. Die wichtigste Errungenschaft auf kult. Gebiet war die Gründung der →Universität in Ljubljana 1919, an der in den Zwischenkriegsjahren durchschnittlich 1.200 bis 2.000 Studenten inskribiert waren. Die Gründung der Slowen. →Akademie der Wissenschaften folgte erst i. J. 1938. Die Ausrufung der Königsdiktatur am 6.1.1929 (→Diktaturen) u. die auf jug. Unitarismus zielende adm. Neugliederung in Banschaften (banovine) des in Kgr. Jugoslawien umbenannten Staates war für S. weniger einschneidend. Die Kreise Ljubljana u. Maribor wurden vielmehr in der slowen. Draubanschaft (Dravska banovina) zusammengelegt. Die Slowen. Volkspartei bestand trotz Verbot weiter u. forderte 1932 in den „Laibacher Punktationen“ verstärkt die pol., wirt. u. kult. Autonomie für S. sowie die Umwandlung Jugoslawiens in einen föderalistischen Staat seiner Nationen. Ab 1935 findet sich die Slowen. Volkspartei mit den →bosnischen Muslimen Mehmed Spahos in der von Ministerpräsident Milan Stojadinović neu gegründeten Staatspartei „Jugoslawische radikale Vereinigung“ (Jugoslavenska radikalna zajednica). Die Regierungsbeteiligung trug zur Abspaltung des christl.-soz. Flügels bei. Angesichts der zunehmenden faschistischen u. nationalsozialistischen Gefahr näherten sich diese „Christlichen Sozialisten“ (Krščanski socialisti) u. diverse liberale Gruppierungen der v. der 1937 gegründeten Kommunistischen Partei S. angestrebten Volksfront, aus der nach der Okkupation Jugoslawiens schon am 27.4.1941 die Befreiungsfront (Osvobodilna fronta) hervorging (→ Partisanen, 2.). Der am 6.4.1941 erfolgte Überfall der Achsenmächte auf Jugoslawien (2. →Wk.) führte zur Aufteilung S. auf das Dt. Reich (Oberkrain wurde dem Gau Kärnten, Untersteiermark dem Gau Steiermark einverleibt), Ungarn (Übermurgebiet, →Prekmurje) u. Italien (Unterkrain mit Ljubljana). Während das NS-Regime sofort eine radikale Germanisierung mit Zwangsumsiedlungen nach Kroatien u. Serbien sowie Deportationen zur Zwangsarbeit ins Dt. Reich einleitete, übernahm die it. Besatzungsmacht einen großen Teil des bestehenden slowen. Verwaltungsapparats u. gab der Provinz Ljubljana (Provincia di Lubiana) ein eigenes Statut. Schon in den Jahren 1942/43 gelang es der Befreiungsfront, Gebiete zeitweise v. den Besatzern zu befreien. Als mit der Kapitulation Italiens den Partisanen umfangreiches Kriegsmaterial in die Hände fiel, setzte der kompromisslose Kampf gegen die dt. Okkupationstruppen ein, die jetzt auch die Provinz Ljubljana u. das Adriatische →Küstenland besetzt hatten. Der Kampf gegen die Besatzer wurde gleichzeitig zum Bürgerkrieg. Schon zu Beginn des Jahres 1943 hatte die Kommunistische Partei S.s die alleinige Führung der Befreiungsfront übernommen, was zur Formierung der antikommunistischen Heimwehren (Domobranci) führte, die auf der Seite der dt. Okkupationstruppen gegen die v. den Alliierten unterstütz-
Slowenien (ab 1918)
ten Tito-Partisanen kämpften. Mehr als 10.000 dieser Domobranci wurden nach dem Ende des Krieges v. den Briten an Tito ausgeliefert u. liquidiert (→Bürgerkrieg, Jugoslawien). Der im gemeinsamen Kampf mit den anderen jug. Nationalitäten errungene Sieg über die dt. u. it. Okkupanten, die Gewinnung des 1918 an Italien gefallenen slowen. Siedlungsgebiets Julisch Venetiens (→Triestfrage) sowie die föderalistische adm. Neugliederung des Zweiten Jugoslawien unter Beachtung des nationalen Prinzips machte die Sozialistische Republik S. (SRS) vorerst zur solidarischen Teilrepublik der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien (SFRJ). Der vom komm. Regime zuerst nach sowj. Muster u. ab 1950 nach dem genuinen jug. →Selbstverwaltungssystem forcierte Übergang zur Industriegesellschaft war in S. am erfolgreichsten. 1981 betrug der Anteil der landwirt. Bev. nur noch 14,7 %, während bereits 43,1 % in Industrie, Bergbau u. Bauwirtschaft tätig waren. Das zunehmende Bewusstsein, zum gemeinsamen Staatshaushalt der SFRJ übermäßig beitragen zu müssen, die allgemeine wirt. Stagnation in den 80er Jahren, v. a. aber der Wegfall der äußeren Bedrohung u. das Aufkommen nationalistischer Tendenzen im Gesamtstaat nach dem Tode Titos (insbes. der sich in der zweiten H. der 80er Jahre zuspitzende Gegensatz zw. den Republiken S. u. Serbien) waren die Hauptursachen für die schwindende Solidarität mit den anderen Republiken u. Nationen Jugoslawiens u. für die Unabhängigkeitserklärung S.s. Der Versuch der Jugoslawischen Volksarmee vom 27.6. bis 4.7.1991, die Verselbständigung S.s mit milit. Mitteln zu verhindern, misslang. Aus den ersten Parlamentswahlen im April 1990 waren die Christdemokraten als stärkste Partei hervorgegangen, deren Führer Lojze Peterle aus einer Koalition demokratischer Parteien (DEMOS) die erste Regierung bildete. Bei den Wahlen 1992 erreichten acht politische Parteien Mandate. Ministerpräsident wurde der Führer der mandatsstärksten Liberaldemokratischen Partei, Janez Drnovšek, der mit den Christdemokraten als zweitstärkster Partei u. anderen wechselnden Koalitionspartnern die Regierung bildete. – Auf den Beitritt zur Nato am 29.3.2003 folgt der zur Europäischen Union am 1.5.2004. Am 1.1.2007 trat S. der Eurozone bei u. gab die zwischenzeitlich eingeführte eig. Währung, den Tolar, auf. Lit. (a. →Slowenen): The land between: a history of Slovenia. Hg. O. Luthar. Frankfurt/M. 2 2013; Die Grundlage der slowenischen Kultur. Hgg. F. Bernik/R. Lauer. Berlin 2010; Sozialgeschichte u. soziale Bewegungen in Slowenien. Social history and social movements in Slovenia. Hgg. S. Rutar/R.Wörsdörfer. Essen 2009; P. Štih/V. Simoniti/P. Vodopivec, Slowenische Geschichte. Gesellschaft – Politik – Kultur. Graz 2008; L. Plut-Pregelj/C. Rogel, Historical dictionary of Slovenia. Lanham/Md. u. a. 22007; J. Hösler, Slowenien. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Regensburg 2006; D. Blumenwitz, Okkupation u. Revolution in Slowenien (1941–1946). Eine völkerrechtliche Untersuchung. Wien u. a. 2005; Slovenia 1945. Memories of Death and Survival after World War II. Hgg. J. Corsellis/M. Ferrar. London 2005; T. Griesser-PeČar, Das zerrissene Volk. Slowenien 1941–1946. Okkupation, Kollaboration, Bürgerkrieg, Revolution. Wien u. a. 2003; J. Gow/C. Carmichael, Slovenia and the Slovenes: a small state and the new Europe. London 22001; Zwischen Adria u. Karawanken. Deutsche Geschichte im Osten Europas. Hg. A. Suppan. Berlin 1998; J. Prunk, Slowenien. Ein Abriss seiner Geschichte. Ljubljana 1996; E. Dolenc, Kulturni boj. Slovenska kulturna politika v Kraljevini SHS 1918–1929.
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Sofia
Ljubljana 1996; J. Perovšek, Liberalizem in vprašanje Slovenstva. Nacionalna politika liberalnega tabora 1918–1929. ebd. 1996; J. Pirjevec, Jugoslavija 1918–1992. Nastanek, razvoj ter razpad Karadjordjevićeve in Titove Jugoslavije. Koper 1995; J. Prunk, Slovenski narodni vzpon. Narodna politika 1768–1992. ebd. 1992; M. Zečević, Na zgodovinski prelomnici. Slovenci v politiki jugoslovanske države 1918–1929. Maribor 1986; The Case of Slovenia. Ljubljana 1991; Zgodovina Slovencev. Hg. M. Sluga. ebd. 1979; H.H. Harriman, Slovenia under Nazi Occupation, 1941–1945. New York 1971. A. M
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Sofia (bulg. Sofija). Haupstadt der Rep. Bulgarien, 1.3 Mio. E (2013). Wohl seit dem 8. Jh. v. Chr. bestehende Siedlung. Der antike lat. Name Serdica (gr. Sardika) geht auf einen thrakischen Stamm (Serdi) zurück. 29 v. Chr. wird S. erstmals v. röm. Quellen als Hauptstadt des Inneren Dakien erwähnt. Im 1. Jh. n. Chr. wird v. den Römern ein Kastell errichtet, das 110 n. Chr. städtische Rechte erhält. Seine strategisch wichtige Lage an der Heerstraße zw. Belgrad (Singidunum) u. Byzanz trug zu einer ersten Blüte der Stadt bei. 342 od. 343 ist S. Schauplatz des Konzils v. S. (Suche nach Ausgleich zw. Arianern u. Kirche). Durch Einfälle der Westgoten (376 bzw. 382), der Hunnen (um 447) u. slavischer Stämme (im 6. Jh.) wurde die Stadt zerstört u. wurde anschließend wieder aufgebaut u. neu befestigt. Der Name „Serdica“ geriet jedoch in Vergessenheit. Nach der Eroberung der Stadt durch den Bulgarenchan Krum 809 setzte sich der slav. Name „Sredec“ (evtl. abgeleitet v. slav. sreda „Mitte“) durch. Im MA war S. kurze Zeit Hauptstadt des westbulg. Reiches (spätes 10. Jh.; →Bulg. Reich) u. Bischofssitz. Unter byz. Herrschaft (1018–1185) war S. vorübergehend Sitz der Provinzialverwaltung, die später nach →Skopje verlegt wurde. Urkundlich erwähnt wird der Name „Sofija“ (benannt nach der Hauptkirche Sveta Sofija) erstmals im 14. Jh. während des Zweiten Bulg. Reiches. Mit der osm. Eroberung S.s 1382 u. der Einrichtung des Verwaltungssitzes des →Vilayets Rumeli setzte eine allmähliche städtebauliche Transformation zu einer typisch osm. Stadt (→Stadt, Stadttypen: osm.) ein mit einer Vielzahl v. Moscheen, Koranschulen, Derwischkonventen, Karawansereien u. einem großen Bazar. Daneben gab es Kirchen u. Synagogen. Die Einwohnerschaft setzte sich aus Muslimen, orth. Bulgaren, Griechen, Juden, Ragusanern (→Dubrovnik), Roma u. a. zusammen. Reisende schätzten die Stadtbev. Mitte des 17. Jh.s (vermutlich stark übertrieben) auf über 70.000 Personen u. schilderten S. als florierende Metropole. Nach dem Russ.-osm. Krieg 1878 (→Orientalische Krise) u. der Errichtung des bulg. Nationalstaats wurde S. zur Hauptstadt zunächst des Fsm.s, später des Kgr.s →Bulgarien, wobei die territorialen Aspirationen des bulg. Nationalstaates in Richtung Makedonien (→Makedonische Frage) eine wichtige Rolle bei der Wahl Sofias spielten. Die Stadt wurde in der Folgezeit vollständig nach mitteleurop. Mustern umgestaltet mit vielen repräsentativen neoklassizistischen Gebäuden. Von der 400jährigen osm. Zeit blieben nur wenige Spuren erhalten (v. a. Banja-Baschi-Moschee u. türkisches Bad). Die Erhebung zur Hauptstadt brachte auch ein beträchtliches Bevölkerungswachstum mit sich. Zur Zeit der Befreiung v. osm. Herrschaft zählte S. nur 11.694 E, 1910 waren es 102.812 E, 1946 530.168 E u. 1975 über eine Mio. Auch die
Sofia / Sonderburg-Glücksburg
nationale, ethn. u. relig. Zusammensetzung der Bev. änderte sich grundlegend. Bei der Volkszählung von 2001 bezeichneten sich 96 % der Bewohner als ethn. Bulgaren orth. Glaubens. Heute ist S. Sitz der bulg. Staatsregierung, Verwaltungssitz des Gebietes S., ein wichtiger Wissenschaftsstandort u. Zentrum der bulg. Industrie (Maschinenbau, Metallurgie, Nahrungsmittel etc.). Lit.: M.M. Stančeva, Sofija ot drevnostta do novite vremena. Sofija 2009; S. Kiradžiev, Sofija. 125 godini stolica 1879–2004 godina. Letopis Sofija 1879–2004. ebd. 2006; R. Gradeva, Towards the Portrait of „the Rich“ in Ottoman Provincial Society: Sofia in the 1670s, in: Provincial Elite in the Ottoman Empire. Hg. A. Anastasopoulos. Rethymno 2005, 149–199; St. Krause, Straßennamen u. politische Symbole. Das Beispiel Sofija, Zeitschrift für Balkanologie 30 (1994), 198–223; K. Văzvăzova-Karateodorova, Sofija prez văzraždaneto. Sofija 1988; B. Lory, Le Sort de l’héritage Ottoman en Bulgarie: l’exemple des villes bulgares 1878–1900. Istanbul 1985; J.R. Lampe, Interwar Sofia versus the Nazi-Style Garden City. The Struggle over the Muesmann Plan, Journal of Urban History 2 (1984), H. 1, 39–62; G. Labov, Architekturata na Sofija. Sofija 1979; D. Kazasov, Ulici, chora, săbitija. Sofija prez părvite godini na 20-ija vek. Sofija 1968; N. Prăvčeva/S. Logodaška, Iz istoričeskoto razvitie na Sofija ot Osvoboždenieto na Bălgarija do 9.IX.1944 g., Izvestija na dăržavnite archivi 6 (1962), 196–184; Jubilejna kniga na Sofija, 1878–1958. Sofija 1961; Die Protokollbücher des Kadiamtes Sofia. Bearb. G.D. Gălăbov. Hg. H.W. Duda. München 1960; H. Wilhelmy, Hochbulgarien. Bd. 2: Sofia. Wandlungen einer Großstadt zwischen Orient u. Okzident. Kiel 1936; Jubilejna kniga na grad Sofija 1878–1928. Sofija 1928; M. Georgiev, Ikonomičeskoto minalo na gr. Sofija. ebd. 1928; Materiali za istorijata na Sofija. Matériaux concernant l’histoire de la ville de Sofia. ebd. 1910 ff. U. B.
Sonderburg-Glücksburg. Abgekürzte Bezeichnung für die herzogliche Linie Schleswig-Holstein-S.-G.; diese stellte →Griechenland sechs Könige. Nach dem Sturz Kg. Ottos I. (→Wittelsbacher) u. der v. den Großmächten verhinderten Berufung Prinz Alfreds v. Großbritannien berief die Nationalversammlung in Athen am 30.3.1863 einstimmig den 17jährigen Wilhelm als Kg. Georg I. Nach seiner Ermordung i. J. 1913 bestieg sein ältester Sohn Konstantin I. den Thron. Im 1. Wk. erzwangen die Alliierten seine u. des Kronprinzen Georgs Abdankung. Des letzteren Bruder Alexander wurde Platzhalter der Dynastie v. 1917–1920, bis Konstantin durch Volksabstimmung zurückgerufen wurde, um 1922 nach einem Militärputsch die Krone endgültig einzubüßen. Sein Nachfolger wurde als Georg II. König von 1922–1924. Dann entthronte ihn die Nationalversammlung. Eine Volksabstimmung holte ihn nach einem Staatsstreich 1935 zurück. Von 1941 bis 1947 war er erneut im Exil. Ihm folgte sein Bruder Paul I. bis 1964 auf dem Thron. Dessen Sohn Konstantin II. ging 1967 nach einem gescheiterten Putsch gegen die Diktatur der „Obristen“ ins Exil. Die 1973 v. der Junta ausgerufene Republik wurde nach deren Sturz beibehalten. Rückschläge in der Außenpolitik u. die tiefe Spaltung der gr. Gesellschaft konnten durch die Dynastie nur äußerlich überbrückt werden; die Neigung der meisten ihrer Mitglieder, über ihre verfassungsmäßigen Rechte hinaus Einfluss auf die Politik zu nehmen, hat zu ihrem Scheitern mit beigetragen.
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Šopen, Šopluk
Lit. (a. →Griechenland, seit 1821): E.E.P. Tisdall, Georg I: Prins af Danmark, Konge af Grækenland. [København] 22007; P. Pipineles, Georgios B. Athen 1951; A.S.G. Lee, The Royal House of Greece. London 1948; G. von Streit, Die Vertreibung des Königs Konstantin von Griechenland. Dargestellt auf Grund amtlicher Urkunden. München 1918; W. Christmas, King George of Greece. London 1914. G. G.
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Šopen, Šopluk. Von Pl. bulg. šopi, serb. Šopi; Bez. für eine Bevölkerung u. Landschaft im zentralen Balkanraum. Šopluk bezieht sich auf das Gebiet um die bulg. Hauptstadt →Sofia sowie die Städte im W des heutigen Bulgarien, Breznik u. Pernik, die Gegend entlang der serb.-bulg. Grenze zw. Pirot u. Trn, in südl. Richtung weiter auf die Berglandschaft zw. Vranje u. Kjustendil, einschließlich des nordöstlichen Teils v. Makedonien um das Osogovo-Massiv. Šopluk schließt damit die Landschaften der Nišava-Senke (Ponišavlje), der Stara Planina (Ostserbien), des Sofioter Umlandes, des Znepolje u. Krajište ein. Die Herkunft bzw. Bedeutung des Ethnonyms ist weiterhin unbekannt. Eine der ersten schriftlichen Erwähnungen von Š. findet sich in einer Handschrift im →Athos-Kloster Hilandar, die um 1826 entstanden sein soll. Dort wird Š. vom türk. Wort „sopa“ für Stock abgeleitet. Pavel Jozef Šafárik u. Marin Drinov brachten die Š. mit dem thrakischen Stamm der Saepai in Verbindung. In einem Reisebericht der Zagreber Danica Horvatska v. 1844 dient Šopluk zur regionalen Unterteilung der östl. Balkanhalbinsel (des heutigen Bulgarien) in ein „richtiges Bulgarien“ um Plovdiv sowie westl. davon das Land der „Šopovi“. Š. wurde v. a. als Fremdzuschreibung verwendet. So bezeichnete 1859 der Sofioter Lehrer Sava Filaretov in seiner Korrespondenz mit Vuk Karadžić die Bev. im Umland von Sofia als Š. u. hob den pejorativen Beiklang dieser Bezeichnung hervor. Der Begriff sei v. den Stadtbewohnern für die christl. Landbev. der umliegenden Gebiete im Zentralbalkan verwendet worden. Mit der Entstehung der Nationalstaaten, insbesondere Bulgariens, dessen Hauptstadt im Zentrum des Šopluks liegt, verfestigte sich die negative Konnotation der Rückständigkeit dieser Gebiete im Gegensatz zu einem als zivilisierter angenommenen Thrakien u. den Gewerbestädten der Sredna Gora. In der wiss. Terminologie seit Beginn des 20. Jh.s wird Šopluk als Teilregion in der räumlichen Gliederung der Balkanhalbinsel verwendet. Der Geograph Jovan Cvijić definierte die Š. als „ethnische Varietät des zentralbalkanischen Typs“. Der Šopluk erstreckt sich bei ihm in der nordöstl. Hälfte des Zentralbalkans, während die andere südwestl. Hälfte das heutige Makedonien einnimmt. Die Š. wurden in solchen Beschreibungen als arbeitsam u. zugleich geistig träge u. unterwürfig charakterisiert, ohne eine epische orale Kultur. Dieser Mangel an Traditions- u. Geschichtsbewusstsein diente in dieser Interpretation zugleich als Beleg für deren Rückständigkeit. Die unterstellte Absenz v. hist. Überlieferungen erklärte für viele Volkskundler u. Geographen die Unfähigkeit der Š., zw. Serben u. Bulgaren zu unterscheiden. Spätestens in der zweiten H. des 20. Jh.s kam es in der bulg. Ethnographie zu einer affirmativen Verwendung v. Š./Šopluk als regionaler Bestandteil des ethnonationalen bulg. Kollektivs. Die Definition der Spezifika der Š. in Folklore, Sprache u. Musikkultur führte gleichzeitig zur Kanonisierung der Š. als einem der vielen bulg. Stämme. Als Spezifika wer-
Šopen, Šopluk / Sozialismus
den die Tracht der Š. (insb. die aus weißer Wolle bestehende Tracht der Männer: „Belodreškovci“) sowie die Sprache betrachtet. Deren Zuordnung zum serb. oder bulg. Standard sorgt seit einem Jh. für Diskussionen. In der serb. Linguistik wird Šopski als Bestandteil der serb. Timok-Prizrener Dialektgruppe betrachtet, in der bulg. – unter Hinweis auf die wichtigsten grammatikalischen Elemente – hingegen als untrennbarer Teil der bulg. Sprache. Die Dialekte im Gebiet des zentralen Šopluk zw. dem heutigen Serbien u. Bulgarien werden als „Übergangsdialekte“ eingestuft. Beide nationalen ethnographischen Traditionen sind sich jedoch darin einig, dass es sich um eine authentische, „rein slavische“ patriarchale Kultur handele, die die Š. verkörpern sollen, deren Siedlungsgebiete keine muslimischen Dörfer aufweisen. Damit wird auch die These v. Konstantin Jireček zurückgewiesen, der bei der Ethnogenese der Š. von einer Verbindung mit →Petschenegen u. →Kumanen ausging. Im Unterschied zur älteren Tradition wird in der neueren serb. Geschichtswissenschaft u. Ethnographie die Bezeichnung Šopluk für den im heutigen Serbien liegenden Teil des Gebiets abgelehnt, ebenso wie Torlak u. Torlaci als mikroregionale Bezeichnung für die Piroter Gegend. Offenkundig handelt es sich um eine Reaktion auf die zunehmende Assoziation des Šopluk mit Bulgarien in den vergangenen fünf Jahrzehnten. Neuere Versuche, die Besonderheit der Š. u. des Šopluk zu bestimmen, betonen stärker die traditionelle Ökonomie (jahreszeitliche Migration, Vieh- u. Weidewirtschaft) u. Ökologie (kleinkammerige Gebirgslandschaft zw. den Flussläufen von Nišava, Morava u. Struma). Bemerkenswert ist, dass die Zuschreibung Š. lange Zeit v. der lokalen Landbevölkerung, mit Ausnahme derjenigen in der Umgebung v. Sofia, nicht aufgegriffen wurde. Es überwogen mikroregionale Selbstbezeichnungen wie Burelci, Graovci etc. Der Begriff Š. wurde v. a. in transregionaler Kommunikation genutzt. Mit den einsetzenden Migrationsprozessen vom Land in die Städte seit den 1970er Jahren sowie der graduellen De-Agrarisierung in Jugoslawien u. Bulgarien kam es zu einer größeren Dispersion u. Diffusion der Bezeichnung. Insbesondere nach 1989 nimmt in den Grenzregionen Serbiens wie Bulgariens das Interesse an solchen Zuschreibungen im lokalen Kontext wieder zu. Lit.: P. Hristov, Granicite na „Šopluka“ i/ili Šopi bez granici, in: Skrivene manjine na Balkanu. Hg. B. Sikimić. Beograd 2004, 67–83; J. Ćirić, Šopluk: jabuka razdora ili most spajanja na Balkanu? in: Granice, izazov interkulturalnosti. Hg. B. Jakšić. ebd. 1997; Vl. Stojančević, Vukovo interesovanje za “Šopluk” i “Šopove”, in: ders. Srbi i Bugari 1804–1878. ebd. 1995, 155–161; R. Sefterski, Sofijskite Šopi kato istorisko etničeska formacija v svetlinata na poslednite isledvanija, in: Narodna kultura v Sofia i Sofijsko. Sofija 1984, 55–65; K. Jireček, Das Fürstentum Bulgarien. Prag 1891, 458–469; J. Cvijić, Balkansko Poluostrvo. Beograd 1922; P.R. Slavejkov, Njakolko dumi za Šopite, Periodičesko Spisanie na Bălgarsko Knižovno Družestvo 1884, 106–123. N. St.
Sozialismus. Wie im internationalen Maßstab, so gibt es auch in SOE keine Geschichte des S., sondern eine Entwicklung unterschiedlicher Sozialismen. Sie setzte in den verschiedenen Teilen der Region zu unterschiedlichen Zeiten während der zweiten H. des 19. Jh.s ein. Die
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ersten herausragenden Verfechter sozialist. Ideen aus der Region kamen zuerst im Ausland (namentlich in Westeuropa oder in Russland) mit sozialist. Gedankengut in Berührung u. waren dann zumeist auch die (Mit-)Begründer der ersten sozialist. Periodika u. Organisationen in ihrer Heimat. In Ungarn u. Serbien geschah dies schon zu Zeiten u. unter zumindest partiellem Einfluss der I. Internationale (1864–1876). Die Gründung sozialdem. Parteien erfolgte dann ab den 1890er Jahren, dies in Verbindung mit oder unter zumindest partiellem Einfluss der 1889 errichteten II. Internationale. Ideologisch wiesen die Sozialismen infolge der unterschiedlichen Entstehungszeit u. divergierender Erfahrungen u. Ansätze der Gründungsväter bereits in ihren Ursprüngen eine erhebliche Vielfalt auf. In Ungarn, wo in den 1860er Jahren die ersten sozialist. Organisationen der Region überhaupt errichtet wurden, war Leo Frankel (1844–1896) federführend, Aktivist der I. Internationale u. eng mit Marx u. Engels verbunden. In Serbien gab Svetozar Marković (1846–1875), häufig als „der erste Sozialist auf dem Balkan“ apostrophiert, 1871 die erste sozialist. Zeitung in der Region heraus („Radenik“ [ab 1872: „Radnik“] – „Der Arbeiter“). Marković stand seit seinem Studienaufenthalt in Russland unter dem Einfluss der Ideen Nikolaj G. Černyševskijs u. prägte einen volkstümlichen S., der zugleich auch einige der Auffassungen Marxens zu inkorporieren suchte. In Rumänien waren die Pioniere der sozialist. Ideen zumeist russisch-jüdische Flüchtlinge. Der bekannteste Theoretiker unter ihnen, Constantin Dobrogeanu-Gherea (eigentlich: Constantin Cass, 1855–1920), vertrat klassisch-marxistische Positionen u. setzte sich für die Popularisierung des Marxismus im Lande ein. In Bulgarien traten unter den bedeutendsten Sozialisten früh zwei deutlich differierende Orientierungen zutage. Dimităr Blagoev (1856–1924) kam in Russland mit rev. Strömungen in Berührung, wurde theoretisch stark von Georgij V. Plechanov beeinflusst u. nahm eine radikale, orth.-marxistische Position ein. Janko Sakăzov (1860–1941) hingegen stand nach längeren Aufenthalten in Leipzig, London u. Paris unter dem Einfluss evolutionistischer Ansätze (namentlich der engl. Sozialisten) u. suchte neben der Arbeiterschaft auch Bauernschaft u. Mittelschichten anzusprechen. Diese Frage berührte ein strukturelles Grundproblem aller Sozialismen in SOE, das von Beginn an vorhanden war u. dies auf Dauer bleiben sollte. Die Region bestand aus lauter Agrarländern, ob nun der Grund u. Boden der →Adelsklasse (wie in Ungarn), semi-feudalen Großgrundbesitzern (wie in Rumänien; vgl. →Bojaren) oder einer Vielzahl von Klein- u. Mittelbauern (wie in Bulgarien u. Serbien) gehörte (s. a. →Bauern, 19./20. Jh.; →Kapitalismus). Die →Industrialisierung setzte spät u. in bescheidenen Maßstäben ein. Die Arbeiterklasse war in Zahl, Erfahrung u. pol. Bedeutung schwach (→Arbeiter). Sie konzentrierte sich in den wenigen Industriezentren in den Großstädten. So war es nur folgerichtig, dass die Sozialisten als Interessenvertretungen der Arbeiterschaft mit ihren Periodika u. Organisationen nur für einen sehr geringen Teil der Bevölkerungen Anziehungskraft besaßen u. ihre Einflusssphäre kaum über die größeren Städte hinausreichte. Dennoch konnten sie sich – eben dank der einsetzenden Industrialisierung – im Laufe der 1890er Jahre organisatorisch etablieren. Parallel zur Gründung von →Gewerkschaften, die im wesentlichen auf Initiativen der Sozialisten zurückging, wurden nacheinander in zahlreichen Teilen der Region sozialist. →Parteien gebildet: 1890 die „Sozialdemokratische Partei
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Ungarns“, 1891 die „Bulgarische Sozialdemokratische Partei“, die drei Jahre später nach der Vereinigung mit der zunächst außerhalb der Partei verbliebenen Gruppierung um Sakăzov in „Bulgarische Sozialdemokratische Arbeiterpartei“ umbenannt wurde, 1893 die „Sozialdemokratische Partei der rumänischen Arbeiter“, die sich 1899 zwar selbst auflöste, aber 1910 wieder errichtet wurde. In Serbien war – auf Initiative namentlich von Marković u. Nikola Pašić – schon 1869 eine v. sozialist. Grundsätzen ausgehende Partei, die „Radikale Partei“, gegründet worden, doch hatte sie sich nach dem Tode Markovićs zusehends von diesen Grundsätzen entfernt. 1903 wurde dann die „Serbische Sozialdemokratische Partei“ unter Federführung von Dimitrije Tucović (1881–1914) gebildet. Am schwächsten in der Region entwickelt war außer im verbliebenen Gebiet der →europäischen Türkei zu dieser Zeit die sozialist. Bewegung in Griechenland, wo die 1909 von Platon Drakulis (1858–1942) gegründete „Griechische Sozialistische Partei“ alsbald zerfiel. In den sozialdem. Parteien der Region waren alle wesentlichen Strömungen der II. Internationale repräsentiert. Der →Austromarxismus dominierte in der ung. Partei, die sich zunächst ohnehin als Teil der österr. Sozialdemokratie verstand. In den Parteien auf dem Balkan standen sich revolutionäre Ansätze, die denen der Bolševiki ähnelten, u. reformistische, die der Linie der engl. Sozialisten u. der Bernsteinianer in der dt. Sozialdemokratie folgten, gegenüber. Kader- oder Massenpartei, rev. Umwälzung oder graduelle u. friedliche Umwandlung der Gesellschaft, eindeutige Konzentration auf die Arbeiterklasse oder auch Einbeziehung v. Bauernschaft u. Mittelschichten, die Haltung zum Krieg – dies waren die Hauptfragen der Auseinandersetzungen. Die erste organisatorische Spaltung in der Region erfolgte schon 1903 in Bulgarien; der rev. Flügel um Blagoev konstituierte sich als Sozialist. Partei (t) („t“ für „tesni“, „eng“, daher die Bez. als „Engsozialisten“ oder „Engherzige“), der reformistische um Sakăzov als Sozialdem. Partei (š) („š“ für „šivroki“, „weit“, daher „Weitsozialisten“ oder „Weitherzige“). Im regionalen Maßstab vollzog sich die organisatorische Spaltung nach dem 1. Weltkrieg, wobei die Haltung zum Krieg der unmittelbare Auslöser war. Während der →Balkankriege 1912/1913 hatten die sozialdem. Parteien noch relativ unisono eine Antikriegsposition bezogen u. eine demokratische Föderation der Balkanstaaten als Ziel propagiert (→Balkanföderation). Im 1. Wk. hingegen lehnten lediglich die bulg. „Engsozialisten“ u. die Serbische Sozialdemokratische Partei den Eintritt ihrer Staaten in den Krieg bzw. die Bewilligung der Kriegskredite kategorisch ab, während die überwältigende Mehrheit der reformistisch gesinnten sozialdem. Führer u. Parteien die Kriegsteilnahme ihres jeweiligen Landes befürwortete. Nach dem Ende des 1. Wk.s spaltete sich die sozialist. Bewegung im internationalen wie im regionalen Maßstab endgültig. Die II. Internationale zerfiel, während auf Initiative der Bolševiki 1919 die III. (Kommunistische) Internationale (→Komintern) gegründet wurde, in die die umbenannten (wie in Bulgarien) oder neugegründeten (wie in Ungarn u. Jugoslawien) rev. Parteien eintraten (→Kommunismus; →Räterepublik Ungarn). In der Zwischenkriegszeit spielte die Sozialdemokratie in der ganzen Region nur eine marginale pol. Rolle. Autoritäre Herrschaftsstrukturen u. ein häufig nur formaler, in einigen Staaten zeitweise ganz ausgesetzter →Parlamentarismus ließen ihr wenig Spielraum (a. →Diktaturen). Zudem hatten sich zahlreiche Parteien durch ihre Haltung im 1. Wk. u.
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Sozialismus
später durch die partielle Unterstützung oder Duldung zweifelhafter Regime desavouiert u. standen nun in Konkurrenz auch zu den komm. Parteien. Eine vorübergehend größere Rolle erlangten sozialdem. Parteien dann im Laufe des 2. Wk.s u. in der ersten Nachkriegsperiode. In Bulgarien, Rumänien u. Ungarn hatten Sozialdemokraten die Regime in ihren Ländern u. deren Teilnahme am Kriege an der Seite Nazideutschlands bekämpft u. dabei auch zumindest partiell mit Kommunisten kooperiert. Nach dem Krieg beteiligten sich die sozialdem. Parteien in diesen Staaten an volksfrontähnlichen Koalitionsregierungen, in denen allerdings die Kommunistischen Parteien dominierten, nicht zuletzt dank der sowj. Besatzungsmacht (→Volksdemokratie; →Kommunismus). Diesen gelang zunächst die Spaltung der sozialdem. Parteien, dann die pol. Ausschaltung der nicht kooperationswilligen Gruppierungen u. 1948 schließlich die Zwangsvereinigung seitens der Restsozialdemokratie. Damit war die Sozialdemokratie in den von den kommunist. Parteien beherrschten Staaten SOEs für mehr als 40 Jahre eliminiert. Innerhalb dieser Periode konnte sich in der ganzen Region lediglich im nichtsozialistischen Griechenland eine nichtkommunistische Linke betätigen, u. dies auch erst mit einiger Verspätung. 1974 wurde dort die „Panhellenische Sozialistische Bewegung“ (PASOK) gegründet, eine Ausnahme auch in der Hinsicht, dass sie ihren Ursprüngen nach keinerlei Beziehung zur trad. Sozialdemokratie hatte. Sie wurde später zu einem der beiden Pfeiler im Parteiensystem des Landes u. stellte mehrmals die Regierung; erst im Zuge der gr. Schuldenkrise verlor sie bei den Wahlen v. 2012 u. Anfang 2015 den Status als das System prägende Volkspartei. In den anderen Staaten SOEs konnten sich erst nach dem Fall der KP-geführten Regime wieder sozialdem. Parteien bilden, was ab Anfang der 1990er Jahre geschah. Infolge der mehr als 40jährigen Unterdrückung waren allerdings die Bedingungen für ihren neuerlichen Aufbau sehr schwer, zumal personell wie politisch wenig Anknüpfungsmöglichkeiten an ihre trad. Vorläufer vorhanden waren. Daher blieben diese Parteien relativ schwach. Hinzu kam, dass ihnen auf der Linken eine eingesessene Konkurrenz gegenüberstand. In Ungarn, Bulgarien u. Albanien verwandelten sich die einstigen komm. Parteien in mehr oder weniger reformierte Sozialist. Parteien, in Rumänien in die Sozialdemokratische Partei, in Makedonien in den Bund der Sozialdemokraten. Beide Typen von Parteien, die wiedererrichteten sozialdem. wie die zu sozialist. oder sozialdem. mutierten, gehören inzwischen der 1951 gegründeten Sozialistischen Internationale an.
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Spahi
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Spahi (a. Sipahi; aus pers. sipāh „Heer“). Angehöriger der schweren Reiterei; im Unterschied zu den aus der Staatskasse besoldeten →Janitscharen bezog der S. typischerweise Einnahmen aus →Miri-Land, die er als Inhaber eines →Timar v. den →Reaya direkt einzog bzw. einziehen ließ. Ein entsprechendes →Berat wies ihn (unabhängig v. seiner Religionszugehörigkeit, vgl. →Islamisierung; →Feudalismus) als Angehörigen der exempten Klasse der sog. Askeri aus (Gegensatz: →Reaya). Kam er seiner Aufgebotspflicht nicht nach, konnte der S. in den Stand der Reaya zurückgestuft werden. Neben seinem Pferd, seiner Bewaffnung, Ausrüstung u. Verproviantierung hatte jeder S., dessen „Lehen“ (türk. dirlik „Lebensunterhalt“) eine bestimmte Höhe überstieg, nach Maßgabe des →Kanun bewaffnete Gefolgsleute (türk. cebelü „Knappe“) zu stellen u. auf eigene Kosten auszurüsten, i. d. R. je einen pro 3.000 →Akçe Jahreseinkommen. Diese cebelü scheinen durchweg Mitglieder des S.-Haushalts gewesen zu sein u. keine Reaya. – „Eigengut“ des S. war sein sog. kılıç yeri (türk. v. kılıç „Schwert“), der unteilbare Kern der Pfründe, v. dem ausgehend sich durch Hinzufügung ergänzender Einnahmequellen (arab. ḥiṣṣa) „Teil“) die vorgesehene Gesamtsumme der Jahreseinkünfte errechnete. Die Zahl der aktiven S. (Anwärter u. Pensionäre nicht gerechnet) entsprach im allg. der der verfügbaren kılıç timarı, über die die Zentralverwaltung in den →Tahrir Defteri sorgfältig Buch führte. Söhne v. S., die keineswegs ein automatisches Anrecht auf ein dirlik hatten u. das Timar ihres Vaters nur in seltenen Fällen erbten, konnten ihre Chancen durch freiwilligen Dienst als sog. „Beherzte“ (türk. gönüllü) verbessern. Das Mindestalter, mit dem die Söhne eines verstorbenen S. in den Krieg zu ziehen hatten, wurde 1536 v. 10 auf 16 Jahre angehoben. Im Kriegsfall wurden nur bis ca. 90 % der S. einer Region unter ihrem →Sancak-→Beyi eingezogen; die übrigen hatten an Ort u. Stelle für Ruhe u. Ordnung zu sorgen. – Die Bewaffnung eines S. bestand traditionell aus Lanze, Pfeil u. Bogen, Streitaxt u. Keule; später gehörten auch Feuerwaffen zu seiner Ausrüstung. – Seit dem Ende des 16. Jh.s ging die Zahl der S. ständig zurück. Die Einkünfte aus dem Timar schrumpften, u. viele S. kamen ihren Kriegspflichten nicht mehr nach. Der Wandel in der europ. Kriegführung machte die Reiterei schließlich ohnehin obsolet. – Mit den S. im engeren Sinne nicht zu verwechseln sind die ebenfalls S. genannten Angehörigen einer Abteilung der sechs Kavallerie-Regimenter des sultanischen Haushalts, die als „Pfortensklaven“ (türk. kapu kulları) wie die →Janitscharen Soldempfänger waren. Lit.: An Economic and Social History of the Ottoman Empire, 1300–1914. Hgg. H. İnalcık/D. Quataert. Cambridge 1994; C. Finkel, The Administration of Warfare: The Ottoman Military Campaigns in Hungary, 1593–1606. Wien 1988; G. Veinstein, L’hivernage en campagne, talon d’Achille du système militaire ottoman classique. A propos des sipahi de Roumélie en 1559/1560, Studia Islamica 58 (1983), 109–148; B. McGowan, Economic Life in Ottoman Europe. Taxation, Trade and the Struggle for Land, 1600–1800. Cambridge 1981; War, Technology and Society in the
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Sporazum
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Sporazum (kroat., serb. „Verständigung“). Vereinbarung zw. dem jug. Ministerpräsidenten Dragiša Cvetković u. dem Führer der Kroatischen Bauernpartei, Vladko Maček, vom 26.8.1939 über die Einrichtung eines autonomen →Kroatien innerhalb des Kgr.s →Jugoslawien. Hauptaufgabe des Anfang Februar 1939 vom Prinzregenten Paul Karadjordjević zum Ministerpräsidenten berufenen serb. Politikers Cvetković von der Jugoslawischen Radikalen Union (JRZ) war die Herbeiführung einer Verständigung mit der oppositionellen Kroat. Bauernpartei (HSS) zur Beilegung der serb.-kroat. Spannungen. Verlauf u. Inhalt der Verhandlungen wurden weitgehend vom Prinzregenten u. von Maček bestimmt, während der pol. farblose Cvetković lediglich als „Bevollmächtigter der Krone“ fungierte. Weder das Parlament noch die mit der HSS verbündete serb. Opposition wurden in den Verständigungsprozess mit einbezogen. Die Verhandlungsrunde wurde Anfang April in Zagreb eröffnet. Schnell wurde eine grundsätzliche Übereinstimmung über die Errichtung einer kroat. Banschaft (Banovina) mit Autonomierechten erzielt. Die Abgrenzung des autonomen Territoriums bereitete dagegen erwartungsgemäß große Schwierigkeiten. Unstrittig war die Zusammenlegung der Save- u. Küsten-Banschaft sowie die Einbeziehung des Bezirks Dubrovnik. Inwieweit darüber hinaus Teile Nordbosniens u. der Herzegowina sowie Gemeinden aus Syrmien u. der Vojvodina Kroatien angehören sollten, blieb längere Zeit kontrovers. Erst am 26. August – knapp eine Woche vor Beginn des 2. Wk.s – konnte der Text des ausgehandelten Kompromisses der Öffentlichkeit übergeben werden u. erlangte Gesetzeskraft. Zugleich wurde eine neue Regierung gebildet, in der Maček den Posten des stellv. Ministerpräsidenten übernahm. Das Abkommen, das erst angesichts der dramatischen Zuspitzung der internationalen Lage zustandegekommen war, ließ viele Fragen offen. Aus Bosnien wurden der kroat. Banschaft die Kreise Brčko, Gradačac, Travnik, Derventa u. Fojnica u. aus Syrmien die Kreise Šid u. Ilok sofort angeschlossen. Doch enthielt der S. eine Klausel, dass der endgültige territ. Umfang erst anläßlich der geplanten Umgestaltung des Gesamtstaats unter Berücksichtigung ökon., geogr. u. pol. Gesichtspunkte festgelegt werde. Auch die endgültige Verteilung der Zuständigkeiten zw. Zentral- u. Banschaftsregierung sollte erst durch die künftige Neugestaltung des Staates geregelt werden. Vorläufig waren die Rechte der Banschaftsregierung auf die innere Verwaltung sowie die Wirtschafts-, Sozial- u. Bildungspolitik beschränkt. Da in der kroat. Banschaft auch rd. 800.000 Serben lebten, die annähernd ein Fünftel der Bev. repräsentierten, stieß der S. bei einflussreichen milit. u. pol. Kreisen in Serbien auf scharfe Ablehnung. In den v. Serben besiedelten Gebieten des →Kordun, der →Banija, der →Lika u. →Dalmatiens formierte sich eine starke serb. Protestbewegung. Auch bei den Kroaten selbst löste der S. einen pol. Polarisierungsprozess aus u. stärkte die extremen Kräfte am rechten u. linken Rand des pol. Spektrums. Die Nationalisten beschuldigten Maček des Verrats an der kroat. Sache u. verliehen den separatistischen Strömungen starken Auftrieb. Auch bei den →bosn. Muslimen stieß der S. auf entschiedene Ablehnung. Unter diesen Voraussetzungen konnte der serbisch-kroatische „deal“ die innere Zerrissenheit Jugoslawiens
Sporazum / Sprachen, Balkansprachbund
nicht überwinden. Der Plan, →Bosnien-Herzegowina zw. Serbien u. Kroatien (ohne Rücksicht auf die Interessen der bosn. Muslime) zu teilen, tauchte während u. nach dem Zerfall des zweiten Jugoslawien Anfang der 1990er Jahre wieder auf, doch konnte eine Einigung nicht erzielt werden. Lit.: F. Vrbanić, The failure to save the first Yugoslavia. The Serbo-Croatian sporazum of 1939. Chicago 1991; D. Begić, Pokret za autonomiju Bosne i Hercegovine u uslovima sporazuma Cvetković-Maček, Prilozi instituta za historiju radničkog pokreta 4 (1968), H. 4, 177–191; Lj. Boban, Sporazum Cvetković-Maček. Beograd 1965; Godišnjak banske vlasti Banovine Hrvatske 1939– 1940. Zagreb 1940. H. S.
Sprachen, Balkansprachbund. A. Sprachfamilien u. Einzelsprachen; 1. Die indogermanischen Sp. 1.1. Die slavischen Sp. 1.1.1 Das Slowakische. Gesprochen v. rd. 5 Mio. Menschen, gegliedert in drei Dialekte: das Westslowakische, bis etwa 50 km östl. der Waag, das Mittelslowak. im Radius v. etwa 75 km um Banská Bystrica u. das Ostslowak. Der Übergang vom Westslowak. zu den mährischen Maa. des Tschechischen ist fließend. Slowak. zeigt lautliche Erscheinungen des Tschech. vor dem 12. Jh. Im Slowak. gibt es den Umlaut nicht: ulica „Straße“ u. nicht ulice, im Mittelslowak. harter Halbvokal zu o: von „hinaus“ u. nicht ven. Ostslowak. zeigt Übereinstimmungen mit dem Poln., z. B. Betonung der vorletzten Silbe u. nicht der ersten wie Tschech., West- u. Mittelslowak. Schriftsprache ist vom 15.–18. Jh. das Tschechische, gestützt besonders durch die Protestanten, v. großem Einfluss die Kralitzer Bibel (a. →Reformation). Um 1800 erste Versuche der Verschriftlichung des Slowak. durch Anton Bernolák (→Slowaken). Grundlage für die slowak. Schriftsprache seit 1844 ist das Westslowakische. − 1.1.2 Das Slowenische. Gesprochen v. rd. 1,9 Mio. Menschen, davon ca. 1,8 Mio. in Slowenien selbst u. ca. 90.000 in den angrenzenden Gebieten Italiens, Österreichs (Kärnten) u. Ungarns. Mittelpunkt des Sprachgebietes ist →Krain mit der Hauptstadt →Ljubljana. In den Ostalpen hat ursprünglich romanischsprechende Bevölkerung gewohnt. Um 600 ist das Land slavisiert worden. Das slowen. Sprachgebiet hatte ehemals eine weit größere Ausdehnung. Davon zeugen die slav. ONN in der Steiermark u. in Kärnten. Slowenen dürften Anschluss an die Westslaven gehabt haben, in einigen Gebieten ist die sonst ausschließlich im Westslav. bekannte Lautkombination -d-/-tl- noch vorhanden: jedwa „Tanne“ (Gailtal), ebenso eingedeutschte ONN: Edlitz (Niederösterreich) zu jedla. Slowen. unterscheidet Tonhöhen u. Quantitäten (s. unten zu Serbokroatisch), es hat noch den alten Dual (wie Sorbisch). Ältestes Sprachdenkmal die „Freisinger Denkmäler“ (entstanden im 9. Jh.; vgl. →Slavenapostel), Herausbildung einer Schriftsprache während der →Reformation durch Primož Trubar. − 1.1.3 Das Serbokroatische bzw. das Bosnische, Kroatische, Montenegrinische u. d. Serbische. Gesprochen (1991) v. rd. 16,2 Mio. Menschen in Serbien, Montenegro, Bosnien-Herzegowina u. Kroatien. Das nach dem Ende →Jugoslawiens als Gemeinsprache aufgegebene Serbokroatische oder Kroatoserbische gliederte sich in drei große Dialekte: das Štokavische (Serbien, Montenegro, Bosnien-Herzegowina, in Kroatien: Slawonien u. Dalmatien), das Čakavische (in Kroatien: Küstendalmatien,
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Istrien; österr. Burgenlandkroaten), das Kajkavische (in Kroatien rund um Zagreb). Starke Ähnlichkeiten zw. Kajkavisch u. Slowenisch. Das Štokav. gliedert sich in: Ijekavisch (Kroatien, Bosnien-Herz., Montenegro): rijeka „Fluss“; Ekavisch (Serbien) reka; Ikavisch (Kroatien: Dalmatien, Slavonien; teilw. Bosnien-Herz.) rika. Tonhöhen u. Quantitäten werden unterschieden. Kasussystem noch voll intakt außer in den östl. u. südl. serb. Mundarten. Generalunterscheidung auch im Plural: dobri ljudi „gute Leute“, dobre žene „gute Frauen“, dobra sela „gute Dörfer“. *tj / *dj > ć, d: kuća „Haus“, medju „zwischen“. Kein best. Artikel, Futur mit Hilfsverb „wollen“, Infinitiv vorhanden. Zahlreiche Turzismen in Bosnien. Die Sprachpolitik in den postjug. Staaten seit den 1990er Jahren zielt darauf ab, die sprachl. Unterschiede zw. Kroaten, Serben, Bosniaken u. Montenegrinern durch „Sprachreinigung“, „Historisierung“ u. Neologismen in den Vordergrund zu rücken u. damit vier voneinander getrennte Normsprachen zu etablieren. − 1.1.4 Das Makedonische. Gesprochen v. etwa 1,3 Mio. Menschen innerhalb der Republik Makedonien, außerdem stellenweise auch auf alb. u. auf gr. Staatsgebiet bis zu 50 km südl. der Grenze. Mak. ist strukturell eine Variante des Bulgarischen. Mak. gliedert sich in das Zentralmak., 50 km westl. u. östl. des Vardars, das West- (um Debar), Ost- (um Štip) u. das Südmak. Zentralmak. ist Grundlage der Normsprache. Wie Bulg. voll „balkanisiert“: nachgestellter best. Artikel: ženata, „die Frau“; Futur mit „wollen“, kein Infinitiv, Kasusschwund. *tj / *dj > ´k /g´ (Zentrum): svek´a „Kerze“, meg´u, gilt als serb. Einfluss, vereinzelt noch šč / ždž, vollends so in den Randmundarten, gilt als bulg. Kontinuante. Mak. zeigt mittelbulg. Nasalwechsel. Mundarten in Albanien haben unter Einfluss des Albanischen Nasalreflex teilweise erhalten (wie Poln.): zŭmb < zobŭ „Zahn“, ansonsten o > a: zab. Betonung auf der drittletzten, stellenweise auch der vorletzten Silbe (Zentrum): dèvojče/devòjče „Mädchen“, im Osten bulg. Betonung. Älteste altkirchenslav. Denkmäler (10./11. Jh.) weisen auf Südmak. hin. Infolge staatlicher Zugehörigkeit zu Serbien bzw. Jugoslawien von 1912–1991 starker serb. Einfluss im Wortschatz. − 1.1.5 Das Bulgarische. Gesprochen v. ca. 8,3 Mio. Menschen, außer in Bulgarien selbst auch in Griechenland, Rumänien u. v. Auswanderern des 18. Jh.s in der Moldau (→Bessarabien) u. der Ukraine. *tj / *dj > št (šč) / žd (ždž): svešta / meždu, freie Betonung (etwa wie russ.), bis 16. Jh. voll „balkanisiert“ (s. Mak.), zwei große Dialektgebiete: West- u. Ostbulg., Hauptisoglosse die „Jatova granica“, bezogen auf die Kontinuante von ĕ. Im Westen durchgängig e: mleko „Milch“, belite „die weißen“, im Osten: mljako / belite. Grenze verläuft v. Nikopol an der Donau in südwestl. Richtung bis Saloniki. Ostbulg. zeigt starke Vokalreduktion in unbetonter Silbe. Es ist Grundlage der heutigen Normsprache. Altes Schrifttum stammt aus dem 11./12. Jh. Keine durchgängige literarische Tradition. Neuere Texte (sog. Damaskini) aus dem 17./18. Jh. zeigen Bulg. in heutiger Form. Bulg. Wortschatz stark russifiziert als Folge der bulg.-russ. Allianz gegen die Osmanen u. der damit verbundenen russ. Organisationshilfe in der zweiten H. des 19. Jh.s (vgl. →Russland). 1.2 Andere indogermanische Sprachen. 1.2.1 Das Rumänische. Es gliedert sich in das Dakorum. (Rumänien, ca. 17,9 Mio.) mit seiner Variante, dem Moldauischen (Republik →Moldau, ca. 3 Mio.), in das Aromunische (Republik Makedonien, Albanien, Thessalien, Pindusgebirge, ca. 40.000 Sprecher →Aromunen), das Meglenitische (gr.-mak. Grenzgebiet, ca. 10.000, →Meglenorumänen), das Istrorum. (Istrien, zw. 200 u. 800, →Istrorumänen). Rum. gehört zum ostromanischen Typ des Lateinischen, das v. den einheimischen Dakern/Thrakern ange-
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nommen wurde, daher im Rum. zahlreiche ursprachliche Elemente, die Verwandtschaft mit dem Alb. zeigen. Rum. ist stark slavisiert. Da Dakien (das heutige Rumänien) nur 155 Jahre (106–261) unter römischer Herrschaft war, ist zweifelhaft, ob romanisch sprechende Bevölkerung alteingesessen oder v. Süden eingewandert (→Dakoromanismus). Kirchensprache zunächst slav., Schrift kyrillisch, erst 1868 auf Betreiben der Rumänen Siebenbürgens Lateinschrift in den Fürstentümern eingeführt. Kyrillische Schrift in der Moldau bis 1992, in →Transnistrien bis heute. Dakorum. künstlich latinisiert, Moldauisch unter starkem russ. Einfluss. 1.2.2 Das Albanische. Auf geschlossenem Gebiet (Albanien, Kosovo, Serbien, Montenegro, Makedonien, kleine Teile v. NW-Griechenland) wird es (2011) v. rd. 6 Mio. Menschen gesprochen, hinzu kommen die „Arbëreshen“ in Italien u. Arvaniten in Griechenland als hist. Siedlungsbildungen seit dem 15. bzw. 14. Jh.; Alb. ist Nachfolger einer der beiden altbalkanischen Sprachen, entweder des Illyrischen im W oder des Thrakischen im O. Manches spricht für Thrak., da dieses wie das Alb. eine „Satem“-Sprache war. Alb. ist stark romanisiert u. deckt sich im rom. Wortschatz stark mit dem Rum., enthält aber auch manche gr. Elemente. Alb. Sprachgebiet hat sich im Altertum viel weiter nach Norden erstreckt; Name der serb. Stadt Niš < Naissaus zeigt wegen s > š (markantester alb. Lautwandel) alb. Gepräge. Alb. gliedert sich in zwei Hauptdialekte: Gegisch im N (einschließlich Kosovo u. fast ganz Makedonien), Toskisch im S. Beide waren lange parallel zu Schriftsprachen herausgebildet, doch gilt seit 1968/72 offiziell im gesamten geschlossenen Sprachgebiet eine Schriftsprache auf toskischer Grundlage. Hauptunterschiede: Rhotazismus (-n- > -r-) im Toskischen: druri / druni „der Baum“ Nasalierung im Gegischen. − 1.2.3 Das Griechische. Ca. 11 Mio. Sprecher in Griechenland u. Zypern sowie als Minderheitensprache in Albanien u. in Resten in den anderen Nachbarstaaten Griechenlands; Sprachinseln in Apulien u. Kalabrien, in der Ukraine, in Georgien, bis zur Aussiedlung 1922/23 vielerorts in Kleinasien. Zwei nebeneinander existierende Varianten (Diglossie): Katharevousa, eine künstliche Mischung aus Volkssprache u. antikem Attischen auf der Grundlage der byz. Koiné, verwendet für Dokumente (doch nicht mehr seit den 1970ern staatlicherseits) u. gelehrte Abhandlungen, ehemals auch in Zeitungen, u. die Dimotiki, Volkssprache, die sich aus der Koiné frei entwickelt hat, verwendet in der Belletristik, heute auch in den Medien u. Staatsgebrauch, galt noch im 19. Jh. als pöbelhaft, hat sich jedoch durchgesetzt. Gr. Dialekte setzen die antiken nicht fort, Ausnahme hierzu ist allein das Tsakonische (→Tsakonen), das vmtl. auf die Sprache spartanischer →Paröken zurückgeht. Griechenland wurde im frühen MA festländisch weithin v. eingewanderten Slaven besiedelt, daher zahlreiche slav. Ortsnamen. Dimotiki stark v. Turzismen durchsetzt. Komplizierte Nominal- u. Verbalflexion (Medium noch vorhanden, wie auch im Alb., Infinitivverlust, Vier-Kasus-System: Nom., Gen., Akk., Vok.). – 1.2.4 Romani oder Romanes: Sprache der →Roma; weist ursprünglich viele Gemeinsamkeiten mit zentral- u. nordwestindischen Sprachen auf. Im Zuge der Migration der Roma nach SOE nahm ihre Sprache in Wortschatz u. Syntax viele Elemente der Balkansprachen (zunächst Mittelgr., später Rumän. u. a.) auf. Romani gliedert sich in viele, von Land zu Land variierende Dialekte. Zur Sprecherzahl schwanken die Schätzungen ähnlich wie zur Zahl der Roma selbst. 2. Nicht-indogermanische Sprachen. 2.1 Das Ungarische. Ung. wird in Ungarn selbst (1990) v. ca. 10 Mio. (2011: 9,4 Mill.), in den ehemals zu Ungarn gehörenden Randgebieten
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(Slowakei, Rumänien, Vojvodina, Karpato-Ukr.) v. 2,5 Mio. (2001/02) Menschen gesprochen. Die →Magyaren erreichen gegen Ende des 9. Jh.s das Karpatenbecken (→Ung. Landnahme), davor sind sie rd. 2.500 Jahre in den südruss. Steppen nomadisiert. In ihren neuen Wohnsitzen treffen sie auf alte Bevölkerungen, besonders Slaven. Zahlreiche Ortsnamen in Ungarn sind slav., auch der Name des Plattensees (ung. Balaton < südslav. blato „Sumpf“). Ung. ist eine finno-ugrische Sprache. Es kennt die Vokalharmonie, die Quantitätskorrelation außer bei Vokalen auch bei Konsonanten, u. ein hochdifferenziertes durch Suffixe ausgedrücktes Relationssystem. Es gibt kein grammatisches Geschlecht, keine Possessivpronomen u. nur eine rudimentäre Unterscheidung v. Adjektivum u. Substantivum. Das Ung. ist stark „verwestlicht“: Im Wortschatz zahlreiche slav. (die ältesten seit etwa dem 10. Jh.), dt., lat. Elemente. Best. Artikel (vorangestellt). Amtssprache bis 1844 Latein, doch war Ung. Jahrhunderte hindurch völkerverbindende Umgangssprache u. wurde auch geschrieben. Kaum ausgeprägte dialektale Unterschiede (als Ausnahme →Csángós). − 2.2 Das Türkische (Türkei-Türkisch). Gesprochen v. insges. ca. 65 Mio. Menschen, davon rd. 8,5 Mio. im europ. Teil u. außerhalb des Landes auf dem Balkan u. Zypern. Türk. Sprachinseln: →Gagausen (Republik Moldau, Ukraine, Bulg., Rum.), →Jürüken (Mak.), verfolgt, vertrieben (Bulg.), ausgesiedelt (Mak.). Türk. gehört mit Aserbaidschanisch u. Turkmenisch zur Südwestgruppe der Turksprachen (→Turkvölker). Es ist v. arab. u. pers. Elementen stark durchsetzt. Türk. unterliegt der Vokalharmonie, es kennt kein grammat. Geschlecht, kein Possessivpronomen, keinen Artikel, keine Wortkategorien, Hypotaxe wird durch Partizipien oder durch flektierte Infinitive ausgedrückt. Türk. hat in den Volkssprachen SOEs starke Spuren hinterlassen: im Wortschatz (besonders dem der höheren Zivilisation), in der Wortbildungsgrammatik (Suffixe -li, -lik, -dži), dem Türk. nachgebildet der Narrativ (Erzählform), Bewahrung des Lautes h bei den bosn. Muslimen. Balkantürk. zeigt einen archaischeren Zustand (Labialharmonie), der aus türk. Lehnwörtern erschließbar ist: serb. ćuprija „Brücke“ u. nicht *ćoprija. Gagausisch in der Syntax stark slavisiert. B. Balkansprachbund. In der Zwischenkriegszeit erwachte das Interesse einiger Sprachwissenschaftler an den Ähnlichkeiten oder strukturellen Gemeinsamkeiten benachbarter Sprachen im →Balkan(raum), die unterschiedlichen Sprachfamilien angehören, also genetisch nicht verwandt sind: Alban., Bulg., Griech., Maked. u. Rumän. Zu den Gemeinsamkeiten („Balkanismen“) gehören u. a. der nachgestellte Artikel, der Infinitivverlust, der Zusammenfall von Genetiv u. Dativ, die Bildungsweise der Numeralia 11–19. Seit Erscheinen der franz. Übersetzung von Kristen Sandfelds „Linguistique balkanique“ (1930) haben sich zur Erforschung dieser Nachbarschaftsphänomene die Begriffe „Balkanlinguistik“, „Balkanphilologie“, „Balkanistik“ oder →„Balkanologie“ (seit den 1990er Jahren a. „SOElinguistik“) (mit teilw. enger oder weiter gefassten Untersuchungsgegenständen) eingebürgert. Die in früheren Dialekten stärker verbreiteten „Balkanismen“ sind z.T. im Zuge der →Sprachkodifizierung eliminiert worden.
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Sprachkodifizierung
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Sprachkodifizierung. In SOE wurden die am weitesten verbreiteten →Sprachen erst im 19. u. 20. Jh. kodifiziert. Den Sprachnormierungsprozessen gingen stets heftige linguistische, pol. u. soz. Kämpfe voraus. Sie standen in Zusammenhang mit den jeweiligen Nationalbewegungen, in denen sich neue Eliten v. den alten Herrschaftsformen emanzipierten. Bis ins 19. Jh. waren „Nationalsprachen“ in SOE unbekannt; viele Menschen benutzten funktionsbedingt mehrere Idiome. Als offizielle Sprachen fungierten die sog. Überdachungssprachen, Kirchen- oder Verkehrssprachen (Koiné). Die Überdachungs- oder Verkehrssprachen waren im Bildungsbereich entscheidend, wenn sie auch größtenteils eine feste Norm entbehrten. Ihre Kenntnis setzte langjährige u. teure Schulung voraus; nur wenige Menschen beherrschten sie. Demgegenüber genossen die Volkssprachen keinerlei soz. Ansehen, wurden jedoch v. allen Schichten als Alltags- bzw. Umgangssprachen verwandt (Diglossie). Die Volkssprachen gliederten sich in viele Dialekte u. Varianten, die alle kaum schriftliche Verwendung erfuhren. Im Zuge der soe. →Nationsbildungsprozesse wurde überall die Forderung nach kodifizierten, polyvalenten, „nationalen“ Normsprachen laut. Sprachkongresse, -gesellschaften u. Einzelkämpfer lieferten Standardisierungskonzepte, Schriftsteller u. Dichter setzten die Vorschläge um. Die meisten soe. Diglossien verschwanden mit der Beendigung der Sprachenkämpfe im fortgeschrittenen 19. u. beginnenden 20. Jh. parallel zur →Nationalstaatenbildung. Erneut setzten „Sprachnationalismen“ v. a. im (ex-)jug. Raum im ausgehenden 20. Jh. ein. Jede Sprachkodifizierung setzt die Auswahl einer Sprachvariante voraus, deren Normierung durch die Entwicklung v. Wörterbüchern, Grammatik u. verbindlicher Orthographie sowie ihre gesamtges. Durchsetzung. Die Sprachen werden meist während des Standardi-
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Sprachkodifizierung
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sierungsprozesses modernisiert u. „nationalisiert“, d. h. ihre Funktionsbereiche werden erweitert u. bes. das Vokabular mit Wörtern aus erwünschten Quellen bereichert, während gleichzeitig unerwünschte Einflüsse zurückgedrängt werden („Purifizierung“). Kodifizierung u. „Sprachsäuberung“ können zur bewussten Annäherung oder Entfernung einer neu normierten „Nationalsprache“ zu bzw. v. anderen weg führen. 1. Die indogermanischen Sprachen. 1.1. Die slavischen Sprachen. 1.1.1. Das Slowakische. Als Überdachungssprache der Slowaken fungiert bis ins 19. Jh. Lat., zeitweise auch Dt. (12. Jh., FNZ), Kolloquialungarisch (bis 13. Jh. u. FNZ) u. Tschech. (15.–18. Jh.). L’udovit Štúr (1815–1856) entwirft 1844 eine slowak. Standardspr. auf eigenständiger mittelslowak. Dialektgrundlage mit phonet. Orthographie, die sich deutlich v. Westslowak. bzw. Tschech. abhebt u. allmählich zur vollwertigen Normspr. entwickelt (a. →Slowaken). Sprachpurifizierungen bleiben gegenüber lat., dt., ung. Lehnwörtern tolerant. Mit Gründung der Tschechoslowakei 1918 beginnen sprachliche Angleichungen zw. Slowak. u. Tschech., welche gegenseitig i. d. R. gut verständlich sind. Seit 1968 erfolgt eine erneute Abgrenzung der slowak. v. der tschech. Sprache. − 1.1.2. Das Slowenische. Die Oberschichten im slowen. Bereich sind ca. ein Jahrtausend lang vorwiegend dt. orientiert, im äußersten Westen it., im äußersten NO (→Prekmurje) ungarisch. Slowen. Mundarten werden kontinuierlich allein v. der Landbevölkerung verwandt. Grundlage der slowen. Schriftsprache werden 1584 eine erste Grammatik u. prot. Bibelübersetzung in unterkrain. Dialekt (1592 Wörterbuch), die vom Dt. im Zuge der →Gegenreformation wieder verdrängt werden. 1808 entwirft Jernej Kopitar (1780–1844/Oberkrainer) eine neue slowen. Grammatik. Als Schöpfer der modernen Literatursprache gilt France Prešeren (1800–1849). Um 1900 sind Wörterbuch u. Orthographie der slowen. Spr. entwickelt, ab 1918 erlangt Slowenien sprachliche Unabhängigkeit. − 1.1.3. Das Serbokroatische. Ehemals zusammenfassende Bezeichnung für die südslav. Varianten Serb., Kroat., Bosn. u. a., deren Unterschiede v. a. kulturhistorisch bedingt sind. – Serb. v. Vuk Stefanović Karadžić (1787–1864) in kyrill. Schrift mit phonet. Orthographie kodifiziert (1814 Grammatik, 1818 Wörterbuch), so dass die kirchenslav./slaveno-serb. Hochspr. Mitte des 19. Jh.s ausstirbt. – Kroat. (lat. Schrift, phonet. Orth.) u. a. v. Ljudevit Gaj (1809–1872) geprägt; neben lat. Überdachungsspr. (in Kroatien-Slawonien bis 1847) bereits ab 16. Jh. kaj-, ča- u. štokav. Schriftspr. bedeutsam (erste lat.-kroat. Grammatik 1604 v. Bartol Kašić). – Bosn. bes. v. osm.-türk. Einflüssen geprägt (1631 erstes türk.-bosn. Wörterbuch, z.T. eigene bosn.-kyrill. Schrift „Bosančica“). – Sprachliche Zusammenschlüsse zw. Serb. u. Kroat. 1850, 1918, 1956 auf štokav. Grundlage, Bezeichnung „Serbokroat./Kroatoserb.“. Die Auseinandersetzungen über die gemeinsame Sprache hielten während des ganzen 20. Jh.s an. Ab 1991 erfolgte die staatl. u. sprachliche Trennung in Serb. (kyrill.), Kroat., Bosn. (lat.) u. Montenegrinisch (kyrill. u. lat.), alle auf neuštokav. Basis, z. T. heftige „Sprachsäuberungen“ u. „Nationalisierungen“. − 1.1.4. Das Makedonische. Anfänge einer mak. Literaturspr. erscheinen Ende des 19. Jh.s; 1903 erstes mak. Wörterbuch v. Krste P. Misirkov (1875–1926). 1944/45 wird staatlicherseits eine neu kodifizierte mak. Normsprache (kyrill. Alphabet, phonet. Orth. nach serb. Vorbild, zwei zusätzliche Buchstaben) in die jugosl. Republik →Makedonien eingeführt. Normsprachl. Grundlage bilden zentralmak. Dialekte, die am wenigsten als Bulg. oder Serb. bezeichnet werden können. Endgültige Festschreibung einer normsprachl. Grammatik 1952
Sprachkodifizierung
durch Blaže Koneski; die Lexik wird dabei bes. v. sog. Bulgarismen gesäubert. Während die Normspr. in der SR Mak. schnell u. konsequent durchgesetzt wird, genießt sie wenig Akzeptanz in Nachbarländern, bes. nicht in Bulgarien. − 1.1.5. Das Bulgarische. Die Herausbildung des Neubulg. beginnt im 18.Jh. (1762 „Slavobulg. Geschichte“ v. Paisij Chilendarski, 1824 „Fischfibel“ v. Petăr Beron, 1835 Grammatik v. Neofit Rilski) zunächst mit dialekt. Verhaftung u. geringer Norm. Altkirchenslav. u. gr. Überdachungsspr. verschwinden um die Mitte des 19. Jh.s. Zur Proklamation des bulg. Nationalstaates 1878 hat sich eine schriftl. Normspr. stabilisiert, deren Grundlage die ostbulg. Koiné darstellt. Neubulg. unterscheidet sich damit distinktiv v. Serb., wird v. vielen türk. u. gr. Wörtern gereinigt, dafür mit russ. angereichert. Um die Jahrhundertwende sind alle Sprachstile entwickelt, eine Orthographie (kyrill., phonet.) eingeführt; Ortsnamen werden vielfach bulgarisiert. 1.2. Andere indogerman. Sprachen. 1.2.1. Das Rumänische. Überdachungssprache der Rumänen ist bis ins 17. Jh. Kirchenslav., im 18./19. Jh. z. T. Gr. (in Siebenbürgen zuweilen Lat. u. Ungarisch). Anfänge einer rum. Schriftspr. entwickeln sich ab dem 16. Jh. in kyrill. Schrift; im 18. Jh. erlangen walach. u. siebenbürg. Mundarten grundlegende Bedeutung. 1780 entwirft in Siebenbürgen Samuel Micu-Clain (1745–1806) eine erste rum. Grammatik in lat. Schrift (1795 Bibelübersetzung); 1825 folgt erstes Wörterbuch. In die seit 1856 weitgehend unabhängigen rum. →Donaufürstentümer wird ab 1868 eine rum. Schriftspr. mit lat. (Orth.-) Graphie v. der Rum. Akademie eingeführt (Ende der innerrum. Diglossie). Slav., gr., u. türk. Wörter werden durch lat., it. u. bes. frz. ersetzt (Beweis der „Latinität“; starke Romanisierung; propagiertes Exonym statt „Walachen“ nun „Rumänen“). – Aromun. (→Aromunen), istro-rum. (→Istrorumänen) u. meglenit. (→Meglenorumänen) Dialekte sind bis heute nicht kodifiziert; Moldauisch wurde seit 1994 zu einer eigenen Nationalspr. mit lat. Schrift ausgebaut (Republik →Moldau), gilt aber seit 2013 amtlich als Rumänisch. − 1.2.2. Das Albanische. Als Überdachungsspr. der Albaner fungieren bis 1912 Türk., Gr., It. Erste alb. Texte entstehen ab 16. Jh. in zunächst gegischem, dann auch toskischem Dialekt mit diversen Alphabeten (lat., gr., arab.). Die im 19. Jh. begründete Nationalbewegung „Rilindija“ (vgl. z. B. Wirken der Gebr. Naim u. Sami Frashëri) setzt 1908 die Lat.schrift durch. Ab 1912 entbrennt im neuen alb. Nationalstaat ein Streit um die geg. u. tosk. Sprachform (1916 zunächst Einführung des Südgeg.). 1946 fällt unter Enver Hoxha die Vorentscheidung für eine Amtsspr. auf tosk. Grundlage (vgl. Herkunft der kommunist. Führung); Kodifizierung in den 1970er Jahren (1973 phonet. Orth., 1976 normierte Grammatik, 1980 Wörterbuch); Reinigung des Alb. v. Turzismen; Einführung v. it., frz. Begriffen. 1968 wird die weitgehend toskische „Einheitssprache“ auch in Kosovo als Standardspr. eingeführt. − 1.2.3. Das Griechische. Kodifizierungsversuche des Neugr. u. gr. Sprachenstreit erreichen im 18./19. Jh. den Höhepunkt (erste „vulgärgr.“ Wörterbücher 1688, 1707; Grammatik v. 1540/verlegt 1870). Attizisten u. Dimotizisten erarbeiten vielfältige Vorschläge, streiten sich jedoch bis 1975 um eine neugr. Normspr. Obgleich auch die Volksspr. lange schriftl. Tradition besitzt, entscheidet sich der gr. Nationalstaat nach 1830 für einen sprachlichen Mittelweg (mit „altgr. Erbe“ u. philhellen. Zuspruch), den Adamantios Koraïs (1748–1833) prägt. Diese sog. Katharevousa („Reinspr.“) ist ohne strenge, verbindliche Norm; türk. Lexik wird entfernt. Ab 1975 wird die gr. Diglossie durch Einführung der standardisierten neugr. Volksspr. Dimotiki beendet (etymolog. Orth.; gr. Schrift).
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Sprachkodifizierung / Stadt, Stadttypen (allgemein)
2. Die nicht-indogermanischen Sprachen. 2.1. Das Ungarische. Überdachungsspr. der Ungarn ist bis 1844 Lat. (u. teilw. Dt.), worin auch die Privilegien der Oberschicht verbrieft sind. Das sog. Kolloquialungarische entwickelt sich bis Ende des 16. Jh.s u. bringt eine recht einheitl. Verkehrsspr. hervor. Im 17. Jh. erlangt das volkssprachl. Schrifttum erstes Ansehen, wird jedoch v. Latinisierung des öffentl. Lebens wieder zurückgedrängt; Hochadel u. Gebildete sprechen bis Ende des 18. Jh.s/Anfang 19. Jh.s vielfach dt. Zwischen 1790 u. 1918 massiver ung. Sprachnationalismus u. Magyarisierungspolitik gegenüber Nationalitäten (Dt., Kroat., Rum., Slowak., Slowen., Ukr. – mit z. T. starken Gegenreaktionen). 1795 erste formalisierte ung. Grammatik; 1862 Wörterbuch. Purifizierung der ung. Spr. v. lat., dt. u. slav. Wörtern. − 2.2. Das Türkische (Türkei-Türkisch). Vorstufen des Türk. entwickeln sich ab dem 12. Jh. in versch. Schriften (Periodisierung: Altosm. bis 15., Mittelosm. 15.–17., Neuosm. bis 19./20., Türkei-Türk. 20. Jh.). Hochspr. der Türken ist bis zur Begründung der Türk. Republik 1923 Osm. (arab. Graphie, starker arab.-pers. Lexikeinfluss). Kemal Atatürk setzt 1928 lat. Schrift, 1932 allg. Sprachreform durch (Schöpfer: Ziya Gökalp, Harun R. Tankut). Zur Schaffung einer neuen nationalen Identität werden arab., pers. u. auch frz. Wörter durch sog. „echttürk.“ ersetzt (Ableitungen, Neuschöpfungen). Kodifizierung u. staatl. Durchsetzung des Türkei-Türk. gelten als bes. schnell, radikal u. erfolgreich (Ziel: Ende der osm. Multilingualität/Diglossie, Nationalisierung, Europäisierung; Grundlage Istanbuler Mundarten). Lit. (a. →Sprachen): Babel Balkan? Politische u. soziokulturelle Kontexte von Sprache in Südosteuropa. Hgg. Chr. Voss/W. Dahmen. München 2014; Jezik izmedju lingvistike i politike. Hg. V. Požgaj Hadži. Beograd 2013; K. Cvetković-Sander, Sprachpolitik u. nationale Identität im sozialistischen Jugoslawien (1945–1991). Serbokroatisch, Albanisch, Makedonisch u. Slowenisch. Wiesbaden 2011; B. Gröschel, Das Serbokroatische zwischen Linguistik u. Politik. Mit einer Bibliographie zum postjugoslavischen Sprachenstreit. München 2009; S. Kordić, Sprache u. Nationalismus in Kroatien, in: Studia Philologica Slavica. Festschrift für Gerhard Birkfellner zum 65. Geburtstag. Teilbd. I. Hg. B. Symanzik. Berlin 2006, 337–348; R.D. Greenberg, Language and Identity in the Balkans. Serbo-Croatian and Its Disintegration. Oxford 2004; R. Bugarski, Lica jezika. Sociolingvističke teme. Beograd 2002; Handbuch der Südosteuropa-Linguistik. Hg. U. Hinrichs. Wiesbaden 1999; M. Okuka, Eine Sprache – viele Erben. Sprachpolitik als Nationalisierungsinstrument in Ex-Jugoslawien. Klagenfurt 1998; C. Hopf, Sprachnationalismus in Serbien u. Griechenland. Theoretische Grundlagen sowie ein Vergleich von Vuk Stefanović Karadžić u. Adamantios Korais. Wiesbaden 1997; Sprache u. Politik. Die Balkansprachen in Vergangenheit u. Gegenwart. Hg. H. Schaller. München 1996; J. Niehoff-Panagiotidis, Koiné u. Diglossie. Wiesbaden 1994; Sprachen u. Nationen im Balkanraum. Hg. Ch. Hannick. Köln u. a. 1987; Nationalbewegungen auf dem Balkan. Hg. N. Reiter. Berlin u. a. 1983; J.A. Fishman, Language and Nationalism. Two Integrative Essays. Rowley/MA 1972. C. H.
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Stadt, Stadttypen (allgemein). Es gibt viele Definitionen v. Stadt: Der quantitativen (Bev. zahl) steht eine qualitative (rechtl., administrative, wirt. , kult.) Definition gegenüber oder eine Kombination aus mehreren Kriterien. Die quantitative Bestimmung der Stadt ist hist.
Stadt, Stadttypen (allgemein)
nur bedingt verwendbar, weil die jeweiligen Angaben zur Bev.zahl bis ins 19.Jh. häufig ungenau u. widersprüchlich sind u. weil das Verständnis v. dem, was eine „große“ Ortschaft ist, zeitlich u. regional stark variiert. Sofern man Ortschaften mit mehr als 10.000 E als Stadt definiert, so war deren Zahl in SOE bis ins 20. Jh. hinein gering. Umgerechnet auf 100.000 km2 (unabhängig [!] v. der tatsächlichen Größe eines Landes) gab es um 1880 in Rumänien 18, in Griechenland 12, in Bulgarien 10 u. in Serbien 4 Ortschaften mit mehr als 10.000 E (in Deutschland 56, in Großbritannien 112, in Belgien 210). Die rechtl. Definition der Stadt (Ortschaft mit Stadtrecht) ist ebenfalls nur begrenzt verwendbar. In SOE gab es nur wenige Städte mit eigenem Recht. Die gr. antike Polis als Personenverband, die bereits im röm. Imperium in die Defensive geraten war, ging in byz. Zeit unter. Versuche, sie während der Herrschaft v. Ks. Justinian zu revitalisieren, schlugen fehl. Auch dort, wo im MA Ortschaften nach „deutschem“ Recht v. den jeweiligen Herrschern gegründet worden waren, wie im hist. Ungarn, vereinzelt auch in den rumän. Fürstentümern, unterlagen sie im Übergang zur FNZ dem Ansturm des →Adels, dem das städt. Sonderrecht u. die (eher noch bescheidene) wirt. Macht der Städte ein Dorn im Auge war. Mit Ausnahme der kgl. →Freistädte gerieten die meisten Ortschaften mit vormals stadtrechtl. Charakter unter die Herrschaft des Adels. Im dalmatinisch-istrischen Bereich konnten sich die Städte, die sich am Vorbild nordit. Städte orientiert hatten (mit eigenem Statut) dagegen bis in die Moderne behaupten (→Dalmatien). Im Osm. Reich haben die Städte eine Entwicklung zur juristischen Person generell nicht vollzogen. Sie entbehrten der rechtl. Kennzeichen der abendländischen Kommune: vor allem eines gesonderten Stadt- u. Befestigungsrechts. Das Fehlen stadtbürgerlicher Freiheiten im Sinn des abendländischen MAs schloss freilich bestimmte de iure- u./oder de facto-Privilegien, die die Sultane einzelnen Städten bzw. ihren Bewohnern oder Teilen der Bewohnerschaft gewährten, nicht aus. Bergwerksorte, Passdörfer oder Vojnukendörfer bzw. Siedlungen, deren Bewohner besondere Pflichten gegenüber dem Staat hatten, genossen oft auch besondere Rechte. Allgemein gesprochen: Nicht jede „Stadt“ im quantitativen Sinn des Wortes (also Siedlungen mit einer bestimmten Bevölkerungszahl) oder im ökonomischen u. funktionalen (v. a. pol.-adm. u. kult.) Sinn war zugleich eine „Stadtgemeinde“, wie sie Max Weber definiert hat. Zu den Kennzeichen okzidentaler Stadtgemeinden gehörte – nach Weber –, „daß es sich um Siedlungen mindestens relativ stark gewerblich-händlerischen Charakters handelte, auf welche folgende Merkmale zutrafen: 1. die Befestigung, 2. der Markt, 3. eigenes Gericht u. mindestens teilweise eigenes Recht, 4. Verbandscharakter u. damit verbunden 5. mindestens teilweise Autonomie u. Autokephalie, also auch Verwaltung durch Behörden, an deren Bestellung die Bürger als solche irgendwie beteiligt waren. (…) Ein gesonderter Bürgerstand als ihr Träger war daher das Charakteristikum der Stadt im politischen Sinn.“ Zwar erlebte das Städtewesen im Balkanraum während der osm. Expansionsphase einen deutlichen Aufschwung, doch die Unterschiede zur okzidentalen Stadt blieben erhalten. Bei der Ausübung zentralörtl. Funktionen im adm., wirt., relig. u. kult. Bereich bestanden deutliche Unterschiede zw. Stadt u. Dorf. Ortschaften mit einem Herrscher- oder Bischofssitz oder Ortschaften, die in der Arbeitsteilung zw. Stadt u. Umland oder im Fernhandel eine zentrale Funktion ausübten, können als Städte im funktionalen Sinn verstanden werden,
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Stadt, Stadttypen (allgemein) / Stadt, Stadttypen: Balkan (19./20. Jh.)
selbst wenn ihre Einwohnerzahl gering war. Bis zum Beginn der →Urbanisierung war das Städtenetz in SOE relativ weitmaschig. Die im Vergleich zu West- u. Mitteleuropa deutlich geringere Bevölkerungsdichte (→Bevölkerung, 2) sowie die geographischen Gegebenheiten (Gebirge) u. die daraus resultierenden schwierigen Verkehrsbedingungen (→Verkehr) haben die Verdichtung des Städtenetzes lange Zeit erschwert. – Zu den Merkmalen vieler Städte in SOE in MA u. FNZ gehört die multiethn. (oft auch multirel.) Zusammensetzung der Bewohner. Sowohl das habsb. wie das osman. Reich haben Gestaltung u. Architektur der Städte deutlich geprägt. Nach Entstehung der mod. Balkanstaaten wurde das osm. Erbe allerdings weitgehend eliminiert. Lit. (a. →Bürgertum; →Urbanisierung): Cities of the Mediterranean. From the Ottomans to the Present Day. Hgg. B. Kolluoğlu/M. Töksöz. London 2010; Capital Cities in the Aftermath of Empires. Planning in Central and South-Eastern Europe. Hgg. E. Gunzburger-Makaš/T. Damljanović Conley. Abingdon, New York 2010; Segregation, Integration, Assimilation. Religious and ethnic groups in the medieval towns of Central and Eastern Europe. Hgg. D. Keene/N. Balázs/K. Szende. Farnham u. a. 2009; Die europäische Stadt im 20. Jh. Wahrnehmung, Entwicklung, Erosion. Hgg. F. Lenger/K. Tenfelde. Köln, Wien, Weimar 2006; Vielerlei Städte. Der Stadtbegriff. Hgg. P. Johanek/F.-J. Post. Köln u. a. 2004; H. Häussermann, Die europäische Stadt, Leviathan. Zeitschrift für Sozialwissenschaften 2 (2001), 237–255; K.-D. Grothusen, Zum Stadtbegriff in Südosteuropa, Zeitschrift für Balkanologie 13 (1977), 63–81; Die mittelalterliche Städtebildung im südöstlichen Europa. Hg. H. Stoob. Köln, Wien 1977; M. Weber, Die nichtlegitime Herrschaft (Typologie der Städte), in: Ders., Wirtschaft u. Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie. 5. Aufl. Hg. J. Winckelmann. Tübingen 1976, 727–814; Structure sociale et development culturel des villes sud-est européennes et adriatiques aux XVIIe–XVIIIe siècles. Bucarest 1975; Die Stadt in Südosteuropa. Struktur u. Geschichte. Hg. K.-D. Grothusen. München 1966; The Historian and the City. Hgg. O. Handlin/J. Burchard. Cambridge/Mass. 1963; M. Weber, Die Stadt. Eine soziologische Untersuchung, Archiv f. Sozialwissenschaft u. Sozialpolitik 47 (1920/21), 621–772. H. S.
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Stadt, Stadttypen: Balkan (19./20. Jh.). Als „Balkanstadt“ (balkanski grad) hat der bulg. Historiker Nikolaj Todorov die byz.-isl. geprägte Stadt im osm. SOE bezeichnet. Hauptmerkmale waren im pol.-adm. Bereich das Fehlen eines Stadtrechts sowie die tragende Rolle v. Zünften (→Esnaf ) u. →Millet. Charakteristisch für das äußere Erscheinungsbild war der Ring ethnoprofessionell gegliederter Viertel (mahalle) um ein Zentrum mit pol., adm., merkantilen, soz. u. konf. Funktionen (konak, bezesten, →Čaršija u. a.) (Einzelheiten →Stadt, osm.). Im zweiten Drittel des 19. Jh.s entstand im Zuge regionaler Protoindustrialisierung im über keine dominierende Großstadt verfügenden Donauvilayet ein spezifischer, gleichsam moderner Untertypus der „Balkanstadt“: Christliche Großdörfer wie ethnokonf. heterogene Kleinstädte wuchsen zu arbeitsteilig organisierten Manufaktur- u. Handelsstädten mit bis zu 10.000 Steuerbürgern an. Hierzu gehörten Orte wie Gabrovo, Koprivštica u. Panagjurište, die Wirtschaftsbeziehungen bis nach Mitteleuropa unterhielten.
Stadt, Stadttypen: Balkan (19./20. Jh.)
Nach der Befreiung v. osm. Herrschaft begann die „Europäisierung“ der Städte; das osm. Erbe wurde fast überall Schritt für Schritt eliminiert (Ausnahme z. B. →Sarajevo). Die postosm. Balkanstädte wiesen neben „modernen“ über längere Zeit noch viele dörfliche Elemente auf. Im Zuge der →Industrialisierung enstanden Fabriken u. Arbeitersiedlungen. Vorreiter waren hierbei die neuen Hauptstädte →Athen, →Belgrad, →Bukarest u. →Sofia, aber auch Regionalzentren wie Varna, →Saloniki, Durrës oder →Skopje. Dem Ausbau der Stadtzentren gemäß nationalstaatlichen Repräsentationsbedürfnissen folgte der Bau magistralenartiger Ausfallstraßen sowie von Bahn-, Militär- u. Industrieanlagen, wodurch die hist. Struktur zahlreicher zentrumsnaher Viertel zerstört wurde. In der Zwischenkriegszeit nahm der →Urbanisierungsprozess in SOE stellenweise dramatische Formen an, u. dies aus zwei Gründen: Zum einen führte die massive Landflucht zu Urbanisierung in Form von Vorstadtbildungen, u. zum anderen resultierten sowohl die Fluchtbewegungen der Kriegsjahre 1912–1918 als auch die gr.-türk. u. gr.-bulg. →Zwangsmigrationen der 20er Jahre zum Entstehen großer Flüchtlingsumsiedlungen in Städten wie Saloniki, Edirne, Sofia, Varna u. a. In den 30er Jahren bewirkte die ideologische Nähe der autoritären Regime (→Diktaturen) der Region zum →Faschismus it. Prägung u. zum Nationalsozialismus die Übernahme urbanistischer u. architektonischer Doktrinen aus Rom u. Berlin. Ein extremes Beispiel hierfür war →Tirana, die Hauptstadt des 1939 von Italien faktisch annektierten Albanien, wohingegen das vom „Dritten Reich“ inspirierte Projekt der Umwandlung Sofias in eine Gartenstadt in der ersten H. der 40er Jahre aufgrund des Kriegsverlaufes nicht realisiert wurde. In den soe. →Volksdemokratien entstanden während der stalinistischen Phase 1944–1956 im Zusammenhang mit Schwerindustrieprojekten sozialist. Pflanzstädte wie Sztálinváros (Dunaújváros) in Ungarn u. Dimitrovgrad in Bulgarien, desgleichen wuchsen sich Dörfer u. Kleinstädte zu neuen Bergbau-, Chemie- u. Stahlstädten aus, so Komló in Ungarn, Gheorghe Gheorgiu-Dej (Dej) in Rumänien, Elbasan in Albanien u. Dimitrovo (Pernik) in Bulgarien. Binnen dreier Jahrzehnte mutierten auch die Hauptstädte der Teilrepubliken des föderativen Jugoslawien zu sozialist. Großstädten, deren unterdimensionierte Stadtzentren bald von mehreren Ringen von Hochhaussiedlungen umgeben waren. Neben Belgrad u. →Sarajevo galt dies in besonderem Maße für die vormaligen Kleinstädte Titograd (→Podgorica) u. →Prishtina/Priština. Ein Extrembeispiel stellt Skopje dar, das im Zuge eines verheerenden Erdbebens 1963 dem Erdboden gleichgemacht u. damit zum Experimentierfeld von Stadtplanern u. Architekten aus aller Welt wurde. Lit. (a. →Stadt, Stadttypen [Osm.], ferner Hauptstädte: →Athen; Belgrad usw.): M. Timotijević, Modernizacija balkanskog grada (1944–1989). Komparativna analiza razvoja Čačka i Blagoevgrada u epohi socijalizma. Čačak 2012; B. Lory, La ville balkanissime: Bitola, 1800–1918. Istanbul 2011; Leksikon gradova i trgova srednjovekovnih srpskih zemalja prema pisanim izvorima. Hg. S. Mišić. Beograd 2010; Balkanology: neue Architektur u. urbane Phänomene in Südosteuropa. New architecture and urban phenomena in South Eastern Europe; [Ausstellung, 04.10.–28.12.2008]. Hg. K. Vöckler. Basel 2008; M. Guest, La ruralité des capitales balkaniques. L’exemple de Sofia, Balkanologie 7 (2003), 127–150; R. Gavrilova, Bulgarian Urban Culture in the Eighteenth and
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Stadt, Stadttypen: Byzanz
Nineteenth Centuries. Sofia 1999; Hauptstädte zwischen Save, Bosporus u. Dnjepr: Geschichte – Funktion – Nationale Symbolkraft. Hg. H. Heppner. Wien u. a. 1998; A. Yerolympos, Urban Transformations in the Balkans (1820–1920). Aspects of Balkan Town Planning and the Remaking of Thessaloniki. Thessaloniki 1996; A. Åman, Architecture and Ideology in Eastern Europe during the Stalin Era. An Aspect of Cold War History. New York 1992; Gradska kultura na Balkanu (XV–XIX vek) – The Balkan urban culture – La culture urbaine des Balkans. Hgg. V. Han u. a. 3 Bde. Beograd 1984–1991; B. Lory, Le Sort de l’héritage ottoman en Bulgarie: L’exemple des villes bulgares 1878–1900. Istanbul 1985; J.R. Lampe, Interwar Sofia Versus the Nazi-Style Garden City: The Struggle over the Muesmann Plan, Journal of Urban History 11 (1984), 39–62; N. Todorov, Balkanskijat grad XV–XIV vek. Sofija 1972 (engl. Übers. The Balkan City, 1400–1900. Seattle/WA u. a. 1983); ders., The Balkan Town in the Second Half of the 19th Century, Études balkaniques 5 (1969), H. 2, 31–51; The Socialist City. Spatial Structure and Urban Policy. Hgg. R.A. French/F.E.I. Hamilton. Chicester u. a. 1979; Southeastern Europe. L’Europe du Sud-Est 5 (1978), H. 2 (Themenheft „The Social Stratification of the Balkan Town“); N. Todorov, La ville balkanique sous les Ottomans (XVe–XIXe s.). London 1977; Die Stadt in Südosteuropa. Struktur u. Geschichte. Hg. K.-D. Grothusen. München 1968. St. T.
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Stadt, Stadttypen: Byzanz. Während der gesamten Geschichte des byz. Reiches stellte →Konstantinopel als Residenz des Kaisers u. des Patriarchen alle anderen Städte adm., durch die Größe seiner Bev., die Stärke seiner Befestigungen u. seine ökon. Dominanz in den Schatten. Der Zentralismus des Staates konzentrierte die pol. Entscheidungen auf die Hauptstadt u. verhinderte bis in die spätbyz. Zeit das Aufkommen eines →Bürgertums, das sich politisch artikulieren konnte. Ab der zweiten H. des 6. Jh.s geriet die spätantike Stadtkultur durch Naturkatastrophen, Seuchen (Pest von 542) u. permanente feindliche Einfälle (Perser, Araber, Slaven u. Awaren) in eine langanhaltende Krise. Viele Städte wurden zerstört, von ihren Bewohnern aufgegeben oder auf befestigte Areale u. Akropoleis reduziert (z. B. Philippi, Demetrias, Lebadeia, Korinth, Argos), die von einer verminderten Bev. verteidigt werden konnten. Auf Kaps u. Küsteninseln entstanden neue Städte (z. B. Monembasia). Weiterexistierende St. fungierten in dieser Zeit primär als Festungen (kastra), adm. Zentren oder Bischofssitze. Erst im 10. u. 11. Jh. setzte ein allgemeiner Aufschwung der St. ein, der sich archäologisch an einer qualitativen u. quantitativen Steigerung der handwerklichen Produktion, an reger Bautätigkeit u. an umfangreichen Münzfunden ablesen lässt u. zu einer Verwandlung vieler kastra in Zentren von Handel u. Gewerbe führte. Mit Wallfahrten kombinierte Messen wie die Dēmētria in →Thessaloniki regten das Wirtschaftsleben an. Starken Einfluss in den St. übten die Archonten (→Archon) aus, die dort wohnten, aber im Umland begütert waren. Weitgehend autonom waren die Städte →Dalmatiens. Die Bedeutung vieler Städte als Handelsplätze wird aus den Chrysobulloi der Kaiser für die it. Seestädte erkennbar. Auf dem Balkan u. im ägäischen Raum werden hier v. a. Dyrrhachion, Korfu, Thessalonikē, Dēmētrias, Euripos, Theben, Korinth, Methonē, Adrianopel, Abydos, Rhaidestos u. Selymbria genannt. In spätbyz. Zeit versuchten die Kaiser durch Gewährung von Gerichts-, Steuer- u. Zollprivilegien, z. B. für Monembasia (1261) u. Iōannina (1319) die Wirtschaft u. die Verteidigung der Provinzen zu stärken. Im Bür-
Stadt, Stadttypen: Byzanz / Stadt, Stadttypen: Dalmatien, Istrien
gerkrieg von 1341–1347 kam es in vielen Städten, besonders in Adrianopel u. in Thessaloniki (Zēlōten), zu blutigen Kämpfen zw. den aristokratischen Anhängern des Johannes Kantakuzenos (→Kantakuzenen) u. der Bevölkerung (dēmos), die für die →Paläologen Partei ergriff. Lit.: Heaven & Earth. Bd. 2: Cities and Countryside in Byzantine Greece. Hgg. J. Albani/E. Chalkia. Athens 2013; Post-Roman towns, trade and settlement in Europe and Byzantium. Hg. J. Henning. Bd. 2: Byzantium, Pliska and the Balkans. Berlin, New York 2007; Die byzantinische Stadt im Rahmen der allgemeinen Stadtentwicklung. Hg. K.-P. Matschke. Leipzig 1995; A. Dunn, The Transition from Polis to Kastron in the Balkans (III–VII c.), Byzantine and Modern Greek Studies 18 (1994), 60–80; G. Prinzing (mit I. Bradler u. a.), Ortsnamenindex zu stadtgeschichtlichen Arbeiten aus der Byzantinistik. Wiesbaden 1994; J. Ferluga, Die byzantinischen Provinzstädte im 11. Jh., in: ders., Untersuchungen zur byzantinischen Provinzverwaltung. VI.–XIII. Jh. Amsterdam 1992, 183– 210; W. Müller-Wiener, Von der Polis zum Kastron. Wandlungen der Stadt im Ägäischen Raum, Gymnasium 93 (1986), 435–475; K.-P. Matschke, Bemerkungen zu „Stadtbürgertum“ u. „stadtbürgerlichem Geist in Byzanz“, Jahrbuch für Geschichte des Feudalismus 8 (1984), 265–285; D. Claude, Die byzantinische Stadt im 6. Jh. München 1969; E. Kirsten, Die byzantinische Stadt, in: Berichte zum XI. Internationalen Byzantinisten-Kongreß München 1958. München 1958, 1–48 u. 1–32. K.-P. T.
Stadt, Stadttypen: Dalmatien, Istrien. Der d.-istr. St. weist durch seine innere Organisation u. Raumordnung zahlreiche Gemeinsamkeiten mit dem mediterranen, speziell dem it. Städtewesen auf; spezifisch für ihn sind die städt. Rechte (Statuten), die Stadtmauer, der Kommunalpalast u. die kommunale Loggia, die Vermittlungsfunktion zw. Adriaraum u. Hinterland u. die Präsenz slav. (kroat.) Sprache u. Schriftlichkeit. Das Städtewesen →Istriens u. →Dalmatiens hat sich bereits in der Antike entfaltet. Merkmale der Kontinuität sind die teilweise Bewahrung des antiken ager als städtisches Territorium, der Erhalt der Alleinzuständigkeit des städtischen Gerichtes auf diesem Territorium, die kleinräumige kirchl. Gliederung, in der fast jede Stadt Bischofssitz war. Die im Hoch-MA entstandenen Städte (z. B. Šibenik/Sebenico, Hvar/Lessina, Korčula/Curzola) glichen sich den älteren Städten strukturell an. Im Falle räumlicher Kontinuität (z. B. Poreč/ Parenzo, Zadar/Zara, Diokletianspalast innerhalb v. Split/Spalato) ist der regelmäßige antike Stadtplan noch heute gut erhalten; Im Frühmittelalter entstandene Städte (Rovinj, Šibenik) weisen zumeist einen unregelmäßigen Stadtplan auf; Neuanlagen und Erweiterungen der kommunalen Zeit hingegen sind strikt durchgeplant (Korčula, Ston). Die mediterrane Stadt unterscheidet sich vom mitteleurop. Stadttyp durch die vertikal orientierte, dichte Bebauung. Während noch bis ins 11. Jh. Ähnlichkeiten zum byz. Städtewesen erkennbar waren, organisierten sich die Städte Istriens u. Dalmatiens in Gemeinsamkeit mit dem Städtewesen Mittel- u. Westeuropas seit dem 12. Jh. als Kommunen (slav. općina schon in Quellen seit dem 13. Jh.) durch feste Abgrenzung des Kreises der Bürger (cives), die allein pol. Rechte genossen, gegenüber den Einwohnern (habitatores) u. durch Ausbildung der Ratsverfassung. Die Räte schlossen sich fast überall im 14. Jh. durch Festschreibung der ratsfähigen Familien ab.
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Stadt, Stadttypen: Dalmatien, Istrien / Stadt, Stadttypen: Osmanisch
Wie auch aus dem Namensgut ersichtlich, wurde die ursprünglich romanische Stadtbev. durch kontinuierliche Zuwanderung aus dem Hinterland in unterschiedlicher Intensität slavisiert, u. es bildete sich eine romanisch-slav. Sprachsymbiose aus. Doch für die soz. Identifikation waren ethn.-nationale Kriterien bis ins 19. Jh. irrelevant gegenüber der Abgrenzung Stadt – Land bzw. Städter – Landbewohner. Unabhängig vom nivellierenden Einfluss der →Modernisierung sind die Besonderheiten des d.-istr. St. in Stadtbild u. Lebensformen bis heute erkennbar geblieben. Lit. (a. →Dalmatien; →Dubrovnik): L. Steindorff, Städtische Lebensformen im Spiegel spätmittelalterlicher istrischer und dalmatinischer Statuten, in: Die Urbanisierung Europas von der Antike bis in die Moderne. Hgg. G. Fouquet/G. Zeilinger. Frankfurt/M. 2009, 173-190; I. Benyovsky Latin, Srednjovjekovni Trogir: prostor i društvo. Zagreb 2009; D. Kečkemet, Stari Split. Od kantuna do kantuna. ebd. 2009; M.M. Stanić, Dalmatien. Kleine Kunstgeschichte einer europäischen Städtelandschaft. Köln u. a. 2008; M. dal Borgo/G. Zanelli, Zara. Una fortezza, un porto, un arsenale (secoli XV–XVIII). Roma 2008; M. Anderle, Die Loggia communis an der östlichen Adria. Weimar 2002; J. Kolanović, Šibenik u kasnome srednjem vijeku. Zagreb 1995; J. Dusa, The Medieval Dalmatian Episcopal Cities. Development and Transformation. New York u. a. 1991; Statut grada Trogira. Hg. K. Prijatelj. Split 1988; Korčulanski statut. Statuta et leges civitatis et insulae Curzulae. Statut grada i otoka Korčule iz 1214. g. Hg. A. Cvitanić. Zagreb u. a. 1987; L. Steindorff, Die dalmatinischen Städte im 12. Jh. Studien zu ihrer politischen Stellung. Köln, Wien 1984; Knjiga statuta, zakona i reformacija Grada Šibenika. Volumen statutorum, legum et reformationum Civitatis Sibenici. Šibenik 1982 [Teilw. Nachdr. d. Ausg. Venetiis 1608]; K.D. Grothusen, Zum Stadtbegriff in Südosteuropa, Zeitschrift für Balkanologie 13 (1977), 62–81; S. Grubišić, Šibenik kroz stoljeća. Šibenik 1974; E. Mayer, Die dalmatinisch-istrische Munizipalverfassung u. ihre römischen Grundlagen, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 24 (1903), 211–308. L. St.
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Stadt, Stadttypen: Osmanisch. Die osm. Terminologie unterscheidet – nicht immer konsequent – zw. Residenzstädten (mahruse aus arab. maḫrūsa „wohlbehütet“), (Handels-)Städten (medine), (Markt-)Orten (kasaba) sowie (befestigten) Flecken (palanka). Unter varoş (aus ung. város) versteht man die oft ausschließlich christl. bewohnte Vorstadt unregelmäßiger Anlage. Der Rang einer städtischen Siedlung hängt dabei nicht zuletzt v. der Existenz eines abschließbaren Basargebäudes, türk. bedesten, ab (a. →Čaršija). Ob die sprichwörtliche „orientalische“ Regellosigkeit mit Sackgassen u. gewachsener Viertel-Bildung als Wesenszug der „islamischen“ Stadt anzusehen ist, bleibt umstritten. Neuere Forschungen unterstreichen, dass aus der Antike ererbte regelmäßige Anlagen nach cardo u. decumanus sich in manchen osm. Städten (z. B. Edirne u. →Saloniki) noch lange erhalten haben; andererseits aber auch, dass die Grundrisse mancher Städte sich spätestens seit spätbyz. Zeit in Sackgassen u. Quartiere (regiones) aufgelöst haben, die das osm. Maschenwerk v. Sträßchen u. Gassen mitsamt den Wohnvierteln (mahalle) vorwegnehmen. Hiernach wäre die sozialökon. Struktur des osm. Wohnviertels als eines überschaubaren Nachbarschaftsverbandes mit eigener Identität
Stadt, Stadttypen: Osmanisch
u. Vertretung gegenüber den Behörden mindestens regional ein byz. Erbe. Wie die byz. u. die „islamische“, so kannte auch die osm. Stadt – abgesehen v. bestimmten herrscherlichen Privilegien für einzelne Gemeinwesen (→Osm. Reich) wie etwa →Sarajevo – keine „Freiheiten“ im abendländischen Sinne, kein Stadtrecht. Sie besaß weder Rat noch Stadtgericht, weder Marktrecht noch Zoll-, Steuer- oder Münzprivileg, ebensowenig das Recht auf Befestigung aus eigener Initiative. Doch war ihre Bev., sofern sie nicht ohnehin zur Kategorie der exempten Askeri gehörte, keiner Schollenbindung unterworfen wie die übrigen →Reaya; ihre christl. Bewohnerschaft war v. der →Knabenlese nur ausnahmsweise betroffen. Allgemein erfreuten sich die Städter im Osm. Reich größerer Rechtssicherheit u. geringerer steuerlicher Belastung als die Landbev. – Kennzeichnend für das äußere Erscheinungsbild der osm. Stadt waren die sakrale (osm.-isl.) Topographie, die scharfe Trennung zw. öffentlichem u. privatem Raum (zw. Markt u. Wohnbereich) u. die nach Konfessionen getrennten (oft aber auch gemischten) Quartiere. Strenge Ghettobildung nach Religionsgruppen wie in anderen Teilen der isl. Welt kam hier seltener vor, wenn sie auch besonders im Falle der →Juden keineswegs fehlte. Auch sind Abgrenzungen gegenüber Zigeunern (→Roma) beider Konfessionen in osm. Städten häufig zu beobachten. Zu den typischen Einrichtungen osm. Städte gehören u. a. 1. die sakralen Bauten: die Freitagsmoschee (arab. ḏjāmi; südsl. džamija), das kleinere Gotteshaus (arab. masḏjid; südslav. mezdžid), die niedere Koranschule (arab. mäktäb; südslav. mekteb), die theolog. Hochschule (arab. madrasa; türk. →medrese; südslav. medresa), der Derwischkonvent (arab. zāwija, tekke; südslav. zavija, tekke) u. die Mausoleen (türk. türbe) hoher Würdenträger, 2. die wirt. Einrichtungen: der Markt (südslav. →čaršija), die überdeckte Markthalle (arab. bedestān; südslav. bezistan), die Karawansereien u. Herbergen (arab. ḵhān; südslav. han), 3. die sanitären Einrichtungen: das öffentl. Bad (ḥammān; südslav. →hamam), öffentl. Brunnen u.ä. sowie 4) die sozialen Einrichtungen: Armenküche (arab.‘imāret; südslav. imaret), Krankenhäuser u.ä. Viele dieser Einrichtungen sind entstanden durch u. im Besitz von frommen Stiftungen (→Vakuf ). Lit.: H. Sundhaussen, Sarajevo. Die Geschichte einer Stadt. Wien u. a. 2014; Urban Governance Under the Ottomans. Between Cosmopolitism and Conflict. Hgg. U. Freitag/N. Lafi. London, New York 2014; B. Lory, La ville balkanissime Bitola 1800–1918. Istanbul 2011; Centers and Peripheries in Ottoman Architecture: Rediscovering a Balkan Heritage. Hg. M. Hartmuth. Sarajevo 2010; G. Bojkov, Tatar Pazardžik ot osnovavaneto na grada do kraja na XVII vek. Sofija 2008; M. Mazower, Salonica, City of Ghosts. Christians, Muslims and Jews, 1430–1950. London 2004; L. Kumbarazi-Bogoevik, Osmanliski spomenizi vo Skopje. Skopje 1998; D. G´ org´ie v, Skopje od turskoto osvojuvanje do krajot na XVIII vek. ebd. 1997; B. Zlatar, Zlatno doba Sarajeva. Sarajevo 1996; M. Kiel, Studies on the Ottoman architecture of the Balkans. Aldershot 1990; K. Kreiser, Zur inneren Gliederung der osmanischen Stadt, in: ders., Istanbul u. das Osmanische Reich. Derwischwesen, Baugeschichte, Inschriftenkunde. Istanbul 1995 (11974); Les villes dans l’empire ottoman: activités et sociétés. 2 Bde. Hg. D. Panzac. Paris 1991/94; The Ottoman City and its Parts. Urban Structures and Social Orders. Hg. I.A. Biermann. New Rochelle 1991; A. Bryer, The Structure of the Late Byzantine Town, in: Continuity and Change in Late Byzantine and Early Ottoman Society. Hgg. ders./L. Heath. Birmingham u. a. 1986, 263–279; K. Kreiser, Edirne im 17. Jh. nach Evliyā Çelebi. Ein Beitrag zur Kenntnis der
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Stadt, Stadttypen: Kgr. Ungarn
osmanischen Stadt. Freiburg/Br. 1975; N. Beldiceanu, Recherche sur la ville ottomane au XVe siècle: étude et actes. Paris 1973; The Islamic City. Hgg. A. Hourani/S.M. Stern. Oxford 1970; A. Sućeska, Die Rechtsstellung der Bevölkerung in den Städten Bosniens u. der Herzegowina unter den Osmanen (1463–1878), in: Die Stadt in Südosteuropa: Struktur u. Geschichte. Hg. K.-D. Grothusen. München 1968, 84–99; H.J. Kissling, Die türkische Stadt auf dem Balkan, ebd., 72–88. M. U.
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Stadt, Stadttypen: Kgr. Ungarn. In der Typologie der Städte Ungarns kann keine Affinität mit den westlichen nachgewiesen werden; mit Vorbehalt akzeptiert ist die westeurop. Periodisierung (1250: Frühformen; 1250–1400: Entstehung der eigentlichen Städte; 1400–1500 Blütezeit; 1500–1848 spätfeudale Periode; „kapitalistische“ Stadtentwicklung). Die Trennung der hist. Stadttypen in civitas- u. →oppidum-Siedlungen erfolgt nach den Kriterien der geschlossenen Siedlungsform, der Mindestgröße eines Ortes, des inneren städtischen Lebens u. eines Mindestmaßes an Zentralität. Schon das Edikt Kg. Andreas I. (1046– 1061) unterscheidet zw. civitates, oppida u. villae. Von einem Weiterleben der Römerstädte (municipia) kann man nicht sprechen, auch wenn gewisse christl. Traditionen auf spätrömische Kontinuität hinweisen (Steinamanger-Savaria, Fünfkirchen-Sopianae, Altofen-Aquincum, Raab-Arrabona u. a.). Offenkundig ist der slav. Ursprung mehrerer befestigter Plätze, die ihre Namen an die landnehmenden Magyaren weitergaben (Csongrád, Visegrád, Nógrád). Nach der Gründung des christl. Königtums (1000; →Ungarn) entstanden die Zentren der kirchlichen u. weltlichen Verwaltung. Die Burg bildete den jeweiligen milit. Mittelpunkt im →Komitat u. diente als Wirtschaftszentrum, dem der Schutz des Gespans (Burggrafen; →Ispán; →Župan) gewährt wurde. Gleichzeitig mit der Staatsgründung setzte die Zuwanderung aus dem W ein, mit Höhepunkt um 1150, als die →Zips u. einzelne Teile Siebenbürgens mit →(Siebenbürger) Sachsen besiedelt wurden. Unter den hospites (Gäste, Zuwanderer) genannten Siedlern waren neben Deutschen auch Wallonen u. Italiener anzutreffen (s. →Deutsche). Die engen Beziehungen zw. Burgleuten (jobagiones castri, →Jobagyen) u. hospites gehen z. B. aus der →Goldenen Bulle (1222) hervor. Soweit man solche frühen Siedlungsformen noch rekonstruieren kann, sind in ihnen eine ältere primäre Befestigung mit Kirche, Wohnstätten, Speichern, Ställen sowie eine sekundäre Hospes-Siedlung nachweisbar. Eine Kontinuität in topographisch-funktionalem Sinn ist durch den Mongolensturm 1241/42 (→Mongolen) unterbunden worden, der die erste Periode der ung. Stadtgeschichte beendete. Die zweite Periode gilt nicht als Neubeginn der Städteentwicklung. Zwei Schwerpunkte bestimmten die Städtepolitik Kg. Bélas IV. (1235–1270): Verteidigung u. Population. Während vorher die Burgsiedlung gegenüber der Hospes-Siedlung meist eine Vorrangstellung innehatte, trat in der Folge die Privilegierung der Hospes-Siedlung stärker hervor. Im Unterschied zu den reinen „Kolonisationsdörfern“ war ihr wichtigstes Merkmal der suburbium-Charakter, durchwegs in der Nähe einer Burg u. mit funktionaler Verknüpfung. Als Komitatssitze waren diese Doppelsiedlungen meist auf kgl. Boden entstanden. Anstelle der Burg mit unbefestigtem suburbium trat in der nachmongolischen Periode die befestigte
Stadt, Stadttypen: Kgr. Ungarn
Stadt. Infolge der Türkengefahr wurden unter Kg. Sigismund (1387–1437) einige Städte mit Mauern umgeben (civitates muratae), die unter steuerlicher Exemtion fielen. Parallel zu den kgl. →Freistädten gewannen die Burgbauten der privaten Grundherrschaften an Breitenwirkung u. dienten dem Schutz kleinerer Gebiete. Die Bildung dieser Siedlungsformen hielt auch noch im 16./17. Jh. an. In den meisten v. ihnen können die späteren privat-grundherrschaftlichen oppida erblickt werden. Zugleich förderte die Rechtsordnung das Aufkommen partikularer Einheiten: So bestand ethnisch die dt. Stadt neben der ung. (in Ofen, Klausenburg) oder die kgl. Stadt neben der des Erzbischofs bzw. Domkapitels (in Esztergom/Gran bzw. →Zagreb/Agram). Seit der ersten H. des 15. Jh.s bahnt sich eine Differenzierung in zwei Kategorien an: in die kleinere Gruppe der civitas-Siedlungen u. eine Vielzahl v. oppida. Die oppida bedurften des Rechtsaktes der Stadterhebung, um in die civitas-Siedlungen aufgenommen zu werden, d. h. die Marktflecken bildeten eine Vorstufe der städtischen Entwicklung. Blieb der Rechtsakt aus, bezeichnet man sie als „Minderstädte“. Seit dem 14. Jh. konnten nur die am Fernhandel beteiligten Siedlungen zu „Vollstädten“ aufsteigen. Der Aufstieg zur Vollstadt schien nur dort gesichert, wo die v. den Herrschern urkundlich festgelegten Funktionen gesteigert u. dauerhaft ausgeübt werden konnten. Das Verbleiben unter unmittelbarer Herrschaft des Kg.s bedeutete eine gewisse Garantie. Neben den wirt. Funktionen (Markt- u. Mautprivilegien) war die Verteidigungsfunktion maßgebend für die städtische Privilegierung. Seit dem 15. Jh. stellten die Städte dem Kg. Kriegsmaterial u. Söldner zur Verfügung. Nur die Bergstädte nahmen wegen ihrer speziellen Aufgaben eine Sonderstellung ein (→niederungarische Bergstädte; →Zips). Sobald jedoch der Bergbau nachließ, war auch ihr rechtlicher Stand gefährdet. Besonders benachteiligt waren die Städte, die in den Besitz v. privaten Grundherren übergingen (Rosenau 1291, Göllnitz vor 1527). In den ersten Jahrzehnten des 16. Jh.s, noch bevor die Osmanen einfielen, weist die ung. Städtelandschaft v. a. zwei Merkmale auf: die ungleiche räumliche Verteilung der städtischen Siedlungen, die niedrige Zahl der Vollstädte im Vergleich zu der Vielzahl v. Klein- u. Minderstädten. Weitreichende Folgen für die ung. Stadtentwicklung hatte der Kampf zw. →Adel u. Städten, der in der 2. H. des 16. u. Anfang des 17. Jh.s in seine Entscheidungsphase trat. 1563 erreichten die Adligen, dass ihre v. den Osmanen vertriebenen Standesgenossen Grundbesitz in den Städten erwerben konnten. 1574 scheiterten die kgl. Frei- u. Bergstädte mit ihrer Forderung, dem Adel ein Handelsverbot mit agrarischen Erzeugnissen aufzuerlegen. 1608 setzte der Adel durch, dass die Zahl der kgl. Freistädte nur mit seiner Zustimmung erhöht werden dürfte. Ein Dekret v. 1647 schließlich erlaubte dem Adel den ungehinderten Zuzug in die Stadt unter Beibehaltung sämtlicher Privilegien. Bis ins 19. Jh. hinein blieben daher die ung. Städte (u. das Stadtbürgertum) im Vergleich zu Mittel- u. Westeuropa schwach, weil sie bereits zuvor schwach gewesen oder im Kampf mit dem Adel dramatisch geschwächt worden waren (→Bürgertum). Insgesamt gab es bis zum Jahre 1848 in den vier Großlandschaften Ungarns (→Transdanubien, Ungarisch-slowakisches Oberland [→Oberungarn], Große ungarische Tiefebene [→Alföld], ungarisches Küstenland [→Rijeka/Fiume]) sowie in →Siebenbürgen u. →Kroatien-Slawonien 64 kgl. Freistädte (elf davon waren zugleich Bischofssitze) sowie acht Bischofsstädte. Bis zum 16./17. Jh. überwogen die Stadterhebungen im Gebiet
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Stadt, Stadttypen: Kgr. Ungarn / Stalinismus
Oberungarn u. Transdanubien, im 18. Jh. verschob sich der Schwerpunkt nach Mittel- u. Südungarn. Als oppida galten die Kron-, Cameral- u. privilegierten Marktflecken, die Zipser, Jazygen-, Kumanen- u. Haidukenstädte (vgl. →Kumanen, →Haiduken), die in der dt., slav. u. ung. Formulierung (-markt, -m(j)esto, -hely) die Marktfunktion zum Ausdruck bringen. Lit. (a. →Freistädte; →Königsboden; →niederungarische Bergstädte; →Zips; →Siebenbürgen): W. Carls/K. Gönczi, Sächsisch-magdeburgisches Recht in Ungarn u. Rumänien. Autonomie u. Rechtstransfer im Donau- u. Karpatenraum. Berlin 2013; I.H. Németh, Az önigazgatás és állami felügyelet szimbólumai a magyarországi szabad királyi városokban, in: „Ez világ, mint egy kert...“. Tanulmányok Galavics Géza tiszteletére. Hg. O. Bubryák. Budapest 2010, 53–62; Segregation – Integration – Assimilation. Religious and Ethnic Groups in the Medieval Towns of Central and Eastern Europe. Hgg. D. Keene/B. Nagy/K. Szende. Aldershot 2009; J. Miller, Urban Societies in East-Central Europe, 1500–1700. ebd. 2008 [behandelt Polen, Böhmen, Mähren, Schlesien u. Ungarn]; B.A. Szelényi, The failure of the Central European bourgeoisie. New perspectives on Hungarian history. New York u. a. 2006; M. Font, Städte im Königreich Ungarn vor 1526, in: Berichte u. Beiträge des GWZO 1998. Hg. W. Eberhard. Leipzig 1999, 191–219; K. Gönczi, Ungarisches Stadtrecht aus europäischer Sicht. Die Stadtrechtsentwicklung im spätmittelalterlichen Ungarn am Beispiel Ofen. Frankfurt/M. 1997; H. Brachmann, Burg-Burgstadt-Stadt. Zur Genese mittelalterlicher nichtungarischer Zentren in Ostmitteleuropa. Berlin 1995; E. Fügedi, Die Städte im mittelalterlichen Ungarn. Versuch einer Forschungsbilanz, in: Städte im Donauraum. Bratislava-Preßburg 1291–1991. Hg. R. Marsina. Bratislava 1993, 38–54; V. Bácskai, Towns and Urban Society in Early Nineteenth Century Hungary. Budapest 1989; E. Deák, Das Städtewesen der Länder der ungarischen Krone (1780–1918). I. Teil. Allgemeine Bestimmungen der Städte u. der städtischen Siedlungen. Wien 1979; J. Szűcs, Das Städtewesen in Ungarn im 15.–17. Jh., in: La Renaissance et la Réformation en Pologne et en Hongrie (1450–1650). Hg. Gy. Székely. Budapest 1963, 97–164; Das Ofner Stadtrecht. Eine deutschsprachige Rechtssammlung des 15. Jh.s aus Ungarn. Hg. K. Mollay. Weimar 1959. M. Gl.
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Stalinismus. Zu Stalins Lebzeiten in der UdSSR u. später in anderen sozialist. Staaten zeitweise die Bez. für seine Theorie u. Praxis als Fortsetzung u. Weiterentwicklung des Marxismus-Leninismus; nach seinem Tod fallengelassen. In der nichtkommunistischen Literatur oft Kennzeichnung für Strukturen, Merkmale u. Methoden, namentlich für den offenen Terror u. den totalitären Anspruch des sowj. Regimes während der Stalinschen Herrschaftszeit. Häufig wird sie auch auf Regime in anderen Ländern angewandt. Im Hinblick auf SOE gilt dies für alle dortigen →Volksdemokratien außer Jugoslawien in der Periode 1949–1956, für Jugoslawien in der Zeit 1945–1948, für zumindest weite Teile der Herrschaftszeit N. Ceauşescus in Rumänien u. v. a. für die gesamte Dauer der KP-Herrschaft in Albanien, namentlich für die Herrschaftszeit E. Hoxhas. Eine derartige Verwendung des Wortes bleibt höchst zweifelhaft, gerade weil St. in dem zuerst genannten Sinne (im Unterschied etwa zu Marxismus, Leninismus oder Marxismus-Leninismus) als Begriff allgemein u. zu Recht verworfen wird. Zwar wird damit plakativ zum Ausdruck gebracht, dass bei einigen Merkmalen
Stalinismus / Stamm, Stammesgesellschaft
u. Erscheinungen (systematischer Staatsterror, totalitärer Anspruch, Personenkult) durchaus Ähnlichkeiten u. Nachahmungen Stalinscher Methoden ins Auge fallen. Doch wird dabei der viel wichtigere Aspekt in den Hintergrund gedrängt, dass nämlich Wesen u. spezifische Ausprägungen der betreffenden Regime nur im hist. Kontext des jeweiligen Landes sinnvoll erfasst u. erklärt werden können. Ähnliches gilt für die sogenannte „Entstalinisierung“, mit der einige →Volksdemokratien nach Stalins Tod im Gefolge entsprechender Entwicklungen in der UdSSR von Stalinschen Methoden Abstand nahmen. Als analytische Kategorie ist daher St. für SOE (wie für alle Staaten außerhalb der UdSSR) unbrauchbar. Lit.: A. Litvin/J. Keep, Stalinism. Russian and Western Views at the Turn of the Millemium. London u. a. 2005. The Stalin Years. A Reader. Hg. C. Read. Basingstoke u. a. 2003. Stalinismus. Neue Forschungen u. Konzepte. Hg. St. Plaggenborg. Berlin 1998. G.H. Hodos, Schauprozesse. Stalinistische Säuberung in Osteuropa 1948–54. Frankfurt/M. u. a. 1988. M.A. H.
Stamm, Stammesgesellschaft. Der Naturkunde entlehnte, im 19. Jh. v. a. im Zusammenhang mit „Naturvölkern“ angewandte Bezeichnung für eine vorstaatliche soz. Organisationsform (a. →segmentäre Gesellschaft); in der Neuzeit in SOE hauptsächlich in den Berggebieten Montenegros (→Montenegriner) u. Albaniens (→Albaner) verbreitet. Terminologisch bestehen noch große Unsicherheiten: Der St. wird definiert als Abstammungs-, Siedlungs-, Heirats-, Rechts-, Traditions-, Sprach- u. Kulturgemeinschaft; manche sehen in ihm auch den Teil eines größeren Volkes. In SOE war er die älteste Form ges. Zusammenlebens. So waren die Griechen wahrscheinlich schon in der Zeit ihrer Wanderungen in Stämmen (gr. sing. ethnos) organisiert. Das gleiche gilt für die Thraker u. Illyrer vor der röm. Eroberung. Auch die Slaven lebten, als sie im 6. Jh. nach SOE einwanderten (→Slav. Landnahme), in St.esverfassung. Das Aufkommen einer starken Zentralgewalt bedrohte oder beendete deren Existenz. Das war bei der röm. Eroberung der Fall, später nach der Entstehung des bulg., kroat. u. serb. Staates. Eine Ausnahme machten die Osmanen, die die Stämme aus militärischen Gründen tolerierten bzw. sogar förderten (→Osm. Reich). Die Entstehung der neuzeitlichen mont. u. alb. Stämme (sing. serb. pleme, alb. fis) ist in der Forschung umstritten. In den hist. Quellen tauchen sie erst im 14. Jh. auf. Die Vertreter der Kontinuitätstheorie (J. Cvijić, J. Erdeljanović, A. Stipčević u. a.) behaupten, dass die illyr.-thrak. Stämme zwar z. T. romanisiert bzw. später slavisiert wurden, in ihrer Grundstruktur aber als Gemeinschaften halbnomadischer Viehzüchter (vgl. →Vlachen) erhalten blieben. Die Anhänger der Diskontinuitätstheorie (C. Jireček, M. v. Šufflay, S. Pulaha, D. Djurdjev) meinen hingegen, die St. seien erst nach der osm. Eroberung aus den →„Katunen“ heraus entstanden. Die mont. u. alb. Stämme entwickelten sich in Gebieten, in denen transhumante Schaf- bzw. Ziegenzucht betrieben wurde (→Transhumanz). Sie betrachteten sich als Abstammungsgemeinschaften, d. h. sie führten ihre Herkunft auf einen (fiktiven) männlichen Urahnen zurück. Abstammungssagen sind mündlich überliefert. Stammesangehörige galten, zumindest in Albanien, als blutsverwandt, durften also untereinander nicht heiraten (Exogamie). Die St. hatten ein fest umgrenztes Territorium, das i. d. R. Sommer-
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Stamm, Stammesgesellschaft
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u. Winterweiden einschloss. Ungeachtet ihrer Zugehörigkeit zum Osm. Reich übten sie in ihrem Gebiet gemäß dem Gewohnheitsrecht (für Albanien →Kanun des Leka Dukagjin) eine Selbstverwaltung aus. Die einzelnen Stämme bildeten in inneren Angelegenheiten weitgehend selbständige Gemeinwesen, die zu den osm. Behörden nur in einem lockeren Abhängigkeitsverhältnis standen. Sie wurden steuerlich bevorzugt behandelt, unterlagen dafür aber einer begrenzten Heeresfolgepflicht. Die nordalb. Stämme waren über die Institution der „Bajrak“ (vom türk. bayrak = Fahne) sogar in die osm. Heeresorganisation eingebunden. Bajrak u. St. werden oft verwechselt, haben miteinander aber eigentlich nichts zu tun. Der Bajrak war ein Komplex v. Familien, die auf dem gleichen Territorium wohnten, er war keine Unterabteilung des St.s; er konnte verschiedene Stämme übergreifen, i. d. R. gehörten seine Mitglieder aber einem St. an. Größere Stämme zählten mehrere Bajrak. An der Spitze eines Bajraks stand der Bajraktar, dessen Amt in der Familie erblich war. Die Einrichtung des Baj raks scheint ein Versuch der osm. Behörden gewesen zu sein, die Stämme unter Kontrolle zu halten u. ihre Wehrkraft zu nutzen. Die unterste Einheit des St.s war die Hausgemeinschaft oder →Großfamilie (serb. kuća, zadruga; alb. shtëpi) mit Gütergemeinschaft bzw. kollektivem Grundbesitz. Sie konnte sich auflösen oder teilen, wenn sie zu groß geworden war. Die nächstgrößere Einheit war die Sippe oder Bruderschaft (serb. bratstvo; nordalb. vëllazëni). Sie bestand aus mehreren miteinander verwandten Hausgemeinschaften u. nützte Bergweiden u. Waldungen gemeinsam. In Montenegro bestand nur innerhalb der Bruderschaft das Exogamiegebot, das in Albanien für den ganzen St. galt. Die Bruderschaften bildeten die Grundlage für die Stämme, v. denen es in Montenegro u. Nordalbanien je etwa 30 gab. Die Blutsverwandtschaft dieser Stämme ist natürlich sehr fragwürdig, ebenso deren ethn. Hintergrund. Die zu den mont. Brda-Stämmen zählenden Kuči waren z. B. im 17. Jh. zur einen Hälfte slav. u. orth., zur anderen Hälfte alb. u. kath. Auch die ausschließlich alb. Stämme waren konfessionell gemischt; bis zum Ende der osm. Herrschaft rein katholisch waren nur die Mirditen, die eine Stammesföderation bildeten. An der Spitze der Stammeshierarchie standen in Albanien die Bajraktare, in Montenegro nicht erbliche, sondern gewählte Anführer, die sich „Vojvoda“ (→Vojvode), →„Knez“ oder „Glavar“ nannten. Sie vertraten die Stammesinteressen nach außen. Die einzelnen Sippen wurden v. Vorstehern geleitet, die in Montenegro ebenfalls Vojvoda oder Glavari, in Albanien zumeist „Gjobarët“ (v. gjobë = Bußgeld, dessen Festsetzung wohl ihre ursprüngliche Funktion war) hießen. Bei den nordalb. Stämmen gab es dann noch die „Dorëzanët“ (Bürgen), die dem zuständigen osm. Pascha das Wohlverhalten des St. garantieren sollten. Alle Stammeswürdenträger zus. mit den Vertretern der angesehensten Familien bildeten den Ältestenrat, alb. pleqësia, in Montenegro starješine i glavari (Älteste u. Oberhäupter) genannt. Dieser hatte alle alltäglich anfallenden Aufgaben zu erledigen u. auch richterliche Befugnisse. Zur Entscheidung v. Fragen, die den ganzen St. oder mehrere Stämme betrafen, wie Krieg oder Frieden, Erlass oder Aufhebung v. Rechtsverordnungen, wurde die Stammesversammlung (serb. zbor, alb. kuvend) einberufen. Sie fand in Albanien gewöhnlich zweimal, in Montenegro einmal im Jahr statt. An ihr durfte ein männliches Mitglied jeder Hausgemeinschaft teilnehmen. Stammesähnliche, aber nicht so voll ausgeprägte Strukturen wie in Montenegro u. Nordalbanien gab es auch in Mittel- u. Südalbanien – im Gebiet v. Shpati, in der →Himara u. bei den →Sulioten. Dort hießen die
Stamm, Stammesgesellschaft / Stände
Geschlechterverbände „Fara“ (Verwandtschaft, Geschlecht). Diese waren aber kleiner als die nordalb. Stämme u. besaßen kein eigenes Territorium. Die Stammesgesellschaft bestand in Montenegro bis Mitte des 19. Jh.s, in Nordalbanien bis zur komm. Machtergreifung nach dem 2. Wk. fort. Relikte v. stammesmäßigem Denken u. patriarchalischer Mentalität (→Patriarchalismus) haben sich bis auf den heutigen Tag erhalten. Lit.: D.M. Vučurović, Etnogeneza i istoriografija Vučurovića-Vučurevića, Bijelog Pavla i Bjelopavlića. Beograd 2012; M. Zečević, Pleme Vasojevići i bratstvo Zečevići. ebd. 2011; D.B. Matković, Pleme Piperi: istorija i predanje. ebd. 2009; I. Petrović, Ka poreklu Drekalovu: po knjigama starostavnim. Novi Sad 2009; Lj. Dj. Djukić, Pleme Pješivci sa bratstvom Djukić kroz istoriju. Beograd 2005; N. Malcolm, The Këlmendi: Notes on the Early History of a Catholic Albanian Clan, SOF 59/60 (2000/2001), 149–163; P. Doçi, Vetëqeverisja e Mirditës. Veshtrim etnologjik e historik. Tiranë 1996; Die Stammesgesellschaften Nordalbaniens. Berichte u. Forschungen österreichischer Konsuln u. Gelehrter (1861–1917). Hgg. F. Baxhaku/K. Kaser. Wien u. a. 1996 (dort u. a. Auszüge aus dem nachgelassenen Manuskript von F. Baron Nopcsa: Die Bergstämme Nordalbaniens u. ihr Gewohnheitsrecht, 317–421); K. Kaser, Hirten, Kämpfer, Stammeshelden. Ursprünge u. Gegenwart des balkanischen Patriarchats. Wien u. a. 1992; B. Djurdjev, Postanak i razvitak brdskih, crnogorskih i hercegovačkih plemena. Odabrani radovi. Titograd 1984; P. Bartl, Die Mirditen. Bemerkungen zur albanischen Stammesgeschichte, Münchner Zeitschrift für Balkankunde 1 (1978), 27–69; R. Wenskus, Stammesbildung u. Verfassung. Das Werden der frühmittelalterlichen gentes. Köln, Graz 1961; G. Valentini, Il diritto della comunità nella tradizione giuridica albanese. Generalità. Firenze 1956; G. Gesemann, Heroische Lebensform. Zur Literatur u. Wesenskunde der balkanischen Patriarchalität. Berlin 1943; St. Dučić, Život i običaji plemena Kuča. Beograd 1931; M.E. Durham, Some Tribal Origins Laws and Customs of the Balkans. London 1928; J. Erdeljanović, Stara Crna Gora. Etnička prošlost i formiranje crnogorskih plemena. Beograd 1926. P. B.
Stände (aus mlat. status). 1. (Stände allg.) Rechtl. u. soz. abgeschlossene Schicht v. Personen mit gleicher Herkunft (Geburtsstand), später erweitert durch die Verleihung v. Titeln. Für das frühe u. hohe MA wurde die geburtsständische Schichtung in →Adel, Freie u. Unfreie wichtig. Im Spät-MA unterscheidet man 3 St.: Adel, (Stadt)Bürger u. Bauern mit Untergruppen. Verfassungsrechtl. bedeutsam wurde die ständ. Schichtung im Ständestaat (Landstände). Auf den Landtagen machten die St. des Adels, der Prälaten (aus lat. praelatus= der Vorsteher/Bevorzugte: Würdenträger der Kirche), der Stadtbürger, mitunter auch der Bauern, ihr Mitsprachrecht bei der Steuerbewilligung, oft auch bei der Gesetzgebung u. Verwaltung, geltend. Der Ständestaat war in Mittel-, West- u. Nordeuropa vom 13.–17. Jh. herrschende Staatsform. In SOE setzte sich die ständische Gliederung der Gesellschaft nur im Kgr. Ungarn (einschließlich der „Nebenländer“) u. in der Habsburgermonarchie durch. In den ma. Balkanstaaten brachen die Ansätze zu einer ständischen Gliederung mit der osm. Eroberung dagegen ab. 2. (Kgr. Ungarn) Nachdem der „Hochadel“ in der →Goldenen Bulle 1222, bald danach (1223) die Geistlichkeit u. 1267 auch die als Vorgänger des „Gemeinadels“ geltenden kgl. Servienten (→Adel) Privilegien u. Immunitäten erhielten, kam es unter Andreas III. (1290–1301)
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Stände / Steiermark
zu den ersten, episodenhaften Versuchen, diese St. in den parlamenta (→Országgyűlés) zu Mitträgern der Macht zu machen. Doch erst im 15. Jh. kann man in Ungarn v. St. sprechen, zu denen das →Bauerntum nicht mehr, die →Bürger der →Freistädte nur gelegentlich gerechnet werden können: im wesentlichen bestanden „die St.“ im Spät-MA aus einem Stand, dem juristisch einheitlichen Adel, in dem die Prälaten u. Barone (aus Fränkisch Baro=Herr, Krieger; Adelstitel, der von Königen außerhalb des Hl. Römischen Reichs verliehen wurde) eingeschlossen waren. (Die Entwicklung eines mit, wenn auch begrenzten, Rechten ausgestattetem Bauernstandes dürfte mit dem Aufstand v. 1437 sein Ende gefunden haben.) Erst im späten 15. Jh. u. in der Neuzeit entwickelten sich die formalen Kriterien der St. – im Landtag (→Országgyűlés) als „Status et ordines“ bezeichnet – als Magnaten u. Prälaten, Komitatsadel u. (mit sehr begrenztem Mitspracherecht) die Freistädte. Im 19. Jh. kamen gleichsam als „dritter Stand“ jene Honoratioren hinzu, die durch Bildung u. Fachkenntnis zu den pol. Berechtigten gerechnet wurden (→Eliten). Obwohl die St. juristisch 1848 abgeschafft wurden, behielt die ung. Gesellschaft noch lange – gemäß manchen Sozialhistorikern in Rudimenten gar bis weit ins 20. Jh. hinein – gewisse „ständische“ Elemente im Sinne der „kastenähnlichen“ Absonderung v. Gesellschaftsschichten. Lit.: A. Kubinyi, Stände u. Ständestaat im spätmittelalterlichen Ungarn. Herne 2011; M.I. Szijárto, A diéta: a magyar rendek és az országgyűlés 1708–1792. Budapest 2005; W. Kessler, Stände u. Herrschaft in Ungarn u. seinen Nebenländern im 18. u. frühen 19. Jh., in: Ständewesen u. Landesherrschaft in Ostmitteleuropa der frühen Neuzeit. Hg. H. Weczerka. Marburg 1995, 171–191; I. Hajnal, From Estates to Classes, in: Nobilities in East Central Europe. Hg. J.M. Bak. Budapest 1993; Z. Tóth, A rendi norma és „keresztyén polgárisodás“. Társadalomtörténeti esszé, Századvég 1991/2–3, 75–130; J. Gerics, A korai rendiség Európában és Magyarországon. Budapest 1987; E. Mályusz, Die Entstehung der ständischen Schichten im mittelalterlichen Ungarn. ebd. 1980; Gy. Bónis, Hűbériség és rendiség a középkori magyar jogban. Kolozsvár o. J. [1944?]. J.M. B.
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Steiermark. Heute mit 16.386 km2 zweitgrößtes Bundesland der Republik Österreich, das im W an Salzburg u. Kärnten, im N an Ober- u. Niederösterreich, im O an das Burgenland u. im S an Slowenien grenzt. 1.211.828 E (2012) mit einer sehr kleinen slowen. →Minderheit im äußersten S des Bundeslands; Hauptstadt: Graz. Die 1918/19 an Jugoslawien übergegangenen Gebiete der histor. Untersteiermark haben seitdem keine regionsspezifischen administrativen Strukturen mehr, werden aber slowen. (weiterhin) als Štajerska, „Steiermark“, bezeichnet u. als spezifische slowen. Region wahrgenommen. Im Rahmen der im 6. Jh. einsetzenden slav. Besiedlung des Ostalpenraumes gehörte das Gebiet der St. zum slav. Herzogtum Karantanien (→Kärnten). Dies blieb auch bei der Reorganisation des südöstl. Markengürtels nach der Schlacht auf dem Lechfeld 955 der Fall: 970 wird erstmals die karantanische Mark an der Mur mit ihrem Zentrum der Hengistburg bei Wildon urkundlich bezeugt, der auch die vier karantanischen Grafschaften des Oberlandes (Ennstal, Judenburg, Leoben u. Mürztal) unterstellt waren. Diese Mark, die zum Kernland der St. wurde, verwalteten zunächst die obersteir. Eppensteiner, ab 1035 die bayr. Familie
Steiermark
der Grafen v. Wels u. Lambach, gefolgt nach 1050 v. den Otakaren, den Grafen v. Traungau, die auch in der Chiemseegegend begütert waren. Dieses Geschlecht beerbte 1122 die Eppensteiner u. baute seine Herrschaft so erfolgreich aus, dass Otakar IV. 1180 v. Ks. Friedrich Barbarossa zum Herzog der Steiermark erhoben u. damit lehensrechtlich v. Kärnten u. Bayern unabhängig wurde. Schon als Markgrafen nannten sich die Traungauer nach ihrer Burg Steyr-Styraburg marchiones Styrenses u. nach 1180 dux Styre oder Styrie, wobei Styria-Steier bereits das Land u. nicht mehr die Burg (die heutige oberösterr. Stadt Steyr) bezeichnete u. verbunden mit der alten Bezeichnung der „Mark“ die St. als neuer Landesname sich durchsetzte. Das Pantherwappen hatte bereits Otakar III., der Begründer des steir. Landesfürstentums, 1160 gewählt, während die Landesfarben weiß-grün erst um 1240 festgelegt wurden. Zur St. gehörte damals noch der Traungau u. (ab 1158) die Grafschaft Pitten mit Wiener Neustadt im Norden (beide Gebiete wurden im 13. Jh. an das Herzogtum Österreich angegliedert), im Süden die 1147 v. den Spanheimern erworbene Markgraftschaft an der Drau u. die Herrschaft Tüffer, so dass die St. bis an die Save heranreichte (1311 kamen hier noch das Sanntal u. 1482 Windischgraz hinzu). Von sicherheitspol. Erwägungen geleitet, dass nämlich die beiden Länder St. u. Österreich leichter u. friedfertiger v. einem Fürsten regiert werden könnten, schloss der kinderlose u. unheilbar erkrankte Otakar IV. in der Georgenberger Handfeste vom 17.8.1186 einen Erbvertrag mit dem Herzog v. Österreich, dem Babenberger Leopold V.; hierin wurden zudem erstmals die Vorrechte des steir. Adels, des Klerus u. der Klöster aufgezeichnet u. verbrieft. Der Erbfall trat 1192 ein. Nach dem Aussterben der Babenberger 1246 waren es v. a. die steir. →Stände, die die Geschicke des Landes mitgestalteten u. entscheidend zur Ausprägung eines Landesbewusstseins beitrugen, wozu auch die ab 1411 bezeugten Landtage wesentlich beitrugen. 1259 erhoben sie sich erfolgreich gegen die 1254 im Frieden v. Ofen festgelegte ung. Oberherrschaft, 1267 gegen den 1260 zum neuen Landesherrn erhobenen Kg. Otakar II. v. Böhmen, um sich schließlich 1276 Rudolf v. Habsburg anzuschließen, der 1282 seine Söhne Albrecht u. Rudolf mit dem Herzogtum St. u. Österreich belehnte. Um diese Zeit war auch der innere Landesausbau mit mehreren Rodungswellen im 11. u. 12. Jh. beendet, in der zweiten H. des 12. u. im 13. Jh. wurden die meisten steir. Städte u. Märkte begründet, 1218 das Bistum Seckau (heute Graz-Seckau) als Suffraganbistum v. Salzburg errichtet. Die pol. Bedeutung der St. hat nach den habsb. Erbteilungen v. 1411 u. 1564 stark zugenommen, als Graz nicht nur zur Residenz →Innerösterreichs, sondern auch bis zum Ausgang des 17. Jh.s zum Zentrum der Türkenabwehr für die kroat. u. westung. Grenzgebiete aufgestiegen ist (a. →Türkenkriege; →Militärgrenze). Die äußeren Grenzen der St. blieben vom Ende des 15. Jh.s bis 1918 unverändert; Gleiches gilt auch für die innere dt.-slowen. Sprachgrenze. Die im Hoch-MA noch nachweisbaren slowen. Sprachinseln der Ober- u. West-St. waren infolge der starken dt. Kolonisationstätigkeit bis zum 15. Jh. verschwunden, wie auch die dt. Kolonistendörfer (mit Ausnahme der Städte u. Märkte) der Unter-St. (slowen.: Spodnja Štajerska) im gleichen Zeitraum slowen. geworden waren. Dieses slowen. Drittel des alten Kronlandes wurde (mit 70.000 dt. E) im Friedenvertrags v. →Saint Germain-en-Laye 1919 dem neuen Staat Jugoslawien einverleibt u. gehört heute zu →Slowenien, während das geschlossene dt. Siedlungsgebiet als „Land St.“ am 6.11.1918 dem neuen Staat Deutsch-Österreich beigetreten ist. Nach dem „Anschluss“ 1938
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Steiermark / Stephanskrone
kam der südl. Teil des →Burgenlandes zur St., während das Ausseerland dem Gau Ober donau zugesprochen wurde. Wie die 1941 erfolgte faktische Rückgliederung der allerdings de jure damals vom Dt. Reich nicht annektierten Unter-St. erwiesen sich diese Grenzveränderungen als sehr kurzfristig u. wurden 1945 wieder aufgehoben. Lit.: Landtag Steiermark: Geschichte und Gegenwart. Hgg. J. Riegler/H. Drobesch. Graz 2013; B. Reismann, Steiermark. Eine Geschichte des Landes. Wien u. a. 2012; H. Pirchegger, Geschichte der Steiermark. Graz 1949 (²1996); 100 Jahre Historische Landeskommission für Steiermark 1892–1992. Bausteine zur Historiographie der Steiermark. Hg. O. Pickl. ebd. 1992; 800 Jahre Steiermark und Österreich: 1192–1992. Der Beitrag der Steiermark zu Österreichs Größe. Hg. ders. ebd. 1992; L. Toifl/H. Leitgeb, Türkeneinfälle in der Steiermark u. in Kärnten vom 15. bis zum 17. Jh. Wien 1991; S. K. Spreitzhofer, Georgenberger Handfeste. Entstehung u. Folgen der ersten Verfassungsurkunde der Steiermark. Graz u. a. 1986; H. Dopsch, Die steirischen Otakare, in: Das Werden der Steiermark. Die Zeit der Traungauer. Hg. G. Pferschy. ebd. u. a. 1980, 75–139; F. Tremel, Land an der Grenze. Eine Geschichte der Steiermark. ebd. 1966. G. S.
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Stephanskrone. Wahrscheinlich am ersten Tag des Jahres 1001 wurde der ung. Großfürst Waic (Vajk), der auf dem Namen Stephan getauft u. christl. erzogen worden war, mit einer v. Ks. Otto III. u. Papst Sylvester II. übersandten Krone gekrönt u. →Ungarn damit in die christl. Staatengemeinschaft des Abendlandes aufgenommen. Ausgehend v. dem sakralen Krönungsakt, durch den die Herrscherrechte übertragen wurden, erhielt die Krone selbst bald eine relig. u. infolge der Stephansverehrung auch mystische Bedeutung. Sie wurde zum Zeichen der Staatsmacht, der Legitimität ihres Trägers u. seit dem Spät-MA verkörperte die corona auch den Staat u. sein Recht. Deshalb hat es kein ung. Herrscher mit Ausnahme Josephs II. gewagt, sich nicht mit der Stephanskrone krönen zu lassen, zuletzt Kg. Karl IV. (als Ks. Karl I.) 1916. Seit 2000 wird die Krone, die Ende des 2. Wk.s vor dem Zugriff der Roten Armee nach Westen gebracht u. 1978 an Ungarn zurückgegeben wurde, im Kuppelraum des ungarischen Parlamentsgebäudes in Budapest aufbewahrt. Am 1.7.2012 trat ein Gesetz in Kraft, mit dem die Verunglimpfung nationaler Symbole, darunter der Stephanskrone, mit bis zu einem Jahr Haft bestraft werden kann. Die in der zweiten H. des 19. Jh.s v. dem ung. Staatsrechtler Imre Hajnik entwickelte u. v. seinem Schüler Ákos v. Timon verbreitete Lehre v. der Hl. Krone hat ihre Bedeutung noch überhöht. Die Hl. Krone symbolisierte nunmehr die besondere Staatsidee des SanktStephan-Reiches, die tausendjährige Kontinuität der ung. Verfassung u. der Staatsnation, u. sollte dadurch die Herrschaft der Magyaren über die übrigen Völker des Karpatenbeckens rechtfertigen. Dies nicht zuletzt auch unter der Zielsetzung, die damaligen staatsrechtl. Bindungen Ungarns zu Wien im Zeitalter des →Dualismus zu lockern bzw. einseitig im Sinne der ung. Forderungen zu interpretieren. Angesichts ihres außerordentlichen Nimbus erwies es sich bis zum Ende der Monarchie (1946) als unmöglich, die Krone selbst mit wiss. Gründlichkeit zu untersuchen. Erste, schon im 18. Jh. geäußerte Zweifel an ihrer Echtheit wurden v. den nach 1945 angestellten For-
Stephanskrone / Studentenmigration (Frühe Neuzeit u. 19. Jh.)
schungen voll u. ganz bestätigt. Die aus reinem Gold angefertigte St. besteht aus zwei Teilen: ein zweistöckiger Goldreif, wegen seiner Herkunft u. seinen gr. Inschriften corona graeca genannt, geschmückt mit farbigen Emailplatten mit figürlichen Darstellungen, Edelsteinen u. einem abwechselnd bogenförmig u. dreieckig gestalteten Giebel sowie neun herabhängende Goldketten (Pendilien) mit Edelsteinen. Dem Befund v. Éva Kovács nach handelt es sich bei der corona graeca um eine byz. Frauenkrone, die mit der Prinzessin Synadene, der Gemahlin Gézas I. 1074 nach Ungarn gekommen war, eine These, gegen die László Holler aber erhebliche Zweifel anmeldete. Darüber erhebt sich der corona latina genannte Teil, bestehend aus zwei Kreuzbügeln oder vier Bändern, die mit Emailbildern v. acht Aposteln geschmückt sind u. v. einer größeren Schmelztafel in der Mitte zusammengehalten werden, an der auch das Kreuz befestigt ist. Die lat. Inschriften, Stil u. Technik ihrer Bilder machen es wahrscheinlich, dass dieser Teil in einer ung. Werkstatt in der zweiten H. des 12. Jh.s (1160–1180) entstanden ist, u. zwar ursprünglich als ein Reliquar oder liturgischer Gegenstand. Beide Teile wurden eindeutig nachträglich zusammengenietet zu dem Zweck, eine Reichskrone zu schaffen, die die offenbar verlorengegangene echte St. ersetzen sollte. Die Mehrheit der Forscher neigt zu der Meinung, dass die St. in ihrer heutigen Form in der Regierungszeit Bélas III. (König v. 117296) entstanden ist, nach Josef Deér wurde sie für die Krönung Stephans V. 1270 angefertigt. Lit.: J. K. Teszelszky, Az ismeretlen korona: jelentések, szimbólumok és nemzeti identitás. Pannonhalma 2009; L. Peter, The holy crown of Hungary, visible and invisible, Slavonic and East European Review 81 (2003), 421–510; Szent István és az államalapítás. Hg. L. Veszprémy. Budapest 2002; E.Tóth/K. Szelényi, Die heilige Krone von Ungarn. Könige u. Krönungen. ebd. 22000; A magyar szent korona és a szentkorona-tan az ezredfordulón. Hg. T. Molnár. ebd. 1999; L. Holler, A magyar korona néhány alapkérdésről, Századok 130 (1996), 907–964; K. Benda/E. Fügedi, Tausend Jahre Stephanskrone. ebd. 1988; Z. Lovag/É. Kovács, Die ungarischen Krönungsinsignien. ebd 1986; Insignia regni Hungaria. 1. Studien zur Machtsymbolik des mittelalterlichen Ungarn. Budapest 1983; K. Benda/E. Fügedi, Tausend Jahre Stephanskrone. ebd. 1979; I. Bertényi, A magyar korona története. ebd. 1978; M. von Bárány-Oberschall, Die Sankt-Stephans-Krone u. die Insignien des Königreiches Ungarns. Wien u. a. 1961 (²1974); J. Deér, Die Heilige Krone Ungarns. Wien 1966; J. Karpat, Corona regni Hungariae im Zeitalter der Arpaden, in: Corona regni. Studien über die Krone als Symbol des Staates im späteren Mittelalter. Hg. M. Hellmann. Darmstadt 1961, 225–348; ders., Die Idee der Heiligen Krone Ungarns in neuer Beleuchtung, ebd. 349-398; F. Eckhart, A szentkorona-eszme története. Budapest 1941. G. S
Studentenmigration (Frühe Neuzeit u. 19. Jh.). Die Wissenschaftsbeziehungen zw. SOE u. dem Westen wurden bis Ende des 19. Jh.s vornehmlich v. soe. Studenten vermittelt, die im Ausland studierten (peregrinatio academica). Die wenigen →Universitäten, die bereits im Spät-MA oder in der FNZ in SOE, v. a. im hist. Ungarn, gegründet worden waren, mussten ihre Tätigkeit oft infolge pol. Umwälzungen unterbrechen oder ganz einstellen. Die Söhne des wohlhabenden Adels u. der Kaufmannschaft sowie junge Geistliche aus Ungarn (einschließlich →Siebenbürgens) zog es daher zum Studium in die Fremde. Zunächst waren es
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Studentenmigration (Frühe Neuzeit u. 19. Jh.)
it. Universitäten (insbes. Bologna, Padua u. Rom), die besonders anziehend waren, später kamen die Universitäten im dt.sprachigen Raum hinzu. Im 17./18. Jh. spielten niederländische Universitäten bei der Ausprägung des Reformiertentums in Ungarn eine Rolle (vgl. →Calviner). Ehem. Leidener Studenten konnten in Ungarn wichtige Positionen erringen. – Nach der Befreiung von osm. Herrschaft nahm die Zahl der Studenten auch aus den Balkanländern zu, wobei neben den dt.sprachigen Universitäten auch Paris an Bedeutung gewann. Nach Abschluss des Studiums u. Rückkehr in das Herkunftsland nahmen die Akademiker herausragende Positionen in Politik u. Gesellschaft ein (→Elite). Noch bis zur Mitte des 20. Jh.s war ein Auslandsstudium eine wichtige Voraussetzung für eine Karriere im Heimatland. Mit dem Ausbau des modernen Universitätsnetzes in SOE nahm die Bedeutung des Auslandsstudiums zwar tendenziell ab, blieb aber noch immer karrierefördernd. Die Forschung über soe. Studenten im Ausland weist noch große Lücken auf, da sie eine zeitaufwendige Auswertung der Matrikelbücher der einzelnen Universitäten voraussetzt. Dennoch lässt sich anhand v. Beispielen die Bedeutung des Auslandsstudiums teilw. rekonstruieren. László Szögi hat für den Zeitraum 1789–1919 knapp 15.000 ungarländische Studenten (unterschiedlicher ethn. Zuordnung: neben Magyaren u. Deutsche auch Serben u. a.) an Universitäten u. Hochschulen in den dt. Staaten nachgewiesen. (Für die Schweiz wurden 1.862 u. für Holland 203 Studenten nachgewiesen.) Die mit Abstand größte Gruppe stellten die Theologen, gefolgt v. Juristen, Geistes-, Ingenieur- u. Agrarwissenschaftlern sowie Medizinern. Im jungen Fsm. →Serbien (seit 1830) wurde das Auslandsstudium vom Staat sehr früh vorangetrieben, um den großen Bedarf an akademisch ausgebildeten Fachleuten zu decken. Ljubinka Trgovčević spricht in diesem Kontext von einer „geplanten Elite“. Im Herbst 1839 erhielten auf Initiative des damaligen Bildungsministers Stefan Stefanović (Tenka) erstmals elf junge Serben aus dem Fsm. ein vom Staat finanziertes Auslandsstipendium: vier zum Studium an der Bergbauakademie in Schemnitz (Banská Štiavnica, heutige Slowakei) u. sieben zum Erlernen der dt. Sprache u. zur Vorbereitung des Studiums in Wien u. Paris. Seither war es üblich, dass die Ministerien u. andere staatliche Einrichtungen ihren Bedarf an akademisch qualifiziertem Personal anmeldeten, entsprechende Stipendien ausschrieben u. die ausgewählten Kandidaten – mit strengen Auflagen versehen – an die fachlich einschlägigen ausländischen Universitäten oder Hochschulen entsandten. Nach dem Studium waren die ehem. Stipendiaten verpflichtet, in den Staatsdienst einzutreten. Bevorzugte Studienorte waren die Universitäten im dt.sprachigen Raum (in den binnendt. Ländern des Dt. Bundes, in Österreich u. in der Schweiz), ferner in Frankreich u. – mit deutlichem Abstand – in Russland. Bis zum Beginn des 1. Wk.s gingen über 1.300 serb. Studenten mit einem staatl. Stipendium ins Ausland, andere finanzierten ihr Studium selbst. Der Aufbau des neugr. Staats (→Griechenland, seit 1821) unter Kg. Otto I. (→Wittelsbacher) begünstigte das Studium gr. Studenten in München. In der zweiten. H. des 19. Jh.s nahm die Zahl der Studenten auch aus Rumänien u. Bulgarien deutlich zu. Die im Ausland ausgebildeten Akademiker spielten bei der →Modernisierung ihrer Heimatländer (in Verwaltung, Politik, Rechtswesen, Wirtschaft, Architektur, Kunst sowie bei der Etablierung wiss. Disziplinen: Philologie, Geschichte etc.) eine Schlüsselrolle, die noch unzureichend erforscht ist. 910
Südosteuropa
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Südosteuropa. Unter dem in der geogr. wie hist. Forschung umstrittenen Begriff SOE werden im Folgenden (für die Zeit vom MA bis zur Gegenwart) der →Balkan zuzüglich des Karpatenbeckens sowie des Raums zw. unterer Donau u. Dnjestr verstanden, d.h. der gesamte Raum südl. u. östl. des Karpatenbogens: von den Kleinen Karpaten u. dem Wiener Becken im W bis zum Schwarzen Meer im O u. von den Waldkarpaten im N bis zum Mittelmeer im S. Die vom Balkanforscher Johann Georg v. Hahn (1811–69) eingeführte Bezeichnung SOE wurde zeitweilig als Alternative zum (engeren) Balkanbegriff verwendet. In der dt.sprachigen (u. Teilen der ausländischen) Forschung hat sich im Verlauf des 20. Jh.s der weiter gefasste SOE-Begriff etabliert. Ähnlich wie beim Balkanraum ist auch die Abgrenzung dieses Raums
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Südosteuropa
im NW – gegenüber Ostmitteleuropa (einem ebenfalls schillernden Begriff) – problematisch, da es keine eindeutigen u. allseits akzeptierten geogr. oder hist. Trennlinien gibt. Aus der Sicht der „longue durée“ bietet sich die heutige tschechisch-slowak., österr.-ung. u. slowen.-kroat. Grenze, d. h. die Grenze zw. dem früheren Kgr. Ungarn (einschließlich der Slowakei u. Kroatien-Slawoniens) u. den österr. Erbländern bzw. dem →Heiligen Röm. Reich (einschließlich des heutigen Slowenien) als Nordwestabgrenzung SOEs an. (Die Tatsache, dass die Slowenen Südslaven sind u. dass Slowenien Teil des ersten u. zweiten Jugoslawiens war, hat dazu geführt, dass Slowenien oft zu SOE gerechnet wird. So auch im vorliegenden Lexikon.) Die Abgrenzung SOEs gegenüber Anatolien bereitet abermals Probleme. Die konventionelle geogr. Grenze zw. Europa u. Asien an Bosporus u. Dardanellen lässt sich aus hist. Perspektive nur schwer begründen. Weder in der Antike noch im MA u. in der Neuzeit fungierten die Meeresengen als Grenze zw. zwei Kontinenten. Der Balkanraum u. Anatolien weisen über Jahrhunderte hinweg mehr Ähnlichkeiten auf als der Balkanraum u. Ungarn. Doch unter Bezug auf das geogr. (u. pol.) Konstrukt „Europa“ bleibt Anatolien im folgenden unberücksichtigt. SOE wird somit als (problematischer) Arbeitsbegriff verstanden, der entsprechend dem jeweiligen Untersuchungsgegenstand u. -zeitraum zu modifizieren ( bzw. ggf. auch aufzugeben) ist. Der so definierte Raum umfasst derzeit 14 Staaten: 1. die Slowakei, 2. Ungarn, 3–8. die sechs Nachfolgestaaten des ehem. Jugoslawien (ohne Slowenien), 9. Albanien, 10. Griechenland, 11. Bulgarien, 12. Zypern, 13. Rumänien u. 14. die Republik Moldau. Hinzu kommt der europ. Teil der Türkei. Insges. handelt es sich um eine Fläche v. rd. 955.000 km2 (entspricht etwa der Fläche von Metropolitanfrankreich, Deutschland u. den Niederlanden) mit 90 Mio. E (um 2010). (Rechnet man Slowenien hinzu, so vergrößert sich die Fläche um 20.273 qkm mit 2,1 Mio. E.)
Staaten Südosteuropas (um 2010) nach Fläche in km2 u. Einwohnerzahl in Mio.
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Rumänien Griechenland Bulgarien Ungarn Serbien Kroatien Bosnien-Herzegowina Slowakei Rep. Moldau Albanien Makedonien Ostthrakien (eur. Türkei) Montenegro Kosovo Zypern
238.391 131.957 110.994 93.036 77.474 56.542 51.197 49.034 33.843 28.748 25.713 23.764 13.812 10.887 9.251
20,1 10,8 7,4 9,9 7,1 4,2 3,8 5,4 3,2 2,8 2,1 9,7 0,6 1,8 1,1
Südosteuropa
Zusammen Slowenien
954.643 20.273
90,0 2,1
Kursiv: Zum Balkanraum gehörig.
In Überschneidung mit den Begriffen „The Balkans“ u. „Southeastern Europe“ werden in der angelsächsischen Literatur auch die Termini „Eastern Europe“ oder „East-Central Europe“ zur Bezeichnung der bis Ende 1989 sozialist. Staaten im Vorfeld der Sowjetunion (unter Ausschluss der letzteren) verwendet. In der dt. Historiographie wird SOE neben Ostmitteleuropa u. dem ostslav. Siedlungsraum (mit Schwerpunkt Russland) als eine der drei hist. Teilregionen Osteuropas behandelt (wobei die Zuordnung des früheren Kgr.s Ungarn zu Ostmittel- oder SOE schwankend bleibt u. mitunter gar SOE als Teil Ostmitteleuropas verstanden wird, was für zusätzliche Begriffsverwirrung sorgt). Die Schwierigkeiten bei der geogr. wie hist. Begriffsbestimmung resultieren aus der Tatsache, dass sich 1. in SOE zwei unterschiedliche strukturelle u. kulturell geprägte Teilräume überlappen (vereinfacht gesprochen: das ehem. Kgr. Ungarn auf der einen u. der Balkan sowie Rumänien auf der anderen Seite) u. 2. dass SOE das Bindeglied zw. Mitteleuropa u. Vorderasien bildet. Seit Jahrtausenden fungierte es als Durchzugsgebiet u. Brücke zw. Anatolien u. der südruss. Steppe auf der einen u. Mitteleuropa auf der anderen Seite. Im Vergleich zu West- u. Mitteleuropa weist SOE seit Jahrhunderten eine deutlich niedrigere Bevölkerungsdichte (→Bevölkerung, 2) auf. Die Zahl der Städte war geringer u. das Städtenetz weitmaschiger (→Stadt, Stadttypen [allgemein]). – Im Unterschied zu Ostmittel- u. Osteuropa besitzt SOE antike Kulturgrundlagen, die allerdings im Verlauf des MAs u. der Neuzeit durch neue Einwanderer u. Großmachtbildungen oftmals verdrängt, umgestaltet u. überformt wurden. Mit der auf byz. Reichsboden Ende (→Byzanz) des 6. Jh.s einsetzenden →Slav. Landnahme sind die ethn. Strukturen des Raums grundlegend verändert worden u. über ein Jahrtausend nicht mehr zur Ruhe gekommen. Die Reste der vorslav. Bev. in SOE (Griechen, Albaner u. Rumänen bzw. deren Vorfahren) lebten zeitweilig weit gestreut u. befanden sich gegenüber den Slaven in der Defensive. Mit dem Eindringen v. →Reiternomaden u. mit der →Ungarischen Landnahme Ende des 9. Jh.s wurde die ethnogr. Karte der Region erneut umgestaltet. Mitte des 14. Jh.s erfolgte v. Kleinasien her die Expansion des →Osm. Reiches, die das byzantin. geprägte Millennium südl. v. Save u. Donau in pol. (aber nicht in kult. Hinsicht) beendete u. später (nach der Schlacht v. →Mohács 1526 u. dem Ende des ma. Kgr.s Ungarn) auch die Herrschaftsverhältnisse im Karpatenbecken neu ordnete. Gut anderthalb Jahrhunderte später drang die →Habsburgermonarchie in umgekehrter Richtung in den Raum vor. Die Jh.e der → „Türkenkriege“ haben die ethn. Instabilität befördert, →Migrationen). „Nationale“ Autochthonität u. ethn. Kontinuität, die seit der →Nationsbildung zum obersten Credo erhoben wurden (vgl. a. →Ethnogenese; →Ethnie, ethn. Gruppe), erweisen sich zumeist als romantische Fiktionen. Heute leben in SOE mindestens zwölf „staatstragende“ Nationen: Slowaken, Ungarn, Kroaten, Serben, Montenegriner, Makedonier, Bosniaken, Albaner, Griechen, Bulgaren, Rumänen u. Türken, dazu evtl. die →Moldauer/Moldawier, die zw. eigener Nation u.
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Zugehörigkeit zum Rumänentum schwanken, u. die Kosovo-Albaner. Die meisten „Staatsvölker“ bilden außerhalb ihres staatlichen Territoriums zugleich nationale →Minderheiten. Darüber hinaus existiert eine Vielzahl anderer ethn. Gruppen (→Ethnie), die innerhalb der Region keinen eigenen Staat besitzen etwa →Armenier, →Deutsche, →Roma. Alle (oder nahezu alle) Nationen reklamieren eine eigenständige Schriftsprache (→Sprachkodifizierung), welche die vormals transethnischen Schriftsprachen (Griech., Latein., Kirchenslaw., Osman., teilw. a. Deutsch) ersetzt haben, wobei das Ergebnis der neuesten sprachpol. Abgrenzungen zw. Serben, Kroaten, Bosniaken u. Montenegrinern oder zw. Rumänen u. Moldauern noch nicht gefestigt ist. Konfessionell gliedert sich SOE in einen westkirchlichen (kath.-prot.) (ehem. Kgr. Ungarn) u. einen ostkirchlichen, teilw. islamisierten Teilraum (Balkan u. Rumänien). Das Große →Schisma v. 1054, dessen Abgrenzungen sich annähernd mit der Verwaltungsteilung des Röm. Reiches v. 395 decken, hat die unterschiedliche kult. (u. pol.) Prägung der beiden Teilräume verfestigt (a. →Kulturgeographische Zonen; →Katholizismus; →Orthodoxie). Über fast ein halbes Jahrtausend hinweg war ein Großteil SOEs v. den Entwicklungen im abendländischen Europa weitgehend abgekoppelt. Je nach geogr. Lage befanden sich die einzelnen Teilregionen anderthalb bis fünf Jahrhunderte unter direkter (der mittlere Teil des Kgr.s Ungarn u. der Balkanraum) oder (wie im Falle →Siebenbürgens u. der →Donaufürstentümer Walachei u. Moldau) unter indirekter osm. Herrschaft. Während dieser langen Periode wurde die spätma. byz.-orth. Kultur des Balkanraums teilw. konserviert, teilw. (v. a. im alb. Siedlungsraum, in Bosnien-Herzegowina u. Südwest-Bulgarien) isl. überformt (→Islamisierung). Die mehr oder minder lange direkte oder indirekte osm. Herrschaft über weite Teile SOEs war begleitet v. vielfältigen Formen wechselseitiger Adaption, v. Kooperation u. Gegnerschaft. Die Vorstellung eines jahrhundertelangen Kampfes zw. Islam u. Christentum oder einer ethn. Gegnerschaft gehört in den Bereich der nationalen Mythen. In der Aufstiegs- u. Expansionsphase des Osm. Reiches haben nicht nur ehem. soe. Adlige (→Adel [Balkan], sondern auch Teile der übrigen Bev. mit den Osmanen kooperiert. Erst mit der Krise des osm. Herrschaftssystems schlug Kooperation zunehmend in Gegnerschaft um (a. →Orientalische Frage). Die bis ins 19. Jh. hinein fortdauernden altbalkanischen, patriarchalisch geprägten Zonen (→Patriarchalismus) mit ihren islamisierten Teilregionen unterschieden sich nicht nur deutlich v. der ostalpinen Kulturzone (Slowenien) mit ihrem mitteleurop. Charakter, sondern auch v. der pannonischen Kulturzone (Slowakei, Ungarn, Kroatien, Vojvodina, rum. Banat u. Siebenbürgen) u. der adriatischen Küstenzone mit ihrer romanisch-slav. Kultursymbiose (a.→Kulturgeographische Zonen). Zu beiden Seiten der Grenzen zw. Osm. Reich, Habsburgermonarchie u. Venedig formierten sich in der FNZ Grenzräume („imperial borderlands“) mit spezifischen Grenzergesellschaften (→Triplex Confinium; a. →Militärgrenze; zum langen Fortwirken →Krajina). Die Anfänge der modernen Staaten (→Nationalstaatenbildung; →Befreiungskriege) reichen in das 19. Jh. zurück, als der innere u. äußere Machtzerfall des Osm. Reiches in die Endphase trat. Infolge v. Aufständen, Kriegen u. Interventionen der rivalisierenden europ. Großmächte wurde der Herrschaftsbereich der Osmanen in Europa (mit Ausnahme Ost-
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thrakiens) bis zum Ende der →Balkankriege 1912/13 schrittweise zurückgedrängt. Als gegen Schluss des 1. →Wk.s auch der österr.-ung. Vielvölkerstaat zerfiel, war der Weg zu einer grundlegenden Neugestaltung der pol. Landkarte SOEs frei. Die pol. Führungsschichten der Region warteten mit territ. Maximalforderungen auf, die sich wechselseitig überschnitten u. teils mit ethn., teils mit hist., v. Fall zu Fall auch mit wirt., strateg. u. machtpol. Argumenten begründet wurden. Eine Grenzziehung, die den Prinzipien des „Selbstbestimmungsrechts der Völker“ entsprochen hätte, war angesichts der zahlreichen ethn. Gemengelagen weder möglich (zumindest nicht auf der Grundlage des Territorialprinzips), noch wurde sie konsequent angestrebt. Die Sieger der Balkankriege u. des 1. →Wk.s (Serbien, Montenegro, Rumänien u. Griechenland) nahmen, was sie mit Zustimmung der Entente-Mächte bekommen konnten. Die Verliererstaaten →Bulgarien u. →Ungarn hatten das Nachsehen (a. →Revisionismus). →Albanien wäre 1913 gar nicht entstanden, wären die Großmächte in Verfolgung ihrer eigenen Interessen den Expansionsbestrebungen Serbiens u. Griechenlands nicht entgegengetreten. Das Ergebnis der pol. Neugliederung war die Entstehung zweier heterogener Großstaaten (→Jugoslawien u. →Rumänien), die zusammen mit der neuen Tschechoslowakei u. unter Führung Frankreichs sowohl den dt. „Drang nach Osten“ u. die Restauration der Habsburgermonarchie wie auch die Ausbreitung der bolschewistischen Revolution nach W vereiteln sollten (a. →Kleine Entente). Die anhaltende pol. Spaltung des Donau-Balkan-Raums in nunmehr 6 Staaten u. der Fortbestand zahlreicher außen- u. innenpol. Konfliktherde vereitelten die Stabilisierung u. Konsolidierung der jungen Staaten sowie die von den Westmächten angestrebte Demokratisierung des Raums. Die →Weltwirtschaftskrise brachte die Länder zusätzlich in schwere Bedrängnis. Die Misserfolge des Parlamentarismus beförderten die Formierung diktatorischer oder autoritärer Regime (→Diktaturen). Die pol. Zerrissenheit SOEs hat auch die Etablierung zunächst der nationalsozialist. u. nach dem 2. →Wk. der sowj. Hegemonie in weiten Teilen der Region erleichtert (→Deutschland; →Russland/Sowjetunion). Die rd. vier Jahrzehnte währende Teilung des Raums in einen westl. (Griechenland, Türkei) u. einen sozialist. Teilraum (Tschechoslowakei, Ungarn, Jugoslawien, Rumänien, Bulgarien u. Albanien mit sehr unterschiedlichen Sozialismus-Modellen; →Volksdemokratie; →Sozialismus) hat die Gesamtregion freilich weitaus weniger geprägt als die jahrhundertelang gewachsenen hist. Strukturen. Letztere sind Anfang der 90er Jahre beim Zerfall Jugoslawiens (u. damit desjenigen Staates, der die Vielfalt SOEs geradezu exemplarisch widerspiegelte) pol. wirksam in Erinnerung gerufen, diskursiv aufgeladen u. instrumentalisiert worden. Acht der heute vierzehn Staaten haben nach dem Umbruch v. 1989 ihre Unabhängigkeit erklärt u. legitimieren sich mit dem nationalen Selbstbestimmungsrecht unter Hinweis auf hist. Grenzen. Nach dem Umbruch v. 1989/90 u. einer Phase der Destabilisierung begann die zweite große Transformation in der neuzeitlichen Geschichte weiter Teile SOEs (nach der ersten, postosm. Transformation), die mit ihren innenu. außenpol. Auswirkungen bis zur Gegenwart reicht. Acht der vierzehn Staaten SOEs sind mittlerweile Mitglieder der EU (Griechenland, Slowenien, Slowakei, Ungarn, Bulgarien, Rumänien, Zypern u. Kroatien), die anderen streben eine Mitgliedschaft an. Wer immer den Versuch unternahm, das Verbindende u. Besondere SOEs als hist. Region zu formulieren, verwies an erster Stelle auf die Vielfalt in der Einheit (wobei die Vielfalt klarer
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zu erkennen ist als die Einheit) bzw. darauf, dass „gerade die für SOE typische Pluralität in Hinsicht der landschaftlichen Verklammerung, der sprachl. u. ethn. Auffächerung, des kult. u. soz. Formenreichtums eine unverwechselbare soe. Physiognomie herausmodelliert“ habe (Bernath). Konstitutives Element des Regionalverständnisses ist somit die sich wechselseitig überlappende u. durchdringende Vielfalt mit ethn. u. kult. „fließenden“ Grenzräumen, deren Existenz v. den jeweiligen Nationalisten als Anomalie u. Bedrohung gedeutet wird u. die zu beseitigen ein Hauptanliegen der jeweiligen Führungsschichten seit Beginn der Nationalstaatenbildung darstellt (→Zwangsmigrationen; →ethnische Säuberungen). Zur Abwehr dieser Bestrebungen rief die internationale Gemeinschaft den „Stabilitätspakt für Südosteuropa“ ins Leben. Er wurde am 10. Juni 1999 in Köln beschlossen u. am 30. Juli in Sarajevo von den Staats- u. Regierungschefs der Teilnehmerstaaten bekräftigt. Am 27. Februar 2008 wurde der Stabilitätspakt durch den Regionalen Kooperationsrat für Südosteuropa (SEECP) abgelöst.
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Südslaven. Moderne Bezeichnung für die im soe. Raum lebenden slav. Völker: Bulgaren, Kroaten, Makedonier, Montenegriner, Serben u. Slowenen. In jüngster Zeit sind auch die Muslime bzw. →Bosniaken in Bosnien-Herzegowina hinzurechnen. Unter sprachlichen Gesichtspunkten wird zw. einer ostsüdslav. (Bulgaren, Makedonier) u. einer westsüdslav. Gruppe unterschieden. Die S. begannen im 6. Jh. aus ihrer nördl. der Karpaten angenommenen „Urheimat“ nach SOE einzuwandern (→Slavische Landnahme). (Die These von Kunstmann, die Slaven seien v. ihrer Urheimat in Vorderasien aus über SOE nach O- u. Mitteleuropa eingewandert, wird v. der Mehrheit der Forschung nicht geteilt.) Die röm. Reichsgrenze wurde dabei zunächst nur zu Plünderungszügen überschritten – der erste datierte erfolgte 527 in Thrakien. 548 stießen die S. dann bereits bis nach Dyrrhachion (Durrës in Albanien) vor. Zu einer Landnahme kam es erst, als die →Awaren in SOE auftauchten u. die S. ihrem Machtbereich eingliederten. Zu Beginn des 7. Jh.s war ganz SOE v. S. u. Awaren durchdrun-
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Südslaven
gen. Eine Wende brachte das Scheitern des awar.-slav.-pers. Angriffs auf →Konstantinopel 626, das es den S. ermöglichte, sich allmählich aus der awarischen Oberherrschaft zu lösen u. eigene Staatsgebilde zu errichten. Von den Slaven, die nach SOE kamen, waren nur einige bereits ethn. differenziert – so die Druguviten in Thrakien u. Makedonien, die Severen im heutigen Bulgarien sowie die (nach Konstantin Porphyrogennetos) erst nach 626 eingewanderten →Kroaten u. →Serben. Die anderen südslav. Volksstämme, wie die Karantanen (→Kärnten), die Narentaner, die Zahumlier (→Zahumlje), die Travunier, die Ezeriten u. Melingen auf der Peloponnes usw. bildeten sich erst nach der Einwanderung. Für die Byzantiner waren, abgesehen v. den umstrittenen Anten, die sicher nicht zu den S. gehören, die ersten Ankömmlinge einfach Slaven (sklabenoi, sklaboi, lat. sclaveni, sclavi), deren Siedlungsgebiete Sklavinien (sklauenai, lat. sclaviniae) genannt wurden. Diese Sklavinien waren Stammesterritorien, die manchmal formell die byz. Oberhoheit anerkannten, untereinander aber oft verfeindet waren. Zu Ansätzen zur Bildung v. großräumigen Herrschaftsverbänden kam es zwar bereits im 7. Jh., sie gingen aber zunächst v. außen aus: So waren im kurzfristigen Reich des Fs. Samo (623–658) u. a. auch die Karantanen vertreten, die im 8. Jh. dann ein eigenes Fürstentum bildeten. Im Südosten der Balkanhalbinsel waren es die nichtslavischen →Protobulgaren, die Ende 7. Jh. einen bulgaro-slav. Staatsverband schufen, der sich im Verlauf des 9. Jh.s slavisierte. Im 9. Jh. kam es dann bei den Kroaten u. bei den Serben zur Bildung eigener Fürstentümer, die im 10. (Kroatien), 11. (→Zeta) u. 13. Jh. (Serbien) Königreiche wurden, die die kleineren noch selbständigen Fürstentümer absorbierten: Das Gebiet der Narentaner kam im 11. Jh. an Kroatien, Zahumlje, Travunien u. Zeta im 12. Jh. an Serbien. Eine Sonderrolle nahm →Bosnien ein, das im 14. Jh. ebenfalls Königreich wurde, dessen Identitätsbildung im MA aber nicht abgeschlossen wurde. In der Neuzeit lebten die S. bis zu ihrer „Nationalen Wiedergeburt“ (→Nationsbildung) im Rahmen des Osm. (Bulgaren, Makedonen, Montenegriner, Serben, Muslime) u. des Habsb. Reiches (Kroaten, Serben, Slowenen) bzw. unter venez. Herrschaft (Dalmatiner). Im 19. Jh. entwickelte sich ein vom Geiste der nationalen Romantik geprägtes Gemeinschaftsbewußtsein von manchen Vertretern der S., das v. a. in der Bewegung des →Illyrismus seinen Ausdruck fand (a. →Jugoslawismus). Lit.: A.A. Plotnikova, Ėtnolingvističeskaja geografija Južnoj Slavii. Moskva 2004; T. Živković, Južni Sloveni pod vizantijskom vlašću (600–1025). Beograd 2002; H. Kunstmann, Die Slaven. Ihr Name, ihre Wanderung nach Europa u. die Anfänge der russischen Geschichte in historisch-onomastischer Sicht. Stuttgart 1996; B. Grafenauer, Die ethnische Gliederung u. geschichtliche Rolle der westlichen Südslawen im Mittelalter. Ljubljana 1966; G. Ostrogorsky, Byzantium and the South Slavs, The Slavonic and East European Review 42 (1963–64), 1–14; Die Welt der Slawen. Hg. H. Kohn. Bd. 1: Die West- u. Südslawen. Frankfurt/M. u. a. 1960; P. Lemerle, Invasions et migrations dans les Balkans depuis la fin de l’époque romaine jusqu’au VIIIe siècle, Revue historique 211 (1954), 265–308; M. Braun, Die Slawen auf dem Balkan bis zur Befreiung von der türkischen Herrschaft. Leipzig 1941; L. Niederle, Manuel de l’antiquité slave. 1. Paris 1923, 42–115; ders., Slovanské starožitnosti. Bd. 2: Původ a počátky Slovanů jižních. Praha 1906–10. P. B. 918
Südslavische Frage
Südslavische Frage. Bez. für die Problematik, mit der sich die dt. u. magy. dominierten herrschenden Schichten der →Habsburgermonarchie im Zuge der Integration oder beabsichtigten Assimilation der national „erwachten“ südslav. Völker des Reiches vom ausgehenden 18. Jh. bis 1918 zunehmend konfrontiert sahen. Aus der Sicht v. Dynastie u. herrschenden pol. →Eliten der beiden informellen „Staatsvölker“ galt jede innerhalb der Monarchie propagierte nationale Integrationsideologie, oder -bewegung, als potentielle Gefahr für den Bestand des Gesamtstaats. In diesem Licht wurde auch schon die in der 1830er Jahren in Kroatien entstandene Illyrische Bewegung gesehen (→Illyrismus). Im Revolutionsjahr 1848 wurde die S. F. wieder virulent. Unter jenen, die einen radikalen Umbau der Monarchie auf ethn. Basis u. damit das „Niederreißen“ der Grenzen der einzelnen Kronländer forderten, befanden sich nicht wenige südslav. Nationalideologen, so der Slowene Matija Kavčič (1802–1836), der auf dem Kremsierer Reichstag ein Konzept zur Neugestaltung der Monarchie präsentierte, das an Stelle der Kronländer 14 ethnische Einheiten vorsah (vgl. →Revolution 1848/49 [Slowenen]). Im gleichen Jahr veröffentlichte Ognjeslav Utješenović Ostrožinski (1817–1890) in der Zagreber Zeitung Slavenski Jug ein ähnliches Konzept. Auch er setzte sich über die Grenzen der Kronländer hinweg u. forderte einen aus sieben ethnischen Einheiten bestehenden „Bundesstaat“, wobei die Slowenen, Kroaten u. Serben gemeinsam eine dieser Einheiten bilden sollten. Das Ziel beider Autoren war wie bei den meisten anderen Lösungsvorschlägen aus dem (süd)slav. Raum das Brechen der dt.-magy. Vorherrschaft u. die Umwandlung der Habsburgermonarchie in eine „slav. Großmacht“ (→Austroslawismus). Bei allen Loyalitätsbekundungen zu Monarchie u. Dynastie war nicht zu übersehen, dass die Verfechter solcher Konzeptionen eine andere Monarchie erstrebten als die pol. Eliten der beiden „staatstragenden“ Völker. Bereits 1848 zeigte sich also die Sprengkraft der s. F. als ein Teil der allgemeinen slav. Frage für die Habsburgermonarchie. Durch den →Neoabsolutismus u. den →Dualismus nach dem österr.-ung. →Ausgleich 1867 sollte die „Slavisierung“ der Monarchie verhindert werden, was die Sprengkraft der S. F. aber nur erhöhte. Inzwischen wurde die v. Franjo Rački (1828–1894) u. Josip Juraj Strossmayer (1815–1905) entworfene u. von der kroat. Nationalpartei vertretene Ideologie des →Jugoslawismus, die in Anlehnung an den Illyrismus die sprachl.-kult. Einheiten aller Südslaven beschwor, zur dominanten pol. Doktrin in Kroatien. Auch bei den Slowenen u. teilweise bei den Serben in Kroatien u. Südungarn fiel der Gedanke v. südslav. kult. Einheit u. Solidarität auf fruchtbaren Boden. Eine pol. Einheit der Südslaven konnten sich dabei die Verfechter des Jugoslawismus, nicht anders als die Austroslawisten 1848, nur im Rahmen der Habsburgermonarchie vorstellen, in Form einer eigenen südslav. föderalen Einheit (→Trialismus). Im Gegensatz dazu bedeutete die großserb. Ideologie praktisch eine Negation der Habsburgermonarchie. Bereits in der ersten H. des 19. Jh.s erklärte der serb. Staatsmann Ilija Garašanin (1812–1864) Österreich zum „natürlichen Feind“ des serb. Staates, der, um überleben zu können, sich erheblich vergrößern müsse. Am konsequentesten vertreten u. in die pol. Praxis umgesetzt wurde die großserb. Ideologie von der Serbischen Radikalen Partei unter der Führung Nikola Pašićs (1845–1926). Entsprechend betrieb die Partei, die nach dem blutigen Umsturz des Jahres 1903 unter der Dynastie der →Karadjordjevići zur bestimmenden
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Südslavische Frage
pol. Kraft in Serbien wurde, eine ausgesprochen antiösterr. Politik, bei gleichzeitiger starker Anlehnung an →Russland. Österreich-Ungarn war es zuvor in den letzten beiden Jahrzehnten des 19. Jh.s gelungen, Serbien unter den →Obrenovići in ein extremes pol. u. wirt. Abhängigkeitsverhältnis zu bringen, was die radikale Opposition auf den Plan rief u. zum erwähnten Dynastiewechsel führte. Von nun an steuerte die österr.-ung. pol. u. milit. Führung auf einen aus ihrer Sicht unvermeidlichen milit. Konflikt mit Serbien zu. Durch einen Sieg erhofften sich die Hardliner, v. a. in der milit. Führung, eine Lösung der S. F. im Sinne der beiden „herrschenden“ Völker. Internationalisiert wurde die S. F. bereits auf dem →Berliner Kongress 1878, in Gestalt des Mandats der europ. Mächte an Österreich-Ungarn, →Bosnien-Herzegowina zu okkupieren u. zu verwalten. Gleichzeitig wurde Serbien, das weiterhin Anspruch auf die beiden Provinzen (als „serbische Länder“; vgl. →Irredentismus) erhob, als selbständiger Staat anerkannt. Hier bahnte sich ein Konflikt zw. beiden Staaten an, der 1908 in der →Annexionskrise erstmals ausbrach. Im 1. →Wk. kämpfte Serbien an der Seite der späteren Sieger u. konnte daher nach dem Krieg mit der Unterstützung Frankreichs u. Großbritanniens für eine Lösung der s. F. zu seinen Gunsten rechnen. Im Ende 1918 gegründeten Kgr. der Serben, Kroaten u. Slowenen (→Jugoslawien) wurde die s. F. jedoch keineswegs gelöst. Mehrere unterschiedliche Nationalideologien u. Staatskonzeptionen (großserbische, großkroatische, jugoslawisch-föderalistische, jugoslawisch-unitaristische u. a.), die schon in der Habsburgermonarchie auf keinen gemeinsamen Nenner zu bringen gewesen waren, gerieten auch nun in Konflikt u. machten den neuen multinationalen, zentralistischen Staat praktisch unregierbar. Im kommunistisch regierten u. föderalistisch organisierten „neuen“ Jugoslawien nach dem 2. Wk. wurde die sogenannte nationale Frage für gelöst erklärt; an diesem „nicht existierenden“ Problem scheiterte jedoch bekanntlich auch der dritte multinationale Staat in Folge.
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Lit.: S.P. Ramet, Die drei Jugoslawien. Eine Geschichte der Staatsbildungen und ihrer Probleme. München 2011; Der Jugoslawienkrieg. Handbuch zu Vorgeschichte, Verlauf u. Konsequenzen. Hg. D. MelČiĆ. Wiesbaden ²2007; A. Mitrović, Serbia‘s Great War, 1914–1918. London 2007; Yugoslavism. Histories of a Failed Idea, 1918-1992. London 2003; J.R. Lampe, Yugoslavia as History. Twice there was a Country. Cambridge u.a. 1996 (²2000); H. Haselsteiner, Bosnien-Hercegovina: Orientkrise u. Südslavische Frage. Wien u. a. 1996; Nationalrevolutionäre Bewegungen in Südosteuropa im 19. Jh. Hgg. Chr. Choliolčev/K. Mack/A. Suppan. Wien u. a. 1992; H. Haselsteiner, Die Nationalitätenfrage in der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie u. der föderalistische Lösungsansatz, in: Innere Staatsbildung u. gesellschaftliche Modernisierung in Österreich u. Deutschland 1867/71–1914. Hg. H. Rumpler. ebd. 1991, 559–574; W.D. Behschnitt, Nationalismus bei Serben u. Kroaten. Analyse u. Typologie der nationalen Ideologie. München 1980; Die Donaumonarchie u. die südslawische Frage von 1848 bis 1918. Hgg. A. Wandruszka/R.G. Plaschka/A.M. Drabek. Wien 1978; D. Janković, Srbija i jugoslovensko pitanje 1914– 1915. Beograd 1973; J. Šidak, Studije iz hrvatske povijesti XIX stoljeća. Zagreb 1973; J. Pleterski, Prva odločitev Slovencev za Jugoslavijo. Politika na domačih tleh med vojno 1914–1918. Ljubljana 1971; Donauraum – gestern, heute, morgen. Vorträge u. Diskussionsbeiträge des V. Internationa-
Sulioten
len Seminars. Hg. J. Varga. Wien u. a. 1967; R.A. Kann, Das Nationalitätenproblem in der Habsburgermonarchie. Bd. 1: Das Reich u. die Völker. Bd. 2: Ideen u. Pläne zur Reichsreform. Graz u. a. 21964; Gradja o stvaranju jugoslavenske države. Hgg. D. Janković/B. Krizman. Beograd 1964; O. Aranicki, Ognjeslav Utješenović Ostrožinki. Zagreb 1933; J. Redlich, Das österreichische Staats- u. Reichsproblem. Wien 1929; H. Wendel, Die Habsburger u. die Südslawenfrage. Belgrad u. a. 1924; L. v. Südland [= I. Pilar], Die südslawische Frage u. der Weltkrieg. Wien 1918; A. Belić, Srbija i južnoslovensko pitanje. Beograd 1915 (Repr. 1991); R.W. Seton-Watson, Die südslawische Frage im Habsburgerreiche. Berlin 1913; St. RadiĆ u.a., Federalizam naše carevine i narodno oslobodjenje. Zagreb 1910. A. I.
Sulioten. Bewohner einer Gebirgslandschaft im südl. →Epirus. Die S. waren gr.-orth. Albaner (→Çamen), die im 17. Jh. auf einem Plateau am Westabhang des Berges Kakosuli, nordöstl. v. Parga, Zuflucht vor den Osmanen gesucht hatten. Ursprünglich sollen es nur 150 Familien gewesen sein, die die Dörfer Suli, Samoniva, Kiafa (v. alb. Qafa „Pass“?) u. Avariko bewohnten. Sie lebten v. Viehzucht u. Überfällen. Die S. waren in 29 Geschlechterverbänden (fara) organisiert, die sich als blutsverwandt betrachteten (vgl. →Stamm, Stammesgesellschaft). Sie bildeten eine Art milit. organisierter Republik. Im 18. Jh. erhielten sie Zuzug neuer alb. Ansiedler, die sich in 7 benachbarten Dörfern niederließen, deren ursprüngliche Bewohner vertrieben wurden. Als die Bevölkerungszahl noch weiter anstieg (Ende 18. Jh. 10–12.000), unterwarfen die S. 66 andere Dörfer in den Bezirken Paramythia u. Margariti, die ihnen Natural- u. Geldabgaben entrichten mussten. Von der osm. Provinzverwaltung wurden die S. praktisch nicht erfasst. Erst Ali Pascha v. Janina unternahm ernsthafte Versuche, Suli seinem Machtbereich anzugliedern. Seine 1789 begonnenen Feldzüge blieben aber lange erfolglos. Erst am 24.12.1803 mussten die Sulioten, deren Hilfsgesuche an Frankreich u. Russland wirkungslos geblieben waren, vor Ali Pascha kapitulieren. Ihre Dörfer wurden zerstört, die Überlebenden fanden in Parga u. auf den →Ionischen Inseln Zuflucht. Gegen Ende seiner Herrschaft, 1820, nahm der inzwischen zum Rebellen erklärte Ali Pascha wieder Kontakte zu den geflüchteten S. auf u. bat sie um milit. Beistand. Er versprach ihnen die Rückkehr in die Heimat u. finanzielle Unterstützung, worauf die S. einen Kleinkrieg gegen die Osmanen begannen. Nach Ali Paschas Ermordung (5.2.1822) konnten sich die S. gegenüber der osm. Übermacht nicht länger behaupten; am 28.7.1822 mussten sie Suli übergeben. 3.000 v. ihnen wurden auf engl. Schiffen nach Kephallenia gebracht. Sie beteiligten sich fortan am gr. →Befreiungskrieg. Einige führende gr. Freiheitskämpfer – am berühmtesten wurde Markos Botsaris (alb. Marko Boçari) – waren suliotischer Herkunft. Die S., deren Ortschaften am Südende des alb. Siedlungsgebietes lagen, waren damals bereits weitgehend gräzisiert. Erhebliche Reste ihrer ursprünglichen alb. Umgangssprache hatten sich aber noch erhalten, wovon das v. Markos Botsaris verfaßte gr.-alb. Wörterbuch zeugt. Lit.: K.D. Karamutsos, Suliōtōn genealogies. Athen 2008; B. Psimulē, Suli kai Suliōtes. ebd. 1998; K. Ulqini, Phénomènes de l’ancienne organisation sociale à Himara et à Suli, Ethnographie albanaise 15 (1987), 197–222; S. Katsaros, To Suli kai ho thrylos kai he aletheia. Kerkyra 1984; N.
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Sultan
Botzaris, Visions balkaniques dans la préparation de la Révolution grecque (1789–1821). Genève, Paris 1962, 47–57, 119–122, 173–176 ; G.L. Arš, Albanija i Epir v konce XVIII–načale XIX v. Moskva 1963; K.M. Mendelssohn-Bartholdy, Ali-Pascha von Janina. Ein Beitrag zur Geschichte der Orientalischen Frage, in: Historisches Taschenbuch. Hg. F. von Raumer. IV. Folge. 8 (1867), 107– 176; J.W. Zinkeisen, Geschichte des osmanischen Reiches in Europa. Bd. 7. Gotha 1863, 270–289; P. B.
Sultan (arab.; ursprünglich in der Bedeutung „Gewalt, Herrschaft“). Titel, seit dem 11. Jh. vom abbasidischen Kalifen einzelnen unabhängigen Herrschern gewährt, als erstem Mahmud v. Ghazna (999–1030), dem Eroberer des Pandjab für den Islam. Etwa zur selben Zeit begann der fatimidische Herr über Ägypten den Beinamen S. al-Islam zu führen. Als erster isl. Fürst ließ der Seldschuke Togrul Beg (1038–1063) Münzen schlagen, in deren Legende (neben dem iranischen šāhānšāh u. dem arab. al-malik al-mu‘aẓẓam „König der Könige“ bzw. „Großkönig“) gelegentlich der Titel S. vorkommt. Chwarism-Schahs (in Iran) u. Ayyubiden (in Syrien u. Ägypten) übernahmen den Titel um die Mitte des 12. Jh.s. Die anatolischen Rum-Seldschuken folgten seit dem 12. Jh. dem Beispiel ihrer Vettern in Iran. Während sich ihr S.-Titel noch aus der Investitur durch den Kalifen in Bagdad legitimierte, war dies nach dem Ende des Abbasidenkalifats 1258 nicht mehr möglich. In der osm. Geschichtsschreibung findet sich die „Überlieferung“ v. der Investitur des ersten Osmanenherrschers durch den letzten S. der Rum-Seldschuken (→Osmanen). Tatsächlich haben die osm. Herrscher zunächst den Titel →Beg geführt; erst gegen 1407 begann mit Mehmed Çelebi, dem späteren Mehmed I. (Alleinherrscher seit 1413) die konkurrenzlose Verwendung des Titels S. durch die Herrscher des →Osm. Reiches. Zwar hatte Bayezid I. (1389–1402) den Kalifen in Kairo offenbar um Autorisierung gebeten; auch war durch Murad I. (1362–1389) der Titel S. schon verschiedentlich verwendet worden. Doch weder Musa noch Süleyman Çelebi, die gleichwohl während des Interregnums (1402–1413) Münzen in ihrem Namen prägen ließen, hatten als „Teilherrscher“ in Europa auf den Titel S. Anspruch erhoben. – Dem Namen nachgestellt bezeichnet S. weibliche Angehörige der osm. Dynastie. In Chanat der →Krim gebührte der Ehrentitel S. allen Mitgliedern der Familie Giray (der Herrscher selbst zeichnete sich durch den Titel Chan aus). Als Ehrenbezeichnung trugen ihn auch berühmte isl. Mystiker wie der Sohn Celaluddin Rumis, Sultan Veled (1226–1312). Lit. (a. →Osm. Reich): C.E. Bosworth, The New Islamic Dynasties. A Chronological and Genealogical Manual. Edinburgh 1996; M. Kunt, State and Sultan up to the Age of Süleyman: Frontier Principality to World Empire, in: Süleyman the Magnificent and his Age. The Ottoman Empire in the Early Modern World. Hgg. ders./Ch. Woodhead. London u. a. 1995; S. Faroqhi, Die Legitimation des Osmanensultans: Zur Beziehung von Religion, Kunst u. Politik im 16. u. 17. Jh., Zeitschrift für Türkeistudien 2 (1989), 49–67; C. Imber, The Ottoman Dynastic Myth, Turcica 19 (1987), 7–27; A.D. Alderson, The Structure of the Ottoman Dynasty. Oxford 1956; J. von Hammer, Des Osmanischen Reichs Staatsverfassung u. Staatsverwaltung. 2 Bde. Wien 1815. M. U. 922
Šumadija
Šumadija (v. serb. šuma, „Wald“). 1. Verwaltungseinheit, 2. Landschaft südl. von Belgrad. Der heutige Verwaltungsdistrikt Š. (šumadijski okrug) umfasst 2387 km2 mit rd. 300.000 E, fast ausschließlich Serben. Der Distrikt liegt im Herzen der Landschaft Š., die mit rd. 6000 km2 sehr viel größer ist u. hier im Mittelpunkt steht. Ihren hohen Stellungswert in der serb. Erinnerungskultur verdankt die Š. den Aufständen gegen die osm. Herrschaft u. den Anfängen des neuserb. Staates (→Befreiungskriege). Im nat. Narrativ gelten die Bewohner der Š. als die „unverfälschten“, „wahren“ Serben (im Unterschied zu den „verdeutschten“ Serben in den Gebieten der ehem. Habsburgermonarchie). Die Nordgrenze der (nie verbindlich definierten) Landschaft verläuft entlang der Save (von der Kolubara-Mündung bis zum Zusammenfluss von Save und Donau), dann donauabwärts von Belgrad bis zur Morava-Mündung. Im Osten und Süden grenzt sie an die Flusstäler von Großer u. Westlicher Morava. Von Čačak an der Westlichen Morava nach Norden, entlang der Flüsse Dičina, Ljig u. Kolubara, verläuft die Westgrenze. Die größten Orte sind Kragujevac, Čačak, Kraljevo u. Smederevo. (Belgrad wird gelegentlich der Landschaft zugerechnet, bleibt hier aber außer Betracht.) Die Š. ist überwiegend hügelig u. weist unterschiedliche Höhenlagen zw. 100 u. 1130 m auf. In den ma. serbischen Quellen taucht der Name „Š.“ nicht auf. Der Begriff scheint erst im Verlauf des 18. Jh.s populär geworden zu sein, u. seine Hochkonjunktur erlebte er nach den beiden serb. Aufständen gegen die Osmanen Anfang des 19. Jh.s, als die Š. den zentralen Teil des neuserb. Staates bildete. Das Gebiet gehörte nicht zu den ma. serb. Kernstaaten Dioklitien (→Duklja) resp. →Raszien, wurde aber mit seinem südl. Teil schon Ende des 12. Jh. in den expandierenden Staat der →Nemanjiden integriert. Während des 13. u. 14. Jh.s bildete die Š. einen Bestandteil des →Serb. Reiches bzw. der serb. Teilstaaten. Der serb. Despot Djuradj Branković (1427–1456) verlegte die Hauptstadt Rest-Serbiens nach Smederevo, nachdem er die Festung →Belgrad an Ungarn hatte abtreten müssen. 1429/30 errichtete er nach dem Vorbild der Befestigungsanlage von Konstantinopel die gewaltige Festung Smederevo, die erstmals 1439 u. endgültig 1459 von den Osmanen erobert wurde. Der Fall Smederevos besiegelte auch das Ende des serb. Despotats. Smederevo war anschließend Hauptstadt des gleichnamigen →Sancaks, der nach der Eroberung Belgrads 1521 zum Sancak Belgrad erweitert wurde. Während der fast vierhundertjährigen osm. Herrschaft verließ ein bedeutender Teil der altansässigen Bevölkerung die Š. u. wanderte nach Norden (auf habsb. Territorium) ab oder zog sich in die schwer zugänglichen Gebirgsregionen Montenegros u. angrenzender Gebiete zurück. Ein Teil davon kehrte im 18. Jh. in die Š. zurück. Nach den anti-osm. Aufständen der Šumadiner von 1804 u. 1815 war die noch dicht bewaldete, dünn besiedelte Š. bzw. der bisherige →Paschaluk Belgrad das Kerngebiet des neuserb. Staates (→Serbien, ab 1830) mit der ersten Hauptstadt in Kragujevac) u. wurde zum Zielgebiet einer großen Zuwanderungswelle von Serben aus Montenegro, der Herzegowina, Bosnien, Kosovo etc. Die Š. entwickelte sich als Folge dieser Einwanderungswelle u. des natürlichen Bevölkerungswachstums im Verlauf des 19. Jh.s zu einer der am dichtesten bevölkerten Regionen des Balkanraums (→Bevölkerung, 2). Hinsichtlich Sprache u. Konfession ist die Bevölkerung der Š. außerordentlich homogen, obwohl die Mehrheit der Einwohner dort erst seit wenigen Generationen beheimatet ist. Die einst dichten Eichen-u. Buchenwälder, die v. a. eine die extensive Schweinezucht genutzt worden waren, wurden schon im 19. Jh.
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Šumadija / Synkretismus, religiöser
weitgehend vernichtet, so dass heute nur noch der Name „Š.“ an den früheren Waldreichtum erinnert. Lit. (→Serben; →Serbien [ab 1830]): H. Sundhaussen, Die Šumadija: historische (Nicht)Region u./oder mental map?, in: Das Südosteuropa der Regionen. Hgg. O.J. Schmitt/M. Metzeltin. Wien. 2015, 277–311. H. S.
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Synkretismus, religiöser (v. gr. synkretizein „verbinden“). Religionswissenschaftliche Bezeichnung für die Vermischung von Religionen. Weist auf einen Prozess hin, der entweder durch die Begegnung verschiedener Religionen oder auch durch eine Konkurrenzsituation unterschiedlicher Traditionen innerhalb derselben Religion entsteht. Nach U. Berner können mehrere Arten des S. voneinander unterschieden werden, u. a. Assimilierung, Parallelismus oder Relationierung (etwa nach dem Schema „alt – neu“, „vorläufig – endgültig“; sei es in der Absicht zu harmonisieren, zu distanzieren oder zu differenzieren). In SOE lässt sich ein Unterschied zw. autochthonen Traditionen ausmachen, die von der Hochreligion überlagert wurden, u. solchen, die in Folge des Kontaktes zw. zwei universalen Religionen, Islam u. Christentum, stattgefunden haben. Der Glaube an übernatürliche Wesen (u. a. Feen, Schutz- u. Totengeister), die Verehrung von Felsen u. Wasserquellen, bestimmte Ackerbräuche, Kalender- u. Regenriten sowie Methoden der Krankheitsbekämpfung, der Weissagung u. der Magie weisen auf den Fortbestand von Resten religiöser Bräuche vorchristlicher bzw. vorislamischer Zeit hin. So finden sich in der christlichen Dämonologie übernatürliche Wesen aus hellenistischer bzw. paganer Zeit. Obwohl von allen drei großen monotheist. Religionen abgelehnt, haben sich Elemente des Ahnenkults sowohl unter orth. wie kath. u. musl. Gruppierungen erhalten (am stärksten im alb.-mont. Bereich der →Stammesgesellschaft). Die Koexistenz zw. Christentum u. →Islam geht auf die osm. Expansion in dieser Region zurück. In diesem Zusammenhang sind zwei weitere Vorgaben von Bedeutung: 1) Zum Zeitpunkt der →Islamisierung in SOE kommt den sufischen Orden im Osm. Reich (→Derwische) erhebliches Gewicht zu. 2) Eine massive Bekämpfung volksislamischer Praktiken durch orth. →Ulema fand in geringerem Maße statt als in anderen Gegenden (z. B. im arab. Raum). Träger ausgesprochen synkretist. Vorstellungen waren die verschiedenen Formen eines von der Mystik beeinflussten u. in „Bruderschaften“ organisiertem Islam (→Derwische). Diese Männerverbände vermochten es, sich dem vorgefundenen relig. Milieu anzupassen u. außer- bzw. vorislamische Elemente in ihren Glaubenskomplex aufzunehmen. Eine zentrale Stelle nahm dabei die Heiligenverehrung ein. Es war v. a. der Orden der →Bektaschi, der derartige Vorstellungen in Anatolien u. später auf dem Balkan vertrat. Sein S. hat dazu geführt, dass zw. den Bektaschi u. anderen isl. Gemeinschaften enge Kontakte entstanden (→Aleviten). Die fremden Glaubenselemente wurden dabei umgedeutet u. vom Islam weitgehend integriert. Interreligiöser S. im Sinne des Verwischens bzw. der Fluktation relig. Grenzen ergab sich aus der Symbiose heterogener, aber vermischt lebender Gruppen. Infolge der Durch-
Synkretismus, religiöser / Syntagma des Matthaios Blastares
mischung unterschiedlicher Glaubens- u. Brauchvorstellungen kam es häufig vor, dass Muslime zu christlichen Kultstätten pilgerten, während Christen auch die Gräber musl. Heiliger besuchten. Christliche Feiertage wurden von Vertretern beider Glaubensgemeinschaften begangen. Geistliche beider Religionen waren damit beschäftigt, Krankheiten u. böse Kräfte auch der Gegenseite zu bekämpfen. Einen eigenen Beitrag zum S. brachte das →Kryptochristentum in die betroffenen lokalen Gesellschaften ein. All diese Erscheinungsformen des S. im soe. Raum gehörten der Ebene einer lebendigen u. am Alltagsleben orientierten volkstümlichen Religiosität an. Synkret. bzw. volkstümliche Praktiken wurden von den Vertretern der offiziellen Doktrin (sowohl des Christentums als auch des Islam) verworfen. Sie ließen sich jedoch bis in die Gegenwart nicht vollständig unterdrücken u. bestehen in mehr oder weniger offener Form fort. V. a. die mystische Komponente des Islam hat über das 20. Jh. hinaus in dieser Region Einfluss behalten können. Diese Besonderheit kann u. a. auf die Tatsache zurückgeführt werden, dass die Muslime SOEs, gleichgültig ob sufi oder Schriftgläubige, auf jeden Fall →Minderheiten innerhalb der nationalen Gemeinschaften darstellten bzw. auch im mehrheitlich islamisierten alb. Raum mit Atheismus-Kampagnen der jeweiligen komm. Parteien konfrontiert waren. Deshalb konnten die Vertreter der kons. Orthodoxie ihre Gegner nicht durch die Drohung einschüchtern, sie als „Volksverräter“ zu brandmarken (Gellner). Myst. Tendenzen müssen sich aber ständig mit Angriffen säkularisierter, in der veränderten Situation seit 1989 (allg. Stärkung des Islam, Wiederherstellung des Kontaktes zur isl. Welt) auch zunehmend mit streng orth. Kreisen auseinandersetzen. Lit.: Rituale als Ausdruck von Kulturkontakt: ‚Synkretismus‘ zwischen Negation u. Neudefinition. Hgg. A. Pries/L. Martzollff/R. Langer. Wiesbaden 2013; Syncretism in Religion. A reader. Hgg. A. Leopold/J. Jensen. London 2004/New York 2005; R. Elsie, Handbuch zur albanischen Volkskultur: Mythologie, Religion, Volksglaube, Sitten, Gebräuche u. kulturelle Besonderheiten. Wiesbaden 2002; M. Mazower, Der Balkan. Berlin 2002, 95–143; M. Mitterauer, Dimensionen des Heiligen. Annährungen eines Historikers. Wien u. a. 2000; C. Stewart, Demons and the Devil. Moral Imagination in Modern Greek Culture. Princeton 1991; R. Kriss/H. Kriss-Heinrich, Volksglaube im Bereich des Islam. Band I: Wallfahrtswesen u. Heiligenverehrung. Wiesbaden 1960. J. T.-S.
Syntagma des Matthaios Blastares. Eine nach den Buchstaben des gr. Alphabetes in 24 Abschnitte gegliederte u. kommentierte Zusammenstellung überwiegend kirchenrechtl. Materials, die der Priestermönch M. B. aus dem Kloster der Theotokos Peribleptos in Thessaloniki i. J. 1335 vollendete u. mit einer Vorrede (protheōria) über das Wesen u. die Quellen des Kirchenrechtes einleitete, in der er auch auf die Auslegung einander widersprechenden Kanones u. das Verhältnis v. kirchl. u. staatl. Recht (nomos politikos) einging. Die 24 Abschnitte bestehen aus insges. 303 Unterkapiteln, in denen B. zu bestimmten Begriffen wie Anathem, Aphorismos, Diakon oder Liturgie jeweils zunächst die Kanones der Synoden u. der Kirchenväter, die darauf bezogenen Kommentare des Johannes Zonaras u. des Thodōros Balsamōn u. bei 81 Begriffen auch die ksl. Gesetze u. Novellen zitiert, zusammenfasst u. be-
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Syntagma des Matthaios Blastares / Syrmien
spricht. Die Einbeziehung rein zivilrechtl. Materials in 31 Unterkapiteln, z. B. zum Erb- u. Handelsrecht, entsprach praktischen Bedürfnissen u. trug maßgeblich zum großen Erfolg des S. bei, das nicht nur zu einer Hauptquelle für spätere kirchenrechtl. Kompilationen wurde (Epitomē tōn kanonōn des Harmenopulos, Nomokanon des Manuel Malaxos, Pēdalion), sondern 1498 auch eine volkssprachliche Paraphrase durch Nikolaos Kunalēs erfuhr. Bereits zw. 1340 u. 1348 wurde das S. in serb. Kirchenslavisch übersetzt. In Serbien entstand auch eine Kurzfassung des S., die v. a. die zivilrechtlichen Teile des Werkes umfasste. Zwei bulg. Bearbeitungen datieren aus dem 14. u. 15. Jh. Aus den Jahren 1474 u. 1636 stammen Handschriften des S. in Rumänien. 1556 ersuchte Zar Ivan IV. den moldauischen Fürsten Alexander Lăpuşneanu um eine Version des S. nach der Ordnung des kirchenslav. Alphabets. Lit. (a. →Rechtsgeschichte, Rechtskulturen): V. Alexandrov, The syntagma of Matthew Blastares: the destiny of a Byzantine legal code among the orthodox Slavs and Romanians 14–17 centuries. Frankfurt/M. 2012; P.D. Viscuso, Sexuality, marriage, and celibacy in Byzantine law. Selections from a fourteenth-century encyclopedia of canon law and theology. The alphabetical collection of Matthew Blastares. Brookline/Mass. 2008; P. Rhodopulos, To Syntagma tu Matthaiu Blastarē kai hē epidrasē tu ston slabiko kosmo, in: Christianikē Thessalonikē: Palaiologeios Epochē. Thessaloniki 1989, 225–235; P. Viscuso, A Late Byzantine Theology of Canon Law, Greek Orthodox Theological Review 34 (1989), 203–219; Sp. Troianos, Peri tas nomikas pegas tu Matthaiu Blastarē, Epetēris Hetaireias Byzantinōn Spudōn 44 (1979–80), 305–329; ders., Hoi pēges tu Byzantinu dikaiu. Athen, Komotēnē 1986, 166–168; Matthaiu tu Blastarē Syntagma kata stoicheion, in: G. Rhallēs/M. Potlēs, Syntagma tōn theiōn kai hierōn kanonōn. Bd. 6. Athen 1859. K.-P. T.
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Syrmien (a. Sirmien; kroat. Srijem; serb. Srem; ung. Szerémség). Landschaft zw. Donau u. Save zw. Vinkovci u. Belgrad. Vom hist. →Komitat S. von etwa 6865 km2 mit dem Hauptort Vukovar, kamen nach dem 2. Wk. an die Sozial. Republik (SR) Serbien 4220, an die SR Kroatien 2445 km2. Wichtigste Orte sind auf kroat. Seite neben Vukovar Vinkovci u. Županja, auf serbischer neben Zemun (dt. Semlin, heute ein Teil Belgrads) Sremska Mitrovica (lat. Sirmium, dt. Mitrowitz), Sremski Karlovci (dt. Karlowitz) u. Ruma. Der serb. Anteil an S. gehört heute größtenteils zur →Vojvodina. Das heutige S. (nach dem Legionsstandort Sirmium) stand als Teil Illyriens seit dem 1. Jh. v Chr. unter röm. Verwaltung u. war nach den Reichsteilungen des späten 3. u. des 4. Jh.s. bis 395 weströmisch. Nach dem Zerbrechen des pannonischen Limes um 400 von Goten, Hunnen u. Gepiden durchzogen, war S. 582–796 Teil des →Awarenreiches – in dieser Zeit erfolgte die slav. Einwanderung (→Slavische Landnahme) –, dann 832–927 bulgarisch. Nach 1071 u. damit früher als das eigentliche →Slawonien, dem es bald politisch zugerechnet wurde, gehörte S. fast durchgehend bis zur osm. Eroberung 1521 als →Komitat zum Kgr. →Ungarn. 1688 von den Habsburgern erobert, musste es im Anschluss an den Friedensschluss (→Karlowitz) wie fast ganz Slawonien nach Abzug oder anderweitigem Verlust der Mehrzahl seiner bisherigen Bewohner mit Einwanderern neu besiedelt werden. Für die Zukunft wichtig wurde die Ansiedlung von serb. Flüchtlingen unter dem Patriarchen
Syrmien / Székler
Arsenije III. Crnojević 1690 in S. u. in ganz in Südostungarn (heutige Vojvodina), die 1713 mit der Errichtung der Metropolitie Sremski Karlovci (dt. Karlowitz; →Orthodoxie) für die Nicht-→Unierten im südöstl. Ungarn u. Slawonien ein geistig-kult. Zentrum erhielten. 1745 erfolgte die Wiedererrichtung des Komitats S.; ein Teil war damit Teil Provinzialkroatiens, der andere gehörte bis zur Abschaffung der →Militärgrenze zum Peterwardeiner Grenzregiment. Der östliche, überwiegend serb. besiedelte Teil kam 1849 als Teil zu der mit der oktroyierten Verfassung geschaffenen Woiwodschaft (→Vojvodina). Doch mit dem Oktoberpatent v. 1860 erfolgte die Wiederherstellung der alten Territorialordnung. 1918 gelangte S. wie fast ganz →Kroatien-Slawonien an das Kgr. der Serben, Kroaten u. Slowenen. Bei der Einteilung →Jugoslawiens in Banschaften (Banovine) 1929 kam S. zum größeren Teil an die Donaubanschaft mit Verwaltungssitz Belgrad; nach dem →Sporazum 1939 ging der westliche, überwiegend kroat. besiedelte Teil von S. an die autonome „Banschaft Kroatien“ über. Der →„Unabhängige Staat Kroatien“ wiederum verleibte sich ganz S. ein; dagegen wurde es im sozialist. Jugoslawien mit der Errichtung der Vojvodina als autonomes Gebiet der Republik Serbien entlang der ethn. Grenze u. in etwa wie zw. 1849 u. 1860 geteilt. Nach dem Zerfall des sozialist. Jugoslawiens war der kroat. Teil Schauplatz heftiger Kämpfe zw. Serben u. Kroaten; weltweites Aufsehen erregte die Zerstörung des barocken Vukovar durch serb. Einheiten im Spätherbst 1991. Lit.: Dj. Bubalo/K. Mitrović, Jurisdikcija Katoličke crkve u Sremu. Beograd 2010; Srem kroz vekove: slojevi kultura Fruške gore i Srema. Zbornik radova. Hg. M. Maticki. ebd. u. a. 2007; Iz istorije Srema, Bačke i Banata. Hgg. V. Krestić/Č. Popov. Beograd 2003; J. Čapo Žmegač, Srijemski Hrvati. Etnološka studija migracije, identifikacije i interakcije. Zagreb 2002; N. Moačanin, Slavonija i Srijem u razdoblju osmanske vladavine. Slavonski Brod 2001; S. Gavrilović, Komorski Srem u drugoj polovini XVIII veka. Beograd 1995; ders., Jevreji u Sremu u XVIII i prvoj polovini XIX veka. ebd. 1989; ders., Srem od kraja XVII do sredine XVIII veka. Novi Sad 1979; V. Oberkersch, Die Deutschen in Syrmien, Slawonien, Kroatien u. Bosnien. Stuttgart 1989; B.W. McGowan, Sirem sancagi mufassal tahrir defteri. Ankara 1983 (Einführung auch in Englisch); S. Gavrilović, Ruma – trgovište u Sremu. Novi Sad 1969; ders., Srem u revoluciji 1848–1849. Beograd 1963. A. Hd.
Székler (a. Szekler; lat.: Siculi; ung.: Székelyek). Ung. Volksstamm im O →Siebenbürgens. Name u. Herkunft sind bis heute ebenso umstritten wie Zeitpunkt u. Verlauf ihrer Landnahme im Karpatenbecken. Entweder handelt es sich um einen möglicherweise turksprachigen Verband der Völkerwanderungszeit oder um eine erst durch ihre rechtliche Sonderstellung sich ausdifferenzierende Gemeinschaft. Erstmals erwähnt werden sie zus. mit den →Petschenegen 1116 u. 1146 als berittene Bogenschützen, die die Vorhut des ung. Heeres bildeten. Als Hilfsvolk u. als Grenzwachen (speculatores), die längs der ma. Grenzverhaue angesiedelt wurden, standen sie im Dienst des ung. Kg.s u. waren zu allg. Kriegsdienst verpflichtet. Die S. galten daher insges. als adlig u. frei (libertas Siculorum) u. leisteten bis auf bestimmte Geschenke, die sie anläßlich der Krönung u. Hochzeit des Kg.s u. der Geburt des
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Székler / Széklerland
Thronfolgers (zunächst Pferde, u. später Rinder; daher die Bezeichnung „Ochsenbrennen“) keine Abgaben u. waren berechtigt, ihre milit. Befehlshaber (capitanei) u. Richter selbst zu wählen. Nur ihr höchster Amtsträger, der S.-Graf (comes Siculorum) wurde v. Kg. ernannt. Die S. gliederten sich in sechs „Geschlechter“ (genera) zu je vier Zweigen (lineae), aus denen im jährl. Wechsel die gewählten Amtsträger hervorgingen. Wohl in mehreren Grenzregionen des Kgr.s Ungarn wie z.B. dem Örszek im SW des Landes existent, siedelte die Mehrheit der S. seit dem 12. Jh. v. a. über das Komitat Bihar nach Siebenbürgen ein, wo sie sich urkundlich seit 1210 nachweisen lassen u. im Verlauf des 13. u. 14. Jh.s ihre heutigen Wohnsitze bevölkerten. Die durch überhöhte Kriegsdienstverpflichtungen u. zunehmende Vermögensunterschiede bewirkte soz. Differenzierung ihrer Gesellschaft setzte im 14. Jh. ein u. wurde u.a. 1473 durch Kg. Matthias Corvinus (1458–90) bestätigt, der die Einteilung der S. in drei Stände (tria genera Siculorum) auch rechtlich verankerte. Konfessionelle u. ges. Konflikte verschärften im Verein mit Bevölkerungszuwachs u. Landmangel die soz. Lage der S. Bauern u. führten 1562 u. 1575 zu vergebl. Aufständen gegen die Landesherrschaft (→Bauernaufstände FNZ). Doch behauptete sich die Universitas Siculorum in corpore dank ihrer militärischen Bedeutung – sie stellte noch um 1620 etwa 10.000 der 15.000 Soldaten im Heer des Fürsten v. Siebenbürgen – als autonome Rechtsgemeinschaft neben den „Nationsuniversitäten“ des ung. Adels u. der Siebenbürger Sachsen, mit denen sie wiederholt „Unionen“ (u. a. 1437, 1507, 1514) einging, bis ins 19. Jh. Im Weiteren fügten sie sich vollständig ein in die neuzeitliche magyarische Nation (vgl. →Nationsbildung). Massive Migrationen von Ungarn aus dem →Széklerland v.a. in die →Donaufürstentümer, die →Bukowina, nach →Budapest u. ins →Banat sind seit der 2. Hälfte des 18. Jh.s von großer Bedeutung. Lit.: Die Szekler in Siebenbürgen. Von der privilegierten Sondergemeinde zur ethnischen Gruppe. Hg. H. Roth. Köln u. a. 2009; M. Arens, Ausgewählte magyarische Forschungen zur Ethnographie u. Geschichte des Szeklerlandes u. der Szekler nach 1989, SOF 63/64 (2004/05), 422-429; Gy. Kristó, A székelyek eredetéről. Szeged 1996; Z. Kordé, A székelykérdés története. Székelyudvarhely 1991; Gy. Györffy, A magyarság keleti elemei. Budapest 1990; T.A. Szabó/L. Benkő, Die Székler, Ungarn-Jahrbuch 14 (1986), 207–24; H. Göckenjan, Hilfsvölker u. Grenzwächter im mittelalterlichen Ungarn. Wiesbaden 1972; Th. von Bogyay, Über Herkunft, Gesellschaft u. Recht der Szekler, Ungarn-Jahrbuch 2 (1970), 20–33; J. Németh, La question de l’origine des Sicules, Budapest 1941; Székely Oklevéltár. 8 Bde. Kolozsvár, Budapest 1872–98, 1934; L. Szádeczky-Kardoss, A székely nemzet története és alkotmánya. Budapest 1927; C. Connerth, Die Stuhlverfassung im Széklerland u. auf dem Königsboden bis zum Ende des 15. Jh.s. Hermannstadt 1900. H. G.
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Széklerland (lat. terra Siculorum; ung. Székelyföld; rum. ţara secuilor). Bezeichnung für das gesamte Gebiet der sieben Székler Stühle (Telegdi [Udvarhely], Maros, Csik, Sepsi, Orbai, Kézdi u. Aranyos) im SO →Siebenbürgens. Die Anfänge der Székler Territorialverfassung reichen bis in die erste H. des 13. Jh.s zurück. Die →Székler, die bereits seit dem 12. Jh. v.
Széklerland / Tahrir Defteri
den ung. Königen in Siebenbürgen angesiedelt wurden, um die östl. Grenzregionen gegen die Einfälle u.a. der →Kumanen zu verteidigen, ließen sich zunächst auf dem Gebiet der 1190 gegr. Propstei Hermannstadt, dem sog. „Altland“, im Schäwis- (ung. Sebes-) Tal, u. bei Urwegen (ung. Orbó) nieder. Bereits 1224 aber wird das Altland als „desertum“, als „verlassenes“ Gebiet, das dt. Siedlern übergeben wurde, bezeichnet („Andreanum“, vgl. →Siebenbürger Sachsen). Die Székler hatten zu diesem Zeitpunkt ihre Siedlungen bereits in die Ostkarpaten auf das Gebiet der späteren Székler Stuhlbezirke vorverlegt. Die wurden z.T. nach den früheren Hauptsitzen der Székler Telegd, Sebes, Kézd u. Orbó benannt. Jeder der sieben Stühle bildete einen autonomen Wehr-, Gerichts- u. Verwaltungsdistrikt. Als Sitz der Generalversammlung aller Székler (congregatio generalis) u. des höchsten Gerichts (iudicium generale), während der v. Kg. ernannte höchste Amtsträger, der Székler Graf, außerhalb des S.es in Görgény saß. Kirchlich gehörte das S. zum Bistum Siebenbürgen u. wurde v. den Archidiakonaten Weißenburg, Telegd u. Kézd betreut. Erst 1876 wurde das S. als autonomes Territorium der Székler Gemeinschaft offiziell aufgelöst (→Siebenbürgen) u. kam nach dem 1. Wk. an Rumänien. Anfang des 21. Jh.s lebten auf dem Territorium des historischen S.s (ein Drittel des Kreises Mureş, die Kreise Harghita u. Covasna u. benachbarte Kleinregionen in weiteren rum. Kreisen) rd. 470.000 Ungarn – sowie ca. 200.000 Rumänen und 40.000 →Roma/ Zigeuner. Autonomieforderungen der Ungarn prägen politisch seit Jahrzehnten diese Region. Im Sinne einer Territorialautonomie realisiert wurde freilich lediglich v. 1952–1960 die im Sz. gelegene „Ungarische autonome Region“ (Regiunea Autonomă Maghiară), deren Absteckung 1960 zur Verminderung des ung. Bevölkerungsanteils gezielt verändert u. die im Zuge dessen zur „Regiunea Mureș-Autonomă Maghiară“ umbenannt wurde (1968 ganz aufgehoben). Staatliche Rumänisierungsbemühungen nach 1919 u. bis ca. 1995 waren im Sz. von geringem Erfolg. Lit. (a. →Székler): R.K. Bakó, European integration. Managing change and identities in Szeklerland. Cluj-Napoca 2007; R.R. King, Minorities under Communism. Nationalities as a Source of Tension among Balkan Communist States. Cambridge/MA 1973 (Kap. 8: „Territorial Autonomy and Cultural Rights: Rumania“); Gy. Györffy, A székelyek eredete és településük története, in: Erdély és népei. Hg. E. Mályusz. Budapest 1941. H. G.
Tahrir Defteri (v. arab. taḥrīr, „Registrierung“ zur Bez. eines speziellen Typs v. →Defter). Verzeichnis der →Has , →Zeamet u. →Timare einer Region (oft eines →Sancak) mitsamt den Namen der Pfründeninhaber u. sämtlicher →Reaya-Haushaltsvorstände. Ein T. ähnelt in Anlage u. Funktion dem sog. „Domesday Book“ Wilhelm des Eroberers v. England. Man unterscheidet zwei Haupttypen v. T. Das sog. „detaillierte“ (arab. mufaṣṣal) T. im engeren Sinne wird oft durch das Kanunname (vgl. →Kanun) der jeweiligen Provinz eingeleitet; demgegenüber besteht das sog. „zusammenfassende“ (arab. iǧmāl) Register aus einer Synopse der Veränderungen über einen bestimmten Zeitraum hinweg (i. d. R. bis zum Datum des nächsten T.). Es gilt als wahrscheinlich, dass (möglicherweise nach dem Vorbild der mongolischen Il-Chane)
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Széklerland / Tahrir Defteri
den ung. Königen in Siebenbürgen angesiedelt wurden, um die östl. Grenzregionen gegen die Einfälle u.a. der →Kumanen zu verteidigen, ließen sich zunächst auf dem Gebiet der 1190 gegr. Propstei Hermannstadt, dem sog. „Altland“, im Schäwis- (ung. Sebes-) Tal, u. bei Urwegen (ung. Orbó) nieder. Bereits 1224 aber wird das Altland als „desertum“, als „verlassenes“ Gebiet, das dt. Siedlern übergeben wurde, bezeichnet („Andreanum“, vgl. →Siebenbürger Sachsen). Die Székler hatten zu diesem Zeitpunkt ihre Siedlungen bereits in die Ostkarpaten auf das Gebiet der späteren Székler Stuhlbezirke vorverlegt. Die wurden z.T. nach den früheren Hauptsitzen der Székler Telegd, Sebes, Kézd u. Orbó benannt. Jeder der sieben Stühle bildete einen autonomen Wehr-, Gerichts- u. Verwaltungsdistrikt. Als Sitz der Generalversammlung aller Székler (congregatio generalis) u. des höchsten Gerichts (iudicium generale), während der v. Kg. ernannte höchste Amtsträger, der Székler Graf, außerhalb des S.es in Görgény saß. Kirchlich gehörte das S. zum Bistum Siebenbürgen u. wurde v. den Archidiakonaten Weißenburg, Telegd u. Kézd betreut. Erst 1876 wurde das S. als autonomes Territorium der Székler Gemeinschaft offiziell aufgelöst (→Siebenbürgen) u. kam nach dem 1. Wk. an Rumänien. Anfang des 21. Jh.s lebten auf dem Territorium des historischen S.s (ein Drittel des Kreises Mureş, die Kreise Harghita u. Covasna u. benachbarte Kleinregionen in weiteren rum. Kreisen) rd. 470.000 Ungarn – sowie ca. 200.000 Rumänen und 40.000 →Roma/ Zigeuner. Autonomieforderungen der Ungarn prägen politisch seit Jahrzehnten diese Region. Im Sinne einer Territorialautonomie realisiert wurde freilich lediglich v. 1952–1960 die im Sz. gelegene „Ungarische autonome Region“ (Regiunea Autonomă Maghiară), deren Absteckung 1960 zur Verminderung des ung. Bevölkerungsanteils gezielt verändert u. die im Zuge dessen zur „Regiunea Mureș-Autonomă Maghiară“ umbenannt wurde (1968 ganz aufgehoben). Staatliche Rumänisierungsbemühungen nach 1919 u. bis ca. 1995 waren im Sz. von geringem Erfolg. Lit. (a. →Székler): R.K. Bakó, European integration. Managing change and identities in Szeklerland. Cluj-Napoca 2007; R.R. King, Minorities under Communism. Nationalities as a Source of Tension among Balkan Communist States. Cambridge/MA 1973 (Kap. 8: „Territorial Autonomy and Cultural Rights: Rumania“); Gy. Györffy, A székelyek eredete és településük története, in: Erdély és népei. Hg. E. Mályusz. Budapest 1941. H. G.
Tahrir Defteri (v. arab. taḥrīr, „Registrierung“ zur Bez. eines speziellen Typs v. →Defter). Verzeichnis der →Has , →Zeamet u. →Timare einer Region (oft eines →Sancak) mitsamt den Namen der Pfründeninhaber u. sämtlicher →Reaya-Haushaltsvorstände. Ein T. ähnelt in Anlage u. Funktion dem sog. „Domesday Book“ Wilhelm des Eroberers v. England. Man unterscheidet zwei Haupttypen v. T. Das sog. „detaillierte“ (arab. mufaṣṣal) T. im engeren Sinne wird oft durch das Kanunname (vgl. →Kanun) der jeweiligen Provinz eingeleitet; demgegenüber besteht das sog. „zusammenfassende“ (arab. iǧmāl) Register aus einer Synopse der Veränderungen über einen bestimmten Zeitraum hinweg (i. d. R. bis zum Datum des nächsten T.). Es gilt als wahrscheinlich, dass (möglicherweise nach dem Vorbild der mongolischen Il-Chane)
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Tahrir Defteri / Tanzimat
T. bereits unter den ersten Osmanenherrschern angelegt worden sind (→Osmanen). Das früheste für eine europ. Landschaft erhaltene T. datiert v. 1431/2 u. umfasst einen Großteil des heutigen Albanien. Insgesamt zählen die in den türk. Archiven verwahrten T. nach Tausenden. Ähnlich wie für Anatolien, Syrien u. Teile Kaukasiens sowie Mesopotamiens existieren auch für sämtliche Regionen des osm. Balkan, in denen das Timar-System Anwendung gefunden hat, ganze Serien v. T. für ein u. dasselbe Gebiet, da die „Landesaufnahmen“ in periodischen Abständen wiederholt wurden. Die Evidenzhaltung der Steuerquellen (→Miri) anhand v. T. erfolgte anfangs in etwa 10- bis 15-jährigen Intervallen. Erst gegen Ende des 16. Jh.s/Anfang des 17. Jh.s kam mit dem einsetzenden Verfall des Timar-Wesens auch die Praxis regelmäßiger Aufnahmen (arab. taḥrīr) zum Erliegen. Dank der T. wissen wir heute über die balkanische Gesellschaft in Stadt u. Land für das frühe 16. Jh. weitaus besser Bescheid als für das frühe 19. Jh. Quellen u. Lit.: H.W. Lowry, The Ottoman Tahrîr Defterleri as a Source for Social and Economic History: Pitfalls and Limitations, in: Ders.: Studies in Defterology. Ottoman Society in the Fifteenth and Sixteenth Centuries. Istanbul 1992, 3–18; B. Lewis, Daftar-i Khākānī, in: EI²; E. Balta, L’Eubée à la fin du XVe siècle. Économie et population. Les registres de l’année 1474. Athènes 1989; G. Káldy-Nagy, Der Quellenwert der Tahrir Defterleri für die osmanische Wirtschaftsgeschichte, in: Osmanistische Studien zur Wirtschafts- u. Sozialgeschichte. In memoriam Vančo Boškov. Hg. H.G. Majer. Wiesbaden 1986, 76–83; Die Steuerkonskription des Sandschaks Stuhlweißenburg aus den Jahren 1563 bis 1565. Hg. J. Matuz. Mitarb. I. Hunyadi. Bamberg 1986; A.S. Aličić, Turski katastarski popisi nekih područja zapadne Srbije XV i XVI veka. 3 Bde. Čačak 1984/85; H. Lowry, The Ottoman Liva Kanunnames Contained in the Defter-i Hakani, Osmanlı Araştırmaları/The Journal of Ottoman Studies 2 (1981), 43–74; Oblast Brankovića. Opširni katastarski popis iz 1455. godine. 2 Teile. Hgg. H. Hadžibegić u. a. Sarajevo 1972; H. Šabanović, Krajište Isa-bega Ishakovića. Zbirni katastarski popis iz 1455. godine. Sarajevo 1964; H. İnalcık, Hicrî 835 Tarihli Sûret-i Defter-i Sancak-i Arvanid. Ankara 1954 (²1987). M. U.
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Tanzimat (arab. tanẓīmāt „[Neu-] Ordnungen“). Eigentlich T.-i Hayriye „Wohltätige Ordnungen“. Bez. für die seit 1839 im Osm. Reich unternommenen Reformen; im engeren Sinne auch Zeitabschnitt zw. dem sog. →Hattişerif v. Gülhane (1839) bis zur Verkündung der osm. Verfassung v. 1876. – Noch vor Beginn der eigentlichen T. gelang es Mahmud II. (1808– 1839), reformfeindliche Kräfte zu schwächen oder gar auszuschalten. Hierzu zählen neben bestimmten Kreisen der →Ulema besonders die →Janitscharen-Korps, die Mahmud II. im sog. „Wohltuenden Ereignis“ (vaka-i hayriye) 1826 vernichtete. Wenig später vermochte er mit dem ersten „modernen“ Bevölkerungszensus (nüfus sayımı; tahrir-i nüfus) in der Geschichte des Osm. Reiches vom Jahre 1830/1 den „direkten Draht“ zw. der Reichsregierung u. den Steuerzahlern bzw. Wehrpflichtigen wiederherzustellen, der seit Ende der „Landesaufnahmen“ (vgl. →Tahrir Defteri) nahezu abgerissen war. Das am 3.11.1839 zu Beginn der Herrschaft Abdülmecids (1839–1861) verkündete Reformedikt war v. →Großwesir Mustafa Reşid Pascha (1800–1858) konzipiert worden; es versprach die Unantastbarkeit v. Leben, Ehre u. Besitz. Außerdem kündigte es eine Reform des Einberufungsmodus u. des Gerichtswesens
Tanzimat
sowie die Abschaffung der Steuerpacht (iltizam) an. Erste Schritte zur Verwirklichung des Reformpakets (Strafgesetzbuch, Handelsgerichte, Verwaltungs- u. Steuerreform) mussten 1841–1845 wieder rückgängig gemacht werden; in den Provinzen führten einander widerstreitende Auslegungen der Reformerlasse, die Unfähigkeit vieler Beamten, Korruption sowie der Zusammenbruch der Zehntverwaltung zu verbreiteter Unzufriedenheit u. Unruhe unter der Bev. (in →Rumelien besonders in den alb. u. bulg. Landesteilen). In →Bosnien-Herzegowina stießen die Reformen (wie schon zuvor die Auflösung des Janitscharenkorps) auf den bewaffneten Widerstand der um ihre Privilegien besorgten Muslime, der militär. niedergeworfen wurde (1850/51). Die überfällige Reform des Unterrichtswesens, die Einrichtung gemischter Zivil- u. Strafgerichte (1847) u. die Verkündung des neuen Handelsgesetzes (1850) markieren den Beginn der Konsolidierungsphase, in deren Verlauf 1858 eine eigene Katasterbehörde geschaffen wurde. Während des Krimkrieges waren mit Ali u. Fuad Pascha die Garanten einer modernen osm. Reformpolitik an die Macht zurückgekehrt. Das Hatti Hümayun vom 18.2.1856 bestätigte u. erweiterte die in Gülhane verbrieften Prinzipien. Ahmed Şefik Midhat Pascha (1822–1884) initiierte eine Reform der osm. Territorialverwaltung nach frz. Vorbild; seit 1864 wurden die Provinzen des Osm. Reiches nach dem →Vilayets-System neugeordnet, das u. a. die Einrichtung v. Druckerpressen, Provinzalmanachen u. Provinzzeitungen vorsah. Die Krise v. 1876 (→Orientalische Krise; →Osm. Reich) u. die Verkündung der Verfassung, als deren geistiger Vater Midhat Pascha anzusehen ist, markieren Höhepunkt u. Ende der eigentlichen T. Lit.: B. Onaran, Détrôner le sultan. Deux conjurations à l’époque des réformes ottomanes: Kuleli (1859) et Meslek (1867). Paris u. a. 2013; M. Aymes, Un grand progrès – sur le papier. Histoire provinciale des réformes ottomanes à Chypre au XIXe siècle. Paris u. a. 2010; H. Doganalp-Votzi/C. Römer, Herrschaft u. Staat. Politische Terminologie des Osmanischen Reiches der Tanzimatzeit. Wien 2008; M. Reinkowski, Die Dinge der Ordnung. Eine vergleichende Untersuchung über die osmanische Reformpolitik im 19. Jh. München 2005; T. Heinzelmann, Heiliger Kampf oder Landesverteidigung? Die Diskussion um die Einführung der allgemeinen Militärpflicht im Osmanischen Reich 1826–1856. Frankfurt/M. u. a. 2004; S.A. Somel, The Modernization of Public Education in the Ottoman Empire, 1839–1908: Islamization, Autocracy and Discipline. Leiden 2001; İ. Ortaylı, Studies on Ottoman Transformation. İstanbul 1994; Th. Scheben, Verwaltungsreformen der frühen Tanzimatzeit. Gesetze, Maßnahmen, Auswirkungen. Von der Verkündigung des Ediktes von Gülhane 1839 bis zum Ausbruch des Krimkrieges 1853. Frankfurt/M. u. a. 1991; C.V. Findley, Bureaucratic Reform in the Ottoman Empire. The Sublime Porte 1789–1922. Princeton 1980; H.-J. Kornrumpf, Die Territorialverwaltung im östlichen Teil der europäischen Türkei vom Erlaß der Vilayetsordnung (1864) bis zum Berliner Kongreß (1878). Freiburg/Br. 1976; İ. Ortaylı, Tanzimattan Sonra Mahalli İdareler (1840–1878). Ankara 1974; R.H. Davison, Reform in the Ottoman Empire 1856–1876. New York 1963 (²1973); B. Lewis, The Emergence of Modern Turkey. London u. a. 1961; E. Engelhardt, La Turquie et le Tanzimat. 2 Bde. Paris 1882/84; G. Rosen, Geschichte der Türkei von dem Siege der Reform im Jahre 1826 bis zum Pariser Tractat vom Jahre 1856. 2 Bde. Leipzig 1866/67. M. U. 931
Tataren / Themen
Tataren. Das Wort „Tatar“, mit dem die T. an der Wolga sich selbst bezeichnen, wird schon im sog. Codex Cumanicus, dessen vorliegende Redaktion nach neueren Forschungen auf die Mitte des 14. Jh.s datiert, für die qipčaqische (d. h. west-türkische) Sprache der →Kumanen verwendet: Sie heißt dort tatarče oder tatar til „Tatarisch“. Moderne Vertreter des qipčaqischen Sprachzweiges sind u. a. das Kazan-Tatarische, das Krim-Tatarische sowie die Dialekte der litauisch-polnischen T., deren Sprachdenkmäler besonders gut erforscht sind. – In den isl. Berichten über die mongolischen Eroberungen werden die Angreifer stets T. genannt, unabhängig davon, ob es sich dabei um →Mongolen im engeren Sinne oder unter deren Herrschaft stehende Gruppen anderer ethn. u. sprachl. Zusammensetzung handelt. Auch die (überwiegend turkophone) Bev. der Goldenen Horde hat man, als in mongolischer Tradition stehend, T. genannt. Das Wort T. unterscheidet hier daher nicht nach ethn. oder sprachl., sondern nach pol. Zugehörigkeit. – Im Osm. Reich waren als T. auch die Kuriere bekannt, die sich lange vornehmlich aus →Krimtataren rekrutierten. Mit der Einführung eines regulären Postsystems unter Mahmud II. (1808–1839) blieb die Bezeichnung T. auch für die Meldereiter des neuen Systems weiterhin üblich. In den (übel beleumdeten) irregulären Formationen des Osm. Reiches (başı bozuk, wörtl. kaputter Kopf ) waren neben Kosaken, Tscherkessen u. a. auch T. vertreten. Lit.: I. Vásáry, Turks, Tatars and Russians in the 13th–16th centuries. Aldeshot u. a. 2007; M.Z. Zakiev, Ėtnoterritorial’nye gruppy tatar Povolž’ja i Urala i voprosy ich formirovanija: istoriko-ėtnografičeskij atlas tatarskogo naroda. Kazan’ 2002; I. Baldauf, Schriftreform u. Schriftwechsel bei den muslimischen Rußland- u. Sowjettürken (1850–1937): Ein Symptom ideengeschichtlicher u. kulturpolitischer Entwicklungen. Budapest 1993; P. Borawski/A. Dubiński, Tatarzy polscy. Dzieje, obrzędy, legendy, tradycje. Warszawa 1986; C. Łapicz, Kitab Tatarów litewsko-polskich. Paleografia, grafia, język. Torún 1986; A.-A. Rorlich, The Volga Tatars. A Profile in National Resilience. Stanford 1986; A. Kappeler, Rußlands erste Nationalitäten. Das Zarenreich u. die Völker der Mittleren Wolga vom 16. bis 19. Jh. Köln u. a. 1982; D. Drüll, Der Codex Cumanicus. Entstehung u. Bedeutung. Stuttgart 1979. M. U.
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Themen (von gr. thema, „Zuweisungsgebiet“). Zunächst die Regionen Kleinasiens, in denen zw. ca. 650 u. 680 die Gardetruppen des obsequium u. die Verbände der spätantiken magistri militum für Armenien, den Orient u. Thrakien zur Abwehr arabischer Einfälle stationiert wurden. In einer Iussio Justinians II. sind 687 die vier Th. Opsikion (Nordwestkleinasien), Thrakēsion (Westkleinasien), Anatōlikon (Zentralkleinasien) u. Armeniakon (Ostkleinasien) erstmals gemeinsam erwähnt. Da die spätantiken Provinzen noch bis ins 8. Jh. nachweisbar sind, kam die Vereinigung v. milit. u. ziv. Amtsgewalt in der Person des stratēgos an der Spitze eines Th.s u. damit der Ausbau der Th. zu Provinzen erst in der zweiten H. des 8. Jh.s zum Abschluß. Um 680 wurde im Vorfeld Konstantinopels zur Abwehr der →Protobulgaren das Th. Thrakien eingerichtet. Vor 695 folgte das Th. Hellas, das Mittelgriechenland umfaßte. Im 10. Jh. bestanden im soe. Teil des byz. Reiches die Th. Thrakien, Makedonien, Strymōn, Thessalonikē, Hellas, Peloponnēs, Kephallēnia, Nikopolis, Dalmatien, Samos u. Aigaion
Themen / Thessalien
Pelagos. Deren stratēgoi standen jedoch im Rang unter denen der asiatischen Th. u. erhielten auch eine geringere Besoldung. Durch Aufteilung v. Th. u. die Expansion des Reiches nach 950 erhöhte sich die Zahl der Th. reichsweit bis ins erste Drittel des 11. Jh.s auf 50, doch verwandelten sie sich seit dem 10. Jh. durch die Umstrukturierung des Heeres zur Berufsarmee der tagmata u. durch die Umwandlung der Dienstpflicht (strateia) der Themensoldaten in eine Geldzahlung im Reichsinneren in zivile Verwaltungsbezirke. Im 12. u. 13. Jh. wurden die häufig auf das Umland einer größeren Stadt geschrumpften Th. v. dukes oder dukes-apographeis verwaltet, die für Gerichtsbarkeit, Steuereintreibung u. Verteidigung zuständig waren. Lit.: B. KrsmanoviĆ, The Byzantine Province in Change. On the Threshold Between the 10th and the 11th Century. Belgrade, Athens 2008; A. Stauridu-Zaphraka, Slav Invasions and the Theme Organization in the Balkan Peninsula, Byzantiaka 12 (1992), 165–179; J. Koder, Zur Bedeutungsentwicklung des byz. Terminus Thema, Jahrbuch der österr. Byzantinistik 40 (1990), 155–165; Lj. Maksimović, Byzantine Provincial Administration under the Palaiologoi. Amsterdam 1988; F. Winkelmann, Byzantinische Rang- u. Ämterstruktur im 8. u. 9. Jh. Berlin 1985; R.-J. Lilie, Die zweihundertjährige Reform. Zu den Anfängen der Themenorganisation im 7. u. 8. Jh., Byzantinoslavica 45 (1984), 27–39 u. 190–201; H. Ahrweiler, Recherches sur l’administration de l’empire byzantin aux IXe-XIe siècles, Bulletin de Correspondance hellénique 84 (1960), 1–109 (= dies., Études sur les structures administratives et sociales de Byzance. London 1971, Nr. VIII); J. Karayannopulos, Die Entstehung der byzantinischen Themenordnung. München 1959. K.-P. T.
Thessalien. Landschaft im nördl. Mittelgriechenland zw. dem Olymp u. den Thermopylen: 14.036 km² mit 732.762 E (2011). Als Provinz der Diözese Macedonia u. der Prätorianerpräfektur Illyricum gehörte Th. seit 395 zum östl. Reichsteil. Ab ca. 578 drangen slav. Stämme in Th. ein (vgl. →Slavische Landnahme), v. a. die Belegeziten. Die Byzantiner behaupteten nur die Küstengebiete im Golf v. Bolos, die seit Ende des 7. Jh.s zum →Thema Hellas gehörten. Ein byz. Sieg am Spercheios 997 verhinderte eine bulg. Eroberung des Landes. Vor 1050 wurde der Norden Th.s bis zum Othrys dem Thema Thessaloniki angegliedert, während der Süden bei Hellas u. Peloponnes blieb. Vor 1204 waren große Teile Th.s ksl. Domäne. Wegen des starken Anteils der →Aromunen an der Gesamtbevölkerung Th.s wurde das Land v. a. in spätbyz. Zeit als Megalē Blachia bezeichnet. Nach 1204 wurde zumindest das östl. Th. als Teil des Kgr.s v. Thessalonikē in fränkische Baronien aufgeteilt (→Lateinerherrschaft), ging vor 1223 an Theōdoros Dukas v. →Epirus verloren. 1268 wurde Th. unabhängiges Fürstentum unter dem sebastokrator Johannes I. Angelos (1268–1289), einem unehelichem Sohn des epirotischen Herrschers Michael II. Trotz ihrer strikt orth. Kirchenpolitik suchten die Herrscher v. Th. pol. Rückhalt bei den fränkischen Herzögen v. Athen u. Kg. Karl II. v. Neapel, dessen Oberherrschaft Theodoros u. Konstantin, die Söhne Johannes I. Angelos, 1294/1295 anerkannten. 1309–1311 hielt sich die Katalanische Kompanie in Südthessalien auf, wo sie am 15.3. bei Halmyros das Heer des Herzogs v. Athen vernichtete. Als die Dynastie der Angeloi 1318 ausstarb, zerfiel Th. in die Machtbereiche der großen aristokratischen Familien (Gabrielopuloi, Maliasenoi) u. wurde
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Thessalien / Thrakien
zw. 1332 u. 1335 wieder dem byz. Reich eingegliedert. 1342 schloss sich die Aristokratie Th.s dem Gegenkaiser Johannes Kantakuzenos an. 1348 eroberte der serb. Feldherr Preljub Th., das v. 1359–1373 v. dem Serbenfürsten Simeon Uroš Palaiologos (→Paläologen) u. seinem Sohn Johannes Uroš regiert wurde. 1386 u. 1393 eroberten Gazi Evrenos u. Bayazid I. Th. Evrenos‘ Sohn Barak Bey besiedelte Larissa (Yenişehir) u. die ostthessalische Ebene mit Türken. Dank der Förderung durch die Turahaniden entwickelte sich das christliche Tirnabos (südwestl. des Olymp) zw. 1455 u. 1570 zur größten Stadt des Landes. Im 16. Jh. erlebte Th. eine Blütezeit mit großem Bevölkerungswachstum u. reger Bautätigkeit, doch seit dem 17. Jh. befand es sich im Niedergang. 1881 kam das Land als Folge des →Berliner Kongresses von 1878 an Griechenland, wurde im gr.-osm. Krieg v. 1897 v. osm. Truppen erobert, aber auf Druck der Großmächte wieder geräumt. Die muslim. Bev., die zunächst v. der Regierung in Athen zum Bleiben aufgefordert worden war, verließ nun die Region. Die Ansiedlung v. 34.000 kleinasiatischen gr. Flüchtlingen 1923–1925 (→Lausanne) führte zur Aufteilung des Großgrundbesitzes u. veränderte die ethn. Zusammensetzug der Bev. Lit.: A. Rizos, Thessalien, in: Das Südosteuropa der Regionen. Hgg. O.J. Schmitt/M. Metzeltin. Wien, 2015, 641–675; K.E. Kampuridēs, Hē neoterē Hellada mesa apo Othōmanikes archeiakes pēges. Oikonomia, thesmoi, kai koinōnia stē Thessalia tu 17u aiōna. Thessaloniki 2009; M. Kiel, Das türkische Thessalien: Etabliertes Geschichtsbild versus osmanische Quellen, in: Die Kultur Griechenlands in Mittelalter u. Neuzeit. Hgg. R. Lauer/P. Schreiner. Göttingen 1996, 109–196; A. Rizos, Wirtschaft, Siedlung u. Gesellschaft in Thessalien im Übergang von der byz. fränkischen zur osmanischen Epoche. Amsterdam 1996; P. Magdalino, Between Romaniae: Thessaly and Epirus in the Later Middle Ages, Mediterranean Historical Review 4 (1989), 87–110; M. Sivignon, The Demographic and Economic Evolution of Thessaly (1881–1940), in: A Historical Geography of the Balkans. Hg. Fr.W. Carter. London u. a. 1977, 379–407; R. Lawless, The Economy and Landscapes of Thessaly during Ottoman Rule, in: a. a. O., 501–533; J. Koder/F. Hild, Hellas u. Thessalia. Wien 1976; A. Abramea, Hē Byzantinē Thessalia mechri tu 1204. Athen 1974; B. Ferjančić, Tesalija u XIII i XIV veku [dt. Nebent.: Thessalien im 13. u. 14. Jh.]. Beograd 1974. K.-P. T.
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Thrakien (gr. Thráke, bulg. Trakija, türkisch Trakya). Landschaft im SO der Balkanhalbinsel, zw. Ägäis u. Marmarameer im S, dem Istranca-Gebirge im O, dem Fluss Nestos im W, den Rhodopen im N sowie dem Schwemmland links u. rechts der mittleren Marica. Das seit 1371, nach der Schlacht an der →Marica, zum Osm. Reich gehörende Thr. erstreckt sich heute über Griechenland (Westthrakien), Bulgarien (oberthrakische Tiefebene) u. die Türkei (Ostthrakien, →Europ. Türkei). Bedeutendste Stadt ist Adrianopel/Edirne. Neben dem Ackerbau herrschen v. a. Tabakanbau sowie Seidenraupen- u. Viehzucht vor. In osm. Zeit war die Bev. ethn. gemischt: Türken, Griechen, Bulgaren, bulgarischsprachige Muslime (→Pomaken) u. →Roma sowie kleinere Gruppen, etwa →Albaner). 1828/29 u. 1877/78 war Thr. Schauplatz russ.-osm. Kriege. Auf dem →Berliner Kongress (1878) wurde die oberthr. Tiefebene Teil der dort geschaffenen autonomen osm. Provinz →Ostrumelien. Die Schwäche der bulg. nationalrevolutionären Bewegung in den nach 1885
Thrakien
noch weiterhin osm. Teilen Thr.s zeigte sich an der geringen Beteiligung beim Aufstand am Preobraženie-Tag („Verklärung Christi“, 19. Aug.) 1903 (→Ilinden). Im Wirtschaftsleben der Städte spielten die Bulgaren nur eine geringe Rolle, das bulg. Schulwesen entwickelte sich langsam u. viele Bulgaren verblieben auch noch nach der Gründung des →Exarchats bei der Patriarchatskirche. Der 1. →Balkankrieg 1912 endete mit der Eroberung nahezu ganz Thr.s durch Bulgarien. Nach dem 2. Balkankrieg 1913 musste Bulgarien Ostthr. an die Türkei abtreten (Bukarester Vertrag 10.8.1913). Als Folge der bulg. Niederlage im 1. Wk. kam Westthr. (Vertrag v. →Neuilly-sur-Seine 27.11.1919) unter alliierte Verwaltung u. wurde an Griechenland übergeben (Konferenz v. San Remo 19.–24.8.1920). Im gr.-türk. Krieg (1919–1922) eroberte →Griechenland das türk. Ostthr., das nach der gr. Niederlage wieder an die Türkei fiel. Von dem in →Lausanne (24.7.1923) beschlossenen Bevölkerungsaustausch blieb Westthr. ausgeschlossen. Bis heute lebt dort eine erhebliche türk. u. pomakische Minderheit, die v. Griechenland aber nicht als nationale, sondern gemeinsam mit den örtlichen musl. →Roma als relig. (muslimische) →Minderheit v. heute zus. ca. 120.000 Personen anerkannt wird. Die Ansiedlung v. Kleinasienflüchtlingen (u. wieder in den 1990er Jahren v. Pontusgriechen aus der ehem. Sowjetunion) sollte die Mehrheitsverhältnisse zugunsten der Griechen ändern. Der 2. →Wk. führte zu einer erneuten bulg. Besetzung Westthr.s (24.4.1941–25.10.1944). Mit einer rigorosen Vertreibungs- u. Enteignungspolitik wollte diesmal Bulgarien die ethn. Verhältnisse ändern. Seine Bestrebungen, die Region auch formell zu annektieren (bulg. Staatsbürgergesetz vom 18.6.1942), führten immer wieder zu Konflikten mit Deutschland, das einen schmalen Gebietsstreifen an der Grenze zur Türkei (Dimotika-Gebiet) selbst besetzt hielt. Auch nach dem Seitenwechsel (Sept. 1944) u. ungeachtet einer formalen Verzichtserklärung (11.10.1944) bemühte sich Bulgarien mit Unterstützung der UdSSR bis zum Friedensvertrag (10.2.1947) erfolglos um territorialen Besitz in Westthr. Seit dem 2. Wk. kam es in der am wenigsten entwickelten Provinz Griechenlands wiederholt zu ethn. Spannungen. Lit.: M. Hacısalihoğlu, Thrakien, in: Das Südosteuropa der Regionen. Hgg. O.J. Schmitt/M. Metzeltin. Wien 2015, 581–602; E. Ginio, Paving the Way for Ethnic Cleansing: Eastern Thrace during the Balkan Wars (1912–1913) and Their Aftermath, in: Shatterzone of Empires. Coexistence and Violence in the German, Habsburg, Russian, and Ottoman Borderlands. Hgg. O. Bartov/ E.D. Weitz. Bloomington 2013, 650–682; K. Featherstone, The last Ottomans: the Muslim minority of Greece, 1940–1949. Basingstoke u. a. 2011; V. Kalogrias/St. Dordanas, Die bulgarische Okkupation in Ostmakedonien u. Thrakien (1941–1944), SOF 68 (2009), 400–417; H. Kandler, Christen u. Muslime in Thrakien. Münster 2007; M. Ackermann, Die türkische Minderheit in West-Thrakien. Geschichte u. Gegenwart. Ulm 2000; S. Trubeta, Die Konstitution von Minderheiten u. die Ethnisierung sozialer u. politischer Konflikte. Eine Untersuchung am Beispiel der im griechischen Thrakien ansässigen moslemischen Minderheit. Frankfurt/M. u. a. 1999; I. Todev, Bălgarsko nacionalno dviženie v Trakija 1800–1878. Sofija 1994; T. Seyppel, Das Interesse an der muslimischen Minderheit in Westthrakien (Griechenland) 1945–1990, in: Minderheitenfragen in Südosteuropa. Hg. G. Seewann. München 1992, 377–392; H.-J. Hoppe, Bulgarian Nationalities Policy in Occupied Thrace and Aegean Macedonia, Nationalities Papers 14 (1986), H.
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Timar
1–2, 89–100; Ch.I. Karamandžukov, Rodopa prez Ilindensko-Preobraženskoto văstanie. Spomeni i dokumenti. Sofija 1986; S. Trifonov, Antantata v Trakija 1919/1920. ebd. 1989. H. W.
Timar (v. pers. tīmār; gr. pronoia [→Pronoia]; beides „Fürsorge“). Osmanisches „Dienstlehen“ (vgl. →Feudalismus), dessen Ursprünge, mindestens aber Vorformen, im vorosm. Anatolien zu suchen sind. Es handelt sich um eine schon für die Zeit Orhans (ca. 1324–1362; →Osmanen) nachweisbare Einrichtung, die nicht auf der Vergabe v. Land als solchem basiert, sondern auf der (temporären) Zuweisung v. Einkünften (Pfründen) aus dem Land (→Miri), u. zwar gegen Dienstleistung (die nicht immer milit. Art sein musste). In seltenen Fällen erblich (im früheren 15. Jh. häufiger als später), wechselt das T. i. d. R. schon nach wenigen Jahren seinen Inhaber. Dieser ist meistens, doch keineswegs immer, ein Angehöriger der schweren Reiterei (→Spahi). Besonders im 15. Jh. finden sich z. B. auch →Kadis u. →Imame, ja selbst Bischöfe noch unter den Timarioten, in deren Reihen regional nicht wenige christl. Reiterkrieger Dienst tun. Selbst „Leute der Feder“, Zivilisten also, können besonders in späterer Zeit in den Genuss eines T. gelangen. – Das typische T. gliedert sich in (1) das „Eigengut“ (türk. kılıç yeri; arab. ḫāṣṣa),das z. B. aus einer Bodenparzelle (türk. →çiftlik), einem Weinberg, Obstgärten oder auch Mühlen bestehen kann, sowie (2) die „Teil“ (arab. ḥiṣṣa) genannten Anteile bäuerlichen (teilweise auch städtischen) Steueraufkommens, die der Timariot v. im →Tahrir Defteri namentlich bezeichneten Haushaltsvorständen der →Reaya einzuheben berechtigt ist, wenn er über ein diesbezügliches →Berat des Sultans, oder mindestens des →Beylerbeyi, verfügt. – Ab 1.000 →Akçe Jahreseinkommen muss Mitte des 15. Jh.s der T.-Herr selbst Kriegsdienst leisten (→Spahi). Ab 2.000 Akçe ist ein weiterer Krieger zu stellen, bis ca. 15.000 Akçe weitere Gefolgsleute mit Ausrüstung, Zelten u. eine Rüstung für den eigenen Gebrauch. – Das osm. T.-Wesen hat eine reichsweite Verbreitung nie gekannt; seine Verwaltung ist an das Vorhandensein periodischer „Landesaufnahmen“ gebunden (→Tahrir Defteri). – Seit Ende des 16. Jh.s geriet das T.system in eine Krise. Viele Timarioten wandelten ihre Pfründe (widerrechtlich) in erbl. Eigentum um. Die Gebietsverluste des Osm. Reiches nach dem →Türkenkrieg 1683–1699 verschärften die Situation, da sich damit die Verteilungsmasse dramatisch verringerte, so dass viele Timarioten verarmten oder sich auf andere (meist illegale) Weise Ersatz verschafften. Die um sich greifende Krise erschütterte die innere Stabilität des Reiches.
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Lit.: Ö.L. Barkan, Timar, in: İslam Ansiklopesisi; An Economic and Social History of the Ottoman Empire. Hgg. H. İnalcık/D. Quataert. Cambridge 1994; D.A. Howard, The Ottoman Timar system and its transformation 1563–1656. Ann Arbor/Mich. 1990; N. Filipović, Ocaklik Timars in Bosnia and Herzegovina, Prilozi za orijentalnu filologiju 36 (1986), 149–180; N. Beldiceanu, Timariotes chrétiens en Thessalie (1454/55), SOF 44 (1985), 54–81; B. McGowan, Economic Life in Ottoman Europe. Taxation, Trade and the Struggle for Land, 1600–1800. Cambridge u. a. 1981; N. Beldiceanu, Le timar dans l’État ottoman (début XIVe–XVIe siècle). Wiesbaden 1980; S. Faroqhi, Rural Society in Anatolia and the Balkans during the Sixteenth Century, Turcica 9 (1977), 161–195 (Fortsetzung in Turcica 11 [1979], 103–153); H. İnalcik, The Ottoman Empire. The Classical Age 1300–1600. London
Timok (Region) / Tirana
1973; V.P. Mutafčieva/Str.A. Dimitrov, Sur l’état du système des timars des XVIIe–VIIIe ss. Sofia 1968; C. Cahen, L’évolution de l’iqta’ du IXe au XIIIe siècle: Contribution à une histoire comparée des sociétés médiévales, Annales: Economies, Sociétés, Civilisations 8 (1953), 25–52. M. U.
Timok (Region). Fluss in Ostserbien, entsteht durch Zusammenfluss v. Weißem (Beli) T. u. Crna Rijeka bei Zaječar u. mündet östl. von Negotin in die Donau; Gesamtlänge 102 km. Das T.gebiet (Timočka krajina, wobei der Nordteil meist mit Ključ, der Südteil mit Krajina bezeichnet wird) umfasst nicht nur das unmittelbare T.tal, sondern die gesamte Landschaft zw. dem Eisernen Tor (Djerdap) u. der bulg. Grenze. Diese bot der menschlichen Besiedlung v. jeher gute Bedingungen, wovon vorgeschichtliche (Lepenski Vir), röm. u. ma. Funde zeugen. In osm. Zeit wurde das an der Grenze zur →Walachei gelegene Gebiet befestigt (Kladovo = Feth-i Islam) u. neu bevölkert (→Vlachen aus der Walachei, dem Banat u. Siebenbürgen, Serben aus Kosovo). 1833 wurde das T.gebiet mit →Serbien vereinigt u. Negotin Sitz eines serb.-orth. Bistums (Timočka eparhija). 1883 war das T.gebiet Zentrum eines misslungenen Aufstandsversuchs gegen Kg. Milan (Timočka buna; →Bauernaufstände). Lit.: Timočka krajina u XIX veku. Hg. D. Milić. Knjaževac 1983; M. Perić, Negotin i krajina: radnički pokret od 1871. do 1941. godine. Negotin 1973; Spomenica stogodišnjice oslobodjenja Timočke krajine 1833–1933. Hg. J. Živanović. Beograd 1933. P. B.
Tirana (alb. indef. Tiranë, definit Tirana). Hauptstadt v. Albanien, 418.495 E (2011). T. wird als Siedlung erstmals 1418 in einer venez. Urkunde erwähnt. Als eigentliches Gründungsdatum der Stadt gilt 1614. In diesem Jahr stiftete der Grundbesitzer Sylejman Pascha Bargjini eine Moschee, ein Bad u. eine Armenküche (imaret), die die Grundlage der späteren Stadt bildeten. Als der osm. Reisende Evliya Çelebi 1661/62 T. besuchte, befand sich dort der Sitz eines →Kadi. Trotzdem blieb die Stadt lange Zeit nur ein kleines landwirt. Zentrum. Erst Ende des 18. Jh.s gewann sie an Bedeutung: 1793/94 begann Molla Beg, ein Nachkomme des Stadtgründers Sylejman Pascha, mit dem Bau einer großen Moschee (Ulu Cami bzw. alb. Xhamia e Madhe), die 1822/23 v. seinem Sohn Ethem Beg vollendet wurde, dessen Namen sie heute trägt. Wichtig für die Stadtentwicklung war auch, dass Ende des 18. Jh.s die mächtige Großgrundbesitzerfamilie der Toptani, die ihre Herkunft v. der Familie Thopia ableitete, ihren Sitz v. Kruja nach T. verlegte. Im 19. Jh. wurde T. Sommersitz einiger europ. Konsulate, die Durazzo (Durrës) wegen des ungesunden Klimas verließen. Als →Albanien unabhängig u. die Hauptstadtfrage akut wurde, dachte zunächst niemand an T.; zur Diskussion standen Skutari (Shkodra), Valona (Vlora) u. Durazzo (Durrës), v. denen schließlich 1914 Durazzo gewählt wurde. Erst der Kongress v. Lushnja (28.–31.1.1920) brachte T. die Hauptstadtwürde. Die Einwohnerzahl stieg langsam an, v. 17.000 1920 auf 25.000 1938. Unter Kg. Zogu (→Diktaturen) u. dann besonders während der kurzen it. Herrschaft (1939–43) setzte in T. eine rege Bautätigkeit ein. Damals entstand die Zentralachse mit dem heutigen Bahnhof u. der Universität als Endpunkten u. dem Skanderbegplatz als Zentrum. Unter kommunistischer Herrschaft wurde
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Tirana / Torbeschen
T. zu einem Industriezentrum ausgebaut, was einen sprunghaften Anstieg der Einwohnerzahl zur Folge hatte (vgl. →Urbanisierung). 1957 wurde T. Sitz der ersten alb. Universität u. in den folgenden Jahren auch anderer zentraler kultureller Einrichtungen (Kulturpalast, Opernhaus, Ballettheater 1966, Akademie der Wissenschaften 1972, Museum für Nationalgeschichte 1981). Seit 1991 starkes Wachstum der Bevölkerungszahl infolge v. im Kommunismus zuvor nicht zugelassener Landflucht. Lit.: G. Kera, Tirana: demography, family and urban life (1918–1939). Diss. Univ. Graz 2013; P. Capolino, Tirana, 1923–1943. Architetture del moderno – arkitektura të modernes. Roma 2011; K. Frashëri, Historia e Tiranës. Bd. 1: Historia e Tiranës si qytet deri më 1920. Tiranë 2004; Z. Shkodra, Tirana – Capital City of Albania, in: Hauptstädte in Südosteuropa. Hg. H. Heppner. Wien u. a. 1994, 133–147; K. Miho, Trajta të profilit urbanistik të qytetit të Tiranës (Prej fillimeve deri më 1944). Tiranë 1987; K. Frashëri, Fillimet e historisë së Tiranës, Buletin për shkencat shoqërore (1955) H. 2, 126–147. P. B.
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Torbeschen (mak. Torbeši). Bez. für makedonischsprachige Muslime in der Republik →Makedonien (Vardarmakedonien). Auch Apovci, Čitaci, Estovci, Poturi, seltener (in Ostmakedonien) Pomaci (→Pomaken) genannt. Die offizielle Bezeichnung der T. seitens des mak. Staates lautet Makedonci-muslimani (Makedonier-Muslime). Die T. bewohnen vor allem die Westhälfte Vardarmakedoniens (südlich v. Tetovo, südlich u. nördl. der Stadt Debar sowie das Struga-Gebiet) u. die Zentralmakedonische Region zw. Kičevo u. Prilep. Torbeschendörfer finden sich in dem südlich v. Skopje gelegenen TorbešijaGebiet sowie vereinzelt nahe der Stadt Veles (Dorf Melnica) u. im Meleševska-Talkessel im O Makedoniens. Ihre Anzahl wird auf 60.000 bis 70.000 Personen geschätzt. Vertreter der Gemeinschaft gehen v. viel größerer Zahl aus. Die Mehrheit der T. sind Sunniten. Vereinzelt gibt es Anhänger der →Derwische der Halveti, der Melami u. der →Bektaschi. Bei den T. handelt es sich um alteingesessene Bevölkerung, die während der osm. Herrschaft zw. der zweiten H. des 16. Jhs. u. dem 18. Jh. zum Islam übergetreten ist (→Konvertiten). Aufgrund ihrer slav. Sprache u. muslimischen Konfession wurden sie seit 1913 verschiedenen nationalistischen Vereinnahmungsversuchen ausgesetzt. Nach dem Anschluss Vardarmakedoniens an das Kgr. Serbien (1913–15) u. innerhalb des ab 1918 bestehenden Kgr.s der Serben, Kroaten u. Slowenen (seit 1929 Kgr. Jugoslawien) ging über die T. – ähnlich wie über andere Bev.gruppen dieser Region – eine Serbisierungspolitik hinweg. Aus Belgrader Sicht galten sie als „Süd-Serben“. Während des 1. Wk.s (1915–18) u. dann erneut im 2. Wk. (1941–44) wurden sie in den bulg. besetzten Gebieten Vardarmakedoniens als „reine Bulgaren, die vertürkt wurden“, betrachtet. Im it.-alb. besetzten W dagegen wurden die T. zw. 1941–44 als Albaner deklariert. Ihre Namen erhielten die für Albanien bzw. Albaner typischen Endungen -i, -a oder -u , in den Torbeschendörfern wurden alb. Schulen eröffnet. Die Mehrzahl der T. blieb im Verlauf dieser nationalistischen Auseinandersetzungen passiv. Ihr Eigenbewusstsein war regional ausgeprägt u. religiös-muslimisch untermauert. In der Republik Makedonien als Teil Tito-Jugoslawiens waren die T. in den ersten Jahrzehnten keinem Assimilierungsdruck ausgesetzt. Sie fanden sich eher in einer durch wirt.
Torbeschen / Transdanubien
Marginalisierungsprozesse verursachten Isolation. In den 1950er Jahren beteiligten sich T. massenhaft an der Migrationswelle der musl. Bev. in die Türkei. Erst in den 70er J. wurde auf Betreiben des Bundes der Kommunisten Makedoniens eine Kampagne unter den T. gestartet, um sie als untrennbaren Teil der mak. Nation zu proklamieren. Die Gründe dafür lagen u. a. beim angestiegenen Anteil der im W u. NW des Landes siedelnden Albaner sowie der Tendenz kleinerer musl. Gruppen, sich an die Türken oder Albaner zu assimilieren. 1979 gründete eine Gruppe makedonisch-nationalistischer T. die Organisation Kulturno naučni manifestacii na Makedoncite muslimani (Kulturell-wissenschaftliche Manifestationen der musl. Makedonier), deren Ziel es war, für die mak. Nationalität der T. zu werben. Die Organisation (seit 1999 in Sojus na Makedoncite s islamska religija unbenannt) konnte sich nach den pol. Veränderungen 1990/91 weiter behaupten. Im Zuge zunehmender interethn. Spannungen fand sie jedoch kaum Unterstützung seitens der mak. Muslime. Bei den Volkszählungen v. 1994 u. 2002 bestimmten sich die T. fallweise als Türken, Albaner u. Makedonier. Ab dem Schuljahr 1992/93 verlangten einzelne Torbeschendörfer türkisch- u. auch albanischsprachige Grundschulen für ihre Kinder. 2006 wurde die „Partei für europäische Zukunft“ (Partija za evropska idnina, PEI) gegründet. Als multiethnisch deklariert, setzt sie sich u. a. für eine Anerkennung der T. als eigenständige Gruppe ein. Seit den Parlamentswahlen v. 2006 u. 2008 ist die PEI mit einem Sitz im Parlament vertreten. Es ist jedoch fraglich, wie weit die Ziele der PEI auf die Mehrheit der T. übertragbar sind. Das Selbstbewusstsein als ethn. Minderheit ist eher fragil. Die Hauptprobleme der T. bleiben die periphere wirt. Lage sowie die Migration, die zur Entvölkerung ihrer Dörfer führt. Lit.: J. Telbizova-Sack, Zwischen Hammer u. Amboss. Die Torbeschen in der Republik Makedonien, in: The Pomaks in Greece and Bulgaria. A model case for borderland minorities in the Balkans. Hg. K. Steinke/Chr. Voss. München 2007, 201–225; A. Hausmaninger, Ethnische Identität eine Notwendigkeit? Slawische Muslime in einem westmakedonischen Dorf zwischen Zuweisung u. Selbstwahrnehmung, in: Bilanz Balkan. Hgg. M. Daxner u. a. Wien u. a. 2005, 152–165; B. Ellis, Shadow genealogies: Memory and identity among urban Muslims in Macedonia. Boulder, CO/NY 2003; E. Fränkel, Turning a Donkey into a Horse: Paradox and Conflict in the Identity of Makedonci Muslimani, Balkan Forum 3 (1995), H. 4, 153–163; N. Limanoski, Islamizacijata i etničeskite promeni vo Makedonija. Skopje 1993. J. T.-S.
Transdanubien (ung. Dunántúl). Region Ungarns, südl. u. westl. der Donau v. (heute) ca. 45.000 km2 Fläche, mit der röm. Provinz →Pannonien identisch, seit jeher am dichtesten besiedelter u. entwickeltster Teil des Landes. Das südl. →Kisalföld wird meist zu T. gerechnet. Im MA lagen die kgl. Residenzen (Gran, später Visegrád, dann Ofen →Budapest), die Krönungsstadt (Stuhlweißenburg), die ältesten Bistümer (z. B. Veszprém, Fünfkirchen) u. Klöster (Pannonhalma) sowie bedeutende →Freistädte (z. B. Ödenburg) in T. Landwirtschaft, Weinbau (Badacsony am Plattensee) u. Handel mit dem W machten T. zum reichsten Gebiet des Kgr.s, obwohl die westl. Teile oft durch Grenzkriege mit Österreich viel Schaden erlitten. Im 16./17. Jh. fiel T. zum größten Teil unter osm. Herrschaft u. musste nach der Befreiung
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Transdanubien / Transhumanz
teilweise neu besiedelt werden (→Kolonisation). Obwohl der geistliche u. weltliche Großgrundbesitz in vielen Teilen T.s überwog, entwickelten sich auch kleine tragfähige Landwirtschaften. Im W (Brennberg), um Tata u. im Mecsek-Gebirge wurde seit dem 19. Jh. Kohle, im Komitat Zala seit den 1920er Jahren Erdöl u. unweit v. Pécs nach 1945 Uran gefördert. Die Bergleute – besonders v. Komló u. Pécs – waren in den frühen sozialist. Bewegungen recht aktiv, was mehrfach zu blutigen Zusammenstößen mit der Gendarmerie führte. Nach 1920 blieb T., abgesehen vom →Burgenland u. einem Teil der →Baranya, im verkleinerten Ungarn. Obwohl teilweise als „konservativ u. klerikal“ verrufen, wurde T. nach 1945 auch zum Entwicklungsgebiet, z. B. für den Bergbau, für den Aufbau der Bauxit-Aluminiumwerke um Veszprém (Inota, Almásfüzitő) u. der Schwerindustrie in der „sozialistischen Stadt“ Sztálinváros (heute: Dunaújváros). Das einzige Atomkraftwerk in Ungarn entstand 1981 in Paks. Auch das Fach- u. Hochschulwesen (→Universitäten Veszprém, Fünfkirchen, Ödenburg) wurde gefördert. Während des Aufstandes von 1956 bildete sich in T. ein T.er Revolutionsrat unter Attila Szigethy; nach der Niederlage kamen die meisten Flüchtlinge (neben Budapest) aus T. Lit. (a. →Ungarn): B.M. Teleky, Westungarische Magnaten u. die Reformation. Die Auswirkungen des Reformglaubens auf das dreigeteilte ungarische Königreich mit besonderer Berücksichtigung der Hochadelsfamilien Batthyány u. Nádasdy. Herne 2014; Alltag u. Handwerk im burgenländisch-westungarischen Raum. Festschrift für W. Gürtler. Hg. V. Plöckinger. Eisenstadt 2011; J.V. Ecsedy, Nyugat- és észak-magyarországi nyomdák. Budapest 2010; I. Bariska, A Szent Koronáért elzálogosított Nyugat-Magyarország 1447–1647. Szombathely 2007; Sprachen u. Sprachkontakte im pannonischen Raum: das Burgenland u. Westungarn als mehrsprachiges Gebiet. Hg. R. Muhr. Frankfurt/M. u. a. 2005; I. Herényi, Helytörténeti lexikon: 800–1400. Nyugat-Magyarország az Árpádok és az Anjouk korában. Velem 2000; J. Hudi, A dunántúli nemesi községek statútumai a XVII–XIX. századból. Veszprém 1999; E. Thury, A Dunántúli Református Egyházkerület története. Pozsony 1998; Beiträge zur Landeskunde des burgenländisch-westungarischen Raumes. Festschrift für Harald Prickler zum 60. Geburtstag. Red. F. Tobler. Eisenstadt 1994; A Dunántúli dombság. Hgg. L. Ádám u. a. Budapest 1978; J. Kolta, Bevölkerungs- u. siedlungsgeographische Besonderheiten im südöstlichen Teile Transdanubiens. Pécs 1967. J.M. B.
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Transhumanz (frz. transhumance, v. lat. trans + humus = „quer durch Boden“). Eine bestimmte Art v. Weidewirtschaft, bei der das Vieh v. Berufshirten über große Entfernungen zu den Sommer u. Winterweiden getrieben wird. Als die klassische Form der T. gilt die seit dem 13. Jh. bekannte Mesta in Spanien, eine kgl. privilegierte Organisation der Schafherdenbesitzer, die ihre Herden auf bestimmten Wegen u. zu bestimmten Jahreszeiten zw. den Sommerweiden im NW u. den Winterweiden im S des Landes treiben durften. Eine derart professionalisierte u. landesherrschaftlich gesicherte Form der T. ist in der Geschichte SOEs nicht bekannt, wiewohl sich auch hier vergleichbare Formen der Viehhaltung entwickelt haben. Festzuhalten ist zunächst, dass T. in der Literatur über SOE häufig unpräzise zur Bezeichnung jeder Form v. Viehhaltung verwendet wird, bei der Wanderungen zw. Sommer u. Winterweide über das Weichbild des Stammdorfes hinaus vorkommen. Demgegenüber betrach-
Transhumanz
tet die Spezialforschung die T. getrennt v. anderen Formen der Viehhaltung. So fasst man die →Sarakatsanen u. einige Gruppen der →Aromunen auf dem südl. Balkan als Nomaden auf, insofern sie weder permanente Sommer- noch Winterdörfer hatten. Bei ihren regelmäßigen Wanderungen in Begleitung ihrer Herden zw. den kühleren Sommerweidegebieten im Gebirge u. den relativ wärmeren Beckenlandschaften u. Küstenebenen im Winter lebten sie in Zelten oder Hütten. Dagegen gelten jene Viehzüchter, die, wie die Aromunen des Pindus, über feste Dörfer in den Sommerweidezonen verfügten, zur Überwinterung aber mit ihren Herden über große Entfernungen in die Ebenen v. Ioannina, Thessalien, Thessaloniki oder Serres wanderten, als Halbnomaden. Daneben herrschte in den hügeligen, gebirgigen u. v. a. waldreicheren Zonen der Balkanhalbinsel ein pendelartiges Hirtenwesen vor, das als die verbreitetste Form der Viehhaltung gelten kann: Die bäuerlichen Familien führten hier ihre Herden in jedem Sommer zum benachbarten Weidebergland, zum Überwintern wurde aber das Vieh grundsätzlich immer zum Stammdorf der Eigentümer zurückgebracht. Offensichtlich bot sich T. als eine neue Form der Viehhaltung in einer Stufe der wirt.-ges. Entwicklung an, auf welcher die lokal bzw. in der näheren Umgebung verfügbaren Weideflächen zur Ernährung der inzwischen gewachsenen Herden nicht mehr ausreichten. Zudem repräsentiert sie eine höhere Form der Arbeitsteilung, da nicht mehr Familienangehörige der Herdenbesitzer, sondern Berufshirten zum Einsatz kamen. Ein bestimmender Faktor dieser Entwicklung war der gestiegene Bedarf a) nach Fleisch, Molkereierzeugnissen u. Häuten zur Versorgung sowohl der Städte (v. a. der Großstadt →Istanbul), als auch des Heeres u. der Flotte; b) nach Wolle – allein das Wollgewerbe der Stadt →Saloniki, die u. a. Tücher für Janitscharenuniformen (→Janitscharen) produzierte, verarbeitete die Rohwolle v. rund vier Millionen Schafe jährlich; c) nach tierischen Produkten des Balkanraumes – Rinder, Wolle, Leder, Mohair – in Europa. Dieser viehwirt. Aufschwung war andererseits v. einem empfindlichen Rückgang des Ackerbaus u. v. der Ausweitung des osmanischen Typs v. Gutswirtschaft, dem →Çiftlik begleitet. In ihrer ausgeprägten Form fand T. nur in wenigen Regionen SOEs Verbreitung: So wurden Schafherden aus Siebenbürgen (Hermannstadt), die den Sommer über in den Höhen der Karpaten weideten, zum Überwintern in die Donauebene, weiter nach Adrianopel (Edirne) oder bis ans Schwarze Meer getrieben. Andere Viehzüchter, z. B. einige montenegrinische Stämme, schickten ihre Herden zur Winterweide in die Save-Ebene nach Serbien u. Bosnien. Im südalb. Hügelland v. Kurvelesh, wo man im 18. u. 19. Jh. ebenfalls T. praktizierte, wurden die Herden zur Sommerweide in die benachbarten Gebirge bei Gjirokastër, Përmeti u. Korça oder zum noch entfernteren Pindus u. Grammosgebirge geführt. Als Winterweidegebiete dienten v. a. die Ebenen v. Vlora, Myzeqe, Delvina u. Ioannina. Die T. machte ein komplexeres System vertraglicher Regelungen notwendig. Befanden sich die Sommerweiden im Gebirge vielleicht noch im Besitz der eigenen Gemeinden, so sahen sich die Viehzüchter in ihren Winterweidegebieten mit Besitzrechten konfrontiert, welche Klöstern, isl. Stiftungen (→Vakuf ), privaten Gutswirtschaften, fremden →Dorfgemeinden oder dem Fiskus gehörten. Auf jeden Fall war ein Pachtzins zu entrichten. Ferner galt es, eventuell Kraftfutter für die Zeit der Ablammung, die Zeitpunkte u. Orte der Schur, den Verkauf v. Milch u. Käse, die Entlohnung der Hirten u. nicht zuletzt die Sicherheit der
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Transhumanz / Transleithanien
Herden im voraus zu planen. Autoren, die sich mit dem Thema befasst haben, betonen auch die kulturgeschichtliche Bedeutung der T. für die Länder SOEs. Neben Transportleistungen für den überregionalen Handel trugen die Wanderhirten auch zur Diffusion v. Nachrichten, Volksliedern u. überhaupt Mentalitäten bei, bis die Herausbildung v. Nationalstaaten seit dem 19. Jh. eine Neuziehung der territorialen Grenzen u. infolgedessen eine empfindliche Einengung des Horizonts der Wanderhirten mit sich brachte. Auch die seitherige Intensivierung der Landwirtschaft führte zur allmählichen Aufgabe dieser Form der Viehhaltung. Lit.: Th. Kahl, Hirten in Kontakt. Sprach- u. Kulturwandel ehemaliger Wanderhirten (Albanisch. Aromunisch, Griechisch). Berlin, Wien 2007; Transhumant Pastoralism in Southern Europe. Recent Perspectives from Archaeology, History and Ethnology. Hgg. L. Bartosiewicz/H.J. Greenfield. Budapest 1999; A. Matkovski, Nomadskoto stočarstvo vo Makedonija od XIV do XIX vek. Skopje 1996; K. Kaser, Hirten, Kämpfer, Stammeshelden. Ursprünge u. Gegenwart des balkanischen Patriarchats. Wien u. a. 1992; R. Murphey, Provisioning Istanbul: the State and Subsistence in the Early Modern Middle East, Food and Foodways 2 (1988), 217–263; D. Antonijević, Оbredi i običaji balkanskih stočara. Beograd 1982; B. Braude, International Competition and Domestic Cloth in the Ottoman Empire, 1500–1650: A Study in Underdevelopment, Review. A Journal of the Fernand Braudel Center for the Study of Economics, Historical Systems and Civilisations II/3 (Winter 1979), 437–461; V. Marinov, Über einige schwach untersuchte Seiten der geistigen Kultur der beweglichen Schafhirten auf der Balkanhalbinsel, in: Dispositions de la législation positive et du droit coutumier relatives aux mouvements saisonnières des éleveurs du bétail dans l’Europe du Sudest à travers des siècles. Hg. V. Čubrilović. Belgrade 1976, 297–307; Odredbe pozitivnog zakonodavstva i običajnog prava o sezonskim kretanjima stočara u Jugoistočnoj Evropi kroz vekove. Hgg. V. Čubrilović/D. Antonijević. Beograd 1976; N. Dunăre, Typologie des traditionellen Hirtenlebens im karpatobalkanischen Raum, Zeitschrift für Balkanologie 11 (1975), H. 2, 5–39; V. Marinov, Ethnographische Charakteristik der Transhumanz in den Ländern der Balkanhalbinsel, in: Actes du premier congrès international des études balkaniques et sud-est européennes. Bd. 7. Sofia 1971, 535–548; A. Beuermann, Fernweidewirtschaft in Südosteuropa. Ein Beitrag zur Kulturgeographie des östlichen Mittelmeergebietes. Braunschweig 1967; F. Braudel, La Méditerranée et le monde méditerranéen à l’époque de Philippe II. 2 Bde Paris 21966; B.A. Cvetkova, La service des celep et le ravitaillement en bétail dans l’Empire ottoman (XVe–VIIIe s.), Études Historiques 3 (1966), 145–172; K. Dobrowolski, Die Haupttypen der Hirtenwanderungen in den Nordkarpaten vom 14. bis zum 20. Jh., in: Viehzucht u. Hirtenleben in Ostmitteleuropa. Ethnographische Studien. Budapest 1961, 113–146. F. A.
Transleithanien. Herkömmliche, doch nie offizielle Bezeichnung der Länder der →Stephanskrone innerhalb der Habsburgermonarchie, die besonders nach dem →Ausgleich v. 1867 bis zum Ende der Doppelmonarchie 1918 benutzt wurde. Das Wort bezieht sich auf den seit dem MA anerkannten Grenzfluss auf einem Abschnitt der Grenze zw. Österreich u. Ungarn, die Leitha. Als ebenfalls nie offizielles Pendant existierte die Bezeichnung →Zisleithanien. 942
J.M. B.
Transnistrien
Transnistrien (rum. Transnistria; russ. Pridnestrovija). Unter der Bezeichnung T. (abgeleitet v. rum. „Nistru“: Dnjestr) wurde das Gebiet zw. Dnjestr u. Bug erstmals 1941 eine pol. Einheit, als es unter rum. Herrschaft kam. Zwischen 1924 u. 1940 hatte sich auf einem Teil des Gebietes v. T. die Autonome Moldawische Sozialistische Sowjetrepublik in der Ukraine befunden, die dann zw. August 1940 u. Juli 1941 zus. mit großen Teilen →Bessarabiens die Moldawische SSR (→Moldau, Rep.) bildete. In der autonomen Republik am Dnjestr-Ufer hatten in sowj. Zeiten (1926) 1.070.000 Ukrainer, 710.000 Russen, 300.000 Juden, 290.000 Moldauer/Rumänen, 125.000 Deutsche u. kleinere Minderheiten gelebt. Als sich die Rote Armee im Juli 1941 zurückzog, flohen etwa zwei Drittel der jüd. Bev. Dennoch waren in dem Gebiet viele Juden, weil die jüd. Flüchtlinge aus Bessarabien dort überrollt wurden. Durch Massenerschießungen wurden v. der dt. Einsatzgruppe D etwa 50.000-60.000 Personen ermordet. T. wurde im August 1941 der rum. Militärverwaltung unterstellt, die Vertreter des Dt. Reiches verlangten jedoch eine Beteiligung an der ökon. Ausbeutung. Ab September 1941 wurde ein großer Teil der jüd. Bevölkerung aus der →Bukowina, Bessarabien u. der Nordmoldau nach T. deportiert. Im ersten Winter starb etwa ein Drittel der Deportierten an Hunger oder Epidemien. Im Verlauf des Jahres 1942 kamen nur noch kleinere Transporte aus →Czernowitz u. anderen Städten Rumäniens. Im Dezember 1943 waren v. den über 130.000 Deportierten nur noch 50.741 Menschen am Leben (→Holocaust). Die meisten Deportierten konnten T. erst verlassen, nachdem die Rote Armee das Gebiet im März 1944 eingenommen hatte. Es wurde zw. der Ukrainischen u. Moldawischen SSR aufgeteilt. Der Begriff T. tauchte seit August 1991 erneut auf, als die Moldawische Sozialistische Sowjetrepublik Transnistrien (auch Dnjestr-Republik genannt) ihre Unabhängigkeit v. der Republik Moldau erklärte. Die neue pol. Einheit („Pridnestrowische Moldauische Republik“, PMR) wurde zwar v. keinem Staat diplomatisch anerkannt, doch brachten die bewaffneten Auseinandersetzungen im Sommer 1992 T. in die Schlagzeilen. Es gibt in T. heftige Konflikte um die kulturellen Rechte der dortigen Moldauer. Die Regierung Moldaus bemüht sich um eine Machtaufteilung mit den selbsternannten Führern aus Tiraspol‘, u. a. weil auf dem Gebiet v. T. viele Industriebetriebe (ursprünglich 37 % des ökon. Potentials der Moldau) u. große Waffenarsenale der 14. Armee Russlands konzentriert sind. Der Status quo in T. wird aber v. Russland gestützt. Die Herrschaftsinszenierung in T. mitsamt geheimdienstlicher Praxis u. Nomenklatur ist explizit sowj. ausgerichtet. 2004 zählte T. 555.347 E auf einem Territorium von 3.567 km². Lit. (a. →Moldau, Rep.; →Holocaust): Schwarze Milch. Zurückgehaltene Briefe aus den Todeslagern Transnistriens. Hg. B.M. Grilj. Innsbruck 2013; K. Graf, Der Transnistrien-Konflikt: Produkt spätsowjetischer Verteilungskämpfe u. Zerfallskonflikt der implodierten Sowjetunion. Hamburg 2010; A. Menn, Konstruktion von Nation u. Staat in Osteuropa. Transnistrien u. die Republik Moldau. Saarbrücken 2008; St. Troebst, Staatlichkeitskult im Pseudo-Staat. Identitätsmanagement in Transnistrien, Osteuropa 53 (2003), H. 7, 963–983; V. Kolossov, A small State vs a Self-proclaimed Republic: Nationbuilding, Territorial Identities and Prospects of Conflict Resolution (the Case of Moldova-Transdniestria), in: From the Adriatic to the Caucasus. The Dynamics of (De)Stabilization. Hg. St. Bianchini. Ravenna 2001, 87–114; J. OʼLoughlin/V. Kolossov,
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Trans(s)ilvanismus
Pseudo-States as Harbingers of a New Geopolitics. The example of the Transdniestr Moldovan Republic (TMR), in: Boundaries, Territories and Postmodernity. Hg. D. Newman. London 1999, 151–176; F.-D. Grimm, Transnistrien – ein postsowjetisches Relikt mit ungewissen Perspektiven, Europa regional, 5 (1997), H. 2, 23–34; E. Völkl, Transnistrien u. Odessa 1941–1944. Regensburg 1996; K. Büscher, Separatismus in Transnistrien. Die „PMR“ zwischen Rußland u. Moldova, Osteuropa 46 (1996), H. 9, 860–875; D. Ofer, The Holocaust in Transnistria, in: The Holocaust in the Soviet Union. Hgg. L. Dobroszychi/J.S. Gurock. New York u. a. 1993, 133–154; Documents Concerning the Fate of Romanian Jewery during the Holocaust. 12 Bde. Hg. J. Ancel. New York 1985/86. M. H.
Trans(s)ilvanismus (rum. Ardelenism; ung. Transzilvánizmus, Erdélyiség). Allgemeine Bez. für die Eigenart →Siebenbürgens, für das (zu weckende) Zusammengehörigkeitsgefühl, für die besonderen u. gemeinsamen hist. Erfahrungen seiner multiethn. Bevölkerung. Der Begriff, der in der Zwischenkriegszeit geprägt wurde, hat bis heute keine eindeutige Definition erfahren, was an seinem programmatischen Charakter liegen mag: T. wurde der nationalgeschichtlich dominierten Sicht der pol. u. soz. Entwicklung Siebenbürgens gegenübergestellt, er betonte das Gemeinsame u. versuchte meist eine übernationale Identität der siebenbürg. Bev. zu stiften, während daneben in einem innerrumänischen Diskurs dem T. die Funktion einer Unterscheidung v. Rumänen beiderseits der Karpaten (in Siebenbürgen u. im „Altreich“, s. →Regat) u. entsprechender spezifischer regionaler Interessen zukommt. Im pol. Sinn bezeichnet der „hist. T.“ (bis 1918) die staatliche Eigenständigkeit Siebenbürgens v. 1526 bzw. 1691 bis 1867/68, aber auch ganz allg. die dt.-rum.-ung. Beziehungen im Lande. Mit dem „modernen T.“ ist in erster Linie die ung.-dt. Annäherung nach dem Vertrag v. →Trianon (1920) gemeint, die auf kult. Gebiet auch die Rumänen u. andere Einwohner Siebenbürgens miteinbezog. Seinen sichtbarsten Niederschlag fand der T. auf dem Gebiet der Literatur. Die beiden siebenbürg. Zeitschriften Erdélyi Helikon (gegr. Klausenburg 1928 ) u. Klingsor (gegr. Kronstadt 1924) versuchten, zw. den Kulturen zu vermitteln, die jeweils andere Literatur zu rezipieren u. zu popularisieren. Auf pol. Gebiet zeigten sich deutlich die Grenzen des T. Der Traum v. der „östl. Schweiz“ scheiterte an den Nationalbewegungen u. am zunehmend antisemit. Klima (→Antisemitismus). Die Ungarn hatten seit der Union Siebenbürgens mit Ungarn 1848/49 kein Interesse mehr an einem eigenständigen Siebenbürgen, für die Rumänen verlor der T. nach 1918 jegliche Anziehungskraft. Selbst die →Siebenbürger Sachsen als die „wahren Transsilvanisten“ erklärten sich 1918 nach den Magyarisierungserfahrungen der Vergangenheit für einen Anschluss an Rumänien. Erst nachdem sich die Minderheitsbestimmungen v. 1920 (→Minderheiten, Minderheitenschutz) als Makulatur erwiesen hatten, blühte der (ung.-dt.) T. wieder auf.
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Lit.: F. Kührer-Wielach, Siebenbürgen ohne Siebenbürger? Zentralstaatliche Integration u. politischer Regionalismus in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. München 2014; H. Glass, Zerbrochene Nachbarschaft. Das deutsch-jüdische Verhältnis in Rumänien 1918–1938. München 1996;
Trialismus
M. Lackó, Die Zeitschrift „Erdélyi Helikon“ u. die ungarisch-sächsischen Beziehungen in Siebenbürgen zwischen den beiden Weltkriegen, in: Siebenbürgen zwischen den beiden Weltkriegen. Hg. W. König. Köln u. a. 1994, 219–234; W. Knopp, Das Abklingen des Transsylvanismus als interkulturelles Phänomen, Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde 16 (1993), 60–67; ders., Der Transsylvanismus als erklärtes Programm in der siebenbürgisch-sächsischen Literatur zwischen den beiden Weltkriegen, Neohelicon 19 (1992) 1, 97–122; Zs.K. Lengyel, Auf der Suche nach dem Kompromiß. Ursprünge u. Gestalten des frühen Transsilvanismus 1918–1928. München 1993. A. Sch.
Trialismus (Österreich-Ungarn). Das durch den →Ausgleich von 1867 geschaffene System des →Dualismus stieß bei den Slaven →Österreich-Ungarns allg. auf Ablehnung. Die innerhalb verschiedener pol. Diskurse erörterte, jedoch niemals verwirklichte Konzeption, ihnen eine ähnlich gleichberechtigte staatsrechtl. Stellung wie den Magyaren u. den Deutschösterreichern zu gewähren, wird als →T. bezeichnet, der somit zum Dualismus u. diesen innerhalb einer Reichshälfte ergänzend hinzutreten oder auf der Ebene des Gesamtstaates das dualistische System überhaupt ablösen sollte. Die erste Variante versuchte der Plan des österr.-böhmischen Ausgleichs von 1871 zu realisieren, die zweite Variante zielte nach der Jahrhundertwende darauf ab, die südslav. Gebiete der Doppelmonarchie auf der Grundlage des kroat. Staatsrechts zu vereinigen u. damit eine Union von drei gleichberechtigten Monarchien zu schaffen. Die ideengesch. Grundlage beider T.-Projekte bildete der →Austroslawismus. Nachdem durch die Bildung des Dt. Reiches jegliche Option für eine großdt. Lösung endgültig ausgeschlossen war, gab Ks. Franz Joseph seine Zustimmung, Verhandlungen zw. Regierungsvertretern u. tschechischen Politikern zum Abschluss eines österr.-böhm. Ausgleichs aufzunehmen. Wien anerkannte eine staatsrechtl. Neuregelung nach dem Muster des Ausgleichs mit Ungarn, was auf eine Anerkennung des böhmischen Staatsrechts hinauslief. Ferner wurde ein Nationalitätengesetz in Aussicht gestellt, das die Gleichberechtigung der Tschechen mit den Deutschen gewährleisten sollte. Im Landtag sollten zwei nationale Kurien geschaffen werden, um die Majorisierung einer Nationalität auszuschließen. Die vom böhmischen Landtag am 10. Oktober 1871 – allerdings durch den Auszug der Deutschen ohne die nötige Mehrheit – verabschiedeten 18 „Fundamentalartikel“ bedeuteten die Gleichstellung Böhmens mit Ungarn u. damit die föderalistische Umwandlung →Zisleithaniens. Der schlesische Landtag verweigerte allerdings seine Zustimmung u. der mährische stimmte den Artikeln nur unter Garantie seiner Landesautonomie zu. Der Ausgleichsversuch scheiterte jedoch nicht an diesen Partikularismen, sondern an verschiedentlichem entschlossenen Widerstand: der Deutschliberalen, die ihren Besitzstand wahren wollten; des Reichskanzlers Beust, der im Fall seiner Verwirklichung eine Hinwendung der Deutschösterreicher an das Bismarckreich befürchtete; des ung. Ministerpräsidenten Grafen Gyula Andrássy, der in ihm eine Gefährdung des österr.-ung. Ausgleichs erblickte; u. schließlich der Anhänger des Gesamtstaates (Hochadel, Klerus u. Militär), die den Ausgleich als eine zu weitgehende Auf splitterung der Dopppelmonarchie ablehnten. Die enttäuschten Tschechen begannen sich nun von der Monarchie immer mehr abzuwenden. Innerhalb Böhmens radikalisierte sich der nationale Diskurs u. ging in einen offe-
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Trialismus
nen pol. Kampf der ethn. Gruppen um die Machtpositionen im öffentl. Leben über. Das Scheitern dieses Föderalisierungsversuches weist darauf hin, dass das politische, immer noch sehr labile System des Dualismus eine so tiefgreifende Verfassungsänderung ausschloss. Solche Gründe waren 30 Jahre später nicht weniger maßgebend, die in der national aufgeheizten Atmosphäre nach der Jahrhundertwende den Bestrebungen in Richtung einer trialistischen Lösung der →„Südslavischen Frage“ nur wenig Chancen zu ihrem Gelingen gewährten. Eine entsprechende Einschätzung erfuhren auch die großösterr. Umwandlungspläne des Kreises um den Thronfolger Franz Ferdinand, der selbst rasch von solchen abrückte, obwohl sie nur wenig konkret den Dualismus beseitigen oder durch einen T. ablösen wollten. Der von seinen Vorkämpfern bereits in den 1860er Jahren propagierte →Jugoslawismus, der nach 1868 zunächst als Variante einer kroat. Integrationsideologie gegen die Budapester Hegemonie instrumentalisiert wurde, erfuhr nach der Jahrhundertwende als Kernpunkt eines kroat.-serb. Einheits- u. Autonomiestrebens eine Weiterentwicklung u. Zuspitzung, die sich die 1905 gebildete „Kroato-Serbische Koalition“ mit ihren Resolutionen in Fiume/ Rijeka u. Zadar/Zara zu ihrer programmatischen Grundlage machte. Unter der Führung der dalmatinischen Politiker Frano Supilo, Ante Trumbić u. Melko Čingrija, auf serb. Seite v. Svetozar Pribićević, bemühte sich diese in Kroatien mit ihrem Wahlsieg im Frühjahr 1906 an die Macht gekommene Gruppe einerseits darum, die Strossmayer- u. Starčevićtraditionen miteinander zu versöhnen (vgl. →Kroaten), andererseits die v. den Südslaven bewohnten, auf beide Reichsteile verteilten Gebiete in einem Staatsgebilde zu vereinen u. diese neue Einheit Österreich u. Ungarn gleichzustellen. In Zusammenarbeit mit der v. Ferenc Kossuth angeführten Opposition in Budapest suchten die kroat. Politiker unter Anerkennung der ung. Unabhängigkeitsbestrebungen Spielraum für ihre eigene T.-Lösung zu gewinnen. In den Mittelpunkt rückte zunächst die Auseinandersetzung um die staatsrechtl. Zugehörigkeit →Dalmatiens zur westl. oder östl. Reichshälfte. Doch bereits 1907 war der „Neue Kurs“ der kroato-serb. Koalition mit ihrem Regierungsrücktritt in Zagreb u. ihrer Wahlniederlage in Dalmatien gescheitert, wozu die vom Budapester Kabinett Wekerle wiederaufgenomme Politik einer neuerlichen ung. Hegemonialisierung Kroatiens entscheidend beigetragen hat. Es erwies sich als unmöglich, „dem Verhältnis zw. magyarischem Nationalismus u. kroato-serb. Jugoslawismus eine langfristige Perspektive im Sinne einer transleithanischen Symbiose zu geben“ (Günter Schödl; vgl. →Transleithanien). Der Jugoslawismus als Versuch einer Überwindung der konkurrierenden Nationalbewegungen der Serben u. Kroaten verlor in der Folgezeit stark an Attraktivität. Eine solche sollte er erst wieder nach den →Balkankriegen u. – unter völlig veränderten Rahmenbedingungen – 1917/18 erhalten.
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Lit.: A. Hannig, Franz Ferdinand. Die Biografie. Wien 2013; V.D. Krestić, History of the Serbs in Croatia and Slavonia 1848–1914. Belgrade 1997; ders., Iz istorije Srba i srpsko-hrvatskih odnosa. Beograd 1994; H. Haselsteiner, Bosnien-Hercegovina. Orientkrise u. Südslawische Frage. Wien u. a. 1996; L. Höbelt, Kornblume und Kaiseradler. Die deutschfreiheitlichen Parteien Altösterreichs, 1882–1918. Wien 1993; G. Schödl, Kroatische Nationalpolitik u. ‚Jugoslavenstvo‘. Studien zu nationaler Integration u. regionaler Politik in Kroatien-Dalmatien am Beginn des 20. Jh.s. München 1990; I. Diószegi, Die südslawische Frage u. das Problem der „Reformierbarkeit“ der
Trianon, Friede von (1920)
Habsburger Monarchie, in: Kärntens Volksabstimmung 1920. Hg. H. Rumpler. Klagenfurt 1981, 29–43; W.D. Behschnitt, Nationalismus bei Serben u. Kroaten 1830–1914. München 1980; M. Gross, Zur Frage der jugoslawischen Ideologie bei den Kroaten, in: Die Donaumonarchie u. die südslawische Frage von 1848 bis 1918. Hg. A. Wandruszka. Wien 1978, 19–38; dies., Vladavina Hrvatsko-srpske koalicije 1906–1907. Beograd 1960. G. S.
Trianon, Friede von (1920). In T., dem im Park v. Versailles gelegenen Lustschloss Kg. Ludwigs XIV., unterzeichnete Ungarn am 4.6.1920 den danach benannten Friedensvertrag mit den Alliierten des 1. →Wk.s, der den Untergang des Kgr.s der →Stephanskrone besiegelte. T. beendete jedoch auch die zweijährige Periode, in der das Land nach seinem milit. Zusammenbruch v. drei Revolutionen u. verschiedenen Besetzungen durch seine Nachbarn heimgesucht worden war, weil es über keine international anerkannte Grenzen, sondern nur über häufig wechselnde, in Waffenstillstandsvereinbarungen festgelegte Demarkationslinien verfügte. Der Entschluss der Alliierten, an die Stelle der Habsburgermonarchie ein System neuer Nationalstaaten als eine Schutzzone zw. dem Expansionsstreben Deutschlands nach Osten u. dem Vordringen der komm. Revolution nach Westen einzurichten (→Pariser Vorortverträge), rechtfertigte in ihren Augen die mit dem Friedensvertrag vorgenommene Aufteilung v. 67 % des Territoriums u. 58 % der Bev. des Kgr.s an die Nachfolgestaaten: →Siebenbürgen mit dem →Partium u. dem östl. Teil des →Banats wurde an Rumänien, das westl. Banat, die →Batschka, der südl. Teil des Komitats →Baranya, →Kroatien, →Slawonien u. das Übermurgebiet (→Prekmurje) an Jugoslawien, das →Burgenland an Österreich, →Oberungarn (die Slowakei) u. die →Karpato-Ukraine an die Tschechoslowakei abgetreten. Der v. 1779 bis 1918 ung. Seehafen →Rijeka/Fiume erhielt 1920 den Status eines Freistaates, den sich 1924 Italien einverleibte. Die Konsequenzen einer solchen Grenzziehung, die bereits vor dem Aufkommen der →Räterepublik im März 1919 in ihren Grundzügen feststand, war führenden Repräsentanten der Alliierten zu spät klar geworden, als nämlich der britische Premierminister Lloyd George am 3.3.1920 feststellte, der Verbleib v. mehr als drei Mio. Magyaren nunmehr als →Minderheit unter fremder – u. auf mehrere Staaten verteilter – Oberherrschaft bedeute eine große Ungerechtigkeit. Die milit. Schwäche der Alliierten, die mit keinen nennenswerten Truppen in den umstrittenen Gebieten vertreten waren, u. die Bereitschaft der Nachfolgestaaten, auch mit Waffengewalt für ihren Landgewinn einzutreten, machten eine nachträgliche Abänderung der Vertragsbestimmungen, für die London u. Rom zeitweilig eintraten, unmöglich. Die Alliierten einigten sich auf eine Geste des Entgegenkommens gegenüber der ung. Regierung, indem sie dem Friedensvertrag eine nach dem frz. Ministerpräsidenten Millerand benannte Note beigaben, in der sie Ungarn ihre Bereitschaft zusicherten, offenbare Ungerechtigkeiten einzelner Vertragsbestimmungen auf dem Verhandlungswege abmildern zu helfen. Dass sie damit Budapest zur Unterschrift bewegen wollten u. dieses Ziel auch tatsächlich erreichten, stellte sich ebenso rasch heraus wie die Tatsache, dass sie wenig Interesse daran zeigten, selbst die geringsten Kompromisse seitens der Gewinner durchzusetzen. Doch solche schloss auch die Uneinsichtigkeit u. die damit verbundene mangelnde Flexibilität
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der in Ungarn herrschenden Elite sowie ihrer am 5.1.1920 nach Paris entsandten Friedensdelegation unter Vorsitz des Grafen Albert Apponyi aus. Denn allen Niederlagen zum Trotz bestanden die ung. Politiker nach wie vor auf vollständige Wahrung der territ. Integrität des alten Kgr.s. Damit waren weder eine Vertrauensbasis u. darauf aufbauend eine gegenseitige Kompromissbereitschaft zu erreichen, noch Revisionsverhandlungen in Gang zu bringen. Die neuen Grenzen lösten nicht nur einen Flüchtlingsbewegung aus, als im Zeitraum v. 1918 bis 1924 insges. 350.000 Personen (davon 106.841 aus der Tschechoslowakei, 197.035 aus Rumänien u. 44.903 aus Jugoslawien) aus den neuen Nationalstaaten in ihr Mutterland emigrierten, sondern – was noch viel schwerer wog – auch ein tiefgehendes Trauma der gesamten ung. Gesellschaft, das über viele Jahre hinweg einen ihr Denken wie pol. Handeln bestimmenden Einfluss ausübte. Denn der Vertrag v. T. u. die mit ihm heraufbeschworene Teilung v. Staat u. Nation wurde zum Angelpunkt der ung. Innen- wie Außenpolitik der Zwischenkriegszeit. Es bestand in der einmütigen u. leidenschaftlichen Ablehnung seiner Bestimmungen u. Folgen ein alle ges., pol. u. ethn. Gruppen übergreifender Konsens, der sich z. B. auch tagtäglich äußerte, wenn auf allen öffentlichen Gebäuden 18 Jahre lang, bis zum ersten Revisionserfolg Ende 1938 (→Wiener Schiedssprüche), die Nationalfahne auf Halbmast wehte. Die Revision v. T., insbesondere seiner Grenzziehung, wurde zum Axiom der ung. Außenpolitik, das auch das bilaterale Verhältnis Ungarns zu allen Großmächten wie zu den Nachbarstaaten bestimmte (→Revisionismus). T. hat schließlich zum Wandel der Wert- u. Zielvorstellungen der ung. Gesellschaft entscheidend beigetragen. Der Friedensvertrag wurde nicht als logischer Endpunkt einer schon 1848/49 begonnenen pol. Entwicklung begriffen, als Schlussstein der im Verlauf des 19. Jh.s immer mehr bemerkbaren Entfremdung zw. der Staatsnation u. der innerhalb dieses Kgr.s zusammenlebenden Völker, die sich in ihrer nationalen Entwicklung pol. ausgegrenzt u. kult. bedroht gesehen hatten (vgl. →Österreich-Ungarn). Vielmehr erklärte die herrschende Elite nach 1920 den Massen, die Ursache aller mit T. heraufbeschworenen Mängel u. Defizite läge in den Revolutionen 1918/19 u. in der Verstümmelung des ung. Staates, für die ebenfalls die Revolutionen verantwortlich seien, so dass eine Verbesserung ihres Schicksals nicht v. einer Umgestaltung der ges., immer noch v. feudalen Elementen geprägten Verhältnisse abhänge, sondern ausschließlich davon, inwieweit es gelänge, die revisionistischen Ziele zu verwirklichen u. das alte Ungarn wiederherzustellen. Da die pol. Linke durch die →Räterepublik total diskreditiert war, orientierte sich eine Vielzahl der ges. Gruppen immer stärker nach rechts. Die eine solche Richtung einschlagende pol. Radikalisierung vollzog sich Hand in Hand mit einem übersteigerten Nationalpatriotismus, der sich nicht zuletzt auch darin gefiel, ethn. u. relig. Minderheiten wie die Juden (→Antisemitismus), die Deutschen, die Slowaken etc. immer stärker auszugrenzen u. deren Identität in Frage zu stellen. T. bewirkte damit auch eine enttäuschte Abwendung vom westeurop. Fortschritt u. seinen inhärenten lib. Werten u. Zielen, die die führenden Kreise bis 1919 noch als modellhaft bewundert hatten. In das somit entstandene ideologische Vakuum konnten neue weltanschauliche Ideen eindringen, darunter die Faszination eines dritten Weges zw. Kapitalismus u. Kommunismus u. damit im Zusammenhang der Diskurs zw. Urbanisten u. Populisten (→Populismus), schließlich der it. Faschismus u. der dt. Nationalsozialismus (→Faschismus). Die durch T.
Trianon, Friede von (1920) / Triestfrage
ausgelöste pol. Entwicklung machte daher für lange Zeit alle Bemühungen zunichte, Ungarn in einen demokr. verfassten Staat u. seine zu dieser Zeit noch immer halbfeudale Gesellschaft in eine moderne, bürgerlich-pluralistische umzuwandeln. Lit. (a. →Revisionismus; →Irredentismus): G. Foco, Der verlorene Friede nach dem gewonnenen Krieg. Kritik an den Pariser Vororteverträgen 1919–1920 aus ungarischer Sicht. Wien 2005; I. Romsics, Der Friedensvertrag von Trianon. Herne 2005; Trianon. Hg. M. Zeidler. Budapest 2003; ders., A reviziós gondolat. Budapest 2001; A. Kovács-Bertrand, Der ungarische Revisionismus nach dem Ersten Weltkrieg. Der publizistische Kampf gegen den Friedensvertrag von Trianon (1918–1931). München 1997; L. Deák, Trianon. Illusions and Reality. Bratislava 1996; Trianon and East Central Europe. Antecedents and Repercussions. Hg. B.K. Király. Boulder u. a. 1995; Essays on World War I. Total War and Peacemaking, a Case Study of Trianon. Hg. ders. New York 1982; J. Galántai, Trianon and the Protection of Minorities. Boulder u. a. 1992; The Hungarians – a Divided Nation. Hg. St. Borsodi. New Haven 1988; F. Deák, Hungary at the Paris Peace Conference. New York 1942 (²1972); C.A. MaCartney, Hungary and Her Successors. The Treaty of Trianon and Its Consequences 1918–1937. Oxford u. a. 1937. G. S.
Triestfrage. Frage der staatlichen Zugehörigkeit Triests nach 1945. Als Haupthafen der Habsburgermonarchie wurde Triest im 19. Jh. zur bedeutendsten Industriestadt u. zum führenden Hafen an der Adria. Zu seinem unmittelbaren wirt. Einzugsbereich gehörten die Länder →Görz-Gradisca, →Istrien, →Krain, →Kärnten sowie Friaul. Die starke Zuwanderung aus dem Hinterland ergab 1910 neben 51,8 % der Triestiner mit it. u. 5,2% mit dt. auch 25,8 % mit slowen. u. kroat. Umgangssprache (u. e. hohen Ausländeranteil v. 16,8%, v. a. Italiener). Die v. a. wirt., aber auch ethn. begründete Forderung der staatlichen Zugehörigkeit Triests zu seinem Hinterland wurde 1918 noch nicht gestellt, weil Italien aufgrund des Londoner Abkommens vom 26.4.1915 für seinen Kriegseintritt auf seiten der Entente nicht nur Triest, sondern das ganze Gebiet bis zur Linie Triglav-Rijeka (Fiume) zugesprochen bekam. Als Venezia Giulia (Julisch-Venetien, Julijska Krajna) wurde es einer rigiden Italianisierung unterzogen. Akut wurde die T., als am 1.5.1945 milit. Einheiten des mit den Alliierten verbündeten Tito (→Partisanen) unter bewusster Forcierung einen Tag vor dem Eintreffen britischer u. amerikanischer Kräfte Triest weitgehend v. der dt. Besatzung befreiten. Im Schutze des jug. Militärs wurde in Julisch Venetien sofort eine zivile Verwaltung nach sowjetischem Muster eingerichtet. Nach scharfen diplomatischen Auseinandersetzungen, die zeitweise in milit. Aktionen zw. britischen u. amerikanischen Kräften einerseits u. Tito-Einheiten andererseits überzugehen drohten, kam es nach sowjetischem Druck auf Tito am 9.6.1945 zur Belgrader Vereinbarung, wonach der Großteil Julisch-Venetiens östlich der Morgan-Linie als Zone B unter jugoslawische u. die Zone A mit Triest u. der Enklave Pula (Pola) unter alliierte Militärverwaltung kam. Im Friedensvertrag mit Italien vom 10.2.1947 wurde Julisch-Venetien zw. Jugoslawien u. Italien aufgeteilt u. ein Freies Territorium Triest (FTT) entlang der Küste zw. Monfalcone u. Novigrad (Cittanova) eingerichtet. Das FTT wurde wiederum in eine Zone A unter alliierter u. eine Zone B unter jug. Militärverwaltung geteilt. Zur vor-
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Triestfrage / Tripartitum
gesehenen Überführung des FTT unter zivile Verwaltung kam es nicht, da sich weder die Alliierten noch Italien u. Jugoslawien über die Bestellung eines Gouverneurs einigen konnten. Unter den Bedingungen des →Kalten Krieges wurden die jug.-it. Staatsgrenze sowie die Zonengrenze im FTT zum Eisernen Vorhang. Um die starke komm. Partei Italiens zu schwächen, schafften die drei Westalliierten am 20.3.1948 ein Präjudiz, indem sie vor den it. Parlamentswahlen ihre Absicht bekundeten, das FTT Italien zu übergeben. Als am 28.6.1948 Tito aus dem Sowjetblock ausgeschlossen wurde (→Kominformkonflikt) u. sich dem Westen zu nähern begann, zeichnete sich bereits die endgültige Teilung des FTT zw. Italien u. Jugoslawien ab. Stark differierende Vorstellungen über die Grenzziehung u. den Status des Triester Hafens verursachten it. irredentistischen Terror, der sich v. a. gegen die britisch-amerikanische Militärverwaltung richtete. Jugoslawien übte seinerseits Druck auf die it. Bev. der istrischen Küstenstädte aus u. verstärkte damit die anhaltende Fluchtbewegung der Italiener aus Istrien (→Zwangsmigrationen). Die Gegensätze mündeten schließlich Ende August 1953 in militärische Drohgebärden zw. Jugoslawien u. Italien. Sie erreichten ihren Höhepunkt, als am 8.10.1953 die USA u. Großbritannien einseitig ihre Militärverwaltung als beendet erklärten u. die Zone A Italien überantworteten. Tito sah sich brüskiert, u. Italien wollte nicht endgültig auf die Zone B des FTT verzichten. In langwierigen britisch-amerikanischen Verhandlungen zuerst mit Jugoslawien, dann mit Italien vom 2.2.1954 bis 14.7.1954 konnte schließlich jener Kompromiss erzielt werden, der in die Londoner Verständigung vom 4.10.1954 mündete. Die Zone A des FTT mit Triest fiel, mit kleinen Grenzkorrekturen zugunsten Jugoslawiens, an Italien, die Zone B an Jugoslawien. Damit war ein gefährlicher Konfliktherd des Kalten Krieges beseitigt, u. die it.-jug. Grenze wurde bald zu einer der offensten in Europa. Erst im Vertrag v. Osimo vom 10.11.1975 anerkannte Italien die nunmehrige Grenze als endgültig. Lit.: J. Pirjevec, „Trst je naš!“ Boj Slovencev za morje (1848–1954). Ljubljana 2007; Trieste nella politica italiana (1945–1954). Hg. G. Parlato. Trieste 2007; M. Benardelli, La questione di Trieste: storia di un conflitto diplomatico (1945–1975). Udine 2006; R. Wörsdörfer, Krisenherd Adria 1915–1955. Konstruktion u. Artikulation des Nationalen im italienisch-jugoslawischen Grenzraum. Paderborn u. a. 2004; J. Pirjevec, Tržaški vozel. Trst 1985; B.C. Novak, Trieste, 1941–1954. The Ethnic, Political and Ideological Struggle. Chicago u. a. 1970. A. M.
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Tripartitum. Die vom Juristen u. Politiker István (Stefan) Werbőczy (1458–1541) zusammengestellte Sammlung des ung. Gewohnheitsrechts erschien 1517 in Wien unter dem Titel „Tripartitum opus iuris consuetudinarii inclyti regni Hungariae“. Zwar im Auftrag v. Landtag (→Országgyűlés) u. Kg. erstellt, aber – wegen der kleinadelsfreundlichen Einstellung des Verfassers u. seines Werkes v. der Aristokratie beanstandet – nie formal verkündet, wurde das T. zum eigentlichen Gesetzbuch des alten Ungarns bis ins 19. Jh. (a. →Rechtskultur, Rechtsgeschichte). Im 16. Jh. überarbeitet u. ergänzt („Quadripartitum“, 1553–54, Erstdr. 1798), erlebte das T. 51 Auflagen nebst ung., dt. u. kroat. Übersetzungen, später meist mit der Sammlung früherer Gesetze als Corpus Iuris Hungarici (zuerst v. Johann Zsámboki/Sam-
Tripartitum / Triplex confinium
bucus 1581). Die drei ungleichen Teile (134, 86 u. 36 Artikel) behandeln adeliges Besitz- u. Erbrecht, Prozessrecht u. manche Aspekte der Stadtrechte. Zwar bekannte sich Werbőczy im Vorwort zum röm. Recht, doch stellt das T. höchstens der Absicht nach eine Systematisierung röm. Rechtstradition dar, während es im wesentlichen ung. Gewohnheitsrecht mit all seinen Widersprüchen summiert. Die familien- u. erbrechtlichen Bestimmungen des T. dürfen als erstklassige Quelle zur Struktur u. Lebensweise der ma. ung. Adelssippen (→Adel, Ungarn) gelten, auch wenn sie eher ein Idealbild als die tägliche Praxis darstellen. Besonders bekannt wurde der immer wieder zitierte Art. 9 des ersten Teils („primae nonus“) mit den auf die →Goldene Bulle v. 1222 zurückgehenden Grundrechten des →Adels, u. die v. Werbőczy aus der organischen Staatsverfassung des europ. MAs u. ung. Kanzleipraxis zusammengestellte „Lehre v. der Heiligen Krone“, die besagt, dass alle Adeligen gemeinsam den „Körper“ der Krone darstellten. Nach Teil 1. stünden Krone u. Adel in einem einzigartigen gegenseitigen Verhältnis zueinander, insofern als Adel allein durch den Kg. verliehen werden kann, u. die Legitimität des Herrschers auf der Zustimmung des Adels beruht. Das T., das kurz nach dem →Dózsa-Aufstand von 1514 verfasst wurde, bekräftigte auch die „ewige Erbuntertänigkeit“ der Bauern (perpetua rusticitas, örökös jobbágyság) (→Jobagyen; →Bauern, Frühe Neuzeit), obwohl sich die Umsetzung dieser Form v. „Leibeigenschaft“ u. der Schollenbindung noch längere Zeit hinzog (vgl. a. →Sklaverei, Leibeigeschaft). Quellen u. Lit. (a. →Rechtsgeschichte, Rechtskulturen): The customary law of the renowned Kingdom of Hungary. A work in three parts, (the “Tripartitum”). Tripartitum opus iuris consuetudinarii inclyti regni Hungariæ, rendered by Stephen Werbőczy. Hgg., Übers. J.M. Bak/P. Banyó/M. Rady. Idyllwild/CA, Budapest 2006; Custom and Law in Central Europe. Hg. M. Rady. Cambridge 2003. E. Fügedi, The Elefánthy. The Hungarian Nobleman and his Kindred. Budapest 1998; J.M. Bak, Königtum u. Stände in Ungarn im 14.–16. Jh. Wiesbaden 1973, 74–79; Gy. Bónis, Középkori jogunk elemei. Budapest 1972; Tripartitum Opus. Hg. Gy. Bónis. Glashütten/ Taunus 1971 (Faksimile Ausg. v. 1517). J.M. B.
Triplex confinium (lat. triplex confinium, „Dreiländereck“; kroat./bosn./serb. Tromedja u. tromedja). Der topografische Ort der „dreifachen Grenzmark“ (das ehem. Dreiländereck) in der Umgebung von Knin (heutige Gespanschaft Šibenik-Knin, Kroatien) bezeichnete ursprünglich den Knotenpunkt der Grenzverläufe zw. der Habsburgermonarchie, der Republik Venedig u. dem Osm. Reich, wie sie im Jahr 1700 auf der Grundlage der Bestimmungen des Friedensvertrags v. →Karlowitz vom 26. Jan. 1699 u. des osm.-venezian. Friedensvertrags vom 7. Febr. 1699 festgelegt worden waren. Auch wenn sich die Position des Punktes nach den Friedensschlüssen v. →Passarowitz 1718 u. v. Sistowa/Svištov 1791 (→Türkenkriege) änderte, blieb er dennoch immer in der Umgebung v. Knin. In dieser Bedeutung wurde der Begriff bis zum Ende der Rep. Venedig 1797 verwendet. Danach kamen die venez. Besitzungen an der östl. Adria unter habsb. Herrschaft u. als TC bezeichnete die habsb. Verwaltungssprache etwa des Vormärz jenes „Dreiländereck“ von „Militärkroatien“ (→Militärgrenze), Bosnien u. Dalmatien ebenso wie andere Dreiländerecke v. a. Dalmatiens (mit Bosnien u.
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Triplex confinium
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der Herzegowina, mit der Herzegowina u. Montenegro, mit Montenegro u. „Türkisch-Albanien“ südl. v. Budva). Gleichwohl haben sich das Toponym „Tromedja“ u./oder das Regionym „tromedja“ mit Blick auf das TC bei Knin in mehreren, mitunter sich wechselseitig ausschließenden Bedeutungen bis heute erhalten. In der frühneuzeitlichen historiografischen Terminologie hat TC mehrere metaphorisch konnotierte Bedeutungen: a) als Grenzräume zw. den konflikthaft verbundenen Imperien der Habsburger, Venezianer u. Osmanen an der östl. Adriaküste u. ihres Umlands vom späten 15. Jh. bis 1797. In dieser Bedeutung bildeten zuerst (1469–1499) →Istrien u. Friaul das TC, als häufiger Schauplatz v. venez.-habsb.-osm. Zusammenstößen. Danach, v. 1537–1618, – zur Zeit der →Uskoken – waren das habs. Senj u. die „Meergräniz“ das Epizentrum zahlreicher habsb.-venez.-osm. Zusammenstöße entlang der gesamten östl. Adria. Als sich das kroat. Obrovac, eine Festung an der Mündung des Flusses Zrmanja in die Adria (unweit v. Zadar) im Besitz der Osmanen befand (1527–1647), verlagerte sich das ständig unruhige TC in das Dreieck Senj–Obrovac–Zadar. Der wechselseitige „Kleinkrieg“ – teils geführt zu Wasser (im Canale della Morlacca, Morlački kanal, heute Velebit-Kanal), teils am Festland, im Hinterland des Velebit-Gebirges u. in der Ebene bei Zadar, sowie auf den nordadriatischen Inseln – hörte niemals auf, unabhängig v. den offiziellen Beziehungen zw. den drei Mächten. Nach dem Karlowitzer Frieden 1699 verschob sich das TC als Toponym weiter ins Festland, in das Grenzgebiet v. Knin zw. dem osm. Bosnien, dem habsb. Kroatien u. dem venez. Dalmatien. Dies war im übrigen auch der geomorphologische Schnittpunkt der Straßen v. den dalmatinisch-venezianischen Adriakommunen Split, Šibenik u. Zadar in das Innere Kroatiens, namentlich nach Zagreb, u. weiter nach Wien u. Buda (→Budapest). b) als grenzüberschreitende Räume isl.-westkirchl.-ostkirchl. wechselseitiger Exklusion u. Inklusion, Unduldsamkeit u. Duldsamkeit. Im vorosm. Kroatien des späten MA war der Gesamtraum des frühneuzeitlichen TC praktisch ausschließlich katholisch. Die osm. Eroberungen haben in Kroatien ebenso wie in Ungarn u. a. zur →Islamisierung u. zur Stärkung des orth. Bev.elements in großen Teilen des Raums geführt. Mit der v. Mehmed II. 1463, unmittelbar nach der Eroberung v. Bosnien, im Feldlager Milodraž (nordöstl. v. Fojnica) ausgestellten Urkunde (ahdnama) wurden den →Franziskanern die Seelsorge für die Katholiken zugesichert; u. die Franziskanerprovinz Bosna Argentina erlangte bis Ende des 17. Jh.s die Jurisdiktion über die Katholiken v. der Adria bis Buda (→Budapest). Die Osmanen ließen 1557 auch die Jurisdiktion des deutlich erweiterten Patriarchats v. →Peć wieder aufleben, was v. großer Bedeutung für die orth. Bev. auf allen drei Seiten des TC war. Ebenso haben auch die Habsburger, so sehr ihnen an der Rekatholisierung (→Gegenreformation) gelegen war, der orth. Bev. sukzessive v. 16. bis 18. Jh. rel. Privilegien zuerkannt (bis hin zum Toleranzpatent Josephs II., 1781). Mit anderen Worten: So sehr die Räume des TC v. Norden aus betrachtet als milit. Schutzwall (antemurale) gegen Islam bzw. Katholizismus u. Orthodoxie fungierten, so waren sie zugleich auch Räume der verhältnismäßigen wechselseitigen rel. Duldsamkeit. c) als grenzüberschreitende Räume vormoderner u. polyzentrischer kroat., bosn. u. serb. Formationen auf großenteils vlachischer ges. Grundlage (→Vlachen). Geomorphologisch ist das TC zum größten Teil Gebirgsland mit zahlreichen Wäldern, Weiden u. Poljen u. ist sowohl zum Meer wie zur Pannonischen Tiefebene hin offen. Unter den frühneuzeitlichen
Triplex confinium
Bedingungen imperialer Herrschaftsbildung u. des permanenten „Kleinkriegs“ konnten sich die pastoralen Vlachengemeinschaften mit unterschiedlichem rechtl. Status in allen drei Imperien gut behaupten u. sich gleichzeitig südslav. ethnokonfesssionelle Merkmale u. Praktiken aneignen. d) als Grenzräume konkurrierender Grenzergemeinschaften u. milit. Formationen unter osm., habsb. u. venez. Oberhoheit vom 16. bis 19. Jh. Nirgends hat sich im nördl. SOE die osm. Herrschaft so lange halten können wie im Kernland des ma. Bosnien (1463–1878), kaum anderswo war die venez. Herrschaft außerhalb der terra ferma so stabil wie im schmalen Küstenland u. Inselgürtel entlang der östl. Adria vom Anfang des 15. bis Ende des 18. Jh.s (→Dalmatien) u. nirgendwo sonst im nordwestl. SOE hat sich ein ma. Königtum so lange halten können wie in den „Resten der Reste“ des Kgr.s →Kroatien (reliquiae reliquiarum olim inclyti regni Croatiae), wenngleich im Verbund mit dem Kgr. Ungarn u. →Innerösterreich sowie mit den Habsburgern an der Spitze. Im Gegensatz dazu waren die demographischen, ges., pol., ethn., wirt., rel. u. kult. sowie insbes. die mil. Veränderungen in der FNZ kaum irgendwo so einschneidend wie in den oben definierten Räumen des TC. Unabhängig v. den pol.-mil. Grenzen waren (u. blieben) diese Räume segmentiert in eine Vielzahl v. Grenzländern (krajine): Primorska, Hrvatska, Banska krajina unter habsb. Herrschaft (→Militärgrenze; →Krajina); Bosanska, Bihaćka, Cazinska krajina unter osm. Herrschaft sowie Kninska, Drniška, Sinjska krajina unter venez. Herrschaft. Das hohe Niveau der Militarisierung in den autochthonen Grenzergemeinschaften u. – nicht weniger wichtig – das Netz der Festungen (z. B. die habsb. Festungen Senj/Zengg, Karlovac/Karlstadt u. Sisak, die venez. Festungen Zadar/ Zara, Šibenik/Sebenico u. später Knin u. die osm. Festungen Bihać, Kladuša, Cazin usw.) machten sie untereinander kulturell erkennbar, mögen sie auch noch so sehr Akteure in einem permanenten „Kleinkrieg“ oder in einem „großen“ Krieg, in einem lokalen Grenz- u./oder imperialen Krieg gewesen sein. Doch nach der ersten intern. Festlegung moderner Grenzen 1699 begannen die osm., habsb. u. venez. Grenzgebiete sich mehr u. mehr voneinander zu unterscheiden. Die bosn. krajina (serhat) hat sich in ihrer autochthonen Partikularität innerhalb des Osm. Reiches im 18. Jh. immer mehr v. der →Hohen Pforte entfernt, die nach dem Frieden von →Küçük Kaynarca 1774 geneigt war, sich nach ausgewählten europ. Mustern zu verändern. Die Militärgrenzgebiete auf habsb. Seite wurden im Verlauf des 18. Jh.s schrittweise nach einem einheitlichen Muster der Militarisierung der →Großfamilien (zadruge, „Hauscommunionen“) einander angeglichen. Das wichtigste Mittel dazu war der lebenslange Dienst der Bauern-Soldaten in den regulären milit. Einheiten der habsb. Armee (a. →Militärgrenze). Die venez. Krajine (it. Schreibung: craine) auf dem dalmatinischen Festland wurden ebenfalls durch staatl. Intervention schrittweise vereinheitlicht in Gestalt der Grenzmilizen (Panduren der forza territoriale), die zu ihrem Unterhalt kleine Ländereien im staatl. Eigentum erhielten. Die habsb. Grenzer haben in den dynastischen Kriegen Europas im 17. u. 18. Jh. regelmäßig mindestens ein Viertel der ksl. Armee gestellt. Auch das Osm. Reich u. die Republik Venedig haben das milit. Potential ihrer Grenzer in Kriegen außerhalb der Landesgrenzen genutzt. Auf allen drei Seiten wurden die Grenzer im 18. Jh. mehr u. mehr an die Landwirtschaft u. an steigende milit. Verpflichtungen gebunden – dies zu einer Zeit, als die intern. Handelswege v. Triest, Rijeka u. Senj zu den Märkten in Mitteleuropa über das Territorium des TC eröffnet
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Triplex confinium / Trpimiriden / Truman-Doktrin
wurden. Die mit der →Modernisierung einhergehende Peripherisierung blieb ein wichtiges Merkmal dieser Grenzgebiete, die mit der Auflösung der habsb. Militärgrenze 1878 ihren Status definitiv verloren u. keine neue Entwicklungsmöglichkeit erhielten. Lit.: E. Ivetic, Un confine nel Mediterraneo. L’Adriatico orientale tra Italia e Slavia (1300–1900). Roma 2014; W. Bracewell, The Historiography of the Triplex Confinium: Conflict and Community on a Triple Frontier, 16th–18th centuries, in: Frontiers and the Writing of History, 1500–1850. Hgg. St. G. Ellis/R. Esser. Hannover–Laatzen 2006; D. Roksandić, Triplex Confinium ili o granicama i regijama hrvatske povijesti. Zagreb 2003; Microhistory of the Triplex Confinium. Hg. ders. Budapest 1998. D. R.
Trpimiriden. Kroat. Fürstendynastie, in der kroat. Historiographie auch als narodna dinastija, „nationale Dynastie“, bezeichnet in Abgrenzung v. der Zeit v. 1102 (→Pacta conventa) bis 1918, als Kroatien in Personalunion mit Ungarn stand. – In Entsprechung zu anderen frühma. Gentilstaaten war auch in Kroatien die Ausbildung einer Dynastie eines der Indizien verfestigter Herrschaftsbildung neben der Entstehung eines fürstlichen Hofes, der →Christianisierung u. dem Aufbau einer kirchl. Organisation. Begründer der Dynastie war Fürst Trpimir (ca. 845–864); erst seit seinem Sohn Mutimir (ca. 892–910) blieb die Herrschaft dauerhaft bis 1091 in der Dynastie. Die Namen mehrerer der insges. zwanzig T.herrscher sind nicht nur aus narrativen Quellen u. Urkunden, sondern auch aus Steininschriften bekannt. Viele der Erwähnungen beziehen sich auf Stiftungsleistungen als Ausdruck v. Herrscherprestige u. Frömmigkeit. Als Persönlichkeiten am besten fassbar sind Peter Krešimir IV. (1058–74) u. Demetrius Zvonimir (1074–89), der 1075 Papst Gregor VII. den Lehnseid ablegte u. dafür zum Kg. gekrönt wurde. Zvonimirs Ehe mit der ung. Königstochter Helena begründete nach 1091 den Anspruch ihres Bruders Ladislaus des Heiligen auf die kroat. Krone. – Der Erinnerung an die Herrscher aus der „nationalen Dynastie“ kam im 19. u. 20. Jh. eine wichtige Funktion in der Schaffung des kroat. Nationalbewusstseins zu. Lit. (a. →Kroatien): D. Nemet, Smrt hrvatskog kralja Zvonimira – problem, izvori i tumačenja, Radovi. Zavod za hrvatsku povijest 38 (2006), 73–90; T. Raukar, Hrvatsko srednjovjekovlje. Zagreb 1997; Zvonimir, kralj hrvatski. Zbornik radova. Hg. I. Goldstein. Zagreb 1997; ders., Hrvatski rani srednji vijek. ebd. 1995; N. Budak, Prva stoljeća Hrvatske. ebd. 1994; N. Klaić, Povijest Hrvata u ranom srednjem vijeku. ebd. 1971, 21975; F. Šišić, Geschichte der Kroaten. Erster Teil (bis 1102). ebd. 1917. L. St.
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Truman-Doktrin. Ideologische u. strategische Leitlinie der US-amerikanischen Außenpolitik für mehr als zwei Jahrzehnte, basierend auf der Grundsatzrede des Präsidenten Harry Truman vor beiden Häusern des Kongresses am 12.3.1947 (→Vereinigte Staaten v. Amerika). Unmittelbarer Anlass der Rede war der Antrag Trumans zur Bewilligung von 400 Mio. US-Dollar für wirt u. milit. Unterstützung Griechenlands u. der Türkei für den Zeitraum
Truman-Doktrin / Tsakonen
bis 30.1.1948 u. zur Entsendung von Zivil- u. Militärpersonal in beide Länder. Die Quintessenz der Doktrin legte Truman in der Begründung seines Antrags dar: Die Entwicklungen namentlich in Griechenland (→Bürgerkrieg [Griechenland]) spiegelten den globalen Kampf zw. zwei „alternative ways of life“, zw. denen sich fast jede Nation entscheiden müsse. Die eine Lebensform basiere auf dem Willen der Mehrheit u. zeichne sich durch freie Institutionen u. die Gewährung der bürgerl. u. pol. Freiheiten aus. Die andere basiere auf dem Willen einer Minderheit u. stütze sich auf Terror u. Unterdrückung. Politik der USA müsse sein, die freien Völker in ihrem Kampf gegen bewaffnete Minderheiten u. den Druck von außen zu unterstützen. Ohne die Sowjetunion beim Namen zu nennen, formulierte Truman damit die Grundzüge einer gegen sie zu richtenden aktiven Eindämmungsstrategie, deren analytische Basis George Kennan in seinem Foreign Affairs-Artikel „ The Sources of Soviet Conduct“ (dem berühmten „langen Telegramm“) u. deren ökon. Dimension der Marshall-Plan lieferten. Diese Strategie bedeutete einen klaren Bruch mit der (im Bereich der Politik) isolationistischen Tradition US-am. Außenpolitik in Friedenszeiten u. markierte den Beginn weltweiter u. massiver pol. Involvierung der USA. Von den drei zentralen Strategieelementen hat die Truman-Rede (auch in den USA) die meiste Kritik auf sich gezogen. Bemängelt wurden v. a. allzu vereinfachende ideolog. Generalisierungen u. die dichotomische Einteilung der Welt in „gute“ u. „böse“ Staaten. Auch hatte Trumans „Zwei-Lebensformen-Theorie“, der bald darauf Ždanovs „Zwei-Lager-Theorie“ (→Kominform, Kominformkonflikt) folgte, einen beträchtlichen Anteil an der Generierung des →Kalten Krieges. Für SOE hatte die Doktrin v. a. in der ersten Periode nach ihrer Verkündung eine besondere Bedeutung. Die Region bildete den unmittelbaren Auslöser u. ersten Bezugspunkt der Doktrin – u. sah sich dadurch in der exponierten Position der ersten Nahtstelle des global werdenden Konflikts, dessen Trennlinien in staatlicher Hinsicht mitten durch die Region u. in gesellschaftspol. mitten durch alle soe. Länder verliefen. Zum Kristallisationspunkt wurde dabei Griechenland, wo die inneren Konflikte zum Bürgerkrieg kulminiert waren u. die Eingriffe von außen das Land zu einem Testfall für die Einhaltung der Einflusssphären werden ließen. Lit.: D.M. Bostdorff, Proclaiming the Truman Doctrine. The Cold War call to arms. College Station/Tex. 2008; J.S. Jeffery, Ambiguous Commitments and Uncertain Policies. The Truman Doctrine in Greece, 1947–1952. Lanham/MD u. a. 2000; The Truman Doctrine of Aid to Greece. A Fifty-Year Retrospective. Hg. E.T. Rossides. New York 1998; H. Jones, A New Kind of War. America’s Global Strategy and the Truman Doctrine in Greece. New York u. a. 1989; Legislative Origins of the Truman Doctrine. Einl. R.D. Challener. New York 1979; R.M. Freeland, The Truman Doctrine and the Origins of McCarthyism. Foreign Policy, Domestic Politics, and Internal Security 1946 – 1948. New York 1972. M.A. H.
Tsakonen (gr. Tsakōnes; das Gebiet: Tsakōnia). Bewohner der als Tsakonien bezeichneten Landschaft im Bezirk Kynouria des Nomos Arkadien (Ostküste der →Peloponnes). Heute umfasst Tsakonien etwa ein Dutzend Dörfer. Das Gebiet erstreckt sich v. den östl. Hängen
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Tsakonen
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des Parnon bis zum Argolischen Golf. Begrenzung im N durch den kleinen Marktflecken Agios Andreas an der Küste, im S durch die Siedlung Leonidion, im Hinterland durch die Ortschaft Kastanitza. Interesse erweckten die T. vornehmlich im Zuge der v. der „Slaventheorie“ Fallmerayers ausgelösten Debatten über Kontinuität u. Diskontinuität in der ma. Geschichte Griechenlands infolge der slav. Kolonisation (→Slavische Landnahme). Denn es fiel auf, dass die Bewohner dieses Gebiets einen altertümlichen Dialekt sprachen, der sie v. anderen Volksgruppen der Peloponnes unterschied. Während einige Gelehrte in dem „barbarisch“ klingenden Idiom der T. einen zusätzlichen Beweis dafür gefunden zu haben glaubten, die Peloponnes sei im MA in der Tat durchgängig slavisiert worden – so schlug man auch eine Etymologie des Wortes T. aus dem slav. zakon, „Gesetz“ vor –, wollten andere in dieser Bevölkerungsgruppe die Nachfahren der alten Lakedaimonier sehen; ihr Dialekt könne eigentlich nur mit dem Dorischen verwandt sein. Diese zweite Argumentation schien zunächst v. der hist. Forschung, die sich immer mehr auf die „Chronik v. Monemvasia“ stützte, gewissermaßen gesichert zu sein. Nach dieser wichtigen Quelle aus dem 9./10 Jh. sollen nämlich viele Griechen angesichts der Slavengefahr gegen Ende des 6. Jh.s die Peloponnes verlassen haben. Ein Teil der Lakonier sei jedoch im Lande geblieben. Einige unter ihnen hätten auf einem schroffen Felsen die heutige Stadt Monemvasia gegründet. Eine andere Gruppe schließlich habe Zuflucht in den unzugänglichen Hängen des Panon gesucht. In späterer Zeit seien sie dann v. ihren Nachbarn, weil sie Leute „aus Lakonien“ (éxō Lákōnes) waren, als T. bezeichnet worden. Neuerlich erscheint auch diese Interpretation in Frage gestellt. Denn schon aus dem frühen 19. Jh. gibt es Anhaltspunkte dafür, dass der Ursprung der Bezeichnung T. in Kleinasien zu finden sein könnte, u. dass der Dialekt der T. eher mit dem Ionischen verwandt sein dürfte. Inzwischen hat man auch eine neue Etymologie aus dem altgr. Wort diakonon vorgeschlagen, das im oström. Bereich vom 5.–10. Jh. im Sinne v. „Hilfskrieger“ verwendet worden sein soll. Unter T. soll man damals „Bewacher“ v. Straßen oder Festungen v. a. in Grenzzonen gegenüber den Arabern verstanden haben. In der Peloponnes hat man diesen Begriff anfänglich wohl als Spitznamen für Menschen verwendet, die als T. dienten, vermutlich auch als Bezeichnung für Lokalitäten, in denen T. stationiert waren. Die Tatsache, dass Evliya Çelebi 1668 v. einer Zitadelle „Čaqonya“ ausgerechnet in Lakonien zu berichten weiß, schwächt jedenfalls die Hypothese, das Wort T. sei aus einer ursprünglichen Bez. für „Leute aus Lakonien“ hervorgegangen. Eher dürfte es zutreffen, dass die Byzantiner seit dem 9. Jh. verstärkt T. (Hilfstruppen) nach der Peloponnes verlegten, nicht zuletzt um auf einen möglichen Angriff der Araber – v. der benachbarten Insel →Kreta aus – vorbereitet zu sein. Auf diese Weise mag eine Reihe v. „Tsakonien“ im Sinne v. „Wachposten“ entlang der Südostküste der Peloponnes entstanden sein. Interessanterweise kommt der Begriff auch in der älteren Fassung der Chronik v. Monemvasia in der Mehrzahl, als „tzakōniai“, vor. Orte, deren Namen auf T. hinweisen, gibt es aber um ein Dutzend in Kleinasien ebenso wie in anderen Teilen des Balkans, etwa in Makedonien. Warum nur im SO der Peloponnes eine Landschaftsbezeichnung „Tsakonien“ u. schließlich ein Ethnikon T. entstanden sind, harrt freilich immer noch einer überzeugenden Begründung.
Tschitschen / Türken
Lit.: T.P. Kōstakēs, Batika kai Chavoutsi. Ta tsakōnochōria tēs Propontidas. Athen 1979; St.C. Caratzas, Les Tzacones. Berlin u. a. 1976; Charalampous P. Symeonides, Hoi Tsakōnes kai hē Tsakōnia: Symbolē stēn hermēneia tōn onomatōn kai tou homōnymou Byzantinou thesmou tōn kastrophylakōn. Thessaloniki 1972; U. Wolfart, Die Reisen des Evliya Čelebi durch die Morea. München 1970; W.M. Leake, Travels in the Morea. Bd. 2, Bd. 4. Amsterdam 1968/67 (Ndr. v. 1830/46); F. Barišić, „Monemvasijska“ hronika o doseljavanju Avaro-Slovena na Peloponez 587., Godišnjak Naučnog društva Bosne i Hercegovine 3 (1965), 95–109; P. Lemerle, La chronique improprement dite de Monemvasie: le contexte historique et légendaire, Revue des études byzantines 21 (1963), 5–49; D.A. Zakynthinos, Le Despotat grec de Morée. 2 Bde. Paris u. a. 1932/53; P. Charanis, The Chronicle of Monemvasia and the Question of the Slavonic Settlements in Greece, Dumbarton Oaks Papers 5 (1950), 141–166; H. Pernot, Introduction à l’étude du dialect Tsakonien. Paris 1934; G.N. Hatzidakes, Tsakōnes, Byzantinische Zeitschrift 27 (1927), 321–324; Ph. Koukoules, Tsakōnia kai Tsakōnes, a. a. O. 26 (1926), 317–327; C. Amantos, Tsakōnia-Sclavonia, in: Afierōma eis G.N. Chatzidakin. Athen 1921, 130–134; J.Ph. Fallmerayer, Geschichte der Halbinsel Morea während des Mittelalters. Ein historischer Versuch. 2 Bde. Stuttgart u. a. 1830/1836; F. Thiersch, Über die Sprache der Zaconen. München 1832. F. A.
Tschitschen (kroat. Ćići; it. Cici). Bewohner des Tschitschenbodens (kroat. Ćićarija, slowen. Čičarija, it. Ciceria), eines zw. Rijeka (Fiume) u. Triest liegenden, 35 km langen u. 10 km breiten Karsthochlandes, das im kleineren westl. Teil Slowenen, im größeren östl. Kroaten u. in den Orten Žejane u. Mune Reste der hier ursprünglich stärker verbreiteten →Istrorumänen, der T. im engeren Sinn des Namens, bewohnen. Obwohl die Anwesenheit v. „→Vlachen“ schon im 14. Jh. im Gebiet v. Buzet (Pinguente) belegt ist, dürfte der Großteil der istrorum. T. ab der Mitte des 15. Jh.s angesiedelt worden sein. Die vorherrschende Wirtschaftsweise auf dem kargen Weideland des T.-bodens war die in SOE besonders v. den „Vlachen“ betriebene Semitranshumanz (→Transhumanz) mit Schafen, die die Sommerweiden im Bergland u. die Winterweiden an der Küste u. im istrischen Tiefland nutzte. Dazu besaßen die Bewohner des T.-bodens das Privileg des Hausierhandels mit Essig in den Ländern der Habsburgermonarchie u. waren auch als Köhler (T.-teufel) über Istrien hinaus bekannt. Diese Lebensform dürfte zur Übertragung des Ethnonyms T. auf alle Bewohner des T.-bodens beigetragen haben. Seit 1994 gibt es in Triest den Verein „Andrei Glavina“, der die Interessen sowohl der istrorum. T. als auch der Istrorumänen v. Šušnjevica (Valdarsa) am Fuße der Učka gora (Monte maggiore) als ethn. Minderheit vertritt. Lit.: J. Milićević, Postoje li Istroromunji? Annales [Koper] 6 (1995) Series historia et sociologia 2, 99–106; K. K[rsti]ć, Ćići, in: Enciklopedija Jugoslavije2. Bd. 3 Zagreb 1986. A. M.
Türken. In der abendländischen Literatur findet sich die Bezeichnung T. häufig (jedoch unzutreffend) als Synonym für „Muslime“ oder →„Osmanen“. Im Osm. Reich selbst verstand man unter T. traditionell die einfache musl. Landbev., nicht selten im pejorativen
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Türken
Sinne, im Gegensatz zur herrschenden Schicht der Osmanlı; in den balkanischen Reichsteilen wiederum war T. lange auch Selbst- u. Fremdbezeichnung im Sinn von „Muslime“ (als Fremdbezeichnung teilw. pejorativ, u. in dieser Verwendung gezielt wiederbelebt durch die serb. Seite im Bosnienkrieg 1992–95). – Das Wort „Türk“ (pl. Türküt) erscheint in chinesischen u. anderen Quellen ab Mitte des 6. Jh.s. Seine Etymologie bleibt umstritten. In der Diskussion um die Ethnogenese der T. ist u. a. die Mobilität der v. Weidewirtschaft lebenden Nomaden, die Schnelligkeit, mit der die v. Nomaden getragenen pol. Formationen sich auflösen u. gegebenenfalls unter Führung anderer tribaler Gruppen neu formieren sowie die Tatsache zu berücksichtigen, dass Nomaden unterschiedlichster Herkunft u. Traditionen vielfach über Länder geherrscht haben, deren Bev. wiederum komplex u. von der ihren völlig verschieden zusammengesetzt war. Einer der auffälligsten Prozesse in der Geschichte der T. ist der Siegeszug der türk. Sprache z. T. weit über die türk. Ethnie im engeren Sinne u. den isl. Kulturkreis hinaus. Zu den nichtmusl. Bevölkerungsgruppen, die sich schon früh des Türkischen bedienten, gehören z. B. →Juden u. →Armenier auf der Krim u. in Ostanatolien, die Karamanlı (turkophone Christen orth. Konfession) in Zentralanatolien sowie die →Gagausen. – Die →Chazaren, deren Staat aus dem Steppenreich der Türkü (seit 552) hervorgegangen war, werden in byz. u. anderen Quellen als T. bezeichnet, ähnlich wie die →Magyaren/Ungarn vor ihrer Landnahme in Pannonien. Eindeutig turksprachige Gruppen (→Turkvölker) anderer Teile der ostpontischen Steppe erscheinen in den Schriftzeugnissen dagegen nicht als T., sondern unter eigenen ethno-pol. Bezeichnungen. Hier sind zunächst die Bulğar (vgl. →Protobulgaren) mit Staatsbildungen östl. des Azovschen Meeres (4.–7. Jh.), am Wolga-Knie (7.–14. Jh.) u. schließlich auf dem Balkan (Überquerung der Donau spätestens 679) zu nennen, deren Sprache sich in der Wolgaregion zum Tschuwaschischen v. heute fortentwickelt hat. Die turkophonen →Petschenegen wurden, ohne selbst Staaten zu bilden, seit dem späten 9. Jh. zu Widersachern u. Verbündeten der Byzantiner, bevor sie sich auf Reichsboden festsetzen u. Selbstverwaltungsrechte erzwingen konnten (1053; →Byzanz). Die Konföderation der →Kumanen, Čiptčaq u. Kanglı, auch als Polovzer bekannt, umfasste als äußerst heterogene Gruppierung türk., mongol. u. iran. Elemente mit unterschiedlichsten relig. Vorstellungen. Isl. Einfluss war besonders über Zentralasien spürbar; christl. Missionierung erfolgte verstärkt seit Anfang des 13. Jh.s.; Gruppen christl. Kumanen türk. Zunge wurden v. den byz. Kaisern seit dieser Zeit in verschiedenen Teilen des Balkans, z. B. im Osten Makedoniens, zwangsangesiedelt, wie Häufungen türk. Eigennamen unter der christl. Bev. noch in osm. Zeit verraten. Die Ansiedlung turkmenischer u. tatarischer (→Tataren) Bevölkerungsgruppen besonders im Osten der Balkanhalbinsel sowie am Unterlauf des Vardar unter den Osmanen (ab 14. Jh.) markiert somit keineswegs den Beginn türk. Ansiedlung in SOE, sondern stellt vielmehr deren letzte Phase dar.
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Lit.: M. Balivet, Les Turcs au Moyen-âge, des croisades aux Ottomans (XIe–XVe siècles). Istanbul 2002; History of the Turkic peoples in the pre-islamic period. Hgg. H.R. Roemer/W.-E. Scharlipp. Berlin 2000 (u. generell die Reihe Philologiae Turcicae Fundamenta, 1959 ff.); P.B. Golden, An Introduction to the History of the Turkic Peoples. Ethnogenesis and State-Formation in Me-
Türkenhilfe, Türkenfurcht, Türkengefahr, Türkensteuer
dieval and Early Modern Eurasia and the Middle East. Wiesbaden 1992 (ausführliche Bibl.); K.H. Menges, The Turkic Languages and Peoples. ebd. 1968. M. U.
Türkenhilfe, Türkenfurcht, Türkengefahr, Türkensteuer. Der Begriff Türkenhilfe (T.; lat. auxilium, subsidium, subventio) bezeichnet die zum Zweck der Türkenabwehr (→Türkenkriege) bereitgestellte Kriegsmacht oder die für deren Unterhaltung bewilligte Geldsumme. Erstmals 1471 auf dem Regensburger Reichstag v. Ks. Friedrich III. beantragt, ist die damals diskutierte direkte Steuer in Form eines Türkenzehents in der Praxis genauso gescheitert wie der 1495 auf dem Reichstag zu Worms beschlossene „Gemeine Pfennig“. Ertragreicher waren die Reichstagsverhandlungen des 16. Jh.s. In diesen unterschied man eine „eilende T.“ (subventio celer et festina) für ihre rasche Bereitstellung (zu einem geplanten Feldzug) u. eine „beharrliche (harrige) T.“ (subventio tarda et duratio) im Falle ihrer größeren Stärke u. längeren Dauer, mit der man v. a. den Unterhalt u. Ausbau des Festungsgürtels an der kroat.-ung. Grenze zum Osm. Reich finanzierte (a. →Militärgrenze). Bei der T. handelt es sich daher um eine Kriegssteuer, die v. der Bewilligung der Reichsstände auf den Reichstagen abhängig war, vom Reichspfennigmeister eingetrieben u. verwaltet u. i. d. R. in Form v. Römermonaten geleistet wurde. Der Begriff „Römermonate“ wird aus der vom Reichstag 1521 bewilligten Romzugshilfe abgeleitet, mit der Karl V. für den ihm (aufgrund der Wahlkapitulation v. 1519) zustehenden Romzug der Unterhalt v. 20.000 Fußsoldaten u. 4.000 Reitern bewilligt wurde. Ein Römermonat beziffert daher die finanziellen Aufwendungen (ca. 65.000–70.000 Gulden) für eine Streitmacht dieser Stärke. Im Verlauf der Reichstagsverhandlungen v. 1521 bis 1529 wurde die ursprüngliche Romzugshilfe (von sechs Römermonaten) zur Reichstürkenhilfe umgewandelt. Auch in den Folgejahren wurde der Römermonat als Zähleinheit für die T. beibehalten. Da aber eine reichsrechtl. Verbindlichkeit zur T. nur dann gegeben war, wenn Reichsterritorium unmittelbar gefährdet war, was nur in Ausnahmefällen wie bei der Belagerung v. Wien 1529 zutraf, wurde die T. v. den Reichsständen als „freiwillige Hilfe“ für den Kaiser angesehen u. damit zu einer Sache v. oft langwierigen Verhandlungen, in denen während der Regierungszeit Karls V. Türkengefahr u. konf. Spaltung als bestimmende Faktoren der Reichspolitik miteinander konkurrierten. Bis zur Verabschiedung des Augsburger Religionsfriedens 1555 wurde die Frage der T. zu einem Handelsobjekt zw. den für Religionsfreiheit eintretenden u. auf Ausbau ihrer reichsrechtl. Stellung bedachten →Ständen u. dem den Kaiser stellenden Habsburgern, die zugleich die unmittelbar v. den Türken bedrohten Reichsterritorien repräsentierten (vgl. →Innerösterreich). Somit hat bis zu diesem Zeitpunkt die Türkengefahr entscheidend zur Ausbreitung u. Festigung der →Reformation beigetragen. Zwar rief Martin Luther in seiner „Heerpredigt wider den Türcken“ 1529 zur Verteidigung gegen die Osmanen auf, doch haben die prot. Stände in ihrem Misstrauen gegenüber einem erstarkenden Reichsoberhaupt meist nur sehr zögerlich u. einer den ursprünglichen Forderungen gegenüber stets herabgesetzten T. zugestimmt. In der zweiten H. des 16. Jh.s hat sich dies – wie Winfried Schulze aufgezeigt hat – wesentlich geändert. In dieser Epoche hat die Türkengefahr vielmehr als konsolidierendes Element auf den Reichstagen gewirkt, das in der Lage war, religionspol. Differenzen in ihren möglichen Konsequenzen zu begren-
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Türkenhilfe, Türkenfurcht, Türkengefahr, Türkensteuer
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zen u. eine relativ einheitliche Reichspolitik gegen die Türkengefahr zu ermöglichen. Im Zeitraum v. 1576 bis 1608 wurden die Reichstage praktisch zur ausschließlichen Verhandlung der T. einberufen u. die zw. 1556 u. 1603 bewilligte T. erreichte beinahe das Sechsfache der 1522–1555 gewährten Steuerleistungen, nämlich 409 (= 30 Mio. Gulden) gegenüber 73,5 Römermonaten. P. Rauscher hat allerdings nachgewiesen, dass im Verlauf des 16. Jh.s die tatsächliche Steuerleistung pro Römermonat zw. 44.000 u. 90.000 Gulden schwankte. In der zweiten H. des 16. Jh.s ist die Einsicht auch bei den prot. Reichsständen erheblich gewachsen, dass es sinnvoll wäre, das →Heilige Römische Reich im Vorfeld seiner eigentlichen Grenzen, d. h. in Ungarn u. Kroatien zu verteidigen. Im 15jährigen →Türkenkrieg 1593–1606 gelang es den Habsburgern auch, einen Teil der Reichskreise zu Zahlungen für eine T. zu veranlassen, die daher bis zum Jahre 1606 Beratungsgegenstand zahlreicher Kreistage war. So bewilligte 1592 der sächs. Reichskreis zu Leipzig 100.000 Gulden, ein halbes Jahr später der niedersächs. Reichskreis in Lüneburg eine Sonderhilfe in Höhe v. 13 Römermonaten. 1598 vereinbarten die fünf „nächstgesessenen Kreise“ (Ober- u. Niedersachsen, Bayern, Franken u. Schwaben) im Falle ihrer akuten Bedrohung durch einen Türkeneinfall ein Truppenaufgebot v. 2.118 Reitern u. 4.770 Mann. Erst die neuerliche Zuspitzung der konf. Gegensätze, die schließlich zum Ausbruch des 30jährigen Krieges führte, haben die Verhandlungen für den zuletzt 1608 für einen Reichstag gestellten Antrag auf T. gesprengt (vgl. →Gegenreformation). Die Truppenkontingente, die einige Reichsstände (Bayern, Sachsen, Brandenburg, fränk. u. schwäb. Kreis) im Türkenkrieg 1683–1699 gewährten, kamen auf dem Wege v. Verhandlungen mit Ks. Leopold I. zustande, der diese i. d. R. mit reichspol. Zugeständnisse oder mit Geldzahlungen erkaufte. Allerdings gewährte auch der Reichstag 1664 100 Römermonate (50 als eilige u. 50 als beharrliche T.) u. schließlich in den Jahren 1685, 1716 u. zuletzt 1737 jeweils 50 Römermonate T. Türkenfurcht u. Türkengefahr sind in der zeitgenössischen Publizistik (Zeitungen, Flugschriften etc.) schon früh verwendete Begriffe eines im 16. Jh. Mittel-, Ost- u. Teile SOEs erfassenden Kommunikationsprozesses, in dessen Rahmen die v. der osm. Expansion ausgehende Bedrohung allen Bevölkerungsgruppen vermittelt, thematisiert u. bald auch funktionalisiert wurde. Denn zur informativen Funktion über die Vorgänge auf dem tatsächlichen Kriegsschauplatz im ung.-osm. Grenzgebiet gesellte sich rasch eine diskursive Funktion, die einerseits die Möglichkeiten der Türkenabwehr, der Verteidigung u. Maßnahmen zu deren Verbesserung zur Diskussion stellte, andererseits vornehmlich unter Mobilisierung relig. Gefühle (beispielsweise in Trost-Predigten) zur Beruhigung breiter Bevölkerungsschichten beitragen sollte. Analytisch gesehen ist bei der Türkenpublizistik dieser Zeit noch eine dritte, nämlich eine propagandistische Funktion auszumachen, die zum einen die bereits getroffenen Abwehrmaßnahmen rechtfertigen, zum anderen neue, noch größere Verteidigungsanstrengungen propagieren u. dadurch erforderliche Steuerlasten legitimieren sollte. Das Bild von dem „grausam wütrich u. erbfeind des Christlichen gelaubens“ u. dessen „erschröckenlicher u. erbärmlicher tyranney“ (Benedikt Kuripešić, 1530) bzw. das Stereotyp der „Türkengräuel“ gehörten zum festen Bestandteil der öffentl. Meinung. Diese propagandistische Funktion spielte bei der Entscheidungsfindung der mit den entsprechenden Steuerbewilligungen befassten pol. Gremien (Reichstag, Landtage, Kreistage) eine bedeutende Rolle.
Türkenkrieg(e)
Lit.: G. Pálffy, The Kingdom of Hungary and the Habsburg Monarchy in the Sixteenth Century. Boulder, New York 2009; J. Ehmann, Luther, Türken u. Islam. Eine Untersuchung zum Türkenu. Islambild Martin Luthers (1513–1546). Gütersloh u. a. 2008; J. Kritzl, „Adversus turcas et turcarum deum“. Beurteilungskriterien des Türkenkriegs u. des Islam in den Werken Martin Luthers. Bonn 2008; Th. Kaufmann, „Türckenbüchlein“: Zur christlichen Wahrnehmung „türkischer Religion“ in Spätmittelalter u. Reformation. Göttingen 2008; A. Höfert, Den Feind beschreiben: „Türkengefahr“ u. europäisches Wissen über das Osmanische Reich 1450–1600. Frankfurt/M. 2003; P. Rauscher, Kaiser u. Reich. Die Reichstürkenhilfen von Ferdinand I. bis zum Beginn des „Langen Türkenkrieges“ (1548–1593), in: Finanzen u. Herrschaft. Materielle Grundlagen fürstlicher Politik in den habsburgischen Ländern u. im Hl. Röm. Reich im 16. Jh. Hgg. F. Edelmayer/M. Lanzinner/P. Rauscher. Wien, München 2003, 45–83; G. Pállfy, Der Preis für die Verteidigung der Habsburgermonarchie. Die Kosten der Türkenabwehr in der zw. Hälfte des 16. Jh.s, a. a. O., 20–44; Europa u. die Türkei in der Renaissance. Hgg. B. Gutmüller u. a. Tübingen 2000; M. Lanzinner, Friedenssicherung u. politische Einheit des Reiches unter Ks. Maximilian II. Göttingen 1993; P. Schmid, Der Gemeine Pfennig von 1495. Göttingen 1989; W. Schulze, Reich u. Türkengefahr im späten 16. Jh. München 1978; Turcica. Die europäischen Türkendrucke des 16. Jh.s. Hg. C. Göllner. Bd. 3: Die Türkenfrage in der öffentlichen Meinung Europas im 16. Jh. Bukarest, Baden-Baden 1978 (Ndr. 2011); W. Steglich, Die Reichstürkenhilfe in der Zeit Karls V., Militärgeschichtliche Mitteilungen 1 (1972), 7–56; H.J. Kissling, Türkenfurcht u. Türkenhoffnung im 15./16. Jh., SOF 23 (1964), 1–18; A. Westermann, Die Türkenhilfe u. die politisch-kirchlichen Parteien auf dem Reichstag zu Regensburg 1532. Heidelberg 1910. G. S.
Türkenkrieg(e). Bez. für die milit. Auseinandersetzung der christl. Staaten mit der seit 1352 (Überquerung der Dardanellen) in SOE sich rasch ausbreitenden osm. Macht (→Osmanisches Reich). Hauptgegner der Osmanen waren zunächst Venedig (→Venezianisches Überseereich), das →Heilige Römische Reich bzw. die Habsburgermonarchie u. Polen-Litauen sowie seit dem ausgehenden 17. Jh. →Russland. – Nach der Vernichtung der ma. Kgr.e Bulgarien (1396) (→Bulgarisches Reich), Serbien (1389/1439) (→Serbisches Reich), →Bosnien (1463) u. vollends nach dem Fall →Konstantinopels 1453 standen die Osmanen an den Grenzen Ungarns, Polens u. des Heiligen Römischen Reiches, in das sie mit ihren tatarischen Streifscharen, den Akıncı (im dt.sprachigen Schrifttum bekannt als „Renner u. Brenner“), vereinzelt schon ab 1408, nach dem Fall Bosniens aber immer häufiger eingefallen waren. Deren Verwüstungen sollte die Wehrkraft der Grenzregionen entscheidend schwächen, so dass das osm. Heer zur Entscheidungsschlacht ausholen konnte. War diese erfolgreich, zwang man den Gegner zunächst in tributäre Abhängigkeit; nach einiger Zeit wurde das eroberte Gebiet dem Osm. Reich schließlich als Provinz einverleibt. Diese Strategie war in allen Balkanländern recht erfolgreich, die infolge ihrer milit. Unterlegenheit wahrscheinlich nur vereint dem Ansturm der Osmanen gewachsen gewesen wären. Auch die venez. Stützpunkte auf den Inseln der Ägäis, der →Peloponnes u. →Zyperns (1571) hielten dem Ansturm der Osmanen nicht stand, auch wenn der Sieg der vereinten christl. Mittelmeerflotte unter der Führung Spaniens bei →Lepanto im gleichen Jahr 1571 eine rasch vorüber-
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gehende Atempause bedeutete, die aber milit. ungenutzt blieb. Auch die v. den damaligen Großmächten Ungarn u. Polen unternommenen kreuzzugsartigen – noch offensiv geführten – Feldzüge waren vergeblich, denn sie endeten i. d. R. mit furchtbaren Niederlagen (1396 Nikopolis, 1428 Golubac, 1444 Varna). Erfolgreicher hingegen erwiesen sich für einen längeren Zeitraum die v. Ungarn schon ab dem 14. Jh. angewandten Verteidigungsmaßnahmen, vor den eigentlichen Landesgrenzen mit Burgen befestigte Militärgrenzbezirke (Banate; →Ban) einzurichten, so 1369 das Banat v. Vidin, später die Banate v. Szörény (Severin), Macsó, Jajce u. Srebrenica. Eine Schlüsselstellung nahm →Belgrad/Griechisch-Weißenburg ein, mit deren erfolgreichen Verteidigung v. 1456 János Hunyadi den Kriegszug Mehmeds II. zum Stehen brachte. Der Fall dieser Festung 1521 leitete eine neue Expansionsphase der Osmanen ein. Sultan Süleyman I. vernichtete in der Schlacht v. →Mohacs (1526) das ma. Ungarn u. rückte 1529 bis vor die Tore Wiens. Vom 27. Sept. bis zum 14. Okt. 1529 schlossen osm. Truppen Wien ein, das mit Unterstützung v. Truppen des Heiligen Römischen Reichs v. den Verteidigern behauptet werden konnte. Am 15. Okt. beganen die Osmanen mit dem Rückzug. Mit dem Fall Budas 1541 wurde jedoch der zentrale Teil Ungarns osm. Provinz. Das gesamte 16. Jh. war v. Kriegshandlungen zw. den ksl. u. den osm. Truppen auf dem ung.-siebenbürg. Kriegsschauplatz geprägt, denn selbst in den Jahren, die unter einen Waffenstillstandsvertrag fielen wie 1533–1540, 1555–1565 u. 1569–1592 wurde der Grenzkrieg mit Überfällen auf beiden Seiten fortgesetzt. Der osm. Aggression suchten die Habsburger dem ung. Beispiel folgend gleichfalls durch den Ausbau eines Festungsgürtels zu begegnen. Ein solcher erstreckte sich ab der zweiten H. des 16. Jh.s entlang einer Linie, die sich v. der dalmatinischen Küste über Kroatien u. Westungarn bis zum Plattensee u. v. dort über die oberung. Bergstädte bis Großwardein u. Siebenbürgen hinzog. In Verbindung mit der Einrichtung der kroat.-slawon. →Militärgrenze vermochte dieses zum erheblichen Teil v. der →Türkenhilfe des Reiches finanzierte Verteidigungssystem seinen Zweck hinlänglich zu erfüllen. Längere Kriegsperioden wie der 15jährige T. 1593–1606 (→Zsitvatorok, Friede v.) oder der T. v. 1663/64 haben diese Linie zwar stellenweise zuungunsten der habsb. Seite verändert, aber prinzipiell nicht in Frage gestellt. Dazu mag auch beigetragen haben, dass die Osmanen aus logistischen Gründen mit der Eroberung v. Buda/Ofen offenbar die äußersten Grenzen ihres Aktionsradius’ erreicht haben. Wie Ungarn vor Mohács waren die Habsburger als Landesherren der österr. Erbländer, Böhmens u. der unter ihrer Herrschaft verbliebenen Teile v. Ungarn u. Kroatien lange Zeit nur in der Lage, gegenüber der osm. Militärmacht defensiv aufzutreten. Dies hatte mehrere Gründe: zunächst war das eigene Wehrsystem dem osm. eindeutig unterlegen, denn ein Söldnerheer konnte nur unter Mitwirkung der Stände aufgeboten u. nur zeitweilig (meist einen kurzen Sommer lang) finanziert werden. Die beschränkte finanzielle Leistungsfähigkeit sowohl der Stände wie der Landesherrn ließen weder eine längere Einsatzdauer noch größere, den osm. zahlenmäßig ebenbürtige Truppenverbände zu. Einen Ausweg aus dieser Situation hätte nur das Aufgebot eines Volksheeres dargestellt, doch die soz. wie auch die relig. Spaltung der Gesellschaft hat eine solche, milit. einzig erfolgsversprechende Lösung verhindert. Das zeigten die Bauernaufstände im Reich am Anfang des 16. Jh.s genauso wie der soziale Aufstand des ursprünglich für einen Türkenfeldzug aufgebotenen ung. Bauernheeres
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unter György Dózsa i. J. 1514 (→Dózsa-Aufstand). Erst der in der zweiten H. des 17. Jh.s sich vollziehende Übergang zum absolutistischen Territorialstaat (→Absolutismus), seinem zentralisierten Verwaltungssystem u. zum stehenden Heer (→Habsburgermonarchie) u. der damit verbundene Abbau der Partikularmacht der →Stände haben zu einer entscheidenden Verbesserung des Wehrsystems auf ksl. Seite geführt u. nach 1683 eine Offensive gegen die Osmanen mit dem Ziel ihrer Vertreibung ermöglicht. Die strategisch-taktische Grundlage dazu hatte der ksl. Feldherr Fürst Raimondo Montecuccoli anhand seiner eigenen Erfahrungen in den Feldzügen 1657–1664 in seinen kriegswiss. Studien ausgearbeitet. Montecuccoli fürchtete mehr die zahlenmäßige Übermacht der Türken als ihre Taktik u. ihren ungestümen, v. den Reitern (→Spahis) vorgetragenen Angriff. Seine Grundidee war es, dem eine geschlossene Schlachtlinie mit einer durchgehenden Feuerfront entgegenzustellen. Darüber hinaus gab er die grundlegende Anweisung, den →Janitscharen die Kavallerie, den Spahis aber die Infanterie u. die Artillerie entgegenzustellen, da diese einem kräftigen Infanterie- u. Geschützfeuer nicht lange widerstehen konnten. Eine in rangierter Schlachtordnung stehende, kriegserfahrene Infanterie vermochte sich sehr wohl auch überlegener osm. Angriffe zu erwehren, während die Janitscharen den geschlossenen Attacken einer festgefügten schweren Kavallerie wenig entgegenzusetzen vermochten. Aufgrund dieser Erkenntnisse u. aus der Überlegung heraus, dass eine numerische Gleichheit mit den Osmanen nicht zu erreichen sei, hat Montecuccoli in seinen Abhandlungen ein stehendes Heer v. 50.000 Mann als angemessen angesehen, wobei ihm eine Zusammensetzung v. 28.000 Mann Infanterie, 2.000 Dragonern u. 17.000 schweren sowie 3.000 leichten Reitern vorschwebte. Tatsächlich sind nach 1683 mit ksl. Heeren in etwa dieser Stärke unter der Leitung der berühmt gewordenen Schüler Montecuccolis: Herzog Karl V. Leopold v. Lothringen, Kurfürst Max Emanuel v. Bayern, Markgraf Ludwig Wilhelm v. Baden-Baden u. Prinz Eugen v. Savoyen eine ganze Reihe v. Siegen über wesentlich stärkere osm. Heere erfochten worden, so etwa am Berge Harsány 1687, Belgrad 1688, Slankamen 1691 u. Zenta 1697. Die zweite erfolglose Belagerung Wiens durch die Osmanen, diesmal unter dem Kommando des →Großwesirs Kara Mustafa Pascha, vom 14. Juli bis 12. Sept.1683 markiert die Wende v. der Defensive hin zur Offensive. Ein deutsch-polnisches Entsatzheer unter Führung des polnischen Königs Johann III. Sobieski brachte den Osmanen in der Schlacht am Kahlenberg eine schwere Niederlage bei, durch die Wien gerettet wurde. In den darauffolgenden Feldzügen wurden die Osmanen bis 1697 an die Donau-Save-Linie zurückgedrängt (Frieden v. →Karlowitz 1699), nach dem T. 1716–18 (Frieden v. →Passarowitz) fielen das Temescher →Banat endgültig, das nördl. Bosnien, das Hinterland v. Belgrad u. die Kleine Walachei (→Oltenien) jedoch nur zeitweilig (bis zum T. 1737/39) unter habsb. Herrschaft. Unter außenpol. Aspekten wurde die ksl. Kriegsführung v. Karl V. (Ks. 1530–1556) bis Leopold I. (Ks. 1658–1705) erheblich vom dynastisch geprägten Ringen der Habsburger mit dem Frankreich der Bourbonen um die Vorherrschaft in Europa beeinträchtigt. Von Franz I. bis Ludwig XIV. suchten die Bourbonen wiederholt die Osmanen für ihre Hegemonialbestrebungen zu instrumentalisieren. Der nach der Eroberung v. Belgrad 1688 inszenierte Einfall frz. Truppen am Oberrhein hat Leopold I. einen Zweifrontenkrieg aufgezwungen, der zur Verlegung bedeutender Truppenteile v. der Donau an den Rhein führte. Der in Ungarn ver-
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bliebene Truppenverband musste sich nunmehr auf die Verteidigung der bereits gewonnenen Donau-Save-Linie beschränken. Der milit. Vorstoß bis →Skopje u. Vidin im Winter 1689/90 oder der Vorstoß nach Bosnien u. die Zerstörung →Sarajevos 1697 sowie die damit sich offenbarende Schwäche der Osmanen ließen sich unter diesen Bedingungen nicht für eine erträumte, v. Leopold I. bereits proklamierte Befreiung der Balkanvölker nutzbar machen. Seitens Venedigs war die Interessenlage der Signoria zu verschieden, als dass es – mit Ausnahme der Flottenoperation, die 1571 zum Sieg bei Lepanto geführt hatte – jemals zu einer wirksam koordinierten Kriegsführung mit den Habsburgern gekommen wäre. Doch hat ihr erfolgreicher Feldzug mit der Eroberung der →Peloponnes u. Athens 1685–87 (Gebiete, die im T. 1715–1718 wieder verlorengingen) erheblich zur Aufteilung der osm. Heeresmacht auf mehrere Kriegsschauplätze beigetragen. In abgeschwächter Form gilt dies auch für den Kriegseinsatz Polens zur Rückgewinnung des im T. 1672–1678 verlorenen gegangenen Podoliens, wobei dieses Kriegsziel weder v. Kg. Johann Sobieski noch v. August II. (als Friedrich August I. Kurfürst v. Sachsen) erreicht wurde. Der Beitritt →Russlands i. J. 1686 zu der 1684 vom Papst Innozenz XI. ins Leben gerufenen Hl. Liga des Wiener Hofes mit Venedig u. Polen hat auf den ung. Kriegsschauplatz keinerlei Auswirkungen gehabt u. führte erst 1696 zur Eroberung der Festung Azov, wodurch sich Russland zum ersten Mal an der Schwarzmeerküste festsetzen konnte. Negative Folgen hatte hingegen der 1726 eingegangene Bündnisvertrag Ks. Karls VI. mit Russland, der Wien 1737/39 u. 1787/1791 in die osm.-russ. Kämpfe verwickelte, wobei die ksl. Beteiligung mit einer Niederlage bzw. mit Herstellung des Status quo endete (Friede v. Belgrad vom 18.9.1739 u. v. Sistowa/Svištov in N-Bulgarien vom 4.8.1791). Die Hoffnungen der Balkanvölker auf eine Befreiung v. den Osmanen waren daraufhin in immer stärkerem Ausmaß auf Russland ausgerichtet, das in den T. v. 1768–1774 (Friede v. →Küçük-Kaynarca vom 21.7.1774), 1787–1792 (Friede v. Jassy/→Iaşi vom 9.1.1792), 1806–1812 (Friede v. →Bukarest vom 28.5.1812), 1828–1829 (Friede v. →Adrianopel vom 14.9.1829) erhebliche Landgewinne (Halbinsel →Krim, →Bessarabien, Donaudelta) für sich verbuchen konnte. Am Wiener Hof setzte sich darauf die schon v. Staatskanzler Kaunitz u. sodann ganz entschieden v. Metternich vertretene Richtung durch, die die Staatsräson der Donaumonarchie v. nun an mit der Bewahrung des Osm. Reiches u. des Status quo auf dem Balkan verband, um dadurch eine russ. Expansion in Richtung Konstantinopel u. Meerengen zu verhindern (→Orientalische Frage). Die demogr. Folgen der T.e werden oft überschätzt. Neuere Forschungen auf lokaler u. kleinräumiger Ebene u. die Auswertung bisher unbeachtet gebliebener Quellen wie der osm. Steuerregister oder der Wiener Hofkammer haben gezeigt, dass die Bev. mit kurz- oder längerfristigen Fluchtbewegungen vielfach sehr flexibel u. ausweichend auf die Feldzüge reagierte u. die tatsächlichen Bevölkerungsverluste wesentlich geringer anzusetzen sind. Die in Zusammenhang damit stehenden, bislang nur unzureichend erfassten großräumigen Migrationsbewegungen (→Migrationen), die auch als Reaktion auf veränderte Wirtschaftslagen (Zunahme der →Transhumanz im inneren Balkanraum) u. Ausbildung peripherer Wirtschaftsräume zu verstehen sind, haben dagegen zu einer zahlenmäßig bedeutsamen Süd-Nord-Wanderung der Südslaven (Kroaten, Serben, Bosnier) geführt. Deren Siedlungs-
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grenze hat sich (Kroaten) über das heutige Burgenland u. Niederösterreich hinausgehend bis Mähren u. in die Kleinen Karpaten bzw. (vornehmlich Serben) an die Donau bis Komorn u. Szentendre u. östl. davon in die →Batschka u. in das (heutige) →Banat bis an die Maros (mit Ausläufer bis ins Siebenb. Erzgebirge) vorgeschoben. Die nach dem T. 1683–1699 einsetzenden Ansiedlungsvorgänge auch der dt. Kolonisten haben einerseits auf dieser ihr vorausgehenden Siedlungsbewegung aufgebaut, andererseits – häufig auch planmäßig – die südslav.-serb. Bev. im Bereich der „Neoaquisita“, der neu eroberten Gebiete innerhalb des ung. Kgr.s wiederum zurückgedrängt u. insges. die für viele Gebiete SOEs bis ins 20. Jh. charakteristische ethn. Gemengelage wesentlich mit geschaffen (→Kolonisation). Gegenüber den demogr. Vorgängen weithin unterschätzt werden andererseits strukturelle Prozesse, die durch die Defensionsbemühungen gegenüber der osm. Bedrohung gefördert u. beschleunigt wurden. Das gilt – wie das Beispiel →Innerösterreich zeigt – für die Wirksamkeit des T.s als Integrationsfaktor in Richtung Territorialstaatsbildung u. den Ausbau frühabsolutistischer Herrschaftsformen u. konkret für die Einführung eines modernen Verteidigungssystems in Form des stehenden Heeres u. des ihm beigeordneten zentralisierten Finanz- u. Verwaltungssystems. Lit. (a. →Türkenhilfe usw.; vgl. a. die Lit. bei den Verweislemmata): Türkenkriege u. Adelskultur in Ostmitteleuropa vom 16. bis zum 18. Jh. Hgg. R. Born/S. Jagodzinski. Ostfildern 2014; S. Güngörürler, The repercussions of the Austro-Russian-Turkish War (1736–1739) on the diplomacy and the international status of the Ottoman Empire. İstanbul 2014; B. Weber, Lutter contre les Turcs. Les formes nouvelles de la croisade pontificale au XVe siècle. Rome 2013; Das Bild des Feindes. Konstruktion von Antagonismen u. Kulturtransfer im Zeitalter der Türkenkriege. Ostmitteleuropa, Italien u. Osmanisches Reich. Hgg. E. Leuschner/Th. Wünsch. Berlin 2013; K.D. Döring, Türkenkrieg u. Medienwandel im 15. Jh. Mit einem Katalog der europäischen Türckendrucke bis 1500. Husum 2013; J. Jefferson, The Holy Wars of King Wladislas and Sultan Murad. The Ottoman-Christian conflict from 1438–1444. Leiden u. a. 2012; N. Housley, Crusading and the Ottoman threat, 1453–1505. Oxford 2012; J. Nouzille, Le prince Eugène de Savoie et le sudest européen (1683–1736). Paris 2012; M. Neugebauer, Die Türkenkriege. Aufstieg u. Fall des Osmanischen Reiches. Wolfenbüttel 2011; B.L. Davies, Empire and military revolution in Eastern Europe. Russia’s Turkish wars in the eighteenth century. London u. a. 2011; A. Wheatcroft, The Enemy at the Gate. Habsburgs, Ottomans and the Battle for Europe. New York 22009; N. Bexheti, Der „Große Türkenkrieg“ u. die Albaner. Die militärische Präsenz der Balkanvölker am „Großen Türkenkrieg (1683–1699). Saarbrücken 2009; E. Eickhoff/R. Eickhoff, Venedig, Wien u. die Osmanen: Umbruch in Südosteuropa 1645–1700. Stuttgart 2008; P. Sutter Fichtner, Terror and Toleration. The Habsburg Empire Confronts Islam, 1526–1850. London 2008; V.H. Aksan, Ottoman Wars 1700–1870. An Empire Besieged. Harlow 2007; C. Imber, The crusade of Varna 1443–45. Aldershot u. a. 2006; K.-P. Matschke, Das Kreuz u. der Halbmond. Die Geschichte der Türkenkriege. Darmstadt 2004; Fight against the Turk in Central-Europe in the first half of the 16th century. Hg. I. Zombori. Budapest 2004; P. Fodor, A szultán és az aranyalma. Tanulmányok az oszmán-török történelemrὅl. Budapest 2001; A. Širokorad, Russko-tureckie vojny 1676-1918. gg. Moskva 2000; R. Murphey, Ottoman Warfare, 1500–1700. New Brunswick
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1999; A. Liepold, Wider den Erbfeind christlichen Glaubens. Die Rolle des niederen Adels in den Türkenkriegen des 16. Jh.s. Frankfurt/M. u. a. 1997; I. Parvev, Habsburgs and Ottomans between Vienna and Belgrade, 1683–1739. New York 1995; W. Baum, Kaiser Sigismund, Hus, Konstanz u. die Türkenkriege. Graz u. a. 1993; J.P. Niederkorn, Die europäischen Mächte u. der „Lange Türkenkrieg“ Kaiser Rudolfs II. 1593–1606. Wien 1993; K.M. Setton, Venice, Austria, and the Turks in the Seventeenth Century. Philadelphia 1991; Österreich u. die Osmanen, Prinz Eugen u. seine Zeit. Hgg. E. Zöllner/K. Gutkas. Wien 1988; Z. Abrahamowicz/V. Kopčan/M. Kunt u. a., Die Türkenkriege in der historischen Forschung. Wien 1983; From Hunyadi to Rákóczi. War and Society in Late Medieval and Early Modern Hungary. Hgg. J.M. Bak/B.K. Király. New York 1982; Die Türken vor Wien. Europa u. die Entscheidung an der Donau 1683. Salzburg u. a. 1982; Th. Barker, Doppeladler u. Halbmond. Entscheidungsjahr 1683. Graz 1982; W. Schulze, Reich u. Türkengefahr im späten 16. Jh. Studien zu den politischen u. gesellschaftlichen Auswirkungen einer äußeren Bedrohung. München 1978; W. Hummelberger, Wiens erste Belagerung durch die Türken 1529. Wien 1976; W. Gold, Das Zeitalter Max Emanuels u. die Türkenkriege in Europa 1683–1687. München 1976; P. Bartl, Der Westbalkan zwischen spanischer Monarchie u. osmanischem Reich. Zur Türkenkriegsproblematik an der Wende vom 16. zum 17. Jh. Wiesbaden 1974; Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Türkenkriege. Die Vorträge des 1. Internationalen Grazer Symposions zur Wirtschafts- u. Sozialgeschichte Südosteuropas. Hg. O. Pickl. Graz 1971; H. Sturmberger, Türkengefahr u. österreichische Staatlichkeit, Südostdeutsches Archiv 10 (1967), 132–145; Kara Mustafa vor Wien. Das türkische Tagebuch der Belagerung Wiens 1683, verfasst vom Zeremonienmeister der Hohen Pforte. Hg. F. Kreutel. Graz u. a. 1955. G. S.
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Turkvölker. Weitverzweigte u. in Nord-, Zentral- u. Westasien, in Ost- u. SOE verbreitete Gruppe v. Völkern, die einer Sprachfamilie angehören. Doch fehlen gemeinsame anthropolog. Merkmale. Bis ins MA zurückreichende Übereinstimmungen in der materiellen Kultur (Tracht, Behausungen, Waffen), der Kunst (polychromer Tierstil), der Dichtung (Abstammungsmythen, Märchen, Heldenepen) u. der ursprünglichen Religion (Himmels- u. Ahnenkult, Animismus, Schamanismus) sind nicht spezif. Züge der T., sondern Kennzeichen eines „zentralasiat. Kultursyndroms“ u. treffen v. a. auf die →Reiternomaden des euras. Steppengürtels zu. Unübersehbar sind auch die Sprach- u. Kulturgrenzen (Steppennomaden, Sesshafte, „Waldvölker“), die die T. voneinander scheiden. Die T. kamen im Laufe ihrer Geschichte mit mehreren Hochreligionen (Judentum, Christentum, Manichäismus, Islam, Buddhismus) in Berührung. Doch bekennt sich heute die große Mehrheit zum Islam als wichtigem Merkmal ihrer Identität u. Kohärenz. An den weitausgreifenden Migrationen der Reiternomaden nahmen turkspr. Ethnien, deren „Urheimat“ auf dem Gebiet der heutigen Mongolei lag u. die 552 erstmals erwähnt werden, schon in den ersten nachchristl. Jh.en teil. Zwar ist die sprachl. Zuordnung v. Hunnen u. →Awaren noch umstritten, doch gelangten in deren Gefolge zweifellos auch onogur.-türk. Verbände nach Ost- u. SOE. Zu ihnen zählten die →Protobulgaren ebenso wie turkspr. Gruppen, die sich an der →Ungarischen Landnahme im Karpatenbecken beteiligten. Neue Einwanderungswellen erfolgten im 11.–13. Jh., als oghuzische →Petschenegen u.
Turkvölker / Ulema
Uzen, aber auch Qipčaq-→Kumanen nach Ungarn u. auf die Balkanhalbinsel vordrangen u. dort als Flüchtlinge u. Kriegsgefangene angesiedelt wurden. Auf sie dürften die →Gagausen, die Gazaly in O-Bulgarien u. die Surguč (vgl. →Petschenegen) bei Edirne zurückzuführen sein. Die Mehrheit der heute auf dem Balkan lebenden →Türken (→Yürüken, Qyzylbaš , Qaramanly u. a.), deren Zahl stark rückläufig ist, stammt jedoch aus Kleinasien u. wurde in osman. Zeit angesiedelt. Eine separate Minderheit bilden die →Tataren in Rumänien u. Bulgarien, die nach der Annexion des Krim-Chanats durch Russland (1783) bzw. nach dem →Krimkrieg ins Osm. Reich geflüchtet waren u. in der →Dobrudscha angesiedelt wurden. Lit.: S. Stark, Die Alttürkenzeit in Mittel- u. Zentralasien. Archäologische u. historische Studien. Wiesbaden 2008; The Turkic languages. Hgg. L. Johanson/É.Á. Csató. London u. a. 2006; Gy. Hazai, Byzanz u. die Turkvölker, in: Byzanz u. seine Nachbarn. Hg. A. Hohlweg. München 1996, 249–62; K.H. Menges, The Turkic Languages and Peoples. Wiesbaden ²1995; P.B. Golden, An Introduction to the History of the Turkic Peoples. ebd. 1992; A. Róna-Tas, Ethnogenese u. Staatsgründung. Die türk. Komponente in der Ethnogenese des Ungartums, in: Studien zur Ethnogenese. Bd. 2 Opladen 1988, 107–42; L. Johanson, Grenzen der Turcia, in: Turcica et Orientalia. Studies in Honour of Gunnar Jarring. Istanbul 1988, 51–61; Nationalitätenprobleme in Südosteuropa. Hg. R. Schönfeld. München 1987 (darin Beiträge v. St. Troebst u. v. W. Höpken, 231–253 bzw. 255–280); K. Czeglédy, From East to West: The Age of Nomadic Migrations in Eurasia, AEMA 3 (1983), 25–125; Gy. Moravcsik, Byzantinoturcica. 2 Bde. Berlin 31983; P. Schreiner, Die Rolle der Turkvölker in der byzant. Reichspolitik, Materialia Turcica 9 (1983), 10–21; E. Esin, A History of Pre-Islamic and Early-Islamic Turkish Culture. Istanbul 1980; C. Cahen, Pre-Ottoman Turkey. London 1968; W. Barthold, Zwölf Vorlesungen über die Geschichte der Türken Mittelasiens. Darmstadt 1962; S.A. Zenkovsky, Pan-Turkism and Islam in Russia. Cambridge/MA 1960; W. Barthold/A. Samoylovitch, Türken, EI1 IV, Leiden, Leipzig 1934, 969–79. H. G.
Ulema (arab. Plural von ʿālim „der Wissende“). Bez. für die isl. (Rechts-)Gelehrten. Als Kenner der Religion u. des relig. Gesetzes (→Scharia) bilden sie mit den sog. „kleineren Religionsdienern“ (Hans Georg Majer) wie dem →Imam, dem Freitagsprediger, dem Lehrer u. dem Verwalter eines →Vakuf die Gruppe der orth. isl. relig. Amtsträger, der gegenüber das →Derwisch-Wesen „einen spannungsreichen, aber nicht einander ausschließenden Gegensatz“ (Klaus Kreiser) ausmacht. Einer der ihren, nämlich Katib Çelebi (†1657), vergleicht die Rolle der U. im Staat mit der des Herzens im Körper; Hammer-Purgstall sieht in den U. „die einzige Aristokratie im Osmanischen Reich“. Was die U. zur zentralen Personengruppe des →Osm. Reiches macht, ist ihre Doppelfunktion: 1. Begrenzung der herrscherlichen Macht durch die Scharia (vgl. a. →Schejch ül-Islam); 2. Stütze des Staates durch das Amt des →Kadi u. des Kadiasker an der Spitze der Hierarchie der →Ilmiye. Ihr Aufgabengebiet, nämlich das relig. bestimmte Rechts- u. Erziehungswesen (verbunden mit Verwaltungs- u. Aufsichtsfunktionen verschiedener Art), ist im Osm. Reich auf unverwechselbare Weise im Rahmen der Ilmiye organisiert, deren hierarchischer Aufbau zu dem Mißverständnis beigetragen hat, bei den U. handele es sich um einen isl. „Klerus“ im abendländischen Sinne. Die U. waren v. der regulären Besteuerung ausgenommen.
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Uzen, aber auch Qipčaq-→Kumanen nach Ungarn u. auf die Balkanhalbinsel vordrangen u. dort als Flüchtlinge u. Kriegsgefangene angesiedelt wurden. Auf sie dürften die →Gagausen, die Gazaly in O-Bulgarien u. die Surguč (vgl. →Petschenegen) bei Edirne zurückzuführen sein. Die Mehrheit der heute auf dem Balkan lebenden →Türken (→Yürüken, Qyzylbaš , Qaramanly u. a.), deren Zahl stark rückläufig ist, stammt jedoch aus Kleinasien u. wurde in osman. Zeit angesiedelt. Eine separate Minderheit bilden die →Tataren in Rumänien u. Bulgarien, die nach der Annexion des Krim-Chanats durch Russland (1783) bzw. nach dem →Krimkrieg ins Osm. Reich geflüchtet waren u. in der →Dobrudscha angesiedelt wurden. Lit.: S. Stark, Die Alttürkenzeit in Mittel- u. Zentralasien. Archäologische u. historische Studien. Wiesbaden 2008; The Turkic languages. Hgg. L. Johanson/É.Á. Csató. London u. a. 2006; Gy. Hazai, Byzanz u. die Turkvölker, in: Byzanz u. seine Nachbarn. Hg. A. Hohlweg. München 1996, 249–62; K.H. Menges, The Turkic Languages and Peoples. Wiesbaden ²1995; P.B. Golden, An Introduction to the History of the Turkic Peoples. ebd. 1992; A. Róna-Tas, Ethnogenese u. Staatsgründung. Die türk. Komponente in der Ethnogenese des Ungartums, in: Studien zur Ethnogenese. Bd. 2 Opladen 1988, 107–42; L. Johanson, Grenzen der Turcia, in: Turcica et Orientalia. Studies in Honour of Gunnar Jarring. Istanbul 1988, 51–61; Nationalitätenprobleme in Südosteuropa. Hg. R. Schönfeld. München 1987 (darin Beiträge v. St. Troebst u. v. W. Höpken, 231–253 bzw. 255–280); K. Czeglédy, From East to West: The Age of Nomadic Migrations in Eurasia, AEMA 3 (1983), 25–125; Gy. Moravcsik, Byzantinoturcica. 2 Bde. Berlin 31983; P. Schreiner, Die Rolle der Turkvölker in der byzant. Reichspolitik, Materialia Turcica 9 (1983), 10–21; E. Esin, A History of Pre-Islamic and Early-Islamic Turkish Culture. Istanbul 1980; C. Cahen, Pre-Ottoman Turkey. London 1968; W. Barthold, Zwölf Vorlesungen über die Geschichte der Türken Mittelasiens. Darmstadt 1962; S.A. Zenkovsky, Pan-Turkism and Islam in Russia. Cambridge/MA 1960; W. Barthold/A. Samoylovitch, Türken, EI1 IV, Leiden, Leipzig 1934, 969–79. H. G.
Ulema (arab. Plural von ʿālim „der Wissende“). Bez. für die isl. (Rechts-)Gelehrten. Als Kenner der Religion u. des relig. Gesetzes (→Scharia) bilden sie mit den sog. „kleineren Religionsdienern“ (Hans Georg Majer) wie dem →Imam, dem Freitagsprediger, dem Lehrer u. dem Verwalter eines →Vakuf die Gruppe der orth. isl. relig. Amtsträger, der gegenüber das →Derwisch-Wesen „einen spannungsreichen, aber nicht einander ausschließenden Gegensatz“ (Klaus Kreiser) ausmacht. Einer der ihren, nämlich Katib Çelebi (†1657), vergleicht die Rolle der U. im Staat mit der des Herzens im Körper; Hammer-Purgstall sieht in den U. „die einzige Aristokratie im Osmanischen Reich“. Was die U. zur zentralen Personengruppe des →Osm. Reiches macht, ist ihre Doppelfunktion: 1. Begrenzung der herrscherlichen Macht durch die Scharia (vgl. a. →Schejch ül-Islam); 2. Stütze des Staates durch das Amt des →Kadi u. des Kadiasker an der Spitze der Hierarchie der →Ilmiye. Ihr Aufgabengebiet, nämlich das relig. bestimmte Rechts- u. Erziehungswesen (verbunden mit Verwaltungs- u. Aufsichtsfunktionen verschiedener Art), ist im Osm. Reich auf unverwechselbare Weise im Rahmen der Ilmiye organisiert, deren hierarchischer Aufbau zu dem Mißverständnis beigetragen hat, bei den U. handele es sich um einen isl. „Klerus“ im abendländischen Sinne. Die U. waren v. der regulären Besteuerung ausgenommen.
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Unabhängiger Staat Kroatien
Lit.: D. Klein, Die osmanischen Ulema des 17. Jh.s. Eine geschlossene Gesellschaft? Berlin 2007; M.C. Zilfi, The Politics of Piety: The Ottoman Ulema in the Postclassical Age (1600–1800). Minneapolis 1988; D. Kushner, The Place of the Ulema in the Ottoman Empire During the Age of Reform (1839–1918), Turcica 19 (1987), 51–74; H.G. Majer, Vorstudien zur Geschichte der Ilmiye im Osmanischen Reich. I. Zu Uşakîzade, seiner Familie u. seinem Zeyl-i Şakayık. München 1978. M. U.
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Unabhängiger Staat Kroatien (USK; kroat. Nezavisna Država Hrvatska, NDH). Proklamiert vier Tage nach Beginn des dt. Blitzfeldzugs gegen →Jugoslawien am 10.4.1941 in Zagreb. Der USK war ein Produkt jener spontanen Entschlüsse, die Hitler nach dem Staatsstreich in Belgrad vom 27. März gefasst hatte. In Berlin hatte man den Führer der Kroatischen Bauernpartei (→Parteien, Jugoslawien) Vladko Maček, als neuen kroat. Staatschef vorgesehen. Als sich dieser verweigerte, griff man mangels Alternativen auf die kleine, aber bedingungslos kollaborationsbereite Gruppe der bis dahin v. Italien unterstützten →Ustaše (→Geheimbünde) unter Ante Pavelić zurück. Dem USK wurde zwar außer der Banschaft Kroatien (→Sporazum) u. Ostsyrmien ganz →Bosnien-Herzegowina zugeschlagen, doch verlor er einen Teil der Adriaküste u. fast alle dalmatinischen Inseln an Italien. Das Territorium des neuen Staates umfasste rd. 100.000 km2. Mitten durch dieses Gebiet verlief die von Hitler festgelegte Demarkationslinie zw. den Stationierungsräumen der dt. u. it. Truppen, die auch nach Gründung des USK nicht abgezogen, sondern im weiteren Verlauf des Krieges ständig verstärkt wurden (2. →WK.). Obwohl sich der USK durch Abschluss internationaler Verträge den Anschein eines Völkerrechtssubjekts gab, blieb er ein de facto besetztes Gebiet (ständiger Vertreter der Wehrmacht war der General Edmund Glaise v. Horstenau). Unter den knapp 6,5 Mio. E des USK befanden sich schätzungsweise rd. 3,3 Mio. Kroaten (51 % der Bev.), annähernd 2 Mio. Serben, ca. 900.000 Muslime, 175.000 Deutsche, 75.000 Ungarn, 35.000–39.000 Juden u. a. Die →„Volksdeutschen“ unter ihrem „Volksgruppenführer“ Branimir Altgayer erhielten einen privilegierten Sonderstatus. Unterstützt von Sympathisanten u. Opportunisten sowie mit Hilfe der dt. Besatzungsmacht errichtete Pavelić einen „Führerstaat“ nach dt. u. it. Muster, doch gelang es dem Regime nicht, eine gefestigte Massenbasis zu gewinnen. Grund für die zunehmende Distanz zw. dem Ustaša-Regime u. der Bevölkerungsmehrheit waren die territ. Verluste in Dalmatien u. die überaus fragwürdige „Souveränität“ des neuen Staates auf der einen sowie die Willkürherrschaft u. Zügellosigkeit der Ustaša-Banden (der sog. „wilden Ustaše“) auf der anderen Seite. Unmittelbar nach der „Machtergreifung“ gingen Pavelić u. seine Anhänger an die Realisierung ihrer großkroat. Ideologie. Während die →bosn. Muslime zum „reinsten Teil“ der kroat. Nation (zu „Kroaten islamischen Glaubens“) deklariert wurden, sahen sich die Serben vielfältigen Diskriminierungen u. Verfolgungen ausgesetzt. Wie Hitler ein „judenfreies“ Europa anstrebte, so strebte Pavelić ein „serbenfreies“ Großkroatien an. Zum Teil wurden die Serben als zwangsweise zur Orthodoxie bekehrte Kroaten betrachtet, zum anderen Teil als Eindringlinge, die auf kr. Boden keinerlei Existenzrecht besaßen. Die Konsequenz waren Zwangskatholisierungen im ersten sowie Umsiedlung, Vertreibung u. Massenmord im zweiten Fall. Hunderttausende von Serben aus Bosnien-Herzegowina oder den Gebieten
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der früheren kr.-slawon. →Militärgrenze flohen oder wurden vertrieben. Andere wurden in eines der zahlreichen Konzentrationslager des USK eingewiesen, unter denen das Lager Jasenovac (an der Einmündung der Una in die Save) traurige Berühmtheit erlangte. Die im USK lebenden Juden wurden zum größten Teil entweder in Kroatien selbst oder in dt. Konzentrationslagern ermordet (→Holocaust). Das Terror-Regime Pavelićs trieb mehr u. mehr Personen in den Widerstand, zuerst die von Verfolgung u. Vernichtung bedrohten Serben, dann oppositionelle Kroaten u. schließlich Muslime, die bald zw. die Mühlsteine des kroat. u. serb. Nationalismus gerieten. Zu den ethn. Spannungen kamen ideologische Gegensätze (zw. serb.-royalistischen →Četnici u. jug.-komm. Tito-Anhängern, →Partisanen) sowie die divergierenden Eigeninteressen der beiden Besatzungsmächte. Das Ergebnis war ein Krieg „aller gegen alle“ (→Bürgerkrieg, Jug.), unter dem v. a. die ethn. gemischte Bev. in Bosnien-Herzegowina zu leiden hatte. Lange vor Kriegsende stand der USK nur noch auf dem Papier. Immer mehr Teile des Landes entzogen sich der Regierungsaufsicht u. wurden von einer der beiden Widerstandsbewegungen kontrolliert oder unterstanden der Verwaltung durch die Besatzungsmächte (seit der it. Kapitulation v. Herbst 1943 nur mehr den Dt.). Dank des verstärkten Einsatzes von Dt. Wehrmacht u. Waffen-SS konnte sich das Ustaša-Regime zwar bis Mai 1945 behaupten, doch sein Hoheitsgebiet schrumpfte mehr u. mehr zusammen. Mit den dt. Truppen zogen sich schließlich auch die Ustaša-Milizen, die kroat. Armee (Domobranstvo) u. viele Zivilisten nach Österreich zurück u. ergaben sich den brit. Truppen, die sie an Einheiten der Volksbefreiungsarmee unter General Milan Basta auslieferten, die die Betroffenen aus Österreich nach Jugoslawien zurückführen sollten. Bereits an Ort u. Stelle ist es gleich hinter der Grenze zu Massenliquidationen gekommen („Tragödie von Bleiburg“). Die anschließenden „Todesmärsche“ v. der österr. Grenze durch Slowenien u. Kroatien in die Vojvodina waren begleitet von weiteren Erschießungen, Misshandlungen u. v. Todesfällen wegen Erschöpfung oder Krankheit. Traurige Berühmtheit erlangte der Massenmord im Hornwald (Kočevski Rog) in der ehem. dt. Sprachinsel →Gottschee in Slowenien, wo es zu Massenhinrichtungen kam. Diejenigen, die die Bestimmungsorte der 500 km langen Märsche erreichten, wurden in einer Vielzahl v. Lagern untergebracht u. zu Zwangsarbeiten herangezogen. Verlässliche Angaben über die Opfer der „Tragödie von Bleiburg“ u. der „Todesmärsche“ – beide werden kroatischerseits auch unter dem Begriff „Kreuzweg“ (križni put) zusammengefasst – gibt es bis heute nicht (realistische Schätzungen gehen v. 55.000 Toten aus). Die Zahl der Opfer des Ustaša-Regimes gehört zu den umstrittensten Themen in der Nachkriegshistoriographie u. hat seit Mitte der 80er Jahre einen serb.-kroat. Propagandakrieg ausgelöst. Die im zweiten jug. Staat stereotyp verbreitete Behauptung, allein im KZ Jasenovac seien 500.000–700.000 Menschen ermordet worden, hält nüchterner Überprüfung nicht stand. Realistischerweise wird man die Gesamtzahl der Kriegsopfer auf dem Territorium des USK auf ca. 600.000 Personen (davon deutlich weniger als 100.000 im KZ Jasenovac) beziffern können. Lit. (a. →Ustaše,→ Bürgerkrieg[Jugoslawien]; →Weltkrieg, Zweiter): R.B. McCormick, Croatia Under Ante Pavelić: America, the Ustaše and Croatian Genocide. London 2015; N. Bartulin,
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Ungarische Landnahme
Ungarische Landnahme. Vorgeschichte u. Verlauf der L. der Ungarn im Karpatenbecken müssen vor dem Hintergrund der zeitgenöss. Ereignisse im nordpontischen u. zentralasiat. Steppenraum gesehen werden. Die Welt der dort lebenden Völker geriet gegen Ende des 9. Jh.s in Bewegung, als i. J. 893 der Samanide Ismail ibn Ahmed gemeinsam mit den Kimäk-Türken den türk. Oghuzen eine empfindl. Niederlage zufügte. Die v. den Oghuzen vertriebenen →Petschenegen überschritten 894 die Wolga. Deren Massenflucht nach W verdrängte v. a. die →Magyaren, die im Etelköz (altung.-türk.: „Zwischenstromland“) zw. Don u. Donau saßen u. löste Beunruhigung in Byzanz aus, das sich zugleich einem Angriff Symeons v. Bulgarien (→Bulg. Reich) ausgesetzt sah. Da Zar Symeon 894 im Bündnis mit Arnulf v. →Kärnten auch gegen das →Großmährische Reich Front machte, wandte sich dessen Herrscher Svatopluk hilfesuchend an die ung. Fürsten Kurszán u. Árpád. Ein byz.-ung.-mähr. Bündnis war entstanden, das gleichermaßen den Angriffen der bulg.-petschenegischen Allianz entgegenwirken wie den Expansionsbestrebungen des Ostfränk. Reiches Einhalt gebieten sollte. Doch bot erst die Erfüllung der Bündnisverpflichtungen den Ungarn Gelegenheit, im Karpatenbecken Fuß zu fassen. Ein ung. Heeresverband, der Svatopluk zu Hilfe eilte, ließ sich – auch archäolog. nachweisbar – an der oberen Theiß nieder. Regino v. Prüm berichtet v. einem weiteren Vorstoß der Ungarn unter der Führung Arpads 895 in die „Einöden v. Pannoniern u. Awaren“ (Pannoniorum et Avarum solitudines), der auch die „Marken der Karantaner, Mährer u. Bulgaren“ bedroht habe. Folgt man der mit Regino weitgehend übereinstimmenden ung. Überlieferung, so verlief die Invasionsroute über den Verecke-Pass längs der Theiß u. donauaufwärts bis ins mähr. Grenzgebiet. Indes nutzten die Petschenegen 895 die Abwesenheit des gegnerischen Hauptheeres, um über die Lagerplätze der zurückgebliebenen Ungarn herzufallen (Konst. Porph., DAI 40), die, v. den Bulgaren zusätzlich bedroht, über die Südkarpaten nach Siebenbürgen flohen. Die Erinnerung an die dramat. Flucht bewahrte die in den Gesta Ungarorum aus dem 11. Jh. überlieferte Sage v. den „Raubvögeln“ (ung.; bese, Synonym für Petschenegen), die das Vieh der Flüchtlinge töteten, u. v. sieben Burgen (!), die sie zum Schutz ihrer Frauen u. ihrer Habe errichteten. Die L. v. 895 endete jedoch an der Donau, die nach Auskunft der Fuldaer Annalen die Grenze zum Ostfränk. Reich bildete. Erst der Tod Ks. Arnulfs am 8.12.899 bot einer v. einem Streifzug aus Italien zurückkehrenden ung. Heeresabteilung Gelegenheit, im Frühjahr 900 auch →Pannonien zu besetzen. Andere Verbände rückten noch im gleichen Jahr gegen die bayer. Marken vor. Auch ein hastig abgeschlossenes bayer.-mähr. Bündnis vermochte die ung. Besetzung Großmährens (902) nicht zu verhindern. Zwar unternahmen Mkgf. Luitpold u. die bayer. Bischöfe einen Gegenangriff, um Pannonien wieder zu erobern, erlitten aber am 4.7.907 bei Pressburg eine vernichtende Niederlage. Die L. der Ungarn im Karpatenbecken war damit unumkehrbar geworden. Quellen u. Lit.: H. Göckenjan, Ungarn, Türken u. Mongolen: kleine Schriften. Hg. M. Knüppel. Wiesbaden 2007; Muslimische Quellen über die Ungarn vor der Landnahme. Das ungarische Kapitel der Ǧaihānī-Tradition. Hg. I. Zimonyi. Herne 2006; V. Spinei, The great migrations in the East and South East of Europe from the ninth to the thirteenth century. Amsterdam 22006; A honfoglaló magyarság [Ausstellungskatalog]. Hg. I. Fodor. Budapest 1996; ders., Die große Wanderung der Ungarn vom Ural nach Pannonien. ebd. 1982; A honfoglalásról sok szemmel.
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Ungarn
2 Bde. Hg. Gy. Györffy. ebd. 1994/1996; ders., Die Landnahme der Ungarn aus historischer Sicht, in: Ausgewählte Probleme europäischer Landnahmen des Früh- u. Hochmittelalters. Hgg. M. Müller-Wille/R. Schneider. Sigmaringen 1994, 67–79; ders., Landnahme, Ansiedlung u. Streifzüge der Ungarn, Acta Historica Academiae Scientiarum Hungaricae 31 (1985), 231–70; H. Göckenjan, Die Landnahme der Ungarn aus der Sicht der zeitgenöss. ostfränkisch-deutschen Quellen, Ural-Altaisches Jahrbuch NF. 13 (1994), 1–17; K. Mesterházy, Die Landnahme der Ungarn aus archäolog. Sicht, ebd., 23–65; I. Erdélyi, A magyar honfoglalás és elözményei. Budapest 1986; Gy. Kristó, Levedi törzsszövetségétöl Szent István államáig. ebd. 1980; I. Dienes, Die Ungarn um die Zeit der Landnahme. ebd. 1972; H. Schönebaum, Die Kenntnis der byzantinischen Geschichtsschreiber von der ältesten Geschichte der Ungarn vor der Landnahme. Berlin 1922; Gy. Pauler/S. Szilágyi, A magyar honfoglalás kútföi. Budapest 1900. H. G.
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Ungarn (ung. Magyarország). 93.036 km², 9,94 Mio. E (2011). Gemäß Volkszählung v. 2011 waren 85,6 % →Magyaren, 3,2 % →Roma (nach Schätzungen mehr), 1,9 % Deutsche, u. a.; 39 % der Bev. waren Katholiken, 11,6 % →Calviner u. 2,2 % →Lutheraner. Das hist. U. (vor 1920) umfasste das gesamte v. den Karpaten begrenzte Becken des Flussgebietes v. Donau, Theiß, Drau u. Save, einschließlich der Bergketten u. Siebenbürgens. Seit ca. 1100 mit dem alten →Kroatien vereinigt, gehörten zeitweilig auch Gebiete im nördl. Balkan (Banate, →Ban) u. →Dalmatien zum Staat U. Das heutige Staatsgebiet wurde 1920 im Frieden v. →Trianon festgelegt u. 1946 im Pariser Frieden nur marginal verändert. – Die Geschichte U.s begann in diesem Sinne mit der „Landnahme“ (→Ung. L.), d. h. der „Eroberung“ u. Besiedlung des Karpatenbeckens um 895 n. Chr. durch die bis dahin seit Jahrhunderten in der südruss. Steppe nomadisierenden Stämme der Magyaren. Bereits um 860 tauchten magy. Reiter in Mitteleuropa auf, um dann nach ihrem Einzug in ihr heutiges Siedlungsgebiet für ein halbes Jh. Streifzüge ins westl. u. südl. Europa zu unternehmen. Ihr Erscheinen auf der europ. Bühne setzte die Ostgrenze dt.-bayrisch-fränkischer Herrschaft an der Leitha auf Dauer fest, beschleunigte, in Form der Herausforderung, die Errichtung des Ottonischen Reichs (→Heiliges Röm. Reich) u. beendete im wesentlichen die wechselvolle Neubesiedelung Mitteleuropas („Völkerwanderung“). Nach verschiedenen gescheiterten früheren Versuchen, ein Reich mit einem Zentrum an der mittleren Donau (durch Hunnen, Langobarden, →Awaren) zu errichten, gelang es den Fürsten der Magyaren, ihre Zentralgewalt zu stärken u., besonders nach der Niederlage der gegen W u. auch gegen →Byzanz ins Feld ziehenden jungen Gefolgschaften (Lechfeld 955), ihr Volk sesshaft zu machen. Der Urenkel des landnehmenden Fürsten (→Arpaden), Géza, rief 973 westl. Missionare ins Land u. sein Sohn, Vajk, auf den Königsnamen Stefan getauft, begann die Eingliederung U.s in das christlich-monarchische Europa. Die Gründung des Kgr.s durch Stefan I. (d. Hl.) (977–1038, Kg. seit 1000), die Beseitigung der rivalisierenden, teils heidnischen, teils byzantinisch orientierten Mitglieder der Fürstensippe mit Hilfe westl. Ritter, die Errichtung v. zehn Bistümern u. des durch Enteignung v. anscheinend zwei Dritteln des Besitzes der Sippenältesten gegründeten mächtigen Krongutes konnten auch in den auf Stefans I. Tod folgenden Rückschläge (u. a. Heiden-
Ungarn
aufstände 1040, 1044) nicht mehr rückgängig gemacht werden. Auch gelang es den Herrschern U.s, ihre Unabhängigkeit sowohl gegenüber dem →Heiligen Römischen Reich als auch gegenüber Byzanz zu behaupten. Am Ende des 11. Jh.s vermochten ung. Herzöge u. Könige nicht nur die Angriffe der den Magyaren folgenden östl. Nomaden (→Kumanen, →Petschenegen) abzuwehren, sondern auch das Staatsgebiet gegen SW zu erweitern (→Pacta conventa). Die Gesetzgebung um 1100 bezeugt die Stabilität der neuen Einrichtungen v. Königtum, Kirche, Rechtspflege u. Eigentum, begleitet v. einer Differenzierung der Bev. in Adelige (→Adel, Ungarn), Freie u. Unfreie (→Stände). Obwohl die Lage des Landes zw. den zwei Kaiserreichen im 12. Jh. mehrfach recht prekär war, schritt der Landesausbau auch durch Zuzug v. westl., großenteils dt. Siedlern fort (→Deutsche). Um 1200 dürfte die ung. Gesellschaft eine den westl. Nachbarn ähnliche Kultur u. Struktur erhalten haben. Die Verwüstungen infolge des Mongoleneinfalls 1241 (→Mongolen) warfen die Entwicklung des Landes zwar zurück, doch ermöglichten sie auch einen Neuanfang: Die Verteidigung wurde auf ritterliche Kampfweise umgestaltet, die Errichtung v. mit Mauern geschützten Städten gefördert u. der weltliche Grundbesitz, mit Steinburgen als Herrenresidenzen, unterstützt. Allerdings nahm in der Folgezeit die Macht der großen Herren, der →Magnaten, denen nunmehr erlaubt wurde, eigene Truppen zu halten, so zu, dass um 1300 das Land in fast autonome Fürstentümer zu zerfallen drohte. Erst die starke Monarchie der →Anjou (1308–1387) vermochte mit Hilfe einer erneuerten Aristokratie u. geregelten Staatseinnahmen die Macht der Krone wiederherzustellen. Die wirt. u. pol. Blüte des 14. Jh.s reichte jedoch nicht aus, der zunehmenden Bedrohung durch die Osmanen auf lange Sicht entgegenzutreten. Zwar schützte die v. Ks. u. Kg. Sigismund (1387–1437) u. seinen Baronen ausgebaute ung.-kr. Verteidigungslinie das Land für fast ein Jh. u. die Entsetzung →Belgrads durch János Hunyadi (1456) sicherte zeitweiligen Frieden, doch hatte U. nicht die nötigen wirt. u. pol. Kräfte, dem →Osm. Reich erfolgreich Widerstand zu leisten. Weder die finanziellen Reformen u. Eroberungen Kg. Matthias I. Corvinus (1458–1490) – die vielleicht auf ein mitteleurop. Reich gegen die Türken abzielten – noch die dynastischen Verbindungen mit Böhmen u. Polen unter den Jagellonenkönigen (1490–1526) reichten aus, die sich ständig verschlechternde Position des Landes aufzuhalten. Dem Fall v. Belgrad 1521 folgte die Niederlage auf dem Schlachtfeld v. →Mohács 1526 u. der Verlust der Landesmitte an den Sultan. Durch die Wahl zweier Könige, eines einheimischen u. eines Habsburgers, zerfiel U. für 150 Jahre in drei Teile. In diesen Jahrhunderten litt das Land unter ständigen Grenzkriegen mit den Osmanen u. der habsb.-osm. Rivalität um →Siebenbürgen. Der Befreiungskrieg der europ. Koalition, die 1686 die Hauptstadt u. 1699 den Großteil des ehem. Kgr.s zurückerobern konnte (→Türkenkriege), trug zur weiteren Verwüstung des Landes noch bei, um dann U. dem habsburgischen Zentralismus zu unterwerfen. Im autonomen Siebenbürgen entstand unter fähigen Fürsten (Stefan/István Bocskai, Gábor Bethlen) infolge der →Reformation eine volkssprachige Literatur, darüber hinaus zeigte sich eine bescheidene wirt. Entwicklung. Am Anfang des 18. Jh.s drohte Ungarn ein untergeordnetes Kolonialgebiet zu werden. Der zeitweilig erfolgreiche Aufstand gegen die Habsburger unter dem Fürsten Ferenc II. Rákóczi (1703–1711; →Kuruzzen) endete jedoch nur mit einem Ausgleich u. dem Exil seiner führenden Männer. Wirtschaft u. Verwaltung U.s wurden im Interesse der Gesamtmo-
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narchie vernachlässigt. Siebenbürgen, Kroatien u. die neu errichtete →Militärgrenze blieben den ung. Behörden entzogen. Zum Schutze sowohl ihrer Adelsprivilegien als auch der nationalen Sache wurden die →Komitate zu Basteien des Konservativismus, wenn auch v. den Ideen der →Aufklärung nicht unberührt. Obwohl die →Stände Maria Theresia (1740–1780) als Herrscherin anerkannten u. gegen Preußen unterstützten, vermochten sie die Durchsetzung ihrer Reformen, u. noch mehr die ihres Sohnes, Josephs II. (1780–1790; →Josephinismus) in U. faktisch zu verhindern. Die Reformpläne Leopolds II. (1790–1792) scheiterten auch u. führten zu einer Verschwörung (geleitet v. Ignaz Martinovics), die das Leben oder die Freiheit mancher der besten Vertreter der entstehenden ung. Intelligenz kostete (→Jakobiner). Allmählich begannen die Landtage (→Országgyűlés) des →„Vormärz“ (1823–1848) über juristische, wirt., kult. u. pol. Reformen zu beraten (→Reformzeitalter). Graf István Széchenyi verfocht Pläne für eine Modernisierung „englischen Stils“, während Lajos Kossuth die radikalen, nationalen u. soz. Programme des Komitatsadels vertrat. Infolge der Pariser u. Wiener Revolution v. 1848 erhob sich (a. →Revolution v. 1848/49, Ungarn) am 15.3.1848 in Pest die Jugend, binnen Tagen wurden die Gesetzentwürfe zur bürgerlichen Umgestaltung (→Bauernbefreiung, parl. Regierung, Union mit Siebenbürgen, Freiheitsrechte) vom letzten ständischen Landtag verabschiedet u. noch unter dem Schreck der Revolte vom Kg. in den „Aprilgesetzen“ verkündet. Doch der „logische Fehlschluss“ des Reformadels, der die nationalen Forderungen der Magyaren mit dem Wunsch aller Einwohner des Kgr.s U. gleichsetzte u. die Bestrebungen der „Nationalitäten“ (etwa 60 % der Bev.) übersah, rächte sich. Die in den Revolutionsgesetzen mit keinem Wort erwähnten Serben, Rumänen u. v. a. Kroaten rebellierten u. wurden nolens volens zu Hilfstruppen der erstarkten Wiener Reaktion. Der Angriff des →Ban(us) Josip Jelačić im August 1848 wurde zwar zurückgeschlagen, aber die „rechtmäßige Revolution“ geriet auf den Zwangskurs der Radikalisierung u. wurde in einen nationalen Freiheitskampf verwickelt. Kossuth u. seinen Generälen gelang es zwar, die Nation in siegreiche Schlachten zu führen u. das Bauerntum für die Revolution zu gewinnen (auch einige Führer der Nationalitäten zumindest zu neutralisieren), doch im Frühjahr 1849, als ung. Honvéd-Armeen im Vormarsch waren u. das Parlament die Habsburger des Thrones verlustig erklärte, rief der neue Kg. Franz Josef I. (1849–1916), auch v. ung. Konservativen unterstützt, die Armee des Zaren zur Hilfe. Am August 1849 legte General Arthúr Görgey bei Világos die Waffen vor Prinz Alexander Paškievič nieder. Der Niederlage des Aufstandes folgte die Hinrichtung v. dreizehn Honvéd-Generälen u. des rechtmäßigen Ministerpräsidenten Graf Lajos Batthányi (6.10.1849). Die Erinnerung an die zahlreichen Opfer der Vergeltung blieb ein Fanal der nationalen Emanzipierung. Nach Jahrzehnten des passiven Widerstandes im Vormärz u. im →Neoabsolutismus eröffnete sich erst 1861 u. dann nach der österr. Niederlage bei Königgrätz die Möglichkeit eines →Ausgleichs, der unter der Führung v. Ferenc Deák 1867 ausgehandelt u. mit der Krönung v. Franz Josef in Budapest besiegelt wurde. Wenn auch v. den lib. Vorsätzen Deáks in Sachen Nationalitäten, Bürgerrechte usw. nicht alles verwirklicht wurde u. die nationalen Beschwerden gegen Wien nie verstummten, erlebte U. im folgenden Halbjahrhundert des →„Dualismus“ eine wirt., soz. u. kult. Blütezeit. Der Ausgleich sicherte den ung. „historischen Klassen“ die Führungsrolle in →Transleithanien sowohl gegen die anderen Nationalitäten
Ungarn
als auch gegen die weiterhin rechtlosen Bauern u. Arbeiter. Das großenteils deutschstämmige oder assimiliert-jüd. Bürgertum (→B. [Ungarn]) profitierte vom Aufschwung der Gründerzeit u. stellte das konservative Regime nicht ernsthaft in Frage. Die tiefen Widersprüche innerhalb der k.u.k. Doppelmonarchie führten am Ende des 1. →Wk.s zum Zerfall des Stephansreichs. Die „bürgerliche“ Revolution v. 1918 mit Graf Mihály Károlyi an der Spitze konnte sich nur einige Monate lang halten. Es folgte die ung. →Räterepublik v. 133 Tagen, durch deren Terrorregime nunmehr alle progressiven Reformen für Jahrzehnte den Stempel des Bolschewismus trugen. Mit Hilfe der Entente gelangte 1920 der ehemalige k.u.k. Admiral Miklós Horthy an die Macht u. regierte das auf ein Drittel seiner hist. Territorien reduzierte „Königreich“ U. als Reichsweser bis 1944 (→Diktaturen). Die als Leitstern des Regimes geltende Revision des Vertrags v. →Trianon (→Revisionismus) u. ein militanter Antibolschewismus trieb U. schließlich in die Arme der Achsenmächte u. führte U. als Gegenleistung für die v. Hitler u. Musolini U. zugesprochenen Teile der verlorenen Gebiete (→Wiener Schiedssprüche) zur Kriegsteilnahme gegen die Alliierten. Ung. Truppen beteiligten sich an Hitlers Russlandfeldzug u. erlitten schwere Verluste (→Weltkrieg, Zweiter). Um ein Ausscheiden U.s aus dem Krieg zu verhindern, wurde das Land am 19.3.1944 v. dt. Truppen besetzt („Unternehmen Margarethe“) u. seine „jüdische“ Bev. in Vernichtungslager verschleppt (→Holocaust). Das Land, als letzter Verbündeter Hitlers, wurde zum Kriegsschauplatz mit unsagbaren Verlusten an Leben u. Gut. Horthy versuchte am 15.10.1944 einen Sonderfrieden mit den Alliierten zu schließen, doch der schlecht vorbereitete Versuch führte nur zur Errichtung eines offenen Terrorregimes unter dem ung. →„Pfeilkreuzler“-Quisling, Ferenc Szálasi. Das im April 1945 v. dt. Truppen befreite U. schien eine hist. Chance zu haben, die längst fälligen Reformen in Staat u. Gesellschaft nachzuholen, aber die v. den Sowjets unterstützten Kommunisten nutzten ihre Position, um eine echte demokr. Umgestaltung v. Anfang an zu verhindern. Während die radikale Landreform u. die Entnazifizierung (nebst Prozessen gegen Kriegsverbrecher) noch weitgehend v. allen Parteien getragen wurden u. die ersten freien Parlamentswahlen 1945 eine Mehrheit für die Demokratie anzeigten, wurde U. innerhalb v. drei bis vier Jahren in eine stalinistische Diktatur unter Mátyás Rákosi umgewandelt. Bereits 1953 zeitigten Zwangskollektivierung u. rücksichtslose →Industrialisierung sowj. Stils eine Krise, die man durch Ernennung des weniger belasteten „Nationalkommunisten“ Imre Nagy zu überbrücken trachtete, doch dies scheiterte am Widerstand Rákosis u. führte letzten Endes zum Volksaufstand vom 23.10.1956. In zehn Tagen erreichten protestierende Studenten, oppositionelle Intellektuelle u. mutige Freiheitskämpfer, dass sich die sowj. Truppen zurückzogen u. U. sich, mit Imre Nagy an der Spitze einer Koalitionsregierung, zu einem neutralen Staat mit parlamentarischem Mehrparteiensystem bekannte. Am 4.11.1956 begannen jedoch sowj. Panzer der Revolution ein Ende zu bereiten (→Warschauer Pakt) u. setzten die Marionettenregierung v. János Kádár ein. Der Freiheitskampf u. der darauf folgende Widerstand der Arbeiterräte u. Intellektuellen wurde mit Terror beantwortet. Neben den Anführern des Aufstandes (Imre Nagy, Pál Maléter, u. a.) wurden Hunderte hingerichtet, Tausende zu Gefängnisstrafen verurteilt, während rund 200.000 Ungarn ins Ausland flohen. Allerdings gelang es dem neuen Regime nach einigen Jahren der massenhaften Vergeltung, einen Modus vivendi mit der Gesellschaft zu schaffen, indem für nüchterne Mitarbeit
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Ungarn
gewisse persönliche Freiheiten eingeräumt wurden. Reformen in der Wirtschaft wurden eingeleitet, wenn auch nicht konsequent durchgeführt, u. das Lebensniveau, weitgehend durch verantwortungslose Verschuldung des Landes, bedeutend gehoben. Trotzdem bildete sich in den 1980er Jahren eine nationale u. demokr. Opposition im Untergrund heraus, die das Regime grundsätzlich in Frage stellte. Als Folge der Gorbačevschen Reformen in der UdSSR fassten auch viele Funktionäre der Staatspartei Mut, sich vom Kádárschen Erbe freizumachen: sie stimmten der feierlichen Beisetzung v. Imre Nagy u. Genossen (am 16.6.1989) zu, ließen die nach U. geflohenen DDR-Bürger, mit Zustimmung Moskaus, nach Österreich ausreisen, u. lösten schließlich die Ungarische Sozialist. Arbeiterpartei auf. Die Verhandlungen mit den Oppositionellen am „Runden Tisch“ führten dann zu freien Wahlen im April 1990 u. zur Abschaffung der „Volksrepublik U.“. Am 23.10.1990 wurde U. eine unabhängige parl. Republik. Unter Ministerpräsident Jó zsef Antall vom „Ung. Demokratischen Forum“ u. Staatspräsient Árpád Göncz vom „Bund Freier Demokraten“ begann der postsozialist. Transformationsprozess. Am 12.3.1999 wurde U. Mitglied der Nato u. am 1.5.2004 der Europäischen Union. Bei den Parlamentswahlen im Apr. 2010 errang die nationalkonservative Partei FIDESZ eine Zweidrittelmehrheit, vor den Sozialisten (MSZP) u. der rechtsextremen Bewegung für ein besseres Ungarn (Jobbik). Ministerpräsident Viktor Orbán nutzte seine Machtposition zur Verabschiedung einer neuen Verfassung (Apr. 2011) u. zu einer von den EU-Partnern kritisch beobachteten Einschränkung demokratischer Rechte.
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Unierte
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Unierte. Bezeichnet im soe. u. osteurop. Raum Christen, die als Mitglieder der sog. griechisch-katholischen Kirchen den Jurisdiktionsprimat des Bf.s v. Rom anerkennen, aber ostkirchliche liturgische Riten verwenden u. einem eigenen Kirchenrecht unterstehen (seit 18.10.1990 dem Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium). Während die Eroberung weiter Teile des byz. Reiches durch Kreuzfahrer (→Kreuzzüge) u. Venezianer (→Venezianisches Überseereich) nach 1204 nur zu einer meist erzwungenen u. deshalb nicht dauerhaften Kirchengemeinschaft zw. röm. Katholiken u. Orthodoxen führte (vgl. →Kreta, →Zypern), gelang es der röm.-kath. Kirche ab dem späten 16. Jh. zunächst in den poln. bzw. ung. Teilgebieten der heutigen Ukraine (1595/1596 Union v. Brest-Litowsk, 1646 Union v. Užhorod; →Karpato-Ukraine), größere Teile der orth. Hierarchie u. Bev. für eine Union, d. h. für die Herstellung voller Gemeinschaft unter Anerkennung des päpstlichen Jurisdiktionsprimates, zu gewinnen. Im Gegenzug konzedierte Rom den U.n den Erhalt ihres meist byz. Ritus, ihrer Hierarchie, mancher v. der lat. Kirche abweichenden Gebräuche (v. a. der Priesterehe) u. eine Verbesserung ihrer ges. u. rechtl. Situation. Bereits am 19.11.1611 hatte der im Kloster Marča bei Ivanićgrad (in der Nähe v. Zagreb) residierende Bf. der Orthodoxen (Serben) Kroatiens, Simeon Vratanja, in Rom die Union vollzogen (a. →Konvertiten). Während die Union im Gebiet v. Ivanićgrad 1739 mit der Zerstörung v. Marča durch orth. Gläubige endete, hielt sie sich im Gebiet des Žumberak (im Bereich →Militärgrenze, südwestl. v. Zagreb, dt.: Sichelburger Distrikt) u. in →Slawonien. Am 17.6.1777 errichtete Pius VI. für alle U.n Kroatiens die Diözese Križevci (Kreutz), der
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Unierte / Unitarier
nach 1919 alle U.n in Jugoslawien einschließlich der seit 1856 für die Union gewonnenen Makedonier unterstellt wurden (derzeit ca. 60.000 Gläubige). Ihren größten Erfolg erzielten die Unionsbestrebungen in SOE, als der rum. orth. Klerus →Siebenbürgens unter Bischof Atanasie Anghel auf Synoden in Alba Julia (7.10.1698 u. 5.9.1700) die Kirchengemeinschaft mit Rom u. der lat. Kirche Ungarns herstellte. Der Bischof der unierten Rumänen residierte ab 1738 in Blaj/Blasendorf u. wurde 1853 zum Metropoliten mit Jurisdiktion über die Bischöfe v. Oradea Mare/Großwardein, Gherla u. Lugoj erhoben. Im Herbst 1948 wurde die unierte Kirche vom komm. Regime gewaltsam der orth. Kirche Rumäniens eingegliedert (damals 1,5 Mio. U.), doch seit 1989 bildete sie sich neu. Für die U.n. Ungarns (1974 269.000 Gläubige) schufen Pius X. u. Pius XI. 1912 u. 1923 die Diözese Hajdudorog (Bischofssitz in Nyiregyháza) u. das apostolische →Exarchat Miskolc. Aus der Unionsbewegung in Makedonien (seit 1856) entwickelte sich das 1926 errichtete apostolische Exarchat für die U.n Bulgariens, das die komm. Repression intakt überstand u. derzeit 10.000 Gläubige in 25 Pfarreien umfasst. Für die unierten Griechen gründete Pius X. am 11.6.1911 ein apostolisches Exarchat, das 1922 v. Konstantinopel nach Athen verlegt wurde (ca. 3.000 Gläubige). Quellen u. Lit.: N. Bocşan/I. Cârja, Die Rumänische Unierte Kirche am Ersten Vatikanischen Konzil. Frankfurt/M. u. a. 2013; A. Mykhaleyko, Die katholischen Ostkirchen. Göttingen 2012; Quellen zur Geschichte der Kirchenunionen des 16. bis 18. Jh.s. Erläutert E.Chr. Suttner; Übers. der lat. Quellentexte K. Zelzer/M. Zelzer. Freiburg 2010; Konfessionelle Identität u. Nationsbildung. Die griechisch-katholischen Kirchen in Ostmittel- u. Südosteuropa im 19. u. 20. Jh. Hgg. H.-Chr. Maner/N. Spannenberger. Stuttgart 2007; M. Basarab, Die Problematik der unierten Kirche aus orthodoxer Sicht, Orthodoxes Forum 12 (1998), H. 1, 21–50; N. Ikić, Der Begriff „Union“ im Entstehungsprozeß der unierten Diözese von Marča (Križevci). St. Ottilien 1989; M. Lacko, Unionsbewegungen im slavischen Raum u. in Rumänien, in: Handbuch der Ostkirchenkunde. Bd. 1. Hg. W. Nyssen/H.-J. Schulz/P. Wiertz. Düsseldorf 1984, 269–286; R. Grulich, Die unierte Kirche in Mazedonien. Würzburg 1977; Sacra Congregazione per le Chiese Orientali: Oriente Cattolico. Cenni storici e statistiche. Città del Vaticano 1974; W. de Vries u. a., Rom u. die Patriarchate des Ostens. Freiburg/Br. u. a. 1963. K.-P. T.
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Unitarier (a. Antitrinitarier, Socinianer). Aus der Erneuerung altkirchlicher Häresien (Arius) im 16. Jh. entstanden (Fausto Sozzini), seit 1565 in Polen bekannt; die Bewegung übte Anziehungskraft auf humanistisch Gebildete aus, ebenso im Fsm. →Siebenbürgen (1568 anerkannte Gemeindegründung; →Häresien). Die strukturelle Festigung erfolgte durch den Rakower Katechismus (1605). Die poln. Gemeinden wurden nach 1627 vernichtet, Flucht der Anhänger z. T. nach Siebenbürgen, z. T. nach Frankreich u. England (Einfluss auf Deismus). Die Kirchenorganisation u. Anerkennung ist in Siebenbürgen gelungen (Bf. in Klausenburg); die U. blieben auch unter Habsburg anerkannt bzw. geduldet; die Gottesdienstsprache war weithin Ungarisch. Nach der Volkszählung v. 1900 im Kgr. Ungarn rund 70.000 Angehörige, eigene Fakultät am Theol. Institut in Klausenburg mit 3 Professoren, derzeit in Rumänien etwa 60.000 Mitglieder, wobei die Entkirchlichung besonders hoch ist.
Unitarier / Universitäten
Seit dem 18. Jh. Begriffserweiterung auf unterschiedliche liberal-prot. u. freirelig.-pantheistische Gruppen in Europa, USA u. Afrika; Dachverband in Boston mit rund 400.000 über verschiedene Gruppen erfassten U. Grundlegende Lehraussagen: Vaterschaft Gottes, Bruderschaft der Menschen, Führerschaft Jesu, Erlösung durch Lebensführung, Fortschritt der Menschheit. – In Rumänien besteht weiterhin die herkömmliche Zusammenarbeit mit den prot. Kirchen (a. →Reformation). Lit. (a. →Häresien): Radikale Reformation. Die Unitarier in Siebenbürgen. Hgg. J. Brandt/A.F. Balog U.A. Wien. Köln u. a. 2013; J. Kénosi Tőzsér/I. Uzoni Fosztó, Az Erdélyi Unitárius Egyház története. Hg. A. Márkos. Kolozsvár 2009; L. Smith, The Unitarians. A short history. Providence/RI 2008; Ungarländische Antitrinitarier. 2Bde. (Bd. 2: J. Káldos.) Baden-Baden 1990/93; J. Erdö, Transsylvanian Unitarian Church. Chico/CA 1990; E. Wilbur, A History of Unitarianism in Transylvania, England and America. Cambridge/MA 1952. G. R.
Universitäten. Den Anstoß zur Entwicklung der U. als Stätten säkularer u. kritischer Gelehrsamkeit gibt der Humanismus, der in Ungarn drei U. entstehen läßt: in Fünfkirchen 1367–1378/1526, Ofen 1395–1414/18 u. Pressburg 1465/67–1490. Während der Aufstieg des →Osm. Reiches die Entfaltung des U.lebens verhindert, bewirkt die →Gegenreformation in den Habsburgerländern die Gründung neuer U., die auch nach Südosten ausstrahlen: Die Jesuiten-U. in Graz 1585–1782 u. in Tyrnau 1635–1777. Den Aufstieg der U. zu öffentlichen u. breitgefächerten Bildungsstätten (→Bildungswesen) löste innerhalb des Karpatenbeckens allerdings erst die Verbürgerlichung der Gesellschaft u. des Staates aus. In einer ersten Phase kam es zur Reorganisation bestehender Institutionen: 1777 Verlegung der U. von Tyrnau nach Ofen, 1784 nach Pest (→Budapest). In einer zweiten Phase erfolgten Neugründungen oder weitere Adaptionen: 1784 in Lemberg, 1872 in Klausenburg, 1874 in Agram (→Zagreb), 1875 in →Czernowitz, 1912 in Debrecen u. in →Bratislava/Pressburg. In den übrigen Ländern gab es mangels Rahmenbedingungen vor der →Nationalstaatenbildung keine U., weshalb nur ausländische Institutionen zur Wahl standen (→Studentenmigration). Am frühesten kam es zur Neugründung in →Athen (1837), hierauf auch in →Iaşi (1860) u. →Bukarest (1864), in →Istanbul (1900), in →Sofia (1904) u. in →Belgrad (1905). Bis 1944 erweiterte sich das Netz nur unmaßgeblich, weil der innere Ausbau Zeit, Geld u. Personal beanspruchte. Hinzu kamen die U. in →Ljubljana/Laibach 1921, in Fünfkirchen 1923 u. in →Saloniki 1926. Eine neue Wende in der Geschichte der U. führte erst die Bildungspolitik der sozialist. Regime bzw. der steigende Bedarf im Zeitalter der forcierten Industrialisierung u. Modernisierung herbei. Daraufhin kam es nicht nur zu weiteren Gründungen (z. B. in →Tirana 1957), zu Auffächerungen oder zu Rangerhebungen in den Hauptstädten, sondern es wurde nun auch eine Reihe v. Subzentren mit U. ausgestattet. Daneben entstanden eine Fülle ergänzender Hochschuleinrichtungen auf den Gebieten der Technik, der Agronomie, des Veterinärwesens, der Wirtschaftswissenschaften sowie der Kunst. Während sich die Organisationsstrukturen in der Zeit bis 1944 wesentlich an zentral- oder westeurop. Mustern
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Universitäten / Urbanisierung
orientierten, richteten sie sich ab 1944 in den sozialist. Ländern nach dem sowj. Vorbild: die U. waren vorrangig in der Lehre tätig, während die Forschung an den →Akademien konzentriert war. Infolge der pol. Veränderungen seit 1989/90 haben Reformen eingesetzt, die das Ziel haben, die U. als Lehr- u. Forschungseinrichtungen neu zu organisieren. Lit.: Universities and Elite Formation in Central, Eastern and Southeastern Europe. Hgg. F. Bieber/H. Heppner. Münster, Wien 2015; Universitäten in Zeiten des Umbruchs. Fallstudien über das mittlere u. östliche Europa im 20. Jh. Hgg. H. Heppner/E. Schübl. Wien, Berlin 2011; G.K. Karakōstas, König Otto, die Otto-Universität u. ihre juristische Fakultät. Athen u. a. 2007; A. Berciu-Drăghicescu/O. Bozgan, O istorie a Universităţii din Bucureşti, 1864–2004. Bucureşti 2004; Südosteuropa-Handbuch. 8 Bde. Hg. K.-D. Grothusen. Göttingen 1975–1998; Geschichte der Universität in Europa. W. Rüegg. 4 Bde. München 1993–2010; T. Vetter, Die Entwicklung des Universitätswesens in der Habsburgermonarchie 1815–1918, Études danubiennes 2 (1987), H. 3, 97–115; Wegenetz europäischen Geistes. Wissenschaftszentren u. geistige Wechselbeziehungen zwischen Mittel- u. Südosteuropa vom Ende des 18. Jh.s bis zum Ersten Weltkrieg. Hgg. R.G. Plaschka/K. Mack. München 1983; K. Zormbala, Die Gründung der Athener Universität 1837 durch die Bayern – nach welchem „deutschen“ Modell?, in: Einsamkeit u. Freiheit. Idee u. Gestalt der deutschen Universität u. ihrer Reformen. Hg. H. Schelsky. Düsseldorf 2 1970, 268–273; A pécsi egyetem történetéből. Jubileumi tanulmányok. Hg. A. Csismadia. Pécs 1967; A.L. Gabriel, The medieval universities of Pécs and Pozsony. Commemoration of the 500. and 600. anniversary of their foundation 1367–1467–1967. Frankfurt/M. 1969; H. Schönebaum, Die ungarischen Universitäten im Mittelalter, Archiv f. Kulturgeschichte 16 (1925), 41–59; M. Császár, Az Academia Istropolitana, Mátyás király pozsonyi egyeteme. Oklevéltárral. Pozsony 1914. H. He.
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Urbanisierung. Eine U. im modernen Sinne (auf räumlich-demographischer Ebene eine absolute Ausdehnung/Vergrößerung v. Städten nach Fläche u. Zahl der Siedlungen bzw. nach Einwohnern u. relativ im Verhältnis zur Zahl der ländlichen Siedlungen u. zum Anteil der Dorfbev. an der Bevölkerungsstruktur; dazu auf sozioökon. Ebene eine Ausbreitung u. Verallgemeinerung des urbanen Wirtschafts- u. Verhaltenswesens in den Städten selbst wie auch in ihrem Umland) – hat es für große Teile SOEs bis in die 1950er Jahre nicht gegeben. Durch hist. bedingte unterschiedliche politisch-wirt. Voraussetzungen u. Verhältnisse (vgl. →Balkan, Balkanländer; →Südosteuropa; →Stadt, Stadttypen; →Modernisierung; →Industrialisierung; →Bürgertum; →Arbeiter) war die Geschichte der U. in SOE von großen regionalen Ungleichheiten u. Diskontinuitäten geprägt. Verglichen mit West- u. Mitteleuropa kann von ihr bis Anfang des 20. Jh.s nur im Falle einiger soe. Regionen der →Habsburgermonarchie sowie der einzelnen Staats- bzw. Regionalhauptstädte gesprochen werden. Wichtige Impulse für die Entwicklung des Städtenetzes in SOE kamen in diesen Fällen v. der durch Reformen (vgl. →Reformzeitalter; →Tanzimat) erstarkten pol. u. wirt. Rolle der überregionalen bzw. regionalen Zentren (vgl. → Athen; →Belgrad; →Budapest; →Bukarest; →Chişinău; →Czernowitz; →Iaşi; →Ljubljana; →Saloniki; →Sarajevo; →Sofia; →Zagreb), v. einer
Urbanisierung
allmählich einsetzenden →Industrialisierung, der Rohstoffförderung, einer Internationalisierung des Handels sowie dem Aufbau des Eisenbahnnetzes (→Verkehr). Anfang des 20. Jh.s war Budapest mit seiner 1869–1910 von rd. 300.000 auf ca. 900.000 angewachsenen Einwohnerzahl die größte Stadt SOEs, gefolgt von Bukarest mit 350.000 E (1914). Beide stellten damit Anfang des 20. Jh.s je weit über 40 % der Stadtbev. Ungarns bzw. Rumäniens u. übertrafen bei weitem die Größe u. Bedeutung anderer Zentren SOEs (mit Ausnahme der osm. Reichshauptstadt →Istanbul), die nur durchschnittlich 60.000 E vorweisen konnten. Im Falle der soe. Regionen der Habsburgermonarchie, der Moldau u. der Walachei sowie Bessarabiens kann der Prozess der U. im 19. Jh. als kontinuierlich gelten. Im Gegensatz dazu ist in Bezug auf die europ. Regionen des ehem. Osm. Reiches von einer De-Urbanisierung im Zuge der →Nationalstaatengründungen zu sprechen. Stellte der Anteil der Stadt- an der Gesamtbev. in den von den Osmanen kontrollierten Regionen auf dem Balkan um 1800 Schätzungen zufolge 15–20 % dar, ging er bis Mitte des 19. Jh.s auf unter 10 % zurück. Eine Hauptursache lag im Exodus der urbanen musl. Bevölkerung im Zuge der Aufstände u. →Befreiungskriege bzw. im Gefolge der territ. Ausdehnung der neuen Balkanstaaten durch die etappenweise Auflösung der osm. Verwaltung, der osm. Garnisonen u. durch den vorübergehenden Niedergang des Handels. Für Serbien u. Griechenland ist dieses Phänomen vorrangig in die 1790er–1830er Jahre einzuordnen, für Montenegro, Bulgarien u. Bosnien-Herzegowina in die 1860/70er Jahre, für Makedonien u. (in ökon. Hinsicht) Albanien in den Anfang des 20. Jh.s. Andererseits trugen Ende des 19. Jh.s u. insbesondere in den ersten Jahrzehnten des 20. Jh.s weitere →Zwangsmigrationen zu einem schnellen Anwachsen der Bevölkerungszahl u. der Änderung der ethn. Zusammensetzung der Stadtbev. auf dem Balkan bei. In den 1920er Jahren wurde zum Beispiel →Athen zum Ansiedlungsziel von gr. Flüchtlingen aus Kleinasien u. Ostthrakien (→Lausanne, Vertrag v.), die komplette neue Stadtteile gründeten. Im Zuge der Bevölkerungsbewegungen während des 1. u. 2. →Wk.s u. durch den →Holocaust veränderte sich die ethn. Zusammensetzung der soe. Stadtbev. weiter u. fast durchweg zu Gunsten der politisch dominanten ethn. Gruppe, indem sich die Zahl der Angehörigen vieler für die soe. Städte traditionellen ethn. Gruppen (→Deutsche, Juden [→Aschkenasim; →Sephardim], →Türken) unumkehrbar verringerte. Als Teil der ‚Nationalisierung’ des Städtelebens wandelte sich vielfach auch das äußere Erscheinungsbild durch Änderung der Stadt- u. Straßennamen, Errichtung von nationalen Denkmälern, von Bildungs-, Forschungs- u. Kulturanstalten (vgl. →Universitäten, →Akademien), sowie von neuen (nationaltypisierten u. westeurop.) architektonischen Elementen (→Nationsbildung). Zum anderen verloren viele regionale Zentren SOEs infolge der Änderung der pol. Landkarte zw. etwa 1850 u. 1920 viel von ihrer früheren Bedeutung. Dies lässt sich in erster Linie durch die Zerstörung der hist. gewachsenen Verkehrsinfrastruktur u. mit Blick auf eine vorherige wirt. Spezialisierung der ehem. habsb. u. auch osm. Städte erklären. Bezogen auf Ortschaften mit einer Bevölkerungszahl v. über 2.000 E stieg der Anteil der Stadtbev. in den Regionen des ehemaligen Osm. Reiches u. in den Peripheriegebieten der Habsburgermonarchie von Mitte des 19. Jh.s bis Anfang des 20. Jh.s nur sehr langsam an: in Nordbulgarien von ca. 16,5 % (1866) auf ca. 19 % (1910), in Serbien von 7 % (1863) auf ca. 14 % (1910), in Montenegro von ca. 6,5 % (1881) auf 9 % (1911), in Griechenland von 15,5 %
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(1853) auf 24 % (1907). In einigen vormals osm. Regionen fiel er sogar aus den beschriebenen Ursachen zurück: in Bosnien-Herzegowina von 18 % (1864) auf 13 % (1910), in Ostrumelien von 22,5 % (1884) auf 21,5 % (1910). Überdurchschnittlich stieg der urbane Bev.anteil dagegen im hist. Ungarn (insbesondere in der Budapester Agglomeration u. den slowak. Bergbaustädten [→Oberungarn; →Zips]) u. in einigen Regionen Rumäniens (Bukarest, Ölfördergebiete) an. Auch in den folgenden vier Jahrzehnten wuchs der Anteil in SOE indessen insges. langsamer als in Mittel- u. Westeuropa. Von der Schwäche der U. in SOE bis 1945 spricht auch die Tatsache, dass die meisten offiziell als Städte gezählten Siedlungen weniger als 10.000 E hatten, die überwiegende Mehrheit der Städte noch keine typische urbane Architektur u. Infrastruktur besaß u. v. a., dass die Mehrheit der soe. städt. Bev. noch in der Landwirtschaft u. im Handwerk tätig war (vgl. →Arbeiter, →Industrialisierung). Damit war die U. in SOE in ihrer ersten Phase kein qualitativer, sondern primär ein quantitativer Prozess auf der räumlich-demographischen Ebene (vgl. →Stadttypen [Überblick]). 1930 lag der Anteil der Siedlungen mit einer Bevölkerungszahl von über 20.000 E bei 27 % in Griechenland, 13 % in Rumänien, 12 % in Bulgarien, 9,5 % in Jugoslawien u. 1950 bei 11 % in Albanien, 12 % in Jugoslawien, 12,5 % in der Slowakei, 18 % in Rumänien, 19 % in Bulgarien u. 30 % in Griechenland u. Ungarn. Der größte Anteil der urbanen Bev. entfiel dabei auf die Hauptstädte. Obwohl sich die Verstädterung im Balkanraum in bescheidenen Grenzen hielt, lebte das in osm. Zeit gewachsene Misstrauen gegen die „fremden“ (multiethn.) Städte als Zentren der pol. Macht auch in postosm. Zeit fort. Die wenigen Haupt- u. Großstädte galten als Motor eines Wandels, der in großen Teilen der Bev. auf Ablehnung stieß (→Nationalismus). Wann immer die Bauern v. Ideologen als „Kern“ u. „reinster“ Teil der Nation verklärt wurden, fiel die Städtefeindschaft seit Ende des 19. Jh.s auf fruchtbaren Boden (a. →Populismus). Zu einer ausgeprägten U. kam es in SOE erst nach dem 2. Wk. Dazu trugen (ausgenommen →Griechenland) mehrere Transformationsfaktoren nach sowj. Muster bei, insbesondere die bevorzugte Förderung der Schwerindustrie (→Industrialisierung), die Kollektivierung (→Bodenreformen) u. Mechanisierung der Landwirtschaft. Im Rahmen der neuen Wirtschaftspolitik wurde die U. durch Maßnahmen der Staatsmacht gezielt gefördert, v. a. durch Gründung v. neuen Industriezentren (der sog. sozialist. Städte), Investitionen in Infrastruktur u. Wohnungsbau sowie durch den Ausbau des Netzes an Kultur-, Bildungsu. Forschungseinrichtungen. Städteerweiterungen erfolgten damit im wesentlichen durch den raschen Zuzug ländlicher Bev. u. nicht durch eine stufenweise Suburbanisierung. In vielen wichtigen Industriezentren entstanden so in den 1970er u. 1980er Jahren zahlreiche ‚Arbeiterviertel‘, derer Einwohnerzahl nicht selten 50.000 übertraf. Die U.spolitik war auch Bestandteil der Parteiideologie, indem die Stadt als Erfolgsmodell der sozialist. →Modernisierung dienen sollte. Da der Grad an U. als eines der wichtigsten Kriterien zur Bestimmung des ges. u. ökon. Entwicklungsniveaus angesehen wurde, erhielten auch viele ländliche Ortschaften, in denen eigentliche Stadtfunktionen nur in begrenztem Maße entwickelt waren, den Stadtstatus verliehen. Zur formalen Steigerung des Anteils der urbanen Bev. trug auch die Eingliederung vieler Dorfgemeinden des Umlands in die nahen Städte bei. Die forcierte U. wurde damit in allen sozialist. soe. Ländern Teil einer konsequenten ‚Siedlungsnetzent-
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wicklungs- u. Systematisierungspolitik‘, deren Folge auch die Vernichtung von hist. gewachsenen Stadtvierteln oder von trad. ländlichen Siedlungsformen war. Zur einfacheren Hierarchisierung der städt. Siedlungen nach Einwohnerzahl u. politisch-wirt. Bedeutung wurde im Laufe der Zeit eine immer komplexere Terminologie entwickelt. So tauchen im damaligen amtlichen Sprachgebrauch außer ‚Stadt‘ auch Bezeichnungen wie ‚Kleinstadt‘, ‚Siedlung städtischen Typus‘, ‚Munizipium‘, ‚urbane Agglomeration‘ usw. auf. Die Entwicklungen nach 1945 schlugen sich in der Zahl der Städte wie im Anteil der Stadtbev. nieder: Laut amtlichen Statistiken wuchs in Bulgarien allein 1946–1971 die Zahl der offiziell als Städte oder stadtartig geltenden Siedlungen von 105 auf 214, in Jugoslawien von 124 (1953) auf 497 (1971), in Ungarn von 54 (1949) auf 166 (1990), in Rumänien von 173 (1956) auf 260 (1991), in der Slowakei von 67 (1950, Siedlungen mit über 5.000 E) auf 135 (1991), in der Republik Moldau von 25 (1940) auf 69 (1991), in Albanien von 22 (1945) auf 47 (1990). Der Anteil der urbanen an der Gesamtbev. stieg in Bulgarien von 25 % (1946) auf 65 % (1985), in Ungarn von 37 % (1949) auf 62 % (1990), in der Slowakei von 26 % (1950) auf 56 % (1991), in Rumänien von 23,5 % (1948) auf 55 % (1989), in Jugoslawien von 30 % (1953) auf 50 % (1991), in Albanien von 20,5 % (1950) auf 35,5 % (1989) u. in der Republik Moldau von 17 % (1950) auf 47 % (1991). Bei aller Skepsis gegenüber den offiziellen Statistiken der sozialist. Zeit dokumentieren sie doch reale Fortschritte auf dem Weg der U. SOEs. Gleichzeitig gab es dort auch während des Sozialismus beträchtliche überregionale u. regionale Unterschiede in Tempo u. Grad der U., Folge sowohl hist. gewachsener regionaler Unterentwicklungen als auch einer seit den 1960er Jahren allmählich aufkommenden inner- u. zwischenstaatlichen wirt. Spezialisierung. Dabei stieg der U.sgrad am schnellsten in den am meisten industrialisierten Regionen. So konnten Teilbereiche Sloweniens u. Kroatiens wie auch die Großregion Budapest einen U.sgrad aufweisen, der sich mit Verhältnissen etwa in Österreich vergleichen ließ. Hingegen lag er selbst Ende der 1980er in Albanien, in Kosovo, Zentral- u. Südserbien, in der walachischen Tiefebene (ausgenommen die Region Bukarest), in der Ostslowakei, im Süden der Republik Moldau u. in Teilen Bulgariens noch unter 30 %. Eine wichtige negative Folge der forcierten U. in SOE (wie auch in den anderen sozialist. Ländern Osteuropas u. in der UdSSR) waren die immer größeren Unterschiede hinsichtlich Infrastruktur u. Dienstleistungsangebot zw. ländlichen u. städt. Siedlungen ebenso wie zw. den Groß- u. den Kleinstädten. Ein aussagekräftiges Merkmal bietet das einwohnermäßige Übergewicht der Hauptstädte sowie weniger regionaler Zentren, trotz der für sie in manchen Ländern seit den 1970er Jahren geltenden Zuwanderungsbeschränkungen (Ungarn, Rumänien, Republik Moldau, Albanien). Diese Agglomerationsbildung fand im stark geänderten pol. u. wirt. Rahmen nach 1990 ihre zum Teil noch beschleunigte Fortsetzung. Die deutlichsten negativen Folgen des Übergangs von der Plan- zur Marktwirtschaft gab es bei den Klein- u. Mittelstädten, aber auch bei Großstädten mit ökon. Monostruktur (Schwerindustrie, Bergbau, chemische Industrie), in denen die Schließung der meist unrentablen Betriebe Massenarbeitslosigkeit u. damit auch massive Abwanderung auslöste. Die Wohnviertel u. die Infrastruktur in vielen dieser Städte, insbesondere in denjenigen an der staatlichen Peripherie, befanden sich Ende des 20. Jh.s in einem schlechten Zustand. Viele Zentren wiesen dagegen weiterhin einen Einwoh-
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nerzuwachs auf (alle Hauptstädte, dazu die regionalen Zentren v. a. in Slowenien, Kroatien, Westungarn, Westrumänien, Albanien). Dazu trugen die zunehmenden ausländischen Investitionen ebenso wie die stark erhöhte Zahl der Studierenden (→Universitäten) bei. Nach der Bevölkerungszahl sind die soe. Hauptstädte zu Beginn des 21. Jh.s wie folgt einzuteilen: bis 500.000 E: Bratislava, Sarajevo, Ljubljana, Podgorica, Prishtinë/Priština; 500.000–1. Mio.: Chişinău, Skopje, Tirana; 1–1,5 Mio.: Sofia, Zagreb; 1,5–2 Mio.: Belgrad; 2–2,5 Mio.: Agglomeration Budapest (die Stadt B.: ca. 1,9 Mio); Agglomeration Bukarest (Stadt B.: ca. 1,9 Mio.); über 3,5 Mio.: Agglomeration Athen (die engere Stadt ca. 730.000, 2011: 664.000 E). Nach der Größe der wichtigsten regionalen Zentren gibt es in SOE drei Länderkategorien: 1. bis 75.000 E: Slowenien (Ausnahme Maribor), Montenegro; 2. 75.–150.000: Slowakei (Ausnahme Košice), Makedonien, Republik Moldau, Albanien, Kosovo; 3. 150.–350.000: Griechenland (Ausnahme Agglomeration Thessaloniki, ca. 1 Mio. E), Rumänien, Ungarn, Bulgarien, Serbien, Kroatien. Lit. (a. → Stadt, Stadttypen [Überblick]): Urbanisierung u. Stadtentwicklung in Südosteuropa vom 19. bis 21. Jh. Hgg. Th. M. Bohn/M.-J. Calic. München 2010; M. Palairet, The Balkan Economies c. 1800–1914. Evolution without Development. Cambridge 1997; Städte u. Städtesysteme in Mittel- u. Südosteuropa. Tschechische Republik, Slowakei, Ungarn, Rumänien. Hgg. A. Mayr/F.-D. Grimm. Leipzig 1996; Hauptstädte in Südosteuropa. Geschichte – Funktion – Nationale Symbolkraft. Hg. H. Heppner. Wien u. a. 1994; D. M. Smith, Urban Inequality under Socialism. Case Studies from Eastern Europe and the Soviet Union. Cambridge u. a. 1989; Zentrale Städte u. ihr Umland. Wechselwirkungen während der Industrialisierungsperiode in Mitteleuropa. Hgg. M. Glettler u. a. St. Katharinen 1985; Stadtentwicklungen in West- u. Osteuropa. Hg. J. Friedrichs. Berlin, New York 1985; P. Ronnås, Urbanization in Romania. A Geography of Social and Economic Change since Independence. Stockholm 1984; V. Macura, Čaršija i gradski centar. Razvoj središta varoši i grada u Srbiji XIX i prve polovine XX veka. Niš, Kragujevac 1984; Die Städte Mitteleuropas im 19. Jh. Hg. W. Rausch. Linz 1983; Urban Europe. A Study of Growth and Decline. Hg. L. van den Berg. Oxford u. a. 1982; Südosteuropa-Handbuch. Bde. I–VIII. Hg. K.D. Grothusen. Göttingen 1975–1998; Die Stadt in Südosteuropa. Struktur u. Geschichte. Hg. W. Althammer. München 1968; H. Günther, Die Verstädterung in Jugoslawien. Wiesbaden 1966; B. Maksimović, Urbanizam u Srbiji. Osnivanje i rekonstrukcija varoši u 19. veku. Beograd 21962. F. S.
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Urbar(ialregulierung). Ursprünglich wurde mit Urbar ein Grundstück bezeichnet; seit dem MA im übertragenen Sinn das rechtsgültige Verzeichnis der Grundstücke eines Grundherrn mit allen darauf ruhenden Lasten, Rechten u. Einkünften, wodurch U. allmählich die Bedeutung eines Grundbuchs u. Katasters angenommen hat. Bis zum 19. Jh. lassen sich vier Gruppen v. Ansprüchen des Grundherrn an die →Bauern seiner Grundherrschaft unterscheiden: Arbeitsleistungen (Robot), Naturalabgaben, Geldzahlungen, Bann- u. Vorkaufsrechte (a. →Feudalismus). Bereits im 17. Jh. suchte der Wiener Hof die zwangsweise Ausdehnung der Dominikalgründe auf Kosten der Rustikalgründe (Bauerngründe) u. damit das Abstiften der Bauern einzudämmen. Doch erst die v. physiokratischen Überlegungen
Urbar(ialregulierung)
geleiteten Reformen Maria Theresias u. Josephs II. (→Josephinismus) trugen wesentlich zur Verbesserung der rechtl. u. sozioökon. Lage der Bauern u. damit zur Beseitigung der soz. Spannungen bei. Nachdem Maria Theresia bereits 1751 die Grundsteuerfreiheit der Dominikalgründe aufgehoben hatte, richtete sie 1771 eine Urbarialhofkommission ein, deren Aufgabe es war, die Lasten der Untertanen zu erheben u. je nach Ergebnis diese zu bestätigen oder abzuändern, bzw. ein Maximum derselben zu normieren. Dieser als U.-Regulierung bezeichnete Prozess nahm 1755 in Kroatien seinen Anfang, erfasste 1767 Ungarn u. nach 1771 die österr. Erbländer u. Böhmen, zuletzt 1785 Galizien. Er trennte u. definierte durch Anlage v. Kataster Dominikal- vom Rustikalgrund, reduzierte die Robot auf das Maximum v. 3 (vielerorts auch auf nur 2) Tage in der Woche u. setzte das Ausmaß der bäuerl. Leistungen an den Grundherrn fest. Mehrere in den 1770er Jahren erlassene Patente (Gesetze) begünstigten die Ablösung der Robot u. die Umwandlung der Naturalabgaben in Geldleistungen, verboten das Abstiften u. hoben das Vorkaufsrecht der Grundherrn auf die Produkte ihrer Untertanen auf. Die Urbarialreform Josephs II. hat die Grundherrschaft weitgehend aus der alten Feudalverfassung gelöst u. in ein System kapitalistischer Rentenwirtschaft überführt. Diesem Zweck dienten die 1781 erlassenen Patente zur Aufhebung der Leibeigenschaft (→Sklaverei, Leibeigenschaft), zum Schutz des Untertanen u. zur Kontrolle der beim Grundherrn verbliebenen Patrimonialgerichtsbarkeit durch den Staat in Gestalt der bereits 1753 geschaffenen Kreisämter. Mit dem Patent vom 10.2.1789 bestimmte der Kaiser, dass dem Untertan 70 % des Bruttoertrags seiner Hofwirtschaft verbleiben müsse. Dieses Patent wurde jedoch 1791 wieder außer Kraft gesetzt u. bis zur endgültigen →Bauernbefreiung i. J. 1848 beschränkte sich die Wiener Regierung darauf, die freiwillige Ablösung der Robot u. der übrigen Lasten durch Geldrenten zu begünstigen. 1785 durchgeführte Erhebungen zeigen neben der gebietsweisen außerordentlichen Unterschiedlichkeit der Grundlasten, dass die Urbariallasten in Niederösterreich u. Innerösterreich 31 % des Bruttobodenertrages ausmachten u. zus. mit der allg. Steuerbelastung Werte v. 40 bis 50 % des Gesamtertrages (bei den Kleinbauern – „Viertellehnern“ jedoch bis zu 67 %) erreichten. Im allg. kann unter dem Aspekt der bäuerlichen Lasten für das Gebiet der Habsburgermonarchie v. einem West-Ost-Gefälle ausgegangen werden, d. h. die Belastung der Bauern war in Tirol am niedrigsten, in Galizien, aber auch in Teilen Ungarns u. Kroatiens am höchsten. Ein wesentliches Motiv der U.ialregulierung war mit der Sicherung des Steueraufkommens durch Beseitigung der Ungleichgewichte eine kontinuierliche Deckung der Staatsausgaben insbesondere für das stehende Heer zu erreichen, unter den Wirkungen ist eine gesteigerte Rechtssicherheit für die Bauern hervorzuheben. Lit.: Z. Gőzsy/G. Seewann, Der Bauernaufstand im Komitat Baranya 1766. Pécs 2015; H. Kekez, Urbarijalna regulacija, katastarski popisi i veličina kmetskih selišta na vlastelinstvu Ribnik krajem 18. stoljeća, Zbornik Odsjeka za povijesne znanosti Zavoda za povijesne i društene znanosti Hrvatske akademije znanosti i umjetnosti 26 (2008),165–194; Die Bauern werden frei: Innerösterreichs Landwirtschaft zwischen Beharren und Modernisierung im frühen 19. Jh. Hg. W. Drobesch. Klagenfurt 2007; J. Barta, A Habsburg jobággypolitika és a magyarországi nemzetiségek, in: Habsburgok
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Uskoken
és Magyarország a XVI.-XVIII. században. Tanulmányok. Hg. ders. Debrecen 1997, 99-110; É.H. Balázs, Hungary and the Habsburgs 1765–1800. An Experiment in Enlightened Absolutism. Budapest 1997; D.F. Good, Der wirtschaftliche Aufstieg des Habsburgerreiches 1750–1914. Wien 1986; E. Bruckmüller, Sozialgeschichte Österreichs. ebd. 1985; R. Sandgruber, Marktökonomie u. Agrarrevolution, in: Ungarn u. Österreich unter Maria Theresia u. Joseph II. Hg. A.M. Drabek. ebd. 1982, 131–146; Von der Glückseligkeit des Staates. Staat, Wirtschaft u. Gesellschaft in Österreich im Zeitalter des aufgeklärten Absolutismus. Hg. H. Matis. Berlin 1981; J. Varga, A jobbágyi földbirtoklás típusai és problémái, 1767–1848. Budapest 1967; L. Revész, Der osteuropäische Bauer. Seine Rechtslage im 17. u. 18. Jh. unter besonderer Berücksichtigung Ungarns. Bern 1964; R. Rozdolski, Die große Steuer- u. Agrarreform Josefs II. Warszawa 1961; Urbáriumok. XVI–XVII. század. Hg. F. Maksay. Budapest 1959. G. S.
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Uskoken (serb./kroat. uskoci; it. uscocchi; vmtl. v. uskočiti „entspringen, entfliehen“). Flüchtlinge aus den v. den Osmanen eroberten südslav. Gebieten, die sich auf habsb. u. venez. Territorium niederließen u. dort Türkenkampf mit Raubzügen verbanden; teilweise wurden sie auch v. den dortigen Behörden bei der Türkenabwehr eingesetzt. Die ersten U. dürften Flüchtlinge aus der →Herzegowina gewesen sein, die sich um 1530 im Bereich der ung. Festung Klis bei Split ansiedelten. Als die Osmanen 1537 Klis eroberten, zogen sich die U. in das habsb. Senj (Zengg) zurück, das fortan ihr Hauptstützpunkt wurde. Sie wurden als halbreguläre Wächter der „Seegräntz“ eingesetzt, wobei sich ihnen allerlei Abenteurer u. auch kriminelle Elemente aus dem venez. Machtbereich – die venturini – anschlossen. Beide Gruppen, die v. Österreich schlecht besoldeten Grenzwächter u. erst recht die Venturini konnten ihren Lebensunterhalt nur bestreiten, wenn sie den Grenzschutz mit einem einträglicheren Gewerbe, dem Seeraub, verbanden. Sie überfielen nicht nur osm. Schiffe u. Küstenorte, sondern auch Schiffe christl. Staaten, mit Vorliebe solche der Venezianer u. Ragusaner (→Duvrovnik/Ragusa). Sowohl Venezianer als auch Ragusaner sahen sich gezwungen, ihre Handelsschiffe zu bewaffnen. Die Venezianer unterhielten zum Schutz ihrer Handelsschiffahrt eine ständige Wachtflotte, die 29 Schiffe umfasste. Trotz dieser Vorsichtsmaßnahmen konnten sie aber der U. nicht Herr werden. Sie konnten nicht einmal verhindern, dass diese venez. Territorium zur Ausgangsbasis für antiosm. Unternehmungen machten. In Friedenszeiten wurden dadurch die venez.-osm. Beziehungen stark belastet. Einen Höhepunkt erreichte die Aktivität der U. 1596, als es ihnen mit päpst. u. span. Unterstützung gelang, Klis zu besetzen. Die Venezianer, die fürchteten, in den →Türkenkrieg des Kaisers (1596–1606) hineingezogen zu werden, beteiligten sich nach der Rückeroberung v. Klis durch die Osmanen an der Verfolgung flüchtiger U., was diesen wiederum einen Vorwand für verstärkte Überfälle auf venez. Schiffe gab. Die Venezianer intervenierten erfolglos beim kaiserlichen Hof u. beim Hofkriegsrat in Graz. Als 1615 eine venez. Galeere v. U. überfallen wurde u. dabei der venez. Generalprovidur für Dalmatien ums Leben kam, belegten die Venezianer die habsb. Adriaküste mit einer Blockade u. besetzten Karlobag. Österr. Truppen u. U. fielen daraufhin in das venez. →Istrien ein. Daraus entwickelte sich der zweijährige Uskokenoder Gradisca-Krieg, der 1617 durch den Frieden v. Paris beendet wurde. Die U. wurden
Uskoken / Ustaše
1618 v. der Küste in das Binnenland (Uskokengebirge bei Žumberak/Sichelburg, Kroatien) umgesiedelt, ihre Schiffe verbrannt. Damit verschwanden die räuberischen Grenzwächter u. Türkenkämpfer, die auch ihre christl. Landsleute im Osm. Reich zu Schutzgeldzahlungen gezwungen hatten, v. der pol. Bühne. Lit.: S. Gigante, Venezia contro gli uscocchi. Venezia e i pirati del mare Adriatico. Vittorio Veneto 2010; İ. Bostan, Adriyatik‘te korsanlık. Osmanlılar, Uskoklar, Venedikliler 1575–1620. İstanbul 2009; D. Roksandić, Triplex Confinium. Ili o granicama i regijama hrvatske povijesti 1500–1800. Zagreb 2003; C.W. Bracewell, The Uskoks of Senj. Piracy, banditry, and holy war in the sixteenth-century Adriatic. Ithaca/N.Y. u. a.1992; B. Hrabak, Vlaška i uskočka kretanja u severnoj Dalmaciji XV veka, Zbornik Benkovački kraj kroz vekove 2 (1988), 107–258; G. Stanojević, Senjski uskoci. Beograd 1973; A.Tenenti, Venezia e i corsari. Bari 1961; R. Eickhoff/E. Eickhoff, Die Uskoken in der Adria. Ein Kapitel südosteuropäischer Seegeschichte, Annales Universitatis Saraviensis. Philosophische Abtlg. (1956) H. 3/4, 196–226; V. Vinaver, Senjski uskoci i Venecija do Kiparskog rata, Istoriski glasnik (1953) H. 3-4, 43–66; J.N. Tomíć, Grad Klis u 1596 godini. Beograd 1908. P. B.
Ustaše (sing. Ustaša, „Aufständischer“). Bezeichnet die Mitglieder der im Januar 1929 vom ehem. Rechtsanwalt Ante Pavelić (1889–1959) als Reaktion auf die Einführung der Königsdiktatur (→Diktaturen) in →Jugoslawien gegründeten „Ustaša-kroatischen Freiheitsbewegung“. Die Ustaša-Bewegung war eine kroatisch-nationalistische Geheimorganisation mit Strukturen u. Ritualen vergleichbar denen älterer national-terroristischer Organisationen auf dem Balkan (wie „Schwarze Hand“ →Vereinigung oder Tod, →IMRO, →Geheimbünde). Sie kämpfte für die Unabhängigkeit eines (groß)kroatischen Staates. Ihre Stützpunkte u. Ausbildungslager hatte sie v. a. in Italien u. Ungarn. Die Verabsolutierung der Nation war der Hauptinhalt des ideologischen Programms der U., u. die Errichtung eines großkroatischen Staates war das zentrale Anliegen, das alle Mitglieder der Organisation vereinte. In vielen anderen politischen, ökonomischen u. sozialen Fragen war die „Bewegung“ relativ heterogen u. spaltete sich in unterschiedliche Gruppierungen auf, die sich teils am it. →Faschismus, teils am Nationalsozialismus, teils an autochthonen populistischen Strömungen orientierten. Die beiden wichtigsten richtungweisenden Dokumente der U. – das Statut u. die „Grundsätze“, die beide während des Exils in den 30er Jahren von Pavelić als Führer (poglavnik) der U. formuliert wurden – legten den bewaffneten Aufstand zur Befreiung Kroatiens vom „fremden Joch“ u. die Schaffung eines selbständigen Staates auf dem „ganzen völkischen u. historischen“ Gebiet der Kroaten als Hauptaufgabe fest. Sie behaupteten die Kontinuität des kroat. Volkes u. seines Siedlungsraums „seit 1400 Jahren“ u. forderten die Errichtung eines unabhängigen Staates, der sich über Kroatien-Slawonien, Dalmatien, Bosnien-Herzegowina, den →Sandschak Novi Pazar, Montenegro, die →Baranya (in ihrem jug. Anteil) u. →Batschka erstrecken sollte u. in dem nur das kroat. Volk, verstanden als biologisch reine, im Bauerntum verwurzelte Nationalgemeinschaft, berechtigt sei zu herrschen. Alle Nicht-Kroaten seien von den Staatsgeschäften auszuschließen, da an diesen
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Ustaše
nur mitwirken dürfe, wer „nach Herkunft u. Blut Mitglied des kroatischen Volkes“ sei. Als Hauptfeinde der U. galten die „serbische Staatsgewalt“, die „internationalen Freimaurer“, die Kommunisten u. die Juden. Im Oktober 1936 ließ Pavelić dem Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß eine Denkschrift übermitteln. Darin werden die Juden als Gegner eines kroatischen Nationalstaats dargestellt, da sie vom „nationalen Chaos“ profitierten. Schon der „Gründer des modernen kroatischen Nationalismus“, Ante Starčević (1823–1896), sei „ein offener Gegner des Judentums“ gewesen. Bis zu ihrer v. Mussolini u. Hitler während des Balkanfeldzugs der „Achsenmächte“ im April 1941 inszenierten „Machtergreifung“ (2. →Wk.) bildeten die U. eine konspirative Organisation, die sich ausdrücklich zu Gewalt u. politischen Attentaten (u. a. Beteiligung an der Ermordnung des jugoslawischen Königs Alexander →Karadjordjević u. des franz. Außenministers Barthou im Okt. 1934 in Marseille) bekannte. „Messer, Revolver, Bombe u. Höllenmaschine“, so Pavelić 1932, „sind die Idole, die dem Bauern die Früchte seines Bodens, dem Arbeiter das Brot u. Kroatien die Freiheit zurückbringen werden.“ Die Zahl der vereidigten U. (im Exil u. in der Heimat) dürfte bis 1941 nie 3000–4000 Personen (darunter Intellektuelle: Studenten, Professoren, Schriftsteller u. Juristen, ehem. k.u.k. Offiziere, Mitglieder kath. Vereinigungen sowie Angehörige soz. Randgruppen) überschritten haben. Zu den prominenten Mitgliedern gehörten neben Pavelić Andrija Artuković, Slavko u. Eugen Dido Kvaternik, Mile Budak, Maks Luburić, Ivo Herenčić u. a. Nach Auffassung Pavelićs u. seiner Gesinnungsgenossen repräsentierte die Ustaša-Organisation den „Willen des kroatischen Volkes“ u. fungierte daher nach „Wiederherstellung“ der staatlichen Souveränität im April 1941 (→Unabhängiger Staat Kroatien) als einzig „legitime u. lebendige Verbindung zw. dem kroatischen Volk u. der Staatsführung“. Ihr Statut u. ihre „Grundsätze“ erlangten 1941 den Rang einer Ersatz-Verfassung. Die am 30.4.1941 von Pavelić erlassenen Rassegesetze („Verordnung über die rassische Zugehörigkeit“ u. „Verordnung zum Schutz des arischen Blutes u. des kroat. Volkes“) orientierten sich an den „Nürnberger Gesetzen“ u. gingen z.T. noch darüber hinaus. Andererseits sahen sie eine „Ehren-Arierschaft“ für Juden vor, die sich um das kroat. Volk verdient gemacht hatten (Pavelić selbst war mit einer Jüdin verheiratet). Während der vierjährigen U.-Herrschaft wurde der ganz überwiegende Teil der im „Unabhängigen Staat Kroatien“ lebenden Juden (zw. 30.000 u. 39.000) ermordet: entweder in kroat. Lagern (allen voran im KZ Jasenovac) oder – nach ihrer Deportation – in deutschen KZs. Eine solide Massenbasis konnten die U. auch nach dem 10. April 1941 – trotz einer anfänglich breiten Schicht von Sympathisanten u. Opportunisten – nicht erlangen. Die territ. Zugeständnisse, die Pavelić seinem langjährigen Unterstützer Mussolini machen musste, die zügellose Willkürherrschaft der U. u. ihr ethnischer Vernichtungsfeldzug gegen Serben u. Juden stießen bei einem zunehmend großen Teil der Bev. auf Ablehnung. Sofern sich die aktiven U. bei Kriegsende nicht ins Ausland absetzen konnten (wie Pavelić, A. Artuković u. a.), fielen sie der Bestrafung u. Vergeltung durch die Tito-Bewegung zum Opfer (→Bürgerkrieg [Jugoslawien]).
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Lit. (a. →Unabhängiger Staat Kroatien): R.H. Dinu, Faschismus, Religion u. Gewalt in Südosteuropa. Die Legion Erzengel Michael u. die Ustaša im historischen Vergleich. Wiesbaden 2013;
Vajda / Vakuf
N. Bartulin, Ideologija nacije i rase. Ustaški režim i politika prema Srbima u Nezavisnoj Državi Hvatskoj 1941–1945, Radovi. Zavod za hrvatsku povijest 39 (2007), 209–242; J.K. Cox, Ante Pavelić and the Ustaša in Croatia, in: Balkan strongmen. Dictators and authoritarian Rulers of South Eastern Europe. Hg. B.J. Fischer. London 2007, 199–238; P. Iuso, Il fascismo e gli Ustascia 1929– 1941. Il separatismo Croato in Italia. Roma 1998; H. Sundhaussen, Der Ustascha-Staat: Anatomie eines Herrschaftssystems, in: Kroatien. Landeskunde – Geschichte – Kultur – Politik – Wirtschaft – Recht. Hgg. N. Budak u. a. Wien 1995 (ÖOH 37/2), 497–533; I. Mužić, Pavelić i Stepinac. Split 1991; J.J. Sadkovich, La composizione degli Ustascia: Una valutazione preliminare, Storia contemporanea 11 (1980), 989–1001; A. Vojnović, Ante Pavelić. Zagreb 1988; B. Krizman, Ante Pavelić i Ustaše. ebd. 1978; F. Jelić-Butić: Ustaše i Nezavisna Država Hrvatska 1941–1945. ebd. 1977. H. S.
Vajda (lat. voivoda; dt. Woivode/Vojvode; aus dem slav. vojevoda, vojvoda, „Heerführer“). Titel des höchsten Würdenträgers v. →Siebenbürgen als eines Sondergebietes des Kgr.s →Ungarn, im MA, zuerst 1199 belegt. Der V. vertrat den Kg. als milit. Befehlshaber, oberster Richter u. Leiter der Verwaltung v. a. in den sieben (ung.) →Komitaten, aber hatte auch Befugnisse betreffs der sonst autonomen u. königsunmittelbaren →Siebenbürger Sachsen u. →Székler. In den Thronwirren um 1300 erlangte V. László Kán fast landesfürstliche Macht, doch nach 1315 vertraten die V.en wieder die Interessen der Krone. Das Amt verschwand im 16. Jh. mit dem Tode des vom V. zum Kg. aufgestiegenen Johann (János) Zapolya (Szapolyai), aber der Titel wurde gelegentlich (z. B. 1552–56) v. kgl. Beamten in Siebenbürgen benutzt. – Der Titel V. wurde unter den jeweiligen Formen von →Vojvode auch v. den rum. Fürsten in den →Donaufürstentümern u. v. Anführern verschiedener Volksgruppen, wie der „vlachi“ (Rumänen), der Serben u. der Zigeuner (Roma), geführt. V. hießen auch Befehlshaber kleinerer Einheiten des milit. Grenzgebietes sowie Beamte der osm. Verwaltung unter dem Sancakbey. Lit.: E. Mályusz, Az erdélyi magyar társadalom a középkorban. Budapest 1988; Gy. Kristó, Különkormáyzat az Árpád-kori Drávátálon és Erdélyben, Történelmi Szemle 1977, 53–72; I. Janits, Az erdélyi vajdák igazságszolgáltató és oklevéladó működése 1526-ig. Budapest 1940. J.M. B.
Vakuf (arab. waqf „Stillstand“). Besitz in Toter Hand, Fromme Stiftung. Bei der Ausgestaltung osm. Städte (→Stadt, Stadttypen: osm.) spielten Stiftungen (Evkaf, Pl. von V.) eine entscheidende Rolle. Das galt einerseits für Bau u. Unterhalt sakraler Einrichtungen (Moscheen, →Derwisch-Konvente, Religionsschulen), andererseits für die Wahrnehmung vieler Aufgaben, die heute v. Staat u. Gemeinde übernommen werden – wie Bau u. Unterhalt v. Krankenhäusern, Wasserleitungen, Kanälen, Brücken, öffentl. Bäder, Armenküchen, Bibliotheken usw. Darüber hinaus waren sie wichtige Akteure im Wirtschaftsleben (Stiftung v. Markthallen, Karawansereien u. Vergabe v. Krediten aus dem Stiftungsvermögen). Um ein V. begründen zu können, muss sein Stifter mündig, im Vollbesitz seiner Verstandeskräfte u. frei sein; er muss bekunden, dass die Stiftung „für alle Zeiten“ gelten soll u. einem Verwalter (mütevelli) übertragen wird. V. a. aber muss der Stifter uneingeschränktes Eigentum an dem zu stiftenden Objekt haben, das er zudem nicht
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Vajda / Vakuf
N. Bartulin, Ideologija nacije i rase. Ustaški režim i politika prema Srbima u Nezavisnoj Državi Hvatskoj 1941–1945, Radovi. Zavod za hrvatsku povijest 39 (2007), 209–242; J.K. Cox, Ante Pavelić and the Ustaša in Croatia, in: Balkan strongmen. Dictators and authoritarian Rulers of South Eastern Europe. Hg. B.J. Fischer. London 2007, 199–238; P. Iuso, Il fascismo e gli Ustascia 1929– 1941. Il separatismo Croato in Italia. Roma 1998; H. Sundhaussen, Der Ustascha-Staat: Anatomie eines Herrschaftssystems, in: Kroatien. Landeskunde – Geschichte – Kultur – Politik – Wirtschaft – Recht. Hgg. N. Budak u. a. Wien 1995 (ÖOH 37/2), 497–533; I. Mužić, Pavelić i Stepinac. Split 1991; J.J. Sadkovich, La composizione degli Ustascia: Una valutazione preliminare, Storia contemporanea 11 (1980), 989–1001; A. Vojnović, Ante Pavelić. Zagreb 1988; B. Krizman, Ante Pavelić i Ustaše. ebd. 1978; F. Jelić-Butić: Ustaše i Nezavisna Država Hrvatska 1941–1945. ebd. 1977. H. S.
Vajda (lat. voivoda; dt. Woivode/Vojvode; aus dem slav. vojevoda, vojvoda, „Heerführer“). Titel des höchsten Würdenträgers v. →Siebenbürgen als eines Sondergebietes des Kgr.s →Ungarn, im MA, zuerst 1199 belegt. Der V. vertrat den Kg. als milit. Befehlshaber, oberster Richter u. Leiter der Verwaltung v. a. in den sieben (ung.) →Komitaten, aber hatte auch Befugnisse betreffs der sonst autonomen u. königsunmittelbaren →Siebenbürger Sachsen u. →Székler. In den Thronwirren um 1300 erlangte V. László Kán fast landesfürstliche Macht, doch nach 1315 vertraten die V.en wieder die Interessen der Krone. Das Amt verschwand im 16. Jh. mit dem Tode des vom V. zum Kg. aufgestiegenen Johann (János) Zapolya (Szapolyai), aber der Titel wurde gelegentlich (z. B. 1552–56) v. kgl. Beamten in Siebenbürgen benutzt. – Der Titel V. wurde unter den jeweiligen Formen von →Vojvode auch v. den rum. Fürsten in den →Donaufürstentümern u. v. Anführern verschiedener Volksgruppen, wie der „vlachi“ (Rumänen), der Serben u. der Zigeuner (Roma), geführt. V. hießen auch Befehlshaber kleinerer Einheiten des milit. Grenzgebietes sowie Beamte der osm. Verwaltung unter dem Sancakbey. Lit.: E. Mályusz, Az erdélyi magyar társadalom a középkorban. Budapest 1988; Gy. Kristó, Különkormáyzat az Árpád-kori Drávátálon és Erdélyben, Történelmi Szemle 1977, 53–72; I. Janits, Az erdélyi vajdák igazságszolgáltató és oklevéladó működése 1526-ig. Budapest 1940. J.M. B.
Vakuf (arab. waqf „Stillstand“). Besitz in Toter Hand, Fromme Stiftung. Bei der Ausgestaltung osm. Städte (→Stadt, Stadttypen: osm.) spielten Stiftungen (Evkaf, Pl. von V.) eine entscheidende Rolle. Das galt einerseits für Bau u. Unterhalt sakraler Einrichtungen (Moscheen, →Derwisch-Konvente, Religionsschulen), andererseits für die Wahrnehmung vieler Aufgaben, die heute v. Staat u. Gemeinde übernommen werden – wie Bau u. Unterhalt v. Krankenhäusern, Wasserleitungen, Kanälen, Brücken, öffentl. Bäder, Armenküchen, Bibliotheken usw. Darüber hinaus waren sie wichtige Akteure im Wirtschaftsleben (Stiftung v. Markthallen, Karawansereien u. Vergabe v. Krediten aus dem Stiftungsvermögen). Um ein V. begründen zu können, muss sein Stifter mündig, im Vollbesitz seiner Verstandeskräfte u. frei sein; er muss bekunden, dass die Stiftung „für alle Zeiten“ gelten soll u. einem Verwalter (mütevelli) übertragen wird. V. a. aber muss der Stifter uneingeschränktes Eigentum an dem zu stiftenden Objekt haben, das er zudem nicht
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Vakuf / Vali
auf unlautere Weise erworben haben darf. Im →Osm. Reich, wo die Hauptmasse des Bodens zur →Miri-Kategorie gehörte, setzte die Umwandlung v. Grund u. Boden in ein V. i. d. R. das Vorhandensein einer Urkunde (temlikname) voraus, worin der Sultan das Stiftungsgut zum →Mülk erklärte, welche Bodenkategorie allein uneingeschränkt in den Besitz der Toten Hand übergehen konnte. – Zu unterscheiden sind zwei Hauptgruppen v. Frommen Stiftungen, relig. oder gemeinnützige u. Familien-V. Letztere dienten vornehmlich dem Zweck, die nach der →Scharia vorgesehene Erbteilung mit der daraus resultierenden Aufsplitterung des Familienbesitzes zu umgehen u. diesen gleichzeitig vor Zugriffen des Staates zu schützen. Verwalter u. Personal einer solchen Stiftung rekrutierten sich dabei gewöhnlich aus der Stifterfamilie selbst, die auf diese Weise ihren Einfluss auf die Geschicke „ihres“ Besitzes zu wahren verstand. Die Bedeutung v. V. für die osm. Gesellschaft, besonders der Städte, lässt sich an den über 2.500 Evkaf ablesen, die während des knappen Jh.s zw. 1456 u. 1551 allein in Istanbul begründet worden sind. – Auch nichtmusl. Untertanen konnten ein V. stiften; das V. Mara Brankovićs zugunsten der →Athos-Klöster Hilandar u. St. Paulus (Mitte des 15. Jh.s) ist das früheste bekannte Beispiel seiner Art. Lit.: M. Dizdar, Sarajevski vakifi i njihovih vakufi 1462.–2001. Od Isa-bega Ishakovića i Gazi Husref-bega do Adil-bega Zulfikarpašića. Sarajevo 2010; Inventory of Ottoman Turkish Documents about Waqf Preserved in the Oriental Department at the St St Cyril and Methodius National Library. Bd. 1: Registers. Hgg. E Radushev/S. Ivanova/R. Kovachev. Sofia 2003; J.R. Barnes, An Introduction to Religious Foundations in the Ottoman Empire. Leiden 1986; Vakufname u Bosni i Hercegovini (XV i XVI vijek). Hg. L. Gazić. Sarajevo 1985; S. Kenderova, Inventory of the documents in Arabic language kept in the Oriental Department of the Cyril and Methodius National Library in Sofia (XIII–XX c.). Sofia 1984; K. Schwarz/H. Kurio, Die Stiftungen des osmanischen Großwesirs Koğa Sinān Pascha (gest. 1596) in Uzunğaova/Bulgarien. Berlin 1983; A. Handžić, Vakuf kao nosilac odredjenih državnih i društvenih funkcija u Osmanskom carstvu, Anali Gazi Husrev-begove biblioteke 9/10 (1983), 113–128; V. Demetriades, Problems of Land-Owning and Population in the Area of Gazi Evrenos Bey’s Wakf, Balkan Studies 22 (1981), 43–57; V. Moutafchieva, Le vakif – un aspect de la structure socio-économique de l’Empire ottoman (XVe–XVIIe s.). Sofia 1981; W.L. Ochsenwald, A Modern Waqf: the Hijaz Railway, Arabian Studies 3 (1976), 1–12; B. Yediyıldız, L’institution du waqf au XVIIIe siècle en Turquie. Étude socio-historique. Paris 1975; H. Kaleši [Kaleshi], Najstariji vakufski dokumenti u Jugoslaviji na arapskom jeziku. Priština 1972; B. Zlatar, Popis vakufa u Bosni u XVI stoljeću, Prilozi za orijentalnu filologiju 20/21 (1970/71), 109–158. M. U.
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Vali (arab. wālī „Leiter“). Neben →Beylerbeyi Amtsbezeichnung für den Gouverneur eines →Eyalet; seit dem 18. Jh. häufig verwendet. Persönlicher Stellvertreter des V. ist der →Kaimakam. So vertrat im westl. Teil des Zentral-→Sancak den V. von →Rumelien (Rumili) sein Kaimakam in der Nebenresidenz Manastir (Bitola), bis dieses spätestens 1836 anstelle v. →Sofia zum Sitz des rumelischen V. avancierte. 1832 kam für bedeutende zivile u. milit. Funktionen der Titel Müschir (müşir „Leiter, Kommandeur“) in Gebrauch, der seit 1836 hochrangigen Provinzgouverneuren übertragen wurde. Bis etwa 1849 finden sich V. u. Mü-
Vali / Velbužd / Venezianisches Überseereich
schir bedeutungsgleich nebeneinander, danach wird der höchstrangige Amtsträger eines →Eyalet u., ab 1864, eines →Vilayet regelmäßig als V. tituliert. Noch heute ist V. in der Türkei der höchste Beamte eines il (türk. für „Provinz“), gleichzeitig – wie schon in osm. Zeit – Leiter des Zentralbezirks (türk. merkez ilçe). Lit.: Th. Scheben, Verwaltungsreformen der frühen Tanzimatzeit. Frankfurt/M. u. a. 1991; M. Kunt, The Sultan’s Servants: The Transformation of Ottoman Provincial Government 1550–1650. New York 1983; M. Ursinus, Regionale Reformen im Osmanischen Reich am Vorabend der Tanzimat. Reformen der rumelischen Provinzialgouverneure im Gerichtssprengel von Manastir (Bitola) zur Zeit der Herrschaft Sultan Mahmuds II. ( 1808–39). Berlin 1982. M. U.
Velbužd (heute Kjustendil). Ma. bulg. Festung u. Bischofssitz. Am Vorabend der osm. Eroberung war es 1355–1395 Mittelpunkt eines bulg. Teilfürstentums (→Despotats) u. Residenz des Sebastokrators Dejan u. seiner Söhne. Zwei Jahrzehnte zuvor hatte sich in der Schlacht v. Velbužd am 28.7.1330 der Kampf um die Vormachtstellung in den zentralbalkanischen Landschaften zugunsten des aufstrebenden →Serb. Reichs entschieden. Der Bulgarenherrscher Michail III. Šišman (1322–1330) hatte sich im innerbyz. Bürgerkrieg zw. Andronikos II. Palaiologos (1282–1328) u. seinem Enkel Andronikos III. (1328–1341) auf die Seite des späteren Siegers (→Paläologen) geschlagen u. 1328 ein gemeinsames Vorgehen verabredet, um weitere serb. Eroberungszüge in Makedonien abzuwehren. Der Serbenherrscher Stefan Uroš III. Dečanski (→Nemanjiden) kam im Juli 1330 einer Vereinigung der Bulgaren u. Griechen zuvor. Unter Missachtung eines vorübergehenden Waffenstillstandes überfiel er die vorrückenden bulg. Truppen, in deren Reihen tatar. u. vlach. Söldner mitkämpften, bei Velbužd u. brachte ihnen eine vernichtende Niederlage bei. Der Bulgarenherrscher fiel in der Schlacht (→Bulg. Reich). Den siegreichen serb. Truppen stand der Weg für weitere Eroberungszüge nach Thessaloniki, Strumica u. Bitola offen. Bulgarien wurde mit der Restitution der ersten Gemahlin des getöteten Michail III. Šišman, Anna, einer Tochter des Serbenkönigs Milutin, zeitweise zu einem serb. Klientelstaat. Lit.: →Serb. Reich. E. H.
Venezianisches Überseereich (it. Oltremare; frz. outremer). In engerem Sinne nur die venez. Kolonien in den Kreuzfahrerstaaten, in weiterem das venez. Kolonialreich „extra Culphum“, außerhalb der Adria. Venedig, auf den Laguneninseln (lidi), also im Meer gegründet, lebte vom Seehandel. Alle seine Aktivitäten hingen mit dem Meer zusammen u. sein Heer war die Flotte. Von Anfang an trachtete Venedig danach, das Meer zu beherrschen, zu Beginn nur die Adria, die die Venezianer als „ihren Golf“ (culphus noster) betrachteten, dann das Ionische Meer, die Ägäis u. schließlich das ganze östl. Mittelmeer, die →Levante. Zur Errichtung u. Bewahrung der Seeherrschaft brauchten die Venezianer Stützpunkte, denn die Schiffsfahrt erfolgte damals auf kurze Distanzen u. wurde immer wieder durch Zwischenlandungen un-
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Venezianisches Überseereich
terbrochen. Bei dem Erwerb dieser Stützpunkte ging Venedig planmäßig vor. →Istrien hatte es im Westteil bereits im 10. Jh. in seine Abhängigkeit gebracht. Für den Gewinn →Dalmatiens benötigten die Venezianer dann allerdings vier Jh.e (1000–1409). Das mitteldalmatinische Zara/Zadar, das sich v. 1409–1797 unter venez. Herrschaft befand, war einer der wichtigen Stützpunkte. – Als förderlich für die Entstehung des V.Ü. erwies sich die militärische Schwäche des v. den Normannen bedrohten Byz. Reiches Ende des 11. Jh.s. Für ihre Flottenhilfe erhielten die Venezianer 1082 v. Alexios I. Komnenos ein „Chrysobullon“, das ihnen Handelsprivilegien sowie Werkstätten u. Stapelplätze in →Konstantinopel zusicherte. Während der →Kreuzzüge, an denen sich die Venezianer zwar spät, aber erfolgreich beteiligten, konnten sie ihre Levantestellung ausbauen. 1100 nahmen sie an der Eroberung v. Haifa teil u. erhielten dafür ein Drittel der Stadt. 1123 beteiligten sie sich an der Einnahme v. Tyros, wovon sie ebenfalls ein Drittel erhielten. In ihren Stadtdritteln errichteten die Venezianer eine eigene Verwaltung mit einem →Bailo an der Spitze. Sie hatten jetzt eine feste Position in der Levante. Ihr eigentliches Kolonialreich erwarben sie aber erst während des 4. Kreuzzuges, dessen Ziel sie auf Konstantinopel umlenkten (→Kreuzzüge; →Lateinerherrschaft). Bei der „partitio Romanie“ 1204 erhielten sie drei Achtel der Hauptstadt, die wichtigsten Häfen im Marmarameer, die meisten ägäischen Inseln, auch Negroponte (Euböa), Gebiete in Morea (→Peloponnes) u. in →Epirus; durch Kauf erwarben sie →Kreta. Venedig beschränkte sich darauf, nur die Teile des Kaiserreiches in unmittelbaren Besitz zu übernehmen, die als Flottenstützpunkte v. besonderer Bedeutung waren, das waren v. a. Modone u. Corone auf Morea, Negroponte u. Kreta. Die meisten ägäischen Inseln wurden venez. Adelsfamilien als Lehen übergeben. An der Spitze des venez. Kolonialreiches stand der Podestà v. Konstantinopel. Im 15. Jh. – die Osmanen hatten sich bereits fest in Europa etabliert – konnte das V.Ü. ein letztes Mal ausgebaut werden: 1489 kam →Zypern unter venez. Herrschaft, bei der es bis 1573 verblieb. Die Verlagerung des „Welthandels“ vom Mittelmeer an den Nordatlantik schwächte die Position Venedigs nachhaltig (vgl. →Kapitalistisches Weltsystem). Während der →Türkenkriege des 16.–18. Jh.s ging dann ein Stützpunkt des V.Ü. nach dem anderen verloren, 1669 auch noch Kreta. Am Schluss waren vom V.Ü. nur noch die →Ionischen Inseln, einige Küstenplätze auf dem epirotischen Festland u. die Insel Cerigo (Kythera) übriggeblieben. Schritt für Schritt schied Venedig aus der großen Politik der Mächte aus, bis Napoleon 1797 die Selbständigkeit Venedigs beendete.
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Lit. (a. →Doge): Il „Commonwealth“ veneziano tra 1204 e la fine della Repubblica. Hgg. Gh. Ortalli/O.J. Schmitt/E. Orlando. Venezia 2015; Venezia e Dalmazia. Hgg. O.J. Schmitt/U. Israel. Roma 2013; E. Ianiro, Veneti e Ottomani nel XVIII secolo. Venezia 2013; Diplomatarium Veneto-Levantinum sive acta et diplomata res Venetas Graecas atque Levantis illustrantia. Hg. G.M. Thomas. 2 Bde. Cambridge 2012 [Ndr. der Ausg. v. 1880, 1889] [Geschichte 1300–1454]; Th.F. Madden, Venice. A new history. New York u. a. 2012; P. Feldbauer/G. Liedl/J. Morrissey, Venedig 800–1600. Die Serenissima als Weltmacht. Wien 2010; Venice and the Islamic world 828–1797. Hgg. St. Carboni/B. Alaoui. New Haven/Conn. u. a. 2007 [Ausstellungskatalog]; Genova, Venezia, il Levante nei secoli XII–XIV. Hg. Gh. Ortalli. Genova 2001; O.J. Schmitt, Das venezianische Albanien (1392–1479). München 2000; D. Hatzoloulos, La dernière guerre entre
Vereinigte Staaten von Amerika
la République de Venise et l’Empire Ottoman (1714–1718). Montréal 1999; Veneziani in Levante, musulmani a Venezia. Hg. F. Lucchetta. Roma 1997 (=Quaderni di studi arabi, Supplemento 15); Venezia e i Turchi. Scontri e confronti di due civiltà. Hg. C. Pirovano. Milano 1985; Venezia e il Levante fino al secolo XV. 2 Bde. Hg. A. Pertusi. Firenze 1973; E. Eickhoff, Venedig, Wien u. die Osmanen. Umbruch in Südosteuropa 1645–1700. München 1970; S. Borsari, Studi sulle colonie veneziane in Romania nel XIII secolo. Napoli 1966; M. Novak, Autonomija dalmatinskih komuna pod Venecijom. Zadar 1965 ; F. Thiriet, La Romanie vénitienne au Moyen Age: Le développement et l’exploitation du domaine colonial vénitien (XIIe–XVe siècles). Paris 1959; B. Dudan, Il dominio veneziano di Levante. Bologna 1938; H. Kretschmayr, Geschichte von Venedig. 3 Bde. Gotha u. a. 1905–1934 (Ndr. Aalen 1964). P. B.
Vereinigte Staaten von Amerika. Die Interaktionsgeschichte zw. den USA u. SOE begann im frühen 19. Jh. Die Beziehungen entwickelten sich von anfänglichen ad-hoc Verbindungen in den 1820er Jahren (ausschließlich unterhalb der staatlichen Ebene) hin zum gezielt gesteuerten politischen Engagement u. zu militärischen Interventionen im Zuge der beiden →Weltkriege u. der →postjugoslawischen Kriege (1991–1995, 1998/99). Das anfangs nur punktuelle Interesse an SOE erweiterte u. verdichtete sich Schritt für Schritt mit dem Machtzuwachs der USA bis zu ihrem Status als „unverzichtbare“ Nation angesichts ihrer wirt. Potenz u. ihrer milit. Fähigkeiten. Das Interesse u. Engagement der USA in SOE war immer abgeleitet vom aktuellen außenpolitischen Europa-Kurs der jeweiligen Regierung u. pendelte in den beiden Jahrhunderten zw. pol. Isolationismus, Engagement u. Intervention. Die graduelle Verflechtung der amerik.-soe. Beziehungen nahm ihren Ausgang mit dem gr. Unabhängigkeitskampf 1821–28 (→Befreiungskriege [nationale]). Unabhängig von der bewusst gewählten außenpolitischen Enthaltung u. einem strikten Neutralitätskurs auf der Grundlage der Monroe-Doktrin ergaben sich erste gesellschaftliche Berührungspunkte: Der Befreiungskrieg gegen die osm. Herrschaft entfachte eine Welle der Solidarisierung mit den Griechen, auch wenn die konstruierte Kontinuitätslinie zw. den Hellenen der Antike u. den Griechen des 19. Jh.s fehlging. Die Amerikaner sympathisierten offen mit den Aufständischen, sandten humanitäre Hilfsgüter u. erweiterten den Korpus philhellenischer Literatur (→Philhellenismus) mit eigenen Werken. Diese frühe Episode brachte die US-amerik. Bevölkerung u. die pol. Klasse erstmalig in Berührung mit nationalen Erhebungen u. Freiheitskämpfen auf dem Balkan. Seit dieser Zeit verfestigte sich die amerik. Überzeugung vom Selbstbestimmungsrecht der Völker in SOE, mit der die eigene Emanzipationsgeschichte reflektiert wurde u. die in den kommenden Jahrzehnten die Programmatik US-amerik. SOE-politik prägen sollte. Das darauf folgende Jahrzehnt markierte den Beginn formalisierter Wirtschafts- u. Handelsbeziehungen zw. den USA u. dem Osm. Reich. Das erste Handelsabkommen wurde 1830 mit der →Hohen Pforte geschlossen. Ein Jahr später wurde der Grundstein für die diplomatischen Beziehungen gelegt. Im Laufe der nachfolgenden Jahrzehnte nahm das Handelsvolumen trotz z. T. erheblicher Schwankungen im Trend stetig zu, v. a. ab der Jahrhun-
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dertwende, als sowohl die Importe aus dem Osm. Reich (Früchte, Lakritze u. Nüsse, später auch Opium, Teppiche u. Tabak) wie auch die Exporte amerik. Waren in das Osm. Reich anstiegen. Mit der Industrialisierung der USA u. ihrem Aufstieg zu weltwirt. Größe, exportierten sie überwiegend Fabrikerzeugnisse in die Region (zunächst Weizen, Baumwolle u. Nutzhölzer, später Nutzmaschinen, Baumwollerzeugnisse, Chemikalien u. Automobile). Die Handelsbeziehungen erstreckten sich auch auf Griechenland, mit dem 1837 ein Handels- u. Schiffverkehrsabkommen geschlossen worden war, sowie ab 1900 auf Rumänien, wo es eine gemeinsame Geschichte der Erdölgewinnung gab. Die wirt. Interessen der USA, insbesondere bei Investitionen in Zukunftsbranchen, wie den Eisenbahnbau in der Türkei oder die Erdölförderung in Rumänien, brachten sie in Konkurrenz zu den europäischen Großmächten. In der Mitte des 19. Jh.s wurden christlich-prot. Missionare der bedeutendsten Auslandsmissionsgesellschaft, American Board of Commissioners for Foreign Missions (ABC), im Osm. Reich aktiv (mit anders konfessionellen dortigen Christen als Zielgruppe); in Konstantinopel eröffneten sie 1831 eine Mission; nach Griechenland wurden 1827 Missionare entsandt; im bulg. Bereich wirkten sie seit den 1850er Jahren. In Griechenland scheiterten die prot. Missionare zwar an der Präsenz u. gesellschaftlichen Bindekraft der gr.-orth. Kirche. Anderenorts verknüpften die ABC-Missionare ihre missionarischen Absichten aber geschickt mit zahlreichen Aktivitäten. Humanitäres Engagement u. medizinische Grundversorgung, Wissenstransfer durch Bildungsarbeit (auch für Mädchen- u. Frauen), sowie Alphabetisierungskurse u. Publikationen wurden zu wichtigen Wirkungsfeldern der Missionare. In der Türkei stellte das 1863 gegründete u. bis heute existierende Robert College in Konstantinopel den Höhepunkt der Missionsarbeit dar. Die Bildungseinrichtung fungierte als Alma Mater für bulg. Protagonisten der Unabhängigkeitsbewegung u. für zukünftige pol. Entscheidungsträger. Daneben trugen die Missionare in Bulgarien durch den Einsatz von Druckpressen u. die Verbreitung von Texten u. (Wörter) Büchern zur Entstehung der bulgarischen Standardsprache bei. Ihre Arbeit sorgte für einen Modernisierungsschub in der Region. Die vermittelten christlich-aufklärerischen Werte stärkten die Identität der Bulgaren u. trugen zu ihrer Nationalisierung bei. Schwerpunktmäßig seit den 1880er Jahren waren die USA auch ein Magnet für soe. Migranten (→Migrationen), da das Land wirt. prosperierte u. sein pol. System einen Gegenentwurf zu den repressiven Regimen Europas darstellte. Eine massive Einwanderungswelle von 1–3 Mio. Menschen strömte bis zum 1. Wk. aus dem soe. Armenhaus Europas in die USA. Vor allem junge Männer aus Dalmatien, Slowenien, Montenegro, Bulgarien, Griechenland u. Albanien wollten sich eine neue Existenz aufbauen. Sie transferierten auch beträchtliche Geldsummen zurück in ihre Heimatländer, wodurch sie zur →Modernisierung ihrer Herkunftsländer beitrugen. Die meisten Einwanderer arbeiteten in Kohleminen u. Stahlwerken in Pennsylvania, in den Fabriken des Mittleren Westens sowie in den Industriegebieten um die großen Seen. In der Landwirtschaft waren sie auch im Wein- u. Obstanbau aktiv. Im Schmelztiegel USA erschlossen sich die Einwanderer neue soziale Räume u. etablierten eigene Hilfsorganisationen, Netzwerke, Kirchen u. Begegnungsorte. Auch die nationale Emanzipation in der Heimat, etwa die alb. Unabhängigkeitsbewegung oder die der Südslawen u. Slowaken in der Donaumonarchie, erhielt Unterstützung von ihren Landsleuten aus Amerika, die sich als pol. Lobbyisten betätigten.
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Mit der Kriegserklärung an Deutschland im April 1917 u. an Österreich-Ungarn im Dezember 1917 intervenierten die USA pol. u. milit. in den 1. →Wk. An der Seite der Entente avancierten sie vom Beobachter zum Akteur u. nach Kriegsende zum Schöpfer einer neuen Nachkriegsordnung. Die Auflösung der Vielvölkerreiche zugunsten des nationalen Selbstbestimmungsrechts entsprach den Kriegszielen der USA u. zeichnete sich schon in den 14 Punkten des US-Präsidenten Woodrow Wilson als Gestaltungsprinzip ab. Wilsons 14 Punkte vom 8. Januar 1918 sahen u. a. vor, dass den Völkern →Österreich-Ungarns „die freieste Gelegenheit zu autonomer Entwicklung gewährt werden“ solle (Pkt. 10). „Rumänien, Serbien u. Montenegro sollten geräumt werden; besetzte Gebiete sollten wiederhergestellt werden; Serbien sollte ein freier u. sicherer Zugang zum Meere gewährt werden; u. die Beziehungen der verschiedenen Balkanstaaten zueinander sollten durch freundschaftliche Verständigung gemäß den geschichtlich feststehenden Grundlinien von Zugehörigkeit u. Nationalität bestimmt werden. Auch sollten internationale Bürgschaften für die pol. u. wirt. Unabhängigkeit sowie für die territoriale Unverletzlichkeit der verschiedenen Balkanstaaten übernommen werden“ (Pkt. 11). Auch den noch unter osm. Herrschaft stehenden Völkern sollte „eine unzweifelhafte Sicherheit der Existenz u. unbeeinträchtigte Gelegenheit für autonome Entwicklung zugesichert werden“ (Pkt. 12). Die →Pariser Vorortverträge wurden in Anlehnung an diese Punkte geschlossen. Allerdings wurden die in den einzelnen Friedensverträgen fixierten Grenzziehungen teilweise inkonsequent u. willkürlich festgelegt. Damit verfehlten sie die beabsichtigte friedensstabilisierende Wirkung u. leisteten künftigen territorialen Konflikten Vorschub. Der US-amerikanische Senat lehnte das Vertragswerk ab u. leitete eine Phase des Isolationismus in Europa bis zum erneuten Kriegseintritt 1941 ein. Bevor die USA im Dezember 1941 auf der Seite Großbritanniens u. der Sowjetunion in den 2. →Wk. eintraten, vereinbarten US-Präsident Franklin D. Roosevelt u. der brit. Premierminister Winston Churchill im August 1941 die Atlantik-Charta, die die Grundsätze ihres außenpolitischen Handelns festlegte. Die Charta, die in ihren acht Punkten u. a. den Verzicht auf Gewaltanwendung, das Selbstbestimmungsrecht der Nationen u. engste wirt. Zusammenarbeit aller Nationen beinhaltete, wurde anschließend auch v. der Sowjetunion sowie einer Reihe anderer Regierungen, unter ihnen die gr. u. jug. Exilregierung, unterzeichnet. Während des Krieges hielt Washington die diplomatischen Beziehungen zur gr. u. jug. Exilregierung aufrecht. Den mit Deutschland verbündeten Staaten Bulgarien u. Rumänien erklärten die USA 1942 den Krieg. Während der Moskauer Konferenz im Oktober 1944 kamen Winston Churchill u. Josef Stalin in einem informellen Abkommen überein, den Balkan in eine britische u. sowjetische Einflusssphäre aufzuteilen (zu Einzelheiten →Weltkrieg, Zweiter). Die USA gingen darauf nur teilw. u. zögernd ein. In den v. der Roten Armee besetzten Ländern (Rumänien, Ungarn u. Bulgarien) wurden Alliierte Kontrollkommissionen unter sowj. Vorsitz eingerichtet. Die Vertreter der USA u. Großbritanniens mussten jedoch der schrittweisen Festigung des sowj. Einflusses hilflos zusehen. Die US-amerikanische Ethridge Mission 1945 machte Washington schließlich deutlich, dass diese Länder tatsächlich in den Zugriffsbereich Stalins gefallen waren. Die ideologischen u. systemischen Gräben zw. den ehemaligen Alliierten (→Kalter Krieg) verliefen quer durch Südosteuropa, wo die USA die Dominanz u. Expansion der Sowjetuni-
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on einzudämmen suchten. Die →Truman-Doktrin vom März 1947 war Ausdruck dieser Interessenkollision zw. den USA u. der Sowjetunion. In seiner Botschaft an den US-Kongress stellte Präsident Harry S. Truman umfassende Finanzhilfen für die vom Kommunismus bedrohten Länder in Aussicht. Zielländer seiner Eindämmungspolitik waren v. a. Griechenland (→Bürgerkrieg, Griech.) u. die Türkei, die als Bollwerke gegen die Ausbreitung des Kommunismus verstanden wurden. Die Rollback-Strategie Washingtons gegen die Sowjetisierung wies SOE eine wichtige strategische Rolle zu. Der Marshallplan vom Juni 1947 wurde komplementär zu dieser Eindämmungsstrategie aufgelegt. Als Wiederaufbauprogramm nahm er alle Länder Europas in den Fokus u. fungierte damit auch als Gegensteuerungsinstrument gegen die Teilung des europäischen Kontinents. Mit dem Bruch zw. dem jug. Staatschef Josip Broz Tito u. Stalin 1948 (→Kominform, Kominformkonflikt) emanzipierte sich Jugoslawien zwar von der Sowjetunion, blieb aber kommunistisch. Angesichts seines Status als blockfreier Staat kam ihm seither eine Schlüsselstellung in den Ost-West-Beziehungen zu. Unter der Führung Titos erhielt Jugoslawien wiederholt Wirtschaftshilfen, überwiegend in Form v. Weltbank-Krediten, die 1949/50 anliefen u. die Washington vermittelte. Bis 1963 wurden etwa 2,2 Milliarden USD investiert. Als umworbene Verbündete erhielten die Jugoslawen seit 1951 zudem Waffenlieferungen aus den USA; es wurde ein Abkommen zur militärischen Zusammenarbeit geschlossen, u. vor der jugoslawischen Küste operierte die Sechste Flotte der US-Marine. Eine Nato-Mitgliedschaft lehnte Tito dagegen ab (vgl. →Balkanpakt, b). Alle Versuche, Jugoslawien in das westliche Lager zu ziehen, scheiterten. Die Wiederannäherung zw. Belgrad u. Moskau 1955/56 offenbarte endgültig das Scheitern der amerik. „wedge strategy“. Von den Entwicklungen in (Süd-)Osteuropa 1989–1991 wurden die USA überrascht. Den sich anbahnenden Zerfall Jugoslawiens beobachteten sie mit Sorge. Außenminister James Baker sprach sich anlässlich eines Besuchs in Belgrad für den Fortbestand Jugoslawiens aus (ebenso wie die EG) u. stellte klar, dass die USA keine einseitige Sezession ermutigen oder unterstützen würden. Gleichzeitig warnte er die Führung in Belgrad vor dem Einsatz milit. Gewalt. Nach Beginn der Feindseligkeiten (→postjug. Kriege) stellte sich Washington auf den Standpunkt, dass die Lösung der jug. Frage in erster Linie eine Aufgabe der Europäer sei, die infolge unterschiedlicher Positionen damit aber gänzlich überfordert waren. Am 7. April 1992 erkannten die USA Kroatien u. Bosnien-Herzegowina als unabhängige Staaten an, blieben aber zunächst passiv. Nach längeren pol. u. diplomatischen Aktivitäten (u. a. 1994 zur Beendigung des milit. Konflikts zw. bosn. Regierungstruppen u. bosn. Kroaten) schalteten sie sich im Sommer 1995 schließlich energisch in das Geschehen ein. Unter Präsident Bill Clinton initiierten sie Friedensverhandlungen u. drängten die Konfliktparteien an den Verhandlungstisch. Der US-Sonderbeauftragte für den Balkan, Richard Holbrooke, handelte ein Friedenskonzept aus, das die Grundlage für das →Dayton-Abkommen bildete. Angesichts der Konflikterfahrungen während des Bosnienkrieges engagierten sich die USA ab 1998 auch in →Kosovo u. übten Druck auf die Bundesrepublik Jugoslawien u. ihren Präsidenten Slobodan Milošević aus. In einer Serie krisendiplomatischer Aktivitäten forcierten sie eine rasche Konfliktbeilegung zw. Serbien u. Kosovo. Nach der ausbleibenden Unterzeichnung des Vertrags von Rambouillet u. angesichts befürchteter ethnischer Säuberungen, kam es auf Betreiben der USA zur militärischen Intervention der
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Nato, mit der eine humanitäre Katastrophe verhindert werden sollte. Die Nato begann am 24. März 1999 mit Luftschlägen gegen serbische Stellungen in Kosovo u. gegen Ziele in der serbischen Hauptstadt. Auch in den USA waren die von den UN nicht mandatierten Luftangriffe umstritten. Begründung u. Wirkung der 11 Wochen währenden Luftschläge mit zivilen Opfern werden bis heute kontrovers diskutiert. Nach den Luftschlägen erzwang die Nato schließlich am 5. Juni ein Friedensabkommen mit der Bundesrepublik Jugoslawien, das am 10. Juni 1999 mit der Verabschiedung der UN-Resolution 1244 das Ende des gewalttätigen Konflikts im Kosovo besiegelte u. zur Stationierung internationaler Sicherheitstruppen führte (KFOR). Nach der Unabhängigkeitserklärung Kosovos am 17. Februar 2008 erkannten die USA den neuen Staat an u. förderten ihn pol. u. wirt. Sie unterstützen die Integration aller noch nicht beigetretenen soe. Staaten in die EU u. Nato. Lit.: A. Buchanan, American grand strategy in the Mediterranean during World War II. New York 2014; E. Reeves-Ellington, Domestic frontiers. Gender, reform, and American interventions in the Ottoman Balkans and the Near East. Amherst [2013]; A. Despot, Amerikas Weg auf den Balkan. Zur Genese der Beziehungen zwischen den USA u. Südosteuropa 1820–1920. Wiesbaden 2010; R.A. Kennedy, The Will to Believe. Woodrow Wilson, World War I, and America’s strategy for peace and security. Kent/Ohio 2009; 125 Years of Diplomatic Relations between the USA and Serbia. Hg. Lj. Trgovčević. Belgrade 2008; J.L. Gaddis, Der Kalte Krieg. München 2007; B. Stöver, Der Kalte Krieg. Geschichte eines radikalen Zeitalters 1947–1991. München 2007; Ž. Kovačević, Amerika i raspad Jugoslavije. Beograd 2007; D.R. Stone, The 1945 Ethridge Mission to Bulgaria and Romania and the Origins of the Cold War in the Balkans, Statecraft and Diplomacy 17 (2006) 1, 93–112; D. Chollet, The Road to the Dayton Accords: A Study of American Statecraft. New York 2005; R.H. Whealey, American Intervention in Yugoslavia: a tragic blunder. Amherst/N.Y. 2005; L.M. Lees, Keeping Tito Afloat. The United States, Yugoslavia, and the Cold War. University Park/PA 1997; Lj.S. Adamović/Dž.R. Lempi/P.O. Rasel, Američkojugoslovenski ekonomski odnosi posle Drugog svetskog rata. Beograd 1990; M. Just, Ost- u. südosteuropäische Amerikawanderung 1881–1914. Stuttgart 1988; L.P. Cassimatis, American Influence in Greece, 1917–1929. Kent 1988; M.B. Raizis/A. Papas, American Poets and the Greek Revolution 1821–1828. A Study in Byronic Philhellenism. Thessaloniki 1987; T. Nestorova, American Missionaries among the Bulgarians 1858–1912. New York 1987; D.R. Zivojinovic, America, Italy and the Birth of Yugoslavia, 1917–1919. New York 1972; D.H. Finnie, Pioneers East. The early American experience in the Middle East. Cambridge/MA 1967; L.J. Gordon, American Relations with Turkey 1830–1930. An economic interpretation. Philadelphia 1932. A. D.
Vereinigung oder Tod (serb. „Ujedinjenje ili smrt“). Am 22.5.1911 in Belgrad gegründeter pol. Geheimbund, bekannter unter dem Namen „Crna ruka“ („Schwarze Hand“). Aus Enttäuschung über die vorsichtig taktierende serb. Regierung u. ihre einlenkende Politik in der →Annexionskrise v. 1908/09 riefen serb. Offiziere, darunter die Königsmörder v. 1903 (→Obrenovići), die Geheimgesellschaft VoT. ins Leben. Ihr führender Kopf war Oberst Dragutin T. Dimitrijević (genannt „Apis“). Die Organisation, die in enger Verbindung zu
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der im Oktober 1908 gegründeten, öffentlich tätigen Gesellschaft „Narodna odbrana“ („Nationale Verteidigung“) stand, strebte gemäß ihrer „Verfassung“ („Ustav“) die „Vereinigung des Serbentums“ (→Irredentismus) durch „revolutionären Kampf“ an (während sich die „Narodna odbrana“ v. a. um die Stärkung des serb. Nationalbewusstseins bzw. um die nationale u. körperliche Ertüchtigung der Jugend bemühte). Tätigkeit u. Zielsetzung des Bundes VoT. erstreckte sich auf alle Territorien, „in denen Serben leben“. Als „serbische Provinzen“ galten „1. Bosnien-Herzegowina, 2. Montenegro, 3. Altserbien/Kosovo u. Makedonien, 4. Kroatien, Slawonien u. Syrmien, 5. die Vojvodina u. 6. das Küstenland“. Zur Verwirklichung dieses anvisierten groß- oder panserbischen Staates, der wie ein Kultobjekt verehrt wurde, bediente sich die nach dem Vorbild „klassischer“ →Geheimbünde (Carbonari u. a.) organisierte Bruderschaft eines weit gespannten konspirativen Netzes, das auch in die serb. Staatsorgane (insbes. in die Führungsspitzen der Armee u. den Geheimdienst) hinreichte. Das Siegel der Organisation zeigte eine – v. einer geballten Hand gehaltene – Fahne mit Totenkopf u. gekreuzten Knochen, daneben eine Bombe, ein Messer u. eine Giftflasche. Die Vorkehrungen zur Geheimhaltung der Mitglieder u. ihrer Aktivitäten (Befehle durften nur mündlich weitergeleitet werden) haben die wiss. Erforschung der Organisation erschwert. Zwar sind die Ziele hinreichend bekannt, da diese öffentlich durch die Zeitung „Pijemont“ u. die „Narodna odbrana“ vertreten wurden, doch konnten weder Art u. Intensität der Kontakte zw. der Geheimorganisation u. serb. Behörden noch das Ausmaß der Verwicklung v. Dimitrijević-Apis u. seiner Mitstreiter in das →Attentat v. Sarajevo zweifelsfrei geklärt werden. Dass die Zielsetzung der Organisation – Serbien als „Piemont“ eines künftigen großserb. oder pseudo-jug. Staates – auch in höchsten Regierungs- u. Hofkreisen geteilt wurden, ist unstrittig, doch gab es hinsichtlich der Methoden u. der pol. Einflussnahme erhebliche – mit der Zeit zunehmende – Differenzen, die im sog. Prioritätsstreit zw. Armee u. Regierung über die Verwaltung der 1912/13 eroberten „neuen Gebiete“ (Makedonien u. Kosovo) eskalierten. Der Rückzug der serb. Armee im Winter 1915/16 (1. →Weltkrieg) verschärfte die Spannungen, da die Mitglieder der „Schwarzen Hand“ Regierungschef Nikola Pašić für die serb. Niederlage verantwortlich machten. Der vor dem Obersten serb. Militärgericht an der Saloniki-Front vom 2.4.–5.6.1917 gegen Dimitrijević-Apis u. Genossen wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, Hochverrats, versuchten Staatsstreichs etc. eröffnete Prozess endete mit Todesurteilen, die am 26.6.1917 vollstreckt wurden. Danach löste sich die „Schwarze Hand“ auf. Ein Ende der seit dem 1. Wk. – im Zusammenhang mit der „Kriegsschuldfrage“ – geführten Diskussion über die hist. Rolle der Geheimorganisation ist nicht abzusehen.
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Lit. (a. →Attentat v. Sarajevo): D.T. Bataković, Storm over Serbia. The Rivalry between Civilian and Military Authorities (1911–1914), Balcanica 44 (2013), 307–356; V. Kazimirović, Crna ruka. Ličnosti i dogadjaji u Srbiji od prevrata 1903. do Solunskog procesa 1917. godine. Kragujevac 1997; D. MacKenzie, The Exoneration of the “Black Hand”, 1917–1953. New York 1999; Ders., The „Black Hand“ and its Statutes, East European Quarterly 25 (1991), 179–206; ders., Apis: The Congenial Conspirator. The Life of Colonel Dragutin T. Dimitrijevic. Boulder/CO 1989; W.D. Behschnitt, Narodna odbrana u. Ujedinjenje ili smrt, in: Ders.: Nationalismus bei Serben u. Kroaten 1830–1914. Analyse u. Typologie der nationalen Ideologie. München 1980, 108–132; H.
Verfassungen
Gilfond, The Black Hand at Sarajevo. Indianopolis/NY 1975; V. Dedijer, Die Zeitbombe. Sarajevo 1914. Wien u. a. 1967; M. Ž. Živanović, Solunski proces hiljadu devetsto sedamnaeste. Beograd 1955; B. Nešković, Istina o Solunskom procesu. ebd. 1953; H. Uebersberger, Der Saloniki Prozeß. Berlin 1933; M. Boghitschewitsch, Le procès de Salonique, juin 1917. Paris 1927. H. S.
Verfassungen. Im formalrechtlichen Sinn ist die Verfassung (V.) eine Urkunde, in der die Rechtsgrundsätze über Idee, Form, Aufbau u. Wirksamkeit des Staates, über Umfang u. Grenzen der Staatsgewalt, über die Zuständigkeit der Staatsorgane, die Grundeinrichtungen des Staates, die Stellung der Gebietskörperschaften, die Form der Sozialordnung sowie über Rechte u. Pflichten der Staatsbürger zu einem Ganzen erschöpfend u. unter Garantie der Unverbrüchlichkeit zusammenfasst werden. In diesem Sinne hat nur der moderne V.s-staat eine V., wobei die V.s-wirklichkeit mehr oder weniger stark v. der rechtlich normierten Ordnung abweichen kann. Formalrechtliche V.en haben sich seit gut zwei Jahrhunderten fast überall durchgesetzt, ausgehend v. den Vereinigten Staaten (1787) u. vom revol. Frankreich (1789). Im Verlauf des 19. Jh.s wurde die V.s-idee (unter starker Anlehnung an frz., belg. u. a. Vorbilder) auch im Donau-Balkan-Raum rezipiert. Die V.s-geschichte SOEs lässt sich grob in vier (teilweise sehr komplexe) Abschnitte gliedern: Der erste begann mit der →Nationalstaatenbildung im 19. Jh. u. dauerte bis Ende der 20er oder 30er Jahre des folgenden Jh.s. In diese Zeit fiel der v. heftigen Konflikten u. Rückschlägen begleitete, insges. aber äußerlich erfolgreiche Kampf für die Einschränkung der fürstlichen Gewalt u. die Durchsetzung des →Parlamentarismus. Der zweite Abschnitt war gekennzeichnet durch schwere Rückschläge im Gefolge der →Diktaturen oder autoritären Regime (Suspendierung der V.en oder Oktroi neuer, mit denen die Prinzipien des Parlamentarismus u. die bürgerlichen Grundrechte drastisch eingeschränkt wurden). Der dritte Abschnitt begann nach dem 2. Wk. u. stand (mit Ausnahme Griechenlands) im Zeichen „sozialistischer“ Regime (mit starker Diskrepanz zw. V.s-norm u. -realität). Mit dem Zusammenbruch dieser Regime Ende der 1980er Jahre setzte der vorerst letzte Abschnitt ein, der vom Streben nach Wiederherstellung u. Ausbau der Rechtsstaatlichkeit geprägt ist. Einen Sonderfall stellte Ungarn dar, wo es bis 1949 keine geschriebene V. gab (sofern man v. der kurzlebigen provisorischen V. der →Räterepublik i.J. 1919 absieht). Sowohl das alte Kgr. wie das Ungarn der Zwischenkriegszeit stützten sich (ähnlich wie England) auf eine hist. gewachsene, ungeschriebene V., deren Wurzeln in das frühe MA zurückreichten u. die im Verlauf der Jahrhunderte durch eine Vielzahl v. Einzelgesetzen ausgestaltet wurde (a. →Rechtsgeschichte, Rechtskulturen). In den aus dem Osm. Reich hervorgegangenen Balkanstaaten stand die V.s-frage über viele Jahrzehnte hinweg fast unablässig im Zentrum der pol. Auseinandersetzungen. Vor dem 1. Wk. brachten die Balkanstaaten (einschließlich der →Donaufürstentümer bzw. Rumäniens) 17 geschriebene V.en (sowie zahlreiche kleinere V.s-änderungen u. -projekte) hervor (fünf für Griechenland, sechs für Serbien, vier für Rumänien, je eine für Bulgarien u. Montenegro). Schon während des gr. →Befreiungskrieges 1821–28 wurden mehrere regionale V.s-projekte oder provisorische V.en erarbeitet, darunter die liberal-republikanische
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V. v. Troizin auf der Peloponnes aus dem Jahre 1827, die allerdings bereits im folgenden Jahr durch den Staatsstreich Ioannis Kapodistrias‘ suspendiert u. zugunsten einer monarchischen Staatsform revidiert wurde). Sowohl im Kgr. Griechenland wie im Fsm. Serbien oder in den rum. Fürstentümern Walachei u. Moldau ging es seit dem zweiten Drittel des 19. Jh.s darum, die Machtfülle des Fürsten durch eine Konstitution zu regeln bzw. durch Einsetzung eines zweiten V.s-organs (Staatsrat, Senat o. ä.) zu limitieren. So erhielten die Donaufürstentümer durch die unter russ. Protektorat entworfenen →„Organischen Statute“ v. 1831/32 ein quasi-konstit. Regime dahingehend, dass die Macht des Fürsten durch die Oligarchie der →Bojaren eingeschränkt wurde. Eine nach frz. Vorbildern (V.en v. 1793 u. 1814) gestaltete V. für das Fsm. Serbien wurde dagegen schon kurz nach ihrer Verkündung 1835 durch den absolutistisch regierenden Fürsten Miloš Obrenović (→Obrenovići) wieder außer Kraft gesetzt. Erst durch die sog. „türkische Verfassung“ v. 1838 wurde die oberste Gewalt in Serbien zw. dem Fürsten u. dem Staatsrat (Sovjet) geteilt. Damit wurde der Weg zum oligarchischen Regime der „Verfassungsverteidiger“ frei (→Serbien, ab 1830). Kg. Otto v. Griechenland (→Wittelsbacher) sah sich 1844 nach einer Revolte gegen seine absolutistische Regierung genötigt, die „Erste Nationalversammlung zu Athen“ einzuberufen, die eine V. ausarbeitete, die sich an die frz. V. v. 1830 u. die belg. v. 1831 anlehnte, ohne jedoch die demokratischen Prinzipien der letzteren (Volkssouveränität) zu übernehmen. Durch diesen „Vertrag zw. Monarch u. Volk“ wurde Griechenland zur konstit. Monarchie. (Das in der V. verankerte relativ großzügige Wahlrecht stellte zugleich ein Novum im Europa des →Vormärz dar.) Der Weg v. der Begrenzung der fürstlichen Gewalt zur parl. Monarchie u. zur voll ausgeformten Gewaltenteilung erwies sich als komplizierter, v. Umstürzen u. Staatsstreichen begleiteter Prozess. In Griechenland wurde 1864 (nach der vorangegangenen Vertreibung Kg. Ottos) v. der „Zweiten Nationalversammlung zu Athen“ eine moderne V. nach belg. Vorbild eingeführt. Erstmals wurde darin das Prinzip der Volkssouveränität („Alle Gewalt geht v. der Nation aus“, (Art. 21) festgeschrieben. Obwohl die Ministerverantwortlichkeit erst durch eine Verfassungsänderung i.J. 1875 ausdrücklich verankert wurde, hatte Griechenland damit als erster Balkanstaat den Weg zum Parlamentarismus beschritten. Die erste einheimische V. („Statut“) für die vereinigten Donaufürstentümer/Rumänien v. 1864 (gestaltet in Anlehnung an das Statut v. Piemont v. 1848 u. die frz. V.en v. 1789, 1814 u. 1852) bewegte sich zunächst noch im Rahmen der konstit. Monarchie, doch führte die zwei Jahre später erlassene neue V. (nach dem Sturz des Fürsten Alexandru Ioan Cuza) die Volkssouveränität („Alle Staatsgewalt geht v. der Nation aus“, Art. 31) u. die Ministerverantwortlichkeit ein. Der Aufbau der drei Gewalten war mit dem in der belg. V. v. 1831 identisch. Komplizierter gestaltete sich die Durchsetzung der Gewaltenteilung u. parl. Monarchie in →Serbien. 1869 (nach Ermordung des Fürsten Mihailo Obrenović) verabschiedete eine Große Nationalversammlung die sog. „Pfingst-V.“ (u. a. mit Entlehnungen aus der gr. V. v. 1864, der rum. V. v. 1866 u. dem it. Statut v. 1848), die gleichwohl an den Grundsätzen der konstit. Monarchie festhielt (keine Volkssouveränität u. keine Ministerverantwortlichkeit). Ein Sieg des Parlamentarismus zeichnete sich erst mit der V. v. 1888 ab (die nach dem Muster der belg. V. v. 1831 gestaltet war). Die Errungenschaft war jedoch v. kurzer Dauer. 1894 wurde die V. v. 1888 durch diejenige v. 1869 ersetzt, u. 1901 oktroyierte Kg. Alexander Obrenović eine neue V., die seinem
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diktatorischen Regime angepasst war. Erst nach seiner Ermordung i.J. 1903 wurde die V. v. 1888 mit einigen Modifizierungen wieder in Kraft gesetzt. Die erste V. für den bulg. Staat, die Tărnovo-V. v. 1879, war in vielen Punkten der serb. V. v. 1869 nachgebildet, sah jedoch bereits eine partielle Ministerverantwortlichkeit u. weitgehende pol. Rechte vor. Angesichts heftiger innenpol. Kämpfe suspendierte Fürst Alexander Battenberg die V. 1881, sah sich allerdings nur drei Jahre später aus pol. Rücksichten zu ihrer Wiedereinführung genötigt. Mit Ausnahme Montenegros (das 1905 eine V. nach dem Muster der serb. v. 1869 erhielt) u. des 1913 proklamierten Albanien setzten sich in allen Balkanstaaten die parl. Monarchie u. (mit Ausnahme Rumäniens bis 1917) ein zunehmend liberalisiertes Wahlrecht für Männer vor dem 1. Wk. durch. Auch die V.en der 20er Jahre (die →„Vidovdan“-V. v. 1921 für Jugoslawien u. die V. v. 1923 für Großrumänien) sowie die provisorischen V.s-statute für Albanien v. 1920 u. 1922 folgten diesem gesamteurop. Trend (zumindest in formaler Hinsicht). Überblickt man die Zeit v. der jeweiligen Staatsgründung bis zum Ende der 1920er Jahre, so ergibt sich für die Balkanländer eine Reihe v. Gemeinsamkeiten: 1. Die konstit. Entwicklung orientierte sich zwar an westeurop. Modellen (insbes. an den verschiedenen V.en Frankreichs u. Belgiens), wich aber in wichtigen Bestimmungen v. diesen ab. Ausländische Vorbilder u. indigene Elemente verbanden sich zu einem V.s-synkretismus eigener Prägung. 2. Während die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz bereits in den ersten V.s-projekten auftauchte, blieben die pol. relevanten Rechte (v. a. Vereins-, Versammlungs- u. Pressefreiheit) lange Zeit umstritten. 3. Obwohl der Parlamentarismus in allen V.en verankert wurde, behielten die jeweiligen Monarchen weitgehende Kompetenzen, die zum Missbrauch geradezu einluden. 4. In allen V.en wurde ein mehr oder minder rigider staatlicher Zentralismus verankert (selbst in den neuen Vielvölkerstaaten Jugoslawien u. Großrumänien). 5. Der Schutz ethn. oder konf. Minderheiten (→Minderheiten, Minderheitenschutz) wurde einem schematischen Mehrheitsprinzip geopfert bzw. nur auf massiven Druck der Großmächte hin in die V. aufgenommen. 6. Je schwieriger sich die Integration in den neuen Staaten gestaltete, desto größer wurde die Kluft zw. V.s-norm u. V.s-realität. Mangelnde Kompromissbereitschaft, klientelistische Netze sowie das Fehlen einer breiten u. pol. emanzipierten Mittelschicht ließen die konstitutionelle Ordnung zum Spielball pol. Cliquen degenerieren. Eine V.sgerichtsbarkeit existierte entweder gar nicht oder stand nur auf dem Papier. Rechtsbrüche, Staatsstreiche, Wahlmanipulationen, Parlamentsboykotte, Geschäftsordnungstricks etc. waren an der Tagesordnung. Immer wieder gerieten die Staaten an den Rand der Unregierbarkeit, was machtbewusste Herrscher dazu animierte, die V.en zu suspendieren oder ihrem persönlichen Regime „anzupassen“. Der zweite u. dritte Abschnitt der V.s-geschichte SOEs stand im Zeichen der →Diktaturen oder autoritären Regime: zunächst in Gestalt der Königsdiktaturen, die eine spezifische Gemeinsamkeit der Balkanländer darstellten, später in Gestalt der sozialist. Diktaturen. Die noch schwachen Fundamente des Rechtsstaats wurden seit Ende der 20er Jahre (nicht zuletzt dank der Ausstrahlungskraft des it. →Faschismus u. später des dt. Nationalsozialismus) unterminiert. Den Anfang machte Albanien, wo ein am 1.12.1928 proklamiertes „Grundstatut“ die faktische Königsdiktatur Ahmet Zogus einleitete. Es folgten Jugoslawien (1929), Bulgarien (1935), Griechenland (1936) u. Rumänien (1938).
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Verfassungen
Nach dem Ende des 2. → Weltkriegs wurde in allen (künftig) „sozialistischen“ Ländern die Monarchie beseitigt. Griechenland, wo sich Monarchisten u. Republikaner bereits seit dem 1. Wk. mit wechselndem Ergebnis leidenschaftlich bekämpft hatten, folgte dieser Entwicklung nach einem Plebiszit i.J. 1974. In Jugoslawien, Albanien, Bulgarien, Rumänien u. Ungarn traten zw. 1946 u. 1949 „volksdemokratische“ V.en (in starker Anlehnung an die sowj. V. v. 1936) in Kraft. Im Unterschied zur pluralistischen Parteiendemokratie wurde die →„Volksdemokratie“ als Übergangsform v. einer „bürgerlich-kapitalistischen“ Gesellschaftsordnung zur „Diktatur des Proletariats“ u. in der weiteren Folge zur klassenlosen (sozialist. bzw. komm.) Gesellschaft verstanden. Das private Verfügungsrecht über Produktionsmittel wurde eingeschränkt oder abgeschafft. Die pol. Macht lag in der Hand der komm. Parteien bzw. der v. ihnen dominierten „Volksfront“-Koalitionen. Pol. Parteien u. Gruppierungen in Opposition zu den Kommunisten wurden unterdrückt u. ausgeschaltet. Zwar wurde äußerlich an Formen der parl. Regierungsform bis zu einem bestimmten Grad festgehalten, doch die bei Wahlen benutzten Einheitslisten u. die zunehmend offene Monopolisierung der Macht durch die komm. Führungsschichten setzten den Parlamentarismus (ebenso wie die Einklagbarkeit v. Grundrechten) außer Funktion. In den zum Abschluss der „volksdemokratischen“ Übergangsperiode erlassenen neuen V.en (beginnend 1952 in Rumänien) wurde die Führungsrolle der jeweiligen komm. Partei u. die „Diktatur des Proletariats“ sowie (früher oder später) der „Sozialismus“ als alleinige Gesellschaftsordnung konstitutionell verankert (rum. V. v. 1975, bulg. V. v. 1971, ung. V.s-änderungen v. 1972, alb. V. v. 1976). Mit der Entwicklung des →Selbstverwaltungssozialismus unternahm Jugoslawien einen in der europ. V.s-geschichte einmaligen pol. Gestaltungsversuch unternommen, der schließlich in der V. v. 1974 u. im „Grundgesetz über die vereinte Arbeit“ v. 1976 seine Ausformung fand. Nach dem Kollaps der sozialistischen Regime Ende der 1980er Jahre wurde an der V.s-entwicklung der Zwischenkriegszeit wieder angeknüpft. Die seit Anfang der 1990er Jahre erlassenen postsozialist. V.en orientierten sich einerseits an den Normen der internationalen Gemeinschaft (insbes. im Bereich der bürgerlichen Grundrechte), griffen aber andererseits auf die vorsozialist. Tradition (z. B. bei der Betonung des Nationalstaatscharakters u. der zentralistischen Verwaltungsgliederung) zurück.
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Quellen u. Lit.: Handbuch der europäischen Verfassungsgeschichte im 19. Jh. Hgg. W. Daum u. a. Bd. 1 ff. Bonn 2006 ff. (Bd.1: Um 1800. 2006; Bd. 2: 1815–1847. 2012); Croatian, Slovenian and Czech Constitutional Documents 1818–1848. Hgg. D. Čepulo u. a. Berlin, New York 2010 (=Constitutions of the World from the late 18th Century to the Middle of the 19th Century. Sources on the Rise of Modern Constitutionalism. Verfassungen der Welt vom späten 18. Jh. bis Mitte des 19. Jh.s. Quellen zur Herausbildung des modernen Konstitutionalismus. Hg. H. Dippel, Bd. 9).; Lj. Krkljuš, Pravna istorija srpskog naroda. Novi Sad 2002; H. Sundhaussen, Grundzüge der Verfassungsgeschichte des Balkanraums im „langen 19. Jh.“, in: Verfassungswandel um 1848 im europäischen Vergleich. Hgg. M. Kirsch/P. Schiera. Berlin 2001, 249–266; H. Küpper, Verfassungssysteme, in: Südosteuropa. Gesellschaft, Politik, Wirtschaft, Kultur. Ein Handbuch. Hgg. M. Hatschikjan/St. Troebst.München 1999, 223–247; M. Mateev, Istorija na bălgarskata dăržava i pravo. Sofija 1994; M.G. Manolova, Istorija na dăržavata i pravoto. Treta bălgarska dăržava
Verkehr
1878–1944 g. Sofija 1994; Constituţiile Române.[1858–1923]. Hgg. I. Moraru u. a. Bucureşti 1993; E. Focșeneanu, Istoria constituţionala a României 1859–1991. ebd. 1992; M.T. Oroveanu, Istoria dreptului românesc şi evoluţia instituţiilor constituţionale. ebd. 1992; M. Tsapogas, Staatsrationalisierung u. Verfassungsbewegung in Griechenland 1832–1843. Athen 1992; G. Todorov, Vremenno otmenjane i văzstanovjane na konstitucijata v Knjažestvo Bălgarija (1881–1883). Sofija 1991; Ustavni razvitak Srbije u XIX i početkom XX veka. Zbornik radova. Hg. M. Jovočić. Beograd 1990; L. Maier, Rumänien auf dem Weg zur Unabhängigkeitserklärung 1866–1877: Schein u. Wirklichkeit liberaler Verfassung u. staatlicher Souveränität. München 1989; Ustavi i vlade kneževine Srbije, kraljevine Srbije, kraljevine SHS i kraljevine Jugoslavije (1835–1914.). Hg. D. Mrdjenović. Beograd 1988; D. Djordjevic, Foreign Influences on Nineteenth-Century Balkan Constitutionalism, in: Papers for the V. Congress of Southeast European Studies 1984. Hgg. K.K. Shangriladze/E.W. Townsend. Columbus 1984, 72–102; E. Popescu, Din istoria politică a României. Constituţia din 1923. Bucureşti 1984; M.G. Manolova, Săzdavane na Tărnovskota Konstitucija. Sofija 1980; S.K. Pavlowitch, The Constitutional Development of Serbia in the Nineteenth Century, East European Quarterly 5 (1972), 456–467; A. Tilman-Timon, Les influences étrangères sur le droit constitutionel roumain. Paris 1946; C.E. Black, The Establishment of Constitutional Government in Bulgaria. Princeton 1943 (Ndr. 1970); N. Kaltchas, Introduction to the Constitutional History of Modern Greece. New York 1940; Les constitutions de l’Europe nouvelle. Hg. B. Mirkine-Guetzévitch. Paris 1931; S. Novaković, Dvadeset godina ustavne politike u Srbiji 1883–1903. Beograd 1912; J.M. Prodanović, Ustavni razvitak i ustavne borbe u Srbiji. ebd. o. J. H. S.
Verkehr. Die V.sgeschichte SOEs kann noch nicht als systematisch erforscht gelten. Dennoch wird man die These vertreten können, dass sich die ökon. Randlage und Rückständigkeit des Donau-Balkan-Raums seit der Römerzeit in seinem V.snetz spiegelte u. spiegelt, während der verkehrsoffenere pannonische Raum auch hier eine andere Entwicklung nahm. Beim Landv. beschränkte man sich in der röm. u. frühbyz. Epoche auf den Ausbau der strategisch wichtigen Hauptachsen, von denen hier nur die auch in späterer Zeit bedeutende →Heerstraße (die Via militaris), die von Konstantinopel bzw. Istanbul über Adrianopel/ Edirne u. das Maricatal, das heutige Sofia, das Moravatal, Niš u. Belgrad an die Donau u. in die pannonische Tiefebene führte, sowie die →Via Egnatia Dyrrachium/Durrës – Thessaloniki – Konstantinopel genannt seien. Beide hatten auch in osm. Zeit noch große Bedeutung. Wichtiger als der Landv., da leistungsfähiger u. zumal auf langen Strecken schneller, war in antiker Zeit wie danach jedoch der Seeweg, für den Adria wie gr. Inselwelt unter den damaligen technischen Voraussetzungen günstige Bedingungen boten. Der überregionale Seev. SOEs wurde im MA zur Domäne der it. Stadtstaaten, insbesondere Venedigs, u. blieb dies auch bis weit in die osm. Epoche hinein. Ohne die Nutzung des Seeweges wäre bis ins 20. Jh. die Getreideversorgung →Istanbuls undenkbar gewesen, u. auf dem Seeweg wurde das Osm. Reich in den europ. Welthandel der ersten Phase der Globalisierung einbezogen (→Kapitalist. Weltsystem). Dagegen wird die Bedeutung des Stromsystems der Donau für die Wirtschaftsgeschichte SOEs häufig überschätzt, wenngleich auch sie u. ihre großen Nebenflüsse Save u. Theiß – in
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MA u. früher Neuzeit auch Drau, Mur u. weitere – wohl zu allen Zeiten mit Schiffen befahren worden sind. Die Donau erschloss für Süddeutschland u. Österreich Absatzgebiete stromabwärts, setzte aber der Schifffahrt lange Zeit große Hindernisse entgegen, von denen das Eiserne Tor das berühmteste ist. Im 18. Jh. setzten unter habsb. Herrschaft erste Versuche der Stromregulierung ein, u. im →Banat wurden erste Kanäle gebaut. Erst das Dampfschiff – u. das Eingreifen der europ. Großmächte (→Orientalische Frage; →Paris, Friede v. [1856]) – aber machten die Donau zu einer Wasserstraße, die das südl. Mitteleuropa mit dem Schwarzen Meer verband u. verbindet. Der Landv. wurde in osm. Zeit nicht zuletzt durch die berühmten Brücken gefördert sowie durch die längs der Fernstraßen in regelmäßigen Abständen eingerichteten Hane (Karavansereien), letztere oft respektable Gebäudekomplexe, in denen der reisende Mensch u. sein Vieh sich von den Anstrengungen des Weges erholen u. in denen Waren sicher gelagert werden konnten. Frachtfuhrwerke waren relativ selten u. auf bestimmte Regionen beschränkt. Überwiegend wurde stattdessen in der osm. Epoche der Handel im Landesinneren u. aus dem Landesinneren zu den Seehäfen mit Karavanen, d. h. Tragtierkolonnen durchgeführt, denen weniger die mangelnde Straßenunterhaltung, umso mehr aber die häufige Unsicherheit der Straßen zum Verhängnis werden konnten. Straßenräubereien sind besonders seit dem 17. Jh. vielfach belegt; bis in die →Tanzimatperiode hinein hatten sie einen negativen Einfluss auf die internen Transaktionskosten. Wie alle großen Imperien unterhielt auch das Osm. Reich eine – bisher wenig erforschte – Staatspost, die aber im Gegensatz zu den Postunternehmen der habsb. Länder, die schon seit dem 16. Jh. die westl. Randzone SOEs bedienten, nur staatlichen Stellen zur Nutzung offenstand, während die mitteleurop. Postunternehmen auch Privatleuten – etwa der Kaufmannschaft – offenstanden. Postdienste im europ. Sinn gab es im Osm. Reich seit 1840. Mit brit. u. frz. Hilfe folgten während des →Krimkrieges die ersten Telegrafenlinien, die in den Folgejahren zügig zu einem Netz ausgebaut worden sind, das für die Aufrechterhaltung osm. Herrschaft in den Provinzen des Reiches schnell erhebliche Bedeutung gewinnen sollte. Der neuzeitliche Kunststraßenbau erreichte den Südosten Europas über das Habsburgerreich, wo man seit etwa 1720 an die Chaussierung der Hauptverkehrswege gegangen war. Neben der Hauptachse aus Mitteleuropa durch das heutige Slowenien nach Triest ist hier die damals über die habsb. Länder hinaus beachtete „Via Carolina“ von Fiume/→Rijeka nach Karlstadt/Karlovac zu erwähnen, die den V. zw. Ungarn u. den Adriahäfen übernehmen u. fördern sollte. Straßenbau war hier nicht zuletzt Mittel imperialer Politik: So begann man sofort nach der Erwerbung des bis dahin „straßenlosen“ venez. Dalmatiens 1797 mit dem Bau der mit Wagen befahrbaren „Dalmatinerpoststraße“ entlang der Adriaküste. Im frisch unabhängig gewordenen →Griechenland begann die „Bavarokratia“ (→Wittelsbacher) in den 1830er Jahren mit ersten Kunststraßenbauten; Serbien erhielt sie dagegen erst drei Jahrzehnte später. Im Osm. Reich folgte der Kunstraßenbau den Tanzimatreformen, scheint aber nicht sonderlich umfangreich gewesen u. eher strategischen als ökon. Überlegungen gefolgt zu sein. Seine Erforschung steht noch aus. Auch die ersten Eisenbahnen des soe. Raums entstanden in der Habsburgermonarchie, wo sie die etwa ein Jh. älteren chaussierten Fernstraßen ergänzen u. ersetzen sollten. 1854
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konnte die Eisenbahn zw. Wien u. Triest durchgehend betrieben werden. Ihr Abschnitt über den Semmering in den Ostalpen war die erste Gebirgsbahn Europas. Kaum weniger schwierig waren Bau u. Betrieb im krainischen Karst. 1856 erreichte die Eisenbahn von Pest u. Temesvár her Baziaş an der mittleren Donau. In den folgenden Jahrzehnten wurde in Österreich u. Ungarn (dort insbesondere nach dem Ausgleich von 1867) das Eisenbahnnetz systematisch ausgebaut; bis zum 1. Wk. entstand ein dichtes Lokalbahnnetz, das fast alle Landesteile erschloss u. ökonomisch förderte. Dagegen blieben im Osm. Reich, wo die erste Eisenbahn – zw. Constanţa u. Cernovoda in der →Dobrudscha – immerhin schon 1855 eröffnet worden war, die Baufortschritte nicht zuletzt aus Kapitalmangel relativ gering, obgleich die Regierung – wie bald auch diejenigen Griechenlands u. Rumäniens – die Bedeutung des neuen V.smittels schnell erkannt hatte. Das osm. Eisenbahnetz in Europa blieb auch in den Gebieten, die bis 1912/13 zum Reich gehörten, von bescheidener Dichte. Diejenigen Strecken, die nach u. nach an die Nachfolgestaaten übergingen, wurden von diesen meist zügig verstaatlicht u. nur zögernd durch weitere Linien ergänzt. Erst einige Jahre nach dem →Berliner Kongress kam auf öst.-ung. Druck hin eine durchgehende Eisenbahnverbindung zw. Istanbul u. dem mitteleurop. Netz in Ungarn zustande. Bei dieser Gelegenheit erhielt Serbien, das an einer solchen lange Zeit kein Interesse gezeigt hatte, seine erste Eisenbahnstrecke. Besonders in Serbien u. Griechenland sind nur die wichtigsten Durchgangslinien in europ. Normalspur, die anderen aber schmalspurig ausgeführt worden, während Bulgarien u. Rumänien die Normalspur auch für zweitrangige Strecken bevorzugten. In Bosnien u. Herzegowina ließ die öst.-ung. Verwaltung aus fiskalischen Gründen sogar fast ausschließlich Schmalspurbahnen anlegen, selbst auf Relationen wie der von der ung. Grenze über →Sarajevo nach Dubrovnik. Zwar bildeten diese bald ein respektables Netz u. bedeuteten für das verkehrlich bis dahin nahezu unerschlossene Land durchaus einen gewaltigen Fortschritt, entsprachen in Geschwindigkeit u. Leistungsfähigkeit jedoch eher kolonialen Extraktionsbahnen. Immerhin konnte das bosn. Schmalspurnetz später mit dem serbischen verbunden werden, wodurch im ersten Jugoslawien eine durchgehende schmalspurige Eisenbahnverbindung Belgrad–Sarajevo–Dubrovnik entstand. Doch schon in der Zwischenkriegszeit zeichnete sich ab, dass Bahnen diesen Standards in Sachen Geschwindigkeit u. Komfort nur in Ausnahmefällen dem modernen Straßenv. würden standhalten können. Sie hatten nur so lange eine Gnadenfrist, wie die Investitionsmittel zur gründlichen Modernisierung u. Erweiterung des Straßennetzes nicht aufgebracht werden konnten. Während Forschungen über den Einfluss der Eisenbahnen auf den ges. Wandel in ganz SOE noch äußerst rar sind, ist der Nutzen dieses V.smittels für die wirt. Entwicklung der Staaten des Balkan-Donau-Raumes in den letzten 120 Jahren immerhin umstritten. Offenbar nutzte keines der Balkanländer das volle Potential der Eisenbahnen, v. a., weil sich die meisten Regierungen Initiativen des Privatsektors in diesem Feld ökon. Aktivität widersetzten. Zudem dürfte feststehen, dass die externen Effekte des Auf- u. Ausbaus großer Eisenbahnsysteme, die in Ländern wie Großbritannien u. Deutschland, aber stellenweise auch in beiden „Reichshälften“ der öst.-ung. Monarchie die zügige →Industrialisierung mitbedingt oder gar ausgelöst haben, im Donau–Balkan–Raum nicht oder nur in geringem Umfang zu beobachten sind. Lediglich Rumänien konnte in der Zwischenkriegszeit eine Eisenbahnin-
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dustrie von einiger Bedeutung aufbauen u. war danach von Einfuhren v. Eisenbahnmaterial weitgehend unabhängig. Durch die Grenzziehungen der →Pariser Vorortverträge nach dem 1. Wk. verloren aus pol. Gründen manche der gewohnten V.sverbindungen u. Knotenpunkte ihre Bedeutung; beispielhaft sei der in dieser Epoche einsetzende relative Bedeutungsverlust des nunmehr it. Triest genannt. Häufig – so auch im Falle Triests, das dann dem vom zweiten jug. Staat stark geförderten slowenischen Koper V.santeile überlassen musste – verstärkten sich diese Entwicklungen durch die Teilung des Kontinents im →Kalten Krieg. Die sozialist. Staaten förderten zunächst weiter den Schienenv. (zum Gesamthintergrund: →Modernisierung; →Urbanisierung). Nicht nur wurden bedeutende Mittel in die Elektrifizierung u. Umstellung auf Dieselbetrieb investiert, sondern auch der Ausbau der Netze ging weiter (dagegen stagnierte dessen Entwicklung in Griechenland). Im zweiten Jugoslawien etwa gehörte die Umstellung der Schmalspurstrecke Slavonski Brod–Sarajevo auf Normalspur zu den „heroischen“ u. gebührend gefeierten ges. u. ökon. Großtaten der ersten Nachkriegsjahre. In den 1960er Jahren wurde die Normalspur nach Dubrovnik verlängert, was einem völligen Neubau gleichkam. Noch ein Jahrzehnt später folgte mit der Beograd– Bar-Linie durch unwegsamstes Hochgebirge ein international beachtetes Großprojekt (zu dem auch der Ausbau des einzigen „serbischen“ Hafens Bar gehörte). Trotz der bewundernswerten technischen Leistungen ist allerdings der volkswirt. Nutzen dieses Projekts schon während seiner Ausführung bezweifelt worden. Die zweite große V.srevolution der neuzeitlichen Geschichte, nämlich die Massenmotorisierung erreichte SOE mit einiger Verzögerung erst in der Nachkriegszeit u. – mit Ausnahme Griechenlands – unter sozialist. Vorzeichen (wenngleich mit sehr großen Niveauunterschieden im privaten Bereich; einen Extremfall stellte Albanien mit dem Verbot privaten Autoverkehrs dar). Der Ausbau des Straßennetzes für den Kraftv. begann in größerem Stil erst in dieser Zeit u. kann angesichts der Ausgangslage kaum genügend gewürdigt werden. Jugoslawien z. B. baute in den 1950er u. 1960er Jahren nicht nur den berühmten, aus Marshallplanmitteln finanzierten autoput, die weitgehend kreuzungsfreie Nordwest-Südost-Verbindung von Zagreb nach Belgrad, sondern auch die erste für modernen Kraftv. taugliche adriatische Küstenstraße u. viele weitere mehr. In allen soe. Ländern übernahmen Buslinien wichtige Funktionen nicht nur im Stadt-, sondern auch im stetig wachsenden Binnenfernverkehr. Jugoslawien u. Rumänien bauten auch eine eigene Autoindustrie auf, die mit westl. Lizenzen v. a. Kleinwagen produzierte u. den Beginn der von den Menschen sehnlichst erwarteten Massenmotorisierung erst ermöglichte. Auf der anderen Seite bedeutete dies die Stilllegung vieler nunmehr unrentabler Eisenbahnstrecken. Nicht unerwähnt sollte bleiben, dass alle soe. Staaten sich nach dem 2. Wk. (einige auch schon vorher) eigene Luftverkehrslinien zulegten u. somit auch in dieser Hinsicht Anschluss an den Weltv. suchten u. fanden. Ohne die Straßenbauten der Nachkriegsjahrzehnte u. den schnell wachsenden Luftv. wäre das enorme Wachstum des Tourismus sowohl der einheimischen Bev. wie auch aus anderen Ländern in dieser Epoche nicht denkbar gewesen. Seit der pol. Wende von 1989/90 sind bedeutende Investitionsmittel nicht zuletzt aus den Struktur- u. Entwicklungsfonds der EU v. a. in Autobahnbau u. weiteren Ausbau des se-
Verkehr / Verwandtschaft, Netzwerke
kundären Straßennetzes geflossen. Von den jeweiligen Hauptstädten ausgehend, entstanden Autobahnnetze, die aber bisher noch nicht zu einem großregionalen Gesamtnetz mit einer durchgehend kreuzungsfreien Verbindung von Mitteleuropa über Istanbul in den Nahen Osten zusammengefügt werden konnten. Nach Beendigung der Kampfhandlungen haben auch einige der jug. Nachfolgestaaten in allerdings sehr unterschiedlichem Ausmaß an dieser beeindruckenden Entwicklung partizipiert. Die jugoslawischen Zerfallskriege der 1990er Jahre (→postjug. Kriege) brachten übrigens dem Seev. entlang der östl. Adriaküste sowie zw. Griechenland u. Italien (der in beiden Relationen seine Bedeutung allerdings nie völlig verloren hatte) eine unerwartete, z. T. bis heute anhaltende Renaissance. Die Motorisierung der Bev. schreitet auch in den ärmsten soe. Ländern weiter voran. Nur in wenigen Fällen (so etwa bei der Verbesserung der Eisenbahnanbindung Ungarns an den slow. Seehafen Koper) haben dagegen vom Strom der Brüsseler Investitionsmittel die vernachlässigten Eisenbahnsysteme des Donau-Balkan-Raumes profitiert. Hier werden in Zukunft bedeutende Modernisierungsinvestitionen nötig sein, damit gegen Straßen- u. Luftfahrtkonkurrenz wenigstens ein Kernnetz gehalten u. einigermaßen rentabel betrieben werden kann. Lit.: Dž. Juzbasić, Bosnien u. die Herzegowina in der österr.-ung. Orient-Eisenbahnbaupolitik, SOF 72 (2013), 11-62; D. Kežić, Die Eisenbahn Belgrad-Bar 1952–1976. Eine Geschicht der Finanzierung des größten Eisenbahnprojektes Jugoslawiens, SOF 71 (2012), 285-309; A. Helmedach, Das Verkehrssystem als Modernisierungsfaktor. Straßen, Post, Fuhrwesen u. Reisen nach Triest u. Fiume vom Beginn des 18. Jh.s bis zum Eisenbahnzeitalter. München 2002; Istorija na železnicite v Bălgarija. Hgg. A. Džaleva-Čonkova u. a. Sofija 1997; The Via Egnatia under Ottoman Rule (1380–1699). Hg. E. Zachariadou. Rethymnon 1996; Der Weg führt über Österreich. Zur Geschichte des Verkehrs- u. Nachrichtenwesens von u. nach Südosteuropa (18. Jh. bis zur Gegenwart). Hg. H. Heppner. Wien u. a. 1996; Dž. Juzbašić, Izgradnja železnica u Bosni i Hercegovini u svjetlu austrougarske politike od okupacije do kraja Kállayeve ere. Sarajevo 1974; D. Arnautović, Istorija srpskih železnica 1850–1918. Beograd 1934; K. J. Jireček, Die Heerstraße von Belgrad nach Constantinopel u. die Balkanpässe. Prag 1877. A. Hd.
Verwandtschaft, Netzwerke. Grundsätzlich sind in Europa zwei hist. Modelle der Herstellung u. Sicherung v. Solidarität u. der sozialen Beziehungen zu unterscheiden: 1) Gesellschaften, die im Laufe ihrer Geschichte ihre soz. Beziehungen weitgehend institutionalisierten. In West- u. Zentraleuropa entwickelten sich die frühesten stabilen Behördenapparate, denen die Individuen letztlich Vertrauen schenken konnten. Solche Institutionengesellschaften eröffnen verwandtschaftlichen u. klientelistischen Netzwerken vergleichsweise begrenzte Entfaltungsmöglichkeiten. 2) In den übrigen europ. Großregionen gelang es aus hist. Gründen nicht, ein ähnliches Maß an institutionalisierter Durchdringung der soz. Beziehungen zu etablieren. Hier behielten die persönlichen Sozialbeziehungen große Bedeutung. Im nördl. Mittelmeerbereich, wo soz. Traditionen der römischen Antike teilweise bis heute praktiziert werden, geschah dies in Form der Patron-Klientel-Beziehungen (→Klientelsystem); man könnte auch v. Gefolgschaftsgesellschaften sprechen. Die wirksamste Form der Kooperati-
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Verwandtschaft, Netzwerke
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on, Solidarität u. soz. Beziehungen in den hist. Balkangesellschaften bildete die Verwandtschaft (V.) in Form der patrilinearen Abstammungsgruppe (→Stamm, Stammesgesellschaft; →Patriarchalismus). Wir können diese Gesellschaften daher auch als Verwandtschaftsgesellschaften bezeichnen. Hier ersetzte die Gruppe der miteinander Verwandten weitgehend institutionalisierte Sozialbeziehungen. Am stärksten waren diese V.snetzwerke in den westl. Balkangebieten ausgeprägt (Serbien, Bosnien-Herzegowina, Montenegro, Kosovo, Albanien, Nordgriechenland, Makedonien, Westbulgarien), wo sie – wie etwa in Montenegro oder Nordalbanien – in territorial abgeschlossenen Verbänden praktiziert wurden (→Stamm, Stammesgesellschaft). Diese Verwandtschaftsgesellschaft kannte weder relig. noch ethn. bedingte vorrangige Zuordnungen. Die trad. V.sorganisation war speziell in den genannten Gebieten in Form einer Abstammungsv. aufgebaut. Diese beruhte darauf, dass alle jene, die in männlicher Linie v. einem Urahn abstammten, als miteinander verwandt galten (Patrilinearität; vgl. →Frau, ges. Stellung). Solche Abstammungsgruppen kannten keine V.sgrade; man war mit allen, die ihr angehörten, gewöhnlich gleich stark verbunden. So wurden Cousins beispielsweise als Brüder verstanden u. auch so bezeichnet. Ein weiteres wesentliches Charakteristikum ist, dass sie stark männerfokussiert, d. h. in die patriarchale Gesamtordnung eingebaut waren. Ihr Umfang war abhängig v. der generationsmäßigen Entfernung zum Urahn u. v. der demogr. Entwicklung; er konnte sich v. wenigen Mitgliedern bis zu mehreren Hunderten erstrecken. Das V.snetzwerk war stark auf sich bezogen u. grenzte sich deutlich v. anderen Netzwerken ab. Der Grund dafür lag primär darin, dass zwar die Ehefrau aus einer anderen V.sgruppe gewählt werden musste (Exogamie), jedoch dadurch zw. diesen beiden Gruppen keine V. entstand. Durchbrochen werden konnte diese Segmentierung lediglich durch die Herstellung v. geistiger Verwandtschaft, wie etwa der Patenschaft (serb. kumstvo, gr. koumbaria) (vgl. →Klientelsystem). Die Grenzen zw. Freundschaft u. potentieller Feindschaft waren so durch die verwandtschaftl. Bande vorgegeben. Speziell die westl. Balkangesellschaften waren bis weit in das 20. Jh. hinein stark segmentiert bzw. fragmentiert. Verwandtschaftsgruppen konnten sich für die Realisierung eines bestimmten kurzfristigen Zieles verbünden, ohne sich jedoch dauerhaft auf gemeinsame Ziele zu einigen (a. →segmentäre Gesellschaft). Diese Segmentierung entsprach in weiterer Folge derjenigen des gesamten öffentlichen u. v. a. politischen Lebens. In dieser Tradition stehend, konnten umfassende Ideologien u. Weltauffassungen nur schwer Fuß fassen, gemeinsame Willensbildungen erfolgen, Fraktionierungen politischer Parteien hintan- u. parlamentarische Mehrheiten zusammengehalten werden (→Modernisierung). Die traditionelle V.sgesellschaft ist im Verlauf der kommunistischen Herrschaft in Unordnung geraten u. hat neue Formen angenommen. Die eine Ursache dafür ist darin zu sehen, dass die sozialist. Moderne den Verlust des Charakters exklusiver Verwandtschaftsbande bei den Solidarbeziehungen mit sich brachte. Durch eine bis dahin unbekannte institutionelle Durchdringung der Gesellschaft, die allerdings eine höchst ideologisierte war, verlor die verwandtschaftl. Beziehung für die Organisation des Alltagslebens an Bedeutung. Die andere Ursache liegt darin, dass die Verwandtschaftsbande – allerdings in einem neuen Mix mit außerverwandtschaftl. u. pol. Beziehungen aufgeladen – reformuliert wurden. Von den einzelnen kommunist. Parteichefs – Ausnahmen ausgenommen – weiß man, welche Verwandte
Verwandtschaft, Netzwerke / Via Egnatia
sie wann u. wo in Schlüsselpositionen hievten. Die ideologische Argumentation rund um die Besetzung wichtiger politischer Positionen verhüllte mitunter deren triviale verwandtschaftl. Motivation. Es wäre durchaus erkenntnisreich, die Regierungen, Politbüros u. die Zusammensetzung der mittleren u. unteren Kader auf ihre verwandtschaftl. Zusammenhänge hin zu analysieren. Die Bedeutung solcher Beziehungsgeflechte hat sich in der Transformationsperiode wiederum erhöht, da viele institutionalisierte soziale Sicherungselemente weggefallen sind. Sie erleichtern den Aufbau v. Parallelstrukturen, lassen mafiaähnliche Strukturen sprießen u. unterminieren die aufkeimende Zivilgesellschaft. Lit. (a. →Klientelsystem): K. Kaser, Klientelismus: Positive Potenziale u. Risken eines traditionellen Modells sozialer Beziehungen, in: Bilanz Balkan. Hgg. M. Daxner u. a. Wien, München 2005, 54–67; ders., Familie u. Verwandtschaft auf dem Balkan. Analyse einer untergehenden Kultur. Wien u. a. 1995 (167–263); Vom Nutzen der Verwandten. Soziale Netzwerke in Bulgarien (19. u. 20. Jh.). Hgg. U. Brunnbauer/K. Kaser. Wien u. a. 2001; J. Campbell, Honour, Family and Patronage: A Study of Institutions and Moral Values in a Greek Mountain Community. New York u. a. 1974; E. Hammel, Alternative Social Structures and Ritual Relations in the Balkans. Englewood Cliffs 1968. K. K.
Via Egnatia. Alte Römerstraße auf der Balkanhalbinsel, welche die Adria mit der Ägäis verbindet u. als kürzeste Wegstrecke zw. den beiden Hauptstädten Rom u. Konstantinopel eine überregionale Bedeutung hatte. Sie setzt die Via Trajana v. Rom durch Süditalien fort u. führte v. den Adriahäfen Dyrrhachium (Epidamnos, Durrës) bzw. Apollonia (Aulon, Vlorë) nach Thessaloniki. In der Zeit des Kaisers Augustus wurde sie weiter ausgebaut über Cypsela (Kypsele) am Hebros (Marica) u. Herakleia nach Konstantinopel. Entlang der Straße entwickelten sich wichtige Siedlungen, u. a. Lichnidos (Ohrid), Herakleia Lynkestis (nahe Bitola), Edessa (das frühere makedonische Aigai, heute Bodena/Voden), Pella, Philippi, Christupolis (Kabala). Der Name der Straße findet sich nur bei Strabon, sein Ursprung ist strittig. Die durch Kastelle geschützte Trasse folgte einem alten Handelsweg v. der Adria bis zum Schwarzen Meer. In röm. Zeit wurde sie v. a. als militärische Aufmarschstraße benutzt. Während des 9. Jh.s hatten sich die Bulgaren der strategisch wichtigen Überlandverbindung bemächtigt, im 11. Jh. benutzten sie die v. Otranto übersetzenden normannischen Invasionstruppen Robert Guiskards auf ihrem Marsch gegen Saloniki. In der Gegenwart lebt der Name der Via Egnatia wieder auf im Zusammenhang mit der Osterweiterung der EU u. dem Bemühen, eine bessere Verkehrsanbindung der Beitrittsländer zu erreichen. Auf den Paneuropäischen Verkehrskonferenzen 1994 u. 1997 in Kreta wurde der Ausbau v. 10 paneuropäischen Verkehrskorridoren (sog. Kreta-Korridore) im Rahmen der Transeuropäischen Netze (Trans-European networks) beschlossen. Korridor VIII, der auf 1300 km Durrës über Tirana, Skopje u. Sofia mit Varna verbinden soll, trägt den Namen Via Egnatia. Parallel dazu baut Griechenland eine Egnatia-Straße, die auf 680 km v. Igoumenitsa nach Alexandroupolis führt.
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Vidovdan
Lit.: A. Gutsche, Auf den Spuren der antiken Via Egnatia: vom weströmischen ins oströmische Reich. Ein historischer Reiseführer durch den südlichen Balkan: Albanien – Mazedonien – Griechenland – Türkei. Schweinfurt 2010; M. Fasolo, La Via Egnatia. 1: Da Apollonia e Dyrrachium ad Herakleia Lynkestidos. Roma 22005; The Via Egnatia under Ottoman Rule (1380–1699). A Symposium Held in Rethymnon 9.–11. January 1994. Hg. E. Zachariadou. Rethymnon 1996; F. O’Sullivan, The Egnatian Way. Newton Abbot u. a. 1972. E. H.
Vidovdan (serb. „Tag des hl. Veit [Vitus]“, eines um 303 in Sizilien gestorbenen Märtyrers). 15. Juni alten Stils, 28. Juni neuen Stils; Die Bedeutung des V. im Bewusstsein der Serben ist mit der „schicksalhaften“ Schlacht auf dem Amselfeld (→Kosovo polje) am 28.6.1389 verbunden (→Erinnerungskultur). Der v. der serb. Bevölkerung verehrte Vid war aber anscheinend nicht mit dem sizilianischen Märtyrer identisch, zumal die serb. Kirche diesen nicht kanonisiert hatte. Vielmehr lebte in der Popularkultur der alte Kult für den heidnischen Kriegsgott Vid weiter. Die serb. Kirche hat sich daher erst nach langem Zögern 1913/14 entschlossen, den populären V. als kirchlichen Feiertag zu akzeptieren. Auf staatlicher Ebene war er dagegen bereits 1890 erstmals als Feiertag begangen worden. Im Zuge der serb. →Nationsbildung war der v. der epischen Dichtung ausgeformte Kosovo-Mythos zu einer nationalistischen „Vidovdanska religija“ („St-Veitstag-Religion“) bzw. „Vidovdanska etika“ („St.Veits-Ethik“) mit dem Recht auf nationalen Widerstand u. Vergeltung für erlittenes Unrecht ausgeformt worden. „Die Philosophie Kosovos“, so hieß es in einem 1914 erschienenen Artikel, „ist die Philosophie des Vogels Phönix, die Philosophie Golgathas, erhoben v. der allgemeinen Gültigkeit empor zur spezifisch-nationalen“. Dass der österr.-ung. Thronfolger, Erzherzog Franz Ferdinand, seinen Besuch in der bosn. Hauptstadt 1914 ausgerechnet auf den 525. Jahrestag der Schlacht auf dem Amselfeld legte, wurde v. serb. u. südslav. Nationalisten als Provokation empfunden u. führte mit zum →Attentat v. Sarajevo, das seinerseits den 1. Wk. auslöste. Sieben Jahre später, am 28.6.1921, erhielt der neue südslav. Staat seine erste Verfassung – die zentralistische V.-Verfassung –, die das serb. Übergewicht in →Jugoslawien festschrieb. Auch Stalin scheint sich der symbolischen Bedeutung des V. bewusst gewesen zu sein, als er Jugoslawien am 28.6.1948 aus der komm. Weltbewegung ausschließen ließ (→Kominformkonflikt). Der 600. Jahrestag der Schlacht auf dem Amselfeld i.J. 1989 gestaltete sich zum Höhepunkt einer neuen serb.-nationalistischen Mobilisierungswelle. Lit.: H. Sundhaussen, Kriegserinnerung als Gesamtkunstwerk u. Tatmotiv. Sechshundertzehn Jahre Kosovo-Krieg (1389–1999), in: Der Krieg in religiösen u. nationalen Deutungen der Neuzeit. Hg. D. Beyrau. Tübingen 2001, 11–40; A. Richter, Rückgriffe auf den Vidovdan-Mythos in literarischen Werken des 20. Jh.s, in: Geschichtliche Mythen in den Literaturen u. Kulturen Ostmittel- u. Südosteuropas. Hgg. E. Behring/L. Richter/W.F. Schwarz. Stuttgart 1999, 381–392; M. Popović, Vidovdan i časni krst. Ogled iz književne arheologije. Beograd 31988; G. Kappel, Die slavische Vituslegende u. ihr lateinisches Original, Wiener Slavistisches Jahrbuch 20 (1974), 73–85. H. S. 1010
Vilayet / Vlachen
Vilayet (a. Wilayet, v. arab. wilāya „Herrschaft, Regierung“). Verwaltungseinheit, ursprünglich oft synonym mit →Nahiye oder allg. „Gebiet“ ; seit der Verkündung der →Tanzimat-Gesetzgebung zur Reorganisation der osm. Territorialverwaltung ab 1864 („V.-Gesetz“) ausschließlich für die größte territ. Einheit (zuvor →Eyalet) verwendet. Das auf stärkere Repräsentanz auch der nichtmusl. Bev. u. auf klarere Kompetenzentrennung abzielende Gesetz v. 1864 wurde zunächst nur in dem für Ahmed Şefik Midhat Pascha durch Zusammenlegung der früheren Eyalets v. Silistra, Vidin u. Niš gebildeten sog. Donau-V. angewendet; seine maßgebliche Gestalt erhielt es 1867. Es wurde in der Folgezeit mehrfach ergänzt u. ist in der türk. Verwaltung bis heute richtungsweisend geblieben. – Das V.-Gesetz sah die Aufteilung des Reichsgebiets in V. mit je einem →Vali an der Spitze vor, dem ein Verwaltungsrat (meclis) zur Seite stehen sollte, zusammengesetzt aus dem Scheriatsoberrichter (→Kadi), dem →Defterdar der Provinz, dem Kanzleichef (mektubcı), dem Direktor des Äußeren sowie je zwei bis drei musl. u. nichtmusl. Mitgliedern. Auch auf →Sancak-Ebene sollte es unter Vorsitz des Mutasarrıf einen Verwaltungsrat geben, dem hier der →Kadi des Zentral-→Kaza, der Mufti, die nichtmusl. geistlichen Oberhäupter, der Finanzdirektor (muhasebeci), der Kanzleichef (tahrirat müdiri) sowie je zwei musl. u. nichtmusl. Mitglieder angehörten. In den einzelnen Kaza unter der Aufsicht je eines →Kaimakam setzte sich der Kreis-Verwaltungsrat aus dem Richter, dem Mufti, den Oberhäuptern der nichtmusl. Religionsgemeinschaften, dem Sekretär sowie je drei musl. u. nichtmusl. Mitgliedern zusammen. Auf Dorf ebene sah das Gesetz je zwei aus jeder Religionsgruppe zu wählende Ortsvorsteher vor. Lit.: M.V. Popov, Tanzimat for the countryside. Midhat Paşa and the vilayet of Danube 1864– 1868. Ann Arbor/Mich. 2006; A. Aličić, Uredjenje bosanskog ejaleta do 1878. godine. Sarajevo 1983; H.-J. Kornrumpf, Die Territorialverwaltung der europäischen Türkei vom Erlaß der Vilayetsordnung (1864) bis zum Berliner Kongreß (1878) nach amtlichen osmanischen Veröffentlichungen. Freiburg/Br. 1976. M. U.
Vlachen (a. Walachen, Wlachen). 1. Name: Wahrscheinlich keltischen Ursprungs (cf. Volcae), gelangte das Wort über ahdt. wal(a)hisc (> mhdt. welsch/walchisch, nhdt. welsch) – mit der Bedeutung „lateinisch/romanisch“ – früh in die slav. Sprachen Ost- (russ. volochy) u. SOEs (bulg., serb. vlasi) u. von dort in die übrigen Sprachen, wo es zunächst „Romanen“ im allgemeinen u. (alle Arten von) „Rumänen“ im besonderen bezeichnete; zur besseren Unterscheidung entstanden viel später Doubletten (ung. ólasz = it., ólah = rum.; poln. włoski/ wołoski), aber die bestehenden Unklarheiten (vgl. slowen. laški/dial. vlaški! = it.) wurden noch verstärkt, als der Terminus auch auf slavisierte Romanen u. auf Südslaven ausgedehnt wurde, schließlich auf verschiedene „ethnographische Gruppen“, deren Sprache (alle rum. Mundarten), Lebens- u. Wirtschaftsweise (Wanderhirten, „Martolosen“ od. →Armatolen: „Armatoloi“ < Armatu[s] + rum. Artikel + gr. Suffix = Bewaffnete, Söldner, Burg- u. Passwächter – osm. „voynuk“ u. „dervenci“, →Derbendci), Konfession (Orthodoxie) oder privilegierte rechtliche Stellung (→Ius Valachicum) an „Rumänen“ erinnerte. Als Bestandteil der vieldeutigen Quellenterminologie sollte der unklare Terminus V. heute nur noch als Zitat
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Vlachen
verwendet werden. Wissenschaftlich wurde er völlig unbrauchbar, seit er in neuerer Zeit meist als Peiorativum für die jeweilige Alterität (dt. u. ung. für „Rumänen“, kroat. für „Serben“ u. „Orthodoxe“, gr. für „Provinzler“) anzutreffen ist. 2. Geschichte: Die Geschichte der soe. V. beginnt mit der bisher ungeklärten →Ethnogenese u. Frühgeschichte der Rumänen (a. →Dakoromanismus) bzw. der romanisierten Bev. an der unteren Donau, die immer u. überall v. ihren Nachbarn als W. bezeichnet wurde. Einerseits kann man nicht alle seit dem 9. Jh. in den Quellen (russ. Chroniken, byz. Geschichtsschreiber, Reisende aus O u. W, serb. Urkunden, osm. Privilegien u. Steuerlisten) auftretenden V. als Rumänen definieren. Andererseits kann man dem Terminus auch nicht jegliche ethn. Bedeutung absprechen, weil es in ganz SOE vlach. Toponyme (u. andere Namen) gibt, die offensichtlich rum. sind. Es muss vielmehr v. Fall zu Fall kritisch geprüft werden, mit welchen Inhalten der Terminus ausgestattet ist u. mit welcher der heutigen ethn. Gruppen ein Zusammenhang bestehen könnte. Die bei den byz. Autoren seit dem 10. Jh. vielfach auch mit kompakten Siedlungsgebieten (Blachia) ausgewiesenen V. des südl. Balkans waren ethn. nicht unbedingt identisch mit den V. des Balkangebirges, die im 12. Jh. mit dem Zweiten →Bulg. Reich der →Aseniden auch pol. Bedeutung erlangten. Diese Gruppen bilden z. T. die Vorfahren der noch heute im S lebenden →Aromunen u. →Meglenorumänen. Die nach den Quellen offensichtlich zahlreichen u. gleichfalls sprachlich durchaus unterschiedlichen V. im NW der Halbinsel, darunter die „schwarzen V.“ (Morlaken/Morlaci/Mauroblachoi/Nigri Latini u. a. Bezeichnungen) in Dalmatien dürften vor ihrer Slavisierung eher dakorumänisch geprägte Mundarten gesprochen haben; einen Rest davon stellen die →Istrorumänen (vgl. a. →Tschitschen) dar, während die im 19. Jh. sprachlich ausgestorbenen Dalmatiner über ein eigenes romanisches Idiom verfügten. Eher dakorum. geprägt waren auch die seit dem 9. Jh. (Nestor-Chronik) belegten „volochy“ im N der Donau, die gleichfalls mehrere „Walacheien“ (sowohl nach süd- wie nach ostslav. Lautung: „Pădurea Vlăsiei“ u. „Vlaşca“ in der Walachei, terra blacorum in Siebenbürgen, woyuoda wolacum im Komitat Bereg) gebildet haben, v. dem seit dem 13. Jh. zu hist. Bedeutung gelangten – rum. – Fsm. →Walachei (rum. Ţara Românească/Muntenia; ung. Havasalföld; gr. Ungroblachia, osm. Iflak), entlang der Karpaten bis zur inzwischen slavisierten „mährischen Walachei“ (seit 16. Jh. [a. →Slowaken], um Walachisch Meseritsch/Valašské Meziříčí). In der FNZ diente der Name V. als Berufsbezeichnung für Viehzüchter u. Wanderhirten (unabhängig von deren ethn. Zugehörigkeit) (a. →Katun). 3. Vlachische ethn. Gruppen heute: Eine klare Unterscheidung zw. ethn. u. „ethnogr.“ Gruppen, die sich entweder selbst (trotz oft pejorativen Akzents) als V. (inkl. Varianten) bezeichnen, oder den Vlachennamen wegen ihrer Alterität führen, ist nicht möglich: →Aromunen, →Meglenorumänen, →Istrorumänen, →Sarakatsanen/Karakatschanen, Sprecher dakorum. Mundarten in NW-Bulgarien (v. a. Vidin) u. NO-Serbien (Požarevac-Kladovo-Timok), rum. Roma Bosniens, kroat. Štokavci im österr. Burgenland (Eigenbezeichnung: vlahi), →Huzulen u. andere „Goralen“ der Karpaten u. die Bewohner der mährischen Walachei (s. o.).
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Lit.: V. Aleksić, Medieval Vlach Soldiers and the Beginnings of Ottoman Voynuks, Beogradski istorijski glasnik 2 (2011), 105–128; Z. Mirdita, Vlasi. Starobalkanski narod (od povijesne pojave do danas). Zagreb 2009; V. Stojanović, Etnogeneza nastanka Vlaha. Vlasi i balkanski narodi. Nego-
Vojvode
tin 2007; Z. Mirdita, Vlasi u historiografiji. Zagreb 2004; A. Tanaşoca/N.-Ş. Tanaşoca, Unitate romanică şi diversitate balcanică. Contribuţii la istoria romanităţii balcanice. Bucureşti 2004; T.J. Winnifrith, The Vlachs. The history of a Balkan people. London 1987; V. Nitsiakos, A Vlach Postoral Community in Greece. The Effects of its Incorporation into the National Economy and Society. Cambridge 1985; P.Ş. Năsturel, Vlacho-Balcanica, Byzantinisch-Neugriechische Jahrbücher 22 (1978), 221–248; A. Iancu, Ştiri despre români în izvoare istoriografice sîrbeşti (secolele XV– XVII), Studii istorice sud-est europene 1 (1974), 7–41; S. Tornow, Die Herkunft der kroatischen Vlahen des südlichen Burgenlandes. Berlin 1971; G. Novak, Morlaci (Vlasi) gledane s mletačke strane, Zbornik za narodni život i običaje 45 (1971), 579–603; N. Beldiceanu, Sur les Valaques des Balkans slaves à l’époque ottomane (1450–1550), Revue des Études Islamiques (1967), 83–132; S. Dragomir, Vlahii din nordul peninsulei balcanice în evul mediu. Bucureşti 1959; J. Macůrek, Valaši v západních Karpatech. Ostrava 1959; V. Murvar, The Balkan Vlachs: A Typological Study. Diss. phil. Univ. of Wisconsin 1956; V. Chaloupecky, Valaši na Slovensku. V Praze 1947; D. Crânjală, Rumunské vlivy v Karpatech se zvlástním zřetelem k Moravskému Vlašsku. ebd. 1938; K. Kadlec, Valaši a valašské právo v zemích slovanských a uherských. ebd. 1916; A. Wace/M.S. Thompson, The Nomads of the Balkans. An Account of Life and Customs among the Vlachs of Northern Pindus. London, New York 1914 (Ndr.1972; serb. Übers.: Pančevo 2009). M.D. P.
Vojvode (auch Woivode u. a.; kroat., serb. Vojvoda, rum. Voievod, alb. vojvodë). Das Wort kommt aus dem Slavischen u. bedeutet „Herzog, Heeresanführer“. Von dieser Erstbedeutung abgeleitet wurde das Wort ein schillernder Begriff, der einerseits auch in den rum., alb. u. teilweise ung. Sprachgebieten bis hin zu den →Roma Eingang fand, andererseits für milit. Anführer auf unterschiedlichsten Ebenen angewendet wurde. Im ma. Serbien galt der Titel für die Anführer einzelner Abteilungen des Heeres; im 13. Jh. werden V. als Teilnehmer an der kgl. Ratsversammlung genannt, im 14. Jh. auch als Hofwürdenträger (auch als „veliki vojvoda“ – Großvojvode). Gemäß dem Gesetzbuch Stefan Dušans (→Zakonik, Art. 129) wurden den V. auf Kriegszügen alle ksl. u. richterlichen Befehlsgewalten übertragen. In der Zeit des serb. Despotats (→Despoten) blieben die V. Befehlshaber u. Hofwürdenträger, daneben werden sie auch als Leiter besonderer adm. Einheiten (vlasti) genannt. Als „kulski vojvoda“ waren sie Befehlshaber v. Garnisonen u. Festungen. Im ma. Bosnien werden V. ursprünglich als milit. Befehlshaber u. Oberhaupt einer Gruppe v. Župen (→Župan) genannt. Nach der Erhebung zum Königtum (1377) sind V. in den Quellen als kgl. Statthalter bezeugt. Im Osm. Reich waren V. nicht nur als Führer kleinerer Truppen, sondern auch als Steuereintreiber tätig u. bildeten einen Teil des osm. Verwaltungsapparats. Unter den Vlachen-Viehhaltern mit ihrer ausgeprägten Selbstverwaltung (→Ius Valachicum) bezeichnete dieser Titel ihre wichtigsten milit. Anführer, sowohl im Osm. Reich als auch im habsb. u. venez. Militärgrenzgebiet. So werden beispielsweise die Anführer der →Uskoken v. Senj als auch die sonstigen Anführer der vlach. Wehrbauern als V. bezeichnet. Unter den Stämmen Montenegros u. der Herzegowina war V. vom 16. bis zum 19. Jh. die häufigste Bezeichnung für die Stammesanführer, unter den alb. Stämmen dient dieser Titel zur Bezeichnung herausragender Anführer/Ältester (→Stamm).
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Vojvode / Vojvodina
In den rum. Fürstentümern werden in Dokumenten des 13. Jh.s V. als Häupter v. Vojvodaten (Dorfkonföderationen, →Dorf, Dorfgemeinschaft) genannt. Der Titel sollte dann auf die Herrscher (→Hospodare) der osm. Vasallenfürstenümer Moldau, Walachei u. Siebenbürgen (→Vajda) übertragen werden. Lit.: V. Panaite, „…Our Reign is Granted by Turks…“. Ottoman Sultans and Tributary Voyvodas of Wallachia and Moldavia. (Sixteenth–Seventeenth Centuries), in: Power and Influence in South-Eastern Europe, 16th–19th Centuries. Hgg. M. Baramova u. a. Zürich, Berlin 2013, 177–189; P. Petrov/E. Grozdanova, Der Wojwode in den mittelalterlichen Balkanländern u. im Osmanischen Reich, Études historiques 9 (1979), 99–127. K. K.
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Vojvodina (Land eines „vojvoda“ [serbokroat. „Heerführer“], →Vojvode). Zur Republik Serbien gehörende, fruchtbare Autonome Provinz im N v. Belgrad zw. der Donau im W, der serb./-ung. Grenze im Norden, der serb./-rum. Grenze im O sowie der Donau u. Save im S (insges. 21.506 km2). Hauptstadt: Novi Sad/Neusatz/Ujvidék. Die V. setzt sich zusammen aus dem serb. Teil des →Banats, aus dem Großteil der hist. Provinz →Batschka u. einem Teil der hist. Provinz →Syrmien. 1991 lebten in der V. knapp über 2 Mio. E, darunter 57 % Serben, 17 % Ungarn, fast 9 % „Jugoslawen“, knapp 4 % Kroaten u. eine Vielzahl anderer Minderheiten (Slowaken, Rumänen, Montenegriner, Roma etc.); 2011: 1,9 Mio. E, darunter 66,8 % Serben, 13,0 % Ungarn, 2,4 % Kroaten. Der serb. Anteil an der Bev. hat seit Gründung des jug. Staats infolge gezielter Kolonisationspolitik (Ansiedlung bzw. Zuwanderung v. Serben u. Monetengrinern [„Kolonisten“] aus anderen Teilen Jugoslawiens nach dem 1. u. 2. Wk. vgl. →Bodenreformen) auf der einen sowie als Folge v. Flucht oder Vertreibung des einst ansehnlichen dt. Bevölkerungselements (343.000 Personen i.J. 1931; →Donauschwaben) nach Ende des 2. Wk.s auf der anderen Seite ständig zugenommen. Von den knapp 2 Mio. E (1971) galten mehr als 910.000 Personen (rd. 48 %) als Zuwanderer. Das Gebiet der heutigen V. gehörte seit dem MA die meiste Zeit zu →Ungarn (Syrmien zu →Slawonien). Seit dem 11. Jh. werden unter den Bewohnern der V. neben Magyaren u. Angehörigen anderer Ethnien auch →Serben erwähnt, deren Anteil sich nach der Schlacht auf dem Amselfeld 1389 (→Kosovo polje) u. dem Untergang des südl. angrenzenden serb. Reststaats 1459 als Folge der Flüchtlingsbewegungen v. Süden nach Norden verstärkte. Von der Mitte des 16. bis Ende des 17./Anfang des 18. Jh.s bildete das Gebiet der V. mit weiten Teilen des übrigen Ungarn einen Teil des →Osm. Reiches. Nach Vertreibung der Osmanen setzte eine intensive Wiederbesiedlung der stark entvölkerten Provinzen (u. a. mit Kolonisten aus den dt. Reichsgebieten; →Kolonisation) ein. Die den Serben anläßlich der sog. „Großen Wanderung“ v. 1690 (→Migrationen) durch Ks. Leopold I. verliehenen Privilegien ermöglichten ihren raschen kult. u. wirt. Aufschwung in Ungarn. Nach heftigen kriegerischen ung.-serb. Zusammenstößen während der →Revolution v. 1848/49 wurden durch ksl. Patent vom 18.11.1849 die syrmischen Bezirke Ruma u. Ilok, die „vorzugsweise v. Serben bewohnten“ (tatsächlich aber ethn. sehr heterogenen) Teile der Batschka sowie des Temescher u. Torontaler Komitats zur „Wojwodschaft Serbien“ (als Untergliederung der „Wojwodschaft Serbien u. Temescher Banat“) zusammenge-
Vojvodina
fasst u. bis Ende 1860 als eigenes österr. Kronland v. Ungarn abgetrennt. Nach dem →Ausgleich v. 1867 erfolgte die komplette Wiedereingliederung des Gebiets (ohne Ostsyrmien, das wieder an Kroatien-Slawonien fiel) in die ung. Komitatsverwaltung (→Komitat), wodurch der Magyarisierung starker Vorschub geleistet wurde. Ende 1918 beschloss eine südslav. Nationalversammlung in Novi Sad den Anschluss an →Jugoslawien. Während des 2. →Wk.s unterstand das Banat dt., die Batschka ung. Besatzung, während Ostsyrmien dem →„Unabhängigen Staat Kroatien“ zugeschlagen wurde. Etwa 19.000 V.-Juden wurden Opfer des →Holocaust. Im zweiten Jugoslawien nach 1945 erhielt die in dieser Form mit kleinen Grenzveränderungen zugunsten Serbiens (im SO Syrmiens u. im SW des Banats, wodurch eh. habsb. Gebiete an das engere Serbien kamen) erstmals konstituierte V. im Rahmen der Republik Serbien (u. als deren wirt. stärkster Teil) einen schrittweise erweiterten Autonomiestatus, der sich seit der Verfassung v. 1974, ähnlich wie derjenige v. →Kosovo nur noch graduell v. dem einer Republik unterschied. Doch im Zuge der v. Slobodan Milošević inszenierten „antibürokratischen Revolution“ kam es 1988 in der V. zu über 30 Protestkundgebungen („Meetings“), die v. Kosovo-Serben u. ihren Unterstützern organisiert wurden u. die sich gegen den Autonomiestatus u. die Provinzführung richteten. Dem Rücktritt/Sturz der V.Regierung im Okt. 1988 („Joghurt-Revolution“) folgte am 28.3.1989 eine serb. Verfassungsänderung, mit der die Autonomie der V. weitgehend aufgehoben wurde (→Serbien, seit 1830). Nach Zulassung demokr. Parteien stand die stärkste autonomistische Partei in der Region – die Liga der Sozialdemokraten der V. – in scharfer Opposition zum Milošević-Regime, verurteilte dessen Kriegspolitik u. startete einen Autonomiediskurs, der sich als Antithese zum großserb. Nationalismus präsentierte, die Entmachtung der V. aber nicht rückgängig machen konnte. Während der →postjugoslawischen Kriege in den 1990er Jahren kam es zu erneuten Veränderungen in der ethn. Zusammensetzung der Bevölkerung. Viele Ungarn u. Kroaten verließen die V., während serb. Flüchtlinge aus Kroatien u. Bosnien dort Zuflucht suchten. Über den künftigen Status der V. bzw. über das Ausmaß der Autonomie wird seit 1989 kontrovers diskutiert. Lit. (a. →Banat; →Batschka; →Syrmien): M. Portmann, Vojvodina, in: Das Südosteuropa der Regionen. Hgg. O.J. Schmitt/M. Metzeltin. Wien 2015, 313–348; S. Milovanović/A. Petijević, Bela Rusija: ruska emigracija u Vojvodini. Novi Sad 2014; C. Bethke, Deutsche u. ungarische Minderheiten in Kroatien u. der Vojvodina 1918–1941. Identitätsentwürfe u. ethnopolitische Mobilisierung. Wiesbaden 2009; Z. Janjetović, Nemci u Vojvodini. Beograd 2009; Daheim an der Donau. Zusammenleben von Deutschen u. Serben in der Vojvodina. Hg. V. Mitrović/C. Glass. Novi Sad, Ulm 2009; M. Portmann, Die kommunistische Revolution in der Vojvodina 1944–1952. Wien 2008; K. Clewing, Die doppelte Begründung der Serbischen Wojwodschaft 1848–1851. Ethnopolitik im Habsburgerreich, in: Südosteuropa. Von vormoderner Vielfalt u. nationalstaatlicher Vereinheitlichung. Festschrift für Edgar Hösch. Hgg. ders./O.J. Schmitt. München 2005, 253–302; D. Boarov, Politička istorija Vojvodine. Novi Sad 2001; History of the Jews of the Vojvodina Region of Yugoslavia. Hg. Z. Loker. Jerusalem 1994; K.A. Hegediš, Demografska i agrarna statistika Vojvodine 1767–1867. Novi Sad 1991; Š. Mesaroš, Madjari u Vojvodini 1929–1941. Novi Sad 1989; La Voivodine. Hg. G. Castellan. Paris 1987; N.L. Gaćeša, Agrarna reforma i kolonizacija u Jugoslaviji 1945.–1948. Novi Sad 1984; Š. Mesaroš, Položaj Madjara u
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Volksdemokratien
Vojvodini 1918–1929. Novi Sad 1981; S. Werni, Die Wojwodina 1848–1860 als nationales u. staatsrechtliches Problem. Wien 1981; H. Haselsteiner, Die Serben u. der Ausgleich. Zur politischen u. staatsrechtlichen Stellung der Serben Südungarns in den Jahren 1860–1867. Wien u. a. 1976; K. Milutinović, Vojvodina i Dalmacija 1760–1914. Novi Sad 1973; N.L. Gaćeša, Agrarna reforma i kolonizacija u Banatu 1919.–1941. Novi Sad 1972; B. Jankulov, Pregled kolonizacije Vojvodine u XVIII i XIX veku. Novi Sad 1961; A. Lebl, Revolucionarni pokret u Vojvodini 1848–1849. Novi Sad 1960; D. Popović, Srbi u Vojvodini. 3 Bde. Novi Sad 1957–63; D. Popović, Vojvodina. 2 Bde. Novi Sad 1939/40 (Ndr. 2008). H. S.
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Volksdemokratien. Pleonastische (wörtlich: Volks-Volksherrschaft) (Selbst-)Kennzeichnung der gesellschaftspolitischen Systeme in den v. Kommunistischen Parteien (→Kommunismus) geführten Staaten Ostmittel- u. Südosteuropas zunächst für die Periode des Übergangs zum Sozialismus, 1948 ex post zu einer Variante der Diktatur des Proletariats deklariert u. dann auch für die sozialist. Periode verwendet. Das philologisch missratene u. politisch-ideologisch irreführende Wort dient auch im Westen als gängige Titulierung aller v. KPen geführten Staaten u. Gesellschaften Osteuropas außerhalb der UdSSR für den Zeitraum 1944–1989. In SOE gehörten alle Staaten außer Griechenland der Kategorie der V. an. Während der Periode 1944–1948 wurden die Voraussetzungen für den Übergang zum Sozialismus geschaffen. In Jugoslawien u. in Albanien verfügten die KPen de facto v. Beginn an über das pol. Monopol, in Bulgarien, Rumänien u. Ungarn schalteten sie, unterstützt v. der sowj. Besatzungsmacht, schrittweise alle nichtkomm. Parteien aus oder gleich. 1948 war überall die Einparteiherrschaft errichtet, wobei lediglich in Bulgarien mit dem (der KP unterwürfigen) Teil des zuvor gespaltenen Bauernverbandes eine Blockpartei übrig blieb. Die wichtigsten sozioökon. Maßnahmen in dieser Periode waren die →Bodenreform u. die Verstaatlichung v. Industrie u. Banken. Außenpolitisch lehnten sich alle V. in dieser Periode eng an die Sowjetunion an. Mit dem Ende der Übergangsperiode setzte eine deutliche Verhärtung ein. Alle V. gingen jetzt offen zu Formen u. Methoden der Diktatur („des Proletariats“) über (→Diktaturen), nahmen die forcierte →Industrialisierung u. die Kollektivierung der Landwirtschaft (→Bodenreformen) in Angriff u. führten allseitig die Planwirtschaft ein. Allerdings wurde schon 1948 eine erste Bresche in den Uniformismus geschlagen. Mit dem jugoslawisch-sowjetischen Bruch (→Kominform, Kominformkonflikt) machte sich Belgrad v. Moskau unabhängig, auch wenn es zunächst seine innen- u. wirtschaftspol. Linie nicht änderte. Alle anderen V. schlugen sich in dem Konflikt auf die Seite Moskaus u. entfesselten unter direkter sowj. Anleitung eine Hexenjagd gegen den Titoismus, die 1949 mit monströsen Schauprozessen gegen führende KP-Funktionäre in Albanien (Koçi Xoxe), Ungarn (László Rajk) u. Bulgarien (Trajčo Kostov) einsetzte. Während Jugoslawien ab 1952 durch die Entwicklung eines Selbstverwaltungssozialismus (→Selbstverwaltung) zunächst seinen wirtschafts- u. später auch seinen innenpol. Kurs lockerte, blieben die anderen V. in der Region zumindest bis 1956 bei ihrer drakonischen, gemeinhin als „stalinistisch“ (zur Fragwürdigkeit des Begriffes →Stalinismus) bezeichneten Linie. Der größte Widerstand dagegen formierte sich 1956 in →Ungarn, zunächst außerhalb der Herrschaftspartei u. dann auch in ihr unter Führung v.
Volksdemokratien
Imre Nagy (1896–1958). Er kulminierte im Oktober u. November zur Revolution, die v. der sowj. Armee niedergeschlagen wurde. Der Einschnitt v. 1956 zeitigte in der Region nur wenige Folgen jener Entwicklungen, die im allg. als „Entstalinisierung“ apostrophiert werden. Allein in Ungarn wurde, allerdings mit einiger Verzögerung, eine deutliche Umorientierung vorgenommen. Zu Beginn der 1960er Jahre leitete die nach der „Konterrevolution“ v. Moskau eingesetzte neue Führung unter János Kádár (1912–1989) wirtschaftspol. Reformen u. später auch eine innenpol. Lockerung ein. Bulgarien nahm unter Todor Živkov (1911–1998) zwar Abstand v. den Auswüchsen der vorangegangenen Periode, beließ es aber alles in allem bei leichten Kurskorrekturen. In Rumänien änderte sich unter Nicolae Ceauşescu (1918–1989) innenpol. wenig, in Albanien unter Enver Hoxha (1908–1985) gar nichts. Außenpolitisch bestanden die bedeutendsten Änderungen dieser Periode in der Region darin, dass alle V. mit teilweiser Ausnahme Albaniens ihre Beziehungen zu Jugoslawien wieder normalisierten u. dass Rumänien ab 1963 auf „nationalkommunistischer“ Linie eine partielle Selbständigkeit gegenüber der UdSSR aufbaute. Vom Beginn der 1960er Jahre bis zu ihrem Ende stellten die V. in SOE ein eigentümlich gemischtes Konglomerat dar. Einige grundlegende Strukturmerkmale blieben gleich, namentlich die Einparteiherrschaft, die staatliche Kontrolle über zumindest Schlüsselbereiche der Wirtschaft, die vorherrschende Rolle der Planwirtschaft. Unterhalb dieser prinzipiellen Ebene aber waren deutliche Unterschiede vorhanden, die aus den V. der Region sowohl innen- wie außenpolitisch eine Ansammlung v. „Sonderfällen“ machten. Jugoslawien blieb auch nach der Normalisierung seiner Beziehungen zur UdSSR v. Moskau unabhängig, stärkte seine Unabhängigkeit noch durch die Mitbegründung der Blockfreienbewegung u. ließ im Wirtschaftsleben zahlreiche Marktelemente zu. Albanien blieb im Inneren bei Staatsterror u. Wirtschaftsdirigismus, entzweite sich 1961 mit der UdSSR, ergriff im sino-sowjetischen Konflikt die Partei Chinas, brach 1977 auch mit Peking u. verweilte ab da in völliger Isolation. Rumänien blieb innen- u. wirtschaftspol. rigide u. baute außenpol. eine gewisse Distanz zu Moskau aus, ohne den Bruch zu riskieren. Ungarn baute umgekehrt seine Wirtschaftsreformen aus u. zeigte auch in der Innenpolitik eine größere Flexibilität, während es außenpolitisch Loyalität zum Bündnis mit der UdSSR demonstrierte. Bulgarien schließlich, das lange als einziger sowohl innen- wie außenpolitisch getreuer Imitator sowj. Politik unter den V. in der Region angesehen wurde, verlor diesen „Rang“ in der zweiten H. der 1980er Jahre, als es sich weigerte, den Reformvorstellungen Gorbačevs zu folgen. Dementsprechend bunt stellte sich auch das Bild dar, das die V. in der Region hinsichtlich der v. der UdSSR dominierten Bündnisorganisationen, dem 1949 gegründeten →„Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe“ (RGW) u. dem 1955 gegründeten →„Warschauer Pakt“ (WP), boten. Jugoslawien gehörte keiner der beiden Organisationen jemals an. Albanien trat beiden bei, beendete aber 1962 seine Mitarbeit im RGW, ohne die Mitgliedschaft je formell aufzukündigen, u. 1961 diejenige im WP, aus dem es 1968 austrat. Bulgarien, Rumänien u. Ungarn waren zeit des Bestehens beider Organisationen Mitgliedstaaten, machten aber namentlich innerhalb des RGW oft nationale Interessen geltend. Rumänien demonstrierte auch im WP häufig seine Sonderrolle, besonders deutlich mit der Ablehnung einer Beteiligung an der Invasion 1968 in die Tschechoslowakei.
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Der ökon. Niedergang im Laufe der 1980er Jahre, die sichtbarer werdende Legitimationsu. Führungsschwäche der Herrschaftsparteien u. die Folgen der Gorbačevschen Politik, namentlich die Aufgabe der Brežnev-Doktrin, beschleunigten den Verfall der V. Am Ende kollabierten sie wie Dominosteine, wenn auch in unterschiedlichen Formen u. unter – allerdings geringen – Zeitverschiebungen: als sanfte Selbstaufgabe in Ungarn im Herbst 1989, durch einen Staatsstreich in Rumänien Ende desselben Jahres, mit einer zähneknirschenden, sich letztlich aber doch fügenden Herrschaftspartei in Bulgarien 1989/1990, bei ähnlicher Konstellation in Albanien im Frühjahr 1991, in Jugoslawien schließlich durch die Zulassung freier Wahlen i. J. 1990 u. den Zerfall der Föderation zu Beginn der 1990er Jahre. Lit.: J. Rothschild/N.M. Wingfield, Return To Diversity. A Political History of East Central Europe Since World War II. Oxford u. a. 32000; B. Lory, L’Europe balkanique de 1945 à nos jours. Paris 1996; T.V. Volokitina/G.P. Muraško/A.F. Noskova, Narodnaja demokratija: mif ili real’nost’? Obščestvenno-političeskie processy v Vostočnoj Evrope. 1944–1948 gg. Moskva 1993; G.H. Hodos, Schauprozesse. Stalinistische Säuberung in Osteuropa 1948–54. Frankfurt/M. u. a. 1988; F. Fejtö, Die Geschichte der Volksdemokratien. 2 Bde. Graz u. a. 1972; Z.K. Brzezinski, Der Sowjetblock. Einheit u. Konflikt. Köln u. a. 1962; H. Seton-Watson, Die osteuropäische Revolution. München 1956. M.A. H.
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Volksdeutsche. Bis zum 1. Wk. hatte man sich in →Deutschland kaum für die dt. Minderheiten in SOE u. Ostmitteleuropa interessiert. Das änderte sich nach den →Pariser Vorortverträgen, in deren Folge viele Deutsche, die bis dahin im Habsburger u. im Dt. Reich gelebt hatten, ausländische Staatsbürger geworden waren. Seit 1930 gab der 1881 gegründete „Verein für das Deutschtum im Ausland“, VDA, die Zeitschrift „Der Volksdeutsche“ heraus. Im nationalsozialist. Deutschland wurden Personen „dt. Volkszugehörigkeit“, die außerhalb der Reichsgrenzen lebten u. keine dt. Staatsbürgerschaft besaßen, als „V.“ (im Unterschied zu „Reichsdeutschen“ u. „Auslandsdeutschen“, d.h. dt. Staatsbürgern im Ausland) bezeichnet. Gemäß einem Runderlass des Reichsinnenministeriums vom 29.3.1939 war „dt. Volkszugehöriger“ „wer sich als Angehöriger des dt. Volkes bekennt, sofern dieses Bekenntnis durch bestimmte Tatsachen, wie Sprache, Erziehung, Kultur usw. bestätigt wird. Personen artfremden Blutes, insbes. Juden, sind niemals dt. Volkszugehörige“. Nach NS-Kriterien lebten in den 1930er Jahren rd. 10 Mio. Deutsche außerhalb der Reichsgrenzen (u. Österreichs), darunter 0,75 Mio. in Rumänien, 0,6 Mio. in Ungarn u. 0,55 Mio. in Jugoslawien. Zu den „V.“ in SOE zählten die →Siebenbürger Sachsen, die →Donauschwaben (im pannonischen Raum) sowie die Deutschen in der Slowakei (→Zips) u. in Slowenien (→Gottschee/Kočevje), ferner in Bosnien, in der →Bukowina, →Bessarabien u. der →Dobrudscha. Federführend für die Pol. gegenüber den „V.“ im Sinne der NS-Volkstums-, Siedlungs- u. Rassepolitik wurde die am 1.2.1937 gegründete „Volksdeutsche Mittelstelle“ (VoMi), die von der SS unter Heinrich Himmler geführt wurde u. mit dem „Führererlass zur Festigung des Deutschtums“ (7.10.1939) zur Schaltstelle der NS-Bevölkerungspolitik in Europa avancierte. Himmler wurde zum „Reichskommissar für die Festigung des dt. Volkstums“ ernannt u. dirigierte die
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„Rückführung“, „Umsiedlung“ u. „Ansiedlung“ derjenigen „V.“, die ihre bish. Heimat verlassen sollten/mussten, darunter zunächst im Gefolge des →Ribbentrop-Molotov-Abkommens die Dt. aus der Nordbukowina, aus Bessarabien, aus der Südbukowina u. wenig später noch der Dobrudscha (Herbst 1940) sowie nach 1941 die Gottscheer Dt., die Dt. aus Bosnien u. a. kleinere Gruppen. Die in SOE verbliebenen „V.“ waren seit den 1930er Jahren „gleichgeschaltet“ u. erhielten v. a. während des 2. →Wk.s in den v. Deutschland besetzten oder mit ihm verbündeten Ländern weitgehende Rechte unter Führung autoritärer „Volksgruppenführer“, die ein Regime des Gesinnungsterrors ausübten. Viele „V.“ stellten sich (freiwillig oder unter massivem Druck) in den Dienst der NS-Politik u. beteiligten sich an der Plünderung jüd. Vermögens („Arisierung“), der physischen Verfolgung v. Juden (→Holocaust) oder dienten in Polizei- u. Militäreinheiten, darunter in der 7. SS-Freiwilligen-Gebirgsdivision „Prinz Eugen“ unter Führung v. SS-Obergruppenführer u. General der Waffen-SS Artur Phleps. Die Mehrheit der „V.“ waren Mitläufer u. Zuschauer; Widerstand war selten. Bei Kriegsende wurden die „V.“, insbes. in Ungarn u. Jugoslawien, ihrerseits Opfer von Flucht, Vertreibung (→Zwangsmigrationen) der Deportationen in Lager (v. a. in Jugoslawien) oder in die Sowjetunion (Rumänien) u. v. oftmals mörderischen spontanen wie auch organisierten Racheakten, die viele mit dem Tod bezahlten. (Näheres zu den Abläufen u. dem Ausmaß der Gewalt vgl. →Donauschwaben). Die im Zuge der antidt. Maßnahmen durch die neuen, schon rein sozialist. oder sozialist. geführten, Regierungen erlangte Verfügungsgewalt über das Eigentum der V., das zur Zuteilungsmasse an Institutionen u. Private wurde, diente zur Schaffung u. Stärkung der Loyalität unter der jeweiligen Mehrheitsbevölkerung; der beabsichtigte Systemwandel wurde dadurch in der Anfangsphase erheblich erleichtert. Lit. (→Donauschwaben; →Siebenbürger Sachsen; vgl. a. die Angaben bei den verschiedenen Verweisartikeln): I. Heinemann, Rasse, Siedlung, deutsches Blut. Das Rasse- u. Siedlungshauptamt der SS u. die rassenpolitische Neuordnung Europas. Göttingen 22013; R. Michaelis, Die Volksdeutschen in Wehrmacht, Waffen-SS, Ordnungspolizei. Berlin 2011; J. Böhm, Nationalsozialistische Indoktrination der Deutschen in Rumänien 1932–1944. Frankfurt/M. u. a. 2008; P. Milata, Zwischen Hitler, Stalin u. Antonescu. Rumäniendeutsche in der Waffen-SS. Köln u. a. 2007; M. Leniger, Nationalsozialistische „Volkstumsarbeit“ u. Umsiedlungspolitik 1933–1945. Von der Minderheitenbetreuung zur Siedlerauslese. Berlin 2006; Akten um die Deutsche Volksgruppe in Rumänien 1937–1945. Eine Auswahl. Hg. K. Popa. Frankfurt/M. u. a. 2005; J. Böhm, Die Gleichschaltung der Deutschen Volksgruppe in Rumänien u. das Dritte Reich 1941–1944. Frankfurt/M. 2003; Th. Casagrande, Die volksdeutsche SS-Division „Prinz Eugen“. Die Banater Schwaben u. die nationalsozialistischen Kriegsverbrechen. Frankfurt/M., New York 2003; N. Spannenberger, Der Volksbund der Deutschen in Ungarn 1938–1944 unter Horthy u. Hitler. München 2002; D. Kovač, Vysídlenie Nemcov zo Slovenska (1944–1953). Bratislava 2001; D. Nećak, „Nemci“ na Slovenskem 1941–1955. Ljubljana 1998; V. Geiger, Nestanak folksdojčera. Zagreb 1997; G. Schödl, „Völkischer“ Nationalismus im Karpatenborgen: Minderheiten oder Vorposten?, in: Deutsche Geschichte im Osten Europas. Land an der Donau. Hg. ders. Berlin 1995, 531–649; V.O. Lumans, Himmler’s Auxiliaries. The Volksdeutsche Mittelstelle and the German National Minorities of Europe, 1933–1945. Chapel Hill u. a. 1993; J. Böhm, Die Ungarndeutschen in der
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Waffen-SS. Ippenheim 1990; Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ostmitteleuropa. 7 Bde. [Bd. 3: Rumänien, Bd. 4: Ungarn, Bd. 5: Jugoslawien]. Hg. Th. Schieder. Düsseldorf 1957–1961 [Ndr. 1984]; D. Biber, Nacizem in Nemci v Jugoslaviji 1933–1941. Ljubljana 1966; R. Herzog, Die Volksdeutschen in der Waffen-SS. Tübingen 1955. H. S.
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Volkskultur. V. dient heute allgemein, wenn auch nicht ganz einheitlich gebraucht, als Verständigungsbegriff zur Bezeichnung einer Gesamtheit v. materiellen, sprachlichen u. symbolischen Formen u. soz. Handlungen einer breiten Mehrheit der Bev. („Volk“ im Unterschied zu „Elite“) eines gegebenen Raumes u. dem mit u. in ihnen zum Ausdruck gebrachten Werte- u. Bedeutungssystem. In zeitlicher Hinsicht bezeichnet der Begriff V. eine hist. bereits abgeschlossene Epoche, die in Europa v. a. durch die v. der→Industrialisierung hervorgerufenen Veränderungen der Gesellschaften seit dem 19. Jh. nach u. nach zum Verschwinden gebracht wurde. Synonym zu V. verwendet man häufig den Begriff „traditionelle Kultur“, während man im Unterschied dazu die Gesamtheit der gegenwärtigen kult. Äußerungen einer Bevölkerungsschicht oder -gruppe als deren „Alltagskultur“ bezeichnet. Sie kann jedoch in einzelnen Aspekten auch Elemente der hist. V. als Überreste enthalten. In der Sicht einer gesamteurop. Ethnographie wird SOE als einheitlicher Kulturraum v. Mittel-, West u. Osteuropa unterschieden („Peripherie“). Die Grenzzone in der Neuzeit liegt hier zw. der Ausdehnung des →Osm. Reiches nach N u. den Gebieten der →Militärgrenze des Habsburgerreiches, die gleichzeitig die (mit Blick auf die Verteilung der christl. Konfessionen allerdings nur ungefähre) Grenze der Religionen zw. →Islam u. →Orthodoxie einerseits u. →Katholizismus, Protestantismus andererseits markiert. Ihre Einflusssphären werden in ihren Nachwirkungen bis heute allg. als Abgrenzungskriterium anerkannt. Mit der zunehmenden Differenzierung der für eine räumliche Abgrenzung zugrunde gelegten Merkmale scheint innerhalb SOE die regionale Vielfalt der V. auf. Für die südl. v. Donau u. Save liegenden Länder erarbeitete Milovan Gavazzi 1956 auf der Basis einer Kombination v. naturräumlichen Gegebenheiten u. einer Vielzahl v. Elementen der materiellen, soz. u. geistigen V. aus einer Zeitspanne zw. der Mitte des 19. u. der Mitte des 20. Jh.s (Gavazzi nennt sie „Gegenwartstatsachen“) eine kulturräumliche Gliederung (vgl. detailliert →Kulturgeographische Zonen). Die einzelnen Zonen sind dabei nicht streng voneinander geschieden; sie gehen allmählich ineinander über u. verdeutlichen zudem, dass →Sprachen oder gar Staatsgrenzen keine besonders hervorragenden Rollen als kult. Abgrenzungskriterien spielen. Kulturräumliche Gliederungen, die sich auf einzelne Staatsterritorien beschränken (z. B. Vakarelski für Bulgarien) erschweren es, die letztgenannten Aspekte zu bemerken. Gebiete jenseits v. Landesgrenzen werden kulturgeogr. dann mit einbezogen, wenn „ethnographische Regionen“ v. a. auf dem Kriterium „ethnische Gruppe“ basieren (s. z. B. Balassa u. Ortutay für „ungarische Inseln“ in Siebenbürgen). In jüngster Zeit ist dies unter dem Stichwort „ethnisches Territorium“ für pol. Ziele instrumentalisiert worden. Länderintern führen sie jedoch zu weiteren regionalen Differenzierungen u. zeigen die geogr. Verbreitung einzelner Kulturelemente zu dem Zeitpunkt an, an dem sie durch hist. Quellen belegt sind oder gesammelt u. aufgenommen wurden: landwirt. Geräte u. Arbeitsmethoden, Benennungen u. Dialekte, Kleidungs- oder Haustypen, Bräuche u. a. werden dazu auf Ver-
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breitungskarten gezeichnet u. ihre Überlagerungen bilden die Kulturregion aus. Träger der V. in den mehrere Jahrhunderte lang osm. Herrschaft unterliegenden Gebieten des Balkanraumes war eine soz. wenig differenzierte, mehrheitlich agrarische Bev., die je nach den naturräumlichen Umständen als Ackerbauern (→Bauern), als Viehzüchter oder Hirten (→Transhumanz) oder als Fischer in den Küstenregionen lebte oder die sich als →Handwerker u. →Kaufleute in den wenigen Städten betätigte. Die verschiedenen autochtonen →Ethnien, sofern christlich, waren im osm. Verwaltungssystem des →Millet ihrer Konfession entsprechend Angehörige der →Reaya. Die Familien (Formen der Mehrfamilie, →Großfamilie), die Verwandtschaftsverbände (→Verwandtschaft; Stamm, Sippe u. Clan, erweitert durch rituell abgesicherte Wahlverwandtschaft) u. die dörflichen Gemeinden (→Dorf, Dorfgemeinschaft [Balkan]) formten die soz. Ordnung (Sitte u. Gewohnheitsrecht, bis hin zur Institution der →Blutrache) u. sicherten im Rahmen der Subsistenz den wirt. Austausch untereinander. Der eigenen Eliten (→Adel) u. ihrer varianten Kultur beraubt, blieb V. als einziges kult. System des jeweiligen Volkes bestehen, das alle Angehörigen einschloss u. damit auch ethn. Identität bewahrte. Hinzu zu bestehenden gemeinsamen Kulturzügen (wie z. B. dem →Patriarchalismus) wirkten sich nach u. nach auch osm. Einflüsse vereinheitlichend auf die balkanischen Kulturen aus. Die neu entstehenden Eliten im ausgehenden 18. Jh. entdeckten ihre je eigene V. wieder, maßen ihr hist. Bedeutung bei u. zogen sie zur Begründung der →Nationalstaatenbildung mit heran. Die gemeinsame Erfahrung v. fremder Herrschaft über lange Zeiträume in allen Ländern SOEs ließ V. schließlich im 19. Jh. (weit stärker, als dies z. B. in westeurop. Staaten der Fall ist) zu einem wesentlichen Element in der Definition v. nationalen Identitäten werden u. machte die Kultur der vordem Nicht-Privilegierten zu „Nationalkulturen“. Die Bedeutung v. Elementen der V. als nationale Identifikationsobjekte u. Fixpunkte staatlicher Legitimation (z. B. Epen [→Epos] u. Lieder, die, oft mythisch überhöht, auch als Erinnerung an hist. Ereignisse funktionieren, →Erinnerungskultur ) machten sich noch die sozialist. Regime nach dem Ende des 2. Wk.s zu nutze. Die zahlreichen kleineren Bevölkerungsgruppen, die (in unterschiedlicher Kombination der Kriterien) sprachl. u./ oder relig. u./oder ethn. u. daher auch in ihrem Lebensstil teilweise anders orientiert waren als die sie jeweils umgebende Mehrheitsbevölkerung (im Extrem z. B. nomadisch vs. seßhaft), fanden sich in den Nachfolgestaaten des Osm. u. des Habsburgerreiches als →Minderheiten wieder. Sie gehörten entweder einem benachbarten Staatsvolk an (z. B. Türken in Bulgarien, Ungarn in Rumänien usw.) oder sahen sich auf mehrere Länder verteilt (→Pomaken, →Aromunen, →Roma u. a.). Bis in die Gegenwart wiederholt wurde in einzelnen Ländern auch versucht, Minderheitengruppierungen zu akkulturieren bzw. zu assimilieren. Zunehmend im Verlauf des 19. Jh.s förderten die stetig stärker werdenden europ. Einflüsse auf einzelne Elemente der V. („Europäisierung“), die immer breitere Kreise der Bev. allmählich aufnahmen u. akzeptierten, einen schnelleren u. grundlegenderen Wandel in der V., als dies in den vorausgegangenen Jahrhunderten der Fall gewesen war. Die stärker werdende soz. Differenzierung brachte z. B. auch eine Diversifizierung der materiellen Ausstattung der Haushalte mit sich. Bis dahin stellten die Familien zu ihrem eigenen Bedarf selbst Gebrauchsgegenstände (Kleidung, Textilien usw.), Wirtschaftsgeräte, Nahrungsmittel u. a. her u. nutzten es in der überlieferten Weise (Sitte). Nun fanden andere „modische“, oft industriell
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gefertigte u. importierte Gegenstände Aufnahme in die dingliche Umwelt, befriedigten neu entstehende Bedürfnisse u. veränderten den Umgang mit Sachen. Mit der breiteren Einführung u. Nutzung der Kulturtechniken Lesen u. Schreiben (→Alphabetisierung) erreichte die Vermittlung neuartiger Themen u. Inhalte über schriftliche Medien in den bis dahin vorwiegend auf mündlicher Kommunikation basierenden Gesellschaften (mit Märchen, Liedern u. a. trad. Textgattungen der mündlichen Überlieferung) eine neue soz. Dimension. Der unterschiedlich schnell verlaufende kult. Wandel in verschiedenen Teilbereichen der V. führte zu „cultural lag“-Phänomenen der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. Parallel zu den Prozessen der Dorf-Stadt-Migration u. des Städtewachstums (→Urbanisierung) bildeten sich eine „städtische Popularkultur“ (Roth) u. neue Elitekulturen heraus. Die V. als ein die Lebensweise der gesamten Bev. bestimmendes u. vollständig umfassendes System kam im Zeitraum zw. den beiden Weltkriegen (1920er bis 40er Jahre) zu ihrem Ende. Elemente der V., besonders aus den Bereichen der soz. Beziehungen (Netzwerke), Verhaltensweisen u. Wertevorstellungen (z. B. über Familie), erhielten sich über diesen Zeitpunkt hinaus bis in die Gegenwart in der Alltagskultur auch im Kontext der Prozesse forcierter Industrialisierung u. Urbanisierung nach dem 2. Wk. Nach pol. motivierter Zurückweisung in den Anfangsjahren instrumentalisierte die staatliche Kulturpolitik der sozialist. Länder SOEs V. zur Pflege „nationaler“ Traditionen (professionelle Musik- u. Tanzensembles, Laienkunst-Gruppen, Folklorefestivals u. a. auch in internationalen Wettbewerben); in der Tourismusindustrie erhält V. ein ‚zweites‘ Leben als folkloristisches Unterhaltungsgewerbe verliehen. Zuletzt existiert V. als wiss. Objekt der Volkskunde (Ethnographie, Folkloristik, Europäische Ethnologie), seit im 19. Jh. begonnen wurde, die Erzeugnisse der mündlichen Überlieferungen (Lieder, Epen, Märchen u. a.) zu entdecken, zu sammeln, aufzuschreiben u. zu interpretieren.
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Vormärz
kultura. Beograd 1981; I. Balassa/G. Ortutay, Magyar néprajz. Budapest 1979 (dt.: Ungarische Volkskunde. München 1982); E. Fél/T. Hofer, Bäuerliche Denkweise in Wirtschaft u. Haushalt. Eine ethnographische Untersuchung über das ungarische Dorf Atány. Göttingen 1972; Ch. Vakarelski, Bulgarische Volkskunde. Berlin 1969; Die Volkskultur der südosteuropäischen Völker. Red. H. Gülich-Bielenberg. München 1962; M. Gavazzi, Die kulturgeographische Gliederung Südosteuropas, SOF 15 (1956), 7–21; J.M. Halpern, A Serbian Village. New York 1958. G. W.
Vormärz. Schon 1849 adjektivisch belegte Bez. für die Epoche vom Wiener Kongress 1815 bis zur Märzrevolution 1848, wodurch diese Periode als Vorgeschichte des Revolutionsjahres gekennzeichnet wird. Das synonym verwendetete Wort „Restauration“ verstellt dabei oft den Blick auf den Hauptaspekt der Epoche. Denn „das Signum der Zeit war nicht Restauration, also Wiederherstellung des Alten, Vormaligen, sondern Retardieren des ges. u. institutionellen Wandels, reaktives Einfrieren pol. Veränderungen in ihrem damaligen Zustand“ (Hartwig Brandt). Der österr. Staatskanzler Metternich u. Friedrich v. Gentz als sein Berater u. Propagandist haben diese gegen alle Veränderungen gerichtete Politik virtuos praktiziert. Sie folgten hierbei dem vom Fürsten Talleyrand auf dem Wiener Kongress aufgestellten Legitimitätsprinzip, wonach es dem Volk unter allen Umständen verwehrt sei, sich gegen seinen Monarchen zu erheben. Deshalb wird das erste Jahrzehnt dieser Epoche außenpol. v. einer Interventionspolitik dominiert, d. h. überall dort, wo die Beschlüsse des Kongresses gebrochen wurden, behielten sich die Großmächte das Recht zur Einmischung bis zur Wiederherstellung der alten Ordnung mit Waffengewalt vor. Diesem Zweck dienten das v. Metternich geschlossene Bündnis der Hl. Allianz mit Russland u. Preußen, die Einrichtung des v. Österreich präsidierten Deutschen Bundes u. das System der Kongresse v. Aachen (1818), Karlsbad (1819, →Karlsbader Beschlüsse), Troppau (1820), Laibach (1821) u. Verona (1822). Der 1822 erfolgte Austritt Englands aus dem vom Gleichgewichtsbestreben der Großmächte getragenen Kongresssystem u. die Parteinahme Russlands für die →Griechen im Kampf um deren Unabhängigkeit (1821–1829; a. →Befreiungskriege) gegen das Osm. Reich sowie die immer deutlicher werdende innere Schwäche des Habsburgerreiches, das im Revolutionsjahr 1830 deshalb bereits auf jede Intervention verzichten musste, hat die Grenzen des Metternichschen Regierungsystems deutlich gemacht, das zu ausschließlich darauf ausgerichtet war, die revol. pol., soz. u. nationalen Strömungen innerhalb u. außerhalb der Donaumonarchie zu bekämpfen. In Stagnation mündete dieses System durch die nach dem Tod Ks. Franz I. 1835 in Kraft getretene Nachfolgeregelung, derzufolge dem nicht regentschaftstauglichen Ks. Ferdinand ein Vormund in Gestalt der „Staatskonferenz“ vorgesetzt wurde, der Ehz. Ludwig (jüngster Bruder v. Ks. Franz), Ehz. Franz Karl (jüngerer Bruder Ks. Ferdinands u. Vater des späteren Ks. Franz Joseph), Staatskanzler Metternich u. der Konferenzminister Franz Anton Graf Kolowrat-Liebsteinsky angehörten. Der weniger in den grundsätzlichen pol. Anschauungen, sondern mehr in der Wahl der pol. Methoden begründete Antagonismus zw. Kolowrat u. Metternich führte zu einer immer stärkeren Lähmung des öffentl. Lebens, da beide Staatsmänner sich darin gefielen, jeweils die Initiativen der Gegenseite zu blockieren. Unterstützt v. den populären Erzherzögen Karl u. Johann, die den böhmischen Grafen für fähiger hielten als Metternich, die innere Ordnung
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Vormärz
aufrecht zu erhalten, war Kolowrat im Gegensatz zu Metternich, dem ganz auf die strenge Bewahrung des Status quo Bedachten, ein Fürsprecher v. Konzessionen an den Mittelstand u. ein Förderer der Industrie, um dadurch eine Revolution abzuwenden, ein Standpunkt, der dem überzeugten Josephiner den Ruf eines „Liberalen“ einbrachte. Als Slavophiler trat Kolowrat stets für die slav. Sprach- u. Kulturbestrebungen ein u. trachtete die v. ihm begünstigte illyrische Bewegung (→Illyrismus) gegen die Magyaren auszuspielen. Metternich hingegen versuchte als der im letzten Jahrzehnt v. 1838–1848 für Ungarn Verantwortliche in diesem v. ihm als gefährlichsten Krisenherd der Monarchie bezeichneten Land dessen Sonderstellung zu beseitigen u. dieses Ziel durch Abspaltung der kons. Kräfte v. der ihm verhassten Reformbewegung (→Reformzeitalter) zu erreichen, um mit deren Hilfe aus dem bislang oppositionellen Landtag ein Werkzeug der Wiener Politik zu machen. Nach Jahren der Repression (1837–1839) u. der zögernden Kompromissbereitschaft (1840–1844) entschloss sich der Staatskanzler zu einer umfassenden Reform des pol. u. wirt. System Ungarns, allerdings im Sinne des v. ihm verfochtenen Wiener Zentralismus, wodurch er die ung. Reformergeneration noch mehr herausforderte. Der ungebrochene Widerstand des letzten ständischen Landtags v. 1847/48 mit seinen Forderungen nach einem nationalstaatlichen, parl. Regierungssystem machte das endgültige Scheitern der Politik Metternichs in aller Öffentlichkeit deutlich. Damit blieb der v. Maria Theresia in Gang gebrachte absolutistische Integrationsprozess der österr. Monarchie unabgeschlossen, u. nur in den Bereichen der Außenpolitik u. des Militärwesens setzte sich der dynastische Charakter der Reichseinheit durch. Die strukturelle Heterogenität der einzelnen Reichsteile förderte tendenziell weiterhin die vielfältigen Partikularismen auf lokaler u. regionaler Ebene, die sich vielfach mit den neu auftretenden nationalen Bestrebungen miteinander verschränkten. Am stärksten trifft dies auf die Länder der →Stephanskrone zu, deren feudal-ständischer Charakter u. staatsrechtl. Eigenständigkeit das Festhalten an einem, durch das Scheitern Josephs II. im übrigen unvollendet gebliebenem →Absolutismus in den übrigen Reichsteilen begünstigte. Die →Habsburgermonarchie war dadurch bis 1867 v. jenem Prozess abgeschlossen, der in West- u. Mitteleuropa den →Parlamentarismus zu einem erstrangigen Integrationsfaktor machte u. in Wechselwirkung mit einer modernisierenden Bürokratie die Transformation des absolutistischen Staates in den bürgerlichen des 19. Jh.s ermöglichte. In einem eigentümlichen Spannungsverhältnis zum Stillstand des öffentl.-pol. Bereiches stand die hochentwickelte adelig-bürgerliche Kultur u. Gesellschaft des Biedermeiers, die bedingt durch das v. Metternich perfekt aufgebaute Polizei- u. Zensursystem zwar eine betont unpol. war, dennoch unter der Decke ihrer großen Leistungen auf dem Gebiet der Literatur, Musik u. Medizin auch eine kritische Bestandsaufnahme des Systems in die Wege leitete, die als reichhaltige pol. Publizistik (Anastasius Grün = Anton Graf Auersperg, Viktor v. Andrian-Warburg, Karl Möring, Franz Schuselka) außerhalb Österreichs erschien u. zur Vorbereitung der →Revolution v. 1848 beigetragen hat.
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Lit. (a. →Reformzeitalter; →Illyrismus): Adel u. Politik in der Habsburgermonarchie u. den Nachbarländern zwischen Absolutismus u. Demokratie. Hg. T. Tönsmeyer. München 2011; A. Mádl, Nikolaus Lenau u. sein kulturelles und sozialpolitisches Umfeld. München 2005; G. Mari-
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nelli-König, Oberungarn (Slowakei) in den Wiener Zeitschriften und Almanachen des Vormärz (1805–1848): Blicke auf eine Kulturlandschaft der Vormoderne. Versuch einer kritischen Bestandsaufnahme der Beiträge über die hist. Region u. ihre kult. Verbindungen zu Wien. Wien 2004; Die Anfänge des Liberalismus u. der Demokratie in Deutschland u. Österreich 1830–1848/49. Hg. H. Reinalter. Frankfurt/M. u. a. 2002; Wirkungsgeschichte als Kulturgeschichte. Viktor von Andrian-Werburgs Rezeption im Vormärz. Eine Dokumentation mit Einleitung, Kommentar u. einer Neuausgabe von Österreich u. dessen Zukunft (1843). Hg. M. Rietra. Amsterdam u. a. 2001; dies., Jung Österreich. Dokumente u. Materialien zur liberalen österreichischen Opposition 1835– 1848. ebd. 1980; W. Heindl, Gehorsame Rebellen. Bürokratie u. Beamte in Österreich 1780–1848. Wien u. a. 1990; H.-H. Brandt, Das vormärzliche Finanzsystem Österreichs, in: ders., Der österreichische Neoabsolutismus. Staatsfinanzen u. Politik 1848–1860. Bd. 1 Göttingen 1978, 10–129; K. Eder, Der Liberalismus in Alt-Österreich. Wien u. a. 1955; O. Rommel, Der österreichische Vormärz 1816–1847. Leipzig 1931. G. S.
Walachei (rum. Valachia). Landschaft in Rumänien zw. Karpaten u. Donau, benannt nach den Walachen/→Vlachen (vlachoi; gr. Bezeichnung für Balkanromanen, →Rumänen), bestehend aus →Oltenien u. Muntenien (Muntenia), früher auch als Kleine bzw. Große Walachei bekannt u. bis 1861 unter dem Namen Ţara Românească ein eigenes Fürstentum. Der Sitz des Fürsten wechselte von Câmpulung über Curtea de Argeş u. Târgovişte nach →Bukarest. Der hist. Werdegang sowie Staat, Wirtschaft, Gesellschaft, Sozialverhältnisse u. kult. Entwicklung ähneln denen der →Moldau. Das am Südhang der Karpaten entstandene Herrschaftsgebilde behauptete sich unter dem →Vojvoden Basarab I. Întemeietorul (Basarab der Gründer; zugleich Namensgeber der Landschaft →Bessarabien) (1310–1352), Begründer einer weitverzweigten Dynastie, gegenüber Ungarn (Schlacht bei Posada 1330) u. weitete sich bis zum Schwarzen Meer aus. Mit der Stiftung v. Klöstern (Tismana, Cozia, Curtea de Argeş) u. einer Metropolie (Curtea de Argeş 1359, später in Bukarest) begann der Aufbau einer orth. Kirchenorganisation. Der Vojvode Mircea I. cel Bătrân (Mircea der Alte) (ca. 1386–1418) musste nach zunächst siegreicher Abwehr die Oberhoheit des Sultans anerkennen: Mehr als ein Jh. früher als die Moldau wurde die W. 1417 ein Vasallenstaat des →Osm. Reiches. Sie behielt ihre einheimischen Fürsten (→Hospodaren), die vom Sultan bestätigt werden mussten, ihren Adel u. ihre Religion, war aber dem Sultan tributpflichtig, musste das Osm. Reich mit Nahrungsmitteln versorgen u. ihre Außenpol. mit der Hohen Pforte absprechen. Direkt unter den Halbmond fielen das Küstengebiet (→Dobrudscha) sowie Gebiete nördl. (Turnu u. Giurgiu etwa vor 1417) u. westl. der Donau (Brăila 1542). Neagoe Basarab IV. (1512–1521) zog sich, wie später auch andere Fürsten, auf die Förderung v. Kirchen u. Klöstern zurück; durch einen Fürstenspiegel (rum. „învăţăturile“) ging er in die slavischsprachige Literaturgeschichte der Rumänen ein. Versuche, sich gegen den Sultan aufzulehnen, wie unter Vlad IV. Ţepeş (Vlad der Pfähler, →Dracula, 1456–1468; 1476) u. unter Mihai Viteazul (Michael der Tapfere, 1593–1601), brachten nur vorübergehende Erfolge. Letzterer besiegte 1596 ein osm. Heer u. stellte sich in dem um Siebenbürgen ausgefochtenen „langen →Türkenkrieg“ (1593–1606) auf die Seite
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nelli-König, Oberungarn (Slowakei) in den Wiener Zeitschriften und Almanachen des Vormärz (1805–1848): Blicke auf eine Kulturlandschaft der Vormoderne. Versuch einer kritischen Bestandsaufnahme der Beiträge über die hist. Region u. ihre kult. Verbindungen zu Wien. Wien 2004; Die Anfänge des Liberalismus u. der Demokratie in Deutschland u. Österreich 1830–1848/49. Hg. H. Reinalter. Frankfurt/M. u. a. 2002; Wirkungsgeschichte als Kulturgeschichte. Viktor von Andrian-Werburgs Rezeption im Vormärz. Eine Dokumentation mit Einleitung, Kommentar u. einer Neuausgabe von Österreich u. dessen Zukunft (1843). Hg. M. Rietra. Amsterdam u. a. 2001; dies., Jung Österreich. Dokumente u. Materialien zur liberalen österreichischen Opposition 1835– 1848. ebd. 1980; W. Heindl, Gehorsame Rebellen. Bürokratie u. Beamte in Österreich 1780–1848. Wien u. a. 1990; H.-H. Brandt, Das vormärzliche Finanzsystem Österreichs, in: ders., Der österreichische Neoabsolutismus. Staatsfinanzen u. Politik 1848–1860. Bd. 1 Göttingen 1978, 10–129; K. Eder, Der Liberalismus in Alt-Österreich. Wien u. a. 1955; O. Rommel, Der österreichische Vormärz 1816–1847. Leipzig 1931. G. S.
Walachei (rum. Valachia). Landschaft in Rumänien zw. Karpaten u. Donau, benannt nach den Walachen/→Vlachen (vlachoi; gr. Bezeichnung für Balkanromanen, →Rumänen), bestehend aus →Oltenien u. Muntenien (Muntenia), früher auch als Kleine bzw. Große Walachei bekannt u. bis 1861 unter dem Namen Ţara Românească ein eigenes Fürstentum. Der Sitz des Fürsten wechselte von Câmpulung über Curtea de Argeş u. Târgovişte nach →Bukarest. Der hist. Werdegang sowie Staat, Wirtschaft, Gesellschaft, Sozialverhältnisse u. kult. Entwicklung ähneln denen der →Moldau. Das am Südhang der Karpaten entstandene Herrschaftsgebilde behauptete sich unter dem →Vojvoden Basarab I. Întemeietorul (Basarab der Gründer; zugleich Namensgeber der Landschaft →Bessarabien) (1310–1352), Begründer einer weitverzweigten Dynastie, gegenüber Ungarn (Schlacht bei Posada 1330) u. weitete sich bis zum Schwarzen Meer aus. Mit der Stiftung v. Klöstern (Tismana, Cozia, Curtea de Argeş) u. einer Metropolie (Curtea de Argeş 1359, später in Bukarest) begann der Aufbau einer orth. Kirchenorganisation. Der Vojvode Mircea I. cel Bătrân (Mircea der Alte) (ca. 1386–1418) musste nach zunächst siegreicher Abwehr die Oberhoheit des Sultans anerkennen: Mehr als ein Jh. früher als die Moldau wurde die W. 1417 ein Vasallenstaat des →Osm. Reiches. Sie behielt ihre einheimischen Fürsten (→Hospodaren), die vom Sultan bestätigt werden mussten, ihren Adel u. ihre Religion, war aber dem Sultan tributpflichtig, musste das Osm. Reich mit Nahrungsmitteln versorgen u. ihre Außenpol. mit der Hohen Pforte absprechen. Direkt unter den Halbmond fielen das Küstengebiet (→Dobrudscha) sowie Gebiete nördl. (Turnu u. Giurgiu etwa vor 1417) u. westl. der Donau (Brăila 1542). Neagoe Basarab IV. (1512–1521) zog sich, wie später auch andere Fürsten, auf die Förderung v. Kirchen u. Klöstern zurück; durch einen Fürstenspiegel (rum. „învăţăturile“) ging er in die slavischsprachige Literaturgeschichte der Rumänen ein. Versuche, sich gegen den Sultan aufzulehnen, wie unter Vlad IV. Ţepeş (Vlad der Pfähler, →Dracula, 1456–1468; 1476) u. unter Mihai Viteazul (Michael der Tapfere, 1593–1601), brachten nur vorübergehende Erfolge. Letzterer besiegte 1596 ein osm. Heer u. stellte sich in dem um Siebenbürgen ausgefochtenen „langen →Türkenkrieg“ (1593–1606) auf die Seite
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Habsburgs, eroberte 1599 →Siebenbürgen u. übernahm dort die Statthalterschaft; 1600 hatte er für einige Monate auch den Thron der Moldau inne. Im rum. Selbstverständnis spielt Michael als Vorläufer des im 20. Jh. erfolgten Zusammenschlusses dieser drei Länder eine wichtige Rolle. Doch die Osmanen stellten ihre Oberhoheit schnell wieder her. Ab dem 16. Jh. hatte sich das Rumänische durchgesetzt, wurde aber ab der zweiten H. des 17. Jh.s, früher u. intensiver als in der Moldau, durch das Griechische überlagert, bedingt durch den Zuzug v. Griechen in Administration, Kirche u. Handel. An der 1679 in Bukarest durch Şerban Cantacuzino (1678–1688; a. →Kantakuzenen) ins Leben gerufenen, durch Constantin Brâncoveanu (1688–1714) erweiterten „Academia domnească“ [Fürstenakademie, →Akademien] Sf. Sava lehrten Griechen. In kult. Hinsicht hob sich die Zeit Brâncoveanus durch die nach ihm benannte, aus osm. u. venez. Stilelementen bestehende u. für die Folgezeit prägende Architektur heraus (Schloss Mogoşoaia, Kloster Horezu). Ende des 17. Jh.s wurden Perspektiven für eine Herauslösung der →Donaufürstentümer aus dem Osm. Reich sichtbar. Cantacuzino u. Brâncoveanu steuerten das Land in wechselnden Frontstellungen zw. Wien u. Istanbul durch den Krieg 1683–1699 (→Türkenkriege). Brâncoveanu nahm 1709 im Vorfeld des Feldzugs Peters des Großen in Richtung →Moldau mit dem Zaren geheime Verbindungen auf. 1718 bis 1739 war als Ergebnis des Krieges v. 1716–1718 →Oltenien an Österreich angegliedert. In den Kriegen 1768–1774 u. 1806–1812 standen russ., 1788–1791/1792 österr. Truppen im Land. Auf die „Unzuverlässigkeit“ der einheimischen Fürsten hatte Istanbul mit der Einsetzung der →Phanarioten reagiert. Diese Epoche (1716–1821) war parallel zur Moldau gekennzeichnet durch kult. Impulse sowie durch Reformen, besonders unter Constantin Mavrocordat (1730–1769, mit vielen Unterbrechungen): Normierung des Frondienstes (clacă), Vereinheitlichung der v. den Bauern zu erbringenden Abgaben, 1746 Aufhebung der Leibeigenschaft, ohne dass sich die faktische Lage der →Bauern verbesserte, 1776 Reorganisierung der „Fürst enakademie“, 1780 Rechtskodifizierung „Pravilniceasca Condică“. Diesen Veränderungen standen der Fortgang der Gräzisierung sowie eine verstärkte wirt. Ausbeutung des Landes gegenüber. Ein bauliches Monument dieser Zeit ist die Stavropoleos-Kirche (1724) zu Bukarest. 1821 brach in →Oltenien ein Aufstand soz. u. nationaler Zielsetzung aus, angeführt v. Tudor Vladimirescu (ca. 1770/1780–1821), der auch zum Signal für den vorgezogenen Beginn des gr. Aufstandes wurde (→Befreiungskriege). Bukarest wurde durch das rum. Bauernheer u. wenige Tage später auch durch die gr. Aufständischen unter Ipsilantis besetzt. Weil Valdimirescu mit den Osmanen Verbindung aufnahm, ließ ihn Ipsilantis hinrichten. Beide Erhebungen wurden durch osm. Truppen niedergeschlagen. Nach der Phanariotenzeit (1821) verlief die Entwicklung fast völlig im Gleichklang mit der Moldau. Hauptsächlich ging es um die Position des Russ. Reiches (→Russland) als Protektoratsmacht. Auf den Frieden v. →Adrianopel 1829 hin mussten die osm. „Brückenköpfe“ Turnu, Giurgiu u. Brăila v. der →Hohen Pforte geräumt werden, ebenso wurde das osm. Handelsmonopol völlig aufgehoben. Das Verfasssungwerk Regulament organic (→Organische Statute) trat 1831 in Kraft. Anders als in der Moldau erzielte in der W. die Revolutionsbewegung 1848 größere Erfolge (→Revolution v. 1848/49: Donaufürstentümer). Nach der Proklamation vorwiegend libe-
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raler Ziele in Izlaz (Oltenien) machte sich in Bukarest eine provis. Regierung, im August umgewandelt in eine locotenenţa domnească, an deren Verwirklichung (Pressefreiheit, Verbot der →Sklaverei für Zigeuner [→Roma], Vorbereitung einer nach einem Zensuswahlrecht zu wählenden verfassungsgebenden Versammlung), zögerte aber die Aufhebung des bäuerlichen Frondienstes hinaus. Nach der Besetzung durch osm., dann russ. Truppen, übernahmen die Großmächte die Verantwortung für die →Donaufürstentümer. Die Wahl des mold. Fürsten Cuza auch zum Fürsten der Walachei (1859) markierte die faktische Entstehung des „Altreichs“ (→Regat) u. →Rumäniens. Annotierte Bibl.: M. Stoy/M.-D. Peyfuss, Rumänien, in: HBK. Bd. I : Mittelalter, T. 2, 1455– 1618. Lit. (vgl. a. Gesamtdarstellungen unter →Rumänien): D. Ursprung, Raumvorstellungen u. Landesbewusstsein: die Walachei als Name u. Raumkonzept im historischen Wandel, in: Das Südosteuropa der Regionen. Hgg. O.J. Schmitt/M. Metzeltin. Wien 2015, 473–549. B. Murgescu, Ţările Române ȋntre Imperiul Otoman şi Europa creştină. Iaşi 2012; O. Rizescu, Avant lʼ„État-juge“. Pratique juridique et construction politique en Valachie au XVIIe siècle. Bucarest 2008; C. Vintilă-Ghiţulescu, Focul amorolui. Despre dragoste şi sexualitate în societatea românescă (1750–1830). Bucureşti 2006; V. Barbu, De bono coniugali. O istorie a familiei din Ţara Românescă în secolul al XVII-lea. ebd. 2003; M. Maxim, Ţările Române şi Înalta Poartă, cadrul juridic al relaţiilor româno-otomane în eviul mediu. ebd. 1993; C.R. Zach, Staat u. Staatsträger in der Walachei u. Moldau im 17. Jh. München 1992; N. Stoicescu, Matei Basarab. Bucureşti 1988; N. Iorga, Istoria lui Mihai Viteazul. 2 Bde. ebd. 1979 [Ndr. v. 1936]; N. Stoicescu, Vlad Tepeş. ebd. 1976; P. Chihaia, Tradiţii răsăritene şi influenţe occidentale în Ţara Românească. München 1983; Revoluţia română de la 1848. Hg. D. Berindei. Bucureşti 1974; D.C. Giurescu, Ţara Românească in secolele XIV–XVI. ebd. 1973; F. Constantiniu, Relaţiile agrare din Ţara Românească în secolul al XVIII-lea. ebd. 1972; A. Oţetea, Tudor Vladimirescu şi revoluţia din 1821. ebd. 1971; Şt. Ştefanescu, Ţara Românească de la Basarab I. „Întemeietorul“ pînă la Mihai Viteazul. ebd. 1971. E. V.
Warschauer Pakt (a. Warschauer Vertragsorganisation). Pol. u. milit. Allianz, gegründet durch den am 14.5.1955 in Warschau geschlossenen u. am 4.6.1955 in Kraft getretenen „Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit u. gegenseitigen Beistand“ zw. Albanien, Bulgarien, Ungarn, der DDR, Polen, Rumänien, der UdSSR u. der Tschechoslowakei, aufgelöst am 1.7.1991 (die milit. Strukturen bereits am 1.4.1991). Der Vertrag sah die Beratung der Teilnehmerstaaten „in allen wichtigen internationalen Fragen, die ihre gemeinsamen Interessen berühren“, vor (Art. 3), enthielt eine Klausel über die Verpflichtung zum sofortigen Beistand im Falle eines bewaffneten Überfalles (Art. 4) u. legte die Schaffung einer Vereinten Kommandostruktur fest (Art. 5). Als wichtigstes pol. Organ wurde der Politische Beratende Ausschuss (Art. 6), als wichtigstes militärisches das Vereinte Kommando der Streitkräfte eingerichtet. Die Vereinbarung über die Vereinte Kommandostruktur bildete die rechtl. Basis dafür, dass sowj. Truppen auch nach der Unterzeichnung des Österreichischen Staatsvertrags (15.5.1955) nicht nur in der DDR, sondern auch in anderen Staaten des WP stationiert wer-
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den konnten. Die Regelungen hierüber wurden in bilateralen Verträgen der Sowjetunion mit Polen (17.12.1956), Ungarn (27.5.1957) u. der Tschechoslowakei (16.10.1968) getroffen. Die Gründung des WP erfolgte zum einen als Antwort der UdSSR auf die Pariser Verträge (23.10.1954), namentlich auf die darin enthaltenen Beschlüsse über den Beitritt der BR Deutschland zur Nato u. über die Errichtung der Westeuropäischen Union (WEU), die beide in der Präambel des Warschauer Vertrags auch ausdrücklich attackiert wurden. Zum anderen nutzte die Sowjetunion die Gelegenheit, ihre pol. u. milit. Hegemonie in ihrer Einflusssphäre institutionell abzusichern. Der WP gewährleistete die milit. u. auch miltärtechn. Anbindung der anderen Mitgliedstaaten an die UdSSR, ermöglichte die Stationierung sowj. Truppen in osteuropäischen Staaten u. lieferte Moskau namentlich in Krisenfällen ein wichtiges Instrument zur Erzwingung der Bündnistreue. Letzteres geschah mehrfach, so in Zusammenhang mit allen großen Krisen im sowj. Hegemonialbereich nach der Gründung des WP (Ungarn 1956, Polen 1956 u. 1980/1981, Tschechoslowakei 1968). Militärisch trat der WP allerdings lediglich ein Mal in Aktion, nämlich bei der Invasion in die Tschechoslowakei im August 1969, an der sich die Mitgliedstaaten des WP außer Albanien u. Rumänien mit Truppenkontingenten beteiligten. So sehr die UdSSR Nutzen aus dem Bündnis ziehen konnte, so unsicher blieb für sie eben aufgrund dessen u. der immer wieder auftretenden zentrifugalen Tendenzen dessen reeller milit. Wert. Mit der Wende in Ostmittel- u. SOE Ende der 80er/ Anfang der 90er Jahre wurde deutlich, wie hohl die einstmals so stark erscheinende Allianz geworden war, die 1991 wie ein Kartenhaus in sich zusammenstürzte. In SOE spielte der WP eine weitaus geringere Rolle als in Ostmitteleuropa, das als „cordon sanitaire“ gegenüber Westeuropa u. als Bindeglied zw. den Territorien der UdSSR u. der DDR erheblich größere strategische Bedeutung für Moskau besaß. Ohnehin stellte im Unterschied zu dem zur Gänze zum sowj. Einflussbereich gehörenden Ostmitteleuropa SOE eine buntscheckige bündnispolitische Landschaft dar. Es beherbergte zwei Mitgliedstaaten der Nato (Griechenland u. die Türkei), vier Gründungsmitglieder des WP (Albanien, Bulgarien, Rumänien u. Ungarn) sowie das zw. den Blöcken lavierende Jugoslawien, das seit dem →Kominformkonflikt auf Distanz zur UdSSR gegangen war u. nie einen Beitritt zum WP auch nur erwogen hatte. Doch auch drei der vier soe. Gründungsmitglieder des WP bereiteten der Hegemonialmacht Probleme. Alle kurzzeitigen, partiellen oder dauerhaften Loslösungen aus dem Bündnis erfolgten in dieser Region: Während des Aufstands in →Ungarn erklärte Ministerpräsident Imre Nagy in der Nacht vom 1. auf den 2.11.1956 den Austritt des Landes aus dem WP u. die Neutralität, was nach der Niederschlagung der Erhebung durch Truppen der Roten Armee u. der Einsetzung einer neuen Führung unter János Kádár faktisch als nichtig erachtet wurde. Rumänien beteiligte sich seit 1967 nicht mehr an gemeinsamen Manövern, verurteilte wie Albanien die Invasion in die Tschechoslowakei im August 1968 u. nahm danach im WP ungefähr die Position Frankreichs in der Nato ein – pol. blieb es Mitglied des Bündnisses, doch entzog es sich der milit. Integration. Albanien schließlich trat am 13.9.1968 aus Protest gegen den Einmarsch in die Tschechoslowakei aus dem WP aus. Da zudem außer in Ungarn nirgendwo in SOE nach Abschluss der Friedensverträge 1947 sowj.Truppen stationiert waren, blieb der unmittelbare Einfluss des WP auf die Region gering. Dass die große Wende Ende der 80er Jahre dann doch von Ostmitteleuropa ausging,
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in dem die sowjetische u. die WP-Dominanz sehr viel stärker ausgeprägt waren, mag auch als Hinweis für die auf Dauer durchaus beschränkte Druckeffizienz u. Integrationsfähigkeit des WP gewertet werden. Lit.: D. Krüger, Am Abgrund? Das Zeitalter der Bündnisse: Nordatlantische Allianz u. Warschauer Pakt 1947 bis 1991. Fulda 2013; T. Diedrich, Der Warschauer Pakt. Von der Gründung bis zum Zusammenbruch 1955 bis 1991. Bonn 2009; H. Paris, Stratégie soviétique et chute du pacte de Varsovie. La clé de l’avenir. Paris 1995; N. Fodor, The Warsaw Treaty Organization. A Political and Organizational Analysis. New York 1990; The Warsaw Pact and the Balkans. Moscow’s Southern Flank. Hg. J. Eyal. ebd. 1989; Der Warschauer Pakt u. seine bilateralen Bündnisverträge. Analyse u. Texte. Hgg. A. Uschakow/D. Frenzke. Berlin (W) 1987; W.J. Lewis, The Warsaw Pact. Arms, Doctrine, and Strategy. Cambridge/MA 1982. M.A. H.
Weltkrieg, Erster. Der W. setzte in SOE die in den unmittelbar vorangegangenen →Balkankriegen v. 1912/13 eingeleitete u. mit dem Frieden v. Bukarest vorerst abgeschlosene Neugestaltung der pol. Landkarte SOEs fort u. führte zu einer grundlegend veränderten staatlichen Gliederung in weiten Teilen der Region. Als Massenvernichtungskrieg (mit europaweit schätzungsweise 17–20 Mio. Toten: Soldaten u. Zivilisten), dem Untergang dreier Kaiserreiche u. der ideologischen Spaltung Europas gilt der 1. Wk. als „Epochenbruch“, als „Urkatastrophe“ (George F. Kennan) des „kurzen“ 20. Jh.s (1914–1989/91). Die durch das →Attentat v. Sarajevo ausgelöste Julikrise 1914 mündete infolge überstürzter Ultimaten u. Mobilmachungen, pol.-milit. Fehleinschätzungen u. mangelnder Friedensbereitschaft der Mächte in die bis dahin größte milit. Auseinandersetzung der Geschichte. Über die Hauptverantwortlichen wird seither gestritten. Die Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien vom 28. Juli, die Generalmobilmachungen in Russland u. Österreich-Ungarn vom 30. bzw. 31. Juli sowie die dt. Mobilmachung u. Kriegserklärung an Russland vom 1. August setzten den Mechanismus der Bündnissysteme in Kraft u. zogen eine Kette weiterer Kriegserklärungen nach sich. Während der folgenden vier Jahre war SOE zwar nur ein „Nebenkriegsschauplatz“ (die militär. Entscheidungen fielen vornehmlich im W Europas), doch bemühten sich sowohl die Mittelmächte (Österreich-Ungarn u. Dt. Reich) als auch die Entente (Frankreich, Großbritannien u. Russland) um Bündnispartner im Donau-Balkan-Raum. Die Regierungen der Balkanstaaten waren ihrerseits bestrebt, den W. zur Vollendung ihrer jeweiligen Nationalstaatenbildung zu nutzen. Im August 1914 stießen österr.-ung. Truppen nach Serbien vor, wo sie am Cer-Gebirge im NW Serbiens eine schwere Niederlage erlitten u. zurückgedrängt wurden. Ein zweiter Vorstoß endete im Dezember 1914 in der Schlacht an der Kolubara mit einer erneuten Niederlage für die Doppelmonarchie. Die Menschenverluste auf beiden Seiten waren außerordentlich hoch u. wurden auf serb. Seite durch eine Typhus-Epidemie enorm verstärkt, so dass die serb. Verteidigungskraft sich stark verminderte. Mittlerweile war das Werben beider Seiten um Bundesgenossen intensiviert worden. Am 2.11.1914 trat das Osm. Reich an der Seite der Mittelmächte in den Krieg ein, geleitet v. der Hoffnung, die durch die Balkankriege verlorenen Territori-
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en zurückgewinnen zu können. Der im Frühjahr 1915 unternommene Versuch der Entente, die Dardanellen (→Meerengenfrage) maritim zu durchbrechen, schlug ebenso fehl wie der anschließende Versuch (bis Jan. 1916), die Meerengen v. einem brit. geführten Landungsunternehmen auf der Halbinsel Gallipoli her einzunehmen. Der Misserfolg der Entente wurde durch den Abschluss des Londoner Geheimvertrags mit Italien am 26.4.1915 kompensiert. Das v. beiden Lagern heftig umworbene Italien sicherte sich für den Kriegseintritt auf Seiten der Alliierten bedeutende territ. Zugeständnisse auf Kosten des Habsb. u. Osm. Reiches (Südtirol, Trentino, Triest, Istrien, einen Großteil Dalmatiens, Libyen, Eritrea u. Teile Kleinasiens), ferner den Besitz des alb. Hafens Vlora u. die Reduzierung Albaniens auf einen winzigen Rumpfstaat unter it. Protektorat. Das zunächst neutrale Bulgarien schloss sich unter dem Eindruck der Schwächung Serbiens, des Kriegseintritts des Osm. Reiches u. der alliierten Schlappe an den Meerengen im September 1915 den Mittelmächten an, da diese größere territ. Gewinne in Aussicht stellen konnten als die zur Rücksichtnahme auf Serbien gezwungene Entente. Die Mittelmächte versprachen Bulgarien den Erwerb →Makedoniens (in den Grenzen nach dem 1. Balkankrieg) u. – sofern Rumänien u. Griechenland sich mit der Entente verbünden würden – den Erwerb der →Dobrudscha u. der Region v. Kavalla (in West-Thrakien). In einem koordinierten Großangriff österr.-ung., dt. u. bulg. Truppen im Oktober 1915 wurde Serbien innerhalb weniger Wochen besetzt. Vergeblich appellierte die Belgrader Regierung an das seit den Balkankriegen verbündete, aber neutral gebliebene Griechenland. Auch die Anfang Okt. in Saloniki gelandeten alliierten Truppen waren zu schwach, um eine spürbare Entlastung zu geben, u. wurden in der Folgezeit durch Malariafälle stark dezimiert. In einem legendären, verlustreichen Rückzug schlugen sich die serb. Truppen im Winter 1915/16 vom Amselfeld (Kosovo polje) über die mont. u. nordalb. Berge an die Adriaküste durch, v. wo sie nach Korfu evakuiert wurden u. nach erfolgter Reorganisation an der alliierten Saloniki-Front erneut zum Einsatz kamen. Der größte Teil Serbiens sowie Montenegro kamen unter österr.-ung. Militärverwaltung. Über das künftige Schicksal Serbiens herrschte Uneinigkeit. Im Frühjahr 1916 kontrollierten die Mittelmächte u. ihre Verbündeten einen Kette v. Ländern, der v. Mitteleuropa bis zum Persischen Golf reichte. In SOE standen nur noch die neutralen Staaten Rumänien u. Griechenland außerhalb dieses Blocks (während das formal ebenfalls neutrale Albanien als Durchmarsch- u. Besatzungsgebiet v. nicht weniger als sieben Kriegsparteien genutzt wurde). Die Mittelmächte boten dem mit ihnen seit 1883 verbündeten Rumänien, das indes am 3.8.1914 seine Neutralität erklärt hatte u. wegen seiner Erdölvorkommen für alle kriegführenden Parteien v. großer Bedeutung war, den Erwerb →Bessarabiens an. Unter dem Eindruck des dt. Fehlschlags bei Verdun u. russ. Erfolge in der Bukowina entschloss sich jedoch der rum. Ministerpräsident Ionel Brătianu in Übereinstimmung mit dem jungen Kg. Ferdinand am 26.8.1916 für das Bündnis mit den Alliierten, die ihm Siebenbürgen, das Banat (bis zur Theiß), die Bukowina u. einen Teil des engeren Ostungarn versprachen. Der rum. Einmarsch nach Siebenbürgen wurde allerdings schnell gestoppt, während bulg. (u. dt.) Truppen nach Eroberung des rum. Brückenkopfes Tutrakan an der Donau (6. Sept.) in der Dobrudscha mit einer Offensive begannen, die im Dezember 1916 zur Einnahme Bukarests führte. Mitte Januar 1917 waren zwei Drittel des rum. Territoriums besetzt. Russlands Ausscheiden aus dem Krieg nach der Oktoberrevolution 1917 u. dem Frie-
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den v. Brest-Litovsk (3.3.1918) schnitt Rumänien v. den Alliierten vollends ab, so dass es am 7.5.1918 in Bukarest zum Friedensschluss mit den Mittelmächten kam. Rumänien verlor die Dobrudscha an Bulgarien u. die Karpatenpässe an Österreich-Ungarn, konnte im Gegenzug jedoch Bessarabien erwerben. Der letzte Balkanstaat, der in den W. eintrat, war Griechenland. Dort hatte der Kriegsausbruch zu einem an Schärfe zunehmenden Konflikt zw. Kg. Konstantin u. Premierminister Eleftherios Venizelos geführt u. die gr. Gesellschaft tief (u. über Jahrzehnte hinaus unüberbrückbar) gespalten. Während der Monarch mit den Mittelmächten sympathisierte, war Venizelos v. deren Niederlage überzeugt u. strebte den Kriegseintritt auf Seiten der Entente an. Am 15.3.1915 bot er die gr. Mitwirkung im Kampf um die Dardanellen an, die Russland mit Blick auf die eigenen Kriegsziele (Erwerb Istanbuls u. der Meerengen) kategorisch ablehnte, worauf Venizelos v. seinem Posten zurücktrat. Nachdem er aufgrund v. Neuwahlen in sein Amt zurückgekehrt war, versuchte er anlässlich der bevorstehenden Großoffensive der Mittelmächte gegen Serbien erneut, König u. Generalstab für die Aufgabe der Neutralität zu gewinnen, konnte aber nur die Zustimmung zur Landung weiterer alliierter Truppen in Saloniki (Oktober 1916) erreichen. Daraufhin trat er ein zweites Mal zurück u. boykottierte die ausgeschriebenen Neuwahlen. Von seiner Heimatinsel Kreta aus organisierte er den Widerstand gegen den Kg. u. die neue Regierung. Am 9.10.1916 traf er in Saloniki ein u. rief eine provisorische Gegenregierung aus. Unter massivem alliierten Druck übergab Konstantin im Juni 1917 seinem zweiten Sohn, Alexander I., den Thron (→Sonderburg-Glücksburg). Venizelos kehrte nach Athen zurück u. übernahm abermals das Amt des Premierministers. Am 2. Juli 1917 trat Griechenland offiziell (u. ohne territ. Geheimabsprachen), auf Seite der Entente in den W. ein. Mitte Sept. 1918 begannen die alliierten Truppen (mit 9 gr., 8 frz., 6 serb., 4 brit. Divisionen u. 1 it.) unter dem Oberkommando v. Franchet d’Esperey ihre lang erwartete Offensive an der Saloniki-Front. Am 29. Sept. unterzeichnete der Befehlshaber der kriegsmüden u. demoralisierten bulg. Truppen den Waffenstillstand. Die österr.-ung. u. dt. Kräfte wurden zügig zurückgeworfen, am 1. Nov. wurde Belgrad v. der Besatzung befreit, während serb. Truppen weiter auf habsb. Territorium vorstießen. Das am 10. November erneut in den Krieg eingetretene Rumänien begann mit der Einnahme der ihm 1916 versprochenen Territorien. Das Osm. Reich war am 31. Oktober zur Kapitulation gezwungen worden, während Österreich-Ungarn noch vor Unterzeichnung des Waffenstillstands (am 3.11.1918) endgültig auseinanderfiel. Während die Schlachten im W u. O Europas gut erforscht sind, standen die Kriegsschauplätze in SOE, die Kämpfe an den Dardanellen u. die Saloniki-Front, lange Zeit am Rand der intern. Forschung. Die tiefe Spaltung SOE in Gewinner (Serbien, Rumänien, Griechenland) u. Verlierer (Ungarn, Bulgarien, Osm. Reich; a. →Revisionismus) wurde durch die →Pariser Vorortverträge zementiert, die ihrerseits den gr.-türk. Krieg in Kleinasien als regional begrenzte Verlängerung des „Großen Krieges“ auslösten (→Lausanne, Friede v.). Die seit 1912 mit unterschiedlich langen Unterbrechungen andauerde Kriegsperiode hinterließ große Bevölkerungsverluste u. materielle Schäden (insbesondere in Serbien, das mit rd. einer Mio. Kriegstoten die – gemessen an der Bev.zahl − höchsten Kriegsverluste zu verzeichnen hatte). Die Kriegsmüdigkeit u. die Ausstrahlung der russ. Oktoberrevolution
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hatten gegen Ende des W.s obendrein für zunehmende soz. Unruhe (v. a. in den südslav. Ländern der Habsburgermonarchie, in Ungarn, Bessarabien u. Bulgarien) gesorgt, die durch die Folgen v. →Zwangsmigrationen zusätzlich verstärkt wurde u. die pol. heftig umstrittene Nachkriegsordnung mit gewaltigen soz. u. pol. Hypotheken belastete.
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Weltkrieg, Zweiter. Einbeziehung SOEs in den W.: Die Bewahrung der Ruhe in SOE war nach Beginn des W.s ein elementares Anliegen dt. Außenpolitik (vgl. dazu a. →Deutschland), um jede Störung der kriegswichtigen Zufuhr v. Rohstoffen u. Agrarprodukten aus der Region zu vermeiden. Das Kalkül geriet ins Wanken, als die Sowjetunion – gestützt auf den →Ribbentrop-Molotov-Pakt vom August 1939 – Rumänien am 26.6.1940 ultimativ zur Abtretung →Bessarabiens u. der Nordbukowina (→Bukowina) aufforderte. Auf dt. Rat hin sah die Bukarester Regierung keine andere Möglichkeit, als dem Ultimatum nachzukommen. Kurz darauf musste sie in Ausführung des zweiten →Wiener Schiedsspruchs vom 30. August bzw. des Vertrags v. Craiova auch noch Nordsiebenbürgen (→Siebenbürgen) an Ungarn u. die Süddobrudscha (→Dobrudscha) an Bulgarien abtreten (7. Sept.). Im Gegenzug erhielt sie eine Garantie Hitlers zum Schutz ihres restlichen Territoriums. Der damit noch einmal gerettete Frieden in der Region brach wenige Wochen später endgültig zusammen, als Mussolini am 28.10.1940 eine it. Offensive gegen Griechenland startete. Bereits im Frühjahr 1939 hatten it. Truppen gegen geringen Widerstand →Albanien besetzt u. Kg. Zogu ins Exil getrieben. Der vom alb. Boden ohne Billigung Hitlers geführte it. Angriff auf Griechenland wurde in der Schlacht v. Metsovo (Epirus) am 11.11. abgewehrt. In einer Gegenoffensive besetzten gr. Truppen sogar ein Drittel Albaniens. Großbritannien, das sich für den Schutz Griechenlands verbürgt hatte, begann mit der Errichtung v. Stützpunkten auf Kreta u. entsandte später Truppen nach Piräus u. Volos. Wegen der drohenden Gefahr der Errichtung einer alliierten Balkanfront (vergleichbar der Saloniki-Front v. 1915) befahl Hitler am 13.12.1940 die Vorbereitung eines dt. Angriffs auf Griechenland (Unternehmen „Marita“) im folgenden Frühjahr, um eine Gefährdung der rum. Erdölfelder durch brit. Luftangriffe u. eine Bedrohung der dt. Südostflanke im künftigen Russlandfeldzug zu verhindern. Dank
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intensiver Bemühungen der dt. Diplomatie traten Ungarn, Rumänien u. die Slowakei in der zweiten Novemberhälfte dem Dreimächtepakt (bestehend aus Deutschland, Italien u. Japan) bei. Bulgarien folgte am 1. März u. Jugoslawien am 25.3.1941, kurz vor Beginn des geplanten Angriffs auf Griechenland. Obwohl Hitler der Belgrader Regierung weitreichende (z. T. allerdings geheimgehaltene) Zugeständnisse gemacht hatte (so dass der jug. Beitritt zum Dreimächtepakt keinerlei praktisch-milit. Bedeutung hatte), wurde die Regierung v. Dragiša Cvetković u. Vladko Maček am 27. März durch einen Putsch serb. Offiziere mit Unterstützung des brit. Geheimdienstes gestürzt. Noch am selben Tag befahl Hitler, die Militäraktion gegen Griechenland auf Jugoslawien auszuweiten u. letzteres „als Staatsgebilde zu zerschlagen“ („Unternehmen 25“). Am 6. April begannen dt. Flugzeuge ohne vorherige Kriegserklärung mit der Bombardierung Belgrads, während die dt. Wehrmacht nach Jugoslawien einmarschierte u. v. Bulgarien aus die gr. Verteidigungs- („Metaxas“-) Linie durchbrach u. am 9. April Saloniki einnahm. Am 17. April – nachdem auch ung. u. it. Truppen in Jugoslawien eingerückt waren – erfolgte die bedingungslose Kapitulation der jug. Armee. Am 19. April begannen die Bulgaren mit der Besetzung Makedoniens, u. am 21. bzw. 23. April folgte die Kapitulation der gr. Truppen. Der „Blitzkrieg“ gegen Jugoslawien u. Griechenland wurde durch die dt. Luftlandung auf das v. brit. Truppen gehaltene →Kreta (Unternehmen „Merkur“) abgeschlossen (20. Mai – 1. Juni). Territoriale „Neuordnung“ SOEs: Unter Verletzung des Völker- u. Kriegsrechts wurde Jugoslawien in ein buntes Mosaik besetzter, annektierter u. scheinsouveräner Gebilde zerstückelt. Das →Banat u. Serbien (letzteres mit einer Marionetten-Regierung unter Milan Nedić) unterstanden dt. Verwaltung; die Untersteiermark u. Teile →Krains wurden vom „Dritten Reich“ faktisch annektiert. Der restliche Teil Sloweniens (mit der Provinz Laibach/Ljubljana, it. Lubiana), ferner Teile Dalmatiens u. die meisten vorgelagerten Inseln fielen an Italien, das auch die Kontrolle über das „unabhängige“ Montenegro gewann. Ungarn erhielt das Murgebiet (sowohl das slowen. Übermurgebiet →Prekmurje, als auch das kroat. Medjimurje), die Südbaranya u. die →Batschka, während der größere Teil →Makedoniens u. ein Gebietsstreifen in Ostserbien (Pirot, mit e. Teil d. →Šopen) v. Bulgarien besetzt wurden. West-Makedonien u. zwei Drittel Kosovos kamen an das it. beherrschte Großalbanien. Aus Kroatien u. Bosnien-Herzegowina entstand der →„Unabhängige Staat Kroatien“. Auf ihn entfielen ca. 40 % des jug. Territoriums; auf die v. Deutschland verwalteten oder annektierten Gebiete 28,4 %, auf die it. beherrschten Teile 15,6 %, auf bulg. annektierte Gebiete 11,4 % u. auf ung. annektierte 4,7 % des zerschlagenen Staates. Griechenland unterstand zu über 70 % it. Militärverwaltung. Hitler hatte sich lediglich die strategisch wichtigen Positionen um Saloniki u. Athen, einen Streifen an der gr.-türk. Grenze u. einige Inseln für dt. Besatzung gesichert (ca. 12 % des gr. Territoriums); der Rest – West- →Thrakien sowie die Inseln Thasos u. Samothrake – fiel an Bulgarien. Die territ. Veränderungen nach dem Aprilkrieg 1941 waren das Ergebnis improvisierter Entscheidungen Hitlers seit dem 27. März. Ein vorformuliertes Konzept fehlte. Hitler hat sich über die pol. Stellung SOEs im anvisierten NS-Großraum nie präzis geäußert. Unklar blieb insbesondere, wie eine v. beiden „Achsenmächten“ akzeptierte Abgrenzung zw. der nationalsozialist. u. der faschist. Vorherrschaft aussehen könnte. Zwar hatte die NS-Führung wiederholt die it. beanspruchte „preponderanza“ (Vorherrschaft) im Mittelmeerraum anerkannt,
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aber jede klare Abgrenzung vermieden. Alles in allem war Hitlers pol. u. territ. Interesse an SOE marginal. Was ihn interessierte, war das Wirtschaftspotential der Region, das weit überschätzt wurde. Hitler versuchte, die territ. Ambitionen seiner Verbündeten zu befriedigen, um sie damit an sich zu binden u. zugleich den Besatzungsaufwand für Deutschland so gering wie möglich zu halten. Doch die Befriedigung (oder teilweise Befriedigung) der it., ung., bulg., kroat. u. alb. Forderungen führte auf längere Sicht nicht zur milit. Entlastung Deutschlands, sondern riss alte Gräben auf u. schuf eine Vielzahl neuer Fronten. Infolge der Wiener Schiedssprüche, der Abtretung Bessarabiens u. der Nordbukowina an die UdSSR, der Angliederung Nordsiebenbürgens an Ungarn, der Süddobrudscha an Bulgarien, der Zerstückelung Jugoslawiens u. der Besetzung sowie partiellen Aufteilung Griechenlands hatte sich die pol. Landkarte SOEs zw. Nov. 1938 u. April 1941 v. Grund auf verändert. Nach dem Sturz Mussolinis (25. Juli) u. der Kapitulation Italiens (3.9.1943) kamen dann fast alle der bis dahin v. Italien besetzten Gebiete unter dt. Militärverwaltung. Der „Unabhängige Staat Kroatien“ u. Bulgarien konnten kleinere Geländegewinne verzeichnen. Besatzung, Kollaboration u. Widerstand: Alle Okkupationsmächte gingen in den v. ihnen kontrollierten Gebieten mehr oder minder rücksichtslos gegen die einheimische Zivilbev. vor. In den annektierten oder zur Annexion vorgesehenen Territorien wurden Maßnahmen zur ethn. „Unifizierung“ (Germanisierung, Romanisierung, Magyarisierung u. Bulgarisierung) ergriffen. Politischer u. insbesondere bewaffneter Widerstand wurden mit einer breiten Palette v. Repressalien (Einweisungen in Konzentrationslager, Geiselnahmen, „Vergeltungsaktionen“, Vertreibungen u. ä.) beantwortet. Schon anlässlich der ersten Unruhen in Jugoslawien sprach Hitler Ende Juli 1941 die „Erwartung“ aus, dass der zuständige dt. Befehlshaber „durch brutales Einschreiten u. schärfste Repressalien die Unruheherde ausbrennt“. Durch den berüchtigten OKW-Befehl Nr. 888 vom 16.9.1941 wurde die Hinrichtung v. 50–100 Zivilpersonen für jeden aus dem Hinterhalt getöteten dt. Soldaten angeordnet. In Ausführung dieses Befehls kam es im Herbst 1941 in Serbien (u. a. in Kragujevac u. Kraljevo) zu Massenexekutionen. Auch nachdem die Quote herabgesetzt worden war, verübten die Besatzungsmächte im Zuge der „Bandenbekämpfung“ weiterhin schwere Kriegsverbrechen (ung. „Razzia v. Novi Sad“, dt. „Vergeltungsmaßnahmen“ in Kalavryta, Distomo usw.). Am schärfsten u. konsequentesten verfolgt wurden – neben „Kommunisten“ – Juden u. →Roma (→Holocaust). Der Kommandeur der II. ital. Armee in Slowenien u. Kroatien, General Mario Roatta, forderte seine Soldaten im „Zirkular 3C“ (vom 1.3.1942) auf, mit voller Härte gegen die Partisanen u. die Zivilbev. in den Widerstandsgebieten vorzugehen. Unter seinem Kommando führte die ital. Armee brutale Repressionsmaßnahmen durch, wobei es zu zahlreichen Kriegsverbrechen kam. Andererseits weigerte sich Roatta, die Juden in der ital. Besatzungszone an deutsche Stellen auszuliefern. – In allen besetzten Gebieten gab es ein breites Spektrum v. Kollaboration u. Widerstand, wobei die Übergänge in vielen Fällen fließend blieben. Die bedingungslose Kollaboration aus Überzeugung (z. B. →volksdeutsche Funktionäre, Ante Pavelić u. die →Ustaše in Kroatien oder Ferenc Szálasi u. die →Pfeilkreuzler 1944 in Ungarn) war eher eine Ausnahme. Häufig betrachteten die v. dt. Organen eingesetzten Regierungschefs die Zusammenarbeit mit der Besatzungsmacht als „notwendiges oder kleineres Übel“ (z. B. Milan Nedić in Serbien, Mehdi Bej Frashëri in Albanien oder
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Ioannis Rallis in Griechenland). Besonders kompliziert gestaltete sich die Situation dort, wo die Besatzungsherrschaft zwar Anlass, aber nicht Ursache bzw. nicht alleinige oder primäre Ursache für unterschiedliche Verhaltensweisen der Bev. war, wo sich taktische u. strategische Ziele, rivalisierende Nationalismen u. gegensätzliche Weltanschauungen in unentwirrbarer Weise bei der Entscheidung für Kollaboration, Kooperation, Attentismus oder Widerstand überschnitten – kurz: wo die Entscheidung für die eine oder andere Verhaltensweise nicht allein v. der Einstellung gegenüber der Besatzungsmacht, sondern v. Prioritätssetzungen unterschiedlichster Art beeinflusst wurde. Zufälle, Uninformiertheit u. Opportunismus spielten eine oft entscheidende Rolle. Die nach Kriegsende in Jugoslawien angefertigten Verhörprotokolle ehem. Kämpfer bieten Einblicke in die Motive der Betroffenen, doch wurden diese Quellen bislang nicht systematisch ausgewertet. Grundsätzliche Gegnerschaft u. zeitweilige Zusammenarbeit mit dem Feind waren jedenfalls durchaus miteinander vereinbar. Ein prominentes Beispiel hierfür boten die →Četnici. Die erbitterte Feindschaft zw. kons. u. komm. Widerstandsbewegungen (v. a. in Jugoslawien, Albanien u. Griechenland) rückte den Kampf gegen die Besatzungsmacht lange vor Kriegsende mehr u. mehr in den Hintergrund, während der Kampf gegen den oder die inneren Gegner im Ringen um die Gestaltung der Nachkriegsordnung in den Vordergrund trat (→Bürgerkrieg). Ostfeldzug u. Kriegsende: Hitlers Überfall auf die Sowjetunion (Unternehmen „Barbarossa“) am 22.6.1941 hatte auch die Verbündeten in SOE unter Zugzwang gesetzt. Während sich Bulgarien der Beteiligung am Ostfeldzug beharrlich entzog u. bis zum Herbst 1944 diplomatische Beziehungen zur UdSSR unterhielt, nahm Ungarn mit drei Divisionen am Vormarsch in die Ukraine teil. Rumäniens Staatschef Marschall Ion Antonescu erblickte in der dt. Offensive eine willkommene Gelegenheit, nicht nur die an die UdSSR abgetretenen Gebiete zurückzugewinnen, sondern zusätzliche territ. Gewinne zu erzielen. Am 19.8.1941 übernahm Rumänien →Transnistrien in seine Zivilverwaltung, ohne es allerdings dem rum. Staat einzugliedern. Die Kriegswende in Russland traf Hitlers Verbündete in voller Härte. Im Januar 1943 erlitt die an der Donfront eingesetzte ung. 2. Armee schwere Verluste u. musste v. der Front abgezogen werden. In der Schlacht v. Stalingrad waren im Winter 1942/43 18 rum. Divisionen vernichtet worden. Die stark reduzierten rum. Truppen konnten danach den Vormarsch der Roten Armee nicht mehr wirksam aufhalten. Im Verlauf des Jahres 1944 brach Hitlers Hegemonialsystem in SOE zusammen. Um einen separaten Waffenstillstand Ungarns mit den Alliierten zu verhindern, besetzten dt. Truppen am 19. März das Land ihres Verbündeten (Unternehmen „Margarethe“). Im August 1944 drangen sowj. Truppen nach Rumänien ein. Am 23. August wurde Marschall Antonescu v. Kg. Michael I. gestürzt u. verhaftet. Die neue Regierung unter General Constantin Sănătescu stellte den Kampf gegen die UdSSR ein u. gewährte den dt. Truppen freien Abzug. Diese reagierten mit der Bombardierung Bukarests, was die rum. Kriegserklärung an Deutschland auslöste (25. August). Am 8. September stießen sowj. Truppen v. Rumänien nach Bulgarien vor, das nun ebenfalls einen Frontwechsel vollzog u. in den Krieg gegen Deutschland eintrat. Ebenfalls im September stieß die Rote Armee auch nach Ungarn vor. Hitler nahm nun den seit langem um einen separaten Waffenstillstand besorgten Reichsverweser Admiral Miklós Horthy in „Schutzhaft“ u. übertrug die Macht dem Führer der ung. „Pfeilkreuzler“ Ferenc Szálasi (15. Oktober),
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unter dessen Regime die ung. Juden in dt. Vernichtungslager deportiert wurden. Eine im ostung. Debrecen gebildete Gegenregierung unter Béla Miklós-Dálnoki erklärte Deutschland am 23.12.1944 den Krieg. Die sowj. Eroberung ganz Ungarns zog sich allerdings bis Anfang April 1945 hin. Ein in der →Slowakei am 29.8.1944 ausgebrochener Aufstand gegen das 1939 errichtete Satellitenregime wurden v. dt. Truppen niedergekämpft. Zu Jahresbeginn 1945 begann die Rote Armee, die Slowakei in breiter Front zu besetzen. Griechenland war auf Befehl Hitlers bereits Anfang November 1944 geräumt worden. Zurück blieb ein innerlich zerrissenes u. wirt. ausgezehrtes Land, das auf den „zweite Runde“ im →Bürgerkrieg zusteuerte. Am 9.10.1944 hatten Winston Churchill u. Josef Stalin in Moskau eine Vereinbarung über die Abgrenzung ihrer Interessensphären in SOE getroffen. Danach sollte die Sowjetunion in Rumänien u. Großbritannien in Griechenland zu jeweils 90 % das Übergewicht erhalten. Bulgarien fiel zu 75 % in die sowj. Interessensphäre; in Ungarn u. Jugoslawien wollten sich beide Mächte den Einfluss paritätisch teilen. Durch die Kriegsereignisse wurde die Vereinbarung weitgehend überholt. In Jugoslawien konnte die Tito-Bewegung das Land fast vollständig aus eigener Kraft befreien u. half auch den alb. Kommunisten bei der Machtübernahme. Der Sieg war begleitet v. Abrechnungen mit tatsächlichen oder vermeintlichen Kollaborateuren. Griechenland versank im Bürgerkrieg, während in den anderen soe. Ländern die Rote Armee vollendete Tatsachen schuf. In den Moskauer Waffenstillstandsverträgen mit den vormaligen dt. Bündnispartnern Rumänien (12.9.1944), Bulgarien (28.10.1944) u. Ungarn (20.1.1945) wurde zwar die Bildung Interalliierter Kontrollkommissionen zur Überwachung der Vereinbarungen festgeschrieben, doch sicherte sich die Sowjetunion dank ihrer milit. Präsenz überall die uneingeschränkte Vorherrschaft u. drängte die Vertreter Großbritanniens u. der USA (→Vereinigte Staaten v. Amerika) in eine Zuschauerrolle. Bevölkerungsverluste: Jugoslawien hatte mit rd. 1 Mio. Toten (darunter über 500.000 Zivilisten) die höchsten Kriegsverluste in SOE zu verzeichnen (ca. 6,3 % der Vorkriegsbev.). Diese Zahl bezieht sich auf alle Kriegstoten, unabhängig v. den Ursachen u. Tätern. Für Ungarn wird die Zahl der Kriegstoten auf 420.000, für Rumänien auf 460.000, für Griechenland (bis 1945, ohne demogr. Verluste durch Hunger etc.) auf 160.000 u. für Bulgarien auf 20.000 beziffert (insges. über 2 Mio. Tote, unter ihnen 1,2 Mio. Zivilisten). Lit. (a. →Bürgerkrieg [Griechenland, Jugoslawien]; →Četnici; →Partisanen; →Unabhängiger Staat Kroatien): A. Suppan, Hitler – Beneš – Tito. Konflikt, Krieg u. Völkermord in Ostmittel- u. Südosteuropa. 3 Tle. Wien 2014; A. Buchanan, American Grand Strategy in the Mediterranean during World War II. New York 2014; D. Motadel, Islam and Nazi Germany’s War . Cambridge/ Mass. 2014; Srbi i rat u Jugoslaviji 1941. godine. Zbornik radova. Hg. D. Aleksić. Beograd 2013 [Beiträge in mehreren Sprachen]; A. Osti Guerrazzi, The Italian Army in Slovenia. Strategies of Antipartisan Repression, 1941–1943. Basingstoke 2013; G. Trifkovic, Making Deals with the Enemy: partisan-German contacts and prisoner exchanges in Yugoslavia 1941–1945. Diss. Graz 2013; H.A. Richter, Griechenland 1940–1950. Die Zeit der Bürgerkriege. Ruhpolding 2012; A. Stojanović, Srpski civilni/kulturni plan Vlade Milana Nedića. Beograd 2012; Handbuch zum Widerstand gegen Nationalsozialismus u. Faschismus in Europa 1933/39 bis 1945. Hg. G.R. Ueberschär. Berlin, New York 2011; C.U. Schminck-Gustavus, Winter in Griechenland: Krieg,
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Weltwirtschaftskrise. Die Ende Okt. 1929 durch den New Yorker Börsenkrach ausgelöste W. stürzte die soe. Länder in eine ökon. u. soz. Katastrophe mit einschneidenden Konsequenzen für die Wirtschafts- u. Außenpolitik der betroffenen Staaten. Die ökon. Konsolidierung nach 1918 hatte zu wesentlichen Teilen auf dem Export v. Agrarprodukten u. dem Import v. Kapital u. (nicht substituierbaren) Industriegütern beruht. Beide Grundpfeiler brachen während der W. zusammen: Die Exportchancen schrumpften drastisch infolge verstärkter Selbstversorgungsanstrengungen der Industrieländer, die Weltmarktpreise für Agrarprodukte sanken gleichzeitig ins Bodenlose; u. der Kapitalimport kam mit der Finanz- u. Bankenkrise vom Sommer 1931 zum Erliegen. Die zur Bedienung der Auslandsschulden erforderlichen Devisen (aus Exporterlösen, Neuverschuldung oder Gastarbeiterüberweisungen) schmolzen zusammen oder blieben gänzlich aus, so dass die soe. Länder Anfang der 30er Jahre vor dem finanziellen Zusammenbruch standen. Der Tiefpunkt der Krise wurde in den Jahren 1933/34 erreicht. Erst ab 1935 (u. damit deutlich später als in den Industriestaaten) setzte eine langsame Erholung ein. Die W. traf die Agrarstaaten (innerhalb SOEs insbes. auf dem engeren →Balkan) aus mehreren Gründen besonders empfindlich: 1. Der Auslandsabsatz der Balkanländer war in den 20er Jahren überwiegend mit Agrarprodukten u. Rohstoffen bestritten worden. Der Beitrag der Land- u. Forstwirtschaft zu den jeweiligen Exportwerten hatte im Durchschnitt der Jahre 1925–27 zw. 69 % (in Jugoslawien) u. 86 % (in Bulgarien) geschwankt. Aber selbst für das höher entwickelte Ungarn war die Situation nur geringfügig besser. Das erdrückende
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Gewicht einiger weniger Ausfuhrartikel machte die Exportwirtschaft der soe. Länder extrem störanfällig. Infolge der internationalen Absatzkrise sank der Index der Ausfuhrerlöse vom Basisjahr 1929 bis 1934 in Bulgarien auf 39,7, in Rumänien auf 47,2 u. in Jugoslawien auf 48,6 Punkte. Das alb. Exportvolumen betrug 1934 nur noch 29 % der Ausfuhr v. 1928. In Griechenland u. Ungarn war der Einbruch nicht ganz so dramatisch, aber belastend genug. 2. Die durch die →Bodenreformen beschleunigte Parzellierung der Betriebsflächen, der Kapitalmangel der Klein- u. Zwergbetriebe sowie die technische Rückständigkeit der landwirt. Betriebe (mit entsprechend niedriger Produktivität) auf der einen u. die zunehmende Überschwemmung der europ. Märkte mit preiswerten Agrarprodukten aus Übersee auf der anderen Seite hatten die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Balkanländer schon während der 20er Jahre zunehmend bedroht, ohne dass wirksame Abhilfe geschaffen worden wäre. Die konjunkturelle Krise seit Ende 1929 verstärkte daher eine seit langem schwelende strukturelle Krise, u. beide Krisen verschärften sich wechselseitig u. kumulativ. 3. Die internationalen Preise für Agrarprodukte sanken schneller u. tiefer als die Preise für Fertigwaren, so dass sich die terms of trade zu Lasten der agrarexportierenden Länder verschlechterten. So fielen z. B. die Exportpreise Rumäniens v. 1929 bis 1934 um 62 %, während sich die Importe nur um 35 % verbilligten. In Bulgarien u. Jugoslawien nahmen die Ausfuhrpreise um 62 % bzw. 48 % ab, wohingegen die Einfuhrpreise lediglich um 25 % sanken. Die Preisschere auf den internationalen Märkten setzte sich auf den soe. Binnenmärkten fort. Das durch hohe Zollmauern vor der ausländischen Konkurrenz geschützte soe. Gewerbe verkaufte seine Erzeugnisse zu fast denselben Preisen wie vor der Krise, während die Einkommen aus der Landwirtschaft mehr u. mehr versiegten. Bulgariens Bauern erlitten zw. 1929 u. 1933 einen Einnahmeverlust v. 63 % (75 % allein bei Getreide), während die Preise für bulg. Industrieerzeugnisse in derselben Zeit lediglich um bescheidene 17 % nachgaben. Für einen Eisenpflug musste ein jug. Landwirt 1929 509 kg Mais aufwenden, 1934 waren es bereits 1.300 kg. Je mehr die Bauern verarmten, desto größer wurde ihr Bedürfnis nach neuen Krediten, was bei der unzureichenden Organisation u. Ausstattung des ländlichen Kreditwesens nur noch zu ruinösen Bedingungen möglich war. Die bereits hohe Verschuldung der soe. Landwirtschaft (u. a. eine Folge der Bodenreformen) erreichte während der W. ihren Höhepunkt. Millionen v. Mittel- u. Kleinbauern standen vor dem Ruin. Durch den Einkommensverfall bei großen Teilen der Bevölkerung wurde die Liquidität der Regierungen entsprechend reduziert. Die selbst in Normalzeiten begrenzte Ergiebigkeit der Steuerquellen ließ rapide nach. Indirekte Abgaben u. Zölle, die wichtigsten Posten unter den ordentlichen Staatseinnahmen, schrumpften während der Krisenjahre fast überall um wenigstens ein Drittel, die Einkünfte aus der direkten Besteuerung nahmen um mehr als die Hälfte ab. Auch die Rentabilität der staatl. Unternehmen litt schwer unter dem Kaufkraftschwund. Unter diesen Umständen wurde die Bedienung der öffentlichen Anleihen v. Tag zu Tag schwieriger. Wichtige Devisenquellen (z. B. die Überweisungen v. Emigranten) gerieten allerorts ins Stocken. Die Reparationsleistungen, die Jugoslawien, Rumänien u. Griechenland zur Aufbesserung ihrer Devisenkasse v. den Verliererstaaten des 1. Wk.s (namentlich v. Deutschland) erhalten hatten, fielen nach Inkrafttreten des Hoover-Moratoriums am 7.7.1931 völlig weg. Die Katastrophe trat ein, als im Sommer 1931 nicht nur die Zufuhr weiteren Auslandskapitals auf-
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hörte, sondern auch ausländische Kredite überhastet abgerufen wurden. Ende Mai 1931 war die österr. Creditanstalt zusammengebrochen. Enge finanzielle Verflechtungen, v. a. der rum. u. jug. Geldinstitute mit österr. u. ung. Großbanken sorgten für eine prompte Übertragung der Vertrauenskrise auf SOE. Der Ansturm der inländischen Sparer u. ausländischen Kreditgeber auf ihre Guthaben führte zum Zusammenbruch zahlreicher Banken. Mit der Kapitalflucht schmolzen auch die Devisenvorräte der Zentralbanken binnen weniger Monate auf ein Minimum. Praktisch alle soe. Länder standen 1931/32 vor dem Staatsbankrott. Die Regierungen versuchten, das drohende Unheil durch Verbot des freien Devisenverkehrs, durch Zahlungsmoratorien u. Exportförderung abzuwenden. Um den Verfall ihrer Ausfuhrerlöse aufzuhalten, suchten sie eine engere Zusammenarbeit untereinander. Die auf einer Serie v. Konferenzen beschworene Solidarität der ostmittel- u. soe. Agrarländer reichte jedoch (infolge der fortbestehenden pol. Gegensätze zw. Sieger- u. Verliererstaaten des 1. Wk.s, vgl. →Revisionismus) nicht aus, um eine gemeinsame Abwehrstrategie gegen die Industriestaaten zu entwickeln. Der angestrebte „Agrarblock“ blieb daher Fiktion. Auch der Appell an die Hauptgläubigerstaaten (insbes. Frankreich), ihre Märkte für soe. Agrarprodukte zu öffnen, zeitigte keine Ergebnisse. Mit einer öffentlichen u. privaten Gesamtverschuldung v. 76,5 Mrd. Francs waren die Südoststaaten auf Absatzmärkte für ihre agrarischen Überschüsse ebenso angewiesen wie auf leistungsfähige Kreditmärkte. Doch der Hauptgläubiger Frankreich war mit Rücksicht auf seine kolonialen Bindungen nicht in der Lage, die soe. Agrarprodukte abzunehmen, u. der Hauptabnehmer Deutschland war selber ein Schuldnerstaat u. sah sich außerstande, Kredite zu gewähren. Eine Zusammenarbeit zw. Frankreich u. Deutschland, zw. der Führungsmacht des antirevisionistischen u. der Führungsmacht des revisionistischen Lagers, scheiterte an der Kompromisslosigkeit beider Seiten. Die Divergenz v. Kapital- u. Warenströmen wirkte sich aber letztlich zugunsten →Deutschlands aus, denn die Bereitschaft zur Abnahme v. Agrarprodukten war die Conditio sine qua non für die wirt. Sanierung des Donau-Balkan-Raums. Das Auswärtige Amt in Berlin war entschlossen, diesen Trumpf auszuspielen. Indem es den Staaten SOEs Präferenzzölle für deren Agrarprodukte anbot (erstmals Rumänien im Sommer 1931), versuchte es, die pol. Bindungen zw. den Ländern der →Kleinen Entente u. damit zugleich das frz. Sicherheitssystem durch den Einsatz wirtschaftspol. Instrumentarien auszuhöhlen. Diese Strategie erwies sich im weiteren Verlauf der 30er Jahre als überaus erfolgreich. Die W. leitete somit eine neue Phase in der außenpol. Entwicklung der Zwischenkriegszeit ein. Auch in der Wirtschaftspolitik der soe. Staaten hinterließ die Krise tiefe Spuren, da sie den staatlichen Dirigismus in der Wirtschaft, der schon in den 20er Jahren beträchtlich gewesen war, durch Einführung der Devisenbewirtschaftung, der Außenhandelskontrolle u. durch Errichtung neuer staatlicher Monopole weiter stärkte. Der Kollaps v. Millionen Bauern konnte durch langfristige Umschuldungsprogramme u. verbesserte Absatzchancen noch einmal abgewendet werden. Lit.: C. Freytag, Deutschlands „Drang nach Südosten“. Der Mitteleuropäische Wirtschaftstag u. der „Ergänzungsraum Südosteuropa“ 1931–1945. Göttingen 2012; S.M. Mazower, Greece and the Interwar Economic Crisis. Oxford 1991; V. Vinaver, Svetska ekonomska kriza u Podunavlju i nemački
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Wesir (arab. wazīr v. wazara „eine Last tragen helfen“; türk. vezir). Im Osm. Reich wie auch in anderen isl. Staaten neben Amtsbezeichnung auch bloßer Titel. Als Amtstitel bezeichnet W. in erster Linie den →Großwesir; daneben, bis zu deren Abschaffung durch Ahmed III. (1703–1730), die sog. „Kuppelwesire“ als Berater des Großwesirs u. Mitglieder im Großherrlichen →Diwan. Aus deren Reihen bestimmte der Sultan sowohl den →Kaimakam des Großwesirs als auch dessen Nachfolger, u. zwar meist in Gestalt des Zweiten (gelegentlich auch Dritten) W.s. Die Zahl der Kuppelwesire schwankte; zur Zeit Süleymans des Prächtigen (1520–1566) lag sie gewöhnlich bei drei. In den zeitgenössischen Quellen werden die Bez. W. u. →Pascha vielfach gleichbedeutend verwendet. Wichtige Statthalterschaften (vgl. →Beylerbeyi) in Ägypten, Ungarn oder im Irak wurden gern Kuppelwesiren übertragen (diese bildeten – neben dem im Felde stehenden Großwesir – anfangs die einzigen Amtsträger im W.-Rang außerhalb der Reichshauptstadt); später setzte sich die Praxis durch, neben weiteren Diwansmitgliedern auch einigen Provinzgouverneuren die W.-Würde zu verleihen. Gegen Ende des 16. Jh.s belief sich die Zahl der Amtsträger im Rang eines W. bereits auf ungefähr zwei Dutzend, um in der Folgezeit sprunghaft anzusteigen. Nach 1640 konnten selbst Beylerbeyis mit zwei Rossschweifen in den Genuss der Würde eines W. gelangen. Spätestens seit Selim III. (1789–1807) wurden Anstrengungen unternommen, die Promotion v. Würdenträgern in den W.-Rang an zusätzliche Bedingungen zu knüpfen u. somit zu erschweren.
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Westungarn / Wiener Schiedssprüche
1300–1600. London 1973; İ.H. Uzunçarşılı, Osmanlı Devletinin Merkez Ve Bahriye Teşkilâtı. Ankara 1948. M. U.
Westungarn. Bez. der im Frieden v. →Trianon 1920 Österreich zugesprochenen Gebiete, deren Abtretung radikal-nationalistische Kräfte in Ungarn zu verhindern trachteten. Im Herbst 1920 riefen Offizierskommandos (den dt. Freikorps vergleichbare tiszti különítmények) unter der Führung v. Pál Prónay, Gyula Ostenburg u. Iván Héjjas – Vertraute des Regenten Admiral Nikolaus Horthy – das Banat Leitha („Lajtabánság“) aus u. führten Guerillakämpfe in W. Sie spielten auch im erfolglosen Versuch Kg. Karls IV., nach Ungarn zurückzukehren, eine gewisse Rolle. Nachdem Ministerpräsident Graf István Bethlen in Venedig (11.10.1921.) mit it. Unterstützung die Zustimmung Wiens zu einer Volksabstimmung in u. um Sopron/ Ödenburg erreicht hatte u. diese in nicht ganz freier Form am 14.–16.12.1921 für Ungarn günstig ausfiel, wurden die Kommandos schnell aufgelöst u. das restliche W. (das heutige →Burgenland) ungestört Österreich eingegliedert. Lit. (a. →Burgenland): M. Vares, The question of Western Hungary/Burgenland, 1918–1923. A territorial question in the context of national and international policy. Diss. Univ. Jyväskylä 2008; L. Fogarassy, Nyugatmagyarországi bandaharcok (1921. augusztus 28. – november 4.), Vasi Szemle 1961, 39–49; T.I. Ádám, A nyugatmagyarországi felkelés története. Budapest 1935; A. Rausnitz, Die Gendarmerie in Burgenland, in: Die Gendarmerie in Österreich 1849–1924. Hg. F. Neubauer. Wien 1925, 231–64. J.M. B.
Wiener Schiedssprüche. Als Erster u. Zweiter Wiener Schiedsspruch werden zwei Grenzrevisionsverträge bezeichnet, die als Bestandteil der nationalsozialist. Hegemonialpolitik gegenüber den Ländern des östl. Europas jeweils dem ung. →Revisionismus entgegenkamen. Deshalb sind sie nur der Form nach als Schiedsgerichtsverfahren anzusehen u. werden v. der Geschichtsschreibung der betroffenen Länder Slowakei u. Rumänien als Machtdiktat der Achsenmächte →Deutschland u. Italien qualifiziert. 1. Wr. Sch.: Am 20.9.1938 ließ sich die ung. Regierung unter Béla Imrédy gegenüber Hitler in Berchtesgaden dazu verpflichten, sich aktiv an der Zerschlagung der Tschechoslowakei zu beteiligen. Der geplante milit. Einsatz wurde durch den Abschluss des Münchner Abkommens vom 29.9.1938 hinfällig, in dem auf Betreiben Mussolinis auch ausdrücklich auf das „Problem der ung. Minderheiten in der Tschechoslowakei“ Bezug genommen wurde: es sollte aufgrund bilateraler Verhandlungen gelöst, im Falle v. deren Scheitern jedoch im Rahmen einer weiteren Viermächtekonferenz verhandelt werden. Die im Oktober geführten Verhandlungen Ungarns mit den autonomen Landesregierungen der →Slowakei u. der →Karpato-Ukraine scheiterten. Ein dt. Vermittlungsvorschlag, die v. den Slowaken vorgeschlagenen Gebiete sofort an Ungarn anzuschließen u. in den strittigen Gebieten (Neutra, Kaschau, Ungvár/Užhorod u. Munkács/Munkačevo) eine Volksabstimmung durchzuführen, stieß bei den Verhandlungspartnern gleichfalls auf Ablehnung. Deshalb schlug die ung. Re-
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Wiener Schiedssprüche
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gierung am 21.10.1938 den beiden Achsenmächten vor, den strittigen Grenzverlauf durch einen Schiedsspruch der dt. u. it. Regierung zu regeln. Diesem zunächst nur v. Rom, am 29. Oktober auch v. Prag u. Pressburg unterstützten Vorschlag stimmte schließlich auch Hitler zu, der die Arbitrage einer neuerlichen, als Alternative sich abzeichnenden Viermächtekonferenz vorzog. Das Schiedsgerichtsverfahren fand am 2.11.1938 im Wiener Belvedere statt u. verfügte eine maßgeblich vom it. Außenminister Graf Ciano bestimmte Grenzlinie, die zugunsten Ungarns weit über das Prinzip eines Grenzverlaufs auf ethn. Grundlage hinausging u. Ungarn auch Gebiete einräumte, die nach einer Tagebuchnotiz Cianos „in Wirklichkeit Gegenstand einer ausführlichen u. umstrittenen Diskussion hätten sein können“. Jozef Tiso, der nach Bekanntgabe des Schiedsspruchs sofort zurücktreten wollte, erklärte in seiner Rundfunkansprache vom 3. November, „dass dem slowakischen Volk ein großes Unrecht widerfahren ist“. Alle ausgebauten West-Ost-Verbindungslinien der Slowakei wurden durch die Grenzziehung unterbrochen u. die Karpato-Ukraine hatte alle ihre bedeutenden städtischen Zentren verloren. Insges. wurden 12.009 km2 mit 1.041494 E, darunter 293.534 Slowaken, 38.582 Ruthenen u. 13.875 Deutsche, an Ungarn abgetreten. In der Slowakei waren 66.368 Magyaren verblieben, die dort die gleichen Volksgruppenrechte wie die Deutschen erhielten. Die Volkstumsrechte der Slowaken in Ungarn wurden dagegen nur geschützt, soweit sie vom Wr. Sch. betroffen, also in dem an Ungarn abgetretenen Gebiet ansässig waren. Mit dem 1. Wr. Sch. war das Bündnissystem der →Kleinen Entente endgültig auseinander gebrochen u. hat Ungarn seine pol. Handlungsfreiheit u. Selbständigkeit an Deutschland verloren, ohne im Schiedsspruch eine Rechtsgrundlage für seine weiter fortgesetzte Revisionspolitik zu finden. Wie wenig dieser Vertrag als rechtsverbindlich angesehen wurde, offenbarten die Vorgänge im März 1939, als im Rahmen der endgültigen Aufteilung der Tschechoslowakei u. der Besetzung Böhmens durch dt. Truppen die ung. Regierung am 13. März von Hitler die Vollmacht erhielt, die im Nov. 1938 bei der Tschechoslowakei verbliebenen Teile der Karpato-Ukraine zu besetzen u. an Ungarn anzugliedern. Deren Besetzung war am 18. März abgeschlossen. In die Annexion dieser Provinz mit noch 11.085 km2 u. 552.000 E wurden zusätzlich 1.700 km2 der Ostslowakei mit 70.000 E einbezogen. Dies geschah in der Absicht, die zur gleichen Zeit ihre Unabhängigkeit erklärende →Slowakei soweit zu schwächen u. v. Ungarn abhängig zu machen, dass sie ihren Beitritt zu Ungarn erklären müsse, was jedoch durch den entschiedenen Einspruch Hitlers u. seine Schutzgarantie für den Satellitenstaat unterbunden wurde. 2. Wr. Sch.: In der noch offen gebliebenen Frage einer Grenzrevision Ungarns gegenüber →Rumänien verstärkte die Regierung Teleki nach dem Ausbruch des 2. Wk.s ihre milit. Vorbereitungen einschließlich einer am 27.5.1940 proklamierten Mobilmachung, um Rumänien zur Rückgabe →Siebenbürgens zu zwingen. Die Bedeutung Rumäniens als Erdöllieferant bewog die dt. Regierung dazu, ein eigenmächtiges ung. Vorgehen zu verhindern, zumal wegen des noch bestehenden Garantiepaktes Rumäniens mit Großbritannien die Gefahr einer engl. Militärintervention auf dem Balkan bestand. Erst als im Zuge des →Ribbentrop-Molotov-Paktes ein sowj. Ultimatum vom 26.6.1940 die Bukarester Regierung dazu zwang, auf →Bessarabien u. die Nord-→Bukowina zu verzichten, u. Kg. Carol II. am 1. Juli den Beistandspakt mit Frankreich u. Großbritannien aufkündigte, erteilten Hitler u. Außenminister
Westungarn / Wiener Schiedssprüche
Graf Ciano am 10. Juli der ung. Regierung die Erlaubnis, den Siebenbürgenkonflikt auf dem Weg bilateraler Verhandlungen mit Rumänien zu lösen. Da die am 16., 19. u. 24.8. zu diesem Zweck geführten Verhandlungen in Turnu Severin an der Unvereinbarkeit der Forderungen beider Länder scheiterten – Rumänien hatte einen Bevölkerungsaustausch u. in Proportion mit diesem eine beschränkte Gebietsabtretung vorgeschlagen, während Ungarn auf einer bedingungslosen Grenzrevision beharrte –, versicherten sich die Außenminister der Achsenmächte am 29.8.1940 der Zustimmung beider Kontrahenten, ihren Schiedsspruch anzuerkennen, den sie sodann am 30.8. wiederum im Wiener Belvedere fällten. Rumänien musste die in hohem Anteil v. Magyaren bzw. →Széklern bewohnten Gebiete, nämlich Nord-Siebenbürgen mit dem Zentrum Klausenburg (Cluj/Kolozsvár) an Ungarn abtreten, insges. 43.104 km2 mit 2,53 Mio. E, davon 1,2 Mio. Rumänen u. 72.000 Deutsche. Das „Dritte Reich“ beabsichtigte, durch diesen großen Gebietsverlust einen Regimewechsel in Rumänien herbeizuführen u. den Rücktritt des als nicht verlässlich eingestuften Kg. Carols II. zu erzwingen. Dieser dankte tatsächlich am 6.9. zugunsten seines Sohnes Michael ab, nachdem er zwei Tage zuvor General Ion Antonescu mit der Regierung betraut u. diesen am 5.9. mit allen Vollmachten zur Führung des rum. Staates ausgestattet hatte. Damit war wie v. Hitler gewünscht einem quasi-faschist. Regime zur Macht verholfen worden, das sich Deutschland verpflichtet fühlte. Dies um so mehr, als das geteilte Siebenbürgen als Druckmittel in der Hand Deutschlands dazu verwendet wurde, Rumänien wie Ungarn im gegenseitigen Wettstreit um die Gunst Berlins während des Krieges an Deutschland u. seine Kriegsziele zu binden. Noch am Tag des Schiedsspruchs wurden Ungarn u. Rumänien v. Deutschland dazu gezwungen, ein dt.-ung. bzw. dt.-rum. Protokoll zu unterzeichnen, das der dt. Minderheit in beiden Ländern die gleichen „Volksgruppenrechte“ wie in der Slowakei u. der v. der SS geleiteten „Volksdeutschen Mittelstelle“ in Berlin weitgehende Befugnisse über die Ungarn- u. Rumäniendeutschen einräumte. Damit wurde über den Köpfen der betroffenen Minderheit hinweg deren völlige pol. u. ideolog. Gleichschaltung sowie kriegswirt. Ausbeutung in die Wege geleitet. Die Instrumentalisierung der in beiden Ländern ansässigen →„Volksdeutschen“ im Dienste der nationalsozialist. Expansionspolitik erreichte mit deren Rekrutierung in die Waffen-SS in den Jahren 1941–1944 (in Ungarn 1942–1944) ihren Höhepunkt. Dieses sogenannte Wiener Volksgruppenabkommen kam damit einer Auslieferung eines ethn. definierten Teils der Staatsbürger an eine fremde Macht gleich, gegen die die betroffenen Regierungen als Bündnispartner nur sehr wenig u. wenn überhaupt höchst widersprüchlichen Widerstand entgegenzusetzen wussten. Die parallel zu Turnu Severin bzw. zu Wien ab dem 19.8.1940 geführten Verhandlungen in Craiova um eine Grenzrevision zw. Rumänien u. Bulgarien endeten am 7.9. mit dem Ergebnis, dass Rumänien im Zeitraum vom 20. bis 30.9. die südl. →Dobrudscha an Bulgarien zurückgeben musste. Lit.: B.L. Balogh, The Second Vienna Award and the Hungarian-Romanian Relations 1940–1944. Boulder/Colo. 2011; Viedenská arbitráž v roku 1938 a jej európske súvislosti. Zborník príspevkov z vedeckej konferencie konanej v Bratislave 10. novembra 2008. Hg. D. Šmihula. Bratislava 2008; G. Sallai, Az első bécsi döntés. Budapest 2002; Olasz diplomáciai dokumentumok a második bécsi döntésről: hogyan kaptuk vissza Észak-Erdélyt 1940-ben? Hg. Gy. Réti. ebd. 2000; Gren-
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Wittelsbacher
ze im Kopf: Beiträge zur Geschichte der Grenze in Ostmitteleuropa. Hg. P. Haslinger. Frankfurt/M. 1999; F. Christof, Befriedung im Donauraum. Der Zweite Wiener Schiedsspruch u. die deutsch-ungarischen diplomatischen Beziehungen 1939–1942. Frankfurt/M. 1998; A. Simion, Dictatul de la Viena. Bucureşti ²1996; L. Deák, Hungary’s Game for Slovakia. Slovakia in Hungarian Politics, 1933–1939. Bratislava 1996; E. Chászár, Decision in Vienna. The Czechoslovak-Hungarian Border Dispute of 1938. Hamilton ²1991; M. Broszat, Deutschland-Ungarn-Rumänien. Entwicklung u. Grundfaktoren nationalsozialistischer Hegemonial- u. Bündnispolitik 1938–1941, Historische Zeitschrift 206 (1968), 45–96. G. S.
Wittelsbacher. Bayerische Dynastie, v. 1832–1862 auf dem Thron des Kgr.s →Griechenland. Die Befreiung der Balkanvölker ermöglichte es kleineren dt. Fürstenhäusern, nachgeborene Prinzen auf die neuen Throne zu entsenden, weil die Rivalitäten der europ. Pentarchie eigene Thronanwärter zu fördern nicht erlaubten. Schon als Kronprinz hatte Ludwig sich auf Reisen in Italien für die Überreste der gr. Antike begeistert u. die Idee gefasst, die Nachfahren v. deren Schöpfern müssten v. der Herrschaft des Sultans befreit werden. Während sein Vater auf Druck Metternichs die Griechenbegeisterung in Bayern unterdrückte (→Vormärz), hat Ludwig I. als Kg. (seit 1825) nicht nur eine Militärmission unter dem Freiherrn v. Heideck nach Hellas abgeordnet, sondern auch planmäßig die philhell. Vereine (→Philhellenismus) in Bayern zu einer leistungsfähigen Agentur für das Sammeln v. Spenden unter seiner Oberleitung zusammengefasst. Nachdem durch die Ermordung des aus einer korfiotischen Familie stammenden Grafen Johannes Kapodistrias am 9.10.1831 der Versuch gescheitert war, dem Lande eine Führung durch Griechen zu geben u. Leopold v. Sachsen-Coburg abgesagt hatte, einigten sich die Großmächte am 7.5.1832 auf Ludwigs Sohn Otto, damals noch nicht 18 Jahre alt. Sein Vater gab ihm eine Regentschaft u. eine Schutztruppe mit (1835 durch Freiwillige ersetzt). Sein Königtum konnte sich im Lande nicht verwurzeln, weil ein Thronfolger ausblieb, die Vergrößerung des Staatsgebiets nicht erreicht wurde, der Rückhalt an Bayern zu schwach war u. die mentalitätsmäßigen Unterschiede zw. Griechen u. Bayern nicht überbrückt werden konnten. Als sich die griechisch-orthodoxe Kirche 1833 für autokephal erklärte (→Orthodoxie [Nationalkirchen]; →Autokephalie ), wurde Otto, obwohl römisch-katholisch, zum Oberhaupt der neuen Landeskirche erklärt. Dieser von der orth. Tradition abweichende Schritt, der darauf zielte, die Kirche möglichst staatskonform zu gestalten, sorgte zusätzlich für Unruhe. 1862 wurde der Kg. durch einen Aufstand gestürzt. Seine viel geschmähte „Bavarokratie“ bedeutete gleichwohl für das Kgr. Hellas einen erheblichen Fortschritt (Staatsverwaltung, Rechtssystem, Bildungswesen).
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Lit. (a. →Griechenland, →Philhellenismus): K. Kukurakē, Interkulturelle Beziehungen am Beispiel von Bayern u. Griechen unter Otto I. (1833–1843). Hamburg 2009; K. Weigand, Griechenland. Otto auf dem griechischen Thron, eine Fehlspekulation König Ludwigs I.?, in: Bayern mitten in Europa. Vom Frühmittelalter bis ins 20. Jh. Hgg. A. Schmid/dies. München 2005, 320–338; K. Kotsowilis, König Otto I. von Griechenland im Lichte neuer archivalischer Quellen. Zur Kritik der „Bavarokratie“ in Griechenland in den Jahren 1832 bis 1862, Zeitschrift für bayerische
Zagorje, Hrvatsko / Zagreb
Landesgeschichte 67 (2004), 641–677; Das neue Hellas. Griechen u. Bayern zur Zeit Ludwigs I. Hg. R. Baumstark. München 1999; L. Spaenle, Der Philhellenismus in Bayern. ebd. 1990; W. Seidl, Bayern in Griechenland. ebd. 21981; J.A. Petropulus, Politics and Statecraft in the Kingdom of Greece, 1833–1843. Princeton 1968. G. G.
Zagorje, Hrvatsko. Hrv. Z. heißt die malerische Hügellandschaft begrenzt im S durch das Medvednica-Gebirge oberhalb der kroat. Hauptstadt →Zagreb, im O durch die Verkehrsverbindung Zagreb–Varaždin, im N durch das Invanščica-Gebirge u. im W durch den Fluss Sutla bzw. die Staatsgrenze zw. Kroatien u. Slowenien. Da sich das Z. nie unter osm. Herrschaft befand, hat es die Eigenschaften einer mitteleurop. Kulturlandschaft mit Kurorten, Schlössern, Marktflecken u. Kleinstädten weitgehend bewahrt. Der südl. Teil war bis 1486 eine Gespanschaft (→Komitat), die dann mit der v. Varaždin zusammengeschlossen wurde. Das heutige Z. (Krapinsko-zagorska županija) hat eine Fläche v. 1.230 km² mit 132.892 E (2011). Das wichtigste sozialgeschichtliche Ereignis in der Geschichte des Z. war der kroatisch-slowenische Bauernaufstand v. 1571–1572 u. 1573, der vorwiegend in dieser Region unter Anführung v. Matija Gubec (†1573) ausgetragen wurde (→Bauernaufstände, Frühe Neuzeit). Die Hauptstadt der Region ist Krapina (51 km v. Zagreb entfernt, 12.480 E), das zeitweise Hauptstadt v. Kroatien gewesen war u. Zentrum der kajkavischen Kultur (→Sprachen) ist. Unter Paläontologen ist Krapina als Fundort v. Resten des sog. Homo Crapinensis bekannt, der in der Diluvialzeit vor etwa 150.000 Jahren in dieser Gegend hauste. Was die kroat. u. südslav. neuzeitliche u. Zeitgeschichte betrifft, ist zu erwähnen, dass die Schlüsselfigur des kroat. →Illyrismus, Ljudevit Gaj (1809–1872), in der Stadt Krapina, u. der Gründungspräsident des zweiten →Jugoslawien Josip Broz Tito (1892–1980) im Dorf Kumrovec, Gemeinde Klanjec (ca. 10.000 E), an der kroat.-slowen. Grenze, geboren wurden. Lit.: F. Škiljan, Hrvatsko zagorje u Drugom svjetskom ratu 1941.–1945. Opredjeljivanja, borbe, žrtve. Zagreb 2012; Kajkavski u povijesnom i sadašnjom obzorju. Hg. A. Jembrih. 3 Bde. Zabok 2011; O Titu kao mitu: proslava Dana mladosti u Kumrovcu. Hgg. N.Škrbić Alempijević/K.M. Hjemdahl. Zagreb 2006; M. Marković, Hrvatsko zagorje. Stanovništvo i naselja. Zagreb 2003; N. Budak, Gradovi varaždinske županije u srednjem vijeku. Zagreb u. a. 1994 (ausführl. dt. Zsfg.); M. Obad-Sćitaroci, Schlösser u. Gärten des Kroatischen Zagorje. Zagreb 1992 (²1994); J. Adamček, Bune i otpori. Seljačke bune u Hrvatskoj u XVI stoljeću. ebd. 1987; A. Horvat u. a., Barok u Hrvatskoj. ebd. 1982; J. Šidak, Današnja historiografija o hrvatsko-slovenskoj buni 1573., in: ders., Kroz pet stoljeća hrvatske povijesti. ebd. 1981, 36–60; Cv. Paškal, Krapinski Franjevci. Povijesno-kulturni prikaz djelovanja Francjevaca u Krapini prigodom 340. obljetnice njihova dolaska u „Stolicu Zagorja“. Krapina 1980; A. Kozina, Krapina i okolica kroz stoljeća. Krapina 1960. S.M. Dž.
Zagreb (dt. Agram; lat. Zagrab(r)ia/Zagravia/Zagabria u. ä.; ung. Zagráb). Hauptstadt →Kroatiens (2011: 790.017 E, davon 93 % Kroaten, 2,2 % Serben); auch Verwaltungssitz der Gespanschaft Z. (vgl. →Komitat). Der Name ist eindeutig slav. Herkunft. Die etymolo-
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Zagorje, Hrvatsko / Zagreb
Landesgeschichte 67 (2004), 641–677; Das neue Hellas. Griechen u. Bayern zur Zeit Ludwigs I. Hg. R. Baumstark. München 1999; L. Spaenle, Der Philhellenismus in Bayern. ebd. 1990; W. Seidl, Bayern in Griechenland. ebd. 21981; J.A. Petropulus, Politics and Statecraft in the Kingdom of Greece, 1833–1843. Princeton 1968. G. G.
Zagorje, Hrvatsko. Hrv. Z. heißt die malerische Hügellandschaft begrenzt im S durch das Medvednica-Gebirge oberhalb der kroat. Hauptstadt →Zagreb, im O durch die Verkehrsverbindung Zagreb–Varaždin, im N durch das Invanščica-Gebirge u. im W durch den Fluss Sutla bzw. die Staatsgrenze zw. Kroatien u. Slowenien. Da sich das Z. nie unter osm. Herrschaft befand, hat es die Eigenschaften einer mitteleurop. Kulturlandschaft mit Kurorten, Schlössern, Marktflecken u. Kleinstädten weitgehend bewahrt. Der südl. Teil war bis 1486 eine Gespanschaft (→Komitat), die dann mit der v. Varaždin zusammengeschlossen wurde. Das heutige Z. (Krapinsko-zagorska županija) hat eine Fläche v. 1.230 km² mit 132.892 E (2011). Das wichtigste sozialgeschichtliche Ereignis in der Geschichte des Z. war der kroatisch-slowenische Bauernaufstand v. 1571–1572 u. 1573, der vorwiegend in dieser Region unter Anführung v. Matija Gubec (†1573) ausgetragen wurde (→Bauernaufstände, Frühe Neuzeit). Die Hauptstadt der Region ist Krapina (51 km v. Zagreb entfernt, 12.480 E), das zeitweise Hauptstadt v. Kroatien gewesen war u. Zentrum der kajkavischen Kultur (→Sprachen) ist. Unter Paläontologen ist Krapina als Fundort v. Resten des sog. Homo Crapinensis bekannt, der in der Diluvialzeit vor etwa 150.000 Jahren in dieser Gegend hauste. Was die kroat. u. südslav. neuzeitliche u. Zeitgeschichte betrifft, ist zu erwähnen, dass die Schlüsselfigur des kroat. →Illyrismus, Ljudevit Gaj (1809–1872), in der Stadt Krapina, u. der Gründungspräsident des zweiten →Jugoslawien Josip Broz Tito (1892–1980) im Dorf Kumrovec, Gemeinde Klanjec (ca. 10.000 E), an der kroat.-slowen. Grenze, geboren wurden. Lit.: F. Škiljan, Hrvatsko zagorje u Drugom svjetskom ratu 1941.–1945. Opredjeljivanja, borbe, žrtve. Zagreb 2012; Kajkavski u povijesnom i sadašnjom obzorju. Hg. A. Jembrih. 3 Bde. Zabok 2011; O Titu kao mitu: proslava Dana mladosti u Kumrovcu. Hgg. N.Škrbić Alempijević/K.M. Hjemdahl. Zagreb 2006; M. Marković, Hrvatsko zagorje. Stanovništvo i naselja. Zagreb 2003; N. Budak, Gradovi varaždinske županije u srednjem vijeku. Zagreb u. a. 1994 (ausführl. dt. Zsfg.); M. Obad-Sćitaroci, Schlösser u. Gärten des Kroatischen Zagorje. Zagreb 1992 (²1994); J. Adamček, Bune i otpori. Seljačke bune u Hrvatskoj u XVI stoljeću. ebd. 1987; A. Horvat u. a., Barok u Hrvatskoj. ebd. 1982; J. Šidak, Današnja historiografija o hrvatsko-slovenskoj buni 1573., in: ders., Kroz pet stoljeća hrvatske povijesti. ebd. 1981, 36–60; Cv. Paškal, Krapinski Franjevci. Povijesno-kulturni prikaz djelovanja Francjevaca u Krapini prigodom 340. obljetnice njihova dolaska u „Stolicu Zagorja“. Krapina 1980; A. Kozina, Krapina i okolica kroz stoljeća. Krapina 1960. S.M. Dž.
Zagreb (dt. Agram; lat. Zagrab(r)ia/Zagravia/Zagabria u. ä.; ung. Zagráb). Hauptstadt →Kroatiens (2011: 790.017 E, davon 93 % Kroaten, 2,2 % Serben); auch Verwaltungssitz der Gespanschaft Z. (vgl. →Komitat). Der Name ist eindeutig slav. Herkunft. Die etymolo-
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Zagreb
gische Deutung weist entweder auf eine Siedlung „hinter dem Damm“ („za grebom“) oder – was wahrscheinlicher sein dürfte – „hinter dem Berg“ („za bregom“) hin. Z. liegt auf den südl. Ausläufern des Medvednica-Gebirges. In seiner Umgebung befand sich ein Knotenpunkt der Querverbindungen zw. der Nordadria, den Alpen u. dem mittleren Donauraum schon in der Römerzeit. Allerdings lässt sich die Geschichte des heutigen Z. in den schriftlichen Quellen erst seit dem ausgehenden 11. Jh. verfolgen, als das Z.er Bistum durch den ung. Kg. Ladislaus I., den Heiligen, (1077–1095) zw. 1089–1094 gegründet wurde. Ein als eigener Stadtteil markantes Domkapitel in Z. (Kaptol) ist zwar zum ersten Mal 1277 aktenkundig, jedoch ist seine Gründung auf eine frühere Zeit zu datieren. Der dritte, nämlich der bürgerliche u. wahrscheinlich älteste Stadtteil, die Burgsiedlung Gradec (Grič, Grätz), trat durch die →Goldene Bulle Kg. Bélas IV. (1235–1270) vom 16.11.1242 ins Rampenlicht der Geschichte. Gradec wurde mit ihr zur kgl. →Freistadt, „libera regia civitas Zagrabia, in monte Grech“ proklamiert u. mit den Privilegien des höchsten Ranges unter den ung. ma. Städten ausgestattet. Privilegiengenießer war die gesamte Bürgerschaft, die aus vier Nationalitäten zusammengesetzt war: Kroaten, Ungarn, Italiener u. Deutsche. Im 18. Jh. tauchten auch orth. Kaufleute (Griechen, Aromunen, Bulgaren u. Serben) in Zagreb auf. 1785, als die Stadt insges. erst 2.815 E hatte, betrug deren Anteil allerdings nur 1,07 %, verteilt auf 10 Haushalte. Bis 1991 stieg der Prozentsatz der (orth.) Serben auf 5,4 %, während sich der Anteil anderer Minderheiten zusammengenommen auf 9 % belief. Die drei Zagreber hist. Stadtteile – Gradec/Grič, Bischofs- u. Domkapitelstadt – blieben bis 1850 untereinander urbanistisch u. juristisch getrennte Einheiten, deren gegenseitige Beziehungen nicht selten v. Konflikten belastet waren. Im Jahre 1850 wurden alle drei in eine einheitliche Stadtgemeinde zusammengeschlossen u. 1852 das Zagreber Bistum zu einem Erzbistum u. gleichzeitig zur Kirchenmetropole für Kroatien-Slawonien erhoben. Seit dieser Zeit wuchs Zagreb sprunghaft zu einer Großstadt an u. entwickelte sich zum modernen pol., kult. u. wirt. Zentrum der →Kroaten. (Einwohnerzahl: 1807: 7.706; 1857: 17.202; 1900: 57.690; 1921: 108.674; 1981: 856.735; in den 1990er Jahren setzte dann erstmals ein Bev. rückgang ein). Z. beherbergt die 1866 vom Bischof Josip Juraj Strossmayer gegr. Akademie der Wissenschaften, eine Universität, deren Anfänge auf eine 1669 gegr. jesuitische Akademie zurückgehen, sowie eine Reihe anderer Hochschulen u. wiss. Einrichtungen (→Akademien; →Universitäten). Während der Zwischenkriegszeit spielte Z. eine ökon. wichtige, pol. aber nachgeordnete Rolle im ersten →Jugoslawien. Im 2. Wk. war es Hauptstadt des →Unabhängigen Staats Kroatien. Die in der Stadt lebenden ca. 12.000 Juden wurden zum großen Teil Opfer des →Holocaust. Heute zählt die Jüdische Gemeinde v. Zagreb etwa 2000 Mitglieder. Nach dem Ende des 2. Wk.s erlebte Z. als Hauptstadt der Sozialist. Republik Kroatien bzw. als Hauptstadt des unabhängigen Kroatien (ab 1991) einen neuen Aufschwung.
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Lit.: M. Apostolova Marsalevski, Das Recht des mittelalterlichen Zagreb. (Mitte 13. –Anfang 16. Jh.). Graz 2013; Povijest grada Zagreba. Hg. I. Goldstein. 2 Bde. Zagreb 2012/13; I. Goldstein, Zagreb 1941–1945. ebd. 2011; I. Iveljić, Očevi i sinovi. Privredna elita Zagreba u drugoj polovini 19. stoljeća. ebd. 2007; J. Bilić/H. Ivanković, Zagrebački leksikon. 2 Bde. ebd. 2006; F. Buntar, Povijest Zagreba [bis 1918]. ebd. 1996; D. Sagrak, Zagreb 1941–1945. ebd. 1995; B.A.
Zahumlje / Zakonik
Krčelić, Historiarum cathedralis ecclesiae Zagrabiensis. Zagrabiae 1770 (1994 Faks. u. kroat. Übers. u. d. T.: Povijest stolne crkve zagrebačke. ebd. 1994); B. Vranješ-Šoljan, Zagrebs Aufstieg zur kroatischen Hauptstadt, in: Hauptstädte in Südosteuropa. Hg. H. Heppner. Wien u. a. 1994, 195–208; L. Margetić, Pitanja najstarije povijesti zagrebačke biskupije i Slavonije, Croatica Christiana Periodica 18 (1994), Nr. 34, 1–50; Zagrebački Gradec 1242–1850. U povodu 750. obljetnice „Zlatne bule“. Red. I. Kampuš. Zagreb 1992/1994; L. Dobronić, Zagreb Kaptol and Upper Town (Gornji Grad) in the Past and Now, Most Nr. 1–2 (1990), 264–275; N. Klaić, Povijest Zagreba. Bd. 1: Zagreb u srednjem vijeku. Zagreb 1982; K.-D. Grothusen, Entstehung u. Geschichte Zagrebs bis zum Ausgang des 14. Jh.s. Wiesbaden 1967. S.M. Dž.
Zahumlje (lat. Zachulmia, Zachlumia; vgl. altkirchenslav. Chl’m, serb. hum „Hügel“, Z. „hinter dem Hügel“ [?]). Hist. Landschaft an der Ostküste der Adria, zw. Ragusa (→Dubrovnik) u. dem Fluss Neretva, landeinwärts etwa bis zum heutigen Mostar reichend u. die Halbinsel Pelješac einschließend. Für Z. wird oft auch die Benennung Hum (lat. Chulmia, Chelmania) gebraucht u. umgekehrt. Zeitweilig scheint Z. auch nur den westl. Teil v. Hum bezeichnet zu haben. Z. war im 10. Jh. unter Mihailo Višević ein selbständiges slav. Fsm. Im 11. Jh. wurde es v. →Zeta abhängig u. nach 1183 zus. mit Zeta dem Reich der →Nemanjiden angegliedert. Z. wurde v. Stefan Nemanja zunächst seinem Bruder Miroslav u. dann seinem jüngsten Sohn Rastko (Sava) zur Verwaltung übergeben. Sava setzte 1219 in Ston, dem Zentrum v. Z., einen serb. Bischof ein, der aber bereits 1252 seinen Sitz nach Prijepolje am Lim verlegte. In der ersten H. des 14. Jh.s war Z. zw. dem →Serb. Reich u. →Bosnien umstritten. Beide Herrscher – Stefan Dušan u. Stefan II. Kotromanić – überließen 1333 den südl. Teil v. Z. mit Pelješac u. Ston gegen jährliche Tributzahlungen den Ragusanern. Der Rest v. Z. u. das ganze Gebiet v. Hum blieben bosn. u. kamen 1435 unter die Herrschaft v. Stefan Vukčić Kosača, der 1448 den Herzogstitel (dux Sancti Save; herceg) annahm, v. dem später die →Herzegowina ihren Namen erhielt. Lit.: B. Kljajević, Stare srpske plemićke porodice u Hercegovini. Beograd 2013; Hum i Hercegovina kroz povijest. Zbornik radova s medjunarodnoga znanstvenog skupa održanog u Mostaru 5. i 6. studenoga 2009. Hg. I. Lučic. Mostar 2009; P. Andjelić/M. Sivrić/T. Andjelić, Srednjovjekovne Humske župe. ebd. 1999; S. Mišić, Humska zemlja u srednjem veku. Beograd 1996; Istorija srpskog naroda. Bd. 1. ebd. 1981; M.J. Dinić, Humsko-trebinjska vlastela. ebd. 1967; V. Trpković, Humska zemlja, Zbornik Filozofskog fakulteta u Beogradu 8 (1964), 225–260; M.J. Dinić, Zemlje Hercega Svetoga Save. Beograd 1940; M. Vego, Povijest humske zemlje (Hercegovine). Samobor 1937; C. Jireček, Geschichte der Serben. 2 Bde. Gotha 1911/18. P. B.
Zakonik (serb., kroat., bosn. „Gesetzbuch“). Gemeint ist der Z. des serb. Königs u. (ab 1346) „Kaisers der Serben u. Griechen“ (car Srbljem i Grkom) Stefan Dušan (1331–1355; →Nemanjiden; a. →Serb. Reich). Die starke Erweiterung, die das Serbenreich durch die Eroberungen Stefan Dušans erfahren hatte, machte eine Vereinheitlichung des Rechts notwendig. V. a. mussten die neu hinzugekommenen gr. Landesteile in die serb. Rechtsprechung eingeglie-
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Zakonik
dert werden. Bereits 1347 oder 1348 waren als Übergangslösung Teile des →„Syntagma“ des Matthaios Blastares u. eine Kurzkompilation aus dem Gesetzeswerk Kaiser Justinians ins Serb. übersetzt worden (→Rechtsgeschichte, Rechtskulturen). Der erste Teil des Z. (Art.1– 135) wurde am 21.5.1349 auf einem Reichstag (sabor) in →Skopje verabschiedet. 1354, wahrscheinlich in Serres, wurden 66 Artikel hinzugefügt. Das Original des Z. ist nicht erhalten, sondern nur Abschriften, v. denen die ältesten (Struški u. Prizrenski prepis) vom Ende des 15./ Anfang 16. Jh.s stammen. Beim Z. handelt es sich um keine alle Rechtsbereiche erfassende Kodifikation. Inhaltlich dominieren das Öffentliche Recht, das Straf- u. das Strafprozessrecht. Eine systematische Gliederung ist nur bei den ersten 83 Artikeln feststellbar. Die erste Gruppe v. Artikeln befasst sich mit der Kirche u. ihren Aufgaben, die zweite Gruppe mit den Rechten u. Pflichten des Adels, die dritte mit denen des gemeinen Mannes. Den Küsten- u. Sachsenstädten sowie den Ragusanern (→Dubrovnik/Ragusa) werden Sonderrechte zugestanden. Was die Quellen des Z. betrifft, so ist nicht zu übersehen, dass in ihm ein Kompromiss zw. byz. Recht (etwa 60 Artikel sollen direkt byz. Gesetzeskodifikationen entnommen sein), älteren serb. Gesetzen (solche v. Kg. Milutin werden ausdrücklich erwähnt), internationalen Verträgen u. serb. Gewohnheitsrecht gesucht wurde. Auf altserb. Rechtsvorstellungen gehen wohl die Bußen in Vieh, die Entrichtung v. Wergeld (vražda) bei Totschlag u. die kollektive Haftung des Dorfes oder der Župa (vgl. →Župan) für den Fall zurück, dass der Schuldige nicht ermittelt werden kann (vorgesehen bei Brandstiftung, Pferdediebstahl oder Beraubung fremder Kaufleute). Andererseits findet sich im Z. aber auch die in Byzanz gebräuchliche Strafe der Verstümmelung. Der Z. ist, abgesehen v. seiner Bedeutung als wichtigstes altserb. Rechtsdenkmal, auch eine Quelle für die ges., wirt. u. relig. Verhältnisse im feudalen Serbien. Er enthält genaue Bestimmungen über die v. den Bauern zu erbringenden Dienstleistungen, deren Schollenpflichtigkeit, über Bekämpfung der Häresie (→Bogomilen) u. über Versuche des serb. Staates, den Einfluss der lat. Kirche einzuschränken – so waren kath.-orth. Mischehen u. der Übertritt v. der orth. zur kath. Kirche verboten.
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Editionen, Übersetzungen: Zakonik cara Stefana Dušana. Codex Imperatoris Stefana Dušan. Hg. M. Begović. 3. Baranjski, Prizrenski, Šišatovački, Rakovački, Ravanički i Sofijski rukopis = Codd. mss. Baraniensis, Prizrensis, Šišatovacensis, Rakovacensis, Ravanicensis et Sofiensis. Beograd 1997; Dušanov zakonik. Bistrički prepis. Dushan’s Code. The Bistritza Transcript. Übers. D. Bogdanović/D. Kristić. ebd. 1994; Dushan’s Code: the XIV century code of Serbian tsar Stephan Dushan. The Bistriza transcript. Übers. Dj. Krstić. ebd. 21989; Zakonik cara Stefana Dušana. Codex Imperatoris Stefana Dušan. Hg. M. Begović. Bd. 2: Studenički, chilandarski, chodoški i bistrički rukopis. ebd. 1981; Zakonik cara Stefana Dušana 1349. i 1354. godine. Hg. A.V. Solov’ev. ebd. 1980; Zakonik cara Stefana Dušana 1348 i 1354. Hg. N. Radojčić. ebd. 1960; M. Burr, The Code of Stephan Dušan Tsar and Autocrat of the Serbs and the Greeks. Translated from the Old Serbian with Notes, The Slavonic and East European Review 28 (1949/50), 198–217, 516–539; Zakonik Stefana Dušana cara srpskog 1349 i 1354. Hg. S. Novaković. Beograd 1870 (²1898). Lit. (a. →Rechtsgeschichte, Rechtskultur): B. Ferjančić/S.M. Ćirković, Stefan Dušan kralj i car (1331–1355). Beograd 2005; Dušanov zakonik – 650 godina od njegovog donošenja. Hg. R. Kuzmanović. Banja Luka 2000; Dušanov zakonik. Hg. B. Marković. Beograd 1986; Zbornik u čast
Zbor
šeste stogodišnjice Zakonika cara Dušana. Bd. 1. ebd. 1951; M. Dolenc, Dušanov zakonik. Primerjalni prikaz pravnih razmer po Dušanovem zakoniku in po istodobnem germanskem pravu – s posebnim ozirom na Slovence. Ljubljana 1925; C. Jireček, Das Gesetzbuch des serbischen Zaren Stephan Dušan, Archiv für Slavische Philologie 22 (1900), 144–214. P. B.
Zbor („Versammlung“, aber auch Akronym für „Združena borbena organizacija rada“ = „Vereinigte Kampforganisation der Arbeit“). 1935 aus verschiedenen Splittergruppen entstandene, nur mäßig erforschte rechtsgerichtete Bewegung unter der Führung von Dimitrije Ljotić (1891–1945). Der faschistische Charakter der Bewegung (→Faschismus) gilt als umstritten: dafür sprechen Dimitrije Ljotićs offene Sympathien für Hitlerdeutschland u. seine ständestaatlichen Entlehnungen bei Mussolinis Italien, dagegen die intensiven Anleihen beim serbisch-orth. Nationalismus, die Z. eher als eine relig.-konservative Bewegung mit begrenzter Eigenständigkeit gegenüber theologischen Autoritäten der Zeit erscheinen lassen. Insbesondere Bischof Nikolaj Velimirović übte großen Einfluss auf Z. aus. Die Bewegung bediente sich ohne Scheu moderner Kommunikationsmittel, kritisierte aber den modernistischen Irrweg, den →Serbien seit Beginn seiner Selbstständigkeit im frühen 19. Jh. eingeschlagen habe – Importe westlicher Kultur sollten viel selektiver als bislang erfolgen. Mit anderen orth. Antiwestlern hatte Ljotić gemein, dass er die Entfremdung der serb. Elite vom Volk beklagte u. sich eine orth. geprägte Führungsschicht wünschte. Eher untypisch im serb. ideologischen Spektrum der Zeit war Ljotićs extremer →Antisemitismus, der nicht rassisch, sondern relig. argumentierte u. den Juden vorwarf, sich stets gegen Gottes Autorität aufgelehnt u. deshalb auch das Christentum bekämpft zu haben. Ljotić war ferner von dem frz. kons. Denker Charles Maurras (1868–1952) beeinflusst, dem Chefideologen der Action Française. Mit Maurras teilte Ljotić die Vorstellung, Parteien u. ges. Klassen seien mechanische Unterteilungen u. zerstörten den organischen Zusammenhalt einer Gesellschaft; außerdem mache sich das Judentum diese Institutionen zunutze, um die christl. Nationen zu unterjochen. Ljotić übernahm v. Maurras das Ideal des Ständestaates u. legte in seiner kurzen Zeit als jug. Justizminister (Feb.–Juni 1931) Kg. Aleksandar sogar einen entsprechenden Verfassungsentwurf vor, den jener aber erschrocken zurückwies. Den Vorzug seiner eigenen ständestaatlichen Vorstellungen gegenüber der inneren Ordnung Deutschlands u. Italiens sah Ljotić darin, dass seine Bewegung nicht die mechanische Einteilung der Gesellschaft zum Zweck leichterer Durchherrschung anstrebe. Stattdessen begreife Z. die Gesellschaft als organischen Körper Christi, weshalb Berufsgruppen u. Stände einerseits stark u. frei seien, andererseits aber durch christl. Werte zusammengehalten würden. Vor dem 2. Wk. war Z., im Gegensatz etwa zur →Eisernen Garde in Rumänien, eine pol. Randgruppe, die bei Wahlen lediglich in Ljotićs Heimatort Smederevo größere Stimmanteile mobilisieren konnte, landesweit aber nie über 10.000–30.000 Stimmen hinauskam. Ein Grund für diesen geringen Erfolg war, dass die Bewegung in der serb. Öffentlichkeit mit den unbeliebten Achsenmächten Deutschland u. Italien identifiziert wurde. Außerdem konnte Ljotić weder mit seiner exaltierten Religiosität noch mit seinem Antisemitismus an starke ges. Traditionen anknüpfen. Der Einfluss unter rechten u. orth. Intellektuellen war allerdings grö-
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Zbor / Zeamet
ßer. Die Mitgliederzahl von Z. wird auf immerhin 5.000-6.000 geschätzt. Mitglieder wurden unter antikomm. Studenten, in Priesterseminaren oder aber in der von Bischof Velimirović geleiteten Frömmigkeitsbewegung der →Bogomoljci rekrutiert. Bedeutend war auch die Öffentlichkeitsarbeit über eine Reihe eigener Zeitschriften, Bulletins, Pamphlete, Vorträge usw. Während des 2. →Wk.s erlebte Z. im besetzen Serbien einen unverhofften Aufstieg, weil sich Ljotić offen für die Zusammenarbeit mit den Deutschen zur Verfügung stellte u. die Bewegung zur einzigen erlaubten pol. Vereinigung avancierte. Intensiver noch als das Oberhaupt der serb. Kollaborationsregierung Milan Nedić glaubte Ljotić an einen serb. Platz in Hitlers „neuem Europa“. Zbor unterstützte die Wehrmacht bei der Verfolgung von Juden u. Partisanen u. gründete hierzu auch eine eigene militärische Formation (Srpski dobrovoljački korpus = Serbisches Freiwilligenkorps). Seit 1942 führte die Organisation in Smederevska Palanka eine Umerziehungsanstalt für linksgerichtete Schüler u. Studenten. Obwohl Z. diese Aktivitäten als Konsequenz richtig verstandenen orth. Glaubens anpries, identifizierte sich weder die Hierarchie der Serb. Orth. Kirche noch die Mehrzahl ihrer Gläubigen damit, sondern stellte sich v. a. auf die Seite der traditioneller orientierten, ideologisch weniger straffen →Četnici. Mit dem Ende der dt. Besatzung 1944 wurden viele Z.-Mitglieder v. den →Partisanen festgesetzt u. hingerichtet, anderen gelang die Flucht ins westliche Ausland. Nachdem Dimitrije Ljotić 1945 bei einem Autounfall in Slowenien ums Leben gekommen war, existierte die Bewegung nur mehr in der Emigration weiter, wobei sich München zu einem bedeutenden Zentrum entwickelte. In den 1990er Jahren wurde die Strömung in Serbien wiederbelebt, ein wichtiges Publikationsorgan war zw. 1999 u. 2004 die Zeitschrift Srpske organske studije. Serbischen Nationalisten sind sich bis heute über die Bewertung von Z. uneinig, wobei die Gegner zahlreich sind u. ihre Ablehnung mit der Kollaboration im Zweiten Weltkrieg, aber auch mit der Instrumentalisierung des orth. Christentums begründen. Lit.: K. Buchenau, Auf russischen Spuren. Orthodoxe Antiwestler in Serbien, 1850–1945. Wiesbaden 2011, 371–390; B. Petrov, Ideology and Education in Occupied Serbia, 1941–1944, Etudes Balkaniques 47 (2011), H. 1, 88–108; V. Džomić, Srbska crkva, Ljotić i ljotićevci. Beograd, Podgorica 2009; Srpska konzervativna misao. Hg. M. Djordjević. Beograd 2003; D. Dostanić, JNP Zbor i srpsko pravoslavlje, Zbornik Matice srpske za društvene nauke 133 (2010), 49–73; M. Falina, Between ,Clerical Fascism’ and Political Orthodoxy: Orthodox Christianity and Nationalism in Interwar Serbia, Totalitarian Movements and Political Religions 8 (2007), 247–258; M. Bojić, Jugoslavenski narodni pokret „Zbor“ 1935–1945. Jedan kritički prikaz. Beograd 1996; M. Martić, Dimitrije Ljotić and the Yugoslav National Movement Zbor, 1935–1945, East European Quarterly 14 (1980), H. 2, 219–239; M. Stefanović, Zbor Dimitrija Ljotića, 1934–1945. Beograd 1984. K. Bu.
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Zeamet (abgeleitet von arab. za‘īm „Anführer“). Im „klassischen“ osm. →Timar-System Bezeichnung für ein großes „Militärlehen“ (→Feudalismus, osmanischer). Das Z. mit einem nominellen Jahreseinkommen von zw. 20.000 u. 99.999 →Akçe wirft also mehr Ertrag ab als ein gewöhnliches Timar, jedoch weniger als ein →Has mit einem nominellen Ertragswert von
Zeamet / Zeitrechnung – Kalendersystem
über 100.000 Akçe. In den →Tahrir Defteri des 15. Jh.s ist die Kategorie Z. allerdings gewöhnlich noch nicht vertreten, sondern tritt hier erst ab dem 16. Jh. auf. Bis dahin sind Timare, die oberhalb 20.000 Akçe u. Has, die weniger als 100.000 Akçe einbringen, keine Seltenheit. Lit.: An Economic and Social History of the Ottoman Empire, 1300–1914. Hgg. H. İnalcık/D. Quataert. Cambridge 1994; C. Finkel, The Administration of Warfare: the Ottoman Military Campaigns in Hungary, 1593–1606. Wien 1988; M. Kunt, The Sultan’s Servants. The Transformation of Ottoman Provincial Government, 1550–1650. New York 1983; H. İnalcık, The Ottoman Empire. The Classical Age, 1300–1600. London 1973; K. Röhrborn, Untersuchungen zur osmanischen Verwaltungsgeschichte. Berlin u. a. 1973. M. U.
Zeitrechnung – Kalendersystem. Für die ma. u. neuzeitliche Geschichte SOEs sind in erster Linie die christl. u. die musl. Zeitrechnung v. Bedeutung, u. innerhalb der ersten die byz. ebenso wie die bei Christi Geburt ansetzenden Ären. Dabei sind in SOE bis in das 20. Jh. hinein der julianische wie der gregorianische Kalender in ihrer Wichtigkeit zu beachten. Christl. Zeitrechnung Bis ins 6. Jh. n. Chr. wurden im röm. Reich die Jahre nach den beiden Konsuln oder nach den Konsulaten der Kaiser oder nach deren Regierungsjahren gezählt. Seit 46 v. Chr. galt der nach seinem Urheber Julius Caesar benannte julianische Kalender. Da dessen Jahr auf 365 1/4 Tage berechnet war, wurden Vierjahresperioden eingeführt, die aus einem Schaltjahr von 366 u. drei Jahren von je 364 Tagen bestanden. Zu einem wichtigen Datierungselement wurde die 297 unter Diokletian eingeführte Indiktion („Römerzinszahl“), ursprünglich eine seit 312 immer an einem 1. September einsetzende Periode von 15 Jahren zw. zwei Steuerschätzungen. Ab der zweiten Hälfte des 5. Jh.s begann man auch das Jahr am 1. September (gilt noch heute für das orth. Kirchenjahr). Seit dem 3. Jh. versuchten christl. Theologen (beginnend mit Sex-Julius Africanus 221 n. Chr.) aus der Bibel u. chronikalisch-historiogr. Literatur das Datum der Weltschöpfung zu ermitteln. Von den so errechneten Weltären erlangten die alexandrinische aus dem 5. Jh., die vom 29.8.5493, bzw. vom 25.3.5492 v. Chr. ausging, die antiochenische, die mit dem 1.9.5969 v. Chr. begann, und v. a. die im 7. Jh. eingeführte byz. Ära, die die Schöpfung auf den 1.9.5509 v. Chr. datierte, für →Byzanz u. die von ihm kult. u. relig. geprägten Süd- u. Ostslaven die größte Bedeutung. Zwar wurden auch die beiden erstgenannten Ären tradiert, aber in den ksl. Goldsiegelurkunden (chrysobullos logos, chrysobullos horismos), in Inschriften sowie in Chroniken u. Geschichtswerken wurde meist nur die byz. Ära verwendet. Gesetze, Auslandsschreiben, kodikelloi, chrysobulla sigillia, prostagmata u. horismoi unterzeichneten die byz. Kaiser jedoch ab dem 10. Jh. mit dem anonymen u. häufig schwer datierbaren Menologem, in dem nur Monat u. Indiktionsjahr angegeben werden. Seit Ende 1345 beglaubigte auch der Serbenzar Stefan IV. Dušan mit dem bis dahin dem byz. Ks. reservierten Menologem seine Urkunden. Die von Dionysius Exiguus um 525 entwickelte christl. Ära, d. h. die Jahresdatierung vor oder nach Christi Geburt, wurde im Osten zunächst nur in Verträgen der byz. Kaiser mit abendländischen Mächten verwendet. Im 15. Jh. war sie z. B. im venez. Kreta verbreitet, wurde aber erst im 16. Jh. in Urkunden des
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Zeitrechnung – Kalendersystem
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Patriarchates von Konstantinopel benutzt. Doch hielt sich die byz. Ära bei Griechen u. orth. Südslaven bis ins 19. Jh. Christl. Kalendersysteme Da das mit 365 1/4 Tagen angesetzte Jahr des julian. Kalenders um 11 Minuten u. 14 Sekunden zu lang war, schlug der byz. Astronom u. Historiker Nikephoros Gregoras 1324 Andronikos II. (1282–1328) vor, den Kalender durch das Weglassen von zwei Tagen zu korrigieren. Der Kaiser schreckte jedoch aus Furcht vor einer Kirchenspaltung vor der Umsetzung von Gregoras‘ Korrektur zurück. Unter Papst Gregor XIII. erfolgte – zunächst v. a. im röm.-kath. Bereich wirksam – die Reform des julianischen Kalenders, die 1582 mit der päpstlichen Bulle Inter gravissimas curas verkündet wurde. Sie beinhaltete eine verbesserte Regelung für den Schalttag, die Veränderung der Dauer eines mittleren Kalenderjahres von bisher 365,25 auf 365,2425 Tage u. eine einmalige Streichung v. 10 Kalendertagen (auf Donnerstag, den 4. Okt., nach julianischem folgte Freitag, der 15. Okt., nach gregorianischem Kalender). Der neue Kalender wurde v. den vornehmlich röm.-kath. Ländern sehr früh übernommen (im →Heiligen Röm. Reich in seinen Gesamtinstitutionen u. in Venedig 1582, Kgr. Ungarn 1587, Fsm. Siebenbürgen 1590), v. den dominant protestantischen Ländern bei denjenigen innerhalb des Hl. Röm. Reiches im 17. Jh. (als Prozess abgeschlossen mit 1700), im übrigen Europa z.T. erst im 18. Jh., während ihn die meisten orth. Länder erst im 20. Jh. einführten (Bulgarien, Rumänien u. Jugoslawien 1919, Griechenland Anfang 1923). Seit 1900 (bis 2100) besteht zw. den Kalendern „alten“ u. „neuen Stils“ eine Differenz von 13 Tagen, um die der julianische dem gregorianischen Kalender nachläuft (im 19. Jh. waren es 12 Tage usw.). Innerkirchlich wurde bei den Orthodoxen der Region auf einer Interorth. Konferenz in Konstantinopel v. 1923 die Übernahme eines (v. a. in Bezug auf Ostern) modifizierten gregor. Kalenders vorbereitet; die rum. Kirche (1923), die gr. (1924) u. die bulg. (1968) übernahmen dies. In SOE verbleibt damit v. a. noch die serb. orth. Kirche beim julian. Kalender (wie außerhalb der Region die russische). Die einst v. Andronikos II. über Kalenderfragen befürchtete Spaltung innerhalb der Orthodoxie trat zu einem kleinen Teil tatsächlich ein, als der gregor. Kalender am 3.3.1924 auf Anordnung von Ebf. Chrysostomos Papadopulos von der gr. Kirche übernommen wurde. Durch den Übertritt von drei Bischöfen konnte die seit 1924 bestehende Bewegung der Altkalendarier (Palaiohēmerologitai) 1935 eine eigene Kirchenorganisation bilden, der in den 1970er Jahren ca. 55.000 Gläubige angehörten. Isl. Zeitrechnung Unter osm. Herrschaft kam auch die isl. Zeitrechnung, die mit dem 15.7.622 (als Zeitpunkt der Hidschra, der Auswanderung des Propheten Mohammed von Mekka nach Medina) beginnt, in SOE in Gebrauch. Das isl. Jahr besteht aus 354 Tagen u. ist in zwölf Mondmonate zu je 30, bzw. 29 Tagen gegliedert. Im →Osm. Reich fand ein achtjähriger Zyklus Anwendung, der aus fünf Jahren mit 354 Tagen u. drei Schaltjahren mit 355 Tagen bestand. Der Kalender diente v. a. zur Berechnung der Wallfahrts- u. Markttermine u. der relig. Feste. Vier Monate des Jahres galten als heilig: der Monat Radschab wegen der Umra (der kleinen Pilgerfahrt), der Monat Dhu l-Hiddscha u. die beiden Monate davor u. danach wegen der zu dieser Zeit stattfindenden großen Pilgerfahrt (Haddsch). In diesen vier Monaten galt eine
Zeitrechnung – Kalendersystem / Zeta
allgemeine Friedenspflicht. Da jedoch das arab. Mondjahr in seiner Anwendung für Ackerbau u. Besteuerung Schwierigkeiten verursacht, wurde in fast allen isl. Ländern daneben ein Sonnenkalender weiter- bzw. eingeführt. So verwendete die osm. Verwaltung seit 1667 ein Sonnenjahr (mâlije), das am 1. März des julian. Kalenders begann u. aus 12 Monaten mit syrischen u. europäischen Namen bestand, die denen des julianischen Kalenders in der Anzahl der Tage entsprachen. Mit einem Gesetz von Ende 1925 wurde in der jungen kemalistischen Türkei dann zum 1.1.1926 der gregorianische Kalender (benannt als „internationaler Kalender) eingeführt. Lit.. O. Kresten, Mēnologēma. Anmerkungen zu einem byz. Unterfertigungstyp, Mitteilungen des Instituts für österr. Geschichtsforschung 102 (1994), 3–52; G.J. Whitrow, Die Erfindung der Zeit. Wiesbaden 1991; S. Toulmin/J. Goodfield, Entdeckung der Zeit. Frankfurt/M. 1985; Chr. Hannick, Chronologie, D. Historische Chronologie: Byzanz und seine kulturellen Einflußbereiche, in: Lexikon des Mittelalters. Bd. 2 München u. a. 1983, Sp. 2043–2046 (Bibl.); A. Wittig, Die Bewegung der Altkalendarier in Griechenland, Ostkirchliche Studien 32 (1983), 309–325; Gregorian Reform of the Calendar. Hgg. G.V. Coyne/M.A. Hoskin/O. Pederson. Città del Vaticano 1983; F. Dölger/J. Karayannopulos, Byzantinische Urkundenlehre I: Die Kaiserurkunden. München 1968, 49–54; I. Dujčev, Eléments gréco-romains dans la chronologie slave médiévale, Archeologia 13 (1963), 1–6 (= ders., Medioevo bizantino-slavo. Bd. 2 Roma 1968, 275–286 u. 611); V. Grumel, La chronologie. Paris 1958; H. Lietzmann/K. Aland, Zeitrechnung der römischen Kaiserzeit, des Mittelalters und der Neuzeit für die Jahre 1–2000 nach Christus. Berlin 1956; F.K. Ginzel, Handbuch der mathematischen und technischen Chronologie. Das Zeitrechnungswesen der Völker. 3 Bde. Leipzig 1906–1914. K.-P. T.
Zeta. Landschaft u. ma. slav. Staatsgründung im Raum der vormaligen röm. Provinz Praevalitana bzw. des heutigen Montenegro; der ältere, bis Ende 10. Jh. gebrauchte Name war Duklja (altserb. meistens Dioklitija, abgeleitet v. der antiken Stadt Doclea/Dioclea). Heute bezeichnet Z. nur noch die Ebene zw. Podgorica u. dem Skutarisee. Die Anfänge u. der genaue territoriale Umfang des Staates Z. liegen im Dunkeln. Die Angaben, die die Hauptquelle „Ljetopis Popa Dukljanina“ (auch „Barski rodoslov“ genannt) darüber bringt, sind legendenhaft u. nicht überprüfbar. Zur Z. gehörten aber nicht nur das ab dem 7. Jh. v. Slaven besiedelte Binnenland, sondern auch die romanischen Küstenstädte, wie Risan, Kotor, Budva, Ulcinj u. a. Im Nordosten grenzte Z. an →Raszien, im Süden schloss sie Teile des heutigen Nordalbanien ein. Als erster Herrscher v. Z. wird im 9. Jh. ein Peter „archontos Dioklias“ erwähnt. Historisch greifbarer wird das Fürstentum Z. erst zur Zeit Zar Samuils (→Bulgarisches Reich). Damals herrschte in Z. Johannes Vladimir (ca. 970–1016) als Vasall des Bulgarenzaren. Nach seinem Tode geriet Z. unter den Einflussbereich v. Byzanz, blieb aber unter der einheimischen Dynastie. Vladimirs Neffen Stefan Vojislav (ca. 1031–55) gelang es, die byz. Herrschaft abzuschütteln. Unter dessen Sohn Michael (ca. 1055–1082), der sich um ein gutes Verhältnis sowohl zu Byzanz als auch zum lat. Westen bemühte, wurde Z. Königreich: Ab 1077 wurde Michael v. Papst Gregor VII. als „Rex Sclavorum“ tituliert. Sein
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Zeta / Zimmi
Sohn u. Nachfolger Bodin (1082–1101) erreichte auch noch die kirchliche Selbständigkeit der Z.; 1089 erhob Papst Klemens III. Antivari (Bar) zum Erzbistum. Unter Bodin hatte das Kgr. seine größte Ausdehnung. Nach Bodins Tod wurde sein Reich v. Thronfolgekämpfen u. inneren Wirren erfasst, die bis in die 1180er Jahre andauerten. Die letzen Herrscher v. Z. trugen nur noch den Fürstentitel. Durch Stefan Nemanja (→Nemanjiden; →Serb. Reich) wurde die Z. mit →Raszien vereint (nach 1183) u. der Verwaltung seines ältesten Sohnes Vukan unterstellt, der den alten Königstitel beibehielt (Dioclie atque Dalmatie rex). In der Folgezeit wurde die Z. Herrschaftsgebiet des serb. Thronfolgers (mladi kralj) u. führte als westl. orientierter Teil des Nemanjidenreiches ein gewisses Eigenleben. Als nach dem Tode Stefan Dušans (1355) das Serbenreich zu zerfallen begann, wurde auch die Z. wieder selbständig. Ab ca. 1360 herrschte dort die Familie Balšić (alb.Balsha), die sich zeitweise mit Ragusa (→Dubrovnik) u. Venedig (→Venezianisches Überseereich) verbündete, zur kath. Kirche übertrat u. ihren Machtbereich auch nach Albanien ausdehnte. Djuradj I. Balšić (†1378) machte Skutari (Shkodra) zu seiner Hauptstadt. Sein Bruder Balša II. (†1385) kam 1372 durch Heirat in den Besitz v. Valona (Vlora), Berat u. der →Himara. Sein Nachfolger Djuradj II. Stracimirović (1385–1403) konnte die südalb. Besitzungen nicht halten. Er beherrschte nur noch das Gebiet zw. Skutarisee u. Küste. Die Z. war damals bereits geteilt: Die „Obere Z.“ (Z. superiore, Gornja Z.) war bereits im Besitz der →Crnojevići, in der „Unteren Z.“ (Z. inferiore, Donja Z.) teilten sich die Balšić u. die Venezianer die Macht. Nach dem Tode v. Balša III. 1421 kam dessen Land in den Besitz des serb. →Despoten Stefan Lazarević u. dann in den der Crnojevići, die die Z. bis 1499 gegen die Osmanen behaupten konnten. Quellen: Monumenta Montenegrina. Archiepiskopije Duklja i Prevalitana. Bd. 1: Acta metropolitana. Bd. 2: Scriptores ecclesiastici. Hg. V.D. Nikčević. Podgorica 2001. Lit. (a. →Montenegriner): M. Antonović, Od Duklje do Zete: Srbija i Zeta krajem XII i u prvoj polovini XIII veka, Beogradski istorijski glasnik. Belgrade Historical Review 3 (2012), 85–94; V.D. Nikčević, Prevalitana i kraljevstvo Slovena. Od V vijeka pr. n. e. do 1200. godine. Podgorica 2008; Dj. Janković, Srpsko pomorje od 7. do 10. stoleća. Beograd 2007; M. Antonović, Grad i župa u Zetskom primorju i severnoj Albaniji u XIV i XV veku. ebd. 2003; Chr. Minvielle Debat, De la principauté des Balshic à la domination vénitienne: recherches sur le Zéta (Montenegro) aux XIVe– XVe siècles. Diss. Univ. Toulouse 2001; Istorija Crne Gore. Bde. I, II, 1–2. Titograd 1967/1970; G. Gelcich, La Zedda e la dinastia dei Balšidi. Studi storici documentati. Spalato 1899. P. B.
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Zimmi (a. dhimmi). Nach islamischem Recht teilt sich die Menschheit in Gläubige u. Ungläubige, also Muslime u. Nichtmuslime. Nichtmuslime können eine geoffenbarte Religion besitzen (so die „Schriftbesitzer“, arab. ahl al-kitab), oder aber Polytheisten sein (arab. mušriqūn). Als Untertan eines islamischen Staates wie des osmanischen ist man entweder Muslim oder „Schriftbesitzer“ (zimmi, von arab. dhimmī) christl. oder jüdischen Glaubens, während die (christl. u. jüd.) Bewohner des „Feindeslandes“ (arab. dār al-ḥarb) jenseits des islamischen Gebiets (arab. dār al-islām), das gemäß islamischer Eschatologie nach endgül-
Zimmi
tiger Eroberung schließlich im islamischen Gebiet aufgehen wird, im Unterschied zum Z. als harbi (arab. ḥarbī) vogelfrei sind, solange ihnen der isl. Herrscher keinen (vorübergehenden oder auch länger währenden) Schutz (arab. amān) gewährt hat (vgl. →Kapitulationen, mustamin). Der Status als Z. garantiert nach isl. Recht Christen u. Juden auf isl. Boden nach Zahlung des „Tributs“ bzw. der →Kopfsteuer persönliche Freiheit, das Recht auf Besitz u. Einkommen sowie das Recht auf Ausübung ihrer angestammten Religion bzw. Konfession, gepaart mit eigener Rechtsprechung durch ihre geistlichen Oberhäupter. Dennoch ist bzw. war der Z., von der Ausübung politischer Rechte ausgeschlossen, gegenüber den Muslimen weiteren Beschränkungen unterworfen: Er hat sich z. B. an die „Kleiderordnung“ zu halten, darf kein Pferd reiten, darf seine Religion nicht öffentlich zur Schau stellen u. keine Waffen tragen. Dennoch zeigt die osm. Rechtspraxis, dass es hier weniger um Diskriminierung des Z. geht als um allgemeinere Bestrebungen zur Demarkation relig.-sozialer Unterschiede: Ein →Ferman von 1580 beispielsweise enthält das Verbot für Juden, christl. Kopfbedeckungen zu tragen. Auch Muslime unterliegen im Osm. Reich analogen Beschränkungen: Nach einem Rechtsgutachten (→Fetwa) von Çatalcalı Ali Efendi hat derjenige Muslim, der sich den Hut eines Ungläubigen aufsetzt, damit zu rechnen, dass er sein Glaubensbekenntnis u. seinen Ehevertrag erneuern muss, nach Ebüsuud hat er gar mit dem Vorwurf von Unglauben (arab. kufr) zu rechnen. Dass die Dichotomie Muslim/Z. im Osm. Reich v. der Dichotomie Askeri/Reaya überlagert wird, zeigen u. a. Beispiele, wonach musl. →Reaya gehalten sind, sich nicht wie →Spahis zu kleiden; andererseits ist bekannt, dass sich Christen v. Rang wie Mitglieder der musl. Eliten kleideten. Aus Gründen der Sicherheit war es hier Kaufleuten im Status eines Z. darüber hinaus erlaubt, sich wie ein Muslim zu kleiden, Waffen zu tragen u. ein Pferd zu reiten; ähnliche Rechte genossen z. B. auch die →Franziskaner Bosniens, obgleich sie – im Unterschied zu Juden u. Orthodoxen – nicht Angehörige einer eigenen „Glaubensnation“ waren. Nach gängiger Vorstellung ist die Masse der osm. Z. nach Glaubensgemeinschaften („Glaubensnationen“, arab. milla, türk. →millet) geschieden, also in eine orth., armenische u. jüdische. Die kath. Z. in Bosnien, die erst im Zuge der →Tanzimat Anerkennung als Teil einer „Lateinischen Glaubensnation“ (Latin milleti) erfuhren u. bis dahin auf die individuellen Schutzbestimmungen vertrauen mussten, die ihnen 1463 →Großwesir Mahmud Pascha Angelović verbrieft hatte, gehörten bis dahin weder zur orth. Millet noch zur „Glaubensnation der Serben u. Wlachen“ (Serf ve Eflak milleti) unter dem 1557 errichteten Patriarchat v. →Peć, sondern standen de jure unter der Aufsicht des armenischen Patriarchen v. Istanbul, auch wenn seit spätestens 1569 die Angelegenheiten kath. Untertanen gegenüber der Pforte de facto oft durch den frz. Botschafter, den des „deutschen Ks.s“ oder des venezianischen →Bailo in Istanbul vertreten wurden. – Die Versklavung eines Z. (→Sklaverei) u. dessen Zwangsbekehrung zum Islam zu Zwecken der →Knabenlese stellt einen eklatanten Verstoß gegen das isl. Recht dar, wie dies einzelne isl. Rechtsgutachten (z. B. ein Fetwa eines gewissen Müfti Mustafa aus dem Staatsarchiv zu Dubrovnik, hg. Vjeran Kursar) auch bestätigen. Bezeichnenderweise schweigen sich die osm. Rechtsgelehrten zu diesem Punkt generell aus. 1057
Zips
Lit.: M. Kurz, Christen unter islamischer Herrschaft: die zimmi-Verwaltung im Osman. Reich, in: Christen u. Muslime. Interethnische Koexistenz in südosteuropäischen Peripheriegebieten. Hgg. Th. Kahl/C. Lienau. Münster u. a. 2009, 85–96; C. Imber, The Ottoman Empire, 1300– 1650: The Structure of Power. Hampshire 2002; H. Gerber, State, Society, and Law in Islam. Ottoman Law in Comparative Perspective. Albany 1994; Christians and Jews in the Ottoman Empire. The Functioning of a Plural Society. Hgg. B. Braude/B. Lewis. 2 Bde. New York, London 1982; K. Binswanger, Untersuchungen zum Status der Nichtmuslime im Osmanischen Reich des 16. Jh.s. Mit einer Neudefinition des Begriffs „Dimma“. München 1977. M. U.
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Zips (slowak. Spiš; ung. Szepes). Gebiet im NO der Slowakei zw. der poln.-slowak. Grenze im N u. der Niederen Tatra sowie dem Slowak. Erzgebirge im S. Die ersten urkundlichen Erwähnungen stammen aus dem 12. Jh. (1132, 1193, 1198). Vermutungen über Daker, keltische Kotiner, germanisch-hasdingische Wandalen, Skiren, Heruler, Gepiden u. über die Niederlassung der Slawen im 6./7. Jh. n. Chr. berufen sich auf archäologische Funde, Orts-, Fluss- u. Flurnamen. Der sprachwissenschaftliche Nachweis für eine Besiedlung in der Karolingerzeit betrifft v. a. den Landesnamen selbst: terra Scypiensi, Szipis, Sipes, Szips, Scepusz. Die dt. Ansiedlung beruht auf der ma. Grenzverteidigungspolitik der ung. Könige (→Ungarn). Als seit dem 12. Jh. dt. Bergleute in die Z. gerufen wurden (sog. „Sachsen“; vgl. a. →Bergbau [MA]), gelangte das im süddt. Raum bekannte Iglau-Kuttenberger Bergrecht dorthin. Unter Géza II. (1141–1161) wurde die Oberzips mit Deutschen aus Thüringen, Hessen, Mittelfranken u. dem Rheinland besiedelt. Die Deutschen der Unterzips kamen um 1200 teils aus Bayern, dem Raum Aachen/Köln/Siebengebirge u. dem Hunsrück. Ihre Siedlungen wurden im Mongolensturm 1241/42 (→Mongolen) zerstört. Béla IV. (1235–1270) berief erneut bayrische, fränkische u. thüringische Siedler in die Z.er Gemeinden. Im Freiheitsbrief Stephans V. (1271) wurden die Z.er Privilegien erstmals zusammengefasst u. die von Béla IV. erteilten Sonderrechte als Grundlage der Z.er Selbstverwaltung bestätigt. Aus dem Jahr 1243 datiert der erste Freibrief für den Bergort Göllnitz/Gelnica/Gölnicbánya zur Regelung v. Rechtsfragen. Schmöllnitz/Smolník/Szomolnok, 1255 erstmals genannt, wurde – nach Göllnitz 1317 – freie kgl. Bergstadt (1327). Mitte des 13. Jh.s erhielten die dt. Siedlungen eine geistliche Organisation, zurückgehend auf die 1212 gegründete Zipser Propstei: die sog. „Fraternitas XXIV regalium parochorum“ (1268). Aus diesen Ortschaften entstand Mitte des 14. Jh.s der pol. „Bund der 24 Zipser Städte“ (XXIV regium civitatum fraternitas), an deren Spitze der Zipser Graf stand, der v. den Richtern der Städte gewählt wurde. 1370 wurden Recht u. Freiheiten im Rechtsbuch „Willkür der Sachsen in der Zips“ aufgezeichnet u. v. Kg. Ludwig I. bestätigt. Die „Willkür“ enthielt ursprünglich 93 Artikel u. charakterisiert die Lebens- u. Rechtsverhältnisse. Zugleich mit dem Bergrecht kam dt. Stadtrecht in die Z. Im Gegensatz zur Oberzips, wo der Einfluss norddt., flämischer, fränkischer, sächsischer Rechte vorherrschte, galt in der Unterzips süddt. Stadtrecht, auch wenn sich scharfe Grenzen zw. diesen Gruppen nicht ziehen lassen. Einen Einschnitt bedeutete die Verpfändung der Z.er Städte an Polen. Kg. Sigismund, seit 1410 auch dt. Kaiser, wollte Dalmatien gewinnen u. brauchte deshalb Geld für einen Krieg gegen Venedig. So verpfändete er am 8.11.1412 13 aus dem „Bund der 24 Städte“ an
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den poln. Kg. Władisław I., die erst bei der ersten Teilung Polens (1762) wieder an das dann habsb. Ungarn zurückkamen. Um 1433 – unter Führung Žižkas – zogen die Hussiten durch das Poppertal in die Z. Das 15./16. Jh. gilt als die Blütezeit des Z.er Bergbaus (Gold, Silber, Kupfer, Eisen, Blei, Schwefel, Quecksilber). Göllnitz war damals das Zentrum der sieben oberung. Bergstädte (Göllnitz, Schmöllnitz, Ruda/Rudabánya, Jossau/Jasov/Jászó, Telken/Telkibánya, Rosenau/ Rožňava/Rozsnyó, Zipser Neudorf/Spišská Nová Ves/Igló). Anfang des 16. Jh.s bestanden – neben den wirt. Beziehungen der Häuser Thurzó-Fugger – auch geistige Bindungen zu Deutschland: Kaufleute u. Studenten brachten seit 1518 Luthers Druckschriften aus Leipzig, Wittenberg u. Worms in die Z. Mit Unterstützung des Adels breitete sich die →Reformation rasch aus. Ks. Ferdinand I. gewährte Schutz, u. die Stadt Leutschau/Levoča unterstützte ihn dafür im Kampf gegen Johann Zápolya (1526–1540). Nach der Schlacht bei →Mohács 1526 erlosch der Bergbau fast ganz, bis zur Zeit Maria Theresias. Ende des 18. Jh.s wurde mit ca. 5.000 Beschäftigten im Bergbau ein Produktionshöhepunkt erreicht. Als das Kupfer in der zweiten H. des 19. Jh.s durch das Eisen verdrängt wurde, vollzog sich eine Umstrukturierung mit Investitionen österreichischer u. reichsdeutscher Bergwerksgesellschaften. Nach dem Zusammenbruch der Habsburgermonarchie plante man am 14.11.1918 in Käsmark/Kežmarok/Késmárk die Gründung einer selbständigen „Respublica Scepusia“ (→Slowakei). Anfang Dezember 1918 wurde die Z. der 1. Tschechoslowakei zugesprochen. Laut Erlass eines Botschafterrates (28.7.1920) erhielt Polen 170 km2 des Z.er Komitates mit 14 Gemeinden u. 8.263 E. Im Herbst 1938 wurden zwei weitere Z.er Gemeinden (Burgerhof/Javorina mit Fluder/Podspady u. Leschnitz/Lesnica) an Polen angeschlossen. Im März 1942 begannen vom KZ Deutschendorf/Poprad aus Massendeportationen der Juden (→Holocaust). Im Sommer 1946 erfolgte der „systematische Abschub“ v. etwa 10.000 Deutschen aus der Z. Die Volkszählung v. 1981 nennt 1.500 Deutsche in der Oberzips u. 6.000 in der Unterzips. Lit.: Die Zips – eine kulturgeschichtliche Region im 19. Jh. Leben u. Werk von Johann Genersich (1761–1823). Hg. I. Fazekas. Wien 2013; T. Katona, Caritas u. Memoria. Eine Leutschauer Stiftung im Dienste der Bildungsförderung in der Zips des 16. Jh.s. München 2011; W. Sowa, Zur Herkunft u. Funktion des Namens „Zips“, Österreichische Namenforschung 35 (2007), H. 1–3, 69–82; Deutsche Sprache u. Kultur in der Zips. Hg. W. Kriegleder. Bremen 2007; I.T. Piirainen, Rechtshandschriften der frühen Neuzeit in der Zips, Studia Germanica Universitatis Vesprimiensis 7 (2003), H. 1, 53–77; P. Švorc, Spiš v kontinuite času – Zips in der Kontinuität der Zeit. Zborník z medzinárodnej vedeckej konferencie. Prešov u. a. 1995; O. Hadbawnik, Die Zipser in der Bukowina: Anfang, Aufbau u. Ende ihres buchenländischen Bergbaues. München 1986; Bergstädte der Unterzips. Hgg. L. Guzsak u. Arbeitskreis Unterzips, Stuttgart. Stuttgart u. a. 1983; Zipser Land u. Leute. Deutsche Siedlungsgeschichte unter der Hohen Tatra. Hgg. P.R. Rudolf/E. Ulrich/F. Zimmermann. Wien 1982; H. Grothe, Siebenhundert Jahre deutschen Lebens in der Zips. Ein illustriertes Quellen- u. Lesebuch zur Landes- u. Volkskunde, Siedlungs- u. Geistesgeschichte. Crimmitschau 1927; S. Weber, Zipser Geschichts- u. Zeitbilder. Leutschau 1880. M. Gl.
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Zisleithanien / Zsitvatorok, Friede von (1606)
Zisleithanien (a. Cisleithanien). Z. u. →Transleithanien waren nach dem →Ausgleich v. 1867 immer häufiger verwendete Bezeichnungen für die beiden Reichshälften →Österreich-Ungarns, die sich an dem in die Donau mündenden Grenzfluss Leitha/Lajta orientierte. Allerdings ist die Bezeichnung beider Reichshälften je nach Standort des Betrachters als „diesseits“ oder „jenseits der Leitha“ bereits für die Epoche der Verfassungskämpfe ab 1860 nachweisbar. Im Zeitalter des →Dualismus wurde in der österr. Reichshälfte diese als Z. u. die Länder der Stephanskrone als Transleithanien bezeichnet, während man in Ungarn schon damals an dem Namen T. zur Bezeichnung der österr. Reichshälfte festhielt u. diese Tradition in der ung. Historiographie bis heute fortgeführt wird. Die Entstehungsgeschichte dieser wechselseitig verwendeten Begrifflichkeit ist nach wie vor ungeklärt. Allerdings hat die Verwendung des Wortpaares zis u. trans als Bezeichnung v. größeren Regionen in Ungarn eine lange, bis ins MA zurückführende Tradition u. hat sich auch in der Verwaltungseinteilung des Landes nach 1867 bemerkbar gemacht (Zis- u. →Transdanubien für die Verwaltungsbezirke links u. rechts der Donau, Zis- u. Transtiszien (diesseits u. jenseits der Theiß, ung. Tisza) u. für Siebenbürgen „Királyhagontúl“ = das Gebiet jenseits des Königssteigs). Aufgrund solcher Kontinuitäten kann die standortgebundene Einführung der Begriffe Z. u. T. v. ung. Seite u. deren spiegelbildliche Übernahme v. dt. Seite als wahrscheinlich angesehen werden, wobei der Bedarf nach einer prägnant-kurzen Bezeichnung für die amtlich umständlich als die „im Reichsrat vertretenen Länder“ benannte österr. Reichshälfte ungleich größer war. G. S.
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Zsitvatorok, Friede von (1606). An der Mündung (ung. torok) der Zsitva (slowak. Žitava) im S der heutigen Slowakei, unweit v. Komorn, unterzeichneten am 15.11.1606 Vertreter v. Ks. Rudolf II. u. Sultan Ahmed I. den Friedensvertrag, der einen Schlusstrich unter das milit. Patt im „Fünfzehnjährigen Krieg“ bzw. im „Langen →Türkenkrieg“ (1593–1606) setzte. Vorangegangen war der Friede v. Wien am 23.6.1606, mit dem der Aufstand des 1605 zum Fürsten v. →Siebenbürgen gewählten Stefan Bocskai gegen die Habsburger u. die (offene) →Gegenreformation in Ungarn beendet worden war u. der den ung. Protestanten Religionsfreiheit zugesichert hatte. (Bocskai war vom Osm. Reich als Fürst anerkannt worden; seine Krone, die sich heute in der Wiener Schatzkammer befindet, hatte er von der →Hohen Pforte erhalten.) Der F.v.Zs. brachte keine territorialen Veränderungen zw. der Habsburgermonarchie u. dem Osm. Reich. Doch in Art. 2 des komplizierten Vertragswerks wurde der Ks. mit seiner vollen Titulatur u. damit erstmals als gleichrangig mit dem Sultan anerkannt. Bis dahin war er osmanischerseits zumeist nur als „König v. Wien“ tituliert worden. In Art. 11 verpflichtete sich der Ks. zu einer „Verehrung“ von 200.000 Gulden anstelle des bisherigen jährl. Tributs von 30.000 Gulden an die Pforte. Auf habsb. Seite wurde diese Bestimmung als Einmalzahlung zur Beendigung des Tributverhältnisses verstanden, was v. der Pforte zunächst abgelehnt u. erst nach weiteren längeren Verhandlungen anerkannt wurde. Im 15. Art. wurde den ung. Adligen im osm. Teil Ungarns Steuerfreiheit verbürgt. Schließlich wurde auch der Friedensschluss mit Bocskai noch einmal ausdrücklich bekräftigt. Am wichtigsten war Art. 12, der einen 20jährigen Frieden vorsah (frühere Verträge hatte nur eine
Zsitvatorok, Friede von (1606) / Župan
max. Laufzeit v. 8 Jahren gehabt) u. der dank mehrmaliger Verlängerung eine osm.-habsb. Friedensphase v. rd. 60 Jahren einleitete. Zwar hielten Streifzüge u. Plünderungen in den Grenzgebieten auch weiter an, doch die große Konfrontation blieb aus. Lit.: „Einigkeit u. Frieden sollen auf seiten jeder Partei sein“. Die Friedensschlüsse von Wien (23.06.1606) u. Zsitvatorok (15.11.1606). Festschrift anlässlich des neunzigsten Geburtstag von Zsigmond Jakó. Hg. J. Barta. Debrecen 2007; K. Nehring, Adam Freiherr zu Herbersteins Gesandtschaftsreise nach Konstantinopel. Ein Beitrag zum Frieden von Zsitvatorok (1606). München 1983; G. Beyerle, The Compromise at Zsitvatorok, Archivum Ottomanicum 6 (1980), 5–53. H. S.
Župan (gr. zupanos; lat. iupanus). Vorsteher einer županija oder župa (Gau, Siedlungsgemeinschaft), später auch Beamten- u. Herrschertitel. Der Terminus Ž. war bei allen Süd- u. Westslaven u. auch bei den Ungarn (→ispán „Gespan“) verbreitet, wobei die Bedeutung variiert. Die Etymologie ist umstritten (slavisch, protobulg., awarisch?). Erstmals wird Ž. in der Gründungsurkunde des Klosters Kremsmünster 777 erwähnt („jopan Physso“ als Anführer der slav. Siedler). Konstantin VII. Porphyrogennetos (De Adm. Imp., Kap. 29) nennt im 10. Jh. die Ältesten der südslav. Stämme Ž. Die blutsverwandtschaftlichen Bindungen verschwinden, als die →Südslaven ihre Staaten etablieren. Die „Župa“ wird aus einer Gruppe v. Leuten gleicher Abstammung, die auf dem gleichen Territorium wohnt, zu einer rein territorialen Einheit, der Ž. zu deren vom Herrscher bestellten Verwalter. In →Kroatien war dies bereits im 12. Jh. der Fall. Bei den →Serben führten die Herrscher v. →Raszien seit dem 11. Jh. den Titel eines „Groß-Ž.“ (serb. veli ž., gr. megas zupanos), den sie erst nach der Königskrönung von Stefan Prvovenčani (→Nemanjiden) 1217 ablegten. Den einfachen Ž.-Titel trugen noch bis zum Beginn der Herrschaft Stefan Dušans Mitglieder v. Seitenlinien der Nemanjiden. Im →„Zakonik“ des Serbenkaisers wird dann der Ž. nicht mehr erwähnt. In Kroatien bestand das Amt des Ž. bis in das 20. Jh. u. dann wieder ab 1991 i. S. des Gespanschaftsvorstehers fort. In →Istrien war Ž. seit dem 16. Jh. der Titel des Bürgermeisters. Auch bei den →Slowenen wurde bis in das 20. Jh. das Stadtoberhaupt Ž. genannt. Bei Slowenen u. Kroaten lebte der Terminus Ž. auch in der Kirchenorganisation fort: „župnik“ als Pfarrer, „župa“ (kroat.) u. „župnija“ (slow.) als Pfarrgemeinde. Lit.: O. Blagec, Hrvatski podbanovi i župani Zagrebačke i Križevačke županije od sredine 16. do sredine 18. stoljeća, Cris (Križevci) 13 (2011), H. 1, 300–318; F. Smiljanić, Studije o srednjovjekovnim slavenskim/hrvatskim institucijama. Zadar 2010; Hrvatske županije kroz stoljeća. Hgg. I. Goldstein u. a. Zagreb 1996; V.P. Gračev, Serbskaja gosudarstvennost‘ v X–XIV vv. (Kritika teorii „župnoj organizacii“). Moskva 1972; V. Bratulić, Funkcije župana u općinskim zajednicama na području Pazinske grofovije (XVI–XVII st.), Jadranski zbornik 7 (1966–69), 147–160; V. Procházka, Župa a župan, Slavia antiqua 15 (1968), 1–59; R. Strohal, Varaždinska županija od g. 1550–1660. Zagreb 1932; C. Jireček, Staat u. Gesellschaft im mittelalterlichen Serbien. Studien zur Kulturgeschichte des 13.–15. Jh.s. Bd. 1 Wien 1912 (Ndr. Leipzig 1974), 3–13. P. B.
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Zwangsarbeit
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Zwangsarbeit. Da es keine einheitliche Definition v. „Zwang“ in dessen unterschiedlichen Realisierungsformen gibt, ist der Terminus „Z.“ vieldeutig. I. d. R. wird er für die Geschichte des 20. Jh.s, insbes. für verschiedene Formen unfreiwilliger oder schein-freiwilliger Arbeit (mit oft fließenden Übergängen) in Hitler-→Deutschland u. den von ihm besetzten oder kontrollierten Territorien verwendet. Ältere Formen v. Z. (z. B. in Form von Fron oder Robot abhängiger →Bauern (FNZ) oder in Form v. →Sklaverei in Byzanz, im Osm. Reich etc.) werden dagegen in diesem Lexikon unter den jeweils einschlägigen Termini behandelt. Angesichts des immensen kriegsbedingten Arbeitskräftebedarfs im „Dritten Reich“ griffen die zuständigen NS-Werbestellen in zunehmendem Maße zu verschiedenen Formen v. Zwangsrekrutierungen: bei Kriegsgefangenen oder bei der Werbung in den besetzten u. – soweit pol. realisierbar – den verbündeten Ländern SOEs. Selbst wenn die Anwerbung auf vertraglicher Grundlage erfolgte, wurden die Zusagen von dt. Seite oft nicht eingehalten. Schlechte Arbeits- u. Wohnbedingungen sowie Probleme beim Lohntransfer in die Herkunftsländer sorgten für Unmut, ohne dass die Betroffenen ihre Arbeitsverhältnisse aufkündigen konnten. Die ursprünglich vereinbarte Verweildauer v. einem Jahr wurde in vielen Fällen nicht eingehalten. Auch die „Bandenbekämpfung“ in den besetzten Ländern (2. →WK.)wurde zur Rekrutierung v. Arbeitskräften genutzt. Ende Juli 1943 wurde z. B. der für den Zwangsarbeitseinsatz in Frage kommende Personenkreis im „→Unabhängigen Staat Kroatien“ durch einen neuen „Führerbefehl“ erweitert. Danach sollten gefangene →Partisanen zw. 16 u. 50 Jahren nicht mehr erschossen werden, sondern mussten – wie dies teilw. schon vorher praktiziert worden war – für den Produktionsprozess bereitgestellt werden. In den Tagesrapporten dt. Einheiten wurde seit dieser Zeit regelmäßig von „Überstellungen zum Arbeitseinsatz im Reich“ oder v. der Übergabe Gefangener an den „Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz“ berichtet. Auch aus den kroat. Konzentrationslagern wurden Zwangsarbeiter verschickt. Da die Grenzen zw. freiwilliger u. Z. im Verlauf des Krieges immer durchlässiger wurden, schwanken die Angaben über das Ausmaß der Z. erheblich. Nach dt. Aufstellungen v. Mitte u. Herbst 1943 hielten sich rd. 230.000 Arbeitskräfte aus den Ländern SOEs im „Dritten Reich“ auf. Diese Zahl ist mit großer Wahrscheinlichkeit viel zu niedrig, da vermutlich nur diejenigen Arbeitskräfte erfasst wurden, die ursprünglich auf einer vertragsmäßigen Basis angeworben worden waren („Zivilarbeiter“), während zwangsverpflichtete Kriegsgefangene nicht erfasst wurden. Unter den Herkunftsländern der „Zivilarbeiter“ stand der „Unabhängige Staat Kroatien“ an erster Stelle, gefolgt v. Serbien, der Slowakei, Ungarn, Bulgarien, Griechenland u. Rumänien. Insges. wurden die SO-Arbeiter als „brauchbares Menschenmaterial“ bezeichnet. Die meisten stammten aus landwirtschaftl. Umgebung (vgl. →Industrialisierung). „Vollwertige Industriearbeiter…fehlen unter den ins Reich gehenden Arbeitskräften so gut wie völlig.“ Fast 30 % aller Arbeiter aus dem Donau-Balkan-Raum waren in der „Ostmark“ (Östereich) eingesetzt, zumeist unter menschenunwürdigen Bedingungen. Auch in den besetzten Gebieten SOEs selbst wurden Arbeiter für kriegswichtige Bergwerke u. Betriebe zwangsrekrutiert. Die Erforschung der Z. ist seit den 1990er Jahren intensiviert worden, doch bestehen nach wie vor große Lücken. Verlässliche Gesamtzahlen liegen nicht vor, u. das Fehlen eines eindeutigen Kriteriums für Zwang erschwert die Forschung zusätzlich.
Zwangsmigrationen (19./20. Jh.)
Lit.: Zwangsarbeit in Hitlers Europa. Besatzung – Arbeit – Folgen. Hgg. D. Pohl/T. Sebta. Berlin 2013; F. Dierl/Z. JanjetoviĆ/K. Linne, Pflicht, Zwang u. Gewalt. Arbeitsverwaltungen u. Arbeitskräftepolitik im deutsch besetzten Polen u. Serbien 1939–1944. Essen 2013; S. Hodzic/Chr. Schölzel, Zwangsarbeit im „Unabhängigen Staat Kroatien“ 1941–1945. Münster 2012; T. Csapody, Bori munkaszolgálatosok. Fejezetek a bori munkaszolgálat történetéből. Budapest 2012; E. Lappin-Eppel, Ungarisch-Jüdische Zwangsarbeiter u. Zwangsarbeiterinnen in Österreich 1944/45. Münster 2010; A.M. Grünfelder, Arbeitseinsatz für die Neuordnung Europas. Zivil- u. ZwangsarbeiterInnen aus Jugoslawien in der „Ostmark“ 1938/41–1945. Wien u. a. 2010; Zwangsarbeit im Europa des 20. Jh.s. Bewältigung u. vergleichende Aspekte. Hgg. H.-Chr. Seidel/K. Tenfelde. Essen 2007; Zwangsarbeit, Todesmarsch, Massenmord. Erinnerungen überlebender ungarischer Zwangsarbeiter des Kupferbergwerks Bor in Jugoslawien 1943–1944. Hg. I. Kádár. Konstanz 2007; S. Rutar, Arbeit u. Überleben in Serbien: Das Kupfererzbergwerk Bor im Zweiten Weltkrieg, Geschichte u. Gesellschaft 31 (2005), 101–134. H. S.
Zwangsmigrationen (19./20. Jh.). Zu den Merkmalen großer Teile →SOEs, insbes. des →Balkans, gehörte die ausgeprägte ethn. Gemengelage auf kleinstem Raum. Sie war z.T. eine Folge der geogr. Brückenfunktion u. geophysischen Beschaffenheit des Gesamtraums, z.T. die Konsequenz kriegsbedingter,wirt. oder relig. motivierter Wanderbewegungen (→Migrationen) oder geplanter An- u. Umsiedlungen sowie Deportationen (türk. sürgün), die in die byz. u. osm. Zeit zurückreichten. Über Jahrhunderte hinaus waren die ethn. Siedlungsstrukturen SOEs nicht zur Ruhe gekommen. Gegen Ende des 19. Jh.s nahmen die Eingriffe in die Siedlungsstruktur qualitativ eine neue Dimension an. Dieser Wandel hing mit der neuzeitlichen Staats- u. →Nationsbildung u. der modernen Legitimation v. Staaten zusammen. In der älteren Zeit war die ethn. Zusammensetzung der Bev. nur bedingt ein konstitutives Merkmal der Staatsbildung gewesen. Die Legitimität früherer Staaten hatte auf Ursprungsmythen, dem „Gottesgnadentum“, auf „dynastischen Heiratsverbindungen“ oder dem „Recht des Eroberers“ beruht. Alle vormodernen Staaten SOEs hatten daher die Grenzen der Ethnizität überschritten. Dies galt für das →Byz. Reich ebenso wie für das Erste oder Zweite →Bulg. Reich, das kurzlebige →Serb. Reich Stefan Dušans, das →Osm. Reich oder die →Habsburgermonarchie. Erst mit dem Wandel vom ethn. „leeren“ Untertanenverhältnis zum ethno-nationalen Staatsbürgerverständnis u. im Kampf um das nationale Selbstbestimmungsrecht erhielt die Ethnizität im Verlauf des 19. u. zu Beginn des 20. Jh.s eine konstitutive Bedeutung für die Legitimierung v. Staaten. Das Bestreben, die territ. Ansprüche mit den ethn. Siedlungsstrukturen zur Deckung zu bringen bzw. eventuellen Separationsbestrebungen ethn. Minderheiten oder irredentischen Bewegungen in den Nachbarstaaten (→Irredentismus) einen Riegel vorzuschieben, löste zunehmend gewaltsame Maßnahmen zur ethn. Homogenisierung strittiger Territorien aus. Unter Mitwirkung v. Ethnographen, Philologen, Anthropologen u. a. wurden Räume neu vermessen u. pol. geordnet. Wichtige Merkmale der Bevölkerungsverschiebungen in SOE während des ausgehenden 19. u. des 20. Jh.s waren: 1) dass sie v. Staats wegen betrieben, gefördert oder zumindest geduldet wurden, 2) dass sie sich in erster Linie gegen alteingesessene Nachbarn richteten,
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Zwangsmigrationen (19./20. Jh.)
3) dass sie auf die nationale Homogenisierung eines unter Berufung auf hist. oder Selbstbestimmungsrechte reklamierten Territoriums abzielten u. 4) dass sie häufig mit der „Wiedergutmachung in der Vergangenheit erlittenen nationalen Unrechts“ begründet wurden. Diese Kombination v. Akteuren (Staat oder dessen „Agenten“), Zielgruppen (alteineingesessene Nachbarn), Zielsetzung (nationale Homogenisierung) u. Rechtfertigung (Wiedergutmachung nationalen Unrechts) verlieh den Bevölkerungsverschiebungen während der letzten anderthalb Jahrhunderte ihr unverwechselbares Gepräge. Insges. lassen sich mindestens vier große „Homogenisierungswellen“ unterscheiden, die i.d.R. durch Kriege ausgelöst wurden. Die erste Welle setzte nach der →Nationalstaatenbildung ein u. betraf insbes. die Angehörigen der vormals pol. dominanten Gruppe (z. B. Türken oder Muslime nichttürkischer Herkunft), aber auch die Konnationalen, die noch außerhalb der jungen Nationalstaaten lebten. Allein während der →„Orientalischen Krise“ v. 1875–78 sollen rd. 1,5 Mio. Menschen (insbes. Türken, Albaner, Tscherkessen) die Flucht ergriffen haben oder vertrieben worden sein. Die zweite große Welle begann mit den →Balkankriegen v. 1912/13 u. dauerte bis etwa Mitte der 20er Jahre. In diese Zeit fallen die ersten systematischen „Flurbereinigungen“ (Zwangsumtaufen, Namensänderungen, Vertreibungen u. Massaker), die v. einer internationalen Beobachterkommission der Carnegie-Stiftung erstmals (wenigstens fragmentarisch) dokumentiert wurden. In diese Zeitspanne fallen auch die ersten international sanktionierten Abkommen über den „Bevölkerungsaustausch“ (→Lausanne) – Regelungen, die nachfolgenden Umsiedlungen u. Vertreibungen als „Modell“ dienten. Die dritte große Bevölkerungsverschiebung umfasst die Jahre vom Beginn des 2. →Wk.s bis etwa Ende der 1940er Jahre. Sie war geprägt durch die nationalsozialist. rassistischen Raumdiskurse u. die daraus abgeleiteten Umsiedlungs- u. Vertreibungsaktionen, die →„ethn. Säuberungen“ u. den Völkermord an Serben im →„Unabhängigen Staat Kroatien“, die Verfolgung der Minderheiten in den v. Ungarn, Italien u. Bulgarien annektierten Gebieten Jugoslawiens, die Vernichtung v. Juden u. Roma (→Holocaust) sowie die Umsiedlung oder Vertreibung eines Großteils der in SOE beheimateten Deutschen (siehe a. →Donauschwaben; Volksdeutsche) u. d. meisten Italiener v. Tiestiner Gebiet (→Triestfrage) über →Istrien bis die vormalige it. Enklave Zara (Zadar) in →Dalmatien. Und die vorläufig letzte Welle setze mit Beginn des Krieges im ehem. Jugoslawien 1991 ein (→postjug. Kriege). In der Zeit zw. diesen großen „Entmischungsströmen“ vollzog sich die vergleichsweise unspektakuläre, aber mehr oder minder kontinuierliche u. alltägliche Abwanderung v. Türken, Deutschen, Juden usw. – Auswanderungen, die oft unter massivem Druck erfolgten, sich aber nur gelegentlich verdichteten (wie z. B. in Bulgarien Anfang der 50er u. in der zweiten H. der 80er Jahre oder in Rumänien während u. nach der Ceauşescu-Diktatur). Eine Quantifizierung dieser ethn. motivierten Bevölkerungsverschiebungen stößt auf schwer lösbare Methoden- u. Datenprobleme. Nach unterschiedlichen Hochrechnungen u. Schätzungen dürfte sich die Gesamtzahl der Opfer auf 10–14 Mio. belaufen. Die ethn. Karte SOEs hat sich dadurch vielerorts grundlegend verändert u. vereinfacht.
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Lit. (→Migrationen; →Lausanne; →ethnische Säuberung): E. Pezo, Zwangsmigration in Friedenszeiten? Jugoslawische Migrationspolitik u. die Auswanderung von Muslimen in die Türkei
Zypern
(1918 bis 1966). München 2013; S. Bandžović, Deosmanizacija Balkana i Bošnjaci. Ratovi i muhadžirska pribježišta (1876.–1923.). Sarajevo 2013; Ph. Ther, Die dunkle Seite der Nationalstaaten. „Ethnische Säuberungen“ im modernen Europa. Göttingen 2011; S. Bandžović, Iseljavanje muslimana Crne Gore u Tursku. 2 Bde. Podgorica 2011; Lexikon der Vertreibungen. Deportation, Zwangsaussiedlung u. ethnische Säuberung im Europa des 20. Jh.s. Hgg. D. Brandes/H. Sundhaussen/St. Troebst. Wien u. a. 2010; G. Oliva, Esuli. Dalle foibe ai campi profughi: la tragedia degli Italiani di Istria, Fiume e Dalmazia. Milano 2007; Zwangsmigration u. Vertreibung – Europa im 20. Jh. Hg. A. Kruke. Bonn 2006; Migration im südöstlichen Mitteleuropa. Auswanderung, Flucht, Deportation, Exil im 20. Jh. Hg. K. Zach. München 2005; Á. Tóth, Migrationen in Ungarn 1945–1948. Vertreibung der Ungarndeutschen, Binnenwanderungen u. slowakisch-ungarischer Bevölkerungsaustausch. München 2001; Z. Janjetovic, Between Hitler and Tito. Disappearance of Ethnic Germans from Vojvodina. Belgrade 2000; E. Voutira, Population Transfers and Resettlement Policies in Inter-War Europe: The Case of Asia Minor Refugees in Macedonia, in: The Development of a Greek Macedonian Cultural Identity Since 1912. Hgg. P. Mackridge/E. Yannakakis. Oxford u. a. 1997, 111–131; H. Sundhaussen, Bevölkerungsverschiebungen in Südosteuropa seit der Nationalstaatswerdung (19./20. Jh.), Comparativ 6 (1996), H. 1, 25–40; W. Höpken, Flucht vor dem Kreuz? Muslimische Emigration aus Südosteuropa nach dem Ende der osmanischen Herrschaft (19./20. Jh.), in: ebd., 1–24; Migrations in Balkan History. Hg. I. Ninić. Belgrad 1989; M. Jackson, Changes in Ethnic Populations of Southeastern Europe: Holocaust, Migration and Assimilation. Hg. R. Schönfeld, Nationalitätenprobleme in Südosteuropa. München 1987, 73–104; P.M. Kitromilides/A. Alexandris, Ethnic Survival, Nationalism and Forced Migration. The Historical Demography of the Greek Community of Asia Minor at the Close of the Ottoman Era, Bulletin of the Centre for Asia Minor Studies 5 (1984/85), 9–44; H. Hecker, Die Umsiedlungsverträge des Deutschen Reiches während des Zweiten Weltkrieges. Hamburg 1971; Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ostmitteleuropa. 7 Bde. [Bd. 3: Rumänien, Bd. 4: Ungarn, Bd. 5: Jugoslawien]. Hg. Th. Schieder. Düsseldorf 1957–1961 [Ndr. 1984]; H.L. Kostanick, Turkish Resettlement of Bulgarian Turks, 1950–1953, Univ. of California Publications in Geography 8 (1957), H. 2, 65–164; G. Frumkin, Population Changes in Europe Since 1939. New York 1951; E.M. Kulischer, Europe on the Move. War and Population Changes, 1917–1947. ebd. 1948; A.A. Pallis, A Statistical Study of the Racial Migrations in Macedonia and Thrace. Athens 1925; Report of the International Commission to Inquire into the Causes and Conduct of the Balkan Wars. Hg. Carnegie Endowment for International Peace. Aylesbury Bucks 1914 (erw. Ndr. Washington 1993 u. d. T.: The Other Balkan Wars. Einl. G.F. Kennan). H. S.
Zypern (gr. Kypros, türk. Kıbrıs). Insel u. Republik im östl. Mittelmeer: 9251 km², 256.644 E (2006) im N (überwiegend Türken/Muslime), 766.400 E (2005) im S (überwiegend Griechen/Orthodoxe). Ca. 1 % der Bev. sind römisch-kathol.; ein weiteres Prozent bilden die kath.-unierten Maroniten, die eine arabische Mundart sprechen. Im Deutschen werden die Bewohner der Insel sowohl als „Zyprer“ wie auch als „Zyprioten“ bezeichnet (ohne eindeutige Differenzierung). – In der Spätantike gehörte Z. als Provinz zur Diözese Oriens. Die →Autokephalie der Kirche Z.s wurde 431 u. 488 bestätigt. Seit 648/649 war Z. zw. →Byzanz
1065
Zypern
1066
u. den Arabern umkämpft. 688 vereinbarten Justinian II. u. der Kalif Abdalmalik die Teilung der Steuereinkünfte Z.s, das gelegentlich v. Truppen beider Seiten kontrolliert wurde, z. B. ca. 875–882 u. 906–911 v. den Byzantinern, während es im 8.–10. Jh. meist demilitarisiertes neutrales Gebiet war. Während dieser Zeit wurde Z. v. einem →Archon verwaltet, der die Steuern einzog. 965 wurde Z. unter Nikephoros II. Phokas wieder dem Reich eingegliedert u. zunächst v. strategoi, dann (nach 1050) v. dukes/katepano verwaltet. 1042 rebellierte der strategos Theophilos Erōtikos, 1091 der dux Rhapsomates. Doch in beiden Fällen stellten Flotten unter Kōnstantinos Chage u. Eumathios Philokalēs die byz. Herrschaft wieder her. Der Wohlstand Z.s veranlasste Rainald v. Antiocheia u. Toros v. Kleinarmenien 1156 zu einem Plünderungszug. Seit 1184 beherrschte Isaak Komnenos als Gegenkaiser zu Andronikos I. Komnenos (1183–1185) u. Isaak II. Angelos 1185–1195) Z. Seine Herrschaft beendete Richard I. Löwenherz v. England im Frühjahr 1191 nach kurzem Kampf. 1192 erwarb Guido v. Lusignan Z. als Lehen v. Richard Löwenherz (vgl. →Lateinerherrschaft). Sein Bruder Aimerich I. errichtete 1196 eine lat. Hierarchie unter dem Ebf. v. Nikosia mit den Suffragen Limassol, Famagusta u. Paphos, denen die gr.-orth. Bischöfe 1260 v. Papst Alexander IV. untergeordnet wurden (Constitutio Cypria; vgl. →Unierte). Im September 1197 huldigte Aimerich I. Heinrich VI. u. wurde v. dessen Legat gekrönt. 1228 zwang Friedrich II. die Barone Z.s, ihm die Regentschaft für Heinrich I. (1218–1253) zu übertragen, doch bis 1233 warfen die Barone die staufische Oberherrschaft wieder ab. Hugo III. (1267–1284) vereinigte 1268 die Kronen Z.s u. Jerusalems. Peter I. (1359–1369) eroberte im Oktober 1365 das ägypt. Alexandria, fiel aber am 18.1.1369 einem Anschlag aufständischer Barone zum Opfer. Nach der Niederlage im Krieg gegen Genua (1373–1374) musste sich Z. zur Zahlung eines Tributes v. 40.000 Florins pro Jahr verpflichten u. 1382 Famagusta abtreten. Ein genuesisches Bankenkonsortium, die Maona Cypri, kontrollierte in den nächsten 90 Jahren die Finanzen der Insel. 1426 landete ein mamelukisches Heer auf Z. u. schlug die Armee v. Kg. Janus am 7.7. Der gefangene Kg. musste in Kairo die Oberherrschaft des ägypt. Sultans anerkennen u. wurde diesem ebenfalls tributpflichtig. 1427 erhob sich die gr. Bev. gegen die fiskalische Ausbeutung. 1460 erkämpfte sich Jakob II. mit mamelukischen Hilfstruppen den Thron u. entriss 1464 den Genuesen Famagusta. Im Juli 1468 heiratete er die Venezianerin Caterina Cornaro, die nach seinem Tod am 6.7.1473 die Herrschaft übernahm. Sie musste Anfang 1489 zugunsten Venedigs abdanken, das am 26.2.1489 Z. annektierte (→Venezianisches Überseereich). Im Sommer 1570 beendete eine osm. Invasionsarmee unter Lala Mustafa Pascha die wegen des Steuerdrucks unpopuläre venez. Herrschaft über Z. Am 1.8.1571 kapitulierte Famagusta, die letzte venez. Bastion auf Z. (vgl. a. →Lepanto). Zusammen mit vier →Sancaks in Anatolien u. Syrien wurde Z. zunächst einem →Beylerbeyi, dann um 1670 dem →Kapudan Pascha unterstellt. Auf dem enteigneten fränk. Landbesitz wurden 15.000–20.000 Türken angesiedelt. Die gr. Bev., als deren ethnarchēs (Ethnarch) der Ebf. 1758 offiziell anerkannt wurde, empfand die Vertreibung der lat. Feudalherrn u. Kleriker zunächst als Befreiung, hatte aber in den folgenden Jahrhunderten unter osm. Willkürherrschaft, Ausbeutung u. Naturkatastrophen zu leiden. Die Reformpolitik des Osm. Reiches (→Tanzimat) führte auf Z. zu keiner nachhaltigen Verbesserung der Lage. Im Zusammenhang mit dem Abschluss einer gegen Russland gerichteten Allianz zw. dem
Zypern
Osm. Reich u. Großbritannien im Gefolge des →Berliner Kongresses besetzten brit. Truppen im Juli 1878 die Insel. Die Briten minderten zwar nicht die Steuerlast der Zyprioten, beteiligten diese aber formell in einem „Legislative Council“ an der Verwaltung der Insel. Gemäß der Volkszählung v. 1881 waren 73,9 % der Bev. Griechen, 24,4 % Türken (v. insges. 186.173 E). Die Hoffnung der gr. Zyprioten auf eine Vereinigung mit →Griechenland (Henōsis) zerschlug sich, als Großbritannien Z. am 5.11.1914 annektierte u. am 10.3.1925 zur Kronkolonie erklärte. Die Erhöhung der Steuern u. Zölle löste am 21.10.1931 einen großen Aufstand der gr. Zyprioten gegen die Briten aus. Als diese auch nach dem 2. Wk. den gr. Zyprioten den Anschluss an Griechenland verwehrten, nahm im April 1955 die v. Oberst Grivas geführte zyperngr. Untergrundbewegung EOKA (Ethnikē Organōsē Kypriōn Agōnistōn) den bewaffneten Kampf auf. Daraufhin verbannten die Briten Ebf. Makarios III. im März 1956 auf die Seychellen. Da die Briten sich immer stärker auf die türk. Minderheit stützten, die im Zweifel gegenüber einem Anschluss an Griechenland eine Teilung der Insel favorisierte, kam es ab Juni 1958 auch zu Auseinandersetzungen zw. den Volksgruppen. Am 19.2.1959 einigten sich Großbritannien, Griechenland u. die Türkei auf die Unabhängigkeit Z.s, die am 16.8.1960 in Kraft trat. Als Ebf. Makarios III., der erste Präsident Z.s, durch 13 Verfassungsänderungen den Proporz zu Ungunsten der Türken verändern wollte, kam es am 21.12.1963 zum Ausbruch eines Bürgerkrieges, der zur Bildung abgeschlossener türk. u. gr. Siedlungsgebiete führte u. erst nach türk. Invasionsdrohungen durch einen v. einer UNO-Friedenstruppe (UNFICYP) überwachten Waffenstillstand vom 10.8.1964 beendet wurde. Nach dem Athener Militärputsch vom 21.4.1967 distanzierten sich Ebf. Makarios III. u. ein Großteil der gr. Zyprioten v. einer Vereinigung mit Griechenland. Die Athener Militärjunta inszenierte schließlich am 15.7.1974 mit Hilfe gr. Offiziere der zypriotischen Nationalgarde einen blutigen Putsch gegen Ebf. Makarios III. Die Türkei reagierte auf die Machtübernahme Nikos Sampsons am 20.7.1974 mit der Invasion Z.s, eroberte bis zum Waffenstillstand vom 16.8 1974 mehr als ein Drittel der Insel u. vertrieb 165.000 gr. Zyprioten aus ihren Siedlungsgebieten. Die faktische Teilung der Insel besteht ungeachtet des Beitritts der Republik Z. (südl. Teil) zur EU am 1.5.2004 bis heute. Quellen: Griechische Briefe u. Urkunden aus dem Zypern der Kreuzfahrerzeit. Die Formularsammlung eines königlichen Sekretärs im Vaticanus Palatinus Graecus 367. Hg., Übers. Al.D. Beihammer. Nicosia 2007. Lit.: M. Aymes, A provincial history of the Ottoman Empire. Cyprus and the Eastern Mediterranean in the nineteenth century. London u. a. 2014; Cyprus at the Crossroads. Geographical perceptions and representations from the fifteenth century. Hgg. G. Grivaud/G. Tolias. Athens 2014; The Harbour of all this Sea and Realm. Crusader to Venetian Famagusta. Hgg. M.J.K. Walsh/T. Kiss/N.S.H. Coureas. Budapest, New York 2014; Archbishops of Cyprus in the modern age. The changing role of the archbishop-ethnarch, their identities and politics. Hg. A. Varnava. Newcastle upon Tyne 2013; H. Faustmann, Politische, wirtschaftliche u. soziale Entwicklungen auf Zypern 2011/12, Thetis 20 (2013), 512–521; Cyprus and the Renaissance (1450–1650). Hg. B. Arbel. Turnhout 2012; W. Mallinson, Britain and Cyprus. Key themes and documents since World War II. London 2011; H.A. Richter, Kurze Geschichte des modernen Zypern 1878–2009. Mainz u. a. 2010; M. Aymes, Un grand progrès – sur le papier. Histoire provinciale des réformes
1067
Zypern
ottomanes à Chypre au XIXe siècle. Paris u. a. 2010; Th. Morgan, Sweet and Bitter Island. A History of the British in Cyprus. London, New York 2010; N. Coureas, The Latin Church in Cyprus, 1313–1378. Nicosia 2010; H.A. Richter, Geschichte der Insel Zypern. 4 Bde. Mannheim 2004–2009; Cyprus. Society and Culture, 1191–1374. Hgg. A. Nicolaou Konnari/C. Schabel. Leiden 2005; C. Gürle, Zypern in seinen Beziehungs- u. Konfliktverhältnissen zu Türkei u. Griechenland. Frankfurt/M. u. a. 2004; Südosteuropa-Handbuch. Bd. 8: Zypern. Hgg. K.-P. Grot husen/W. Steffani/P. Zervakis. Göttingen 1998; Historia tēs Kypru. Bde. 4–5: Mesaiōnikon Basileion – Benetokratia. Nikosia 1995/96; B. Englezakis, Studies on the History of the Church of Cyprus, 4th–20th Centuries. Aldershot 1995; Hē Kypros kai hoi Staurophories. Cyprus and the Crusades. Hgg. N. Coureas/J. Riley-Smith. Nicosia 1995; J. Choisi, Wurzeln u. Strukturen des Zypernkonflikts 1878 bis 1990. Ideologischer Nationalismus u. Machtbehauptung im Kalkül konkurrierender Eliten. Stuttgart 1992; P.W. Edbury, The Kingdom of Cyprus and the Crusades, 1191–1374. Cambridge 1991; R.C. Jennings, Christians and Muslims in Ottoman Cyprus and the Mediterranean world: 1571–1640. New York u. a. 1991; P. Tzermias, Geschichte der Republik Zypern. Mit Berücksichtigung der historischen Entwicklung der Insel während der Jahrtausende. Tübingen 1991; C.P. Kyrris, History of Cyprus. Nicosia 1985; F.-G. Maier, Cypern. Insel am Kreuzweg der Geschichte. Stuttgart 1964 (München ²1982); George Hill, A History of Cyprus. 4 Bde. Cambridge 1940–1952. K.-P. T.
1068
Ortsnamenskonkordanz (deutsch/amtlich)
Deutsche Namensform (teilweise nur hist.)
Amtliche bzw. heutige Namensform
Adrianopel (hist.)
Edirne (türk.)
Agram
Zagreb (kroat.)
Akkerman (hist.)
Bilhorod-Dnistrov’skyj (ukr.)
Alt-Ofen
Óbuda
Athen
Athēna/Athina (gr.)
Bartfeld
Bártfa (ung.)
Bartfeld
Bardejov (slowak.)
Belgrad
Beograd (serb.)
Beregsaß (Bergsaß)
Berehove (ukr.)
Bistritz / Nösen (hist.)
Bistrița (rum.)
Blasendorf
Blaj (rum.)
Brennberg
Brennbergbánya (ung.)
Brenndorf
Bod (rum.)
Briesen
Brezno (slowak.)
Broos
Orăștie (rum.)
Bukarest
București (rum.)
Cilli
Celje (slowen.)
Czernowitz
Černivci (ukr.)
Deutschendorf
Poprad (slowak.)
Dullen (oder Diln)
Banská Belá (slowak.)
Eperjes
Prešov (slowak.)
Erlau
Eger (ung.)
Esseg
Osijek (kroat.)
Fiume
Rijeka (kroat.)
Fluder
Podspády (slowak.)
Frauenbach
Baia Mare (rum.)
Fünfkirchen
Pécs (ung.)
Göllnitz
Gelnica (slowak.)
Görz
Gorizia (it.) 1069
Ortsnamenskonkordanz
1070
Deutsche Namensform (teilweise nur hist.)
Amtliche bzw. heutige Namensform
Gottschee
Kočevje (slowen.)
Gran
Esztergom (ung.)
Griechisch-Weißenburg (hist.)
Beograd (serb.)
Großwardein
Oradea (rum.)
Hermannstadt
Sibiu (rum.)
Istanbul
İstanbul (türk.)
Izmir
İzmir (türk.)
Jassy
Iaşi (rum.)
Jossau
Jasov (slowak.)
Karlowitz
Sremski Karlovci (serb.)
Karlsburg
Alba Iulia (rum.)
Karpfen
Krupina (slowak.)
Kaschau
Košice (slowak.)
Käsmark
Kežmarok (slowak.)
Klausenburg
Cluj Napoca (rum.)
Komorn
Komárom (ung.) / Komárno (slowak.)
Königsberg
Nová Baňa (slowak.)
Königgrätz
Hradec Králové (tschech.)
Konstantinopel
İstanbul (türk.)
Korinth
Korinthos (gr.)
Krakau
Krákow (poln.)
Kremnitz
Kremnica (slowak.)
Kremsier
Kroměříž (tschech.)
Kronstadt
Braşov (rum.)
Laibach
Ljubljana (slowen.)
Langenau
Cimpolung / Câmpulung (rum.)
Lemberg
Lviv (ukr.)
Leschkirch
Nocrich (rum.)
Leschnitz
Lesnica (slowak.)
Leutschau
Levoča (slowak.)
Lewenta
Levica (slowak.) (seit 1920)
Libethen
Ľubietová (slowak.)
Liptau-St. Nikolaus
Liptovský Svätý Mikuláš (slowak.)
Marburg
Maribor (slowen.)
Ortsnamenskonkordanz
Deutsche Namensform (teilweise nur hist.)
Amtliche bzw. heutige Namensform
Mediasch
Mediaș (rum.)
Messolongi
Mesolongi (gr.)
Mitrowitz
Sremska Mitrovica (serb.)
Mitterburg
Pazin (kroat.)
Moschopolis (hist.)
Voskopoja (alban.)
Mühlbach
Sebeș (rum.)
Neuhäusel
Nové Zámky (slowak.)
Neumarkt (am Mieresch)
Târgu Mureș (rum.)
Neusatz
Novi Sad (serb.)
Neusohl
Banská Bystrica (slowak.)
Neutra
Nitra (slowak.)
Ödenburg
Sopron (ung.)
Odessa
Odesa (ukr.)
Ofen
Buda (ung.)
Offenburg
Baia de Arieș (rum.)
Passarowitz
Požarevac (serb.)
Pest
Pest (ung.)
Pressburg
Bratislava (slowak.)
Pukantz
Pukanec (slowak.)
Raab
Győr (ungar.)
Ragusa
Dubrovnik (kroat.)
Rann
Brežice (slowen.)
Reps
Rupea (rum.)
Reußmarkt
Miercurea Sibiului (rum.)
Rimnik
Rîmnicu (rum.)
Rodenau
Radenov (tschech.)
Rosenau
Rožňava (slowak.)
Ruda
Rudabánya (ung.)
Schässburg
Sighișoara (rum.)
Schelk
Şeica (rum.)
Schemnitz
Banská Štiavnica (slowak.)
Schenk (Großschenk)
Cincu (rum.)
Schlatten (Großschlatten)
Abrud (rum.)
Schmöllnitz
Smolník (slowak.)
1071
Ortsnamenskonkordanz
1072
Deutsche Namensform (teilweise nur hist.)
Amtliche bzw. heutige Namensform
Selischte
Săliște (rum.)
Semlin
Zemun (serb.)
Sereth
Siret (rum.)
Sichelburger Distrikt
Žumberačka Gora (kroat.)
Silberin (hist.)
Srebrenica (bosn.)
Sillein
Žilina (slowak.)
Skutari
Shkodra (alban.)
Sofia
Sofija (bulgar.)
St. Martin
Turčiansky Svätý Martin (slowak.)
St. Veit am Pflaum / St. Veit am Flaum (hist.)
Rijeka (kroat.)
Straßburg am Mieresch
Aiud (rum.)
Stuhlweißenburg
Székesfehérvár (ung.)
Talmesch
Tălmaciu (rum.)
Telken
Telkibánya (ung.)
Temeswar
Timișoara (rum.)
Thessaloniki / Saloniki
Thessaloniki (griech.)
Törzburg
Bran (rum.)
Trentschin
Trenčín (slowak.)
Triest
Trieste (it.)
Tyrnau
Trnava (slowak.)
Vac
Vác (ung.)
Varasdin
Varaždin (kroat.)
Warasdin
Varaždin (kroat.)
Weißenburg
Alba Iulia (rum.)
Zengg
Senj (kroat.)
Zenta
Senta (serb.)
Zipser Neudorf
Spišská Nová Ves (slowak.)
Orts- und Sachregister
Im Register angegebene Seiten in Fettschrift markieren den Umfang eines gleichnamigen oder direkt den Registerbegriff betreffenden Stichwortes; normal gehaltene Seiten stehen für sonstige Betreffstellen. A Absolutismus, Aufgeklärter Absolutismus 41f., 66, 96, 128, 133, 142, 335, 339f., 369f., 385, 418, 436, 451, 520, 557, 683, 685, 761, 775, 780, 871, 963, 965, 1000, 1024 Abtreibungen, Abtreibungspraxis 161, 329 Adel (a. →Stände) 41, 42–45, 55, 72, 134, 139, 142, 149, 175, 198, 216f., 219?, 223, 227, 238, 255, 280, 291f., 323, 337, 340, 349, 365 (osm. Militäradel) 369, 428, 431, 495, 529, 557f., 567f., 579, 642, 651, 652, 683, 732, 734, 853, 870, 880, 893, 905, 907, 992, 1021, 1024, 1050; Albanien 55f., 322f., 839; Balkan 114, 237, 321, 602, 914; Bosnien-Herzegowina 323; Byzanz 43, 223; Kroatien 43f., 139, 216, 219, 409, 494, 540-42, 544, 568, 689, 760, 806, 863; Moldau 198, 216; Thessalien 322; Serbien 43, 280, 321; Ungarn (Kgr.; a. →Gentry; Magnaten) 41, 44, 45-46, 69f., 73, 88f., 130, 143, 189, 218f., 227, 282f., 324, 335–37, 340, 348, 401, 427, 432, 435, 437, 496, 506, 554-56, 577, 590, 634, 656, 658, 685, 691, 730, 763, 765, 779, 808, 845f., 849f., 867f., 892, 901, 905f., 909, 928, 945, 950f., 973f., 1059; Walachei 44, 216, 1025 Adrianopel, Friede v. (1829) 46f., 180, 273, 356, 533, 595, 619, 832, 964, 1026 Aga 47, 149, 433, 494 Agrarfrage 76, 181, 707 Agrarreformen (a. →Bodenreformen) 44, 59, 136, 144, 168f., 170–73, 495, 749, 795f., 851 Agrarstruktur, Agrarverfassung 134-36, 142f, 148, 170f., 275, 280-282, 343f., 740, 853 Ägypter, Ashkali 48–50, 309, 423, 581, 606, 746, 749, 788 Ajanen 50f., 180, 612, 680, 738, 749 Akademie, Akademien 51–53, 85, 92, 120, 152, 165, 195, 293, 344, 444, 541, 574, 591, 619, 643,
734, 749, 793, 795, 833, 874, 891, 910, 938, 980f., 1026, 1048 Akçe 53f., 252, 380f, 516, 555, 695, 757, 812, 883, 936, 1053 Akıncı 538, 800, 853, 961 Albaner 43f., 48–50, 54–57, 58f., 111f., 171, 228, 238f., 243, 296–299, 313, 315, 322, 353, 356, 366, 388, 421, 426, 434, 441, 444, 451, 462, 494, 517, 524–26, 547f., 571f., 579, 581–83, 597f., 607, 628, 630, 637, 639, 644, 675, 723, 728, 736, 749f, 813, 855, 891, 903, 913f, 921, 934, 938f, 1064; Herkunftstheorie 54, 243, 313; Nationalbewegung 56, 65, 524, 572, 891 Albanien 48, 50, 54–57, 58–61, 62, 66, 75–78, 81–85, 108, 111f, 114, 119, 122, 125, 137, 150, 155, 159, 166f., 169–172, 180, 191f., 213, 228, 231, 239, 243f., 246f., 254, 262, 264, 266, 281, 295, 297, 315, 322f., 326, 328f., 345, 355, 358, 361, 365, 381, 388f., 398, 415, 422–26, 441, 459, 462, 481, 483, 502, 507f., 518, 521, 524f., 548, 552f., 562, 567, 570–72, 581, 597, 630f., 639f., 649, 656f., 675, 679f., 701f., 717, 745, 754f., 787, 800, 802f., 823, 835, 838f., 855, 882, 886f., 895, 902–05, 912, 915, 917, 930, 937f., 952, 981–84, 994, 1001f., 1006, 1008, 1016–18, 1027f., 1030, 1033f., 1036, 1055f.; Bauernaufstände; 58, 141; Derwische 150, 254, 426; Grenzziehung 58, 88, 297; Kirchengeschichte 150, 254, 326, 425f., 640, 675; Monarchie 58f., 264, 937, 1033 albanische Sprache 48, 54, 65, 85, 192, 228, 243f., 422, 572, 583, 886f., 891, 939 Aleviten 61–63, 252f., 422, 513, 924 Alföld 63, 134, 282, 487, 901 Alpenslaven 44, 870 Alphabet(e) 63–65, 82, 111, 178, 192, 200, 212, 225, 236, 245, 325, 338, 354, 494, 540, 566, 621, 643, 793f., 828, 857, 890, 925f. 1073
Orts- und Sachregister
1074
Alphabetisierung 65–67, 136, 165, 293, 329, 585, 614f., 798, 994, 1022 Altgläubige 67f., 269, 573, 648, 654 Altkirchenslavisch 64, 225, 660, 693, 858, 860, 886, 891, 1049 Anabaptisten (Täufer) 68, 513, 647, 763, 806 Analphabetismus 65f., 157, 165, 234, 293, 299, 477, 614, 798 Andarten 214, 231, 716f. Andreanum 220, 510, 658, 761, 808, 849, 929 Anjou 54f., 69f., 87, 153, 246, 287, 296, 326, 388, 479, 517, 559, 973 Annexionskrise (bosnische) 70–72, 93, 115, 181, 451, 668, 686, 689, 694, 807, 813, 835, 920, 997 Antikapitalismus 73 Antimodernismus 218 Antisemitismus 72–74, 89, 141, 175, 218, 234, 290, 397–399, 406, 439, 519, 731, 944, 948, 1051f. Antiurbanismus 73f. Antitrinitarier 379, 763, 978f. Aprilaufstand (Bulgaren, 1876) 148, 204, 669, 738 Apostasie (a. → Konvertiten) 513 Aquileia 235, 349, 428, 476, 528, 692, 786 Arbanon 54 Arbeiter 74–78, 103f., 119, 136f., 238, 282, 290, 293, 318, 342, 345–347, 393, 395, 406, 415f., 463, 566, 599, 711, 731, 789, 825f., 880f., 975, 980, 982, 988, 1062 Arbeiterbewegung 105, 345–347 Arbeitslosigkeit 77f., 206, 335, 358, 938 Arbёresh 54, 56, 887 Archon 43, 79, 147, 519f, 531, 704, 728, 857, 896, 1055, 1066 Armatolen/Martolosen 79f., 135, 237, 253, 374, 490, 516, 681, 716, 1011 Armenier 79, 80–83, 108, 112, 200, 218, 241, 269, 379, 451f., 493, 509, 511f., 534, 565f., 580, 598, 654, 678, 688, 727, 784, 846, 914, 958 Aromunen 58, 83–86, 96, 112, 128, 192, 216, 218, 296, 313, 353, 429, 484, 579, 596, 675, 688, 791, 886, 891, 933, 941, 1012, 1021, 1048 Arpaden 69, 86–88, 130f., 302, 544, 692, 862, 971f.
Arvaniten 54f., 228, 353, 356, 572, 887 Aschkenasim 72, 88f., 98, 218, 234, 406, 438f., 815, 827, 981 Aseniden 89f., 209, 224, 479, 492, 533, 554, 673, 1012 Askeri 757, 883, 899, 1057 Athen 51f., 64, 81, 83, 90–92, 122, 124, 192, 213f., 261, 341f., 354, 356–358, 416, 474, 479, 491, 493, 558, 582, 595, 672, 800, 811, 839, 877, 895, 933f., 964, 978–81, 984, 1000, 1031, 1034, 1067 Athos 52, 92f., 122, 192, 387, 391, 591, 597, 624, 636, 672, 680, 723, 795, 837, 839, 878, 990 Athosklöster 597, 680, 878 Attentat von Sarajevo 93–96, 123, 181, 260, 450f., 686, 803, 815, 835, 998, 1010, 1029 Aufklärung 52, 92, 96–99, 113, 142, 165, 293, 334f., 391, 405, 431, 436, 567, 580, 619, 636, 642, 662 (Voraufklärung), 768, 974, 994 Ausgleich (österreichisch-ungarischer) 99–101, 106, 132, 181, 285f., 335, 372, 590, 592, 643, 650, 682–85, 714, 748, 760, 846, 850, 869, 919, 942, 945, 974, 1005, 1015, 1060 Ausgleich (ungarisch-kroatischer) 101–03, 126, 247, 541, 545, 643, 760, 786, 863 Australien 84, 354f., 539, 586, 597, 672, 787 Austromarxismus 103–05, 119, 684, 881 Austroslawismus 106f., 391, 643, 694, 775, 779, 781, 868, 919, 945 Autokephalie 80, 107f., 113, 202, 303, 316, 356, 624, 640, 660f., 671–75, 721, 723, 725, 753, 760, 794, 838, 893, 1046, 1065 autoritäre Regime 205, 265f., 318, 328, 345, 358, 442, 507, 546, 569, 706f., 709f., 731, 797, 832, 835, 881, 895, 915, 999, 1001, 1019 Awaren 90, 108f., 112, 126, 178, 188, 207f., 221, 224, 245, 313, 389, 434, 476, 528, 543, 579, 598, 661, 692, 752, 771, 844, 859f., 862, 867, 896, 917f., 926, 966, 971f, 1061 B Badeni–Krise 285 Bailo 110, 433, 469, 992, 1057 Bajrak 680, 904 Balkan, Balkanraum 43, 63f., 66, 69–71, 80, 95, 97, 110–18, 119f., 122–24, 126, 148, 150f.,
Orts- und Sachregister
154f., 158, 179f., 185, 204, 208, 215f., 222–24, 235, 238, 243, 253f., 259–61, 264f., 278f., 281, 288, 292, 297, 306, 308f., 311, 314f., 327, 331, 341f., 354, 356, 360f., 374, 378, 421f., 424, 426, 433, 453, 463, 479, 483–85, 493, 502, 504, 507, 511, 519, 524, 528, 533, 550f., 577f., 586, 591, 593, 595, 617, 619, 636, 638, 645, 649, 677f., 687f., 694, 722, 724, 726, 734, 741, 755, 759f., 768, 788, 792, 800, 802, 815, 823, 827f., 860f., 878, 881, 888, 893–95, 911–15, 923f., 930, 941, 956, 958, 964, 967, 972, 980f., 983, 987, 993, 995, 999, 1003, 1005, 1007, 1012, 1021, 1029, 1039, 1041, 1044, 1062; Begriffsgeschichte 110f., 115f., 315, 550, 911; Feudalismus 320–24; Nationalstaaten, Herrschaftsformen 264–66; Sozialverfassung 136f., 171f., 216f., 279–81, 293, 320–23, 722f., 1007–09, 1021; Unterentwicklung 66f., 114f., 165, 216f., 288, 343, 442, 444, 614, 1003 Balkanbund 57, 122, 357, 452, 631, 835 Balkanföderation 115, 118–20, 502, 504, 507, 585, 588, 834, 881 Balkanforschung, Balkanologie 120–122 Balkanhalbinsel 54, 63f., 96, 110–12, 209, 221, 235, 288, 297, 313, 331, 353, 374, 378f., 389f., 424, 453f., 489, 492, 515, 550f., 581, 586, 636, 667, 800f., 831, 859f., 878, 918, 934, 941, 958, 967, 1009 Balkankriege (1912/13) 57f., 82, 94, 114f, 122–24, 168, 196f., 204, 228, 231, 269, 297, 311, 315, 354, 357, 389, 407, 413f., 452, 471, 505, 514, 524, 579f., 587, 597, 631, 639, 652, 656, 668, 672, 677, 729, 738, 750, 794f, 803, 811, 813, 835, 855, 881, 915, 935, 946, 1029f., 1064 Balkanologie 120–22, 888 Balkanpakt 115, 120, 124–26, 797, 996 Balkanslaven 108, 113, 171, 236, 267, 391, 411, 434, 631, 686 Balkansprachbund 243, 885–89 Balša 55, 238, 322, 839, 1056 Ban 127, 563 Ban/Banus 102, 126f., 129, 178f., 402f., 409, 517, 544f., 555, 572, 661f., 774f., 779, 782, 806, 839, 841, 862, 962, 972, 974 Banat 84, 126, 127–29, 231, 258, 274–276, 370,
390, 397, 443, 472, 474, 496–498, 577, 601, 603, 646, 651, 661, 679, 720f., 727, 776, 792f., 795f., 821, 831, 841, 844, 868, 914, 928, 937, 947, 962f., 965, 972, 1004, 1014f., 1030, 1034, 1043 Banater Schwaben (a. → Donauschwaben) 276 Banija 126, 129f., 530, 546, 601, 743, 884 Baranya 130–32, 210, 274, 499, 776, 821f., 863, 940, 947, 987, 1034 Barock 41, 288, 370f., 540, 574, 863, 868, 927 Başı bozuk (Baschibozuk) 202, 716, 932 Baština → (Adel [Balkan] ohne Ungarn) 43, 237, 323 Batschka 63, 132f., 210, 231, 274–76, 398, 496– 98, 500, 801, 821, 868, 947, 965, 987, 1014f., 1034 Bauern (allgemein) 43, 114, 167, 176, 208, 243, 255–57, 280, 320f., 435, 463, 495, 524, 542, 596, 599, 664, 701, 793, 848, 852, 867, 871, 941, 987f., 1050, 136f., 156, 314, 1003 Bauern (Frühe Neuzeit) 44, 129, 134f., 138f., 176, 237f., 274f., 283, 291, 323f., 362, 370, 400f., 424–26, 430–32, 434–36, 492f., 495–500., 555f., 575, 601f., 612, 619, 654, 666, 726, 751, 761, 763, 817, 853f., 869, 871, 905f., 928, 936, 951, 953, 984, 1013, 1021, 1026, 1062 Bauern (19./20. Jh.) 67, 72–75, 135–38, 140f., 142–46, 156f., 160, 168–72, 201f., 216, 220, 248, 266, 292f., 343f., 351, 414f., 463f., 471, 520, 522, 540, 548, 568, 614, 643, 648, 740f., 748f., 756, 773, 778–82, 789, 793, 795f., 798, 847, 874, 880f., 974f., 982, 1026f. 1040f. Bauernaufstände (Frühe Neuzeit) 134, 138–40, 282f., 400, 845, 871, 928, 962, 1047 Bauernaufstände (19./20. Jh.) 58, 72, 136, 140f., 145f., 148, 669, 741, 795, 823, 834, 937 Bauernbefreiung 44, 136, 141, 142–44, 170, 362, 436f., 463, 540, 602, 643, 651, 774, 779, 781, 795, 854, 974, 985 Bauernparteien Bulgarien 205f., 344, 702f., 1016; Kroatien 107, 211, 247, 344, 440, 442, 463, 542, 706f., 741, 874, 884, 968; Rumänien 741, 796f.; Slowakei 711; Ungarn 714–16, 740 Bavarokratie (Griechenland) 356, 520, 1004, 1046
1075
Orts- und Sachregister
1076
Bayern 86, 188, 255f., 274, 340, 371f., 384, 418, 428, 476, 637, 735, 748, 871, 907, 960, 963, 1046, 1058 Bazar 229, 376, 749, 876 Bedesten 229, 512, 898f. Befreiungskriege (nationale) 91, 112, 115, 140, 144–49, 151, 192, 197, 242, 259, 292, 298, 342, 353, 375, 463, 471, 490, 519, 619, 637, 644, 659, 704, 734, 802, 831f., 914, 923, 981, 993, 1026 Befreiungskriege (gr. Aufstand) 46, 91, 146–48, 192, 213, 271, 342, 353, 356, 405, 519, 589, 595, 668, 704, 728, 734f., 921, 993, 999, 1023, 1026 Beg 149, 150, 162, 402, 422, 453, 455, 470, 589, 677, 719, 812, 883, 922 Bektaschi 62, 150, 253, 423,426, 433, 924, 938 Belgrad 52, 71, 83, 93f., 103, 119f., 130, 145, 150– 53, 192, 202, 242, 260f., 342, 370f., 382, 403, 440, 450, 471, 487, 501, 525, 527, 533, 552, 603, 617, 654, 659, 662, 674, 680, 720, 726, 750, 779, 803, 828, 831f., 834, 840, 856, 863, 876, 895, 923, 926f., 949, 962–64, 968, 973, 979f., 984, 996f., 1003, 1005f., 1014, 1031, 1034 Berat (Urkundentyp) 153, 252, 325, 552, 724, 883, 936 Bergbau (MA) 69, 153f., 179, 255f., 287, 655f., 658f., 838, 840, 844, 901, 1058 Berliner Kongress 56, 70, 72, 93, 115, 148, 151, 154–56, 180, 202, 204, 230f., 260, 269, 272, 315, 357, 412, 522, 524, 552, 571, 580, 587, 593, 608, 618, 631, 638, 659, 669, 688, 694, 696, 736, 738 767, 794f., 802, 813, 834, 920, 934, 1005, 1067 Berliner Vertrag 71, 122, 155, 204, 571, 631, 688, 813 Bessarabien 64, 156f., 168, 170f., 197, 234, 262, 269, 275, 277, 289f., 338, 398, 405f., 411f., 618, 620f., 623, 638, 674f., 696, 741, 785, 795–97, 803, 886, 943, 964, 981, 1018f., 1025, 1030–33, 1035, 1045 Beschäftigung (Arbeitsmarkt) 77f., 415 Bevölkerung 56, 60, 67, 74f., 91, 97, 100, 106, 111f., 114, 130f., 137, 156, 158–62, 172, 181, 187, 194, 196, 198f., 200, 207, 234, 243, 248, 253, 269, 293, 310, 313, 351–53, 358, 361, 367, 406, 415, 421–24, 426, 428f., 437, 448f., 453f., 468,
483, 490, 496f., 524, 538, 560, 565f., 597, 602, 621, 623, 626, 634, 656, 681, 738, 750, 752, 760f., 778, 781, 787, 790, 813, 834, 836, 841, 845–47, 860, 862, 874, 878, 885, 887f., 894, 897, 913, 923, 933, 938, 944, 958, 960, 981, 1014, 1021 Bevölkerungsaustausch 228, 277, 279, 353f., 421f., 485, 561, 580, 587, 653, 724, 739, 935, 1045, 1064 Bevölkerungsbewegung 113, 123, 151, 158, 179, 578, 597–99, 615, 981, 1014 Bevölkerungspolitik (Rumänien) 161, 329, 929 Bevölkerungsstruktur, Homogenisierung 157, 241, 399, 517, 524, 550, 597, 811, 929, 1015, 1063f. Bey →Beg Beylerbeyi 153, 162f., 242, 268, 317, 325, 380f., 470, 517, 591, 634, 678, 719, 800, 812, 936, 990, 1042, 1066 Bezesten →Bedesten Bilderstreit (Ikonoklasmus) 163f., 222, 236, 378, 480, 624, 670, 819, 857 Bildungswesen 59, 67, 127, 152, 164–66, 181, 201, 219, 335, 356, 371f., 408, 437, 482, 508, 565, 621, 643, 651 665, 702, 779, 798, 828, 833, 849, 851, 935, 940, 979, 1046 Blutrache 166f., 462, 490, 589, 761, 1021 Bodenrecht 167–170 Bodenreformen 44, 136f., 141, 168f., 170–73, 228, 344f., 464, 485, 492, 495, 500, 508, 522, 614, 702, 740, 749, 796, 798, 851, 982, 1014, 1016, 1040 Bogomilen 82, 173f., 179f., 185, 200, 209, 379, 425, 513, 727, 738, 1050 Bogomoljci 174f., 648, 1052 Bojaren 42–44, 46,72f., 96, 143, 175f., 216, 273, 402, 618, 662, 666, 709, 734, 752, 773, 793, 880, 1000 Bosniaken 43, 95, 177f., 181f., 185–87, 249, 366, 386, 423, 449, 494, 517, 607, 630, 644, 743f., 749, 813, 816, 832, 886, 913f., 917 Bosnien 56, 65, 113, 126, 129, 154, 155, 166, 177– 180, 224, 256, 267, 275, 287, 315, 326f., 332f., 376, 385f., 390, 409, 424–26, 434, 474, 480, 493f., 496, 547, 552, 572, 634, 638, 644, 665,
Orts- und Sachregister
669, 677, 679f., 725, 734, 737, 789, 800, 813, 821, 831, 834, 839f., 855, 861, 918, 923, 941, 951–53, 961, 963f., 1012f., 1049, 1057 Bosnien–Herzegowina (meist ab 1878) 51f., 70f., 78, 93f., 111, 114, 119, 140f., 143, 148f., 159-61, 170f., 174, 177, 178-84, 191, 215, 231, 246–50, 254, 263, 277, 288, 310f., 315, 326f., 343, 361, 366f., 372, 385, 412, 421–23, 442f., 445, 449– 51, 481f., 492, 507, 514, 518, 522, 525f., 539–41, 546, 570, 576, 582, 608, 638, 674, 683, 686, 694, 706, 708, 718, 742f., 746, 790, 806, 813– 16, 830, 834, 843, 884–86, 912, 914, 917, 920, 931, 968f., 981f., 987, 996, 998, 1005, 1008, 1015, 1018f., 1034 Bosnien–Herzegowina, Kirchengeschichte 185f., 326f. Bosnienkrieg (1992–95) (a. →Postjugoslawische Kriege) 182, 386, 742, 790, 958, 996 Bosnische Kirche 179, 185f., 326f., 379, 386, 425, 480 Bosnische Muslime 177–82, 186–88, 215, 232, 309f., 315, 332, 386, 423, 440–42, 448–50, 481, 493, 514, 541, 639f., 644f., 744, 815, 874, 884, 888, 917, 968 Brankovići 239, 299, 391, 460, 527, 650, 736, 839f., 923, 990 Bratislava/Pressburg 188f., 191, 194, 211, 256, 337, 371, 395, 487, 651, 712f., 807, 865f., 868, 971, 979, 984 Bruderschaften (christliche) 190, 258 Bruderschaften (islamische) 150, 253f., 333, 422, 426, 924 Bruderschaften (Sippe, Stamm) 729, 904 Buchdruck 85, 96, 190–93, 405, 619, 768, 868 Budapest 100, 102, 108, 131, 188, 193–95, 196, 227, 256, 336, 376, 501, 686, 731, 754, 756, 765, 795, 908, 928, 939, 940, 946, 952, 974, 979–84 Bukarest 46, 51f., 73, 81f., 84, 97, 119f., 146, 195–97, 202, 220, 240, 341, 404f., 501, 625, 666, 674f., 773, 789, 794–96, 798, 828, 895, 979–84, 1025–27, 1031, 1033, 1036, 1045 Bukarest, Friede v. (1812) 46, 145, 156, 196, 197, 273, 405, 471, 637, 654, 964 Bukarester Verträge 204, 835 (1886); 122, 204,
269, 580, 631, 795, 835, 935 (1913); 269, 653, 795, 1029, 1031 (1918) Bukowina 88, 98, 104, 171, 197–200, 239–41, 274f., 277, 289, 371f., 398, 403, 497, 609, 618, 638, 657, 675, 684, 773, 785, 792, 795–97, 801, 803, 805, 844, 928, 943, 1018f., 1030, 1033, 1035, 1045 Bulgaren 90, 96, 128, 148, 153, 155f., 200–03, 207–09, 224, 259, 269f., 275, 298, 313, 316, 338, 352, 374, 377, 389, 391, 398, 409, 421, 447, 480, 492, 522, 533, 580, 585, 607, 621, 624, 636–38, 640, 643f., 654, 669, 688, 727, 752, 771, 839, 860, 876–78, 913, 917f., 934f., 938, 971, 991, 994, 1009, 1034, 1048 Bulgarien 61f., 66f., 70, 74f., 77f., 81–84, 89, 110f., 114, 119, 122f., 125, 136f., 155, 159–61, 169, 171f., 191f., 201f., 203–07, 208, 213, 223, 231, 243, 252, 262, 264f., 268–70, 277, 303, 314f., 318, 321, 326, 328f., 331, 334, 337f., 343f., 357, 361, 376, 387, 390f., 398, 407, 413–16, 421f., 424, 426, 441, 443, 451, 459, 463, 481, 485, 488, 492, 501, 504f., 507f., 518, 549, 552, 564, 567, 569f., 579–81, 585–88, 608, 610, 618, 631, 638f., 648, 652f., 673, 679, 681, 688–90, 697, 700, 703, 725, 727, 738, 741, 754f., 772, 787, 790, 792, 797, 802–04, 807f., 816f., 828, 830, 835, 843, 855, 859f., 876, 878–82, 886, 891, 893, 895, 910, 912, 914f., 918, 934f., 967, 978, 981–84, 994f., 999, 1001f., 1005, 1008, 1012, 1016–18, 1020f., 1027f., 1030–37, 1040, 1045, 1054, 1062, 1064; Religionsgeschichte 315f.; Rumänien, Beziehungen 269f.; Staatsgründung 89f. Bulgarisches Reich (Erstes, Zweites) 90, 108, 113, 151, 164, 174, 178, 185, 200, 203, 207–10, 224, 233, 322, 352, 492, 533, 544, 554, 626, 638, 643, 661, 672f, 677, 724, 759, 771, 819, 831, 838, 855, 876, 971, 991, 1012, 1055, 1063 Bugarštica 299 Bundesrepublik Deutschland 262, 790, 851 Bunjewatzen 133, 210f., 573, 723, 821 Burgenland 211–13, 255, 487, 540, 691, 810, 862, 886, 906, 908, 940, 947, 965, 1012, 1043 Bürgerkrieg (Griechenland) 91, 93, 213f., 262, 347, 358, 459, 502, 507, 585, 586, 588f., 594, 596, 705, 717, 803, 955, 996, 1036f.
1077
Orts- und Sachregister
Bürgerkrieg (Griechenland, 19. Jahrhundert) 147, 704 Bürgerkrieg (Jugoslawien) 182, 214–16, 232, 351, 443, 708, 717, 874f., 969, 988, 1036 Bürgerrechte 157, 218, 334, 411, 777, 850, 974 Bürgertum (Balkan) 96, 191, 201, 216f., 291, 437, 519, 567f., 586, 615, 642, 735, 833, 893, 980 Bürgertum (Byzanz) 896 Bürgertum (Ungarn; Kgr. u. 20. Jh.) 45, 72, 194, 218–20, 257, 275, 292, 335, 379, 432, 475, 540, 568, 651, 685, 793, 847, 901, 949, 974f., 979 Bürgertum (Slowenien) 529, 780 Burzenland 220f., 258f., 510, 658, 763, 849 Byzanz 42f., 54, 64, 79f., 82f., 87, 90, 92, 108–10, 112f., 126, 151, 163f., 174, 178, 185, 190, 200, 207–09, 221–26, 233, 236, 245, 254f., 267f., 272, 280, 287, 295f., 298, 316, 312, 352–54, 364, 374, 378f., 382, 387, 389 (Byzanzforschung), 390, 404, 411, 419, 428, 435, 438f., 455f., 460, 472, 479f. 483f., 491f., 509, 511, 517, 524, 531–34, 544, 551, 554, 558–60, 572, 579, 589, 591, 595, 612, 619, 624, 626, 643, 649, 660f., 670–73, 677, 690, 701, 721, 724, 727f., 730, 732, 735, 751–53, 758f., 771, 783f., 787f., 811, 819f., 830f., 837–39, 852, 855, 857–60, 876, 887, 893f., 896–99, 913f., 918, 932–34, 956, 958, 971–73, 977, 991f., 1003, 1050, 1053–56., 1062f., 1065f.; Feudalismus 42f., 320f., 751; römisches Recht 280, 758–60; Sozialverfassung 43, 320f., 491; Staatsverwaltung 82, 223f., 254f.; Steuersystem 280
1078
C Calviner 227f., 339, 379, 575f., 678, 685, 726, 763f., 796, 845, 910, 972 Çamen 228f., 297, 422, 921 Čaršija 229f., 376, 512, 749, 894, 898f. Cetinje 192, 230f., 238, 316, 627, 729, 736 Četnici 182, 186, 214f., 231f., 303, 398, 443, 505, 716–18, 969, 1036, 1052 Chazaren 112, 130, 208, 233f., 313, 472, 534, 578, 730, 752, 857, 958 Chişinău 156, 234f., 406, 618, 620, 622, 674, 980, 984 Christianisierung 64, 86, 164, 178, 200, 208,
235–37, 245, 298, 302, 352, 364, 421, 476, 480, 513, 531, 540, 543, 554, 589, 664, 672f., 724, 738, 752, 760, 830, 852, 867, 871, 954 Çiftlik 134, 136, 143, 171, 237f., 323, 374, 425, 612, 936, 941 Cisleithanien →Zisleithanien Cizye →Kopfsteuer COMECON →RGW Crnojevići 230, 238f., 524, 736, 831, 927, 1056 Csángós 239f., 481, 888 Czernowitz 108, 198, 240–42, 618, 674f., 795f., 943, 979f. D Dahije 145, 242 Dakoromanismus 85, 242–44, 302, 313, 792, 845, 887, 1012 Dakoslaven 244, 473, 792 Dalmatien 102, 108, 111f., 126, 134, 170f., 179f., 190, 210, 224, 231, 236, 244–49, 272, 288, 326, 343, 362, 372, 390, 407, 409, 420, 438, 448, 480, 495f., 509, 515, 530, 540f., 543–45, 572, 592, 628, 630f., 634, 644, 686, 689, 706, 737, 760, 768, 774, 776, 806, 859, 862, 884–86, 893, 896f., 932, 946, 951–53, 962, 968, 972, 986f., 992, 994, 1004, 1012, 1030, 1034, 1058, 1064 dalmatische Sprache 288, 1012 Dayton-Abkommen (1995) 119, 183, 249f., 386, 525, 745, 814, 836, 863, 996 Defter 250f., 252, 425, 749, 815, 929 Defterdar 251, 268, 317, 325, 364, 381, 1011 Deliorman 252, 422 Demographie 136, 158–61, 179, 256, 269, 406, 468, 540, 815, 953, 964f., 980, 982, 93f., 1008, 1037 Demokratietradition 264f. Derbendci 79, 135, 237, 252f., 374, 382, 430, 516, 681, 1011 Derwische 190, 253f., 306, 333, 426, 433, 876, 899, 924, 938, 967, 989 Derwischorden 62, 150, 253, 380, 422f., 426 Despotat Epirus 54, 388, 456, 626, 855 Despotat Morea 728 Despoten 55, 87, 97, 151, 154, 223, 238f., 254f.,
Orts- und Sachregister
268, 296, 391, 460, 527, 577, 591, 612, 690, 783, 839f., 923, 991, 1013, 1056 Deutsche 106, 128, 133, 153, 156f., 171f., 194, 198f., 220, 240f., 269f., 274–77, 344, 351, 377, 408, 431, 441, 476, 494, 496–99, 518, 529, 535, 551, 575f., 578, 589f., 598, 684, 693, 697, 712f., 737, 763f., 767f., 780, 788, 794, 796–98, 838, 844, 847f., 851, 858, 863, 865, 871f., 900, 907, 914, 943, 945, 948, 968, 973, 981, 1014, 1018f., 1044f., 1048, 1052, 1059, 1064; Gruppenbildung 274–76; Mittelalter u. Frühe Neuzeit 131, 179, 255–58, 849, 900, 929, 973, 1058f.; Kgr. Ungarn, Ungarn 73, 89, 133, 194, 211, 219, 274–77, 377, 497, 510f., 590, 655, 658, 763, 821f., 849, 867, 900, 910, 929, 965, 972f., 1058f. Deutsche Ostsiedlung 240, 255, 257, 598 Deutscher Ritterorden 220, 258f., 664, 841 Deutschland 54, 59, 66, 71, 84, 88, 95f., 105, 112, 115, 133, 154, 157, 159f., 182, 189, 199, 205f., 214, 249, 259–64, 265, 270, 289f., 300, 310, 316, 318f., 341, 351, 355, 358, 382f., 384, 395, 397, 415, 443, 445, 457f., 475, 488f., 504, 537, 539, 576f., 580, 608, 655, 657, 686, 690, 697f., 703, 709, 731, 745, 772, 781, 789f., 795, 797, 803, 810, 835, 847, 851, 859, 865, 873f., 882, 893, 908, 910, 912, 915, 935, 943, 945, 947, 995, 1004f., 1018f., 1023, 1028f., 1033–37, 1041, 1043–45, 1051f., 1059, 1062 Deutschland (Beziehungen zu SO-Europa) 259–63, 1033–35 Devşirme →Knabenlese Diaspora 96, 146f., 201f. Dieta (Kgr. Ungarn) →Országgyűlés Diktaturen 59, 161, 181, 205, 264–67, 289f., 298, 310, 318f., 342, 345, 347f., 358, 397, 442, 531, 569, 585, 613, 639, 670, 699f., 703–07, 709f., 755, 785, 797, 865, 874, 877, 881, 895, 915, 937, 975, 987, 999, 1001f., 1016, 1064 Dinar 267, 555 Dioklitien →Duklja Diwan 162, 250f., 267f., 364, 380, 396, 470, 617, 800, 819, 1042 Dobrudscha 64, 84f., 111, 122f., 155, 168, 203, 205, 252, 268–70, 275, 277, 289, 338, 398, 422,
426, 453, 596, 638, 644, 653, 681, 771, 792, 794–97, 812, 967, 1005, 1018f., 1025, 1030f., 1033, 1035, 1045 Dodekanes 122, 270–72, 358, 422, 672, 783 Doge 272, 288, 559, 838 Dominikaner 179, 245, 288, 327, 664f., 841 Domn →Hospodar Donaufürstentümer 43, 46f., 52, 96f., 143f., 146, 165, 196–98, 216, 225, 272–74, 342, 360, 391, 405, 484, 536, 549f., 552, 563, 618–20, 625, 638, 644, 666, 678, 696, 709, 733–35, 767, 772, 788, 793–95, 802, 891, 914, 928, 989, 999f., 1026f.; Agrarverfassung 143f., 176; Bauernaufstände 146 Donauschwaben 133, 172, 257, 274–78, 351, 497, 793f., 821, 1014, 1018f., 1064 Dönme 278f., 422f., 438f., 513, 811, 828 Dorf 75f., 128, 134, 140, 216, 307, 321, 351, 406, 483, 497–500, 635, 645, 723, 751, 982, 1022 Dorf, Dorfgemeinschaft, Adel 134 Dorf, Dorfgemeinschaft (Balkan) 42f., 85, 137, 279–81, 426, 430, 518, 640, 823, 893–95, 940f., 1021, 1050 Dorf, Dorfgemeinschaft (Donaufürstentümer) 44, 134, 144, 176, 1014 Dorf, Dorfgemeinschaft (Kgr. Ungarn) 63, 276, 281f., 496, 664, 679, 849f. Dózsa-Aufstand 134, 139, 282f., 555, 664, 951, 963 Drachme 283 Dracula 195, 284f., 1025 Dreimächtepakt 205, 215, 443, 865, 1034 „Drittes Reich“ 133, 205, 212, 261, 276f., 397, 399, 477, 489, 546, 716, 718, 731, 789, 865, 895, 1034, 1045,1062 Dualismus (Österreich-Ungarn) 46, 89, 100, 103, 107, 181, 276, 285–87, 335, 372, 385, 651, 663, 683, 685, 714, 806, 869, 872, 908, 919, 945f., 974, 1060 Dualismus (religiöser) 173f., 379, 727 Dubrovnik/Ragusa 51, 54, 81, 151, 154, 178f., 190, 192, 216, 224, 245–47, 267, 287–89, 372, 374, 391, 407, 438, 484, 494, 516, 540, 629, 649, 679, 743, 761, 788, 811, 813, 837, 876, 884, 986, 1005f., 1049f., 1056f.
1079
Orts- und Sachregister
Duklja (a. →Zeta) 178, 185, 245, 627, 736, 753, 923, 1055
1080
E EDES 213, 717 Eherecht 331 Eigentumsformen 279f. Eiserne Garde 73, 289–91, 293, 318f., 395, 709, 796f., 1051 ELAS 213, 717, 728 Elementarbildung 66f., 371 Eliten 42, 50, 53, 67, 76, 96, 107, 136, 167f., 218, 265, 291–94, 301, 322, 329, 484, 520f., 567, 614, 643, 645, 693, 731, 741, 848, 889, 906, 919, 1021, 1057 Emigration →Migration England 41, 66, 71, 96, 115, 154, 157, 159, 227, 261, 273, 284, 300, 333f., 356, 367, 383, 439, 458, 470, 474, 484, 507, 536, 560f., 593, 595, 637, 667, 696–98, 705, 720, 745, 748, 797, 802, 842, 877, 893, 920, 929, 950, 978, 995, 999, 1005, 1023, 1029, 1033, 1037, 1044f., 1066f. Epirus 54f., 83, 85, 90, 209, 213, 223, 225, 228, 255, 295–97, 353, 357, 362, 388f., 419, 422, 456, 460, 489, 492, 517, 551, 559, 626, 656, 660, 680, 690, 723, 733, 813, 817, 838f., 855, 860, 921, 933, 992, 1033 Epochen 41, 66, 88, 113, 131f., 142, 178, 204, 209, 269, 274, 276, 285, 289, 297f., 318, 335, 339f., 370, 383, 411, 418, 489, 498, 518, 537, 585, 601, 617, 641, 650f., 733, 760, 765, 767f., 795, 815, 828, 840, 858, 868, 871, 959, 1003f., 1006, 1020, 1023, 1026, 1029, 1060 Epos 298–300, 302, 374, 527, 643, 1021 Erbrecht 136, 331f., 370, 495, 511, 599, 747, 818, 951 Erbuntertänigkeit (a. →Bauern [Frühe Neuzeit]) 134, 136, 142f., 437, 540, 853, 951 Erinnerungskultur 56, 95, 242, 300–05, 313, 350, 375, 393, 407, 527, 598, 643f., 650, 789, 923, 1010, 1021 Esnaf 201, 216, 229, 305f., 345, 377, 604, 894 Ethnie, ethnische Gruppe 49, 183, 306–09, 312, 334, 392, 434, 447, 515, 606, 625, 627, 634f.,
642f., 730, 770, 823f., 913f., 958, 966, 1014, 1021 ethnische Säuberung 113, 182f., 231, 310–12, 530, 608, 744, 746, 916, 1064 Ethnogenese 54, 85, 156, 200, 207, 297, 298, 306, 312–14, 337, 352, 539f., 596, 643, 752, 792, 867, 879, 913, 958, 1012 Europäische Gemeinschaft/Europ. Union 77f., 262, 417, 744, 762, 875, 976 Europäische Türkei 79, 111, 155, 314f., 439, 451, 550, 561, 677, 769, 835, 881, 912, 934 Exarch/Exarchat (Bulgarisch) 108, 202, 315–17, 428, 580, 586, 640, 644, 673–75, 724, 935, 978 Eyalet 162, 179, 317, 386, 470, 487, 580, 633f., 720, 749, 800, 812f., 990f., 1011 F Faschismus 124, 175, 262, 264f., 277, 289f., 293, 310, 317–20, 394f., 481, 702f., 711, 731, 786, 874, 895, 948, 987, 1001, 1035, 1045, 1051 Familie (allg.; a. →Erbrecht; Großfamilie) 44f., 51, 78, 136f., 167, 171, 237, 292, 296, 328f., 331, 340, 361f., 376, 416, 435, 463f., 491, 494f., 509, 521, 548, 551, 599, 603, 614, 679f., 722f., 789, 823, 838, 847, 851f., 904, 941, 990, 1021f. Familienstruktur 328f., 331f., 340, 361f., 722 Fernhandel 84, 216, 229, 363, 438, 465, 534, 642, 730, 770, 893, 901 Fetwa 320, 818f., 1057 Feudalismus (allg.) 393, 984 Feudalismus (Byzanz u. ma. Balkan) 42, 320–22 Feudalismus (Osmanisches Reich) 43, 322–24, 380, 426, 492, 678, 758, 883, 936, 1052 Feudalismus (Kgr. Ungarn) 45, 134 (Kroatien), 218,227, 292, 324f. Firman 202, 251, 316, 325, 365, 381, 455, 586, 605, 758, 760, 1057 Fiume →Rijeka/Fiume Föderalismus 106, 826f. Folklore 239, 284, 298–300, 643, 828, 878, 1020– 22 Forint 69, 326 Franken →Lateinerherrschaft Frankreich 41, 71, 84, 95, 111, 113, 115, 154, 157, 189, 227, 239, 261, 273, 333., 356, 369, 383–85,
Orts- und Sachregister
407, 439, 442f., 470, 474, 488–90, 517, 536, 552, 560, 631, 637, 645, 652, 667, 696–98, 705, 709, 745, 748, 792f., 835, 842f., 910, 912, 915, 920f., 963, 978, 999, 1001, 1028f., 1041, 1045 Franziskaner 177, 179, 185, 245, 288, 326–28, 432, 462, 480, 482, 533, 552, 664f., 952, 1057 Frau, gesellschaftliche Stellung 21, 97, 328–31, 354, 418, 517 Frau (Osmanisches Reich) 331f. Frau, rechtliche Stellung 332f., 700 Frauenvereine 328f. Freibauerntum 255, 257 Freimaurerlogen 97, 333–35, 342, 371, 431f. Freimaurer (allgemein) 341, 988 Freimaurer (SO-Europa ohne Kgr. Ungarn) 333f. Freimaurer (Kgr. Ungarn) 334–36, 342, 371, 431f. Freischärler →Andarten; Četnici; Partisanen Freisinger Denkmäler 64, 235, 871, 885 Freistädte, königliche 81, 129, 194, 210, 218, 336f., 427, 634, 655, 659, 669, 877, 893, 901, 906, 939, 1048 Frondienste 142f., 321, 435, 492, 495, 619, 666, 701, 734, 751, 773, 777, 795, 1026f., 1062 Fugger (Bergbaugesellschaft) 154, 656, 1059 Fürstentum Galizien-Wolhynien (Halyč) 156, 197 G Gagausen 64, 156, 269, 337–39, 609, 620–22, 888, 958, 967; Migration 156, 338 Gegenreformation 113, 191, 227, 339–41, 369, 418, 480, 556, 576, 664, 726, 763f., 845f., 850, 868, 871, 890, 952, 960, 979, 1060 Geheimbünde 202, 341, 450, 505, 662, 688, 968, 987, 997f. Geheimbünde (Griechenland) 118, 146, 334, 342f., 405, 594 Gender →Frau; Geschlechter; Gewohnheitsrecht; Patriarchalismus Genossenschaften 104, 136f., 169, 172, 216, 241, 282, 343–45, 485, 874 Gentry (a. →Adel, Ungarn; Bürgertum, histor. Ungarn) 46, 218f., 685 Geschichtspolitik →Erinnerungskultur
Geschlechter Geschäftsfähigkeit 328–31; Geschlechterrollen (Systemtransformation nach 1989) 331 Gespan (a. →Ispán; Župan) 1061 Gespanschaften (a. →Komitat) 129, 506, 544, 572, 861 Gewerkschaften 76f., 131, 266, 345–48, 715, 826, 880 Gewohnheitsrecht (a. →Rechtsgeschichte, Rechts kulturen; Blutrache; Kanun des Leka Dukagjin) 166–68, 279, 282, 292, 331f., 348, 430, 461, 462, 511, 614, 627, 680, 722, 734, 758–61, 822, 856, 904, 950f., 1021, 1050 Glagolica (a. →Alphabete) 64, 82, 178, 192, 200, 225, 236, 245, 494, 540, 857 Glaubenswechsel →Konvertiten Goldene Bulle 45, 59, 348f., 383, 669, 761, 900, 905, 951, 1048 Görz(-Gradisca) 335, 349–51, 372, 408, 418, 428, 476, 528f., 557, 871, 949, 986 Gottschee 256, 277, 351, 529, 871, 969, 1018f. Grenzregelungen 131, 270, 544, 549, 560f., 571f., 580, 587, 618f., 621, 628, 637, 785, 864, 1015, 1043–45 Griechen 47, 58, 63f., 85, 90, 96f., 111f., 146f., 176, 201f., 208, 218, 259, 268f., 297, 299, 312f., 352–55, 391, 421, 434, 439, 452, 493, 511f., 519, 522, 534, 560f., 579f., 585–87, 594f., 598f., 604f., 619, 636–38, 643–45, 654–57, 660, 668, 675, 688, 724, 728, 733–35, 784, 802, 811, 846, 876, 903, 913, 934f., 956, 978, 991, 993, 1023, 1026, 1046, 1048, 1054, 1065, 1067 Griechenland 47, 54f., 58f., 62, 64, 66, 75, 78, 80f., 84f., 90f., 93, 108, 111, 122–25, 137, 146– 48, 155, 159f., 171, 191f., 202, 204, 213f., 217, 223, 261f., 264, 266, 271, 279, 283, 292, 295, 297f., 302f., 318, 329, 331, 334, 342, 345, 347, 355–59, 361, 389, 397f., 405, 414–17, 419f., 422, 424, 438, 443, 451, 459, 479, 481, 490f., 505, 507f., 518, 520–22, 531, 537, 558–60. 562, 567, 571, 579–83, 585–89, 591, 594–96, 598f., 608, 631, 638–40, 644, 653, 656f., 670, 672, 679f., 699f., 704f., 717, 727, 734f., 738f., 783, 787, 792, 797, 810f., 816f., 834, 842f., 877, 881f., 886f., 893, 910, 912, 915, 932–35, 954–56,
1081
Orts- und Sachregister
981f., 984, 994, 996, 999–1002, 1004–09, 1016, 1028, 1030f., 1033–37, 1040, 1046, 1054, 1062, 1067; Albaner 228, 356, 572; Befreiungskrieg 46f., 80, 91, 146–48, 192, 342, 356, 405, 531, 595, 619, 637, 668, 728, 734f., 993, 999, 1023, 1026; Militärdiktatur 266, 347, 358, 705, 877; Sozialstruktur 217; Territorialentwicklung 271, 297, 356f., 531, 811, 934; Währungssystem 283 griechische Sprache 63f., 192, 201, 221, 325, 354, 438, 566, 584, 643, 735, 787, 793, 858, 887, 1026 Griechisches Projekt 156, 354, 359–61, 535, 549, 667, 728, 802 griechisch-osmanischer Krieg (1897) 342, 357, 531, 595, 934 Großbritannien → England Große Orientkrise →Orientalische Krise Großfamilie 68, 136, 168, 170, 281, 328, 331, 361– 63, 376, 603, 722f., 904, 953, 1021 Großgrundbesitz 59, 73, 79, 141, 146, 149, 170– 72, 175, 198, 218f., 321, 393, 427, 460, 463, 487, 496–98, 577, 685, 749, 751, 779, 782, 788, 852, 880, 934, 940 Großmährisches Reich 64, 188, 235, 363f., 692, 857, 867, 971 Großwesir 153, 162, 180, 268, 325, 364f., 381, 396, 426, 455, 473, 514, 673, 719, 724f., 732, 800, 819, 930, 963, 1042, 1057 Gurbet →Kurbet Guruş →Kurusch Gustav Adolf-Werk 576
1082
H Haager Kriegsverbrechertribunal 310, 365–68, 546, 744, 746, 836 Habsburger 45, 128, 189, 198, 241, 339f., 349f., 360, 383, 385, 403, 418, 428, 480, 484, 488, 529f., 541, 544f., 574, 576, 665, 685, 691, 786, 807, 845f., 862, 926, 952f., 959f., 962–64, 973f., 1060 Habsburgermonarchie 41f., 72, 94, 96f., 104, 106–08, 115, 119, 127, 136, 142, 155, 159, 181, 188, 227, 259, 260, 274, 276, 286, 316, 331, 334f., 342, 345, 369–73, 383, 385, 408f., 411,
414, 431, 436, 440f., 447f., 474f., 480, 485, 497, 536f., 542, 545, 567, 575, 599, 601, 607, 630, 642f., 648, 650f., 662f., 673, 675, 683, 693f., 748, 763, 767, 774, 776f., 779f., 792, 805, 810, 831, 835, 850, 863, 872, 874, 905, 913– 15, 919f., 923, 942, 947, 949, 951f., 957, 961, 963, 979–81, 985, 1004, 1018, 1020f., 1023f., 1032, 1059f., 1063; Nationalitätenfrage 106f., 286, 371f., 683–87, 868f., 945f.; Südosteuropapolitik 70f., 273, 360; Ungarn, Eigenstaatlichkeit 285f., 555–57 Haiduken 80f., 114, 139, 145, 216, 298, 373–75, 404,490, 505, 599, 636, 716, 738, 823, 902 Hamam 229, 376, 512, 749, 899 Han (Herberge) 229, 899 Handel 46f., 54, 81, 84, 88, 151f., 157, 164, 179, 188, 194f., 198, 201, 216–18, 229, 233f., 241, 255f., 259–62, 268, 271, 273, 287f., 296, 332f., 353f., 358, 363, 374, 402, 404, 415, 428, 438, 454, 456, 463, 465–70, 483–85, 488f., 512, 534, 549, 565f., 571, 574, 582, 593, 599, 618, 621, 642, 651, 654f., 658f., 662f., 679, 713, 721, 730, 733, 736, 754, 765, 767, 770, 774, 786, 808, 810f., 813, 815, 828, 833, 838, 846, 893f., 896, 898, 901, 939, 942, 953, 981, 986, 991–94, 1003f., 1009, 1026, 1041 Handelsbürgertum 216f., 218f. Händler (a. →Kaufleute) 72, 85, 151, 201, 216, 218, 353, 374, 405f., 463, 469, 484, 516, 599, 602, 648, 679, 731, 733 Handwerk 68, 73, 201, 216, 229, 246, 255, 328, 343, 345, 376f., 404, 401, 663, 896, 982 Handwerker 72f., 75, 81, 84f., 198, 201, 255, 257, 274, 305, 353, 376f., 405, 414, 424, 500, 568, 599, 602, 648, 702, 731, 855, 1021 Harem 332, 365, 377f., 381 Häresien 41, 179, 185, 378–80, 513, 532, 670, 764, 978, 1050 Has 153, 251, 380f., 633, 664, 679, 812, 929, 1053 Hattişerif 202, 381, 553, 676, 930 Hauskommunion → Großfamilien Heerstraße, kaiserliche 150, 382, 579, 876, 1003 Heiliges Römisches Reich 86, 208, 349, 368, 370, 382–85, 418, 428, 476, 528, 574, 748, 759, 861, 870, 906, 912, 960–62, 972f., 1054
Orts- und Sachregister
Heiratsverhalten 281 Heldenlied →Epos Herzegowina 71, 148, 154f., 178–80, 182, 210, 239, 385–87, 412, 422, 424f., 451, 552, 629–31, 638, 669, 679f., 694, 812f., 823, 834, 839, 884, 923, 952, 986, 1005, 1013, 1049 Hesychasmus 92, 387f., 624f. Hetärie der Philikier →Geheimbünde (Gr.) Himara 295, 388f., 489, 656f., 904, 1056 Hirten, Wanderhirten →Transhumanz; Katun; Ius Valachicum Hirtenkultur 85, 291, 353, 362, 374, 483, 489f., 770, 792, 940–42, 1011f., 1021 Historiographie (Mittelalter bis 19. Jh.) 188, 389–92, 922, 1012, 1053 Historiographie (19./20. Jahrhundert) 144f., 179, 185, 214, 216, 232, 273, 275, 285, 297, 306, 309, 313, 392–94, 407, 411, 527, 540, 549, 556, 593, 598, 604, 623, 643, 662, 733, 765, 775, 781, 785, 823f., 913, 954, 969, 1043, 1060 Historiographiegeschichte, marxistische Geschichtsschreibung 136, 321, 324, 392f., 614 Hitler-Stalin-Pakt → Ribbentrop-Molotov-Pakt Hlinka-Garde 265, 394–96, 711, 864 Hofkriegsrat 126f., 396, 418, 496, 601–03, 720, 986 Hofkammer 127, 132, 369, 418, 496, 500, 656, 964 Hohe Pforte 96, 145, 147, 396, 516, 572, 619, 630, 669, 734 Hohenzollern-Sigmaringen 273, 290, 396f., 795, 797 Holocaust 73f., 111, 182, 199, 206, 234, 241, 303, 319, 353, 358, 395, 397–400, 406, 439, 478, 590, 658, 717, 731, 789, 797, 811, 815, 828, 847, 865, 943, 969, 975, 981, 1015, 1019, 1035, 1048, 1059, 1064 Honvéd 782, 974 Horea-Aufstand 139, 400–02, 846 Hospital(l)er →Orden, kath.; Rhodos Hospodar 81, 175, 353, 402, 618, 721, 732–34, 1014, 1025 Hunyadi 151, 402f., 527, 533, 658, 841, 962, 973 Hutterer 68 Huzulen 198, 403f., 477f., 801, 805, 1012
I Iaşi 46, 51, 88, 97, 192, 197, 234, 240, 290, 319, 398, 404–07, 435, 484, 618f., 625, 654, 666, 773, 795, 964, 979f. Ikonoklasmus →Bilderstreit Ilinden 148, 407, 413, 580, 587, 935 Illyrische Provinzen 190, 246, 288, 350, 407f., 428, 476, 517, 529, 574, 628, 786 Illyrismus 408f., 448, 540, 591, 694, 781, 918f., 1024, 1047 Ilmiye 410, 424, 454, 592, 818, 967 Imam 150, 410f., 433, 936, 967 Imperialismus, Kolonialismus 115, 181, 259, 411–13, 501 IMRO 205, 231, 318, 341, 407, 413f., 421, 442, 505, 580, 587, 987 Industrialisierung 62, 74–77, 137, 152, 160, 165, 172, 181, 194, 196, 199, 217–20, 247, 261, 282, 288, 290, 318, 345, 347, 358, 372, 393, 406, 414–17, 444, 463, 508, 575, 581, 585, 599, 614, 652, 709, 737, 790, 793, 795, 798, 847, 851, 874, 880, 895, 975, 979–83, 994, 1005, 1016, 1020, 1022, 1062 Innerösterreich 139, 339f., 350, 369, 383, 417–19, 529, 601–03, 764, 870, 907, 953, 959, 965 Intelligenzia/Intelligencija (a. →Eliten) 42, 73, 76, 96f., 218f., 293, 335, 568, 585f., 756, 793, 974 Interethnische Beziehungen 275f. Inquisition 179, 327, 340, 513 Ionische Inseln 342, 353, 356, 419f., 517f., 558, 562, 565, 599, 668, 921, 992 Irredentismus 71, 80, 247, 265, 297, 341f., 420f., 440, 490, 505, 522, 527, 587, 595, 607f., 638, 662, 686, 772, 834f., 920, 950, 998, 1063 Irreguläre Kämpfer →Partisanen Islam 61, 150, 180, 190, 201, 233, 253, 278f., 322, 380, 410, 421–23, 438, 441, 449f., 481, 514, 524, 534, 550, 636, 644, 738f., 802, 862, 914, 922, 924f., 952, 966, 1020, 1056f.; Heterodoxie 61f., 150, 253f., 513, 924f. 1057; Recht 320, 325, 331f., 381, 454, 461, 514, 592, 604, 611, 760, 817–19, 843, 967, 990, 1056f. Islamisierung 42, 56, 62, 114, 179f., 185, 201, 253, 296, 298, 313, 322, 327, 422, 423–27, 434, 453,
1083
Orts- und Sachregister
1084
513–15, 524, 531, 548, 596, 607, 633, 678–80, 438–440, 441, 460, 472, 478, 484, 493, 511, 738, 757, 801, 811, 814, 853, 883, 914, 924, 938, 513, 519, 564, 578f., 590, 595, 605, 607, 676, 952 678, 683, 688, 712f., 717, 731, 757, 773, 783, Ispán 45, 130, 132, 188, 336, 427, 506, 691, 900, 789, 796, 806, 811, 814f., 827–29, 846–48, 1061 865, 876, 899, 943, 948, 958, 966f., 981, 988, Istanbul → Konstantinopel/Istanbul 1015, 1018f., 1035, 1037, 1048, 1051f., 1057, Istrien 190, 235, 246–248, 287, 349f., 368, 372, 1059, 1064 383, 408, 418, 420, 428f., 476, 495, 528f., 543, Jugoslawien 52, 58f., 66, 74–77, 89, 94f., 119, 545, 557, 644, 686, 737, 759, 761, 791, 862, 124–26, 131, 133, 137, 141, 152, 160, 165, 169, 871, 886, 893, 897f., 949f., 952, 957, 986, 992, 171f., 175, 177, 182f., 186f., 206, 213–16, 231f., 1030, 1061, 1064 247, 249, 261–67, 274, 276f., 293, 302f., 310, Istrorumänen 84, 429, 791, 886, 891, 957, 1012 328f., 331f., 334, 344, 346, 350f., 358, 365, 398, Italien 54, 56, 58f., 64, 70f., 75, 115, 124f., 192, 413, 415f., 423, 428, 439, 440–47, 449f., 459, 211, 214f., 221f., 239, 246f., 260, 271, 290, 310, 462, 471, 477, 481, 488f., 495, 501f., 507f., 315, 318f., 334, 341, 350–52, 357f., 370–72, 379, 517f., 521, 524f., 530, 539, 546, 573, 575f., 579– 382–84, 388f., 398, 413, 419f., 428, 439–41, 82, 585, 587f., 597, 599, 608f., 615, 632, 639f., 443, 450, 468, 475, 477, 484, 488, 518, 525, 643, 646, 648, 653, 674, 697, 702, 706–708, 528, 546, 553, 557, 560, 574, 580, 587, 598f., 717f., 737, 741–743, 745, 749, 754, 772, 787, 609, 632, 652, 662, 671, 690, 692, 697, 703, 789f., 795, 797, 801, 803, 807, 815–17, 824–27, 720, 727, 733, 735, 737, 745, 767, 772, 775, 830, 832, 834–36, 855, 863, 870, 872–75, 879, 780, 783, 786f., 792, 797, 809f., 819, 827f., 881, 884–86, 895, 902, 906f., 912, 915, 920, 835, 842, 860, 862, 870–75, 885, 887, 895, 947, 927, 938, 947–50, 968f., 978, 982f., 987f., 949f., 968, 971, 987, 1007, 1009, 1030, 1034f., 996f., 1001–02, 1005–07, 1010, 1014–19, 1028, 1043, 1046, 1051f., 1064 1034–37, 1040, 1047–48, 1054, 1064 Italo-Albaner 54, 56, 598, 887 Jugoslawismus 52, 103, 247, 265, 412, 440f., Ius Valachicum 429–31, 590, 602, 761, 792, 1011, 447–49, 541, 639, 643, 659, 663, 686, 707, 1013 918f., 946 Jungbosnier 94f., 181, 450f. J Junge Muslime 182, 449f., Jakobiner 335, 431–33, 974 Junges Bosnien 450f., 663 Janitscharen 47, 91, 145, 150, 180, 192, 242, 317, Jungtürken 57, 65, 70, 81, 204, 271, 334, 347, 413, 433f., 456, 471, 493f., 534, 538, 811, 815, 831, 451–53, 505, 524, 587, 811 853, 883, 930f., 941, 963 Jürüken 237, 453f., 888 Jassen 63, 404, 434f., 578, 902 Jesuiten 192, 339, 418, 424, 480, 482, 487, 665, K 693, 764, 868, 979, 1048 Kadi 153, 229, 251, 317, 323, 325, 410, 454f., 487, Jobagyen 45, 144, 348, 435f., 663, 854, 900, 951 592, 724, 749, 758, 818, 843, 936f., 967, 1011 Johanniter 258, 271, 533, 661, 664, 783, 841 Kaimakam 325, 455, 990, 1011, 1042 Josephinismus 42, 96, 140, 142, 165, 190, 335, 339, Kaiserreich v. Nikäa 54, 90, 222f., 296, 455f., 369, 371f., 400, 418, 431, 436–38, 481, 498, 545, 559, 626, 690, 838, 855 576, 651, 788, 808, 846, 850, 871, 974, 985 Kaiserreich v. Trapezunt 222f., 456f., 494, 509f., Juden (a. →Aschkenasim; Sephardim) 72–74, 626 88f., 111, 128, 133, 141, 151f., 155–57, 165, 182, Kaisertum (Byzanz) 223f. 191, 198f., 206, 218, 234, 240f., 269, 278f., 309, Kalendersystem →Zeitrechnung, Kalendersystem 315, 353, 358, 379f., 395, 397–99, 406, 422,
Orts- und Sachregister
Kalter Krieg 214, 262, 298, 457–60, 501, 594, 803, 950, 955, 995, 1006 Kandischer Krieg 246, 426 Kantakuzenen 176, 195, 223, 255, 387, 389, 460f., 491, 612, 728, 897, 934, 1026 Kanun 454, 461, 611, 760, 818f., 843, 883, 929 Kanun des Leka Dukagjin 166, 331, 462f., 761, 904 Kapitalismus 76, 114, 135–37, 216, 218, 259, 318, 343f., 393, 463f., 741, 880, 900, 948, 985, 1002 Kapitalistisches Weltsystem (Frühe Neuzeit) 53, 114, 464–69, 677, 954, 992, 1003 Kapitulationen 468, 469f., 485, 516, 552f., 561, 565, 605, 721, 1057 Kapudan Pascha 153, 268, 381, 470f., 1066 Karadjordjevići 94, 145, 147, 197, 242, 264, 334, 440, 442, 471f., 637, 639, 659f., 707, 729, 831, 833, 835, 884, 919, 988 Karaimen 438, 472, 534 Karakatsanen →Sarakatsanen Karantanen 108, 476, 860, 871, 918, 971 Karantanien 235, 476, 692, 870f., 906 Karaschowaner 244, 472f. Karlowitz, Friede v. (1699) 108, 127, 129, 132, 257, 273f.,108, 127, 129, 132, 257, 273f., 370, 470, 473f., 496, 552, 556, 573, 677, 720, 728, 862, 926, 951f., 963 Karlsbader Beschlüsse 474, 1023 Kärnten 68, 108, 139, 212, 235, 256, 349–51, 368, 372, 408, 417f., 428, 432, 475–77, 528f., 602, 692, 809f., 860, 870–74, 885, 906f., 918, 949, 971 Karpato-Ukraine 275, 398, 403, 477–79, 578, 712, 801, 805, 888, 947, 977, 1043f. Kasaba 898 Katalanen 91f., 479f., 580, 839, 933 Katholizismus, Katholiken 41f., 64, 66, 73, 81, 93, 111, 129, 132f., 158, 178–81, 185f., 190, 210, 227, 239f., 246, 326f., 335, 339, 369–71, 386, 389, 396, 423, 429, 437, 441, 448, 472, 480– 82, 496, 513–15, 536, 539f., 542, 548, 552f., 558, 564f., 571, 573, 576, 595, 605, 625, 630, 645, 664f., 670, 672, 674, 678, 683, 686, 711, 713, 726f., 748, 759, 763f., 781, 796, 814f., 820f., 845f., 850, 855, 864, 868f., 872, 904, 914, 924,
952, 968, 972, 977, 988, 1020, 1046, 1050, 1054, 1056f., 1065 Katun 429f., 483, 737, 903, 1012 Kaufleute (a. →Händler) 81, 85, 114, 146, 151, 154, 179, 216f., 229, 255, 288, 305, 334f., 352, 354, 374, 382, 469, 483–86, 549, 564, 566, 591, 599, 615, 642, 654f., 679, 704, 788, 1021, 1048, 1050, 1057, 1059 Kaymakam →Kaimakam Kaza 454f., 487, 493, 633f., 679, 736, 800, 1011 Ketzer →Häresie Kiewer Reich 156, 197, 534, 554, 730 Kisalföld 487, 939 Kizilbaş →Aleviten Kleine Entente 261, 442, 488f., 915 Kleine Walachei →Oltenien Klephten 81, 114, 145, 147, 298, 342, 356, 374f., 489–91, 599, 716, 823 Klientelsystem 147, 265, 292, 317, 491f., 519–21, 702, 704, 853, 1001, 1007f. Klokotnica 90, 209, 224, 296, 492 Klöster 66, 81, 92f., 97, 143, 165, 195f., 208, 230, 235, 245, 256, 271, 288, 316, 321, 323, 327, 387, 405, 460, 509, 527, 536, 597, 612, 619, 623–25, 649, 664, 671f., 674, 680, 721, 726, 732, 737, 792f., 795, 837–40, 853, 857f., 862, 871, 878, 907, 925, 939, 941, 977, 990, 1025f., 1061 Kmeten 136, 171, 492f., 495, 737 Knabenlese/Devşirme 365, 425f., 433, 493f., 514, 679f., 801, 853, 899, 1057 Knez 146, 204, 246, 280, 430, 494f., 519f., 661, 680, 737, 792, 832, 904 Kollaboration, Kollaborateure 49, 172, 214f., 228, 232, 266, 319, 358, 397, 411, 443, 449, 452, 490, 525, 535, 538, 654, 717, 731, 798, 968, 1035–37, 1052 Kollektivierung →Bodenreformen Kolonen (Kolonat) 43, 134, 136, 171, 246, 495f. Kolonisation (20. Jh.) 133, 168, 171, 357, 524, 597, 1014 Kolonisation (Mittelalter) 63, 240, 256f., 351, 377, 476, 590, 598, 792, 844f., 849, 870f., 900, 907, 956 Kolonisation, Kolonistenrechte 128, 139f., 198, 257, 269, 274f., 307, 338, 377, 411, 496–501,
1085
Orts- und Sachregister
1086
511, 578, 654, 673, 679, 761, 821, 940, 965, 1014 Kolonisation, Osmanisches Reich 62, 269, 426, 679 Kominform, Kominformkonflikt 59, 119, 262, 346, 443, 458f., 501–03, 508, 588, 708, 803, 824, 950, 955, 996, 1010, 1016, 1028 Komintern 119, 205, 413, 501, 503–05, 507, 585, 711f., 803, 881 Komitadschi 231, 341, 505f. Komitat 45, 69, 126–32, 211, 220, 274, 336, 401, 427, 437, 496, 498f., 506, 510, 544f., 590, 655, 657f., 669, 683, 691, 719, 748, 761, 792, 795, 821f., 845, 849, 861f., 867, 900, 906, 926–28, 940, 947, 974, 989, 1012, 1014f., 1047f., 1059 Kommunismus 60, 62, 76, 141, 161, 167, 187, 206, 215, 264f., 293, 298, 302f., 345, 362, 393, 443f., 481, 502–04, 507–09, 569, 579, 670, 675, 703, 708, 710, 715, 740, 824f., 865, 881f., 920, 937f., 939, 948, 975, 996, 1002, 1008, 1016f., 1037 Komnenen 90, 178, 222, 245, 295f., 388f., 456, 492, 509f., 554, 660, 690, 730, 751, 831, 992, 1066 Komplexe Familienformen →Großfamilie Königsboden 256, 258, 510f., 658, 763, 777f., 808f., 844–46, 849f. Königsdiktatur 181, 205, 264, 290, 298, 318f., 397, 442, 639, 699, 706, 709, 797, 874, 987, 1001 Konstantinopel/Istanbul 46, 53, 71, 79, 81, 87, 90, 92, 96, 108, 110, 113, 114, 122, 150, 155, 192, 196, 198, 201f., 207f., 221–25, 229, 234, 236, 254, 260, 268, 273, 279, 296, 315f., 326, 341f., 352f., 356, 359f., 377, 382, 410f., 438f., 451f., 455f., 460f., 467f., 470, 479f., 487, 492f., 510, 511–13, 533f., 536, 549, 552, 558f., 561, 565, 571, 592–95, 599, 618, 624, 630, 640, 660, 670–75, 677, 679, 688, 690, 694, 696, 721, 723–25, 728, 730, 732–35, 739, 752, 758, 768, 771, 784, 794, 800, 802, 811, 818–20, 828f., 833f., 838f., 841f., 852, 857–59, 892, 896, 918, 923, 932, 941, 961, 964, 978f., 981, 990, 992, 994, 1003, 1005, 1007, 1009, 1026, 1031, 1054, 1057 Konstantinopel, Patriachat v. →Patriarchat v. Konstantinopel
Konstitutionalismus →Verfassungen Konvention v. Akkerman →Adrianopel (Friede von) Konvertiten 114, 180, 185, 192, 278f., 308, 322, 422, 424–26, 438, 513–16, 531, 547, 565, 607, 646, 679, 738, 814, 938, 977 Kopfsteuer 79, 251f., 470, 499, 516, 548, 555, 633, 678, 738, 757, 1057 Kordun 129, 517, 530, 546, 601, 743, 884 Korfu 296, 334, 342, 388, 419f., 440, 517f., 558, 656, 788, 835, 896, 1030, 1046 Korruption 60, 183, 202, 206, 442, 491, 518–23, 546, 584, 632, 799, 931 Kosovo 48–50, 52, 54, 56, 58f., 62, 75, 78, 111, 114, 119, 122f., 154, 159, 161, 166, 168, 170f., 231, 254, 262f., 281, 311, 315, 328, 361, 367, 381, 407, 423, 426, 442–45, 462, 472, 481, 496, 518, 523–26, 548, 570–72, 580, 582f., 587, 597, 599, 609, 615, 624, 630, 632, 639, 640, 644, 649, 679, 716, 742, 745, 749f., 790, 804, 813, 830, 832, 834–36, 838f., 887, 891, 912, 923, 937, 983f., 996–98, 1008, 1015, 1034 Kosovokrieg (1998/99) →postjugoslawische Kriege Kosovo-Mythos →Kosovo polje; Vidovdan Kosovo polje 55, 299, 303, 423, 524, 527f., 591, 650, 677, 840, 1010, 1014, 1030 Kotromanići 70, 178, 327, 1049 Krain 139, 256, 349, 351, 372, 408, 417f., 432, 476f., 528f., 530, 574, 602, 763f., 781, 861, 871, 873f., 885, 890, 949, 1005, 1034 Krajina 129f., 248, 311, 367, 445, 517, 530f., 546, 573, 602, 742–44, 863, 914, 937, 953 Kremsier, Reichstag von 371, 650, 919 Kremsier, Verfassungsentwurf von (1849) 104, 781 Kreta 63, 81, 122, 148, 166, 222, 246, 342, 352–54, 356–58, 381, 388, 426, 438, 451, 470, 490, 531f., 558, 595, 598f., 668, 672, 788, 811, 828, 956, 977, 992, 1009, 1031, 1033f., 1054 Kreuzzüge 43, 54, 92, 114, 139, 151, 185, 188, 222, 239, 258, 282f., 295, 352, 379, 382, 455f., 480, 489, 511, 531, 532–34, 558f., 565, 580, 598, 664, 677, 724, 783f., 820, 838, 932, 977, 991f. Krim 156, 198, 221, 269, 360, 472, 534–36, 549,
Orts- und Sachregister
593, 618, 654, 792, 797, 800–02, 804, 857, 922, 958, 964, 967 Krimkrieg 156, 234, 269, 273, 314, 356, 536–38, 566, 593, 618, 652, 668, 696, 802, 833, 931, 967, 1004 Krimtataren 538f., 654, 932 Kroaten 64, 101f., 106, 119, 124, 130f., 177f., 180–83, 186f., 211f., 215, 232, 236, 247–49, 264, 267, 275, 286, 298, 303, 310, 313, 319, 344, 366, 383, 386, 389, 391, 408f., 423, 437, 440f., 444, 447f., 450, 471, 477, 481, 488, 517, 530, 539–543, 573, 575, 592, 598, 603, 639f., 642f., 645f., 653, 662f., 686, 689, 694, 707, 743f., 749, 764, 774–77, 779, 781f., 787, 795–97, 809f., 815, 821, 835, 861–63, 873, 884, 886, 892, 913f., 917–19, 927, 938, 946, 957, 964f., 968f., 974, 987f., 996, 1012, 1014f., 1048, 1061; Herkunftstheorie 43f., 539f. Nationsbildung 181f., 448, 541f., 706 Kroatien 42, 44, 52, 66, 70, 74, 78, 101f., 107, 111f., 126, 129–31, 134, 139f., 143, 159, 170f., 178–82, 210, 216, 219, 231, 244–49, 256, 262, 280, 287, 299, 361f., 366f., 372, 385f., 390, 399, 403, 408f., 428, 430, 432, 438, 441–445, 448, 474, 481f., 485, 492, 494, 506f., 515, 517f., 528, 530, 539–41, 543–47, 551, 555, 568f., 572, 574, 576, 578, 601f., 608, 634, 642, 651, 679, 683, 686, 693f., 700, 706–08, 725, 742–44, 759f., 774–76, 779, 781f., 786, 789, 806f., 821, 830, 853, 861–63, 870, 874, 884–86, 890, 901, 903, 907, 912, 914f., 918f., 926f., 946f., 951–54, 959f., 962, 968f., 972, 974, 977, 983–85, 987f., 996, 998, 1015, 1034f., 1047f., 1061f.; Bauernaufstände 78f.; Staatsrecht 102f., 129, 541f., 545, 642f., 689, 706, 760, 774f., 807, 945f. Kroatienkrieg (1991–95) →Postjugoslawische Kriege Kroatische Bauernpartei 107, 211, 247, 344, 440, 442, 542, 706f., 741, 874, 884, 968 Kryptochristen 422, 425f., 513, 547–49, 925 Kryptojuden (a. →Dönme) 422, 438 Küçük Kaynarca, Friede v. (1774) 197, 273, 360, 470, 484, 535, 549, 552, 593, 654, 802, 953, 964 Kulturgeographische Zonen 115, 550–52, 722, 914, 1020
Kultusprotektorat 469, 536, 549, 552f., 665, 667, 802 Kumanen 63, 87, 156, 209, 224, 258, 313, 337, 424, 435, 460, 472, 509, 553f., 578, 626, 661, 691, 730, 879, 902, 929, 932, 958, 967, 973 Kuna 555, 862 Kurbet (a. →Pečalba; Wanderarbeit) 75, 328, 376, 599 Kurusch 53, 555, 696 Kuruzzen 370, 555–57, 850, 973 Küstendil (a. →Velbužd) 453, 591, 812, 839, 878, 991 Küstenland 179, 210, 350, 372, 428, 529, 543, 557, 575, 830f., 840, 870f., 873f., 901, 953, 998 Kyrillica (a. →Alphabete) 111, 225, 236, 245, 338, 737, 793, 887 L Landflucht 137, 160, 238, 323, 895, 938 Landler (Siebenbürgen) 846, 850 Landnahme →Slavische L.; Ungarische L. Landtag, kroatischer →Sabor Landtag, ungarischer →Országgyűlés Landwirtschaft (a. →Bauern; Kmeten; Kolonen) Eigentumsstruktur 170–73, 237f.; Geschlechterrollen 328f. Lateinerherrschaft 90–92, 114, 223, 321, 326, 352, 456, 511, 534, 557–59, 565, 589, 728, 784, 811, 933, 992, 1066 Lateinisches Kaiserreich 222, 296, 511, 533, 559f. Lausanne, Friede v. (1923) 91, 93, 171, 228, 250, 271, 279, 311, 315, 353, 357, 422, 531, 560–62, 580, 594, 668, 697, 724, 739, 843, 934f., 981, 1031, 1064 Lazarevići 151, 527, 577, 650, 736, 840, 1056 Lek 562 Lepanto 470, 474, 562f., 961, 964, 1066 Leu 127, 563f., 795 Lev 564 Levante 110, 314, 466f., 470, 484, 564, 768, 991f. Levantiner 224, 485, 512, 564–67, 599 Liberalismus 97, 218, 347, 371, 475, 567–71, 648, 706, 709, 872 Liedgut 298–300, 374, 432, 527, 793, 942, 1021f. Liga von Prizren 56, 524, 571f., 631
1087
Orts- und Sachregister
Lika 210, 530, 546, 572f., 601–603, 743, 884 Lipowaner 68, 573f. Littorale →Küstenland Ljubljana/Laibach 51f., 139, 408, 476, 528f., 557, 574f., 592, 764, 780f., 871–74, 885, 979f., 984, 1023, 1034 Lutheraner 68, 227, 239, 339, 379, 575f., 678, 763f., 796, 808, 845, 849f., 868, 959, 972 Luxemburger 70, 383
1088
M Mačva 151, 576f., 838, 840 Magnaten 45, 126, 246, 348, 403, 426, 480, 517, 577f., 669, 691, 726, 737, 906, 973 Magyaren 73, 100, 106f., 128, 130, 133, 193, 208, 211, 235, 240, 275, 281, 286, 313, 324, 389, 421, 477, 480, 578f., 678, 693, 697, 730, 740, 764, 771, 779, 793, 796, 810, 869, 873, 888, 900, 908, 910, 928, 945, 947, 958, 971–74, 1014, 1024, 1044f. Magyarische Landnahme →Ungarische Landnahme Magyarisierung 89, 210f., 276, 477, 578, 592, 638, 643, 658, 685, 778, 847, 850, 892, 944, 1015, 1035 Mahalle 229, 894, 898 Mähren (inklusive Großmähren; a. →Großmährisches Reich) 68, 88, 208, 363, 372, 403, 485, 573, 684, 692, 857–59, 864, 867, 965, 971 Makedonien (Region) 48, 59, 61f., 75, 80, 84f., 111, 122, 148, 155, 166, 168, 170f., 203–05, 208f., 224, 231, 236, 238, 243, 316, 323, 328, 342, 357f., 376, 398, 407, 413, 423f., 426, 438, 441, 451, 453, 460, 479, 481, 490, 504f., 523f., 551, 554, 561, 570, 572, 579–81, 584, 586, 591, 639, 644, 646, 674, 677, 681, 704, 789, 813, 816, 834f., 838–40, 860, 876, 878, 918, 932, 938, 958, 978, 981, 991, 998, 1008, 1030, 1034 Makedonien (Republik) 49f., 52, 54, 56, 62, 78, 83, 108, 159, 161, 187, 358, 361, 413, 421, 424, 442, 445, 481, 508, 518, 581–84, 588, 640, 660, 674, 708, 738, 745, 790, 830, 843, 855f., 860, 878, 882, 886f., 890, 912, 938f., 956, 984 Makedonier 222, 309, 413, 441, 443, 448, 581, 584–86, 587f., 607, 644f., 660, 855, 860, 886, 913, 917, 939, 978
Makedonische Frage 71, 114, 122, 155, 204, 231, 316, 342, 413, 421, 504f., 580, 582, 586–88, 608, 615, 639, 644, 876 Malta 565, 783 Malteserorden 783 Mameluken 271, 534, 783, 1006 Maniaten 589, 613, 680 Manichäismus → Bogomilen Maramureş (Marmarosch) 256, 403f., 589f., 618, 657, 719, 792, 795, 844 Martolosen →Armatolen/Martolosen Matica 409, 541, 591f., 869 Mediengeschichte 190–93 Medrese 229, 410, 512, 592f., 732, 899 Meerengenfrage 46f., 115, 260, 549, 561, 593f., 668, 696, 802, 841, 843, 1030 Megali Idea 356, 421, 490, 560f., 594–96, 638 Meglenorumänen 84, 596, 791f., 886, 891, 1012 Metohija 123, 523–25, 597, 632, 750 Migrationen (ohne →Studentenmigration; Zwangsmigration) 43, 54–56, 62, 72, 77f., 80f., 84, 88, 109, 113, 118, 120, 131, 156, 158f., 179f., 198, 201, 203, 210, 220, 242, 244, 247, 255, 257, 269, 275, 307–09., 312f., 324, 351–54, 358, 390, 406, 424, 439f., 473, 484, 496–98, 500, 524, 527, 540, 565f., 578, 585f., 597–600, 607f., 622, 648, 662, 673, 726, 730, 734, 748, 771, 787–90, 792, 794, 798, 801, 811, 817, 828, 830f., 834f., 847f., 851, 859–61, 868, 879, 887, 898, 900, 913, 923, 926, 928, 939, 949, 964, 966, 983, 994, 1014, 1022, 1052, 1063f. Militärgrenze 44, 66, 102, 111, 126f., 129, 132, 134, 139, 216, 361, 369, 374, 408f., 418, 430, 437, 498, 517, 530, 540f., 545f., 573, 598, 601–03, 654, 658, 761, 776, 846, 862f., 868, 907, 914, 927, 951, 953f., 959, 962, 969, 974, 977, 1013, 1020 Millet 114, 202, 331, 338, 423, 454, 469, 512, 534, 564, 580, 586, 604–06, 676, 724f., 760, 784, 894, 1021, 1057 Minderheitenpolitik 310, 354, 622, 796, 798 Minderheiten, Minderheitenschutz 49f., 61f., 72–74, 81, 83, 85, 104, 107, 151, 155, 157, 165, 168f., 171, 178, 199, 206, 212, 228, 240f., 243, 259, 266, 276f., 290, 318, 326, 353–55, 421, 423,
Orts- und Sachregister
445, 472, 477f., 481, 512, 524, 546, 561, 578, 582f., 588, 590, 606–611, 621–23, 635, 638f., 656f., 683–85, 687, 697, 702, 704, 710, 712f., 718, 739f., 748, 782, 787, 789f., 796, 801, 810, 815, 847f., 850–52, 870f., 873, 887, 906, 914, 925, 935, 939, 943f., 947f., 957, 967, 1001, 1014, 1018, 1021, 1043, 1045, 1048, 1063f., 1067 Miri 237f., 322, 381, 611f., 633, 757, 883, 930, 936, 990 Mistra 470, 589, 612f., 728 Mitteleuropagedanke 259–61, 550 Mitteleuropäischer Wirtschaftstag 261 Mlada Bosna →Junges Bosnien Modernisierung 67, 73, 84, 102f., 115, 136, 143, 152, 167, 172, 181, 205, 217, 219, 246f., 259, 265, 290, 298, 340, 356, 362, 370, 372, 375, 385, 408, 414, 442, 464, 499f., 506, 519, 566, 568, 570, 574, 595, 613–17, 619, 630, 648, 651, 666f., 677, 704, 715, 733f., 741, 755, 765, 789, 795, 833f., 846, 890, 898, 910, 954, 974, 979f., 982, 994, 1005–08, 1024, 1051 Mohács (Schlacht von) 131, 151, 188, 544, 617f., 678, 821, 845, 849, 913, 962, 973, 1059 Moldau 44, 51, 81, 88, 92, 98, 111f., 139, 141, 143, 146, 156, 175f., 190–92, 198, 234f., 239–41, 244, 272f., 315, 353, 356, 360, 391, 402, 404–06, 435, 439, 474, 484, 487, 493, 550, 563, 590, 607, 618–20, 625, 638, 665f., 674, 678, 696, 733f., 771, 773, 778, 788, 792–95, 797, 802, 844, 853, 886f., 926, 943, 981, 1000, 1014, 1025f. ; Bukowina als Teil der M. 240; Katholizismus 239f.; Magyaren 239f. Moldau (Republik) 64, 78, 81, 157, 159, 337f., 518, 608f., 620–22, 623, 640, 796, 804, 886, 888, 891, 912, 914, 943, 983f. Moldauer 96, 156f., 198f., 234, 239f., 620, 622f., 792, 913f., 943 Moldova, Moldawien →Moldau (Republik) Mönchtum (orthodoxes) 92f., 97, 163, 387, 389, 391, 527, 618, 623–25, 672, 723, 760, 857 Mönchtum (römisch-katholisches) → Franziskaner; Jesuiten; Orden (katholische) Mongolen 47, 53, 81, 87, 156, 193, 209, 223, 251, 256, 336, 434, 456, 534, 538, 554, 590, 625–27, 658, 841, 900, 929, 932, 958, 966, 973, 1058
Montenegriner 239, 441, 443, 525, 571, 627–29, 630–32, 637, 639, 736, 802, 813, 823, 836, 886, 903, 913f., 917f., 941, 1014 Montenegro 52, 54, 56, 58, 75, 81, 111, 119, 122f., 148, 154f., 159, 166, 177, 181, 191f., 230f., 238f., 247, 315f., 334, 357, 361, 385f., 390, 440, 443–45, 450, 481, 496, 521, 571f., 580, 627–29, 630–33, 638–40, 669, 674, 679, 706, 708, 718, 722, 729, 736f., 744, 750, 803, 812f., 823, 830, 834, 836, 838, 856, 885–87, 903–05, 912, 915, 923, 952, 981, 981, 984, 987, 994f., 998f., 1001, 1008, 1013, 1030, 1034, 1055; Hauptstädte 230, 736 Morea →Peloponnes Morlaken →Vlachen Müfti 320, 410, 813, 818, 1011, 1057 Mülk 611, 633, 990 Müschir →Vali Muslime →Islam Mythos →Kosovo polje; Erinnerungskultur N Načertanije 118, 420, 638, 833 Nádor →Palatin Nahiye 62, 487, 511, 633f., 1011 Narodna Odbrana →Vereinigung od. Tod Nation (allg.) (a. →Ethnie; Minderheitenschutz; Nationalstaatenbildung; Nationsbildung) 72–74, 310f., 540, 634–636 Nationalgeschichtsschreibung 297f., 312f., 407, 944 Nationalitäten(politik) →Österreich-Ungarn; Minderheiten Nationalitätenfrage, Österreich-Ungarn 100, 103–07, 211, 219, 286, 351, 372, 684–86, 689, 766, 779, 847f., 873, 892, 945, 974 Nationalsozialismus 205, 261f., 265, 276, 318, 319, 351, 398, 399, 439, 443, 703, 712, 851, 895, 915, 948, 987, 1001, 1018, 1035, 1043, 1045, 1064 Nationalstaatenbildung 51, 62, 112, 114, 140, 144, 151, 165, 260, 298, 301, 313, 315, 331, 392, 420, 500, 520, 522, 586, 614, 635, 636–41, 668, 889, 914, 916, 979, 999, 1021, 1029, 1064 Nationalstaatsgründung 342f., 640, 892, 1021
1089
Orts- und Sachregister
Nationsbildung 57, 97, 112f., 115, 145, 165, 180, 182, 186, 201, 203, 239, 259, 292, 296, 298, 300, 307–09, 316, 318, 341, 352, 391, 393, 420, 423, 437, 448, 506, 522, 540, 568, 573, 584, 606f., 609, 632, 635, 637, 641–47, 671, 693, 706, 761, 781, 793, 802, 815, 832, 871f., 889, 913, 918, 928, 981, 1010, 1063; Albaner 57, 572, 644; bosnische Muslime (Bosniaken) 187, 448, 481, 644, 918; Bulgaren 201–03, 316, 522; Griechen 352, 522, 644; Kroaten (u. a. in Dalmatien) 180, 245–48, 343f., 409, 481, 540–42, 545, 706, 918; Makedonier 581, 584, 587, 644, 918; Montenegriner 632, 918; Rumänen 97, 165, 242f., 643f., 793, 846; Serben 165, 248, 448, 481, 644, 832, 918, 1010; Slowaken 592; Slowenen 448, 529, 781, 871f., 918 Nationsuniversität →Siebenbürger Sachsen; Sachsengraf Nazarener 175, 647f. NDH →Unabhängiger Staat Kroatien Nekrasovcy 648f. Nemanjiden 54f., 92, 209, 224, 236, 239, 287, 296, 303, 391, 480, 494, 524, 527, 541, 597, 624, 649f., 673, 725, 736, 753, 760, 813, 831, 837–40, 855, 923, 991, 1049, 1056, 1061 Neoabsolutismus 99f., 106, 132, 143, 370, 372, 377, 409, 511, 541, 650–52, 656, 706, 775, 777f., 809, 846, 869, 919, 974 Nepotismus →Elite(n); Korruption; Klientelsystem Neuilly-sur-Seine, Friede v. (1919) 205, 269, 357, 580, 652f., 697, 796, 935 Neurussland 118, 354, 360, 535, 654f., 667 Niederlande 41, 66, 96, 112, 159f., 335, 371, 383, 470, 473, 484, 656, 720f., 748, 827, 910, 912 Niederungarn 655 Niederungarische Bergstädte 153, 256, 337, 655f., 659, 867f., 901 Nomaden, Halbnomaden →Reiternomaden; Jürüken; Sarakatsanen; Transhumanz Nomadismus, Ungarn 281, 578 Nordepirus 297, 389, 656f. Nösnerland 510, 657f., 849, 851 1090
O Oberungarische Bergstädte 256, 576, 658, 867f., 901, 962, 982, 1058 Oberungarn 68, 153, 191, 219, 550, 556, 575f., 655, 658f., 711, 763f., 862, 901f., 947, 982 Obrenovići 141, 145f., 471, 520, 522, 631, 638, 659f., 831–35, 920, 997, 1000 Ofen →Budapest Ohrid, Erzbistum v. 108, 209, 223, 236, 624, 660f., 673–75, 724f., 753, 858 Ökumenisches Patriarchat →Patriarchat v. Konstantinopel Oltenien 126, 661f., 721, 773, 841, 844, 963, 1025–27 Oltremare →Venedig, Überseereich Omladina 662f., 834 Oppidum 63, 282, 336, 496, 663f., 900–02 Orden, katholische 177, 179, 185, 192, 220, 245, 258f., 271, 288, 326–28, 339, 390, 418, 424, 432, 462, 480, 482, 487, 533, 536, 552, 625, 661, 664f., 693, 737, 764, 783, 841, 868, 952, 979, 1048, 1057 Organische Statute 126, 273, 402, 619, 662, 665f., 688, 1000, 1026 Orientalische Frage 46, 115, 145, 154f., 273, 314, 360, 405, 537, 593, 636, 644, 667f., 669, 801f., 914, 964, 1004 Orientalische Krise 115, 140, 148, 155, 180, 202, 204, 231, 269, 386, 593, 631, 638, 668, 669, 795, 813, 834, 876, 931, 1064 Országgyűlés 45, 69, 99, 102, 283, 337, 506, 545, 577, 634, 656, 669f., 691, 714, 747, 779, 782, 807, 864, 906, 950, 974 Orthodoxie (und Nationalkirchen) 64, 66f., 73, 93, 97f., 107f., 111, 113, 151f., 158, 163f., 174f., 180f., 186, 201, 204, 221–25, 236, 290, 293, 296, 316, 337f., 356, 386, 390f., 423, 425, 444, 448, 480f., 484, 512f., 533f., 536, 549f., 552, 558, 565f., 573, 576, 583, 590, 595, 605, 618, 623–25, 634, 640, 645, 648–50, 661f., 667f., 670–76, 678, 694, 704, 721, 723–26, 733, 757, 760, 776, 784, 792, 794, 796, 798, 802, 809, 814f., 819, 831, 834, 846, 914, 924, 927, 937, 952, 958, 968, 977f., 994, 1011f., 1020, 1025, 1046, 1050–52, 1054, 1057, 1065f.
Orts- und Sachregister
Osmanen (Dynastie und [muslim.] Reichsbewohner) 55f., 61f., 69, 91–93, 114, 128f., 131f., 145–47, 151, 179, 188, 194–96, 198, 223, 225, 230, 239, 246, 269, 271, 275, 282, 296, 313f., 327, 339, 342, 348, 360, 369, 382, 386, 388, 402, 405, 438, 456, 462, 471, 474, 480, 487, 489, 493f., 496, 498, 517, 524, 527, 529–31, 533, 544, 556, 558, 562f., 572, 576f., 580, 589, 591, 599, 613, 617f., 624, 627, 630f., 639, 654, 659, 661, 676f., 679, 690, 720, 728, 736, 738, 753, 768, 771, 783, 788, 813, 831, 833f., 839–41, 845, 853, 860, 867, 886, 901, 903, 914, 921–23, 930, 936, 952, 957–59, 961–64, 973, 981, 986, 992, 1014, 1026, 1056 osmanische Sprache 325 Osmanisches Reich 42, 46f., 50, 53f., 56–58, 63, 66, 70, 79f., 92, 110, 113f., 116, 122f., 126, 134f., 140f., 143, 145f., 148, 150f., 153–56, 162, 165, 167, 180, 191f., 197, 201f., 212, 216, 223, 237, 242, 251, 253, 259, 267, 269, 271, 273, 278f., 288, 296, 298, 313f., 316f., 320, 322, 325, 331–33, 338, 347, 353, 357, 359f., 365, 368, 375–77, 380, 390, 396, 402, 405, 407, 410f., 413, 421f., 424, 438f., 451–54, 465–70, 473f., 483, 487, 490, 492f., 496, 505, 511, 514, 516f., 519, 522, 524, 534–36, 538, 545, 549f., 552, 555, 564–67, 571, 573, 577, 580, 586f., 592f., 595, 598f., 601, 604, 607, 611f., 619f., 627–31, 633f., 636, 638–40, 644, 648, 659f., 662, 667–69, 676, 677–82, 688f., 696, 716, 720f., 724f., 733f., 737f., 757, 767–69, 773, 783f., 795, 801f., 811, 813, 818, 827f., 831f., 834f., 840–42, 853, 861f., 893, 899, 903f., 913f., 922, 924, 930–32, 934, 936, 951, 953, 957, 959, 961, 964, 967, 973, 979, 981, 987, 990, 993f., 999, 1003–05, 1013f., 1020, 1023, 1025f., 1030f., 1042, 1054, 1057, 1060, 1062f., 1066f.; Agrarverfassung 148, 170, 237f.; Albaner 55–57; Christen (Rechtsstellung) 202, 252f., 381, 516, 548f., 552f., 604f., 672f., 1056f.; Dubrovnik 288; europäischer Teil 314f.; Feudalismus 322–24, 380f., 936, 1052f.; Frauen 331f.; Griechenland 122f., 342, 356f., 594f., 934; Landwirtschaft 237f., 611f., 633; Reformpolitik 51, 80, 180, 333, 381, 386, 434, 454, 531, 538, 604, 667, 677, 815, 930f.,
980, 1011, 1066; Sozialstruktur 216, 237f.; Sozialverfassung 322–24; Sprachenpraxis 325; Staatsverwaltung 114, 250f., 267f., 281, 325, 353, 364, 496, 604, 929f., 989, 1013, 1021, 1055; Stadtkultur 898–900; Steuersystem 305f., 317, 516, 929f.; Urbanisierung 179; Verwaltungsgliederung 317, 487, 604f., 633f., 812, 1011; Wirtschaftsstruktur 216 Österreich 41, 59, 79, 88, 95, 102–07, 114, 119f., 126, 132, 143, 146, 179, 189, 196–98, 211f., 218, 240, 246f., 257, 259, 261, 273f., 277, 286, 288, 318, 327, 335, 339f., 349f., 360, 368–72, 374, 383, 385, 403, 408, 412, 417f., 420, 428, 432, 436, 461, 471, 474f., 477, 481, 484f., 487f., 495, 528f., 536f., 539, 541, 543, 545, 552f., 557, 573, 577, 580, 593, 601–03, 609, 618, 628, 630f., 651f., 654, 656, 658, 662, 667, 696–98, 706, 714, 721, 741, 747f., 759, 764f., 767, 775, 778–81, 786, 789f., 806, 809f., 833, 846, 850, 855, 870, 873, 881, 885f., 906f., 910, 912, 919, 939, 942, 945–47, 953, 959, 962, 965, 969, 974, 976, 983, 985f., 1004f., 1012, 1015, 1018, 1023f., 1026, 1028, 1041, 1043, 1059f. Österreich-Ungarn 58, 70f., 81, 93–95, 99f., 123, 139, 143, 149, 152, 154f., 177, 179–81, 259f., 327, 332, 343, 357, 372, 412, 440f., 450f., 488, 492, 514, 553, 577, 587, 609, 631, 638, 643, 659f., 663, 674, 682–88, 694, 697, 706, 737, 760, 767, 795, 802f., 805, 813–15, 834f., 844, 864, 871–73, 915, 920, 945, 948, 995, 1010, 1029–31, 1060; Dualismus 99–103, 179, 181, 285f., 683, 714, 945, 1060; Staatsstruktur 99–102, 285f., 683, 760 Österr.-ung. Ausgleich 99–102, 285, 372, 545, 592, 682, 748, 760, 846, 850, 919, 945, 1005 Ostfrankenreich 363, 476, 857f., 867, 971 Ostrumelien 155, 202–04, 638, 688f., 738, 807, 835, 934, 982 P Pacta conventa 541, 544f., 689, 760, 862, 954, 973 Paläologen 223, 254f., 296, 338, 456, 460, 479, 511, 558, 612, 626, 649, 660, 690f., 728, 783, 839, 897, 991
1091
Orts- und Sachregister
1092
Palanka 898 Palatin 427, 435, 691 Pannonien 108, 150f., 193, 208, 236, 255, 274, 313, 363, 528, 543f., 574, 691–93, 748, 844, 858f., 861f., 870, 914, 926, 939, 952, 958, 971, 1003, 1018 Panslawismus 106, 413, 447, 669, 686, 693–95, 803, 834, 869 Para 53, 267, 555, 695f. Paris, Friede v. (1856) 156, 273, 537, 552, 593, 696, 833, 1004 Paris, Friede v. (1947) 133, 270f., 590, 621, 657, 785, 794, 797, 847, 972 Pariser Vorortverträge 199, 205, 211, 420f., 440, 488, 522, 561, 590, 608, 639, 652, 686, 697– 99, 772, 809f., 841, 947, 995, 1006, 1018, 1031 Parlamentarische Demokratie 318 Parlamentarismus 265f., 298, 318, 331, 358, 431, 442, 546, 568, 570, 614, 631, 669, 684f., 699– 701, 706, 709, 741, 765, 826, 835, 881, 915, 975, 999–1002, 1008, 1024 Paröken 43, 321, 492, 558, 701, 751, 852, 887 Parteien (Albanien) 59f., 501, 507f., 570, 701f., 882, 1016 Parteien (Bulgarien) 119, 205f., 344, 501, 507f., 567, 569f., 702f., 741, 881f., 1016 Parteien (Griechenland) 356–59, 507, 567, 704f., 882 Parteien (Jugoslawien und Nachfolgestaaten) 107, 119, 141, 211, 215, 247, 265, 329, 344, 440, 442–44, 448, 501f., 507f., 542, 567, 569, 582f., 587, 631, 706–09, 717f., 741, 824f., 834, 873– 75, 881, 884, 968, 1016 Parteien (Rumänien) 119, 265, 501, 507f., 567, 569, 709f., 741, 795–98, 882, 1016 Parteien (Slowakei) 394, 711–13, 864f. Parteien (Ungarn) 73, 89, 409, 501, 507f., 569, 714–16, 731f., 740, 766, 880–82, 975, 1016 Partisanen (allg. u. außerhalb Jugoslawiens) 59, 213f., 231, 262, 358, 589, 716–19, 728, 745, 865, 1062 Partisanenbewegung (Jugoslawien) 133, 182, 214f., 232, 262, 303, 329, 332, 351, 398, 443, 449, 502, 507, 525, 580, 585, 587, 632, 708, 717f., 789, 874f., 949, 969, 1035, 1052
Partium (Partes adnexae) 191, 590, 719, 764, 782, 947 Pascha 56, 149, 151, 153, 163, 194, 268, 381, 470, 680, 719f., 812, 904, 1042, 1066 Paschaluk 145, 179, 386, 471, 659, 720, 831f., 923 Passarowitz, Friede v. (1718) 127, 246, 257, 274, 370, 470, 484, 496, 552, 603, 662, 720f., 841, 951, 963 Patarener →Bogomilen Patriarch 67, 82, 90, 107, 152, 163, 175, 209, 221– 23, 235, 316, 349, 364, 387, 428, 509, 511f., 524, 553, 559, 597, 624, 640, 649, 660, 672f., 675, 721, 761, 776, 784, 786, 820, 831, 926f., 1057 Patriarchalismus 140, 328, 331, 362, 388, 462, 519, 551, 722f., 833, 879, 905, 914, 1008, 1021 Patriarchalismus (Familien, Verwandtschaft) 328, 362, 1008 Patriarchat 163, 222, 316, 349, 528, 533, 640, 661, 672–74, 692, 721, 776f., 795f. Patriachat von Konstantinopel (Ökumenisches Patriarchat) 79, 92f., 96, 98, 114, 201f., 208, 223, 236, 316, 352, 356, 456, 480, 491, 512, 587, 604f., 640, 660f., 670–75, 704, 723–25, 732– 34, 758, 794, 819f., 857, 896, 935, 1054 Patriarchat v. Peć 316, 524, 597, 673, 724, 725f., 753, 776, 831, 839, 952, 1057 Patronatsrecht 336, 726f., 761 Paulikianer 81f., 173f., 379, 472, 513, 727, 738 Pečalba (a. →Wanderarbeit) 75, 328, 376, 599 Pečalbari →Handwerker Peć, Patriarchat v. →Patriarchat v. Peć Peloponnes 55, 79, 90, 111, 145–47, 166, 213, 224, 255, 296, 313, 316, 342, 353, 358, 360, 460, 474, 489, 517, 558, 563, 589, 612, 619, 637, 690, 704, 717, 727–29, 735, 788, 800, 812, 859f., 918, 932f., 955f., 961, 964, 992, 1000 Peripherisierungstheorie →Kapitalistisches Weltsystem (FNZ) Petrović Njegoš 230, 627–30, 632, 638, 674, 680, 729f. Petschenegen 79, 208, 222, 224, 233, 313, 338, 509, 580, 661, 730f., 771, 879, 927, 958, 966f., 971, 973 Pfeilkreuzler 74, 265, 318f., 399, 714, 731f., 975, 1037
Orts- und Sachregister
Phanar 353, 671, 723f., 732 Phanarioten 42, 96, 146, 176, 196, 217, 353, 402, 520, 619, 644, 671, 674, 678, 724, 726, 733–35, 793, 1026 Philhellenismus 147, 312, 354, 356, 490, 580, 595, 637, 728, 735f., 891, 993, 1046 Philikē Hetaireia 146, 334, 341f., 356 Photianisches Schisma →Schisma Piaster →Kurusch Podgorica 52, 230, 630f., 649, 736f., 895, 984, 1055 Pogrom 73, 81, 234, 315, 353, 398, 406, 439, 724, 790 Polen 45, 68f., 88, 106f., 118, 171, 227, 240f., 277, 349, 364, 371, 439, 473f., 484, 501, 539, 576, 596, 608, 618, 626, 665, 694, 697, 720, 754, 785, 801, 803, 859, 865, 867f., 932, 961–64, 973, 978, 1027f., 1058f. Politische Kultur 183, 264–66, 317–19, 519–21, 567–70, 700, , 739–41 Poljica 245, 737f. Pomaken 309, 315, 422, 426, 514, 688, 738f., 934f., 938, 1021 Popovci →Altgläubige; Lipowaner Populismus 72f., 290, 293, 344, 542, 569, 705f., 709, 739–42, 948, 982, 987 postjugoslawische Kriege 49, 115f., 177, 182f., 187, 216, 249, 262, 311, 328, 366f., 445, 525, 530, 546, 640, 742–47, 750, 790, 804, 816, 830, 836, 861, 993, 996, 1007, 1015, 1064 Poturen →Kryptochristen Pragmatische Sanktion 41, 100, 370, 682, 747, 760, 774, 807, 846 Prekmurje 383, 748f., 781, 870, 874, 890, 947, 1034 Preporod → Nationsbildung Pressegeschichte, Slowakei 188 Prishtina 49, 52, 525–27, 749–51, 895, 984 Pronoia 43, 321, 554, 751f., 936 Protestanten 41, 58, 202, 335, 339f., 726, 846, 850, 869, 885, 1060 Protestantismus → Calviner; Lutheraner; Reformation Protestbewegungen 78, 140, 290, 444, 546, 619, 648, 884
Protobulgaren 43, 64, 79, 108, 112, 200, 207, 224, 313, 337, 598, 752f., 771, 860, 918, 932, 958, 966, 1061 Puszta →Kolonisation R Radikale Partei (Serbien) 141, 659, 706, 741, 834f., 881, 884 (Jugoslawische Radikale Union), 919 Raja →Reaya Raszien 178f., 224, 634, 649, 736, 753, 813, 830f., 837, 839, 923, 1055f., 1061 Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe –RGW 206, 753–55, 798, 803, 1017 Räterepublik 73, 131, 194, 265, 302, 336, 398, 478, 507, 714, 749, 755–57, 795, 864, 881, 947f., 975, 999 Räuber →Haiduken; Klephten; Uskoken; segmentäre Gesellschaft; Sozialbanditentum Reaya 134, 177, 237f., 242, 252, 322f., 425f., 433, 611, 680, 757f., 883, 899, 929, 936, 1021, 1057 Rechtsgeschichte, Rechtskulturen 114f., 221, 331, 361, 393, 454, 461f., 630, 684, 758–62, 817f., 833, 852, 950, 999, 1050 Rechtskodifizierung 45, 320, 331, 472, 619, 628, 630, 734, 759, 818, 825, 1026, 1050 Rechtspartei (Kroatien) 102, 706 Reformation 41, 113, 165, 191f., 220, 227, 339, 369, 418, 480, 514, 575f., 664, 726, 763–65, 845, 849, 867, 871, 885, 959, 973, 979, 1059 Reformkatholizismus →Gegenreformation Reformzeitalter (Ungarn) 45, 670, 714, 765–67, 974, 980, 1024 Regat 170, 273, 396, 620, 638, 675, 767, 794–96, 944, 1027 Regionalismus (a. Trans[s]ilvanismus) 248, 609 Regnum Albaniae 54f., 388 Reichsrat (Zisleithanien) 99, 188, 198, 268, 285, 545, 574, 650, 682f., 873, 1060 Reiseberichte 314, 749, 767–70, 878, 1012 Reiternomaden 108, 112f., 207, 233, 313, 551, 554, 730, 752, 770–72, 860, 913, 966 Religionsgemeinschaften 64, 165, 177, 180, 306, 331, 422f., 513f., 552, 604, 607, 683, 1011 Religionspolitik (Ungarn) 41
1093
Orts- und Sachregister
1094
Religionswechsel →Konvertiten Renegaten →Konvertiten Republika Srpska →Bosnien-Herzegowina; Dayton Revisionismus 123, 204f., 266, 318, 421, 488, 587, 608, 653, 698, 714, 772, 915, 948, 975, 1031, 1041, 1043f. Revolution v. 1848/49 (allg.) 106, 136, 143, 292, 463, 475, 643, 974, 1023f.; Bauernfrage 136, 143 Revolution v. 1848/49 (Donaufürstentümer) 143, 196, 273, 619, 666, 772–74, 794, 802, 1026f. Revolution v. 1848/49 (Kroaten) 101, 303, 409, 541, 545, 706, 774–76, 807 Revolution v. 1848/49 (Serben) 127, 774, 776f., 833, 856, 1014 Revolution v. 1848/49 (Siebenbürgen) 777–79, 809, 846, 850 Revolution v. 1848/49 (Slowaken) 189, 779f., 869 Revolution v. 1848/49 (Slowenen) 476, 780f., 873, 919 Revolution v. 1848/49 (Ungarn) 46, 99, 302f., 372, 545, 651, 691, 714, 759, 766, 782f., 802, 833, 974, 1014 RGW → Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe Rhodopen 48, 111, 422, 426, 453, 551, 579, 688, 738, 817, 934 Rhodos 270f., 316, 422, 438, 470, 493, 565, 680, 783f. Rhomäer 221, 223, 272, 352, 438, 784f., 800, 816 Ribbentrop-Molotov-Pakt 157, 199, 234, 241, 289, 398, 478, 785f., 797, 803, 1019, 1033, 1044 Rilindja →Nationsbildung Rijeka/Fiume 102, 210, 383, 408, 418, 420, 545, 774, 786f., 901, 946f., 949, 953, 957, 1004 Robot 44, 134, 139, 142, 435, 499f., 774, 984f., 1062 Roma 48–50, 58, 199, 203, 206, 269, 309, 399, 422f., 478, 579, 581, 589, 598, 688, 746, 750, 773, 787–91, 794, 812, 832, 847, 853, 855, 876, 887, 899, 914, 929, 934f., 972, 989, 1012–14, 1021, 1027, 1035, 1064 Romäer →Rhomäer Romanioten →Juden (Überblick)
Romantik 63, 299, 371, 408, 542, 568, 636, 642, 869, 918 Rumänen 64, 85, 128, 157, 165, 198f., 211, 220, 234, 240–44, 269f., 275, 286, 298, 313, 397, 400f., 404, 406, 429, 437, 441, 478, 481, 488, 495, 497, 589f., 596, 619f., 623, 636–38, 643f., 653, 658, 662, 673–75, 685, 709, 764, 767, 772, 777f., 782, 785, 792–94, 796, 802, 845–48, 850, 867, 886f., 891, 913f., 929, 943f., 974, 978, 989, 1011f., 1014, 1025, 1045; Ethnogenese, Herkunftstheorie 156, 242–44, 313 Rumänien 52, 66, 72f., 75–78, 81f., 84f., 88f., 93, 112, 122–24, 127f., 136f., 155, 157, 159–61, 165, 168f., 171f., 192, 195f., 198f., 227, 234, 239, 241–43, 261f., 264–66, 268–70, 272–74, 276f., 284, 289f., 292, 310, 315, 318, 329, 334, 337f., 344, 376f., 396–98, 404–06, 414–16, 422, 459, 461, 477f., 481, 488f., 505, 507f., 518, 521, 563, 567–69, 573, 576, 578, 589f., 608, 618, 620–23, 638, 643, 648, 652f., 669, 675, 697, 699–700, 709f., 721, 734, 740f., 754–56, 767, 785, 787, 789–93, 794–800, 803f., 834, 841, 844, 847, 850–53, 880, 882, 886–88, 893, 895, 902, 910, 912–15, 926, 929, 943f., 947f., 967, 978f., 981– 84, 994f., 999–1002, 1005f., 1016–19, 1021, 1025, 1027f., 1030f., 1033f., 1036f., 1040f., 1043–45, 1051, 1054, 1062, 1064; Bauernaufstände 72, 141, 144, 741, 795; Bulgarien, Beziehungen 269f., 653f.; Industrialisierung 75f., 137, 196, 220, 290, 318, 406, 416, 709, 793, 795, 798, 847, 851, 1016; Juden 72f., 88f., 398 rumänische Sprache 84, 156, 192, 198, 234, 243, 429, 596, 619, 621, 623, 674, 678, 763, 793, 886f., 891, 1012, 1026 Rumelien 62, 145, 155, 162, 202–04, 251, 268, 314, 317, 390, 410, 453, 468, 534, 580, 638, 688f., 719, 738, 749, 784, 800f., 807, 812, 835, 876, 931, 934, 982, 990 Rus’ 79, 233, 554, 730, 805 Russinen 477f., 590, 801, 805 Russland (a. →Sowjetunion) 46f., 56, 58, 66, 71–73, 95, 106, 115, 122, 145f., 148, 154–59, 174, 197, 202, 204, 209, 222, 241, 260–62, 266, 269, 273, 293, 334, 337, 342, 356, 360, 388, 405, 456f., 461, 465f., 470f., 475, 484, 488,
Orts- und Sachregister
490, 535–37, 549, 552, 586f., 593, 619, 621–23, 627f., 630f., 637f., 648, 651, 654, 667, 669, 674, 686, 693f., 696–98, 715, 733, 744f., 748, 795, 801–05, 806, 831, 833, 835, 841, 859, 880, 886, 910, 913, 915, 920f., 943, 961, 964, 967, 1023, 1026, 1029, 1031, 1034, 1066 Ruthenen (a. →Karpato-Ukraine) 106f., 133, 198f., 241, 275, 286, 403, 477f., 590, 685, 792, 801, 805f., 1044 S Sabbatarier, Sabbatisten 379, 763, 806 Sabor 101, 409, 544f., 774f, 806f., 862 Sachsen → Deutsche; Siebenbürger Sachsen; Zipser Sachsen Sachsen im ma. Westbalkan 154, 179, 256, 838, 1050 Sachsenboden →Königsboden Sachsen-Coburg-Koháry 204, 413, 570, 703, 807f. Sachsengraf 808f., 849 Saint Germain-en-Laye, Friede v. (1919) 211, 350, 697, 796, 809f. Säkularisierung 97f., 187, 190, 384, 431, 665 Saloniki (Thessaloniki) 64, 83, 94, 121, 123, 150, 191, 207, 221, 224, 238, 255, 279, 296, 315f., 353f., 357f., 374, 376, 407, 413, 423f., 438, 456, 472, 485, 492, 511, 535, 558, 579f., 587, 596, 677, 733, 750, 810–12, 815, 828, 835, 839, 857, 859, 886, 895–98, 925, 933, 941, 976, 980, 984, 991, 998, 1003, 1009, 1030f., 1033f. Sancak (Sandschak) 131f., 149, 163, 179, 239, 317, 323, 381, 386, 388, 426, 455, 470, 487, 531, 571, 612, 633f., 679, 719f., 749f., 800, 812, 813f., 862, 883, 923, 929, 990, 1011, 1066 Sandschak v. Novi Pazar 71, 122f., 155, 177, 179, 182, 572, 638, 753, 813f. San Stefano, Präliminarfriede →Berliner Kongress Sarajevo 52, 68, 93–95, 120f., 177f., 181f., 229, 249, 260, 327, 333, 424f., 449–51, 592, 680, 686, 743f., 803, 813, 814–16, 828, 835, 895, 899, 916, 964, 980, 984, 998, 1005f., 1010, 1029 Sarakatsanen 723, 784, 816f., 941, 1012 Scharia 320, 325, 332, 381, 454, 461, 514, 604, 611, 760, 817f., 819, 843, 967, 990
Scheidungsraten 158, 329 Schejch ül-Islam 268, 410, 461, 818f., 967 Schisma 114, 222, 236, 316, 533, 550, 671, 673f., 724, 819f., 914 Schokatzen 133, 210, 820f. Schollenpflicht 134, 142, 821, 1050 Schriften 63–65, 82, 192, 200, 236, 354, 540, 621, 737, 857, 887, 890–92 Schriftkultur 63, 190–93, 642, 793 Schulpflicht 66, 72f., 371, 795 Schulsystem, Schulwesen →Alphabetisierung; Bildungswesen Schwaben, Begriffsgeschichte 274 Schwäbische Türkei 274, 821f. Schweiz 54, 66, 334, 383, 397, 561, 647, 910, 944 segmentäre Gesellschaft 822–824 Selbstverwaltung 346, 416, 443, 508, 708, 824– 27, 875, 1002, 1016 Sephardim 88f., 165, 279, 353, 353, 438f., 484, 512, 579, 598, 605, 811, 814f., 827–29, 981 Serail 829f. Serben 43, 55, 96, 106–08, 129–31, 133, 177, 179, 182, 186–87, 194, 197, 201, 218, 223–25, 231f., 236, 242, 249, 259f., 267, 286, 296, 299, 303, 313, 357, 366, 374, 377, 389, 408f., 423f., 437, 440–45, 448, 450, 471, 480f., 494, 496f., 515, 517, 522, 524–28, 530, 533, 541, 546, 571, 573, 577, 580, 587, 597, 605, 608, 624, 627, 631f., 638f., 649, 659, 662f., 673, 686, 694, 706, 742–45, 753, 802, 815, 830–32, 832–36, 838–40, 856, 862, 878, 884, 886, 910, 913f., 917–20, 923, 927, 946, 968–70, 977, 988f., 1010, 1012, 1014–15, 1048, 1061, 1064; Migrationsgeschichte 128, 151, 275, 499f., 527, 599, 654, 673, 863, 937, 964f., 1014; Nationsbildung 165, 180f., 244f., 636f., 643–45, 648, 761 Serbien 46, 56, 83, 108, 111, 154, 179f., 185, 191, 223–25, 239, 242, 256, 267, 287, 321, 323, 326, 328, 361, 370f., 376f., 387, 391, 460, 471, 473, 492, 494, 496, 519f., 524, 576f., 597, 624, 627, 649, 659, 660, 673, 677, 679f., 690, 721, 751, 753, 800, 816, 830–832, 838–40, 859f., 878f., 918, 923, 926, 937, 941, 961, 981, 1008, 1012f., 1050 1095
Orts- und Sachregister
1096
Serbien (ab 1830) 49f., 52, 54, 58, 66, 71, 74f., 78, 81f., 93–95, 108, 119, 122f., 127f., 136, 150–52, 154f,, 158–60, 171, 175, 181, 197, 204, 211, 214, 231f., 249, 260, 267, 315, 343, 357, 366f., 382, 397, 409, 412–14, 421, 423, 440f., 443–45, 450, 463, 481, 487, 505, 507, 518, 521–23, 524–26, 530, 546, 567f., 570–72, 576, 578, 580, 586–87, 631f., 638–40, 644, 648, 654, 660, 662, 669, 674, 686, 699f., 706, 708, 717, 729, 741–45, 750, 776f., 789f., 792, 802–04, 813, 821, 830, 832–836, 855f., 873–75, 880f., 884–87, 893, 910, 915, 919f., 923, 926f., 938, 983f., 995f., 998–1000, 1004f., 1014f., 1029–32, 1034–36, 1051–52, 1062, Bauernaufstände 140f.; Befreiungskriege 145–48 Serbische Republik (Republika Srpska) →Bosnien-Herzegowina; Dayton Serbisches Reich (Mittelalter) 591, 751, 753, 831, 837–41, 961 Serpega (Dynastengeschlecht, Donaufürstentümer) 82 Severiner Banat 258, 661, 841 Sèvres, Friede v. (1920) 315, 357, 452, 560, 593, 697, 841–43 Sidschill 251, 325, 814, 843f. Siebenbürgen 45, 64, 66, 68f., 81, 97, 108, 127, 139, 153, 168, 171, 190f., 198, 220, 227, 239f., 258, 283, 289, 334f., 372, 374, 377, 379, 398, 400–03, 432, 474, 481, 484, 496, 510, 555f., 576, 590, 601, 603, 634, 638, 644, 651, 657f., 673–75, 678, 708, 719, 747, 764, 767, 777f., 782, 792f., 795–98, 806, 808f., 844–849, 850f., 891, 900f., 909, 914, 927–29, 937, 941, 944, 947, 962, 971–74, 978, 989, 1012, 1014, 1020, 1025f., 1030, 1033, 1035, 1044f., 1054, 1060; Rumänen, Nationsbildung 51f., 242f., 636, 793, 867, 887; Slaven 244 Siebenbürger Sachsen 191, 220, 256, 259, 400, 510f., 576, 657f., 761, 763, 777f., 794, 798, 808f., 845–47, 849–52, 900, 989, 1018 Šišmaniden 209 Sklaverei, Leibeigenschaft 134f., 142, 324, 401, 435f., 456, 492f.,495, 497, 514, 619, 651, 782, 788, 852–55, 951, 985, 1026f., 1057, 1062 Skopje 52f., 55, 83, 201, 224f., 255, 376, 424, 453,
524, 548, 580–83, 596, 649, 660, 673, 677, 725, 750, 800, 812, 828, 839, 855f., 876, 895, 938, 964, 984, 1009, 1050 Skupština 776, 833, 856 Slavenapostel 64, 82, 164, 178, 200, 208, 225, 236, 352, 364, 480, 540, 624, 660, 672, 692, 724, 857–59, 867, 885 Slavische Landnahme 43, 90, 108f., 112f., 151, 178, 188, 222, 224, 235, 245, 295, 298, 313, 321, 353, 363, 428, 480, 524, 528, 539, 543, 577, 579, 585, 727, 811, 830, 859–61, 862, 867, 870, 903, 913, 917, 926, 933, 956 Slawonien 102, 126f., 129, 131, 179, 190, 231, 256, 275, 367, 403, 430, 474, 496, 499, 517, 530, 541, 543–46, 555, 599, 601–03, 634, 648, 654, 691, 743, 760, 801, 806f., 821, 861–63, 867, 885, 926f., 947, 977, 998, 1014 Slowakei (ab 1918) 159, 188f., 191, 212, 227, 275, 391, 395, 398f., 481, 487, 550, 573, 576, 578, 655, 658f., 711–13, 756, 779, 787, 801, 864–66, 867–69, 888, 910, 912, 914, 915, 947, 982–84, 1018, 1034, 1037, 1043, 1045, 1058–60, 1062 Slowaken 106, 133, 189, 191, 219, 275, 441, 447, 478, 498, 575, 592, 608, 643, 685, 693f., 764, 779, 864–66, 866–70, 885, 890, 892, 913, 948, 994, 1012, 1014, 1044 Slowenen 44, 106, 192, 212, 215, 235, 275, 313, 340, 343, 350, 383, 391, 408f., 418, 437, 440f., 444, 448, 475–77, 529, 567, 574f., 592, 608, 639, 643, 653, 686, 706f., 749, 763f., 780f., 810, 867, 870–72, 872–76, 885, 890, 892, 906f., 912, 917–19, 949, 957, 1061 Slowenien (ab 1918) 75, 78, 106, 110, 112, 159, 262, 349, 350f., 428, 443–45, 481, 492, 507, 518, 528, 541, 551, 569, 574–76, 598, 609, 615, 708, 742, 748f., 830, 836, 860, 872–76, 890, 912, 969, 983f., 994, 1004, 1006, 1018, 1034f., 1047, 1052 Slowenien, Bauernaufstände 138–40, 913–15, 1047 Sofia 52, 81, 121, 125, 150, 163, 203, 205, 316, 382, 413, 492, 504, 624, 730, 800, 812, 828, 876f., 878, 879, 895, 979f., 984, 990, 1003, 1009 Šokacen →Schokatzen Sonderburg-Glücksburg 356, 595, 877f., 1031
Orts- und Sachregister
Šopen, Šopluk 878f., 1034 Sowjetunion 59f., 81, 105, 119, 125, 157, 206, 213, 215, 234f., 241, 262, 266, 277, 289, 310, 321, 338, 346, 398, 406, 413, 416, 445, 457–59, 478, 488, 501, 504, 508, 535, 587,f. 594, 621, 623, 698, 703, 715, 753–55, 785, 797f., 801–05, 824, 843, 847, 851, 865, 902f., 913, 915, 935, 955, 976, 983, 995f., 1016f., 1019, 1027f., 1033, 1035–37 Sozialbanditentum 374 Sozialdemokratie 103–105, 118f., 199, 219, 345, 503f., 683, 685, 712, 756, 881f. Sozialgesetzgebung 76 Sozialismus 52f, 76f., 103–105, 115, 161, 254, 293, 329, 443, 464, 503, 507, 521f., 569, 608, 646, 702, 803f., 824, 826f., 879–83, 915, 1002, 1016; Agrarpolitik 172; Bildungssystem 165; ges. Entwicklung 137, 983; Herrschaftssystem266, 345f., 393; Parteien 345f., 508, 706; Planwirtschaft 76f., 169, 344f.; Siedlungsstruktur, Ungarn 282 Sozialstruktur, sozioökonomische Faktoren 48, 66, 75–78, 141, 159, 168, 216–20, 343, 508, 642, 644, 707, 789f., 822–24, 833, 980, 985, 1016 Sozioökonomische Unterentwicklung 261f. Spahi 42, 47, 134, 162, 237, 322f., 425f., 433, 800, 883f., 936, 963, 1057 Sporazum 181, 247, 442, 546, 884f., 927, 968 Sprachen 52, 54f., 64, 68, 84f., 88, 96, 102, 104, 111, 120, 180, 200, 210, 212, 235, 240–44, 288, 293, 307f., 325, 338, 352, 354f., 374, 389–91, 405, 409, 422, 429, 434, 438f., 441, 472f., 538, 540, 554, 565f., 578, 583–85, 591, 621, 623, 630, 675f., 693, 729, 737f., 740, 764, 768, 787f., 793, 801, 805, 816, 821, 828, 857f., 860, 867– 71., 878f., 885–89, 889–92, 897, 907, 910, 932, 938, 958, 1011, 1020, 1024, 1047; Verschriftlichung 190–93 Sprachkodifizierung 191, 212, 306, 308, 357, 539, 585, 636f., 643, 645, 889–92, 914 Sprachnationalismus 201f., 645f., 889 Srem/Srijem →Syrmien Staatsbildung, innere 340, 356f., 370f. Staatsbürgerschaftsrecht 72f., 88f. Stadtkultur (allg.) 190, 336f., 892–94, 913, 982
Stadt, Stadttypen: Balkan 19./20. Jh. 894–96, 980 Stadt, Stadttypen: Byzanz 896f. Stadt, Stadttypen: Dalmatien, Istrien 245f., 287, 550, 737, 761, 897f. Stadt, Stadttypen: Osmanisch 114, 216, 229, 305f., 376, 424, 512, 749, 788, 814, 855, 876, 898–900, 989 Stadt, Stadttypen: Ungarn (Kgr.) 255f., 336f., 663f., 761, 900–02 Stalinismus 266, 346, 443, 502, 902f., 1016 Stamm, Stammesgesellschaft 43, 54, 61, 79f., 130, 149f., 156, 166, 200, 207f., 230, 245, 252, 267f., 280, 291f., 295, 307, 312f., 391, 440f., 447f., 452f., 462, 477, 480, 524, 528, 534, 538, 540, 543, 554, 571, 578, 584, 615, 618, 623, 626–30, 635, 638, 645, 666, 680, 695, 708, 723, 729f., 737, 752f., 761, 770, 807, 823, 831, 844, 859, 860, 867, 870, 876, 878, 903–05, 907, 918, 921, 924, 933, 941, 972, 990, 996, 1008, 1013, 1021, 1061 Stände 41, 44, 140, 205, 218, 247, 324, 339f., 369f., 383f., 418, 431, 529, 540, 544, 575, 602f., 634f., 747, 763, 773, 806, 901, 905f., 907, 959, 962f., 1051; Kgr. Ungarn 41, 44f., 69f., 188, 218, 247, 324, 339, 348, 369f., 383, 432, 634, 691, 747f., 760, 764, 774, 777, 782, 845f., 928, 973f. Statistikgeschichte 158f. Steiermark 212, 368, 372, 417, 418, 432, 475f., 528f., 809, 861, 871, 874, 885, 906–08 Stephanskrone 69, 266, 368, 383, 421, 480, 544, 682, 685, 700, 775, 863, 908f., 942, 947, 1024, 1060 Stiftungen (islam.) →Vakuf Štokavische Mundarten 210, 212, 408, 448, 539– 41, 645, 820, 860, 885 Studentenmigration (Mittelalter, Frühe Neuzeit) 97, 165, 259, 292, 636, 642, 772, 867, 909–11, 979 Šubići 69, 494 Südosteuropa (allg. Merkmale, in Auswahl) 110, 112, 118, 120, 158f., 347, 361, 550, 607, 670, 768f., 911–17, 980, 995, 1016, 1063; Bevölkerungsverhältnisse, Frühmittelalter 242f.; sozioökonomischer Entwicklungsrückstand 288
1097
Orts- und Sachregister
Südslaven 100, 112, 224, 313, 447, 917f., 1061 Südslavische Frage 93, 100, 106, 286, 685, 919– 21, 946 Sulioten 228, 680, 904, 921f. Sultan 153, 220, 390, 454, 461, 617, 619, 667, 760, 922 Šumadija 519, 599, 832, 923f. Synkretismus 150, 513, 924f. Syntagma des Matthaios Blastares 760, 925f., 1050 Syrmien 132, 231, 275, 367, 743, 776, 801, 821, 831, 838, 861f., 884, 926f., 968, 998, 1014f. Systemtransformation (nach 1989; in Auswahl) 77f., 217, 346f.; Geschlechterrollen 331 Székler 130, 239f., 282, 379, 634, 678, 730, 761, 778, 796, 845–47, 849, 927f., 928f., 989, 1045 Széklerland 220, 240, 658, 798, 845, 847, 849, 928f.
1098
T Tahrir Defteri 251f., 322f., 425, 634, 758, 883, 929f., 930, 936, 1053 Tanzimat 51, 56, 80, 163, 180, 192, 202, 333, 381, 386, 434, 454f, 470, 531, 553, 604, 667, 676f., 811, 815, 930f., 980, 1004, 1011, 1057, 1066 Tataren 44, 112, 132, 156, 209, 269f., 382, 405, 422, 424, 538, 598, 725, 932, 958, 967 Täufer →Anabaptisten Technologietransfer 257 Tekke 253 Territorialkonflikte 312f. Themen (Byzanz) 43, 79, 90, 222, 224, 245, 271, 295, 419, 517, 531, 579, 660, 727, 783, 932f., 933 Thessalien 55, 83, 85, 141, 209, 225, 315f., 322f., 353, 357, 425, 438, 489, 584, 817, 839, 860, 886, 933f., 941 Thessaloniki →Saloniki Thrakien 80, 122, 205, 208, 224, 315, 353, 379, 382, 422, 424, 426, 460, 479, 554, 559, 561, 579, 587, 626, 644, 646, 653, 671, 681, 704, 724, 727, 739, 813, 860, 878, 917f., 932, 934– 36, 1030, 1034 Timar 79, 134, 237, 317, 323, 425, 455, 612, 679, 757, 800, 883, 930, 936f., 1052f.
Timok 141, 530, 721, 792, 879, 937, 1012 Tirana 52, 58, 59, 60, 895, 937f., 979, 984, 1009 Torbeschen (Torbeši) (a. →Pomaken) 423, 426, 738, 938f. Titoismus (a. →Kominform; Selbstverwaltung) 277f. Tourismus 247f., 268, 288, 1006, 1022 Transdanubien 211, 274, 496, 498, 691f., 765, 901, 939f., 1060 Transhumanz 85f., 113, 353, 362, 374, 404, 429, 453, 483, 489, 584, 599, 723, 770, 792, 903, 940–42, 957, 964, 1021 Transleithanien 590, 683, 685, 760, 942, 946, 974, 1060 Transmigration 68, 341 Transnistrien 64, 157, 199, 234, 241, 398, 620–22, 789, 792, 796f., 804, 887, 943f., 1036 Trans(s)ilvanismus 847, 944f. Transsylanien →Siebenbürgen Trialismus 100, 102, 107, 119, 286, 643, 685, 873, 919, 945–47 Trianon, Friede v. (1920) 66, 131, 133, 211, 227, 421, 478, 578, 639, 697, 714, 749, 772, 796, 944, 947–49, 972, 975, 1043 Triest 97, 335, 342, 350, 354, 368, 372, 408, 418, 420, 428, 484, 529, 557, 574, 871, 873, 949f., 953, 957, 1004–05, 1030 Triestfrage 428, 459, 772, 875, 949f., 1064 Tripartitum 348, 577, 759, 950f. Triplex confinium 530, 598, 601, 614, 951–54 Trpimiriden 540, 544, 954 Truman-Doktrin 213f., 458f., 594, 803, 954f., 996 Tsakonen 727, 887, 955–57 Tschechoslowakei 76, 124, 211, 227, 261, 277, 478, 481, 487, 488, 501, 542, 590, 608, 694, 697, 711f., 754, 790, 797, 803, 805, 809, 864f., 868, 890, 915, 947f., 1017, 1027f., 1043f., 1059 Tscherkessen 269, 932, 1064 Tschitschen 291, 429, 957, 1012 Türkei 54, 61f., 65, 122–25, 150, 171, 278f., 314f., 328f., 331f., 338, 342, 345, 347, 358, 452, 459, 466, 508, 511, 524, 561, 580, 587, 594, 596, 653, 672, 696f., 700, 723f., 797, 819, 888, 892, 915, 935, 939, 954, 991, 994, 996, 1028, 1055, 1067
Orts- und Sachregister
Türken 56, 111f., 123, 131, 203, 257, 259f., 269f., 275, 315, 353, 357, 360, 365, 405, 419, 422f., 439, 441, 460, 474, 479, 509, 533, 560f., 574, 579, 581, 591, 598, 631, 679, 688, 690, 721, 735, 749, 771, 802, 831, 834, 849, 892, 913, 934, 939, 957–59, 963, 967, 971, 973, 981, 1021, 1064–67 Türkenhilfe, Türkenfurcht, Türkengefahr, Türkensteuer 339, 351, 390, 418, 763, 768, 770, 901, 959–61, 962 Türkenkrieg(e) 44, 46, 56, 91, 113f., 151, 179, 257, 274, 354, 359, 370f., 374, 383f., 388, 403, 426, 473, 497, 524, 540, 549, 556, 563, 573, 578, 599, 601, 617, 630f., 636f., 654, 667f., 677, 720, 727f., 750, 815, 831, 855, 863, 907, 913, 936, 951, 959f., 961–66, 973, 986, 992, 1025f., 1060 türkische Sprache 337f., 422, 494, 888, 892, 932, 958 Turkvölker 421, 752, 888, 958, 966f. Turopolje →Adel (SOE, ohne Ungarn) U Überseewanderung (a. →Vereinigte Staaten von Amerika) 355 Ukraine 46, 54, 157, 198f., 240f., 261, 275, 337, 354, 357, 477f., 535, 576, 590, 618, 621, 623, 655, 741, 792, 797, 805, 886–89, 943, 977, 1036 Ulema 364, 410, 424, 592, 818, 924, 930, 967f. Umsiedlungsabkommen (a →Bevölkerungsaustausch) 351, 358f. Umsiedlung →Zwangsmigration Unabhängiger Staat Kroatien 74, 130, 182, 186, 214, 247, 265, 311, 319, 386, 399, 443, 449, 481, 514, 517, 542, 546, 555, 789, 807, 863, 927, 968–70, 988, 1015, 1034f., 1048, 1062, 1064 Ungarische Landnahme 45f., 130, 132, 153, 235, 240, 281, 298, 313, 324, 390, 434, 472, 578, 598, 692, 730, 792, 844, 867, 870, 888, 913, 958, 966, 971f. Ungarn (Land, Kgr.; zur Ethnie →Magyaren) 41, 45, 66, 72f., 76, 81, 99–102, 107, 125–28, 131–33, 134, 136f., 142f., 151, 164, 175, 178–80, 190–92, 210–12, 220, 222, 227, 239f., 242, 244, 261, 265f., 282, 286, 302, 318, 329, 336, 340, 364, 372, 389–91, 409, 412, 414, 421f., 431f.,
434f., 438f., 443, 459, 473f., 477f., 481, 487f., 494, 496–98, 506–08, 518, 527, 533, 541, 544f., 554–56, 574–76, 578f., 589–91, 609, 617–18, 626, 638, 642, 645, 647–49, 651, 655f., 658, 663f., 669, 678f., 683–85, 692, 699, 714f., 719, 725f., 730, 737, 739f., 748f., 754–56, 759–61, 764, 769, 771f., 774–80, 782, 786f., 789f., 792, 797, 803–05, 807f., 841, 845f., 847, 850, 853, 861f., 864f., 867f., 870, 874, 880–82, 888, 893, 895, 900, 905f., 908–10, 912–15, 923, 926–28, 940, 942, 945–49, 951–54, 957f., 960, 962f., 967, 972–77, 979, 982–85, 987, 989, 995, 999, 1002, 1004, 1014–19, 1021, 1024, 1027, 1028– 37, 1040, 1042–45, 1048, 1054, 1058–62, 1064; Adel 69; Bürgertum 89, 96; Deutsche 154, 256f., 274–278, 377; Feudalismus 324f., 427, 577, 634, 691; Hauptstädte 188, 193f.; Juden 88f., 398f.; Königtum (a. →Stephanskrone) 6f., 246, 403, 908f.; Religionspolitik 41; Sozialstruktur 158–60, 170–72, 218f., 331, 368–70, 415f., 435; Sozialverfassung 324f.; Staatsbildung 86f., 506; Währungsgeschichte 326 Ungarnaufstand (1956) 194, 206, 219, 508, 617, 715, 740, 803, 895, 902, 940, 975, 1016f., 1028 Unierte 97, 223, 316, 477, 481, 515, 552, 605, 674, 793, 801, 977f., 1066 Union v. Užhorod 477 Unitarier 227, 379, 678, 763, 806, 845, 978f. Universitäten 52, 97, 121, 164, 291, 326, 391, 475, 487, 634, 642, 663, 793f., 796, 798, 867f., 909f., 940, 979f., 981, 984, 1048 Universitäten, Bratislava 188f. Urbanisierung 75, 136, 152, 160, 165, 172, 189, 216, 218, 359f., 406, 581, 585, 599, 614f., 652, 737, 741, 750, 811, 894f., 938, 980–84, 1006, 1022 Urbar(ialregulierung) 134, 142f., 282, 370, 500, 633, 779, 781f., 984–86 USA (Vereinigte Staaten v. Amerika) 54, 59, 68, 81, 84, 175, 183, 262, 334, 351, 354f., 367, 445, 457–59, 477f., 501, 507, 578, 583, 585, 606, 613, 648, 653, 675, 697, 735, 745, 789, 792, 797, 828, 842, 847, 864, 949f., 954f., 979, 993–97, 999, 1037 Uskoken 374, 601, 786, 952, 986f., 1013
1099
Orts- und Sachregister
Ustaše 74, 182, 215, 232, 265, 318f., 341, 395, 442f., 449, 542, 587, 815, 968, 987–89, 1035
1100
224, 244, 246, 313, 429f., 453, 483, 516f., 573, 579f., 596, 598, 602, 723, 792, 816f., 867, 903, 937, 952f., 957, 1011–13, 1025 Vojnuken 75, 135, 211, 253, 323, 374, 516, 681, 812, 893, 1011 Vojvode 44, 156, 198, 231, 280, 284, 299, 402, 430, 590, 602, 618, 659, 661, 677f., 749, 776, 792, 904, 989, 1013f., 1025 Vojvodina 52, 111, 127f., 132f., 152, 168, 171, 174, 210f., 219, 239, 275, 442–44, 481, 507, 539, 578, 591, 615, 638f., 651, 662, 774, 776, 792, 801, 821, 830f., 833, 836, 861, 884, 888, 914, 926f., 969, 998, 1014–16, 1065 Volksdemokratie 169, 266, 277, 406, 485, 501, 507, 756, 803, 825, 882, 895, 902f., 915, 1002, 1016–18 „Volksdeutsche“, Volksgruppenorganisation 133, 169, 199, 215, 257, 262, 276f., 351, 498, 712, 797, 847, 851, 865, 968, 1018–20, 1045, 1064 Volksdeutsche Mittelstelle 276, 1018, 1045 Völkerbund 58, 131, 357, 608, 639, 772, 851 Völkermord →ethnische Säuberung; Haager Tribunal; Holocaust; Jungtürken; Postjugoslawische Kriege; Unabhängiger Staat Kroatien Volksbefreiungsbewegung (Jugoslawien) → Bürgerkrieg (Jugoslawien); Partisanen; Weltkrieg, Zweiter Volksdichtung 298, 527, 793, 967 Volksglaube →Synkretismus; Vampirglaube Volkskultur 115, 165, 275, 404, 643, 793, 1020–23 Vormärz 45, 98, 194, 341, 448, 475, 541, 545, 574, 637, 643, 670, 688, 735, 765, 951, 974, 1000, 1023–25, 1046 Voynuken →Vojnuken
V Vajda 69, 283, 766, 989, 1014 Vakuf 229, 333, 410, 455, 512, 611, 633, 814, 818, 843, 853, 855, 899, 941, 967, 989f. Vali 163, 990f., 1011 Vampirglaube (a. →Dracula) 284 Város →Freistädte, kgl. Varoş (osm.) →Stadt, Stadttypen: Osm. Văzraždane →Nationsbildung Velbužd (Schlacht v.) 209, 591, 839, 991 Venedig 79, 87, 96, 110, 192, 222, 327, 333f, 350, 353f., 371f., 387f., 419, 428, 455f., 469f., 473, 484, 517, 530f., 533, 535, 544, 574, 672, 689, 728, 783, 786, 839, 858, 914, 951–53, 986, 991– 93, 1003, 1054, 1058, 1066; Staatsverwaltung 110, 216, 238f., 245, 254f., 272; Überseereich 55f., 91, 216, 238f., 245–47, 270–72, 287, 295f., 474, 490, 495, 517, 558, 559, 562f., 598f., 601, 627, 649, 679, 784, 788, 811, 820, 961, 964, 977, 991–93, 1056, 1066 Verbürgerlichung 334–335 Vereine 591f., 662f. Vereinigte Staaten von Amerika →USA Vereinigung oder Tod 94, 341, 451, 663, 987, 997–99 Verfassungen 264f., 609, 665, 699, 761, 833, 856, 999–1003 Verkehr 76, 110, 150, 188, 220, 246–48, 252, 288, 382, 414, 574, 579, 594, 615, 666, 765, 767, 782, 894, 981, 1003–07, 1009, 1047 Versailler Vertrag 260, 587, 696, 947 Verstädterung →Urbanisierung Vertreibung →Zwangsmigration W Verwaltungsstrukturen, Dorf 279–82 Verwandtschaft 166, 328–331, 632, 462, 491, 551, Walachei 44, 47, 51, 81, 92, 111f., 127, 134, 139, 143, 146, 175f., 192, 195–97, 244, 256, 258, 722f., 816, 905, 1007–09, 1021 272f., 284, 315, 353, 360, 402, 404, 435, 460, Vezir→Wesir 484, 487, 493, 550, 618–20, 625, 638, 661, Via Egnatia 380f., 811, 1003, 1009f. 665f., 677f., 696, 721, 732–34, 760, 773f., 778, Vidovdan 441, 527, 874, 1001, 1010 788, 792–94, 802, 841, 844, 853, 914, 937, 963, Vilayet 131, 315, 317, 322, 407, 455, 524, 571f., 580, 981, 1000, 1012, 1014, 1025–27 720, 736, 813, 842, 576, 931, 991, 1011 Vlachen 79, 83, 112f., 128f., 177, 179f., 210, 216, Walachen (a. →Vlachen) 36
Orts- und Sachregister
Wali →Vali Wahlrecht 198, 265, 286, 331, 335, 542, 684f., 699f., 706, 709, 779, 798, 1000f. Währungseinheit 267, 283, 555, 562–64, 695 Wanderarbeit (a. →Kurbet; Pečalba) 75, 78, 328 Waräger 224 Warschauer Pakt (W. Vertragsorganisation) 60, 93, 95, 125, 458, 798, 803, 975, 1017, 1027–29 Weltkrieg, Erster 58, 71, 74f., 93f., 115, 123, 128, 131, 133, 136, 152, 160, 165, 168, 170f., 175, 181, 186, 196, 198, 205, 231, 247, 259f., 264, 269, 276, 279, 286, 290, 310, 315, 318, 350, 354, 357, 404f., 411–15, 420f., 448, 450, 452, 470, 476f., 485, 488f., 503, 507, 542, 557, 561f., 564, 577, 585, 587, 593, 619, 631, 639, 652, 656, 663, 694, 697, 700, 702, 706, 711, 717, 729, 736f., 750, 767, 772, 786, 794f.,797, 805, 807, 813, 815, 835, 841, 847, 850, 855, 864, 872, 877, 881, 910, 915, 920, 929, 935, 938, 947, 975, 993–95, 998f., 1001f., 1005f., 1010, 1018, 1022, 1029– 33, 1041 Weltkrieg, Zweiter 43f., 52, 59, 66, 73f., 76, 85, 91, 115, 119f., 130, 136f., 159–61, 165, 169, 172, 175, 182, 194, 196, 205, 212–15, 227f., 231, 241f., 261, 264, 266f., 277, 283, 292f., 302f., 316, 319, 344, 347, 350f., 358, 362, 366, 377, 386, 392, 397–99, 406, 413, 415, 428, 443, 457, 459, 463f., 481, 485, 504, 507, 522, 524, 535, 542f., 546, 555, 561, 569, 577, 580, 587, 594, 614f., 632, 657, 674, 698, 708, 716, 728, 731, 737, 772, 794, 797, 801, 803, 805–07, 813, 815, 828, 847, 855, 874, 882, 884, 905, 908, 920, 926, 935, 938, 975, 981f., 993, 995, 999, 1002, 1014f., 1019, 1021f., 1033–39, 1044, 1048, 1051f., 1064, 1067 Weltwirtschaftskrise 76, 81, 136, 160, 169, 196, 205, 260, 264f., 290, 318, 415, 443, 464, 485, 488, 874, 915, 1039–42 Wesir 162f., 325, 364f., 380, 386, 470, 592, 629, 719f., 1042f. Westeuropa, Balkanbild 299f. Westungarn 73, 153, 211f., 255, 487, 573, 691, 764, 810, 860, 962, 984, 1043 Wiedergeburt →Nationsbildung Wiedertäufer →Anabaptisten
Wien 69–71, 84, 94, 96f., 100, 106f., 120, 127, 188, 198, 211, 220, 227, 276, 286, 290, 334f., 339, 342, 354, 360, 368–70, 391, 401, 403, 405, 418, 432, 473, 476, 485, 497, 536f., 553, 556, 601, 628, 644, 662, 667, 677, 685f., 711, 766, 755f., 777–82, 790, 810, 833, 846, 850, 861, 862, 869, 908, 910, 945, 950, 952, 959, 962f., 964, 974, 1005, 1026, 1045, 1060 Wien, Belagerung (1529, 1683) 460, 473, 636, 667, 963 Wiener Kongress 143, 371, 408, 419, 1023 Wiener Schiedssprüche 205, 261, 264, 270, 289, 478, 590, 658, 672, 797, 842, 847, 851, 864, 948, 975, 1033, 1035, 1043–46 Wirtschaftsbeziehungen 259–263 Wirtschaftsstruktur 134–137 Wittelsbacher 69, 91, 356, 520, 595, 638, 728, 735, 877, 910, 1000, 1004, 1046f. Y Yürüken →Jürüken Z Zadruga →Großfamilie Zagorje, Hrvatsko 1047 Zagreb 44, 52, 120, 139, 247, 256, 335, 409, 432, 438, 480, 506, 541, 545f., 591f., 602, 663, 774, 779, 861–63, 873, 884, 886, 901, 946, 952, 968, 977, 979, 980, 984, 1006, 1047–49 Zahumlje 178, 245, 287, 386, 830, 918, 1049 Zakonik 252, 280, 321, 483, 759, 839, 1013, 1049– 51, 1061 Zbor 74, 175, 741, 1051f. Zeamet 153, 929, 1052f. Zeitrechnung – Kalendersystem 93, 204, 672, 1053–55 Zeta 178, 185, 230, 236, 238f., 245, 322, 390, 627, 632, 649f., 736, 753, 830f., 837–40, 918, 1049, 1055f. Zigeuner →Roma Zimmi 252, 438, 493, 516, 604, 757, 827, 1056–58 Zionismus 89 Zips 69, 153, 256, 275, 371, 576, 655, 658, 712, 763, 864f., 867f., 900f., 982, 1018, 1058f. Zipser Sachsen 69, 256, 390, 1058
1101
Orts- und Sachregister
Zisleithanien 99, 102f., 108, 143, 198, 285, 683– 85, 700, 706, 942, 945, 1060 Zivilrecht 331f. Zsitvatorok, Friede v. (1606) 468, 846, 962, 1060f. Zünfte (a. →Esnaf ) 111, 190, 219, 849, 894 Zünfte, Osmanisches Reich 201, 305, 377, 894 Župan 321, 427, 506, 544, 573, 634, 649, 753, 831, 861, 900, 1013,1050, 1061 Zwangsarbeit 277, 718, 789, 851, 874, 969, 1062–63 Zwangsmigrationen 67f., 113, 123, 158, 170–72, 184, 201, 227f., 277, 310f., 315, 351, 357, 421f., 428, 485, 535, 561, 576, 587, 597, 646, 653, 816, 895, 916, 950, 981, 1019, 1032, 1063–65; Dobrudscha 269f.; Umsiedlungsabkommen 277, 421 Zweibund 71, 260, 686 Zypern 63, 108, 111, 125, 222f., 342, 353, 355, 358, 388, 459, 470, 533, 558, 562–64, 607, 670, 672, 770, 887f., 912, 915, 961, 977, 992, 1065–68
1102
HOLM SUNDHAUSSEN
SARAJEVO DIE GESCHICHTE EINER STADT
Mit Sarajevo verbinden sich vielfältige Assoziationen: Stadt des Attentats von 1914, Stadt der Winterolympiade von 1984, belagerte Stadt 1992–1996, Stadt der Toleranz und Stadt des Hasses, „Damaskus des Nordens“, „Jerusalem Europas“ und „Klein-Jerusalem“. Die Geschichte Sarajevos ist zu großen Teilen eine Geschichte von Zerstörung und Wiederauf bau, erneuter Zerstörung und erneutem Wiederauf bau. Es ist eine Geschichte von Multikulturalität und Interkulturalität. Das jahrhundertelange Nebeneinander, Miteinander und Gegeneinander von Muslimen, Orthodoxen, Katholiken und Juden kennzeichnet Sarajevo wie kaum eine andere Stadt in Europa. Holm Sundhaussens umfangreiche Stadtgeschichte reiht sich in seine bereits zu Standardwerken avancierten Bücher über Jugoslawien und Serbien ein. 2014. 409 S. 31 S/W- UND 24 FARB. ABB. GB. 170 X 240 MM. | ISBN 978-3-205-79517-9
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HOLM SUNDHAUSSEN
JUGOSLAWIEN UND SEINE NACHFOLGESTAATEN 1943–2011 EINE UNGEWÖHNLICHE GESCHICHTE DES GEWÖHNLICHEN 2. DURCHGESEHENE AUFLAGE
Was war Jugoslawien, warum gibt es den Staat heute nicht mehr und was ist an seine Stelle getreten? Der Historiker Holm Sundhaussen analysiert in seinem Buch Aufstieg und Fall des sozialistischen Jugoslawien und stellt die noch junge Geschichte der sieben Nachfolgestaaten dar. Obwohl (Ex-)Jugoslawien nach dem Ende des Kosovo-Kriegs und dem Sturz Milosevics aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt ist und die Debatten der 1990erJahre weitgehend in Vergessenheit geraten sind, erlebt die Jugoslawien-Forschung einen regelrechten Boom. Nie zuvor waren so viele und umfangreiche Dokumente zugänglich wie heute. Die Erschließung und Auswertung des Materials bleibt eine Jahrhundertaufgabe. Holm Sundhaussen zieht eine erste Bilanz. 2014. 577 S. 40 S/W-ABB. GB. 170 X 240 MM. | ISBN 978-3-205-79609-1
„Dieses grandiose Werk ist eine Fundgrube an Information.“ Süddeutsche Zeitung
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