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German Pages 881 [884] Year 1854
Lehrbuch der
C h i r u r g i e und Operationslehre.
Zweiter Band.
Aug. Vldal's
L e h r b u c h der
Chirurgie und Operationslehre. Nach der dritten Auflage, mit besonderer Rücksicht auf das BedUrfniss der Studirenden,
deutsch bearbeitet
von
Dr. Adolf Bardel eben, o r d . P r o f e s s o r d e r C h i r u r g i e u n d D i r e c l o r d e r c h i r u r g i s c h e n u. a t i g e n ä r z t l i c h e n Klinik an d e r Universität z u G r c i f s n n l d .
M i t m e h r a l s 500 in d e n T e x t g e d r u c k t e n
Holzschnitten.
Z w e i t e r Band.
Berlin,
1854.
Druck und Verlag von Georg Reimer.
Inhalts-Verzeichniss des zweiten Bandes.
Zweites Buch. Von den chirurgischen Krankheiten der einzelnen
tiewebe. Seite
Krater Abschnitt.
Von den chirurgischen Krankheilen der Haut
Erstes Capitel.
Entzündungen der Haut und deren Ausgänge
I. II. III. IV. V. VI.
.
.
1—48
Erythem Erysipelas Zoster Furunkel Carbunkel Brand der Haut
1 5 14 18 21 23
Zweites C a p i t e l . Verletzungen der Haut A. Wunden B. Fremde Körper
25 25 28
D r i t t e s C a p i t e l . Neubildungen in der Haut I. Schwielen, Hühneraugen, Hauthörner II. Warzen III. Balggeschwülste IV. Hautkrebs V. Lupus
20 29 30 32 34 34
S w e l t e r Abschnitt. Erstes Capitel.
Von den Krankheiten des Bindegewebes
.
.
. 49—74
Entzündung des Bindegewebes und deren Ausgange.
I. Von der Bindegewebs-Entzündung, Phlegmone, im Allgemeinen . II. Phlegmonöses Erysipelas. Pseudo-Erysipelas. Phlegmone diffusa III. Wasser-Erg ms im Bindegewebe. Oedema
. .
49 53 60
TT
Inhaltsrerzeichniss des zweiten Bandes. Seite
Zwe ites C a p i t e l .
Verletzungen des Bindegewebes.
Traumatisches Emphysem Drittes Capitel.
6
Organisirte Neubildungen
im Bindegewebe.
Eingekapselte scirrhöse Geschwülste Dritter Abcelwltt.
7
Von den Krankheiten der Schleimbeulel
Erstes Capitel.
.
.
. 7 5 - 8
Verletzungen der Schleimbeutel
Zweites Capitel.
7
Entzündung der Schleimbeutel und deren Folgen.
I. Entzündung
7
II. Eiterige Ergiessungen
78
III. Seröser Erguss. Bygroma Vierter Abschnitt.
79
Von den Krankheiten der Arterien
Erste Abtheilung. Erstes Capitel.
.
.
.
.
84—353
Von den Krankheiten der Arterien im Allgemeinen. Wunden der Arterien
84
I. Arterielle Blutungen
91
II. Traumatisches Aneurysma
9."
A. Primäres traumatisches Aneurysma
9G
B. Secundäres traumatisches Aneurysma
98
C. Arteriell-venöses Aneurysma
100
Zweites Capitel.
Entzündung der Arterien
Drittes Capitel.
Neubildungen in dem Arteriengewebe
108
Viertes Capitel.
Pulsadergeschwiilste, Aneurysmata
Fünftes Capitel.
Therapie der Arterienwunden und der Aneurysmen.
.
.
.
.
113 118
Blutstillungsmittel
130
I. Blutstillungsmittel, welche mechanisch den Blutstrom hemmen, und dadurch die Bildung des Thrombus herbeiführen
.
.
A. Druck, Compression
139 139
B. Unterbindung, Ligatura
145
I. Von der Unterbindung blutender Gefäss-Enden
.
.
.
.
II. Von der Unterbindung in der Continuität der Arterien
146 .
150
Heilungsvorgang und üble Zufälle nach der Unterbindung in der Continuität einer Arterie Anwendung der Ligatur zur Heilung von Aneurysmen 1)
157 .
.
Methode des Antyllus
163
2) Methode von Huntcr 3)
Methode von Brasdor
163 164
.
Varianten der Unterbindung
165 167
C. Torsion
109
D. Acupunclur
171
II. Blutstillungsmittel, welche vorzugsweise auf chemischem Wege Gerinnung bedingen
des Bluts und dadurch Verschluss des Gelasses 172
Inhaltsverzeichnis« de« zweites Bandes.
V Seil«
A. Medicamenta styptica
172
B . Cauterisation.
173
Ferrum cándeos
C. Electropunctur
174
III. Blutstillungsmittel,
welche
wesentlich
durch Erregung der
Con-
traclion der Gelasse wirken
175
IV. Vergleichung der hauptsächlichsten Blutstillungsmittel . Zweite Abtheilung. einzelnen Erstes
Von
den Krankheiten
.
.
.
176
und der Unterbindung der
Arterienstämme.
Capitel.
Truncus
anonymus,
seo
brachiocephalicus,
seo
cleidocaroticus
179
I. Anatomie
179
II. Krankheiten des Truncus anonymus
.
.
.
180
III. Unterbindung des Truncus anonymus Zweites
Capitel.
182
Artería carotis und deren Hauptäste.
I. Anatomie
183
II. Krankheiten der Carotiden III. Unterbindung der Carotis communis 1.
184 und ihrer wichtigsten Aeste
Carotis communis
187 187
A. Verfahren nach Asthley Cooper
.
.
B . Unterbindung der Carotis in der Nähe des Schlüsselbeins . . 3 ) In dem Artikel „Erysipelas" des Diclloniutirc des sciences medicales. ' ) Vergl. C l i o i n e l und Ii l a c h e ,
7
ErjiipelM.
breitete Hautentzündung, w i e dies bei ausgebreiteten Verbrennungen s e l b s t d e s ersten G r a d e s beobachtet wird. A m Häufigsten tritt
das E r y s i p e l a s
auf im Frühjahre und
im
H e r b s t e ; diese T h a t s a c b e allein liefert schon den B e w e i s , dass g e w i s s e atmosphärische günstigen. weise
Verhältnisse
die Entwickelung
Noch andere Zustände, —
desselben
ein e i g e n t h ü m l i c h e r
be-
zeit-
h e r r s c h e n d e r K r a n k h e i t s c b a r a k t e r — lassen die R o s e
so häufig auftreten, d a s s sie zu einer epidemischen Krankheit wird, w a s b e s o n d e r s in g r o s s e n Hospitälern beachtenswerth ist.
Zu solchen
Zeiten und unter solchen Umständen geschieht es, dass die u n b e d e u tendste Operation, der Stich eines B l u t e g e l s , Veranlassung gibt zu dem E r s c h e i n e n des E r y s i p e l a s .
Mitunter k o m m e n in einem einzigen
d e r Pariser Hospitäler zahlreiche Fälle von Erysipelas vor, w ä h r e n d sie sich in anderen
nicht in demselben Verhältnisse
finden.
Zu-
weilen tritt das E r y s i p e l a s mehr oder w e n i g e r häufig auch
in
Stadt a u f ,
wüthet;
wenn
es in
einem der grossen Krankenhäuser
es kommt aber auch v o r , dass es auf ein Krankenhaus
der
beschränkt
bleibt; dann scheint e s einen endemischen Charakter anzunehmen. Die A n s i c h t ,
dass
das E r y s i p e l a s
Anhänger in England ( A r n o l t , Ist
entkräftet
Biett,
durch
Chomel
Contagiums
die
und
bringen
unzählige
hier
ebenso
in A n s c h l a g ,
sei,
eines
andere.
Die
wenig,
wie
Alibert,
werden.-
ausstellen,
dass
allen
Bei
Sie eines
anderen
einer Krankheit,
in w e l c h e m
den
Ge-
die Personen sich
be-
schärferer Beobachtung
diese Zustände
ihre
Rayer,
Vertheidiger bei
finden, welche fast gleichzeitig von einer und derselben befallen
zählt
Bury, Lawrence).
Beobachtungen
Fragen Uber die c o n t a g i ö s e Verbreitung sundheitszustand
ansteckend
Gibson,
Krankheit
w ü r d e es sich h e r -
oftmals dieselben s i n d ,
und dass
es deshalb nicht auffallen darf, w e n n sie z u r selben Zeit bei m e h r e r e n Individuen gleiche W i r k u n g e n Dass
verschiedene
psychische
hervorbringen. Affecte,
wie
z. B.
Aerger,
S c h r e c k , Einfluss haben auf die E r z e u g u n g des Erysipelas, ist durch die Erfahrung vollkommen bestätigt.
Ein Beispiel davon giebt die
Frau, von der F a l l o p i u s 1 )
„ a l l e die Tage, an denen ihr
Zorn hervorbrach —
erzählt:
u n d deren waren viele —
wurden bezeichnet
durch ein Erysipelas d e r N a s e . " Nicht allein in dem Nervensysteme
haben dio Ursachen
ihren
Sitz, welche auf mittelbarem W e g e diese Art von Entzündung h e r v o r r u f e n ; zu allen Zeiten hat man vielmehr den V e r d a u u n g s a p p a r a t •) Optra omnta, tom. M. pag. 109.
8
Krankheiten der Haut.
als Sitz
des Fermentes
dieser Krankheit
bezeichnet.
Nach
den
darüber h e r r s c h e n d e n Ansichten wäre es bald eine Reizung dieses Apparates, welche an irgend einem Punkte der Haut sich reflectirte; bald soll die Saburra sich mit dein Blute vermischen und so Veranlassung
geben
zu
die
der erysipelatüsen Entzündung u. dgl. m.
Sicher i s t , dass der Verdauungsapparat oft leidet, sowol vor als während
der Krankheit.
Daher hat man schwer verdauliche Nah-
rungsmittel, in Zersetzung begriffenes Fleisch, verdorbene Fische und Muscheln, Gewürze, geistige Getränke als Veranlassungen bezeichnet. | Bei Manchen besteht die Idiosynkrasie, nach detp Genuss gewisser Speisen (z. B. Krebse) stets von der Rose befallen zu werden. | D y s m e n o r r h ö e und A m e n o r r h o e treten mitunter gleichzeitig mit einem Erysipclas, besonders einer Gesichtsrose auf, welche sich dann in fast jedem Monate wiederholt.
Beobachtungen dieser Art
führten zu der Annahme eines periodisch auftretenden Ervsipelas. Vi d a l behandelte einst eine junge Klinsllerinn, bei der ein solcher Fall vorlag; ihre Lippen und die Nase waren in Folge des öfter wiederkehrenden Blutandranges nach
dem Gesicht
hypertrophisch,
wie man dies constant
findet,
sobald die Rose oft an einer und
derselben Stelle auftritt.
C o n s t a l t a t kannte eine Frau, welche fünf
Mal, zur Zeit der Menses, Rose an den Füssen hatte; sobald Abschuppung eintrat, flössen auch die Regeln. R a y e r erwähnt eines i n t e r i n i t t i r e n d e n Erysipelas, welches mit neuralgischen Schmerzen im Gesichte wiederkehrte; aber von Anderen sind weder zahlreiche noch hinreichend zuverlässige Beob-. achtungen gemacht, welche zu der Aufstellung eines solchen Typus berechtigten. veranlasst,
Die wandernde Rose hat hier wol eine
Täuschung
indem man eine Versetzung des Uebels für intermitti-
r e n d e s Auftreten genommen hat. Symptome.
Ausgang.
Sehr constänt gehen dem Erysipelas
allgemeine Erscheinungen voraus.
Bei Abwesenheit derselben darf
man schliessen, dass das Erysipelas in geringer Ausdehnung auftreten werde oder ein habituelles sei.
Die Gruppe dieser Erschei-
nungen ist von H o f f m a n n als „Rothlauffieber" bezeichnet w o r d e n ; sie weichen übrigens nicht ab von denen des Stadmrn
prodromorum
vieler a n d e r e r acuter Krankheiten, n u r dass h i e r , im Allgemeinen, gastrische
Symptome
vorherrschen.
Kopfschmerz,
bitterer
Ge-
schmack, belegte Zunge, Neigung zum Erbrechen, Schmerz in der Magengegend, Ilartleibigkeit, Mattigkeit, Uebelbefinden im Allgemeinen, leichtes Frösteln, sehr frequenter Puls. sich ferner Veränderungen
Als Vorläufer zeigen
an der Stelle der H a u t , die ergriffen
Erysipelai.
9
wird, oder in der Nähe derselben. Dergleichen sind Empfindungen des Brennens oder der Steifigkeit, oder auch schmerzhafte Anschwellungen der Lymphdrüsen am Halse, in der Leistengegend, in der Achselgrube, je nachdem Kopf oder Extremitäten befallen werden sollen. Zwei, seltener drei Tage, nach diesen Vorboten, treten Symptome auf, welche den Charakter der Krankheit nicht mehr zweifelhaft lassen. Die A n s c h w e l l u n g ist besonders stark ausgeprägt, wenn das Erysipel die Augenlider oder das Scrotum ergriffen hat. In allen Fällen sind die Grenzen derselben weniger vermittelst des Gesichtssinnes, als durch das GefUhl zu erkennen. Die R ö t h e spielt etwas ins Gelbliche, seltener ist sie bläulich; sie verschwindet unter dem Drucke, um nach Aufbebung desselben sogleich wieder zu erscheinen; das GefUhl einer brennenden, kochenden- Hitze macht den S c h m e r z lebhaft und s t e c h e n d , wodurch er sich leicht von den Schmerzen unterscheidet, die durch irgend eine andere Eutzündung verursacht werden. Die Symptome steigern sich bis zum dritten oder vierten Tage, und bleiben fast ebenso lange auf der Höhe ihrer grössten Entwickelung stehen. In Folge der Entzündung der Haut müssen auch Veränderungen der Epidermis eintreten; daher das glänzende, runzelige Ansehn derselben, zuletzt ihre Abstossung. Wenn unter ihr eine seröse Flüssigkeit ausgeschwitzt ist, so erheben sich kleinere oder grössere Bläschen ( B l a s e n r o s e , B l a t t e r r o s e , Erysipelas bullosum). Diese Bläschen vervielfachen sich, näheren sich einander, verschmelzen zuweilen und brechen bald auf; die aussickernde Flüssigkeit trocknet ein; es bilden sich harte Krusten, die, Anfangs gelblich, später braun werden und oft einige Linien dick sind. Der Uebergang in Eiterung ist selten, ebenso der Brand. Der gewöhnliche Ausgang ist in Z e r t h e i l u n g ; man kann diesen vorher sagen, wenn die Symptome in ihrer höchsten Entwickelung nicht Uber den vierten Tag hinaus bestehen bleiben. Allmälig verschwinden Schmerz, Röthe und Hitze; die Geschwulst bleibt länger, ja ist nicht selten sehr hartnäckig. Man darf alsdann eine Entzündung des darunter liegenden Zellgewebes voraüssetzen, und die Bildung einer gewissen Menge von Eiter erwarten. Irrig wäre es, wollte man solche leichte Eiterergüsse, wie sie an einzelnen, begrenzten Stellen und namentlich unter den Augenlidern und selbst unter der behaarten Kopfhaut ohne weitere Zufälle Statt finden, mit dem wahren phlegmonösen Erysipelas (Phlegmone diffusa) verwechseln, welches immer eine sehr schwere Krankheit ist,
10
Krankheiten der Haut.
Eben deshalb, weil das Erysipelas eine auf der O b e r f l ä c h e der Haut auftretende Entzündung ist, muss sie beweglicher als andere Entzündungen sein, und selten geschieht es daher auch, dass die Krankheit auf der zuerst ergriffenen Stelle sich beendet. Durch das, dem Exanthem schon vorausgegangene Fieber ist die Haut in den, für eine Entzündung geeignetsten Zustand versetzt worden; überall ist sie warm, trocken und schmerzhaft. Was bedarf es unter solchen Umständen noch zur Ausbildung der Rose? einer etwas beträchtlicheren Blutzufuhr; und in der That tritt das Erysipelas an verschiedenen Stellen, wohin gerade eine grössere Menge Blut geströmt ist, stärker hervor. Man nennt dies eine w a n d e r n d e , u m h e r s c h w e i f e n d e R o s e , Erysip. ambulans, migratorium. Eigentlich erstreckt sich die rosige Krankheit über die ganze Ausdehnung der Haut, nur spricht sie sich nicht überall durch Bläschen oder durch eine deutliche Röthe aus. Wenn Diejenigen, welche die Möglichkeit eines allgemeinen Erysipelas annehmen, es in diesem Sinne verstehen, so dürfen wir uns, ohne Bedenken, mit ihnen einverstanden erklären. Wenn die am Meisten hervorstechenden, örtlichen Erscheinungen nach ihrem ersten Auftreten gleich wieder verschwinden, ohne an einer anderen Stelle der Haut von Neuem hervorzutreten, so nennt man dies ein Z u r ü c k t r e t e n . Dies ist gefahrlich, wenn das Erysipelas heftig ist. Dann ist entweder ein inneres Organ oder eine innere Haut in grosser Ausdehnung gefährdet. In diesem Falle haben wir die m e t a s t a t i s c h e Form vor uns. Das Erysipelas ist keinesweges verschwunden; es ist nur von der Oberfläche in die Tiefe verpflanzt, und fortwährend macht dasselbe pathologische Element sich geltend. Verwerfen wir daher nicht durchaus die Meinung der Alten, dass es „ i n n e r e " Rosen gebe. Hippocrates spricht oft von einem Erysipelas der Lungen, der Gebärmutter, des Schlundes, und diese Ideen finden wieder Eingang. Wir dürfen also das Erysipelas nicht nur als eine Krankheit betrachten, die nicht in dem engen Kreise ihrer örtlichen Erscheinungen eingeschlossen ist, sondern müssen behaupten, dass sie sich gar nicht einmal auf die Haut beschränkt. Die allgemeinen Symptome, welche das Herannahen des Erysipelas angezeigt haben, bilden auch sein Gefolge; sie treten in dem Maasse stärker hervor, als die Entzündung vorschreitet, nnd verschwinden nach der ersten Woche. Zwischen dem siebenten und vierzehnten Tage tritt die K r i s i s ein, welche zuweilen durch einen
Erysipels«.
11
Niederschlag im Urine, durch eine Diarrhoe oder durch einen massigen Blutfluss angedeutet wird. P a t h o l o g i s c h e A n a t o m i e . Bei Subjecten, welche den Folgen eines Erysipelas erlagen, fand L o u i s die Haut hart, dick und zerreiblich'). Nach C h o m e l und B l a c h e löst sich die Epidermis an der ergriffenen Stelle leicht ab; der Fingerdruck bewirkt auf derselben eine mehr oder weniger deutliche Vertiefung; eine braune Farbe ist an die Stelle der rothen getreten, welche man bei dem Lebenden wahrnahm. R i b « s giebt an, dass die kleinen Venen der Haut mehr entzündet seien, als die kleinen Arterien und Lymphgeffisse; die Folge davon wäre endlich Phlebitis suppurativa'). R a y e r konnte bei seinen Untersuchungen diese Veränderungen nicht finden, und meint, dass sie nur in den Gefässcn, die u n t e r der Haut liegen, wahrnehmbar sein könnten, denn die im Papillarkörper verlaufenden seien zu fein, als dass an ihnen die Entzündung |mit blossem Auge| nachgewiesen werden könne. „Die Mitleidenschaft der Venen des Unterhautzellgewebes," sagt R a y e r , „findet nicht immer Statt, und der in ihnen enthaltene Eiter kann von ihnen aufgesogen worden sein."(?) Wahrscheinlich ist es, dass R i b e s seine Beobachtungen gemacht hat an Subjecten, welche in Folge eines, in dem Zellgewebe verbreiteten Erysipelas gestorben waren; bei dem Vorhandensein einer Entzündung der Venen hielte es schwer, die schnell und so leicht erfolgenden Versetzungen der gewöhnlichen Rose zu erklären. Nach B l a n d in wäre das Erysip e l eine zusammengesetzte Entzündung der Haut und der Lyinpbgeflisse der ergriffenen Stelle; Rothe der Haut, ohne eine entsprechende Lymphgefttssentzündung wäre nichts als ein Erythem. Die t r a u m a t i s c h e Rose ist, nach ihm, auf eine bemerkenswertbe Weise cbarakterisirt durch das Vorherrschen der LympbgefässentzUndung; die erysipclatöse Entzündung geht von den Lymphgefiissen der Haut und des Unterhautzcllgewebes aus. Das Auftreten des Erysipels ist, nach B l a n d i n , ö r t l i c h bezeichnet durch Anschwellung deijenigen Lymphdrüsen, in welche die Lymphgefässe des Theiles eintreten, der kurz darauf geröthet erscheint, im A l l g e m e i n b e f i n d e n aber durch eine cigenthümliche Störung des Gemeingefllhls, ähnlich wie bei dem Auftreten von Gefässeatzündungen. Das Erysipelas würde demnach nur durch die Entzündung der Lymphgefässe gcffihrlich sein. Wenn es nicht schnell in Zertheilung endet, so werden ') Man vergleiche die Concursschrift von Lepelletier, Traile de FKtytipele, Part» 1836. ') JttmoIre» dt la aoetiti mMcult itemmtatioH, Band VIII.
12
Krankhelten der Haut.
typhusartige Zufälle, wie bei anderen Gefässentzündungen, auftreten. Das Ervsipelas breitet sich aus, indem es den Lymphgefässnetzen der Haut und des Unterhautzellgewebes folgt, es ist seinem Wesen nach wandernd, weil es eine Eigehthümlichkeit der Gefassentzündungen ist, sich auszubreiten. Die Verbreitung des Erysipelas erfolgt in den meisten Fällen gegen die Mitte des Körpers hin, weil auf diesem Wege die Lymphgefässentzündung gemeiniglich fortschreitet. — |An diese Ansicht B l a n d i n ' s schliesst sich diejenige von C h e l i u s an, welcher beim Erysipelas eine Entzündung der Lymphgefässe der Haut annimmt. | D i a g n o s e . Die punctirte, weit verbreitete Röthung der Haut bei den Masern unterscheidet dieselben hinlänglich von dem Erysipelas. Eher könnte man es verwechseln mit einer partiellen Eruption von Scharlach, welches aber eine Himbeer-Röthe hat und von beträchtlicher Angina begleitet zu sein pflegt. Das Erythem tritt fleckenweise auf und bleibt oberflächlicher; freilich kommen bei ihm auch kleine Erhebungen der Haut mitunter vor, aber ohne eine ausgebreitete Anschwellung, wie wir sie beim Erysipelas finden. Die P r o g n o s e ist bedenklich, wenn bei dem von Erysipelas Ergriffenen zugleich eine andere Krankheit bestand; aber alsdann wird die Gefahr bedingt von dieser vorhergehenden Krankheit. Ein in dem letzten Stadium der Schwindsucht auftretendes Erysipelas ist der Vorbote baldiger Auflösung. Verbindet es sich mit einer Wunde, so ist es niemals leicht zu nehmen, vorzüglich wenn die Verwundung in der ¡Nähe des Gehirns Statt gefunden hat. Fehlen alle Complicationen, so darf man eine günstige Prognose stellen. Das Erysipelas kann andere Krankheiten entscheiden, z. B. Rheumatismus und alte Hautausschläge. B e h a n d l u n g . Kann das Erysipelas ohne Kunsthülfe heilen? Gewiss. Der Beweis hierfür ist nicht nur geliefert worden von Aerzten, welche kein Arzeneimittel gegen diese Krankheit verschreiben, sondern auch durch die grosse Zahl von Heilungen, welche unter dem Einflüsse der verschiedensten Mittel ohne wesentliche Differenz der Krankheitsdauer erzielt werden. Diese Thatsachen dürfen jedoch nicht zu einem durchaus exspectativen Verfahren verleiten, was oft den nachtheiligsten Einfluss haben könnte; denn es steht fest, dass starke, plethorische Subjecte in Folge eines Erysipelas gestorben sind, welches keine tödtlichen Zufälle veranlasst haben könnte, wenn es in der Entwickelung gehemmt worden wäre. | Da das Erysipelas mit seltnen Ausnahmen unter gastrischen Störungen beginnt und verläuft und in allen bedeutenderen Fällen die
Erysipelas.
13
Kranken eine entschiedene Neigung zum Erbrechen haben; so wurde bis auf die neuste Zeit fast allgemein empfohlen, dem Kranken im Beginne des Rothlaufs ein Emeticum, späterhin aber kdhlende, säuerliche Purganzen zu geben. Jeden Falls siebt man unter einer solchen Behandlung das Erysipelas in der Mehrzahl der Fälle milde verlaufen. Diejenigen, welche das Wesen der Krankheit in einer von den gastrischen Störungen unabhängigen Entzündung suchen, empfehlen entweder mit B l a n d i n , im Anschluss an seine oben entwickelte Theorie, die Application zahlreicher Blutegel in der Gegend der Lymphdrüsen, zu welchen die Lymphgefässe des von der Rose befallenen Theiles verlaufen, oder die Anwendung von Blutentziehung aus dem ergriffenen Hautstilcke direct, oder aber Aderlässe, oder endlich die Anwendung kühlender, adstringirender, comprimirender Mittel auf den leidenden Theil selbst. Unter den letzteren haben sich besonders die Auflösung des schwefelsauren E i s e n s ' ) und das Gollodium') eines mehrseitigen Beifalls zu erfreuen gehabt Wenige mögen wol noch daran glauben, dass man der wandernden Rose durch einen mit Höllenstein gezogenen Strich ein unüberwindliches Hinderniss entgegensetzen könne. Am Besten möchte es sein aller örtlichen Mittel sich gänzlich zu enthalten und den ergriffenen Theil nur durch Einhüllen in indifferente Stoffe (Watte) vor Erkältung und anderweitigen Insultationen zu schützen. Die kühlenden und adstringirenden Mittel sind nicht blos unnütz, sondern können sogar schaden, indem durch sie ein Zurücktreten der Rose und eine gefährliche Metastase veranlasst werden kann. Ebenso wenig empfehlensweith sind starke und besonders allgemeine Blutentziehungen. | Man entfärbt wol die, durch stärkeren Zufluss des Blutes geröthete Haut, indem man ihr dieses in verschwenderischem Maasse entzieht; man verringert etwas die Anschwellung; aber dadurch geschieht der erysipelatösen Erkrankung kein Einhalt, und wir sind fest davon überzeugt, dass derjenige von zweien, an einem gleich starken, einfachen Erysipelas leidenden Kranken, welcher der eigenen Kraft seines Organismus überlassen bleibt, wenigstens ebenso schnell genesen wird, als der Andere, den man einer tief eingreifenden antiphlogistischen Kur unterwarf. Und man muss hinzufügen, dass bei demjenigen, welcher sich selbst überlassen bleibt, die Genesung vollkommen ist, und dass er eher wagen darf, seiner gewohnten ') Nach Velpe au soll eine Auflösung von 60 Grammen Ferrum niplkuricum auf 1 Litre Wasser, als Umschlag auf die erysipelatöse Stelle zu Anfang angewandt, die Entzündung in 1 Tagen beseitigen. *) Zuent tob S p e n g l e r empfohlen, Deutsche Klinik 1850 p< 395.
14
Krankheiten d e r Haut.
Beschäftigung nachzugehen,
weil er Kräfte, 'die er nicht
hatte, nicht erst wieder zu gewinnen
verloren
braucht.
In B e t r e f f der zu gestattenden Speisen und Getränke, hat man die bei acuten Krankheiten vorgeschriebenen diätetischen Regeln zu befolgen.
Den Durst lindert man, wenn er stark ist, durch
liche Getränke.
säuer-
Niemals darf man verabsäumen, den Unterleib offen
zu halten, weshalb man häufig zu Klystiren seine Zuflucht n e h m e n m u s s , b e s o n d e r s wenn das Erysipelas am K o p f sitzt.
III.
G ü r t e l r o s e , G ü r t e l , Zona, Zoster (Herpes
Den
Namen
Zona
oder Zoster
giebt
man
einer
Zoster). Entzündung
der Haut, welche sich durch m e h r e r e Gruppen in einander laufender Bläschen auszeichnet, die zusammen gleichsam ein B a n d bilden, welches halbkreisförmig einen Theil des K ö r p e r s Aetiologie.
umgürtet.
Dasselbe Dunkel, welches in Betreff der veran-
lassenden Ursache der R o s e herrscht, findet sich auch hier.
Der E i n -
fluss, welchen der S o m m e r , vorzüglich aber der Herbst hat, ist a u s s e r allem Zweifel; doch beobachtete G e o f f r o y , Anzahl Menschen fallen wurden.
von
Die Erwachsenen
ergriffen, als Kinder und Greise. auch
beim
gewiesen;
Zoster
dass eine beträchtliche
dieser Krankheit im Monate März 1 7 7 8 werden
nicht
häufiger von
beihr
W i e bei dem Erysipelas, so finden
häufig Recidive Statt;
die Erblichkeit
er ist weder contagiös noch epidemisch.
ist
nach-
Zum Beweise
des epidemischen Charakters hat man freilich obige B e m e r k u n g von G e o f f r o y anführen wollen. Zeit
herrschenden
Derselbe erzählt aber, dass die zu j e n e r
Erkrankungen
vorzugsweise
in
katarrhalischen
Leiden des Kopfes und der B r u s t bestanden hätten.
'Symptome. nen
der Sitz
hat ihn niemals
Verlauf.
beobachtet.
Ausgänge.
des Zoster w e r d e n ;
doch
nimmt
Dieser m u s s eine S e l t e n -
einen chronischen Zoster für möglich an. heit sein, denn R a y e r
Alibert
Alle Körperstellen
beobachtet
man
ihn
könmei-
stens an dem Rumpfe. In einigen Fällen gehen dem E r s c h e i n e n des Zoster allgemeine Symptome voraus, ähnlich wie sie vor dem Auftreten des Erysipelas wahrgenommen w e r d e n ; öfter fehlen diese, und der Ausschlag wird angekündigt
durch
Prickeln,
Kochen,
heftige S c h m e r z e n an der S t e l l e , men
durch
welche
brennende Hitze und
von der Zona
cingenom
wird. Viele Fälle hatten
zu der Annahme geführt,
dass der Gürtel
viel häufiger auf der rechten als auf der linken Körperhälfte
auf-
Zoster.
15
trete. Eine Reihe von Beobachtungen, die für das umgekehrte Verbältniss sprechen, ist von Ray e r gemacht worden, der in der ersten Ausgabe seines Werkes noch die frühere Ansicht theilte; unter 53 Fällen von Zoster waren nämlich nicht mehr als 37 auf der rechten Seite entwickelt: ein abermaliger Beweis, wie nothwendig es ist, dass man in der Statistik mit grossen Zahlen operirt, wenn man befriedigende Resultate erlangen wilL Da der Zoster vorzugsweise am Rumpfe sich zeigt, so soll sich unsre Beschreibung wesentlich auf seine Erscheinung an dieser Stelle beziehen. Die Wandungen des Unterleibs werden viel häufiger, als die der Brust von dem Zoster eingenommen. Er kündigt sich an durch unregelmässige, ziemlich lebhaft geröthete Flecke, welche bald an den Endpunkten des HalbgUrtels auftreten, um sich durch zwischenliegende Flecke mit einander zu verbinden, bald von einem Punkte der Mitte ausgehend, nach aussen sich ausbreiten, bis sie gegenüber Halt machen. Es scheint nicht dass der Gürtel in Form eines ganzen Cirkels beobachtet worden ist. Auf den Flecken zeigen sich bald kleine, weisse Bläschen, die wie versilbert, durchsichtig sind, und innerhalb 3 — 4 Tagen last den Umfang einer Erbse annehmen. Die Flecke rötben sich mehr, die Röthe erstreckt sich selbst einige Linien über den Umfang der Bläschengruppen hinaus; nach 5 oder 6 Tagen scheint die in ihnen enthaltene Flüssigkeit von anderer Beschaffenheit zu werden und kann sogar, wenn die Entzündung heftig wird, das Aussehen wirklichen Eiters annehmen. Wenn die Bläschen von selbst nach dem zweiten bis zum vierten Tage aufbrechen, so sickert eine helle, geruchlose, seröse Flüssigkeit aus; die Epidermis löst sich ab und die oberste Schichte der Cutis ist blossgelegt Doch die Mehrzahl der Bläschen trocknet ein, und sie bedecken sieb mit kleinen braunen oder gelblichen Krusten, die in der Regel blätterig sind, zuweilen auch hervorragen. Manche Bläschen gehen vor der Zeit zu Grunde, indem sie einsinken und verwelken, nachdem ihr Inhalt aufgesogen worden ist. Die verschiedenen Gruppen von Bläschen treten nicht gleichzeitig auf; während die ältern austrocknen, zeigen sich neue in den von ihnen offen gelassenen Zwischenräumen. Nach dem achten bis zum zwanzigsten Tage sind gewöhnlich alle Krusten abgelöst. Es bleiben dann nur Flecke von einem mehr oder weniger dunklem Roth übrig, die gleichfalls nach und nach verschwinden. Wenn die Zona zusammenfliesst und beträchtlich ist, so tritt die Beendigung nicht so rasch ein, Die Haut unterhalb der Krusten geht in Verschwörung Uber, und die Vernarbung schreitet nur
16
Krankheiten der Haut.
ziemlich langsam vor.
Am hinteren Theile des Rumpfes stirbt die
Haut alsdann ab, sei es in Folge der Entzündung, sei es in Folge des Druckes durch das längere Liegen, und es, bilden sich, Schorfe, die zwar bei Weitem nicht immer die ganze Lederhaut durchdringen, jedoch erst nach mehr oder -weniger langer Zeit abfallen.
Die Nar-
ben dieser Verschwärungen sind unvertilgbar wie die nach Verbrennungen
des
dritten
Grades.
Gewöhnlich
lassen die
allgemeinen
Symptome bald nach; mitunter verschwinden sie ganz.
Ein mehr
oder minder stechender Schmerz hält bis gegen Ende der Krankheit an,
nicht selten jcdoch bleibt er einige Wochen
dem Verschwinden
der Entzündung
bestehen.
lang
nach
Oft schwellen
die
dem leidenden Theile nahe gelegenen Lymphdrüsen an; in einigen Fällen tritt zugleich mit dem Zoster eine acute Entzündung jenigen Eingeweide
auf, welche unter
nommenen Wandung liegen.
der,
von der Zona
dereinge-
Eine Combination mit Entzündung der
Pleura kann verderblich werden, da man Gefahr läuft den stechenden Schmerz
der Zona zuzuschreiben
und somit die Pleuritis
zu
Ubersehen. Sehr häufig macht sich eine Neuralgie an der von der Gürtelrose ergriffenen Stelle bemerklich.
So schmerzen z. B. an der Brust
die Intercostalnerven, am Bauche die Lumbalnerven; ist die untere Extremität der Sitz des Zosters, Ischiadicus Rayer,
so werden
die Na. Cruralis
und
in Mitleidenschaft g e z o g e n . — Am Häufigsten besteht, nach
zugleich
eine Aifection des Magens und des Dünndarms.
Pathologische für pathologische
Anatomie.
Zwecke
ist
Eine Zergliederung der Bläschen
fast an dem Lebenden
ausführbar.
Abgesehen von der in ihnen enthaltenen serösen Flüssigkeit, findet man an
ihnen,
nach
Rayer,
folgende Zusammensetzung.
Eine
Pseudomembran haftet sehr fest an der Oberfläche des Gefassnetzes der Haut; diese netzförmige Ausbreitung bietet
zuweilen
kleine
eine sehr geringe
violette Punkte
ist lebhaft geröthet und
dar.
Menge von Flüssigkeit
Oft findet sich
ergossen.
Die
nur
kleinen
Gefässe, welche die Maschen der Lederhaut durchdringen, sind an den Stellen, welche dem Sitze der entwickelten Bläschen entsprechen, stark injicirt. Pseudomembran
Sind die Bläschen mit Eiter gelullt, so ist die
weniger
sichtbar
und
fehlt
wol
gänzlich.
Die
brandig gewordenen oder in Verschwärung übergegangenen Bläschen zeigen eine andere Beschaffenheit: die Haut ist dann erweicht und an den exeoriirten
Stellen in verschiedener Tiefe zerstört;
meist
unterscheidet man die Fasern, welche die Maschen der Lederhaut bilden, nicht mehr, und zuweilen ist die Haut in einer sehr be-
17
Zoster.
trächtlichen Ausdehnung zerstört Das Zellgewebe ist nur an einigen Stellen geröthet und entzündet. D i a g n o s e . H e r p e s kann mit dem Gürtel nicht verwechselt werden, weil er zu gleicher Zeit verschiedene Stellen des Körpers ergreift, und sich niemals in Form eines halb-kreisförmigen Bandes zeigt. Man unterscheidet den Gürtel auch leicht von anderen Varietäten des Herpes an den, bei letzteren, weniger umfangreichen Bläschen, die niemals von tiefgreifenden Verschwärungen begleitet sind (Rayer). Nicht leicht möglich wäre eine Verwechselung des Gürtels mit dem Erysipelas. Die Bläschen-Gruppen des Gürtels sind scharf begrenzt und durch gesunde Hautstellen von einander getrennt, was bei dem Erysipelas bullosum nicht der Fall ist. P r o g n o s e . Der Gürtel ist niemals eine Krankheit von grosser Bedeutung; jedoch können bei Greisen Schrunden und gangränöse Zerstörungen auf ihn folgen, welche Beachtung verdienen. Zuweilen kann der Gürtel als Krise anderer Krankheiten auftreten. Begleitende Krankheiten können ihn modificiren. B e h a n d l u n g . Wie bei der Rose, so hat man auch hier die antiphlogistische und ausleerende Methode angerathen. Das exspectative Kurverfahren ist aber hier fast durchgängig anzuwenden. Den Aderlass, welcher bei einigen Complicationen indicirt sein kann, muss man nicht ohne Noth bei Greisen machen. Für dieses Alter, und fast in allen Lebensperioden eignet sich die ausleerende Methode am Meisten, da die gastrische Complication häufiger als die entzündliche vorkommt. Narkotische Cataplasmata lindern die Schmerzen, hindern aber die Eintrocknung der Bläschen, und begünstigen Verschwärungen. Beim Zusammenfliessen der Bläschen lässt die abgelöste Epidermis die Haut unbedeckt; dann muss man durch die geeigneten Mittel diese gegen Reibungen schützen. Ueberflüssig dürfte die Bemerkung sein, dass man den Greisen anempfehlen muss, auf der gesunden Seite zu liegen, damit Verschwärungen vorgebeugt werde. Oertlich hat man wol kräftiger eingreifender Mittel sich bedient; man hat z. B. Blutegel auf die erkrankte Haut gesetzt, die Bläschen ausgeschnitten und ausgebrannt (Velpeau). Die Schnelligkeit, mit der das LTebel nach der Anwendung des ärgert tum nitricum verschwindet, setzt oft in Erstaunen; am Tage nach der Cauterisation ist nicht selten der Gürtel schon beseitigt.
V i d a l ' i Chirurgie.
II.
2
18
Krankheiten der Haut.
IV. Blutschwär, Furunkel, Furuncitlus.
Clou.
Boll.
Der festeste Theil der Haut, die eigentliche Lederhaut, ist von Maschen durchsetzt, in welche kleine Fortsätze des Unterhautbindegewebes eindringen. Wenn diese sich entzünden, so werden sie an ihrer Ausdehnung gehindert, indem die Lederhaut Widerstand leistet; es entsteht auf diese Weise eine Art Einschnürung, in Folge deren die kleinen Bindegewebs-Kegel absterben. Wenn ein e i n z i g e r derselben .entzündet ist, so nennt man die Geschwulst „ B l u t s c h w ä r " , und wenn der Augenlidrand ihr Sitz ist, „ G e r s t e n k o r n " ; eine G r u p p e solcher entzündeter Bindegewebs-Kegelchen heisst „ A n t h r a x " 1 ) . Bei diesen furunculösen Entzündungen spielt allerdings d e r Brand eine Rolle; aber, a u s anatomischen Gründen, wird e r hier durch die Einschnürung hervorgerufen, während bei den b r a n d i g e n G e s c h w ü l s t e n (vgl. „ M i l z b r a n d " ) immer ein tödtlich wirkender innerer Grund das Absterben bedingt. Damit soll indess nicht gesagt sein, dass die furunculöse Entzündung eine reine sei und dass ihre Folgen sämmtlich aus anatomischen Gründen sich erklären lassen. U r s a c h e n . Die Prädisposition zum Furunkel ist derjenigen zur erysipelatösen Entzündung analog. Störungen in den ersten Wegen, wie sie durch schlechte Beschaffenheit der Nahrungsmittel verursacht und unterhalten werden, sind eine der Ursachen, denen man vorzugsweise die Entstehung der Furunkel zuschreibt. Reizende Salben, Unreinlichkeit, schwefelhaltige Bäder, Vesicatorien, das Haarseil, gewisse Ausschläge, wie z. B. Blattern, können die Entwickelung der Blutschwäre begünstigen. Oft brechen sie hervor, ohne dass man die geringste Ursache für ihr Entstehen auffinden könnte. In einigen Fällen treten sie als letztes Symptom einer inneren Krankheit, als Krise derselben, auf. Ohne eine muthmaassliche Ursache erscheinen die Blutschwäre besondere bei plelhorischen Individuen und im Frühjahre. Sie kommen in jedem Lebensalter vor, und jede Constitution ist ihnen ausgesetzt. Symptome. Verlauf. Ausgänge. Die Hinterbacken, die Schenkel, der Rücken, Nacken, die Seitenwandungen des Unterleibes sind vor anderen Stellen des Körpers häufig Sitz des Furunkels. Ein einziger kommt selten vor; in seiner Nähe bilden ') |Es darf gewiss nicht in Abrede gestellt werden, dass Blutschwäre auch von den Hauttalgdrüsen ausgehen können; dass sie aber immer in einer Entzündung dieser letzteren bestehen sollen (was C h e l i u s behauptet), ist, wie die anatomischen Untersuchungen lehren, nicht richtig. |
19
Furunkel.
sich mehrere, und oft in sehr grosser Anzahl.
In manchen Fällen
ist die Anzahl der Furunkel so gross, dass die Kranken kaum eine Stelle
finden,
auf der sie liegen und ausruhen k ö n n t e n ' ) .
Ihre
Grösse ist verschieden, übersteigt jedoch selten die eines Taubeneies. B o y e r hat die Beobachtung gemacht, dass einzeln auftretende Furunkel einen verhältnissmässig grösseren Umfang haben; nen in diesem Falle, kommen.
sie
kön-
sagt e r , an Grösse einem Hühnereie gleich-
Sind mehrere Blutschwäre vorhanden, so ist einer offen-
bar immer viel grösser als die andern.
Nur wenn eine Anzahl
grosser Furunkel auftritt, oder bei Schwächlichen geht Fieber vorher. Anschwellung
der benachbarten
Lymphdrüsen
( a m Halse, in
der
Achselgrube, in der Leistengegend) wird nicht selten beobachtet. Wichtige Functionen können durch sie erschwert oder gehindert werden;
so bedingt z . B . ein zwischen dem After und Hodensacke
liegender stark entwickelter Furunkel,
dass das Harnen
schwierig
und schmerzhaft wird; am Hals hindert er das Schlingen u. s. f. Die Geschwulst fiihlt sich hart und warm an und hat die Gestalt eines Kegels; ihre Basis liegt tief unter dem Niveau der Haut, welche dagegen von der Spitze nur wenig überragt wird, weil die oberste Schicht der Lederhaut am festesten ist. oder spielt ins Violette; der Schmerz ist bohrend.
Die Rothe ist hell Natürlich muss
dieser Schmerz j e nach dem Grade der Empfindlichkeit des Kranken und dem Sitze des Uebels ein verschiedener sein; Beziehung versichert B o y e r ,
in
dieser
dass Furunkel auf den Wandungen
des Unterleibes am Schmerzhaftesten seien. Vor dem 8. Tage spitzt sich der höchste Punkt des zu, wird weich und berstet; aus, und die obere Fläche gelegt.
eine serös-blutige
eines festen gelben
Kegels
Feuchtigkeit
tritt
Pfropfes ist blos
¡Dieser Pfropf (Pflock) besteht, nach der älteren Ansicht,
aus abgestorbenen Bindegewebsfasern;
neuere Autoren
(Gendrin,
R o k i t a n s k y ) fanden ihn den Pseudomembranen gleich zusammengesetzt und bezeichnen ihn daher als einen Exsudatpfropf. Ansichten haben ihr R e c h t ;
Beide
denn mit Hülfe des Microscops kann
man darin ausser Eiterkörperchen
immer ein amorphes
fibrinöses
Exsudat, zuweilen aber auch necrotisches Bindegewebe nachweisen. | Nach der ersten Durchbrechung
der Haut zeigt
Oeffnung, welche mit einem sehr feinen
Stilet
sich
eine
gemacht
kleine
zu sein
scheint; wogegen es nach dem Austritt des Pfropfes das Ansehen hat, als sei in die Geschwulst eine cylindrische Höhle mit klaffen-
s
) | Boy er, Tratte des mdladies cMrurgicales. Tom. II. pag. 44. | 2*
20
Krankheiten der Haut.
der Oeffnung eingegraben gewesen. Alsdann hört der Schmerz auf, die Haut legt sich wieder an, die Höhlung füllt sich aus, bei der Heilung bleibt eine kleine Vertiefung, eine unbedeutende, unregelmässige Narbe, welche bald die Farbe der Haut annimmt. Statt des gewöhnlichen zugespitzten Gipfels, bildet sich auf manchen Furunkeln ein grosses, mit trüber Flüssigkeit gefülltes Bläschen. D i a g n o s e . Die eben beschriebenen Eigenschaften des Furunkels und die, welche von dem Anthrax noch angegeben werden sollen, sichern die Unterscheidung beider. Könnte man wol den wahren Furunkel mit kleinen metastatischen Abscessen verwechseln, die sich zuweilen in der Haut bilden, während sie gleichzeitig auch im Parenchym anderer Organe auftreten? Die bei letzteren auftretenden allgemeinen Symptome einer Phlebitis lassen einen solchen Irrthum nicht zu. Ferner sind metastatische Abscesse abgeplattet; sie haben keinen Eiterpfropf und nehmen einen gdnz anderen Verlauf. Liest man aufmerksam die Angaben in Betreff des Milzbrands, so erscheint eine Verwechselung des Furunkels mit diesem auch nicht als möglich. P r o g n o s e . Die furuirculose Eruption gewinnt nur dann eine grössere Bedeutung, wenn sie bei Greisen und sehr geschwächten Subjecten sich oft wiederholt. Besorgniss darf die Krankheit fast in keinem Falle erregen, oft bildet sie selbst Krisen bedeutender Erkrankungen. B e h a n d l u n g . Man kann versuchen, durch eine Incision die Entwickelung des Furunkels zu unterdrücken; verwerflich dagegen ist die Aetzung mit Lapis infernalis. Eigentlich sollte man nur einschneiden, wenn der Schmerz sehr heftig ist und der Furunkel einen bedeutenden Umfang hat. Der Verlauf wird durch die Incision nicht abgekürzt, wohl aber der Schmerz. Baden in lauwarmem Wasser, Cataplasmata und das Empl. lithargyri composit. sind die zweckmässigsten Mittel. Es ist hinlänglich erwiesen, dass die Furunkel recidiviren und oft mit einer ausserordentlichen Hartnäckigkeit nacheinander auftreten. In solchen Fällen muss man den Kranken Brech- und Abführmittel nehmen lassen. Rayer, 1 ) bemerkt, dass F o s b z o k e grosse Dosen von ^4cid. sulph. dilut. (bis zu 6 Drachmen p. die) als das wirksamste Mittel empfohlen habe, um dem Schmerze und neuen Ausbrüchen vorzubauen. Aber trotz der Anwendung dieser Mittel ') Traiti des maladies de la peau. II. p. 267.
21
Carbnnkel. kehren
die Furunkel
zuweilen wieder;
dann kann
man sie nur
durch ein Regimen vertreiben, das im Stande ist, die ganze Constitution
in
zweckmässiger
Weise
umzustimmen
(Milchkur,
Zitt-
mannsches Decoct). V.
BrandMhw&r, Anthrax, Carbnnkel, Carbunculut benignus.
Der Furunkel ist, wie wir
eben gesehen haben,
eine
sehr
discrete Eruption, und die aus Zellgewebsfasern bestehenden Wärzchen der Lederhaut bilden seine anatomische Grundlage.
Bei dem
Anthrax dagegen findet ein Zusammenfassen Statt: hier haben wir Gruppen von Furunkeln.
Hieraus gehen die Analogieen und Diffe-
renzen leicht von selbst hervor. Ursachen.
Der Anthrax tritt in der Regel vereinzelt
beim Furunkel sehen wir eher das Gegentheil.
auf;
Dieser kommt fast
in jedem Lebensalter vor, während der Anthrax selten bei Kindern gefunden wird, viel häufiger bei Erwachsenen, und vorzüglich bei jenen Unglücklichen auftritt, die durch Alter, Schwäche und Elend gebeugt sind.
Der Sommer und das Frllhjahr beweisen sich in
der Hervorbringung des Anthrax fruchtbarer als Herbst und Winter. Die anderen direct und indirect wirkenden Einflüsse sind dieselben, wie sie bei dem Erysipelas und Furunkel aufgezählt sind. Der Anthrax wählt dieselben Stellen, die Tür die Entwickelung des Furunkels sich günstig zeigen; indess sieht man ihn häufiger und besonders bei Greisen auf dem Rücken in der Gegend der Schulterblätter. Symptome.
Verlauf.
Ausgänge.
Anthrax];als dem Furunkel vorher,
Fieber geht öfter dem
und begleitet ihn stets.
Im
Anfange zeigt er sich zuweilen als eine kleine Geschwulst, als eine Art Knoten in der Haut, bei dem man aber keine Ahnung von dem Umfange hat, wclchen er später erlangen kann.
So lange die
Geschwulst noch klein ist, hat sie Aehnlichkeit mit einem Furunkel, namentlich ist der höchste Punkt weich und öffnet sich wie beim Blutschwär.
Wenn der Anthrax
aber
als eine
Geschwulst
mit breiter Basis beginnt, so macht er rasche Fortschritte und vergrössert sich bedeutend.
Innerhalb 8 oder 10 Tagen kann der
Durchmesser an 10 Zoll betragen; bei geringer Hervorragung über das Niveau der Haut breitet sich die Basis weit unter das Unterhautzellgewebe aus.
Lange bleibt er hart, seine Erweichung zeigt
an, dass in der Tiefe Brand eingetreten ist.
Die Röthe ist sehr
dunkel; bei Greisen wird die Haut sogar dunkelblau und selbst
Krankheiten der Haut. schwäre. Hitze ist besonders im Mittelpunkte vorhanden; sie ist heftig und brennend. Der Schmerz ist heftiger und von längerer Dauer als beim Furunkel; er ist immer spannend und lässt nach, sobald die Haut aufbricht. Dies geschieht gewöhnlich an mehreren Stellen; die Haut erscheint alsdann siebartig durchlöchert; etwas blutiger Eiter und einige Fetzen abgestorbenen Bindegewebes dringen aus den Oeffnungen hervor. Die Haut kann aber auch in der ganzen Ausdehnung, so weit sie die Geschwulst bedeckt, brandig werden.' Tritt dieser Fall ein, so stirbt auch das Unterhautbindegewebe unter ekelhaftem Gestank ab. Die durch den Anthrax bedingten Zerstörtingen sind daher oft beträchtlich: die Haut ist abgelöst, die Aponeurosen, selbst die Muskeln, liegen blos, und es bedarf einer sehr heftigen Entzündung und langer Eiterung, damit alle abgestorbenen Gewebstheile ausgestossen werden. Die Narbe behält lange Zeit hindurch eine braune Färbung; sie ist vertieft, uneben und zeigt zuweilen strangartige Wurzeln, welche nicht nur Entstellungen veranlassen, sondern auch gewisse Bewegungen erschweren können. Nicht immer tritt der Anthrax in so unheilvoller Weise auf. Die Haut, wenn auch an einigen Stellen perforirt, kann erhalten bleiben; die Oeffnungen erweitern sich etwas, so dass die Eiterpfropfe austreten können, und darauf entleert sich ein mehr oder weniger blutiger Eiter, da immer einige kleine Gefässe zerstört sind; aber endlich entsteht eine gutartige Eiterung und die Haut legt sich wieder an. Die Narben bleiben freilich lange Zeit roth, sind aber nicht sehr entstellend. Es darf nicht überraschen, -wenn mit dem Anthrax auch Furunkel auftreten; diese gehen ihm zuweilen voraus, oft umgeben sie ihn wie Trabanten. Nicht ganz selten treten cum Anthrax Entzündungen derjenigen inneren Organe hinzu, welche unter der ergriffenen Hautstelle liegen, so z. B. Peritonitis, wenn er am Bauch sitzt, Laryngitis, wenn am Halse, u. s. f. P r o g n o s e . Die Prognose ist bedenklich, wenn die Geschwulst eine beträchtliche Grösse, zumal bei einem Greise hat; ein kleiner Anthrax, an welchem ein junger Mensch mit gesunden Säften leidet, giebt zu keinen Befürchtungen Anlass, es sei denn, dass eine der oben genannten Complicationen vorhanden wäre. B e h a n d l u n g . Da die Reaction hier viel bedeutender ist als bei dem Furunkel, so muss die Diät antiphlogistisch sein; im Uebrigen richte man die Behandlung so ein, wie sie für bedeutende Furunkel vorgeschrieben ist. Man darf nicht vergessen, dass die Kräfte eines Greises geschont werdeil müssen; bei diesem begUn-
23
Hsatbrand.
stigcn allgemeine und örtliche Blutentziehungen, welche mit Vortheil bei jungen Leuten anzuwenden sind, — nur das Weiterschreiten des Brandes.
Oft dient der fortgesetzte Gebrauch des kalten
Wassers zur Linderung der Schmerzen; aber die Ausbreitung des Brandes kann dadurch befördert werden.
Spaltung und zwar eine
vielfache Spaltung ist das beste Mittel, um schnell eine gutartige Entzündung herbeizuführen.
Jedoch geht die Wirkung dieses Mit-
tels nicht so weit, dass es den Anthrax plötzlich zerstören könnt«, wie viele Chirurgen zu glauben
Es beschleunigt
den
Verlauf, macht ihn regelmässiger, lindert die Schmerzen, —
was
schon viel ist.
scheinen.
Nur glaube man nicht, dass der Schmerz im Augen-
blicke des Einschneidens, wie auf einen Zauberschlag, verschwinde. Damit die Entspannung vollkommen sei,
müssen die Einschnitte
nach allen Richtungen Uber die Grenzen der Geschwulst hinaus geführt werden; zu dem Zwecke muss nicht nur der Umfang, sondern auch die Tiefe der Basis Überschritten werden.
¡Die weitere
Behandlung sei die einer eiternden Wunde, je nach dem Grade der Entzündung; bei bedeutender brandiger Zerstörung und Sinken der Kräfte antiseptisch und tonisirend.|
VI.
B r a n d der Hau«.
Bei der Beschreibung der Quetschung, der gequetschten Wunden, der Verbrennung und Erfrierung, des Brandes im Allgemeinen, der Rose,
des Milzbrandes etc. war bereits die Rede von
Brande der Haut.
auch der weniger lebenskräftige Theil der Haut Elemente,
von
dem
Die eigentliche Lederhaut ist der festeste, aber denen
sie
Lebensmaterial
Die anatomischen
erhält,
durchdringen
dieselbe und verbreiten sich besonders auf ihrer äusseren und inneren Oberfläche.
Wäre es eine zu gesuchte Analogie, wenn wir
die Lederbaut einem flachen Knochen verglichen,
welcher
seine
Nahrung vorzüglich von den, seine beiden Oberflächen bedeckenden Häuten empfängt?
Alles, was die auf ihrer äusseren und inneren
Fläche verlaufenden Gefässe verletzt oder zerstört, kann sache des Hautbrandes angesehen werden. Haut in ihrer ganzen Dicke vom Brande
als Ur-
Nicht immer wird die ergriffen.
Mit
concen-
trirten Säuren oder Alkalien kann man die Haut in verschiedener Dicke ertödten.
Wenn man nur oberflächlich cauterisirt, so wird
blos das sogenannte fiele Malpighii
zerstört; man veranlasst auf
diese Weise einen Substanzverlust, in dem kein fremder Körper eine bleibende Stätte findet, dessen Streben zur Vernarbung aber
24
Krankheiten der Haut.
sehr gross ist. In schweren Krankheiten beobachtet man gemeiniglich, dass die ganze Dicke der Haut an den Stellen, wo sie von zwei Knochenenden und den Stützpunkten des Körpers gedrückt wird, abstirbt" (Vgl. Decubitus). Werden nur die oberflächlichsten Schichten der Haut gangränös, so findet man sie immer zu trocknen Schorfen umgewandelt, welche von den unterliegenden Theilen nicht durch Eiter getrennt werden, sondern durch feuchte, zähe Fasern, von gelblichgrauer Farbe verbunden bleiben. In der Umgebung bemerkt man jene eigenthümliche Röthe der dem Brande verfallenen Theile. Wenn das Absterben die verschiedenen Schichten der Haut nach einander ergreift, anfangend von der unter der Epidermis gelegenen, so findet man bei der Section die Haut siebartig durchlöchert; je mehr Schichten brandig geworden sind, desto grösser erscheinen die Löcher. Schneidet man mit einem sehr scharfen Bistouri Hautschichten in paralleler Richtung mit der Oberfläche ab, so werden die Oeffnungen in der Cutis um so weiter, je tiefer die Schnitte gefiihrt werden, weil man gegen die Basis der kegelförmigen Höhlen, welche nach Zerstörung des lockeren Binde- und Fettgewebes übrig bleiben, weiter vorschreitet. Die anatomische Beschaffenheit macht die Schnelligkeit erklärlich, mit der einzelne Zerstörungen in der Haut um sich greifen, wenn sie einmal erst die oberste festeste Schicht der Cutis zerstört haben. In dem Maasse, als sie gegen die innere Fläche der Lederhaut vorschreiten, finden sie geringeren Widerstand, weil das Gewebe hier weniger gedrängt ist; die Cutis hat hier nicht mehr die dichte fibröse Beschaffenheit, und die Drüsen sind gleichsam schon existirende Substanzverluste, die dem Brande Vorschub leisten. Die meisten sogenannten Geschwüre der Haut sind für Brand zu nehmen. Wichtig ist es, dass die Haut deshalb nicht durchaus verloren geht, wenn eine ihrer äusseren Schichten abgestorben ist. Anders verhält es sich mit dem Brande, welcher in entgegengesetzter Richtung vorschreitet, so dass er zuerst die tiefen Schichten ergreift. Dort befinden sich die Wurzeln der Stämme, welche den Hautbedeckungen Lebensmaterial zuführen; sind diese einmal zerstört oder unterbrochen, so steht das Absterben der Haut zu befürchten. Das Bestehen dieser Membran ist gefährdet, sobald das Unterhautzellgewebe abgestorben oder von weit verbreiteter Eiterung ergriffen ist, weil höchst wahrscheinlich dann die zur Haut verlaufenden Gefässe zerstört oder (durch Entzündung) verschlossen wurden.
Hautbrand.
25
Hautwunden.
Die Ausdehnung, welche der Hautbrand, der von Innen nach Aussen vorschreitet, erlangt hat, bleibt oft eine geraume Zeit hindurch unerkannt; hat man sich aber einmal von seinem Vorhandensein überzeugt, so erstaunt man Uber die raschen Fortschritte, welche er macht
Wenn die Ursache von der Epidermis aus nach
der Tiefe hin wirkt, so ist man leichter im Stande, den Verlauf und die Bedeutsamkeit des (Jebels zu würdigen, indem dann der ganze Vorgang, so zu sagen, vor Augen liegt.
Wird die Haut zu-
erst in ihrer tieferen Schicht ergriffen, so wird sie welk, runzelig, verliert an Haltbarkeit,
bevor noch eine Veränderung der Farbe
sehr bemerkbar geworden ist; die Epidermis löst sich fast wie an einem Leichnam ab. Die Haut ertrügt bei Weitem einen von Innen wirkenden Druck. dass der Grad der
Spannung,
liegende Geschwülste
Brand
besser einen
durch
der
welchen
Haut
kung gar nicht oder doch erst viel der Druck von Aussen statt fände.
von Aussen
als
So ist es hinlänglich erwiesen, unter
veranlassen,
später
der Haut diese
Wir-
haben würde,
wenn
Man erinnere sich, wie leicht
der vorspringende Winkel der Tibia nach Amputationen die anliegende Haut brandig macht
Es ist freilich wahr, dass dies nur
in den Fällen eintritt, wo die Haut zu kurz gelassen ist; aber nicht weniger gewiss ist es, dass ein gleicher in entgegengesetzter Richtung auf die Haut wirkender Druck ben wUrde.
keinen so raschen Erfolg ha-
Offenbar hängt dieser Unterschied davon ab, dass der
von Innen wirkende
Druck
direct die in die Haut
eintretenden
Gefiissstämmchen comprimirt und daher schneller zum Verschluss bringt
Zweites
Capltel.
Verletzungen
der
Haut.
A. Wunden« Eigenschaften
der H a u t w u n d e n .
Die Hautwunden sind
vielleicht die schmerzhaftesten, daher die Vorschrift in der Operationslehre, dass man die Durchschneidung der Haut möglichst schnell vollenden solle. 1. S c h n i t t w u n d e n . selten geradlinig.
Selbst die einfachste Schnittwunde bleibt
Dazu ist nöthig, dass die Haut sehr schlaff oder
dünn ist, dass sie eine concave Fläche Überzieht, oder dass sie
26
Krankhelten der Haut.
fest an dem unterliegenden Zellgewebe haftet. Wenn sie weiter ist, als die Theile es erfordern, welche sie bedecken und schützen soll, so fällt das Klaffen fort, die Hautwunde wirft selbst Falten, und die Ränder berühren sich an der Trennungsstelle nur mit ihrer von Epidermis überzogenen Seite. Man sieht dies an dem Scrotum nach der Exstirpation des Hodens, oder nach Schnitten in die Hautbedeckung der Achselhöhle. In den meisten Fällen klaffen Hautwunden in der Form einer Ellipse. Dies Klaffen beruht auf der Spannung der Haut vermöge ihrer Elasticität, der Schlaffheit des unter ihr liegenden Zellgewebes und der Wölbung der unter ihr liegenden Theile 1 ). Um das Klaffen der Ränder einer Schnittwunde zu erklären, muss man noch den Einfluss berücksichtigen, welcher durch die Bewegungen des betreffenden Theiles ausgeübt wird: man findet dann, dass die Wundränder weit mehr auseinander weichen, wenn der Schnitt in einer, den Bewegungen des Theils entgegengesetzten Richtung verläuft als umgekehrt. Die Blutung ist nur bei der Verletzung solcher Hautstellen von Bedeutung, wo Arterien von beträchtlicher Grösse in der Haut selbst oder dicht unter ihr liegen, z. B. im Gesicht und am Schädel. 2. S t i c h w u n d e n . Nicht immer haben die Wunden die Form der spitzen Instrumente, mit denen sie gemacht sind; dies geht besonders aus den von F i l h o s angestellten Versuchen hervor 2 ). Derselbe bediente sich eines fast 3 Zoll langen, kegelförmigen Grabstichels, welcher an der breitesten Stelle nicht mehr als 3 Linien maass. Vermittelst dieses Instrumentes erhielt er immer längliche Wunden mit zwei gleichen Rändern, die in sehr spitzen Winkeln zusammen stiessen. Die Wunden waren um so länger, je tiefer das Instrument eingestossen war. Wenn die Wundränder klafften, so genügte zu ihrer genauen Vereinigung eine leise Anspannung der Haut in einer bestimmten Richtung; kurz, es ergab sich, dass der Grabstichel nur die Hautfasern auseinander gedrängt hatte. Stiche ¡an gleichnamigen Körperstellen klafften immer in derselben Richtung: am Halse und an dem vorderen Theile der Achselgrube von oben nach unten; am Rumpfe mit den Rippen oder den Intercostalräumen parallel, auf der vorderen Seite des Bauches schräg von oben nach unten, ungefähr dem Laufe der Muskelfasern des Obliquus externus entsprechend, nahe der Mit-
' ) Vergl. die Untersuchungen
von M a r t e l in Thèses
de la Faculté
de
1 8 3 6 . No. 35-i. J
) D u p u y t r e n , Traité
des blessures
par armes
de guerre.
T.J,p.
61.
Paris,
27
Hautwunden.
tellinie von oben nach unten; an den Extremitäten parallel mit der Axe derselben '). 3. Z e r r e i s s u n g e n . Die Haut weicht, vermöge ihrer Dehnbarkeit, manchen Verwundungen aus. Dieses Factum ist in Betreff der tiefen Quetschungen, die ohne Verletzung der Haut eintreten können, allgemein bekannt. Wenn Zerreissung irgend eines Theiles Statt findet, so zerreisst aus demselben Grunde von allen Geweben die Haut zuletzt. Wird ein Glied gewaltsam gezogen, so lttsst sie sich sehr dehnen; sie giebt am Ende nach, aber gleich nach der Zerreissung nimmt sie ihre frühere Ausdehnung wieder an. Hat aber auch die Haut der von Aussen einwirkenden Gewalt getrotzt, so ist sie darum doch nicht immer ausser Gefahr; im Gegentheil stirbt sie nicht selten bei dem Eintritte der Reaction ab. 4. Q u e t s c h u n g e n . Die einfachste Art von Quetschungen der Haut bemerkt man, wenn dieselbe gekniffen und stark zusammen gedreht worden ist. Je nachdem sie mehr oder weniger gequetscht wurde, erstreckt sich die Blutunterlaufung nur bis auf die dicht unter der Oberhaut liegende Schicht, oder aber die ganze Lederhaut ist gequetscht. In letzterem Falle bilden sich nach einer starken Quetschung in der Dicke der Haut kleine, mit Blut gefüllte Heerde, oder sie ist vollkommen zermalmt und stirbt dann natürlich ganz ab. Die P r o g n o s e bei H a u t w u n d e n ist eigentlich nicht bedenklich; indess darf man nicht vergessen, dass die Function der Haut in mehrfacher Beziehung von Dedeutung ist.
Zahlreiche
Wunden oder Lappen, die in grosser Ausdehnung abgelöst sind, können zu bedenklichen nervösen Zufällen Anlass geben (Vergl. „Stichwunden", und „Bienenstiche"). B e h a n d l u n g . Die Wiedervereinigung der Haut erfolgt sehr leicht. Es scheint, dass das Bindegewebe, welches einen Bestandtheil der Haut bildet, die schnelle Absonderung einer leicht gerinnbaren Lymphe besonders begünstigt. Die Vereinigung kommt leichter zu Stande, wenn die Haut eng mit den von ihr bedeckten Geweben verbunden ist, so z. B. an den Fingern, im Gesichte. Hier, in der Nachbarschaft zahlreicher und starker Arterien und Nerven, schliesst sich die in Lappen abgerissene Haut noch aneinander, wenn ') Diese Resultate arme» rurglcale,
de
guerre" T.
sind
durch
bestätigt
die H e r a u s g e b e r des worden;
„Tratte
de»
¡während M a l g a i g n e
bits tutet (Anatumie
par chi-
I, p. 6 6 . ) bei s e i n e n in d i e s e r B e z i e h u n g a n g e s t e l l t e n V e r s u c h e n
die R i c h t u n g d e r kleinen s p a l t f ö r m i g e n W u n d e n g a n z a n d e r s u n d in d e n s e l b e n K ö r p e r g e g e n d e n bei v e r s c h i e d e n e n S u b j e c t e n o f t v e n c h i e d e n
fand-|
28
Krankheiten der Haut.
auch nur der kleinste Zusammenhang mit dem nicht verletzten Gewebe bestehen blieb. Eine Wiedervereinigung ist selbst nach vollständiger Ablösung noch zu erzielen '). (Vgl. „Plastische Operationen.") K. F r e m d e K ö r p e r . Nicht ganz selten findet man in der Haut fremde Körper. Bei einem Falle auf die Hand z. B. können kleine scharfe Steinchen fest in sie eingekeilt werden; Pulverkörner, Schrot, Glassplitter u. dgl. m. sind nicht selten in ihr beobachtet worden und bleiben oft lange in der Haut stecken, ohne (andre) nachtheilige Folgen zu bedingen. Besonders lange unschädlich bleibt Schrot, wenn es aus der Entfernung hineingeschossen wurde; es scheint dann gleichsam in kleinen Höhlen der Lederbaut eingekapselt zu sein. Pulverkörner bleiben ebenfalls sitzen und veranlassen Flecke, die sich nur durch Ausgraben der einzelnen Körner beseitigen lassen. In den Talgdrüsen findet man mitunter steinige Concretionen statt einer fetten Materie. M e c k e l sah bei einem Knaben alle Talgdrüsen der Hüfte mit kleinen Steinchen angefüllt Eben dieses Hautstück wird in der Sammlung jenes Anatomen aufbewahrt R a y e r fügt hinzu, dass er bei zwei Kindern ähnliche Steinchen in der Haut der Stirn und der Nasenwurzel gefunden habe. In den meisten Fällen üben die fremden Körper, und besonders wenn sie zahlreich und nicht allzu klein sind, in der Haut zuletzt einen Reiz aus. Alsdann entfernt die Natur sie auf dem gewöhnlichen Wege, oder der Chirurg zieht sie aus vermittelst einer Operation, die keiner weiteren Beschreibung bedarf. ' ) Der Chinirg G o r s s e schnitt sich selbst einmal zufällig einen Hautlappen an der letzten Phalanx eines Fingers der linken Hand vollkommen ab. Der Lappen fiel auf die Erde, wurde aber wieder aufgehoben; der Verletzte wickelte denselben in sein Taschentuch und begab sich damit zu V e l p e a u ;
dort fiel
der Lappen bei dem Herausziehen des Taschentuches abermals auf die Erde, er wurde abgewaschen, an den Finger angeheftet und — heilte an.
|Testa
(Filialre Sebezio 1850.1. Qaz. med. de Paris 1850. JVo. 47.) beobachtete Wiederanheilen eines abgeschnittenen Stückes des kleinen Fingers, obgleich dasselbe erst z w e i S t u n d e n
nach der Verletzung aufgefunden und nur durch
Heftpflasterstreifen befestigt wurde. die Anheilung conslatirt. zu constatiren.
Testa
Die med.-chir. Academie zu Neapel hat
Es wäre wesentlich gewesen die „ z w e i
Stunden"
legt Gcwicbt darauf, dass das abgeschnittene Stück
mit dem Blute, welches aus der Wundfliiche des Fingers (nach 2 Stunden!) hervorquoll, gewaschen wurde. |
29
Schwielen.
Drittes
Capltel.
Organisirte N e u b i l d u n g e n
in d e r Haut.
| Die grosse Mehrzahl der im ersten Buche beschriebenen organisirten Neubildungen kann auch im Gewebe der Haut vorkommen, insbesondere FasergeschwUlste, BalggeschwUlste und Krebs. Dieselben nehmen bald in der Haut selbst ihren Ursprung, bald wachsen sie aus der Tiefe, also zunächst von dem Unterhaut-Bindegewebe her, in dieselbe hinein, wie dies beim Krebs bereits genauer erörtert i s t Viele Neubildungen aber sind der Haut eigenthiimlich, indem sie in einer hypertrophischen Entwickelung einzelner Gewebselemente der Haut, besonders der Epidermis und des Papillarkörpers, bestehen. Hierher gehören die Warzen, Condylome etc. Auch die rothen Muttermäler (Teleangiectasiae) werden von Einigen hierher gerechnet. Sie kommen aber auch in Schleimhäuten vor und beruhen auf einer abnormen Entwickelung der Capillargefässe, so dass es gerechtfertigt erscheint, von ihnen bei den Krankheiten der Gefässe zu handeln. 1.
S c h w i e l e n , Callositates, H ü h n e r a u g e n , Clavi, h S r n e r , Cornua humana.
Haut-
Diese Gebilde stimmen sHmmtlich darin Uberein, dass sie als lokale Verdickungen der Epidermis zu betrachten sind. Unter ihnen erheben sich die S c h w i e l e n nur-wenig Uber das Niveau der benachbarten Oberhaut, in welche sie allmälig Ubergehen. Sie entstehen auf Grund eines oft an derselben Stelle wiederholten Druckes und verschwinden, wenn dieser Druck vermieden wird, von selbst, oder unter Anwendung erweichender Mittel. Das H ü h n e r a u g e , (Krähenauge, Leichdorn, Elsterauge, cor au pied), unterscheidet sich von einer Schwiele dadurch, dass von ihm ein härterer Kern (Wurzel) zapfenartig in die Cutis eindringt. Durch letzteren kann ein Theil der Hautpapillen verdrängt und die Cutis an der Stelle seiner Einsenkung bis auf eine dUnne Schicht geschwunden sein. Nicht selten entsteht unter einem Hühnerauge ein kleiner Abscess, besonders wenn dasselbe seinen Sitz gerade Uber einem Schleimbeutel hat, was häufig der Fall ist. Dass Hühneraugen ausschliesslich auf Grund des Druckes unserer Fussbekleidung vorkommen, dass ferner nach dem alten Satze „cetsante causa, cessat effeclus" eine Heilung derselben auch ohne Heilmittel
30
Krankheiten
der
Haut.
möglich ist, dass aber alle erweichenden Pflaster '), Umschläge und Bäder (drei Mal drei Tage täglich drei Fussbäder), endlich aber die allerdings nicht leichte Operation des Heraushebens der Wurzel *) zu ihrer Heilung mit Erfolg in Anwendung gezogen werden, — dies Alles bedarf wol keiner weiteren Erörterung. H a u t h ö r n e r nennt man cylindrische oder konische Zapfen, welche von der Gonsistenz der Nägel sind und gerade wie diese ans dicht gedrängten Epidermisschüppchen bestehen. Sie sind von verschiedener Gestalt und können eine Länge von 2 " bei 3 " Durchmesser erreichen. Sie entspringen entweder aus einem Balge (Vgl. Bd. 1. pag. 4 5 9 ) oder sind in unmittelbarem Zusammenhange mit der benachbarten Epidermis. Danach ist die Schwierigkeit ihrer Entfernung, die n u r auf operativem Wege gelingen kann, verschieden gross. II«
W a r z e n
u n d
F e l f f w a H e n ,
Verrucae
et
Condylomata.
Die unter dem Namen „Warzen" zusammengefassten Gebilde sind sehr verschiedener Natur. Die g e w ö h n l i c h e W a r z e ( h a r t e W a r z e , yerruca vulgaris) stellt einen kleinen, festen Höcker dar, welcher Uber die Oberfläche der Haut hervorragt, und findet sich bald vereinzelt, häufiger aber in grösserer Anzahl bei demselben Individuum, zuweilen in dicht gedrängten Gruppen, an den verschiedensten Körperstellen, am Häufigsten aber an den Händen. Eine solche Warze besteht aus zwei leicht zu unterscheidenden Geweben, einer mehr oder weniger verdickten Epidermisschicht und einem darunterliegenden, gefässreichen, vielhöckerigen Auswüchse der Cutis, welcher nachweisbar aus hypertrophischen Papillen zusammengesetzt ist. Hiervon zu unterscheiden ist die w e i c h e W a r z e (Ferruca carnosa), deren Epidermistlberzug stets normal ist, auf welcher auch häufig dicht gedrängte Haare wachsen, und die ausserdem bald durch ihre gelbe oder dunkele Farbe, bald durch ihre birnenförmige Gestalt, indem sie vermittelst eines Stiels
' ) z. B. Bcp.
Rmpl.
diaehyt.
comp.
Unc.
dimid.
Camphorae Aeruglnit Auch h e f t i g r e i z e n d e
ana
Scrvpulum.
Pflaster
(Empl.
cantharidum,
aucli d a s
s e b e P f l a s t e r ) w e r d e n m i t Nutzen a n g e w a n d t ; w a h r s c h e i n l i c h d a l i o n u n t e r der v e r d i c k t e n E p i d e r m i s u n d d a d u r c h
Abhebung
' ) Diese kleine O p e r a t i o n k a n n s e h r üble Kolgen h a b e n , — Entzündung, selbst Brand.
Grinunert-
erregen
sie K \ s n -
derselben.
heftige, ausgebreitete
W a h r s c h e i n l i c h h a n d e l t e es sich in solchen Fällen
u m V e r l e t z u n g eines Schlei n i b e n t e l s u n d c o n s e c u t i v c
Lympligefäss-Entziindung.
Wanen.
31
aufsitzt (Jcrochordon), ein eigenthilmliches Ansehen erhält. Unter der Epidermis dieser weichen Warzen scheint bei oberflächlicher Untersuchung der hypertrophische Papillarkörper der Haut zu liegen, bei genauerer Betrachtung aber (G. S i m o n ') zeigt sich, dass ihr Inneres nur aus Bindegewebe und zwar zum Theil aus unvollkommen entwickeltem besieht Man muss diese weichen Warzen daher zu den B i n d e g e w e b s g e s c h w ü l s t c n rechnen, in gleicher Weise wie die, von ihnen nur durch ihre bedeutendere Grösse unterschiedenen, sogenannten F e t t h a u t g e s c h w U l s t e (Vergl. Bd. I, pag. 416). Auch die F e i g w a r z e n (Condylomata) bestehen wesentlich aus Bindegewebe, mögen sie als s p i t z e eigentliche Condylome, oder als platte, b r e i t e (Knoten) auftreten. Ueber ihre Struktur hat besonders S i m o n *) ausführlich gehandelt; weitere Erörterungen Uber dieselben gehören in die Lehre von der Syphilis. Eine eigentümliche Art von W a r z e n entsteht oft in Folge unbedeutender Verletzung bei Sectionen; sie können besonders häufig au den Händen der Anatomiediener beobachtet werden. Es entwickelt sich an der Stelle der Verletzung zuerst ein kleiner Abscess, welcher aufbricht, um sich bald wieder zu schliessen, unter Verdickung seiner Wandungen, und besonders auch der Epidermisschicht, sich wieder zu füllen, nach längerer Zeit wieder aufzubrechen u. s. f. So hat man es also abwechselnd bald mit einer Warze, bald mit einem kleinen, dickwandigen Abscess zu thun. Die anatomische Untersuchung lehrt, dass diese Gebilde wesentlich aus Bindegewebe bestehen, in welchem von Zeit zu Zeit Entzündung und Eiterung auftritt 3 ). Abgesehen von diesen letzteren und den Feigwarzen ist die A e t i o l o g i e der Warzen vollkommen dunkel. Mit Unrecht hat man von den gewöhnlichen Warzen behauptet, dass sie ansteckend seien. Die weichen Warzen, sowie die Fetthautgeschwülste sind fast immer angeboren. Die letzteren beiden pflegen durch das ganze Leben stationär zu bleiben. Die gewöhnlichen Warzen aber verschwinden oft, nachdem sie mehr oder weniger lange Zeit bestanden haben, zuweilen sehr plötzlich. — Durch diese Thatsache erklärt sich der Glaube an die Wirksamkeit der zahlreichen sympathetischen Mittel und mancher Pflanzensäfte, von denen einige ' ) Hautkrankheiten p. 2 1 6 . «) 1. c. p. 2 2 1 . 3
) Vgl. die Angaben stätigen kann.
von V i r c h o w (bei S i m o n 1. c. p. 2 3 4 ) , wclclie icli be-
32
Krankheiten der Haut.
aber auch ätzend oder Entzündung erregend wirken mögen. Unter den letzteren sind besonders berühmt: der Saft des Chelidonium majus und der Euphorbiaceen, auch des Heliolropium (der herba verrucaria des P l i n i u s ) . Am Sichersten beseitigt man die Warzen durch Ausschneiden und (bei den h a r t e n ) Aetzen der Operationswunde mit Argenlum nitricum; gestielte kann man auch abbinden. •II.
Balcseseliwillate der
Haut.
Die in der Haut vorkommenden Cysten beruhen gewöhnlich auf einer Ausdehnung der Hautschmeerbälge durch in ihnen angesammeltes und zum Theil verändertes Secret, welchem durch Verstopfung des Ausfdhrungsganges der Ausweg versperrt ist (A. C o o p e r) — Atkeroma folliculare. Es können aber auch Balggeschwülste, welche im UnterhautBindegewebe entstanden sind, in die Haut hineinwachsen (Rokit a n s k y ) ; dies sind dann echte, neugebildete Cysten. Als die gelindeste Form der ersteren sind die M i t e s s e r (Comedones, les tannes) zu betrachten, welche auf Ausdehnung eines Haarbalges oder einer Talgdrüse durch angesammeltes Secret beruhen. Der eingedickte Theil des Secrets, welcher den Ausführungsgang verstopft, bekommt, indem Staub und Schmutz darauf haften, eine braune oder schwarze Farbe. — Indem man auf die Umgegend eines Comedo drückt, kann man seinen ganzen Inhalt in wurmformiger Gestalt herausdrücken. S i m o n und Andere haben in den Comedonen eine eigene Milbenart {Acorus folliculorum) gefunden. Am Häufigsten sieht man die Comedonen auf der Nase, demnächst in anderen Gegenden des Gesichtes, ferner auf der Brust, zuweilen aber auch in reichlicher Menge auf dem Rücken und an anderen Körpertheilen. Zur Beseitigung der Mitesser ist das Ausdrücken der einzelnen Bälge nothwendig. Zur Verhütung ihrer Wiederkehr möchten häufige Waschungen mit adstringirenden Flüssigkeiten zu empfehlen sein. Grössere Wichtigkeit für den Chirurgen haben die e i g e n t l i c h e n B a l g g e s c h w t t l s t e d e r H a u t , deren Sitz am Häufigsten die Kopfhaut, zuweilen der Rücken, seltener die Extremitäten sind l ). Von ihrer Structur wurde bereits (Band I, pag. 456—459) gehandelt. Ihre Wandungen sind gemeinhin fest und glatt, ihr Inhalt ist gewöhnlich dicklich und besteht aus Epidermiszellen und Fett. Ihre Aetiologie ist dunkel; sie wurden in allen Lebensaltern beobachtet; ' ) V e l p e a u hat auch an den Fingern Balggescbwülste beobachtet.
33
Balggeschwülste.
in manchen Familien besteht eine besondere Disposition dazu. Für die grosse Mehrzahl der Hautcysten, für diejenigen nämlich, welche in den erweiterten Follikeln ihren Sitz haben, kann man als Ursache einen Reizungszustand der letzteren ynd eine vermehrte Secretionsthätigkeit annehmen. Ob der Ausführungsgang der erkrankten Follikel durch einen entzündlichen Process verschlossen oder nur mechanisch durch zu dickes Secret verstopft wird, lässt sich schwer entscheiden. An der ausgebildeten Balggeschwulst kann man die Oeffnung des Follikels nicht mehr nachweisen. Die Cyste stellt alsdann eine rundliche, scharf umschriebene, bewegliche, unschmerzhafte, zuweilen gestielte Geschwulst dar, Uber welcher die Haut ihre normale Farbe hat. Ihre Grösse überschreitet nicht die eines Hühnereies. Verwechselungen wären möglich mit einem kalten Abscess oder einem Lipom. Eine sichere Unterscheidung von diesen Geschwülsten ist oft nur mit Hülfe des Probe-Troiquart möglich. Ob die Balggeschwulst eine follikuläre sei, lässt sich mit Bestimmtheit nur dann sagen, wenn man den ehemaligen Ausführungsgang wieder öffnen und einen Theil des Inhalts durch denselben herausdrücken kann. Diese Cysten sind im Allgemeinen, wenn ihr Sitz nicht etwa besondere Unbequemlichkeiten veranlasst, höchst unschuldige, nur als Difformitäten unangenehme Gebilde. Sie entwickeln sich langsam und bleiben, wenn sie ein gewisses Volumen erreicht haben, stationär. Eine Zertheilung oder Aufsaugung derselben kann, begreiflicher Weise, niemals Statt finden. Entwickelt sich eine Entzündung in ihnen, so erfolgt alsbald der Aufbruch nach Aussen, und zugleich mit der Entleerung des Inhaltes zuweilen auch die Ausstossung des Balges (der verdickten Wandung des Follikels) und somit Radikalheilung. Bleibt die Cystenmembran zurück, so entsteht ein fistulöses Geschwür. Die B e h a n d l u n g ahmt zuweilen den Vorgang der Naturheilung nach, indem die Cyste eröffnet und durch Einbringen von Reiz- oder Aetzmitteln in heftige Entzündung versetzt wird. Dies Verfahren ist schmerzhafter, langwieriger und unsicherer, als die E x s t i r p a t i o n , welche im Allgemeinen am Besten ohne Eröffnung des Balges, zuweilen aber mit grosser Leichtigkeit in der von G e n s o u l angegebenen Weise (Vergl. Bd. I, pag. 405) ausgeführt wird. Die Exstirpntion der Balggeschwülste am behaarten Theile des Kopfes ist wegen der zuweilen darauf folgenden weit verbreiteten Entzündung des benachbarten Bindegewebes nicht gefahrlos. V i d a l ' s Chirurgie II.
3
34
Krankheiten der Haut.
IV. Hautkrebs, Cancer
cutaneus.
Der Hautkrebs x a v s ^ o x i j v ist von uns als E p i t h e l i a l k r e b s (Band I, pag. 492) beschrieben worden '). hervorzuheben,
Hier ist nur nochmals
dass nicht blos der Epithelialkrebs, sondern auch
der Scirrhus, der Markschwamm und d e r melanotische Krebs in der Haut auftreten können. V. Lupus, fressende Flechte, Herpes
exedens.
Viele Autoren geben es gänzlich auf, dem Lupus irgend eine bestimmte Stelle in dem System der Hautkrankheiten anzuweisen, da die verschiedenen Erscheinungsweisen desselben eine allgemein passende Beschreibung nicht aufkommen liessen.
Man hielt sich
desshalb bei der Erörterung des Lupus mehr an die mit blossem Auge wahrzunehmenden Symptome übels.
dieses
eigenthümlichen
Haut-
Selbst H e b r a 2 ) vermag nur Bilder zu entwerfen, unter wel-
chen dieses Uebel aufzutreten pflegt, Krankheitsbilder,
die er kei-
neswegs als ebenso viele Krankheitsarten (Species) angesehen wissen will.
Alle diese Mängel in der Erörterung dieser Krankheit haben
ihren Grund in dem bisherigen Mangel genauer anatomischer und besonders mikroskopischer Untersuchungen 3 ). ' ) Da die Frage nacli der krebsigen Natur des Cancroids
(Epithelialkrebs)
von
Vielen als eine offene betrachtet wird, was um so leichter geschehen kann, als die Begründung der althergebrachten
Eintheilung der Geschwülste
überhaupt
mit jedem Fortschritte der pathologischen Anatomie immer wieder in Frage gestellt werden muss, — so dürfte es zweckmässig sein, auch das Urtheil der neuesten
französischen
Wundärzte hierüber zu vergleichen.
In Bezug auf die
bösartige oder krebsige Natur der Cancroide oder Epithelialkrebse sagt nämlich Michon
(These de concours pour le professorat
1848),
welchem
Vidal
als Gewährsmanne folgt: „Am Krankenbette darf man nicht vergessen, dass es vor Allem auf den Verlauf, die Symptome, die therapeutischen Indicationen a n k o m m t , wenn man die Natur einer Krankheit bestimmen will.
N u n , diese Cancroid-Geschwülste
zeigen dieselben Erscheinungen der Verschwärung, — wie die Krebsgeschwülste, bedecken sich m i t Krusten wie diese, und bieten überhaupt in ihren ö r t lichen Symptomen und physikalischen Charakteren Nichts dar, was eine scharfe Unterscheidung rechtfertigte; sie haben endlich in gleicher Weise Recidivc in ihrem Gefolge, und erheischen dieselbe Behandlung wie der Krebs.
Dies Alles
rechtfertigt wol die Ansicht, dass sie mit den Krebsen in eine Reihe zu stellen und als H a u t k r e b s c zu beschreiben sind." !
) Zeitschrift der Gesellschaft der Aerzte zu Wien.
VI. Jahrgang I. Band.
Eine unter der Leitung E i c h s t e d t ' s von E. B e r g e r
{De Lupo. Dissertat. inavgur. Oryphiae
h u n g die genauesten, mit unseren Untersuchungen Angaben.
verfasste Dissertation
1 8 4 9 . ) enthält i n d i e s e r
Bezie-
meist übereinstimmenden
35
Lupus.
Im Allgemeinen ist der Lupus als eine unter den Erscheinungen chronischer Entzündung der Haut sich entwickelnde Neubildung zu betrachten, in welcher es bald nur zur Entwicklung von Zellen, bald auch von Bindegewebe kommt, und deren Ausgänge zuletzt fast immer Verschwärung, partielle brandige Abstossung oder auch Nekrose grösserer Gewebsstücke sind. Vor dem Eintritt dieser Ausgänge kann jedoch das befallene Hautstück bald die Zeichen einer örtlichen Hyperämie unter gleichzeitig vermehrter Neubildung und Abstossung (Abschilferung) von Epidermis, oder gleichzeitiger Bläschen* und Pustelbildung (also eine mehr oberflächliche, gewöhnlich an mehreren distineten Punkten auftretende Hautentzündung) darbieten, bald eine Volumszunahme zeigen, welche theils durch isolirte oder zusammenfassende Knötchenbildung, theils durch eine nach allen Seiten hin sich ausbreitende (diffuse) Infiltration bedingt ist. Die begleitende Hyperämie sowol wie die Infiltration mit neugebildeten Elementarthcilen erstreckt sich weiterhin oft auch auf die unterliegenden Gewebe: Panniculus adiposus, Muskeln u. s. f., z. B. von der Gesichtshaut her durch die ganze Dicke der Wange bis auf die Schleimhaut der Mundhöhle. Die v e r s c h i e d e n e n F o r m e n des Lupus sind bald mehr nach den späteren Umwandlungen der Neubildung (den Ausgängen der chronischen Entzündung), bald mehr nach den im Beginne der Krankheit am Meisten in die Augen fallenden Erscheinungen beschrieben worden. So stellte R a y e r einen Lupus exedens und einen Lupus non exedens auf; B l a s i u s 1 ) unterscheidet 3 Fortgangsformen: den ulcerativen, den exfoliativen und den hypertrophischen Lupus, und 3 Grund- oder Anfangsformen: die tuberculöse, pustulöse und makulöse; l l e b r a ' ) 1) den mit dem Niveau der Haut gleichbleibenden, trockenen und sich abschuppenden Lupus exfoliativus, 2) den mit seinen Knoten Uber die Haut sich erhebenden, später zerfliessenden Lupus hypertrophietts und exulcerans und 3) den durch seine Fortschreitungs- und Heilungsweise kreis- oder halbkreisförmige Zeichnungen darbietenden Lupus serpiginosus. Anatomische Untersuchung. Die lupösen Hautstellen selbst und ihre nächste Umgebung sind immer hyperämisch, die Capillargelasse, je nach der Tiefe der Erkrankung, in den Hautpapillen, im Panniculus etc. erweitert; gleichzeitig tränkt ein weissgelbliches, fadenziehendes, ¿glänzendes Exsudat, welches beim Zusatz von verdünnter Essigsäure in molekulärer Form gerinnt, die Gewehe. ' ) R u s t ' s theoret.-pract. Handbuch der Chirurgie. Bd. XI. ' ) 1. c.
3*
36
Krankheiten der Haut.
Die Volumszunahme der noch nicht aufgebrochenen kranken Stelle, die in der Haut sitzende Verdickung ( T u b e r k e l ) wird beim Lupiis tuberculosus durch eine Anhäufung von Kernen und Zellen bedingt, welche nach B e r g e r ' ) am Meisten denen des normalen Rete Malpighii gleichen, und bisweilen eine mehr ovale Form mit einem Durchmesser von '/ 3 0 0 — '/ 200 Linie haben. Für den Ausgangspunkt der Erkrankung ist allerdings, b e s o n d e r s bei der t u b e r c u l ö s e n F o r m , das Rete Malpighii anzusehen; jedoch wird die Anschwellung viel weniger durch eine Anhäufung junger Epithelialzellen als durch ein dichtes Lager meist runder, seltener ovaler, grob granulirter, dickwandiger K e r n e erzeugt. Nur nach der Peripherie zu, oder auch in dem gelben, später zu Krusten vertrocknenden Secret sahen wir runde junge Epithelialzeilen, die, je nach der Beschaffenheit der Geschwürsfläche verschiedene Veränderungen bezüglich ihrer Wandungen und ihres Inhaltes darboten. Meist sind sie (wie alte Zellen) mit kleinen Fetttröpfchen erfüllt, ohne dabei durch Grösse ausgezeichnet zu sein. Durch die Anhäufung dieser Kerne und Zellen werden die benachbarten Gewebe in der Art gedrückt, dass nicht allein der Papillarkörper der Haut, sondern auch Muskeln, Knorpel und Knochen atrophisch werden. Enorme Capillargefässe, die in dicken isolirten Stämmen aus der Tiefe hervordringen, breiten sich in weiten peripherischen Schlingen oder Bögen nahe der Geschwürsoberfläche aus inmitten eines Lagers grob granulirter Epithelialkerne. Diese Kernlager schieben sich, ganz so wie die Kerne der übrigen Neubildungen (Epithelialkrebs, Fungus, Enchondrom), zwischen die vorhandenen Gewebe, und erreichen z. B. die Muskelschicht lange vor dem Aufbruch. Ein Durchschnitt der mit Epithelialkernen durchsetzten Gewebe erscheint röthlichgelb, feucht glänzend. J. H o p p e 8 ) erwähnt bei einem Falle von Gesichtslupus die gleichzeitige Hypertrophie des Panniculus adiposus „die an ein Lipoma diffusum sowie auch an die Fettbildung im Bereich des Krebses erinnerte," und eine solche G e f ä s s e r w e i t e r u n g „die, wie die Operation ergab, an Blutreichthum den stärksten Telangiektasien nicht nachstand." Beim h y p e r t r o p h i s c h e n Lupus sind die anatomischen Verhältnisse verwickelter. B e r g e r deutet die Anschwellung nur als eine Hypertrophie des Rete Malpighii mit Erhaltung der eigentlichen Epidermisschicht. Einzelne ausgeschnittene Stücke, welche wir untersuchten, gaben ein ganz anderes Resultat. Die Hypertrophie des •) l. c. p. 9. ' ) Zur Behandlung der fressenden Flechte, p. 22.
Lupus.
37
Rele trat hier gegen die in der Tiefe vorhandenen Veränderungen vollständig zurück; die ganze über die 'angesehwollene Parthie hinweggespannte Haut war im Gegentheil verdünnt. Auf dem Durchschnitt erschien eine durchaus ebene grau-weisslich glänzende Fläche, ähnlich durchschnittenem Speck; Muskeln, Panniculus adiposus etc. waren nicht zu unterscheiden, ausserdem wurde die Masse von weissen homogenen Strängen von festerer Consistenz durchzogen. Das Messer findet einen ziemlich bedeutenden Widerstand beim Durchschnitt und kreischt beim Schaben über die Schnittfläche; selbst sehr dünne Durchschnitte sind mit der Nadel nur in kleine Plättchen zu zerreissen. Das Ganze besteht, mikroskopisch untersucht, fast nur aus festem, dicht an einander gedrängtem Bindegewebe, in welches stellenweis eng unter einander verfilzte dünne Kernfasern oder auch dicke, elastische, verzweigte Fasern in langen einander kreuzenden Zügen eingesprengt sind. Die nur spärlich vorhandenen Muskelbündel sind sehr blass, durchsichtig, deutlich quergestreift. Ausserdem sind noch junge, blasse, mit homogenem Inhalt gefüllte sehr dünnwandige runde Zellen von der Grösse der Eiterzellen (junge Bindegewebszellen) eingestreut. Diese neoplastischen Gewebe ziehen sich bis an die Cutis heran, welche an dieselben unbeweglich angeheftet ist. — Man könnte das Ganze als ein d i f f u s e s S a r k o m bezeichnen. — V i r c h o w 1 ) fand ebenfalls an den verdickten Stellen eines Lupus „eine durch Entwickelung von neuem Bindegewebe bedingte Hypertrophie der Haut." B e r g e r *) und V i r c h o w 3 ) beschreiben kleine weisse Körperchen in lupösen Hautstellen, die als erweiterte Haarbälge oder Talgdrüsen gedeutet werden,, da sie auch eine dem Hauttalge ähnliche Masse enthielten. In einem Uber die Haut erhabenen, stark gerötheten, auf der Oberfläche drüsenartig geformten Lupus der Nase und Wange haben auch wir diese kleinen, runden, -weissen Körperchen von kaum wahrnehmbarer Grösse bis zur Grösse eines grosseji Stecknadelknopfs gesehn. Sie lagen inmitten eines röthlich glänzenden Lagers von Epithelialkernen und waren von der Umgebung so scharf abgegrenzt, dass man sie mit einer Nadelspitze leicht hervorheben konnte, wonach eine glatte Vertiefung zurückblieb; bisweilen jedoch setzten sie sich in einen dünnen, weissen nach der Peripherie zu vordringenden Stiel fort, in dessen Mitte ein feines kurzes Haar enthalten war. Die weisse Kapsel ' ) S i m o n : die Hautkrankheiten p. 2 7 2 . J
) 1. c.
3
) 1. c. p. 2 7 2 .
38
Krankheiten der Haut.
sowol
als ihr Inhalt
nur aus platten, lialzellen.
und auch
die
weisslichen
Stiele
bestanden
dicht an und um einander geschichteten Epithe-
Einzelne Epithelialzellen wurden der Ausgangspunkt einer
endogenen Zellenbildung
und entwickelten zugleich um sich (ganz
so wie beim Epithelialkrebs) concentrische Systeme von Epithelialzellen.
Je nach ihrer
Grösse enthielten
die
einzelnen
Knötchen
mehr oder weniger zahlreiche concentrische Systeme dieser Zellen. Die äussersten peripherischen Schichten, die Kapseln
der übrigen,
waren ziemlich fest und zähe, eng an einander gepresst, wol in Folge des Drucks der von Innen her sich ausbildenden und wachsenden Zellen.
Die in dem weisslichen Stiel haftenden Haare wa-
ren nach dem Bulbus zu atrophisch,
der Haarkeim selbst verlor
sich
Hautstelle.
in
dem Kernlager
der
lupösen
Den
Ausgangs-
punkt dieser eigenthümlichen Erkrankung bildeten ohne Zweifel die Epithelialzellen der Wurzelscheide des Haars, welche als Analogon des Rete Malpighii
auch in dieser Beziehung gedeutet werden darf. —
Die unter der Schleimhaut der Unterlippe liegenden trauben förmigen Drüsen
sahen
und injicirt.
wir
in
der Nähe
lupöser Hautstellen
geschwollen
(Nach Untersuchungen von Dr. P o h l . )
Sollte, was wir nach den wenigen Untersuchungen nicht bestimmt behaupten können, beim Lupus
hypertrophicus
die weithin
sich ausbreitende Neubildung von Zellen und Bindegewebe immer sich vorfinden, so würde man von den unter dem Namen Lupus zusammengefassten Hautkrankheiten am Besten nur z w e i unterscheiden. webe,
Für die eine ist die N e u b i l d u n g v o n
für die andere die N e u b i l d u n g
und jungen Epithelialzellen charakteristisch.
von
Formen Bindege-
Epithelialkernen
Die Ulceration ist beiden
gemeinschaftlich und ist nur ein zufälliges,
allerdings sehr häufig
auftretendes Symptom. Sitz.
Am Häufigsten wird der Lupus im Gesicht, und zwar
besonders an der Nase beobachtet (wo er auch von der Schleimhaut ausgehen k a n n ) ,
demnächst an den Lippen,
Wangen,
dem
Kinn und der Stirn, im innern Augenwinkel, in der Nähe der Augenbrauen, an den Ohren;
von dem Gesicht aus verbreitet sich der-
selbe auch nach der v o r d e m oder hintern Seite des Halses.
Am
Rumpf sah man ihn nur auf der Brust und Schulter, an den Extremitäten um die Gelenke herum, auf dem Hand- und Fussrücken, än der äusseren Seite des Vorderarms, an den Zehen. Verlauf. im Beginn
Der Lupus kann, wie schon früher erwähnt wurde,
der Entwickelung alle Symptome
der
Hautentzündung
darbieten; zumeist jedoch beginnt die Erkrankung mit der Bildung
39
Lupus.
eines dunkelrothen etwas erhabenen härtlichen, linsen- bis bohnengrossen Knötchens, das entweder isolirt in irgend einer Hautstelle sitzt, oder auch vielfach vorhanden die Haut hückrig und warzig erscheinen lässL Diese Erhebungen sind gefässreicher als die Umgegend, von einer livid-rothen Farbe, und meist schmerzlos. Die Epidermis oberhalb dieser Erhebungen stösst sich gewöhnlich in weissen trocknen Schuppen ab, bis, durch die immer mehr nach Aussen vordringende Neubildung, die Epithelialschicht, ähnlich einer feinen rothen Narbe, im höchsten Grade verdünnt und ausgedehnt, endlich, nach einer höchst verschieden langen Zeit, durchbrochen und diese Stelle der Sitz einer in die Tiefe greifenden Ulceration wird. Nach B l a s i u s ') beginnt der Lupus ebenso oft mit der Bildung von Impetigo- oder Ekthymapusteln, die „bald einzeln, bisweilen jedoch auch gruppirt stehen, auf dunkeln rothen Stellen sich entwickeln, bald bersten und sich mit braunen, meistens dunkeln, immer sehr festsitzenden Borken bedecken, nach deren Ablösung man eine oft tief gehende Ulceration findet, die sich wieder mit einem Grinde bedeckt und darunter weiter frisst *). Im Umfange der Pusteln ist die dem Lupus überhaupt eigene Röthe, die mit einer geringen Anschwellung der Haut, manchmal auch mit Bildung von Tuberkeln verbunden ist, welche letztere zwar in Ulceration, aber zuvor nicht in Pustelbildung übergehen." In andern Fällen sind Anfangs nur livid-rothe Flecke von verschiedener Grösse vorhanden, die zerstreut auf einem wenig geschwollenen Grunde stehen und ihren Sitz besonders an der Nasenspitze haben ( C a z e n a v e , B l a s i u s ) . Auch bei dieser Form wird nach einer Dauer von oft mehreren Monaten die Röthe saturirter, die vorgängige Epidermis-Abschuppung durch eine nässende Absonderung ersetzt, bis auch diese durch eine oberflächliche Ulceration verdrängt wird, welche bald dicke Krusten bildet. Unter diesen Krusten sammelt sich ein gelblicher dicker, oft durch Häinorrhagieen bräunlich gefärbter Eiter an. — Die hvide Färbung lupöser Hautstellen kann jedoch auch längere Zeit hindurch fortbestehen, ohne in Ulceration Uberzugehen, oder mit einer Volumszunahme ihrer Umgebung verbunden zu sein; man bemerkt nur, dass sich die Haut allmälig zu einer feinen, livid gerötheten, narbenähnlichen Oberfläche verdünnt, und der Sitz einer zeitweisen, fast unmerklichen Abschuppung wird. Hat der Lupus seinen primären Sitz in der S c h l e i m h a u t i ' ) Tbeoretisch-practisches Handbuch der Chirurgie von R u s t . XI. Bd. p. 3 9 7 . 5
) Einen exquisiten Fall dieser Art, der später zu Luput habe ich in den letzten Jahren beobachtet.
hypertrophicut
wurde,
40
Krankheiten der Haut.
der Nase, so erscheint dieselbe dunkel geröthet, angeschwollen, sondert eine eiterähnliche, zu Krusten erhärtende Flüssigkeit ab, während gleichzeitig die ganze Nase geschwollen und hyperämisch ist. Die Ulcerationen auf der Nasenschleimhaiit dringen oft schon tief ein, ehe auf der Oberfläche der Nase Pusteln oder anderweitige Veränderungen entstehen. — Breiten sich die oben beschriebenen, an ihrer Oberfläche entweder exfoliirenden oder auch mit seichten Exulcerationen und Krusten bedeckten Knötchen in die Tiefe und in die Umgebung weiter aus, verwachsen gleichsam zu einem Ganzen, indem auch die nächstliegenden Gewebe eine diffuse Anschwellung darbieten, so sind damit die Hauptmerkmale des selteneren Lupus hypertrophicus gegeben. Die Geschwulst fühlt sich härtlich an und lässt sich durch das Gefühl der Hand leichter von der weichen, mit erweiterten Gefässen bedeckten oder auch wol ödematösen Umgebung (z. B. Augenlider, Schläfe etc.) abgrenzen, als vermittelst des Auges, da ein vom Lupus hypei'trophicus befallenes Gesicht weithin gedunsen, geschwollen erscheint. Nächst der auf der dunkel gerötheten glatten Oberfläche fortdauernd stattfindenden Epidermis-Abschilferung wird von C a z e n a v e und S c h e d e l die dieser Form eigenthümliche Bildung von weisslichen Narben hervorgehoben, welche an die Stelle der einzelnen alten Tuberkel ohne vorangegangene Ulceration oder Krustenbildung treten sollen. Zwiscljen diesen Narbenflecken liegen dunkelrothe Punkte von verschiedener Grösse, welche die Spitzen der alsdann iin Niveau mit der ganzen angeschwollenen Hautparthie stehenden einzelnen Tuberkel bezeichnen. Das Gesicht kann durch die hypertrophische Form des Lupus den höchsten Grad der Unförmigkeit erreichen. Die Augen werden durch die entweder selbst hypertrophisch entarteten oder auch nur ödematösen Wülste beider Augenlider verdeckt, die Nase erscheint als ein grosser, runder, mit Gomedonen besetzter rother Fleischklump e n , die unbeweglichen Lippen sind dick aufgewulstet und von ödematösen, nach Aussen gerollten Schleimhautsäumen umgrenzt. Auch die Ohren (Ohrläppchen, tragus etc.) werden wie das Gesicht hypertrophisch. Wird durch irgendwelche Umstände die hypertrophische Anschwellung rückgängig, so soll die erkrankte Hautstelle das Ansehn des Lupus exfoliativus annehmen. Gewöhnlich ist der hypertrophische Lupus zugleich ulcerativ (besonders an den Nasenflügeln oder der Schleimhaut der Nase), und wird selbst der Sitz einer tiefer gehenden brandigen Zerstörung.
41
Lupus. Die u l c e r a t i v e flächlich er
den
Form
zerstörende
unten
des L u p u s
theilt B i e t t
z u erörternden Lupus
exfoliativus
L e t z t e r e s ist u n r i c h t i g , die Eintheilung Der mären
ober-
zu jener zählt
und
serpiginosus.
unwesentlich.
ulcerative L u p u s ist der häutigste. —
Formen
in die
und die t i e f e r z e r s t ö r e n d e ;
Nachdem die pri-
(die Pusteln, Knötchen oder Flecke etc.)
eine Zeit
lang bestanden haben, vervielfältigen sich dieselben entweder unter entzündlichen E r s c h e i n u n g e n , oder die kranke Haut oder Schleimhaut
wird
von
einer
dunkleren
sich
weiter
ausbreitenden
Rothe
bedeckt, schwillt auch ödematös an, und an einzelnen Stellen wird die d ü n n e Epithelialschicht durchbrochen.
Die zuerst kleinen, r u n d -
lichen, n u r w e n i g o d e r g a r nicht schmerzhaften G e s c h w ü r e breiten sich entweder in die Breite oder in die Tiefe aus, zusammen,
haben
dann ungleiche zernagte R ä n d e r ,
fliessen
allseitig
und sind mit
b r a u n e n fest adhärirenden Krusten bedeckt, unter welchen sich eine gelbliche dicke auch w o l mehr oder w e n i g e r bräunliche, dünne Masse unaufhörlich
ansammelt.
Werden
die
gewöhnlich
fest
angetrock-
neten, übereinander geschichteten Schorfe entfernt, so entsteht leicht eine
B l u t u n g a u s den Anheftungsstellen d e r s e l b e n ,
schen nässenden G e s c h w ü r s r ä n d e r n .
den hvperämi-
Die Krusten w e r d e n mit der
z u n e h m e n d e n T i e f e der Ulceration immer dicker, bis denn, wie z. B. an der Nase, nicht allein Haut und Muskeln, sondern auch die Knorpel und K n o c h e n zerstört sind. Der oberflächlich zerstörende L u p u s sowol w i e der tiefer greifende können spontan unter A b h a b m e der hyperämischen
Erschei-
nungen
ähnlich:
vernarben.
Die Narben
sind
den
Brandnarben
weisse, mehr oder w e n i g e r erhabene, gefaltete Stränge mit g r o s s e r Neigung zur V e r k ü r z u n g .
Oft g e n u g brechen sie a u c h ,
wenn
die
im Umkreis vorhandenen Pusteln oder Tuberkeln exuleeriren, wiederum von Neuem
durch.
W i r sahen bei einem Lupus hypcrtrophicus die Zerstörung fortschreiten.
in
einer gahz
eigentümlichen
des ganzen Gesichts furchtbaren
Weise
Die einzelnen für die A b s t o s s u n g sich vorbereitenden
angeschwollenen Hautstellen bedeckten sich nicht mit dicken S c h o r f e n , sondern
stellten
ein
schmutzig
braunroth
gefärbtes
Geschwür dar, dessen Grund von missfarbigen krümlichen bedeckt w a r , die sich leicht abschabcn
liessen.
sinuöses Massen
Nach einiger Zeit
wird die A b g r e n z u n g der missfarbigen Stelle g e g e n die U m g e b u n g deutlicher, sie löst sich durch einen Demarcationsgraben v o m
Ge-
sunden los, verliert an Consistenz, wird schlaffer, fetziger, schmutzig grau oder g r a u g e l b l i c h ; die oberflächlichen Fetzen lassen sich, w e n n
42
Krankheiten der Haut.
auch schwierig, losreissen, ohne die geringste Blutung zu verursachen. Wartet man wegen des enormen Gestankes, welcher in den bisweilen 1 , " dicken nekrotischen Stellen sich entwickelt, die Ahstossung nicht ab, so kann man mit der Scheere oder dem Messer an der Peripherie zwischen dem Brandigen und dem relativ Gesunden leicht eindringen und, bei Vermeidung der Demarcationslinie, ohne die geringste Blutung ein völlig nekrotisches Gewebsstilck abtragen. So ausgedehnter Brand beim Lupus ist von früheren Autoren nicht erwähnt. Der weniger in die Tiefe greifende verschwärende Lupus nimmt gewöhnlich grössere Flächen ein. Sein primärer Sitz ist seltener die Nase, häufiger die übrigen Theile des Gesichts oder die oben erwähnten Stellen des Rumpfes und der Extremitäten, während der tiefer zerstörende Lupus fast ausschliesslich die Nase, und zwar die Nasenflügel oder Nasenspitze ergreift, oder doch von hier ausgeht H e b r a trennt den Lupus exfoliativa und serpiginosus von einander, und hält den durch seine Fortschreitungs- und Heilungsweise kreis- oder halbkreisförmige Zeichnungen bildenden Lupus serpiginosus sowie den Lupus kypertrophicus für den Ausdruck eines Allgemeinleidens. Die ersten Anfänge des Lupus exfoliativus werden verschieden angegeben; bald soll er nur mit einer dunklen Röthe der Haut, bald aber auch mit Tuberkelbildung beginnen. Der weitere Verlauf charakterisirt sich vor den andern Formen dadurch, dass sich keine Krusten bilden und die Cutis nicht zerstört wird. Während die Epithelialzellen der Haut in kleineren oder grösseren weisslichen kleienartigen Schuppen fortwährend losgestossen werden, verdünnt sich beim exfoliativen Lupus die unter ihnen liegende hochrothe Cutis allmälig, wird glatt und glänzend; auch das subcutane Zellgewebe soll im Verlauf dieser Abschuppung verzehrt werden. Lässt dann die Hyperämie in diesen Theilen nach, so erscheinen sie gegen die Umgebung etwas vertieft, auf ihrer Unterlage fester anliegend, ziehen narbenartig die Umgegend an sich heran, werden gefaltet und erhalten eine weisslich glänzende Farbe (die öfter erwähnte Aehnlichkeit mit Brandnarben). Cazennve und S c h e d e l ') erwähnen noch eine Varietät des Lupus, welche mit violetten Flecken oder Tuberkeln beginnt, deren Ulcerationen mit kleinen, rothen, weichen, schwammigen, sehr hervorragenden Geschwülsten bedeckt werden. Diese Varietät soll ge' ) I. c. p.
126.
43
Lupns. wöhnlich von bedenklicher Prognose sein.
W i r haben einen dieser
B e s c h r e i b u n g s e h r ähnlichen Lupus gesehen.
Die in weiterer Aus-
dehnung rund angeschwollene geröthete Backe war mit dicken Krusten
an
bedeckt,
verschiedenen
Stellen und
in verschiedener
Ausdehnung
rings
lim diese Krusten eine immenvMhrende Abschilferung
der Epidermis
in grösseren und kleineren Fetzen von einer gerö-
theten Unterlage aus.
Hob man die gewöhnlich
fest
anhaftenden
Krusten a b , so fand man mit einer dicken gelben Eiterschicht bedeckte,. intensitiv rothe, warzige Auswüchse, die mit Condylomen die vollständigste Aehnlichkeit hatten und auch bei genauerer Untersuchung sich um dicke
als concentrische Anhäufungen junger Gefässschlingen
erwiesen.
Epithclialzellen
Am Lippensaum
der Unter-
lippe waren diese rothen condylomatösen Auswüchse frei von Krustenbildung,
wegen der immerwährend über sie hinweg streichen-
den feuchten
Luft,
zumal die Kranke
durch
die aussen
bereits
vollständig zerstörte und innen von Ulcerationen erfüllte Nase nicht athmen konnte. da
die Kranke
Die eine
Umgebung konnte nicht untersucht
werden,
grössere
vorneh-
Operation
an
sich
nicht
men liess. Alle b i s h e r b e s c h r i e b e n e n ,
verschiedenen Formen
des Lupus
können an einem einzigen Individuum gleichzeitig oder hinter einander auftreten. Die durch den Lupus hervorgebrachten V e r u n s t a l t u n g e n sind theils die aller weiterschreitcnden sind
sie
eigentümlicher
Art.
UlcorationCn
Wir erwähnten
Uberhaupt,
theils
schon früher
der
oberflächlichen sowol wie der tiefergehenden spontanen Narbenbildung; eine Folge davon sind Ektropien der Augenlider und Lippen, Verwachsungen
der Nasenlöcher
und Verkleinerung
des Mundes,
wenn der ulcerative Lupus an den Mundwinkeln zur Vernarbung sich anschickt. Die begleitenden Zufälle sind Oedeme der dem Lupus benachbarten Stellen, Anschwellungen der zunächst liegenden Lymphdrüsen und grosse
Geneigtheit
zu Erysipelen
vom Lupus ergriffenen Hautstellen. ben einen günstigen Lupus beobachtet: dung bekamen
in der Umgegend
der
C a z e n a v e und S c h e d e l
ha-
Einfluss des Erysipels auf den Verlauf des
„unter dem Einflüsse dieser zufälligen Entzün-
die afficirten Oberflächen (eines Lupus mit Hyper-
trophie) ein anderes Aussehn, die Vitalität der Haut wurde grösser, die Zertheilung
activer
und die Krankheit
endigte
ebenso schnelle glückliche als unerwartete Weise."
sich auf eine Ich habe nie-
44
Krankheiten
der
Haut.
mals Etwas der Art gesehen, vielmehr unter erysipelatösen Erscheinungen oft Fortschreiten des Uobels beobachtet. Am Ucbelsten sind die, durch hypertrophischen oder verschwärenden Lupus verursachten Hindernisse beim Kauen und Schlucken, die zuweilen so weit sich steigern, dass n u r durch das Schlundrohr die E r n ä h r u n g bewerkstelligt werden kann.
Selbst dieser letzte Weg kann
auch durch die eng aneinander gepressten Zahnreihen verschlossen w e r d e n , so dass erst nach Entfernung der Zähne die E i n f ü h r u n g eines (doch
nur für flüssige Speisen durchgängigen) Schlundrohrs
möglich wird.
Durch
diese Schwierigkeiten
und
Beschränkungen
in der Ernährung sowol, als vielleicht durch die der eingeathmeten L u f t beigemischten stinkenden Gase und durch
die verschluckten
nekrotischen Massen entstehen allmälig sichtbare E r n ä h r u n g s s t ö r u n g e n : Abmagerung, Blässe, frequenter kleiner P u l s , reichliche Beimischung von harnsauren Salzen im Urin, p r o f u s e Schweisse, „die Kranken zeigen zuletzt
die Symptome
einer chronischen
Gastro-
Enteritis und sterben an einem schleichenden Fieber, welches von einer colliquativen Diarrhöe begleitet ist" ( C a z e n a v e und S c h e d e l ) . Ehe diese durch den L u p u s hervorgebrachten rungen
in der E r n ä h r u n g
und Respiration
mechanischen Stö-
nicht eintreten,
sind
durchaus keine den L u p u s constant begleitenden, allgemeinen Krankheitszustände
wahrzunehmen.
Aetiologie. dividuen von
Vor Allen befällt der L u p u s j u g e n d l i c h e
10 — 2 0 J a h r e n ,
In-
sehr selten Leute Uber 4 0 Jahre.
Am Häufigsten sieht man ihn bei s c r o p h u l ö s e n die Zeit der P u b e r t ä t s - E n t w i c k l u n g ,
Kindern
gegen
zuweilen bei Individuen,
die an Syphilis litten, zum Ausbruch kommen. Unter 13 von mir in den letzten 2 1 / , Jahren beobachteten Fällen von L u p u s betrafen 2 : F r a u e n über 40 Jahre, die übrigen 1 1 : Individuen zwischen
8 und 24 Jahren.
Darunter waren 8
Mäd-
c h e n und zwar 2, welche schon über die Zeit der Pubertäts-Entwicklung hinweg w a r e n , von denen eine an Kyphosis u n d Skrophelsucht, die andere aber an hartnäckigen Menstruationsbeschwerden litt; ferner 2, welche sich in der Zeit der Pubertäts-Entwicklung befanden, ohne irgend welche Spuren vorausgegangener oder bestehender Krankheiten oder Krankheits-Anlagen zu z e i g e n ;
end-
lich 4 , welche das Pubertätsalter noch nicht erreicht h a t t e n , und unter
diesen 2 scheinbar ganz
männlichen Individuen hatten perconstitution, zwei davon vorlängst syphilitisch.
gesunde,
2 scrophulöse.
Die 3
eine
sogenannte
schwächliche
Kör-
waren
entschieden
scrophulös,
einer
Lupus.
45
Andere geben an, dass der Lupus in ganz gleichem Verhältnisse das männliche wie das weibliche Geschlecht ergreife. Erscheint ferner mehr eine Krankheit der Dorfbewohner als der Städter zu sein, — und unter den letztern gewöhnlich die höheren Stände zu verschonen. Abgesehen von diesen wenigen Thatsachen sind die ursächlichen Verhältnisse des Lupus mit denen .der übrigen Neubildungen in dasselbe Dunkel gehüllt. Und doch knüpft sich hieran die wichtige Frage, ob man die zu Grunde liegende, jedoch oft unbekannte Dyskrasie oder ob man blos das örtliche Uebel mit den entsprechenden Mitteln bekämpfen müsse. D i a g n o s e . Der Lupus hat allerdings in seinem Verlaufe so bestimmte Eigentümlichkeiten, dass derselbe auch ohne den Gebrauch des Mikroskopes in den meisten Fällen bald erkannt wird, während die ersten Anfänge desselben gewiss manche Schwierigkeiten filr die Diagnose darbieten. Man bemüht sich vor Allem die dunkel gerötheten prominirenden Knoten der Acne rosacea (Gutta rosacea) von den Tuberkeln der lividen härtlichen Knoten des beginnenden Lupus zu unterscheiden. Die Hautverdickungen der Acne rosacea haben aber eine ganz andere Bedeutung wie die durch lupöse Erkrankung verursachten. Wir leiten nämlich mit S i m o n ') die Hyperämie der leidenden Hautparthieen und die Gefässausdehnung in denselben bei der Acne von dem den Rückfluss des Blutes erschwerenden Drucke ab, welchen die (durch Anhäufung von Fett und Epithelialzcllcn) vergrösserten Hautbälge auf die Cutis ausüben. Wandelt sich dann durch eine später hinzutretende Entzündung um die Haarbälge das im Cutisgewebe angehäufte Exsudat in Bindegewebe um, so entstehen jene Verdickungen der Haut, die H e b r a *) zuerst von einer Neubildung von Bindegewebe mit gleichzeitiger Gefiissneubildung herleitete. Auf der Spitze der so gebildeten Acneknoten befinden sich gewöhnlich die schwarzen Punkte der Comedonen, während wir beim beginnenden Lupus hypertrophicus sowöl wie tuberculosus gerade eine Obliteration jener Bälge beobachten. Die Eiterung des Acneknoten tritt nur an der Spitze zwischen Corium und Epidermis oder innerhalb des Gewebes der Lederhaut auf, und hat durchaus nicht die Tendenz zur Verschwärung wie im Lupus. Die in den Acnepusteln enthaltene gelbliche Masse ist ferner aus Eiterzellen, das auf lupösen Hautstellen liegende gelbe Exsudat aus jungen Epithelialzellen und Epithelialkernen zusammengesetzt. Die ' ) Die Hautkrankheiten etc. p. 336. *) Zeitschrift der Gesellschaft der Aerzte zu Wien. 1845. Mai. S. 145.
46
Krankheiten der Haut.
Acneknoten sind endlich im Gegensatz zu den lupösen Verdickungen schmerzhaft und fliessen nicht wie diese zusammen. Ausserdem wird noch auf die Àehnlichkeit der Elephantiasis Graecorum mit dem Lupus hypertrophicus und die Verwechselung des uleerirendcn Lupus mit den impetiginösen Hautkrankheiten, deren différentielle Diagnose wir füglich übergehen können, hingewiesen. Wo es sich um die nähere Bestimmung der Bedeutung ulcerirender Hautslellen handelt, wird, nächst den durch den Verlauf des Uebels gegebenen Anhaltspuncten, das Mikroskop am Sichersten den Ausschlag geben. Ulcerirender Lupus ist mit jungen zerfallenden Epithelialzellen oder Kernen derselben bedeckt, Impetigo mit einer Eiterschicht (retrograder, heilender Lupus jedoch ebenfalls). Impetigines zerstören ferner nur die Epidermis und lassen in der Hegel keine Narbe zurück. Von C a z e n a v e ') wird auf die grosse Aehnlichkeit des Lupus mit syphilitischen Hautkrankheiten mit Recht aufmerksam gemacht. Hierbei darf nicht übersehen werden, dass der Lupus zuweilen bei syphilitischen Individuen auftritt. Uebrigens aber sind die in der Haut unter dem Einfluss der syphilitischen Dyskrasie sich bildenden Knötchen oder Tuberkeln, nach C a z e n a v e , voluminöser, runder, haben die oft erwähnte kupferrothe Färbung und sind nicht wie die des Lupus mit weisslichen, sich immer wieder von Neuem abstossenden Epidermisschuppen bedeckt. Der syphilitische Tuberkel kommt ferner, im Gegensatze zum L u p u s , gewöhnlich nur bei älteren Personen vor. Der ulcerirende syphilitische Tuberkel hat angeschwollene, gerothete, zackige Ränder, verbreitet sich in die Tiefe oder nach den Seiten in sinuösen Ausbuchtungen, bildet auch wol im Verlauf der Verschwärung fistulöse Gänge unter der Haut; die Verschwärung des Lupus dagegen beginnt immer von der Oberflache her und tritt auch viel eher ein als beim syphilitischen Tuberkel. Die benachbarten Knochen, z. B. der Unterkiefer, Ossa nasalia, werden im Lupus nur biosgelegt, so dass sie glatt, ohne augenscheinliche Veränderungen, im Grunde der Geschwürsfläche liegen, während die syphilitische Verschwärung auf dieselben übergreift. Ausserdem werden die übrigen am Körper durch die Syphilis verursachten Krankheitszustände immer wesentliche Unterscheidungsmerkmale abgeben. Die P r o g n o s e eines bestimmten Falles von Lupus stellen zu wollen, ist immer gewagt. Tödtlich ist er wol höchst selten und ' ) Praktische Darstellung der Hautkrankheiten, p. 4 3 1 .
47
Lupus.
nur immer in den Fällen, w o er durch seine Localität die Ernähr u n g des Kranken beeinträchtigt.
Um
so mehr sind die örtlichen
Zerstörungen zu fürchten, die er selbst im Fall einer Heilung (vgl. Narben und ihre Folgen) zurlicklässt.
Schon oben erwähnten wir
die prognostische Bedeutung der einzelnen Formen des Lupus nach den reichen Erfahrungen ist der Lupus
von H e b r a .
hypertrophicus
(mit
g a n g e ) die schlimmste Form ').
Nach unseren Erfahrungen
dem
oben beschriebenen Aus-
Der Lupus vernarbt bisweilen nur
scheinbar, d. h. er tritt unter den Narben wieder auf. sind dann gewöhnlich
etwas g e s c h w o l l e n ,
Gefiissen
bläulichroth
Biett,
durchzogen,
gefärbt
das Gefühl v o n Fluctuation.
Lupusnarben
noch
vereinzelte
weich, und
mit
Dieselben erweiterten
gewähren,
nach
Sind in der Umgegend
Knoten
vorhanden,
dann
von
ist
der
Wiederaufbruch derselben sehr zu befürchten. In Bezug auf die T h e r a p i e der Aerzte
ebenso
des Lupus sind
verschieden,
als in Betreff
die
Ansichten
seiner
Aetiologie,
indem die Einen der a n t i d y s k r a s i s c h e n *), die Andern der blos ö r t l i c h e n Behandlung ( e n t w e d e r einer sogenannten u m s t i m m e n d e n J ) oder aber der Zerstörung der lupösen Theile durch m i t t e l 4 ) oder A u s s c h n e i d e n
Aetz-
derselben) das Wort reden.
Beide
' ) E i n g e g e n w ä r t i g n o c h d a r a n l e i d e n d e r , 2 T j ä h r i g e r K r a n k e r g e w ä h r t ein f u r c h t bares Angulus
Bild
dieser Verwüstung.
maxi/lae
infer.
und
Oberden
uud Unterkiefer
Zahnbogen
s i n d bis n a h e an
entblösst,
die
Knuclicn
glatt u n d t r o c k e n z u T a g e , die N a s e ist b i s ü b e r die N a s e n b e i n e h i n a u s s t ö r t , d a s r e c h t e Auge d u r c h e i n e n d e r G a n g r ä n e n t g e g e n s e h e n d e n liegen iin M u n d e u l c e r i r e n d c W ü l s t e ,
zer-
dicken W u l s t
gänzlich v e r s c h l o s s e n , d a s l i n k e n o c h e t w a s g e ö f f n e t u n d e n t z ü n d e t , rings die Z u n g e
den
liegen
vor i h n e n s t e h e n
um
pallisaden-
förmig die s c h w ä r z l i c h g e f ä r b t e n , g e l o c k e r t e n Z ä h n e , von d e n e n s c h o n e i n z e l n e ausgefallen s i n d ;
die E r n ä h r u n g
ist
n u r mittelst eines Rohres möglich.
i n n e r l i c h e n u n d ä u s s e r e n Mittel, d e r w i e d e r h o l t e G e b r a u c h scher E r s a t z d e r g a n z e n
O b e r - u n d U n t e r l i p p e ) Waren
' ) Gegen d e n s c r o p h u i Ö s e n
Lupus
des Messers,
fruchtlos.
wird die g a n z e R e i h e d e r
empfohlen, besonders aber der L c b c r t h r a n
(Hebra)
namentlich
(Wernher).
schen
Httdrargyrum
hat
meist
bijodatnm
s c h o n ein
rubrum
reichlicher
Alle (plasti-
Antiscrophulosa
u n d die J o d p r ä p a r a t e ,
Quecksilbergcbrauch
Bei
Syphiliti-
früher Statt
ge-
f u n d e n , u n d es sind d a h e r a u c h hier J o d p r ä p a r a t e , a u s s e r d e m a b e r u n d vorzüglich das Z i t t m a n n s c h e
Decoct
' ) Eine s o l c h e u m s t i m m e n d e W i r k u n g
in G e b r a u c h zu sollen
ziehen.
besonders
haben:
Jodschwefel-
s a l b e n ( t S c r u p e l Sulphur
jodatum
Jodquecksilbersalben
( 1 bis 2 S c r u p e l J o d auf 1 Unze g r a u e Q u e c k s i l b e r -
salbe)
nach
Blasius
und
auf 1 Unze F e t t ) n a c h B i e t t , u n d s c h w a c h e
Wernher.
Ich
habe
von
diesen
keinen a n d e r e n E r f o l g als d e n e i n e r o b e r f l ä c h l i c h e n A e t z u n g ' ) Die W a h l
des
Aetzmittels
ist
wol
gleichgültig.
und G e f a h r l o s e s t e n m ö c h t e d a s C h l o r z i n k
Am
Mitteln
noch
beobachtet.
Schnellsten,
Sichersten,
(vgl. Bd. I . p. 1 1 3 . ) w i r k e n .
Di«
48
Krankheiten der
Haut.
Partheien haben Erfahrungen gesammelt, von denen die durch das Messer gewonnenen immer noch die sichersten und erfreulichsten sind. Natürlich wird dies kein ('.rund sein, die antidyskrasisehe Behandlung zu vernachlässigen, sobald eine bestimmte Dyskrasie (Scrophulosis, Syphilis) bei dem von Lupus befallenen Individuum besteht. Ob es aber innere Mittel giebt, welche gegen den Lupus seihst (d. h. also gegen diese eigentümliche Neubildung in der Haut) eine specifische Wirksamkeit besitzen, bleibt ebenso problematisch als die Annahme einer lupösen Dyskrasie. Gegen den Lupus exfoliativus wendet H e b r a , welcher diese Form für eine nur örtliche, idiopathische Krankheit hält, nur örtliche Mittel (Aetziniltel) mit dem besten Erfolge an, innere Mittel blieben gänzlich fruchtlos; der Lupus serpiginosus, sowie der Lupus hypertrophicus und exuteerans sind nach demselben Autor der Ausdruck eines Allgemeinlcidens, gegen welches von ihm „die verschiedensten Arzeneien innerlich und äusserlich angewandt wurden, doch immer, und selbst bei andauernd^- und örtlich sehr schmerzhafter Einwirkung, mit einem höchst zweifelhaften und selten bleibenden Erfolge" ').| A n w e n d u n g des H o 1 1 e n s t e i n s Wo
es die Localität z u l ä s s t ,
(Hebra)
ist z e i t r a u b e n d e r u n d s c h m e r z h a f t e r .
verdient das Messer den Vorzug vor d e m
Aetz-
inillcl, z u m a l wenn s o f o r t p l a s t i s c h e r W i c d e r e r s a t z des zu e n t f e r n e n d e n T h e i l s möglich
ist.
' ) Z e i t s c h r i f t d e r k. k. Gesellschaft d e r Aerzte.
VI. J a h r g a n g .
Zweiter Abschnitt Von den Krankheiten des Bindegewebes. E r « t e i
Entzündung I.
des
Capitel.
Bindegewebes
und deren
Ausgänge.
V o n der B i n d e g e w e b s - E n t z ü n d u n g ; Phlegmone, Im Allgemeinen. Ursachen.
der Typus
Die Entzündung des Bindegewebes ist gleichsam
aller Entzündungen.
Der grösste Theil
der Ursachen,
welche bereits bei der Lehre von der Entzündung im Allgemeinen aufgeführt sind,
vermögen
dieselbe zu erregen; indess ist zu be-
merken, dass diese sogenannte ,,reine Entzündungsgeschwulst" besonders bei jungen, starken Leuten vorkommt, welche die Charaktere des sanguinischen Temperaments an sich tragen.
Diese entschieden
acute Entzündung des Bindegewebes kann fast an allen Stellen des Körpers auftreten, da das Bindegewebe fast überall in demselben verbreitet ist.
Mit allen ihren Eigenthümlichkeiten beobachtet man
dieselbe indess vorzugsweise an den Stellen, wo dieses organische Element reichlich
angehäuft ist,
daher:
in der Achselgrube,
am
Halse, an der Brustdrüse der Frauen, in der Umgegend des Afters, in der Leistengegend, an den Gliedmaassen.
Die gewöhnlichen Ur-
sachen einer heftigen Entzündung des Bindegewebes
sind:
fremde
Körper, Wunden (besonders Stich- und Schusswunden), Fracturen mit Splitterung der Knochen, tiefe Verbrennungen. Es giebt aber auch sogenannte spontane Phlegmonen, die gleichsam von selbst, richtiger aus innerem Grunde entstehen, oder die sich unter dem Einflüsse einer zufälligen und dem Anscheine nach V i d a l ' s Chirurgie.
II.
4
50
Krankbeilen
des Bindegewebes.
sehr unbedeutenden Ursache entwickeln. Eine Entzündung der Art zeigt ganz eigcnthiimlichc Charaktere; fieberhafte Erscheinungen gehen ihr voraus, während bei der wahren Phlegmone deren Ausdehnung und Heftigkeit in gradem Verhältniss steht zu der sie veranlassenden Ursache, und allgemeine Erscheinungen erst als Reaction des Organismus nachfolgen, wenn entweder die Constitution des Kranken sehr reizbar, oder die Heftigkeit der Entzündung eine sehr bedeutende ist. S y m p t o m e . Die phlegmonöse Geschwulst ist mehr oder weniger umfangreich, umschrieben, hart, resistent, tief gerölhet, besonders im Mittelpunkte, und so, dass die Rothe auf Druck entweder durchaus nicht verschwindet, |oder doch aus der Tiefe schnell zurückkehrt|. Der Schmerz ist stechend, lancinirend, oder mit einer Empfindung von Pulsation verbunden. Der kranke Theil scheint weit schwerer geworden zu sein. Die zwar lebhafte Hitze hat nicht das eigenthümlich Brennende, wie bei der wahren Rose; sie vermehrt sich und nimmt auch diesen letzten Charakter an, sobald die Entzündung sich gegen die Haut hin ausbreitet Zuweilen ist die Hitze nur unbedeutend, namentlich, wenn die Phlegmone in der Tiefe sitzt, zur Zeit des Beginns der allgemeinen Symptome. Geschwulst, Farbe, Hitze sind veränderlich, je nach den Stellen, an welchen das Bindegewebe ergriffen ist; auch kann jede dieser physikalischen Eigenschaften zu verschiedenen Zeitpunkten in die Erscheinung treten. Wir haben die Eigenthümlichkeiten des Furunkels, der in einer Entzündung der Bindegewebswärzcben der Haut besteht, bereits kennen gelernt; ganz andre Erscheinungen bietet die Entzündung des Unterhautbindegewebes dar. Hier verbreitet sich dieses anatomische Element in mehr oder weniger lockeren Schichten, Nichts hält die Entzündung auf, sie ist so zu sagen in ihrem Elemente und entwickelt sich mit der grössten Leichtigkeit; die Basis der Geschwulst dehnt sich weiter aus, während sie an der Oberfläche weniger zugespitzt ist. In den Scheiden der Sehnen und Muskeln verbreitet sich die Entzündung mit grosser Geschwindigkeit nach der Längsrichtung dieser Organe, während sie in der entgegengesetzten Richtung in ihrer Ausbreitung gehemmt und gleichsam eingeklemmt wird. Besonders deutlich aber ist die Einklemmung der Entzündungsgeschwulst unter den grossen Aponeurosen der Gliedmaassen; hier verbreitet sie sich dann nur nach einer Seite hin und richtet weit ausgedehnte Zerstörungen an. Das grossartigste Beispiel hierfür liefert eine Phlegmone am Schenkel, wenn sie zwischen der Fascia lata und dem Knochen ihren Sitz h a t
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Phlegmone.
Man darf jedoch den Einfluss, welchen der Sitz der Entzündung haben kann, nicht Übertreiben. Es ist ausgemacht, dass eine Entzündung des tiefer gelegenen Rindegeweties, unter übrigens gleichen Umständen, immer ernstlicher zu nehmen- ist, als eine oberflächliche Phlegmone; war aber die Ursache eine unmittelbare, von aussen her einwirkende, und ist der Gesundheitszustand im Uebrigen befriedigend, so werden sich, in welcher Tiefe auch die Phlegmone sitze, doch immer zwei Bestrebungen geltend machen: Begrenzung des Heerdes und Vordringen des Eiters gegen die Oberfläche. Dagegen kann die oberflächlichste Entzilndung des subcutanen Bindegewebes gerade das entgegengesetzte Bestrehen zeigen, wenn sie sich unter dem Einflüsse mittelbar wirkender, innerer Ursachen entwickelt. Nehmen wir z. B. eine Phlegmone diffusa; sie kann auf das Polster der Haut beschränkt bleiben und nichtsdestoweniger Zerstörungen anrichten, welche den Tod herbeifuhren, während eine, in der Tiefe bestehende Phlegmone, die aus äusserer Begründung hervorgegangen ist, sich begrenzt und häufig einen günstigen Ausgang nimmt. Es liegt also im Wesen mancher Bindegewebs-Entzündungen, diffus aufzutreten, während andere unischrieben bleiben, wenn auch die lokalen Verhältnisse ihre Verbreitung noch so sehr begünstigen. Diese letzteren treten mit Erguss plastischer Lymphe, d. h. fibrinreichen Exsudats auf, während jene nur ein dünnflüssiges oder doch schiicll zerfallendes Exsudat liefern. Der V e r l a u f der phlegmonösen Entzündung ist mitunter ein äusserst rascher, da sie innerhalb fünf Tagen, und selbst noch eher, in Eiterung übergehen kann. Diese ist der gewöhnlichste A u s g a n g , zumal wenn die Entzündung sehr lebhaft ist, und wenn sie eine Stelle befallen hat, an welcher viel Fettgewebe vorhanden ist. Wenn aber den eben angegebetieu entgegengesetzte Verhältnisse da sind, so stellt sich die Eiterung erst am 15. oder 20. Tage ein. Bei noch langsamerem Verlaufe geht die phlegmonöse Entzündung gewöhnlich in Verhärtung Uber. Plötzliches Verschwinden oder Versetzen der Entzündung ist selten, wenn sie auf Grund äusserer Veranlassungen entstand, findet sich aber bei Phlegmonen aus inneren Ursachen. Man darf in einem solchen Falle den Zustand der Eingeweide nicht ausser Acht lassen; denn nur ein mächtiger Einfluss ist im Stande, eine phlegmonöse Entzündung rasch zu unterdrücken. B r a n d ist stets zu befürchten, wenn die Entzündungsgeschwulst in ihrer Entwicklung durch fibröse Häute gehemmt wird, oder wenn die Entzündung in der Nähe von Excretionskanälen ihren Sitz hat,
4*
52
Krankheiten des Bindegewebes.
und die entzündeten Gewebe mit den excrementitiellen Flüssigkeiten in unmittelbare Berührung kommen. Eine schwache Constitution, eine zerrüttete Gesundheit u. dgl. m. erhöhen die Wirksamkeit dieser Ursachen. Bleibt der Brand auf einen kleinen Raum beschränkt, so ist er kein gefahrliches Ereigniss. Oftmals beschleunigt er die Beendigung der Krankheit, indem er die Gewebe zerstört und so dem Eiter freien Abfluss verschallt Mit Recht fürchtet man aber den weit verbreiteten und fortschreitenden Brand, wie er z. B. in Folge der Zerschmetterung oder Splitterung eines Knochens auftritt. Ein solcher Brand gehört zu den bedenklichsten Zufällen. Der günstigste Ausgang ist die Z e r t h e i l u n g . Sie tritt ein, wenn die Entzündung nicht sehr heftig war und an einer Stelle auftrat, wo wenig Fett liegt. Die Rückkehr des ergriffenen Theiles in den normalen Zustand wird durch die gleichmässige Abnahme aller Symptome bezeichnet War das Unterhaut-Bindegewebe ergriffen, so soll sich beim Ausgange in Zertheilung die Epidermis abschuppen. An einem solchen von Vielen beschriebenen, vielleicht aber nie beobachteten Ausgang ist aber zu zweifeln, wenn das B i n d e g e w e b e w i r k l i c h entzündet war. Die D i a g n o s e der Entzündung des Bindegewebes wird vollständig, wenn man sich des in Betreff des Erysipelas Gesagten erinnert. Die charakteristische Hitze, die Rothe, welche unter dem Fingerdruckc nicht verschwindet, eine entschiedene (hrettartige) Festigkeit der Geschwulst, ferner die immer mehr oder weniger tiefe Basis, welche der phlegmonösen Entzündung nie fehlt, lassen sie von einer Entzündung der Haut leicht unterscheiden. Um aber nicht ein allzu grosses Gewicht auf jedes dieser Kennzeichen, einzeln genommen, zu legen, vergesse man nicht, dass das Erysipelas neben einer, mehr oder weniger ausgebreiteten Entzündung des Zellgewebes bestehen kann, und dass die Phlegmone oft mit einer Entzündung der Haut zusammen aultritt; in dem letzten Stadium der Phlegmone ist die Haut sogar gewöhnlich mitentzündet. Die P r o g n o s e der Entzündung des Bindegewebes ist nicht bedenklich, wenn die Entzündung oberflächlich, wenig ausgebreitet und aus einer äusseren Ursache hervorgegangen ist; anders aber verhält es sich, sobald das Bindegewebe in der Tiefe ergriffen ist, wenn die Entzündung unter dem Einflüsse einer inneren oder allgemeinen Ursache steht, oder wenn sie in der Nähe eines wichtigen Organs auftritt, dessen Function durch sie beeinträchtigt werden könnte. P a t h o l o g i s c h e A n a t o m i e . Das entzündete Bindegewebe ist von einer grossen Menge Blut getränkt; es scheint von ihm u n d
Phlegmone.
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der exsudirten Blutflüssigkeit, die zum Theil fest geworden ist, innig durchdrungen zu sein. Seine Maschen sind dichter, sein Gewebe leichter zu zerreissen und zu durchschneiden. Im Anfange der Krankheit zeigt es eine geröthete Schnittfläche und ein Gefdge, welches einigermaassen dem der Milz ähnlich ist; Blut mit Eitertröpfchen vermischt dringt daraus hervor. Nach längerer Dauer findet man den Eiter an einzelnen Stellen in grösserer Menge angehäuft, und endlich zu mehr oder weniger grossen Abscessen vereinigt B e h a n d l u n g . Als eine reine Entzündung kann die Phlegmone vor Allem siegreich durch Blutentziehungen bekämpft werden. Wir müssen indess hinzusetzen, dass selbst die isolirteste phlegmonöse Entzündung (diejenige z. B., welche durch einen, gleich nach seinem Eindringen wieder ausgezogenen fremden Körper veranlasst wurde) nicht immer durch eine, wenn auch noch so vollständige und streng antiphlogistische Kur abgeschnitten werden kann. Ist das Individuum kräftig, jung, und hat die Entzündung sich über einen grossen Theil des Bindegewebes verbreitet, so muss man zur Eröffnung einer Vene schreiten. Oertliche Blutentziehungen, wie viele deren auch gemacht werden, bringen nur selten Zertheilung zu Stande; im Gegentheil begünstigen sie die Eiterbildung; jedoch möchte dadurch der Abscess kleiner und oberflächlicher werden, was schon ein grosser Vortheil ist. Ist das entzündete Bindegewebe dem Messer zugänglich, so leistet eine bis in dasselbe eindringende Incision noch mehr, indem dadurch Blutentziehung und Entspannung zugleich bewirkt und, im Falle des (meist wahrscheinlichen) Ausganges in Eiterung, von vorn herein dem Eiter freier Abfluss verschafft wird. Lange Zeit fortgesetzte Bähungen, grosse, dicke, erweichende Cataplasmen lindern die Schmerzen und begünstigen augenscheinlich entweder die Zertheilung, welche immer wünschenswerth ist, oder die Eiterung, den demnächst am Wenigsten zu fürchtenden Ausgang. Im Uebrigen vgl. „Entzündung". •I.
P h l e f m o n S i e H Erysipel«*. Pseudoerysipel««. E n t z f i n d n n g de« Unterbaut-Bindegewebes. Phlegmone
diffusa.
Die Ursache des wahren Erysipelas scheint nur auf die oberflächlichste Schicht der Haut ihren Einfluss geltend zu machen. Wenn sie sich von dort aus auf das Unterfiaut-Bindegewebe verbreitet, so entsteht, nach einigen Schriftstellern „das phlegmonöse Erysipelas"; wurde die Haut hingegen in Folge einer Entzündung
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K r a n k h e i t e n des
Bindegewebe«.
des Bindegewebes ergriffen, so sagt man, es sei eine ..ervsipelatöse Phlegmone". „Phlegmone
Dupuytren di/f'usa"
Ursachen. leidens entstehen.
hat diese Entzündungen
mit Recht als
zusaminengefasst.
Diese Krankheit kann auf Gnund eines AllgemeinW e n n die phlegmonöse Entzündung nach einem
Erysipelas auftritt, so scheint die erzeugende Ursache, welche sich in der Haut nicht erschöpft hatte, auf das benachbarte Bindegewebe gleichsam überzuströmen.
Resteht indess in der Haut keine Con-
tinuitätstrennung, so bewahrt sie in der Regel ihre isolirende Eigens c h a f t , und das Erysipelas pflanzt sich dann seltener auf andere Gewebe fort.
Das Vorhandensein einer W u n d e begünstigt die Fort-
pflanzung der Entzündung auf das Zellgewebe; Stiche, welche mit der Lanzette am Fusse oder in der Ellenbogenbeuge gemacht werden, Quetschungen, namentlich solche, die durch Schusswaffen verunbedeutende
Excoriation
compliciren sich mit einem phlegmonösen Erysipelas.
anlasst w u r d e n ,
manchmal
auch
eine
Besonders
zu fürchten ist dasselbe, wenn die W u n d e auf irgend eine Weise verunreinigt oder vergiftet wurde. Stoffen, unreinen Instrumenten,
Die B e r ü h r u n g mit
Reiben der Kleider an einer vernachlässigten W u n d e , k u n g der Sonnenstrahlen u. dgl. m. begünstigen dieser furchtbaren Krankheit.
faulenden
schmutzigen Verbandstücken, die
das
die EinwirEntwickelung
An und f ü r sich würde ihr Einfluss
zu einer Erzeugung derselben nicht stark genug sein; es gehört dazu, sei.
dass in dem Körper eine erysipelatöse Diathese vorhanden Ist diese aber vorhanden und hat die T r e n n u n g der Haut die
isolirende Kraft derselben aufgehoben, so ist Alles, was die W u n d e vergiftet, eine Ursache m e h r zum Ausbruch. auf gleiche Weise vernachlässigt,
Aehnliche W u n d e n ,
werden bei einem
vollkommen
g e s u n d e n Subjecte niemals ein so trauriges Resultat herbeiführen. Symptome.
Dupuytren
spricht von Vorboten des phlegmo-
n ö s e n Erysipelas, welche einen intermittirenden Charakter a n n e h m e n sollen, so dass sie mit einem kalten Fieber verwechselt könnten.
werden
Im Allgemeinen bemerkt man Anfangs ein Leiden
Digestions - Apparates,
und
dies
Verlaufs der Krankheit bestehen.
bleibt
oft während
des
Später treten typhöse
des
ganzen
Symptome
auf, sobald die Krankheit eine traurige W e n d u n g nimmt.
Dies is(
leider sehr häufig der Fall,
bei
besonders
bei Greisen
und
er-
schöpften Subjecten. Das sorgfältige Studium der örtlichen Symptome ist sehr zu empfehlen, damit man die Krankheit möglichst frühzeitig erkennen könne.
War ursprünglich die Haut ergriffen, so wird die Aufmerk-
Phlegmon«.
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samkeit des Arztes auf diese Stelle hin abgelenkt und leicht irre geltlhrt. Wenn aber die Krankheit vom Bindegewebe ausgeht, so tritt oft die Rothe der Haut nicht eher auf, als bis die Krankheit schon bedeutende Fortschritte gemacht hat. In der Mehrzahl der Fälle sind die lokalen Erscheinungen der Krankheit folgende: Der zufühlende Finger macht einen leichten Eindruck in der Haut, deren Röthe an dieser Stelle verschwindet und dann nur langsam wieder erscheint. Vorher hat sich schon an der betreffenden Stelle das Gefühl von Schwere, Jucken und eine Empfindung bemerklich gemacht, als bestände in der Tiefe eine Quetschung. Die Röthe wird stärker; sie ist gegen die Mitte hin dunkel, im Umkreise kann sie blass und rosig gefärbt sein. Bald lässt sich die Haut nicht mehr in gleicher Weise eindrücken; sie leistet Widerstand, als läge sie auf einem Brette, die Hitze ist brennend, der Schmer/ stechend; Phlyctänen erheben sich in Zwischenräumen; endlich treten die allgemeinen entzündlichen Erscheinungen mit Heftigkeit auf. — Dies ist, nach P â t i s s i e r 1 ) der e r s t e Grad des phlegmonösen Erysipelas. Im z w e i t e n Grade breitet sich die Entzündung über die benachbarten Theile a u s ; die Anschwellung ist beträchtlicher, der Schmerz lebhafter, — Spannung und Gefühl der Einschnürung an der kranken Stelle, gastrische und nervöse Symptome treten schärfer hervor. Dies Stadium wird gewöhnlich durch einen starken Frostschauer angekündigt Darauf folgt ein, für den weniger Geübten trügerischer Nachlass der Erscheinungen. Hatte man aber im Anfange die teigige Geschwulst, dann die brettartige Festigkeit beobachtet, und bemerkt man darauf abermals eine teigige Beschaffenheit der leidenden Stelle, so deutet dies an, dass sich Eiter gebildet habe. Das abermalige Teigigwerden der Geschwulst, dies zweite, gleichsam secundäre Oedem ist das allein untrügliche Kennzeichen der Eiterung; denn Fluctuation ist schwer wahrzunehmen, weil der Eiter in zahlreichen Maschen, die alle unter einander in Verbindung stehen, eingeschlossen ist. So wird man denn auch immer „ z u s p ä t " kommen, wenn man von dein Bistouri nicht eher Gebrauch machen will, als bis die Schwappung der Flüssigkeit deutlich zu fühlen ist. In dem d r i t t e n Grade wird die Haut durch die beträchtliche Menge des Eiters in die Höhe gehoben, verdünnt, abgelöst, und (zuweilen sehr schnell) brandig. Bald liefen die Brandschorfe vor Augen, bald nimmt die Haut nur ein schmutziges Ansehen an, und ') nite
de lu Faculté de Parit 1815.
56
Krankheiten des Bindegewebes.
man überzeugt sich von ihrem Absterben erst mit dem Eintritte der Fäulniss.
Auf dieser Stufe der Krankheit
fühlt man
unter dem
Finger das Fluetuiren der Flüssigkeit, in der man eine Art fester Knoten unterscheidet, welche nichts Anderes sind, als Flocken abgestorbenen Zellgewebes.
Mitunter hört man \ o r der Fiuctuation ein
Crepitationsgeräusch, als Zeichen des Emphysem's, welches durch die anf Grund der Zersetzung des brandigen Bindegewebes Gasentwicklung veranlasst wird.
erfolgende
Namentlich in diesem Grade treten
die Symptome allgemeiner Schwäche
und die Folgen der Aufsau-
g u n g des Eiters stark h e r v o r , weshalb man dieser Krankheit den Namen „ Erysi-pelas
gangraenosum"
„Brand-Rose"-gegeben
hat.
Bricht d e r Abscess von selbst a u f , o d e r wird er von dem Arzte geöffnet, so entleert sich eine grosse Menge stinkenden Eiters und zerstörten Bindegewebes.
Nach der E n t l e e r u n g dieser Materien ist
d e r Umfang des k r a n k e n
Theiles
um Vieles verkleinert; er sieht
aus, als wäre er durch eine sehr langwierige Krankheit abgemagert. W e n n es einer Seits unzweifelhaft bewiesen ist, dass die einfachen erysipelatösen jeder
Behandlung
Erkrankungen
in den meisten Fällen unter
einen glücklichen
Ausgang n e h m e n und
selbst
glücklich ablaufen, wenn man sie der Heilkraft der Natur ganz allein Uberlässt; so ist es a n d e r e r Seits nicht weniger ausgemacht,
dass
dieselbe Krankheit immer bedenklich und, welche Mittel man auch gegen sie ergreift, s e h r oft tödtlich ist, sobald sie auf das Bindegewebe übergeht.
Der Ausgang w ü r d e noch viel häufiger ein un-
heilvoller sein, wenn man die Krankheit sich selbst überliesse. liefern das einfache Erysipelas und die Phlegmone spiele, welche d a r t h u n ,
diffusa
So
zwei Bei-
wie der Arzt bei nahe verwandten Krank-
keiten in dem einen Falle weise h a n d e l t , wenn er unthätig bleibt, während
e r in dem a n d e r e n
das Leben des Kranken aufs Spiel
setzen w ü r d e , wollte er n u r zaudern mit einem energischen Eingriffe. Diffuse Phlegmonen, deren glückliche Heilung ohne Kunsthülfe erfolgte, dürften sich wol n u r an den o b e r e n Extremitäten und im Gesichte finden u n d m u s s t e n durch einen Erguss plastischer L y m p h e in ihrer Peripherie begrenzt sein. haft e r s c h e i n e n ,
Es mtiss aber überhaupt zweifel-
ob jemals die Natur die Heilung dieser Krankheit
allein h e r b e i f ü h r e n kann.
Welcher Art aber auch die Entzündung
sei, von d e r die Haut und das s u b c u t a n e Bindegewebe gleichzeitig ergriffen w e r d e n , jedenfalls ist, bei acutem Verlaufe, die Eiterurig, welche therapeutische Mittel m a n günstigster Ausgang zu betrachten. Behandlung
wird
man
ihr auch entgegenstelle,
als
ihr
Vermittelst einer wohl geleiteten
die Eiterung b e s c h r ä n k e n ,
man
wird
sie
57
Phlegmone.
weniger reichlich und vielleicht auch gutartiger machen, aber die Eiterung ganz zu verhindern, scheint unter den gedachten Umständen unmöglich zu sein. P a t h o l o g i s c h e A n a t o m i e . Nach dem Tode findet man die Haut an dem kranken Theilè schmutzig, an einigen Stellen sehr blass, an anderen schwärzlich; sie ist in ihrer ganzen Ausdehnung abgelöst, oder hängt doch nur durch schmale Fortsätze, die leicht abreissen, mit dem unterliegenden Gewebe zusammen. Bei der Durchschneidung der Haut sieht man Fetzen von Bindegewebe, welche in dem Eiter macerirt sind. Fasst man sie mit der Pincette, so leisten sie Anfangs Widerstand, lösen sich aber bald a^. Sie finden sich von einer beträchtlichen Länge, bis zu der eines halben Fusses l ). Wenn man Wasser darüber strömen Iässt, so trennt sich der Eiter, und sie haben dann Aehnlichkeit mit den Häuten des menschlichen Eies. Später ist das Bindegewebe nur von einer Pseudomembran bedeckt, welche sich leicht ablöst und dann die brüchigen, matschigen Fasern sichtbar werden lässt; diese zerfliessen endlich, und dann findet man unter der Haut nur noch die fibrösen Häute (Aponeurosen); zwischen diesen und der Haut liegt eine grauliche oder schwärzliche Materie, welche den von dem Bindegewebe vorher erfüllten Raum einnimmt. Wenn die crysipelatösc Entzündung des Unterhautbindegewebes auf die Aponeurosen selbst übergeht, oder wenn sie, den Oeffhungen folgend, die für den Durchtritt der Gefässe bestimmt sind, auf das intermuskuläre und in der Tiefe liegende Bindegewebe sich fortsetzt, so sind die Zerstörungen weit beträchtlicher; denn dann können selbst die Knochen blosgelegt und ihre äussere Schicht necrotisirt werden, ohne dass es möglich wäre vorher zu bestimmen, mit welcher Schnelligkeit alle diese Zerstörungen erfolgen. In solchen schweren Fällen sah man die Venen mit Eiter angefllllt; nur selten indess kann man diese oder andere Gefässe noch bis zu der Haut hin verfolgen. Dies sind die Verhältnisse im letzten Stadium der Entzündung. Macht man in der ersten Zeit einen Einschnitt in das entzündete Gewebe, so sickert eine reichliche Menge milchiger Flüssigkeit aus. Der Eiter ist dann noch wenig beträchtlich; erst einige Tage später vermehrt er sich; mitunter fliesst nach dem Einschnitte eine Materie ab, die weiss ist wie Milch, und das Gewebe ist gleichzeitig fest wie Speck; beim Druck sickert kaum etwas Eiter aus. ') D u p u y t r e n ,
Leçons
orales
de clinique
habe sie noeb länger gesehen. |
chirurgicale,
tom. II. pag. 2 9 5 .
|Ich
58
Krankheiten des Bindegewebes.
„Das Bindegewebe", sagt D u p u y t r e n , „ist dann der Eiterung verfallen, was so viel sagen will, als: d e m T o d e . " Man hat auch krankhafte Veränderungen des Digestions-Apparates nachgewiesen; aber nicht constant. Die D i a g n o s e dieser Krankheit ist nur im Anfange schwierig; indess wird man einen Irrthum vermeiden können, wenn man die Merkmale nicht vergisst, welche bei der Besehreibung der Symptome besonders hervorgehoben wurden. Bei der „Venenentzündung" und den „Krankheiten der Lymphgefiisse" wird sich zeigen, wie diese von dem phlegmonösen Erysipelas zu unterscheiden sind. Von der P r o g n o s e wurde bereits öfter bemerkt, dass sie höchst bedenklich sei. Die T h e r a p i e muss schnell und energisch einschreiten. Die a n t i p h l o g i s t i s c h e n M i t t e l , im Verein mit den e r w e i c h e n d e n , leisten im Anfange (im ersten Grade der Krankheit) ausgezeichnete Dienste. Bei kräftigen Personen muss man eine allgemeine Blutentziehung anwenden und durch, in grosser Anzahl auf die betreffende Stelle selbst gesetzte Blutegel die Entzündung massigen. Statt die Eiterung zu verhüten, befördert man sie vielmehr durch dies Verfahren; aber sie wird danach oberflächlicher und weniger ausgebreitet, was ein grosser Vortheil ist. |Innerliche Mittel: Emetica, grosse Dosen des Tart. stibiat., antiphlogistische Mixturen u. dgl. nutzen wenig oder nichts. Auch von kalten Umschlägen habe ich nie einen Nutzen gesehen.| S a n s o n sah die besten Erfolge von tiefen und öfter wiederholten Incisionen. | D o b s o n zieht es vor, zahlreiche und kleine Einschnitte, 1 0 — 1 4 , von 2 — 4 Linien Länge, in die entzündete Fläche, und zwar um so tiefer zu bilden, je mehr dieselbe geschwollen ist, — auch dann noch giebt er diesem Verfahren den Vorzug, wenn der Eiter sich schon angesammelt hat. Ich kann, aus eigener Erfahrung, die frühzeitigen Einschnitte (die man in nicht s e h r heftigen Fällen auch mit einem starken Schröpfsehnepper ausführen kann, aufs Lebhafteste empfehlen. | Man hat die Anwendung des B l a s e n p f l a s t e r s auf den Mittelpunkt des Uebels selbst angepriesen. P e t i t (von Lyon) hat, nach P a t i s s i e r , grosse Vortheile dadurch erzielt. D e l p e c h sagt, dass er dieses Mittel von D u p u y t r e n mit Erfolg habe anwenden seheu, und lobt es. Man hat jedoch anderer Seits dem Zugpflaster vorgeworfen, dass es den Brand beschleunige. P a t i s s i e r antwortet darauf durch Zahlen: nach ihm kam auf 4 0 Fälle, welche mit diesem Mittel behandelt wurden, nur ein Mal Brand, und zwar trat hier der Brand aus dem Grunde ein, „weil ein asthenisches Fieber
59
Phlegmone.
mit der örtlichen Erkrankung complicirt war." orales" habe,
vertheidigt D u p u y t r e n
In seinen
„Leçons
sich dagegen, dass man geglaubt
er gebe diesem Mittel den Vorzug.
Er sagt, dass er zu
verschiedene Wirkungen davon gesehen hahe, als dass er es unbedingt anpreisen könne. Der D r u c k gelobt worden.
ist um Häufigsten von V e l p e a u angewendet und Doch soll, nach der eigenen Angabe V ' e l p e a u ' s ,
ein gleichiniissigcr Druckverband, nach dem dritten Tage ( w e n n sich schon Eiterung gebildet hat) angelegt, n u r noch dazu dienen können, die Entzündung zu massigen u n d die Eiterung zu concentriren. — Nicht zu empfehlen ist, aus nahe liegenden Gründen, die von V e l peau
uml
Serres
gerühmte
Methode,
sehr
grosse
Dosen
von
Quecksilbersalbe (2 — 3 Drachmen alle 5 — 6 Stunden) einzureiben. Im 2ten Stadium wäre es die grösste Unvernunft, wenn man die Zeit noch in der Anwendung mittelbar wirkender Mittel schwenden wollte.
Sie können alsdann n u r noch als Nebenmittel
in Betracht k o m m e n , bieterisch
ver-
während die chirurgische Hülfsleistung ge-
verlangt wird.
Die erste Indication ist h i e r : die Haut
au mehreren
Stellen in grosser Ausdehnung zu spalten u n d
Aponeurosen
durch Einschnitte zu e n t s p a n n e n , wenn unter
selben Eiter sich befinden sollte.
die den-
Dann: Reinigung der W u n d e n ,
ltrciumschlägc, Ausspritzungen. In dem 3ten Stadium würden antiphlogistische Mittel, zu nützen, nur schädlich sein.
anstatt
Hier sind, nachdem Einschnitte ge-
macht sind, und nachdem aller Eiter oder brandiges Gewebe, welche die ausgedehnte Geschwulst bildeten, entleert w o r d e n , T o n i c a indicirt, äusserlich (Species
aromalicae
etc.) wie innerlich
Die Genesung geht langsam von Statten.'
(China).
Man vergegenwärtige sich
nur die Zerstörung, welche eine solche Krankheit veranlasst 1 Damit die Haut in so weiter Ausdehnung ihre Verbindung mit den unter ihr gelegenen Geweben wieder herstellen k ö n n e , damit die Vernarbuug sich befestige, dazu wird Zeit erfordert, |in der der Krauke sich ruhig zu verhalten hat, | und grosse Sorgfalt von Seiten des Arztes.
Hier können Gegenöffnungen, die zu gelegener Zeit
rechten Orte gemacht w e r d e n , manche Höhlen entleeren
und die Bildung der Fistelgänge verhin-
d e r n , oder die vorhandenen trocken legen,
und so endlich
Theil zu seinem normalen Zustande zurückführen. Strecken des Panniculus
am
ein wohl angelegter Druckverband
adiposus
Wo
den
grössere
brandig w u r d e n , bleiben
stets,
da dieser nicht vollständig wieder ersetzt wird, eingezogene Stellen
60
Krankheiten des Bindegewebes.
und eingezogene Narben zurück. — Eine kräftigende aber nicht reizende Diät wird die Bemühungen des Arztes unterstützen. 111.
WuRerergiiM
Im
Bindegewebe.
Oedema.
Oedem nennen wir eine durch Erguss von Blutwasser in die Maschen des Bindegewebes gebildete Geschwulst. Hat dieser Erguss seinen Sitz im Unterhaut-Bindegewebe und ist er über einen grossen Theil der Körperoberfläche verbreitet, so nennt man ein solches Oedem: Anasarca. Die a n a t o m i s c h e U n t e r s u c h u n g ödematöser Theile zeigt zunächst, dass aus jedem Schnitt grosse Mengen von Blutwasser theils von selbst, theils bei Anwendung eines Druckes, wie aus einem Schwämme hervorrieseln. Das Bindegewebe ist blass, seine Lamellen und Faserbündel sind durch die angesammelte Flüssigkeit aus einander gedrängt, so dass sie verschieden gestaltete und unter einander communicirende Höhlen zwischen sich lassen. Hierauf beruhet es, dass aus einer einzigen Wunde des ödematösen Theils eine ungemein grosse Menge von Flüssigkeit entleert werden kann. Zuweilen ist der Inhalt dieser Höhlen nicht vollkommen wässerig, sondern einer durchscheinenden Gallerte ähnlich. In solchen Fällen muss zugleich mit dem Blutwasser etwas Faserstoff in das Bindegewebe ergossen worden sein. In dem ödematösen Gewebe entdeckt man leicht die durch dasselbe verlaufenden Nerven und Gefässe, besonders auch die Lymphgefässe. Sie erscheinen isolirt mitten in der sie umspülenden Flüssigkeit, indem die ihnen sonst dicht anliegenden Bindegewebszüge durch jene von ihnen abgelöst und verdrängt worden sind. Die Fettzellen finden sich in dem ödematösen Bindegewebe unversehrt. Bestand das Oedem {Anasarca) schon sehr lange Zeit und hatte es einen beträchtlichen Grad erreicht, so ist auch die äussere Haut verdünnt und ihre Fasern sind aus einander gedrängt. Hier und dort zeigen sich Spalten und Risse in ihr, die jedoch äusserlich noch von der Epidermis verdeckt werden, welche an den entsprechenden Stellen ausgedehnt « und dadurch schwach durchscheinend wird. Die Farbe der Haut ist mehr oder weniger weiss, so lange ihre Ausdehnung nicht auf das Aeusserste gesteigert ist; geschieht dies, so wird sie glänzend und halb durchscheinend. Die Flüssigkeit selbst, welche man in ödematösem Bindegewebe vorfindet, ist im Allgemeinen wasserhell oder schwach gelblich. Symptome. Die durch Oedem bedingte G e s c h w u l s t ist blass oder weiss, weich und gleichsam t e i g i g anzufühlen, und
61
Oedem.
erscheint der zufühlenden Hand gewöhnlich etwas k ü h l e r , als die umliegenden gesunden Hautstellen. den.
Die Falten der Haut verschwin-
Die Geschwulst wird um so bedeutender, j e weniger fest das
ergriffene Bindegewebe ist. langsam verschwindende Compression
Der Fingerdruck hinterlässt eine sehr
Grube.
Wendet
man
auf den ergriffenen Theil a n ,
eine
methodische
oder lagert man
den-
selben relativ hoch, so vermindert sich die Geschwulst, indem die ergossene Flüssigkeit ändert
nach physikalischen Gesetzen ihren Ort ver-
Bestehen neben diesen objectiv wahrnehmbaren Symptomen
keine Schmerzen an der geschwollenen Stelle, so hat man es mit einem
passiven
oder c o n s e c u t i v e n
Oedem zu t h u n ,
welches
immer nur als Symptom eines Allgemeinleidens, oder als die Folge einer den Rilckfluss der Ernährungssäfte Veränderung aufzufassen ist. E s giebt aber
auch
l i c h e s , hitziges O e d e m .
hindernden
organischen
Dies Oedem ist stets chronisch.
ein
acutes
oder
actives,
entzünd-
Dies ist ausgezeichnet durch eine leichte
R ö t h u u g der Haut und H i t z e an der betreffenden Stelle, prickelnde und heftige S c h m e r z e n
und Empfindlichkeit gegen Druck,
sich bei empfindlichen Personen Fieber gesellen kann.
oder
auch
Hier handelt es sich ganz einfach um eine
E n t z ü n d u n g des B i n d e g e w e b e s mit A u s g a n g in Erguss.
wozu
grosser Ausdehnung
wässerigen
Sehr selten aber ist dieser A u s g a n g rein; gewöhnlich b e -
steht vielmehr zugleich Eiterung oder Bluterguss. Die D i a g n o s e
des Oedems bietet niemals Schwierigkeiten dar,
wenn man die so eben aufgeführten Symptome sorgfältig beachtet. Höchst schwierig dagegen ist es in manchen Fällen zu bestimmen, ob das Oedem ein rein örtliches Leiden ist, oder auf einer anderweitigen Erkrankung beruhe. Der S i t z
des Oedems
das Unterhautbindegewebe; und
ist in der grossen Mehrzahl der Fälle es ist aber auch
subserösen Bindegewebe
beobachtet
in dem submucösen
worden;
selbst
Innern der Organe gelegene kann davon ergriffen werden. gen Gegenden
des K ö r p e r s ,
wo unter der Haut kein
das
im
Diejeni-
Fettpolster
liegt, werden am Häufigsten vom Oedem ergriffen; an diesen Stellen treten seine Symptome auch am Schärfsten h e r v o r , so z. B. an den Augenlidern, am Scrotum ete. Aetiologie.
Das Oedem als rein örtliche und selbstständige
Krankheit ist höchst selten.
Für uns ist hier von besonderm In-
teresse
Oedem,
das symptomatische
Folge von Entzündungen, rungen auftritt
welches
Verletzungen
sehr gewöhnlich
in
und organischen Verände-
Unter den Entzündungen, welche Oedem in ihrem
62
Krankheiten des Bindegewebes.
Gefolge haben, sind besonders zu nennen E r y s i p e l s , Phlegmone, Entzündung der Venen und Lymphgefiisse. Von der diagnostischen Bedeutung des Uedems fiir den Uebergang einer Phlegmone ¡11 Eiterung war schon oben die Rede (pag. 55). Eine gewöhnliche Erscheinung ist ferner das Oedeni bei Quetschungen, Verrenkungen und Knochenbrüchen, überall als Beweis einer in der Tiefe Statt findenden und in massigem Grade bis in das subcutane Bindegewebe ausgebreiteten Entzündung (E\sudation). l.'nter den organischen Krankheiten sind es besonders diejenigen der KreislaufsOrgane, welche Oedein herbeiführen, indem sie den Ilückfluss des venösen Blutes hindern. In ähnlicher Weise können mechanisch Krankheiten der Leber und der Milz, durch Hemmung des Blutlaufes in diesen Organen, Ursachen des Oedems werden. Häufiger aber beruht das Oedem bei Erkrankungen der letztgenannten Organe auf der mit ihnen zugleich sich entwickelnden Erkrankung des Blutes. Vollkommen mechanisch dagegen erklärt sich die Entstehung des Oedems an den untern Extremitäten, wenn Geschwülste in der Beckenhöhle die grossen Venenstämme daselbst comprimiren, während der kräftigere Blutstrom in den Arterien diesen Druck noch zu Überwinden vermag. In dieser Weise wirkt auch der Uterus gravidvs. Bei Menschen, welche viel aufrecht stehen, und besonders bei solchen, welche in dieser Stellung längere Zeit im Wasser verweilen, entsteht Oedem um die Knöchel, indem der Druck der Blutsäule im System der Vena cava inferior der Blutbewegung in diesem Abschnitte des Gefässsystems entgegenwirkt. Eine andere Quelle für die Entstehung des Oedems liefern gewisse Veränderungen des Blutes. Je weniger reich an festen Bes t a n d t e i l e n , besonders an Albumin und Fibrin das Blut ist, desto leichter kann bei unbedeutenden mechanischen Veranlassungen, oder auch ganz ohne dieselben, das Blutwasser durch die GetassWandungen in die Maschen des Bindegewebes sich ergiessen. So kann also eine Unterdrückung der Transspiration oder der Urinabsonderung (zumal wenn, wie bei Morbus Hrighlii, zugleich durch die Nieren dem Blute Eiweiss entzogen wird,) Veranlassung des Oedems werden, indem das Blut durch die Unterdrückung jener normalen Secretionen mit Wasser überladen und somit relativ arm an festen Bestandteilen wird. Profuse und lang andauernde Eiterungen und wiederholte oder bedeutende Blutungen bedingen Oedem, indem sie dem Blute direct feste Bestandteile entziehen. Derselbe ätiologische Zusammenhang findet sich, wenn Dünnllüssigkeit des Blutes
Oedem.
63
durch schlechte Ernährung, übertriebene Anstrengung, oder geradezu durch Krankheilen des Blutes (Chlorosis, Typhus) bedingt ist. V e r l a u f . Je nach der Krankheit, welche das Oedera veranlasst, ist der Verlauf desselben höchst verschieden. Beruhet es auf einer vorübergehenden Störung des Blutrückflusscs, so verschwindet es alsbald, wenn diese beseitigt ist. In der Reconvalescenz nach schweren Krankheiten tritt es in der Umgegend der Knöchel im Laufe des Tages auf, sobald die Beine herabhängen und verschwindet Nachts, sobald der Körper sich in liegender Stellung befindet. Dieses zeitweise auftretende Oedent dauert so lange an, bis die Theile ihren gehörigen Tonus wieder erlangt haben. Nach einer Fractura comminula oder einer Phlegmone verschwindet das Oedem erst, wenn die Heilung der gedachten Uebel schon ziemlich weit fortgeschritten ist. Beruhet das Oedem auf einem tiefern Leiden, welches sich nicht beseitigen lässt, so wird endlich die Verdünnung der Haut so weit gesteigert, dass sie an einzelnen Stellen aufbricht und verschieden grosse Quantitäten von Wasser aus diesen Oeffnungen sich entleeren. Die Verminderung der Geschwulst ist aber nur vorübergehend, indem die Oeffnungen durch adhäsive Entzündung alsbald wieder verschlossen werden. Solche spontane Entleerungen können sich mehrmals wiederholen. Zuweilen werden die ödematösen Thcilc auch von Erysipclas oder, auf Grund des Druckes, den ihre eigene Schwere auf die unterliegende Haut ausübt, von Brand befallen. Die Veranlassungen zum Erysipel, welches seinerseits an ödematösen Theilen leicht in Brand übergeht, können höchst unbedeutende sein: Reibung, ein kleiner Stich u. dgl. Die P r o g n o s e des Oedems ist abhängig von der Natur der ihm zu Grunde liegenden Krankheit. An und für sich kann es nur durch seinen besondern Sitz, z. B. als Oedema glotlidis, gefährlich werden. Im Allgemeinen aber gewährt das Oedem eine desto bessere Prognose, je kürzere Zeit es besteht, je jünger das Individuum und je besser das Allgemeinbefinden desselben ist Von sehr geringer Bedeutung ist es in der Reconvalescenz von schweren Krankheiten, es sei denn, dass es als Symptom einer neuen Krankheit (wie z. B. ais Symptom von Morbus Brightii nach Scharlach) auftritt. In chronischen Krankheiten, welcher Art sie auch sein mögen, deutet das Auftreten des Oedems immer eine Verschlimmerung an. Bei der B e h a n d l u n g des Oedems treten uns zwei Indicationen entgegen: 1) die Krankheit, welche dem Wassererguss zu Grunde
64
Krankheiten des Bindegewebes.
liegt, zu beseitigen und 2 ) die Aufsaugung ergossenen Flüssigkeit zu befördern.
oder Entleerung
Oft reicht es h i n ,
der
die erste
Indieation zu erfüllen und die Aufsaugung erfolgt nach Beseitigung der Grundkrankheit von selbst. Heilung des Oedems:
In solcher Weise bewirken z. B. «lie
das Oeffnen eines tiefliegenden
die Exstirpation einer Geschwulst, welche die Venen und dergl. m.
Abscesses,
comprimirte,
Beruht das Oedem aber auf einer örtlichen Schwäche,
so besteht dasselbe weiter fort, wenn auch das Allgemeinbefinden ganz gut ist.
Zuweilen sind wir ausser S t a n d e , die dem Oedem
zu Grunde liegende Krankheit zu beseitigen, z. B. die Obliteration eines Venenstammes.
Hier bleibt nichts übrig als die Transspira-
tion anzuregen und überhaupt solche Mittel a n z u w e n d e n , die eine Congestion in den kleinen Gelassen der Körperoberfläche erregen und auf diesem Wege die Herstellung eines bewirken können.
Collateral-Kreislaufs
Zur Erfüllung der zweiten Indieation,
welche
recht eigentlich in das Gebiet der Chirurgie gehört, dient vor Allem eine zweckmässige Lage des ödematösen Theiles.
Dieselbe
muss
von der Art sein, dass der Rückfluss des venösen Blutes und der Lymphe nach den Gesetzen der Schwere durch sie befördert wird. In ähnlicher Weise wirkt ein gleichinässiger Druck, wie wir
ihn
besonders an den untern Extremitäten durch Einwickelungen mittelst B i n d e n , durch Schnürstrüinpfe, besonders solche von Leder o d e r noch besser von Gununi, ausüben.
Die A n w e n d u n g einer solchen
Compression hat n o c h U e n Vortheil, dass der Kranke dabei seinen Geschäften nachgehen
kann.
Jedenfalls
aber
müssen
alle
diese
Druckvcrbände sanft und glcichmässig wirken u n d besonders nirgend Falten bilden, da sonst leicht Entzündung, Brand und Verschwürung an dem ödematösen Theile entsteht.
F e r n e r wendet man Einrei-
bungen solcher Mittel an, welche die Resorption befördern sollen. Dahin
gehören
Campherspiritus,
Terpenthin u. dgl.
flüchtige
Salbe,
Linimente
aus
Solche Mittel sind natürlich zu v e r m e i d e n , wo
man eine Entzündung zu befürchten hat.
Milder wirken Umschläge
von Rothwein, von G o u l a r d ' s c h c i n W'asscr, C h i n a - A b k o c h u n g , a r o m a tische Fomentationen, | besonders aber die trockene W ä r m e , welche am Zweckmässigsten in der Form von Kräutersäckchen (vgl. Bd. I. pag. 76) angewandt wird |.
Neben dieser örtlichen Behandlung sind,
abgesehen von der dem Oedein etwa zu Grunde liegenden heit, gelind eröffnende und harntreibende Mittel nützlich.
Krank-
Sind die
Kräfte sehr gesunken, so wird man aber dieselben ( b e s o n d e r s e r s t c r e ) n u r mit der grössten Vorsicht in Gebrauch ziehen dürfen und vielmehr tonische Medicamente (Eisenpräparate) zu verordnen haben.
Oedom.
65
Emphysem.
Widersteht das Oedein allen genannten Mitteln und veranlasst es bedeutende Beschwerden und Schinerzen, so bleibt zuletzt Nichts übrig, als die Flüssigkeit auf operativem Wege zu entleeren. Das schlechteste Mittel hierzu ist die Anwendung der Blasenpflaster oder gar der Kaustika, durch welche zu ausgebreiteten brandigen Zerstörungen Veranlassung gegeben werden kann. Auch grössere Einschnitte sind aus demselben Grunde zu verwerfen. Zahlreiche k l e i n e E i n s t i c h e mit einer schmalen Lanzette bewirken am Besten die gewünschte Entleerung. Diese Operation muss aber öfter wiederholt werden, da die kleinen Stiche schon nach 24 — 36 Stunden verklebt zu sein pflegen, worauf die Wasseransammlung in sehr kurzer Zeit und ganz in der früheren Weise sich wiederherstellt. Bei bedeutendem und weit verbreitetem Oedem darf man nicht die gesammte Flüssigkeit auf ein Mal entleeren, weil hierauf leicht ein bedenkliches Sinken der Kräfte, ja sogar der Tod plötzlich eintreten kann.
Zweites
Verletzungen
des
Traumntiaeheg
Capltel.
Bindegewebes. Emphysem.
Die Verletzungen, des Bindegewebes bieten im Allgemeinen diejenigen Erscheinungen dar, welche im ersten Buche bei der Beschreibung der Wunden und fremden Körper angegeben worden sind. Nur e i n e Erscheinung, welche unter gewissen Verhältnissen bei Verletzungen des Bindegewebes auftritt, muss hier genauer erörtert werden, nämlich das traumatische Emphysem. V e r a n l a s s u n g dieses Emphyseni's sind gewöhnlich solche Verletzungen, durch welche ein Theil der Luftwege (im weitesten Sinne des Wortes) geöffnet worden ist, daher Wunden, welche bis in die Lungen, die Bronchien, die Luftröhre, den Kehlkopf, Schlundkopf, die Mund-, Nasen-, Kiefer- oder Stirnhöhle von Aussen her eindringen. Während des Einathmens dringt die Luft in regelmässiger Weise in die Lunge ein, beim A u s - ' athmen aber dringt ein Theil derselben, statt durch Mund und N»se ausgestossen zu werden, durch die Wunde der Luftwege in das benachbarte Bindegewebe und verbreitet sich in den Maschen desselben allmälig immer weiter. | Dieser Vorgang ist nur dann möglich, wenn der directe Austritt der Luft durch die Wunde V i d a l V Cliii'uri.'ic. II.
5
66
Krankheiten des Bindegewebes.
gehindert ist, wenn also die Hautwunde niebt genau an derselben Stelle sich befindet, an welcher die Luftwege verletzt sind, oder wie man gewöhnlich sagt, die innere Wunde der äussern nicht entspricht, nicht parallel ist. Daher entsteht das Emphysem selten bei grösseren Schnitt- und Hiebwunden, vielmehr gewöhnlich bei kleinen, schräg verlaufenden Stichwunden. | Nicht ganz selten beobachtet man Emphysem in Folge von Rippenbrüchen, wenn nämlich die Bruchenden nicht blos das Brustfell zerrissen, sondern auch die Lunge verletzt haben. Auch beim Keuchhusten und bei den heftigen krampfartigen Hustenanfällen, welche durch die Anwesenheit von fremden Körpern in den Luftwegen erregt werden, hat man es entstehen sehen. In solchen Fällen ist der Vorgang folgender: Durch die mit höchster Gewalt ausgeführten, stossweisen Athembewegungen erfolgt eine Zerreissung eines oder mehrerer Lungenbläschen; die Luft tritt durch diesen Riss in das Bindegewebe der Lunge, also unter die Pleura pulmonalis, deren Lauf folgend, sie in die Mittelfellhöhlen und von da aus weiter zu dem subcutanen Bindegewebe gelangen kann. Auch bei Wunden des Thorax und der Achselhöhle, bei denen weder das Brustfell noch die Lunge verletzt war, hat man zuweilen Emphysem beobachtet. Selbst bei Quetschungen und Knochenbrüchcn an den Extremitäten und in Folge der Einrenkung von Luxationen hat man es entstehen sehen. Letzteres wurde von D e s a u l t bei einer Verrenkung des Schultergelenks und von V e l p c a u bei einer cömplicirten Verrenkung des Fusses beobachtet; hier erstreckte sich das Emphysem sogar über den ganzen Körper. Gewöhnlich wird ein solches Emphysem nicht bedeutend. Seine Entstehungsweise dürfte schwer zu erklären sein. Die Beschaffenheit der Luftart, welche in solchen Fällen das Bindegewebe ausdehnt, ist gänzlich unbekannt ¡Natürlich ist hier nicht die Rede von der Luftgcschwulst brandiger Theile. Vgl. Bd. I. pag. 222.| Durchbohrungen des Speisecannls, gleichgültig an . welcher Stelle seines Verlaufs, können ebenfalls Emphysem veranlassen, sobald die localen Verhältnisse den Eintritt von Darmgas in das Bindegewebe begünstigen. Fälle der Art sind z. B. bei Verletzungen des Dickdarmes beobachtet worden. Schliesslich müssen wir des sogen, s i m u l i r t e n Emphysems der Bettler und der Conscribirten gedenken. Bei diesen bandelt es sich oft um eine künstlich erzeugte Luftgeschwulst. Sie führen nämlich durch eine kleine Hautwunde einen Blasebalg oder ein Röhrchen in das subcutane Bindegewebe ein und füllen auf diese Weise einen mehr oder weniger bedeutenden Theil desselben mit Luft. Früher
67
Emphysem.
fand man oft die Kirchthüren mit solchen absichtlich herbeigeführten Difformitäten besetzt. F a b r i c i u s I i i l d a n u s erzählt von einem Kinde, welchem seine unmenschlichen Eltern täglich etwas Lifft durch eine am Scheitel angebrachte Oeffnung einbliesen, um seinen monströsen Kopf von Stadt zu Stadt für Geld sehen zu lassen. Militairscheue Reeruten und Gefangene, die sich im Krankensaale besser zu befinden hoffen, bewirken an ihrem eigenen Körper zuweilen ein ausgedehntes Emphysem, indem sie mit einer Nadel die Schleimhaut der Wange durchbohren und alsdann durch heftige Exspirationsbewegungen, während sie Mund und Nase verschlossen halten, Luft in das Bindegewebe hineinpressen. (Beobachtungen von M u r a t in Bicßtre.) S y m p t o m e . Das Emphysem stellt eine weiche und doch elastische Geschwulst dar, in welcher, bei leichtem Druck, der zufühlende Finger eine e i g e n t ü m l i c h e Empfindung wahrnimmt, die man gewöhnlich als crepitirendes Geräusch oder als emphysematöse Crepitation bezeichnet (vgl. Bd. I. pag. 16) und welche so charakteristisch ist, dass man sie nur ein Mal gefühlt zu haben braucht, um daran allein das Emphysem immer wieder zu erkennen. Dauert die Ursache des Emphysems fori, so breitet es sich immer weiter aus, von einer Bindegewebsmasche zur andern. Besonders schnelle F o r t ' schritte macht es in denjenigen Gegenden, wo viel schlaffes Bindegewebe angehäuft ist, z. B. am Halse, nn den Augenlidern, im Hodensack, an den Brustwandungen. An den Extremitäten verbreitet es sich schneller auf der Beuge-, als auf der Streckseite. Wo schlaffes Bindegewebe gänzlich fehlt, wie an der Hohlhand, der Fusssohle und dem behaarten Theile des Kopfes, da kommt es auch nicht zur Entwicklung des Emphysems, wenn nicht etwa, wie bei dem oben erwähnten Kinde, absichtlich Luft von Aussen eingeblasen wird. Bei bedeutendem Emphysem erreicht der Hals die Dicke des Kopfes; weder Mund noch Augen können wegen der Anschwellung der Lippen und Augenlider geöffnet werden. Am männlichen Körper schwillt die Gegend der Brust zu dem Volumen der Weiberbrust an, der Hodensack vergrössert sich bis a u f s Zehnfache, die Gliedmaassen stellen dicke, gleichmässig angeschwollene Cylinder dar, an denen man nur die Gegenden der Gelenke als Vertiefungen unterscheidet. Weiterhin dringt die Luft von dem Unterhaut-Bindegewebe aus unter die Sehnenhäute, die serösen und die Schleimblute bis zu den Eingeweiden, z. B. der Leber, ja selbst bis in's Auge.
5*
68
K r a n k h e i t e n ur une nouvelle sanglante
à Lyon.
à i'aide
opératoire, méthode
und
die
ist b e s o n d e r s
in
Y. é d i t i o n , pag. 1 8 9 . pour
guérir
de la galvanopuncture
Taris 1 8 1 6 und Clinique
anzuwenden
Letzteres
chirurgicale
certains par
aneurysmes J. B. l'ét
de t Hôtel-Dieu
r eq de
sans uin, Lyon.
Paris 1 8 5 0 . p. Cl u. f. 3
) Vgl. S c h m i d t s J a h r b ü c h e r Bd. CO p . 1 4 3 .
Auszug mis G a i . di Milano
1847.
BliitililUingsniiltil.
—
tlectropunclur.
175
solchen Fällen einer lange fortgesetzten Einwirkung der Electricität vorzuziehen,
wenn der Kranke heftige Schmerzen empfindet, oder
von Muskelzuckungen befallen wird; beides dürfte jedoch nur dann beobachtet w e r d e n ,
wenn entweder
w e n d u n g gebracht w u r d e ,
ein zu starker Strom in An-
oder aber die Nadeln nicht in der an-
gegebenen Weise genau mit Firniss überzogen und dadurch isolirt waren.
Arterien müssen, wenn sie nicht ganz oberflächlich liegen,
vor der Einführung der Nadeln blossgelegt werden, um des Erfolges sicher zu sein.
Handelt es sich um ein Aneurysma,
so wird in
den meisten Fällen eine Entblössung desselben sich umgehen lassen, man
suche
aber beim Einführen
der Nadeln
solche
Stellen,
an
denen man Nervenäste zu verniuthen hat, sorgfältig zu vermeiden. Der Heilungsvorgang nach der Anwendung der Electropunctur unterscheidet sich wesentlich
von demjenigen nach der Unterbin-
dung, indem bei der ersteren eine Continuitätstrennung der Arterie, wie sie bei letzterer durch die Verschwärung des von der Ligatur umfassten Stückes erfolgt, gar nicht Statt
findet.
Die Gerinnung
des Blutes kommt vielmehr ohne eine irgend bedeutende Insultation der Gefässwände zu Stande.
Nur zuweilen beobachtet man an den
Einstichspuncten eine oberflächliche Verschwärung, welche offenbar von einer ungenügenden Isolation der Nadeln herrührt. rysma wird nach gehöriger Anwendung
Ein Aneu-
der Electropunctur
sehr
bald hart, die Pulsation in ihm hört auf und die Geschwulst wird allmälig immer kleiner. Resorption wasser.
Man befördert die Zusammcnziehung und
durch Umschläge
von Eis, kaltem Wasser oder
Blei-
E s leuchtet von selbst ein, dass die Electropunctur zum
Verschluss blutender Gefäss-Enden, wegen des mit ihrer Anwendung verknüpften Zeitverlustes, nicht in Anwendung gezogen werden kann; dagegen kann sie bei der Behandlung der Aneurysmen sowol zum Verschlusse der Geschwulst selbst durch Coagulation ihres Inhaltes, als auch zur Obliteration der Arterie oberhalb Aneurysma
in Anwendung
oder unterhalb des
gezogen und in dieser Beziehung also
mit der Unterbindung in eine Ileihe gestellt werden. vorliegenden Thatsachen
lassen
Die bis jetzt
von ihr noch glücklichere Erfolge
erwarten, als von der Unterbindung. |
III. B l u t s t i l l u n g s m i t t e l . welche wesentlich durch E r r e g u n g der Contraetion der GeAase wirken. Es ist unzweifelhaft, dass alle bisher aufgeführten Blutstillungsmittel, indem sie die Gefässwandungen mehr oder weniger reizen, auch eine Zusammenziehung derselben bedingen; aber ihre wesent-
176
Krankheiten der Arterien.
liehe Wirkung ist noch eine andere und viel intensivere, so dass die eben angedeutete daneben verschwindet. Bei den Mitteln, welche jetzt noch zu erwähnen sind, ist dagegen eine andere Art der Wirksamkeit gar nicht oder doch nur in geringem Grade zu bemerken. Die Reihe derselben eröffnet als das Wirksamste von ihnen die K ä l t e , welche am Zweckmässigsten durch Eis angewandt wird. | Unbedeutendere Blutungen werden schon durch kaltes Wasser gestillt; handelt es sich aber um Verletzungen grösserer Arterien, so reicht auch das Eis nicht aus. |Noch weniger ist von den übrigen hierher gehörigen Mitteln, als: der Ergotinlösung nach B o n j e a n , dem B r o c c h i e r i ' s c h e n , C h a p p e l i n ' s c h e n , B i n e l l i ' s c h e n (Kreosot-) Wasser, oder den Abkochungen verschiedener Harze Im Wasser zu erwarten. | Bei der Behandlung der Aneurysmen kann die Anwendung des Eises oder Uberhaupt der kalten Umschläge gute Dienste thun. |Es wird dadurch die Zusammenziehung der Geschwulst und der Arterie angeregt und zugleich, vermöge der Wärme-Entziehung, die Gerinnung des Blutes begünstigt) Ob jemals ein Aneurysma durch die Anwendung der Kälte allein geheilt werden könne, erscheint fraglich, obgleich einzelne Fälle der Art aufgeführt w e r d e n ' ) . Bei zu lange fortgesetzter Anwendung könnte sie zum Brande führen. Verglelehung der haupte&eltllelisten mittel.
Blutstillungs-
Diejenigen Mittel, welche bei bedeutenden arteriellen Blutungen, und bei der Behandlung der Aneurysmen überhaupt zur Wahl kommen können, sind: 1) die Unterbindung, 2) die Compression, 3) die Torsion, 4) die Electropunctur. | Die beiden ersteren können gleich gut zum Verschluss blutender Gefäss*Enden, wie auch zur Obliteration der Arterien in ihrer Continuität angewandt werden; die Torsion ist auf den Verschluss blutender Gefäss-Enden, die Electropunctur dagegen auf diejenigen Fälle, wo eine Blutung nicht besteht, also wesentlich auf die Behandlung der Aneurysmen zu beschränken. Das am Häufigsten angewandte und anwendbare, am Genauesten gekannte und durch die Erfahrung daher am Meisten ' ) G u e r i n in Bordeaux erzählt die vorzüglichsten Wirkungen von der Anwendung der Kilte bei Aneurysmen; es sei dies in den Hospitälern jener Stadt 4 0 Jahre lang die ausschliessliche Behandlungsweise gewesen.
Der Oberwundarzt
des
Hospitales St. Andre in Bordeaux, M o u l i n i e , hat hingegen den wahren Werth dieses Mittels bereits nachgewiesen (Gazelle ist jedoch
ein von R e y n a u d
medteale
1833).
Bemerkenswerth
in Toulon beobachteter Fall von vollkommener
Heilung eines Aneurysma durch alleinige Anwendung des Eises (Oos. 1 8 3 5 . pag. 1 0 6 ) .
med.
Blutstillungsmittel. —
unterstützte Mittel ist die Unterbindung.| neben ihr den zweiten Platz ein. als
eines
prophylactischen
177
Vergleicliung derselben.
Die C o m p r e s s i o n
nimmt
Man wird ihrer immer bedürfen
Blutstillungsmittels
bei
Amputationen
und dergl., auch bei der Unterbindung selbst., Blutungen aus kleinen Arterien lassen sich durch sie stillen, und man wird endlich auch manche Aneurysmen durch sie heilen können.
Bringt sie auch
die Geschwulst nicht immer zum Verschwinden, so kann sie doch ihre weitere Entwickelung aufhalten; besonders gilt dies von den traumatischen Aneurysmen, vorzüglich dem Aneurysma und dem I'arix
aneurysmaticus.
varicosum
Im Allgemeinen aber halte man
fest, dass die Heilung eines Aneurysma ohne Obliteration der Arterie höchst selten, oder vielleicht niemals erfolgt.
Die Anwendung
der Compression hat oft grosse Schwierigkeiten, besonders die Arterie tief liegt und der Kranke empfindlich ist.
wenn
Gewöhnlich
tnuss die Compression lange Zeit fortgesetzt werden (im Durchschnitt 2 5 Tage), um Heilung zu erzielen. welche besonders von F o l l i n 1 )
|Nach den neuern Erfahrungen, gesammelt worden sind,
wurden
tinler 54 Fällen von Aneurysmen, welche man durch die Compression behandelte, 41 geheilt, und kein Todesfall in Folge derselben beobachtet.
Dies rnuss um so mehr dazu auffordern, die Compression
der aneurysmalischen Arterie immer erst zu versuchen, bevor man zur Unterbindung schreitet, als letztere noch immer angewandt werden kann, wenn jene nicht ertragen wird, oder sich unwirksam zeigt. | Durch die T o r s i o n haben Viele in neuerer Zeit die Unterbindung in allen Fällen ganz verdrängen wollen.
Vergleicht man aber
beide Mittel in Bezug auf Einfachheit, Leichtigkeit und vor Allem Sicherheit, so kann man sich schwerlich einer solchen Ansicht anschliessen.
Die Torsion ist zunächst keineswegs leicht a u s z u f ü h r e n ;
hat man doch sogar von Seiten ihrer Verehrer
die
ungünstigen
Resultate, welche sie in den Händen mehrerer der bedeutendsten Pariser Chirurgen lieferte, daraus erklären wollen, dass sie nicht richtig ausgeführt, worden sei!
Dies ist von grosser Bedeutung bei
einer Operation, die als Blutstillungsmittel doch von jedem W u n d arzte sofort müsste ausgeführt werden können. die Torsion 1
) |Follin, traveaux
Ferner
erfordert
eine viel ausgedehntere Entblössung der Arterie,
als
du
des
truUement
de quelques
des aneurysmes Chirurytens
pnr la compression.
irlandais.
Archires
gener.
Hemme de
medecine.
Novbr. 1 8 5 1 . p. 2 5 7 . — In allen diesen Fällen wurden zwei Compressoria in geringer Entfernung von einander angelegt, mit welchen abwechselnd comprimirt wurde, so dass der Kranke niemals durch allzu lange fortgesetzten Druck an einer Stelle belästigt worden sein soll>| Yiilal's Chirurgie.
II.
12
178
Krankheiten der Arterien.
die Unterbindung. Durch diese Entblössung aber wird die Möglichkeit einer ausgedehnten Entzündung und Vereiterung vergrössert. Man hat gesagt, die Anwendung der Torsion begünstige die Heilung der Wunde durch prima intenlio. Merkwürdiger Weise sind die Verehrer der Torsion zugleich der Ansicht, man solle grosse Operationswunden n i c h t durch prima intentio heilen. Die Erfahrung aber bestätigt, was sich im Voraus erwarten Hess, dass nämlich das zusammengedrehte Stück der Arterie, ebenso gut wie der Unterbindungsfaden, ein fremder Körper in der Wunde ist, welcher durch Eiterung ausgestossen werden muss; ja es kann sogar behauptet werden, dass der Ligaturfaden noch günstigere Verhältnisse darbiete, indem er aus der Wunde heraushängt und auf diesem Wege den Abfluss des etwa in der Tiefe sich ansammelnden Eiters sichert, endlich auch, wenn er gelöst ist, sofort herausgezogen werden kann. Was die Sicherheit der Torsion betrifft, so ist nicht zu bestreiten, dass sich dieselbe erfahrungsmässig in den meisten Fällen bewährt hat, aber nichtsdestoweniger darf nicht vergessen werden, dass das zusammengedrehte Gefäss-Ende sich auch wol a u f d r e h e n , und dass die äussere Gefässhaut, welcher hier so viel zugemuthet wird, auch reissen kann. Und so möchte es denn der Gewissenhaftigkeit angemessen sein, bei Verletzungen bedeutenderer Arterien immer der Unterbindung den Vorzug zu geben. Kleine Arterien mag man je nach der Bequemlichkeit bald unterbinden, bald torquiren. Letzteres kann in der Tiefe einer Wunde in der That viel bequemer sein. jDie E l e c t r o p u n c t u r endlich dürfte mit der Compression in der Behandlung der Pulsadergeschwülste in eine Reihe zu stellen sein. Beide bedingen nicht die Gefahren der Nachblutung und des Brandes, welche die'Unterbindung einer aneurysmatischen Arterie mit sich führt, beide gewähren aber auch nicht den Grad von Sicherheit in Bezug auf die Heilung des Aneurysma, welcher wenigstens für die traumatischen Formen durch die in entsprechender Weise ausgeführte Unterbindung erreicht werden kann. Wir können hiernach folgendes S c h e m a f ü r die c h i r u r g i s c h e T h e r a p i e der P u l s a d e r - W u n d e n u n d - G e s c h w ü l s t e aufstellen: A. A r t e r i e l l e B l u t u n g , I. aus Gefässen, welche in der W u n d e s e l b s t z u g ä n g i g sind, — U n t e r b i n d u n g (auch wol T o r s i o n ) d e r b l u t e n d e n Gef ä s s - E n d e n — (in knöchernen Theilen das Glüheisen). II. W e n n die b l u t e n d e n G e f ä s s e in der Wunde selbst n i c h t g e f a s s t w e r d e n k ö n n e n , — U n t e r b i n d u n g des zul e i t e n d e n G e f ä s s s t a m n l e s an einer passenden Stelle.
Blutstillungsmittel. —
B.
Vergleicliung d e r s e l b e n .
179
Aneurysma.
Bei jeder Pulsader-Geschwulst dürfte (abgesehen von den Fällen, welche wegen nahe bevorstehenden Aufbruches, oder bestehenden Brandes die Amputation erheischen) zuerst die E l e c t r o p u n c t u r der Geschwulst selbst, demnächst die Electropunctur der zuleitenden Arterie, ferner die C o m p r e s s i o n derselben unter gleichzeitiger Anwendung des Eises zu versuchen s e i n ' ) . Wenn diese Versuche fruchtlos sind, so schreitet man zur U n t e r b i n d u n g , und zwar indicirt: 1) das t r a u m a t i s c h e Aneurysma, wenn die Localität es gestattet, und die Arterie übrigens gesund ist"), •— die M e t h o d e d e s A n t y l l u s , sonst aber die H u n t e r ' s c h e oder B r a s d o r ' s c h e . fl., das Aneurysma arlerioso-vcnosum, — Unterbindung der Arterie dicht oberhalb und dicht unterhalb der Geschwulst. 2) das e n d o g e n e Aneurysma (vgl. pag. 120), — die H u n t e r ' s c h e , wo diese nicht ausführbar ist, die B r a s d o r ' s c h e Methode.|
Z w e i t e
Abtlieiliing.
Von den Krankheiten und der Unterbindung der einzelnen Arterienstämme 3 ). E r s t e s
C a p i t e l .
Truncus anonymus, s. brachiocephalicus, s. cleidocaroticus. I.
Anatomie.
Der Truncus anonymus verläuft in der Richtung einer Linie, die man von der Mittellinie des Brustbeins, einen Zoll unterhalb seines oberen Randes .anfangend zum rechten Sternoclavicular-Ge' ) | D a s K n e t e n d e r G e s c h w u l s t , in d e r Absieht Gerinnsel a b z u l ö s e n , w e l c h e , d u r c h den ü l u t s t r o m f u r l g e t r i e l i e n , die A r t e r i e verstopfen sollen ( e i n e N a c h a h m u n g d e r p. 1 3 2
unter
i.
erwähnten
Naturlieilung)
d ü r f t e wol
nur
sehr
selten
zum
Ziele f ü h r e n . | 2
) | Dass dies n i c h t i m m e r d e r Fall ist, beweist die h ö c h s t l e h r r e i c h e B e o b a c h t u n g von G ü n t h e r , J e n a i s c h e A n n a l e n f ü r Physiologie u n d Medicin, Bd. II. p. 3 7 3 u . f . |
' ) In den n a c h s t e h e n d e n Capiteln sollen
zunächst
die d u r c h
locale
Verhältnisse
bedingten K i g e n t h ü m l i c h k e i t e n d e r E r k r a n k u n g d e r einzelnen A r t e r i e n u n d d e m n ä c h s t das zu i h r e r U n i e r b i n d u n g (Bloslegung) n o t h w e n d i g e operative V e r f a h r e n geschildert w e r d e n ; j e d e s w i r d d a h e r den N a m e n schrift
t r a g e n u n d in eine a n a t o m i s c h e ,
operative
einer Arterie
als
eine p a t h o l o g i s c h e
U n t e r a b t e i l u n g zerfallen.
12*
Ueberund
eine
180
Krankheiten der Arterien.
lenk gezogen denkt. Bei alten Leuten pflegt er 6 — 8 Millimeter über den obern Rand des Brustbeins hinauszureichen. Seine Länge beträgt ungefähr 13 Millimeter, seine Dicke 10 bis 12 Millimeter. Die Vena anonyma sinistra verläuft quer vor ihm; die Thymus-Drüse so wie die Insertionen der MM. sternohyoideus und sternothyreoideus liegen in dem Räume zwischen der Arterie und dem Brustbein. Der Truncus anonymus steigt schräg vor der Luftröhre aufwärts; von der rechten Lunge ist er an seiner äussern Seite nur durch die Pleura getrennt. Nach Innen liegt ihm die linke Carotis ziemlich nahe; weiter aufsteigend entfernen sich beide Gefässstämme immer mehr von einander, indem sie die Luftröhre zwischen sich nehmen. Sechs bis acht Millimeter oberhalb des SternoclavicularGelenkes theilt sich der Truncus anonymus in die Carotis dextra und die Subclavia dextra. Unter den V a r i e t ä t e n ist die von D u b r e u i l beschriebene besonders bemerkenswerth; die Arterie war nämlich 7 Centimeter lang und theilte sich erst in der Höhe der Verbindungsstelle zwischen dem fünften und sechsten Halswirbel. Die Tracheotomie und die Exstirpation eines Kropfes werden durch das Bestehen einer solchen Varietät besonders gefährlich; auch bei der Diagnose der am Halse liegenden Geschwülste ist sie nicht ausser Acht zu lassen. Der Truncus anonymus kann ganz fehlen, indem seine Aeste, jeder für sich, aus dem Aortenbogen entspringen. Zugleich kann hierbei die Ursprungsstelle der rechten Subclavia so weit nach links gerückt sein, dass sie an der linken Seite der linken Subclavia entsteht und quer am Halse, bald vor, bald hinter der Speiseröhre verlaufend, zum rechten Arme gelangt. Andrer Seits kann aber auch der Truncus anonymus dicker sein, als man ihn erwarten sollte, wenn nämlich ausser seinen gewöhnlichen Aesten, auch noch die linke Carotis aus ihm entspringt. i
II.
Krankheiten
des T r u n c u s
anonymus.
Verletzungen dieses grossen Gefäss-Stammes haben fast augenblicklich den Tod zur Folge; daher sintl denn auch traumatische Aneurysmen an ihm nicht beobachtet worden. Die spontanen Aneurysmen aber theilt man in 4 Arten, je nachdem sie 1) an seinem untern, 2) an seinem mittlem, 3) an seinem obersten Theile ihren Sitz haben, oder 4) die ganze Ausdehnung des Stammes einnehmen. Mit der ersten dieser Arten besteht fast immer zugleich eine Erweiterung des Aortenbogens. Von der zweiten Varietät sind nur vier Beispiele bekannt, welche von B a r t h , D e v e r g i e , W i c k a m
Truncus anonymus.
i81
und W h i t i n g beobachtet wurden. Bei der dritten Art findet sich fast immer auch zugleich eine Erweiterung eines der beiden Aeste des Truncus. Jedoch hat W a r d r o p ein Aneurysma beobachtet, welches sich über den ganzen Truncus erstreckte, ohne dass die benachbarten Gefässe irgendwie krank waren. Bemerkenswerth ist der von W h i t i n g beobachtete Fall, in welchem ein kleines Aneurysma ausschliesslich die hintere Wand des Truncus anonymus einnahm, von hier aus aber gegen. die Luftröhre vorgedrungen war und deren Knorpelringe durchbohrt hatte. Die Unterscheidung der aufgeführten Arten soll dazu dienen, um leichter bestimmen zu können, welcher Unterbindungsmethode man sich mit Vortheil in dem einzelnen Falle wird bedienen können. Bedenkt man aber die geringe Länge des ganzen Stammes, so wird man von vornherein wenig Hoffnung haben können, irgend einen Theil noch in gesundem, also zur Unterbindung tauglichem Zustande zu finden, wenn Uberhaupt ein Aneurysma seinen Sitz an demselben hat. Hat die Geschwulst ihren Ursprung wesentlich am obern Ende des Stammes, so kommt sie oberhalb des Sternoclavicular-Gelenks zum Vorschein. Ihre Gestalt ist aber nicht immer regelmässig. W a r d r o p sah ein solches Aneurysma, welches mit einer Ausbuchtung sich bis zum Ringknorpel aufwärts, mit einer zweiten schräg nach Aussen und Oben bis zum M. cucullaris, mit der dritten aber längs dem Schlüsselbein hin erstreckte. Aus solchen Varietäten erwachsen grosse Schwierigkeiten für die Diagnose, da wenigstens bis zu einer gewissen Stufe seiner Entwicklung ein solches Aneurysma leicht für ein der Carotis oder der Subclavia an gehöriges gehalten werden könnte. Sitzt das Aneurysma am untern Ende des Truncus, so kann es lange Zeit vollkommen unbeachtet bleiben; zuerst macht es sich dann durch eine leichte Hervorwölbung an der rechten Seite des oberen Sternalrandes bemerklich und erst, wenn es eine bedeutende Grösse erreicht hat, tritt es als eine Geschwulst am Halse hinter der Portio sternalis des Kopfnickers hervor. Von der Unterscheidung der Aneurysmen des Truncits anonymus von denjenigen der Subclavia und Carotis wird bei letzteren beiden die Rede sein. Dagegen muss hier schon auf die Merkmale aufmerksam gemacht werden, durch welche ein solches Aneurysma von einem am Arcus aortae sitzenden unterschieden werden kann. Ersteres nämlich tritt oberhalb der ersten Rippe der rechten Seite hervor und verdrängt weiterhin diese Rippe, sowie auch das Sternal-Ende des Schlusselbeins; letzteres dagegen wird in dem Räume zwischen der zweiten
182
Krankheiten der Arterien.
und vierten Rippe der rechten Seite zuerst durch Auscultation und Percussion wahrnehmbar. Die Auscultation lässt, nach G e n d r i n , in einem Aneurysma des Truncus anonymus stets zwei Stösse erkennen, von denen der erste mit einem trocknen, zuweilen pfeifenden Geräusche verbundene isochronisch mit der Diastole der Kammern ist und sich aufwärts nach dem Verlaufe der Subclavia und Carotis dextra, nicht aber abwärts in der Aorta verbreitet, während der zweite der Systole entspricht. Dieser doppelte Choq findet sich nur bei Aneurysmen des Truncus anonymus. Erweiterungen am Truncus anonymus bedingen Compression der benachbarten Gebilde, daher: Hindernisse bei der Respiration (besonders während angestrengter Bewegung und beim Sprechen), auch Husten, ferner Behinderung des arteriellen Blutstroms im rechten Arme, so dass der Radialpuls ganz unfühlbar werden kann, Stockungen im Rückflüsse des venösen Blutes im Gebiete der Venac jugulares und Subclavia der rechten Seite, Oedcm des rechten Arms und mehr oder weniger ausgedehnte Schmerzhaftigkeit desselben. Bei einem höheren Grade des Uebels treten Schlingbeschwerden, Schwindel, Ohnmächten, unruhiger Schlaf hinzu. Alle diese durch den Druck der Geschwulst bedingten Symptome können sich aber ganz ebenso bei Pulsadergeschwülstcn der Carotis oder Subclavia und bei anderen Geschwülsten dieser Gegend vorfinden. III.
Unterbindung des T r u n c u s
anonymus.
Diese schwierige Operation ist bis jetzt zehn Mal am lebenden Menschen ausgeführt worden, und zwar immer in der Continuität der Arterie zum Behuf der Heilung von Aneurysmen.
Zuerst wurde
sie von V a l e n t i n Mott 1818 an einem 27jährigen Manne unternommen, welcher am 26steu Tage, an einer Nachblutung starb. Zum zweiten Male wurde die Operation von G r a e f e ausgeführt. Der von ihm Operirte starb erst am 58sten Tage nach der Unterbindung an einer Blutung, vielleicht nicht ganz ohne eigenes Verschulden, da er sich nicht gehörig ruhig verhielt; vielleicht war auch das zur Unterbindung angewandte und in der Wunde zurückgelassene Ligaturstäbchen an dem Entstehen der Blutung Schuld. Die übrigen 8 Operirten starben sehr schnell ')• Erwägt man diesen constant unglücklichen Erfolg, bedenkt man die Schwierigkeiten und die unmittelbaren Gefahren der Operation, bei welcher die Pleura, der Nervus vagus und verschiedene grosse Venenstäuime leicht verletzt werden können, und berücksichtigt andrer Seits die Möglichkeit ' ) Velpeau, Biet, en 3 0 volumes, nouvelle édition, p. 473 et suiv.
Truncu»
anonymut.i
—
Carotis.
183
einer Heilung durch die B r a s d o r ' s c h e Unterbindungs - Methode (welche bereits erfahrungsmässig feststeht), so wie derjenigen durch die Electropunctur, so wird man schwerlich in Versuchung gerathen, diese Unterbindung noch ein Mal wieder zu versuchen, um nach der H u n t e r ' s c h e n Methode ein Aneurysma des Truncus selbst oder eines seiner beiden Aeste zur Heilung zu bringen. Was übrigens die Ausführung der Operation betriö't, so verfuhr Mott in folgender Weise: Ein nahe Uber dem SternoclavicularGelenk beginnender Längsschnitt wird am äusseren Rande des Sternomastoideus 2 Zoll lang schräg aufwärts geführt. Ein zweiter Schnitt, von demselben Punkte beginnend, erstreckt sich in gleicher Länge oberhalb des Schlüsselbein-Randes quer nach Aussen, so dass ein dreieckiger Lappen entsteht, welcher abgelöst und nach Oben und Aussen zurückgeschlagen wird. Hierauf wird die Portio clavicularis des Kopfnickers vom Schlüsselbeine abgeschnitten und in der Richtung des Lappens zurückgeschlagen. Alsdann spaltet man das tiefe Blatt der Fascia colli und gelangt zur Vena jugularis interna und zu dem weiter nach Aussen liegenden M. scalenus anticus, an dessen inneren Rande der Truncus anonymus gefunden und mittelst einer gekrümmten Aneurysmen-Nadel unterbunden wird. Während der ganzen Operation muss der Kranke mit stark hintenüber gebeugtem Kopfe und nach rechts gewandtem Gesicht liegen. — Das Verfahren von K i n g weicht hiervon ab, indem er nur einen 2 Zoll langen Einschnitt am innern Rande des rechten Sternomastoideus dicht Uber dein Sternoclavicular-Gelenk macht. Nachdem dann dieser Muskel vom Sternohyoideus und vom Sternothyreoideus getrennt ist und letztere auch von der Luftröhre gelöst sind, dringt man zwischen dieser und dem M. sternohyoideus zu der zu unterbindenden Arterie. Auf diesem Wege muss man die unteren Schilddrüsen-Venen bei Seite schieben oder gar unterbinden; auch die Vena subclavia sinistra und die F. jugularis interna dextra müssten bei Seite geschoben werden.
Zweites
Arteria
carotis I.
Capitel.
und deren Hauptäste. Anatomie.
Die rechte Carotis communis entspringt aus dem Truncus anonymus, die linke aus dem Arcus aortae; beide spalten sich in
184
Krankheiten der Arterien.
der Höhe des oberen Landes des Schildknorpels in ihre zwei Aeste. Die rechte ist daher um die Länge des Truiicus anonymus kürzer als die linke und liegt etwas oberflächlicher als letztere. Der Raum zwischen beiden Carotides communes ist unten durch die Luftröhre und den Oesophagus, weiter oben durch den Pharynx und den Kehlkopf ausgefüllt. Auf beiden Seiten verläuft die Carotis in der Tiefe eines Dreiecks, welches nach Aussen vom Sternomastoideus, nach Innen von dem Kehlkopfe begrenzt wird. Der Sternomastoideus bedeckt'weiter unten die Arterie, gleichzeitig mit den mehr nach Innen liegenden Mm. sternohyoidet/s, sternothyreoideus und dem schräg aufsteigenden omohyoideus. Auch hinter der Arterie liegt eine Muskelschicht: der Longus colli und der Reclus capitis anticus major. Die Luftröhre, die Speiseröhre, der Kehlkopf, der Pharynx und die Schilddrüse liegen an der innern, bei vielen Menschen aber Kehlkopf und Schilddrüse zum Theil auch noch an der vordem Seite der Arterie. Im Grunde des bereits bezeichneten Dreiecks liegt an der äussern Seite der Arteric, im angeschwollenen Zustande sich etwas vor sie wölbend, die Vena jugitlaris interna, in der Furche aber, welche die beiden Gefiisse an ihrer hintern Seite bilden, verläuft der Nervus vagus und noch mehr nach Hinten der Grenzstrang des Syinpathicus. Die Carotis nebst der sie begleitenden Vene erhalten von der Fascia colli eine gemeinsame Scheide, welche bei der Unterbindung der ersteren 'wesentlich in Betracht kommt. Unter den V a r i e t ä t e n der Carotis sind folgende von besonderem Interesse. Die linke Carotis kann, wenn sie aus dem Truncus anonymus, oder doch nahe an ihm entspringt, bald hinter, bald vor der Luftröhre schräg aufsteigen. In letzterem Falle möchte sie schwer zu finden sein, wenn man sie tief unten unterbinden wollte; in erstcrem würde sie bei der Ausführung der Tracheotomie in Gefahr gerathen. Beide Carotiden können auch aus dem Aortenbogen mit einein gemeinsamen Stamme entspringen; dann liegen sie immer oberflächlicher als gewöhnlich und sind daher Verletzungen leichter ausgesetzt. Die Spaltung der Carotis communis erfolgt nicht immer in der Höhe des Schildknorpels; D u b r e u i l hat die Theilungsstelle bis zum Winkel des Unterkiefers hinaufgeriiekt gefunden. In diesem Falle entsprangen die J . thyreoidea superior und maxillaris externa aus der Carotis communis. II.
Krankheiteil der Carotiden.
Auf eine V e r l e t z u n g der Carotis folgt gewöhnlich mit Blitzesschnelle eine furchtbare Blutung, welche nur durch die Unterbin-
Artei'lae carotides.
185
dung gestillt werden kann. Ein Messerstich im Handgemenge oder ein beabsichtigter Selbstmord geben am Häufigsten Veranlassung zu diesen Verletzungen. Jedoch, hindert bei Selbstmords-Versuchen ganz gewöhnlich der vorspringende Kehlkopf das Messer, bis zu den Carotiden zu gelangen. Selten möchten Zerreissungen dieser Adern vorkommen. A i n u s s a t hat jedoch eine unvollkommene Zerreissung, welche sich nur auf die innere und mittlere Arterienhaut erstreckt, bei Erhängten nachgewiesen. Sobald aus einer Wunde, welche im Bercich einer von der Àrticulatio sternoclavicularis gegen den Zitzenfortsatz hin gezogenen Linie unterhalb der Höhe des Schildknorpels gelegen ist, eine arterielle Blutung stattfindet, bat man eine Verletzung der Carotis communis zu vermuthen. Gewöhnlich ist alsdann die Blutung so furchtbar, dass der Kranke stirbt, bevor Hülfe geschafft werden kann; nul; wenn die Wunde sehr klein ist oder sehr schräg verläuft, so dass der Blutstrom dadurch gehemmt wird, oder aber, wenn gleich nach der Verletzung durch kräftige Compression die Wunde verschlossen wird, ist Lebensrettung möglich. Im letzteren Falle kann es später zur Entwicklung eines Aneurysma spurium consecutivum kommen. Die von L a r r e y 1 ) und H o d g s o n a ) mitgetheilten Fälle von Heilung der Carotiden-Verlctzungen durch Compression beziehen sich offenbar nicht auf die Carotis communis, sondern auf die (wahrscheinlich ganz durchschnittene und desshalb nach beiden Seiten zurückgezogene) Carotis externa. Eine Verletzung dieser letzteren lässt sich erwarten, wenn eine bedeutende arterielle Blutung aus einer Wunde zwischen dein Kehlkopfe und dem Ohre Statt findet; jedoch wird es schwerlich jemals möglich sein, in einem solchen Falle zu bestimmen, ob die Carotis interna oder externa oder vielleicht gar nur einer der Aeste der letzteren verletzt ist. Jedenfalls wird man sich bei diesen Verletzungen immer zur Unterbindung entschliessen müssen und zwar, wenn man sicher gehen will, zur Anwendung zweier Ligaturen, deren eine oberhalb, die andere unterhalb der Arterienwunde zu liegen kommt. Legt man nur unterhalb der Wunde, d. h. also zwischen ihr und dein Herzen eine Ligatur an, so kann mit grosser Schnelligkeit durch die weiten Anastomosen, welche zwischen den Carotiden der einen und der andern Seite, ausserdem aber zwischen der Carotis interna ' ) Mémoires ' ) Traité
des
de chirurgie maladies
militaire, des
artères
T. I. p. 3 0 9 . et
des
veines
Noten von B r e s c h e t , Paris 1 8 1 9 ) , T. II. p. 38.
(aus dein Englischen mit
186
Krankheiten
d e r Arterien.
und der A. vertebralis bestellen, der verletzten Stelle wieder Blut zugeführt werden. Leider kann man diese Vorschrift aber nicht immer befolgen, wenn die Dringlichkeit des Falles und die Schwierigkeit der genauen Aufsuchung des verletzten Gefässes zur Unterbindung der Carotis communis nöthigen. Allerdings hat auch dies Verfahren in zahlreichen Fällen einen glückliche« Erfolg gehabt, wenn nämlich die zur Bildung eines festen Thrombus an der Stelle der Verletzung nothwendige Zeit vorüberging, ehe der Blutstrom durch die genannten Anastomosen wieder mit voller Kraft gegen die Arterien-Wunde vordrang. Häufig genug aber hat man Gelegenheit gehabt, sich von der Unsicherheit solcher Unterbindungen zu überzeugen 1 ). Wo es also irgend möglich ist, lege man ausser der vielleicht im ersten Augenblicke zur Abwendung der Lebensgefahr nothwendigen Unterbindung der Carotis communis auch noch dicht unterhalb und dicht oberhalb der Wunde eine Ligatur an, wenn es sich um die Verletzung eines der beiden grossen Carotiden-Aeste handelt; ist die Carotis communis selbst verletzt, so wird man am Besten die Unterbindung des peripherischen Stücks gleich nach derjenigen des centralen ausführen. In den seltenen Fällen von t r a u m a t i s c h e n A n e u r y s m e n der Garotiden wird (wenn man zur Unterbindung schreiten muss) stets die indirectc H u n t e r ' s c h e Methode in Gebrauch zu ziehen sein, da es höchst gefährlich sein würde, wenn man bei solchen Geschwülsten die (übrigens an dieser Stelle auch schon mit Glück ausgeführte) Methode des A n t y l l u s anwenden wollte. Nicht ganz so selten ist am Halse der f'arix aneurysmaticus beobachtet worden. D e l p e c h hat einen hierher gehörigen (in England beobachteten*)) Fall beschrieben. Ks handelte sich uin eine gleichzeitige Verletzung der Carotis und der Vena jugularis interna. Der Kranke genas ohne Anwendung der Ligatur; später aber entstand an der Stelle der Verletzung eine pulsirende Geschwulst, in wclcher man ein deutliches Sausen vernehmen konnte. W i l l a u m e 3 ) hat einen ähnlichen Fall beschrieben, in welchem das Blasebalggeräusch ganz deutlich war. In einem dritten Falle war es besonders bemerkenswerth, dass bei jeder tiefen Inspiration die Geschwulst augenblicklich verschwand. L a r r e y ' ) beobachtete bei einem solchen ' ) Vgl. B r e s c h e t ' s von H o d g s o n ' s
Bemerkungen oben citirten
ü b e r 2 Kalle Werke.
') The Lance!, Vol. VI. p. 206. J ) Journal complementaire, T. II. p. 71. 4 ) Cllntque chirurgicale, T. III. p. 149.
d e r All
in
seiner
Ucbcrsetzung
Artertae a n e u r y s m a t i s c h e n Varix a m Halse lung der Hautvenen.
187
carotides.
eine b e s o n d e r s starke Entwick-
In e i n e m v o n M a r x ' ) beobachteten Falle litt
d e r K r a n k e h e f t i g d u r c h ein, a u c h objectiv w a h r n e h m b a r e s
Rassel-
g e r ä u s c h , h ä u f i g e O h n m ä c h t e n , B e ä n g s t i g u n g e n und S t ö r u n g e n Sehvermögens
auf d e m Auge d e r k r a n k e n Seite.
des
Die verhältniss-
m ä s s i g g r o s s e Häufigkeit d i e s e r Art von A n e u r y s m e n an d e r Carotis d ü r f t e auf d e n G e d a n k e n b r i n g e n , d a s s die in d e r l'ena interna
jugularis
im M o m e n t e d e r Inspiration stattfindende Aspiration
gegen
den T h o r a x hin, bei j e d e r a u c h . n o c h so u n b e d e u t e n d e n Verletzung, welche
diese Vene
betroffen hat,
und
die
neben
das E i n s t r ö m e n
des
ihr liegende
Carotis
zugleich
arteriellen Blutes in die Vene
b e g ü n s t i g e u n d auf s o l c h e W e i s e d e m , j e d e n Falls gefährlicheren, B l u t e r g u s s e n a c h A u s s e n o d e r in d a s Bindegewebe des Halses vorbeuge.
¡Jedenfalls a b e r
werden,
dass
darf h i e r b e i
die S t r o m k r a f t d e s
nicht a u s s e r Acht
gelassen
arteriellen Blutes viel m ä c h t i g e r
ist, als j e n e Aspiration. | Die
spontanen
allgemeinen
d e n dritten Platz ein. lichen,
als
ihrem
der
Carotis n e h m e n
Geschlecht.
der Spaltungsstelle
Ursprünge.
der
äusseren
spontanen
in
Ein
der
solches
Gewöhnlich
Carotis
communis,
Aneurysma
der
Aneurysmen
Sie finden sich eben so häufig beim
beim männlichen
i h r e n Sitz an an
Aneurysmen
Häufigkeitsscala
weib-
haben
sie
seltener
pflegt schnell
zu
w a c h s e n u n d k a n n e i n e solche G r ö s s e e r r e i c h e n , dass es fast die ganze L ä n g e d e s H a l s e s e i n n i m m t u n d sich vom Kehlkopfe bis zu den Q u e r f o r t s ä t z e n d e r Halswirbel erstreckt.
Durch Druck auf die
b e n a c h b a r t e n Gebilde (A. vagus) e n t s t e h e n b a l d : H u s t e n , A t h m e n n o t h , Heiserkeit u n d a n d e r w e i t i g e V e r ä n d e r u n g e n d e r Stimme,
Schlingbe-
s c h w e r d e n u n d , d u r c h die Beeinträchtigung d e s Blutlaufs, S c h m e r z e n und Klopfen im Kopf, O h n m ä c h t e n u n d dcrgl. m.
Zuweilen e m p f i n -
det d e r K r a n k e die P u l s a t i o n e n d e r Geschwulst so heftig im Kopfe, dass es ihm v o r k o m m t , als solle dieser durch H a m m e r s c h l ä g e z e r sprengt III.
werden.
Unterbindung der Caratii c t m m u n l i und ihrer Aratt. 1 ) Carotis
Die U n t e r b i n d u n g d e r Carotis
wichtigsten
communis.
communis
wird indicirt: 1) d u r c h
eine Blutung a u s ihr s e l b s t o d e r einem ihrer H a u p t ä s t e ; 2 ) d u r c h Aneurysmen an d e n e b e n bezeichneten Stellen; 3 ) d u r c h anderweitig ') Memoire« de C Académie roy. de médecine, T. III. p. 233.
188
Krankheiten der Arterien.
nicht zu beseitigende ereetile Geschwülste an ihren Aesten; 4 ) prophylactisch vor dem Beginne grosser Operationen in ihrem Stromgebiete, durch welcfie voraussichtlich bedeutende Aeste derselben verletzt werden müssen |; — gewiss selten |. Die Besorgnisse, welche man in Bezug auf die Gefahren und üblen Folgen dieser Unterbindung mit Recht hegen musste,
sind
einer Seits durch die Versuche, welche schon G a l e n und später V a l s a l v a an Hunden anstellten, andrer Seits durch die Beobachtung des spontanen Verschlusses der Garotis, welche zuerst von P e t i t , Haller
und B a i l l i e
gemacht wurde,
insoweit beseitigt
dass schon van S w i e t e n ihre Ausführung vorschlug. hat sie ( 1 8 0 3 )
zuerst 1 )
worden,
Abernethy
an einem lebenden Menschen ausgeführt,
wegen einer Verletzung, die' durch den Stoss einer Kuh veranlasst war.
Zum Behuf der Heilung eines Aneurysma nach der H u n t e r -
schen Methode hat sie A s t h l e y
Cooper
zuerst im Jahre
1805
mit unglücklichem, dann aber 1 8 0 8 mit glücklichem Erfolge ausgeführt.
V e l p e a u 2 ) konnte 1 8 3 9 schon 1 5 0 Fälle von Unterbin-
dung der Carotis
communis
zusammenstellen, von denen 8 0 einen
glücklichen Erfolg gehabt hatten. Handelt es sich um ein Aneurysma in der Gegend der Theilung der Carotis Stammes
communis,
unterhalb
so wird man der Unterbindung
der Geschwulst den Vorzug geben.
Aneurysma dagegen in der Nähe des Ursprungs
des
Sitzt das
der Carotis,
so
wird, wenn überhaupt eine Unterbindung unternommen werden soll, nur die B r a s d o r ' s c h e Methode Anwendung finden können, und zu deren Ausführung, wenn das Aneurysma sich hoch hinauf erstreckt, die Unterbindung sowohl der innern als auch der äussern Garotis nöthig sein.
Unabsichtlich
um ein Aneurysma des Arcus
hat man in zwei Fällen, wo es sich aorlae
handelte, welches irrthiimlich
für ein Aneurysma der linken Carotis
communis
gehalten
wurde,
durch Unterbindung der letzteren in der Nähe ihrer Theilungsstelle ( B r a s d o r ' s c h e Methode) nach dem Berichte von D u b r e u i l günstigen Erfolg erzielt. nach der Operation,
einen
Beide Individuen starben zwar einige Zeit
aber ihr Tod hing in keiner Weise von der-
selben oder auch nur von dem Aneurysma ab.
In dem letzteren
fand man vielmehr ein festes weisses Gerinnsel, durch welches die Aussicht auf eine vollkommene Heilung begründet wurde. ') | H i ' b c n s l r c i t erzählt schon früher Tun einer Unterbindung der Carotis communis wegen Verletzung bei Exstirpation einer scirrhüsen Geschwulst. Vergl. H a s s e in l i n s t ' s Handbuch Bd. II. p. 6 6 . j 2) Nouveaux éléments de médecine opératoire, Paris 1 8 3 9 . T. I I . p. 2 3 1 .
Unterbindung der Carotis
189
communis.
Den Ausgangspunkt für die Unterbindung der Carotis communis bildet immer der Sternocleidomastoidcus (A Figur 18). | Die Arterie wird entweder an seinem inneren Rande in der Höhe des Kehlkopfs (nach A. C o o p e r ) oder tiefer unten am Hals zwischen seinen beiden Köpfen (nach Z a n g ) unterbunden.| Der Kranke liegt jedenfalls mit etwas erhöheter Brust und hintenüber geneigtem Kopfe, das Gesicht nach der gesunden Seite gewandt. Der Operateur steht auf der kranken Seite, welche hinreichend beleuchtet sein muss. Fig. 18.')
A.
Verfahren nach Asthley
Cooper.
Die Unterbindung
geschieht in dem Dreieck, welches von der Luftröhre und dem Kehlkopfe nach Innen, von dem Kopfnicker nach Unten und Aussen begrenzt wird.
Der Hautschnitt wird 1 bis 2 Zoll lang parallel dem
innern Rande des Sternocleidomastoideus gemacht, jedoch so, dass ) A, JM. sternomastoideus; D, Af. omohyoideus; clavia;
H, Af. pectoralis
K, Nervus clavia; Q, Vena
0,
vagus;
minor;
L, Carotis
A. axillaris axillaris.
B , Af. slernohyoideus;
E, Af. cucullaris;
I, Clavicuta;
communis;
s. subclaviae
C, M.
F, Af. scalenus
pars
sternothyreoideus;
anlicus;
J, Vena jugularis
M, Plexus inferior;
cervicalis; P , Plexus
G, AT. subinterna; N, A.
sub-
brachialis;
190
Krankheiten der Arterien.
man auf den Muskel selbst einschneidet. Ein zweiter Schnitt trennt das Platysma und legt die schräg von Unten und Innen nach Oben und Aussen aufsteigenden Muskelfasern des Kopfnickers blos. Hierauf lässt man den Kopf etwas vornüber neigen, um die Halsmuskeln zu erschlaffen, und trennt mit leichten Messerziigen das den Kopfnicker bedeckende Bindegewebe bis sein innerer Rand in der ganzen Ausdehnung der Wunde frei liegt. Mit einem Wundhaken wird jetzt durch einen Gehülfen der äussere Wundrand sammt dem Kopfnicker, mit einem anderen der innere Wundrand zurückgezogen. Der Operateur trennt mit einem Messer die fibröse Schicht, welche vom Sternohyoideus und Sternothyreoideus zu der hintern Fläche des Sternomastoideus hinübergespannt ist und schiebt den Omohyoideus, je nachdem er höher oder weiter nach Unten liegt, aufwärts (vgl. Fig. 19) oder abwärts. | Sollte es Schwierigkeiten machen, diesen Muskel zu erkennen, so lasse man den Kranken schlucken, wobei er sich anspannt und deutlich hervortritt. | Sollte er sich nicht mit Leichtigkeit verschieben lassen, so durchschneidet man ihn, sammt der ihm anhaftenden Bindegewebs-Schicht in der Richtung der Arterie auf der Hohlsonde. Jetzt erscheint in der Tiefe die gemeinsame Gefass-Scheide, welche die Carotis (L), die Fena jugularis interna (J) und nach hinten den Nervus vagus (K) einschliesst (Fig. 18). | Zuweilen wird sie noch durch eine Lymphdrüse verdeckt, welche alsdann entfernt werden muss. Die Eröffnung der Gefiiss-Scheide erfolgt nach den allgemeinen Regeln (und zwar um so mehr genau auf der Arterie, als weiter nach Aussen der Ramtts descendens n. hypoglossi der Gefass-Scheide dicht anliegt)|; alsdann muss die Arterie zuerst an der äussern Seite von der Vene getrennt und der Unterbindungsfaden von hier aus, dicht hinter der Carotis (um nicht den Vagus zu quetschen oder mitzufassen) herumgeführt werden. |Während der Operation ist die f'ena jugularis interna sehr hinderlich, besonders indem sie bei jeder Exspiration in störender Weise anschwillt. Um dies zu verhüten, lässt man sie durch einen Gehulfen am obern Wundwinkel comprimiren, wodurch ihr der fernere Blutzufluss von der Peripherie her ganz oder , doch grösstentheils abgeschnitten wird; der rhythmischen Anschwellung derselben bei der Exspiration, welche dennoch stattfinden kann, müsste durch Compression dicht am Schlüsselbein vorgebeugt w e r d e n ' ) . Uni ')
| A u s mündlicher Ueberlielerung k e n n e ich einen Fall, in welchem d e r keineswegs ungeübte O p e r a t e u r seitigen vermochte,
die angeschwollene
als indem er
der Fall verlief glücklich. |
Jugularis
sie zwischen
nicht
anders
zwei Ligaturen
zu
be-
durchschnitt;
Unterbindung der Carotis
191
communis.
die Bloslegung der Vene ganz zu vermeiden, hat Vidal den Vorschlag gemacht, statt am innern Rande des Sternomastoideus vielmehr am äussern Rande des Sternohyoideus einzuschneiden und von hier aus zur Carotis vorzudringen (Fig. 19.1). Abgesehen aber von dem Hervorquellen der Vene, wie es beim Lebenden stets beobachtet worden ist, dürfte selbst an der Leiche eine vollständige Bloslegung der Garotis ohne gleichzeitige Entblössung, wenigstens eines Theils der Vena jugularis interna, doch unausführbar sein. — Sehr erschwert wird die Operation (am Lebenden) durch eine, besonders beim weiblichen Geschlecht (auch wenn kein Kropf vorhanden ist) häufige, stärkere Entwicklung der in die Fena jugularis externa einmündenden seitlichen Schilddrüsen-Venen, welche eine Verschiebung dieser Vene nach Aussen fast unmöglich machen kann'). | B. U n t e r b i n d u n g der C a r o t i s in der Nähe des Schlüsselbeins. fl) V e r f a h r e n von Zang 2 ). Die Arterie soll in dem (auf Figur 19 durch punctirte Linien bezeichneten) d r e i e c k t e n R ä u m e z w i s c h e n den b e i d e n Köpfen des S t e m o c l e i d o m a s t o i d e u s Fig. 19.
' ) | Hiervon habe ich mich seihst am Lebenden überzeugt. Anatomie
chiitirgicale,
Vgl. auch V e l p e a u ,
Paris 1825, T. I. p. 206.|
*) |Die Franzosen nennen das Zang'sche Verfahren: „Procédé de M.
Sédillot."
Z a n g schrieb aber schon 1813 seine » D a r s t e l l u n g b l u t i g e r h e i l k u n d i g e r O p e r a t i o n e n , " S é d i l l o t ' s literarische Thätigkeit fällt in die neueste Zeit. |
192
Krankheiten der Arterien.
unterbunden werden. Die Operation ist viel schwieriger, weil die Arterie in einer viel tiefern Wunde aufgesucht werden rauss und an dieser Stelle noch mehr als weiter oben von der Vena jugulans interna bedeckt wird. | Auf der linken Seite liegt ausserdem dicht hinter der Gefäss-Scheide der Bogen des Ductus tkoracicus, welcher, wenn man die Vena jugularis interna sehr stark nach Aussen zieht, und mit stumpfen Instrumenten tief in der Wunde arbeitet, zerrissen werden könnte. Auf der rechten Seite entsteht bei sehr tiefer Unterbindung die Gefahr einer mangelhaften Thrombus-Bildung, weil man daselbst nahe an der Theilungsstclle des Truncus anonymus die Ligatur anzulegen hat. Nach den gewöhnlichen Angaben wird der Hautschnitt (während Kopf und Hals sich in derselben Stellung, wie beim C o o p e r ' s c h e n Verfahren befinden) am äussern Rande der Portio siernalis des Kopfnickers geführt, also etwa '/, Zoll von der Extremität siernalis clavieulae begonnen, und in der Richtung gegen den Processus mastoideus 2 bis 2 1 / , Zoll aufwärts geführt; die beiden Köpfe des Sternocleidomastoideus werden von einander getrennt und mit den Wundhaken auseinander gezogen, worauf in der Wunde der schräg verlaufende Omohyoideus erscheint; dieser wird mit dem Claviculartheil des Kopfnickers unter denselben Wundhaken gelegt, die alsdann erscheinende Vene nach Aussen gezogen und die Unterbindungsnadcl von Aussen nach Innen um die Arterie herumgeführt. | |A) V e r f a h r e n v o n Key (modificirt). Die Schwierigkeiten der Operation dürften geringer sein, wenn man am innern Rande des Sternocleidomastoideus (nach dem Vorschlage von S c a r p a ) einschneidet, und die Portio sternalis desselben in ihrem sehnigen Tlieile subcutan durchschneidet; dann lässt sich letztere mit dem äussern Wundrande leicht so weit nach Aussen ziehen, dass man zur Carotis gelangen kann. Bei diesem Verfahren würde die sonst stark hervorquellende Vena jugularis und die Beengung der Wunde durch die gespannten Köpfe des Kopfnickers dem Operateur nicht hinderlich sein; bei stark angeschwollener Schilddrüse dagegen müsste man der von Z a n g angegebenen Incisión den Vorzug einräumen, würde aber jedenfalls durch Ablösung der Portio sternalis des Sternocleidom. auch von dieser Seite her (wo sie zuerst von C o a t e s ausgeführt worden ist) die Operation bedeutend erleichtern'). ' ) |Dass cinc solche Myotomie u n b e d e n k l i c h E r f a h r u n g e n der operativen O r t h o p ä d i e ,
ist, zeigen n i c h t blos die sondern
besonders auch
zahlreichen die scliünen
R e s u l t a t e des G i i n t h e r ' s c b c n V e r f a h r e n s Leim h o h e n S t e i n s c h n i t t (vgl. Bd. IV.). w obei von d e r B a u c h w u n d c (ins b e i d e
Mm. rteli abdomlnis d u r c h s c h n i t t e n
werden. |
Unterbindung der Carotis
communis,
—
Carotis externa.
193
c) Ganz abweichend hiervon empfiehlt M a l g a i g n e : bei vollk o m m e n g r a d e l i e g e n d e m Halse und hinten Uber gebeugtem Kopfe, am äussern Rande des Sternohyoideus, d. h. in der Richtung einer von der Articulado sternoclavicularis zum Kinn gezogenen Linie, nahe über dem Sternoclavicular-Gelenk einzuschneiden, den gedachten Muskel nach Innen zu schieben (nöthigenfalls einzuschneiden) und von der äussern Seite der Luftröhre her zur Arterie i
vorzudringen. Als Hiilfsmittel zur Auffindung der Arterie kann der, von C h a s s a i g n a c als ,,Tuberculum carotideum" bezeichnete, vordere Höcker des Querfortsatzes des sechsten Halswirbels benutzt werden, welchen man, 6 Centim. oberhalb der Clavicula, hinter dem innern Rande des Sternoinastoideus, bei grade gestreckter Lage des Halses fühlt (sobald die Haut durchschnitten ist); die Arterie liegt genau vor diesem Höcker, oder ein klein wenig nach Innen von ihm. Unmittelbar nach der Unterbindung der Carotis wird die entsprechende Kopfhälfte sowol in motorischer als in sensitiver Beziehung gelähmt. Dies dauert jedoch nur kurze Zeit, weil durch die vielfachen Anastomosen bald wieder Blut hinüberströmt. An der Operationsstelle entwickelt sich eine mehr oder weniger heftige Entzündung, welche besonders nach Unterbindung der linken Carotis sich leicht auf den Oesophagus und den Pharynx ausbreiten, und somit zu bedeutenden Schlingbeschwerden Veranlassung geben kann. Tritt unmittelbar nach der Operation Husten, Heiserkeit, Erbrechen ein, so muss befürchtet werden, dass der Vagus verletzt worden sei, — ein Zufall, der sich übrigens nur bei grosser Uebereilung oder beim Bestehen ganz besonders erschwerender Umstände zutragen dürfte. | | 2 ) Unterbindung der Arteria
carotis
externa.
Wenn es sich um die Verletzung eines Astes der Carotis externa handelt, oder, wenn ein Aneurysma an einem dieser Aeste seinen Sitz hat, so könnte es von Vorn herein richtiger erscheinen, statt der Carotis communis die C. externa zu unterbinden, vorausgesetzt, dass diese gesund, und die Unterbindung des betreffenden Astes selbst nicht möglich oder nicht zulässig ist. Die Vortheile, welche unter solchen Verhältnissen die Unterbindung der Carotis externa darbieten soll'), ' ) |Besonders W u t z e r (Rheinische Monatsschrift 1847 Kehr. p. 72 u. Deutsche Klinik 1850 p. 171 — 1 7 3 ) hat in neuester Zeit diese zuerst von B u s h e , dann von L i z a r s und von V. M o t t , neuerlich vori M a i s o n n e u v e ausgeführte Unterbindung lebhaft empfohlen und mit glücklichem Erfolge angewandt. | Vidal's Chirurgie. U. 13
194
Krankheiten der Arterien.
sind: 1) dass die Gefahr, welche aus der Unterbindung der Carotis communis für das Gehirn erwächst, ganz fortfällt; 2) dass eine Nachblutung aus dem unterbundenen Gefässe weniger zu fürchten ist, weil die Arterie überhaupt kleiner, entfernter vom Herzen, und der Andrang des Blutes zu der Unterbindungsstelle dadurch wesentlich gemindert ist, dass die Carotis interna ihm Abfluss gewährt; 3) dass die Blutzufuhr zu dem verletzten oder aneurysmatischen Theile nicht so leicht wieder hergestellt wird, weil die grossen Anastomosen der Carotis interna mit der gleichnamigen Arterie der anderen Seite und mit der Arteria vertebralis gar nicht mit ins Spiel kommen. Von diesen für die Vorzüglichkeit der Unterbindung der äusseren Carotis beigebrachten Gründen ist jedoch keiner vollkommen stichhaltig. Was nämlich 1) die G e f a h r e n f ü r das G e h i r n betrifft, so kann von diesen nur in solchen Fällen die Rede sein, wo die Arterien ihre Ausdehnungsfähigkeit überhaupt eingebüsst haben; in solchen Fällen möchte aber überhaupt von dieser wie von jeder Unterbindung ein glückliches Resultat nicht zu erwarten sein. Bei gesunden Arterien ist sogar der Verschluss beider Carotiden einige Zeit nach einander ohne Störungen des Gehirnlebens erfahrungsmässig möglich, und die Todesfälle nach Unterbindung der Carotis, welche man auf Rechnung der gestörten Hirnthätigkeit gesetzt hat, dürften leicht durch die leider von manchen Chirurgen nicht immer vermiedene Verletzung des Vagus oder Sympathicus bedingt worden sein. 2) Ueber die relative W a h r s c h e i n l i c h k e i t e i n e r N a c h b l u t u n g bei der einen und der anderen Unterbindung lässt sich erfahrungsmässig noch Nichts feststellen, weil die Carotis externa im Ganzen noch zu selten unterbunden worden ist; von theoretischer Seite aber dürfte eine Nachblutung viel eher nach der Unterbindung der äussern als derjenigen der gemeinsamen Carotis zu befürchten sein, weil es bei letzterer sich um ein Gefäss handelt, welches eine weite Strecke vor der Unterbindungsstelle gar keine Aeste abgiebt, und in welchem daher die Bildung eines grossen und widerstandsfähigen Blutpfropfes erwartet werden darf, während bei jener die Nähe der Theilungsstelle der Carotis communis und der höchst unregelmässige Ursprung der Aeste des zu unterbindenden Gefässes der Entwicklung eines zureichenden Thrombus leicht hinderlich werden können. Letzterem Uebelstande soll zwar dadurch begegnet werden, dass man die Carotis externa in grösserer Ausdehnung entblösst und die Arteria thyreoidea superior, wenn sie nahe an der Unterbindungsstelle entspringt, mit unterbindet; aber auch dies Verfahren dürfte nicht
Unterbindung der Caroli»
195
externa.
sicher schützen, da doch unmöglich verlangt werden kann, dass man sich am lebenden Menschen, wie an einem anatomischen Präparate, auch noch über die Abgangsstellen der Arteria pharyngea ascendens, lingualis u. s. w. genau unterrichten soll. Die hierzu nothwendige ausgedehnte Entblössung der Arterie würde sich mit den allgemeinen Regeln der Unterbindung schwer in Einklang bringen lassen. Somit bliebe als Vorzug der Ligatur der Carotis externa vor derjenigen der Carotis communis nur noch 3) die vermeintlich grössere Sicherheit übrig, mit welcher durch sie der beabsichtigte Zweck erreicht werden soll. Bedenken wir aber, dass das Blut, um durch die Aeste der Carotis interna von den Anastomosen derselben aus bis in ihren Stamm, und von da durch den Stamm der Carotis exteima zu der Stelle der Verletzung (oder des Aneurysma) zu gelangen, welches zur Unterbindung der Carotis communis die Veranlassung gab, einen langen Weg, aus engen Canälen in immer weitere übergehend, zurücklegen muss, und folglich mit sehr geringer Stromkraft und erst längere Zeit nach Anlegung der Ligatur zu der verletzten Stelle gelangen wird; bedenken wir ferner, dass die wesentlichsten Ailastomosen der Carotis externa, diejenigen nämlich zwischen den Aesten der rechten und linken Körperseite, bei dieser, wie bei jener Unterbindung nicht verschlossen werden, und dass endlich durch Unterbindung des gemeinsamen Carotidenstamines doch noch die Blutzufuhr, welche die Aeste der äussern Carotis, durch die Arteria ophtkalmica von Seiten der inneren erhalten, mit abgeschnitten wird; so erweist sich auch dieser Vorzug der Unterbindung der Carotis externa keinesweges so begründet, als es auf den ersten Blick scheint. Die Unterbindung der Carotis externa ist jedenfalls schwieriger als diejenige der C. communis; natürlich dürfte dies aber, wenn ihre Vorzüge feststünden, nicht als Grund gegen ihre Ausführung oder doch nur als ein individueller Grund geltend gemacht werden. Da aber jene nicht erwiesen sind, muss die leichtere Operation, wenn nicht im einzelnen Falle Gegengründe vorliegen, den Vorzug behalten. V e r f a h r e n n a c h D i e t e r i c h . Ein zwei Zoll langer Schnitt parallel dem inneren Rande des Sternocleidomastoideus und '/, Zoll vor ihm, durch die Haut, das Platysma myoides und die Fascia colli; im obern Winkel der Wunde erscheint der M. digastricus und der N. hypoglossus, welche sammt der Glandula submaxillarisnach Oben gezogen werden; die Fenae thyreoidea, subungualis und facialis werden nach Unten, die Carotis interna und Fena 13*
196
Krankheiten der Arterien.
jugularis interna so wie auch die Art. pharyugea ascendens nacli Aussen und der Stamm der Vena facialis nach Innen gezogen. W u t z e r empfiehlt in dem Falle, dass nahe an der Unterbindungsstelle Aeste entspringen sollten, dieselben in der Nähe des Stammes entweder gesondert zu unterbinden, oder sogleich mit in die um den Stamm zu legende Ligatur zu fassen. | 3) Unterbindung der Arteria
thyreoidea
superior.
Dieselbe ist vorzugsweise zur Heilung des Kropfes (vgl. Bd. III.) ausgeführt worden, wobei man sie gewöhnlich schon durch die unverletzte Haut pulsiren fühlt. Sollte dies nicht der Fall sein, so wUrde ihre Unterbindung immer Schwierigkeiten machen. Der Einschnitt muss dann, wie fllr die Bloslegung der Carotis communis gemacht, in der Tiefe der Wunde aber sogleich an der inneren Seite der Carotis gegen die Schilddrtlse hin vorgedrungen werden. Zuweilen entspringt die obere Schilddrilsenpulsader aus der Carotis communis. i) Unterbindung der Arteria
tinguali».
Bei Verletzungen der Zunge, besonders nach Exstirpationen (vgl. Bd. III.), ist dieselbe von B e c l a r d empfohlen worden. Nach ihm soll man sie Uber dem Zungenbein zwei Millimeter nach Hinten von seinem grossen Home unter dem M. hyoglossus aufsuchen. ¡Bevor man aber bis zu diesem Muskel gelangt, sind die Schwierigkeiten der Operation so gross, dass auch geübte Operateure sie nicht immer zu besiegen vermögen (Mirault). Insbesondere ist dies der Fall, wenn das Zungenbein sehr hoch liegt, und sein grosses Horn von der Glandula submaxillaris bedeckt ist. In solchen Fällen sollte man die Operation gar nicht beginnen. Im Uebrigen richtet man sich am Besten nach folgenden Angaben von Malgaigne. Man fixirt, während der Kranke mit hintenüber gebeugtem Kopfe liegt, das grosse Horn des Zungenbeins. Vier Millimeter Uber ihm und parallel mit demselben durchschneidet man auf drei Centimeter Länge die Haut und das Platysma, worauf man als ersten Wegweiser den unteren Rand der Glandula submaxillaris findet. Nachdem diese ein Wenig aufwärts geschoben ist, erscheint die glänzend weisse Sehne des Digastricus und 1 Millimeter unter ihr, zuweilen durch einige Fasern des Stylohyoideus verdeckt, der A. Aypoglossus; zwei Millimeter unter diesem dritten Anhaltspunkte durchschneidet man quer den M. hyoglossus und findet hier die Arterie ganz frei und isolirt liegend. — Die Vena facialis
A«*#te der Caroli*. — kreuzt d e n nach diesen Angaben ihre Verletzung zu v e r m e i d e n ,
197
Arteria t u t e l a r í a .
zu machenden Hautschnitt;
muss
man
d a s Messer daher
Anfang an vorsichtig f ü h r e n , und die gedachte Vene, sobald biosgelegt ist, nach A u s s e n
sie
schieben.'
d e r Arleria
5 ) I nterbindung
um von
maxülarii
externa
teu f a c i a l i s .
Man sucht sie am vorderen R a n d e des Masseter, dicht an der Basis
des
Unterkiefers
auf.
Der Einschnitt wird senkrecht
oder
d e r Richtung des Masseter entsprechend, vorsichtig, und am B e s t e n unter E r h e b u n g einer Hautfalte gemacht, da die Arterie s e h r oberflächlich liegt. 6)
Unterbindung
der Arteria
temporalit.
Der Einschnitt geschieht am Besten Raumes
zwischen
in der Mitte des kleinen
dem Ohre und dem Kiefergelenke in vertikaler
Richtung und in einer L ä n g e von etwa 1 Zoll. hier nicht ganz oberflächlich, von dichten umhüllt.
In Betreff der Zweige der Arteria
Die Arterie liegt
Bindegewebs-Schichten
tempora/is
vgl. Arterio-
tomie Bd. I. p. 138.
Dritte« Capitel. A r t e r i a
I.
s u b c l a v i a .
Anatomie.
Die rechte Subclavia ist kürzer als die linke, und zwar u m die ganze L ä n g e des
Truncus
anonymus,
aus
welchem
springt, während letztere direct a u s der Aorta kommt. laufen bogenförmig zwischen den Mm. scaleni
sie
ent-
Beide ver-
hindurch Uber die
erste Rippe gegen die Mitte der Clavicula, unter welcher sie fortgeben,
um
weiterhin
den Namen Arteria
axillaiix
anzunehmen.
Da, wo die Arterie zwischen den Scalenen hervortritt, ruht s i e in einer Vertiefung des Mittelstücks der ersten Rippe, zu deren Seiten sich zwei Höckerchen befinden, von denen das i n n e r e deutlicher zu fühlen ist.
Ueber ihr wölbt sich als Spitzbogen d a s verbundene
Musk^Uleisch d e r beiden Mm. scaleni. scheidend, liegt der Scalenus
dias und posticus
anticus.
und der Plexus
Vor ihr, sie von der Vene hinter ihr der Scalenus
brackialis;
me-
weiter a b w ä r t s , und
mehr nach A u s s e n befindet sich unter der Arterie gleichfalls die erste R i p p e ,
aber von Oben her wird sie nur noch d u r c h Binde-
198
Krankheiten der Arterien.
gewebe, die Fascia,
das Platysma und die Haut bedeckt.
colli,
weilen liegt über ihr, gewöhnlich aber mehr nach Vorn die transversa
ZuArteria
Nach Vorn liegt die Clavicula, welche von
scapvlae.
der Arterie Anfangs durch den M. subclavias, durch die Vena subclavia
weiter nach Aussen
getrennt wird.
Die hauptsächlichsten V a r i e t ä t e n des Verlaufs der Subclavia sind folgende:
1 ) die Subclavia
Aorta; 2 ) der Truncus 3 ) beide Subclaviae Subclaviae
anonymus
befindet sich auf der linken Seite;
entspringen
entspringen
aus
entspringt direct aus der
dextra.
isolirt aus der Aorta;
4)
beide
der linken Hälfte des Aortenbogens,
und zwar die rechte am Meisten nach Links,
so dass sie, um
zum
der
rechten
Arme
zu
gelangen,
entweder hinter dem Oesophagus, Luftröhre verlaufen muss.
schräg
vor
Wirbelsäule,
oder zwischen diesem und der
Diese Varietät ist von allen die häufigste
und bedingt, besonders bei der letzteren Art des Verlaufes, Schling-
beschwerden (Dysphagia tusaría, ex lusu naturae).
Bei diesem ab-
weichenden Verlaufe dringt die Arterie übrigens zuletzt (ganz wie beim normalen Ursprünge) zwischen den Scalenen hindurch, verhält sich von da ab wie gewöhnlich.
und
Auch Verengung und voll-
kommene Verschliessung der Subclavia ist •einige Male beobachtet worden'). Bei Menschen mit kurzem Halse und hohen Schultern die Arterie
sehr tief, j e
länger der Hals,
desto
liegt
oberflächlicher.
Von grösster Bedeutung sind die V a r i e t ä t e n d e r L a g e der Arterie im Verhältniss zu ihrer nächsten Nachbarschaft.
Die
Vene
liegt zuweilen unmittelbar an und auf der Arterie, und geht mit ihr zwischen den beiden
Scalenen hindurch.
liegt die Arterie vor dem Scalenus Muskelfleisch des Scalenus dann einer
anticus,
medius hervor.
In anderen
Fällen
oder dringt durch das Im letzteren Falle pflegt
der grossen Nervenstämme des Plexus
brachialis
an
der normalen Stelle der Arterie zu liegen, woraus der zuweilen begangene Irrthum, einen Nerven statt der Arterie zu unterbinden, erklärlich wird. IIa
Krankheiten der Arteria subclavia.
Verletzungen dieser Arterie sind selten, da dieselbe durch die Schulter und das Schlüsselbein von der einen und durch die Spitze des Brustkorbes von der anderen Seite geschützt ist. her gewährt ihr ausserdem der Kopf noch Schutz. ' ) S. T i e d e m a n n , I. c. p. 8 2 .
Von Oben Nichts desto
199
Arteria subclavia.
weniger sind Blutungen aus ihr und traumatische Aneurysmen beobachtet worden, freilich selten. Durch die Section nachgewiesen ist zwar kein einziges der beobachteten t r a u m a t i s c h e n A n e u r y s m e n der Subclavia; aber nach zuverlässigen Angaben ist während des Lebens immer nur die von uns als Aneurysma arteriosoncnosum bezeichnete Art der traumatischen Pulsadergeschwillste an dieser Stelle gefunden worden ( L a r r e y und R o b e r t ) . Es ist hiernach wahrscheinlich, dass bei Verletzung der Subclavia allein immer der Tod erfolgt ist, während bei gleichzeitiger Verletzung der Vene durch das Einströmen des arteriellen Blutes in diese letztere die Lebensgefahr abgewandt worden ist. ¡Natürlich kann ein solcher Vorgang wol nur unter besonderen mechanischen Verhältnissen (durch welche das Einströmen des Arterien-Blutes, unter Ausschluss des Lufteintritts, begünstigt werden muss), oder bei sofort angewandter Compression Statt finden. | Die gewöhnlichen Pulsadergeschwülste der Arteria subclavia sind e n d o g e n e . J o b e r t 1 ) hat an dieser Stelle die seltene Beobachtung einer varikösen Erweiterung (Jrteriectasis) des ganzen Arterienstammes gemacht. Als Gelegenheitsursache für die endogenen Aneurysmen dieser Gegend hat man einen Schlag auf die Schulter oder heftige Anstrengungen aufführen zu müssen geglafubt (Mott, L i s t o n , L a u g i e r , R o b e r t 1 ) ) ; aber die wesentliche Ursache derselben ist hier, wie überall, die von Einigen nur als Prädisposition bezeichnete Entartung der Arterienwandungen (vgl. pag. 124). Die Aneurysmen haben häufiger ihren Sitz an dem nach Aussen von den Mm. scaleni gelegenen Theile der Arterie, als am inneren. Letztere erstrecken sich auf der rechten Seite immer zugleich auf den Truncus anonymus. Aus der Richtung, in welcher das Aneurysma sich vorzugsweise entwickelt, lässt sich gewöhnlich die Stelle, an welcher die Arterienwand durchbrochen worden ist, erschliessen. Liegt die Geschwulst nach Innen von den Mm. scaleni, so kann die Communicationsöffnung aber dennoch an der Durchtrittsstelle selbst sein. Entwickelt sich die Geschwulst nach Aussen von jenen Muskeln, gegen das Schlüsselbein hin, so darf man annehmen, dass die Oeffnung sich in der Nähe der Mm. scaleni an ihrer äusseren Seite befinde. Nimmt das Aneurysma seinen Ursprung in der Nähe des Schlüsselbeins, so wächst es gewöhnlich aufwärts. Alle diese Bestimmungen des Ausgangspunktes sind jedoch nur dann möglich, wenn man die Geschwulst ganz zu Anfang beobachten kann; Traite de VAnatomie de l'homme etc. •) Des Anevrysmet Paris 184,3 p. 2 3 . ') B o u r g c r y .
T. I. PI. 32.
200
Krankheiten
der Arterien.
späterhin, wo sie oft eine enorme Grösse (bis zu 20 Zoll Umfang, B o u c h e r 1 ) ) erreicht, ist hiervon natürlich keine Rede mehr. So lange das Aneurysma noch von mittlerer Grösse ist, hat es eine runde oder ovale Gestalt; erstreckt es sich aber bis unter die Clavicula oder unter das Schulterblatt, und endlich bis in die Achselhöhle und anderer Seits unter den Sternocleidomastoideus gegen den Hals hinauf, unter das Steinum oder dringt es zwischen die Rippen hinein, so verliert seine Gestalt jede Regelmässigkeit und kann lappig, höckerig und verschiedenartig ausgebuchtet erscheinen. Auch seine C o n s i S t e n z wird dann verschieden: an einzelnen Stellen ist es hart, an anderen nachgiebig oder auch fluetuirend. Unter den Veränderungen, welche die b e n a c h b a r t e n T h e i l e erfahren, ist besonders die Verdrängung des Schulterblattes und des Schlüsselbeins hervorzuheben. Beide Knochen werden unter dem Drucke der Geschwulst zuweilen | ihres Periost .beraubt und in Folge davon durch oberflächliche Necrose| rauh. Aehnliche Veränderungen erfahren auch die Rippen, wenn die Geschwulst nach Vorn wächst; dieselben können sogar ganz zerstört werden. Häufiger entwickelt sich die Geschwulst nach Hinten in der Richtung der Fossa mbscapularis; höchst selten dagegen sind die Fälle, wo einer ihrer Lappen in den ersten Zwischenrippen-Raum eindringt und sich so weit in die Pleurahöhle hinein erstreckt, dass eine Compression der Lunge dadurch bewirkt wird. Fernerhin können die Wirbel sowol der Hals-, als auch der Rücken-Gegend zerstört, der Muse, trapezius zuweilen sammt dem Levalor anguli scapulae nach Aussen gedrängt und verdünnt, der Scalenvs medius und posticiis in einen bandartigen Streifen verwandelt und an die Wirbelsäule angedrängt, der Scalenvs anticus nach Vorn und Innen geschoben und mit dem Sternomastoideus verschmolzen werden, welcher dann auch verdünnt und verschoben ist. Alle diese Muskeln werden also, wenn man bei irgend einem bedeutenden Aneurysma die Operation unternimmt, in ganz abnormem Zustande und in veränderten Lagerungsverhältnissen angetroffen werden. Die Athemnoth, die Erstickungszufälle, die Aphonie, | die Schlingbeschwerden,! die Störungen der Verdauung erklären sich theils aus dem Druck und der Zerrung, welchen der Synipathicus, der Vagus, sowie insbesondere dessen Raums recurrens ausgesetzt sind, theils aber auch aus der Raumbeengung, welche am Halse überhaupt eintritt, und durch welche die Luft- und Speiseröhre in ihren Functionen direct gestört werden. Die Schmerzen, das Gefühl von ') Journal de metlecine de Vandermonde 1761 T. XIV. p. 55. -
Arteria
subclavia.
20t
Taubheit und Kälte und die an Lähmung grenzende Schwäche der entsprechendes obern Extremität finden in der Compression und Auseinanderzerrung der Nervenstämme des Plexus brachialis ihre Erklärung. Auch die Jugularvenen, die Vena subclavia, auf der rechten Seite schliesslich auch die Vena cava superior werden comprimirt; daher Anschwellung ihrer Aeste und der Theile, aus denen sie das Blut zurückführen, daher insbesondere auch eine bläuliche Färbung des Kopfes, des Halses, der Schulter u. s. f. Sogar die Carotis und die Subclavia können durch den andauernden Druck der Geschwulst obliterirt werden '). Auch die Aeste der Subclavia finden sich zuweilen in der oben (pag. 128) erörterten Weise obliterirt. I Alle diese Erscheinungen können aber auch durch jede andere in der Tiefe des Halses sich entwickelnde Geschwulst bedingt werden. Ausser den Aneurysmen dürften aber kaum andere Geschwülste, ausser carcinomatöse i ), eine so bedeutende Entwicklung in dieser Gegend erlangen.| Die P u l s a t i o n e n der Geschwulst und zwar nicht blos die pulsirende Erhebung derselben, welche jeder Geschwulst durch die unterliegende Arterie mitgetheilt werden kann, sondern die mit dem Pulsschlage synchronisch eintretende A u s d e h n u n g der ganzen Geschwulst (vgl. Band I. pag. 206) sind in zweifelhaften Fällen entscheidend. Für den Operateur ist es von grosser Wichtigkeit, den Ausgangspunkt der Geschwulst genau zu kennen. Dies ist aber nur dann möglich, wenn man die Krankheit von Anfang an selbst beobachten oder die Anamnese sehr genau aufnehmen konnte. Entstand das Aneurysma hinter dem Kopfnicker und wuchs von da aufwärts oder abwärts, — aber nicht nach Aussen, — so kann es sogar zweifelhaft bleiben, ob dasselbe überhaupt der Subclavia, oder der Carotis, oder dem Truncus anomjmus, oder dem Arcus aorlac angehört. Die spontane H e i l u n g eines Aneurysma der Arteria subclavia dürfte zu den grössten Seltenheiten gehören und leider vermag auch die Kunst wenig gegen diese Geschwülste. Bei einer frischen Verletzung, oder einem Aneurysma tranmaticum primitivum wäre dicht oberhalb und dicht unterhalb der Arterienwunde eine Ligatur anzulegen, vorausgesetzt, dass entweder durch eine tiefe Ohnmacht oder durch Compression der Arterie gegen die erste Hippe (wenn nämlich die Verletzung nach Aussen von dieser Stelle sich befindet) die sonst schnell tödtliche Blutung verhütet worden ist. | Jedenfalls wird man auf frischer That schleu' ) | T i e d e m a n n ( I . e . p. 7 8 — 8 i ) f ü h r t keinrn K»ll innere Seite des Tuber ischii, läuft vorwärts und einwärts, um an der innern Seite des Schoossbogens zur Wurzel des Penis (oder aber der Clitoris) aufzusteigen. II.
Krankheiten
d e r Arterien des
GeaiUiea.
Die A r t e r i e n d e s G e s ä s s e s werden ihrer Lage wegen selten durch Hieb- oder Stich-Wunden getroffen'). Werden sie bei chirurgischen Operationen verletzt, so ist dies ein sehr übler Zufall'). Gelingt es auch gewöhnlich den Tod abzuwenden, so bleibt doch noch die Entstehung eines Aneurysma zu furchten. Befindet sich die Wunde im untern Dritttheil des Gluteus maximns, so ist die Blutung weniger heftig, weil es sich hier um Verletzung der Ischiadica oder eines ihrer Acste handelt. Diese ist an und flir sich von geringerem C.aliber und kann gegen das Ligamentum sacro-spinosum comprimirt werden. Befindet sich die Wunde noch weiter nach Unten und Innen in der Gegend des Sitzbeinstachels, so hat man Grund eine Verletzung der Art. pudenda interna anzunehmen, welche noch leichter gegen den genannten Knochenvorsprung comprimirt werden kann 3 ). Bedeutende arterielle Blutung im Bereich der oberen Hälfte ') Vgl. II oiii sson , sur ') T h e d e n
erzählt
les leslons
einen
tödtlich
hei der E r w e i t e r u n g e i n e r 3
) Travers
de» arl. fetalere verlaufenen
et itchiulique. Fall
von
Gaz. med.
Verletzung d e r
1845. Glutea
Schusswunde.
bediente sieh dieses Mittels mit Erfolg bei einem k r a n k e n ,
welcher
durch eine heftige B l u t u n g
aus einem brandigen Geschwüre der Eichel schon
sehr e r s c h ö p f t w a r ,
er ihn
indem
auf einem
h a r t e n Lager
liegen
liess und
unter den Hüflbeinslaclicl j e d e r Seite ein Stück Korkholz schob, gegen durch da« Gcwicht des K o r p e r s selbst die Pudenda c o m p r i m i r t w u r d e .
welches
232
Krankheiten der Arterien.
des grossen Gesässmuskels lässt immer eine Verletzung der G l u t e a selbst oder eines ihrer Aeste vermutheil. Im ersteren Falle ist die Blutung höchst lebensgefährlich und man niuss so schnell als möglich in der Wunde selbst unterbinden oder das Ferrum randens zu Hülfe nehmen, was jedenfalls weniger sicher sein dürfte. Die Unterbindung aber wird in einem solchen Falle schwer auszuführen sein, weil der ausserhalb des Beckens gelegene Theil des Stammes nur äusserst kurz ist und man in der Tiefe einer mit Blut erfüllten Wunde zu operiren hat. B o u i s s o n hat sie mit Erfolg ausgeführt. Wenige Arterienwunden lassen mit mehr Wahrscheinlichkeit die Bildung eines Aneurysma spurium primitivum erwarten, als die der Glutea. Ihr beträchtliches Caliber, die tiefe Lage, die Unmöglichkeit einer genauen Compression und die Verschiebung der verschiedenen Muskelschichten über einander begünstigen die blutige Infiltration der zunächst gelegenen Bindegewebs-Räume im höchsten Grade. Ist die Wunde nur unbedeutend und wird sogleich ein gehöriger Druck auf dieselbe ausgeübt, so kommt es zur Entwicklung eines Aneurysma eircumscriptum, zu dessen Diagnose wegen der Tiefe, in der es liegt, die Auscultation von grosser Wichtigkeit ist. B o u i s s o n erwähnt eines von R i b e r i beobachteten Aneurysma arterioso-venosum der Art. ischiadica. E n d o g e n e A n e u r y s m e n der Gesässarterien kommen häufiger links als rechts vor; zuweilen wirken Contusionen, heftige Anstrengungen, z. B. auch heftiges Drängen beim Stuhlgang als Gelegenheitsursachen. Ihrer tiefen Lage wegen wird die Geschwulst gewöhnlich erst, nachdem sie schon längere Zeit bestanden und bereits eine ansehnliche Grösse erreicht hat, erkannt. Ausser den allgemeinen Zeichen der Aneurysmen linden sich alsbald Schmerzen, Ameisenkriechen, Schwerbeweglichkeit in dem entsprechenden Beine, wegen des Druckes, den die Geschwulst auf den Nervus ischiadicus ausübt. Auf einer solchen mittleren Entwicklungsstufe können diese Aneurysmen längere Zeit stehen bleiben. Zuweilen wachsen sie aber stetig fort bis zum Durchbruch, welcher dann oft ganz plötzlich und unerwartet erfolgt. Eine grosse Schwierigkeit für die Diagnose erwächst daraus, dass die Compression des centralen Endes der aneurysmatischen Arterie gar nicht |oder doch nur höchst indirect und unvollkommen (nämlich durch Compression der Jliaca communis oder der Aorta abdominalis) \ ausgeübt werden kann. Jedenfalls bleibt es aber, auch wenn man darüber, dass die Geschwulst ein Aneurysma sei, ausser Zweifel ist, unmöglich zu entscheiden, oh ßie der Glutea oder der Ischiadica angehört. | Alle diese Schwierig-
Arterien des Gesüsses. —
Cnlerbindung.
233
keiten finden sich auch bei traumatischen Aneurysmen: nur wird bei diesen die Diagnose durch die Kenntniss von der vorausgegangenen Verletzung erleichtert.| Was die B e h a n d l u n g d e r P u l s a d e r g e s c h w ü l s t e am G e s ä s s betrifft, so waltet in Betreff der traumatischen, bei denen vorausgesetzt werden kann, dass die Arterie Übrigens gesund ist, kein Zweifel darüber ob, dass sie nach der Methode des Antyllus oder doch durch Unterbindung der betreffenden Arterie an der hintern Seite des Beckens zu beseitigen sind, so schwierig auch, wegen der Kürze der zu unterbindenden Stämme, der tiefen Lage und der voraussichtlich bedeutenden Blutung, die Ausführung der Operation sein mag. Bei endogenen Aneurysmen wollen Einige der Unterbindung des Stamms der Hypogastrica (also der H u n t e r ' s c h e n Methode) den Vorzug geben. Bedenkt man aber, dass dies eine sehr schwierige Operation ist, bei welcher in einer Tiefe von mindestens 12 Centimeter mitten in dem lockern, zur Eiterbildung sehr geeigneten Bindegewebe des kleinen Beckens nur mit stumpfen Instrumenten gearbeitet, dabei die Gefahr das Bauchfell zu verletzen nicht ganz sicher und die es zu zerren, gar nicht vermieden werden kann, bedenkt man ferner die zahlreichen Varietäten der zu unterbindenden Arterie und endlich die Ungewissheit darüber, ob sie, wenn ein spontanes Aneurysma an einem ihrer Aeste besteht, nicht auch selbst schon erkrankt ist; und erwägt anderer Seits, dass es sich bei der directen Methode um eine Operation handelt, durch welche nur Muskeln und Bindegewebe verletzt werden, welche ferner weniger schwierig und wahrscheinlich eben so sicher in ihrer Ausführung ist; so wird man den von B o u i s s o n aufgestellten Satz billigen müssen, „dass bei allen Aneurysmen des Gesässes der directen Unterbindung, d. h. der Operation ani Gesäss selbst, der Vorzug vor der Unterbindung der Hypogastrica zu geben ist." Ul. l'nterblndang der Arterien am S e i b i . A. G e w ö h n l i c h e s V e r f a h r e n . Man macht einen tiefen Einschnitt in der Richtung einer Linie, welche von der Crista ilei zwei Zoll über und vor der Spina posterior superior anfangt und am Tuber iseAii endet; der Schnitt wird bogenförmig geführt, so dass seine Concavität gegen das Os sacrum gerichtet ist. Nachdem man bis auf den M. piriformis vorgedrungen ist, findet man von Oben nach Unten fortschreitend: 1) die Art. glutea, zwischen dem obern Rande der Incisura ischiadica und dem M. piriformis', 2 ) die Art. ischiadica an der Basis des Sitzbeinstachels; 3) die Art. pu-
234
Krankheiten der Arterien.
denda interna
im untern Wundwinkel an der Stelle, w o sie um d a s
!Ag. sacm-spinnsum
einen Bogen bildet.
Um eines dieser Gefässe allein
bloszulegen, kann man sich damit b e g n ü g e n , nur den e n t s p r e c h e n den Theil des angegebenen Schnittes a u s z u f ü h r e n ; aber d e r maximus
inuss
immer in unverhältnissmässig g r o s s e r
durchschnitten w e r d e n , gewinnen.
um
Gluteus
Ausdehnung
in d e r Tiefe den gehörigen K a u m
zu
Wollte man zwischen seinen Muskelbündeln in die T i e f e
dringen, so w ü r d e man durch deren Z u s a m m e n z i e h u n g e n u n g e m e i n gehindert werden. B.
Verfahren
von
Diday.
Man
spannt
einen
Faden
von
d e r Steissbeinspitze zu dein höchsten Punkte des Darmbeinkammes, zwei Zoll hinter der Spina
anterior
superior;
von der Mitte
F a d e n s (welche genau der Austrittsstelle d e r Art.
glutea
dieses
entspricht)
fällt m a n lothrecht eine Linie abwärts, in deren Richtung man zuschneiden
hat.
Nach P e t r e q u i n
ist
es
hinter dieser Linie den Schnitt z u f ü h r e n , f ü r deren B l o s l e g u n g dies Verfahren gelangen.
[In Fällen,
w o man
zweckmässiger um
direct z u r
Glutea,
berechnet
ist,
wesentlich
sich
einetwas
z u r Unterbindung
einer
zu der
Gesässarterien entschliesst, wird auch i m m e r entweder eine W u n d e o d e r ein Aneurysma bestehen. In ersterem Falle wird ( w i e M a l g a i g n e richtig bemerkt)
die L a g e
und Richtung der W u n d e
für die Richtung d e s Einschnittes sein.
maassgebend
Handelt es sich a b e r um
ein A n e u r y s m a , so wird dessen Grösse und Gestalt das Operationsverfahren bestimmen. |
Achtes Ar t er in I. Die Arteria untern
Grenze
vorderen
femoral
zweiten
lind inneren Seite
i s.
Anatomie.
frmoralis des
Capltel.
verläuft v o m Schenkelring Dritttheils
des
desselben.
b o h r t sie den .tdduetor magnus
und
Oberschenkels
zur
an
der
Dort angekommen
gelangt so zur hintern
des Schenkels, w o sie den Namen Poplitea erhält. Oberschenkel
aus
durchSeite
Ihr Verlauf am
wird genau bezeichnet durch eine in der Mitte zwi-
schen dem v o r d e m obern Darnibeinstachel und der Symphysis
ossium
pubis
beginnende und von da zum innern hintern Theile des Con-
dyhts
internus
femoris
gezogene
Linie.
ihres Verlaufes liegt zwischen ihr und
In
einem
grossen
Theil
d e r Haut ausser dein sub-
235
Arteria femorali.
cutanen Bindegewebe nur die Fasria lala, weiter abwärts auch noch der dünne M. sartorius. welcher im obern Dritttheile an ihrer äussern Seite liegt. Der nach Innen vom Adductor longus, nach Aussen vom Sartorius begrenzte dreieckige Raum, in dessen Mitte die Arterie am oberen Dritttheile des Schenkels verläuft, führt den Namen Trigonum inguinale. Hinter der Arterie bieten sich mehrere knöcherne Stützpunkte dar, gegen welche sie mit Sicherheit comprimirt werden kann: zunächst bei ihrem Austritt aus dem Becken die Eminentia ileo-pectinea, dann das Caput femoris, endlich (nachdem die Arterie eine kleine Strecke nur Weichtheile hinter sich gehabt) die innere Seite der Diaphyse des Femur. Art. und Fena femoralis liegen in einer gemeinsamen fibrösen Scheide, welche (wie C r u v e i l h i e r sich ausdrückt) gleichsam zwischen die Schenkelmuskeln eingefügt ist. Im obern Theile ihres Verlaufes liegt die Arterie an der äussern, weiter unten an der vordem t Seite der Vene. Der Nerv, rruralis liegt nach Aussen von der gemeinsamen Gefäss-Scheide und kommt hier gar nicht in Betracht. Der Nerv, saphenus läuft nahe der Mitte des Schenkels vor der Arterie abwärts. |Die kleinen Arleriae pudendae externae und die Epiyastriea superficialis entspringen aus der Femoralis bald nach ihrem Austritt aus der Beckenhöhle, in der Gegend der Fossa ovalis. Die l'rofunda femoris, welche nahezu eben so stark ist, als die weitere Fortsetzung der Femoralis (Cruralis), nimmt ihren Ursprung 11/% bis 2 Zoll unterhalb des P o u p a r t ' s c h e n Bandes, j V a r i e t ä t e n . Die .lrt. femoralis kann in der oberen Hälfte ihres Verlaufs d o p p e l t sein, w i e ' C h . B e l l bei einem Neger, bei dem er wegen eines Kniekehl-Aneurysma die I l u n t e r ' s c h e Unterbindung machte, beobachtet h a t ' ) . Dies ist höchst selten und nicht zu verwechseln mit dem häufigen Falle, dass die P r o f u n d a sehr hoch entspringt und somit in dem Trigonum inguinale zwei last gleich starke Arterien neben einander liegen. Man spricht auch von einem Fehlen der Art. femoralis. Die Hvpogastrica kann nämlich gegen die Regel sehr viel stärker sein als die 1/iaca externa und statt des schwachen Astes der von der A. ischiadiea gewöhnlich den Nerv, ischiad. begleitet, einen s e h r s t a r k e n Ast in dieser Richtung absenden, welcher sich unterhalb der Kniekehle ') Dublin Hospital Report nach
der O p e r a t i o n
coinmunicirlen hingereicht
um
an
1837.
Vol. IV.
einem
..Leiden
mit dem A n e u r y s m a ; eine
Vgl. T i e d e m a n n
reichliche
Supplemenla
Der der
Kranke
starb
Brustorgane".
die.Unterbindung
Fibrinablagernng t a b . L I . Fig. 1.
in
ib-r
am
achten
Heide einen
demselben
zu
Tage
Femorales hatte
aber
bewirken.
236
Krankheiten
der Arterien.
in die gewöhnlichen zwei Aeste für den Unterschenkel spaltet. Alsdann ist die Iliaca externa und noch mehr die Femoralis sehr schwach. Letztere giebt blos die sonst aus der Profunda entspringenden Aeste ab, hat auch deren Verlauf und endet mit GelenkAesten, welche, wie gewöhnlich, mit den aus den UnterschenkelArterien entspringenden anastomosiren'). Zuweilen theilt sich die Femoralis von Anfang an in drei Aeste: Circumflexa externa, Profunda und eigentliche Femoralis. Die Vena femoralis verläuft zuweilen weiter nach Innen und durchbohrt den Ad&uctor longus. In anderen Fällen fand man zu jeder Seite der Arterie eine Vene, welche jedoch in der Nähe des P o u p a r t ' s c h e n Bandes sich vereinigten. Sehr selten liegt der Nervus cruralis zwischen der Arterie und der Vene. Von Wichtigkeit ist endlich, dass der Sartorius zuweilen sich schon hoch oben ganz auf die innere Seite des Schenkels legt, mithin einen spitzeren Winkel mit dem P o u p a r t ' s c h e n Bande bildet und das Trigonum inguinale daher verkürzt. II*
Krankheiten
der Arteria
femoralis.
Die Art. femoralis wird nächst der Brachialis am Häufigsten verletzt, was sich aus ihrer Lage erklärt. Sie kann von Schnitt-, Hieb-, Stich- und Schuss-Wunden getroffen werden. Bei Splitterbrüchen des Schenkelbeins kann sie durch Knochensplitter zerrissen werden. Stichwunden dieser Arterie sieht man zuweilen entstehen, wenn Jemand ein spitzes Instrument, welches er zufällig fallen lässt, unwillkührlich mit den schnell an einander gezogenen Beinen aufzufangen strebt. Nicht ganz seilen verletzen sich Handwerker, die ihre Messer zur Seite tragen bei einem Fall oder Stoss, der sie trifft, an diesen selbst in der Art, dass die Femoralis geöffnet wird. Endlich kommt auch absichtliche Durchschneidung dieser Arterie bei Selbstmördern v o r ! ) . V e r l e t z u n g e n der Femoralis sind immer von grosser Gefahr, jedoch nicht immer tödtlich, besonders wenn es sich um Schuss-Wunden handelt 3 ). Abgesehen von den Eigenthümlichkeiten dieser letztern (vgl. Bd. I. p. 288) kann aber auch eine Ohnmacht die Blutung stillen, oder es kann ein traumatisches Aneurysma dieser oder jener Art sich entwickeln. In den meisten ' ) Vgl. D u b r e u i l . Tabulae
arteriarum
des
anomalies
arterielles,
pag. 3 i l i .
sowie
Tiedemann
nnd deren Supplemente.
Y i d a l kennl 3 Falle der Art. sänimtlicb hei Acrzlen. ' ) G u t h r i e ( W i m m l n and
injuries
hiervon an, auch L a r r e y gicale
uf arleries
18iti)
führt
mehrere Heispiele
beobachtete einen solchen Fall ( C l i n i q u e
t. III. pag. 1 1 0 u. 1 3 ? ) .
chirur-
Arteria
237
femoralis.
Fallen wird der Tod aber nur durch rechtzeitig geleistete Kunsthiilfe abgewendet. Gewöhnlich wird auch von Laien oder von dem Verletzten selbst 1 )» zunächst die wegen der oberflächlichen Lage des Gelasses leicht ausführbare Compression angewandt. Die Diagnose ist leicht: Lage und Tiefe der Wunde, stossweises Ausfliessen eines hellrothen Blutstrahls, Stillung der Blutung durch Compression oberhalb der Wunde sind die entscheidenden Symptome. Nur in der Nähe der Schenkelbeuge kann es schwierig werden, eine Verletzung der Profunda oder eines der aus ihr entspringenden Aesle von derjenigen der Femoralis selbst zu unterscheiden. Die Unterbindung kann in allen diesen Fällen durch Nichts ersetzt werden und zwar muss sie, wenn irgend möglich, in der W u n d e selbst, nach gehöriger Erweiterung derselben, oberhalb und unterhalb der verletzten Stelle der Arterie vorgenommen werden. Die Blutungen aus dem untern Ende des Gelasses (vgl. p. 94 u. 9 5 ) sind gerade an der Femoralis wegen der zahlreichen Anastomosen sehr häufig. Ist man ausser Stande, in der Wunde selbst die Unterbindung beider Enden des Gefässes auszuführen, so muss man die Ligatur in der (Kontinuität oberhalb der Abgangsstelle der Profunda vornehmen, weil, wenn der Blutstrom durch diese fortbesteht, mit grosser Wahrscheinlichkeit eine Nachblutung aus dem untern Ende der verletzten Femoralis erwartet werden muss. Wenn die Blutung bei der Ankunft des Arztes bereits aufgehört haben sollte, sei es wegen einer Ohnmacht oder durch zweckmässige Compression, so muss er (wenn übrigens kein Zweifel über die Verletzung der Arterie besteht) doch sogleich zur Unterbindung schreiten; nur wenn bereits mehrere Tage vergangen sind und die Wunde schon in Eiterung steht, darf man unter Fortsetzung der Compression die Ligatur bis auf den Eintritt einer Nachblutung aufschieben. Auch wenn sich schon ein Aneurysma diffusum gebildet hat, muss unterbunden werden und zwar, wenn irgend möglich, an der verletzten Stelle. Das Aneurysma arierioso-venosum ist am Schenkel sehr selten' 2 ). Ein hoch hinaufgehender Schnürstrumpf würde die Be') Mohrmals ist beobachtet worden, wie der Verletzte, während Alle um ihn herum in Verwirrung waren,
durch
andauernde starke Beugung des
gegen den Leib die Blutung anhielt.
Oberschenkels
[Dies müsste der bei den Arm-Arterien
erwähnten, durch starke Beugung des Vorderarms zu bewirkenden
Blutstillung
analog erklärt werden. | ®) V e l p e a u
hat einen Fall der Art 1 8 3 5 beobachtet,
Kranke durch einen
Messerstich
Man fühlte an der äusserlich
2 0 Jahre nachdem
in der Schenkelbeuge verletzt worden
durch eine Narbe
Klnpleu und ein starkes Reibungsgeräusch.
der war.
bezeichneten Stelle heftiges
Die Vena saphena
war auf eine
238
Krankheiten
der Arterien.
schwerden, die es macht, mindern; sollte eine eingreifendere 1 Behandlung nothwendig werden, so dürfte die Electropunctur, zunächst in der Absicht, die Vene zur Oblitération zu bringen, den Vorzug verdienen. Die Unterbindung würde n u r , wenn sie oberhalb und unterhalb der verletzten Stelle der Arterie angewandt würde, radikale Hülfe gewähren. E n d o g e n e A n e u r y s m e n der Femoralis sind nächst denen der Poplitea die Häufigsten unter den in das Gebiet der Chirurgie fallenden, was sich aus der Häufigkeit der Entzündung und der Ablagerungsprocesse an dieser Arterie erklärt. Gewöhnlich kommen sie im oberen Dritttheile der Femoralis vor und erreichen dort schneller eine bedeutende Grösse, als weiter unten, wo sie durch den die Arterie bedeckenden M. sartorius in ihrer Entwicklung gehemmt werden. In der oberen Hälfte des Schenkels befindet sich die Communicationsöffnung zwischen der Arterie und dem aneurysmatischen Sacke in der Regel etwas unterhalb der Mitte der Geschwulst, in der unteren Hälfte oberhalb. Gewöhnlich entwickelt sich das Aneurysma an der vorderen inneren Seite der Arterie, sehr selten am hinteren oder äusseren Theile ihres Umfanges. Im letzteren Falle kann die Arterie durch das Aneurysma gegen die Haut hin verdrängt werden, folglich auf dem Aneurysma liegen, wie dies D e l p e c h beobachtet h a t ' ) . Die D i a g n o s e des Aneurysma in der Schenkelbeuge ist oft sehr s c h w i e r i g , besonders können A b s c e s s e , zumal sogenannte kalte, welche langsam entstanden sind, wenn sie gerade auf der Arterie aufliegen, für Pulsadergeschwülste gehalten werden und umgekehrt 1 ). Natürlich sind solche Verwechselungen nur möglich,
S t r e c k e von 6 Zoll bis zur Dicke eines Fingers ausgedehnt, weiter a b w ä r t s a b e r normal.
In
ihrem
erweiterten Theile schien b e s o n d e r s
seinen Sitz zu h a b e n , von der S t ä r k e desjenigen, blasebalg e r z e u g t ;
dasselbe erstreckte
sich
ein heftiges Brausen
was ein grosser Schniiede-
bis in die Fossa
iliaca
hinauf.
Veränderungen der Stellung und Lage des Kranken hatten keinen Kintluss auf die Ausdehnung der Saphena und auf die I n t e n s i t ä t des Geräusches.
In diesem
und ähnlichen Fällen war das Uebel keinesweges lebensgefährlich. ' ) Vgl. C a s a m a y o r : fémorale. 3
Paris
) Guatlani kommen
Héflexions
berichtet,
liess.
et
observations
sur
V Anécrisme
de
l'artère
1825. dass M a x i m i
Vgl. Scriptorum
sich einen solchen I r r t h u u i zu Schulden
latinorum
de aneurysmatibus
collectio.
ed.
T h . L a u t h . — C u l l e r i r stach ein Aneurysma an, welches er f ü r einen Bubo hielt. — M a c i l w a i n
( T h e Diagnosis
of hernial
and
other
tumovrs.
London
1 8 3 0 ) hat mit Hecht besonders darauf a u f m e r k s a m gemacht, dass auch f.ongestionsabscesse mit Fémoral Aneurysmen verwechselt werden
können.
239
Arlei ia femoralis.
wenn man . |
Heilung
der
Der Verfasser
476
Krankheiten der
Knochen.
anderweitiges Gewicht von hinreichender Schwere, um dem Rumpfe des Verletzten, welcher dem durch den Strick F auszuübenden Zuge entgegenwirkt, das Gleichgewicht zu halten. Durch eine breite Binde LL, welche den Fussrücken umfasst und auf demselben gut gepostert sein miiss, wird das untere Ende des Unterschenkels an einem in den unteren Pfosten des Gerüstes eingeschlagenen Nagel AT befestigt. Den kranken Oberschenkel umfasst eine grosse breite gut gepolsterte Pappschienc CC, welche durch einige Bandschlingen hinreichend befestigt werden kann. Dieselbe reicht mit einem breiten starken Fortsatz soweit gegen das Gesäss hinab, dass sie auf die Gegend des grossen Trochanter einen gelinden Druck ausübt. Andrer Seits steht sie in der Kniekehle durch einen biegsamen Fortsatz mit der Wadenschiene D in Verbindung, wodurch die gegenseitige Lage beider gesichert wird. In einem zweiten Tuche N hängt man nach gehöriger Unterlegung von Polstern auch den gesunden Schenkel nahe zu in derselben Höhe auf als den kranken. Dies geschieht durch den Strick 0, mit dem die Enden des Tuches zusammengeknotet sind, an dem seitlichen Fortsatze des Gerüstes H, welcher in der Lücke des grossen Balkens bei KK in eine beliebige Stellung geschoben und sowol nach Rechts als auch nach Links gewandt werden kann, in der beabsichtigten Stellung aber durch den Keil J befestigt wird. Es leuchtet ein, dass das Gerüst J A so aufgestellt werden muss, dass der Längsbalken sich gerade oberhalb der zerbrochenen Extremität befindet. Statt des Tuches E kann man den an der Schiene D zu befestigenden und leicht aus starkem Eisendraht herzustellenden Bügel benutzen, indem man an ihn sogleich den Strick V befestigt. Statt durch die Binde L das Fussende der Extremität abwärts zu ziehen, kann man, nach M i d d e l d o r p f 1 ) , zur Verhütung ihres Emporgleitens, welches sonst die Wirkung des durch das Gewicht P auszuübenden Zuges gänzlich vereiteln würde, einen an der Wadenschiene D zu befestigenden, in der Richtung des Unterschenkels unter der Ferse hervorragenden Hebelarm benutzen, an welchem ein Gewicht von solcher Schwere zu befestigen ist, dass es dem durch P ausgeübten Zuge in der angegebenen Richtung Widerstand leistet. Letztere Modification ist empfehlenswert!], weil durch dieselbe der für jeden Druck sehr empfindliche Fussrückcn gänzlich vom Druck befreit bleibt. Die Herstellung dieses Verbandes und seine Anlegung erscheinen auf den ersten Blick umständlich und schwierig, sind aber in ') G i i n s h u r g ' s
Zeitschrift
J852.
Briicbe des
477
Oberschenkelbeins.
der That, wenn nur die gewöhnlichen Handwerker zu Gebote stehen, recht leicht.
Die Lage des Kranken erscheint ferner unerträglich;
die Erfahrung aber lehrt, bequem,
dass dieselbe,
wenn auch nicht gerade
doch jedenfalls weniger belästigend ist, als die L a g e in
irgend einem anderen der zur Behandlung von Oberschenkel-Brüchen empfohlenen Apparate.
Selbst ältere Individuen ertragen sie,
nach meinen Erfahrungen, recht wohl. Die Wirkungsweise dieses Apparates leuchtet bei einfacher Betrachtung von selbst ein. schlafft den Ileopsoas
Die gebeugte Lage des Hüftgelenks er-
vollständig und verhütet daher seine störende
Einwirkung auf das obere Bruchstück; die Beugung im Kniegelenk beseitigt die Einwirkung der zum Unterschenkel verlaufenden Flexoren und
der Gash'ocnemii
auf das untere B r u c h - E n d e .
Die per-
manente Extension findet a u f s Vollständigste Statt, indem die Extension selbst durch das Gewicht P vermittelst des Unterschenkels am untern (d. h. dem Knie näher liegenden) Bruch-Ende, die ContraExtension aber durch das Gewicht und die Befestigung des Rumpfes am Becken-Ende des Femur bewirkt wird. tation
durch seitlichen Druck mittelst
liebig verstärkt,
je
nach Bedürfniss
Endlich wird die Coap-
der Schiene C , welche fester angelegt,
auch
be-
durch
anderweitige Verbandstücke ersetzt werden kann, •— unterhalten. Das Verfahren von M o j s i s o w i c z
muss in allen Fällen
von
Bruch des Mittelstücks des Oberschenkelbeins mit bedeutender Neigung zur Verschiebung
der B r u c h - E n d e n ,
als
das
vorzüglichste
betrachtet werden, besonders also bei Brüchen im oberen Dritttheil der Diaphyse.
Wo diese Neigung zur Dislocntion geringer ist oder
die für die Anwendung der Acquilibrialmethode
erforderliche Stel-
lung nicht ertragen wird, ist die doppelt geneigte Ebene nach den Vorschriften von A. C o o p e r
in Anwendung zu ziehen.
In
noch
leichteren Fällen endlich wird man mit dein Kleister- oder GuttaPercha-Verbande, auch wol mit dem gewöhnlichen Contentiv-Verbande auskommen können.
Sehr irrlhümlich würde es sein,
wenn
man
in jedem einzelnen Falle während der ganzen Dauer der Behandlung bei dem einmal eingeschlagenen Verfahren beharren zu müssen glauben wollte.
Im Gegcnthcil ist grade bei der langen Zeit, welche
die Heilung
einer
schwerden,
welche
Fractvra jede
femoris andauernd
erfordert inne
den
Be-
zu haltende Lage
und
bei
der
unteren Extremität mit sich führt, ein Wechsel sobald als möglich vorzunehmen.
Sobald daher
die andauernde Ruhe
die Erschlaffung der Muskeln
so weit gediehen
ist,
dass man von
durch ihrer
Seite eine neue Verschiebung der Bruch-Enden nicht zu befürchten
478
Krankheiten der Knocben.
hat, kann von der M o j s i s o w i c z ' s c h e n Schwebe zu der geneigten Ebene und demnächst, oft aber auch sogleich, zu den permanenten Verbänden übergegangen werden. Jenseits des 20sten Tages ist dies stets ohne Bedenken, oft aber auch, besonders bei älteren und muskelschwactien Individuen viel früher möglich. | Die vollständige Consolidation kann erst zwischen dem 50sten und "Osten Tage erwartet werden. t.
B r ü c h e am aberen Ende de« Oberschenkelbein!.
Brüche am oberen Ende des Femur nennt man diejenigen, welche oberhalb der Trochanteren vorkommen oder diese selbst betreffen. Da Uber ein Abbrechen des Trochanter minor nichts bekannt ist, so handelt es sich hier demnach entweder a ) um ein blosses Abbrechen des Trochanter major ohne Störung der Continuität in der Axe des Schenkelbeins, oder ß) um einen Bruch quer durch die Trochanteren oder endlich y) um Brüche des Schenkelhalses. «) Brack des Trochanter
major.
Nur durch directc Gewalt kann der Trochanter major vom Oberschenkelbein abgebrochen werden. Die Verschiebung kann je nach der Richtung und der Stelle des Bruches verschieden sein, auch ganz fehlen. Verläuft z. B. die Bruchlinie an der Basis des Trochanter schräg von Oben und Innen nach Unten und Aussen, so halten der Faslus externus einer und die Glutaei andrer Seits sich in der Art das Gleichgewicht, dass gar keine Verschiebung zu Stande kommt. Ein gleiches Resultat kann sich bei einem nur einen Theil des Rollhügels ablösenden Bruclie ergeben, wenn die denselben umfassenden sehnigen Anheftungen der Muskeln unversehrt geblieben sind. Gewöhnlich aber wird der abgebrochene Trochanter major durch die Mm. Glutaei medius und minimus so wie durch die kleinen Rotatoren des Schenkels aufwärts und etwas nach Hinten gezogen. Sobald Verschiebung besteht, ist die D i a g n o s e dieses Bruches, wie sich von selbst ergiebt, sehr leicht; fehlt aber die Verschiebung, so kann der Bruch gänzlich verkannt werden, wie dies z. B. A. Key begegnet ist. Gefährlich wird der Bruch des grossen Trochanter nur sofern eine bedeutende Quetschung der Weichtheile dabei Statt findet. Die B e h a n d l u n g besteht, wenn keine Verschiebung vorhanden ist, in ruhiger Lage des Patienten mit abducirtem und etwas nach
Brüche des O b e r s c h e n k e l b e i n s ,
—
am obern Ende.
479
Aussen gerolltem Schenkel. Ausserdem sind, je nach der Heftigkeit der Quetschung, kalte Umschläge u. dgl. m. in Gebrauch zu ziehen. Besteht Verschiebung, so muss man zuerst die Reduction ausführen, indem man den Schenkel abducirt und nach Aussen rotirt, zugleich aber den Trochanter abwärts und nach Vorn schiebt. Zur Retention ist dann ausser der angegebenen Lage eine Spica coxae, welche vermittelst dicker Compressen von Oben und Hinten auf den grossen Trochanter drücken muss, zu empfehlen. ß)
Bruch
durch
den grossen Trochanter Schenkelbeins
mit Trennung
in seiner
der
Continnität
des
Liingenachse.
Dieser Bruch verläuft gewöhnlich in schräger Richtung von der äussern Seite des grossen Rollhügels zum untersten Theile des inneren Umfanges des Schenkelhalses, weshalb diese Fractur auch als eine Art des Schenkelhalsbruches bezeichnet wird. A. C o o p e r hat diese Fractur genau beobachtet und beschrieben. Das obere Bruch-Ende erleidet fast gar keine Verschiebung, das untere dagegen wird in verschiedener Weise, je nachdem die Bruchlinie etwas höher oder etwas tiefer verläuft, dislocirt. Hat der Bruch unterhalb der Anheftung der Rotatoren seinen Sitz, so bleibt das untere Bruch-Ende ausschliesslich der Einwirkung des Glulaeus maxbnus überlassen und wird durch diesen beträchtlich nach Oben und Hinten verschoben. Diese Fractur kann in jedem Alter Statt finden. Sic entsteht immer in Folge einer direct einwirkenden Gewalt. Die D i a g n o s e hat, sobald die Verschiebung bedeutend ist, gar keine Schwierigkeiten. Aber auch wenn diese unbeträchtlich ist, lassen die Unebenheiten am grossen Trochanter, die Unbeweglichkeit des oberen Bruchstücks bei Versuchen das Glied zu rotiren, die grosse Schmerzhaftigkeit jedes Versuches zur Bewegung und die beträchtliche Empfindlichkeit der Bruchstelle für jede Berührung keinen Zweifel zu. Die R e d u c t i o n muss in gestreckter Stellung der Extremität vorgenommen werden. Wollte man auch hier die halbe Beugung anwenden, so würde das obere Bruchstück der Bewegung des unteren nicht folgen und die Bruchflächc des letzteren würde daher auf die vordere Fläche des ersteren zu stehen kommen. Der Zug muss, je nach dem Grade der Verschiebung, verschieden stark sein. Bei der R e t e n t i o n hat man der Verschiebung des unteren Bruch-Endes nach Hinten und Aussen und der Rotation desselben entgegen zu wirken. C o o p e r legte zu diesem Behuf ein 16 Centim. langes,
480
Krankheiten der Knochen.
8 Centim. breites und 8 Centim. dickes Kissen hinter den oberen Theil des unteren B r u c h - E n d e s und befestigte dies durch einen breiten starken Beckengurt. Ein zweites etwas grösseres Keilkissen wurde überdies unter den oberen Theil des Oberschenkels gelegt. Um der Rotation zu begegnen, befestigte C o o p e r den Fuss zwischen drei gepolsterten Brettern oder band auch blos beide Füsse und beide Kniee aneinander. Mindestens ebenso wirksam dürften die Schienen des gewöhnlichen Contentiv-Verbandes sein, wenn man nur die äussere bis über die Crista ilei hinaufragen lässt und dieselbe durch einen Beckengurt befestigt. Die Heilung erfolgt in 60 Tagen und zwar durch knöchernen, zuweilen sehr üppigen u n d daher difformen Callus. y)
Brüche
des
Schenkelhalses,
Fracturae
colli
femoris.
S c h e n k e l h a l s b r ü c h e haben entweder ausserhalb oder innerhalb des Kapselbandes ihren Sitz. Man unterscheidet hiernach i n t r a c a p s u l ä r e (Fig. 6 5 ) und e x t r a c a p s u l ä r e (Fig. 6 6 ) S c h e n k e l h a l s b r ü c h e . Oft aber verläuft ein Theil der Bruchlinie innerFig. 6 5 .
Fig. 0 6 .
halb, ein anderer Theil ausserhalb des Kapselbandes. Ein solcher, zum Theil intra-, zum Theil extracapsulärer Schenkelhalsbruch, würde der Fig. 66 abgebildete sein, wenn er etwas mehr schräg verliefe. Abgesehen von dieser anatomischen Verschiedenheit, | welche sich, wie wir im Voraus bemerken wollen, am Lebenden bei Weitem nicht immer mit Bestimmtheit diagnosticiren lässt |, unterscheidet
B r ü c h e des
481
Schenkelhalses.
man die Schenkelhalsbrüche, je nachdem sie m i t (Fig. 67) oder o h n e E i n k e i l u n g bestehen. |Einkeilung aber kommt sowol bei intra- als auch bei extracapsulären Brüchen vor. | |Die S t e l l e d e s B r u c h e s und die R i c h t u n g d e r B r u c h l i n i e sind weder bei intra-, noch bei extracapsulären Schenkelhalsbrüchen immer genau dieselben. | Der B r u c h d e s S c h e n k e l h a l s e s i n n e r h a l b d e s K a p s e l b a n d e s verläuft fast immer quer gegen die Achse des Schenkelhalses und (wie es nach einer genauen Vergleichung der zahlreichen hierher gehörigen Präparate des Musee D u p u y t r e n scheint) gewöhnlich ganz d i c h t a m S c h e n k e l k o p f e (Fig. 68). Ist der Schenkelhals• sehr brüchig, so kann er vollständig zersplittert werden. Es kann sogar dabei, nach Beobachtungen von D u p u y t r e n , eine Zerschmetterung des Schenkelkopfs vorkommen. Bei jugendlichen Individuen kann auch die Epiphyse, aus welcher der Schenkelkopf sich entwickelt, abgelöst werden. Der B r u c h d e s S c h e n k e l h a l s e s a u s s e r h a l b d e r K a p s e l kann nur an der Basis des Schenkelhalses, also in nächster Nähe der Trochanteren vorkommen, weil nur dieser Theil des Schenkelhalses ausserhalb des Kapselbandes gelegen ist. Der gewöhnliche Verlauf der Bruchlinie ist daher von Oben und Aussen nach Unten und Innen. Zuweilen verläuft aber auch ein Theil derselben durch den grossen Trochanter, in welchem Falle der Bruch dem so eben unter ß (pag. 479) beschriebenen „ B r u c h d u r c h d e n g r o s s e n T r o c h a n t e r " sich anschliesst. Ein sehr schräg verlaufender Bruch kann auch den kleinen Trochanter mit ablösen, so dass, obwol es sich um einen Bruch durch den Schenkelhals handelt, der kleine Trochanter doch an dem oberen Bruch-Ende sitzt 1 ). Durch Geschosse werden nicht selten die verschiedenartigsten Brüche am oberen Gelenk-Ende des Fcmur veranlasst; insbesondere können der Schenkelhals, Schenkelkopf und der grosse Trochanter zugleich durch eine Kugel zersplittert sein. V e r s c h i e b u n g e n . Eine Verschiebung des oberen Bruch-Endes kommt bei Schenkelhalsbrüchen nicht vor, da an demselben keine ' ) Ein Fall dieser A r t ist von V i d a l V i d a l s ' Chirurgie.
II.
beobachtet
worden. 31
482
Krankheiten der Knochen.
Muskeln sich befestigen, mit Ausnahme d e s so eben erwähnten seltenen Falles, dass der kleine Trochanter zum
oberen
Bruchstück
g e h ö r t , wo dann die Wirkung des Ileopsoas dasselbe nach Vorn emporzieht.
Das u n t e r e Bruchstück dagegen steht stets unter dem
Einfluss mächtiger und zahlreicher Muskeln, welche dasselbe vorzugsweise aufwärts u n d nach Hinten schieben, zugleich aber wöhnlich nach Aussen rotiren.
ge-
Zu der letzteren Verschiebung trägt
das Gewicht des F u s s e s und des ganzen Gliedes beträchtlich bei. Bei dem i n t r a c a p s u l ä r e n
Bruche
wird die
Verschiebung
durch das Kapselband in sehr engen Grenzen gehalten.
Bei einem
vollständig extracapsulären Bruche würden die Muskeln einen freier e n Spielraum haben, wenn nicht grade bei diesem die Einkeilung des oberen Bruch-Endes in die zwischen den Trochanteren befindliche Medullarsubstanz des Knochens in d e r R e g e l Statt lande.
Die-
selben Verhältnisse, welche die Einkeilung bei Brüchen am unteren Ende des Radius so leicht zu Stande kommen l a s s e n , finden sich p.
auch bei den extracapsulären brüchen.
Der
Schenkelhals-
abgebrochene
Schenkelhals
1 (Fig. 6 9 ) stellt einen Keil dar, dessen Spitze p nach Aussen und Unten gerichtet ist
und
welcher gerade an dieser Spitze ausschliesslich aus fester corticaler, weiter gegen seine Basis aber zum grösseren Theile aus
me-
dullärer Knochensubstanz besieht. Die Bruchiläche des unteren Bruchstücks dagegen bietet j e n e r Spitze gegenüber fast
ausschliesslich
spongiöses Knochengewebe d a r , in welches der Keil des oberen Bruchstücks durch dieselbe Gewalt, welche den Bruch veranlasst, mit Leichtigkeit m u s s eingetrieben können.
werden
Ganz gewöhnlich wird hierbei, wenn
das obere Bruchstück tief in das untere eingekeilt
ist,
der
grosse Trochanter
in
mehrere
Stücke z e r s p r e n g t ' ) . ' ) Fig. 7 0 eine
zeigt
(nach
vollständige
einem
Präparate
Einteilung
von
des durch
Roherl)
einen
extra-
capsulären Bruch abgelösten Schenkelhalses c in die spongiüse
Substanz
Zersplitterung
des
zwischen Trochanter
den T r o c h a n l e i c n major
b.
d
ist
mit die
innere Seite des O b e r s c h e n k e l b e i n s , aa sind KnochcnNcubildungcn, welche die Bruchstelle in weitem U m fange u m g e b e n .
483
Brücke des Schenkelhalses.
Bei dem i n t r a c a p s u l ä r e n B r u c h e können die Bruch-Enden mit zackigen Vorsprüngen, nach Art einer gezähnten Naht, aneinander haften, so dass deshalb die Verschiebung nur unbedeutend ist oder gar nicht Statt findet. Hierdurch soll, nach den Angaben Vieler, möglich werden, dass die Patienten noch Stunden lang oder gar mehrere Tage naeh der Verletzung gehen können, dann aber plötzlich die Fähigkeit, sich des Gliedes zu bedienen, verlieren, sobald die Befestigung der Bruch-Enden aneinander aufhört. Jedoch dürfte das blosse Ineinandergreifen der Vorsprünge und Rauhigkeiten der Bruch-Enden schwerlich jemals allein zureichen, um die Verschiebung des unteren Bruch-Endes für längere Zeit gänzlich zu hindern und dem Patienten den Gebrauch der Extremität zu gestatten. Es kommen zwei Verhältnisse hinzu, welche in dieser Beziehung von grosser Bedeutung sind: 1) Die auch bei intracapsulären Schenkelhalsbrüchen sehr häufige Einkeilung und 2) die Unversehrtheit des am Schenkelhälse bis zum Rande des Gelenkkopfes hinaufsteigenden, den Schenkelhals gleichsam umfassenden, Theiles des Kapselbandes ¡Retinacula nach W e i t b r c c h t | . Durch letzteres bleiben die Bruch-Enden sogar gewöhnlich in Zusammenhang, wenn nicht durch unvorsichtige Bewegungen, Seitens des Verletzten oder des untersuchenden Arztes, diese für den Heilungsprocess höchst wichtigen Verbindungen zerstört werden. H e i l u n g s v o r g a n g . Der e x t r a c a p s u l ä r e Schenkelbalsbruch kann, jwenn die einwirkende Gewalt nicht (wie dies allerdings häufig der Fall ist) zugleich eine anderweitige tödliche Verletzung, durch Quetschung etc. herbeigeführt hat, und die Kräfte des Patienten überhaupt ausreichend sind, | wie jede andere Fractur durch einen knöchernen Callus heilen. Gewöhnlich befinden sich die Bruchstücke sogar, der Einkeilung wegen, unter den fUr die Callusbildung günstigsten Verhältnissen. Ganz anders verhält es sich bei den Brüchen i n n e r h a l b des K a p s e l b a n d e s . A. C o o p e r hat kein einziges sicher verbürgtes Beispiel von Heilung dieses Bruches durch knöchernen Callus auffinden können und hält dieselbe auch nur in den nach seiner Ansicht höchst seltenen Fällen für möglich, wo wegen schrägen Verlaufes des Bruches oder Erhaltung des Periostes, |d. h. des eingestülpten Theils des Kapselbandes| keine Verschiebung Statt gefunden habe. Die Ursache der ausbleibenden Callusbildung sucht er in dem Mangel an Berührung zwischen den Bruchflächen und der unzureichenden Ernährung des abgelösten Schenkelkopfes, welcher nur durch das Ligam. leres eine jedenfalls unzulängliche Blulzufuhr erhalte. Von Anderen werden auch noch 31*
484
Krankheiten der Knochen.
die Anwesenheit von Synovia zwischen den Bruchflächen und die Rarefaction des Knochengewebes, welche in den Fällen, wo intracapsuläre Fracturen zu Stande k o m m e n , ganz gewöhnlich besteht, als Ursachen des Ausbleibens der Consolidatiou aufgeführt. |Der wesentlichste Grund liegt aber gewiss in der mangelhaften E r n ä h r u n g des oberen Bruchstücks, d. h. des Gelenkkopfs. Das Periost, welches bei der Callusbildung eine so wesentliche Rolle spielt, fehlt hier gänzlich und wenn auch, nicht blos durch das Ligam. (eres, sondern ausserdem durch den eingestülpten, den Schenkelhals u m fassenden Theil der Kapsel Blutgefässe zum Schenkelkopf gelangen, so sind diese doch theils an und f ü r sich unzureichend, theils oft zum grossen Theile z e r r i s s e n ; die durch das Ligam. teres zugeleiteten Blutgefässe aber können wenig in Betracht k o m m e n , da dies Band in den meisten bisher untersuchten Fällen zerstört gef u n d e n wurde. | Nichtsdestoweniger werden zahlreiche Fälle von vollständig geheilten intracapsulärcn Schenkelhalsbrüchen aufgeführt. A m e s b u r y , v a n I l o u t e , S t a n l e y , B r u l a t o u r , G o y r a n d u. A. h a b e n solche beschrieben. In vielen anatomischen Museen werden Belegstücke der Art aufbewahrt u n d R i c h e l o t u n d C h a s s a i g n a c ') geben sogar an, dass u n t e r 5 0 Fällen im Durchschnitt ein Mal knöcherne Verbindung zu Stande komme. | W ä r e durch die Anwesenheit verdichteter Knochensubstanz im Innern des Schenkelhalses u n d stalaklitenförmiger K n o c h e n - N e u b i l d u n g e n in der Umgegend desselben auch immer der Beweis geliefert, dass eine intracapsuläre Fractur bestanden h a b e , so würden in der That die Beweisstücke f ü r die Möglichkeit einer knöchernen Vereinigung bei solchen Fracturen nicht ganz selten sein. Nach den Untersuchungen von W e r n h e r kann aber sehr leicht durch Entzündungen im Hüftgelenk (wie sie nicht seilen auf Contusionen desselben folgen) der Anschein eines geheilten intracapsulären Bruches herbeigeführt werden. Der Verdacht gegen die Gültigkeit der meisten j e n e r Belegstücke m u s s in hohem Grade steigen, wenn ü b e r die Verhältnisse der vorausgegangenen Verletzung ein genauer Nachweis nicht geliefert werden kann oder wenn dieselben anatomischen Veränderungen sich gar an beiden Schenkelbeinen in gleicher oder doch ähnlicher Weise entwickelt vorfinden. Allerdings kann aber hei u n p a r t e i i scher Betrachtung die Möglichkeit einer vollständigen Callusbildung nicht gänzlich geläugnet werden. Weiss man aus den E r s c h e i n u n gen am Lebenden mit Bestimmtheit, dass ein Schenkelhalsbruch
' ) In ihrer franz. Uebersetzung'der Werke A. C o o p e r ' s .
Paris
1837.
Briicho des
485
Schenkelhalses.
bestand und findet man später an der Leiche eine durch den intracapsulären Theil des Schenkelhalses verlaufende Knochennarbe, d. h. eine Scheibe
dichter,
fester Knochensubstanz
ohne
Spuren von Gelenk- oder K n o c h e n - E n t z ü n d u n g ,
anderweitige
so kann wol f ü r
einen solchen Fall die Vereinigung eines Schenkelhalsbruches durch Callus nicht in Abrede gestellt w e r d e n 1 ) . | Jedenfalls wird die knöcherne Verheilung der intracapsulären Schenkelhalsbrüche immer mit Difformität erfolgen.
Der Schenkel-
hals wird desto kürzer sein u n d der Gelenkkopf eine desto rechtwinklige Stellung gegen
den
Schaft des Schenkelbeines
mehr ein-
n e h m e n , je beträchtlicher die Einkeilung der B r u c h - E n d e n war. Ganz unzweifelhaft ist, dass in der Mehrzahl der Fälle die intracapsulären Schenkelhalsbrüche eine P s e u d a r t h r o s e hinterlassen, deren anatomische Verhältnisse verschieden sein können. Beide Bruch-Enden schleifen sich an einander ab und der Schenkelhals wird dadurch beträchtlich verkürzt. Besonders geht ein grosser Theil des Schcnkelkopfes durch Besorption v e r l o r e n ; in einzelnen Fällen schwindet er ganz. Gewöhnlich stellt er eine kappenförmig auf dem unteren Bruch-Ende aufsitzende Knochenschale d a r ; seltner wird er von einer ausgehölten Fläche des unteren BruchEndes umfasst. Die Bruchflächen erhalten einen Ueberzug von compacter Knochensubstanz, u n r e gelmässige Faserstränge gehen von einem Bruchstück zum andern, das Kapselband wird ungemein verdickt, verknöchert an einzelnen Stellen und giebt dem Gliede wesentlich eine Stütze, welche durch die übrige unzureichende Befestigung der Bruch-Enden unter einander nicht bewirkt wird ')
| Ein Beispiel Kall,
d e r Art
welchen
liefert
(ioyrand
d e r in Fig. 7 1
beobachtete.
Ich
abgebildete habe
einen
ganz ä h n l i c h e n Fall s e l b s t b e o b a c h t e t u n d b e h a n d e l t m e h r e r e J a h r e n a c h d e r erfolgten H e i l u n g a n a t o m i s c h untersuchen
Gelegenheit g e h a b t .
Das in m e i n e m
und zu
Besitz
b e f i n d l i c h e P r ä p a r a t zeigt auf dem L ä n g s d u r c h s c h n i t t e des S c h e n k e l b e i n s eine q u e r d u r c h den S c h e n k e l h a l s v e r l a u f e n d e weisse L i n i e , welche a u s Tester K n o c h e n s u b s t a n z
besteht.
K n o c h e n - N e u b i l d u n g e n in d e r Unigegend sind n i c h t v o r h a n d e n , d e r S c h e n k e l h a l s ist v e r k ü r z t u n d s c h r ä g n a c h Vorn gewandt.
D a s s es sich n i c h t etwa u m einen eingekeilten
S c h e n k e l h a l s b r u c h a u s s e r h a l b des K a p s e l b a n d e s
handelte,
beweist die u n m i t t e l b a r e N ä h e d e r K n o c h e n n a r b e a m S c h e n kelkopf u n d die v o l l k o m m e n q u e r e R i c h t u n g d e r s e l b e n . |
486
Krankheiten der Knochen.
(vgl. Fig. 72 nach A s t l e y C o o p e r ) . Zuweilen sind die KnochenNeubildungen in der Umgegend des Kapselbandes so bedeutend, dass sie ein pfannenartiges Dach über dem Trochanter major darstellen, gegen welches dieser sich anstemmen und vermittelst dessen der Rumpf auf dem Trochanter ruhen kann, wie dies von J. P o w e l beobachtet worden ist. A e t i o l o g i e . P r ä d i s p o s i t i o n zu Schenkelhalsbrüchen bedingt das höhere Alter. Dies gilt besonders für die intracapsulären Brüche. D u p u y t r e n sah solche niemals bei Individuen unter 50 Jahren, A s t l e y C o ö p e r fand unter 225 intracapsulären Schenkelhalsbrüchen nur 2 bei Individuen unter 50 Jahren; jedoch kommen sie ausnahmsweise auch viel früher vor. L a n g s t a f f sah einen intracapsulären Bruch bei einem Manne von 32 Jahren, S t a n l e y sogar bei einem I 8jährigen Menschen. In beiden Fällen ist die Diagnose durch die Section gesichert, im letztern war bereits knöcherne Vereinigung eingetreten. Die grössere Häufigkeit der Schenkelhalsbrüche bei ältern Individuen beruht auf den Veränderungen, welche der Schenkelhals im höheren Alter erleidet. Es entsteht nämlich Osteoporose (vgl. das folgd. Cap.): die Corticalschicht wird beträchtlich dünner und die Lamellen der Medullarsubstanz schwinden gleichfalls in hohem Grade unter Erweiterung der Markräume. Der Schenkelhals erscheint dann wie mit Knochenmark getränkt, die spongiöse Substanz kann leicht mit dem Messer in verschiedenen Richtungen durchschnitten und herausgehoben werden. Sie leistet auch einer unbedeutenden Gewalt keinen Widerstand und kann daher die papierdünne Corticalschicht in keiner Weise unterstützen. So reicht denn oft das eigene Körpergewicht hin, um diesen dünnwandigen Cylinder zu zerbrechen. Am Stärksten ausgeprägt finden sich diese Altersveränderungen an dem Schenkelhalse alter Frauen. Nimmt man hinzu, dass bei diesen der Trochanter major stärker hervorragt als bei Männern und mithin bei einem Falle heiliger und directer getroffen wird als bei letzteren, so erklärt sich hieraus mit Leichtigkeit die vorherrschende Häufigkeit intracapsulärer Schenkelhalsbrüche bei alten Frauen. Die G e l e g e n h e i t s u r s a c h e eines extracapsulären Schenkelhalsbruches ist in der Regel ein Fall auf den grossen Trochanter, seltner ein Fall auf die Kniee oder auf die Füsse. Der extracapsuläre Bruch setzt zu seiner Entstehung eine bedeutendere Gewalt voraus als der Bruch innerhalb des Kapselbandes. Letzteren hat man bei alten Leuten in Folge blossen Fehltretens oder Stolperns ohne Fall entstehen sehen. D e s p o r t e s beschreibt sogar einen Bruch innerhalb
Brüche des Schenkelhalses.
487
des Kapselbandes, der bei einem Neger, in Folge heftiger Muskelcontractionen während des Tetanus, entstanden sein soll. D i a g n o s e . Nicht blos die Unterscheidung der Schenkelhalsbrüche untereinander, sondern auch die Diagnose eines Schenkelhalsbruches Uberhaupt bietet oft beträchtliche Schwierigkeiten dar. Im höchsten Grade ist dies der Fall, wenn Einkeilung besteht, wobei der Verletzte in einzelnen Fällen die Extremität sogar bewegen und gehen kann. Der heftige Schmerz, [die schwer zu eonstatirende und oft höchst unbedeutende Verkürzung,! das von dem Patienten im Augenblick der Verletzung vielleicht wahrgenommene Krachen sind noch sehr unzureichende Beweise für das Bestehen eines Schenkelhalsbruches.— Die einzelnen S y m p t o m e , auf welche man zum Behuf einer genauen Diagnose zu achten hat, sind folgende: 1. V e r k ü r z u n g . Dieselbe betrügt bei Brüchen innerhalb des Kapselbandes höchstens 2 Zoll, zuweilen aber auch nur wenige Linien, wenn der Bruch frisch ist. Bei veralteten Brüchen der Art kann sie in Folge der Dehnung der Kapsel bis zu 4 Zoll betragen. Bei Brüchen ausserhalb des Kapselbandes ist die Verkürzung selten beträchtlich, da gewöhnlich Einkeilung besteht; sie beträgt alsdann meist nicht mehr als 9 Linien. | Bei Brüchen ohne Einkeilung kann sie, auch wenn dieselben ganz ausserhalb des Kapselbandes verlaufen, zwischen 1 '/ t und 2 ' / t Zoll betragen. Es ist also einleuchtend, dass die Verkürzung an sich nicht als patbognomonisches Zeichen eines Scbenkelhalsbruchs Uberhaupt betrachtet, noch weniger aber auf den Grad der Verkürzung die Unterscheidung der beiden Varietäten der Fractura colli fomoris gegründet werden kann. Iq letzterer Beziehung ist von Wichtigkeit, dass bei Brüchen innerhalb der Kapsel die Verkürzung mit dem allmäligen Nachgeben derselben allmälig zunehmen kann, während hei extracapsulären Fracturen eine a l l m ä l i g e Zunahme derselben niemals vorkommen kann, eine plötzliche aber nur möglich ist, wenn eine bestehende Einkeilung oder Befestigung durch die bis dahin erhaltenen Retinacula gelöst wird.| Um sich von der Verkürzung zu Uberzeugen, legt man den Verletzten horizontal mit ausgestreckten Beinen auf eine feste Matratze und bringt das Becken in eine solche Stellung, dass beide Spinae ilei anteriores superiores in gleicher Höhe stehen und eine Linie, welche man von der einen Spina zur andern zieht, gegen eine vom Schwertfortsatze zur Schoossbeinhige gezogene Linie vollkommen rechtwinklig liegt. Diese Vorsicht in Betreff der Stellung des Beckens ist von der grössten Wichtigkeit, weil der Kranke gewöhnlich unbewusst das Becken nach der Seite der Verletzung
488
Krankheiten der Knochen.
hin neigt und daher eine scheinbare Verlängerung der Extremität bestehen kann, während sie in der That verkürzt ist. Sobald beide Spinae ant. super, in gleicher Höhe stehen, lässt sich durch Messung einer von ihr zu dem Köpfchen der Fibula oder zu dem äusseren Knöchel geführten Linie über die bestehende Verkürzung mit Bestimmtheit entscheiden. Eine Messung von der Spitze des Trochanter major zur Crista ilei kann Täuschungen veranlassen, da der Trochanter bei der Fractura colli femoris nach Hinten rückt, die Höhe der Crista ilei aber an verschiedenen Stellen nicht die gleiche ist. Durch einen Zug an der kranken Extremität kann man mit Leichtigkeit die normale Länge derselben herstellen, aber die Verkürzung kehrt wieder zurück, sobald der Zug nachlässt. 2. R o t a t i o n d e s S c h e n k e l s n a c h A u s s e n . Das gebrochene Bein liegt gewöhnlich auf seiner äusseren Seite mit leicht gebeugtem H ü f t - und Kniegelenk, so dass die Ferse der kranken Extremität dem Zwischenräume zwischen der Achillessehne und dem innern Knöchel des gesunden Beins entspricht (Fig. 73). Diese Rotation nach Aussen vermag der Patient nicht zu Fig. 73. beseitigen; der Hand des Wundarztes gelingt es ohne Schwierigkeit. Wodurch diese Rotation bedingt sei, ist schon bei der Beschreibung der Verschiebungen erörtert worden. Sehr selten findet sich R o t a t i o n des verletzten Beins n a c h I n n e n , wie dies schon P a r e , P e t i t und in neuerer Zeit D e s a u l t , D u p u y t r e n , S a n s o n , G o y r a n d u. A. beobachtet haben. D u p u y t r e n glaubte diese Rotation nach Innen aus der Richtung des Bruches erklären zu können. Verläuft die Bruchlinie in der Art schräg, dass das obere B r u c h - E n d e eine vor dem unteren schräg abwärts ragende Spitze bildet, so entsteht Rotation nach Aussen; findet das umgekehrte Verhältniss Statt, so erfolgt Rotation nach Innen. G o y r a n d hat mit Bezug auf den von ihm beobachteten Fall eine andere Erklärung aufgestellt. Nach seiner Ansicht gleitet die Bruchfläche des Schenkelhalses, d. h. des unteren Bruch-Endes, hinter den Sehenkelkopf, so dass die vordere Fläche des Schenkelhalses sich gegen die äussere Fläche des Schenkelkopfs anstemmt und der Trochanter
Brüche des Schenkelhalses.
489
folglich nach Vorn gewandt ist. In dieser Stellung ist der Schenkelhals zwischen der Kapsel und dem Gelenkkopf eingeklemmt und wird vielleicht auch noch durch die Spannung der vorderen Bündel des Glutaeus medius in derselben fixirt. Dass diese Erklärung für den gegebenen Fall richtig war, wird dadurch in hohem Grade wahrscheinlich, dass die Rotation nach Innen nicht wiederkehrte, vielmehr die gewöhnliche Rotation nach Aussen eintrat, nachdem die Extremität durch Extension einmal in die normale Stellung gebracht war. 3. V e r ä n d e r u n g d e r G e s t a l t d e r H ü f t e . Der Trochanter major ragt gewöhnlich weniger hervor, als auf der gesunden Seite. Nur wenn er durch Einkeilung des oberen Bruch-Endes zersprengt ist, besteht um ihn eine beträchtliche Geschwulst. | Die Hüfte erscheint im Ganzen abgeflacht, die Iiinterbackenfalte weniger deutlich, als an der gesunden Seite. | 4. B e w e g u n g e n d e s Trochanter major. Sucht man den Oberschenkel zu rotiren, so bewegt sich hierbei der grosse Trochanter in einem Kreise von kleinerem Halbmesser als auf der gesunden Seite, und zwar ist dies lim so auffallender, je näher dem Trochanter selbst der Bruch seinen Sitz hat, je vollständiger er also ein extracapsulärer ist. | Dies fast immer, wegen der bedeutenden Schmerzhaftigkeit, schwer oder garnicht zu constatirende Symptom verliert seinen Werth beinahe gänzlich, wenn Einkeilung besteht | 5. C r e p i t a t i o n . Mit Leichtigkeit vernimmt man bei Brüchen ausserhalb des Kapselbandes ohne Einkeilung die Crepitation, sobald rotirende Bewegungen an dem Schenkel gemacht werden. Bei Brüchen innerhalb des Kapselbandes gelingt dies fast immer erst, nachdem man der Extremität wieder ihre normale Länge gegeben hat. Zu diesem Behuf empfehlen Viele den Kranken sich aufrichten und auf dem gesunden Beine stehen zu lassen (Fig. 73), damit durch das Gewicht der kranken Extremität selbst die nöthige Extension erfolge. Vor einem solchen Verfahren ist aber dringend zu warnen. Durch alle diese zur Vervollständigung der Diagnose vorgenommenen Manipulationen und Bewegungen wird sehr leicht grosser Schaden angerichtet, indem die vielleicht noch unversehrte fibröse Bekleidung des Schenkelhalses zerrissen und damit die Möglichkeit seiner Ernährung vernichtet wird, oder indem sie zur Lösung einer ftlr den Heilungsvorgang durchaus günstigen Einkeilung fUbren. 6. S u g g i l l a t i o n e n finden sich bei Brüchen ausserhalb des
490
Krankheiten der Knochen.
Kapselbandes, welche die Einwirkung einer bedeutenden Gewalt auf den grossen Trochanter voraussetzen, fast immer in dessen Umgebungen, während sie bei intracapsulären BrUchen sehr selten vorkommen. 7. S c h m c r z besteht bei Schenkelhalsbrüchen immer, bei den meisten in bedeutendem Grade. Bei BrUchen innerhalb der Kapsel ist in ruhiger Lage die Schmerzhaftigkeit gering, tritt aber mit grosser Heftigkeit in der Umgegend der Insertion des lleo-psoas auf, sobald Bewegungen vorgenommen werden. Bei BrUchen ausserhalb des Kapselbandes bestehen ausserdem andauernde Schinerzen in der Hüfte und im oberen Theile des Schenkels, welche durch die geringste Bewegung und durch jeden Druck auf den grossen Trochanter aufs Aeusserste gesteigert werden. Bei intracapsulären BrUchen sind die Schmerzen nicht heftig, wenn man im Hüftgelenk blos Beugung und Streckung vorsichtig vornimmt; beim extracapsulären Bruche sind auch diese sehr schmerzhaft. 8- U n f ä h i g k e i t zu B e w e g u n g e n . Im Allgemeinen können die Verletzten die kranke Extremität gar nicht bewegen oder doch nicht in gestreckter Stellung erheben. Sagt man dem Kranken, er solle das Bein aufheben, so beugt er, wenn ein intracapsulärer Bruch besteht, das Hüftgelenk, zugleich aber auch das Kniegelenk und zieht die Ferse, ohne sie im Geringsten zu erbeben, auf dem Bette hingleitend gegen das Gesäss. Bei extracapsulären BrUchen ist gewöhnlich der Versuch zu solchen Bewegungen schon so schmerzhaft, dass sie gänzlich unterlassen werden. Bestehen die bereits oben pag. 4 8 3 erörterten Verhältnisse, durch welche eine Verschiebung der Bruch-Enden unmöglich gemacht wird, so kann der Kranke auch bei einem extracapsulären Bruche das Bein zu bewegen, ja sogar auf demselben zu stehen oder gar zu gehen im Stande sein. Gewöhnlich ist dieser Zustand aber nur von sehr kurzer Dauer, dann fällt der Kranke, wird von heftigen Schmerzen ergriffen, und ist fernerhin unfähig, Bewegungen mit der verletzten Extremität vorzunehmen. D i f f é r e n t i e l l e D i a g n o s e . SchenkelhalsbrUche können mit Verrenkungen des Oberschenkels, mit Beckenbrüchen und mit Contusion des Hüftgelenks verwechselt werden. Bei V e r r e n k u n g d e s O b e r s c h e n k e l s nach Innen und Oben auf den horizontalen Ast des Schoossbeins besteht, wie beim Schenkelhalsbruch Verkürzung und Rotation nach Aussen. Aber der Schenkelkopf bildet eine deutlich hervorragende Geschwulst in der lnguinalgegend. Bei der Verrenkung auf die äussere Fläche des
491
Brüche des Schenkelhalses.
Hüftbeins oder in die Incisara ischiadica besteht Rotation nach Innen und der Schenkelkopf ist deutlich durch die Weichtheile hindurch an einer der genannten Stellen zu fühlen. Bei Verrenkungen in das Foramen oblaratum besteht Verlängerung und es ist daher eine Verwechselung gar nicht möglich. Bei allen Verrenkungen endlich hat das Glied eine feste unbewegliche Stellung, die Reduetion gelingt nur mit Anwendung beträchtlicher Gewalt; ist sie aber einmal ausgeführt, so kehrt die Verschiebung nicht wieder. Bei der Fractur hingegen kann man das Bein ohne grosse Gewalt zur normalen Länge und in die normale Stellung zurückführen; die Verschiebung kehrt aber sogleich wieder, sobald die Extension nachlässt. |Zwischen der Annahme eines B e c k e n b r u c h s oder einer Fractur des Schenkelhalses wird man nur in solchen Fällen schwanken können, wo eine sehr bedeutende Gewalt eingewirkt hat, denn nur durch diese kommen erstere zu Stande (vgl. p. 42*2 u. f.). Ist der Beckenbruch aber von der Art, dass eine Dislocation des Schenkels dabei Statt gefunden hat oder Crepitation gehört werden kann, so fehlen auch niemals Zeichen einer Verletzung oder Functionsstörung der im Becken gelegenen Organe. Die Entfernung zwischen Trochantcr major und Spina ant. sup. oss. ilei kann bei Beckenbrüchen niemals verändert sein, es wäre denn, dass eine Fractur der Darmbeinschaufel bestände, welche anderweitig leicht zu erkennen ist. Der Kreis, welchen der Trochantcr major bei Rotation des Schenkels beschreibt, ist bei Beckenbrüchen der normale, ausgenommen wenn eine Fractura acetabuli besteht. Diese aber unterscheidet sich durch den Sitz der Crepitation und die grössere Beweglichkeit', vorausgesetzt, dass nicht Eindrängung des Caput femoris durch die zersprengte Pfanne besteht, welche Aber mit einem Schenkelhalsbruch wegen der Unmöglichkeit einer Verlängerung des Schenkels durch leichten Zug und der gänzlichen Unbeweglichkeit nicht leicht verwechselt werden kann. Die genaue Erforschung des S i t z e s der Crepitation ist für die Unterscheidung dieser Fracturen stets von Wichtigkeit'). | Bei Weitem häufiger handelt es sich darum, die Unterscheidung von einer C o n t u s i o n d e s H ü f t g e l e n k s festzustellen. Bei dieser kann ebenso, wie bei der Fractur des Schenkelhalses, der Kranke ausser Stande sein, die Extremität zu erheben. Durch nachträgliche Verschiebung des Beckens kann der Schein einer Verkürzung ') |Vgl. ß e a u g r a n d , sur la possibilité les fractures
du cul du fémur,
de confandre
Journal
les fractures
des connaiss.
du bassin
avec
med. 1851. Mars. |
492
Krankheiten der Knochen.
entstehen; und
d a s s e i n e m Gewicht f o l g e n d e Bein k a n n leicht g e b e u g t
nach A u s s e n
rotirt liegen,
|jede
Berührung
des
Trochanter,
j e d e r Z u g an d e r verletzten E x t r e m i t ä t ist s e h r s c h m e r z h a f t j.
Ge-
w i s s sind viele Fälle von v o l l k o m m e n geheilten S c h e n k e l h a l s b r ü c h e n , in w e l c h e n
auch
nicht d a s g e r i n g s t e Hinken z u r ü c k g e b l i e b e n
soll, als b l o s s e C o n t u s i o n e n zu d e u t e n . gestellt
werden,
Untersuchung
so
und
wäre genaue
die
s t e t s im Auge zu b e h a l t e n leicht
mehr
Schaden,
schon
Messung ist,
oben
angegebene
vorzunehmen,
dass
sein
Soll eine g e n a u e D i a g n o s e manuelle
wobei
jedoch
die d i a g n o s t i s c h e n
als die F e s t e l l u n g
einer genauen
Manöver Diagnose
Nutzen b r i n g e n . —- Natürlich wird von s o l c h e n d i a g n o s t i s c h e n S c h w i e rigkeiten n i c h t die R e d e sein k ö n n e n , sobald Crepitation v e r n o m m e n w i r d , mithin bei d e r g r o s s e n Mehrzahl d e r e x t r a c a p s u l ä r e n
Schen-
kelhalsbrüche. | l m A l l g e m e i n e n w i r d m a n selten i r r e n , w e n n m a n d e m A u s spruche von H o d g s o n ' ) folgt:
„ W e n n ein ä l t e r e s I n d i v i d u u m
in
F o l g e e i n e s Falles auf die H ü f t e u n f ä h i g i s t , d a s b e t r e f f e n d e Bein z u g e b r a u c h e n , so ist e s h ö c h s t w a h r s c h e i n l i c h , d a s s ein S c h e n k e l halsbruch besteht; dies um besonders
so m e h r ,
wenn
bei d e m Falle k e i n e
g r o s s e Gewalt auf d e n T r o c h a n t e r
eingewirkt h a t ,
wie
sie n o t h w e n d i g w ä r e , u m e i n e Q u e t s c h u n g von s o l c h e m G r a d e h e r beizuführen, dass der Schenkel dadurch unbrauchbar Die Arten
Unterscheidungsmerkmale
der
Schenkelhalsbrüche
s u c h u n g e n von A. C o o p e r tabellarisch
zwischen
lassen
sich
|und M a l g a i g n e * ) |
zusammenstellen,
|wobei
würde."| den
nach
den
beiden Unter-
in f o l g e n d e r Weise
wir jedoch
in
Betreff
des
d i a g n o s t i s c h e n W e r t h e s d e r einzelnen S y m p t o m e auf die v o r s t e h e n d e n E r ö r t e r u n g e n v e r w e i s e n m ü s s e n |. ') ]B. C o o p e r , Casen of fraclure
of the cerrlx
femorls.
Vol. VII. part. II.| ®) | Tratte des fractures
etc.
Paris 1851. pag. 701.|
Guys Hospital
reports.
Brüche des Schenkelbalses.
493
494
Krankheiten der Knocben.
Als pathognomonische Zeichen eines S c h e n k e l h a l s b r u c h e s m i t E i n k e i l u n g können wir nach R o b e r t und G i m e l l e hervorheben: 1. Geringe Verkürzung des Beins. 2. Auffallend heftiger Schmerz. 3. Möglichkeit, das ausgestreckte Bein aufzuheben und mit demselben aufzutreten, sofern nicht der Trorhanter major zersprengt ist. 4. Beträchtliche Geschwulst und Suggillation in der Umgegend des Troehanter major. Ist derselbe zersprengt, so geht die Geschwulst unmittelbar von ihm aus. 5.
Die Extension vermag, |wenn sie nicht mit grosser Gewalt ausgeübt wird, [ die bestehende Verkürzung nicht zu beseitigen. C o m p l i c a t i o n e n . Schenkelhalsbrüche sind nicht selten complicirt, besonders diejenigen, welche ausserhalb des Kapselbandes ihren Sitz haben, und zwar vorzugsweise mit heftiger Quetschung und der dadurch bedingten consecutiven Entzündung. P r o g n o s e . Auch im günstigsten Falle h e i l e n Schenkelhalsbrüche mit Zurücklassung einiger D i f f o r m i t ä t , besonders einiger Verkürzung und behinderter Beweglichkeit des Beins. Die Häufigkeit der Einkeilung bei extracapsulären Brüchen lässt bei diesen öfter eine Heilung mit unbedeutender Verkürzung erwarten. Auch kann hier auf einen soliden Callus gerechnet werden. Bei intracapsulären Brüchen ist dies nicht der Fall und die Verkürzung der Extremität nimmt oft nachträglich bedeutend zu. Ganz anders sind die Verhältnisse in Bezug auf die durch Schcnkclhalsbrüche bedingte L e b e n s g e f a h r . Die extracapsulären Brüche sind besonders bei alten Leuten, der auf sie folgenden heftigen Entzündung wegen, viel gefährlicher, als die intracapsulüren, bei denen ausserdem, wie wir sogleich sehen werden, durch eine zweckmässige Behandlung dem Kranken grosse Erleichterung verschafft werden kann. B e h a n d l u n g . Die meisten Wundärzte haben die beiden Arten des Schenkelhalsbruches in therapeutischer Beziehung durchaus zusammengeworfen. Nach ihrer Ansicht handelt es sich hier, wie bei jeder andern Fractur, blos darum, die Bruch-Enden wieder in ihre normale Stellung zu bringen und in dieser während der zur Callusbildung n o t w e n d i g e n Zeit zu erhalten. Dies sollte bald durch täglich wiederholte Extensionen oder durch die permanente Extension oder durch die halbgebeugte Lage, auch durch Combinationen mehrerer dieser Hülfsmittel erreicht werden. Alle die bei der Be-
Brüche des Schenkelhalses.
495
trachtung der Brüche im Mittelslück des Femur aufgeführten Verfahren und Verbände sind auch für die Schenkelhalsbrüche in Vorschlag gebracht worden. Einzelne Chirurgen aber haben besondere Indicationen bei diesem Bruche erfüllen zu müssen geglaubt und zu diesem Behuf eigenthümliche Verfahrungsweisen angegeben. Hierher gehören die Verbände von B r ü n n i n g h a u s e n , von C o o p e r und von G u y o t . B r ü n n i n g h a u s e n sucht vor Allem die Rotation nach Aussen zu beseitigen. Deshalb rotirt er das Bein nach Innen, extendirt es bis zur Länge des gesunden Beines, bindet Kniee und Füsse zusammen und legt an die äussere Seite des Schenkels eine von der Crista ilei bis zum Knie reichende lederne Schiene, deren oberes Ende durch einen Beckengurt, und deren unteres Ende durch einen beide Kniee umfassenden Riemen befestigt wird. Der Verband von A. C o o p e r , welchen er jedoch nur für den Bruch a u s s e r h a l b des Kapselbandes empfiehlt, ist dem vorstehenden ähnlich. Er streckt beide Beine, bindet die Füsse zusammen und umgiebt das Becken mit einem breiten Gurt, der zugleich auch den Trochanter major umfasst und somit das untere (lind zugleich äussere) Bruch-Ende gegen das obere (und zugleich innere) BruchEnde andrückt. G u y o t glaubt im Gegenlheil der Verschiebung der Bruch-Enden, durch welche der Schenkelhals verkürzt wird, entgegen wirken zu müssen und beabsichtigt daher, statt den Trochanter einwärts zu drücken, vielmehr ihn nach Aussen zu schieben. Zu diesem Behuf verfährt er ähnlich, wie D e s a u l t beim Bruch der Clavicula. Nachdem das Bein extendirt und die Rotation nach Aussen beseitigt ist, schiebt er ein dickes Kissen zwischen die oberen Drittel der Schenkel und bindet die Kniee möglichst fest zusammen. Auf diese Weise könnte vielleicht bei intracapsulären Brüchen ein Vortheil erzielt werden; bei extracapsulären dagegen kann dies Verfahren nur schädlich wirken. Sowol die fibröse Bekleidung des Schenkelhalses wird dadurch zerrissen, als auch die so häufig bestehende Einkeilung gelöst und damit also Alles, was die Heilung etwa begünstigen könnte, absichtlich beseitigt. Die Schweben- und Rinnen-Verbände von M a y o r | und die Aequilibrialmethode von M o j s i s o w i c z | bieten bei Schenkelhalsbrüchen keine besonderen Vortheile dar. | Die Dislocation des oberen Briich-Endes nach Vorn und Oben, welcher durch sie vorzugsweise kräftig entgegengewirkt wird, besteht bei der Fractura colli femoris durchaus nicht. Das obere Bruch-Ende ist vielmehr gar
496
Krankheiten
der Knochen.
nicht dislocirt und, wenn man dem Schenkel daher eine rechtwinklige Stellung gegen den Rumpf giebt, so muss, wenn nicht etwa die bestehende Einkeilung mehr zum Heile des Patienten wirkt als der Arzt, die v o r d e r e Fläche des unteren Bruch-Endes mit der Bruchfläche des oberen Bruch-Endes in Berührung kommen, — eine, wie von selbst einleuchtet, möglichst unzweckmässige Stellung. | Der B r u c h i n n e r h a l b d e s K a p s e l b a n d e s verheilt fast niemals durch Callus; eine feste ligamentöse Verbindung zwischen den Bruch-Enden kommt aber auch dann zu Stande, wenn dieselben bewegt werden. Weshalb also den Kranken den Qualen und Gefahren einer Monate lang fortzusetzenden Extension und ruhigen Lage unterwerfen? Diese gewiss richtige Betrachtungsweise hat A. C o o p e r zu einem vor ihm unerhörten Verfahren geführt. Er liess seine Kranken 10 bis 15 Tage auf der doppelt geneigten Ebene liegen und bekämpfte die Entzündungserscheinungen. Dann aber liess er sie aufstehen, zunächst auf einem hohen Stuhle sitzen, um eine zu starke Beugung des Schenkels zu verhüten, späterhin mussten sie mit Krücken und demnächst mit einem Stock gehen und so endlich das jedenfalls etwas verkürzte Glied wieder vollständig gebrauchen lernen. Eine dicke Sohle und ein hoher Hacken tragen dazu bei, die Verkürzung zu verdecken. Diejenigen, welche eine knöcherne Vereinigung erzielen zu können glauben ( D u p u y t r e n , S a n s o n u . A.), empfehlen das Still— Liegen auf der doppelt geneigten Ebene, für Erwachsene 3 bis 4 Monate lang, bei jugendlichen Individuen 70 bis 80 Tage. Es dürfte v o r t e i l h a f t sein, hierbei immer beide Beine auf die schiefe Ebene zu legen, weil dadurch einer Verschiebung des Beckens, welche sonst alle Bemühungen des Arztes vergeblich machen könnte, sicherer vorgebeugt wird. Ausserdem wäre ein Druck auf den grossen Trochanter entweder mittelst des bereits erwähnten C o o p e r ' s c h e n Gürtels oder durch eine lange Schiene, welche an der äussern Seite des Schenkels befestigt wird, hinzuzufügen. Erlaubt es das Allgemeinbefinden des Kranken, so ist es gewiss nützlich, ihn nicht s o f r ü h , als A. C o o p e r vorschreibt, aufstehen zu lassen, nicht etwa blos wegen der Hoffnung auf knöcherne Vereinigung, sondern weil die fibröse oder ligamentöse Zwiscbensubstanz, welche voraussichtlich die Bruch-Enden vereinigt, um so kürzer und fester sein wird, je weniger sie während ihrer Entwicklung gedehnt und gezerrt wurde, ein höherer Grad von Brauchbarkeit sich aber, wie von selbst einleuchtet, bei einer möglichst kurzen Zwischensubstanz erwarten lässt.
497
Brücke des Schenkelhalses.
Bei der Behandlung des S c h e n k e l h a l s b r u c h e s a u s s e r h a l b «les K a p s e l b a n d e s muss man stets k n ö c h c r n e Vereinigung zu «'rzielen suchen, daher die Bruch-Enden in gehörige Bertlhrung bringen und in derselben zu erhalten suchen. Findet sich keine sehr bedeutende Verkürzung, so hat man Grund anzunehmen, dass Einkeilung besteht. In diesem Falle ist nur die Rotation nach Aussen zu beseitigen u n d , je nachdem die gestreckte oder halb gebeugte Lage vorgezogen wird, der B r i l n n i n g h a u s e n ' s c h e , der C o o p e r ' s c h e Verband oder die doppelt geneigte Ebene in Gebrauch zu ziehen. Besteht aber keine Einkeilung, so hat man erst durch eine regelmässige Extension die normale Länge der Extremität herzustellen und dann durch einen sehr genauen und sorgfältig zu überwachenden Verband die Bruch-Enden möglichst genau in Berührung mit einander zu erhalten. In diesen Fällen dürfte, um die Brauchbarkeit der Extremität in möglichst hohem Grade wieder herzustellen, die permanente Extension in ausgestreckter Lage des Beins das vorzüglichste Mittel sein. Der D e s a u l t ' s c h e Verband mit geringen Modificationen ist hierzu ausreichend. An die innere und äussere Seite des Beins wird eine starke Schiene gelegt, die äussere, welche beträchtlich länger ist als die Extremität, wird an ihrem oberen Ende durch einen zwischen den Beinen hindurch geführten Gurt befestigt. An ihrem unteren Ende trägt sie ein Querbrett, an welchem der Fuss zur Ausübung der Extension befestigt wird. | Bei empfindlichen Kranken ist dieser Verband aber nicht anwendbar. Man muss sich bei ihnen auch in diesem Falle blos auf die doppelt geneigte Ebene oder den Kleister-Verband beschränken. | Die Dauer der Behandlung ist, wenn Einkeilung besteht, 70 Tage. Von da ab kann der Kranke Geh-Versuche machen. Bei extracapsulären Brüchen ohne Einkeilung hingegen darf man dem Kranken nicht vor Ablauf von 3 Monaten aufzustehen erlauben, weil die Berührung der Bruchflächen hier immer eine weniger innige ist, die Q\llusbildung daher nicht so regelmässig erfolgen kann und eine grössere Festigkeit des Gallus erforderlich ist, da durch ihn allein das Gewicht des Körpers getragen werden muss. Sobald man nicht mit Bestimmtheit zu entscheiden vermag, ob ein Schenkelhalsbruch innerhalb oder ausserhalb des Kapselbandes verläuft, hat man die Behandlung immer so einzurichten, als ob es sich um einen extracapsulären Bruch handle, da hierdurch, wenn der Bruch ein intracapsulärer wäre, kein Schaden gestiftet wird, hingegen bei einem extracapsulären die Heilung wesentlich beeinträchtigt werden kann, wenn man denselben etwa in der von V d a | - s Chirurgie.
II.
32
498
Krankheiten der Knocken.
C o o p e r fflr den Bruch innerhalb des Kapselbandes empfohlenen Weise ohne Anwendung mechanischer Hülfe behandeln wollte. c.
B r ü c h e de« u n t e r e n Ende« Rheumatismus, Mercurialcachcxie, Syphilis, Lepra beruhende schmerzhafte Krankheit auf, welche schliesslich, wie jede Osteoporose,
zur Entstehung von Knochenbrüchen
Veranlassungen
in Folge geringfügiger
disponirt.
Bei genauer Untersuchung dieser, nach R o k i t a n s k y , von der entzündlichen Osteoporose zu unterscheidenden Veränderungen
des
Knochengewebes drängt sich jedoch die Ueberzeugung auf, dass es sich bei ihnen entweder um physiologische, d. h. durch das höhere Alter bedingte Veränderungen des Knochengewebes, oder aber um die Folgen einer vorausgegangenen oder chronisch Entzündung, Hyperämie und Exsudation handle. halb die Knochenbrüchigkcit,
fortbestehenden Wir reihen des-
sofern sie nicht von im Knochenge-
webe auftretenden Neubildungen abhängig ist, der Knochen-Entzündung und ihren Ausgängen an, indem wir die physiologische Altersatrophie um so mehr kurz übergehen zu können glauben, als der ihr zu Grunde liegende Resorptionsprocess wesentlich mit dem bei der Knochen-Entzündung auftretenden
übereinstimmt
Die Veränderungen der Structur, so wie der, mit blossem Auge zu erkennenden Consistenz und Form des Knochens sind aber verschieden, j e nachdem
entweder der bereits vollständig ausgebildete
e r w a c h s e n e Knochen, durch einen exsudativen Process unter seinem Periost und in seinen Gefasskamilchen, porös gemacht wird, — - o d e r aber der noch in der Entwicklung begriffene Knoehen
wachsende
in seiner Ausbildung durch eine Exsudation, welche zur
normalen Verknöcherung
nicht
geeignet ist, gestört wird.
Unterschied ist schon lange bevor man
dem Wesen dieser P r o c e s s e gewonnen hatte, empirisch worden.
Dieser
eine richtige Einsicht von festgestellt
Die Verminderung der Consistenz des wachsenden, kind-
lichen Knochens w u r d e R a c h i t i s , diejenige, welche bei Erwachsenen auftritt, dagegen O s t e o m a l a c i e
genannt." Die Pathogenese beider
ist erst in neuester Zeit durch die Untersuchungen von H e r m a n n Meyer2)
und von V i r c h o w 3 ) wesentlich aufgehellt worden,
auf
welche wir uns in Nachstehendem fortgehend beziehen werden. | ')
Saillant
e r z ä h l t von e i n e m G i c h t k r a n k e n ,
w a r , d a s s zwei M ä n n e r n ö t l i i g w a r e n , u m ten.
Derselbe
Knochen ') )
von
einer
giebtkranken
p o r ö s , b r ü c h i g , und c a l c i n i r t e n
K ö r p e r so l e i c h t
Knochen
Frau, ähnlich
¡ B e i t r ä g e zu d e r L e h r e von den K n o c h e n k r a n k h e i t e n . Medicin.
3
berichtet
dessen
1853.
p.
143
bei
der
zu
hal-
sämmtliche
waren.
Zeitschrift
für
rationelle
folg.|
|Das n o r m a l e K n o c l i e n w a c h s t h u m Virchow's
geworden
ihn im B a d e u n t e r W a s s e r
u n d die r a c h i t i s c h e
Archiv f ü r p a t h o l o g i s c h e A n a t o m i e
elc.
Störung desselben.
1853.
pag. 4 0 9 — 5 0 7 . |
36*
In
564
Krankheiten
der Knochen.
A. Oateamalacle. Oileomalacia,
Malacosteon
s Hachlli»
adultorum.
Nach den Angaben von L o b s t e i n ' ) hat s c h o n ein Arzt ( G s c h u s i u s )
arabischer
die sogenannte K n o c h e n e r w e i c h u n g
der Er-
w a c h s e n e n b e o b a c h t e t . Derselbe erzählt nämlich von einem Manne, welcher sich in einer Palmenmatte tragen Hess,
weil er n u r
im Kopf, im Genick und in den Händen K n o c h e n
besass,
alle anderen T h e i l e seines S k e l e t s vollkommen b i e g s a m waren willkürlich
gar
nicht
bewegt werden
konnten,
noch
während
mit Ausnahme
und der
Zunge.
Der e r s t e Fall, welcher g e n a u e r u n t e r s u c h t ist, wurde von
Morand
s
)
beschrieben.
wissenschaftlichen
Derselbe
betrifft
die
durch
ihn
Welt berühmt g e w o r d e n e F r a u S u p i o t ,
nach m e h r e r e n W o c h e n b e t t e n
in
der
welche
von e i n e m h ö c h s t auffallenden Grade
der Osteomalacie befallen wurde.
Das L e i d e n b e g a n n mit
schein-
b a r r h e u m a t i s c h e n S c h m e r z e n in v e r s c h i e d e n e n K ö r p e r t h e i l e n ,
be-
sonders in den Extremitäten, welche allmälig i m m e r heiliger wurden. In dem Urin b e m e r k t e man ein w e i s s e s S e d i m e n t ; späterhin wurden die B e i n e der Kranken durch Muskelzug allmälig nach Aussen
um-
gebogen,
und
so
dass
sie
endlich
eine K r ü m m u n g
nach Aussen
Oben erhielten, die so bedeutend w a r , dass die K r a n k e auf ihrem linken F u s s
wie
auf einem K i s s e n
mit
d e m K o p f liegen
konnte.
Aehnliche Veränderungen erfuhren die übrigen K n o c h e n des Skelets. | Die anatomischen Verhältnisse der o s t e o m a l a c i s c h e n
Knochen
lassen sich in dem einen W o r t e „ O s t e o p o r o s e ' *
zusammenfassen.
Alle
ihre
Schriftsteller
stimmen
darin
Uberein,
dass
Textur
im
höchsten Grade schwammig, die u n g e m e i n v e r g r ö s s e r t e n Markräume und Gefässkanäle
mit einem
b l u t i g - f e t t i g e n E x s u d a t e gefüllt seien
und der ganze K n o c h e n d a h e r ,
die s p o n g i ö s e Substanz
bis
auf eine winzige S c h a l e g e s c h w u n d e n und von der spongiösen
wenn
nur
dürftige B a l k e n n e t z e geblieben sind, wie K ä s e leicht zu durchschneiden
und
nicht
daher
auf
der höchsten
n u r im höchsten
Stufe
Grade b r ü c h i g ,
des
Krankheitsprocesses
s o n d e r n wirklich
biegsam,
einer S e h n e ähnlich erscheine. | Aetiologie. befallen
werden,
Die meisten K r a n k e n , w e l c h e von haben
vorher
entweder
schon
Osteomalacie
längere Zeit
an
c h r o n i s c h e n Uebeln, welche störend auf die E r n ä h r u n g des ganzen Körpers einwirkten,
gelitten,
oder
in k ü m m e r l i c h e n
Verhältnissen
gelebt; gewöhnlich folgt die O s t e o m a l a c i e u n m i t t e l b a r auf eine acute ') Anatomie pathologique ") Histoire
de la maladle
ramollissement
général
T. 11. pag. 188. d'une femme ilevenue des
01.
Pari9 1752-
tovt-ù fail contrefaite par un
Osteomalacie.
565
Krankheit. Sie ist häufiger bei Frauen als bei Männern und entwickelt sich besonders in Folge von Krankheiten, welche jene im Wochenbett zu überstehen hatten. | In dieser Beziehung darf jedoch nicht übersehen werden, dass die Annahme der überwiegenden Häufigkeit der Osteomalacie bei Frauen vielleicht darauf beruht, dass ihre Folgen bei diesen wegen ihres Einflusses auf die Weite des Beckens (bei späteren Geburten) viel häufiger erkannt werden, als bei Männern. | Die S y m p t o m e der Osteomalacie sind, wie sie sich schon bei der Frau S u p i o t klar herausstellten, Anfangs diejenigen eines heftigen und ausgebreiteten Rheumatismus. Der Sitz der Schmerzen wird aber alsbald von den Kranken in die Knochen verlegt. Er verhält sich wie bei einer ausgebreiteten Periostitis. Nach Verlauf einer gewissen Zeit treten an den Knochen Anschwellungen auf, die vorzugsweise in der Gegend der Gelenkvorsprünge ihren Sitz zu haben pflegen. Der Gang des Kranken wird unsicher, wankend, jede Bewegung schmerzhaft. Endlich im höchsten Grade des Uebels werden die Extremitäten-Knochen durch den Muskelzug verbogen, die Wirbelsäule und die Beckenknochen durch das Gewicht des Rumpfes und Kopfes verkrümmt, das Becken insbesondere durch das Hervortreten des Promontoriums und das Zusammenrücken der Pfannengegenden bis zu den höchsten Graden verengt. Hierdurch wird immer die Körperlänge des Kranken verringert, — ein Symptom, welches gewöhnlich erst bei dem Versuche das Bett zu verlassen bemerkt wird, und aus welchem zuweilen die wahre Natur des Leidens erst erkannt wurde. Die Verminderung der Körperlänge kann eine sehr bedeutende werden. Ein Kranker wurde in 19 Monaten um 1 Fuss kleiner. Eine ansehnlich grosse Frau von 50 Jahren schrumpfte in wenigen Jahren zu einer Zwerggestalt ein. Ein Jüngling von 4 1 / , Fuss Höhe verlor ein Drittel derselben. Ist es bis zu diesem höchsten Grade der Krankheit gekommen; so erfolgt gewöhnlich der Tod durch allgemeine Entkräftung, oder durch mechanische Behinderung der Functionen wichtiger Eingeweide. Jedoch sah man sehr häufig die Ernährung des übrigen Körpers lange Zeit hindurch in ganz normaler Weise erfolgen. In der grossen Mehrzahl der Fälle bleiben die Zähne und gewöhnlich auch die Kiefer, selbst wenn die Osteomalacie sich über das ganze Skelet erstreckte, dennoch unversehrt, so dass also das Kauen nicht behindert war. Ueberhaupt werden die Kopfknochen selten von der Krankheit ergriffen. Obgleich die Osteomalacie unzweifelhaft mit aligemeinen Er
566
Krankheiten der Knochen.
krankungen zusammenhängt, so ist sie doch häufig auf einzelne Theile des Skelets beschränkt. Besonders häutig sind osleomalaciscbe Verkrümmungen am Becken beobachtet worden, vielleicht aus deui nahe liegenden Grunde, weil am weiblichen Becken auch unbeträchtliche Verkrümmungen den Geburtsakt in hohem Grade stören, und daher bestimmter zur Kenntniss kommen. Die Unterscheidung zwischen Osteomalacie und Rachitis beruht wesentlich auf folgenden Punkten. Bei letzterer hört der Erweichungsprocess mit der Vollendung des Wachsthums auf, hat einen sehr langsamen Gang und ist von sehr geringen oder gar keinen Schmerzen begleitet. Die Osteomalacie dagegen tritt bei Erwachsenen plötzlich auf, steigert sich schnell bis zum höchsten Grade der Biegsamkeit der Knochen und ist stets, wenigstens im Anfang, häutig aber auch während der ganzen Dauer der Krankheit von heftigen Schmerzen begleitet. Von einer wirksamen B e h a n d l u n g kann, nach den vorliegenden Erfahrungen, nur in so fern die Rede sein, als es sich darum handelt, eine Periostitis, deren Ausgang in Knochen-Erweichung gefürchtet wird, durch antiphlogistische und antidyskrasische Mittel zu bekämpfen. Ist die Erweichung selbst eingetreten, so hat man von der Anwendung der Tonica, auch von der Darreichung von Kalksalzen zwar Nutzen erwartet, jedoch noch nicht mit Entschiedenheit beobachtet. Neben der Unterhaltung der Kräfte und der Bekämpfung etwa bestehender Dyskrasien wird es daher in solchen Fällen hauptsächlich darauf ankommen, allzu bedeutende Verkrümmungen der Knochen, so fern dies möglich, durch mechanische Hiilfsmittcl zu verhüten. B. B a c h i t U , e n g l i s c h e K r a n k h e i t .
.Nach G l i s s o n '), welcher zuerst, oder doch einer der Ersten diese Krankheit beschrieb, war sie erst im Jahre 1620 im westlichen Theile von England aufgetreten und wurde damals als ein morbus plane novus betrachtet. Man gab ihr den Namen the rickets, woraus das französische riquets und wahrscheinlich auch der Name Rachitis entstanden sind. Nächst G l i s s o n haben sich vorzüglich J o h n M a y o w , J. L. P e t i t , P o r t a l , in neuester Zeit aber zahlreiche Forscher, besonders G u 6 r i n , | T r o u s s e a u und L a s e g u e , H. M e y e r , am Ausführlichsten V i r c h o w | mit ihr beschäftigt. ' ) De rachitide »lue morbo puerlli (raclaluf, Lugduni Batacorum 1620. 2 ) JDie oben cilirte Abhandlung von V i r c h o w enthält die genaueren literarhistorischen Angaben. |
Rachitis.
567
A e t i o l o g i e . Rachitis wird vorzugsweise häufig in England, Holland und dem nördlichen Frankreich beobachtet, jedoch ist sie auch weit entfernt von den Seeküsten, z. B. im mittleren und südlicheren Deutschland, eine keineswegs seltene Krankheit. Fast imm e r entwickelt sich die Krankheit um die Zeit der ersten oder zweiten Dentition. |Man könnte auf den Gedanken kommen, dass der zu dieser Zeit stattfindende stärkere Verbrauch von phosphorsaurem Kalk für die Zahnbildung in aetiologischem Zusammenhange mit der Rachitis stände. | Es ist aber bekannt, dass um diese Zeit des Lebens überhaupt die Anlage zu Erkrankungen in sehr hohem Grade gesteigert ist. Jedenfalls ist eine unzureichende oder schwerverdauliche Kost eine wesentliche Ursache der Rachitis. Die Periode des Entwöhnens, der oft plötzlich herbeigeführte Uebergang von der Mutterbrust zu groben, vegetabilischen Nahrungsmitteln, besonders zu solchen, welche in ihrer Zusammensetzung derjenigen des Blutes wenig analog sind, wie z. B. Kartoffeln, unreifes Obst u. dgl., sind als wesentliche aetiologische Momente zu betrachten. Der Aufenthalt in schlechter, feuchter Luft, Mangel an Bewegung ist gleichfalls in Anschlag zu bringen; jedoch kann durch frische Landluit allein der Einfluss schlechter Ernährung nicht aufgehoben werden. Man findet rachitische Kinder eben so gut auf dem Lande, als in den Städten. |Von vielen Seiten wird die Erblichkeit der Rachitis, oder doch ihre Entstehung bei Kindern von scrophulösen, gichtischen oder dyskrasischen Eltern hervorgehoben. Dass eine solche Entstehungsweise möglich sei, kann nicht in Abrede gestellt worden, da zuverlässige Beobachtungen von a n g e b o r n e r Rachitis vorliegen, der Foetus aber begreiflicherweise durch fehlerhafte Ernährung nur in so fern erkranken kann, als das ihn ernähr'ende Blut der Mutter krankhaft zusammengesetzt, oder der Keim selbst in seinen ersten Anfängen fehlerhaft entwickelt war. — Von vielen Aerzten wird eine besondere Beziehung der Rachitis zur Scrophulosis angenommen, oder wohl gar die Rachitis schlechtweg als Knochen-Scropheln bezeichnet. Das Vorkommen der LymphdrüsenAnschwellung und anderweitiger entschieden scrophulöser Symptome ist jedoch geradezu selten und es liegt daher, obgleich beide Krankheitsprocesse gewiss auf einer tiefen Störung der Ernährung beruhen, kein Grund vor, sie beide zusammenzuwerfen. | S y m p t o m e u n d V e r l a u f . Das erste Auftreten der Rachitis lässt sich schwer bestimmen, weil gewöhnlich Erkrankungen der Eingeweide mit denen der Knochen zugleich auftreten, deren Symptome vor und neben den letzteren zur Geltung kommen. In den
568
Krankheiten der
Knochen.
meisten Fällen lässt sich eine Reihe von Vorboten erkennen, welche man auch als die e r s t e P e r i o d e der Krankheit zusammenfasst: Traurigkeit, Mattigkeit, Abneigung gegen alle Bewegungen, wirkliche Schwierigkeit letztere auszuführen. Vermögen die Kinder bereits über ihre Empfindungen Auskunft zu geben, so klagen sie über Schmerzen in den Gelenken und nach dem Verlauf der Röhrenknochen. Sie sind sehr schwach, schwitzen bei der geringsten Anstrengung, selbst während des Schiales, ihr Gesicht ist blass, ihre Haut fast immer feucht, und oft treten Fieberbewegungen auf; der Puls ist dabei voll und weich, das Venensystem stark entwickelt. Zuweilen ist ihr Appetit schlecht, oft vorzugsweise auf Amylacea oder saure Speisen gerichtet, der Durst aber sehr beträchtlich, und in der Regel besteht Diarrhöe mit Meteorismus. Viele rachitische Kinder aber verlieren niemals den Appetit, haben keine Diarrhöe und keinen Meteorismus; aber fast alle magern ab, werden blass und entleeren viel Harn, in welchem sich nach dem Erkalten ein reichlicher Bodensatz (s. pag. 574) findet. Alle diese Erscheinungen können nur wenige, oder auch mehrere Monate lang fortbestehen. Ist die Rachitis auf einzelne Knochen, besonders auf diejenigen der unteren Extremitäten beschränkt, so kann die Verkrümmung derselben sich entwickeln, ohne dass irgend welche Vorboten, oder Störungen des Allgemeinbefindens bestehen. Mit dem Auftreten der Verkrümmungen beginnt die z w e i t e P e r i o d e . Anschwellungen der Gelenk-Enden, Verbiegungen und Verdrehungen der mannigfaltigsten Art, oft zahlreiche Fracturen oder Infractionen werden an dem Skelet in dieser Periode beobachtet. Als Beispiel betrachten wir Fig. 88, das Skelet eines älteren Individuums, welches besonders an den unteren Extremitäten und an der Wirbelsäule die höchsten Grade der Verkrümmung zeigt. An allen Gelenken sind die Epiphysen aufgetrieben, | daher die Ausdrücke „ Z w e i w u c h s " , „doppelte Glieder" | , die Rippenknorpel, |welche für die Rippen die Rolle der Epiphysen spielen], sind, wie man auf der linken Seite an den falschen Rippen sieht, an der Verbindungsstelle mit der Rippe knotig aufgeschwollen. |Tritt diese Anschwellung an allen, oder doch an vielen Rippenknorpeln zugleich auf, so entsteht dadurch der sogenannte r a c h i t i s c h e R o s e n k r a n z . | Gewöhnlich beginnt die Anschwellung der Epiphysen an den unteren Extremitäten, besonders am Kniegelenk, wodurch Tibia und Fibula, und etwas später das Oberschenkelbein verkrümmt werden. Demnächst folgen die unteren Epiphysen der Vorderarmknochen, das Becken, die Rippen, die Wirbelsäule, Schulterblatt
Rachitis. Fig.
569
88.
und Schlüsselbein, zuletzt die Kopfknochen. ')
Die Störungen
Allgemeinbefindens dauern inzwischen in derselben Weise
des
weiter
fort, insbesondere die Schmerzhaftigkeit aller Bewegungen, die Diarrhöe und das Fieber.
| Nicht selten zeigen die Kranken in Ueber-
einstimmung mit ihrem absolut oder relativ grossen Kopfe eine auffallend entwickelte Intelligenz.
Zuweilen aber werden sie wasser-
') ¡Als Rachitis der Scliädelknochen ist auch der zuerst von E l s ä s s e r bene „ w e i c h e
Hinterkopf
( C r a n i o l a b e s ) " zu deuten.|
beschrie-
570
Krankheiten der Knochen.
köpfig und somit stupid. | Die Dauer dieser Periode schwankt zwischen 1 und 3 Jahren. Die d r i t t e P e r i o d e ist diejenige der Heilung, insbesondere der W i e d e r h e r s t e l l u n g d e r F e s t i g k e i t d e r K n o c h e n . Die Störungen der Verdauung und demnächst auch der Ernährung schwinden allmälig, die Kräfte kehren zurück, die ganze Ausbildung des Körpers schreitet vorwärts, die Muskeln erhalten ihre Kraft, die Knochen ihre gehörige Festigkeit; ganz gewöhnlich werden letztere sogar durch Sclerose feSter und härter als im normalen Zustande. Die Verkrümmungen und die Auftreibungen der Gelenk-Enden können schwinden, ohne irgend welches Zuthun der Kunst. Ob und wie hierbei die wiedererwachende Thätigkeit der Muskeln mitwirkt, ist noch nicht genauer nachgewiesen. Statt dieses glücklichen Ausganges bietet das Ende der dritten Periode häufig ein trauriges Bild dar. Obgleich die Biegsamkeit der Knochen allmälig schwindet, magern die Kranken doch immer mehr ab und gehen, unter fortdauernden Verdauungsstörungen allmälig abzehrend, zuweilen auch wassersüchtig, zu Grunde. In anderen Fällen schleppen sie ihre traurige Existenz noch lange Zeit fort, aber ohne dass die Verkrümmungen schwinden, zuweilen unter Vermehrung derselben, nicht selten auch unter Zurückbleiben eines hohen Grades von Brüchigkeit. V a r i e t ä t e n . Die Bachitis kann in eine allgemeine und partielle, dann aber, je nach dem Körpertheile, welchen sie befällt, in Rachitis der Wirbelsäule, der Brust, der Extremitäten-Knochen und so fort, eingetheilt werden. Man unterscheidet ferner die Rachitis des Foetus und diejenige des wachsenden Kindes. Die R a c h i t i s d e s F o e t u s ist ausgezeichnet durch ihren e i g e n t ü m l i c h e n Einfluss auf die Diaphysen der Röhrenknochen, während sie, ganz im Gegensatz zu der Rachitis des wachsenden Kindes, die Epiphysen gar nicht oder fast gar nicht ergreift. An allen Röhrenknochen sieht man in ihrer ganzen Länge Anschwellungen und Einschnürungen, die das Ansehen haben, als wären unregelmässige Ringe übereinander gelegt, wobei die Knochen zuweilen ihre normale Richtung behalten, zuweilen an einzelnen Stellen eingeknickt und verbogen erscheinen. Fig. 89 zeigt einen solchen Foetus, welchen bereits C h a u s s i e r ' ) beschrieben hat. G u e r s a n t * ) hat Fälle der Art besonders genau untersucht. Die Anschwellungen sind nach ihm durch compactes Knochengewebe gebildet, in dessen Mitte der Markkanal unterbrochen ') Bulletin de l'Bcole de medeclne, 1813. nr. 3. (. 1. pag. 301. 3 ) Dlctlonnalre en 30 volumet, nouv. edit. t. II. pag. 168 ff.
Rachitis.
zu sein scheint. Da, wo die Einschnürungen bestehen, findet sich im Gegentheil eine nur sehr dünne Schicht von brüchiger Substantia spongiosa. Solche durchaus verschieden beschaffene Knochen-Abschnitte grenzen unmittelbar aneinander. Man sieht hier, gleichsam an demselben Knochen, die beiden Ausgänge des höchsten Grades der Rachitis, bleibende Osteoporose und Sclerose, nebeneinander. Wahrscheinlich sind die aufgetriebenen Stellen der frühere Sitz von Fracturen oder Infractionen und durch üppige Callusbildung entstanden. — Die a n a t o m i s c h e Untersuc h u n g liefert verschiedene Resultate, je nach der Periode, aus welcher der rachitische Knochen herrührt. In der ersten Periode der Krankheit findet man ein wässriges, blutiges, |selten eitriges (H. M e y e r ) | Exsudat zwischen dem Periost und dem Knochen selbst, ferner im Markkanal, in den Zellen der Substantia spongiosa, kurz überall in der Umgebung der Gefässe der Knochensubstanz und am Reichlichsten an denjenigen Stellen, an welchen der Knochen am Gefässreichsten ist. |Man hat diese Exsudate auch unter dem Namen des „rachitischen Saftes" zusammengefasst, wodurch jedoch leicht eine irrige Vorstellung veranlasst werden kann, da es sich hier keineswegs um eine besondere Absonderung, sondern um eine gesteigerte Transsudation von Plasma handelt. | In der zweiten Periode der Krankheit wird dies Exsudat selbst weiter umgewan-
571 Fig.
89.
572
Krankheiten der Knochen.
delt zu Bindegewebe, zu Knorpel, ja es kann sogar verknöchern, aber nur zu lockerer, spongiöser Knochensubstanz, | während die normale Bildung derSubstantia compacta, welche voin Periost aus erfolgen soll, durch seine Interposition zwischen die Knochen und das Periost gehindert wird; imGegentheil wird die bereits gebildete normale Rindensubstanz (wie bei gesunden wachsenden Knochen) sehr schnell porös und geht, da neue compacte Schichten vom Periost her nicht geliefert werden k ö n n e n , so vollständig in die spongiöse Knochensubstanz ü b e r , dass nur eine höchst dünne Schicht derselben an ihrer früheren Peripherie übrig bleibt. — Ferner wird aber auch das Wachsthum und die Verknöcherung der foetalen Knorpelanlage b e einträchtigt. Es erfolgt in derselben zwar die Bildung von Markräumen durch Zusammenfliessen der Knorpelhöhlen, gleichsam Chondroporose, auch die Umwandlung von Knorpelzellen in Knochenkörperchcn, aber keine Ablagerung von Kalksalzen, keine Verknö.cherung. Der Knorpel wird . . o s t e o i d " ( V i r c h o w ) , aber er wird nicht zu Knochen. Das Ausbleiben der Verknöcherung in den Epiphysen bedingt eine wahre Biegsamkeit derselben; insbesondere können sie durch Druck, wie er z. B. auf die Epiphysen im Kniegelenk Seitens des Rumpfes bei aufrechter Stellung ausgeübt wird, zusammen und gleichsam in die Breite gedrückt werden. Fig.90. Vielleicht erfolgt durch einen seitwärts wirkenden Druck, wie z. B. beim Caput femoris, eine Verschiebung der Epiphyse (H. M e y e r ) . Die spongiöse Beschaffenheit des Mittelstücks der Röhrenknochen veranlasst eine wahre Brüchigkeit derselben. Dies kann theils durch einen directen Versuch erwiesen werden, theils ergiebt es sich aus der Beobachtung zahlreicher, durch einen mehr oder weniger festen Callus geheilter Fracturen und Infractionen in den Diaphysen der Röhrenknochen. Giebt es daher auch einzelne Fälle, in denen die Annahme einer wirklichen Verbiegung im Mittelstück eines Röhrenknochens nicht ganz zurückgewiesen werden kann, wie Fig. 90, so beruht doch die grosse Mehrzahl der rachitischen Verkrümmungen der Röhrenknochen auf Infractionen, Brüchen innerhalb des unversehrten Periosts, zu denen durch den vorwaltend spongiösen (osteoporotischen) Bau der Diaphyse Veranlassung gegeben wird. Am Schädel spricht sich die Rachitis durch
Rachitis.
573
g r o s s e Weite der Fontanellen und Nähte a u s , indem an diesen Stellen, welche dem Epiphysenknorpel analog sind, die Verknöcher u n g ausbleibt und die Knochenränder durch eine beträchtliche Schicht blutreicher, höchst poröser Knochensubstanz verdickt und vergrössert w e r d e n , während der mittlere Theil eines jeden Knochens von einer solchen Auflagerung frei bleibt und iin Gegentheil durch fortschreitende Resorption immer dünner und biegsamer wird. Dies sind die Veränderungen, welche E l s ä s s e r bereits unter dem Namen des w e i c h e n H i n t e r k o p f e s , da sie am Hinterhaupte vorzugsweise auft r e t e n , richtig beschrieben hat. Durch die spongiöse W u c h e r u n g der Knochenränder und das Ausbleiben der Verknöcherung der Nähte wird die auffallende Grösse des rachitischen Schädels erklärlich (vergl. Fig. 89). | In der dritten Periode der Krankheit findet man entweder die so eben erwähnten Fracturen noch unverändert bestehen, oder sie sind durch festen Callus geheilt, welchen man f r ü h e r mit Exostosen verglichen, oder auch wohl als solche beschrieben hat. Auch das schwammige Knochengewebe kann durch Verknöcherung des seine Maschen ausfüllenden Exsudats sclerosiren und somit der Knochen schliesslich eine grössere Festigkeit erlangen, als e r im normalen Zustande besitzt. |Jedenfalls erfolgt endlich, wenn die dritte Periode ihren Ausgang in Heilung nimmt, Verknöcherung der bis dahin biegsamen Epiphysenknorpel. | Den anatomischen Verhältnissen des rachitischen Knochens entsprechend, hat man auch beträchtliche A b ä n d e r u n g e n d e r c h e m i s c h e n Z u s a m m e n s e t z u n g desselben voraussetzen zu müssen geglaubt. Nach den Angaben von J o h n H u n t e r fand B o s t o c k , dass der Gehalt an phosphorsaurem Kalk, der nach ihm im normalen Zustande l / t des Gewichtes des Knochens ausmachen soll, bis auf l / t vermindert war. Dagegen fand B e c q u e r e l grosse Verschiedenheiten in der chemischen Zusammensetzung rachitischer Knochen, nicht blos bei verschiedenen Individuen, sondern auch je nach der Gegend aus welcher der Knochen genommen war. Ein Kind von 2 ' / , Jahren, welches zu Anfang der dritten Periode der Rachitis an Pneumonie gestorben w a r , lieferte in 1000 Theilen Schädelknochen: 3 5 2 Wasser, 357 organische Substanz, 291 Kalksalze, so dass also letztere etwa '/, ausmachten, während sich in dem Os femoris desselben Skelets auf 1000 Theile: 414 organische Substanz, 528 Wasser und 58, also fast n u r ' / , , an Kalksalzen vorfand. Bei einem dreijährigen Kinde, welches unter den gleichen Verhältnissen gestorben war, zeigte sich eine noch grössere Differenz; die Schädel-*
574
Krankheiten der Knochen.
knochen enthielten ungefähr den vierten, die Tibia den dreissigsten und das Sternum blos den fünfzigsten Theil an Kalksalzen. |Jedenfalls ist es ganz unmöglich, auf Grund der jetzt vorhandenen Kenntnisse von der Chemie der Rachitis Theorien Uber das Wesen der Krankheit aufzubauen. Sollen die chemischen Analysen rachitischer Knochen wirklich diejenige Bedeutung gewinnen, welche man ihnen zuschreibt, so miisste vor Allem die Zusammensetzung der einzelnen Knochen in den verschiedenen Perioden der Krankheit immer nur mit derjenigen vollkommen gesunder Knochen aus demselben Lebensalter verglichen werden. Die Verschiedenheit der einzelnen Schichten eines rachitischen Knochens ist so gross, dass es sogar nothwendig wäre, bei der chemischen Analyse auch die compacte Substanz des ursprünglichen Knochens von der aussen aufgelagerten spongiösen Substanz und diese wieder von dem zwar von Markräumen durchzogenen, aber kalklos gebliebenen Epiphysenknorpel zu sondern. Einen weiteren Anhaltpunkt hat man von chemischer Seite mit Recht in der U n t e r s u c h u n g d e s H a r n s zu gewinnen gesucht. Im Allgemeinen hat sich herausgestellt, dass phosphorsaurer Kalk in dem Harne rachitischer Kinder in viel grösserer (etwa der vierfachen) Menge vorkommt, als im normalen Kinderharne. Man hat ferner diesen Harn ausserordentlich reich an Milchsäure gefunden und auch Oxalsäure in ihm nachgewiesen. Auch das phosphorsaure Natron scheint in beträchtlich grösserer Menge ausgeschieden zu werden. Jedoch sind auch diese Analysen noch unzureichend; sichere Schlüsse auf das Wesen der Krankheit werden erst möglich sein, wenn durch grössere Untersuchungsreihen die Menge der täglichen Ausscheidung von Kalk- und anderen Salzen, so wie des Säuregehalts bei rachitischen und gleichaltrigen, auch in gleicher Weise ernährten, gesunden Kindern festgestellt ist. Wollen wir aus den vorstehenden Thatsachen über das Wesen der Rachitis eine Ansicht zu gewinnen suchen, so müssen wir zunächst die Idee von einer Erweichung des schon gebildeten Knochens ganz ausschliessen. Es handelt sich um eine H e m m u n g der normalen Knochenbildung und des normalen Knochen* w a c h s t h u i n s , wobei die in ihrer Structur zur Verknöcherung vorbereiteten Theile die zur Vollendung derselben erforderlichen Kalksalze nicht in sich aufnehmen. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass diese Störung der Knochenbildung auf der eigenthümlichen Beschaffenheit der die Verknöcherung gleichsam erwartenden Theile beruhe, da bei der Heilung der Rachitis und zum Theil sogar während ihres
Rachitis.
575
Bestehens in jenen Theilen, 'welche während der Blüthe der Krankheit weich bleiben, Kalkablagerung ohne Weiteres erfolgt. Wahrscheinlich also liegt der Grund in der Beschaffenheit des Blutes, wie man sie schon seit G l i s s o n chemisch hat nachweisen wollen, freilich aber noch in keiner Weise nachgewiesen hat. Sehr nahe liegt es, zu vermuthen, dass entweder eine vermehrte Ausscheidung der Kalksalze durch den Harn, oder eine verminderte Zufuhr derselben durch die Nahrungsmittel die Schuld tragen. Wie wenig wir über erstere im Klaren sind, wurde bereits bemerkt. Was die zu geringe Zufuhr von Kalksalzen betrifft, so muss vor Allem festgehalten werden, dass es sich hierbei höchst wahrscheinlich nicht blos um ein gewisses Quantum von Knochenerde, welches in den Körper eingeführt werden müsste, sondern auch um bestimmte Verbindungen derselben mit organischen Substanzen (Albuminate) handelt, da voraussichtlich nur in dieser Form und Verbindung ihr Uebergang in das Blut oder doch ihre Verwendung zur Ernährung (insbesondere der Knochen) möglich ist. Hiermit stimmt denn auch die gewöhnliche Erfahrung überein, dass Rachitis nur bei schlecht oder unzweckmässig ernährten Kindern auftritt, besonders bei solchen, die durch den zu frühen oder ausschliesslichen Genuss der Amylacea häufig oder gar fortdauernd an einer sauren Gährung in ihren Verdauungsorganen leiden, welche eine Reizung und Entzündung der Darmschleimhaut zur Folge hat. Enthalten nun jene Amylacea schon an und für sich,-—wie dies für sehr viele, besonders für Kartoffeln, g i l t , — ein absolut unzureichendes Quantum von Kalkalbuminaten, so muss die Verarmung des Blutes an letzteren auf das Aeusserste gesteigert werden, wenn die erwähnte saure Gährung eine chronische Entzündung der Dannschleimhaut veranlasst hat, durch welche die Resorption des Speisebreies im höchsten Grade gehindert wird. In dieser Beziehung darf nochmals darauf hingewiesen werden, dass gerade zur Zeit der Dentition und des Zahnwechsels die Rachitis sich vorzugsweise zu entwickeln pflegt, denn besonders zur Zeit der ersten Dentition treffen die beiden angedeuteten Momente zusammen: 1) stärkerer Verbrauch an kalkhaltigem Ernährungsmaterial Seitens der schneller emporwachsenden Zähne, 2 ) mehr oder weniger ausgeprägte entzündliche Reizung und somit verminderte Resorption auf der Darmschleimhaut. | Die B e h a n d l u n g der Rachitis ist theils eine diätetisch-pharmaceutische, theils eine mechanische. Von i n n e r e n Mitteln sind am Meisten empfohlen: die roborirenden, tonischen, auch die Tonica excilantia. |Man wird durch sie allein aber niemals etwas aus-
576
Krankheiten der Knochen.
richten, w e n n die Diät und die übrigen Lebensverhältnisse des P a tienten nicht gehörig geregelt werden können.
Leicht verdauliche,
nahrhafte Kost, gute Milch, Fleischbrühe, kleine Gaben guten süssen W e i n s , Aufenthalt u n d Bewegung in freier Luft an sonnigen
und
jedenfalls nicht feuchten Orten, sind z u r Bekämpfung der Rachitis gewiss von grösserem Nutzen,
als alle Tónica der
Pharmakopoe.
Auch der mit rationeller Begründung empfohlene p h o s p h o r s a u r c Kalk hat den von ihm gehegten Erwartungen nicht entsprochen.
Zufuhr
des Kalkes in den Darm ist erst e i n e Bedingung zu seiner Aufn a h m e ins Blut.
Mit vielem Erfolge hat man B ä d e r ,
besonders
Salzbäder, wie zur Beseitigung der Scrophulosis, so auch zur Behandlung der Rachitis in Gebrauch gezogen. | Natürlich werden alle im Verlauf der Rachitis auftretenden acuten Krankheiten f ü r sich mit grosser Sorgfalt zu behandeln sein. Die m e c h a n i s c h e Behandlung der Rachitis w u r d e zu Anfang dieses Jahrhunderts von B o y e r , R i c h e r a n d , C o o p e r gänzlich v e r worfen.
D e l p e c h hat am Meisten dazu beigetragen, diese Ansicht
zu verdrängen und jetzt nimmt Niemand m e h r Anstand, eine jede rachitische V e r k r ü m m u n g auch einer mechanischen Behandlung zu unterwerfen. Bei leichten V e r k r ü m m u n g e n kann sie allerdings entbehrt werden, oder sich doch auf das Anlegen biegsamer Schienen während der Nacht b e s c h r ä n k e n , so dass die Patienten bei Tage sich frei bewegen.
Bei bedeutenden Verkrümmungen
p e r m a n e n t wirkende Maschinen nothwendig.
aber
sind
Oft kommt m a n auch
mit diesen nicht « u m Ziele, wahrscheinlich weil ihre Anwendung zu spät begonnen wird.
| Halten wir fest, dass die grosse Mehrzahl
der V e r l e g u n g e n , b e s o n d e r s der langen Knochen, auf Infractionen derselben beruht, so werden wir dem entsprechend auch eine m ö g lichst frühzeitige Behandlung derselben empfehlen m ü s s e n . wird ganz nach den bei der L e h r e von den Fracturen Vorschriften auszuführen sein.
Dieselbe gegebenen
Ein frühzeitig angelegter Verband
wird unzweifelhaft die Verbiegungen in der Mitte der R ö h r e n k n o c h e n ganz zu beseitigen oder doch auf einem geringen Grade zu erhalten vermögen.
E s versteht sich von selbst, dass diese Verbände
immer in der Art angelegt w e r d e n m ü s s e n , dass sie den kleinen Patienten so wenig als möglich belästigen und ihm möglichst freie Bewegungen gestatten. W e n n aber die eingeknickten oder verkrümmten Knochen bereits durch Callusbildung und Sclerose zu dem die Norm übersteigenden
Grade von Festigkeit gelangt s i n d , so kann von blossen
Verbänden und Maschinen kein Nutzen für die Wiederherstellung
57t
Exostosen.
ihrer Form mehr erwartet werden. Die Behandlung m u s s dann dieselbe sein, wie bei einem schlecht geheilten Knochenbruche (vergl. pag. 397). Wenn die Verhältnisse der Verkrümmung e s gestatten, so ist das Z e r b r e c h e n des difformen Knochens allen anderen Methoden vorzuziehen, d a es jedenfalls weniger gefährlich ist, als das Durchschneiden des Knochens oder das Aussägen eines Knochenstückes, welches übrigens von Einzelnen, besonders von M a y e r in Würzburg, bei diesen und ähnlichen Verkrümmungen mit glänzendem Erfolge vorgenommen wurde. ' ) |
Drittes
Capltel.
Neubildungen im Knochengewebe. [ Die a n und in den Knochen auftretenden bald gut-, bald bösartigen Neubildungen haben zur Einführung sehr verschiedener Namen für dieselben Geschwülste, welche u n s in den Weichtheilen entgegentreten, Veranlassung g e g e b e n , weil ihre Diagnose viel schwieriger ist und ihre Exstirpalion viel seltener ausgeführt wird als diejenige der letzteren. Hierdurch und durch die früher gewöhnliche Verwechselung der Nekrose mit „ K n o c h e n g e s c h w ü l s t e n " ist auf diesem Gebiete eine grosse Verwirrung entstanden. | I. Exostose. |An und in den Knochen kommen Neubildungen vor, welche sich durchaus nach dem Typus des normalen Knochengewebes entwickeln und deshalb eben so gut „ H y p e r t r o p h i e n d e r K n o c h e n s u b s t a n z " genannt werden könnten. Sie werden gewöhnlich als „ K n o c h e n a u s w ü c h s e , Exostoses," getrennt von den Neubildungen oder Geschwülsten, abgehandelt, was inconsequent erscheinen muss, da man die Lipome, welche doch auch nur zusammengeballte Haufen von Fettzellen im Fettgewebe selbst sind, ohne Bedenken den letzteren beizählt. Da wir unter E x o s t o s e n knöcherne Geschwülste am Knochen verstehen, welche ohne vorausgegangene Entzündung durch einen der normalen Periost-Auflagerung analogen Verknöcherungsprocess entstehen, so werden hier alle diejenigen Neubildungen ausgeschieden, welche, meist aus Nichtbeachtung der mikroskopischen Verhältnisse, nur wegen ihrer Knochen-Aehnlichkeit, als Exostoses osteocartilagineuses ( N e l a t o n ) , Exostoses osteo-chondrophytes (Cruveil' ) |Vergl. Illustr. medic. Zeitung. 1852- Bd. II. H. 7 u. folg.) V i d a l ' s Chirurgie.
II.
37
578
Krankheiten d e r Knochen.
h i e r),Exostoses laminées, auch Ostéosarcome, von verschiednen Schriftstellern hierher gerechnet werden, obgleich sie offenbar theils als verknöchernde E n c h o n d r o m e , theils als Krebse mit knöchernem Gerüst aufzufassen sind. Wir trennen ferner von den Exostosen die als Entzilndungsproducte an den Knochen auftretenden Verdickungen und Rauhigkeiten, welche man in neuerer Zeit mit dem Namen O s t e o p h y t e n , zur Unterscheidung von jenen, belegt h a t . 1 ) Fig. 91. Fig. 9 1 zeigt bei a sehr deutlich OsteophytenBildung, deren Form und Dicke auf dem Fig. 9 2 C abgebildeten Querschnitt noch bestimmter erkannt werden kann. Bei b sind die erweiterten Gefäss\ } M W kanälchen angedeutet. Wir haben also bei a Osteo§ phyt, bei b Osteoporose als Entziindungs-Producte r
im
neben einander. Fig.
92.
Nach R o k i t a n s k y und späteren Beobachtern werden c o m p a c t e und s c h w a m m i g e Exostosen unterschieden. Beide Arten sollen ihren Ursprung entweder unter der Cortikalsubstanz, aus der spongiösen Substanz des erkrankten Knochens selbst nehm e n , gleichsam durch eine Expansion desselben entstanden sein, oder nur durch eine Auflagerung neuer Knochensubstanz auf die Oberfläche des Knochens gebildet werden. ' ) |Das Osteopliyt verdankt einem n a c h w e i s b a r e n riost
entzündlichen Process in Pe-
u n d Knochen seine E n t s t e h u n g ; es findet sich n i c h t allein in der Umge-
b u n g cariüser u n d n e k r o t i s c h e r K n o c h e n p a r t h i e n , s o n d e r n auch in der Nähe von Unterschenkelgeschwiircn, verschiedenen a n d e r e n K r a n k h c i t s h c e r d e n , sofern diese in irgend einem S t a d i u m i h r e r Existenz eine Reaction im Knochengewebe lassen.
veran-
Es n i m m t gewöhnlich a u s g e b r e i t e t e , n i c h t u m s c h r i e b e n e Stellen eines
Knochens ein
und
erscheint in den verschiedenartigsten F o r m e n
(schwammig,
villiis, splittrig-Wättrig, warzig, zackig, k n o r r i g ) , b e s o n d e r s in d e r Nähe d e r ge-
579
Exostosen.
Die häufigste Exostose ist, nach R o k i t a n s k y , die c o m p a c t e . Sie sitzt dem erkrankten Knochen entweder planconvex und mit breiter Grundlage, oder mit einem schmalen und kurzen Stiele, gleichsam pilzartig auf, und hat die Grösse einer Linse oder Erbse bis zu der eines Hühnereies mit einer bald ebenen, bald unebenen, selbst knotigen, lappigen, aber niemals rauhen Oberfläche. Bisweilen übertrifft die Dichtigkeit der compacten Exostose diejenige ihrer Ursprungsstelle; dann heisst sie Exostosis eburnea. Die jüngeren Exostosen sowol wie die jüngeren peripherischen Schichten der compacten Exostose sind immer dicht und hart wie ihre älteren Theile, und aus zahlreichen, eng übereinander geschichteten Ivnochenlamellen zusammengesetzt, in denen Gefässkanäle und Knochenkörperchen in geringerer Anzahl und in viel weniger regelmässiger Anordnung vorhanden sind, als im normalen Knochen. Die s c h w a m m i g e E x o s t o s e R o k i t a n s k y ' s soll aus einer Rarefaction des Knochengewebes an umschriebener Stelle (Osteoporose) hervorgehen und bildet flachrundliche oder mehr umschriebene halbkugel- und kugelförmige, mit einer breiteren oder schmäleren Basis aufsitzende Geschwülste, deren Durchschnittsfläche eine spongiöse, mit Knochenmark gefüllte Knochensubstanz zeigt, die von einer compacten, in die Cortikalschicht des erkrankten Knochens übergehenden Knochenschicht überzogen wird und mancherlei Unebenheiten darbietet. Es erscheint nicht wahrscheinlich, dass sich diese Exostose bald auf der compacten Cortikalschicht des befallenen Knochens, bald aus der tieferen spongiösen Substanz desselben primär entwickele, wie bisher angenommen worden ist. Man hat sich nämlich bei der Bestimmung Uber die Ursprungsstelle der Exostosen besonders danach gerichtet, ob zwischen ihr und dem Knochen noch eine Schicht cortikaler Substanz vorhanden war oder nicht, und wo man eine solche nicht fand, den Ursprung in die spongiöse Substanz versetzt. Wir können uns jedoch keine Knochengeschwulst anders entstanden denken, als zwischen Knochen und Periost, durch Vermittlung des letzteren, oder in schon vorhandenen, auch wolneu gebildeten Hohlräumen in der Knochensubstanz durch Verknöcherung von Exsudaten. Fehlt zwischen der schwammigen Exostose und dem erkrankten Knochen die trennende cortikale Substanz, so ist dieselbe durch den früher erörterten Process der Osteoporose in spongiöse Substanz umgewandelt worden. ') Wir verlegen daher fässreichen Knochenabschnitte (Gelenk-Enden,
Lineae asperae
etc.).
—
Roki-
tansky.] ' ) |Vergl. H e r m a n n M e y e r , in der Zeitschrift f. rationelle Medicin 1 8 5 3 , p. 1 4 3 ff.|
37*
580
Krankheiten der Knochen.
auch den Ursprung dieser Exostose an die Peripherie des Knochens unter das Periost. Wahrscheinlich entsteht auch ihr schwammiges Gefüge durch Resorption in dem ursprünglich compacten Gewebe. Der Process der Osteoporose schreitet in ihrem Centrum sogar oft so weit fort, dass in der peripherischen dichten Knochenschale ein centraler Markraum entsteht, welcher in seltenen Fällen auch mit der Markhöhle des erkrankten Knochens communicirt. Jedoch können auch anderer Seits die Maschenräume der spongiösen Exostose mit compacter Substanz ausgefüllt und die ganze spongiöse Exostose somit zu einer compacten (freilich von anderer Structur) umgewandelt werden. Die diese Exostosen bedeckende Beinhaut bietet ausser einer festeren Adhärenz oder einer geringen Verdickung nichts Besonderes dar. [ Wird eine ähnliche Knochen-Neubildung nach der Markhöhle hin vorragend gefunden, so Fig. 93. heisst sie E n o s t o s i s . Man bezeichnet mit diesem Namen aber auchKnochengeschwülste welche in von Knochen umgrenzte Höhlen hineinwachsen, wie z. B. in die Schädelhöhle (Fig. 93), in das Becken u. s. w. Seltener ist beides gleichzeitig der Fall. (Fig. 94). Die Enostosen werden durch Druck auf die in den Höhlen enthaltenen Organe im höchsten Grade gefahrvoll. Fig. 94.
Umgiebt die Exostose einen cylindrischen Knochen als eine mehr oder weniger ringförmige Geschwulst, dann nennt man dieselbe P e r i o s t o s i s , während die peripherische Massenzunahme eines ganzen platten Knochens oder des ganzen Cylinders eines langen Knochens als H y p e r o s t o s i s bezeichnet wird.
Exostosen.
581
|Da die spongiöse oder compacte Beschaffenheit einer Exostose sehr wahrscheinlich nur auf verschiedenen Alters- oder Entwicklungszuständen derselben Exostose beruht, so wollen wir sie bezüglich ihres Vorkommens gemeinschaftlich abhandeln. | Auf allen Knochen können sich Exostosen entwickeln und bisweilen gleichzeitig auf allen Knochen ')> jedoch scheinen sie besonders häufig an den oberflächlich gelegenen Knochen oder einzelnen hervorragenden Theilen derselben vorzukommen, wie z. B. an den Schädelknochen 2 ), an dem Schlüsselbein, Schienbein, Brustbein und den Rippen, an den Epiphysen häufiger als an den Diaphysen der langen Knochen, am Häufigsten an | der inneren Seite | der unteren Epiphyse des Femur (Fig. 9 5 ) . Unter den kurzen Knochen werden häufiger die Kiefer 3 ), seltner die Wirbel, Carpal- und Tarsalknochen von ihr befallen. Auch die Z ä h n e können der Sitz selbst sehr grosser Exostosen werden, und zwar nicht blos die eigentliche Zahnsubstanz, ' ) A. C o o p e r , L o b s t e i n , Anatom,
patlwlog.
f. II.
pag. 152. ' ) |Hier fand R o k i t a n s k y vorzugsweise häufig compacte Exosten, oft in grösserer Anzahl und
zu-
gleich mit Sclerose der Knochen, auch mit Verknöcherung der Dura maier.
Paget
(Canstatt,
Jahresh. f. 1 8 5 1 . IV. Bd. pag. 2 1 4 ) beobachtete sie am Häufigsten am Stirnbein, zumal an dem Supercilial- und Orbitallheil desselben, von wo aus sie in die Schädel- und Augenhohle hineinwachsen. | 3
) |Vom Ober- und Unterkiefer dehnen sie sich nach den verschiedensten Richtungen mit breiter oder gestielter Basis und unebener Oberfläche weithin aus, so dass sie oft das Antrum füllen.
Highmori,
die Augen- und Nasenhöhlen etc. aus-
S c h u h traf diese (von ihm Osteoide genannte) Geschwülste nur an
der vorderen Fläche des Oberkiefers von rundlicher, ebener, knochenharter Oberfläche,
und sah sie nur ein Mal sich auf den Proc.
Mittellinie
nach der anderen Seite
fortsetzen.
alveolares
und über die
Eine von W e d l (s. S c h u h ,
Pseudoplasmen) untersuchte wallnussgrosse höckerige Exostose vom Unterkiefer (in der Gegend des Weisheitszahnes) enthielt mit vielen Fettkugeln gefüllte Markkanäle und divergirend ästig laufende Kanälchen, die vollkommen wie die Zahnkanälchen ausssahen; ausserdem waren grosse Knochenkörper spärlich wahrzunehmen, welche an den Zahnkanälchen ansassen und wie variköse Erweiterungen derselben erschienen. |
582
Krankheiten der Knochen.
sondern auch der Schmelz, an welchem sie in Form von Höckern auftreten. ') Am Häufigsten aber finden sich Exostosen an der sogenannten Substantia osteoiden der Zähne, welche bekanntlich wahre Knochensubstanz ist. Eine besondere Berühmtheit bat endlich die von D u p u y t r e n *) zuerst beschriebene Exostose auf der Dorsalseite der letzten Phalange der grossen Zehe erhalten. Bald trifft man nur e i n e Exostose am Körper, bald eine kaum zählbare Menge derselben an den verschiedensten Theilen des Skelets, | wobei bisweilen eine ganz genaue Symmetrie ihrer Ursprungsstellen an beiden Körperhälften beobachtet wird, so dass sie z. B. an denselben Stellen beider Radii, beider Ulnae, beider Fibulae u. s. w. hervorwachsen |. A e t i o 1 o g i e. | Die Falle von weitverbreiteter Exostosenbildung, wie sie D u p u y t r e n 3 ) in grösserer Anzahl aufführt, haben die Veranlassung gegeben, dass man verschiedene Dyskrasien in ein ursächliches Verhältniss zu derselben gebracht h a t Dies ist jedoch, wie gerade aus den genauen Krankengeschichten D u p u y t r e n ' s hervorgeht, durchaus unstatthaft; insbesondere geht aus allen Beobachtungen hervor, dass die Syphilis (erbliche wie erworbene) als Ursache dieser Erkrankung von der Hand gewiesen werden muss, da einer Seits bei den mit Exostosen Behafteten kein anderes Symptom der Syphilis aufgefunden werden konnte, anderer Seits auch das gegen diese Dyskrasie übliche Curverfahren bei ihnen vollständig fruchtlos blieb. — P a g e t 4 ) spricht deshalb, gestützt auf das h e r e d i t ä r e und symmetrische Vorkommen vieler Exostosen, von einer knochenbildenden Diathese, die um so mehr begründet erscheint, als neben einer weitverbreiteten Exostosenbildung auch Verknöcherungen zahlreicher Muskeln und Sehnen, selbst bei Individuen von 8—25 Jahren, beobachtet worden sind. Die Erblichkeit dieses pathologischen Processes wird besonders durch die von B o y e r * ) erzählte Krankheitsgeschichte der V i c t o i r e P è l e r i n dargethan; sie selbst war mit zahlreichen Exostosen bedeckt, eben so ihr Vater, ihre Brüder, ihre Schwester, ihre Neffen und Kinder. — Ist die Anlage zu dieser bestimmten Krankheit (Exostosen-Diathese) bei einem Individuum einmal vorhanden, so hat man nach Verletzungen beliebiger ' ) Nach O u d e t
(Die!,
en 3 0 vol., nouv.
¿dit.
t. X, pag. 1 6 2 ) scheinen solche
Zähne aus zwei Kronen zusammengesetzt zu sein. *) Leçon»
oral.
3
J Leçons
orale»,
4
) C a n s t a t t ' s Jahresber. f. 1 8 5 1 , IV. Bd. pag. 2 1 5 .
5
) Traité
I. II. pag.
110.
t. 11. pag. 1 1 9 ff.
de» malad.
Chirurg.,
I. III. pag.
590.
583
Exostosen.
Knochen neue Exostosen entstehen sehen. ') Einige Beobachtungen sprechen dafür, dass mechanische Insultationen überhaupt, auch ohne jene Diathese, Exostosenbildung veranlassen können. Es bleibt jedoch fraglich, ob es sich in diesen Fällen nicht vielmehr um Enchondrome gehandelt hat. (Vergl. Bd. 1. pag. 445.) Ausserdem will man in kräftigen und wiederholten Muskelspannungen eine Ursache für die Entstehung dieser Neubildung finden, da rauhe Knochenvorsprünge an den Insertionsstellen der Muskeln eine physiologische Erscheinung sind. Gewöhnlich aber sind gar keine stichhaltigen Gründe für die Entstehung der Exostosen aufzufinden. Man iindet sie im Allgemeinen öfter bei Menschen im jugendlichen Lebensalter (vom l O t e n — 3 0 s t e n Jahre, selbst bei Neugebornen), als in den vorgerückteren Lebensperioden. | S y m p t o m e u n d V e r l a u f . Gewöhnlich haben die Exostosen ein langsames Wachslhum und nehmen, wie aus einigen Beobachtungen hervorgeht, nur dann schnell zu, wenn das erkrankte Individuum selbst schneller emporwächst. | S c h u h 2 ) sah jedoch in 2 Fällen bei Leuten zwischen 20 und 30 Jahren die Exostosen am Oberkiefer schon im Verlauf eines Jahres den Umfang einer Faust erreichen. Meist sind die bedeckenden Weichtheile unversehrt und erst bei grosser Spannung derselben, selten auch im Beginn der Entwicklung (durch Compression benachbarter Nerven) treten Schmerzen auf. Die Angaben von grosser, besonders nächtlicher Schmerzhaftigkeit der Exostosen beruhen offenbar auf einer Verwechselung derselben mit den durch syphilitische Nekrose bedingten Geschwülsten (Tophi und Nodi). | Bisweilen erkranken die Exostosen jedoch ganz so wie die Knochen überhaupt und werden cariös |oder nekrotisch, so dass sie bisweilen in ihrer ganzen Masse gleichsam abfallen und dann vollständige Heilung eintritt ( P a g e t 3 ))|. Solche „vereiterte Exostosen" können, abgesehen von den durch ihr Volumen bedingten Störungen, als Knochen-Eiterungen nachtheilig auf den übrigen Organismus _ wirken. | R o k i t a n s k y und N e l a t o n schreiben den Ausgang in Nekrose n u r den elfenbeinernen Exostosen zu und Letzterer erklärt ihn aus fast vollständigem Mangel der Gefässkanälchen. — Hat die Exostose ihren ursprünglichen Sitz in der Nähe einer Sutur oder überhaupt einer unbeweglichen Ivnochen-Verbindung, so schreitet sie gewöhnlich auf den benachbarten Knochen so fort, als ob gar keine Trennungslinie vorhanden wäre; ') |Vergl. N e l a t o n , Klemens
de pathol.
Chirurg.,
®) | S c h u h , Pseudoplasmen, p. 1 1 8 . | 3
) | C a n s t a t t , Jahresber. für 1 8 5 1 , Bd. IV. p. 2 1 5 . |
f. II. pag- 12.|
584
Krankheiten der Knochen.
bisweilen wird sie aber auch durch eine Sutur scharf abgegrenzt und in ihrem Wachsthuin gleichsam behindert. | Wo zwei benachbarte Knochen, z. B. Tibia und Fibula, durch Weichtheile von einander getrennt sind, werden diese von der Exostose verdrängt, und letztere verwächst so mit dem anderen Knochen, dass es unmöglich ist, den primitiven Sitz zu erkennen. Voluminöse Exostosen verdrängen die umgebenden Theile, verdünnen die über sie hinweggespannten Muskeln, und geben vermöge der bei den Bewegungen nothwendigen grösseren Reibung Veranlassung zur Bildung von accessorischen Schleimbeuteln zwischen den Muskeln und der Exostose. Ragt die Exostose in Höhlen (Augen-, Schädelhöhle, Becken), so treten die Erscheinungen der Compression der daselbst gelegenen Organe auf (Atrophie, Neuralgien, Lähmungen, Epilepsie, Geburtshindernisse etc.). Benachbarte Knochen können entweder, wie schon erwähnt, mit der Exostose verwachsen, oder sie werden, Falls es ihre Beweglichkeit gestattet, aus der Stelle gedrängt (z. B. Luxation des Unterkiefers durch eine Exostose des Oberkiefers), andern Falls aber atrophisch durch Druck. Nach dem Vorhergehenden lässt sich wenig mehr zur Erörterung der D i a g n o s e dieser meist dem Finger zugänglichen unbeweglichen knochenharten, meist isolirten Geschwülste hinzufügen, aber auch ebenso wenig zur Diagnose einer tiefsitzenden, von den Weichtheilen bedeckten Exostose, da, wenn nicht vielleicht an anderen Körperstellen unzweifelhafte Exostosen vorhanden sind, die functionellen Störungen durch eine Menge anderer Geschwülste ebenso gut verursacht sein können. |Nélaton führt einige Beispiele an, welche die Schwierigkeit der Diagnose tiefsitzender Exostosen darthun. Eine scirrhöse Geschwulst in der Orbita wurde für eine Exostose gehalten und als solche operirt; die Geschwulst eines geheilten Aneurysma popliteum erfuhr dieselbe Verwechselung und man amputirte den Oberschenkel.] Von J. C l o q u e t wurde der Société de Médecine ein Präparat gezeigt,, an welchem von der hintern Seite des Os pubis zwei Exostosen die vordere Blasenwand durchbohrt hatten und in ihre Höhlung hineinragten, so dass die Verwechselung mit einem Blasenstein bei der Untersuchung mit der Sonde sehr leicht möglich gewesen wäre. Die B e h a n d l u n g der Exostosen ist immer schwierig, zuweilen sehr gefährlich und oft überflüssig. Von antiphlogistischen und antidyskrasischen Mitteln wird nur dann ein Erfolg zu erwarten sein, wenn es sich nicht um eine Exostose, sondern um ein in der Bildung begriffenes Ostepphyt, d. h. also eigentlich um eine
Exostosen.
585
Knochen- und Knochenhaut-Entzündung handelt. Die wirkliche Exostose in dem oben bezeichneten Sinne kann nur durch eine chirurgische Operation beseitigt werden. Bei der Entscheidung der Frage, ob eine solche unternommen werden soll, handelt es sich, wie überall, um die Vergleichung der Gefahren, welche die Operation bedingt, mit denjenigen, welche die Exostose herbeiführt. Ist der Sitz der Exostose ein solcher, dass die Operation gefährlicher wäre, als das weitere Wachsthum der Geschwulst, so muss man sie jedenfalls unberührt lassen. Wünscht der Kranke wegen der Difformität, welche sie veranlasst, oder wegen der Schmerzen, die durch den Druck der Geschwulst herbeigeführt werden, oder wegen der Behinderung im Gebrauch seiner Glieder, von ihr befreit zu sein, so wird man sich nur, wenn die Operation voraussichtlich besondere Gefahren nicht in ihrem Gefolge hat, zu ihr entschliessen. ^ Die O p e r a t i o n d e r E x o s t o s e besteht 1) in dem A b s ä g e n , gleichsam der Exstirpation der Geschwulst, 2) der Anwendung des Glüheisens, 3) der Resection des Knochenstücks, an welchem die Exostose sitzt, 4) der Amputation des mit ihr behafteten Gliedes. Von den beiden letzteren wird später besonders zu handeln sein. Die Exstirpation der Exostose geschieht, indem man sie zuerst durch eine gerade Incision, oder durch zwei elliptische Schnitte, oder, wenn sie mit sehr breiter Basis aufsitzt, mittelst eines Kreuzschnittes blosslegt, dann aber, entweder mit einer schmalen Stichsäge oder der Kettensäge, dem H e i p e ' s c h e n Osteotom oder auch mit Meissel und Hammer, die Geschwulst von dem Knochen trennt. Die Operation ist leicht und schnell auszuführen, wenn die Exostose mit einem verhältnissmässig dünnen Stiel aufsitzt und sich an einem leicht zugänglichen Orte befindet, unter den entgegengesetzten Verhältnissen aber wird sie äusserst schwierig. Sieht man sich in solchen Fällen zur Anwendung von Meissel und Hammer genöthigt, so muss der Knochen, an welchem die Exostose sitzt, vollkommen sicher fixirt und der Meissel immer möglichst parallel mit der Oberfläche des Knochens geführt werden, um Erschütterungen desselben zu vermeiden. Bei gefässreichen, spongiösen Exostosen mit breiter Basis kann zur Stillung der Blutung schliesslich das Glüheisen nothwendig werden. Dies ist aber auch die einzige Anwendung, die man von dem Glüheisen bei der Operation einer Exostose machen sollte. Dasselbe erregt stets eine partielle Nekrose mit nachfolgender heftiger Entzündung und Eiterung. Man würde den Kranken daher den Gefahren einer sehr ausgebreiteten Knochen-Eiterung aus-
586
Krankheiten der Knochen.
setzen, wenn man eine grössere Exostose gänzlich mittelst des Glüheisens zerstören wollte. Um diesen Gefahren zu entgehen, ist auch der Vorschlag gemacht worden, die Exostose nur zu entblössen, das Periost sorgfältig in ihrer ganzen Ausdehnung mit einem Schabeisen (Rugine) von ihr zu entfernen und sie dann, der Luft ausgesetzt, sich selbst zu überlassen. Nach diesem Eingriff lässt sich allerdings die Nekrose der oberflächlichen Schicht der Geschwulst erwarten, ob aber jemals es gelingen würde, die Abstossung der ganzen Geschwulst auf diesem Wege zu erzielen, ist höchst zweifelhaft. Jedenfalls würde ein solches Verfahren überaus langwierig und wegen der lange dauernden Eiterung auch nicht ganz gefahrlos sein.
II.
Knorpelgesclmulst.
Enchondroma.
|Das Enchondrom kommt, wie bereits Band I. pag. 441 u. f. erörtert worden ist, vorzugsweise häufig als eine an Knochen wurzelnde Geschwulst vor. Indem wir in Betreff seiner sonstigen Verhältnisse auf die bereits im Allgemeinen (1. c.) gegebene Darstellung verweisen, heben wir hier nur hervor, dass die Unterscheidung desselben von einer Exostose oft schwierig, ja sogar unmöglich sein kann, da auch die nicht verknöcherte und von keiner Knochenschale umgebene Knorpelgeschwulst vollkommen die Consistenz einer Exostose besitzen kann. Auch die Punkte, welche nach der von uns bei der Beschreibung des Enchondroms (Band I. pag. 449) gegebenen Darstellung für eine Exostose sprechen sollen (das schnellere und schmerzhafte Wachsthum, das Vorausgehen mechanischer Insultationen, das Bestehen von Dyskrasien), können nach neueren Erfahrungen nicht als entscheidend für die Annahme dieser oder jener Geschwulst angesehen werden (vgl. Exostose). Ueber die Operation des an einem Knochen wurzelnden Enchondrom gilt übrigens Alles das, was in Betreff der Exostose so eben gelehrt wurde. |
III. Fasergesdiwülste,
Fibroide und
Sarkome.
| F i b r o i d e wurden von R o k i t a n s k y besonders in schwammigen Knochen, in den Gelenk-Enden der Röhrenknochen, den Wirbeln, den Phalangen der Finger, den Schädelknochen, im Unterkiefer und den Beckenknochen beobachtet. Bald haben diese Geschwülste ihren Ursprung wirklich inmitten der Knochensubstanz, bald sind sie nur „umgrenzte Auswüchse, Wucherungen des Periosts, wie z. B. die
Osteosarcoma.
587
fibröse Epulis, welche von dem Alveolarrande des Kiefers und von dessen Periost ausgeht und das Zahnfleisch nur vor sich her schiebt" ( P a g e t , R o b i n ')). Die Basis der fibrösen Geschwülste, welche dem Knochen aufsitzen, ist sehr häufig mit knöchernen Auswüchsen, mit einem knöchernen Gerüst wie die Krebse am Knochen durchsetzt, die durchaus als neugebildete Periostverknöcherung zu betrachten sind, während die innerhalb des Knochens sich entwickelnden Fasergeschwülste von Resten des alten erkrankten Knochens durchsetzt werden, so dass die Knochensubstanz wie auseinandergesprengt erscheint. Einer expansiven Kraft des der Neubildung zu Grunde liegenden Processes darf man diese Erscheinung nicht zuschreiben, da weniger gezwungene Erklärungsweisen, wie wir sie schon beim Enchondrom mit knöcherner Schaale, beim Knochenabscess, bei der schwammigen Exostose auseinandersetzten, zulässig sind. Ebenso wenig darf es wörtlich genommen werden, wenn von blasiger Ausdehnung die Rede ist. Es handelt sich auch hier um Resorption der Knochensubstanz unter dem Einfluss des Druckes der wachsenden Geschwulst und Auflagerung neuer Knochenschichten vom Periost aus. Endlich durchbricht die Geschwulst dann die Knochenschale, wächst nach den Weichtheilen zu fort und kann Entzündung, Brand und Ulceration derselben verursachen. Excessiv kann sich ferner bei der gehemmten Callusbildung fibröses Gewebe entwickeln (fibröser Callus, Pseudarthrose). Das S a r k o m des Knochens (Osteosarcoma) hat, wie die Sarkome überhaupt, noch eine etwas zweifelhafte Stellung. R o k i t a n s k y hat sie ziemlich oft beobachtet, oberflächlich und in der Tiefe des Knochengewebes, mit und ohne Knochenschale, Ihrer Structur nach rechnen sie Manche bald zu den unreifen Fibroiden, bald zu den Carcinomen, bald zu den Cystosarkomen. Allgemein aber wird dem Knochen-Sarkom die Fähigkeit zu recidiviren und sich nach Art des Krebses zu verbreiten, zugeschrieben. Es liegt nahe, anzunehmen, dass alle solche recidivirende Sarkome Krebse (ihrer Structur nach) gewesen seien. Aber die Möglichkeit der Recidive an entfernten Orten scheint nach den neuesten Beobachtungen ! ) auch bei dem wirklichen Sarkom (von fibröser Structur) ' ) | C a n s t a t t ' s Jahresbericht für 1 8 5 1 . Bd. IV.| 5
) | P a g e t ( C a n s t a t t ' s Jahresbericht für 1 8 5 1 , Bd. IV. pag. 2 0 9 )
beobachtete
locale nnd entfernte Recidive von rein fibrösen Geschwülsten und Sarkomen. In dem einen Falle, wo sich bei einem 53jährigen Manne eine grosse Geschwulst unter dem itf. sternocleido-mastoidens
ausgebildet hatte, welche
genau die
mikroskopische Beschaffenheit der übro plastischen Geschwülste L e b e r t ' s zeigte.
588
Krankheiten der Knochen.
zugegeben werden zu müssen. Obgleich Fälle der Art mit hinreichend genauer (mikroskopischer) Untersuchung der Geschwülste gerade in Betreif des Sarkoms der Knochen nicht vorliegen, so wird durch die gedachten Beobachtungen doch der Annahme, dass die Aussage früherer Schriftsteller über die Recidive der Osteosarkome auf Verwechselungen derselben mit Krebsen beruht haben, ihre Begründung genommen. Die Umgebung der in den Knochen auftretenden Sarkome ist gewöhnlich sclerosirt, so wie auch bei mehr oberflächlichem Sitze derselben in die Basis der Geschwulst dornähnliche und blättrige Knochenwucherungen hineinragen, oder auch bei Sarkomen mit knöcherner Schaale höckerige, in verschiedener Richtung verlaufende Knochenstränge die ganze Neubildung durchsetzen. Die von Dup u y t r e n an Knochencysten mit festem Inhalt beschriebenen Geschwülste scheinen hierher zu gehören. Die B e h a n d l u n g der Fasergeschwülste der Knochen wird wo möglich in ihrer Exstirpation (sofern überhaupt gegen sie etwas geschehen soll) mit Erhaltung des Knochens, an dem oder in dem sie sitzen, bestehen. Sind sie von einer Knochenkapsel cystenartig umschlossen, so muss man diese eröffnen und sie mit hebelartigen Instrumenten herauszubefördern oder, wenn sie fester sitzen, mit starken Zangen herauszureissen suchen. Ist man der totalen Entfernung nicht ganz sicher und will Recidive zuverlässig verhüten, so wendet man nach der mechanischen Entfernung der Geschwulst noch das Glüh-Eisen an. j IV. Cysten. | Die Cysten in den Knochen werden als eine seltene Krankheit betrachtet, obgleich sie in allen Knochen vorkommen können. Besonders haben sie ihren Sitz in den Knochen des Gesichts, öfter im Unterkiefer als im Oberkiefer, ferner im Os parietale, in der oberen Wand der Augenhöhle, im Femur, in den Beckenknochen. Bisweilen sollen sie, nach S c h u h , zwischen dem Knochen und seinem Periost, meist jedoch im Gewebe des Knochens selbst entstehen. S c h u h sah solche Cysten einmal an der Stirn, zweimal in fand er nach dem Tode 4 ähnliche Massen in den Lungen und eine in einer Ccrvikuldriisc.
Nach
der Exstirpation
einer kleinen
fibrösen Geschwulst der
Mamma, die beim Kochen Leim gab, sah P a g e t sowohl unter der Narbe, als auch nach dem 3 Monate später erfolgenden Tode 2 0 — 3 0 kleine fibröse Geschwülste in den Lungen, die aus compactem fibrösen Gewebe bestanden.|
Knochen-Cysten.
589
einem Zahnfache (als Hydrops alveoli), wo sie auch B o w m a n n ') beobachtete, und einmal am Oberkiefer. Wie bei den Cysten ausserhalb des Knochens, so müssen auch hier die verschiedenen Entstehungsweisen, die Genese derselben berücksichtigt werden, und sind demnach manche Cysten zu den erweichten Enchondromen, zum Carcinoma alveolare, oder zum wirklichen Krebs mit zufälliger Cystenbildung zu rechnen, andere wiederum als Hydrops der im Knochen vorhandenen Höhlen zu betrachten, für noch andere sind noch speciellere Entstehungsweisen wahrscheinlich gemacht worden. So hebt B o w m a n n z. B. hervor, dass die Cysten der Alveolen genau an der Vereinigungsstelle des Zwischenkiefers mit dem Oberkiefer vorkommen, und einen Theil des Knochens wie eine Schaale vor sich hertreiben, mithin vielleicht als Vitia primae formationis zu betrachten sind. Die Unterscheidung aller dieser, ihrer Entstehungsweise nach höchst verschiedenen, cystenartigen Neubildungen hat ihre grossen Schwierigkeiten. Nach D u p u y t r e n ist der Cysteninhalt bald flüssig, bald fest, sogar knöchern; meist soll er eine fasrig-zellige Masse bilden, oder aus Flüssigkeit und festen Massen gemischt, auch wohl schleimig, fettig, eiterartig, gallertig beschaffen sein; auch Zähne sind darin vorgekommen. B o k i t a n s k y hat ein eingebautes Cholesteatom in der Pars mastoidea des Schläfenbeins und dem anstossenden Theile des Hinterhauptsbeines beobachtet. — Nach der Beschaffenheit ihrer inneren räumlichen Verhältnisse theilt man die Knochencysten ferner ein in einkammerige und mehrkammerige; aber auch die einkammerigen Cysten sind, wenn sie zwischen Periost und Knochenoberfläche entstanden, an ihrer Basis bisweilen von Knochennadeln durchsetzt und haben ferner bei demselben Ausgangspunkt einen aufgeworfenen, zackig unebenen Knochenrand um die Cyste, in Folge der durch die Zerrung der Knochenhaut gesetzten schleichenden Entzündung ( S c h u h ) . | Die Knochencysten haben ein höchst verschiedenes Volumen, von der Grösse einer Flintenkugel bis zu der einer Faust und darüber. Die multiloculären Cysten, die in ihrem Innern durch knöcherne Scheidewände in abgeschlossene oder communicirende runde Bäume getheilt sind, haben ein ganz unbegrenztes Volumen. N e l a t o n s ) bildete nach einem frischen Präparate eine multilokulare Cyste ab, welche die ganze Diaphyse des linken Femur von ' ) [ C a n s t a t t ' 9 Jahresbericht für 1 8 5 1 , !
Bd. IV. pag. 2 0 1 - j
) [Klemens de Pathologie chirvrgicale, T. J7.|
590
Krankheiten der Knochen.
d e r Basis d e s g r o s s e n T r o c h a n t e r bis 2 Ctra. o b e r h a l b d e r C o n d y len e i n n a h m u n d von e i n e r s e h r d ü n n e n , d e m F i n g e r d r u c k w e i c h e n den Knochenschaale umgeben war. ') Symptome und Verlauf.|
Im Anfange s c h e i n e n die K n o c h e n -
cysten s c h m e r z l o s o d e r doch wenig s c h m e r z h a f t zu sein. macht
sich
eine u n b e w e g l i c h e
die mit weiterer Z u n a h m e sion zulässt.
Uebt m a n
knöcherne
Geschwulst
Allmälig bemerkbar,
i h r e s V o l u m e n s eine g e w i s s e
Compres-
in diesem S t a d i u m d e r Geschwulst
Druck mit d e r H a n d auf diese o d e r j e n e v o r z u g s w e i s e
einen
nachgiebige
Stelle d e r s e l b e n aus, so e n t s t e h t ein e i g e n t h ü m l i c h e s G e r ä u s c h , ä h n lich d e m d u r c h Z u s a m m e n d r ü c k e n von r e c h t t r o c k n e m o d e r s t a r r e m P a p i e r e r z e u g t e n Knittern.
Pergament
(Vergl. P r o l e g o m e n a Bd. I,
pag. 1 6 . ) D u p u y t r e n stützt auf dieses Zeichen v e r t r a u e n s v o l l seine Diagnose u n d
nennt
es p a t h o g n o m o n i s c h .
Lässt
der
Druck
des
die d ü n n e K n o c h e n s c h a l e v e r d r ä n g e n d e n F i n g e r s n a c h , so e r s c h e i n t das G e r ä u s c h Fig
sofort w i e d e r ; h a t m a n j e d o c h 9Ö
das Experiment
an
ein u n d d e r s e l b e n Stelle öfter wiederholt, so v e r s a g t es endlich, e r s c h e i n t a b e r z u -
^^Pj^SW'i^Hk i M m w j ß m s 1 |% » B fKy* A wudlflnf J
Peripherie büschelförmig auseinander gehen (Fig. 97 u. 98 ')). Die tieferen Cortikalschichten des erkrankten Knochens werden sclerosirt, oft elfenbeinartig. Ganz entgegengesetzte Processe begleiten den i n mitten der Knochensubstanz auftretenden Krebs: der umliegende Knochen wird osteoporotisch, die peripherischen Knochenlamellen werden verdünnt, oft bis aufs Aeusserste. Das ganze Knochen-
Ä ^ ^ ä I ^ts^flPf
system zeigt überdies auch we t ' gediehenem oder ön er ' 8 bestehendem Krebs anderer entfernt liegender ^L'''- 1 * M J O r 8 a n e i eine grössere Brü^"¡¿¿Jw*^ chigkeit durch fortschreitende Osteoporose mit Verdünnung der Cortikalschichten. Daraus werden die selbst nach leichteren Verletzungen vorgekommenen Fracturen nicht allein an krebsigen Knochen, sondern auch am Skelet überhaupt von alten Krebskranken leicht erklärlich. Dieselben heilen niemals, obgleich sich ein unvollständiger Callus bildet. — In den Cortikalschichten schreitet die Resorption der Knochensubstanz mehr allseitig und vollständig fort, als in der von Krebs befallenen spongiösen Knochensubstanz, so dass, nach L e b e r t , die einzelnen verdünnten Knochenlamellen der letzteren oft noch mitten im Krebsgewebe zerstreut vorhanden sind und erst späterhin vollständig verschwinden. Ebenso findet man beim Krebs der Epiphysen, wenn er selbst bis an den Gelenkknorpel herangedrungen ist, diesen gewöhnlich noch unversehrt und wie eine Decke abgehoben. — Hat der centrale Knochenkrebs die peripherischen Knochenlamellen atrophirt und hie und da durchbohrt, so entwickelt er sich gewöhnlich ausserhalb des Knochens zu umfangreichen grossen Geschwülsten und verwächst mit den Weichtheilen. ' ) Maccrirtc Schenkelknochen, auf denen die Krebsmasse aufsass; aus der Sammlung von N c l a t o n .
Fig. 97 Ansicht von der hinteren Seite. Fig. 98 Durchschnitt.
603
Knochen-Kreis.
A r t e n d e s K n o c h e n k r e b s e s . Als primäre Knochenkrebse treten auf: 1) der A l v e o l a r - oder C o l l o i d k r e b s , 2) der S c i r r h u s oder F a s e r k r e b s , 3) der M a r k s c h w a m m (mit Einschluss des melanotischen Krebses), 4) das Carcinoma osteoides (Bd. I. p.514). Der C o l l o i d k r e b s wurde bereits fast in allen Knochen des Skelets beobachtet. Er bildet kuglige, oft einen enormen Umfang erreichende Geschwülste, deren Oberfläche drusig, höckerig und prall anzufühlen ist; die einzelnen Knollen oder Drusen erreichen besonders nach der Oberfläche oder überhaupt gegen mehr nachgiebige Theile hin ein bedeutendes Volumen. Die Resistenz der einzelnen Knollen oder Abschnitte der Geschwulst wechselt je nach den verschiedenen Umwandlungen der colloiden Masse (s. Bd. I. p. 534). Die zwischen den einzelnen Alveolen gelegenen Wände enthalten beim Gallertkrebs der Knochen bisweilen „eine reichliche Knochenbildung in Form von Plältchen und Strängen, welche dem Fachwerke hie und da auf grosse Strecken folgen" ( R o k i t a n s k y 1 ) ) . Das Colloid der Knochen kann ganz so wie das der Weichtheile zu vielfächrigen, gewöhnlich communicirenden Cystengeschwülsten 6ich umwandeln, die einen bald mehr eiweiss-, synovial-artigen, auch wässrigen, bald einen verschieden gefärbten hämorrhagischen, selbst mit vielen Blutgerinnseln vermischten Inhalt besitzen. Die aus dem Knochen hervorwachsenden Colloidgeschwülste sind bald nur mit einer Bindegewebshülle, bald mit einer Knochenschaale umgeben *). Weniger als die anderen Krebsformen scheint der Colloidkrebs die Gelenkknorpel zu schonen 3 ). Vom S c i r r h u s werden die Knochen selten ergriffen; er wurde am Ober- und Unterkiefer, an den Schädel- und an den Röhrenknochen gefunden. Der ursprüngliche Sitz ist bald die Markhöhle, bald das Knochengewebe selbst, bald das Periost; in den beiden ersteren Fällen wird der umgebende Knochen atrophirt, ohne dass sich beim weiteren Wachsthum nach Aussen eine knöcherne Schaale Uber die Geschwulst hin entwickelte oder einzelne Knochenreste
' ) | Sitzungsberichte der Wiener Akademie. Bd. IX. Heft II. 1 8 5 2 . | !
) | „ Sie bilden eine von der hervorgeblähten Knochenrinde umschlossene Cavität." R o k i t a n s k y 1. c . |
') | R o k i t a n s k y
(1. c . ) : „An Stelle der linken Hiiftpfannc fand sich ein Faust-
grosser viel Blutgerinnsel und schokoladbrauner Flüssigkeit enthaltender Sack, in welchem der Schenkelkopf sammt seinem Halse steckte." — Auch ( V i r c h o w ' s Archiv für pathol. Anat. Band IV. p. 2 3 1 ) bung eines
Colloidkrebses
des
Oberarmkopfs:
„der
Humerus verschwindet in der krankhaften Masse." |
Lebcrt
sagt bei der Beschreiganze obere Tlieil
des
604
Krankheiten der Knochen. Fig. 99.
der Cortikalschicht in die Höhe gehoben w ü r d e n ' ) . Diese Form des Knochenkrebses, welche besonders bei alten Leuten vorkommt, giebt vorzüglich zu der Entstehung der sogen. Fractura spontanea (Fig. 99) Veranlassung 2 ). Hat der Scirrhus seinen ursprünglichen Sitz an der Knochenoberfläche, so erscheint er als eine mit breiter Basis aufsitzende höckerige Geschwulst, mit den im Allgemeinen schon (Bd. I. p. 483) erörterten, den Krebsen eigenthiimlichen Eigenschaften, denen B o k i t a n s k y noch hinzufügt, dass sie die oberflächlichen Schichten des Knochens „zu einem fasrig-blättrigen Filze auseinanderdränge, der von der Basis der Aftermasse hervorwuchernd durch Anbildung neuer Knochensubstanz längs der vorzüglichsten Faserziige des Afterparenchyms zu einem knöchernen Gerüste desselben wird." (Vgl. pag. 601.)
Die häufigste Form des Knochenkrebses ist der Z e l l e n k r e b s ( M a r k s c h w a m m , F u n g u s ) , welcher entweder als i n f i l t r i r t e r K r e b s 3 ) oder in c i r c u m s c r i p t e n Massen, in G e s c h w ü l s t e n , auftritt. ' ) | S c h u h (1. c.) erwähnt jedoch auch beim inncm Knochenscirrhus einer Ausdehnung der oberflächlichen Knochenlamellcn, so dass zuerst eine knochenharte ebene, rundliche schmerzhafte Geschwulst vorhanden war, die erst später nach Resorption der noch vorhandenen
und hervorgedrängten Knochenschichten die
dem Scirrhus e i g e n t ü m l i c h e Knorpelhärte annahm. | s
) | So bricht z . B .
„bei einem schnellen Aufstehen oder einem festeren Stützen
auf den Fuss der Oberschenkel, beim Aufstützen auf den Ellenbogen, Umwenden von der einen Seite zur andern der Oberarm, —
was einem
beim er-
fahrenen Wundarzt Aufschluss über die Natur des zu Grunde liegenden Processes giebt."
(Schuh.)|
") |Der i n f i l t r i r t e K n o c h e n f u n g u s kann über das ganze Skelet ausgebreitet sein.
Ein Sectionsbefund von R o k i t a n s k y
wird diese Form am Besten er-
läutern. — Die Knochen des Rumpfes, namentlich die Rippen, das Sternum und die Wirbelkörper waren in ihrem Gewebe aufgelockert, weich, jene leicht einzuknicken, und enthielten eine milchige, aus runden Elementarzellen bestehende Flüssigkeit, hie und da mit einem schmutzig braunen Marke vermischt. In dem letztgenannten Zustande war sie auch in den erweiterten Zellen der Beckenknochen
und der Gelenk-Enden
beider Seits enthalten.
der Ober- und
Unterschenkelknochen
Daneben befand sich, über die innere Fläche des ganzen
Schädelgewölbes eine blassröthliche, speckig-markige Aftermasse, in Form einer Schichte von ansehnlicher Dicke ausgebreitet, in welche einer Seits sich eine theils netzartige, theils fasrige Knochenneubildung auf der Glastafel einwebte,
Knochen-Krebs. —
Fungus.
605
Der Markschwamm der Knochen hat, wie L e b e r t 1 ) besonders hervorhebt, eine ganz entschiedene Neigung zu Hämorrhagien und ist nicht selten überaus gcfass- und blutreich (Fungus haeinatod.es) Künstliche Injectionen lassen die Injectionsmasse immer frei an den hämorrhagischen Heerden hervordringen. Die in solchen Heerden abgesetzten Blutgerinnsel, welche auch R o k i t a n s k y ausdrücklich erwähnt, machen ganz dieselben Metamorphosen durch, wie z. B. der Bluterguss nach einer Gehirnapoplexie: der Erguss erscheint zuerst als coagulirtes Blut, das Gerinnsel wird allmälig blasser (fibrinös) und zuletzt in eine weissgelbliche, hie und da ockerfarbene krümliche Masse verwandelt; oder es entsteht eine weniger gefärbte und weniger dichte, schmierige Masse aus dem Extravasat. Gewöhnlich erscheint der Knochenfungus in einzelnen M a s s e n , Geschwülsten, „die sehr oft ein erstaunliches Volumen erreichen" ( R o k i t a n s k y ) , im Beginn aber entweder als eine ausgebreitete Infiltration oder als eine auf einen kleinen Punkt beschränkte Aftermasse auftreten. Der erkrankte Knochen selbst sowol, wie das Krebsgerüst, bieten ein mannigfaches Verhalten dar. Bei sehr schnellem Wachsthum des Krebses wird der Knochen zu einem zartblättrigen Filze auseinandergedrängt oder zu einer blättrig-löcherigen Masse zersprengt, In anderen Fällen ist die compacte Knochensubstanz durch die aus der Tiefe des Knochens wuchernde Krebsmasse zu einer einfachen, oder m i t e i n e r f a s r i g - b l ä t t r i g e n N e u b i l d u n g b e s e t z t e n Schaale gleichsam aufgebläht. Seltener ist der erkrankte Knochen ohne alle Reste inmitten des Krebses vollständig verschwunden. Das fasrige Gerüst des Fungus findet sich häufig zu einem strahlig-blättrigen Skelet verknöchert, welches die verschiedenste Anordnung der einzelnen Strahlen und Dornen darbietet, bald nur an der Basis der Geschwulst auftritt, bald aber durch die ganze Geschwulst sich gleichmässig verbreitet. Diese grossen Mark schwamm-Geschwülste kommen, nach Rok i t a n s k y , besonders an den Gelenk-Enden der Röhrenknochen, an den platten Schädel- und Beckenknochen, am Brustbein und an den Rippen vor. Der m e l a n o t i s c h e K r e b s wurde sowol von R o k i t a n s k y als von L e b e r t im Knochen beobachtet. während sie andrer Seits auch an der harten Hirnhaut anhaftete. Sämmtliche Lymphdrüsen längs der Bauchwirbelsäule sowie einzelne Gekrösdriisen weisslich, speckig-markig infiltrirt." |
') 1. c.
606
Krankheiten der Knochen.
Der E p i t h e l i a l k r e b s wird, wenn auch nicht als primäres Knochenleiden, doch häufig von der Unterlippe, dem Zahnfleisch oder dem Boden der Mundhöhle auf den Unterkiefer übergreifend, angetroffen. Hat er aber, wenn auch nur an einer kleinen Stelle, die Cortikalsubstanz des Knochens durchbrochen, so greift er, obgleich scheinbar nur mit einem Stiel an demselben befestigt, in der Marksubstanz doch meist ganz gewaltig um sich, so dass er im Innern des Knochens eine nicht leicht zu bestimmende Verbreitung gewinnt, für deren Ermittlung am Lebenden nachfolgende Verhältnisse zu beachten sind. Der Ausdehnung des Carcinoms entsprechend, lässt sich das Periost umgemein leicht von dem Knochen ablösen; dasselbe ist offenbar gefässreicher und mit einem wässrigen Exsudat durchtränkt; die Oberfläche des Knochens aber ist im Umkreise der Eintrittsstelle des Carcinoms vielfach durchlöchert, atrophisch, weiterhin hyperämisch und mit weichen gefässreichen Osteophyten bedeckt. So weit diese Veränderungen auf der Oberfläche reichen, so weit erstreckt sich höchst wahrscheinlich das Epithelialcarcinom in der spongiösen Substanz. Krebs einzelner Arten der Knochen. Der Krebs der p l a t t e n K n o c h e n hat wegen der gleichzeitigen und constanten Resorption der Knochensubstanz innerhalb des Krebsgewebes sowol, wie in der Umgegend desselben, zu besonderen Krankheitsnamen: Knochennagung, Erosion ( O t t o ) , Osleolyosis, Resolutio ossis ( L o b s t e i n ) Veranlassung gegeben. Der primäre Krebs dieser Knochen entspringt nämlich in der Diploe und breitet sich unter Resorption derselben aus. Die bedeckenden und benachbarten Cortikalschichten bieten nur die Merkmale der Knochen-Entzündung dar und werden erst später vollständig resorbirt; zuerst erscheinen nur punktförmige Defecte oder Löcher, durch welche sich wie durch ein Sieb der Krebs der Diploe hervordrücken lässt. Wird eine solche vom Krebs erfüllte Höhle durchsägt, so kann man zwischen beiden Cortikalschichten in weiterem Umkreise in die zwischen ihnen an Stelle der spongiösen Substanz vorhandenen Krebsmassen eindringen. Ist die Cortikalschicht durchbrochen, dann verwächst der Krebs mit den Umgebungen. Wir haben jedoch, im Gegensatz zu der als constant angenommenen Erscheinung der weit verbreiteten Resorption der Knochensubstanz, in der Umgebung des Schädelkrebses {Fungus diploes), an verschiedenen Stellen desselben Schädels nicht allein eine beträchtliche Hypertrophie der Cortikalschicht, sondern auch Sclerose der ursprünglichen Diploe gesehn. Diese hypertro-
607
Knochen-Krebs.
phischen und sclerosirten Knochenparthien wurden offenbar erst secundär von Osteoporose und dann von Krebs befallen 1 ). An den Röhrenknochen wird, nach N é l a t o n , durch eine Krebsgeschwulst nicht blos die Dicke, sondern auch die L ä n g e des Knochens (oft ansehnlich, bis zu 6 Centimetern) vermehrt. Es ist dies eine Beobachtung, welche auch bei chronischer Entzündung der Röhrenknochen gemacht wird, aber nur dann, wenn der erkrankte Körper überhaupt noch im Wachsthum begriffen war. Bei der durch Krebs verursachten Verlängerung kann offenbar nur an ein Auseinanderdrängen des in seiner Continuität getrennten Knochens gedacht werden. | Für die D i a g n o s e des Knochenkrebses, so lange er nicht als Geschwulst mit den allgemeineren Charakteren des Krebses hervortritt, lassen sich wenig Anhaltspunkte geben. Die verschiedenen Arten eines intermittirend auftretenden, eigenthümlichen, durchfahrenden, oder mehr dumpfen, constanten Schmerzes werden, wie bei anderen Krebsen, so auch hier empfunden. Unter den objectiven Symptomen mancher Knochenfungi wird eine mit dem Pulse isochronische Bewegung der Geschwulst angeführt, die L e b e r t , bei der Seltenheit der sogenannten Knochen-Aneurysmen, dem Markschwamme der Knochen geradezu zuschreibt. Das Wachsthum ist bald langsam, bald rapid. Andere äussere Merkmale, das Gefühl der Härte, der scheinbaren und wahren Fluctuation, die eigenthümliche Crepitation beim Druck auf die mit einer knöchernen Schaale umgebenen Krebse, die spontanen Frakturen etc. haben bei der Beschreibung der einzelnen Arten des Knochen-Krebses, zum Theil auch früher ihre Erörterung und Erklärung gefunden. | V e r l a u f . Die Dauer des Leidens ist sehr verschieden. Jahre lang, 3, 4 bis zu 18 Jahren „kann das Uebel local bleiben" ( L e b e r t ) , oft aber auch sehr schnell zum Tode führen 2 ). Behandlung. Der Erfolg eines operativen Eingriffs hängt von zu vielen individuellen Momenten ab (von der gleichzeitigen Verbreitung des Krebses in andere Organe, der Dauer, Entwickelungsweise, Form etc.), als dass man in dieser Beziehung ganz im Allgemeinen ein bestimmtes Urtheil fallen könnte. R o k i t a n s k y ' ) | D a s betreffende Präparat
wurde von mir bei der Versammlung der Naturfor-
scher und Aerzte daliier vorgezeigt.
Vgl. Deutsche Klinik 1 8 5 0
No. 4 0 . |
' ) | L e b c r t sah in der D i e f f e n b a c h ' s c h e n Klinik eine Frau von 4 5 Jahren, die seit 6 Jahren an Krebs des Oberkiefers litt, schon 12 Operationen mit immer wieder folgenden localen Recidiven
überstanden
befinden bis dahin durchaus nicht gestört war. |
hatte und deren
Allgemein-
608
Krankheiten der Knochen.
äussert sich dahin, dass die Ausrottung von umfänglichen Knochenkrebsen in der Regel eine sehr tumultuarische, über viele innere Organe sich ausbreitende Krebsproduction zur Folge habe. — L e b e r t sah von 12 Kranken 3 in Folge der Amputation zu Grunde gehen; bei einem traten nach 3 Monaten, bei einem andern nach 6 Monaten und bei einem dritten nach 6 Jahren Recidive ein. Für die Ausführung der Operation gelten dieselben Regeln, wie wir sie für die Exstirpation krebsiger Geschwülste überhaupt schon angegeben haben. Die Besorgniss, nicht alles Kranke zu entfernen, liess Einige die Exarticulation des erkrankten Gliedes der Amputation oder Resection') desselben vorziehen. Doch lassen sich darüber keine andren Anhaltspunkte geben, als die aus einer höchst genauen Untersuchung hervorgehenden. Der zweifelhafte Erfolg der Unterbindung zuführender Gefässe wurde schon beim Knochen-Aneurysma hervorgehoben. Dasselbe gilt in noch viel höherem Grade vom Knochenkrebs.| A. C o o p e r erwähnt seine Versuche, durch Unterbindung des Arterienstammes den Knochenkrebs zu heilen, ausdrücklich, um vor ähnlichen Unternehmungen zu warnen. Erscheint eine Operation unzulässig, so bleibt nichts übrig, als nach Kräften die Schmerzen zu lindern und Schlaf zu schaffen — recht tiefen Schlaf. VII.
Knochen-Tuberkeln').
Schon G a l e n und später M a r c . A u r e l i u s S e v e r i n u s , demnächst P l a t n e r haben die Knochen-Tuberkeln beschrieben; nachher aber geriethen sie in Vergessenheit und ei«t D e l p e c h entdeckte sie gleichsam von Neuem (1816). Unter seinen Schülern haben sich besonders S e r r e s und N i c h e t mit ihrer Üntersuchung beschäftigt. In neuester Zeit hat N e l a t o n unsere Kenntnisse über dieselben in ähnlicher Weise genau begründet und erweitert, wie L a e n n e c es für die Tuberkeln der Lunge gethan hatte. |Jedoch ' ) Glückliche Erfolge von Rcsection der Scapula und besonders des Oberkiefers sind bekannt. 5
) | So wie wir die Tuberkeln im Allgemeinen als Gebilde zweifelhafter Stellung am Schluss der Neubildungen überhaupt (Bd. I. p. 5 3 5 ) betrachteten und d o r t näher nachzuweisen s u c h t e n , dass dieselben als ein Product chronischer E n t zündung aufzufassen sein d ü r f t e n ; so reihen wir sie auch hier als letztes Glied den Pseudoplasmen
der Knochen an.
Die Bezeichnung
„Knochen-Tuberkeln"
wieder fallen zu lassen u n d diesen ganzen Process blos bei der Lehre von der Entzündung zu berühren, dürfte jedoch vor der Hand vom praktischen Standpunkte aus unzweckmässig sein. |
60$
Knochcn - T u b e r k e l n .
sind manche seiner Angaben, so wie die L a e n n e c ' s durch die Arbeiten R o k i t a n s k y ' s in Frage gestellt.| A n a t o m i s c h e V e r h ä l t n i s s e . Tuberkeln entwickeln sich fast ausschliesslich in der Substantia spongiosa der Knochen, |selten unter dem Periost]. Man kann in Bezug auf die Fähigkeit zur Entwicklung der Tuberkeln eine rothe, gefässreiche und eine gelbe, fettreiche Substantia spongiosa unterscheiden. In erstcrer treten, nach N e l a t o n , die Tuberkeln fast ausschliesslich auf. Bei Erwachsenen findet sich gefässreiche Marksubstanz nur in den Knochen des Rumpfes, während bei Kindern die Marksubstanz überall, wo sie vorkommt, auch gefässreich ist. Dem entsprechend zeigen sich, nach N e l a t o n , Knochen-Tuberkeln bei Erwachsenen auch nur in den Rumpfknochen, z. B. in den Wirbeln, während sie bei Kindern auch in den an spongiöser Substanz reichen Enden der Röhrenknochen und in den kurzen Knochen der Extremitäten vorkommen. |Diese Angaben von N e l a t o n sind jedoch, nach den Untersuchungen von M e i n e l ' ) , nicht ganz begründet, da letzterer unter 105 an Knochen-Tuberkeln erkrankten Individuen 33 vorfand, die an Tuberkulose der Schädel- und Extremitäten-Knochen litten, obgleich sie das 20. Jahr zurückgelegt halten. | Die Tuberkeln scheinen an jedem Röhrenknochen eine besondere Prädilcction für das eine seiner Enden zu haben: am Femur für das untere, an der Tibia, dem Humerus und den beiden Vorderarmknochen für das obere. | Jedoch werden ganz gewöhnlich die in einem Gelenk zusammenstossenden Diaphysen, oft auch die symmetrischen Knochen beider Seiten, überhaupt aber gewöhnlich mehrere Knochcn gleichzeitig befallen. Die Diaphysen der Röhrenknochen werden unstreitig ain Seltensten von Tuberkulose ergriffen. | Die Reihenfolge der Knochen nach der Häufigkeit der Tuberkeln in ihnen giebt N e l a t o n in folgender Weise an: 1) Wirbel; 2) Tibia, Femur, Ilumerus (bei Kindern); 3) Phalangen, Mittelhand- und Mittelfuss-Knochen; 4) Brustbein, Rippen und Hüftbeine; 5) Schläfenbein; 6) Knochen der Fuss- und Handwurzel. jDie von M e i n e l aus 105 Fällen abgeleitete Häufigkeitsscala ist hiervon in mancher Beziehung abweichend, nämlich: Wirbel 64, Schädelknoclien 2 3 , Knochen der unteren Extremität 22, Rippen 20, Knochen der oberen Extremität 14, Kreuzbein 8, Brustbein 8, Schossbcin 2.| N e l a t o n unterscheidet 2 verschiedene F o r m e n des Knochentuberkels: den e i n g e k a p s e l t e n und den i u f i l t r i r t e n . |Dem ' ) | Prager Vierteljahrsschrift 1 8 5 2 (Bd. I I I . ) pag. 1. | V i J a l ' s Chirurgie.
II.
39
610
Krankheiten der
Knochen.
eingekapselten Knochen-Tuberkel liegt, nach den Untersuchungen von N e l a t o n , die Entwicklung der, anderweitig bekannten, g r a u e n G r a n u l a t i o n e n (vgl. Band. I. p. 536 f.) zu Grunde. Fig. 1 0 0 . Die Oberfläche des Knochens erscheint an der entsprechenden Stelle gefässreicher, gleichsam marmorirt. Nimmt man an einer solchen Stelle die compacte Knochenschicht mit der Säge fort, so kann man mitten in der spongiösen Knochensubstanz mit einem starken Scalpell eine verschieden grosse Gruppe (Fig. 100. a) perlglänzender Kügelchen herausschälen, deren jedes etwa einen Millimeter Durchmesser hat. Diese Granulationen sind von Gefässen umsponnen und von dem Knochengewebe so genau umfasst, dass dasselbe eine besondere Schaale um jedes einzelne Körnchen zu bilden scheint. Bei ihrer weiteren Entwicklung durchbrechen die einzelnen Granulationen die sie trennenden Scheidewände und fliessen zu einer Masse zusammen, welche, allmälig erweichend, sowol in ihrer Consistenz, als in ihrem Aussehen, grosse Achnlichkeit mit gewöhnlichem Glaserkitt darbietet. Inzwischen aber hat sich um diese Tuberkelmasse eine feste Kapsel (Balg, Fig. 1 0 1 . Cyste) entwickelt, welche Anfangs gelatinös ist, später aber aus dicht durch einander verfilzten, glänzenden Fasern besteht und desto gefässreicher ist, je weitere Fortschritte die Erweichung des Tuberkels gemacht hat. Es leuchtet ein, dass dieser eingekapselte Tuberkel Nel a t o n ' s (Fig. 101. a), nach der so eben gegebenen Darstellung seiner Entwicklung, als ein bereits weit vorgerücktes Stadium des in der Form von Granulationen auftretenden KnochenTuberkels zu betrachten ist. In dieser Weise stellt ihn auch R o k i t a n s k y dar, ohne jedoch auf die Untersuchungen N e l a t o n ' s Rücksicht zu nehmen '). Letzterer glaubt aber, neben der ') | M e i n e !
( I . e . ) d e u t e t den Iialg als das P r o d u c t d e r
s e c u n d ä r e n Exsudation in d e r U m g e b u n g des T u b e r k e l Heerdes, eine sonst
gallertig-speckige so
genauen N e l a t o n
zu vereinigen ist. |
was f r e i l i c h ,
Infiltration über
die
da e r dies P r o d u c t selbst als
bezeichnet,
faserige
mit
Structur
den Angaben des Balges
des
schwer
611
Knochen - Tuberkeln.
so eben erörterten Entstehungsweise
des eingekapselten
Tuberkels
auch noch eine zweite annehmen zu m ü s s e n : eine p l ö t z l i c h e Ablagerung der gelben Tuberkelmasse mit nachträglicher Einkapselung, ohne dass graue Granulationen vorhergehen.
Dies „plötzliche" Auf-
treten, welches natürlich schwer zu beweisen sein möchte, ist mindestens ebenso schwer zu begreifen, und es scheint nach N e l a t o n ' s eigener Darstellung fast,
als wenn er diesen
Tubercule
nur A n d r a l und Anderen zu Liebe annähme. —
d'emblce
Solche Fälle er-
fordern noch eine genaue kritische S i c h t u n g ,
da nach den vorlie-
genden
Verwechselung
Beschreibungen
die
Annahme
einer
von
„ T u b e r k e l " und eingedicktem, käsigem Eiter sehr nahe l i e g t 1 ) . | Ist der Tuberkel in der Tiefe eines Knochens entstanden, ist
er
ringsherum
von
gefässreichein
Knochengewebe
so
umgeben;
entstand er an der Oberfläche, so wird seine Cyste zum Theil vom Periost oder vom Gelenk-Knorpel begrenzt.
Das P e r i o s t wird an
einer solchen Stelle verdickt, zuweilen durch eine Knochenschicht (Auflagerung
an
seiner innern
Seite) verstärkt und leistet
daher
der andrängenden Tuberkelmasse zuweilen sehr bedeutenden Widerstand; die G e l e n k - K n o r p e l
dagegen werden, wo sie an den Tu-
berkel grenzen, leicht resorbirt. in die Gelenkhöhle
Alsdann tritt die tuberkulöse Masse
e i n 2 ) und veranlasst durch
eine sehr heftige Gelenk-Entzündung.
ihre Anwesenheit
Eine solche Perforation des
Knorpels erfolgt, nach N c l a t o n , ausschliesslich durch den kapselten
einge-
Tuberkel.
jDie zweite Form, in welcher nach N e l a t o n die Tuberkulose der Knochen auftritt, ist d i e t u b e r k u l ö s e
Infiltration,
welche
zwei von einander zu unterscheidende Entwicklungsstufen darbietet, mit der zuerst erwähnten Form hang hat.
Ihr erstes Fig. 1 0 2 .
Stadium
aber durchaus keinen Zusammenist die d u r c h s c h e i n e n d e
graue
oder l'öthliche I n f i l t r a t i o n Knochengewebes.
des
Dieselbe tritt
') |Ygl. V i r c h o w ' s
Untersuchungen
über Tuberkulose,
Würzburger Ver-
handlungen III. p. 9 S und Deutsche Klinik
1 8 5 2 . No. 2 5 . |
•) F i g . 1 0 2 z e i g t
einen
Tuberkel
im
unteren Ende
des Feinur,
bei a
den Gelenk-Knorpel
bereits
durchbohrt
welcher
h a t u n d b e i b in d a s
benachbarte Kapselband gen
ist; nach
von
Rufz.
einer
39*
eingedrunBeobachtung
612
Krankheiten der Knochen.
in e i n z e l n e n , scharf b e g r e n z t e n Flecken auf, in d e n e n das K n o c h e n g e w e b e s e l b s t sich w e d e r p o r ö s , noch a n d e r w e i t i g v e r ä n d e r t zeigt, mit einziger A u s n a h m e dringung
desselben
d e r vollständigeren
mit
dem
Erfüllung und
tuberkulösen
Exsudat.
Durch-
Die
zweite
E n t w i c k l u n g s s t u f e d i e s e r F o r m d e s K n o c h e n - T u b e r k e l s ist die e i t r i g e Infiltration.
Die infiltrirte Masse wird gelblich,
erweicht u n d zerfallt zu Eiter. verwechselt durch
worden,
die gänzliche
undurchsichtig,
Dies S t a d i u m ist häufig mit Caries
unterscheidet
sich
Gefässarmuth
und
aber
wesentlich
von
die s o g e n a n n t e
stitielle Hypertrophie,
da bei d e r Caries d a s
g e f ä s s r e i c h u n d p o r ö s ist.
Als i n t e r s t i t i e l l e H y p e r t r o p h i e
zeichnet N é l a t o n chens
Knochengewebe be-
die o h n e V o l u r a e n s - V e r m e h r u n g d e s g a n z e n K n o -
auftretende
spongiösen
ihr
inter-
Verdickung
Substanz,
durch
der
welchc
Knochenlamellen die M a r k r ä u m e
in
und
der
Gefäss-
K a n ä l c h e n in d e r ganzen A u s d e h n u n g d e r Infiltration aufs A c u s s e r s t e verengert werden.
Die s p o n g i ö s e K n o c h e n s u b s t a n z erhält auf diese
W e i s e g r o s s e Aehnlichkcit mit d e r c o m p a c t e n u n d wird
demnächst
in F o l g e d e r d u r c h die E r f ü l l u n g d e r Gefäss-Kanälchcn e i n t r e t e n d e n B e s c h r ä n k u n g i h r e r B l u t z u f u h r nach u n d nach nekrotisch.
E s bil-
d e n sich D e m a r c a t i o n s l i n i e n , u n d w ä h r e n d an einzelnen Stellen die t u b e r k u l ö s e Infiltration n o c h deutlich e r k a n n t w e r d e n k a n n , man
an a n d e r e n
s c h o n wirkliche S e q u e s t e r .
findet
Diese letzteren aber
zeigen die e r w ä h n t e interstitielle H y p e r t r o p h i e auch nach i h r e r Ablösung;
sie sind d a h e r , obgleich sie a u s d e r s p o n g i ö s e n
herrühren,
Substanz
von auffallend d i c h t e m u n d festem Gewebe u n d u n t e r -
s c h e i d e n sich s o g a r von den d u r c h a n d e r e P r o c e s s e erzeugten Seq u e s t e r n d u r c h den g e r i n g e r e n Grad i h r e r Brüchigkeit. Die eitrige Infiltration k a n n , wie N é l a t o n w e n i g s t e n s zugeben zu müssen glaubt,
o h n e d a s s ihr die d u r c h s c h e i n e n d e ,
Infiltration v o r a u s g e g a n g e n
gelatinöse
i s t , (d'emblée) e n t s t e h e n , analog
dein
e i n g e k a p s e l t e n gelben T u b e r k e l . | |Verlauf.
Der K n o c h e n - T u b c r k e l kann e n t w e d e r
oder v e r k r e i d e n .
erweichen
Im letzteren Falle vertrocknet die T u b e r k c l m a s s e ,
w i r d i m m e r m e h r mit Kalksalzen i m p r ä g n i r t und stellt zuletzt eine von
sclerosirtem
Masse dar.
Knochengewebe
umschlossene
mörtelartig
Der häufigere A u s g a n g ist d e r in E r w e i c h u n g .
diese e n t s t e h t das t u b e r k u l ö s e K n o c h e n g e s c h w ü r ,
harte Durch
welches bald
p e r i p h e r i s c h a u f t r e t e n , bald a b e r auch u r s p r ü n g l i c h einen centralen Sitz h a b e n kann. rings
Im letzteren Falle, wo d e r e r w e i c h t e Tuberkel
von K n o c h e n s u b s t a n z
kulöse Knochen-Caverne.
umschlossen
ist, entsteht
eine t u b e r -
Der Inhalt d e r s e l b e n ist mit d e m Secret
Knochen- Tuberkeln.
613
des peripherischen Geschwiircs identisch; es ist der tuberkulöse Eiter, welcher ausser den nekrotischen Knochenstiickchcn stets noch die Tuberkelmasse selbst enthält und daher als eine trübe, mit kriimlichen Massen und weissen Flocken gemischte Flüssigkeit erscheint. Sobald die Erweichung begonnen hat, erfolgen in der Umgegend neue Exsudationen in der Form der sog. gallertigen Infiltration, welche schnell ihren Ausgang gleichfalls in Erweichung nimmt und somit wesentlich zur Vergrösserung der Cavernen beiträgt. Ist die Erweichung bis zur Oberfläche des Knochens vorgeschritten, so verdrängt sie zunächst das inzwischen verdickte, oft an seiner inneren Seite mit Osteophyten besetzte Periost; weiterhin aber wird dasselbe durchbrochen und dem Eiter steht nun der Weg in die Weichtheile frei. Die vor ihm gleichsam vorausschreitende Entzündung der Weichtheile bedingt seine Einkapselung, welche gewöhnlich bis zum Durchbruch der Haut fortbesteht. Der Abscess erhält, wie schon bei der Caries erwähnt wurde, sofern er sich in einiger Entfernung von dem kranken Knochen entwickelt, den Namen C o n g e s t i o n s a b s c e s s (vgl. Krankheiten der Wirbelsäule Bd. III.). Nachdem die Haut durchbrochen und der tuberkulöse Eiter entleert ist, bleibt ein fistulises Geschwür übrig, dessen Grund die ehemalige tuberkulöse Caverne bildet. Diese selbst kann nicht zusammensinken, da ihre Wandungen knöchern sind, es sei denn, dass letztere durch den Druck anderer Theile gegen einander gedrängt werden (wie z. B. bei Cavernen der Wirbelkörper durch die Last des Kopfes und der oberhalb des erkrankten gelegenen Wirbel); sie liefert unverhältnissmässig grosse Mengen dünnen Eiters. Findet aber im Knochen eine weitere Tuberkel-Ablagerung nicht Statt und sind die Kräfte des Kranken zureichend, so kann die KnochenCaverne durch wahre Granulationen, wie ein Abscess der Weichtheile sich ausfüllen und mit Zurücklassung einer festen Narbe heilen. | |Den genauen anatomischen Untersuchungen von N61aton und R o k i t a n s k y gegenüber, kann auch in Betreff des Knochen-Tuberkels die durch die Arbeiten von R e i n h a r d t und V i r c h o w aufs Neue lebhaft angeregte Frage über die Identität des tuberkulösen Processes überhaupt mit der entzündlichen Exsudation mit Recht zur Discussion kommen, nicht aber die auf unvollkommenen Untersuchungen beruhende Ansicht von M a l e s p i n e , wonach Alles, was wir für Knochen-Tuberkel zu erklären geneigt sind, als Nekrose aufgefasst werden soll, und zwar nicht etwa als eine moleculäre, schwer zu erkennende, sondern als eine ganz handgreifliche Nekrose. | M a l e s p i n e deutet die tuberkulöse Masse, den ganzen Tuberkel, als
614
Krankheiten der Knochen.
einen in seiner Auflösung m e h r oder weniger fortgeschrittenen, von Eiter umspülten
Sequester.
Natürlich kann
von einem
Vergleich
zwischen diesem und einem Tuberkel n u r die Rede sein, wenn m a n die vorgerückteren Stadien des letzteren ins Auge fasst, nicht a b e r bei Berücksichtigung des c r u d e n Tuberkels.
Letzteren aber leugnet
M a l e s p i n e , weil e r ihn nie g e s e h e n hat. Die S y m p t o m e der K n o c h e n - T u b e r k u l o s e stimmen
vollständig
mit denen der Knochen-Entzündung, weiterhin der Caries Uberein, bis nach erfolgtem Aufbruch aus
der Beschaffenheit des ausflies-
s e n d e n Eilers auf die Anwesenheit der Tuberkeln sich schliessen lässt
Bis dahin kann die D i a g n o s e n u r mit einiger W a h r s c h e i n -
lichkeit gestellt w e r d e n ,
indem man die Constitution des Kranken
u n d den Sitz des (Jebels berücksichtigt. Die A e t i o l o g i e
der K n o c h e n - T u b e r k e l n
fällt d u r c h a u s
mit
derjenigen der Tuberkeln ü b e r h a u p t z u s a m m e n , d e r e n genauere E r ö r t e r u n g der inneren Medicin Uberlassen bleiben m u s s .
Wir heben
n u r hervor, | d a s s dieselben fast ausschliesslich bei Individuen b e obachtet w e r d e n , die auch anderweitige S y m p t o m e d e r scrophulösen Diathese an sich tragen, u n d | d a s s sie viel häufiger in der J u g e n d , als im späteren Lebensalter v o r k o m m e n 1 ) .
Nelaton
hat sie vom
2 . bis zum 35. Lebensjahre, niemals aber in höherem Alter beobachtet. Die P r o g n o s e der Knochen-Tuberkeln ist diejenige der Caries, | u n d zwar der auf einer Dyskrasie b e r u h e n d e n Caries.
Die L o -
calität des Uebels hat einen wesentlichen Einfluss auf den zu erwartenden
Ausgang.
Die
Wahrscheinlichkeit
Bestehens oder der späteren Entwicklung von (mindestens
5 0 Procent) verschlechtert
des
gleichzeitigen
Lungen-Tuberkeln
die P r o g n o s e bedeutend |.
F ü h r t die Tuberkulose der Knochen nicht zum Tode, so veranlasst sie doch beträchtliche Dififormitäten oder macht z u r Erhaltung des L e b e n s verstümmelnde Operationen
nothwendig.
Die B e h a n d l u n g m u s s wesentlich gegen die der Tuberkulose zu Grunde liegende allgemeine E r n ä h r u n g s - S t ö r u n g gerichtet sein. Die ö r t l i c h e Behandlung kann sich Anfangs n u r auf Blutentziehun' ) | Aus M c i n c l ' s Statistik ergibt sich die Zeit zwischen dem 2 6 . und 2 9 . J a h r e als diejenige, in welcher Tutierknlose der Knochen am Häufigsten vorkomme. Resultat
kann
aber
Meinet
gesammelten
nicht Falle
als
maassgehend
angesehen
werden,
da
Dies
die
von
fast ausschliesslich a u s ( d e u t s c h e n ) Kliniken
her-
r ü h r e n , in denen bekanntlich Kinder ü b e r h a u p t selten z u r Behandlung k o m m e n . Unter seinen 1 0 5 Kranken sind n u r 1 8 u n t e r 2 0 J a h r e n ; dies würde ein, mit der
anerkannten
Häufigkeit
der
Knochen-Tuberkulose
W i d e r s p r u c h s i e b e n d e s R e s u l t a t geben. |
bei
Kindern
ganz
im
Knochen - Tuberkeln.
615
gen, Ableitungsmittel (Fontanellen und Haarseile) beschränken, um dadurch die mit der Erweichung und Ausstossung der Tuberkelmasse auftretende Entzündung in Schranken zu halten, insbesondere auch ihr Uebergreifen auf benachbarte wichtige Organe zu verhüten. Ist der Aufbruch erfolgt und droht dem Leben oder der Function des betreffenden Gliedes durch die nachfolgende Eiterung eine grössere Gefahr, als durch die operative Entfernung des betreffenden KnochenstUckes, so ist letztere durch die R e s e c t i o n vorzunehmen. Ist aber das Leben des Patienten durch die Verjauchung des betreffenden Knochens bedroht und die Resection wegen der Localität oder wegen beträchtlicher Zerstörung der Weichtheile nicht ausführbar, so bleibt Nichts Übrig, als zu a m p u t i r e n , wobei die Prognose durch das gleichzeitige Bestehen von Tuberkeln in anderen Organen allerdings in besonders hohem Grade getrUbt werden kann.
Zehnter
Abschnitt.
Von den Krankheiten der Gelenke. Erstes
Capitel.
Verletzungen der Gelenke. 1. 1.
Schnitt-,
Laesiones
articulorum.
ßelrnkwnmint.
Hieb-
und
Stichwunden
der
Gelenke.
D i e mit scharfen I n s t r u m e n t e n in der Gegend eines Gelenkes beigebrachten W u n d e n dringen entweder in die Gelenktiöhle ein o d e r nicht. Nur im ersteren Kalle sind sie eigentlich Gelenkwunden. Die Verletzung der Haut kann f e r n e r dabei eine mehr oder weniger a u s g e d e h n t e sein, weshalb man b e s o n d e r s manche Stichwunden der Art als s u b c u t a n e bezeichnet. A. N i c h t p e n e t r i r e n d e W u n d e n in der Gegend der Gelenke unterscheiden sich wenig von den W u n d e n a n d e r e r Theilc. Jedoch vergesse man nicht, d a s s alle Gelenke von straffen Geweben, insb e s o n d e r e von S e h n e n (die häufig auch von Sehnenscheiden, welche mit der Gelenkhöhle selbst coinmuniciren, eingeschlossen sind) u m geben w e r d e n . Nicht selten, b e s o n d e r s wenn ein Substanzverlust Statt g e f u n d e n hat, wird die Vereinigung durch die Gestalt und die Beweglichkeit des Gelenkes gehindert, es entwickelt sich eine schlechte, f ü r die spätere Function des Gliedes nachtheilige Narbe; jedoch lässt sich in d e r grossen Mehrzahl der Fälle durch gehörige Sorgfalt allen diesen llebelständen v o r b e u g e n . B. Die p e n e t r i r e n d e n G e l e n k w u n d e n (Gelenkwunden im engeren S i n n e ) haben eine viel grössere Bedeutung. Am Häufigsten werden, wegen ihrer oberflächlichen Lage, die Charniergelcnke ge-
Gelenkwunden.
617
öffnet, besonders das Fuss- und Kniegelenk, welche bei manchen ländlichen Arbeiten, z. B. beim Mähen, leicht durch schneidende Instrumente getroffen werden. Die E r s c h e i n u n g e n einer Gelenkwunde weichen zu Anfang oft sehr wenig, vielleicht gar nicht, von denen einer gewöhnlichen W u n d e ab. Allerdings wird ein kundiges Auge sogleich nach der Verletzung den A u s f l u s s d e r S y n o v i a beobachten können, aber dem Kranken selbst entgebt derselbe um so leichter, als er häufig n u r unbedeutend ist. (Vergl. Diagnose.) Gewöhnlich fährt daher der Verletzte, wenn die Wunde ihm ihrer Grösse wegen nicht bedenklich erscheint, noch mehrere Tage fort, das verwundete Gelenk zu gebrauchen. Nach 3, 4, höchstens 6 Tagen, zuweilen aber auch f r ü h e r , empfindet er aber eine schmerzhafte Behinderung der Bewegungen und die Umgegend des Gelenkes s c h w i l l t a n ; die Wundränder erscheinen aufgedunsen, missfarbig; zwischen ihnen läuft eine grosse Menge röthlicher Flüssigkeit aus; schwammige, weiche Granulationen drängen sich aus der Wunde hervor. Demnächst entsteht F i e b e r mit sehr frequentem Puls, heisser Haut, Rötbung des Gesichts, gewöhnlich auch Störungen der Verdauung, Appetitlosigkeit mit weisslich belegter Zunge, Durst, Schlaflosigkeit. Der Kranke sucht von selbst das Bett und bringt gern das verletzte Gelenk in halb gebeugte Stellung. Die G e s c h w u l s t in der ganzen Ausdehnung der Synovialkapsel nimmt immer mehr zu; die Haut darüber ist stark gespannt, deshalb glänzend, selten auch geröthet. Die S c h m e r z e n werden sehr heftig und stehen in directem Verhältniss zu der Intensität der Entzündung. Ober- und unterhalb des Gelenkes entwickeln sich, |theils wegen der durch die Geschwulst bedingten Behinderung des Blullaufs durch die Venen, tbeils| in Folge der weiteren Ausbreitung der Entzündung, Anschwellungen und A b s c e s s e , welche zuweilen, ohne dass eine Phlegmone vorausgeht, plötzlich und in grösserer Entfernung von dem entzündeten Gelenk auftreten. Mit der Gelenkkapsel selbst cominuniciren diese Eiterheerde nur dann, wenn sie stark von Eiter ausgedehnt und er.dlich geborsten war. Gewöhnlich liegen die gedachten Abscesse im Unterhautzellgewebe, zuweilen aber auch zwischen den Muskeln. Im letzteren Falle besonders hat der Eiter eine grosse Neigung zu weitverbreiteten Senkungen, welche man oft selbst durch zahlreiche und tiefe Einschnitte nicht verhüten kann. Sehr gewöhnlich ist die Folge dieser beträchtlichen und ausgebreiteten Eiterungen Phlebitis, welche in der zweiten Woche nach der Verletzung aufzutreten pflegt. Zuweilen tritt zu einer Gelenkwunde in weiter Ausdehnung G a n g r ä n ,
618
Krankheiten der Gelenke.
wenn auch die grossen Gefäss- und Nervenstämrae unversehrt geblieben sind, wie dies L a r r e y , Y c l p c a u , F l e u r y , u. A. beobachtet haben. [Wahrscheinlich entstellt der Brand in solchen Fällen in Folge des andauernden Druckes, den die angeschwollene Gelenkkapsel auf die zwischen ihr und den sie umgebenden fibrösen Gebilden eingeklemmten Geßsse (namentlich Venen) ausübt. | Die Gangrän ist aber um so mehr zu befürchten, wenn die Gefäss- und Nervenstämme gleichfalls verletzt sind. Auch T e t a n u s hat man bei Gelenkwunden, besonders an den Fingern, auftreten sehen. Besteht mit der Gelenkwunde zugleich eine Fractur oder Ablösung der Epiphyse, oder sind fremde Körper in das Gelenk eingedrungen, so ist der Ausgang in Verjauchung oder Pyämie in hohem Grade wahrscheinlich. Gclenkwunden sind jedoch bei Weitem nicht immer tödtlich. Werden sie genau vereinigt und die gehörige Ruhe beobachtet, so entwickelt sich, falls nicht eine der zuletzt erwähnten Complicationen besteht, entweder gar keine Entzündung, oder sie lässt sich doch durch eine entsprechende Behandlung beseitigen. Zuweilen kann der Ausgang in Eiterung, besonders bei engen Stichwunden, gänzlich vermieden werden. Gewöhnlich aber eitern die Gelenkwunden auch bei der zweckmässigsten Behandlung, aber der Eiter ist dann von guter Beschaffenheit und die Vernarbung erfolgt durch den gewöhnlichen Granulationsprocess. Bei diesem Verlaufe bleibt das Leben zwar ungefährdet, aber die Function des Gelenkes wird dauernd gestört. Entweder die Gelenk-Enden verwachsen miteinander, nachdem vorher die Gelenkknorpel abgestossen oder resorbirt sind, und es entsteht auf solche Weise eine wahre A n k y l o s e , oder es bleibt doch eine so beträchtliche Verdickung der Gelenkbänder zurück (falsche Ankylose), dass dadurch die Beweglichkeit des Gelenkes gleichfalls mehr oder weniger vollständig gehindert wird. Die D i a g n o s e der Gelenkwunden ist nicht schwierig, wenn dieselben gross sind. Man kann alsdann die Wundränder von einander entfernen, in die Gelenkhöhle hineinsehen, daselbst die Gelenkknorpel erblicken oder doch den Finger in die Gelenkhöhle einführen. Bei jeder Bewegung sieht man ferner Synovia ausfliessen. Wenn dagegen die Wunde eng ist, schräg oder winklig verläuft, so kann die Diagnose sehr schwierig werden. In e i n e m s o l c h e n z w e i f e l h a f t e n Falle m u s s m a n o h n e W e i t e r e s die W u n d e g e n a u v e r e i n i g e n und ganz so handeln, als wäre es eine Gelenkwunde. Jede weitere Untersuchung mit der Sonde, so wie die ab-
Gelenk wunden.
619
sichtliche Bewegung des Gelenkes zum Behufe einer genauen Diagnose würden grosse Gefahren in ihrem Gefolge haben. Das A u s f l i e s s e n v o n S y n o v i a ist allerdings ein für die Diagnose wichtitiges Symptom, aber kein pathognomonisches; denn einer Seits kann Synovia auch aus verwundeten Sehnenscheiden fliessen, ohne dass eine Gelenkwunde besteht, und anderer Seits verändert sich die Beschaffenheit der Synovia beim Zutritt der Luft so schnell, dass sie schon 24 Stunden nach der Oeffnung eines Gelenkes oft gar nicht mehr erkannt werden kann. — Je tiefer das Gelenk liegt, desto schwieriger ist natürlich die Diagnose. Die P r o g n o s e ist, wie aus der Beschreibung des Verlaufs erhellt, im Allgemeinen ungünstig. Muss es auch als eine Uebertreibung bezeichnet werden, wenn L e d r a n und B e l l behaupten, dass eiue eiternde Gelenkwunde immer tödtlich sei, so ist es doch sicher, dass der Verletzte, sobald Eiterung (wie dies gewöhnlich der Fall ist) nicht verhütet werden kann, eine mehr oder weniger vollständige Steifigkeit des Gelenkes, auch im glücklichsten Falle, davon trägt. |Sehr wichtig ist es, ob die Gelenkkapsel allein oder der Knochen zugleich verletzt i s t , ob fremde Körper zurückgeblieben sind u. s. w.| Je grösser das verletzte Gelenk, desto gefährlicher seine Wunden. An den oberen Extremitäten ist die Prognose im Allgemeinen etwas günstiger, als an den unteren. Je leichter der vollständige Abfluss des Eiters erfolgen kann, desto günstiger ist im Allgemeinen der Verlauf. Von Einfluss ist ferner das Alter des Verletzten; je jünger derselbe ist, desto besser die Prognose. Grosse Reizbarkeit oder Plethora lassen einen ungünstigen Ausgang befürchten. Worauf beruht die Gefahr der Gelenkwunden? P a r é ' ) erklärte sie aus der Verletzung der Aponeurosen und Sehnen, B r a s d o r *) aus der Zersetzung der organischen Flüssigkeiten. B o n n e t hat letztere Ansicht wieder aufgefrischt, indem er eine Zersetzung nicht blos des Eiters, sondern auch des Blutes durch die Einwirkung der in die Gelenkhöhle gelangten Luft annimmt. Die oft winklige oder sinuöse Gestalt der Gelenkhöhlen soll in dieser Beziehung einen besonderen Einfluss ausüben, indem durch dieselbe bei gewissen Bewegungen des Gelenks eine Art von Aspiration ausgeübt werden könne. Die meisten neueren Wundärzte neigen sich der Ansicht zu, dass der Eintritt der Luft in die Gelenkhöble als die Ursache ') Oeuvres complels. Paris 1840. T. II. p. 117. *) Traite des maladies des arliculalions. Lyon 1 8 Í 5 . T. I.
620
Krankheiten
der
Gelenke.
d e r üblen Zufalle zu betrachten ist. (Vergl. Bd. I. pag. 2 7 2 . ) Nach der einen Ansicht steigert sie die Entzündung aufs Aeusserste, n a c h d e r a n d e r e n wirkt sie zersetzend auf die vorhandenen Secrete; j e d e n falls erregt sie E i t e r u n g u n d verschlechtert die schon b e s t e h e n d e . Von Wichtigkeit ist die T h a t s a c h e , dass eine penetrirende Gelenkw u n d e viel gefährlicher ist, als eine Exarticulation (Abschneiden des Gliedes in einem Gelenke), woraus wol geschlossen w e r d e n darf, dass einer Seits die g r ö s s e r e Oberfläche der entzündeten Synovialmembran, a n d e r e r Seits aber auch die Einklemmung der Entzündungsgeschwulst zwischen den das Gelenk u m f a s s e n d e n fibrösen Gebilden, vielleicht auch die Behinderung des Eiterabflusses, von grosser B e d e u t u n g f ü r den Verlauf d e r Krankheit sind. Es handelt sich bei d e r traumatischen Gelenk-Entzündung in der That um eine eingeklemmte E n t z ü n d u n g , welche aber zugleich mit Eintritt von Luft in die Gelenkhöhle compliciit ist. Die B e h a n d l u n g d e r Gelenkwunden bezweckt vor Allem die Verhütung d e r E n t z ü n d u n g . Man m u s s daher von vorn herein und noch e h e die E n t z ü n d u n g deutlich entwickelt ist, antiphlogistisch verfahren. Ruhige, wo möglich ganz unbewegliche Lage des Glied e s , kalte U m s c h l ä g e ' o d e r Irrigationen, allgemeine und örtliche Blutentziehungen s i n d , j e nach der Grösse des Gelenkes und der Art d e r Verletzung, sogleich in A n w e n d u n g zu bringen. Nachdem hinreichende Blutentziehungen vorausgeschickt s i n d , erweisen sich grosse Blasenpflaster, welche F l e u r y zuerst empfohlen hat, sehr nützlich. Gelingt es nicht, die Eiterung zu verhüten, so m u s s man dem in der Gelenkhöhle angesammelten Eiter einen möglichst freien Abfluss durch zweckmässige L a g e r u n g des Gliedes und durch Einschneiden der Kapsel an den am tiefsten gelegenen Stellen verschaffen. Diese Einschnitte haben a u s s e r d e m den Vortheil, dnss sie die S p a n n u n g v e r m i n d e r n , die Einklemmung der Entzündungsgeschwulst a u f h e b e n . Im Uebrigen ist die eiternde Gelenkwunde mit lauwarmen U m s c h l ä g e n , aromatischen Ausspritzungen, s p ä t e r h i n Injection von Höllenstcinlösung zu behandeln. Wird aber der Eiter s c h l e c h t e r , droht V e r j a u c h u n g des Gelenkes, oder entwickelt sich G a n g r ä n , so kann n u r durch Amputation des Gliedes noch Hülfe geschafft w e r d e n .
621 2.
Seilusswunden
d e r G e l e n k e . ')
| Die Verletzungen der Gelenke durch Schusswaffen b e s c h r ä n k e n sich entweder auf eine m e h r oder weniger heftige Quetschung, oder die Kugel dringt in das Gelenk ein. Der letztere Fall ist der h ä u figere; spricht man schlechtweg von „ S c h u s s w u n d e n der Gelenke", so hat man n u r diese Art d e r Verletzung im Sinne. Die durch Geschosse bedingten Q u e t s c h u n g e n
der Gelenke
sind nicht selten so heftig, dass Gangrän entsteht u n d bei L ö s u n g des Brandschorfs das Gelenk geöffnet wird. Höchst seilen, und zwar n u r , sofern es sich um das Kniegelenk h a n d e l t , kann die Kugel in das Gelenk e i n d r i n g e n , ohne die knöc h e r n e n G e l e n k - E n d e n zu verletzen. Sie m u s s dann zufällig an einer solchen Stelle u n d in solcher Richtung e i n g e d r u n g e n sein, dass die schlaffen, vor den G e l e n k - E n d e n h e r v o r r a g e n d e n Theile der Kapsel sie a u f n e h m e n konnten. Dass die Kugel in solcher Weise durch das Gelenk hindurchginge, ist wohl möglich, aber noch nicht beobachtet. Die Kugel bleibt also im Gelenk liegen, wirkt als f r e m d e r Körper, behindert die Bewegung und erregt eine sehr heftige Entzündung. In seltenen Fällen wird das Gelenk durch die vorüberstreifende Kugel o h n e Knochenverletzung a u f g e r i s s e n . Die Kugel kann f e r n e r in eine E p i p h y s e e i n d r i n g e n , oder dieselbe mit einer r ö h r e n f ö r m i g e n W u n d e d u r c h b o h r e n , ohne die Synovialkapsel zu verletzen, worauf j e d o c h stets Gelenk-Entzündung folgt. Fast i m m e r ist hierbei die Epiphyse von F i s s u r e n durchzogen, welche b i s z u r G e l e n k f l ä c h e des Knochens dringen. Gewöhnlich aber verletzt die Kugel d e n K n o c h e n u n d d i e S y n o v i a l - l i a p s e l z u g l e i c h . Das Schicksal der Kugel kann hierbei ein dreifaches sein: bald bildet sie eine das Gelenk von einer Seite zur andern d u r c h b o h r e n d e W u n d e u n d geht also der Eintrittsöffnung gegenüber wieder h i n a u s ; bald liegt sie im Gelenk zwischen Knochensplittern; bald endlich, jedoch n u r bei oberflächlich liegenden Gelenken, fällt sie aus der E i n g a n g s - O e f f n u n g wieder heraus. Die Splitterung der G e l e n k - E n d e n , die E r s c h ü t t e r u n g des getroffenen K n o c h e n s , die Ablösung der K n o r p e l , das bedeutende Blut-Extravasat, welches nicht blos die Gelenkhöhle, s o n d e r n auch ') ]l)ie Schussverletzungen sen Wichligkeil
wegen
der Gelenke, w e l c h e V i d a l nach
den
in
übergeht, sind ihrer gros-
neuester Zeit g e s a m m e l t e n
dargestellt, namentlich n a c h E s m a r c l i :
„ U e b c r l i c s e c t i o n c n nach
Erfahrungen Schusswun-
den, Beobachtungen und Erfahrungen aus den s c l i l e s w i g - h o l s t e i n s c h e n Feldzügen. Kiel
1851.
622
Krankheiten
der Gelenke.
die den Schusskanal umgebende, mehr oder weniger gequetschte Substantia spongiosa erfüllt, vermehren bei den Schusswunden die Gefahren, welche den Gelenkwunden ohnehin e i g e n t ü m l i c h sind, sehr bedeutend. Es handelt sich hier um die Combination einer penetrirenden Gelenkwunde mit einer complicirten Fractur. Der V e r l a u f dieser Verletzungen ist gewöhnlich ein sehr stürmischer. Unter heiligen Schmerzen und Fieber schwillt nicht blos das verletzte Gelenk, sondern auch die weitere Umgebung desselben sehr bald an, der unterhalb gelegene Theil der Extremität wird ödematös, indem die Anschwellung der Gelenkkapsel den venösen Blutlauf behindert Die Geschwulst der Gelenkkapsel ist durch vermehrte Absonderung der Synovia, Bluterguss, bald auch entzündliches Exsudat bedingt. Sie erfolgt auch, wenn die Synovia und das Blut durch den Wundkanal auszufliessen vermag. Letzterer wird jedoch durch die Anschwellung seiner Wandungen und durch Anhaften der Gerinnsel bald verstopft Ist er späterhin noch durchgängig, so fliesst trübe, bald eitrige Flüssigkeit aus. Die Schmerzen des Kranken sind gewöhnlich andauernd und heftig, werden aber jedenfalls durch Berührung des Gelenkes und Bewegung des Gliedes aufs Aeusserste gesteigert. Schon nach wenigen Tagen tritt (nicht selten unter Vorausgehen eines starken Schüttelfrostes) Eiterung — und, wo das extravasirte Blut sich schnell zersetzt, auch Verjauchung ein. In dem Gelenke entwickelt sich dann stinkendes Gas, welches beim Druck auf die Kapsel durch die Wunde entweicht. Der Kranke stirbt schnell pyämisch. Am Stärksten ausgeprägt beobachtet man einen solchen Verlauf bei Schusswunden des Kniegelenkes. Handelt es sich um ein kleineres Gelenk oder eine minder bedeutende Verletzung (insbesondere ohne Zersplitterung der Gelenk-Enden), so ist der Verlauf weniger stürmisch; es folgt aber doch Eiterung. Hat der Eiter keinen Abfluss, so durchbricht er die Gelenkkapsel und veranlasst ausgebreitete Phlegmonen, demnächst Abscesse, Eitergänge, und bedingt dadurch nachträglich Lebensgefahr, entweder durch Pyämie oder durch hectisches Fieber. Dringen e i t e r n d e F i s s u r e n b i s u n t e r d e n K n o r p e l U e b e r z u g eines Gelenkes, so erweicht an dieser Stelle der Knorpel, wird abgestossen und die Jauche dringt nun in die bis dahin unversehrte Gelenkhöhle ein, wodurch plötzlich die heftigste Gelenk-EntzUndung hervorgerufen wird. Selbst in Füllen, wo nicht blos die Gelenkkapsel unversehrt
621 2.
Schusswunden
der
G e l e n k e . ')
| Die Verletzungen der Gelenke durch Schusswaffen beschränken sich entweder auf eine m e h r oder weniger heftige Quetschung, oder die Kugel dringt in das Gelenk ein. Der letztere Fall ist der h ä u figere; spricht man schlechtweg von „ S c h u s s w u n d e n der Gelenke", so hat man n u r diese Art der Verletzung im Sinne. Die durch Geschosse bedingten Q u e t s c h u n g e n
der Gelenke
sind nicht selten so heftig, dass Gangrän entsteht u n d bei L ö s u n g des Brandschorfs das Gelenk geöffnet wird. Höchst selten, und zwar nur, sofern es sich um das Kniegelenk handelt, kann die Kugel in das Gelenk eindringen, ohne die knöchernen
Gelenk-Enden
zu verletzen.
Sie m u s s dann zufällig an
einer solchen Stelle u n d in solcher Richtung eingedrungen dass die schlaffen, vor den G e l e n k - E n d e n der Kapsel sie a u f n e h m e n konnten.
sein,
hervorragenden Theile
Dass die Kugel
in
solcher
Weise durch das Gelenk hindurchginge, ist wohl möglich, aber noch nicht beobachtet.
Die Kugel bleibt also im Gelenk liegen,
wirkt
als f r e m d e r Körper, behindert die Bewegung und erregt eine sehr heftige Entzündung.
In seltenen Fällen wird das Gelenk durch die
vorüberstreifende Kugel ohne Knochenverletzung Die Kugel kann ferner in eine E p i p h y s e dieselbe mit einer r ö h r e n f ö r m i g e n W u n d e
aufgerissen. eindringen,
oder
durchbohren,
ohne
die Synovialkapsel zu verletzen, worauf jedoch stets Gelenk-Entzündung folgt.
Fast immer ist hierbei die Epiphyse
von
Fissuren
durchzogen, welche b i s z u r G e l e n k f l ä c h e des Knochens dringen. Gewöhnlich aber verletzt die Kugel d e n K n o c h e n Synovial-Kapsel zugleich.
und
die
Das Schicksal der Kugel kann hier-
bei ein dreifaches sein: bald bildet sie eine das Gelenk von einer Seite zur andern durchbohrende W u n d e u n d geht also der Eintrittsöffnung gegenüber wieder h i n a u s ; bald liegt sie im Gelenk zwischen Knochensplittern; bald endlich, jedoch n u r bei oberflächlich liegenden Gelenken, fällt sie aus der E i n g a n g s - O e f f n u n g wieder heraus. Die Splitterung der Gelenk-Enden, die E r s c h ü t t e r u n g des getroffenen Knochens,
die Ablösung
der K n o r p e l ,
das
bedeutende
Blut-Extravasat, welches nicht blos die Gelenkhöhle, s o n d e r n auch ' ) |Dic S c l i u s s v e r l e l z u n g e n sen Wichtigkeit
wegen
der Gelenke, w e l c h e V i d a l nach
den
in
ü b e r g e h t , sind i h r e r
n e u e s t e r Zeit g e s a m m e l t e n
dargestellt, namentlich nach E s i n a r c h :
„Uebcr Resectionen nach
gros-
Erfahrungen Schusswun-
d e n , B e o b a c h t u n g e n u n d E r f a h r u n g e n a u s den s c h l e s w i g - h o l s t e i n s c h e n F e l d z ü g e n . Kiel
1851."|
624
Krankheiten der Gelenke.
Weichtheilen entblösst und absägt. Diese Operation nennt man Resection der Gelenk-Enden. Wo die Weichtheile aber in solcher Ausdehnung verletzt sind, dass die Erhaltung der Extremität auch nach Beseitigung der zersplitterten Gelenk-Enden unmöglich erscheint, ist sogleich die Amputation vorzunehmen. Diese für die Behandlung der in Bede stehenden Wunden im Allgemeinen allerdings massgebenden Vorschriften müssen, je nach der Beschaffenheit des verletzten Gelenkes, wesentlich modificirt werden. ') Beim Hand- und Fuss-Gelenke verspricht die Resection nach den vorliegenden Erfahrungen nicht mehr Erfolg, als die weite Eröffnung der Kapsel und Entfernung der Knochensplitter. Ist die Zerschmetterung an diesen Gelenken bedeutend, so muss man sogleich amputiren. Uebrigens sind an der oberen Extremität, wo irgend möglich, die Resectionen den Amputationen vorzuziehen, da sie ungleich weniger gefährlich sind und dem Verletzten ein mindestens nicht ganz unbrauchbares Glied lassen. An der unteren Extremität wird ein brauchbares Glied durch die Resection wol niemals erhalten. Jedoch durfte die Resection im Hüftgelenk immer noch weniger gefährlich sein, als die Exartieulation in demselben. Am Kniegelenk sind Amputationen und Resectionen wol gleich gefährlich, nach letzteren aber die Heilung langwieriger und die Extremität nicht brauchbarer, als ein künstliches Bein.|
II.
Quetschung und
VeKiCiiuchun(.
Unter dem Namen „ V e r s t a u c h u n g " werden verschiedene Verletzungen der Gelenke zusammengefasst, welche darin Ubereinstimm e n , dass offene Wunden nicht bestehen, dass insbesondere die Haut unverletzt ist und dass ferner eine dauernde Verschiebung der knöchernen Gelenk-Enden gegen einander gleichfalls fehlt. Wir zerlegen die Verstauchung, wie sie von Anderen im weiteren Sinne aufgefasst wird, in 1) die Q u e t s c h u n g der Gelenke und 2) die V e r s t a u c h u n g im e n g e r e n S i n n e . 1) Q u e t s c h u n g
(Conlunio).
Die Quetschung des Gelenkes ist entweder eine d i r e c t e oder eine i n d i r e c t e . Im ersteren Falle hat die Gewalt unmittelbar auf das Gelenk eingewirkt, wie dies am Knie, am Ellenbogen, am Fuss' ) (Genaueres über die Verhältnisse der einzelnen Gelenke, so wie über dif Ausführung der erwähnten Operationen, ündet sich Bd. IV, „ K r a n k h e i t e n Extremitäten." |
der
625
Verstauchung.
u n d am Handgelenk besonders häufig geschieht. In Folge einer solchen Quetschung entsteht ungemein schnell in der Gegend des Gelenkes eine beträchtliche Geschwulst, welche durch den, theils in der Umgegend, theils in der Gelenkkapsel selbst erfolgten Bluterguss bedingt ist. Drückt man diese Geschwulst mit der Hand, so nimmt man eine Crepitation w a h r , wie sie beim Zusammenpressen eines Schneeballes entsteht. Zuweilen hört man auch ein Crepitiren, wie bei einem Knochenbruch. In solchen Fällen sei man stets vorsichtig; es handelt sich dann wahrscheinlich wirklich uin eine Fractur, wenn auch vielleicht blos um die Ablösung eines Theiles des knöchernen Gelenkrandes, oder um ganz oberflächliche Zermalmung eines Gelenk-Endes. War die einwirkende Gewalt nicht s e h r bedeutend, so verschwindet die Geschwulst bald wieder, bei ruhiger Lage des Gliedes und Anwendung kalter Umschläge. Vermindert sich die Geschwulst in den nächsten Tagen nicht fortwährend, so hat man G r u n d , a n z u n e h m e n , dass die einwirkende Gewalt sehr bedeutend war und dass die Quetschung nicht blos einen Blut-Grguss ins Glenk ( H a e m a t a r t h r o s ) , sondern Entzündung des Gelenkes bewirkt hat. Dann bleiben auch heftige Schmerzen nicht lange aus und n u r durch eine s e h r sorgfältige Behandlung der Gelenk-Entzündung lässt sich ein übler Ausgang verhüten. | Von den höchsten Graden der directen Quetschung, auf welche Eröffnung des Gelenkes durch Gangrän folgt, war bei den Schusswunden der Gelenke die R e d e . | I n d i r e c l e Q u e t s c h u n g nennen wir eine solche, bei der die Gewalt in mehr oder weniger grosser Entfernung von dem Gelenk eingewirkt hat, eine Quetschung durch Gegenschlag. Solche Quetschungen beobachtet man häufiger im Oberarm- und b e s o n d e r s im Oberschenkel-Gelenk, wo sie d u r c h einen Fall auf die F ü s s e , auf die Knie, auf den grossen Trochanter veranlasst werden. Die tiefere Lage dieser Gelenke erschwert die Diagnose. 2) V e r s t a u c h u n g im e n g e r e n S i n n e
(Conlorsio, DUlortio,
Kaiorte).
Verstauchung nennen wir eine unvollkommene und vorübergehende Verschiebung der Gelenk-Enden gegen einander, eine u n vollständige Verrenkung, welche sogleich ohne Zuthun der Kunst reducirt wird. Die Gelenkbänder sind dabei entweder zerrissen, üder doch in hohem Grade gezerrt. Man kann sich leicht eine richtige Vorstellung von den bei einer Verstauchung stattfindenden a n a t o m i s c h e n V e r ä n d e r u n g e n m a c h e n , wenn man an einer Leiche das Ellenbogengelenk Uber die grade Linie hinaus streckt V i d a l ' a Chirurgie.
II.
40
626
Krankheiten der Gelenke.
( s o g e n a n n t e Hyperextensiön oder Dorsal-Flexion), so dass der V o r derarm
gegen
den
Oberann
W i n k e l , der Processus Vorsprung
bildet.
einen
cubitalis
Lässt
nach
humeri
man
hinten
offenen
stumpfen
aber in der E l l e n b e u g e
dann
die Theile
in ihre
einen
normalen
Verhältnisse zurückkehren, so findet man das Kapselband an seiner vorderen
Seite z e r r i s s e n , an der hinteren Seite aber
quetscht,
ähnlich
wie
bei
einer
Verrenkung,
zusammenge-
nur
im
kleineren
Massstabe. Aetiologie.
V e r s t a u c h u n g e n k o m m e n am Häufigsten an G e -
lenken vor, deren B e w e g u n g e n sehr beschränkt sind.
Die B ä n d e r
eines solchen Gelenkes m ü s s e n n o t h w e n d i g zerrissen oder doch im höchsten Grade
gezerrt w e r d e n ,
w e n n durch
äussere
Verhältnisse
dem Gelenke eine B e w e g u n g a b g e z w u n g e n wird, für w e l c h e es gar nicht eingerichtet ist. an
In einem solchen Falle
den w e n i g e r b e w e g l i c h e n Gelenken
haben
die Bänder
aber
die
gerade
volle E i n -
w i r k u n g der äusseren Gewalt beinahe allein zu tragen, weil dieselben fast nirgend von stärkeren Muskeln u m g e b e n sind, w i e dies bei den Arthrodien
der Fall ist.
A n d e r e r Seits hindert das g e n a u e r e
Ein-
greifen der G e l e n k - E n d e n in einander, w i e es sich z. B. bei Charniergelenken
findet,
das vollständige A b w e i c h e n derselben v o n
ander, wenn nicht eine ü b e r a u s g r o s s e Gewalt einwirkt. chungen
sind
dem
entsprechend
sehr
viel
häufiger
gelenken, als in freien Gelenken, am häufigsten im
ein-
Verstau-
in
Charnier-
Fussgelenke.
V e r s t a u c h u n g e n entstehen um so leichter, j e schlaffer oder j e w e n i g e r widerstandsfähig die Bünder eines Gelenkes Symptome.
Im A u g e n b l i c k e
der
Verletzung
sind. empfindet
der
K r a n k e einen heftigen S c h m e r z , gleich darauf aber sind die B e w e g u n g e n des Gelenkes nicht behindert.
Z u w e i l e n besteht s o g a r u n -
mittelbar nach der Verletzung eine z u g r o s s e Beweglichkeit.
Bald
a b e r w e r d e n die B e w e g u n g e n s c h w i e r i g oder u n m ö g l i c h , jedenfalls sehr s c h m e r z h a f t ; es entsteht eine beträchtliche G e s c h w u l s t ,
welche
z u m Theil durch den B l u t - E r g u s s , z u m Theil durch E x s u d a t i o n b e d i n g t ist. dern
auch
be-
B l u t - E r g u s s aber erfolgt nicht blos in der Tiefe, s o n unmittelbar
unter
der
Haut; es
erscheinen
daher
trächtliche E c c h y m o s e n u n d Sugillationen, und z w a r , w i e
be-
Sanson
richtig bemerkt hat, bei der V e r s t a u c h u n g der Charniergelenke nicht b l o s auf der Seite, wo die Bänder zerrissen sind, sondern auch auf d e r e n t g e g e n g e s e t z t e n , w o gewöhnlich blos Quetschung den hat.
stattgefun-
Bei einer V e r s t a u c h u n g des F u s s g e l e n k e s durch D r e h u n g
d e s F u s s r ü c k e n s nach Innen w e r d e n z. B. die inneren S e i l e n b ä n d e r des F u s s g e l e n k e s gezerrt
oder z e r r i s s e n , die E c c h y m o s e
erscheint
627
Verstauchung. aber auch
am
äusseren
Knöchel,
weil
bei
der
Umwendung
F u s s e s der letztere an den Calcaneus gedrängt wird
des
und die z w i -
schen beiden g e l e g e n e n Weichtheile eine Q u e t s c h u n g erleiden.
Auf
ähnliche W e i s e
des
Handgelenkes auf den
entsteht
bei
eine
Sugillation
einer V e r s t a u c h u n g
auf der
desselben
Dorsalseite durch
einen Fall
Handteller.
Bei der D i a g n o s e lich d a r u m ,
einer V e r s t a u c h u n g handelt es sich w e s e n t -
sie von der Q u e t s c h u n g
der V e r r e n k u n g
anderer
Seits
zu
des Gelenkes einer und v o n
unterscheiden.
sich a u c h , w i e bei j e n e r ,
Quet-
Mit der
s c h u n g hat sie den B l u t - E r g u s s in die Gelenkhöhle geinein,
weshalb
das sogenannte Schneeballknirschen
bei
einem Druck auf das Gelenk oder bei einem V e r s u c h z u B e w e g u n gen
vorfindet;
schnell
dagegen
unterscheidet
bedeutende A n s c h w e l l u n g wickelt
sie
sich von ihr
eintretende g r o s s e S c h m e r z h a f t i g k e i t , hat,
des Gelenkes.
Bevor
ist die Unterscheidung von
durch die
Steifigkeit u n d
letztere
sich ent-
einer V e r r e n k u n g
l e i c h t , weil man sich mit den Fingern von d e r normalen der einzelnen G e l e n k v o r s p r ü n g e ü b e r z e u g e n kann. w e n n die G e s c h w u l s t sehr beträchtlich ist
sehr
Stellung
Späterhin
aber,
und durch dieselbe ein
sehr hoher Grad von Steifigkeit bedingt wird, kann die Unterscheid u n g von einer V e r r e n k u n g sehr s c h w i e r i g
werden.
A u s g ä n g e und P r o g n o s e . In leichteren Fällen lassen S c h m e r z und G e s c h w u l s t bald n a c h ,
die Sugillationen v e r s c h w i n d e n
in der
g e w ö h n l i c h e n W e i s e und allmälig stellen sich die normalen g u n g e n w i e d e r ein. g r o s s e r Gewalt an
Bewe-
Hat aber die Z e r r e i s s u n g der B ä n d e r mit sehr einem
sehr
festen Gelenke
Statt g e f u n d e n , so
steigert sich der S c h m e r z z u einer solchen Höhe, dass nervöse E r s c h e i n u n g e n z u befürchten sind, das ganze Gelenk u n d seine Umg e g e n d w i r d heftig e n t z ü n d e t , und es kann eine dauernde keit
oder
auch
eine
grosse
Neigung
z u Recidiven
Steifig-
zurückbleiben.
Strengt der Verletzte späterhin das Gelenk beträchtlich an, so entwickelt sich
oft sehr
Eiterung übergehen dieser
Gefahr
schnell
aufs Neue
eine E n t z ü n d u n g ,
und daher l e b e n s g e f ä h r l i c h w e r d e n
schweben
besonders
solche
Individuen,
die
in
kann.
In
welche
an
irgend einer Dyskrasie leiden, oder bei denen das verletzte Gelenk schon f r ü h e r krank war. stauchung
stets
übler,
Bei Greisen ist die P r o g n o s e einer V e r weil
bei
der Festigkeit
ihrer B ä n d e r
eine
so g r o s s e Gewalt z u r Z e r r e i s s u n g derselben gehört, dass immer ein gleichzeitiges
Abbrechen
fürchtet w e r d e n m u s s .
einzelner
Stücke
des
Gelenkrandes
be-
A u s s e r d e m ist der grade bei alten L e u t e n
häufig bestehende R h e u m a t i s m u s der Heilung
hinderlich.
40*
62$
Krankheiten
der Gelenke.
Die B e b a n d l u n g hat die Wiedervereinigung der zerrissenen Bänder herbeizuführen, die Resorption des Blut-Ergusses zu begünstigen, die Entzündung zu massigen. Kalte Umschläge oder kalte Irrigationen bei ruhiger und bequemer Lage des Gliedes erfüllen diese Indicationen in der grossen Mehrzahl der Fälle. Bei grosser Schmerzhaftigkcit und bedeutender Geschwulst hat man sogleich einen Aderlass zu machen. Die Wirkung desselben kann durch örtliche Blutentziehung bei Weitein nicht immer ersetzt werden und letztere führen, wenn sie unmittelbar auf das verstauchte Gelenk applicirt werden, sehr häufig zur Eiterung. Die kalten Umschläge werden so lange fortgesetzt, als sie dem Kranken angenehm sind; fühlt er bei ihrem Fortlassen die unangenehme Hitze oder Schmerzhaftigkeit in dem Gelenke zurückkehren, so ist dies ein Zeichen, dass sie noch länger nothwendig sind. Nachdem die Schmerzhaftigkeit beseitigt und die Geschwulst vermindert ist, schreitet man zur Einwicklung des verletzten Theiles mit einer weichen Binde, um noch für längere Zeit Bewegungen desselben zu verhüten und dadurch ein vollständiges Zusammenheilen der zerrissenen Gelenkbänder zu erzielen.
III. V e r r e n k u n g e n .
A. V o n d e n
Luxationes, ossium.
Verrenkungen
im
Laesiones contiguitalis
Allgemeinen.
V e r r e n k u n g , Luxatio, heisst eine dauernde Verschiebung der zur Bildung eines Gelenkes zuzammentretenden Knochen-Enden gegen einander. Die Verstauchung ist eine nur momentane, äusserst schnell vorübergehende Verrenkung. Zuweilen nennt man auch die Trennung zweier unbeweglich mit einander verbundener Knochen, sobald sie gegen einander verschoben sind, gleichfalls Verrenkung; genauer aber bezeichnet man eine solche Verletzung als D i a s t a s e , Diastasis, S y m p h y s e n - T r e n n u n g u. dgl. Eine Zerstörung der Knochen und Bänder durch vorausgegangene Entzündung und Eiterung kann zu einer Verrenkung (Uhren. Man nennt solche Verrenkungen consecutive oder f r e i w i l l i g e (Luxatio spontanea). Wir werden ihrer bei der Beschreibung der Gelenk-Entzündung und ihrer Ausgänge besonders zu gedenken haben. Hier dagegen ist vorzüglich von der V e r r e n k u n g d u r c h ä u s s e r e G e w a l t (Luxatio violenta seu traumatica) zu handeln, |welcher wir die a n g e b o r n e V e r r e n k u n g (Luxatio congenita) anschliessen, obgleich im Voraus bemerkt werden soll, dass tius-
Verrenkungen, —
629
im Allgemeinen.
sere Gewalt niemals oder doch höchst selten zur Entstehung dieser letzteren beiträgt. | 1.
Traumatische Verrenkung.
Luxallo
cioleiita
*
Iruuinnliea.
Aetiologie. Gewaltsame Verrenkungen können an allen Gelenken vorkommen. Die Ausdehnung und Gestalt der Gelenkflächen, die Zahl und Stärke der die Knochen-Enden vereinigenden Bänder können zwar ein beträchtliches Hindemiss für die Entstehung einer Verrenkung abgeben, aber durch die höchsten Grade der Gewalt werden sie endlich doch alle Uberwunden. Zuweilen ist hierzu eine so grosse Gewalt nothwendig, dass in der Umgegend Knochenbrilche und Zerreissungen der Weichtheile von solcher Ausdehnung und Bedeutung zugleich bewirkt werden, dass die Verrenkung selbst als eine Nebenverletzung erscheint. Die Mehrzahl der Luxationen und besonders die wegen ihrer Häufigkeit als typisch betrachteten, finden sich an solchen Gelenken, deren Knochen einander durch einfache Bogenlinien umschriebene Flächen zuwenden und in denen ausgiebige und verschiedenartige Bewegungen stattfinden. In den Gelenken zwischen den Fuss- und Handwurzelknochen stehen z. B. kurze Knochen durch fast gradlinig begrenzte breite Flächen mit einander in Berührung und sind durch zahlreiche starke, zum Tbeil innerhalb des Gelenkes gelegene Bänder mit einander straff verbunden; die Bewegungen in diesen Gelenken sind höchst unbedeutend; dem entsprechend sind die Verrenkungen in diesen Gelenken sehr selten und nur durch eine sehr grosse Gewalt möglich. Ausgedehntere Bewegungen gestatten die Gharniergelenke, aber ihre Berührungsflächen sind beträchtlich, besonders in querer Richtung, in welcher sie auch fast gar keine Beweglichkeit besitzen. In dieser Richtung erfolgen denn auch Verrenkungen nur selten; in der Richtung dagegen, in welcher die Gelenk-Enden sich an einander bewegen und die Gelenkflächen sich in geringerer Ausdehnung berühren, entstehen Verrenkungen leichter. Die Arthrodie endlich, als das freiste Gelenk, bietet auch die grösste Möglichkeit ftlr Verrenkungen dar. Das Schultergelenk z. B. liefert bei einer statistischen Uebersicht eine mindestens eben so grosse Ziffer, als alle übrigen Gelenke zusammengenommen. ' ) ') I S t a t i s t i s c k e U e b e r s i c h t
der Verrenku ngen
nach Maigaigne:
Unter
4 9 2 Fällen fanden s i c h : Verrenkungen der Schulter 3 2 1 , des Hüftgelenks 3 4 , des Stuiiisselbeins 3 3 , des Ellenbogen 2 6 , des Fusses 2 0 , des Daumen 1 7 , des Handgelenks 1 3 , der Finger 7 , des Unterkiefers 7 , des Knies 7 , des Radius 4 , der Kniescheibe 2 , der Wirbelsäule l . |
630
Krankheiten
der
Gelenke.
Es giebt sonach eine p h y s i o l o g i s c h e P r ä d i s p o s i t i o n der Gelenke zu Verrenkungen. Als p r ä d i s p o n i r e n d sind ferner gewisse k r a n k h a l t e Z u s t ä n d e d e r B ä n d e r u n d M u s k e l n zu betrachten. Was die B ä n d e r betrifft, so muss jede Erschlaffung derselben, |so wie natürlich auch jede Continuitätstrennung| als eine Prädisposition zur Verrenkung betrachtet werden. Vorausgegangene Luxationen desselben Gelenkes, anderweitige Zerreissungen der Bänder, Gelenkwassersuchten, absichtliche gewaltsame Zerrungen sind als Prädispositionen für nachfolgende Verrenkung zu betrachten.') Die M u s k e l n können durch ihre Erschlaffung die Entstehung von Verrenkungen an solchen Gelenken, an denen sie zur Befestigung der Gelenk-Enden an einander wesentlich beitragen, in hohem Grade begünstigen. Ein Beispiel hierfür liefert besonders deutlich das Schultergelenk. Anderer Seits prädisponirt auch eine vorzugsweise kräftige Muskulatur zu Verrenkungen, besonders wenn sie gleichzeitig mit Schwäche der Gelenkverbindungen besteht. Hauptsächlich aber sind Menschen mit stark entwickelten Muskeln wol deshalb häufiger Verrenkungen ausgesetzt, weil sie sich mehr als andere solchen Beschäftigungen unterziehen, bei denen die Gelegenheit zur Entstehung von Verrenkungen sich darbietet. Hierauf beruht es, dass Verrenkungen häufiger bei Erwachsenen als bei Kindern, häufiger ferner im mittleren als im Greisenalter, häufiger endlich bei Männern als bei Frauen beobachtet werden. Gelegenhcits - Ursachen. Die Kraft der M u s k e l n ( d e r Muskelzug) allein vermag eine Verrenkung hervorzubringen, so z. B. diejenige des Unterkiefers. In manchen Füllen wird die Verrenkung wenigstens durch Muskelzug vorbereitet oder aber vollendet. Zuweilen bedingt eine gewisse Stellung des Gelenkes, in welche es willkürlich oder unwillkürlich versetzt worden ist, eine specielle Prädisposition zur Verrenkung. Eine mechanische Gewalt aber ist die eigentliche Veranlassung und ein anderweitiger Muskelzug gleichsam das vollbringende Moment für die Luxation. So wird z. B. der Oberarm durch die Zusammenziehung des Deltamuskels in eine für seine Verrenkung günstige Stellung gebracht. Findet in dieser Stellung ein Fall auf den Ellenbogen Statt, so dass dieser voriiber') C o o p e r
b e o b a c h t e t e bei e i n e m M ä d c h e n ,
welches von f r ü h a n
zur Tänzerin
erzogen w a r , eine e n t s c h i e d e n e N e i g u n g d e r Kniescheibe, sich auf den ä u s s e r e n Condylus
des O b e r s c h e n k e l b e i n s
spannt wurden.
—
zu
v e r r e n k e n , s o b a l d die S t r e c k m u s k e l n
M a n c h e M e n s c h e n h a b e n die F ä h i g k e i t , die e r s t e
ihres D a u m e n s nach Belieben zu verrenken
und wieder zu
reponiren.
ge-
Phalanx
Verrenkungen, — im Allgemeinen.
631
gehend das Punctum fixum für den durch das Oberarmbein repräsentirten Hebelarm wird, so weicht der Obcrarinkopf, welcher jetzt das bewegliche Ende des Hebels ausmacht, unter dem Zuge des Pecloralis major und Lalissimus dorsi nach Unten und Vorn aus, so dass diese Muskeln also die Verrenkung vollenden, welche der Deltamuskel durch seine Zusammenziehung vorbereitet hatte. Viele haben jedoch den Muskeln' bei der Entstehung der Verrenkungen eine zu grosse Rolle zugetheilt, besonders B o y e r und seine Schule. Nach seiner Lehre handelt es sich bei jeder Verrenkung um eine p r i m i t i v e und eine c o n s e c u t i v e V e r s c h i e b u n g (vergl.pag.633); erstere kann sowol durch Muskelzug, als durch eine äussere Gewalt veranlasst werden, letztere dagegen wird immer durch die Zusammenziehung der Muskeln herbeigeführt. Die mächtigsten und wichtigsten Veranlassungen der Verrenkungen sind aber entschieden ä u s s e r e G e w a l t e n , welche den durch die das Gelenk zusammensetzenden Theile gebotenen Widerstand zu überwinden, d. h. Bänder, Sehnen, Muskeln zu zerreissen, auch Knochen zu zerbrechen vermögen. Diese mechanischen Einflüsse sind hauptsächlich von dreierlei Art: 1) Stoss, Zug, Drehung, durch welche die Gelenkbänder gezerrt und zerrissen, b e i d e Gelenkflächen aber gewaltsam von einander entfernt werden. 2 ) Schlag oder Stoss, durch welche e i n e Gelenkfläche direct getroffen wird, während der andere dem Gelenk zugehörige Knochen mehr oder weniger unbeweglich ist. 3 ) Fall auf eine Extremität, wobei ein Theil derselben durch den Fussboden aufgehalten wird, während der oberhalb des nächsten oder nächstfolgenden Gelenkes liegende Knochen mit der ganzen Gewalt des in seiner Wucht durch die Schnelligkeit des Fallens gesteigerten Körpergewichts vorwärts getrieben wird. Zu der e r s t e n Reihe gehören vorzugsweise die Verrenkungen zwischen dem Kopf und der Wirbelsäule und diejenigen am oberen Ende des Radius. Bei dieser handelt es sich aber wirklich um eine Verschiebung durch Drehung und Zug. Bei der z w e i t e n Reihe wirkt die Gewalt direct auf eins der Gelenk-Enden in der Nähe des Gelenkes ein. Verrenkungen der Art kann man an der Leiche ohne Schwierigkeit nachahmen. Lässt man z. B., während der Oberschenkel auf einem Tische ruht, den Unterschenkel herabhängen, erhebt dann die Ferse und führt einen kräftigen Schlag auf das obere Ende der Tibia, so kann man hierdurch eine Verrenkung im Kniegelenk erzeugen. Weil es sich hierbei immer um d i r e c t e Einwirkung einer Gewalt auf das eine Gelenk-Ende handelt, nennt man die durch solchen Mechanismus entstandenen Verrenkungen
632
Krankheiten der Gelenke.
auch schlechtweg d i r e c t e .
Dabei m ü s s e n die Gelenkbänder immer
in hohem Grade zerrissen sein.
Das direct getroffene Gelenk-Ende
zeigt deutlich die Spuren der Quetschung; die Muskeln haben hierbei weder zur Vorbereitung noch zur Vollendung der Verrenkung irgend etwas beigetragen.
Natürlich k o m m e n aber
Verrenkungen
der Art desto leichter zu S t a n d e , j e schwächer die Muskeln Bänder sind.
Von allen Verrenkungen
mit Fractur complicirt. seltensten.
und
sind diese am Häufigsten
Sie sind die gefährlichsten, aber auch die
Da es sich bei dieser Art der Verrenkung um die Ver-
schiebung einer Gelenkfläche an der andern ohne vorherige Aender u n g ihrer gegenseitigen Stellung handelt, so finden sie sich n u r an Gelenken, in denen wenigstens e i n Gelenk-Ende mit einer ebenen oder nahezu ebenen Gelenkfläche versehen ist. Bei der d r i t t e n
Reihe wirkt die Gewalt auf das dem ver-
renkten entgegengesetzte Ende des Knochens.
Der Winkel, in dem
die Gelenk-Enden z u s a m m e n s t o s s e n , wird aufs Aeusserste v e r g r ö s sert oder verkleinert,
die S p a n n u n g der Gelenkbänder
daher aufs
Aeusserste gesteigert, bis zur Zerreissung derselben, wo dann unter dem Einflüsse einer selbst geringfügigen Gewalt am entgegengesetzten Ende des Knochens durch Hcbelbewegung die Verschiebung erfolgt. Die auf solche Weise entstehenden Verrenkungen n e n n t man auch indirecte.
Als Beispiel diene die Verrenkung im Schultergelenk.
Die Achse des Oberarmkopfes fällt, wenn der Gelenkkopf in möglichst grosser A u s d e h n u n g
die Gelenkfläche der Scapula
berührt,
auf die Mitte dieser Gelenkfläche unter einem fast genau rechten Winkel. Je m e h r der Arm erhoben wird, desto spitzer wird dieser Winkel, desto weiter abwärts liegt der Auffallpunkt der Achse des Oberarmkopfes.
Endlich trifft derselbe gar nicht m e h r auf die Ge-
lenkfläche der Scapula s o n d e r n auf den u n t e r n Umfang der Gelenkkapsel, die unter einein verhältnissmässig geringen Druck nachgiebt, zerreisst und den jetzt der äusseren Gewalt und dem Muskelzuge gänzlich Preis gegebenen Gelenkkopf hinaustreten lässt. ') Varietäten.
Man unterscheidet m e h r e r e Varietäten der Ver-
r e n k u n g e n , je nach dem Grade oder der A u s d e h n u n g der Verschieb u n g u n d je nach den neuen Verhältnissen, in welche der Knochen eingetreten ist. Haben
die zusammengehörigen
vollständig verlassen,
Gelenkflächen einander
sondern berühren
sich
noch an
nicht
einzelnen
' ) | Wir wollen jedoch im Voraus bemerken, dass bei weitem nicht alle SchulterVerrenkungen in der angegebenen Weise entstehen.|
Verrenkungen, —
im
Allgemeinen.
633
Punkten, so nennt man die Verrenkung eine u n v o l l s t ä n d i g e , Luxatio incompleta, im Gegensatz zur Luxalio completa bei welcher gar keine Berührung zwischen den Gelenk-Enden mehr stattfindet. Unvollständige Verrenkungen kommen vorzugsweise an solchen Gelenken vor, in denen grosse breite Knochenflächen mit einander in Berührung stehen, wie z. B. Ellenbogen und Kniegelenk. An diesen sind vollständige Verrenkungen verhältnissmässig selten. Umgekehrt verhält es sich bei den Arthrodien, wenngleich die D e s a u l t ' s c h e Schule zu weit ging, indem sie (wie bereits H i p p o k r a t e s ) das Vorkommen unvollständiger Verrenkungen an solchen Gelenken gänzlich läugnete.') Bei v o l l s t ä n d i g e n Verrenkungen bleibt die Verschiebung der Gelenk-Enden, was den Grad und die Richtung anbetrifft, später nicht immer dieselbe, wie unmittelbar nach der Verletzung. Hierauf gründet sich die Unterscheidung der p r i m ä r e n und c o n s e c u t i v e n V e r s c h i e b u n g . Es ist allerdings möglich, dass ein verrenkter Gelenkkopf durch die äussere Gewalt an eine Stelle geschoben worden ist, an welcher ihn der Muskelzug oder anderweitige Verhältnisse nicht verbleiben lassen. Es kann auf diese Weise aus einer Verrenkung nach Unten zuletzt eine Verrenkung nach Oben werden. Jedoch enthält, wie schon erwähnt, die besonders von B o y e r weiter ausgeführte Lehre von den consecutiven Verschiebungen mehr Dichtung als Wahrheit. Berücksichtigt man die vorliegenden genaueren Beobachtungen und bedenkt, wie wenig der niemals ruhende Tonus der Muskeln und die Anordnung der die einzelnen Gelenkhöhlen umgebenden Gebilde eine solche Vertheilung der Verschiebung auf zwei verschiedene Momente wahrscheinlich machen; so kommt man zu der Ueberzeugung, dass in der grossen Mehrzahl der Fälle der verrenkte Gelenktheil an der Stelle, wohin er durch die Verrenkung selbst unmittelbar und primär verschoben wurde, auch späterhin stehen bleibt. N o m e n c l a t u r . Man spricht von Verrenkungen nach Oben, nach Unten, nach Innen, nach Aussen, nach Vorn, nach Hinten, je nach der Richtung, in welcher der verrenkte Knochen verschoben ist. Hier fragt es sich aber vor Allem: W e l c h e s i s t d e r v e r r e n k t e K n o c h e n ? Man hat hierauf sehr praktisch antworten zu können geglaubt, indem man sagte: Als verrenkt ist derjenige Knochen zu betrachten, an welchem man zum Behufe der Reduction die Extension ausüben muss. Aber abgesehen von der übrigen ' ) Vergl. B o y e r ,
Malariies chirurgicales, T.
IV, p a g . 2 2 .
634
Krankheiten der Gelenke.
Mangelhaftigkeit dieser Bestimmung, wonach sollen wir u n s in denjenigen Fallen richten, wo gar keine Extension anzuwenden
ist?
Verrenkt, sagt man ferner, ist derjenige Knochen, dessen Verschieb u n g eine DifFormität bedingt.
Zur Bildung der Difformität tragen
aber gewöhnlich beide Gelenk-Enden bei, wie z. B. bei einer Ellenbogen* Verrenkung (Fig. 1 0 3 ) . | E b e n so schwierig d u r c h z u f ü h r e n ist die B e n e n n u n g der Verrenkung nach demjenigen K n o c h e n , welcher vorzugsweise verschoben
ist, obgleich diese Bezeichnungsweise in
manchen Fällen, z. B. bei den Verrenkungen im Fussgelenk, als die natürlichste erscheint.
E s ist aber erforderlich, die B e n e n n u n g nach
einem bestimmten Princip d u r c h z u f ü h r e n , um Verwirrungen zu verm e i d e n , und es ist sehr zu
bedauern,
dass
in dieser Beziehung
zwischen den Wundärzten der verschiedenen L ä n d e r keine vollständige Uebereinstimmung herrscht. | Wir bezeichnen mit der Mehrzahl dei'Aerzte d e n j e n i g e n K n o c h e n a l s d e n v e r r e n k t e n ,
welcher
vom
Körpers
Schädel oder
am W e i t e s t e n
aber
von
e n t f e r n t ist,
der Mittellinie des und benennen
die Bichtung
der
Verrenkung nach derjenigen Fläche des dem Schädel oder der Mittellinie näher gelegenen K n o c h e n s , Knochen geschoben ist. des Vorderarms —
gegen welche hin der verrenkte
So ist also z. B. Fig. 103 eine Verrenkung
denn der Vorderarm
ist weiter
entfernt vom
Schädel, als der Oberarm — und zwar eine Verrenkung des Vord e r a r m s nach Hinten, d. h. gegen die hintere Fläche des O b e r a r m s . Fig. 103.
Fig. 1 0 4 .
Fig.
105.
Verrenkungen, — im Allgemeinen. Fig. 1 0 4 u n d Oben.
635
ist eine V e r r e n k u n g d e s O b e r s c h e n k e l s nach Hinten
Fig. 1 0 5 stellt eine (sogenannte) V e r r e n k u n g des K ö r p e r s
d e s B r u s t b e i n s nach Vorn u n d Oben, d. h. auf die v o r d e r e Fläche d e s Manubrium
sterni
dar. —
Man u n t e r s c h e i d e t l e r n e r f r i s c h e u n d v e r a l t e t e cens u n d invelerata),
( L u x a t i o re-
e i n f a c h e u n d c o n i p l i c i r t e , auch
einfache
u n d d o p p e l t e V e r r e n k u n g e n . D i e s e B e n e n n u n g c n sind theils v o n s e l b s t verständlich, theils w e r d e n sie in N a c h f o l g e n d e m i h r e E r k l ä r u n g finden. Anatomische Veränderungen
des
verrenkten
1. D i e k n ö c h e r n e n G e l e n k - E n d e n . r e n k u n g ganz o h n e C o n t i n u i t ä t s t r e n n u n g
Gelenkes.
Selten b e s t e h t eine Ver-
d e r betheiligten K n o c h e n .
Solche c o m p l i c i r e n d e F r a c t u r e n erfolgen d u r c h Z e r s c h m e t t e r u n g o d e r d u r c h Abreissen
eines K n o c h e n s t i i c k s
u n d zwar v o r z u g s w e i s e
bei
Greisen, d e r e n K n o c h e n b r ü c h i g u n d d e r e n B ä n d e r fest sind. So bricht z. B. ganz gewöhnlich, wie wir bereits ( p a g . 5 1 9 ) g e s e h e n d e r Malleolus
extemus
d u r c h A b r e i s s e n , bei einer V e r r e n k u n g n a c h I n n e n d u r c h mung.
haben,
bei e i n e r V e r r e n k u n g d e s F u s s e s n a c h A u s s e n Zerrnal-
In ä h n l i c h e r W e i s e erfolgen B r ü c h e d e r Griffelfortsätze, des
R a d i u s u n d d e r Ulna, d e r Condylen u n d d e r Tubercula d e s n u m e rus,
so wie d e s G e l e n k r a n d e s
P f a n n e bei d e n e n t s p r e c h e n d e n
d e r Scapula
und
des R a n d e s
der
Verrenkungen.
Der d u r c h die V e r r e n k u n g in n e u e U m g e b u n g e n versetzte K n o c h e n geht mit diesen alsbald auch n e u e V e r b i n d u n g e n ein.
Gewöhn-
lich w i r d e r in s e i n e r B e w e g u n g erst d u r c h irgend einen
anderen
Knochen aufgehalten.
E s t r e t e n somit zwei K n o c h e n in B e r ü h r u n g ,
w e l c h e k e i n e s w e g s hierzu b e s t i m m t sind.
Darauf b e r u h e n die Ver-
ä n d e r u n g e n , welche bei v e r a l t e t e n V e r r e n k u n g e n , sowol d e r v e r r e n k t e K n o c h e n selbst, als auch d e r j e n i g e , m i t w e l c h e m er a b n o r m e r W e i s e in B e r ü h r u n g g e t r e t e n ist, d a r b i e t e n .
Der Druck n ä m -
lich, w e l c h e n diese K n o c h e n g e g e n e i n a n d e r a u s ü b e n , b e d i n g t eine Entzündung
beider,
welche z u r
Resorption
vorzugsweise
Stelle d e s D r u c k e s u n d z u r K n o c h e n - N e u b i l d u n g
an
der
in d e r n ä c h s t e n
Umgebung führt. So kann u n t e r d e r f o r t d a u e r n d e n W i r k u n g des Muskelzuges d e r v e r r e n k t e Gelenkkopf in d e m K n o c h e n , g e g e n welchen e r sich a n s t e m m t , eine Vertiefung, gleichsam eine n e u e Gelenkhöhle e r z e u g e n , w ä h r e n d e r selbst abgeflacht u n d ringert wird.
Diese n e u e
in s e i n e m ganzen U m f a n g e v e r -
Gelenkhöhle
a b e r wird nicht blos
Kosten d e s K n o c h e n s g e b i l d e t , an w e l c h e m sie e n t s t e h t , liegt n u r
ein Theil i h r e r Tiefe in d e r Dicke
ein g r o s s e r Theil i h r e s U m f a n g e s
dagegen
auf
vielmehr
des alten K n o c h e n s ,
wird von
Osteophyten
636
Krankheilen der Gelenke.
gebildet, welche sich dem Gelenkkopfe seiner Form mehr oder weniger genau entsprechend anschmiegen. Die von dem verrenkten Gelenk-Ende verlassene ursprüngliche Gelenkhöhle oder Gelenkfläche wird nach und nach immer kleiner, weicht immer mehr von ihrer Form ab und verliert dadurch nach längerer Zeit gänzlich die Fähigkeit, den verrenkten Knochen wieder aufzunehmen. Fig. 106 ist die Abbildung eines Hüftbeins, an Fig. 100. welchem eine Verrenkung des Oberschenkelbeines nach Oben bestand. Die unterste Vertiefung, welche man an diesem Präparate sieht, ist die ehemalige Pfanne, welche bereits bedeutend abgeflacht ist. Die mittlere Vertiefung nahm in dem vorliegenden Falle den grossen Trochanter auf. In der obersten endlich fand sich der verrenkte Schenkelkopf. Es leuchtet von selbst ein, in wie hohem Grade sowol die Befestigung des verschobenen Gelenk-Endes in einer neugebildeten Gelenkhöhle, als auch die Verkleinerung und Ausfüllung der alten Gelenkhöhle die Einrenkung einer veralteten Luxation erschweren müssen. 2. Die G e l e n k k n o r p e l werden bei der Entstehung von Verrenkungen durch die gewaltsame Reibung und Quetschung, welcher sie ausgesetzt sein können, oft abgerissen. Zuweilen werden sie auch durch eine nachfolgende Entzündung abgelöst oder zerstört. Sie werden nicht wieder ersetzt. Wo sie verloren gegangen sind, verdichtet sich das blossgelegte und demnächst entzündete Knochengewebe, welchen Process man an dieser Stelle gewöhnlich Eburnatio genannt hat (vergl. „ K n o c h e n - E n t z ü n d u n g " ) . 3. Die B ä n d e r . Das Kapselband zerreisst immer, wenn es nicht durch vorausgegangene Krankheiten eine Verlängerung oder Erschlaffung erlitten hat, mit Ausnahme gewisser unvollständiger oder unter ganz eigenthümlichen Verhältnissen bestehender Verrenkungen. Das Kapselband und die Hülfsbänder des verrenkten Gelenkes zerreissen in der Richtung der Verschiebung. Nur bei einer beträchtlichen Zerreissung der Bänder ist eine vollständige Verrenkung möglich. Sind einzelne Bänder oder einzelne Theile des Kapselbandes unversehrt geblieben, so üben diese einen beträchtlichen Einfluss auf die Richtung der Verschiebung aus. Im Allgemeinen
Verrenkungen, — i m Allgemeinen.
637
muss der Riss im Kapselbande hinreichend gross sein, um den verrenkten Knochen hinaustreten zu lassen. Nichtsdestoweniger kann der Rücktritt des Gelenk-Endes durch denselben Riss schwierig und sogar unmöglich werden, wenn die Ränder desselben durch BlutErgüsse und Exsudat verdickt oder in einer nicht entsprechenden Richtung durch Muskelzug gespannt sind. Die Hiilfsbänder der Gelenke zerreissen im Allgemeinen bei Luxationen viel seltener und schwieriger, als das Kapselband. Statt zu zerreissen, nehmen sie bei ihrer Ablösung vom Knochen häufig ein Stück der oberflächlichen Knochenschicht mit sich fort. 4. M u k e l n und S e h n e n . Die das Gelenk umgebenden Muskeln werden zum Theil erschlafft, zum Theil gespannt, zum Theil zerrissen. Die Zerreissung hat gewöhnlich ihren Sitz an der Uebergangsstelle zwischen Sehne und Muskel, zuweilen aber auch an der Insertion der Sehne. Manchmal erfolgt die Zerreissung der Muskeln in grosser Entfernung von der Verrenkung. So sah B o n n e t z. B. bei der Verrenkung der Wirbelsäule nach Hinten Zerreissung der Bauchmuskeln. Zuweilen wird auch der verschobene Gelenkkopf zwischen zwei Sehnen oder Muskeln wie in einem Knopfloch eingeklemmt. Je mehr diese Muskeln gespannt werden, desto beträchtlicher wird die Einklemmung des Gelenkkopfes. Bei längerer Dauer der Verrenkung werden sowol die gespannten, als die erschlafften Muskeln in ihrem Gewebe krankhaft verändert. Das eigentliche Muskelgewebe schwindet unter vorwiegender Entwicklung von Fett oder Sehnengewebe. Auf diese Weise gehen die Muskeln ihrer Contractilität verlustig und tragen fernerhin blos zur Zusammensetzung der neuen bandartigen Verbindungen, welche den verrenkten Knochen umgeben, bei. Bei ausgebreiteter Entzündung und besonders, wenn Continuitätstrennungen des Knochens bestehen, kann sich die Knochen-Neubildung bis auf sie und bis in sie hinein fortsetzen. Dass bei veralteten Luxationen die Muskeln und Sehnen der Reduction ein beträchtliches Hinderniss entgegensetzen und auch, wenn diese gelingt, doch die Brauchbarkeit des Gliedes durch den Verlust ihrer Contractilität beeinträchtigen können, ergiebt sich von selbst. 5. G e f ä s s e und N e r v e n . Ohne Zerreissung von Gefässen ist eine Verrenkung nicht möglich. Daher sind Ecchymosen und Sugillationen an der Stelle der Verrenkung und Blut-Ergüsse in das Gelenk selbst ganz gewöhnlich. Selten aber ereignen sich bei Verrenkungen Verletzungen bedeutender Gefässe, wenn dieselben auch in der nächsten Nachbarschaft des Gelenkes liegen. Die Beweglich-
638
Krankheiten der Gelenke.
kcit und Elasticität derselben gestattet ein beträchtliches Ausweichen und eine bedeutende Dehnung. Auch die grösseren Nervenstämme werden selten bei Verrenkungen zerrissen oder gezerrt. — Häufiger kommt es zu solchen Nebenverletzungen durch einen unvorsichtigen und all zu gewaltsamen Zug bei der Einrenkung. Fälle der Art sind besonders von A. C o o p e r und von F l a u b e r t angeführt worden. 6. Die ä u s s e r e H a u t kann entweder im Augenblick der Verrenkung selbst (wenn das eine Gelenk-Ende mit übermässiger Gewalt gegen sie andrängt), oder längere Zeit nach der Verrenkung durch Ulceration durchbrochen werden. Hierdurch tritt die Luxation jedenfalls in die Reihe der gefährlichsten Verletzungen. Eine Verrenkung mit Durchbohrung der Haut ist, wenn sie auch sonst noch so einfache Verhältnisse darböte, eine complicirte; denn ausser den Zerreissungen selbst, welche in einem solchen Falle immer bestehen m ü s s e n , kommt als ein besonderer Nachtheil noch der Zutritt der Luft hinzu, durch welchen der Heilungsvorgang im höchsten Grade gestört wird. H e i l u n g s v o r g a n g . Wenn die knöchernen Gelenk-Enden wieder in ihre normale Stellung zu einander gebracht sind, so erfolgt die Heilung ziemlich schnell und in derselben Weise wie nach Quetschungen und Verstauchungen. Jedoch ist bis zur Wiederherstellung der Brauchbarkeit des Gelenkes hier immer eine bei Weitem längere Zeit erforderlich, weil fast immer Bänder zerrissen, oll auch noch Sehnen und Muskeln gezerrt, gequetscht oder gleichfalls zerrissen, zuweilen selbst Knochenstückchen abgerissen und zermalmt sind. Alle diese Verletzungen, wenn sie auch nur subcutan bestehen, erheischen zu ihrer Heilung doch mehrere Wochen Zeit. Bleiben die Gelenk-Enden in der fehlerhaften Stellung, welche sie durch die Verrenkung erhalten haben, so entwickelt sich um das beweglichere Gelenk-Ende ein sogenanntes neues Gelenk, wie bereits oben bei der anatomischen Beschreibung der veralteten Verrenkungen erörtert wurde. S y m p t o m e . Im Augenblick der Ausrenkung behaupten manche Kranke das Gefühl einer Zerreissung an der Stelle des verrenkten Gelenkes gehabt zu haben, alle beschreiben einen mehr oder weniger heftigen Schmerz, der besonders bei der Verrenkung von Charniergelenken sehr stark und bei directen Verrenkungen immer beträchtlicher als bei indirecten ist. Die o b j e c t i v e n Symptome beziehen sich auf die Veränderungen der Form, der Länge, der Richtung und der Beweglichkeit des Gliedes.
Verrenkungen, —
im Allgemeinen.
639
1. Die v e r ä n d e r t e F o r m d e r G e l e n k g e g e n d fällt sogleich in die Aügen, wenn man sie mit dem entsprechenden gesunden Gelenke vergleicht. Ein genaues Studium der normalen Verhältnisse am l e b e n d e n Menschen, welches leider von vielen Aerzten vernachlässigt wird, giebt in dieser Beziehung sehr bald eine Sicherheit, die auf andere Weise nicht erreicht werden kann. | Die Erforschung der Formverhältnisse eines Gelenkes bezieht sich aber keineswegs blos auf die Besichtigung desselben, sondern schliesst zugleich eine genaue manuelle Untersuchung ein. | Man sieht Vorsprünge und Vertiefungen an Stellen fehlen, wo sie vorhanden sein sollten, und bemerkt sie an Stellen, wo sie nicht sein sollten. |Noch genauer entdecken die Finger die einzelnen Knochenvorsprünge, welche das Gelenk umgeben, oder die dislocirten Gelenk-Enden selbst in ihrer abnormen Stellung, die dann durch genaue Messung ihrer relativen Entfernungen vollständig constatirt werden kann.| Ist z. B. das Oberarmbein im Schultergelenke verrenkt, so erscheint die Schulter abgeflacht; man fühlt das isolirt hervorspringende Acromion und entdeckt unter demselben an der Stelle, an welcher die obere Epiphyse des Humerus stehen sollte, eine Vertiefung, in deren Grunde die Gelenkfläche der Scapula gefühlt werden kann. Der Gelenkkopf aber wird als eine harte Geschwulst in der Nähe (z. B. unter dem Processus coracoideus) wahrgenommen. Diese Form Veränderungen sind besonders bei ganz frischen und bei ganz veralteten Luxationen leicht wahrzunehmen. Einige Zeit nach der Ausrenkung gesellt sich immer durch den in und um die Gelenkhöhle erfolgenden BlutErguss, vielleicht auch durch die schnell gesteigerte Absonderung von Synovia Seitens der verletzten Gelenkkapsel, späterhin aber durch entzündliche Exsudation eine so beträchtliche Geschwulst hinzu, dass es fllr eine gewisse Zeit schwer, ja sogar unmöglich werden kann, die charakteristischen Veränderungen in der Tiefe durch die Geschwulst der Weichtheile hindurch wahrzunehmen. Dann ist, wenn die übrigen Symptome kein entscheidendes Resultat liefern, die Verwechselung mit einer Verstauchung oder mit einer blossen Quetschung möglich. Gewöhnlich erstreckt sich aber die Difformität nicht blos auf die Gegend des Gelenkes selbst, sondern auf das ganze Glied. Dies beruht theils auf der veränderten Richtung des verrenkten Knochens (s. unten 3.), theils auf der unwillkürlichen Veränderung, welche der Kranke in seiner Haltung zur Erschlaffung der abnorm gespannten Muskeln vornimmt. Bei einer Verrenkung im Schultergelenk z. B. sinkt das ganze Schultergerttst herab, bei einer Luxa-
640
Krankheiten
tion des Oberschenkels
der
Gelenke.
die entsprechende Beckenhälfte;
zugleich
wird aber die Wirbelsäule nach der Seite der Verrenkung gebeugt und somit die ganze Körperhaltung verändert. 2. Die L ä n g e des Gliedes ist bald vermehrt, bald vermindert Die verschiedene Neigung des zunächst
am Stamme befindlichen
Knochens und die veränderte Richtung des entfernteren erschweren zuweilen die Schätzung der Länge des verrenkten Gliedes.
Diese
Umstände, so wie eine fehlerhafte Art der Messung veranlassen oft Irrthümer und nicht selten findet man, dass ein Arzt da eine Verkürzung sieht, wo der andere eine Verlängerung findet.')
1
3. Die R i c h t u n g des verrenkten Knochens muss nothwendig verändert sein, er steht immer mehr oder weniger schief; auch die Richtung und Lage der Muskeln erleidet Veränderungen.
So sieht
man Fig. 1 0 3 bei einer Verrenkung im Ellenbogengelenk denTriceps, welcher im normalen Zustande dem Oberarmbein parallel läuft, mit ihm einen Winkel bilden, indem er zugleich verkürzt ist. zeigt bei einer Verrenkung des Os femtyris
Fig. 1 0 4
die auffallend schiefe
Stellung dieses Knochens. 4 . Was die B e w e g l i c h k e i t betrifft, so sind zwei ganz entgegengesetzte Zustände möglich.
Sie kann sehr gesteigert sein, be-
sonders im Augenblicke der Verrenkung, so z. B. bei seitlichen Verrenkungen im Ellenbogen-Gelenk, bei denen beträchtliche Zerreissungen der Bänder und der übrigen umgebenden Weichtheile bestehen.
In den meisten Fällen aber ist von Anfang an jede Bewe-
gung in dem verletzten Gelenke dem Kranken durchaus unmöglich, indem die betreffenden Knochen durch die in abnormer Richtung gespannten Muskeln
|und die Ueberreste der Bänder| fest gegen
einander gedrängt werden.
Passive Bewegungen sind fast immer
in einiger Ausdehnung möglich, jedoch stets schmerzhaft. Diagnose.
Verrenkungen können mit Quetschung und Ver-
stauchung des Gelenkes, mit Knochenbrüchen in der Nähe des Gelenkes und mit Ablösung der Epiphysen verwechselt werden.
In
ganz frischen Fällen sind solche Verwechselungen bei einiger Aufmerksamkeit stets sicher zu vermeiden.
Späterhin aber, wenn be-
reits beträchtliche Geschwulst entstanden ist, wird die Unterscheidung zuweilen höchst schwierig.
Jedoch führt eine genaue Unter-
suchung auch hier zum Ziele. Bei Quetschungen und Verstauchungen fehlt jede Verkürzung,
jede Veränderung
der Richtung
des
' ) |Wir werden das bei der Messung einzuschlagende Verfahren bei den einzelnen Luxationen, sofern es sich nicht von selbst ergiebt, genauer beschreiben.!
Verrenkungen, —
im
641
Allgemeinen.
Gliedes, die Gelenkvorsprünge haben ihre n o r m a l e Stellung zu einander. Die Geschwulst entwickelt sich nicht so schnell, als bei einer Verrenkung, u n d es ist daher längere Zeit h i n d u r c h noch möglich, die Gelenkvorsprünge an ihrer n o r m a l e n Stelle zu entdecken. Bei K n o c h e n b r ü c h e n in der Nähe von Gelenken findet sich gleichfalls die normale Stellung der G e l e n k v o r s p r ü n g e ; die Länge der E x t r e mität bleibt dieselbe, man m a g ihr diese oder j e n e Stellung geben, während man bei einer Verrenkung verschiedene Maasse erhält, j e nachdem man die Extremität in diese oder j e n e Stellung bringt. | Pericht Verkürzung, so kann dieselbe bei einer Fractur durch Extension v o r ü h e r g e h e n d ausgeglichen w e r d e n ; sie kehrt aber sogleich zurück, wenn die Extension nachlässt. Bei einer Luxation kann die vorhandene Verkürzung n u r durch eine solche Gewalt beseitigt w e r den, durch welche zugleich die E i n r e n k u n g bewirkt wird, mit deren Gelingen dann natürlich die normale Länge definitiv hergestellt ist. | Die Difformität findet sich bei einem Bruche des Gelenk-Endes i n d e r N ä h e des Gelenkes; bei einer Luxation hat sie ihren Sitz in der Gegend des Gelenkes selbst. | K a n n man d e u t l i c h e Crcpitation w a h r n e h m e n , so sind damit alle Zweifel beseitigt. Jedoch ist nicht zu vergessen, dass auch bei V e r r e n k u n g e n eine Art von Crepitation entstehen kann, durch die Reibung des verrenkten Gelenkkopfes an der Oberfläche eines a n d e r e n Knochens, o d e r auch durch die Reib u n g einer dislocirten Sehne. Ein solches Crepitiren ist jedoch von der den Fracturen e i g e n t ü m l i c h e n Crepitation bei gehöriger Aufmerksamkeit zu u n t e r s c h e i d e n : es ist nicht das r a u h e , harte Reibegeräusch, s o n d e r n vielmehr einem Knirschen ähnlich, welches durch Reiben von Porzellanscherben oder durch Kneten von t r o c k e n e m Stärkemehl entstehen kann (vergl. Bd. 1. pag. 16). | Diese letztere Art der Crepitation findet sich bei der Ablösung einer Epiphyse allerdings a u c h , aber dann bestehen die übrigen Symptome einer Continuitäts-Trennung des Knochens in unzweifelhafter Weise. Natürlich kann von dieser E p i p h y s e n t r e n n u n g ü b e r h a u p t n u r bei j u gendlichen Individuen die Rede sein. Wahrscheinlichkeits-Schlüsse lassen sich aus dem Alter des Verletzten noch in so fern ziehen, als bei älteren Leuten häufiger K n o c h e n b r ü c h e , wie Verrenkungen v o r k o m m e n , während bei jüngeren (im mittleren L e b e n s a l t e r ) das umgekehrte Verhältniss stattfindet, oder die Häufigkeit der K n o c h e n brüche doch wenigstens nicht g r ö s s e r ist, als die der Verrenkungen. In manchen Fällen wird die Diagnose wesentlich durch das Referat des Verletzten oder seiner U m g e b u n g Uber den Vorgang d e r Verletzung selbst aufgeklärt. V i d a l ' s Chirurgie.
II.
41
642
Krankheiten der Gelenke.
|Eine grosse Erleichterung für die Diagnose der Verrenkungen gewährt die B e t ä u b u n g m i t t e l s t C h l o r o f o r m , da durch dieselbe nicht blos die Schmerzhaftigkeit der Untersuchung, sondern (wegen der Erschlaffung der Muskeln) auch der grösste Theil der Schwierigkeiten fiir den Arzt ganz wegfällt. Man wird zu diesem Hülfsmittel um so mehr greifen, als es zugleich die doch gleich darauf einzuleitende B e h a n d l u n g in jedem Fall erleichtert.| P r o g n o s e . Verrenkungen sind im Allgemeinen nicht gefährlich, können es aber durch ihre Complicationen werden. Wird die nöthige Kunsthülfe nicht geleistet, so ist späterhin die Brauchbarkeit des verrenkten Gelenkes in mehr oder weniger hohem Grade beeinträchtigt, je nachdem dasselbe zu ausgedehnten oder nur zu unbedeutenden Bewegungen bestimmt war. Ganz anders gestaltet sich die Prognose, wenn die entsprechende Kunsthülfe geleistet wird. Geschieht dies frühzeitig, so kann bei einer nicht complicirten Verrenkung immer vollständige oder doch nahezu vollständige Wiederherstellung der Brauchbarkeit des Gelenkes, u n d somit der Extremität, erwartet werden. Bei veralteten Verrenkungen ist die Aussicht auf Wiederherstellung der Function durch Kunsthülfe um so geringer, je länger die Verrenkung bereits besteht. Wie lange nach dem Zustandekommen der Verrenkung die Einrenkung noch möglich ist, lässt sich im Allgemeinen nicht mit Bestimmtheit angeben, da man einer Seits schon nach einigen Monaten ausser Stande war, dieselbe ausz u f ü h r e n , anderer Seits aber selbst, nach Jahren sie hat gelingen sehen (s. Behandlung). Im Allgemeinen hört die Möglichkeit der Einrenkung früher bei Charniergelenken, als bei Arthrodien auf, während umgekehrt frische Verrenkungen leichter zu reduciren sind, wenn sie ein Charniergelenk, als wenn sie eine Arthrodie betreffen. Die B e h a n d l u n g der Verrenkungen besteht, abgesehen von ihren Complicationen, in der E i n r e n k u n g (Reductio) und der E r h a l t u n g des Gelenkes in der ihm durch die Einrenkung wiedergegebenen normalen Stellung (Retentio). Die E i n r e n k u n g besteht, wie die Einrichtung der Knochenbrüche, in drei Acten: E x t e n s i o n , C o n t r a e x t e n s i o n und C o a p t a t i o n . Es gibt, so wie Fracturen, auch Luxationen, die durch die blosse Coaptation eingerichtet werden können. Schon H i p p o c r a t e s erwähnt Individuen, die sich sehr leicht das Schultergelenk verrenken und die den Gelenkkopf des Oberarmknochens wieder einrenken köünen, indem sie ihn mit der Hand der anderen Seite gegen die Achselhöhle drücken. Es ist bekannt, dass oft Verrenkungen geheilt worden sind, ohne E x t e n s i o n und C o n t r a e x t e n s i o n , son-
643
Verrenkungen, — im Allgemeinen.
dern durch blosses Andrücken des einen Gelenk-Endes gegen das andere. Aber bei der grösseren Mehrzahl der Fälle muss sowol die Extension und Contraextension, wie die Coaptation angewandt werden. Die E x t e n s i o n wird mit den Händen, durch Schlingen, durch Maschinen (Flaschenzug) ausgeübt. Es soll hier nur von den beiden ersteren Verfahren die Rede sein. Die Anwendung von Maschinen wird bei der Einrenkung der veralteten Luxationen besprochen werden. Oft reichen die Hände zum Behufe der Extension vollkommen aus, z. B. bei vielen Schulterverrenkungen. In manchen Fällen sind sie sogar das zweckmässigste Extensionsmittel, z. B. bei den meisten Verrenkungen des Unterkiefers. Sobald man aber eine grössere Gewalt anwenden, insbesondere mehrere Gehülfen zugleich will ziehen lassen, ist die Anwendung von Schlingen nothwendig, welche aus Handtüchern, Tischtüchern u. dgl., welche man mehrmals zusammenlegt, hergestellt werden. Man faltet sie in der Weise, dass sie dicke Binden von 4 bis 6 Finger Breite und 4 bis 8 Fuss Länge darstellen; die Mitte einer solchen Binde wird um den Theil gelegt, an welchem die Extension ausgeübt werden soll; die Enden werden auf der entgegengesetzten Seite gekreuzt, der Achse des Gliedes parallel demnächst abwärts geführt und an der Stelle, an welcher die Mitte des Tuches die Extremität umfasst, so wie ein Stück weiter abwärts durch eine in Cirkeltouren anzulegende Rollbinde genau befestigt. An den beiden Enden der Schlinge wird demnächst die Extension ausgeübt. Die Frage, ob man möglichst nahe oder möglichst entfernt von dem verrenkten Gelenke die Extension ausüben und mithin auch die Schlingen anlegen müsse, hängt innig mit derjenigen zusammen, ob man die dem verrenkten zunächst gelegenen anderen Gelenke beugen oder strecken solle. In der grossen Mehrzahl der Fälle ist die gebeugte Haltung vorzuziehen. Die hierauf bezüglichen Erörterungen werden aber nur unter Berücksichtigung der localen Verhältnisse verständlich. Beide hier berührte Fragen kommen überdies nur bei den Schulter- und Hüftverrenkungen zur Sprache und werden dort ihre Erledigung finden. Die C o n t r a e x t e n s i o n wird möglichst nahe an dem verrenkten Gelenke und in solcher Weise ausgeübt, dass eine vollständige Fixation des betreifenden Gelenktheiles beabsichtigt wird. Schlingen, welche in der oben angegebenen Weise um das Glied oder um den Rumpf geführt sind und entweder durch Gehülfen festgehalten oder an einem Pfahl, einem in der Mauer befestigten Ring u. dgl. ihren
41*
644
Krankheiten
der
Gelente.
Halt finden, werden zu diesem Behufe angewandt. Der Wundarzt steht gewöhnlich an der äusseren Seite des verrenkten Gelenkes; er giebt das Signal zum Beginn der Extension. Die Extension geschieht entweder in der Richtung der Achse des verrenkten Knochens, oder in anderen Fällen auch in gerade entgegengesetzter Richtung. Sobald der Knochen durch den Zug beweglich geworden ist, sucht ihn der Wundarzt durch Druck und Zug in die Nähe des anderen Gelenk-Endes zu bringen und seinen Eintritt durch den im Kapselbande befindlichen Riss zu bewirken. Dieser letzte Act erfolgt oft ohne besonderes Zuthun des Arztes, indem das am Kapselriss angelangte Gelenk-Ende durch die Zusammenziehung der umgebenden Muskeln plötzlich und mit einem schnappenden Geräusch in seine normale Stellung zurückgeführt wird. Dies schnappende Geräusch, welches zuweilen als charakteristisch für das Gelingen der Einrenkung betrachtet wird, fehlt aber nicht selten, selbst bei ganz frischen Verrenkungen. Oft kann der Wundarzt alFig. 1 0 7 . lein die Einrenkung vornehmen, indem er den verrenkten Knochen selbst als Hebelarm benutzt. Bei einer Verrenkung im Schultergelenk z. B. (Fig. 107) lehrte C o o p e r das Knie unter die Achselhöhle stemmen und das Schultergerüst mit der einen Hand umfassen, während die andere in der Nähe des Ellenbogens eine Hebelbewegung ausführt, für die das Knie als Hypomochlion dient. Nachdem die Einrenkung gelungen ist, besteht gewöhnlich zunächst keine Neigung zur Wiederverrenkung. Nichtsdestoweniger ist es nothwendig, die Extremität für längere Zeit durch einen V e r b a n d zu befestigen, da die zerrissenen Bänder und Muskeln, oft auch abgelöste Stücke des knöchernen Gelenkrandes, wieder zusammenheilen müssen. Vor der dritten Woche dürfen keine Bewegungen in dem verrenkten Gelenke gemacht werden, es sei denn, dass man die voll-
Verrenkungen, —
im Allgemeinen.
645
kommene Ueberzeugung hat, dass das Kapselband unversehrt geblieben ist. Von grosser Wichtigkeit ist die von Alters her immer wieder gestellte und in neuester Zeit besonders lebhaft discutirte Frage, bis zu w e l c h e r Zeit die R e d u c t i o n e i n e r V e r r e n k u n g n o c h möglich i s t Ganz im Allgemeinen lässt sich hierauf gar nicht antworten, da die in Rechnung zu ziehenden Verhältnisse nicht blos je nach den verschiedenen Gelenken, um welche es sich handelt, sondern auch an jedem einzelnen Gelenke höcht mannigfaltig sind. Oft gelingt es bei einer veralteten Luxation, den Gelenkkopf aus seinen neuen Umgebungen wieder flott zu machen; aber es stellt sich eine zweite Schwierigkeit entgegen: die Gelenkhöhle, in welche der Gelenkkopf zurückgebracht werden soll, hat sich während der Entfernung des Letzteren mit Exsudat gefüllt, oder doch in solchem Grade verengert, dass ein räumliches Missverhältniss zwischen den beiden zusammengehörigen Theilen besteht. Allerdings kommt die Verengerung der Gelenkhöhle nicht so schnell zu Stande, als man frUher annahm; aber nichtsdestoweniger ist dieses Hinderniss oft genug von grosser Bedeutung. Ein weiteres Hinderniss bedingt die Verkürzung der Muskeln, welche in dem Zustande der Contractur selbst beträchtlicher Gewalt Widerstand leisten und ihr nur, wenn sie zerrissen werden, nachgeben. Man hat sie deshalb lieber subcutan durchschnitten, was allerdings schneller zum Ziele führt, die Brauchbarkeit des Gliedes aber gleichfalls gefährdet, da die Muskeln späterhin doch nicht immer wieder brauchbar werden und das Glied also nur unvollständig bewegt werden kann. Gefässe und Nerven sind in abnormer Weise festgeheftet; die Zerreissung dieser Befestigungen kann gefährliche Folgen haben. Das ganze verrenkte Glied wird gewöhnlich nach und nach atrophisch, insbesondere auch sein Skelet, welches einen hohen Grad von Brüchigkeit erreichen kann; deshalb sind auch nicht ganz selten, selbst unter den Händen geschickter Wundärzte, Knochenbrüche in Folge von Reductionsversuchen bei veralteten Luxationen beobachtet worden. Mit Rücksicht auf diese Gefahren lehrte A s t h l e y C o o p e r : „Bei einer Schulterverrenkung sind 3 Monate, bei einer Hüftverrenkung 2 Monate als der äusserste Termin zu betrachten, über welchen hinaus man niemals Einrenkungsversuche machen sollte, wenn es sich nicht etwa um Subjecte von sehr schlaffer Faser handelt. Versucht man bei muskelkräftigen Individuen die Einrenkung noch nach längerer Zeit, so hat man zu befürchten, dass auch im Falle des Gelingens die Nachtheile, welche aus der gewaltsamen
646
Krankheiten der Gelenke.
Reduction erwachsen, den durch das Gelingen der Einrenkung erzielten Vortheil bei Weitem überwiegen." | Die Hülfsmittel, welche uns heut zu Tage zu Gebote stehen, lassen freilich viele der früher gefürchteten Gefahren bei der R e duction veralteter Verrenkungen schwinden und sonst als unübersteiglich geschilderte Schwierigkeiten glücklich überwinden. Schmerzhaftigkeit und Muskelspannung werden durch das Chloroform beseitigt; die Adhaesionen, welche das verrenkte Gelenk-Ende mit seinen neuen Nachbartheilen verbinden, werden, gleich den von Contractur befallenen Muskeln, durch oft wiederholte passive Bewegungen und Extensionsversuche theils gelöst, theils in der Weise gedehnt und gespannt, dass sie isolirte Stränge darstellen, die endlich ohne Gefahr einer Nebenverletzung subcutan durchschnitten werden können. Trotz all dieser Fortschritte in der Behandlung der veralteten Luxationen ist aber doch besonders dem Anfänger zu rathen, dass er auf diesem Felde lieber zu wenig, als zu viel wagen und versprechen möge.| Das V e r f a h r e n bei der R e d u c t i o n
einer veralteten Ver-
r e n k u n g ist im Allgemeinen dasselbe, wie bei einer frischen. Nur sucht man einer Seits die Muskeln, so fern sie ihre Zusammenziehungsfähigkeit noch nicht verloren haben, möglichst stark zu erschlaffen, anderer Seits die Kraft der Extension und Contraextension möglichst zu steigern. Zur E r s c h l a f f u n g d e r M u s k e l n bedient man sich der Chloroform-Betäubung,
welche jetzt die in früherer Zeit zu diesem
Zweck angewandten Aderlässe und Ekelkuren für die grosse Mehrzahl der Fälle überflüssig macht. Man bringt ferner das Glied in eine solche Stellung,
dass die am Meisten durch ihre Spannung
Muskeln in Erschlaffung versetzt werden.
hindernden
Gegen dies schon von
M o t h e und in neuerer Zeit besonders von M a l g a i g n e
allgemein
empfohlene Verfahren wird mit Unrecht von manchen Seiten geltend gemacht, dass, indem man eine Muskelgruppe erschlaffe,
notwen-
dig die andere in Spannung versetzt werde, da es sich fast immer nur um die Erschlaffung einzelner Muskelgruppen handelt. Die zweite Aufgabe ist, die E x t e n s i o n m i t K r a f t auszuüben.
ungewöhnlicher
Zu diesem Behufe kann man entweder die Zahl
der Gehülfen, welche zum Ziehen benutzt werden, vermehren, oder aber besondere Maschinen a n w e n d e n . ' ) ' ) Fig. 1 0 8 zeigt die schon von H i p p o c r a t e s (Ausgabe von L i t t r e , T. IV, pag. 4 7 ) angewandte Maschine, durch welche, wie er selbst sagte, die Extension und Contraextension gradweise und j e nach Belieben gesteigert werden konnte. E s handelt sich in dem gegebenen Falle um eine Verrenkung im
Verrenkungen, — im Allgemeinen.
647
Fig. 108.
Nachdem die Maschinen der alten griechischen Aerzte bis auf P a r e und H e i s t e r ihre Anwendung und weitere Vervollkommnung erhalten hatten, wurden sie seit D e s a u l t ' s Zeit allgemein verworfen und in Frankreich sogar erst in allerneuster Zeit durch S e d i l l o t ' ) wieder eingeführt. Die Maschine, deren man sich jetzt in schwierigen Fällen, in welchen die Hände der Gehülfen nicht ausreichen — und diese sind seit Einführung des Chloroforms sehr selten geworden — bedient, ist der Flaschenzug, an welchem man nach S 6 d i l l o t einen Dynamometer anbringen kann, um sicher zu sein, dass man nicht mit z u grosser Kraft wirke. Die Extension kann allerdings mittelst des Flaschenzuges viel leichter, als mittelst der Hände zu einem gefährlichen Grade gesteigert werden und es ist daher grosse Vorsicht bei seiner Anwendung nothwendig. Sein Hauptvorzug aber besteht darin, dass die Extension in einem bestimmten Grade längere Zeit hindurch stetig fortgesetzt werden kann, was gerade bei veralteten Verrenkungen von grosser Bedeutung ist. | In der Regel hat man die Reduction sowol der frischen, als auch der veralteten Verrenkungen in e i n e r Sitzung, oder doch in wenigen, kurz auf einander folgenden zu erreichen gesucht, und wenn dies unter Aufwendung einer möglichst grossen Gewalt nicht gelingen wollte, die Einrenkung fiir unmöglich erachtet. Hiervon abweichend hat G u s t a v S i m o n 2 ) die a l l m ä l i g e Reduction durch Monate lang fortgesetzte Extensionen, Bewegung, subcutane Durchschneidung der deutlich fühlbaren und durch die wiederholten TracHüftgelenk.
Das verrenkte Glied D ist auf einem Brette A befestigt; seine
Richtung wird durch das Querholz B, welches zwischen den Strebepfeilern CC eingeklemmt ist, gesichert; bei EE wird durch Drehen an einer Curbel Extension und Contraextension ausgeführt. ' ) Annalei 5
de la Chirurgie.
T. II. pag. 2 u. 129.
) |Prager Vierteljahresschrift 1852. Bd. III.J
648
Krankheiten der Gelenke.
tionen immer aufs Neue wieder fühlbar gemachten Stränge, welche den Gelenkkopf festhielten, mit vollkommen glücklichem Erfolge ausgeführt. ') Man wird daher fernerhin statt einer plötzlichen und gefährlichen Gewalt dieses, wenngleich langsamere, doch jedenfalls ungefährliche, wahrscheinlich auch sichere Verfahren in Anwendung zu ziehen haben, wenn eine veraltete Verrenkung den gewöhnlichen Reductionsversucben nicht weichen will. | Complicationen der Verrenkungen. 1. H e f t i g e Q u e t s c h u n g u n d E n t z ü n d u n g . Jede Verrenkung ist mit einem gewissen Grade von Quetschung, mit Blut-Erguss in die Kapsel und in die Umgegend des verrenkten Gelenk-Endes verbunden, auf jede folgt ein gewisser Grad von Entzündung. Bestehen aber die höchsten Grade der Quetschung (vergl. Bd. I, pag. 283), sind also die Weichtheile, vielleicht auch Theile der Knochen, zermalmt, so folgt eine sich schnell ausbreitende Eiterung, welche, wie zahlreiche Beobachtungen lehren, leicht zum Tode führen kann. Diese höchsten Grade der Quetschung und die durch sie bedingte heftige Entzündung finden sich viel häufiger bei Verrenkungen dureb directe Gewalt. Der ganze Umfang des Gelenkes stellt dann eine harte, beisse und sehr schmerzhafte Geschwulst dar, die umliegenden Muskeln sind krampfhaft verkürzt, jede Bewegung wird äusserst schmerzhaft oder ganz unmöglich. Ist in einem solchen Falle die Reduction auf frischer That versäumt worden, oder nicht gelungen, so ist es sehr bedenklich, dieselbe auf der Höhe der Entzündung ohne Weiteres vorzunehmen. Ein reichlicher Aderlass, und, sofern es die Localität gestattet, die energische Anwendung der Kälte auf das kranke Gelenk vermögen meist in kurzer Zeit die Entzündung in solchem Grade zu mässigen, dass die Reduction vorgenommen werden kann, ohne dass man den Ausgang in weitverbreitete Eiterung oder Gangrän zu befürchten hat. Erfolgt aber die Einrenkung bald nach der Verletzung, bevor noch Entzündungs-Erscheinungen aufgetreten sind, so ist der Verlauf immer ein viel günstigerer, wenn auch eine sehr heftige Quetschung stattgefunden hat. Hieraus ergiebt sich abermals eine Bestätigung der alten Regel, dass die Einrenkung überall so bald als möglich vorgenommen werden muss. 2. B r a n d . Die das Gelenk umgebenden Weichtheile werden durch die dislocirtcn Knochen zuweilen nicht blos zerrissen, sondern völlig zermalmt, direct mortificirt, d. h. durch die Verletzung selbst ihrer Geßssverbindungen beraubt. So ergeht es z. B. den ' ) |Bei a n g e b o r e n e n
Luxationen hat man dies Verfahren schon längst als das
einzig mögliche erkannt. [
Verrenkungen, — im Allgemeinen.
649
Bändern, Sehnen, auch der Haut bei Verrenkungen des Fusses mit Eröffnung des Fussgelenkes. In anderen Fällen werden dieWeichtheile indirect oder secundär mortificirt in Folge der auftretenden Entzündung. Der Brand tritt dann erst einige Tage nach der Verletzung auf; bis dahin erscheint die Haut ganz gesund, demnächst aber wird sie missfarbig, bräunlich, schwarz, und verwandelt sieh in einen Brandschorf von verschiedener Grösse. War bald nach der Verletzung die Einrenkung erfolgt und beschränkt sich der Brand auf die oberflächlichen Theile, so dass die wesentlichen Bänder des Gelenkes unversehrt bleiben, so kann bei sorgfältiger Pflege die Erhaltung des Gliedes erreicht werden. Erstreckt sich aber der Brand bis in die Gelenkhöhle hinein, so ist der Fall äusserst bedenklich; es ist ohne Amputation kaum jemals Heilung zu erwarten und die Amputation selbst wird alsdann unter so ungünstigen Umständen aus* geführt, dass auch auf sie keine sichere Hoffnung gebaut werden darf. 3. K n o c h e n b r ü c h e . Die häufig bei Verrenkungen vorkommenden Ablösungen einzelner Theile des Gelenk-Randes wurden bereits wiederholt erwähnt. Solche Fracturen verhalten sich ganz ähnlich, wie die gewöhnlichen Zerreissungen der Bänder; das Band hat Widerstand geleistet und der Knochen vorsprang, an welchem es befestigt war, ist abgebrochen. Solche Fracturen sind | obgleich sie die Entzündung stets steigern | keine bedenklichen Complicatiönen. Man könnte.sogar vielleicht sagen, die Verletzung werde dadurch eine weniger bedenkliche, indem die einfache Fractur eine schnellere und zuverlässigere Heilung erwarten lasse, als die Zerreissung der Bänder. | Jedoch sind die Verhältnisse einer vollständigen Heilung solcher Fracturen nicht eben günstig und es lässt sich aus dem Nichtanheilen solcher abgebrochenen Stücke des Gelenk-Randes vielleicht gerade die Häufigkeit und Leichtigkeit der Recidive bei manchen Verrenkungen erklären.')| Durch manche Fracturen der Art wird auch die Reduction in hohem Grade erleichtert, so z. B. durch den Bruch des Processus coronoi'deus bei Verrenkungen im Ellenbogen-Gelenk, durch den Bruch des Pfannenrandes bei Verrenkungen des Oberschenkels. Dagegen wird die Retention in solchen Fällen aufs Aeusserste schwierig. Ganz anders verhält es sich, wenn der Bruch durch die ganze Dicke des Knochens geht und in der Nähe des Gelenkes besteht, oder sogar in dasselbe eindringt. Ein solcher Fall lässt immer eine ausserordentliche Gewalt voraussetzen, welche zuerst die Luxation ') |Vergl. Streubel, Deutsche Klinik. 1853. Nr. 11.|
650
Krankheiten der Gelenke.
und dann auch noch die Fractur erzeugt haben muss. Ausgedehnte und bedeutende Quetschungen werden alsdann nie fehlen. — Durch ein unzweckmässiges Reductionsverfahren kann eine Verrenkung noch nachträglich mit Fractur complicirt werden. Die Behandlung dieser Complication kann sehr einfach sein, wenn blos ein Theil des Gelenkrandes, oder ein benachbarter Fortsatz abgebrochen ist; es bedarf dann nur einer sorgfältigeren Retention. Geht aber der Bruch durch die ganze Dicke des Knochens, so wird er zu einein mächtigen Hinderniss für die Reduction. Je nachdem die Fractur oberhalb oder unterhalb des verrenkten Gelenkes liegt, ist entweder die Contraextension oder die Extension in Bezug auf die Verrenkung unausführbar (vergl. pag. 395). Lässt sieh das verrenkte Bruchstück fassen, so muss man durch directen Druck dasselbe in die Gelenkhöble zurück zu schieben suchen, wie dies z. B. R i c h e t bei einer mit Fractur des chirurgischen Halses des Oberarmbeins complicirten Verrenkung im Schultergelenk gelungen sein solL') Andern Falls muss man zuerst die Fractur unter geeigneter Behandlung heilen lassen und dann die Reduction der inzwischen allerdings veralteten Verrenkung vornehmen. 4. Z e r r e i s s u n g e n d e r g r o s s e n G e f ä s s e u n d N e r v e n sind eine sehr üble, aber auch sehr seltene Complication. Diese Zerreissungen können bei der Verrenkung selbst, oder aber durch rohe Reductionsversuche bewirkt werden. Besteht eine Wunde zugleich, so muss man so schnell als möglich das verletzte GefSss unterbinden und demnächst die Einrenkung vornehmen. Kann man das blutende Gefäss aber in der offenen Wunde, wegen der bereits bestehenden Geschwulst nicht finden, oder ist die Haut unversehrt geblieben, so muss man zu der indirecten Unterbindung seine Zuflucht nehmen. Wollte man, wenn keine Wunde besteht, die Haut einschneiden, um das verletzte Gefäss direct zu unterbinden, so wäre das ein tollkühnes Unternehmen, da man auf solche Weise die bis dabin subcutane Verletzung in eine offne, der Luft ausgesetzte verwandeln würde. Zerreissungen grosser Nervenstämme sind noch viel seltener, als Zerreissungen von Blutgefässen. Nach sehr gewaltsamen Extensionsversuchen hat man jedoch sogar eine Zerreissung der Nervenwurzeln nabe am Rückenmark beobachtet. 5. P e n e t r i r e n d e G e l e n k w u n d e n . Die Verletzung wird aus einer subcutanen durch diese Complication zu einer der Luft expo' ) Vergl. Union pag. 6 5 .
med.
1 8 5 2 , N r . 1 2 4 ; C a n s t a t t ' s J a h r e s b e r i c h t f ü r 1-852, Bd. IV,
651
Angebome Verrenkung.
Birten. A. C o o p e r und nach ihm die meisten englischen Aerzte verstehen unter „complicirten Verrenkungen" schlechtweg solche, bei denen das verrenkte Gelenk-Ende bloss liegt. Diese Complication kommt vorzugsweise am Fuss-, Ellenbogen- und Hand-Gelenk, seltener am Knie-, und höchst selten am Schulter- oder Hüft-Gelenk vor. Wie bei den complicirten Knochenbrüchen, so kann auch hier die Verletzung der Weichtheile durch eine direct einwirkende äussere Gewalt, oder durch den mit bedeutender Kraft dislocirlen Gelenktheil selbst herbeigeführt werden. Jedenfalls verschlechtert eine solche Complication die Prognose in sehr hohem Grade. Die Behandlung muss in der möglichst schnellen Reduction, dem Verschluss der Wunde und einer energischen Behandlung der nachfolgenden Entzündung bestehen. Um die Reduction möglich zu machen, kann die Erweiterung der Wunde mit dem Messer, wo diese aber bedenklich erscheint, oder wenn das herausstehende Knochenstück zu gross ist, die Resection des Gelenk-Endes nothwendig werden. Noch viel übler ist die Prognose, wenn zugleich mit der Blosslegung oder dem Heraustreten des Gelenkkopfes noch anderweitige Complicationen bestehen: Knochenbrüche, Zermalmung der Weichtheile, Zerreissung der Gefässe u. s. w. Da treten ausser dem Einfluss der Luft auch noch die Bruchstücke und die mortificirten Gewebe als Ursachen einer verderblichen Entzündung auf, neben welcher die Gefässzerreissungen noch weit ausgebreiteten Brand herbeiführen. In solchen Fällen steht zu erwarten, dass der Kranke durch Verjauchung und Pyaemie zu Grunde gehen, oder im günstigeren und viel selteneren Falle doch ein unbrauchbares, selbst hinderndes Glied davon tragen werde. Bei solchem Zustande des Gelenkes ist daher, statt jeder weiteren Behandlung, die Amputation sogleich vorzunehmen. 2 . A n g e b o m e Verrenkung.
Luxalio
congenita.
Fast an allen Gelenken sind angeborne Verrenkungen beobachtet worden, am Häufigsten am Hüftgelenk. Schon H i p p o c r a t e s kannte sie und wusste sie von den sogenannten spontanen zu unterscheiden. P a r é erwähnt*ihrer, und V e r d u c spricht sich über die zu ihrer Heilung unternommenen Reductionsversuche dahin aus, dass durch solche nur die Unwissenheit des Wundarztes, der sie unternähme, bewiesen werde. In diesem Jahrhundert hat aber die Lehre von den angebornen Verrenkungen durch die Arbeiten von
Krankheiten der Gelenke.
P a l e t t a ' ) , D u p u y t r e n , C r u v c i l h i e r *), G u é r i n 3 ) , | H e i n e 4 ) , S t r o m e y e r ® ) , v. A m n i o n ' ) und S m i t h 7 ) | eine grosse Vollständigkeit erhalten. Die A e t i o l o g i e dieser Luxationen führt uns in vielen Beziehungen auf die Aetiologie der Missbildungen überhaupt zurück. Die Erblichkeit derselben ist in vielen Fällen unzweifelhaft Zuweilen können Gewalttätigkeiten, welche den Foetus während der Geburt oder im Uterus selbst getroffen haben, oder die Lage desselben im Uterus als Ursache angesehen werden. Jedoch lassen sich aus der Annahme solcher absolut oder relativ äusseren Schädlichkeiten immer nur Verrenkungen an den Extremitäten erklären. Für die grosse Menge der Fälle aber sind alle solche äusseren Einwirkungen hur im Stande, die bereits bestehende, unvollständige Verrenkung zu vervollständigen. Die meisten angebornen Luxationen sind, wie G u é r i n nachgewiesen hat, bei der Geburt noch unvollständig und werden erst nach und nach bis gegen das vierte Jahr hin vollständig. Die aber schon zur Zeit der Geburt bestehenden Verschiebungen verdanken, nach G u é r i n , ihre Entstehung Muskelverkürzungen, welche ihrer Seits von Erkrankung oder mangelhafter Ausbildung der Nervencentra abhängig sind. Fehlt das untere Stilck des Rückenmarkes, so findet man Verrenkungen an den unteren Extremitäten; bei Abwesenheit des oberen an den oberen; fehlt die eine seitliche Hälfte des Gehirns, so findet man ihr entsprechend auf der einen Seite des Körpers die Verrenkung. Ohne diese Thatsachen in Zweifel ziehen zu wollen, müssen wir jedoch hervorheben, dass man zuweilen bei der anatomischen Untersuchung eines mit Verrenkungen behafteten Foetus keine Spur von Muskelverkürzung nachweisen kann. Zuweilen wurde eine grosse Erschlaffung der Bänder, eine übermässige Anfüllung der Kapsel mit Synovia, eine mangelhafte Entwicklung des Gelenkkopfes oder der Gelenkhöhle als Ursache, oder doch als praedisponirendes Moment nachgewiesen. Jedenfalls spricht gegen die Annahme mechanischer Veranlas') Kxercilationes ' ) Tratte 3
) Hecherches cale
palhologlcae,
cfanatomte
pathologique
nur les luxations
Medlolani,
1820.
générale.
Paris 1 8 4 9 . T. I.
congénitale».
Paris 1 8 4 1 , und Gazette
1 8 4 1 , Nr. 7. 10.
4
) Ueber congenitale und spontane Luiationen.
s
) lieber Atonie der fibrösen Gebilde.
6
) Die angebornen chirurgischen Krankheiten des Menschen.
^
On fractures
and dislocations
Stuttgart
1842.
Würzburg 1 8 4 0 .
In the vicinity
of joints.
Berlin 1842. Dublin 1 8 4 ! .
médi-
Angeborne Verrenkung.
653
s u n g e n und für die Ansiebt, dass Krankheiten des Nervensystems in Causalnexus mit diesen Verrenkungen stehen, der Umstand, dass in der grossen Mehrzahl der Fälle mehrere Verrenkungen der Art (z. B. in beiden Hüftgelenken) zugleich bestehën, und dass dieselben sehr viel häufiger bei Kindern vorkommen, welche auch anderweilige, oft die Lebensfähigkeit beeinträchtigende Missbildungen an sich tragen, als bei übrigens wohlgebildeten. Die a n a t o m i s c h e U n t e r s u c h u n g des kranken Gelenkes liefert ein sehr verschiedenes Resultat, je nachdem man dasselbe gleich nach der Geburt, oder nach Verlauf einiger Jahre, oder endlich gar nach vollendetem Wachsthum untersucht. Je länger nach der Geburt, desto mehr stimmen alle Verhältnisse mit den bei einer veralteten traumatischen Luxation vorkommenden Uberein, so dass es unter Umständen, besonders wenn nur e i n e Verrenkung besteht, schwierig sein kann, zu bestimmen, ob man eine angeborne oder eine veraltete traumatische Luxation vor sich hat. Anfangs ist der Zustand des verrenkten Gelenkes sehr wenig von dem normalen verschieden. Das Kapselband und die Bänder überhaupt sind schlaffer, das Gelenk ist daher beweglicher und die Gelenkflächen der Knochen berühren sich nicht so genau, als im normalen Zustande; man kann sie weiter von einander entfernen, aber auch leicht in die normale Stellung zurückführen. Die das Gelenk umgebenden Muskeln befinden sich im Zustande der Contractur, oft bis zur Umwandlung ihres Gewebes in fibröse Stränge oder in F e t t Diese Muskelcontractur wird besonders von G u é r i n als wesentlich und constant, von V i d a l dagegen als inconstant bezeichnet Mit weiter fortschreitendem Alter des Kindes entfernen sich die Gelenk-Enden des kranken Gelenkes immer mehr von einander, die Bänder werden, der veränderten Lage des Knochens entsprechend, einer Seits verkürzt, anderer Seits verlängert; niemals aber findet hierbei eine Zerreissung des Kapselbandes Statt Am Genauesten kennt man die weiteren Veränderungen am Hüftgelenk; hier wird das Kapselband zu einem weiten Schlauche ausgedehnt, welcher Anfangs dem Gelenkkopfe das Zurücktreten in die Pfanne gestattet, später aber sich in der Mitte, einer Sanduhr ähnlich, zusammenzieht und nach vielen Jahren endlich an dieser Stelle obliterirt. So ist denn der Gelenkkopf von der Pfanne gänzlich abgespeirt und in seiner abnormen Stellung fixirt. Zwischen ihm und dem benachbarten Knochen (Hüftbein) wird die Gelenkkapsel fortdauernd comprimirt, bis sie endlich unter diesem Drucke ganz schwindet und die ihren Substanzverlust umgrenzenden Ränder mit dem in-
654
Krankheiten
der Gelenke.
zwischen durch den Druck entzündeten Knochen verwachsen. Die solcher Gestalt mit einander in Berührung gesetzten Knochen erleiden nun dieselben Veränderungen, von denen bei den veralteten Verrenkungen die Rede war (pag. 635 ff.). Zunächst verliert der Gelenkkopf seine regelmässige Gestalt, wird abgeflacht, bekommt Eindrucke u. dgl. m. Viel später, und immer erst, wenn unter dem Einflösse des Druckes die Kapsel sich geöffnet hat, bildet sich an dem jetzt mit dem Gelenkkopf in Contiguität tretenden Knochen (Hüftbein) eine gewöhnlich unregelmässige, von stalactitenförmigen Osteophyten umgebene Gelenkhöhle (vergl. Bd. I, pag. 371, Fig. 89, 90). Die alte, jetzt leere Gelenkhöhle aber wird, nachdem ihr Knorpel-Ueberzug resorbirt ist, verhältnissmässig schneller durch Narbensubstanz ausgefllllt; selten entspricht ihre Form irgendwie derjenigen des Gelenkkopfes, den sie aufnehmen sollte, woraus begreiflicher Weise eines der wesentlichsten Reductionshindernisse entsteht. Die Knochen und Muskeln des verrenkten Gliedes werden atrophisch, wie bei jeder sehr veralteten Verrenkung. Die Richtung der Verschiebung wird nach G u é r i n , welcher die Contractur der Muskeln als die einzige Ursache derselben ansieht, ausschliesslich durch die Wirkung derjenigen Muskelgruppe bestimmt, welche von Contractur befallen i s t Dies Gesetz muss aber viele Ausnahmen erleiden, da nach G u é r i n ' s eigener Angabe die angebornen Verrenkungen bei der Geburt immer incomplet sein und erst nach und nach zu completen werden sollen. Es können mithin auch äussere Einflüsse auf die Richtung der Verschiebung noch nach der Geburt einwirken. Die P r o g n o s e einer angebornen Luxation ist im Allgemeinen diejenige der veralteten. Die Aussicht auf Heilung aber ist noch viel geringer, weil Knochen und Muskeln atrophisch und letztere ausserdem oft von Contractur befallen sind; weil ferner Gelenkkopf und Pfanne bald nicht mehr zu einander passen und weil endlich der kindliche Organismus die zur Reduction erforderlichen gewaltsamen Eingriffe weniger leicht erträgt. Sobald die alte Gelenkhöhle obliterirt und die Kapsel an einem anderen Knochen befestigt ist, hört die Möglichkeit der Reduction auf. Der Termin dieser Veränderungen dürfte nach G u é r i n , wenigstens für das Hüftgelenk, zwischen dem 10. und 14. Lebensjahre liegen. B e h a n d l u n g . |Die allmälige Reduction, welche man in neuester Zeit auch auf die veralteten Verrenkungen mit Vortheil angewandt hat, kann bei angebornen allein zum Ziele führen. Nachdem erweichende Bäder und Einreibungen vorausgeschickt sind, beginnt
655
Verrenkung des Unterkiefers.
man die Extension, welche in Bezug auf ihre Kraft und ihre Dauer bei jeder Wiederholung zu steigern ist. Um sie andauernd und stetig auszuführen, bedient man sich des Flaschenzuges. Widerstand leistende Muskeln oder Bänder werden subcutan durchschnitten. Ist der Gelenkkopf endlich an seine normale Stelle gebracht, so sind noch längere Zeit fortzusetzende Extensionen und passive Bewegungen erforderlich, um denselben sicher und möglichst tief in die entsprechende Gelenkhöhle hineinzudrängen. Lässt sich die Reduction aber gar nicht mehr ausfuhren, so sucht man den Gelenkkopf wenigstens an einer möglichst günstigen Stelle zu fixiren und an dieser die Bildung einer neuen Gelenkböhle zu bewirken. Zu diesem Behuf sind, je nach der Localität, verschiedene Bandagen und Apparate erforderlich. G u i r i n empfiehlt tiefe subcutane Scarificationen bis ins Periost des Knochens, um dadurch die Bildung von Osteophyten zu veranlassen, die den Gelenkkopf umfassen sollen. | B. V o n d e n V e r r e n k u n g e n d e r
einzelnen G e l e n k e im
Besonderen.')
a) V e r r e n k u n g e n am Kopfe.*) 1. V m i k n i de« Unterkiefers. LuxtUio mandibulae. Aetiologie und Mechanismus. V e r r e n k u n g e n der beiden Processus condyloidei des Unterkiefers entstehen fast ausschliesslich durch Muskelzug, und zwar nach Vorn durch übermässiges Abwartsziehen des Kinns. Eine Verrenkung nach Hinten wäre nur möglich, wenn das Kinn sehr stark gehoben würde, was unausführbar ist, weil die untere Zabnreibe gegen die obere anstösst. Sollte eine seitliche Verrenkung zu Stande kommen, so müsste der eine Gelenkkopf (Processus condyloideus) in demselben Grade nach Inuen verschoben werden, als der andere nach Aussen; eine Verschiebung nach Innen aber wird durch die an der Basis cranii hervorspringenden Knocbenzacken am Canalis caroticus und die Ala parva Ingrassiae des Keilbeins unmöglich gemacht. Ist letztere schwach entwickelt, so ist allerdings eine seitliche, aber höchst un') |Die übrigen Contiguitäls-Trennungen der Knochen, die Verschiebungen nach Torgängiger Zerreissung von Symphysen, welche V i d a l mit der Mehrzahl der französischen Chirurgen auch schlechtweg als „ Luxationen" bezeichnet, sind unter den nachfolgenden Beschreibungen an den entsprechenden Orten mit aufgenommen.! ' ) | Die Trennungen (Diastasen) der Nähte werden bei den SchSdel-Verletzungen, Band III, berücksichtigt.!
656
Krankheiten d e r
Gelenke.
vollkommene Verschiebung möglich. Anders verhält es sich, wenn die Mandíbula zugleich zerbrochen ist, alsdann kann eine Luxation des einen Bruchstücks zur Seite (und zwar nach Aussen) v o r k o m m e n . ' ) Bei Kindern kommen Verrenkungen des Unterkiefers nicht vor, da bei ihnen die Aeste des Unterkiefers fest ganz in derselben Richtung, wie der Körper des Knochens, nach Hinten laufen und die Bewegungen des Unterkiefers daher um eine Achse erfolgen, welche durch die Condylen selbst verläuft. Um die letzteren aus der Gelenkhöhle hervorzudrängen, wäre folglich eine so starke Eröffnung des Mundes nothwendig, dass der Unterkiefer vollkommen vertical gegen die untere Fläche des Oberkiefers stunde, eine Stellung also, welche durchaus unmöglich ist. Bei Erwachsenen dagegen stehen die Aeste rechtwinklig gegen den Körper des Knochens. Die Bewegungen desselben erfolgen mithin um eine Achse, welche etwa durch die Mitte der Aeste l ä u f t Je mehr nun das Kinn abwärts steigt, desto mehr muss es sich zugleich nach Hinten begeben, während der Gelenkkopf gerade umgekehrt immer mehr nach Vorn gewandt wird. Auf solche Weise kommt die hintere Fläche des Gelenkkopfes auf das Tuberculum articulare zu stehen. Die Oberfläche dieses Höckers aber verläuft schräg von Vorn nach Hinten, und ist somit dem Hintlbergleiten der Condylen nach Vorn im höchsten Grade gtlnstig. Mit diesem Hintlbergleiten nach Vom ist aber die Verrenkung fertig; sobald der Gelenkkopf diese Stellung eingenommen hat, ist kein Theil desselben mehr mit der Gelenkhöhle |d. b. der durch den Meniscus ausgepolsterten Vertiefung! des Schläfenbeins in Berührung. Die Befestigung des Unterkiefers in seiner a b n o r m e n Stellung erfolgt aber noch auf andere Weise, wie dies bereits M o n r o und nach ihm S. C o o p e r bemerkt, Malg a i g n e und N é l a t o n aber in neuester Zeit genau nachgewiesen haben. Die Spitze des Processus coronoideus nämlich stemmt sich, sobald das Kinn abwärts gezogen und der Gelenkkopf vor das Tuberculum getreten ist, gegen den unteren Rand des Os sygomaticum nahe der dasselbe mit dem Processus sygomaticus maxillae verbindenden Naht. An dieser Stelle findet sich gewöhnlich eine kleine Grube, in welche die Spitze des Processus coronoideus alsdann eingreift. Die Muskeln, welche bei der Erzeugung der Verrenkung wirken, sind vorzugsweise die Herabzieher des Kinns, also der Mylo' ) Ein Fall der Art ist von R o b e r t beobachtet.
Der Unterkiefer war durch ein
Wagenrad rechts fractuirt und das linke Bruchstück zugleich nach Aussen und Oben l u i i r t . Vergl. ArcMvei
généralet
1845.
Verrenkung
657
des Unterkiefers.
kyoideus, Genio-hyoidevs, Digastricus, welche natürlich nur wirken können, sofern das Zungenbein nach Unten fixirt ist.
Sobald aber
die relative Lage des Masseter und des Pterygoideus internus zum Ramus mandibulae durch die Wendung der Processus condyloidet nach Vorn geändert ist, können die hinteren Fasern dieser Muskeln die Vollendung der Verrenkung begünstigen, indem sie das obere Ende des Astes hebeiförmig weiter nach Vorn drängen.
Der Pte-
rygoideus extemus aber kann die Verrenkung vollenden helfen, indem er den Processus condyloideus etwas nach Vorn z i e h t ' ) Die Verrenkung kann auch durch einen zweiten Mechanismus erfolgen: bei einem Falle kann das Kinn stark abwärts gestossen und in dieser Stellung fixirt werden, während die Kaumuskeln durch eine krampfhafte Zusammenziehung den Winkel des Knochens erheben und somit den Processus condyloideus nach Vorn drängen. Die V e r r e n k u n g
beider
Processus
condyloidet
durch
blossen Muskelzug ist immer eine höchst einfache; sie scheint selbst ohne Zerreissung irgend eines Bandes, insbesondere ohne Zerreissung der Kapsel, welche bekanntlich sehr schlaff und dehnbar ist, erfolgen zu kl'nnen.
Das einzige feste Band an diesem Gelenke
ist das Ligamentum laterale extemum.
Dasselbe verläuft aber schräg
von Oben und Vorn nach Hinten und Unten, so dass es bei der Verschiebung des Processus condyloideus nach Vorn demselben ohne bedeutende Zerrung folgen kann. Gewöhnlich entsteht diese Verrenkung während des Gähnens oder Erbrechens.
So sah sie Vi dal z. B. 1832 zwei Mal bei Cho-
lera-Anfällen. Sehr gewöhnlich kehrt diese Verrenkung bei Solchen, die einmal davon befallen waren, häufig wieder.
Die Erschlaffung
der Bänder ist oft so gross, dass der Unterkiefer bei jedem Gähnen verrenkt wird.
In solchen Fällen ist aber die Reposition auch sehr
leicht, sie gelingt zuweilen sogar durch einen Schlag gegen das Kinn. Die V e r r e n k u n g eines der Processus
condyloidei
allein
ist seltener, viel weniger einfach und schwieriger zu reduciren. Es setzt ihre Entstehung gleichfalls ein beträchtliches Abwärtsziehen des Kinns voraus.
Nach B o y er entsteht sie in folgender Weise:
Der eine Processus condyloideus erfährt in der Cavitas glenoidea und unter dem Tuberculum articulare
eine Drehung, durch welche
sein innerer Rand nach Vorn gewendet wird, während der Processi
condyloideus der anderen Seite vor das Tuberculum
articulare
' ) j S t e i n l i n hat den Mechanismus der Unterkiefer-Verrenkungen mit mathematischer Genauigkeit erörtert. Tidal'a Chirurgie.
II.
Zeitachrift für rationelle Medicin, 1853, p. 204.| 42
658
Krankheiten der Gelenke.
tritt und sich zugleich etwas nach Innen wendet. Auf diese Weise entfernt sich der verrenkte Processus condyloideus beträchtlicher, als bei der Doppelverrenkung von der Ursprungsstelle des Ligamentum laterale exlevnum, welches daher stark gezerrt oder zerrissen sein muss. S y m p t o m e : a) d e r b e i d e r s e i t i g e n V e r r e n k u n g . Der Kranke ist genöthigt, den Mund weit offen zu halten, wodurch seine Physiognomie sehr eigentümlich entstellt wird. Der Speichel läuft ihm fortdauernd aus dem Munde und er ist ausser Stande zu kauen, oder deutlich zu sprechen, insbesondere vermag er die Lippenbuchstaben gar nicht auszusprechen. Die Entfernung zwischen den beiden Zahnreihen ist mehr oder weniger vergrössert, oft sehr bedeutend, oft so wenig, dass man kaum den Daumen zwischen sie bringen kann. Die Zähne können einander aber weder genähert, noch auch weiter von einander entfernt werden. Die untere Zahnreihe ist weiter nach Vorn gerückt, so dass die Schneidezähne des Unterkiefers, wenn der Mund geschlossen werden könnte, vor denjenigen des Oberkiefers stehen würden. Vor dem Gehörgange, da, wo man im normalen Zustande die äussere Seite des Processus condyloideus fühlen kann, findet man eine Vertiefung. Die Wangen und Schlafen sind, wegen der Zerrung des Masseter und Temporaiis, abgeflacht. Der Processus coronoideus bildet unter dem Jochbogen einen Vorsprung, den man durch die Wange hindurch, oder noch besser mittelst des in den Mund eingeführten Fingers, weiter nach Vorn als gewöhnlich fllhlen kann. b) B e s t e h t die V e r r e n k u n g n u r auf e i n e r S e i t e , so ist das Kinn nach der entgegengesetzten Seite, jedoch nicht immer auffallend, verschoben. Natürlich stehen auch die Zähne in derselben Richtung falsch, die Kranken sind beim Sprechen gehindert, vermögen aber doch noch zu articuliren. Der Processus coronoideus der verrenkten Seite wölbt die Wange auffallend hervor, |das wichtigste Symptom aber ist die Grube vor dem Ohr, an der Stelle, wo der verrenkte Condylus des Unterkiefers stehen sollte.) Diese seitliche Verrenkung ist in einzelnen Fällen mit einer Lähmung des Facialis, daher auch mit einer Apoplexie, oder mit einer krampfhaften Muskelverkürzung der entgegengesetzten Seite verwechselt worden, was jedoch nur bei grosser Unaufmerksamkeit, oder gänzlicher Unkenntniss der Verhältnisse möglich ist. P r o g n o s e . Der Zustand des Kranken wird, wenn auch keine Einrenkung erfolgt, doch nach und nach ein erträglicher, indem die Gelenkköpfe auch in der abnormen Stellung einige Beweglichkeit
659
Verrenkung des Unterkiefers.
erlangen. Freilich erreicht diese niemals einen solchen Grad, dass die Zahnreihen sich wieder berührten und der Kranke mithin wieder kauen könnte; aber der Mund kann doch durch die Berührung der Lippen geschlossen werden; der Ausfluss des Speichels hört somit auf und die Schlingbewegungen können wieder von Statten gehen. Jedoch bleiben letztere immer unvollkommen, wegen der Zerrung des am Unterkiefer befestigten Theiles des Schlundkopfes. In der Mehrzahl der Fälle vermag der Patient nur Flüssigkeiten zu verschlucken und muss auch zu diesem Behufe den Kopf hintenüber beugen. Wird die Einrenkung bei einseitiger Luxation des Unterkiefers unterlassen, so pflegt eine Verbesserung des Zuslandes nur höchst selten einzutreten. Jedoch erzählt R a v a t o n von einem jungen Soldaten, welcher zwei Jahre nach der Verrenkung e i n e s Processus condyloideus, welche nicht eingerenkt werden konnte, dennoch, obgleich mit einiger Schwierigkeit, kauen und sprechen konnte. B e h a n d l u n g . Zum Behufe der Einrenkung hat man 1) die Condylen so weit abwärts zu bewegen, dass sie unterhalb des Tuberculum articulare zu stehen kommen; 2) dieselben nach Hinten zu schieben. Ein Gehülfe fixirt den Kopf des sitzenden Kranken, indem er, hinter ihm stehend, die Hände vor der Stirn kreuzt und das Hinterhaupt gegen seine Brust andrückt. Der Wundarzt führt seine mit Leinwand umwickelten Daumen in den Mund ein, legt sie mit ihrer Volarfläche auf die unteren grossen Backzähne, während die übrigen Finger die Seitentheile des Unterkiefers bis zum Kinn umfassen. Mit dem Daumen wird nun ein kräftiger Druck gerade abwärts auf den hinteren Theil des Knochens ausgeübt, während das Kinn durch die übrigen Finger an einer weiteren Verschiebung nach Unten gehindert wird. Sobald man einige Beweglichkeit der Condylen durch diesen Druck erreicht hat, folgt der zweite Act, indem die Daumen gegen die Backzähne und den vorderen Rand des Kronenfortsatzes angestemmt werden und die übrigen Finger das Kinn erheben. Die Zusammenziehung der Kaumuskeln vollendet die Einrenkung; zuweilen erfolgt sie mit solcher Schnelligkeit und Gewalt, dass die Daumen des Wundarztes zerbissen werden. Aus Furcht vor diesem unangenehmen Zufall rathen Manche, die Daumen, sobald die Condylen flott geworden sind, an die äussere Seite der Zähne anzulegen. Hierdurch kann aber die Reduction leicht misslingen. Lässt man die Daumen zu lange au£ den Zähnen liegen, so hindert dies gleichfalls die Reduction, da ihre 42*
660
Krankheiten der Gelenke.
Anwesenheit die Annäherung der Zahnreihen an einander, mithin die Wirkung der Kaumuskeln behindert. Findet sich die von M a l g a i g n e und N e l a t o n beschriebene Einkeilung der Spitze des Processus coronoideus in der Grube des Jochbogens, so muss man sogleich mit dem Daumen gegen den vorderen Rand des Processus coronoideus drücken, um diesen nach Hinten zu schieben, während der Kranke sich bemüht, den Mund möglichst weit zu öffnen. Auf diese Weise hat N e l a t o n eine Unterkiefer-Verrenkung reducirt, an welcher alle anderweitigen Versuche fruchtlos gewesen waren. Ist nur e i n e S e i t e verrenkt, so wird auch nur auf dieser der Druck mit dem Daumen ausgeführt und die Zurückschiebung vorgenommen. Letztere muss aber nicht gerade nach Hinten, sondern zugleich in der Richtung n a c h A u s s e n erfolgen, entsprechend der oben beschriebenen Verschiebung. Statt hauptsächlich auf die hinteren Backzähne einen Druck auszuüben, hat man früher durch Aufwärtsdrängen des Kinns die Reduction auszuführen gesucht. Hierher gehört der Faustschlag gegen das Kinn und das Verfahren mit dem Knebel, dessen R a v a t o n gedenkt. Letzteres bestand darin, dass ein Riemen in der Richtung von dem Kinn zum Scheitel um den Kopf geführt, dort über eine Holzplatte zusammengeknotet und mit einem Knebel so lange aufgedreht wurde, bis unter einem gleichzeitig angewandten Druck auf die Processus condyloide't die Einrenkung gelang. Weniger fehlerhaft ist das Verfahren, welches J o h a n n de V i g o beschreibt: Zwischen die Backzähne werden ein Paar Keile von Holz gelegt, mittelst welcher der Wundarzt zugleich einen Druck auf die untere Zahnreihe ausübte, das Kinn aber wird mittelst eines Riemen, der um den Kopf geführt wird, von Gehülfen stark aufwärts gezogen. Für frische Fälle sind diese Verfahrungsweisen durchaus zu verwerfen. Dagegen könnte man bei v e r a l t e t e n Unterkiefer-Luxationen von einer Combination der Holzkeile (mit denen man jedenfalls länger drücken kann als mit den Daumen ') — und des Knebels wol Erfolg erwarten. | Leichter und sicherer aber gelingt die Reduction veralteter Unterkiefer-Luxationen mittelst des von S t r o m e y e r angegebenen Instrumentes. Dies ist eine in zwei hufeisenförmige ') L e c a t während m
Hess in einem schwierigen
Falle den Kranken
auf die Erde setzen,
er selbst aufrecht s t a n d , und wirkte durch seine Daumen mit dem
ganzen Gewicht seines Körpers auf die hinteren Backzähne des Unterkiefers ein, wodurch die Reduction leicht gelang. keile ein Paar Gabelstiele ein.l
|A. C o o p e r setzte statt der Holz-
661
Verrenkungen der Wirbel.
E n d e n a u s l a u f e n d e starke Z a n g e , d e r e n h u f e i s e n f ö r m i g e E n d s t ü c k e auf die Backzähne d e s O b e r - u n d Unterkiefers gelegt w e r d e n ,
so
dass diese d a h e r d u r c h die U m d r e h u n g e i n e r die Griffe v e r b i n d e n den S c h r a u b e
mit b e t r ä c h t l i c h e r H e b e l k r a f t von
einander
entfernt
werden. ' ) | In b e s o n d e r s
schwierigen
Fällen
kann
die s u b c u t a n e
s c h n e i d u n g d e r d u r c h i h r e S p a n n u n g die R e d u c t i o n
Durch-
erschwerenden
Muskeln v o n Nutzen sein. Bei d e r g r o s s e n N e i g u n g zu R e c i d i v e n , w e l c h e
Verrenkungen
des U n t e r k i e f e r s mit sich f ü h r e n , ist es n o l h w e n d i g , nicht blos e i n e n Monat l a n g j e d e weitere E n t f e r n u n g d e r Z ä h n e von e i n a n d e r s o r g fältig (in d e r e r s t e n Zeit d u r c h ein K i n n t u c h o d e r eine S c h l e u d e r ) zu v e r h ü t e n ,
s o n d e r n auch
f ü r die weitere Z u k u n f t d e m K r a n k e n
die g r ö s s t e Sorgfalt zu e m p f e h l e n . Selten e r h e i s c h e n Complicationen eine b e s o n d e r e b) V e r r e n k u n g e n
am
Rumpfe.
1. V e r r e n k u n g e n
der
Wirbel.
Rücksicht.
| Die W i r b e l sind bekanntlich nicht blos d u r c h die Gelenkverb i n d u n g e n i h r e r s c h r ä g e n Fortsätze, s o n d e r n auch d u r c h die b r e i t e n u n d starken S y m p h y s e n , w e l c h e sich z w i s c h e n d e n e i n a n d e r z u g e w a n d t e n Flächen i h r e r K ö r p e r befinden u n d d u r c h m e h r e r e H ü l f s b ä n d e r mit e i n a n d e r
s e h r fest vereinigt. |
d e r einzelnen W i r b e l gegen e i n a n d e r sind Biegungen
der Wirbelsäule
s e h r gering.
Die
selbst bei b e d e u t e n d e n Dennoch
hat m a n l a n g e
Zeit von d e n V e r r e n k u n g e n aller einzelnen W i r b e l g e s p r o c h e n . Hippocrates
starke
Bewegungen
Schon
hatte die A n n a h m e d e r g r o s s e n Mehrzahl dieser Ver-
r e n k u n g e n widerlegt u n d eine g e n a u e a n a t o m i s c h e U n t e r s u c h u n g d e r in n e u e r e r der
Zeit b e o b a c h t e t e n ,
früher b e s c h r i e b e n e n
dass es sich
Fälle
in d e r Regel
so wie eine kritische haben
Beleuchtung
übereinstimmend
ergeben,
um Brüche der Wirbelbogen
handelte.
Schon die allgemeine Angabe, dass es leicht g e w e s e n sei, die Difformität zu beseitigen, o d e r den K n o c h e n eine solche R i c h t u n g z u g e b e n , d a s s die C o m p r e s s i o n des R ü c k e n m a r k e s a u f h ö r t e , lässt einen ') | B o u i s s o n
( G a z . med.
1 8 5 ? , p. 7 3 6 ) h a t das S t r o m e y e r ' s c h e
gleichfalls m i t s e h r g u t e m Erfolge a n g e w a n d t u n d d a s s e l b e als „levier paraboliques" gen w o r d e n ;
beschrieben. jedoch
Instrument ä
plaques
Aehnliche I n s t r u m e n t e sind schon früher vorgeschla-
gebührt
dem
S tromeyer'schen
D a s s e l b e h a t sich bei e i n e r b e r e i t s seit 3 5 T a g e n
unstreitig
(Stromeyer's
d e r C h i r u r g i e , Bd. I, pag. 6 0 8 ) u n d u n t e r B o u i s s o n ' s 2 Monaten bestehenden Unterkiefer-Verrenkung bewährt. |
der
Vorzug.
Handbuch
H ä n d e n bei e i n e r s e i t
662
Krankheiten der Gelenke.
solchen Irrthum vermuthen, sobald man ihnen gegenüber die Erscheinungen ins Auge fasst, welche bei unzweifelhaften Verrenkungen der Wirbel uns entgegentreten. Nur diejenigen Wirbel, welche unter einander weniger innig verbunden sind, können ohne gleichzeitige Fractur eine Verrenkung, und zwar immer nur eine unvollkommene, erfahren. Die Gewalt, welche nothwendig ist, um eine vollständige Verrenkung zu Stande zu bringen, bewirkt statt dieser eine Fractur. In der Rücken- und Lendengegend ist eine Verrenkung der Wirbel ohne Fractur ganz unmöglich. Die H a l s w i r b e l dagegen können, auch ohne gleichzeitig zerbrochen zu sein, verrenkt werden. Diese Verrenkungen bieten wesentliche Verschiedenheiten dar, je nachdem sie an den beiden oberen oder an den fünf unteren Halswirbeln bestehen, a. V e r r e n k u n g e n d e r b e i d e n e r s t e n H a l s w i r b e l . Der Atlas ist mit dem Hinterhauptbein so innig verbunden, dass nur sehr beschränkte Bewegungen zwischen ihnen Statt finden und nur durch beträchtliche Zerstörungen der Gelenkbänder und der Gelenkflächen selbst, besonders bei Caries der letzteren, Verschiebungen zwischen ihnen zu Stande kommen. Selten und nur durch eine sehr grosse Gewalt und mit sehr beträchtlichen Nebenverletzungen vermögen äussere Einwirkungen diese Verrenkung hervorzubringen. ' ) Als angeborne unvollkommene Verrenkung ist sie in der Richtung nach Hinten bei anencephalen Missgeburten, nach Vorn bei einem Kinde von 3 Monaten beobachtet worden. Häufiger kommt die V e r r e n k u n g d e s E p i s t r o p h e u s vor, trotz der grossen Festigkeit der Bänder, durch welche die relative Stellung der beiden ersten Halswirbel gesichert ist. Jedoch bricht bei Weitem leichter der Zahnfortsatz des Epistropheus, als die Bänder zerreissen. Der Bruch des Zahnfortsatzes aber hat, weil er der ') L a s s u s
beobachtete folgenden Fall:
Einem Manne
e i n e r H ö h e von 1 6 F u s s auf d a s G e n i c k , beugt hielt.
E r verlor Bewusstsein
ßci
ein B ü n d e l H e u
aus
w a h r e n d e r d e n Kopf v o r n ü b e r ge-
u n d S p r a c h e , hielt d e n Kopf s c h r ä g nach
Vorn u n d L i n k s g e n e i g t , den M u n d h a l b offen, o h n e d e n U n t e r k i e f e r bewegen zu können Stunden.
und starb unter Convulsionen Man f a n d die r e c h t e Arteria
der oberen Extremitäten nach
rertebralis
sechs
z e r r i s s e n , dio Condylen
des
H i n t e r h a u p t b e i n s von den e n t s p r e c h e n d e n G e l e n k f l ä c h e n d e s A t l a s e n t b l ö s s t und 3 — i Linien entfernt trine
chtrurgicale.
glcae
Medlolanl
einem Sturze
¡ i n w e l c h e r R i c l i t u n g ? | Vergl. L c v e i l l c , P a r i s 1 8 1 2 . T. II.
1 8 2 0 , pag. 2 3 4 ) von
bedeutender
—
noucelle
(exercitationes
docpatholo-
e r z ä h l t einen Fall, in w e l c h e m 5 Tage nac li
Hohe
der Tod
Rede stehende Verrenkung gefunden wurde. b r u c h des vierten
Palella
erfolgte
u n d gleichfalls die in
E s b e s t a n d a b e r zugleich ein Quer-
Halswirbels und andere schwere
Verletzungen.
Verrenkung des Epistropheus.
663
Anheftungs- oder Stützpunkt für die wesentlichen Bänder dieses Gelenkes ist, eine Verrenkung zur Folge. Bei Kindein kann der Zahnfortsatz, da er eine Epiphyse des Epistropheus ist, wie jede andere Epiphyse, an der Verbindungsstelle abgelöst werden. Gerade bei Kindern aber ist auch die Verrenkung eher möglich, weil der Zahnfortsatz kürzer ist und die Ligamenta laleralia weniger fest sind, so dass er leichter (nach P e t i t u. A. beim Aufheben des Kindes am Kopf) unter dem Ligamentum transversum hindurchschlüpfen kann. Jedoch sind diese Angaben nicht durch die Section erwiesen. 1 ) Die E n t s t e h u n g s w e i s e der Verrenkungen des Epistropheus ist nach B i c h a t eine doppelte: 1. Der Zahnfortsatz wird gerade nach Hinten geschoben, indem das Ligamentum transversum, die Ligamenta lateralia und der ganze übrige Band-Apparat zerrissen werden. Hierzu ist eine ganz ausserordentliche Gewalt nothwendig: ein Fall auf das Hinterhaupt von sehr bedeutender Höhe, ein Schlag auf das Genick bei vornüber gebeugtem Kopfe. |Nach C a u s s é soll eine Verrenkung des Zahnfortsatzes wegen Zerreissung des Ligamentum transversum auch durch eine gewaltsame Bewegung in entgegengesetzter Richtung, indem nämlich der Kopf stark hintenttber, das Genick aber nach Vorn gedrttngt wird, zu Stande kommen können. *)| 2. Der Kopf wird gewaltsam nach der einen Seite gebogen und übermässig in derselben Richtung rotirt Hierdurch werden die aufs Aeusserste gespannten Seitenbänder der entgegengesetzten Seite zerrissen. Erfolgt die Biegung in noch stärkerem Grade, oder wird die Rotation nach Vorn noch weiter fortgesetzt, so zerreisst auch das zweite Seitenband und der Zahnfortsatz schlüpft unter dem Ligamentum transversum, welches unversehrt bleibt, nach Hinten. Diese Entstehungsweisen werden von B o y e r als unzweifelhaft angenommen. Jedoch ist ein hinreichender anatomischer Beweis dafür noch nicht geliefert und die Untersuchungen Uber das Ent' ) | S t r o i n e y e r beschreibt (Handbuch pag. 6 0 9 )
eine a t o n i s c h e
Subluxa-
t i o n zwischen Atlas und Epistropheus, die durch einen Fall auf den Kopf entstehe.
„ D e r Kopf sinkt dicht unter dem Hinterbaupte auf eine Seite und dreht
sich etwas um seine Achse nach der entgegengesetzten Seite. Man kann ihn s e h r leicht in seine n o n n a l e Richtung bringen, er sinkt aber sofort wieder in die fehlerhafte Stellung zurück.
Der Patient kann ihn nicht gerade richten, obgleich m a n
deutlich sieht, dass seine Halsmuskeln sich anspannen, also nicht gelähmt sind. " | |Man hat, nach seinen Angaben, diese Verletzung hei den Opfern eines berüchtigten Mörders gefunden, welcher selbst gestand, den Tod herbeigeführt zu haben , indem er mit der einen Hand das Kinn stark a u f w ä r t s , mit der andern aber das Genick nach Vorn sliess.
Revue mètUco-cMrurgicaie,
1 8 5 ? . Sept.j
664
Krankheiten
der Gelenke.
stehen dieser Verrenkung bei Hinrichtungen durch den Strang haben, je nach der verschiedenen Technik der Henker zwar verschiedene, aber noch keine genügenden Resultate geliefert. Zuverlässig ist n u r , dass bei dem Erhängen viel häufiger Fracturcn der Wirbel entstehen, als die in Rede stehende Verrenkung.') Die S y m p t o j u e dieser Luxation können fast immer nur an der Leiche beobachtet werden, denn der Tod erfolgt in der Mehrzahl der Fälle sogleich durch Compression oder Zerreissung des Rückenmarkes. Der Kopf ist in hohem Grade beweglich, hängt vorn Uber, der Mund ist geöffnet, die Augen ragen stark hervor, das Gesicht ist geröthet und aufgedunsen, der Puls, wenn er überhaupt noch zu fühlen ist, selten und klein; Empfindung und Bewegung sind ganz erloschen. Von einer B e h a n d l u n g ist in der Regel keine Rede. Sollte man den Patienten noch lebend, aber mit grosser Athemnoth kämpfend antreffen, so wäre ein Reductionsversucb in der bei den Wirbelbrüchen angegebenen Weise vorsichtig zu unternehmen. Deutet aber kein Symptom auf ein Bedrohtsein des Lebens, so unterlasse man auch jeden Reductionsversuch; | alsdann besteht nämlich die besprochene Verrenkung gewiss nicht und anderweitige, in ibren Symptomen ihr ähnliche Verletzungen könnten durch Extension verschlimmert werden. | b. V e r r e n k u n g e n d e r f ü n f u n t e r e n H a l s w i r b e l . Zwischen den unteren fllnfHalswirbeln kommen unvollkommene') und vollkommene, einseitige und doppelseitige Verrenkungen vor. Die V e r a n l a s s u n g derselben ist nicht blos eine äussere Gewalt, sondern zuweilen auch ein Muskelzug, ®) oft Beides zugleich, indem z. B. ein Kind auf dem Kopfe zu stehen versucht, wo nicht blos die Spannung der Halsmuskeln, sondern auch die Last des ganzen Körpers einwirkt. ' ) Die vorwiegende Häufigkeit der Fracturen a m Atlas u n d EpistropUeus nach der Hinrichtung durch den Strang hat bereits R e a l d u s C o l u m b u s u n d Padua durch anatomische Untersuchungen *) |Nach S t r o m e y e r (Handb. I. p. 6 1 1 )
können
in Pisa, Rom
nachgewiesen. bei einem Fall auf den Kopf
die Bänder der Halswirbel auch zerreissen, ohne dass Luxation eintritt, worauf „ d u r c h Q u e t s c h u n g " oder Zerreissung des Rückenmarks der Tod schnell oder später erfolgen, aber (bei antiphlogistischer Behandlung) auch Heilung werden kann.
erzielt
Nach den über die „Verstauchung" von uns gegebenen Erläute-
rungen (p. 6 2 5 ) dürfte eine solche Verletzung als „ V e r s ( a u c h u n g d e r H a l s w i r b e l " bezeichnet werden, da eine Quetschung des R ü c k e n m a r k s doch ohne eine, wenn auch vorübergehende, Dislocation der Wirbel nicht erfolgen könnte.| *) Ein Advocat drehte sich plötzlich lebhaft nach dem hinter ihm stehenden Clienten u m , — und verrenkte sich einen Halswirbel.
(?)
665
Verrenkungen der Halswirbel. Der Kranke
empfindet im Augenblicke
s e h r heftigen Schmerz
und hört z u w e i l e n
der Verrenkung einen ein G e r ä u s c h ,
oder hat
d o c h die Empfindung, d a s s etwas in s e i n e m Halse reissc.
Bei der
g e w ö h n l i c h e r e n , der e i n s e i t i g e n
Form der Verrenkung, steht der
Kopf schief, mit d e m Gesicht nach der e n t g e g e n g e s e t z t e n Seite bin g e w a n d t , und e s ist d e m Kranken v o l l k o m m e n u n m ö g l i c h , den Kopf gerade z u richten.
An der hinteren Seite
des Halses
findet
sich
ein Vorsprung, w e l c h e r durch den Dornfortsatz d e s verrenkten W i r bels bedingt wird. Je n a c h d e m die Verrenkung m e h r o d e r w e n i g e r vollständig ist, treten die E r s c h e i n u n g e n der C o m p r e s s i o n o d e r ZerDieselben s i n d ceteris
paribut
um s o gefährlicher, j e weiter o b e n die Verletzung besteht.
r e i s s u n g d e s R ü c k e n m a r k e s hervor.
In der
g r o s s e n Mehrzahl der Fälle erfolgt, w e n n die E i n r e n k u n g nicht g e lingt, der T o d ; z u w e i l e n j e d o c h erst nach m e h r e r e n
Tagen.')
') Wir (heilen ausführlich einen vonJul. R o u i (1833) sehr genau beobachteten und beschriebenen Fall mit. Ein SchiBs-UnterofGzier sprang, um sich iu baden, den Kopf voran, aus einer Höhe von etwa 12 Fuss vom Schiff ins Wasser, prallte aber mit dem Kopfe gegen ein unter dem Wasser zum Schatze gegen die den Badenden nachstellenden Haifische aufgehängtes Segel. Er fühlte sich sogleich an Armen und Beinen gelähmt, rief gewaltig nach Hülfe, wurde aber, da man ihn als einen guten Schwimmer kannte, erst nach längerer Zeit herausgezogen und hierauf in das damals von R o u x dirigirte Schiffslazareth gebracht. Derselbe fand den ganzen Körper, mit Ausnahme des Kopfes und Halses, so wie des oberen vorderen theiles der Brust und der Schultern (welche von den unteren Aesten des Plexut cervlcallt versorgt werden) empfindungs- und bewegungslos. In der Gegend der unteren Halswirbel hatte er hellige Schmerzen, welche beim Drucke so wie bei allen Bewegungen des Kopfes vermehrt wurden; eine DilTormität war bei dem wohlbeleibten Kranken nicht wahrzunehmen. Nachdem er zu Bett gebracht war, verloren sich die Schmerzen, er war bei vollkommenem Bewusstsein, hatte von der Gefahr seines Zustapdes keine Ahnung, gab seiner Heiterkeit sogar durch Singen lauten Ausdruck. Die Haut war kalt, der Puls langsam, die Respiration leicht, jedoch war ausser dem Zwerchfell kein Inspirationsmuskel thätig. Der Penis war erigirt. Die folgenden 3 Tage beobachtete R o m , unter Zuziehung des Oberwundarzte9 B o n n e a u , eine allmälige Besserung; die Wärme der Haut kehrte zurück, der Kranke war heiter, sang und rauchte, schlief auch ein wenig und nahm flüssige Nahrungsmittel; die Schmerzen beim Druck waren geringer, der Puls normal, die Respiration frei, aber die Läbmungs-Erscheinungen dauerten fort, Harnverhaltung erforderte die mehrmalige Anwendung des Katbeters, die Faeces wurden unwillkürlich entleert. Vom vierten Tage ab wurde die Haut lieiss, das Gesicht geröthet und aufgedunsen, der Puls frequent, die Respiration unregelmässig. Am achten Tage verlor der Kranke seine Heiterkeit, wurde unbesinnlich und starb. Sc et ion. Der Hals ist geschwollen, zwischen seinen einzelnen MuskelscbichtCD liegen Blut-Ergüsse, welche bis zum Atlas hinaufsteigen. Die beiden obern Gelenkfortsätze des siebenten Halswirbels erscheinen nach Entfernung der Mus-
666
Krankheiten der Gelenke. Die B e h a n d l u n g m u s s , sobald die Diagnose feststeht, — trotz
des Widerspruches von D e s a u 1 t ' ) und zahlreichen anderen, b e s o n ders französischeu Chirurgen, —
in der nach Itllgemeinen R e g e l n
auszuführenden Einrenkung bestehen. ist nicht blos nicht gefährlich, Fälle zum Ziele geführt.
Der Versuch der Einrenkung
sondern hat in der Mehrzahl der
Die Contraextension
geschieht an
den
Schultern, die Extension am Kopfe, den der Wundarzt mit der einen Iland am Kinn, mit der andern am Hinterhaupte fasst.
Der Zug
geschieht zunächst in der Richtung, welche der Hals durch die Verrenkung erhalten hat, demnächst gerade a u s ; je nach der Individualität des Falles m u s s auch noch eine Beugung oder Rotation hinzukommen.
Fehlt ein Gehülfe,
s o kann man die Contraextension
durch das gegen die Schulter d e s Patienten angestemmte Knie auszuführen suchen.
Julius Roux
hat den Vorschlag gemacht,
die
eine Seite des verrenkten Wirbels durch einen Längseinschnitt blosszulegen,
den Gelenkfortsatz zu reseciren
und die Reduction dann
in der W e i s e durch Drehung des Kopfes auszuführen, dass der verrenkte Wirbel eine Stellung erhält,
als wäre nur
auf der
einen
Seite der Gelenkfortsatz verrenkt, wobei dann ein n i c h t - l e b e n s g e fährlicher Druck auf das Rückenmark ausgeübt werden würde. grossen Gefahren,
welche eine solche Operation mit sich
kein mit ihren glatten, glänzenden Flächen.
Die
führen
Die beiden untern Gelenkfurtsätze
des sechsten Halswirbels sieben vor ihnen und berühren fast den ganzen Körper des siebenten Halswirbels. und die beiden Mutculi
Das gelbe Band, das Ligamentum
iptertpinale>
intertplnale
zwischen dem sechsten und siebenten
Halswirbel sind zerrissen, so dass man zwischen beiden Wirbelbogen die Dura Mater
medullae
sehen kann.
Die Bandscheibe zwischen dem sechsten
und
siebenten Wirbelkörper ist gleichfalls zerrissen und letzterer steht etwa '/, Centimeter hinter dem ersteren. Zerreissung
der Art.
Keinerlei Fractur wurde gefunden.
vtrtebrall»
oder der Nervenwurzeln
| Von einer
(welche beide Ver-
letzungen in anderen Fällen beobachtet worden sind) ist nichts erwähnt; dass sie n i c h t bestanden, lehrte schon der Verlauf.| Das Rückenmark ist zwischen dem Körper des siebenten und dem Bogen des sechsten Halswirbels gequetscht, eingeklemmt; von da abwärts gerötbet, weiter aufwärts bis zum H i n t e r h a u p t entschieden erweicht.
Alle Venen des Kopfes strotzten von Blut; die Lungen
waren blutig serös infiltrirt und crepitirtcn nur unvollkommen. ') L e v e i l l e
(I. c. T. II, pag. 6*2) thcilt nach seinen eigenen Notizen aus dem
Jahre 1 7 9 3 einen Fall m i t ,
in weichein D e s a u l t selbst, aber mit dem Be-
merken, dass es auf Tod und Lehen gehe, bei einem Kinde die Reduction einer Verrenkung der Halswirbel vorgenommen hat. um
eine u n v o l l s t ä n d i g e V e r r e n k u n g
Wahrscheinlich handelte es sich eines
unteren
obgleich die Beobachtung unter den . . V e r r e n k u n g e n w i r b e l s " aufgeführt ist.
des
Halswirbels, zweiten
Hals-
V e r r e n k u n g des
667
Brustbeins.
würde, bedürfen keiner weiteren Erläuterung. W a l k e r in Boston 1 ) suchte in einem schwierigen Kalle, der übrigens tödtlich verlief, die Einrenkung durch Abschneiden der Muskel-Insertionen zu begünstigen, was gleichfalls nicht zu empfehlen sein dürfte, 2.
Verrenkung
(Diastase)
des B r u s t b e i n s . ')
Diese sogenannte VerrenFig. 1 0 9 . Fig. 1 1 0 . kung ist bis jetzt nur in der Weise beobachtet worden, dass der Körper des Brustbeines nach Vorn geschoben wird, so dass es zugleich aufwärts rükkend sich mit seiner hinteren Fläche gegen die vordere des Manubrium sterni anstemmt (vgl. Fig. 109, 110). In den von M a i s o n n e u v e gesammelten 5 Fällen waren die Verletzten kräftige Männer. Die Veranlassung ist bald eine directe, d. h. eine Gewalt, welche auf das Manubrium sterni in der Richtung von Vorn nach Hinten einwirkt (so z. B. in dem von A u r r a n beschriebenen Falle: das Ende einer Leiter, welches auf das Manubrium sterni drückte), bald eine indirecte, indem auf die beiden Enden des Sternum ein Druck ausgeübt, oder dasselbe seiner Länge nach auseinander gerissen wird. Bei einem Fall auf den Rücken oder auf das Genick wird die Erschütterung dem Brustbein durch die Schlüsselbeine und Rippen mitgetheilt. Die am oberen und unteren Ende desselben befestigten Muskeln können durch ihre Spannung die Zerreissung desselben befördern (vergl. Bruch des Brustbeins, pag. 418). Bei den durch einen Fall auf den Rücken entstandenen Verrenkungen finden sich stets beträchtliche Verletzungen an der Wirbelsäule, dem Schlüsselbeine, den Rippen. ' ) Vergl. den C a n s t a t t ' s c h e n
J a h r e s b e r i c h t f ü r 1 8 5 1 , Bd. IV, pag. 4 0 .
' ) Diese n i c h t ganz s e l t e n e Verletzung ist t r o t z d e r o b e r f l ä c h l i c h e n Lage des B r u s t b e i n s b i s auf die n e u e s t e Zeit u n b e a c h t e t Aurran, Journal
geblieben.
e i n e r d e r W u n d ä r z t e des H o t e l - D i e u de médecine,
hat M a i s o n n e u v e Paris. 1 8 4 3 . )
T. XXXVI, p. 5 2 1 . {Annales
angestellt.
de tanalomie
Erst
zu l t o u e n ,
1771 beschrieb in d e m
Genauere Untersuchungen et de la physiologie
sie
damaligen darüber
pathologiques.
668
Krankheiten der Gelenice.
Die a n a t o m i s c h e n V e r ä n d e r u n g e n an der Stelle der Verletzung sind: 1) der Symphysenknorpel zwischen Handgriff und Körper des Brustbeins ist zerrissen; 2) die Knorpel der beiden ersten Rippenpaare bleiben mit dem Handgriffe in Gelenkverbindung und werden mit ihm verschoben; 3) die Membrana sterni ist an der vorderen Seite, der Zerreissung der Symphyse entsprechend, gleichfalls zerrissen, an der hinteren Seite aber blos vom Körper des Brustbeins in einiger Ausdehnung abgelöst. (Vergl. Fig. 110.) S y m p t o m e . Gewöhnlich sieht man sogleich, dass die vordere Brustwand eine Verkürzung erfahren hat und das Manubrium sterni eingedruckt i s t Mit dem Finger kann die abnorme Stellung zwischen den beiden Theilen des Brustbeins noch deutlicher erkannt werden, und man kann sich mit Bestimmtheit Uberzeugen, dass das hervorragende obere Ende des Körpers desBrustbeins vollkommen glatt ist. Diese Hervorragung steht 2 Centimeter oberhalb der Gelenke zwischen dem dritten Rippenpaare und dem Brustbeine. Die zuletzt erwähnten beiden Symptome sind die einzigen, auf welche sich eine U n t e r s c h e i d u n g von dem B r u c h e d e s S t e r n u m gründen lfisst (vergl. pag. 418). {Ist bereits bedeutende Geschwulst entstanden, so wird die Diagnose sehr schwierig. Eine erworbene oder angeborne Vertiefung an dieser Stelle des Brustbeins kann dazu verleiten,' bei einer blossen Quetschung die in Rede stehende Verrenkung anzunehmen. — In Betreff der secundären Verletzungen und Erkrankungen der Brust-Organe gilt das vom Brustbein-Bruch Gesagte. — Eben so verhält es sich mit der P r o g n o s e . | B e h a n d l u n g . Ist die Verletzung durch einen Sturz auf den RUcken entstanden, so muss man sich gewöhnlich jedes Reductionsvcrsuches enthalten, weil die an der Wirbelsäule voraussichtlich bestehenden Verletzungen durch einen solchen verschlimmert werden könnten. Sind Letztere nicht vorbanden oder ist die Verletzung durch directe Gewalt entstanden, so ist das von A u r r a n beschriebene Verfahren noch immer maassgebend. Man legt unter den RUcken eine Rolle und lüsst auf die Symphysis ossium pubis einen Druck, am Kinn aber einen kräftigen Zug ausüben. Ist dadurch die Reduction erfolgt, so wird eine Binde um die Brust in der Art gelegt, dass sie eine Verschiebung des Brustbein-Körpers nach Vorn verhindert. Der Kranke liegt mit gekrümmten Knien und mit gehobenem Kopfe, um die Einwirkung der am Brustbein befestigten Muskeln zu verhüten.
669
Verrenkung der Rippen. S. V e r r e n k u n g e n
der Rippen
u
Iocationen sehr verschiedener Meinung gewesen und hat dadurch oft Veranlassung zu Missverständnissen gegeben, so dass ' ) Diejenigen Fälle, welche als Luxation des Wadenbeins betrachtet werden können, sind von B o y e r ,
Sansón
und N é l a t o n .
Boyer
fand bei einem In-
dividuum, welches sich den Fus9 nach Aussen verrenkt h a t t e , das Wadenbein durch den Attragalus
ganz nach Oben gedrängt; dadurch war nicht blos der
äussere Knöchel aufwärts geschoben, sondern auch das Capitula*« der Gelenkgrube an der Tibia hinaufgedrängt.
aus
fibulae
In den meisten Fällen wird aber
eine solche Dislocation des Fusses das Wadenbein eher zerbrechen als es luxiren. Der von
Sansón
beobachtete Fall möchte
als Beweis dienen
können,
dass diese Dislocationen nur momentan seien und deshalb viel eher Distorsionen als Luxationen genannt werden müssen. schräger Richtung zwar
über
das obere Ende
gerade über das Gelenk
Ein Wagenrad
des Unterschenkels
des Wadenbeins.
nämlich
ging in
einer F r a u ,
Die Gelenkbänder
und
zerrissen
und dadurch gewann das Köpfchen eine solche Beweglichkeit, dass man es mit Leichtigkeit nach beiden Seiten aus der Gelenkgrube schieben k o n n t e , es j e d o e b ,
sich selbst
diesen F a l l :
„Es
überlaBien,
ist mehr
sofort zurilckkchrtc.
als wahrscheinlich,
Snnaon
wohin
sogt Ober
dass im Momente des Ueber-
fahrens das Köpfchen des Wadenbeins vollkommen l i u i r t war, dass j e d o c h die Reposition sofort von selbst eintrat, zweifelsohne, weil die an das Wadenbein sich
anheftenden Aponeurosen
und Muskeln
der- luxirenden Bewegung Wider-
stand leisteten." (Dtcttonnahre de wudecine et de Chirurgie pratiquet. 1834. T. XI. Luxation.) In
dem Falle
Nélaton's
ging
ein Wagenrad schräg
Parti
über den unteren
Theil des Unterschenkels bei einem jungen Manne, so dass der äussere Knöchel gerade nach Hinten verschoben wurde und fast den äusseren Rand der Achillessehne b e r ü h r t e ; die äussere Gelenkfiäcbe des Aitragalus,
welche das Waden-
bein verlassen hatte, war in ihrem ganzen Umfange leicht durchzufühlen.
Der
F u s s hatte j e d o c h seine grade Stellung behalten, was N é l a t o n der Integrität des Ligamentum zu b e m e r k e n ,
laterale
externum
zuschreibt.
Bei diesem Falle ist
dass er erst nach 3 9 Tagen zur Beobachtung k a m ,
jedoch
was seine
Bedeutung erheblich vermindert. * ) Da die Luxationen des Fusses von den Fracturen des Wadenbeins lich s i n d , werden.
unzertrenn-
so muss zur Vergleicbung a q f das über letztere Gesagte verwiesen
( S . pag. 5 1 9 u, f . )
778
Krankheiten der Gelenkê.
manche Autoren Luxationen für sein- selten gehalten haben, welche nach Anderen die allerhäufigsten sind.
Filr die Einen
die krankhafte Stellung der Unterschenkelknochen Luxation,
bei den Andern hingegen
Fusswurzel.
bestimmte
den Namen der
die krankhafte Stellung
Dies ist der beste Beweis der Wichtigkeit
eines
der be-
stimmten Princips für die Benennungen der Luxationen (pag. 6 3 4 ) . Wir werden, um jedes Missverständniss zu vermeiden,
die verän-
derte Stellung der oberen Gclenkfläche des Astragalus (Talus)
als
bestimmend für die Benennung der Luxation ansehen, weil dieser Knochen der vom Schädel entfernteste ist.
Demnach besteht Luxa-
tion n a c h I n n e n , wenn der Astragalus unter den innern Knöchel ausweicht,
nach H i n t e n ,
wenn er nach der Achilles-Sehne
hin
vorspringt, u. s. f. Aetiologie.
Diese Luxationen
entstehen
gewöhnlich
durch
einen Fall auf die Füsse, dessen nächste Wirkung eine Erweiterung der Gelenkgrube für den Astragalus ist; deshalb ist auch in allen, oder doch in fast allen Fällen gleichzeitig Bruch eines Knöchels, meistens des äusseren, nicht selten sogar beider vorhanden. ' )
Die-
ser Umstand ist keine Verschlimmerung, er mindert im Gegentheil die Zufälle, denn indem der Knochenbruch die Wirkung der Gewalt bricht, wird die Erschütterung
des Gelenks und die Zerreissung
der Ligamente geringer; die Bänder können bei gleichzeitigen Knochenbrüchen sogar ganz unversehrt bleiben. 1.
Die L u x a t i o n
nach
Innen
ist die häufigste, was sich
tbeils daraus erklärt, dass der Sturz am Häufigsten Fussrand trifft,
theils
tief hinabreicht
und
Fusses
hinabdrücken,
Sturze
auf
den
daraus, dass
die
während
inneren
Rand
den
inneren
dass der innere Knöchel
weniger
den
Peronaei sie
den
des
inneren
äusseren
Fusses
Rand des
heben.
wirkt
das
Beim Gewicht
des Körpers unmittelbar auf einen Theil des Astragalus, von welchem
diese
übrigen
Wirkung
nur theilweise auf den Calcaneus und die
Fusswurzelknochen
abgeleitet
werden
kann.
Daher hat
fast die ganze Gewalt die Tendenz, den Astragalus zu dislociren. Die obere Fläche dieses Knochens drängt sich unter dem intern,
Malleol.
hervor und kann, hat sie die Grenze desselben überschrit-
ten, nicht wieder an ihren Platz zurückkehren.
Doch muss diese
Gelenkfläche, um ihren Platz zu verlassen, die inneren
Seitenbän-
' ) Die Mémoires de la Société méd. d'émulation de Lyon, 1 8 4 2 , T. I, p. 2 5 2 , enthalten eine Beobachtung von K e i s s e r , wo bei einer Verrenkung nach Aussen beide Halleolen unversehrt blieben.
Verrenkungen des Fusses.
779
der zerreissen, oder den Malleol. intern, zerbrechen. Auch der Malleol. extern, wird zerschmettert, oder es bricht das Wadenbein in Folge eines der bei den Fracturen dieses Knochens angegebenen ihechanischen Verhältnisse. Da bei dieser Luxation die obere Fläche des Talus nach Innen gedrängt ist, so bildet dieser Knochen einen Vorsprang unter dem Malleol. intern., der Fussrücken ist nach Innen, die Fusssohle nach Aussen, der innere Rand nach Unten, und der äussere nach Oben gewendet; der Fuss ist folglich um seine Längenachse gedreht. (Fig. 142: Luxation nach Innen mit gleichzeitigem Bruche des Wadenbeins und Abtrennung der Spitze des Malleol. intern.) Fig. 142.
2. Die L u x a t i o n n a c h A u s s e n entsteht gleichfalls durch Umdrehung des Fusses um seine Längenachse, nur in umgekehrter Richtung. Mit dieser Luxation ist entweder Zerreissung des dreifachen Bänderapparates, welcher vom Wadenbein ausgeht, oder Bruch wenigstens eines Malleolus verbunden. Ihre S y m p t o m e sind: Vorsprung des Astragalus unter dem äusseren Knöchel, Umdrehung des Fussrückens nach Aussen und der Fusssohle nach Innen, Richtung des äusseren Fussrandes abwärts und des innern aufwärts. Die L u x a t i o n e n n a c h V o r n oder n a c h H i n t e n entstehen entweder dadurch, dass der Mensch auf die Fusssohle fällt oder dass der Körper niedergeworfen, |oder endlich der Unterschenkel gewaltsam verschoben | wird, während der Fuss feststeht. 3. L u x a t i o n n a c h H i n t e n . Eine wenn auch noch so starke Beugung des Fusses (Erhebung der Fussspitze) würde schwerlich eine Luxation nach Hinten hervorrufen können, da der Hals des Astragalus durch seine Berührung mit dem vorderen Rande der Gelenkfläche der Tibia dieser Bewegung bald Schranken setzt. Viel
780
Krankheiten der Gelenke.
häufiger ist sie Folge eines Sturzes auf eine nach Vorn geneigte Fläche, auf welche die ganze Fusssohle aufstösst; wenn dann ein Fuss allein die Körperlast zu tragen hat, Ober- und Unterschenkel aber gestreckt bleiben, so steht die durch die Tibia gebildete grade Linie schräg auf dem Astragalus und die in dem Gewichte des Körpers liegende Gewalt drängt das Gelenk-Ende der Tibia Uber die Rolle, welche der Astragalus darstellt, und lässt es gegen die Zehen hin vorstürzen, so dass der Astragalus nach Hinten zurückbleibt. Durch diesen Mechanismus entstand die einzige Luxation nach Hinten, welche B o y e r beobachtet hat. S a n s o n hat zwei unvollkommene gesehen, welche beide durch einen Fall entstanden waren, bei dem das Gesäss auf die hintere Seite des untern Theils des Unterschenkels aufschlug, während der Fuss gestreckt war, so dass seine Rückenfläche den Boden berührte. D u p u y t r e n und C o o p e r erwähnen bei den von ihnen beFlg obachteten Luxationen nach Hinten gleichzeitig einen Bruch des Wadenbeins (Fig. 143), woraus hervorgeht, dass der Fuss nicht blos gestreckt war, sondern auch nach Innen oder Aussen abwich. Die Luxation nach Hinten hat folgende Symptome: Verlängerung der Ferse, wobei das untere Ende der Achilles-Sehne nach Hinten gedrängt ist; Verkürzung des vorderen Endes des Fusses, auf welchem überdies das untere Ende der Tibia einen Vorsprung bildet, so dass die Weichtheile davor in eine quere Falte erhoben sind. Ein anderer Vorsprung liegt zwischen der Achilles-Sehne und der Tibia; doch ist dieser bei beträchtlicher Anschwellung nicht wahrnehmbar. Der Fuss ist meist unbeweglich, jedoch nicht immer, zumal in den Fällen von gleichzeitigem Bruch eines Knöchels. 4. Die L u x a t i o n n a c h V o r n kommt äusserst selten vor, denn die Bewegungen, welche sie erzeugen könnten, rufen viel häufiger eine Verrenkung unter dem Astragalus (sogenannte Luxation des Astragalus) oder noch häufiger Brüche der Malleolen hervor, durch welche die Dislocation eine ganz andere wird. Auch treten überhaupt selten Zufälle ein, welche eine solche Luxation erzeugen könnten, nämlich: eine heftige Extension des Fusses (Erhebung der Ferse) in Folge eines Sturzes des Körpers nach Hinten, wobei der Fuss durch ein unbesiegbares Hinderniss aufgehalten wird, |oder
781
Verrenkungen des Pusses.
eine gewaltsame Verschiebung der Unterschenkelknochen nach Hinten, während der Fuss fixirt ist. *)
Bei dieser Luxation ist der
Vorfuss verlängert und die Sehnen der Zehenstrecker sind vor dem Gelenke durch eine harte, runde und voluminöse Geschwulst in die Höhe gehoben, welche durch die obere Gelenkfläche des Astragalus gebildet wird (Fig. 144).
Der in starker Extension flxirte Fuss
ist unbeweglich.*) Fig. 145.
Fig. 144.
5.
Luxation
nach
Oben.
Bei
den Fracturen der Unter-
schenkelknochen war die Bede von dem Hinaufdringen des Fusses ' ) |Auf letzteren Mechanismus macht R. W. S m i t h
( D u b l i n quarlerly
Journal
1852, Mai) aufmerksam, nachdem er ihn in einem Falle beobachtet hat.
Die
Luxation war 8 Monate, bevor S m i t h den Patienten zu sehen bekam, durch das Auffallen einer 1 3 Centner schweren Kiste aus einer Höhe von
1Fuss
auf den stark gebeugten Oberschenkel des Kranken veranlasst worden.
Der-
selbe hatte nämlich jene Kiste, welche an einem Strick aus dem untern Schiffsraum emporgezogen wurde, mit aller Kraft in die gehörige Richtung schieben wollen und dazu angestemmt.
das eine Bein mit
flcctirtem
und vorwärts geneigtem Knie
Der Fuss glitt, durch die erwähnte Last getroffen, plötzlich nach
Hinten, wo die Ferse aber alsbald einen Widerstand fand, während der Druck, den die Kiste noch ferner ausübte, den Unterschenkel immer stärker nach Vorn drängte.| ' ) Fig. 145 zeigt neben einer Luxation nach Innen mit Bruch der beiden Malleolen eine Dislocation des Fusses nach Vorn.
Doch mussten hier die Verwü-
stungen in den Weichtheilen sehr erheblich sein und namentlich war die hier nur mit einem Striche angedeutete Haut sehr bedeutend zerrissen.
782
Krankheiten der Gelenke.
nach Oben zwischen die beiden Malleolen; dies haben einige Autoren Luxation nach Oben genannt. Fig. 76 (pag. 510) zeigt diese Art von Dislocation, welche ohne Complication mit' Bruch der Unterschenkel-Knochen nicht Statt finden kann. Prognose. Streng genommen kann man jede Luxation des Fusses eine complicirte und daher bedenkliche nennen; denn meistens sind zugleich die Unterschenkel-Knochen gebrochen, oder die Weichtheile zerrissen; es ist noch als ein glückliches Ereigniss zu betrachten, wenn nicht ein Knöchel oder der Talus sie zugleich durchbohrt. Die Prognose wäre noch viel bedenklicher, stutzte sie sich nur auf Erwägung der anatomischen Verhältnisse, denn bei dieser Festigkeit der Articulation möchte man solche Dislocationen zu den allergefährlichsten rechnen, namentlich wenn sie mit Wunden des Gelenkes und Austritt der Knochen verbunden sind. Und doch würde man irren; denn durch vielfache Beobachtungen steht heutigen Tages fest, dass diese Verletzungen, obgleich immer sehr übel, bei Weitem nicht die schlimme Bedeutung haben, welche sie haben würden, wenn sie in ähnlichem Grade andere Gelenke beträfen. Welch ein Unterschied ist z. B. nicht zwischen einer offenen Wunde des Fussgelenkes und einer solchen des Kniegelenkes, welche in Folge einer Luxation der Tibia, oder selbst eines Bruches der Kniescheibe entstand. Dennoch ist eine sorgfältige Ueberwachung des Verwundeten unerlässlich, denn man hat nicht selten Eiterungen, Brandbildung und tödtliche Nervenzufälle nach Verrenkungen des Fussgelenkes beobachtet, namentlich bei gleichzeitiger Durchbohrung der Haut durch die Knochen. Die häufigste, obgleich glücklicherweise die wenigst üble Complication der Verrenkungen des Fussgelenkes ist das Blutextravasat, eine Folge der Zerreissung der zur Bildung des Gelenkes beitragenden, oder dasselbe umgebenden Weichtheile. Die Grade der Luxationen des Fussgelenkes sind sehr verschieden, von der einfachen, mit jedem Bruche eines Knöchels verbundenen Abweichung bis zum völligen Austritt des Talus. Die Prognose richtet sich aber hauptsächlich nach dem Grade der Luxation, sowol in Hinsicht auf primäre Zufälle, als auf die weiteren Folgen; mehr oder weniger vollkommene Luxationen hinterlassen immer Steifigkeit des Gelenkes, oder eine solche Erschlaffung, dass das Gehen sehr schwer und ermüdend ist. Die Luxationen nach ninten und nach Vorn werden für weniger gefährlich gehalten, weil die Dislocation geringer ist; indess sind die seitlichen auch bei vollkommen gleicher Dislocation nicht
Verrenkungen des Fusses.
783
im Geringsten gefährlicher. Wie selten mag übrigens die Luxation nach Hinten und nach Vorn beobachtet worden sein ohne gleichzeitige Brüche der Knöchel und Zerreissungen nicht blos der hinteren und vorderen, sondern auch theilweise der seitlichen Ligamente. In Betreff der Prognose der Complicationen ist dasjenige zu vergleichen, was im allgemeinen Theil über die Complicationen der Luxationen gesagt wurde. Die Luxationen der Fusswurzelknochen, auf welche wir sogleich zurückkommen werden, gehören ebenfalls zu den hier zu berücksichtigenden Complicationen. B e h a n d l u n g . In den meisten Fällen vollkommener seitlicher Luxationen des Fusses ist die Reposition ziemlich leicht Auf mehr Hindernisse trifft man bei manchen unvollkommenen Luxationen, namentlich bei denen nach Vorn und nach Hinten, nach der gewöhnlichen Ansicht. Vidal hat entgegengesetzte Erfahrungen gemacht, indem er zwei Luxationen des Fusses nach Hinten mit der grössten Leichtigkeit reponirte; während es schwer war, die Wiederkehr der Dislocation zu verhindern, wegen der Contraction der mit dem Tendo Jckillis verbundenen Muskeln. Doch muss bemerkt werden, dass in beiden Fällen der innere Knöchel abgebrochen war. Zum Zwecke der Reposition wird der Kranke gelagert, Unterund Oberschenkel in starker Flexion; ein starker Gehülfe umfasst das obere Ende des Unterschenkels, ein zweiter gleich starker ergreift den Fuss und zieht ihn nach der Richtung der Dislocation; fühlt er einen Widerstand überwunden, so sucht er die Planta pedia bei der Luxation nach Innen auf die innere Seite, bei der nach Aussen auf die äussere zu führen; bei der Luxation nach Hinten schiebt er den Fuss nach Vorn und bei der nach Vorn in umgekehrter Richtung, wobei im ersten Falle der Fuss ein wenig gebeugt, im zweiten etwas gestreckt wird. Nach vollbrachter Reposition wird der Verband wie filr Unterschenkelbruche und nach Maassgabe des Falles mit der Dupuytren'schen Modification angelegt. (Vergl. die Fracturen des Wadenbeins.) A. V e r r e n k u n g e n de* T a l i u {Aalragalu»).
Bei den eben abgehandelten Verrenkungen war der Astragalus aus seiner Verbindung mit dem Unterschenkel luxirt, hatte aber seine Verbindungen mit den übrigen Fusswurzel-Knochen behalten. Bei der jetzt zu betrachtenden Luxation ist er nicht blos aus seiner Gelenkgrube am Unterschenkel, sondern auch aus der Aushöhlung des Kahnbeins gewichen, so dass nicht nur seine obere Gelenkfläche, sondern auch sein Kopf die. normale Stellang verlassen bat
784
Krankheiten der Gelenke.
A r t e n . Man nimmt vier Formen der Luxation des Talus an: 1) Nach V o r n . Die obere Gelenkfläche und der Kopf des Knochens bilden auf dem Fussrücken einen Vorsprung. 2) Nach I n n e n . Der Kopf dringt am inneren Fussrande vor. 3) Nach A u s s e n . Der Kopf erscheint am äusseren Fussrande. 4) U m d r e h u n g . Der Talus ist um seine (von einem Knöchel zum andern gehende) QuerAxe gedreht ( R o g n e t t a ' s Luxation en sens dessus-dessous, drüber und drunter). Die ersten drei Formen sind, wie sich sogleich zeigen wird, auf eine zu reduciren. A e t i o l o g i e und M e c h a n i s m u s . Eine Gewalt, welche die Verbindungen zwischen dem Astragalus und den übrigen FusswurzelKnochen und zwischen ihm und der Tibia löst, kann nur von der letzteren übertragen werden, — hieraus erklärt sich die grosse Seltenheit dieser Dislocation bei Kindern und Greisen. Denn der Hebel wird durch den längsten Knochen (tos Unterschenkels gebildet und dieser widersteht dem Stosse gewöhnlich nicht, sondern bricht eher, als er ihn dem Astragalus mittheilt. Die Entstehung dieser Verrenkung setzt entweder einen heiligen Sturz auf den Fuss, oder eine bedeutende Gewalt voraus, welche bei unbeweglich feststehendem Vorfuss denRumpf und den Unterschenkel nach Hinten drängt; überdies muss die Streckung desFusses so stark sein, dass die Längenachse des Unterschenkels mit der Längenachse des Fussrückens fast in derselben Linie liegt. So findet man z. 8. diese Luxation nach einem Sturze von bedeutender Höhe; seilen nach dem Aufschlagen sehr schwerer Körper auf den Fuss; zuweilen, wenn der Fuss zwischen zwei Speichen eines sich bewegenden ilades geräth, oder wenn beim Fall vom Pferde der Fuss im Steigbügel hängen bleibt, oder endlich bei einem Falle von der Treppe, wenn der Fuss zwischen zwei Stäbe des Geländers geräth. Der Mechanismus dieser Luxation ist folgender. Die übermässige Extension des Fusses zerreisst zunächst das Ligamentum, anterius und lässt so die Gelenkfläche des Astragalus nach Vorn Uber den entsprechenden Rand der Tibia hinweggleiten; dadurch stösst der äussere Knöchel auf das Fersenbein, zerbricht und erleichtert dadurch noch den Austritt des Fusses nach Vorn; endlich wird der Astragalus dadurch, dass der hintere Rand der Tibia auf seklen hinteren Rand drückt, stark nach Vorn und zugleich von Unten nach Oben getrieben, so dass dadurch sein Kopf in die Höhe gedrängt, das Ligamentum astragalo-naviculare zerreisst und aus der Gelenkhöhle des Kahnbeins heraustritt. So entsteht die Luxation nach Vorn, deren Bestehen eine nothwendige Bedingung der übrigen ist.
788
Verrenkungen de» Talus.
Aus dieser, als der Grundform, bilden sich die übrigen Arten in folgender Weise. Sobald der Astragalus, sei es durch Fall des Körpers oder irgend eine andere Ursache vor die Gelenkhöhle des Unterschenkels getrieben ist, ändert der Hebel seine Richtung und wirkt schräg nach Aussen oder nach Innen, so dass der schon einmal luxirte Knochen nochmals nach einer dieser Richtungen ausweicht utod der Kopf des Astragalus auf einer oder der andern Seite des Fusses hervortritt. Man kann sich einen Begriff von der Gewalt der luxirenden Ursachen machen, wenn man bedenkt, dass die Unterschcnkel-Knochen dem Astragalus sogar eine Drehung ertheilen können, so dass das Oberste zu Unterst gekehrt wird. Wenn nämlich die Tibia als Hebel den Astragalus nach Vorn treibt, so erhebt sich der Kopf dieses Knochens, indem er die Haut vor sich s p a n n t Die Weichtheile aber, namentlich die Sehnen, widerstehen durch ihre eigenthUmliche Elasticität in der Art, dass der Körper des Astragalus nach Vorn getrieben wird; der Widerstand aber ist nach den Zehen zu viel kräftiger als an dem Spanne des Fusses; — dadurch wird der aufwärts gedrängte Kopf des Astragalus rückwärts geschoben und so ist es möglich, dass der ganze Knochen geradezu umgekehrt werden kann. — Aus der eben gegebenen Beschreibung geht hervor, dass die Luxationen des Astragalus im engsten Zusammenbange mit den früher beschriebenen Luxationen stehen, in so fem sie eigentlich nur als Complicationen der Luxation des ganzen Fusses anzusehen sind. Denn die Existenz der Luxationen des Astragalus für sich allein setzt voraus, dass nach dem Austritte dieses Knochens nach Vorn die Unterschenkel-Knochen gerade auf das Fersenbein zurückgingen und sich hier feststellten. — Die Luxationen des Astragalus können auch unvollständig sein, so dass nur ein Theil seiner Gelenkfläche, oder ein Theil des Kopfes nach Oben oder seitlich am Fusse hervortritt. S y m p t o m e . Aus dem bisher Gesagten geht die ganze Syraptomologie der Luxation nach Vorn eigentlich schon von selbst hervor. Der Kopf des Astragalus auf dem Kahnbein oder einem der keilförmigen Beine stehend, bildet eine harte Geschwulst auf dem Fussrücken, während gleichzeitig der Fuss, je nach der Richtung der oberen Gelenkfläche jenes Knochens, nach Innen oder nach Aussen abweicht. Bei seitlichen Luxationen erscheint jene harte Geschwulst auf den Seiten des Fusses vor dem äussern oder innern Knöchel, je nachdem die Luxation eine äussere oder innere ist. Bei der äussern ist ein wenig hinter der Geschwulst Crepitation fühlbar, welche von dem zerbrochenen Wadenbein-Knöchel h e r r ü h r t GeY i d a l ' s Chirurgie. II.
50
K r a n k h e i t e n d e r Gelenke.
•wohnlich findet man Ecchymosen auf dem Fussrücken mit oder ohne gleichzeitige Zerreissung der Integumente; in einzelnen Fällen sind die sämmllichen, den vorderen Theil des Astragalus bedeckenden Weichtheile zerrissen und ein mehr oder minder erheblicher Theil dieses Knochens tritt nach Aussen hervor. ') Diese Dislocationen können den bekanntlich mit einem Kopfe und einem Halse versehenen Astragalus in solche Lage bringen, dass er fest eingekeilt wird und jede Beweglichkeit aufhört. Es ist dies ein grosser Uebelstand, da alsdann die Reduction unmöglich wird oder nur durch Handgriffe bewirkt werden k a n n , welche gefahrbringend sind. So hat man den Kopf oder eigentlich den Hals in der Aushöhlung zwischen Kahn- und Fersenbein gefunden. D u p u y t r e n fand den hinteren Rand der oberen Gelenkfläche des Talus an die Gelenkfläche des Schienbeins fest angestemmt. In andern Fällen wird der nach Aussen gedrehte Hals durch den äusseren Rand der oberen Gelenkfläche des Fersenbeins festgehalten. Ausserdem giebt es noch andere Einklemmungsarten, deren Beschreibung aber um so mehr unterbleiben kann, als sie durch kein eigenthümliches Symptom am Lebenden erkannt werden können. P r o g n o s e . Diese Luxation darf nie als unbedeutende Verletzung betrachtet werden. Ueber die gleichzeitigen Zerstörungen Fig.
146.
' ) Fig. 1 4 6 giebt ein deutliches Bild der bei einer Luxation des Astragalus nach Aussen (mit Bruch
des Malleolus
internus)
ein-
t r e t e n d e n F o r m v e r ä n d e r u n g des F u s s e s . In diesem Falle w a r die Reposition unmöglich. Die Extension w u r d e im Augenblicke
der
E n t s t e h u n g d u r c h fünf Personen vergeblich versucht, und Hause
nachdem
gebracht
wiederholt.
war,
der K r a n k e eben
so
nach
vergeblich
Diese etwas ü b e r t r i e b e n e n Re-
positionsversuche riefen eine Ulceration herv o r , welche
erst nach
langer Zeit heilte.
Die dargestellte DilTannität verblieb; möchte
sie
einem
Die Zehen
sind
gerichtet.
Sowol
Klumpfuss
nach Innen
man
vergleichen. und
abwärts
im Knöchelgelenke (Ge-
schwulst o ) , als auch zwischen dem luxirten Astragalus ( G e s c h w u l s t Zehen) chen rück.
und
blieb Vergl.
n ä h e r a n den
den
übrigen
Fusswurzelkno-
eine
geringe
Beweglichkeitzu
A.
tions and fractures
Cooper,
On
etc. pag. 322.
disloca-
78?
Verrenkungen des Talus.
der weichen u n d harten Gebilde und Uber die Schwierigkeiten der Reposition, namentlich bei E i n k l e m m u n g e n , ist schon worden.
gesprochen
W e n n die Reposition nicht gelingt, so zieht diese Luxa-
tion alle üblen Folgen schwerer Contusionen
und
Gelenkwunden
nach sich, oder hinterlässt doch eine Difformität, durch welche der Gang sehr behindert wird.
Difformität und Behinderung des Gehens
können in denjenigen Fällen, wo die Reposition wenigstens theilweise gelang, viel geringer sein, wie dergleichen Beispiele aus der Praxis D u p u y t r e n ' s bekannt sind. Aber neben glücklich verlaufenen Fällen in dieser Praxis steht unter andern der Fall eines j u n g e n Mädchens, deren Gang so schwierig und schmerzhaft blieb, dass
Dupuytren
sich zur Exstirpation des Astragalus entschliessen musste. B e h a n d l u n g . Alles was Uber den energischen Gebrauch antiphlogistischer Mittel bei Luxationen zeitigen Fracturen seine Geltung.
des Fussgelenkes mit gleich-
des Wadenbeins gesagt w u r d e , hat auch
hier
Bei der R e p o s i t i o n verfährt man nach R o g n e t t a
folgender Maassen.
Hüft- u n d Kniegelenk werden gebeugt, u m die Diese doppelte Flexion
Muskeln des Unterschenkels zu erschlaffen.
kann durch eine Bandage erhalten werden, welche man aus einem zusammengelegten
Betttuche bildet, unterhalb der Wade
Uberlegt
und mit den beiden Enden durch einen an der Mauer befestigten eisernen Ring zieht, wie solches D u p u y t r e n
zu machen pflegte;
aber es genügen auch die Hände zweier Gehülfen, welche, auf dem Bette des Kranken stehend, das Knie möglichst emporhalten.
An-
dere Gehülfen umfassen den unteren Theil des Unterschenkels o b e r halb der Knöchel Behufs der Contracxtension, wclche übrigens auch durch ein als Binde zusammengelegtes und oberhalb der Knöchel befestigtes Tuch ausgeführt werden kann, dessen beide E n d e n von den Seiten h e r nach Hinten gezogen w e r d e n .
Die eigentliche Exten-
sion m u s s auf das Fersenbein und den Mittelfuss w i r k e n , zu welchem Zwecke ein zusammengelegtes Tuch von der Ferse aus
auf
den FussrUcken geführt wird, woselbst man die Enden kreuzt u n d mit einer Binde befestigt; an diesen Enden werden Gehiilfen zum Ziehen angestellt.
Bei dieser Kreuzung der E x t e n s i o n s - B a n d a g e n
ist aber darauf zu sehen, dass sie nicht auf die von dem luxirten Astragalus gebildete Geschwulst gelegt werde, weil hier der Chirurg seine Repositions-Versuche machen muss.
Ist der Astragalus nicht
eingekeilt, so reichen f ü r die Extension die Hände eines Gehülfen a u s , deren eine den Fuss hinter der F e r s e , die andere vorn dem T a r s u s u n d Metatarsus ergreift.
auf
I m m e r m u s s die Extension
allmälig, ohngefähr in der Art eines Stiefelziehers wirken, u n d lange
50*
Krankheiten der
fortgesetzt w e r d e n . führen,
Um n u n
Gelenke.
die Coaptation
stellt d e r C h i r u r g sich
zweckmässig
auszu-
auf die ä u s s e r e Seite d e s Gliedes
u n d u m f a s s t den luxirten F u s s mit b e i d e n H ä n d e n , so d a s s die vier F i n g e r u n t e r die F u s s s o h l e u n d d e r D a u m e n v o r die v o m A s t r a g a l u s gebildete G e s c h w u l s t zu liegen k o m m e n . er während Astragalus
der
Auf diese W e i s e s u c h t
von d e n Gehiilfen a u s g e f ü h r t e n E x t e n s i o n e n
an seinen Platz zu d r ü c k e n .
den
W e n n diese Art d e r R e -
position erfolglos bleibt, so setzt d e r C h i r u r g bei fortgesetzten E x tensionen
die Fläche
seiner Handwurzel
auf die Geschwulst
d r ü c k t mit aller Kraft den A s t r a g a l u s z u r ü c k .
und
Noch k r ä f t i g e r w i r k t
das Knie d e s C h i r u r g e n ; u m es a n z u w e n d e n , wird d e r K r a n k e auf eine an die E r d e gebreitete Matratze gelegt, Extension u n d C o n t r a e x t e n s i o n in obiger W e i s e a u s g e f ü h r t ; d e r C h i r u r g u m f a s s t mit d e r e i n e n H a n d die Z e h e n , mit d e r a n d e r n d e n u n t e r e n Theil des U n t e r s c h e n k e l s , setzt n u n sein Knie auf d e n luxirten Astragalus u n d d r ü c k t ihn an seine Stelle. Diese e b e n g e n a n n t e Methode mit d e m Knie war die einzige, w o d u r c h P e t r o n t i in Neapel in einem s c h w i e r i g e n Falle d e n Astragalus
an s e i n e Stelle z u r ü c k b r a c h t e .
die V e r r e n k u n g eine seitliche i s t , s t r e b u n g e n dahin g e h e n , w e l c h e letztere
Wenn
so m ü s s e n alle R e p o s i t i o n s - B e -
dieselbe in
eine v o r d e r e zu v e r w a n d e l n ,
sich viel leichter r e p o n i r e n
lässt.
Die B e d e u t u n g
dieser Vorschrift wird besonders einleuchtend, wenn man bedenkt, d a s s alle seitlichen L u x a t i o n e n d e r L u x a t i o n nach Vorn Complicationen.
d e s Astragalus
secundäre
Formen
sind.') Von den Complicationen d e r L u x a t i o n d e s
A s t r a g a l u s ist s c h o n bei d e r S y m p t o m a t o l o g i e u n d bei d e r P r o g n o s e die R e d e g e w e s e n ; sie k ö n n e n d e n Arzt in die N o t w e n d i g k e i t v e r setzen, e n t w e d e r die A m p u t a t i o n des F u s s e s , o d e r die E x s t i r p a t i o n des Astragalus vorzunehmen. Verworfen, —
Die A m p u t a t i o n wird im Allgemeinen
von einigen Aerzten s o g a r in den F ä l l e n , wo e i n e r
o d e r m e h r e r e F u s s w u r z e l k n o c h e n mit d e m Astragalus zugleich
ent-
b l ö s s t , b e d e u t e n d e Z e r r e i s s u n g d e r S e h n e n u n d selbst da wo B r a n d e i n z e l n e r Stellen des F u s s e s a u f g e t r e t e n i s t . * ) N u n f r a g t es sich n o c h , ob in d e n w e n i g e r s c h l i m m e n Fällen die sofortige Exstirpation des A s t r a g a l u s angezeigt ist, o d e r ob m a n b e s s e r t h u t , exspectativ zu v e r f a h r e n u n d v o r e r s t t o p i s c h e u n d
an-
tiphlogistische Mittel, eine r u h i g e Lage, kurz die B e h a n d l u n g
com-
plicirler F r a c t u r e n a n z u w e n d e n .
ohne
' ) R o g n e t t a , Archives
de médecine.
' ) Vergl. B é r a r d , im Diclionn.
Wenn
í¡. Serie.
en trente
die Reposition
noch
Paris 1833. T. III. p. 485.
voluntes,
nouv.
édit. T. XIV. p. 471.
789
V e r r e n k u n g e n des T a l u s .
zu heftige Eingriffe möglich erscheint, der Knochen dabei hinlängliche Verbindungen mit den Weichtheilen behalten hat, abzusterben, so thut man besser, ihn zu l a s s e n . ' )
um nicht
Wenn aber bei
penetrirenden Wunden, bei Zerreissung von Bändern und Sehnen die Schwierigkeiten der Reposition augenfällig und überdies die Verbindungen des Astragalus so zerstört sind, dass dieser Knochen nur noch als fremder Körper, gleichsam als Knochensplitter, zu betrachten ist; dann ist die Exstirpation sofort vorzunehmen, denn sie ver-
-')
A. C o o p e r
e r z ä h l t f o l g e n d e n m e r k w ü r d i g e n Fall e i n e r
Luxa-
t i o n des A s t r a g a l u s in Folge eines S t u r z e s vom P f e r d e , d e r e n R e p o s i t i o n
(I. c. p a g . 3 2 3 )
nicht
möglich w a r , u n d bei w e l c h e r d e r O r g a n i s m u s die A u s s t o s s u n g des allein b e w i r k t e .
D e r Fall
geschah
a m 2 4 . Juli 1 8 2 0 ;
Knochens
ein C h i r u r g
erfolglos die R e p o s i t i o n u n d A. C o o p e r u n t e r s u c h t e den K r a n k e n
versuchte a m folgen-
d e n Tage, wobei sich eine L u x a t i o n des A s t r a g a l u s n a c h O b e n u n d I n n e n , zugleich ein B r u c h des W a d e n b e i n s n a h e ü b e r d e m G e l e n k e e r g a b .
und
Der A s t r a -
galus s p a n n t e die H a u t in d e m M a a s s e , d a s s eine l e i c h t e I n c i s i o n ihn
entblösst
h ä t t e , u n d da die R e p o s i t i o n u n m ö g l i c h w a r , so d a c h t e m a n A n f a n g s a n die s o fortige E x s t i r p a t i o n ;
i n d e s s k a n n t e C. die (Hilfsquellen d e r N a t u r u n d
n u r die ü b r i g e n C h i r u r g e n
darauf auf-
m e r k s a m , d a s s die den K n o c h e n kende
Haut
wahrscheinlich
ulceriren w ü r d e ,
bedek-
von
wodurch
selbst
alsdann
Exstirpation gerechtfertigt wäre.
die
Diese
U l c e r a t i o n d e r Haut, t r a t a m 1 6 . A u g u s t auf d e r S p i t z e des A s t r a g a l u s ein, u n d h a t t e sich bis z u m 2 0 . so
ausgedehnt,
dass
lag.
der
Astragalus
bloss
Elimination wurde nach
Seine
u n d n a c h vor-
b e r e i t e t d u r c h die eitrige S c h m e l z u n g d e r B ä n d e r u n d als den Knochen
Cooper
am 2 5 . Oct.
vollkommen
frei
liegend
f a n d , b e d u r f t e es n u r n o c h d e r T r e n n u n g weniger k l e i n e r l i g a m e n t ö s e r F a s e r n , u m ihn
mit
Im
December
der Kornzange erfolgte
fortzunehmen. unter
dungsschmerz noch etwas blätterung, nats
konnte
aber
Im O c t o b e r l 8 2 1 weglichkeit
am Ende
der Kranke im
Entzün-
Knochen-Abdieses
schon
Mo-
gehen.
w a r s c h o n e t w a s BeGelenk
wiedergekehrt,
welche seither immer grösser geworden ist.
Fig. 1 4 7 zeigt d e n , in Folge
Zerstörung
der
Weichtheile
durch
cerative E n t z ü n d u n g e n t b l ö s s t e n galus.
der ul-
Astra-
machte
790
Krankheiten der Gelenke.
einfacht die Verletzung.')
¡Die Erfolge der frühzeitigen Exstirpa-
tion des Astragalus (gleich nach der Verrenkung) sprechen,
nach
den
dem
genauen
Untersuchungen
von
Fig.
' ) Als Beispiel, wie die Verbindungen Exstirpation
Eine F r a u
keineswegs in
148.
des U n t e r s c h e n k e l s
des Astragalus
a c h t u n g gelten.
Broca,
mit dem F u s s e
nach
sich wieder herstellen, k a n n folgende Beob-
fiel von einer H ö h e von 1 0 F u s s h e r a b u n d ver-
r e n k t e sich den Astragalus nach I n n e n , wobei j e d o c h weder Tibia noch W a d e n bein gebrochen w a r . weg,
Thierry
n a h m den Körper des Astragalus (Fig. i 4 8 6)
Hess a b e r Kopf u n d Hals dieses Knochens z u r ü c k .
die Tibia auf den F u s s h i n a b ,
Darauf s e n k t e sich
füllte den e h e m a l s vom Körper des Astragalus
e i n g e n o m m e n e n R a u m aus u n d die F u n c t i o n e n des F u s s e s stellten sich wieder her. bei
Aber einer
da
die Kranke 60 J a h r e
durch
alt w a r ,
Gemüthsbewcgungen
so f ü h r t e d a s
heruntergekommenen
Allgeineinleiden
Constitution
den
Tod herbei, w o d u r c h es ermöglicht w u r d e , d u r c h Autopsie die Verbaltnisse zu u n t e r s u c h e n , welche die Tibia z u r W i e d e r h e r s t e l l u n g d e r Articulation gen w a r .
eingegan-
Der D u r c h s c h n i t t , welchen Fig. 1 4 8 a zeigt, ist vermittelst einer Säge
g e m a c h t , wcichc zwischen dem e r s t e n u n d zweiten Mittelfussknochen d u r c h das Os cuneifnrmt
I I , das Os navlculare,
lus, den Processus ging.
lateralis
die z u r ü c k g e b l i e b e n e Portion des
calcanet
Dieser D u r c h s c h n i t t zeigt,
u n d die u n t e r e Portion d e r Tibia wie die ( i h r e r Glätte b e r a u b t e )
Astragahindurch-
Gelenkdäche
d e r Tibia auf d e r abgesägten F l ä c h e des Astragalus r u h t , m i t welcher sie d u r c h B i n d e g e w e b s - S t r ä n g e verbunden w a r . nau eine nach der a n d e r n geformt.
Die beiden Oberflächen h a b e n sich geDie H ö h e des zurückgebliebenen
Stückes
vom Astragalus beträgt nach Hinten 2 0 u n d n a c h Vorn 8 Millimeter, so dass die Fussspitze ein wenig gehoben ist.
Die L ä n g e des Fusses blieb u n v e r ä n d e r t .
Vorder- u n d Hintertheil des F u s s e s h a b e n sich nicht wesentlich verändert, a b e r d e r U n t e r s c h e n k e l erschien k ü r z e r , d. h. die Knöchel standen 2 0 Millimeter niedriger.
Es w a r d e m n a c h der U n t e r s c h e n k e l gerade auf den F u s s
u n d h a t t e sich dort sehr s y m m e t r i s c h festgestellt. lung T h i e r r y ' s ,
L'expérience,
herabgesunken
(Auszug a u s einer A b h a n d -
1 8 4 0 , T. VI, pag. 1 7 . )
m
Verrenkungen des Ferienbeins.
Grade zu Gunsten dieser Operation, als man früher anzunehmen geneigt war. ') | 7. V e r r e n k u n g e n des F e r a e n b e l n a . ')
Luxationen des Calcaneus erfolgen entweder in seiner Gelenkverbindung mit dem Würfel- und Kahnbein, ohne dass sein Verbältniss zum Astragalus gestört ist, oder in seinem oberen und in seinem vorderen Gelenke zugleich. Jedoch muss im ersteren Falle auch der Kopf des Astragalus die Höhlung des Kahnbeins verlassen, weshalb aber diese Dislocation nicht etwa „Luxation des Astragalus" benannt wird, da letzterer Knochen seine normalen Verbindungen mit dem Fersenbein sowol, als auch mit der Gelenkhöhle des Unterschenkels behält. Wenn aber beide Dislocationen gleichzeitig vorhanden sind, so handelt es sich nicht mehr um eine einfache Luxation des Calcaneus, sondern um eine complicirte Verrenkung. Genau genommen ist hier der vordere Theil des Fusses von dem hintern luxirt, oder wie R o g n e t t a sich ausdruckt: Kahn- und WUrfelbein gleiten gleichsam reitend auf dem Sprung- und Fersenbein hin. Deshalb würde diese Dislocation, nach R o g n e t t a ' s eigenem Ausspruch, viel genauer als: Luxation des Vorderfusses von den beiden ersten (d. h. hintern) Fusswurzclknochen, bezeichnet werden. Bei der zweiten Art der Verrenkung ist das Wesentliche die Abweichung der oberen Fläche des Calcaneus von der unteren Fläche des Astragalus, wodurch aber zugleich eine Abweichung des Calcaneus vom Os euboideum und Os scaphoideum bedingt wird. Die Luxationen des Vorderfusses können seitlich oder nach dem Rücken, oder nach der Sohle des Fusses zu Statt finden. Die seitlichen Abweichungen sind die hKufigsten, denn wenn bei feststehendem Vorderfuss der Körper seitlich oder nach Hinten Ubergeworfen wird, so weicht die zweite Reibe der Fusswurzelknochen leichter seitlich aus, als nach Oben oder nach Unten. Die N8he des Fussgelenkes könnte die Luxation des Würfel- und Kahnbeins mit einer Verrenkung des ersteren verwechseln lassen; doch erkennt man jede Luxation der vorderen Fusshaifte daran, dass Fersen- und Sprungbein in ihrer normalen Verbindung mit dem Un') ¡Unter 3 6 frühzeitigen Operationen der Ouz.
den Höpil.
führten 9 zum Tode.
Vergl. B r o c a ,
vom 13. und 2 2 . i u l i und 7. August 1 8 5 2 , u n d
in
Can-
s t a t t ' s Jahresbericht für 1 8 5 2 , Bd. IV, pag. 75. | *) Diese sehr seltene Dislocation ist namentlich von R o g n e t t a rale/
(Archive»
gene-
1 8 3 3 ) mit besonderem Fleisie behandelt worden, aus dessen Arbeit wir
hier schöpfen.
792
Krankheiten der Gelenke.
terschenkel geblieben sind und dass ferner an den beiden Knöcheln nichts Abnormes wahrzunehmen ist. Mag nun die Luxation der Fusswurzel eine innere oder äussere, eine nach Oben oder nach Unten sein, immer wird die Berücksichtigung der Verbindungen der Knöchel mit Fersen- und Sprungbein es nach dem Ausspruche R o g n e t t a ' s leicht machen, die Luxation der Fusswurzel von derjenigen des ganzen Fusses zu unterscheiden. Nach R o g n e t t a reicht sogar die einfache Besichtigung hin, um die Richtung der Ausweichung der Fusswurzel zu bestimmen. Bei der zweiten Art der Verrenkung (der eigentlich allein wahren Luxation des Calcaneus) treten zwei Reihen von Symptomen auf, gleichviel, ob die TuberositSt des Fersenbeins nach Innen oder nach Aussen ausgewichen ist: 1) das Vortreten der Tuberositas calcanei an der inneren oder äusseren Fussseite, und 2) das theilweise Verschwinden des Fersen-Vorsprungs sammt der AchillesSehne. — Die dislocirende Gewalt muss bei der Verrenkung des Fersenbeins nach Innen begreiflicher Weise auf die innere Seite seiner hinteren Tuberosität einwirken und diese nach Aussen treiben. Die Achilles-Sehne ist dann nach derselben Richtung verschobep und die Tiiberositas calcanei steht mehr oder weniger in der Linie des äusseren Knöchels etwas nach Oben gerückt, während der Processus lateralis calcanei am inneren Fussrande und vor dem inneren Knöchel einen Vorsprung bildet. Die Dislocation der Gelenkfläche des Calcaneus nach Aussen bietet entgegengesetzte Erscheinungen dar. ( R o g n e t t a . ) B e h a n d l u n g . Behufs der Reposition der Fusswurzel müssen die Muskeln des Fusses und des Unterschenkels erschlafft, die Ferse, das Sprungbein und der untere Theil des Unterschenkels fixirt und längere Zeit fortgesetzte Tractionen auf den vorderen Theil des Fusses ausgeübt werden. Zu letzteren bedarf es aber kräftiger Hände, deren vier letzte Finger auf der Fusssohle, die beiden Daumen aber auf dein Fussrücken angelegt werden. Behufs der Coaptation lässt der Chirurg die Fusswurzel eine Rotationsbewegung nach der der Dislocation entgegengesetzten Richtung machen, wenn diese nämlich nach einer S e i t e hin Statt findet. Ist aber die Luxation einfach nach Oben oder Unten, so muss mit der direeten Extension eine entsprechende Coaptation verbunden werden, indem man mit den Fingern einen kräftigen Druck auf die dislocirten Knochen ausübt. In Fällen sehr schwieriger Reposition dürfte es stets zweckmässig sein, die Züge an beiden Hälften des Fusses nach entgegengesetzter Seite zu machen, wie auch M o n t e g g i a räth;
793
Verrenkungen des Fersenbeins.
wenn aber die Reposition unausführbar ist, so milsste man frühzeitig Maschinen anwenden, wie sie für die verschiedenen Arten der KlumpfUsse gebräuchlich sind. Ueber die Reposition der zweiten Art s a g t A m b r o i s e P a r é : „Um die Reposition zu bewirken, inuss man ziehen und die Knochen an ihren gehörigen Ort bringen, was, wenn nicht bedeutende Entzündung vorhanden ist, leicht geschieht. Der Verband muss hier stärker, als anderswo, auf die kranke Stelle drücken, um das Blut aus dem Orte der Verletzung weg in die Nachbartheile zu treiben." ') In einem von C o o p e r angeführten Falle von Luxation des Calcaneus wurde der Unterschenkel an den Oberschenkel gedrückt und dieser im rechten Winkel zum Becken gebeugt; darauf wurde mit einer Hand der Mittelfuss und mit der andern die dislocirte Ferse ergriffen und beide in der Richtung des Unterschenkels langsam angezogen. Während dessen drückte der Chirurg C l i n e mit seinem Knie gegen den dislocirten Knochen und alle Theile gingen an ihre gehörige Stelle zurück, so dass der Fuss wieder in seinen normalen Zustand kam. Einen ähnlichen Fall mit eben so leichter Reposition berichtet G r e e n . ' ) 8. V e r r e n k u n g d e s M l t t e l f a u e s TelenhSteifigkeit,
Anhylosis.
So wird allgemein die fest gewordene Verbindung der GelenkEnden zweier Knochen unter einander und der daraus hervorgehende mehr oder weniger vollkommene Verlust der Bewegung des Gelenkes bezeichnet. Man unterscheidet vollkommene und unvollkommene Ankylose '), je nachdem die Beweglichkeit des Gelenkes gänzlich oder nur zum grossen Theil unmöglich ist. Bei Weitem vorzuziehen ist diejenige Eintheilung, welche sich auf die anatomischen Thatsachen stützt. Diese lehren uns, dass die Bewegungen eines Gelenkes aufgehoben sein können: entweder durch pathologische Veränderungen i n n e r h a l b , oder durch pathologische Veränderungen a u s s e r h a l b der Gelenkkapsel. Erstere bestehen in Verwachsung der beiden die Gelenk-Enden überziehenden Svnovialhäute, oder in Zusammenlöthung der Knochen-Enden, nach Zerstörung ihrer knorpeligen Ueberzüge, oder endlich in bedeutenden Unebenheiten der Gelenkflächen. Die pathologischen Veränderungen ausserhalb der Kapsel beziehen sich auf die dasselbe umgehenden Gewebe, Bänder, Sehnen, Muskeln etc. Auf diese Thatsachen gestützt unterscheiden wir: 1) Ankylosis inlracapsularis s. vera, 2 ) Ankylosis extracapsularis s. spuria. Es bedarf wol kaum der Erwähnung, dass beide zugleich bestehen können. Beide sind Ausgänge der Gelenk-Entzündung; eine besondere Angabe der Aetiologie derselben ist daher unnöthig. 1) Atiky losis intracapsularis. Sie zerfällt in zwei Unterarten. Bei der ersteren wird die Verschmelzung der beiderseitigen ') Vergl. J. Cloquet in Dictionn. en 30 vol., nouv. ¿dit. T. III.
Gelenksteifigkeif.
821
Gelenk-Enden, entweder durch directe Verwachsung, oder durch ein Exsudat bedingt, welches sie mit einander verbindet. Letztere Unterart könnte man füglich „membranöse Ankylose" nennen. Sie ist besonders die Folge von äusseren Einwirkungen, wie: Contusionen, Distorsionen, Luxationen, Fracturen in der Nähe der Gelenke, Gelenkwunden, kurz von Allem, was direct oder indirect die Synovialhaut in Entzündung versetzen kann. Diese Haut liefert dann ein Faserstoff-Exsudat, welches sich verdichtet und in Form von Bändern oder Strängen organisirt, wie ein pleuritisches oder peritoneales Exsudat. Die Absonderung der Synovia hört auf; die Verwachsungen befestigen sich immer mehr, sind mehr oder weniger zahlreich und gehen nach verschiedenen Richtungen. Sie nehmen entweder das ganze Gelenk ein — vollkommene Zusammenlöthung; oder sie finden sich nur an einzelnen Stellen — partielle Zusammenlöthung. In letzterem Falle kann in einigen Gelenken noch eine gewisse Beweglichkeit zurückbleiben. Eine Enarthrose, ein Ginglymus können dadurch zu einer Amphiarthrose herabsinken, was dann immer noch einige Hoffnung auf vollständige Heilung übrig lässt. Ohne Zweifel handelte es sich um eine solche Verwachsung in dem überall angeführten Falle von J o b von M e r k r e n . Die Ankylose befand sich am Ellenbogen-Gelenk, und der Kranke, nachdem er einen heftigen Fall auf den Vorderarm gethan hatte, bemerkte, dass die Bewegungen des Gelenks täglich leichter und ausgedehnter wurden, bis sie endlich sich ganz wieder herstellten. Wahrscheinlich wurden die Verwachsungen durch den Fall zerrissen. An diese Art der Ankylose schliesst sich die Verknöcherung der Faserknorpel. Sie ist Eigenthum des höheren Alters und kommt vorzugsweise an den Symphysen der Wirbel- und der Beckenknochen vor; auch sie kann man als ein Herabsinken der schwach beweglichen Verbindung (Symphysis) zu einer vollkommen unbeweglichen (Synostosis) betrachten. Die zweite Unterabtheilung der intracapsulären Ankylose kann man die „knöcherne" nennen. Da hier die Verwachsung vom Knochen unmittelbar ausgeht, sich folglich die Gelenk-Enden ohne Zwischensubstanz, wie die Knochen-Enden bei einem Bruche zusammenlöthen, so folgt hieraus, dass. die Gelenkknorpel verschwunden und die subcartilaginöse Knochensubstanz bloss gelegt sein muss. Darum setzt diese Ankylose tiefere Zerstörungen des Gelenks voraus, als die erstere Forin. Während es bei jener nur einer Entzündung der Synovialhaut bedurfte, war zur Entstehung der letzteren eine Ostitis nothwendig. Sie erscheint daher auch
822
Krankheiten der Gelenke.
nach Caries u n d Nekrose der G e l e n k - E n d e n , tödtüch w e r d e n .
sofern diese nicht
Die anatomische U n t e r s u c h u n g der so z u s a m m e n -
gelötheten Knochen weist in der ersten Zeit eine fleischige, röthliche Masse von verschiedener Dicke n a c h , welche mitunter
noch
von fistulösen Gängen durchzogen ist, namentlich w e n n nach einer Nekrose Sequester zurückgeblieben sind.
Wenn
man aber
später
nach beendigter Verknöcherung den Knochen der Länge nach durchsägt, so ist jede Begrenzungslinie zwiFlg
-
sehen den f r ü h e r e n Gelenkflächen verschwunden
und
die beiden* Knochen
bilden n u r einen einzigen (Fig. 149). 1 ) Die Unheilbarkeit einer solchen Ankylose geht
aus
diesem
Umstände
mit
grosser Wahrscheinlichkeit hervor. Statt dieser Verschmelzung
findet
man bei der knöchernen intracapsulären Ankylose zuweilen
Knochen-Aus-
wüchse und Vertiefungen auf den Gelenkflächen, welche durch ihr genaues Ineinandergreifen die Gelenk-Enden unbeweglich mit einander verbinden.
So
kann z. B. bei manchen Krankheiten
des
Kniegelenks,
welche den Unterschenkel lange Zeit in der gebeugten Stellung u n beweglich erhalten, die Tibia d u r c h a n d a u e r n d e n Druck solche Aushöhlungen
in den Condylen des Oberschenkels bilden,
dass jede
Streckung des Unterschenkels unmöglich wird. Nun fragt es sich n o c h , ob die erste Art der intracapsulären Ankylose in die zweite übergehen könne.
Die P s e u d o m e m b r a n e n
können nach und nach fester w e r d e n ; es können sich Kalksalze in ihnen ablagern, sie können wirklich verknöchern.
W e n n aber die
K n o c h e n - E n d e n wirklich verschmelzen, so ist es wahrscheinlicher, dass P s e u d o m e m b r a n e n und Knorpel zerstört wurden, u n d dadurch die Substanz der beiden Knochen in unmittelbare B e r ü h r u n g kam. Jedenfalls aber lehrt die E r f a h r u n g , dass bei der ersten F o r m , j e länger m a n abwartet, desto u n w i r k s a m e r die Mittel werden, welche dem Gelenke Beweglichkeit wieder geben sollen. Standpunkte
aus ist daher
die A n n a h m e
Vom practischen
eines Ueberganges
der
m e m b r a n ö s e n Ankylose in die knöcherne d u r c h a u s zu billigen. ') Diese Figur stellt, nach B o u r g e r y ,
eine vollkommene Verschmelzung des
Femur (a) mit dem Os ileum (f>) dar. Die Gefässkanäle sowol als die Markräume beider Knochen gehen so vollständig in einander über, dass beide in der That nur einen einzigen bilden.
Gelenksteifigkeit.
823
2) Ankylotis extracapsularis. Bei dieser bleibt das Gelenk selbst unberührt, d. b. die Grundverhältnisse des Gelenks. Die knöchernen Gelenk-Enden mit dem Knorpel-Ueberzuge und ihrer Synovialhaut sind unversehrt. Der Operateur muss es sich besonders klar machen, dass nur die Veränderungen in den umgebenden Geweben, in den Ligamenten, Aponeurosen, Muskeln (meistens Contractu!'), die Beweglichkeit des Gelenks mehr oder weniger aufheben. Die Hauptursache dieser Ankylose ist eine lange andauernde ruhige Stellung, wie man dies bei den indischen Fakirs beobachten kann, welche, wenn sie lange Zeit in einer Stellung verharrt sind, solche Ankylose bekommen, dass sie diese aus Andacht anfänglich angenommene Stellung nicht wieder aufgeben können. Gewöhnlich aber sind es Lähmungen, Brüche und andere Knochenkrankheiten, welche, indem sie die Kranken zum absoluten Stillliegen verdammen, solche Ankylosen erzeugen. Die völlige Bewegungslosigkeit eines Gelenks nämlich bewirkt, dass die umgebenden Sehnen und Muskeln, denen die abwechselnde Spannung und Erschlaffung fehlt, ihre Dehnbarkeit verlieren und die beiden Gelenkflächcn aneinanderpressen. |Später erfolgt sogar, wie die Beobachtungen von B o n n e t 1 ) und T e i s s i e r 2 ) zeigen, ein Erguss von Blut und seröser Flüssigkeit nicht ganz selten, und zuweilen selbst eine Röthung der ganzen Synovialhaut mit Bildung von Pseudomembranen in Folge langer Unbeweglichkeit der Gelenke. Die nachfolgenden Veränderungen der Kapsel (s. oben) sind nicht von grosser Bedeutung, aber es kann doch durch die Pseudomembranen eine Art von Verwachsung zwischen beiden Gelenken Statt finden. | Letzteres würde eine Umbildung der zweiten Art der Ankylose in die erste darstellen. Es gibt jedoch Thatsachen, welche anderer Seits beweisen, dass die Contiguität zweier Gelenk-Enden sich erhalten kann, obgleich das Gelenk fast ein Jahrhundert lang absolut unbeweglich war. C r u v e i l h i e r hat eine Beobachtung völliger Unbeweglichkeit des rechten Unterkiefergelenks veröffentlicht, wodurch auch das linke in eine 83jährige Ruhe versetzt wurde; nichts desto weniger war das letztere Gelenk nicht ankylotisch, d. h. die Knorpel, die Synovialhaut und die Knochen-Enden waren vollkommen gesund. Eines ähnlichen Falles erwähnt W a l t h e r . K ü h n h o l z hat bei einer 60jährigen Frau eine partielle Verwachsung des Körpers des Unterkiefers mit dem Oberkiefer beobachtet, welche angeboren war. Trotz der ') Maladies *) Oazette
des articulations. medieale
de Paris
T. I, p. 67. 1841,
824
Krankheiten der Gelenke.
gänzlichen Unbeweglichkeit während des ganzen Lebens waren bei dieser Frau die Unterkiefergelenke vollkommen frei. Für die Therapie sind diese Thatsachen von grosser Bedeutung, denn sie geben auch für die ältesten Ankylosen noch Hoffnung auf Heilung durch orthopädische oder operative Mittel. Indess ist endlich auch die Möglichkeit, dass eine absolute Unbeweglichkeit selbst knöcherne Ankylose erzeuge, nicht ganz in Abrede zu stellen. Tritt namentlich Entzündung zu einer unbeweglichen Haltung hinzu, au ist viel Wahrscheinlichkeit für die Bildung einer solchen Ankylose vorhanden. So kann bei einem sogenannten Panaritium (d. h. einer Entzündung am Finger), in Folge von Entzündung der Sehnenscheiden Festheftung der Sehne entstehen. Alsdann bleibt der Finger unbeweglich, weil die Sehne in ihrer Scheide sich nicht mehr bewegen kann. Nichts desto weniger können die Gelenke des Fingers unberührt bleiben und die Ankylose also der zweiten Form angehören. Verbreitet sich aber die Entzündung von der Sehnenscheide auf das Gelenk selbst, so tritt höchst wahrscheinlich knöcherne Ankylose, folglich zur zweiten Form die erste hinzu. Die extracapsuläre Ankylose beruht aber nicht immer auf Contraction und Mangel an Elasticität deijenigen Gewebe, welche das Gelenk umgeben, sondern oft auch auf Entwicklung neuer krankhafter Producte. So können sich Ablagerungen von Kalksalzen um das Gelenk herum bilden, und wie angelegte Schieneil Unbeweglichkeit desselben erzeugen, oder das ganze Gelenk umgibt sich mit einem Knochenringe (ringförmig angeordneten Osteophyten) und stellt so das „ R i n g b e i n " der Thierärzte dar. Letztere Form kommt zuweilen an den Wirbelkörpern des Menschen im höheren Alter vor, viel häufiger ist sie jedoch bei alten Pferden, ]namentlich am Fessel- und Kronbein des Fusses.| C r u v e i l h i e r nennt sie „peripherische oder invaginirte Ankylose." Ein Knochenbruch in der Nähe des Gelenks kann fehlerhafte Callusbildung erzeugen, wodurch ein Gelenk mit festem Cement umgeben wird, so dass die Knocbenbrüche auf zweifache Weise Ankylose verursachen können: 1) durch die lange Ruhe, zu welcher sie den Kranken zwingen, wobei die Stelle des Knochenbruchs gleichgültig ist; 2 ) durch fehlerhafte Callusbildung, was namentlich bei Brüchen der GelenkEnden vorkommt; diese Form der Ankylose ist natürlich viel übler wie die vorige. Bei Gichtischen findet man mitunter die Handund Fussgelenke durch weisse, sandsteinartige, zerreibliche Incrustationen (Ablagerungen von barnsaurem Kalk) ankylotisch geworden, welche von kreidigem oder seidenartigem Ansehen, wie Sta-
GelenksteiÖgkeit.
825
laktiten aus dem Knochen selbst hervorzukommen scheinen. Dabei kann aber das Innere des Gelenks vollkommen gesund sein. Eine tiefe Brandwunde kann an Stelle der durch sie zerstörten Gewebe sehr feste Narben, gewissermassen ein abnormes bandartiges Gewebe erzeugen, welches das Gelenk nach einer Richtung zieht und es hier unbeweglich festhält. Endlich können sich Geschwülste, Aneurysmen, Exostosen u. s. w. im Umkreise eines Gelenks entwickeln und eine Unbeweglichkeit erzeugen, von hinreichender Dauer, um die umgebenden Organe sich verbilden und ihre Elasticität und Contractilität einbüssen zu lassen. Die sogenannte unvollkommene Ankylose ist namentlich extracapsulär; bei dieser ist sogar gewöhnlich noch einige Beweglichkeit des Gelenkes möglich. Indess kann sie auch hier gänzlich aufgehoben sein, ohne dass dadurch grade eine besondere Form der Ankylose begründet wird; denn ihr Sitz bleibt derselbe, nur der Grad der Ausbildung ist verschieden, und in dem einen wie in dem andern Falle ist eine solche Gelenksteifigkeit wahrscheinlich heilbar. Manche Autoren sind hierüber anderer Ansicht: B o y e r z. B. nennt wahre Ankylosen diejenigen, welche die Beweglichkeit gänzlich aufheben, und erklärt solche fdr ganz unheilbar. Neuere Erfahrungen haben diese Meinung vollkommen widerlegt. Bei der D i a g n o s e der verschiedenen Formen der Ankylose am Lebenden muss auf die anamnestischen und besonders auf die causalen Momente wesentlich Rücksicht genommen werden. Verdankt z. B. die Unbeweglichkeit eines Gelenkes nicht inneren Veränderungen desselben, sondern sehr langer ruhiger Lage ihre Entstehung, wie dies am Häufigsten nach Fracturen in der Diaphyse beobachtet wird, so berechtigt dies im Allgemeinen zur Annahme der extracapsulären Form der Ankylose. Fand aber ein Knochenbruch in der Nähe des Gelenkes, oder gar innerhalb desselben Statt, war mit demselben eine penetrirende Gelenkwunde verbunden, oder bestand Caries oder Nekrose der Gelenk-Enden, dann muss die erste Form der Ankylose als vorhanden angenommen werden. |Vergl. „Muskelcontractur."| P r o g n o s e . Nicht immer ist die Prognose Übel, um so weniger, weil oft genug die Ankylose ein erwünschter und selbst absichtlich herbeigeführter Ausgang ist, wie z. B. bei Caries der Gelenk-Enden. Ist die Ankylose einmal nicht zu vermeiden, so muss man bestrebt sein, das Gelenk in derjenigen Richtung zu erhalten, welche späterhin für den Kranken die vortheilhafleste ist. Betrifft die Ankylose z. B. das Unterkiefergelenk, so muss m a n , um diQ
$26
Krankheiten der Gelenke.
E i n b r i n g u n g d e r S p e i s e n in den Mund s p ä t e r z u e r m ö g l i c h e n , Unterkiefer in leichter S e n k u n g erhalten.
den
O b e r - u n d Unterschenkel
m ü s s e n g e s t r e c k t , der F u s s im rechten W i n k e l z u m
Unterschenkel,
d e r A r m g e s e n k t und ein w e n i g v o m T h o r a x entfernt gehalten w e r d e n . Der V o r d e r a r m m u s s g e g e n den O b e r a r m sich in mittlerer B e u g u n g b e f i n d e n , w ä h r e n d zugleich die beiden K n o c h e n d e s V o r d e r a r m s in d e r Mitte z w i s c h e n Pronation und Supination stehen.
Die Hand m u s s
in d e r R i c h t u n g des V o r d e r a r m s , d. h. z w i s c h e n E x t e n s i o n u u d F l e x i o n , u n d d e r F i n g e r in halber F l e x i o n sich b e f i n d e n . muss
g r a d e auf der W i r b e l s ä u l e
erhalten w e r d e n .
Der K o p f endlich Jedoch
können
m a n c h e U m s t ä n d e eine A e n d e r u n g d e r a n g e g e b e n e n Positionen b e d i n g e n , o d e r es selbst räthlich m a c h e n , dem K r a n k e n die W a h l der a n z u n e h m e n d e n Stellung nach s e i n e m B e h a g e n zu ü b e r l a s s e n . Behandlung.
W e n n e s e i n e r S e i t s Fälle g i b t , w o die B i l d u n g
e i n e r A n k y l o s e erstrebt w e r d e n m u s s , w i e z. B. bei Caries d e r G e l e n k E n d e n , so m u s s man in a n d e r n F ä l l e n a u s allen K r ä f t e n sie zu verhindern s u c h e n .
Denn ist sie einmal g e b i l d e t , so ist ihre B e s e i t i g u n g
s c h w e r u n d sie bleibt i m m e r ein g r o s s e s G e b r e c h e n . Deshalb ist e s bei tief d r i n g e n d e n W u n d e n u n d V e r b r e n n u n g e n , bei K n o é h e n b r ü c h e n u n d a n d e r w e i t i g e n Verletzungen in d e r Nähe d e r G e l e n k e , s e h r g e r a t h e n , im G e l e n k e h ä u f i g kleine B e w e g u n g e n v o r z u n e h m e n ,
durch
w e l c h e j die Muskeln u n d S e h n e n v o r C o n t r a c t u r b e w a h r t u n d | die S e cretion d e r S y n o v i a a n g e r e g t wird.
| A n f a n g s d ü r f e n diese B e w e g u n -
g e n n u r p a s s i v e s e i n , s p ä t e r (bei F r a c t u r e n i m A l l g e m e i n e n nach e r f o l g t e r C o n s o l i d a t i o n ) auch active. |
R e i c h t dann die Muskelthätigkeit
allein nicht a u s , so m ü s s e n e r w e i c h e n d e Mittel in allen Gestalten z u H ü l f e k o m m e n : B ä d e r , F o m e n t a t i o n e n , D o u c h e n , bei deren G e b r a u c h a b e r die B e w e g u n g e n nie v e r s ä u m t w e r d e n d ü r f e n . d e r letzteren
Die A u s f ü h r u n g
darf dem K r a n k e n n i e m a l s allein ü b e r l a s s e n
werden.
A n f a n g s w e r d e n sie von dem Arzt u n d e i n e m tüchtigen G e h ü l f e n g e m a c h t und z u w e i l e n , w e n n e s sein m u s s , selbst mit e i n i g e r Gewalt. Dann hört
man
oft in
dem G e l e n k e ein e i g e n t h ü m l i c h e s
Krachen,
w o d u r c h man sich von den Manipulationen nicht abhalten l a s s e n darf, da es n u r von d e r R a u h i g k e i t der G e l e n k f l ä c h e n u n d S e h n e n s c h e i d e n herrührt. E i n e a n d e r e und namentlich n a c h v o r a n g e g a n g e n e r G e l e n k - E n t z ü n d u n g p r a k t i s c h wirklich s e h r s c h w e r zu e n t s c h e i d e n d e F r a g e ist die, w a n n man die B e w e g u n g e n b e g i n n e n soll. B e i e i n e r s e h r acuten G e l e n k - E n t z ü n d u n g m u s s man sich auf J a h r e lang ihrer g e w i s s ganz enthalten, da sie leicht die E n t z ü n d u n g w i e d e r a n f a c h e n k ö n n t e n ;
bei
m e h r c h r o n i s c h e m V e r l a u f e d e r s e l b e n k a n n m a n frühzeitige V e r s u c h e
827
Gelenksteifigkeit.
machen, Anfangs s e h r gemässigt, um sie sofort auszusetzen, wenn sie zu heftige Schmerzen verursachen. Sind Bäder, Douchen und sonstige örtliche Mittel wirkungslos, dann beginnt
die Behandlung der Ankylose durch Maschinen
operative Eingriffe.
und
Die Wirkung beider ist entweder eine langsame,
schrittweise (dies ist die f r ü h e r allgemein gebräuchliche Behandlung) oder sie wirken plötzlich,
wie die Maschine von L o u v r i e r ,
|die
Methode von B. L a n g e n b e c k . ' ) |
Bei diesen k a n n , wenn
man
die
folgenden Zufalle nicht
ganz
solchen
heftigen Zerreissungen
sorgfältig b e h a n d e l t , das Gelenk später ganz u n b r a u c h b a r werden, aus der nachfolgenden E n t z ü n d u n g sogar Lebensgefahr erwachsen. |Jedoch hat die E r f a h r u n g hinlänglich gelehrt, dass in chirurgisch gebildeten Händen die plötzliche Ueberwindung der Ankylose keineswegs das ihr von Vi d a l erthcilte Epitheton „ b a r b a r i s c h " verdient, s o n d e r n in der Mehrzahl der Fälle höchst heilbringend wirkt. | Durch die Hand allein kann m a n ,
auch ohne b e s o n d e r e Vor-
bereitung, intracapsuläre, noch nicht übermässig starke m e m b r a n ö s e Verbindungen
zerreissen.
Natürlich richtet sich die
Wirksamkeit
der Hand in diesen Fällen nach der körperlichen Kraft des Operateurs.
Die W i r k u n g der Hand kann durch den Vorderarm u n t e r -
stützt w e r d e n , welchen man z. B. u n t e r die Wade des legt,
um durch kräftige Beugung des Unterschenkels
Kranken
Stränge zu
zerstören, welche sich zwischen Kniescheibe und Oberschenkel gebildet hatten.
Ein K n o c h e n - E i n r i c h t e r ,
dessen P r a v a z
heilte eine Ankylose des Hüftgelenks d a d u r c h ,
erwähnt,
dass er die Wade
des kranken F u s s e s auf seine Schulter legte, und n u n , während er mit beiden Händen den v o r d e m Theil der Hüftbeinknochen nieder drückte,
mit Gewalt sich aufrichtete.
Dadurch w u r d e eine,
mit
einem Krachen v e r b u n d e n e heftige Beugung des Hüftgelenks herbeigeführt, deren Schmerzhaftigkeit sehr gering w a r ; am andern Tage schon konnte man den Kranken aufstehen lassen.
Bonnet,
wel-
cher diesen Fall in einem Aufsatze anführt, durch welche er diese und andere gewaltsame Handgriffe empfiehlt, behauptet, drei Ankylosen des Hüftgelenks ohne subcutane Incisionen und ohne Maschinen durch solche Zerreissungen allein und ohne alle üblen Folgen geheilt zu h a b e n . 2 ) Diese eben angeführten Handgriffe hat man n u n durch s u b cutane Durchschneidung der Bänder, Muskeln, Sehnen und selbst ' ) | S. dessen „ Commentutio violentae a
) Gazelte
extensionis medicate
de Contractura
ope sanandisBerolini
1Vr. 2 7 , 6. Jaillet
1850.
et Ankylosi
genu
MDCCCL.
|
nova
methodo
828
Krankheiten der Gelenke.
der Aponeurosen, welche mit dem Gelenke in Verbindung stehen, zu erleichtern gesucht und oft sind halbe Dutzende solcher Durchschneidungen in der Umgegend eines Gelenkes ausgeführt worden. L o u v r i e r proponirte eine sehr complicirte Maschine, d u r c h w e i c h e er Ellenbogen- und Kniegelenk mit rechtwinkligen Ankylosen augenblicklich in die äusserste Extension zurückbrachte. Ueber die darauf bezüglichen Thatsachen hat A. B 6 r a r d einen motivirten Bericht an die Akademie gemacht, aus welchem hervorging, dass einige Kranke an den Folgen solcher Operationen gestorben waren, während andere den unvollkommenen Gebrauch ihrer Glieder mit bedeutenden Schmerzen und heftigen Entzündungen bezahlten und noch andere eine Difformität gegen eine andere eintauschten. |Sehr günstige Resultate sind dagegen durch die bereits erwähnte Metbode von B. L a n g e n b e c k , sowol von ihrem Erfinder selbst, als auch von anderen Wundärzten an den verschiedensten Gelenken in grosser Anzahl erzielt worden. Diese Methode gründet sich wesentlich darauf, dass durch eine tiefe Betäubung des Patienten mittelst Chloroform eine vollständige Erschlaffung der Muskeln herbeigeführt und diese daher durch die nachfolgenden gewaltsamen Bewegungen nicht zerrissen, sondern gedehnt werden. Die fibröse oder auch knöcherne Zwischensubstanz, welche die Gelenk-Enden in dieser oder jener Stellung unbeweglich fixirt, wird demnächst zerrissen und zerbrochen. Alsdann wird das Glied in der dem späteren Gebrauche desselben am Meisten günstig erscheinenden Lage auf einer Schiene mit weichen Binden befestigt. Die nachfolgende Entzündung ist nur selten sehr heftig, so dass die Anwendung der Kälte zu ihrer Bekämpfung fast immer ausreicht. War die Ankylose nicht die Folge einer cariösen Zerstörung, so kann man durch diese Methode nicht blos eine günstigere Stellung, sondern auch eine nicht unbeträchtliche Beweglichkeit des Gelenks durch Anfangs passive, demnächst active Bewegungen zu erreichen hoffen. Mit diesen Bewegungen ist jedoch immer erst dann der Anfang zu machen, wenn die nach der gewaltsamen Ueberwindung der Ankylose folgende Entzündung erloschen ist. | Gegen die knöcherne Ankylose der Gelenke ist auch die einfache Durchsägung, oder die Resection der zusammengewachsenen Knochen vorgeschlagen. R h e a - B a r t h o n , welcher in einem Falle von Ankylose des Hüftgelenks ein anderes Gelenk erzeugen wollte, durchsägte den Hals des Femur, nachdem er ihn durch eine grosse Incision in der Gegend des Trochanter blossgelegt hatte. Anfangs schien es auch, als wollte ein neues Gelenk sich bilden; der Kranke
Gelenlcsteifigkeit.
829
bewegte den Oberschenkel und ging sogar einige Monate darauf. Bald aber hörte die Beweglichkeit auf und nach dem Tode erwies es sich, dass beide Stücke des Halses durch eine dem Gallus ähnliche Substanz sich wieder vereinigt hatten. Die Wiederholungen dieser Operation in Amerika durch R o g e r s haben Resultate gehabt, welche nicht recht bekannt geworden sind. Dagegen hat M a i s o n n e u v e ein Individuum operirt und den gelehrten Gesellschaften vorgestellt, bei welchem die vor 18 Monaten unternommene Operation den von B a r t h o n beabsichtigten Erfolg nicht gehabt halte, indem ein künstliches Gelenk nicht gebildet war; dennoch konnte der Mensch gehen, indem die Gelenkbewegungen sich auf die Symphysis sacroiliaca und die Gelenke der Wirbelsäule Ubertragen hatten. Indess war dem Kranken doch eine Wohlthat aus der Operation erwachsen, die nämlich, dass sein in flectirter Stellung ankylosirter Oberschenkel grade gerichtet worden war. Demnach kann die einfache Durchsägung der Knochen ein gekrümmtes Glied zwar grade machen; aber ein neues Gelenk zu schaffen vermag sie nicht; so dass, wenn die Stellung eines Gliedes nicht zu fehlerhalt ist, man besser thut, eine Operation aufzugeben, welche ihrer Natur nach gefahrbringend sein muss. Es ist gewiss passend, hier auf die Worte S a n s o n ' s hinzuweisen, mit denen er über die Operation des amerikanischen Chirurgen sprach: „Die erste Frage ist, ob die Operation Uberhaupt angezeigt war. Diejenigen, welche Alles kurirt wissen wollen, werden dieselbe bejahen; die meisten Praktiker aber, welche es der Vernunft und Klugheit gemäss halten, ein lebensgefährliches Mittel nur da anzuwenden, wo es sich um Beseitigung einer lebensgefährlichen Krankheit handelt, werden entgegengesetzter Ansicht sein, welcher auch ich von Herzen beitrete."') R h e a B a r t h o n machte ausser der einfachen Durchsägung auch die Resection und zwar bei Ankylose des Kniegelenks. Nachdem der Knochen an einer von den Gefässen entfernten Stelle durch Abtrennung eines Fleischlappen blossgelegt worden, nimmt man mit einer Säge ein keilförmiges Stück aus dem Knochen heratfs, so dass noch ein Theil des Knochens undurchschnitten bleibt, welchen der Chirurg dann durch kräftige Beugung oder Streckung durchbricht. | Diese Operation hat begreiflicher Weise alle Gefahren einer complicirten Fractur in ihrem Gefolge und verhält sich daher, abgesehen von der durch Chloroformnarkose auch hier zu umgehenden Zerreissung der Muskeln, zu der L a n g e n b e c k ' s c h e n ') DicUonn, dt aiideeUu et de cUnirgie praUqttet.
830
Krankheiten der Gelenke.
Methode gerade wie eine bedeutende Knocbenwvnde zu einer einfachen Fractur oder Bänderzerreissung. | IV.' G e l e n k » E l t e r n a g > Arthropyosis, Abscessus artkuli.
Pyarthros,
| Als Gelenk-Eiterung, oder weniger gut als Gelenk-Abscess bezeichnet man im engern Sinne die Ansammlung von Eiter innerhalb einer Gelenkkapsel. Im weitern Sinne, jedoch mit Unrecht, wird diese Benennung auch für Abscessc gebraucht, welche ausserhalb der Kapsel in der Nähe eines Gelenkes auftreten. Abscesse der letzteren Art sind allerdings von Wichtigkeit, weil die nachfolgende Narbenbildung die Function des Gelenkes stören oder, was weit bedenklicher ist, der Eiter seinen Weg, statt nach Aussen, in die Gelenkkapsel hinein nehmen und dadurch eine Arthroj>hlogo»is acutüsima erregen kann; ihre Bezeichnung als Gelenk-Abscesse oder als Arthropyosis externa ist aber nicht gerechtfertigt. In der grossen Mehrzahl der Fälle ist die Arthropyosis die Folge einer vorangegangenen Gelenk-Entzündung. Selten dringt der Eiter von Aussen her in der eben bezeichneten Weise in die Kapsel ein; jedoch sind Fälle der Art mit Bestimmtheit beobachtet. Zuweilen geht die Entzündung des Gelenkes so schnell in Eiterung Uber, dass man glauben könnte, es habe eine plötzliche Ablagerung von Eiter in dem Gelenke Statt gefunden. So namentlich bei Pyämie, zumal nach aeuten Exanthemen, ferner in manchen Fällen von acutem Gelenk-Rheumatismus, endlich auch zuweilen nach Quetschungen und Verstauchungen der Gelenke. In den letztgedachten Fällen wäre es wohl möglich, dass ein beträchtlicher Blut-Erguss in die Gelenkkapsel {Haematarthros), wie er durch die erwähnten Verletzungen unzweifelhaft sehr häufig bedingt wird, wesentlich zu der schnellen Entstehung einer bedeutenden Menge von Eiter beitrüge. Diese Ansicht wird um so wahrscheinlicher, als man in solchen Fällen nach Entleerung des Eiters zuweilen schnell alle EntzUndungs-Erscheinungen zurücktreten sieht; jedenfalls müssen wir auch an dieser Stelle auf die Möglichkeit einer Umwandlung von Blut-Ergüssen in Eiter hinweisen. Die Gelenk-Eiterung wird nur an solchen Gelenken, welche unseren Fingern leicht zugänglich sind, auch schon vor dem Aufbruch erkannt werden können. Die D i a g n o s e stützt sich dann auf die mit ungeheurer Schmerzhaftigkeit verbundene Anschwellung des Gelenkes, Fluctuation in demselben, welche jedoch unter Umständen sehr schwer zu entdecken ist, Oedem in der Umgegend
831
Gelenk-Eiterung.
und sehr bald auch Röthung der das Gelenk bedeckenden Haut (sog. Pseudo-Erysipel).
Dies alles sind Symptome, die auch der
Gelenk-Entzündung angehören können; aber eine Gelenk-Entzündung, bei der dieselben andauernd oder mit steigender Heftigkeit und mit beträchtlichem Fieber bestehen, muss stets den Verdacht erregen, habe.
dass sie bereits in Eiterung ihren Ausgang genommen
Der weitere Verlauf einer sich selbst überlassenen Arthro-
pyosis führt immer zur Verschwärung, entweder der knöchernen Gelenk-Enden (nach vorgängiger Abstossung der Knorpel) und der Gelenkkapsel zugleich,
oder doch der letzteren allein, und somit
zum Aufbruch des Gelenkes. kapsel entstehen
dann
in
Nach Durchbrechung
der bereits
wiederholt
der Gelenkbeschriebenen
Weise, je nach der Localität, oft erst Senkungs-Abscesse, bevor der Durchbruch der Haut erfolgt.
Endlich ergiesst sich dann der Eiter
gewöhnlich in grosser Menge nach Aussen und die Diagnose kann nunmehr nicht leicht zweifelhaft sein.
Die Knochen-Enden, welche
durch Caries ihre Form eingebüsst haben und durch die zerstörten, oder doch beträchtlich gedehnten Bänder nicht mehr in ihrer normalen Lage erhalten werden, folgen dem Muskelzuge, der zuweilen sogar schon vor dem Aufbruch seine Wirkung geltend macht.
Auf
diesb Weise entstehen dann die sogenannten spontanen Luxationen. Der günstigste Ausgang,
welcher ohne frühzeitiges
Zuthun
der
Kunst erwartet werden kann, ist der in Ankylose. Der Eiter nimmt bald nach dem Aufbruch unter dem Einflüsse der Luft gewöhnlich sehr schnell eine schlechte Beschaffenheit an.
Bessert er sich all-
mälig, wird seine Quantität geringer, nimmt die Geschwulst ab und der Kranke an Kräften zu, so kann man auf jenen günstigen Ausgang hoffen, der desto wahrscheinlicher wird, je mehr endlich die Beweglichkeit der Gelenk-Enden sich vermindert.
Es entsteht dann
gewöhnlich eine wahre knöcherne, vollkommene Ankylose.
Der bei
Weitem häufigere Ausgang aber ist der in schnell um sich greifende Verjauchung. gen der Pyämie
Der Kranke geht dann unter den Erscheinun-
oder des. hektischen Fiebers bald schnell,
bald
langsam zu Grunde, wenn die Amputation oder Resection ihn nicht etwa noch zu retten vermögen. Die Gelenk-Eiterung hat in Rücksicht auf die Brauchbarkeit des erkrankten Gelenkes immer eine schlechte P r o g n o s e ; in einem grossen, besonders dem Kniegelenk, ist sie lebensgefährlich. Die B e h a n d l u n g darauf ausgehen,
soll nach dem Rathe der meisten Autoren
die Resorption des Eiters und die Zertheilung
(der doch schon in Eiterung übergegangenen) Entzündung herbei-
832
Krankheiten der Gelenke.
zuführen. Dies dürfte jedoch in acuten Fällen wol niemals und auch in chronischen selten gelingen. Die zu diesem Behuf empfohlenen Mittel sind Blut-Entziehungen, zertheilende Einreibungen, comprimirende Einwickelungen und Pflaster, Bäder, kräftige Ableitungen auf die äussere Haut, namentlich durch das Glüheisen, innerlich aber theils die Resorption befördernde, theils, beim Bestehen von Dyskrasien, die entsprechenden antidyskrasischen Mittel. Ohne diese Behandlungsweise, von welcher wir bei der G e l e n k - E n t z ü n d u n g recht viel erwarten, als unwirksam bezeichnen zu wollen, müssen wir doch für die acute Gelenk-Eiterung den alten Satz „ubi pus, evacua" geltend machen. Die Entleerung des Eiters muss aber so verrichtet werden, dass unmöglich Luft in das Gelenk eindringen kann, sie muss ferner möglichst vollständig sein. An einzelnen Gelenken, z. B. am Hüftgelenk, wo schon die Diagnose grössere Schwierigkeiten darbietet, dürfte den gedachten Anforderungen wol niemals entsprochen werden können. Die übrigen grössern Gelenke dagegen können mit grosser Sicherheit ohne Eintritt von Luft entleert werden, wenn man sich des S c h u h ' s c h e n oder G u e r i n ' s c h e n Apparates bedient. Bei ersterem inuss der Eiter durch Druck auf das Gelenk herausbefördert werden; bei letzterem wird er durch eine auf den Trocart genau passende Spritze ausgepumpt, weshalb diesem wol für den vorliegenden Fall der Vorzug 1 einzuräumen sein d ü r f t e . ' ) Weniger sicher ist die subcutane Eröffnung des Gelenks mit einem Tenotom; besonders dürfte die Entleerung des dickflüssigen Eiters durch die verhältnissmässig kleine Stichöffnung schwierig sein und derselbe daher auf unerwünscht^ Weise in die umgebenden Gewebe eingepresst werden. Natürlich ist von der Entleerung des Eiters keine schnelle Hülfe gegen etwa schon bestehende Caries oder Auflockerung der Gelenkbänder zu erwarten. Doch auch auf diese kann die Entfernung des Eiters und die Aufhebung der übermässigen Spannung der Gelenkkapsel günstig einwirken, und jedenfalls ist der kleine Einstich so unschädlich, dass, wenn Schmerzhaftigkeit und Spannung im Gelenke die Entleerung wünschenswerth erscheinen lassen, die Vermuthung, dass Caries der Gelenk-Enden bestehe, davon nicht abhalten sollte. Die Nachbehandlung besteht in dem Zukleben der kleinen Wunde, ') [Einen Fall von Arlhropyosis
genu nach bedeutender Contusion, in welchem
ich mit dem glücklichsten Erfolge mittelst der G u e r i n ' s c h e n Spritze 6 Unzen Eiter (nicht Synovia) entleerte, hat Dr. K u n t z e in seiner Inaugural-Dissertation: De arthropyosi
genu, Gryphiae
1852, beschrieben.|
833
Gelenkmäuse.
wie bei einer subcutanen Incision (vergl. Bd. I, pag. 104), der Einwicklung des Gliedes mit einer weichen Binde. Bisher haben wir die Gelenkkapsel als noch geschlossen vorausgesetzt. Bestand von Anfang an eine penetrirende Wunde, die gar nicht geschlossen werden, oder doch nicht geschlossen erhalten werden konnte, so kann nur die schon erörterte Behandlung der Gelenk-Entzilndung Anwendung finden (vergl. pag. 809). Während man früher fast allgemein die Amputation oberhalb des von Eiterung ergriffenen Gelenkes, wenigstens bei der Arthropyosis grösserer Gelenke dringend empfahl, weiss man jetzt, dass selbst, wenn der Aufbruch durch Ulceration erfolgt ist, zumal an den öbern Extremitäten, durch die Resection nicht blos das Leben des Kranken sicherer erhalten, sondern auch eine mehr oder weniger brauchbare Extremität, wiederhergestellt werden kann. Lässt die Localität des Uebels die Resection unzulässig erscheinen, so ist durch grosse Einschnitte dem Eiter freier Abfluss zu verschaffen und die eiternde Gelenkhöhle wie eine grosse eiternde Wunde zu behandeln. |
Drittes Bewegliche
Körper
in
Capitel.
den
Gelenken,
Gelenkmäuse,
Corpora heterogenea in articulis s.juxta Mures articulares.
artículos. •
| A m b r o i s e P a r é ' ) erzählt, da^s er im Jahre 1558 von einem Schneider gerufen wurde, um ihm eine Wassergeschwulst am Knie zu öffnen. In dieser fand er, wie er sich ausdrückt, einen S t e i n von der Grösse einer Mandel, sehr weiss, glatt und hart; der Kranke genas und lebte noch längere Zeit. Dies ist die erste Beobachtung Uber eine sogenannte Gelenkmaus, welche in der Literatur vorliegt. Die nächste Beobachtung rührt von P e c h l i n 2 ) her, 1691. Demnächst hatte A l e x a n d e r M o n r o 1726 Gelegenheit, das Kniegelenk einer Frau zu untersuchen, in welchem sich ein freibeweglicher Knorpel von der Grösse einer Bohne befand; er glaubte in diesem Gelenk zugleich an den Knorpelüberzügen des Femur einen Eindruck zu bemerken. Von da ab folgen die Beobachtungen sich sehr zahlreich: S i m s o n , M o r g a g n i , B r o m f i e l d , M i d d l e t o n , ' ) | M a l g a i g n e ' s c h e Ausgabe der Werke P a r é ' s , pag. 2 3 .
Vergl. N é l a t o n , Palhol.
Chirurg.
Liv. XIX, Chap. XV, Tom III,
T. II, p.
180.|
*) |06s«-»afioneí physico-medicae. No. XXXVIII. pag. 306.) Y i d n l ' g Chirurgie.
II.
5 3
834
Krankheiten der Gelenke.
G o o c h , Bell, A b e r n e t h y , U c s a u l t , S a b a t i e r , T h e d e n ,
Boyer,
und eine grosse Anzahl von Chirurgen der neuesten Zeit haben sie beobachtet
und ihre Eigenthlimlichkeiten
nach und nach
genauer
k e n n e n gelehrt. Anatoniische denen
Verhältnisse.
Gelenken, namentlich
Gelenkmäuse sind in verschie-
aber in Charniergelenken,
z. B. im
Knie-, Ellenbogen- und Kielergelenk beobachtet w o r d e n ; bei Weiten) am Häufigsten kommen sie im K n i e g e l e n k sehr wechselnd,
bald findet man
Zahl beisammen.
Morgagni
einer alten F r a u ,
Robert
vor.
sie vereinzelt,
Ihre Z a h l bald in
fand deren 2 5 in dem
ist
grosser
Kniegelenk
18 in einem Ellenbogengelenk,
Mal-
g a i g n e 60, in einigen Fällen w u r d e n sie als unzählbar bezeichnet. Ihre G r ö s s e ist gleichfalls sehr verschieden.
Im Allgemeinen sind
sie desto kleiner, in j e g r ö s s e r e r Anzahl sie in einem Gelenke vorhanden s i n d ; jedoch überschreiten sie selten die Grösse einer Mandel u n d es gehört zu den seltenen A u s n a h m e n , Cooper
in dem Kniegelenk eines Soldaten
wenn
Samuel
eine Gelenkmaus von
d e r Grösse der Kniescheibe f a n d ,
welche demselben
niemals Beschwerden erregt hatte.
Ihre G e s t a l t ist bald rundlich,
noch
dazu
bald länglich, gewöhnlich platt g e d r ü c k t , seltener eckig und facettirt.
Ihre O b e r f l ä c h e
ist gewöhnlich
glatt und glänzend.
Dies
hat zu der Annahme geführt, dass sie stets von einer Ausbuchtung der Synovialhaut überzogen seien.
Bei einigen ist dies unzweifel-
haft der Fall, bei anderen a b e r , wie wir weiter unten sehen werden, bestimmt nicht.
Ihre F a r b e ist gemeinhin diejenige der Knor-
p e l , n u r wenn sie wirklich verknöchert s i n d , haben sie auch das Aussehen
der Knochen.
u n d ihr G e f ü g e ,
Gewöhnlich
stimmt auch ihre Festigkeit
so weit sich dies mit blossem Auge auf einem
Durchschnitt erkennen lässt, mit denen des Knorpels Uberein.
In
m e h r e r e n hat man auch die feinere S t r u c t u r d e s K n o r p e l s
mit
dem Mikroskop nachgewiesen, dagegen liefern sie beim Kochen kein Chondrin,
sondern
Gluten.
Ihr Gehalt
an phosphorsaurem
kohlensaurem Kalke ist oft sehr beträchtlich.
und
In vielen Fällen zeig-
ten sie eine deutliche Schichtung, zuweilen um einen kohlschwarzen u n d weichen, in anderen Fällen um »einen knöchernen Kern.
In
m e h r e r e n Fällen zeigte der Gelenkkörper eine r a u h e zackige Fläche von k n ö c h e r n e r Natur und eine andere glatte und knorplige Fläche. So verhielt sich insbesondere die Gelenkmaus, deren genauere Unt e r s u c h u n g wir R i e h e t verdanken u n d welche von V e l p e a u durch eine Operation aus dem Kniegelenke eines Mannes entfernt worden war. Hier bestand fast der ganze Gelenkkörper aus Knochensubstanz,
835
Gelenlimäuse.
nur eine seiner Flächen und zwar eine convexe besass einen Knorpelüberzug. ' ) Er glich durchaus einem abgebrochenen Stück des Gelenk-Endes des Feniur. Bei der Section erwies sich, dass am unteren Ende des Femur in der That ein Substanzverlust genau von der Grösse und Gestalt jener Gelenkmaus bestand, so dass über die Entstehung derselben durch Ablösung eines Stückes des Ge j lenk-Endes vom Femur kein Zweifel obwalten konnte. Man findet die Gelenkkörper bald frei und ohne irgend eine Adhäsion, so dass sie sich in der ganzen Gelenkhöhle hin und her bewegen können, bald angeheftet an die Synovialhaut durch einen verschieden dicken Stiel. Fälle der letzteren Art sind namentlich von M o r g a g n i , H u n t e r , B a y l e , L a e n n e c , C r u v e i l h i e r , R o b e r t beobachtet worden. 2 ) Zuweilen ist der Stiel ganz dünn und nahe daran zu zerreissen, in anderen Fällen dagegen besitzt er eine ansehnliche Breite und umhüllt zuweilen den Gelenkkörper nur in der Art, dass es augenscheinlich ist, derselbe sei von Aussen her gegen die Synovialhaut vorgedrungen und stülpe diese vor sich in die Gelenkhöhle hinein. Man hat endlich einzelne Fälle beobachtet, wo die Gelenkmäuse im subsynovialen Bindegewebe lagen und die Synovialmembran nur wenig gegen die Gelenkhöhle hin ausbuchteten. Die Gelenke, in welchen man b e w e g l i c h e K ö r p e r findet, zeigen überdies stets die Erscheinungen einer mehr oder weniger intensiven c h r o n i s c h e n E n t z ü n d u n g . Zuweilen besteht GelenkwasserFig. 1 5 0 . ' ) Diesem Falle ähnlich ist der Fig. 130 abgebildete ( C r u v e i l h i e r und K i c h e r a n d ) . Diese
Gelenkmaus
halte
gleichfalls
eine
convexe knorpelige Fläche a und eine concave knöcherne b.
-) Fig. 151 ist der vuu U o b e r t Fall.
Es waren
untersuchte
2 0 Gelenkkörper,
tlieils
frei, tlieils in verschiedenem Grade gestielt, theils ganz von der Synovialhaut umschlossen, in diesem Ellenhogengelenk. ren ganz k n ö c h e r n , Der
Körper a
ist
Grösse abgebildet.
höckerig hei A
in
Alle waund
klein.
natürlicher
836
Krankheiten der Gelenke.
sucht; gewöhnlich aber finden sich die von uns unter dem Namen der e n t z ü n d l i c h e n S c h r u m p f u n g (Arthroxerosis) zusammengefassten Veränderungen. Dies wird von G u r l t ausdrücklich hervorgehoben, welcher die Gelenkmäuse geradezu als ein Zubehör der gedachten Entzündungsform betrachtet. Es ist von Wichtigkeit, hervorzuheben, dass auch Schriftsteller, welche jene eigenthüiiiliche Gelenk-Entzündung nicht besonders schildern, sich also in dieser Hinsicht durchaus unbefangen verhalten, dennoch die ihr zugehörigen Veränderungen bei der pathologischen Anatomie der Gelenkmäuse auffuhren. So auch Vi dal: „Die das Gelenk umgebenden Muskeln und fibrösen Gebilde bleiben nicht unbetheiligt Man findet in der Umgebung der Gelenke oft weit ausgebreitete Verknöcherungen in den Sehnen, Muskeln und Bändern. An den betreffenden Knochen sieht man auch in grösserer Entfernung vom Gelenke unregelmässige OsteophyteAbildung. Das Gewebe der knöchernen Gelenk-Enden selbst erscheint verdichtet (geschrumpft), stärker geröthet und brüchig, die Gelenkflächen sind abgeflacht und an ihrem Rande von einem Kranze von Osteophyten umgeben. Die Gelenkknorpel erscheinen gestreift und gleichsam zerklüftet nach der Richtung der vorzugsweise in dem Gelenk stattfindenden Bewegungen. Zuweilen sind die Knorpel an einzelnen Stellen ganz zerstört oder doch tief eingedrückt. Man hat Falle gesehen, in denen die Usur der Gelenkknorpel sich auf die ganze Oberfläche der Condylen des Femur und der Tibia erstreckte und auch die Zwischengelenkknorpel in der Richtung von Vorn nach Hinten stark abgeschliffen erschienen. Die Synovialhaut selbst ist stets mit stark entwickelten Zotten besetzt." Alle diese Einzelheiten sind von grosser Wichtigkeit für die Beantwortung der Frage nach der E n t s t e h u n g s w e i s e dieser beweglichen Körper. Die Schriftsteller, welche diese sonderbare Krankheit zuerst beobachteten, konnten begreiflicher Weise nur unbegründete Hypothesen Uber ihren Ursprung aufstellen. So glaubte P a r 6 , dass die Gelenkkörper sich analog den Blasensteincn verhielten, also Niederschläge aus der Synovia seien; eine Ansicht, welcher K ö l l i k e r 1 ) fllr gewisse Fälle auch jetzt noch seine Billigung geben zu müssen glaubt. Der Fall von M o n r o gab Veranlassung zu der Annahme, dass ein Stück Gelenkknorpel, welches in irgend einer Weise abgelöst sei, die Gelenkmaus darstelle. B r e s c h e t ' ) war noch dieser ' ) |Mikroskopische Anatomie Bd. II, Abth. I, pag. 325.j
*) Coquebcrt, Tkite de Paris 1830, Nr. 236, p. 24.
Geleokmäase.
837
Ansicht und stützte dieselbe, abgesehen von der äussern Aehnlichkeit, auf die Beobachtung, dass sie besonders häufig im Knie- und Kiefer-Gelenk vorkommen, in denen sich bekanntlich Zwischengelenkknorpel befinden, von welchen leichter ein StUck abgelöst werden könnte. Diese Ansicht ist häufig und ¡heftig bekämpft worden. Jedenfalls ist eine solche Entstehungsweise der Gelenkmäuse auch höchst selten; aber die Beobachtung von R i e h e t , welche wir ausführlich mitgetheilt haben, zeigt jedenfalls die Möglichkeit derselben. V i d a l erwähnt zur weiteren Begründung eines solchen Bildungsganges der Gelenkkörper folgende Beobachtung. Eine gequetschte Wunde am Knie erwies sich als penetrirend, indem abgelöste Stücke der Gelenkknorpel herauskamen. Die Amputation musste gemacht werden. Konnten nicht unter sonst günstigeren Verhältnissen diese abgelösten Knorpelstücke in der Gelenkhöhle zurückbleiben? In der Mehrzahl der Fälle würden sie gewiss eine zum Aufbruch führende Entzündung erregen; aber diese Entzündung könnte doch auch ausnahmsweise einen milderen Verlauf nehmen, so dass das abgelöste Knorpelslück schliesslich zurückbliebe. Jedenfalls ist dieser von V i d a l angedeutete Vorgang höchst selten. H u n t e r bemerkte bei seinen Versuchen Uber die Umwandlung der Blut-Extravasate, dass das ergossene Blut, je nach der Beschaffenheit seiner Umgebungen, verschiedene Umwandlungen erfährt. Er sah, dass Coagula in der Nähe der Knochen mit Kalksalzen imprägnirt werden können und schloss daraus, dass Coagula in den Gelenken sich in Knorpel- oder gar in Knochensubstanz umwandeln konnten. Mit RUcksicbt auf die der Bildung von Celenkkörpecti gewöhnlich vorausgehenden Gewaltthätigkeiten glaubt er nun ferner annehmen zu können, dass derselben stets ein Blut-Erguss ins Gelenk zu Grunde liege. Es fiel ihm nicht schwer, demnächst auch zu erklären, weshalb diese Körper bald gestielt, bald ungestielt sind, da er den Nachweis geliefert zu haben glaubte, dass die Coagula mit den benachbarten Theilen in beliebiger Weise verwachsen könnten. Die H u n t e r ' s c h e Hypothese war bereits gänzlich verlassen, als V e l p e a u sie aufs Neue aufstellte und mit vielem Glück vertheidigte. Hält man sich aber streng an die vorliegenden Tbatsachen, so kann man die Möglichkeit einer solchen Bildungsweise höchstens für diejenigen Fälle zugestehen, wo grosse Mengen kleiner bröckliger Gelenkkörper von unbestimmter Structur sich vorfinden ( V i r c b o w ) . Die Umwandlung eines frei in einer Gelenkhöhle liegenden Coaguluin in Knorpel- und Knochensubstanz ist geradezu von der Hand zu weisen.
838
Krankheiten
der Gelenke»
L a e n n e c ist der Urheber derjenigen Erklärungsweise, welche heutzutage die meisten Anhänger zählt und gewiss für viele Fälle die richtige ist. Nach seiner Ansicht entstehen die Gelenkkörper auf Grund einer Entzündung in dem subsynovialen Bindegewebe, vielleicht in manchen Fällen auch noch weiter nach Aussen, in der Umgegend der knöchernen Gelenk-Enden, wo bekanntlich die Bildung von Osteophyten, mit denen viele Gelenkmäuse in ihrer Structur übereinstimmen, besonders leicht zu Stande kommt. Bei ihrem weiteren Wachsthume drängen sie die Synovialhaut vor sich her, so dass sie einen Ueberzug von ihr erhalten, welcher endlich zu einem Stiel verlängert und durch eine plötzliche Bewegung zerrissen werden kann. Dieser Theorie L a e n n e c ' s liegen durchaus anatomische Thatsachen zu Grunde, die oben bereits erörtert wurden. Unter den neuesten Schriftstellern glaubt besonders G u r l t ')> a u ' Grund eigener Untersuchungen, diese Erklärungsweise für die M e h r z a h l der Fälle annehmen zu müssen. Gleichberechtigt mit ihr ist jedoch die gleichfalls auf anatomischen Beobachtungen beruhende Ansicht von R o k i t a n s k y , welche wir bereits bei der Lehre von der Knochen-Entzündung berührt haben. Nach seiner Ansicht beruht die Bildung der beweglichen Gelenkkörper auf einer eigentümlichen Entwicklung der Gelenkzotten, in deren kolbig angeschwollenen Enden sich Knorpel- und Knochensubstanz entwickelt. Es ist thcitsächlich, dass die Entstehung der Gelenkkörper mit entzündlichen Vorgängen zusammenfällt. Bei der Gelenk-Entzündung aber sahen wir diese gefässreichen Fortsätze (plicae vasculosae) stets beträchtlich anschwellen und bei chronischem Verlauf sich andauernd vcrdicken. Der Umstand, dass, nach den Untersuchungen von K ö l l i k c r 2 ) , in den kolbigenEnden der Gelenkzotten auch im normalen Zustande Knorpelzellen vorkommen, erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Entwicklungsgang Statt finden könne, um Vieles. Wir würden sonach als mögliche Entstehuugsweisen anzunehmen haben: 1) die Umwandlung eines G e r i n n s e l s ; 2) das Hineinwachsen von O s t e o p h y t e n in die Gelenkhöhle; 3 ) Entwicklung von Knorpelgewebe und Verknöcherung in den k o l b i g e n E n d e n d e r a n g e s c h w o l l e n e n G e l e n k z o t t c n ; 4) A b l ö s u n g eines Knorpel- oder auch Knochenstücks v o n d e r G e l e n k f l ä c h e eines Knochens. Vielleicht auch 5) N i e d e r s c h l ä g e a u s d e r S y n o v i a .
' ) |l. c. pag. 8 4 . | ' ) (Mikroskopische Anatomie Bd. 11, erste Hälfte, pag. 3 2 4 u. 3 2 5 . |
Gilenkmäuse.
839
S y m p t o m e . Gewöhnlich veranlassen die beweglichen Gelenkkörper Symptome, welche auffallend genug sind. Wahrscheinlich bleiben sie jedoch oft lange Zeit unbemerkt. Plötzlich empfindet der Kranke ohne bekannte Veranlassung einen äusserst heftigen Schmerz in dem Gelenke, und kann sich, wenn es ein Gelenk an der unteren Extremität ist, nicht aufrecht halten. Zuweilen ist dieser Schmerz so heftig, dass der Kranke ohnmächtig wird. Dies ist in der Regel das erste Symptom der Krankheit und zugleich ein pathognomonisches. Jedoch ist dies nicht immer der Fall; zuweilen haben die Kranken die Empfindung von einem in dem Gelenk sich bewegenden Körper oder fühlen denselben auch mit ihren Fingern an irgend einer Stelle der Oberfläche des Gelenkes, am Knie z. B. gewöhnlich an der innern Seite. Fast immer besteht eine Entzündung der Synovialhaut mit wässrigem Erguss in die Gelenkhöhle ( H y d a r t h r o s ) . In andern Fällen aber fehlt jede Anschwellung und die Patienten finden bei genauer Vergleichung des leidenden Gelenkes mit dem gesunden keinen Unterschied. Die Beschwerden, welche durch Gelenkkörper erregt werden, sind je nach der Häufigkeit der Schmerzanfälle m und je nach der Reizung der Synovialhaut sehr verschieden. Dies lässt sich zum grossen Theil auch schon aus der verschiedenen Natur und Entstehungsweise der Gelenkkörper ableiten. Wie hat man jene plötzlichen und heftigen Schmerzanfälle zu erklären? Gewöhnlich nimmt man an, dass sie von der Interposition des Körpers zwischen den Gelenkflächen der Knochen abhängig seien, in der Art, dass der Kranke Ruhe habe, so lange die Gelenkmaus in einer Ausbuchtung der Synovialhaut verweile, dagegen von jenem plötzlichen Schmerze befallen werde, wenn durch irgend eine unvorhergesehene Bewegung eine Einschiebung .derselben zwischen die Gelenkflächen erfolge. R i e h et macht gegen diese Ansicht geltend, dass die Gelenkflächen viel zu genau auf einander passten und init viel zu grosser Kraft durch die Muskeln, Bänder und den Druck der Luft in innigster Berührung erhalten würden, als dass die Einschiebung eines Körpers von der Grösse einer Mandel oder gar darüber wahrscheinlich wäre. Ferner ist zu bedenken, dass die Gelenkknorpel absolut unempfindlich sind, so dass jener Schmerz jedenfalls nicht von ihrer Berührung, sondern nur von der durch das Auseinanderdrängen der Gelenk-Enden bewirkten Zerrung der Synovialhaut abgeleitet werden könnte. Ueberdies hat man ähnliche Schmerzen auch ohne Anwesenheit von Gelenkmäusen beobachtet, blos auf Grund plötzlicher oder heftiger Bewegungen. Diese leitet man dann von einer Zerrung oder Quetschung
840
Krankheiten der Gelenke.
eines Theiles der Synovialmembran ab. Wahrscheinlich muss diese Erklärung auch für die durch Gelenkkörper veranlassten Schmerzen als die richtige angesehen werden. Die D i a g n o s e der beweglichen Gelenkkörper stutzt sich wesentlich auf jene mehr oder weniger häufig wiederkehrenden, plötzlich auftretenden Schmerzen lind Functionsstörungen. Zur vollen Sicherheit der Diagnose gehört, dass man den Gelenkkörper selbst fühlt, was oft bei der grossen Beweglichkeit derselben sehr schwierig ist und gewöhnlich dem Kranken viel leichter gelingt als dem Arzte. Die P r o g n o s e der Gelenkmäuse ist in so fern nicht schlecht, als sie an sich nicht zu lebensgefährlichen Erkrankungen des Gelenkes führen. Dagegen können sie die Brauchbarkeit der Extremität, besonders wenn sie im Kniegelenk ihren Sitz haben, durch die häufige Wiederkehr der Schmerz-Anfälle in solchem Grade beeinträchtigen, dass der Kranke sich jeder, wenn auch lebensgefährlichen Operation zu unterwerfen bereit ist. B e h a n d l u n g . Es liegt sehr nahe, zur Beseitigung der erwähnten Beschwerden die o p e r a t i v e E n t f e r n u n g des fremden Körpers vorzunehmen. Dies thaten auch die ersten Beobachter dieses Leidens, namentlich P a r é , S i m p s o n u. A.,' bis die Erfahrung lehrte, dass diese Operation grosse Gefahren in ihrem Gefolge haben kann. Man kannte damals noch nicht die Üblen Zufälle, welche durch penetrirende Gelenkwunden herbeigeführt werden und es war blosser Zufall, dass gerade die ersten Operationen der An, bei welchen die Gelenkhöhle ohne besondere Vorsicht geöffnet wurde, glücklich abliefen. Die Zahl der unglücklichen Erfolge mehrte sich aber bald in so erschreckender Weise, dass Benj. Bell die Amputation des Oberschenkels der Ausziehung eines Gelenkkörpers aus dem Kniegelenk vorziehen zu müssen glaubte.') Dies ist jedenfalls eine Uebertreibung und die Vorsichtsmaassregeln, welche man in neuerer Zeit kennen gelernt hat, machen lebensgefährliche Zufälle so viel weniger wahrscheinlich, dass von einem Vergleich, wie ihn B e l l anstellte, gar nicht mehr die Rede sein kann. Die Vorsichtsmaassregeln, welche bei der E x t r a c t i o n d e r G e l e n k k ö r p e r zu beachten sind, beziehen sich theils auf die Vorbereitungen, theils auf die Ausführung der Operation selbst. Bevor man zur Operation schreitet, muss nämlich durch vollkommen ruhige Lage, Einwicklung, nöthigen Falls auch durch lócale Blut-Entziehungen, ' ) Man hat fast nur bei Gelenkmäusen i m K n i e g e l e n k
Veranlassung zur Ope-
ration gefunden; |jedoch operirlen Einzelne auch am Schulter- und am Ellenbogen-Gelenk. |
841
Gelenkmäiue.
und antidyskrasische Mittel, jede entzündliche Reizung aus dem der Operation zu unterwerfenden Gelenke verscheucht werden. ') Bei der Operation selbst muss der Z u t r i t t der L u f t in die Gelenkhöhle vermieden werden. Zu diesem Behuf empfahl bereits Desault die Verschiebung der Haut. Man drängt dann den fremden Körper an eine Stelle, wo die Gelenkkapsel möglichst oberflächlich liegt (am Kniegelenk die innere Seite) und macht, während man ihn mit der linken Hand fixirt, einen hinreichend grossen Einschnitt, um ihn ohne Zerrung der Kapsel heraustreten zu lassen. Sollte er noch an einem Stiele festsitzen, so wird dieser mit einer Scheere möglichst tief abgeschnitten. Tritt er nicht sogleich aus der Wunde hervor, so fasst man ihn mit einer Hakenpincette und zieht ihn schnell heraus. Jedenfalls lässt man unmittelbar, nachdem der Gelenkkörper die Hautwunde passirt hat, die verschobene Haut los, damit jene nicht mehr der Wunde in der Gelenkkapsel entspricht und somit das Eindringen von Luft in letztere unmöglich gemacht wird. D e s a u l t , B r o m f i e l d u. A. haben auf diese Weise im Allgemeinen sehr glückliche Resultate erzielt; jedoch mag mancher unglücklich abgelaufene Fall unbeschrieben geblieben sein, da bei gestielten Gelenkkörpern auf die angegebene Weise der Eintritt von Lull in die Gelenkkapsel sicher nicht zu vermeiden ist *) Jedenfalls wird man die Hautwunde schnell und genau durch Pflasterstreifen schliessen müssen und auch im glücklichsten Falle fUr mindestens acht Tage absolute Ruhe des operirten Gliedes anbefehlen, da bekanntlich oll erst mehrere Tage nach der Verletzung die verderbliche Entzündung ausbricht. Bei Weitem weniger gefährlich ist das Verfahren von Goyr a n d , welcher den Gelenkkörper in zwei Stationen herausbefördert (Méthode sous-cutanée en plusieurs temps). Der Gelenkkörper wird gegen eine vorspringende Stelle der Kapsel angedrängt, die Haut über ihm von einem Gehülfen in eine grosse Falte erhoben. An der Basis derselben sticht Goyrand ein langes schmales Bistouri*) gerade auf den Gelenkkörper ein und spaltet durch eine Hebelbewegung desselben, ohne die Stichwunde in der Haut zu vergrössern, die Kapsel in einer hinreichenden Ausdehnung, um dem durch ') Lis f r a n c ,
Gaz. de$ H&pit.
1 8 3 8 , Nr. 3 0 9 .
' ) jlcU k e n n e aus der Praxis eines berühmten Operateurs einen solchen Fall, wo Ijci
einem
kräftigen jungen Manne
eine
gefährliche Entzündung folgte
und
schliesslich Ankylose zuriickblieb.| ' ) jDas D i e f f e n b a c h ' s c h e Tenotora sehr b e q u e m . |
erwies sich mir,
auch zu diesem Behufe,
842
Krankheiten der Gelenke.
die Finger
der
linken
Hand
liervorgepressten
Gelenkkörper
Austritt in das subcutane Bindegewebe zu gestatten.
den
Dieser Aus-
tritt erfolgt mit einem plötzlichen, deutlich fühlbaren Ruck. ' ) Während die linke Hand die Haut gegen die Kapselwunde anpresst, u m den Rücktritt der Gelenkrnaus in die Kapsel zu verhüten, lässt der Gehülfe die Hautfalte los, und der Operateur zieht das Messer a u s der n u n weit von der Kapselwunde entfernt liegenden Hautwunde hervor.
Letztere wird mit ein wenig Charpie u n d einem Pflaster-
streifen bedeckt, wickelt.
das Gelenk aber mit einer weichen Binde einge-
Den Gelenkkörper findet man
in einiger E n t f e r n u n g von
dem Gelenke unter der Haut oder zwischen den Muskeln.
Hier
kann er dann am Besten wohl erst wenn die Kapselwunde vollständig geheilt ist, also in der Regel nach höchstens 8 T a g e n , alle Gefahr
durch
eine einfache Incision
ohne
exstirpirt werden.
Die
Vortheile dieses Verfahrens sind so einleuchtend und die durch dasselbe erzielten Resultate so glücklich, dass über seine Vorzüglichkeit vor der älteren Operationsweise kein Zweifel sein kann. rand
Goy-
selbst entfernte auf diese Weise aus demselben Kniegelenk
kurz nach einander zwei
Gelenkmäuse,
deren
eine er u n t e r der
Haut zurückliess, was nach seiner Ansicht stets ohne schehen k a n n . 2 )
Gefahr ge-
Jedoch m u s s man zugestehen, dass gestielte Ge-
lenkkörper auf diese Weise n u r durch einen besonders glücklichen Zufall herausbefördert werden k ö n n e n , durch
einen unglücklichen
u n d dass bei ungestielten
Zufall die Herausbeförderung
Gelenkkapsel Schwierigkeiten haben kann.
Bonnet
aus der
war z. B. in
einem Falle a u s s e r Stande, den Austritt des Gelenkkörpers zu bewirken,
obgleich er die Kapsel weit geöffnet hatte.
Ein weniger
u n a n g e n e h m e r Zufall ist mir b e g e g n e t : Der im Augenblick des Einschnitts noch deutlich unter dem Finger gefühlte und von diesem hervorgepresste Körper (von der Grösse einer Mandel) verschwand gänzlich, wahrscheinlich zwischen die Oberschenkelmuskeln,
erregte
aber keine Beschwerden. Ruhige Lage und bei den leisesten Schmerzen sogleich Anwendung des Eises dienen einer G e l e n k - E n t z ü n d u n g .
zur sichern Verhütung
G o y r a n d liess seinen Kranken
schon
am zweiten Tage nach der Operation — wohl allzu ilbermiithig — umhergehen. Die Gefahren des älteren Verfahrens für die Extraction der Gelenkkörper haben die Erfindung a n d e r e r Methoden ')
| Bestellt
zugleich
(¡olenkwassersucht.
so s p r i t z t das W a s s e r
herbeigeführt, aus der
m i r t e n Kapsel d u r c h die k l e i n e H a u t w u n d e in k r ä f t i g e m S t r a h l e
') Annales
de la chirurgie
française
et étrangère
coinpri-
hervor.|
1841, T. I, pag. 63.
843
Gelenkmäuse.
welche nicht ihre E n t f e r n u n g , sondern ihre F i x i r u n g
an
einer
Stelle des G e l e n k s , wo i h r e A n w e s e n h e i t k e i n e B e s c h w e r den erregen
s o l l , zum Zweck haben.
Middleton
und
Gooch
schlugen vor, zu diesem Zweck den Gelenkkörper durch einen geeigneten Verband
an der passenden
Stelle so lange
festzuhalten,
bis er durch Adhäsion mit seiner Umgebung hinreichend fest verwachsen. Nach den Angaben von S a m . C o o p e r hatte ihr Verfahren mehrmals Erfolg.
Auch B o y e r r ü h m t sich, in zwei Fällen durch
ein entsprechend gearbeitetes Knieband die Festheftung des Gelenkkörpers an einer unschädlichen Stelle erzielt zu haben.
Jedoch hat
er seine beiden Kranken später nicht wieder gesehen und der E r folg ist daher als zweifelhaft zu betrachten.
Mit m e h r Aussicht auf
Erfolg, aber auch weniger gefahrlos verfolgte D i e f f e n b a c h
den-
selben W e g , indem er die Gelenkmaus an einer passenden Stelle f e s t n a g e l t e . ')
Obgleich
er glückliche Resultate erzielt h a t ,
m u s s doch das G o y r a n d ' s c h e Verfahren, welches bei
so
geringerer
Gefährlichkeit grössere Sicherheit gewährt, sofern n u r der Gelenkkörper vollkommen frei beweglich ist, den Fixationsversuchen vorgezogen werden.
Ergiebt sich nach der subcutanen E r ö f f n u n g der
Gelenkkapsel die Unmöglichkeit, ihn aus derselben hervor zu drängen (in welchem Falle er wahrscheinlich gestielt ist), so m u s s man sich auf die Festheftung desselben durch eins d e r erwähnten Verfahren, am Besten wol durch eine Bandage, beschränken. | ') | D i e f f e n b a c l i
schlug
einen Stahlnagel
d u r c h d e n G e l e u k k ü r p e r b i s in d e n
K n o c h c n u n d z o g d e n Nagel e r s t n a c h 4 b i s 6 T a g e n a u s , u m h i n r e i c h e n d f e s t e Adhäsionen enstehen zu lassen.
Dies g e l a n g zwei Mal o h n e ü b l e Z u f ä l l e , in
einein d r i t t e n F a l l e t r a t b e d e n k l i c h e E i t e r u n g e i n . — J o b e r t s u c h t e d e n G e I c n k k ö r p c r d u r c h E i n s t e c h e n v o n ¡Nadeln z u li.xiren; d a s V e r f a h r e n s c h i e n d e r Patientin a b e r zu langweilig und wurde deshalb aufgeben. peuthine
1 8 4 6 , Juti.)|
( B u l l e t i n de
thira-
Elfter
Abschnitt.
Von den Krankheiten der Sehnenscheiden.') I. £ n l z Q n d n n ( der
Sehnenscheiden.
D i e Sebnenscbeiden werden sowol primär als secundär von Entzündung ergriffen, hüufiger ist die letztere Entstehungsweise. Namentlich gesellt sich zu Verletzungen an der Hand oft eine schnell Uber die ganze Ausdehnung der entsprechenden Sehnenscheiden bis zum obern Drittheil des Vorderarms sich ausbreitende Entzündung und Eiterung, wenn auch ursprünglich gar keine Verletzung der Sehnenscheiden selbst vorhanden war. Eine Phlegmone kann auf die in ihrer Nachbarschaft liegenden Sehnenscheiden sich fortsetzen und dadurch, wegen der schnellen Weiterverbreitung, welche die Entzündung in diesen Kanälen erfährt, und durch die Einklemmung, welche in ihnen Statt findet, eine höchst bedenkliche Complication erhalten. In allen diesen Fällen ist eine eingreifende Behandlung, namentlich ein frühzeitiger Einschnitt dringend zu «mpfeblen. Die primäre Entzündung der nicht verletzten Sehnenscheiden ' ) (Die Sehnenscheiden oder Schleimscheiden sind eigentlich als accessorische Organe der Sehnen und Muskeln zu betrachten. gen,
wie dies auch
Wir widmen ihren
bei den Schleimbeuteln
geschehen
welche mit ihnen so viele Analogien besitzen,
ist
Erkrankun-
(vergl. pag. 75),
einen besonderen
kleinen Ab-
schnitt u n d schliessen sie namentlich unmittelbar an die Krankheiten lenke a n ,
weil sie in ihren physiologischen
und
mit diesen die grösste Uebereinstimmung zeigen.
pathologischen —
der Ge-
Verhältnissen
Von den Wunden der
Sehnenscheiden besonders zu bandeln, wäre überflüssig, da sie bei den Wunden der Sehnen, mit denen sie fast immer coincidiren, erörtert werden müssen.|
Entzündung der Sehnenscheiden.
845
wird als s c h m e r z h a f t e C r e p i t a t i o n derselben, Tenotynitis crepitans, Unguinocele tendinosa bezeichnet. B o y e r 1 ) , Velpeau*), R o g n e t t a 3 ), M a r c h a i 4 ) , P o u l a i n * ) haben dieses Uebel besonders genau untersucht. Es ist im Volke sehr wohl bekannt. Die Bauern der Gascogne nennen es „ Lai' u ' ) , | die Pommern „Knirrband"|. Diese Entzündung kann Uberall am Körper auftreten, wo Muskeln oder Sehnen in einer durch die Fascie eng umschlossenen Scheide sich bewegen. Am Stärksten entwickelt sie sich an denjenigen Stellen, wo Muskel- und Sehnenfasern zusammenstossen. Bei Weitem am Häufigsten beobachtet man sie am Vorderarm, wo das eigentümlich knirrende Geräusch, welches in ihrem Gefolge auftritt, zuweilen fUr Knochen - Crepitation gehalten worden ist. Boy er sagt deshalb bei Gelegenheit der Vorderarmbrtlche ausdrücklich: „Man darf in Betreff der Crepitation nicht vergessen, dass Personen, welche viel und angestrengt mit ihren Händen arbeiten, einer eigentümlichen Affection des Zellgewebes, welches den Abductor longus und den Exlensor brevis pollicis umgiebt, unterworfen sind, wobei die genannten Muskeln stärker hervorspringen und wenn man sie drückt, ein eigenthümliches Geräusch vernehmen lassen, weiches am Besten mit dem durch Kneten von trockenem Stärkemehl entstehenden Geräusche verglichen werden kann." V e l p e a u hat dieselben Erscheinungen in der Nähe des Fussgelenkes beobachtet, an welcher Stelle jedoch wegen der tiefern Lage der Sehnen die Symptome weniger deutlich sind. Von L i s f r a n c wurde auf die Möglichkeit der Verwechslung einer Tenotynitis wepitans in der Sehnenscheide des langen Kopfes des Biceps mit einer Fractura colli humeri (nach Beobachtung eines solchen Falles) aufmerksam gemacht. Fast immer waren sehr angestrengte Muskelbewegungen die Ursache der Entzündung. | Jedoch können, nach meinen Beobachtungen, auch Quetschungen die Veranlassung geben. | Die D i a g n o s e ist sehr leicht, sobald man nur einmal das eigentümliche Geräusch (besser: Gefühl), welches unter dem Finger, bei Bewegung der Sehnen, an der leidenden Stelle entsteht, wahr') Maladlet chtrurytcales, T. III, p. 222. ') Tratte complet iTanatomie cktrwrgtcale, Parti 1837, T. II, p. 621; und Lefont clMques chtrvrgtcale», T. III, p. 94.
') Qaxstte midicalc 1834, p. 595. ) Ihiees de Parts 1839, p. 64.
4
*) Tkitet de Parti 1835. ') j M i c h o n in seiner Monographie „De* tumeur» tynoviaUt schreibt ,tAi.*\
etc.," Paris 1851,
846
Krankheiten der Sehnenscheiden.
genommen
hat.
zutreffend.
Schmerzhaft ist vorzugsweise die Verbindungsstelle zwi-
Die B o y e r ' s e h e
schen Sehne und Muskel.
Beschreibung
Die gewöhnlich
ist
vollkommen
unbedeutende und i m -
m e r farblose Geschwulst rührt theils von der stärkern Anschwellung der Sehnenscheide, theils von der Anschwellung des Muskelbauchs her.
Druck auf die leidende Stelle, so wie passive und active B e -
wegungen
sind schmerzhaft.
| Durch
letztere
kann
Knirren besonders stark hervorgerufen werden. |
zuweilen das
Dies
eigentüm-
liche Geräusch entsteht übrigens, obgleich viel schwächer, auch im normalen Zustande an manchen Stellen, wo Sehnen Uber Knochenvorsprünge hinweglaufen.
S o findet es sich z. B . , nach
durch das Hin- und Hergleiten
des Glutaeus
Marchai, über den
maximus
Trochantcr major. Die B e h a n d l u n g den Theil;
erheischt
vor Allem Ruhe für den leiden-
oft reicht diese allein aus.
Fügt man noch ein Cata-
plasma hinzu, so schwinden fast immer alle Beschwerden innerhalb 1 0 , 1 5 bis 2 0 Tagen.
| Schneller wird der Patient wiederhergestellt,
wenn man ein grosses Vesicans auf die betreffende Stelle legt und nach Eröffnung
der Blase mit Watte
obschon gleichfalls empfohlen, theilende Salben.|
Boyer1)
verbindet.
Minder wirksam,
sind reizende und sogenannte z e r erzählt von einem Kranken, bei dem
trotz aller Behandlung eine convulsivische Spannung des pollicis
der rechten Hand zurückblieb,
Hand schreiben
lernen
nicht um Tenosynilis,
musste.
so dass
Exlensor
er mit der linken
| Hier handelte es sich
offenbar
sondern um Schreibekrampf. |
II. Wassersucht der Sehnenscheiden, (Jeberbeln, Ganglion« In Folge
einer
chronischen
Entzündung
der Sehnenscheiden
entstehen besonders häufig in der Umgegend des Handgelenks, zuweilen auch auf dem Fussriicken,
namentlich
am inneren Rande,
seltner in der Umgegend des Fussgelenks, circumScripte Geschwülste, welche
in den Sehnenscheiden
selbst
ihren
Sitz haben.
reichen selten eine bedeutende Grösse, sind schmerzlos, über ihnen unverändert.
Wird der Muskel, zu welchem
Sie e r die Haut die e r -
krankte Sehnenscheide gehört, erschlafft, so erscheinen sie zuweilen kleiner oder doch weniger gespannt, in einzelnen Fällen verschwinden sie sogar gänzlich.
') Boyer,
Ihr Wachsthum schreitet in der Regel sehr
Tratte Jet maladlet cMrurgicales,
5.
eiiil., T. II, p.
fiOa.
Wassersucht der Sehnenscheiden.
847
langsam fort; jedoch kommen einzelne Fälle vor (wie Vi d a l einen solchen erzählt), wo sie nach grossen Anstrengungen schnell bis zu der Grösse einer Nuss sich entwickeln. Haben sie ihren Sitz am Fussrücken, so werden sie heim Gehen, oft auch durch den blossen Druck der Fussbekleidung schmerzhaft und sehr hinderlich. Die Schmerzhaftigkeit verschwindet jedoch schnell, sobald der Fuss Ruhe hat. An anderen Stellen des Körpers, namentlich an der Hand, haben sie gewöhnlich ausser der durch sie bedingten Difformität keine Nachlheile. Erstreckt sich ein Ganglion aber bis in die Hohlhand, so wird dadurch die Function der Fingerbeuger beeinträchtigt. Nach J. C l o q u e t wird die Beugung der Finger unmöglich, nach C o o p e r dagegen stehen die Finger, wegen Aufhebung der Beugesehnen durch die Geschwulst, in permanenter Beugung. Nicht selten kommen in diesen Geschwülsten freie und gestielte Körperchen (Corpora oryzoidea), meistens jedoch solche ohne Stiel, vor; vorzugsweise bei wassersüchtiger Ausdehnung derjenigen Sehnenscheiden, welche unter dem Ligamentum carpi volare proprium liegen. D u p u y t r e n hielt sie für hydatidenartige belebte Wesen und gab diesen Geschwülsten deshalb den Namen Cystes hydatiformes. ß o s c und D u m e r i l hielten sie für Fetzen von Fettgewebe, Andere für Fibringerinnsel. Wenn sie frei beweglich und ohne Stiel vorkommen, so haben sie gewöhnlich die Grösse eines Nadelknopfes, eines Reiskornes und darüber, höchstens jedoch diejenige einer Bohne. Sie sind weisslich, glänzend, oder halb durchscheinend, oval, plattgedrückt, besitzen eine bedeutende Elasticität (ähnlich halb gar gekochten Reiskörnern) und sind oft in grösserer Anzahl mit einander verklebt. Sie enthalten eine mit Flüssigkeit oder mit Feit gefüllte Höhle. Die mikroskopische Untersuchung lässt in ihnen nur homogenes Gewebe erkennen, j In anderen Fällen, oder auch neben den frei beweglichen, findet man ganz ähnliche Körperchen an mehr oder weniger dicken Stielen festhängend. Von d i e ^ n sah man mehrmals alle Uebergangsstufen bis zu den allerkleinsten zottenförmigen Fortsätzen auf der innern Fläche der Sehnenscheide. Die Analogie zwischen den Sehnenscheiden und den Synovialhäuten lässt die Ansicht haltbar erscheinen, dass die Entstehung dieser Körperchen in den Sehnenscheiden, analog der entzündlichen Hypertrophie der Gelenkzotten, von einer abnormen Entwicklung der in den Sehnenscheiden allerdings seltener vorkommenden ähnlichen Fortsätze abzuleiten sei. ') |
' ) | E . G u r l t 1. c. und die daselbst genau angegebene Literatur.!
848
Krankheiten der Sehnenscheiden.
Die D i a g n o s e dieser Geschwülste gelingt häufig dem Kranken selbst, wenngleich durch den Namen „Ueberbein" die entschiedenste Unwissenheit Uber den Sitz und die wahre Natur derselben bewiesen wird. Die Localität in welcher sie vorkommen, ihre Verminderung oder selbst vorübergehende Beseitigung bei Erschlaffung der Sehne und gleichzeitiger Coinpression der Geschwulst, die schnelle Wiederkehr bei Nachlass der letztern oder Anspannung des Muskels sichern die Diagnose. Die Anwesenheit der Dupuytren'schen Körperchen wird aus einem, theils mit der Hand zu fühlenden, theils mittelst des Stethoskops zu hörenden Reibegeräusch erschlossen, welches jedoch nicht constant ist, sondern in derselben Geschwulst an dem einen Tage fehlen und an dem nächsten vorhanden sein kann, je nachdem die constante Erweiterung der Sehnenscheide, durch eine mehr oder weniger reichliche flüssige Exsudation, noch stärker ausgedehnt wird oder nicht. Besonders auffallend ist dies Geräusch, wenn der erweiterte Theil der Sehnenscheide unter dem Ligam. carpi volare propr. hindurch geht, in welchem Falle die Geschwulst die Gestalt eines Quersacks erhält, in welchem man den ganzen Inhalt (so auch namentlich die erwähnten Körperchen) aus dem einen erweiterten Endstück unter dem Ligam. carpi volare propr. hindurch in das andere mit jenem charakteristischen Geräusch hinübertreiben kann. Die Beschwerden dieser Geschwülste pflegen bedeutender zu sein, wenn sie zahlreiche Körperchen enthalten, als wenn sie blos mit Flüssigkeit gefüllt sind. Die B e h a n d l u n g dieser circumscripten Wassersuchten mit pharmaceutischen Mitteln hat gar keinen oder doch keinen dauernden Erfolg. Die a l l m ä l i g e C o m p r e s s i o n mittelst verschiedener Verbände, Bleiplatten etc. hat gleichfalls geringen Nutzen. Dagegen führt die plötzliche und gewaltsame Compression, die Z e r m a l m u n g , das Zerdrücken, Zerschmettern etc. in der Regel zum Ziel, wenn die Wandungen nicht sehr stark verdickt sind. Wer kräftige Finger hat, wird mit diesen allein gewöhnlich .ausreichen. Der kranke Theil wird auf eine feste Unterlage gelegt und der Operateur fasst die Geschwulst zwischen seine beiden Daumen, mit denen er möglichst kräftig gegen sie drückt. Gelingt dies nicht, so sucht man sie mittelst eines vorher mit Leinwand umwickelten Petschafts oder dergleichen zu zerdrücken. | Endlich führt sehr oft, wenn diese Versuche misslingen, die Z e r s c h m e t t e r u n g m i t t e l s t e i n e s h ö l z e r n e n H a m m e r s sicher und gefahrlos zum Ziele; nur muss man, um durch den kräftig zu führenden Schlag nicht einen Knochenbruch zu veranlassen, für eine hinreichend elastische Unterlage
849
Wassersucht der Sehnenscheiden.
sorgen.
Ist durch eins dieser Verfahren die W a n d u n g der ausge-
dehnten Sehnenscheide zersprengt, so tritt die der Synovia ähnliche Flüssigkeit in das umliegende Bindegewebe, woselbst sie leicht r e sorbirt wird.
Sind Corpora oryzoidea in dem Ueberbeine enthalten,
so ist deren Resorption allerdings problematisch;
die
gestielten
Körpereben bleiben höchst wahrscheinlich immer zurück und w e r den dann nach
Verheilung
der Sehnenscheide
Recidiven Veranlassung geben. benen Weisen
voraussichtlich
zu
Lässt sich in keiner der angege-
die Zersprengung
des Ganglion ausführen, so ver-
richtet man die s u b c u t a n e I n c i s i o n ' ) , wie sie G o y r a n d
für die
Operation der Gelenkmäuse angegeben hat, verschliesst die kleine W u n d e sorgfältig, und sucht durch einen Compressiv-Verband Kälte die Entzündung zu verhüten und die Resorption
und
der hierbei
gleichfalls in das Bindegewebe sich ergiessenden Flüssigkeit zu befördern.
Eine
solche
Nachbehandlung wird a u c h , wenn die Z e r -
schmetterung vorausging, angemessen sein.
Gegen Recidive stellt
die subcutane Incision nicht mehr sicher, als- die Zerschmetterung. Um einer radicalen Heilung sicher zu sein, bleibt schliesslich nichts übrig, als die ganze Geschwulst zu s p a l t e n ,
bei sehr bedeutender
Dicke ihrer Wandungen einen Theil derselben abzutragen und die W u n d e dann durch Eiterung heilen zu lassen, freilich auf die Gefahr hin, dass die nachfolgende, oft Uber die ganze Hand und den Vorderarm sich ausbreitende EntzUnduDg sich bis z u r Lebensgefahr steigern
kann.1)
' ) D u p u y t r e n hat einige Kranke nach dieser Operation verloren und bei mehreren sehr bedenkliche Zufälle zu bekämpfen gehabt (vergl. Leçons T. ¡II.).
oral*»,
Man darf überdies nicht vergessen, dass die durch eine solche Ope-
ration absichtlich erregte heftige Entzündung voraussichtlich zu einer solchen Festheftung der Sehne führen kann, dass die Brauchbarkeit der Hand schliesslich keine viel grössere sein könnte, als vor der Operation. ' ) Die einfache Incision mit darauf folgenden andauernden kalten Irrigationen, in der Absicht durch prima tntentio angewandt. élément
zu heilen, hat B é r a r d
Läufig mit Glück
Die subcutane Incision hat B é g i n zuerst beschrieben
de chirurgie
W i d a l ' i Chirurgie. II.
et de médecine
opératoire,
Parle
(Nouveaux
1 8 3 8 , T. i l ) .
54
Z w ö l f t e r
A b s c h n i t t .
Von den Krankheiten der Muskeln und Sehnen. Brate«
Capltel.
Von den Verletzungen der Muskeln und Sehnen. 1. W u n d e n A. S t i c h w u n d e n .
ier Muskeln und
Sehnen.
Seit man die Sehnen nicht mehr mit den
Nerven verwechselt, hat man auch aufgehört, ihren Verletzungen durch stechende Instrumente jene Bedeutung beizulegen, die man ihnen früher zuschrieb. Treten nach einer solchen SehueriYerletzung bedenkliche ZuRille auf, so hängen sie entweder von der Verletzung der S e h n e n s c h e i d e n oder von der Verletzung eines benachbarten Nerven ab, oder endlich es handelt sich um eine durch die umgebenden Aponeurosen eingeklemmte Entzündung,
Wichtig ist zu un-
terscheiden, ob das stechende Instrument einfach seine ursprüngliche Richtung verfolgt, oder dieselbe unter der Haut in der Weise ändert, dass der Sehne eine Schnitt-, vielleicht auch Risswunde beigebracht wird.
Diese subcutanen Schnittwunden haben mit den Stich-
wunden gar nichts gemein. Bei Weitem nicht immer trennt eine Wunde die Continuität eine« Nerven gänzlich.
Befangen in der irrthüm-
lichen Verwechslung von Nerven und Sehnen lehrte man
früher,
dass die Trennung durch einen Schnitt zu einer vollständigen gemacht werden müsse.
Heut zu Tage denkt Niemand mehr hieran,
da die unverletzt gebliebenen Sehnenfasern
höchst nützlich sind,
indem sie das weitere Klaffen der Sehnenwunden daher eine schnelle Vernarbung
begünstigen.
verhindern und
Jedoch
scheint in
einigen Fällen, namentlich bei Stichwunden der Achillessehne, in der That eine Dilatation der Wunde nothwendig geworden zu sein.
851
Wunden der Muskeln und Sehnen.
Dies hing wahrscheinlich von einer Einklemmung der Entzündungsgeschwulst durch die ungetrennt gebliebenen Sehnenfasern ab. B. S c h n i t t w u n d e n . Querwunden der Muskeln und Sehnen können fast als Typus der Wunden überhaupt gelten. Bei letzteren ist die Blutung, wenn nicht zufällig ein benachbartes Gefäss verletzt ist, sehr gering; bei beiden pflegt der Schmerz auch unbedeutend zu sein, wenn nicht nebenbei ein Nervenast verletzt ist. Vorzugsweise deutlich zeigen diese Wunden das Klaffen der Wundränder. Ist mit dem Muskel zugleich die ihn bedeckende Haut durchschnitten, so sieht man die von einander weichenden Ränder des Muskelschnitts. Blieb die Haut unverletzt, so kann man sie an der Stelle der Muskelwunde in die Tiefe der Wunde, und zwar bei vollständiger Durchschneidung der Dicke des Muskels entsprechend tief eindrücken. Bald aber füllt sich dieser Raum mit Blut, so dass er in der nächsten Zeit nicht mehr bestimmt erkannt werden kann. Muskelwunden klaffen ccteris paribus stärker als Sehnenwunden, weil die an den Wundflächen Statt findende Reizung die Muskelbündel und die um sie herum verlaufenden Nervenfibrillen direct trifft. Bei gänzlicher querer Trennung eines Muskels zieht sich das längere Ende desselben stärker zurück als das kürzere. In gleicher Weise klaffen die Wunden lang gestreckter Muskeln stärker, als diejenigen kurzer. Ist eine Sehne ganz durchschnitten, so wird derjenige Theil, welcher mit dem Muskelbauche zusammenhängt, durch die Contraction des letzteren stark zurückgezogen. Das andere Ende erleidet keine Verkürzung, kann aber indirect durch die Wirkung der Antagonisten des zugehörigen Muskels zurückgezogen werden. So z. B. das untere Ende der Achillessehne durch die Wirkung des Tibialis antieus und der Extensoren der Zehen. Der Heilungsprocess dieser Wunden ist verschieden, je nachdem sie subcutan oder mit Trennung der Haut complicirt sind. a) Bei s u b c u t a n e n Durchschneidungen der Muskeln und Sehnen erfolgt die Heilung wiederum in verschiedener Weise, je nachdem die Wundränder sich berühren oder nicht. Im ersteren Falle erfolgt die Heilung durch prima inte/ilio, im zweiten dagegen wird der Raum zwischen beiden durch ein plastisches Exsudat ausgefüllt, welches anfangs weich und gallertartig, späterhin sich verdichtet und in Sehnenfasern sich umwandelt, welche mit den beiden linden der durchschnittenen Sehnen oder Muskeln verwachsen. Im Verlauf einiger Monate schrumpft diese Narbe, welche in einer Muskelwunde ganz wie bei einer Sehne aus fibrösem Gewebe besteht, durch den bekannten allgemeinen Vorgang der Narbenverkürzung allmälig im54*
852
Krankheiten der Muskeln und Sehnen.
mer mehr zusammen und Muskel sowol als Sehne können schliesslich nahezu auf dieselbe Form und Länge zurückgeführt werden, welche sie vor der Verletzung hatten. Von grosser Bedeutung ist für die vollständige Wiederherstellung einer durchschnittenen Sehne die Integrität der Sehnenscheide, von welcher, je weniger sie zerstört ist, desto sicherer das zur Wiederherstellung der Continuität der Sehne erforderliche plastische Exsudat geliefert wird. Erfolgte, was besonders bei bedeutendem Klaffen der Fall ist, ein beträchtlicher Blut-Erguss zwischen den Enden, so wird zunächst der Farbestoff aus dem Gerinnsel ziemlich schnell resorbirt, dasselbe verklebt mit den Enden und umgibt sie ringförmig, in ähnlicher Weise, wie wir dies filr den beginnenden Callus (pag. 360 u. folg.) beschrieben haben. Durch Exsudat verstärkt, stellt dies Gerinnsel am zwölften Tage bereits eine Art von Filz dar, dessen Festigkeit und Elasticitat allmälig wachsen. Jedenfalls hat das neugebildete Stück Sehne schliesslich, mit Ausnahme der Farbe, welche weniger glänzend ist, alle Eigenschaften des Sehnengewebes. Die Störung in der Function des Muskels beruht fernerhin nur auf der durch die Interposition dieses NarbenstUcks bedingten Verlängerung und der Festheftung des letzteren entweder an die Sehnenscheide oder an andere Nachbargebilde. Ist der Zwischenraum zwischen den getrennten Enden eines Muskels oder einer Sehne sehr bedeutend, oder wird die Haut auf irgend eine Weise in die oben beschriebene Vertiefung zwischen den Wundflächen eingepresst, so vernarbt jede Wundfläche für sich, es tritt keine Vereinigung ein und die Function des entsprechenden Muskels ist vernichtet. Ebenso verhält es sich, wenn mit einer Sehne zugleich ein benachbarter Schleimbeutel oder eine Gelenkkapsel verletzt ist, indem die aus den gedachten Höhlen hervorquellende Flüssigkeit die Heilung stört. Ueber die Wiederherstellung der subcutan durchschnittenen Sehnen und Muskeln hat man besonders seit Einführung der Tenotomie (vergl. Bd. I, pag. 104) in ähnlicher Weise wie für die Erklärung der Callusbildung eine grosse Anzahl von Theorien aufgestellt. Die Sache verhält sich hier wie dort: es wirken mehrere Factoren zugleich. Den ersten Platz behauptet jedenfalls das von dem Muskel und der Sehne selbst, resp. von deren Sehnenscheide gelieferte Exsudat. Die Sehnenscheide kann in dieser Beziehung dem Periost verglichen werden. Demnächst ist in einzelnen Fällen wol auch der Blut-Erguss als Material für das neuzubildende Sehnenstuck von Bedeutung, obgleich gerade hierüber die Meinungen noch sehr getheilt sind.
Wunden der Muskeln und Sehnen.
853
b) Ist die Wunde dagegen eine o f f e n e , so ist der Vorgang verschieden, je nachdem ein Muskel oder eine Sehne durchschnitten ist. Bei einem Muskel kann unter sonst günstigen Verhältnissen, wenn die Muskel-Enden sich nicht allzusehr zurückgezogen haben, durch eine zweckmässige Behandlung noch oft Heilung per primam intentionem erzielt werden; bei offenen Sehnenwunden selten. Man sieht die Sehnen vielmehr lange Zeit blass und ohne Lebenszeichen in der Wunde liegen; endlich zeigen sich Gefässe in ihnen, sie werden roth, Fleischwärzchen wachsen auf den Schnittflächen und verschmelzen allmälig mit den von den benachbarten Theilen aus hervorsprossenden. Endlich wird der ganze Zwischenraum durch letztere ausgefüllt und die Narbenverkürzung beginnt, so dass schliesslich die Continuität der Sehne vollständig wieder hergestellt wird, mit dem einzigen Unterschiede, dass bei diesem Heilungsvorgange die Sehnennarbe nothwendig mit den umgebenden Theilen verwächst Hieraus entsteht immer eine Störung in der Function des betreffenden Muskels, durch dessen Zusammenziehungen die Sehne nicht frei und datier auch nicht vollständig bewegt werden kann. Die Haut wird im Augenblicke der Contraction des Muskels mit der Sehne zugleich bewegt, folgt derselben, so weit es ihre Dehnbarkeit gestattet, und bildet deshalb bei jeder Anspannung durch den Muskel an der Stelle der Verwachsung eine trichterförmige Vertiefung. In ganz ähnlicher Weise erfolgt die Heilung, wenn durch Verschwärungen oder Brand ein Substanzverlust in der Continuität einerSehne herbeigeführt worden ist. Ein ganz ähnlicher Vorgang und Erfolg wird auch beobachtet, wenn bei subcutanen Sehnenwunden eine irgend beträchtliche Eiterung eintritt. B e h a n d l u n g . Möglichst genaue Vereinigung der verwundeten Sehnen- oder Muskel-Enden und Abhaltung jeder Irritation sind die zu erfüllenden Aufgaben. Eine tief angelegte Naht würde der ersteren Indication vorzüglich entsprechen; jedoch wird sie von vielen Autoren wegen des mit ihr verbundenen Nachtheils einer heftigen Reizung bei Sehnenwunden gefürchtet. In der Mehrzahl der Fälle ist auch eine zweckmässige Lagerung durchaus zureichend. M o n d i e r e ' ) sagt mit Recht. „Die Sehnennaht ist zuweilen nützlich, selten unentbehrlich und sehr oft überflüssig." Für die Ausführung der Sehnennaht bedarf man söhr scharfer Nadeln; die Schwierigkeit, das Sehnengewebe ohne beträchtliche Zerrung zu durchstechen, ist weniger gross, wenn man Nadeln anwendet, welche in der Art ') Archive» dt midteint,
Serif III,
T. 11, p. 57.
854
Krankheiten der Muskeln lind Sehnen.
zweischneidig sind, dass ihre Flächen den zu durchstechenden Sehnenfasern parallel laufen, so das letztere nicht quer durchschnitten werden. Besteht gar keine Hautwunde, so wird natürlich auch von der Sehnennaht keine Rede sein können; dagegen wird man, auch wenn letztere nicht in Anwendung gezogen werden soll, die mit Sehnenverletzung complicirte Hautwunde doch, durch die Naht oder die Anlegung von Serres-fines, in die zur Erzielung von prima intentio geeignetsten Verhältnisse zu bringen suchen, da die Aussicht auf eine günstige Vereinigung der Sehnen-Enden desto grösser ist, je weniger lange sie der Luft ausgesetzt bleiben. Nächst einer zweckmässigen Lagerung muss ein angemessener Verband die SehnenEnden einander nähern. Oft ist hierzu eine einfache Rollbinde ausreichend, in manchen Fällen aber muss man, uin die Theile in der gehörigen Lage unbeweglich zu erhalten, Schienen, Riemen und complicirte Verbandstücke zu Hülfe nehmen, so z. B. bei Durchschneidung der Achillessehne oder des Ligamentum patellae, welches auch in dieser Beziehung als die Fortsetzung der Strecksehnen zu betrachten ist. Wenn die Enden einer durchschnittenen Sehne, ohne sich zu vereinigen, vernarbt sind, so muss man, um die Function des Muskels wieder herzustellen, durch einen Längsschnitt dieselben bloss legen, dann anfrischen und nach gehöriger Annäherung durch eine zweckmässige Lagerung, nöthigenfalls auch Ausschälung aus den mit ihnen verwachsenen Theilen, die Vereinigung durch die Naht versuchen. Für eine Sehne von zwei Linien Breite reicht e i n e Naht aus; bei breiteren legt man eine entsprechend grössere Zahl an. Die Nadeln müssen 2 — 3 Linien von dem angefrischten Ende entfernt durch die ganze Dicke der Sehne durchgestochen werden. Nachdem die Fäden geknotet sind, verfährt man mit ihnen wie mit Ligaturfäden (vergl. pag. 148); die Hautwunde wird möglichst genau vereinigt. Die Nähte in der Sehne werden auch späterhin den Ligaturfäden gleich behandelt; sie lösen sich durch Verschwärung des von ihnen umfassten Stückchens der Sehne sehr langsam, dürfen aber niemals mit Gewalt, sondern immer erst, wenn sie sich vollständig gelöst haben, durch einen leisen Zug entfernt werden. C. Z e r r e i s s u n g e n der Muskeln und Sehnen haben in Betreif des Mechanismus der Verletzung und Heilung grosse Aehnlichkeit mit Knochenbrüchen. Gewöhnlich ist eine übermässige Dehnung entweder durch äussere Gewalt oder durch Muskelzusammenziehung die Ursache. So beruht z. B. die Zerreissung der
85t»
Wunden der Muskeln und Sehnen.
Achillessehne auf übermässiger oder doch sehr plötzlicher Zusammenziehung der Wadenmuskeln, wie sie in dem Augenblick, wo man einen Fall zu vermeiden sucht, abgleitet, zu Stande kommt. leichter als Muskeln,
oder von einer Treppenstufe
Sehnen zerreissen im Allgemeinen viel
besonders sind Zerreissungen
durch seine eigene Contraction
überaus
selten.
eines Muskels
Sédillot1)
hat
nachgewiesen, dass unter 2 8 Fällen, in denen die Stelle der Zerreissung genau bemerkt war, 13 Mal die Verbindungsstelle zwischen den Muskel- und Sehnenfasern selbst zerrissen war.
und nur 8 Mal der
Muskelbauch
Die anatomischen Verhältnisse lassen
diese
Thatsache leicht erklärlich erscheinen. Jede
Muskelzerreissung liefert eine ungleiche Wunde, indem
die einzelnen Muskelbündel in verschieden hohem Grade nachgeben und an verschiedenen Stellen reissen. Dagegen zeigt eine zerrissene Sehne durchaus glatte Trennungsflächen,
so dass es schwer sein
kann, den Unterschied von einer Durchschneidung zu erkennen. Die Fascien, welche die Muskelscheiden bilden oder die Muskeln in gewissen Richtungen festhalten, können durch die Anschwellung eines Muskelbauchs während heftiger Zusammenziehung selben zersprengt werden.
Solche Zerreissungen,
welche
des-
jedoch
nur selten mit Sicherheit nachgewiesen, werden können, sollen sehr schmerzhaft sein.
Sie geben zu dem Hervorquellen
des Muskel-
bauchs, einer Art von Dislocation desselben, Veranlassung. Im Augenblick der Zerreissung
einer Sehne hört der Kranke
zuweilen ein deutliches Geräusch und hat eine plötzliche erschütternde Schmerzempfindung, als wäre er durch einen Steinwurf oder einen Peitschenhieb
getroffen;
daher der Name ,,coup
de
fouet",
den man insbesondere der Zerreissung der Achillessehne in Frankreich giebt.
Der Schmerz geht bald vorüber, spätestens nach eini-
gen Tagen, aber es bleibt ein Gefühl von Schwere und Steifigkeit, und der Muskel, dessen werden.
Sehne zerrissen
ist, kann nicht bewegt
An der Stelle der Zerreissung fühlt man, wenn der Mus-
kel oder die Sehne
oberflächlich
liegt,
eine, je nach der Länge
und Dicke des Muskels verschieden starke Vertiefung, welche durch absichtliche Bewegung der Antagonisten vergrössert wird.
Bei Zer-
reissung des Muskels wird diese Vertiefung schneller als bei derjenigen einer Sehne durch einen Blut-Erguss ausgefüllt, was sich leicht aus dem grösseren Gefässreichthum des ersteren erklärt.
') Memoire sur la rupture musculaire. Mémoires et prix de la Soc. de med. de Paris. Paris 1817, p. 155 et suiv.
856
Krankheiten der Muskeln und Sehnen.
Die Bedeutung dieser Zerreissung ist vorzüglich von der Gegend, in welcher der zerrissene Muskel seine Lage hat, abhängig. Daher sind namentlich Zerreissungen der Muskeln des Rumpfes als schwere Verletzungen zu betrachten.') Bei den Muskeln und Sehnen der Extremitäten kommt es auf die Wichtigkeit ihrer Function an. Für das Leben sind Muskelzerreissungen im Allgemeinen gefährlicher als Zerreissungen der Sehnen, hauptsächlich wegen der bei ersteren auftretenden Blut-Ergüsse. In Betreif des Heilungsvorganges und der Behandlung verhalten sich diese Zerreissungen, sofern nur die Haut unversehrt geblieben ist, vollständig wie subcutane Wunden. D. Q u e t s c h u n g e n der Muskeln sind nicht so selten, als man nach der geringen Rücksicht, die man ihnen gewöhnlich zuwendet, glauben sollte. Nach A l l i s o n 2 ) kann der gequetschte Muskel einen vierfach verschiedenen Zustand darbieten. Zuweilen findet sich blos eine Art von Betäubung des Muskels, analog der Gehirn-Erschütterung; hierbei kann der Muskel erschlafft oder in andauernde Contraction versetzt sein. Wurde der Muskel von einer Quetschung betroffen, während er sich stark zusammenzog, so bleibt er oft starr, in anderen Fällen aber auch vollkommen schlaff, so lange der Kranke ihn nicht zu bewegen versucht. Sobald dies aber geschieht, geräth er in ein krampfhaftes Zittern, welches mit heftigen Schmerzen verbunden ist. Wahrscheinlich sind diese noch dunkeln Erscheinungen an den gequetschten Muskeln aus verschiedenen anatomischen Veränderungen abzuleiten, da es sich bei jeder Muskelquetschung zugleich um eine Erschütterung, und in bedeutenden Fällen auch gleichzeitige Quetschung der in dem Muskel verlaufenden Nervenzweige, ausserdem aber um die Veränderungen der Muskelsubstanz selbst handeln muss, welche in partiellen Zerreissungen, mehr oder weniger bedeutendem Blut-Erguss und späterhin in Verdrängung der Muskelfasern durch ein entzündliches Exsudat bestehen können. Hieraus ergiebt sicli denn auch die mögliche Gefahr der Muskelquetschung: bald Lähmung wegen aufgehobenen Nerven-Einflusses, bald Atrophie durch Entzündung (vergl. das folgende Capitel). In der Mehrzahl der Fälle aber, sofern nämlich die Muskelquetschung durch eine geringfügige Gewalt veranlasst war, kehren die erschütterten Nerven zu ihrer normalen ThSligkeit
' ) B o y e i erwähnt zwei Falle der Art, welche zum Tode führten; der eine betrat den Hectus -) Gazette
abdominis,
medic.
der andere den Psoas.
1842, p. 696.
857
Verrenkungen der Muskeln und Sehnen. zurück und die B l u t - E r g ü s s e w e r d e n , hinterlassen,
ohne weitere .Nachtheile zu
resorbirt.
E. G e q u e t s c h t e
Wunden
i m m e r z u r Eiterung. solchen Verletzung
der Muskeln u n d S e h n e n führen
Z w i s c h e n dem Heilungsvorgange
und
demjenigen einer s u b c u t a n e n
nach
einer
Zerreissung,
wenn sie auch noch so bedeutend ist, findet sich ein sehr g r o s s e r Unterschied z u m Nachtheil_ der ersteren. die S e h n e n
solchen V e r l e t z u n g e n
Glücklicher W e i s e w e i c h e n
durch ihre Festigkeit,
Elasticität
und B e w e g l i c h k e i t , so w i e durch ihre glatte, rundliche sehr häufig aus.
Oberfläche
Dies gilt namentlich für S c h u s s v e r l e t z u n g e n .
Ist
eine S e h n e nicht sehr breit, so wird sie von der K u g e l nur in dem Falle d u r c h b o h r t ,
wenn
sie durch j e n e g e g e n einen K n o c h e n
an-
gepresst wird und letzterer also gleichsam als Stützpunkt ihr A u s weichen verhindert.
W i r d eine S e h n e durch eine noch sehr kräf-
tige K u g e l getroffen, so reisst sie dennoch oft nicht an der getroffenen Stelle, sondern die T r e n n u n g erfolgt weiter oben an der V e r bindungsstelle z w i s c h e n
Sehne und Muskel oder auch noch
aufwärts im Muskelbauch
selbst,
welcher
alsdann
h e r v o r g e z o g e n und weit hinaus geschleudert w e r d e n kann. findet
man d a ,
nach
mit Blut
w o der Muskelbauch sich
durch Granulation
ausfüllende
ausgefüllt wird.
einen e r s c h r e c k e n d e n E i n d r u c k .
liegen sollte,
Vertiefung,
Alsdann
eine nach
welche
Verletzungen
weiter
unter der Haut
nur
der Art
und
langsam machen
Man hat sie v o r z u g s w e i s e am V o r -
derarm u n d Unterschenkel und z w a r nicht blos in Folge von S c h u s s verletzungen, sondern auch durch andere stumpf w i r k e n d e Gewalten, namentlich Maschinen, entstehen Die Muskeln gen.
Der durch
werden sie
sehen.
von einer K u g e l
sehr leicht
selten
ein wo
in
Schusskanal
durchdrun-
cylindrischer Kanal, w e i l nicht alle Fasern in dem A u g e n b l i c k e , sie getroffen w e r d e n ,
verlaufende
gleicher S p a n n u n g
ist aber sich
befinden,
nach der T r e n n u n g sich nicht alle g l e i c h m ä s s i g z u r ü c k z i e h e n . Behandlung
dieser W u n d e n
weicht von den im A l l g e m e i n e n
auch Die hier-
über aufgestellten Principien nicht ab.
II. V e r r e n k u n g e n der M u s k e l n u n d Seltnen. Muskelverrenkungen w e r d e n im Munde des Volkes viel häufiger erwähnt als in den Schriften d e r A e r z t e ; in letzteren ü b e r g e h t man sie oft gänzlich mit Stillschweigen.
W a s die L a i e n
aber
als V e r -
renkung eines Muskels bezeichnen, ist gewöhnlich eine V e r s t a u c h u n g oder eine acute G e l e n k - E n t z ü n d u n g , Muskelzerreissung
durch
übermässige
zuweilen
auch
Anstrengung.
eine partielle Es
kommen
858
Krankheiten
der Muskeln und
Sehnen.
jedoch auch wirkliche Muskelverrenkungen, und zwar unabhängig von Verrenkungen der benachbarten Knochen, d. h. also isolirte und subcutane Ortsveränderungen einzelner Muskeln vor. H i p p o k r a t e s sagt bei Gelegenheit der Verrenkungen des Unterkiefers:' „Der Unterkiefer wird selten verrenkt, aber erfährt beim Gähnen häufig eine Verschiebung, wie sie auch andere Verschiebungen der Muskeln und Sehnen herbeiführen." Diese Stelle ist, wie L i t t r e ' ) mit Recht bemerkt hat, sehr dunkel. Nach L i t t r e ' s genauen Untersuchungen erwähnt erst 1694 W. C o o p e r einen Fall von Muskelverrenkung und zwar am langen Kopf des Biceps brachii. Diese Beobachtung haben auch M a n g e t und P e t i t - R a d e l 2 ) erwähnt. P o u t e a u spricht von solchen Verletzungen, führt aber keinen einzigen Fall auf. Dagegen bemerkt P o r t a l , dass er bei der Section eines von bedeutender Höhe herabgestürzten Menschen unter der Fascia lata einen grossen Blut-Erguss und den Muse, rectus fernoris aus seiner Scheide (d. h. aus den ihn umfassenden Fortsätzen der Fascia lata) herausgetreten gefunden habe. Die einzige anatomische Untersuchung aber, welche in der Literatur als Beweisstück für das Vorkommen einer wirklichen Muskel- oder Sehnenverrenkung aufgeführt wird, ist die von J. S o d e n 3 ) , welche eine Dislocation der Sehne des Muse, biceps brachii betrifft. Wenn dieser Autor aber ausdrücklich sagt, dass es sich um eine Dislocation des langen Kopfes des Biceps aus dem Sulcus interlubercularis ohne a l l e C o m p l i c a t i o n gehandelt habe, so muss dies auf Grund der von ihm selbst gegebenen Beschreibung entschieden in Zweifel gezogen werden, da aus derselben vielmehr deutlich hervorgeht, dass bei der Section die unzweifelhaften Spuren vorausgegangener, sehr beträchtlicher Entzündung des ganzen Schultergelenks gefunden wurden. ' ) Vergl. Oeuvres pag.
•'! Encyclop. 3
)
rt'
Hippoerute,
edit.
de
M.
Littre,
Paris
184-i,
T.
IV,
22. methodUjue.
Chirurgie,
Medico-Chirurg.
Transaction
auch G u r l t ,
I. c. pag. 2 8 1 .
T.II, »f London
p. 2 1 2 . 1811,
g e l e n k s die B e s c h r e i b u n g vu,n S o d e n
vollständig
falls m u s s
der
zugestanden werden,
v e r r e n k u n g e n n o c h zu liefern ist. zweifelt w e r d e n .
T . XXIV,
p. 2 1 2 .
W i r w e r d e n bei den K r a n k h e i t e n dass
des
m i t t h e i l e n (Bd. IV).
a n a t o m i s c h e Nachweis
der
Vergl. SchulterJedenMuskel-
An i h r e r Möglichkeit soll d e s h a l b n i c h t ge-
859
Z w e i t e »
Capitel.
Von der Entzündung der Muskeln und Sehnen, | Die E n t z ü n d u n g wir von V e r l e t z u n g e n
d e r M u s k e l n , Myositis und
der Uebertragung
s. Myitis,
ist, wenn
der Entzündung
von
a n d e r e n b e n a c h b a r t e n G e w e b e n h e r , a b s e h e n , eine v e r h ä l t n i s s m ä s s i g seltene K r a n k h e i t .
Jedoch
geht m a n
entschieden
zu w e i t ,
m a n eine nicht t r a u m a t i s c h e p r i m ä r e M u s k e l - E n t z ü n d u n g in Zweifel zieht.
Die V e r ä n d e r u n g e n betreffen allerdings die e i g e n t -
liche Muskelsubstanz, d. h. die Muskelprimitivbündel n u r
secundär,
i n d e m die E x s u d a t i o n in d e m g e f ä s s r e i c h e n B i n d e g e w e b e , jene
umhüllt,
entweder
Statt findet.
Das e n t z ü n d l i c h e E x s u d a t
unter Verdrängung
Bindegewebe
wenn
überhaupt
umgewandelt,
und
Atrophie
der
welches
aber
wird
Primitivbündel
o d e r zerfallt zu Eiter.
Ob auch
in eine
wirkliche H y p e r t r o p h i e d e r Muskeln in Folge von E n t z ü n d u n g Statt finden
k a n n , lässt sich z u r Zeit noch nicht mit B e s t i m m t h e i t
scheiden'),
ist a b e r
nach
den B e o b a c h t u n g e n ,
o r g a n i s c h e n Muskeln, B r u c h
ent-
welche E n g e l
an
am P y l o r u s u n d V e r f a s s e r an d e n I n -
t r a c o s t a l m u s k e l n g e m a c h t h a b e n , als s e h r w a h r s c h e i n l i c h a n z u s e h e n . Die V e r ä n d e r u n g e n dung bestehen
darin,
der Primitivbündel
in Folge von
d a s s die Q u e r s t r e i f u n g z u n ä c h s t
Entzün-
undeutlich
wird, das g a n z e B ü n d e l m e h r h o m o g e n u n d gallertig e r s c h e i n t , an einzelnen Stellen wulstartig aufquillt und b l a s s e r wird.
im Ganzen w e i c h e r
und
Diese V e r ä n d e r u n g e n , w e l c h e V i r c h o w als „ e n t z ü n d -
liche E r w e i c h u n g " z u s a m m e n g e f a s s t hat, f ü h r e n e n t w e d e r zu e i n e r wirklichen A u f l ö s u n g des Muskelprimitivbündels, n a c h d e m a u c h d a s S a r k o l e m m a e r w e i c h t u n d zerflossen ist, o d e r z u r fettigen E n t a r t u n g , bei w e l c h e r das S a r k o l e m m a 'erhalten bleiben k a n n ,
während
die
von ihm u m s c h l o s s e n e n Fibrillen aufgelöst u n d die a u s i h r e r A u f l ö s u n g e n t s t a n d e n e Gallerte in d e r a n d e r w e i t i g g e s c h i l d e r t e n W e i s e zu Fett u m g e w a n d e l t w i r d . mitivbündel auch
an
des
In beiden Fällen erleiden also die P r i -
e n t z ü n d e t e n Muskels V e r ä n d e r u n g e n ,
anderen
Theilen,
die i h r e r
sind, von Blutflüssigkeit o d e r
flüssigem
Exsudat
tränkt w e r d e n , zu b e o b a c h t e n Gelegenheit h a b e n .
' ) Vergl. C a r l
Wed),
pag. 2 2 7 u. 2 8 2 .
wie w i r sie
Gefässverbindungen a b e r noch
beraubt durch-
Dies e r k l ä r t sich
Grundziige der pathologischen Histologie, Wien
1853,
860
Krankheiten der Muskeln und Sehnen.
aus dem ursprünglichen
Auftreten des Exsudats
in d e r
Umge-
b u n g der Primitivbündel, an einer Stelle a l s o , wo es auf das Muskelprimitivbündel eine analoge W i r k u n g haben muss, als das Exsudat zwischen Periost und Knochen
auf letzteren.
Fälle, in denen die
Muskel-Entzündung zur Hypertrophie führt, könnten n u r so gedeutet werden, dass man annähme, die Exsudation sei so allmälig erfolgt, dass sie die Primitivbündel weder mechanisch belästigte, noch ihrer Blutzufuhr beraubte, sondern u n t e r dem Einfluss der Primitivbündel selbst, nach dem Gesetz der analogen Bildung, zur Neubildung von Muskelfasern verwandt wurde. erkennen
Leicht
am Cadaver zu
u n d eben so leicht zu erklären sind die groben Verän-
derungen, welche der Muskel durch Entwicklung von Abscessen in seiner Substanz und durch Verknöcherung in Folge von E n t z ü n d u n gen erleidet.
Muskel-Abscesse können unter gänzlicher Zerstörung
der Primitivbündel
eine
solche A u s d e h n u n g
erreichen,
dass
sie
einen grossen mit Eiter gefüllten Sack darstellen, dessen Hülle das Perimysium ist.
Fälle der Art sind namentlich am Psoas beoachtet.
Kleinere Abscesse findet man in Amputationsstümpfen und auch in sonst unversehrten Muskeln entzündeten
bei Pyämic.
Muskeln, namentlich
Knochen, auf.
Verknöcherung
tritt in
in der Nähe ihrer Insertion am
Hier entsteht abermals die F r a g e ,
auf welche wir
schon bei der Gelenk-Entzündung (pag. 8 0 7 ) eingehen m u s s t e n , ob in solchen Fällen die Entzündung der Muskeln
oder diejenige der
Knochen als das primäre Uebel anzusehen sei.
Ohne gleichzeitige
E n t z ü n d u n g der benachbarten
Knochen findet Verknöcherung
der
Muskeln und Sehnen selten Statt. U r s a c h e n der primären Muskel-Entzündung s i n d :
Verletzun-
gen und f r e m d e Körper, Erkältungen, Verstopfung der Gefässe bei Pyämie, Eitersenkung. Die E n t z ü n d u n g der Muskeln v e r l ä u f t bald acut, bald chronisch. Erstere entsteht namentlich durch Verletzungen oder heftige Erkältungen ( b e s o n d e r s mit Durchnässung) Muskel-Rheumatismus.
—• sogenannter acuter
Letztere ist oft ein Ausgang der ersteren,
entsteht aber auch in Folge der Uebertragung der chronischen Entz ü n d u n g eines Knochens oder Gelenkes auf den Muskel. Die localen S y m p t o m e
der a c u t e n Muskel-Entzündung sind:
Schmerz, Anschwellung, Hitze (zumal bei oberflächlichen Muskeln), m e h r oder weniger heftige Krämpfe, die bei jedem Versuch Bewegung hervortreten.
einer
Auch die Schinerzen werden vorzugsweise
durch Bewegungen veranlasst und immer hauptsächlich an den Enden des Muskels, dem Ursprünge und
der Insertion, empfunden.
Entzündung der Muskeln
861
u n d Sehneri.
Die A n f a n g s absichtlich
vermiedenen Bewegungen
unmöglich;
v e r l i e r t allmiilig an D i c k e , w i r d h a r t ,
der Muskel
andauernd zusammengezogen,
ohne
dass der Wille
auf ihn hätte; die Contraction
wird zur
geben
Diffonnitäten,
sich
die v e r s c h i e d e n e n
Entzündung bedingt werden; hohle Organe
den k ö n n e n bei
(Herz,
der acuten Bei
ausgedehnt,
Harnblase,
der c h r o n i s c h e n
sich
wenn
Mastdarm).
Muskel-
ferner, letztere
noch vollständig
Entzündung,
entstanden
nur bei passiven
Bewegungen
Hieraus er-
welche durch
erklärt
starr,
Einfluss
weshalb entzündet
entleert w e r -
Oft findet
sich
Fieber
aus der
acuten
Muskel-Entziindung.
oder anderweitig treten
hieraus
späterhin
mehr
Contractur.
mit m u s k u l ö s e n W a n d u n g e n ,
sind, w e d e r hinreichend
werden
sein,
mag
sie
sind die S c h m e r z e n g e r i n g e r
Bewegungen
des Muskels
auf.
Zu
und
activen
wird
d e r a l l m ä l i g in C o n t r a c t u r v e r f a l l e n d e M u s k e l b a l d
und
nur
unfähig. Selten,
unter
energischer
Behandlung,
M u s k e l - E n t z ü n d u n g i h r e n A u s g a n g in Z e r t h e i l u n g . zumal wenn
die K r a n k h e i t
einen chronischen
hat, V e r h ä r t u n g ( C o n t r a c t u r ) , beruht durch
auf
der
oben
erörterten
Eiterung, Verschwärung dig
werden
die
Verdrängung
Umgebungen;
und Brand
Muskeln
nur
Eiterbildung
bei
sind
gleichzeitiger
namentlich
folgt der A u f b r u c h
eines Muskel-Abscesses,
ein, w e l c h e
gischen Antiphlogose zuführen.
nung
ihren
vor.
nur Er-
s o tritt f a s t i m m e r V e r -
Tode
führt. muss
in e i n e r e n e r -
möglich Zertheilung
S i t z hat, in d e r A r t z u l a g e r n ,
den Krämpfen
letztere wendet man Contractur,
Die
entgegen
d. h . d e r V e r k ü r z u n g ,
herbei-
dass
der
kranke
den
Mit B ü c k s i c h t
auf
Die B e h a n d l u n g
der
kann,
so lange E n t z ü n d u n g
be-
werden.
Entzündung Nach
zu wirken.
a u s s e r d e m Narcotica an.
steht, nicht b e g o n n e n
jetzt
der
Sehnen
bekannten
ersatz u n d die N e u b i l d u n g von
l)
ihrer
m ö g l i c h s t e r s c h l a f f t ist, u m d a d u r c h d e r s c h m e r z h a f t e n S p a n und
den. ' )
um w o
bran-
Zerstörung
ausser bei P y ä m i e ,
der Muskel-Entziindung
bestehen,
Exsudat.
V o n W i c h t i g k e i t i s t e s , d e n T h e i l , a n w e l c h e m die M u s k e l -
Entzündung Muskel
zum
Dies
Primitivbündel
bei scrophulösen S u b j e c t c n
gewöhnlich
Die B e h a n d l u n g
der
seltenere A u s g ä n g e ;
in ihnen kommt,
die
angenommen zurück.
sich u m w a n d e l n d e
bei dyskrasischen,
jauchung
Verlauf
zuweilen Verknöcherung
d a s in N a r b e n - ( F a s e r - ) G e w e b e
nimmt
Gewöhnlich bleibt,
ist
vielfach
Thatsachen
Sehnen
geleugnet
über
den
wor-
Wieder-
kann an ihrer B e t h e i l i g u n g
Vergl. R i e b e t , Annales de la Chirurgie. T. XI.
862
Krankheiten der Muskeln und Sehnen.
an der Entzündung nicht gezweifelt werden. Ueberdies sieht man von den blossliegenden Sehnen aus deutlich Granulationen aufwachsen. Allerdings stösst sich aber, wenn die Sehne vollständig entblösst ist, die oberflächliche Schicht derselben brandig ab und erst aus der Tiefe wachsen demnächst (wie am entzündeten Knochen um einen exfoliirten Sequester) die Granulationen empor. In Betreff der B e h a n d l u n g einer Sehnen-Entzündung sind nur die bei den Sehnen-Wunden angegebenen Momente zu berücksichtigen. Ist die Entzündung nicht traumatischen Ursprungs, so kann sie nur von den umgebenden Gebilden her auf die Sehne übertragen sein, in welchem Falle der Sehnen-Entzündung als solcher eine besondere Aufmerksamkeit nicht zu schenken ist. |
Drittes
Capitel.
Von der Verkürzung der Muskeln, Contractura musctilorum, Contracture et retraction des muscles. A e t i o l o g i e . Bei der allgemeinen Besprechung der Verkrümmungen (Bd. I, pag. 372 u. folg.) haben wir bereits hervorgehoben, in welcher Weise andauernde Verkürzung der Muskeln von Krankheiten des Nervensystems abhängig sein kann. Die Gontractur kann in dieser Beziehung in eine spastische und in eine paralytische eingetheilt werden. Erstere ist die Folge häufig wiederkehrender Muskelkrämpfe; letztere finden wir an Muskeln, welchen durch Lähmung ihrer Antagonisten eine übermässige Verkürzung gestattet worden ist. Unabhängig von Erkrankungen des Nervensystems entstehen Contracturen, wenn durch fehlerhafte Stellung einzelner Theile des Skelets (gleichgültig, ob dieselbe angeboren oder erworben ist) die Bewegung gewisser Muskeln innerhalb zu enger Grenzen erhalten wird. In letzterem Falle kann der Muskel ebenso, wie bei Paralyse seiner Antagonisten, niemals eine Ausdehnung auf seine normale Länge erfahren, er ist zur Ruhe in der Stellung der Contraction verdammt, die Gewohnheit macht aus der Contraction eine Contractur. So werden z. B., wenn der Unterschenkel gegen den Oberschenkel durch knöchcrne Ankylose unter einem rechten Winkel feststeht, die Flexoren des Unterschenkels von Contractur befallen. Aehnlich wirkt die häufige Wiederholung derselben Bewegung, indem nach und nach die ursprünglich nur durch den Willen, aber vorzugsweise häufig zur Contraction veranlassten Muskeln nicht
Verkürzung der Muskeln.
863
blos andauernd das üebergewicht über ihre Antagonisten gewinnen, sondern auch die Fähigkeit sich wieder auf ihre volle Länge auszudehnen einbüssen. Dies bemerkt man z. B. an den Händen der Kutscher, deren Fingerflexoren von der andauernden gekrümmten Haltung der Peitsche und Zügel beim Fahren in Contractur verfallen. |Bei allen bisher erwähnten Entstehungsweisen ist eine q u a l i t a t i v e Veränderung in der Structur des Muskels nur höchst selten und nur bei sehr langer Dauer des Uebels wahrzunehmen ' ) ; er bleibt nach wie vor Muskel, die mikroskopische Untersuchung weist in ihm die normalen Primitivbündel nach, und Contracturen dieser Art sind daher auch heilbar, sobald wir nur durch die geeigneten Mittel die Verlängerung oder Ausdehnung des Muskels herbeiführen können. Die Contractur kann aber auch aus der Entzündung der Muskelsubstanz hervorgehen, worüber wir bei letzterer bereits gesprochen haben. Die französischen Schriftsteller, welche als „Contraclure" die Verkürzung der Muskeln ohne wesentliche Abänderung der Structur bezeichnen wollen, die Verkürzung m i t Abänderung der letzteren, namentlich durch Entwicklung von fibrösem Gewebe, „Retraction" nennen, müssten letztere Bezeichnung eigentlich auf die aus Entzündung entsprungene Verkürzung beschränken. Bei allen anderen Formen beruht die Veränderung des Gewebes nur darauf, dass die ausser Thatigkeit gesetzten Muskelbündel atrophisch werden, während das in die Zusammensetzung des Muskels eingehende fibröse Gewebe, dessen Ernährung und Entwicklung in dem ruhenden Muskel ganz ebenso erfolgt, wie in dem thätigen, scheinbar vermehrt wird. Durch Entzündung dagegen gehen wirklich Muskel-Elemente zu Grunde und es erfolgt Neubildung und mithin absolute Vermehrung des fibrösen Gebildes. Daher gewährt der durch Entzündung verkürzte Muskel viel weniger Aussicht auf Wiederherstellung seiner Function. Besonders zu erwähnen ist die syphilitische Contractur der Muskeln, welche mit heftigen, vermeintlich rheumatischen Schmerzen auftritt und daher wahrscheinlich auch entzündlichen Ursprungs ist. Man hat sie an den verschiedensten Muskeln, immer aber als eine der spätesten syphilitischen Affectionen beobachtet. | Verkürzungen der S e h n e n u n d B ä n d e r entstehen auch unabhängig von Muskelcontractur durch Gewohnheit, so z. B. bei angebornen Klumpfüssen und durch Entzündung, welche mit ihrer ') | In Muskeln, welche Jahrzehnte lang in Contractur sich befanden, k o m m t die in paralytischen Muskeln so häufige und oft so vollständige Fettmetamorphose dennoch selten
und verbal tnissmässig schwach ausgeprägt vor. j
864
Krankheiten der Muskeln und Sehnen.
Verdickung wegen der nachfolgenden Narbencontraction zugleich ihre Verkürzung bedingt. Solche Entzündungen sind oft schleichend und beruhen nicht selten auf einem andauernden Drucke. In welcher Weise sonst noch durch Druck solche Contracturen veranlasst werden könnten, lässt sich nicht einsehen. S y m p t o m e . Die Difformität des Theiles, an welchem der verkürzte Muskel sitzt, ist gewöhnlich das auffallendste und erste Symptom. Schmerzen finden sich, sofern wir eine noch etwa fortbestehende Muskel-Entzündung ausschliessen, nicht vor. Will man syphilitische Contractur nicht als Muskel-Entzündung ansehen, so muss man sie als Ausnahme von dieser Regel aufführen, denn sie ist oft sehr schmerzhaft. — Der verkürzte Muskel fühlt sich hart an und springt als ein straffer Strang hervor, sofern nicht die Dicke der darüber liegenden Weichtheile denselben verhüllt oder anderweitige locale Verhältnisse ihn unseren Augen und Fingern entziehen. Die Wirkung des Muskels auf sein Punctum mobile ist stets deutlich, aus ihr entspringt die Difformität. Die Bewegung der Antagonisten wird beschränkt oder unmöglich. In der Regel werden die Flexoren an den Extremitäten von Contractur befallen und zwar gewöhnlich in der Art, dass diejenigen Gruppen von Muskeln, welche gleichzeitig bewegt zu werden pflegen, auch zugleich der Contractur unterliegen ( G e r d y ) , wahrscheinlich immer in solcher Ausdehnung, als sie von demselben grösseren Nervenaste versorgt werden ( B o n net). |Eine Eintheilung der Contracturen, je nach der Grösse der Difformität, welche sie veranlassen, in verschiedene Grade (nach G e r d y drei) ist höchst willkürlich. Hier genügt es, anzudeuten, dass alle verschiedenen Grade beobachtet sind, von der beginnenden Beugung der Finger bis zu dem Einkrallen der Nägel in die unter ihrem Druck verschwärende Haut der Hohlhand; von der einfachen Erhebung der Ferse mit stärkerer Wölbung des Fussrückens bis zu der gänzlichen Umdrehung des Fusses, so dass statt der Fusssohle der Fussrücken den Boden berührt; von der halbgebeugten Stellung des Knies bis zur festen Berührung zwischen Ferse und Hinterbacke u. s. w. | Consecutive Veränderungen. So wie aus dem Muskel selbst, so scheint allmälig aus dem ganzen Abschnitt des Gliedes, an welchem die Contractur sitzt, das Leben sich zurückzuziehen. Die Antagonisten der verkürzten Muskeln werden allmälig atrophisch und verfallen endlich der fettigen Metamorphose. Der verkürzte Muskel selbst wird allmälig dünner, strangartiger, während seine Sehne ihr altes Volumen behält und somit endlich relativ dicker
V e r k ü r z u n g der
865
Muskeln.
wird als der MuskeL Daher konnte man von den stockähnlichen Unterschenkeln der Klumpfüssigen sagen (vergl. Bd. I, pag. 377, Fig. 94), die Wade sei ihnen gegen die Ferse hinabgerutscht. Die Arterien, Venen und Nerven erfahren mannigfaltige Verschiebungen, aber, sofern sie nicht durch Narben festgeheftet werden, keine Verkürzungen, was in therapeutischer Beziehung sehr wichtig ist. Die Knochen unterliegen bald Verschiebungen in ihren Gelenken, bald Verkrümmungen in ihrer Continuität. Hieraus erklären sich die | Jedoch hat man consecutiven Subluxationen und Luxationen. offenbar früher zu Vieles als consecutive Verrenkung und V e r l e gung, namentlich bei Rlumpfüssen zu erklären gesucht, was ursprüngliche Missbildung ist (vergl. Bd. I, pag. 374). | Die D i a g n o s e einer Contractur kann nur in sofern zweifelhaft sein, als eine Verwechselung mit Ankylose möglich ist. | Abgesehen von der Belehrung, welche die Anamnese liefert, werden alle anderen Unterscheidungsmethoden durch die Anwendung des Chloroforms überflüssig gemacht. Eine Difformität, welche blos auf Muskelcontractur beruht, schwindet unter Anwendung eines geeigneten Zuges oder Druckes, sobald eine tiefe Betäubung durch Chloroform-Inhalationen herbeigeführt ist. Gelingt ihre (zunächst vorübergehende) Beseitigung auf diese Weise nicht, so lässt sich bestimmt annehmen, dass anderweitige Veränderungen im Gelenk oder seiner Umgegend das wesentliche Hinderniss sind. Bevor diese Untersuchungsweise durch B. L a n g e n b e c k in die Praxis eingeführt wurde, musste man die Diagnose auf eine genaue Erforschung der vorausgegangenen Krankheit und der Art des Widerstandes, welche in dem verkrümmten Gelenke Statt fand, zu stützen suchen.| Lässt ein Gelenk z. B. bei supponirter Contractur der Flexoren sich nicht blos nicht strecken, sondern auch nicht beugen, so muss ausser der Muskelcontractur, sofern diese überhaupt besteht, jedenfalls noch ein anderes Hinderniss vorhanden sein, d. h. Ankylose. Ist dagegen nur diejenige Bewegung unmöglich, welcher die verkürzten Muskeln sich entgegensetzen, so besteht keine Ankylose. | Zwischen diesen einfach und klar liegenden Extremen finden sich aber viele Abstufungen, in denen man nur durch das Chloroform volle Klarheit erhält. | Ging der Muskelcontractur eine (gewöhnlich entzündliche) Krankheit des Gehirns voraus, so wird die Berücksichtigung dieser vor der Verwechslung mit einem ursprünglichen Knochenleiden schützen. Die Contractur ist dann die Nachwirkung der durch das Gehirnleiden veranlassten Convulsionen. Bestand Caries aperta im Kniegelenk, so wird Niemand glauben, die rechtwinklige V i d a l ' s Chirurgie.
II.
55
860
Krankheiten der Muskeln und Sehnen.
Verkrümmung im Knie sei Folge von Contractur d e r F l e x o r e n ; hier besteht sicher Ankylose. Die Verkürzung der Aponeurosen erkennt man an dem Hervorspringen von Strängen in einer Richtung, in welcher keine Muskeln verlaufen. Beide Richtungen können aber zufällig zusammenfallen. |Dann ist, da aus der Aetiologie, der Art der Spannung und anderen Symptomen sich auch kein Aufschluss ergiebt, die Entscheidung sehr schwierig, wenn man ohne Anwendung des Chloroforms zum Ziele kommen will. Unter dem Einfluss des letzteren aber werden die verkürzten Muskeln nachgeben, während die verkürzten aponeurotischen Stränge unverändert Widerstand leisten, oder durch eine grössere Gewalt unter deutlichem Geräusch zerrissen werden. | Die P r o g n o s e der Muskelcontracturen ist, bei der erfreulichen Wirksamkeit der gegen sie einzuleitenden Behandlung, im Allgemeinen als günstig zu bezeichnen; jedoch ist sie für den einzelnen Fall immer unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ursachen, des Grades, der Dauer, der Complicationen und des Sitzes zu stellen. Die Contracturen, welche von Entzündung des Muskels selbst herr ü h r e n , sind je nach den Veränderungen, welche derselbe erlitten hat, mehr oder weniger schwer zu beseitigen. War dagegen nur eine Entzündung in der Nachbarschaft des Muskels oder ein gezwungenes Still-Liegen die Ursache der Contractur, so ist sie leicht, oft ohne ein eingreifendes Verfahren1; zu beseitigen. |Wenn Paralyse der Antagonisten des verkürzten Muskels besteht (in Folge von Erkrankungen des Nervensystems, Durchschneidung von Nerven etc.), so sind die Aussichten nur in so fern günstig, als die Paralyse oder doch ihre Wirkung auf den verkrümmten Theil (letzteres durch mechanische Vorrichtungen) beseitigt werden kann. | Je mehr nachträgliche Veränderungen, namentlich der Knochen, Statt gefunden haben, desto geringer die Hoffnung, daher im Allgemeinen auch, je älter die Contractur. Der nachtheilige Einfluss anderweitiger Complicationen, so wie die Bedeutung des Sitzes der Contractur ergiebt sich von selbst. Behandlung. |Dem verkürzten Muskel muss seine normale Länge und seine Zusammenziehungslahigkeit wiedergegeben werden. Gelingt Ersteres, so ist der zweite Theil der Aufgabe in der Regel nicht schwer zu lösen. In manchen, besondere noch nicht sehr veralteten Fällen kann durch allmälige permanente Extension, welche mit passenden und möglichst wenig drückenden Maschinen ausgeführt werden muss, oder durch oft wiederholten Zug und Druck
867
Verkürzung der Muskeln.
mit der Hand die Verlängerung des Muskels erreicht werden. In schwierigeren Fällen aber, wo dieses Verfahren gar nicht oder nur mit Aufwand von vieler Zeit, mit Verlust von vielen Kräften und unter grossen Schmerzen zum Ziele führen würde, wenden wir, nach dem Vorgange von B. L a n g e n b e c k , die gewaltsame Ausdehnung des verkürzten Muskels in der Chloroformnarkose (in der bei der Ankylose schon im Allgemeinen geschilderten Weise) an. Die Betäubung muss sehr tief sein, und wegen der damit verknüpften Gefahr sehr sorgfältig überwacht werden. Die Ausdehnung der Muskeln erfolgt zwar im Vergleich zu der allmäligen Extension durch Maschinen plötzlich, aber doch nicht mit einem Ruck und mit roher Gewalt, sondern durch Anfangs sanftes, allmälig zu steigerndes Hin- und Her-Bewegen des Theiles, an welchem die verkürzten Muskeln inserirt sind. Es soll dabei niemals eine Zerreissung, sondern allmälige Dehnung des Muskels, dessen Contractur durch das Chloroform gleichsam gelöst wird, erfolgen. Wo diese Methode nicht zum Ziel führt, oder wegen der Individualität des Kranken, endlich wegen der Localität des Uebels (sofern diese für den nachher anzulegenden Verband nicht geeignet ist), nicht angewandt werden kann, da besitzen wir in der subcutanen Durchschneidung das souveraine Mittel, um die Verlängerung der Muskeln und Sehnen und damit auch ihre Function wieder herzustellen. ') Die Ausführung dieser Operation ( M y o t o m i a , Tenotomia) ist bereits in den Prolegomena (Bd. I, pag. 104 u. folg.) geschildert worden. Die grosse Verschiedenheit zwischen der Durchschneidung in offener Wunde und der subcutanen Methode, so wie das Verdienst L. S t r o m e y e r ' s um die Einführung der letztern wurde bereits bei der Lehre „ v o n den Verletzungen im Allgemeinen" (Bd. I, pag. 274) hervorgehoben. Immerhin aber bleibt die Durchschneidung des Muskels oder der Sehne nur eine vorbereitende Operation in Betreff der zu erzielenden Verlängerung. Das Narbengewebe, welches zwischen den durchschnittenen Theilen sich entwickelt, muss, so lange es noch dehnbar ist ;— am Besten schon vom dritten oder fünften Tage ab — durch geeignete Verbände und Maschinen ausgedehnt werden, um dem Muskel wieder seine ursprüngliche Länge zu verschaffen. Jedenfalls sind also besondere Verbände und Apparate — mögen sie allein wirken, oder nach der gewaltsamen Streckung in der Chloroformnarkose das Glied in der gewünschten Stellung sicher erhalten, oder endlich diese Stellung ') | Ueber die Tenotumie ist in jeder Beziehung zu vergleichen:
Dieffenbach,
Ueber die Durchschneidung der Muskeln und Sehnen, Berlin 1 8 4 1 . |
868
Krankheiten
der Muskeln und S e h n e n .
durch allmälige Dehnung der jungen Sehnennarbe erst herbeiführen sollen — f ü r die Heilung der Contracturen erforderlich. Diese orthopädischen Verbände können bald durch Zug, bald durch Druck oder durch beide zugleich wirken (vergl. Bd. I, pag. 3 8 0 ) ; immer aber wird ein gewisser D r u c k bei ihnen nicht zu vermeiden sein. Durch ihn entstehen zahlreiche Uebelstände. Abgesehen davon, dass durch Compression des Thorax u n d des Bauches, wenn die Diiformität am Rumpf sitzt, die ganze E r n ä h r u n g wesentlich leiden kann, stellen sich auch an den Extremitäten als üble Folge desselben beträchtliches O e d e m des peripherischen Theils und (was bei Weitem übler i s t ) G a n g r ä n an der gedrückten Stelle ein (vergl. Bd. I, pag. 2 2 9 ) . Zur Vermeidung des Oedems wickelt man die ganze Extremität gleichmässig mit einer Flanellbinde ein und lässt die Venenstämme von Druck frei. Zur Verhütung des grade an atrophischen Gliedern ungemein leicht entstehenden Brandes vertheilt man den Druck auf" möglichst viele P u n k t e , wechselt häufig die Stellen, auf welche er vorzugsweise einwirken soll, vermeidet solche gänzlich, wo die Haut dicht auf dem Knochen aufliegt und legt überall, so viel als thunlich, elastische Polster unter. Von Zeit zu Zeit wird die Extremität ganz frei gelassen und die Haut durch kalte Douchen oder Waschungen, spirituöse Einreibungen u. dgl. m. belebt und abgehärtet. Die genannten Mittel wirken ausserdem auch wohlthätig auf die Belebung des verkürzten Muskels. Sollte seine Zusammenziehungsfähigkeit, nachdem ihm die normale Länge wiedergegeben ist, mangelhaft bleiben, so wird diese besonders durch die kalte Douche und die Electricilät wiederhergestellt. Gewöhnlich aber reichen absichtliche Uebungen der Muskeln, bei denen der Patient Anfangs durch den Rath und die Hand des Arztes unterstützt werden muss, zur Wiedererlangung der vollen Beweglichkeit aus. |
Viertes
Capitel.
Von den Neubildungen
in den Muskeln.
| Die Muskeln sind im Allgemeinen selten der Sitz von Pseudoplasmen, besonders entwickeln sich dieselben höchst selten primär in ihnen. Alle Arten des K r e b s e s können in den Muskeln vorkommen, gewöhnlich jedoch n u r , indem er sich von Nachbargebilden, z. B. von der Brustdrüse, aus auf die Muskeln fortsetzt. Daher wird er auch selten Gegenstand einer besonderen Diagnose.
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Neubildungen in den Muskeln. Nicht ganz selten bilden ß l a s e n w ü r m e r schwülste in einem Muskel. lich sein.
prominirende
Ge-
Ihre Diagnose wird kaum jemals mög-
Das Gleiche gilt von der Trichina
spiralis,
welche
für
den Chirurgen ein besonderes Interesse üDerhaupt nicht darbietet. Anderweitige
Cysten
als die
durch
dingten gehören zu den grössten Zu erwähnen
sind
(nach R o k i t a n s k y )
endlich
die genannten Entozoen be-
Seltenheiten. die T e l e a n g i e k t a s i e n ,
welche
„ a l s mehr oder weniger umfängliche
Gefäss-
Convolute, welche die Muskelsubstanz verdrängen und durch Druck atrophiren mit Beibehaltung der dem Muskelbauche
eigenthümlichen
Umrisse," — jedoch gleichfalls sehr selten vorkommen. Die Umwandlung
der Muskeln
in Fett,
so wie
die
fibroide
Entartung sind, so weit sie in die Chirurgie gehören, bei der Entzündung und bei der Contractu!' der Muskeln erwähnt worden. |